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German Pages 928 [929] Year 1988
ERNST RUDOLF HÜBER - WOLFGANG HIJBER Staat u n d K i r c h e i m 19. u n d 20. Jahrhundert Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts
ERNST R U D O L F HUBER - WOLFGANG HUBER
Staat u n d Kirche i m 19. u n d 20. Jahrhundert Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts
Band IV Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Hergestellt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften u n d anderer wissenschaftlicher Stiftungen
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Staat und Kirche im 19. [neunzehnten] und 20. Jahrhundert: Dokumente zur Geschichte d. dt. Staatskirchenrechts / Ernst Rudolf Huber; Wolfgang Huber. — Berlin: Duncker u. Humblot. N E : Huber, Ernst Rudolf [Hrsg.] Bd. 4. Staat und K i r c h e i n der Zeit der Weimarer Republik. — 1988 Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik / Ernst Rudolf Huber; Wolfgang Huber. — Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Staat und K i r c h e i m 19. [neunzehnten] und 20. Jahrhundert; Bd. 4) I S B N 3-428-06362-7 N E : Huber, Ernst Rudolf [Hrsg.]
Alle Rechte vorbehalten © 1988 D u n c k e r & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1988 bei Berliner Buchdruckerei U n i o n GmbH, Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3-428-06362-7
Vorwort Die fünfzehn Jahre der Weimarer Republik gehören zu den bedeutenden Krisenepochen der deutschen Geschichte. Für die Beziehungen zwischen Staat und Kirche gilt dies i n besonderem Maß. Deshalb ist diesem Zeitabschnitt i m Rahmen der vorliegenden Dokumentation ein eigener Band gewidmet. Er stellt die spannungsvollen Entwicklungen, die mit der Novemberrevolution anheben, in einem dreifachen Durchgang dar. Der Teil A dokumentiert die für alle Religionsgemeinschaften gültigen Grundentscheidungen und das die beiden großen Kirchen in gleicher Weise bestimmende Geschehen. Der Teil Β ist den besonderen Vorgängen in der katholischen Kirche, der Teil C entsprechend den bedeutenden Entwicklungen in den evangelischen Kirchen zugewandt. Der Übergang von der konstitutionellen Monarchie zur Republik, der sich in der Novemberrevolution vollzog, verwandelte die rechtliche Stellung der Kirchen i m und zum Staat tiefgreifend. Die Grundlagen der Beziehungen zwischen beiden Gewalten wurden in der Form, die das 19. Jahrhundert ihnen gegeben hatte, in Frage gestellt. Das nun ausgerufene Programm der Trennung von Kirche und Staat, das zu den leitenden Verfassungsgrundsätzen der sozialdemokratischen Parteien gehörte, konnte indessen i n höchst gegensätzlichem Sinn verstanden werden. Es konnte in den Dienst der individuellen wie der korporativen Religionsfreiheit treten; es konnte aber auch staatlichen Eingriffen i n das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zur Rechtfertigung oder zum Vor wand dienen. Beide Konzeptionen waren schon zu Beginn der Weimarer Zeit deutlich erkennbar. A u f der einen Seite erhob der Rat der Volksbeauftragten in dem Aufruf an das deutsche Volk vom 12. November 1918 (Dokument Nr. 1) das Recht der freien Religionsausübung zu einem seiner programmatischen Grundsätze. A u f der anderen Seite verfocht der preußische Kultusminister Adolph Hoffmann ein Konzept der Trennung von Staat und Kirche, das, wenn es sich durchgesetzt hätte, ein schwerer Eingriff in die korporative Religionsfreiheit, damit aber auch i n das religiöse Selbstbestimmungsrecht der einzelnen gewesen wäre. Eindrücklich tritt dieses Konzept in der bisher unveröffentlichten Denkschrift hervor, die Alfred Dieterich in Hoffmanns Auftrag bereits i m November 1918 ausgearbeitet hat (Dokument Nr. 5). Dieser Gegensatz innerhalb des revolutionären Lagers zeigte sich während der Weimarer Anfangszeit besonders kraß in den Auseinandersetzungen u m den kirchlichen Einfluß auf das Schulwesen, u m die eigenständige Entwicklung des kirchlichen Finanzsystems und u m die Modalitäten des Kirchenaustritts. M i t der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung und ihren auch i n der Bundesrepublik fortgeltenden staatskirchenrechtlichen Verfassungsbestimmungen fand dieser Grundkonflikt der Weimarer Anfänge eine Lösung, die einen großen Teil der i m 19. Jahrhundert entwickelten Prinzipien aufnahm. So wie auch i m 19. Jahrhundert in allem Streit zwischen Staat und Kirche sich schließlich das
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Vorwort
Bemühen u m einen befriedenden Ausgleich behauptet hatte, fand sich auch n u n ein Ergebnis, dem die verschiedenen Seiten zuzustimmen vermochten. Auch wer darin einen inkonsequenten Kompromiß sieht und sich dafür auf die Formel von Ulrich Stutz beruft, das Weimarer Staatskirchenrecht habe eine "hinkende Trennung" von Kirche und Staat hervorgebracht, w i r d diesem Weimarer Kompromiß schon u m seiner erstaunlichen Dauerhaftigkeit willen seinen Respekt zollen müssen. Darüber hinaus werden die i m vierten Band vereinigten Dokumente deutlich machen, daß es in den Weimarer Verfassungsentscheidungen, besonders in denen der frühen Zeit, exemplarisch gelungen ist, die wechselseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche mit der Anerkennung des Öffentlichkeitscharakters der Kirchen dauerhaft zu verbinden. Dagegen ist es, wie die Vielzahl gescheiterter Anläufe zu einem Reichsschulgesetz zeigt, i n der Weimarer Zeit nicht gelungen, dem neuen Verhältnis von Staat und Kirche auch i m Schulbereich eine überzeugende Form zu geben. Die Verfassung der Republik veränderte die Möglichkeiten kirchlichen Einwirkens auf staatspolitische Konfliktlagen ebenso, wie sie die Rückwirkungen staatspolitischer Spannungen auf die Kirchen verstärkte. Nach der Natur der Sache waren beide Kirchen von vielen der großen politischen Streitfragen der Epoche unmittelbar und i n vergleichbarem Maß betroffen: so vor allem von den Auseinandersetzungen über die Beurteilung des Versailler Friedensvertrags, über die Einstellung zu der aus der Revolution hervorgegangenen republikanischen Staatsform und über die geeigneten Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen Krisen. Gleichwohl ist unverkennbar, daß der Zusammenhalt des Protestantismus in der Weimarer Zeit weit stärkeren Belastungen durch politische Grundkonflikte ausgesetzt war, als dies für den Katholizismus galt. Nur i m Hinblick auf die evangelischen Kirchen läßt sich sagen, daß es i n der Weimarer Zeit zu einem tiefgreifenden innerkirchlichen Konflikt "ethischer Konfessionen" gekommen sei. Darin setzte sich eine Entwicklung fort, die in der Bildung innerkirchlicher Parteien bereits während des 19. Jahrhunderts angebahnt war. Vor allem aber wirkte sich — anders als i m katholischen Bereich — die Novemberrevolution unmittelbar auf das innere Verfassungsrecht der evangelischen Kirchen aus. Das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments nötigte die evangelischen Kirchen zu einem Neubau ihrer Verfassungen. Zwar konnten sie dabei an die überlieferte Verbindung konsistorialer und synodaler Verfassungselemente anknüpfen. Bei der Antwort auf die vordringliche Frage, i n wessen Händen das Kirchenregiment künftig liegen solle, wiesen die evangelischen Landeskirchen zunächst — wenn auch i n unterschiedlicher Bestimmtheit — eine bischöfliche Lösung zurück. U m so schneller wandten sie sich allerdings dieser Lösung zu, als 1933 auch die politischen Umstände dies nahelegten. Wie die staatliche Umwälzung von 1918 zur beschleunigten Neuformung des Staatsverfassungsrechts nötigte, erzwang sie auch die umfassende Neukodifikation des evangelischen Kirchen Verfassungsrechts. Erst seitdem verfügten die evangelischen Landeskirchen über eigenständige, den Repräsentationen des Staats gleichwertige oberste Vertretungsorgane. Strittige Fragen i m Verhältnis zwischen Staat und Kirche ließen sich hinfort auf dem Weg der vertraglichen Verständigung beheben. Das Weimarer Staatskirchenrecht wurde i n betontem Sinn zum Vertragsrecht, und zwar auf der Basis einer paritätischen Rechtsposition der beiden großen Kirchensysteme. So setzte sich denn auch i m Verlauf der Weimarer Jahre schließlich die Einsicht durch, daß die Konkordate des Staats mit der katholischen
Vorwort
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Kirche und die Staats Verträge mit den evangelischen Kirchen juristisch in gleicher Weise als koordinationsrechtliche Verträge siti generis zu verstehen seien. Noch wichtiger als die staatlich-kirchlichen Finanzverträge, die i m wesentlichen die Zuweisung von Staatsleistungen an die Kirchen zum Gegenstand hatten, wurden die staatlich-kirchlichen Generalverträge, die eine Vielzahl von Verfassungs- und Verwaltungsfragen zwischen Staat und Kirche regelten. Gerade auch in diesen vertragsrechtlichen Elementen hat das Staatskirchenrecht der Weimarer Zeit über die Jahre des NS-Regimes hinaus Bestand behalten. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind i n Deutschland auch heute noch weitgehend von den Weimarer Grundentscheidungen bestimmt. Zu ihnen zählen insbesondere die Entscheidungen für die wechselseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat, für den Öffentlichkeitscharakter der Kirchen sowie für ihre Selbständigkeit in der Verwaltung der eigenen Angelegenheiten, für die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte und schließlich für die Möglichkeit der umfassenden Regelung gemeinsamer Angelegenheiten i n konkordatsrechtlicher Form. Die Übergabe der politischen Macht i n Deutschland an das totalitäre Regime wirkte zwar auch auf das staatlich-kirchliche Verhältnis tiefein. Für die Beziehungen von Kirche und Staat läßt der Einschnitt des Jahres 1933 sich jedoch nicht einfach auf den 30. Januar 1933 datieren. Der Schnittpunkt liegt auch nicht bei dem 5. März 1933, dem Tag der Reichstagswahl, oder bei dem 23. März 1933, dem Tag der Garantieerklärung für die Kirchen und der Annahme des Ermächtigungsgesetzes. Die Einordnung der beiden großen Konfessionskirchen in den Staat der „nationalen Revolution" kam vielmehr durch ein Doppelereignis zu einem vorläufigen Abschluß: durch die Unterzeichnung und Ratifikation des Reichskonkordats auf der einen, durch die Vereinbarung und die reichsgesetzliche Bestätigung der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche auf der anderen Seite. Der vierte Band schließt deshalb nicht mit dem 30. Januar 1933 ab. Vielmehr endet der Teil über das katholische Kirchenwesen mit dem Kapitel über das Reichskonkordat, der Teil über das evangelische Kirchenwesen mit dem Kapitel über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche. Mit der Vorlage dieses Bandes kommt ein Vorhaben zum Ziel, dessen Durchführung die beiden Herausgeber vor rund zwei Jahrzehnten begonnen haben. Sie sind dankbar dafür, daß ihnen der gemeinsame Abschluß dieser Publikation vergönnt ist. Ihr Umfang und ihr Inhalt sind über die ursprüngliche Planung hinausgewachsen. A n den editorischen Grundsätzen hat sich i n der langen Zeit der Bearbeitung nichts geändert. Für sie darf deshalb auf die Vorworte der früheren Bände verwiesen werden. Sach-, Personen- und Ortsregister sowie ein chronologisches Verzeichnis der wiedergegebenen Dokumente sollen so bald wie möglich i n einem Registerband nachfolgen. I m Rückblick auf die Arbeit i m Ganzen wie besonders am vierten Band haben die Herausgeber einer Vielzahl von Personen und Institutionen zu danken. Zahlreiche Archive und Bibliotheken haben die Arbeit gefördert. Insbesondere hat das Evangelische Zentralarchiv i n Berlin durch seinen Leiter Dr. Hartmut Sander die Edition mit einer großen Zahl von Auskünften und Dokumenten selbstlos unterstützt. Dr. Jonathan Wright i n Oxford hat sich großzügig bereit erklärt, sein Recht zur Veröffentlichung der Denkschrift von Alfred Dieterich (Nr. 5) i m Rahmen dieses
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Vorwort
Bandes wahrzunehmen. Der Hauptteil der Ermittlung und Ordnung des dokumentarischen Materials lag bei dem jüngeren Herausgeber, von dem auch i n diesem Band die Entwürfe für die Einführungen zu den Textgruppen und den Anmerkungsapparat stammen. Dabei fand er vielfältige Unterstützung bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern i n Marburg und Heidelberg. A n diesen Arbeiten waren zu unterschiedlichen Zeiten Gemot Gerlach, Wolfgang Heger, Norbert Manterfeld, Ralph Möllers, Alfred Roos und Rupprecht Stiefel beteiligt. Ute Wolfsdorf hat die langwierige Aufgabe der Texterfassung übernommen; Anna Frese und Wolfgang Heger haben die Hauptlast der Korrektur arbeiten getragen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Arbeiten an diesem Band und an den Registern durch eine namhafte Sachbeihilfe entscheidend gefördert. Auch für diesen Band stand eine Druckkostenbeihilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften und anderer Stiftungen zur Verfügung. Der Verlag Duncker & Humblot hat sich des Gesamtwerks mit Umsicht und Sorgfalt angenommen. Allen Genannten gilt der aufrichtige und herzliche Dank der Herausgeber. Besonders aber danken sie Tula Huber-Simons und Kara Huber-Kaldrack, die dieses Vorhaben von Beginn an durch ihre Ermutigung und Hilfe begleitet haben. Freiburg und Heidelberg, i m Oktober 1987 E. R. H.
W. H.
Vermerk zur Zitierweise Die Abkürzung „Staat und Kirche" bezieht sich auf die anderen Bände dieses Quellen werks. Die Abkürzung „Verfassungsgeschichte" verweist auf: E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I — VII, Stuttgart 1957ff. Die Abkürzung „Dokumente" bezeichnet: E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1 — 3, Stuttgart 196Iff.
Inhaltsübersicht Teil A Allgemeines Staatskirchenrecht i n der W e i m a r e r Z e i t Erstes K a p i t e l D i e Folgen des Staatsumsturzes f ü r die S t e l l u n g der K i r c h e n I. Die Gewährleistung
der Religionsfreiheit
1
Nr. 1. Aufruf des Rats der Volksbeauftragten an das deutsche Volk (12. November 1918)
2
II. Die Trennung von Staat und Kirche
3
Nr. 2. Aufruf des Arbeiter- und Soldatenrats des Freistaats Hessen (10. November 1918) Nr. 3. Aufruf der preußischen Regierung (13. November 1918) Nr. 4. Aufruf der sächsischen Regierung an das sächsische Volk (18. November 1918) Nr. 5. Denkschrift von Alfred Dieterich für das preußische Kultusministerium über die Trennung der Kirchen vom Staat (November 1918) Nr. 6. Richtlinien Adolph Hoffmanns für die Arbeit des preußischen Kultusministeriums (27. November 1918) Nr. 7. Stellungnahme von Konrad Haenisch zu den Richtlinien von Adolph Hoffmann (7. Dezember 1918)
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III. Kirchliche
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Proteste gegen die Trennung von Kirche und Staat
Nr. 8. Protestschreiben des Erzbischofs von Köln, Kardinal v. Hartmann, an die preußische Regierung (19. November 1918) Nr. 9. Erklärung des Arbeitsausschusses der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz zur Trennung von Staat und Kirche (26. November 1918) Nr. 10. Resolution des Deutschen Protestantenvereins zur Trennung von Staat und Kirche (27. November 1918)
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Inhaltsübersicht Nr. 11. Beschlüsse der Generalsynode der badischen Landeskirche (28./29. November 1918) Nr. 12. Gemeinschaftliche Ansprache des Evangelischen Oberkirchenrats, des Generalsynodal-Vorstandes und der Vertrauensmänner der altpreußischen Landeskirche an die Gemeinden (30. November 1918) Nr. 13. Schreiben des preußischen Staatsministeriums an den Erzbischof von Köln, Kardinal v. Hartmann (3. Dezember 1918) Nr. 14. Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Gasparri an den Erzbischof von Köln, Kardinal v. Hartmann (7. Dezember 1918) Nr. 15. Hirtenschreiben der bayerischen Erzbischöfe und Bischöfe (17. Dezember 1918) Nr. 16. Hirtenschreiben der preußischen Erzbischöfe und Bischöfe (20. Dezember 1918) Nr. 17. Kundgebung der Gesamtsynode der Provinz Schleswig-Holstein zur Zeitlage (23. Dezember 1918) Nr. 18. Schreiben der preußischen Regierung an den Evangelischen Oberkirchenrat (9. Januar 1919) IV. Der Wegfall
des landesherrlichen
Kirchenregiments
in Preußen
Nr. 19. Ansprache des Evangelischen Oberkirchenrats der altpreußischen Landeskirche an die Gemeinden (10. November 1918) Nr. 20. Erlaß des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen, betreffend das Verhalten der Geistlichen gegenüber der jetzigen Staatsgewalt (15. November 1918) Nr. 21. Erlaß des preußischen Kultusministeriums, betreffend Abänderung des allgemeinen Kirchengebetes (28. November 1918) Nr. 22. Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt (20. März 1919) Nr. 23. Schreiben des Oberkirchenrats der altpreußischen Landeskirche an die preußische Regierung (26. März 1919) Nr. 24. Eingabe des Generalsynodalvorstands der altpreußischen Landeskirche an die preußische Landesversammlung (2. A p r i l 1919) Nr. 25. Schreiben des preußischen Ministerpräsidenten Hirsch an den Oberkirchenrat der altpreußischen Landeskirche (11. Juni 1919)
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Inhaltsübersicht V. Der Eingriff des preußischen evangelischen Landeskirchen
Kultusministeriums
in die Leitung
der 42
Nr. 26. Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Evangelischen Oberkirchenrat (5. Dezember 1918) Nr. 27. Zweites Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Evangelischen Oberkirchenrat (5. Dezember 1918) Nr. 28. Schreiben des Evangelischen Oberkirchenrats an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (13. Dezember 1918) Nr. 29. Schreiben des Regierungsbeauftragten L u d w i g Wessel an den preußischen Oberkirchenrat (11. Januar 1919) Nr. 30. Schreiben des preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Evangelischen Oberkirchenrat (13. Januar 1919) VI. Der Wegfall des landesherrlichen deutschen Staaten
Kirchenregiments
in den
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47
übrigen
Nr. 31. Bekanntmachung der Oberkirchenbehörde Württembergs (12. Dezember 1918) Nr. 32. Provisorisches kirchliches Gesetz, die evangelische Kirchenregierung in Baden betreffend (20. November 1918) Nr. 33. Kirchliches Gesetz, die evangelische Kirchenregierung in Baden betreffend (11. Dezember 1918) Nr. 34. Bekanntmachung des hessischen Oberkonsistoriums, die rechtliche Stellung des Oberkonsistoriums betreffend (7. Dezember 1918) Nr. 35. Kirchengesetz über die Kirchenregierung der evangelischen Kirche Hessens (28. August 1919) Nr. 36. Kundgebung der oldenburgischen Landessynode und des oldenburgischen Oberkirchenrats an sämtliche Mitglieder der Landeskirche (10. Dezember 1918) Nr. 37. Oldenburgisches Kirchengesetz, betreffend die infolge Wegfalls des Kirchenregiments des Großherzogs erforderlichen vorläufigen Bestimmungen (10. Dezember 1918) Nr. 38. Beschluß des Staatsministeriums von Sachsen-Altenburg, betreffend Wahrnehmung des landesherrlichen Kirchenregiments (28. Mai 1919) Nr. 39. Gesetz, betreffend die vorläufige Regelung des Kirchenregiments i n der anhaltischen evangelischen Landeskirche (10. Juni 1919)
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XII
Inhaltsübersicht
Nr. 40. Bekanntmachung des Senats der Freien und Hansestadt Lübeck, den Erlaß einer neuen Kirchen Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche i m Lübeckischen Staate und eines kirchlichen Wahlgesetzes betreffend (17. Dezember 1921)
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VII. Die Regelung des Kirchenaustritts
56
Nr. 41. Preußisches Gesetz, betreffend die Erleichterung des Austritts aus der Kirche und aus den jüdischen Synagogengemeinden (13. Dezember 1918) : Nr. 42. Braunschweigisches Gesetz über den Austritt aus der Kirche (23. Januar 1919)
57 58
Zweites Kapitel D e r K a m p f u m die Schule i n P r e u ß e n I. Das Ende der geistlichen Schulaufsicht
59
Nr. 43. Erlaß über die Aufhebung der geistlichen Ortsschulaufsicht (27. November 1918) Nr. 44. Schreiben des preußischen Ministerpräsidenten Hirsch an den Erzbischof von Köln, Kardinal v. Hartmann, über die geistliche Schulaufsicht (9. Januar 1919) Nr. 45. Erlaß über die Ortsschulaufsicht (15. Februar 1919) Nr. 46. Gesetz, betreffend die Aufhebung der Ortsschulinspektionen (18. Juli 1919)
62
II. Die Aufhebung
des Religionszwangs
62
Nr. 47. (15. Nr. 48. (29.
den Schulunterricht 1918) die Aufhebung des Religionszwangs in der Schule 1918)
Erlaß über November Erlaß über November
III. Die kirchlichen
in der Schule
Proteste gegen die Schulerlasse
Nr. 49. Entschließung einer Versammlung i n K ö l n an den preußischen Kultusminister Hoffmann gegen die Aufhebung des Religionsunterrichts (3. Dezember 1918) Nr. 50. Protestschreiben des Erzbischofs von Köln, des Kardinals v. Hartmann, i m Namen der preußischen Bischöfe gegen die Entchristlichung der Schule (16. Dezember 1918) Nr. 51. Ansprache des Evangelischen Oberkirchenrats an Lehrer und Eltern, betreffend den Religionsunterricht in den Schulen (Dezember 1918)
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Inhaltsübersicht IV. Die Abmilderungserlasse
vom Dezember 1918
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Nr. 52. Nähere Anweisungen zur Durchführung des Erlasses vom 29. November 1918 (18. Dezember 1918) Nr. 53. Abmilderungserlaß (28. Dezember 1918) Nr. 54. Schreiben von Konrad Haenisch an Adolph Hoffmann (31. Dezember 1918)
70
V. Die Religionserlasse
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vom April/Mai
1919
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Nr. 55. Regierungserklärung des preußischen Ministerpräsidenten Hirsch (25. März 1919) Nr. 56. Erlaß über den Religionsunterricht i n den öffentlichen Schulen (1. A p r i l 1919) Nr. 57. Erlaß über die Bestätigung der Religionslehrer an höheren Schulen (13. Mai 1919)
75
VI. Die Religionserlasse
75
vom 22. August und 15. Oktober 1919
Nr. 58. Erlaß über die Teilnahme von Lehrern und Schülern an kirchlichen Veranstaltungen und die Befreiung vom Religionsunterricht (22. August 1919) Nr. 59. Erlaß über die Befreiung vom Religionsunterricht (15. Oktober 1919)
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Drittes Kapitel D e r K a m p f u m die Schule i n den deutschen M i t t e l - u n d K l e i n s t a a t e n I. Die schulpolitischen
Maßnahmen in Sachsen
Nr. 60. Verordnung des sächsischen Kultusministeriums an die Bezirksschulinspektoren über den Unterricht in biblischer Geschichte und den Katechismusunterricht in den Volksschulen (2. Dezember 1918) Nr. 61. Verordnung des sächsischen Kultusministeriums über die Befreiung der Dissidentenkinder vom Religionsunterricht (6. Dezember 1918) Nr. 62. Verordnung des sächsischen Kultusministeriums über Ortsschulaufsicht und Schulleitung (11. Dezember 1918) Nr. 63. Protest der katholischen geistlichen Behörden Sachsens gegen den Erlaß, betreffend den Religionsunterricht (2. Januar 1919) Nr. 64. Bekanntmachung des apostolischen Generalvikars für Sachsen, Bischof Dr. Löbmann (29. Januar 1919)
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XI
Inhaltsübersicht
Nr. 65. Übergangsgesetz für das Volksschulwesen (22. Juli 1919) II. Die Aufhebung
des Religionsunterrichts
in Hamburg
79 und Bremen
80
Nr. 66. Bekanntmachung des Arbeiter- und Soldatenrates Hamburg, betreffend die Aufhebung des Religionsunterrichts (7. Dezember 1918) Nr. 67. Presseerklärung des Arbeiter- und Soldatenrats Hamburg zur Aufhebung des Religionsunterrichts (9. Dezember 1918) Nr. 68. Verordnung des Arbeiter- und Soldatenrats Bremen, betreffend Religionsunterricht, Geschichtsunterricht, usw. (7. Januar 1919)
82
III. Die Entscheidungen
82
des Reichsgerichts vom 4. November 1920
Nr. 69. Entscheidung des Reichsgerichts über die Beseitigung des Religionsunterrichts in Sachsen (4. November 1920) Nr. 70. Entscheidung des Reichsgerichts über die Beseitigung des Religionsunterrichts in Hamburg, Altona und Umgebung (4. November 1920) Nr. 71. Entscheidung des Reichsgerichts über die Beseitigung des Religionsunterrichts i n Bremen (4. November 1920) IV. Die Aufhebung
der geistlichen Schulaufsicht
in Bayern
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85 86
Nr. 72. Verordnung der Regierung des Volksstaats Bayern, betreffend Beaufsichtigung und Leitung der Volksschulen (16. Dezember 1918) Nr. 73. Erklärung der bayerischen Bischofskonferenz (18. Dezember 1918) Nr. 74. Erklärung des Protestantischen Oberkonsistoriums an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus (24. Dezember 1918)
88
V. Der Konflikt
88
um den Religionsunterricht
in Bayern
Nr. 75. Verordnung über den Besuch des Religionsunterrichts (25. Januar 1919) Nr. 76. Protesterklärung des bayerischen Episkopats gegen die Verordnung des Kultusministers Johannes Hoffmann über den Besuch des Religionsunterrichts (28. Januar 1919) Nr. 77. Hirtenbrief des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Faulhaber, an die Gläubigen seines Erzbistums (29. Januar 1919)
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91
Inhaltsübersicht Nr. 78. Protest des Protestantischen Oberkonsistoriums i n München gegen die Verordnung über den Besuch des Religionsunterrichts (29. Januar 1919) Nr. 79. Ansprache des Protestantischen Oberkonsistoriums i n München an die Gemeindeglieder über den Religionsunterricht (31. Januar 1919) Nr. 80. Beschluß der Protestversammlung der katholischen Pfarrvorstände, Prediger und Religionslehrer Münchens i m Asamsaal (31. Januar 1919) Nr. 81. Denkschrift der Erzbischöfe und Bischöfe Bayerns über das Schulwesen (25. Mai 1919) Nr. 82. Verordnung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, den Besuch des Religionsunterrichts betreffend (6. Mai 1920)
97
VI. Die Neuregelung des Religionsunterrichts
98
in Württemberg
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94
95
96
Nr. 83. Gesetz über die Abänderung einiger Bestimmungen der Schulgesetze (17. Mai 1920)
98
VII. Der Religionsunterricht
99
in Baden
Nr. 84. Vollzugsvorschrift des badischen Ministers für Kultus und Unterricht Herrmann Hummel zu § 19 Abs. 3 der badischen Verfassung (20. Juni 1919) 100 VIII. Die Befreiung vom Religionsunterricht
in Oldenburg
101
Nr. 85. Bekanntmachung über die Befreiung der Kinder v o m Religionsunterricht (20. November 1919) 101 IX. Der Konflikt
um den Religionsunterricht
in Braunschweig
102
Nr. 86. Erlaß des braunschweigischen Landeskonsistoriums, betreffend die kirchliche Unterweisung der der evangelisch-lutherischen Landeskirche angehörenden Schulkinder (27. Mai 1919) 103 Nr. 87. Erlaß des braunschweigischen Landeskonsistoriums, betreffend kirchlichen Religionsunterricht (16. August 1919) 104 Nr. 88. Erlaß des braunschweigischen Ministers für Volksbildung Otto Grotewohl (20. Oktober 1923) 105
XVI
Inhaltsübersicht Viertes K a p i t e l D i e N e u o r d n u n g des deutschen Staatskirchenrechts i n der Reichsverfassung
I. Die Regierungsentwürfe
zur Weimarer
Reichsverfassung
107
Nr. 89. E n t w u r f des allgemeinen Teils der künftigen Reichs Verfassung („Preußscher E n t w u r f 4 ) (20. Januar 1919) 108 Nr. 90. Regierungsvorlage zur deutschen Reichsverfassung (21. Februar 1919) 108 II. Kirchliche
Kritik
an den Verfassungsentwürfen
109
Nr. 91. Verwahrung des bayerischen Oberkonsistoriums an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus zum E n t w u r f der Reichsverfassung (7. Februar 1919) Nr. 92. Eingabe des Oberkirchenrats der altpreußischen Landeskirche an die Nationalversammlung in Weimar (22. Februar 1919) Nr. 93. Schreiben des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses an die Nationalversammlung in Weimar, betreffend die Wahrung der Rechte der deutschen evangelischen Landeskirchen (13. März 1919) Nr. 94. Eingabe des Oberkirchenrats der altpreußischen Landeskirche an die Nationalversammlung in Weimar und an die preußische Landesversammlung (13. März 1919)
117
III. Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses lung über das Verhältnis von Staat und Kirche
118
der
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112
115
Nationalversamm-
Nr. 95. Verhandlung über die Glaubensfreiheit i m Verfassungsausschuß der Weimarer Nationalversammlung (1. bis 3. A p r i l 1919) 119 Nr. 96. E n t w u r f des Verfassungsausschusses für die Reichs Verfassung (3. A p r i l 1919) 126 IV. Die Weimarer
Reichsverfassung
127
Nr. 97. Die Verfassung des Deutschen Reichs (11. August 1919)
128
V. Kirchliche
132
Stellungnahmen
zur Reichsverfassung
Nr. 98. Eingabe der Fuldaer Bischofskonferenz an die Reichsregierung (24. August 1919) 133 Nr. 99. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, betreffend die Trennung von Kirche und Staat (31. Januar 1920) 134
Inhaltsübersicht Fünftes K a p i t e l Das Staatskirchenrecht der deutschen L ä n d e r I. Der Freistaat Preußen
136
Nr. 100. Verfassung des Freistaats Preußen (30. November 1920)
137
II. Der Freistaat Bayern
138
Nr. 101. Verfassungsurkunde des Freistaats Bayern (14. August 1919)
138
III. Der freie Volksstaat Württemberg
140
Nr. 102. Verfassung Württembergs (25. September 1919)
140
IV. Die demokratische Republik Baden
141
Nr. 103. Badische Verfassung (21. März 1919)
142
V. Der Volksstaat Hessen
143
Nr. 104. Hessische Verfassung (12. Dezember 1919)
143
VI. Der Freistaat Sachsen
144
Nr. 105. Verfassung des Freistaats Sachsen (1. November 1920)
144
VII. Der Freistaat
145
Thüringen
Nr. 106. Bekanntmachung wegen Übernahme der die Religionsgesellschaften betreffenden Staatsverwaltungsgeschäfte (27. Dezember 1921) 146 VIII. Der Freistaat
Oldenburg
146
Nr. 107. Verfassung für den Freistaat Oldenburg (17. Juni 1919)
147
IX. Der Freistaat Braunschweig
148
Nr. 108. Verfassung des Freistaats Braunschweig (6. Januar 1922)
149
X. Die Hansestädte, insbesondere Bremen
149
Nr. 109. Verfassung der Freien Hansestadt Bremen (18. Mai 1920)
150
Inhaltsübersicht Sechstes K a p i t e l D i e Regelung des K i r c h e n a u s t r i t t s I. Der Freistaat Preußen
151
Nr. 110. Gesetz, betreffend den Austritt aus den Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts (30. November 1920) 152 Nr. 111. Erlaß des Evangelischen Oberkirchenrats über das Verhalten der Kirche zu den Ausgetretenen (20. Dezember 1920) 153 II. Der Freistaat Bayern
155
Nr. 112. Bekanntmachung über den Vollzug des § 17 Abs. Π Ι der Verfassungsurkunde des Freistaats Bayern (Austritt aus einer Religionsgesellschaft) (16. Januar 1922) 155 III. Der Freistaat Sachsen
156
Nr. 113. Gesetz, betreffend den Kirchenaustritt (4. August 1919)
156
IV. Der Freistaat
157
Thüringen
Nr. 114. Kirchenaustrittsgesetz (8. Juli 1922)
157
V. Der Freistaat Anhalt
158
Nr. 115. Gesetz über den Austritt aus Religionsgesellschaften (31. März 1920)
159
VI. Der Freistaat
160
Oldenburg
Nr. 116. Gesetz über den Austritt aus den Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts (18. Mai 1922)
160
VII. Die Freie und Hansestadt Hamburg
161
Nr. 117. Gesetz, betreffend den Austritt aus einer staatlich anerkannten religiösen Gemeinschaft (15. Dezember 1919) 161 VIII. Der Freistaat Lippe Nr. 118. Gesetz, betreffend den Austritt aus einer Religionsgemeinschaft (16. Mai 1919)
162
Inhaltsübersicht Siebentes K a p i t e l F i n a n z w e s e n u n d V e r m ö g e n s v e r w a l t u n g der K i r c h e n I. Das kirchliche Finanzwesen nach der Novemberrevolution
163
Nr. 119. Denkschrift des Trennungsausschusses der Vertrauensmänner der altpreußischen evangelischen Landeskirche (25. Februar 1919) 166 II. Reichsrechtliche Bestimmungen
zum kirchlichen
Finanzwesen
Nr. 120. Reichsabgabenordnung (13. Dezember 1919) Nr. 121. Landessteuergesetz (30. März 1920) Nr. 122. Erlaß des Reichsministers der Finanzen, betreffend die Übertragung der Verwaltung der Kirchensteuern auf die Landesfinanzämter und Finanzämter (11. Juli 1921) Nr. 123. Erlaß des Reichsministers der Finanzen, betreffend die Übertragung der Verwaltung der katholischen Kirchensteuern auf die staatlichen Finanzämter (29. Juli 1921) III. Die Staatsleistungen für die Pfarrerbesoldung
in Preußen
168 169 170
170
171 172
Nr. 124. Gesetz über die Bereitstellung von Mitteln zur Aufbesserung des Diensteinkommens der Geistlichen der evangelischen Landeskirchen (17. Dezember 1920) 172 Nr. 125. Gesetz über die Bereitstellung von Mitteln zur Aufbesserung des Diensteinkommens der katholischen Pfarrer (17. Dezember 1920) 173 Nr. 126. Gesetz über die Weitergewährung von Mitteln für die wirtschaftliche Versorgung der Pfarrer der evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche (Pfarrbesoldungsgesetz) (30. A p r i l 1928) 174 IV. Die Preußischen Kirchensteuergesetze
von 1920
174
Nr. 127. Kirchengesetz zur Abänderung des Kirchensteuergesetzes v o m 26. Mai 1905, betreffend die Erhebung von Kirchensteuern i n den Kirchengemeinden und Parochialverbänden der Evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen (19. August 1920) 175 Nr. 128. Gesetz zur Abänderung des Gesetzes, betreffend die Erhebung von Kirchensteuern in den katholischen Kirchengemeinden und Gesamtverbänden, vom 14. Juli 1905 (25. November 1920) 176
Inhaltsübersicht
XX
V. Die Regelung der Vermögensverwaltung Preußens
in den katholischen
Diözesen 177
Nr. 129. Gesetz über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens (24. Juli 1924)
178
VI. Die Kosten der evangelischen Kirchenbehörden
179
in Preußen
Nr. 130. Rede des preußischen Kultusministers Otto Boelitz vor dem preußischen Landtag (23. September 1924) 180 Nr. 131. Rede des deutschnationalen Abgeordneten K a r l Koch vor dem preußischen Landtag (23. September 1924) 182 Nr. 132. Gesetz über die einstweilige Regelung der Kosten für die Verwaltungsbehörden der evangelischen Landeskirchen (15. Oktober 1924) 183 VII. Die preußischen Kirchensteuergesetze
von 1929
185
Nr. 133. Kirchliche Notverordnung für die Evangelische Kirche der altpreußischen Union zur Änderung des Kirchensteuerrechts (28. September 1928) 185 Nr. 134. Gesetz zur Änderung des Kirchensteuerrechts der evangelischen Landeskirchen (3. Mai 1929) 186 Nr. 135. Gesetz zur Änderung des Kirchensteuer- und Umlagerechts der katholischen Kirche (3. Mai 1929) 186 VIII. Das religionsgesellschaftliche
Steuerrecht in Bayern
187
Nr. 136. Religionsgesellschaftliches Steuergesetz (27. Juli 1921)
187
IX. Das württembergische
189
Gesetz über die Kirchen
Nr. 137. Gesetz über die Kirchen (3. März 1924) X. Die Kirchensteuergesetzgebung
190 in Baden
198
Nr. 138. Landeskirchensteuergesetz (30. Juni 1922) Nr. 139. Ortskirchensteuergesetz (30. Juni 1922) XI. Das Steuerrecht der Religionskörperschaften
199 202 in Hessen
Nr. 140. Gesetz über das Besteuerungsrecht der Religionskörperschaften (14. Dezember 1928)
205 206
Inhaltsübersicht XII. Das Steuerrecht der Religionsgesellschaften
in Sachsen
207
Nr. 141. Gesetz über das Steuerrecht der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften (1. Juli 1921) 208 XIII. Das Steuerrecht der Religionsgesellschaften
in Thüringen
209
Nr. 142. Gesetz über das Steuerrecht der Religionsgesellschaften (6. Juli 1926) Nr. 143. Kirchensteuergesetz (20. Januar 1929) XIV. Konflikte schweig
um die kirchlichen
Vermögensrechte
im Freistaat
209 210 Braun213
Nr. 144. Kirchengesetz, betreffend die Errichtung einer Landeskirchenkasse (23. Februar 1922) 214 Nr. 145. Landesgesetz über das Steuerrecht der Religionsgesellschaften (23. Februar 1932) 215
Achtes K a p i t e l D i e Reichsgesetzgebung: über K i n d e r e r z i e h u n g u n d Schule I. Das Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung
217
Nr. 146. Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung (15. Juli 1921)
218
II. Die Reichsschulkonferenz
219
1920
Nr. 147. Erklärung des Erzbischofs v. Hauck (Bamberg) vor der Reichsschulkonferenz (19. Juni 1920) 220 Nr. 148. Erklärung von fünfzig Teilnehmern der Reichsschulkonferenz (19. Juni 1920) 221 III. Der Entwurf für ein Reichsschulgesetz von 1921 Nr. 149. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses zur Schulfrage (10. Februar 1921) Nr. 150. E n t w u r f eines Gesetzes zur Ausführung des A r t i k e l 146 Abs. 2 der Reichsverfassung (22. A p r i l 1921) Nr. 151. Kundgebung des zweiten Deutschen Evangelischen Kirchentags über die Stellung der evangelischen Kirche zur Schule (15. September 1921) Nr. 152. Schreiben Papst Benedikts X V . an den bayerischen Episkopat (14. Oktober 1921)
222
224
226
229 230
Inhaltsübersicht Nr. 153. Schreiben Papst Benedikts X V . an die Fuldaer Bischofskonferenz (15. Oktober 1921) Nr. 154. Protokoll der Freisinger Bischofskonferenz (5. September 1922)
231
IV. Forderungen
232
der deutschen Katholiken
zum Reichsschulgesetz 1924
231
Nr. 155. Petition der Zentralstelle der katholischen Schulorganisation an Reichsregierung und Reichstag (28. Mai 1924) 233 Nr. 156. Reichsschulgesetzentwurf des Zentrums (1924) 234 V. Der Entwurf für ein Reichsschulgesetz von 1925
240
Nr. 157. E n t w u r f eines Gesetzes zur Ausführung des Art. 146 Absatz 2 der Reichsverfassung (August 1925) 240 VI. Der Entwurf für ein Reichsschulgesetz von 1926
245
Nr. 158. Skizze des Reichsinnenministers Külz zu einem Reichsschulgesetz (1926)
246
VII. Der Entwurf für ein Reichsschulgesetz von 1927
250
Nr. 159. E n t w u r f eines Gesetzes zur Ausführung der A r t i k e l 146 Abs. 2 und 149 der Reichsverfassung (16. Juli 1927) 252 Nr. 160. Begleit-Erklärung der Reichsregierung zum E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz (16. Juli 1927) 257 Nr. 161. Stellungnahme des Preußischen Staatsministeriums zu dem E n t w u r f eines Reichsvolksschulgesetzes (24. September 1927) 258
Neuntes K a p i t e l D i e Militärseelsorge i n der W e i m a r e r Z e i t I. Die Fortführung
der Militärseelsorge
nach 1918
Nr. 162. Beschluß des Deutschen Evangelischen Kirchentags (5. September 1919) II. Die evangelische Militärseelsorge
261 263
in Bayern, Württemberg und Sachsen . 263
Nr. 163. Verordnung des sächsischen Landeskonsistoriums, betreffend Vorschriften über die evangelische Militärseelsorge i m Freistaate Sachsen (23. Juli 1920) 263
Inhaltsübersicht III. Die evangelische militärkirchliche
Dienstordnung
von 1929
264
Nr. 164. Evangelische militärkirchliche Dienstordnung für das Reichsheer und die Reichsmarine (E. M. D.) (28. Februar 1929) 265 Nr. 165. Ausführungsbestimmungen zur Evangelischen militärkirchlichen Dienstordnung für das Reichsheer und die Reichsmarine (1929) 268
Teil Β S t a a t u n d katholische K i r c h e i n der W e i m a r e r Z e i t Zehntes K a p i t e l Das R e i c h u n d die katholische K i r c h e i n den ersten J a h r e n der Weimarer Republik I. Der Papst und die staatliche Neuordnung
in Deutschland
275
Nr. 166. Schreiben Papst Benedikts X V . an den Reichspräsidenten Ebert (2. A p r i l 1919)
276
II. Die Errichtung
276
der päpstlichen Nuntiatur
in Berlin
Nr. 167. Ansprache des päpstlichen Nuntius i n Berlin Pacelli bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens (30. Juni 1920) 277 Nr. 168. Erwiderung des Reichspräsidenten Ebert auf die Ansprache des Nuntius Pacelli (30. Juni 1920) 278 III. Die Bemühungen um ein Reichskonkordat
1920 — 1922
279
Nr. 169. Richtlinien für das Reichskonkordat („Koch-Weser-Richtlinien") (6. Januar 1921) 281 Nr. 170. Punktation des Vatikans für ein Reichskonkordat (15. November 1921) 282 Nr. 171. Referentenentwurf zu einem Reichskonkordat („Delbrück-Entwurf') (Ende 1921) 288
Elftes K a p i t e l D i e deutschen L a n d e s k o n k o r d a t e I. Vorverhandlungen
zum bayerischen Konkordat
1920 — 1923
Nr. 172. E n t w u r f des Vatikans für ein bayerisches Konkordat (4. Februar 1920)
293 294
XXI
Inhaltsübersicht
Nr. 173. Denkschrift des bayerischen Gesandten Frh. v. Ritter an den Kardinalstaatssekretär Gasparri (November 1921) 296 II. Abschluß und Inkraftsetzung
des bayerischen Konkordats
298
Nr. 174. Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern (29. März 1924) Nr. 175. Regierungsbegründung zum bayerischen Konkordat und zu den Kirchenverträgen (18. November 1924) Nr. 176. Regierungserklärung über den Vollzug des Gesetzes zu den Verträgen mit den drei christlichen Kirchen in Bayern (14. Januar 1925) Nr. 177. Gesetz zu dem Konkordate mit dem Heiligen Stuhle und den Verträgen mit den Evangelischen Kirchen (15. Januar 1925)
313
III. Der Vollzug des bayerischen Konkordats
313
299
306
311
Nr. 178. Vollzugsvorschrift des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zu Art. 14 § 3 des bayerischen Konkordats, betreffend die Besetzung der Pfarreien (12. A p r i l 1925) 313 Nr. 179. Mitteilung des bayerischen Kultusministeriums, betreffend den Vollzug des Art. 14 § 3 Satz 2 des Bayerischen Konkordats (16. Juli 1931) 314 IV. Vorverhandlungen
zum preußischen Konkordat
315
Nr. 180. Erklärung des Kultusministers Becker i m Hauptausschuß des preußischen Landtags zur Konkordatsfrage (7. Februar 1927) 317 Nr. 181. Beschluß der preußischen Generalsynode zur Konkordatsfrage (12. Mai 1927) 319 Nr. 182. Erklärung der Fuldaer Bischofskonferenz zu den Konkordatsverhandlungen (10. August 1927) 320 V. Abschluß und Inkraftsetzung
des preußischen Konkordats
Nr. 183. Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen (14. Juni 1929) Nr. 184. Regierungsbegründung zu dem E n t w u r f eines Gesetzes zu dem Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhle (28. Juni 1929) Nr. 185. Gesetz zu dem Vertrag mit dem Heiligen Stuhl (3. August 1929) Nr. 186. Note des Apostolischen Nuntius Pacelli an den Preußischen Ministerpräsidenten Braun (5. August 1929)
321 322
328 337
337
Inhaltsübersicht Nr. 187. Note des Preußischen Ministerpräsidenten Braun an den Apostolischen Nuntius Pacelli (6. August 1929) 338 VI. Der Vollzug des preußischen Konkordats
339
Nr. 188. Die Zirkumskriptionsbulle „Pastoralis officii" (13. August 1930)
339
VII. Der Entwurf
345
des sächsischen Kirchenvertrags
Nr. 189. Nichtratifizierter Vertrag zwischen dem Freistaat Sachsen und dem Bistum Meißen (12./15. Januar 1929) 346 VIII. Vorverhandlungen
zum badischen Konkordat
349
Nr. 190. Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Gasparri an Erzbischof Fritz, Freiburg (2. Juni 1926) 350 Nr. 191. Schreiben des Kultusministers Baumgartner an den Kardinalstaatssekretär Pacelli (4. Februar 1932) 351 Nr. 192. Antwort des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an den Kultusminister Baumgartner (9. Februar 1932) 352 IX. Abschluß und Inkraftsetzung
des badischen Konkordats
Nr. 193. Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Baden (12. Oktober 1932) Nr. 194. Schlußprotokoll zum badischen Konkordat (12. Oktober 1932) Nr. 195. Zusatzprotokoll zum badischen Konkordat (7./10. November 1932) Nr. 196. Regierungsbegründung zum badischen Konkordat (14. November 1932) Nr. 197. Gesetz zu dem Vertrag (Konkordat) mit dem Heiligen Stuhl (9. Dezember 1932/10. März 1933) Nr. 198. Bekanntmachung des Staatsministeriums über die Ratifikation des badischen Konkordats (11. März 1933)
353 354 359 360 361 368
368
Zwölftes K a p i t e l Politische Ereignisse u n d K r ä f t e i m B l i c k f e l d der katholischen K i r c h e I. Die Programmatik
der katholischen Parteien
Nr. 199. Leitsätze der Zentrumspartei (30. Dezember 1918)
369 372
XXVI
Inhaltsübersicht
Nr. 200. Aufruf des Bundes christlicher Demokraten (evangelischer Zweigverein der Zentrumspartei) (7. Januar 1919) Nr. 201. Wahlaufruf des Reichsausschusses der Katholiken i n der Deutschnationalen Volkspartei (12. Februar 1921) Nr. 202. Richtlinien der Zentrumspartei (16. Januar 1922) Nr. 203. Bamberger Programm der Bayerischen Volkspartei (Oktober 1922) II. Die katholische Kirche und der Friedensvertrag
von Versailles
373
374 375 379 380
Nr. 204. Enzyklika Papst Benedikts X V . „Pacem Dei munus" über die Wiederherstellung des Friedens unter den Völkern (23. Mai 1920) 381 Nr. 205. Ansprache des Präsidenten Konrad Adenauer zur Eröffnung des Katholikentags in München (28. August 1922) 385 III. Die katholische Kirche und der Staat von Weimar
386
Nr. 206. Mahnwort des Fürstbischofs von Breslau, Kardinal Bertram, zu den Wahlen in Preußen (Anfang 1921) 387 Nr. 207. Predigt des Erzbischofs von München-Freising, Kardinal Faulhaber, beim deutschen Katholikentag in München (27. August 1922) 388 Nr. 208. Schlußansprache des Präsidenten Konrad Adenauer beim Katholikentag in München (30. August 1922) 389 IV. Die katholische Kirche und die Sozialdemokratie Nr. 209. Anweisung des Fürstbischofs von Breslau, Kardinal Bertram, an Klerus seiner Diözese (22. Dezember 1918) Nr. 210. Hirtenbrief der Bischöfe der niederrheinischen Kirchenprovinz der ihr angeschlossenen Diözesen über den Sozialismus (8. Januar 1919) Nr. 211. Erlaß des Bischöflichen Ordinariats Speyer über die Zulassung Sozialdemokraten zu den Sakramenten (23. August 1920) Nr. 212. Warnung der Fuldaer Bischofskonferenz, betreffend sozialistische kirchenfeindliche Vereine (August 1923) Nr. 213. Hirtenbrief des Fürstbischofs von Breslau, Kardinal Bertram, zu bevorstehenden politischen Wahlen (1. August 1924)
390 den 391 und 392 von 395 und 396 den 396
Inhaltsübersicht V. Die katholische Kirche und die Ruhrbesetzung
398
Nr. 214. Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Gasparri an den päpstlichen Nuntius i n München und Berlin Pacelli (20. Februar 1923) Nr. 215. Offener Brief Papst Pius X I . an den Kardinalstaatssekretär Gasparri (27. Juni 1923) Nr. 216. Depesche des Kardinalstaatssekretärs Gasparri an den päpstlichen Nuntius in Berlin Pacelli (2. Juli 1923) Nr. 217. Bericht des bayerischen Gesandten am Vatikan, v. Ritter, an das bayerische Staatsministerium (3. Juli 1923) Nr. 218. Offiziöse Mitteilung über die Besprechungen zwischen Reichskanzler Cuno und dem päpstlichen Nuntius i n Berlin, Pacelli (4./5. Juli 1923) Nr. 219. Telegramm des Reichskanzlers Wilhelm Marx an Papst Pius X I . (Dezember 1923) VI. Die katholische Kirche und die nationalen
Organisationen
399 400
401
402
403 404 404
Nr. 220. Erklärung der Fuldaer Bischofskonferenz zum Beitritt in verschiedene Organisationen (19. August 1924) 405 Nr. 221. Gründungsaufruf des Reichs- und Heimatbunds Deutscher Katholiken (2. September 1924) 405 VII. Die katholische Arbeitnehmer-Bewegung
407
Nr. 222. Vereinbarung zwischen dem Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands und dem Verband der katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin) (10. November 1919) 408 Nr. 223. Programm der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnen-Vereine Deutschlands (7. Mai 1921) 409 VIII. Stellungnahmen des deutschen Episkopats Auseinandersetzungen
zu den wirtschaftlichen 411
Nr. 224. Mahnung der Fuldaer Bischofskonferenz zum Arbeitskampf (August 1924) 411 Nr. 225. Erklärung der Fuldaer und der Freisinger Bischofskonferenz zur Beurteilung einer Fürstenenteignung (1. Juni 1926) 413 IX. Die Enzyklika
Papst Pius ' XI. über die soziale Frage
415
Nr. 226. Enzyklika Papst Pius X I . „Quadragesimo anno" über die soziale Frage (15. Mai 1931) 416
XXVIII
Inhaltsübersicht
X. Die katholische Kirche und der Nationalsozialismus Nr. 227. Pastorale Anweisung des bayerischen Episkopats (10. Februar 1931) Nr. 228. Kundgebung der Bischöfe der Kölner Kirchenprovinz zur nationalsozialistischen Bewegung (5. März 1931) Nr. 229. Seelsorgeinstruktion der Fuldaer Bischofskonferenz „Cura impenda" (5. August 1931) Nr. 230. Stellungnahme der Fuldaer Bischofskonferenz zur NSDAP (17. August 1932)
437 438
440 443 454
Dreizehntes K a p i t e l Das Reichskonkordat I. Vorverhandlungen
über das Reichskonkordat
456
Nr. 231. Promemoria des Kardinalstaatssekretärs Pacelli für den deutschen Botschafter v. Bergen (25. Oktober 1932) 457 II. Katholische Stellungnahmen
zur Reichstagswahl
vom 5. März 1933
459
Nr. 232. Aufruf katholischer Organisationen zur Reichstagswahl (17. Februar 1933) 459 Nr. 233. Kundgebung der Fuldaer Bischofskonferenz zu den Reichstagswahlen (20. Februar 1933) 462 III. Stellungnahmen des katholischen Episkopats nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 462 Nr. 234. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichspräsidenten v. Hindenburg (10. März 1933) 463 Nr. 235. Antwortschreiben des Reichspräsidenten v. Hindenburg an den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram (14. März 1933) 464 Nr. 236. Schreiben des Erzbischofs von Freiburg, Conrad Gröber, an den Kardinalstaatssekretär Pacelli (18. März 1933) 464 IV. Staatliche Garantieerklärung
und kirchliche Anerkennung
466
Nr. 237. Regierungserklärung des Reichskanzlers Adolf Hitler (23. März 1933) 466 Nr. 238. Kundgebung der Fuldaer und Freisinger Bischofskonferenz, betreffend die Stellungnahme der Katholiken zur nationalsozialistischen Bewegung (28. März 1933) 467
Inhaltsübersicht Nr. 239. Instruktion der Fuldaer Bischofskonferenz für die katholischen Geistlichen (29. März 1933) 468 V. Erste Auseinandersetzungen
um die Politik
der Gleichschaltung
Nr. 240. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an Reichspräsident v. Hindenburg (6. A p r i l 1933) Nr. 241. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichskanzler Adolf Hitler (16. A p r i l 1933) Nr. 242. Antwortschreiben des Reichskanzlers Adolf Hitler an den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram (28. A p r i l 1933) Nr. 243. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichskanzler Adolf Hitler (6. Mai 1933) Nr. 244. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichskanzler Adolf Hitler (25. Juni 1933) Nr. 245. Telegramm des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichskanzler Hitler und den preußischen Ministerpräsidenten Göring (4. Juli 1933) VI. Die Stellung des deutschen Episkopats zur „nationalen
Revolution"
469
470
472
473
477
478
480 480
Nr. 246. Gemeinsamer Hirtenbrief des deutschen Episkopats (3. Juni 1933)
480
VII. Die Verhandlungen
485
über das Reichskonkordat
Nr. 247. Zweiter E n t w u r f des Prälaten Kaas für das Reichskonkordat (20. Mai 1933) Nr. 248. E n t w u r f der Reichsregierung für das Reichskonkordat (28. Juni 1933) Nr. 249. Note des Vizekanzlers von Papen an den Kardinalstaatssekretär Pacelli (8. Juli 1933) Nr. 250. Erklärung des Vizekanzlers von Papen gegenüber dem Kardinalstaatssekretär Pacelli (8. Juli 1933) Nr. 251. Note des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an den Vizekanzler von Papen (8. Juli 1933) Nr. 252. Verfügung des Reichskanzlers Adolf Hitler (8. Juli 1933) Nr. 253. Presse Verlautbarung des Vizekanzlers von Papen (8. Juli 1933)
487 488
489
490
491 491 491
XX
Inhaltsübersicht
Nr. 254. Bericht des österreichischen Gesandten beim Vatikan ,Kohlruß, über ein Gespräch mit dem Privatsekretär des Kardinalstaatssekretärs, Pater Leiber (17. Juli 1933) 492 VIII. Die Unterzeichnung
des Reichskonkordats
Nr. 255. Amtlicher Kommentar der Reichsregierung zum Reichskonkordat (22. Juli 1933) Nr. 256. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichskanzler Adolf Hitler (22. Juli 1933) Nr. 257. Brief des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Faulhaber, an den Reichskanzler Adolf Hitler (24. Juli 1933) Nr. 258. Kommentar zum Reichskonkordat von Kardinalstaatssekretär Pacelli (26. Juli 1933) Nr. 259. Zweiter Kommentar zum Reichskonkordat von Kardinalstaatssekretär Pacelli (27. Juli 1933) Nr. 260. Erwiderung des Ministerialdirektors Rudolf Buttmann auf die Kommentare des Kardinalstaatssekretärs Pacelli (28. Juli 1933) IX. Das Inkrafttreten
des Reichskonkordats
Nr. 261. Bekanntmachung der Reichsregierung über das Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl (12. September 1933) Nr. 262. Gesetz zur Durchführung des Reichskonkordats (12. September 1933) Nr. 263. Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich (20. Juli 1933) Nr. 264. Schlußprotokoll zum Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich (20. Juli 1933) Nr. 265. Geheimer Anhang zum Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich (20. Juli 1933) Nr. 266. Verständigung über die Auslegungsgrundsätze zu A r t i k e l 31 des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich (20. Juli 1933)
495 496
498
498 499
502
502 504
505 505 505
513
515
516
Inhaltsübersicht Teil C S t a a t u n d evangelische K i r c h e i n der W e i m a r e r Z e i t Vierzehntes K a p i t e l D i e k i r c h l i c h e n Einigungsbestrebungen I. Der Deutsche Evangelische Kirchentag
in Dresden
517
Nr. 267. Eröffnungsansprache des Vorsitzenden des Dresdner Kirchentags Reinhard Möller (1. September 1919) 518 Nr. 268. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchentags i n Dresden an das deutsche evangelische Volk (5. September 1919) 519 Nr. 269. Beschluß des Deutschen Evangelischen Kirchentags „Kirchentag und Kirchenbund" (5. September 1919) 521 II. Der Deutsche Evangelische Kirchenbund
522
Nr. 270. Begründung zum E n t w u r f der Bundesverfassung (1. Juli 1921) Nr. 271. Kirchenbundes vertrag (25. Mai 1922) Nr. 272. Verfassung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes (25. Mai 1922)
523 525 526
Fünfzehntes K a p i t e l Das neue Kirchenverfassungsrecht der evangelischen L a n d e s k i r c h e n i n Preußen I. Der Übergang des Kirchenregiments
auf den Landeskirchenausschuß
....
Nr. 273. Bescheid der preußischen Minister in evangelicis an den Evangelischen Oberkirchenrat (13. November 1919) Nr. 274. Antwort des Evangelischen Oberkirchenrats an die preußischen Minister in evangelicis (15. Dezember 1919) Nr. 275. Schreiben der preußischen Minister in evangelicis an den Evangelischen Oberkirchenrat (23. Dezember 1919) Nr. 276. Kundgebung der preußischen Generalsynode, betreffend die bisherigen Träger des landesherrlichen Kirchenregiments (24. A p r i l 1920)
535
538
539
540
541
XXII
Inhaltsübersicht
Nr. 277. Kirchengesetz, betreffend die Ausübung des Kirchenregiments in der Evangelischen Landeskirche der älteren preußischen Provinzen (19. Juni 1920) 541 Nr. 278. Staatsgesetz, betreffend die Neuregelung der Verfassung der Evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen Preußens (8. Juli 1920) 542 II. Die vorläufige Neuregelung der kirchlichen Verfassungsverhältnisse neuen preußischen Provinzen
in den 543
Nr. 279. Gesetz über die Neuregelung der Verfassungen der evangelischen Landeskirchen der neuen Provinzen Preußens (18. A p r i l 1921) 543 III. Die Verfassung der Evangelischen Kirche der altpreußischen
Union . . . .
544
Nr. 280. Verfassungsurkunde für die Evangelische Kirche der altpreußischen Union (29. September 1922) 545 IV. Die Verfassung Holsteins
der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche
Schleswig587
Nr. 281. Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche SchleswigHolsteins (30. September 1922) 588 V. Die Hannoverschen
Kirchenverfassungen
593
Nr. 282. Verfassung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers (1. Juli 1924) 594 Nr. 283. Verfassung der Evangelisch-reformierten Landeskirche der Provinz Hannover (24. September 1922) 601 VI. Die Kirchenverfassungen
von Hessen-Kassel, Nassau und Frankfurt
VII. Die staatsgesetzliche Anerkennung
der neuen Kirchenverfassungen
...
603
....
604
Nr. 284. Staatsgesetz, betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen (8. A p r i l 1924) 604 Sechzehntes K a p i t e l Das Kirchenverfassungsrecht der ü b r i g e n deutschen L a n d e s k i r c h e n I. Bayern
610
Nr. 285. Verfassung der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins (10. September 1920) 611
Inhaltsübersicht
XXXIII
Nr. 286. Verfassung der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche) (20. Oktober 1920) 621 II. Württemberg
626
Nr. 287. Kirchliches Gesetz, betreffend die Verfassung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (Kirchenverfassungsgesetz) (24. Juni 1920) 626 III. Baden
631
Nr. 288. Verfassung der Vereinigten evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens (12. Dezember 1919) 631 IV. Hessen
636
Nr. 289. Kirchengesetz, die Verfassung der Evangelischen Landeskirche in Hessen betreffend (1. Juni 1922) 637 V. Sachsen
643
Nr. 290. Verfassung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche des Freistaats Sachsen (29. Mai 1922) 644 VI. Thüringen
651
Nr. 291. Verfassung der Thüringer evangelischen Kirche (10. Oktober 1924)
652
VII. Braunschweig
659
Nr. 292. Verfassung der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche (23. Januar 1922) 660 VIII. Oldenburg
665
Nr. 293. Verfassung der Evangelisch-lutherischen Kirche des Landesteils Oldenburg (12. November 1920) 666 IX. Die übrigen deutschen Landeskirchen
670
X X I
Inhaltsübersicht Siebzehntes K a p i t e l D i e evangelischen K i r c h e n v e r t r ä g e
I. Der braunschweigische
Kirchenvertrag
672
Nr. 294. Begründung zum Gesetzentwurf, die Aufhebung des Braunschweigischen Landeskonsistoriums betreffend (31. Mai 1923) 672 Nr. 295. Staatsgesetz über die Aufhebung des Braunschweigischen Landeskonsistoriums (8. August 1923) 673 Nr. 296. Vertrag zwischen dem Braunschweigischen Staat und der evangelisch-lutherischen Landeskirche (8. August 1923) 674 II. Die bayerischen Kirchenverträge
676
Nr. 297. Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der EvangelischLutherischen Kirche i n Bayern rechts des Rheins (15. November 1924) 677 Nr. 298. Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz (Pfalzische Landeskirche) (15. November 1924) 682 Nr. 299. Regierungsbegründung zu den Verträgen mit den evangelischen Kirchen (18. November 1924) 686 III. Der Entwurf
eines sächsisch" ι Kirchenvertrags
688
Nr. 300. Nichtratifizierter Vertrag zwischen dem Freistaat Sachsen und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche des Freistaats Sachsen (15. Januar 1929) 689 IV. Die thüringischen
Kirchenverträge
692
Nr. 301. Thüringer Kirchenvertrag (24. August/19. September 1929) 692 Nr. 302. Kirchenvertrag zwischen dem Land Thüringen und der evangelischlutherischen Kirche i n Reuß ä. L. (14. August/19. September 1929) 695 V. Die anhaltische Vereinbarung
zwischen Staat und Kirche
697
Nr. 303. Vergleich zwischen dem Land Anhalt und der Evangelischen Landeskirche Anhalts (3. Februar 1930) 697 Nr. 304. Vereinbarung zwischen dem Land Anhalt und der Evangelischen Landeskirche Anhalts (18./20. März 1930) 698
Inhaltsübersicht VI. Die hessische Vereinbarung
zwischen Staat und Kirche
700
Nr. 305. Vereinbarung zwischen dem hessischen Staate und der Evangelischen Landeskirche in Hessen (28. Januar/5. Februar 1930) 701 Nr. 306. Schiedsspruch in der Streitsache der Evangelischen Landeskirche Hessen gegen den Volksstaat Hessen (20. November 1933) 703 VII. Der mecklenburg-schwerinsche
Kirchenvertrag
704
Nr. 307. Vertrag zwischen dem Freistaat Mecklenburg-Schwerin und der evangelisch-lutherischen Kirche von Mecklenburg-Schwerin (2. Mai 1930) 704 VIII. Die Verhandlungen
über den preußischen Kirchenvertrag
705
Nr. 308. Schreiben der Professoren Frick, Hermelink und von Soden an die Kirchenregierungen i n Wiesbaden und Kassel (16. November 1930) 707 IX. Abschluß und Inkraftsetzung
des preußischen Kirchenvertrags
Nr. 309. Vertrag des Freistaates Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen (11. Mai 1931) Nr. 310. Schlußprotokoll zum Preußischen Kirchenvertrag (11. Mai 1931) Nr. 311. Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf zu dem Vertrag mit den Evangelischen Landeskirchen (2. Juni 1931) Nr. 312. Gesetz zu dem Vertrag des Freistaats Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen (26. Juni 1931) X. Der Vollzug des preußischen Kirchenvertrags
708
709 711
714
721 721
Nr. 313. Vereinbarung der kirchlichen Verwaltungsbehörden zum 3. Absatz des Schlußprotokolls zu A r t i k e l 11 Abs. 2 des Kirchenvertrags vom 11. Mai 1931 (31. August/2. November 1931) 721 XI. Die Verhandlungen
über den badischen Kirchenvertrag
723
Nr. 314. Schreiben des badischen Kultusministers Remmele an den Evangelischen Oberkirchenrat (26. Mai 1930) 723 Nr. 315. Schreiben des Kirchenpräsidenten Wurth an den badischen Kultusminister Remmele (11. Juni 1930) 724
XXVI
Inhaltsübersicht
XII. Abschluß und Inkraftsetzung
des badischen Kirchenvertrags
Nr. 316. Vertrag zwischen dem Freistaat Baden und der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens (14. November 1932) Nr. 317. Schlußprotokoll zum badischen Kirchen ver trag (14. November 1932) Nr. 318. Regierungsbegründung zum badischen Kirchenvertrag (14. November 1932) Nr. 319. Erklärungen der Evangelischen Landessynode zum badischen Kirchenvertrag (23. November 1932) Nr. 320. Gesetz zu dem Vertrag des Freistaates Baden mit der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens (9. Dezember 1932) Nr. 321. Kirchengesetz, den Vertrag zwischen dem Freistaat Baden und der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens betreffend (10. März 1933) Nr. 322. Bekanntmachung über die Ratifikation des badischen Kirchenvertrags (11. März 1933)
726
727 730 731
738
738
738
739
Achtzehntes K a p i t e l Politische Ereignisse u n d K r ä f t e i m B l i c k f e l d der evangelischen K i r c h e I. Die evangelische Kirche und die Folgen des Ersten Weltkrieges Nr. 323. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses gegen die feindlichen Vergewaltigungsabsichten (14. A p r i l 1919) Nr. 324. Ansprache der Generalsuperintendenten der altpreußischen Landeskirche zum Landestrauertag (6. Juli 1919) Nr. 325. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchentags gegen die Aburteilung des Deutschen Kaisers durch die feindlichen Mächte (5. September 1919) Nr. 326. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchentags an die evangelischen Gemeinden i n den abzutretenden Gebieten (5. September 1919) Nr. 327. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchentags für die deutsche evangelische Heidenmission (5. September 1919)
740
741
742
743
744
744
Inhaltsübersicht IL Die parteipolitische gung der Pfarrer
Neutralität
der Kirche und die parteipolitische
XXXVII Betäti745
Nr. 328. Erlaß des Anhaltischen Konsistoriums, betreffend parteipolitische Betätigung der Geistlichen (15. März 1920) 745 Nr. 329. Beschluß der preußischen Generalsynode, betreffend parteipolitische Betätigung der Geistlichen (20. A p r i l 1920) 746 Nr. 330. Kundgebung der preußischen Generalsynode, betreffend die politische Neutralität der Kirche (24. A p r i l 1920) 746 III. Die evangelische Kirche und die Ruhrbesetzung
747
Nr. 331. Kundgebung des schwedischen Erzbischofs Söderblom und der schwedischen Bischöfe zur Ruhrbesetzung (2. Februar 1923) 747 Nr. 332. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses an die evangelischen Kirchen des Auslandes (27. Februar 1923) 748 JV. Bemühungen um die Gründung
einer evangelischen Partei
749
Nr. 333. Aufruf von Samuel Jäger zur Gründung christlich-sozialer Gesinnungsgruppen (13. März 1924) 751 Nr. 334. Voraussetzungen und Ziele der Arbeit des Christlichen Volksdienstes (13. November 1927) 752 Nr. 335. Aufruf des Reichs Vorstandes des Christlich-Sozialen Volksdienstes an das deutsche evangelische Christenvolk (28. Dezember 1929) 754 V. Die evangelische Kirche und die soziale Frage
755
Nr. 336. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchentages an das deutsche Volk (17. Juni 1924) 756 Nr. 337. Leitsätze des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses für die soziale Arbeit der Kirche (5. November 1925) 759 VI. Die Kriegsschuldfrage
761
Nr. 338. Resolution der Deutschen Vereinigung des Weltbunds für Freundschaftsarbeit der Kirchen (24. September 1924) 763 Nr. 339. Schreiben des Präsidenten der deutschen Delegation, Hermann Kapier, an den Fortsetzungsausschuß der Stockholmer Weltkonferenz für Praktisches Christentum (29. August 1925) 764
XXXVIII
Inhaltsübersicht
Nr. 340. Berner Erklärung des Fortsetzungsausschusses der Stockholmer Weltkonferenz für Praktisches Christentum (28. August 1926) 765 Nr. 341. Erklärung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses zur zehnjährigen Wiederkehr des Versailler Diktats (1. Juni 1929) 766 VII. Der Protestantismus
und die Reichspräsidentenwahl
1925
Nr. 342. Erklärung des Evangelischen Bundes zur Reichspräsidentenwahl (21. März 1925) Nr. 343. Otto Baumgarten, Trotz allem — Für Marx! (7. A p r i l 1925) Nr. 344. Aufruf des Rheinisch-Westfälischen Verbands Evangelischer Arbeitervereine (Mitte A p r i l 1925) Nr. 345. Sammelaufruf zur Reichspräsidentenwahl (26. A p r i l 1925) Nr. 346. Aufruf Adolf v. Harnacks an die evangelischen Deutschen für Marx als Reichspräsidenten (23. A p r i l 1925) Nr. 347. Schreiben des schleswig-holsteinischen Landeskirchenamts an die Theologische Fakultät i n K i e l (9. Mai 1925) Nr. 348. Erklärung des Senats der Universität K i e l (Mai 1925) Nr. 349. Interpellation der Abgeordneten Erkelenz und Genossen i m Reichstag (27. Mai 1925) Nr. 350. Ansprache des Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, Hermann Kapier, beim Empfang durch den Reichspräsidenten v. Hindenburg (12. Juni 1925) Nr. 351 Erwiderung des Reichspräsidenten v. Hindenburg an die Vertreter der Religionsgesellschaften (12. Juni 1925) VIII. Die Auseinandersetzungen
um die Fürstenenteignung
767 769 771
773 774
775
776 777 777
777
779 779
Nr. 352. Erklärung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses zur Fürstenenteignung (4. Juni 1926) 780 Nr. 353. Aufruf des Hauptvorstandes der Religiösen Sozialisten Deutschlands (Juni 1926) 781 Nr. 354. Erklärung von 94 hessischen Pfarrern zur Fürstenabfindung (Juli 1926) 782 IX. Evangelische Kirche und vaterländische
Bewegung
782
Nr. 355. Vaterländische Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Königsberg (21. Juni 1927) 783
Inhaltsübersicht X. Der Fall Dehn
785
Nr. 356. „Kirche und Völkerversöhnung" — Vortrag von Günther Dehn i n der Ulrichskirche zu Magdeburg (6. November 1928) Nr. 357. Entschließung des Völkischen Ausschusses der Deutschnationalen Volkspartei Magdeburg-Anhalt (Dezember 1928) Nr. 358. Bescheid des Evangelischen Konsistoriums der Mark Brandenburg an Günther Dehn (22. Juli 1929) Nr. 359. Bescheid des Evangelischen Konsistoriums der Mark Brandenburg an Oberstleutnant a. D. von Bornstedt (22. Juli 1929) Nr. 360. Votum der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg zur Berufung von Günther Dehn (26. Januar 1931) Nr. 361. Sondervotum von Martin Dibelius zur Berufung von Günther Dehn (26. Januar 1931) Nr. 362. Flugblatt des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, Hochschulgruppe Halle (4. Februar 1931) Nr. 363. Beschluß des Universitätssenats der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg, betreffend die Auflösung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (Hochschulgruppe Halle) (9. Februar 1931) Nr. 364. Amtlicher Bericht über die Vollversammlung des Lehrkörpers der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg (11. November 1931) Nr. 365. A n t w o r t der Deutschen Studentenschaft auf die Entschließung der Vollversammlung des Lehrkörpers der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg (14. November 1931) Nr. 366. Solidaritätserklärung von K a r l Barth und K a r l L u d w i g Schmidt mit Günther Dehn (November 1931) Nr. 367. Erklärung von Otto Schmitz und Wilhelm Stählin zum Fall Dehn (November 1931) Nr. 368. Kundgebung von Emanuel Hirsch und Hermann Dörries (27. Januar 1932) Nr. 369. Begrüßung der theologischen Fakultät der Vereinigten FriedrichsUniversität Halle-Wittenberg an ihre Studenten zum Semesterbeginn (20. A p r i l 1933) XI. Der Streit um die ökumenische Zusammenarbeit mus
788
792
793
793
794 795
796
797
799
800
801 801 802
803
im deutschen Protestantis804
Nr. 370. Erklärung von Emanuel Hirsch und Paul Althaus über Kirche und Völkerverständigung (1. Juni 1931) 804
X
Inhaltsübersicht
Nr. 371. Resolution der Deutschen Vorbereitungskonferenz für die Tagung des Weltbunds für Freundschaftsarbeit der Kirchen (3. Juni 1931) 806 Nr. 372. Botschaft des Internationalen Rats des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen (4. September 1931) 807 XII. Die parteipolitische Republik
Neutralität
der Kirche in der Endphase der Weimarer 808
Nr. 373. Verordnung des Landeskirchenrats der Thüringer Evangelischen Kirche über die politische Betätigung der Pfarrer (23. Mai 1931) Nr. 374. Richtlinien der Kirchenregierung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins für die politische Betätigung der Pastoren (2. November 1931) Nr. 375. Erlaß des evangelischen Oberkirchenrates der altpreußischen Union, betreffend Kirche und Politik (21. November 1931) Nr. 376. Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses zur Not der Gegenwart (26. Mai 1932) Nr. 377. Richtlinien der evangelischen Landeskirche in Nassau, betreffend Kirche und Politik (4. August 1932)
815
XIII. Die evangelische Kirche und der Nationalsozialismus
816
808
810
812
814
Nr. 378. Walter Künneth, Die Kirche und das Dritte Reich (1932) 818 Nr. 379. Paul Tillich, Zehn Thesen zum Nationalsozialismus (1932) 819 Nr. 380. Richtlinien der Glaubensbewegung „Deutsche Christen" (26. Mai 1932) 821 Nr. 381. Das Wort und Bekenntnis Altonaer Pastoren in der Not und Verwirrung des öffentlichen Lebens (11. Januar 1933) 823
Neunzehntes K a p i t e l D i e Verfassung der Deutschen Evangelischen K i r c h e v o n 1933 I. Die kirchenpolitischen
Absichten der Regierung Hitler
827
Nr. 382. Entschließung der Glaubensbewegung Deutsche Christen (5. A p r i l 1933) 827 Nr. 383. Beauftragung L u d w i g Müllers zum Bevollmächtigten des Reichskanzlers für die Angelegenheiten der evangelischen Kirche (25. A p r i l 1933) 828
Inhaltsübersicht Nr. 384. Erklärung des Wehrkreispfarrers L u d w i g Müller (26. A p r i l 1933)
828
II. Die Kirche vor der „Judenfrage"
829
Nr. 385. Dietrich Bonhoeffer, Die Kirche vor der Judenfrage (15. A p r i l 1933) Nr. 386. Walter Künneth, Die Kirche und die Judenfrage in Deutschland (25./26. A p r i l 1933)
833
III. Die Gleichschaltung
836
der evangelischen Kirchenverfassungen
Nr. 387. Verordnung des Landeskirchenrates der Thüringer Evangelischen Kirche über die politische Betätigung der Pfarrer (29. A p r i l 1933) Nr. 388. Gesetz des Landeskirchentages der Thüringer Evangelischen Kirche, betreffend die Ermächtigung des erweiterten Landeskirchenrates (5. Mai 1933) Nr. 389. Gesetz des Landeskirchentages der Thüringer Evangelischen Kirche, betreffend den Marxismus in der Kirche (5. Mai 1933) Nr. 390. Gesetz des erweiterten Landeskirchenrates der Thüringer Evangelischen Kirche, betreffend den Landesbischof (15. Juli 1933) Nr. 391. Gesetz über die Bestellung eines Landesbischofs für die Evangelischlutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins (8. Mai 1933) Nr. 392. Gesetz über die Ermächtigung des Landesbischofs der Evangelischlutherischen Kirche i n Bayern rechts des Rheins zum Erlaß von Kirchengesetzen (8. Mai 1933) Nr. 393. Gesetz, betreffend die Übertragung der Befugnisse des Landeskirchentages der Braunschweigischen Evangelisch-lutherischen Landeskirche auf den Landesbischof (12. Mai 1933) Nr. 394. Gesetz zur Ermächtigung des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (15. Mai 1933) Nr. 395. Notverordnung der Kirchenregierung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins, betreffend die Ermächtigung für den Vorsitzenden der Kirchenregierung (22. Mai 1933) Nr. 396. Notverordnung des Kirchensenats der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, betreffend die Bevollmächtigung des Landesbischofs (22. Mai 1933) Nr. 397. Vorläufiges kirchliches Gesetz, die Verfassung der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens betreffend (1. Juni 1933)
830
836
836
837
837
838
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840
841
XII
Inhaltsübersicht
Nr. 398. Notverordnung des Landeskonsistoriums der Evangelisch-lutherischen Landeskirche des Freistaats Sachsen zur Ermächtigung des Landeskonsistoriums (7. Juni 1933) 841 Nr. 399. Kirchliches Ermächtigungsgesetz der Evangelischen Landeskirche in Hessen (28. Juni 1933) 842 IV. Der Weg zur Deutschen Evangelischen Kirche Nr. 400. Forderungen der Glaubensbewegung Deutsche Christen (4. Mai 1933) Nr. 401. Aufruf der jungr eforma torischen Bewegung zum Neubau der Kirche (9. Mai 1933) Nr. 402. Vereinbarung der lutherischen Bischöfe über den Zusammenschluß der lutherischen Landeskirchen Deutschlands (14. Mai 1933) Nr. 403. Erklärung der Bischöfe der lutherischen Kirchen Deutschlands (14. Mai 1933) Nr. 404. Richtlinien der Glaubensbewegung Deutsche Christen (16. Mai 1933) Nr. 405. Loccumer Manifest (20. Mai 1933) Nr. 406. Wort des Reichsbischofs von Bodelschwingh an die evangelische Christenheit in Deutschland (27. Mai 1933) Nr. 407. Schreiben des Reichspräsidenten v. Hindenburg an den Reichsbischof v. Bodelschwingh (21. Juni 1933) Nr. 408. K a r l Barth, Theologische Existenz heute! (25. Juni 1933) Nr. 409. Verfügung L u d w i g Müllers zur Behebung der Notstände in Kirche und Volk (28. Juni 1933) Nr. 410. Schreiben des Reichspräsidenten v. Hindenburg an den Reichskanzler Adolf Hitler (30. Juni 1933) Nr. 411. Schreiben des Reichsinnenministers Frick an Wehrkreispfarrer Müller (30. Juni 1933) V. Die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche
842 845 846
847 848 848 850
851
852 853
859
859
860 860
Nr. 412. Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (11. Juli 1933) 861 Nr. 413. Verordnung zur Einführung der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (11. Juli 1933) 865
Inhaltsübersicht Nr. 414. Telegramm des Reichskanzlers Adolf Hitler an den Reichspräsidenten v. Hindenburg (12. Juli 1933) Nr. 415. Begründung des Reichsinnenministeriums zum Gesetz zur Einführung der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (14. Juli 1933) Nr. 416. Gesetz über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (14. Juli 1933) Nr. 417. Schreiben des Reichskanzlers Adolf Hitler an den Wehrkreispfarrer L u d w i g Müller (19. Juli 1933, veröffentlicht am 23. Juli 1933) Nr. 418. Rundfunkansprache des Reichskanzlers Adolf Hitler zu den Kirchenwahlen (22. Juli 1933)
867
867 868
869
870
Anhang D i e Besetzung der obersten K i r c h e n ä m t e r i n D e u t s c h l a n d 1918 — 1933 I. Die päpstlichen Nuntiaturen
in München und Berlin
II. Die deutschen katholischen Erzbischöfe
und Bischöfe
872 872
A. Metropolitanbezirk K ö l n B. Metropolitanbezirk Breslau C. Hildesheim und Osnabrück D. Oberrheinische Kirchenprovinz E. Metropolitanbezirk München-Freising F. Metropolitanbezirk Bamberg G. Vikariat Sachsen (seit 1921 Bistum Meißen)
872 874 875 875 876 877 878
III. Die Leitung der größeren evangelischen Landeskirchen
878
A. Preußen B. Bayern C. Die Landeskirchen der übrigen deutschen Mittelstaaten
878 882 882
Teil A Allgemeines Staatskirchenrecht i n der Weimarer Zeit Erstes
Kapitel
Die Folgen des Staatsumsturzes für die Stellung der Kirchen I. Die Gewährleistung der Religionsfreiheit Die Anerkennung der Religionsfreiheit gehört zu den tragenden Prinzipien, die die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in Deutschland während des 19. Jahrhunderts geprägt haben. Die Eigenständigkeit der Kirchen in der Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten bildete eine wichtige Folgerung aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit. Aus ihm wurde jedoch nicht die Notwendigkeit einer Trennung von Staat und Kirche abgeleitet; vielmehr wurde, wenn auch nun unter der Voraussetzung konfessioneller Parität, die Verbindung zwischen Staat und Kirche im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert festgehalten und weiterentwickelt. Zu den weitreichenden verfassungspolitischen Problemen, die mit dem Novemberumsturz von 1918 aufgeworfen waren, zählte insbesondere die Frage, ob das überlieferte System des Verhältnisses von Staat und Kirche fortgesetzt werde. Der Aufruf des Rats der Volksbeauftragten vom 12. November 1918, der den weiteren Weg der Reichspolitik vorzeichnen sollte, beschränkte sich in dieser Frage auf die Gewährleistung der freien Religionsausübung und das Verbot jeden Zwangs zu religiösen Handlungen (Nr. 1). Damit waren die positive wie die negative Religionsfreiheit im Grundsatz anerkannt. Welche institutionellen Konsequenzen aus dieser Garantie der Religionsfreiheit zu ziehen seien, ließ der Rat der Volksbeauftragten offen. Damit respektierte er implizit die Zuständigkeit der Länder auf diesem Gebiet; er erwies zum anderen seine Rücksichtnahme auf den Heiligen Stuhl, auf dessen Unterstützung in der Friedensfrage die neue Reichsleitung hoffte l.
1
Vgl. Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 737f., 872f.
1 Huber
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes N r . 1. A u f r u f des Rats der V o l k s b e a u f t r a g t e n a n das deutsche V o l k vom 12. November 1918 (Reichs-Gesetzblatt, 1918, S. 1303) An das deutsche Volk!
Die aus der Revolution hervorgegangene Regierung, deren politische Leitung rein sozialistisch ist, setzt sich die Aufgabe, das sozialistische Programm zu verwirklichen. Sie verkündet schon jetzt mit Gesetzeskraft folgendes: 1. Der Belagerungszustand w i r d aufgehoben 2 . 2. Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsarbeiter. 3. Eine Zensur findet nicht statt. Die Theaterzensur w i r d aufgehoben. 4. Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei. 5. Die Freiheit der Religionsausübung wird gewährleistet. Niemand darf zu einer religiösen Handlung gezwungen werden. 6. Für alle politischen Straftaten w i r d Amnestie gewährt. Die wegen solcher Straftaten anhängigen Verfahren werden niedergeschlagen. 7. Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst w i r d aufgehoben, mit Ausnahme der sich auf die Schlichtung von Streitigkeiten beziehenden Bestimmungen. 8. Die Gesindeordnungen werden außer Kraft gesetzt, ebenso die Ausnahmegesetze gegen die Landarbeiter. 9. Die bei Beginn des Krieges aufgehobenen werden hiermit wieder i n Kraft gesetzt.
Arbeiterschutzbestimmungen
Weitere sozialpolitische Verordnungen werden binnen kurzem veröffentlicht werden. Spätestens am 1. Januar 1919 w i r d der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten. Die Regierung w i r d alles tun, u m für ausreichende Arbeitsgelegenheit zu sorgen. Eine Verordnung über die Unterstützung von Erwerbslosen ist fertiggestellt. Sie verteilt die Lasten auf Reich, Staat und Gemeinde. A u f dem Gebiete der Krankenversicherung w i r d die Versicherungspflicht über die bisherige Grenze von 2500 Mark ausgedehnt werden. Die Wohnungsnot w i r d durch Bereitstellung von Wohnungen bekämpft werden. A u f die Sicherung einer geregelten Volksernährung w i r d hingearbeitet werden. Die Regierung w i r d die geordnete Produktion aufrechterhalten, das Eigentum gegen Eingriffe Privater sowie die Freiheit und Sicherheit der Person schützen. Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsy2 Damit war die Kaiserl. Verordnung über die Verhängung des Kriegszustands vom 31. Juli 1914 (Dokumente, Bd. 2, Nr. 305) aufgehoben; zum Problem der Aufhebung der bayerischen Verordnung über die Verhängung des Kriegszustands v o m gleichen Tag (ebenda Nr. 306) vgl. Dokumente, Bd. 3, S. 6, Anm. 1.
II. Die Trennung von Staat und Kirche
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stems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen. Auch für die Konstituierende Versammlung, über die nähere Bestimmung noch erfolgen wird, gilt dieses Wahlrecht 3 .
II. Die Trennung von Staat und Kirche Während der Aufruf des Rats der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 (oben Nr. 1) durch kirchenpolitische Zurückhaltung bestimmt war, brachten die in den deutschen Einzelstaaten an die Macht gekommenen neuen Regierungen in ihren ersten Erklärungen zum Teil unverhüllt zum Ausdruck, daß sie die „Trennung von Staat und Kirche" herbeiführen wollten. Damit nahmen sie eine Formel auf, die auf die Zeit der Aufklärung zurückging und in die liberale wie die sozialistische Programmatik des 19. Jahrhunderts Aufnahme gefunden hatte 1. Die in sich mehrdeutige Trennungsformel wurde in den ersten Erklärungen nach der Novemberrevolution in dem Sinn verwandt, daß alle institutionellen Verbindungen zwischen Staat und Kirche gelöst und die Kirchen — gemäß dem Satz des Erfurter Programms der SPD, daß Religion Privatsache sei 2 — in ihrer Wirksamkeit auf den Bereich des „Privaten" begrenzt werden sollten. Die Schule galt als der Bereich, in dem vor allen anderen dem Einfluß der Kirchen ein Ende gesetzt werden müsse. Die französische Trennungsgesetzgebung von 1904/05 diente diesen Überlegungen häufig als Vorbild 3. Besonders nachdrücklich wurde die Trennungsforderung von der neuen preußischen Regierung erhoben. Sie war in den ersten Wochen nach der Novemberrevolution paritätisch mit Vertretern der SPD und der USPD besetzt; demgemäß erhielt das Kultusministerium in Adolph Hoffmann (USPD) 4 und Konrad Haenisch (SPD) 5 3 Vgl. die Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918 (Dokumente, Bd. 3, Nr. 42). 1
Vgl. W. Huber, Kirche und Öffentlichkeit (1973), S. 31ff., 522ff. Erfurter Programm vom 21. Oktober 1891 (Text: W.Treue, Deutsche Parteiprogramme seit 1861, 4. Aufl. 1968, S. 86 f.); ebenso schon das Gothaer Programm vom Mai 1875 (Text: ebenda S. 76ff.). 3 Dazu zusammenfassend: A. v. Campenhausen, Staat und Kirche i n Frankreich (1962). 4 Adolph Hoffmann (1858-1930), Graveur und Vergolder; seit 1880 Redakteur an sozialdemokratischen Zeitungen; seit 1903 Inhaber eines Sozialdemokratischen Verlags in Berlin. Seit 1900 Stadtverordneter, 1902-06 MdR; 1908-18 MdprAH. Einer der führenden Sprecher der Freidenker- und Kirchenaustrittsbewegung; seine Schrift „Die zehn Gebote und die besitzenden Klassen" (1891) trug i h m den Namen „Zehn-Gebote-Hoffmann" ein. Während des Ersten Weltkriegs USPD. Vom 12. November 1918 bis zum 3. Januar 1919 preuß. Kultusminister. 1920-24 erneut MdR (seit 1920 KPD, seit 1922 wieder SPD); 1928-30 MdprLT. 5 Konrad Haenisch (1876-1925), zunächst Buchhändler, studierte dann Geschichte und Nationalökonomie; Redakteur sozialdemokratischer Zeitungen; seit 1911 Leiter der Flugblattzentrale beim Parteivorstand in Berlin. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf dem linken Flügel der Partei; dann führender Mehrheitssozialist (Schriftleiter der „Glocke"). November 1918-März 1921 preuß. Kultusminister; 1923-25 Regierungspräsident i n Wiesbaden. 2
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eine doppelte Leitung. In ihrem Aufruf vom 13. November 1918 (Nr. 3) kündigte die preußische Regierung die Trennung von Staat und Kirche, die Aufhebung der Konfessionsschulen und die Beseitigung des kirchlichen Einflusses in der Schule an. Bei einer Konferenz der Geistlichen Abteilung des am 14. November programmatisch neu benannten „Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung" bekräftigte Adolph Hoffmann am 16. November 1918 dieses Programm 6. Die Richtlinien für die Arbeit des Ministeriums, die Hoffmann am 27. November 1918 veröffentlichte, begannen mit der Trennungs for mei (Nr. 6). Der Einspruch Haenischs gegen diese Richtlinien (Nr. 7) änderte nichts daran, daß die preußische Kirchenpolitik im November IDezember 1918 vom Gedanken der Loslösung der Kirche vom Staat und der Beseitigung aller bisherigen kirchlichen Privilegien bestimmt war. Als Berater für die Trennung von Staat und Kirche wurde Alfred Dieterich 7 in das preußische Kultusministerium berufen. Er legte schon Ende November ein Memorandum vor, das die vereinsrechtliche Organisation der Kirchen, die Beseitigung der Staatsleistungen, den allmählichen Abbau der Kirchensteuer und die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht vorsah (Nr. 5). Dieterichs Memorandum verband das Programm einer totalen Säkularisierung mit der Absicht, die Kirchen der allgemeinen Steuerpflicht zu unterwerfen; auf die Existenzkrise, in die ein solches Vorhaben die Kirchen hätte stürzen müssen, nahm Dieterich mit keinem Wort Bezug. Sein Memorandum trug zwar keinen regierungsoffiziellen Charakter; doch es diente als Beratungsunterlage für Verhandlungen des Kultusministeriums mit Vertretern der evangelischen Landeskirchen in Preußen am 12.113. Dezember sowie mit Vertretern der Freikirchen und der jüdischen Gemeinden am 14. Dezember 1918. Nach Hoffmanns Ausscheiden aus der preußischen Regierung am 3. Januar 1919 verlor jedoch auch das von Dieterich entworfene Programm an Bedeutung 8. 6 Vgl. C. Motschmann, Evangelische Kirche und preußischer Staat i n den Anfängen der Weimarer Republik (1969), S. 28f. 7 Über Alfred Dieter ich konnten biographische Einzelheiten bisher nicht ermittelt werden. Franz Thimme bezeichnet ihn als „sozialistischen Schriftsteller" (F. ThimmejE. Rolffs, Revolution und Kirche, 1919, S. 30), verwechselt ihn aber möglicherweise mit dem sozialistischen Schriftsteller Franz Diederich (vgl. J. R. C. Wright , „Über den Parteien", 1977, S. 13, Anm. 6). Friedrich Lahusen, der kirchliche Verhandlungsführer bei der Besprechung am 12./13. Dezember 1918, bezeichnet Dieterich als „einen gebildeten, angenehmen dissidentischen Sozialdemokraten" (Brief vom 15. Dezember 1918, in: F. Lahusen, Vater und Seelsorger. Briefe an seinen Sohn, hg. von H. Lahusen, 1919, S. 151; vgl. J. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik, 1976, S. 62). I m Protokoll der Besprechung vom 12./13. Dezember 1918 erscheint Dieterich als „Privatgelehrter" und „Regierungsbeauftragter" (Wright a.a.O.). Als „sozialdemokratischer Schriftsteller und einer der wenigen sachverständigen Parteigenossen" w i r d Dieterich in einem Brief des Kultusministers K. Haenisch an die preußischen Minister i n evangelicis Heine, Oeser und Südekum vom 27. September 1919 bezeichnet. Aus dem Brief geht hervor, daß Dieterich nach Hoffmanns Ausscheiden aus dem preußischen Kultusministerium mit einer „Aufklärungsreise" in die westlichen Provinzen Preußens beauftragt worden war. Haenisch stellt in dem Brief eine Übernahme Dieterichs i n die Abteilung für die geistlichen Angelegenheiten zur Diskussion, die indes nicht erfolgte (Entwurf des Briefes: Preuß. Geh. Staatsarchiv, Berlin-Dahlem, Rep. 92 Becker, Sachakten Nr. 1699, Bl. 1-6). 8 I m Januar 1919 veröffentlichte das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung folgende amtliche Mitteilung: „Durch die Presse hat eine dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung eingereichte Denkschrift des Privatgelehrten und Schriftstellers Dieterich über Wege zur Trennung von
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Auch in anderen deutschen Einzelstaaten wurde in den Wochen des revolutionären Umbruchs die Trennung von Staat und Kirche angestrebt, selbst wenn die Trennungsformel als solche in den offiziellen Erklärungen nicht auftauchte (so in Bayern, Braunschweig, Hamburg, Bremen). Ein markantes Beispiel für diese Gruppe von Ländern ist Sachsen, dessen neue Regierung wie in Preußen von Mehrheitssozialdemokraten und Unabhängigen gebildet wurde (Nr. 4)9. Wo hingegen die Regierung sich auf eine bürgerlich-mehrheitssozialistische Koalition stützte (wie insbesondere in Württemberg und Baden), stieß das Trennungsprogramm von Anfang an auf Ablehnung. In Hessen, das gleichfalls von einer Koalition zwischen den bürgerlichen Parteien und der Mehrheitssozialdemokratie regiert wurde, sprach sich nur der Arbeiter- undSoldatenrat ]0, nicht dagegen die Regierung 11 für eine radikale Trennung zwischen Staat und Kirche aus (Nr. 2)12. Kirche und Staat eine zum Teil sehr gegensätzliche Besprechung gefunden, die, ganz abgesehen von den sachlichen Gegenausführungen, auf der völlig irrigen Behauptung sich aufbaut, als seien in diesen Ausführungen nun die grundsätzlichen Anschauungen der Regierung i n der Trennungsfrage dargelegt. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Das Ministerium hat eine ganze Reihe von Denkschriften als Beratungsmaterial entgegengenommen und sie der von ihr aus Vertretern der verschiedensten religiösen und freireligiösen, kirchlichen und außerkirchlichen Richtungen gebildeten Kommission zur Stellungnahme unterbreitet. Ganz abwegig sind i n der jetzt einsetzenden Preßpolemik alle Behauptungen, als beabsichtige die Regierung oder das Ministerium irgendwie, sich in rein innerkirchliche Fragen, wie z.B. des Kultus u.ä., einzumischen. Ihre i n der Vorbereitung befindlichen Gesetzesvorschläge sind nichts anderes als die Vorarbeit zu einer abschließenden Erledigung der von führenden Männern aller Konfessionen und kirchlichen Richtungen seit Jahrzehnten immer wieder geforderten reinlichen und schiedlichfriedlichen Trennung von Kirche und Staat, über die endgültig zu entscheiden selbstverständlich erst die Sache einer ordnungsmäßig gewählten Volksvertretung sein wird." (Mitteilungen aus der Arbeit der dem Evang. Oberkirchenrat und dem Generalsynodalvorstand beigeordneten Vertrauensmänner der Evang. Landeskirche, Nr. 5, 20. Januar 1919). Diese amtliche Mitteilung verkleinert freilich die Bedeutung von Dieterichs Denkschrift, die nicht von einem Privatmann an das Ministerium herangetragen, sondern i m Ministerium selbst erstellt wurde. Die Mitteilung bildet einen Teil der Revisionen, u m die der Kultusminister Haenisch sich nach Hoffmanns Ausscheiden bemühte. Zu ihnen gehörte, daß man auf Dieterichs Denkschrift nicht mehr zurückgriff. 9 Regierungschef sowie Außen- und Innenminister war vom 15. November 1918 bis zum 16. Januar 1919 der Unabhängige Richard Lipinsky (1867-1937), zunächst kaufm. Angestellter, seit 1891 Redakteur, dann Verlagsleiter i n Leipzig; 1903-06 MdR; 1920-23 erneut sächs. Innenminister; 1920-33 wieder MdR (seit 1922 SPD). Kultusminister war vom 15. November 1918 bis zum 4. Oktober 1919 der Mehrheitssozialdemokrat Wilhelm Buck (1869-1945), Stukkateur, später Gewerkschaftssekretär; 1913-18 MdR; 1919-20 MdWeimNatVers.; 1920-23 sächs. Ministerpräsident; 1923 Kreishauptmann in Dresden. 10 Dessen Vorsitzender war der Mehrheitssozialdemokrat Wilhelm Knoblauch (1874-1939), Schriftsetzer, seit 1907 Redakteur am „Hessischen Volksfreund"; 19191921 MdhessLT; 1923 Geschäftsführer des Krankenkassenverbands Hessen und Hessen-Nassau, 1928-33 des Krankenkassenverbands Bayern. 11 Ministerpräsident wurde der Mehrheitssozialdemokrat Karl Ulrich (18531933), Druckereibesitzer in Offenbach; seit 1885 Mdhess II. K.; 1890-1903 und 1907-18 MdR; 1919-20 MdWeimNatVers.; 1920-30 erneut MdR; 1918-28 Ministerpräsident in Hessen-Darmstadt. Das vom i h m i m November 1918 gebildete Kabinett aus SPD, Fortschrittspartei und Zentrum war die früheste Regierung nach dem Modell der späteren „Weimarer Koalition". 12 Vgl. Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 87Iff. Ferner: F.ThimmelE. Rolffs (Hrsg.), Revolution und Kirche. Zur Neuordnung des Kirchenwesens i m deutschen
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes N r . 2. A u f r u f des A r b e i t e r - u n d Soldatenrats des Freistaats Hessen vom 10. November 1918 (Fr. Purlitz,
Die deutsche Revolution, Bd. I, 1919, S. 141)
Arbeiter und Bürger! Die Regierungsgewalt ist auf das Volk übergegangen. Es ist frei und mündig, u m sein Schicksal selbst zu bestimmen. Soldaten, Arbeiter, Bürger! Schließt die Reihen! Ein freies Volk schafft seine freie Zukunft. I n folgenden sieben Punkten faßt der Arbeiter- und Soldatenrat seine Ansicht zusammen: 1. Der sozialistischen Fraktion der bisherigen Zweiten Kammer w i r d die Bildung des Ministeriums übertragen. 2. Der von dieser gebildeten Regierung wird aufgetragen, binnen drei Tagen ein Gesetz zur Wahl einer Landesversammlung vorzulegen, das den Grundsätzen der Verhältniswahl entspricht. Wahlberechtigt soll jeder großjährige Hesse sein. 3. Großherzog Ernst L u d w i g w i r d abgesetzt und das Großherzogtum als Republik erklärt. Die großherzoglichen Domänen verfallen dem Lande. 4. Alle Sonderrechte der Geburt und des Standes werden beseitigt. 5. Sämtliche i m Großherzogtum bestehenden Fideikommisse sind aufzulösen. 6. Vollständige Glaubens- und Gewissensfreiheit w i r d gewährleistet. 7. Trennung von Kirche und Staat. Das Volk w i r d aufgerufen zur Tat. Die Vorgänge sind abgeschlossen, das Tor der Zukunft steht offen. Tretet ein mit entschlossenem Geist und helft mit, den neuen Volksstaat stark und gesichert zu errichten.
N r . 3. A u f r u f der preußischen R e g i e r u n g vom 13. November 1918 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1918, S. 187) An das preußische Volk. Preußen ist wie das Deutsche Reich und die anderen deutschen Bundesstaaten durch den Volkswillen zum freien Staat geworden. Aufgabe der neuen preußischen Landesregierung ist, das alte, von Grund auf reaktionäre Preußen so rasch wie möglich in einen völlig demokratischen Bestandteil der einheitlichen Volksrepublik zu verwandeln. Über die zukünftigen Staatseinrichtungen Preußens, seine Beziehungen zum Reich, zu anderen deutschen Staaten und zum Ausland w i r d eine verfassunggebende Versammlung entscheiden; ihre Wahl erfolgt auf Grundlage des gleichen Wahlrechts für alle Männer und Frauen nach dem Verhältniswahlsystem 1 3 . Volksstaat (1919); J.V.Bredt, Die Trennung von Kirche und Staat (1919); L . Zscharnack, Trennung von Staat und Kirche (1919). 13 Dieser Grundsatz fand Eingang i n die preuß. Verfassung vom 30. November 1920 (GS 543), Art. 9 und wurde ausgestaltet durch das Landeswahlgesetz vom 3. Dezember 1920 (GS 559); vgl. Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 745 ff.
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Bis zum Zusammentritt dieser verfassunggebenden Versammlung hat eine vorläufige Regierung, die getragen ist vom Vertrauen der Arbeiter- und Soldatenräte, die Geschäfte übernommen. Sie sieht ihre erste Aufgabe darin, i m engen Zusammenhang mit der neuen Reichsleitung für die Ordnung und Sicherheit i m Lande und für die Volksernährung zu sorgen. Sie ist dabei angewiesen auf das Verständnis und den guten Willen der Bevölkerung i m allgemeinen und insbesondere auf die gewissenhafte Mitarbeit aller Beamten des Staates und der Selbstverwaltungskörperschaften. Alle Beamten, die sich der neuen Regierung zur Verfügung stellen, sind ausdrücklich in ihren Rechten bestätigt und auf ihre Pflichten hingewiesen worden. Von den zahlreichen Aufgaben, vor die sich das neue, freie Preußen jetzt und i n der Zukunft gestellt sieht, seien nur diese hervorgehoben: Durchführung der uneingeschränkten Koalitionsfreiheit für alle Staatsarbeiter und Beamten. Gründliche Reform der Besoldungs- und Lohnverhältnisse der Arbeiter und Beamten, einschließlich der Pensionäre und Altpensionäre, und bis zur endgültigen Regelung die Gewährung ausreichender Teuerungszulagen. Ausbau aller Bildungsinstitute, insbesondere der Volksschule. Schaffung der Einheitsschule. Befreiung der Schule von jeglicher kirchlichen Bevormundung. Trennung von Staat und Kirche. Demokratisierung aller Verwaltungskörperschaften. Beseitigung der Gutsbezirke. Völlig gleiches Wahlrecht beider Geschlechter für alle Gemeindevertretungen in Stadt und Land. Entsprechende demokratische Umgestaltung der Kreis- und Provinzialverwaltungskörper. Raschester Aufbau und Entwicklung aller Verkehrsmittel, insbesondere der Eisenbahnen und Kanäle. Hebung und Modernisierung von Industrie und Landwirtschaft. Vergesellschaftung der dazu geeigneten industriellen und landwirtschaftlichen Großbetriebe. Umgestaltung der Rechtspflege und des Strafvollzuges i m Geiste der Demokratie und des Sozialismus. Reform des gesamten Steuerwesens nach den Grundsätzen strengster sozialer Gerechtigkeit. Es ist eine ernste und schwere Zeit, in der die neue Regierung an ihre Arbeit gehen muß. Bedrückend ist die Fülle der Aufgaben, vor die sie sich gestellt sieht. I n den vier Jahren des furchtbaren Krieges haben sich die menschlichen und wirtschaftlichen Kräfte des Landes erschöpft. Nur durch einmütiges Zusammenstehen des gesamten Volkes kann der Untergang abgewendet werden. Nur so können wir denen, die jetzt aus dem Felde zurückkehren sollen, zwar nicht ihre Leiden und Opfer vergelten, wohl aber die Fortsetzung dieser Leiden ersparen. Nur so können wir das Gespenst des Hungers bannen, das vornehmlich unsere Frauen, Kinder und Kranken schon jetzt auf das schwerste bedroht. Was wir alle haben wollen: Freiheit, Frieden und Brot, kann nur gesichert werden, wenn das wirtschaftliche Leben in Stadt und Land aufrechterhalten bleibt.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes N r . 4. A u f r u f der sächsischen R e g i e r u n g a n das sächsische V o l k vom 18. November 1918 (Fr. Purlitz,
Die deutsche Revolution, Bd. I, 1919, S. 103f.) — Auszug —
. . . Die Trennung der Kirche vom Staat ist durchzuführen. Den Religionsgemeinschaften w i r d volle Freiheit gewährt. Die Schule ist von politischer und kirchlicher Bevormundung zu befreien. Die Volksschule ist unter fachmännischer Aufsicht zur Einheitsschule auszugestalten. ...
N r . 5. D e n k s c h r i f t v o n A l f r e d D i e t e r i c h f ü r das preußische K u l t u s m i n i s t e r i u m über die T r e n n u n g der K i r c h e n v o m S t a a t vom November 1918 (Abschrift: Zentrales Staatsarchiv Merseburg Rep. 76 I I I Sekt. 1 Abt. X V I I 212, Beih. I ) 1 4 — Unveröffentlicht — Die Trennung der Kirchen vom Staat, die man sachlich auch die Aufhebung der Staatsbeiträge an die Kirchen oder die Verselbständigung der Kirchen und Kultusgemeinden nennen kann, ist eine Aufgabe, die sich aus der bisherigen preußischen Verfassung, in welcher der Grundsatz der Staatskirche aufgegeben ist 1 5 , mit logischer Notwendigkeit ergibt. Seit Aufstellung dieses Grundsatzes von der allgemeinen Glaubens- und Gewissensfreiheit ist inzwischen über ein halbes Jahrhundert ins Land gegangen und eine in der Geschichte unerhörte geistige und politische Entwicklung hat bei uns ihren Weg gemacht. Die in den Kirchen, insbesondere in den Gemeinden der protestantischen .Landeskirchen gebundenen Kräfte drängen schon lange und mit wachsendem Ungestüm nach weiterer Entwicklung und Entfaltung, an der sie nach aller bisherigen Erfahrung von der privilegierten Bekenntniskirche verhindert worden sind. Es liegt sonach nicht allein i m Interesse der restlosen Sicherung der Glaubens14 Die Veröffentlichung dieses bisher nicht publizierten Textes geschieht hier i m Namen von Jonathan R. C. Wright, der die Druckerlaubnis i m Zusammenhang seiner Studien über die politische Haltung der protestantischen Kirchenführer während der Weimarer Zeit erhalten hat und diese Druckerlaubnis entgegenkommenderweise i m Rahmen unserer Quellenveröffentlichung wahrnimmt. Vgl. J.R.C. Wright , „Über den Parteien". Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918-1933 (engl. 1974, dt. 1977), S. 13, Anm. 7 und S. 244. Siehe ferner F. ThimmeIE. Rolffs (Hrsg.), Revolution und Kirche. Zur Neuordnung des Kirchenwesens i m deutschen Volksstaat (1919), S. 30ff.; J. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik. Der preußische Protestantismus nach dem Zusammenbruch von 1918 (1976), S. 62ff.; K. Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932 (1981), S. 23 ff. Vgl. auch H.Hürten, Die Kirchen i n der Novemberrevolution (1984), bes. S. 37ff. 15 Gemeint sind die staatskirchenrechtlichen A r t i k e l der preußischen Verfassung von 1850 (Staat und Kirche Bd. II, Nr. 11).
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und Gewissensfreiheit, sondern auch i n dem einer gesunden Fortentwicklung der Religion sowohl wie des geisteswissenschaftlichen und geistigen Strebens überhaupt, die Kirchen aus der bisherigen staatlichen Gebundenheit durch eine wohlverstandene und gewissenhafte Scheidung der Interessen zu befreien. Die Trennung muß erfolgen unter konsequenter reinlicher Anwendung des Grundsatzes von der unbedingten Gewissens- und Glaubensfreiheit des Staatsbürgers und in einer Weise, die den bisherigen religiösen Organisationen, gleichgültig welcher Art, Leben und Wirken ohne die ideelle noch materielle Hilfe des Staates unter der Aufsicht des ihnen übergeordneten Staates ermöglicht und unter Vorsehung von Sonderbestimmungen gegen Störungen des staatsbürgerlichen Beieinanderlebens und des konfessionellen Friedens, insbesondere infolge der Ansprüche der katholischen Kirche (Jesuiten) 16 . Wieweit eine Inangriffnahme des Werkes an sich angesichts der gegenwärtigen unruhigen Zeiten sich empfiehlt, hängt letzten Endes von den politischen Kräften ab, die durch die Ankündigung der Trennung bei den gewiß noch zahlreichen Gegnern des Trennungsgedankens mit Bestimmtheit ausgelöst werden, Kräfte, mit denen auch wegen anderer politischer Gegensätze gerechnet werden muß. Die nachstehenden Aufstellungen ergeben sich aus der konsequent durchgeführten, an der geschichtlichen Erfahrung orientierten Forderung der unbedingten Freiheit des Glaubens und der Gewissen und wollen nur mit dieser Voraussetzung verstanden sein. I m Augenblick handelt es sich in klarer Erkenntnis des vorstehenden Zieles u m die einleitenden Maßnahmen zur Bewältigung der großen Aufgabe, die nur i n — auch organisatorisch und verwaltungstechnisch — sorgfältig vorbereiteten Etappen durchgeführt werden kann. Grundsätzlich darf dabei auf rein historische „Rechte" und Verhältnisse letzten Endes nur die notwendigst gebotene Rücksicht genommen werden, jedenfalls nicht mehr, als nach der jeweiligen Sachlage, ohne Beeinträchtigung des Werkes i m Interesse der Allgemeinheit zugestanden werden kann. Wo klare und mit der Landesverfassung nicht kollidierende gesetzliche Bestimmungen insbesondere aus der neueren Zeit einer Neuordnung entgegenstehen, ist an eine spätere Regelung mit Hilfe der ordentlichen Gesetzgebung zu denken. Was aber irgend durch ministerielle Verfügung geregelt werden kann, ist i n Angriff zu nehmen und begründet mit der Notwendigkeit, dem in der Preußischen Verfassung garantierten, bisher vielfach vernachlässigten Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit wegen der deswegen in weitesten Kreisen heute wie je vorher bestehenden gefährlichen Erbitterung und Erregung zur Durchführung zu verhelfen. Deshalb in der Schule: sofortige Aufhebung der Zwangsverpflichtung insbesondere für Dissidentenkinder zum Besuch des konfessionellen Religionsunterrichts. Der Religionsunterricht einschließlich des sogenannten Konfirmationsunterrichts ist fakultativ. Einfache 16 Zum Verbot des Jesuitenordens i m Jahr 1872 und dessen schließlicher Aufhebung i m Jahr 1917: Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 260-264; Bd. III, Nr. 140-145, 188-199, 205-206.
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schriftliche Mitteilung des Erziehungsberechtigten oder seines Vertreters an Schulleitung oder Klassenlehrer genügt. Nachweis eines Ersatzunterrichts ist bis auf weiteres nicht erforderlich. (Einrichtung einer besonderen allgemeinen fakultativen Unterweisung ohne konfessionelle Grundlagen als Ersatz für den aus dem Unterrichtsplan ausscheidenden konfessionellen Religionsunterricht nach Abschluß der hierzu erforderlichen Vorarbeiten. Es erscheint nicht erwünscht, die Jugend ohne irgendwelche Hinweise auf Menschheitsideale und -ziele und weltenbewegende erhabene Gedanken aufwachsen zu lassen, besonders nicht i m Hinblick auf die Gefahr der Verarmung des Gemüts, die ohne solche Unterweisung mit Wahrscheinlichkeit eintreten müßte.) Ausarbeitung von Unterrichtsplänen mit Beschränkung des allerorts bestehenden reichlichen, allzureichlichen Religionsunterrichts auf wöchentlich etwa zwei Stunden, sowie des Konfessionell-Dogmatischen und des Auswendiglernens nach Katechismus, Bibel und Gesangbuch auf das Aller not wendigste. Ausscheiden des rein Begrifflichen (Gott, Heiliger Geist, Erlösung, Dreieinigkeit usw.) bzw. vernünftige Anpassung an die Lebensalter. Für die frei werdenden Unterrichtsstunden allgemeine staatsbürgerliche und vernünftige geschichtliche Unterweisung und was dazu gehört unter besonderer Berücksichtigung der Ideen und Ziele des Sozialismus. Einführung von religionsgeschichtlichem vergleichendem Unterricht auf der Grundlage der grundsätzlichen ideellen Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Religionen spätestens in der letzten Klasse der Volksschule und i n den Oberstufen aller übrigen Unterrichtsanstalten; Hervorhebung des etwaigen idealen, politischen und praktischen Wertes und der Bedeutung von Religionen und Weltanschauung für die Menschheit und ihre Entwicklung und i m Besonderen der geschichtlichen Religionen für das Deutsche Volk unter Differenzierung und Ausgliederung je nach Aufbau und Ziel der Unterrichtsanstalt. (Im übrigen alsbaldige Anpassung des Unterrichtsplanes i n der Volksschule an die ihren Oberbau künftig bildenden (reformierten) höheren Schulen, zum Ziel der Einheitsschule). Erschwerung der Genehmigung weiterer öffentlicher oder privater konfessioneller Schulen, wo dies möglich ist. Sofortige allgemeine staatliche Schulaufsicht überall da, wo irgend ihre Einrichtung und die Aufhebung der geistlichen Schulinspektion möglich ist und unter Ausscheidung der Theologen. In der Rechtsprechung: Aufhebung des religiösen Eideszwanges. Bei Gewissensbeschwerungen bis zur endgültigen Regelung der Eidesfrage Versicherung an Eidesstatt (mit gleichen prozessualen und strafrechtlichen Folgen) zulässig. (Später Einführung des wahlweisen konfessionellen Eides und einer unreligiösen (bürgerlichen) Eidesformel.) Müdeste Handhabung des § 166. Seine Aufhebung und Ersetzung durch eine den Schutz des Kultus usw. betreffende Bestimmung bei Gelegenheit der Strafprozeßreform 1 7 . 17 Nach § 166 StGB alter Fassung machte sich strafbar, wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgernis gibt, wer
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In der Kirche: Aufhebung des aus Anlass des Falles Traub gebildeten Spruchkollegiums (mit der Begründung, daß diese Instanz durch die freiwillige praktische Aufhebung des Urteils i m Fall Traub und die bedingungslose Wiedereinsetzung von Traub in sein geistliches A m t sich selbst überflüssig gemacht hat) 1 8 . Erlaubnis zum fakultativen Gebrauch von Apostolikum und übriger Liturgie i m Gottesdienst nach Gewissen und Ermessen des Geistlichen. (Dies ist bester „Sauerteig" zur selbsttätigen praktischen Vorbereitung der Trennung und zur Bildung freier kirchlicher Gemeinden) 1 9 . (Erwünscht ist, daß die vorstehenden beiden Verfügungen durch den zunächst zuständigen Oberkirchenrat erlassen werden.) Grundsätzliche Ablehnung aller neuen Kosten und Kostenbeiträge für Pfarrersteilen und sonstige kirchliche Zwecke durch Staat und politische Gemeinden 2 0 . Beginnende Ausmagerung des Kultusbudgets i m neuen Etatsjahr durch Einziehung i n erster Linie der außerplanmäßigen Zuwendungen an wohlhabende Gemeinden und Anstalten mit der Begründung, daß für reine Volksbildungszwecke ein dringender Bedarf an Mitteln erwachsen ist. Ob und wieweit auch den schwachen, d. h. lebensunfähigen Gemeinden diese Zuschüsse zu entziehen sind, müßte nach Lage der jeweiligen besonderen Verhältnisse entschieden werden. Schärfere Überwachung der Kirchenaufsichtsbehörden und -gemeinden mit Bezug auf die i n der Verfassung des preußischen Staates garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit. Und anderes mehr. Die weiteren
Etappen,
die zum Teil an wichtige Voraussetzungen der in Vorbereitung befindlichen neuen Verfassung i m Reich und in Preußen geknüpft sind, verfolgen das Ziel der vollständigen und praktischen Mediatisierung der Kirchen und des unmittelbaren kirchlichen Einflusses in Staat und Gemeinden, soweit er durch die bisherige Vereinigung von Staats- und Kircheninteressen, durch Landeskirchentum, Staatsöffentlich eine der christlichen Kirchen oder öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgesellschaften bzw. ihre Einrichtungen oder Gebäude beschimpft, schließlich wer in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Ort beschimpfenden Unfug verübt. Die Neufassung durch das Erste Strafrechtsreformgesetz vom 25. Juni 1969 (BGBl. I, 645) beschränkt die Strafverfolgung auf die Beschimpfung von Bekenntnissen, Kirchen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen in einer den öffentlichen Frieden störenden Weise. 18 Die Meinung, daß das preußische Lehrbeanstandungsgesetz vom 16. März 1910 (Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 331) aus Anlaß des Falls Traub erlassen worden sei, ist unzutreffend. Zu diesem Fall selbst: ebenda Nr. 342-349. 1918 wurde Traub nicht etwa in „sein geistliches A m t " (als Pfarrer der Reinoldi-Gemeinde i n Dortmund), sondern i n die „Rechte des geistlichen Standes" wiedereingesetzt (ebenda Nr. 348). 19 Zu den Auseinandersetzungen u m den liturgischen Gebrauch des Apostolikums: ebenda Nr. 282-304. 20 Zum kirchlichen Finanzwesen in Preußen: ebenda Nr. 15-34.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
Christentum und anderes bewirkt worden ist. Es ist nicht möglich, alle Einzelheiten hier in dieser kurzen Anführung anzudeuten, daher Beschränkung auf das Wesentliche und die Hauptprobleme in großen Zügen. Die zu schaffenden gesetzlichen Bestimmungen hätten sich an folgende Richtlinien zu halten, wenn die Notwendigkeit einer reinlichen Trennung anerkannt wird; der Grad der Anerkennung w i r d von den gesetzgebenden Instanzen abhängen. Alle Kirchen und Kultgesellschaften sind private Religions-Genossenschaften (Vereine) und stehen unmittelbar unter Aufsicht des Staates, dessen Gesetze sie zu beobachten haben. Alle Vorrechte der Kirchen und Kirchendiener sind hinfallig. Förderung einzelner Religionsvereine oder Gemeinden durch Staat oder politische Gemeinde ist unzulässig. Für die Bestreitung der Bedürfnisse der Religionsgesellschaften kommen ausschließlich diese selbst bzw. ihre Mitglieder auf. Neue Stiftungen von Liegenschaften sind unzulässig (eventuell unterliegen der staatlichen Genehmigung), solche beweglichen Werte von 5 000 Μ an sind an die vorherige staatliche Genehmigung gebunden. Auflösung aller staatlichen Kirchenbehörden. Die Kirchen und kirchlichen Gemeinden schaffen sich ihre Behörden und Organe selbst und aus eigenen Mitteln. Aufhebung der theologischen Fakultäten und Überführung der Religions-Wissenschaften, soweit dies möglich ist, als historische Disziplinen i n die philosophischen und Rechtsfakultäten. Ausbildungsanstalten für die unmittelbar konfessionellen und kultischen Bedürfnisse durch eigene Anstalten der einzelnen Hauptkirchen. Gewährleistung der freien Kultusübung (nur religiöse Kundgebungen und Prozessionen auf öffentlichen Verkehrsstraßen sind grundsätzlich nicht gestattet). Einrichtung und Unterhaltung der örtlichen Kirchengemeinden aus dem etwaigen kirchengemeindlichen eigenen Besitz und aus den Beiträgen ihrer eingeschriebenen Mitglieder, die sich, wie die einzelnen Hauptkirchen, ihre Verfassung, Organisation und Verwaltung selbst geben und regeln. Die zur Gültigkeit aller kirchlichen Verordnungen und Bestimmungen erforderliche Genehmigung darf nur verweigert werden, wenn mit dem Wortlaut und Geiste der Reichs- und der betreffenden Landesverfassung i m Widerspruch. Schärfere Beaufsichtigung der katholischen kirchlichen Tätigkeit, insbesondere derjenigen der Orden. Zur Wahrung des konfessionellen Friedens, angesichts der Ansprüche der römischen Kirche vollständiger Ausschluß des Jesuitenordens aus dem Reich 2 1 . Nach Möglichkeit keine Verträge mit der Kirche 2 2 . Abschaffung des Konkordats 2 3 . Staatshoheit steht über Kirchenhoheit. Unterwerfung der Kirche als Gesellschaft unter Staatsrecht und Gesetz.
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Oben Anm. 16. Dazu unten S. 293ff., 672ff. 23 Ein förmliches Konkordat bestand 1918 nur für Bayern (Konkordat vom 5. Juni 1817: Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 73). Württemberg und Baden hatten von ihren Konkordaten zurücktreten müssen, da die II. Kammern die Zustimmung verweigert hatten (Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 73-76, 91-95). A n der Stelle eines Konkordats standen für Preußen die Bulle De salute animarum und das Breve Quod de fidelium, beide vom 16. Juli 1821 (Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 91 f.). Der Sache nach handelte es sich u m ein Konkordat, nämlich u m zwischen Staat und Kirche vereinbarte päpstliche Verlautbarungen zur Z i r k u m s k r i p t e n der Diözesen und zum Verfahren der Bischofswahl (siehe insbesondere ebenda Nr. 90). 22
II. Die Trennung von Staat und Kirche
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Für Geistliche nur aktives, kein passives Wahlrecht zu außerkirchlichen Parlamenten. Wegfall der Konfessionsangabe bei polizeilichen und sonstigen Ermittlungen. Umwandlung der rein kirchlichen, soweit möglich, i n rein staatliche (bürgerliche) Feiertage und Naturfeste. (Sonnwendfeste, Erntefest, Totenfest, 1. Mai usw.). Es erscheint gegenüber der bisherigen Pflege der Unnatur und der Ausschaltung der Natur i m kirchlichen Leben notwendig, das Volk durch natürliche (Natur-) Feste wieder mehr mit der Natur in Beziehung zu bringen und auf den naturkultischen Ursprung aller Feste hinzuweisen. Außerdem: Fest der Unabhängigkeit (9. November). Abfindung der bisher vom Staate besoldeten Kirchendiener, am einfachsten durch Zahlung der zustehenden Pension oder auch anderer nach Lebens- und Dienstalter und Familienversorgungspflichtigkeit abgestufter Sätze, die bei Wiederverwendung durch die sich bildenden privaten Kirchengemeinden oder i m Staats- oder politischen Gemeindedienst u. ä. wegfallen. Durchführung der Abfindung in sozialem Geist. Dagegen grundsätzlich vollständige Zurückgewinnung des kirchlichen Besitzes für den Staat und die Allgemeinheit, insbesondere des Boden-, Gebäude- und sonstigen, beweglichen und unbeweglichen Besitzes der toten Hand einschließlich der zur unmittelbaren Ausübung des Kultus erforderlichen Kirchengebäude, des Kunstbesitzes usw. Über die Verwendung des also gewonnenen Besitzes besondere Vorbehalte. Die Kirchengebäude einschließlich der inneren Einrichtungen usw., die Pfarrerwohnungen verbleiben den bisherigen Kirchengemeinden, sofern sie sich in private Kultgenossenschaften umgewandelt haben, gleichfalls der besonders auf dem Lande übliche Pfarrgarten i m Umfang von höchstens einem Morgen Land zur Nutznießung. Alle örtlichen Privilegien werden aufgehoben. Hypothekarische Lasten auf Kirchengebäuden und kirchlichen Einrichtungen können nur unter besonderen Voraussetzungen anerkannt werden. Der Besitz der Kirchen, Kirchengemeinden und Orden an Kapitalgeld, soweit er als übermäßig und über den Umfang der Bedürfnisse der betreffenden Gemeinden als hinausgehend angesehen werden darf, kann ebenfalls und angesichts des Riesenbedarfs an Geld i m Reich und in den Bundesstaaten enteignet werden. Übergang der kirchlichen Armenlasten auf Staat und politische Gemeinden. Steuerpflicht der Kirche. Vollständige Verweltlichung des Bestattungswesens und Übernahme der Friedhöfe kirchlichen Besitzes, gegebenenfalls gegen Übernahme der darauf ruhenden Lasten abzüglich der bisherigen Einnahmen aus Grabstättenverkauf i n die Verwaltung der politischen Gemeinden. Keine konfessionellen Friedhöfe mehr, auch keine Verweigerung angemessener Bestattungsformen für solche, die unter außerordentlichen Umständen gestorben sind (Selbstmörder und andere). Aufhebung des geistlichen Redeprivilegs bei Bestattungen ohne Rücksicht auf die derzeitigen Besitz Verhältnisse der Friedhöfe.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
N r . 6. R i c h t l i n i e n A d o l p h H o f f m a n n s f ü r die A r b e i t des preußischen Kultusministeriums vom 27. November 191824 (Die Freiheit, Jg. 1, Nr. 28 vom 30. November 1918, S. 5 = Beilage zur Freiheit, S. 3) — Auszug —
A. Allgemeines 1. Die Trennung von Kirche und Staat ist grundsätzlich ausgesprochen. Eine Denkschrift ist ausgearbeitet 25 , eine Kommission w i r d vorbereitet 2 6 . 2. Religion ist nicht mehr Prüfungsfach, die Einführung des konfessionslosen Moralunterrichts w i r d vorbereitet 2 7 . 3. Die geistliche Ortsschulaufsicht ist aufgehoben. Die nebenamtliche Kreisschulinspektion durch Geistliche ist aufgehoben 28 . Sämtliche Stellen für Kreisschulinspektoren sind künftig hauptamtlich. 4. Die gemeinsame Erziehung von Knaben und Mädchen ist i n einzelnen Fällen schon jetzt erfolgt. 5. Lehrer und Schüler erhalten Selbstverwaltungsbefugnisse. 6. Jeglicher Chauvinismus ist aus dem Unterricht, zumal aus dem Geschichtsunterricht, verbannt. 7. Preußen wird den Zusammentritt einer Reichsschulkonferenz beantragen 29 . 8. Die Einheitsschule ist gesichert. Mit dem Abbau der Standesschulen (Vorschulen) w i r d sofort begonnen. 9. Das Rektorat w i r d seines autokratischen Charakters entkleidet und i m kollegialen Sinn ausgebaut. 10. Die Schulbehörden sind angewiesen, die Erörterungen schul- und kulturpolitischer Gegenstände i m Geiste der neuen Zeit unter den Lehrerverbänden auch auf amtlichen Konferenzen anzuregen und zu fördern. ...
24 Bei J. V. Bredt, Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen (1922), S. 18, Anm. 1 versehentlich auf den 27. Dezember 1918 datiert. 25 Oben Nr. 5. 26 Gemeint ist die Kommission zur Trennungsfrage, der unter dem Vorsitz des Regierungsbeauftragten für die evangelische Kirche Wessel (siehe unten S. 42, Anm. 1) die Vorsitzenden des Monistenbundes Helene Stöcker und Georg Graf Arco, der Vorsitzende des Komitees „Konfessionslos" Dr. Bange und der Totengräber der Freireligiösen Gemeinden Berlins angehörten (Christi. Welt, 1919, Sp. 60; C. Motschmann, Evangelische Kirche und preußischer Staat i n den Anfängen der Weimarer Republik, 1969, S. 29). 27 Unten Nr. 48. 28 Unten Nr. 43. 29 Unten Nr. 147 f.
II. Die Trennung von Staat und Kirche
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B. Lehrer 16. Kein Lehrer darf mehr zur Erteilung von Religionsunterricht gezwungen werden. 20. Wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugung Gemaßregelte sind wieder einzustellen. 22. Zu Kreisschul-Inspektoren sollen bewährte Lehrer auch ohne besondere Examina berufen werden. C. Universitäten 23. Hervorragende wissenschaftliche Vertreter des Sozialismus und anderer bisher systematisch ferngehaltener Lehrrichtungen sollen auf akademische Lehrstühle berufen werden. 24. Das i m großen Stil auszubauende Volkshochschulwesen w i r d i n organische Beziehung zu Schulen und Hochschulen gesetzt. 25. Die Reorganisation der Technischen Hochschulen erfolgt in enger Verbindung mit den Universitäten. 26. Die soziale, rechtliche und finanzielle gehoben werden.
Stellung der Privatdozenten soll
27. Die akademische Lehrfreiheit w i r d von den letzten Fesseln befreit. 28. Lehrstühle und Forschungsinstitute für Soziologie werden eingerichtet. D. Allgemeine
Kulturbestrebungen
29. Das Theaterwesen untersteht dem Kultusministerium. Eine Theaterzensur besteht nicht mehr.
N r . 7. S t e l l u n g n a h m e v o n K o n r a d Haenisch zu den R i c h t l i n i e n v o n Adolph Hoffmann vom 7. Dezember 1918 (Kölnische Volkszeitung vom 7. Dezember 1918) „Die Freiheit" bringt unter der Überschrift „Erreichtes und Erstrebtes" eine umfangreiche Liste der Reformpläne des Kultusministeriums 3 0 . Es w i r d ausdrücklich festgestellt, daß es sich dabei lediglich u m eine in aller Eile entworfene und zusammengesetzte tabellarische Übersicht für den engsten Dienstgebrauch handelt, der keinesfalls irgendwelche offizielle oder auch nur offiziöse Bedeutung beizumessen ist. Das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung muß es entschieden ablehnen, auf den genannten Programmentwurf, der keineswegs zur Veröffentlichung i n der Presse bestimmt war, festgelegt zu werden. Eine amtliche Darstellung des Kultus- und Schulprogramms w i r d zur gegebenen Zeit erfolgen. 30
Oben Nr. 6.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
I I I . Kirchliche Proteste gegen die Trennung von Kirche und Staat Die angekündigte Trennung von Kirche und Staat rief lebhafte kirchliche Proteste hervor. Schon am 19. November 1918 wandte sich der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, der Kölner Erzbischof Kardinal Hartmann 1, mit einem Protestschreiben an die preußische Regierung (Nr. 8). Namens der preußischen Bischöfe bezeichnete er die geplante Trennung von Staat und Kirche als einen ,flagranten RechtsbruchEine Erwiderung der preußischen Regierung vom 3. Dezember, unterzeichnet von den beiden der SPD beziehungsweise der USPD angehörenden Vorsitzenden des preußischen Staatsministeriums Hirsch 2 und Ströbel 3, konnte die kirchliche Empörung nicht beschwichtigen (Nr. 13). Der Protest des Kölner Kardinals fand alsbald die Unterstützung der römischen Kurie. Schon das Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Gasparri 4 an Hartmann zeigte, wie eng der Widerstand gegen die Trennung von Staat und Kirche mit dem Kampf um die christliche beziehungsweise konfessionelle Schule und um den Religionsunterricht verknüpft war (Nr. 14)5. Dem Kölner Erzbischof schlossen sich die anderen deutschen Bischöfe an. Ihr Protest fand seinen ersten zusammenfassenden Ausdruck in dem Hirtenschreiben der bayerischen Erzbischöfe und Bischöfe vom 17. Dezember 1918 (Nr. 15); ihm folgte, nur wenige Tage später, das Hirtenschreiben der preußischen Erzbischöfe und Bischöfe vom 20. Dezember 1918 (Nr. 16). Diese Hirtenschreiben, die Ende Dezember 1918 von allen Kanzeln verlesen wurden, waren wichtige Mittel zur Mobilisierung der katholischen Bevölkerung gegen die angekündigten Trennungsmaßnahmen. Widerstand gegen diese Maßnahmen entwickelte sich auch in den evangelischen Kirchen. In einzelnen Fällen waren die Protestaktionen der Kirchen aufeinander abgestimmt 6. Noch im November 1918 wandten sich die leitenden Gremien der altpreußischen Landeskirche 7 mit einer Ansprache an die Gemeinden, in der sie sich gegen jede Durchführung von Trennungsmaßnahmen auf dem Wege des Verfassungsbruchs verwahrten (Nr. 12). Zur gleichen Zeit trat die Generalsynode 1
Staat und Kirche, Bd. III, S. 858f. Paul Hirsch (1868-1940), Jurist; seit 1900 sozialdemokratischer Stadtverordneter in Charlottenburg; 1908-18 MdprAH. I m Ersten Weltkrieg Mehrheitssozialist; 1919 MdprLVers; 1919-33 MdprLT. Vom November 1918 bis März 1920 preuß. Ministerpräsident; 1921-25 Stellv. Bürgermeister von Charlottenburg; 1925-32 Bürgermeister von Dortmund. 3 Heinrich Ströbel (1869-1945), seit 1892 Redakteur an sozialdemokratischen Zeitungen in Kassel und Kiel; 1906-16 leitender Redakteur am „Vorwärts"; 1908-18 MdprAH. I m Ersten Weltkrieg Mitglied der USPD; deshalb aus dem „Vorwärts" ausgeschieden. Vom 11. November 1918 bis 3. Januar 1919 neben Hirsch Vorsitzender des preuß. Staatsministeriums. Seit 1922 wieder i n der SPD (linker Flügel); 19241932 MdR. Seit 1933 in der Emigration in der Schweiz. 4 Staat und Kirche, Bd. III. S. 493, Anm. 4. 5 Dazu unten S. 59 ff. 6 Dazu J. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik (1976), S. 66ff. 7 Über die „Vertrauensmänner", die neben Oberkirchenrat und Generalsynodalvorstand als Autoren der Ansprache genannt sind, siehe unten S. 535 ff. 2
III. Kirchliche Proteste gegen die Trennung von Kirche und Staat
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der badischen Landeskirche zusammen, die ihren Dank an Großherzog Friedrich II. 8, der mit dem Thronverzicht auch das landesherrliche Kirchenregiment verloren hatte 9, mit der an die neuen Inhaber der Staatsmacht gerichteten Warnung vor tiefgreifenden Einschnitten in die rechtliche Stellung der Kirche verband (Nr. 11). Mit besonderer Schärfe trat auch die schleswig-holsteinische Gesamtsynode in ihrer Kundgebung vom 23. Dezember 1918 den geplanten oder bereits eingeleiteten Trennungsmaßnahmen entgegen (Nr. 17). Die Ankündigung der neuen staatlichen Instanzen, Staat und Kirche voneinander zu trennen, überlieferte kirchliche Privilegien aufzuheben und den Kirchen die Stellung privatrechtlicher Vereine zu geben, mußte bei den kirchlichen Behörden vorrangig die Frage aufwerfen, welche Folgen die Durchführung dieses Programms für die materielle Existenz der kirchlichen Institutionen, insbesondere die Besoldung der Pfarrer haben würde 10. Neben diesen finanziellen Auswirkungen galt ihre Aufmerksamkeit insbesondere den Folgen der staatlichen Kirchenpolitik für das Verhältnis von Kirche und Schule, vor allem für den Religionsunterricht 11. Die kirchlichen Verbände und Parteien betonten ebenfalls, welche negativen Auswirkungen vom revolutionären Trennungsprogramm zu befürchten seien. Doch hoben sie daneben Aussichten auf die Neugestaltung der kirchlichen Verfassungsordnung und Verfassungswirklichkeit hervor, die sich bei einem radikalen Einschnitt in das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Kirche ergeben konnten (Nr. 9, Nr. 10). Die Jahreswende 1918/19 brachte einen Kurswechsel in der gesamtpolitischen wie in der kirchenpolitischen Situation des Reichs wie der einzelnen deutschen Staaten 12. Für Preußen leitete das Ausscheiden der von der USPD gestellten Minister aus dem Kabinett (3. Januar 1919) den Umschwung ein. Die Umorientierung der preußischen Kirchenpolitik nach dem Rücktritt des Kultusministers Adolph Hoffmann kündigte sich in dem Schreiben an, mit dem das Staatsministerium am 9. Januar 1919 den Protest des preußischen Oberkirchenrats beantwortete (Nr. 18). Die preußische Regierung verpflichtete sich, die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche durch Akte der Verfassungsgesetzgebung oder der einfachen Gesetzgebung erfolgen zu lassen, denen Verhandlungen mit den kirchlichen Organen vorauszugehen hätten. Damit war das Verfahren angekündigt, aus dem die Veränderung der staatlich-kirchlichen Beziehungen im Jahr 1919 insgesamt hervorgehen sollte 13.
8 Friedrich II. (1857-1928), übernahm nach der langen Regierungszeit seines Vaters Friedrich I. (Prinzregent 1852, Großherzog 1856) das A m t des Großherzogs von Baden i m Jahr 1907; 1918 Thronverzicht; er starb i n Badenweiler. 9 Dazu unten S. 48. 10 Dazu unten Nr. 119. 11 Dazu unten Nr. 49 if. 12 Dazu insgesamt Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 777. 13 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 888ff.; F. Thimme, Das Verhältnis der revolutionären Gewalten zur Religion und zu den Kirchen, in: F. Thimme IE. Rolffs (Hrsg.), Revolution und Kirche (1919) S. Iff.; G. Mehnert, Evangelische Kirche und Politik 1917-19 (1959); H. Lutz, Demokratie i m Zwielicht. Der Weg der deutschen Katholiken aus dem Kaiserreich i n die Republik (1963); H. Müller, Der deutsche Katholizismus 1918/19 (Geschichte i n Wissenschaft und Unterricht 17, 1966, S. 521 ff.); G. Köhler, Die Auswirkungen der Novemberrevolution von 1918 auf die altpreußische evangelische Landeskirche (Diss. Berlin 1967); C. Motschmann,
2 Huber
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes N r . 8. Protestschreiben des Erzbischofs v o n K ö l n , K a r d i n a l v. H a r t m a n n , a n die preußische R e g i e r u n g vom 19. November 1918 (Eigenhändiger E n t w u r f des Kardinals — Archiv des erzbischöflichen Generalvikariats, Köln, Gen. 23,23) — Unveröffentlicht —
Wie mir zuverlässig mitgetheilt wird, beabsichtigt die gegenwärtige Regierung, bereits in den nächsten Tagen durch eine Verordnung die Trennung von Staat und Kirche zum 1. A p r i l 1919 einzuführen. Hiergegen lege ich namens der sämmtlichen Bischöfe Preußens feierlich Verwahrung ein, weil die geplante Maßnahme ein flagranter Rechtsbruch ist. Denn 1. ist die gegenwärtige Regierung nur eine vorläufige, die höchstens befugt ist, i m Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung die erforderlichen Anordnungen zu treffen — nicht aber kann sie als berechtigt angesehen werden, bestehende Gesetze aufzuheben. 2. Durch die geplante Trennung w i r d nicht nur eine ganze Reihe geltender Gesetze, sondern auch die Verfassungsurkunde verletzt. 3. Durch die Trennung w i r d die katholische Kirche zahlreicher wohlerworbener Rechte beraubt, die ihr gesetzlich zugesichert sind auf Grund von rechtsverbindlichen Verträgen und auf Grund der Ersatzpflicht für Güter, die ihr durch staatliche Gewalt genommen sind. 4. Wenn beabsichtigt wird, die Trennung auf dem Wege einer bloßen Verordnung und nicht durch die Gesetzgebung zu vollziehen, so ist das keine gesetzliche Maßnahme, sondern ein A k t willkührlicher Gewalt.
N r . 9. E r k l ä r u n g des Arbeitsausschusses der A l l g e m e i n e n Evangelisch-Lutherischen Konferenz z u r T r e n n u n g v o n S t a a t u n d Kirche vom 26. November 1918 (Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung, 51, 1918, Sp. 1035 f.) — Auszug — Nachdem nach den bisherigen Kundgebungen der gegenwärtigen Machthaber, wie es scheint, überall die Trennung der Kirche vom Staat bestimmt i n Aussicht Evangelische Kirche und preußischer Staat i n den Anfängen der Weimarer Republik (1969); W. Bredendiek, Zwischen Revolution und Restauration. Zur Entwicklung i m deutschen Protestantismus während der Novemberrevolution und der Weimarer Republik (1969); M. Greschat, Der deutsche Protestantismus i m Revolutionsjahr 1918-19 (1974); J. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik. Der preußische Protestantismus nach dem Zusammenbruch von 1918 (1976); K.Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, B d . I . (1977), S. 3ff; K.Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932 (1981); H.Hürten, Die Kirchen i n der Novemberrevolution (1984).
III. Kirchliche Proteste gegen die Trennung von Kirche und Staat
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genommen wird, unterbreiten w i r unseren Mitgliedern für ihre Stellungnahme zur Sache die folgenden Gesichtspunkte. 1. Auch i m gegenwärtigen Augenblick ist nicht etwa von uns eine gewaltsame Trennung der Kirche vom Staat zu fordern. Wenn also etwa gewünscht ist, daß die Kirche dem Staate jetzt dadurch zuvorkommen solle, daß sie ihrerseits die Trennung ausspreche, so ist das bestimmt abzulehnen. I n der gegenwärtigen Lage könnte die Kirche sowohl u m ihretwillen als auch u m des Staates willen am wenigsten die Verantwortung dafür übernehmen, daß ein durch Jahrhunderte bestehendes Band einfach gelöst werde, vielmehr muß die Kirche gegen eine einseitige Durchschneidung dieses Bandes ihrerseits Verwahrung einlegen. Wird uns aber die Trennung aufgezwungen, so haben w i r uns darauf mit der Zuversicht einzurichten, daß doch auch in dieser Form die Verselbständigung der Kirche ihr einen doppelten Gewinn bringen werde. Einmal gewinnt die Kirche dadurch eine ungleich größere Bewegungsfreiheit, und dann w i r d auch der Schein unmöglich, als wäre sie nur ein Departement des Staates. 2. Auch heute noch ist von uns grundsätzlich an dem Gedanken einer Volkskirche festzuhalten und demgemäß eventuell die Überführung der bisherigen Kirchenform i n eine staatsfreie Kirchenform als Ziel ins Auge zu fassen 14 . Dabei versteht sich für uns von selbst, daß das kirchliche Bekenntnis die Grundlage für jede Kirchenbildung sein muß. ... 3. Soll die Volkskirche erhalten bleiben, so w i r d es darauf ankommen, zunächst jedenfalls nach aller Möglichkeit an die bestehenden Kirchenformen anzuknüpfen. . . . U m überhaupt eine aktionsfähige Kirche zu haben, scheint es daher dringend erwünscht, daß die i n Kirchenregiment, Synode, Synodalausschuß wie Gemeinden noch vorhandenen Träger der Kirche zunächst auch jetzt als solche anerkannt werden. Zugleich ist dann freilich sofort eine definitive Neuordnung ins Auge zu fassen. Kann aber die Kirche als Kirche nur dann w i r k l i c h lebensfähig sein, wenn sie vom Vertrauen weitester Kreise getragen wird, so ist von vornherein eine breite Heranziehung aller kirchlichen Kreise — insbesondere auch aus dem Arbeiterstand — zu erstreben. 4. I m einzelnen w i r d alles davon abhängen, wie die Trennung der Kirche vom Staate näher erfolgt. Wie es scheint, w i r d sie von den gegenwärtigen Machthabern durchweg i n dem Sinne ins Auge gefaßt, daß die Kirche nur in der Form eines freien Vereins weiter existiere und daher auch finanziell ganz auf sich gestellt wird. Angesichts dieser Sachlage scheint ein Zwiefaches erforderlich. Einmal w i r d es nötig sein, daß die kirchlichen Instanzen mit aller Bestimmtheit die Erwartung aussprechen, daß die Ansprüche, welche die Kirche teils rein rechtlich, teils moralisch geltend zu machen hat, nicht einfach ignoriert werden, und ebenso, daß der Kirche für die Neueinrichtung jedenfalls ein Übergangstadium gewährt wird. Sodann w i r d es darauf ankommen, die Überführung der Kirche i n die Form des Vereins sofort in den Gemeinden vorzubereiten. ... 5. Durch die Verselbständigung der Kirche w i r d auch die Bahn für einen engeren Zusammenschluß derselben frei 1 5 . Es w i r d daher i n unserem Kreis auch rechtzeitig 14 Vgl. dazu die Dokumentation der kirchlichen Erneuerungsbestrebungen bei M. Greschat, Der deutsche Protestantismus i m Revolutionsjahr 1918-19 (1974), S. 143 ff. 15 Dazu unten Nr. 267 ff. 2*
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
zu erwägen sein, wie es etwa zu einem solchen Zusammenschluß kommen könne. Dabei ist von vornherein bestimmt auszusprechen, daß für uns jeder Gedanke eines das Bekenntnis nivellierenden Zusammenschlusses unmöglich ist. ...
N r . 10. Resolution des Deutschen Protestantenvereins z u r T r e n n u n g von Staat und Kirche vom 27. November 1918 (Protestantenblatt, 51, 1918, Sp. 596f.) — Auszug — 1. Der Deutsche Protestanten verein erwartet von jeder Regierung in Deutschland die Anerkennung der Tatsache, daß deutsches Geistesleben von Anbeginn und auf allen seinen Höhepunkten eine Lebens- und Kraftquelle i n der christlichen Religion gehabt hat. Die Nichtachtung dieser Tatsache müßte die schwerste Schädigung des Volkslebens und der Arbeit der Regierung zur Folge haben. ... 2. Die geschichtlich gewordenen Landeskirchen als Träger des evangelischen Christentums sind i n ihrem Besitz und i n ihren Rechten unter allen Umständen zu schützen, nicht nur u m das Rechtsbewußtsein, auf dem die Ordnung jedes Staatswesens beruht, i m Volke nicht zu erschüttern. Wie weit das überlieferte Verhältnis von Kirche und Staat einer Neuordnung bedarf, w i r d von Sachverständigen zu prüfen und nur von einer geordneten Vertretung des gesamten Volkes zu beschließen sein. 3. Wir begrüßen alle Bestrebungen, die mit Rat und Tat die Neuordnung der Kirche zu fordern imstande sind. Vor allem aber sollen die in den Landeskirchen bisher bestandenen Organe der Kirchenleitung (Behörden und Synoden), ergänzt durch i m kirchlichen und kirchenpolitischen Leben führende Persönlichkeiten, die Neuordnung in den Landeskirchen in die Hand nehmen. 4. Die Neugestaltung w i r d überall darauf Rücksicht zu nehmen haben, daß die Verbindung mit anderen Landeskirchen und der Zusammenschluß aller Kirchen zu einer Reichskirche unter Wahrung überlieferten Rechtes und geschichtlich gewordener Sitte möglich und durchführbar bleibt. 5. Der Neuaufbau hat von den Gemeinden aus zu geschehen unter Heranziehung aller mündigen Gemeindeglieder beiderlei Geschlechtes mit geheimem, unmittelbarem Wahlrecht nach dem Grundsatz der Verhältniswahl. 6. Die Kirche hat, wo die Schule dem Religionsunterricht sich versagt, diesen zu übernehmen. ... 7. A n der akademischen und theologischen Vorbildung der Pfarrerschaft ist festzuhalten. Der Fortbestand der theologischen Fakultäten i m Rahmen der Universitäten ist zu fordern, weil die Religion ebenso wie das Rechtsbewußtsein und der Erkenntnistrieb Grundbetätigung des Menschengeistes überhaupt ist und ihre Pflege ganz abgesehen von besonderer Fürsorge durch die Konfessionen zur Pflege des Volksgeistes gehört. Bei Zerstörung der theologischen Fakultäten durch den Staat hat die Kirche solche am Ort von Universitäten und i m engsten Zusammenhang mit deren Vorlesungen einzurichten.
III. Kirchliche Proteste gegen die Trennung von Kirche und Staat
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N r . 11. Beschlüsse der Generalsynode der badischen Landeskirche vom 28./29. November 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S.19f.)
A. 1. Die Generalsynode beauftragt den Evangelischen Oberkirchenrat, seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog Friedrich II. den innigsten Dank zu sagen für den reichen Dienst, den er unserer evang. Kirche als Landesbischof allzeit mit großer Hingabe und Treue und unserm Volk i n gerechter und weiser Regierung und tatkräftiger Liebe erwiesen hat, und ihn zugleich unserer herzlichen Fürbitte zu versichern, daß Gott ihn und sein Haus in diesen schweren Tagen schirmen, ja i h m alles Gute vergelten möchte, besser als w i r es jetzt vermögen. 2. Die Generalsynode beauftragt den Evangelischen Oberkirchenrat, Ihrer Königlichen Hoheit der Großherzogin Luise 1 6 als dem in vielen Jahren bis heute bewährten vornehmsten Vorbild werktätigen evangelischen Christentums, als eifriger Förderin unserer evangelischen Landeskirche i n allen ihren Anstalten und Werken barmherziger Liebe den tiefempfundenen Dank auszusprechen, ihr zu ihrem 80. Geburtstage die Glück- und Segenswünsche unserer Landeskirche zu übermitteln und sie unserer anhaltenden Fürbitte zu vergewissern, daß der treue Gott ihr durch die gegenwärtige bittre Not Schutz und Schirm sein und ihr einen Lebensabend schenken möchte, u m den es Licht ist. 3. Die Generalsynode dankt am Ausgang des Krieges, da fast die ganze Welt wider uns stand, all den wackeren Kämpfern, die draußen und daheim ihre ganze Kraft eingesetzt haben i m Dienst des Vaterlands; sie gedenkt i n tiefer Trauer den vielen Tapferen, die ihr Leben lassen mußten und zumeist in fremder Erde ruhn; sie grüßt die Heimkehrenden mit dem Worte Jesu: „Friede sei mit E u c h " 1 7 ; sie bittet alle Glieder unserer Landeskirche, i n der bevorstehenden Zeit eines unglücklichen Friedens unverzagt des Glaubens zu leben, daß Gott auch den Unterliegenden „allezeit Sieg gibt durch Christus" 1 8 .
ß. 1. Die Generalsynode hält eine völlige Trennung von Kirche und Staat für schädlich, und zwar für beide Teile. Darum warnt sie bei aller Anerkennung des Grundsatzes der religiösen Freiheit aufs ernstlichste vor übereüten Schritten oder gar vor gewaltsamen Eingriffen i n die Lebensnotwendigkeiten der evang. Landeskirche, die durch jahrhundertelange Geschichte eng mit unserem Volksleben verwachsen ist und auch heute noch die religiös-sittlichen Güter weiter Kreise unseres Volkes pflegt;
16 Großherzogin Luise von Baden (1838-1923), Tochter des späteren preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm I., seit 1856 verheiratet mit dem Großherzog Friedrich I. (s. oben S. 17, Anm. 8), an dessen Politik sie wesentlichen A n t e i l nahm. 17 Lukas 24,26; Johannes 20,19.20.26. 18 2. Korinther 2,14.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
2. sie fordert die Beibehaltung des Religionsunterrichts in den Schulen, weil eine Ausweisung aus denselben einen genügenden Religionsunterricht unmöglich machen und die sittlichen Grundlagen des Staates untergraben müßte; 3. sie verlangt die Erhaltung des kirchlichen Selbstbesteuerungsrechtes 19 , ohne welches sie ihre volkserzieherischen Aufgaben nicht lösen könnte; 4. sie fordert, daß der theologischen Fakultät in Heidelberg ihre bisherige Stellung als theol. Fakultät innerhalb der Universität als wesentlicher Bestandteil der Geisteswissenschaften gewahrt bleibe; 5. sie ist willig, den neuen Verhältnissen und Aufgaben in Staat und Gemeinde Rechnung zu tragen auch in der Umbildung der Verfassung unserer Landeskirche; sie verwahrt sich aber gegen jeden übereilten Sturz des Alten, damit nicht wertvoll Überkommenes der Kirche verloren gehe; 6. sie fordert die Glieder unserer Landeskirche auf, sich mit allen Kräften an dem sittlichen und religiösen Wiederaufbau unseres kirchlichen und öffentlichen Lebens zu beteiligen und dafür die größten Opfer zu bringen i m Sinn und Geist unseres Heilandes, i m öffentlichen und staatlichen Leben besonders unter den gegenwärtigen Wirren vor allem Pflichttreue und Gehorsam zu bewähren, in allen Verhältnissen und zu jeder Zeit ihre Hoffnung zu beweisen als lebendige Christen, die nichts scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unsrem H e r r n 2 0 !
N r . 12. Gemeinschaftliche Ansprache des Evangelischen Oberkirchenrats, des Generalsynodal-Vorstandes u n d der V e r t r a u e n s m ä n n e r der altpreußischen Landeskirche a n die Gemeinden vom 30. November 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S.30ff.) I n diesen stürmischen Zeiten sammeln w i r uns mit zuversichtlichem Willen u m die Gewißheit: Unsere evangelische Kirche lebt und w i r d leben. Sie ist nicht gebunden an eine bestimmte staatliche Verfassungsform, sie verkündet vielmehr das Evangelium zu jeder Zeit. Aber sie verlangt von den Inhabern der Regierungsgewalt, daß sie die Ordnung für jedermann i m Staate verbürgen, sie pflegt den Geist der Achtung vor der Geschichte auch i m wohlverstandenen Interesse des Staates, und vergißt weder ihre eigene Geschichte noch die des Vaterlandes. Unsere evangelische Kirche fürchtet in dem Bewußtsein ihrer inneren Selbständigkeit die Trennung von Kirche und Staat nicht. Die Zeit des Leidens und der Opfer soll zur Prüfung der echten Überzeugung dienen. Aber heute wie immer verwahren wir uns gegen willkürliche Übergriffe der Staatsgewalt in das Recht der Kirche. Wir
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Zur badischen Rechtslage: Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 39-42. Römer 8,39.
III. Kirchliche Proteste gegen die Trennung von Kirche und Staat
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besitzen augenblicklich in Preußen keine gesetzmäßige Regierung. Die Rechte unserer Kirche ruhen auf verfassungsmäßig gültigen Gesetzen und können deshalb nur auf dem geordneten Wege der Gesetzgebung ausgeschlossen werden. Wir handeln darum i m Interesse von Recht und Gesetz, deren Achtung unserer Kirche stets am Herzen liegt, wenn wir entschlossenen Einspruch dagegen erheben, daß etwa auf dem Wege der Gewalt und Willkür über das Schicksal der evangelischen Kirche entschieden werde. Die Abschaffung des Religionsunterrichts i n der Schule würde an die Wurzeln der evangelischen Volkskraft greifen. Es widerspricht auch dem Interesse des Staates, einen Kampf u m diese religiösen Güter dem Volk gerade i m jetzigen Augenblick aufzunötigen. Darum haben wir eine ausdrückliche Rechtsverwahrung an die vorläufige preußische Regierung gerichtet, deren Wortlaut mitfolgt. Unsere preußische evangelische Landeskirche hat durch Berufung von mehr als 30 Vertrauensmännern 2 1 bewiesen, daß sie ohne Bevormundung i m regen Zusammenhange mit allen Kreisen der Gemeinden das Wohl der gefährdeten Kirche mit allen Kräften zu sichern entschlossen ist. I n Verbindung mit dem Evangelischen Oberkirchenrat und dem Generalsynodal-Vorstand haben die Vertrauensmänner unverzüglich die Arbeit aufgenommen, über die vorliegenden kirchlichen Zukunftsfragen bestimmte Vorschläge zu machen. Desto berechtigter ist unser dringender Wunsch, Pfarrer und Gemeindevertretungen mögen nicht i n überhasteter Eile neue kirchliche Ordnungen schaffen oder Beschlüsse herbeiführen, welche das gemeinsame Handeln der evangelischen Kirche erschweren. Einigkeit tut uns not; in Entschlossenheit halten wir unserer evangelischen Kirche die Treue und vergelten ihr, was sie uns Gutes tut. Wir wollen niemandes Knechte sein denn allein Gottes und jedermann dienen in Liebe. Der evangelische Oberkirchenrat und der Generalsynodal-Vorstand, verstärkt durch die Vertrauensmänner aus allen Kreisen der evangelischen Kirche der alten Provinzen Preußens, richten an die Preußische Regierung die folgende Erklärung: Die gegenwärtige Regierung hat die Trennung des Staates von der Kirche auf ihr Programm gesetzt. Sie schickt sich an, durch einseitige Maßnahmen in die bestehenden Beziehungen zwischen beiden einzugreifen. I m Namen der evangelischen Kirche der alten Provinzen Preußens erheben w i r förmlich und feierlich Widerspruch gegen solche Maßnahmen. Wir verwahren uns dagegen, daß auf Gesetzen beruhende Zustände durch andere als gesetzliche Anordnungen, insbesondere durch Verfügungen einer vorläufigen Regierung, abgeändert werden. Wir verlangen, daß in jedem Falle Eingriffe des Staates in das innere Leben der Kirche vermieden werden. Wir erwarten, daß eine Änderung des bisherigen Verhältnisses zwischen dem Staat und der Evangelischen Kirche angesichts der einschneidenden Bedeutung für beide Teile nicht ohne den Versuch einer vorgängigen Verständigung zwischen den Organen des Staates und denen der Kirche unternommen werde.
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Siehe unten S. 535 ff.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes N r . 13. Schreiben des preußischen S t a a t s m i n i s t e r i u m s a n den Erzbischof v o n K ö l n , K a r d i n a l v. H a r t m a n n vom 3. Dezember 1918 (Archiv des erzbischöflichen Generalvikariats Köln, Gen. 23,23) — Unveröffentlicht —
Eurer Eminenz erwidern w i r auf das gefällige Schreiben vom 19. v.M. ergebenst, daß wegen der Frage der Trennung von Staat und Kirche zunächst nur allgemeine Erwägungen i m Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung stattgefunden haben. Sollte die Angelegenheit festere Gestalt gewinnen, so würde zunächst die Preußische Regierung damit befaßt werden müssen.
N r . 14. Schreiben des K a r d i n a l s t a a t s s e k r e t ä r s G a s p a r r i a n den Erzbischof v o n K ö l n , K a r d i n a l v. H a r t m a n n vom 7. Dezember 1918 (Italienischer Text: Archiv des erzbischöflichen Generalvikariats Köln, Gen. 23,23; deutsche Übersetzung: Archiv für katholisches Kirchenrecht, 99, 1919, S. 128 f.) 2 2 Seine Heiligkeit der Papst ist bei der väterlichen Liebe, die ihn mit Euer Eminenz und mit den Katholiken Deutschlands verbindet, mit lebhafter und tiefempfundener Beängstigung den neuen politischen Ereignissen gefolgt, die einen so verhängnisvollen Wechsel in die Beziehungen zwischen Staat und Kirche gebracht haben und so ernstlich die freie und ungestörte Ausübung der katholischen Religion bedrohen, für die so viele edle und großmütige Seelen ihr Wirken und ihr Leben eingesetzt haben. Und während die Befürchtungen und Sorgen Eurer Eminenz und des gläubigen deutschen Volkes i m Herzen des Hl. Vaters widerhallen und sich verstärken, kann er nicht umhin, die Unerschrockenheit und die der Bischöfe wahrhaft würdige Festigkeit zu rühmen, mit der sie die Stimme erhoben haben zur Verteidigung der Rechte, welche die katholische Kirche unter den wechselvollen Ereignissen der vergangenen Jahrhunderte mit vieler Mühe zu bewahren verstanden hat, und welche man jetzt mit einem Schlage unterdrücken möchte. Zu besonderer Freude gereicht ihm die Kunde, daß die deutschen Katholiken, die zu anderen Zeiten, wie altbekannt, mit unbeugsamem Mute schwere Prüfungen ertragen und überwunden haben, sich kraftvoll zum Schutze der bedrohten Rechte erheben und für die Aufrechterhaltung einer Volksschule eintreten, die zum Grundpfeiler den Religionsunterricht hat, der ja das wirksamste Mittel zur Heranziehung des echten Christen und des rechtschaffenen Staatsbürgers ist.
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Das Archiv für katholisches Kirchenrecht datiert den Brief auf Anfang 1919; das richtige Datum ergibt sich aus dem italienischen Original i m Archiv des erzbischöflichen Generalvikariats in Köln.
III. Kirchliche Proteste gegen die Trennung von Kirche und Staat
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Daher sendet der Hl. Vater, der mit Herz und Sinn bei seinen Kindern weilt, i n diesen harten Prüfungen und diesen heiligen Kämpfen ein warmes Wort der Anerkennung und der Ermunterung. Jesus, der höchste und ewige H i r t der Seelen, der für das ewige Heil dieser Seelen Blut und Leben dahingegeben hat, w i r d diese edlen und großmütigen Bestrebungen vom Himmel herab segnen und mit ganz besonderer Fürsorge alles begleiten, was seine Söhne t u n und leiden in seinem heiligen Namen. Mag es auch augenscheinlich den Anschein haben, als schwebe die deutsche Kirche in Gefahr, von dem Sturme verschlungen zu werden, das hochheilige Herz Jesu wacht und w i r d bald über den dortigen auserlesenen Teil seiner Herde die Fülle und Kraft seines göttlichen Schutzes leuchten lassen.
N r . 15. H i r t e n s c h r e i b e n der bayerischen Erzbischöfe u n d Bischöfe vom 17. Dezember 1918 (Amtsblatt für die Erzdiözese München und Freising, 1918, S. 209-214) — Auszug — . . . Es ist ja wahr, der Krieg hat bei vielen, Gott sei gedankt, sogar bei sehr vielen das Gebet zum täglichen Bedürfnis gemacht, hierin hat er sich als Lehrmeister erwiesen. Aber seine eiserne Rute hat andere abgeschreckt, hat sie verhärtet, und nun grollt es aus ihnen heraus. Sie klagen nicht, sondern klagen an, und diese Verstimmung erzeugt Auflehnung und die Auflehnung Krieg, und wenn nicht alle Zeichen trügen, gilt es den K a m p f ums Höchste. Schon ist der Kampf angesagt. Da und dort lassen sich Stimmen hören, die auf Schlimmes deuten. ... Vordem hatte man Klagen über antichristliche Erscheinungen gerne mit einem Seitenblicke auf andere Länder abgetan. Heute wäre es Pharisäismus. Es w i l l auch bei uns Abend werden. Sorgen wir, daß es nicht völlig Nacht wird! I n diese Sorge müssen sich alle teilen, die noch ein Herz für ihre Religion, für Gott und Kirche haben. Es ist die Mission eines jeden Katholiken, nicht bloß für seine Seele, sondern auch für die Seele seines Bruders zu sorgen, und er steht nur dann auf der Höhe seiner Mission, wenn i h m fremde Gefahr so nahe geht wie die eigene. ... Der Löwe der Zeit 2 3 sucht sich mit Vorsicht seine Opfer aus, das Schwache reizt ihn am meisten, und deshalb soll das erste Opfer sein die unschuldige Kinderseele. Ein neuer Geist soll i n die Schule einziehen. „Freie Schule" heißt das verlockende Wort, aber was meint man damit? Wir haben es lesen können. Gott — weg von der Schule! Das Kruzifix, Vater unser, Ave Maria — weg von der Schule! Die Kirche, ihre Sakramente, ihr Gottesdienst und ihre Gebete — weg von der Schule! Die zehn Gebote Gottes, die Gebote der Kirche — weg von der Schule! Ein wahres Chaos, das sich vor unseren Augen auftut. Was man noch zugibt, ist die Sittenlehre, aber ohne Religion, „konfessionslosen Moralunterricht" nennt man es. Konfessionslos läuft immer auf religionslos hinaus. Wir fragen, kann man sich eine Sittlichkeit ohne Gewissen denken? Ein gewissenloser Mensch gilt i n der ganzen Welt nicht einmal als rechtschaffener, geschweige als sittlicher Mensch. Nun w i r d das Gewissen gerade durch die Religion aufgerüttelt, werden die Stimmen des Gewissens gerade durch
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Vgl. 1. Petrus 5,8.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
die Religion vervielfältigt, und da w i l l man von einer Sittenlehre ohne Religion reden. A u f der ganzen Welt gilt der Erfahrungssatz: Je religiöser ein Mensch ist, desto gewissenhafter und sittlicher ist er auch. ... Religion und Sittlichkeit sind die Säulen der öffentlichen Ordnung. Reißt man sie auseinander, geht die Sittlichkeit in Brüche und die Gesellschaft w i r d zum Trümmerhaufen. ... Die Kirche heraus aus der Schule. Das ist der Fehdehandschuh gegen den Herrn selbst. Sein Ruf lautet: „Lasset die Kinder zu mir kommen!" (Math. 19,13). Damit hat der Herr ein Kinder-Recht geschaffen. Die Kinder haben ein göttlich verbrieftes Recht auf seinen Segen, auf seine Gnade und Gnadenmittel, auf seine heiligen Sakramente und damit auch auf die Kirche, ihren gesammten religiös sittlichen Einfluß, mit einem Worte auf die Erziehung durch die Kirche. Wer sich an diesem Rechte vergreift, vergreift sich am Heiland selbst. Kein wahrhaft christlich denkender Mann, kein Vater, keine Mutter, kein Lehrer, kein Erzieher kann sich zu einer solch blasphemischen Freveltat hergeben. ... Und noch ein Wort. Man kann in diesen Tagen viel hören vom „freien Volk i m freien Staat". Es ist zum geflügelten Worte geworden. Jeder mag darüber denken wie er w i l l und es w i r d sich zeigen, ob die Freiheit, die sich so laut gebärdet, w i r k l i c h ernst und wahr und gut gemeint ist. Ein Prüfstein w i r d das künftige Verhältnis des Staates zur Kirche sein. Welches die Meinung der deutschen Bischöfe in dieser Sache ist, haben sie frei und offen in ihrem gemeinsamen Hirtenbriefe am Feste Allerheiligen 1917 ausgesprochen 24 . Sie nennen die Trennung von Staat und Kirche eine „tiefgreifende kirchlich-politische Umwälzung". Kein Katholik dürfe sich den weittragenden Folgen verschließen, die eine solche Neuordnung nach sich ziehen würde. Diesen Standpunkt vertreten wir auch heute. Nach den kirchlichen Gesetzen müssen w i r gegen den Plan einer solchen Trennung entschieden Protest erheben. Sollte aber w i r k l i c h die Kirche vom Staate verstoßen und verlassen werden, so w i r d sie es ertragen müssen. Aber immerhin wird es ein Gewaltakt sein und ein Bruch des zum Verfassungsgesetz erhobenen Konkordats zwischen Bayern und dem Apostolischen Stuhle 2 5 . Geschieht dieser Bruch wirklich, dann erwarten und verlangen wir, daß auch der Kirche volle Freiheit werde, daß sie vollen Schutz ihrer Eigentums-Rechte, ihrer Einrichtungen, Anstalten, Kirchen, Klöster, Pfründen und Stiftungen genieße. Vermögensrechtliche Verpflichtungen und Lasten, welche der Staat als Inhaber alten Kirchenguts vertragsmäßig auf sich genommen, hat er auch weiter zu tragen 2 6 . Was wir ferner verlangen, ist, daß der Staat die Kirche nicht entwürdige und entweihe und nicht mit verschränkten Armen zusehe, wie ihre Diener so oft ohne jeglichen Grund den gröbsten Anwürfen ausgesetzt sein müssen. M i t tiefstem Schmerze haben w i r gerade i n der letzten Zeit wahrnehmen müssen, wie eine förmliche Priesterhetze alles aufbietet, die Geistlichen i n den Augen des Volkes u m Ehre und Ansehen zu bringen. Unser Klerus hat diese Behandlung umso weniger 24
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 213. Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 73. 26 Also vor allem die i m Bayerischen Konkordat festgelegte Dotation der bayerischen Bistümer. 25
III. Kirchliche Proteste gegen die Trennung von Kirche und Staat
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verdient, als er glaubt, während des Krieges alles getan zu haben, u m sowohl draußen an der Front sei es als Feldgeistlicher oder als Krankenwärter seinen Mann zu stellen, wie in der Heimat durch Kriegsfürsorge und die tausenderlei Mittel pfarrlicher Seelsorge Leid und Schmerz nach Möglichkeit zu stillen und den Trauernden die Quellen himmlischen Trostes zu erschließen. ... Demnächst werden Männer und Frauen vor dem allerwichtigsten Schritte stehen, den das Vaterland, die Heimat, Staat und Kirche von ihnen verlangen. Ihr werdet zur Wahlurne treten und zwar aus Gewissenspflicht. Eure Stimme w i r d über das künftige Schicksal unseres Vaterlandes entscheiden. Tuet den Schritt mit Gott! Mögen aus der Wahlurne Persönlichkeiten hervorgehen, welche es mit Staat und Kirche gleich gut meinen. Tuet den Schritt ohne Leidenschaft, ohne Verletzung der Liebe und Gerechtigkeit, einzig mit dem Blick aufs Beste des Ganzen. Was dem Staate und der Kirche, Euren Familien und Kindern eine Zukunft des Segens, der Ordnung und vor allem des Friedens verspricht, nur das und das allein habet i m Auge! ...
N r . 16. H i r t e n s c h r e i b e n der preußischen Erzbischöfe u n d Bischöfe vom 20. Dezember 1918 (Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Paderborn, 61, 1918, S. 137ff.) — Auszug — ... Ihr wißt, wie gerade jetzt i n kirchlicher Hinsicht für euch und für uns ganz neue, schwere Kämpfe drohen. Wie das Wetterleuchten eines heraufziehenden Ungewitters wirkte vor einigen Tagen die Ankündigung der Trennung von Staat und Kirche durch einen Vertreter der augenblicklichen Regierung 2 7 . Teure Diözesanen! Wir Bischöfe wollen keine feigen Mietlinge sein. Wir wollen nicht Verräter werden an eurem Seelenheile und an unserer heiligsten Gewissenspflicht. Wir wissen auch, daß ihr alle mit uns eins seid in der festen und unbedingten Entschlossenheit, einem solchen Vorhaben den Riegel vorzuschieben. Und so erheben w i r laut und feierlich vor aller Welt unsere Stimme und legen i n euer aller Namen, i m Namen der gesamten Katholiken Preußens die schärfste Verwahrung ein gegen den Plan, Kirche und Staat in Preußen voneinander zu trennen. Wir Katholiken Preußens werden das unter keinen Umständen und u m keinen Preis zugeben und billigen. Denn w i r kennen die bittere und gottlose Rechtsverletzung, die die beabsichtigte Trennung von Kirche und Staat i n sich schließt. Und w i r kennen auch die schlimmen und schweren Gefahren, die sie i m Gefolge hat. Trennung von Staat und Kirche! Das ist ein inhaltsschweres Wort. Die Gegner Christi und der Kirche wollen trennen, was von Gottes- und Rechtswegen zusammengehört, wollen auseinanderschneiden, was miteinander und ineinander gewachsen ist. Der Staat als solcher soll keine Religion und Kirche mehr kennen, soll sich u m Religion und Kirche nicht mehr kümmern. Die lebensvolle Verbindung, die zwischen unserem Volke und der Kirche seit vielen Jahrhunderten 27
Oben Nr. 6.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
bestanden hat und besteht, soll j ä h zerrissen und zerschnitten werden. Unser Land soll aufhören, als Staatswesen christlich zu sein. Der Name Gottes soll aus der Öffentlichkeit verschwinden. Der Religionsspötter soll den Namen Gottes und unseres Heilandes ungestört lästern dürfen. Das Zeichen der Erlösung, das heilige Kreuz, von dessen Stamm uns Hilfe und Gnade i m Leben und in der Sterbestunde zufließt, soll verbannt werden aus allen öffentlichen Gebäuden, aus den Schulen, von den öffentlichen Wegen. Die Kirche gilt dann dem Staate nicht höher als ein Privatverein, als etwa eine Gesellschaft, die sich u m des Vergnügens willen gebildet hat. Der Schutz und die Unterstützung, die der Staat bislang der Kirche zuteil werden ließ, w i r d zurückgezogen. Der Staat hört auf, seine feierlich verbrieften Verpflichtungen zu erfüllen. Zu den Kosten des Gottesdienstes und der Kirchenbauten, zum Unterhalte der Geistlichen trägt er nichts mehr bei. Zur Einziehung der Kirchensteuern ist er nicht mehr behilflich. Die theologischen Lehrstühle an den Universitäten werden aufgehoben. Und merkt wohl auf, geliebte Diözesanen, das allerschlimmste ist dieses: aus den Schulen schwindet jegliche Religion. Lehrer und Lehrerinnen werden für ihr hohes A m t vorbereitet ohne Religion und Glaubensbekenntnis. Für das wichtigste Erziehungs- und Unterrichtsfach gibt es i m Schulplan keinen, gar keinen Platz mehr. Das Beispiel anderer Staaten zeigt uns, wie weit man schließlich die Trennung von Staat und Kirche treibt und auch bei uns zu treiben bereit sein wird. Da werden selbst die einzelnen Kirchengemeinden ihrer Rechte und ihres mühsam erworbenen und zusammengesparten Eigentums beraubt. Die frommen Stiftungen werden aufgehoben oder ihrem Zwecke entfremdet. Den Ordensgenossenschaften, die für das Gemeinwohl i m Dienste der Armen, der Kranken, der Kinder i n größter Selbstlosigkeit sich aufreiben, den uns ans Herz gewachsenen Ordensgenossenschaften, den männlichen und den weiblichen Orden, n i m m t man unbarmherzig das Vermögen und den Unterhalt. Urteilet selbst, geliebte Diözesanen, sind das nicht bittere gottlose Rechtverletzungen? Katholisches Volk, wir rufen dich feierlich zum Zeugen: Schreit ein solches Unrecht nicht wahrhaft zum Himmel auf? .. .Die Trennung von Kirche und Staat ist ein Frevel gegen Gott den Herrn, sie ist auch ein bitteres Unrecht gegen die Kirche und die Gläubigen. Erinnert Euch, geliebte Diözesanen, all der Lehr- und Mahnworte, die die Kirche als liebevolle Mutter und Erzieherin zu euch sprach seit den Tagen eurer Kindheit, i n der Schule und in der Christenlehre, bei der Spendung der heiligen Sakramente, beim öffentlichen Gottesdienste und i n der stillen Unmittelbarkeit der Einzelseelsorge. Da arbeitete und arbeitet sie an euch, damit Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Treue, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe i n eurem Herzen sich festige und euren Sinn veredle. Täglich aufs neue verankert sie da mit fürsorgender Hand die Familie, das Fundament aller menschlichen Gesellschaft, und nimmer w i r d sie müde, alles nach besten Kräften abzuwehren, was das Volkswohl schädigen könnte. So hat sie auch das Messer angesetzt, u m jenes Geschwür aufzuschneiden, an dem unsere deutsche Volksfamilie zugrunde zu gehen droht: den Mißbrauch der Ehe, die Sünden gegen das keimende Leben. Sie dient immerfort dem Gesamtwohle des Staates, indem sie den Kindern Gehorsam einschärft gegen Eltern und Vorgesetzte und den Eltern aufopfernde Liebe und Sorge befiehlt für die Kinder, indem sie den Bürgern jeglichen Standes treue, unentwegte Pflichterfüllung predigt und allen Gliedern des Volkes Frieden und Einigkeit untereinander. Oft und oft hat der Staat i n den Zeiten höchster Not bei der
. Kirchliche Proteste gegen die Trennung von Kirche und Staat
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Kirche angeklopft, auf daß sie erscheinen möge, u m mit ihrer weichen Hand die schrecklichen Wunden zu heilen, u m mit ihrem tröstenden Wort gebrochenen M u t aufzurichten, zaghaften Sinn zu stärken, harte Herzen und verschlossene Hände zu öffnen. Was der Staat selbst nie vermocht hätte, die Kirche hat es für ihn und zu seinem Heüe geleistet. Noch in diesem Kriege hat sie — dessen ist Freund und Feind allüberall Zeuge — unermeßliches Leid gestillt und vieler furchtbaren Not bei den Daheimgebliebenen und bei den Gefangenen in fernen Ländern vorgebeugt. Und der Dank dafür? Wahrlich, der Staat müßte nach dem Kriege dringendere und größere Sorge haben, als seine Helferin in der Not höhnend beiseite zu schieben. Und sollte es zu einer Beraubung der Kirche kommen, wie es geplant zu sein scheint — welch neues Unrecht! Es sind kaum hundert Jahre her, da hatte man die Güter der katholischen Kirche eingezogen und den katholischen Volksteil arm gemacht. Damals blieb sich der Staat bewußt, daß er der von den notwendigsten Mitteln entblößten Kirche dafür wenigstens die geordnete Existenz wieder zu ermöglichen habe. Deshalb hat der Staat damals gewisse Leistungen der katholischen Kirche gegenüber feierlich und i n einer nach Völkerrecht bindenden Weise auf sich genommen 2 8 . Und selbst diese Verpflichtung wollte der Staat einfach leugnen? Wollte sich in brutaler Weise hinwegsetzen über alles Recht? Wollte heilige Verträge einseitig zerreißen, die nur mit Zustimmung beider Teile geändert werden können? Schon ist das Wort gefallen, der Besitz der Kirche sei zu Unrecht erworben. O, liebe Diözesanen, ist das w i r k l i c h Unrecht, daß die Gläubigen sich Kirchen bauen, Ruhestätten für ihre Angehörigen erwerben, den Geistlichen, die an ihren Kirchen dienen, den Lebensunterhalt sichern? Wieviele Lohngroschen der Arbeiter und Arbeiterinnen, wieviele Liebesgaben der Armen und Ärmsten, wieviele Scherflein der Witwen sind langsam zusammengeflossen, u m da und dort ein neues Gotteshaus erstehen zu lassen! Ist solches Almosen, ist solche Liebe Unrecht? Nein, wahrhaftig nein. Aber Frevel und Unrecht wäre es, sich an solchem Eigentum zu vergreifen. Wie manche fromme Stiftung ist von den Gläubigen gemacht worden mit der ausdrücklichen Absicht, daß noch i n fernen Zeiten ihrer i m Gebete gedacht werde und daß ihre Nächstenliebe für Arme und Kranke fortdauernd Gutes wirke! Wer w i l l das Recht haben, diese Stiftungen anzutasten? Und dann die Besitzungen unserer katholischen Orden und Kongregationen! Vor hundert Jahren hat man unseren Orden alles fortgenommen, was auf die allergerechteste Art, durch Arbeit und Schenkung, gewonnen war. Und jetzt möchte man bei der Trennung von Staat und Kirche zu neuem Unrecht schreiten. Da fragen wir euch: was glaubt ihr, wäre dabei i m ganzen preußischen Staate überhaupt zu gewinnen? Was anders als geringe Liegenschaften und schlichte Gebäude von Orden, die ihre gesamten Kräfte dem Dienste Gottes, der Erziehung der Jugend, der Fürsorge und Pflege von Kranken, Krüppeln, Blinden, Waisen, Irren, Geistesschwachen, kurz der Fürsorge und Pflege der Ärmsten der Armen widmen? Und alles Eigentum der Orden i m preußischen Staate ist in den letzten Jahrzehnten lediglich erworben durch die milden Schenkungen des gläubigen Volkes, durch das mitgebrachte Gut ihrer Mitglieder, durch die sparsame, ja kärgliche Lebensweise der Bewohner der Ordenshäuser. Schnöder Undank und schreiendes Unrecht wäre
28 Nämlich i m Rahmen der neuen Zirkumskription der preußischen Diözesen durch die (vereinbarte) Bulle De salute animarum von 1821 (Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 91).
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
es, wenn der Staat Heim und Versorgung gerade denen rauben wollte, die seinen verlassensten und ärmsten Gliedern die größten Wohltäter sind. Geliebte Diözesanen! Achtet bei der geplanten Trennung von Staat und Kirche nicht bloß auf das frevelhafte Unrecht, das damit verübt würde. Denkt auch, wir bitten euch, an die schlimmen und schweren Gefahren, die eine solche Trennung mit sich bringt. Ein Staat ohne Gott, ohne Religion! Wer soll den Bestand des Staates sichern, wer die Gewissenhaftigkeit und Treue seiner Bürger, die Wahrhaftigkeit i n Handel und Wandel gewährleisten? Etwa die Polizei und die Furcht vor der Strafe? Ihr wißt, wie wenig Schutz und Sicherheit äußere Maßnahmen bieten, wenn nicht das Gewissen mitspricht. Die Ehe w i r d entweiht, die eheliche Treue w i r d dem Gespötte preisgegeben, das Familienband auseinandergerissen, schon kündigen die Förderer der Trennung von Kirche und Staat die vollständige Umwandlung aller sittlichen Begriffe i n der Öffentlichkeit an. Und eine Schule ohne Gott und ohne Offenbarung! Ohne Christentum und Kirche! Eine Schule — merket wohl auf, geliebte Diözesanen — ohne Religionslehre und ohne Gottesdienst, ohne Gebet, ohne Beicht- und Kommunionunterricht, ohne geregelten Sakramentenempfang, ohne religiösen Geist in Unterricht und Erziehung! Werdet euch bewußt, welch entsetzliche Verwüstung i m Erziehungs- und Schulwesen, i m ganzen Geistesleben des Volkes das bedeutet! Welch harte und schier unerträgliche Arbeit w i r d das geben für Lehrer und Erzieher! Wie schmerzlich und herzzerbrechend w i r d für die Eltern die Erfahrung werden, daß kindliche Liebe und kindlicher Gehorsam bei jeder Versuchung ins Wanken geraten, wenn sie nicht durch die Ehrfurcht vor Gottes Willen gestützt und nicht i m Gewissen fest verankert sind! Äußere Bildung und die Erziehung zu religionsloser Menschlichkeit werden zur Zeit der Prüfung abfallen wie aufgetragene Tünche. Wie erschreckend wachsen die Reihen der Verbrechen nach Ausweis der Statistik dort, wo die Schulen sich dem Einfluß der Religion entziehen oder ganz religionslos sind! Wenn einmal die zweite oder dritte Generation in der religionslosen Schule herangewachsen ist, dann w i r d die Not des Staates selbst vielleicht so groß geworden sein, daß er am liebsten die vertriebene Kirche zur Hilfe wieder zurückrufen möchte. Laßt uns schließlich, geliebte Diözesanen, noch die eine Frage stellen: Wem ist denn mit der Trennung von Staat und Kirche gedient? Wird der preußische Staat reich werden durch die Güter, die in ihrem Gesamtbetrage — hört unser wohlüberlegtes Wort — die i n ihrem Gesamtbetrage noch bei weitem nicht den Wert der einen oder anderen großen Fabrik- oder Bergwerksgesellschaft erreichen, durch die Einziehung von Gütern, die er seinen eigenen Angehörigen raubt? Nimmt der Staat diese Güter nicht gerade den breiten Massen des Volkes, die in der Religion Kraft, Trost und M u t für alle Lebenslagen finden? N i m m t er sie nicht den Söhnen der Kirche, die u m ihres Glaubens und Gewissens willen i n den blutigen Schlachten und harten Entbehrungen bis zum letzten standgehalten haben? Geschieht denn — so fragen w i r alle — geschieht denn irgendwie einem Staatsbürger Unrecht, wenn der andere sich öffentlich als Glied seiner Kirche bekennt? Hat nicht der christgläubige Katholik genau dasselbe Recht auf diejenige Achtung seiner Überzeugung, die der Staat dem Ungläubigen und dem Dissidenten zubilligen will? Kann der christgläubige Staatsbürger nicht die Erziehung der Kinder nach seinen Grundsätzen und seiner Überzeugung wenigstens gerade so berechtigterweise verlangen, wie der glaubenslose Staatsbürger?
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I n Christo geliebte Diözesanen! Das Höchste und Heiligste und Beste, was w i r haben, steht mit der Trennung von Staat und Kirche auf dem Spiele. Es geht u m das Ganze, u m die Ehre Gottes, u m den Namen Jesu Christi, u m eure heilige Kirche, u m eure Gewissensfreiheit, u m das Heil eurer Seelen und u m das Heil der Seelen eurer unschuldigen Kinder. I n den Jahren des Kulturkampfes habt ihr euch festgeschart u m eure Bischöfe und Seelsorger. Und diese katholische Einigkeit hat damals den vollen Sieg davongetragen 29 . Denn dieser katholischen Einigkeit und Einmütigkeit konnte auf die Dauer nichts widerstehen. Jetzt kommt ein K u l t u r k a m p f von noch viel schlimmerer Art. Schließt darum enger wieder eure Reihen! Verteidigt eure Rechte mit Unerschrockenheit und Ausdauer! Glaubt nicht, daß w i r übertreiben. I n der Zukunft droht Schreckliches. Wir bitten und beschwören euch bei allem, was eurem Herzen lieb und heüig ist: verkennet nicht den erschütternden Ernst und die verhängnisvollen Gefahren dieser Zeiten. Es sind die Feinde der Religion, die jetzt ihre Stunde gekommen glauben. Sie werden alles und jedes daransetzen, u m ihr Ziel zu erreichen. Dagegen müßt ihr euch wehren, alle insgesamt wie ein Mann, unbeugsam und unbesiegbar. Benutzet alle Rechte, die ihr in politischer Beziehung habt, ihr katholischen Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen! Tut alles, was ihr könnt, mit allen erlaubten Mitteln, die euch irgendwie zu Gebote stehen, u m das Unheil abzuwehren. Ihr katholischen Vereine und Organisationen, w i r rufen euch auf! I n gewaltigen Versammlungen und in der zähen Kleinarbeit, durch Wort und Schrift und Presse, nicht zuletzt durch inständiges Gebet i m gemeinsamen Gottesdienst, in privater herzlicher Andacht: arbeitet und betet alle für die Sache Gottes und seiner Kirche. Erhebet Protest über Protest gegen das Unrecht, das man euch antun will. Und laßt nicht nach i n eurem Widerstande, bis man davon absteht, die Hand an euer Heiligtum zu legen! Gott der Herr aber schütze uns alle und helfe uns und segne uns in dieser schweren, schweren Stunde, Gott der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
N r . 17. K u n d g e b u n g der Gesamtsynode der P r o v i n z Schleswig-Holstein zur Z e i t l a g e vom 23. Dezember 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 41 f.) Die Gesamtsynode hat in ihrer 14. Tagung einstimmig folgende Kundgebung beschlossen: 1. Die Gesamtsynode ist durch die Maßnahmen der gegenwärtigen Berliner Regierung auf dem religiösen und kirchlichen Gebiete schwer beunruhigt. Durch diese Eingriffe fühlt sich das schleswig-holsteinische Volk in seinem religiösen Empfindèn auf das tiefste verletzt. Die vollständige Trennung von Staat und Kirche liegt weder i m Interesse des Staates noch der Kirche und bedeutet eine ernste Gefahr für unser Volk. 2. Die Gesamtsynode legt Verwahrung dagegen ein, daß die Trennung i n religions- und kirchenfeindlicher Weise erfolgt und verlangt vor allem, daß keine mit der Trennung von Staat und Kirche zusammenhängende Frage vor der 29
Dazu Staat und Kirche, Bd. II, S. 460ff., 764£f.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
Entscheidung einer preußischen gesetzgebenden Versammlung durch Regierungserlaß entschieden und somit der Verhandlung entzogen werde. 3. I m einzelnen stellt die Gesamtsynode folgende Forderungen: a) Der Regierungserlaß über den Religionsunterricht i n den öffentlichen Schul e n 3 0 muß abgeändert werden. Die Gesamtsynode hält die Beibehaltung des Religionsunterrichts unter Ablehnung jeden Gewissenszwanges für unbedingt notwendig. Mit seinem Fortfall bricht auch die sittliche Grundlage des Staats zusammen. Das Verbot, häusliche Arbeiten für den Religionsunterricht aufzugeben, ist selbst i m Rahmen des Erlasses widersinnig, solange überhaupt noch Religionsunterricht erteilt werden darf. b) Das kirchliche Vermögen darf unter keinen Umständen angetastet werden. Das Besteuerungsrecht der Kirche muß aufrecht erhalten werden, seine Beseitigung würde zu einem finanziellen Zusammenbruch der Kirche führen und sie damit außerstand setzen, ihre weitgehenden Aufgaben der Volkserziehung und Liebestätigkeit zu erfüllen. c) Die Staatszuschüsse dürfen keinesfalls ohne genaue Prüfung des Rechtstitels und der den einzelnen Leistungen zugrunde liegenden Zwecke zurückgezogen werden. d) Die theologische Fakultät ist als solche i n ihrer bisherigen Stellung innerhalb der Universität aufrecht zu erhalten. 4. Die Gesamtsynode ist bereit, den neuen Verhältnissen Rechnung tragend, eine ohnehin schon vorbereitete Umbildung der Verfassung der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche unter Wahrung ihres Bekenntnisstandes als einer ev.-luth. Kirche in Angriff zu nehmen, und hat das Konsistorium beauftragt, i n Verbindung mit dem Gesamtsynodalausschuß und Vertrauensmännern aus allen kirchlichen Kreisen der Provinz unverzüglich mit den Vorarbeiten zu beginnen. Sie verwahrt sich aber ausdrücklich dagegen, daß der Staat i n ihre innere Verfassung i n welcher Form auch immer eingreife. 5. Die Gesamtsynode fordert alle Glieder der Landeskirche auf, sich einmütig und unter Zurückstellung aller Sonderwünsche mit allen Kräften für die Aufrechterhaltung und Einheit der Landeskirche als Volkskirche einzusetzen und für ihren Bestand und Ausbau nach innen und außen kein Opfer zu scheuen. Wir Schleswig-Holsteiner halten mit ungeteilter Treue an unserer heimatlichen Eigenart fest und wissen, was w i r für unser gesamtes geistiges und nationales Volksleben unserer Landeskirche zu verdanken haben. Wer dieses verletzt, trifft unser Volk ins Herz.
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Unten Nr. 48.
IV. Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments i n Preußen
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N r . 18. Schreiben der preußischen R e g i e r u n g a n den Evangelischen O b e r k i r c h e n r a t vom 9. Januar 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 113 f.) A u f das Schreiben vom 2. Dezember v. Js. — E.O.O. I. 381931 — erwidern w i r ergebenst, daß die diesseits für notwendig erachtete Neuregelung des Verhältnisses von Kirche und Staat nach der Auffassung der Preußischen Regierung der preußischen Nationalversammlung oder einer später zu berufenden gesetzgebenden Körperschaft vorbehalten bleiben und daß ihr ein Benehmen mit den kirchlichen Organen vorhergehen muß. Dabei ist das Ziel i m Auge zu behalten, daß die berechtigten Interessen der kirchlichen Schichten i m preußischen Volke zu schonen sind und jede Verletzung religiöser Gefühle, jeder Gewissensdruck vermieden werden muß. Bisher hat diese Frage nur den Gegenstand allgemeiner Erwägungen i m Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gebildet.
IV. Der Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen Mehr noch als im Bereich der katholischen Kirche hatten Kriegsende und Revolution für die evangelischen Kirchen umstürzende Folgen. Denn mit dem Thronverzicht der Landesfürsten fiel auch der Summepiskopat dahin, den sie gegenüber den evangelischen Landeskirchen innehatten. Im Lauf des 19. Jahrhunderts hatte sich der Grundsatz durchgesetzt, daß das Kirchenregiment des Landesherrn nicht ein Teil der Staatsgewalt, sondern eine davon unabhängige kirchliche Funktion der Landesfürsten — wie auch der Senate der freien Städte — sei. Es war unbestritten, daß die Wahrnehmung dieses Summepiskopats an den Besitz der Würde des Staatsoberhaupts gebunden war; nur so erschien die Autorität eines praecipuum membrum ecclesiae als begründet. Deshalb brach mit dem Ende der Monarchie auch das System des landesherrlichen Kirchenregiments zusammen. Die neuen republikanischen Instanzen, die die Staatsgewalt übernahmen, konnten für sich eine Rechtsnachfolge im Kirchenregiment nicht in Anspruch nehmen. Mit der Entstehung dieses kirchenrechtlichen Instituts im Reformationsjahrhundert hätte dies ebenso im Widerspruch gestanden wie mit dem Anspruch der revolutionären Regierungen, das Ende des Staatskirchentums herbeizuführen und die Trennung der Kirche vom Staat zu verwirklichen. Es war also ein eklatanter Selbstwiderspruch, daß einzelne aus der Novemberrevolution hervorgegangene Regierungen kirchenregimentliche Befugnisse für sich in Anspruch nahmen. Die einzige evangelische Landeskirche, für welche die Weiterführung des Kirchenregiments nach dem Amtsverzicht des Landesherrn schon vor der Novemberrevolution eine gesetzliche Regelung gefunden hatte, war die evangelische Landes31 A m 2. Dezember wurde die Verwahrung des Oberkirchenrats gegen Maßnahmen der derzeitigen Regierung zusammen mit der Ansprache an die Gemeinden vom 30. November 1918 (oben Nr. 12) der preußischen Regierung übermittelt.
3 Huber
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
kirche von Württemberg 1. Die kirchlichen und staatlichen Gesetze von 1898, die die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments für den Fall regelten, daß der König nicht dem evangelischen Bekenntnisse zugehörte, wurden durch eine Königliche Verordnung vom 31. Oktober 1918 konkretisiert. Auf dieser Grundlage leitete das von König Wilhelm II 2 am 9. November 1918, noch vor seinem formellen Thronverzicht am 30. November 1918 unterzeichnete Kirchengesetz den Übergang des Kirchenregiments auf die württembergische „Kirchenregierung" ein 3. In Sachsen hatte der König, da er der katholischen Kirche angehörte, seine kirchenregimentlichen Befugnisse auf die drei von ihm beauftragten Minister in evangelicis übertragen 4. Die revolutionäre Regierung des Freistaats Sachsen hielt, obwohl sie besonders nachdrücklich für die Trennung von Staat und Kirche eintrat, an dieser Einrichtung fest. Allerdings waren die Minister in evangelicis nun nicht mehr persönliche Beauftragte des Königs in der Wahrnehmung eines kirchlichen Amts, sondern Staatskommissare, die als solche Eingriffe in das Kirchenregiment und damit in die dem Staat entzogenen eigenen Angelegenheiten der Kirche vornahmen. Diese rechtswidrige und widersprüchliche sächsische Regelung aber wurde zum Vorbild für die Entwicklung in Preußen. Im preußischen Staatsgebiet bestanden 1918 sieben Landeskirchen: die Evangelische Kirche der acht altpreußischen Provinzen, die lutherische und die reformierte Kirche von Hannover sowie die Landeskirchen von Schleswig-Holstein, Kurhessen (Konsistorialbezirk Kassel), Nassau (Konsistorialbezirk Wiesbaden) und Frankfurt 5. Welchen Einschnitt der Fortfall des landesherrlichen Summepiskopats für all diese Kirchen bewirkte, deutete bereits die Ansprache des preußischen Oberkirchenrats an die Gemeinden vom 10. November 1918 an (Nr. 19). Die Unsicherheit der Kirchenbehörden und der Geistlichen gegenüber der neuen staats- und kirchenrechtlichen Situation spiegelt sich in manchen Erlassen der ersten Wochen nach Kriegsende; die Fürbitte für den König und das Königliche Haus wurde durch staatlichen Erlaß aus dem allgemeinen Kirchengebet getilgt (Nr. 20, Nr. 21). Am 5. Dezember 1918 nahm das preußische Staatsministerium für sich die kirchenregimentlichen Befugnisse des ehemaligen Landesherrn in Anspruch und ernannte einen besonderen Beauftragten für die evangelischen Landeskirchen 6. Zwar gelang es den Kirchen, diesen Eingriff zurückzuweisen. Sie konnten jedoch nicht verhindern, daß das sächsische Institut der Minister in evangelicis auf Preußen übertragen wurde. Das Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt vom 20. März 1919 bestimmte auf Antrag der Fraktion der DDP, daß die Rechte des landesherrlichen Kirchenregiments auf drei dem evangelischen Bekenntnis angehörende Mitglieder des Staatsministeriums übergingen (Nr. 22)7. Minister in evangelicis
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Siehe Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, Nr. 228-231. Staat und Kirche, Bd. III, S. 576, Anm. 2. 3 Weiteres unten Nr. 31. 4 § 41 Abs. 3 und § 57 Abs. 2 der sächsischen Verfassung von 1831 (Staat und Kirche, Bd. I, S. 156; vgl. ebenda S. 698, Anm. 1). 5 Zur Bildung des Konsistorialbezirks Frankfurt i m Jahr 1899 siehe Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, Nr. 227. 6 Dazu ausführlicher unten Nr. 26 ff. 7 Die Verantwortung für die umstrittene Bestimmung lastete man insbesondere dem Marburger Theologen und DDP-Abgeordneten i n der preußischen Landesver2
IV. Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments i n Preußen
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waren in dem am 25. März 1919 umgebildeten preußischen Kabinett der Finanzminister Südekum 8, der Innenminister Heine 9 und der Minister der öffentlichen 10 Arbeiten Oeser . Der Kultusminister Konrad Haenisch 11 gehörte diesem Kreis nicht an. Gegen die Übertragung kirchenregimentlicher Befugnisse an die Minister in evangelicis erhob der preußische Oberkirchenrat schon am 26. März 1919 rechtlichen Einspruch (Nr. 23). Der Generalsynodalvorstand schloß sich mit einer Eingabe an die preußische Landesversammlung vom 2. April 1919 diesem Schritt an (Nr. 24). Unmittelbarer Erfolg war diesen Bemühungen unter anderem deshalb versagt, weil sie die Antwort auf die Frage schuldig blieben, auf wen die Rechte des landesherrlichen Kirchenregiments übergehen sollten. Daß damit die Funktion der Minister in evangelicis erlöschen sollte, kündigte der Ministerpräsident Hirsch in seinem Antwortschreiben an den Oberkirchenrat vom 11. Juni 1919 ausdrücklich an (Nr. 25). Mit dem Kirchengesetz vom 19. Juni 1920 und dessen staatlicher Bestätigung vom 8. Juli 192012 wurden die kirchenregimentlichen Rechte des ehemaligen preußischen Königs für die altpreußische Landeskirche auf den neu gebildeten Landeskirchenausschuß übertragen. Dennoch bestätigte Art. 82, Abs. 2 der preußischen Verfassung vom 30. November 192013, nun insbesondere im Blick auf die kleineren preußischen Landeskirchen, die Stellung der Minister in evangelicis bis zur Neuregelung des Kirchenregiments durch staatsgesetzlich bestätigte Kirchengesetze. Insgesamt freilich machten die preußischen Minister in evangelicis von ihren Befugnissen während der Übergangszeit bis zum Erlaß neuer Kirchenverfassungen einen zurückhaltenden und maßvollen Gebrauch. Sie folgten damit dem Rat von
Sammlung Martin Rade (Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, S. 668, Anm. 11) an. Theodor Kaftan (ebenda S. 802, Anm. 2) bezeichnete es gar als „eine unglaubliche Torheit, unter den jetzt bestehenden Verhältnissen den preußischen Summus episcopus echt staatskirchlich durch drei in evangelicis beauftragte Minister zu ersetzen. Geboren ist diese Torheit aus der Unbedachtsamkeit eines begabten theologischen Journalisten (sc. Martin Rade), den Gott in seinem Zorn hat Politiker werden lassen, vollzogen von einer preußischen Nationalversammlung, in der die kirchlich bewußten evangelischen Männer schliefen" (Kirche, Recht und Theologie in vier Jahrzehnten. Der Briefwechsel der Brüder TTieodor und Julius Kaftan , hrsg. von W. Goebell, Bd. 2, 1967, S. 735, Anm. 1). 8 Albert Südekum (1871-1943), Dr. phil.; Redakteur an sozialdemokratischen Zeitungen (1896 Leipziger Volkszeitung, 1898 Fränkische Tagespost, 1900-03 Sächsische Arbeiterzeitung i n Dresden); 1900-18 MdR, i m Ersten Weltkrieg führender Mehrheitssozialist; von November 1918 bis März 1920 preuß. Finanzminister. 9 Wolfgang Heine (1861-1944), seit 1889 Rechtsanwalt in Berlin; 1898-1918 MdR, 1919-20 MdWeimNatVers. (Mehrheitssozialist). November 1918 Vorsitzender des Staatsrats von Anhalt; Dezember 1918 bis März 1919 Preuß. Justizminister; März 1919 bis März 1920 preuß. Innenminister. Nach dem Kapp-Putsch von der eigenen Partei gestürzt; erneut Rechtsanwalt in Berlin; 1933 i n die Schweiz emigriert. 10 Rudolf Oeser (1858-1926), 1897 Redakteur der Frankfurter Zeitung; 1917 Chefredakteur der Ostsee-Zeitung, Stettin; 1902-18 MdprAH; 1907-12 MdR (Freisinnige, dann Fortschrittliche Volkspartei); 1919-24 MdprLT (DDP); 1919-21 preuß. Minister für die öffentlichen Arbeiten; 1921-22 Landeshauptmann der Provinz Sachsen; 1922-23 Reichsinnenminister; 1923-24 Reichsverkehrsminister; 1924-26 Generaldirektor der Deutschen Reichsbahngesellschaft. 11 Oben S. 3, Anm. 5. 12 Unten Nr. 277, Nr. 278. 13 Unten Nr. 100. 3*
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
Ernst Troeltsch 14, der seit Frühjahr 1919 als Unterstaatssekretär für die evangelischen Angelegenheiten im Kultusministerium bestimmenden Einfluß auf die preußische Kirchenpolitik nehmen konnte 15.
N r . 19. Ansprache des Evangelischen O b e r k i r c h e n r a t s der altpreußischen Landeskirche a n die G e m e i n d e n vom 10. November 191816 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 67, 1918, S. 491 ff.) Wir haben den Weltkrieg verloren. Unerhörte grausamste Waffenstillstandsbedingungen der übermütigen Feinde haben wir annehmen müssen. Kaiser und Reich, wie es i n einer Geschichte ohnegleichen uns teuer und wert geworden war, ist dahin. Es ist uns nichts von Bitterkeit und Demütigung erspart worden. Unsre Herzen sind wie erstarrt und zerrissen in namenloser Trauer, in bängsten Sorgen. Armut, Elend, Hunger und Verachtung droht unser und unserer Kinder Los in der Welt zu werden. I n dieser furchtbarsten Zeit deutscher Geschichte wenden w i r uns an alle Glieder unserer evangelischen Gemeinden mit der Bitte: Laßt uns i m ungeheuren Ernst der Stunde die Schwere der Verantwortung, die Größe der Aufgabe erfassen. Wo ist Rettung und Hilfe in dem furchtbaren Leid, das über uns zusammenschlägt, wo nehmen w i r Kraft und M u t her, das unsagbare Elend zu ertragen? Deutschland ist nicht verloren, und das Evangelium ist nicht gebunden. Das Reich Jesu Christi trägt die erhaltenden und rettenden Kräfte für das Leben unseres Volks in sich, und seine Bürger sind verpflichtet und bereit, i m irdischen Vaterland zu dienen und jetzt da mitzuarbeiten, wo es gilt, die bestehende Ordnung zu stützen, neuen Aufgaben gerecht zu werden. So w i l l unsere evangelische Kirche als Volkskirche mitten i m Leben der Jetztzeit stehen, auch wenn äußere Stützen hinfallen sollten. Sie ist und bleibt eine Macht, der unser Volk zuversichtlich vertrauen kann; denn sie steht auf ewigem Grunde. Darum, evangelische Christen, die innere Zwietracht hat uns verderbt, so schließt die Reihen. Sammelt euch in den Kirchen und i m ganzen Leben als ein Volk des Herrn mit freudigem Zeugnis des ewigen Worts, als eine Schar von Betern, die nicht abläßt Tag und Nacht und der Erhörung ihres Gebetes gewiß ist, als ein Heer von Streitern, als eine Gemeinschaft, die unermüdlich in der Nachfolge Jesu w i r k t , i n der Liebe, die sanftmütig und demütig dient und das Leben einsetzt. I n diesen Tagen, in denen die Welt ein Chaos ist, muß unser deutsches Volk eine Christengemeinde sehen, die nicht flieht, 14
Ernst Troeltsch : Staat und Kirche, Bd. III, S. 191, Anm. 11. Siehe auch Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 874ff. Ferner J. V.Bredt, Neues Evangelisches Kirchenrecht für Preußen, Bd. 2 (1922), S. 170ff.; G.Köhler, Die Auswirkungen der Novemberrevolution von 1918 auf die altpreußische evangelische Landeskirche (Diss. Kirchl. Hochschule Berlin, 1967); C. Motschmann, Evangelische Kirche und preußischer Staat i n den Anfängen der Weimarer Republik (1969), S. 37 ff.; J.Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik. Der preußische Protestantismus nach dem Zusammenbruch von 1918 (1976), S. 171 ff. 16 Also, wie der Oberkirchenrat ausdrücklich vermerkt, am Geburtstag Martin Luthers. 15
IV. Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments i n Preußen
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sondern glaubt, die nicht klagt, sondern aufrecht steht, die nicht verzweifelt, sondern hofft. Wir halten Landes-Buß- und Bettag. Wir wollen uns beugen unter die eigene Schuld und unter unseres Volkes Schuld an dem über uns verhängten Leid, damit Gott uns erhöhen kann. Nur den Demütigen gibt er Gnade. Wir wollen aber auch i m Glauben neu den Herrn ergreifen, der allein den wahren Frieden und die rechte Freiheit bringt und den Seinigen verheißt, daß kein Haar von ihrem Haupte fallen kann ohne den Vater. A m Totensonntag werden Ungezählte i n bittrem Weh, daß ihre Toten nun umsonst gefallen sein könnten, sich in den Kirchen sammeln. Wir wollen ihnen den vollen Trost des ewigen Lebens bringen und ihnen den Glauben stärken, daß die heiligen Opfer mitwirken zur Auferstehung unseres Volkes. Wir gehen der sonst so lichten und nun so dunklen Advents- und Weihnachtszeit entgegen. Viele in unserm Volk werden in der großen Gefahr sein, alle Hoffnungen fürs Vaterland zu begraben. Hoffnungslosigkeit ist der Tod. Wir wollen den Trost ergreifen, daß der Herr, der durch den Tod zum Leben gegangen ist, immer i m Kommen ist. Sein Weg ist auch in den dunklen Wassern in dieser Zeit. Jede Epoche der Weltgeschichte soll auch eine Epoche in der Geschichte seines Reiches sein. Er lebt und herrscht, er w i r d siegen. Er läßt seine Sache nicht i m Stich! Das Reich muß uns doch bleiben.
N r . 20. E r l a ß des Oberpräsidenten der P r o v i n z O s t p r e u ß e n 1 7 , betreffend das V e r h a l t e n der Geistlichen gegenüber der j e t z i g e n Staatsgewalt vom 15. November 1918 (Amtliche Mitteilungen des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen, 1918, S. 103) A u f verschiedene mir zugegangene Anfragen habe ich eine Entscheidung des Arbeiter- und Soldatenrats über das Verhalten der Geistlichen herbeigeführt. Sie ist, wie folgt, ergangen: 1. Äußerungen gegen die jetzige Staatsgewalt von der Kanzel sind verboten. Verletzung dieser Vorschrift w i r d scharf, äußerstenfalls durch Amtsentsetzung geahndet. 2. Eine Fürbitte für den früheren Kaiser und König und sein Haus ist nicht strafbar, w i r d aber, nachdem dieser der Krone entsagt und Deutschland verlassen hat, von dem Arbeiter- und Soldatenrat als sinnlos und taktlos betrachtet.
17 Oberpräsident von Ostpreußen war Adolf Tortilowicz v. Batocki-Friebe (18681944), Jurist i m preuß. Verwaltungsdienst (Kons.); 1900 Landrat des Kreises Königsberg; 1907 Präsident der Landwirtschaftskammer Ostpreußen; 1914-16 Oberpräsident von Ostpreußen; 1916-17 Präsident des Kriegsernährungsamtes; von Januar 1918 bis Juni 1919 erneut Oberpräsident von Ostpreußen (dann abgelöst von August Winnig, SPD); 1921 kurze Zeit Reichskommissar für Wiederaufbau.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes N r . 21. E r l a ß des preußischen K u l t u s m i n i s t e r i u m s , betreffend A b ä n d e r u n g des a l l g e m e i n e n Kirchengebetes vom 28. November 1918 (Kirchliches Amtsblatt des Konsistorialbezirks Wiesbaden, 1918, S. 95)
Unter den veränderten politischen Verhältnissen ist i n dem allgemeinen Kirchengebet die Fürbitte für den König und das Königliche Haus in Wegfall gekommen. Das Konsistorium wolle, falls es noch nicht geschehen ist, das weitere veranlassen.
N r . 22. Gesetz z u r v o r l ä u f i g e n O r d n u n g der Staatsgewalt vom 20. März 1919 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1919, S. 53 f.) — Auszug — § 5. Die Befugnisse, die nach den Gesetzen und Verordnungen dem König zustanden, übt bis auf weiteres die Staatsregierung aus, mit der Maßgabe, daß eine Schließung und förmliche Vertagung der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung ausgeschlossen ist. Die Rechte des Königs als Trägers des landesherrlichen Kirchenregiments gehören hierzu nicht. Diese gehen bis zum Erlaß der künftigen Verfassung auf drei von der Staatsregierung zu bestimmende Staatsminister evangelischen Glaubens über.
N r . 23. Schreiben des O b e r k i r c h e n r a t s der altpreußischen Landeskirche a n die preußische R e g i e r u n g vom 26. März 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 243) I n unserem, der Preußischen Regierung durch das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung übermittelten Schreiben vom 6. Januar 1919 — E.O. I. Nr. 3785 I I — hatten w i r die bestimmte Auffassung vertreten, daß die bisherigen Rechte und Befugnisse des obersten Landesbischofs nach dem geltenden Staatsund Kirchenrecht und namentlich auch nach unseren Verfassungsbestimmungen 18 nach dem Aufhören des Königtums auf unsere Landeskirche übergegangen sind. Bevor uns hierauf eine Antwort zuteil wurde, ist nunmehr i n dem i n Nr. 17 der Preußischen Gesetzsammlung von 1919 veröffentlichten Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt i n Preußen vom 20. März 1919 in dessen § 5 1 9 bestimmt worden, daß die Rechte des Königs als Träger des landesherrlichen Kirchenregiments zwar nicht zu den Rechten gehören, die bis auf weiteres von der Staatsregierung auszuüben sind, daß sie jedoch bis zum Erlaß der künftigen Verfassung auf 18 19
D.h. der preußischen Verfassung von 1850 (Staat und Kirche, Bd. Π, Nr. 11). Oben Nr. 22.
IV. Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen
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drei von der Staatsregierung zu bestimmende Staatsminister evangelischen Glaubens übergehen. Hierin müssen w i r einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte unserer Landeskirche erblicken. Wir gestatten uns, zur gefälligen Kenntnis die Gutachten zweier namhafter Rechtsgelehrter zu überreichen: 1. des Senatspräsidenten beim Preußischen Oberverwaltungsgericht D. Bern e r 2 0 und 2. des Professors der Rechte an der Universität in Marburg Dr. Bredt 2 1 . Beide begründen eingehend den von uns in voller Übereinstimmung mit dem Vorstande der Generalsynode vertretenen Standpunkt, daß i n den Befugnissen der Krone die Rechte des Trägers des Kirchenregiments von denen des Staatsoberhaupts grundsätzlich zu unterscheiden sind, und daß die ersteren Rechte, von der Kirche seiner Zeit auf den Träger der Krone übertragen, nach dessen Wegfall an die Kirche zurückgefallen sind. Gegen die erwähnte Gesetzesbestimmung müssen w i r hiernach entschieden Verwahrung einlegen. Hierzu halten wir uns umso mehr verpflichtet, als der Kirche zur Wahrung ihrer verfassungsmäßigen Rechte keine Gelegenheit gegeben worden ist. Und wenn es sich auch nur u m eine vorübergehende, nicht aber u m eine dauernde Regelung handeln kann, so erfolgt doch der Eingriff in die kirchlichen Rechte in einem Zeitpunkte, in welchem die Kirche mehr als je der äußeren und inneren Freiheit zu einer neuen Regelung ihrer Ordnungen bedarf.
N r . 24. Eingabe des Generalsynodalvorstands der altpreußischen Landeskirche a n die preußische L a n d e s v e r s a m m l u n g vom 2. A p r i l 1919 (Verhandlungen der außerordentlichen Versammlung der siebenten Generalsynode der evangelischen Landeskirche Preußens, 1920, S. 68 ff.) — Auszug — Die verfassunggebende Landesversammlung hat durch Beschluß vom 20. März 1919 i m § 5 des Gesetzes zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt bestimmt: daß die Befugnisse, die nach Gesetzen und Verordnungen dem Könige zustanden, bis auf weiteres von der Staatsregierung ausgeübt werden; daß hierzu nicht gehören die Rechte des Königs als Träger des landesherrlichen Kirchenregiments; und 20 M. Berner, Das Kirchenregiment i n der altpreußischen Landeskirche (1919). — Max Berner (1855-1935), Jurist; 1882 Amtsrichter in Steinbach-Hallenberg, 1886 i n Köpenick; 1890 Landrichter i n Berlin (1895 Landgerichtsrat); 1898 Kammergerichtsrat; 1899 Oberverwaltungsgerichtsrat; 1918 Senatspräsident, 1922 Vizepräsident des Preußischen Oberverwaltungsgerichts i n Berlin; Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses. 21 J. V. Bredt, Die Rechte des Summus episcopus (1919). — Johann Victor Bredt (1879-1940), Jurist; seit 1903 i m preuß. Verwaltungsdienst; 1909 Privatdozent für Staats- und Kirchenrecht in Marburg; seit 1911 ao. Professor, seit 1918 o. Professor daselbst; 1911-18 M d p r A H (freikonservativ); 1921-24 MdprLT und 1924-Juli 1932 sowie November 1932-März 1933 MdR (Wirtschaftspartei); 30. März-5. Dezember 1930 Reichsjustizminister.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
drittens — nicht ohne inneren Widerspruch zu der zweiten Bestimmung — daß diese Rechte bis zum Erlasse der künftigen Verfassung auf drei von der Staatsregierung zu bestimmende Staatsminister evangelischen Glaubens übergehen. Die dritte Bestimmung entspricht nicht der geschichtlichen Entwicklung und der gegenwärtigen Rechtsstellung der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen Preußens. Sie hat in der evangelischen Bevölkerung Beunruhigung und große Sorge hervorgerufen. Denn sie w i r d als ein schwerer Eingriff des Staates in die Grundrechte und i n das innere Leben der Kirche empfunden. Durch sie w i r d der evangelischen Landeskirche der Charakter einer Staatskirche aufgedrückt, den sie nach ihrer staats- und kirchengesetzlich gewährleisteten Verfassung nicht hat. I n einer Zeit, die sich die Aufgabe gestellt hat, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche i m Wege der Verständigung mit dem Ziele beiderseitiger Unabhängigkeit neu zu regeln, sieht sich die evangelische Kirche plötzlich i n eine dem bestehenden Rechtszustande widerstreitende Abhängigkeit von staatlichen Organen versetzt, die durch jene Bestimmung ermächtigt und veranlaßt werden, sich in ihr inneres Verfassungs- und Verwaltungsleben einzumischen. Der evangelische Oberkirchenrat hat am 6. Januar 1919 der Preußischen Regierung gegenüber die von i h m und uns bestimmt vertretene Auffassung bekundet und begründet, daß die bisherigen Rechte und Befugnisse des obersten Landesbischofs gemäß dem geltenden Staats- und Kirchenrechte und unseren Verfassungsbestimmungen nach dem Aufhören des Königtums auf unsere Landeskirche übergegangen sind. Wir halten in Übereinstimmung mit dem Oberkirchenrate, der es am 26. März 1919 der Staatsregierung ausgesprochen hat, an dieser Erklärung und an der unverrückbaren Auffassung fest, daß i n den Befugnissen der Krone die Rechte des Trägers des Kirchenregiments von denen des Staatsoberhaupts grundsätzlich unterschieden waren und daß die ersteren Rechte, von der Kirche seinerzeit auf den Träger der Krone übertragen, nach dessen Wegfall an die Kirche zurückgefallen sind. Wir überreichen der verfassunggebenden Landesversammlung ein Rechtsgutachten des Senatspräsidenten beim Oberverwaltungsgerichte D. Berner über das Kirchenregiment in der altpreußischen Landeskirche und ein Rechtsgutachten des Professors Dr. Bredt in Marburg über die Rechte des Summus Episcopus. Beide Gutachten sind vor dem 20. März 1919 geschrieben. . . . Die Bestimmung i m dritten Satze des § 5 des Gesetzes zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt behindert, solange sie besteht, die Kirche an der Erfüllung der ihr erwachsenen Pflicht, aus sich heraus die notwendig gewordenen Änderungen ihrer Verfassung vorzunehmen, selbst dieses innere Kirchenrecht zu schaffen. Die Bestimmung ist erlassen, ohne daß den kirchlichen Organen Gelegenheit gegeben war, sich zu ihr zu äußern. Wir verwahren uns und die zur Zeit nicht versammelte Generalsynode gegen jene Bestimmung und bitten die verfassunggebende Landesversammlung, den Beschluß vom 20. März an der Hand der überreichten Gutachten nachprüfen und sich von seiner rechtlichen Unhaltbarkeit überzeugen zu wollen.
IV. Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen
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N r . 25. Schreiben des preußischen M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n H i r s c h a n den O b e r k i r c h e n r a t der altpreußischen Landeskirche vom 11. Juni 1919 (Verhandlungen der außerordentlichen Versammlung der siebenten Generalsynode der evangelischen Landeskirche Preußens, 1920, S. 73) — Auszug — . . . Der Evangelische Ober-Kirchenrat und der Generalsynodalvorstand, den w i r von diesem Schreiben zu benachrichtigen bitten, werden mit der Preußischen Staatsregierung darin übereinstimmen, daß § 5 des Gesetzes über die vorläufige Ordnung der Staatsgewalt in Preußen vom 20. März 1919, durch den die Rechte des ehemaligen Königs auf dem Gebiet des landesherrlichen Kirchenregiments auf drei von der Staatsregierung zu bestimmende Staatsminister evangelischen Glaubens übergegangen sind, zurzeit geltenden Rechts ist und daß staatliche und kirchliche Interessen gleichmäßig die Anerkennung dieses Rechtszustands notwendig bzw. erwünscht erscheinen lassen. Unter diesen Umständen glauben wir an dieser Stelle von einer Stellungnahme zu Rechtsausführungen absehen zu können, die von dieser praktischen Sachlage absehen. Wenn der vorläufigen staatsgesetzlichen Regelung der Kirchengewalt i n Preußen ein Einvernehmen mit den kirchlichen Organen nicht vorausgegangen ist, so liegt dies daran, daß die Schaffung einer auf gesetzlicher Grundlage ruhenden vorläufigen Staatsgewalt in Preußen nach Lage der Verhältnisse zu eilbedürftig erschien, u m weitere Verzögerungen, wie sie bei entsprechenden Verhandlungen mit den kirchlichen Organen unvermeidbar waren, zu vertragen. Unter diesen Umständen müssen w i r den Evangelischen OberKirchenrat und den Generalsynodalvorstand ganz ergebenst ersuchen, schon i m Interesse eines geordneten Geschäftsganges mit dieser vorläufigen Regelung auch bei Aufrechterhaltung seiner Rechtsauffassung, praktisch als einer gegebenen Tatsache zu rechnen. Zur Beseitigung von Mißverständnissen, wie sie hier und da zutage getreten sind, benutzen w i r die Gelegenheit, nachdrücklich zu betonen, daß es sich, dem provisorischen Charakter des Gesetzes vom 20. März d. J. gemäß, u m eine vorübergehende Maßnahme handelt, die i n der Bildung selbständiger Kirchenregierungen ihren natürlichen Abschluß findet und die, insofern sie in der Zwischenzeit nicht nur die Ausübung der Rechte, sondern auch der Pflichten des Trägers der obersten Kirchengewalt verbürgen soll, auch den kirchlichen Interessen unter voller Würdigung ihrer Bedeutung für Staat und Volk zu dienen bestimmt ist. Die Handhabung dieser Befugnisse w i r d der ganzen Sach- und Rechtslage gemäß in einem Geist zu erfolgen haben, der der Selbständigkeit der kirchlichen Interessen Rechnung trägt und demgemäß sich wesentlich auf Entscheidung zugehender Anträge beschränkt.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
V. Der Eingriff des preußischen Kultusministeriums in die Leitung der evangelischen Landeskirchen Einen direkten Eingriff in die Leitung der evangelischen Landeskirchen nahm das preußische Kultusministerium am 5. Dezember 1918 vor. Es ernannte den Berliner Pfarrer Dr. Ludwig Wessel 1 zum Regierungsvertreter für die evangelischen Kirchenbehörden in Preußen (Nr. 26, Nr. 27). Wessel war im November 1918 als einer der Sprecher der Berliner Pfarrerschaft hervorgetreten; als Vorsitzender des am 18. November 1918 konstituierten Pfarrerrats Groß-Berlins hatte er direkte Verhandlungen mit dem preußischen Kultusministerium über die Sicherung der Pfarrerbesoldung aufgenommen. So wurde er zu einem Vertrauensmann des Kultusministers Adolph Hoffmann, der seine Ernennung zum Regierungsvertreter bei den evangelischen Landeskirchen durchsetzte. Zugleich ernannte der Minister — an der Stelle des kurz zuvor verstorbenen Propsts Kawerau 2 — Wessel zum Propst an St. Petri 3; mit diesem Amt war die Mitgliedschaft im Oberkirchenrat verbunden. Dem neuen Regierungsbeauftragten sollten weitreichende Befugnisse gegenüber dem preußischen Oberkirchenrat wie gegenüber den obersten Kirchenbehörden der anderen preußischen Landeskirchen zukommen: er sollte das Recht haben, an allen Beratungen dieser Behörden teilzunehmen und nach eigenem Gutdünken die Leitung der Sitzungen zu übernehmen; die Beschlüsse der Kirchenbehörden sollten erst durch seine Gegenzeichnung Gültigkeit erhalten. Das Kultusministerium schwieg darüber, ob der Regierungsbeauftragte derart weitreichende Befugnisse kraft der staatlichen Kirchenhoheit oder kraft des — nun von der Revolutionsregierung in Anspruch genommenen — landesherrlichen Kirchenregiments ausüben sollte. Keine dieser beiden denkbaren Begründungen hätte den Eingriff in die Selbständigkeit der Landeskirchen decken können. Das brachte auch der Protest zum Ausdruck, den der, unter der Leitung des Präsidenten Voigts 4 stehende, preußische Oberkirchenrat am 13. Dezember 1918 gegen die staatliche Maßnahme einlegte (Nr. 28); er veröffentlichte diese Rechtsverwahrung zugleich mit den Erlassen des Kultusministeriums und gab schon dadurch zu erkennen, daß er die Tätigkeit des Regierungsvertreters praktisch unmöglich machen wollte. So erhielt Ludwig Wessel praktisch keine Gelegenheit, seine weitgespannten Befugnisse auszuüben. Schon am 21. Dezember 1918 kündigte er an, daß er die dem Einspruch des Oberkirchenrats entsprechenden Konsequenzen zu ziehen bereit sei 5. 1 Ludwig Wessel (1879-1922), seit 1905 Pfarrer i n Mülheim (Ruhr), 1913-22 an St. Nikolai in Berlin; während des 1. Weltkriegs Militärpfarrer; seit 18. November 1918 einer der drei Vorsitzenden des Berliner Pfarrerrats; Dezember 1918 bis Januar 1919 Regierungsbeauftragter für die evangelischen Landeskirchen i n Preußen, von der Regierung oktroyiertes Mitglied des Evang. Oberkirchenrats und Propst an St. Petri i n Berlin; Vater von Horst Wessel. 2 Gustav Kawerau: Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, S. 646, Anm. 11. 3 Erlaß des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Evangelischen Oberkirchenrat vom 7. Dezember 1918 (Text: Kirchl. Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 8, 1918, S. 62f.). 4 Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, S. 867.
V. Der Eingriff des preußischen Kultusministeriums
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Unmittelbar nach dem Ausscheiden Adolph Hoffmanns aus dem preußischen Kultusministerium am 3. Januar 1919 verzichtete Wessel von sich aus auf die Beauftragung durch die Regierung und die damit verbundenen kirchlichen Ämter (Nr. 29, Nr. 30). Die Bestellung eines Regierungsbeauftragten bei den evangelischen Kirchenbehörden blieb 1918 ein kurzer, die Auseinandersetzungen jedoch verschärfender Zwischenakt 6. N r . 26. Schreiben des M i n i s t e r i u m s f ü r Wissenschaft, K u n s t u n d V o l k s b i l d u n g a n den Evangelischen O b e r k i r c h e n r a t vom 5. Dezember 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 33 f.) Das Ministerium hat den Pfarrer Dr. Wessel an St. Nikolai in Berlin als Regierungsvertreter für die evangelischen kirchlichen Behörden i n Preußen bestellt. Soweit von dieser Verordnung der Evangelische Oberkirchenrat und das Konsistorium der Provinz Brandenburg i n Berlin betroffen werden, ergeht dazu i m einzelnen die nachstehende Mitteilung und Anordnung, u m deren dienstliche Weitergabe an das Konsistorium der Evangelische Oberkirchenrat hierdurch ersucht wird: Der Regierungsvertreter Dr. Wessel hat sämtliche Beschlüsse der genannten Behörden künftig gegenzuzeichnen. Die bisher dem Ministerium oder der Regierung zur Genehmigung vorzulegenden Aktenstücke und Beschlüsse werden nicht davon betroffen. Erst durch diese seine Mitunterzeichnung als Regierungsvertreter erhalten sie fortan Gültigkeit. Er hat ebenso das Recht der Teilnahme an sämtlichen Voll- und Ausschußsitzungen der genannten Behörden und, falls es ihm i m Regierungsinteresse geboten erscheint, das der Leitung sämtlicher Beratungen. Die Wahrnehmung dieser Ermächtigung bleibt seinem Ermessen von Fall zu Fall überlassen. Ebenso steht i h m das Recht zu, jederzeit mit den Mitgliedern und Beamten der genannten Behörden dienstliche Rücksprachen und Besprechungen abzuhalten. Das Ministerium vertraut darauf, daß durch diese Berufung eines Geistlichen des praktischen Pfarramts die Grundlage eines vertrauensvollen Zusammenarbeitens zwischen Ministerium und kirchlichen Behörden vorbereitet w i r d und daß dem neuernannten Regierungsvertreter in jeder Weise die Wahrnehmung seines i h m vom Ministerium erteilten Auftrags erleichtert wird. Alle weiteren geschäftsordnungsmäßigen Regelungen werden von i h m aus veranlaßt werden. Dieser Erlaß tritt mit dem heutigen Tage in Kraft.
5 Briefe von Ludwig Wessel an den Evangelischen Oberkirchenrat vom 21. Dezember 1918 und vom 9. Januar 1919 (Text: G. Köhler, Die Auswirkungen der Novemberrevolution von 1918 auf die altpreußische evangelische Landeskirche, Diss. Berlin 1967, S. 196f.). 6 G.Mehnert, Evangelische Kirche und Politik 1917-1919 (1959), S. 109ff.; G. Köhler, Die Auswirkungen der Novemberrevolution von 1918 auf die altpreußische evangelische Landeskirche (Diss. Berlin 1967), S. 44ff.; C. Motschmann, Evangelische Kirche und preußischer Staat i n den Anfängen der Weimarer Republik (1969), S. 30 f.; J.Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik (1976), S. 59ff; J. R. C. Wright , „Über den Parteien" (1977), S. 15ff; Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 876f.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
N r . 27. Zweites Schreiben des M i n i s t e r i u m s f ü r Wissenschaft, K u n s t u n d V o l k s b i l d u n g a n den Evangelischen O b e r k i r c h e n r a t vom 5. Dezember 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 37 f.) I n Verfolg unseres Erlasses betreffs der Bestellung des Pfarrers Dr. Wessel an St. Nikolai i n Berlin zum Regierungsvertreter bei den evangelischen kirchlichen Behörden ersucht das Ministerium u m Veröffentlichung des nachstehenden Erlasses in den Verordnungs- und Amtsblättern des Evangelischen Oberkirchenrats und der Konsistorien, an die das Erforderliche zu veranlassen ist 7 . Das Ministerium hat den Pfarrer Dr. Wessel an St. Nikolai i n Berlin als Regierungsvertreter für die evangelischen kirchlichen Behörden in Preußen bestellt. A n sich sollen künftighin sämtliche Konsistorialbeschlüsse und Verordnungen wichtiger A r t und ebenso die des Evangelischen Oberkirchenrats von dem genannten Regierungsvertreter gegengezeichnet werden und durch die Mitunterzeichnung fortan erst bindende Kraft erhalten. Die bisher dem Ministerium oder der Regierung zur Genehmigung vorzulegenden Aktenstücke und Beschlüsse werden davon nicht betroffen. Seitens des Regierungsvertreters w i r d i m einzelnen darüber Benachrichtigung ergehen, auf welche Sachinhalte der Beschlüsse diese Verordnung Anwendung finden soll. Maßgebend hierfür ist ein vom Ministerium genehmigter und mit dem Regierungsvertreter vereinbarter Gesamtplan, nach dem die besonders auch für die Zeitverhältnisse gegebenen Aufgaben der kirchlichen Behörden ihre Erledigung finden sollen. Der Regierungsvertreter w i r d i n absehbarer Zeit auch Gelegenheit zu persönlicher Fühlungnahme mit den genannten Dienststellen nehmen. I m Fall seiner Teilnahme an Sitzungen der Konsistorien, auch ihrer Ausschüsse, steht i h m jederzeit auch das Recht der Leitung zu, wenn er die Wahrnehmung desselben i m Regierungsinteresse für geboten erachtet, ebenso auch der Ansetzung dienstlicher Rücksprachen und Besprechungen mit den Mitgliedern und Beamten. Das Ministerium vertraut darauf, daß durch diese Berufung eines Geistlichen des praktischen Pfarramts, dem insbesondere auch die kirchlichen Verhältnisse der beiden Westprovinzen Rheinland und Westfalen durch seine frühere pfarramtliche Wirksamkeit dort wohl bekannt sind, die Grundlage eines vertrauensvollen Zusammenarbeitens zwischen Ministerium und kirchlichen Behörden vorbereitet w i r d und daß dem neuernannten Regierungsvertreter in jeder Weise die Wahrnehmung seines ihm vom Ministerium erteilten Auftrages erleichtert wird. Alle weiteren geschäftsordnungsmäßigen Regelungen werden von i h m aus veranlaßt werden. Dieser Erlaß tritt mit dem heutigen Tage in Kraft.
7 Ein nahezu gleichlautender Erlaß ging am 5. Dezember 1918 auch an das Landeskonsistorium in Hannover und an die Konsistorien i n Hannover, Aurich, Kassel, Wiesbaden, Frankfurt a. M. und K i e l (Text: Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 3 f.).
V. Der Eingriff des preußischen Kultusministeriums
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N r . 28. Schreiben des Evangelischen O b e r k i r c h e n r a t s a n das M i n i s t e r i u m f ü r Wissenschaft, K u n s t u n d V o l k s b i l d u n g vom 13. Dezember 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 35ff.) Die i n den beiden Schreiben vom 5. Dezember d. J. uns mitgeteilten Maßnahmen enthalten einen schweren gesetzwidrigen Eingriff in die verfassungsmäßig gewährleistete Selbständigkeit der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen Preußens. Namens der Landeskirche legen w i r hiermit gegen diese Rechtsverletzung nachdrücklich Verwahrung ein. Die Landeskirche steht mit den Befugnissen einer Korporation des öffentlichen Rechts der Staatsgewalt innerhalb der durch die Staatsgesetze gezogenen Grenzen selbständig gegenüber. Durch die bestehende Rechtsordnung und namentlich durch das staatliche Kirchenverfassungsgesetz vom 3. Juni 1876 (Artikel 21 Absatz 1 und 3) 8 ist der Landeskirche die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten durch den Evangelischen Oberkirchenrat und die Konsistorien als Organe der Kirchenregierung übertragen und verbürgt und ihnen die Ausübung ihrer Rechte durch kollegial verfaßte Behörden gewährleistet worden. I n der bestehenden Rechtsordnung und namentlich wiederum i n dem Kirchenverfassungsgesetz ist hinsichtlich der Rechte des Staates gegenüber der Kirche einzig und allein der Vorbehalt gemacht worden (vergi. A r t i k e l 23 und 24), daß in einzelnen besonders namhaft gemachten und gesetzlich festgelegten Fällen der äußeren Kirchenverwaltung — und nur in solchen — dem Staate die Ausübung seiner Hoheitsrechte verblieben ist, und Beschlüsse kirchlicher Organe zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung bedürfen. A u f dieser Rechtsgrundlage ist die bestehende Rechtsordnung die: die kirchliche Verwaltung ist nicht Staatsverwaltung. Dem Staat steht ein allgemeines Verfügungsrecht über die selbständige kirchliche Verwaltung und insbesondere auch eine Einwirkung auf innerkirchliche Angelegenheiten überhaupt nicht, auf äußere kirchliche Angelegenheiten nur da und nur in dem Maße und nur in der A r t zu, wie dies dem Staat i m Gesetz ausdrücklich vorbehalten ist. Mit dieser klaren Rechtslage steht der i n den beiden genannten Schreiben erhobene Anspruch auf ein allgemeines, die gesamte äußere und innere kirchliche Verwaltung des Evangelischen Oberkirchenrats und der Konsistorien umfassendes und bindendes Kontroll- und Genehmigungsrecht i n schlechthin unvereinbarem Widerspruch. Hiergegen mit aller Entschiedenheit Verwahrung einzulegen, ist die oberste kirchliche Behörde u m so mehr verpflichtet, als der Anspruch des Ministeriums an die Landeskirche herantritt in einem Zeitpunkt, i n welchem die derzeitige Regierung die Trennung der Kirche vom Staat als ihr Programm verkündet hat. Von der A r t der Durchführung dieses Programms kann Sein oder Nichtsein der Landeskirche abhängen, und gerade i n dieser die Landeskirche, die Pfarrer und die Gemeinden aufs tiefste berührenden Frage ist die jetzt getroffene Anordnung des 8
Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 449.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
Ministeriums geeignet, der Kirchenbehörde die Wahrnehmung der Rechte und Interessen der Landeskirche unmöglich zu machen. I n dieser schweren Notzeit unseres Volkes werden wir uns auch fernerhin dem Dienste an Kirche und Vaterland nicht entziehen, soweit wir das nach Pflicht und Gewissen vor unserer Kirche noch verantworten können. Das Ministerium ersucht i n dem ersten Schreiben vom 5. d. Mts. u m dienstliche Weisung an das hiesige Konsistorium und i n dem zweiten Schreiben vom 5. d. Mts. u m eine Veröffentlichung durch die kirchlichen Verordnungs- und Amtsblätter. Wir werden diesem Ersuchen entsprechen, und zugleich unsere heutige Verwahrung zur Kenntnis der Landeskirche, ihrer Pfarrer und Gemeinden bringen. Abschrift unseres vorstehenden Schreibens senden w i r der preußischen wie der Reichsregierung zu und geben von demselben auch dem dortseits als Regierungsvertreter bezeichneten Pfarrer Dr. Wessel an St. Nikolai Kenntnis.
N r . 29. Schreiben des Regierungsbeauftragten L u d w i g Wessel a n den preußischen O b e r k i r c h e n r a t vom 11. Januar 1919 (G. Köhler, Die Auswirkungen der Novemberrevolution von 1918 auf die altpreußische evangelische Landeskirche, Diss. Berlin 1967, S. 197 f.) Dem evangelischen Oberkirchenrat gestatte ich mir folgendes mitzuteilen: Da heute der Minister Haenisch nach seiner Erkrankung an der Grippe die Dienstgeschäfte wieder aufgenommen hat, habe ich sogleich auch meine schon i n meinem erstmaligen Schreiben von Ende Dezember v. J. 9 zum Ausdruck gebrachte Absicht in persönlichem Vortrag ausführen können. Ich habe gebeten, mich von der Wahrnehmung der Stellung eines Regierungsvertreters zu entbinden, weil ich durch die Entwicklung der innerpolitischen Verhältnisse auf absehbare Zeit jede ernstliche Zukunftsgefährdung der evangelischen Kirche und Pfarrerschaft für beseitigt und ausgeschlossen halte und weil ich weiter davon überzeugt bin, daß durch die gleiche politische Entwicklung heute ebenfalls nicht mehr mit irgendwelchen störenden Eingriffsmöglichkeiten anderer neu entstandener Instanzen, auf die das Ministerium in dem Fall ohne Einfluß wäre, zu rechnen ist. M i t diesen beiden Erkenntnissen entfiel mir der Grund zur weiteren Wahrnehmung der genannten Stellung. Ich habe sodann dem Herrn Minister es ebenfalls schriftlich und mündlich zur Kenntnis gebracht, daß i m gleichen Verfolg damit für mich heute wie vordem irgendwelche persönlichen Wünsche nicht bestehen, die vom Ministerium erfolgten Ernennungen für den E.O.K, und St. P e t r i 1 0 zur Durchführung zu bringen, weil diese meiner Ansicht nach nur als Basis bzw. Legitimation zur Wahrnehmung oben genannter Stellung gedacht waren. Daß für diese Übernahme nicht i m geringsten 9 10
Siehe oben S. 43, Anm. 5. Siehe oben S. 42 mit Anm. 3.
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egfall des landesherrlichen Kirchenregiments
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parteipolitische Antriebe oder Bindungen wirksam waren, sondern nur der Wille zur Nothilfe i n einer von mir als ernste Gefahrstunde erkannten Zeit politischer Hochspannung i m Interesse des Staates und der Kirche, bedarf keiner besonderen Feststellung.
N r . 30. Schreiben des preußischen M i n i s t e r i u m s f ü r Wissenschaft, K u n s t u n d V o l k s b i l d u n g a n den Evangelischen O b e r k i r c h e n r a t vom 13. Januar 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 114f.) Der Pfarrer Dr. Wessel hat gebeten, die Verfügungen, betreffend seine Berufung in die Propsteistelle an St. Petri hierselbst und in die nebenamtliche Ratsstelle beim Evangelischen Oberkirchenrat sowie seine Ernennung zum Geheimen Oberkonsistorialrat rückgängig zu machen. Demgemäß w i r d das Schreiben v o m 7. Dezember 1918 — G. 1.1609 —, betreffend Berufung des Pfarrers Dr. Wessel in die Propsteistelle von St. Petri hierselbst und in die nebenamtliche Ratsstelle beim Evangelischen Oberkirchenrat sowie seine Ernennung zum Geheimen Oberkonsistorialrat zurückgenommen 1 1 , ebenso auch die Schreiben vom 5. Dezember 1918 12 , betreffend die Bestellung des Pfarrers Dr. Wessel zum Regierungsvertreter bei den evangelisch-kirchlichen Behörden.
VI. Der Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments in den übrigen deutschen Staaten Nach dem Thronverzicht der deutschen Landesfürsten bestand auch ihre kirchliche Funktion als Inhaber des landesherrlichen Summepiskopats nicht mehr fort. Sie wurde nach dem November 1918 entweder direkt auf kirchliche Organe überführt oder zunächst, wenn auch nur für eine Übergangszeit, von staatlichen Instanzen in Anspruch genommen. Für die direkte Überleitung auf kirchliche Organe hatte Württemberg noch während der Amtszeit König Wilhelms II. 1 durch das Gesetz vom 9. November 19182 ein Modell geschaffen 3. Es sah den Übergang der Rechte des landesherrlichen 11
Wessel war durch das Ministerium als Nachfolger von Gustav Kawerau (Staat und Kirche, Bd. III, S. 646, Anm. 11) berufen worden. Daraufhin hatte der Oberkirchenrat am 11. Dezember geantwortet, daß diese Mitteilung schon deshalb nicht weiter verfolgt werden könne, weil über beide Stellen erst nach Ablauf der Gnadenzeit verfügt werden dürfe (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 114). 12 Oben Nr. 26, Nr. 27. 1
Staat und Kirche, Bd. III, S. 576, Anm. 2. Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 231. 3 Vgl. auch H. Voelter, Die Revolution von 1918 und ihre Auswirkungen auf die württembergische evangelische Landeskirche, in: Blätter für württ. Kirchengeschichte 62 (1962), S. 309 ff. 2
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
Kirchenregiments auf die neu zu bildende Kirchenregierung vor. Diese konstituierte sich am 28. November 1918; sie bestand aus dem Konsistorialpräsidenten v. Zeller 4, dem Präsidenten der Landessynode v. Haffner 5, dem Prälaten 6 v. Planck , dem Staatsrat v. Mosthof sowie dem Stadtdekan Traub 8. Drei Juristen und zwei Theologen bildeten diese Kirchenregierung, die sich am 12. Dezember 1918 mit einer Bekanntmachung an das evangelische Kirchenvolk wandte (Nr. 31); sie erklärte die Bereitschaft der Kirche zur Zusammenarbeit mit dem Staat an der Aufgabe des Neuaufbaus. Diesem württembergischen Vorbild folgend übertrug Großherzog Friedrich II. von Baden 9 noch vor seinem formellen Thronverzicht die kirchenregimentlichen Rechte dem Oberkirchenrat, der für Gesetze und andere Entscheidungen die Zustimmung des erweiterten Generalsynodalausschusses einholen mußte (Nr. 32); dieses Gesetz fand alsbald die Bestätigung der Generalsynode (Nr. 33). Der Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments führte hier zur Bildung eines neuen Gremiums, in dem die Konsistorialbehörde und der Synodalvorstand zusammenzuwirken hatten; diese Einrichtung hat in veränderter Form als „Landeskirchenrat" noch heute Bestand 10. In Hessen wurde durch die Bekanntmachung vom 7. Dezember 1918 die Wahrnehmung kirchenregimentlicher Befugnisse zunächst an das Einverständnis zwischen dem Oberkonsistorium und dem Präsidenten der Landessynode gebunden (Nr. 34). Das Gesetz vom 28. August 1919 hingegen übertrug das Kirchenregiment auf die Landessynode, die mit seiner Ausübung das aus Oberkonsistorium und Landessynodalausschuß bestehende erweiterte Oberkonsistorium beauftragte (Nr. 35). Ein Zusammenwirken zwischen Oberkirchenrat und Landessynodalausschuß sah auch die oldenburgische Regelung vom 10. Dezember 1918 vor (Nr. 36, Nr. 37). Dem Landeskirchenrat für Anhalt sollten neben den Mitgliedern des Konsistoriums und des Synodalvorstands fünf kooptierte Mitglieder angehören (Nr. 39). Zu ähnlichen Lösungen kam es auch in Sachsen-Weimar-Eisenach, Mecklenburg-Strelitz, LippeDetmold und Waldeck 11. In anderen Ländern nahmen staatliche Organe die Befugnisse des landesherrlichen Kirchenregiments für sich in Anspruch. Voran gingen die Länder, in denen der 4
Staat und Kirche, Bd. III, S. 871. Karl v. Haffner (1855-1944), Jurist; zunächst i m württ. Justizdienst, dann i n der Finanzverwaltung; 1899 Ministerialrat, 1906 Ministerialdirektor i m Finanzministerium; 1907 Direktor des Statistischen Landesamtes; 1913-25 Präsident der württ. Landessynode. 6 Heinrich v. Planck (1851-1932), seit 1880 Pfarrer i n Eßlingen, seit 1912 Prälat in Ulm; 1918-24 Mitglied des württ. Landeskonsistoriums. 7 Heinrich v. Mosthof (1854-1933), Jurist i m württ. Verwaltungsdienst; Vorstand der württ. Zentralstelle für Gewerbe und Handel (Staatsrat); Vorstand des Evang. Volksbundes für Württemberg; 1918-24 Mitglied des württ. Landeskonsistoriums. 8 Theodor Traub (1860-1942), Theologe; 1891-1901 Vorstand des württ. Landesverbands der evang. Arbeitervereine; seit 1892 Pfarrer in Stuttgart (1913 Stadtdekan, 1916 zugleich Oberkirchenrat); 1918-24 Mitglied des württ. Landeskonsistoriums (seit 1922 Prälat). 9 Oben S. 17, Anm. 8. 10 Siehe die Grundordnung der Evangelischen Landeskirche Baden vom 5. Mai 1972, § 123 (Kirchl. VB1. 1972, S. 87 f.). 11 Allg. Kirchenblatt für das evang. Deutschland, 68, 1919, S. 53, 121 f., 191, 328ff. 5
V.
egfall des landesherrlichen Kirchenregiments
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Summepiskopat bis zum November 1918 in den Händen eines katholischen Landesherrn gelegen hatte: Sachsen hielt an der Wahrnehmung des Kirchenregiments durch die drei Minister in evangelicis fest 12, ein Vorbild, dem Preußen sich alsbald anschloß 13. In Bayern, wo der katholische König den Summepiskopat über die evangelischen Landeskirchen selbst wahrgenommen hatte 14, nahmen die Ministerpräsidenten Eisner 15 und Hoffmann 16 das landesherrliche Kirchenregiment unmittelbar für sich in Anspruch. Das Oberkonsistorium sah sich schon deshalb außerstande, diesem Anspruch entgegenzutreten, weil es selbst eine staatliche Behörde war 17. Eine Lösung konnte deshalb erst mit der Neugestaltung der bayerischen Kirchenverfassung gefunden werden 18. Besonders offenkundig war der Eingriff in die überlieferten Grundsätze des Staatskirchenrechts und der evangelischen Kirchenverfassung in Sachsen-Altenburg. Der Beschluß vom 28. März 1919 übertrug die Rechte des landesherrlichen Kirchenregiments zum einen Teil dem Staatsministerium als ganzem, zum anderen Teil einem innerhalb der Kultusabteilung des Staatsministeriums gebildeten „Kollegium für innere Angelegenheiten der Landeskirche" (Nr. 38). Eine Sonderstellung nahmen die drei norddeutschen Stadtstaaten ein; denn in ihnen war die Stellung der Senate durch die Novemberrevolution nicht unmittelbar berührt. In Hamburg waren die kirchenregimentlichen Befugnisse des Senats indes schon durch die Verfassung von 1860 beseitigt worden 19. In Bremen und Lübeck dagegen hielten die Senate auch nach der Revolution am Kirchenregiment fest. In Bremen, dessen neue Regierung ein radikales Trennungskonzept verfocht 20, wurden 12
Siehe oben S. 34, 48f. Siehe oben S. 34ff. 14 Siehe Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 277-290; Bd. II, Nr. 168-170. 15 Kurt Eisner, eig. Kosmanowski (1867-1919), geb. in Breslau, Journalist; zunächst Anhänger F. Naumanns (Staat und Kirche, Bd. III, S. 707, Anm. 11), dann Sozialdemokrat, dem revisionistischen Flügel zugehörig; seit 1898 unter Wilhelm Liebknecht Redakteur am „Vorwärts", 1900-05 i m leitenden Redakteurskollegium; 1905 Redakteur der „Fränkischen Tagespost", Nürnberg, 1910 der „Münchener Post". 1914 Übergang zum linken Flügel der SPD (1917 Mitglied der USPD); Januar 1918 Beteiligung am Berliner Munitionsarbeiterstreik; bis Oktober 1918 deshalb i n Untersuchungshaft. A m 7./8. November 1918 löste er die Münchener Novemberrevolution durch die Proklamation der Republik aus; als Ministerpräsident erlitt er mit seiner Partei am 12. Januar 1919 eine schwere Wahlniederlage; auf dem Weg zur (verzögerten) Eröffnung des neuen Landtags am 21. Februar 1919 von dem Nationalisten Anton Graf Arco ermordet. 16 Johannes Hoffmann (1867-1930), 1887-1908 Volksschullehrer i n Kaiserslautern; 1908-18 Mdbayer. Π. Kammer, 1912-18 MdR (Mehrheitssozialist); 1919-20 MdbayerLT; 8. November 1918 bis 14. März 1920 bayer. Kultusminister; nach der Ermordung Eisners und der kurzen „verschleierten Räteherrschaft" unter dem Ministerpräsidenten Martin Segitz vom 17. März 1919 bis zum 14. März 1920 zugleich bayer. Ministerpräsident; 1919-20 MdWeimNatVers.; 1920-30 erneut MdR. 17 Grundlage war das Edikt über die inneren Angelegenheiten der Protestantischen Gesamtgemeinde vom 26. März 1818 (Text: Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 280). 18 Unten S. 610ff. 19 Siehe F. Rode, Die Trennung von Staat und Kirche i n Hamburg (1909); O. Meinecke, Die rechtliche Stellung der evangelisch-lutherischen Kirche i m Hamburgischen Staate (1925); H. G. Bergemann, Staat und Kirche i n Hamburg während des 19. Jahrhunderts (1958). 20 Zu den schulpolitischen Entscheidungen dieser Regierung siehe unten Nr. 68. 13
4 Huber
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
die kirchenregimentlichen Befugnisse im wesentlichen von der Senatskommission für die kirchlichen Angelegenheiten wahrgenommen, die den sächsischen Ministern in evangelicis nachgebildet war 21. Erst mit der Einigung über die neue bremische Kirchenverfassung ging das Kirchenregiment im Jahr 1920 in die Hand kirchlicher Organe über 22. Auch der Lübecker Senat nahm seine kirchenleitenden Rechte bis zum Erlaß der neuen Kirchenverfassung am 17. Dezember 1921 wahr (Nr. 40 f 3; mit deren Inkrafttreten übertrug er das Kirchenregiment auf den neuen Kirchenrat der Evangelisch-lutherischen Kirche im Lübeckischen Staate 24. Damit war die mit den Anfängen der lutherischen Reformation verbundene Einrichtung des landesherrlichen Kirchenregiments auch für Lübeck aufgehoben 25.
N r . 31. B e k a n n t m a c h u n g der Oberkirchenbehörde W ü r t t e m b e r g s vom 12. Dezember 1918 (Fr. Purlitz,
Die deutsche Revolution, Bd. I, 1919, S. 310)
Der K ö n i g 2 6 hat Abschied genommen von seinem V o l k 2 7 . Mit unseren Kirchengenossen danken w i r i h m von Herzen für alles, was er in 27jähriger Regierung unserem Volk und unserer evangelischen Kirche Gutes getan, und seiner hohen Gemahlin 2 8 für das, was sie i m Dienst der Nächstenliebe Edles gewirkt hat. Gottes Schutz und Gnade sei ferner mit ihnen. Die Ausübung des bisherigen landeskirchlichen Kirchenregimentsrechts i n der evangelischen Landeskirche ist gemäß dem kirchlichen Gesetz vom 9. November 191829 auf die evangelische Kirchenregierung übergegangen. Auch unter der neuen Staatsordnung ist die evangelische Kirche bereit, dem Volkswohl zu dienen. Das deutsche Volk, vor die gewaltige Aufgabe seines Neuaufbaus gestellt, braucht nach unserer Überzeugung die Lebenskräfte des Evangeliums. Die Botschaft von dem, der gekommen ist, nicht daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele 3 0 , pflanze unter uns gegenseitiges Vertrauen und tätige Nächstenliebe, ohne welche die Volksgemeinschaft in nichts zerfiele. I n diesem Sinne sollen und wollen w i r alle, Geistliche und Gemeindegenossen, unsere Pflicht erfüllen als Christen und als Staatsbürger.
21 Dazu H. G. Bergemann, Staat und Kirche in Bremen (Zeitschr. f. ev. Kirchenrecht 9, 1962, S. 228ff., insbes. S. 240f.). 22 Siehe unten S. 670. 23 Zur lübeckischen Kirchenverfassung siehe unten S. 670. 24 Vgl. W.-D. Hauschild, Kirchengeschichte Lübecks (1981), S. 504ff. 25 Vgl. Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 874ff. 26 König Wilhelm II. (Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, S. 576, Anm. 2). 27 Das geschah durch den förmlichen Thronverzicht vom 30. November 1918 (Text: Fr. Purlitz, Die deutsche Revolution, Bd. I, 1919, S. 130). 28 Königin Charlotte von Württemberg (ebenda). 29 Ebenda Nr. 231. 30 Matthäus 20,28.
VI. Der Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments
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N r . 32. Provisorisches kirchliches Gesetz, die evangelische K i r c h e n r e g i e r u n g i n B a d e n betreffend vom 20. November 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 16f.) Friedrich, von Gottes Gnaden Großherzog von Baden, Herzog von Zähringen. Nachdem Wir Uns veranlaßt gesehen haben, mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse auf die Ausübung der Regierungsgewalt bis zur Entscheidung der verfassunggebenden Versammlung zu verzichten, erachten Wir es als dem Wohl Unserer teueren evangelischen Kirche dienlich, Uns der Ausübung des Uns nach der Kirchenverfassung zustehenden Kirchenregiments bis auf weiteres zu enthalten und für die Regierung der Kirche anderweitig Vorsorge zu treffen. I m Einverständnis mit dem Oberkirchenrat und dem Generalsynodalausschuß verordnen Wir daher in Anwendung des § 114 der Kirchenverfassung 31 bis auf weiteres was folgt: Erster Artikel.
Das Kirchenregiment w i r d dem Oberkirchenrat übertragen.
Zweiter Artikel. I n den Angelegenheiten, die nach der Kirchenverfassung oder anderen kirchlichen Gesetzen oder Vorschriften Unserer Entschließung vorbehalten sind, bedarf der Oberkirchenrat der Zustimmung des durch Beiziehung der vorhandenen Ersatzmänner erweiterten Generalsynodalausschusses.
N r . 33. Kirchliches Gesetz, die evangelische K i r c h e n r e g i e r u n g i n B a d e n betreffend vom 11. Dezember 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 17 f.) Mit Zustimmung der Generalsynode der vereinigten evangelisch-protestantischen Kirche des Landes w i r d als kirchliches Gesetz verkündet was folgt: Erster Artikel. Das Kirchenregiment, wie es nach der Verfassung bisher dem Großherzog zustand, ist dem Oberkirchenrat übertragen. Zweiter Artikel. I n den Angelegenheiten, die nach der Kirchenverfassung oder anderen kirchlichen Gesetzen oder Vorschriften bisher der Entschließung des Großherzogs vorbehalten waren, bedarf der Oberkirchenrat der Zustimmung des Generalsynodalausschusses. Dritter Artikel. Die Zahl der Mitglieder des Generalsynodalausschusses (§ 87 Kirchen Verfassung) 32 w i r d von vier auf acht erhöht.
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4*
Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 178. Ebenda.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes N r . 34. B e k a n n t m a c h u n g des hessischen Oberkonsistoriums, die rechtliche Stellung des Oberkonsistoriums betreffend vom 7. Dezember 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 22)
M i t Rücksicht auf die derzeitigen Verhältnisse i n Bezug auf das landesherrliche Kirchenregiment ist bis zu einer der Landessynode obliegenden gesetzlichen Regelung durch Einvernehmen zwischen Synodalausschuß und Oberkonsistorium das Folgende vorläufig bestimmt worden. I n den Fällen, i n denen nach der bestehenden Kirchenverfassung die landesherrliche Genehmigung einzuholen ist, wird das Oberkonsistorium sich mit dem Präsidenten der Landessynode in Verbindung setzen. Und zwar w i r d es in Angelegenheiten von minderer Bedeutung, wozu z.B. Versetzung bereits angestellter Geistlicher i n glatt verlaufenden Fällen, Bestätigung von Dekanen und deren Stellvertretern, Ruhestandsversetzungen gehören, diesem von der beabsichtigten Maßnahme nur Kenntnis geben unter der Anfrage, ob ein Anstand nicht erhoben wird. Unterbleibt ein solcher, so w i r d das Oberkonsistorium die Maßnahme ausführen, andernfalls w i r d der Synodalpräsident in der Lage sein, die Angelegenheit dem Synodalausschuß vorzulegen. I n Fällen größerer Bedeutung w i r d das Oberkonsistorium nach Fassung seiner Entschließung den Synodalpräsidenten u m Vorlage an den Synodalausschuß ersuchen, dessen Entschließung die landesherrliche zu ersetzen hat.
N r . 35. Kirchengesetz über die K i r c h e n r e g i e r u n g der evangelischen K i r c h e Hessens vom 28. August 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 465f.) § 1. Der Bekanntmachung vom 7. Dezember 1918, betreffend rechtliche Stellung des Oberkonsistoriums, w i r d die Zustimmung erteilt. Dieselbe tritt mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes außer Wirksamkeit. § 2. Das seitherige landesherrliche Kirchenregiment geht auf die Landessynode über. I n ihrem Auftrag w i r d es durch das aus dem Oberkonsistorium und dem Landessynodalausschuß bestehende erweiterte Oberkonsistorium ausgeübt. §3. Der Landessynodalausschuß besteht aus dem Präsidenten der Synode, seinem Stellvertreter und 5 von der Landessynode zu wählenden Mitgliedern. Von den 7 Ausschußmitgliedern müssen 3 geistliche sein. I n gleicher Weise sind 5 Stellvertreter zu wählen, die in der durch die Stimmenzahl gegebenen Reihenfolge unter Berücksichtigung des Standes einzutreten haben, jedoch so, daß die früher gewählten den später gewählten Vertretern vorgehen. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Den Vorsitz i m Ausschuß führt der Präsident der Landessynode bzw. dessen Stellvertreter.
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egfall des landesherrlichen Kirchenregiments
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§ 4. Das erweiterte Oberkonsistorium, in welchem der Präsident des Oberkonsistoriums und i n dessen Verhinderung das dienstälteste Mitglied dieser Behörde den Vorsitz führt, faßt seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Das erweiterte Oberkonsistorium ist beschlußfähig bei Anwesenheit von mindestens 8 Mitgliedern, von welchen wenigstens 4 Mitglieder dem Synodalausschuß angehören müssen. § 5. Eine von dem erweiterten Oberkonsistorium alsbald zu beschließende Geschäftsordnung hat zu bestimmen, in welchen Fällen das Oberkonsistorium oder der Landessynodalausschuß allein und in welchen das erweiterte Oberkonsistorium zu entscheiden hat. Die Geschäftsordnung ist der Landessynode vorzulegen.
N r . 36. K u n d g e b u n g der oldenburgischen Landessynode u n d des oldenburgischen O b e r k i r c h e n r a t s a n sämtliche M i t g l i e d e r der Landeskirche vom 10. Dezember 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 24f.) Die außerordentliche Landessynode wendet sich hiermit i m Verein mit dem Oberkirchenrat an die gesamte evangelische Bevölkerung unseres Landes mit der Bitte, i m Hinblick auf die öffentliche Lage folgendes zu beherzigen: 1. Die christliche Religion, der unsere Kirche dienen will, ist mit keiner Staatsform unlöslich verbunden, weder mit der monarchischen noch mit der republikanischen noch mit irgend einer anderen Form des staatlichen Lebens. Ebenso ist die christliche Religion auf eine bestimmte Wirtschaftsordnung nicht angewiesen, weder auf die kapitalistische noch auf die sozialistische noch auf irgend eine andere Form des Wirtschaftslebens. 2. Die Gerechtigkeit fordert anzuerkennen, daß zur Zeit, da der Protestantismus u m sein Dasein zu kämpfen hatte, evangelische Landesfürsten der neuen Bewegung Schutz und wertvolle Förderung zugewandt haben. Viele evangelische Fürsten haben bis in die Gegenwart sich i n warmherziger Fürsorge der kirchlichen Angelegenheiten angenommen. Andererseits sind innerhalb der evangelischen Kirche selbst seit langer Zeit Bestrebungen vorhanden gewesen, die Mängel zu beseitigen, die sich aus einer allzu engen Verbindung von Staat und Kirche ergaben. Insbesondere erfreut sich unsere Oldenburgische Landeskirche bereits seit Jahrzehnten einer weitgehenden Selbständigkeit. 3. Wie auch immer das Verhältnis zwischen Staat und Kirche und die äußere Form unserer evangelisch-lutherischen Kirche sich gestalten mag, auf jeden Fall werden in Zukunft große Anforderungen an die freiwillige Mitarbeit aller Gemeindeglieder gestellt werden müssen. Pflicht jedes evangelischen Christen ist es, wachsam zu sein, die großen Interessen, die auf dem Spiele stehen, klar zu erkennen und mehr denn je seiner Kirche die Treue zu wahren. Geschieht dies, so ist zuversichtlich zu erwarten, daß unsere Landeskirche Volkskirche bleiben und zu neuer Kraft und Stärke heranwachsen wird.
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes N r . 37. Oldenburgisches Kirchengesetz, betreffend die infolge Wegfalls des K i r c h e n r e g i m e n t s des Großherzogs erforderlichen vorläufigen Bestimmungen vom 10. Dezember 1918
(Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 25 ff.) — Auszug — § 2. I n allen Fällen, i n denen i m Kirchenverfassungsgesetz, in Gesetzen oder in sonstigen Vorschriften bestimmt ist, daß eine Entschließung, Genehmigung oder sonstige M i t w i r k u n g des Großherzogs stattzufinden hat, bedarf es ihrer i n Zukunft nicht mehr. Die Befugnisse des Großherzogs werden vorläufig auf den Oberkirchenrat übertragen, der in ihrer Ausübung durch einen ständigen Ausschuß der Landessynode (Synodalausschuß) nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen beschränkt wird. § 3. Der Landessynodalausschuß besteht aus 5 Mitgliedern, nämlich: 1. dem Präsidenten der Landessynode als Vorsitzenden, 2. zwei weltlichen und zwei geistlichen Mitgliedern der Landessynode, die bei jeder Tagung der Landessynode mit einfacher Stimmenmehrheit zu wählen sind. Für jedes Mitglied w i r d ein erster und zweiter Ersatzmann gewählt. Bei Verhinderung des Präsidenten tritt der Vizepräsident an seine Stelle. Sind beide verhindert, so führt den Vorsitz das älteste Mitglied des Ausschusses, für das dann ein Ersatzmann einzutreten hat. § 4. Die nach A r t i k e l 112 des Kirchen Verfassungsgesetzes 33 zulässige Beschwerde oder Berufung gegen die in erster Instanz vom Oberkirchenrat erlassenen Entscheidungen oder Verfügungen geht an den Synodalausschuß, der darüber nach Beratung mit dem Oberkirchenrat zu entscheiden hat. § 5. Der Oberkirchenrat bedarf der Zustimmung des Synodalausschusses 1. zu der Ernennung eines Mitgliedes des Oberkirchenrats; 2. zu der Auswahl der Bewerber bei einer Pfarrerwahl (Art. 91 und 92 des Kirchenverfassungsgesetzes); 3. zu der Ernennung eines Pfarrers, abgesehen von dem Fall, daß der Pfarrer von der Gemeinde gewählt ist; 4. zu der Erlassung einer Verordnung gemäß Art. 113 des Kirchenverfassungsgesetzes.
33
Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 159.
V.
egfall des landesherrlichen Kirchenregiments
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N r . 38. Beschluß des S t a a t s m i n i s t e r i u m s v o n Sachsen-Altenburg, betreffend W a h r n e h m u n g des landesherrlichen K i r c h e n r e g i m e n t s vom 28. Mai 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 69, 1920, S. 240f.) 1. Von den Befugnissen, die dem früheren Landesherrn als Inhaber des Kirchenregiments zustanden, werden bis zur endgültigen Regelung durch das Gesetz über Trennung von Staat und Kirche dem innerhalb des Staatsministeriums, Abteilung für Kultusangelegenheiten, gebildeten Kollegium für innere Angelegenheiten der Landeskirche überwiesen: a) Änderung der bestehenden Bestimmungen über Lehre, Liturgie, gottesdienstliche Handlungen, Seelsorge, Taufe, Konfirmation, Begräbnis, soweit es sich dabei u m innerkirchliche Fragen handelt, b) Untersuchungen und Disziplinarverfügungen gegen Geistliche und Kirchenbeamte in erster Instanz, c) Anordnungen von Büß- und Bettagen und von Kirchengebeten, d) Genehmigung von Kirchensammlungen zu kirchlichen Zwecken, e) Theologische Prüfungsordnung und Fortbildung der Kandidaten. 2. Alle übrigen Befugnisse gehen auf das Staatsministerium über.
N r . 39. Gesetz, betreffend die vorläufige Regelung des K i r c h e n r e g i m e n t s i n der anhaltischen evangelischen L a n d e s k i r c h e vom 10. Juni 1919 (Anhaltische Gesetzsammlung, 1919, S. 60) § 1. Bis zur ander weiten gesetzlichen Regelung, längstens bis 1. Dezember 1919, tritt in der anhaltischen evangelischen Landeskirche als Träger des Kirchenregiments an die Stelle des früheren Landesherrn der „Evangelische Landeskirchenrat für Anhalt". Er setzt sich zusammen 1. aus Mitgliedern des Konsistoriums und des Synodalvorstandes, 2. aus fünf Personen, die von diesen beiden Körperschaften hinzuzuwählen sind. Die Rechte des Staats gegenüber der Kirche und deren Verpflichtungen gegenüber dem Staat werden hierdurch nicht berührt.
1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
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N r . 40. B e k a n n t m a c h u n g des Senats der F r e i e n u n d Hansestadt Lübeck, den E r l a ß einer neuen Kirchenverfassung der evangelisch-lutherischen K i r c h e i m Lübeckischen Staate u n d eines k i r c h l i c h e n Wahlgesetzes betreffend vom 17. Dezember 1921 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 71, 1922, S. 237) Der Senat, als Inhaber des Kirchenregiments, erläßt hiermit die nachstehende, vom Kirchenrat und der außerordentlichen Synode beschlossene neue Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche i m Lübeckischen Staate und das i n gleicher Weise beschlossene Kirchliche Wahlgesetz und verkündet sie als Kirchengesetze. Sie treten am 1. Januar 1922 in K r a f t 3 4 . Durch die neue Regelung, welche damit die kirchlichen Verhältnisse Lübecks, den Bestimmungen des Artikels 137 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 entsprechend 35 , erfahren, geht die Kirchengewalt in vollem Umfange auf die Kirche selbst über. Der Senat, in dessen Händen seit der Reformation, und somit seit fast 400 Jahren, das Kirchenregiment ruhte, hat für die Folgezeit auf dieses Recht verzichtet. Er vertraut darauf, daß die evangelisch-lutherische Kirche i m Lübeckischen Staate in vollem Bewußtsein der übernommenen Verantwortung und getreu ihrem i m A r t i k e l 1 der neuen Verfassung ausgesprochenen Bekenntnisse das hohe geistige Gut, dessen Pflege i n der Ausübung der Kirchengewalt eingeschlossen und nunmehr ihr überlassen ist, allezeit zum Segen der Allgemeinheit wie der Einzelnen wahren wird. Die deutschen evangelischen Landeskirchen stehen i m Begriff, sich zu einem Deutschen Evangelischen Kirchenbunde zusammenzuschließen 36 . Möge die lübeckische Landeskirche sich stets als würdiges Glied dieses Bundes erweisen!
V I I . Die Regelung des Kirchenaustritts Im Programm der Trennung von Staat und Kirche wurden zwar tiefe Einschnitte in das System der finanziellen Sicherung der Kirche angekündigt; diese Einschnitte wurden allerdings nicht sofort vollzogen. Die Kirchen nahmen an der wirtschaftlichen Notlage des Kriegsendes teil; doch ihr finanzieller Besitzstand wurde nicht unmittelbar angetastet. Auch die revolutionären Regierungen gingen davon aus, daß die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirchen, ihr Recht zur Erhebung von Kirchensteuern und die überlieferten Staatsleistungen nicht ohne verfassungsrechtliche und gesetzliche Grundlage verändert werden konnten. Sie erkannten ferner an, daß solche Eingriffe Verhandlungen mit den Kirchen voraussetzten und deshalb nicht kurzfristig möglich waren 1.
34
Siehe unten S. 670. Unten Nr. 97. 36 Siehe unten Nr. 271. 1 Siehe auch unten Kap. VII.
35
VII. Die Regelung des Kirchenaustritts
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Wohl aber konnten die revolutionären Regierungsgewalten auf den Bestand der Kirchen dadurch Einfluß nehmen, daß sie den Kirchenaustritt erleichterten; dies war neben dem Schulwesen 2 der einzige Bereich, in dem es während der Übergangsperiode 1918/19 zu unmittelbaren staatskirchenrechtlichen Neuregelungen kam. Die Vereinfachung des Kirchenaustrittverfahrens galt den Gegnern des überlieferten Staatskirchentums als eine Forderung, die sich unmittelbar aus dem Grundrecht auf Religions- und Glaubensfreiheit ergab. Dieser Gedanke hatte bereits zur Rechtfertigung dafür gedient, daß in der Ära des Kulturkampfs der Austritt aus der Kirche durch staatliches Gesetz geregelt wurde 3. An diese Gesetzgebung knüpften die Neuregelungen nach dem Umsturz vom November 1918 an. Schon am 13. Dezember 1918 änderte Preußen das Kirchenaustrittsverfahren (Nr. 41); Braunschweig schloß sich am 23. Januar 1919 an (Nr. 42)4. Nach der preußischen Neuregelung hatte der vor dem Amtsgericht zu erklärende Kirchenaustritt sofortige Wirkung; die bisher geltende Überlegungsfrist entfiel. Die Befreiung von den kirchlichen Lasten trat nicht mehr zum Ende des auf den Austritt folgenden Kalenderjahres, sondern zum Schluß des laufenden Kalendervierteljahres ein. Das braunschweigische Gesetz verzichtete auf alle derartigen rechtstechnischen Details und mußte deshalb noch viel stärker als das preußische wie eine kaum verhüllte Aufforderung zum Kirchenaustritt empfunden werden. Schon deshalb weckten die neuen Gesetze in kirchlichen Kreisen lebhaften Widerspruch; sie verstärkten die Protestbewegung, die sich noch im Jahr 1918 gegen die drohende Trennung von Kirche und Staat formierte 5.
N r . 41. Preußisches Gesetz, betreffend die E r l e i c h t e r u n g des A u s t r i t t s aus der K i r c h e u n d aus den j ü d i s c h e n S y n a g o g e n g e m e i n d e n 6 vom 13. Dezember 1918 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1918, S. 199) — Auszug — Artikel
I.
I n dem Gesetze, betreifend den Austritt aus der Kirche, vom 14. Mai 18737 erhalten die nachstehenden Bestimmungen folgende abgeänderte Fassung: § 1 Abs. 1. Wer aus einer Kirche mit bürgerlicher Wirkung austreten will, muß den Austritt dem Amtsgerichte seines Wohnsitzes erklären; die Erklärung muß zu Protokoll des Gerichtsschreibers erfolgen oder in öffentlich beglaubigter Form 2
Dazu unten Kap. I I und III. Bestimmend war das preußische Gesetz vom 14. Mai 1873 (Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 285). 4 Zur weiteren Entwicklung siehe unten Kap. VI. 5 Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 882f. 6 I n Preußen war — i m Unterschied zu Braunschweig (siehe Nr. 42) — von November 1918 bis Januar 1919 die Regierung Inhaber der gesetzgebenden Gewalt; es handelt sich rechtstechnisch also u m eine „gesetzvertretende Regierungsverordnung". 7 Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 285. 3
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1. Kap.: Die Folgen des Staatsumsturzes
eingereicht werden; bei der Erklärung findet eine Vertretung kraft Vollmacht nicht statt. Die Wirkung der Erklärung tritt mit dem Eingange bei dem Amtsgerichte ein. § 2. Das Amtsgericht hat die Austrittserklärung dem Vorstande der Kirchengemeinde, der der Ausgetretene angehört, unverzüglich mitzuteilen und dem Ausgetretenen auf Antrag eine Bescheinigung über den Austritt zu erteilen. § 3 Abs. 1 und Abs. 2. Der Ausgetretene w i r d durch die Austrittserklärung von den Leistungen, die auf der persönlichen Kirchen- oder Kirchengemeindeangehörigkeit beruhen, insoweit befreit, als die Leistungen nach dem Schlüsse des laufenden Kalender Vierteljahrs fällig werden. § 6. Für das Verfahren werden Kosten nicht erhoben; zu der Beglaubigung der Anträge und zu der Bescheinigung über den Austritt w i r d ein Stempel nicht angesetzt. Artikel
II.
I n dem Gesetze, betreffend den Austritt aus den jüdischen Synagogengemeinden, vom 28. Juli 1876 (Gesetzsamml. S. 353) erhalten die nachstehenden Bestimmungen folgende abgeänderte Fassung: .. A
N r . 42. Braunschweigisches Gesetz über den A u s t r i t t aus der K i r c h e vom 23. Januar 1919 (Braunschweigisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1919, S. 31) — Auszug — Der Arbeiter- und Soldatenrat erläßt folgendes Gesetz: § 1. Der Austritt aus der evangelisch-lutherischen, der reformierten und der katholischen Kirche sowie aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ist fortan einem jeden Landeseinwohner gestattet, der das 14. Lebensjahr vollendet hat. § 2. Zur rechtlichen Wirksamkeit des Austritts bedarf es der Anmeldung des Austritts bei dem für den Wohnsitz des Austretenden zuständigen Amtsgerichte. Die Anmeldung ist persönlich zum Protokoll des Gerichtsschreibers zu erklären.
8 Die folgenden Änderungen des Gesetzes vom 28. Juli 1876 entsprechen den Änderungen des Kirchenaustrittsrechts genau.
Zweites Kapitel
D e r K a m p f u m die Schule i n P r e u ß e n I. Das Ende der geistlichen Schulaufsicht In der Schule hatte sich die überlieferte Verbindung von Kirche und Staat besonders wirksam ausgebildet und bis ins 20. Jahrhundert erhalten. Zwar hatte sich im 19. Jahrhundert allgemein das Prinzip der Staatsschule 1 durchgesetzt 2. Doch zugleich waren wichtige Elemente der Verbindung von Kirche und Schule bewahrt worden : Die örtliche Schulaufsicht wurde in der Regel im staatlichen Auftrag von Geistlichen wahrgenommen ; der konfessionell gebundene Religionsunterricht war Pflichtfach ; in der Mehrzahl der deutschen Länder waren die Volksschulen Bekenntnisschulen (so in Preußen , Bayern , Württemberg , Sachsen); auch in den Ländern, in denen statt dessen Simultanschulen eingeführt waren ( wie in Baden), trugen diese den Charakter christlicher Gemeinschaftsschulen. Die bildungspolitischen Grundsätze der sozialdemokratischen Parteien standen zu dieser Verknüpfung von staatlichem Charakter und kirchlicher Bindung der Schule von Anfang an im Widerspruch. Seit dem Eisenacher Programm von 1869 gehörte die Trennung der Schule von der Kirche zu den Forderungen der Sozialdemokratie 3. Seit dem Gothaer Programm von 1875 wurde die Schulprogrammatik der Sozialdemokratie durch die vier Grundsätze der Weltlichkeit, der Staatlichkeit, der Einheitlichkeit und der Unentgeltlichkeit ( als Ausdruck der sozialen Chancengleichheit) bestimmt 4. Für die in dieser Tradition stehenden Revolutionsregierun1 Klassisch formuliert i n Teil II, Titel 12, § 1 des Allgemeinen Landrechts von 1794: „Schulen und Universitäten sind Veranstaltungen des Staats, welche den Unterricht der Jugend in nützlichen Kenntnissen und Wissenschaften zur Absicht haben." Siehe auch Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 1. 2 Dazu Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 260ff.; Bd. IV, S. 876f. 3 Die entsprechende Formel des Eisenacher Programms heißt: „Trennung der Kirche vom Staat und Trennung der Schule von der Kirche" (D. Dowel Κ. Klotzbach , Programmatische Dokumente der Sozialdemokratie, 1973, S. 167). 4 Die entsprechende Formel des Gothaer Programms heißt: „Allgemeine und gleiche Volkserziehung durch den Staat. Allgemeine Schulpflicht. Unentgeltlicher Unterricht in allen Bildungsanstalten. Erklärung der Religion zur Privatsache" (DoweIKlotzbach, a.a.O., S. 173). Während hier die Erklärung der Religion zur Privatsache noch in die schulpolitischen Forderungen eingefügt ist, w i r d sie i m Erfurter Programm von 1891 zum selbständigen Ausgangspunkt kirchenpolitischer Forderungen. Die schulpolitischen Forderungen erhalten nun folgende Fassung: „Weltlichkeit der Schule. Obligatorischer Besuch der öffentlichen Volksschulen. Unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lehrmittel und der Verpflegung in den öffentlichen Volksschulen sowie i n den höheren Bildungsanstalten für diejenigen Schüler und Schülerinnen, die kraft ihrer Fähigkeiten zur weiteren Ausbildung geeignet erachtet werden" (ebenda S. 179). Siehe auch W. W. Wittwer , Die sozialdemokratische Schulpolitik in der Weimarer Republik (1980), S. 11 ff.
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2. Kap.: Der Kampf u m die Schule in Preußen
gen lag der Versuch nahe, mit der Trennung von Kirche und Staat im Bereich der Schule zu beginnen. Besonders vehement wurde dieses Konzept in Preußen verfochten. Das bisherige Kultusministerium, das der paritätischen Leitung der Minister Konrad Haenisch (SPD) 5 und Adolph Hoffmann (USPD) 6 unterstand, wurde am 14. November 1918 in „Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung" umbenannt. Die Minister beriefen zu ihrer Unterstützung vier Beiräte, nämlich auf der Seite Haenischs den nationalliberalen Abgeordneten Blankenburg 7 und den Schulreformer Wyneken 8, auf der Seite Hoffmanns Dr. Baege9 und die Oberlehrerin Frieda Winckelmann. Vor allem Gustav Wyneken konzentrierte sich in seiner kurzen Ministerialtätigkeit auf die Formulierung von Erlassen, durch die er eine tiefgreifende Umgestaltung des Schulwesens einleiten wollte 10. Den Anfang der preußischen Schulerlasse bildete der Erlaß vom 15. November 1918 (unten Nr. 47), der den Mißbrauch des Geschichtsunterrichts zur „Volksverhetzung" untersagte und die Pflicht zum Besuch des Religionsunterrichts lockerte. Den ersten institutionellen Eingriff in das überlief erte Schulwesen vollzog der Erlaß vom 27. November 1918 (Nr. 43), der die geistliche Ortsschulaufsicht mit sofortiger Wirkung aufhob und ihre Aufgaben weltlichen Kreisschulinspektoren übertrug. Zwar wurde der Erlaß in der Zeit der sogenannten ,^bmilderungserlasse" bereits am 9. Januar 1919 durch ein Schreiben des preußischen Ministerpräsidenten Hirsch an den Kölner Kardinal v. Hartmann und erneut durch einen Erlaß der preußischen Regierung vom 15. Februar 1919 für rechtsunwirksam erklärt (Nr. 44, Nr. 45). Doch die Entwicklung, die er eingeleitet hatte, ließ sich nicht mehr aufhalten. Das preußische Gesetz vom 18. Juli 1919 bestätigte die Aufhebung der Ortsschulinspektionen (Nr. 46). Die geistliche Ortsschulaufsicht, ein tragendes Element der Verbindung von Kirche und Schule, war damit für Preußen beseitigt 11.
5
Oben S. 3, Anm. 5. Oben S. 3, Anm. 4. 7 Wilhelm Blankenburg (geb. 1878); Dr. phil., 1902 Bibliothekar der JustusPerthes-Anstalt f. Geographie in Gotha, seit 1904 Oberlehrer i n Erfurt und Zeitz; 1913-18 M d p r A H (nat.lib.); 1918/19 Beirat i m preuß. Kultusministerium; 1919 Übertritt zur DDP (M. d. Vorstands). 8 Gustav Wyneken (1875-1964), Sohn des evang. Pfarrers Ernst Friedrich Wyneken in Edesheim (Leinetal), Dr. phil., Pädagoge, der freideutschen Jugendbewegung zugehörig, gründete 1906 zusammen mit Hermann Lietz die Freie Schulgemeinde Wickersdorf bei Saalfeld, von deren Leitung er 1910 suspendiert wurde; 1918 Beirat i m preuß. Kultusministerium; 1925-31 noch einmal i n Wickersdorf tätig; pädagogischer Schriftsteller. 9 Max Herrmann Baege (1875-1939), Oberlehrer; Dozent an der HumboldtAkademie in Berlin; Mitglied der USPD; i m November 1918 zuerst Beirat, dann Unterstaatssekretär i m preuß. Kultusministerium als Nachfolger des bisherigen Unterstaatssekretärs v. Chappuis; nach einem Konflikt mit dem Kultusminister Haenisch ausgeschieden; sein Nachfolger war Carl Heinrich Becker (siehe unten S. 315, Anm. 3); Baege wurde 1919 Dozent am Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht; 1926 Direktor der städt. Volkshochschule i n Nürnberg; seit 1933 in Lobeda/Thür. 10 Dazu H. Kupffer, Gustav Wyneken (1970), S. 107 ff. 11 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 886f.; H.Hönig, Das preußische Zent r u m in der Weimarer Republik (1979), S. 49ff. 6
I. Das Ende der geistlichen Schulaufsicht
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N r . 43. E r l a ß über die A u f h e b u n g der geistlichen Ortsschulaufsicht vom 27. November 1918 (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 1918, S. 757) Mit dem Tage der Verkündung verordnen wir, was folgt: 1. Die geistliche Ortsschulaufsicht in Preußen ist von heute ab aufgehoben. 2. Die bisherigen Inhaber bleiben so lange i m A m t , bis ihre Befugnisse durch die Kreisschulinspektoren übernommen sein werden. 3. Die Übernahme ist unverzüglich in die Wege zu leiten und muß am 31. Dezember abgeschlossen sein. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Adolph Hoffmann.
N r . 44. Schreiben des preußischen M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n H i r s c h a n den Erzbischof v o n K ö l n , K a r d i n a l v. H a r t m a n n , über die geistliche Schulaufsicht vom 9. Januar 1919 (Fr. Purlitz,
Die deutsche Revolution, Bd. I, 1919, S. 416f.)
Eurer Eminenz erwidern wir auf das namens der Bischöfe Preußens an uns gerichtete gefallige Schreiben vom 2. v.M. ergebenst, daß die vom Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung erlassene Verfügung vom 27. November v.J., betreffend die Beseitigung der geistlichen Schulaufsicht, nicht zu Recht besteht, da sie von dem Kultusminister Hoffmann publiziert ist, bevor sie der preußischen Regierung zur Genehmigung vorgelegt war, die endgültige Regelung der Angelegenheit w i r d der preußischen Nationalversammlung oder einer später zu berufenden gesetzlichen Körperschaft vorzubehalten sein.
N r . 45. E r l a ß über die Ortsschulaufsicht vom 15. Februar 1919 (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung i n Preußen, 1919, S. 362) Die Preußische Regierung hat festgestellt, daß der Erlaß des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 27. November 1918, betreffend Aufhebung der geistlichen Ortsschulinspektion 1 2 mit Rücksicht auf das Fehlen ihrer Zustimmung nicht zu Recht besteht. Die weitere Durchführung dieses Erlasses hat deshalb zu unterbleiben. Wo indessen die Regierungen den Auftrag zur Verwaltung der Lokalschulinspektion über öffentliche Volksschulen den Geistlichen gegenüber bereits widerrufen und die Geistlichen ihre Ortschulinspektionsgeschäfte bereitwillig den Kreisschulinspektoren übergeben bzw. niedergelegt haben, behält es dabei bis auf weiteres sein Bewenden. 12
Oben Nr. 43.
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2. Kap.: Der K a m p f u m die Schule in Preußen
Diese Regelung ist nur vorläufig; es w i r d beabsichtigt, sie demnächst durch anderweitige gesetzliche Maßnahmen zu ersetzen. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Haenisch.
N r . 46. Gesetz, betreffend die A u f h e b u n g der Ortsschulinspektionen vom 18. Juli 1919 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1919, S. 147) § 1. Das A m t des Lokalschulinspektors w i r d aufgehoben. M i t dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erlischt die Amtsbefugnis der bisherigen Lokalschulinspektoren. § 2. Die Schulaufsichtsbehörden sind befugt, die bisher den Lokalschulinspektoren obliegenden Geschäfte, soweit sie nicht wegfallen können, und die mit dem Amte als Lokalschulinspektor nach gesetzlicher Vorschrift oder durch Verwaltungsanordnung allgemein oder i m einzelnen Falle verbundenen Geschäfte anderweit auf Behörden oder einzelne Fachleute zu übertragen. § 3. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Oktober 1919 in Kraft.
II. Die Aufhebung des Religionszwangs in der Schule Im Religionsunterricht kam die enge Verbindung von Kirche und Schule zu besonderem Ausdruck. Von Anfang an war die neue Schulpolitik in Preußen darauf gerichtet, dessen obligatorischen Charakter zurückzudrängen, da er zu dem Grundrecht der Religionsfreiheit im Widerspruch stehe. Schon der Erlaß vom 15. November 1918 (Nr. 47) befreite die Dissidentenkinder vom Religionsunterricht, ohne daß für sie ein Ersatzunterricht nachgewiesen werden mußte 1. Eine umfassende Sicherung der Religionsfreiheit strebte der von Gustav Wyneken verfaßte Erlaß vom 29. November 1918 an (Nr. 48)2. Er untersagte das Schulgebet und jeden schulischen Zwang zur Teilnahme an Gottesdiensten; er beseitigte den Charakter des Religionsunterrichts als Prüfungsfach und verbot Hausaufgaben in diesem Fach; er stellte den Lehrern die Übernahme und den Schülern den Besuch des Religionsunterrichts frei. Damit, daß der Erlaß Lehrer und Schüler von jeder Nötigung befreite, sich gegen ihre Überzeugung am Religionsunterricht oder kirchlichen Veranstaltungen zu beteiligen, zog er eine notwendige Folgerung aus der Religionsfreiheit. Dadurch, daß er auch für diejenigen Schüler, die nach dem Willen ihrer Erziehungsberechtig1 Zur bis 1918 geltenden Regelung siehe Staat und Kirche, Bd. III, S. 152ff. Der Zwang zum Nachweis des Ersatzunterrichts hatte sich für die Kinder von Dissidenten (die aus einer Kirche ausgetreten waren, ohne zu einer anderen Religionsgemeinschaft überzutreten) praktisch als Zwang zur Teilnahme am staatlichen Religionsunterricht ausgewirkt. 2 Gustav Wyneken: Oben S. 60, Anm. 8. Vgl. Wynekens eigene Darstellung: Revolution, in: Die Freie Schulgemeinde 9 (1919), S. 35ff.
II. Die Aufhebung des Religionszwangs in der Schule
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ten oder aus eigener Entscheidung am Religionsunterricht teilnahmen, den Charakter von Religion als Prüfungsfach aufhob und das Auswendiglernen von biblischen Sätzen, Katechismusstücken oder Kirchenliedern verbot, erwies sich der Erlaß jedoch seinerseits als ein Instrument des negativen Religionszwangs 3.
N r . 47. E r l a ß über den S c h u l u n t e r r i c h t vom 15. November 1918 (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung i n Preußen, 1918, S. 708f.) I. Wo bisher der Geschichtsunterricht mit anderen Lehrfächern dazu mißbraucht wurde, Volksverhetzung zu betreiben, hat solches i n Zukunft unbedingt zu unterbleiben, vielmehr einer sachgemäßen kulturhistorischen Belehrung Platz zu machen. Alle tendenziösen und falschen Belehrungen über den Weltkrieg und dessen Ursachen sind zu vermeiden. II. Aus den Schulbibliotheken sind alle Bücher zu entfernen, welche den Krieg an sich verherrlichen. ΠΙ. I n keinem Unterrichtsfache sind seitens der Lehrkräfte abfällige oder entstellende Bemerkungen über die Ursachen und Folgen der Revolution sowie der gegenwärtigen Regierung zu äußern, welche geeignet sind, bei der Schuljugend das Ansehen und die Errungenschaften dieser Volksbefreiung herabzuwürdigen. IV. Es hat seitens der Schulleiter und Lehrer i m Verkehr mit der Jugend alles zu unterbleiben, was geeignet ist, die Stimmung zu einer Gegenrevolution (besonders auf dem flachen Lande) zu schüren, da solches Vorgehen i m jetzigen Augenblick die größte Gefahr eines Bürgerkrieges für unser Volk in sich birgt. V. Bis zum Erlaß über Trennung von Schule und Kirche sind Kinder von Dissidenten und solchen Andersgläubigen, für die ein Religionsunterricht i m jetzigen Schulplan nicht vorgesehen ist, auf Antrag der Erziehungsberechtigten ohne jeden weiteren Nachweis vom Religionsunterricht zu befreien. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Konrad Haenisch
Adolph Hoffmann
N r . 48. E r l a ß über die A u f h e b u n g des Religionszwangs i n der Schule vom 29. November 1918 (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 1918, S. 719) Die Stellung der Religion i n der Schule hat zu einer Reihe fast allgemein anerkannter Mißstände geführt, deren Beseitigung längst fallig und eine Ehrenpflicht eines freien und sozialistischen Staatswesens ist. Wir bemerken aber ausdrücklich, daß wir, indem w i r die gröbsten Übel nunmehr ausrotten, dies nicht 3 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 887f.; H. Giesecke, Zur Schulpolitik der Sozialdemokraten in Preußen und i m Reich 1918/19 (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 13,1965, S. 162ff.); W. W. Wittwer, Die sozialdemokratische Schulpolitik in der Weimarer Republik (1980), S. 77 ff.
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2. Kap.: Der K a m p f u m die Schule in Preußen
i m Namen der Trennung von Kirche und Staat tun, deren Durchführung vielmehr noch zu treffender Entscheidung vorbehalten bleibt. Was w i r heute bestimmen, ist noch kein A k t jener Trennung, sondern der einfachen Pflicht zu Redlichkeit und Sauberkeit und des selbstverständlichen Rechtes jedes Menschen auf die Freiheit seiner Überzeugung und seines religiösen Bekenntnisses. U m jede Glaubens- und Gewissensvergewaltigung aus der Schule zu entfernen, ist es nötig, jeden Zwang zu religiösen Übungen und Äußerungen, auch zur stillschweigenden Beteiligung an ihnen, zu beseitigen. Nur böser Wille könnte einen solchen i m Namen der Religions- und Gewissensfreiheit geschehenden Schritt zu einer Beeinträchtigung der Religionsfreiheit umdeuten. Die unbedingte Freiheit der religiösen Überzeugung und Äußerung ist uns ein heiliges Recht jeden Bürgers, auch des minderjährigen. Ebensowenig denken w i r daran, die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und Kultus der verschiedenen Religionsgemeinschaften anzutasten. Nie aber dürfen von ihnen Zwangsmittel des Staates, also auch die Schulpflicht der Kinder und das Dienstverhältnis der Lehrer in ihren Dienst gestellt werden. Die Schule gehört allen Bürgern in gleicher Weise, einerlei, welches Bekenntnisses sie sind oder ob sie jedes Bekenntnis ablehnen. Die Folgen des bisherigen innerlich unwahren und widerrechtlichen Zustandes reden für jeden Unbefangenen eine deutliche Sprache. A u f der einen Seite schwere Gewissenskonflikte vieler Lehrer, die sich verurteilt sehen, eine ihrem Gefühl und ihrer Erkenntnis widersprechende Lehre — obendrein eine, die dem wirklichen Fassungsvermögen der Kinder oft in keiner Weise entsprach — Tag für Tag an die Jugend heranzubringen; auf der anderen Seite Gleichgültigkeit gegenüber einem durch die zwangsweise und äußerliche Behandlung entwerteten, an sich z. T. edlen Stoff. Wer es ehrlich mit der Religion meint, wer Vertrauen hat zu ihrer inneren Kraft, wem sie nicht nur ein politisches Machtmittel ist, der muß sich empören gegen die ihr durch die zwangsweise Eintrichterung angetane Erniedrigung und uns Dank wissen, wenn wir i m Bereich der Schule diesem Zustande ein Ende machen. Schon längst fordert das öffentliche Gewissen die Beseitigung dieses Restes eines vergangenen Zeitalters, des Zeitalters der Ketzerverfolgungen und Religionskriege, des Zeitalters, wo die Staatsgewalt, die heilige Freiheit der Seele mißachtend, mit äußeren Mitteln glaubte einen Glauben zu erzwingen, erhalten und verbreiten zu können und zu sollen. Für uns ist Religion heilige und unantastbare Angelegenheit jedes einzelnen Herzens und derer, die sich i n freier Geistesgemeinschaft zusammenfinden. Und w i r glauben nicht, daß jemand, dem die Religion ein solches innerstes Erlebnis in der eigenen Seele und i n der gleichgesinnten Gemeinschaft ist, das Bedürfnis hat, seinen Glauben durch irgendeinen Zwang anderen nahezubringen oder Gleichgültige oder Widerwillige zum äußerlichen Mitmachen der i h m heiligen Gebräuche zu nötigen. I n diesem Sinne verordnen w i r für sämtliche unterstellten Lehranstalten der Republik Preußen: 1. Das Schulgebet vor und nach dem Unterricht wird, wo es bisher noch üblich war, aufgehoben. 2. Eine Verpflichtung der Schüler seitens der Schule zum Besuch von Gottesdiensten oder anderen religiösen Veranstaltungen ist unzulässig. Auch hat die
III. Die kirchlichen Proteste gegen die Schulerlasse
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Schule keine gemeinsamen religiösen Feiern (z.B. Abendmahlsbesuche) zu veranstalten. Schulfeiern dürfen keinen religiösen Charakter tragen. 3. Religionslehre ist kein Prüfungsfach. 4. Kein Lehrer ist zur Erteilung von Religionsunterricht oder zu irgendwelchen kirchlichen Verrichtungen verpflichtet, auch nicht zur Beaufsichtigung der Kinder beim Gottesdienst. 5. Kein Schüler ist zum Besuch des Religionsunterrichtes gezwungen. Für Schüler unter 14 Jahren entscheiden die Erziehungsberechtigten, ob sie einen Religionsunterricht besuchen sollen, für Schüler über 14 Jahre gelten die allgemeinen Bestimmungen über Religionsmündigkeit 4 . 6. Es ist unzulässig, i m Religionsunterricht der Schule häusliche Schularbeiten, insonderheit das Auswendiglernen von Katechismusstücken, Bibelsprüchen, Geschichten und Kirchenliedern aufzugeben. Zu Nr. 4 bemerken wir: Wenn durch die Weigerung eines Lehrers, den Religionsunterricht zu erteilen, Religionsstunden freiwerden, so sind diese zunächst durch andere Verteilung des Unterrichtes von einem anderen Lehrer zu übernehmen. Wenn dies unmöglich ist, steht es den Geistlichen des betreffenden Bekenntnisses frei, den Unterricht zu erteilen. Wo auch dies nicht geschieht, sind die freiwerdenden Stunden mit geschichtlichem, erdkundlichem, naturkundlichem Unterricht oder mit Turnspielen auszufüllen. I m übrigen betonen wir nochmals, daß unsere Verfügung nur den Schulunterricht betrifft, und daß dem kirchlichen Unterricht mit freiwilliger Beteiligung keine Beschränkungen auferlegt werden. Die Provinzialschulkollegien und Regierungen werden angewiesen, diesen Erlaß ungesäumt sämtlichen ihnen unterstellten Lehranstalten mitzuteilen und erforderlichenfalls das Geeignete zu veranlassen. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Konrad Haenisch.
I I I . Die kirchlichen Proteste gegen die Schulerlasse Vor allem der Erlaß vom 29. November 1918 rief in kirchlichen Kreisen einen Sturm der Entrüstung hervor. Die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht war zunächst vor allem auf katholischen Widerspruch gestoßen, während Teile des Protestantismus für diese Maßnahme Verständnis zeigten. Doch im Religionserlaß sahen weite Teile der evangelischen wie der katholischen Kirche einen direkten Angriff auf den Religionsunterricht als solchen und einen Versuch, den kirchlichen Charakter der Schule zu beseitigen. Christliche Eltern betrachteten ihn als einen 4 Die Vollendung des 14. Lebensjahres galt nach Teil II, Titel 4, § 84 des Allgemeinen Landrechts als annum discretionis (siehe Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 1). Zur näheren Ausgestaltung des Rechts der Religionsmündigkeit unten Nr. 146.
5 Huber
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2. Kap.: Der Kampf u m die Schule in Preußen
unerlaubten Eingriff in ihr elterliches Erziehungsrecht. So rief die Politik der Trennung von Kirche und Schule eine Ablehnungsfront hervor, zu der die beiden großen Konfessionskirchen sich vereinigten. Dieser Widerstand war für die preußische Regierung um so gefährlicher, als die Religionspolitik die separatistischen Bestrebungen im katholischen Rheinland und in den polnischen Bevölkerungsteilen Oberschlesiens stärkte. Der Protest gegen den Religionserlaß äußerte sich in einer Vielzahl von Resolutionen und Petitionen (Nr. 49); die katholischen Bischöfe und die evangelischen Kirchenleitungen verdeutlichten ihren allgemeinen Widerspruch gegen die Trennung von Kirche und Staat in aller Regel an der Schulfrage l. Zugleich erhoben sie gezielt und massiv gegen die Entchristlichung der Schule, besonders gegen den Erlaß vom 29. November 1918, Protest (Nr. 50). Auch versuchten sie, durch den Appell an Lehrer und Eltern dem Erlaß die beabsichtigte Wirkung zu nehmen (Nr. 51) 2.
N r . 49. Entschließung einer V e r s a m m l u n g i n K ö l n a n den preußischen K u l t u s m i n i s t e r H o f f m a n n gegen die A u f h e b u n g des Religionsunterrichts vom 3. Dezember 1918 (Kölnische Volkszeitung Nr. 953 vom 4. Dezember 1918) Viele tausend i m großen Saale der Bürgergesellschaft zu K ö l n versammelte Bürger, vorwiegend katholische Eltern und Erzieher von Schülern und Schülerinnen höherer Lehranstalten, erheben hiermit förmlichen und schärfsten Einspruch gegen die vom Kultusministerium in Aussicht genommene Entfernung des Religionsunterrichtes aus dem Lehrplane der höheren Schulen und die Absicht, i h m jede Bedeutung zu nehmen durch die Erklärung desselben zum wahlfreien Fach. Sie erblicken in der Entfernung des wichtigsten Lehrgegenstandes aus dem Lehrplan der höheren Schulen die Zerstörung des Gesamtorganismus des Unterrichts, eine schwere Verletzung unveräußerlicher und unverzichtbarer Elternrechte, äußerste Gefährdung des sittlichen Wohles der Schüler und Schädigung des Staates selbst. Sie erklären sich in ihrem Gewissen verpflichtet, die in Aussicht genommene gesetzwidrige Maßnahme einer nur provisorischen Regierung mit allen gesetzlich erlaubten Mitteln auf das schärfste zu bekämpfen.
1
Siehe oben Nr. 8 ff. Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 888ff.; J. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik (1976), S. 66 ff. 2
ΠΙ. Die kirchlichen Proteste gegen die Schulerlasse
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N r . 50. Protestschreiben des Erzbischofs von K ö l n , des K a r d i n a l s v. H a r t m a n n , i m N a m e n der preußischen Bischöfe gegen die E n t c h r i s t l i c h u n g der Schule vom 16. Dezember 1918 (Archiv des erzbischöflichen Generalvikariats Köln, Gen. 23,23) — Unveröffentlicht — Gegen die Entchristlichung der Schule, welche durch die an die Provinzialschulkollegien und Regierungen gerichtete Verfügung des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 29. November d. J. angeordnet wird, erheben die Bischöfe Preußens voll Schmerz und Entrüstung laut und feierlich Protest. Insbesondere verurteilen wir die Willkür, die in der Verfügung zu Tage tritt. Denn die dadurch getroffenen Bestimmungen beseitigen nicht etwa bloß einzelne Einrichtungen in der bestehenden Schulordnung, sondern sie stoßen eine von allen bisherigen preußischen Lehrplänen unverbrüchlich festgehaltene und geschützte Grundlage der Schulerziehung vollständig um. Selbst die in den ärgsten Wirren des sog. Kulturkampfes angeordneten Maßnahmen haben sich nicht so rücksichtslos über die geheiligten Rechte und Ansprüche des katholischen Volkes und der Kirche hinweggesetzt. Wir verurteilen ferner das Ziel der gedachten Bestimmungen, das unverkennbar dahin geht, dem christlichen Volke die Schule ohne Gott als einzige Form aller öffentlichen Unterrichtsanstalten aufzunötigen. Wir verurteilen die Bestimmungen wegen ihrer unausbleiblichen Wirkungen; denn sie führen zu einer schwersten Gewissensbedrängnis der katholischen Eltern, die ihre Kinder nur einer in christlichem Geiste geleiteten Schule anvertrauen wollen und nur Lehrern, deren Wandel und Lehre mit diesem Geiste nicht in Widerspruch stehen. Wir verurteilen endlich die den Bestimmungen zu Grunde liegende verfehlte Auffassung von der Aufgabe der Schule und halten daran fest, daß die öffentliche Schule gemäß ihrer Idee zur Bildung des ganzen Menschen, also auch zur Förderung seines religiösen Lebens verpflichtet ist. Dazu gehört aber neben dem Religionsunterrichte auch die Religionsübung in gemeinschaftlichem Gebet, Gottesdienst und Sakramentenempfang. Der Ausschluß der religiösen Übung von der Schule ist eine Entwertung derselben und ein bedauerlicher Rückfall in den Schulbetrieb der einseitigen Verstandesbildung unter Verkümmerung des Gemüts- und Willenslebens. Nie und nimmer wird das katholische Volk es sich gefallen lassen, daß anstelle der christlichen Religion, des katholischen Glaubenslebens und der Religionsausübung ein von Gott und Christus losgelöster kraftloser Moralunterricht gesetzt wird.
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2. Kap.: Der K a m p f u m die Schule in Preußen
N r . 51. Ansprache des Evangelischen O b e r k i r c h e n r a t s a n L e h r e r u n d E l t e r n , betreffend den Religionsunterricht i n den Schulen vom Dezember 1918 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 32f.) Das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hat durch Erlaß vom 29. v. Mts. dem Religionsunterricht die i h m seit den Tagen der Reformation eignende, für die christliche Erziehung grundlegende Stellung genommen. Aus einem Pflichtfach ist der Religionsunterricht zu einem Wahlfach gemacht. I n dieser unserm christlichem Volk drohenden Gefahr wenden wir uns an alle evangelischen Lehrer und Lehrerinnen, die ja zugleich unsere Gemeindeglieder sind, mit der dringenden Bitte, für die Aufrechterhaltung des Religionsunterrichts an ihren Anstalten mit aller Kraft zu wirken. Wir vertrauen darauf, daß bei weitem die Mehrzahl der Lehrenden nicht gewült ist, vom Religionsunterricht Abstand zu nehmen, wohl aber sich bereit finden läßt, selbst unter persönlichen Opfern an Zeit und Kraft unsern Kindern die religiöse Unterweisung zu erhalten. Ein Religionsunterricht, der vom persönlichen Glauben des Lehrers getragen, das hohe Ziel i m Auge hat, in den Schülern Ehrfurcht vor dem lebendigen Gott und Zuversicht zu unserm Herrn und Heiland zu wecken, auch der Krönung durch das Gebet nicht ermangelt, hat sich allezeit als das beste und unentbehrlichste Mittel erwiesen, in die Herzen der Jugend die Kräfte der Ewigkeit zu tragen, ihren Charakter zu stählen und die gesamte Arbeit der Schule auf die eigentliche Höhe zu führen. Darum wendet sich unsere Bitte auf das herzlichste und dringendste zugleich auch an die Eltern. Laßt eure Kinder nicht ohne religiöse Unterweisung aufwachsen! Je größer die vaterländische Not ist, die unsere Jugend durchlebt, je bitterer der Kampf ums Dasein wird, dem sie entgegengeht, je schwerer die Versuchungen sein werden, vor denen wir sie nicht bewahren können: u m so notwendiger ist es, daß in den Jahren, i n denen die Herzen für alles Gute empfänglich sind, in sie der beste und verheißungsvollste Same gesät wird. Steht selbst fest und treu zu unserer evangelischen Kirche und erzieht eure Kinder zur Treue gegen Gott. Haltet sie an, mit gesammeltem Sinn zum Religionsunterricht zu kommen und ihn durch häuslichen Fleiß zu fördern. Eltern und Lehrer! Bewahrt unsern Kindern das Kleinod des Religionsunterrichts und sichert die christliche Erziehung in Schule und Haus.
IV. Die Abmilderungserlasse vom Dezember 1918 Die Protestbewegung gegen den Religionserlaß bestimmte den preußischen Kultusminister Haenisch dazu, sich um eine möglichst schnelle Beruhigung der öffentlichen Erregung zu bemühen. Er sah sich zu dem ausdrücklichen Eingeständnis des „schweren und verhängnisvollen Fehlers" genötigt, der darin lag, „daß man zu allem Überfluß auch noch die heißumstrittene Frage der Trennung von Staat und Kirche aufrollte" 1. Der Versuch, diesen Fehler zu korrigieren, wurde Haenisch
IV. Die Abmilderungserlasse vom Dezember 1918 dadurch erleichtert, daß Adolph Hoffmann seit Mitte Krankheit daran gehindert war, an den Entscheidungen und im preußischen Kabinett mitzuwirken 2.
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Dezember 1918 durch im Kultusministerium
Haenischs Anweisungen vom 18. Dezember 1918 (Nr. 52) suchten den Eindruck zu zerstreuen, als diene der Religionserlaß vom 29. November religionsfeindlichem Gewissensdruck; sie gestatteten ausdrücklich die Durchführung von Weihnachtsfeiern in den Schulen. Die weitverbreitete Empörung ließ sich dadurch jedoch nicht dämpfen. Deshalb entschloß Haenisch sich zu dem Abmilderungserlaß vom 28. Dezember 1918 (Nr. 53). Dieser setzte die Durchführung des Religionserlasses überall dort aus, wo ihr ernste Widerstände entgegentraten. In einem Brief an Hoffmann vom 31. Dezember 1918 verteidigte Haenisch dieses Vorgehen (Nr. 54). Unverhüllt machte er den Bruch zwischen den beiden Ministern deutlich, der eine weitere Zusammenarbeit ausschloß. Als die USPD am 3. Januar 1919 ihre Minister aus dem preußischen Kabinett zurückzog 3, fand auch Adolph Hoffmanns Ministertätigkeit ihr Ende 4.
N r . 52. N ä h e r e A n w e i s u n g e n z u r D u r c h f ü h r u n g des Erlasses v o m 29. N o v e m b e r 1918 vom 18. Dezember 1918 (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 1918, S. 721) I n Ergänzung des Erlasses vom 29. November d.Js. über die Neuregelung des Religionsunterrichts w i r d hiermit ausdrücklich daraufhingewiesen, daß der Zweck dieses Erlasses die Befreiung von jedem Gewissenszwang ist. Diese Absicht würde in ihr gerades Gegenteil verkehrt, wenn nunmehr etwa ein anti-religiöser Gewissensdruck ausgeübt werden sollte. Ihn unter allen Umständen zu vermeiden, ist die ernste Pflicht aller für die Ausführung des Erlasses zuständigen Behörden. Bei seiner Durchführung soll mit jeder gebotenen Schonung der religiösen Empfindungen von Kindern und Eltern vorgegangen werden. Es soll jede Rücksicht geübt werden, die mit dem Geist des Erlasses irgend verträglich ist. 1 K . Haenisch, Der „neue Kulturkampf", in: Die Glocke, 4 (1918/19) Sp. 1253 ff. (1254). Vgl. auch Haenischs Bericht vor dem Zentralrat am 12. Februar 1919 (in: E. Kolb/R. Rürup, Der Zentralrat der Deutschen Sozialistischen Republik, 1968, S. 613 ff.). 2 Vgl. Adolph Hoffmanns Darstellung der Vorgänge: Minister Haenischs Kanossagang, in: Die Freiheit Nr. 5 v o m 3. Januar 1919 u n d — i m einzelnen etwas abweichend — in: Die Republik Nr. 3 v o m 3. Januar 1919; ders., Unter den Linden 4, in: Die Revolution, 1920, S. 178ff. 3 Schreiben der Unabhängigen Sozialisten in der preußischen Regierung an den Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands v o m 3. Januar 1919 (Text: Dokumente, Bd. 3, Nr. 59). 4 Aus der zeitgenössischen Diskussion vgl. z.B.: H. Helming, Adolph Hoffmann und die Jugenderziehung (1918); A . Gottwald, Der Kampf u m die Schule (1919); P. Hemmerle, Der Kampf u m K i n d und Schule (1919); V. Hugger , U m die christliche Schule (1919); Fr. Thimme, Das Verhältnis der revolutionären Gewalten zur Religion und den Kirchen, in: Fr. Thimme/E. Rolffs (Hrsg.), Revolution und Kirche (1919), S. 1 ff.; E. Troeltsch , Der Religionsunterricht i n der Staatsschule (ebenda S. 325ff.).
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2. Kap.: Der K a m p f u m die Schule in Preußen
U m Irrtümern, wie sie hier und dort leider bereits entstanden sind, ein für allemal vorzubeugen, machen wir insbesondere darauf aufmerksam, daß z.B. von einem Verbot der Schul-Weihnachtsfeiern keine Rede sein kann. Das Weihnachtsfest hat sich weit über seinen kirchlichen Grundcharakter hinaus entwickelt zu einer deutschen Volks- und Familienfeier, zum deutschesten Feste überhaupt. Deutsche Weihnachtslieder sind Gemeingut des gesamten Volkes. I n diesem Sinne das Weihnachtsfest auch künftig i n der Schule zu begehen, widerspricht in keiner Weise den Absichten des Erlasses. Wenn somit die Weihnachtsfeier weiterhin als Schulfeier veranstaltet werden darf, so besteht natürlich für Lehrer und Schüler keinerlei Zwang zur Teilnahme. Nunmehr erwarten wir aber auch von den kirchlich gesinnten Kreisen auf das bestimmteste, daß sie der loyalen Durchführung der Grundgedanken des Religions-Erlasses keine Schwierigkeiten bereiten. Es w i r d allen beteiligten Behörden und Lehrern — mögen sie persönlich zu dem Erlaß stehen, wie sie wollen — zur ernsten Pflicht gemacht, alles zu vermeiden, was Reibungen irgendwelcher A r t hervorrufen könnte. I n diesem Sinne zu handeln, ist heute vornehmste vaterländische Pflicht. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Haenisch.
N r . 53. A b m i l d e r u n g s e r l a ß vom 28. Dezember 1918 (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung i n Preußen, 1918, S. 722) M i t Rücksicht auf die lebhaften Bedenken, die vielfach, insbesondere auch in den durch separatistische Bestrebungen gefährdeten Landesteilen, gegen den Erlaß vom 29. November d.Js. über die Stellung der Religion in der Schule geltend gemacht worden sind, w i r d hiermit angeordnet, daß seine Durchführung überall dort, wo sie auf ernste Schwierigkeiten stößt, bis zur Entscheidung durch die preußische Nationalversammlung zu unterbleiben hat. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Haenisch.
N r . 54. Schreiben v o n K o n r a d H a e n i s c h a n A d o l p h H o f f m a n n (. E. Kolb/R.
vom 31. Dezember 1918 Rürup, Der Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik 19. 12. 1918 bis 8. 4. 1919, 1968, S. 139 ff.)
Lieber Adolph Hoffmann. Erlaube, daß ich Deine amtlich gehaltene Mitteilung mit einem Brief persönlicher A r t beantworte. Ich mache gar kein Hehl daraus, daß ich mit voller Absicht die ganze Zeit daraufhingearbeitet habe, die Wirkung unserer Tätigkeit aus den ersten Ministerwochen nach Möglichkeit abzuschwächen. D u wirst Dich erinnern, daß ich
IV. Die Abmilderungserlasse vom Dezember 1918
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von Anfang an voraussagte, diese ganze überstürzte Schul- und Kirchenpolitik werde die schwerstwiegenden politischen Konsequenzen haben und daß ich sie schließlich nur mitgemacht habe, nachdem D u immer von neuem mit dem Appell an den Arbeiter- und Soldatenrat gedroht hattest. Die Folgen dieser Politik sind nun in einem Grade eingetreten, wie ich selbst es kaum für möglich gehalten hätte. Meine allerschwersten Befürchtungen sind weit übertroffen worden. Die ganze Separatistenbewegung i m Rheinlande wie in Posen und Oberschlesien w i r d fast ausschließlich mit unserer Schul- und Kirchenpolitik geschürt. Massenhaft waren i n diesen letzten Wochen Parteigenossen aus diesen Gebieten bei mir, u m mich händeringend zu beschwören, noch schleunigst gut zu machen, was noch irgend zu machen sei. Die Telegramme, die vor bevorstehenden Aufständen warnten, häuften sich. Es ergab sich, daß die Durchführung dieser Politik zur Zeit absolut unmöglich ist. Übereinstimmend wird weiter aus allen katholischen Bezirken berichtet, daß das Zentrum seine Wahlgeschäfte ausschließlich mit dem „neuen K u l t u r k a m p f ' macht und daß auch die Arbeiter, die ihm schon abtrünnig geworden waren, i h m in hellen Scharen wieder zuströmen. Jeder weitere Tag der Aufrechterhaltung, insbesondere des Religionserlasses 5 , hätte unseren beiden Parteien Hunderttausende von Stimmen gekostet. Unter diesen Umständen war es nicht nur höchste politische Pflicht, sondern auch Pflicht dem Sozialismus gegenüber, einzulenken. Ich habe die Verantwortung für die Maßnahmen durchaus auf meine eigenen Schultern genommen und bin gern bereit, sie vor jeder Instanz zu tragen. Zugleich hielt ich für meine Pflicht unsern beiden Parteien und der gesamten Öffentlichkeit gegenüber, eine zusammenfassende Darstellung meiner Auffassung aller dieser Dinge zu geben. Das ist in einem A r t i k e l geschehen, der Ende der Woche i n der Glocke erscheinen soll 6 . Aus dem letzten Absatz des Artikels (Seite 1260 und 61) wirst D u sehen, daß ich Dir persönlich jede Gerechtigkeit widerfahren lasse. Auch an anderer Stelle (in der Neuen Rundschau 7 ) habe ich gerade jetzt Dich lebhaft gegen Angriffe der Öffentlichkeit in Schutz genommen. Deine Politik aber vermag ich nicht länger mit zu verantworten. Die Dinge sind so weit gediehen, daß künftig nur einer von uns die Verantwortung für die Leitung des Kultusministeriums tragen kann. Ich habe absichtlich bis zu Deiner Genesung gewartet, ehe ich den entscheidenden Schritt tat. Nun aber läßt er sich nicht länger hinausschieben. Ich klebe an dem Amte nicht und bin jederzeit bereit, es in die Hände unserer Auftraggeber zurückzulegen. I m Interesse des Sozialismus und des Vaterlandes würde ich es allerdings für wünschenswert halten, daß D u gehst. D u siehst, ich spreche durchaus offen. Ich kann mir lebhaft denken, daß D u alter Strudelkopf einfach hochgehst, wenn D u diesen Brief und den A r t i k e l liest. Bei ruhiger Überlegung wirst D u aber dann begreifen, daß mir höher als alle Rücksicht auf Dich als Person die Rücksicht auf die Sache stehen mußte. Die nächsten Tage werden ja zwischen uns beiden die Entscheidung bringen. Ich bitte Dich, mir zu glauben, daß ich dann, wenn sie gegen mich fallen sollte, ohne jeden persönlichen Groll gegen Dich von dieser Stelle scheiden werde. Ich hoffe, daß auch D u groß und sachlich
5
Oben Nr. 48. K. Haenisch, Der „neue K u l t u r k a m p f , in: Die Glocke 4, 1918/19, S. 1253ff. (4. Januar 1919). Der A r t i k e l ist datiert: „Steglitz, am Weihnachtsabend 1918". 7 Aus dem neuen Kultusministerium. Ein offener Brief an Professor Saenger von Konrad Haenisch, in: Die Neue Rundschau, 1919, S. 17-27. 6
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2. Kap.: Der Kampf u m die Schule in Preußen
genug denkst, u m mir aus dem, was Pflicht und Gewissen zu t u n mir gebot, keinen persönlichen Haß nachzutragen. Ich begrüße Dich mit den besten Wünschen für Deine baldige völlige Wiederherstellung und einem aufrichtigen Gruß zum Jahreswechsel.
V. Die Religionserlasse vom April / M a i 1919 Haenischs Erlaß vom 28. Dezember 1918 hatte den Vollzug des Religionserlasses ausgesetzt, ihn selbst aber nicht aufgehoben. Zu dieser Aufhebung kam es, nachdem die rein mehrheitssozialistische Übergangsregierung am 25. März 1919 durch ein Kabinett der „Weimarer Koalition" aus Sozialdemokraten, Zentrum und Deutschdemokraten abgelöst worden war; wie der Ministerpräsident Hirsch blieb auch der Kultusminister Haenisch im Amt 1. Hirschs Regierungserklärung vom 25. März 1919 enthielt eine Reihe allgemeiner Grundsätze zum künftigen Verhältnis von Kirche und Schule (Nr. 55). Der Erlaß über den Religionsunterricht vom 1. April 1919 (Nr. 56) bestätigte den Grundsatz, daß der Religionsunterricht für Lehrer und Schüler wahlfrei sei; er verzichtete auch darauf, in die innere Struktur dieses Unterrichts reglementierend und diskriminierend einzugreifen. Der Erlaß vom 13. Mai 1919 (Nr. 57) hob die besondere ministerielle Bestätigung für Religionslehrer an höheren Schulen auf. Die Ausübung dieses Amts war nun allein von der kirchlichen missio canonica bzw. vocatio abhängig. Darin lag der Sache nach eine Erweiterung des kirchlichen Einflusses auf den Religionsunterricht an den höheren Schulen.
N r . 55. R e g i e r u n g s e r k l ä r u n g des preußischen Ministerpräsidenten Hirsch vom 25. März 1919 (Sitzungsberichte der verfassunggebenden preußischen Landesversammlung, Bd. 1, Berlin 1921, Sp. 628-633) — Auszug — . . . Die Einrichtung des gesamten Schulwesens soll das Recht jedes Kindes ohne Unterschied des Geschlechts auf Bildung und Erziehung nach Maßgabe seiner Fähigkeiten und seines Bildungswillens ohne Rücksicht auf Vermögen, Stand und Glauben der Eltern gewährleisten. A u f die gemeinsame Grundschule soll sich die weiterführende Schule aufbauen. M i t dem Abbau der Vorschule ist unverzüglich zu beginnen. Das Ziel ist die Einheitsschule. Die einleitenden Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung werden alsbald getroffen werden.
1
Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1013 f.
V. Die Religionserlasse vom A p r i l / M a i 1919
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Bis zur endgültigen Regelung durch ein Schulgesetz ist durch sofortige Abänderung des Schulunterhaltungsgesetzes den Gemeinden das uneingeschränkte Recht zu gewähren, Simultanschulen mit wahlfreiem konfessionellem Religionsunterricht einzuführen. M i t dem Einjährig-Freiwilligenvorrecht ist sofort aufzuräumen 2 . Die Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Lernmittel ist alsbald durchzuführen. Besonders Begabten, soweit sie mittellos sind, ist für den Besuch höherer Lehranstalten jede mögliche Erleichterung zu gewähren. Die öffentliche staatliche Schule steht über den politischen Parteien und religiösen Bekenntnissen. I n allen Schulen ist Lehrern und Schülern der Grundsatz unbedingter politischer und religiöser Duldsamkeit gewährleistet. Bis zur endgültigen Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche sowie der Stellung von Schule und Kirche zueinander ist der Religionsunterricht i n allen Schulen für Lehrer und Schüler wahlfrei. Die Entscheidung über die Teilnahme an i h m haben bis zum Eintritt des religionsmündigen Alters die Eltern zu treffen, danach die Schüler selbst. Lehrer und Schüler dürfen außerhalb des Religionsunterrichts zu keinerlei Religionsübungen gezwungen werden. Das bestehende Recht des Staates, allein das Recht der Schulaufsicht auszuüben, w i r d aufrecht erhalten und restlos durchgeführt. Die Schulaufsicht ist durch Fachleute auszuüben. Die Ortsschulaufsicht ist in jeder Form sofort zu beseitigen und die Schulleitung kollegial auszugestalten. Eine Reform der Lehrerbildung mit dem Ziel der Hochschulbildung w i r d in Aussicht gestellt. Bis zur endgültigen Regelung w i r d allen Lehrern die Universität geöffnet. Hand in Hand mit dem systematisch auszubauenden Fortbildungs- und Fachschulwesen auf den Gebieten der Landwirtschaft, des Handwerks, des Handels und des Gewerbes muß gehen die Ausweitung des geistigen Horizontes und Stärkung der Gemüts- und Verstandeskräfte breitester Volksschichten durch das Volkshochschulwesen, dessen Hebung sich die Regierung ganz besonders angelegen sein lassen wird. A u f unseren Hochschulen sollen auch solche Richtungen und Personen zur Geltung kommen, die bisher in den Schatten gebannt waren. Wissenschaftliche Tüchtigkeit soll künftig allein entscheiden. Das staatsrechtliche und finanzielle Verhältnis zwischen Staat und Kirche soll auf dem Wege der Vereinbarung und unter Vermeidung öffentlicher und persönlicher Schädigungen mit dem Endziel beiderseitiger Selbständigkeit neu geordnet werden....
2 Das Einjährig-Freiwilligen-Vorrecht bestand seit Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht nicht mehr. Aufgehoben wurde auf Grund der Regierungserklärung die Erteilung des Einjährig-Freiwilligen-Zeugnisses, durch das dieses Vorrecht bis dahin bescheinigt worden war.
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2. Kap.: Der K a m p f u m die Schule in Preußen N r . 56. E r l a ß über den Religionsunterricht i n den öffentlichen Schulen vom 1. A p r i l 1919
(Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung i n Preußen, 1919, S. 427) Vornehmste Pflicht eines freien Staatwesens ist es, die Gewissensfreiheit sicherzustellen. Insbesondere gilt das für das Gebiet des religiösen Lebens und der religiösen Erziehung. Dazu gehört auch entsprechend der Regierungserklärung vom 25. März 19193, daß der Religionsunterricht wahlfrei ist. Bis zum Erlaß künftiger Gesetze, die die Beziehungen von Staat, Kirche und Schule zueinander auf neue Grundlagen stellen, ist deshalb den nachstehenden Grundsätzen gemäß zu verfahren: 1. Soweit nicht bereits nach den bisherigen Bestimmungen Schüler der öffentlichen Schulen von der Teilnahme am lehrplanmäßigen Religionsunterrichte befreit sind oder befreit werden können, sind sie auf Antrag von der Teilnahme an dem Religionsunterricht zu entbinden. Zur Stellung des Antrags sind diejenigen befugt, welche die Religion, i n der die Schüler zu erziehen sind, zu bestimmen haben, bzw. nach Erreichung des religionsmündigen Alters die Schüler selbst. 2. Schüler, die von der Teilnahme am Religionsunterricht befreit sind, sind auch nicht zur Teilnahme an Schulfeiern mit religiösem Charakter verpflichtet. 3. Lehrern und Lehrerinnen an öffentlichen Schulen — mit Ausnahme der eigens für den Religionsunterricht angestellten —, die aus Gewissensbedenken u m Befreiung von der Verpflichtung zur Erteilung von Religionsunterricht nachsuchen, ist die Erteilung des Religionsunterrichts abzunehmen, ohne daß sie deshalb in ihren Dienstbezügen gekürzt oder von den Aufsichtsbehörden zurückgesetzt werden dürfen. Diese Lehrer (Lehrerinnen) sind auch zur Teilnahme an Schulfeiern mit religiösem Charakter nicht verpflichtet. 4. Die Teilnahme von Lehrern und Schülern an kirchlichen Veranstaltungen außerhalb der Schule ist stets freiwillig. Bei organisch vereinigten Kirchen- und Schulämtern bleibt die Ausübung der kirchlichen Amtspflichten der Steileninhaber späterer Regelung vorbehalten. Diese Bestimmungen treten mit Beginn des neuen Schuljahres in Kraft. Der Erlaß vom 29. November 19184 w i r d hiermit aufgehoben. Der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Haenisch.
3 4
Oben Nr. 55. Oben Nr. 48.
VI. Die Religionserlasse vom 22. August und 15. Oktober 1919
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N r . 57. E r l a ß über die Bestätigung der Religionslehrer a n höheren Schulen vom 13. Mai 1919 (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung i n Preußen, 1919, S. 459) Nach dem Schlußsatze der Ziffer 3 des Erlasses vom 13. März 18675 ist für die Bestätigung der Religionslehrer an höheren Schulen meine Genehmigung einzuholen. Künftig kann hiervon abgesehen werden, wenn von der zuständigen kirchlichen Behörde keine Bedenken gegen die Wahl erhoben worden sind. Der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Haenisch.
VI. Die Religionserlasse vom 22. August und 15. Oktober 1919 Die Durchführung des Erlasses vom 1. April 1919 regelten zwei Erlasse des Kultusministers Haenisch vom 22. August und vom 15. Oktober 1919 (Nr. 58, Nr. 59). Anträge auf Befreiung vom Religionsunterricht sollten ihnen zufolge in der Regel zu Beginn des Schulhalbjahres gestellt werden; die Erlasse suchten so einem Mißbrauch des Rechts zur Abmeldung von diesem Unterricht vorzubeugen. Die Regelungen über die Teilnahme von Schülern und Lehrern an kirchlichen Veranstaltungen stellten implizit klar, daß Schulandachten und -gottesdienste von der Schule aus und in schulischen Räumen durchgeführt werden konnten. Der Gedanke einer radikalen Trennung von Kirche und Schule war in solchen Regelungen aufgegeben. Sie folgten vielmehr dem Grundsatz, daß der Staat nicht nur die negative, sondern auch die positive Religionsfreiheit zu gewährleisten hat 1.
N r . 58. E r l a ß über die T e i l n a h m e v o n L e h r e r n u n d Schülern a n k i r c h l i c h e n V e r a n s t a l t u n g e n u n d die B e f r e i u n g v o m Religionsunterricht vom 22. August 1919 (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung i n Preußen, 1919, S. 594) 1. Zu den Schulfeiern mit religiösem Charakter i m Sinne des Abschnitts 2 des Erlasses vom 1. A p r i l 19192 gehören auch die herkömmlich von der Schule veranstalteten Morgenandachten und Schulgottesdienste, auch Schulmessen, gleichviel ob sie i n der Schule selbst oder i n einer benachbarten Kirche stattfinden, ob sie an Wochentagen oder an Sonntagen gehalten werden. Schüler, die vom Religionsunterricht befreit sind, brauchen daran nicht teilzunehmen. Auch die 5 1
Zentralblatt 1867, S. 215.
Dazu zusammenfassend U. Scheuner, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1 (1974), S. 53 ff. 2 Oben Nr. 56.
76
2.
r
Kampf u m die Schule in Preußen
übrigen Schüler sind nicht durch disziplinarische Mittel zum Besuche dieser kirchlichen Veranstaltungen anzuhalten. Die Befreiung v o m Religionsunterricht findet zu Beginn des Schulhalbjahres für das Schulhalbjahr statt. Zu den kirchlichen Veranstaltungen außerhalb der Schule i m Sinne des Absatzes 4 rechnen Gemeindegottesdienste, Prozessionen und andere kirchliche Feiern, die nicht Veranstaltungen der Schule sind.
N r . 59. E r l a ß über die B e f r e i u n g v o m R e l i g i o n s u n t e r r i c h t vom 15. Oktober 1919 (Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 1919, S. 643) Der Absatz 2 des Runderlasses vom 22. August 1919, welcher lautet: „Die Befreiung vom Religionsunterricht findet zu Beginn des Schulhalbjahrs für das Schulhalbjahr statt", ist vielfach dahin mißverstanden worden, als solle das Gesuch u m Befreiung vom Religionsunterricht halbjährlich wiederholt und halbjährlich neu darüber entschieden werden. Das entspricht selbstverständlich weder dem Sinn noch der Absicht des Erlasses. Gemeint ist vielmehr folgendes: Die Schüler und Schülerinnen dürfen naturgemäß nicht das Recht haben, nach Belieben einmal von der Religionsstunde fortzubleiben, zu der nächsten Stunde wieder zu erscheinen, sondern wer sich einmal entschlossen hat, von der Dispensationsbefugnis keinen Gebrauch zu machen und also am Religionsunterricht teilzunehmen, der soll so lange daran teilzunehmen verpflichtet sein, bis die Befreiung ordnungsmäßig auf Grund eines Gesuchs ausgesprochen ist. Die Befreiungsgesuche sollen tunlichst nur zu Beginn eines Halbjahrs eingereicht werden, damit nicht irgendein Vorkommnis während des Religionsunterrichts, z.B. ein Tadel oder eine dem Schüler unbequeme häusliche Aufgabe, zur Einreichung des Befreiungsgesuchs Veranlassung gibt. Wer aber einmal befreit ist, bleibt selbstverständlich dauernd befreit. Natürlich soll auch die gedachte Ordnungsvorschrift nicht hindern, daß ein aus Gewissensbedenken gestellter Antrag auf Befreiung auch i m Laufe des Halbjahrs Berücksichtigung findet. Gleichzeitig bemerke ich ausdrücklich, daß es nicht zulässig ist, den vom Religionsunterricht befreiten Kindern Ersatzunterricht i n anderen Unterrichtsfächern zu erteilen.
Drittes
Kapitel
Der Kampf um die Schule in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten I. Die schulpolitischen Maßnahmen in Sachsen Die Trennung von Kirche und Schule begann in Sachsen mit der Einschränkung des Religionsunterrichts. Durch die Verordnung vom 2. Dezember 1918 hob der sächsische Kultusminister Buck 1 den Katechismusunterricht , also die konfessionsbestimmte Glaubenslehre , auf und beschränkte den verbleibenden Religionsunterricht an den Volksschulen auf zwei Wochenstunden (Nr. 60). Die Verordnung vom 6. Dezember 1918 befreite die Dissidentenkinder von der Teilnahme am Religionsunterricht ; der Nachweis eines Ersatzunterrichts war nicht notwendig (Nr. 61 ). Mit der Verordnung vom 11. Dezember 1918 schließlich wurden die Ortsgeistlichen von der Mitwirkung am örtlichen Schulvorstand ausgeschlossen. Zugleich wurde die in der Regel von Geistlichen wahrgenommene Ortsschulaufsicht aufgehoben (Nr. 62). Gegen diese staatlichen Eingriffe erhob der Apostolische Vikar für Sachsen, Bischof Löbmann2, am 2. Januar 1919 Protest (Nr. 63). Er sah in den staatlichen Maßnahmen rechtswidrige Eingriffe in gesetzlich geschützte Rechte der katholischen Kirche. Am 29. Januar forderte er die katholischen Gläubigen auf diesen Protest durch ihr Wahlverhalten bei den Wahlen der sächsischen Volkskammer zu unterstreichen. Er verband damit das kirchliche Verbot der Zugehörigkeit zur SPD oder USPD , die in Sachsen gemeinsam die Revolutionsregierung stellten (Nr. 64). Nach den am 2. Februar 1919 durchgeführten Wahlen zur sächsischen Volkskammer schied die USPD aus der Regierung aus. Das aus Mehrheitssozialdemokraten gebildete Kabinett Gradnauer 3 setzte jedoch den bisherigen schulpolitischen Kurs fort. Das Übergangsgesetz vom 22. Juli 1919 bestätigte die Verordnungen der Revolutionszeit (Nr. 65). Es erklärte die Volksschule zur „allgemeinen ", also zur „weltlichen" Schule. Die Umgestaltung des Volksschulwesens sollte bis zum 1. April 1923 abgeschlossen sein 4. 1
Wilhelm Buck : Oben S. 5, Anm. 9. Franz Löbmann: Staat und Kirche, Bd. III, S. 866. 3 Geora Gradnauer (1866-1946), nach philosophischem Studium 1890 Redakteur der „Sächsischen Arbeiterzeitung", 1897 des „Vorwärts", 1906 Hauptschriftleiter der „Dresdner Volkszeitung". 1898-1906 und 1912-18 MdR, 1919-20 MdWeimNatVers., 1920-24 erneut MdR (Mehrheitssozialdemokrat). November 1918 bis März 1919 sächs. Justizminister und Innenminister, dann bis Mai 1920 sächs. Ministerpräsident; Mai bis November 1921 Reichsinnenminister; 1921-23 sächs. Gesandter und Reichsbevollmächtigter in Berlin. 4 Vgl. Fr. Günther , Der Kampf u m die Konfessionsschule i n Sachsen (Flugschr. d. kath. Schulorganisation i n Sachsen, 27, 1921); Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 890f., 1032ff.; U. Kürten , Die Kirchen i n der Novemberrevolution (1984), S. 66ff. 2
78
3. Kap.: Kampf u m die Schule in deutschen Mittel- und Kleinstaaten
N r . 60. V e r o r d n u n g des sächsischen K u l t u s m i n i s t e r i u m s a n die Bezirksschulinspektoren über den U n t e r r i c h t i n biblischer Geschichte u n d den K a t e c h i s m u s u n t e r r i c h t i n den Volksschulen vom 2. Dezember 1918 (Verordnungsblatt des Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts für die Republik Sachsen, 1919, S. 16.) Von Neujahr 1919 ab ist der Unterricht i n Biblischer Geschichte auf der Unterstufe in allen Volksschulen auf zwei Stunden einzuschränken und der Katechismusunterricht ganz einzustellen. Die dadurch freiwerdenden Unterrichtsstunden sind für Unterrichtsgebiete zu verwenden, die unter den Verhältnissen der letzten Jahre in besonderem Maße beeinträchtigt worden sind und vor anderen erhöhter Pflege bedürfen 5 .
N r . 61. V e r o r d n u n g des sächsischen K u l t u s m i n i s t e r i u m s über die B e f r e i u n g der Dissidentenkinder v o m Religionsunterricht vom 6. Dezember 1918 (Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1918, S. 385) 1. Kinder von Dissidenten sind nicht mehr verpflichtet, an dem Religionsunterrichte einer anerkannten oder bestätigten Religionsgesellschaft teilzunehmen; sie sind auf schriftlichen, an die Schulleitung gerichteten Antrag der Erziehungsberechtigten vom Religionsunterrichte i n den Schulen zu befreien. 2. Die Schulleiter haben den Bezirksschulinspektoren am Vierteljahresschluß die Namen der befreiten Kinder zur Listenberichtigung anzuzeigen. 3. Diese Verordnung tritt sofort in Kraft.
N r . 62. V e r o r d n u n g des sächsischen K u l t u s m i n i s t e r i u m s über Ortsschulaufsicht u n d S c h u l l e i t u n g vom 11. Dezember 19186 (Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1918, S. 389) — Auszug — § 1. 1. Der Pfarrer der Parochie gehört als solcher nicht mehr dem Schulvorstande an. 2. Die Ortsschulaufsicht über die Volksschulen ohne Direktor w i r d aufgehoben. Diese Schulen unterstehen künftig unmittelbar der Aufsicht des Bezirksschulinspektors. 5 Zur Modifikation und Bestätigung siehe die Verordnungen vom 30. Dezember 1918 und vom 20. März 1919 (Kultus-Verordnungsblatt 1919, S. 17, S. 83 sowie die Mitteilung ebenda S. 28). 6 Durch die Verordnung des Gesamtministeriums vom 27. Dezember 1918 (Allg. Kirchenblatt, 68, 1919, S. 301) mit Gesetzeskraft bestätigt.
I. Die schulpolitischen Maßnahmen in Sachsen
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N r . 63. Protest der katholischen geistlichen Behörden Sachsens gegen den E r l a ß betreffend den Religionsunterricht vom 2. Januar 1919 (Fr. Purlitz,
Die deutsche Revolution, Bd. I, 1919, S. 444) — Auszug —
Die katholischen geistlichen Behörden Sachsens legen gegen die Verordnung des Kultusministeriums, Einschränkung bzw. Unterdrückung des Religionsunterrichts i n den sächsischen Volksschulen betreffend, als eine Verletzung von Recht und Gewissensfreiheit, sowie auch gegen die Entfernung von Geistlichen aus den Schulvorständen entschieden Verwahrung ein. Keine auch vom Volk anerkannte Regierung besitzt die Vollmacht, ein von den gesetzgebenden Gewalten ordnungsmäßig verabschiedetes Gesetz, wie es das sächsische Schulgesetz 7 ist, einseitig aufzuheben. I n diesem ist aber nicht nur der Religionsunterricht als erster und vornehmster Unterrichtsgegenstand, sondern auch als Grundlage der Schulerziehung klar und deutlich anerkannt. Als Grundlage kann ein sogenannter Moralunterricht, an dem keine Konfession Anstoß nehmen soll, keineswegs angesehen werden. . . .
N r . 64. B e k a n n t m a c h u n g des apostolischen G e n e r a l v i k a r s f ü r Sachsen, Bischof D r . L ö b m a n n vom 29. Januar 1919 (Fr. Purlitz,
Die Deutsche Revolution, Bd. I, 1919, S. 448)
Nachdem die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung vorüber sind, drängt es mich, allen, die mit unermüdlicher Hingabe für Kirche und Vaterland eingetreten sind, meinen wärmsten oberhirtlichen Dank öffentlich abzustatten. Da am 2. Februar die Wahlen zur sächsischen Volkskammer stattfinden, so gilt es, nicht zu erlahmen, und es hieße eine Pflicht verletzen, wenn man an diesem Tage der Wahlurne fernbliebe und dadurch den Gegnern der Kirche und christlichen Schule i n die Hände arbeitete. Auch ist es einem Katholiken nie und nimmer erlaubt, sich an die sozialistische Partei anzuschließen.
N r . 65. Übergangsgesetz f ü r das Volksschulwesen vom 22. Juli 1919 (Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1919, S. 171) — Auszug — §2. (2) Religionsunterricht w i r d in der allgemeinen Volksschule nicht mehr erteilt. § 4. (1) Die Volksschulen sind als allgemeine Volksschulen für alle Kinder des Schulbezirks ohne Unterschied des Vermögens und der Religion einzurichten. Den 7
Sächsisches Volksschulgesetz vom 26. A p r i l 1873 (GVB1. 1873, S. 350).
80
3. Kap.: Kampf u m die Schule in deutschen Mittel- und Kleinstaaten
Religionsgesellschaften können auf Antrag Räume der öffentlichen Volksschule zur Erteilung des Religionsunterrichts zur Verfügung gestellt werden. Die Entschädigung für den dadurch entstehenden Aufwand der Schule ist durch Ortsgesetz oder besondere Vereinbarung zu regeln. (2) Die Bewohner des Schulbezirks ohne Unterschied der Religion bilden die Schulgemeinde. § 9. (1) Die Ortsschulaufsicht w i r d aufgehoben. Der nächste Vorgesetzte des Lehrers ist der Bezirksschulrat. §18. (2) Das Gesetz tritt mit seiner Verkündigung in Kraft. Die Bestimmung i m § 2 AbS. 2 ist vom 1. A p r i l 1920 ab durchzuführen. Bis zum 1. A p r i l 1920 w i r d Religionsunterricht nach den i m Verordnungswege getroffenen Bestimmungen erteilt 8 . Jeder Lehrer ist berechtigt, die Erteilung von Religionsunterricht abzulehnen. Über die Teilnahme der Kinder am Religionsunterricht entscheiden die Erziehungsberechtigten. Eine kirchliche Beaufsichtigung des Religionsunterrichts in der Volksschule findet nicht mehr statt. . . .
II. Die Aufhebung des Religionsunterrichts in Hamburg und Bremen Während die sächsische Revolutionsregierung den Religionsunterricht einschneidend beschränkte, hoben die revolutionären Organe in Hamburg und Bremen ihn ganz auf. Der Arbeiter- und Soldatenrat für Hamburg, Altona und Umgebung beschloß am 7. Dezember 1918 die ersatzlose Streichung des Religionsunterrichts an allen öffentlichen Schulen (Nr. 66, Nr. 67). Die entsprechende Verordnung des Bremischen Arbeiter- und Soldatenrats folgte am 7. Januar 1919 (Nr. 68) λ; sie wurde von der vorläufigen Bremischen Regierung im März 1919 ausdrücklich bestätigt 2.
8 1
Siehe oben Nr. 60, Nr. 61.
Zum Streit u m den Religionsunterricht in Bremen vor 1918 siehe Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 78. 2 Verordnungen der provisorischen Regierung vom 2. und 7. März 1919 (GBl 1919, S. 49, 59). — Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 891.
II. Aufhebung des Religionsunterrichts in Hamburg und Bremen
81
N r . 66. B e k a n n t m a c h u n g des A r b e i t e r - u n d Soldatenrates H a m b u r g betreffend die A u f h e b u n g des Religionsunterrichts vom 7. Dezember 1918 (Paul Neumann, Hamburg unter der Regierung des Arbeiter- und Soldatenrates, Hamburg 1919, S. 135)3 Der Religionsunterricht fällt vom 1. Januar 1919 ab 4 i n allen öffentlichen Schulen und Erziehungsanstalten des ehemaligen Hamburgischen Staates fort. Religiöse Schulandachten werden nicht mehr abgehalten. Es bleibt den Eltern und Vormündern unbenommen, ihren Kindern und Pflegebefohlenen außerhalb der Schule 5 Religionsunterricht erteilen zu lassen. Über die Verwendung der durch den Fortfall des Religionsunterrichts freiwerdenden Stunden entscheidet das Lehrerkollegium.
N r . 67. Presseerklärung des A r b e i t e r - u n d Soldatenrats H a m b u r g z u r A u f h e b u n g des Religionsunterrichts vom 9. Dezember 1918 (Staatsarchiv Hamburg, Arbeiter- und Soldatenrat, 9, Bd. 1) — Unveröffentlicht — Der heute veröffentlichte Beschluß des Arbeiter- und Soldatenrats über den Fortfall des Religionsunterrichts i n den öffentlichen Schulen und Erziehungsanstalten verwirklicht nicht allein eine der Gegenwartsforderungen der Socialdemokratie, er entspricht auch der Überzeugung weiter liberal gesonnener Kreise der Bevölkerung. Schließlich werden alle religiös empfindenden Männer und Frauen die durch den Beschluß herbeigeführte Beseitigung jeglichen Zwanges auf dem Gebiete des Glaubenslebens begrüßen. Der Arbeiter- und Soldatenrat will, wie in dem Beschluß ausdrücklich verlautbart ist, keineswegs den Religionsunterricht verbieten. Er stellt es vielmehr i n das Ermessen der Eltern, ihren persönlichen Wünschen und Anschauungen entsprechend zu entscheiden, in welcher Weise ihren Kindern Religionsunterricht erteilt werden soll. Nur auf diese Weise kann der Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit in vollem Umfange durchgeführt werden. Getroffen w i r d durch den Beschluß des Arbeiter- und Soldatenrates lediglich eine kleine Gruppe von Personen, die bislang der Bevölkerung die Glaubens- und Gewissensfreiheit vorenthielt und auch die Schule bzw. den i n ihr erteilten Religionsunterricht ihren Zwecken nutzbar machte.
3 Bei Neumann, a.a.O. zu Unrecht auf den 6. Dezember 1918 datiert. Das zutreffende Datum ergibt sich aus dem Originaldokument (Staatsarchiv Hamburg. Arbeiter- und Soldatenrat 9 Bd. 1). Danach sind auch die Wiedergabefehler bei Neumann, a.a.O. korrigiert. 4 Bei Neumann: „an". 5 Die letzten drei Worte fehlen bei Neumann.
6 Huber
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3. Kap.: K a m p f u m die Schule in deutschen Mittel- und Kleinstaaten N r . 68. V e r o r d n u n g des A r b e i t e r - u n d Soldatenrats B r e m e n betreffend Religionsunterricht, Geschichtsunterricht, usw. vom 7. Januar 1919
(Bremer Nachrichten, Erstes Blatt, 9. Januar 1919, S. 1; Bremer Schulblatt 24, 1919, S. 30) 1. Der Religionsunterricht sowie die Morgenandachten fallen fort. 2. Der bisherige Geschichtsunterricht hat einer sachgemäßen kulturhistorischen Belehrung Platz zu machen. Wo bisher der Geschichtsunterricht mit anderen Lehrfächern zur Verherrlichung der Hohenzollern und des Krieges mißbraucht wurde, hat solches i n Zukunft unbedingt zu unterbleiben. I n keinem Unterrichtsfache sind seitens der Lehrkräfte abfällige oder entstellende Bemerkungen über die Ursachen und Folgen der Revolution zu äußern. Es hat seitens der Schulleiter und Lehrer alles zu unterbleiben, was geeignet ist, die Stimmung zu einer Gegenrevolution zu schüren, da ein solches Vorgehen i m jetzigen Augenblicke die Gefahr des Bürgerkrieges in sich birgt. 3. Aus den Schülerbibliotheken sind alle Bücher, welche den Krieg an sich verherrlichen, ebenfalls solche mit chauvinistischer und byzantinischer Tendenz zu entfernen. 4. Eine Behandlung der i n den Schullesebüchern enthaltenen tendenziösen geschichtlichen Stoffe hat für die Folge zu unterbleiben. 5. Bildliche Darstellungen mit jenen auf die Hohenzollern und den Krieg bezüglichen Tendenzen sind aus den Schulräumen zu entfernen. 6. Der Schulleiter ist an die Beschlüsse des Kollegiums gebunden. Die Wahl des Schulleiters erfolgt nach demokratischen Grundsätzen. Dem Schulleiter w i r d die Befugnis, die Unterrichtsmethode des Lehrenden und die Ergebnisse des Unterrichts zu kontrollieren, entzogen. 7. Die wegen ihrer politischen Überzeugung sowie wegen ihres Kampfes gegen die Schulbürokratie seinerzeit gemaßregelten Lehrer und Hilfslehrer sind auf ihr Ansuchen wieder einzustellen.
I I I . Die Entscheidungen des Reichsgerichts vom 4. November 1920 Die Einschränkung des Religionsunterrichts in Sachsen und seine Aufhebung in Hamburg und Bremen wurden im Jahr 1920 Gegenstand von Normenkontrollverfahren vor dem Reichsgericht. In seinen Entscheidungen vom 4. November 1920 erklärte es die den Religionsunterricht betreffenden Maßnahmen in allen drei Ländern für verfassungswidrig und unwirksam (Nr. 69, Nr. 70, Nr. 71 ). Die Grundlage dieser Entscheidungen bildeten die Bestimmungen der Weimarer Reichs-
III. Entscheidungen des Reichsgerichts vom 4. November 1920
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Verfassung 1, die den Religionsunterricht gewährleisteten und den bisherigen Bestand an Bekenntnisschulen oder christlichen Gemeinschaftsschulen bis zum Erlaß eines Reichsschulgesetzes 2 sicherstellten. Die Entscheidungen des Reichsgerichts bewirkten, daß Eingriffe in den Religionsunterricht, die vor dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung erfolgt waren, wegen ihres Widerspruchs zu den nun geltenden reichsverfassungsrechtlichen Bestimmungen aufgehoben wurden 3.
N r . 69. Entscheidung des Reichsgerichts über die Beseitigung des Religionsunterrichts i n Sachsen vom 4. November 1920 (H. H. LammersjW. Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund A r t i k e l 13 Absatz 2 der Reichsverfassung, Bd. I, 1929, S. 441) — Auszug — 1. § 2 AbS. 2 und § 18 AbS. 2 Satz 2 und 3 des Sächsischen Übergangsgesetzes für das Volksschulwesen vom 22. Juli 19194 stehen mit A r t i k e l 146, 149, 174 der Verfassung des Deutschen Reichs 5 i m Widerspruche. 2. Die Abschaffung des Religionsunterrichts i n der Volksschule mit Wirkung vom 1. A p r i l 1920 war unzulässig. 3. Die Vorschrift des Art. 174 Satz 1 RVerf. bezieht sich nur auf die i n Art. 146 AbS. 2 RVerf. behandelten Verhältnisse; sie schützt nur die beim Inkrafttreten der Reichsverfassung bestehende Rechtslage, nicht aber die erst für einen späteren Zeitpunkt angeordnete Änderung der Rechtslage. Gründe . . . Die Reichs Verfassung steht auf dem Standpunkt, daß i n den Volksschulen, die gemäß der Regelvorschrift des Art. 146 Abs. 1 Gemeinschaftsschulen sind, Religionsunterricht erteilt werden muß und daß der Religionsunterricht nur i n den Volksschulen wegfällt, die aufgrund der Ausnahmevorschrift des Art. 146 Abs. 2 als bekenntnisfreie Schulen errichtet sind. Die Vorschriften der §§ 2 und 18 des Sächsischen Übergangsgesetzes, wonach Religionsunterricht i n der allgemeinen Volksschule nicht mehr erteilt werden, die Durchführung dieser Bestimmung vom 1. A p r i l 1920 ab erfolgen und nur noch bis zu diesem Tage der Religionsunterricht erteilt werden soll, stehen demnach mit den Vorschriften der Reichsverfassung über die Erteilung des Religionsunterrichts i n der allgemeinen Volksschule in Widerspruch. Das w i l l anscheinend auch die Mehrheit der Sächsischen Volkskammer nicht bestreiten; sie glaubt nur aus der Vorschrift des Art. 174 Abs. 1 RV 1 2 3 4 5
6*
Siehe unten Nr. 97. Dazu unten Nr. 149 ff. Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 891. Oben Nr. 65. Unten Nr. 97.
84
3. Kap.: Kampf u m die Schule i n deutschen Mittel- und Kleinstaaten
herleiten zu können, daß die streitigen Vorschriften des Übergangsgesetzes bis zum Erlaß des Reichsschulgesetzes Geltung behalten müßten. Diese Auffassung muß jedoch aus zwei Gründen als unzutreffend erachtet werden. 1. . . . Der Vorschrift des Art. 174 Satz 1 RV kommt nur die Bedeutung zu, daß die Einrichtung von Bekenntnisschulen und von bekenntnisfreien Volksschulen auf Grund des Art. 146 Abs. 2 vor dem Erlaß des die näheren Grundsätze darüber aufstellenden Reichsgesetzes nicht stattfinden, daß andererseits aber auch an dem Bestände und der Einrichtung solcher bei dem Inkrafttreten der Reichsverfassung bereits vorhandener Schulen einstweilen nicht gerüttelt werden darf. Ob eine Neuerrichtung von Schulen der bezeichneten A r t auf Grund schon beim Inkrafttreten der Reichsverfassung bestehender landesgesetzlicher Vorschriften nach Art. 174 Satz 1 noch zulässig sein würde, bedarf keiner Erörterung. Denn Voraussetzung für eine derartige Neuerrichtung bekenntnisfreier Schulen würde nach Art. 174 Satz 1 immer sein, daß es sich u m Schulformen der i m Art. 146 Abs. 2 bezeichneten Art, also u m Schulen handelt, die neben der i n dem betreffenden Lande als Regelform eingeführten Gemeinschaftsschule mit Religionsunterricht ausnahmsweise als bekenntnisfreie Schulen eingerichtet werden sollen. Die Errichtung derartiger besonderer bekenntnisfreier Schulen sieht aber das Sächsische Übergangsschulgesetz nicht vor, es w i l l vielmehr sämtliche öffentliche Volksschulen als bekenntnisfreie einrichten und somit eine Umänderung der in Sachsen bisher bestehenden Regelform der Volksschule in einer mit Art. 149 RV i n Widerspruch stehenden Weise herbeiführen. Die darauf abzielenden Vorschriften fallen demnach nicht in den Rahmen der durch Art. 174 Satz 1 RV aufrechterhaltenen Rechtslage, und zwar ganz abgesehen davon, daß nach § 18 Abs. 2 die Bestimmung des § 2 Abs. 2 erst vom 1. A p r i l 1920 ab durchgeführt werden sollte. 2. . . . I m Zeitpunkt des Inkrafttretens der Reichs Verfassung war der Religionsunterricht noch ordentliches Lehrfach in den Sächsischen Volksschulen und die Rechtslage die, daß an den Volksschulen Religionsunterricht zu erteilen war. Da diese Rechtslage nach Art. 174 Satz 1 RV bis zum Erlaß des i m Art. 146 Abs. 2 vorgesehenen Reichsgesetzes bestehen bleiben soll, so ist damit auch die in den §§2 Abs. 2,18 Abs. 2 des Übergangsgesetzes enthaltene Bestimmung, daß vom 1. A p r i l 1920 ab in der allgemeinen Volksschule kein Religionsunterricht mehr zu erteilen sei, außer Kraft gesetzt. Nur die beim Inkrafttreten der Reichsverfassung bestehende Rechtslage, nicht die erst für einen späteren Zeitpunkt angeordnete Änderung derselben ist i m Art. 174 Satz 1 RV für die Zeit bis zum Erlaß des vorbehaltenen Reichsgesetzes als maßgebend erklärt. Der Zweck der Vorschrift ist gerade der gewesen, bis zum Erlaß des in Kürze erwarteten Reichsgesetzes hinsichtlich der darin zu regelnden Verhältnisse jede Änderung des beim Inkrafttreten der Reichsverfassung bestehenden Rechtszustandes auszuschließen, u m dadurch einen mehrfachen Wechsel der betreffenden Einrichtungen innerhalb kurzer Zeit zu verhindern. Es muß hiernach als Wille des Gesetzes angesehen werden, daß auch Änderungen der bisherigen Rechtslage, die bereits vor dem Inkrafttreten der Reichsverfassung, aber erst für einen späteren Zeitpunkt landesgesetzlich angeordnet waren, durch Art. 174 Satz 1 RV haben ausgeschlossen werden sollen.
III. Entscheidungen des Reichsgerichts vom 4. November 1920
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N r . 70. Entscheidung des Reichsgerichts über die Beseitigung des Religionsunterrichts i n H a m b u r g , A l t o n a u n d U m g e b u n g vom 4. November 1920 ( Η. Η. Lammers/W. Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund A r t i k e l 13 Abs. 2 der Reichsverfassung, Bd. I, 1929, S. 508) — Auszug — 1. Die i n der Bekanntmachung vom 10. Dezember 1918 des Arbeiter- und Soldatenrats für Hamburg, Altona und Umgebung enthaltene Verordnung, daß der Religionsunterricht in allen öffentlichen Schulen und Erziehungsanstalten des ehemaligen Hamburgischen Staates fortfällt, steht mit A r t i k e l 146, 149, 174 der Verfassung des Deutschen Reiches i m Widerspruche. 2. Die Schulen mit Religionsunterricht sind nach der Reichs Verfassung die Regel, die bekenntnisfreien Schulen die Ausnahme. Wo also in einzelnen Ländern beim Inkrafttreten der Reichsverfassung der Religionsunterricht in allen staatlichen Schulen abgeschafft war, steht dieser Rechtszustand i m Widerspruch zur Reichsverfassung. 3. Unter der „bestehenden Rechtslage" in Art. 174 Satz 1 RVerf. ist die Rechtslage in Ansehung der Verhältnisse zu verstehen, für welche durch das in Art. 146 Abs. 2 RVerf. vorbehaltene Reichsgesetz die Grundsätze für die nähere Regelung durch die Landesgesetzgebung aufgestellt werden sollen. Das sind aber nur die Grundsätze für die ausnahmsweise erfolgende Einrichtung von Volksschulen als Bekenntnisschulen oder als bekenntnisfreie Schulen. Vor dem Erlaß des Reichsgesetzes darf also eine Einrichtung von Bekenntnisschulen und bekenntnisfreien Volksschulen durch die Länder nicht stattfinden. Wenn jedoch in einem Lande z.Zt. des Inkrafttretens der Reichsverfassung neben der Gemeinschaftsschule mit Religionsunterricht als Regelform ausnahmsweise bereits Bekenntnisschulen oder bekenntnisfreie Schulen eingerichtet waren, so ist auch diese Rechtslage durch Art. 174 Satz 1 RVerf. einstweilen geschützt.
N r . 71. Entscheidung des Reichsgerichts über die Beseitigung des Religionsunterrichts i n B r e m e n vom 4. November 1920 (Η. H. Lammers/W. Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund A r t i k e l 13 Absatz 2 der Reichsverfassung, Bd. I, 1929, S. 528) — Auszug — 1. Die Verordnung des Arbeiter- und Soldatenrats Bremen vom 7. Januar 1919, wonach der Religionsunterricht in den staatlichen Schulen fortfällt, und die diese Verordnung bestätigende Verordnung der vorläufigen Bremischen Regierung vom 2. und 7. März 1919 stehen mit A r t i k e l 146, 149, 174 der Verfassung des Deutschen Reichs i m Widerspruche.
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3. Kap.: Kampf u m die Schule i n deutschen Mittel- und Kleinstaaten
2. Bekenntnisfreie Schulen sind nach der Reichsverfassung eine Ausnahmeform. Schulen mit Religionsunterricht bilden die Regel. Die grundsätzliche Einrichtung aller Schulen eines Landes als bekenntnisfreie Schulen ist unzulässig. Hatte ein Land bei Inkrafttreten der Reichsverfassung den Religionsunterricht in allen staatlichen Schulen abgeschafft, so steht dieser Rechtszustand i m Widerspruch zur Reichsverfassung. Er ist durch Art. 174 Satz 1 RVerf. nicht geschützt. . . .
IV. Die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht in Bayern In Bayern trat die Regierung Eisner 1 ihr Amt mit dem programmatischen Anspruch an, „die gleiche Freiheit für die Schule wie für die Kirche" zu schaffen 2. Daß damit die durch den Staat einseitig durchgesetzte Trennung von Kirche und Schule gemeint war, zeigte sich zuerst in der am 16. Dezember 1918 verordneten Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht (Nr. 72) 3. Gegen diese Maßnahme erhoben die katholischen Bischöfe alsbald vehementen Protest (Nr. 73). Der Widerspruch des protestantischen Oberkonsistoriums war zurückhaltender. Es ließ erkennen, daß es am Institut der geistlichen Schulaufsicht nicht um jeden Preis festhalten wollte, aber nur einer zwischen Staat und Kirche vereinbarten Ablösung dieser Einrichtung zuzustimmen bereit war (Nr. 74). Die Durchführung der Verordnung vom 16. Dezember 1918 wurde durch diese Einsprüche zwar verlangsamt, aber nicht verhindert 4.
N r . 72. V e r o r d n u n g der R e g i e r u n g des Volksstaats B a y e r n , betreffend Beaufsichtigung u n d L e i t u n g der Volksschulen vom 16. Dezember 1918 (Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt, 1918, S. 1275f.) Die Regierung des Volksstaates Bayern verordnet hiermit unter Aufhebung der entgegenstehenden bisherigen Vorschriften mit Gesetzeskraft: I. Vom 1. Januar 1919 ab entfällt die Beaufsichtigung und Leitung der Volksschulen durch Ortsschulinspektoren. Die Ortsschulbehörden bestehen bis auf weiteres in der bisherigen Zusammensetzung fort. Der Vorsitz steht dem Bürgermeister oder seinem Stellvertreter zu. Der Wirkungskreis der Ortsschulbehörden ist die örtliche Schulpflege. 1
Oben S. 49, Anm. 15. Programm der Regierung Eisner vom 15. November 1918 (Text: Fr. Purlitz, Die deutsche Revolution, Bd. 1,1919, S. 78); vgl. auch die Erklärung des Kultusministers Johannes Hoffmann v o m 2. Dezember 1918, die die Formel verwandte: „freier Staat, freie Schule, freie Kirche" (ebenda S. 273). 3 A n den Präparandenanstalten war die geistliche Schulaufsicht schon durch die Ministerialbekanntmachung vom 13. Dezember 1918 beseitigt worden (Kultusministerialblatt 1918, S. 333). 4 A. Scharnagl, Die Schulpolitik i n Bayern seit der Revolution (1924), S. 5ff.; Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 890; H. Hürten, Die Kirchen i n der Novemberrevolution (1984), S. 60ff. 2
IV. Die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht in Bayern
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II. Die schulaufsichtliche Tätigkeit der geistlichen Distriktschulinspektoren der Stadtschulkommissionen sowie ihre Mitgliedschaft i n den Distriktschulbehörden endet mit dem 31. Dezember 1918. A n ihre Stelle treten mit dem 1. Januar 1919 weltliche Fachleute. Bis zur Aufstellung weltlicher Bezirkschulinspektoren werden mit der Führung der Geschäfte der Distriktschulinspektoren und der geistlichen Referenten der Stadtschulkommissionen vorübergehend geeignete Volksschullehrer betraut. Sie erhalten für die Dauer dieser Geschäftsführung eine entsprechende Vergütung und Erlaß des Dienstaufwands aus Staatsmitteln. ΠΙ. Wo auf Grund des § 13 Abs. V I der Verordnung vom 26. August 1883 (GVB1. S. 407) aus Gemeindemitteln besoldete, weltliche Lokalschulinspektoren aufgestellt sind, w i r d ihnen bis auf weiteres für ihren Dienstbezirk, der nach Bedarf erweitert werden kann, die Geschäftsaufgabe des Distriktschulinspektors übertragen. Die vermögensrechtlichen Ansprüche dieser Beamten gegenüber den Gemeinden, die bisher ihre Dienstbezüge bestritten haben, bleiben bis auf weiteres unverändert. IV. I n den unmittelbaren Städten, i n denen aus Gemeindemitteln besoldete, weltliche Stadtschulräte von der staatlichen Unterrichtsverwaltung mit der Wahrnehmung der distriktiven Schulaufsicht betraut sind, w i r d diese Regelung bis auf weiteres beibehalten. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Vertretung und Unterstützung der Stadtschulräte durch weltliche Stadtschulinspektoren, weltliche Bezirksschulinspektoren und Oberlehrer. V. Das Ministerium für Unterricht und Kultus erläßt die näheren Bestimmungen zum Vollzuge dieser Verordnung.
N r . 73. E r k l ä r u n g der bayerischen Bischofskonferenz vom 18. Dezember 1918 (Amtsblatt für die Erzdiözese München und Freising, 1918, Nr. 37, S. 215) Die i n Freising versammelten Bischöfe erfahren soeben aus der Zeitung die Verordnung des Ministerrats des Volksstaates Bayern, wodurch die geistliche Schulaufsicht in jeder Form beseitigt wird. Wir legen feierlichst Verwahrung dagegen ein, daß ohne Fühlungnahme mit den kirchlichen Behörden durch einseitige Verletzung eines i n A r t i k e l V, Absatz 4 des Konkordats 5 dem Sinne nach verbrieften Rechts, die langjährige und treue Mitarbeit und Mitaufsicht der Kirche i m Erziehungswesen der Volksschule ausgeschaltet werden soll. Derartig überstürzte Gewaltmaßregeln einer vorläufigen Regierung müssen unser Volk mit großer Besorgnis für die Zukunft erfüllen.
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Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 73.
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3. Kap.: Kampf u m die Schule in deutschen Mittel- und Kleinstaaten N r . 74. E r k l ä r u n g des Protestantischen Oberkonsistoriums a n das Bayerische S t a a t s m i n i s t e r i u m f ü r U n t e r r i c h t u n d K u l t u s vom 24. Dezember 1918
(Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 48 f.) Die Regierung des Volksstaates Bayern hat mit Verordnung vom 16. Dezember 1918 die Aufsicht und Leitung der Volksschulen durch Geistliche mit Wirkung vom 1. Januar 1919 aufgehoben. Sachlich stehen w i r zu dieser Maßnahme auf dem Boden der Generalsynode 1913, die erklärte, daß die Erhaltung der geistlichen Schulaufsicht nicht zu den Lebensinteressen der evangelischen Kirche gehört, daß ihr Lebensinteresse aber sowohl die Erhaltung der evangelischen Volksschule als auch das ungeschmälerte Recht des Religionsunterrichts und damit eine gesetzliche Teilnahme an der Schulaufsicht fordert. I m Einklang damit steht auch unsere Äußerung vom 13. Januar 1910 Nr. 89, daß w i r das Recht der geistlichen Schulaufsicht festhalten, solange es unserer Kirche vom Staate belassen wird. Nachdem durch Allerhöchsten Bescheid vom 31. Juli 1915 die Beschlüsse der Generalsynode 1913 mit unseren Anträgen dem Staatsministerium für eine etwaige weitere Behandlung der Frage überwiesen wurden und unsere Geistlichen der provisorischen Regierung gegenüber auf ihre Veranlassung hin sich zur Fortleistung dieser Dienste bereit erklärt haben, durften w i r wohl annehmen, daß ohne unsere Einvernahme die Schulaufsicht (auch der Ortsschule) den Geistlichen unserer Kirche nicht entzogen werde. Außerdem hat für unsere Kirche die Beiziehung unserer Geistlichen zur distriktiven Schulaufsicht in § 6 des Protestanten-Edikts 6 eine verfassungsmäßige Grundlage. A n den Bestimmungen des Protestanten-Edikts, dem wichtigsten Stützpunkt unserer Kirchenverfassung, konnte ohne Verletzung des Tit. X § 7 der bayerischen Verfassungsur künde 7 keine Änderung vorgenommen werden, zumal auch die provisorische Regierung den Grundsatz veröffentlicht hat, daß die bestehenden Gesetze von ihr aufrecht erhalten werden. Wir legen zum Schutze der Rechte unserer Kirche i m Blick auf diese verfassungsrechtliche Seite der Frage gegen die getroffenen Maßnahmen Verwahrung ein.
V. Der Konflikt um den Religionsunterricht in Bayern Mit der Verordnung vom 25. Januar 1919 (Nr. 75) erklärte der bayerische Kultusminister Johannes Hoffmann 1 den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen zum Wahlfach; zugleich beseitigte er alle Formen des schulischen Einflusses auf den Besuch von Gottesdiensten. Die katholischen Bischöfe und das protestanti6 7 1
Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 280. Ebenda Nr. 59. Oben S. 49, Anm. 16.
V. Der Konflikt u m den Religionsunterricht in Bayern
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sehe Oberkonsistorium legten gegen diese Verordnung unverzüglich Protest ein (Nr. 76, Nr. 78) und wandten sich darüber hinaus mit dringenden Appellen an die kirchliche Öffentlichkeit (Nr. 77, Nr. 79). Den Katholiken, die ihre Kinder vom Religionsunterricht abmeldeten, wurden schwere Kirchenstrafen angedroht. Vor allem die katholische Kirche organisierte in großer Breite Versammlungen und Petitionen gegen die Schulpolitik der bayerischen Revolutionsregierung (Nr. 80). Die grundsätzliche Position des Episkopats zur Gestaltung des Schulwesens fand in der Denkschrift vom 25. Mai 1919 eine zusammenfassende Darstellung (Nr. 81)2. Erst 1920 modifizierte das Kabinett v. Kahr 3 die Verordnung über den Religionsunterricht. In der Verordnung vom 6. Mai 1920 trug der neue Kultusminister Matt 4 5 der Tatsache Rechnung, daß die Weimarer Reichsverfassung dem Religionsunterricht den Charakter eines ordentlichen Lehrfachs zuerkannt hatte (Nr. 82)6.
N r . 75. V e r o r d n u n g über den Besuch des Religionsunterrichts vom 25. Januar 1919 (Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt, 1919, S. 25) I. „Gegen den Willen des Erziehungsberechtigten darf ein K i n d nicht zur Teilnahme an einem Religionsunterricht oder Gottesdienst angehalten werden". I n Durchführung dieses Grundsatzes gelten für alle Schulen des Volksstaats Bayern die folgenden Bestimmungen: 1. A u f Grund einer mündlich oder schriftlich beim Schulleiter oder Klassenlehrer abgegebenen Willenserklärung des Erziehungsberechtigten sind Schüler und Schülerinnen ohne Weiteres vom Besuche des Religionsunterrichts oder der den Religionsunterricht ersetzenden Christenlehre entbunden. 2. Ohne Rücksicht darauf, ob die Schüler oder Schülerinnen vom Religionsunterricht entbunden sind oder nicht, können vom Standpunkte der Schule aus die Erziehungsberechtigten frei, d.h. ohne besondere Anzeige und Genehmigung darüber bestimmen, ob und i n welchem Umfange die Kinder den Gottesdienst und Schulgottesdienst besuchen und die sonstigen religiösen Verpflichtungen erfüllen sollen. 2 Die bayerische Bischofskonferenz wiederholte ihre Auffassung zur Schulfrage in dem Hirtenbrief vom September 1919, der am 12. und 19. Oktober von allen Kanzeln verlesen wurde (Text: Amtsblatt für die Erzdiözese München und Freising, 1919, Beilage, September 1919). 3 Gustav Ritter v. Kahr (1862-1934), Verwaltungsjurist; seit 1895 i m bayer. Innenministerium; 1917-20 und erneut 1921-23 Regierungspräsident von Oberbayern; Mitglied der BVP; vom 16. März 1920 bis zum 11. September 1921 Ministerpräsident; vom 26. September 1923 bis zum 18. Februar 1924 Generalstaatskommissar von Bayern; dann bis Ende 1930 Präsident des bayer. Verwaltungsgerichtshofs. A m 30. Juni 1934 i m Zug der „Röhm-Aktion" ermordet. 4 Franz (v.) Matt (1860-1929), Jurist; seit 1908 Regierungsrat i m bayer. Kultusministerium, 1911 MinRat, 1917 MinDirektor; vom 16. März 1920 bis zum 14. Oktober 1926 Kultusminister, dann bayer. Staatsrat; Mitglied der BVP. 5 Unten Nr. 97. 6 A . Scharnagl, Die Schulpolitik in Bayern seit der Revolution (1924); Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 890, 1113ff.; Bd. VI, S. 781ff.
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3. Kap.: Kampf u m die Schule i n deutschen Mittel- und Kleinstaaten
3. Die Schule darf — den lehrplanmäßigen Religionsunterricht ausgenommen — zur Erfüllung religiöser Auflagen keine disziplinären Zwangsmittel anwenden. 4. Schüler und Schülerinnen, die durch Willenserklärung des Erziehungsberechtigten vom Besuche des Religionsunterrichts entbunden sind, werden i n der Religionslehre nicht geprüft und nicht benotet. II. Die Lehrpersonen sind nicht verpflichtet, bei der Beaufsichtigung der Schüler und Schülerinnen während der Christenlehre, des Gottesdienstes und des Schulgottesdienstes oder sonstiger religiöser Veranstaltungen mitzuwirken. ΙΠ. Soweit die in den Schulordnungen oder sonstwo niedergelegten Vorschriften der vorstehenden Verordnung widersprechen, sind sie aufgehoben.
N r . 76. P r o t e s t e r k l ä r u n g des bayerischen Episkopats gegen die V e r o r d n u n g des K u l t u s m i n i s t e r s Johannes H o f f m a n n über den Besuch des Religionsunterrichts vom 28. Januar 1919 (Amtsblatt für die Erzdiözese München und Freising, 1919, S. 19) Die Bischöfe des rechtsrheinischen Bayern haben unterm 28. Januar folgenden Einspruch gegen die Verordnung des Kultusministeriums in Sachen des Religionsunterrichts an den bayerischen Schulen erhoben: A m 25. Januar (veröffentlicht am 27. Januar) hat eine Verordnung des Unterrichtsministers den Religionsunterricht für die bayerischen Schulen als Wahlfach erklärt und dem Belieben der Erziehungsberechtigten anheimgegeben. Von den bayerischen Bischöfen w i r d diese neue kulturkämpferische Gewalttat gegen Religion und Kirche aus rechtlichen und sittlichen, sozialen und erzieherischen Gründen einstweilen in dieser Form zurückgewiesen. Rechte, die i m Konkordat 7 und in der zweiten Verfassungsbeilage § 38 8 unserer Kirche i n Bezug auf den religiösen Volksunterricht eingeräumt werden, sind der Willkür eines einzelnen Revolutionsministers 9 entzogen. Als unerhörte Anmaßung und als Eingriff i n das innerkirchliche Rechtsgebiet müssen wir es bezeichnen, wenn von der Staatsschule aus den Eltern oder Vormündern das Recht eingeräumt wird, die Kinder vom Besuch des Gottesdienstes und „sonstigen religiösen Verpflichtungen", also von streng verpflichtenden Kirchengeboten zu entbinden. Gewissenskonflikte bei vielen Kindern und einem guten Teil der Lehrerwelt, Familienstreitigkeiten, endlose Beunruhigung unseres Volkes und zunehmende sittliche Verwilderung der Jugend sind notwendige Folgen dieser neuen Kampfansage gegen Religion und Kirche. Nunmehr haben die Eltern das Wort.
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Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 73. D.h. dem Religionsedikt von 1818: ebenda Nr. 60. Der Kultusminister Johannes Hoffmann: Oben S. 49, Anm. 16.
V. Der Konflikt u m den Religionsunterricht in Bayern
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N r . 77. H i r t e n b r i e f des Erzbischofs von M ü n c h e n u n d Freising, K a r d i n a l F a u l h a b e r , a n die G l ä u b i g e n seines Erzbistums vom 29. Januar 1919 (Amtsblatt für die Erzdiözese München und Freising, 1919, S. 11 ff.) — Auszug — Herodes der Kindermörder ließ die unschuldigen Kinder von Bethlehem hinschlachten. Unbekümmert u m das Weinen und Wehklagen der Mütter, unbekümmert u m das Todeswimmern der sterbenden Kinder, ließ er an wehrlosen Kindern seine Wut aus, u m mit ihnen den neugeborenen König der Juden, den vermeintlichen Anwärter seines Throns, aus dem Wege zu schaffen. Nach dem Zeugnis des Evangeliums hatte aber auch die Macht dieses Emporkömmlings von Judäa eine Grenze: „Die dem Kinde nach dem Leben strebten, sind gestorben" (Matthäus 2,20), und vor dem Richterstuhl der Geschichte ist Herodes mit dem Fluche eines Kindermörders belegt. Geliebte Erzdiözesanen! A m letzten Montag ist i m Volksstaate Bayern eine Verordnung ergangen, die vor dem Richterstuhl Gottes schwerer wiegt als der Blutbefehl des Herodes. Durch eine Verordnung des Unterrichtsministers wurde der Religionsunterricht in allen bayerischen Schulen als Pflichtfach abgesetzt und als Wahlfach der Willkür der Eltern und Vormünder ausgeliefert. . . . Die Geister unseres Volkes sind durch die Leiden des unseligen Krieges noch so sehr verwirrt, die politischen Leidenschaften durch die Revolution und die Wahlen noch so stark aufgeregt, daß viele die Tragweite dieser neuen Verordnung heute noch gar nicht erfassen. Wo aber noch ein Funke lebt vom Glauben unserer Väter und von Liebe zu den Kinderseelen, da muß dieser neue Vorstoß gegen unsere Kirche und gegen jede Religion die Empfindungen tiefsten Schmerzes und flammender Entrüstung auslösen. Hier handelt es sich nicht u m eine politische Parteifrage. Ob ein K i n d religiös oder religionslos erzogen werden soll, ist keine politische, sondern eine religiöse Frage, für heute sogar die religiöseste Frage, die es für uns gibt. Darum wendet sich heute euer Erzbischof mit einem außergewöhnlichen Hirtenwort an seine geliebten Diözesankinder, u m ihnen zu sagen: Für euer Gewissen hat die neue Verordnung der Staatsregierung keine neue Rechtslage geschaffen. I m Gewissen bleibt ihr, christliche Eltern, nach wie vor verpflichtet, eure Kinder zum Besuch des Religionsunterrichtes und der Christenlehre, ebenso zum Gottesdienst und Sakramentenempfang anzuhalten. Diese Gewissenspflicht ist so strenge, daß jene Eltern und Vormünder, die eine Willenserklärung i m Sinne der neuen Verordnung abgeben, von den hl. Sakramenten, auch vom öffentlichen Empfang der hl. Kommunion, und i m Falle des Ablebens von der kirchlichen Einsegnung ausgeschlossen werden müssen. Jene Kinder, die nicht den vollen Religionsunterricht besucht haben, werden natürlich auch nicht zur Erstkommunionfeier und nicht zur Firmung zugelassen. Wenn es trotzdem Rabeneltern über das Herz bringen, ihre Kinder von diesen schönsten Feiertagen der Jugend fernzuhalten, dürfen sie sich nicht beklagen, wenn sie selber als öffentliche Sünder von den hl. Sakramenten ausgeschlossen werden. Geliebte Diözesanen! Wir fordern den Religionsunterricht als Pflichtfach für alle Kinder der Volksschulen und Mittelschulen i m Namen der Religion. Die Unterscheidung zwischen Pflichtfächern und Wahlfächern i m Lehrplan einer Schule w i l l
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3. Kap.: Kampf u m die Schule in deutschen Mittel- und Kleinstaaten
sagen: die einen Lehrfächer, die sogenannten Pflichtfächer, sind wichtig und für das Lehrziel der Schule unentbehrlich, und deshalb sind alle Schüler ohne weiteres dazu verpflichtet, die anderen Fächer, die sogenannten Wahlfächer, sind minder wichtig und auch ganz entbehrlich. Durch die neue Schulverordnung w i r d also die Religion, das aller wichtigste und für die sittliche Erziehung allernot wendigste Schulfach, zu einem minder wichtigen und entbehrlichen Wahlfach herabgewürdigt und mit den untergeordneten Fächern wie Turnen und Schwimmen auf gleiche Stufe gestellt. . . . Wir fordern den Religionsunterricht als Pflichtfach i m Namen der Not der Zeit. Wunden ohne Zahl und Trümmer ohne Ende sind heute der bittere Anteil unseres Volkes. Aus allen Winkeln der Erde und des Himmels müßten wir die Heil- und Hilfskräfte zusammensuchen, u m diese Wunden zu heilen und diese Trümmer wieder aufzubauen. Noch niemals i n seiner Geschichte hat unser Volk den Heiland der Welt und die sozialen Kräfte des Glaubens so notwendig gehabt wie heute. Noch niemals ist die Religion mit ihren Heil- und Kraftquellen eine solche Staatsnotwendigkeit gewesen wie heute. Noch niemals war die Religion für das heranwachsende Geschlecht so sehr „Pflichtfach" wie heute, wenn die Zukunft nicht noch tiefere Wunden schlagen und noch größere Trümmer schaffen soll als die Gegenwart. Christliche Eltern! „Es ist der Wille eures Vaters i m Himmel, daß auch nicht eines von diesen Kindern verloren gehe" (Matthäus 18,14). Je mehr eine christusfeindliche Staatsregierung die religiöse Erziehung der Jugend mit Füßen tritt, u m so kräftiger muß die christliche Familie die religiöse Festigung der Jugend in die Hand nehmen. Je mehr der Staat durch solche Verordnungen der Verwilderung der Jugend Vorschub leistet, u m so ernster müssen es Vater und Mutter mit der Verantwortung nehmen, die auf dem Elternnamen ruht. I n den katholischen Vereinen, vielleicht auch auf besonderen Elternabenden, werden die Zeichen der Zeit und die Vorurteile der heutigen Jugend näher gedeutet werden müssen. Dann aber werdet ihr auch anderen Eltern ins Gewissen reden, die an der Hand der neuen Verordnung einen Gottesraub an ihren Kindern zu begehen fähig sind. Wo die Totengräber der Religion am Werke sind, w i r d die Gnade des Herrn auch neue Apostel erwecken. Die Kinder selber werden die besten Kinderapostel sein. Für die Rettung der Jugend ist uns kein Opfer zu schwer. Christliche Eltern! Ich segne euch und euere Kinder i m Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
N r . 78. Protest des Protestantischen Oberkonsistoriums i n M ü n c h e n gegen die V e r o r d n u n g über den Besuch des Religionsunterrichts vom 29. Januar 1919 (Korrespondenzblatt für die evangelisch-lutherischen Geistlichen in Bayern, Jg. 43, 1919, S. 36) Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus hat unterm 25. ds. Mts. eine Verordnung erlassen über den Besuch des Religionsunterrichts und die Teilnahme von Schülern und Schülerinnen an religiösen Übungen. Soweit diese Verordnung den Besuch des Gottesdienstes dem Zwang von Seitén der Schule entnimmt, bringt sie bekanntlich für die Schüler und Schülerinnen
V. Der Konflikt u m den Religionsunterricht in Bayern
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protestantischen Bekenntnisses nichts Neues. Die zurzeit gültigen Schulordnungen enthalten Bestimmungen, die zwischen katholischen und protestantischen Schülern unterscheiden und auf protestantischer Seite jeden Zwang in dieser Richtung ausschließen. Ein Zwang für die Kinder zur Teilnahme an einem Religionsunterricht gegen den Willen der Erziehungsberechtigten bestand schon nach dem bisher geltenden Rechte insofern nicht, als es den Erziehungsberechtigten freistand, unter Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechtsformen das Bekenntnis zu bestimmen, worin die Kinder erzogen werden sollen oder auch Konfessionslosigkeit hierfür zu wählen. Wenn aber jetzt Bestimmungen getroffen werden, nach denen auch solche Kinder, die einem bestimmten Bekenntnis angehören und auch ferner angehören sollen, trotzdem durch die Erziehungsberechtigten dem Unterricht in diesem Bekenntnis entzogen werden können, so müssen wir dagegen die entschiedenste Verwahrung einlegen. Die Verfassungsbestimmung des § 38d des Religions-Edikts 1 0 , wonach die Gegenstände des religiösen Volksunterrichts innere Kirchenangelegenheiten sind, sichert uns in dieser Frage ein Anordnungsrecht, ganz abgesehen von dem Recht, vor der Entscheidung vernommen zu werden. Nicht einmal dies ist geschehen. Die Teilnahme sämtlicher einer bestimmten Religions- oder Kirchengesellschaft angehörigen Schüler und Schülerinnen am Religionsunterricht ist zweifellos durch den Sinn und Geist der bisherigen Verfassung als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Bedeutung der Religion für Volk und Staat w i r d durch die neue Verordnung ganz wesentlich herabgedrückt. Schon die bloße Erwägung, von wie einschneidendem Gewicht diese Angelegenheit für die Volkserziehung und das Volksleben ist, läßt sie, zumal in einem demokratisch regierten Staat, als völlig ungeeignet erscheinen, durch den Erlaß einer einzelnen Staatsstelle geregelt zu werden, ohne daß die Volksvertretung vorher Gelegenheit gehabt hätte, ihre Stellung dazu kundzugeben. Es ist damit ein Verstoß gegen die bestimmten Zusagen der gegenwärtigen Staatsregierung in bezug auf die Geltung der bestehenden Verfassungsgesetze gegeben, ein diktatorisches Eingreifen i n das Verhältnis zwischen Staat und Kirche und eine willkürliche Vorwegnahme dessen, was der verfassunggebende Landtag zu entscheiden hat. Bei einer Einvernahme der Kirchenbehörde und einer Beratung mit der Volksvertretung wäre auch die Frage ernstlich zu erwägen gewesen, ob nicht in bezug auf den Besuch des Religionsunterrichts zwischen reiferen und völlig unreifen Schülern zu unterscheiden und ob nicht den reiferen Schülern, wenn je ihre Teilnahme am Religionsunterricht i n Frage gestellt werden sollte, in irgend einer Form eine eigene Willensäußerung i n dem Sinne vorzubehalten wäre, daß ein von ihnen selbst empfundenes Bedürfnis nicht unbefriedigt bleibt. Ernstlichen Einspruch müssen w i r auch noch besonders gegen die Eilfertigkeit erheben, mit der das Staatsministerium seine Verordnung mitten i m Schuljahr erlassen hat, ohne einen Zeitpunkt für die Abgabe der Erklärungen über Teilnahme am Religionsunterricht festzusetzen, so daß es den Anschein hat, als ob jetzt und 10
Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 60.
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3. Kap.: K a m p f u m die Schule in deutschen Mittel- und Kleinstaaten
künftig die Schüler zu jeder beliebigen Zeit aus dem i n Gang befindlichen Religionsunterricht sollten herausgenommen werden können, wodurch der Religionsunterricht ungünstiger gestellt wäre als die eigentlichen Wahlfächer an höheren Lehranstalten. Wir müssen deshalb der Verordnung vom 25. ds. Mts. feierlich widersprechen und beantragen, daß sie aufgehoben und die Entscheidung der Frage dem verfassunggebenden Landtag vorbehalten werde.
N r . 79. Ansprache des Protestantischen Oberkonsistoriums i n M ü n c h e n a n die Gemeindeglieder über den R e l i g i o n s u n t e r r i c h t vom 31. Januar 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 93ff.) — Auszug — . . . Wir wenden uns an euch, vor allem an die der evangelisch-lutherischen Landeskirche angehörigen Väter und Mütter, Vormünder, Taufpaten und sonstigen Erzieher schulpflichtiger oder eine höhere Unterrichtsanstalt besuchender Söhne und Töchter als die, deren Rechte und Interessen, Sorgen und Pflichten durch jene Verordnung in erster Linie berührt werden. Mancher hält vielleicht diese Verordnung für eine Forderung der Gewissensfreiheit. Aber mit Gewissensfreiheit hat sie, genau besehen, nichts zu tun. Unsere Religionslehrer in Schule und Kirche mußten es stets als ihre selbstverständliche Pflicht betrachten, mit den Anschauungen und Empfindungen ihrer Schüler sorgsam umzugehen und Bedenken und Zweifel, die ihnen etwa entgegengebracht wurden, mit seelsorgerlicher Liebe zu behandeln. Vom Zwang zur Beteiligung an gottesdienstlichen Handlungen, wovon in der Verordnung auch die Rede ist, hat man evangelischerseits der Schuljugend gegenüber schon längst abgesehen. Nur auf die Christenlehre, der die Bedeutung einer Unterrichtsstunde zukommt, wurde i n den staatlichen Bestimmungen die Schulbesuchspflicht ausgedehnt. Wenn Eltern ihre Kinder keiner Kirche zuführen oder sie aus dem Verband der Kirche herausnehmen und konfessionslos erziehen wollten, so stand ihnen dies von jeher gesetzlich frei. Ob die Verordnung nicht selbst der Gewissensfreiheit zu nahe tritt, wenn sie einen erwachsenen oder nahezu erwachsenen Schüler, der selbst ein Bedürfnis nach religiöser Belehrung empfindet, auf die Erklärung der Erziehungsberechtigten hin davon ausschließt, w i r d sich w o h l fragen lassen. Umso gewisser darf die Kirchenbehörde hoffen, daß die Gemeindeglieder, deren Söhne und Töchter irgendwelchen Schulen angehören, i n dem Besuch des Religionsunterrichts seitens dieser Schüler durchaus keinerlei Änderung eintreten lassen, sondern durch ihr Verhalten deutlich zu verstehen geben, wie das evangelische Volk von keiner Bedrohung des religiösen Volkslebens etwas wissen will. Denn daß das religiöse Volksleben in seinen Grundlagen aufs ernstlichste erschüttert würde, wenn ein vielleicht nicht unerheblicher Bruchteil der Schuljugend ohne Religionsunterricht heranwüchse, w i r d wohl jedem einleuchten; wie es auch jedem, der dem Christentum nicht ganz fremd gegenübersteht, klar sein wird, daß einem heranwachsenden Menschen kaum ein größerer Seelenschaden widerfah-
V. Der Konflikt u m den Religionsunterricht in Bayern
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ren kann, als wenn i h m der Religionsunterricht vorenthalten bleibt, den i h m die Kirche darbieten will. . . . Wir sind treue Kinder der Reformation, wenn wir das nachwachsende Geschlecht i n die Lehren der Heiligen Schrift einführen und den einzelnen zu bewußtem Christentum erziehen. Wir erfüllen aber auch die tiefsten Forderungen der neuen Zeit, wenn w i r die Jugend mit dem innerlich auszurüsten suchen, was am besten dazu hilft, die schweren Aufgaben der Gegenwart zu bewältigen. . . .
N r . 80. Beschluß der P r o t e s t v e r s a m m l u n g der katholischen Pfarrvorstände, P r e d i g e r u n d Religionslehrer M ü n c h e n s im Asamsaal11 am 31. Januar 1919 (Als Manuskript gedruckt, dem Amtsblatt der Erzdiözese München und Freising, 1919, als Anlage beigefügt) — Auszug — . . . Es sollen veranstaltet werden: 1. Öffentliche Versammlungen (wie z.B. am 3. Februar in München), i n welchen die Verordnung nach Inhalt und Form besprochen, i n ihrer Tendenz und ihren Folgen dargelegt wird. A u f diesen Versammlungen soll gegen den Rechtsbruch wie gegen Inhalt und Form der Verordnung entschieden Verwahrung eingelegt und die Zurücknahme gefordert werden. Es wären Massenproteste beim Kultusminister i u m einzureichen und zu fordern, daß der Religion auch fernerhin in Schule und Erziehung die bisherige Stellung gesichert bleibt. Die Sicherung muß eine gesetzliche sein. ... 2. Solche Kundgebungen sollen nach Möglichkeit auch veranstalten sämtliche katholischen Vereine i n ihren Vereins ver Sammlungen. Diese Kundgebungen sollen einerseits den Charakter des Protestes haben, andererseits aber auch der Aufklärung dienen. Die Tragweite und Tendenz der Verordnung soll allen zum Bewußtsein gebracht werden. Die Eltern sollen namentlich darauf aufmerksam gemacht werden, daß der Erlaß eine unheilvolle Bedeutung hat nicht bloß für die Kinder, welche den Religionsunterricht nicht mehr besuchen, sondern auch für jene, welche an i h m teilnehmen, und daß die Verordnung für die christliche Schule den Todesstoß bedeutet. Sie ist die ausdrückliche Abkehr von der bisherigen Staatsauffassung, die grundsätzliche und tatsächliche Verneinung des christlichen Einschlags in unserem Staats- und Kulturleben. Das christliche Sittengesetz hat aufgehört ein Gegenstand zu sein, u m den der Staat sich kümmert! 3. Speziell den Eltern soll die Bedeutung der Verordnung sowie Schwere und Heiligkeit ihrer Pflichten gegenüber den Kindern vor Augen gehalten werden i n einer kirchlichen Elternversammlung, zu welcher nur die Eltern Zutritt haben. Es soll das möglichst an einem der nächsten Sonntage geschehen. Dabei wären die Eltern in ruhiger und liebevoller Weise auf die ihren Kindern drohenden Gefahren 11 Die Versammlung, an der etwa 200 Geistliche teilnahmen, fand i n der Anwesenheit des Erzbischofs von München-Freising, Kardinal Faulhaber, statt.
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3. Kap.: Kampf u m die Schule i n deutschen Mittel- und Kleinstaaten
aufmerksam zu machen, an ihre Verantwortung vor Gott und ihren Kindern zu mahnen und aufzufordern, einmütig und mit aller Entschiedenheit eine wahrhaft christliche Schule für ihre Kinder zu verlangen. Weder durch den Lehrer noch durch den Unterricht darf der christlich-religiöse Geist gefährdet werden. ...
N r . 81. D e n k s c h r i f t der Erzbischöfe u n d Bischöfe B a y e r n s über das Schulwesen vom 25. Mai 1919 (Amtsblatt für die Erzdiözese München und Freising, 1919, Nr. 16, S. 97 ff.) — Auszug — Unter den vielen Sorgen, die i n der Gegenwart uns bedrücken, ist eine der schwersten die Sorge u m die Zukunft unserer katholischen Schulen. Die vorläufige Regierung in Bayern hat bereits tief einschneidende Maßnahmen getroffen, die geeignet sind, den Charakter unserer Volksschulen völlig zu ändern und das bisherige Volksschulrecht in seiner Wurzel zu zerstören. Weitere verhängnisvolle Schritte sind zu befürchten. Angesichts dieser Gefahren erachten w i r als die von Gott bestellten Wächter und Verteidiger christlichen Glaubens und kirchlicher Rechte uns i m Gewissen verpflichtet, vor dem katholischen Volke unsere Stimme zu erheben und besonders i m Hinblick auf die zukünftige Verfassung, die der neue bayerische Landtag unserem Lande zu geben berufen ist, hinzuweisen auf jene rechtlichen Mindestanforderungen, die die Kirche auf dem Gebiete der Schule stellen muß. Es ist nicht nur heilige Aufgabe eines jeden gläubigen Katholiken, diese Forderungen zu verteidigen; es muß auch erwartet werden, daß die Volksvertretung i m Interesse der Gerechtigkeit und des religiösen Friedens mit aller Entschiedenheit dafür eintreten wird, sie durch verfassungsmäßige Bestimmungen zu sichern. Die Forderungen sind folgende: I. Der konfessionelle Charakter unserer Volksschulen, der Hauptschule wie der Fortbildungsschule muß gewahrt bleiben. Demgemäß muß 1. die Lehrerausbildung eine konfessionelle sein; 2. Schul- und Lehrordnung, Lehr- und Lesebücher wie die Schulbüchereien dürfen nichts enthalten, was dem konfessionellen Charakter der Schule zuwider wäre; 3. der Kirche und den katholischen Eltern muß das Recht zugestanden werden, Privatschulen und Anstalten zu errichten und zu erhalten, nicht nur auf dem Gebiete der Volksschulen, der mittleren und höheren Schulen, sondern auch i m Bereiche der Kleinkinderpflege, des Hortwesens, der Jugendpflege und Jugendfürsorge; 4. die konfessionellen Unterrichts- und Erziehungsstiftungen sind zu schützen und in ihrem Bestände wie in ihrer Bestimmung unverändert zu erhalten.
V. Der Konflikt u m den Religionsunterricht in Bayern
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II. Der schulplanmäßige, konfessionelle Religionsunterricht muß gesetzlich anerkannt bleiben als Haupt- und Pflichtfach sowohl i n der Volkshaupt- und Fortbildungsschule als auch in allen Mittelschulen und höheren Lehranstalten. Dabei ist grundsätzlich festzuhalten: 1. daß der Kirche das Recht der Anordnung, der Leitung und Aufsicht zusteht bezüglich des Lehrplanes, der Lehrmittel (Lehrbücher), der Methode und der religiösen Übungen; 2. daß ohne kirchliche Bevollmächtigung niemand Religionsunterricht erteilen kann, und daß es allein der Kirche zukommt, die missio canonica zu erteilen und ebenso sie wieder zu entziehen. ΙΠ. Der Kirche kommt das Mitaufsichtsrecht zu über die gesamte religiössittliche Erziehung in der Schule. Daraus ergeben sich als Folgerungen: 1. Der Religionslehrer (Katechet) muß vollberechtigtes Mitglied des Lehrerkollegiums (Lehrerrates), der Pfarrer gesetzliches Mitglied der Ortsschulbehörde sein. (In den Landgemeinden dürfte wohl auch die Übertragung des Vorsitzes i n der Ortsschulbehörde an den Pfarrer empfehlenswert erscheinen). Der Bischof aber oder ein von i h m beauftragter Geistlicher ist jederzeit berechtigt, vom Geist der Schule und dem Stand der Erziehung i n geeigneter Weise Kenntnis zu nehmen. 2. Begründeten Beschwerden der kirchlichen Behörden über Verstöße gegen Glaube und Sitte i n Unterricht und Erziehung ist wirksame Abhilfe gesetzlich zu garantieren. 3. Die kirchlichen Behörden haben das Recht, die Abberufung von Lehrkräften zu fordern, deren Wirksamkeit in der Schule Glauben und Sitte gefährdet 12 . ... N r . 82. V e r o r d n u n g des S t a a t s m i n i s t e r i u m s f ü r U n t e r r i c h t u n d K u l t u s , den Besuch des Religionsunterrichts betreffend vom 6. Mai 1920 (Archiv f. kath. Kirchenrecht, 100, 1920, S. 97 f.) Abs. 1 Ziffer 1 der Verordnung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus über den Besuch des Religionsunterrichtes und die Teilnahme der Schüler und Schülerinnen an religiösen Übungen vom 25. Januar 1919 13 w i r d aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Nach Art. 149 Abs. I und I I der Verfassung des Deutschen Reiches ist der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfächern bleibt der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat. Die Erklärung, am Religionsunterrichte nicht teilnehmen zu wollen, ist für minderjährige Schüler (Schülerinnen) durch den Erziehungsberechtigten, für 12 13
Es folgt eine ausführliche Begründung der vorstehenden Forderungen. Oben Nr. 75.
7 Huber
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3. Kap.: Kampf u m die Schule in deutschen Mittel- und Kleinstaaten
großjährige Schüler (Schülerinnen) 1 4 durch diese selbst spätestens innerhalb acht Tagen nach Beginn des Schuljahres, wo das Schuljahr am 1. Mai ds. Js. begonnen hat, innerhalb acht Tagen seit Bekanntgabe dieser Verordnung i m Staatsanzeiger abzugeben. Während des Schuljahres kann ein Austritt aus dem Religionsunterricht nur aus wichtigen Gründen mit Genehmigung der Schulaufsichtsbehörde erfolgen. Die Erklärung ist an den Volksschulen gegenüber dem Lehrer der Klasse, an den übrigen Schulen gegenüber dem Schulleiter schriftlich oder mündlich abzugeben und wird mit dem Zeitpunkte der Abgabe wirksam. Wird die Erklärung mündlich abgegeben, so ist hierüber von dem Empfänger eine kurze Niederschrift aufzunehmen und von i h m zu unterzeichnen. Die schriftlichen Erklärungen sowie die Niederschriften sind sofort dem zuständigen Religionslehrer zu übermitteln; zu den Schulakten (Schulbogen) ist Vermerkung zu machen.
VI. Die Neuregelung des Religionsunterrichts in Württemberg Zu den Ländern, in denen nach der Novemberrevolution ein tieferreichender Schulkonflikt vermieden werden konnte, gehörte Württemberg. Die Möglichkeit, Schüler vom Religionsunterricht abzumelden, fand ihre definitive Regelung in dem Gesetz vom 17. Mai 1920 (Nr. 83). Den Garantien der Weimarer Reichsverfassung entsprechend blieb der Einfluß der Kirchen auf den Religionsunterricht gewahrt 1.
N r . 83. Gesetz über die A b ä n d e r u n g einiger B e s t i m m u n g e n der Schulgesetze vom 17. Mai 1920 (Württembergisches Regierungsblatt, 1920, S. 293ff.) — Auszug — Art. 1. A n Stelle des Art. 2 Abs. 3 des Volksschulgesetzes vom 17. August 19092 tritt nun folgende Bestimmung: „ Z u m Besuch des Religionsunterrichts darfein K i n d gegen den erklärten Willen des Erziehungsberechtigten nicht gezwungen werden. Die Erklärung kommt dem zu, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat." Art. 2 Abs. 7 des Volksschulgesetzes vom 17. August 1909 w i r d durch folgende Bestimmung ersetzt: „Der Religionsunterricht w i r d von den durch die Oberkirchenbehörden hierfür bezeichneten Dienern der Kirche und den Lehrern gegeben, die zur Erteilung des Religionsunterrichts nach den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft 14 Hier i m Sinn der Religionsmündigkeit gemeint, die nach der Bayer. Verfassung von 1919, § 17 (unten Nr. 101) mit der Vollendung des 16. Lebensjahres eintrat. 1 Vgl. W. Katein, Staat, Kirche und Schule in Württemberg. Eine geschichtliche Untersuchung über die Wandlung des Verhältnisses von Staat und Kirche i m Schulwesen (Diss. Tübingen 1954).
VII. Der Religionsunterricht in Baden
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(Art. 149 Abs. 1 der Reichs Verfassung) befähigt und bereit sind. Der Umfang, i n dem die Diener der Kirche Religionsunterricht erteilen, unterliegt der Vereinbarung zwischen Oberschulbehörde und Oberkirchenbehörden." Art. 13. Art. 69 des Volksschulgesetzes vom 17. August 1909 w i r d durch folgende Bestimmung ersetzt: „Der Religionsunterricht w i r d i n Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgemeinschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt (Art. 149 Abs. 1 der Reichs Verfassung). Die Auswahl und Anordnung des Unterrichtsstoffes für den Religionsunterricht sowie die Bestimmung der Religionshandbücher und der Katechismen erfolgt i m Einvernehmen mit der staatlichen Schulverwaltung und unter ihrer Aufsicht durch die Oberkirchenbehörden."
V I I . Der Religionsunterricht in Baden In Baden fand die rechtliche Stellung des Religionsunterrichts ihre Regelung in der Verfassung vom 21. März 19191. Sie stellte fest, daß der Religionsunterricht ein ordentliches Schulfach unter kirchlicher Leitung bleibe und daß Lehrer gegen ihre religiöse Überzeugung und Schüler gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Erziehungsberechtigten nicht zur Beteiligung am Religionsunterricht genötigt werden dürften. Die Ministerialvorschrift vom 20. Juni 1919 regelte den Vollzug dieser Verfassungsvorschrift (Nr. 84). Die öffentlichen Volksschulen hatten in Baden schon seit dem Elementar Schulgesetz von 1868 den Charakter von Simultanschulen 2. Dieser Zustand wurde durch die Weimarer Reichsverfassung bis zum Erlaß eines Reichsschulgesetzes gewährleistet 3. Die von Teilen der katholischen Kirche gehegte Hoffnung, daß in Baden die Bekenntnisschule wieder eingeführt werden könne, erfüllte sich nicht 4.
2 1
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 77.
Unten Nr. 103. 2 Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 111, Nr. 346. 3 Unten Nr. 97. 4 Siehe E. Föhr, Fünf Jahre Schulpolitik und Schulkampf i n Baden 1918-23 (1923); L . Wemmer, Der Kampf der Katholischen Kirche u m die Schule in Baden (Diss. Berlin 1942, Mschr.). 7*
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3. Kap.: Kampf u m die Schule i n deutschen Mittel- und Kleinstaaten
N r . 84. Vollzugsvorschrift des badischen M i n i s t e r s für K u l t u s u n d U n t e r r i c h t H e r r m a n n H u m m e l 5 z u § 19 Abs. 3 der badischen Verfassung vom 20. Juni 1919 (Badisches Schulverordnungsblatt vom 20. Juni 1919) — Auszug — 1. Die Erklärung eines Lehrers, daß die Erteilung des Religionsunterrichts seiner religiösen Überzeugung widerspreche, muß beim Kreisschulamt, an Volksschulen der Städteordnung beim Volksschulrektorat, an Höheren Lehranstalten bei der Direktion, schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll gegeben werden. Die Erklärung muß i n ihrem Wortlaut dem § 19 Abs. 3 der Verfassung 6 entsprechen und demnach die ausdrückliche Bekundung enthalten, daß die Erteilung des von dem Lehrer bisher gegebenen Religionsunterrichts des namentlich anzuführenden Bekenntnisses seiner religiösen Überzeugung widerspreche. Die Bereitstellung von Vordrucken zur Abgabe der Erklärung hat zu unterbleiben. . . . Das Kreisschulamt verständigt die örtliche Schulaufsichtsbehörde, ordnet die Einstellung des Religionsunterrichts durch den Lehrer an und trifft gleichzeitig die zur anderweitigen Versehung des Unterrichts erforderlichen Anordnungen. I n den Städten der Städteordnung werden diese Verfügungen durch das Volksschulrektorat erlassen. . . . 2. Die Befreiung von Schülern von der Teilnahme am Religionsunterricht darf nur erfolgen, wenn der Erziehungsberechtigte (Vater des Schülers) die Erklärung abgibt, daß die Teilnahme an diesem Unterricht seiner religiösen Überzeugung widerspricht. Ist die Erziehungsgewalt auf die Mutter übergegangen, so hat diese ihrer Erklärung eine Bescheinigung der Vormundschaftsbehörde darüber, daß die Genehmigung zur Abgabe der Erklärung erteilt werde, beizulegen. Die Erklärung muß schriftlich oder mündlich zu Protokoll, an Höheren Lehranstalten bei der Anstaltsdirektion, an Volksschulen beim Volksschulrektorat, dem nach § 30 oder § 31 des Schulgesetzes bestellten Rektor oder bei der Ortsschulbehörde abgegeben werden. Die Behörde, bei der die Erklärung schriftlich eingereicht oder mündlich abgegeben wird, hat zu prüfen, ob die Erklärung von dem dazu Berechtigten ausgeht. Ergibt sich i n dieser Beziehung kein Anlaß zur Beanstandung, so ist die Befreiung des Schülers vom Religionsunterricht unter schriftlicher Verständigung des Religionslehrers und unter gleichzeitiger Übersendung einer Abschrift der Erklärung des Erziehungsberechtigten an die zuständige örtliche Kirchenbehörde anzuordnen. . . .
5 Hermann Hummel (1876-1952), Chemiker; seit 1906 Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe; seit 1909 M. d. bad. II. Kammer (der damaligen linksliberalen „Deutschen Volkspartei" angehörend; seit 1918 in der DDP); 2. A p r i l 1919 bis 23. November 1921 bad. Kultusminister; dann bis 23. November 1922 bad. Staatspräsident. Seit Ende 1922 i m Vorstand der Bad. Anilin- und Sodafabriken (BASF), Ludwigshafen; seit 1925 i m Vorstand und später i m Aufsichtsrat der I.G. Farbenindustrie AG; ferner Generaldirektor der Rheinischen Stahlwerke Essen; 1924-30 MdR (DDP). 6 Siehe unten Nr. 103.
V i l i . Die Befreiung vom Religionsunterricht i n Oldenburg
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3. Die Vorschriften unter Ziffer 2 sind auch auf die Abgabe eines religionsmündigen — d.i. 16 Jahre alten 7 — Schülers, daß die fernere Teilnahme am Religionsunterricht seiner religiösen Überzeugung widerspreche, anzuwenden. Von der Erklärung ist in diesem Fall überdies dem Erziehungsberechtigten Abschrift zu übersenden. 4. Durch die vorstehenden Anordnungen erleiden die Vorschriften des Artikels 19 des Ortskirchensteuergesetzes vom 20. November 19068 und der §§ 6 und 7 der Vollzugsverordnung zum Schulgesetz vom 8. August 19109 hinsichtlich der Abgabe der Erklärung über den Austritt aus der Kirche keine Änderung.
V I I I . Die Befreiung vom Religionsunterricht in Oldenburg Auf der Grundlage des Artikels 149 der Weimarer Reichsverfassung 1 regelte die Oldenburgische Regierung unter dem Ministerpräsidenten Tantzen 2 die Befreiung vom Religionsunterricht durch die Bekanntmachung vom 20. November 1919 (Nr. 85) 3.
N r . 85. B e k a n n t m a c h u n g über die B e f r e i u n g der K i n d e r v o m Religionsunterricht vom 20. November 1919 (Oldenburgisches Gesetzblatt, 1919, S. 574ff.) Zur Durchführung der Bestimmung des Artikels 149 Abs. 2 der Reichsverfassung w i r d Folgendes bestimmt: 1. Falls Kinder, die erst i n eine Schule aufgenommen werden sollen, nach dem Willen derjenigen, die über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen haben, an dem für ihr Bekenntnis eingerichteten Religionsunterricht der Schule nicht teilnehmen sollen, so ist bereits bei der Anmeldung eine entsprechende Erklärung abzugeben. 7 Dieses Unterscheidungsalter galt in Baden schon seit 1812 (Staat und Kirche, Bd. I, S. 82, Anm. 7); es hatte in dem Gesetz, die Ausübung der Erziehungsrechte in bezug auf die Religion der Kinder betreffend vom 9. Oktober 1860 seine Bestätigung gefunden (Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 98). 8 Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, Nr. 40. 9 Verordnungsblatt des Großherzoglichen Badischen Oberschulrats, 1910, Nr. 20, S. 222-224. 1
Unten Nr. 97. Theodor Tantzen (1877-1947), Landwirt; seit 1910 Mdold. LT (Fortschrittl. VP), seit 12. November 1918 Mitglied des Old. Landesdirektoriums (seitdem führend i n der DDP); seit 1919 erneut MdLT (DDP); vom 21. Juni 1919 bis zum 17. A p r i l 1923 old. Ministerpräsident; 1919 MdWeimNatVers.; 1928-30 MdR; 1939 und 1944/45 inhaftiert; 1945-47 erneut old. Ministerpräsident (FDP). 3 Siehe W. Günther, Die Revolution von 1918/19 i n Oldenburg (1979); Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1053; Bd. VI, S. 829ff. 2
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3. Kap.: Kampf u m die Schule in deutschen Mittel- und Kleinstaaten
2. Sollen Kinder, die bereits am Religionsunterricht der Schule teilgenommen haben, fernerhin nicht mehr teilnehmen, so ist die Befreiung von den unter Ziffer 1 genannten Berechtigten rechtzeitig vor Beginn des Schulhalbjahres, mit dem der Austritt erfolgen soll, beim Leiter der Schule zu beantragen. 3. Zur Teilnahme an Schul Veranstaltungen religiösen Charakters (Schulandachten, Schulgottesdiensten) sind die vom Religionsunterricht der Schule befreiten Schüler nicht verpflichtet. 4. I n den Schulzeugnissen der befreiten Schüler fällt das Urteil für Religion ohne jede weitere Anmerkung weg. 5. Schüler, die am Religionsunterricht der Schule nicht teilgenommen haben, sind von der Prüfung in diesem Gegenstande befreit, sofern sie nicht eine solche für sich beantragen. Hinsichtlich der Prüfungszeugnisse ist nach Ziffer 4 zu verfahren. 6. Die Vorschriften über die Befreiung gelten auch für den nach den Bestimmungen der Schulordnung oder gemäß Verfügung des Ministeriums der Kirchen und Schulen vom 25. Februar 1902 etwa von der Kirche eingerichteten besonderen Religionsunterricht solcher Schüler, die einem anderen Bekenntnis angehören als demjenigen, i n dem der an der Schule lehrplanmäßige Religionsunterricht erteilt wird. 7. Den vom Religionsunterricht befreiten Kindern kann während der für den Religionsunterricht bestimmten Stunden i n anderen Fächern Unterricht erteilt werden, soweit sich dies einrichten läßt.
I X . Der Konflikt um den Religionsunterricht in Braunschweig Die in Braunschweig nach dem Sturz der Sozialrevolutionären Regierung des „Rats der Volkskommissare" 1 im April 1919 eingesetzte, von den bürgerlichen Parteien bis zum rechten Flügel der USPD reichende Regierung unter dem Ministerpräsidenten Jasper 2 griff mit der Verfügung der Volksschulkommission vom 30. April 1919 nicht nur in den Umfang, sondern vor allem in den Inhalt des Religionsunterrichts ein. Dagegen legte das braunschweigische Landeskonsistorium am 27. Mai 1919 nachdrückliche Verwahrung ein (Nr. 86). Die evangelische Landeskirche sah sich durch den staatlichen Eingriff genötigt, neben dem schulischen einen eigenen kirchlichen Religionsunterricht einzuführen, dessen Besuch zur Voraussetzung für die Zulassung zum Konfirmandenunterricht erklärt wurde (Nr. 87). Demgegenüber kam die Absicht, den Einfluß des Religionsunterrichts zurückzudrängen, auch noch in dem „Jasperschen Schulerlaß" vom 20. Oktober 1923 zum Ausdruck, der eine zusammenfassende Regelung darstellen sollte (Nr. 88). 1
Dazu Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1053ff., 1109ff. Heinrich Jasper (1875-1945), Jurist; seit 1901 Rechtsanwalt in Braunschweig; seit 1902 Mitglied der SPD, seit 1903 Stadtverordneter, seit Dezember 1918 MdbraunschweigLT; 1919/20 MdWeimNatVers.; seit 22. Februar 1919 braunschweig. Landwirtschaftsminister; vom 17. A p r i l 1919 bis zum 22. Juni 1920 sowie vom 23. Mai 1922 bis zum 24. Dezember 1924 Ministerpräsident; am 19. Februar 1945 i m Konzentrationslager Bergen-Belsen umgekommen. 2
I X . Der Konflikt u m den Religionsunterricht i n Braunschweig
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Er bewegte sich hart am Rande eines Eingriffs in die Stellung des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfachs, der einen Verstoß gegen den Art. 149 WRV bedeutet hätte 3.
N r . 86. E r l a ß des braunschweigischen Landeskonsistoriums, betreffend die k i r c h l i c h e U n t e r w e i s u n g der der evangelischlutherischen Landeskirche angehörenden S c h u l k i n d e r vom 27. Mai 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 293 ff.) Die Volksschulkommission i n Braunschweig hat in einer Verfügung vom 30. A p r i l d.J. Nr. 2943 die folgenden allgemeinen Gesichtspunkte hinsichtlich der Stoffauswahl für den Religionsunterricht i n den Landschulen aufgestellt: 1. 1. Die alttestamentlichen Stoffe werden auf ein bescheidenes Maß beschränkt. Geschichten, die vorwiegend jüdische Volksgeschichten enthalten, scheiden aus, beizubehalten sind lediglich solche, die in besonderem Maße und i n einer dem kindlichen Verständnisse leicht zugänglichen Form sittliches und religiöses Leben veranschaulichen. 2. Ein besonderer Katechismusunterricht wird nicht erteilt. 3. Die religiösen Memorierstoffe sind wesentlich zu kürzen. Wie die biblischen Geschichten nicht auswendig gelernt werden sollen, so wird auch von der Einprägung der fünf Hauptstücke 4 i m allgemeinen abzusehen sein. Als Lernstoffe kommen Sprüche und Liederverse in geeigneter Auswahl in Betracht. II. Die vornehmste Aufgabe des Religionsunterrichts in der Volksschule ist die sittlich-religiöse Erziehung mit dem Ziel, die Gesinnung Jesu i m Kinde lebendig zu machen. Danach erweist sich als wertvollster Unterrichtsstoff das Lebensbild Jesu. Es steht i m Mittelpunkte des Unterrichts und ist in religiös-sittlicher Auffassung zu zeichnen. Die ethischen und religiösen Fragen des Katechismus sind i m Unterrichtsplane gebührend zu berücksichtigen. Das erste Hauptstück und der erste A r t i k e l 5 bilden die Zusammenfassung der sittlich-religiösen Unterweisung auf der Unter- und Mittelstufe. Der zweite und dritte A r t i k e l sind auf geschichtlicher Grundlage zu behandeln als Bekenntnis der christlichen Kirche nach den ersten Jahrhunderten 6 . Das 3 Vgl. O. Diederichs, Die staatspolitische und staatsrechtliche Entwicklung des Landes Braunschweig nach der Revolution von 1918 (Diss. Jena 1930); E. A. Roloff Braunschweig und der Staat von Weimar (1964); Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1053f.; Bd. VI, S.833ff. 4 Die fünf Hauptstücke nach Luthers kleinem Katechismus: 1. die zehn Gebote; 2. das Glaubensbekenntnis; 3. das Vaterunser; 4. die Taufe; 5. Beichte und Abendmahl. 5 D.h. die zehn Gebote und der erste A r t i k e l des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. 6 Vgl. zu dieser Behandlung des zweiten und dritten Artikels des Apostolischen Glaubensbekenntnisses die Auseinandersetzungen während des Apostolikumstreits: Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, Nr. 290 ff.
104
3. Kap.: Kampf u m die Schule i n deutschen Mittel- und Kleinstaaten
Vaterunser gehört ins Lebensbild Jesu. I m Anschlüsse an das Lebensbild Jesu sind die wichtigsten Tatsachen der Kirchengeschichte, insoweit sie nicht in den allgemeinen Geschichtsunterricht gehören, hier zu behandeln. Außer biblischen Stoffen sind die religiösen Erlebnisse und Erfahrungen des Kindes, sowie Stoffe aus der Literatur, dem Leben der Gegenwart und der religiösen Malerei heranzuziehen. Die Verfügung (der Volksschulkommission) gibt Anlaß zu den ernstesten Bedenken. Es ist in ihr keine Rede von der Bedeutung des Alten Testamentes als der vorbereitenden Gottesoffenbarung. Psalmen und Propheten, i m besonderen die messianischen Weissagungen, werden daher bei Bezeichnung der zu behandelnden alttestamentlichen Stoffe nicht erwähnt. Vor allem aber muß es in hohem Maße befremdlich erscheinen, daß in den Bestimmungen unter I I der Person Jesu eine Stelle i m Religionsunterrichte zugewiesen wird, die dem biblischen Zeugnisse von Christus in keiner Weise gerecht wird. Es hat von jeher als Aufgabe des christlichen Religionsunterrichts gegolten, den Kindern den Weg zu Christus als zu ihrem Herrn und Heiland zu zeigen. Diese Aufgabe w i r d von der Volksschulkommission durch Aufstellung eines andersartigen und noch dazu, wenn es ernst genommen wird, undurchführbaren Unterrichtszieles abgelehnt. Damit hängt es zusammen, daß der zweite und dritte A r t i k e l des zweiten Hauptstücks w i l l k ü r l i c h von dem ersten A r t i k e l abgetrennt und als der Ausdruck eines späteren, nicht ursprünglich biblischen Christentums hingestellt werden. So w i r d denn auch die tiefgründige Luthersche Erklärung des zweiten Artikels einfach beiseite geschoben. Ein Religionsunterricht, der nach diesen Gesichtspunkten erteilt wird, kann nicht den Anspruch erheben, als vollwertiger christlicher Religionsunterricht, geschweige denn als ein den „Lehren und Satzungen" der evangelisch-lutherischen Kirche entsprechender Unterricht angesehen zu werden.Unter diesen Umständen ist schon jetzt auf eine weitere Ausgestaltung des kirchlichen Religionsunterrichts Bedacht zu nehmen. Wir werden die hierzu erforderlichen Vorbereitungen treffen. Die Herren Geistlichen aber wollen die Gemeinden in jeder geeignet erscheinenden Weise über die durch die Verfügung der Volksschulkommission geschaffene Lage aufklären.
N r . 87. E r l a ß des braunschweigischen Landeskonsistoriums, betreffend k i r c h l i c h e n R e l i g i o n s u n t e r r i c h t vom 16. August 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 415 ff.) — Auszug — Ein Religionsunterricht, der nach den Anweisungen und i m Geiste der Verfügung der Volksschulkommission vom 30. A p r i l d.Js. 7 erteilt wird, kann nicht als ausreichende Grundlage für den Konfirmandenunterricht angesehen werden. Es ist daher unabweisliche Pflicht der Kirche, für diejenigen Schulkinder, die in der Schule einen der genannten Verfügung der Volksschulkommission entsprechenden Religionsunterricht erhalten, daneben eine religiöse Unterweisung einzurich7
Enthalten in oben Nr. 86.
I X . Der Konflikt u m den Religionsunterricht i n Braunschweig
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ten, die geeignet ist, die Kinder frühzeitig i n den christlichen Glauben einzuführen. Wir ordnen in dieser Hinsicht folgendes an: Es ist, sofern es die Verhältnisse irgend gestatten, für die beiden letzten Jahrgänge derjenigen Schulen, in denen der Religionsunterricht gemäß der Verfügung der Volksschulkommission abgeändert ist, unverzüglich ein kirchlicher Religionsunterricht mit wöchentlich zwei Stunden, für die beiden vorletzten Jahrgänge mit mindestens wöchentlich einer Stunde einzurichten. Die Erteilung dieses Unterrichts ist i n erster Linie Sache der Geistlichen. Wo diese nicht i n der Lage sind, den Unterricht allein zu erteilen, muß versucht werden, geeignete Helfer und Helferinnen zu gewinnen. Die etwaige Mitarbeit solcher Volksschullehrer und Volksschullehrerinnen, die auf dem Glaubensgrunde der evangelisch-lutherischen Kirche stehen, ist mit besonderer Freude zu begrüßen. Die Superintendenten sind von uns beauftragt, die Einrichtung des kirchlichen Religionsunterrichtes zu leiten und diesen zu überwachen, bis alle diesen Unterricht betreffenden Fragen seitens der künftigen maßgebenden kirchlichen Stellen endgültig geregelt werden. Der kirchliche Religionsunterricht soll die Kinder für den auf ihn sich aufbauenden Konfirmandenunterricht vorbereiten, wie das bisher der konfessionelle Religionsunterricht der evangelisch-lutherischen Gemeindeschulen des Landes i n dankenswerter Weise getan hat. . . . Die Konfirmanden nehmen während der Zeit des Konfirmandenunterrichtes nicht mehr an dem kirchlichen Religionsunterrichte teil. Es bleibt dem konfirmierenden Geistlichen überlassen, solchen Kindern, die nach seinem Urteil infolge unregelmäßigen Besuches der kirchlichen Unterrichtsstunden die religiösen Erkenntnisse nicht gewonnen haben, die der Konfirmandenunterricht voraussetzen muß, die Aufnahme in den Konfirmandenunterricht und damit die Zulassung zur Konfirmation zu verweigern. ...
N r . 88. E r l a ß des braunschweigischen M i n i s t e r s f ü r V o l k s b i l d u n g Otto G r o t e w o h l 8 vom 20. Oktober 1923 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 74, 1925, S. 58f.) — Auszug — 1. Kinder, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendeten, sind auf schriftliche Abmeldung der Erziehungsberechtigten von der Teilnahme am Religionsunterricht zu befreien. ... 2. Kinder, die das 14. Lebensjahr vollendeten, sind auf eigenen Antrag zu befreien. 8
Otto Grotewohl (1894-1964), Buchdrucker i n Braunschweig; seit 1912 M. d. SPD; nach Kriegsdienst 1914-18 Übertritt zur USPD; 1918 M. d. Arbeiter- und Soldatenrats Braunschweig; 1920-25 M. d. braunschwLT (USPD; seit 1922 wieder SPD); von 1921 -1924 mehrfach braunschweig. Minister i n verschiedenen Ressorts, u. a. Volksbildungsminister von November 1921 bis Februar 1922 und von Juli 1922 bis Dezember 1924. Dann Präsident der Landesversicherungsanstalt Braunschweig 1925-33; gleichzeitig MdR. Zwischen 1933 und 1945 selbständiger Kaufmann; mehrfach in Haft. Seit 1945 zunächst Vors. d. Zentralausschusses der SPD i n Berlin (Ost); Mitbegründer der SED; Vors. des Ministerrats der DDR 1949-60.
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3. Kap.: K a m p f u m die Schule i n deutschen Mittel- und Kleinstaaten
3. I n den beiden ersten Grundschuljahren ist vom 1. A p r i l 1924 an bekenntnismäßiger Religionsunterricht nicht zu erteilen 9 . 4. Schulgebete, Andachten, bekenntnismäßige Lieder sowie Lesestücke, die den ausgesprochenen Zweck religiöser Beeinflussung tragen, und bekenntnismäßige Schulfeiern sind nur i n den Religionsstunden zulässig. 5. I m gesamten Unterricht ist Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden. 6. Die Schule darf die Kinder nicht verpflichten, an bekenntnismäßigen Schulfeiern, Gottesdiensten oder anderen religiösen Veranstaltungen teilzunehmen. 7. Lehrer und Schüler, die aus religiösem Bedürfnis an religiösen Veranstaltungen während des Unterrichts teilzunehmen wünschen, sind auf Antrag zu befreien, soweit der Unterrichtsbetrieb nicht in Frage gestellt wird. 8. Die Zensuren, die für den Religionsunterricht gegeben werden, sind für Versetzungen, auch für Klassenplätze, nicht zu werten. 9. Lehrer sind auf schriftlichen Antrag von der Erteilung religiösen Unterrichts zu befreien.
9 Gemäß der Bekanntmachung des Braunschweigischen Landeskonsistoriums vom 16. Oktober 1924 (Allg. Kirchenblatt 74,1925, S. 58f.) wurde der Punkt 3 durch den braunschweigischen Minister für Volksbildung wieder aufgehoben, so daß der Religionsunterricht an der Grundschule gewährleistet blieb.
Viertes Kapitel
Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts in der Reichsverfassung I. Die Regierungsentwürfe zur Weimarer Reichsverfassung Schon die Auseinandersetzungen, die unmittelbar nach der Novemberrevolution über die Trennung von Staat und Kirche entbrannt waren 1, hatten gezeigt, daß die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu den besonders umstrittenen Themen der verfassungspolitischen Neuordnung gehörten. Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, mit der die Öffentlichkeit die Beratungen der Weimarer Nationalversammlung über diese Frage begleitete. Bereits vor den Wahlen zur Nationalversammlung, die am 19. Januar 1919 stattfanden, hatten die Vorarbeiten zur neuen Verfassung des Deutschen Reichs eingesetzt. Der Vorentwurf, der im Reichsamt des Innern unter der Leitung des Staatssekretärs Hugo Preuß 2 erstellt wurde, lag am 3. Januar 1919 vor (Entwurf I) 3. In seinem Grundrechtsteil enthielt er Bestimmungen über die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die unverändert in den ersten amtlich veröffentlichten Entwurf vom 20. Januar 1919 („Preußscher Entwurf, Entwurf II) Eingang fanden (Nr. 89). Der dem Staatenausschuß vorgelegte „Entwurf III" vom 17. Februar 1919 und die in diesen Teilen mit ihm übereinstimmende erste Vorlage an die Nationalversammlung ( „Entwurf IV") vom 21. Februar 1919 (Nr. 90) behielten die Konzentration auf die Gewährleistung der Glaubensfreiheit einerseits, der kirchlichen Selbständigkeit andererseits bei. Nur indirekt zeigte die Tendenz, die überlieferte Sonderstellung der Kirchen zu berücksichtigen, sich darin, daß nun den staatlichen Behörden das Recht auf die Feststellung der Konfessionszugehörigkeit zuerkannt werden sollte, wenn davon Rechte oder Pflichten abhingen; damit sollte die Möglichkeit geschaffen werden, das bisherige Kirchensteuersystem fortzuführen. Doch dessen ausdrückliche Gewährleistung fehlte in der Regierungsvorlage ebenso wie alle sonstigen institutionellen Garantien zugunsten der Religionsgemeinschaften.
1
Siehe oben Kapitel I. Hugo Preuß (1860-1925), Staatsrechtslehrer; 1889 Privatdozent i n Berlin, 1906 Prof. an der Handelshochschule daselbst; Stadtverordneter und seit 1910 Stadtrat (FVP); vom 15. November 1918 bis zum 13. Februar 1919 Staatssekretär des Reichsamts des Innern, dann bis zum 20. Juni 1919 Reichsinnenminister (DDP). 3 Die Bezeichnung der Verfassungsentwürfe folgt H. Triepel , Quellensammlung zum Deutschen Reichsstaatsrecht (3. Aufl. 1922), S. 7ff.; zu Entstehung und Bedeutung der verschiedenen Entwürfe siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1178ff. 2
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts N r . 89. E n t w u r f des a l l g e m e i n e n Teils der k ü n f t i g e n Reichsverfassung („Preußscher E n t w u r f ' ) vom 20. Januar 1919 (Deutscher Reichsanzeiger, 1919, Nr. 15, Erste Beilage; H. Triepel, Quellensammlung zum Deutschen Reichsstaatsrecht, 3. Aufl. 1922, S. 10ff.) — Auszug — II. Abschnitt. Die Grundrechte
des deutschen Volkes
§18. Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleichberechtigt. Alle Vorrechte oder rechtlichen Nachteile der Geburt, des Standes, Berufs oder Glaubens sind beseitigt; ihre Wiederherstellung durch Gesetz oder Verwaltung ist verfassungswidrig. §19. Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen ist innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet. Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung oder seine Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu offenbaren. Die Behörden haben nicht das Recht, danach zu fragen. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, ist aber den allgemeinen Gesetzen unterworfen. Keine Religionsgesellschaft genießt vor anderen Vorrechte durch den Staat. Über die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche w i r d ein Reichsgesetz Grundsätze aufstellen, deren Durchführung Sache der deutschen Freistaaten ist. § 20. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Der Unterricht soll allen Deutschen gleichmäßig nach Maßgabe der Befähigung zugänglich sein. ...
N r . 90. Regierungsvorlage z u r deutschen Reichsverfassung vom 21. Februar 1919 (Drucksachen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Nr. 59; H. Triepel, Quellensammlung zum Deutschen Reichsstaatsrecht, 3. Aufl. 1922, S. 28ff.) — Auszug — Art. 30. Es besteht volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur insoweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen. Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen ist innerhalb der Schranken der öffentlichen Ordnung gewährleistet. Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden.
II. Kirchliche K r i t i k an den Verfassungsentwürfen
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Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften w i r d gewährleistet. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen. Art. 31. Die Kunst, die Wissenschaft und die Lehre sind frei. Der Unterricht in den öffentlichen Volksschulen soll unentgeltlich sein. Für die Bildung der Jugend und des ganzen Volkes soll durch öffentliche Anstalten genügend gesorgt werden. Das Schul- und Unterrichtswesen ist i n allen Gliedstaaten so einzurichten, daß sich auf die Volksschulbildung der Unterricht in mittleren und höheren Bildungsanstalten aufbaut. Das Unterrichtswesen 4 steht unter staatlicher Aufsicht.
II. Kirchliche Kritik an den Verfassungsentwürfen Bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung hatten die beiden sozialdemokratischen Parteien die absolute Mehrheit verfehlt 1. Das Verfassungswerk konnte deshalb nur auf der Grundlage einer Verständigung zwischen den Mehrheitssozialdemokraten und den bürgerlichen Fraktionen zustande kommen. Daraus ergab sich für die beiden großen Kirchen die Aussicht, daß staatskirchenrechtliche Gewährleistungen in die Verfassung aufgenommen werden könnten, die im Regierungsentwurf noch keinen Platz gefunden hatten. Die katholische Kirche verfolgte diese Absicht einerseits durch die direkte Fortsetzung des Kampfs um die christliche Schule 2, andererseits indirekt durch den Kontakt mit der Zentrumsfraktion der Nationalversammlung 3. Während die katholische Kirche sich auf eine einheitliche parlamentarische Vertretung ihrer Interessen verlassen konnte, waren die Vertreter der evangelisch-kirchlichen Interessen im Parlament auf verschiedene Fraktionen verteilt. Um so dringlicher war, daß die evangelischen Kirchenleitungen zu den Verfassungsentwürfen unmittelbar Stellung bezogen. Als Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses forderte deshalb der Präsident des preußischen Oberkirchenrats Voigts 4 die evangelischen Kirchenorgane schon Ende Januar 1919 auf, ihren Auffassungen und Vorschlägen möglichst bald Ausdruck zu geben5. In den Äußerungen evangelischer Kirchenleitungen zur Verfassungsfrage traten unterschiedliche Tendenzen hervor. Die süddeutschen Landeskirchen, insbesondere 4 I m „ E n t w u r f I I I " vom 17. Februar 1919 heißt es an dieser Stelle noch: „Das öffentliche Unterrichtswesen". 1 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1066ff. 2 Siehe oben Kap. I I und III. 3 Siehe R. Morsey, Die deutsche Zentrumspartei 1917-1923 (1966), S. 196ff. 4 Bodo Voigts: Staat und Kirche, Bd. III, S. 867. 5 Rundschreiben des D E K A vom 27. Januar 1919 (Ev. Zentralarchiv-AEKD, Β 3/157); dazu insbesondere J. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik (1976), S. 119 ff.
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
die bayerische, traten jeder Regelung der Kirchenfrage durch die Reichsverfassung entgegen (Nr. 91). Dabei spielte neben föderalistischen Überzeugungen die Erwägung eine Rolle, daß die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse in den süddeutschen Länderparlamenten für die Kirchen günstigere Ergebnisse erhoffen ließen, als sie von der Weimarer Nationalversammlung zu erwarten waren 6. Die mittelund norddeutschen Landeskirchen dagegen hielten es für unumgänglich, daß das Staatskirchenrecht in seinen Grundzügen durch die Reichsverfassung geregelt werde. Ihre Forderungen wurden am umfassendsten und nachdrücklichsten vom preußischen Oberkirchenrat vorgebracht (Nr. 92). Sie konzentrierten sich auf das Verlangen, daß die vier „wirtschaftlichen Grundrechte" der großen Konfessionskirchen durch die Reichsverfassung zu gewährleisten seien: nämlich der Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts, das Recht zum Einzug von Kirchensteuern, die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte und der Fortbestand der Staatsleistungen an die Kirchen. Nicht eine theologische Konzeption für die Neuordnung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, sondern die Existenzprobleme der Kirchen als Großorganisationen bestimmten diese Stellungnahme. Die zusammenfassende Äußerung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses vom 13. März 1919 ordnete die vermögensrechtlichen Forderungen in den weiteren Zusammenhang des kirchlichen Auftrags und der kirchlichen Selbstbestimmung ein (Nr. 93). Ausdrücklich verband sie die kirchenpolitischen mit schulpolitischen Forderungen. Diese wurden in einer gleichzeitigen Eingabe des preußischen Oberkirchenrats an die Weimarer Nationalversammlung und die preußische Landesversammlung im einzelnen erläutert (Nr. 94).
N r . 91. V e r w a h r u n g des bayerischen Oberkonsistoriums a n das S t a a t s m i n i s t e r i u m für U n t e r r i c h t u n d K u l t u s z u m E n t w u r f der Reichsverfassung vom 7. Februar 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 138ff.) — Auszug — Der E n t w u r f der neuen Reichs Verfassung gibt uns zu nachstehender Vorstellung Anlaß: Wenn auch das Reich seither schon Grundrechte aufstellte, so kam diesen doch kaum mehr als programmatische Bedeutung zu; die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat, Kirche und Schule war nicht Reichssache, sondern wurde in den Staatskirchenverfassungen der einzelnen Bundesstaaten territorial unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung und der Eigenart der Stämme geregelt. Das gilt nicht nur für äußere Verhältnisse wie die verschiedenartige Lösung des Paritätsgedankens mit den Grenzlinien, die von den einzelnen Staatskirchengesetzgebungen den anerkannten Kirchengesellschaften gezogen werden, sondern auch für die Eingliederung speziell der protestantischen Kirche in den Staatsorganismus und die Regelung der Kirchengewalt durch den Summepiskopat.
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Zur Entwicklung der süddeutschen Staaten: Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 779ff.
II. Kirchliche K r i t i k an den Verfassungsentwürfen
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Für Bayern findet sich der gesetzliche Boden in der Staatsverfassung v o m 26. Mai 1818, dem Religionsedikt mit seinen beiden Anhängen, dem Konkordat für die katholische Kirche und dem Edikt über die innerkirchlichen Angelegenheiten der protestantischen Gesamtgemeinde i m Königreiche (dem Protestantenedikt) für unsere Landeskirche 7 . A u f dieser staatsverfassungsmäßigen Grundlage beruhen die Vollmachten für die Ausübung des Kirchenregiments und die Handhabung der Kirchenverfassung durch die Synode. Dem Reiche fehlte trotz der Aufstellung programmatischer Sätze die Zuständigkeit für die Regelung des Gebiets. Wenn nunmehr in § 4 Ziff. 12 des in den Tageszeitungen veröffentlichten Entwurfs der neuen Reichsverfassung 8 der Gesetzgebung des Reichs Kirche und Schule i m Rahmen der §§ 19 und 20 unterliegen sollen, so ist damit eine Erweiterung der Zuständigkeiten des Reiches beabsichtigt. Der Widerspruch hiergegen kommt in erster Linie den Staatsregierungen der einzelnen Gliedstaaten zu. Aber auch unsere Landeskirche muß zum Schutze ihrer eigenen Interessen, ihrer Erhaltung und ihres künftigen neuen Aufbaus der Ausdehnung der Zuständigkeit des Reiches auf diesem Gebiete feierlich widersprechen. Wir erblicken in der Umwandlung von Leitsätzen, wie sie das Frankfurter Parlament in den Grundrechten 9 und in der letzten Zeit die Volksbeauftragten 1 0 aufstellten, i n Rechtssätze, die für das ganze Reich mit der Wirkung des § 5 verbindlich werden sollen, eine Beeinträchtigung der freien Entwicklung, die an die Stelle der seitherigen Bindung zwischen Staat und Kirche treten soll, i m Neuaufbau unserer Kirchenverfassung einen unberechtigten Eingriff des Reichs in einzelstaatliche Verhältnisse und die Hinwegnahme und das Herausgreifen einzelner wichtiger Fragen aus dem ganzen Problem der Auseinandersetzung, das von jedem Einzelstaat einheitlich und ohne Beeinflussung i n bestimmten, die Einzeldurchführung erschwerenden Richtpunkten gelöst werden muß und das nur von dem Gliedstaate als dem seitherigen allein verhandlungsfähigen Beteiligten mit der durch das Territorialprinzip historisch mit i h m verbundenen Kirche vorgenommen werden kann. Der Einzelstaat kann dabei so wenig bloßes Vollzugsorgan für reichsgesetzliche Grundsätze sein, wie unsere Landeskirche durch Schematisierung und Uniformierung ihre Selbständigkeit und Eigenart einzubüßen Gefahr laufen darf. ... Wir müssen es ablehnen, dem Reiche gegenüber auf Einzelheiten der neuen Verfassungsbestimmungen einzugehen. Das Reich greift zum Schaden des Bestandes und des Ausbaues der Kirchen in fremde Rechtssphären ein, wenn es die Einzelstaaten zu Vollzugsorganen seines Willens herabdrückt. Wir verlangen umgekehrt, daß das Protestantenedikt so lange in Kraft bleibt, bis unsere Landeskirche nicht nur eine neue innerkirchliche Verfassung erhalten, sondern auch i n Vollzug gesetzt hat und die neue selbständige kirchliche Vertretung mit dem Volksstaat Bayern wegen der Kirchenhoheitsfragen weiter verhandeln kann. ...
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Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 59, 60, 73, 280. Gemeint ist der E n t w u r f I I (oben Nr. 89). 9 Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 9. 10 Oben Nr. 1.
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
N r . 92. Eingabe des O b e r k i r c h e n r a t s der altpreußischen Landeskirche a n die N a t i o n a l v e r s a m m l u n g i n W e i m a r vom 22. Februar 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 235 ff.) — Auszug — Der § 19 des i n der Beilage zu Nr. 15 des Deutschen Reichsanzeigers vom 20. Januar 1919 veröffentlichten, als Unterlage für die Beratungen der Deutschen Nationalversammlung bestimmten „ E n t w u r f des allgemeinen Teils der künftigen Reichs Verfassung" 11 sieht u.a. folgende Grundsätze vor: I. i m 2. Absatz: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung oder seine Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu offenbaren. Die Behörden haben nicht das Recht, danach zu fragen." II. i m 2. Satze des 3. Absatzes: „Keine Religionsgesellschaft genießt vor anderen Vorrechte durch den Staat." Die erstere Vorschrift würde zur Folge haben, daß alle Religionsgemeinschaften für die Feststellung ihres jeweüigen Mitgliederbestandes nur noch auf private Beitrittsanmeldungen nach Belieben des einzelnen angewiesen wären. Diese ihre Tragweite stellt zugleich die Bedeutung der anderen Vorschrift dahin klar, daß die vorgeschlagene Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften gegenüber dem Staat nicht etwa i n einer Heraufhebung der bisher vom Staate nur „geduldeten" Religionsgesellschaften oder sonstiger religiöser Vereinigungen in die Rechtsstellung der staatsseitig „ausdrücklich aufgenommenen" Kirchengesellschaften, d. h. der evangelischen Landeskirchen und der römisch-katholischen Kirche bestehen soll 1 2 , sondern vielmehr i n einer Herabdrückung dieser letzteren großen geschichtlichen Volkskirchen auf die Stellung von schlichten Privat vereinen. Namens der Evangelischen Landeskirche der neun älteren Provinzen Preußens, i n Übereinstimmung mit dem Vorstande ihrer Generalsynode und unter einhelliger Zustimmung des uns zur Seite stehenden Vertrauensrates aus den verschiedensten kirchlichen Kreisen 1 3 , legen w i r gegen eine derartige Beeinträchtigung der Rechte unserer Kirche entschiedene Verwahrung ein und bitten die Deutsche Nationalversammlung dringend, den vorgeschlagenen Grundsätzen nicht zur gesetzlichen Geltung verhelfen zu wollen. Denn ihre Aufnahme i n die Reichsverfassung mit der alsdann aus § 5 des bezeichneten Entwurfs folgenden zwingenden Verbindlichkeit für die preußische Landesgesetzgebung würde nicht nur den wirtschaftlichen Zusammenbruch unseres landeskirchlichen Gemeinwesens nach sich ziehen, sondern die Stellung und Wirksamkeit der evangelischen Kirche als einer Volkskirche überhaupt untergraben. Damit aber würde es Millionen von kirchentreuen deutschen Volksgenossen aus allen Parteien, und zwar gerade aus den wirtschaftlich schwachen Kreisen
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Oben Nr. 89. Die Eingabe knüpft damit an die Terminologie des preußischen Allgemeinen Landrechts, Teil Π, Titel 11, §§ 17ff. an (Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 1). 13 Zum Vertrauensrat siehe unten S. 535ff. 12
II. Kirchliche K r i t i k an den Verfassungsentwürfen
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erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht werden, von den ihnen nach dem sonstigen Inhalt des § 19 zugedachten Grundrechten fernerer Pflege ihres Glaubenslebens und ungestörter Befriedigung ihrer gottesdienstlichen Bedürfnisse einen mit ihrer Gewissensfreiheit vereinbaren Gebrauch zu machen. Der wirtschaftliche Zusammenbruch unserer Landeskirche, ihrer Unterverbände, Kirchengemeinden und selbständigen Einrichtungen müßte deshalb eintreten, weil sie bei Durchführung der eingangs erläuterten Grundsätze ihre Eigenschaft als Körperschaften des öffentlichen Rechts und ihr von dieser Stellung abhängiges Recht zur Besteuerung aller ihnen kraft Wohnsitzbegründung angehörigen Evangelischen verlieren würden; damit würden dem kirchlichen Wirtschaftsleben zwei unentbehrliche, weil nicht zu ersetzende Kraftquellen verschlossen werden. Der Haushalt unserer landeskirchlichen Körperschaften ruht nämlich i m wesentlichen ausschließlich auf ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als öffentlich-rechtliche Gemeinwesen, auf ihrem Kirchensteuerrecht, auf ihrem eigenen Vermögensbesitz und auf den Staatsleistungen für kirchliche Zwecke. Dies sind die vier wirtschaftlichen „Grundrechte" unserer Kirche, deren weitere Gewährleistung für sie eine Lebensnotwendigkeit ist. Nur ihrem Zusammenwirken verdankt der Aufbau unseres landeskirchlichen Organismus seinen Halt, dergestalt, daß der Verlust auch nur eines von ihnen den Verfall bringen müßte, da die jeweils übrig bleibenden Deckungsstützen wegen der Begrenztheit ihrer eigenen Leistungsfähigkeit keinen ausreichenden Ersatz für den Ausfall bieten könnten. ... Es würde allem sozialen Empfinden Hohn sprechen, wenn durch eine derartige Entrechtung und Zerstörung unserer Landeskirche die Zehntausende ihrer Geistlichen, ihrer weltlichen Beamten und Angestellten mit ihren Familien, ihrer Ruhegehaltsempfänger, Witwen und Waisen, also ein großer Kreis von Volksgenossen, mit einem Schlage der wirtschaftlichen Verelendung preisgegeben würden. Denn diese Wirkung der Entziehung der Körperschaftsrechte und der Steuerbefugnis läßt sich nicht durch Übergangs- oder Abbaumaßnahmen mildern, und sie könnte auch durch noch so entgegenkommende Regelungen der Staatsleistungen für kirchliche Zwecke nicht vermieden werden, da letztere schon für sich allein unentbehrlich sind. Wir glauben aber auch i m allgemeinen Interesse darauf aufmerksam machen zu sollen, wie ein wirtschaftlicher Zusammenbruch unserer Landeskirche i m öffentlichen Wirtschaftsleben überhaupt nicht wesentlich anders wirken müßte als eine Zahlungseinstellung anderer öffentlich-rechtlicher Wirtschaftsträger. Zahllose Interessen von Gewerbe, Handel und Wandel sind mit der bisherigen Haushaltsführung der Kirche verknüpft. ... Wir müssen ferner gegen die unserer Kirche zugedachte Schädigung Verwahrung u m deswillen einlegen, weil sie sowohl dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Schonung wohlerworbener Rechte wie den Forderungen der Billigkeit widerspricht. Die bisherige Verfassung des Deutschen Reiches hat die Regelung der kirchlichen Verhältnisse dem Landesrecht vorbehalten. Durch Art. 13 der Preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 sind die Korporationsrechte unserer Kirche gewährleistet 1 4 , durch besondere Staatsgesetze ist unseren kirchlichen Verbänden und Einrichtungen die Rechtsfähigkeit öffentlicher Körperschaften noch ausdrück-
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Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 11.
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
lieh zugesprochen 15 , die Kirchensteuererhebung gestattet und gesichert 16 . I m Vertrauen auf diese staatsgesetzlichen Unterlagen, unter ständiger weiterer Mitw i r k u n g der Staatsregierung und der Staatsgesetzgebung hat sich unsere Landeskirche zu dem großen Gemeinwesen ausgebaut, das sie jetzt darstellt. Jene Rechtslage oder diese durch sie erst veranlaßte Entwicklung unberücksichtigt zu lassen und rückgängig zu machen, würde einen Rechtsbruch und eine Härte bedeuten, die unsere evangelische Kirche angesichts ihrer vielhundertjährigen Geschichte, ihres Wirkens für Reich, Staat und Volk sowie nach ihrer bleibenden Bedeutung i m Geistes- und Kulturleben nicht verdient und die daher von ihren Gliedern nicht als ein Schritt organischer Weiterentwicklung, sondern als ein feindseliger Gewaltakt empfunden werden müßte. Aus eben diesen Gründen schließlich läßt sich die von dem § 19 geforderte Gleichstellung unserer Landeskirche mit jeder noch so kleinen Sekte oder privaten Religionsvereinigung gegenüber dem Staat auch nicht als eine Forderung ausgleichender Neutralität rechtfertigen. . . . Wir müssen hier vor allem dringlichst die Forderung erheben, nicht durch ein Verbot der Konfessionsermittelung den evangelischen Religionsunterricht i n den Schulen unmöglich zu machen. Seine Beibehaltung als verbindliches Unterrichtsfach — selbstverständlich unter Sicherstellung der Gewissensfreiheit i m einzelnen Falle — ist unerläßlich, wenn anders die allen Staatsbürgern zugedachte volle Glaubens- und Gewissensfreiheit auch den Mitgliedern evangelischer Familien zugute kommen soll. Wenn wir aus allen diesen Gründen die Nationalversammlung bitten, den dargelegten materiellen wie ideellen Lebensinteressen unserer evangelischen Kirche sich nicht verschließen zu wollen, so sind w i r davon überzeugt, daß eine Berücksichtigung unserer Forderungen mit dem Leitgedanken des § 19, der Gewährleistung voller Glaubens- und Gewissensfreiheit für jeden Staatsbürger, durchaus vereinbar ist. Denn'die Ermittelung der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft wird, wie scho$ bislang, so auch künftig, niemanden zwingen, seine innere „religiöse Überzeugung zu offenbaren". Und die dem öffentlichen Körperschafts- wie dem Besteuerungsrecht der Kirche entspringenden Befugnisse gegenüber dem einzelnen berühren einmal seine Glaubens- und Gewissensfreiheit als solche überhaupt nicht, zum anderen aber w i r d künftig ebenso wie schon bisher das staatsgesetzliòh verbürgte Recht zum Austritt aus der K i r c h e 1 7 jedem die Möglichkeit offenhalten, sich ihnen zu entziehen, wenn er w i r k l i c h seine Glaubens- und Gewissensfreiheit durch sie beschränkt fühlen sollte.
15 Vgl. insbesondere die Staatsgesetze zur preußischen Kirchengemeinde- und Synodalordnung von 1873 sowie zur preußischen Generalsynodalordnung von 1876 (Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 446, Nr. 449). 16 Vgl. die preußische Kirchensteuergesetzgebung: Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 21 ff. 17 Siehe das Preuß. Kirchenaustrittsgesetz vom 14. Mai 1873 (Staat und Kirche, Bd. Π, Nr. 285).
II. Kirchliche K r i t i k an den Verfassungsentwürfen
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N r . 93. Schreiben des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses a n die N a t i o n a l v e r s a m m l u n g i n W e i m a r , betreffend die W a h r u n g der Rechte der deutschen evangelischen L a n d e s k i r c h e n vom 13. März 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 154ff.) — Auszug — . . . Die i m Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß vertretenen Landeskirchen fordern 1. die Anerkennung der bestehenden Landeskirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Nur als öffentlich-rechtlicher Verband ist die Kirche i n der Lage, ihren sittlich-religiösen und kulturellen, auch für das Staatsleben unentbehrlichen Aufgaben zu genügen. Eine Gleichstellung der Kirche mit privatrechtlichen Gesellschaften und Vereinen würde nicht nur der Würde der Kirche Abbruch tun, sondern auch zu dem in 400jähriger Geschichte festbegründeten Empfinden unseres Volkes in schärfstem Widerspruch stehen. 2. Als öffentlich-rechtliche Körperschaften fordern die Landeskirchen insbesondere die Anerkennung der Sonn- und Feiertage, den Schutz der Gotteshäuser und gottesdienstlichen Einrichtungen sowie die Anerkennung der Amtsstellung der Geistlichen. 3. Die Landeskirchen beanspruchen das Recht, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten. Jeder Eingriff in die kirchliche Selbständigkeit würde die Glieder der evangelischen Kirche i n ihren wesentlichsten Grundrechten in einer mit der Würde eines freien Volkes nicht vereinbarenden Weise beschränken. 4. Zur Sicherung ihres Bestandes, u m der Gerechtigkeit willen und zur Vermeidung schwerer wirtschaftlicher Schädigung weitester Volkskreise fordern die Landeskirchen ferner die Sicherung ihres Vermögensbesitzes und das Recht zum Vermögenserwerb, das Recht der Besteuerung ihrer Mitglieder und die Anerkennung, daß grundsätzlich die bisher geleisteten Staatszuschüsse nur gegen volle Entschädigung und nur i m Einvernehmen mit den Kirchenbehörden abgelöst werden dürfen. Die verhängnisvollen Wirkungen, die jede Schmälerung dieser Rechte für unser gesamtes Wirtschaftsleben zur Folge haben müßte, sind i n der Eingabe des Evangelischen Oberkirchenrats in Berlin vom 22. v. Mts. eingehend dargelegt 1 8 . 5. Die Landeskirchen erachten es für selbstverständlich, daß mit der i m Verfassungsentwurf 1 9 vorgesehenen Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften auch das Recht der Landeskirchen, sich untereinander zu einem öffentlichrechtlichen Verband zusammenzuschließen, gewährleistet werden soll, sie wünschen aber dieses Recht zur Ausschließung jedes Zweifels ausdrücklich verfassungsmäßig anerkannt zu sehen.
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Oben Nr. 92. Oben Nr. 90.
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
6. Ohne die Rechte anderer Religionsgemeinschaften schmälern zu wollen, müssen die Landeskirchen schließlich fordern, daß bei staatlichen Einrichtungen und Veranstaltungen, die eine einheitliche kirchliche Regelung nicht entbehren können, wie der Seelsorge für die Wehrmacht und in den öffentlichen Anstalten, der Arbeit der theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen, die geschichtlich begründeten Rechte der bestehenden Kirchen auch i n Zukunft gewahrt bleiben. Ganz besonders gilt dies 7. von der Aufrechterhaltung des christlichen Charakters unserer Volksschulen. Die Landeskirchen fordern, daß unsere Jugend nach wie vor i n den öffentlichen Schulen eine Erziehung erhält, die auf der Grundlage des Christentums beruht und christliche Bildung und Gesittung zum Ziele hat. Die Freiheit zum Unterricht in kirchlichen und privaten Schulen darf durch den Grundsatz, daß für die Bildung der Jugend durch öffentliche Anstalten genügend gesorgt werden soll (Artikel 31 Abs. 3 des Verfassungsentwurfs), nicht beeinträchtigt werden. Verschiedene Freistaaten haben für die Stellung der Landeskirchen ihres Hoheitsgebiets bereits befriedigende Grundlagen geschaffen und die kirchlichen Rechte in ihrer Staatsverfassung anerkannt. Es kann nicht Aufgabe des Reichs sein, in diese Regelung einzugreifen. Wohl aber muß dem Reiche gegenüber für eine Regelung kirchlicher Fragen die Forderung erhoben werden, daß die i n dieser Eingabe als Mindestmaß gekennzeichneten kirchlichen Rechte in der Verfassung des Reichs allgemein anerkannt werden. Das deutsche evangelische Volk ist nicht gewillt, sich seine kirchlichen Rechte beeinträchtigen zu lassen. Eine Versammlung von Vertretern der deutschen evangelischen Kirchenregierungen, der Synoden und freien Vereine aus allen Teilen Deutschlands, die vor wenigen Tagen in Wilhelmshöhe (Kassel) über kirchliche Fragen beriet 2 0 , hat durch besonderen Beschluß als die übereinstimmende Überzeugung aller evangelischen Kreise zum Ausdruck gebracht, daß die öffentlich-rechtliche Geltung der Landeskirchen sowie ihre Freiheit und Selbständigkeit in Gesetzgebung und Verwaltung i n vollem Umfange gesichert werden müsse. Die willkürlichen Eingriffe einzelner Staatsregierungen i n Kirche und Schule haben eine gewaltige Bewegung i m Volke hervorgerufen, wie sie unser Vaterland i n neuerer Zeit sonst kaum erlebt hat. Wie hier bekannt geworden ist, haben in kurzer Zeit schon jetzt mehr als 3 400 000 wahlfähige deutsche Bürger evangelischen Glaubens aus allen Parteien an die Nationalversammlungen und Regierungsbehörden des Reichs und der Einzelstaaten Eingaben unterzeichnet, die in wechselnder Form, aber dem Sinne nach völlig übereinstimmend mit größtem Nachdruck die christliche Erziehung unserer Jugend fordern. Die Bewegung ist weiter i m Fluß. Schon jetzt liegt aber klar zutage, daß jeder Eingriff in das religiöse Bewußtsein unseres Volkes i m Lande einen Sturm der Entrüstung entfachen würde. Umsomehr müssen die Landeskirchen erwarten, daß die Nationalversammlung i n ihrer Gesetzgebung dem christlichen Wesen unseres Volkes i n gebührender Weise Rechnung trägt. 20 Die sogenannte „Kasseler Vorkonferenz" zur Vorbereitung des Deutschen Evangelischen Kirchentags am 27./28. Februar 1919 (vgl. Niederschrift der Verhandlungen der Kasseler Vorkonferenz, in: Allg. Kirchenblatt, 68, 1919, S. 519).
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N r . 94. Eingabe des O b e r k i r c h e n r a t s der altpreußischen Landeskirche a n die N a t i o n a l v e r s a m m l u n g i n W e i m a r u n d a n die preußische L a n d e s v e r s a m m l u n g vom 13. März 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 240ff.) — Auszug — . . . Wir erachten es . . . für unsere Pflicht, . . . i m Namen der evangelischen Landeskirche der altpreußischen Provinzen der Deutschen Nationalversammlung folgende Richtlinien und Forderungen, betr. Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen, mit dem dringendsten von uns für unseren Aufsichtsbezirk gestellten Ersuchen vorzulegen, ihre Durchführung durch keine Bestimmung der Reichs Verfassung zu beschränken 2 1 , vielmehr sie nach jeder Richtung zu ermöglichen und zu fördern. 1. Gegenüber dem vielfach zutage getretenen Bestreben, ausländische Einrichtungen und Maßnahmen ohne zureichende Prüfung auf unser Vaterland zu übertragen, fordern wir, daß eine mit der Lösung des bisherigen Verhältnisses von Staat und Kirche einsetzende Neuregelung des Unterrichtswesens nicht fremde Muster nachahmt, sondern der A r t und Geschichte des deutschen Geisteslebens Rechnung trägt. 2. Die deutsche Schule ist i n ihrem Wesen und ihrer geschichtlichen Grundlage nach christliche Schule und muß daher als solche auch erhalten werden. 3. Insbesondere erheben wir Einspruch dagegen, daß i m Namen der Glaubensund Gewissensfreiheit die große Mehrzahl unseres Volkes i n ihrem bisherigen Recht auf die christliche Schule zugunsten einer Minderheit beeinträchtigt werde. 4. Unter voller Wertung der übrigen üblichen Schulunterrichtsfächer halten w i r daran fest, daß zum Grundbestände unserer deutschen Schule der christliche Religionsunterricht gehört. Wir verlangen, daß der Religionsunterricht eine grundlegende Stellung i m Lehrplan der Schule behält, weil ohne den lebendigen Zusammenhang mit ihm auch kein gehaltvoller deutscher und geschichtlicher, wie überhaupt kein wurzelechter Gesinnungs- und Gesittungsunterricht in unserm Vaterlande erteilt werden kann. 5. Die Einführung eines Moralunterrichts als Ersatz für den christlichen Religionsunterricht ist mit bewährten Pädagogen für ein Fehlunternehmen zu erachten. 6. Der evangelische Religionsunterricht der Schule hat Wesen und Wahrheit des Christentums vom Standpunkt des evangelischen Glaubens aus, der Entwicklungsstufe der Schüler entsprechend, als Lebenskraft zur Darstellung und zum Verständnis zu bringen, und ist daher als Gesinnungsunterricht zu erteilen. 7. Bei dem besonderen inneren Berufe, den hiernach der Religionsunterricht fordert, darf kein Lehrer gegen seinen Willen zu dessen Übernahme gezwungen werden. Bei eintretendem Mangel an Lehrkräften sind kirchliche Organe i m 21
I n der Vorlage versehentlich: „verschränken".
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
Benehmen mit der kirchlichen Behörde zur Übernahme des lehrplanmäßigen Religionsunterrichts der Schule heranzuziehen. 8. Die Teilnahme am Religionsunterricht der Schule ist nur für Schüler, die der betreffenden Religionsgemeinschaft angehören, verbindlich. 9. Sollte hinfort der Religionsunterricht der Schule allein der Leitung der Schulbehörden unterstellt werden, so ist unerläßlich, daß diesen theologisch gebildete Fachbeamte angegliedert werden, bei deren Ernennung, wie auch bei der Einführung von Lehrplänen und Lehrbüchern für den Religionsunterricht, die kirchliche Behörde mitzuwirken berufen ist. 10. Wie innerhalb der Schulverfassung den Vertretern der Familie w i r d Raum und Recht gegeben werden müssen, so ist innerhalb der Familienvertretungen den Kirchengemeinden zur Wahrung der christlichen Erziehung Sitz und Stimme einzuräumen.
I I I . Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung über das Verhältnis von Staat und Kirche In den bürgerlichen Fraktionen der Weimarer Nationalversammlung bestand eine weitgehende Übereinstimmung darüber, daß die Lösung der überlieferten Verbindungen zwischen Staat und Kirche mit verfassungsrechtlichen Gewährleistungen zugunsten der Kirche verknüpft werden sollte. Einer Initiative des Kirchenrechtlers Wilhelm Kahl 1 folgend, traf eine interfraktionelle Arbeitsgruppe der vier nicht-sozialistischen Fraktionen, der neben Kahl (DVP) Joseph Mausbach 2 für das Zentrum, Friedrich Naumann 3 für die DDP und Gottfried Traub 4 für die DNVP angehörten, in der zweiten Märzwoche 1919 eine entsprechende Vereinbarung 5. Die Einführung institutioneller Gewährleistungen zugunsten der Kirchen in das Verfassungswerk war das bestimmende Thema der Beratungen über die Kirchenfrage, zu denen der Verfassungsausschuß der Nationalversammlung vom 1. bis 3. April 1919 zusammentrat (Nr. 95). An ihnen beteiligten sich die führenden Experten aller Fraktionen; der Reichsinnenminister Hugo Preuß 6 griff in die Diskussion ein; Adolf v. Harnack 1, selbst der Nationalversammlung nicht angehörend, wurde als 1
Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, S. 736 Anm. 9. Ebenda S. 434, Anm. 3. 3 Ebenda S. 707, Anm. 11. 4 Ebenda S. 760, Anm. 13. 5 Mindestvorschläge vereinbart in einer auf Anregung von D. K a h l getroffenen gemeinsamen Aussprache zwischen D. Kahl, D. Naumann, D. Mausbach, D. Traub (undatiert); Anlage zu einem Schreiben von R. Mumm an O. Dibelius vom 13. März 1919 (Ev. Zentralarchiv — A E K U , Gen. I I 28 I), siehe J. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik (1976), S. 131 ff. 6 Oben S. 107, Anm. 2. 7 Staat und Kirche, Bd. III, S. 436, Anm. 8. 2
III. Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung 119 Sachverständiger hinzugezogen. Die Vertreter der Mehrheitssozialdemokratie rückten von dem Konzept einer radikalen Trennung zwischen Staat und Kirche, durch welche die Kirchen auf die Stellung von Privatvereinen herabgedrückt worden wären, deutlich ab. Das Ergebnis der Beratungen bildete ein neuer Entwurf, der das Grundrecht der Gewissensfreiheit mit weitreichenden Regelungen über die Rechtsstellung der Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften verband (Nr. 96).
N r . 95. V e r h a n d l u n g über die Glaubensfreiheit i m Verfassungsausschuß der W e i m a r e r N a t i o n a l v e r s a m m l u n g am 1. bis 3. A p r i l 1919 (Berichte und Protokolle des Achten Ausschusses über den E n t w u r f einer Verfassung des Deutschen Reichs; Verhandlungen der Weimarer Nationalversammlung, Bd. 336, 1919, S. 188f.) — Auszug — 8
Der Antrag des Zentrums (Gröber 9 und Gen.) zu A r t i k e l 30 w i l l die Frage nach der religiösen Zugehörigkeit dahin formulieren, daß Auskunft nur insoweit zu erteilen ist, als davon Rechte und Pflichten abhängen; ferner soll niemand „von Staats wegen" zu einer kirchlichen Handlung oder Feier gezwungen oder an der Erfüllung seiner religiösen Pflichten gehindert werden dürfen; endlich soll auch die Vereinigung zu geistlichen Gesellschaften (Orden) freistehen. Der Antrag fügt ferner neue A r t i k e l 30a-30c ein, die i n der Hauptsache folgendes bestimmen: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten frei und selbständig und verleiht ihre Ämter ohne M i t w i r k u n g des Staates. Religionsgesellschaften und geistliche Gesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach dem BGB. Sonntage und Feiertage bleiben erhalten. I n der Wehrmacht, in Gefängnissen, Krankenhäusern usw. ist Seelsorge einzurichten. Die Religionsgesellschaften bleiben i m Besitz ihrer Kultusanstalten und Stiftungen, sowie ihres Besteuerungsrechts. Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach i n den Schulen unter Leitung der Religionsgesellschaften. Die theologischen Fakultäten bleiben erhalten." . . . Die Abgg. Dr. Kahl (Deutsche Volksp.) 1 0 , Dr. v. Delbrück (Deutschnat.) 11 und Gen. treten den Anträgen des Zentrums i m wesentlichen bei, jedoch mit der Maßgabe, daß die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche der Landesgesetzgebung zustehen und daß die Religionsgesellschaften trotz der Freiheit ihrer Verwaltung dem allgemeinen Staatsgesetz unterworfen sein sollen. 8 Der Wortlaut der i m folgenden zusammengefaßten Anträge findet sich in: Verh. d. Weimarer Nat. Vers., Bd. 336, 1919, S. 173ff. 9 Adolf Gröber: Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, S. 258, Anm. 12. 10 Wilhelm Kahl: ebenda S. 736, Anm. 9. 11 Clemens (v.) Delbrück (1856-1921), Jurist, seit 1879 i m preuß. Verwaltungsdienst; 1885 Landrat i n Tuchel (Westpr.), 1896 Oberbürgermeister von Danzig, 1902 Oberpräsident von Westpreußen, 1905 preuß. Handelsminister; 1909-16 Staatssekretär des Reichsamts des Innern (zugleich Stellvertreter des Reichskanzlers; 1914-1916 auch Vizepräsident des preuß. Staatsministeriums); Oktober-November 1918 letzter Chef des Zivilkabinetts des Kaisers; 1919-20 MdWeimNatVers. (deutschnational).
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
Die Sozialdemokraten Dr. Quarck 12 und Dr. Sinzheimer 13 beantragen zu A r t i k e l 30, daß die Frage nach der Religionszugehörigkeit „für öffentliche statistische Zwecke" gestellt werden kann, daß die Religionsübung „innerhalb der durch die guten Sitten und öffentliche Ordnung gezogenen Schranken" frei ist und daß die Religionsgesellschaften bei sonstiger Freiheit den allgemeinen Gesetzen unterworfen sind. . . . Mitberichterstatter Meerfeld (Soz.) 14 : Wir halten eine allgemeine Besprechung über die wichtige Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche für notwendig. Sollen nach der Meinung des Zentrums das Reich oder die Einzelstaaten für diese Gesetzgebung zuständig sein? Wir sind für die Reichskompetenz in weitestem Umfange. Die Unzufriedenheit i m Volke würde erheblich steigen, wenn w i r uns auf den Boden der Zentrumsanträge stellten. Für diese gilt das Wort von der freien Kirche i m unfreien Staat 1 5 . Das Zentrum w i l l alle Freiheit für die Kirche v o m Staate, aber alle Rechte der Kirche an den Staat. Die Trennung von Kirche und Staat ist keine Gesetzes- oder Rechtsverletzung. Wer den Kampf nicht will, muß für eine friedlich-schiedliche Auseinandersetzung sein. Wir sind zu jedem Entgegenkommen bereit, das mit unseren Grundsätzen vereinbar ist, aber man muß uns von der anderen Seite auf halbem Wege entgegenkommen, was w i r bisher vermissen. Wir erkennen die Bedeutung der Religion an und sind keine Kulturkämpfer. Die Anträge des Zentrums und der Rechten lassen allerdings eine friedlich-schiedliche Erledigung der Frage nicht zu. Ganz unannehmbar ist für uns ein Teil der schulpolitischen Forderungen des Zentrums. Das Volk verlangt die Befreiung der Schule von der kirchlichen Aufsicht, es verlangt die Verwirklichung seines sozialen Bildungsideals. Der Staat hat heute ein anderes Angesicht bekommen. Der „christliche Staat" besteht nicht mehr. Schließlich wünschen w i r eine neue Eidesformel und ihre Festlegung in der Verfassung. Abg. Dr. Kahl (Deutsche Volksp.): Die wesentlichen Grundrechte der Religionsgesellschaften müssen in der Reichsverfassung festgelegt werden. Die Trennung von Staat und Kirche ist keine Parteifrage, als Parteifrage müßte ich als Evangelischer sie ablehnen. Aber manche sind davon wie von einer Zauberformel geblendet. Es gibt keine absolute Trennung von Staat und Kirche, Berührungen und Reibungen werden immer bleiben, schon weil es sich u m dieselben Menschen handelt. Das Problem der Trennung läuft nur hinaus auf die Festlegung des gesetzlichen Mindestmaßes von an sich unvermeidlichen Berührungen. Ein Grund12 Max Quarck (1860-1930), Dr. jur.; aus dem juristischen Staatsdienst 1886 wegen Förderung der Arbeiterbewegung entlassen; Redakteur an der Deutschen Stimme (Wien) und der Frankfurter Zeitung; seit 1893 M. d. SPD; Redakteur der Volksstimme (Frankfurt); 1912-18 MdR; 1919-20 MdWeimNatVers. (SPD). 13 Hugo Sinzheimer (1875-1945), Jurist; seit 1903 Rechtsanwalt i n Frankfurt a.M.; 1920-1933 o. Hon. Prof. für Arbeitsrecht an der Universität Frankfurt; 1919/20 MdWeimNatVers. (SPD); 1933 nach Holland emigriert. 14 Johannes („Jean") Meerfeld (1871-1956), Sattler; seit 1894 Mitarbeiter, seit 1901 Redakteur der Rhein. Zeitung (Köln); 1917-18 MdR; 1919-20 MdWeimNatVers.; 19201924 MdR (SPD); 1933 und 1944 in Haft. 15 Die Programmformel „Freie Kirche i m freien Staat" w i r d auf Camillo Cavour (1810-1861) zurückgeführt, der noch kurz vor seinem Tod damit eine seiner politischen LeitVorstellungen kennzeichnete. Aufgenommen wurde sie bald darauf in den Mechelner Reden von Charles de Montalembert (1810-1870): L'église libre dans l'état libre. Discours prononcés au Congrès Catholique de Malines, Paris 1863.
III. Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung 121 i r r t u m ergibt sich aus dem Operieren mit dem Beispiel fremder Staaten. Auch in den Trennungsstaaten, wie Amerika, Belgien, einigen mittel- und südamerikanischen Staaten, Frankreich, Schweiz, Irland, Holland, gibt es keine vollständige Trennung von Kirche und Staat. Aus allen diesen Gründen können w i r kirchenrechtliche Systeme nicht aus dem Ausland importieren. Durch den Wegfall der Monarchie in Deutschland ist für die evangelische Kirche der hauptsächlichste Zusammenhang von Staat und Kirche entfallen. Es handelt sich darum, ob Staatsschutz und Staatsaufsicht losgelöst werden sollen. I n der Gewissensfreiheit komme ich den Sozialdemokraten weitest entgegen und bin auch für die Aufhebung des Eideszwanges. Aber in den Staatsleistungen kommt es auf die Rechtstitel an, die privatrechtlichen Leistungen können nicht ohne Rechtsverletzung entzogen werden. Abgesehen von diesen beiden Momenten des Gewissenszwanges und der Vermögensrechte sehe ich kein Interesse des Staates an der Trennung von Staat und Kirche. Abg. Dr. Naumann (Demokr.) 1 6 : Die Erklärung des Abg. Meerfeld jetzt, da die Sozialdemokraten als mitregierende Partei mitverantwortlich sind, ist insofern durchaus befriedigend, als die Sozialdemokratie i m Gegensatz zu manchen früheren Äußerungen die Regelung der Religions- und Kirchenfragen i m Sinne des Friedens und der Billigkeit wünscht. Die Sozialdemokratie w i l l keine Privilegien der Religionsgemeinschaften. Die Sozialdemokraten wollen nicht mehr öffentliche Mittel für die Kirche hergeben, die Tendenz der Zentrumsanträge und die Anträge von Professor K a h l gehen auch dahin, daß, nachdem einmal Inventur gemacht und Ablösung erfolgt ist, der Staat keine Mittel für die Kirche zu geben nötig hat. Die „Trennung" ist nichts anderes als die Benennung des Vorgangs, den wir alle erleben; eine weitere Lockerung der Beziehungen zwischen Staat und Staatsfinanzen einerseits und der Kirche andererseits. Wir sehen i n den Anträgen einen Weg zur Ablösung. Abg. Dr. Mausbach (Ztr.) 1 7 : M i t den Abgeordneten K a h l und Naumann glaube ich, daß vielfach mehrdeutige Worte wie Trennung von Staat und Kirche oder Einheitsschule der Verständigung i m Wege stehen. Die deutschen Bischöfe haben sich mit Recht vor allem gegen eine Trennung gewandt, wie man sie nach dem Beispiel von Frankreich und nach den Äußerungen Adolph Hoffmanns erwarten konnte 1 8 ; inzwischen hat sein Nachfolger i n einer Rede den Ausdruck preisgegeben und von einer Neuordnung des Verhältnisses gesprochen 19 . Auch unsere Anträge zeigen Entgegenkommen gegenüber den Bedürfnissen der Zeit. Neben den Staatsschulen müssen wir auch die Möglichkeit freier Privatschulen haben. Was die „Vorrechte" gewisser Religionsgemeinschaften angeht, so kann man schon beim Einzelmenschen nicht alle Vorrechte beseitigen, denn viele Unterschiede bestehen fort nach den Wirklichkeiten des Lebens und den persönlichen Leistungen. Die sogenannten Vorrechte der Kirchen werden aufgewogen durch ihre großen 16
Friedrich Naumann: Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, S. 707, Anm. 11. Joseph Mausbach: ebenda S. 434, Anm. 3. 18 Siehe oben Nr. 16. 19 Zu Konrad Haenisch siehe oben S. 3; ihn als „Nachfolger" Adolph Hoffmanns zu bezeichnen, ist nicht korrekt, da er bereits von November bis Dezember 1918 neben diesem i m doppelt besetzten preußischen Kultusministerium als Minister tätig war. 17
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
geschichtlichen Leistungen und ihre weitgreifende sittliche und soziale Arbeit. Nur bei verständnisvoller Würdigung solcher Tatsachen w i r d sich ein Weg finden lassen, die berechtigten Wünsche weitester christlicher Volkskreise zu befriedigen. Wirkl. Geh. Rat v. Harnack 20 : I n der Hauptsache sind alle einig. Es handelt sich u m die Trennung von Staat und Kirche, soweit sie möglich ist, ohne die Staatsbürger innerlich zu zerreißen. Die Sozialdemokraten zeigen jetzt ihren erfreulichen Wirklichkeitssinn, von dem alle Parteien gelernt haben, auch auf das Gebiet der ideellen Kräfte ausgedehnt. Wir werden nicht u m die Aufgabe herumkommen, sowohl in den Grundrechten, wie in der Verfassung und in der Landesgesetzgebung, insbesondere in einem grundsätzlichen Gesetz über das Verhältnis von Staat und Kirche bzw. über ihre Trennung Bestimmungen zu treffen. Ganz mein Standpunkt ist, daß der Religionsunterricht unter der Leitung der Religionsgesellschaften erteilt wird, aber es müßte hinzugefügt werden: unbeschadet des technischen und pädagogischen Aufsichtsrechts des Staates. Wir brauchen für alles dies erst ein grundsätzliches Gesetz über die Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche, das neben A r t i k e l 30 steht. Abg. Dr. Quarck (Soz.): Wir haben in unseren Anträgen nur die Prinzipien festgelegt und alles ausgeschieden, was zur Ausführung gehört. Das stellt man nicht in die Verfassung. Nur zu trennen, was getrennt werden kann, das ist auch unser Standpunkt. I m Gegensatz zur Obrigkeitsordnung wollen w i r den demokratischen Gedanken auch für das Verhältnis von Kirche und Staat zur Durchführung bringen, das heißt denjenigen der Selbstbestimmung. Wir sind durchaus für die Forderungen des Zentrums, daß die Sonn- und Feiertage erhalten bleiben. Aber w i r bestehen fest darauf, daß die Schule Staatssache ist. Ich persönlich möchte das Privatschulwesen möglichst beschränken. Aber meine Partei steht auf dem Standpunkt, daß das Privatschulwesen für pädagogische Versuche nicht zu entbehren ist. Sie vom Zentrum wollen aber ganz etwas anderes, Sie wollen das konfessionelle Schulwesen erhalten, das heißt, die unseligen Kämpfe u m die preußische Konfessionsschule heraufbeschwören 21 . Die Schulanträge des Zentrums zerschmettern außerdem das Schulwesen. Für die Fortdauer anderer Staatsleistungen an die Kirche als solche, die auf Gesetz beruhen, sind wir u m keinen Preis zu haben. Aber gegen Kulturleistungen der Kirche nehmen w i r keine feindliche Stellung ein. Die geistlichen Gesellschaften können w i r nicht den Religionsgesellschaften gleichstellen, sie dienen gewissermaßen strengen Gemeinschaftszwecken innerhalb der Kirche und können nicht denselben Schutz beanspruchen wie die Religionsgesellschaften. Den Antrag des Zentrums, wonach „von Staats wegen" niemand zu religiösen Handlungen gezwungen werden kann, bekämpfen wir entschieden. Die Einschiebung der Worte „von Staats wegen" sieht so aus, als solle der Zwang von anderer Seite sanktioniert werden. Abg. Dr. Düringer (Deutschnat.) 22 : Unser Antrag unterscheidet sich von dem Zentrumsantrag nur dadurch, daß wir die Regelung grundsätzlich der Landesge20 Adolf von Harnack: Staat und Kirche, Bd. III, S. 436, Anm. 8. Harnack nahm vom 1. bis 4. A p r i l als von der Regierung berufener Sachverständiger an den Beratungen des Verfassungsausschusses teil (vgl. A. v. Zahn-Harnack, Adolf von Harnack, 1936, S. 498). 21 Vgl. zu diesen Auseinandersetzungen Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, S. 123ff. 22 Adelbert Düringer (1855-1924), badischer Jurist; 1897 Oberlandesgerichtsrat i n Karlsruhe; 1900 Ministerialrat i m bad. Justizministerium; 1902 Reichsgerichtsrat;
III. Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung 123 setzgebung vorbehalten wollen und daß wir das Prinzip zum Ausdruck bringen, daß die Religionsgesellschaften den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen sind. Wir wollen i n der Verfassung als Grundrecht die Religionsausübung sichern. Wenn der Kirche das Besteuerungsrecht genommen würde, würde ihr die Existenzmöglichkeit genommen werden. Abg. Dr. Kaas (Ztr.) 2 3 : Grundsätzlich sind w i r vom Standpunkt des christlichen Staatsideals aus Gegner der Trennung und müssen es sein. Das braucht uns aber nicht zu hindern, praktisch mitzuarbeiten, u m so zu einem Trennungstyp zu kommen, der einen zu weit gehenden Radikalismus vermeidet. Die Möglichkeit der Gründung von Privatschulen ist ein i m Interesse der religiösen Freiheit notwendiges Korrektiv der von der Gegenseite beabsichtigten Zwangsschule. Die auf Verträgen oder sonstigen besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen für die Kirche können ohne Rechtsverletzung nicht einfach aufgehoben werden. Die i m E n t w u r f vorgesehene Fassung „niemand darf zu einer kirchlichen Handlung gezwungen werden", läßt die Möglichkeit einer Auslegung zu, die zu einer unannehmbaren Knebelung der Kirchenzucht führen könnte. Bayerischer Gesandter Dr. v. Preger 24 bemängelt vom einzelstaatlichen Standpunkt einzelne Forderungen des Antrags Groeber, die über allgemeine Richtlinien hinausgehen und Einzelbestimmungen über Materien treffen, die nur durch die Landesgesetzgebung geregelt werden können. Die Reichs Verfassung möge sich auf die Aufstellung von Grundsätzen beschränken und die Ausführung den Landesgesetzen überlassen. Abg. Dr. Kahl (DVP) 2 5 erläutert auf die Frage des Abg. Naumann den Begriff der öffentlich-rechtlichen Korporation vor allem dahin, daß eine solche ausgestattet sei mit einer obrigkeitsähnlichen Gewalt und daß sie den Schutz des Staates genieße, darum aber auch der Staatsaufsicht als Korrelat ihrer Rechte unterworfen sei. ... Abg. Dr. Düringer (Deutschnat.) bemerkt gegenüber der Interpellation des Abg. Kahl, daß nicht alle öffentlich-rechtlichen Korporationen obrigkeitlichen Charakter zu haben brauchten. Körperschaften, die ihre Rechte auf die Verleihung stützten, seien öffentlich-rechtlich, wenn ihre Wirksamkeit die öffentlichen Interessen berührte. Die Kirche wäre eine solche öffentlich-rechtliche Korporation. Erfreulicherweise hätten die Sozialdemokraten sich zu dem Gedanken durchgerungen, daß die Religion nicht Privatsache sei 2 6 . 1915 Oberlandesgerichtspräsident in Karlsruhe; 1917-18 bad. Justizminister; 1919-20 MdWeimNatVers.; 1920-24 MdR (zunächst DNVP, seit 1922 DVP). 23 Ludwig Kaas (1881-1952), kath. Priester; seit 1910 i m kath. Schuldienst i n Koblenz; seit 1918 Professor des Kirchenrechts am Priesterseminar i n Trier; 1921 päpst. Hausprälat; 1924 Domkapitular i n Trier; 1919-20 MdWeimNatVers.; 1920-33 MdR (Zentrum); 1929-33 Vorsitzender der Zentrumspartei; seit 1933 in Rom (Wirkl. Apost. Protonotar; Sekretär der Kardinalskongregation von St. Peter; 1935 Kanonikus an St. Peter).Vgl. G. May, L u d w i g Kaas — der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz (3 Bände, 1981/82). 24 Konrad v. Preger (1867-1933), Jurist; 1893 Bezirksamtsassessor i n Memmingen; 1900 Bezirksamtmann in Augsburg; 1903 Ministerialrat i m bayer. Kultusministerium; 1914 Ministerialdirektor daselbst; i m gleichen Jahr Generalstaatsanwalt am Verwaltungsgerichtshof in München; 1916 i n der Zivilverwaltung des Generalgouvernements Warschau; 1919-32 bayerischer Gesandter i n Berlin. 25 I n der Vorlage hier irrtümlich: (Deutschnat.).
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
Abg. Dr. v. Delbrück (Deutschnat.) versteht i n der Praxis unter öffentlichrechtlichen Korporationen namentlich solche, deren Aufgaben sich mit denen des Staates berühren und einem öffentlichen, gemeinnützigen Interesse dienen. Ob die Kirche eine öffentlich-rechtliche Korporation sei, könne an dieser Stelle nicht irritieren 2 7 . Abg. Dr. Naumann (Demokr.) hält die Klarstellung des Begriffes der öffentlichrechtlichen Körperschaft und des vom Abg. K a h l besprochenen behördlichen Charakters der Kirchenangestellten für erforderlich, und zwar wegen des Verhältnisses der kirchlichen Angestellten zur kirchlichen Selbstverwaltung. Abg. Dr. Kahl (Deutsch. Volksp.) äußert, der obrigkeitliche Charakter der Kirche sei nur dahin zu verstehen, daß der Kirchenbeamte öffentliche Funktionen ausübe, aber nicht, daß er Staatsbeamter sei. Abg. Dr. Spahn (Ztr.) 2 8 meint, für öffentliche Körperschaften gäbe es keinen einheitlichen Begriff. Es handele sich hier u m die Religionsgemeinschaften und ihre Anerkennung als öffentlicher, d. h. auf dem öffentlichen Recht beruhender Körperschaften. Reichsminister Dr. Preuß 29 : M i t dem schwankenden Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechtes läßt sich eine legale Interpretation kaum in die Verfassung hineinschreiben. Der Begriff dürfte also für die Grundrechte wenig angemessen sein. Abg. Dr. Quarck (Soz.): Die Kirche stellt sich selbst ein schlechtes Zeugnis aus, wenn sie meint, ohne Privilegien behördlicher A r t nicht auskommen zu können. Wir wollen doch überhaupt mit allen Sonderrechten aufräumen. Für das Besteuerungsrecht der Kirche genügt es, wenn w i r den Religionsgesellschaften die Vollstreckbarkeit ihres Anspruchs auf ihre Mitgliederbeiträge zugestehen. Aber alle die alten Behördenrechte der Kirche von Jahrhunderten her wollen und dürfen wir nicht erhalten. Ich stelle mit einer Anzahl meiner Freunde einen entsprechenden Antrag. Die Abgg. Meerfeld (Soz.) und Dr. Naumann (Demokr.) bringen einen Antrag ein, wonach den Religionsgesellschaften die Rechte einer öffentlichen Körperschaft zustehen, die sie bisher besessen haben, und sie anderen 3 0 auf Antrag verliehen werden können; sie sollen berechtigt sein, ihre Mitglieder zu besteuern auf Grund der Landesgesetzgebung; die auf Rechten oder Vertrag beruhenden Staatsleistungen sollen durch die Landesgesetzgebung abgelöst werden. Abg. Dr. Ablaß (Demokr.) 3 1 begründet diesen Antrag. Der Grundsatz müsse festgehalten werden, daß Kirchen, die bisher öffentliche Körperschaften gewesen 26 Anspielung an die Formel des Gothaer Programms von 1875 und des Erfurter Programms von 1891 (D. Dowel Κ. Klotzbach, Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie, 1973, S. 173, 178). 27 Gemeint ist: diese Frage kann der Sache nach gar nicht umstritten sein. 28 Peter Spahn: Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, S. 258, Anm. 11. 29 Hugo Preuß: oben S. 107, Anm. 2. 30 I n der Vorlage steht versehentlich: „andere ihnen". 31 Bruno Ablaß (1866-1942), Jurist, 1895 Rechtsanwalt i n Hirschberg, 1896 Stadtverordneter daselbst; 1903-18 MdR (zuerst Freisinnige VP, seit 1910 Fortschrittliche VP); 1919-20 MdWeimNatVers. (DDP).
III. Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung
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seien, nun nicht etwa dieses Charakters beraubt werden dürfen. Da aber der Charakter der Körperschaft umgestaltet werde, ändere sich auch der Charakter der aus dieser veränderten Rechtsstellung fließenden Rechte. Dieser veränderten Rechtslage trage der Antrag Rechnung. Abg. Dr. Quarck (Soz.) beantragt mit sechs Parteifreunden folgenden Zusatz: „Aus den Beschlüssen der Religionsgemeinschaften über die Erhebung von Mitgliedsbeiträgen findet Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften des achten Buches der Zivilprozeßordnung statt. Das Nähere wird durch die Landesgesetzgebung bestimmt." ... Abg. Dr. Katzenstein (Soz.) 32 tritt für die Anerkennung des öffentlich-rechtlichen Charakters der Religionsgemeinschaften mit Rücksicht auf ihre geistige und soziale Bedeutung ein, w i l l aber auch den großen Verbänden freidenkerischer Richtung das gleiche Recht gesichert wissen und verlangt die Aufhebung des Patronatsrechtes auf Bestellung kirchlicher Organe. Die Freiheit der Religionsgemeinschaften sei selbstverständlich, jedoch könne die unbedingte Freiheit der Ordensniederlassungen nicht in der Verfassung festgelegt werden. Die Sozialdemokratie sei völlig frei von kulturkämpferischen Stimmungen, aber bevölkerungspolitische und wirtschaftliche Interessen erforderten immer gewisse staatliche Überwachung. Die Erleichterung des Austritts müßte die Kirche selbst begrüßen. Abg. Dr. Traub (Deutschnat.) 33 : Wer die Kirchenaustritte aus der Praxis kennt, weiß, daß keineswegs immer Gewissensbedenken und religiöse Überzeugungen den Ausschlag geben, sondern ganz abwegige Zufallserscheinungen. Die Kirche würde ihre Pflicht versäumen, wenn sie den ihr anvertrauten Menschen in solchen Entscheidungsstunden nicht nachgehen würde. ... Abg. Dr. Cohn (Unabh. Soz.) 34 beantragt folgenden Zusatz: „Die Rechte der Mitglieder dürfen nicht nach der Größe der Beiträge abgestuft werden. Für die Wahlen gilt der A r t i k e l 41 (Reichstagswahlrecht mit Verhältniswahl)" und führt aus, daß bei der jetzigen Gleichstellung der Frauen auch die katholische Kirche mit dem Grundsatz brechen müsse: „mulier taceat in ecclesia" 35 . Alle Mitglieder einer Religionsgemeinschaft müßten die gleichen Rechte haben; die Rechte dürften auch nicht nach der Steuerleistung abgestuft werden. ... Bayerischer Gesandter Dr. v. Preger erhebt vom bayerischen Standpunkt Bedenken gegen einzelne Bestimmungen des Antrages Meerfeld/Naumann, insbesondere dagegen, daß ein Zwang zur Ablösung aller Staatsleistungen an die Kirche durch die Verfassung geschaffen werden soll. ... Abg. Dr. Naumann (Demokr.) hebt dem bayerischen Vertreter gegenüber hervor, daß alle staatlichen Patronate von selbst fortfielen, da der Staat keine 32 Simon Katzenstein (1868-1945), nach dem Studium der Rechtswissenschaft politischer und sozialpolitischer Schriftsteller; Redakteur i n Leipzig, Mainz und Berlin sowie Arbeitersekretär i n Mannheim; seit 1917 in der „ZentraleinkaufsGenossenschaft" tätig; 1919-20 MdWeimNatVers. (SPD); 1933 Emigration nach Schweden. 33 Gottfried Traub: Staat und Kirche, Bd. III, S. 760, Anm. 13. 34 Oskar Cohn (1869-1934), Jurist, seit 1897 Rechtsanwalt i n Berlin; seit 1919 sozialdemokratischer Stadtverordneter; 1912-18 MdR; 1919-20 MdWeimNatVers. (USPD); 1933 Emigration i n die Schweiz. 35 1. Korinther 14, 34f.
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
konfessionellen Aufgaben mehr habe. Man diene i m übrigen beiden Teilen, dem Staate und der Kirche, wenn man an die Ablösung der Staatsleistungen gehe, damit der Staat nicht mehr seine unkonfessionellen Mittel für konfessionelle Zwecke ausgebe. Konkordate seien vor der Geschichte nicht unabänderlich. ... Die Abgg. Dr. Ablaß (Demokr.) und Katzenstein (Soz.) beantragen gemeinsam, den A r t i k e l 30 3 6 folgendermaßen zu beginnen: „Es besteht keine Staatskirche". ... N r . 96. E n t w u r f des Verfassungsausschusses f ü r die Reichsverfassung vom 3. A p r i l 1919 (Fr. Purlitz, Deutscher Geschichtskalender. Der Europäische Krieg, Ergänzungsband: Die deutsche Reichsverfassung vom 11. August 1919, S. 51 ff.) — Auszug — VII. Abschnitt.
Grundrechte
A. Grundrechte
und Grundpflichten
und Grundpflichten
B. Grundlagen
der Deutschen
der Person
des Gemeinschaftslebens
C. Grundrechte und Grundpflichten in bezug auf Religion, Religionsgesellschaften, Schule Art. 30. Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens-, Gewissens- und Gedankenfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung w i r d durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutze. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt. Art. 30 a. Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt. Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ä m t e r n ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur insoweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert. Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. Art. 30b. Es besteht keine Staatskirche. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften w i r d gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen. 36
Gemeint ist der A r t i k e l 30 b, der spätere A r t i k e l 137.
IV. Die Weimarer Reichsverfassung
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Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne M i t w i r k u n g des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Den Religionsgesellschaften stehen die Rechte einer öffentlichen Körperschaft zu, soweit sie solche bisher besessen haben. Anderen Religionsgesellschaften sind gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch die Zeit ihres Bestehens und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Die Religionsgesellschaften sind berechtigt, ihre Mitglieder zu besteuern. Die Rechte der Mitglieder dürfen nicht nach der Höhe der Beiträge abgestuft werden. Den Religionsgesellschaften werden diejenigen Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen. Die Durchführung dieser Bestimmungen liegt der Landesgesetzgebung ob. Art. 30 c. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf. Das Eigentum der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen bleibt hierdurch unberührt. Art. 30 d. Der gesetzliche Schutz des Sonntags und der staatlich anerkannten Feiertage bleibt erhalten. Art. 30 e. Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme-religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist. ...
IV. Die Weimarer Reichsverfassung Die Linie, die sich in den Beratungen des Verfassungsausschusses durchgesetzt hatte, blieb maßgebend für die Fassung, in der die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen in die Reichsverfassung vom 11. August 1919 eingingen (Nr. 97). Die Weimarer Verfassung knüpfte an das überlieferte Staatskirchenrecht an, entwickelte es aber zugleich entscheidend weiter. So entstand ein tragfähiger Verfassungskompromiß, der aus dem individuellen Recht der Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit institutionelle Konsequenzen zog. Er verband das Verbot der Staatskirche mit der Anerkennung des Öffentlichkeitscharakters der Kirchen, der in ihrer Stellung als Körperschaften des öffentlichen Rechts Ausdruck fand. Doch beschränkte die Gewährleistung der Religionsfreiheit sich nicht auf die öffentlichrechtlich anerkannten Konfessionskirchen; vielmehr galt sie für alle religiösen Bekenntnisse. Geschützt war damit nicht nur die positive, sondern auch die negative Religionsfreiheit, also die Freiheit, sich jedem religiösen Bekenntnis und jeder religiösen Handlung zu entziehen oder sich auch öffentlich zum Unglauben zu
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4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
bekennen 1. Der damit gewonnene Verfassungskompromiß 140 GG Eingang in das Bonner Grundgesetz 2.
fand über den Artikel
N r . 97. D i e Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (Reichsgesetzblatt 1919, S. 1338) — Auszug — Erster Aufbau
Hauptteil
und Aufgaben
des Reichs
Erster Abschnitt: Reich und Art.
Länder
10. Das Reich kann i m Wege der Gesetzgebung Grundsätze aufstellen für:
1. die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften; 2. das Schulwesen einschließlich des Hochschulwesens und des wissenschaftlichen Büchereiwesens; 3. das Recht der Beamten aller öffentlichen Körperschaften; ... Zweiter Grundrechte
Hauptteil
und Grundpflichten
der Deutschen
Zweiter Abschnitt: Das Gemeinschaftsleben Art. 119. Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge. Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats. Art. 120. Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht. Art. 121. Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Art. 124. Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den Staatsgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dies Recht kann nicht durch Vorbeugungsmaßregeln beschränkt werden. Für religiöse Vereine und Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen. 1
Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. llOf., 864ff. Dazu ausführlicher: A. Hollerbach, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I (1974), S. 215ff. 2
IV. Die Weimarer Reichsverfassung
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Der Erwerb der Rechtsfähigkeit steht jedem Verein gemäß den Vorschriften des bürgerlichen Rechts frei. Er darf einem Vereine nicht aus dem Grunde versagt werden, daß er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt 3 . Dritter Abschnitt: Religion und Religionsgesellschaften Art. 135. Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsübung w i r d durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt. Art. 36. Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt. Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dieses erfordert. Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. Art. 137. Es besteht keine Staatskirche. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften w i r d gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne M i t w i r k u n g des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbände zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft 4 . Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben. Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen. 3
Dadurch wurden §§ 61 Abs. 2 und 43 Abs. 3 BGB unwirksam. Das galt beispielsweise für den Deutschen Evangelischen Kirchenbund (unten Nr. 271 f.). 4
9 Huber
130
4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob. Art. 138. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf. Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet. Art. 139. Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Art. 140. Den Angehörigen der Wehrmacht ist die nötige freie Zeit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu gewähren. Art. 141. Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge i m Heer, i n Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist 5 . Vierter
Abschnitt: Bildung
und Schule
Art. 142. Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil. Art. 143. Für die Bildung der Jugend ist durch öffentliche Anstalten zu sorgen. Bei ihrer Einrichtung w i r k e n Reich, Länder und Gemeinden zusammen. Die Lehrerbildung ist nach den Grundsätzen, die für die höhere Bildung allgemein gelten, für das Reich einheitlich zu regeln 6 . Die Lehrer an öffentlichen Schulen haben die Rechte und Pflichten der Staatsbeamten. Art. 144. Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates; er kann die Gemeinden daran beteiligen. Die Schulaufsicht w i r d durch hauptamtlich tätige, fachmännisch vorgebildete Beamte ausgeübt. Art. 145. Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre. Der Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und Fortbildungsschulen sind unentgeltlich. Art. 146. Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten. A u f einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf 7 . Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend. 5 Die Bestimmungen der Art. 136-139 und 141 sind i n das Bonner Grundgesetz übernommen, gelten also in der Bundesrepublik mit Verfassungskraft fort. 6 Das hier vorgesehene Reichsgesetz über Lehrerbüdung k a m nicht zustande. 7 Dazu Gesetz vom 28. A p r i l 1920 (RGBl. S. 851), geändert durch Gesetz vom 26. Februar 1927 (RGBl. I S. 67).
IV. Die Weimarer Reichsverfassung
131
Innerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb, auch i m Sinne des Abs. 1, nicht beeinträchtigt wird. Der Wille des Erziehungsberechtigten ist möglichst zu berücksichtigen. Das Nähere bestimmt die Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichsgesetzes 8 . Für den Zugang Minderbemittelter zu den mittleren und höheren Schulen sind durch Reich, Länder und Gemeinden öffentliche Mittel bereitzustellen, insbesondere Erziehungsbeihilfen für die Eltern von Kindern, die zur Ausbildung auf mittleren und höheren Schulen für geeignet erachtet werden, bis zur Beendigung der Ausbildung. Art. 147. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Privatschulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie i n der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist 9 . Private Volksschulen sind nur zuzulassen, wenn für eine Minderheit von Erziehungsberechtigten, deren Wille nach A r t i k e l 146 Abs. 2 zu berücksichtigen ist, eine öffentliche Volksschule ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung i n der Gemeinde nicht besteht oder die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt. Private Vorschulen sind aufzuheben. Für private Schulen, die nicht als Ersatz für öffentliche Schulen dienen, verbleibt es bei dem geltenden Recht. Art. 148. I n allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung, persönliche und berufliche Tüchtigkeit i m Geiste des deutschen Volkstums und der Völkerversöhnung zu erstreben. Beim Unterricht i n öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden. Staatsbürgerkunde und Arbeitssunterricht sind Lehrfächer der Schulen. Jeder Schüler erhält bei Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der Verfassung. Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden. Art. 149. Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird i m Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht w i r d i n Überein-
8
Auch dieses Reichsgesetz k a m nicht zustande, dazu unten Nr. 149 ff. Dazu Vereinbarung der Unterrichtsverwaltungen der Länder über die Durchführung des Art. 147 Abs. 1 WRV vom 21. Januar 1928/6. August 1930 (Preuß. Min. Bl. 1928, S. 531; 1930, S. 500). 9
9*
132
4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
Stimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaften unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt. Die Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher Verrichtungen bleibt der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfachern und an kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat. Die theologischen Fakultäten an den Hochschulen bleiben erhalten. Übergangs- und
Schlußbestimmungen
Art. 173. Bis zum Erlaß eines Reichsgesetzes gemäß A r t i k e l 138 bleiben die bisherigen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen 10 . Art. 174. Bis zum Erlaß des i n A r t i k e l 146 Abs. 2 vorgesehenen Reichsgesetzes bleibt es bei der bestehenden Rechtslage. Das Gesetz hat Gebiete des Reichs, i n denen eine nach Bekenntnissen nicht getrennte Schule gesetzlich besteht, besonders zu berücksichtigen 1 1 . Art. 177. Wo in den bestehenden Gesetzen die Eidesleistung unter Benutzung einer religiösen Eidesform vorgesehen ist, kann die Eidesleistung rechtswirksam auch in der Weise erfolgen, daß der Schwörende unter Weglassung der religiösen Eidesform erklärt: „ich schwöre". I m übrigen bleibt der in den Gesetzen vorgesehene Inhalt des Eides unberührt.
V. Kirchliche Stellungnahmen zur Reichsverfassung Der Verfassungskompromiß der Weimarer Reichsverfassung trug den Aufgaben und Anliegen der Kirchen in weitem Umfang Rechnung. Wichtige Konfliktfelder — insbesondere die weitere Entwicklung des Schulwesens und die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen — waren der künftigen Reichsgesetzgebung überantwortet. Dieser Vorbehalt einer reichsgesetzlichen Regelung wirkte als Bestandsgarantie bis zum Zeitpunkt einer Neuordnung, zu der es in beiden Fällen während der gesamten Weimarer Zeit nicht kam 1. Gleichwohl machte die Fuldaer Bischofskonferenz schon gegen den Wortlaut der Verfassung selbst erhebliche Vorbehalte geltend. Zwar verkannten die katholischen Bischöfe in ihrer Eingabe vom 24. August 1919 (Nr. 98) nicht, daß das Ergebnis der Verfassungsberatungen die Position der Kirchen beträchtlich gestärkt hatte. Dennoch verwahrten sie sich in aller Form gegen alle einseitigen staatlichen Eingriffe in die Rechte der Kirche, wie der Codex Juris Canonici von 1917 2 sie ausdrücklich definiert hatte. 10 Ein solches Reichsgesetz ist nicht ergangen; Art. 173 wirkte sich deshalb als status-quo-Garantie aus. 11 Da das Reichsschulgesetz nicht zustande kam (unten Nr. 149 ff.), wirkte sich Art. 174 als Status-quo-Garantie aus. 1 2
Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 890ff., 946f.; unten Nr. 150ff. Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 203 f.
V. Kirchliche Stellungnahmen zur Reichsverfassung
133
Vergleichbare Proteste aus der evangelischen Kirche blieben aus. Zwar bestanden im Protestantismus verbreitete Vorbehalte gegen die durch die Weimarer Reichsverfassung eingeführte demokratische Staatsform 3. Doch brachte das Weimarer Staatskirchenrecht für die evangelischen Landeskirchen einen Zuwachs an Selbständigkeit, wie Teile des Protestantismus ihn schon seit langem gefordert hatten 4. Die Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses 5 vom 31. Januar 1920 beschränkte sich auf den Appell an die evangelischen Landeskirchen, von der ihnen zugesicherten Selbständigkeit selbstbewußten Gebrauch zu machen und jede staatliche Einmischung in die kirchliche Verfassungsgebung zurückzuweisen (Nr. 99).
N r . 98. Eingabe der F u l d a e r Bischofskonferenz a n die Reichsregierung vom 24. August 1919 (Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Mainz, 1919, S. 45f.) Hohe Reichsregierung! Die ergebenst unterzeichneten Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands halten sich i m Gewissen verpflichtet, zur Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August d. J. mit folgender Erklärung Stellung zu nehmen. Die katholische Kirche ist eine Institution, die durch Jesus Christus auf göttlicher Einsetzung beruht und deren Rechten, wie solche ihr von ihrem göttlichen Stifter verliehen sind und aus ihrer göttlichen Stiftung sich ergeben, keine weltliche Gesetzgebung Grenzen und Schranken zu setzen befugt ist. Wir erkennen gerne an, daß die neue Reichsverfassung auf einzelnen Gebieten für das Wirken der katholischen Kirche zum Wohle unseres hartgeprüften Volkes größere Freiheit mit sich bringt. Anderseits finden sich jedoch zu unserem schmerzlichen Bedauern auch solche Bestimmungen, die einen Eingriff in die unveräußerlichen Rechte der Kirche bedeuten. Zu solchen Bestimmungen gehören: Art. 10, Nr. 1, wo das Reich sich dem Wortlaute nach die Befugnis beimißt, i m Wege der Gesetzgebung Grundsätze aufzustellen für die Rechte und Pflichten der Kirche; Art. 137, wo mit dem Satz: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden 3 Vgl. K.-W. Dahm, Pfarrer und Politik. Soziale Position und politische Mentalität des deutschen evangelischen Pfarrerstandes zwischen 1918 und 1933 (1965); H. Christ , Der politische Protestantismus in der Weimarer Republik. Eine Studie über die politische Meinungsbildung durch die evangelischen Kirchen i m Spiegel der Literatur und Presse (Diss. phil. Bonn 1967); Th. Strohm, Theologie i m Schatten politischer Romantik. Eine wissenschaftssoziologische Anfrage an die Theologie Friedrich Gogartens (1970); K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I (1977), S. 26ff., 124ff.; J. R. C. Wright, „Über den Parteien". Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918-1933 (1977); K. Nowak , Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932 (1981). 4 Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 221 f. 5 Unten Nr. 267 ff.
134
4. Kap.: Die Neuordnung des deutschen Staatskirchenrechts
Gesetzes," dem Staate das Recht zugesprochen wird, eventuell mit einem für alle geltenden Gesetze in die Angelegenheiten der Kirchen und sei es die innersten und wesentlichsten einzugreifen; Art. 138, wo einseitig das Reich ohne M i t w i r k u n g der Kirche für zuständig erklärt wird, bei etwaiger Ablösung der auf Gesetz, Vertrag und besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirche die maßgebenden Grundsätze aufzustellen. Art. 143-149, die über Unterricht und Erziehung der Jugend verschiedene Bestimmungen enthalten, die einerseits nicht mit den Rechten der Kirche (vgl. die einschlägigen Canones des Codex Juris Canonici) 6 und der Erziehungsberechtigten, besonders der Eltern vereinbar sind und die andererseits dem Staate viel zu weit gehende Befugnisse zusprechen, u. a. sogar ohne Einschränkung ein Aufsichtsrecht über den kirchlichen Religionsunterricht in der Schule, nicht nur über dessen äußere Einordnung in den Schul- und Lehrplan. Gegen diese und alle den Rechten der Kirche abträglichen Bestimmungen der neuen Reichsverfassung legen wir kraft unseres Amtes feierliche Verwahrung ein. Dabei erkennen wir dankbar an, was von Mitgliedern der Nationalversammlung i n Verteidigung der kirchlichen Grundsätze zur Verbesserung und Ergänzung des ursprünglichen Entwurfes der Verfassung geschehen ist. Was den auf die Verfassung zu leistenden Eid angeht, so werden Katholiken durch ihn selbstverständlich zu nichts verpflichtet werden können, was einem göttlichen oder kirchlichen Gesetze und damit ihrem Gewissen widerstreitet. Das entspricht auch der Gewissensfreiheit, die i n Art. 135 allen Bewohnern des Deutschen Reiches feierlich gewährleistet ist. Von dem christlichen Grundsatz ausgehend, daß Staat und Kirche zwei verschiedene von Gott gewollte, jede auf ihrem Gebiete selbständige und darum gleichberechtigte Gewalten sind 7 , dürfen w i r der Überzeugung Ausdruck geben, daß sich hinsichtlich verschiedener A r t i k e l der neuen Verfassung des Deutschen Reiches, die wir beanstanden mußten, eine friedliche Verständigung zwischen den verantwortlichen leitenden Stellen i n Staat und Kirche ohne Schwierigkeit w i r d erzielen lassen.
N r . 99. K u n d g e b u n g des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, betreffend die T r e n n u n g v o n K i r c h e u n d S t a a t vom 31. Januar 1920 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 69, 1920, S. 222) Der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß empfiehlt den evangelischen Kirchen, bei Verhandlungen mit den Staaten über kirchliche Verfassungsfragen jedem Versuch des Staates, auf innerkirchliche Fragen Einfluß zu nehmen, unbeugsamen Widerstand entgegenzustellen. 6
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 203 f. Vgl. die Enzykliken Papst Leos XIII. über die christliche Staatsordnung und die christlichen Bürgerpflichten von 1895 und 1900 (ebenda Nr. 137 f.). 7
V. Kirchliche Stellungnahmen zur Reichsverfassung
135
Forderungen, die der Staat zu stellen geneigt sein könnte, gerechte Berücksichtigung der städtischen Bevölkerung bei Zusammensetzung der Synoden, Schutz der kirchlichen Minderheiten, Pflege des religiösen Lebens i n der Mannigfaltigkeit seiner Formen, entspringen aus dem Wesen der Volkskirche mit Notwendigkeit; auch der Anschein, als ob sie darin staatlichem Zwange folge, muß vermieden werden. Jede Vergewaltigung der in Gott gebundenen Gewissen durch Zwangsmittel lehnt die evangelische Kirche als Vertreterin der großen Güter der Reformation mit voller Entschiedenheit ab.
Fünftes Kapitel
Das Staatskirchenrecht der deutschen Länder I. Der Freistaat Preußen Die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten war an die Grundentscheidungen der Weimarer Reichsverfassung gebunden 1. Unbeschadet der Kulturhoheit der Länder waren die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Reichsverfassung auch für die Länder verpflichtend. Regelungen in den Verfassungen oder in der Gesetzgebung der Länder, die zur Weimarer Verfassung im Widerspruch standen, waren deshalb unwirksam 2. Insbesondere die preußische Regierung hatte unmittelbar nach der Novemberrevolution tief in die Autonomie der evangelischen Landeskirchen eingegriffen und weitgehende Rechte nicht nur der staatlichen Kirchenhoheit, sondern auch des staatlichen Kirchenregiments für sich in Anspruch genommen. Das Gesetz vom 20. März 1919 hatte die Rechte des landesherrlichen Kirchenregiments den drei Ministern in evangelicis zuerkannt 3. Die preußische Verfassung bestätigte die getroffene Regelung (Nr. 100). Diese war allerdings bis zu dem Zeitpunkt befristet, zu dem die Neuordnung der Kirchenverfassung die kirchenrechtlichen Befugnisse auf kirchliche Organe übertragen würde 4. Damit band der Staat den Eintritt der Rechtswirksamkeit der neuen Kirchenverfassungen an die staatsgesetzliche Bestätigung. Das war ein tiefer Eingriff in die von der Weimarer Verfassung ausdrücklich gewährleistete Verfassungsautonomie 5. Im übrigen beschränkten sich die staatskirchenrechtlichen preußischen Verfassung auf das Recht des Kirchenaustritts recht 6.
1 2 3 4 5 6
Bestimmungen der und das Patronats-
Oben Nr. 97. Dazu die Entscheidungen des Reichsgerichts: oben Nr. 69ff. Oben Nr. 22. Dazu unten Nr. 273 ff. Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 878ff. Ebenda S. 744ff.
I. Der Freistaat Preußen
137
N r . 100. Verfassung des Freistaats P r e u ß e n vom 30. November 1920 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1920, S. 543) — Auszug — Abschnitt IX. Die Religionsgesellschaften Art. 76. (1) Wer aus einer Religionsgemeinschaft öffentlichen Rechtes mit bürgerlicher Wirkung austreten will, hat den Austritt bei Gericht zu erklären oder als Einzelerklärung in öffentlich beglaubigter Form einzureichen. Die Steuerpflicht des Ausgetretenen erlischt frühestens mit Ende des Steuerjahrs, i n dem die Austrittserklärung abgegeben worden ist. (2) Das Nähere w i r d durch Gesetz bestimmt 7 . ... Abschnitt XI. Übergangs- und
Schlußbestimmungen
Art. 82. (1) Die Befugnisse, die nach den früheren Gesetzen, Verordnungen und Verträgen dem Könige zustanden, gehen auf das Staatsministerium über. (2) Die Rechte, die dem König als Träger des landesherrlichen Kirchenregiments zustanden, werden von drei durch das Staatsministerium zu bestimmenden Ministern evangelischen Glaubens ausgeübt, solange nicht die evangelischen Kirchen diese Rechte durch staatsgesetzlich bestätigte Kirchengesetze auf kirchliche Organe übertragen haben 8 . (3) Die sonstigen bisher vom Könige gegenüber den Religionsgesellschaften ausgeübten Rechte werden i m Sinne des A r t i k e l 137 der Reichsverfassung neu geregelt 9 . Art. 83. A u f Antrag eines Beteiligten ist ein bestehendes Patronat aufzuheben, sobald die vermögensrechtlichen Verpflichtungen abgelöst sind 1 0 . Das Gesetz regelt das Verfahren und stellt die Grundsätze für die Ablösung auf 1 1 .
7
Unten Nr. 110. Unten Nr. 278, Nr. 280. 9 Zu einer umfassenden Neuregelung der staatlichen Kirchenhoheit kam es nicht. 10 Demnach konnten „lastenfreie Patronate" sowohl auf Grund einer kirchlichen Initiative als auch auf Wunsch des Patrons aufgehoben werden. 11 Das Patronatsrecht war umfassend i n Teil I I Titel 11 A L R (Abschn. 8, §§ 568ff.) geregelt (Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 1; G. J. Ebers, Deutsches und preußisches Staatskirchenrecht, 1932, S. 141 ff.). Die Bestimmungen des A L R galten in Ermangelung einer umfassenden Neuregelung subsidiär fort. Zu dem i n Art. 83 der preußischen Verfassung genannten Gesetz kam es nicht. Umstritten war unter anderem, ob dié Grundsätze der Ablösung von Patronatspflichten durch Kirchengesetz oder durch Staatsgesetz aufzustellen seien. Siehe zusammenfassend: J. Hechel, Die Besetzung fiskalischer Patronatsstellen i n der Evangelischen Landeskirche und in den katholischen Diözesen Altpreußens (ZRG 46, 1926, Kan. Abt. 15, S. 200-325); A. Albrecht, Patronatswesen (HdbStKirchR II, 1975, S. 167-203). 8
138
5. Kap.: Das Staatskirchenrecht der deutschen Länder
II. Der Freistaat Bayern Nach dem Ende der Auseinandersetzungen um das Rätesystem 1 bildete sich in Bayern unter der Leitung des Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann 2 eine Regierung, die sich auf eine Koalition von Mehrheitssozialdemokraten, Bayerischer Volkspartei und Deutschdemokraten stützte. Diese Mehrheit trug auch die Bayerische Verfassung vom 14. August 1919, die das Vorläufige Staatsgrundgesetz vom 17. März 19193 ablöste (Nr. 101). Nachdrücklich schloß sich die bayerische Verfassung den staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung an. Genauere Regelungen enthielt sie insbesondere zur religiösen Kindererziehung und zur Religionsmündigkeit, zum Kirchenaustritt, zur Rechtsfähigkeit der Kirchen, zum kirchlichen Vermögensrecht sowie zum Begräbniswesen 4.
N r . 101. Verfassungsurkunde des Freistaats B a y e r n vom 14. August 1919 (Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt, 1919, S. 531) — Auszug — 4. Abschnitt.
Gewissensfreiheit,
Religionsgesellschaften,
Schule
Zu den Vorschriften der Verfassung des Deutschen Reiches i m Zweiten Hauptteile, Dritten Abschnitt, A r t i k e l n 135 bis 141 wird bestimmt: §17. I. Jedermann ist volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet. II. Die Entscheidung über die Zugehörigkeit der Kinder zu einer Religionsgesellschaft steht bis zu deren vollendetem sechzehnten Lebensjahre den Erziehungsberechtigten zu. Bis zu diesem Zeitpunkte können die Eltern die Zugehörigkeit ihrer Kinder zu einer Religionsgesellschaft auch durch Vertrag regeln. Ein solcher Vertrag bedarf der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung; er w i r d durch den Tod der Eltern nicht berührt. Ist ein K i n d mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten vor Vollendung des sechzehnten Lebensjahres durch einen Kultusakt einer Religionsgesellschaft endgültig in diese aufgenommen worden, so kann hieran durch die Erziehungsberechtigten nichts mehr geändert werden. Von diesem Alter an hat das K i n d selbst die Freiheit der Entschließung über sein Verbleiben in der Religionsgesellschaft. ΙΠ. Der Austritt aus einer Religionsgesellschaft kann mündlich oder schriftlich bei dem Standesbeamten des Wohnsitzes oder ständigen Aufenthaltortes erklärt werden. Die schriftliche Erklärung bedarf der Beglaubigung durch eine öffentliche Behörde. Abs. I I findet entsprechende Anwendung. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Austrittserklärung sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen 5 . 1 2 3 4 5
Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1014ff., 1113ff. Oben S. 49, Anm. 16. Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt, 1919, S. 109. Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 779ff. Bekanntmachung vom 16. Januar 1922 (unten Nr. 112).
I . Der Freistaat
en
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IV. Neue freiwillige Leistungen des Staates, der bürgerlichen Gemeinden und Gemeindeverbände an eine Religionsgesellschaft werden durch Zuschläge zu den Staatssteuern und Umlagen der Angehörigen dieser Religionsgesellschaft aufgebracht. §18. I. Die Vereinigung von Religionsgenossen zu gemeinsamer Hausandacht oder zu öffentlichen Kultushandlungen, zu Religionsgesellschaften, Religionsgemeinden oder geistlichen Gesellschaften ist innerhalb der Schranken des Gesetzes freizugeben. II. Bestehende Religionsgesellschaften, Religionsgemeinden oder geistliche Gesellschaften, dann ihre Anstalten, Stiftungen oder sonstigen Einrichtungen bleiben rechtsfähig, soweit sie es bisher waren; neue können die Rechtsfähigkeit nach Maßgabe des geltenden Rechtes erwerben. Ihr Eigentum und ihre anderen Rechte sowie ihr Bekenntnisgepräge werden gewährleistet. III. Religionsgesellschaften, Religionsgemeinden und geistlichen Gesellschaften w i r d die selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten, den Religionsgesellschaften und Religionsgemeinden, welche die Rechtsstellung von Körperschaften des öffentlichen Rechtes besitzen, auch die Besteuerung ihrer Mitglieder auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten innerhalb der Schranken des Gesetzes gewährleistet. IV. Bis zur Ablösung der Staatsleistungen gemäß A r t i k e l 138 der Verfassung des Deutschen Reiches 6 bleiben die auf Gesetz, Vertrag oder besonderem Rechtstitel beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften aufrechterhalten. V. Bis zu dem gleichen Zeitpunkte dürfen Gebäude und Grundstücke des Staates, die derzeit zu irgendwelchen Kultuszwecken dienen, diesen gegen den Willen der Beteiligten nicht entzogen werden. §19. I. Errichtung und Unterhaltung von Begräbnisplätzen obliegen den bürgerlichen Gemeinden. Das Gleiche gilt für Errichtung und Unterhaltung von Bestattungsanstalten. II. Die bürgerlichen Gemeinden sind zur Errichtung von Begräbnisplätzen und Bestattungsanstalten nur soweit verpflichtet, als die vorhandenen Begräbnisplätze und Bestattungsanstalten nicht ausreichen. I m übrigen bestimmen sich Errichtung und Unterhaltung nach dem öffentlichen Bedürfnis. III. I n Friedhöfen, die nur für einzelne Religionsgesellschaften bestimmt sind, ist mangels eines gemeinschaftlichen Begräbnisplatzes die Beisetzung Andersgläubiger unter den für sie üblichen Formen und ohne räumliche Absonderung, erforderlichenfalls nach Anordnung der zuständigen Behörde zu gestatten. IV. I m übrigen bemißt sich der Simultangebrauch der Kirchen und Friedhöfe nach bisherigem Rechte, soweit nicht Abänderungen durch Gesetz getroffen werden. Zu den Vorschriften der Verfassung des Deutschen Reiches i m Zweiten Hauptteile, Vierten Abschnitt, A r t i k e l n 142 bis 149 w i r d bestimmt:
Oben Nr. 97.
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5. Kap.: Das Staatskirchenrecht der deutschen Länder
§ 20. Die Freiheit der Kunst, der Wissenschaft und ihrer Lehre w i r d gewährleistet und kann nur durch Gesetz und nur zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Gesundheit oder Sittlichkeit beschränkt werden. §21. I. Die Regelung und Förderung des öffentlichen Erziehungs-, Unterrichtsund Bildungswesens sowie die Genehmigung und Beaufsichtigung der privaten Unterrichts- und Erziehungsanstalten sind Angelegenheiten des Staates. Die öffentlichen Volksschulen sind grundsätzlich Staatsanstalten. II. Die Erziehungsberechtigten und die Personen, denen Schulpflichtige durch besonderen Auftrag anvertraut sind, sind verpflichtet, diese während der Dauer der gesetzlichen Schulpflicht zum Schulbesuche anzuhalten.
I I I . Der freie Volksstaat Württemberg In Württemberg bildete sich unmittelbar nach der Novemberrevolution eine Koalition aus Mehrheitssozialdemokraten und bürgerlichen Parteien; an ihr war zu Beginn auch noch die USPD beteiligt. Das Kabinett stand seit dem 9. November 1918 unter der Leitung des Mehrheitssozialdemokraten Wilhelm Bios 1. Schon am 26. April 1919 verabschiedete die Landesversammlung den Text der neuen Verfassung 2. Nachdem die Weimarer Reichsverfassung in Kraft getreten war, bedurfte das württembergische Verfassungswerk in einer Reihe von Bestimmungen der Revision. Die endgültige Landesverfassung trat am 25. September 1919 in Kraft (Nr. 102)3. Hinsichtlich der Kirchen beschränkte sie sich auf Bestimmungen zum kirchlichen Vermögensrecht und zum Patronatswesen. Eine ins einzelne gehende Regelung fanden die kirchlichen Verhältnisse durch das Gesetz über die Kirchen vom 3. März 1925. Dessen Hauptinhalt bildeten die Bestimmungen über die Kirchensteuern und die kirchliche Vermögensverwaltung 4.
N r . 102. Verfassung W ü r t t e m b e r g s vom 25. September 1919 (Regierungsblatt für Württemberg, 1919, S. 281 ff.) — Auszug — IX. Schluß- und
Übergangsbestimmungen
§ 63. (1) Als Abfindung ihrer Vermögensansprüche an den Staat erhalten die evangelische und die katholische Kirche eine unveränderliche Geldrente. Die 1 Wilhelm Bios (1849-1927), nach dem Studium der Philologie seit 1872 Redakteur an sozialdemokratischen Zeitungen in Braunschweig, Leipzig, Mainz, Hamburg, Berlin; 1877-78, 1881-87, 1900-07 und 1912-18 MdR (SPD); vom 9. November 1918 bis zum 23. Juni 1920 württ. Regierungschef (1919-20 Staats- und Ministerpräsident). 2 Regierungsblatt für Württemberg, 1919, S. 85. 3 Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 789f. 4 Deshalb w i r d das Gesetz über die Kirchen i m Rahmen des 7. Kapitels dokumentiert: unten Nr. 137.
IV. Die demokratische Republik Baden
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Renten sind unter Berücksichtigung der Mitgliederzahl beider Kirchen nach ihren bestehenden Bedürfnissen zu bemessen. Streitigkeiten über die festgesetzten Renten entscheidet der Verwaltungsgerichtshof. (2) Die Gebäude und Grundstücke des Staates, die derzeit kirchlichen Zwecken dienen, werden in das Eigentum der Kirchen übertragen. (3) Ein Gesetz regelt das Nähere. Bis zu dessen Inkrafttreten werden die Bedürfnisse beider Kirchen nach den bisher geltenden Bestimmungen aus der Staatskasse bestritten. (4) Diese Bestimmungen gelten vorbehältlich anderweitiger gesetzlicher Regelung durch das Reich. § 64. Angestellte der Religionsgesellschaften werden in Erfüllung ihrer Berufspflichten geschützt. § 65. Die Patronatrechte des Staates und staatlicher Anstalten sind aufgehoben; die übrigen Patronatrechte werden von den Kirchen geregelt 5 .
IV. Die demokratische Republik Baden Die Regierung aus Sozialdemokraten, Zentrum und Liberalen, die sich unter der Leitung des Mehrheitssozialdemokraten Anton Geiß 1 unmittelbar nach der Novemberrevolution in Baden gebildet hatte, leitete ohne Verzug die verfassungsrechtliche Neuordnung ein 2. Nach den Wahlen vom 5. Januar 1919, die den Parteien der Weimarer Koalition eine sichere Mehrheit brachten, kam die neue Verfassung unter dem 21. März 1919 zustande. Baden war das einzige deutsche Land, in dem die Verfassung einer Volksabstimmung unterworfen wurde. Nach der plebiszitären Billigung trat sie am 23. April 1919 in Kraft (Nr. 103). Obwohl vor dem 14. August 1919 verkündet, entsprach die badische Verfassung den Grundsätzen des Weimarer Verfassungswerks so genau, daß sie auch nach dessen Inkrafttreten unverändert bleiben konnte. So enthielt sie staatskirchenrechtliche Bestimmungen, die — wie auch diejenigen der Weimarer Reichsverfassung — auf den Grundsätzen der Religionsfreiheit, der kirchlichen Eigenständigkeit und der Stellung der Kirchen als 5 Während damit die Staatspatronate mit sofortiger Wirkung aufgehoben waren, bestanden für die evangelische Kirche nach dem Pfarrbesetzungsgesetz vom 24. Juni 1920, § 8 (Amtsblatt des württ. Ev. Konsistoriums und des Synodus, 1920, S. 209) die persönlichen Patronate noch für die Lebenszeit der Patrone fort, die dieses Recht bereits i m Jahr 1918 innehatten. Die Zahl der evangelischen Patrone betrug i m Jahr 1930 noch 51. M i t dem Tod des letzten württembergischen Patrons Wilhelm Karl Frh. von Gültlingen und Schleppegrell (1899-1983), der das Patronat über die Gemeinde Altensteig-Berneck innehatte, ist das Patronatsrecht in Württemberg i m Jahr 1983 erloschen (siehe Südwest-Presse. Schwäbisches Tageblatt, 38. Jg. Nr. 219 vom 22. September 1983, S. 9). 1 Anton Geiß (1858-1944), Schreiner, dann Gastwirt in Mannheim; seit 1895 Mdbad.II.Kammer (SPD); Vors. der sozialdemokratischen Landesorganisation in Baden; vom 10. November 1918 bis zum 14. August 1920 bad. Ministerpräsident (1919-20 auch Staatspräsident). 2 Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1044; Bd. VI, S. 795ff.
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5. Kap.: Das Staatskirchenrecht der deutschen Länder
Körperschaften des öffentlichen Rechts aufbauten. Den Grundsatz der Staatsschule verknüpfte sie mit der Garantie des Religionsunterrichts, der weiterhin unter der Leitung der Religionsgemeinschaften zu stehen hatte.
N r . 103. Badische Verfassung vom 21. März 1919 (Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1919, S. 279) — Auszug — §18. Jeder Landeseinwohner genießt der ungestörten Gewissensfreiheit und in Ansehung der A r t seiner Gottesverehrung des gleichen Schutzes. Niemand, insbesondere auch kein Beamter oder Angehöriger der bewaffneten Macht, darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen oder an der Erfüllung seiner religiösen Pflichten gehindert werden. Alle staatlich anerkannten kirchlichen und religiösen Gemeinschaften sind rechtlich gleichgestellt. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und haben das Recht der Selbstbesteuerung nach den Landesgesetzen. Sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten frei und selbständig i m Rahmen der allgemeinen Staatsgesetze. Insbesondere werden die Kirchenämter durch die Kirchen selbst verliehen. Die ehemals landesherrlichen Patronate sind aufgehoben, ebenso die standes- und grundherrlichen Patronate, soweit diese nicht nachweislich Privatpatronate sind. Kirchliche und religiöse Gemeinschaften, die nach ihrer Verfassung und der Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten und deren Ziele den Staatsgesetzen und der Sittlichkeit nicht zuwider sind, müssen durch das Staatsministerium als Körperschaften des öffentlichen Rechts i m Sinne des vorigen Absatzes anerkannt werden. Das Kirchengut und die Güter und Einkünfte der kirchlichen Stiftungen, Unterrichts- und Wohltätigkeitsanstalten dürfen ihren Zwecken und ihren bisherigen Verfügungsberechtigten nicht entzogen werden. § 19. Die Schule untersteht den Gesetzen und der Aufsicht des Staates. Die Leitung des Religionsunterrichts ist Sache der kirchlichen und religiösen Gemeinschaften. Die Erteilung desselben richtet sich nach den Bestimmungen des Schulgesetzes. Kein Lehrer darf wider seine erklärte religiöse Überzeugung zur Erteilung des Religionsunterrichts oder zur Vornahme kirchlicher Verrichtungen, kein Schüler gegen die religiöse Überzeugung der Erziehungsberechtigten zum Besuch des Religionsunterrichts oder zur Teilnahme an kirchlichen Handlungen gezwungen werden. Niemand darf wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, deren Ziele den Staatsgesetzen und der Sittlichkeit nicht zuwider sind, von dem A m t eines Lehrers oder einer Lehrerin ausgeschlossen werden. Zum Besuch der öffentlichen Volksschule sind alle Kinder verpflichtet, soweit sie nicht eine höhere öffentliche Bildungsanstalt oder eine die Lehrziele solcher
. Der
staat
een
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Anstalten verfolgende nichtstaatliche Lehranstalt besuchen, oder wegen geistiger oder körperlicher Leiden oder wegen sittlicher Verfehlungen vom Schulbesuch auszuschließen sind. Neue nichtstaatliche Lehranstalten für Volksschulunterricht werden nicht mehr zugelassen. Soweit der Besuch von nichtstaatlichen Lehranstalten durch die Vorschrift des vorigen Absatzes nicht ausgeschlossen ist, können physische und juristische Personen solche Anstalten mit Genehmigung des Staatsministeriums errichten. Die Genehmigung darf nicht versagt werden, wenn die gesetzlich hierfür allgemein aufgestellten Bedingungen erfüllt sind. Der Unterricht in der Volks- und Fortbildungsschule ist unentgeltlich; für minderbemittelte Schüler hat die Gemeinde die erforderlichen Lernmittel zu beschaffen. Bei den öffentlichen höheren Lehranstalten, einschließlich der Hochschulen und der Fachschulen, ist der Unterricht für diejenigen unentgeltlich, die tüchtig und bedürftig sind.
V. Der Volksstaat Hessen In Hessen stützte sich die Regierung Ulrich 1 seit dem November 1918 auf eine Koalition aus Mehrheitssozialdemokratie, Zentrum und Linksliberalen. Die Wahlen vom 20. Januar 1919 bestätigten diese Koalition. Die Arbeiten an der neuen Landesverfassung kamen erst kurz vor dem Ende des Jahres 1919 zum Abschluß 2. Die hessische Verfassung vom 12. Dezember 1919 (Nr. 104) setzte die Weimarer Reichsverfassung voraus und verzichtete darauf, deren staatskirchenrechtliche Bestimmungen zu wiederholen. Deshalb beschränkte sie sich auf einen knappen Abschnitt zum Patronatswesen.
N r . 104. Hessische Verfassung vom 12. Dezember 1919 (Hessisches Regierungsblatt, 1919, S. 439) — Auszug — VIII. Abschnitt.
Von den Patronaten
Art. 63. Die ehemals landesherrlichen, die standesherrlichen und grundherrlichen Patronate sind, soweit sie nicht nachweislich Privatpatronate sind, aufgehoben. Die Aufhebung oder Ablösung der Privatpatronate erfolgt durch besonderes Gesetz bis spätestens 31. Dezember 19243.
1
Oben S. 5, Anm. 11. Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1048ff.; Bd. VI, S. 798ff. 3 Sie erfolgte durch Art. 3 des Gesetzes, die Aufhebung der Standesrechte betreffend, vom 22. Juni 1923 (Hess. Reg.Blatt 23/1923, S. 28). 2
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5. Kap.: Das Staatskirchenrecht der deutschen Länder
Präsentationen auf Schulstellen finden auch bei Privatpatronaten nicht mehr statt; die Leistungen des seitherigen Präsentationsberechtigten übernimmt bei dessen Weigerung bis zu anderweitiger Regelung der Staat.
VI. Der Freistaat Sachsen In Dresden regierte seit den Volkskammerwahlen vom 2. Februar 1919 ein rein mehrheitssozialistisches Kabinett, das unter der Leitung des Ministerpräsidenten Georg Gradnauer stand 1. Nach einer provisorischen Regelung der Verfassungsverhältnisse durch das vorläufige Staatsgrundgesetz vom 28. Februar 19192 erweiterte das Kabinett sich im Oktober 1919 um zwei deutschdemokratische Mitglieder, unter ihnen der den Mehrheitssozialisten Buck 3 in seinem bisherigen Amt ablösende 4 Kultusminister Seyfert . Am 4. Mai 1920 übernahm Buck die Leitung des Kabinetts an Gradnauers Stelle; die mehrheitssozialistisch-deutschdemokratische Koalition blieb zunächst erhalten. Unter ihr wurden die sächsischen Staatsverhältnisse durch die Verfassung vom 4. November 1920 geregelt (Nr. 105). Hinsichtlich der Rechtsstellung der Kirchen beschränkte diese sich auf Bestimmungen über die staatliche Kirchenaufsicht und über den Körperschaftsstatus der Religionsgesellschaften. Schon am 9. Dezember 1921 aber kam es zu einer umstürzenden Veränderung der Kabinettsstruktur. Die beiden Deutschdemokraten schieden aus der Regierung aus. Dafür traten drei Vertreter der USPD, unter ihnen neben dem Innenminister Lipinski 5 der Kultusminister Fleißner 6, in das nunmehr rein sozialistische und bald einen radikalen Kurs steuernde Kabinett ein 7. N r . 105. Verfassung des Freistaats Sachsen vom 1. November 1920 (Sächsisches Gesetzblatt, 1920, S. 445) — Auszug — VI. Schluß- und
Übergangsbestimmungen
Art. 50. Die Regierung übt die staatliche Aufsicht über die Religionsgesellschaften nach den Landesgesetzen aus. Die Rechte öffentlicher Körperschaften werden den Religionsgesellschaften vom Gesamtministerium verliehen. 1
Oben S. 77, Anm. 3. Sächs. GBl. 1919, S. 37. 3 Oben S. 5, Anm. 9. 4 Richard Seyfert (1862-1940), Dr. phil., sächs. Pädagoge; seit 1908 Seminardirektor i n Zschopau; 1906-18 und 1920-29 MdsächsLT; 1919-20 MdWeimNatVers. (DDP); 4. Oktober 1919-13. Dezember 1920 sächs. Kultusminister; dann Ministerialreferent für das Lehrerbüdungswesen Sachsens; seit 1923 Professor und Direktor des Pädagogischen Instituts an der Technischen Hochschule Dresden. 5 Richard Lipinski: oben S. 5, Anm. 9. 6 Hermann Fleißner (1865-1939), gelernter Tischler; M.d. SPD; seit 1906 Redakteur an der Dresdner Völkszeitung; 1909-20 MdsächsLT; 1920-33 MdR (zunächst USPD, seit 1922 wieder SPD); November 1918-Januar 1919 sächs. Volksbeauftragter; 13. Dezember 1920-4. Januar 1924 Minister für Volksbildung. 7 Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1032ff.; Bd. VI, S. 803ff. 2
VII. Der Freistaat Thüringen
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V I I . Der Freistaat Thüringen Das Ende der dynastischen Verhältnisse im November 1918 ermöglichte im thüringischen Raum die Vereinigung der zersplitterten Kleinstaaten zu einem Mittelstaat. Der Vereinigungsvertrag vom 4. Januar 19201 und das ihm folgende 2 Reichsgesetz vom 30. April 1920 vollzogen die Vereinigung der Länder SachsenWeimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Reuß (ältere und jüngere Linie), SachsenAltenburg, Sachsen-Gotha (ohne den sich an Bayern anschließenden Landesteil Coburg), Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen. Dieser staatliche Zusammenschluß öffnete auch den Weg für die Vereinigung der bisher getrennten evangelischen Landeskirchen Thüringens 3. Die politische Verantwortung für den neu gebildeten Staat lag seit November 1920 in der Hand eines von der USPD tolerierten Minderheitskabinetts, zu dem sich unter der Leitung des Ministerpräsidenten Arnold Paulsen (DDP) 4 Mehrheitssozialdemokraten und Deutschdemokraten zusammengefunden hatten. Am 11. März 1921 gelang die Verabschiedung der an die Stelle der vorläufigen Verfassung vom 12. Mai 19205 tretenden endgültigen Landesverfassung 6. Zur Rechtsstellung der Kirchen sagte die Verfassung nichts. Erst die Bekanntmachung vom 27. Dezember 1921 (Nr. 106) klärte den Übergang der staatlichen Kirchenaufsichtsrechte auf die Organe des Freistaats Thüringen 7. Das Ressort „Volksbildungdas auch die Zuständigkeit für das Kirchenwesen umfaßte, lag in den Anfangsjahren des neuen Landes zunächst in der Hand des Ministerpräsidenten Paulsen, dann aber nach dem Übergang der Regierungsmacht an das von Mehrheits- und unabhängigen Sozialisten gebildete Linkskabinett Frölich 8 in der Hand des Mehrheitssozialisten Frh. v. Brandenstein 9.
1 Text: E. Rosenthal, Die Entwicklung des Verfassungsrechts i n den thüringischen Staaten seit November 1918 (JböR 9, 1920, S. 239 f.). 2 Text: RGBl. 1920, S. 841. 3 Unten Nr. 291. 4 Arnold Paulsen (1864-1942), Jurist; 1895 Vortr. Rat i m sachs.-weim. Finanzministerium; 1899 Geh. Leg.Rat und Stellv. Bevollmächtigter der thür. Staaten zum Bundesrat; 1908 sachs.-weim. Außen- und Innenminister (Geh. Staatsrat); 1912-18 Gesandter und Bevollmächtigter der thür. Staaten zum Bundesrat; 1919-20 sachs.weim. Ministerpräsident; 1920-21 thür. Ministerpräsident sowie Kultus- und Justizminister; 1927-29 thür. Wirtschaftsminister; Mai-Oktober 1929 erneut Ministerpräsident (DDP). 5 Thür. GS., 1920, S. 67. 6 Thür. GS., 1921, S. 57. 7 Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1055ff.; Bd. VI, S. 812ff. 8 August Frölich (1877-1966), Eisendreher; führend i m freigewerkschaftlichen Metallarbeiterverband; seit 1900 M.d. SPD; 1918/19 M.d. A.u.S.-Rats in Altenburg (Thür.); 1918-20 Stadtrat i n Sachsen-Altenburg; seit 1920 MdthürLT; November 1920-0ktober 1921 Stellv. Ministerpräsident; Oktober 1921-April 1924 Ministerpräsident (Oktober-November 1923 an der Spitze einer Koalition von SPD und USPD); 1924-33 MdR. 9 Karl Frh. v. Brandenstein (1875-1946), Mehrheitssozialist; Staatsminister in Reuß j. L., dann von November 1918 bis November 1920 i n den zum „Volksstaat Reuß" vereinigten reußischen Staaten; thüringischer Minister (Justiz und Volksbildung) von November 1920 bis November 1922.
10 Huber
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5. Kap.: Das Staatskirchenrecht der deutschen Länder
N r . 106. B e k a n n t m a c h u n g w e g e n Ü b e r n a h m e der die Religionsgesellschaften betreffenden Staatsverwaltungsgeschäfte vom 27. Dezember 1921 (Thüringische Gesetz-Sammlung, 1921, S. 345) M i t dem 1. Januar 1922 werden die auf die Religionsgesellschaften bezüglichen Staatsverwaltungsgeschäfte der Gebietsregierungen durch das Thüringische Ministerium für Volksbildung übernommen. Die Übernahme erstreckt sich insbesondere auf die Ordnung des Rechtsverhältnisses der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften zum Staat und die Ausübung der herkömmlichen unter dem Namen „Kirchenhoheit" zusammengefaßten staatlichen Hoheitsrechte gegenüber allen Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften sowie die Gewährung der Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft an solche Religions- oder Weltanschauungsgesellschaften, die sie bisher nicht besaßen. Von der Übernahme soll ausgeschlossen sein: die M i t w i r k u n g am Kirchenregiment der ehemaligen evangelischen Landeskirchen in Weimar, Meiningen, Altenburg und Sondershausen 10 . Weiter bezieht sich die Übernahme nicht auf die Vermögensauseinandersetzung zwischen Staat und Religionsgesellschaften und zwischen bürgerlichen Gemeinden und Kirchgemeinden 1 1 . Die Bearbeitung ersterer ist in erster Linie dem Thüringischen Finanzministerium, die Bearbeitung letzterer dem Thüringischen Ministerium des Innern vorbehalten. Die Vermögensauseinandersetzung zwischen Schule und Kirche w i r d vom Zeitpunkt der Übernahme der Schulverwaltung in den einzelnen Gebieten vom Thüringischen Ministerium für Volksbildung bearbeitet.
V I I I . Der Freistaat Oldenburg Wie in den größeren Mittelstaaten, so bewegten sich auch in den kleineren deutschen Staaten die staatskirchenrechtlichen Grundentscheidungen innerhalb des durch die Weimarer Reichsverfassung gesetzten Rahmens. Teils verzichteten die Länderverfassungen deshalb vollständig auf Aussagen zum Verhältnis von Staat und Kirche 1; teils wiederholten sie die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung bis in den Wortlaut hinein 2; teils benutzten sie eigene Formulierungen 3. Eine 10 11
Dazu unten Nr. 291. Dazu unten Nr. 301 f.
1 So die Verfassung für Anhalt vom 18. Juli 1919 (GS für Anhalt 1919, S. 79); die Verfassung für Lippe vom 21. Dezember 1920 (Lipp. GS 1920, S. 341); die Verfassung für Schaumburg-Lippe vom 24. Februar 1922 (Schaumburg-Lipp. Landes Verordnungen, 1922, S. 27). 2 So die Verfassung des Freistaates Mecklenburg-Schwerin vom 17. Mai 1920 (Reg.Bl. für Mecklenburg-Schwerin, 1920, S. 653). 3 So das Landesgrundgesetz von Mecklenburg-Strelitz vom 29. Januar 1919 (Amtl. Anzeiger für Mecklenburg-Strelitz, 1919, S. 147); demgegenüber beschränk-
147
VIII. Der Freistaat Oldenburg
besonders ausführliche eigene Gestaltung fanden die staatskirchenrechtlichen Grundaussagen in der oldenburgischen Verfassung, die der Landtag noch vor der Vollendung der Weimarer Reichsverfassung in der Amtszeit des von Zentrum, Deutschdemokraten und Mehrheitssozialisten getragenen Kabinetts Tantzen 4 am 17. Juni 1919 verabschiedete (Nr. 107) 5. Im oldenburgischen Staatskirchenrecht kam vor allem der starke Anteil des Zentrums an der parlamentarischen und der Regierungsmacht, daneben allerdings auch der Einfluß der Deutschdemokraten zum Ausdruck.
N r . 107. Verfassung f ü r den F r e i s t a a t O l d e n b u r g vom 17. Juni 1919 (Gesetzblatt für den Freistaat Oldenburg, Landesteil Oldenburg, 1919, S. 391) — Auszug — Zweiter Von den Grundrechten
Abschnitt
und anderen Grundlagen
des Staatslebens
§15. Alle Landeseinwohner haben volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und sind innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung nicht behindert, ihre Religion und deren Gebräuche i m Hause und öffentlich zu üben. Die Wahl des Glaubensbekenntnisses ist nach Vollendung des vierzehnten Lebensjahres der eigenen freien Überzeugung eines jeden überlassen. Über die religiöse Erziehung der Kinder haben lediglich diejenigen zu bestimmen, denen nach bürgerlichen Gesetzen die Erziehungsrechte zustehen. §16. Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden. Sonntage und staatlich anerkannte Feiertage werden nach gesetzlicher Bestimmung vor Störungen geschützt. §17. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, unbeschadet der Rechte des Staates. §18. Die einzelnen Religionsgesellschaften können sich mit anderen zu größeren Gemeinschaften vereinigen. Ihr Verkehr mit ihren Oberen darf vom Staate nicht beschränkt werden. §19. Die Kirchen und einzelnen Kirchengemeinden, die Religionsgesellschaften, die Anstalten der Liebestätigkeit und die milden Stiftungen werden i m Besitz ihres Vermögens geschützt. Die dem Gottesdienste gewidmeten Gebäude und die Begräbnisstätten dürfen vom Staat und von den politischen Gemeinden nicht mit Steuern belegt werden. te die Neufassung des Landesgrundgesetzes vom 24. Mai 1923 die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen auf Aussagen zum Körperschaftsstatus, zum Kirchenaustritt und zum Friedhofswesen (Amtl. Anzeiger, 1923, S. 363). 4 Theodor Tantzen: oben S. 101, Anm. 2. 5 Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1053; Bd. VI, S. 829ff.; siehe auch oben S. 101. 10*
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5. Kap.: Das Staatskirchenrecht der deutschen Länder
§20. Jede Religionsgesellschaft bestimmt selbständig, welche Abgaben und sonstigen Leistungen von ihren Mitgliedern aufzubringen sind. Wer drei Monate vor dem Schlüsse des Rechnungsjahres seinen Austritt aus einer Religionsgesellschaft angemeldet hat, kann vom Beginn des nächsten Rechnungsjahres an nicht mehr zu Beiträgen herangezogen werden. § 21. Den Religionsgesellschaften stehen die Rechte einer öffentlichen Körperschaft zu, soweit sie solche bisher besessen haben. Für diese Religionsgesellschaften gilt folgendes: 1. Abgaben und Leistungen werden mit Hilfe des Staates eingezogen, wenn dieser die Grundsätze genehmigt hat, nach denen sie aufgebracht und verteilt werden sollen. 2. Die Seelsorge an staatlichen Anstalten bleibt bestehen; es ist jedoch jeder Zwang dabei zu vermeiden. § 22. Das Unterrichts- und Erziehungswesen unterliegt der Gesetzgebung und Aufsicht des Staates. §23. Das Unterrichts- und Erziehungswesen ist so zu regeln, daß die Jugend eine allgemein-menschliche, bürgerliche und religiös-sittliche Bildung erhält, doch können Kinder nicht gegen den Willen der Eltern zur Teilnahme am Religionsunterricht angehalten werden. Die Einteilung der Volksschulen i n evangelische und katholische bleibt bestehen, jedoch können auch für Kinder anderer Religionsgesellschaften oder für Kinder von Erziehungsberechtigten, die keiner Religionsgesellschaft angehören, nach Maßgabe der Gesetze öffentliche Schulen eingerichtet werden. Die Lehrerbildung w i r d durch Gesetz nach Konfession getrennt geregelt, soweit nicht die Ausbildung der Lehrer auf Universitäten erfolgt. § 24. Der Religionsunterricht i n den katholischen Schulen w i r d von der katholischen Kirche überwacht. Für den evangelischen Religionsunterricht ist ein Zusammenwirken von Kirche und Schule durch einen Ausschuß sicherzustellen, an dem evangelische Geistliche und Lehrer beteiligt sind. § 25. Kein Lehrer kann gezwungen werden, Religionsunterricht zu erteilen, wenn er erklärt, daß er aus Gewissensbedenken nicht dazu imstande sei.
I X . Der Freistaat Braunschweig Besonders heftig umkämpft war die Verabschiedung einer neuen Verfassung in Braunschweig 1. Die Regierung des Mehrheitssozialdemokraten Heinrich Jasper 2 konnte sich nach den Wahlen vom 16. Mai 1920, die mit einem Sieg der USPD endeten, nicht länger halten. Neuer Ministerpräsident wurde der Unabhängige Sepp Oerter 3. 1
Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1053ff.; Bd. VI, S. 833f. Siehe oben S. 102, Anm. 2. 3 Sepp Oerter (1870-1928), Buchbinder aus Straubing; 1883 als Anarchist in Duisburg zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt; dann Mitglied der SPD in Berlin; 1915 2
X . Die Hansestädte, insbesondere Bremen
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Noch vor der Verabschiedung der neuen Verfassung trat der Unabhängige August Junke an seine Stelle 4. Die am 6. Januar 1922 verkündete Landesverfassung trat am 21. Januar in Kraft (Nr. 108). In ihrem knappen Grundrechtsabschnitt verknüpfte sie Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit unmittelbar miteinander, womit sie den Glauben als einen Akt des Meinens einstufte 5.
N r . 108. Verfassung des Freistaats B r a u n s c h w e i g vom 6. Januar 1922 (Braunschweig. Gesetz- und Verordnungssammlung, 1922, S. 55) — Auszug — Art. 4. Freie Religionsausübung und freie Meinungsäußerung sind gewährleistet. Jeder kann sich mit anderen zur Erreichung bestimmter Zwecke und zur Lösung besonderer Aufgaben, sofern diese den Strafgesetzen nicht widerstreben, vereinigen und versammeln. Art. 6. Ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis der Eltern soll jeder nach Begabung und Fähigkeit auf Staatskosten ausgebildet werden. Die Zulassung zu den mittleren und höheren Schulen soll nur nach Anlage und Neigung, nicht nach der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung der Eltern erfolgen.
X. Die Hansestädte, insbesondere Bremen Bei der Neugestaltung der Verfassungen für die drei norddeutschen Stadtstaaten verzichteten Hamburg 1 und Lübeck 2 auf Verfassungsbestimmungen zum Verhältnis von Staat und Kirche. Die neue bremische Verfassung vom 18. Mai 1920 (Nr. 109) hob, die älteren Auseinandersetzungen in Bremen aufnehmend 3, die Trennung von Staat und Kirche hervor 4. Redakteur des „Volksfreund" in Braunschweig; 1917 Mitglied der USPD; seit 10. November 1918 Mitglied, vom 22. Februar bis 17. A p r i l 1919 Vorsitzender des braunschweig. Rats der Volkskommissare; vom 22. Juni 1920 bis 24. November 1921 braunschweig. Ministerpräsident und Innenminister; 1918-24 MdbraunschweigLT (USPD, seit 1922 parteilos); 1925 vergebliche Kandidatur für die SPD; später erfolglos bei dem Versuch des Anschlusses an die NSDAP. 4 August Junke (1877-1926), 1918/19 Mitglied des braunschweig. Rats der Volkskommissare; seit 1919 MdbraunschweigLT (USPD); 1919 Staatsrat i m ersten Ministerium Jasper; 22. Juni 1920 Justizminister i m Ministerium Oerter; vom 24. November 1921 bis 29. März 1922 Ministerpräsident; durch Mißtrauensvotum zum Rücktritt gezwungen. 5 Über die Auseinandersetzungen zwischen der radikalen Linken, der gemäßigten L i n k e n und der bürgerlichen Mitte in den ersten Jahren des Freistaats Braunschweig siehe oben S. 57, 102 f. 1
Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 7. Januar 1921 (Hamb. GVB1. 1921, S. 20). 2 Lübeckische Landesverfassung vom 23. Mai 1920 (Sammlung der Lübeckischen Gesetze und Verordnungen 1920, S. 114).
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5. Kap.: Das Staatskirchenrecht der deutschen Länder N r . 109. Verfassung der F r e i e n Hansestadt B r e m e n vom 18. Mai 1920 (Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen, 1920, S. 183) — Auszug — IV. Kirchen und Religionsgesellschaften
§ 87. Die Kirchen und Religionsgesellschaften sind vom Staate getrennt. Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen. Die bremische evangelische Kirche und ihre Gemeinden und Gemeindeverbände, sowie die römisch-katholische Kirche und ihre bremischen Gemeinden sind Körperschaften des öffentlichen Rechtes. Sie geben sich selbst ihre Verfassung und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig. Anderen Religionsgesellschaften werden die Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft durch Gesetz gewährt.
3
Siehe Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, S. 172ff. und oben Nr. 68, 71. Zur verfassungsrechtlichen Entwicklung i n den drei norddeutschen Stadtstaaten nach der Novemberrevolution siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1061 f.; Bd. VI, S. 838ff. 4
Sechstes Kapitel
Die Regelung des Kirchenaustritts I. Der Freistaat Preußen Nachdem bereits das preußische Gesetz vom 13. Dezember 1918 den Austritt aus den Kirchen und den jüdischen Synagogengemeinden erleichtert hatte 1, ergab sich aus der preußischen Verfassung vom 30. November 19202 die Verpflichtung zu einer erneuten gesetzlichen Regelung. Diese war enthalten in dem Kirchenaustrittsgesetz vom gleichen Tag (Nr. 110). Dieses Gesetz gilt heute noch fort in NordrheinWestfalen, im Saarland, in den ehemals preußischen Landesteilen von Hessen und Rheinland-Pfalz sowie in der zum bremischen Staat gehörenden Stadt Bremerhaven 3. Wie schon in der Zeit des Kulturkampfs war auch in der Weimarer Zeit die Regelung dieser Frage durch staatliches Gesetz deshalb nötig, weil sich an die Kirchenmitgliedschaft öffentlich-rechtliche Folgen, die unter staatlicher Sanktion standen, knüpften. Unter ihnen war die Pflicht zur Entrichtung der Kirchensteuer die wichtigste 4. Es lag in der Konsequenz des staatlich-kirchlichen Verhältnisses, daß das staatliche Recht sich auf diese öffentlich-rechtlichen Folgewirkungen beschränken und damit der staatlichen Gewährleistung der negativen wie der positiven Religionsfreiheit Ausdruck geben mußte 5. Die innerkirchliche Rechtsstellung des aus der Kirche Ausgetretenen blieb von den staatlichen Regelungen der Weimarer Zeit unberührt. Während das katholische Kirchenrecht die Möglichkeit des Kirchenaustritts auch weiterhin nicht anerkannte, weil das Band der Taufe unauflöslich ist, zeigten die evangelischen Kirchen schon in der Weimarer Zeit die Bereitschaft, dem vor dem staatlichen Gericht erklärten Kirchenaustritt unmittelbare innerkirchliche Auswirkungen zuzuerkennen. Sie wurden durch den Erlaß des preußischen Oberkirchenrats vom 20. Dezember 1920 näher beschrieben (Nr. 111). Die innerkirchlichen Regelungen sollten auf der einen Seite einen Damm gegen die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erneut ansteigende Kirchenaustrittsbewegung bilden 6. Sie hielten auf der anderen Seite den Ausgetretenen die Rückkehr in die Kirche offen. 1
Oben Nr. 41. Oben Nr. 100. 3 Dazu zusammenfassend: A. v. Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I (1974), S. 657ff.; ders., Staatskirchenrecht (2. Aufl. 1983), S. 145ff. 4 Dazu unten Kap. VII. 5 Siehe Fr. Giese, Staat und Kirche i m neuen Deutschland, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts 13 (1925), S. 249ff. (290); Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 866f. 6 Vgl. B. Violet , Der Stand der Kirchenaustrittsbewegung am Endes des Jahres 1919 (1920); J. Schneider, Die Konfessionsschichtung der Bevölkerung Deutsch2
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6. Kap.: Die Regelung des Kirchenaustritts N r . 110. Gesetz, betreffend den A u s t r i t t aus den Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts vom 30. November 1920 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1921, S. 119f.)
§ 1. (1) Wer aus einer Religionsgesellschaft öffentlichen Rechts mit bürgerlicher Wirkung austreten will, hat den Austritt bei dem Amtsgerichte seines Wohnsitzes zu erklären. Die Erklärung muß zu Protokoll des Gerichtsschreibers erfolgen oder als Einzelerklärung i n öffentlich beglaubigter Form eingereicht werden; Ehegatten sowie Eltern und Kinder können den Austritt in derselben Urkunde erklären; bei der Erklärung findet eine Vertretung kraft Vollmacht nicht statt. (2) Die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung treten einen Monat nach dem Eingange der Erklärung bei dem Amtsgericht ein; bis dahin kann die Erklärung in der i m Abs. 1 vorgeschriebenen Form zurückgenommen werden. (3) Das Amtsgericht hat von der Abgabe und der etwaigen Zurücknahme der Austrittserklärung unverzüglich den Vorstand der Religionsgesellschaft, der der Erklärende angehört, zu benachrichtigen und demnächst dem Ausgetretenen eine Bescheinigung über den vollzogenen Austritt zu erteilen. §2. (1) Die Austrittserklärung bewirkt die dauernde Befreiung des Ausgetretenen von allen Leistungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu der Religionsgesellschaft beruhen. Die Befreiung tritt ein mit dem Ende des laufenden Steuerjahres, jedoch nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Abgabe der Erklärung. (2) Leistungen, die nicht auf der persönlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft beruhen, insbesondere Leistungen, die entweder kraft besonderen Rechtstitels auf bestimmten Grundstücken haften oder von allen Grundstücken des Bezirkes oder von allen Grundstücken einer gewissen Klasse i n dem Bezirk ohne Unterschied des Besitzers zu entrichten sind, werden durch die Austrittserklärung nicht berührt. § 3. Für das Verfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben; zu der Beglaubigung der Erklärungen und zu der Bescheinigung über den Austritt w i r d kein Stempel berechnet. § 4. (1) Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auch auf den Austritt aus der einzelnen Synagogengemeinde Anwendung. (2) Ein Jude, der aus einer Synagogengemeinde ausgetreten ist, w i r d nur dann Mitglied einer anderen Synagogengemeinde, wenn er ihrem Vorstande seinen Beitritt schriftlich erklärt. § 5. (1) Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft. (2) Die Gesetze, betreffend den Austritt aus der Kirche, vom 14. Mai 1873 (Gesetzsamml. S. 207)7, betreffend den Austritt aus den jüdischen Synagogengemeinden, vom 28. Juli 1876 (Gesetzsamml. S. 353) und betreffend die Erleichterung lands (1928); J.-Chr. Kaiser, Arbeiterbewegung und organisierte Religionspolitik. Proletarische Freidenkerverbände i m Kaiserreich und in der Weimarer Republik (1981). 7 Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 285.
I. Der Freistaat Preußen
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des Austritts aus der Kirche und aus den jüdischen Synagogengemeinden, vom 13. Dezember 1918 (Gesetzsamml. S. 199)8 werden aufgehoben.
N r . 111. E r l a ß des Evangelischen O b e r k i r c h e n r a t s über das V e r h a l t e n der K i r c h e z u den Ausgetretenen vom 20. Dezember 1920 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 70, 1921, S. 72ff.) Die Austrittsbewegung hat in einigen Gebieten unserer Landeskirche neuerdings wieder eingesetzt und uns veranlaßt, die Frage des Verhaltens der Kirche zu den Ausgetretenen erneut einer ernsten Prüfung zu unterziehen. I n Anknüpfung an unsern Erlaß vom 16. Februar 1909 — E.O. Nr. 293 — wiederholen wir, daß, wer nach den staatsgesetzlichen Vorschriften mit bürgerlicher Wirkung aus der Kirche austritt, damit zugleich aus ihrer Gemeinschaft ausscheidet und aller der Rechte verlustig geht, die ihren Mitgliedern zustehen. Die Kirche kann hinfort mit i h m nicht die Gemeinschaft kirchlicher Handlungen pflegen, welche ohne Zugehörigkeit zu ihr nicht i n rechtem Sinne gesucht und nicht i n rechtem Sinne gegeben werden können. A n diesen Grundsätzen w i r d auch in Zukunft festzuhalten und danach das Verhalten der Geistlichen gegenüber den Ausgetretenen zu bestimmen sein. Hat der aus der Kirche Ausgetretene jedes Recht auf Inanspruchnahme kirchlicher Amtshandlungen für sich verwirkt, so besteht für den Geistlichen die entsprechend grundsätzliche Pflicht, i h m kirchliche Amtshandlungen zu versagen. Dieser der Sachlage und auch der Würde der Kirche Rechnung tragende Grundsatz muß aber eine Einschränkung da erleiden, wo i m Verhältnis von Braut- und Eheleuten sowie von Eltern und Kindern ungeachtet des weggefallenen Rechtes des einen aus der Kirche ausgeschiedenen Teils der Anspruch des anderen, der Kirche noch angehörigen Teils auf Gewährung kirchlicher Amtshandlungen noch fortbesteht. Die Kirche w i r d aber weiter nicht verkennen dürfen, daß es ihre oberste Aufgabe ist und bleibt, das Reich Gottes auf Erden zu bauen, und daß sie diese Aufgabe auch gegenüber denen, welche sich von ihr losgelöst haben, nicht außer acht lassen darf. Dies gilt nicht nur bei der Wiederaufnahme in die Kirchengemeinschaft und den daraufgerichteten seelsorgerlichen Bemühungen, sondern namentlich auch da, wo es sich darum handelt, die verderblichen Folgen der Loslösung von der Kirche den Seelen des heranwachsenden Geschlechts möglichst fernzuhalten; denn immer bleibt es das oberste Ziel, die Ausgetretenen durch den Dienst der Kirche i n das rechte Verhältnis zu Gott zu führen — ein Ziel, das mit seelsorgerlicher Treue und Weisheit, mit vieler suchender, aber erforderlichenfalls auch mit versagender Liebe zu erstreben ist. Daß auch diese nachgehende Fürsorge ihre Grenzen hat, ist i n den nachfolgenden Grundsätzen w o h l erwogen worden. Unsere Geistlichen und unsere Gemeinden aber rufen w i r in dieser Zeit schwerer Kämpfe unserer Kirche zu doppelter Treue und doppeltem Eifer für unsere teure evangelische Kirche auf. Oben Nr. 1.
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6. Kap.: Die Regelung des Kirchenaustritts
U m das Verhalten der Geistlichen nach einheitlichen Grundsätzen zu regeln, bestimmen wir i n bezug auf die einzelnen Amtshandlungen der Geistlichen folgendes: Taufe. Die Taufe ist zu gewähren, wenn ein Teil der Eltern der Kirche angehört; doch soll sie nicht gegen den Einspruch des erziehungsberechtigten Elternteiles stattfinden. Die Taufe kann gewährt werden, auch wenn beide Eltern ausgetreten sind. Sie darf aber nur dann vollzogen werden, wenn sie von den Eltern nachgesucht w i r d mit der schriftlich oder mündlich gegebenen Erklärung, daß sie die christliche Erziehung des Kindes wünschen. Von den Eltern ist außerdem ein schriftliches Versprechen abzugeben, daß sie ihr K i n d an dem evangelischen Religions- und Konfirmandenunterricht teilnehmen lassen werden. Der Geistliche soll in diesen Fällen mit besonderem Nachdruck auf die Wahl christlich gesinnter Paten dringen und diese mit besonderem Ernst auf ihre Pflichten hinweisen. Konfirmation. Ist ein Kind, dessen Eltern aus der Kirche ausgetreten sind, getauft und nicht aus der Kirche ausgeschieden, so ist es zum Konfirmandenunterricht und zur Konfirmation zuzulassen. Ist der Austritt auch für das K i n d vollzogen, so kann die Zulassung auch eines religionsmündigen Kindes trotzdem erfolgen, wenn ein eigener Wunsch des Kindes vorliegt und nicht von den Eltern ausdrücklich Einspruch erhoben wird. Ein religionsmündiges, getauftes K i n d ist auch gegen den Willen der Eltern, falls es den Wunsch äußert, zum Konfirmandenunterricht und zur Konfirmation zuzulassen. Voraussetzung für die Aufnahme in den Konfirmandenunterricht ist die Teilnahme an dem evangelischen Religionsunterricht der Schule, geistige und religiöse Reife. Kinder, die an dem evangelischen Religionsunterricht der Schule nicht regelmäßig teilgenommen haben, bedürfen besonderer Vorbereitung für den Konfirmandenunterricht. Abendmahl. Aus der Kirche Ausgetretene haben den Anspruch auf Zulassung zum heiligen Abendmahl verwirkt. Patenamt. Aus der Kirche Ausgetretene sind von dem Patenamt zurückzuweisen. Trauung. Die Trauung ist unstatthaft, wenn beide Brautleute aus der Kirche ausgeschieden sind. Ist nur ein Teil der Brautleute ausgetreten, so kann die Trauung nur dann gewährt werden, wenn der Pfarrer sich überzeugt hat, daß der ausgetretene Teil nicht zu den Verächtern der christlichen Religion gehört und die Trauung ohne Ärgernis i n der Gemeinde gewährt werden kann 9 . Beerdigung. Eine M i t w i r k u n g der Kirche bei der Beerdigung Ausgetretener (wie auch Glockengeläute) findet nicht statt. Doch bleibt es Recht und Pflicht des Geistlichen, den der Kirche angehörenden Hinterbliebenen christlichen Trost zu spenden. Diese Trostspendung i m Hause darf nur i m Kreise der Angehörigen stattfinden und nicht i m zeitlichen Zusammenhang mit der Beerdigung stehen. Die 9 Vgl. dazu den Erlaß des preuß. Oberkirchenrats, betr. Nachweis der Zugehörigkeit zur Kirche bei kirchlichen Handlungen (Allg. Kirchenblatt 70, 1921, S. 576).
I . Der Freistaat
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M i t w i r k u n g des Geistlichen bei der Beerdigung eines Ausgetretenen ist statthaft in dem Ausnahmefall, wenn der Pfarrer aus persönlichem seelsorgerlichem Gespräch mit dem Verstorbenen weiß, daß der Ausgetretene seinen Schritt bereute und nur durch den Tod an dem Wiedereintritt i n die Kirche gehindert wurde. Von dem Geistlichen ist in diesem Falle ein sofortiger Bericht über seine Teilnahme an den Superintendenten zu erstatten. Wiederaufnahme. Die Entscheidung über die Wiederaufnahme i n die Kirchengemeinschaft steht dem Pfarrer der Wohnsitzgemeinde nach Benehmen mit dem Gemeindekirchenrat zu.
II. Der Freistaat Bayern Besonders deutlich ordnete die bayerische Verfassung vom 14. August 19191 das Recht des Kirchenaustritts in die Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit ein. Die Bekanntmachung vom 30. Oktober 1919 regelte den Vollzug des Kirchenaustritts im einzelnen 2. An deren Stelle trat die Bekanntmachung vom 16. Januar 1922 (Nr. 112)3.
N r . 112. B e k a n n t m a c h u n g über den Vollzug des § 17 Abs. I I I der Verfassungsurkunde des Freistaats B a y e r n ( A u s t r i t t aus einer Religionsgesellschaft) vom 16. Januar 1922 (Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt, 1922, S. 15) — Auszug — Zum Vollzuge des § 17 Abs. I I I der Verfassungsur künde des Freistaates Bayern 4 ergeht unter Aufhebung der Bekanntmachung, Vollzug des § 17 Abs. I I I der Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern (Austritt aus einer Religionsgesellschaft) betreffend, vom 30. Oktober 1919 (GVB1. S. 784) folgende Bekanntmachung: 1. Personen, die ihren Austritt aus einer Religionsgesellschaft erklären wollen, haben hierbei ihren Namen und Vornamen, Ort und Zeit ihrer Geburt, ihren gegenwärtigen Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort, ihren Familienstand und ihre berufliche Stellung anzugeben. Eine schriftliche Austrittserklärung bedarf der öffentlichen Beglaubigung durch einen Notar, eine Ortspolizeibehörde oder eine Bezirkspolizeibehörde, in München durch die Polizeidirektion, i n Nürnberg und Fürth durch den Stadtrat.
1
Oben Nr. 101. GVB1. 1919, 784. 3 Vgl. Th. Reiß, Der Austritt aus der Kirche nach dem geltenden bayerischen Staatskirchenrecht, Diss. Würzburg 1925. 4 Oben Nr. 101. 2
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6. Kap.: Die Regelung des Kirchenaustritts
2. Bei Kindern richtet sich das Recht zur Austrittserklärung vom 1. Januar 1922 an nach dem Reichsgesetze vom 15. Juli 1921 über die religiöse Kindererziehung 5 . ... 3. Die Standesämter haben ihre örtliche Zuständigkeit, sodann die Berechtigung der Erklärenden nach Maßgabe des Gesetzes vom 15. Juli 1921 über die religiöse Kindererziehung unter Beachtung der unter Ziffer 2 angeführten Gesichtspunkte sowie die Vollständigkeit der Erklärungen zu prüfen und die etwa notwendigen Ergänzungen herbeizuführen. Ergeben sich bei der Prüfung irgendwelche Zweifel über die Berechtigung, so ist von dem Erklärenden der Nachweis seiner Berechtigung zu fordern. Mündliche Austrittserklärungen sind von den Standesämtern nach Maßgabe der Anlage I zu beurkunden; sie haben ferner die Entgegennahme mündlicher oder schriftlicher Erklärungen nach Maßgabe der Anlage I I zu bestätigen und davon dem zuständigen Organe der betreffenden Religionsgesellschaft (Pfarramt usw.) und dem zuständigen Finanzamte durch Übersendung je eines Abdruckes dieser Bestätigung Mitteilung zu machen. ...
I I I . Der Freistaat Sachsen Wegen des unmittelbaren Zusammenhangs mit der Kirchensteuer ρ flicht regelte eine Reihe von deutschen Einzelstaaten das Recht des Kirchenaustritts im Rahmen der Gesetzgebung zum Kirchensteuerrecht 1. Eine eigenständige Regelung dagegen fand die Materie in dem sächsischen Kirchenaustrittsgesetz vom 4. August 1919 (Nr. 113). N r . 113. Gesetz, betreffend den K i r c h e n a u s t r i t t vom 4. August 19192 (Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Sachsen, 1919, S. 205) — Auszug — § 1. Der Austritt aus einer staatlich anerkannten Religionsgesellschaft ist nach Vollendung des 14. Lebensjahres jedem gestattet, der i m Freistaate Sachsen seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hat. § 2. Der Austretende hat den Austritt vor dem Standesbeamten seines Wohnsitzes oder, wenn er keinen Wohnsitz hat, vor dem Standesbeamten seines Aufenthaltsorts zu Protokoll zu erklären. Mit der Beurkundung dieser Erklärung gilt der Austritt als bewirkt. Dem Ausgetretenen ist eine Austrittsbescheinigung zu erteilen. 5 Unten Nr. 146. Die Regelungen dieses Gesetzes werden i m folgenden zusammengefaßt. 1
So i m württembergischen Gesetz über die Kirchen vom 3. März 1924 (unten Nr. 137) und i n den beiden badischen Kirchensteuergesetzen vom 30. Juni 1922 (unten Nr. 138f.). 2 Abgeändert durch das Gesetz vom 26. Januar 1920 (GVB1. 1920, S. 20).
I . Der Freistaat Thüringen
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Abschrift des Protokolls ist dem zuständigen Geistlichen oder dem Religionsdiener der Religionsgesellschaft, der der Antragsteller bisher angehört hat, vom Standesbeamten unverzüglich zuzustellen. Das Verfahren ist kosten- und gebührenfrei. § 3. Der Austretende kann bestimmen, daß sich der Austritt auf seine Kinder erstreckt, sofern i h m die Sorge für deren Person zusteht. Solange der Vater für die Person des Kindes zu sorgen hat, kann die austretende Mutter eine solche Bestimmung nicht treffen. Die Erklärung kann bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres der Kinder nachgeholt werden. ... § 4. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Austrittserklärung beurteilen sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. § 5. Ein außerhalb des Staatsgebietes rechtsgültig erfolgter Kirchenaustritt gilt auch i m Freistaate Sachsen, vorausgesetzt, daß der Austretende zur Zeit der Austrittserklärung i n Sachsen weder seinen Wohnsitz noch seinen ständigen Aufenthalt hat.
IV. Der Freistaat Thüringen Die thüringischen Staaten hatten sich zum Teil bald nach der Novemberrevolution eigene Kirchenaustrittsgesetze gegeben 1. Diese wurden nach der Vereinigung zum 2 Freistaat Thüringen abgelöst durch das thüringische Kirchenaustrittsgesetz vom 8. Juli 1922 (Nr. 114).
N r . 114. Kirchenaustrittsgesetz vom 8. Juli 1922 (Thüring. Gesetzsammlung, 1922, S. 338) — Auszug — § 1. Der Austritt aus einer Religionsgesellschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, ist nach Vollendung des 14. Lebensjahres jedem gestattet, der in Thüringen seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hat. § 2. Die Erklärung über den Austritt ist bei dem Standesbeamten des Bezirks, in dem der Austretende seinen Wohnsitz oder, wenn er nicht i n Thüringen wohnt, seinen Aufenthaltsort hat, schriftlich einzureichen oder mündlich zu Protokoll des Standesbeamten zu erklären. M i t dem Zugehen der schriftlichen bzw. mit der 1 Sachsen-Weimarisches Gesetz über den Austritt aus einer staatlich anerkannten Religionsgesellschaft vom 28. November 1919 (Allg. Kirchenblatt 1920, S. 72); Sachsen-Altenburgisches Kirchenaustrittsgesetz vom 5. Mai 1920 (ebenda S. 525); Schwarzburg-Rudolstädter Gesetz über den Austritt aus einer staatlich anerkannten Religionsgesellschaft vom 12. Juli 1920 (GS Stück 11); Schwarzburg-Sondershausener Kirchenaustrittsgesetz vom 19. A p r i l 1920 (GS Stück 13). 2 Siehe oben S. 145.
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6. Kap.: Die Regelung des Kirchenaustritts
Beurkundung der mündlichen Austrittserklärung güt der Austritt als bewirkt. Dem Ausgetretenen ist eine Austrittsbescheinigung zu erteilen 3 . Abschrift der Austrittserklärung bezw. des über sie aufgenommenen Protokolls ist dem zuständigen Geistlichen oder Religionsdiener der Religionsgesellschaft, der der Antragsteller bisher angehört hat, vom Standesbeamten unverzüglich zuzustellen. Das gesamte Verfahren einschließlich der Erteilung der Austrittsbescheinigung ist kosten- und gebührenfrei. § 3. M i t der Austrittserklärung erlöschen sofort alle Verpflichtungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft beruhen. Alle entgegenstehenden Bestimmungen und Vereinbarungen sind rechtsunwirksam 4 . § 4. Das Recht, für ein K i n d unter 14 Jahren eine Austrittserklärung abzugeben, steht dem zu, der nach dem Reichsgesetz vom 15. Juli 19215 über die religiöse Erziehung der Kinder zu bestimmen hat und zwar i m selben Umfange und unter denselben Voraussetzungen, wie sie das Reichsgesetz vorsieht 6 . . . .
V. Der Freistaat Anhalt In den meisten der neuen Kirchenaustrittsgesetze wurde die „Deliberationsfrist" die dem Austrittswilligen eine nochmalige Überprüfung und den Pfarrämtern eine Einflußnahme auf die Entscheidung ermöglichen sollte, beseitigt 1. Auch nach dem 3
Satz 2 und 3 wurden gemäß dem Gesetz vom 11. Dezember 1930 (GS 1930, S. 289) durch folgende Sätze ersetzt: „Die schriftliche Austrittserklärung bedarf der notariellen Beglaubigung. Gemeinschaftliche Austrittserklärungen sind nur für Ehegatten oder für Eltern und ihre minderjährigen Kinder zulässig. Die schriftliche Austrittserklärung gilt als abgegeben, wenn sie dem Standesbeamten zugeht, die mündliche, wenn sie vom Standesbeamten an Amtsstellen entgegengenommen wird. Dem Erklärenden ist auf Verlangen eine Bescheinigung über die Abgabe der Erklärung zu erteilen." 4 § 3 erhielt durch das Gesetz vom 11. Dezember 1930 folgende Fassung: „Die Austrittserklärung w i r d nach Ablauf eines Monats seit der Abgabe mit Wirkung vom Zeitpunkt der Abgabe wirksam, sofern sie nicht innerhalb dieses Zeitraums mündlich vor dem Standesbeamten an Amtsstelle oder durch einfache schriftliche Erklärung widerrufen wird. Wird sie nicht widerrufen, so hat der Standesbeamte alsbald nach Ablauf der Monatsfrist dem Erklärenden eine Bescheinigung darüber zuzustellen, daß und mit welchem Zeitpunkt die Austrittserklärung wirksam geworden ist. Während der Monatsfrist ruhen die kirchlichen Rechte und Pflichten der Person, auf die sich die Kirchenaustrittserklärung bezieht. M i t dem Zeitpunkt, i n dem die Austrittserklärung wirksam wird, erlöschen sofort alle Verpflichtungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft beruhen. Alle entgegenstehenden Bestimmungen und Vereinbarungen sind rechtsunwirksam." 5 Unten Nr. 146. 6 Die §§5 und 6 entsprechen den §§4 und 5 des sächsischen Kirchenaustrittsgesetzes (oben Nr. 113); die §§ 7 und 8 enthalten Bestimmungen über Ausführung und Inkrafttreten des Gesetzes. 1 Nach dem preußischen Kirchenaustrittsgesetz vom 14. Mai 1873, § 2 (Staat und Kirche, Bd. I I , Nr. 285) betrug die Deliberationsfrist mindestens vier und höchstens sechs Wochen.
V. Der Freistaat
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anhaltischen Gesetz vom 31. März 1920 (Nr. 115) wurde der Kirchenaustritt unmittelbar mit der Austrittserklärung selbst wirksam. Diese Regelung sollte ebenso wie die Kostenfreiheit den Kirchenaustritt erleichtern. N r . 115. Gesetz über den A u s t r i t t aus Religionsgesellschaften vom 31. März 1920 (Anhaltische Gesetzsammlung, 1920, S. 49) — Auszug — § 1. Wer aus der Kirche mit bürgerlicher Wirkung austreten will, hat den Austritt dem Standesbeamten, i n dessen Bezirk er seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zu erklären. Die Erklärung muß entweder zu Protokoll des Standesbeamten erfolgen oder schriftlich in öffentlich beglaubigter Form bei ihm eingereicht werden. § 2. Der Austretende kann den Austritt auch auf seine derselben Religionsgesellschaft angehörenden Kinder unter 14 Jahren erstrecken, wenn i h m die Sorge für deren Person zusteht. Hierzu bedarf es der schriftlichen Zustimmung des anderen Elternteiles, sofern dieser derselben Religionsgesellschaft angehört, es sei denn, daß diesem die Sorge für die Person des Kindes nicht mit zusteht. Die Austrittserklärung für die Kinder kann bis zur Vollendung ihres 14. Lebensjahres nachgeholt werden. § 3. Der Austritt eines Minderjährigen nach vollendetem 14. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ist nur mit schriftlicher Einwilligung der Eltern oder der an deren Stelle zur Sorge für die Person des Minderjährigen gesetzlich Berufenen zulässig. § 4. Eine Vertretung durch Vollmacht ist bei der Abgabe der Austrittserklärung nicht statthaft. § 5. Die Austrittserklärung w i r d mit ihrem Eingange beim Standesbeamten wirksam. § 6. Der Standesbeamte hat von der Austrittserklärung dem Vorstande der Kirchengemeinde, aus welcher der Austritt erfolgt ist, unverzüglich Mitteilung zu machen und dem Ausgetretenen auf Antrag eine Bescheinigung über den Austritt zu erteilen. § 7. Der Ausgetretene w i r d durch die Austrittserklärung von den Leistungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zur Kirche beruhen, insoweit befreit, als die Leistungen nach dem Schlüsse des laufenden Kalender Vierteljahres fällig werden. Rechte und Pflichten gegenüber der Kirche, die sich nicht auf die persönliche Zugehörigkeit zu ihr gründen, werden durch die Austrittserklärung nicht berührt. § 8. Für das Austrittsverfahren werden Kosten nicht erhoben. Zu der Beurkundung der Austrittserklärung und zu der Bescheinigung über den Austritt w i r d ein Stempel nicht angesetzt. § 9. Die vorstehenden Vorschriften finden auf den Austritt aus der jüdischen Synagogengemeinde (jüdischen Kultusgemeinde) und aus anderen Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, entsprechende Anwendung. . . .
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6. Kap.: Die Regelung des Kirchenaustritts
VI. Der Freistaat Oldenburg In Braunschweig hatte die Frage des Kirchenaustritts bereits im Zuge der Novemberrevolution durch das Gesetz vom 23. Januar 1919 eine dauerhafte Regelung gefunden l. In Oldenburg dagegen wurde das Recht des Kirchenaustritts erst durch das Gesetz vom 18. Mai 1922 abschließend geregelt (Nr. 116). In abgeschwächter Form behielt die oldenburgische Regelung eine Überlegungsfrist bei.
N r . 116. Gesetz über den A u s t r i t t aus den Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts vom 18. Mai 1922 (Gesetzblatt für den Freistaat Oldenburg, Landesteil Oldenburg, 1922, S. 903 f.) — Auszug — § 1. 1. Wer aus einer Religionsgesellschaft öffentlichen Rechts mit bürgerlicher Wirkung austreten will, hat den Austritt bei dem Amtsgericht seines Wohnsitzes zu erklären. Die Erklärung muß zu Protokoll des Gerichtsschreibers erfolgen oder als Einzelerklärung in öffentlich beglaubigter Form eingereicht werden; Ehegatten, sowie Eltern und Kinder können den Austritt in derselben Urkunde erklären; bei der Erklärung findet eine Vertretung kraft Vollmacht nicht statt. 2. Die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung treten einen Monat nach dem Eingange der Erklärung bei dem Amtsgericht ein; bis dahin kann die Erklärung in der i m Abs. 1 vorgeschriebenen Form zurückgenommen werden. 3. Das Amtsgericht hat von der Abgabe und der etwaigen Zurücknahme der Austrittserklärung unverzüglich den Vorstand der Religionsgesellschaft, der der Erklärende angehört, zu benachrichtigen und demnächst dem Ausgetretenen eine Bescheinigung über den vollzogenen Austritt zu erteilen. §2. 1. Die Austrittserklärung bewirkt die dauernde Befreiung des Ausgetretenen von allen Leistungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu der Religionsgesellschaft beruhen. Die Befreiung tritt ein mit dem Ende des laufenden Steuerjahres, jedoch nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Abgabe der Erklärung. 2. Leistungen, die nicht auf der persönlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft beruhen, insbesondere Leistungen, die entweder kraft besonderen Rechtstitels auf bestimmten Grundstücken haften oder von allen Grundstücken des Bezirks oder von allen Grundstücken einer gewissen Klasse in dem Bezirk ohne Unterschied des Besitzers zu entrichten sind, werden durch die Austrittserklärung nicht berührt. § 3. Für das Verfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben; zu der Beglaubigung der Erklärungen und zu der Bescheinigung über den Austritt w i r d kein Stempel berechnet. ...
1
Oben Nr. 42.
VII. Die Freie und Hansestadt Hamburg
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V I I . Die Freie und Hansestadt Hamburg Den rechtstechnischen Zusammenhang zwischen der Pflicht der Kirchenmitglieder zu finanziellen Leistungen und der Pflicht des Staates, die Möglichkeit des Kirchenaustritts zu gewährleisten, hob besonders nachdrücklich das hamburgische Kirchenaustrittsgesetz vom 15. Dezember 1919 hervor (Nr. 117).
N r . 117. Gesetz, betreffend den A u s t r i t t aus einer staatlich a n e r k a n n t e n religiösen Gemeinschaft vom 15. Dezember 19191 (Hamburgische Gesetz-Sammlung, 1919, I. Abt., S. 414) — Auszug — § 1. Der in den Formen dieses Gesetzes erklärte Austritt aus einer staatlich anerkannten religiösen Gemeinschaft bewirkt die Befreiung der ausgetretenen Person von allen Leistungen, zu denen sie als Mitglied der religiösen Gemeinschaft bis zu ihrem Austritt verpflichtet war. Diese Befreiung tritt für periodisch wiederkehrende Leistungen erst mit Ablauf des Kalender Vierteljahres ein, in dem der Austritt stattgefunden hat. Leistungen, die nicht auf der persönlichen Kirchen- und Gemeindeangehörigkeit beruhen, insbesondere Leistungen, die entweder kraft besonderen Rechtstitels auf bestimmten Grundstücken haften oder von allen Grundstücken einer bestimmten Klasse innerhalb des Bezirks ohne Unterschied des Besitzers zu entrichten sind, werden durch den Austritt des Leistenden aus der Kirche nicht berührt. § 2. Der Austritt aus einer religiösen Gemeinschaft erfolgt durch mündliche Erklärung gegenüber dem zuständigen Standesbeamten, demgegenüber der Erklärende sich über seine Person auszuweisen hat. § 3. Zur Abgabe der Erklärung ist jede Person berechtigt, die das 14. Lebensjahr vollendet hat. Derjenige Elternteil, dem die Sorge für die Person des Kindes zusteht, kann für dieses, soweit es das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, die Erklärung abgeben. § 4. Über die Erklärung ist von dem Standesbeamten ein Protokoll aufzunehmen, das der Erklärende zu unterzeichnen hat. Der Austretende ist berechtigt, eine beglaubigte Abschrift des Protokolls über die Austrittserklärung zu fordern. § 5. A m Ende jedes Vierteljahres haben die Standesbeamten den Vorständen der religiösen Gemeinschaften, denen die Ausgetretenen angehört haben, sowie der mit der Erhebung der Kirchensteuer beauftragten Behörde Mitteilung über die ausgetretenen Personen zu machen. . . .
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Geändert durch das Gesetz vom 23. Oktober 1922 (GVB1. 1922, S. 537).
I I Huber
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6. Kap.: Die Regelung des Kirchenaustritts
V I I I . Der Freistaat Lippe Zu den wenigen staatlichen Gesetzen, die ausdrücklich die Möglichkeit einer kirchlichen Intervention vor Vollzug des Kirchenaustritts vorsahen, gehört das lippische Kirchenaustrittsgesetz vom 16. Mai 1919 (Nr. 118). Zu seinen Besonderheiten zählt ferner, daß es eine fortdauernde anteilige Kirchensteuerpflicht für die in der Kirche verbleibenden Familienmitglieder festlegte.
N r . 118. Gesetz, betreffend den A u s t r i t t aus einer Religionsgemeinschaft vom 16. Mai 1919 (Lippische Gesetz-Sammlung, 1919, S. 972) — Auszug — § 1. Der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft kann von Personen, die das 14. Lebensjahr zurückgelegt haben, vollzogen werden. Für Kinder unter 14 Jahren kann der Austritt durch übereinstimmende Erklärung beider Eltern, oder, falls nur einer von ihnen am Leben ist, durch dessen Erklärung erfolgen. § 2. Der Austritt erfolgt durch Erklärung zu Protokoll des für den Wohnsitz des Austretenden zuständigen Amtsgerichts. Die Austrittserklärung muß vorher schriftlich oder zu Protokoll bei dem zuständigen Amtsgericht angemeldet werden, welches sofort dem zuständigen Organ der betreffenden Religionsgemeinschaft Mitteilung zu machen hat. Die protokollarische Aufnahme der Austrittserklärung darf frühestens 12 Tage nach geschehener Anmeldung erfolgen; sind mehr als 6 Monate nach der Anmeldung verstrichen, so ist die protokollarische Aufnahme der Austrittserklärung ohne erneute Anmeldung nicht mehr zulässig. Das Amtsgericht hat dem zuständigen Organ der betreffenden Religionsgesellschaft eine Abschrift der Austrittserklärung unverzüglich zuzustellen. Zuständige Organe sind die Vorstände der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden und die Vorstände der Synagogengemeinden. § 3. Der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft bewirkt die persönliche Befreiung des Austretenden von der Steuerpflicht gegenüber der Religionsgemeinschaft. Falls jedoch Familienmitglieder eines austretenden Familienvorstandes i n der Religionsgemeinschaft verbleiben, hat dieser anteilige Steuern zu entrichten. Der Anteil w i r d bemessen nach dem Verhältnis der Kopfzahl der der Religionsgemeinschaft angehörenden und der außerhalb derselben stehenden Familienmitglieder. Gesondert zur Steuer veranlagte Familienmitglieder werden bei Bestimmung der Kopfzahl nicht mitgezählt. § 4. Die Befreiung von der persönlichen Steuer gegenüber einer Religionsgemeinschaft tritt mit dem Ablauf des Kalenderjahres ein, das auf die Erklärung des Austrittes aus dieser Religionsgemeinschaft folgt. § 5. Als Kosten des Verfahrens werden nur Schreib- und Zustellungsgebühren in Ansatz gebracht. ...
Siebentes Kapitel
Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen I. Das kirchliche Finanzwesen nach der Novemberrevolution Auf den gesellschaftlichen Wandel des ausgehenden 19. Jahrhunderts und die mit ihm verbundene Entkirchlichung in der Arbeiterschaß wie im Besitz- und Bildungsbürgertum hatten die Kirchen durch eine wenn auch späte Ausweitung ihrer Tätigkeitsfelder geantwortet. Dies hatte ebenso wie die Umgestaltung der Pfarrbesoldung und Hinterbliebenenversorgung zu einem erheblichen Anstieg des kirchlichen Finanzbedarfs geführt. Durch die Einführung und Ausgestaltung eines eigenständigen Kirchensteuerwesens hatte sich den Kirchen eine neue Finanzierungsquelle erschlossen 1. Neben den Erträgen aus kirchlichem Vermögen und den Staatsaufwendungen für die Kirchen 2 bildete zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kirchensteuer die dritte Säule des kirchlichen Finanzwesens. Demgegenüber waren die kirchlichen Abgaben und die Kollektenerträge in ihrer Bedeutung zurückgetreten. Die Novemberrevolution gefährdete die bisherigen finanziellen Grundlagen kirchlicher Arbeit unmittelbar. Zum einen waren durch die Kriegsniederlage und die Wirren der Umbruchszeit die Erträge des kirchlichen Vermögens bedroht. Zum andern aber verband sich mit dem Programm der Trennung der Kirche vom Staat die Forderung, die staatlichen Leistungen an die Kirchen einzustellen und das Recht der Kirchen zur Erhebung von Kirchensteuern aufzuheben 3. Die kirchlichen Leitungsorgane empfanden diese Lage als in hohem Maß bedrohlich. Es war begreiflich, daß sie ihre Anstrengungen in den ersten Monaten nach dem Ende des Kriegs weitgehend auf die Sicherung der finanziellen Grundlagen der kirchlichen Arbeit richteten. Zugleich stand die vorrangige Aufmerksamkeit für Fragen des kirchlichen Bestands in Spannung zu der Aufgabe, der veränderten Lage durch die Neugestaltung der kirchlichen Ordnung und des kirchlichen Lebens Rechnung zu 1
Dazu Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, 2. Kapitel (S. 22-127). Das Königreich Bayern bezahlte i m Jahre 1908 an Staatsleistungen an die katholische Kirche 5511680 Mark, an die evangelische Kirche 2869887 Mark. Die Staatsleistungen des preußischen Staats wurden i m Jahr 1913 auf 24 bis 25 Millionen für die evangelische, auf 9 Millionen für die katholische Kirche geschätzt (E. Foerster , Staatsaufwendungen für kirchliche Zwecke, in: RGG, 1. Aufl., Bd. V, 1913, Sp. 870f.). Die Höhe der Staatsleistungen veränderte sich i n den ersten Kriegsjahren nicht erheblich. Zur Situation vor dem Ersten Weltkrieg siehe auch J. Niedner, Die Ausgaben des Preußischen Staates für die evangelischen Landeskirchen der älteren Provinzen (1904); A . Fellmeth, Das kirchliche Finanzwesen in Deutschland (1910). 3 Siehe unter den Dokumenten der Revolutionswochen insbesondere die Denkschrift von Alfred Dieterich vom November 1918 (oben Nr. 5). 2
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
tragen. Daß die revolutionären Momente der neuen politischen Ordnung als eine Bedrohung der überlieferten Aufgabe und Gestalt der Kirchen empfunden werden mußten, erklärt die Distanz weiter Teile des Protestantismus zur Trennungsparole des Weimarer Staats. Schon in den ersten Wochen nach der Novemberrevolution erhoben sich Stimmen, die erläuterten, warum die Trennung von Staat und Kirche in ihrer in anderen Ländern üblichen Form mit den wirtschaftlichen Erfordernissen kirchlicher Existenz in Deutschland unvereinbar sei 4. Besonders intensiv erörterte diese Fragen der „Trennungsausschuß" beim preußischen Oberkirchenrat, der Anfang Dezember 1918 ins Leben trat und sich sogleich den „geldwirtschaftlichen Trennungsfragen" zuwandte. Auf seine Beratungen war es zurückzuführen, daß der preußische Oberkirchenrat in dem Katalog kirchlicher Grundforderungen für die Wahlen zur Nationalversammlung vom 10. Dezember 19185 ebenso wie in seiner Eingabe an die Nationalversammlung vom 22. Februar 19196 mit Nachdruck vier „wirtschaftliche Grundrechte" der Kirche geltend machte: die Anerkennung der Kirche als öffentlich-rechtliches Gemeinwesen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung, das Recht der Kirchen zur Erhebung von Kirchensteuern, die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte und die auf legitimen Rechtstiteln beruhenden und deshalb unaufhebbaren Staatsleistungen für kirchliche Zwecke. Die Denkschrift des Vertrauensrats der altpreußischen Landeskirche 7 vom 25. Februar 1919 (Nr. 119) erläuterte das Gewicht dieser vier wirtschaftlichen Grundrechte am Beispiel der größten evangelischen Landeskirche. Die in den „wirtschaftlichen Grundrechten" zusammengefaßten Forderungen fanden in vollem Umfang Eingang in die Weimarer Reichsverfassung 8. Insbesondere um der kirchlichen Finanzverfassung willen erkannte diese die Stellung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechtes an. Nach dem Vorbild des Art. 15 der preußischen Verfassung von 1850 9 sprach sie in ihrem Art. 138 (Abs. 2) eine Reichsgarantie des Kirchenguts aus10. Die ins Auge gefaßte Ablösung der Staatsleistungen für kirchliche Zwecke wurde an die Grundsätze eines zu erlassen4 Siehe z.B.: A. v. Brandt, Das Trennungsproblem und die katholische Kirche i n Preußen, in: F. Thimme/E. Rolffs (Hrsg.), Revolution und Kirche. Zur Neuordnung des Kirchenwesens i m deutschen Volksstaat (1919), S. 122ff; J. Niedner, Die rechtliche Stellung und finanzielle Lage der evangelischen Landeskirche nach ihrer Trennung vom Staat, ebenda S. 162 ff. 5 Die erste Forderung betrifft die Freiheit der Religionsausübung und volle Bewegungsfreiheit der evangelischen Kirche; die zweite bezieht sich auf den Körperschaftsstatus, das Besteuerungsrecht, das kirchliche Vermögen und eine ausreichende Entschädigung i m Fall der Zurückziehung der bisherigen Staatsleistungen; die dritte schließlich behandelt die christliche Grundlage des öffentlichen Schulwesens sowie die Garantie des Religionsunterrichts und der theologischen Fakultäten (Mitteilungen aus der Arbeit des Vertrauensrats der altpreußischen Landeskirche Nr. 1 vom 17. Dezember 1918). Vgl. J. Jacke, Kirche zwischen Monarchie und Republik (1976), S. 25ff., 85ff. 6 Oben Nr. 92. 7 Zu den „Vertrauensmännern" siehe unten S. 535ff. 8 Oben Nr. 97. Siehe zum folgenden Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 888 ff. 9 Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 11. 10 Siehe E. R. Huber, Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Reichsverfassung (1927).
I. Das kirchliche Finanzwesen nach der Novemberrevolution
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den Reichsgesetzes gebunden. Da der Weg zu einem solchen Reichsgesetz sich von der Sache wie vom Verfahren her als gleich schwierig erwies, kam dieses Gesetz in der gesamten Weimarer Zeit nicht zustande. Damit aber gewann die Sperrvorschrift des Art. 173 WRV, die eine Ablösung der Staatsleistungen vor dem Inkrafttreten eines entsprechenden Reichsgesetzes verbot, den Charakter einer Bestandsgarantie 11, die die Jahre 1933-45 überdauert und im Bonner Grundgesetz (Art. 140) neue formellrechtliche Geltung erlangt hat. Eine Ablösung oder Minderung der Staatsleistungen war — unabhängig davon, auf welchen Rechtstiteln sie beruhten — damit ausgeschlossen; die durchgängige Rechtsauffassung und Praxis besagte darüber hinaus, daß die Staatsleistungen im Fall der Inflation der Geldentwertung angepaßt werden mußten 12. Die Verständigung über den Umfang der Staatsleistungen erfolgte in der Weimarer Zeit überwiegend im Rahmen der Verträge zwischen Staat und Kirche 13. Schließlich bestätigte die Weimarer Reichsverfassung das Recht der Kirchen, auf der Grundlage der staatlichen Steuerlisten Kirchensteuern zu erheben. Damit waren die überlieferten Säulen der kirchlichen Finanzverfassung auch nach 1918/19 einheitlich für das gesamte Deutsche Reich gewährleistet. Diesen Gewährleistungen entsprach in allen deutschen Einzelstaaten ein staatlicher Genehmigungsvorbehalt für den Bereich der kirchlichen Finanzgesetzgebung und -Verwaltung. Umstritten war, ob es sich hierbei um ein Kirchenaufsichtsrecht des Staates handelte, das sich aus der verfassungsrechtlichen Garantie der kirchlichen Vermögensrechte sowie des Kirchensteuerrechts ergab, oder ob in solchen Aufsichtsakten eine staatliche Kirchenhoheit zum Ausdruck kam, die ein notwendiges Korrelat zur Stellung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts darstellte. Je länger desto deutlicher unterschied man in dieser Kontroverse die um des Öffentlichkeitscharakters der Kirchen und der ihnen zuerkannten Körperschaftsrechte willen notwendigen Akte der Staatsaufsicht von den überlieferten Akten der auch in die innere Ordnung der Kirchen eingreifenden staatlichen Kirchenhoheit 14.
11 Vgl. zum Grundsätzlichen W. Weber, Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften (1948); H. J. Brauns, Staatsleistungen an die Kirchen und ihre Ablösung (1970); Th. Wehdeking, Die Kirchengutsgarantien und die Bestimmungen über Leistungen der öffentlichen Hand an die Religionsgesellschaften (1971). 12 E. Foerster, Staatsaufwendungen für kirchliche Zwecke, in: RGG, 2. Aufl. Bd. V (1931), Sp. 734f. 13 Dazu unten Kap. X I und Kap. X V I I I . 14 Als „Korrelat" des Körperschaftsstatus bezeichnete zuerst W. Kahl die staatliche Kirchenhoheit: Verh. d. Nat. Vers. Bd. 336, S. 195 und Bd. 328, S. 1647f.; zur Übernahme dieser Position in der Staatslehre der Weimarer Zeit vgl. Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 877 f. Ablehnend gegenüber dem Begriff einer besonderen staatlichen Kirchenhoheit insbesondere G. J. Ebers, Staat und Kirche i m neuen Deutschland (1930), S. 299ff. Zur Unterscheidung zwischen „Kirchenaufsicht" und „Kirchenhoheit" siehe E. R. Huber, Rezension zu G. J. Ebers, in: AöR, 21 (1932), S. 303ff.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
N r . 119. D e n k s c h r i f t des Trennungsausschusses der V e r t r a u e n s m ä n n e r der altpreußischen evangelischen Landeskirche vom 25. Februar 1919 (Mitteilungen aus der Arbeit der dem Evang. Oberkirchenrat und dem Generalsynodalvorstand beigeordneten Vertrauensmänner der Evangelischen Landeskirche, Nr. 7, 1919) — Auszug — . . . Schon der allgemeine Überblick über das Gebiet der kirchlichen Finanzwirtschaft läßt erkennen, daß eine Trennung unter den obwaltenden Umständen unser kirchliches Wirtschaftsleben i n seinem bisherigen Stande bedroht. Denn von den vier wirtschaftspolitischen Trägern desselben, nämlich 1. der Rechtsstellung der Landeskirche, ihrer Unterverbände und Gemeinden als öffentlich-rechtliche Körperschaften, 2. dem eigenen kirchlichen Vermögen mit seinen Freiheiten und Vorrechten, 3. den Leistungen des Staates für kirchliche Zwecke und 4. dem Kirchensteuerrecht, erscheint kein einziger ungefährdet. Da n u n der Haushalt der Kirche auf die durch ihr Zusammenwirken gewährleistete vereinte Tragfähigkeit aller jener Stützen zugeschnitten ist, so würde schon die Schwächung, geschweige denn die Entziehung auch nur einer derselben die gesamte Wirtschaftsführung für die Kirche erschüttern müssen. Würde z.B. unsere evangelische Kirche von der in 400jähriger Geschichte wohlerworbenen und gerechtfertigten, aber auch ihrer jetzigen Bedeutung i m Kultur- und Wirtschaftsleben allein angemessenen Stellung als öffentlich-rechtliche Körperschaft mit einer kraft Gesetzes erwachsenen Mitgliederzahl zu einem auf Neuheranbildung eines von Beitrittserklärungen abhängigen Mitgliederkreises angewiesenen bürgerlich-rechtlichen Verein degradiert, so müßte eine solche jähe und zwangsweise Zerstörung ihres bisherigen Personalbereichs u.a. ihren für dessen kirchliche Versorgung planmäßig ausgedehnten Apparat an Gebäuden, Beamten und Einrichtungen, wie er eben nur von einem öffentlichen Gemeinwesen unterhalten werden kann, verkümmern lassen, da die wirtschaftlichen Kräfte der neuen Privatvereine selbst bei bleibenden Einnahmen aus dem kirchlichen Vermögen, aus Staatszuschüssen und aus einer in Steuerform gekleideten Erhebung von Mitgliederbeiträgen zur Weiterführung des alten Großbetriebes noch nicht ausreichen würden. Kämen andererseits von jenen vier Haushaltsstützen etwa nur die Staatsleistungen in Wegfall, so würde dies z. B. i m laufenden Rechnungsjahre für den Interessenbereich der altpreußischen Landeskirche allein schon hinsichtlich der i n den Kapiteln 110-113 des Staatshaushalts für 1918 ausgeworfenen Posten einen Einnahmeausfall von überschläglich etwa 22 000 000 M. bedeuten, der anderweit Deckung heischte, da diese Staatszuschüsse notwendigen laufenden Aufwendungen, und zwar hauptsächlich zwecks bescheidenster wirtschaftlicher Versorgung des Pfarrerstandes, anteilig dienen. Zu der hieraus der Landeskirche erwachsenden Belastung würden noch weitere recht beträchtliche neue Deckungsbedürfnisse
I. Das kirchliche Finanzwesen nach der Novemberrevolution
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treten, wenn der Staat etwa auch die Sorge für Bereitstellung und Unterhaltung von Dienstgebäuden der Kirchenleitung, der Predigerseminare u. dgl., für die Verrichtung der bisher von den staatlichen Kassen und den staatlichen Bau- oder sonstigen technischen Beamten mit erledigten kirchlichen Verwaltungsgeschäfte, für die Ausbildung von Religionslehrern, für den Religionsunterricht in den Schulen, für die theologischen Fakultäten usw. auf die Kirche abwälzen sollte. Dabei würden alle solche drückenden Folgen einer Zurückziehung der bisherigen Staatsleistungen die Landeskirche i n einer Lage treffen, die sie ohnehin vor wirtschaftliche Aufgaben von ebenso dringlicher wie finanziell einschneidender Bedeutung stellt, auch wenn die Trennungsfrage nicht aufgeworfen wäre. . . . Für die Aufbringung des Ersatzes jener Staatsleistungen und der Kosten dieser weiteren und aller sonstigen Bedürfnisse würde die Landeskirche, falls sie i n der Tat auf sich selbst gestellt werden sollte, eben nur noch auf das kirchliche Vermögen und auf die Kirchensteuerkraft ihres öffentlich rechtlichen Gemeinwesens angewiesen sein. Die Tragfähigkeit dieser Stützen ist indessen eine sehr begrenzte. Was das eigene Vermögen der Landeskirche als solcher und der drei großen Pfarrerversorgungskassen betrifft, so dient es bereits, wie bei dem landeskirchlichen Pensionsfonds, in vollem Umfange der Verminderung der steuerlichen Anforderungen für das geltende Ruhegehaltswesen, oder es besteht, wie bei allen anderen landeskirchlichen Fonds, bei der Alterszulagekasse und bei der Ruhegehaltskasse, lediglich in mäßigen Kapitalrücklagen für die etwaigen, schon nach der bisherigen Haushaltslage in Betracht kommenden außerordentlichen Anforderungen, oder es trägt, wie bei dem Pfarrwitwen- und Waisenfonds, nach den versicherungstechnischen Grundsätzen des KapitaldeckungsVerfahrens, die geltende Regelung der Hinterbliebenenversorgung. Alle diese Vermögensmassen sind überdies mit den i m vaterländischen Interesse zwecks Aufbringung von Kriegsanleihezeichnungskosten aufgenommenen Schulden stark belastet, für deren Tilgung mit einer normalen Weiterentwicklung des kirchlichen Haushalts unter der damals verbürgten Rechtsstellung der Kirche gerechnet ist und gerechnet werden durfte. Sie können hiernach für eine Deckung neuer laufender Bedürfnisse nichts Erhebliches mehr beisteuern. Nach alledem würde zum mindesten für den weit überwiegenden Teü der der Landeskirche drohenden Mehrbelastung nur noch ihre Kirchensteuerkraft als Stütze übrig bleiben. Von dieser könnte aber nur i n beschränktem Maße Gebrauch gemacht werden. Denn einmal steht von jeher einer zu starken Anziehung der Kirchensteuerschraube die einer gesetzlichen Abwehr nicht ausgesetzte Gefahr einer Steuerflucht durch Kirchenaustritte entgegen, und diese Gefahr liegt unter den obwaltenden politischen wie wirtschaftlichen Verhältnissen besonders nahe. Sodann muß damit gerechnet werden, daß angesichts des großen Steuerbedarfs von Reich, Staat und Kommunen der Staat auch künftig übermäßige Reichssteuerausschreibungen nicht zulassen dürfte. Schon bislang muß die Landeskirche für allgemeine Zwecke eine Umlage von 7 lA v.H. des Staatseinkommensteuersolls ihrer Mitglieder erheben. Bei etwa notwendig werdendem Eintreten der Kirchensteuerkraft für die 22000000 M. unmittelbarer Staatsleistungen des jetzigen Staatshaushalts, würde sich die landeskirchliche Umlage bereits auf rund 18 lA v.H. des Staatseinkommensteuersolls nach jetzigem Mitgliederbestande erhöhen und dann immer noch die übrigen großen Deckungsbedürfnisse bestehen lassen. Nebenher
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
gehen die schon jetzt vielfach kaum noch steigerungsfähigen Kirchensteueranforderungen zahlreicher Kirchengemeinden für ihre örtlichen Bedürfnisse. So erscheint der dem kirchlichen Steuerwesen überhaupt verfügbare Spielraum schon bislang beträchtlich ausgenutzt. ... Alles in allem liegt hiernach die Sache der Kirche so, daß mit ihrem Wirtschaftsleben zugleich ihre Zukunft als Volkskirche von der Sicherung jener ihrer vier wirtschaftlichen Grundrechte abhängt, und daß sie selbst bei günstiger Behandlung dieser ihrer Lebensinteressen in jedem Falle außerordentlichen, durch die allgemeine Lage des Vaterlandes bedingten Schwierigkeiten wirtschaftlicher A r t entgegengeht. U m so mehr kommt daher zunächst alles auf die Verteidigung jener Grundrechte an. ...
II. Reichsrechtliche Bestimmungen zum kirchlichen Finanzwesen Zu Beginn der Weimarer Zeit kam bereits in der Amtszeit des Reichsfinanzministers Matthias Erzberger 1 die Unitarisierung der staatlichen Finanzverfassung, die im Bismarckschen Reich angebahnt und unter den Bedingungen des Ersten Weltkriegs forciert worden war, zum Abschluß 2. Dieser Vorgang hatte unmittelbare Auswirkungen für das System der Kirchensteuer. Während im Bismarckschen Reich die Finanzverwaltung im wesentlichen eine Angelegenheit der Länder und Gemeinden war, wurde durch das Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung vom 10. September 19193, das bald Eingang in die Reichsabgabenordnung vom 13. September 1919 fand, ein unitarisches System von Reichsfinanzbehörden eingerichtet (Nr. 120). Dadurch wurden die bisherigen Landesfinanzverwaltungen in Reichsbehörden umgewandelt. Die staatliche Verwaltungshilfe beim Einzug der Kirchensteuern mußte damit von Reichs wegen geregelt werden. Für die evangelische Landeskirche der älteren preußischen Provinzen erfolgte die Regelung durch einen Erlaß des Reichsfinanzministers Joseph Wirth 4 vom 11. Juli 1921 (Nr. 122), für den größeren Teil der katholischen Diözesen durch den Erlaß vom 29. Juli 1921 (Nr. 123).
1
Matthias Erzberger: Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, S. 531, Anm. 3. Dazu Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 486 ff.; K. Epstein, M. Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie (1962); A. Möller, Reichsfinanzminister Matthias Erzberger und sein Reformwerk (1971); R. Morsey, Matthias Erzberger, in: ders. (Hrsg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 1 (1973), S. 103ff; Th. Eschenburg, Matthias Erzberger (1973). 3 RGBl. 1591. 4 Joseph Wirth (1879-1956), Gymnasiallehrer, seit 1913 Mdbad.II.K., 1914-18 MdR, 1919-20 MdWeimNatVers., 1920-33 erneut MdR. 1918-20 Führer des linken Flügels der Zentrumspartei. März 1920 bis November 1921 als Nachfolger Erzbergers Reichsfinanzminister, Mai 1921 bis November 1922 Reichskanzler, A p r i l 1929 bis März 1930 Reichsminister für die besetzten Gebiete, März 1930 bis Oktober 1931 Reichsinnenminister. 1933 bis 1948 in die Schweiz emigriert. 1953-56 erfolgloser Versuch, als Vorsitzender des von i h m gegründeten „Bundes der Deutschen" neuen politischen Einfluß zu entwickeln. 2
II. Reichsrechtliche Bestimmungen zum kirchlichen Finanzwesen
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Ein Erlaß des Reichsfinanzministers Andreas Hermes 5 vom 6. November 1922 legte die Höhe der von den Kirchen für die staatliche Verwaltungshilfe zu entrichtenden Entschädigung fest 6. Durch die Erzbergersche Reform wurden die Einkommensteuer und andere Steuerarten, die bisher Landessteuern waren und als Maßstabsteuern für die Kirchensteuer verwendet wurden, zu Reichssteuern 7. Das Landessteuergesetz vom 30. März 1920 und, ihm folgend, das Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1923 ordneten die Beteiligung der Länder, Gemeindeverbände und Gemeinden an dem Ertrag dieser wie anderer Reichssteuern; zugleich klärten sie die rechtliche Voraussetzung dafür, daß die Kirchensteuer als Annexsteuer zu Reichssteuern zu erheben war (Nr. 121).
N r . 120. Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (Reichs-Gesetzblatt, 1919, S. 1993) — Auszug — §19. 2. A u f Antrag der zuständigen Stellen hat der Reichsminister der Finanzen den Landesfmanzämtern und den Finanzämtern ferner die Verwaltung anderer öffentlich-rechtlicher Abgaben, insbesondere der von Kirchensteuern, zu übertragen 8 . 5 Andreas Hermes (1878-1964), Agrarwissenschaftler; 1905 wiss. Angestellter der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft in Berlin; 1911-14 Direktor i m Internationalen Landwirtschaftsinstitut i n Rom; 1919 Ministerialdirektor i m Reichswirtschaftsministerium; März 1920 bis November 1922 Reichsernährungsminister; November 1922 bis August 1923 Reichsfinanzminister. M. d. Vorl. Reichs wir tschaftsrats. 19241928 MdprLT; 1928-33 MdR (Zentrum). 1928-33 Geschäftsführender Präsident der Vereinigung der deutschen Bauernvereine; 1930-33 Präsident des Raiffeisenverbandes. Als Angehöriger der Widerstandsbewegung 1944 i n Haft und zum Tod verurteilt, 1945 befreit. Mitbegründer und Vorsitzender der CDU i n der Ostzone; dann in Westdeutschland. 1946 Begründer des Deutschen Bauernverbands; 1947-49 M. d. Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets; Vors. d. Zentralausschusses der dt. Landwirtschaft. 6 Verfügung des Reichsministers der Finanzen, betreffend die Pauschentschädigung für die Verwaltung von Kirchensteuern durch die Finanzbehörden vom 6. November 1922 (Text: Allg. Kirchenblatt 72, 1923, S. 33). Vgl. J. Hosemann, Die Kirchensteuerverwaltung durch die Reichsfinanzbehörden i n Preußen (1922). 7 Einkommensteuergesetz vom 29. März 1920 (RGBl. 359). 8 I n der Neufassung der Reichsabgabenordnung vom 22. Mai 1931 (RGBl. 1931,1, S. 161) trat an die Stelle dieser Formulierung folgende Bestimmung: „§ 18. Außer der Verwaltung der Reichssteuern liegen die folgenden Verwaltungsgeschäfte den Finanzämtern und Landesfinanzämtern ob: . . . 4. Die Verwaltung der Steuern der Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechtes, soweit der Reichsminister der Finanzen die Verwaltung dieser Steuern den Finanzämtern und Landesfinanzämtern überträgt. A u f Antrag der zuständigen Stelle muß dies insoweit geschehen, als die Abgaben sich an die nach §§ 214, 215 gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen, an das einkommensteuerpflichtige oder körperschaftsteuerpflichtige Einkommen, an das vermögensteuerpflichtige Vermögen, an die Einkommensteuer, an die Körperschaftsteuer, an die Vermögensteuer, an die Steuermeßbeträge für die Gewerbesteuer oder (soweit die Festsetzung der Realsteuern oder die
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen N r . 121. Landessteuergesetz vom 30. März 1920 (Reichs-Gesetzblatt, 1920, S. 402) — Auszug —
§15. Die Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechtes sind berechtigt, Zuschläge zu den Reichssteuern zu erheben, die an die Stelle der bisherigen Landesoder Gemeindesteuern getreten sind. Soweit durch reichsgesetzliche Inanspruchnahme von Steuern Gemeindesteuervorrechte hinsichtlich der Dienstbezüge und Ruhegehälter der nicht i m Reichsoder Staatsdienst stehenden Geistlichen und Kirchenbeamten sowie hinsichtlich der Bezüge ihrer Witwen und Waisen unwirksam werden, bleiben die Anwartschaften der Berechtigten auf Entschädigung, wie sie i m Falle einer landesgesetzlichen Aufhebung begründet gewesen wären, unberührt 9 .
N r . 122. E r l a ß des Reichsministers der F i n a n z e n , betreffend die Ü b e r t r a g u n g der V e r w a l t u n g der K i r c h e n s t e u e r n a u f die Landesfinanzämter und Finanzämter vom 11. Juli 1921 (Kirchl. Gesetz- und Verordnungsblatt für die altpreußische Landeskirche, 1921, S. 103) — Auszug — A u f Grund des Antrages vom 27. Juni 1921 übertrage ich gemäß § 19 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung die Verwaltung der Kirchensteuern i m Bereich der evangelischen Landeskirche der älteren preußischen Provinzen mit Wirkung vom 1. August 1921 und in folgendem Umfange auf die Landesfinanzämter und die Finanzämter. 1. Die Übertragung erfolgt für alle Kirchensteuern, die i n Form von Zuschlägen zur Einkommensteuer und zu direkten Staatssteuern (Realsteuern) von Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinden erhoben werden und nach geltendem Recht der Vollstreckung i n Verwaltungszwangsverfahren unterliegen.
Festsetzung der Steuer vom Gewerbebetrieb i m Umherziehen den Finanzämtern obliegt) an die Realsteuern oder an die Steuer vom Gewerbebetrieb i m Umherziehen anschließen; i m übrigen kann es auf Antrag der zuständigen Stelle geschehen. Der Umfang der den Finanzämtern und Landesfinanzämtern obliegenden Verwaltungsgeschäfte bestimmt sich nach Richtlinien, die der Reichsminister der Finanzen i m Einvernehmen mit der Landesregierung und nach Anhörung der beteiligten Körperschaften des öffentlichen Rechts aufstellt; kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet der Reichsminister der Finanzen mit Zustimmung des Reichsrats." 9 Diese Bestimmung blieb durch die Novelle zum Landessteuergesetz vom 23. Juni 1923 (RGBl. I, S. 483) unverändert und wurde damit Bestandteil des n u n als Reichsfinanzausgleichgesetz vom 23. Juni 1923 neu verkündeten Gesetzes (ebenda S. 494). I n der Neufassung dieses Gesetzes vom 27. A p r i l 1926 (RGBl. I, S. 203) bildete der bisherige § 15 i n unverändertem Wortlaut den § 20.
II. Reichsrechtliche Bestimmungen zum kirchlichen F i n a n z w e s e n 1 7 1 Ausgeschlossen bleiben demnach Kirchensteuern, die auf Grund sogenannter älterer Kirchensteuerordnungen 1 0 erhoben werden. 2. Die Beschlußfassung über die Höhe der Zuschläge erfolgt nach Maßgabe des Landeskirchenrechts. Die Zuschläge zur Einkommensteuer müssen die Staffelung und den Tarif des § 21 des Einkommensteuergesetzes 11 zugrunde legen. Die Schätzungsunterlagen für die Hundertsätze der Zuschläge zur Einkommensteuer auf Grund des kirchlichen Steuerbedarfs erhalten die Kirchengemeinden von den Finanzämtern. 3. Die Veranlagung der Kirchensteuern verbleibt den Kirchengemeinden. Soweit es sich u m Zuschläge zur Einkommensteuer handelt, haben die Finanzämter bei der Veranlagung mitzuwirken. Das Verfahren gestaltet sich wie folgt: . . . 4. Die Einziehung und Beitreibung der Kirchensteuern übernehmen die Finanzämter. Über Stundungs- und Erlaßanträge entscheiden die Kirchengemeinden. 5. Das Rechtsmittelverfahren verbleibt i n seiner landesrechtlichen Ordnung. 6. Für die Mehrkosten, die durch die Verwaltung der Kirchensteuern i n dem zu Nr. 1 bis 4 bezeichneten Umfange entstehen, haben die Kirchengemeinden eine nach Pauschsätzen zu bemessende Entschädigung zu zahlen, deren Festsetzung vorbehalten bleibt 1 2 . 7. Die Übertragung bezieht sich auf die Kirchensteuerverwaltung sämtlicher Kirchengemeinden i m Bereich der evangelischen Landeskirche der älteren preußischen Provinzen. Ausnahmen sind besonders zu beantragen und bedürfen der Befürwortung der Kirchenaufsichtsbehörde.
N r . 123. E r l a ß des Reichsministers der F i n a n z e n , betreffend die Ü b e r t r a g u n g der V e r w a l t u n g der katholischen K i r c h e n s t e u e r n a u f die staatlichen F i n a n z ä m t e r vom 29. Juli 1921 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, Band 101, 1921, S. 118) — Auszug — A u f Grund der Anträge vom 23. A p r i l und 19. Juni d. J. übertrage ich gemäß § 19 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung die Verwaltung der katholischen Kirchensteuern i m Bereich der Länder und Landesteile Preußen, Hamburg, MecklenburgSchwerin, Anhalt, Bremen, Lippe, Lübeck, Mecklenburg-Strelitz, Waldeck, Schaumburg-Lippe, Sachsen-Gotha, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, mit Wirkung vom 1. August 1921 und i n folgendem Umfange auf die Landesfinanzämter und die Finanzämter . . . 1 3 .
10
Siehe Staat und Kirche, Bd. ΙΠ, S. 36. Einkommensteuergesetz vom 29. März 1920 (RGBl. 359). 12 Siehe oben Anm. 6. 13 I m folgenden entspricht der Erlaß vom 29. Juli 1921 i m wesentlichen demjenigen vom 11. Juli 1921 (oben Nr. 122). 11
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
I I I . Die Staatsleistungen für die Pfarrerbesoldung in Preußen Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte Preußen die Besoldung der evangelischen wie der katholischen Pfarrer mit staatlicher Hilfe den Regeln der Beamtenbesoldung angeglichen 1. Die Grundsatzentscheidung der Weimarer Reichsverfassung 2 und der ihr entsprechende preußische Verfassungkompromiß 3 hatten die Folge, daß nicht nur der Beamtenstatus der Pfarrer beibehalten wurde, sondern auch eine ihm entsprechende Besoldung sicherzustellen war. Angesichts der begrenzten finanziellen Leistungsfähigkeit der Kirchen war dafür eine Neuordnung der staatlichen Beteiligung an der Pfarrerbesoldung erforderlich. Zu ihr kam es — nach ersten gesetzlichen Regelungen vom 7. Mai 19204 — durch die beiden Gesetze vom 17. Dezember 1920 (Nr. 124, Nr. 125). Diese setzten die staatlichen Besoldungszuschüsse neu fest und stellten darüber hinaus zinslose staatliche Vorschüsse im erforderlichen Umfang bereit. Diese Darlehensregelung lief im Jahr 1928 aus. Der veränderten Rechtslage trug das Pfarrbesoldungsgesetz vom 30. April 1928 Rechnung (Nr. 126). Die in diesem Gesetz festgelegten Staatsleistungen wurden in der Wirtschaftskrise der ausgehenden Weimarer Zeit mehrfach reduziert 5.
N r . 124. Gesetz über die B e r e i t s t e l l u n g v o n M i t t e l n z u r Aufbesserung des D i e n s t e i n k o m m e n s der Geistlichen der evangelischen L a n d e s k i r c h e n vom 17. Dezember 1920 (Preußische Gesetz-Sammlung 1921, S. 104) — Auszug — Art. 1. U m die evangelischen Landeskirchen in die Lage zu setzen, die Besoldungs-, Ruhegehalts- und Hinterbliebenenbezüge ihrer preußischen Geistlichen den veränderten Verhältnissen entsprechend zu erhöhen, w i r d vom 1. A p r i l 1920 ab seitens des Staates der Landeskirche der älteren Provinzen eine Rente von jährlich 72700000 Mark, den Landeskirchen der neuen Provinzen eine Rente von jährlich 27500000 Mark überwiesen 6 . Art. 2. Soweit die eigene Leistungsfähigkeit der Landeskirchen und Kirchengemeinden nicht ausreicht, die Besoldungs-, Ruhegehalts- und Hinterbliebenenbezü1 Vgl. neben der in Staat und Kirche, Bd. III, S. 56 angegebenen Literatur O. Janz, Soziale Lage und Mentalität der evangelischen Geistlichen i n Preußen 1850 — 1914 (Magisterarbeit Berlin 1984). 2 Oben Nr. 97. 3 Oben Nr. 100. 4 GS 1920, S. 272 ff. 5 Vgl. auch Denkschrift über den Umfang der Staatsleistungen der deutschen Länder an die evangelischen Kirchen bis zur Ablösung, ausgearbeitet i m Deutschen Evangelischen Kirchenbundesamt (1928). 6 Durch das Gesetz vom 7. August 1922 (GS 1922, S. 279) wurde ein (inflationsbedingter) Zuschlag von 200 % gewährt. Durch das Gesetz vom 25. Mai 1926 (GS 1926, S. 167) wurden mit Wirkung vom 1. A p r i l 1925 die Jahresbeträge für die Landeskirche der älteren Provinzen auf 31300000 RM, für die Landeskirchen der neuen Provinzen auf 11700000 R M festgesetzt.
ΠΙ. Die Staatsleistungen für die Pfarrerbesoldung in Preußen
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ge ihrer preußischen Geistlichen (einschließlich Kinderbeihilfen) den Dienst- und Versorgungsbezügen derjenigen unmittelbaren Staatsbeamten anzupassen, die ihre erste planmäßige Anstellung i n einer Stelle der Besoldungsgruppe 10 der staatlichen Besoldungsordnung finden, werden vom 1. A p r i l 1920 ab bis zum 31. März 1923 seitens des Staates diejenigen Mittel vorschußweise zur Verfügung gestellt, die über die i m A r t i k e l 1 bezeichneten Renten hinaus alljährlich erforderlich werden, u m die Bezüge der Geistlichen auf die erwähnte Höhe zu bringen. Art. 3. Diese Vorschüsse werden zinslos gewährt und sind spätestens vom 1. A p r i l 1928 ab mit 5 vom Hundert jährlich zu tilgen. Art. 4. Bis zum 1. Oktober 1922 ist endgültig festzustellen, wieweit die eigene Leistungsfähigkeit der Landeskirchen und Kirchengemeinden zur Deckung des für die Ausführung des i m A r t i k e l 2 bezeichneten Bedarfs ausreicht 7 . Art. 5. Nach endgültiger Feststellung der Leistungsfähigkeit der Landeskirchen und Kirchengemeinden ist über eine einem etwaigen Mehrbedarf entsprechende Erhöhung der Renten und die Verrechnung oder Erstattung der vorschußweise gezahlten Beträge vor Ablauf des Jahres 1922 eine gesetzliche Bestimmung zu treffen. Eine Erhöhung der Rente hat rückwirkende Kraft vom 1. A p r i l 1920 ab. Art. 6. Die Entscheidung über die Leistungsfähigkeit der Landeskirchen und Kirchengemeinden steht der Staatsregierung nach Benehmen mit den zuständigen Kirchenbehörden zu. Art. 7. Die Unterverteilung der den Landeskirchen der neuen Provinzen überwiesenen Staatsrente auf die einzelnen Landeskirchen erfolgt durch den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und den Finanzminister. Art. 8. (1) Die für die Aufbesserung des Diensteinkommens der Geistlichen der evangelischen Landeskirchen und der Bezüge ihrer Ruhestandsgeistlichen und der Pfarrwitwen und -waisen zu erhebenden allegemeinen kirchlichen Umlagen kommen auf den staatsgesetzlich für die allgemeinen Umlagen i n den Landeskirchen festgesetzten Höchstbetrag nicht zur Anrechnung. (2) Die Umlagen bedürfen der Bestätigung des Staatsministeriums....
N r . 125. Gesetz über die B e r e i t s t e l l u n g v o n M i t t e l n z u r Aufbesserung des D i e n s t e i n k o m m e n s der katholischen P f a r r e r vom 17. Dezember 1920 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1921, S. 106) — Auszug — Art. 1. U m die bischöflichen Behörden i n die Lage zu setzen, die Besoldungsund Ruhegehaltsbezüge ihrer preußischen Pfarrer den veränderten Verhältnissen entsprechend zu erhöhen, w i r d vom 1. A p r i l 1920 ab seitens des Staates den bischöflichen Behörden ein Betrag von jährlich 41500000 Mark überwiesen 8 . 7
Durch das Gesetz vom 7. August 1922 wurde die Frist auf den 30. September 1924 festgesetzt. 8 Durch das Gesetz vom 14. März 1922 (GS 1922, S. 75) wurde als Art. l a hinzugefügt: „Die Pfarrgemeinden sind verpflichtet, die Bezüge ihrer Pfarrer nach
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
N r . 126. Gesetz über die W e i t e r g e w ä h r u n g v o n M i t t e l n f ü r die w i r t s c h a f t l i c h e Versorgung der P f a r r e r der evangelischen L a n d e s k i r c h e n u n d der katholischen K i r c h e (Pfarrbesoldungsgesetz) 9 vom 30. A p r i l 1928 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1928, S. 146) — Auszug — § 1. (1) Für die Rechnungsjahre 1927 und 1928 werden für die Zwecke der Pfarrbesoldung aus Staatsmitteln bereitgestellt: a) für die evangelischen Landeskirchen Bedürfniszuschüsse für das Rechnungsjahr 1927 bis zu 47000000 RM, für das Rechnungsjahr 1928 bis zu 51000000 RM; b) für die katholische Kirche Bedürfniszuschüsse für das Rechnungsjahr 1927 bis zu 19350000 RM, für das Rechnungsjahr 1928 bis zu 21000000 RM. §2. (2) Die kirchlichen Ordnungen über die dem Pfarrer stände zu gewährenden Dienst- und Versorgungsbezüge bedürfen der Zustimmung des Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und des Finanzministers. § 5. Durch die vorstehend getroffene einstweilige Regelung w i r d der Ablösung der bisherigen Staatsleistungen gemäß A r t i k e l 138 der Reichs Verfassung 10 nicht vorgegriffen; insbesondere kann aus dieser Regelung von keiner Seite weder bei der endgültigen gesetzlichen Regelung der Pfarrbesoldung noch bei der Ablösung der Staatsleistungen nach ihrem Rechtsgrund, ihrem Inhalt oder ihrer Höhe ein Anspruch oder ein Einwand abgeleitet werden.
IV. Die Preußischen Kirchensteuergesetze von 1920 In Preußen hatte die Gesetzgebung der Jahre 1905/06 das System der Kirchensteuer umfassend geregelt 1. Diese Rechtslage behielt auch in der Weimarer Zeit Bestand; die Kontinuität in den Fragen des Kirchensteuerrechts bildete einen der wichtigsten Erfolge des kirchlichen Widerstands gegen die weitreichenden Trennungsvorschläge der ersten Revolutionszeit 2. Dokumentiert wurde diese Kontinuität durch die Kirchengesetze für die evangelischen Landeskirchen aus den Jahren 1920/21 (Nr. 127) 3 sowie das Staatsgesetz für den Bereich der katholischen Diözesen Maßgabe der staatlich bestätigten kirchlichen Besoldungsordnung aufzubessern". Durch das Gesetz vom 7. August 1922 (GS 1922, S. 279 f.) wurde ein (inflationsbedingter) Zuschlag von 200 % gewährt. Durch das Gesetz vom 25. Mai 1926 (GS 1926, S. 167) wurde der Jahresbetrag rückwirkend zum 1. A p r i l 1925 auf 17675000 R M festgesetzt. — Das Folgende entspricht dem Gesetz für die evangelischen Landeskirchen vom 17. Dezember 1920 (oben Nr. 124). 9 Die Geltungsdauer des Gesetzes wurde i n der Folgezeit verschiedentlich verlängert, die Höhe der staatlichen Beiträge reduziert. 10 Oben Nr. 97. 1 Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 24-31. 2 Oben Nr. 2 ff. 3 Wiedergegeben ist das Gesetz für die evangelische Landeskirche der altpreußischen Provinzen vom 19. August 1920. Daneben traten Gesetze bzw. Verordnungen
IV. Die Preußischen Kirchensteuergesetze von 1920
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in Preußen vom 25. November 1920 (Nr. 128). In beiden Fällen handelt es sich um Gesetze, deren Inhalt zwischen Staat und Kirche vereinbart war. Da das katholische Kirchensteuerrecht bisher als rein staatliche Gesetzesmaterie geregelt worden war, erfolgte auch dessen Weiterentwicklung in der Form eines Staatsgesetzes. Für den evangelischen Bereich dagegen hatte das Kirchensteuerrecht schon in der Gesetzgebung von 1905 den Charakter einer Materie des innerkirchlichen Rechts angenommen. Mit den Gesetzen von 1920 übernahm, der Reichssteuerreform entsprechend 4, an der Stelle der Staatseinkommensteuer die Reichseinkommensteuer die Funktion der Maßstabsteuer für die Kirchensteuer. Daneben konnten weiterhin die Realsteuern, das heißt Grundvermögensteuer und Gewerbesteuer, soweit sie für Grundbesitz oder Gewerbebetrieb innerhalb der Kirchengemeinde veranlagt wurden, als Maßstabsteuern herangezogen werden. Ferner wurde durch die Gesetze von 1920 die Verwaltung der Kirchensteuern gemäß der Reichsabgabenordnung von 19205 auf die Landesfinanzämter und örtlichen Finanzämter als Reichsbehörden übertragen 6.
N r . 127. Kirchengesetz z u r A b ä n d e r u n g des Kirchengesetzes v o m 26. M a i 1905, betreffend die E r h e b u n g v o n K i r c h e n s t e u e r n i n den K i r c h e n g e m e i n d e n u n d P a r o c h i a l v e r b ä n d e n der Evangelischen Landeskirche der ä l t e r e n P r o v i n z e n vom 19. August 1920 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 69, 1920, S. 532 f.) Für die zum preußischen Staatsgebiet gehörigen Teile der Evangelischen Landeskirche der älteren preußischen Provinzen w i r d unter Zustimmung der Generalsynode verordnet, was folgt: § 1. Als Maßstab für die Umlegung der Kirchensteuern tritt zum Zwecke der Erhebung von Zuschlägen an die Stelle der Staatseinkommensteuer die Reichseinkommensteuer. für die evangelisch-lutherische Kirche der Provinz Hannover vom 11. Januar 1921 (Kirchl. Amtsblatt S. 8); für die evangelisch-lutherische Kirche der Provinz Schleswig-Holstein vom 21. Dezember 1920 (Kirchl. GVB1. 1921, S. 1); für die evangelisch-reformierte Kirche der Provinz Hannover vom 21. Dezember 1920 (Kirchl. GVB1. S. 81); für die evangelischen Kirchengemeinschaften i m Bezirk des Konsistoriums zu Kassel vom 21. Dezember 1920 (Kirchl. Amtsblatt 1921, S. 11); für die evangelischen Gemeinden i m Amtsbezirk des Konsistoriums zu Wiesbaden und für die evangelischen Kirchengemeinden des Konsistorialbezirks Frankfurt, jeweils vom gleichen Tag (Kirchl. Amtsblatt, 1921, S. 1). Dazu der zusammenfassende Erlaß des Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung betr. Kirchensteuerwesen vom 10. Februar 1921 (Allg. Kirchenblatt, 70, 1921, S. 232). 4
Oben Nr. 121. Oben Nr. 120. 6 Vgl. L. GroenerjD. Zorn, Das Besteuerungsrecht der katholischen Kirchengemeinden, Gemeindeverbände und Diözesen in Preußen (1929); G. Paul/J. Hosemann, Die Kirchensteuergesetze i n Preußen (3. Aufl. 1929); A. Schmedding/ J. Linneborn, Die Erhebung von Kirchensteuern in den katholischen Kichengemeinden, Gemeindeverbänden und Diözesen (2. Aufl. 1929). 5
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
§ 2. 1. Für das Rechnungsjahr 1920 erfolgt die Heranziehung zur Kirchensteuer, soweit die Einkommensteuer als Maßstab der Umlegung dient, vorläufig nach der den Kirchensteuerbeschlüssen zugrunde gelegten Veranlagung zur Staatseinkommensteuer für das Rechnungsjahr 1919. 2. Die endgültige Heranziehung zu dieser Kirchensteuer für das Rechnungsjahr 1920 hat, sobald die Veranlagung zur Reichseinkommensteuer für das Rechnungsjahr 1920 geschehen ist, nach dem Maßstab und dem Ergebnis der letzteren stattzufinden. §3. 1. Der Evangelische Oberkirchenrat unter M i t w i r k u n g des Generalsynodalvorstandes w i r d ermächtigt, die i m § 19 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (RGB1. 1993) vorgesehenen Anträge wegen Übertragung der Verwaltung von Kirchensteuern auf die Landesfinanzämter und die Finanzämter mit Wirkung für die Evangelische Landeskirche der älteren preußischen Provinzen und ihre Kirchengemeinden und Parochialverbände zu stellen. 2. Soweit diese Übertragung erfolgt, treten die Landesfinanzämter und die Finanzämter an die Stelle derjenigen nach dem Kirchensteuergesetz vom 26. Mai 1905 bisher berufenen Behörden, deren Aufgaben beim Kirchensteuergeschäft sie wahrzunehmen haben. § 4. Dieses Gesetz tritt mit rückwirkender Kraft am 14. A p r i l 1920 in Geltung.
N r . 128. Gesetz z u r A b ä n d e r u n g des Gesetzes, betreffend die E r h e b u n g v o n K i r c h e n s t e u e r n i n den katholischen K i r c h e n g e m e i n d e n u n d Gesamtverbänden, v o m 14. J u l i 1905 vom 25. November 1920 (Preußische Gesetz-Sammlung 1921, S. 66) Die verfassunggebende Preußische Landesversammlung hat folgendes Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird: § 1. I n den katholischen Kirchengemeinden und Gesamtverbänden erfolgt die Heranziehung zu Kirchensteuern für das Rechnungsjahr 1920, soweit die Einkommensteuer als Maßstab der Umlegung dient, vorläufig nach der den Kirchensteuerbeschlüssen zugrunde gelegten Veranlagung zur Staatseinkommensteuer für das Rechnungsjahr 1919. Die endgültige Heranziehung zu dieser Kirchensteuer für das Rechnungsjahr 1920 hat, sobald die Veranlagung zur Reichseinkommensteuer für das Rechnungsjahr 1920 geschehen ist, nach dem Maßstab und dem Ergebnis der letzteren stattzufinden. § 2. Die i m § 19, Abs. 2, der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (RGBl., S. 1993) vorgesehenen Anträge wegen der Übertragung der Verwaltung der Kirchensteuern auf die Landesfinanzämter und die Finanzämter können mit Wirkung für die katholischen Kirchengemeinden und Gesamtverbände von den bischöflichen Behörden gestellt werden. Soweit die Übertragung erfolgt, treten die Landesfinanzämter und die Finanzämter an die Stelle derjenigen nach dem Gesetze vom 14. Juli 1905 (GS, S. 281)
V. Die Regelung der Vermögensverwaltung
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berufenen Behörden, deren Aufgaben beim Kirchensteuergeschäfte sie wahrzunehmen haben. § 3. Dieses Gesetz tritt mit rückwirkender Kraft am 1. A p r i l 1920 in Geltung.
V. Die Regelung der Vermögensverwaltung in den katholischen Diözesen Preußens Seit der Zeit des Kulturkampfs war die Anerkennung eines kirchlichen Steuerrechts an die Voraussetzung gebunden, daß die kirchliche Vermögensverwaltung durch gewählte Vertretungsorgane wahrgenommen wurde. Wahl und Funktionen der Kirchenvorstände waren für den katholischen Bereich demgemäß durch Staatsgesetz geordnet worden 1. An diese Tradition knüpfte das preußische Gesetz über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24. Juli 1924 an (Nr. 129). Das Ziel der in ihm vorgenommenen Regelungen bestand darin, das staatliche Aufsichtsrecht über die kirchliche Vermögensverwaltung mit dem in Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung 2 gewährleisteten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht zum Ausgleich zu bringen. Das Gesetz von 1924 trat an die Stelle der Gesetze vom 20. Juni 1875 3, vom 7. Juni 1876 4 und vom 29. Mai 19035. Den überlieferten Unterschieden in der Vermögensverwaltung der beiden großen Konfessionen gemäß wurde für den evangelischen Bereich die Bildung der kirchlichen Vertretungsorgane durch kirchliche Verfassungsgesetze geordnet 6, die freilich der staatsgesetzlichen Anerkennung bedurften 7 .Auf diesen Unterschied der Regelungsformen machte die Regierungsbegründung zu dem Gesetz vom 24. Juli 1924 ausdrücklich aufmerksam 8. Die katholischen Bischöfe rechtfertigten ihre Bereitschaft, sich auf eine staatsgesetzliche Regelung einzulassen, mit „praktischen Erwägungen"; ausdrücklich hoben sie den provisorischen Charakter der betreffenden Staatsgesetze hervor 9.
1
Siehe unten Anm. 3-5. Oben Nr. 97. 3 Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 313. 4 Ebend Nr. 316. 5 Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, Nr. 22. 6 Siehe unten Nr. 280. 7 Siehe unten Nr. 278. 8 SBdpreuß. LT, 1. Wahlperiode, 1. Tagung, Drucksachen Bd. 14, S. 8465 ff. 9 Stellungnahme des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz vom 28. Dezember 1924 (Arch. f. kath. Kirchenrecht, 111, 1931, S. 523 f.). Vgl. K. Kammer, Das preußische Gesetz über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24. Juli 1924 (1929); Η. Flick, Das kirchenpolitische System der Weimarer Verfassung und die tatsächliche Regelung der Staatsaufsicht über die kirchliche Vermögensverwaltung i n Preußen (Diss. K ö l n 1933). 2
12 Huber
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen N r . 129. Gesetz über die V e r w a l t u n g des katholischen K i r c h e n v e r m ö g e n s vom 24. Juli 1924 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1924, S. 585-591) — Auszug — 1. Einzelgemeinden
§ 1. (1) Der Kirchenvorstand verwaltet das Vermögen i n der Kirchengemeinde. Er vertritt die Gemeinde und das Vermögen. (2) Das Vermögen umfaßt die kirchlichen Vermögensstücke und die unter die Verwaltung kirchlicher Organe gestellten örtlichen Stiftungen. (3) Die Rechte der Kirchendiener an den zu ihrer Besoldung bestimmten Vermögensstücken werden hierdurch nicht berührt. § 2. (1) Der Kirchenvorstand besteht aus: 1. dem Pfarrer oder dem von der bischöflichen Behörde mit der Leitung der Gemeinde betrauten Geistlichen als Vorsitzenden; 2. den gewählten Mitgliedern; 3. dem auf Grund besonderen Rechtstitels Berechtigten oder dem von i h m Ernannten. (2) Die bischöfliche Behörde kann für ihren Bereich bestimmen, daß auch andere hauptamtlich angestellte Seelsorgegeistliche der Gemeinde aus dem Weltklerus, soweit sie das Wählbarkeitsalter erreicht haben, zum Kirchenvorstand gehören. § 3. Die Zahl der gewählten Mitglieder beträgt i n Gemeinden bis 500 Seelen 6, bis 1500 Seelen 10, bis 3000 Seelen 16, bis 6000 Seelen 20, bis 15 000 Seelen 24, in größeren Gemeinden 28. § 4. (1) Wahlberechtigt sind alle Mitglieder der Gemeinde, die am Wahltage 21 Jahre alt sind und seit einem Jahre an dem Orte der Gemeinde wohnen. (5) Die Wahl ist unmittelbar und geheim; jeder Wähler hat eine Stimme. Zur Ausübung des Wahlrechts ist die Eintragung i n die Wählerliste erforderlich. § 5. (1) Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der am Wahltage 30 Jahre alt ist, sofern er nicht durch kirchenbehördliche Entscheidung von den allen Kirchengliedern zustehenden Rechten ausgeschlossen ist. (2) Die bischöfliche Behörde kann bestimmen, daß wenigstens die Hälfte der Gewählten Männer sein müssen. §6. (1) Frauen können das A m t als Kirchenvorsteher ablehnen und jederzeit niederlegen, Männer nur aus erheblichen Gründen. § 8. (1) Das A m t der gewählten Mitglieder dauert sechs Jahre. Von drei zu drei Jahren scheidet die Hälfte aus. Die Reihenfolge w i r d das erste Mal durch das Los bestimmt. Das Ausscheiden erfolgt mit dem Eintritt der Nachfolger. ... § 9. Das A m t des Kirchenvorstehers ist ein Ehrenamt. Für außergewöhnliche Mühewaltung kann i h m der Kirchenvorstand mit Genehmigung der bischöflichen Behörde eine angemessene Entschädigung bewilligen.
VI. Die Kosten der evangelischen Kirchenbehörden in Preußen
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§ 10. (1) Der Kirchenvorstand hat ein Vermögensverzeichnis zu errichten und fortzuführen. (2) Er hat einen Voranschlag der Jahreseinnahmen und -ausgaben aufzustellen und am Schlüsse jedes Rechnungsjahrs die Rechnung zu prüfen. (3) Der Haushalt ist nach Feststellung, die Jahresrechnung nach Entlastung für die Gemeindemitglieder nach ortsüblicher Bekanntmachung auf zwei Wochen öffentlich auszulegen 10 . ... §16. (1) Die Staatsbehörde ist berechtigt, i n die Vermögensverwaltung Einsicht zu nehmen und Gesetzwidrigkeiten zu beanstanden. (2) Der Kirchenvorstand kann gegen die Beanstandung i m Verwaltungsstreitverfahren das Oberverwaltungsgericht anrufen 1 1 . ... 2. Gemeindeverbände § 22. (1) Kirchengemeinden können zu einem Verbände zusammengeschlossen werden. (2) Der Verband kann durch Anschluß anderer Gemeinden erweitert werden. ... 3. Diözesen § 28. (1) A u f die Vermögensstücke der Bischöflichen Stühle, Bistümer, Kapitel und die unter Verwaltung kirchlicher Organe gestellten Anstalten, Stiftungen und Vermögensstücke, die nicht unter § 1 fallen, finden die §§ 15 bis 17 sinngemäß Anwendung. ... 4. Schlußbestimmungen § 30. (1) Das Staatsministerium bestimmt die Behörden, die die hier festgesetzten Rechte des Staates auszuüben haben 1 2 . (2) Der für die kirchlichen Angelegenheiten zuständige Minister führt das Gesetz aus 1 3 .
VI. Die Kosten der evangelischen Kirchenbehörden in Preußen Zu den wichtigen Auf gaben einer Neuordnung der evangelischen Kirchenverfassung nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments zählte die Entstaatlichung der kirchlichen Verwaltung. Insbesondere in Preußen bildete dieser Schritt eine unumgängliche Voraussetzung für den Erlaß einer neuen Kirchenverfassung. 10 Es folgen Einzelregelungen zu Sitzungseinberufung, Beschlußfähigkeit, Beschlußfassung und staatlicher Genehmigung. 11 Es folgen Regelungen für Konfliktfälle. 12 Dazu die Verordnung über die Ausübung der Rechte des Staates bei Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24. Oktober 1924 (GS 1924, S. 731). 13 Dazu die Anordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24. Oktober 1924 (GS 1924, S. 732). 12*
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
Deshalb verzögerten die Verhandlungen über die neue Rechtsstellung der Kirchenbehörden das Inkrafttreten des Verfassungswerks erheblich 1. Die Konfliktthemen dieser Verhandlungen wurden in den Reden des preußischen Kultusministers Boelitz 2 und des deutschnationalen Landtagsabgeordneten Karl Koch 3 knapp zusammengefaßt (Nr. 130, Nr. 131). Beide machten deutlich, daß eine dauerhafte Klärung in der Form einer Vereinbarung zwischen Staat und Kirche erfolgen sollte; damit kündigte sich eine Entwicklung an, die schließlich in den preußischen Kirchenvertrag von 1931 mündete 4. Mit dem Gesetz vom 15. Oktober 1924 (Nr. 132) fand die Stellung der Beamten in Kirchenbehörden als Staatsbeamten ihr definitives Ende. Zugleich wurde jedoch anerkannt, daß der Staat herkömmlicherweise die Kosten der kirchlichen Verwaltung — nicht dagegen diejenigen der synodalen Organe — getragen hatte. Die Finanzierung der Kirchenbehörden blieb infolgedessen auch weiterhin eine staatliche Verpflichtung. Erfüllt wurde diese nicht mehr durch die jährliche Haushaltsbewilligung, sondern durch die materiell-gesetzliche Festlegung fortdauernder staatlicher Leistungen an die einzelnen Landeskirchen 5. Umstritten war, ob sich aus dieser staatlichen Finanzierung ein Einspruchsrecht des Staats gegen die Anwärter auf kirchliche Leitungsämter ableiten lasse.
N r . 130. Rede des preußischen K u l t u s m i n i s t e r s Otto Boelitz vor d e m preußischen L a n d t a g am 23. September 1924 (Sitzungsberichte des Preußischen Landtags, 1. Wahlperiode, 1. Tagung, Bd. 17, Sp. 23489 ff.) — Auszug — ... Der vorliegende Gesetzentwurf enthält i m wesentlichen zwei Punkte. Zunächst regelt er die Überleitung der bisherigen Konsistorialbeamten, die bis heute Staatsbeamte sind, in die Kirchenverwaltung. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß 1 Zwar war die preußische Kirchenverfassung bereits durch das staatliche Gesetz vom 8. A p r i l 1924 (unten Nr. 284) sanktioniert; jedoch trat sie erst nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Kosten der evangelischen Kirchenbehörden i n Kraft (unten Nr. 132). 2 Otto Boelitz (1876-1951), Philologe; 1904 Oberlehrer i n Bochum, 1907 in Brüssel, 1909 in Barcelona; 1915 Gymnasialdirektor i n Soest; 1919-21 MdprLVers., 1921-32 MdprLT (DVP); 1921-25 preuß. Kultusminister; 1930 Direktor des neugegründeten Ibero-Amerikanischen Instituts i n Berlin; nach 1945 Mitglied der CDU. 3 Karl Koch (1876-1951), ev. Theologe; seit 1903 Pfarrer i n Westfalen (Holtrup, Ennigloh, zuletzt Bad Oeynhausen); 1919-33 MdprLT; 1930-32 MdR (DNVP); 1927 Superintendent des Kirchenkreises Vlotho und (bis 1948) Präses der Westfälischen Provinzialsynode; seit der 1. Westfälischen Bekenntnissynode (1934) Präses dieser Synode und des westfälischen Bruder rats, dann i n denselben Ämtern der Bekennenden Kirche innerhalb der Altpreußischen Union und der Deutschen Evangelischen Kirche. 4 Unten Nr. 309. 5 Vgl. J. Duske, Die Dotationspflicht des Preußischen Staates für die allgemeine Verwaltung der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union (1929); A. Breitfeld, Die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat i n Preußen auf Grundlage der Reichsverfassung (1929).
VI. Die Kosten der evangelischen Kirchenbehörden i n Preußen
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man allenthalben die Überzeugung gewinnen wird, daß der Staat alles getan hat, was er t u n konnte, u m diesen Konsistorialbeamten ihre wohlerworbenen Rechte zu erhalten, soweit das unter der Anpassung an die neuen Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Kirche auf Grund der Reichsverfassung überhaupt möglich war. Ich verweise da besonders auf den § 1 Abs. 2, der bestimmt, daß Besoldung, Ruhegehalt, Hinterbliebenenfürsorge dieser Beamten auch in Zukunft aus der Staatskasse zu erfolgen hat. Der zweite Punkt betrifft dann die Sicherung der evangelischen Landeskirchen. Meine Damen und Herren, bisher war es doch so, daß die Kosten für die kirchlichen Verwaltungsbehörden alljährlich hier durch den Haushalt festgestellt werden mußten; in Zukunft werden die Landeskirchen für diese Kosten dauernde staatliche Leistungen auf gesetzlicher Grundlage erhalten. Für die Feststellung der Höhe der Renten ist ein Weg gefunden worden, der auf objektiver Grundlage beruht, und der es dem Staate erspart, sich in die Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse i n irgendeiner Form einzumischen. Ich bin der Ansicht, daß die evangelischen Kreise auch hier die Überzeugung gewinnen werden und anerkennen müssen, in wie großzügiger Weise der Staat der Bedeutung der evangelischen Landeskirche gerecht geworden ist, wie diese Frage der Sicherstellung der Landeskirchen in objektivster Form erfolgt ist. Darüber hinaus ist die Staatsregierung bereit, den Kirchen eine erhöhte Sicherung durch Abschluß einer Vereinbarung zu gewähren, in der eine unparteiische Instanz zum Schiedsrichter zwischen Staat und Kirchen berufen w i r d unter der i m § 9 festgesetzten, soeben von dem Herrn Berichterstatter angeführten Voraussetzung ... Leider ist i n der Presse der Regierung der Vorwurf gemacht worden, daß sie das Inkrafttreten der Verfassung der evangelischen Landeskirche der altpreußischen Union zum 1. Oktober dieses Jahres absichtlich verhindern wollte. Rechtlich betrachtet war das Inkrafttreten der Kirchenverfassung auch ohne dieses Gesetz durchaus möglich. Nachdem durch Staatsgesetz vom 8. A p r i l den Kirchenverfassungen die erforderliche staatsgesetzliche Ergänzung gegeben worden ist 6 , stand der Verkündung dieser Verfassungen nichts mehr i m Wege. A n sich also war das Fehlen dieses Gesetzes über die vorläufige Regelung der Kosten des Kirchenregiments, zu dessen Beratung w i r heute zusammengekommen sind, kein rechtliches Hindernis, die Kirchenverfassung in Kraft zu setzen. Es ist ja auch tatsächlich so, daß die Kirchenverfassungen der evangelischen Kirche Hessen-Cassel und der evangelisch-lutherischen Kirche von Schleswig-Holstein seit Monaten in Kraft stehen 7 , obwohl die Rechtsverhältnisse der bisherigen kirchlichen Behörden dieser Landeskirchen dieselben sind wie i m alten Preußen. Bereits Anfang Oktober werden die auf Grund der neuen Kirchenverfassungen gewählten obersten Synoden sowohl i n Hessen-Cassel wie i n Schleswig-Holstein zusammentreten. Freilich, die endgültige Bildung der in den neuen Kirchenverfassungen vorgesehenen obersten Behörden war nur nach einer gesetzlichen Regelung der Kostenfrage möglich, daß für die bisherigen staatlichen Leistungen für die kirchlichen Behörden andere Formen gefunden werden mußten. Erst mit der Verabschiedung dieses 6 7
Unten Nr. 284. Unten Nr. 281 sowie S. 603 f.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
Gesetzes werden die finanziellen Schwierigkeiten beseitigt werden, die sonst durch das Inkrafttreten der evangelischen Kirchenverfassungen hätten entstehen können. Die Annahme dieses Ihnen vorliegenden Gesetzes ist für die fernere Gestaltung der evangelischen Landeskirchen von der allerhöchsten Bedeutung. Ich möchte deshalb meine kurzen Ausführungen mit dem Wunsche schließen, daß die neuen Verfassungen den evangelischen Landeskirchen reichen Segen durch Gewinnung neuer lebendiger Kräfte bringen möchten. Es ist das Streben der Besten der Landeskirchen immer gewesen, auf diese freiheitliche Gestaltung hinzuwirken. Möge die Neuordnung der Verhältnisse von Staat und Kirche aber auch dem Staate zum Segen gereichen, der zur Erfüllung seiner großen Aufgaben die verständnisvolle Mitarbeit der Kirchen nicht entbehren kann und nicht entbehren will. Lassen Sie mich einen weiteren Wunsch damit verbinden. Dieser Gesetzentwurf sichert jetzt den Landeskirchen den Unterhalt ihrer Behörden. Die Beziehungen zwischen Staat und Landeskirchen werden sich in Zukunft i m Zusammenwirken zwischen diesen Behörden und meinem Ministerium vollziehen. Ich gebe deshalb dem Wunsche Ausdruck, daß diese Zusammenarbeit auch in Zukunft reibungslos sein möge. Durch ein derartiges friedliches Zusammenarbeiten zwischen den kirchlichen Behörden und dem Ministerium, zwischen dem Staat und der Kirche w i r d unter Wahrung der verfassungsmäßigen Freiheiten der Kirchen dieser selbst, dem Staate und unserm Volke am besten gedient sein.
N r . 131. Rede des deutschnationalen Abgeordneten K a r l K o c h v o r d e m preußischen L a n d t a g am 23. September 1924 (Sitzungsberichte des preußischen Landtags, 1. Wahlperiode, 1. Tagung, Bd. 17, Sp. 23492ff.) — Auszug — Das vorliegende Gesetz enthält, wie schon der Herr Minister ausgeführt hat, zwei Hauptteile. Zuerst handelt es sich u m die Überleitung der bisher i m Staatsdienst stehenden, aber für die Kirche beschäftigten Beamten der kirchlichen Verwaltung vom Haushalt des Staates auf den der Kirche. M i t dem, was über diesen Punkt i m Gesetz enthalten ist, sind wir ganz und gar einverstanden. Zweitens handelt es sich u m eine Sicherstellung der evangelischen Landeskirchen bezüglich der für ihre Verwaltung nötigen Gelder. Sie sollen nicht wie bisher jährlich durch den Staatshaushalt bereitgestellt, sondern nunmehr durch dieses Gesetz ein für allemal der Kirche überwiesen werden. Über diese Sicherheit hinaus, sagt der Herr Minister, ist noch eine erhöhte Sicherheit insofern vorhanden, als eine Vereinbarung hierüber zwischen Staat und Kirche in Aussicht genommen ist, und bei Meinungsverschiedenheit ein Schiedsgericht entscheiden soll. Eins hätte aber an dieser Stelle der Herr Minister hinzufügen müssen: der Wunsch der Kirche, bezüglich der Rente, die dieses Gesetz vorsieht, mit dem Staat eine Vereinbarung zu schließen, ist von dem Staat mit der Forderung beantwortet worden, dann müsse auch eine Vereinbarung über ein dem Staat zu gewährendes Recht, gegen die Berufung der Vorsitzenden der kirchlichen Verwaltungsbehörden Bedenken geltend machen zu dürfen, geschlossen werden. So wenigstens ist es i n der Begrün-
VI. Die Kosten der evangelischen Kirchenbehörden in Preußen
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dung zu dem ursprünglichen Gesetzentwurf enthalten. Das ist nicht bloß vom kirchlichen, sondern auch von anderem Standpunkt aus eine unerwünschte Regelung. Wir konnten das von Anfang an nicht in Einklang bringen mit dem Satz der Reichsverfassung, daß die Kirchen ihre Angelegenheiten selbstständig ordnen und verwalten 8 . Diese sehr unerwünschte Bestimmung (in § 9 Abs. 2) ist schließlich, wenn und weil das Zustandekommen des Gesetzes davon abhängt, für uns nur aus folgenden Erwägungen tragbar und annehmbar: 1. Das Recht, gegen die Berufung der Vorsitzenden der kirchlichen Verwaltungsbehörden Bedenken geltend zu machen, konnte und w i r d dem Staat nicht durch Gesetz zugesprochen, sondern ist davon abhängig, daß darüber zwischen Staat und Kirche eine Vereinbarung zustande kommt. Die Kirche kann also in Freiheit handeln, und ist nicht gebunden, dem Staat jenes Recht zuzugestehen. Käme die Vereinbarung nicht zustande, so hätten die Zahlungen auf Grund dieses Gesetzes doch zu erfolgen. 2. Die Bedenken auf Grund der Vereinbarung sollen nach der Begründung zur Vorlage der Regierung — Drucksache Nr. 7871 Spalte 9 — nur geltend gemacht werden können — nun zitiere ich wörtlich — : „wenn Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß der Berufene in Ausübung seines Amtes die staatliche Ordnung gefährden wird. Diese Tatsachen dürften anzugeben sein." Und endlich 3. die oberste Behörde unserer evangelischen Kirche altpreußischer Union, der Landeskirchenausschuß, hat sich, wie w i r zu wissen glauben, wegen der sonstigen Vorteile des Gesetzes und u m der Zwangslage willen, in der sie sich befindet, für das Zustandekommen dieses Gesetzes auch mit dieser an sich unerwünschten Bestimmung ausgesprochen. . . .
N r . 132. Gesetz über die einstweilige Regelung der Kosten f ü r die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n der evangelischen L a n d e s k i r c h e n vom 15. Oktober 1924 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1924, S. 607) — Auszug — § 1. (1) Die Beamten der evangelischen kirchlichen Verwaltung, die nach der Neubildung der Kirchenbehörden i m Dienste ihrer Landeskirche verbleiben, scheiden aus dem Staatsbeamtenverhältnis aus. (2) Ihre Besoldung, ihr Ruhegehalt und ihre Hinterbliebenenversorgung erhalten sie für die Besoldungsgruppe, der sie beim Inkrafttreten dieses Gesetzes angehören, und die daran anschließende Aufstiegsgruppe entsprechend den für die unmittelbaren Staatsbeamten jeweilig maßgebenden Vorschriften aus der Staatskasse. ... § 4. (1) Zur Deckung der persönlichen Kosten ihrer Verwaltungsbehörden erhält jede Landeskirche aus der Staatskasse fortlaufend i n einer festen Summe denjenigen Betrag, welcher nach den Richtlinien für die Aufstellung des Haushaltsplans 8
Oben Nr. 97.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
erforderlich ist, u m unter Berücksichtigung des jetzigen Staatsgebiets die i m Staatshaushalte des Rechnungsjahrs 1914 für die Landeskirche vorgesehene Zahl von Beamten entsprechend den für gleichartige Stellungen in der Staatsverwaltung jeweilig maßgebenden Vorschriften zu besolden. Für die nebenamtlichen Mitglieder ist dabei ein Betrag von 40000 Goldmark vorzusehen. (2) Zur Deckung der Ruhegehälter und der Hinterbliebenenversorgung der Beamten ihrer Verwaltungsbehörden erhält jede Landeskirche fortlaufend einen Betrag von 22,5 vom Hundert der i m Abs. 1 genannten Summe. ... §5. (1) Zur Deckung der sächlichen Kosten und der Reisekosten ihrer Verwaltungsbehörden erhält jede Landeskirche i n einer festen Summe fortlaufend einen Betrag entsprechend den tatsächlichen Ausgaben des Evangelischen Oberkirchenrats und der Konsistorien für diese Zwecke i m Rechnungsjahre 1913 unter Berücksichtigung des jetzigen Staatsgebiets. (2) Dieser Betrag verändert sich, je nachdem der Staat für die sächlichen Kosten und die Reisekosten seiner Verwaltungsbehörden gegenüber den i m Rechnungsjahre 1913 entstandenen tatsächlichen Ausgaben höhere oder geringere Beträge i n den Staatshaushalt einstellt. ... § 7. (1) Die von dem Evangelischen Oberkirchenrat und den Konsistorien bisher benutzten staatlichen Gebäude nebst Einrichtungsgegenständen bleiben i m bisherigen Umfange den Landeskirchen für die Unterbringung ihrer Verwaltungsbehörden überlassen. Soweit die staatlichen Gebäude bisher von Beamten der evangelischen kirchlichen Verwaltung benutzt worden sind, haben die Landeskirchen für sie eine Vergütung entsprechend den für Dienstwohnungen der Beamten geltenden Vorschriften zu zahlen. (2) Nach Benehmen mit der obersten kirchlichen Behörde können die Gebäude durch gleichartige andere ersetzt werden. (3) Ihre Unterhaltung erfolgt nach den bisherigen Vorschriften. ... § 9. Das Staatsministerium w i r d ermächtigt, mit den evangelischen Landeskirchen Vereinbarungen abzuschließen: 1. über die in den §§ 4 bis 8 vorgesehenen Staatsleistungen; 2. über ein der Staatsbehörde einzuräumendes Recht, gegen die Berufung der Vorsitzenden der kirchlichen Verwaltungsbehörden Bedenken geltend zu machen; 3. über die Entscheidung etwaiger Meinungsverschiedenheiten wegen Durchführung der unter Nr. 1, 2 vorgesehenen Vereinbarungen, insbesondere auch wegen Berücksichtigung der gegen die Berufung der Vorsitzenden der kirchlichen Verwaltungsbehörden geltend gemachten Bedenken, durch ein Schiedsgericht oder das Oberverwaltungsgericht. § 10. Durch die i n diesem Gesetze getroffene einstweilige Regelung w i r d der Ablösung der bisherigen Staatsleistungen für die evangelischen Landeskirchen gemäß A r t i k e l 138 der Reichsverfassung nicht vorgegriffen; insbesondere kann aus dieser Regelung von keiner Seite bezüglich der Ablösung dieser Leistungen nach ihrem Rechtsgrund, ihrem Inhalt oder ihrer Höhe ein Anspruch oder ein Einwand abgeleitet werden. ...
VII. Die preußischen Kirchensteuergesetze von 1929
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V I I . Die preußischen Kirchensteuergesetze von 1929 In der Phase relativer wirtschaftlicher Konsolidierung (1925-1928) bemühten sich die Kirchen, zu einer Neuordnung des Kirchensteuersystems zu gelangen. Die leitenden Motive für die geplanten neuen Regelungen lagen in einer gerechteren Verteilung der Lasten und in einer Verbreiterung der Steuerbasis. Diesen Zielen sollte einerseits die Einführung eines Kirchgelds für Kirchenmitglieder dienen, die nicht zur Einkommensteuer herangezogen wurden; zum andern sollte die Progression der Einkommensteuer bei der Kirchensteuer nicht in vollem Umfang mitvollzogen werden 1. Von diesen Plänen wurde im Jahr 1927 die Einführung des Kirchgelds zuerst für die katholischen Diözesen in Preußen verwirklicht 2. Die evangelischen Landeskirchen schlossen sich im Jahr 1928 an3. Durch die kirchliche Notverordnung für die altpreußische Kirche vom 28. September 1928 (Nr. 133) wurde das Kirchgeld auf Dauer rechtlich verankert; ferner konnte gemäß dieser Notverordnung auch die Reichsvermögensteuer als Maßstabsteuer herangezogen werden. Für die anderen preußischen Landeskirchen ergingen alsbald entsprechende Notverordnungen oder Kirchengesetze. Sie fanden in dem Gesetz zur Änderung des Kirchensteuerrechts der evangelischen Landeskirchen vom 3. Mai 1929 (Nr. 134) ihre staatliche Bestätigung. Das Gesetz zur Änderung des Kirchensteuer- und Umlagerechts der katholischen Kirche vom gleichen Tag (Nr. 135) übertrug diese Regelungen auch auf den Bereich der katholischen Diözesen in Preußen.
N r . 133. K i r c h l i c h e N o t v e r o r d n u n g f ü r die Evangelische K i r c h e der altpreußischen U n i o n z u r Ä n d e r u n g des Kirchensteuerrechts vom 28. September 1928 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1929, S. 36) — Auszug — Art. I. Das Kirchengesetz, betreffend die Erhebung von Kirchensteuern i n den Kirchengemeinden und Parochialverbänden der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen, vom 26. Mai 19054 w i r d wie folgt geändert: 1 Dazu die ausführlichen Erörterungen in der altpreußischen Generalsynode von 1927: Verhandlungen der 8. Generalsynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, 1. Teil (1927), S. 45ff.; 559ff.; 570ff.; ferner die Stellungnahme des preußischen Oberkirchenrats vom 17. Dezember 1927 (SBdpreuß. LT, 3. Wahlper., 1. Tagung, Drucksachen Bd. 2, 1929, S. 1185ff.). 2 Richtlinien für die Erhebung eines Kirchgeldes zur Deckung des kirchlichen Bedarfs neben den Kirchensteuerzuschlägen zu den staatlichen Steuern für das Rechnungsjahr 1927 vom 4. März 1927 (Kirchl. Amtsblatt für die Diözese Fulda, 1927, S. 31); Ministerialerlaß über Richtlinien, betr. die Erhebung des Kirchgeldes für das Rechnungsjahr 1927 vom 31. März 1927 (Zentralblatt für die innere Verwaltung, 1927, S. 129; Preuß. Pfarrarchiv 15, 1927, S. 369). 3 Richtlinien des preuß. Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 10. A p r i l 1928 (SBdpreuß. LT, 3. Wahlperiode, 1. Tagung, Drucksachen Bd. 2, 1929, S. 1197ff.); Erlaß des preuß. Oberkirchenrats, betr. Erhebung eines Kirchgeldes, vom 27. A p r i l 1928 (Preuß. Pfarrarchiv 17,1929, S. 87); Verfügung des Konsistoriums in Berlin, betr. M i t w i r k u n g der Finanzämter bei der Erhebung des Kirchgeldes, vom 18. Juni 1928 (ebenda S. 90). 4 Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 24.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
§ 1. Die Kirchengemeinden können neben der Einkommensteuer außer den Realsteuern auch die Reichsvermögensteuer als Maßstab der Umlegung der Kirchensteuer benutzen. § 4. Die Kirchengemeinden können neben Zuschlägen zu den in § 1 dieser Verordnung bezeichneten Steuern ein gleiches oder gestaffeltes Kirchgeld als Kirchensteuer erheben. §5. § 7 Abs. 2 des Kirchensteuergesetzes (Kirchensteuerfreiheit der Geistlichen und Kirchenbeamten hinsichtlich ihres Diensteinkommens, ihres Ruhegehalts und ihrer Hinterbliebenenbezüge) w i r d aufgehoben. ...
N r . 134. Gesetz zur Ä n d e r u n g des Kirchensteuerrechts der evangelischen L a n d e s k i r c h e n vom 3. Mai 1929 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1929, S. 35) — Auszug — Art. I. § 1. Das Gesetz, betreffend die Erhebung von Kirchensteuern i n den Kirchengemeinden und Parochialverbänden der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen, vom 14. Juli 19055 findet sinngemäß Anwendung auf Kirchensteuern, die nach Maßgabe der anliegenden Notverordnung des Kirchensenats der evangelischen Kirche der altpreußischen Union vom 28. September 1928 erhoben werden 6 . ...
N r . 135. Gesetz z u r Ä n d e r u n g des Kirchensteuer- u n d Umlagerechts der katholischen K i r c h e vom 3. Mai 1929 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1929, S. 43 f.) — Auszug — Art. I. Das Gesetz, betreffend die Erhebung von Kirchensteuern i n den katholischen Kirchengemeinden und Gesamtverbänden vom 14. Juli 19057, w i r d wie folgt geändert: § 1. (1) Die katholischen Kirchengemeinden und Gemeinde verbände können neben der Einkommensteuer außer den Realsteuern auch die Reichsvermögensteuer als Maßstab der Umlegung der Kirchensteuer benutzen 8 . ...
ö
Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, Nr. 25. I m folgenden finden auch die entsprechenden Regelungen für die übrigen preußischen Landeskirchen die staatsgesetzliche Bestätigung. 7 Staat und Kirche, Bd. ΙΠ. Nr. 26. 8 Das Folgende entspricht der Notverordnung für die altpreußische Landeskirche (oben Nr. 133). 6
VIII. Das religionsgesellschaftliche Steuerrecht i n Bayern
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V I I I . Das religionsgesellschaftliche Steuerrecht in Bayern In Bayern galten hinsichtlich der kirchlichen Vermögensverwaltung seit dem Jahr 1912 die gleichen Bestimmungen für die beiden großen Konfessionskirchen l. Die Sonderbestimmungen des Staatsgesetzes über die Kirchensteuer für die protestantischen Kirchen in Bayern von 1908 blieben hiervon unberührt 2. Nach der Novemberrevolution waren die beiden Kirchen bestrebt, an die vorgegebene Rechtslage anzuknüpfen 3. Schon bald kam es zu einer umfassenden, jedoch auf dem bisherigen Rechtszustand aufbauenden Neuregelung durch das religionsgesellschaftliche Steuergesetz vom 27. Juli 1921 (Nr. 136). Sein Ziel war, gleiche Grundsätze für die Kirchensteuererhebung und -Verwaltung aller Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festzulegen. Die nähere Ausgestaltung der kirchlichen Vertretungskörperschaften wurde der kirchlichen Selbstbestimmung überlassen. Kennzeichnend für das religionsgesellschaftliche Steuerrecht in Bayern war die Heranziehung einer Vielzahl staatlicher Steuern als Maßstabsteuern für die Kirchensteuer. Die überlieferten staatlichen Leistungen für die kirchliche Verwaltung und für die Besoldung der Geistlichen blieben erhalten 4.
N r . 136. Religionsgesellschaftliches Steuergesetz vom 27. Juli 1921 (Gesetz- und Verordnungs-Blatt für Bayern, 1921, S. 459) — Auszug — Art. 1. Die Religionsgesellschaften und Religionsgemeinden (Pfarr-, Mutterund Tochtergemeinden) des öffentlichen Rechtes sind befugt, für ihre Zwecke gleichmäßige Zuschläge (Umlagen) zu den Reichs- und Landessteuern nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu erheben. Art. 2. Die unter Art. 1 fallenden Religionsgesellschaften — i n der katholischen Kirche die Diözesen — und Religionsgemeinden (Pfarr-, Mutter- und Tochtergemeinden) bilden Steuer verbände 5 . 1 Bayerische Kirchengemeindeordnung vom 24. September 1912 (Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 36). 2 Staatsgesetz, betreffend die Kirchensteuer für die protestantischen Kirchen des Königreichs Bayern, vom 15. August 1908 (ebenda Nr. 35). 3 Kirchengesetz, betreffend die Forterhebung der Landeskirchensteuer, vom 6. September 1920 (Allg. Kirchenblatt, 70, 1921, S. 13); Staatsgesetz über die Forterhebung der religionsgesellschaftlichen Steuern und religionsgemeindlichen Umlagen für die Zeit vom 1. A p r i l 1920/31. März 1921, vom 18. März 1921 (GVB1. S. 93). 4 Vgl. M. Lutter, Heutiger Stand des katholischen Kirchensteuerrechts i n Bayern unter Berücksichtigung seiner geschichtlichen Entwicklung (Diss. jur. Erlangen 1927); J. Kress, Ist der bayerische Staat zu den Leistungen an die katholische Seelsorgegeistlichkeit rechtlich verpflichtet? Dazu: Die einschlägigen Verhältnisse der bayerischen evangelischen Kirchen (1930); Th. Karg, Das Kirchensteuerrecht i n der Evang.-Luth. Kirche in Bayern (2. Aufl. 1969); F.-G. v. Busse, Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche (1978), S. 156ff. 5 Durch das Gesetz zur Änderung des religionsgesellschaftlichen Steuergesetzes vom 1. August 1923 (GVB1. 1923, S. 349) wurde dem Art. 2 als Abs. Π hinzugefügt:
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
Art. 3. I. Jeder Steuerverband muß eine Vertretung haben. II. Ihre Zusammensetzung, Berufung oder Wahl, Ersetzung und Austritt ihrer Mitglieder, dann ihr Geschäftsgang sind durch eine Satzung zu ordnen, deren Erlassung den Religionsgesellschaften oder Religionsgemeinden öffentlichen Rechtes nach Maßgabe ihrer eigenen Verfassung überlassen wird; Religionsgemeinden, die keiner Religionsgesellschaft, jedoch einem Verbände von Religionsgemeinden öffentlichen Rechts angehören, können die Aufstellung einer gemeinsamen Satzung ihrem Verbände übertragen. I n der Satzung muß folgenden Mindestanforderungen genügt werden. 1. Jede Steuerverbands Vertretung muß einen Vorsitzenden und mindestens zwei weitere Mitglieder haben, die sämtlich deutsche Reichsangehörige sind, das 25. Lebensjahr zurückgelegt haben, i m Steuer verbände wohnen und umlagenpflichtig sind 6 . 2. Ihre Beschlußfähigkeit muß von der gehörigen Ladung aller i m Steuerverbandbezirk anwesenden Mitglieder abhängig gemacht sein. 3. Über ihre Beschlüsse muß eine fortlaufende Niederschrift geführt werden, die vom Vorsitzenden und einem weiteren Mitgliede zu unterzeichnen ist und die erforderlichen Feststellungen zur Beurteilung der Beschlußfähigkeit sowie das Ergebnis der Abstimmung zu enthalten hat. 4. Für die Entscheidung von Streitigkeiten über den Vollzug der Satzung muß ein geordnetes Verfahren vorgesehen werden. III. Die von Religionsgesellschaften oder von einem Verbände von Religionsgemeinden erlassenen Satzungen sind dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus, die von einzelnen Religionsgemeinden erlassenen Satzungen sind der Staatsaufsichtsbehörde des Steuerverbandsitzes zur Prüfung vorzulegen. Wenn Erinnerungen binnen 2 Monaten nicht erhoben oder wenn sie als behoben erklärt sind, gelten die Satzungen als vollziehbar und sind sodann i n geeigneter Weise zu veröffentlichen. ... Art. 5. I. Die Umlagen sind gleichmäßig zu folgenden Steuern zu erheben: 1. Grundsteuer..., 2. Haussteuer ..., 3. Gewerbesteuer ..., 5. Einkommensteuer ..., 6. Körperschaftsteuer. ... „II. Änderungen des Gebietes religionsgemeindlicher Steuerverbände sind der den beteiligten Steuerverbänden gemeinsamen Regierung, Kammer des Innern, sonst dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus anzuzeigen und erlangen Wirksamkeit, wenn Erinnerungen nicht binnen zwei Monaten erhoben oder wenn sie als behoben erklärt sind." 6 Art. 3 Abs. I I Ziff. 1 erhielt durch das Gesetz vom 1. August 1923 folgende Fassung: „Jede Steuerverbandsvertretung muß einen Vorsitzenden und mindestens zwei weitere Mitglieder haben; sie müssen sämtlich deutsche Reichsangehörige sein, das 25. Lebensjahr zurückgelegt haben und — mit Ausnahme des Vorsitzenden — i m Steuerverbande wohnen und umlagenpflichtig sein."
I X . Das württembergische Gesetz über die Kirchen
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Art. 8. I. Juristische Personen und nichtrechtsfähige Vereine, die nicht nach Art. 9 Ziff. 2 behandelt werden können, sind nur bei Bauumlagen beitragspflichtig (Bauumlagenpflicht). ... Art. 9. 2. Soweit mehrere natürliche Personen einheitlich veranlagt werden und nicht sämtlich gegenüber dieser Religionsgemeinde umlagenpflichtig sind, ist bei den Umlagenpflichtigen nur der ihrem Anteil entsprechende Teil der Steueransätze heranzuziehen. Solange nicht ein anderes nachgewiesen oder von Amts wegen festgestellt wird, sind gleiche Anteile anzunehmen. 3. Ist von Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben, nur einer Religionsgenosse, so w i r d bei i h m die Hälfte der Steueransätze herangezogen, die i n Betracht kämen, falls beide Gatten Religionsgenossen wären 7 . Das gleiche gilt entsprechend, wenn in einer Hausgemeinschaft Eiternteile und wirtschaftlich unselbständige Kinder nicht sämtlich dem nämlichen Bekenntnisse angehören; die Angehörigen des gleichen Bekenntnisses innerhalb der Hausgemeinschaft gelten bei der Berechnung als Einheit. Für die Umlagen der Frau haftet der Mann, für die Umlagen der Kinder haftet der Gewalthaber als Gesamtschuldner. 4. Die Steuern der Bauumlagenpflichtigen mit Bekenntnisgepräge werden für den religionsgemeindlichen Steuerverband des entsprechenden Bekenntnisses mit den vollen Ansätzen herangezogen. Als Pflichtige mit Bekenntnisgepräge gelten auch solche juristischen Personen oder nichtrechtsfähigen Vereine, an denen nachweisbar ausschließlich Angehörige der gleichen Religion beteiligt sind. 5. Bauumlagenpflichtige ohne Bekenntnisgepräge können von dem religionsgemeindlichen Steuerverbande des einzelnen Bekenntnisses nur mit einem Bruchteile der Steueransätze herangezogen werden. Der Bruchteil bemißt sich nach dem Anteile des Bekenntnisses an der Gesamteinwohnerzahl der einschlägigen bürgerlichen Gemeinde (bei abgesonderten Markungen der Bezirksgemeinde) nach der letzten Volkszählung. ... Art. 11. I. Umlagenpflichtig gegenüber einer Religionsgesellschaft öffentlichen Rechtes (landesumlagenpflichtig) sind alle Religionsgenossen, die innerhalb des religionsgesellschaftlichen Steuerverbandes mit einer der in Art. 5 bezeichneten Steuern veranlagt sind 8 . ... Art. 12. I. Die Verwaltung der religionsgesellschaftlichen oder religionsgemeindlichen Umlagen kommt der Vertretung des religionsgesellschaftlichen oder religionsgemeinschaftlichen Steuer Verbandes zu.
I X . Das württembergische Gesetz über die Kirchen In Württemberg war die kirchliche Vermögensverwaltung umfassend durch die beiden Kirchengemeindegesetze von 1906 geregelt l. Diese Rechtslage bestand nach 1918 fort. Einer vordringlichen Neufestsetzung bedurften die staatlichen Beiträge 7
Der sog. Halbteilungsgrundsatz: Staat und Kirche, Bd. Π, S. 1025, Anm. 10. Die letzten Worte wurden durch das Gesetz vom 1. August 1923 geändert in: ,zur Entrichtung einer der in Art. 5 bezeichneten Steuern verpflichtet sind". 8
1
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 37 f.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
zur Besoldung der evangelischen und katholischen Pfarrer; sie erfolgte erstmalig durch das Pfarrbesoldungsgesetz vom 31. Mai 19202. Das Kirchensteuerrecht sowie die kirchliche Vermögensverwaltung wurden umfassend durch das Gesetz über die Kirchen vom 3. März 1924 neu geordnet (Nr. 137), das im Jahr 1927 eine Novellierung erfuhr. Das Gesetz von 1924 verknüpfte Regelungen über das kirchliche Finanzwesen mit einer Reihe weiterer staatskirchenrechtlicher Materien, insbesondere mit den staatlichen Bestimmungen über den Kirchenaustritt, den Beamtenstatus der Pfarrer und den Verwaltungsrechtschutz für kirchliche Körperschaften und Stiftungen. Auf Grund dieses Gesetzes erging die Verordnung des Kultusministeriums über die Kirchensteuern vom 21. März 1927 3, die die Zuständigkeit der Oberämter für die Genehmigung von Ortskirchensteuern und Bezirksumlagen feststellte und die staatliche Mitwirkung beim Steuereinzug regelte. Die entsprechenden Verordnungen des Oberkirchenrats folgten am 4. Mai 1927 4. Sie zeigen, daß in Württemberg alle in der Weimarer Zeit verfügbaren Kirchensteuerarten ausgeschöpft wurden. Als Maßstabsteuer für die Orts- und Landeskirchensteuer kamen neben der Einkommensteuer auch Vermögen-, Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer in Frage. Daneben konnten sowohl eine besondere Klassensteuer, die die Steuerpflichtigen nach festen Merkmalen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse einteilte, als auch eine Kopfsteuer, also ein Kirchgeld für Kirchenglieder, die sonst nicht zur Kirchensteuer herangezogen wurden, erhoben werden.
N r . 137. Gesetz über die K i r c h e n vom 3. März 1924 (Regierungsblatt für Württemberg, 1924, S. 93) — Auszug — I. Die kirchlichen 1. Öffentliche
Rechtspersonen Körperschaften
§ 1. (1) Die Kirchen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. (2) Kirchen i m Sinn dieses Gesetzes sind die evangelische Kirche, die katholische Kirche und die israelitische Religionsgemeinschaft. §2. (1) Die Kirchengemeinden sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. (2) Kirchengemeinden i m Sinn dieses Gesetzes sind die rechtsfähigen Gemeinden der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche und der israelitischen Religionsgemeinschaft mit Einschluß der rechtsfähigen Tochter- oder Gesamtgemeinden. (3) Neue Kirchengemeinden erlangen die Rechtsfähigkeit durch staatliche Anerkennung auf Grund eines Antrags der Oberkirchenbehörde. Die Anerkennung ist öffentlich bekanntzumachen. §3. (1) Die Oberkirchenbehörden sind verpflichtet, vor der Vornahme von Änderungen i n dem Bestand der Kirchengemeinden oder der Begrenzung ihrer 2 3 4
Württ. Reg. Bl. 1920, S. 367. Württ. Reg. Bl. 1927, S. 119. Allg. Kirchenblatt, 76, 1927, S. 178ff.
I X . Das württembergische Gesetz über die Kirchen
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Bezirke den Oberämtern, deren Bezirk die beteiligten Kirchengemeinden oder Teile derselben angehören, Gelegenheit zur Äußerung zu geben. (2) Die Änderungen sind von den Oberkirchenbehörden den beteiligten Oberämtern mitzuteilen. (3) Die vermögensrechtlichen Folgen der Änderung werden von der Oberkirchenbehörde nach den Grundsätzen des kirchlichen Rechts, in Ermangelung solcher Grundsätze nach billigem Ermessen geregelt, wenn nicht die beteiligten Kirchengemeinden eine gültige Vereinbarung treffen. § 4. (1) Verbände mehrerer Kirchengemeinden, die zur Förderung gemeinsamer Zwecke durch Übereinkunft oder Satzung der Kirche gebildet werden, erlangen die Rechtsfähigkeit auf Antrag der Oberkirchenbehörde durch staatliche Verleihung (kirchliche Gemeinde verbände). (2) Die Gemeinde verbände, die aus den Kirchengemeinden der evangelischen Dekanatsbezirke gebildet sind, sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. § 5. Das Domkapitel und die Landkapitel der katholischen Kirche sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. § 6. A u f die Bildung neuer Verbände der Kirchengemeinden evangelischer Dekanatsbezirke (§ 4 Abs. 2) und neuer katholischer Landkapitel finden die Vorschriften des § 2 Abs. 3, auf Änderungen der evangelischen und katholischen Dekanatsbezirke die Vorschriften des § 3 entsprechende Anwendung. 2. Stiftungen und
Anstalten
§7. (1) Zur Entstehung einer rechtsfähigen kirchlichen Stiftung des öffentlichen Rechts ist die staatliche Genehmigung auf Grund eines Antrags der Oberkirchenbehörde erforderlich. ... (3) Die bestehenden Pfarreien der evangelischen Kirche und die bestehenden Pfründstiftungen und Kirchenpflegen der katholischen Kirche erlangen mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes die Rechtsfähigkeit, soweit sie nicht schon vorher rechtsfähig gewesen sind. § 8. (1) Die Aufhebung einer öffentlichen kirchlichen Stiftung oder die Umwandlung ihres Zwecks unterliegt, soweit Abs. 2 nichts anderes bestimmt, den Grundsätzen des für alle öffentlichen Stiftungen geltenden Rechts. Die Verfügung steht der Oberkirchenbehörde mit staatlicher Genehmigung zu. ... 3. Religiöse Genossenschaften §10. Religiöse Genossenschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. II. Die Mitglieder 1. Der Austritt
der Kirchen
Bekenntnismündiger
§11. (1) Wer das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann aus seiner Kirche mit bürgerlicher Wirkung durch eine Erklärung austreten, die von i h m persönlich zu Protokoll des Standesbeamten abzugeben ist.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
(2) Zuständig ist der Standesbeamte, i n dessen Bezirk der Austretende seinen Wohnsitz (vergi. § 27) oder i n Ermangelung eines württembergischen Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. (3) Wer wegen körperlicher Gebrechen vor dem Standesbeamten nicht erscheinen kann, kann die Erklärung in öffentlich beglaubigter Form bei i h m einreichen; die Erklärung w i r d i n dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie der Standesbeamte entgegennimmt. § 12. (1) Die Absicht des Austritts ist mindestens einen Monat vor der Erklärung der Kirchengemeinde mitzuteilen, i n deren Bezirk der Austretende seinen Wohnsitz (vergi. § 27) oder in Ermangelung eines württembergischen Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Mitteilung ist von dem Austretenden selbst mündlich oder schriftlich an den Vorsitzenden der Kirchengemeindevertretung oder den von ihr bestellten besonderen Vertreter zu richten 5 . (2) Der Vertreter der Kirchengemeinde ist verpflichtet, dem Austretenden binnen drei Wochen eine Bescheinigung über den Empfang der Mitteilung zu übermitteln. Die Bescheinigung darf nicht aus dem Grund versagt werden, weil der Austretende seine Zugehörigkeit zu der Kirche nicht nachzuweisen vermag. (3) Der Standesbeamte ist verpflichtet, vor der Entgegennahme der Austrittserklärung den urkundlichen Nachweis zu verlangen, daß die Kirchengemeinde die vorschriftsmäßige Mitteilung rechtzeitig erhalten hat und seit dem Empfang der Mitteilung nicht mehr als drei Monate verstrichen sind. (4) Der Standesbeamte benachrichtigt von der Abgabe der Austrittserklärung unverzüglich die Kirchengemeinde. Dem Austretenden ist auf Verlangen eine Bescheinigung über die Erklärung des Austritts zu erteilen. 2. Der Austritt
Bekenntnisunmündiger
§13. (1) Für ein K i n d unter 14 Jahren können die Eltern den Austritt aus der Kirche erklären, soweit sie zur Sorge für die Person des Kindes berechtigt sind. Zu der Erklärung ist die Einwilligung des Kindes erforderlich, wenn es das 12. Lebensjahr vollendet hat. (2) Die Erklärung ist unwirksam, wenn sich die Änderung des Erziehungsbekenntnisses nach Feststellung des Vormundschaftsgerichts als ein Mißbrauch des Erziehungsrechts darstellt, der das geistige Wohl des Kindes gefährdet (§ 1666 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). (3) Solange die Eltern gemeinschaftlich zur Sorge für die Person des Kindes berechtigt sind, kann der Standesbeamte die Erklärung eines Elternteils nur entgegennehmen, wenn dieser die Einwilligung des andern Elternteils nachweist oder eine wirksame Entscheidung des Vormundschaftsgerichts vorlegt, die ihn zu der Änderung des Erziehungsbekenntnisses ermächtigt. (4) Der Vormund oder Pfleger des Kindes bedarf zu der Erklärung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts; die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn 5 Die Pflicht der Austrittswilligen, selbst die Kirchengemeinde zu informieren, ist eine Besonderheit des württembergischen Rechts. Vgl. zu den in den anderen deutschen Ländern geltenden Regelungen oben Nr. 41 f., Nr. HOff.
I X . Das württembergische Gesetz über die Kirchen
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sie nicht gegen die Bestimmungen über das religiöse Erziehungsrecht (§ 3 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921)6 verstößt. ... (6) Solange das K i n d noch nicht in die Schule aufgenommen ist, können die Eltern sein Bekenntnis ändern, ohne daß es einer Austrittserklärung bedarf. 3. Sonstige Bestimmungen §14. Will ein Mitglied einer Kirche zu einer andern Kirche übertreten, so ist diese verpflichtet, vor der Aufnahme die Vorlegung einer Austrittsbescheinigung des Standesbeamten zu verlangen, es sei denn, daß der Übertritt in Todesgefahr erfolgt. § 15. (1) Ist der Ausgetretene i n eine andere Religionsgesellschaft aufgenommen oder in die Kirche zurückgetreten, so hat der Standesbeamte auf seinen Antrag oder auf Antrag der beteiligten Kirche dem Protokoll über die Erklärung des Austritts und der Austrittsbescheinigung einen Vermerk über die Aufnahme beizufügen. (2) Die Aufnahme ist dem Standesbeamten durch eine Bescheinigung der Religionsgesellschaft nachzuweisen. §16. (1) Für die Tätigkeit des Standesbeamten und die i n § 12 genannten Bescheinigungen sind Gebühren oder Sportein nicht zu erheben. ... III. Das Besteuerungsrecht der kirchlichen 1. Die Voraussetzungen
Körperschaften
der Besteuerung
Ortskirchensteuer §17. Die Kirchengemeinden sind berechtigt, für ihre Bedürfnisse oder die Bedürfnisse eines kirchlichen Gemeinde Verbands Steuern zu erheben, wenn nicht nach den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung andere Mittel beschafft werden können. §18. Über die Erhebung der Ortskirchensteuer beschließt eine Vertretung der Kirchengemeindegenossen. § 19. (1) Der Bestand, die Geschäftsordnung und die Befugnisse der ortskirchlichen Steuervertretung, insbesondere auch ihre Beteiligung an der Feststellung des Haushaltsplans und der Rechnungsprüfung sowie das Recht der Kirchengemeindegenossen auf Einsichtnahme i n den Haushaltsplan und die Rechnungen werden durch Satzung der Kirche geordnet. (2) Die Satzung bedarf der staatlichen Anerkennung. Gegen die Versagung der Anerkennung kann das Staatsministerium angerufen werden. § 20. (1) Der Steuerbeschluß kann vollzogen werden, wenn er nach Genehmigung durch die kirchliche Aufsichtsbehörde von dem Oberamt für vollziehbar erklärt ist. M i t dem Beschluß ist dem Oberamt der Haushaltsplan der Kirchengemeinde vorzulegen. ... Bezirksumlagen § 22. (1) Die Gemeindeverbände, die aus den Kirchengemeinden der evangelischen Dekanatsbezirke gebildet sind, sind innerhalb der Schranken der Satzung Oben Nr. 13 Huber
.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
der Kirche berechtigt, von den Kirchengemeinden des Bezirks Umlagen für ihre gemeinsamen Bedürfnisse zu erheben. (2) Der Umlagebeschluß bedarf der staatlichen Genehmigung, sofern er sich nicht auf die Kosten der Bezirksvertretung oder solche Kosten beschränkt, die durch Verordnung diesen gleichgestellt sind. (3) Über die Erhebung der Umlage beschließt eine Vertretung der Kirchengemeinden. Die Vorschriften des § 19 gelten sinngemäß.
Landeskirchensteuer § 23. Die Kirchen sind berechtigt, für ihre Bedürfnisse Steuer zu erheben, soweit ihnen weder Leistungen des Staates oder Dritter noch kirchliche Mittel zur Verfügung stehen. § 24. (1) Die Erhebung der Landeskirchensteuer setzt einen Beschluß einer gewählten Vertretung der Kirchengenossen voraus. ... §25. (1) Der Steuerbeschluß kann vollzogen werden, wenn er von dem K u l t m i nisterium auf Antrag der Oberkirchenbehörde für vollziehbar erklärt ist. (2) M i t dem Steuerbeschluß ist dem Ministerium der Haushaltsplan der Kirche vorzulegen. Forterhebung
der Steuer
§ 26. Solange ein vollziehbarer Steuerbeschluß noch nicht vorliegt, dürfen die kirchlichen Körperschaften die Kirchensteuer des abgelaufenen Steuerjahres als Vorauszahlung für das laufende Steuerjahr vorläufig forterheben. Diese Befugnis kann in der Erklärung über die Vollziehbarkeit des früheren Steuerbeschlusses ausgeschlossen werden. 2. Steuerpflicht § 27. (1) Landeskirchensteuerpflichtig ist, wer der besteuernden Kirche angehört. Personen, die dem Bekenntnis einer auswärtigen evangelisch-lutherischen, reformierten oder unierten Kirche angehören, stehen den Angehörigen der evangelischen Landeskirche gleich, sofern sie nicht einer andern Religionsgesellschaft angehören. (2) Wer landeskirchensteuerpflichtig ist, ist gegenüber der Kirchengemeinde ortskirchensteuerpflichtig, in deren Bezirk der Pflichtige seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines württembergischen Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat der Pflichtige i m Bezirk mehrerer württembergischer Kirchengemeinden einen Wohnsitz, so teilen sich diese i n das Besteuerungsrecht nach den Vorschriften der Steuersatzung der Kirche. § 28. (1) Der Eintritt i n die Kirche und der Austritt aus der Kirche w i r d für die Steuerpflicht mit dem Beginn des folgenden Rechnungsjahres wirksam. § 29. (1) Ortskirchensteuerpflichtig sind außerdem juristische Personen des bürgerlichen Rechts, sofern Ortskirchensteuern für Aufwendungen auf Herstellung oder Unterhaltung von Kirchen mit regelmäßigem pfarramtlichen Gottes-
I X . Das württembergische Gesetz über die Kirchen
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dienst samt Einrichtung und von Gebäuden für die Pfarrgeistlichen (Bausteuer) erhoben werden 7 . 3. Der Besteuerungsmaßstab § 30. (1) Die Landeskirchensteuer w i r d als Zuschlag zu der reichsgesetzlichen Einkommensteuer erhoben. Neben diesem Zuschlag können die Kirchen einen Zuschlag zu der reichsgesetzlichen Vermögensteuer erheben. (2) Die Ortskirchensteuer w i r d als Zuschlag zu der reichsgesetzlichen Einkommen- und Vermögensteuer und der Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer des Staats in einem einheitlichen Hundertsatz dieser Steuern erhoben. Wegen besonderer Verhältnisse kann die Staatsbehörde Abweichungen genehmigen.... §31. (1) Die Zuschläge werden von den kirchlichen Körperschaften für alle Pflichtigen auf den gleichen Hundertsatz der bürgerlichen Steuer festgesetzt. (2) Bei besonderen Verhältnissen kann das Oberamt zulassen, daß die Kirchensteuer für alle Steuerpflichtigen oder für einen Teil nach Klassen festgestellt wird, i n die die Kirchengenossen nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen eingereiht werden. (3) Für die Personen, deren Einkommensteuer ohne Veranlagung erhoben wird, können die Zuschläge zur Einkommensteuer durch Verordnung besonders geregelt werden. (4) Würde die ortskirchliche Steuerschuld eines Pflichtigen die Hälfte des durch Steuer zu deckenden Abmangels der Kirchengemeinde übersteigen, so werden die auf ihn entfallenden ortskirchlichen Zuschläge u m den entsprechenden Betrag gekürzt, sofern nicht die Steuersatzung der Kirche die Kürzung beschränkt oder ausschließt. ... § 34. (2) Werden Ehegatten, die nicht derselben Kirche steuerpflichtig sind, zu diesen Steuern zusammen veranlagt, so bemißt die besteuernde Kirche oder Kirchengemeinde den Zuschlag des Pflichtigen Ehegatten nach der halben Einkommen· und Vermögensteuer beider Ehegatten. Für den Zuschlag haftet auch der andere Ehegatte als Gesamtschuldner 8 . ... § 38. (1) Das Oberamt kann der Kirchengemeinde die Erhebung einer Kopfsteuer von den volljährigen Steuerpflichtigen gestatten 9 . Der Höchstbetrag dieser Steuer w i r d durch Verordnung bestimmt. (2) Die Kopfsteuer kann auch von den Pflichtigen, die einen Wohnsitz i m Bezirk mehrerer Kirchengemeinden haben, i m vollen Betrag erhoben werden. ... 4. Die Verwaltung
der Steuern
§40. (1) Die Kirchen und Kirchengemeinden können die Verwaltung der Kirchensteuern durch Vereinbarung den bürgerlichen Gemeinden übertragen, soweit 7 Zur Kirchensteuerpflicht juristischer Personen siehe Staat und Kirche, Bd. II, S. 1025, Anm. 9; Bd. III, S. 101, Anm. 11. 8 Zu diesem „Halbteilungsgrundsatz" siehe Staat und Kirche, Bd. Π, S. 1025, Anm. 10. 9 Bereits hier ist also die Möglichkeit eines Kirchgelds vorgesehen; vgl. oben S. 185. 13*
1 9 6 7 . Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen die Verwaltung nicht von den kirchlichen Körperschaften selbst besorgt oder auf Antrag der Oberkirchenbehörden gemäß § 19 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung 10 von den Reichsfinanzbehörden übernommen wird. ... 5. Steuersatzungen § 47. Die Kirchen können i m Rahmen dieses Gesetzes und der Vollzugsverordnung mit staatlicher Genehmigung Steuersatzungen erlassen. IV. Sammlungen und Gebühren 1. Sammlungen § 48. (1) Die kirchlichen Körperschaften sind befugt, in oder vor den kirchlichen Räumen, bei kirchlichen Feiern oder durch öffentlichen Aufruf für kirchliche oder milde Zwecke zu sammeln. ... 2. Gebühren V. Kirchliche
Beamte
§51. (1) Wird ein i m öffentlichen Kirchendienst verwendeter Geistlicher oder ein kirchlicher Beamter durch Erkenntnis eines kirchlichen Gerichts wegen einer dienstlichen Verfehlung vom A m t entfernt oder von einem kirchlichen Gericht oder der Oberkirchenbehörde mit einer Geldstrafe belegt oder wegen Dienstunfähigkeit ohne seine Zustimmung vom A m t enthoben, so kann das Kultministerium die Entscheidung auf Antrag der Oberkirchenbehörde für vollstreckbar erklären, wenn sie einer zwangsweisen Vollstreckung bedarf.... § 52. (1) Ist zur Durchführung einer dienstlichen Untersuchung gegen einen Geistlichen oder kirchlichen Beamten die staatliche M i t w i r k u n g erforderlich, so kann das Kultministerium auf Antrag der Oberkirchenbehörde das Oberamt beauftragen, einzelne Beweise zu erheben. I n Untersuchungen wegen Verletzung der Lehrverpflichtung findet eine staatliche M i t w i r k u n g nicht statt. ... §53. (1) Die kirchlichen Disziplinarbehörden sind berechtigt, in dienstlichen Untersuchungen gegen Geistliche oder kirchliche Beamte Zeugen und Sachverständige zu laden. ... § 54. (1) Wenn ein Geistlicher oder kirchlicher Beamter infolge strafgerichtlicher Verurteilung zur Bekleidung öffentlicher Ämter unfähig wird, verliert er für die Dauer der Unfähigkeit die mit dem Kirchenamt verbundene staatsrechtliche Stellung, sowie die Befugnis zur Beteiligung an der kirchlichen Besteuerung. ... § 55. (1) Die Amtsbezeichnungen, die die kirchlichen Körperschaften innerhalb ihrer Zuständigkeit den Geistlichen und kirchlichen Beamten verleihen, werden als öffentliche Amtsbezeichnungen anerkannt. ... § 56. Die mit dem Kirchenamt verbundene staatsrechtliche Stellung, sowie die Befugnis der Geistlichen und kirchlichen Beamten zur M i t w i r k u n g bei der kirchlichen Besteuerung setzt den Besitz der deutschen Reichsangehörigkeit voraus. 1
Oben Nr. 1 0 .
I X . Das württembergische Gesetz über die Kirchen VT. Der Verwaltungsrechtsschutz 1. Verpflichtungen
kirchlicher
Körperschaften
kirchlicher
197
und Stiftungen
Körperschaften
§57. (1) Über vermögensrechtliche Streitigkeiten zwischen kirchlichen Gemeinden, Gemeindeverbänden oder Stiftungen derselben Kirche, für die nicht die Zuständigkeit bürgerlicher Gerichte, Verwaltungsgerichte oder Verwaltungsbehörden begründet ist, w i r d i m kirchlichen Verwaltungsverfahren entschieden. Gegen die Entscheidung, die die Oberkirchenbehörde in solchen Streitigkeiten oder in den Fällen des § 3 Abs. 3 trifft, können die beteiligten Körperschaften oder Stiftungen nach den Vorschriften des § 62 Abs. 2 den Verwaltungsgerichtshof anrufen, sofern seine Anrufung nicht durch Satzung der Kirche ausgeschlossen wird. (2) Für Streitigkeiten, die die Besteuerung betreffen (§§ 27 Abs. 2 und 32 Abs. 3), kann die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs nicht ausgeschlossen werden. ... 2. Streitigkeiten
über Stiftungen
§ 60. (1) Über die Berechtigung zum Genuß öffentlicher kirchlicher Stiftungen w i r d i m kirchlichen Verwaltungsverfahren entschieden, wenn nicht der Stifter eine andere Bestimmung getroffen hat. Gegen die Entscheidung der Oberkirchenbehörde ist die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs nach den Vorschriften des § 62 Abs. 2 zulässig. Der Stifter kann die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs ausschließen. (2) Soweit die Stiftung für gottesdienstliche oder ihnen gleichgestellte Zwecke (§ 8 Abs. 5) bestimmt ist, finden diese Bestimmungen keine Anwendung. ... 3. Streitigkeiten
zwischen bürgerlichen
und kirchlichen
Gemeinden
§ 62. (1) Entstehen Streitigkeiten zwischen bürgerlichen und kirchlichen Gemeinden oder Stiftungen . . . , so entscheidet auf Anrufung der beteiligten Körperschaften oder Stiftungen das Oberamt, auf ihre Beschwerde das Ministerium des Innern i m Benehmen mit dem Kultministerium. ... 4. Wirksamkeit
kirchlicher
Satzungen
§63. (1) Gegenüber einer Verfügung des Kultministeriums, die eine Bestimmung einer kirchlichen Satzung, einen Beschluß einer kirchlichen Körperschaft oder eine Verordnung einer kirchlichen Behörde für unwirksam erklärt, steht der Oberkirchenbehörde die Rechtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof... zu. VII. Sonstige Religionsgesellschaften
des öffentlichen
Rechts
§ 64. Soweit andere Religionsgesellschaften oder gleichstehende Vereinigungen (Art. 137 Abs. 7 der Reichsverfassung 11 ) nach den Bestimmungen der Reichsverfassung Körperschaften des öffentlichen Rechts sind oder durch Beschluß des Staatsministeriums die Rechtsstellung öffentlicher Körperschaften erhalten, werden ihre staatsrechtlichen Verhältnisse i m Sinne dieses Gesetzes durch Verordnung geregelt. 11
Oben Nr. 97.
198
7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen VIII.
Schlußbestimmungen
1. Verordnungen
und Satzungen
§ 65. (1) Sofern dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind die ausdrücklich vorbehaltenen oder zu seinem Vollzug erforderlichen Verordnungen nach Anhörung der Oberkirchenbehörde von dem Kultministerium, soweit sie die kirchliche Besteuerung betreffen, i m Einvernehmen mit dem Finanzministerium, soweit sie Verpflichtungen bürgerlicher Gemeinden berühren, i m Einvernehmen mit dem Ministerium des Innern, i n den Fällen der §§49 Abs. 3 und 53 Abs. 2 i m Einvernehmen mit dem Justizministerium zu erlassen. ... 2. Zuständigkeit
der Behörden
§ 67. (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, werden die Befugnisse, die es dem Staat vorbehält, von dem Kultministerium wahrgenommen. ... IX. Gesetzesänderungen und
Übergangsbestimmungen
§ 70. Das Evangelische Konsistorium als Staatsbehörde w i r d aufgehoben. ... § 72. (1) Der Katholische Kirchenrat ist auf Antrag des Bischöflichen Ordinariats durch Verordnung des Staatsministeriums aufzuheben. Bis zur Aufhebung des Katholischen Kirchenrats gilt für die Verwaltung der Pfründen der katholischen Kirche das bisherige Recht. ... § 73. (1) Die evangelisch-theologischen Seminare und die katholischen Konvikte werden durch Vereinbarung des Kultministeriums mit der Oberkirchenbehörde in die Leitung und Verwaltung der Oberkirchenbehörde überführt, soweit diese Anstalten der Erziehung und Verpflegung der Zöglinge und ihrer besonderen Vorbildung zum Kirchendienst dienen. Die entgegenstehenden Bestimmungen werden durch Verordnung aufgehoben. (2) Soweit die niederen evangelischen Seminare für die allgemeine Vorbildung der künftigen Geistlichen bestimmt sind, werden ihre staatsrechtlichen Verhältnisse samt den Staatsleistungen i m Einvernehmen mit der Oberkirchenbehörde durch Verordnung geregelt. ...
X . Die Kirchensteuergesetzgebung in Baden Baden hatte seit den Anfängen der Kirchensteuergesetzgebung die Unterscheidung zwischen der für die Bedürfnisse der Einzelgemeinden bestimmten Ortskirchensteuer und der für die Erfordernisse der kirchlichen Zusammenschlüsse zu erhebenden Landeskirchensteuer mit besonderer Konsequenz durchgeführt 1. An die damit festgelegten Grundsätze schloß sich auch die Entwicklung des badischen
1 Vgl. das Ortskirchensteuergesetz von 1888 (Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 473), das Landeskirchensteuergesetz von 1892 (Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 39) sowie die Neufassungen der beiden Gesetze von 1906 (ebenda Nr. 40 f.).
X . Die Kirchensteuergesetzgebung in Baden
199
Kirchensteuerwesens in der Weimarer Zeit an. Neben die kircheneigenen Einnahmen traten weiterhin staatliche Leistungen sowie Zuschüsse für die Pfarrerbesoldung 2. Nach den ersten Änderungen durch das Gesetz vom 18. März 19203 wurden die beiden grundlegenden Steuergesetze — das Landeskirchensteuergesetz und das Ortskirchensteuergesetz — unter weiteren Veränderungen am 30. Juni 1922 neu verkündet (Nr. 138, Nr. 139)4. Das Kirchenvermögensgesetz vom 7. April 1927 5 stellte klar, daß der Erlaß der Satzungen für die kirchliche Vermögensverwaltung zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen gehörte; der Vorbehalt der staatlichen Genehmigung diente nur der Prüfung der Vereinbarkeit dieser kirchlichen Satzungen mit dem für alle geltenden Staatsgesetz (Art. 137 Abs. 3 WRV) 6. Zum Erlaß der vorgesehenen Satzungen kam es erst nach dem Ende der Weimarer Zeit 7. Die sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik verschärfende finanzielle Notlage zwang die Kirchen auch in Baden zu dem Versuch, ihre Einnahmequellen zu erweitern. Das Staatsgesetz vom 18. März 1932 eröffnete ihnen die Möglichkeit, unabhängig von der Kirchensteuer ein Kirchgeld in einem einheitlichen oder einem gestaffelten Betrag zu erheben 8.
N r . 138. Landeskirchensteuergesetz vom 30. Juni 1922 (Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1922, S.494ff.) — Auszug — I. Voraussetzung der Besteuerung für allgemeine kirchliche Bedürfnisse Art. 1. Den nach § 18 der badischen Verfassung 9 als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgesellschaften ist auf ihren Antrag zur Erhebung von Steuern für allgemeine kirchliche Bedürfnisse die Hilfe der Staatsgewalt unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe der Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes zu gewähren.
2 I n der Weimarer Zeit geregelt durch das Gesetz über die Aufbesserung gering besoldeter Pfarrer aus Staatsmitteln vom 29. Juli 1921 (GVB1. 1921, S. 170), mit Novellierungen in den folgenden Jahren. 3 GVB1. 1920, S. 69. 4 Vgl. auch die Verordnungen zum Vollzug des Landeskirchensteuergesetzes vom 17. Mai 1923 (GVB1.1923, S. 107) und zum Vollzug des Ortskirchensteuergesetzes vom gleichen Tag (ebenda S. 108). 5 GVB1. 1927, S. 97. 6 Oben Nr. 97. 7 Satzung über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens i m Erzbistum Freiburg, badischen Anteils, vom 27. Februar 1934 (GVB1. 1934, S. 163); Vorläufiges kirchliches Gesetz, die Verwaltung des evangelischen Kirchen Vermögens betreffend, vom 24. A p r i l 1934 (GVB1. 1934, S. 194) und vom 27. A p r i l 1934 (GVB1. 1934, S. 176). 8 Gesetz über das Kirchgeld vom 18. März 1932 (GVB1. 1932, S. 71). — Vgl. auch G. Würth, Staat und Kirche auf dem Gebiete der kirchlichen Vermögensverwaltung nach badischem Recht (Diss. Heidelberg 1932). 9 Oben Nr. 103.
200
7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
Art. 2. Als allgemeine kirchliche Bedürfnisse sind jedenfalls anzusehen: 1. der Aufwand für die obersten kirchlichen Landesbehörden;... die Kosten für Bestellung und Tagung von Versammlungen, welche zur M i t w i r k u n g bei allgemeinen Angelegenheiten einer Kirche überhaupt oder bei der Ausübung der Besteuerung für allgemeine kirchliche Bedürfnisse berufen sind; 2. die Aufbesserung gering besoldeter Kirchendiener, soweit nicht hierfür sonst gesetzliche Vorsorge getroffen ist; 3. der Aufwand an Ruhe- und Unterstützungsgehalten der geistlichen und kirchlichen Beamten, sowie an Sterbegehalt, Witwen- und Waisengeld für deren Hinterbliebene; 4. die Ausstattung neu zu errichtender örtlicher geistlicher Ämter, insoweit nicht hierfür die Besteuerung der betroffenen örtlichen Kirchengemeinden eintritt. Art. 3. Kirchliche Steuern dürfen nur erhoben werden, wenn und soweit für die betreffenden Bedürfnisse weder ein sonst aus öffentlichem Recht oder ein privatrechtlich Verpflichteter einzutreten hat, noch die Bestreitung aus den Erträgnissen des eigenen allgemeinen Kirchenvermögens oder allgemeinen kirchlichen Zwekken gewidmeter Stiftungen geschehen kann, noch Zuwendungen ohne Rechtszwang gemacht sind. ... Art. 5. Zur Begründung von vermögensrechtlichen, durch kirchliche Steuern zu deckenden Verpflichtungen für eine gesamte Religionsgesellschaft sowie zur Erhebung kirchlicher Steuern bedarf es eines auf Vorschlag der betreffenden obersten Kirchenbehörde gefaßten Beschlusses einer kirchlich geordneten und staatlich anerkannten, aus Wahl der Kirchengenossen hervorgegangenen Vertretung derselben sowie der staatlichen Genehmigung dieses Beschlusses. II. Vertretung der Kirchengenossen Art. 6. Die Vertretung der Kirchengenossen (Art. 5) kann ausschließlich aus weltlichen Mitgliedern zusammengesetzt werden. Soweit die Vertretung der Kirchengenossen aus allgemeiner Wahl derselben hervorgeht, sind sämtliche Mitglieder ohne Unterschied gleichberechtigt. Mitglieder, die aus besonderen Wahlen der Geistlichen hervorgehen, dürfen nur mitwirken, soweit ihre Zahl ein Fünftel der Gesamtvertretung nicht übersteigt. Die M i t w i r k u n g von Mitgliedern, die von der obersten Kirchenbehörde ernannt werden, ist nur zulässig, soweit ihre Zahl nicht mehr als ein Zehntel der Vertretung beträgt. Die Stimmberechtigung zu diesen Wahlen regelt sich nach den Bestimmungen des Artikels 4 des Ortskirchensteuergesetzes 10 . Die Gesamtvertretung einer Religionsgesellschaft soll nicht unter 30 Mitglieder zählen. Zählt eine Religionsgesellschaft nicht mehr als 50 000 Seelen, so kann auf eine Zahl von 20 Mitgliedern herabgegangen werden. Art. 7. Die Vertretung der Kirchengenossen w i r d von der obersten Kirchenbehörde i m Einverständnis mit der Regierung einberufen. Ihre Beratung und Beschlußfassung ist der Regel nach öffentlich. 10
Unten Nr. 139.
X . Die Kirchensteuergesetzgebung i n Baden
201
Art. 8. Die Mitglieder der obersten Kirchenbehörde oder deren Bevollmächtigte sowie die Mitglieder der mit der Verwaltung der allgemeinen kirchlichen Fonds betrauten sonstigen Oberbehörde sind berechtigt, der Beratung und Beschlußfassung anzuwohnen und müssen auf Verlangen mit ihren Vorträgen gehört werden. Auch die Staatsregierung kann ihre Interessen hierbei durch Bevollmächtigte mit gleichem Rechte vertreten lassen. ... III. Steuerpflicht
und Steuerfuß
Art. 11. Die Steuer für allgemeine kirchliche Bedürfnisse ist von den dem Bekenntnisse der besteuernden Kirche angehörenden natürlichen Personen, welche den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt i m Lande Baden haben, aufzubringen. Art. 12. Die allgemeine Kirchensteuer w i r d erhoben durch einen einheitlichen Zuschlag zur Reichseinkommensteuer und zur Landessteuer vom Grundvermögen und Gewerbebetrieb (Ursteuern). ... Einem i n gemischter Ehe lebenden Ehegatten w i r d die Hälfte des Steuerbetrags angesetzt, welcher auf die beiden Gatten, falls dieselben eines Bekenntnisses wären, entfallen w ü r d e 1 1 . Für die hiernach anzusetzenden Steuern haften beide Gatten als Gesamtschuldner. Kirchensteuerpflichtige Personen, welche sich mit Anderen i n einer solchen Gesellschaft (Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, offenen Handelsgesellschaft, einfachen Kommanditgesellschaft) befinden, die mit Grund- und Betriebsvermögen zur Staatssteuer veranlagt sind, sind mit dem ihrer Beteiligung an der Gesellschaft entsprechenden Teile der Staatssteuerbeträge derselben heranzuziehen. Aus den Grund- und Gewerbesteuerwerten der Stammgüter sind die jeweiligen Stammherren steuerpflichtig. Art. 13. Beginn, Änderung und Ende der Steuerpflicht richten sich nach den für die Ursteuern maßgebenden Bestimmungen, soweit sich nicht aus den Vorschriften dieses Gesetzes etwas anderes ergibt. ... Art. 14. Die allgemeine Kirchensteuer (Art. 12) darf für ein Steuerjahr 10 vom Hundert der Ursteuern nicht übersteigen. Art. 15. Sofern eine Religionsgesellschaft die allgemeine Kirchensteuer nicht selbst erhebt, erfolgt deren Verwaltung durch die Reichsfinanzbehörden in dem Umfange, in dem sie ihnen auf Antrag der zuständigen Stellen vom Reichsfinanzminister übertragen worden ist. ... IV. Verfahren
zur Feststellung und Erhebung der Steuern
Art. 16. Der Antrag auf Erhebung einer Steuer für allgemeine kirchliche Bedürfnisse und der Beschluß der Vertretung der Kirchengenossen, welcher die Erhebung
11 Dieser „Halbteilungsgrundsatz" war bereits durch das badische Ortskirchensteuergesetz von 1888, Art. 15 festgelegt worden (Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 473).
2 0 2 7 . Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen bzw. Feststellung einer solchen Steuer verfügt, hat zugleich die Dauer der Bewilligung auszusprechen. ... V. Sonstige Bestimmungen
N r . 139. Ortskirchensteuergesetz vom 30. Juni 1922 (Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1922, S. 501 ff.) — Auszug — I. Voraussetzungen
der kirchlichen
Besteuerung
Art. 1. Örtliche Verbände von Angehörigen der nach § 18 der badischen Verfass u n g 1 2 als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgesellschaften, welche zum Zweck der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung mit regelmäßigem pfarrlichem Gottesdienste i m Lande Baden bestehen oder mit staatlicher Genehmigung künftig errichtet werden, haben als Kirchengemeinden die Rechte öffentlicher Korporationen (Körperschaften), deren räumlicher Umfang das Kirchspiel ist. Art. 2. Zur Bestreitung der für die öffentliche Religionsübung der Gemeinde erforderlichen Ausgaben — der örtlichen kirchlichen Bedürfnisse — können die Kirchengemeinden (Art. 1) von ihren Angehörigen Steuern fordern, für deren Erhebung die Hilfe der Staatsgewalt unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes gewährt wird. Als örtliche kirchliche Bedürfnisse sind jedenfalls anzusehen: 1. Unterhaltung und Neubau der Pfarrkirchen und Pfarrhäuser; 2. Anschaffung und Unterhaltung der nach den Satzungen oder Gebräuchen jeder Kirche für den Pfarrgottesdienst, für kirchliche Feierlichkeiten der Gemeinde und für die Ausübung der anderweitigen seelsorgerlichen Verrichtungen nötigen Gerätschaften und sonstigen Erfordernisse; 3. Belohnung der sogenannten niederen kirchlichen Bediensteten (Küster, Organisten usw.); 4. Entschädigung für Stolbezüge, deren Ablösung seitens der zuständigen kirchlichen Organe beschlossen worden ist. Für Ausstattung neu zu errichtender geistlicher Ämter ist eine Besteuerung durch die Kirchengemeinde nur mit Genehmigung der obersten Staatsbehörde statthaft. Art. 3. Kirchliche Steuern (Art. 2) dürfen nur erhoben werden, wenn und soweit für die betreffenden Bedürfnisse weder ein privatrechtlich Verpflichteter einzutreten hat, noch die Bestreitung aus eigenem Vermögen der Kirchengemeinde, oder aus Mitteln von Stiftungen geschehen kann, an welchen der Kirchengemeinde beziehungsweise deren Angehörigen Genußrecht zusteht. 12
Oben Nr. 103.
X . Die Kirchensteuergesetzgebung in Baden
203
Art. 4. Wo nach diesem Gesetz ein Beschluß der versammelten Kirchengemeindegenossen verlangt wird, gelten als stimmberechtigt alle i m Vollbesitz der Rechtsfähigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte befindlichen, mindestens 25 Jahre alten, männlichen Angehörigen des betreffenden Bekenntnisses, welche i m Kirchspiel ihren dauernden Aufenthalt haben und eine selbständige Lebensstellung einnehmen. Als selbständig ist jedenfalls nicht anzusehen, wer ständige Unterstützung aus öffentlichen Armenmitteln erhält. ... Die einzelnen Religionsgesellschaften können Stimmberechtigung und Wählbarkeit auf das weibliche Geschlecht ausdehnen, das Wahlalter auf 20 Jahre herabsetzen, das Erfordernis der selbständigen Lebensstellung als wegfallend erklären und die aufgeführten Gründe des Ausschlusses von der Stimmberechtigung mit Ausnahme derjenigen des § 3 Absatz 3 der badischen Verfassung 13 beseitigen oder ändern. Art. 5. A u f Personen, welche einem Militärkirchenverband angehören, findet dieses Gesetz keine Anwendung. Art. 6. Die Befugnisse der Kirchengemeinde werden durch die Kirchengemeindeversammlung ausgeübt; die Wahrnehmung dieser Befugnisse erfolgt i n denjenigen Gemeinden, welche 80 oder mehr Gemeindegenossen zählen, durch eine von den letzteren gewählte Gemeindevertretung. Wahlberechtigt und wählbar zu der letzteren sind die stimmberechtigten Gemeindegenossen. ... Art. 8. Für die Erhebung einer kirchlichen Steuer bedarf es — abgesehen von den in A r t i k e l 36 Ziffer 8 bezeichneten Fällen — eines auf Vorschlag der Behörde, welche das örtliche Kirchenvermögen verwaltet, gefaßten Beschlusses der Kirchengemeindeversammlung beziehungsweise der Gemeindevertretung. Ein solcher Beschluß hat sowohl den durch Kirchensteuer aufzubringenden Betrag als die A r t der Verwendung zu bestimmen; er unterliegt der staatlichen Genehmigung. ... II. Steuerpflicht
und Steuerfuß
Art. 12. Die örtliche Kirchensteuer w i r d erhoben bei den bekenntnisangehörigen natürlichen Personen (Kirchspielseinwohner), die in den ganz oder teilweise zur Kirchengemeinde gehörigen Gemarkungen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, durch Zuschlag zur Reichseinkommensteuer . . . , sowie durch Steuer auf die nach dem Grund- und Gewerbesteuergesetz gemeindesteuerpflichtigen Steuer werte des Grundvermögens und Gewerbebetriebs. ... Bis zur gesetzlichen Regelung, welche spätestens innerhalb dreier Jahre 1 4 zu erfolgen hat, setzt das Staatsministerium einheitlich für alle Religionsgesellschaf13 „Das Wahl- und Stimmrecht ruht außer dem Falle der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte durch rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil lediglich i m Falle der Entmündigung oder vorläufigen Vormundschaft." (GVB1.1919, S. 279). 14 Mehrmalige Änderung der Frist bis zum 1. A p r i l 1928/1931/1934 durch die Gesetze über die Abänderung des Ortskirchensteuergesetzes vom 19. März 1925 (GVB1.1925, S. 43), vom 28. März 1928 (GVB1.1928, S. 119), vom 27. März 1931 (GVB1. 1931, S. 130).
204
7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
ten das Verhältnis zwischen Umlage und Zuschlag zur Reichseinkommen- und Körperschaftsteuer (Art. 13 Abs. 2) fest. ... Art. 13. Zur Deckung der durch Kirchensteuer aufzubringenden Kosten für kirchliche Bauten der in A r t i k e l 2 Absatz 2 Ziffer 1 bezeichneten A r t (Bausteuer) können neben den in A r t i k e l 12 bezeichneten Steuerpflichtigen herangezogen werden: 1. außerhalb des Kirchspiels wohnende bekenntnisangehörige natürliche Personen, soweit dieselben nicht für eine Kirchengemeinde, deren Kirchspiel auf die betreffende Gemarkung sich erstreckt, bereits nach A r t i k e l 12 kirchensteuerpflichtig sind; 2. dem Bekenntnis, für welches die Kirchensteuer erhoben wird, ausschließlich zum Genuß zustehende nichtkirchliche und solche kirchliche Stiftungen, deren Ertrag nicht ohnehin zur Bestreitung der Kosten für die Kirchen- und Pfarrhausbaulichkeiten der betreffenden Kirchengemeinde bestimmt ist, sowie andere juristische Personen, Gesellschaften und Vereine, deren Mitglieder satzungsgemäß dem nämlichen Bekenntnis angehören müssen, oder die satzungsgemäß ausschließlich Zwecke eines Bekenntnisses verfolgen; 3. soweit nicht unter Ziffer 2 fallend, juristische Personen — einschließlich der hinsichtlich des Genußrechts nicht auf ein bestimmtes Bekenntnis beschränkten Stiftungen —, insbesondere auch Aktiengesellschaften, Gewerkschaften 15 , Genossenschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und die Murgschifferschaft. Wie juristische Personen werden die Kommanditgesellschaften auf A k t i e n behandelt 1 6 . ... Art. 15. Einem i n gemischter Ehe lebenden Ehegatten w i r d die Hälfte des Steuerbetrags angesetzt, welcher auf die beiden Gatten, falls dieselben eines Bekenntnisses wären, entfallen würde. Für die hiernach anzusetzenden Steuern haften beide Gatten als Gesamtschuldner. Kirchensteuerpflichtige, welche mit Anderen als Teilhaber einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, einer offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft in den Steuerlisten mit Grund- und Gewerbesteuern veranlagt sind, während die Gesellschaft nicht nach Art. 13 Abs. 1 Ziffer 2 oder Ziffer 3 steuerpflichtig ist, werden mit dem ihrer Beteiligung an der Gesellschaft oder Gemeinschaft entsprechenden Teile der Grund- und Gewerbesteuerwerte derselben herangezogen. Aus den Grund- und Gewerbesteuer wer ten der Stammgüter sind die jeweiligen Stammherren als natürliche Personen steuerpflichtig. ... Art. 18. Für solche, die zu dem Bekenntnisse der Kirchengemeinde übertreten, beginnt die Steuerpflicht (Art. 12, Art. 13 Abs. 1 Ziffer 1) mit dem Anfang des Steuerjahres, welches auf den 31. Dezember desjenigen Jahres folgt, in welchem der Übertritt stattgefunden hat. 15
Art). 16
Gemeint sind bergrechtliche Gewerkschaften (also Unternehmen bestimmter
Diese Kirchensteuerpflicht juristischer Personen gehörte schon seit dem Ortskirchensteuergesetz von 1888 (Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 473) zu den Besonderheiten des badischen Rechts.
X I . Das Steuerrecht der R e l i g i o n s e s c h a f t e n i n
e n
205
Durch den Austritt aus der Kirche erlischt die Steuerpflicht (Art. 12, Art. 13 Abs. 1 Ziffer 1) erst mit dem Ablaufe des Steuerjahres, welches auf den 31. Dezember desjenigen Jahres folgt, i n dem der Austritt stattgefunden hat, sofern der Ausgetretene kirchliche Steuern zu entrichten schuldig wird. Art. 19. Die Erklärung des Austritts aus einer Kirche muß, u m bürgerliche Wirkung zu haben, von dem Austretenden vor der Bezirksverwaltungsbehörde seines Wohnortes oder vor einem zur Aufnahme öffentlicher Urkunden allgemein zuständigen Beamten abgegeben werden und zwar, wenn derselbe das vierzehnte Lebensjahr zurückgelegt hat, i n Person. Die nicht vor der Bezirksverwaltungsbehörde abgegebene Erklärung ist dieser vorzulegen. Für Personen unter 14 Jahren kann die Erklärung des Austritts von denjenigen abgegeben werden, welche deren religiöse Erziehung zu ändern berechtigt sind. Die Bezirksverwaltungsbehörde übersendet alsbald eine Abschrift der Austrittserklärung der das örtliche Kirchenvermögen verwaltenden Behörde und erteilt dem Austretenden auf Verlangen eine Bescheinigung über die erfolgte Erklärung des Austritts. Die Austrittserklärung ist hinsichtlich der kirchlichen Steuerpflicht unwirksam, wenn nach Abgabe derselben die Einrichtungen der Kirche, welcher der Betreffende bis dahin angehörte, durch diesen selbst oder durch Personen, deren religiöse Erziehung derselbe zu ändern berechtigt ist, weiter benützt werden. ... III. Verfahren
zur Feststellung und Erhebung kirchlicher
Steuern
Art. 21. Der Kirchengemeindebeschluß, welcher die Erhebung beziehungsweise Festsetzung kirchlicher Steuern verfügt (Art. 8), ist — vorbehaltlich der Bestimmungen i n Art. 22 und Art. 26 dieses Gesetzes — für die Dauer eines Steuerjahres wirksam. Art. 22. Der Beschlußfassung seitens der Kirchengemeindeversammlung beziehungsweise Gemeindevertretung (Art. 8) hat die Aufstellung eines Voranschlags vorauszugehen. ... Art. 24. Die Erteilung der Staatsgenehmigung zu dem die Steuer festsetzenden Beschluß der Kirchengemeinde beziehungsweise Gemeindevertretung steht der Bezirksverwaltungsbehörde zu. ... IV. Ausführungs-
und
Zuständigkeitsbestimmungen
X L Das Steuerrecht der Religionskörperschaften in Hessen Schon das im hessischen Kulturkampf erlassene Gesetz vom 23. April 1875 1 hatte das Besteuerungsrecht allen Religionsgemeinschaften zuerkannt, die mit dem Körperschaftsstatus ausgestattet waren. Auch in der Weimarer Zeit hielt der 1
Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 353; vgl. ebenda Bd. III, Nr. 43.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
hessische Gesetzgeber an dem Grundsatz fest, daß gemäß den Grundsatzentscheidungen der Reichsverfassung zwischen den großen Kirchen und den anderen Religionsgesellschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt waren, auch hinsichtlich des Besteuerungsrechts kein Unterschied gemacht werden dürfe. Dementsprechend vermied das Gesetz über das Besteuerungsrecht der Religionskörperschaften vom 14. Dezember 1928 (Nr. 140) den Begriff der Kirchensteuer. Statt von Ortskirchensteuern sprach es von Religionsgemeindesteuern, statt von Landeskirchensteuern von Religionsgesellschaftssteuer η.
N r . 140. Gesetz über das Besteuerungsrecht der Religionskörperschaften vom 14. Dezember 1928 (Hessisches Regierungsblatt, 1928, S. 239) — Auszug — Art. 1. (1) Religionskörperschaften i m Sinne dieses Gesetzes sind Religionsgemeinden (Abs. 2), die aus mehreren Religionsgemeinden gebildeten Verbände (Art. 7) und die Religionsgesellschaften (Abs. 3). (2) Religionsgemeinden i m Sinne dieses Gesetzes sind die evangelischen und die katholischen Ortskirchengemeinden (Pfarr- und Filialgemeinden), die israelitischen Religionsgemeinden und andere religiöse Vereinigungen, sowie solche Vereinigungen, die sich die gemeinsame Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen, soweit ihnen die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gewährt sind. (3) Religionsgesellschaften i m Sinne dieses Gesetzes sind die evangelische und die katholische Kirche, sowie die Gesamtverbände, in denen Religions- und Weltanschauungsgemeinden der i n Abs. 2 bezeichneten A r t zusammengeschlossen sind. Art. 2. (1) Die Religionsgemeinden (Art. 1 Abs. 2) sind berechtigt, von ihren Mitgliedern nach Maßgabe dieses Gesetzes Steuern zu erheben, insoweit nicht die Erträgnisse ihres Vermögens und die sonstigen ihnen zu Gebote stehenden Mittel zur Bestreitung ihrer kirchlichen und religiösen Bedürfnisse ausreichen (Religionsgemeindesteuern) . (2) Unter der gleichen Voraussetzung sind auch die Religionsgesellschaften (Art. 1 Abs. 3) zur Steuererhebung von ihren Angehörigen berechtigt (Religionsgesellschaftssteuern). Art. 3. Die Steuererhebung ist weiter davon abhängig, daß 1. über die Einnahmen und Ausgaben der Religionsgemeinde oder der Religionsgesellschaft, insbesondere über die nötigen Deckungsmittel, ein ordnungsmäßiger Voranschlag aufgestellt ist, 2. eine aus den Mitgliedern der Religionsgemeinde oder bei der Religionsgesellschaft aus den Angehörigen der Religionsgesellschaft gewählte Vertretung (Steuer-
X I I . Das Steuerrecht der Religionsgesellschaften in
hen
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Vertretung) dem i m Voranschlag vorgesehenen Steuerbedarf zugestimmt und die Steuersätze beschlossen hat (Steuerbeschluß), 3. sie staatlich genehmigt ist 2 . ... Art. 11. (1) Die Religionsgemeindesteuer und die Religionsgesellschaftssteuer werden erhoben als Zuschlag zur Reichseinkommensteuer. Daneben ist die Erhebung eines Zuschlags zur Reichsvermögensteuer und einer Steuer nach den Besteuerungsgrundlagen der staatlichen Grund- und Gewerbesteuer zulässig. Auch können die Religionsgemeinde und die Religionsgesellschaft auf Grund einer besonderen Steuersatzung eine Kopfsteuer von ihren volljährigen Mitgliedern und Angehörigen erheben 3 . ... Art. 12. Bei besonderen Verhältnissen kann das Kreisamt zulassen, daß die Religionsgemeindesteuer für alle Steuerpflichtigen eines Bekenntnisses nach Klassen festgestellt wird, i n die die Gemeindeglieder nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen eingereiht werden. ... Art. 15. (1) Sind Ehegatten oder Eltern und minderjährige Kinder zu einer der in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 als Besteuerungsgrundlagen genannten Steuern zusammen veranlagt, so werden für sie auch die nach diesem Gesetz zu erhebenden Zuschläge zu diesen Steuern einheitlich festgesetzt. Sie haften für den gemeinschaftlichen Zuschlag als Gesamtschuldner. (2) Werden Ehegatten, die nicht derselben Religionskörperschaft steuerpflichtig sind, zu den in Abs. 1 genannten Steuern zusammen veranlagt, so bemißt jede der besteuernden Religionsgemeinden oder Religionsgesellschaften den Zuschlag des ihr Pflichtigen Ehegatten nach der halben i n Frage kommenden Steuer beider Ehegatten. Für den Zuschlag haftet auch der andere Ehegatte als Gesamtschuldner. ...
X I I . Das Steuerrecht der Religionsgesellschaften in Sachsen In Sachsen hatte das kirchliche Umlagewesen eine besonders frühe Regelung gefunden 1. In der Weiterentwicklung zu einem ausgebauten Kirchensteuerrecht hielt die sächsische Gesetzgebung eindeutig am subsidiären Charakter der Kirchensteuer fest: auf sie durfte nur in dem Umfang zurückgegriffen werden, in dem andere Finanzierungsquellen zur Deckung des kirchlichen Bedarfs nicht ausreichten 2. Diesem Grundsatz folgte auch das Gesetz über das Steuerrecht der öffentlich2 I m folgenden werden diese drei Bedingungen näher erläutert. Die vorgesehenen Regelungen entsprechen weitgehend der hessischen Tradition seit dem Gesetz vom 23. A p r i l 1875 (Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 353) sowie den Regelungen in anderen deutschen Einzelstaaten. 3 Für die Evangelische Landeskirche i n Hessen geschah dies durch die kirchliche Satzung, die Erhebung einer Kopfsteuer betreffend, vom 21. März 1929 (Allg. Kirchenblatt, 48, 1929, S. 270). 1
Siehe Staat und Kirche, Bd. III, S. 107. Siehe Kirchensteuergesetz vom 11. J u l i 1913, § 2 (Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 45). 2
208
7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
rechtlichen Religionsgesellschaften vom l.Juli 1921 (Nr. 141). Zu den fortdauernden Staatsleistungen an die Kirchen gehörten in Sachsen wie in anderen Ländern die Erstattungen für die Kosten der Kirchenverwaltung 3.
N r . 141. Gesetz ü b e r das Steuerrecht der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften vom 1. Juli 1921 (Sächsisches Gesetzblatt, 1921, S. 202) — Auszug — § 1. Die Religionsgesellschaften, die i m Freistaate Sachsen als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind, dürfen von ihren nach den reichsgesetzlichen Vorschriften einkommensteuerpflichtigen Mitgliedern einen Zuschlag zur Einkommensteuer erheben 4 . Der Zuschlag darf nur von denjenigen Mitgliedern der Religionsgesellschaften erhoben werden, an deren Einkommensteuer die innerhalb des Bereichs der Religionsgesellschaft liegenden bürgerlichen Gemeinden und selbständigen Gutsbezirke gemäß §§ 17 bis 25 des Landessteuergesetzes vom 30. März 19205 nach Maßgabe des örtlichen Aufkommens einen Anspruch auf Beteiligung haben. ... Der Zuschlag darf i m allgemeinen 10 v. H. des i n Abs. 2 bezeichneten Steuerbetrags nicht übersteigen. Er kann jedoch ausnahmsweise i m Falle besonderen Bedürfnisses bis auf 15 v. H. mit Genehmigung des Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts und des Finanzministeriums erhöht werden 6 . § 2. Die Religionsgesellschaften können das Steuerzuschlagsrecht selbst ausüben oder es ihren Unterverbänden ganz oder teilweise überlassen. Für die Unterverbände gilt sinngemäß, was für die Religionsgesellschaften bestimmt ist, soweit sich nicht aus dem Gesetz etwas anderes ergibt. § 3. Die Religionsgesellschaften dürfen von dem Zuschlagsrechte nur insoweit Gebrauch machen, als ihre sonstigen Einnahmen, insbesondere aus ihrem Vermögen sowie an Renten und Gebühren, zur Deckung der Ausgaben einschließlich etwaiger Rücklagen nicht ausreichen. § 4. Der Steuerbedarf jeder öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft ist alljährlich oder in regelmäßigen größeren Zeitabschnitten durch einen Haushaltplan (Voranschlag) festzustellen. Der Haushaltplan ist, wenn Steuern erhoben werden sollen, der Aufsichtsbehörde (§ 16) vorzulegen. Diese hat ihn nur zu beanstanden, wenn die Zuschläge das 3 Sie wurden anerkannt durch das Gesetz über die Aufhebung von Behörden der evangelisch-lutherischen Landeskirche vom 17. Juli 1926 (siehe dazu unten Nr. 300). 4 Vgl. die auf dieser Grundlage ergangenen Kirchensteuerordnungen für die ev.luth. Landeskirche Sachsens vom 15. Dezember 1921 (Allg. Kirchenblatt, 1922, S. 24ff.) und vom 21. November 1922 (ebenda S. 703ff.) und Nachtrag vom 25. Juni 1923 (Allg. Kirchenblatt, 1923, S. 213 f.) 5 Oben Nr. 121. 6 § 1 Abs. 3 wurde aufgehoben durch das Gesetz vom 23. Juni 1923 (Sächs. Gesetzblatt 1923, S. 151).
X I I I . Das Steuerrecht der Religionsgesellschaften i n Thüringen
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nach § 1 Abs. 2 zulässige Maß übersteigen würden oder wenn ihre Erhebung nach § 3 ausgeschlossen ist 7 . Die Beanstandung ist der Religionsgesellschaft innerhalb eines Monats vom Tage der Vorlegung ab schriftlich zu eröffnen. ... § 5. A u f die Steuerzuschläge finden, soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist, die für die Steuer selbst geltenden Vorschriften sinngemäß Anwendung. ... Die Zuschläge müssen für alle Steuerpflichtigen gleichmäßig sein. ... § 9. Allgemeine Steuerbefreiungen sind i m bisherigen Umfange zulässig, soweit nicht gesetzliche Bestimmungen entgegenstehen. §10. Die Religionsgesellschaften haben durch ihre verfassungsmäßigen Vertretungen für ihren Bereich allgemein verbindliche Steuerverordnungen aufzustellen und dem Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts vorzulegen. Dieses hat i m Einvernehmen mit dem Finanzministerium zu prüfen, ob die Staatsgesetze allenthalben beachtet sind. ...
X I I I . Das Steuerrecht der Religionsgesellschaften in Thüringen Für den aus dem Zusammenschluß der bisherigen thüringischen Einzelstaaten entstandenen Freistaat Thüringen 1 schuf das Gesetz vom 6. Juli 1926 ein einheitliches religionsgesellschaftliches Steuerrecht (Nr. 142). Die dadurch erforderlich gewordenen Veränderungen der kirchlichen Steuergesetzgebung fanden ihren Ausdruck in dem Kirchensteuergesetz vom 20. Juli 1926/20. Januar 1929 (Nr. 143). Die Funktion des „.Kirchgelds" erfüllte im thüringischen Recht der „Grundbetrag", dem gegenüber die Landeskirchen- und Ortskirchensteuern den Charakter von Zuschlagsteuern besaßen.
N r . 142. Gesetz über das Steuerrecht der Religionsgesellschaften vom 6. Juli 1926 (Gesetzsammlung für Thüringen, 1926, S. 267 ff.) — Auszug — § 1. Die Religionsgesellschaften, die i n Thüringen als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind, dürfen Steuern nach Maßgabe dieses Gesetzes erheben, soweit ihre sonstigen Einnahmen, insbesondere aus ihrem Vermögen und aus Leistungen Dritter, nicht ausreichen, ihre Ausgaben zu bestreiten. § 2. Die Religionsgesellschaften können ihr Besteuerungsrecht selbst ausüben oder es ihren Unterverbänden, soweit auch sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, ganz oder teilweise überlassen. 7 Durch das Gesetz vom 23. Juni 1923 erhielt dieser Satz folgende Fassung: „Diese hat ihn nur zu beanstanden, wenn die Erhebung der Zuschläge nach § 3 ausgeschlossen ist." 1
Siehe oben Nr. 106.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
§3. 1. A n Steuern können nach diesem Gesetz erhoben werden: a) feste Einheitsbeträge, b) Zuschlagssteuern, die i n der Form von Zuschlägen zur Einkommen-, zur Körperschafts- und zur Vermögenssteuer erhoben werden dürfen und i n einem Hundertsatz dieser Steuern festzusetzen sind. 2. Zuschläge zur Körperschaftssteuer dürfen nur durch Religionsgemeinden erhoben werden und auch nur zur Bestreitung von Baukosten, d. h. von Kosten, die entstehen durch Neubau, Umbau oder Ausbau, die Einrichtung, die Wiederherstellung und die Instandhaltung von dem regelmäßigen Gottesdienst dienenden Gebäuden samt den dazu gehörigen Nebengebäuden und Anlagen. §4. 1. Die Hundertsätze, die als Zuschläge erhoben werden sollen, müssen für alle Steuerpflichtigen gleich sein. 2. Soweit kirchliche Einrichtungen und Veranstaltungen einzelnen Teilen der Religionsgesellschaft besonders zugute kommen, kann dies durch steuerliche Mehrleistungen ausgeglichen werden. I m entgegengesetzten Falle können steuerliche Erleichterungen zugestanden werden. Ferner schließt Abs. 1 eine Mehr- oder Minderbelastung einzelner Teile einer Religionsgesellschaft, die sich durch Vertrag oder Herkommen ergibt, nicht aus. 3. Die Zuschlagssätze dürfen nach Schluß des Steuerjahres oder, wenn die Veranlagung für dieses bis dahin noch nicht durchgeführt ist, später als einen Monat nach Abschluß der Veranlagung nicht rückwirkend erhöht werden. § 5. 1. Steuerpflichtig ist, wer der besteuernden Religionsgesellschaft angehört. Zuschläge dürfen nur für die Zeit erhoben werden, für die die Steuerpflicht für die zugrunde liegende Reichssteuer besteht. 2. Die Religionsgesellschaften sind verpflichtet, Bestimmungen zu erlassen, durch die eine Doppelbesteuerung in den Fällen ausgeschlossen wird, i n denen eine Steuerpflicht in mehreren Religionsgemeinden besteht 2 . ...
N r . 143. Kirchensteuergesetz vom 20. Januar 19293 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 78, 1929, S. 295) — Auszug — A. Allgemeines § 1. Umfang der Kirchensteuer Die Thüringer evangelische Kirche und ihre Kirchgemeinden erheben Kirchensteuern, soweit ihre sonstigen Einnahmen, insbesondere die auf Gesetz, Vertrag, 2
Es folgen Einzelregelungen zur Steuererhebung, zum staatlichen Genehmigungsverfahren und zur Steuerverwaltung. 3 Das erste Kirchensteuergesetz der Thüringer evangelischen Kirche erging am 18. Oktober 1920 (Allg. Kirchenblatt, 1921, S. 108ff.) E i n neues Kirchensteuergesetz wurde am 20. Juli 1926 erlassen (Allg. Kirchenblatt, 1926, S. 217ff.); auf Grund einer Novellierung wurde es am 20. Januar 1929 neu publiziert.
X I I I . Das Steuerrecht der Religionsgesellschaften in Thüringen
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Herkommen oder einem sonstigen Rechtstitel beruhenden Leistungen Dritter nicht ausreichen, u m ihre Ausgaben zu bestreiten. § 2. Einteilung
der Kirchensteuer
Die Kirchensteuern bestehen aus einem festen Grundbetrag und aus Zuschlagsteuern, die als Landeskirchensteuern und Ortskirchensteuern in der Form von Zuschlägen zu Reichssteuern erhoben und in einem Hundertsatz dieser Steuern festgesetzt werden. §3. Steuerjahr Erhebungszeitraum (Steuerjahr) ist das ganze Rechnungsjahr. Ist jemand für eine Kirchensteuer nicht während des ganzen Rechnungsjahres steuerpflichtig, so beträgt seine Steuer einen der Dauer seiner Steuerpflicht entsprechenden Bruchteil des Jahresbetrags. § 4. Beginn und Ende der Steuerpflicht Treten die Voraussetzungen der Steuerpflicht am Ersten eines Kalendervierteljahres ein, so beginnt die Steuerpflicht mit diesem Kalender Vierteljahr, sonst mit dem Kalendervierteljahr, das auf den Zeitpunkt des Eintritts folgt. Fallen die Voraussetzungen der Steuerpflicht am Ersten eines Kalendervierteljahrs weg, so endet die Steuerpflicht mit dem Ablauf des vorhergehenden Kalendervierteljahrs, sonst, unbeschadet der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über das Steuerrecht der Religionsgesellschaften vom 6. Juli 19264 mit dem Ablauf des Kalendervierteljahrs, in dem die Voraussetzungen wegfallen. — Beim Austritt aus der Kirche tritt an die Stelle des Kalender Vierteljahrs der Kalendermonat. B. Der Grundbetrag § 5. Höhe des Grundbetrags.
der Kirchensteuer Kreis der Steuerpflichtigen
Der Grundbetrag der Kirchensteuer beträgt 2 Reichsmark für das Rechnungsjahr. Er ist von jedem Angehörigen der Thüringer evangelischen Kirche zu zahlen, der bei Beginn des Rechnungsjahrs 20 Jahre alt gewesen ist 5 . ... C. Die Zuschlag steuern I. Die Landeskirchensteuern § 9. Arten der Landeskirchensteuern Als Landeskirchensteuern werden Zuschlagsteuern zur Einkommensteuer und zur Vermögensteuer erhoben. Dazu werden auch Steuerpflichtige herangezogen, die für den nach § 12 maßgebenden Steuerabschnitt keine Einkommensteuer oder Vermögensteuer zu zahlen haben, aber i n diesem Steuerabschnitt mindestens 1500 4 5
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Oben Nr. 142. Es folgen Befreiungsvorschriften und Regelungen zur Zahlungspflicht.
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
Reichsmark Einkommen oder an dem für die Vermögensteuerveranlagung maßgebenden Feststellungszeitpunkt mindestens 5000 Reichsmark Vermögen gehabt haben. Der Hundertsatz für jede dieser Zuschlagsteuern w i r d jeweils durch das Gesetz über den Haushaltsplan oder durch besonderes Gesetz bestimmt 6 . ... II. Die Ortskirchensteuern §16. Arten der Ortskirchensteuern Als Ortskirchensteuern können Zuschlagsteuern erhoben werden zur Einkommensteuer, zur Vermögensteuer und für die in § 25 bezeichneten besonderen Zwecke zur Körperschaftsteuer. Zur Vermögensteuer und zur Körperschaftsteuer ist jedoch eine Zuschlagsteuer nur zulässig, wenn gleichzeitig eine Zuschlagsteuer zur Einkommensteuer mit mindestens gleichem Hundertsatz erhoben wird. Zu welchen Steuern und mit welchem Hundertsatz die Zuschlagsteuern erhoben werden sollen, beschließt die Kirchenvertretung für jedes Rechnungsjahr.... 1. Die Zuschlag steuern zur Einkommensteuer
und zur Vermögensteuer
§17. Genehmigungspflicht Die Beschlüsse der Kirchenvertretung über die Zuschlagsteuern zur Einkommensteuer und zur Vermögensteuer bedürfen der Genehmigung des Landeskirchenrats, wenn der Hundertsatz höher festgesetzt wird, als der zuletzt festgesetzte Hundertsatz der entsprechenden Landeskirchensteuer. §18. Kreis der Steuerpflichtigen Steuerpflichtig ist jedes Mitglied der Kirchgemeinde (§ 12 der Verfassung). Der Pfarrer ist nur i n der Kirchgemeinde steuerpflichtig, in der das Pfarramt seinen Sitz hat 7 . ... 2. Die Zuschlagsteuer zur Körperschaftsteuer § 25. Bausteuer.
Genehmigungspflicht
Eine Zuschlagsteuer zur Körperschaftsteuer darf nur erhoben werden zur Bestreitung von Baukosten für Gebäude, die dem regelmäßigen Gottesdienst dienen (wie Kirchen, Kapellen, Betsäle), und für die dazu gehörigen Nebengebäude und Anlagen. Als Baukosten gelten Kosten für den Neubau, Umbau oder Ausbau, die Einrichtung, die Wiederherstellung und die Instandhaltung; zu den Einrichtungskosten gehören insbesondere auch die Kosten für die Beschaffung und Erhaltung von Glocken und Orgeln. Der Beschluß der Kirchenvertretung über die Zuschlagsteuer zur Körperschaftsteuer bedarf der Genehmigung des Landeskirchenrats.
6 Es folgen Einzelregelungen, die weitgehend mit der Rechtslage i n anderen deutschen Ländern übereinstimmen. 7 Es folgen Einzelregelungen.
X I V . Konflikte u m kirchliche Vermögensrechte i m Freistaat Braunschweig
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§ 26. Kreis der Steuerpflichtigen Steuerpflichtig sind Erwerbsgesellschaften, die ihre Hauptniederlassung oder eine Zweigniederlassung i n Thüringen haben, wenn seit mindestens einem Jahre a) entweder von den Arbeitnehmern einer ihrer Niederlassungen i n Thüringen durchschnittlich mindestens der vierte Teil Mitglied der Kirchengemeinde ist, b) oder die Arbeitnehmer einer solchen Niederlassung, soweit sie Mitglieder der Kirchgemeinde sind, zusammen mit ihren nicht selbständig zur Ortskirchensteuer veranlagten Angehörigen mindestens den vierten Teil der Seelenzahl der Kirchgemeinde ausmachen. ... D. Die Steuerverwaltung § 29. Ordnung und Leitung der Steuerverwaltung Soweit die Steuerverwaltung nicht durch dieses Gesetz geordnet wird, regelt sie der Landeskirchenrat durch Verordnung. I h m steht die oberste Leitung zu 8 . . . .
X I V . Konflikte um die kirchlichen Vermögensrechte i m Freistaat Braunschweig Besonders umstritten waren Fragen des kirchlichen Finanzsystems in Braunschweig. Der Versuch der von Unabhängigen Sozialisten und Mehrheitssozialdemokraten bestimmten braunschweigischen Landesregierung, zu einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche zu gelangen 1, hatte einschneidende Auswirkungen auf die kirchliche Finanzverfassung. Die evangelische Landeskirche Braunschweigs antwortete auf die neue Lage mit der Einrichtung einer eigenen Landeskirchenkasse und der Einführung einer Landeskirchensteuer, die einen Teil des gesamtkirchlichen Finanzbedarfs decken sollte (Nr. 144). Durch den Kirchenvertrag von 19232 erkannte der braunschweigischeStaat seine Verpflichtung an, für die Kosten der zentralen landeskirchlichen Verwaltung aufzukommen. Dagegen verweigerte er über Jahre hinweg die anteiligen Beiträge zur Pfarrerbesoldung und 3 Pfarrer-Altersversorgung . Diese Verweigerung staatlicher Beiträge führte, verbunden mit den Auswirkungen der Inflation, zu einer ungewöhnlichen materiellen Notlage vieler braunschweigischer Pfarrfamilien. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen wurden erst 1926 durch das Reichsgericht beendet. In zwei Musterprozessen zur braunschweigischen Pfarrerbesoldung entschied das Reichsgericht am 18. Mai 1926, daß der braunschweigische Staat zur Zahlung der Differenz zwischen
8
Es folgen Einzelbestimmungen zur Steuerverwaltung. Siehe oben S. 57, 102f. 2 Unten Nr. 296. 3 Vgl. R. Breust, Denkschrift über die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche i m Lande Braunschweig (Beilage des Amtsblattes des Braunschweig. Landeskirchenamtes, 38, 1925) mit Ausführungen zur Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den Pfarrerbesoldungsstipendien in den verschiedenen deutschen Einzelstaaten. 1
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
dem Reineinkommen der Pfarrstellen tengehältern verpflichtet sei 4.
und den entsprechenden staatlichen
Beam-
Erheblichen öffentlichen Angriffen sah sich die evangelische Landeskirche in Braunschweig ausgesetzt, seitdem sie nicht nur für die ortsgemeindlichen, sondern auch für die landeskirchlichen Bedürfnisse Kirchensteuern erhob 5. Die Normen der Kirchensteuererhebung wurden seit 1924 in einer Serie staatlicher wie kirchlicher Gesetzgebungsakte festgelegt 6. Sie fanden ihre endgültige Gestalt in dem Landesgesetz über das Steuerrecht der Religionsgesellschaften vom 23. Februar 1932 (Nr. 145) sowie in dem Kirchengesetz über Landes- und Gemeindekirchensteuern vom 10. März 1932, das den Vollzug des Kirchensteuereinzugs im einzelnen regelte 7.
N r . 144. Kirchengesetz, betreffend die E r r i c h t u n g einer Landeskirchenkasse vom 23. Februar 1922 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 71, 1922, S. 165) — Auszug — § 1. Zur Bestreitung der Bedürfnisse der Landeskirche wird, soweit nicht besondere Zweckvermögen dazu bestimmt sind, eine Landeskirchenkasse errichtet. § 2. I n die Landeskirchenkasse fließen: 1. die Erträgnisse des Landeskirchengutes einschließlich der Einnahmen aus den nach Art. 138 der Reichsverfassung zu leistenden staatlichen Abfindungen 8 ; 2. die Landeskirchensteuer; 3. die Abgabe von den Aufkünften der ortskirchlichen Vermögen; 4. die Überschüsse des auf Grund des Kirchengesetzes v o m 17. A p r i l 1905 Nr. 20 errichteten landeskirchlichen Fonds; 5. sonstige Einnahmen. § 3. Die Landeskirchensteuer w i r d von allen Mitgliedern der Landeskirche (§ 4 der Kirchenverfassung) erhoben, welche nach den Vorschriften der Reichsgesetze zur Zahlung von Reichseinkommensteuern verpflichtet sind. 1 Der Text des Urteils i m Verfahren Jeremias vom 18. Mai 1926 ist wiedergegeben i n der Bekanntmachung, betreffend das Ergebnis der gegen den braunschweigischen Staat geführten Pfarrerbesoldungsprozesse, vom 23. Juni 1926 (Allg. Kirchenblatt, 1927, S. 7ff.). 5 Vgl. die Stellungnahme des Landeskirchenamts der braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche zur Frage der Kirchensteuern (Beilage des Amtsblattes des Braunschweig. Landeskirchenamtes, 37, 1924). 6 Zusammenfassend: Allgemeine Kirchensteuerordnung für die ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig vom 20. März 1925 (Allg. Kirchenblatt, 1925, S. 165); Gesetz über das Steuerrecht der Religionsgesellschaften vom 27. Mai 1927 (GVS 1927, S. 168). 7 Allg. Kirchenblatt, 1932, S. 176. Oben Nr. .
XIV. Konflikte u m kirchliche Vermögensrechte i m Freistaat Braunschweig
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§ 4. Die Kirchensteuerpflicht beginnt mit dem ersten Tage des auf den Erwerb der Mitgliedschaft der Landeskirche folgenden Monats. Sie erlischt 1. durch den Tod des Kirchensteuerpflichtigen, 2. durch Erlöschen der Mitgliedschaft, in beiden Fällen mit Ablauf des Monats, i n welchem das Erlöschen eingetreten ist. § 5. Die Erhebung der Landeskirchensteuer erfolgt in Form von Zuschlägen zur Reichseinkommensteuer. Die Höhe der Zuschläge w i r d durch den Voranschlag der Landeskirchenkasse festgesetzt. § 6. Die gesetzlichen Befreiungen von der Reichseinkommensteuer haben auch die Befreiung von der Landeskirchensteuer zur Folge. Der Landeskirchentag kann weitere Befreiungen beschließen und die Entscheidung über Befreiungen i n den Einzelfällen dem Landeskirchenamte übertragen. § 7. Leben Ehegatten i n gemischter Ehe, so w i r d die Landeskirchensteuer nur von dem Einkommen des der Landeskirche angehörigen Gatten, i m Zweifel von der Hälfte des zur Reichseinkommensteuer veranlagten Gesamteinkommens erhoben. Gehören minderjährige Kinder, deren Einkommen nach § 17 des Reichseinkommensteuergesetzes vom 20. März 1920 (Reichsgesetzblatt S. 359) dem Einkommen des Haushaltungsvorstandes bei der Veranlagung zur Einkommensteuer hinzuzurechnen ist, nicht der Landeskirche an, so bleibt ihr Einkommen bei der Veranlagung des Haushaltungsvorstandes zur Landeskirchensteuer außer Ansatz. Gehören nur die minderjährigen Kinder, nicht aber auch der Haushaltungsvorstand der Landeskirche an, so w i r d in diesem Falle die Landeskirchensteuer nur von ihrem Einkommen erhoben. § 8. Den zur Landeskirchensteuer Herangezogenen steht gegen die Veranlagung Einspruch zu. ...
N r . 145. Landesgesetz über das Steuerrecht der Religionsgesellschaften vom 23. Februar 1932 (Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 1932, S. 29ff.) — Auszug — § 1. (1) Die Religionsgesellschaften, die i m Freistaate Braunschweig als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind, dürfen Steuern von ihren Mitgliedern erheben, soweit ihre sonstigen Einnahmen, insbesondere aus ihrem Vermögen und aus Leistungen Dritter, nicht ausreichen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Ausgaben zu bestreiten. (2) Gehört ein Ehegatte keiner der i m Abs. 1 bezeichneten Religionsgesellschaften an, so darf der andere Ehegatte nur nach seinem eigenen Einkommen und Vermögen zur Steuer herangezogen werden. Sind Ehegatten Mitglieder verschiedener Religionsgesellschaften, so sind die Besteuerungsgrundlagen beider Ehegat-
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7. Kap.: Finanzwesen und Vermögensverwaltung der Kirchen
ten (vgl. § 3 Abs. 1 Ziff. 1 und 2) für die Besteuerung jedes Ehegatten zur Hälfte heranzuziehen, wenn nicht die Ehegatten dauernd voneinander getrennt leben. I n diesem Falle findet Satz 1 sinngemäße Anwendung. § 2. (1) Die Religionsgesellschaften können ihr Besteuerungsrecht selbst ausüben oder es den ihnen nachgeordneten Körperschaften, soweit auch diese Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, ganz oder teilweise überlassen. §3. (1) A n Steuern dürfen nach diesem Gesetz erhoben werden: 1. Steuern, die in Form von Zuschlägen zur Reichseinkommensteuer oder unter Zugrundelegung des steuerpflichtigen Einkommens erhoben werden, 2. Steuern, die sich an das nach dem Vermögensteuergesetze steuerpflichtige Vermögen oder an die nach den §§ 214, 215 der Reichsabgabenordnung 9 gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen (Einheitswerte) anschließen, 3. von volljährigen Mitgliedern ein festes oder gestaffeltes Kirchgeld. (2) Eine Erhebung der Steuer unter Zugrundelegung der Einheitswerte ist nur zulässig bei Personen ohne vermögensteuerpflichtiges Vermögen. I n diesen Fällen ist die Kirchensteuer nach oben begrenzt durch den Betrag, der für das niedrigste steuerpflichtige Vermögen zu entrichten ist. § 4. (1) Die Festsetzung der Steuersätze und des Kirchgeldes (vgl. § 3) bedarf der Zustimmung des Staatsministeriums, die für jedes Rechnungsjahr mindestens 4 Wochen vor der Ausschreibung zu beantragen ist und als erteilt gilt, falls binnen 2 Wochen nach Eingang des Antrages keine Beanstandung erfolgt. (2) Werden die Steuersätze ihrer Höhe nach beanstandet, so ist gleichzeitig die Grenze vorzuschreiben, die bei Ausschreibung der Steuern nicht überschritten werden darf. § 5. (1) Gegen den Veranlagungsbescheid ist der Einspruch zulässig, über den ein von der Religionsgesellschaft zu bestellendes Organ entscheidet 10 . ... § 6. (1) Die ausgeschriebenen Steuern unterliegen der Beitreibung i m Verwaltungszwangsverfahren. (2) Insoweit Kirchensteuern von den Reichsfinanzbehörden beigetrieben werden, finden die reichsgesetzlichen Vorschriften Anwendung. ...
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Siehe oben Nr. 120. Der Kirchensteuerausschuß beim Landeskirchenamt wurde bereits eingerichtet durch die Allgemeine Kirchensteuerordnung für die braunschweigische evangelisch-lutherische Kirche vom 20. März 1925, § 7 (Allg. Kirchenblatt, 1925, S. 165). 10
Achtes
Kapitel
Die Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule I. Das Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung Zur Religionsfreiheit gehört die Religionsmündigkeit , nämlich das mit einer bestimmten Altersstufe erreichte Recht zur Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft oder über den Glaubenswechsel, untrennbar hinzu. Zugleich ist die Festlegung der Altersstufe, mit der die Religionsmündigkeit erreicht ist, vor allem für die Pflicht zum Besuch des Religionsunterrichts an den öffentlichen und den als gleichwertig anerkannten Schulen von hoher praktischer Bedeutung. Deshalb war bereits unmittelbar nach der Novemberrevolution die Frage der religiösen Kindererziehung sowohl im Ringen um das Verhältnis von Kirche und Schule als auch bei der Neuregelung des Kirchenaustrittsrechts der Gegenstand vielfältiger Auseinandersetzungen 1. Diese fanden mit dem Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 (Nr. 146) ihren Abschluß. Alle die gleiche Materie betreffenden landesrechtlichen Bestimmungen traten damit außer Kraft. Das noch heute geltende Gesetz vom 15. Juli 1921 behandelt die religiöse Kindererziehung als Teil des Elternrechts 2. Dieses findet seine Grenze an der Religionsmündigkeit; der Tradition des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 entsprechend 3 gilt als Unterscheidungsalter (annum discretionis) das vollendete 14. Lebensjahr. Doch hat im Fall des Bekenntniswechsels der Erziehungsberechtigten das Kind bereits mit Vollendung des 10. Lebensjahres einen Anspruch auf Gehör; nach der Vollendung des 12. Lebensjahres darfein Bekenntniswechsel gegen seinen Willen nicht vorgenommen werden 4.
1 Siehe oben Nr. 41ff.; Nr. 44ff.; Nr. llOff. Ferner: Sächsisches Gesetz über die religiöse Erziehung der Kinder vom 16. Juni 1920 (GVB1. 1920, S. 253). 2 Vgl. F. Restrepo , Die Entwicklung des Elternrechts in Deutschland seit der Reformation (1924); E. Stein , Elterliches Erziehungsrecht und Religionsfreiheit, in: Hdb. d. Staatskirchenrechts, Bd. I I (1975), S. 455 ff. 3 Siehe Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 1. 4 Daraus leitete der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich i n einem Rechtsstreit zwischen dem Reich und Preußen durch den Beschluß vom 24. Oktober 1931 ab, daß die Abmeldung eines 12- oder 13jährigen Kindes vom Religionsunterricht der Zustimmung des Kindes bedarf (Allg. Kirchenblatt, 1932, S. 129ff.; H. H. Lammers/W. Simons , Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs, Bd. V, 1931-32, S. 15 ff.).
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8. Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule N r . 146. Reichsgesetz über- die religiöse K i n d e r e r z i e h u n g vom 15. Juli 1921 (Reichs-Gesetzblatt, 1921, S. 939)
§ 1. Über die religiöse Erziehung eines Kindes bestimmt die freie Einigung der Eltern, soweit ihnen das Recht und die Pflicht zusteht, für die Person des Kindes zu sorgen. Die Einigung ist jederzeit widerruflich und w i r d durch den Tod eines Ehegatten gelöst. § 2. Besteht eine solche Einigung nicht oder nicht mehr, so gelten auch für die religiöse Erziehung die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches 5 über das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. Es kann jedoch während bestehender Ehe von keinem Elternteil ohne die Zustimmung des anderen bestimmt werden, daß das K i n d i n einem anderen als dem zur Zeit der Eheschließung gemeinsamen Bekenntnis oder in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen, oder daß ein K i n d v o m Religionsunterricht abgemeldet werden soll. Wird die Zustimmung nicht erteilt, so kann die Vermittlung oder Entscheidung des Vormundschaftsgerichts beantragt werden. Für die Entscheidung sind, auch soweit ein Mißbrauch i m Sinne des § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs 6 nicht vorliegt, die Zwecke der Erziehung maßgebend. Vor der Entscheidung sind die Ehegatten sowie erforderlichenfalls Verwandte, Verschwägerte und die Lehrer des Kindes zu hören, wenn es ohne erhebliche Verzögerung oder unverhältnismäßige Kosten geschehen kann. Der § 1847 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet entsprechende Anwendung 7 . Das K i n d ist zu hören, wenn es das zehnte Jahr vollendet hat. § 3. Steht dem Vater oder der Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, neben einem dem Kinde bestellten Vormund oder Pfleger zu, so geht bei einer Meinungsverschiedenheit über die Bestimmung des religiösen Bekenntnisses, in dem das K i n d erzogen werden soll, die Meinung des Vaters oder der Mutter vor, es sei denn, daß dem Vater oder der Mutter das Recht der religiösen Erziehung auf Grund des § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entzogen ist. Steht die Sorge für die Person eines Kindes einem Vormund oder Pfleger allein zu, so hat dieser auch über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen. Er bedarf dazu der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Vor der Genehmigung sind die Eltern sowie erforderlichenfalls Verwandte, Verschwägerte und die Lehrer des Kindes zu hören, wenn es ohne erhebliche Verzögerung oder u n verhältnismäßige Kosten geschehen kann. Der § 1847 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet entsprechende Anwendung. Auch ist das K i n d zu hören, wenn es das zehnte Lebensjahr vollendet hat. Weder der Vormund noch der Pfleger können eine schon erfolgte Bestimmung über die religiöse Erziehung ändern. § 4. Verträge über die religiöse Erziehung eines Kindes sind ohne bürgerliche Wirkung. 5
Siehe Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 1. § 1666 B G B behandelt u.a. die „mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge". 7 D.h. bei der Anhörung der Verwandten oder Verschwägerten ist das Bekenntnis des Kindes zu berücksichtigen. 6
II. Die Reichsschulkonferenz 1920
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§ 5. Nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahres steht dem Kinde die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will. Hat das K i n d das zwölfte Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. § 6. Die vorstehenden Bestimmungen finden auf die Erziehung der Kinder i n einer nicht bekenntnismäßigen Weltanschauung entsprechende Anwendung. § 7. Für Streitigkeiten aus diesem Gesetz ist das Vormundschaftsgericht zuständig. Ein Einschreiten von Amts wegen findet dabei nicht statt, es sei denn, daß die Voraussetzungen des § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen. § 8. Alle diesem Gesetz entgegenstehenden Bestimmungen der Landesgesetze sowie A r t i k e l 134 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch 8 werden aufgehoben. § 9. Verträge über religiöse Erziehung bleiben in Kraft, soweit sie vor Verkündung dieses Gesetzes abgeschlossen sind. A u f Antrag der Eltern oder des überlebenden Elternteils wird ein bestehender Vertrag durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts aufgehoben. §10. Wenn beide Eltern vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes verstorben sind und über die religiöse Erziehung in einem bestimmten Bekenntnis nachweisbar einig waren, so kann der Vormund bestimmen, daß sein Mündel i n diesem Bekenntnis erzogen wird. Er bedarf zu dieser Bestimmung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. § 11. Das Gesetz tritt am 1. Januar 1922 i n Kraft. Der Reichspräsident ist jedoch ermächtigt, das Gesetz für ein Land i m Einvernehmen mit der Landesregierung zu einem früheren Zeitpunkt in Kraft zu setzen.
II. Die Reichsschulkonferenz 1920 Die Weimarer Reichsverfassung teilte die Gesetzgebungskompetenz in Schulfragen zwischen dem Reich und den Ländern (Art. 10, 2 WRV). Die dem Reich vorbehaltene Zuständigkeit sollte die Unitarisierung des Schulwesens in Grundsatzfragen ermöglichen. Dabei war durch den Weimarer Verfassungskompromiß in der Schulfrage der Weg der allmählichen Schulreform vorgezeichnet; auch war die unmittelbar nach der Novemberrevolution geforderte radikale Trennung von Kirche und Schule durch diesen Kompromiß abgewehrt. Die Reichsverfassung legte den Grundsatz der Staatsschule und der staatlichen Schulaufsicht fest; kirchliche Schulen waren in den gewährleisteten Bereich der Privatschulen verwiesen. Die allgemeine Schulpflicht wurde im Sinn eines Schul-, nicht eines bloßen Unterrichtszwangs verschärft. Die christliche Gemeinschaftsschule sollte zur Regelschule erhoben werden; Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen sowie „weltliche Schulen" sollten den Charakter von Antragsschulen erhalten. Doch war die Durchführung dieser Grundsätze an den Erlaß eines Reichsschulgesetzes gebunden. Solange es zu dessen Verabschiedung nicht kam, wirkte sich der Art. 174 WRV als Sperrvor8
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 2.
2 2 0 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule schrtft für alle Änderungsvorhaben der Länder und damit als status-quo-Garantie für das bestehende Schulwesen aus. Damit war bis zum Erlaß des Reichsschulgesetzes der bisherige Bestand an Konfessionsschulen gesichert. Der Charakter des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach war darüber hinaus durch Art. 149 Abs. 1 WRV auf Dauer verfassungsrechtlich gewährleistet 1. Aus der verfassungsrechtlichen Regelung ergab sich praktisch die Notwendigkeit zur schulpolitischen Verständigung zwischen dem Reich, den Ländern, den Gemeinden sowie den in Schulfragen tätigen großen Verbänden. Dieser Aufgabe sollte der Reichsschulausschuß dienen, den der Reichsinnenminister Koch 2 Ende 1919 ins Leben rief Die Verständigung über pädagogische, schulrechtliche und schulorganisatorische Grundsatzfragen sollte durch die Reichsschulkonferenz gefördert werden, die im Juni 1920 mit nahezu 700 Teilnehmern unter der Leitung des Staatssekretärs Schulz 3 im Reichstag zusammentrat. Mehrheitsbeschlüsse wurden in dieser Konferenz vermieden; doch richtete die überwiegende Tendenz sich auf die Überwindung der Konfessionsschule und auf den Übergang zur Einheitsschule. Obwohl das Thema der Konfessionsschule formell aus den Beratungsgegenständen ausgeschieden war, sahen die Vertreter des katholischen Episkopats sich zu einer förmlichen Erklärung gegen die Verweltlichung des Schulwesens veranlaßt (Nr. 147). Ihr trat eine, vor allem von Anhängern des „Bundes für entschiedene Schulreform" unterstützte Erklärung entgegen, die sich für die Errichtung „weltlicher Schulen" aussprach (Nr. 148)4.
N r . 147. E r k l ä r u n g des Erzbischofs v. H a u c k (Bamberg) v o r der Reichsschulkonferenz am 19. Juni 1920 (Die Reichsschulkonferenz 1920. Ihre Vorgeschichte und Vorbereitung und ihre Verhandlungen. Amtlicher Bericht, erstattet vom Reichsministerium des Innern, 1921, Nachdruck 1972, S. 1048f.) Die auf der Reichsschulkonferenz über die Einheitsschule aufgestellten Leitsätze sind geeignet, den Eindruck zu erwecken, als ob die Schule der Zukunft i m Deutschen Reiche die rein weltliche Schule sein werde, in der für die Religion kein Platz mehr sei. 1 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 937 ff. Aus der weiteren Literatur siehe insbesondere: W. Landé, Die Schule in der Reichsverfassung (1929); Chr. Führ, Zur Schulpolitik der Weimarer Republik (1970). 2 Erich Koch-Weser (1875-1944), Jurist; 1901 Bürgermeister in Delmenhorst, 1909 Stadtdirektor in Bremerhaven; 1913 Oberbürgermeister von Kassel (MdprHH); 1919-20 MdWeimNatVers.; 1920-30 MdR (DDP); Oktober 1919-Mai 1920 Reichsinnenminister; Juni 1928-April 1929 Reichsfmanzminister; 1924-30 Vors. der DDP, 1924-28 Vors. ihrer Reichstagsfraktion; 1933 nach Brasilien ausgewandert. 3 Heinrich Schulz (1872-1932), geboren in Bremen, Volksschullehrer, dann Philologe; seit 1894 Redakteur an sozialdemokratischen Zeitungen, seit 1906 Leiter des Bildungswesens der SPD; 1912-18 MdR. I m Ersten Weltkrieg Mehrheitssozialist. 1919-20 MdWeimNatVers., 1920-30 erneut MdR. 1919-27 Staatssekretär für Schulund Bildungsfragen i m Reichsinnenministerium. 4 Die Reichsschulkonferenz 1920. Ihre Vorgeschichte und Vorbereitung und ihre Verhandlungen. Amtlicher Bericht, erstattet vom Reichsministerium des Innern (1921, Nachdruck 1972); Die Reichsschulkonferenz i n ihren Ergebnissen (1920).
II. Die Reichsschulkonferenz 1920
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Wir sind daher zu folgender Erklärung genötigt: 1. Die Religion ist und muß bleiben die Grundlage aller Erziehung; von ihrem Geiste muß der ganze Schulunterricht durchdrungen sein. Deshalb muß die Beibehaltung des religiösen Bekenntnisunterrichts wenigstens in dem bisherigen Umfang verlangt werden. Er muß Haupt- und Pflichtfach sein in allen Volksschulen, Fortbildungsschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten. 2. Die notwendige Einheit der Erziehung in Familie und Schule und deren Wirksamkeit erscheint nur gesichert i n den konfessionellen Schulen, in denen Lehrer und Schüler auf demselben Glaubensgrund stehen. Daher muß die Einrichtung konfessioneller Schulen von Staats wegen gewährleistet werden. Nach Möglichkeit ist auch der Aufbau der mittleren und höheren Schulen auf der konfessionellen Grundschule konfessionell zu gestalten, ebenso die etwa einzurichtenden Hilfs-, Förder- und Begabtenklassen. 3. Wirklich konfessionelle Schulen sind nur denkbar unter Leitung von Lehrern, die kirchlich gläubig sind. Der Staat hat daher Gewähr dafür zu bieten, daß nur solche Lehrer an den Bekenntnisschulen angestellt werden. 4. Katholischen Schülern, die durch örtliche Verhältnisse genötigt sind, rein weltliche Schulen oder Schulen eines anderen Bekenntnisses zu besuchen, ist wenigstens die Möglichkeit zu bieten, den kirchlich eingerichteten und durch öffentliche Beihilfen zu unterstützenden Religionsunterricht zu besuchen. Dieser Besuch ist in wohlwollender Weise zu erleichtern 5 .
N r . 148. E r k l ä r u n g von fünfzig T e i l n e h m e r n der Reichsschulkonferenz vom 19. Juni 1920 (Die Reichsschulkonferenz 1920. Ihre Vorgeschichte und Vorbereitung und ihre Verhandlungen. Amtlicher Bericht, erstattet vom Reichsministerium des Innern, 1921, Nachdruck 1972, S. 1049f.) Die Unterzeichneten bedauern, daß die Reichsschulkonferenz keine Gelegenheit geboten hat zur Aussprache über die „weltliche Schule", unter der sie keineswegs eine religionsfeindliche Schule verstehen. Aber sie möchten die Tagung nicht vorübergehen lassen, ohne ihren Standpunkt kundgetan zu haben. Leitsätze für die „Weltliche Schule" 1. Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen (Art. 137 Abs. 7 der Reichs Verfassung), können nach Art. 146 Abs. 2 weltliche Schulen einrichten, soweit dadurch ein geordneter Schulbetrieb nicht beeinträchtigt wird. Diese unterscheiden sich nach Art. 149 Abs. 1 nur 5 Neben dem Erzbischof v. Hauck (Staat und Kirche, Bd. III, S. 864) unterzeichnete als zweiter Vertreter des deutschen Episkopats der Bischof von Osnabrück Wilhelm Bertling (Staat und Kirche, Bd. III, S. 861) diese Erklärung. I n unmittelbarem Anschluß teilte Wilhelm Marx (unten S. 232, Anm. 2) die Zustimmung von zwölf katholischen Organisationen zu dieser bischöflichen Erklärung mit (a.a.O., S. 1049).
2 2 2 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule dadurch von den übrigen Schulen gleicher Art, daß in ihnen der Religionsunterricht nicht ordentliches Lehrfach ist. 2. Die weltliche Schule steht i m Dienste des weltlichen Staates; ihre Aufgabe kann einzig und allein die Erziehung zur sittlichen Persönlichkeit sein. Darum muß sie aus Gründen der Gewissensfreiheit für Eltern, Lehrer und Kinder frei sein von jeder Verbindung mit der Kirche, frei vom kirchlichen Dogma und bekenntnismäßigen Religionsunterricht, w i l l aber an dem Kulturgut der Religion nicht vorbeigehen. 3. Anstelle des Religionsunterrichts (Art. 149) tritt in der weltlichen Schule das folgende: a) I n den ersten vier Schuljahren werden i m Anschauungsunterricht Bilder aus der Märchen- und Sagenwelt gegeben, auch werden einfache Fragen der Sittenlehre in kindestümlicher Anknüpfung an die Erlebnisse des Kindes in Haus und Schule besprochen. b) Vom 5. Schuljahr an w i r d i n allen Klassen wöchentlich zweistündig Unterricht in der Religionskunde (nicht Religionsunterricht) erteilt. Rein geschichtlich erzählend und frei von jeder Absicht bekenntnismäßiger Beeinflussung hat dieser das Ziel, die Jugend zur Ehrfurcht vor der religiösen Gedanken- und Gefühlswelt der Vergangenheit und zum Verständnis der gegenwärtigen Erscheinungswelt der Religion anzuleiten. c) Gleichfalls zweistündig i n der Woche und i n jeder Klasse finden Unterricht und Übung in Lebenskunde (nicht Moralunterricht) statt. A u f Grundlage der durch die wissenschaftliche Entwicklungslehre vermittelten Erkenntnis des Menschen als eines Natur- und Kulturwesens bezweckt er die Erziehung der Jugend zu freien sittlichen Persönlichkeiten. Durch Gewöhnung an Selbstzucht und Einordnung in das Gemeinschaftsleben (Schulgemeinde, Selbstregierung) sowie durch Beispiele begeisternder Vorbilder, endlich durch Anleitung zum Verständnis und zur Würdigung der geltenden Sittengesetze soll er den Willen der Jugend zu eigener Vervollkommnung und zu freiwilliger Einordnung in das Gemeinschaftsleben wecken und zur Betätigung bringen. d) I n der Oberklasse der Volksschule, i n Fortbildungs- und Fachschulen sowie i n den Oberklassen der höheren Schulen schließt sich daran die Staatsbürgerkunde 6 .
I I I . Der Entwurf für ein Reichsschulgesetz von 1921 Der Reichsinnenminister Erich Koch hatte sich zusammen mit seinem Staatssekretär Schulz schon in der Amtszeit des ersten Reichskabinetts Müller 1 tatkräftig für ein Reichsschulgesetz eingesetzt. Koch behielt sein Amt auch im Kabinett 6 Zu den Unterzeichnern dieser Leitsätze gehörten unter anderen die Professoren Wilhelm Ostwald und Paul Oestreich (Reichsbund entschiedener Schulreformer), die freireligiösen Prediger Gertrud von Petzold und Gustav Tschirn, der Leiter der Odenwaldschule Paul Geheeb, der Maler Heinrich Vogeler, die Schulvorsteherin Frieda Winckelmann (siehe oben S. 60) sowie zahlreiche weitere Lehrer. 1 Hermann Müller (1876-1931), kaufmännischer Angestellter; seit 1899 Redakteur der Görlitzer Volkszeitung; seit 1906 Mitglied des Parteivorstands der SPD; 1916-18
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Fehrenbach bei 2. Nachdem zur Ausführung des Art. 146 Abs. 1 WRV am 28. April 1920 das Reichsgesetz über die Grundschule und die Aufhebung der Vorschulen verkündet worden war 3, legte der Reichsinnenminister im Oktober 1920 einen Vorentwurf des Reichsschulgesetzes vor, der nach der Zustimmung des Reichskabinetts vom 8. Februar 1921 am 22. April im Reichstag eingebracht wurde (Nr. 150). Der Entwurf suchte dem durch Art. 146 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung vorgezeichneten Modell Gestalt zu geben. Der Gemeinschaftsschule als Regelschule sollten Bekenntnisschulen und bekenntnisfreie Schulen zur Seite treten, die auf Antrag der Erziehungsberechtigten einzurichten waren, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorlagen. Während der katholische Episkopat und die katholischen Schulorganisationen demgegenüber am Vorrang der Bekenntnisschule festhielten 4, forderte der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß, daß auch evangelische Bekenntnisschulen jedenfalls dort ohne besonderen Antrag fortbestehen sollten, wo sie bereits eingebürgert seien (Nr. 149). Der Deutsche Evangelische Kirchentag verstärkte diese Forderung durch seine Kundgebung vom 15. September 1921 (Nr. 151 ), die den schulpolitischen Positionen der evangelischen Kirchen für die Folgejahre zusammenfassenden Ausdruck gab. Den katholischen Widerstand gegen jedes Zurückdrängen der Bekenntnisschulen bestärkte Papst Benedikt XV. durch seine beiden Schreiben vom 14. und 15. Oktober 1921 (Nr. 152, Nr. 153). Erst unter dem Reichskabinett Wirth 5 begann der Reichstag am 7. Juli 1921 die erste Lesung des Reichsschulgesetzes; nach langer Pause setzte er sie am 23.124. Januar 1922fort 6. Die Beratungen des Plenums zeigten ebenso wie die Verhandlungen im Bildungsausschuß, daß eine Verständigung im entscheidenden Kontroverspunkt, dem Problem der Bekenntnisschule, kaum zu erreichen war. Dabei war der Handlungsspielraum der Zentrumsfraktion, der in dieser Frage eine Schlüsselrolle zukam, zusätzlich dadurch eingeengt, daß die katholischen Schulorganisationen in Süddeutschland im Frühjahr 1922 eine Unterschriftenaktion in Gang setzten, die den Fortbestand der bisherigen Bekenntnisschulen und die dauernde Anerkennung der Bekenntnisschule als gleichberechtigter Schulform forderte 7. Besonders tatkräfMdR (Mehrheitssozialist). November 1918-März 1919 Mitglied des Zentralrats und des Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte; 1919-20 MdWeimNatVers., 1920-31 erneut MdR; 1919-29 Parteivorsitzender; Juni 1919-März 1920 Reichsaußenminister; Juni 1920 und Mai 1928-März 1930 Reichskanzler. 2 Konstantin Fehrenbach (1852-1926), Jurist; 1882 Rechtsanwalt i n Freiburg i. Br., 1885-87 und 1901-13 Mdbad. II. K., 1903-18MdR (Zentrum); seit 8. Juni 1918 Reichstagspräsident; 1919-20 MdWeimNatVers. (wiederum Präsident), 1920-26 erneut MdR; Juni 1920-Mai 1921 Reichskanzler, 1923-26 Vorsitzender der Reichstagsfraktion des Zentrums. 3 RGBl. 1920, S. 851; vgl. auch das Reichsgesetz betreffend den Lehrgang der Grundschule vom 18. A p r i l 1925 (RGBl. 1925 I, S. 49). 4 Dazu oben Nr. 147. 5 Siehe oben S. 168, Anm. 4. 6 Verh. d. RT, Bd. 350, S. 4564ff.; Bd. 352, S. 5478ff., 5505ff. 7 Die Unterschriftenformulare enthielten i n unterschiedlicher Form i n der Regel vier Punkte: die Anerkennung der einklassigen Schule als geordneten Schulbetriebs; die Gleichberechtigung der Bekenntnisschule; die Anerkennung der bestehenden Schulen als geordneten Schulbetriebs; die Wahrung des Geistes der Bekenntnisschule. I m Reichsdurchschnitt unterstützten 78% der wahlberechtigten Katholiken durch ihre Unterschrift diese Forderungen (vgl. E. Deuerlein, Das Reichskonkordat, 1956, S. 91 ff.; G. Grünthal, Reichsschulgesetz und Zentrumspartei i n der Weimarer Republik, 1968, S. 123ff., 292).
2 2 4 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule tig unterstützte der bayerische Episkopat, der die Sicherung der katholischen Konfessionsschulen in Bayern durch ein eigenes Konkordat anstrebte 8, die Bestrebungen der katholischen Schulorganisationen (Nr. 154). Die Erwartung, daß der Entwurf Koch im Reichstag eine parlamentarische Mehrheit finden könne, verlor mit dem Ausscheiden der SPD aus der Großen Koalition am 3. November 1923 jede Grundlage. Am 6. Dezember 1923 stellte der Bildungsausschuß des Reichstags die Beratungen des Entwurfs ein. Mit der Auflösung des Reichstags am 13. März 1924 war sein Scheitern auch formell besiegelt 9.
N r . 149. K u n d g e b u n g des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses z u r Schulfrage vom 10. Februar 1921 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 70, 1921, S. 352ff.) Das kommende Reichsschulgesetz gibt dem Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß Veranlassung, folgendes zu erklären: I. Die öffentlichen Schulen sind Einrichtungen des Staates und stehen unter seiner Leitung und Aufsicht. Wir fordern solche Schulen, i n denen die christliche Charakterbildung Grundlage und Ziel der gesamten Erziehung ist, und daher für evangelische Kinder evangelische Schulen. Von den durch die Reichsverfassung ermöglichten Schularten kommt die religionslose weltliche Schule für alle diejenigen nicht in Frage, die der Religion, insbesondere dem evangelischen Christentum, doch mindestens Bildungs- und Erziehungswert beimessen und nicht wollen, daß die Kinder durch die Schule gehen, ohne i n der Schule selber von Gott und Christus zu hören. Die Simultanschule, wie sie auf Grund der Reichsverfassung zur Einführung kommen soll, neuerdings in nicht zutreffender Weise als Gemeinschaftsschule bezeichnet, steht sowohl i n unterrichtlicher als erzieherischer Hinsicht hinter der evangelischen Schule zurück. Sie hat einerseits nicht die Vorzüge, die man ihr zuschreibt. Sie bietet, wie schon die Erfahrung mit der alten Simultanschule beweist, keine Bürgschaft dafür, daß sie den religiösen Frieden fördert; sie ist auch nicht imstande, die bis ins Innerste und Tiefste reichenden Unterschiede i n den letzten religiösen Überzeugungen und Grundsätzen zu überbrücken und dadurch eine innerlich begründete „Einheitskultur" zu ermöglichen. Andererseits sind ihre Mängel unbestreitbar. Der Unterricht, insbesondere in Geschichte und Deutsch, ist i n Gefahr, farblos zu werden, schon weil die Anschauungen Andersdenkender nicht verletzt werden sollen. Der Religionsunterricht, wiewohl ein ordentliches Lehrfach, w i r d tatsächlich zu einem Nebenfach ohne einen bestimmenden Einfluß auf den Geist der Schule. Insgesamt fehlt der Simultanschule die einheitliche und geschlossene Glaubens-, Welt- und Lebensanschauung, die für die Erziehung so außerordentlich wichtig ist. 8 9
Dazu unten Nr. 172 ff. Vgl. Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 950ff.
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Darum treten w i r mit Nachdruck für die Erhaltung der evangelischen Schule ein und fordern die Glaubensgenossen zu gleicher Stellungnahme auf. Schon das ist bedeutsam, daß Schüler und Lehrer demselben Bekenntnis angehören. Noch wichtiger ist es, daß die evangelisch-protestantische Welt- und Lebensauffassung das ganze Schulleben bestimmt und auch i n den Lehrbüchern zum Ausdruck kommt. Auch bietet die evangelische Schule die Gewähr, daß evangelische Eltern nicht gezwungen sind, ihre Kinder andersgläubigen oder gar den Glauben des Elternhauses bekämpfenden Erziehern und Lehrern anzuvertrauen. II. Vom Reichsschulgesetz erwarten wir, daß es dem Willen der Erziehungsberechtigten vollauf Rechnung trägt und nicht zuläßt, daß die evangelische Schule durch hemmende Bestimmungen und Maßnahmen irgendwelcher A r t zur untergeordneten Nebenschule herabgedrückt oder gar tatsächlich unmöglich gemacht wird. Wir sehen gerade i n der vollen Entfaltungsfreiheit, die den durch die Reichsverfassung ermöglichten Schularten verstattet wird, das beste Mittel, erbitterte Schulkämpfe, soweit das überhaupt möglich ist, zu verhüten und i n freiem Wettbewerb jede Schule zeigen zu lassen, was sie zu leisten vermag. I m einzelnen verlangen wir, 1. was die Abstimmung über die Schularten betrifft: a) daß, wo eine bestimmte Schulart von lange her eingebürgert ist, dieselbe ohne weiteres fortbesteht, wenn nicht eine nennenswerte Zahl von Erziehungsberechtigten den Antrag auf eine andere Schulart stellt, b) daß das Stimmrecht der Erziehungsberechtigten i n bestehender Ehe beiden Eltern zuerkannt wird, und zwar nicht bloß denjenigen Vätern und Müttern, die zur Zeit der Abstimmung Kinder in die Volksschule schicken, sondern darüber hinaus wenigstens auch allen denjenigen, die Kinder haben, welche innerhalb der folgenden 4 Jahre schulpflichtig werden; c) daß die Freiheit der Abstimmung völlig sichergestellt wird; 2. was die Auslegung der Worte „geordneter Schulbetrieb" in Art. 146 der Reichsverfassung betrifft: a) daß schulorganisatorische und schultechnische Gesichtspunkte nicht ohne weiteres dem eigentlichen Bildungs- und Erziehungszweck vorangestellt werden und insbesondere, daß jede Schule als den gesetzlichen Anforderungen entsprechend anerkannt wird, die das allgemein vorgeschriebene Lehrziel zu erreichen gestattet, b) daß die Errichtung von Hilfs- und Förderklassen nicht zum Anlaß genommen wird, u m die Bekenntnisschulen unmöglich zu machen; 3. was den Religionsunterricht (Art. 149 der Reichs Verfassung) betrifft: a) daß die Entscheidung über die Frage, ob der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgesellschaften erteilt wird, den Religionsgesellschaften zusteht, b) daß i n Schulen, in denen der Religionsunterricht ein ordentliches Lehrfach bildet, die Schüler an diesem Unterricht teilzunehmen haben, soweit nicht die Erziehungsberechtigten eine ausdrückliche Abmeldung erklären. 15 Huber
2 2 6 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule 4. Privatschulen (Art. 147 der Reichsverfassung), die auf Grund eines unerläßlichen Bedürfnisses einer konfessionellen Minderheit zugelassen sind, sind aus öffentlichen Mitteln angemessen zu unterstützen. 5. Hinsichtlich der Lehrerbildung (Art. 143 der Reichsverfassung) müssen wir, wie dieselbe künftig auch gestaltet werden möge, in jedem Falle entscheidenden Wert darauf legen, daß Lehrer vorhanden sind, die in die evangelisch-protestantische Welt- und Lebensanschauung eingeführt und insbesondere zur Erteilung des evangelischen Religionsunterrichts einschließlich Choralgesang und kirchliche Musik gründlich vorgebildet sind. III. Insoweit der Gang der Gesetzgebung und die Entwicklung der Schulverhältnisse es notwendig machen, behalten wir uns vor, zu den Fragen weiter Stellung zu nehmen. Dieser Vorbehalt erstreckt sich insbesondere auch auf die höheren Lehranstalten für die männliche und weibliche Jugend 1 0 .
N r . 150. E n t w u r f eines Gesetzes z u r A u s f ü h r u n g des A r t i k e l 146 Abs. 2 der Reichsverfassung dem Reichstag vorgelegt am 22. A p r i l 1921 (Verhandlungen des Reichstags, I. Wahlperiode, 1920, Bd. 366, Anlagen zu den stenographischen Berichten, Nr. 1883) — Auszug — § 1. Die Volksschulen sind Gemeinschaftsschulen, soweit sie nicht nach näherer Bestimmung dieses Gesetzes Bekenntnisschulen oder bekenntnisfreie Schulen bleiben oder werden. Die bekenntnisfreien Schulen sind entweder weltliche Schulen oder Weltanschauungsschulen. § 2. Die Gemeinschaftsschule steht grundsätzlich allen Schülern offen. I n ihr ist Religionsunterricht i m Sinne des A r t i k e l 149 Abs. 1 der Reichs Verfassung ordentliches Lehrfach nach näherer Bestimmung des Landesrechts. Zur Ermöglichung eines privaten Unterrichts in einem Bekenntnis oder eines privaten bekenntnisfreien Religions- oder Moralunterrichts sind, falls in diesen Fächern die Schule keinen lehrplanmäßigen Unterricht erteilt, Schulräume nebst Heizung und Beleuchtung bereitzustellen; die Wünsche der Beteiligten sollen nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen und den Umfang der Bereitstellung bestimmt das Landesrecht. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bekenntnis ist nicht Voraussetzung für die Anstellung der Lehrer. Jedoch ist hierbei auf die religiöse Gliederung der Schüler nach Möglichkeit Rücksicht zu nehmen. §3. Volksschulen eines bestimmten Bekenntnisses (Bekenntnisschulen) sind zulässig, wenn zur gemeinschaftlichen Pflege des Bekenntnisses eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes besteht.
10 Dazu Kundgebung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses zur Schulfrage vom 7. Dezember 1923 (Allg. Kirchenblatt, 1924, S. 49f.)
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Für die Bekenntnisschule gelten folgende Bestimmungen: 1. Sie dient grundsätzlich zur Aufnahme von Schülern eines bestimmten Bekenntnisses. Die Schule verliert ihre Eigenschaft als Bekenntnisschule nicht dadurch, daß nach näherer Bestimmung des Landesrechts auch andere Schüler aufgenommen werden oder solchen in ihrem Bekenntnis lehrplanmäßiger Religionsunterricht erteilt wird. § 2 Abs. 2 findet Anwendung. 2. Die Lehrer müssen dem Bekenntnis angehören, für das die Schule bestimmt ist. Ausnahmen sind aus besonderen Gründen zulässig. Das Landesrecht bestimmt das Nähere. 3. Dem Unterrichte sind die allgemein bestehenden Lehrpläne und die allgemein gebrauchten Lehrbücher zugrunde zu legen. Jedoch können die Lehrbücher der Eigenart des Bekenntnisses angepaßt sein. 4. Die i n dem Bekenntnis üblichen religiösen Übungen und Gebräuche sind, unbeschadet der Bestimmung des A r t i k e l 149 Abs. 2 der Reichsverfassung, zuzulassen. Indes darf der Unterrichtsbetrieb i m ganzen dadurch nicht beeinträchtigt werden. § 4. Bekenntnisfreie (weltliche oder Weltanschauungs-)Schulen sind die Volksschulen, die Religionsunterricht i m Sinne des A r t i k e l 149 Abs. 1 der Reichsverfassung nicht erteilen. Für die weltliche Schule gelten folgende Bestimmungen: 1. Sie steht allen Schülern offen. § 2 Abs. 2 findet Anwendung. 2. Angehörige jedes Bekenntnisses und jeder Weltanschauung können als Lehrer angestellt werden. 3. Dem Unterrichte sind die allgemein bestehenden Lehrpläne und die allgemein gebrauchten Lehrbücher zugrunde zu legen. Jedoch können die Lehrbücher der A r t der Schule angepaßt sein. Schulen einer Weltanschauung, deren gemeinschaftliche Pflege sich eine der i m A r t i k e l 137 Abs. 7 der Reichsverfassung erwähnten Vereinigungen zur Aufgabe macht (Weltanschauungsschulen), können eingerichtet werden, wenn der Vereinigung nach Maßgabe des Artikels 137 Abs. 5,7 der Reichs Verfassung die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gewährt sind. Die nähere Gestaltung solcher Schulen bleibt landesrechtlicher Regelung überlassen. § 5. Unter Gemeinden i m Sinne des A r t i k e l 146 Abs. 2 der Reichsverfassung und i m Sinne dieses Gesetzes sind die öffentlichen Verbände zu verstehen, die zur Errichtung und Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen für die ihnen zugewiesenen Einwohner bestimmt sind. § 6. Innerhalb einer Gemeinde sind zur Stellung eines Antrags auf Einrichtung von Bekenntnisschulen oder bekenntnisfreien Schulen befugt die i m Sinne des bürgerlichen Rechtes Erziehungsberechtigten volksschulpflichtiger, die Volksschule besuchender Kinder, soweit sie i m Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte und der deutschen Staatsangehörigkeit sind. Neben dem Vater hat die Mutter das Antragsrecht. Für das Gewicht der Willenserklärung ist die Zahl der Kinder maßgebend. Die Erziehungsberechtigten können die Einrichtung von Schulen eines Bekenntnisses beantragen, dem sie selbst nicht angehören. 1*
2 2 8 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule Die Landesgesetzgebung bestimmt, in welcher Gemeinde das Antragsrecht solcher Erziehungsberechtigten ausgeübt wird, deren Kinder die Volksschule nicht am Wohnort oder in Ermangelung eines Wohnorts am gewöhnlichen Aufenthaltsorte der Erziehungsberechtigten besuchen. Die Landesgesetzgebung kann Bestimmungen treffen über die Übertragung des Antragsrechts der Erziehungsberechtigten auf die Vorstände von Erziehungsanstalten und solche Personen, die fremde Kinder in Pflege haben. Wann ein rechtswirksamer Antrag vorliegt, bestimmt das Landesrecht; dieses kann insbesondere bestimmen, daß ein Antrag auf Einrichtung von Bekenntnisschulen oder bekenntnisfreien Schulen nur dann rechtswirksam ist, wenn er von einer Mindestzahl von Antragsberechtigten gestellt ist. § 7. Wird ein rechtswirksamer Antrag auf Einrichtung von Bekenntnisschulen oder bekenntnisfreien Schulen gestellt, so findet ein befristetes Anmeldungsverfahren für die beantragten Schularten statt. § 8. Die Länder bestimmen, innerhalb welcher regelmäßig wiederkehrender Zeiträume Anträge auf Neueinrichtung von Bekenntnisschulen und bekenntnisfreien Schulen gestellt oder wiederholt werden können. ... § 9. Die Einrichtung oder Beibehaltung einer beantragten Schule beeinträchtigt einen geordneten Schulbetrieb i m Sinne des A r t i k e l 146 Abs. 2 der Reichsverfassung nicht schon dann, wenn die beantragte Schule selbst wegen ihrer Schülerzahl die in der betreffenden Gemeinde übliche Klassengliederung nicht erhalten könnte. Dagegen ist eine solche Beeinträchtigung dann als vorliegend anzusehen, wenn durch die Einrichtung oder Beibehaltung der beantragten Schule die i n der Gemeinde erreichte Höhe der Gesamtschulorganisation erheblich herabgesetzt oder die Verwirklichung der in Gemeinden der betreffenden A r t an die Gliederung des Schulwesens billigerweise zu stellenden Anforderungen verhindert würde. ... §10. Hilfsschulen oder Hilfsklassen sowie Förder- und Begabtenklassen können als bekenntnismäßige oder bekenntnisfreie eingerichtet oder beibehalten werden, wenn dies nach Lage der örtlichen Verhältnisse zweckmäßig erscheint. §11. Nach Landesrecht bestimmen sich die Stellen, die prüfen und entscheiden, ob und inwieweit die Einrichtung oder Beibehaltung beantragter Schulen nach § 9 als mit einem geordneten Schulbetrieb vereinbar anzusehen ist. ... § 12. Die Länder haben die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen landesrechtlichen Bestimmungen so rechtzeitig zu erlassen, daß die Anträge gemäß A r t i k e l 146 Abs. 2 Reichsverfassung erstmalig binnen achtzehn Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt werden können. § 13. Bei dem erstmaligen Antragsverfahren gilt die Beibehaltung bestehender Bekenntnisschulen i m Sinne des § 3 Abs. 1 oder bekenntnisfreier Schulen ohne weitere Voraussetzung als i m Sinne des § 7 beantragt. Wird die Neueinrichtung einer Schule beantragt oder gilt ein Antrag nach Abs. 1 als gestellt, so ist das Anmeldungsverfahren (§ 7) auch auf die Gemeinschaftsschule zu erstrecken. Nicht angemeldete Kinder gelten als für die Schule angemeldet, die sie besuchen. § 14. Bestehende nach Bekenntnissen nicht getrennte Volksschulen mit Religionsunterricht gelten als Gemeinschaftsschulen und sind unverzüglich nach den
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Vorschriften des § 2 einzurichten. A u f bestehende Bekenntnisschulen finden die Bestimmungen des § 3 Anwendung, soweit diese Schulen auf Grund dieses Gesetzes bestehen bleiben. M i t der gleichen Maßgabe ist § 4 Abs. 2 auf bestehende Volksschulen ohne Religionsunterricht anzuwenden. Unbeschadet der Vorschrift des Satzes 1 ist die Neugestaltung des Volksschulwesens einer Gemeinde nach den Vorschriften dieses Gesetzes erst durchzuführen, sobald über alle rechtswirksam gestellten Anträge endgültig entschieden ist oder sobald feststeht, daß ein rechtswirksamer Antrag nicht vorliegt. §15. I n den Ländern Baden und Hessen sowie in dem ehemaligen Herzogtume Nassau bleibt die dort gesetzlich bestehende, nach Bekenntnissen nicht getrennte Volksschule bis auf weiteres erhalten 1 1 . Doch kann i n diesen Gebieten jederzeit durch die Landesgesetzgebung die Durchführung dieses Gesetzes angeordnet werden. §16. A u f die für den Unterricht und die Erziehung blinder, taubstummer, schwerhöriger, sprachleidender, schwachsinniger, krankhaft veranlagter, sittlich gefährdeter oder verkrüppelter Kinder bestimmten Anstalten und Schulen finden die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung 1 2 .
N r . 151. K u n d g e b u n g des z w e i t e n Deutschen Evangelischen K i r c h e n t a g s über die S t e l l u n g der evangelischen K i r c h e z u r Schule vom 15. September 192113 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 70, 1921, S. 791 f.) 1. Als evangelische Christen, denen die geistige Selbständigkeit ein hohes Gut ist, treten w i r ein für eine umfassende und gründliche Volksbildung und betonen die wichtige Aufgabe der Schule, neben der Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten mit aller Kraft an der Erziehung der Jugend zu arbeiten. 2. Oberstes Ziel der Erziehung, von dem wir unter keinen Umständen lassen dürfen, ist der fromme und sittliche Mensch i m Geist des Evangeliums. Wir sind überzeugt, daß dieses Ziel alle andern berechtigten Ziele, für die auch w i r eintreten, wie Erziehung zu beruflicher Tüchtigkeit und Gemeinsinn, zu nationalen und staatsbürgerlichen Tugenden und zu edler Menschlichkeit umfaßt und diese Ziele zugleich vor Vereinzelung und Übertreibung bewahrt. 11 Über die Simultanschule in Baden und Hessen siehe Staat und Kirche, Bd. II, S. 742ff., 746ff. 12 Der Regierungsentwurf wurde dem Reichstag zusammen mit den Beschlüssen des Reichsrats zugeleitet. Dieser hatte zu § 11 beschlossen: „Nach Landesrecht bestimmen sich die Stellen, die prüfen und entscheiden, ob und inwieweit die Einrichtung oder Beibehaltung beantragter Schulen nach § 9 als mit einem geordneten Schulbetrieb vereinbar anzusehen ist. Das Landesrecht hat jedem Antragsteller ein verwaltungsgerichtliches Verfahren zu eröffnen, in dem er die Ablehnung des Antrags anfechten kann." Ferner fügte der Reichsrat einen neuen § 17 hinzu: „Die Mehrkosten, die den Ländern und Gemeinden aus der Durchführung des A r t i k e l 146 der Reichsverfassung und dieses Gesetzes entstehen, werden in Höhe von zwei Dritteln vom Reich erstattet." 13 Bestätigt durch Beschluß des Königsberger Kirchentags vom 20. Juni 1927 (Verhandlungen des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Königsberg 1927, S. 268).
2 3 0 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule 3. U m dieses Erziehungsziels willen fordern w i r für evangelische Kinder nachdrücklich Schulen ihres Bekenntnisses, in denen das ganze Schulleben von einem einheitlichen Geist durchdrungen ist, und in denen so der Charakterbildung am besten gedient wird. 4. Wir verkennen nicht das geschichtliche Recht der Christlichen Simultanschule, soweit sie sich in einzelnen Gebieten eingebürgert hat. Doch fordern wir, daß überall da, wo Schulen evangelischen Bekenntnisses vorhanden sind oder gesetzmäßig von evangelischen Erziehungsberechtigten begehrt werden, diesen Schulen volle Entfaltungsmöglichkeit gewährleistet wird. 5. Dem Religionsunterricht wollen w i r Wert und Stellung bewahrt wissen. Als die Grundsätze, nach denen er gemäß der Reichs Verfassung zu erteilen ist, gelten die Normen des christlichen Glaubens und Lebens, wie sie in dem in der Hl. Schrift gegebenen und i n den Bekenntnissen der Reformation bezeugten Evangelium enthalten sind. Ob der Religionsunterricht diesen Grundsätzen entspricht, kann der Staat nicht von sich aus entscheiden. Es sind daher von Seiten der Kirche unter gebührender Berücksichtigung der Religionslehrer Organe zu bilden, die den inneren Zusammenhang zwischen der Kirche und der Schule wahren und der Kirche den für sie unentbehrlichen Einfluß gewährleisten. 6. Eine Wiederkehr der sogenannten „geistlichen Schulaufsicht" w i r d ausdrücklich abgelehnt. 7. Kirche und Schule müssen sich mit der Familie in engster Verbindung halten, u m in freier Entfaltung aller ihrer Kräfte gemeinsam der deutschen Jugend zu dienen.
N r . 152. Schreiben Papst Benedikts X V . a n den bayerischen Episkopat vom 14. Oktober 1921 (Deutsche Übersetzung: Archiv für katholisches Kirchenrecht, 1921, S. 145 f.) — Auszug — . . . Was aber die öffentlichen Schulen betrifft, i n denen die Kinder i m richtigen Geist, wie es sich für katholische Christen geziemt, herangebildet werden sollen, so ist das sicherlich eine Frage von hoher und ausschlaggebender Wichtigkeit. Denn allen muß daran liegen, daß die Religion und der heilige Glaube keine Einbuße erleiden bei so vielen Tausenden von Jünglingen; vollends in einem Staate, dem die Hochhaltung der katholischen Sache stets eine Quelle des Glückes und Ruhmes gewesen ist. Eine Schulbildung und Unterrichtsordnung aber, die die Religion der Vorfahren beiseite setzt und den jugendlichen Gemütern Gutes und Böses, als bestünde zwischen beiden kein Unterschied und als wäre beides gleichberechtigt, zur Auswahl anheimstellt: auf was anderes geht sie hinaus, als daß sie ein Geschlecht heranzieht, das eines Tages das Gemeinwesen selbst umstürzt? Die Norm und Kraft aller bürgerlichen Pflichten geht ja lediglich aus den Pflichten hervor, die die Menschen mit Gott verbinden, denn Gott ist, der befiehlt und verbietet und, was gut und böse ist, festsetzt. Darum ehren wir Euch mit verdienten Lobe; denn indem Ihr die väterliche Gewalt festigt und stärkt, gebt Ihr Euch
III. Der E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz von 1921
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zugleich die angelegentlichste Mühe, daß die Jugend zur Hoffnung besserer Zeiten heranwächst. . . .
N r . 153. Schreiben Papst Benedikts X V . a n die F u l d a e r Bischofskonferenz vom 15. Oktober 1921 (Deutsche Übersetzung: Archiv für katholisches Kirchenrecht, 1921, S. 145) — Auszug — . . . Was Ihr aber saget von der tiefen, ernsten Sorge, mit der die Frage der christlichen Jugenderziehung Euch erfüllt, so tragen w i r gemeinsam mit Euch diese Besorgnis, und wir bitten und beschwören zugleich alle Gutgesinnten, daß sie Euere trefflichen Bestrebungen wirksam unterstützen. Hat doch die Erfahrung es genugsam bestätigt, namentlich in dieser Zeit allgemeinen Umsturzes, wie sehr das Heil aller und jeder Staaten davon abhängt, daß nicht eine der Religion entfremdete Jugend aufwachse, die von Tag zu Tag die Scharen verdorbener Menschen vermehren würde. Darum, geliebte Söhne und ehrwürdige Brüder, höret nie auf, die heiligen Rechte der Kirche und der christlichen Familie zu schützen und zu verteidigen. Doch ist es kaum nötig, Euch dazu noch mehr zu ermuntern. Denn längst wissen wir, wie Ihr alle, jeder an seinem Posten, nur u m so entschiedener für die Rechte der Religion eintretet, je heftiger der K a m p f gegen die Kirche Christi wütet. . . .
N r . 154. P r o t o k o l l der Freisinger Bischofskonferenz vom 5. September 1922 (L. Volk, A k t e n Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Bd. I, 1975, S. 262ff.) — Auszug —
III. Schulfragen. Exc. Erzbischof von Bamberg 14 berichtet 1. über den gegenwärtigen Stand des Reichsschulgesetzes und über die in den letzten Monaten in Bayern durchgeführte Sammlung von Unterschriften zu Gunsten der Bekenntnisschule. Die Kathol. Schulorganisation w i r d das erfreuliche Ergebnis dieser Sammlung (im gesamten bis zu 77 %) weiter verarbeiten und veröffentlichen. Excellenz von Hauck w i r d dem Vorsitzenden des Reichstagszent r u m s 1 5 und der Bayer. Volkspartei 1 6 die Auffassung des bayerischen Episkopats zum Ausdruck bringen, daß w i r in dieser Lebensfrage des religiösen Lebens das Festbleiben der politischen Parteien u m jeden Preis, auch u m den Preis der Reichstagsauflösung erwarten. 14 Gemeint ist Erzbischof Johannes Jacobus ν. Hauck (Staat und Kirche, Bd. III, S. 864). 15 Wilhelm Marx: unten S. 232, Anm. 2. 16 Karl Friedrich Speck, unten S. 371, Anm. 23.
2 3 2 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule 2. Die Konferenz fordert nach wie vor die konfessionelle Berufsbildung für solche Lehrer, die an einer konfessionellen Schule wirken sollen. 3. U m der Kath. Schulorganisation für den jetzigen Schulkampfund die jetzige Teuerung die notwendigsten Mittel zur Verfügung zu stellen, w i r d zunächst für drei Jahre eine jährliche Kirchensammlung zu ihren Gunsten beschlossen. Der Elternkalender der gleichen Schulorganisation verdient weiteste Verbreitung. ...
IV. Forderungen der deutschen Katholiken zum Reichsschulgesetz 1924 Als im Jahr 1924 die Beziehungen zwischen Staat und katholischer Kirche durch die Verhandlungen über das Reichskonkordat und das bayerische Konkordat neu in Bewegung kamen 1, nahm das Reichskabinett Mar oc2 auch die Pläne für ein Reichsschulgesetz wieder in Angriff In diesen Beratungen versuchte die katholische Schulorganisation dem kirchlichen Standpunkt dadurch Nachdruck zu verleihen, daß sie — unter Rückgriff auf die Unterschriftenaktion des Jahres 19223 — der Reichsregierung und dem Reichstag ihre Forderungen in einer Petition zuleitete (Nr. 155). Die Zentrumsfraktion des Reichstags bemühte sich, das Verfahren zu beschleunigen, indem sie einen eigenen Gesetzentwurf ausarbeitete, in den auch Vorschläge aus anderen Parteien der Mitte und der Rechten Eingang fanden (Nr. 156). Abweichend vom ursprünglichen Sinn des Weimarer Schulkompromisses zielte der Entwurf des Zentrums auf die Gleichberechtigung von Gemeinschaftsschule und Bekenntnisschule. Als am 7. Oktober 1924 eine Konferenz der Landeskultusminister unter Vorsitz des Reichsinnenministers Jarres 4 zusammentrat, erhob der Vertreter Bayerns gegen jede Zuständigkeit des Reichs in Schulangelegenheiten Einspruch. Demgegenüber bekannte Jarres sich zur Verantwortung des Reichs für die Einheitlichkeit des Bildungswesens. Seinen Versuch, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, machte der Rücktritt des Kabinetts Marx Mitte Dezember 1924 zunichte 5. 1
Siehe unten S. 174f. Wilhelm Marx (1863-1946), Jurist; 1906 Oberlandesgerichtsrat i n Köln, 1907 in Düsseldorf, 1920 Landesgerichtspräsident in Limburg, 1927 Senatspräsident am Kammergericht in Berlin; 1899-1918 MdprAH, 1910-18 MdR, 1919-20 MdWeimNatVers., 1920-32 erneut MdR (Zentrum); 1921-23 Vorsitzender der Reichstagsfraktion, 1922-28 Vorsitzender der deutschen Zentrumspartei. Dreimal Reichskanzler (19231924,1926-27,1927-28), dazwischen Reichsjustizminister und Reichsminister für die besetzten Gebiete. Zur Kandidatur für das A m t des Reichspräsidenten siehe unten S. 767 ff. 3 Siehe oben S. 223. 1 Karl Jarres (1874-1951), Jurist; 1901 Stadtassessor, 1902 Beigeordneter in Düren, 1910 Bürgermeister in Remscheid, 1914 Oberbürgermeister in Duisburg; 1923-24 Reichsinnenminister und Vizekanzler (erst parteilos, dann DVP), 1925 Kandidat der Rechtsparteien für das A m t des Reichspräsidenten; 1924-1933 wieder Oberbürgermeister von Duisburg; hierauf i n der Wirtschaft tätig (Aufsichtsratsvorsitzender der Klöckner-Werke). 5 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 952f.; G. Grünthal, Reichsschulgesetz und Zentrumspartei in der Weimarer Republik (1968), S. 145ff.; Chr. Führ, Zur Schulpolitik der Weimarer Republik (1970), S. 196ff. 2
IV. Forderungen der deutschen Katholiken zum Reichsschulgesetz 1924 233 N r . 155. P e t i t i o n der Z e n t r a l s t e l l e der katholischen Schulorganisation a n Reichsregierung u n d Reichstag vom 28. Mai 1924 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 1924, S. 143f.) Dem alten Reichstag ist es nicht gelungen, eine Lösung für die Reichsschulfrage zu finden. Ein neuer Reichstag ist gewählt. Er wie die Reichsregierung werden die hier liegende Aufgabe als eine der wichtigsten baldigst aufgreifen müssen. Die katholische Schulorganisation Deutschlands erwartet, daß man mit dem Willen zur Gerechtigkeit an die Lösung der Schulfrage herantritt, und verlangt, daß dabei die Belange und Rechte der Bekenntnisschule ausreichend beachtet und anerkannt werden. Die Forderungen der Katholiken auf dem Gebiet des Schulwesens sind bekannt. Nur die wichtigsten seien an dieser Stelle wiederholt. Wir verlangen vor allem: 1. völlige Gleichberechtigung und Entwicklungsfreiheit für die Bekenntnisschule; 2. die Berücksichtigung des Eltern willens, der Elternrechte und der Rechte der Kirche; 3. Sicherheit dafür, daß der Geist der Bekenntnisschule auch i n Wirklichkeit dem Bekenntnisse entspricht; 4. die Anerkennung der kirchlichen Grundsätze für den Religionsunterricht; 5. die Erhaltung der bestehenden Bekenntnisschulen; 6. die Anerkennung der einklassigen Schule als eines geordneten Schulbetriebes; 7. öffentliche Zuschüsse für Privatschulen. Es ist allgemein bekannt, daß die Katholiken i m Sommer 1922 und i m Frühjahr 1923 eine Unterschriftensammlung für die Bekenntnisschule abgehalten haben. Von ca. 11 000 000 wahlberechtigten Katholiken haben über 8 700 000 — das sind ca. 80 Prozent — ihre Stimme für die Bekenntnisschule abgegeben. Diese Zahlen reden eine laute Sprache. A u f Grund der Teilergebnisse sind die süddeutschen Schulorganisationen schon mit je einer Eingabe vorstellig geworden, so am 5. November 1922 die Kath. Schulorganisation Bayerns, am 9. Dezember 1922 die Kath. Elternvereinigungen Badens, am 6. Januar 1923 die Kath. Schulorganisationen Hessens, am 23. Januar 1923 der Kath. Schul- und Bildungsverein der Diözese Rottenburg i n Württemberg. A u f diese Eingaben und die hier erhobenen Forderungen sei ausdrücklich verwiesen. Bei Würdigung des Gesamtergebnisses der Unterschriftensammlung ist zu bedenken, daß bei dieser während kurzer Zeit vorgenommenen A k t i o n eine Reihe von Katholiken nicht erfaßt werden konnten, wie j a überhaupt die vielen Großstäd-
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8. Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule
te und die ausgedehnte Diaspora für eine solche A k t i o n die größten Hemmungen bieten. Zudem fiel die Unterschriftensammlung i n die Zeit, in der die Franzosen die Ruhrbesetzung vornahmen. Infolgedessen war i n großen Gebieten des katholischen Westens das Interesse durch die politischen Wirren abgelenkt. Wer ruhig und sachlich das Interesse beurteilt und all die Nebenumstände bedenkt, w i r d durchaus der Behauptung zustimmen müssen, daß mindestens 90 Prozent aller wahlberechtigten Katholiken ohne Zweifel auf dem Boden der Bekenntnisschule stehen und die nötigen Sicherungen für die Bekenntnisschule verlangen. M i t ganz besonderem Nachdruck muß daraufhingewiesen werden, daß über die Hälfte aller Stimmen aus dem besetzten Gebiet stammt, das ja überwiegend von Katholiken bewohnt ist. Aus dieser Gegend erklingt der Ruf besonders eindringlich. I n den Diözesen Köln, Mainz, Münster, Paderborn, Speyer und Trier wurden allein 4 754 323 Stimmen aufgebracht. Wahrhaft vaterländische Politik und die Pflicht der Dankbarkeit verlangen, daß dem Ruf nach Gerechtigkeit und Gewissensfreiheit hier in besonderer Weise Gehör geschenkt wird. I m Namen der katholischen Wahlberechtigten, i m Namen der katholischen Eltern, i m Namen des ganzen katholischen Volkes, das sich i n den letzten Jahren durch die Opfer i n den besetzten Gebieten den besonderen Dank des Vaterlandes erworben hat, erheben w i r mit Nachdruck die Forderung einer baldigen und gerechten Lösung der Reichsschulfrage.
N r . 156. Reichsschulgesetzentwurf des Z e n t r u m s von 1924 (G. Grünthal,
Reichsschulgesetz und Zentrumspartei i n der Weimarer Republik, 1968, S. 270ff.) — Auszug —
§ 1. Die deutschen Volksschulen haben unbeschadet der besonderen Ziele einzelner Schularten die gemeinsame Aufgabe, die schulpflichtige Jugend durch Erziehung und Unterricht auf der Grundlage des überlieferten deutschen Kulturgutes zu körperlicher, geistiger und sittlicher Tüchtigkeit heranzubilden und sie zu Staatsbürgern zu erziehen, die fähig und bereit sind, der deutschen Volksgemeinschaft zu dienen. Sie erfüllt diese Aufgabe als Gemeinschaftsschule und nach Art. 146 Abs. 2 der Reichs Verfassung 6. Alle drei Schularten haben gleichen Anspruch auf freie Entwicklung und auf gleiche Förderung durch Reich, Länder und Gemeinden. § 2. Die Gemeinschaftsschule (allgemeine Volksschule) erteilt den Unterricht auf religiös-sittlicher Grundlage ohne Berücksichtigung der Besonderheiten einzelner Bekenntnisse. Insbesondere hat sie die aus dem Christentum erwachsenen Werte 6 Danach ergaben sich die „drei Schularten", von denen i m folgenden die Rede ist: Gemeinschaftsschule (Art. 146 Abs. 1) sowie Bekenntnisschule und weltliche Schule (Art. 146 Abs. 2 der Reichs Verfassung).
IV. Forderungen der deutschen Katholiken zum Reichsschulgesetz 1924 235 der deutschen Volkskultur unterrichtlich und erziehlich lebendig zu machen. Der Religionsunterricht ist in ihr ordentliches Lehrfach gemäß Art. 149 der Reichsverfassung und w i r d nach Bekenntnissen getrennt erteilt. Bei Besetzung der Lehrerstellen an Gemeinschaftsschulen ist auf die Gliederung der diese Schulen besuchenden Kinder nach Bekenntnis oder Weltanschauung (Art. 146 Abs. 2 d. RV) Rücksicht zu nehmen. Dabei ist an einer Gemeinschaftsschule mit nur einer Lehrstelle die verhältnismäßige Mehrheit maßgebend. Sind an einer Gemeinschaftsschule zwei oder drei Lehrstellen vorhanden, so soll tunlichst auch ein Lehrer aus jeder Minderheit genommen werden, zu der wenigstens 40 der die Schule besuchenden Kinder gehören. Sind an einer Gemeinschaftsschule mehr als drei Lehrstellen vorhanden, so sollen auch Minderheiten mit wenigstens 30 Kindern nach Möglichkeit einen zu ihrer Religionspartei gehörenden Lehrer erhalten. Sind in einer Gemeinde mehrere Gemeinschaftsschulen vorhanden und befindet sich in keiner eine Minderheit von 40 bzw. 30 Kindern, beträgt indessen die Gesamtzahl der alle diese Gemeinschaftsschulen besuchenden Kinder einer Minderheit wenigstens vierzig, so ist darauf Bedacht zu nehmen, daß an einer der Gemeinschaftsschulen wenigstens ein zu dieser Minderheit gehörender Lehrer angestellt wird. § 3. Die Bekenntnisschulen sind entweder evangelische oder katholische oder jüdische Volksschulen und als solche zu bezeichnen. Für Kinder der in Art. 147 Abs. 2 der Reichs Verfassung gedachten Vereinigungen zur Pflege einer gemeinsamen Weltanschauung können besondere Schulen nach Maßgabe dieses Gesetzes errichtet werden, wenn ihre Bekenntnis-(Weltanschauungs-)gemeinschaft eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. I n der Bekenntnisschule gehören Lehrer und Schüler derselben Religionsgesellschaft an. Sie erfüllt die allen deutschen Volksschulen gemeinsame Aufgabe (§ 1 Abs. 1 Satz 1) entsprechend der Eigenart ihres Bekenntnisses. Die Lehrer müssen auf dem Boden des Bekenntnisses der Schüler stehen und sie i m Geiste des Bekenntnisses unterrichten und erziehen. Lehrstoffverteilungen und Lernbücher sind dem Charakter der Schule anzupassen. Die dem Bekenntnis eigenen religiösen Übungen und Gebräuche, soweit sie für die Schule bekömmlich sind, werden gepflegt, ohne daß dadurch der Unterrichtsbetrieb i m ganzen beeinträchtigt werden darf. Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach und w i r d für alle Kinder derselben Klasse gemeinsam erteilt. Wenn ausnahmsweise oder vorübergehend Kinder anderer Bekenntnisse oder Kinder ohne Bekenntnis die Schule besuchen, so verliert sie dadurch ihren Charakter als Schule ihres Bekenntnisses nicht. Solche Kinder dürfen zur Teilnahme an dem gemeinsamen Religionsunterricht und zur Teilnahme an den religiösen Übungen und Gebräuchen nicht verpflichtet werden. Art. 148 Abs. 2 der Reichsverfassung findet auf diese Kinder Anwendung, ohne daß jedoch die Eigenart der Schule dadurch berührt werden darf. Die Vorbildung der Lehrer muß den Erfordernissen der Bekenntnisschule Rechnung tragen. Die Länder haben, unbeschadet der Einheitlichkeit der Lehrerbildung hinsichtlich des Umfanges und der Höhenlage, die erforderlichen Einrichtungen zu treffen.
2 3 6 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule Wo Bekenntnisschulen bestehen, hat der für die Schulgemeinde zuständige Vertreter der Bekenntnisgemeinschaft i m Schulvorstand (in der Schuldeputation, i n der Schulpflegschaft) Sitz und Stimme. Bei Auswahl der Schulaufsichtsbeamten (Kreisschulräte, Bezirksschulräte) ist auf die innerhalb der Aufsichtsbezirke bestehenden Schularten Rücksicht zu nehmen. Scheidet ein Lehrer einer Bekenntnisschule aus seiner Religionsgesellschaft aus, so w i r d er an eine andere Schule versetzt. Stellt die Schulaufsichtsbehörde auf Grund eigener Wahrnehmungen oder auf Grund etwaiger Beschwerde der Erziehungsberechtigten oder der beteiligten Religionsgesellschaften Tatsachen fest, aus denen sich ergibt, daß der Lehrer einer Bekenntnisschule die Kinder nicht i m Geiste des Bekenntnisses, für das die Schule bestimmt ist, unterrichtet und erzieht, so hat die Aufsichtsbehörde für Abhilfe zu sorgen, erforderlichenfalls durch Versetzung auf eine möglichst gleichartige Stelle einer anderen Schulart. Die letzte Entscheidung liegt bei der obersten Landesbehörde. Eine Bekenntnisschule verliert ihren Charakter nicht dadurch, daß solche technischen Lehrer, welche dem Bekenntnis der Schule nicht angehören, oder Lehrer, die Religionsunterricht für konfessionelle Minderheiten erteilen, an ihr tätig sind. Sonstige dem Bekenntnis der Schule nicht angehörende Lehrer sollen an einer Bekenntnisschule nicht beschäftigt werden (außer i n Fällen zwingender Not und dann nur auf kurze Zeit und in nichtreligiösen Unterrichtsfächern). § 4. Die weltliche (bekenntnisfreie) Volksschule ist für solche Kinder aller Bekenntnisse und Weltanschauungen bestimmt, die nach der Willenserklärung ihrer Erziehungsberechtigten einen bekenntnismäßigen Religionsunterricht i n der Schule nicht erhalten sollen. Lehrer aller Bekenntnisse und Weltanschauungen können ebenso an ihr tätig sein wie Lehrer, die bekenntnislos sind, und solche, die keiner Weltanschauungsgemeinschaft angehören. Die weltliche Volksschule erteilt den gesamten Unterricht für alle Kinder gemeinsam auf allgemein sittlicher Grundlage ohne religiöse oder weltanschauliche Bindung. Religionsunterricht w i r d i m Rahmen des Lehrplans nicht erteilt; an seine Stelle kann eine Unterweisung in sittlicher Lebensführung treten. Die weltliche Schule verliert ihren Charakter als weltliche Schule nicht dadurch, daß vorübergehend oder dauernd nur Kinder desselben Bekenntnisses oder derselben Weltanschauung sie besuchen, oder dadurch, daß vorübergehend oder dauernd nur Lehrer desselben Bekenntnisses oder derselben Weltanschauung an ihr tätig sind. Kein Lehrer darf gezwungen werden, dauernd an der weltlichen Schule tätig zu sein, wenn er aus Gewissensgründen nicht auf dem Boden der weltlichen Schule stehen kann. §5. I n allen Volksschulen, mit Ausnahme der weltlichen Schule, ist Religionsunterricht ordentliches Lehrfach (Art. 149 Abs. 1 d. RV) und muß i n allen Klassen der Schule erteilt werden. Alle Schüler haben an i h m teilzunehmen, wenn sie nicht durch diejenigen abgemeldet worden sind, die über die religiöse Erziehung zu bestimmen haben.
IV. Forderungen der deutschen Katholiken zum Reichsschulgesetz 1924 237 Das Gesetz über die religiöse Erziehung der Kinder vom 15. Juli 19217 findet hierbei entsprechende Anwendung. I n allen Schulen ist für Kinder, für die lehrplanmäßig Religionsunterricht ihres Bekenntnisses oder Unterweisung in sittlicher Lebensführung (§ 4 Abs. 2 Satz 2) nicht erteilt wird, der entsprechende Unterricht einzurichten, sofern ihn die Erziehungsberechtigten von mindestens 12 Schulkindern des gleichen Bekenntnisses beantragen. Wird diese Zahl nicht erreicht, so sind für die Erteilung privaten Religionsunterrichtes oder privaten lebenskundlichen Unterrichts auf Antrag Schulräume nebst Heizung und Beleuchtung unentgeltlich zu stellen. Der Religionsunterricht w i r d in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft erteilt unbeschadet des Aufsichtsrechtes des Staates. Dieses Aufsichtsrecht erstreckt sich auf die Überwachung der äußeren Schulordnung, der Schulzucht, des Schulbesuches und der Beachtung der allgemeinen pädagogischen Grundsätze, aber nicht auf Glaubensinhalt und Methode des Religionsunterrichtes. Schulbücher und Lehrplan für den Religionsunterricht werden auf Vorschlag und mit Zustimmung der betreffenden Religionsgesellschaft eingeführt. Jede Veränderung der wöchentlichen Unterrichtsstunden für den Religionsunterricht bedarf der Einwilligung der zuständigen Organe der beteiligten Religionsgesellschaft. Die Erteilung des Religionsunterrichts darf nur solchen Personen übertragen werden, die dem Bekenntnis angehören, die entsprechende Vorbildung besitzen und die erforderliche Befähigung nachgewiesen haben. Die geeignete M i t w i r k u n g der betreffenden Religionsgesellschaft bei der Vorbildung, Prüfung und Anstellung der Lehrer für den Religionsunterricht w i r d durch Landesrecht geregelt. Die Geistlichen der betreffenden Religionsgesellschaft können mit Zustimmung ihres geistlichen Obern den Religionsunterricht in den Volksschulen ganz oder z.T. geben. Die oberste Landesbehörde trifft i m Einvernehmen mit der betreffenden Religionsgesellschaft die Bestimmungen und Einrichtungen, durch welche die in Art. 149 Abs. 3 d. RV vorgeschriebene Übereinstimmung des Religionsunterrichtes mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft gewährleistet wird. Die Religionsgesellschaften sind befugt, durch ihre berufenen Vertreter sich darüber zu unterrichten, ob der Religionsunterricht ihren Grundsätzen gemäß erteilt wird. Durch Landesrecht w i r d das Verfahren geordnet, durch welches etwa erfolgte Beanstandungen der Erteilung des Religionsunterrichtes i m Zusammenwirken der zuständigen Organe der Religionsgesellschaft und der staatlichen Schulaufsicht ihre Erledigung finden und festgestellte Mängel beseitigt werden. Das Visitationsrecht der Vertreter der Religionsgesellschaften erstreckt sich auf den Religionsunterricht und das religiös-sittliche Leben der Schule, schließt aber keine staatlichen Dienstaufsichtsbefugnisse ein gegenüber Lehrern, welche den Religionsunterricht erteilen. Wenn ein Lehrer aus Gewissensgründen den Antrag stellt, ihn von der Erteilung des Religionsunterrichts zu entbinden, so ist dem Antrag stattzugeben und seine anderweitige volle Beschäftigung zu veranlassen. 7
Oben Nr. 146.
2 3 8 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule § 6. Unter Gemeinden i m Sinne des Art. 146 Abs. 2 d. RV und i m Sinne dieses Gesetzes sind die öffentlichen Verbände zu verstehen, die nach Landesrecht zur Errichtung und Unterhaltung der Volksschulen für die ihnen zugewiesenen Einwohner bestimmt sind. Die in Art. 146 Abs. 2 geforderte möglichste Berücksichtigung des Willens der Erziehungsberechtigten soll durch Errichtung von Zweckverbänden für Errichtung und Unterhaltung solcher beantragter Schulen, die in den Gemeinden nicht vorhanden sind, nach Möglichkeit gefördert werden. § 7. Ist innerhalb einer Gemeinde eine der in § 1 Abs. 1 genannten Schularten nicht vorhanden, so kann die Einrichtung einer solchen Schulart bei dem Vorstand der Gemeinde beantragt werden. Innerhalb einer Gemeinde sind zur Stellung eines Antrages auf Beibehaltung oder Errichtung von Bekenntnisschulen oder bekenntnisfreien Schulen befugt die i m Sinne des bürgerlichen Rechtes Erziehungsberechtigten volksschulpflichtiger Kinder, sowie solcher Kinder, die innerhalb von fünf Jahren volksschulpflichtig werden. Neben dem Vater hat die Mutter das Antragsrecht. Erziehungsberechtigte, die ihr K i n d nicht i n ihrem Bekenntnis erziehen lassen, können die Einrichtung einer Volksschule beantragen, die dem Bekenntnis entspricht, in dem das K i n d erzogen wird. ... § 9. Eine beantragte Schule beeinträchtigt einen geordneten Schulbetrieb auch i m Sinne des Art. 148 Abs. 1 d. RV nicht und ist daher zu genehmigen, wenn sie die Erreichung des i n Art. 148 Abs. 1 d. RV aufgestellten allgemeinen Bildungszieles aller Schulen gewährleistet, i n ihren vier unteren Stufen den Unterbau für mittlere und höhere Schule bilden kann und wenn sie wenigstens so viel Schüler haben wird, als zur ausreichenden Besetzung einer Schule mit einer Lehrkraft notwendig sind. Die ausreichende Besetzung ist gegeben, wenn 40 Kinder für die Schule vorhanden sind. Jede bei Inkrafttreten der Reichsverfassung vorhandene und noch bestehende Volksschule gilt als beantragt und behält ihren Charakter, wenn nicht auf Antrag von wenigstens 51 % der beteiligten Erziehungsberechtigten die Änderung (Abänderung) nach Maßgabe dieses Gesetzes erfolgen muß. Neu zu errichtende Schulen beeinträchtigen einen geordneten Schulbetrieb nicht, wenn die beantragte Schule ebenso wie die Schule, von der sie abgetrennt wird, hinsichtlich der Klassenzahl nach dem bis zum Inkrafttreten der Reichsverfassung geltenden Recht des Landes als normale Schuleinrichtung anerkannt werden muß. Grundsätzlich ist die Ablehnung einer beantragten Schule lediglich deshalb, weil sie nur eine Klasse oder weniger als vier Klassen hat, nicht statthaft, doch soll i n Großstädten — mit Ausnahme ihrer Vororte — die Errichtung von einklassigen oder zweiklassigen Volksschulen, ebenso die Herabsetzung des vorhandenen Klassenaufbaues auf weniger als drei Klassen, tunlichst vermieden werden. §10. Wenn für weniger als 40 volksschulpflichtige Kinder in einer Gemeinde Privatschulen auf Grund des Art. 147 Abs. 2 d. RV errichtet werden, so erhalten sie Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln. Der Zuschuß soll für jedes K i n d nicht unter dem Betrag bleiben, der i m Durchschnitt für jedes eine öffentliche Volksschule der Gemeinde besuchende K i n d bezahlt wird.
IV. Forderungen der deutschen Katholiken zum Reichsschulgesetz 1924 239 §11. Nach Landesrecht bestimmen sich die Stellen, die über Genehmigung oder Ablehnung der von den Erziehungsberechtigten auf Grund dieses Gesetzes gestellten Anträge entscheiden. Das Landesrecht hat jedem Antragsteller ein verwaltungsgerichtliches Verfahren zu eröffnen, in dem er die Ablehnung des Antrages anfechten kann. §12. Die Länder haben die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen landesrechtlichen Bestimmungen so rechtzeitig zu erlassen, daß die Anträge gemäß Art. 146 Abs. 2 d. RV erstmalig binnen 18 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt werden können. § 13. Bei dem erstmaligen Antragsverfahren gilt für bestehende Volksschulen § 9 Abs. 1 dieses Gesetzes. Wird die Neueinrichtung einer Schule beantragt oder ein Antrag nach § 9 Abs. 1 gestellt, so ist das Anmelde verfahren auch auf die Gemeinschaftsschule zu erstrecken. Nichtangemeldete Kinder gelten als für die Schule angemeldet, die sie besuchen. §14. Die Neugestaltung des Volksschulwesens einer Gemeinde nach den Vorschriften dieses Gesetzes w i r d durchgeführt, sobald über alle rechtswirksam gestellten Anträge endgültig entschieden ist oder sobald feststeht, daß ein rechtswirksamer Antrag nicht vorliegt. §15. Hilfsschulen und Hilfsklassen für schwerhörige, sprachleidende oder zurückgebliebene Kinder gelten als öffentliche Volksschulen auch i m Sinne dieses Gesetzes. Schulen für nichtvollsinnige oder geistig nicht normale Kinder werden in ihrem religiösen Charakter durch dieses Gesetz nicht berührt. Jedoch soll bei der Unterbringung auch solcher Kinder der Wille der Erziehungsberechtigten hinsichtlich der religiösen Erziehung möglichst berücksichtigt werden. §16. I n den Ländern Baden und Hessen sowie in dem ehemaligen Herzogtum Nassau 8 bleibt die gegenwärtig dort gesetzlich bestehende christliche Simultanschule in allen Gemeinden erhalten, in denen die Erziehungsberechtigten ihren Willen durch entsprechende Anträge bekundet haben. I n den anderen Gemeinden tritt an Stelle der christlichen Simultanschule die Gemeinschaftsschule oder Bekenntnisschule oder die weltliche Schule nach Maßgabe dieses Gesetzes, sobald seine Durchführung durch die Landesgesetzgebung angeordnet worden ist.
Siehe Staat und Kirche, Bd. II, S. 742ff., 746ff.
2 4 0 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule
V. Der Entwurf für ein Reichsschulgesetz von 1925 Das im Januar 1925 gebildete und auf eine Mitte-Rechts-Koalition gestützte Reichskabinett Luther 1 nahm die Arbeiten am Reichsschulgesetz wieder in Angriff Unter dem deutschnationalen Reichsinnenminister Schiele 2 blieb zwar der sozialdemokratische Staatssekretär Schulz 3 i m Amt. Die Arbeiten für das Schulgesetz übertrug der Minister jedoch dem Ministerialrat Gürich 4. Der nach Vorberatungen am 4. Juli 1925 dem Reichskanzler vorgelegte Entwurf (Nr. 157) trug der Sache nach verfassungsändernden Charakter. Denn er zielte darauf, an den in den einzelnen deutschen Ländern herrschenden Schulverhältnissen möglichst wenig zu ändern und damit in der Mehrzahl der Länder die Bekenntnisschule als Regelschule zu erhalten. Damit weckte der Entwurf lebhaften Widerspruch. Unter den deutschen Ländervertretern äußerten sich nur die Sprecher Bayerns und Württembergs positiv. Nachdem die deutschnationalen Kabinettsmitglieder am 26. Oktober 1925 ausgeschieden waren, ließ das Kabinett Luther den Entwurf Gürich fallen 5.
N r . 157. E n t w u r f eines Gesetzes z u r A u s f ü h r u n g des A r t . 146 Absatz 2 der Reichsverfassung vom August 1925 (W. Landé, Aktenstücke zum Reichsvolksschulgesetz, 1928, S. 46ff.) — Auszug — I. Abschnitt § 1. Unter Bekenntnis i m Sinne dieses Gesetzes ist ein Religionsbekenntnis zu verstehen, zu dessen gemeinschaftlicher Pflege eine Religionsgesellschaft besteht, welche die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt (Art. 137 RV). § 2. Unter Weltanschauung i m Sinne dieses Gesetzes ist eine Weltanschauung zu verstehen, zu deren gemeinschaftlicher Pflege eine Weltanschauungsgesellschaft 1 Hans Luther (1879-1962), Jurist; 1907 Stadtrat in Magdeburg; 1913 Geschäftsführer des Dt. und Preuß. Städtetags; 1918-1922 Oberbürgermeister von Essen; 1. Dezember 1922 Reichsernährungsminister; 6. Oktober 1923 Reichsfinanzminister; 15. Januar 1925-17. Mai 1926 Reichskanzler (parteilos); seit 1927 Mitglied der DVP; 1928 Vors. des „Bundes zur Erneuerung des Reichs"; 1930-33 Reichsbankpräsident; 1933-37 Botschafter in Washington. 2 Martin Schiele (1870-1939), Rittergutspächter; 1914-18 MdR (kons.); 1919-20 MdWeimNatVers.; 1920-30 MdR (DNVP, seit Anfang 1930 Landvolk-P.); 15. Januar bis 26. Oktober 1925 Reichsinnenminister; 29. Januar 1927-29. Juni 1928 Reichsernährungsminister; 1928-30 Präsident des Reichslandbundes; 30. März 1930 bis 2. Juni 1932 erneut Reichsernährungsminister. 3 Siehe oben S. 220, Anm. 3. 4 Arthur Gürich (geb. 1873), Jurist, seit 1896 i m preuß. Verwaltungsdienst; 1914 Hilfsarbeiter i m preuß. Kultusministerium; 1917 Vortr. Rat in der Volksschulabteilung; 1920 Vertreter der preuß. Unterrichtsverwaltung i m Reichsschulausschuß, seit 1924 i m Ausschuß für das Unterrichtswesen i m Reichsinnenministerium (MinRat); seitdem zum Dienst i m Reichsinnenministerium (Kulturabteilung) beurlaubt. 5 Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 953 f.
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besteht, welche die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt (Art. 137 RV). § 3. Unter Gemeinden i m Sinne des A r t i k e l 146 Abs. 2 der Reichsverfassung und i m Sinne dieses Gesetzes sind die öffentlichen Verbände zu verstehen, die zur Errichtung und Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen für die ihnen zugewiesenen Einwohner bestimmt sind. § 4. Die Merkmale der Volksschule eines bestimmten Bekenntnisses sind folgende: 1. Sie dient zur Aufnahme von Schülern (Schülerinnen) eines bestimmten Bekenntnisses, doch kann auch die Aufnahme von Schülern eines anderen Bekenntnisses oder bekenntnisloser Schüler zugelassen werden; sie verliert ihre Eigenschaft als Bekenntnisschule weder dadurch, daß Kinder, die nicht dem Bekenntnis angehören, aus besonderen Gründen zugelassen werden, noch dadurch, daß für die Schüler eines anderen Bekenntnisses schulplanmäßiger Religionsunterricht erteilt wird. 2. Die an ihr hauptamtlich angestellten Lehrkräfte müssen dem Bekenntnis angehören, für welches die Schule bestimmt ist. Die Anstellung und Beschäftigung von Lehrkräften anderer Bekenntnisse bleibt für besondere Fälle zulässig; die Beschäftigung von Bekenntnislosen ist nur i n besonderen Ausnahmefällen und nur vorübergehend gestattet. §5. (1) Die Bekenntnisschulen sind nach dem Bekenntnisse, für das sie bestimmt sind, zu bezeichnen. (2) Die gesamte Unterrichts- und Erziehungsarbeit in den Bekenntnisschulen muß getragen sein von dem Geiste des Bekenntnisses. (3) I m Lehrplan und Lehrstoff sowie bei der Auswahl der Lehr- und Lernmittel ist gebührende Rücksicht auf das bekenntnismäßige Gepräge der Schule zu nehmen. (4) I m Schulbetriebe sind die dem Bekenntnisse eigenen religiösen Übungen und herkömmlichen Gebräuche zu pflegen. (5) Die bekenntnismäßigen besonderen Feiertage und sonstigen religiösen Gedenktage sind zu halten. (6) Der Religionsunterricht ist in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates zu erteilen. ... § 6. Die Merkmale der Volksschule einer bestimmten Weltanschauung sind folgende: 1. Sie dient zur Aufnahme von Schülern (Schülerinnen) einer bestimmten Weltanschauung, doch kann auch die Aufnahme sonstiger bekenntnisloser Schüler oder Schüler eines Bekenntnisses zugelassen werden. Sie verliert ihre Eigenschaft als Weltanschauungsschule weder dadurch, daß Kinder, die nicht der Weltanschauung angehören, aus besonderen Gründen zugelassen werden, noch dadurch, daß für die Schüler eines Bekenntnisses schulplanmäßiger Religionsunterricht erteilt wird.
16 Huber
2 4 2 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule 2. Die an ihr hauptamtlich angestellten Lehrkräfte müssen der Weltanschauung angehören, für welche die Schule bestimmt ist. Die Anstellung oder Beschäftigung von sonstigen bekenntnislosen Lehrkräften oder Lehrkräften eines Bekenntnisses bleibt für alle Fälle zulässig. Kein Lehrer eines Bekenntnisses darf gegen seinen Willen an einer Weltanschauungsschule angestellt werden. §7. (1) Die Weltanschauungsschulen sind nach der Weltanschauung, für die sie bestimmt sind, zu bezeichnen. (2) Die gesamte Unterrichts- und Erziehungsarbeit i n der Weltanschauungsschule muß getragen sein von dem Geiste der Weltanschauung. . . . (3) Es ist zulässig, besonderen Unterricht i n der Weltanschauung einzurichten, für welche die Schule bestimmt ist. Der Unterricht ist in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Weltanschauung unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates zu erteilen. § 5 Abs. 7 findet entsprechende Anwendung. §8. (1) Soweit in diesem Gesetze nichts anderes bestimmt ist, stehen den Weltanschauungsschulen die Schulen gleich, an denen nach dem Willen der Erziehungsberechtigten Religionsunterricht nicht erteilt w i r d und nicht erteilt werden darf (weltliche Schulen, Art. 149 RV). (2) Zum Besuch der weltlichen Schule darf kein Schulkind wider den Willen der Erziehungsberechtigten angehalten werden. Kein Lehrer, der einem Bekenntnisse angehört, darf gegen seinen Willen an einer weltlichen Schule angestellt werden. II. Abschnitt § 9. Für die Gebiete des Reichs, i n denen die Volksschulen schon nach landesrechtlicher Vorschrift Bekenntnisschulen sind, oder i n denen die Einrichtung von Volksschulen eines bestimmten Bekenntnisses auf Antrag von Erziehungsberechtigten schon nach Landesrecht unter bestimmten Voraussetzungen verlangt werden kann, können, unbeschadet der Vorschriften der §§ 10,12,13 die bisherigen Vorschriften in Geltung bringen. I m übrigen können die Länder auch für die Einrichtung der bei ihnen zugelassenen Bekenntnisschulen an Stelle ihrer bisherigen Vorschriften die Bestimmungen der §§ 14, 15, 16, 17, 21, 22 ganz oder teilweise einführen. § 10. (1) Die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden Volksschulen, die den Anforderungen des § 4 i m wesentlichen entsprechen, gelten als Bekenntnisschulen i m Sinne dieses Gesetzes; sie müssen indessen binnen 2 Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes in vollständige Übereinstimmung mit den Vorschriften der §§4 und 5 gebracht werden, soweit dies nicht der Fall ist. ... §11. Soll eine bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehende, i m § 10 bezeichnete Volksschule in eine nach Bekenntnissen nicht getrennte Volksschule umgewandelt werden, so ist dazu die Zustimmung der Mehrheit der Erziehungsberechtigten der die Schule besuchenden Kinder erforderlich. Dasselbe gilt für die Umwandlung einer später errichteten gleichartigen Schule. § 12. (1) Für die Gebiete des Reichs, i n denen die Volksschulen nicht schon nach landesgesetzlicher Vorschrift Bekenntnisschulen sind, oder i n denen die Einrichtung von Volksschulen eines bestimmten Bekenntnisses auf Antrag von Erziehungsberechtigten nicht schon nach Landesrecht unter bestimmten Voraussetzun-
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gen verlangt werden kann, gelten für die Verpflichtung zur Einrichtung von Bekenntnisschulen sowie für die Merkmale dieser Schulen die i n den §§ 4, 5,14,15, 16, 17, 21, 22 enthaltenen Grundsätze. ... § 13. Für die Gebiete des Reiches, i n denen die Einrichtung von Volksschulen einer bestimmten Weltanschauung nach den Vorschriften des Landesrechts bisher nicht zugelassen ist, gelten für die Verpflichtung zur Einrichtung von Volksschulen einer bestimmten Weltanschauung sowie für die Merkmale dieser Schulen die Bestimmungen der §§ 6, 7, 8, 14, 15, 18, 19, 20, 21, 22. (2) Das gleiche gilt für die Verpflichtung zur Einrichtung von bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen, soweit nicht in diesem Gesetze etwas anderes bestimmt ist (§ 14 Abs. 2 Satz 2, § 20 letzter Satz). ... §14 (1) Die zur Stellung eines Antrages auf Einrichtung einer Volksschule ihres Bekenntnisses bzw. ihrer Weltanschauung oder einer bekenntnisfreien (weltlichen) Volksschule befugten Erziehungsberechtigten sind alle i m Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte und der deutschen Staatsangehörigkeit befindlichen, nicht unter Vormundschaft oder elterlicher Gewalt stehenden Inhaber der elterlichen Gewalt über volksschulpflichtige Kinder der Gemeinde, wenn sie sich nicht nur vorübergehend in der Gemeinde aufhalten. ... § 15. (1) Dem Antrag auf Errichtung einer Bekenntnisschule ist stattzugeben, wenn der Antrag von den Erziehungsberechtigten so vieler schulpflichtiger Kinder der Gemeinde gestellt wird, als i m Durchschnitt der letzten fünf Jahre auf eine Schulstelle in dieser Gemeinde entfallen sind. ... §16. Der Antrag auf Errichtung einer Bekenntnisschule kann jederzeit gestellt werden. Ist indessen ein Antrag abgelehnt worden, so darf er erst nach Ablauf von drei Jahren wiederholt werden, es sei denn, daß inzwischen neue Schulstellen i n der Gemeinde errichtet werden; in diesem Falle ist seine frühere Wiederholung statthaft. §17. (1) Besteht in einer Gemeinde nur eine Schule mit nur einer Schulstelle und w i r d von den Erziehungsberechtigten der Mehrheit der Schulkinder die Umwandlung dieser Schule in die Schule eines bestimmten Bekenntnisses beantragt, so ist die Schule i n die beantragte Schulart umzuwandeln, sofern die Mehrheit der Schulkinder in jedem der letzten fünf Jahre dem betreffenden Bekenntnisse angehört hat oder, wenn dies nicht der Fall ist, der Antrag von den Erziehungsberechtigten von wenigstens drei Vierteln der Schulkinder gestellt wird. . . . §18. (1) Dem Antrag auf Einrichtung einer Weltanschauungsschule ist stattzugeben, wenn der Antrag von den Erziehungsberechtigten so viel schulpflichtiger Kinder der Gemeinde gestellt wird, als i m Durchschnitt der letzten fünf Jahre auf eine Schulstelle i n dieser Gemeinde entfallen sind. ... §19. Der Antrag auf Errichtung einer Weltanschauungsschule kann jederzeit gestellt werden. Ist indessen ein Antrag abgelehnt worden, so darf er erst nach Ablauf von drei Jahren wiederholt werden, es sei denn, daß inzwischen neue Schulstellen in der Gemeinde errichtet werden; i n diesem Falle ist eine frühere Wiederholung statthaft. § 20. Für die Umwandlung einer Schule mit nur einer Schulstelle i n die Schule einer bestimmten Weltanschauung finden die Vorschriften des § 17 sinngemäß 16*
2 4 4 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule Anwendung; die Umwandlung in eine bekenntnisfreie (weltliche) Schule ist indessen nur zulässig, wenn die Erziehungsberechtigten sämtlicher Kinder dies beantragen. ... § 23. Die Länder haben die nötigen Vorkehrungen zu treffen, daß für eine den Bedürftigen und besonderen Erfordernissen der Bekenntnisschule entsprechende Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen in ausreichendem Umfange gesorgt ist. III. Abschnitt: Religionsunterricht
in den Volksschulen
§ 24. Für alle Volksschulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen gelten für die Erteilung des Religionsunterrichts die Bestimmungen der folgenden Paragraphen. §25. (1) Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach und ist i n Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates zu erteilen. Den Religionsgesellschaften ist ausreichende Gelegenheit zu geben, auch durch Besuch des Religionsunterrichts durch besondere Beauftragte, sich davon zu überzeugen, ob diesem Erfordernis genügt wird. Stellt eine Religionsgesellschaft fest, daß dies nicht der Fall ist, so ist sie befugt, die Landesregierung u m Abhilfe anzugehen. Diese ist verpflichtet, alles zu tun, u m den gesetzlichen Erfordernissen zu genügen. ... § 26. (1) Die Verpflichtung zur Einrichtung als ordentliches Lehrfach besteht nur für den Unterricht i n den Religionsbekenntnissen i m Sinne des § 1. Den Ländern bleibt die Bestimmung darüber überlassen, ob und inwieweit auch der Unterricht in einem anderen Religionsbekenntnisse als ordentliches Lehrfach erteilt werden soll. (2) Zur Ermöglichung eines privaten Unterrichts i n einem Bekenntnisse sind, falls darin die Schule keinen lehrplanmäßigen Unterricht erteilt, Schulräume nebst Heizung und Beleuchtung bereitzustellende Wünsche der Beteiligten sollen nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen und den Umfang der Bereitstellung bestimmt das Landesrecht. §27. I m Rahmen der Grundsätze dieses Gesetzes w i r d die Erteilung des Religionsunterrichts durch die Schulgesetzgebung der Länder geregelt; indessen ist beim Vorhandensein von durchschnittlich dauernd wenigstens 12 schulpflichtigen Volksschulkindern desselben Bekenntnisses in der Gemeinde Unterricht i n diesem Bekenntnisse als ordentliches Lehrfach zu erteilen. § 28. Wer über die religiöse Erziehung eines Kindes zu bestimmen hat, kann das K i n d von dem Religionsunterricht abmelden. Ein abgemeldetes K i n d ist bei Feststellung der Durchschnittszahl 12 (§ 27) nicht mitzuzählen. § 29. (1) Die Erteilung des Religionsunterrichts darf nur solchen Lehrern und Lehrerinnen übertragen werden, die auf dem Boden des betreffenden Bekenntnisses stehen und die nötige Befähigung besitzen; es bleibt aber zulässig, auch Bekenntnisverwandte zur Erteilung des Religionsunterrichts zuzulassen, wenn die Erziehungsberechtigten keinen Widerspruch erheben. ... § 30. (1) I n die örtlichen SchulVerwaltungsorgane, denen Volksschulen mit Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach unterstehen, sind Vertreter der entsprechenden Religionsgesellschaften mit Sitz und Stimme aufzunehmen, soweit die Religionsgesellschaften zu den i n § 1 genannten gehören. ...
I. Der E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz von 192 IV. Abschnitt.
Übergangs- und
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Schlußbestimmungen
§31. (1) Für Gebiete des Reiches, i n denen eine nach Bekenntnissen nicht getrennte Schule gesetzlich besteht, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes mit der Maßgabe, daß während der Dauer von zehn Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes die für einen Antrag auf Einrichtung von Bekenntnis-, Weltanschauungsund bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen gemäß §§ 15 und 18 erforderliche Schulkinderzahl bis auf das Eineinhalbfache erhöht werden darf. (2) Stellen diese Gebiete i n einem Lande weniger als ein Viertel des Landesgebietes dar, so ist das Land befugt, an Stelle der Vorschrift des Abs. 1 die Bestimmungen einzuführen, die i m übrigen Landesgebiet für die Verpflichtung zur Einrichtung von Bekenntnisschulen gemäß § 9 in Geltung bleiben oder erlassen bzw. für die Einrichtung von Weltanschauungs- oder bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen gemäß § 13 Abs. 3 gegeben werden. § 32. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage nach seiner Verkündung i n Kraft. Die Länder sind gehalten, die zur Durchführung des Gesetzes erforderlichen Vorschriften alsbald zu erlassen.
VI. Der Entwurf für ein Reichsschulgesetz von 1926 Die Nachfolge des deutschnationalen Reichsinnenministers Martin Schiele trat am 20. Januar 1926 der Deutschdemokrat Wilhelm Külz 1 an. Seine Skizze für ein Reichsschulgesetz (Nr. 158) erklärte, dem Art. 146 Abs. 2 WRV entsprechend, die „allgemeine deutsche Volksschule" zur Regelschule, die Bekenntnisschulen wie die bekenntnisfreien Schulen dagegen zu Antragsschulen. Obwohl der Entwurf geheimgehalten wurde, stießen die schnell bekannt gewordenen Absichten des Reichsinnenministers auf vehemente Kritik, vor allem aus den Reihen der Deutschnationalen. Nur eine Große Koalition unter Beteiligung der SPD hätte dem Entwurf Külz zur Gesetzeskraft verhelfen können. Doch widersetzte sich auch das Zentrum einem Kompromiß auf dem Boden der Schulpolitik des liberalen Innenministers. Der Widerspruch des Zentrums wie der Deutschnationalen konnte sich darauf berufen, daß die Petitionsbewegung unter Protestanten wie unter Katholiken 2 eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten für die Beibehaltung der Bekenntnisschule hatte erkennen lassen. Angesichts der unüberbrückbaren Gegensätze in der Schulpolitik erwies sich eine Erweiterung des Kabinetts Marx 3 zur Großen Koalition als undurchführbar. Am 17. Dezember 1926 trat die dritte Regierung Marx zurück 4.
1 Wilhelm Külz (1875-1948), Jurist; seit 1901 i n der Kommunalverwaltung, 1912-23 Oberbürgermeister in Zittau; 1923-26 Bürgermeister i n Dresden; 1904-12 Mdsächs. II. Kammer (natlib.); 1919-20 MdWeimNatVers.; 1920-32 MdR (DDP); vom 20. Januar 1926 bis 29. Januar 1927 Reichsinnenminister; 1945 Mitbegründer und Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei in der Sowjetischen Besatzungszone. 2 Siehe oben S. 223 und Nr. 155. 3 Siehe oben S. 232, Anm. 2. 4 Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 954f.; G. Grünthal, Reichsschulgesetz und Zentrumspartei in der Weimarer Republik (1968), S. 188 ff.
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8. Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule N r . 158. Skizze des Reichsinnenministers K ü l z z u e i n e m Reichsschulgesetz von 1926
(G. Grünthal,
Reichsschulgesetz und Zentrumspartei in der Weimarer Republik, 1968, S. 276ff.) I. Allgemeine
Bestimmungen
§ 1. Das Recht des Kindes und seiner Eltern auf Erziehung und Unterricht des Kindes in öffentlichen Schulen w i r d für das volksschulpflichtige Alter durch die deutsche Volksschule gewährleistet. § 2. Die deutsche Volksschule hat das Ziel, in Unterstützung, Ergänzung und Fortführung der elterlichen Erziehung die geistigen, seelischen und körperlichen Anlagen des Kindes gleichmäßig zu entwickeln, u m das heranwachsende Geschlecht zu deutschen Menschen heranzubilden, die durch ihre Persönlichkeit, durch berufliche Tüchtigkeit, durch sittliche Bildung, durch staatsbürgerliche Gesinnung zum Dienst an Volk, Vaterland und Menschheit befähigt sind. oder (Alternativlösung): § 3. Die deutsche Volksschule soll in Unterstützung, Ergänzung und Fortführung der elterlichen Erziehung die geistigen, seelischen und körperlichen Anlagen des Kindes so entwickeln, daß das heranwachsende Geschlecht durch sittliche Bildung, berufliche Tüchtigkeit und staatsbürgerliche Gesinnung zum Dienst an Volk, Vaterland und Menschheit befähigt wird. § 4. Die deutsche Volksschule beruht auf der Einheit des deutschen Volkstums und der deutschen K u l t u r unter Wahrung und Schonung der Verschiedenheit der religiösen Bekenntnisse und Weltanschauungen. Es ist daher in der deutschen Volksschule darauf Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden. § 5. Die Lehrer an der deutschen Volksschule haben die Rechte und Pflichten von Staatsbeamten. § 6. Die Länder haben i m Rahmen der allgemeinen Berufsausbildung der deutschen Volksschullehrer Einrichtungen zu schaffen, die eine Ausbildung entsprechend den besonderen Erfordernissen der verschiedenen Arten der deutschen Volksschule gewährleisten. § 7. Die Aufsicht über den gesamten Lehr- und Lernbetrieb der allgemeinen deutschen Volksschule führt der Staat durch die von i h m beauftragten Behörden. II. Die Arten der Volksschule § 8. Die allgemeine deutsche Volksschule steht grundsätzlich allen schulpflichtigen Kindern offen. Die Anstellung der Lehrer erfolgt ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis, jedoch unter möglichster Berücksichtigung der religiösen Gliederung der Schülerschaft. § 9. Die Bekenntnisschule hat die Forderungen der deutschen Volksschule zu erfüllen und ihre Ziele zu erreichen auf der Grundlage ihres Bekenntnisses.
VI. Der E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz von 1926
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§10. Die weltliche Schule hat die Forderungen der deutschen Volksschule zu erfüllen und ihre Ziele zu erreichen, ohne den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach zu haben. III. Die Bekenntnisschule §11. Die Bekenntnisschule dient zur Aufnahme von Schülern eines bestimmten Bekenntnisses. Sie kann für solche Bekenntnisse beantragt werden, zu deren gemeinschaftlicher Pflege eine Religionsgemeinschaft besteht, welche die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt (Art. 137 Abs. 5 der RV). Die Bekenntnisschule steht auch Kindern offen, die dem betreffenden Bekenntnis nicht angehören. §12. I n der Bekenntnisschule wird der gesamte Unterricht von Lehrern erteilt, die auf dem Boden des betreffenden Bekenntnisses stehen. Ausnahmen können landesgesetzlich zugelassen werden. § 13. Bekenntnisschulen sind innerhalb einer Gemeinde einzurichten, wenn die Voraussetzungen dieses Gesetzes gegeben sind. Unter Gemeinden i m Sinne dieses Gesetzes sind die öffentlichen Verbände zu verstehen, die zur Errichtung und Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen für die ihnen zugewiesenen Einwohner bestimmt sind. Durch landesrechtliche Regelung können zur Durchführung des Antragsverfahrens große Gemeinden in kleinere Bezirke gegliedert werden. §14. Die Einrichtung von Bekenntnisschulen geschieht auf Antrag von Erziehungsberechtigten. Hinsichtlich des Antragsverfahrens gelten folgende Vorschriften: a) Antragsberechtigt sind alle Inhaber der Erziehungsberechtigung für noch nicht schulpflichtige und volksschulpflichtige Kinder der Gemeinde, sofern sie i m Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte und der deutschen Staatsangehörigkeit sind und nicht unter Vormundschaft oder elterlicher Gewalt stehen. Der Antrag kann von jedem Elternteil gestellt werden. Widerspricht der andere Elternteil der Stellung des Antrags, so richtet sich die Rechtsgültigkeit des Antrages nach § 2 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 19215. b) Ein Antrag muß mindestens die Stimmen der Hälfte der Antragsberechtigten der betreffenden Gemeinde oder des nach § 13 Abs. 3 gebildeten Bezirks auf sich vereinigen. c) Ein abgelehnter Antrag darf binnen drei Jahren vom Tage der rechtswirksamen Ablehnung nicht wiederholt werden. d) Die Länder müssen ein verwaltungsgerichtliches Rechtsmittelverfahren gegen die Ablehnung eines Antrages eröffnen. § 15. Die Länder bestimmen auf der Grundlage der Vorschriften dieses Gesetzes: a) I n welcher Gemeinde das Antragsrecht solcher Erziehungsberechtigten ausgeübt wird, deren Kinder die Volksschule nicht i m Wohnort, in Ermangelung eines 5
Oben Nr. 146.
2 4 8 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule Wohnortes i m gewöhnlichen Aufenthaltsorte der Erziehungsberechtigten besuchen; b) über die Übertragung des Antragsrechtes der Erziehungsberechtigten auf die Vorstände von Erziehungsanstalten und solche Personen, die fremde Kinder in Pflege haben; c) die Einzelheiten des AnmeldungsVerfahrens. §16. Durch Einrichtung von Bekenntnisschulen darf ein geordneter Schulbetrieb nicht beeinträchtigt werden. Als geordneter Schulbetrieb gilt nur ein solcher, der das in Art. 146 in Verbindung mit Art. 148 der Reichsverfassung und i m § 2 dieses Gesetzes festgesetzte Ziel der deutschen Volksschule gewährleistet und die in dem betreffenden Lande erreichte Gesamtentwicklung des Bildungswesens, insbesondere mit Bezug auf die Gliederung der Volksschule, nicht beeinträchtigt. Die Länder stellen unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und unter Beteiligung der örtlichen Schulverwaltung Richtlinien über die sonstigen Merkmale eines geordneten Schulbetriebs auf. §17. Die Aufhebung einer auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes bestehenden Bekenntnisschule bedarf der Genehmigung der obersten Schulbehörde des Landes. Bei Neueinrichtung von Schulen ist das Antrags verfahren für die Bekenntnisschule und die bekenntnisfreie weltliche Schule auch i m Falle des § 14 c zu ermöglichen. IV. Die bekenntnisfreie
(weltliche) Schule
§18. Die bekenntnisfreie (weltliche) Schule steht vorbehaltlich der Vorschriften i n § 19 allen Schülern offen; Religionsunterricht i m Sinne des Art. 149 Abs. 1 der Reichsverfassung w i r d nicht erteilt. Hinsichtlich der Errichtung und Aufhebung der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen gelten die Vorschriften der §§ 13 bis 17 dieses Gesetzes. Die Anstellung der Lehrer erfolgt ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder zu einer Weltanschauung. Jedoch ist auf den durch die Ausschaltung des Religionsunterrichts bedingten Charakter der Schule Rücksicht zu nehmen. §19. Besteht zur Pflege einer gemeinschaftlichen Weltanschauung eine Vereinigung, die nach Maßgabe der Vorschriften des Art. 137 der Reichs Verfassung als öffentliche Körperschaft anerkannt ist, so gelten auch für sie die für die Bekenntnisschule erlassenen Vorschriften. V. Sonderschulen § 20. A u f die für den Unterricht und die Erziehung blinder, taubstummer, schwerhöriger, sprachleidender, nicht schulfreier, schwachsinniger, krankhaft veranlagter, sittlich gefährdeter oder verkrüppelter Kinder bestimmten Schulen und Anstalten finden die Vorschriften der §§ 11-19 dieses Gesetzes keine Anwendung.
I. Der E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz von 192 VI. Erteilung
249
des Religionsunterrichtes
§21. Nach Maßgabe der Grundsätze dieses Gesetzes w i r d die Erteilung des Religionsunterrichts durch die Schulgesetzgebung der Länder geregelt. § 22. Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der allgemeinen deutschen Volksschule. I n der bekenntnisfreien (weltlichen) Schule w i r d Religionsunterricht nicht erteilt. § 23. Der Religionsunterricht w i r d i n Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft erteilt. § 24. Die Erteilung des Religionsunterrichts und die Vornahme kirchlicher Verrichtungen bleibt der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat. § 25. Aus der Ablehnung der Erteilung des Religionsunterrichts und der Vornahme kirchlicher Handlungen dürfen den staatsbürgerlichen Rechten und der dienstlichen Stellung der Lehrer keine Nachteile erwachsen. § 26. Den Religionsgesellschaften ist landesrechtlich die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt des Religionsunterrichts zu eröffnen. §27. Die Beziehungen der Vertretungskörper der Religionsgesellschaften zu der Schule, die sich hinsichtlich der Erteilung des Religionsunterrichts und der Befugnis aus § 26 ergeben, werden landesrechtlich geregelt. Die Staatlichkeit der Aufsicht darf hierdurch nicht berührt werden. Anträge der Religionsgesellschaften, die sich auf die Erteilung des Religionsunterrichts beziehen, sind bei der staatlichen Aufsichtsbehörde anzubringen. VII. Übergangsvorschriften § 28. Die Länder bestimmen unter Berücksichtigung der Vorschriften dieses Gesetzes alsbald, spätestens innerhalb der Frist von zwei Jahren von Erlaß dieses Gesetzes ab, welchen Arten der deutschen Volksschule die in dem Lande bestehenden Volksschulen zuzuzählen sind. Maßgebend ist der tatsächliche und rechtliche Zustand am 11. August 1919. Sofern demgemäß in einem Lande die überwiegende Zahl der Schulen allgemeine Volksschulen sind, ist innerhalb des gleichen Zeitraumes die Möglichkeit zu Anträgen für die Bekenntnisschule und die bekenntnisfreie (weltliche) Schule zu eröffnen. Sofern die überwiegende Zahl der Volksschulen eines Landes Bekenntnisschulen oder bekenntnisfreie (weltliche) Schulen sind, ist auf Grund näherer landesrechtlicher Regelung innerhalb des gleichen Zeitraumes ein Abstimmungsverfahren der Erziehungsberechtigten nach § 14 zu eröffnen, das sich auf die drei Arten der deutschen Volksschule zu erstrecken hat. Diese Abstimmung gilt für die Bekenntnisschule oder die bekenntnisfreie (weltliche) Schule als Antragsverfahren i m Sinne der §§ 14 und 18.
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8. Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule
Das Ergebnis dieser Abstimmung ist der Gliederung des Schulwesens nach den drei Arten unter Berücksichtigung des § 13 zugrunde zu legen. § 29. I n den Ländern Baden und Hessen sowie in dem ehemaligen Herzogtum Nassau bleibt der bisherige Zustand so lange erhalten, bis durch die Landesgesetzgebung die Durchführung dieses Gesetzes angeordnet wird. oder (Alternativlösung): § 30. I n den Ländern Baden und Hessen sowie i n dem ehemaligen Herzogtum Nassau bedarf es innerhalb der ersten zehn Jahre vom Erlaß dieses Gesetzes ab gerechnet zur rechtsgültigen Antragstellung auf Errichtung einer Bekenntnisschule oder einer bekenntnisfreien (weltlichen) Schule eines Antrages, der so viele Antragsteller auf sich vereinigt, daß ihre Zahl mehr als dreiviertel der Antragsberechtigten ausmacht. oder (dritte
Lösung):
§31. I n den Ländern Baden und Hessen sowie in dem ehemaligen Herzogtum Nassau bleibt es innerhalb der auf Erlaß dieses Gesetzes folgenden zehn Jahre beim bisherigen Zustand; alsdann treten die Vorschriften dieses Gesetzes i n Kraft 6 . § 32. Die Länder erlassen die in diesem Gesetz geforderten Rechtsvorschriften sowie die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetze innerhalb der Frist eines Jahres vom Erlaß dieses Gesetzes ab gerechnet.
V I I . Der Entwurf für ein Reichsschulgesetz von 1927 Das erneut auf der Grundlage einer Mitte-Rechts-Koalition gebildete vierte Kabinett Marx nahm im Frühjahr 1927 die Arbeit am Reichsschulgesetz erneut auf. Daß dabei an die Stelle des Verfassungsgrundsatzes, der die Gemeinschaftsschule zur Regelschule erklärt hatte, die Parität der verschiedenen Schulformen treten sollte, kündigte der Reichskanzler Marx bereits in seiner Regierungserklärung vom 3. Februar 1927 unmißverständlich an1. Verantwortlich für die Ausarbeitung eines neuen Entwurfs war der deutschnationale Reichsinnenminister v. Keudell 2. An 6 Alle drei Varianten sollen das Simultanschulwesen in den genannten drei Gebieten vor Veränderungen schützen (vgl. Art. 174 WRV, oben Nr. 97). Siehe auch Staat und Kirche, Bd. II, S. 742ff., 746ff. 1 „Grundlage dieses Gesetzes ist die Reichs Verfassung. Nach deren Wortlaut und Sinn müssen die Freiheit des Gewissens und die Rechte der Eltern gewahrt und die Erteilung des Religionsunterrichts i n Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates gesichert werden. Auch ist für eine grundsätzliche Gleichstellung der in Art. 146 RV vorgesehenen Schularten zu sorgen" (Verh. d. RT., Bd. 391, S. 8791). 2 Walter v. Keudell (1884-1973), preuß. Reg.Ass.; Rittergutsbesitzer; 1916-20 Landrat i n Königsberg (Neumark); 1924-30 MdR (bis 1929 DNVP); 29. Januar 1927-29. Juni 1928 Reichsinnenminister; Ende 1929 M. d. Landvolk-P.; 1933-36 Generallandforstmeister; 1936-37 Staatssekretär für Forstwesen; 1941-45 erneut Landrat i n Königsberg (Neumark).
II. Der E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz von 192
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Stelle des sozialdemokratischen Staatssekretärs Schulz 3 übernahm nun der dem Zentrum angehörende Ministerialrat Pellengahr 4 die Leitung der Kulturabteilung. Die Bearbeitung des Schulgesetzes blieb in den Händen des Ministerialrats Gürich 5. 6 Dabei hielt er enge Verbindung mit Reinhard Mumm als dem kulturpolitischen Sprecher der Protestanten in der DNVP, mit Martin Spahn1 als Wortführer des katholischen Flügels der DNVP und mit dem Zentrumspolitiker Georg Schreiber 8. Am 13. Juli 1927 stimmte das Reichskabinett dem neuen Entwurf (Nr. 159) einmütig zu. Allerdings wiesen die Minister Stresemann 9 und Curtius 10 von vornherein daraufhin, daß die Fraktion der DVP, der sie angehörten, sich die Urteilsbildung noch vorbehalten habe. Damit war die Möglichkeit des Konflikts schon angedeutet, an dem auch dieser Entwurf scheitern sollte. Zwar stellte der Keudellsche Entwurf die Gemeinschaftsschule an die Spitze der Schulformen; doch die Anerkennung als Regelschule versagte er ihr. Insofern trug auch dieser Entwurf, der alle drei Schulformen — die Gemeinschaftsschule, die Bekenntnisschule und die weltliche Schule — zu gleichberechtigten Antragsschulen erklärte, verfassungsändernden Charakter. Daran vermochte auch die Begleiterklärung der Reichsregierung vom 16. Juli 1927 (Nr. 160), die die Frage nach der authentischen Interpretation des Art. 146 Abs. 2 WRV offen lassen wollte, nichts zu ändern. Der Widerspruch zwischen Regelschulprinzip und Paritätsprinzip erwies sich als unüberbrückbar. Zwar erklärte das preußische Staatsministerium seine Kompromißbereitschaft gegenüber dem Entwurf (Nr. 161); doch in der entscheidenden Frage trat die preußische Regierung trotz des Widerspruchs ihrer Zentrumsmitglieder eindeutig für den Vorrang der Gemeinschaftsschule ein 11. Ein in den 3
Oben S. 220, Anm. 3. Ludwig Pellengahr (1882-1973), preuß. Ger.Ass.; 1910-14 Justitiar und Verwaltungsrat beim Provinzialschulkollegium Koblenz; 1916-18 Kreischefin der Zivilverwaltung Polen; 1919 Justitiar und Verwaltungsrat beim Provinzialschulkollegium Königsberg; 1919-20 Hilfsarbeiter i m preuß. Kultusministerium; 1920Min.Rat, 19271933 Min.Direktor i m Reichsinnenministerium. 5 Oben S. 240, Anm. 4. 6 Staat und Kirche, Bd. III, S. 634, Anm. 7. 7 Ebenda S. 189, Anm. 2. 8 Georg Schreiber (1882-1963); kath. Theologe; seit 1917 o. Prof. für Kirchengeschichte in Münster, 1923 Prälat; führender Kulturpolitiker und polit. Publizist; Juni 1920-November 1933 MdR (Zentrum); 1935 o. Prof. in Braunsberg; 1936 emeritiert; 1945 wieder o. Prof. in Münster. 9 Gustav Stresemann (1878-1929), Nationalökonom, Syndikus des Verbandes sächsischer Industrieller, 1907-12 und 1914-18 MdR (natlib.), engster Mitarbeiter des Parteiführers Bassermann, 1917-18 Vorsitzender der Reichstagsfraktion. Nach der Novemberrevolution Gründer und Vorsitzender der DVP; 1919-20 MdWeimNatVers., 1920-29 MdR. Vom 13. August bis 23. November 1923 Reichskanzler und Reichsaußenminister, danach weiter Reichsaußenminister bis zu seinem Tod (3. Oktober 1929). 10 Julius Curtius (1877-1948), preuß. Ger.Ass.; seit 1905 Rechtsanwalt i n Duisburg, seit 1911 in Heidelberg, später i n Berlin; 1920-32 MdR (DVP); vom 20. Januar 1926 bis 11. November 1930 Reichs wirtschaftsminister, vom 4. Oktober 1930 bis 7. Oktober 1931 Reichsaußenminister; dann wieder Rechtsanwalt in Berlin, zuletzt in Heidelberg. 11 Beschluß des preuß. Staatsministeriums vom 20. September 1927 (vgl. G. Grünthal, Reichsschulgesetz und Zentrumspartei i n der Weimarer Republik, 1968, S. 225). 4
252
8. Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule
Ausschüssen des Reichsrats erarbeiteter Gegenentwurf verfiel zwar im Plenum des Reichsrats knapp der Ablehnung 12. Jedoch zeigte sich in den am 18. Oktober 1927 beginnenden Reichstagsberatungen bald, daß der Entwurf die notwendige Mehrheit nicht erlangen konnte. Entscheidend dafür war die Distanzierung der DVP von dem Entwurf des von ihr selbst mitgetragenen Kabinetts 13. Der politische Wille der in dieser Frage von der DVP unterstützten Opposition kam am deutlichsten in der Verschärfung der Schutzbestimmung für die bisherigen Simultanschulgebiete zum Ausdruck 14. Mit diesem Frontwechsel der DVP war nicht nur der Entwurf für das Reichsschulgesetz hinfällig; zugleich war die Mitte-Rechts-Koalition, die ihn eingebracht hatte, gescheitert 15. Nach der Reichstagsauflösung vom 31. März 1928 und den sich anschließenden Neuwahlen vom 20. Mai 1928 bildete sich erst recht keine parlamentarische Mehrheit mehr, die den Verfassungsauftrag zum Erlaß eines Reichsschulgesetzes hätte verwirklichen können. So blieb der Art. 174 WRV bis zum Ende der Weimarer Zeit uneingelöst. Zugleich aber entfaltete er als status-quoGarantie eine erhebliche praktische Wirkung 16. N r . 159. E n t w u r f eines Gesetzes z u r A u s f ü h r u n g der A r t i k e l 146 Abs. 2 u n d 149 der R e i c h s v e r f a s s u n g 1 7 vom 16. Juli 1927 (W. Lande, Aktenstücke zum Reichsvolksschulgesetz, 1928, S. 70ff.) — Auszug — I. Abschnitt. Aufgaben, Formen und Kennzeichen der deutschen Volksschule § 1. (1) Alle deutschen Volksschulen haben die gemeinsame Aufgabe, die schulpflichtige Jugend durch Unterricht auf der Grundlage des deutschen Kulturguts zu körperlicher und geistiger Tüchtigkeit heranzubilden und sie i n Unterstützung, Ergänzung und Fortführung der elterlichen Erziehung zu sittlich wertvollen Menschen und zu Staatsbürgern zu erziehen, die fähig und bereit sind, der deutschen Volksgemeinschaft zu dienen. 12 Dabei trugen die Stimmen der preußischen Provinzialvertreter entscheidend zu der Niederlage der preußischen Regierung i n der Reichsratssitzung vom 14. Oktober 1927 bei; siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 387f., 958. 13 Sprecher der D V P in diesem oppositionellen Sinn war Heinrich Runkel (18621938), Volksschullehrer, dann Studium der Philosophie; Kreisschulinspektor, Direktor des Lehrerseminars Tondern, seit 1908 Oberschulrat in Schleswig (Geh. Reg.Rat); 1919-20 MdWeimNatVers.; 1920-30 MdR (DVP). 14 Der Bildungsausschuß des Reichstags gab dem § 20 folgende Fassung: „ I n den Gebieten des Reichs, in denen eine nach Bekenntnissen nicht getrennte Volksschule gesetzlich oder nach Herkommen besteht, verbleibt es bei dieser Regelung." Demgegenüber hatte der Antrag des preußischen Staatsministeriums die Fassung des Entwurfs Keudell übernommen, dessen Regelung aber auch auf die Simultanschulstädte Frankfurt a. M. und Hanau ausgedehnt. 15 Einer Intervention des Reichspräsidenten Hindenburg gegenüber dem Reichskanzler Marx vom 9. Februar 1928 (Dokumente, Bd. 3, Nr. 364) folgend, blieb das Kabinett noch bis zur Erledigung einiger vordringlicher parlamentarischer Aufgaben i m Amt. 16 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 955 ff. Vgl. auch E. Spranger, Die wissenschaftlichen Grundlagen der Schulverfassungslehre und die Schulpolitik (1928), in: Ders., Gesammelte Schriften I (1969), S. 90ff.; W. Lande, Die Schule i n der Reichs Verfassung (1929). 17
Oben Nr. 97.
II. Der E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz von 192
253
(2) Die besonderen Aufgaben, die einzelne Schulformen (§ 2) nach den Bestimmungen dieses Gesetzes erfüllen, bleiben hierdurch unberührt. (3) I n allen Volksschulen ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden (Artikel 148 Abs. 2 der Reichs Verfassung). §2. (1) Es gibt folgende Formen der deutschen Volksschule: a) die nach Bekenntnissen nicht getrennte Volksschule (Gemeinschaftsschule), b) die Bekenntnisschule, c) die bekenntnisfreie Schule (weltliche oder Weltanschauungsschule). (2) Diesen Schulformen ist — unbeschadet des A r t i k e l 146 Abs. 1 der Reichsverfassung — i m Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes freie Entwicklungsmöglichkeit zu geben. § 3. (1) Die Gemeinschaftsschule steht grundsätzlich allen volksschulpflichtigen Kindern offen. (2) Sie erfüllt die Unterrichts- und Erziehungsaufgaben der deutschen Volksschule auf religiös-sittlicher Grundlage ohne Rücksicht auf die Besonderheiten einzelner Bekenntnisse und Weltanschauungen. Die aus dem Christentum erwachsenen Werte der deutschen Volkskultur sind i m Unterricht und in der Erziehung lebendig zu machen. (3) Der Religionsunterricht ist für alle Klassen ordentliches Lehrfach. Er w i r d nach Bekenntnissen getrennt erteilt. (4) Bei der Anstellung der Lehrer ist die Gliederung der Schüler nach Bekenntnis und Weltanschauung tunlichst zu berücksichtigen. § 4. (1) Voraussetzung für die Einrichtung einer Volksschule eines bestimmten Bekenntnisses (Bekenntnisschule) ist, daß für die gemeinschaftliche Pflege dieses Bekenntnisses eine Religionsgesellschaft besteht, welche die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt (Artikel 137 Abs. 5 der Reichs Verfassung). (2) Die Bekenntnisschule dient zur Aufnahme von Kindern eines bestimmten Bekenntnisses sowie von Kindern eines verwandten Bekenntnisses (Abs. 8); doch können aus besonderen Gründen auch andere Kinder eingeschult werden. Durch die Aufnahme solcher Kinder verliert die Schule nicht den Charakter als Bekenntnisschule. (3) Die Bekenntnisschule w i r d nach dem Bekenntnis näher bezeichnet als evangelische, katholische, jüdische Volksschule. Sie erfüllt die Unterrichts- und Erziehungsaufgaben der deutschen Volksschule gemäß dem Glauben, i n dem die Kinder erzogen werden. Lehrpläne, Lehr- und Lernbücher sind der Eigenart der Schule anzupassen. I m Leben der Schule sind, unbeschadet der Bestimmungen der A r t i k e l 136 Abs. 4 und 149 Abs. 2 der Reichsverfassung, die dem Bekenntnis eigenen religiösen Übungen und Gebräuche zu pflegen und die dem Bekenntnis eigenen Feier- und Gedenktage zu berücksichtigen. (4) Der Religionsunterricht ist für alle Klassen ordentliches Lehrfach. (5) A n der Bekenntnisschule dürfen (abgesehen von den Ausnahmen der Abs. 6 und 7) nur solche Lehrkräfte hauptamtlich angestellt werden, die dem Bekenntnis
2 5 4 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule der Kinder, für welche die Schule bestimmt ist, oder einem verwandten Bekenntnis angehören. Vorübergehende Verwendung anderer Lehrkräfte ist aus besonderen Gründen zulässig. (6) Zur Erteilung von gesondertem Religionsunterricht für Kinder eines Minderheitsbekenntnisses (§ 14 Abs. 2) kann eine dem Minderheitsbekenntnis angehörige Lehrkraft angestellt werden, wenn die Beschaffung dieses Unterrichts auf andere Weise nicht möglich ist. Diese Lehrkraft kann auch mit anderem Unterricht betraut werden. (7) Die Vorschrift des Abs. 5 Satz 1 bezieht sich nicht auf diejenigen Lehrkräfte, die zur Erteilung des technischen Unterrichts verwendet werden. (8) Bekenntnisse sind verwandt, wenn die obersten Stellen der zuständigen Religionsgesellschaften dies gegenseitig anerkennen. §5. (1) Die bekenntnisfreie Schule ist für solche Kinder bestimmt, die keinem Bekenntnis angehören oder, soweit sie einem Bekenntnis angehören, nach dem Willen der Erziehungsberechtigten vom Religionsunterricht abgemeldet sind und nicht an einer Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule erzogen werden sollen. Sie steht jedoch aus besonderen Gründen auch anderen Kindern offen. Durch die Aufnahme solcher Kinder verliert die Schule ihren Charakter als bekenntnisfreie Schule nicht. (2) Sie erfüllt die Unterrichts- und Erziehungsaufgaben der deutschen Volksschule auf allgemein sittlicher Grundlage ohne bekenntnismäßige oder weltanschauliche Bindung. Religionsunterricht w i r d nicht erteilt. (3) A n der bekenntnisfreien Schule ist als ordentliches Lehrfach Unterricht i n einer bestimmten Weltanschauung zu erteilen und auch im übrigen Unterricht auf diese Weltanschauung Rücksicht zu nehmen, wenn für die Pflege dieser Weltanschauung eine Vereinigung besteht, der die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß A r t i k e l 137 Abs. 7 der Reichsverfassung gewährt sind, und wenn die Erziehungsberechtigten von wenigstens zwei Dritteln der die Schule besuchenden Kinder dies beantragen. (4) Zur Teilnahme an dem besonderen Weltanschauungsunterricht kann kein K i n d gegen den Willen der Erziehungsberechtigten gezwungen werden. (5) A n der bekenntnisfreien Schule können Angehörige jedes Bekenntnisses sowie Bekenntnislose als Lehrer angestellt werden. Lehrer, welche die Voraussetzungen für die Anstellung an einer Bekenntnisschule erfüllen, dürfen nicht gegen ihren Willen an einer bekenntnisfreien Schule verwendet werden. Bei nur vorübergehender Verwendung sind Ausnahmen aus besonderen Gründen zulässig. I m Falle des Abs. 3 ist bei der Anstellung der Lehrer die weltanschauliche Gliederung der Schüler tunlichst zu berücksichtigen.
II. Abschnitt. Einrichtung
und Umwandlung
der Schulformen
§ 6. Unter Gemeinden i m Sinne des A r t i k e l 146 der Reichsverfassung und i m Sinne dieses Gesetzes sind die öffentlichen Verbände zu verstehen, die zur Errichtung und Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen für die ihnen zugewiesenen Einwohner bestimmt sind.
II. Der E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz von 192
255
§ 7. (1) Innerhalb einer Gemeinde ist zur Stellung eines Antrags auf Einrichtung der in § 2 genannten Schulformen oder auf Umwandlung einer Schulform i n eine andere jeder deutsche Reichsangehörige berechtigt, dem die Sorge für die Person eines volksschulpflichtigen und die Volksschule besuchenden Kindes zusteht. Das Antragsrecht ruht, solange der Antragsberechtigte geschäftsunfähig oder nur beschränkt geschäftsfähig ist oder sich nicht i m Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befindet. ... § 8. Ein Antrag muß von den Erziehungsberechtigten von mindestens 40 schulpflichtigen Kindern gestellt werden. Sind in einer Gemeinde weniger als 200 schulpflichtige Kinder vorhanden, so kann nach näherer Bestimmung des Landesrechts von diesem Erfordernis abgesehen werden. §9. (1) Einem vorschriftsmäßig gestellten Antrag auf Einrichtung einer der in § 2 genannten Schulformen ist stattzugeben, wenn die beantragte Schulform nicht oder nicht i n einer ausreichenden Anzahl in der Gemeinde vertreten ist, und wenn die einzurichtende Schule einen geordneten Schulbetrieb auch i m Sinne von A r t i k e l 146 Abs. 1 der Reichs Verfassung gewährleistet. (2) Ein geordneter Schulbetrieb ist gewährleistet, wenn a) die i n § 1 Abs. 1 und 2 aufgestellten Bildungsziele erreicht werden können; b) die Schule nach Aufbau und Zahl der Klassen und Unterrichtsabteilungen nicht hinter derjenigen Mindesthöhe der Organisation zurückbleibt, die am 1. Januar 1927 i n der Gemeinde rechtlich zulässig war. I n Ausnahmefallen sind zum Schutze von Minderheiten von Erziehungsberechtigten nach näherer Bestimmung der Länder Abweichungen von der Bestimmung b zuzulassen. §10. Einem rechtsgültig gestellten Antrag auf Umwandlung einer Schulform i n eine andere ist stattzugeben, wenn die Erziehungsberechtigten von wenigstens zwei Dritteln der die Schule besuchenden Kindern sich dafür aussprechen. ... § 12. (1) Anträge gemäß § 5 Abs. 3 und § 7 können jederzeit gestellt werden. (2) Ein rechtswirksam abgelehnter Antrag kann frühestens nach drei Jahren wiederholt werden, es sei denn, daß wesentliche Veränderungen i n der Zusammensetzung der Bevölkerung der Gemeinde eingetreten sind.
III. Abschnitt. Schulaufsicht
und Schulverwaltung
§ 13. (1) Die Aufsicht über alle Volksschulen führt der Staat. (2) Bei der Besetzung der Stellen der unmittelbaren fachmännisch vorgebildeten Schulaufsichtsbeamten ist auf die A r t der ihnen unterstellten Schulen Rücksicht zu nehmen. (3) I n die örtlichen Schulverwaltungskörper, denen Schulen unterstehen, an welchen Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist, ist je ein Vertreter der entsprechenden Religionsgesellschaft (evang. Pfarrer, kath. Pfarrer, Rabbiner) mit Sitz und Stimme aufzunehmen.
2 5 6 8 . Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule (4) Den Vertreter der Religionsgesellschaft beruft die Schulaufsichtsbehörde auf Vorschlag der betreffenden Religionsgesellschaft. (5) I m Falle des § 5 Abs. 3 ist entsprechend zu verfahren. TV. Abschnitt. Der Religionsunterricht
in den Volksschulen
§14. (1) Der Religionsunterricht w i r d von einem Angehörigen der betreffenden Religionsgesellschaft in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt. Bekenntnisverwandte können zur Erteilung des Religionsunterrichts zugelassen werden. (2) I n den Gemeinschafts- und Bekenntnisschulen ist für Bekenntnisminderheiten Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzurichten, wenn durchschnittlich mindestens zwölf Kinder des betreffenden Minderheitsbekenntnisses in der Schule vorhanden sind, die am Religionsunterricht teilnehmen. (3) Die Bestimmungen über Lehrplan, Lehr- und Levnbücher für den Religionsunterricht werden i m Einvernehmen mit der Religionsgesellschaft erlassen. Auch bei der Festsetzung der Zahl der diesem Unterricht zur Verfügung stehenden Wochenstunden w i r k t die Religionsgesellschaft mit. § 15. (1) Falls in einer Gemeinschafts-oder Bekenntnisschule für die Bekenntnisminderheit wegen zu geringer Schülerzahl Religionsunterricht nicht erteilt wird, sind auf Wunsch der Erziehungsberechtigten zur Ermöglichung eines privaten Religionsunterrichts Schulräume nebst Heizung und Beleuchtung unentgeltlich bereitzustellen. Die weiteren Voraussetzungen und den Umfang der Bereitstellung bestimmt das Landesrecht. (2) Für Kinder, die einem Bekenntnis angehören, und eine bekenntnisfreie Schule besuchen, ist auf Wunsch der Erziehungsberechtigten i n gleicher Weise ein privater Religionsunterricht zu ermöglichen, es sei denn, daß innerhalb der Gemeinde die Möglichkeit zum Besuch des Religionsunterrichts in ihrem Bekenntnis an einer Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule besteht. §16. Zur Einsichtnahme i n den Religionsunterricht bestellt der Staat i m Schulwesen erfahrene Beauftragte, die von der Religionsgesellschaft vorgeschlagen werden. Den obersten Stellen der Religionsgesellschaften ist Gelegenheit zu geben, sich davon zu überzeugen, ob der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgesellschaft erteilt wird.
V. Abschnitt.
VI. Abschnitt.
Rechtsmittel
Übergangs- und
Schlußbestimmungen
§ 18. (1) Die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden, nach Bekenntnissen nicht getrennten Volksschulen mit Religionsunterricht gelten als Gemeinschaftsschulen i m Sinne des § 3. (2) Die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden evangelischen, katholischen und jüdischen Volksschulen gelten als Bekenntnisschulen i m Sinne des § 4.
VII. Der E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz von 1927
257
(3) Die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden Volksschulen ohne Religionsunterricht (Sammelschulen) gelten als bekenntnisfreie Schulen i m Sinne des . § 5 Abs. 1 und 2. (4) Sämtliche bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden Schulen (Abs. 1-3) gelten in ihrer Schulform als beantragt i m Sinne des § 7, wenn nicht rechtsgültige Anträge auf andere Schulformen gestellt werden. (5) Die bestehenden, als beantragt geltenden Schulen sind unverzüglich in Übereinstimmung mit den Vorschriften der §§ 3-5 zu bringen, sofern sie diesen noch nicht entsprechen. § 19. Die Länder haben die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Vorschriften so rechtzeitig zu erlassen, daß spätestens zwei Jahre nach seiner Verkündung mit der Durchführung begonnen werden kann. § 20. (1) I n den Ländern Baden und Hessen sowie in dem ehemaligen Herzogtum Nassau 18 tritt das Gesetz erst fünf Jahre nach seiner Verkündung in Kraft. (2) Für diese Gebiete bleibt die Zulassung von Ausnahmen von der Bestimmung des § 9 Abs. 2 letzter Satz auf weitere fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes dem Landesrecht überlassen.
Nr. 160. Begleit-Erklärung der Reichsregierung zum Entwurf für ein Reichsschulgesetz vom 16. Juli 1927 (W. Lande, Aktenstücke zum Reichsvolksschulgesetz, 1928, S. 77 ff.) — Auszug — Der Gesetzentwurf verwirklicht unbeschadet der staatlichen Schulhoheit als leitende Gedanken die Berücksichtigung des Willens der Erziehungsberechtigten nach Art. 146 Abs. 2 der Reichsverfassung sowie die Grundsätze über Erteilung des Religionsunterrichts nach Art. 146 der Reichsverfassung. I n Ausführung dieser Leitgedanken enthält der E n t w u r f zunächst eine Umschreibung und Abgrenzung der drei Schulformen: der Gemeinschaftsschule, der Bekenntnisschule und der bekenntnisfreien Schule. Ausgehend von den Richtlinien zur Regierungsbildung 19 ist dabei allen drei Schulformen gleiche und freie 18
Siehe Staat und Kirche, Bd. II, S. 742ff., 746ff. Vgl. die Sätze in der Regierungserklärung des Reichskanzlers Wilhelm Marx vom 3. Februar 1927 (Sten. Berichte des RT, Bd. 390, S. 8791): „Wenn w i r i n diesem Zusammenhange einen Blick zurückwerfen i n die deutsche Vergangenheit, so sehen wir, daß unsere ganze heute bestehende K u l t u r auf christlicher Grundlage erwachsen ist. Aus diesem Mutterboden heraus muß sich der Geist des deutschen Volkstums immer wieder erneuern. Solche Gedankengänge werden ihre Auswirkung finden bei dem von der Reichsregierung i n Aussicht genommenen Reichsschulgesetz. Grundlage dieses Gesetzes ist die Reichsverfassung. Nach deren Wortlaut und Sinn müssen die Freiheit des Gewissens und die Rechte der Eltern gewahrt und die Erteilung des Religionsunterrichts i n Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates gesichert werden. Auch ist für eine grundsätzliche Gleichstellung der i n A r t i k e l 146 der Reichsverfassung vorgesehenen Schularten zu sorgen. 19
17 Huber
258
8. Kap.: Reichsgesetzgebung über Kindererziehung und Schule
Entwicklungsmöglichkeit gegeben worden. Entsprechend der Weisung der Reichsverfassung sowie i n Anknüpfung an die langjährigen Verhandlungen über ein Reichsgesetz i m Sinne des Art. 146 Abs. 2 der Reichsverfassung stellt sich der E n t w u r f die Aufgabe, das Antragsrecht der Erziehungsberechtigten auszubauen. U m hierbei die Gemeinschaftsschule in ihrer Zukunftsentwicklung den beiden anderen Schularten gegenüber nicht zu benachteiligen, ist auch zugunsten der Gemeinschaftsschule das Antragsrecht gegeben worden. Von einer authentischen Interpretation des Art. 146 Abs. 1 der Reichsverfassung i n bezug auf die Frage einer Vorzugsstellung der Gemeinschaftsschule sieht der Gesetzentwurf absichtlich ab. Durch einen Hinweis auf Art. 146 Abs. 1 w i r d indessen ausdrücklich festgestellt, daß sein Inhalt durch den vorliegenden Gesetzentwurf völlig unberührt bleibt. . . .
Nr. 161. Stellungnahme des Preußischen Staatsministeriums zu dem Entwurf eines Reichsvolksschulgesetzes vom 24. September 1927 (W. Landé, Aktenstücke zum Reichsvolksschulgesetz, 1928, S. 102 ff.) — Auszug — Allgemeine Würdigung
des Entwurfs
Die Preußische Regierung hat, übrigens in Übereinstimmung mit den anderen Länderregierungen, stets den Standpunkt vertreten, daß die Reichsgesetzgebung auf kulturpolitischem Gebiet grundsätzlich möglichste Zurückhaltung zu bewahren hat. U m so energischer aber hat sie die beschleunigte Ordnung einer Materie gefordert, deren reichsgesetzliche Regelung die Reichsverfassung nicht nur vorsieht, sondern befiehlt: die Regelung der bekenntnismäßigen und weltanschaulichen Gliederung des öffentlichen Volksschulwesens (Artikel 146 Abs. 2 RV). Hier bedeutet das Hinausschieben einer reichsgesetzlichen Regelung für Preußen eine auf die Dauer nicht ertragbare Rechtshemmung und Rechtsunsicherheit. Es sei nur an das Problem der Sammelschulen, an die zahlreichen Schulstreiks aus allen Lagern und an die Sperrvorschrift des A r t i k e l 174 RV erinnert, die bis zum Erlaß des genannten Reichsgesetzes jede Weiterentwicklung des preußischen Schulwesens auf diesem Gebiete unmöglich macht. Aus all diesen Gründen hat sich die Preußische Regierung stets mit Eifer an der Beratung der Entwürfe für das sogenannte Reichsschulgesetz beteiligt. Sie begrüßt deshalb auch den neuen Entwurf, obwohl sie, i m Gegensatz zu früheren Entwürfen, bei seiner Vorberatung nicht beteiligt war. Manche der Anträge zu dem E n t w u r f wären unnötig, wenn die größte deutsche Unterrichtsverwaltung ihre großen praktischen Erfahrungen zur Aufstellung dieses neuen Entwurfs hätte beisteuern können. Der E n t w u r f ist kein Kampfentwurf, sondern geht offenkundig von dem Bestreben aus, der Versöhnung zu dienen. Wenn er trotzdem i n der Öffentlichkeit eine außerordentliche Beunruhigung ausgelöst hat, so ist der Hauptgrund dafür unzweifelhaft die Tatsache, daß breitere Kreise unseres Volkes sich erst jetzt darüber klar zu werden beginnen, was eigentlich in der Reichsverfassung steht, daß nämlich als Endergebnis der Weimarer Schulkompromisse gegenüber dem jetzt i n Preußen geltenden Schulrecht der grundsätzliche Ersatz einer einheitlichen Schulform durch ein Nebeneinander verschiedener Schulformen verfassungsmäßiges Recht
VII. Der E n t w u r f für ein Reichsschulgesetz von 1927
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des Deutschen Reiches ist. Unter Verzicht auf eine einheitliche Schulform werden jeder bekenntnismäßigen und weltanschaulichen Richtung Schulformen ihrer A r t auf öffentliche Kosten zur Verfügung gestellt. Es ist ohne Belang, ob diese Entschließung der Verfassung dem schulpolitischen Ideal des Preußischen Staates und seiner Regierung entspricht oder nicht: die Reichsverfassung hat gegen die Meinung sehr beachtenswerter Teile unseres Volkes auf die eine, für alle gemeinsame Volksschule selbst bewußt Verzicht geleistet. Aber dieser Verzicht ist kein vollständiger gewesen: die Reichsverfassung gibt zwar den verschiedenen Richtungen ihre Schule; sie stellt aber an die Spitze und bevorrechtigt die nach Bekenntnis und Weltanschauung nicht getrennte Volksschule. Die „Gleichberechtigung" der von der Reichsverfassung vorgesehenen Schulformen ist, auch wenn man sie aus innerer Überzeugung oder u m des schulpolitischen Friedens willen wünschen möchte, in der Reichsverfassung selbst nicht verwirklicht. Auch in dieser Beziehung haben schulpolitische Wünsche hinter der Norm der Verfassung zurückzutreten. Man kann den Mangel einer klaren einheitlichen Regelung in der Reichsverfassung auf das schmerzlichste bedauern; man kann, wie der Preußische Kultusminister zur Zeit der Nationalversammlung, die in der Reichsverfassung niedergelegte Neuordnung für ein nationales Unglück und praktisch für geradezu undurchführbar erklären 2 0 ; an der Verfassungsmäßigkeit dieser Neuordnung ist nicht zu zweifeln. Bei dieser Sachlage ergeben sich drei Möglichkeiten: entweder man läßt die Reichsverfassung unausgeführt — das ist für Preußen aus den genannten Gründen unerträglich —, oder man ändert die Reichsverfassung — das ist, wie die Dinge liegen, zur Zeit und wohl auf die Dauer politisch unmöglich —, oder endlich man macht den Versuch, die Reichsverfassung auszuführen, wobei man sich aber von vornherein klar darüber sein muß, daß man dem Ausführungsgesetz dann nicht vorwerfen darf, was einem an der Reichsverfassung mißfallt. Dabei werden sich die verantwortlichen Instanzen wohl davor hüten müssen, auf dem Umwege über eine gewaltsame Interpretation der Reichsverfassung ihre verschiedenen schulpolitischen Wünsche in dem Gesetz zu verwirklichen. Man hat in Weimar wohl gewußt, daß die Reichsverfassung keine technische, sondern nur eine diplomatische Lösung brachte; das Entscheidende dabei war der Wille zur Verständigung. Auch das Ausführungsgesetz kann nur ein Verständigungsgesetz sein. Es ist ausgeschlossen, daß das deutsche Volk sich i n der entscheidenden schulpolitischen Frage ein Ausführungsgesetz zur Reichsverfassung mit einer knappen Majorität aufzwingen läßt. Es muß deshalb aus dem Gesetzentwurf all das entfernt Werden, was ein großer Teil des Volkes als verfassungswidrig und damit als Vergewaltigung empfindet; es darf aber auch kein Volksteil so weit gehen, nur seine weltanschauliche oder schulpolitische Auffassung für allein verfassungsgemäß zu halten. Alle Arbeit an einem kommenden Reichsschulgesetz ist umsonst, die nicht von diesem Willen zur Verständigung und Versöhnung ausgeht. Dabei muß diesmal allerdings etwas anderes entstehen als seinerzeit in Weimar. M i t einer diplomatischen Formel ist den Länderregierungen, die das Gesetz ausführen müssen, nicht gedient. Sie müssen eine sinngemäße, aber auch praktisch durchführbare Auslegung der umkämpften Reichsverfassungsbestimmungen verlangen. 20
17*
Nämlich Konrad
Haenisch (oben S. 3, Anm. 5).
260
8. Kap.: Reichsgesetzgebung über Kinder er Ziehung und Schule
Prüft man unter diesen Gesichtspunkten den Entwurf, so macht er, wie gesagt, den Versuch zu einer Verständigung, aber er bringt in dem umstrittensten Punkt, nämlich der Regelschulfrage, wieder keine Entscheidung, sondern eine neue diplomatisch-juristische Formel, die den Kampf u m die Auslegung der Reichsverfassung i n die Länderparlamente verlegt. Ebensowenig wie dies kann das von dem E n t w u r f vorgesehene erste Überleitungsverfahren gebilligt werden, da es einer reibungslosen Durchführung die Vereinbarkeit mit der Reichsverfassung opfert und durch eine zunächst praktisch anmutende Übergangsbestimmung — offenbar ungewollt — die Absicht der Reichsverfassung in ihr Gegenteil verkehrt. Endlich haben in dem E n t w u r f neben seiner Hauptaufgabe, der Ausführung der Vorschrift des Artikels 146 Abs. 2 der Reichs Verfassung, einige grundsätzliche Fragen gleichsam nebenbei eine folgenschwere Regelung erfahren, die zu einer Reihe von Bedenken Anlaß gibt. Aus diesen Gründen haben viele sachverständige Kritiker, insbesondere aus Kreisen der Lehrerschaft, die unbedingte Ablehnung des Entwurfs gefordert. Diese Forderung kann sich eine verantwortliche Regierung nicht zu eigen machen. Der E n t w u r f ist nach seinem Aufbau, seiner Gliederung und seinem Gesamtinhalt, alle Einzelheiten zunächst vorbehalten, eine geeignete Grundlage für die Erörterung über die reichsgesetzliche Ausführung des Art. 146 Abs. 2 RV. Nach dem Kampfentwurf des Jahres 192521 bedeutet er einen so außerordentlichen Fortschritt zur Erreichung einer Mittellinie, daß unter allen Umständen der Versuch gemacht werden muß, ihn in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Reichsinstanzen zu dem Friedensinstrument umzugestalten, als das allein er eine segensreiche Wirksamkeit entfalten k a n n 2 2 . . . .
21
Oben Nr. 157. Es folgt die Begründung zu den einzelnen vom Preußischen Staatsministerium vorgeschlagenen Änderungen des Entwurfs. 22
Neuntes Kapitel
D i e Militärseelsorge i n der W e i m a r e r Z e i t I. Die Fortführung der Militärseelsorge nach 1918 Das Militärseelsorgewesen hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl für den Verband des preußischen Heeres und der Kaiserlichen Marine als auch für die selbständigen Heeres-Kontingente von Bayern, Württemberg und Sachsen eine umfassende Regelung erfahren 1. Im Rückblick auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs herrschte das Urteil vor, die Militärseelsorge habe in den bisherigen Organisationsformen ihre Aufgabe erfüllt 2. Daraus wie aus dem Bemühen um eine möglichst weitgehende Kontinuität der kirchlichen Arbeit erklärt sich, daß die Kirchen sich nach 1918 alsbald um den Fortbestand einer selbständigen Militärseelsorge bemühten. Die Weimarer Reichsverfassung erkannte das Bedürfnis nach Seelsorge im Heer an, verzichtete aber auf Aussagen darüber, wie diese Seelsorge zu organisieren sei 3. Auf dem vom 1. bis 5. September 1919 inDresden zusammentretenden ersten Deutschen Evangelischen Kirchentag 4 wurde ein Antrag zur Militärseelsorge eingebracht und verabschiedet, der von dem neuen Feldpropst Schlegel formuliert war (Nr. 162). Alsbald teilten der Reichsfinanzminister und der Reichswehrminister mit, daß die erforderlichen Mittel für die Militärseelsorge beider Kirchen im Reichshaushaltsplan für das zweite Halbjahr 1919 vorgesehen seien 5. Der Stuttgarter Kirchentag des Jahres 1921 bekräftigt das Interesse an einer „selbständigen, mit dem Heerwesen organisch verbundenen Militärseelsorge" 6.
1
Siehe Staat und Kirche, Bd. III, S. 206ff. Ebenda S. 825 ff. 3 Art. 140 und 141 WRV (oben Nr. 97). Art. 141 spricht nur von der Seelsorge i m Heer; dabei ist die Seelsorge i n der Marine mit einzubeziehen. Aus dem Schweigen der Reichsverfassung über die Form der Militärseelsorge konnte nicht geschlossen werden, daß die Fortführung einer besonderen Organisation für die Seelsorge in Heer und Marine mit der Verfassung und ihrem Grundsatz, es bestehe keine Staatskirche, unvereinbar sei. Siehe dazu die Feststellung über die Beratungen des Verfassungsausschusses in: Verh. d. verfassunggebenden Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1645 f. 4 Dazu unten Nr. 267 ff. 5 Schreiben des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses an den Reichsfinanzminister vom 20. September 1919; A n t w o r t des Reichsfinanzministers vom 30. September 1919; Schreiben des Reichswehrministers an den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß vom 2. Dezember 1919 (Ev. Zentralarchiv, A k t e n der Kirchenkanzlei, A 2/496). Vgl. W. Huber , Kirche und Öffentlichkeit (1973), S. 237ff.; J. Bleese, Die Militärseelsorge und die Trennung von Staat und Kirche (Diss. jur. Hamburg 1969), S. 146ff. 6 Beschluß vom 15. September 1921 (Akten der Kirchenkanzlei, A 2/496). 2
262
9. Kap.: Die Militärseelsorge in der Weimarer Zeit
Am 1. Januar 1919 wurde Erich Schlegel 7 mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Feldpropstes der preußischen Armee beauftragt. Im Frühjahr 1920 wurde er zum Feldpropst des neuen Reichsheeres ernannt. An der Spitze der katholischen Militärseelsorge der preußischen Armee und der Reichsmarine stand von 1914 bis zum Frühjahr 1920 der Bischof Joeppen 8. Im Frühjahr 1920 entzog der Heilige Stuhl dem Feldpropst die ihm gemäß dem Breve von 1868 9 zustehende Jurisdiktion über die Militärgeistlichen und die Angehörigen der Reichswehr; er übertrug sie den jeweiligen Diözesanbischöfen. Ein mit bischöflichen Rechten ausgestatteter exemter Feldpropst wurde nach Joeppens Ausscheiden nicht wieder ernannt 10. Vielmehr war es während der gesamten Weimarer Zeit das Ziel des deutschen Episkopats, eine Erneuerung des exemten Charakters der Militärseelsorge zu verhindern. Die Leitung der Militärseelsorge lag in der Hand des Generalvikars Paul Schwamborn 11. Nach dessen Resignation ernannte die Fuldaer Bischofskonferenz auf Vorschlag des Chefs der Heeresleitung im Jahr 1929 Franz Justus Rarkowski 12 zum Beauftragten für die Seelsorge an den der deutschen Wehrmacht angehörenden Katholiken. Erst gegen Ende der Weimarer Jahre unternahm der Reichwehrminister einen neuen Vorstoß, um zu einer definitiven Regelung der katholischen Militärseelsorge zu gelangen. Er mündete in die entsprechenden Vorschriften des Reichskonkordats von 193313.
7 Erich Schlegel (1866-1938), ev. Theologe; 1892 Garnisonshilfsprediger in Berlin, 1893 Divisionspfarrer in Metz, 1896 in Frankfurt / Oder, 1902 Invalidenhauspfarrer in Berlin, 1911 Militäroberpfarrer in Magdeburg; 1911 i m Nebenamt Mitglied des Konsistoriums der Provinz Sachsen; 1917 Militäroberpfarrer in Brüssel, 1918 in Berlin; zum 1. Januar 1919 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des ev. Feldpropsts der während einer Übergangszeit zunächst noch fortbestehenden preuß. Armee beauftragt; i m Frühjahr 1920 zum Feldpropst des Reichsheeres ernannt; er hatte sein seit 1929 auf die ganze Reichswehr erstrecktes A m t bis zum 31. März 1934 inne; kurz zuvor hatte er den Titel des „Feldbischofs" angenommen. Sein Nachfolger war Franz Dohrmann (1881-1969); seit 1909 Militärpfarrer; evang. Feldbischof des Reichsheeres und der Reichsmarine von 1934 bis 1945. 8 Staat und Kirche, Bd. III, S. 209, Anm. 19. 9 Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 51. 10 Vgl. A. Dünnwald, Das katholische Reichsmilitärkirchenrecht (Diss. jur. K ö l n 1932), S. 27ff.; J. Bleese, a.a.O., S. 153ff. 11 Paul Anton Josef Schwamborn (1874-1944), kath. Priester; nach dem Studium der Rechte, der Philosophie und der Theologie (Dr. iur. utr.) 1900 i n K ö l n zum Priester geweiht; 1903 Divisionspfarrer in Köln-Deutz, 1908 in Berlin; 1919-29 Generalvikar des preußischen Feldpropstes. 12 Franz Justus Rarkowski (1873-1950), Sohn des Zentrumspolitikers Justus Rarkowski (1890-93 MdR), kath. Priester; Mitglied der Kongregation der Maristen i n Differt (Belgien), 1898 in Brixen zum Priester geweiht; anschließend i n verschiedenen priesterlichen Funktionen i n der Diözese Ermland tätig; 1904 Kuratus i n Korschen, 1910 i n Lotzen; seit 1916 Divisionspfarrer; nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Divisions- bzw. Oberpfarrer in Koblenz, Königswerk, Breslau und Berlin; 1929 Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz für die Seelsorge an den der deutschen Wehrmacht angehörenden Katholiken (staatlicherseits mit der Wahrnehmung der Geschäfte des katholischen Feldpropstes beauftragt); 1936 Apostolischer Administrator für die der Wehrmacht zugeordneten Katholiken; 1938 bis 1945 katholischer Feldbischof. 13 Siehe das Promemoria des Kardinalstaatssekretärs Pacelli vom 25. Oktober 1932 (unten Nr. 231).
II. Die evangelische Militärseelsorge i n Bayern, Württemberg und Sachsen
263
Nr. 162. Beschluß des Deutschen Evangelischen Kirchentags vom 5. September 1919 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 68, 1919, S. 573) Der erste deutsche Kirchentag hält den Fortbestand einer besonderen Seelsorge in der Reichswehrmacht zu ihrem religiös-sittlichen Wiederaufbau für nötig und ersucht die Reichsregierung und die Nationalversammlung, die erforderlichen Geldmittel zu gewähren.
I I . D i e evangelische Militärseelsorge i n B a y e r n , W ü r t t e m b e r g u n d Sachsen Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs unterstand dem evangelischen wie dem katholischen Feldpropst nur die Seelsorge in der preußischen Armee 1 unter Einschluß der ihr eingegliederten Truppenteile der Länder ohne eigene Militärkontingente. Für das bayerische, das württembergische und das sächsische Heereskontingent bestand dagegen eine eigenständige Militärseelsorge 2. Da trotz der Unitarisierung des Militärwesens in der Weimarer Republik, die im Frühjahr 1920 zum Abschluß kam, eine schnelle Neuordnung der Militärseelsorge nicht zu erwarten war, bestätigte das Reichswehrministerium zunächst durch Schreiben vom 14. Februar 1920, daß die bisherigen Regelungen weiterhin Bestand behalten sollten. Daraufhin bekräftigte das sächsische Landeskonsistorium am 23. Juli 1920 seinerseits die Regelungen der Evangelisch-lutherischen militärkirchlichen Dienstordnung von 1911 (Nr. 163). Auch für Bayern und Württemberg blieb es bis zum Erlaß der Evangelischen militärkirchlichen Dienstordnung von 19293 bei der hergebrachten Ordnung.
Nr. 163. Verordnung des sächsischen Landeskonsistoriums, betreffend Vorschriften über die evangelische Militärseelsorge im Freistaate Sachsen vom 23. Juli 1920 (Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, 69, 1920, S. 496f.) — Auszug — Nachdem das Reichswehrministerium sich durch Verfügung vom 14. Februar 1920 damit einverstanden erklärt hat, daß die Ausübung der Militärseelsorge in den Ländern unverändert bleibt und daß die bisherigen Aufsichtsrechte der landeskirchlichen Behörden und damit der landeskirchliche Charakter der Militärseelsorge gewahrt bleiben, ist zur Ausführung dieser Bestimmung folgendes festgesetzt worden: 1 2 3
Staat und Kirche, Bd. III, S. 206 ff. Ebenda S. 234ff. Unten Nr. 164.
264
9. Kap.: Die Militärseelsorge in der Weimarer Zeit
1. Die evangelische Militärseelsorge i m Freistaate Sachsen w i r d auch weiterhin nach der Evangelisch-lutherischen militärkirchlichen Dienstordnung für die Sächsische Armee (Ev. M. D.) vom 2. A p r i l 19114 ausgeübt, soweit diese Dienstordnung unter den veränderten Verhältnissen noch anwendbar ist. 2. A n die Stelle der früheren Kriegsministerien ist das Reichswehrministerium als oberste Reichs- und Verwaltungsbehörde für die Militärgeistlichen des Reichsheeres getreten. 3. Die Anstellung der Militärgeistlichen und die vertragliche Annahme von Zivilgeistlichen als Militärseelsorger in den Ländern erfolgen nach den bisher dafür geltenden Vorschriften. . .. 4. Wegen der veränderten Verhältnisse... erhalten aber Abs. 4 und 5 von § 70 der Ev. M. D. folgende neue Fassung: Abs. 4: Der geistliche Kommissar führt die Zustimmung des Reichswehrministeriums und des Landeskonsistoriums zur Wahl herbei und benachrichtigt hiervon den Landeskommandanten, den Superintendenten usw. Abs. 5: Der Landeskommandant teilt dem Wehrkreiskommando den Namen des Gewählten mit und beauftragt sodann das Garnisonkommando mit der weiteren Bekanntgabe an die Militärgemeinde. Eine besondere kirchliche Einweisung findet nicht statt. . . .
I I I . Die evangelische militärkirchliche Dienstordnung von 1929 Während sowohl der evangelische Feldpropst als auch das Reichswehrministerium entscheidenden Wert auf die Eigenständigkeit der evangelischen Militärseelsorge gegenüber den Landeskirchen legten, beharrten die bayerische, die württembergische und die sächsische Landeskirche auch nach 1919 auf dem Fortbestand beziehungsweise der Einführung direkter landeskirchlicher Aufsichtsrechte gegenüber den Militärgeistlichen ihres Bereichs. Sie machten die Rücksichtnahme auf dieses Interesse zur Bedingung für den Erlaß einer neuen militärkirchlichen Dienstordnung auch für ihren Amtsbereich. Diese Streitfrage behinderte lange den Abschluß der Verhandlungen über eine reichseinheitliche militärkirchliche Dienstordnung. Notwendig war diese Neuordnung vor allem deshalb, weil mit dem 1920 abgeschlossenen Übergang zur unitarischen Reichswehr die bisherige Zuständigkeit der Kriegsminister Preußens, Bayerns, Württembergs und Sachsens für das Heerwesen aufgehoben und stattdessen eine unmittelbare Reichszuständigkeit für die Militärseelsorge hergestellt war 1. Das Reichswehrministerium legte im Oktober 1924 den ersten Entwurf einer militärkirchlichen Dienstordnung vor, den der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß den Leitungen aller Landeskirchen zur Stellungnahme zuleitete. Auch ein auf Grund der vorgebrachten kirchlichen Einwände formulierter zweiter Entwurf fand keine ungeteilte Zustimmung bei den 1
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 105.
1
Dazu Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 578 ff.
III. Die evangelische militärkirchliche Dienstordnung von 1929
265
Landeskirchen. Aus Anlaß des Kirchentags in Königsberg 2 kam es 1927 zu einer Besprechung, deren Ergebnis sich in einem dritten Entwurf niederschlug. Dieser verstärkte die Bindung der Militärgemeinden und Militärpfarrer an die jeweiligen Landeskirchen. Nachdem alle Landeskirchen diesem Entwurf schriftlich zugestimmt hatten, verkündete der Reichswehrminister am 28. Februar 1929 die neue Evangelische militärkirchliche Dienstordnung (Nr. 164). Der Sache nach stellte sie also nicht einen einseitigen staatlichen Rechtssetzungsakt, sondern eine Vereinbarung zwischen Staat und Kirche dar, die lediglich in der Rechtsform der einseitigen staatlichen Verordnung erging 3. Der Wandel im Verhältnis zwischen Staat und evangelischer Kirche, der in den Staatskirchenverträgen der Weimarer Zeit zum Ausdruck kam 4, bestimmte also auch die rechtliche Neuordnung der Militärseelsorge. Während die neue Dienstordnung als solche den Charakter einer „paktierten Verordnung" trug, ergingen die Ausführungsbestimmungen durch einseitigen Akt des Reichswehrministeriums (Nr. 165). Sie sollten ausschließlich Fragen regeln, die in der unmittelbaren Zuständigkeit des Reichs lagen 5. Die Fragen der katholischen Militärseelsorge wurden erst im Rahmen des Reichskonkordats von 1933 definitiv geklärt 6. In einer gewissen Entsprechung zu der Kontroverse um die evangelische Militär seelsorge bestanden die katholischen Bischöfe darauf, daß bei einer Neuregelung der bisherige exemte Charakter der katholischen Militärseelsorge aufgehoben und diese der Jurisdiktion der jeweils örtlich zuständigen Bischöfe untergeordnet werden müsse. Die Reichsregierung dagegen sah einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der staatlichen Finanzierung der Militärseelsorge und ihrer Exemtion von der Aufsicht der örtlichen Bischöfe. Eine Verständigung ließ sich erst unter den veränderten politischen Bedingungen von 1933 erreichen 1.
Nr. 164. Evangelische militärkirchliche Dienstordnung für das Reichsheer und die Reichsmarine (E. M. D.) vom 28. Februar 1929 (Reichs-Gesetzblatt, 1929, II, S. 141) A. Militärgemeinden
des Reichsheers und der Reichsmarine
1. Die Zugehörigkeit zu den Militärgemeinden regelt sich nach den bestehenden staatlichen und kirchlichen Vorschriften. Eine andere Regelung bedarf der Zustimmung auch der beteiligten Landeskirchen. 2
Dazu unten Nr. 355. Zu Unrecht ist also gelegentlich i m Blick auf den Militärseelsorgevertrag von 1957 die These vertreten worden, hier sei zum ersten Mal die Regelung der evangelischen Militärseelsorge auf der Grundlage von Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche erfolgt. 4 Dazu unten Kapitel X und X V I I I . 5 Dazu die Dokumente i m Ev. Zentralarchiv, A k t e n der Kirchenkanzlei, A 2/496 und 497 sowie die Darstellungen bei J. Bleese, Die Militärseelsorge und die Trennung von Staat und Kirche (Diss. jur. Hamburg 1969), S. 124ff. und bei W. Huber, Kirche und Öffentlichkeit (1973), S. 241 ff. 6 Siehe unten Nr. 263. 7 Vgl. L . Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 (1972), S. 44ff. Siehe auch oben S. 262. 3
266
9. Kap.: Die Militärseelsorge in der Weimarer Zeit
2. Die Seelsorge in den Militärgemeinden üben planmäßig angestellte Militärpfarrer des Reichsheers oder der Reichsmarine (unten C) oder mit der Militärseelsorge i m Reichsheer oder i n der Reichsmarine nebenbei vertraglich beauftragte Zivilgeistliche (Standortpfarrer, unten D) aus. 3. Die Militärgemeinden teilen den Bekenntnisstand der Landeskirche, i n deren Bereich sie sich befinden. Die in ihnen tätigen Militärpfarrer und Standortpfarrer müssen dem Bekenntnis dieser Landeskirche angehören. 4. Gottesdienste und Amtshandlungen in den Militärgemeinden werden nach der Ordnung der zuständigen Landeskirche vollzogen. B. Der Feldpropst des Heeres und der Marine 5. Den Feldpropst ernennt der Reichspräsident auf Antrag des Reichswehrministers, der sich der Zustimmung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses versichert. 6. Der Feldpropst führt sein A m t als Leiter der Militär seelsorge und ausführende Stelle des Reichswehrministeriums in militärkirchlichen Angelegenheiten. 7. Die Stellung des Feldpropstes gegenüber den Landeskirchen w i r d durch Vermittlung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses mit den Landeskirchen geregelt. 8. Will der Feldpropst Standorte bereisen oder Pfarrerversammlungen abhalten, so benachrichtigt er die beteiligten landeskirchlichen Behörden; auf Wunsch teilt er ihnen das Ergebnis mit. 9. Der Feldpropst erstattet den landeskirchlichen Behörden auf Wunsch Jahresberichte über die evangelische Militärseelsorge in den Standorten ihres Bereichs. 10. Die Einführung der Militärpfarrer in ihr A m t erfolgt in einem feierlichen Gottesdienste der Militärgemeinde durch den Feldpropst, der dabei zum Ausdruck bringt, daß er zugleich i m Auftrag der Landeskirche handelt. Behält sich eine Landeskirche vor, dem Militärpfarrer die geistlichen Obliegenheiten durch einen anderen Beauftragten zu übertragen, so beteiligt sich der Feldpropst an der Amtseinführung, indem er den Militärpfarrer begrüßt und i h m die Anstellungsurkunde übergibt. C. Die Militärpfarrer
des Reichsheers und der Reichsmarine
11. Die Militärpfarrer unterstehen als Reichsbeamte dem Feldpropst als höherer und dem Reichswehrminister als oberster Reichsbehörde. 12. Welche Rechte und Pflichten sie als kirchliche Amtsträger haben, bestimmt sich nach den kirchlichen Vorschriften und, soweit erforderlich, besonderen Vereinbarungen. Ihre Ernennung und Versetzung erfolgt i m Einvernehmen mit den beteiligten Landeskirchen. 13. Die Militärpfarrer bearbeiten als Wehrkreispfarrer oder Marinestationspfarrer die militärkirchlichen Angelegenheiten innerhalb ihres Amtsbereichs. Sie regeln den äußeren Gang der Militärseelsorge nach den Anordnungen des Feld-
III. Die evangelische militärkirchliche Dienstordnung von 1 9 2 9 2 6 7 propstes und den Weisungen des militärischen Befehlshabers, dem sie zugeordnet sind. 14. Welche Rechte und Pflichten die Wehrkreispfarrer und die Marinestationspfarrer als kirchliche Amtsträger haben, bestimmt sich nach den kirchlichen Vorschriften und, soweit erforderlich, besonderen Vereinbarungen. 15. Wollen die Militärpfarrer als Wehrkreispfarrer oder Marinestationspfarrer Standorte bereisen oder Versammlungen mit anderen Militärpfarrern oder Standortpfarrern ihres Amtsbereichs abhalten, so benachrichtigen sie die beteiligten landeskirchlichen Behörden; auf Wunsch teilen sie ihnen das Ergebnis mit. 16. Die Wehrkreispfarrer und die Marinestationspfarrer vermitteln den i n ihrem Amtsbereiche vertretenen Landeskirchen auf Wunsch Auskunft über die Militärseelsorge i n den zum Bereiche dieser Landeskirchen gehörigen Standorten. 17. Die Wehrkreispfarrer und die Marinestationspfarrer verkehren i n ihrer Tätigkeit als Reichsbeamte unmittelbar mit den landeskirchlichen Behörden ihres Amtsbereichs.
D. Die Standortpfarrer
des Reichsheers und der Reichsmarine
18. Neben den Militärpfarrern werden auch Zivilgeistliche mit der Militärseelsorge beauftragt. 19. Ihre Rechte und Pflichten als Standortpfarrer ergeben sich aus dem Vertragsverhältnis, das die militärischen Dienststellen mit den Standortpfarrern i m Einverständnis mit den kirchlichen Oberbehörden schriftlich vereinbaren.
E. Schlußbestimmung 20. Soweit bei Ausführung der Evangelischen militärkirchlichen Dienstordnung, insbesondere bei etwa notwendig werdenden Sonderregelungen, die Reichsregierung der M i t w i r k u n g von Landeskirchen bedarf, werden sich zwecks Herbeiführung einer Verständigung beide Teile mit dem Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß ins Benehmen setzen. Die Evangelische militärkirchliche Dienstordnung für das Reichsheer und die Reichsmarine tritt am 1. A p r i l 1929 in Kraft.
268
9. Kap.: Die Militärseelsorge in der Weimarer Zeit
Nr. 165. Ausführungsbestimmungen zur Evangelischen militärkirchlichen Dienstordnung für das Reichsheer und die Reichsmarine 8 von 1929 (Heeresdruckvorschrift 370, S. 8) — Auszug — Diese Ausführungsbestimmungen 9 lassen die Zuständigkeiten von Kirchenbehörden unberührt. A. Militärgemeinden
10
des Reichsheers und der Reichsmarine
1. Die nach einem Standort Kommandierten gehören nur dann zu der dort bestehenden Militärgemeinde, wenn von vornherein feststeht, daß das Kommando länger als sechs Monate dauern soll; sonst bleiben sie Mitglieder ihrer bisherigen Militärgemeinde, werden aber wie die Angehörigen der Militärgemeinde des Kommandoorts versorgt. 2. I n den Standorten ohne Militärpfarrer 1 1 des Heers, in denen eine Militärgemeinde der Marine mit einem Militärpfarrer oder Standortpfarrer besteht, werden die Angehörigen des Heers dieser angegliedert. Ebenso werden Angehörige der Marine einer am Standort bestehenden Militärgemeinde des Heers angegliedert. 8 I n Ermangelung einer eigenen katholischen militärkirchlichen Dienstordnung fanden die Ausführungsbestimmungen zur E. M. D. auch auf die katholische Militärseelsorge Anwendung, und zwar die Nummern 1, 2, 8-17, 19-78. Vgl. G. J. Ebers, Deutsches und preußisches Staatskirchenrecht (1932), S. 73 f. Die i m folgenden wiedergegebenen inhaltlichen Anmerkungen sind Bestandteile des amtlichen Textes. 9 Die Beziehungen zwischen Reich und Landeskirchen regelt die auf Vereinbarung mit den Landeskirchen beruhende Ε. Μ . D. Die Α. B. ( = Ausführungsbestimmungen) regeln auf der Grundlage der Ε. M. D. das, was von Reichs wegen unbeschadet landeskirchlicher Zuständigkeiten bestimmt werden kann und bestimmt werden muß, u m das Durchführen der Militärseelsorge nach der Ε. M. D. innerhalb der Wehrmacht sicherzustellen (Anm. i m amtl. Text). 10 Für die Frage, ob die Angehörigen der Wehrmacht zu den Lasten der Ortskirchengemeinden beizutragen haben, kommt es darauf an, ob sie nach den i m Standort geltenden staatlichen und kirchlichen Vorschriften zu den Ortskirchengemeinden gehören. Wo dies der Fall ist, fallen die Kosten der Militärseelsorge den Ortskirchengemeinden zu Last. Als Angehörige der Wehrmacht i m militärkirchenrechtlichen Sinn gelten die auf dem Haushalt der Wehrmacht geführten Soldaten (Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften) und Militär- und Zivilbeamten einschließlich Beamtenanwärter; dazu gehören nicht die Heeres- und Marine-Fachschullehrer und auch nicht die in den endgültigen oder einstweiligen Ruhestand versetzten Wehrmachtangehörigen. Die Angehörigen der Wehrmacht bleiben, auch wenn sie von den Ortskirchengemeinden losgelöst sind, Angehörige ihrer Landeskirche. Daraus ergibt sich, daß die Militärgemeinden, zu denen sie gehören, den Bekenntnisstand der örtlich zuständigen Landeskirche teilen, daß die Militärpfarrer und die Standortpfarrer dem Bekenntnis der Landeskirche ihres Amtssitzes angehören und Gottesdienste und Amtshandlungen in den Militärgemeinden nach landeskirchlicher Ordnung vollzogen werden (Anm. i m amtl. Text). 11 Die Bezeichnung „Militärpfarrer" umfaßt die i m Besoldungsgesetz vom 16. Dezember 1927 (Besoldungsgruppe 2 c) vorgesehenen „Pfarrer" des Heeres und die „Marinepfarrer" bei der Marine (Anm. i m amtl. Text).
III. Die evangelische militärkirchliche Dienstordnung von 1 9 2 9 2 6 9 B. Der Feldpropst
des Heers und der Marine
Dienstliche Stellung 3. Der Reichswehrminister vereidigt den Feldpropst auf die Reichs Verfassung. 4. Der Feldpropst ist Vorsteher einer höheren, dem Reichswehrminister als oberster Reichsbehörde unmittelbar unterstellten Reichsbehörde; er ist unmittelbarer und zugleich höherer Dienstvorgesetzter der Militärpfarrer sowie des Verwaltungssekretärs und des Militärküsters 1 2 der Feldpropstei. 5. Der Feldpropst ist befugt: a) zu Anträgen, Anzeigen und Anregungen beim Reichswehrminister, b) zum Bereisen von Standorten (Nr. 9, 10), c) zum Erlaß allgemeiner Verfügungen i n militärkirchlichen Angelegenheiten, d) zum Abhalten von Militärversammlungen (Nr. 11), e) zu Anordnungen über Militär-Kirchenbücher sowie über das Tagebuch und die Dienstakten der Militärpfarrer (Nr. 50, 52), f) zum Aufbewahren (Nr. 57),
der
Militär-Kirchenbücher
aufgehobener
Standorte
g) zum Einführen der Militärpfarrer i n ihr A m t als Reichsbeamte (Nr. 13), h) zum Versetzen von Militärpfarrern (Nr. 13, 22), i) zum Beurlauben der i h m unterstellten Beamten bis eineinhalb Monate (Nr. 20). 6. (1) Der Feldpropst holt vor dem Erlaß allgemeiner Verfügungen, die militärdienstliche Verhältnisse betreffen, das Einverständnis des Reichswehrministers ein. (2) Berühren allgemeine Verfügungen landeskirchliche Verhältnisse, so hat der Feldpropst das Einverständnis der beteiligten Landeskirchen einzuholen. ...
Befähigungsberichte 8. Der Feldpropst reicht dem Reichswehrminister zu dem von diesem bestimmten Zeitpunkt Befähigungsberichte über die Militärpfarrer, den Verwaltungssekretär bei der Feldpropstei und die Militärküster ein. Da die Befähigungsberichte über die Militärpfarrer sich auch über ihre Eignung als Sachbearbeiter für militärkirchliche Angelegenheiten aussprechen müssen, hat der Feldpropst die Stellungnahme des Befehlshabers einzuholen und dem Wortlaut nach i n die Berichte aufzunehmen 1 3 . ...
12
Wegen der Bestimmungen über die Laufbahn der Militärküster und wegen der Dienstanweisung für diese und die Verwaltungssekretäre der Evangelischen und der Katholischen Feldpropstei vgl. die Anlage 1 bis 3 (Anm. i m amtl. Text; die genannten Anlagen hier nicht abgedruckt). 13 I m folgenden werden behandelt: Dienstreisen des Feldpropsts, die Einberufung von Militärpfarrerversammlungen und der Urlaub des Feldpropsts.
270
9. Kap.: Die Militärseelsorge in der Weimarer Zeit C. Die Militärpfarrer
des Reichsheers und der Reichsmarine
Ernennung.
Dienstliche Stellung
13. (1) Der Reichspräsident ernennt die Militärpfarrer auf Antrag des Reichswehrministers. Diesem legt der Feldpropst mit dem Antrag auf Ernennung die Einverständniserklärung der beteiligten Landeskirchen vor. Er teilt die Ernennung dem Befehlshaber (Nr. 15) und den beteiligten Landeskirchen mit. Er vereidigt die Militärpfarrer auf die Reichsverfassung und händigt ihnen die Anstellungsurkunde aus. 14. Die Militärpfarrer 1 4 unterstehen dem Feldpropst als höherer und dem Reichswehrminister als oberster Reichsbehörde. Sie sind unmittelbare Dienstvorgesetzte des ihnen zugeteilten Militärküsters 1 5 . 15. Die Militärpfarrer werden dem Befehlshaber i n einem Wehrkreis oder i n einer Marinestation 1 6 zugeordnet und sind verpflichtet, i n militärkirchlichen Angelegenheiten seinen militärdienstlichen Anordnungen und auch denen des Standortältesten (Kommandanten) nachzukommen. ... Erlaubnisschein 18. (1) Außerhalb ihrer Militärgemeinde bedürfen die Militärpfarrer für Trauungen, Taufen, Konfirmationen und Beerdigungen eines Erlaubnisscheins des zuständigen Militär- oder Zivilgeistlichen. ...
14
Die Militärpfarrer haben eine Doppelstellung als Reichsbeamte und als kirchliche Amts träger. Für ihre Rechte und Pflichten als kirchliche Amtsträger sind die allgemeinen Vorschriften ihrer Landeskirche und etwa erforderlich werdende besondere Vereinbarungen maßgebend. Hinsichtlich ihrer Betätigung als geistliche Amtsträger unterstehen sie der Oberaufsicht ihrer Landeskirche, also auch insoweit, als Entfernung aus dem geistlichen A m t in Frage kommen kann. Ein Geistlicher, der aus dem geistlichen A m t entfernt ist, kann nicht mehr als Militärpfarrer verwendet werden. I m Hinblick auf die Rechtsstellung der Militärpfarrer innerhalb ihrer Landeskirche ist ihre Ernennung — und Versetzung — an die Zustimmung der beteiligten Landeskirche gebunden. A u f die Doppelstellung der Militärpfarrer muß bei ihrer Ernennung und Amtseinführung Rücksicht genommen werden. Der Feldpropst muß sich daher, bevor er nach Benehmen mit dem Befehlshaber die Ernennung eines Militärpfarrers beantragt, der Zustimmung von dessen Landeskirche und derjenigen vergewissern, in deren Bereich der zu Ernennende tätig sein soll. Die Übertragung des geistlichen Amts gehört zur Zuständigkeit der Landeskirche. Der Feldpropst kann sie vornehmen, wenn die Landeskirche ihn damit beauftragt. Anderenfalls beteiligt er sich bei der Amtseinführung nach Benehmen mit der Landeskirche als Beauftragter des Reichswehrministers durch Begrüßen des Militärpfarrers und Aushändigen der Anstellungsur künde. Unabhängig von der Amtseinführung nach Nr. 10 E. M. D. ist die Vereidigung und die Einweisung der Militärpfarrer in ihre Amtsobliegenheiten als Reichsbeamte nach Nr. 13 A. B. Die Vereidigung ist, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, vor dem Dienstantritt alsbald nach Aushändigen der Anstellungsurkunde zu vollziehen (Anm. i m amtl. Text). 15 Siehe Anm. 12. 16 I n den folgenden Nummern als „Befehlshaber" bezeichnet (Anm. i m amtl. Text).
III. Die evangelische militärkirchliche Dienstordnung von 1929
271
Gesuche 19. (1) Die Militärpfarrer legen Gesuche, die der Entscheidung des Reichswehrministers unterliegen, und Vorschläge in allgemeinen Staats- und Verwaltungsangelegenheiten auf dem Dienstweg vor. Der Feldpropst n i m m t dazu Stellung 1 7 . ... Militärgottesdienst 24. Die Militärpfarrer halten i m allgemeinen an den Sonn- und Feiertagen Militärgottesdienst ab. Sie berücksichtigen hierbei die Wünsche der Standortältesten (Kommandanten). Gelten i n Landesteilen besondere kirchliche Feiertage, so kann auch an ihnen Militärgottesdienst stattfinden; über Dienstbefreiung bestimmt der Befehlshaber nach Benehmen mit dem Militärpfarrer. ... 28. Gottesdienste i m Freien 1 8 können nach Bekenntnissen getrennt abgehalten werden, wenn ein Bedürfnis dafür vorliegt und keine bekenntnismäßigen Bedenken dagegen sprechen. Der örtlich höchste Truppenvorgesetzte ist für das Anordnen zuständig. 29. Hat ein Standort keine reichseigene Kirche, so wird, wenn ein Bedürfnis dafür vorliegt, das Mitbenutzungsrecht an einer Zivilkirche gesichert. ... 30. Die freiwilligen Kirchgänger sind, soweit nicht besondere Gründe entgegenstehen, bei einer größeren Anzahl (2 Gruppen oder mehr) geschlossen zur Kirche zu führen. Die geschlossene Führung von Unteroffizieren und Mannschaften zur Kirche gilt als Dienst. Beträgt der Hin- und Rückweg zusammen mehr als 5 km, so können die Kosten für benutzte, regelmäßig fahrende Verkehrsmittel nach den besonderen Bestimmungen hierüber angefordert werden 1 9 . ... Kasernenstunden 37. (1) Den Militärpfarrern ist mindestens monatlich eine Stunde für Kasernenstunden zum Behandeln religiöser oder allgemein-sittlicher (ethischer) Fragen freizuhalten. Die Kasernenstunden sollen ihnen Gelegenheit geben, mit der Truppe auf Grund freiwilliger Beteiligung regelmäßige Besprechungen abzuhalten. ...
17
I m folgenden werden behandelt: Urlaub, Dienstreisen, Versetzung und Dienstanzug des Militärpfarrers. 18 Von den Gottesdiensten i m Freien sind zu unterscheiden die militärischen Feiern mit religiöser Weihe, z.B. an militärischen Gedenktagen, bei Denkmalsweihen. Bei diesen Feiern bleibt das militärische Gepräge i m Gegensatz zu einer kirchlichen Feier auch äußerlich gewahrt: die Bezeichnung „Gottesdienst" w i r d vermieden; es unterbleibt das altarartige Ausstatten der Rednerbühne, das Sprechen von Gebeten, das Spenden des Segens und jede sonstige, i m eigentlichen Sinn kirchliche Handlung. Nehmen Truppenteile an solchen Feiern teil, so erscheinen sie wegen deren militärischen Eigenart geschlossen. Der Anwesenheit von Geistlichen verschiedenen Bekenntnisses steht nichts i m Weg. Halten sie Ansprachen, so tun sie es von der gleichen Rednerbühne aus. Der Rahmen einer militärischen Feier mit religiöser Weihe w i r d auch durch das Singen eines den verschiedenen Bekenntnissen gemeinsamen Chorals nicht überschritten (Anm. i m amtl. Text). 19 I m folgenden werden behandelt: Taufen, Aufgebot und Trauung, Konfirmandenunterricht.
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9. Kap.: Die Militärseelsorge in der Weimarer Zeit
(2) Kasernenstunden sind tunlichst an Stelle von Dienst abzuhalten. Es ist Pflicht der Standortältesten (Kommandanten), sich wegen ihres Abhaltens und Gestaltens mit den Militärpfarrern ins Benehmen zu setzen und sie dabei zu unterstützen 2 0 . ... Die Wehrkreispfarrer
und die
Marinestationspfarrer
21
60. (1) Die Wehrkreispfarrer und die Marinestationspfarrer sind Sachbearbeiter des Wehrkreiskommandos oder Marinestationskommandos für militärkirchliche Angelegenheiten. ... 61. Die Befehlshaber genehmigen die Zahl der besonderen Militärgottesdienste und Lazarettgottesdienste der Standortpfarrer. ... 62. Die Befehlshaber entscheiden über die Vergütungen für Standortpfarrer oder sonstige Zivilgeistliche (z. B. bei Vertretungen), für Organisten, Küster usw. Ihnen stehen zum Prüfen der Verhältnisse die Wehrkreispfarrer oder die Marinestationspfarrer zur Verfügung. ... D. Die Standortpfarrer
des Reichsheers und der
Reichsmarine
22
65. (1) Für das Ausüben der Militärseelsorge durch Standortpfarrer gelten die Bestimmungen in Nr. 18, 24-58 entsprechend, soweit nicht Vorschriften ihres
20 I m folgenden werden behandelt: Krankenseelsorge, Gefangenenseelsorge, Sammlungen, Stolgebühren, Kultuskosten, Tagebücher und Dienstakten, MilitärKirchenbücher . 21 Die Wehrkreispfarrer und die Marinestationspfarrer sind diejenigen Militärpfarrer, die außer der Seelsorge i m Standort nach den Anordnungen des Feldpropsts oder den Weisungen des Befehlshabers den äußeren Gang der Militärseelsorge für den ganzen Wehrkreis oder die ganze Marinestation zu regeln haben (besondere Militärgottesdienste für die einzelnen Standorte, Kasernenstunden, Besuch der Kasernen, Lazarette oder Strafanstalten, Mitarbeit beim Verwalten reichseigener sowie beim Ermieten sonstiger Kirchen, Bereitstellen von Räumen für die Kasernen- oder Konfirmandenstunden, Verpflichten von Standortpfarrern, Festsetzen der Vergütungen für sie, Berichte über militärkirchliche Angelegenheiten, Versammlungen mit Standortpfarrern, Bereisen der Standorte nach den militärdienstlichen Anordnungen des Feldpropsts oder des Befehlshabers usw.). — A u f das Ausüben des geistlichen Amts der Standortpfarrer haben sie nur denjenigen Einfluß, der ihnen etwa aus ihrer Amtsstellung innerhalb ihrer Landeskirche zusteht. Ihre eigenen Rechte und Pflichten als geistliche Amtsträger bestimmen sich nach den kirchlichen Vorschriften und etwaigen besonderen Vereinbarungen (Nr. 12 E. M. D.).
Für die weiteren Militärpfarrer bei den Marinestationen gelten die allgemeinen Bestimmungen über Ernennung, dienstliche Stellung usw. Der Befehlshaber verteilt nach Anhören des Marinestationspfarrers die Seelsorgebezirke i m Standort. Da die meisten Wehrkreise und Marinestationen Gebiete mehrerer Landeskirchen umfassen, müssen die Wehrkreispfarrer und die Marinestationspfarrer, damit beschleunigtes Geschäftserledigen gewährleistet ist, befugt sein, beim Ausführen der Anweisungen des Feldpropsts oder der Befehlshaber mit den landeskirchlichen Behörden innerhalb ihres Amtsbereichs unmittelbar zu verkehren, z. B. anläßlich des Bestellens von Standortpfarrern, des Ermietens von Kirchen usw. (Anm. i m amtl. Text). 22 Da die Zahl der Militärpfarrer beschränkt ist, müssen auch Zivilgeistliche für die Militärseelsorge gewonnen werden. Die militärischen Dienststellen vereinba-
III. Die evangelische militärkirchliche Dienstordnung von 1 9 2 9 2 7 3 kirchlichen Hauptamts entgegenstehen. Inwieweit sie Tagebuch und Dienstakten zu führen haben, bestimmt der Feldpropst. (2) Der Feldpropst veranlaßt auf Antrag der Befehlshaber mit Genehmigung des Reichswehrministers die jederzeit widerrufliche Beauftragung von Zivilgeistlichen mit der Militärseelsorge durch die Kirchenbehörde. Entsprechend verfährt er beim Ablösen eines Standortpfarrers. ... E. Standortkirchen
und
Militärbegräbnisplätze
23
71. Die Verwaltung der reichseigenen Standortkirchen und des etwa vorhandenen Kirchenvermögens sowie der reichseigenen Militärbegräbnisplätze liegt den örtlichen Verwaltungsbehörden unter Aufsicht der höheren Verwaltungsbehörden ob. 72. Bei jeder Standortkirche wird, soweit ein Bedürfnis vorliegt, ein Kirchen vorstand gebildet. Er besteht aus: a) dem ersten Kirchenvorsteher: dem Standortältesten (Kommandanten) oder einem von diesem bestimmten höheren Offizier, b) dem zweiten Kirchenvorsteher: dem Militärpfarrer (Standortpfarrer), Standorten mit mehreren Militärpfarrern dem Dienstältesten,
in
c) dem dritten Kirchenvorsteher: einem Beamten der örtlichen Verwaltungsbehörde oder einem anderen, von der höheren Verwaltungsbehörde bestimmten Beamten der Heeres- oder Marineverwaltung. 73. Vertretungen innerhalb des Kirchenvorstands regelt der erste Kirchenvorsteher. 74. Liegt kein Bedürfnis zum Bilden eines Kirchenvorstands vor, so versieht der Militärpfarrer (Standortpfarrer) dessen Geschäfte. 75. Die Kirchenvorsteher müssen dem Bekenntnis angehören, dem die Standortkirche dient. ...
ren mit ihnen das Vertrags Verhältnis, das für ihre Rechte und Pflichten maßgebend ist. Aus ihrer nur vertraglichen Bindung ergibt sich, daß sie als kirchliche Amtsträger und i n allen disziplinaren Beziehungen ausschließlich ihrer kirchlichen Oberbehörde unterstellt sind. Den Auftrag zum Ausüben der Militärseelsorge erteilt ihnen ihre kirchliche Behörde. Aus Nr. 4 E. M. D. ergibt sich, daß sie Gottesdienste und Amtshandlungen nach den Ordnungen ihrer Landeskirche zu vollziehen haben. Die Befugnisse des Feldpropsts gegenüber den Standortpfarrern beschränken sich auf die Rechte, die dem Reich aus dem Vertragsverhältnis zustehen, z. B. i n bezug auf Abhalten von besonderen Militärgottesdiensten, Kasernenstunden, Besuch von Kasernen, Lazaretten oder Strafanstalten, Berichte, Besprechungen, Versammlungen. A u f die A r t ihres Betätigens als geistliche Amtsträger hat er keinen Einfluß. Entsprechendes gilt für die Befugnisse der Wehrkreispfarrer und der Marinestationspfarrer gegenüber den Standortpfarrern (Anm. i m amtl. Text). 23 Das in Abschnitt E für Militärpfarrer Bestimmte gilt auch für den Feldpropst (Anm. i m amtl. Text). 18 Huber
274
9. Kap.: Die Militärseelsorge in der Weimarer Zeit F. Seelsorge an Bord Allgemeines
79. (1) Die Seelsorge an Bord üben aus Flottenpfarrer, Verbandspfarrer und Schiffspfarrer. (2) Der Flottenpfarrer ist als Referent beim Flottenkommando Sachbearbeiter für militärkirchliche Angelegenheiten. Für den gleichen Zweck stehen die Verbandspfarrer und die Schiffspfarrer dem Befehlshaber und dem Kommandanten zur Verfügung. (3) Für die eingeschifften Militärpfarrer sind die „Bestimmungen für den Dienst an Bord" (D.a.B.) maßgebend. (4) Über die Einschiffung des Flottenpfarrers und der Verbandspfarrer entscheidet auf Vorschlag des Flottenkommandos das Reichswehrministerium. (5) Wenn keine Militärpfarrer eingeschifft sind, gehört die Besatzung der Schiffe zu der Landgemeinde, der sie zugeteilt sind. Die Familien der Eingeschifften verbleiben bei der Militärgemeinde ihres Wohnorts 2 4 . ...
24 I m folgenden werden behandelt: Amtstätigkeit der eingeschifften Militärpfarrer, Gottesdienst, Abendmahlsfeier, Vorträge, Unterricht, Verhalten i m Gefecht, Krankenseelsorge, Sterbefälle, Seelsorge an den Arrestanten, Verwaltung der Schiffsbüchereien, Seelsorge i m Ausland, Kirchenbuchführung.
Teil Β Staat u n d katholische K i r c h e i n der Weimarer Zeit Zehntes Kapitel
Das Reich u n d die katholische K i r c h e i n den ersten J a h r e n der W e i m a r e r R e p u b l i k I. Der Papst und die staatliche Neuordnung in Deutschland Der staatliche Umbruch in Deutschland stellte die katholische Kirche vor neue Herausforderungen wie vor neue Möglichkeiten. Die Kirchenpolitik Papst Benedikts XV. 1 und der Kurie unter Leitung des Kardinalstaatssekretärs Gasparri 2 war während des Ersten Weltkriegs durch ein doppeltes Ziel bestimmt. Zum einen hielt sie unbeirrt an der Aufgabe fest, dem Kirchenverständnis Gestalt zu geben, das insbesondere in der Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit durch das Erste Vatikanische Konzil seinen Ausdruck gefunden hatte 3. Dem diente vor allem der am 27. Mai 1917 promulgierte Codex Juris Canonici, der die einheitliche Rechtsgestalt der römisch-katholischen Kirche sicherte 4. Zum andern bemühten Papst und Kurie sich um eine Politik der Neutralität, der karitativen Hilfe und der Friedensförderung. Sie fand ihren deutlichsten Ausdruck in der päpstlichen Friedensinitiative vom 1. August 1917 5. Die päpstlichen Reaktionen auf das Kriegsende ließen erkennen, daß Benedikt XV. den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen gedachte. Der Papst war nicht nur bereit, die veränderte Lage hinzunehmen; er war zugleich entschlossen, die in ihr liegenden Möglichkeiten zur Wahrung der kirchlichen Interessen zu nutzen. Als Mittel der Neugestaltung faßte die Kurie von Anfang an eine verstärkte Konkordatspolitik ins Auge. Sie sollte zugleich die Unabhängigkeit der Kirche gegenüber den Staaten unterstreichen wie die Beziehung zu ihnen festigen. Diese Absicht bekräftigte Benedikt XV. in feierlicher Form durch das Schreiben, mit dem er den Reichspräsidenten Ebert 6 am 2. April 1919 zu seiner Wahl zum Reichsoberhaupt 1
Benedikt XV. (Giacomo della Chiesa): Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, S. 315, Anm. 9. Pietro Gasparri: Ebenda S. 493, Anm. 4. 3 Staat und Kirche, Bd. Π, Nr. 190. 4 Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, Nr. 203. 5 Ebenda Nr. 210. 6 Friedrich Ebert (1871-1925), geboren i n Heidelberg, Sattler; seit 1889 i m Sattlerverband gewerkschaftlich tätig; seit 1893 Lokalredakteur der „Bremer 2
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10. Kap.: Das Reich und die katholische Kirche
beglückwünschte (Nr. 166). Der päpstliche Wunsch, daß die Beziehungen der katholischen Kirche zum Deutschen Reich durch die Einrichtung einer Nuntiatur in Berlin und gegebenenfalls durch ein Reichskonkordat feste Gestalt gewinnen sollten, war diesem Schreiben deutlich zu entnehmen 7.
Nr. 166. Schreiben Papst Benedikts XV. an den Reichspräsidenten Ebert vom 2. A p r i l 1919 (Deutsche Übersetzung: F. v. Lama, Papst und Kurie i n ihrer Politik nach dem Weltkrieg, 1925, S. 84f.) Dem ausgezeichneten, ehrenwerten Manne, Friedrich Ebert, übersendet Papst Benedikt XV. Gruß und Heil. Wir erhielten Deinen Brief, in welchem D u in Deiner Liebenswürdigkeit uns die Nachricht sandtest, daß D u am 10. Februar 8 in der Nationalversammlung Deutschlands zum Präsidenten des Reichs gewählt wurdest und daß D u dieses A m t angenommen hast. Wir danken Dir für Deinen Brief und beglückwünschen Dich zu der Dir übertragenen hohen Würde, und dies umsomehr, als Wir sehen, daß D u Sorge dafür tragen wirst, daß die zwischen Unserem Apostolischen Stuhle und dem Deutschen Reiche bestehenden Beziehungen nicht nur unverändert bleiben, sondern noch fester werden sollen. Mit Recht nimmst D u an, daß es an unserer Mitarbeit hierzu nicht mangeln wird. Indem Wir die Äußerungen Deiner Ehrerbietung und Liebenswürdigkeit erwidern, erbitten Wir von Gott alles Segensreiche und Glückliche.
II. Die Errichtung der päpstlichen Nuntiatur in Berlin Nicht nur von kirchlicher, sondern auch von staatlicher Seite aus erschien es als angemessen, offene Fragen der wechselseitigen Beziehungen in der Form von Konkordaten oder Staatskirchenverträgen zu regeln 1. Denn die staatliche AnerkenBürgerzeitung"; seit 1900 Mitglied der Bremer Bürgerschaft (Führer der sozialdemokratischen Fraktion). 1905 Mitglied des Parteivorstands, 1913 zweiter, 1917 erster Vorsitzender der SPD; 1912-18 MdR. Vom 10. November 1918 bis 11. Februar 1919 Mitglied des Rats der Volksbeauftragten. Vom 19. Januar bis 13. Februar 1919 MdWeimNatVers.; am 11. Februar 1919 durch die Weimarer Nationalversammlung zum Reichspräsidenten gewählt. Dieses A m t hatte er bis zu seinem Tod am 25. Februar 1925 inne. 7 Vgl. K. Repgen, Die Außenpolitik der Päpste i m Zeitalter der Weltkriege, in: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. V I I (1979/1985), S. 36ff.; K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I (1977), S. 65ff.; St. A. Stehlin, Weimar and the Vatican 1919-1933 (1983), S. 22 ff. 8 Gemeint ist der 11. Februar 1919. 1 Zum Grundsätzlichen und zur Literatur: E. R. Huber, Verträge zwischen Staat und Kirche i m Deutschen Reich (1930); ders., Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 900ff.; G. May, Die Konkordatspolitik des Heiligen Stuhls von 1918 bis 1974, in: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. V I I (1979/1985), S. 179ff.
II. Die Errichtung der päpstlichen Nuntiatur in Berlin
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nung der kirchlichen Eigenständigkeit bedeutete, daß das Verhältnis beider Mächte im Sinn der Gleichordnung zu verstehen war. Die Bemühungen um die umfassende Neugestaltung des deutschen Staatskirchenrechts setzten deshalb bald nach der Novemberrevolution ein. An ihrer Spitze stand der schon vor 1918 mehrfach erwogene Plan eines Reichskonkordats 2. Die Initiative zur Wiederaufnahme dieser Pläne ging Ende 1919 von dem päpstlichen Nuntius in München Eugenio Pacelli 3 aus. Die Reichsregierung griff diese Pläne seit dem Frühjahr 1920 vor allem auch deshalb auf, weil sie sich von guten und geregelten Beziehungen zum Vatikan eine Stärkung ihrer außenpolitischen Stellung erhoffte. Die entscheidende Voraussetzung für weitere Schritte lag in der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und der Kurie. Das Reichskabinett Müller 4 wandelte deshalb am 30. April 1920 die preußische Gesandtschaft beim Vatikan, die der Gesandte v. Bergen 5 seit 1919 leitete, in eine Botschaß des Reichs um. Papst Benedikt XV. ernannte am 14. Juni 1920 Eugenio Pacelli zum Apostolischen Nuntius bei der Reichsregierung; Pacelli hatte seitdem die Nuntiaturen in Berlin und München zugleich inne. Die Ansprachen des neu ernannten Nuntius und des Reichspräsidenten bei der Übergabe des Beglaubigungsschreibens am 30. Juni 1920 (Nr. 167, Nr. 168) zeigten den Willen beider Seiten, den Plan eines Reichskonkordats zu verwirklichen 6.
Nr. 167. Ansprache des päpstlichen Nuntius in Berlin Pacelli bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens am 30. Juni 1920 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 100, 1920, S. 128) Herr Präsident! Es ist mir eine große Ehre, Ihnen, Herr Reichspräsident, das päpstliche Schreiben zu überreichen, welches mich als den ersten apostolischen Nuntius bei dem Deutschen Reich beglaubigt. Die Errichtung der Reichsbotschaft bei dem Heiligen Stuhl i n Rom und die Gründung einer apostolischen Nuntiatur in Berlin stellen ein Ereignis von historischer Bedeutung i n der Entwicklung der 2 Dazu G. O. Sleidan ( = G. Ohlemüller), Beitrag zu den Konkordatsverhandlungen zwischen Deutschland und dem Vatikan (1922); G. Schreiber, Der erste Entwurf des Reichskonkordats (1920/ 21), in: H. Conrad/H. Kipp (Hrsg.), Gegenwartsprobleme des Rechts, Festschrift G. J. Ebers (1950), S. 159ff.; E. Deuerlein, Das Reichskonkordat (1956), S. 7ff.; R. Morsey, Zur Vorgeschichte des Reichskonkordats aus den Jahren 1920 und 1921, in: ZRG, Kan. Abt. 44 (1958), S. 237ff.; G. Franz-Willing, Die bayerische Vatikangesandtschaft 1803-1934 (1965), S. 163ff.; L . Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 (1972), S. 5 ff. 3 Eugenio Pacelli : Staat und Kirche, Bd. III, S. 858. 4 Herrmann Müller: oben S. 222, Anm. 1. 5 Diego v. Bergen (1872-1944), Jurist; seit 1895 i m ausw. Dienst; 1911 Vortr. Rat im Ausw. A m t und Leiter der polit. Abt.; 1919-20 preuß. Gesandter und 1920-43 deutscher Botschafter beim Vatikan. 1925-34 war er außerdem erneut als preuß. Gesandter beim Hl. Stuhl akkreditiert; darin lag ein Ausgleich dafür, daß trotz der Alleinzuständigkeit der Reichsregierung für die auswärtigen Beziehungen Deutschlands auch Bayern i n der Weimarer Zeit weiterhin eine eigene Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl unterhielt, die bis 1934 von Otto Frh. v. Ritter zu Groenesteyn (Staat und Kirche, Bd. III, S. 459, Anm. 8) geleitet wurde. 6 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 909.
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10. Kap.: Das Reich und die katholische Kirche
Beziehungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und Deutschland dar und gleichzeitig die feierliche Anerkennung des wohltätigen und unparteiischen Wirkens des Heiligen Vaters, der, erhaben über die menschlichen Leidenschaften, wie er während des Krieges der Verteidiger des Rechts, ein Bote der Liebe und ein Förderer eines gerechten Friedens war, so auch heute nicht aufhört, mit nimmer müder väterlicher Hand das durch den unseligen Kampf angerichtete Elend zu lindern und die Versöhnung der Völker machtvoll anzustreben, gestützt auf die christlichen Grundsätze von Wahrheit und Gerechtigkeit. U m aber dem deutschen Volke, das neuerdings so tiefgreifende Umwandlungen erfahren hat, die ständige Ruhe wiederzugeben, die für jeglichen dauerhaften Fortschritt notwendig ist, erachtet Seine Heiligkeit als von höchster Wichtigkeit die Eintracht zwischen den zwei Gewalten, der kirchlichen und der bürgerlichen. Aus diesem Grunde hat mir der allerhöchste Oberhirte den hohen Auftrag erteilt, mit den zuständigen Autoritäten die Beziehungen zwischen Kirche und Staat i n Deutschland von neuem so zu regeln, wie es der neuen Lage und den heutigen Bedürfnissen entspricht. Bei dieser Mission für den Wiederaufbau und den Frieden, die mein erhabenster Souverän meinen schwachen Kräften anvertraut hat, habe ich die feste Zuversicht, daß mir die wirksame Mithilfe der hohen Reichsregierung nicht mangeln wird. Was mich betrifft, so werde ich meine ganze Kraft daransetzen, die Beziehungen zwischen dem Hl. Stuhl und Deutschland zu pflegen und weiter zu festigen, überzeugt, daß auf diese Weise, während die religiösen Interessen der katholischen Bevölkerung geschützt bleiben, andererseits auch das Wohl des Staates mächtig unterstützt und gefördert wird.
Nr. 168. Erwiderung des Reichspräsidenten Ebert auf die Ansprache des Nuntius Pacelli am 30. Juni 1920 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 100, 1920, S. 128f.) Herr Nuntius! Ich danke Eurer Exzellenz von Herzen für Ihre freundlichen Worte. Es ist mir eine ganz besondere Genugtuung, als ersten bei der Reichsregierung beglaubigten Botschafter den apostolischen Nuntius begrüßen zu können, durch dessen Entsendung die längst erwünschten unmittelbaren diplomatischen Beziehungen zwischen dem päpstlichen Stuhl und der deutschen Regierung hergestellt werden. Gleich Eurer Exzellenz erblicke auch ich in der Errichtung der deutschen Botschaft beim päpstlichen Stuhl und i n der apostolischen Nuntiatur in Berlin Errungenschaften von weittragender Bedeutung. Eine besondere Freude ist es mir, daß die Wahl eines erhabenen Souveräns gerade auf Eure Exzellenz gefallen ist, deren bisheriges erfolgreiches Wirken von so gründlicher Kenntnis und so verständnisvoller Beurteilung der deutschen Verhältnisse zeugt. M i t Ihnen, Herr Nuntius, denke ich an 7 die vor uns liegende Aufgabe, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Deutschland neu zu regeln. Das soll geschehen auf Grund der Verfassung der Republik, die vollste Gewissensfreiheit verbürgt. Die Reichsregie7
„an" fehlt versehentlich i n der Vorlage.
III. Die Bemühungen u m ein Reichskonkordat 1920-1922
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rung ist sich bewußt, daß hier eine die berechtigten Interessen beider Teile dauernd befriedigende Einigung erstrebt werden muß. Sie dürfen des größten Verständnisses und Entgegenkommens auf deutscher Seite von vornherein versichert sein. Darüber hinaus liegen vor uns allen Aufgaben von größtem Ernst. Die Beziehungen zwischen den europäischen Völkern müssen i m Geist des Friedens und Vertrauens wieder aufgerichtet werden. Deutschland ist entschlossen, hieran mit allen Kräften mitzuarbeiten. Soll diese weltgeschichtliche Aufgabe gelöst werden, dann müssen sich alle Völker zu den Gedanken der Nächstenliebe und Versöhnung bekennen, deren unermüdlicher Verkündiger Seine Heiligkeit der Papst stets gewesen ist. Ich gedenke dabei seiner priesterlichen Mahnung zum Völkerfrieden 8 , seiner nie rastenden Liebestätigkeit für die Kriegsgefangenen und die hungernden Kinder, seiner von heiligem Ernst erfüllten Kundgebung über die Wiederherstellung des Weltfriedens 9 . Durch dieses von tätiger Menschenliebe getragene Wirken hat sich seine Heiligkeit der Papst den Dank der ganzen Welt erworben. Indem ich Ihr Beglaubigungsschreiben entgegenzunehmen die Ehre habe, heiße ich Eure Exzellenz i m Namen der Regierung der deutschen Republik als ersten apostolischen Nuntius in Berlin herzlich willkommen.
I I I . Die Bemühungen um ein Reichskonkordat 1920-1922 Nach dem Regierungsantritt des Reichskanzlers Fehrenbach 1 und der Übernahme der neu geschaffenen Reichsnuntiatur durch Pacelli begannen intensive Verhandlungen über ein Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich. Nachdem zunächst Klarheit darüber geschaffen war, daß gleichzeitig auch Bayern seine Verhandlungen über ein Konkordat fortsetzen könne 2, legten die Reichsminister Simons 3 und Koch-Weser 4 am 6. Januar 1921 die für die Reichsregierung maßgeblichen Richtlinien für das Reichskonkordat fest (Nr. 169). Während die Landesregierungen von Baden und Württemberg dem geplanten Vorgehen des Reichs zustimmten 5, verhielt sich die preußische Regierung gegenüber dem Plan 8 9 1
Siehe Staat und Kirche, Bd. ΠΙ, Nr. 200, Nr. 210. Unten Nr. 204.
Konstantin Fehrenbach: oben S. 223, Anm. 2. Schreiben des Vatikanreferenten i m Ausw. A m t Delbrück an Ministerialdirektor v. Simson sowie an das Ausw. A m t vom 18. September 1920 CR. Morsey, Zur Vorgeschichte des Reichskondordats aus den Jahren 1920 und 1921, in: ZRG, Kan. Abt. 44, 1958, S. 247, 248ff.). Vgl. St. A. Stehlin, Weimar and the Vatican 1919-1933 (1983), S. 368ff. 3 Walter Simons: Staat und Kirche, Bd. III, S. 709, Anm. 19. 4 Erich Koch-Weser: oben S. 220, Anm. 2. 5 Schreiben des Reichsinnenministers Koch an die Regierungen der größeren deutschen Länder vom 6. Januar 1921 (Text: E. Deuerlein, Das Reichskonkordat, 1956, S. 17 f.); Antwortschreiben des württembergischen Kultusministers Hieber vom 22. Januar 1921 (ebenda S. 20); Antwortschreiben des badischen Kultusministers Hummel vom 18. Februar 1921 (ebenda S. 21 f.). Besprechung des Reichsaußenministers Simons mit den Mitgliedern der württembergischen Regierung am 14. Februar 1921 i n Stuttgart (ebenda S. 20f.). 2
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10. Kap.: Das Reich und die katholische Kirche
einer einheitlichen Regelung durch das Reich ablehnend 15. Dagegen bekarrte die Reichsregierung darauf, daß im Reichsinteresse eine einheitliche Neuordnung der Beziehungen zum Heiligen Stuhl notwendig sei. Die Ergänzung des geplanten Reichskonkordats durch Länderkonkordate erkannte sie ausdrücklich als möglich an1. Im Sommer 1921 griff der neue Reichskanzler Wirth 8 die Konkordatspläne wieder auf. Um ein Einvernehmen mit den Ländern herzustellen, entsandte er den Zentrumsführer Ludwig Kaas 9 zu direkten Verhandlungen nach Rom. Nach weiteren Verhandlungen zwischen Wirth und Pacelli legte dieser am 15. November 1921 die Vorschläge der Kurie für ein Konkordat vor (Nr. 170) 10. Der Vatikanreferent des Auswärtigen Amts Richard Delbrück 11 versah Pacellis Vorschläge mit detaillierten Anmerkungen. Auf deren Grundlage entstand gegen Ende des Jahres 1921 Delbrücks Referentenentwurf für ein Reichskonkordat (Nr. 171). Er griff einerseits unmittelbar auf die Garantiebestimmungen der Reichsverfassung zurück, verband diese jedoch andererseits mit weitgehenden Zugeständnissen an die katholische Kirche, so insbesondere durch eine bedingungslose Garantie des Fortbestands katholischer Bekenntnisschulen. Im staatlichen Interesse führte Delbrücks Vorschlag die „politische Klausel" bei der Ernennung von Bischöfen ein. Das weitgehende Entgegenkommen gegenüber den Wünschen der katholischen Kirche entsprach dem staatlichen Interesse daran, die Unterstützung des Vatikans in der angespannten politischen Lage der Jahre 1920/21, insbesondere im Kampf um das Rheinland, das Saargebiet und Oberschlesien, zu erlangen. Infolge einer Indiskretion wurden die Vorschläge des Vatikans im Dezember 1921 veröffentlicht 12. Dies trug zur Verzögerung der Verhandlungen bei. Zwar kam es nach dem Tod Papst Benedikts XV. und dem Amtsantritt Papst Pius XI. 13 im Mai 1922 zu erneuten Gesprächen zwischen Pacelli und Delbrück. Doch einerseits war die Reichspolitik nun vorrangig durch den Reparationskonflikt, die Währungskrise
b Schreiben des preußischen Ministerpräsidenten Braun an den Reichsinnenminister Koch vom 19. Januar 1921 (ebenda S. 19 f.). 7 Schreiben des Reichsinnenministers Koch an die Regierungen der größeren deutschen Länder vom 25. Februar 1921 (Text: ebenda S. 21 f.). 8 Joseph Wirth: oben S. 168, Anm. 4. 9 Ludwig Kaas: oben S. 123, Anm. 23. 10 Diese deckten sich in weitem Umfang mit einer älteren, durch den Hl. Stuhl approbierten Punktation Pacellis vom 1. Mai 1920 (Text: L . Volk, Kirchliche A k t e n über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, 1969, S. 277ff.). 11 Richard Delbrück (1875-1957), Archäologe; 1907 Privatdozent, 1909 ao. Professor in Bonn; 1911 Erster Sekretär des Dt. Archäologischen Instituts i n Rom; 1915 Referent i m preuß. Kriegsministerium; 1920-22 als Nachfolger v. Bergens (oben S. 277, Anm. 5) Vatikan-Referent i m Ausw. A m t ; 1922 Prof. in Gießen, 1928 in Bonn. 12 Nämlich i n der Frankfurter Zeitung vom 10. Dezember 1921 (dazu Morsey, a.a.O., S. 261f.). 13 Papst Pius X L , (Achille Ratti; 1857-1939), seit 1879 kath. Priester; nach Lehrtätigkeit und Bibliotheksdienst an der Ambrosiana i n Mailand seit 1914 Präfekt der Vatikanischen Bibliothek (als Nachfolger von Franz Ehrle); 1918-20 Apostolischer Visitator und Nuntius in Polen, durch die Wirren der Nachkriegszeit zum Abbruch dieser Tätigkeit gezwungen; 1921 Erzbischof von Mailand und Kardinal; vom 6. Februar 1922 bis zu seinem Tod am "10. Februar 1939 Papst.
III. Die Bemühungen u m ein Reichskonkordat 1920-1922
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und die schweren innenpolitischen Auseinandersetzungen in Anspruch genommen. Andererseits traten die Vorbereitungen des bayerischen Konkordats sowie die ungeklärte Frage des Reichsschulgesetzes dem Abschluß eines Reichskonkordats hindernd in den Weg. Deshalb setzte das Reichskabinett Cuno 14 die Bemühungen um das Reichskonkordat nicht weiter fort 15.
Nr. 169. Richtlinien für das Reichskonkordat („Koch-Weser-Richtlinien") vom 6. Januar 1921 CE. Deuerlein, Das Reichskonkordat, 1956, S. 18f.) 1. Alle katholischen Geistlichen, die in Deutschland ein geistliches A m t bekleiden oder eine seelsorgerische oder Lehrtätigkeit ausüben, müssen deutsche Staatsangehörige sein. Das gleiche gilt für die Oberen der geistlichen Orden. 2. Alle katholischen Geistlichen, die i n Deutschland ein geistliches A m t bekleiden, müssen das Reifezeugnis eines staatlichen oder staatlich zugelassenen deutschen humanistischen Gymnasiums erworben und mindestens drei Jahre auf einer deutschen Universität, einem deutschen bischöflichen Seminar oder einer von dem zuständigen Bischof als gleichwertig erachteten deutschen Ordensanstalt studiert haben. Das Studium an den Anstalten i n R o m 1 6 w i r d hierbei angerechnet. Bezüglich der Anrechnung des Studiums auf deutschsprachlichen Anstalten i m Ausland werden besondere Grundsätze aufgestellt. 3. Die Domkapitel werden in der bisherigen Weise ergänzt. Soweit der Staat bisher ein Besetzungsrecht hatte, geht dies auf die Domkapitel über. 4. Die Wahl der Bischöfe erfolgt durch die Domkapitel. 5. Die Fragen der Abänderung von Diözesangrenzen werden jeweils Gegenstand besonderer Verhandlungen sein. 6. Die Beibehaltung und Ermöglichung der Neueinrichtung römisch-katholischer Bekenntnisschulen sowie die Erteilung des Religionsunterrichts w i r d gewährleistet. 14
Wilhelm Cuno (1876-1933), während des Jurastudiums Mitglied des kath. Cartellverbands (CV); preuß. Reg.Ass.; seit 1907 i m Reichsschatzamt (1912 Geh. Reg.Rat); 1916 Leiter der Reichsgetreidestelle; dann Generalreferent für Kriegswirtschaft i m Reichsschatzamt; Ende 1917 i m Direktorium der Hapag (Ende 1918 deren Generaldirektor); vom 22. November 1922 bis 12. August 1923 Reichskanzler (parteilos); dann erneut i m Direktorium der Hapag (1926-33 wieder Generaldirektor). 15 Ende 1922 schied der Vatikanreferent Delbrück aus dem Reichsdienst. Sein Nachfolger war Herrmann Meyer-Rodehüser (1883-1943), Dr. phil, seit 1920 Leiter des Hauptarchivs des Ausw. Amts, 1923-24 zugleich Korreferent i m VatikanReferat; 1924-29 dessen Leiter (Vortr. Leg.Rat); 1929-31 Botschaftsrat an der dt. Botschaft am Vatikan; 1931-35 Generalkonsul in Marseille. — Zum Ganzen siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 909ff. sowie die zusätzlichen Dokumente bei A. Kupper, Staatliche A k t e n über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933 (1969), S. 435ff. und die Darstellung bei L. Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 (1970), S. Iff. 16 Gedacht ist vor allem an das Collegium Germanicum in Rom (gegründet 1552).
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10. Kap.: Das Reich und die katholische Kirche
7. Grundsätzliche Einigung über die Ablösung der Staatsleistungen an die katholische Kirche. 8. Völlige Freilassung der Ordensniederlassungen entsprechend der Verfassung, jedoch unter Berücksichtigung von 1. 9. Die Kurie verwendet sich dafür, daß die Arbeit deutscher Missionare in den Gebieten der bisher feindlichen Länder keine Beschränkung erfährt. Sollte dies nicht erreichbar sein, so w i r d sie den deutschen Missionaren Missionsgebiete zuweisen, i n denen diese nicht genötigt sind, unter Oberen einer anderen Staatsangehörigkeit zu wirken.
Nr. 170. Punktation des Vatikans für ein Reichskonkordat vom 15. November 192117 (R. Morsey, Zur Vorgeschichte des Reichskonkordats aus den Jahren 1920 und 1921, in: ZRG, Kan. Abt. 44, 1958, S. 254ff.) I. Die Kirche übt ihre Gewalt unabhängig von der Zivilbehörde aus 1 8 ; insbesondere ist sie unabhängig und frei: 1. i n der Darlegung und der Verkündigung der katholischen Lehre; 2. in der Abhaltung des Gottesdienstes und sonstiger religiöser Übungen wie Prozessionen, Wallfahrten, Volksmissionen, geistlicher Exerzitien usw.; 3. in der Spendung der Sakramente und Sakramentalien 1 9 einschließlich der Einsegnung der Ehe, welche auch vor dem Zivilakte stattfinden kann; 4. i n der Ausübung der kirchlichen Gesetzgebungsgewalt, in der Einrichtung der kirchlichen Verwaltung, in der Ausübung der kirchlichen Gerichtsbarkeit und Strafgewalt; 5. in der Errichtung, Änderung und Aufhebung der kirchlichen Ämter, Benefizien und Amtsbezirke 2 0 ;
17 Diese Punktation wurde vom Vatikan-Referenten des Auswärtigen Amts Richard Delbrück mit ausführlichen Korrekturen bzw. Gegenvorschlägen versehen. Diese Formulierungen werden i n den folgenden Anmerkungen mit der Sigle D vermerkt. 18 D ergänzt i m Anfang des Satzes „Katholische Kirche"; ferner heißt es statt „unabhängig von der Zivilbehörde" bei D: „innerhalb der Grenzen der für alle geltenden Gesetze selbständig". 19 Der Rest des Satzes bei D gestrichen. Statt dessen: „Das Sakrament der Ehe kann jedoch nur i n Fällen schwersten sittlichen Notstandes vor der Ziviltrauung gespendet werden; der Pfarrer ist in solchen Fällen verpflichtet, dem Standesamt vorher Anzeige zu machen." 20 D ergänzt an dieser Stelle: „Hinsichtlich der Diözesangrenzen i m besonderen w i r d vereinbart, daß sie unverändert bleiben, ausgenommen die Dekanate Eupen und Malmedy, die aus dem Verbände der Erzdiözese K ö l n ausscheiden, sowie die polnisch gewordenen Diözesen, deren bei Deutschland verbliebenen Teile baldigst deutschen Diözesen angegliedert werden sollen. Die kirchlichen Verhältnisse i m Freistaat Danzig und i n dem Polen zuerkannten Teile Oberschlesiens werden durch die Kurie besonders geregelt."
III. Die Bemühungen u m ein Reichskonkordat 1920-1922
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6. in Erwerb, Verwaltung und Verwendung des kirchlichen Vermögens; 7. in der Errichtung religiöser Orden und Vereine; 8. in der Ausübung der kirchlichen Caritas; 9. in der Einführung und Erhaltung eigener Begräbnisstätten. II. I n Ausübung ihres Amtes genießen die Geistlichen den Schutz des Staates, der Verunglimpfungen ihrer Person und Störungen ihrer Amtshandlungen nicht zuläßt und etwaige Vergehen ahndet. Kleriker und Religiösen sind frei von der Übernahme des Geschworenen- und Schöffenamtes bei den staatlichen Gerichten. ΙΠ. Der Staat anerkennt 2 1 die katholische Kirche und ihre Institute (Bischofssitze, Kapitel, Seminare, Pfarreien usw.) 2 2 als Körperschaften u n d 2 3 juristische Personen 24 des öffentlichen Rechtes mit den daraus sich ergebenden Rechten. Die kirchlichen Amtspersonen genießen grundsätzlich die den öffentlichen Beamten zustehenden Vorrechte. Sie leisten dem Staate keinen Diensteid 2 5 . IV. Die Kirche h a t 2 6 das volle und freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne M i t w i r k u n g des Staates oder der Gemeinden 2 7 . Das Privatpatronatsrecht bleibt aufrecht erhalten, soweit es nach den kanonischen Bestimmungen noch zu recht besteht. V. Die Errichtung, Leitung und Verwaltung der Priester- und Knabenseminarien sowie der Konvikte steht unabhängig von der Zivilgewalt 2 8 ausschließlich der kirchlichen Behörde zu. Die mit den Knabenseminarien verbundenen Gymnasien
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Diese drei Worte sind von D gestrichen. D ergänzt: „können die Eigenschaft". 23 Das „und" ist bei D gestrichen. Statt dessen: „des öffentlichen Rechts oder als". 24 Das Folgende von D gestrichen. Statt dessen: „auf Grund der gesetzlichen Voraussetzungen erlangen". 25 Dieser Absatz ist von D gestrichen. 26 D ergänzt: „grundsätzlich". 27 Der folgende Satz ist von D gestrichen. Statt dessen: „Es besteht jedoch Einvernehmen über folgende Punkte: 1. Alle katholischen Geistlichen, die in Deutschland ein geistliches A m t bekleiden oder eine seelsorgerische oder Lehrtätigkeit ausüben, müssen deutsche Staatsangehörige sein. Das Gleiche gilt für die Oberen geistlicher Orden. 2. Alle katholischen Geistlichen, die in Deutschland ein geistliches A m t bekleiden, müssen ferner das Reifezeugnis eines staatlichen oder staatlich zugelassenen deutschen humanistischen Gymnasiums erworben und mindestens drei Jahre auf einer deutschen Universität, einem deutschen bischöflichen Seminar oder einer von dem zuständigen Bischof als gleichwertig erachteten deutschen Anstalt studiert haben. Das Studium an den Anstalten i n Rom w i r d angerechnet. Bezüglich der Anrechnung des Studiums auf deutschsprachlichen Anstalten i m Auslande werden besondere Grundsätze aufgestellt. 3. Die Domkapitel werden i n der bisherigen Weise ergänzt. Soweit der Staat bisher ein Besetzungsrecht hatte, geht dies auf die Domkapitel über. 4. Die Wahl der Bischöfe erfolgt durch die Domkapitel." 28 Statt: „unabhängig von der Zivilgewalt" setzt D: „innerhalb der Grenzen des Gesetzes". 22
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10. Kap.: Das Reich und die katholische Kirche
haben die Berechtigungen der öffentlichen Gymnasien, falls sie die für Anstalten gleicher A r t lehrplanmäßigen Vorbedingungen i m wesentlichen erfüllen. Die Kirche hat das Recht, zur Ausbildung des Klerus philosophische und theologische Lehranstalten zu errichten, welche ausschließlich von der kirchlichen Behörde abhängen. Die Ernennung oder Zulassung der Professoren und Dozenten an den theologischen Fakultäten der Universitäten w i r d staatlicherseits erst erfolgen, wenn die in Aussicht genommenen Kandidaten von dem zuständigen Diözesanbischof die kanonische Bestätigung erhalten haben. Sollte einem der genannten Professoren oder Dozenten von dem Diözesanbischofe wegen seiner Lehre oder seines sittlichen Verhaltens auf Grund eines kanonischen Straf- oder Verwaltungsverfahrens die erteilte Bestätigung entzogen werden, so w i r d i h n 2 9 die Staatsregierung seines Lehramtes bzw. Lehrauftrags entheben 3 0 und nach Maßgabe des Abs. 3 Ziffer V für Ersatz sorgen. Aufnahmebestimmungen, Studienprogramm und Unterricht an den theologischen Fakultäten sind 3 1 so einzurichten, wie es den Vorschriften des kanonischen Rechtes und den Bedürfnissen der Kandidaten des Priesterstandes entspricht. Der Bischof hat das Recht, sich hierüber in geeigneter Weise zu vergewissern. A n denjenigen Universitäten, an welchen eine katholisch-theologische Fakultät besteht oder nachträglich errichtet werden sollte, w i r d in der philosophischen Fakultät wenigstens ein Professor der Philosophie und der Geschichte angestellt, der nach dem Urteil des Diözesanbischofs auf katholisch-kirchlichem Standpunkt steht 3 2 . VI. Der Religionsunterricht ist i n allen 3 3 Mittelschulen, Gymnasien und anderen mittleren und höheren Lehranstalten ordentliches Lehrfach. Bei der Bestellung von Religionslehrern an den mittleren und höheren Lehranstalten findet Verständigung zwischen dem Bischof, der dieselben benennt 3 4 , und der Regierung statt. Jene, welche der Diözesanbischof auf G r u n d 3 5 ihrer Lehre oder ihrer sittlichen Führung zur Fortführung ihres Lehramtes für unfähig oder ungeeignet erklärt 3 6 , werden ihres Amtes enthoben. VII. Der Staat sorgt für eine genügende Anzahl von katholischen Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten, deren Besuch für die Lehrer und Lehrerinnen, welche an katholischen Schulen angestellt werden wollen 3 7 , verpflichtend ist. Zur 29
31. Das „ihn" ist bei D gestrichen. Statt: „seines Lehramtes bzw. Lehrauftrags entheben" setzt D: „seinen Lehrauftrag zurücknehmen". Der Rest des Satzes ist bei D gestrichen. 31 D ergänzt: „ i n gegenseitigem Einvernehmen". 32 Dieser ganze Absatz ist von D gestrichen. 33 D ergänzt: „katholischen". 34 Die letzten drei Worte von D gestrichen. 35 Statt: „der Diözesanbischof auf Grund" setzt D: „auf Grund eines kanonischen Straf- oder Verwaltungsverfahrens wegen". 36 D ergänzt: „werden, dürfen, so lange dieses Hindernis besteht, nicht als Religionslehrer verwendet werden". Der Rest des Satzes ist von D gestrichen. 37 D ergänzt: „für mindestens die Hälfte ihrer Studienzeit". 30
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Beurteilung der Eignung für die Erteilung des Religionsunterrichtes bzw. Anstellung an konfessionellen Schulen 3 8 w i r d der Kirche das Recht eingeräumt, an der Prüfung der Lehramtskandidaten m i t z u w i r k e n 3 9 bzw. Kommissare zu entsenden. Die privaten Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten sind den staatlichen gleichgestellt, wenn sie die für letztere geltenden unterrichtlichen 4 0 Vorbedingungen i m wesentlichen erfüllen. Betreffs der Zulassung zum Lehramte und der Anstellung an Volksschulen oder mittleren und höheren Lehranstalten gelten für Angehörige von Orden oder religiösen Kongregationen keine anderen Vorbedingungen als für Laien. VIII. I n allen Gemeinden, i n denen Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte es beantragen, müssen katholische Volksschulen errichtet werden, wenn die Zahl der dafür angemeldeten Schüler einen geordneten Schulbetrieb wenigstens in einfacher Form ermöglicht. I X . I n den 4 1 Volksschulen bleibt der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach. Stundenplan und Lehrplan dieses Religionsunterrichts werden i m Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde festgesetzt. Für diese Festsetzung ist i m wesentlichen der derzeitige Stand maßgebend. I n jenen Volksschulen, in welchen nach den zur Zeit 4 2 geltenden Bestimmungen Religionsunterricht nicht ordentliches Lehrfach ist, w i r d wenigstens die Erteilung eines privaten Religionsunterrichts durch die Bereitstellung der Schulräume, sowie durch Beheizung und Beleuchtung derselben aus staatlichen und gemeindlichen Mitteln sichergestellt. Den Schülern der Volksschulen, Mittelschulen oder höheren Lehranstalten w i r d i m Benehmen mit den kirchlichen Behörden geeignete und ausreichende Gelegenheit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten gegeben. X . Die Beaufsichtigung und Leitung 4 3 des Religionsunterrichtes an den Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten steht der Kirche zu, welche dieselbe durch die von ihr bestellten Organe ausübt. Weiterhin wählt die Kirche nach Benehmen mit der Regierung die Religionslehrbücher aus. Dem Bischof und seinen Beauftragten steht das Recht zu, Mißstände i m religiössittlichen Leben der katholischen Schüler wie auch nachteilige oder 4 4 ungehörige Beeinflussung der katholischen Schüler in der Schule, insbesondere 45 etwaige Verletzungen ihrer Glaubensüberzeugung oder ihrer religiösen Empfindungen i m Unterrichte bei der staatlichen Aufsichtsbehörde zu beanstanden, die für entsprechende Abhilfe Sorge tragen wird.
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„bzw. Anstellung an konfessionellen Schulen" von D gestrichen. Statt: „mitzuwirken" setzt D: „beizuwohnen". Dieses Wort von D gestrichen. D ergänzt: „katholischen". „zur Zeit" von D gestrichen. „und Leitung" von D gestrichen. „nachteilige oder" von D gestrichen. Von hier bis „ i m Unterrichte" von D gestrichen.
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10. Kap.: Das Reich und die katholische Kirche
Der Staat w i r d dafür Sorge tragen, daß an konfessionellen Schulen nur solche 46 Lehrer 4 7 angestellt werden 4 8 , welche nach dem Urteile des Bischofs geeignet und willens sind, den Religionsunterricht zu erteilen. Die Lehrer, welche an konfessionellen Schulen die Erteilung des Religionsunterrichtes ablehnen oder nachweislich von der Übereinstimmung mit der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre abweichen, sind auf Beschwerde der Kirche oder der Erziehungsberechtigten i m Interesse des Dienstes zu versetzen 49 . X I . Orden und religiöse Kongregationen sind unter den allgemeinen gesetzlichen Bedingungen zur Gründung und Führung von Privatschulen berechtigt. Diese Privatschulen geben die gleichen Berechtigungen wie die staatlichen Schulen, soweit sie die lehrplanmäßigen Vorschriften für letztere i m wesentlichen erfüllen. X I I . I n den Schulverwaltungsorganen erhält die Kirche gesetzlich eine stimmberechtigte Vertretung 5 0 . Für das Heer, die Straf-, Fürsorge- und Pflegeanstalten sowie die Krankenhäuser und ähnlich öffentliche Anstalten w i r d eine regelmäßige Seelsorge eingerichtet, für die der Diözesanbischof eine entsprechende Anzahl von Geistlichen anstellt 5 1 . Soweit es sich u m staatliche oder vom Staate unterstützte Anstalten handelt, sorgt der Staat für Bereitstellung der für die Abhaltung des Gottesdienstes und die Seelsorge notwendigen Mittel. D e r 5 2 Staat verpflichtet sich, die i m Rahmen ihrer Zuständigkeit erlassenen Anordnungen und Urteile der kirchlichen Behörden anzuerkennen und zu ihrer Ausführung i m Bedarfsfalle seine Unterstützung zu gewähren, wenn dieselbe erbeten w i r d 5 3 . X I I I . Orden und religiöse Genossenschaften können frei gegründet werden und unterliegen von Seiten des Staates keiner Beschränkung in bezug auf ihre Niederlassungen sowie die Zahl und die Eigenschaften ihrer Mitglieder. Soweit sie bisher die Rechte einer juristischen Person besessen haben, bleiben ihnen dieselben gewahrt; die übrigen erlangen die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen. Ihr Eigentum und ihre anderen Rechte werden ihnen gewährleistet. Sie verwalten ihr Vermögen und ordnen ihre Angelegenheiten unabhängig vom Staate. Ihre Tätigkeit i n der Seelsorge, i m Unterricht, in der Pflege der Kranken und in den Werken der Caritas ist f r e i 5 4 .
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Statt „nur solche" hat D: „ i n der Regel". D ergänzt: „gleichen Bekenntnisses". 48 Der Rest des Satzes ist von hier an bei D gestrichen. 49 Dieser ganze Absatz von D gestrichen. 50 Dieser Satz von D gestrichen. 51 Der folgende Satz ist von D gestrichen und statt dessen gesetzt: „Die Ausübung ihrer Tätigkeit w i r d vom Staat tunlichst erleichtert." 52 Vor diesem Absatz steht in der Vorlage „ X I V " . 53 Dieser Absatz ist von D gestrichen. 54 Statt: „ist frei" setzt D: „unterliegt keiner besonderen Beschränkung". 47
III. Die Bemühungen u m ein Reichskonkordat 1920-1922
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X I V . Der Staat w i r d seinen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden vermögensrechtlichen Verpflichtungen gegen die katholische Kirche auch fernerhin nachkommen. Als solche Rechtstitel werden unter anderem ausdrücklich aufgeführt das Herkommen, die Pflichten, welche auf den ehemals vom Staat säkularisierten Gütern ruhen, die vom Reichsdeputationshauptschluß anerkannten vermögensrechtlichen Verpflichtungen, die Circumskriptionsbullen und die auf späteren Gesetzen und Übereinkommen fußenden Leistungen 5 5 . Bei der Ablösung aller dieser Leistungen w i r d der Staat dem veränderten Geldwerte und den tatsächlichen Bedürfnissen Rechnung tragen. Überdies werden auch jene i n den Circumskriptionsbullen festgelegten Verpflichtungen berücksichtigt, die der Staat bisher nicht oder nur ungenügend erfüllt h a t 5 6 . Den auf Grund des Art. 138 der Reichsverfassung zu erlassenden Reichs- und Landesgesetzgebungen muß betreffs der kirchlichen Ansprüche eine Vereinbarung mit dem Heiligen Stuhle voraufgehen. Privatrechtliche Verpflichtungen bleiben aufrecht erhalten und werden nicht abgelöst 57 . X V . Die staatlichen Gebäude und Grundstücke, die zur Zeit unmittelbar oder mittelbar kirchlichen Zwecken einschließlich den klösterlichen dienen, werden der Kirche kostenlos zur dauernden und uneingeschränkten Benutzung überlassen 58 . Der Staat w i r d der i h m obliegenden Baupflicht i m bisherigen Umfang auch fernerhin nachkommen und i m Bedarfsfalle auch für notwendige Neubauten aufkommen. X V I 5 9 . Der Kirche bleiben für immer ihr Eigentum und ihre Vermögensrechte gesichert. Sie verfügt frei über ihr Vermögen 6 0 . X V n 6 1 . Die Kirche hat das Recht, Steuern zu erheben. Der Staat w i r d diese Steuern gemeinsam mit den staatlichen gegen eine mäßige Vergütung erheben. X V I I I 6 2 . Der Staat verpflichtet sich, alle bisher erlassenen und noch in Kraft befindlichen Gesetze, Verordnungen und Verfügungen, soweit sie den obigen A r t i k e l n entgegenstehen, aufzuheben.
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Dieser Satz von D gestrichen. Dieser Satz von D gestrichen. 57 Dieser Satz von D gestrichen. 58 Statt des folgenden Satzes heißt es bei D: „wobei eine Verrechnung bei ihrer Ablösung vorbehalten wird". 59 I n der Vorlage wohl versehentlich: „ X V I I I " . 60 Dieser Satz von D gestrichen. 61 I n der Vorlage wohl versehendlich: „ X V I " . 62 I n der Vorlage wohl versehentlich: „ X V I I " . 56
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10. Kap.: Das Reich und die katholische Kirche
Nr. 171. Referentenentwurf zu einem Reichskonkordat („Delbrück-Entwurf) von Ende 1921 (E. Deuerlein, Das Reichskonkordat, 1956, S. 324ff.) Das Deutsche Reich und der Apostolische Stuhl von dem Wunsche beseelt, die glücklicherweise zwischen dem Deutschen Reich und dem Apostolischen Stuhle bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und zu fördern, gewillt, das Verhältnis zwischen dem Staate und der katholischen Kirche i m Deutschen Reich i n einer beide Teile befriedigenden Weise dauernd zu regeln, überzeugt, daß dadurch der Geist der Versöhnlichkeit und des gegenseitigen Verständnisses gefördert und damit auch dem Gedanken der Völkerversöhnung und des Weltfriedens gedient werde, haben zu Bevollmächtigten ernannt: Der Präsident des Deutschen Reiches (...) Seine Heiligkeit Papst Pius X I . (...) die, nachdem sie ihre Vollmachten geprüft und in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind: Art. I. Die katholische Kirche in Deutschland ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig. Art. II. Wenn ausnahmsweise das Sakrament der Ehe vor der bürgerlichen Eheschließung gespendet werden muß, nämlich i m Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung eines Verlobten oder i m Falle schweren sittlichen Notstandes, so erstattet der Pfarrer dem Standesamt unverzüglich Anzeige. Die jetzigen Grenzen der kirchlichen Verwaltungsbezirke bleiben bestehen, abgesehen von kleinen Änderungen innerhalb Deutschlands, die aus seelsorgerischen Gründen notwendig werden könnten. Art. III. Die kirchlichen Amtspersonen genießen grundsätzlich die Rechtsstellung, die den Staatsbeamten gegenüber dem Staat zukommt. Bei der Ausübung ihrer geistlichen Tätigkeit genießen die Geistlichen in gleicher Weise wie die Staatsbeamten den Schutz des Staates, der Beleidigungen ihrer Person oder i n ihrer Eigenschaft als katholische Geistliche und Störungen ihrer Amtshandlungen nicht zuläßt und Vergehungen ahndet. Kleriker und Mitglieder von Orden und Kongregationen sind frei von der Verpflichtung zur Übernahme öffentlicher Ämter so wie anderer persönlicher Pflichten, die mit dem geistlichen Stande nicht vereinbar sind. Dies gilt insbesondere von dem Amte eines Schöffen, eines Geschworenen, eines Mitgliedes der Steuerausschüsse oder der Finanzgerichte. Art. IV. Die Anstalten, Stiftungen und Verbände der katholischen Kirche, wie u. a. bischöfliche Stühle, Kapitel, Seminare, Kirchengemeinden, Kirchengemeindeverbände, Diözesanverbände, behalten bzw. erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.
III. Die Bemühungen u m ein Reichskonkordat 1920-1922
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Art. V. Kirchengemeinden und sonstige kirchliche Verbände haben, soweit sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, die Berechtigung, zur Befriedigung der Kirchenbedürfnisse auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten Steuern zu erheben. A u f Antrag der zuständigen kirchlichen Stellen w i r d die Verwaltung der Kirchensteuern von den Landesfinanzämtern und den Finanzämtern gegen eine mäßige Vergütung übernommen. Art. VI. Das Eigentum und andere Rechte der kirchlichen Anstalten, Stiftungen und Verbände an ihrem Besitz werden gewährleistet. Sie verfügen frei über ihr Vermögen, abgesehen von den Beschränkungen durch die Gesetzgebung über Kunstdenkmäler. Das gleiche gilt für kirchliche und karitative Vereine. Art. VII. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirche werden nach vom Reiche i m Einvernehmen mit dem päpstlichen Stuhl aufzustellenden Grundsätzen durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Zu den besonderen Rechtstiteln zählen auch das rechtsbegründende Herkommen, die Pflichten, die auf den ehemals vom Staate säkularisierten Gütern ruhen, und die i m Reichsdeputationshauptschlüsse 63 anerkannten vermögensrechtlichen Verpflichtungen. Die Ablösung muß den Ablösungsberechtigten einen vollwertigen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren. Die Ablösung der Staatsleistungen erfolgt grundsätzlich durch Vertrag mit den beteiligten Ablösungsberechtigten. Soweit ein Ablösungsvertrag nicht zustande kommt, regelt die Landesgesetzgebung die Ablösung und das Verfahren über die Ablösung nach den vom Reiche aufgestellten Grundsätzen, deren Innehaltung die Reichsregierung zu überwachen berechtigt ist. Privatrechtliche Verpflichtungen des Staates bleiben aufrechterhalten und werden nicht abgelöst. Soweit Staatsleistungen auf der Säkularisation beruhen, gelten sie nicht als privatrechtliche Verpflichtungen i m Sinne dieser Vereinbarung. Bis zur Ablösung bleiben die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen bestehen. Art. VIII. Die Benutzungsrechte der kirchlichen Anstalten, Stiftungen und Verbände an staatlichen Gebäuden und Grundstücken bleiben aufrechterhalten. Wo ein Benutzungsrecht nicht vorliegt, w i r d der Staat die berechtigten Interessen der Kirche nach Möglichkeit berücksichtigen. Der ihm obliegenden Baupflicht w i r d der Staat i m bisherigen Umfang auch fernerhin nachkommen und i m Bedarfsfalle i m Rahmen seiner Verpflichtungen auch für notwendige Neubauten aufkommen. Eine Neuregelung bei der Ablösung der Staatsleistungen bleibt vorbehalten. Art. IX. Die Kirche hat grundsätzlich das volle und freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne M i t w i r k u n g des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden. Es besteht jedoch Einvernehmen über folgende Punkte: 1. Alle katholischen Geistlichen, die i n Deutschland ein geistliches A m t bekleiden oder eine seelsorgerische oder Lehrtätigkeit ausüben, 63
Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 5.
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10. Kap.: Das Reich und die katholische Kirche
alle Bischöfe und Pfarrer i m eigentlichen Sinn müssen deutsche Staatsangehörige sein, ebenso alle örtlichen Oberen geistlicher Orden und Kongregationen. Ausnahmen sind von der Landesregierung besonders zuzulassen. 2. Alle katholischen Geistlichen müssen ihre Bildung in Deutschland oder auf einer der Anstalten in Rom erworben haben. Hinsichtlich des Studiums auf sonstigen Anstalten i m Ausland können besondere Grundsätze zwischen der kirchlichen Oberbehörde und der Reichs- oder Landesregierung vereinbart sowie Ausnahmen zugelassen werden. 3. Die Wahl der Bischöfe erfolgt durch die Domkapitel, falls nicht die Landesregierung mit dem päpstlichen Stuhl etwas anderes vereinbart. Vor der Ernennung oder Bestätigung eines Bischofs wird die Kurie sich i n geeigneter Weise davon versichern, daß nicht etwa auf seiten des Staates politische Bedenken gegen seine Person bestehen. Art. X. Die Errichtung, Leitung und Verwaltung der Priester- und Knabenseminare sowie der Konvikte steht innerhalb der Grenzen des allgemeinen Gesetzes ausschließlich der kirchlichen Behörde zu. Die mit Knabenseminaren verbundenen Schulen erhalten auf Antrag die Berechtigung der öffentlichen Schulen, wenn sie die für Anstalten gleicher A r t geltenden lehrplanmäßigen Vorbedingungen i m wesentlichen erfüllen. Die Kirche hat das Recht, zur Ausbildung des Klerus philosophische und theologische Lehranstalten zu errichten, die ausschließlich von der kirchlichen Behörde abhängen. Art. XI. Die katholisch-theologischen Fakultäten an den Hochschulen bleiben erhalten. Die Ernennung oder Zulassung der Professoren und Dozenten an den katholischtheologischen Fakultäten der Universitäten w i r d staatlicherseits erst erfolgen, wenn die Bewerber von dem zuständigen Diözesanbischof die kanonische Bestätigung erhalten haben. Sollte einem Professor oder Dozenten von dem Diözesanbischof wegen seiner Lehre oder seines sittlichen Verhaltens auf Grund eines kanonischen Straf- oder Verwaltungsverfahrens die erteilte Bestätigung entzogen werden, so w i r d die Staatsregierung seinen Lehrauftrag zurücknehmen. Aufnahmebestimmungen, Studienprogramm und Unterricht an den theologischen Fakultäten sind i m gegenseitigen Einvernehmen so einzurichten, wie es den Vorschriften des kanonischen Rechtes und den Bedürfnissen der Kandidaten des Priesterstandes entspricht. Der Bischof hat das Recht, sich hierüber in geeigneter Weise zu vergewissern. Art. XII. Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach in dem durch die Reichs Verfassung festgesetzten Umfange. Art. XIII. Die Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen wird gewährleistet. I n allen Gemeinden, in denen Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte es beantragen, werden katholische Volksschulen errichtet werden, wenn die Zahl der Schüler unter gebührender Berücksichtigung der örtlichen und schulorganisatorischen Verhältnisse einen geordneten Schulbetrieb durchführbar erscheinen läßt.
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Art. XIV. Der Lehrplan für den Religionsunterricht in den katholischen Volksschulen w i r d von der kirchlichen Oberbehörde und der Schulbehörde gemeinsam, i m wesentlichen dem derzeitigen Stande entsprechend festgesetzt. I n den Volksschulen, i n welchen nach den geltenden Bestimmungen Religionsunterricht nicht ordentliches Lehrfach ist, w i r d die Erteilung eines privaten Religionsunterrichts durch Bereitstellung der Schulräume sowie ihre Beheizung und Beleuchtung aus öffentlichen Mitteln sichergestellt. Art. XV. Der Religionsunterricht in den Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten w i r d in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der katholischen Kirche erteilt. Lehrstoff und Auswahl der Lehrbücher für den Religionsunterricht werden von der kirchlichen Oberbehörde i m Einvernehmen mit den Schulbehörden festgesetzt. Den kirchlichen Oberbehörden w i r d Gelegenheit gegeben, sich davon zu überzeugen, daß die Schulkinder Religionsunterricht i n Übereinstimmung mit den Lehren der Kirche erhalten. A u f Wunsch der Schulbehörde oder der kirchlichen Oberbehörde kann dies auch außerhalb des lehrplanmäßigen Unterrichts geschehen, wobei die Schulräume bereitgestellt werden. Art. XVI. Dem Bischof und seinen Beauftragten steht das Recht zu, Mißstände i m religiös-sittlichen Leben der katholischen Schüler sowie Verletzungen ihrer religiösen Empfindungen bei der staatlichen Aufsichtsbehörde zu beanstanden, die für entsprechende Abhilfe Sorge tragen wird. Art. XVII. Es w i r d dafür Sorge getragen, daß an katholischen Schulen, abgesehen von Sonderfällen, grundsätzlich solche Lehrer angestellt werden, die der katholischen Kirche angehören. Bei der Anstellung von katholischen Religionslehrern findet Verständigung zwischen dem Bischof und der Landesregierung statt. Weitere Einzelheiten über die Anstellung von katholischen Lehrern bleiben der Vereinbarung zwischen Kirchenbehörde und Landesregierung vorbehalten. Lehrer, welche wegen ihrer Lehre oder sittlichen Führung auf Grund eines kanonischen Straf- oder Verwaltungsverfahrens vom Bischof zur weiteren Erteilung des Religionsunterrichts für ungeeignet erklärt werden, dürfen, solange dies Hindernis besteht, nicht als Religionslehrer verwendet werden. Art. XVIII. Den Schülern der katholischen Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten w i r d i m Benehmen mit der kirchlichen Oberbehörde genügend Gelegenheit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten gegeben. Art. XIX. I m Rahmen der allgemeinen und Berufsausbildung der Lehrer werden Einrichtungen geschaffen, die; eine Ausbildung katholischer Lehrer entsprechend den besonderen Erfordernissen der katholischen Bekenntnisschule gewährleisten. Bei der Prüfung von Lehrern, die an katholischen Schulen unterrichten oder die Religionsunterricht erteilen sollen, kann ein Vertreter der kirchlichen Oberbehörde anwesend sein. Private Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten werden den staatlichen gleichgestellt, wenn sie die für die letzteren geltenden Vorbedingungen i m wesentlichen erfüllen. Art. XX. Orden und religiöse Kongregationen sind i m Rahmen der allgemeinen Gesetze und gesetzlichen Bedingungen zur Gründung und Führung von Privatschulen berechtigt. Diese Privatschulen geben die gleichen Berechtigungen wie die 19*
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10. Kap.: Das Reich und die katholische Kirche
staatlichen Schulen, soweit sie die lehrplanmäßigen Vorschriften für letztere i m wesentlichen erfüllen. Art. XXI. Für die Wehrmacht w i r d eine regelmäßige Seelsorge eingerichtet. Die Einzelheiten bleiben besonderer Vereinbarung vorbehalten. Art. XXII. Für die Straf-, Fürsorge- und Pflegeanstalten sowie die Krankenhäuser und ähnliche öffentliche Anstalten w i r d i m Bedarfsfalle eine regelmäßige Seelsorge eingerichtet. Soweit hierfür Geistliche als Staats- oder sonstige öffentliche Beamte angestellt werden müssen, erfolgt dies i m Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde. Art. XXIII. Orden und religiöse Genossenschaften können frei gegründet werden und unterliegen staatlicherseits keiner besonderen Beschränkung in bezug auf ihre Niederlassung und ihre Mitglieder. Sie behalten und erlangen die Rechtsfähigkeit als juristische Personen nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen. Ihr Eigentum und ihre Rechte werden gewährleistet. Sie verwalten ihr Vermögen und ordnen ihre Angelegenheiten unabhängig vom Staate. Ihre Tätigkeit i n der Seelsorge, i m Unterricht, in der Pflege der Kranken und i n den Werken der Caritas unterliegt keiner besonderen Beschränkung. Für Angehörige von Orden oder Religiösen Genossenschaften gelten hinsichtlich der Zulassung zum Lehramte und für die Anstellung an Volksschulen, mittleren oder höheren Lehranstalten die allgemeinen Vorbedingungen. Art. XXIV. Entsprechend den Grundsätzen des Völkerrechts gelten bisher bei beiden vertragschließenden Teilen i n Kraft befindliche Bestimmungen, soweit sie mit den vereinbarten A r t i k e l n in Widerspruch stehen, als aufgehoben.
Elftes Kapitel
D i e deutschen Landeskonkordate I. Vorverhandlungen zum bayerischen Konkordat 1920-1923 Angesichts der Kirchenhoheit der Länder war dem Vatikan noch wichtiger als ein Reichskonkordat die Neuregelung der kirchlichen Verhältnisse durch Landeskonkordate. Von Anfang an sollte Bayern bei diesen Planungen der „Schrittmacher " sein. Nur in Bayern hatten bereits die Verhandlungen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einer Vereinbarung in der solennen Form eines Konkordats geführt 1. Dieses Konkordat von 1817 2 sollte nach staatlicher wie kirchlicher Absicht möglichst schnell den seit Ende 1918 veränderten Bedingungen angepaßt werden. Daß der bayerische Staat am Fortbestand einer eigenen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl festhielt 3, unterstrich die von ihm in Anspruch genommene Sonderstellung. Am 4. Februar 1920 übermittelte der päpstliche Nuntius Pacelli der bayerischen Regierung den Entwurf der neuen Vereinbarung (Nr. 172). Der Sturz des Ministerpräsidenten Hoffmann 4 und die Regierungsübernahme durch das 5 Kabinett v. Kahr im März 1920 schienen die Aussicht auf einen baldigen Vertragsabschluß zu erhöhen. Doch die gleichzeitigen Verhandlungen über das Reichskonkordat verlangsamten den Fortgang in Bayern. Die im November 1921 vom bayerischen Gesandten beim Heiligen Stuhl v. Ritter dem Kardinalstaatssekretär Gasparri überreichte Denkschrift hob mit Nachdruck das bayerische Interesse an der Eigenständigkeit des angestrebten Landeskonkordats hervor (Nr. 173). Doch erst im März 1922 legte der Kultusminister v. Matt 6 ergänzende Vorschläge zu dem nun zwei Jahre alten kurialen Konkordatsentwurf vor, die allerdings nicht mit dem Gesamtministerium abgestimmt und ausdrücklich als persönlich gekennzeichnet waren 7. Einen schnelleren Fortgang erreichten die Verhandlungen erst, als Anfang 1924 mit der eingetretenen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Staats eine auf Dauer angelegte Regelung seiner Leistungen an die Kirchen als möglich erschien. Damit eröffnete sich auch die Aussicht, entsprechende Verträge Bayerns mit den evangelischen Kirchen gleichzeitig mit dem Konkordat zum Abschluß zu bringen 8. 1
Dazu Staat und Kirche, Bd. I, S. 169ff. Ebenda Nr. 73. 3 Siehe oben S. 277, Anm. 5. 4 Oben S. 49, Anm. 16. 5 Oben S. 89, Anm. 3. 6 Franz Matt: oben S. 89, Anm. 4. 7 Text: G. Franz-Willing , Die bayerische Vatikangesandtschaft 1803-1934 (1965), S. 221 ff. 8 Siehe G. May , Die Konkordatspolitik des Heiligen Stuhls von 1918 bis 1974, in: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. V I I (1979/1985), S. 193ff.; St. A. Stehlin , Weimar and the Vatican 1919-1933 (1983), S. 402ff.; Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 912f. 2
11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
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Nr. 172. Entwurf des Vatikans für ein bayerisches Konkordat übermittelt am 4. Februar 1920 (G. Franz-Willing,
Die bayerische Vatikangesandtschaft 1803-1934, 1965, S. 215ff.)
1. Die Kirche hat das freie und volle Besetzungsrecht für alle Kirchenämter ohne M i t w i r k u n g des Staates oder der Gemeinden. Das Privatpatronatsrecht bleibt aufrecht erhalten, soweit es nach den Bestimmungen des kanonischen Rechtes noch zu Recht besteht. 2. Der Ernennung der Professoren der theologischen Fakultäten an den Universitäten muß die Zustimmung des Diözesanbischofs vorausgehen. M i t Rücksicht auf die Studenten der Philosophie, die sich dem Studium der Theologie zu widmen gedenken, sollen an der philosophischen Fakultät der Universitäten München und Würzburg wenigstens je ein Professor der Philosophie und der Geschichte angestellt werden, deren katholischer Standpunkt nach dem Urteil des Diözesanbischofs sicher ist. 3. Die Professoren an den Lyceen werden auf Vorschlag des Diözesanbischofs von der Regierung ernannt. I n ihrem inneren Betrieb unterstehen die Lyceen dem Bischof. 4. Der Religionsunterricht bleibt in allen Mittelschulen ordentliches Lehrfach. Die Religionslehrer an diesen Schulen werden auf Vorschlag des Bischofs von der Regierung ernannt, die die notwendigen Mittel dafür bereitstellt. 5. Die Professoren der theologischen Fakultät bzw. der Lyceen und die Religionslehrer, die der Diözesanbischof auf Grund ihrer Lehre oder ihrer moralischen Haltung für unfähig oder ungeeignet hält zur Fortführung ihres Lehramtes, werden ihres Amtes enthoben. 6. Der Staat sorgt für eine genügende Anzahl von katholischen Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten. Die Lehrer und Lehrerinnen, welche an katholischen Schulen angestellt werden wollen, müssen diese Anstalten besuchen und während ihrer ganzen Ausbildungszeit am Religionsunterricht teilnehmen. Die privaten Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten sind den staatlichen gleichgestellt, wenn sie die gleichen Vorbedingungen erfüllen. 7. Für die Zulassung zum Lehramte und für die Anstellung an Volksschulen oder höheren Lehranstalten werden an Angehörige von Orden oder religiösen Kongregationen keine anderen Vorbedingungen gestellt als an Laien. 8. I n allen Gemeinden, i n denen die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten es beantragen, müssen katholische Volksschulen errichtet werden, insoweit eine genügende Schülerzahl dafür angemeldet ist. 9. I n allen Volksschulen bleibt der Religionsunterricht i m bisherigen Umfange ordentliches Lehrfach. Den Schülern der Volksschulen wie der höheren Lehranstalten muß Gelegenheit gegeben werden zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten. 10. Die Aufsicht über den Religionsunterricht und das religiös-sittliche Leben an den Volks- und Mittelschulen steht dem Diözesanbischof zu. Er übt es entweder direkt in eigener Person oder durch seine Beauftragten aus. Der Bischof legt auf
I. Vorverhandlungen zum bayerischen Konkordat 1920-1923
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Grund der gemachten Beobachtungen seine Beanstandungen oder Anträge der Staatsregierung vor, die das Notwendige zur Abhilfe veranlaßt. 11. Orden und religiöse Kongregationen sind unter den allgemeinen gesetzlichen Bedingungen zur Gründung und Führung von Privatschulen berechtigt. Diese Privatschulen geben die gleichen Berechtigungen wie die staatlichen. 12. Der bayerische Staat w i r d seinen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden vermögensrechtlichen Verpflichtungen gegen die katholische Kirche auch fernerhin nachkommen. Als solche Rechtstitel werden unter anderen das Herkommen, das Konkordat von 18179 und die selbst vom Reichsdeputationshauptschluß 1 0 anerkannten vermögensrechtlichen Verpflichtungen ausdrücklich erklärt. Bei der Ablösung dieser Leistungen w i r d der bayerische Staat dem veränderten Geldwerte und den tatsächlichen Bedürfnissen Rechnung tragen und insbesondere auch die sog. fakultativen und widerruflichen Staatsbeiträge einbeziehen. Überdies werden auch jene konkordatsmäßigen Verpflichtungen berücksichtigt, die der Staat bisher nicht oder nur ungenügend erfüllt hat. Die Ablösung muß in einer Form geschehen, die eine baldige Entwertung ausschließt. Privatrechtliche Verpflichtungen bleiben aufrecht erhalten und werden nicht abgelöst. 13. Die staatlichen Gebäude und Grundstücke, die zur Zeit unmittelbar oder mittelbar kirchlichen Zwecken dienen, werden der Kirche kostenlos zur dauernden und uneingeschränkten Benützung überlassen. Der Staat w i r d der i h m obliegenden Baupflicht i m bisherigen Umfang auch fernerhin nachkommen und i m Bedarfsfall auch für notwendige Neubauten aufkommen. 14. Der Kirche bleiben ihr Eigentum und ihre Vermögensrechte für immer gesichert. Sie verfügt frei über ihr Vermögen. 15. Die Kirche hat das Recht, Steuern zu erheben. Der Staat w i r d diese Steuern gemeinsam mit den staatlichen gegen eine mäßige Vergütung einheben. 16. Für das Heer, die Straf- und Pflegeanstalten sowie die Krankenhäuser wird eine regelmäßige Seelsorge eingerichtet, für die der Diözesanbischof eine entsprechende Anzahl von Geistlichen aufstellt. Soweit es sich u m Anstalten des bayerischen Staates handelt, leistet dieser die für Seelsorge und Gottesdienst notwendigen Mittel. 17. Der Staat verpflichtet sich, die Anordnungen der kirchlichen Behörden i m Rahmen ihrer Zuständigkeit anzuerkennen und i m Bedarfsfalle zur Ausführung seine Unterstützung zu gewähren, wenn dieselbe erbeten wird. 18. I n Ausübung ihres Amtes genießen die Geistlichen den Schutz des Staates, der Verunglimpfungen ihrer Person und Störungen ihrer Amtshandlungen nicht zuläßt bzw. ahndet. 19. Orden und religiöse Kongregationen können frei gegründet werden und unterliegen von Seiten des Staates keiner Beschränkung in bezug auf ihre 9 10
Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 73. Ebenda Nr. 5.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Niederlassungen und die Zahl ihrer Mitglieder. Soweit sie bisher die Rechte einer öffentlichen Körperschaft genossen haben, bleiben ihnen dieselben gewahrt; die übrigen erlangen bzw. behalten Rechtsfähigkeit oder die Rechte einer öffentlichen Körperschaft nach den für alle Bürger oder Gesellschaften geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Ihr Eigentum und ihre anderen Rechte werden ihnen gewährleistet. Sie verwalten ihr Vermögen und ordnen ihre Angelegenheiten unabhängig vom Staate.
Nr. 173. Denkschrift des bayerischen Gesandten Frh. v. Ritter an den Kardinalstaatssekretär Gasparri vom November 1921 (Französischer Text: G. Franz-Willing, Die bayerische Vatikangesandtschaft 1803-1934, 1965, S. 217 ff.) — Übersetzung — Nach Zeitungsberichten soll die deutsche Reichsregierung, die sich auf den Eintritt in Konkordatsverhandlungen vorbereitet, den Wunsch zum Ausdruck gebracht haben, daß das abzuschließende Konkordat mit dem Reich sich nicht nur auf alle deutschen Bundesstaaten erstrecken, sondern darüber hinaus eine A r t Rahmen für das bayerische Konkordat bilden solle. Dieser Wunsch geht auf die Tatsache zurück, daß die Reichsregierung nicht in ein Spezialkonkordat für Preußen einwilligen wollte und daß infolgedessen Preußen seinerseits darauf beharrt, das bayerische Konkordat solle auf die eine oder andere Weise in einer förmlichen Beziehung zum Reichskonkordat stehen. Es sind also nicht gerade die Interessen der Kirche, die diesen Wunsch bestimmen. Er entspricht vielmehr einer politischen Tendenz, die zugleich auf die Stärkung des Unitarismus und auf eine Unterdrückung der Rechte Bayerns und eine Schwächung seines Gewichts für die katholischen Angelegenheiten in Deutschland gerichtet ist. Die bayerische Regierung befindet sich durchaus i m Widerspruch zu diesen Vorstellungen. Sie wünscht ein Konkordat zu erlangen, das rechtlich und formal vom Reichskonkordat unabhängig ist und ihr gegenüber dem Reich volle Freiheit für die Wahrnehmung ihrer religiösen Interessen läßt. 1. Bayern möchte die direkten und unabhängigen Beziehungen zum Heiligen Stuhl so bewahren, wie sie sich zugunsten des Staats wie der Kirche i m Lauf der Jahrhunderte entwickelt und i m Konkordat von 1817 eine rechtliche Grundlage gefunden haben. 2. Die Reichs Verfassung steht dem Abschluß eines neuen Konkordats zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl nicht entgegen. Die Reichsregierung hat sich i n diesem Sinn ausgesprochen, indem sie gegenüber dem Apostolischen Nuntius in München förmlich erklärte, daß sie den Abschluß eines bayerischen Konkordats anerkennen werde, vorausgesetzt, daß dieses sich nicht inhaltlich in einen Widerspruch zur Reichsverfassung setze, und indem sie hinzufügte, daß spätere Gesetze des Reichs keinen Einfluß auf Rechte ausüben könnten, die i n dem Konkordat festgelegt seien 11 . 11 Gemeint ist das Schreiben des Reichsaußenministers Simons an den päpstlichen Nuntius Pacelli vom 13. November 1920 (Text: G. Franz-Willing, Die bayerische Vatikangesandtschaft 1803-1934, 1965, S. 184).
I. Vorverhandlungen zum bayerischen Konkordat 1920-1923
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3. Bayern verfügt über eine kirchliche Organisation, die von derjenigen der anderen Staaten des Reichs abweicht; es beabsichtigt, an dieser Organisation unabhängig von dem abzuschließenden Reichskonkordat festzuhalten. 4. Bayern ist unter den wichtigsten Bundesstaaten Deutschlands der einzige mit einer großen katholischen Mehrheit. Es war i n Deutschland immer die Vormacht des Katholizismus. Diese Rolle würde i h m erschwert, wenn infolge einer Verbindung des bayerischen mit dem Reichskonkordat ihm die Hände in religiösen Fragen mehr oder minder gebunden würden. 5. Heute stehen mehr als jemals Fragen von hoher Bedeutung, wie die Schulfrage, an, die eine zwischen Staat und Kirche einvernehmliche Regelung verdienen. Die bayerische Regierung erkennt dies an, während andere Regierungen in Deutschland nicht dieser Auffassung sind. 6. Seit die Reichsregierung den Gedanken verfolgt, das bayerische Konkordat mit dem Reichskonkordat zu vereinen, steht zu befürchten, daß sie auch auf den Gang der Verhandlungen i n München einen Einfluß auszuüben trachtet, der den Wünschen der bayerischen Regierung entgegengesetzt ist. Daraus könnten sich beschwerliche und gefährliche Verwicklungen ergeben, die sogar den Abschluß des Konkordats mit Bayern in Frage stellen könnten. 7. Eine Verbindung zwischen den beiden Konkordaten — unabhängig davon, von welcher A r t sie ist, und sei diese auch nur formal — müßte, wenn sie vom Heiligen Stuhl toleriert würde, Bayern der Gefahr aussetzen, i n die Umschwünge in den Beziehungen der Kirche zum Reich, das i n seiner großen Mehrheit protestantisch ist, einbezogen zu werden. Die kirchenfeindlichen sozialistischen Ideen sind i m Norden Deutschlands weit stärker und verbreiteter als in Bayern. Die bayerische Regierung ist zur Zeit die einzige in ganz Deutschland, die keine Sozialisten enthält. 8. Von dem Augenblick an, zu dem die rechtlichen Beziehungen zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl nicht mehr von vollkommener Unabhängigkeit bestimmt wären, stünde außerdem zu befürchten, daß auch die Aufrechterhaltung der diplomatischen Beziehungen zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl, auf die Bayern den größten Wert legt, in Frage gestellt würde. Es ist anzunehmen, daß diese Argumente, die die Interessen Bayerns ebenso wie diejenigen der Kirche i n den Blick nehmen, sich mit den Wünschen des Heiligen Stuhls treffen. Verschiedene Verlautbarungen des Heiligen Vaters zugunsten eines schnellen Abschlusses des bayerischen Konkordats und zugunsten der Aufrechterhaltung der Münchener Nuntiatur sind ein Anzeichen hierfür. Falls die Reichsregierung dem Heiligen Stuhl vorschlagen sollte, auf die eine oder andere Weise das bayerische Konkordat mit dem Reichskonkordat zu vereinigen, müßte dieser Plan scheitern, falls der Apostolische Nuntius imstande wäre zu antworten, daß der Heilige Stuhl in Anbetracht der Erklärungen der Reichsregierung gegenüber Monsignore Pacelli die Notwendigkeit dazu nicht erkennen könne, durch eine Vereinigung mit dem Reichskonkordat die rechtliche und förmliche Unabhängigkeit eines bayerischen Konkordats i n Gefahr zu bringen, die der Heilige Stuhl aufrechterhalten zu sehen wünsche, u m in derselben Weise wie bisher die Konkordatsbeziehungen fortzusetzen, die ihn zum Wohl der Kirche und des Staats seit langer Zeit mit Bayern verbänden.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
II. Abschluß und Inkraftsetzung des bayerischen Konkordats Zu Beginn des Jahres 1924 kamen die Verhandlungen über das bayerische Konkordat zum Abschluß. Neben dem Ministerpräsidenten v. Knillingdem Kultusminister v. Matt 2 und dem Finanzminister v. Krausneck 3 war auf staatlicher Seite der Ministerialrat Goldenberger 4 maßgeblich an den Verhandlungen beteiligt, die auf kirchlicher Seite in den Händen des Nuntius Pacelli 5 lagen. Am 10. und 11. März billigte das bayerische Gesamtministerium den Konkordatstext; wenige Tage später teilte der Reichskanzler Marx 6 mit, daß reichsverfassungsrechtliche Bedenken gegen den vorgesehenen Vertrag nicht bestünden 1. Das am 29. März unterzeichnete Konkordat (Nr. 174) löste eine erregte öffentliche Debatte aus8. Seine Kritiker warfen der bayerischen Regierung vor, staatliche Rechte preiszugeben und Grundnormen der Reichsverfassung zu verletzen. Eine Klerikalisierung des öffentlichen Lebens, insbesondere der Schule, sei ebenso zu befürchten wie eine Privilegierung des katholischen vor den anderen Bekenntnissen. Gegenüber solcher Kritik suchte das Kabinett v. Knilling insbesondere den Beweis zu führen, daß es sich am Grundsatz der Parität orientiere. Deshalb beschleunigte es den Abschluß der Kirchenverträge mit den beiden evangelischen Kirchen in Bayern 9. Am 18. November 1924 legte es die drei Verträge dem Landtag zur gemeinsamen Beschlußfassung vor (Nr. 175). Mit 73 gegen 52 Stimmen nahm der Landtag das Mantelgesetz für die Verträge am 15. Januar 1925 an (Nr. 177). Er nahm in seinen Beschluß die Regierungserklärung vom Vortag auf, die verdeutlichen sollte, daß bei richtiger Auslegung staatliche Rechte durch das Konkordat nicht preisgegeben seien (Nr. 176). Dadurch setzte sich jedoch die Spannung zwischen Vertragsrecht und innerstaatlicher Rechtsetzung sowie Rechtsauslegung fort, die in Bayern schon ein Jahrhundert zuvor aus dem Nebeneinander von Konkordat und Religionsedikt 10 entstanden war. 1
Eugen (Ritter v.) Knilling: Staat und Kirche, Bd. III, S. 475, Anm. 4. Franz Matt: oben S. 89, Anm. 4. 3 Wilhelm Krausneck (1875-1927), Jurist i n der bayer. Finanzverwaltung; 1919 Oberregierungsrat i m bayer. Finanzministerium; 1920 Staatssekretär daselbst; vom 16. Juli 1920 bis 12. Juni 1927 Finanzminister (BVP). 4 Franz Xaver Goldenberger (1867-1948), Jurist i m bayer. Verwaltungsdienst; 1918 Min.Rat i m Kultusministerium; Anfang 1926 Min.Direktor daselbst; vom 14. Oktober 1926 bis 10. März 1933 Kultusminister (BVP). 5 Eugenio Pacelli: Staat und Kirche, Bd. III, S. 858. 6 Oben S. 232, Anm. 2. 7 Schreiben des Reichskanzlers Marx an das bayerische Außenministerium vom 18. März 1924 (Text: G. Franz-Willing, Die bayerische Vatikangesandtschaft 1803 bis 1934,1965, S. 222, Anm. 80). Marx hatte allerdings nicht das gesamte Reichskabinett mit der Frage befaßt, sondern nur die Zustimmung des Reichsinnenministers Karl Jarres und des Reichsjustizministers Erich Emminger eingeholt. Die Bedenken des Reichsinnenministers waren nur durch eine Reihe von Rechtsgutachten, darunter eines von Wilhelm Kahl, überwunden worden (vgl. E. Lange-Ronneberg, Die Konkordate, 1929, S. 203). 8 Siehe dazu Angaben aus der zeitgenössischen Literatur: Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 901; G. May, Die Ära der Konkordate unter Pius X I . und Pius XII., in: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. V I I (1979/85), S. 195. 9 Dazu unten Nr. 297 ff. 10 Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 60, Nr. 73. 2
II. Abschluß und Inkraftsetzung des bayerischen Konkordats
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Nach Austausch der Ratifikationsurkunden trat das Konkordat am 24. Juni 1925 in Kraft. Kurz zuvor hatte — am 17. Juni 1925 — die fortdauernde Kontroverse um das bayerische Konkordat in einer ausgedehnten Reichstagsdebatte ihren Ausdruck gefunden 11. Das bayerische Konkordat von 1924 blieb ein halbes Jahrhundert in Kraft. Abgelöst wurde es durch die Neufassung vom 4. September 1974 12, der ein Änderungsvertrag vom 7. Juli 1978 13 zur Seite trat 14.
Nr. 174. Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern vom 29. März 1924 (Deutscher und italienischer Text: Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1925, S. 53) Seine Heiligkeit Papst Pius X I . und der Bayerische Staat haben, vom gleichen Verlangen beseelt, die Lage der katholischen Kirche in Bayern auf eine den veränderten Verhältnissen entsprechende Weise und dauernd neu zu ordnen, beschlossen, eine feierliche Übereinkunft zu treffen. Zu diesem Zwecke haben Seine Heiligkeit Papst Pius X I . zu Ihrem Bevollmächtigten Seine Exzellenz den Herrn Apostolischen Nuntius i n München und Erzbischof von Sardes Monsignore Dr. Eugen Pacelli und die Bayerische Staatsregierung zu Ihrem Bevollmächtigten Seine Exzellenz den Herrn Staatsminister des Äußern Dr. Eugen von Knilling, den Herrn Staatsminister für Unterricht und Kultus Dr. Franz Matt und den Herrn Staatsminister der Finanzen Dr. Wilhelm Krausneck ernannt die, nachdem sie ihre beiderseitigen Vollmachten ausgewechselt und für richtig befunden haben, über folgende A r t i k e l übereingekommen sind. Art. 1. § 1. Der Bayerische Staat gewährleistet die freie und öffentliche Ausübung der katholischen Religion. § 2. Er anerkennt das Recht der Kirche, i m Rahmen ihrer Zuständigkeit Gesetze zu erlassen und Anordnungen zu treffen, die ihre Mitglieder binden; er w i r d die Ausübung dieses Rechtes weder hindern noch erschweren 15 . § 3. Er sichert der katholischen Kirche die ungestörte K u l t ü b u n g zu. I n der Erfüllung ihrer Amtspflichten genießen die Geistlichen den Schutz des Staates. Art. 2. Orden und religiöse Kongregationen können den kanonischen Bestimmungen gemäß frei gegründet werden. Sie unterliegen von Seiten des Staates 11
Sten. Berichte über die Verh. des Reichstags, 1925, S. 2367 ff. Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt, 1974, S. 541 ff. 13 Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt, 1978, S. 673 ff. 14 Vgl. A. M. Koeniger, Die neuen deutschen Konkordate und Kirchenverträge (1932), S. 80ff.; S. 202ff.; Roedel-Paulus, Reichskirchenrecht und neues bayerisches Kirchenrecht (1934), S. 50ff.; H. Rust , Die Rechtsnatur von Konkordaten und Kirchenverträgen unter besonderer Berücksichtigung der bayerischen Verträge von 1924 (Diss. jur. München 1964); Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 912 ff. 15 Dazu die Regierungserklärung unten Nr. 176. 12
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
keiner Einschränkung in bezug auf ihre Niederlassungen, die Zahl und — vorbehaltlich der Bestimmung des Art. 13 § 2 — die Eigenschaften ihrer Mitglieder sowie bezüglich der Lebensweise nach ihren kirchlich genehmigten Regeln. Soweit sie bisher die Rechte einer öffentlichen Körperschaft genossen haben, bleiben ihnen diese gewahrt; die übrigen erlangen Rechtsfähigkeit oder die Rechte einer öffentlichen Körperschaft nach den für alle Bürger oder Gesellschaften geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Ihr Eigentum und ihre anderen Rechte werden ihnen gewährleistet. I n bezug auf den Erwerb, den Besitz und die Verwaltung ihres Vermögens sowie in der Ordnung ihrer Angelegenheiten unterliegen sie keiner besonderen staatlichen Beschränkung oder Aufsicht. Art. 3. § 1. Die Ernennung oder Zulassung der Professoren oder Dozenten an den theologischen Fakultäten der Universitäten und an den philosophisch-theologischen Hochschulen sowie der Religionslehrer an den höheren Lehranstalten wird staatlicherseits erst erfolgen, wenn gegen die in Aussicht genommenen Kandidaten von dem zuständigen Diözesanbischofe keine Erinnerung erhoben worden ist. § 2. Sollte einer der genannten Lehrer von dem Diözesanbischofe wegen seiner Lehre oder wegen seines sittlichen Verhaltens aus triftigen Gründen beanstandet werden, so w i r d die Staatsregierung unbeschadet seiner staatsdienerlichen Rechte alsbald auf andere Weise für einen entsprechenden Ersatz sorgen 16 . Art. 4. § 1. Der Unterricht an den theologischen Fakultäten der Universitäten und an den philosophisch-theologischen Hochschulen muß den Bedürfnissen des priesterlichen Berufs nach Maßgabe der kirchlichen Vorschriften Rechnung tragen. § 2. A n den philosophischen Fakultäten der beiden Universitäten München und Würzburg soll wenigstens je ein Professor der Philosophie und der Geschichte angestellt werden, gegen den hinsichtlich seines katholisch-kirchlichen Standpunktes keine Erinnerung zu erheben ist. § 3. Der Religionsunterricht bleibt an allen höheren Lehranstalten und Mittelschulen wenigstens i m bisherigen Umfang ordentliches Lehrfach. Art. 5. § 1. Der Unterricht und die Erziehung der Kinder an den katholischen Volksschulen w i r d nur solchen Lehrkräften anvertraut werden, die geeignet und bereit sind, in verlässiger Weise in der katholischen Religionslehre zu unterrichten und i m Geiste des katholischen Glaubens zu erziehen. 16 Dieser A r t i k e l hat die Rechtsstellung der katholisch-theologischen Fakultäten auf Dauer maßgeblich bestimmt. Dazu E. H. Fischer, Theologieprofessor, theologische Fakultät und Kirche, in: Festschrift für J. R. Geiselmann (1960), S. 330ff.; E.-L. Sollte, Theologie an der Universität (1971), ders., in: TRE X (1982), S. 788ff.; W. Huber, Kirche und Öffentlichkeit (1973), S. 295ff.; Ders., Wissenschaftsfreiheit, in: Ev. Staatslexikon (3. Aufl. 1987); W. Weber, in: Hdb. d. Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, I I (1975), S. 569ff.; H. Mussinghoff, Theologische Fakultäten i m Spannungsfeld von Staat und Kirche (1979); E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V I (1981), S. 983ff.; A . v. Campenhausen, in: Hdb. d. Wissenschaftsrechts, I I (1982), S. 1018ff.; A. Hollerbach, W. Kasper, Theologie an der Universität (Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 16,1982); M. Heckel, Die Theologischen Fakultäten zwischen Trennungsprinzip und Freiheitsgarantie, in: Festschrift für O. Bachof (1984), S. 29ff.; ders., Die theologischen Fakultäten i m weltlichen Verfassungsstaat (1986), bes. S. 47 ff.
II. Abschluß und Inkraftsetzung des bayerischen Konkordats
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§ 2. Die Lehrer und Lehrerinnen, die an katholischen Volksschulen angestellt werden wollen, müssen vor ihrer Anstellung nachweisen, daß sie eine dem Charakter dieser Schulen entsprechende Ausbildung erhalten haben. Diese Ausbildung muß sich beziehen sowohl auf den Religionsunterricht wie auch auf jene Fächer, die für den Glauben und die Sitten bedeutungsvoll sind. Die Erteilung des Religionsunterrichts setzt die Missio Canonica durch den Diözesanbischof voraus 1 7 . § 3. Der Staat w i r d bei der Neuordnung der Lehrerbildung für Einrichtungen sorgen, die eine den obigen Grundsätzen entsprechende Ausbildung der für katholische Volksschulen bestimmten Lehrkräfte sichern. § 4. I n den Prüfungskommissionen, die für die Erteilung der Lehrbefähigung an den katholischen Volksschulen zuständig sind, erhalten die kirchlichen Oberbehörden mindestens für die Prüfung aus der Religionslehre eine angemessene Vertretung. § 5. Soweit nach der Neuordnung des Lehrerbildungswesens Privatanstalten noch in der Lage sind, die Vorbildung oder die berufliche Ausbildung von Lehrern oder Lehrerinnen zu übernehmen, w i r d der Staat bei ihrer Zulassung auch bestehende Anstalten der Orden und Kongregationen entsprechend berücksichtigen. § 6. Die an solchen privaten Anstalten vorgebildeten Zöglinge werden, falls diese Anstalten die staatlich vorgeschriebenen wissenschaftlichen Bedingungen erfüllen, nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen zu den staatlichen Prüfungen zugelassen. § 7. Die Erwerbung der Lehrbefähigung für Volksschulen, Mittelschulen und höhere Lehranstalten sowie die Übertragung eines Lehramtes w i r d für die Angehörigen von Orden und religiösen Kongregationen an keine anderen Bedingungen geknüpft als für Laien. Art. 6. I n allen Gemeinden müssen auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten katholische Volksschulen errichtet werden, wenn bei einer entsprechenden Schülerzahl ein geordneter Schulbetrieb — selbst in der Form einer ungeteilten Schule — ermöglicht ist. Art. 7. § 1. A n allen Volksschulen — abgesehen von den in Abs. 2 erwähnten Fällen — bleibt der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach. Der Umfang dieses Religionsunterrichtes soll i m Einvernehmen mit den kirchlichen Oberbehörden festgesetzt und gegenüber dem gegenwärtigen Stande nicht gekürzt werden. Sollte der bayerische Staat i n etlichen Schulen rechtlich nicht i n der Lage sein, dem Religionsunterrichte den Charakter eines ordentlichen Lehrfaches zu erteilen, so wird wenigstens die Erteilung eines privaten Religionsunterrichtes durch die Bereitstellung der Schulräume sowie durch deren Beheizung und Beleuchtung aus gemeindlichen oder staatlichen Mitteln sichergestellt. § 2. Den Schülern der Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten w i r d i m Benehmen mit den kirchlichen Oberbehörden geeignete und ausreichende Gelegenheit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten gegeben. 1
D a z u die Regierungserklärung unten Nr. 176.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Art. 8. § 1. Die Beaufsichtigung und Leitung des Religionsunterrichtes an den Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten werden der Kirche gewährleistet. § 2. Dem Bischof und seinen Beauftragten steht das Recht zu, Mißstände i m religiös-sittlichen Leben der katholischen Schüler wie auch ihre nachteiligen oder ungehörigen Beeinflussungen in der Schule, insbesonders etwaige Verletzungen ihrer Glaubensüberzeugung oder religiösen Empfindungen i m Unterrichte bei der staatlichen Unterrichtsbehörde zu beanstanden, die für entsprechende Abhilfe Sorge tragen w i r d 1 8 . Art. 9. § 1. Orden und religiöse Kongregationen werden unter den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zur Gründung und Führung von Privatschulen zugelassen. Die Zuerkennung von Berechtigungen an derartige Schulen erfolgt nach den für andere Privatschulen geltenden Grundsätzen. § 2. Von Orden und religiösen Kongregationen geleitete Schulen, die bisher den Charakter öffentlicher Schulen gehabt haben, behalten ihn, sofern sie die an gleichartige Schulen gestellten Anforderungen erfüllen. Unter den gleichen Vorbedingungen kann auch neuen Schulen von Orden und Kongregationen dieser Charakter durch die Staatsregierung verliehen werden. Art. 10.19 § 1. Der Bayerische Staat w i r d seinen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden vermögensrechtlichen Verpflichtungen gegen die katholische Kirche i n Bayern stets nachkommen. Die vermögensrechtlichen Verpflichtungen, die i m Konkordate von 181720 festgelegt sind, werden durch folgende Vereinbarungen ersetzt: a) Der Staat w i r d die erzbischöflichen und bischöflichen Stühle, die Metropolitan- und Domkapitel mit einer Dotation i n Gütern und ständigen Fonds ausstatten, deren jährliche Reineinkünfte sich bemessen auf der Grundlage jener, die i m erwähnten Konkordate festgesetzt sind, wobei dem Geldwerte vom Jahre 1817 Rechnung zu tragen ist. Hierbei w i r d für eine freie kirchliche Verwaltung der Dotationsgüter Sorge getragen werden. Solange eine solche Dotation nicht in angegebener Weise überwiesen werden kann, w i r d der Staat dafür eine Jahresrente leisten, die unter Zugrundelegung der i m Konkordate von 1817 festgelegten Verpflichtungen und in Anlehnung an die entsprechenden Aufwendungen des Staates für seine eigenen Zwecke den jeweiligen wirtschaftlichen Zeitverhältnissen angepaßt wird. Die Geldleistungen an die 6 Diözesanbischöfe von Augsburg, Regensburg, Würzburg, Passau, Eichstätt und Speyer sollen die gleichen sein. Die Weihbischöfe erhalten eine Gehaltszulage, wie sie i n der Vereinbarung vom Jahre 1910 vorgesehen ist; sie w i r d ebenfalls den jeweiligen wirtschaftlichen Zeitverhältnissen angeglichen werden. b) Sämtliche Kapitel haben 2 Dignitäten (Dompropst und Domdekan); die Metropolitankapitel zählen 10, die Domkapitel 8 Kanoniker; die einen wie die anderen haben überdies 6 für den Chor- und Ordinariatsdienst bestimmte Vikare. 18 19 20
Dazu die Regierungserklärung unten Nr. 176. Dazu die Regierungserklärung unten Nr. 176. Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 73.
II. Abschluß und Inkraftsetzung des bayerischen Konkordats
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Für die Kanoniker, die bereits das 70. Lebensjahr zurückgelegt haben oder die nicht mehr dienstfähig sind, können i m Einverständnisse mit der Staatsregierung Koadjutoren mit oder ohne Recht zur Nachfolge aufgestellt werden, die die gleichen Bezüge erhalten wie die statusmäßigen Kanoniker. c) Den Generalvikaren und bischöflichen Sekretären w i r d der Bayerische Staat eine Dienstentschädigung anweisen, deren Höhe ebenfalls den jeweiligen Wirtschaftsverhältnissen anzugleichen ist. d) Zur Zeit der Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles, der Dignitäten, Kanonikate oder Vikarien w i r d der Betrag der vorerwähnten Einkünfte zum Besten der betreffenden Kirchen erhoben und erhalten. e) Sowohl den Erzbischöfen und Bischöfen als den Dignitären, den 5 bzw. 4 älteren Kanonikern und 3 älteren Vikaren w i r d eine ihrer Würde und ihrem Stande entsprechende Wohnung angewiesen. f) Die Fonds, Einkünfte, beweglichen und unbeweglichen Güter der Domkirchen und ihrer Fabriken werden erhalten werden und, wenn sie zur Unterhaltung der genannten Kirchen, zu den Ausgaben für den Gottesdienst und zur Besoldung der nötigen weltlichen Diener nicht hinreichen, w i r d der Staat das Fehlende ergänzen. g) Für die erzbischöflichen und bischöflichen Ordinariate, für das Kapitel und das Archiv w i r d ein geeignetes Gebäude überlassen; für Deckung etwaiger Fehlbeträge der Ordinariatsbedürfnisse gilt Buchst, f entsprechend. h) Der Bayerische Staat w i r d an die bestehenden, nach den Bestimmungen des Codex iuris canonici eingerichteten Knaben- und Priesterseminare angemessene Zuschüsse leisten. i) Für die Emeriten sorgt der Staat durch Ausstattung der Emeritenanstalten mit ausreichender Dotation oder durch entsprechende Zuschüsse zu Emeritenpensionen. k) Werden mit Einverständnis der Staatsregierung Seelsorgestellen neu errichtet oder bestehende umgewandelt, so werden zur angemessenen Ergänzung des Einkommens der jeweiligen Stelleninhaber staatliche Mittel i m Rahmen der bisher üblichen Leistungen für die Seelsorgegeistlichen i m allgemeinen zur Verfügung gestellt. I m Falle einer Ablösung oder Neuregelung der auf Gesetz, Vertrag oder besonderem Rechtstitel beruhenden staatlichen Leistungen an die Kirche sichert der Bayerische Staat die Wahrung der kirchlichen Belange durch Ausgleichsleistungen zu, die entsprechend dem Inhalt und Umfange des Rechtsverhältnisses unter Berücksichtigung der Geldwertverhältnisse vollen Ersatz für das weggefallene Recht gewähren. § 2. Soweit staatliche Zuschüsse oder Mehraufwendungen nicht benötigt werden, können kirchliche Stellen frei errichtet oder umgewandelt werden. § 3. Die staatlichen Gebäude und Grundstücke, die zurzeit unmittelbar oder mittelbar Zwecken der Kirche einschließlich der Orden oder religiösen Kongregationen dienen, bleiben diesen Zwecken auch fernerhin unter Berücksichtigung etwa bestehender Verträge überlassen.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
§ 4. Die Güter der Seminarien, Pfarreien, Benefizien, Kirchenfabriken und aller übrigen Kirchenstiftungen werden innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes gewährleistet und können ohne Zustimmungen der zuständigen kirchlichen Obrigkeit nicht veräußert werden. Die Kirche hat das Recht, neues Besitztum zu erwerben und als Eigentum zu haben. Dieses so erworbene Eigentum soll in gleicher Weise unverletzlich sein. § 5. Die Kirche hat das Recht, auf der Grundlage der bürgerlichen Steuerlisten Umlagen zu erheben. Art. 11. Der Bayerische Staat wird in seinen Straf-, Pflege-, Erziehungs- und Krankenanstalten, sei es durch Anstellung eigener Geistlicher oder auf andere zweckmäßige Weise, auf seine Kosten eine entsprechende Seelsorge einrichten. Die Seelsorger für diese Anstalten werden i m Benehmen mit dem Diözesanbischof aufgestellt. Bei der Genehmigung von Anstalten anderer Unternehmer w i r d der Bayerische Staat tunlichst dahin wirken, daß die Anstaltspfleglinge dem jeweiligen Bedürfnis entsprechend seelsorgerlich betreut werden. Art. 12. Abgesehen von kleineren Änderungen, die i m Interesse der Seelsorge liegen, und abgesehen von jenen Verschiebungen, die sich i n einzelnen Fällen als Folge von Umpfarrungen ergeben, wird der jetzige Stand der Kirchenprovinzen und Diözesen nicht verändert werden. Art. 13. § 1. I m Hinblick auf die Aufwendungen des Bayerischen Staates für die Bezüge der Geistlichen w i r d die Kirche i n der Leitung und Verwaltung der Diözesen, ferner der Diözesanbildungsanstalten sowie in der Pfarrseelsorge und für die Erteilung des Religionsunterrichtes an den Volksschulen nur Geistliche verwenden, die a) die bayerische oder eine andere deutsche Staatsangehörigkeit haben, b) das Reifezeugnis eines deutschen vollwertigen humanistischen Gymnasiums besitzen, das auch auf Grund privater Studien und an einer vom Staate anerkannten Privatanstalt erworben werden kann, c) die von der Kirche vorgeschriebenen philosophisch-theologischen Studien an einer deutschen staatlichen Hochschule oder an einer den Bestimmungen des c. 1365 Cod. iur. can. entsprechenden deutschen bischöflichen Hochschule oder an einer päpstlichen Hochschule i n Rom erfolgreich zurückgelegt haben. § 2. Desgleichen müssen bei Orden und religiösen Kongregationen sowie bei deren Niederlassungen die Obern, die in Bayern ihren Sitz haben, die bayerische oder eine andere deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Unberührt bleibt das Recht der Ordensobern mit anderer Staatsangehörigkeit, die ihren Sitz außerhalb Bayerns haben, persönlich oder durch einen Vertreter ihre Häuser in Bayern zu visitieren, sowie das Recht der Ordenskleriker, ihre philosophisch-theologischen Studien an ihren Ordensschulen nach Maßgabe des Cod. iur. can. c. 1365 zurückzulegen an Stelle der in § 1 Buchst, c genannten Anstalten. Art. 14. § 1. I n der Ernennung der Erzbischöfe und Bischöfe hat der Hl. Stuhl volle Freiheit. Bei Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Sitzes w i r d das beteiligte Kapitel dem Hl. Stuhle unmittelbar eine Liste von Kandidaten unterbreiten, die für das bischöfliche A m t würdig und für die Leitung der erledigten
II. Abschluß und Inkraftsetzung des bayerischen K o n k o r d a t s 3 0 5 Diözese geeignet sind; unter diesen wie auch unter den von den bayerischen Bischöfen und Kapiteln je in ihren entsprechenden Triennallisten 2 1 Bezeichneten behält sich der Hl. Stuhl freie Auswahl vor. Vor der Publikation der Bulle wird dieser in offiziöser Weise mit der Bayerischen Regierung i n Verbindung treten, u m sich zu versichern, daß gegen den Kandidaten Erinnerungen politischer Natur nicht obwalten 2 2 . § 2. Die Besetzung der Kanonikate bei den erzbischöflichen und bischöflichen Kapiteln geschieht abwechselnd durch freie Übertragung des Diözesanbischofs nach Anhörung des Kapitels und durch Wahl der Kapitel vorbehaltlich der Bestimmung des c. 177 Cod. iur. can. 2 3 . Die Dignitäten werden nach dem gemeinen kanonischen Rechte besetzt. § 3. I m Hinblick auf die Aufwendungen des Bayerischen Staates für die Bezüge der Seelsorgegeistlichen w i r d die Kirche vor Ernennung der Pfarrer der Staatsregierung die Personalien des i n Aussicht genommenen Geistlichen mitteilen; allenfallsige Erinnerungen der Staatsregierung sollen in möglichst kurzer Zeit erfolgen 21 . Die staatlichen Patronat- oder Präsentationsrechte aus besonderen kanonischen Rechtstiteln bleiben in der bisherigen Form unberührt 2 5 . Art. 15. § 1. Sollte sich in Zukunft bei der Auslegung vorstehender Bestimmungen irgend eine Schwierigkeit ergeben, so werden der Hl. Stuhl und der Bayerische Staat gemeinsam eine freundschaftliche Lösung herbeiführen. § 2. Mit dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Konkordates w i r d das Konkordat vom Jahre 1817 als nicht mehr geltend erklärt. Insoweit bisher erlassene und noch in Kraft befindliche Landesgesetze, Verordnungen und Verfügungen mit den Bestimmungen dieses Vertrages i n Widerspruch stehen, werden sie aufgehoben. Art. 16. Die Ratifikationen werden möglichst bald ausgewechselt werden und das Konkordat w i r d mit dem Zeitpunkte dieser Auswechselung in Kraft treten. Zur Beglaubigung des Vorstehenden haben die nachgenannten Bevollmächtigten das gegenwärtige Konkordat unterzeichnet.
21 Zu diesen alle Jahre vorzulegenden Kandidatenlisten siehe die Erläuterung in der Regierungsbegründung unten Nr. 175. 22 Damit wurde das frühere königliche Nominationsrecht durch die „politische Klausel" abgelöst. Vgl. K. Mörsdorf , Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle unter besonderer Berücksichtigung des Listenverfahrens (1933); L . Link, Die Besetzung der kirchlichen Ämter i n den Konkordaten Papst Pius X I . (1942); W. Weber, Die politische Klausel in den Konkordaten. Staat und Bischofsamt (1939); J. H. Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate (1949). 23 Dazu die Mitteilung vom 16. Juli 1931 (unten Nr. 179). 24 Dazu die Vollzugsvorschrift vom 12. A p r i l 1925 (unten Nr. 178). 25 Dazu die Vollzugsvorschrift vom 12. A p r i l 1925 und die Mitteilung vom 16. Juli 1931 (unten Nr. 178, Nr. 179).
20 Huber
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Nr. 175. Regierungsbegründung zum bayerischen Konkordat und zu den Kirchenverträgen vom 18. November 1924 (Sitzungsberichte des Bayerischen Landtags, II. Tagung 1924/25, Beilage 611) — Auszug 2 6 — I. Zum Mantelgesetze Das neue Konkordat, das mit dem heiligen Stuhle abgeschlossen ist, gilt wie jenes von 1817 als völkerrechtlicher Vertrag. Es ist ein Staats vertrag i m Sinne des § 50 Satz 1 der Bayerischen Landesverfassung 27 und bedarf schon aus diesem Grunde der Genehmigung des Landtages. Soweit Bestimmungen dieses neuen Konkordats sich als Rechtssätze darstellen, müssen sie, u m als solche rechtswirksam zu werden, v o m Landtag als Gesetz beschlossen werden. Da ihre Ausscheidung zu einem eigenen Gesetzentwurf unpraktisch ist, sieht das Mantelgesetz die Behandlung des vollen Textes i n Gesetzesform vor. Die Verträge mit den beiden evangelischen Landeskirchen haben nicht die Eigenschaft von Staatsverträgen i m Sinne des § 50 Satz 1 der Bayerischen Landesverfassung, vielmehr von StaatsverwaltungsVerträgen. Soweit sie Bestimmungen enthalten, die sich als Rechtssätze darstellen, bedürfen auch sie zur Erlangung der Rechtswirksamkeit der Behandlung wie Landesgesetze (vgl. Nawiasky, Bayerisches Verfassungsrecht, S. U l f . ) . Die Zweckmäßigkeitsgründe für die Behandlung der vollen Vertragstexte i n Gesetzesform gelten hier wie für das Konkordat. II. Zum Konkordate A. Allgemeines Die Reichs Verfassung von 187128 hatte die bundesstaatliche Zuständigkeit zur Regelung der Glaubens- und Gewissensfreiheit der Staatseinwohner, ferner des Zusammenschlusses von Bekenntnisgenossen zu Kirchengesellschaften, dann der Rechte und Pflichten der Kirchengesellschaften gegeneinander, je gegenüber ihren Mitgliedern und gegenüber dem Staate, grundsätzlich unberührt gelassen. Einschlägig waren nach den bezeichneten Richtungen in Bayern die Vorschriften des Tit. IV. § 9 der Bayerischen Verfassungsurkunde vom 26. Mai 181829 und ihrer II. Beilage, des sogenannten Religionsediktes 30 , sowie dessen I. und II. Anhanges, nämlich des Konkordates zwischen dem Hl. Stuhle und Bayern v o m 5. Juni 181731 und des Protestantenedikts vom 25. Mai 181832. 26
Der Auszug ist auf die Ausführungen zum Konkordat beschränkt; die Ausführungen zu den evangelischen Kirchenverträgen finden sich unten Nr. 299. 27 Oben Nr. 101. 28 Staat und Kirche, Bd. II, S. 428f. 29 Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 59. 30 Ebenda Nr. 60. 31 Ebenda Nr. 73. 32 Ebenda Nr. 280.
II. Abschluß und Inkraftsetzung des bayerischen Konkordats
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Die Reichsverfassung vom 11. August 191833 hat für das Reich die Zuständigkeit zur grundsätzlichen Gesetzgebung über die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften i n Art. 10 Nr. 1 vorbehaltlich des Art. 12 vorgesehen und dazu i m 3. Abschnitt ihres 2. Hauptteiles sogleich auch grundlegende Bestimmungen getroffen über „Religion und Religionsgesellschaften", d. h. über die Glaubens- und Gewissensfreiheit der einzelnen Reichseinwohner wie über die „rechtliche Stellung der Religionsgesellschaften". Durch die neue Reichsverfassung und durch die zu deren Art. 135ff. erlassenen §§ 17 ff. der Bayerischen Landesverfassung vom 14. August 1919 wurden die Bestimmungen des bisherigen bayerischen Verfassungsrechts ersetzt mit Ausnahme jener des schon erwähnten I. Anhangs der HE. Verfassungsbeilage, d. i. des Konkordates vom 5. Juni 1817; sein Fortbestand, wenn auch nicht sein ganzer Inhalt, blieb durch den vorangegangenen Wechsel der Regierungsform i n Bayern unberührt. Die Reichsverfassung vom 11. August 1919 beansprucht gegenüber dem Konkordate zwischen dem Hl. Stuhl und Bayern vom 5. Juni 1817 so wenig wie gegenüber den (konkordatsähnlichen) Abkommen zwischen dem Hl. Stuhl und sonstigen deutschen Ländern eine unmittelbare Rechtswirkung, bedingt vielmehr zunächst nur, daß das beteiligte einzelne Land die Rechtsverhältnisse zwischen i h m und der katholischen Kirche innerhalb seines Gebietes binnen angemessener Zeit dem nunmehrigen Reichsrecht anpaßt. Die Entscheidung darüber, ob diese Anpassung durch entsprechende Änderung eines bestehenden oder durch Abschluß eines neuen Vertrages mit dem Hl. Stuhl zu geschehen habe, kommt nicht dem Reiche zu, liegt vielmehr bei den bisherigen Vertragsteilen. Bei der Beratung der Anfrage des Abgeordneten Held über die staatskirchenrechtlichen Verhältnisse in Bayern i m Ausschusse für Verfassungsfragen (Sitzung vom 20. Januar 1920 — Beil. 899) hat sich die damalige Landtagsmehrheit für die Einleitung von Verhandlungen über eine neue vertragsmäßige Regelung der Verhältnisse der katholischen Kirche i n Bayern ausgesprochen. Die Staatsregierung hat auf Grund des Ergebnisses dieser Beratung noch in der angeführten Sitzung wenigstens die Einleitung solcher Verhandlungen grundsätzlich zugesagt. Die daraufhin eröffneten eingehenden Verhandlungen fanden anfangs des laufenden Jahres ihren Abschluß. Die endgültige Fassung des Entwurfes, die sich hierbei ergab, wurde am 10. und 11. März 1924 i m Ministerräte behandelt und erhielt die Genehmigung des Gesamtministeriums. Auch seitens der Reichsregierung, der der E n t w u r f vereinbarungsgemäß mitgeteilt wurde, wurden Einwendungen auf Grund der Reichsverfassung nicht erhoben 3 4 . Daraufhin wurde am 29. März 1924 — vorbehaltlich der Genehmigung des Bayerischen Landtags — der Vertrag durch die bevollmächtigten Vertreter des Hl. Stuhles und der Bayerischen Staatsregierung unterschriftlich vollzogen. Das neue Konkordat w i l l i n den Schranken der Reichs- und Landesverfassung kirchliche Belange innerhalb des weltlichen Zuständigkeitsgebietes vertragsmäßig, also durch vertragsmäßige Bindung der Ausübung der beiderseitigen Zuständigkeiten sicherstellen. 33 34
20*
Oben Nr. 97. Oben S. 298, Anm. 7.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Für die geschäftliche Behandlung des neuen Konkordates durch den Landtag ist einschlägig § 50 der Bayerischen Landesverfassung, der besagt: „Der Landtag genehmigt die Staats ver träge. Sie sind, wenn sie Rechtssätze enthalten, hinsichtlich ihres Rechtsinhaltes als Gesetz zu beschließen." . . , 3 5 . Aus dieser Aufzählung ergibt sich, daß das neue Konkordat wie auch schon das ältere von 1817 sich nicht etwa bloß auf den Vollzug des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. Februar 180336 §§ 35 und 62, d. i. auf die Umschreibung der Diözesen und Bestimmung ihrer Sitze sowie auf die Regelung der vermögensrechtlichen Fragen beschränkt, vielmehr auch sonstige wichtige kirchliche und staatliche Belange zu sichern sucht. B. Im einzelnen
Art. 3. Die Entscheidung über die Aufnahme in den katholischen Priesterstand und über die Zulassung zu den Weihen kommt einzig und allein dem Diözesanbischofe, nicht dem Staate zu (vgl. so schon Art. X I I . Buchst, b des Konkordates von 1817). Die theologischen Fakultäten an den Universitäten München und Würzburg sind Einrichtungen für Heranbildung katholischer Priester; die philosophischtheologischen Hochschulen in Bamberg, Dillingen, Freising, Passau und Regensburg sind zwar allgemeine staatliche Bildungsanstalten, i n der Hauptsache jedoch besucht von solchen Studierenden, die sich ebenfalls dem katholischen Priesterstande zuwenden wollen. Schon auf Grund Art. V. Abs. 4 des alten Konkordates hatten daher die Diözesanbischofe Erinnerungsmöglichkeiten bei der Auswahl der Bewerber u m Verwendung als Hochschullehrer an einer der beiden theologischen Fakultäten in München oder Würzburg oder an einer der staatlichen philosophisch-theologischen Hochschulen überhaupt, außerdem — was ganz in der Natur der Sache lag — Erinnerungsmöglichkeiten bei der Auswahl der Bewerber für die Stellen der Religionslehrer an den Mittelschulen oder höheren Lehranstalten und gegebenenfalls nicht minder gegen das Verbleiben einer solchen Lehrperson in ihrer Stellung. Schon Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde den Diözesanbischöfen ein rechtliches Gehör förmlich zugestanden und — zuletzt in der Ministerialentschließung vom 28. März 1889 (Weber, Ges. und Ver. Sg. Bd. 19, S. 452) — geregelt. Art. 4. ... Die in § 2 erwähnten Professuren für Geschichte und Philosophie an den Universitäten München und Würzburg sind allgemeine Professuren für katholische Weltanschauung und nicht etwa bloß für Studierende der katholischen Theologie. Das Gewicht jedoch, das erfreulicherweise die katholische Kirche auf eine gediegene philosophische Ausbildung ihrer Kandidaten legt, und die Bedeutung, die i m allgemeinen Interesse der Wahrung des bisherigen Zusammenhanges der philosophischen und theologischen Ausbildung an den beiden Universitäten München und Würzburg beizulegen ist, rechtfertigen eine Berücksichtigung des kirchlichen Wunsches, wie sie auch durch die seinerzeitige Bewilligung der fraglichen Professuren durch den Landtag gebilligt ist. . . . 35 I n der ausgelassenen Passage werden die A r t i k e l des Konkordats inhaltlich knapp charakterisiert. 36 Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 5.
II. Abschluß und Inkraftsetzung des bayerischen Konkordats
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Art. 5. I n Bayern bildete nach dem bisherigen Landesrechte die Bekenntnisschule die Grundlage des Volksschulwesens. Durch die Reichsverfassung ist i m Hinblick auf den darin anerkannten Willen der Erziehungsberechtigten hieran nichts geändert. Art. 5 §§ 1 bis 4. Bekenntnisschulen bedingen eine dafür vorgebildete geeignete und willensbereite Lehrerschaft. Der Zugang zur Vorbildung (§ 1) und die Meldung für den Bekenntnisschuldienst (§ 2) sind ein Ausfluß des freien Entschlusses des Einzelnen 3 7 . Das Erfordernis des Besitzes der ausdrücklichen oder stillschweigenden kirchlichen Sendung für die Erteilung des Religionsunterrichtes 38 entspricht schon dem bisherigen Rechte. Die vom Reiche aufzustellenden Grundsätze für die Lehrerbildung i m Sinne des Art. 143 Abs. 2 der Reichsverfassung müssen der Möglichkeit der Ausbildung einer für Bekenntnisschulen geeigneten Lehrerschaft Rechnung tragen, und in der Richtung dieser Grundsätze w i r d die noch den Landtag beschäftigende landesrechtliche Regelung der allgemeinen und der Fachausbildung sowie der Abschlußprüfung vor sich gehen. Eine angemessene Vertretung und Anteilnahme der kirchlichen Oberbehörden beim Prüfungsgeschäfte rechtfertigt sich aus der bisher geübten Praxis und aus der Sachlage. . . . Art. 9 §§ 1 und 2 gewährleisten einen Schutz für die Orden und religiösen Kongregationen gegen ausnahmliche Behandlung, indem Errichtung und Betrieb von Privatschulen durch sie und die Zuerkennung von Berechtigungen an solche Schulen einschließlich der Eigenschaft als öffentliche Schulen unter das allgemeine Recht gestellt und die Erhaltung der öffentlichen Eigenschaft einer solchen Schule, mithin die Wahrung des Besitzstandes zugesichert wird. Art. 10. . . . Die Umschreibung der vermögensrechtlichen Verpflichtungen des Bayerischen Staates gegenüber der katholischen Kirche, i m besonderen jener zum Vollzuge des Reichsdeputationshauptschlusses in den Art. III, IV, V, VI, V I I und V I I I des alten Konkordates w i r d durch die Neufassung nach Maßgabe des § 1 a bis k vollständig ersetzt. a bis d: Die primäre Vereinbarung einer Realdotation, wie sie schon i m Konkordate von 1817 vorgesehen war, w i r d mit Ausnahme jener für die Seminare grundsätzlich aufrechterhalten; bis zu ihrer Durchführung ist jedoch die Gewährung von Ersatzleistungen in Geld und ein bestimmter beweglicher Maßstab dafür verabredet. . . . Die Art. 12 und 14 enthalten vertragsmäßige Bindungen des Oberhauptes der katholischen Kirche zugunsten der Wahrung öffentlicher Belange des Bayerischen Staates; die Möglichkeit der Vereinbarung neuer solcher Zugeständnisse und selbst der Erhaltung bisheriger solcher Rechte ist durch das gegenwärtige Reichs- und Landesverfassungsrecht begrenzt. Gemäß Art. 137 Abs. 3 der Reichsverfassung hat die katholische Kirche in bezug auf die Bildung und Umbildung ihrer Kirchensprengel sowie in bezug auf die Ausbildung und Auswahl ihrer Religionsdiener für die einzelnen Kirchenämter zur Zeit Anspruch auf grundsätzliche Freiheit inner37 Diese Formulierung sollte die Vereinbarkeit der Konkordatsbestimmung mit dem Art. 149 Abs. 2 WRV nachweisen, der die Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher Verrichtungen der Willenserklärung der Lehrer überließ. 38 Die Missio canonica.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
halb des Deutschen Reiches; nach Wegfall des zur Zeit noch geltenden Konkordats von 1817 würde dies auch für das bayerische Staatsgebiet gelten. I n Würdigung der bayerischen staatlichen Belange hat sich jedoch das Oberhaupt der katholischen Kirche nach Maßgabe der Art. 12 bis 14 des neuen Konkordats zu einer Sonderregelung für das Gebiet der katholischen Kirche innerhalb Bayerns verpflichtet. . . . Die mit der Reichsverfassung nicht mehr vereinbarlichen Befugnisse des Staatsoberhaupts zur Ernennung der Erzbischöfe und Bischöfe, Auswahl der Dompröpste, Besetzung der Domdekanate und der i n den 6 ungeraden Monaten sich erledigenden Kanonikate der Metropolitan- und Domkapitel werden durch die Bestimmungen der Art. 14 §§ 1 und 2 ersetzt. I n Art. 14 § 1 beschränkt das Oberhaupt der katholischen Kirche die i h m nach dem Cod. iur. can. c. 329 § 2 an sich zustehende freie Auswahl hinsichtlich der Besetzung der erzbischöflichen und bischöflichen Stühle: Es haben kraft allgemeiner kirchlicher Bestimmungen die Erzbischöfe und Bischöfe von drei zu drei Jahren Listen von Kandidaten vorzulegen, ebenso die Metropolitan- und Domkapitel Bayerns, außerdem aber je i m Erledigungsfalle das Kapitel der verwaisten Diözese. Der Hl. Stuhl übernimmt die Pflicht, nur aus diesen Listen den Kandidaten auszuwählen und jeweils vor der Veröffentlichung seiner Auswahl durch Benehmen mit der Bayerischen Staatsregierung sich zu versichern, daß gegen den Kandidaten Erinnerungen politischer Natur nicht vorliegen. Die Bedeutung dieses Zugeständnisses liegt insbesondere darin, daß nur ein von der bayerischen kirchlichen Körperschaft empfohlener Priester auf einen bayerischen Bischofsstuhl gelangen kann. Die Dignitäten verleiht der Papst allein nach Cod. iur. can. c. 396 § 1 und 1435 § 1. I n Art. 14 § 2 w i r d das Recht der Erzbischöfe und Bischöfe zur Besetzung der Kanonikate ihrer Kapitel, wie es i n Cod. iur. can. c. 403/404 vorgesehen ist, eingeschränkt und das Besetzungsrecht von Fall zu Fall wechselnd zwischen dem Ordinarius und dem Kapitel geteilt; die Kapitel sind dadurch gegenüber der bisherigen konkordatsmäßigen Regelung erheblich begünstigt. Durch Art. 14 § 3 w i r d i m Zusammenhange mit der kirchlichen Ernennung der wirklichen Pfarrer insbesondere die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 13 § 1 sichergestellt und zugleich auch der Fortbestand der i m Besitze des Bayerischen Staates befindlichen Patronats- und Präsentationsrechte aus besonderen kanonischen Rechtstiteln anerkannt. . . .
II. Abschluß und Inkraftsetzung des bayerischen Konkordats
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Nr. 176. Regierungserklärung über den Vollzug des Gesetzes zu den Verträgen mit den drei christlichen Kirchen in Bayern vom 14. Januar 1925 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1925, S. 68)
Konkordat m i t dem Heil. Stuhle
Vertrag m i t der rechtsrhein. Ev.-luth. Kirche
Vertrag m i t der Pfalzischen Landeskirche
Konkordat
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-
Art. 1 § 2
A r t . 1 Abs. I I
Art. 5 §§1 u n d 2
A r t . 5/6 Abs. 1
Art. 8
A r t . 12, 14
I m H i n b l i c k darauf, daß das Konkordat i n Bayern auch Landesgesetz ist, ist für seine Auslegung der deutsche Text maßgebend. A r t . 1 Abs. Π A r t . 137 Abs. I I I der Reichsverfassung w i r d durch die Bestimmungen des A r t . 1 § 2 des Konkordats u n d des A r t . 1 Abs. I I der Verträge m i t den beiden evangelischen K i r c h e n nicht berührt. Art. 8 und 4 Der Freiheit des Gewissens Abs. 1 u n d der Vereinigung der Lehrpersonen an Bekenntnisschulen sind andere Schranken, als sie durch die besonderen Amtsu n d Standespflichten bedingt sind, nicht gezogen. Die Neuanstellung von Lehrpersonen an Bekenntnisschulen ist bedingt durch das Vorhandensein der Erfordernisse der nebenangeführten Vertragsbestimmungen. Die Niederlegung des Religionsunterrichtes für sich allein ist nicht i n jedem Falle ein genügender Beweis dafür, daß die betreffende Lehrperson den angeführten Vertragsbestimmungen nicht mehr entspricht. A r t . 7, 8 Die staatliche Schulaufsicht w i r d aufrecht erhalten. Eine Wiedereinführung der früheren geistlichen Schulaufsicht steht nicht i n Frage. A n § 28 des
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate Schulaufsichtsgesetzes v o m 1. August 1922 w i r d festgehalten. Seine Bestimmungen k o m m e n bezüglich des Religionsunterrichtes an den übrigen Lehranstalten zur entsprechenden Anwendung. Der kirchlichen Oberbehörde oder deren Beauftragten sind bei Ausübung des Rechtes zum Besuche des Religionsunterrichts u n d des Rechtes zu allenfallsigen Beanstandungen des Unterrichts i n den weltlichen Fächern dienstauf sichtliche Befugnisse gegenüber dem Lehrpersonal nicht eingeräumt. Im Falle von Beanstandungen k o m m t die der Sach- u n d Rechtslage entsprechende Entscheidung nach Maßgabe staatlicher Bestimmungen dem Staate zu. A r t . 10
-
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Die Verpflichtung des Bayer. Staates zur Realdotation der katholischen Kirche steht fest u n d ist gewährleistet durch den A r t . 138 RV. u n d § 18 LV. Die Festsetzung der einzelnen Vermögenswerte i m Falle einer Durchführung der Dotation w i r d nur i m Einverständnis m i t dem Landtag getroffen.
Gleichzeitig m i t der Z u s t i m m u n g zum E n t w u r f eines Gesetzes zum neuen Konkordat u n d zu den Verträgen m i t den evangelischen K i r c h e n hat der Landtag beschlossen: 1. Der Landtag billigt die Regierungserklärung über den Vollzug des Gesetzes zu den Verträgen m i t den drei christlichen K i r c h e n i n Bayern u n d t r i t t ihr bei. 2. Diese E r k l ä r u n g w i r d dem Mantelgesetz als Anlage beigegeben u n d zugleich m i t dem Mantelgesetz i m Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht.
III. Der Vollzug des bayerischen Konkordats
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Nr. 177. Gesetz zu dem Konkordate mit dem Heiligen Stuhle und den Verträgen mit den Evangelischen Kirchen vom 15. Januar 1925 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1925, S. 53) A. Der Landtag des Freistaates Bayern hat folgendes Gesetz beschlossen: I. Das Konkordat mit dem Heiligen Stuhle vom 29. März 1924 (Anlage 1) w i r d als Staatsvertrag genehmigt. II. Das Konkordat vom 29. März 1924, sodann der Vertrag mit der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins vom 15. November 1924 (Anlage 2) sowie der Vertrag mit der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz vom 15. November 1924 (Anlage 3) werden i m Hinblick auf die darin enthaltenen Rechtssätze als Ganzes in Gesetzform beschlossen. III. Dieses Gesetz w i r d als dringend erklärt. B. A u f die Anlage 4 3 9 w i r d verwiesen.
I I I . Der Vollzug des bayerischen Konkordats Die zum Vollzug des bayerischen Konkordats notwendigen Gesetze und Verordnungen ergingen teilweise bereits vor dem Austausch der Ratifikationsurkunden. Am 7. April 1925 wurde das den Konkordatsbestimmungen entsprechende neue Gesetz über die Bezüge der Erzbischöfe, Bischöfe und Mitglieder der Domkapitel verabschiedet 1. Am 12. April 1925 erging die Vollzugsvorschrift, die die staatlichen Mitwirkungsrechte bei der Besetzung von Pfarreien im einzelnen regelte (Nr. 178). Sie fand eine Ergänzung durch die Mitteilung vom 16. Juli 1931 (Nr. 179); diese band die Ausübung staatlicher Patronats- und Präsentationsrechte bei der Besetzung von Pfarrstellen an einen Listenvorschlag des jeweiligen Ortsbischofs 2.
Nr. 178. Vollzugsvorschrift des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zu Art. 14 § 3 des bayerischen Konkordats, betreffend die Besetzung der Pfarreien vom 12. A p r i l 1925 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 105, 1925, S. 222ff.) — Auszug — 1. Art. 14 § 3 Satz 1 des neuen Konkordates mit dem Hl. Stuhle (GVB1. 1925, S. 534ff.) sieht das Erfordernis einer vorgängigen Mitteilung der Personalien des i n 39
Nämlich die Regierungserklärung vom 14. Januar 1925 (oben Nr. 176). GVB1. 1925, S. 135. 2 Vgl. J. Krieg, Ergänzungen zum neuen bayerischen Konkordat von 1924/ 25, in: ArchkathKR, 112 (1932), S.494ff.; W. Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. I (1962), S. 38ff. 1
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Aussicht genommenen Geistlichen nicht für die Vergebung aller Pfründen oder Stellen, vielmehr nur für die Ernennung der Pfarrer vor. Die kirchliche Oberbehörde w i r d demnach jeweils die Personalien der Geistlichen, dem eine Pfarrei i m Wege der freien oberhirtlichen Vergebung oder auf Grund eines Vorschlages (Präsentation eines Privatpatrons) oder auf Grund eines Nominationsrechtes verliehen werden soll, der Regierung, Kammer des Innern, mitteilen. Die Regierung, Kammer des Innern, wird, falls eine Erinnerung nicht veranlaßt erscheint, beschleunigt — d. i. längstens binnen 14 Tagen — die Äußerung in eigener Zuständigkeit abgeben, andernfalls jedoch die Verhandlungen dem Staatsminister i u m für Unterricht und Kultus zur Entscheidung unterbreiten. Dieses Verfahren entspricht dem bisherigen i m Falle des Schlußabsatzes des Art. X I des alten Konkordates 3 (vgl. Min.-Entschl. v. 9. Dezember 1923 Nr. 52699). Für Fälle der Vergebung anderer Pfründen oder Stellen (Kurat- oder Inkuratpfründen oder -stellen) freier oberhirtlicher Verleihung oder auf Grund Vorschlages (Präsentation) eines Privatpatrons oder beim Vorliegen eines Nominationsrechtes ist nach den neuen Vereinbarungen eine vorgängige Mitteilung der Personalien des in Aussicht genommenen Geistlichen nicht mehr erforderlich. 2. Nach Art. 14 § 3 letzten Satz des neuen Konkordates bleiben die staatlichen Patronats- oder Präsentationsrechte aus besonderen kanonischen Rechtstiteln i n der bisherigen Form unberührt. . . . Die Erzbischöflichen und Bischöflichen Ordinariate werden die Regierungen, Kammer des Innern, von der Verleihung der Pfründe oder Stelle an den vorgeschlagenen (präsentierten) Geistlichen i n Kenntnis setzen; auch die Geistlichen werden durch die kirchlichen Oberbehörden verständigt.
Nr. 179. Mitteilung des bayerischen Kultusministeriums, betreffend den Vollzug des Art. 14 § 3 Satz 2 des Bayerischen Konkordats vom 16. Juli 1931 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 111, 1931, S. 647f.) A n die Erzbischöflichen und Bischöflichen Ordinariate. A n die Regierungen, Kammern des Innern. Der Hl. Stuhl hat sich i m Wege freundschaftlichen Zugeständnisses bereit erklärt, davon abzusehen, bei Besetzung der Kanonikate in den Metropolitan- und Kathedralkapiteln von den Reservationsrechten des can. 1435 CJC. Gebrauch zu machen, wenn und solange die Bayerische Regierung sich bei Ausübung der staatlichen Patronats- und Präsentationsrechte aus besonderen kanonischen Rechtstiteln (Art. 14 § 3 Satz 2 des Konkordates) an die Dreizahl der Kandidaten für gebunden halten wird, die vom Diözesanordinarius frei ausgewählt und von diesem der Regierung eingereicht ist. Die Bayerische Staatsregierung hat sich dementsprechend i m Wege freundschaftlichen Zugeständnisses bereit erklärt, sich an die Dreizahl der vom Diözesanordinarius ausgewählten Kandidaten für gebunden zu 3
Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 73.
IV. Vorverhandlungen zum preußischen Konkordat
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halten, wenn und solange der Hl. Stuhl davon absehen wird, bei Besetzung der Kanonikate in den erzbischöflichen und bischöflichen Kapiteln von den Reservationsrechten des can. 1435 CJC. Gebrauch zu machen. Die Regierungen, Kammern des Innern, werden daher angewiesen, i m Vollzuge der Min. Entschl. vom 12. A p r i l 1925 Nr. I I 10472 Ziffer 2b i n den dem Staatsministerium vorzulegenden Bewerberverzeichnissen künftig nur jene drei Bewerber anzuführen, die der Diözesanordinarius auswählt und der Regierung, Kammer des Innern, mitteilt. Von den erwachsenen Verhandlungen sind nur jene vorzulegen, die sich auf diese drei Bewerber beziehen. Die erzbischöflichen und bischöflichen Ordinariate sind verständigt.
IV. Vorverhandlungen zum preußischen Konkordat Erste Überlegungen zu einem preußischen Konkordat wurden gleichzeitig mit den Verhandlungen zum Reichskonkordat und zum bayerischen Konkordat angestellt . Ausgelöst wurden sie im Jahr 1921 besonders dadurch, daß der Vatikan in Zweifel zog, ob die alten Vereinbarungen, vor allem die Bulle De salute animarum, angesichts der territorialen Veränderungen Preußens nach Kriegsende noch in Geltung standen 1. Darüber fand am 31. Dezember 1921 eine Besprechung zwischen dem päpstlichen Nuntius Pacelli und dem preußischen Kultusminister Boelitz 2 sowie dem Staatssekretär Becker 3 statt 4. Weiterreichende Pläne waren dadurch erschwert, daß die Kurie auf der Einbeziehung der Schulfrage in Konkordatsverhandlungen bestand, während die preußische Regierung entschlossen war, die Schulfrage auszuklammern. Die Kurie ließ 1924 erkennen, daß sie die Zirkumskrip-
1 Nahrung erhielten solche Zweifel durch die Allokution Papst Benedikts XV. vom 21. November 1921, in der es hieß: „Bekanntlich sind nach dem letzten furchtbaren Kriege teils neue Staaten entstanden, teils alte Staaten durch Erwerb von Provinzen gewachsen. Da liegt es auf der Hand, daß diese Staaten die Privilegien, die dieser Hl. Stuhl durch Verträge anderen eingeräumt hatte, keinesfalls für sich in Anspruch nehmen können, da ein Rechtsgeschäft unter anderen weder Vorteile noch Rechte für Dritte schafft. Ferner sind einige Staaten aus diesem Umschwung der Dinge völlig neu entstanden, so daß diese nicht als die gleiche juristische Person gelten können, mit der der Hl. Stuhl ehemals verhandelt hat. Daraus folgt zwingend, daß auch die Verträge, die zwischen dem Hl. Stuhl und diesen Staaten früher bestanden, ihre Gültigkeit verloren haben" (Text: F. Giesel F. A. Frh. v. d. Heydte , Der Konkordatsprozeß, 1956, S. 119). 2 Otto Boelitz : oben S. 180, Anm. 2. :i Carl Heinrich Becker (1876-1933), Orientalist; 1902 Privatdozent i n Heidelberg; 1908 Professor für Geschichte und K u l t u r des Orients am Kolonialinstitut i n Hamburg; 1913 Prof. für Orientalistik i n Bonn; 1916 Vortr. Rat i n der Hochschulabteilung des preuß. Kultusministeriums; seit Februar 1919 Unterstaatssekretär, seit Anfang 1920 Staatssekretär daselbst; vom 21. A p r i l bis 1. November 1921 Kultusminister, dann erneut Staatssekretär; vom 18. Februar 1925 bis 30. Januar 1930 wieder Kultusminister (parteilos, der DDP nahestehend); anschließend o. Prof. an der Universität Berlin. 4 Vgl. den Aktenvermerk des Staatssekretärs Becker (Text: R. Morsey , Zur Vorgeschichte des Reichskonkordats aus den Jahren 1920 und 1921, in: ZRG, Kan.Abt. 44, 1956, S. 262ff.).
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
tionsbullen von 1821 und 18245 weiterhin als gültig ansah6. Doch erst nach dem Inkrafttreten des Bayerischen Konkordats kamen die preußischen Konkordatsverhandlungen 1926 in Gang. Sie wurden kirchlicher seits von Pacelli, staatlicher seit s vom Kultusminister Becker sowie dem Finanzminister Höpker-Aschoff 7 geführt. Als Berater waren auf staatlicher Seite ferner der Ministerialdirektor Trendelenburg 8 und der Kirchenrechtslehrer Heyer 9 beteiligt 10. Diese Verhandlungen waren von einer lebhaften öffentlichen Debatte und nachdrücklichen Protesten begleitet. Neben die Frage, ob das Schulproblem in das Konkordat einzubeziehen sei, trat in dieser Debatte der Vorwurf, ein Konkordatsabschluß werde die Interessen der evangelischen Mehrheit in Preußen beeinträchtigen. Die Generalsynode der altpreußischen Landeskirche machte sich wiederholt zum Sprecher dieser Bedenken (Nr. 181). Demgegenüber wies der Kultusminister Becker am 7. Februar vor dem Hauptausschuß des preußischen Landtags alle gegen die Regierung erhobenen Vorwürfe zurück (Nr. 180); wenig später wiederholte er diese Erklärung vor dem Plenum des Landtags 11. Doch obwohl die Regierung den Grundsatz der konfessionellen Parität unterstrich, unternahm sie nichts, um zugleich mit dem Konkordat einen Vertrag mit den evangelischen Landeskirchen Preußens zustande zu bringen12. Vielmehr kam in ihren politischen Plänen dem Vertragsabschluß mit dem
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Nämlich die für das damalige Preußen ergangene Bulle De salute animarum (Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 91) und die für das damalige Königreich Hannover ergangene Bulle Impensa Romanorum Pontificum (ebenda Nr. 120). 6 Schreiben des Nuntius Pacelli vom 7. Mai 1924; Antwortschreiben des Kultusministers Boelitz vom 19. Mai 1924 (dazu E. Wende, C. H. Becker. Mensch und Politiker, 1959, S. 272). 7 Herrmann Höpker-Aschoff (18&3-1954), preuß. Jurist; zunächst i m Justizdienst; 1921 Oberlandesgerichtsrat in Hamm; 1921-32 Mdpreuß. LT (DDP); vom 18. Februar 1925 bis 12. Oktober 1931 preuß. Finanzminister; September 1930 bis Juni 1932 MdR (DStP); 1948-49 M. d. Pari. Rats; 1949-51 MdB (FDP); 1951-54 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. 8 Friedrich Trendelenburg (1878-1962), Jurist; zunächst i m preuß. Justizdienst; 1912 Reg.Rat i m preuß. Kultusministerium, 1919 Vortr.Rat, 1922 Min.Rat; 1924-33 Min.Direktor und Leiter der Kirchenabteilung; 1934-43 Direktor an der preuß. Oberrechnungskammer in Potsdam. 9 Friedrich Heyer (1878-1973), Staats- und Kirchenrechtslehrer; 1919 Privatdozent in Bonn, 1921 Professor in Breslau, 1928 i n Bonn; 1926-29 Mitglied der staatl. Verhandlungskommission für das Konkordat mit dem Hl. Stuhl. 10 Die erste Unterredung fand am 27. März 1926 statt. Über sie notierte der ebenfalls beteiligte Staatssekretär Aloys Lammers (1877-1966; Bruder des späteren Chefs der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers; 1925-33 Staatssekretär i m preuß. Kultusministerium): „Geheimhaltung, besonders gegenüber der Presse; Offenhalten einer rechtzeitigen Fühlungnahme mit der evangelischen Kirche; vorläufig unverbindlicher Charakter der Verhandlungen, Schulfrage, Besetzung der Bischofsstühle, politische Klausel, Wahlrecht der Domkapitel, Kapitelbesetzung, Zirkumskriptionsfrage, besonders des Ostens" (zitiert aus dem Nachlaß Lammers; HStA Düsseldorf bei H. Hömig, Das preußische Zentrum in der Weimarer Republik, 1979, S. 189 f.; vgl. auchE. Gräfin Rittberg, Der preußische Kirchenvertrag von 1931. Seine Entstehung und seine Bedeutung für das Verhältnis von Staat und Kirche in der Weimarer Republik, Diss. phil. Bonn 1960, S. 94f., S. 98f.). 11 Erklärung des Kultusministers Becker von dem Plenum des Landtags am 16. März 1927 (SB des preuß. Landtags, 2.Wahlper., 1. Tagung, Bd. 12, 1927, Sp. 17873 ff.). 12 Dazu unten Nr. 30811.
IV. Vorverhandlungen zum preußischen Konkordat
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Heiligen Stuhl eindeutig der Vorrang zu. Die Fuldaer Bischofskonferenz rechtfertigte die Konkordatsverhandlungen in einer Erklärung vom 10. August 1927 (Nr. 182)13.
Nr. 180. Erklärung des Kultusministers Becker im Hauptausschuß des preußischen Landtags zur Konkordatsfrage vom 7. Februar 1927 (Verhandlungen der achten Generalsynode der Evang. Kirche der altpreuß. Union, 1. Teil, Berlin 1927, S. 651 ff.) Der Herr Abg. Winckler 14 und andere Vorredner haben das Konkordatsproblem berührt. Ich bin dankbar, daß mir damit Gelegenheit gegeben wird, mich zu dieser die Öffentlichkeit in steigendem Maß beschäftigenden, für das Verhältnis des Staats zur Kirche so bedeutsamen Frage zu äußern, wie dies übrigens ohnedies i n meiner Absicht gelegen hat. Wenn ich die zahlreichen Stimmen der Presse, aber auch manche Resolutionen mir vergegenwärtige, die diesem Problem gewidmet sind, so ist nicht selten ein Unterton zu verspüren, der nicht nur der Sorge u m das Schicksal dieser wichtigen Frage Ausdruck gibt, sondern geradezu als Vorwurf gegen die Staatsregierung hindurchklingt. Die Staatsregierung — so w i r d mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben — schicke sich an, wertvolle kulturpolitische Hoheitsrechte preiszugeben und damit wichtigste Güter des deutschen Geisteslebens aufs Spiel zu setzen. Weiter w i r d bemängelt, daß die Staatsregierung überhaupt bereit sei, sich auf den Weg der Verhandlungen mit der Kirche zu begeben, während es für den Staat sicherer und würdiger sei, die in Frage stehenden Verhältnisse i m Wege seiner eigenen Gesetzgebung lediglich nach seinen eigenen Bedürfnissen zu ordnen. Soweit i n solchen öffentlichen Erörterungen eine versteckte konfessionelle Polemik zum Ausdruck kommt, muß ich deren Erledigung selbstverständlich den unmittelbar dabei Beteiligten überlassen. Soweit die Erörterungen dagegen die Frage vom Standpunkt der staatlichen Interessensphäre beleuchten und von diesem Gesichtspunkt aus Bedenken oder Einwendungen gegen die vermutete
13 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 918ff.; E. Wende, C. H. Becker. Mensch und Politiker (1959), S. 268ff.; D. Golombek, Die politische Vorgeschichte des Preußenkonkordats (1970); H. Hömig, Das preußische Zentrum in der Weimarer Republik (1979), S. 179ff.; St. A .Stehlin, Weimar and the Vatican 1919-1933 (1983), S. 412 ff. 14 Friedrich Winckler (1856-1943), Jurist und Rittergutsbesitzer, D. theol. (Halle 1923); 1886 Landrat des Kreises Zeitz; 1900-22 Generaldirektor der Landesfeuersozietät des Herzogtums Sachsen; 1893-1918 MdprAH; 1903-11 MdR (Kons.); 1921-32 MdprLT (DNVP; 1927-28 Fraktionsvorsitzender). Seit 1893 Mitglied der Sächsischen Provinzialsynode (1920-29 deren Präses); seit 1905 Mitglied der altpreußischen Generalsynode; 1915 Vorsitzender des Generalsynodalvorstands; 1920 Präsident der interimistisch zusammentretenden alten Generalsynode, maßgeblich an der Vorbereitung der Verfassung der altpreußischen Landeskirche von 1922 beteiligt; 1925-33 Präses der Generalsynode und Vorsitzender des Kirchensenats, Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchentags und des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Stellungnahme der Staatsregierung erheben, liegt auch mir daran, mich mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen zum Stande der Dinge zu äußern. Vorweg kann ich freilich meine Verwunderung darüber nicht verhehlen, daß die in manchen öffentlichen Äußerungen hervortretende Beunruhigung zu einem wesentlichen Teil auf der Annahme beruht, die Staatsregierung lasse sich i n dieser Frage nicht von rein staatspolitischen Beweggründen leiten, sondern sei mehr oder weniger von anderen Rücksichten beeinflußt. Der hierin liegende Vorwurf ist mir u m so weniger verständlich, als schon in der am 8. Mai v. J. i m Plenum des Landtags in meinem Namen abgegebenen Erklärung mit aller Deutlichkeit betont worden ist, daß die Staatsregierung lediglich vom Interessenstandpunkt des Staates diesen wichtigen Fragen ihre Aufmerksamkeit und ihre Arbeit widme. Was diesen staatlichen Interessenkreis angeht, so kann der Ausgangspunkt aller Überlegungen freilich kein anderer sein, als das durch die Reichsverfassung geschaffene Verhältnis, das sich erheblich unterscheidet von den vor der Staatsumwälzung bestehenden theoretischen und praktischen Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Daß die Staatsregierung die zahlreichen hiernach zur Diskussion stehenden Probleme nicht nur unter abstrakt staatlichem, sondern unter konkret preußischem Gesichtswinkel prüft, davon bitte ich sie zu jeder Zeit überzeugt zu sein. Das Beispiel anderer deutscher Länder 1 5 kann für Preußen — wie auf manchen anderen Gebieten so auch hier — i m einzelnen keineswegs maßgebend sein. Soweit also die Vorwürfe oder Besorgnisse aus Befürchtungen dieser A r t sich herleiten, gehen sie von irrigen Voraussetzungen aus. Die Größe Preußens, seine territoriale Lage, die konfessionelle Gliederung seiner Bevölkerung, die bestehenden sozialen und politischen Spannungen können bei der Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche nicht außer acht gelassen werden. Insbesondere ist sich die Staatsregierung bewußt, daß bei der Wahrung des konfessionellen Friedens die spezifisch preußischen Verhältnisse volle Beachtung zu finden haben. Nun hat man gerade von diesem Gesichtspunkt aus dem preußischen Staat geraten und es als seine Pflicht hingestellt, die preußischen kirchenpolitischen Interessen durch preußisches Staatsgesetz zu regeln. Ich bitte es mir zu glauben, daß die Staatsregierung es an der Prüfung dieser Frage nicht hat fehlen lassen. Aber auch hier können die ungleich einfacheren Verhältnisse anderer Länder für Preußen nicht ohne weiteres als vorbildlich hingestellt werden. A u f alle Fälle darf es der Staatsregierung nicht verwehrt sein, zu versuchen, ob nicht durch Verständigung mit den Religionsgesellschaften eine für Staat und Volk günstigere Lösung erzielt werden kann, als es durch einseitiges Vorgehen möglich ist. Daß jede etwaige Vereinbarung sich i m Rahmen der Reichsverfassung und der preußischen Verfassung zu halten hätte, ist selbstverständlich. Das mag auch diejenigen beruhigen, die besondere Besorgnisse für das Schulgebiet hegen. Gerade hier w i r d das über die besondere Lage in Preußen Gesagte Geltung beanspruchen können. Nach diesen Darlegungen werden Sie selbst ermessen können, daß die Dinge sich durchaus i m Stadium der Prüfung und Überlegung befinden. Wenn die Presse von 15 Angespielt w i r d damit insbesondere auf das bayerische Konkordat (oben Nr. 174).
IV. Vorverhandlungen zum preußischen Konkordat
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einem unmittelbar bevorstehenden Abschluß bald Preußens, bald des Reiches zu wissen meint, so ist dies, wie ich wohl auch für das Reich ruhig erklären kann, aus der Luft gegriffen — wie dies übrigens gleicherweise für fast alle in der Presse auftauchenden Einzelbehauptungen gilt. Die Angelegenheit hat das Preußische Staatsministerium als solches bisher überhaupt noch nicht beschäftigt. Ich darf Sie bitten, der Staatsregierung das Vertrauen zu schenken, daß bei den Erwägungen und Verhandlungen nach keinen anderen als den angedeuteten Grundsätzen verfahren w i r d und daß dem Landtage rechtzeitig Gelegenheit gegeben wird, sich hiervon zu überzeugen. Es handelt sich, ich wiederhole es, nicht u m Preisgabe staatlicher Interessen, sondern u m deren Wahrung.
Nr. 181. Beschluß der preußischen Generalsynode zur Konkordatsfrage vom 12. Mai 192716 (Verhandlungen der achten Generalsynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union. 1. Teil, 1927, S. 633f.) 1. Nach Entgegennahme der näheren Mitteilungen des Kirchensenats über den Stand der Konkordatsfrage erklärt die Generalsynode: Die schweren Sorgen, denen die Generalsynode 1925 in ihrem Beschluß 62 gegenüber der Konkordatsfrage und den i n ihr liegenden Gefahren Ausdruck gegeben h a t 1 7 , sind durch die seitherige Entwicklung noch gesteigert worden. Insbesondere besteht die ernsteste Besorgnis, daß über das Gebiet äußerer Organisation und finanzieller Beziehungen hinaus, auf dem seit 1821 Vereinbarungen zwischen dem preußischen Staat und der Kurie bestehen 18 , noch andere Fragen, namentlich auch auf dem Gebiete des Schulwesens, zum Gegenstande vertragsmäßiger Regelung zwischen Staat und römisch-katholischer Kirche gemacht werden sollen. Die Generalsynode müßte hierin eine wesentliche Verschärfung der i n der Konkordatsfrage an sich gegebenen Gefahren erblicken und davon eine schwere Schädigung der ev. Kirche, der Volksgemeinschaft und des Staates, insbesondere auch eine verhängnisvolle Störung des konfessionellen Friedens befürchten; gegen eine solche Regelung müßte die Generalsynode mit allem Nachdruck Einspruch erheben. Die Generalsynode fordert von den verantwortlichen Stellen in Regierung und Parlament, daß den bezeichneten Gefahren wirksam vorgebeugt wird. Sie billigt mit Dank und Befriedigung die bisherige Behandlung der Konkordatsfrage durch Kirchensenat und Evangelischen Oberkirchenrat und spricht ihnen für die Weiterführung der Angelegenheit ihr Vertrauen aus. 16 Von der Generalsynode auf Vorschlag des Verfassungsausschusses einstimmig beschlossen. Eingebracht wurde der Antrag von Günther Holstein (1892-1931), Staats- und Kirchenrechtslehrer; 1921 Privatdozent i n Bonn, 1924 Professor i n Greifswald, 1930-31 i n Kiel. 17 Verh. der altpreuß. Generalsynode, 1925, Teil I, S. 538. 18 Nämlich seit der Bulle De salute animarum (Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 91).
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Sollte der weitere Verlauf der Dinge eine Gefahrdung der Lebensbelange des ev. Volksteils befürchten lassen, so erwartet die Generalsynode, daß ihr zu erneuter Stellungnahme rechtzeitig Gelegenheit gegeben wird.
Nr. 182. Erklärung der Fuldaer Bischofskonferenz zu den Konkordatsverhandlungen vom 10. August 1927 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 107, 1927, S. 737f.) Die Kunde von den Verhandlungen, die zwischen dem Vertreter des Heiligen Stuhles und der Staatsregierung über Neuordnung von Verhältnissen zwischen der katholischen Kirche und Preußen eingeleitet sind, hat Anlaß gegeben zu einer Bewegung in nichtkatholischen Kreisen, die den Episkopat mit Sorge erfüllt. Die in der Fuldaer Bischofskonferenz vereinigten Oberhirten haben daher beschlossen, die nachstehende Erklärung der Öffentlichkeit zu übergeben. Die von gewisser Seite aufgestellte Forderung, der Staat solle die einschlägigen Angelegenheiten selbständig durch Staatsgesetz regeln, beruht auf einer irrigen Voraussetzung. Die von Christus dem Herrn gegründete Kirche leitet ihre Befugnisse unmittelbar von Christus und nicht von der Autorität des Staates ab. Staatliche und kirchliche Autorität sind jede auf ihrem Gebiete selbständig. Daraus folgt von selbst, daß in Angelegenheiten, die gemeinsamer Natur sind und die Rechts- und Aufgabengebiete beider Autoritäten berühren, die Verhältnisse durch Vereinbarung beider geordnet werden müssen. Solche Neuordnung ist nach der tiefgreifenden Umgestaltung von Verhältnissen des öffentlichen Lebens, die i m letzten Jahrzehnt eingetreten ist, notwendig geworden. Für die katholische Kirche ist zur Neuordnung nicht der einzelne Bischof, auch nicht die Bischofskonferenz zuständig, sondern der Apostolische Stuhl, da nach katholischer Glaubenslehre der Jurisdiktionsprimat des Römischen Papstes als Nachfolger Petri, auf Christi Einsetzung beruhend, die Leitung der Gesamtkirche umfaßt, während dem einzelnen Bischöfe nur die Hirtengewalt in der einzelnen Diözese übertragen ist, u m in ihr nach des Apostels Wort „die Kirche Gottes zu regieren" 1 9 in Unterordnung unter die höchste kirchliche Autorität. Daher hat das ganze katholische Volk ein Anrecht darauf, daß die Neuordnung der Verhältnisse, bei der keineswegs ein Übergriff in das Gebiet der staatlichen Zuständigkeit zu befürchten ist, durch Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl erfolge. Diese Verhandlung unmöglich zu machen, würde ein Eingriff i n die Rechte der kirchlichen Autorität und des katholischen Volkes sein, das nie und nimmer auf die Forderung verzichten wird, daß die Neuordnung der einschlägigen Verhältnisse auf dem Wege erfolgt, der ebenso den unveräußerlichen Rechten der katholischen Kirche wie der Stellung des Staates entspricht. Es würde nicht dem Frieden dienen, wenn solche Neuordnung i n einer Weise angestrebt würde, die auf die Grundrechte der katholischen Kirche nicht geziemende Rücksicht nähme. Einzig zur Behebung von Irrtümern über die Natur und Notwendigkeit der schwebenden Verhandlungen und damit zur Wahrung des öffentlichen Friedens möge diese unsere Erklärung dienen. 19
Apostelgeschichte 20,18.
V. Abschluß und Inkraftsetzung des preußischen Konkordats
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V. Abschluß und Inkraftsetzung des preußischen Konkordats Die Konkordatsverhandlungen zwischen der preußischen Regierung und dem päpstlichen Nuntius Pacelli kamen im Frühjahr 1929 zum Abschluß. Nachdem das preußische Kabinett seine Zustimmung erklärt hatte, wurde der Vertrag am 14. Juni 1929 unterzeichnet (Nr. 183). Wie im Fall des bayerischen Konkordats erklärte die Reichsregierung auch jetzt, daß reichsverfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben seien. Mit knapper Mehrheit sprach sich auch der preußische Staatsrat für das Konkordat aus1. Am 1. Juli 1929 brachte die Regierung das Konkordat im Landtag ein. Die Regierungsbegründung vom 28. Juni 1929 verdeutlichte, daß durch das Konkordat die noch verbliebenen Regelungen aus der preußischen Kulturkampfgesetzgebung aufgehoben würden (Nr. 184). Im Mittelpunkt der parlamentarischen Beratungen stand die Frage der konfessionellen Parität. Am 9. Juli forderte der Landtag die Regierung in einer gesonderten Resolution auf, alsbald auch mit den evangelischen Kirchen in Vertragsverhandlungen einzutreten 2. Der Minister3 präsident Braun antwortete, „daß die Staatsregierung einmütig auf dem Boden dieses Antrags" stehe 4. Zwar konnte Braun auch mit dieser Erklärung den Widerstand der Rechtsparteien gegen das Konkordat nicht überwinden. Gleichwohl fand sich bei der abschließenden dritten Lesung eine ausreichende Mehrheit des Landtags zur Zustimmung bereit (Nr. 185) 5. In den Konkordatsverhandlungen war die Schulfrage, also insbesondere die Frage nach dem Fortbestand der Konfessionsschulen, ausgeklammert worden. Jedoch mußte sich die preußische Regierung bereitfinden, noch vor dem Austausch der Ratifikationsurkunden in einem Notenwechsel mit der Kurie die status-quoGarantie des Art. 174 WRV ausdrücklich zu bestätigen (Nr. 186, Nr. 187). Während die Kurie diesen Notenwechsel als Bestandteil des Vertragswerks betrachtete und entsprechend veröffentlichte, vermied die preußische Regierung eine amtliche Publikation. Im Unterschied zum bayerischen Konkordat enthielt das preußische Konkordat wichtige Entscheidungen über die Neubildung und neue Zirkumskription von 1 44 Stimmen der Regierungsparteien (Zentrum, DDP, SPD) sprachen sich für, 36 Stimmen gegen das Konkordat aus. 2 Der Text der Resolution vom 9. Juli 1929 ist wiedergegeben in der Regierungsbegründung zu dem Vertrag des Freistaats Preußen mit den evangelischen Landeskirchen vom 2. Juni 1931 (unten Nr. 311). 3 Otto Braun (1872-1955), Buchdrucker, dann Redakteur und Druckereibesitzer; seit 1900 Geschäftsführer der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Königsberg; seit 1911 i m Parteivorstand der SPD (bis 1921 als Hauptkassier). I m 1. Weltkrieg Mehrheitssozialist. 1913-18 MdprAH, 1919/20 MdWeimNatVers., 1920-33 MdR und MdprLT. Vom November 1918 bis A p r i l 1921 preuß. Landwirtschaftsminister, vom März 1920 bis A p r i l 1921 zugleich Ministerpräsident; vom November 1921 bis Januar 1925 sowie vom A p r i l 1925 bis Juli 1932 Ministerpräsident (vorläufig amtsenthoben am 20. Juli 1932; i n einen Teil seiner Funktionen wiedereingesetzt am 25. Oktober 1932; endgültig dienstenthoben am 6. Februar 1933). Seit dem 4. März 1933 in der Schweiz. 4 Sitzungsberichte des preuß. Landtags, 1929, Bd. 6, Sp. 7698. 5 Das Konkordat wurde mit 243 Stimmen von Wirtschaftspartei, Zentrum, DDP und SPD gegen 172 Stimmen von NSDAP, DNVP und K P D angenommen (ebenda Sp. 7956ff.).
21 Huber
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Diözesen 6. Dem Metropolitanbezirk Köln gehörten nun neben den Bistümern Münster und Trier das neugebildete Bistum Aachen, das bisher exemte Bistum Osnabrück sowie das bisher der Oberrheinischen Kirchenprovinz zugeteilte Bistum Limburg an. Das Bistum Paderborn schied aus dem Kölner Metropolitanbezirk aus und wurde zum Erzbistum erhoben; ihm wurden die Diözesen Hildesheim (bisher exemt) und Fulda (bisher Teil der Oberrheinischen Kirchenprovinz) als Suffraganbistümer unterstellt. Dem neuen Erzbistum Breslau wurden als Suffraganbistümer zugewiesen: das bisher exemte Bistum Ermland, das neuerrichtete Bistum Berlin sowie die neuerrichtete Praelatura nullius Schneidemühl, in der die im Deutschen Reich verbliebenen Teile des Erzbistums Posen-Gnesen und des Bistums Kulm zusammengefaßt waren. Bei der Neubesetzung der erzbischöflichen und bischöflichen Stühle hielt das preußische Konkordat — im Gegensatz zum bayerischen — am Wahlrecht der Domkapitel fest, das mit der „politischen Klausel", nämlich einem staatlichen Erinnerungsrecht aus politischen Gründen, verbunden war. Diese Regelungen blieben ebenso langfristig in Geltung wie die Vereinbarungen über die Höhe der staatlichen Dotationen, über das Recht der Katholisch-Theologischen Fakultäten und über die Bischöflichen Seminare. Mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden am 13. August 1929 in Kraft 7.
trat das preußische
Konkordat
Nr. 183. Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen vom 14. Juni 1929 (Deutscher und italienischer Text: Preußische Gesetz-Sammlung, 1929, S. 152) Seine Heiligkeit Papst Pius X I . und das Preußische Staatsministerium, die in dem Wunsche einig sind, die Rechtslage der katholischen Kirche in Preußen den veränderten Verhältnissen anzupassen, haben beschlossen, sie i n einem förmlichen Vertrag neu und dauernd zu ordnen. 6
Siehe dazu die Zirkumskriptionsbulle vom 13. August 1930 (unten Nr. 188). Siehe neben der oben S. 317, Anm. 13 genannten Literatur insbesondere: L . Zscharnack, Das Preußen-Konkordat (1929); J. Danziger, Beiträge zum preußischen Konkordat vom Jahre 1929 (Diss. jur. Breslau 1930); A. M. Koeniger, Das preußische Konkordat vom 14. Juni 1929 und die Zirkumskriptionsbulle vom 13. August 1930 (1931); ders., Die neuen deutschen Konkordate und Kirchenverträge (1932), S. 3ff.; W. Becker, Die „politische Klausel" des Vertrags zwischen dem Freistaat Preußen und dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929 vom Standpunkt der Reichsverfassung (Diss. jur. Marburg 1932); L . Link, Die Besetzung der kirchlichen Ämter i n den Konkordaten Papst Pius X I . (1942); M. Steinhausen, Die Entwicklung der politischen Klausel i n bezug auf die Besetzung der Bischofsstühle i n den Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche, insbesondere i n der Vereinbarung zwischen dem Staat Preußen und dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929 (Diss. jur. Bonn 1956); W. Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, B d . I (1962), S. 67ff.; R. Morsey, Zur Geschichte des Preußischen Konkordats und der Errichtung des Bistums Berlin, in: Wichmann-Jahrbuch für Kirchengeschichte i m Bistum Berlin, 19/20 (1965/66), S. 64ff.; H. Mussinghoff Theologische Fakultäten i m Spannungsfeld von Staat und Kirche. Entstehung und Auslegung der Hochschulbestimmungen des Konkordats mit Preußen von 1929 (1979). 7
V. Abschluß und Inkraftsetzung des preußischen Konkordats
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Zu diesem Zwecke haben Seine Heiligkeit zu Ihrem Bevollmächtigten Seine Exzellenz den Herrn Apostolischen Nuntius i n Berlin und Erzbischof von Sardes Dr. Eugen Pacelli und das Preußische Staatsministerium zu seinen Bevollmächtigten den Herrn Preußischen Ministerpräsidenten Dr. Otto Braun, den Herrn Preußischen Staatsminister und Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Professor D. Dr. Carl Heinrich Becker und den Herrn Preußischen Staats- und Finanzminister Dr. Herrmann Aschoff
Höpker-
ernannt, die nach Austausch ihrer für gut und richtig befundenen Vollmachten folgende Bestimmungen vereinbart haben. Art. 1. Der Freiheit des Bekenntnisses und der Ausübung der katholischen Religion w i r d der Preußische Staat den gesetzlichen Schutz gewähren. Art. 2. (1) Die gegenwärtige Diözesanorganisation und -zirkumskription der katholischen Kirche Preußens bleibt bestehen, soweit sich nicht aus dem Folgenden Änderungen ergeben. (2) I n Aachen wird wieder ein Bischöflicher Stuhl errichtet und das Kollegiat- i n ein Kathedralkapitel umgewandelt. Das Bistum Aachen w i r d den Regierungsbezirk Aachen sowie die Kreise Grevenbroich, Gladbach, M.Gladbach, Rheydt, Krefeld (Stadt und Land) und Kempen umfassen und der Kölner Kirchenprovinz angehören. (3) Dem Bistum Osnabrück werden die bisher von seinem Bischof verwalteten Missionsgebiete einverleibt. Es w i r d i n Zukunft Suffraganbistum des Metropoliten von K ö l n sein. (4) Dem Bischöflichen Stuhle zu Paderborn w i r d der Metropolitancharakter verliehen; das dortige Kathedralkapitel w i r d Metropolitankapitel. Zur Paderborner Kirchenprovinz werden außer dem Erzbistum Paderborn die Bistümer Hildesheim und Fulda gehören. A n die Diözese Fulda tritt die Paderborner die Bezirke ihres Kommissariats Heiligenstadt und ihres Dekanats Erfurt ab. (5) Das Bistum Fulda überläßt den Kreis Grafschaft Schaumburg dem Bistum Hildesheim und den bisher ihm zugehörigen Teil der Stadt Frankfurt dem Bistum Limburg. Wie Fulda so w i r d auch dieses aus seinem bisherigen Metropolitanverband gelöst, aber der Kölner Kirchenprovinz angegliedert. (6) Der Bischöfliche Stuhl von Breslau w i r d zum Sitze eines Metropoliten, das Breslauer Kathedral- zum Metropolitankapitel erhoben. Der bisher dem Bischof von Breslau mitunterstehende Delegaturbezirk Berlin w i r d selbständiges Bistum, dessen Bischof und Kathedralkapitel bei St. Hedwig in Berlin ihren Sitz nehmen. I n Schneidemühl w i r d für die derzeit von einem Apostolischen Administrator verwalteten westlichen Restgebiete des Erzbistums (Gnesen-)Posen und des Bistums K u l m eine Praelatura nullius errichtet. Das zur Zeit vom Bischof von Ermland als Apostolischem Administrator mitverwaltete, früher zur Diözese K u l m gehörige Gebiet von Pomesanien w i r d mit dem Bistum Ermland vereinigt. Die Bistümer Ermland und Berlin und die Prälatur Schneidemühl werden zusammen mit dem Erzbistum Breslau die Breslauer Kirchenprovinz bilden. 2*
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
(7) Das Kathedralkapitel in Aachen w i r d aus dem Propste, sechs residierenden und vier nichtresidierenden Kapitularen und sechs Vikaren, das Kathedralkapitel in Berlin aus dem Propste, fünf residierenden und einem nichtresidierenden Kapitular und vier Vikaren, das Kathedralkapitel i n Frauenburg in Zukunft aus dem Propste, dem Dechanten, sechs residierenden und vier nichtresidierenden Kapitularen und vier Vikaren bestehen. I m Metropolitankapitel von Breslau w i r d die bisher dem Propste von St. Hedwig in Berlin vorbehaltene Stelle aufgehoben. I n Hildesheim und i n Fulda w i r d die Zahl der residierenden Domkapitulare künftig fünf betragen. (8) Eines der nichtresidierenden Mitglieder der Metropolitankapitel von K ö l n und Breslau und des Kathedralkapitels von Münster soll der i n dem betreffenden Erzbistum oder Bistum bestehenden theologischen Fakultät entnommen werden. (9) Eine in Zukunft etwa erforderlich erscheinende Neuerrichtung eines Bistums oder einer Kirchenprovinz oder sonstige Änderung der Diözesanzirkumskription bleibt ergänzender späterer Vereinbarung vorbehalten 8 . Dieser Form bedarf es nicht bei Grenzverlegungen, die lediglich i m Interesse der örtlichen Seelsorge geschehen. (10) Zur Unterstützung des Diözesanbischofs w i r d in Zukunft den Erzbischöflichen Stühlen von Köln, Breslau und Paderborn und den Bischöflichen Stühlen von Trier, Münster und Aachen ein Weihbischof zugeteilt sein, der vom Heiligen Stuhl auf Ansuchen des Diözesanbischofs ernannt wird. Nach Bedarf können i n derselben Weise für die genannten und andere Bistümer weitere Weihbischöfe bestellt werden. Zum Sitz eines Weihbischofs w i r d ein anderer Ort als der Sitz des Diözesanbischofs erst nach Benehmen mit der Preußischen Staatsregierung bestimmt werden. Art. 3. Unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 2 können kirchliche Ämter frei errichtet und umgewandelt werden, falls Aufwendungen aus Staatsmitteln nicht beansprucht werden. Die staatliche M i t w i r k u n g bei der Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden erfolgt nach Richtlinien, die mit den Diözesanbischöfen vereinbart werden 9 . Art. 4. (1) Die Dotation der Diözesen und Diözesananstalten w i r d künftig jährlich zwei Millionen achthunderttausend Reichsmark betragen. I m einzelnen w i r d sie gemäß besonderer Vereinbarung verteilt werden. (2) Die Dienstwohnungen und die Diözesanzwecken dienenden Gebäude bleiben der Kirche überlassen. Die bestehenden Eigentums- und Nutzungsrechte werden auf Verlangen durch Eintragung i n das Grundbuch gesichert werden. (3) Für eine Ablösung der Staatsleistungen gemäß A r t i k e l 138 Abs. 1 der Verfassung des Deutschen Reichs bleibt die bisherige Rechtslage der Diözesandotation maßgebend. 8 Von dieser Bestimmung wurde Gebrauch gemacht bei der Errichtung des Bistums Essen durch den Vertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Heiligen Stuhl vom 19. Dezember 1956 (Text: W. Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. I, 1962, S. 90ff.). 9 Dazu die Vereinbarung zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und den katholischen Diözesen i m Land Nordrhein-Westfalen vom Oktober 1960 (Text: ebenda S. 96ff.).
V. Abschluß und Inkraftsetzung des preußischen Konkordats
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Art. 5. (1) Das Eigentum und andere Rechte der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen der katholischen Kirche an ihrem Vermögen werden nach Maßgabe der Verfassung des Deutschen Reichs gewährleistet. (2) Soweit staatliche Gebäude oder Grundstücke Zwecken der Kirche gewidmet sind, bleiben sie diesen, unbeschadet etwa bestehender Verträge, nach wie vor überlassen. Art. 6. (1) Nach Erledigung eines Erzbischöflichen oder Bischöflichen Stuhles reichen sowohl das betreffende Metropolitan- oder Kathedralkapitel als auch die Diözesanerzbischöfe und -bischöfe Preußens dem Heiligen Stuhle Listen von kanonisch geeigneten Kandidaten ein. Unter Würdigung dieser Listen benennt der Heilige Stuhl dem Kapitel drei Personen, aus denen es in freier, geheimer Abstimmung den Erzbischof oder Bischof zu wählen hat. Der Heilige Stuhl w i r d zum Erzbischof oder Bischof niemand bestellen, von dem nicht das Kapitel nach der Wahl durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, daß Bedenken politischer A r t gegen ihn nicht bestehen. (2) Bei der Aufstellung der Kandidatenliste und bei der Wahl wirken die nichtresidierenden Domkapitulare mit. Art. 7. Zum Praelatus nullius und zum Koadjutor eines Diözesanbischofs mit dem Rechte der Nachfolge w i r d der Heilige Stuhl niemand ernennen, ohne vorher durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt zu haben, daß Bedenken politischer A r t gegen den Kandidaten nicht bestehen. Art. 8. (1) Die Dignitäten der Metropolitan- und der Kathedralkapitel verleiht der Heilige Stuhl, und zwar beim Vorhandensein zweier Dignitäten die erste (Dompropstei) auf Ansuchen des Kapitels, die Zweite (Domdekanat) auf Ansuchen des Diözesanbischofs, beim Vorhandensein nur einer Dignität (Dompropstei oder Domdekanat) diese abwechselnd auf Ansuchen des Kapitels und des Diözesanbischofs. (2) Die Kanonikate der Kapitel besetzt der Diözesanbischof abwechselnd nach Anhörung und mit Zustimmung des Kapitels. Die Abwechslung findet bei residentialen und nichtresidentialen Kanonikaten gesondert statt 1 0 . (3) Die Domvikarien besetzt der Diözesanbischof nach Anhörung des Kapitels. Art. 9. (1) Angesichts der in diesem Vertrag zugesicherten Dotation der Diözesen und Diözesananstalten w i r d ein Geistlicher zum Ordinarius eines Erzbistums oder Bistums oder der Praelatura nullius, zum Weihbischof, zum Mitglied eines Domkapitels, zum Domvikar, zum Mitglied einer Diözesanbehörde oder zum Leiter oder Lehrer an einer Diözesanbildungsanstalt nur bestellt werden, wenn er a) die deutsche Reichsangehörigkeit hat, b) ein zum Studium an einer deutschen Universität berechtigendes Reifezeugnis besitzt, c) ein mindestens dreijähriges philosophisch-theologisches Studium an einer deutschen staatlichen Hochschule oder an einem der gemäß A r t i k e l 12 hierfür 10 Dazu die Vereinbarung, betreffend die Staatspatronate und die Besetzung der Kanonikate, vom 17. Juli/30. August 1933 (Text: ebenda S. 88f.).
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
bestimmten bischöflichen Seminare oder an einer päpstlichen Hochschule i n Rom zurückgelegt hat. (2) Bei kirchlichem und staatlichem Einverständnis kann von den i n Abs. 1 zu a, b und c genannten Erfordernissen abgesehen werden; insbesondere kann das Studium an anderen deutschsprachigen Hochschulen als den zu c genannten anerkannt werden. (3) Mindestens zwei Wochen vor der beabsichtigten Bestellung eines Geistlichen zum Mitglied eines Domkapitels oder zum Leiter oder Lehrer an einem Diözesanseminar wird die zuständige kirchliche Stelle der Staatsbehörde von dieser Absicht und, mit besonderer Rücksicht auf Abs. 1 dieses Artikels und gegebenenfalls auf Abs. 2 des Artikels 12, von den Personalien des betreffenden Geistlichen Kenntnis geben. Eine entsprechende Anzeige w i r d alsbald nach der Bestellung eines Bistums-(Prälatur-,) Verwesers, eines Weihbischofs und eines Generalvikars gemacht werden. Art. 10. (1) Die Diözesanbischofe (der Praelatus nullius) werden an die Geistlichen, denen ein Pfarramt dauernd übertragen werden soll, die i n A r t i k e l 9 Abs. 1 zu a bis c und an die sonstigen in der Pfarrseelsorge anzustellenden Geistlichen mindestens die dort zu a und b genannten Anforderungen stellen. Für beide Fälle gilt A r t i k e l 9 Abs. 2. (2) I m Falle der dauernden Übertragung eines Pfarramts wird der Diözesanbischof (Praelatus nullius) alsbald nach der Ernennung der Staatsbehörde von den Personalien des Geistlichen, mit besonderer Rücksicht auf Abs. 1 dieses Artikels, Kenntnis geben 1 1 . Art. 11. Bis zu einer neuen Vereinbarung, insbesondere für den Fall des Erlasses des in A r t i k e l 83 der Verfassung des Freistaats Preußen vorgesehenen Gesetzes 12 w i r d die Präsentation auf Grund eines sogenannten Staatspatronats durch die Staatsbehörde erst nach Benehmen mit dem Diözesanbischof oder Praelatus nullius gemäß besonders zu vereinbarender Anweisung 1 3 geschehen. Art. 12. (1) Für die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen bleiben die katholisch-theologischen Fakultäten 1 4 an den Universitäten i n Breslau, Bonn und Münster und an der Akademie in Braunsberg bestehen. Ihr Verhältnis zur kirchlichen Behörde regelt sich entsprechend den für die katholisch-theologischen Fakultäten in Bonn und Breslau geltenden Statuten 1 5 . (2) Der Erzbischof von Paderborn und die Bischöfe von Trier, Fulda, Limburg, Hildesheim und Osnabrück sind berechtigt, in ihren Bistümern ein Seminar zur wissenschaftlichen Vorbildung der Geistlichen zu besitzen. Der Unterricht an 11 Siehe für Nordrhein-Westfalen den vereinbarten Runderlaß des Kultusministers vom 15. Dezember 1957 (Text: ebenda, S. 94ff.). 12 Siehe oben Nr. 100 mit Anm. 11. 13 Die demgemäß ergangene Anweisung ist auszugsweise abgedruckt bei J. Linneborn, Patronatsrecht, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, I V (5. Aufl. 1931), S. 87 ff. Siehe ferner die oben Anm. 10 genannte Zusatzvereinbarung von 1933. 14 Zum Recht der katholisch-theologischen Fakultäten siehe die oben S. 300, Anm. 16 genannte Literatur. 15 Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 196, Nr. 197. Siehe auch unten Anm. 17 zum Schlußprotokoll.
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diesen Seminaren w i r d ebenso wie den kirchlichen Vorschriften dem deutschen theologischen Hochschulunterricht entsprechen. Die genannten Diözesanbischöfe werden dem Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung von den Statuten und dem Lehrplan der Seminare Kenntnis geben. Zu Lehrern an den Seminaren werden nur solche Geistliche berufen werden, die für die Lehrtätigkeit i n dem zu vertretenden Fach eine den Anforderungen der deutschen wissenschaftlichen Hochschulen entsprechende Eignung haben. Art. 13. Die Hohen Vertragschließenden werden eine etwa in Zukunft zwischen ihnen entstehende Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer Bestimmung dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise beseitigen. Art. 14. (1) Dieser Vertrag, dessen deutscher und italienischer Text gleiche Kraft haben, soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen möglichst bald in Berlin ausgetauscht werden. Er tritt mit dem Tag ihres Austausches in Kraft. (2) Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten dieses Vertrages treten die seinen Bestimmungen entgegenstehenden Gesetze und Verordnungen außer Kraft. Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet. Schlußprotokoll Bei der Unterzeichnung des am heutigen Tage geschlossenen Vertrages des Freistaats Preußen mit dem Heiligen Stuhle haben die ordnungsmäßig bevollmächtigten Unterzeichneten folgende übereinstimmende Erklärungen abgegeben, die einen integrierenden Bestandteil des Vertrages selbst bilden. Zu Art. 4 Abs. 1. Satz 1. Bei Bemessung der Dotation ist von dem derzeitigen Stande der Aufwendungen des Preußischen Staates für vergleichbare persönliche und sächliche Zwecke ausgegangen worden. Es besteht Einverständnis darüber, daß in Zukunft hierin etwa eintretende Änderungen bei der Dotation entsprechende Berücksichtigung finden sollen. Zu Art. 9 Abs. 1 Buchst, c. Das an einer österreichischen staatlichen Universität zurückgelegte philosophisch-theologische Studium w i r d entsprechend den Grundsätzen gleichberechtigt, die für andere geisteswissenschaftliche Fächer gelten werden. Zu Art 9 Abs. 3 Satz 1. Ein staatliches Einspruchsrecht w i r d hierdurch nicht begründet. Zu Art. 12 Abs. 1 Satz 2. Der Sinn des § 4 Ziffer 1 und 2 der Bonner und des § 48 Buchst, a und b der Breslauer Statuten 1 6 ist folgender: Bevor an einer katholisch-theologischen Fakultät jemand zur Ausübung des Lehramts angestellt oder zugelassen werden soll, w i r d der zuständige Bischof gehört werden, ob er gegen die Lehre oder den Lebenswandel des Vorgeschlagenen begründete Einwendungen zu erheben habe. Die Anstellung oder Zulassung eines derart Beanstandeten w i r d nicht erfolgen. Die der Anstellung (Abs. 1) vorangehende Berufung, d. h. das Angebot des betreffenden Lehrstuhls durch den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbil16
Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 196, Nr. 197.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
dung, w i r d in vertraulicher Form und mit dem Vorbehalt der Anhörung des Diözesanbischofs geschehen. Gleichzeitig w i r d der Bischof benachrichtigt und u m seine Äußerung ersucht werden, für die i h m eine ausreichende Frist gewährt werden wird. I n der Äußerung sind die gegen die Lehre oder den Lebenswandel des Vorgeschlagenen bestehenden Bedenken darzulegen; wie weit der Bischof in dieser Darlegung zu gehen vermag, bleibt seinem pflichtmäßigen Ermessen überlassen. Die Berufung w i r d erst veröffentlicht werden, nachdem der Bischof dem Minister erklärt hat, daß er Einwendungen gegen die Lehre und den Lebenswandel des Berufenen nicht zu erheben habe. Sollte ein einer katholisch-theologischen Fakultät angehöriger Lehrer in seiner Lehrtätigkeit oder i n Schriften der katholischen Lehre zu nahe treten oder einen schweren oder ärgerlichen Verstoß gegen die Erfordernisse des priesterlichen Lebenswandels begehen, so ist der zuständige Bischof berechtigt, dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hiervon Anzeige zu machen. Der Minister wird in diesem Fall, unbeschadet der dem Staatsdienstverhältnis des Betreffenden entspringenden Rechte, Abhilfe leisten, insbesondere für einen dem Lehrbedürfnis entsprechenden Ersatz sorgen 17 . Zu Art. 12 Abs. 2 Satz 4. Die Eignung w i r d hauptsächlich durch eine der akademischen Habilitationsschrift entsprechende wissenschaftliche Arbeit nachgewiesen; sofern diese von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung ist, kann von dem Erfordernis der theologischen Promotion abgesehen werden.
Nr. 184. Regierungsbegründung zu dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhle vom 28. Juni 1929 (Sammlung der Drucksachen des Preußischen Landtages, 3. Wahlperiode, 1. Tagung, Band 4, Berlin 1930, S. 2140ff.) — Auszug — Die dem Lande Preußen obliegende Aufgabe, in Durchführung der Bestimmungen der Reichsverfassung über die Stellung der Religionsgesellschaften i m Staate die erforderliche Regelung zu treffen (Reichsverfassung A r t i k e l 137 Abs. 8 1 8 ), erheischt gegenüber der katholischen Kirche dringend gesetzliche Maßnahmen. Die Organisation dieser Kirche in Preußen beruht auf den von Preußen und seinen staatlichen Rechtsvorgängern vor einem Jahrhundert mit dem Heiligen Stuhl vereinbarten, als katholische Kirchengesetze und als Staatsgesetze veröffentlichten Zirkumskriptionsbullen. Es sind dies für Altpreußen die Bulle De salute animarum vom 16. Juli 1821 nebst dem Breve Quod de fidelium v o m gleichen Tage 19 , für Hannover die Bulle Impensa Romanorum vom 26. März 1824 20 , für die 17 Für Nordrhein-Westfalen wurde diese Regelung einvernehmlich übernommen sowie auf die Abteilung für katholische Theologie der Ruhr-Universität Bochum und die Lehrenden der katholischen Theologie an den Pädagogischen Hochschulen (Gesamthochschulen) des Landes ausgedehnt durch den Briefwechsel vom 23. März/27. Juni 1979 (Text: Archiv für kath. Kirchenrecht, 148, 1979, S. 568ff.). 18 Oben Nr. 97. 19 Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 91, Nr. 92. 20 Ebenda Nr. 121.
V. Abschluß und Inkraftsetzung des preußischen Konkordats
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preußischen Teile der oberrheinischen Kirchenprovinz die Bullen Provida solersque vom 16. August 1821 und A d dominici gregis vom 11. A p r i l 1827 nebst dem Breve Re sacra vom 28. Mai 182721. Auch nach dem Inkrafttreten der Reichs Verfassung sind diese Vereinbarungen zu Recht bestehen geblieben. Andererseits kann nicht verkannt werden, daß die von der Reichsverfassung aufgestellten Grundsätze die Beseitigung einzelner der vereinbarten Bestimmungen erfordern und Anlaß bieten können, den Bestand anderer in Zweifel zu ziehen. Die durch diese Rechtslage berührten staatlichen Interessen, die zu einem erheblichen Teile zugleich Reichsinteressen darstellen, sind sehr wichtig und vielgestaltig. Besonders staatliche Interessen fallen i n Preußen bei den Fragen der Diözesanorganisation und Zirkumskription ins Gewicht: außenpolitische, durch den Vertrag von Versailles aufgerührte, und innenpolitische, aus der konfessionellen Gliederung der Bevölkerung sich ergebende. Entsprechendes gilt von dem seit jeher zum wesentlichen Bestand aller Verträge zwischen Staat und katholischer Kirche gehörenden Besetzungsrecht der höheren Kirchenämter, vor allem der Bischöflichen Stühle. Weniger noch als andere Länder dürfte bei seiner geographischen und völkischen Struktur Preußen es unterlassen, dieser Frage alle Aufmerksamkeit zuzuwenden, wie gerade auch die Verhältnisse der Nachkriegszeit deutlich gezeigt haben. Über das Recht der Zirkumskriptionsbullen und der Breven hinaus reichen die bei der Durchführung der Reichsverfassung auftretenden Probleme i n die Materien der kirchenpolitischen Gesetzgebung Preußens aus den 70er und 80er Jahren hinein. Neben den bereits angedeuteten allgemeinpolitischen Interessen sind hierbei empfindliche Probleme des preußischen Bildungswesens berührt, so das in dessen Gesamtaufbau wichtige Verhältnisse des Studiums an den theologischen Fakultäten zu dem an kirchlichen Seminaren. Nicht zuletzt gehört selbstverständlich die finanzielle Tragweite einer Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche in den Kreis der hier auftauchenden schwierigen Probleme. Ihre Bereitwilligkeit, mit dem Heiligen Stuhl i n Verhandlungen zu treten, u m die preußische Gesetzgebung mit der Reichsverfassung, soweit erforderlich, in Einklang zu bringen, hat die Preußische Staatsregierung dem Apostolischen Nuntius auf eine i m Auftrage des Heiligen Stuhls gegebene Anregung bereits i m Dezember 1919 erklärt. Seitdem haben sämtliche preußischen Kabinette sich mit dem Gegenstand befaßt und grundsätzlich i m selben Sinne Stellung genommen. Die jetzt abgeschlossene Verhandlungsperiode reicht in die Jahre 1925 und 1926 zurück. Der preußische Landtag hat sich in dieser Zeit bei den Haushaltsberatungen sowie anläßlich von Anfragen und Anträgen häufig mit der Materie beschäftigt: Hauptausschußsitzungen vom 7. und 8. Februar 1927, vom 20. und 21. Februar 1928, vom 16. Februar und vom 7. März 1929; Plenarsitzungen vom 6. bis 8. Mai 1926, vom 19. Februar, vom 15. bis 17. März und vom 19. Mai 1927 ,vom 15. März, 14. Juni, 13. bis 15. und 28. Dezember 1928, vom 2. Januar, vom 15. bis 18., vom 23. und 26. A p r i l 1929. Der E n t w u r f des vorliegenden Vertrages hat am 4. Juni 1929 die Zustimmung des nach A r t i k e l 49 der Preußischen Verfassung zuständigen Preußischen Staatsministeriums erhalten.
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Ebenda Nr. 106, Nr. 109, Nr. 110.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Der Vertrag ist der Reichsregierung vorgelegt worden; diese hat Einwendungen nicht erhoben. Der Inhalt des Vertrages erstreckt sich auf folgende Punkte. . . . Hiernach beschränkt sich der Vertrag auf die Materien, an deren zweckmäßiger Regelung der Preußische Staat bei der Durchführung des kirchenpolitischen Systems der Reichsverfassung seinerseits interessiert ist, mögen sie bisher Gegenstand von Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhl oder ausschließlich von Staatsgesetzen bilden. Bei solcher Beschränkung sind durch eine Vereinbarung mit der katholischen Kirche, mit der Preußen seit einem Jahrhundert i m Vertragszustande lebt, nach Auffassung des Staatsministeriums auch die staatlichen Interessen am besten zu sichern. Der Vertrag bedarf entsprechend A r t i k e l 29 Abs. 1 der Preußischen Verfassung der Genehmigung des Landtags. ... Art. 2. Die i m wesentlichen noch heute auf den Zirkumskriptionsbullen beruhende Organisation und Diözesaneinteilung der katholischen Kirche Preußens soll nach dem vorliegenden Vertrage grundsätzlich beibehalten werden (Abs. 1). Auch ihre etwaige künftige Änderung wird, soweit es sich nicht u m Grenzverlegungen von rein lokaler Bedeutung handelt, vertraglicher Regelung vorbehalten, die ihrerseits entsprechend A r t i k e l 29 der Preußischen Verfassung 22 der Genehmigung des Landtags bedürfte (Artikel 2 Abs. 9, A r t i k e l 3 Satz 1). Einige Änderungen erweisen sich allerdings mit einer gewissen Zwangsläufigkeit alsbald als notwendig (Abs. 2 bis 8 dieses Artikels). Zunächst infolge des Vertrages von Versailles, durch den die Erzbischöflichen Stühle von Gnesen und Posen und der Bischöfliche von K u l m verlorengegangen und bei Preußen westlich und östlich des Korridors Reste von Posen und K u l m verblieben sind. Diese bisher unter der provisorischen Verwaltung Apostolischer Administratoren stehenden Bistumsrechte bedürfen einer normaleren Verfassung. Bezüglich Pomesaniens erscheint die Vereinigung mit dem Bistum Ermland als das Gegebene, während an der Stelle der aus der früheren Delega tur Tütz (Gesetz vom 15. August 1921, Gesetzsamml. S. 487) hervorgegangenen Administratur Schneidem ü h l eine Praelatura nullius gebildet w i r d (Abs. 6). Nach dem erwähnten Verlust eines Metropoliten und einer Kirchenprovinz i m Osten entspricht die i n Abs. 6 vorgesehene Neuerrichtung einer solchen dem deutschen Interesse. Als deren Mittelpunkt konnte nur das bisher schon bedeutendste Bistum des preußischen Ostens, Breslau, in Betracht kommen. Außer der Einbeziehung des eines Metropoliten zur Zeit entbehrenden Schneidemühler Sprengeis erscheint auch die Angliederung des bisher exemten Bistums Ermland an diese neue Kirchenprovinz des Ostens erwünscht. Beachtliche kirchliche Wünsche auf Änderung der seit einem Jahrhundert bestehenden Zirkumskription ergeben sich sodann daraus, daß einzelne Diözesen wegen des außerordentlichen Umfangs ihrer Größe oder ihrer Seelenzahl dringend einer Entlastung bedürfen. I m Westen kann diesem Bedürfnis unschwer durch die Wiedererrichtung des Bischöflichen Stuhles in Aachen unter Umwandlung des dortigen Kollegiat- in ein Kathedralkapitel abgeholfen werden (Abs. 2). Wird 22
Siehe oben Nr. 100.
V. Abschluß und Inkraftsetzung des preußischen Konkordats
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hierdurch die übergroße Erzdiözese K ö l n und i n etwa auch Münster entlastet, so kann derselbe Zweck in dem ungewöhnlich ausgedehnten und überlasteten Sprengel des Fürstbischofs von Breslau durch die schon in der Bulle De salute vorbereitete Verselbständigung des Delegaturbezirks Berlin erreicht werden. Dem kirchlichen Wunsche, diesen zugleich Brandenburg und Pommern umfassenden, an Ausdehnung und Seelenzahl eine Anzahl preußischer Bistümer übertreffenden Sprengel in ein eigenes Bistum umgewandelt zu sehen, kann die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Dabei w i r d die gleichzeitige Errichtung eines Domkapitels schon i m Hinblick auf das Bischofswahlrecht auch i m staatlichen Interesse erwünscht sein. Bei dem bestehenden historischen Zusammenhang ergibt sich die Eingliederung des neuen Bistums in die Breslauer Kirchenprovinz von selbst (Abs. 6). Bei der Vereinigung der i m Jahre 1866 hinzuerworbenen Gebietsteile mit Preußen ist ein Ausgleich der Organisationen der alt- und neupreußischen Diözesen nicht erfolgt. Dies gibt Anlaß, jetzt die sehr ausgedehnte altpreußische Diözese Paderborn zugunsten eines der kleineren neupreußischen Bistümer, Fuldas, zu verkleinern (Abs. 4), einige weitere, i n Abs. 5 aufgeführte Grenzänderungen vorzunehmen und schließlich die unerwünschte außerordentliche Stellung Schleswig-Holsteins als Missionsgebiet zu beseitigen (Abs. 3). Gleichzeitig bietet sich die Möglichkeit, kirchlichem Wunsche entsprechend i n Mittelpreußen eine normalere Zusammenfassung alt- und neupreußischer Diözesen durch Bildung einer neuen Kirchenprovinz herbeizuführen. Als geeignetste Metropole bietet sich nach Alter und geographischer Lage Paderborn dar (Abs. 4). Bei gleichzeitiger Lösung der aus vorpreußischer Zeit verbliebenen Verbindung der Bistümer Fulda und Limburg mit der Freiburger Kirchenprovinz sollen, und zwar unter Berücksichtigung der betreffenden kirchlichen Wünsche, Hildesheim und Fulda i n die Paderborner, Osnabrück und L i m b u r g in die Kölner Kirchenprovinz eingegliedert werden (Abs. 3 bis 5). Staatliche Mehraufwendungen werden, wie zu A r t i k e l 4 näher ausgeführt, durch diese Änderungen der Diözesanorganisation nicht verursacht, vielmehr werden die entstehenden Kosten an anderer Stelle eingespart. Dies w i r d zum Teil durch die in Abs. 7 aufgeführten Verschiebungen i m Personalbestande der einzelnen Domkapitel erreicht, was allerdings auf die zurzeit i m Amte befindlichen nicht zurückwirken soll. Die in der Bulle De salute für Breslau und Münster vorgesehene Verbindung je einer Kapitelstelle mit einer Professur bleibt erhalten und w i r d auf Köln-Bonn ausgedehnt, wobei jedoch mit Rücksicht auf die stark angewachsene Arbeitslast der Kapitel ein nichtresidentales (Ehren-)Kanonikat i n Aussicht genommen ist (Abs. 8). I n der Bulle De salute ist für die (alt-)preußischen Diözesen je ein dotierter Weihbischof vorgesehen. Von diesen w i r d dem derzeitigen Bedürfnis entsprechend der bisher für das Bistum Ermland vorgesehene dem zukünftigen Bistum Aachen zugeteilt (Abs. 10 Satz 1). A n der Zahl der Weihbischöfe an sich Interesse zu nehmen, besteht für den Staat kein Anlaß. Dagegen ist ein vorgängiges Benehmen mit der Staatsregierung vereinbart, falls ein Weihbischof außerhalb des Bischofsitzes Residenz nehmen soll (Abs. 10 Satz 2 und 3).
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Art. 3. Während in A r t i k e l 2 die wichtigsten Diözesanämter vertraglich festgelegt sind, bestätigt Satz 1 des Artikels 3 die nach geltendem Staatskirchenrecht der Kirche zustehende Freiheit der Errichtung kirchlicher Ämter als solcher. Die M i t w i r k u n g des Staates wird, abgesehen von der finanziellen Seite (Satz 1), in Anspruch genommen, sofern dabei die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts i n Betracht kommt. Zum Ausgleich der hierbei mitspielenden staatlichen und kirchlichen Interessen ist eine Einigung über bestimmte Richtlinien wünschenswert, die zweckmäßig mit den preußischen Bischöfen zu treffen ist (Satz 2). Art. 4. Beim Inkrafttreten der Reichsverfassung betrug die Diözesandotation, die i m wesentlichen auf den bei Durchführung der Zirkumskriptionsbullen aufgestellten Organisationsetats und den seit 1906 hinzugetretenen Bewilligungen beruht, insgesamt rund 1400000 M. Diese Summe ist seit dem Rechnungsjahre 1925 in Reichsmark gewährt. Bei der Anpassung dieser Dotation an die finanziellen und sozialen Verhältnisse der Jetztzeit ist zu berücksichtigen, daß seit der i m Jahre 1906 vorgenommenen Dotationsneuregelung 23 die Besoldung der katholischen Pfarrer i m Verhältnis zu den staatlichen Besoldungsordnungen eine grundlegende Änderung erfahren hat. Dies bedingt jetzt für die katholische Domgeistlichkeit eine über das Durchschnittsmaß bei den übrigen Gehaltsempfängern hinausgehende Gehaltssteigerung. Andererseits werden für solche kirchlichen Bedürfnisse, für die der Staat nicht bereits beim Inkrafttreten der Reichsverfassung eingetreten ist, auch künftig staatliche Leistungen nicht zu übernehmen sein. Insbesondere w i r d es nicht in Betracht kommen, bei Bemessung der Dotation neue kirchliche Stellen in Ansatz zu bringen. Es w i r d daher der Zuschußbedarf für die i n A r t i k e l 2 Abs. 2 bis 8 vorgesehenen Änderungen der Diözesanorganisation an anderem Ort einzusparen sein. Bei der derzeit etatmäßig rund 756 000 R M betragenden Personaldotation (Gehälter der Erzbischöfe, Bischöfe und Weihbischöfe, der Mitglieder der Domkapitel und der Domvikare) bewirkt die hiernach errechnete, bei den einzelnen Gehaltsgruppen selbstverständlich verhältnismäßig nicht gleiche Steigerung eine Verdoppelung des Gesamtbetrages. Die sog. Sachdotation, die sich derzeit auf rund 641000 R M beläuft, ist zum größeren Teil gleichfalls zu Personalausgaben (Verwaltungsbeamte, Domangestellte, Seminarprofessoren usw.) bestimmt und nur zum kleineren Teil zu rein sächlichen Ausgaben, die ihrerseits nach der Entwicklung der vergleichbaren Staatsausgaben seit 1906 mit einer Erhöhung u m 35% angemessen berücksichtigt erscheinen. Eine Sonderstellung nehmen, von einigen Posten geringerer Bedeutung abgesehen, die wissenschaftlichen Diözesanseminare (Artikel 12 Abs. 2) ein, die gegenüber dem zweifellos anzuerkennenden zugleich staatlichen Interesse an ihrer wissenschaftlichen Bedeutung in personeller und sachlicher Hinsicht bisher gering dotiert erscheinen. Insgesamt ergibt sich hiernach auch für die Sachdotation eine Verdoppelung des jetzigen Zuschusses. Eine derartige Neubemessung der Dotation auf insgesamt 2800000 R M w i r d die Bischöfe nötigen, auch künftighin, wie bisher schon, Diözesanumlagen zu erheben.
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Nämlich i m Rahmen der Neuregelung des Finanzwesens der katholischen Kirche i m Jahre 1906 (siehe Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 27, Nr. 31).
V. Abschluß und Inkraftsetzung des preußischen Konkordats
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Bei den in den letzten Jahren namentlich bei der Besoldung der Kapitelsmitglieder und der Domvikare eingetretenen Mißverhältnissen sind seit 1925 jeweils außerordentliche Zuschüsse, zuletzt 385000 RM, bereitgestellt worden. Die i n Abs. 1 Satz 2 vorgesehene Vereinbarung über die künftige Einzelverteilung der Dotation hat die Festsetzung der durch die Personaldotation gedeckten Gehälter sowie die Neuverteilung der Gesamtsumme nach dem jetzigen Bedarf der einzelnen Diözesen zum Gegenstande. Als Ausführungsmaßnahme obliegt der Abschluß dieser Vereinbarungen dem Staatsministerium, das den anliegenden Plan zugrunde legen wird. I m übrigen vergleiche zur Dotationsbemessung den einschlägigen Vermerk des Schlußprotokolls. Durch den vorliegenden Vertragsartikel und den Vermerk des Schlußprotokolls erfährt die Diözesandotation eine Neuregelung. Mit ihrer Durchführung treten daher die Dotationsbestimmungen der Zirkumskriptionsbullen gemäß A r t i k e l 14 Abs. 2 des Vertrages außer Kraft, soweit sich nicht aus Abs. 2 und 3 des Artikels 4 ein anderes ergibt. Für eine Ablösung der Staatsleistungen ist nach Abs. 3 dieses Artikels nicht der neue Vertrag, sondern die bisherige Rechtslage der Diözesandotation maßgebend. ... Art. 6. und 7. I m bisherigen vereinbarten Recht ist die Bestimmung enthalten, daß die Bischöflichen Stühle nicht mit einer Persönlichkeit besetzt werden dürfen, die dem Könige von Preußen minder genehm wäre. Der Änderung der politischen Verhältnisse entsprechend verpflichtet sich statt dessen in dem vorliegenden Vertrage der Heilige Stuhl, zur dauernden Leitung einer Diözese (Prälatur) als Erzbischof oder Bischof, als Praelatus nullius oder als zur Nachfolge bestimmten Koadjutor eines Erzbischofs oder Bischofs niemanden zu berufen, ehe er sich Gewißheit verschafft hat, daß von der Staatsregierung keine Bedenken politischer A r t gegen ihn erhoben werden 2 4 . Für die Besetzung der Erzbischöflichen und Bischöflichen Stühle bleibt den Domkapiteln weiterhin das altüberlieferte Wahlrecht erhalten, und es w i r d auch den Domkapiteln der neuzuerrichtenden Diözesen verliehen; seine Freiheit w i r d ausdrücklich garantiert. Allerdings soll die Auswahl der (drei) Wahlkandidaten nicht mehr durch das Kapitel selbst geschehen, sondern durch den Heiligen Stuhl, der sich aber für jeden einzelnen Besetzungsfall Vorschläge des betreffenden Kapitels und der preußischen Diözesanbischöfe einreichen lassen wird. Diese verpflichtet sich der Heilige Stuhl, ohne i m übrigen auf sie beschränkt zu sein, so zu würdigen, daß er die dem Kapitel zu benennenden Personen möglichst aus ihnen entnehmen w i r d (Art. 6 Abs. 1). Dem Kapitel obliegt auch die obenerwähnte Feststellung hinsichtlich etwaiger politischer Bedenken. Das mit den nichtresidentalen Kanonikaten i n den Kapiteln von Köln, Breslau, Paderborn, Trier, Münster, Ermland und Limburg verbundene Recht der M i t w i r k u n g bei der Bischofs wähl bleibt bestehen und w i r d auf die von Aachen und Berlin ausgedehnt (Art. 6 Abs. 2).
24 Siehe zu dieser „politischen Klausel" die Literaturangaben oben S. 305, Anm. 22 und S. 322, Anm. 7.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Wegen der allgemeinen Voraussetzungen der Bestellung eines Geistlichen zum Leiter einer Diözese (Prälatur) vgl. A r t i k e l 9 Abs. 1 und 2. Art. 8. Die bisherige verschiedenartige, teilweise nur alternierende 2 5 staatliche M i t w i r k u n g bei der Verleihung von Dignitäten, Kanonikaten und Vikarien der Domkapitel w i r d mit Rücksicht auf Art. 137 Abs. 3 der Reichsverfassung aufgegeben. Für die Zukunft w i r d die M i t w i r k u n g bei der Neubesetzung einer Kapitelstelle zweckmäßig und möglichst gleichmäßig für alle preußischen Diözesen auf den Bischof und das Kapitel verteilt, wozu nur bei der Besetzung einer Dignität der Heilige Stuhl als Ernennungsberechtigter tritt. Auch bezüglich der Verleihung dieser Ämter ist auf die i n A r t i k e l 9 genannten allgemeinen Erfordernisse hinzuweisen. Art. 9 und 10. Die Bestimmungen tragen dem schon i m geltenden Staatsrecht (Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom 11. Mai 1873 in der Fassung der Novellen von 1886 und 188726) berücksichtigten staatlichen Interesse Rechnung, für die Bekleidung geistlicher Ämter gewisse Erfordernisse erfüllt zu wissen. A n Stelle des i m angeführten Staatsgesetz enthaltenen allgemeinen Begriffs des geistlichen Amts, der zu vielen Zweifeln Anlaß gegeben hat, sind i m neuen Vertrag die einzelnen in Betracht kommenden Ämter aufgezählt. A r t i k e l 9 betrifft die in der Leitung und Verwaltung der Bistümer tätigen Geistlichen. Die in Abs. 1 Buchst, a und b behandelten Erfordernisse der Reichsangehörigkeit sowie eines zum deutschen Universitätsstudium berechtigenden Reifezeugnisses entsprechen ebenso wie die i n Abs. 2 dem Staate vorbehaltene Dispensmöglichkeit dem bestehenden Gesetz. A n dieses schließt sich auch die Bestimmung über die Hochschulbildung (Buchstabe c, a.a.O.) an, sofern ein mindestens dreijähriges Studium an einer deutschen staatlichen Hochschule oder einem der hierfür in Preußen bestimmten Diözesanseminare erfordert wird. Daneben erscheint es angesichts des Aufbaues der katholischen Kirche angebracht, auch deutschen Geistlichen die Möglichkeit zur Zurücklegung ihrer Studien an einer päpstlichen Hochschule i n Rom zu eröffnen. Dies entspricht nicht nur einem kirchlichen Wunsche, sondern auch innen- wie außenpolitischen Staatsinteressen. Nach der Natur der Sache kann damit gerechnet werden, daß wie bisher die Zahl dieser Studierenden beschränkt sein, und daß ihren besonderen Lehrbedürfnissen Rechnung getragen wird. Vgl. wegen der Gleichstellung des Studiums an einer österreichischen staatlichen Hochschule den Vermerk des Schlußprotokolls sowie wegen des auch hier mit dem geltenden Recht gemachten Dispens Vorbehalts Abs. 2 dieses Artikels. A r t i k e l 10, der die Pfarrgeistlichkeit einschließlich der Hilfsgeistlichen betrifft, weicht in Abs. 1 von den vorbezeichneten Grundsätzen nur insofern ab, als er bei den Hilfsgeistlichen von einer vertragsmäßigen Festlegung der Hochschulstudien absieht. Eine solche erscheint, da die Hilfsgeistlichen aller Regel nach als Pfarr25 Nämlich auf die i n „päpstlichen", d. h. i n ungeraden Monaten freiwerdenden Stellen beschränkte. 26 Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 279, Nr. 414, Nr. 420.
V. Abschluß und Inkraftsetzung des preußischen Konkordats amtsbewerber sämtlichen Vorbildungsvoraussetzungen müssen, entbehrlich.
ohnehin
335
entsprechen
Eine Anzeigepflicht, wie sie in A r t i k e l 9 Abs. 3 und A r t i k e l 10 Abs. 2 vorgesehen ist, entspricht staatspolitischen Interessen ebenso wie dem durch die Reichsverfassung und den neuen Vertrag geregelten allgemeinen Verhältnis des Staates zur katholischen Kirche. Bei den Mitgliedern der Domkapitel und den Leitern und Lehrern der Diözesanseminare ist in Berücksichtigung der Bedeutung dieser Ämter eine rechtzeitige Prüfung der Anstellungsvoraussetzungen und Erörterung etwaiger Bedenken durch eine vorgängige Anzeige und Wartefrist ermöglicht, ohne daß freilich hiermit ein Einspruchsrecht verbunden ist (Artikel 9 Abs. 3 nebst Vermerk des Schlußprotokolls). Bezüglich der Diözesanbischöfe und der ihnen gleichstehenden Ordinarien w i r d auf die weitergehenden Bestimmungen der A r t i k e l 6 und 7 verwiesen. Durch die vorliegende Neuregelung der i n dem Gesetz vom 11. Mai 1873 behandelten Materien w i r d dieses nebst seinen Novellen gegenstandslos. Unberührt hierdurch bleiben § 20 des angeführten Gesetzes und § 21 in der Fassung des Artikels 2 § 4 des Gesetzes vom 29. A p r i l 1887, die ihrerseits Gegenstände des neuen Vertrages nicht behandeln (Artikel 13 Abs. 2). Durch A r t i k e l 9 Abs. 3 Satz 2 wird auch das Gesetz über die Verwaltung erledigter katholischer Bistümer vom 20. Mai 187427 gegenstandslos. Art. 11. Die zahlreichen in Preußen unter dem Begriff der Staatspatronate geführten Präsentationsrechte beruhen auf sehr verschiedenen, zum Teil umstrittenen Rechtstiteln. I m staatlichen Interesse liegt es, bis auf weiteres in allen denjenigen Fällen, die nach Lage der Verhältnisse als staatswichtig zu erachten sind, das Präsentationsrecht unbeschränkt, wenn auch nach Benehmen mit dem Diözesanbischof, ausüben zu können, während i n den übrigen Fällen regelmäßig die Wünsche der kirchlichen Behörden Berücksichtigung zu finden haben werden. Von der Geltendmachung der Präsentationsrechte aus lastenfreien Patronaten soll i m Hinblick auf A r t i k e l 83 der Preußischen Verfassung abgesehen werden. Vereinbarung und Erlaß der die Einzelheiten regelnden Anweisung ist Sache des Ressortministers. Art. 12. Zur Beurteilung des, wie schon angedeutet, für den Aufbau unseres Bildungswesens bedeutsamen Verhältnisses der Vorbildung der katholischen Geistlichen auf den theologischen Fakultäten der staatlichen Universitäten zu der auf den wissenschaftlichen Diözesanseminaren ist einerseits auf die Zirkumskriptionsbullen (Bulle De salute animarum X X V , L I I ) 2 8 , andererseits auf das die Vorbildung der Geistlichen regelnde Staatsgesetz vom 11. Mai 1873 i n der Fassung der Novellen von 1886 und 1887 29 , schließlich auf Art. 149 Abs. 3 der Reichsverfassung 3 0 zu verweisen. Das staatlicherseits zu erstrebende Ziel, den in dieser Beziehung bestehenden bewährten Zustand dauernd zu sichern, ist durch vertragliche Verständigung erreichbar. 27 28 29 30
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 400. Siehe oben Anm. 19. Siehe oben Anm. 26. Oben Nr. 97.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Sooft es sich i n Preußen u m die Regelung des Verhältnisses einer katholischtheologischen Fakultät zur kirchlichen Behörde gehandelt hat, haben zum Vorbilde die Statuten von Bonn und Breslau gedient 3 1 . Diese seit anderthalb Jahrhunderten erprobte Ordnung ist in Abs. 1 dieses Artikels nebst dem zugehörigen Schlußprotok o l l lediglich kodifiziert und interpretiert. Vom gleichen Ausgangspunkt aus ist in bezug auf die katholisch-theologische Fakultät Straßburg das Reich schon i m Jahre 1902 den Weg vertraglicher Regelung gegangen (Convention mit dem Heiligen Stuhl vom 5. Dezember 1902)32. Der die wissenschaftlichen Diözesanseminare behandelnde Abs. 2 dieses Artikels in Verbindung mit dem zugehörigen Schlußprotokoll und mit A r t i k e l 9 Abs. 3 fußt gleichfalls auf dem geltenden Staatsrecht, sowohl was Zahl und Ort der zugelassenen Seminare als auch was den wesentlichen Inhalt ihrer Verfassung angeht. Beachtlich ist, daß auch die Neuerrichtung von Diözesen (vgl. A r t i k e l 2 Abs. 2, 6, 9) eine Vermehrung dieser Seminare nicht zur Folge haben wird. Die einschlägigen Bestimmungen der Zirkumskriptionsbullen sowie des Gesetzes vom 11. Mai 1873 nebst Novellen werden durch die Neuregelung gegenstandslos (Artikel 14 Abs. 2). ...
Anlage: Verteilung der Dotation auf die Diözesen Diözese
1 Trier Aachen Münster Limburg Osnabrück Paderborn Hildesheim Fulda Breslau Ermland Berlin Schneidemühl Grafschaft Glatz , D i s t r i k t Katscher . .. Freiburg
Gehälter der Bischöfe, Weihbischöfe, Kapitelsmitglieder u n d Domvikare RM
Personalkosten
Sachkosten
2
3
4
5
81500 26000 45900 29500 51100 135000 64000 114400 70000 84500 25500 15000 9000 9000
55980 19955 37850 14499 12400 44544 37497 38501 38540 46461 15000 20000 3000 1000 1000
278200 161200 238500 109700 165100 338700 194000 245300 300300 231400 133500 47400 12000 10000 1000
453927
2800000
140720 115245 154750 65701 101600 159156 92503 92399 191760 100439 93000 12400 -
-
1513673 31 32
Sachdotation
832400
Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 196, Nr. 197. Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 86.
Summe
V. Abschluß und Inkraftsetzung des preußischen Konkordats
337
Nr. 185. Gesetz zu dem Vertrag mit dem Heiligen Stuhl vom 3. August 1929 (Preußische Gesetz-Sammlung, 1929, S. 151) Art. 1. Dem in Berlin am 14. Juni 1929 unterzeichneten Vertrage des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhle sowie dem dazugehörigen Schlußprotokolle vom gleichen Tage w i r d zugestimmt. Der Vertrag und das Schlußprotokoll werden nachstehend veröffentlicht. Art. 2. Dieses Gesetz tritt mit dem auf die Verkündung folgenden Tage i n Kraft. Der Tag, an dem der Vertrag und das Schlußprotokoll gemäß A r t i k e l 14 des Vertrags in Kraft treten, ist in der Preußischen Gesetzsammlung bekanntzumachen.
Nr. 186. Note des Apostolischen Nuntius Pacelli an den Preußischen Ministerpräsidenten Braun vom 5. August 1929 (Italienischer und deutscher Text: Acta Apostolicae Sedis, 21, 1929, S. 536ff.)
Herr Ministerpräsident! Der Unterzeichnete Apostolische Nuntius beehrt sich, in Ausführung eines i h m von Seiner Heiligkeit erteilten Auftrags Eurer Exzellenz folgendes mitzuteilen: Seine Heiligkeit nimmt von der parlamentarischen Verabschiedung der feierlichen Übereinkunft des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhle mit Befriedigung Kenntnis, und ist Sich der ernsten Bemühungen der Preußischen Staatsregierung zur Erreichung des Zieles bewußt. Er bedauert jedoch, daß der der Preußischen Volksvertretung vorgelegte Vertrag i m Gegensatz zu den wiederholt und nachdrücklich geltend gemachten Forderungen des Heiligen Stuhles, die dieser aus grundsätzlichen Erwägungen zu erheben sich veranlaßt sah, keine Regelung der Schulfrage enthält. Es darf diesbezüglich daran erinnert werden, daß die Preußische Regierung durch eine Note vom 6. Januar 1922, die der damalige Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Herr Dr. Boelitz, an den Unterzeichneten richtete, die verbindliche Erklärung abgegeben hat, sie „werde auf Ersuchen des Reiches mit diesem in Verhandlungen über die Regelung der religiösen Seite der Schulfrage i m Konkordat eintreten". Wenn der zitierte Satz sich auch in besonderem Betreff auf ein zukünftiges Reichskonkordat bezog, von dem i n jenem Zeitpunkt vorwiegend die Rede war, so bekannte sich in ihr die Preußische Regierung doch ausdrücklich zum Grundsatz der „Regelung der religiösen Seite der Schulfrage i m Konkordat", und zwar ohne dabei einen Unterschied zu machen zwischen einem Konkordat mit dem Reich und einem solchen mit Preußen. Dieser Unterschied ist auch in den der fraglichen Erklärung vorausgehenden Besprechungen nicht gemacht worden, welch letztere vielmehr ihren Ausgangspunkt von einer Preußen unmittelbar berührenden Angelegenheit nahmen.
22 Huber
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Während der Erörterungen mit den Regierungskommissaren schlugen diese i m Auftrage des Herrn Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung i m Juni 1927 eine Mindestformel über die Schule vor, die vom Heiligen Stuhle nur unter äußerstem Entgegenkommen angenommen wurde, vor allem weil staatlicherseits damals der formaljuristische Grund geltend gemacht wurde, daß diese Materie unter die Zuständigkeit des Reichs falle. U m so schmerzlicher bedauerte der Heilige Stuhl die spätere Streichung auch dieses schon so unzulänglichen Artikels, eine Streichung, die u m so weniger als gerechtfertigt gedacht werden konnte, als alle Parteien, die das zeitige 3 3 Koalitionsministerium bilden, auch i m Januar 1922 i m Preußischen Kabinett vertreten waren. Wenn trotzdem der Heilige Stuhl sich entschlossen hat, daraufhin die Konkordatsverhandlungen nicht abzubrechen, so tat er dies lediglich mit Rücksicht auf die von Seiten der Preußischen Regierung i m Laufe der Verhandlungen erfolgte Zurückstellung erheblicher Forderungen und vor allem aus dem ernsten Wunsche, den Katholiken Preußens die übrigen aus dem Konkordate sich ergebenden Rechtswirkungen und Sicherungen ihrer religiösen Freiheit, sowie dessen günstige Auswirkungen auf ein geordnetes Verhältnis zwischen Kirche und Staat nicht zu gefährden. Er vermag indes nicht davon abzusehen, förmlich zu erklären, daß diese seine Stellungnahme niemals als ein Verzicht auf die Grundsätze gedeutet werden darf, die ihn zu der Forderung veranlaßt hatten, daß nämlich, wie in den anderen Konkordaten der neuesten Zeit, so auch in der feierlichen Übereinkunft mit Preußen die Schulfrage miteinbegriffen werde. Der Unterzeichnete benützt diese Gelegenheit, u m Eurer Exzellenz den Ausdruck seiner ausgezeichneten Wertschätzung zu erneuern.
Nr. 187. Note des Preußischen Ministerpräsidenten Braun an den Apostolischen Nuntius Pacelli vom 6. August 1929 (Deutscher und italienischer Text: Acta Apostolicae Sedis, 21, 1929, S. 540ff.) Eure Exzellenz! Der unterzeichnete Ministerpräsident des Freistaates Preußen beehrt sich, Eurer Exzellenz den Eingang der Note Nr. 42009 vom 5. ds. Mts. dankend zu bestätigen. Er würdigt durchaus die Erklärungen des Heiligen Stuhles, bittet indes, bezüglich der darin berührten Frage unter Beiseitelassung anderer Erwägungen darauf hinweisen zu dürfen, daß die langjährigen, i n der Presse geführten Auseinandersetzungen über den mutmaßlichen Inhalt des Konkordats die öffentliche Meinung inzwischen so beeinflußt hatten, daß eine parlamentarische Mehrheit für ein auch die Schule regelndes Konkordat nicht erreichbar war. Angesichts dieser Tatsache würde die Preußische Staatsregierung durch die Beibehaltung solcher Bestimmungen — auch in der Formel vom Juni 192734 — die Verabschiedung des auch ihrer Überzeugung nach für die Sicherung und Festigung des religiösen Friedens in Preußen bedeutsamen Vertrags Werkes unmöglich gemacht haben. 33 34
Gemeint ist: das derzeitige. Siehe die Erläuterung in der Note Pacellis vom 5. August 1929 (oben Nr. 186).
VI. Der Vollzug des preußischen Konkordats
339
Die Ausschaltung der Regelung der Schulfrage aus dem nunmehr zum Abschluß gekommenen Vertrag w i r d indes die verfassungsmäßigen Rechte der preußischen Katholiken auf diesem bedeutsamen Gebiete, insbesondere hinsichtlich der konfessionellen Schule und des Religionsunterrichtes, in keiner Weise sachlich beeinträchtigen, da die Preußische Staatsregierung es als eine selbstverständliche Pflicht erachtet, die i n der Reichsverfassung anerkannten religiösen Rechte zu wahren und zur vorgesehenen Auswirkung zu bringen. Der Unterzeichnete benutzt die Gelegenheit, u m Eurer Exzellenz den Ausdruck seiner ausgezeichneten Wertschätzung zu erneuern.
V I . D e r Vollzug des preußischen K o n k o r d a t s Das preußische Konkordat von 1929 bahnte die neue Umschreibung der katholischen Diözesen an. Zu ihrem Vollzug erging durch die Zirkumskriptionsbulle „Pastoralis officii die auf den 13. August 1930, den Jahrestag der Ratifikation des Konkordats, datiert wurde (Nr. 188). Wie schon die älteren Zirkumskriptionsbullen, an deren Stelle der neue Text trat 1, war auch die Bulle von 1930 in ihrem Inhalt zwischen Staat und Kirche vereinbart 2. Sie hatte Änderungen im Aufbau der katholischen Kirche in Preußen zur Folge, so vor allem die Neuerrichtung der Diözesen Aachen und Berlin sowie der Prälatur Schneidemühl 3.
Nr. 188. Die Zirkumskriptionsbulle „Pastoralis officii" vom 13. August 1930 (Lateinischer Text und deutsche Übersetzung: A. M. Koeniger, Das preußische Konkordat und die Zirkumskriptions-Bulle, 1931, S. 40ff.) Pius Bischof, Knecht der Knechte Gottes, zu ewigem Gedenken der Sache Unseres Hirtenamts Verwaltung und die Fürsorge für alle Kirchen verlangt von Uns für und für, daß Wir unentwegten Eifers das zu vollziehen uns bemühen, was für eine ersprießlichere Führung und leichtere Leitung der von Gott anvertrauten Herde nützlich erscheint. Zur Erreichung dieses Zweckes frommt nicht wenig eine richtige Umschreibung der Diözesen, die möglichst den Zeit- und Ortsverhältnissen entspricht. Nun ist jüngst ein feierlicher Vertrag oder ein Konkordat zwischen dem Hl. Stuhl und dem preußischen Staat abgeschlossen und bestätigt worden, wodurch die Hierarchie und die Umschreibung der Diözesen neuerdings in genanntem Staat geregelt wird. Indem Wir denn die für eine nutzbringende kirchliche Leitung in 1 Nämlich die Bullen De salute animarum vom 16. Juli 1821 (Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 91), Provida solersque vom 16. August 1821 (ebenda Nr. 106) und Impensa Romanorum Pontificum vom 16. März 1824 (ebenda Nr. 121). 2 Vgl. A. M. Koeniger, Das preußische Konkordat und die ZirkumskriptionsBulle (1931); ders., Die neuen deutschen Konkordate und Kirchenverträge (1932), S. 39 ff. 3 Zur Besetzung der katholischen Bischofsstühle in der Weimarer Zeit siehe unten S. 872ff.
22*
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
jenem Vertrag festgelegten Bestimmungen zur Durchführung befohlen wissen wollen, verfügen und bestimmen Wir unter Anbringung einiger unbedeutender Änderungen der Diözesangrenzen, die jedoch lediglich das Interesse der örtlichen Seelsorge betreffen, nach reiflicher Erwägung aller Umstände und nach Einholung des etwa nötigen Einverständnisses der wirklichen oder vorgeblichen Beteiligten kraft Unserer Apostolischen Vollgewalt nachfolgendes: I. I m Staate Preußen errichten Wir außer der schon bestehenden Kirchenprovinz K ö l n zwei neue Provinzen, Breslau und Paderborn, wie nachstehend beschrieben wird. II. Die Kölner Provinz soll, abgesehen von der Metropolitankirche Köln, wie zuvor die Suffragankirchen Münster und Trier beibehalten. Doch trennen und sondern Wir von ihr ab den Bischofssitz Paderborn, dessen Oberhirten Wir daher dem Metropolitanrecht des Kölner Erzbischofs entziehen. Hingegen soll sie von nun ab u m den Bischofssitz Aachen, der gemäß dem Nachfolgenden neu zu errichten ist, ferner u m den von Limburg, der bislang Suffragansitz der Metropolitankirche Freiburg war, sowie u m den von Osnabrück, der bisher dem Hl. Stuhl unmittelbar untergeben war, vergrößert werden. 1) Die Erzdiözese K ö l n soll auf nachbenannte Dekanate beschränkt werden: Alfter, Barmen, Bedburg, Benrath, Bensberg, Bergheim, Beuel, Bonn, Brühl, Düsseldorf, Elberfeld, Essen, Euskirchen, Frechen, Godesberg, Grevenbroich, Gummersbach, Hersel, Kerpen, Köln, Königswinter, Lechenich, Lövenich, Mekkenheim, Mülheim, Münstereifel (mit Ausnahme der Pfarreien Bouderath und Nöthen), Neunkirchen, Neuß, Oberhausen, Opladen, Porz, Ratingen, Rheinbach, Siegburg, Solingen, Uckerath, Werden, Wipperfürth, Wissen, Zons, Zülpich (mit Ausnahme der Pfarreien Berg, Disternich, Floisdorf, Sievernich und Vlatten), sodann auf folgende Pfarreien: Elfgen, Commern, Füssenich, Kupferdreh, Langerfeld und Pfingsheim. Das übrige Gebiet, das bis jetzt zur Erzdiözese K ö l n gehörte, lösen Wir hiervon los und trennen es ab. Das Metropolitankapitel K ö l n soll auch in Zukunft seine Verfassung beibehalten; doch wollen Wir, daß eines seiner Ehrenmitglieder aus den geistlichen Lehrern der Theologischen Fakultät gewählt werde, die i n eben dieser Erzdiözese besteht 4 . 2) Das von der Erzdiözese Köln, wie erwähnt, losgelöste Gebiet errichten Wir als neue Diözese, die Wir, nach der hochberühmten Stadt Aachen, Diözese Aachen genannt wissen wollen. Diese neue Diözese soll folgende Dekanate umfassen: Aachen, Aldenhoven, Alsdorf, Blankenheim, Cornelimünster, Derichsweiler, Dülken, Düren, Erkelenz, Eschweiler, Gangelt, Geilenkirchen, Gemünd, Gladbach, Hasselsweiler, Heinsberg, Herzogenrath, Hochneukirch (mit Ausnahme der Pfarrei Elfgen), Jülich, Kempen, Krefeld, Kronenburg (ausgenommen die Pfarreien Hallschlag, Ormont und Stoffeln), Linnich, Lobberich, Mechernich (mit Ausnahme der Pfarrei Commern), Monschau, Nideggen, Nörvenich (ausgenommen die Pfarrei Pingsheim), Rheydt, Steinfeld, Stolberg, Uerdingen (ausgenommen die Pfarreien Friemersheim und Kaldenhausen), Bettweis (ausgenommen die Pfarrei Füssenich), Viersen, Wassenberg und Wegberg. Außerdem weisen Wir der Diözese Aachen die oben erwähnten Pfarreien Berg, Bouderath, Disternich, Floisdorf, Nöthen, Siever-
4
D.h. der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.
VI. Der Vollzug des preußischen Konkordats
341
nich, Vlatten und die Pfarrei Hinsbeck zu, welch letztere Wir daher von dem Gebiet der Diözese Münster trennen. Als Sitz dieser neuen Diözese bestimmen Wir die Stadt Aachen, nach der die Diözese selbst ihren Namen trägt und die Wir daher in den Rang einer Bischofsstadt erheben mit all den Rechten und Privilegien, wie sie die übrigen Bischofsstädte nach dem gemeinsamen Recht genießen. Die bischöfliche Kathedra errichten Wir in der Kirche Mariä Himmelfahrt, i n eben derselben Stadt, die Wir deshalb zu Rang und Würde einer Kathedralkirche erheben; ihr und den jeweiligen Bischöfen verleihen Wir alle Rechte und Privilegien, die Kathedralkirchen und deren Bischöfen sonst nach dem gemeinen Recht zukommen, Wir legen ihnen aber auch alle die Lasten auf, durch die anderwärts Kathedralkirchen und deren Bischöfe auf dem Erdkreis gebunden sind. Diese neue Diözese Aachen bestimmen Wir als Suffraganbistum der Kölner Metropolitankirche und unterwerfen gleichzeitig die jeweiligen Aachener Bischöfe dem Metropolitanrecht des Kölner Erzbischofs. Das i n der Stadt Aachen bestehende Kollegialkapitel erheben Wir zu Rang und Würde eines Kathedralkapitels mit allen Rechten, Auszeichnungen und Privilegien, aber auch mit den Lasten und Pflichten, wie sie Kathedralkapiteln eigen sind; es soll auch nur aus einer einzigen Dignität, nämlich der des Propstes, sowie aus sechs Titelkanonikern, vier Ehrenkanonikern und sechs Vikaren bestehen. 3) Die Diözese Limburg soll ihrem Umfang nach umfassen die Dekanate: Camberg, Eltville, Hadamar, Höchst, Bad Homburg, Königstein, Limburg, Meudt, Montabaur, Oberlahnstein, Ransbach, Rennerod, Rüdesheim, Bad Schwalbach und Wiesbaden, desgleichen die exemte Pfarrei Limburg, ebenso den Distrikt Frankfurt a. Main mit den Pfarreien: Bockenheim, Eckenheim, Eschersheim, Fechenheim mit Ausnahme der Orte: Bergen-Enkheim und Bischofsheim. Diese Diözese Limburg entziehen Wir dem Metropolitanrecht des Erzbischofs von Freiburg und bestimmen sie, wie gesagt, als Suffraganbistum der Kölner Metropolitankirche. 4) Die Diözese Münster soll als eigenes Gebiet folgende Dekanate enthalten: Ahaus, Ahlen, Beckum, Bocholt, Borken, Bottrop, Buer, Burgsteinfurt, Calcar, Cleve, Cloppenburg (mit Ausnahme des Ortes Wachtum samt der dortigen Kirche), Coesfeld, Damme, Datteln, Dinslaken, Dorsten, Duisburg, Dülmen, Emmerich, Freckenhorst, Friesoythe, Geldern (mit Ausnahme der Pfarrei Hinsbeck), Gladbeck, Goch, Hamborn, Herten, Kevelaer, Ibbenbüren, Lüdinghausen, Moers, Münster, Nottuln, Oldenburg, Recklinghausen, Rees, Rheine, Rheinberg, Sterkrade, Telgte, Vechta, Vreden, Warendorf, Werne und Xanten, zudem nachfolgende Pfarreien: Kaldenhausen, Friemersheim, Tönisberg und den Ort Körte in Lewinghausen. Das Kathedralkapitel dieser Diözese soll unverändert bleiben, doch soll i n Zukunft eines seiner Ehrenmitglieder aus den geistlichen Lehrern der i n dieser Diözese selbst befindlichen Theologischen Fakultät gewählt werden. 5) Die Diözese Osnabrück soll ihre alten Dekanate behalten, nämlich: Bentheim, Emsland I, Emsland II, Freren, Fürstenau, Gronenberg, Hümmling, HunteburgVörden, Iburg, Lingen, Osnabrück, Ostfriesland sowie den Ort Wachtum samt der dortigen Kirche; zugleich soll damit bleibend verbunden werden das Missionsgebiet, bestehend aus dem Apostolischen Vikariat, das Bremen, Hamburg, Lübeck,
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Oldenburgisch-Lübeck, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und Schaumburg-Lippe umfaßt, und aus der Apostolischen Präfektur SchleswigHolstein; dieses Missionsgebiet befand sich bisher unter der Verwaltung des Bischofs von Osnabrück als Apostolischen Vikars bezw. Präfekts. Diese bislang unmittelbar dem Apostolischen Stuhl unterstellte Diözese bestimmen und erklären Wir als Suffraganbistum der Metropolitankirche Köln. 6) Die Diözese Trier soll sich erstrecken auf die Dekanate: Adenau, Ahrweiler, Andernach, Bassenheim, Bernkastel, Birkenfeld, Bischofsdhron, Bitburg, Blankenrath, Burgbrohl, Carden, Clausen, Cobern, Cochem, Conz, Daun, Dillingen, Ehrang, Ehrenbreitstein, Engers, Gerolstein, Hermeskeil, Hillesheim, Illingen, Irrel, Kaisersesch, Kelberg, Kirchen, Koblenz, Kreuznach, Kyllburg, Linz, Manderscheid, Mayen, Merzig, Münstermaifeld, Neuerburg, Obergondershausen, Oberkail, Ottweiler, Perl, Piesport, Prüm, Remagen, Ruwer, Saarbrücken, Saarburg, Saarlouis, Schweich, Simmern, Sobernheim, Sulzbach, St. Goar, St. Wendel, Trier, Völklingen, Wadern, Wadgassen, Waxweiler, Wittlich und Zell, außerdem auf die Pfarreien Hallschlag, Ormont, Steffeln samt den Vikarien Jünkerath und Schüller. III. Die neue Kirchenprovinz Breslau soll gebildet werden aus der Breslauer Kirche selbst, die zur Würde einer Metropolitankirche zu erheben ist, aus den Suffraganbistümern: Berlin, das neu zu errichten ist, und Ermland, sowie aus der Suffraganprälatur „nullius" Schneidemühl, die gleichfalls neu zu errichten ist. 1) Die Breslauer Diözese soll ihr Gebiet beibehalten mit Ausnahme jenes Teils, der bisher der Apostolischen Administratur Berlin zugeteilt war. Diese Kathedralkirche, die bislang unmittelbar dem Hl. Stuhl unterstand, erheben Wir zu Rang und Würde einer Metropolitankirche und erteilen und weisen ihr daher an alle und jegliche Rechte, Privilegien und Prärogativen, die den übrigen Metropolitansitzen von Rechts wegen zukommen, und statten zugleich die jeweiligen Erzbischöfe von Breslau mit den Rechten und Privilegien aus, deren sich die übrigen Erzbischöfe erfreuen, zugleich mit der Befugnis, das Kreuz vor sich hertragen zu lassen, wie auch, den Vorschriften der Hl. Kanones entsprechend, des Palliums sich zu bedienen, doch erst nachdem dieses vom Apostolischen Stuhl in einem heiligen Konsistorium erbeten und erlangt worden ist. Die Breslauer Kirche und ihren Oberhirten binden Wir mittelst derselben Lasten und Pflichten, mittelst deren auch die übrigen Metropolitansitze des Erdkreises und deren Oberhirten gebunden sind. Desgleichen erheben Wir das Kathedralkapitel Breslau zu Rang und Würde eines Metropolitankapitels und erteilen ihm die Ehren und Prärogativen, wie sie Metropolitankapiteln von Rechts wegen zukommen, indem Wir die Stelle aufheben, die bislang als i h m vorbehalten der Propst von St. Hedwig i n der Stadt Berlin inne hatte. Einer der Ehrenkapitulare soll aus den geistlichen Lehrern der Theologischen Fakultät gewählt werden, die in eben der Erzdiözese Breslau besteht. 2) Überdies unterdrücken Wir die Apostolische Administratur Berlin und bilden aus deren Gebiet eine neue Diözese gleichen Namens, die Wir als Suffraganbistum der Metropolitankirche Breslau erklären und deren jeweilige Bischöfe Wir dem Metropolitanrecht des Breslauer Erzbischofs unterwerfen. Als bischöflichen Sitz dieser Diözese bestimmen Wir die Stadt Berlin, die Wir deshalb in den Rang einer Bischofsstadt erheben. Die bischöfliche Kathedra errichten Wir in der dortigen Kirche St. Hedwig und befördern sie zu Rang und Würde einer Kathedralkirche. Ihr
VI. Der Vollzug des preußischen Konkordats
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sowie ihren jeweiligen Bischöfen gewähren Wir deshalb alle Rechte und Privilegien, die die übrigen Kathedralen und deren Oberhirten besitzen, und legen ihnen zugleich die Lasten und Pflichten auf, wie sie Kathedralkirchen und deren Bischöfen nach des Rechtes Richte zukommen. A n der nämlichen Kirche St. Hedwig errichten Wir ein Kathedralkapitel, das aus einer Dignität, nämlich der des Dompropsts bestehen soll, ferner aus fünf Titelkanonikern, einem einzigen Ehrenkanoniker und vier Vikaren. Dieses Kapitel soll sich der Rechte, Auszeichnungen und Privilegien erfreuen, aber auch durch die Verpflichtungen gebunden sein, wie sie i m Rechte festgelegt sind. 3) Die Diözese Ermland soll aus nachfolgenden Dekanaten gebildet werden: Allenstein, Braunsberg, Christburg, Elbing, Guttstadt, Heilsberg, Marienburg, Masuren I, Masuren II, Mehlsack, Rössel, Samland, Seeburg, Stuhm, Tilsit, Wartenburg, Wormditt, desgleichen aus Pomesanien, dessen Gebiet Wir der Ermländer Diözese zuteilen, womit von selbst die Apostolische Administratur dieses Gebietes aufhören soll 5 . Diese Diözese Ermland, die bisher dem Apostolischen Stuhl unmittelbar unterworfen war, bestimmen Wir für künftig zum Suffraganbistum der Metropolitankirche Breslau und unterwerfen deren jeweilige Bischöfe dem Metropolitanrecht des Breslauer Erzbischofs. Das Kathedralkapitel der Diözese Ermland in der Stadt Frauenburg soll fürderhin aus zwei Dignitäten bestehen, der des Propstes und der des Dekans, aus sechs Titelkanonikern, vier Ehrenkanonikern und vier Vikaren. 4) Außerdem errichten Wir durch gegenwärtiges Schreiben eine Prälatur „nullius", die Wir Prälatur Schneidemühl genannt wissen wollen. Sie bestimmen Wir als Suffraganprälatur der Breslauer Metropolitankirche und unterstellen deren jeweiligen Prälaten dem Metropolitanrecht des Breslauer Erzbischofs. Das Gebiet dieser neuen Prälatur soll bestehen aus den westlichen Restteilen des Erzbistums Gnesen und Posen sowie des Bistums K u l m , näherhin aus den Dekanaten: Betsche, Bomst, Deutsch Krone, Flatow, Fraustadt, Lauenburg in Pommern, Schlochau und Schneidemühl. Nach Errichtung dieser neuen Prälatur soll die Apostolische Administratur, der dieselben Dekanate bisher unterstanden, von selbst aufhören 6 . IV. Die neue Kirchenprovinz Paderborn soll die gemäß folgendem zur Metropole zu erhebende Paderborner Kirche umfassen und dazu als Suffraganbistümer die Sitze Fulda und Hildesheim. 1) Die Paderborner Kathedralkirche, bislang untergeben der Kölner Kirche und nun, wie oben gesagt, von deren Metropolitanrecht losgelöst, erheben Wir zu Rang 5 Der Bischof der Diözese Ermland (mit Sitz i n Frauenburg am Frischen Haff) war 1922 zum Apostolischen Administrator für die bei Deutschland verbliebenen Pfarreien von Pomesanien eingesetzt worden, die bis dahin der infolge des Versailler Vertrags zum polnischen Staatsgebiet gehörenden Diözese K u l m angehört hatten. Zur Besetzung der Prälatur Schneidemühl siehe unten S. 874. 6 Wegen des geringen Umfangs der von den Diözesen Gnesen-Posen und K u l m bei Deutschland verbliebenen Gebiete wurde hier gemäß den canones 319 und 328 CIC nur ein praelatus nullius (sc. dioecesis) eingesetzt. Dieser verfügte über die vollen Jurisdiktionsrechte und konnte auch zum Titularbischof ernannt werden; sein Kirchengebiet erhielt jedoch nicht den Status einer Diözese.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
und Würde einer Metropolitankirche mit all den Rechten, Privilegien, Prärogativen, Ehren und Auszeichnungen, aber auch mit den Lasten und Pflichten, wie sie sowohl den Metropolitankirchen als auch deren jeweiligen Erzbischöfen von Rechts wegen zukommen. Deswegen gewähren Wir dem Erzbischof von Paderborn das Recht, ein Kreuz vor sich hertragen zu lassen und des Palliums gemäß den Vorschriften der hl. Kanones sich zu bedienen, nachdem es i n einem Konsistorium erbeten und erlangt worden ist. Das Gebiet der Erzdiözese Paderborn soll aus nachfolgenden Dekanaten gebildet werden: Anröchte, Arnsberg, Attendorn, Beverungen, Bielefeld, Bigge, Bochum, Borgentreich, Brakel, Brilon, Büren, Castrop-Rauxel, Delbrück, Dessau, Detmold, Dortmund-Altstadt, Dortmund-Nordost, Dortmund-Süd, Dortmund-West, Egeln, Eisleben, Elspe, Gehrden, Gelsenkirchen, Geseke, Hagen (mit Ausnahme der Pfarrei Langerfeld), Halberstadt, Halle, Hamm, Hattingen (ausgenommen die Pfarrei Kupferdreh), Herne, Höxter, Iserlohn, Kamen, Letmathe, Lichtenau, Magdeburg, Marsberg, Medebach, Menden, Meschede, Olpe, Oschersleben, Paderborn, Rietberg, Rüthen, Salzkotten, Siegen, Soest, Steinheim, Stendal, Sundern, Waldeck, Wanne-Eickel, Warburg, Wattenscheid, Werl, Wiedenbrück, Witten, Wittenberg, Wormbach. Das Kathedralkapitel erheben Wir zur Ehre und Würde eines Metropolitankapitels mit allen Rechten, Prärogativen und Privilegien, wie sie Metropolitankapiteln eigen sind. 2) Die Diözese Hildesheim, bisher dem Apostolischen Stuhl unmittelbar unterstellt, bestimmen Wir zum Suffraganbistum der Metropolitankirche Paderborn und erklären dessen jeweilige Oberhirten als dem Metropolitanrecht des Paderborner Erzbischofs unterworfen. Das Gebiet dieser Diözese soll umfassen die Dekanate: Bockenem, Borsum, Braunschweig, Detfurth, Duderstadt, Förste, Gieboldehausen, Goslar, Gronau, Hannover, Harburg, Hildesheim, Lindau, Nörten, Peine und Verden, die Pfarrei Rinteln und die Kuratien Obernkirchen und Bad Nenndorf. Das Kathedralkapitel dieser Diözese soll künftig fünf Titelkanoniker umfassen. 3) Die Diözese Fulda, bislang der Kirchenprovinz Freiburg unterworfen, entziehen Wir dem Metropolitanrecht der Freiburger Kirche, bestimmen sie als Suffraganbistum der Metropolitankirche Paderborn und unterwerfen deren jeweilige Oberhirten dem Metropolitanrecht des Erzbischofs von Paderborn. Zur Fuldaer Diözese sollen gehören die Dekanate: Amöneburg, Beuren, Bischofferode, Eiterfeld, Erfurt, Fritzlar, Fulda, Geisa, Grossenlüder, Hanau, Heiligenstadt, Hilders, Hünfeld, Kassel (mit Ausnahme der Pfarrei Rinteln samt den Vikarien Obernkirchen und Bad Nenndorf), Kirchworbis, Küllstedt, Lengenfeld, Margaretenhaun, Neuhof, Nordhausen, Orb, Rustenfelde, Salmünster, Weimar, Weyhers, Wiesenfeld und außerdem die Orte: Bergen-Enkheim und Bischofsheim. Das Kathedralkapitel dieser Diözese soll für die Zukunft aus fünf Titelkanonikern bestehen. Nachdem Wir denn solches, wie vorstehend, angeordnet haben, bestellen Wir zur Durchführung all dessen den Ehrwürdigen Bruder Cäsar Orsenigo, Erzbischof von Ptolemais in Lybien, Apostolischen Nuntius in der Deutschen Republik 7 , und erteilen ihm dieserhalb die nötigen und entsprechenden Vollmachten, auch die der Subdelegation irgend eines kirchlichen Würdenträgers zu gedachtem Zweck, sowie 7
Cesare Orsenigo: unten S. 872.
VII. Der E n t w u r f des sächsischen Kirchenvertrags
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die der endgültigen Entscheidung i n jeder etwa auftretenden Schwierigkeit oder bei jedem irgendwie entstehenden Einspruch während des Durchführungsaktes, zugleich mit der Verpflichtung, innerhalb sechs Monaten nach Empfang dieses Schreibens über den Vollzug des Durchführungsaktes an die Hl. Konsistorialkongregation authentischen Bericht zu senden. Wir wollen und verfügen, daß gegenwärtiges, in dreifacher Urschrift ausgefertigtes Schreiben mit seinem gesamten Inhalt, auch für den Fall, daß w i r k l i c h und vorgeblich Beteiligte, selbst wenn sie ausdrückliche und besondere Erwähnung verdienen, nicht gehört worden sein sollten oder Vorausgegangenem nicht zugestimmt hätten, niemals deswegen, weil es Richtiges auslasse oder Unrichtiges enthalte, weil es ungültig sei oder Unserer Meinung nicht entspräche, oder weil sonst in i h m Wesentliches und Unvorbedachtes fehle, bemängelt, bekämpft oder angestritten werden könne, daß es vielmehr, als auf Grund sicherer Kenntnis und Machtvollkommenheit entstanden und erflossen dauernd gültig sei und bleibe und seine vollen und ungeschmälerten Rechtswirkungen erlange und behalte und von allen, die es angeht, unverbrüchlich beachtet werden müsse; sollte indes von irgendwem, auf irgendwelchen Einfluß hin, wissentlich oder unwissentlich dementgegen gehandelt werden, so soll das gänzlich ungültig und nichtig sein und bleiben. Wir wollen schließlich, daß Abschriften dieses Schreibens, auch gedruckte, die von der Hand irgendeines öffentlichen Notars unterzeichnet und mit dem Siegel eines Geistlichen i n A m t und Würden bestätigt sind, ganz dieselbe Glaubwürdigkeit zuerkannt werde, die diesem Schreiben zuerkannt würde, wenn es urschriftlich ausgehändigt und vorgezeigt werden sollte. Dem sollen gegebenenfalls weder Vorschriften von Diözesan-, Provinzial-, General- und Universalkonzilien, noch auch besondere oder allgemeine Erlasse und Anordnungen des Apostolischen Stuhls, noch irgendwelche anderweitige Verfügungen unserer Vorgänger, der Päpste, oder sonst irgend etwas entgegenstehen dürfen. Niemand aber soll gestattet sein, dieses Unser Schreiben über Ausscheidung, Zuteilung, Errichtung, Erhebung, Gewährung, Festsetzung, Abänderung, Anordnung und Willensäußerung Unsererseits zu entkräften oder i h m entgegen zu handeln. Sollte sich jedoch jemand in keckem Unterfangen herausnehmen, dies zu versuchen, so wisse er, daß er sich die Ungnade des Allmächtigen Gottes und seiner Apostel, des heiligen Petrus und Paulus, zuziehen werde.
V I I . Der Entwurf des sächsischen Kirchenvertrags Einen anderen Weg als die Konkordatsländer Bayern, Preußen und Baden verfolgte der Freistaat Sachsen bei dem Versuch, die Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen neu zu regeln. Die parlamentarischen Auseinandersetzungen über die Staatsleistungen an die beiden Kirchen beendete das Kabinett Heidt 1 im Januar 1929 durch den Abschluß paralleler Verträge mit dem Bistum Meißen 1 Max Heidt (1872-1933), Metalldreher; 1904-07 Vors. des deutschen Metallarbeiterverbandes in Sachsen; seit 1907 Gewerkschaftssekretär in Chemnitz; seit 1909 M.d. sächs. II. Kammer (SPD); seit 1. November 1918 sächs. Staatsminister; vom 2. Januar 1919 bis 9. Dezember 1920 Arbeitsminister; vom 13. Dezember 1920 bis 4. Januar 1924 Finanzminister; vom 4. Januar 1924 bis 25. Juni 1929 Ministerpräsident (seit 1927 Altsozialist).
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
einerseits (Nr. 189) und der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens andererseits 2. Diesen beiden Verträgen stellte es den Entwurf eines Gesetzes über die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften zur Seite 3. Der Versuch einer vertragsrechtlichen Regelung war hier also auf die Staatsleistungen beschränkt. Vertragspartner auf der katholischen Seite war jedoch nicht der Papst, sondern der für das Land Sachsen zuständige Bischof. Der erste Versuch, für das Zustimmungsgesetz zu den beiden sächsischen Kirchenverträgen eine parlamentarische Mehrheit zu gewinnen, endete, als der Reichsstaatsgerichtshof am 22. März 1929 die sächsischen Landtagswahlen von 1926 für ungültig erklärte 5. Die dadurch notwendig gewordenen Neuwahlen erschwerten die parlamentarische Lage. Das neue Kabinett Bünger 6 blieb bei dem Bemühen um die Tolerierung durch die NSDAP ohne Erfolg. Die aus den Linksparteien und der NSDAP zusammengesetzte oppositionelle Mehrheit verhinderte im Landtag am 14. Januar 1930 die parlamentarische Zustimmung zu den Kirchenverträgen und zu dem Gesetz über die Religionsgesellschaften 7. Nach dem Rücktritt des Kabinetts Bünger und der Regierungsübernahme durch das Kabinett Schieck 8, insbesondere aber nach den Landtagswahlen vom 22. Juni 1930, die die heterogene Mehrheit der Linksparteien und der NSDAP weiter verstärkten, kamen die Beratungen über die sächsischen Kirchenverträge und das Gesetz über die Religionsgesellschaften endgültig zum Erliegen 9.
Nr. 189. Nichtratifizierter Vertrag zwischen dem Freistaat Sachsen und dem Bistum Meißen vom 12./15. Januar 1929 (Verhandlungen des Sächsischen Landtags, 4. Wahlperiode, 1929/30, Vorlagen, Nr. 9, S. 15 ff.) Der Freistaat Sachsen, vertreten durch den Ministerpräsidenten, und das Bistum Meißen, vertreten durch den Bischof von Meißen, schließen zur vorläufigen Ablösung der nachgenannten Staatsleistungen folgenden Vertrag. 2
Unten Nr. 300. Verh. d. Sächs. Landtags, 3. Wahlperiode, 1928/29, Vorlagen Nr. 74. 4 Nämlich Bischof Christian Schreiber: unten S. 874. 5 Text der Entscheidung: Lammers-Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, Bd. I I (1929), S. 127f. 6 Wilhelm Bünger (1870-1937), preuß. Jurist; seit 1902 Staatsanwalt in Frankfurt a.M.; 1911 Hilfsarbeiter bei der Reichsanwaltschaft i n Leipzig; 1913 Kammergerichtsrat in Berlin; 1919 Reichsanwalt i n Leipzig; seit 1920 Mdsächs. LT (DVP); vom 4. Januar 1924 bis 30. Juni 1927 sächs. Justizminister; vom Dezember 1928 bis Februar 1930 sächs. Volksbildungsminister; vom 3. Juni 1929 bis 18. Februar 1930 zugleich Ministerpräsident; 1931-37 Senatspräsident am Reichsgericht. 7 I m neuen Landtag wurden die Kirchenverträge und das Gesetz über die Religionsgesellschaften als Vorlagen 9 und 10 neu eingebracht. Wortlaut der Debatte vom 14. Januar 1930: Verh. d. Sächs. Landtags, 4. Wahlperiode, 1929/30, 5. 707ff. 8 Walter Schieck (geb. 1874), sächs. Jurist; zunächst i m sächs. Staatseisenbahndienst, seit 1913 i m sächs. Finanzministerium (1919 Vortr. Rat); 1923-30 Präsident des sächs. Staatsrechnungshofs; vom 6. Mai 1930 bis 10. März 1933 sächs. Ministerpräsident, zugleich Kultusminister (der D V P nahestehend). 9 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 809ff. 3
VII. Der E n t w u r f des sächsischen Kirchenvertrags
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§ 1. Zur vorläufigen Ablösung der Geldleistungen, die der Freistaat Sachsen der Römisch-katholischen Kirche zu gewähren hat a) auf Grund des Mandats über die Ausübung der katholisch-geistlichen Gerichtsbarkeit in den hiesigen Kreislanden usw. vom 19. Februar 182710 für die Bischöfliche Verwaltungsstelle in Dresden (an Stelle der früheren katholischgeistlichen Behörden), b) als Entschädigungen an Geistliche und Kirchendiener für weggefallene Stolgebühren, c) als stiftungsmäßige Leistungen für das katholische Waisenhaus und das katholische Krankenhaus zu Dresden, d) als Ruhegelder und Hinterbliebenenbezüge für die Beamten der Bischöflichen Verwaltungsstelle, zahlt der Staat der Römisch-katholischen Kirche (Bistum Meißen) eine jährliche Geldrente. § 2. (1) Die Ablösungsrente beträgt jährlich 63600 RM. (2) Bei künftigen Änderungen der staatlichen Besoldung erhöhen oder vermindern sich 54600 R M der Rente zu dem gleichen Hundertsatz, zu dem sich der tatsächliche Besoldungsaufwand (zurzeit Grundgehalt, Wohnungsgeldzuschuß, soziale Zulagen und Stellenzulagen) des Staates für seine planmäßigen Beamten, mit Ausnahme der Polizei und der in Kap. 71 des Staatshaushaltsplans für 1928 veranschlagten Lehrer, durch die Besoldungsänderungen erhöht oder vermindert, und zwar vom Zeitpunkte des Wirksamwerdens der Besoldungsänderungen an (bewegliche Ablösungsrente). Stellenvermehrungen und Stellenverminderungen bleiben hierbei unberücksichtigt. Eine Besoldungsänderung i n diesem Sinne liegt vor, wenn in der Besoldungsgruppe 11c der Besoldungsordnung zum Besoldungsgesetze vom 28. Dezember 1927 — GBl. S. 171 — die Sätze der Grundgehälter, der Wohnungsgeldzuschüsse, der Sozialzuschläge oder der Stellenzulagen sich ändern oder wegfallen oder wenn etwaige andere Besoldungsbestandteile eingeführt werden oder sich ändern. § 3. Die Ablösungsrente ist vom 1. A p r i l 1928 an i n monatlichen Raten am ersten Werktage eines jeden Monats i m voraus, die rückständigen Raten sind sofort zu entrichten, der Erhöhungsbetrag i m Falle von § 2 Abs. 2 in gleicher Weise und zum gleichen Zeitpunkte, wie und wann den Staatsbeamten die Erhöhung gewährt wird. § 4. Jede geschuldete Reichsmark des unbeweglichen Teils der Ablösungsrente i m Betrage von 9000 R M i m Sinne dieses Vertrags ist gleich dem Werte von 1 / 2790 k g Feingold zu rechnen. § 5. (1) Der Staat kann die nach § 2 zu zahlende Geldrente i m Einvernehmen mit dem Bischöflichen Stuhl und nach einjähriger, nur für den Schluß eines Kalenderjahres zulässiger Kündigung ganz oder in Teilbeträgen durch Gewährung des Kapitals in Reichs Währung tilgen. (2) Einigen sich die Vertragschließenden nicht über den Maßstab, nach dem die Rente oder ihr abzulösender Teil zu kapitalisieren ist, so entscheidet darüber 10
Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 68.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
endgültig ein Schiedsgericht. Für dieses benennt jeder der Vertragschließenden ein Mitglied. Die Ernannten wählen einen Obmann. Einigen sie sich hierüber nicht, so bestimmt den Obmann der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden. I m übrigen gelten für dieses Verfahren die Vorschriften der Zivilprozeßordnung §§ 1025 ff. § 6. Zur Abfindung für alle sonstigen Ansprüche aus Kap. 63 des Staatshaushaltsplanes gewährt der Staat dem Bistum Meißen ein Kapital von 10000 RM, das am ersten Werktage des auf den Tag der Verkündung des Staatsgesetzes folgenden Kalendervierteljahres fällig ist. § 7. Das bei der Bischöflichen Verwaltungsstelle vorhandene Büroinventar und die Büchereibestände werden dem Bistum Meißen, soweit sie i h m nicht schon eigentümlich gehören, zu Eigentum überlassen. § 8. Die vorläufige Ablösung der i m Vertrage bezeichneten Staatsleistungen erfolgt unter dem Vorbehalte, daß dadurch der endgültigen Regelung der Ablösungsfrage auf Grund der nach A r t i k e l 138 der Reichs Verfassung 11 aufzustellenden Reichsgrundsätze oder sonstigen Reichsgesetze für keinen der Vertragschließenden nach irgendeiner Richtung vorgegriffen wird. § 9. Soweit der vorstehende Vertrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, werden i m übrigen Rechte der Vertragschließenden in ihrem Verhältnisse zueinander, gleichviel, ob sie durch Gesetz, Vertrag oder sonstige Rechtstitel begründet sind, durch die in diesem Vertrage vereinbarte Ablösung nicht berührt. §10. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragschließenden über die Ablösung der in diesem Vertrage bezeichneten Staatsleistungen entscheiden die ordentlichen Gerichte. Als Gericht erster Instanz w i r d das Landgericht Dresden ohne Rücksicht auf den Streitwert vereinbart. §11. (1) Über die i n Abs. 1 bezeichnete Ablösungsrente hinaus trägt der Staat die Ruhegelder und Hinterbliebenenbezüge weiter, die er auf Grund seiner gesetzlichen Verpflichtung an die früheren und derzeitigen Beamten der Bischöflichen Verwaltungsstelle (der früheren katholisch-geistlichen Behörden) und an ihre Hinterbliebenen sowie an die früheren und derzeitigen — aus Kap. 63 Tit. 4 des Staatshaushaltsplans auf das Rechnungsjahr 1928 besoldeten — weltlichen Mitglieder der Bischöflichen Verwaltungsstelle und an ihre Hinterbliebenen zurzeit leistet oder künftig noch bis zu ihrem Wegfalle zu leisten hat. (2) Tritt einer dieser Beamten dauernd i n den Kirchendienst über, so erlischt insoweit die Ruhegeldpflicht des Staates. § 12. Soweit die i n Kap. 63 Tit. 2 des Staatshaushaltsplanes auf das Rechnungsjahr 1928 bezeichneten vier Bürobeamten (1 Bürovorsteher, 2 Expeditionsbeamte, 1 Registraturbeamter) i m Staatsdienste zu verbleiben wünschen, ihr Übertritt in ein staatliches A m t aber nicht sogleich möglich sein sollte, w i r d die Staatsregierung i m Einvernehmen mit dem Bischof von Meißen sich darum bemühen, daß den Beamten aus dem Übergangszustande kein Nachteil erwächst. § 13. (1) Dieser Vertrag tritt mit Wirkung vom 1. A p r i l 1928 an in Kraft. (2) Er bedarf zu seiner Gültigkeit noch der Genehmigung durch ein Staatsgesetz und auf kirchlicher Seite der Feststellung, daß die oberkirchliche Behörde keine Einwendungen erhebt. 11
Oben Nr. 97.
V .
Vorverhandlungen zum
ischen Konkordat
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V I I I . Vorverhandlungen zum badischen Konkordat Unter den deutschen Mittelstaaten war Baden neben Bayern ein für die katholische Kirche besonders wichtiges Konkordatsgebiet. Es war der Sitz der oberrheinischen Metropolitankirche, deren Jurisdiktionsbezirk durch das preußische Konkordat von 1929 tiefgreifende Einschnitte erfuhr; die Diözesen Fulda und Limburg wurden aus dem Metropolitanbezirk Freiburg ausgegliedert. Schon deshalb bedurfte die Zirkumskriptionsbulle „Provida solersque" von 18211, der 1827 Bestimmungen über die Bischofswahl zur Seite getreten waren 2, der Revision. Aus der Sicht des Vatikans war ein neues Konkordat um so notwendiger, als die Fortgeltung der Vereinbarungen des 19. Jahrhunderts als zweifelhaft galt 3. Dem Freiburger Erzbischof Karl Fritz 4 war allerdings bewußt, daß die Verhandlungsbereitschaft der badischen Regierung entscheidend davon abhing, ob der Vatikan sich dazu bereit zeigte, die rechtliche Fortgeltung der älteren Vereinbarungen als Ausgangsbasis anzuerkennen. Der Kardinalstaatssekretär Gasparri 5 hielt in seinem Schreiben vom 2. Juni 1926 (Nr. 190) jedoch daran fest, daß eine Neuregelung von Grund auf angesichts der gewandelten politischen Verhältnisse unumgänglich sei. Als Druckmittel bediente die Kurie sich der Drohung, im Fall einer Sedisvakanz auf einem der oberrheinischen Bischofsstühle die 1827 vereinbarten Mitwirkungsrechte des Staats bei der Bischof swahl nicht mehr in Anwendung kommen zu lassen. Erst nach dem Abschluß des preußischen Konkordats wurden Ende 1929 die Erörterungen über ein badisches Konkordat eingeleitet. Auf Grund einer Vorbesprechung 6 mit den Zentrumspolitikern Kaas 1, Schofer 8 und Föhr 9 schlug der päpstliche Nuntius Pacelli der badischen Regierung am 29. November 1929 den Eintritt in Verhandlungen vor 10. Der badische Staatspräsident Schmitt 11 erklärte 1
Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 106. Nämlich die Bulle A d dominici gregis custodiam (ebenda Nr. 109) und das Breve Re sacra (ebenda Nr. 110). 3 Entscheidendes Signal dafür war die Allokution Papst Benedikts XV. vom 21. November 1921 (siehe oben S. 315, Anm. 1). 4 Karl Fritz: unten S. 875. 5 Pietro Gasparri: Staat und Kirche, Bd. III, S. 493, Anm. 4. 6 Protokoll der Besprechung vom 18. November 1929 in Konstanz: E. Föhr, Geschichte des Badischen Konkordats (1958), S. 14 f. 7 Ludwig Kaas: oben S. 123, Anm. 23. 8 Josef Schofer (1866-1930), seit 1892 kath. Priester; Geistl. Rat i m erzbischöfl. Ordinariat in Freiburg und päpstl. Hausprälat; seit 1905 M. d. bad. Π. Kammer; 1919 bis 1930 Vors. der bad. Zentrumspartei; M. d. Reichsvorstands der dt. Zentrumspartei. 9 Ernst Föhr (1892-1976), seit 1915 kath. Priester; seit 1920 Diözesanpräses des Volks Vereins für das katholische Deutschland (Baden/Hohenzollern); 1921-33 Mdbad. LT; Mai 1928-Juli 1933 MdR; 1931-33 Partei- und Fraktionsvorsitzender des badischen Zentrums; 1958-67 Generalvikar der Erzdiözese Freiburg. 10 Schreiben des Nuntius Pacelli an den badischen Staatspräsidenten Schmitt vom 29. November 1929 (vgl. E. Föhr, Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden vom 12. Oktober 1932, 1933, S. 8). 11 Josef Schmitt (1874-1939), bad. Jurist; 1900 Amtsrichter in Boxberg; 1901 M. d. kath. Oberstiftungsrats Karlsruhe (1919 Geh.Finanzrat); 1921-25 und 1929-33 Mdbad. LT; 1925-27 Min.Direktor i m bad. Kultusministerium; 1927-31 bad. Finanz2
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
daraufhin am 24. Dezember 1929 die grundsätzliche Bereitschaft seiner Regierung zum Abschluß eines Konkordats. Die Verhandlungen verzögerten sich indes erneut durch die Berufung Pacellis zum Kardinalstaatssekretär. Erst im Oktober 1930 kamen Besprechungen in Gang, an denen auf kirchlicher Seite der neue Nuntius Orsenigo 12, der Freiburger Erzbischof — zunächst Karl Fritz, dann Conrad Gröber 13 — sowie der Diözesanpräses Föhr, auf staatlicher Seite die Kultusminister Schmitt und Baumgartner 14 sowie der Finanzminister Mattes 15 mitwirkten. Erneut erwies sich die ungelöste Frage nach der Fortgeltung der früheren Vereinbarungen als schweres Hindernis. Den Vorschlag des Kultusministers Baumgartner, die alten Vereinbarungen von vatikanischer Seite aus in aller Form als fortbestehend anzuerkennen (Nr. 191), wies der Kardinalstaatssekretär Pacelli am 9. Februar 1932 ab (Nr. 192). Da die badische Regierung inzwischen auch die Verhandlungen mit der evangelischen Landeskirche so weit gefördert hatte, daß ein paralleler Vertragsabschluß mit beiden Kirchen erreichbar schien, fand sie sich bereit, trotz der schroffen Haltung der Kurie im August 1932 in die entscheidende Phase der Verhandlungen einzutreten 16.
Nr. 190. Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Gasparri an Erzbischof Fritz, Freiburg vom 2. Juni 1926 (Deutsche Übersetzung: E. Föhr, Geschichte des Badischen Konkordats, 1958, S. 9) Nach reiflicher Prüfung habe ich Dir i m Auftrag Seiner Heiligkeit wie folgt zu antworten: Da nach dem politischen Umsturz des Jahres 1918 neue Verfassungen in Kraft getreten sind, nach denen das Reich und die einzelnen Länder i n Deutschland minister, Juni bis September 1931 Kultusminister, September 1931 bis März 1933 Justizminister; vom 23. November 1928 bis 20. November 1930 und vom 18. September 1931 bis 10. März 1933 bad. Staatspräsident. 12 Cesare Orsenigo: unten S. 872. 13 Conrad Gröber: unten S. 875. 14 Eugen Baumgartner (1879-1944), Oberlehrer i m bad. Schuldienst (1901 Dr. phil., 1906 Dr. jur.); 1908 Prof. am Lehrerseminar Ettlingen; 1911-19 Kreisschulrat, seit 1919 Min.Rat i m bad. Kultusministerium; 1920-33 Mdbad. LT (1923-30 Landtagspräsident); 1930-31 Vors. d. bad. Zentrumspartei (als Nachfolger von J. Schofer); 1930-31 Präsident des bad. Rechnungshofs; vom 18. September 1931 bis 10. März 1933 bad. Kultusminister. 15 Wilhelm Mattes (1892-1952), Dr. oec. pubi., Landwirt; 1921-29 M. d. bad. Landwirtschaftskammer; 1921-33 Mdbad. L T (DVP); seit 1925 Fraktionsvorsitzender; vom 30. Juni 1931 bis 10. März 1933 bad. Finanzminister; vom 17. Oktober 1945 bis Ende Dezember 1947 hess. Finanzminister (im Kabinett Geiler). 16 Siehe E. Föhr, Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden vom 12. Oktober 1932 (1933); ders., Geschichte des Badischen Konkordats (1958); E. Will, Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Baden (Diss. Freiburg 1954); A. Hollerbach, Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932, in G. Kleinhey er jP. Mikat (Hrsg.), Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für H. Conrad (1979), S. 287ff.; M.-J. Bartilla, Der badische Staatsmann und Jurist Josef Schmitt 1874-1939 (1980); Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 928 f.
V .
Vorverhandlungen zum
ischen Konkordat
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regiert werden, sind die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Regierungen von Grund auf verändert, sodaß die in den alten Bullen enthaltenen Rechte nicht mehr voll ausgeübt werden können. Deshalb hat der Heilige Stuhl seine Auffassung zum Ausdruck gebracht, daß er zum Abschluß neuer, den neuen Verhältnissen angepaßter Verträge mit der Staatsgewalt bereit sei. Wie bekannt, hat Bayern zur Zufriedenheit und zum Nutzen beider Partner bereits ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl unterzeichnet; Preußen hat Verhandlungen mit dem gleichen Ziel neulich eingeleitet. Andere Staaten jedoch, darunter Baden, obwohl einst durch Vertrag mit dem Heiligen Stuhl verpflichtet, haben, wenigstens bisher, keinerlei Willen gezeigt, die kirchlichen Angelegenheiten in gegenseitiger Eintracht zu ordnen, vielmehr den Willen, ohne Konsultation des Heiligen Stuhles diese Materie gesetzlich zu regeln. Folgerichtig kann der Heilige Stuhl, der bisher in einzelnen Fällen bei Besetzung freier Benefizien und Ämter gestattet hatte, daß das alte Recht beachtet wurde, wenn auch stets mit der Klausel „für dieses Mal und ohne Präjudiz für die Zukunft", bei den erwähnten Besetzungen weiterhin nicht mehr den gleichen Weg gehen, und er erklärt, daß künftig in Deiner Diözese bis auf weiteres das gemeine Recht 1 7 beachtet werden muß.
Nr. 191. Schreiben des Kultusministers Baumgartner an den Kardinalstaatssekretär Pacelli vom 4. Februar 1932 (E. Föhr, Geschichte des Badischen Konkordats, 1958, S. 26f.) — Auszug — Ich trage lebhafte Bedenken i m Hinblick auf die grundsätzliche Stellungnahme Eurer Eminenz zur Frage der Geltung der konkordatären Vereinbarung des Heiligen Stuhles mit dem badischen Staate von 1821 bzw. 182718. Ich muß, u m i m Kabinett Erfolg zu haben, unter allen Umständen die prinzipielle Geltung des bisherigen Konkordates, das zwar in Einzelheiten überholt und änderungsbedürftig ist, bejahen. Anderenfalls kann von der politischen Gegenseite die Geltung auch aller i m Konkordat festgelegten und seitdem getätigten Staatsleistungen an die Kirche als nicht rechtsbeständig bezeichnet werden. Und zwar sowohl für die Vergangenheit wie für die Gegenwart und Zukunft. . . . Wenn vom Heiligen Stuhle die prinzipielle Weitergeltung verneint würde, so könnte diese Stellungnahme für die Aussichten des neuen Konkordatsentwurfes geradezu verhängnisvoll werden und den Abschluß eines neuen Vertrages unmöglich machen. Ich wäre daher i m Interesse der Ermöglichung eines baldigen Abschlusses eines neuen Konkordates Eurer Eminenz zu großem Dank verbunden, wenn Euer Eminenz in einem neuen Schreiben an mich sich dahin aussprechen würde, daß die Auffassungen darüber, welche einzelnen Bestimmungen der Vereinbarungen von 1821 bzw. 1827 infolge der Entwicklung seit 100 Jahren und infolge der verschiedenen innergesetzlichen 17 18
Besonders der Codex juris canonici von 1917. Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 106, Nr. 109, Nr. 110.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Änderungen und der inzwischen erfolgten Umgestaltung der Reichs- und Staatsverfassung überholt und welche Bestimmungen noch i n Geltung sind, auseinandergehen, wenn auch grundsätzlich das Konkordat als solches, da es von keinem der beteiligten Kontrahenten gekündigt wurde, prinzipiell noch in Geltung ist. Darum sei der baldige Abschluß eines neuen Konkordats, das sich den veränderten Verhältnissen, auch bezüglich der Besetzung des Erzbischöflichen Stuhles in Freiburg, anpassen soll, dringend notwendig. . . . Die Verneinung der Gültigkeit würde Folgen haben, die das Zustandekommen eines neuen Konkordats unmöglich machen, da man dann von anderer politischer Seite auch an der künftigen Rechtsbeständigkeit eines neuen Konkordats voraussichtlich zweifeln und daraus die Folgerung von vornherein ziehen würde. Aus dieser Erwägung bitte ich nochmals Euer Eminenz, mir offiziös zu schreiben in dem oben vorgeschlagenen Sinne.
Nr. 192. Antwort des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an den Kultusminister Baumgartner vom 9. Februar 1932 (E. Föhr, Geschichte des Badischen Konkordats, 1958, S. 27f.) — Auszug — . . . Zu meinem großen Bedauern kann ich Ihrer Bitte, die von Ihnen vorgeschlagene Formel zu gebrauchen, nicht entsprechen. Es ist das schon deshalb nicht möglich, weil der Heilige Stuhl auch Bayern und Preußen gegenüber in dieser Frage die gleiche Stellung genommen hat, die ich i m Schreiben vom 8. Januar an Euer Exzellenz zum Ausdruck brachte. Die der von Euer Exzellenz vertretenen entgegenstehende Rechtsauffassung geht von der Ansicht aus, daß konkordatäre Abmachungen, die der Heilige Stuhl vor hundert Jahren mit den alten Souveränen getroffen hat, durch so tiefgehende Entwicklungen und so grundlegende Veränderungen i m Verhältnis von Kirche und Staat, wie sie diese hundert Jahre und vor allem die Staatsumwälzung von 1918 und 1919 gebracht haben, sehr wohl auch in ihrer prinzipiellen Geltung betroffen werden, und daß Zugeständnisse, die der Heilige Stuhl ihnen machte, nicht ohne weiteres auf die Regierung einer i n religiöskirchlichen Fragen grundsätzlich neutralen Republik übergehen. Daher die praktische Notwendigkeit, zu neuen Vereinbarungen zu kommen, eine Notwendigkeit, auf die der Heilige Stuhl — i m Falle Baden bis jetzt leider vergeblich — zu wiederholten Malen hingewiesen hat. Was die mit dem Heiligen Stuhl vereinbarten finanziellen Leistungen des Staates an die Kirche angeht, so beruhen sie wesentlich auf einem anderen Fundament als den Bullen selbst, nämlich auf der Tatsache der Säkularisation. Es ist ja i n den Bullen nur ein verhältnismäßig kleiner Bruchteil der Leistungen erfaßt, zu denen der Staat auf Grund der Säkularisation verpflichtet ist. Wenn ich die zuversichtliche Hoffnung ausspreche, daß von der umstrittenen Rechtsfrage der Geltung der alten Zirkumskriptionsbullen Abstand genommen werde und ein neues Konkordat in kürzester Zeit zum Abschluß komme, so darf ich doch noch einmal darauf hinweisen, daß der Heilige Stuhl andernfalls genötigt sein wird, zur Ernennung des neuen Erzbischofs zu schreiten 1 9 . Die Größe und die 19
Nämlich nach dem Tod des Erzbischofs Karl Fritz am 7. Dezember 1931 (siehe unten S. 875).
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ganzen Verhältnisse der Erzdiözese Freiburg dulden eine lange Vakanz nicht ohne beträchtlichen Schaden. Der Heilige Stuhl müßte jedoch die Verantwortung für diesen Fall ablehnen. Sie würde die Regierung treffen, die es zum großen Leidwesen des Heiligen Stuhls über zwölf Jahre versäumt hat, zu einer Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat zu schreiten, obgleich doch das Beispiel Bayerns und Preußens den Abschluß eines Konkordats nicht nur sehr nahegelegt, sondern auch außerordentlich erleichtert hätte.
I X . Abschluß und Inkraftsetzung des badischen Konkordats Am 12. Oktober 1932 unterzeichneten Kardinalstaatssekretär Pacelli sowie die badischen Minister Schmitt, Baumgartner und Mattes in Hegne bei Konstanz das badische Konkordat (Nr. 193). Ein Schlußprotokoll (Nr. 194) und ein Ergänzungsprotokoll (Nr. 195) traten ihm zur Seite. Das Konkordat bestätigte im wesentlichen die bisherige Zirkumskription der Diözese Freiburg; auch garantierte es den Metropolitanstatus des Freiburger Bischofssitzes. An die Stelle der unmittelbaren staatlichen Mitwirkung bei der Besetzung des erzbischöflichen Stuhls trat die „politische KlauselDie Staatsleistungen für den Erzbischof, das Domkapitel und die erzbischöfliche Verwaltung wurden in einem einheitlichen Betrag vereinbart. Mit den Voraussetzungen für die Verleihung von kirchlichen Ämtern wurde auch der Fortbestand der katholisch-theologischen Fakultät in Freiburg sowie das Einspruchsrecht des Erzbischofs bei der Besetzung theologischer Professuren geregelt. Die beiden „Konkordatsprofessuren" für Geschichte und Philosophie an der Freiburger Universität wurden bestätigt. Während das Konkordat die kirchliche Aufsicht über den Inhalt des katholischen Religionsunterrichts bekräftigte, verzichtete es auf Aussagen zum Schulwesen im Allgemeinen; zur kirchlichen Anerkennung des badischen Simultanschulwesens kam es nicht. Die badische Regierung brachte das Bestätigungsgesetz zum Konkordat gemeinsam mit demjenigen zum evangelischen Kirchenvertrag am 14. November 1932 im Landtag ein. Die ausführliche Regierungsbegründung (Nr. 196) unterstrich die Kontinuität der staatskirchenrechtlichen Entwicklung in Baden. In den abschließenden Lesungen am 30. November und 1. Dezember sowie am 9. Dezember 1932 erörterte das Plenum des Landtags beide Verträge zusammen; die getrennt durchgeführten Abstimmungen hatten das gleiche Ergebnis 1. Dabei war die Zustimmung des Landtags deshalb äußerst zweifelhaft, weil die sozialdemokratische Fraktion mit dem Beginn der Beratungen aus der Regierungskoalition ausschied und deshalb auch gegen die Staatskirchenverträge Front machte. In der ersten Lesung kam eine Annahme nur durch den Stichentscheid des Landtagspräsidenten zustande 2. Bei der zweiten Lesung wurde das Konkordat, da zwei Oppositionsabgeordnete fehlten, mit knapper Mehrheit angenommen (Nr. 197) 3. 1
Siehe unten Nr. 316 ff. Das Stimmenverhältnis betrug 44 Stimmen von Zentrum, D V P und Wirtschaftspartei gegen 44 Stimmen von NSDAP, DNVP, Ev.-soz. Volksdienst, Landvolkpartei, DDP, SPD und Κ D (Verh. d. bad. LT, IV. Wahlperiode, 4. Sitzungsperiode, Bd. 570 a, Sp. 293). 3 Das Abstimmungsergebnis betrug nun 44 zu 42 Stimmen (ebenda Sp. 352 f.). 2
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Dagegen fand der Antrag, die Bestätigungsgesetze für dringlich zu erklären und so ihre sofortige Verkündung möglich zu machen, nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Deshalb konnten die Bestätigungsgesetze erst nach einer Frist von drei Monaten, am 10. März 1933, verkündet werden. Noch am gleichen Tag trat die Regierung Schmitt von ihrem Amt zurück. Bei Austausch der Ratifikationsurkunden am 11. März 1933 (Nr. 198) wurde der badische Staat noch von dem am Vortag zurückgetretenen Staatspräsidenten Josef Schmitt als geschäftsführendem Inhaber der Regierungsgewalt vertreten 4. Der am gleichen Tag eingesetzte Reichskommissar Robert Wagner 5 fand sich mit diesem positiven Abschluß der von seiner Fraktion bis dahin bekämpften badischen Konkordatspolitik ab6.
Nr. 193. Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Baden 7 vom 12. Oktober 1932 (Italienischer und deutscher Text: Bad. Gesetz- und Verordnungsblatt, 1933, S. 20) Seine Heiligkeit Papst Pius X I . und das Badische Staatsministerium, die in dem Wunsche einig sind, die Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche in Baden und dem Badischen Staat den veränderten Verhältnissen anzupassen, haben beschlossen, sie i n einem förmlichen Vertrage (Konkordat) dauernd zu ordnen. Zu diesem Zwecke haben Seine Heiligkeit zu Ihrem Bevollmächtigten Seine Eminenz den Hochwürdigsten Herrn Kardinal Eugen Pacelli , Ihren Staatssekretär, und das Badische Staatsministerium zu seinen Bevollmächtigten den Herrn Badischen Staatspräsidenten und Minister der Justiz Dr. Josef Schmitt, den Herrn Badischen Minister des Kultus und Unterrichts Dr. Eugen Baumgartner und den Herrn Badischen Minister der Finanzen Dr. Wilhelm Mattes ernannt, die nach Austausch ihrer für gut und richtig befundenen Vollmachten folgende Bestimmungen vereinbart haben: 4
Insoweit zu berichtigen: Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 931. Robert Wagner (1895-1946), Besuch des Lehrerseminars, 1914 Kriegsfreiwilliger (Offizier); nach Kriegsende in der Reichswehr (zuletzt Hauptmann); wegen Teilnahme am Münchener Putsch (1923) zu Festungshaft verurteilt (1924) und aus der Reichswehr entlassen; 1925 Gauleiter der NSDAP in Baden; 1929-33 Mdbad. LT, 1933-45 MdR; 1933 Reichskommissar, dann Reichsstatthalter in Baden; 1940 Reichsbeauftragter für das Elsaß; 1946 von einem französischen Kriegsgericht zum Tod verurteilt und hingerichtet. 6 Die veränderte Haltung der nationalsozialistischen Parteiführung in der Konkordatsfrage, die zum Abschluß des Reichskonkordats führte, kam i n dieser stillschweigenden Duldung der Ratifikation des Badischen Konkordats (11. März 1933) zum ersten M a l zum Ausdruck. 7 Siehe außer der oben S. 350, Anm. 16 genannten Literatur: N. Hilling , Das Konkordat und der Evangelische Kirchen vertrag i n Baden v o m 12. Oktober und 14. November 1932 (1933); W. Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. I (1962), S. lOOff.; Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 798, 930f. 5
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Art. I. Der Badische Staat w i r d in Anwendung der Verfassung des Deutschen Reiches und der Verfassung des Freistaates Baden der Freiheit des Bekenntnisses und der Ausübung der katholischen Religion den gesetzlichen Schutz gewähren. Art. II. 1. Die gegenwärtige, auf der Bulle Provida solersque vom 16. August 18218 und auf der Bulle A d dominici gregis custodiam vom 11. A p r i l 18279 beruhende Zirkumskription und Organisation der Erzdiözese Freiburg i. Br. bleibt bestehen, insoweit sich nicht aus diesem Konkordat Änderungen ergeben. 2. Dem Erzbischöflichen Stuhl in Freiburg i. Br. verbleibt der Metropolitancharakter. Das Domkapitel zu Freiburg i. Br. bleibt Metropolitankapitel. 3. Zur Oberrheinischen Kirchenprovinz gehören das Erzbistum Freiburg i. Br. und die Bistümer Rottenburg und Mainz. 4. Das Metropolitankapitel in Freiburg i. Br. besteht aus dem Dompropst, dem Domdekan und fünf residierenden Domkapitularen. 5. Die Dignitäten des Domkapitels verleiht der Hl. Stuhl auf Ansuchen des Erzbischofs i m Benehmen mit dem Domkapitel bzw. abwechselnd auf Ansuchen des Domkapitels i m Einvernehmen mit dem Erzbischof. 6. Die Besetzung der Kanonikate und der Dompräbenden geschieht durch freie Ernennung seitens des Erzbischofs abwechselnd nach Anhörung und mit Zustimmung des Domkapitels. Die Abwechslung findet bei der Ernennung der residierenden Domkapitulare und der Ehrendomherren gesondert statt. 7. Bei Ausübung der i n Art. I I umschriebenen Rechte des Domkapitels wirken vier nicht residierende Ehrendomkapitulare (canonici ad honorem) gleichberechtigt mit. Sie werden vom Erzbischof abwechselnd nach Anhörung und mit Zustimmung des Domkapitels ernannt. Art. III. 1. Nach Erledigung des Erzbischöflichen Stuhles reicht das Domkapitel dem Heiligen Stuhl eine Liste geeigneter Kandidaten ein. Unter Würdigung dieser sowie der durch den Erzbischof jährlich einzureichenden Listen benennt der Heilige Stuhl dem Domkapitel drei Kandidaten, aus denen es in freier geheimer Abstimmung den Erzbischof zu wählen hat. Unter den drei Benannten w i r d mindestens ein Angehöriger der Erzdiözese Freiburg i. Br. sein. 2. Vor der Bestellung des vom Domkapitel zum Erzbischof Erwählten w i r d der Heilige Stuhl beim Badischen Staatsministerium sich vergewissern, ob gegen denselben seitens der Staatsregierung Bedenken allgemeinpolitischer A r t bestehen. 3. Bei der Aufstellung der Kandidatenliste und bei der Wahl wirken die i n A r t i k e l I I genannten Ehrendomherren gleichberechtigt neben den residierenden Kapitularen mit. Art. IV. 1. Hinsichtlich der Errichtung und Umwandlung kirchlicher Ämter ist der Erzbischof von Freiburg völlig frei, falls für ihre Errichtung oder Umwandlung nicht neue Aufwendungen aus Staatsmitteln beansprucht werden. Die staatliche M i t w i r k u n g bei der Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden erfolgt nach Richtlinien, die mit dem Erzbischof vereinbart werden. ö 9
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Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 106. Ebenda Nr. 109.
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2. Der Erzbischof besetzt sämtliche kirchlichen Ämter frei und unabhängig, vorbehaltlich der auf Privatrechtstiteln beruhenden Patronate, welche künftig den zur Zeit geltenden Bestimmungen des kirchlichen Gesetzbuches unterstehen. Die Bestimmung von can. 1345, § 1, Ziff. 1 und 2 findet bezüglich der Kanonikate in der Erzdiözese Freiburg i. Br. keine Anwendung. 3. Der Erzbischof ist berechtigt, die Vermögensangelegenheiten der Katholischen Kirche i n Baden sowie ihrer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen durch eigene Satzung selbständig zu ordnen und nach Maßgabe dieser Satzung zu verwalten. Über die Bestimmungen des Badischen Kirchen Vermögensgesetzes vom 7. A p r i l 192710 und des Badischen Stiftungsgesetzes vom 19. Juli 191811 hinaus w i r d i m Rahmen der verfassungsmäßigen Bestimmungen eine Einschränkung der kirchlichen Rechte in bezug auf die Vermögensverwaltung nicht erfolgen. 4. Die Katholische Kirche i n Baden hat das Recht, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der Verfassung des Deutschen Reiches und der Verfassung des Freistaates Baden sowie der landesrechtlichen Bestimmungen Kirchensteuern zu erheben. Art. V. 1. Das Eigentum und andere Vermögensrechte der Katholischen Kirche in Baden, ihrer öffentlich-rechtlichen Körperschaften sowie der Orden und religiösen Kongregationen, welche gegründet werden dürfen und die Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder einer juristischen Person des privaten Rechts nach den für alle Bürger geltenden Bestimmungen besitzen oder erlangen können, werden nach Maßgabe der Verfassung des Deutschen Reiches gewährleistet. 2. Wenn staatliche Gebäude oder Grundstücke Zwecken der Kirche gewidmet sind, bleiben sie diesen, unbeschadet etwa bestehender Verträge, nach wie vor zum Genuß überlassen. Dem Badischen Staat bleibt aber das Recht vorbehalten, solche Gebäude oder Grundstücke durch andere gleichwertige Grundstücke i m Benehmen mit dem Erzbischof auszutauschen. Ein Recht an diesen Grundstücken, soweit es nicht auf anderweitigen Rechtstiteln beruht, w i r d durch dieses Konkordat nicht erworben. 3. Die bestehenden kirchlichen Eigentums- und Nutzungsrechte werden, soweit noch nicht geschehen, auf Verlangen der Kirche durch Eintragung i n das Grundbuch gesichert werden. Art. VI. 1. Die Dotation des Erzbischöflichen Stuhles w i r d auf der bisherigen Bemessungsgrundlage gewährt. 2. Die Dotationen für das Domkapitel und die Dompräbendare, der Aufwand für ihre Gebäude, der Beitrag zur Bestreitung der Kosten der Erzbischöflichen Kanzlei sowie für die kirchliche Vermögensverwaltung und deren Beaufsichtigung werden künftig insgesamt jährlich 356000 R M — Dreihundertfünfzigsechstausend Reichsmark — betragen. 3. Der nach der bisherigen Rechtslage bestehende Anspruch auf Realdotation w i r d hierdurch nicht berührt. 10
Bad. GVB1. 1927, S. 97. Gesetz- und Verordnungsblatt für die Vereinigte Ev.-Protest. Kirche des Großherzogtums Baden Jg. 1918, S. 160ff. 11
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4. Bei Bemessung des Jahresbetrages wurde vom derzeitigen Stand der Aufwendungen des Badischen Staates für vergleichbare persönliche und sachliche Zwecke ausgegangen. Es besteht Einverständnis darüber, daß i m Falle künftiger Änderungen in diesen Aufwendungen diese auf Verlangen eines Vertragsteiles bei der Zahlung berücksichtigt werden. 5. Der staatliche Zuschuß zur Aufbesserung gering besoldeter Pfarrer sowie alle übrigen voranschlagsmäßigen, i n Ziffer 1 und 2 dieses Artikels nicht erwähnten Leistungen des Staates an die Kirche werden von dieser vertraglichen Regelung nicht berührt. 6. Für eine Ablösung der Staatsleistungen gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfassung des Deutschen Reiches bleibt die bisherige Rechtslage maßgebend. Art. VII. 1. Angesichts der in diesem Konkordat zugesicherten Dotation der Erzdiözese w i r d ein Geistlicher zum Ordinarius des Erzbistums Freiburg i. Br., zum Weihbischof, zum Dompropst, zum Domdekan oder zum Mitglied des Domkapitels oder des Ordinariats oder zum Leiter oder Lehrer am Erzbischöflichen Priesterseminar und am Theologischen K o n v i k t nur bestellt werden, wenn er a) die deutsche Reichsangehörigkeit hat, b) ein zum Studium an einer deutschen Universität berechtigendes Reifezeugnis besitzt, c) ein mindestens dreijähriges philosophisch-theologisches Studium an einer deutschen staatlichen oder an einer deutschen kirchlichen Hochschule oder an einer päpstlichen Hochschule i n Rom zurückgelegt hat. Bei kirchlichem und staatlichem Einverständnis kann von den i m Absatz 1 zu a), b) und c) genannten Erfordernissen abgesehen werden; insbesondere kann das Studium an anderen deutschsprachigen Hochschulen als den zu c) genannten anerkannt werden. 2. Von der erfolgten Bestellung eines der in Absatz 1 genannten Geistlichen wird die zuständige kirchliche Stelle der Staatsbehörde, und mit besonderer Rücksicht auf Ziffer 1 dieses Artikels von den Personalien des betreffenden Geistlichen, alsbald Kenntnis geben. Ein staatliches Einspruchsrecht w i r d hierdurch nicht begründet. Art. VIII. 1. Der Erzbischof w i r d an die Geistlichen, denen ein Pfarramt dauernd übertragen werden soll, die in A r t i k e l VII, Abs. 1 zu a) — c) und an die sonstigen i n der Pfarrseelsorge anzustellenden Geistlichen mindestens die dort zu a) und b) genannten Anforderungen stellen. 2. I m Falle der dauernden Übertragung eines Pfarramts w i r d der Erzbischof alsbald nach der Ernennung der Staatsbehörde von den Personalien des betreffenden Geistlichen mit besonderer Rücksicht auf Absatz 1 dieses Artikels Kenntnis geben. Art. IX. Für die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen bleibt die katholisch-theologische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. mit den zur Zeit des Vertragsabschlusses geltenden Rechten bestehen, unter besonderer Beachtung des Codex Juris Canonici und der Constitutio Apostolica Deus scientiarum Dominus
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vom 24. Mai 193112 mit den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen. Die Studienordnung an dieser Fakultät muß den kirchlichen Vorschriften gemäß und auch den Bedürfnissen der Seelsorge entsprechend i m Einverständnis mit dem Erzbischof aufgestellt werden. Der Erzbischof ist berechtigt, für die Ausbildung der Kandidaten zum Priesteramte Konvikte und ein Priesterseminar zu unterhalten und in seinem Namen zu leiten. Art. X. 1. Bevor an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. jemand zur Ausübung des Lehramts berufen, zugelassen oder angestellt wird, muß der Erzbischof, bei Erledigung des Erzbischöflichen Stuhles der Erzbistumsverweser, gehört werden, ob gegen die Lehre oder den Lebenswandel oder die Lehrbefähigung 1 3 des Vorgeschlagenen unter Angabe des Grundes Einwendungen erhoben werden. I m Falle einer derartigen Beanstandung w i r d die Berufung, Zulassung oder Anstellung nicht erfolgen. 2. Dementsprechend w i r d die Staatsregierung i m Falle einer seitens des Erzbischofs bzw. Erzbistumsverwesers erfolgten ernstlichen Beanstandung der Lehre oder des Lebenswandels oder der Lehrbefähigung eines an der katholischtheologischen Fakultät angestellten Lehrers i m Einvernehmen mit dem Erzbischof für einen den Lehrbedürfnissen entsprechenden Ersatz sorgen. Art. XI. Es besteht unter den Hohen Vertragschließenden Einverständnis darüber, daß der katholische Religionsunterricht an den badischen Schulen nach Maßgabe der Bestimmungen des Artikels 149 der Verfassung des Deutschen Reiches ordentliches Lehrfach ist. Der Religionsunterricht w i r d i n Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Katholischen Kirche erteilt. Art. XII. Die Hohen Vertragschließenden werden eine etwa i n Zukunft zwischen ihnen entstehende Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer Bestimmung dieses Konkordats auf freundschaftliche Weise beseitigen. Art. XIII. 1. Dieses Konkordat, dessen deutscher und italienischer Text gleiche Kraft haben, soll ratifiziert, und die Ratifikationsurkunden sollen möglichst bald ausgetauscht werden. Es tritt mit dem Tage ihres Austausches in Kraft. 2. Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten dieses Konkordats treten die seinen Bestimmungen entgegenstehenden Gesetze und Verordnungen außer Kraft.
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Text: AAS 23 (1931), S. 241 ff. Daß neben Leben und Lebenswandel auch die „Lehrbefähigung" genannt wird, ist eine in ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit bestrittene Besonderheit des badischen Konkordatsrechts; vgl. W. Weber, Das Nihil obstat (1939), in: ders., Staat und Kirche in der Gegenwart (1978), S. 28 ff. (49); E.-L. Solte, Theologie an der Universität (1971), S. 155; A . Hollerbach, Das Badische Konkordat, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte (1979), S. 299f. 13
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Nr. 194. Schlußprotokoll zum badischen Konkordat vom 12. Oktober 1932 (Italienischer und deutscher Text: Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1933, S. 20) Bei der Unterzeichnung des am heutigen Tage zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaat Baden abgeschlossenen Konkordats haben die ordnungsmäßig bevollmächtigten Unterzeichneten folgende übereinstimmende Erklärung abgegeben, die einen integrierenden Bestandteil des Konkordats selbst bildet. Zu Art. III, Abs. 1. . Für den Fall der Bestellung eines Coadjutors cum iure successionis für den Erzbischof von Freiburg w i r d der Heilige Stuhl i m Benehmen mit der Badischen Staatsregierung vorgehen. 2. Als Angehöriger der Erzdiözese Freiburg gilt auch ein aus der Erzdiözese stammender Geistlicher, der in derselben seine Studien ganz oder teilweise absolviert und wenigstens zeitweise i m Dienste der Erzdiözese gestanden hat. Zu Art. V. Es besteht Übereinstimmung darüber, daß die Gründung von Orden und religiösen Kongregationen in Baden gemäß der Verfassung des Deutschen Reiches der Willensbestimmung der zuständigen kirchlichen Stelle überlassen bleibt. Ihre Rechtsstellung aber richtet sich nach Art. V, Absatz 1 dieses Konkordats. Zu Art. VI, Abs. 4. Es besteht Einverständnis darüber, daß etwaige Änderungen i m Personalbestande der Obersten Kirchenbehörden sowie der Erzbischöflichen Kanzlei und der Erzbischöflichen Vermögensverwaltung auf die in Art. VI, Abs. 2 genannte Summe keinen Einfluß haben. Zu Art. VI, Abs. 5. Es besteht Einverständnis darüber, daß auch die auf besonderen Rechtstiteln beruhenden staatlichen Leistungen für die sog. Kompetenzpfarreien und Kompetenzseelsorgestellen 14 sowie die staatliche Baupflicht für solche Kirchengebäude und Pfarrhäuser von dieser vertraglichen Regelung nicht berührt werden. Zu Art. VII, Abs. 1. Das an einer österreichischen staatlichen Universität zurückgelegte philosophisch-theologische Studium ist entsprechend den Grundsätzen gleichberechtigt, die für die deutschen Universitäten gelten. Zu Art. IX. I m Hinblick auf die in Art. V I I geforderte philosophisch-theologische Ausbildung w i r d der Badische Staat dafür Sorge tragen, daß an der Universität Freiburg je eine Professur für Philosophie und Geschichte besteht, die mit je einer Persönlichkeit besetzt wird, welche für die einwandfreie Ausbildung der Theologiestudierenden geeignet ist. 14 Kompetenzpfarreien bzw. -seelsorgestellen sind Stellen von Geistlichen, deren Besoldung ( = Kompetenz) auf Grund der Säkularisation direkt vom Staat aufzubringen war. I n Baden gab es für die katholische Kirche 298 Kompetenzpfarreien und 101 sonstige Kompetenzstellen, für die evangelische Kirche 177 Kompetenzpfarreien und 19 sonstige Kompetenzstellen; vgl. die Regierungsbegründung zum bad. Konkordat (W. Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge, Bd. I, 1962, S. 123).
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Zu Art. X, Abs. 1, Satz 1. Vor dem Berufungs- bzw. Zulassungsverfahren w i r d der Erzbischof benachrichtigt und u m seine Äußerung ersucht werden, für die i h m eine ausreichende Frist gewährt wird. I n der Äußerung sind die gegen die Lehre oder den Lebenswandel oder die Lehrbefahigung des Vorgeschlagenen bestehenden Bedenken darzulegen; wie weit der Erzbischof in dieser Darlegung zu gehen vermag, bleibt seinem pflichtmäßigen Ermessen überlassen. Zu Art. XI. Einig i n der Absicht und dem Willen, der Sicherheit und Festigung des religiösen Friedens i n Baden zu dienen, w i r d der Freistaat Baden i n Anwendung der Reichs- und Landesverfassung die bezüglich des Religionsunterrichts an den badischen Schulen geltenden Rechte der Katholischen Kirche auch weiterhin aufrecht erhalten.
Nr. 195. Zusatzprotokoll zum badischen Konkordat vom 7./10. November 1932 (Italienischer und deutscher Text: Bad. Gesetz- und Verordnungsblatt, 1933, S. 20) Zu dem unter dem 12. Oktober 1932 in Hegne bei Konstanz zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaat Baden abgeschlossenen Konkordat geben die beiden Hohen Vertragschließenden folgende Erklärung ab, die als integrierender Bestandteil des Konkordates zu gelten hat: 1. Zu A r t i k e l III, Abs. 2. Für den Fall eines seitens der Badischen Staatsregierung geltend gemachten Bedenkens allgemeinpolitischer A r t soll der Versuch gemacht werden, gemäß Art. X I I des Konkordates zu einer Einigung zwischen dem Hl. Stuhle und der Badischen Staatsregierung zu gelangen; führt aber der vorgesehene Versuch zu keiner Einigung, dann ist der Heilige Stuhl frei, die Besetzung des Erzbischöflichen Stuhles in Freiburg zu vollziehen. Entsprechendes gilt auch für die i m Schlußprotokoll Ziffer 1 zu Art. III, Abs. 1 des Konkordats vorgesehene Bestellung eines Coadjutors cum iure successionis für den Erzbischof in Freiburg. 2. Zwischen den Hohen Vertragschließenden besteht Einverständnis darüber, daß das in Art. V. Abs. 2 Satz 2 vorgesehene Austauschrecht des Staates sich nur bezieht auf die i m Grundbuch als Eigentum des Staates (Domänenärar) eingetragenen Grundstücke, an denen ein kirchliches Nutzungsrecht nicht besteht, und die nur guttatsweise der Kirche zur Benützung überlassen sind. Für den Fall eines nötig gewordenen Austausches muß das angebotene Grundstück in jeder Beziehung gleichwertig sein.
I X . Abschluß und Inkraftsetzung des badischen Konkordats
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Nr. 196. Regierungsbegründung zum badischen Konkordat vom 14. November 1932 (Verhandlungen des Badischen Landtags, IV. Landtagsperiode, 4. Sitzungsperiode, Heft 571, Beilagen, Nr. 4) — Auszug — I. Geschichtlicher
Rückblick
15 II. Gründe für ein neues Konkordat Die zahlreichen Änderungen der Rechtslage, welche durch die oben dargestellten Staatsgesetze i m Laufe von 100 Jahren, insbesondere aber durch die Reichs- und Landesverfassung geschaffen wurden, machen eine Anpassung der alten Grundlagen des Vertragsverhältnisses zwischen dem Heiligen Stuhl und den deutschen Ländern an die heutigen staatlichen Bedürfnisse und innerrechtlichen Verhältnisse und an die durch den Codex iuris canonici geschaffenen neuen kirchenrechtlichen Verhältnisse durch Abschluß neuer Konkordate notwendig. Darüber war man sich ebenso in Rom wie in den Kreisen sowohl der Reichsregierung wie der verschiedenen Landesregierungen schon i m Jahre 1919 klar geworden. Zunächst erwog die Reichsregierung die Möglichkeit eines Reichskonkordats mit dem Heiligen Stuhle. Der Plan wurde aber nicht weiter verfolgt, ebensowenig wie der eines Reichsrahmenkonkordats, in das 1 6 sich dann die abzuschließenden Länderkonkordate einpassen sollten. Die Kompetenz der Länder zum Abschluß eigener Konkordate wurde von der Reichsregierung niemals bestritten und konnte auch auf Grund der Reichsverfassung nicht bestritten werden. Seit Inkrafttreten der Reichs Verfassung haben ja auch das Land Bayern unter dem 29. Mai 1924 und das Land Preußen unter dem 14. Juni 1929 Konkordate mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen 17 . I n beiden Fällen hat die Reichsregierung gegen die Verträge keine Einwendungen erhoben 1 8 . ... Es liegt daher i n der unbestrittenen Kompetenz des Landes Baden, auch von sich aus mit dem Heiligen Stuhle ein neues, durch die geänderten Verhältnisse bedingtes Konkordat abzuschließen. Ein solches Konkordat kann auch, wie das alte, Bestimmungen enthalten, die dem Staate bestimmte Rechte einräumen oder der Kirche bestimmte Pflichten auferlegen auch i n bezug auf rein kirchliche Angelegenheiten. Solche Bestimmungen sind auch getroffen i m preußischen und i m bayerischen Konkordat trotz A r t i k e l 137 der Reichsverfassung. Die Kirche, die nach der Reichsverfassung das Recht hat, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen, kann mit dem Staate eine neue Vereinbarung treffen über eine bestimmte A r t der Regelung dieser Angelegenheiten. Einer zustimmenden Kirche w i r d kein Unrecht 15 Der sehr ausführliche geschichtliche Rückblick erörtert die Entwicklung seit dem Frieden von Lunéville (Staat und Kirche, Bd. I, Nr. 3) und dem Reichsdeputationshauptschluß (ebenda Nr. 5). 16 I n der Vorlage steht versehentlich: „den". 17 Oben Nr. 174, Nr. 183. 18 Siehe oben S. 298, S. 321.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
zugefügt nach dem alten Rechtsprinzip: „Volenti non fit injuria." Das hat auch der Bayerische Gesandte seinerzeit i m Verfassungsausschuß in Weimar (Verh. d. Verfassungsausschusses S. 204), ohne Widerspruch zu finden, ausgesprochen: „Wenn durch freie Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche die Kirche dem Staate Rechte einräumt, so steht das dem Grundsatze der Trennung von Staat und Kirche nicht i m Wege." Die kirchliche Zustimmung zu solchen besonderen Regelungen w i r d damit zur Rechtsgrundlage für die Neuregelung.. . 1 9 . III.
Inhaltsübersicht
IV. Einzelbegründung Zu Art. I. Die Reichsverfassung sichert in Art. 135 allen Bewohnern des Reiches volle Glaubens- und Gewissensfreiheit zu, gewährleistet die ungestörte Religionsausübung und stellt sie unter den staatlichen Schutz. Zu dieser Kultusfreiheit gehört auch das Recht, die durch das Bekenntnis gebotenen Kulthandlungen öffentlich auszuüben. A r t i k e l 135 schützt aber nicht nur das individuelle Grundrecht, sondern auch das Recht der Kirchen auf die Ausübung der Religion und ihres Kultes. Zu Art. II. Der A r t i k e l I I stellt den Bestand und den Umfang der Erzdiözese Freiburg als Landesbistum einschließlich des durch den Staatsvertrag zwischen den Fürsten von Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen einerseits und dem Großherzogtum Baden andererseits vom 12. Mai, 26. Juni und 18. August 1837 dem badischen Landesbistum als integrierenden Teil zugehörigen Hohenzollernschen Landes, wie es durch die Bullen „Provida solersque" vom 16. August 1821 und „ A d Dominici gregis custodiam" vom 11. A p r i l 1827 festgesetzt wurde, auch vertraglich sicher. Der Badische Staat hat seit je größten Wert darauf gelegt, daß die kirchliche Organisation seiner katholischen Landeskinder sich i m allgemeinen mit den Landesgrenzen deckt und daß in kirchlicher Beziehung die Gesamtheit der katholischen Angelegenheiten sich innerhalb des badischen Landes unter Leitung eines i m Lande Baden residierenden Bischofs vollzieht. Der Anschluß des Hohenzollernschen Landes ergab sich aus der uralten Zugehörigkeit zur Diözese Konstanz und aus organisatorischen Zweckmäßigkeitsgründen. Von erheblicher Bedeutung auch für den Badischen Staat ist die Garantie, daß dem Erzbischöflichen Stuhle i n Freiburg der Metropolitancharakter verbleibt. Es spielen hier nicht nur Prestigegründe oder die hundertjährige Tradition, sondern auch kirchliche Verwaltungsgesichtspunkte eine Rolle. Nach der i m Preußenkonkordat anerkannten Herausnahme von Limburg und Fulda aus der bisherigen Kirchenprovinz w i r d i m vorliegenden Konkordat der Fortbestand der Oberrheinischen Kirchenprovinz mit den Suffraganbistümern Mainz und Rottenburg sichergestellt. Während der Verhandlungen über das Preußenkonkordat hat die Preußische Staatsregierung durch einen besonderen Staatskommissar in mündlicher Aussprache i m Staatsministerium in Karlsruhe von der i n Aussicht genommenen Eingliederung der Bistümer Fulda und L i m b u r g 19
Es folgt eine Darstellung der Vorgeschichte des badischen Konkordats.
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in preußische Kirchenprovinzen Mitteilung gemacht. Die badische Staatsregierung hatte gegen diese Absicht keinen Einspruch erhoben. ... Zu Art. III. Der A r t i k e l I I I enthält die Bestimmungen über die Besetzung des Erzbischöflichen Stuhles. Nach dem alten Konkordat bzw. nach der Bulle „ A d Dominici gregis custodiam" vom 11. A p r i l 1827 und nach dem päpstlichen an die Domkapitel der Oberrheinischen Kirchenprovinz gerichteten Breve „Re sacra" vom 28. Mai 1827 erfolgte die Besetzung bei Sedisvakanz in der Weise, daß zunächst das Domkapitel eine Liste der kanonisch wählbaren und geeigneten Kandidaten aufstellte und diese dem Landesherrn vorlegte, der das Recht hatte, diejenigen Kandidaten zu bezeichnen, die i h m als „minder genehm" („personae minus gratae") erschienen. Von den als nicht minus gratae bezeichneten Kandidaten wählte dann das Domkapitel den Erzbischof, dessen Ernennung dem Papste zustand. Hierin hat nun die badische Verfassung und dann auch die Reichsverfassung insofern eine wesentliche Änderung gebracht, als A r t i k e l 137 der Reichsverfassung bestimmt: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne M i t w i r k u n g des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde." Deshalb mußte auch das dem badischen Staate i m alten Konkordat eingeräumte Recht der M i t w i r k u n g bei der Bischofswahl und der Bestellung der Domkapitulare i m innerstaatlichen Verhältnis ruhen. Wenn nun aber i m vorliegenden Konkordat die Kirche von sich aus dem Staat und dem Domkapitel i n bezug auf die Bischofswahl und in bezug auf die Bestellung der Domkapitulare dem Erzbischof und dem Domkapitel bestimmte Mitwirkungsrechte einräumt, so widerspricht dies nicht dem A r t i k e l 137 der Reichsverfassung, nach dem bereits oben zitierten Rechtssatze: „Volenti non fit injuria." Das neue kirchliche Gesetzbuch von 1917 gibt zwar prinzipiell die Bestellung des Bischofsstuhles i n die freie Verfügung des Papstes, insoweit nicht durch Vertragsabschlüsse ein anderes bestimmt wird. Es räumt aber ausdrücklich in Kanon 3 ein, daß durch Konkordate eine anderweitige Regelung getroffen werden kann: „Die Bestimmungen dieses kirchlichen Gesetzbuches heben die vom Apostolischen Stuhle mit den verschiedenen Staaten abgeschlossenen Konventionen keineswegs auf oder nehmen ihnen irgend etwas von ihrer Gültigkeit; diese sollen deshalb i n gleicher Weise auch i n Zukunft fortfahren, in voller Kraft zu sein, ohne daß entgegenstehende Bestimmungen dieses Gesetzbuches Einfluß haben können." Während nach dem preußischen Konkordat bei Erledigung eines Bischofssitzes für die Aufstellung der Kandidatenliste neben dem betreffenden Domkapitel auch die übrigen Bischöfe des Landes Preußen berechtigt sind, ihrerseits dem Papste Vorschlagslisten einzureichen, und während i m bayerischen Konkordat sowohl die übrigen bayerischen Bischöfe wie die übrigen bayerischen Domkapitel alle drei Jahre sog. Triennallisten einreichen, ist i m vorliegenden badischen Konkordat neben dem Domkapitel lediglich dem eigenen Erzbischof dieses Recht in seinen an sich jeweils jährlich einzureichenden Listen zugestanden. Andererseits hat aber auch der Staat ein großes Interesse daran, daß gegen die Person des Erwählten, aber noch zu Ernennenden keine allgemein-politischen Bedenken bestehen, und daß das Domkapitel bei der Bestellung des Erzbischofs mitzuwirken berechtigt ist. Darum wurde, u m diesen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, die Regelung getroffen, wie sie in A r t i k e l I I I vorgesehen ist.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Daß unter den i n die engere Wahl kommenden Kandidaten zum mindesten ein Angehöriger der Erzdiözese sein muß, liegt sicherlich auch i m Staatsinteresse. Man ist aber dabei auch übereingekommen, daß als Angehöriger auch ein solcher Geistlicher gilt, der zwar i m Augenblick der Wahl i m Dienste einer anderen Diözese steht, aber aus der Erzdiözese Freiburg stammt und sein Studium ganz oder teilweise in derselben absolviert und wenigstens zeitweise in ihrem Dienste gestanden hat. Nach der Wahl durch das Domkapitel w i r d der Heilige Stuhl bei dem Badischen Staatsministerium sich vergewissern, ob gegen den Gewählten seitens der Staatsregierung Bedenken allgemeinpolitischer, nicht aber parteipolitischer A r t bestehen. Kann der Heilige Stuhl diese Bedenken nicht als stichhaltig annehmen, so wird, wie in den zwischen dem Herrn Kardinalstaatssekretär und dem Badischen Minister des Kultus und Unterrichts ausgetauschten Noten vom 26. und 31. August 1932 und in der hierauf beruhenden Erklärung im Zusatzprotokoll vom 7. /10. November 1932 ausgeführt ist, der Versuch gemacht werden, auf dem Wege weiterer Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Badischen Staatsregierung zu einer Einigung zu kommen. Gelingt dies aber nicht, so ist der Heilige Stuhl gemäß dem Grundsatz der Reichs- und Landesverfassung in der Besetzung des Erzbischöflichen Stuhles frei. Hinsichtlich der etwa notwendig werdenden Ernennung eines coadjutor cum jure successionis (d. h. eines Hilfs- oder Weihbischofs mit dem Recht der Nachfolge) für den Erzbischof in Freiburg w i r d nach dem Schlußprotokoll zu A r t i k e l I I I Abs. 1 „der Heilige Stuhl i m Benehmen mit der Badischen Staatsregierung vorgehen". Durch besonderes Schreiben des Herrn Kardinalstaatssekretärs an den Minister des Kultus und Unterrichts vom 28. September 1932 wurde auch hier zugesichert, daß die zu A r t i k e l I I I Ziffer 2 abgegebene Erklärung des Heiligen Stuhls sinngemäß auch für den in Ziffer 1 des Schlußprotokolls zu A r t i k e l I I I Absatz 1 vorgesehenen Fall der Bestellung eines coadjutor cum jure successionis gilt; d.h. es w i r d der Heilige Stuhl vor der Bestellung bei der Badischen Regierung anfragen, ob Bedenken allgemein-politischer, nicht aber parteipolitischer A r t gegen den in Aussicht genommenen Kandidaten bestehen; i m Falle der Geltendmachung solcher w i r d der Versuch gemacht werden, zu einer Einigung zu kommen; gelingt dies aber nicht, so ist der Heilige Stuhl in der Ernennung frei wie i m Falle des A r t i k e l I I I Absatz 1. Auch diese Bestimmung ist i m Hinblick darauf, daß hier ein Mitwirkungsrecht des Domkapitels nicht zulässig ist, i m sehr erheblichen Interesse für den Staat gelegen. Zu Art. IV. Die Freiheit der Besetzung kirchlicher Ämter entspricht den seit dem Kirchengesetz vom 9. Oktober I860 20 gehandhabten und in der Reichs Verfassung niedergelegten Grundsätzen. Die M i t w i r k u n g des Staates wird, abgesehen von der finanziellen Seite, in Anspruch genommen, sofern dabei die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts i n Betracht kommen. Hierbei sollen besondere Richtlinien zwischen dem Staatsministerium und dem Erzbischof vereinbart werden. Die auf Privatrechts titeln beruhenden Patronate sollen künftighin den zur Zeit geltenden Bestimmungen des kirchlichen Gesetzbuches unterstehen. ... Zu Art. V. Hier w i r d entsprechend dem bisher geltenden Recht das Eigentum der Kirche und ihrer Unterorganisationen, Anstalten und Stiftungen sowie der Orden 2
S t a a t und Kirche, Bd. II, Nr. 9 .
. Abschluß und Inkraftsetzung des
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und religiösen Kongregationen gewährleistet, und i m Schlußprotokoll ist ausdrücklich festgelegt, daß die Gründung von Orden und religiösen Kongregationen in Baden gemäß der Verfassung des Deutschen Reiches der Willensbestimmung der zuständigen kirchlichen Stellen überlassen bleibt. Ihre Rechtsstellung aber richtet sich nach A r t i k e l V Absatz 1 des Konkordats. ... Zu Art. VI. . . . Nach A r t i k e l V I Absatz 1 des vorliegenden Konkordates soll die Dotation des Erzbischöflichen Stuhles auf der bisherigen Bemessungsgrundlage gewährt werden. Dagegen sollen nunmehr nach Absatz 2 die Dotationen für die Domkapitulare und die Dompräbendare sowie der Aufwand für die Erzbischöfliche Kanzlei und für die kirchliche Vermögensverwaltung und deren Beaufsichtigung in einer jährlichen Gesamtsumme an Stelle der i m gegenwärtig laufenden Staatsvoranschlag i m einzelnen aufgeführten Beträge i n der Gesamthöhe von 356000 R M gewährt werden, ohne daß die Rechtsfrage i m einzelnen oder i m ganzen hier entschieden werden soll. Aus diesem Grunde w i r d auch der nach der bisherigen Rechtslage bestehende Anspruch auf Realdotation durch dieses Konkordat nicht berührt. ... Es entspricht dem Grundsatz von Recht und Billigkeit, daß eine sog. Wertklausel aufgenommen wurde, wonach i m Falle künftiger Änderungen in diesen Aufwendungen durch Veränderungen des Geldwertes diese auf Verlangen des Staates oder der Kirche bei der Zahlung berücksichtigt werden. ... Nicht berührt w i r d durch diesen Vertrag der vom Staate auf Grund des sog. Dotationsgesetzes jeweils voranschlagsmäßig festgesetzte Zuschuß zur Aufbesserung gering besoldeter Pfarrer. Auch die sog. Kompetenzpfarreien und -Seelsorgestellen und die staatliche Baupflicht für solche Kirchengebäude und Pfarrhäuser, die auch bisher nicht i m Etat des Kultusministeriums, sondern i m Etat des Finanzministeriums liefen und sich auf andere Rechtstitel gründen, werden von diesem Konkordat nicht berührt. 21
Zu Art. VII. und VIII. Durch A r t i k e l V I I und V I I I übernimmt die Katholische Kirche ähnlich wie i m preußischen Konkordat vertraglich bestimmte, für das Staatsinteresse wichtige Bindungen für die Voraussetzungen zur Verleihung der wichtigsten kirchlichen Ämter und aller Pfarrstellen. Diese Vorschriften entsprechen i m allgemeinen denjenigen des Gesetzes vom 9. Oktober I860 22 , in der Fassung vom 4. Juni 1918, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine i m Staate betreffend. A n sich ist nach der Reichsverfassung die Kirche völlig frei in der Bestellung ihrer Geistlichen und i n der Festsetzung ihrer Ausbildungsvorschriften. Der Staat hat aber ein lebhaftes Interesse daran, daß von den in seinem Gebiet dauernd amtierenden Geistlichen und den Mitgliedern der obersten Kirchenbehörden bestimmte Vorbedingungen und Erfordernisse erfüllt werden. Dazu gehört das Erfordernis der Reichsangehörigkeit sowie das Reifezeugnis und ein mindestens dreijähriges philosophisch-theologisches Studium an einer deutschen staatlichen oder an einer deutschen kirchlichen Hochschule oder an einer päpstlichen 21 22
Die Rechtslage w i r d i m folgenden eingehend erläutert; siehe oben Anm. 14. Staat und Kirche, Bd. II, Nr. 96.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Hochschule in Rom. M i t den deutschen Hochschulen gelten als gleichberechtigt die österreichischen staatlichen Hochschulen. „Es erscheint", wie dies auch i n der Begründung zum preußischen Konkordat ausgeführt ist, „angesichts des Aufbaus der Katholischen Kirche angebracht, auch deutschen Geistlichen die Möglichkeit zur Absolvierung ihrer Studien an einer päpstlichen Hochschule in Rom zu eröffnen. Dies entspricht nicht nur einem kirchlichen Wunsche, sondern auch innen- wie außenpolitischen Staatsinteressen. Nach der Natur der Sache kann damit gerechnet werden, daß wie bisher die Zahl dieser Studierenden beschränkt sein und daß ihren besonderen Lehrbedürfnissen Rechnung getragen w i r d " 2 3 . Wenn in A r t i k e l V I I und V I I I bestimmt ist, daß die Kirchenbehörde der Staatsbehörde von den Personalien der betreffenden Geistlichen Mitteilung zu machen hat, so ist darunter nur die Mitteilung über die in A r t i k e l V I I Absatz 1 vorgeschriebenen Vorbedingungen zu verstehen. Zu Art. IX. Die katholisch-theologische Fakultät an der Universität Freiburg soll mit ihren zur Zeit des Vertragsabschlusses geltenden Rechten bestehen bleiben unter besonderer Beachtung des Codex Juris Canonici und der Constitutio Apostolica Deus Scientiarum Dominus vom 24. Mai 1931 24 , mit den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen. Hierzu wird zunächst bemerkt, daß der Staat dringend wünschen muß, daß die theologischen Fakultäten i m Verbände der Universitäten nicht fehlen. Die gegenseitige Befruchtung der einzelnen Wissenszweige w i r d heute allseitig als nützlich und notwendig erkannt. Es ist dies aber auch i m Interesse der theologischen Ausbildung der Geistlichen selbst gelegen. Mit dieser vertraglichen Sicherung des Weiterbestehens der katholisch-theologischen Fakultät an der Universität Freiburg als vollständiger akademisch-wissenschaftlicher Ausbildungsstätte für die katholischen Geistlichen ist natürlich eine Gewährleistung des vollen Umfangs und der vollen jetzigen Ausstattung nicht gegeben. Äußere und innere Veränderungen bleiben vorbehalten. .. . 2 5 . Aus dem bisher Dargelegten geht hervor, daß an dem bisherigen Rechtszustand der theologischen Fakultät in Freiburg keine nennenswerte Änderung eintritt. I m Schlußprotokoll zu A r t i k e l I X ist vereinbart, daß der Badische Staat dafür Sorge tragen wird, daß an der Universität Freiburg je eine Professur für Philosophie und Geschichte besteht, die mit je einer Persönlichkeit besetzt wird, welche für die einwandfreie Ausbildung der Theologiestudierenden geeignet ist. Da i m vorliegenden Konkordat die zwingende Vorschrift enthalten ist, daß die katholischen Theologiestudierenden ihre philosophischen Studien an der Universität absolvieren müssen, wenigstens soweit die übergroße Mehrheit derselben i n Betracht kommt, so muß der Staat naturgemäß auch die Garantie geben, daß diese philosophische Ausbildung durch Lehrkräfte erfolgt, die für die einwandfreie Ausbildung der Theologiestudierenden geeignet sind. Darum sind auch seit Jahrzehnten an der Universität in Freiburg solche Professuren für Philosophie und Geschichte errichtet und mit solchen Persönlichkeiten besetzt worden.
23
Siehe oben Nr. 184. Siehe oben Anm. 12. 25 I m folgenden werden die einschlägigen Bestimmungen des CIC und der Apostolischen Konstitution Deus Scientiarum Dominus erläutert. 24
. Abschluß und Inkraftsetzung des
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Zu Art. X. Der A r t i k e l X trifft Bestimmungen über die Berufung, Zulassung und Anstellung der Dozenten an der theologischen Fakultät dergestalt, daß der Erzbischof darüber gehört werden muß, ob gegen die Lehre oder den Lebenswandel oder die Lehrbefähigung des Vorgeschlagenen unter Angabe des Grundes Einwendungen erhoben werden. I m Falle einer derartigen Beanstandung durch den Erzbischof w i r d die Berufung oder Zulassung oder Anstellung unterbleiben und bei bereits amtierenden Dozenten w i r d der Staat i m Einvernehmen mit dem Erzbischof für einen den Lehrbedürfnissen entsprechenden Ersatz sorgen. Wenn nach den A r t i k e l n V I I und I X die Kirche sich verpflichtet, ihre Theologiestudierenden den Dozenten der Theologischen Fakultät anzuvertrauen, so muß man ihr auch die Garantie geben, daß Lehre und Lebenswandel und Lehrbefähigung der Dozenten der Fakultät nicht zu beanstanden sind. Es wird damit nicht i n das verfassungsmäßige Recht der Dozenten oder in das Recht des Staats auf die Bestellung seiner Beamten eingegriffen, da i m Falle der Beanstandung eines bereits amtierenden Dozenten der Staat nur für einen geeigneten Ersatz sorgen muß; andernfalls könnte sich der Erzbischof gezwungen sehen, die Theologiestudierenden anderwärts unterrichten und erziehen zu lassen. Der Staat muß aber großen Wert darauf legen, daß die Theologen gerade an der Universität i m Gedankenaustausch mit den übrigen Wissenschaften ihre Ausbildung erhalten. Selbstverständlich muß dem Erzbischof zur Geltendmachung seiner Beanstandungen eine entsprechende Frist gewährt werden. Auch muß es i m Interesse der betreffenden Dozenten selbst seinem pflichtgemäßen Ermessen überlassen bleiben, wie weit er in der Darlegung dieser Beanstandungen und ihrer Begründung zu gehen vermag. Zu Art. XI. . . , 2 6 . Schon das badische Gesetz vom 9. Oktober 1860, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine i m Staate betr. 2 7 hatte i m § 12 bestimmt: „Den Religionsunterricht überwachen und besorgen die Kirchen für ihre Angehörigen, jedoch unbeschadet der einheitlichen Leitung der Unterrichts- und Erziehungsanstalten." Dementsprechend hat auch das badische Schulgesetz in seiner Fassung vom 7. Juli 1910 in § 40 hierüber folgendes bestimmt: „Für den Religionsunterricht werden für jede getrennt unterrichtete Abteilung der Schüler in den Lehrplan der Volksschule wöchentlich drei Stunden aufgenommen. Der Religionsunterricht w i r d durch die betreffenden Kirchen- und Religionsgemeinschaften besorgt und überwacht. Sie werden bei Erteilung desselben durch den gemäß § 44 Absatz 3 als befähigt erklärten Lehrer unterstützt." I n A r t i k e l X I des Konkordats ist die Bestimmung aufgenommen, daß der katholische Religionsunterricht an den badischen Schulen nach Maßgabe der Bestimmung des Artikels 149 der Reichsverfassung ordentliches Lehrfach ist. I m Schlußprotokoll hierzu ist vereinbart, daß der badische Staat in Anwendung der Reichs- und Landesverfassung die bezüglich des Religionsunterrichts an den badischen Schulen geltenden Rechte der Katholischen Kirche auch weiterhin aufrechterhalten wird. Zu diesen Rechten gehört nach Maßgabe oben angeführter 26 Die Begründung ruft zunächst die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung und der badischen Verfassung von 1919 (oben Nr. 97, Nr. 103) zum Religionsunterricht i n Erinnerung. Staat und Kirche, Bd. I , Nr. 96.
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11. Kap.: Die deutschen Landeskonkordate
Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen die Erteilung, Leitung, Überwachung und Prüfung des Religionsunterrichts durch die zuständigen kirchlichen Organe. Es wird also durch diese Vereinbarungen an dem bestehenden Rechtszustande sowohl hinsichtlich der Rechte des Staates wie der Rechte der Kirche in bezug auf den Religionsunterricht überhaupt nichts geändert.
Nr. 197. Gesetz zu dem Vertrag (Konkordat) mit dem Heiligen Stuhl beschlossen am 9. Dezember 1932, verkündet am 10. März 1933 (Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1933, S. 19) Art. I. Dem in Hegne bei Konstanz am 12. Oktober 1932 unterzeichneten Vertrag (Konkordat) des Freistaates Baden mit dem Heiligen Stuhle sowie dem dazugehörigen Schlußprotokoll vom gleichen Datum sowie dem Zusatzprotokoll vom 7. /10. November 1932 w i r d zugestimmt. Der Vertrag (Konkordat) und das Schlußprotokoll sowie das Zusatzprotokoll werden nachstehend veröffentlicht. Art. II. Dieses Gesetz tritt mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft.
Nr. 198. Bekanntmachung des Staatsministeriums über die Ratifikation des badischen Konkordats vom 11. März 1933 (Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1933, S. 89) Das am 12. Oktober 1932 unterzeichnete Konkordat zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius X I . und dem Lande Baden (Gesetz- und Verordnungsblatt 1933 Seite 19) ist ratifiziert worden. Der Austausch der Ratifikationsurkunden hat am 11. März 1933 vormittags 8 Uhr 30 Minuten in Karlsruhe stattgefunden. Das Konkordat nebst Schlußprotokoll und Zusatzprotokoll ist demnach gemäß A r t i k e l X I I I Absatz 1 des Konkordats am 11. März 1933 in Kraft getreten 2 8 . Das Staatsministerium Dr. Schmitt
28 Der Austausch der Ratifikationsurkunden über den badischen Kirchenvertrag erfolgte am gleichen Tag; das Inkrafttreten beider Vertragswerke wurde durch die badische Regierung gemeinsam publiziert (vgl. unten Nr. 322).
Zwölftes Kapitel
Politische Ereignisse u n d K r ä f t e i m Blickfeld der katholischen K i r c h e I. Die Programmatik der katholischen Parteien Schon in der Zeit des Kaiserreichs hatte die Zentrumspartei die entscheidende Rolle in der politischen Artikulation des deutschen Katholizismus wahrgenommen 1. Sie zeichnete sich dabei in gleichem Maß durch feste konservative Grundsätze wie durch ein bewegliches politisches Vorgehen aus. Beides blieb auch nach der Novemberrevolution für die Zentrumspolitik bestimmend. Schneller als andere Parteien stellte sich die Zentrumsführung auf die neuen politischen Gegebenheiten ein. Zugleich aber widersprach sie schneller als andere Parteien, nämlich bereits durch Aufrufe vom 13. und 14. November 1918, den von ihr befürchteten anarchistischen und bolschewistischen Tendenzen der Umwälzung in Deutschland 2. Gleichzeitig begann die Diskussion über die politische Neuorientierung der Zentrumspartei. Während die „Kölner Gruppe" inspiriert vor allem durch Heinrich Brauns?, das Zentrum zu einer interkonfessionellen Volkspartei mit demokratischer und sozialer Orientierung weiterentwickeln wollte, verknüpfte die „Berliner Gruppe " die programmatische Neubesinnung mit dem Bemühen um die organisatorische Straffung der Parteiarbeit. Beide Gruppen verständigten sich auf die „Leitsätze" vom 30. Dezember 1918 (Nr. 199), die die überlieferten Zentrumsgrundsätze an die veränderten Bedingungen angleichen wollten. Auf die angebotene Öffnung des Zentrums für evangelische Mitglieder und Wähler antwortete der neu gegründete Bund christlicher Demokraten, der sich als evangelischer Zweigverein des Zentrums verstand, mit seinem Auf ruf vom 7. Januar 1919 (Nr. 200). Doch führte dieser Aufruf nicht zur grundsätzlichen Änderung der Zentrumspartei; ihr katholischer Charakter blieb auch in der Weimarer Zeit erhalten. So scheiterte auch 1920/21 ein Versuch von Brauns und Stegerwald 4, das Zentrum in eine neue überkonfessionelle christlich-nationale Volkspartei zu überführen 5. Das Programm des Zentrums fand seine endgültige Gestalt in den „Richtlinien" vom 16. Januar 1922 (Nr. 202). Als „christliche Volkspartei" bekannte sich das Zentrum zu einer christlich-nationalen Politik. Verfassungs- und sozialpolitisch verband es unterschiedliche Strömungen, die sich in der Ablehnung jeder gewaltsamen Änderung der Verfassungsordnung
1 2 3 4 5
Siehe Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 115-117. Texte: Fr. Purlitz, Die deutsche Revolution 1918/19, Bd. I (1919), S. 332f., S. 333 ff. Heinrich Brauns: Staat und Kirche, Bd. III, S. 268, Anm. 4. Adam Stegerwald: ebenda S. 273f., Anm. 4. Vgl. R. Morsey, Die deutsche Zentrumspartei 1917-1923 (1966), S. 360ff.
24 Huber
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
und in der Forderung nach Solidarität aller Schichten und Berufe trafen. Kulturpolitischforderte das Zentrum die Stärkung und Festigung der christlichen Grundlagen von Bildung und Gemeinschaftsleben. Der 1920 eingerichtete Reichsparteivorstand wurde zunächst von Trimborn 6, seit 1922 von Wilhelm Marx 7, seit 1928 vom Prälaten Kaas 8 geleitet. Die Reichstagsfraktion stand bis 1921 unter dem Vorsitz von Trimborn, dann bis 1923 unter dem Vorsitz von Marx. Ihm folgten Fehrenbach (1923-26JF, erneut Marx (März-Dezember 1926), v. Guérard (1927-28) 10, Stegerwald (1928-29), Brüning (1929-30) n, Esser (1930-31) 12 und Perlitius (1931-33) 13. Der Parteiführung gelang es während der gesamten Weimarer Zeit, die gegensätzlichen Parteiflügel beieinander zuhalten. Sprecher des linken Flügels war zunächst Erzberger 14, dann Wirth 15. Der rechte, zahlenmäßig schwächere, gleichwohl aber einflußreiche Flügel hatte seine Wortführer zunächst in Trimborn und Peter Spahn16, später in Fehrenbach, Brauns und Stegerwald 17. Der Versuch der Parteiführung, die gegensätzlichen Flügel zu integrieren, vermochte allerdings eine Abspaltung am rechten Flügel nicht zu verhindern. Die 6
Carl Trimborn: ebenda S. 269, Anm. 7. Wilhelm Marx: oben S. 232, Anm. 2. 8 Ludwig Kaas: oben S. 123, Anm. 23. 9 Konstantin Fehrenbach: oben S. 223, Anm. 2. 10 Theodor von Guérard (1863-1943), preuß. Reg.Ass.; 1898 Landrat in Monschau; 1905 Oberregierungsrat i m Oberpräsidium Koblenz; 1920-30 MdR; 1928-29 Reichsverkehrsminister und Reichsminister für die besetzten Gebiete; 1929-30 Reichsjustizminister; 1930-31 erneut Reichs verkehrsminister. 11 Heinrich Brüning (1885-1970), Philologe und Nationalökonom; 1915-18 Kriegsdienst; 1919 Sekretär des Sozialpolitikers Carl Sonnenschein, 1920 pers. Referent des preuß. Ministers für Volkswohlfahrt Stegerwald; 1920-30 Sekretär des „Deutschen Gewerkschaftsbunds"; 1924-33 MdR, 1928-33 auch MdprLT; 1930-32 Reichskanzler, seit 1931 auch Reichsaußenminister. Seit Juli 1933 i n den USA (Dozent an der Harvard University i n Cambridge/Mass.); 1951-54 Professor für polit. Wissenschaften in Köln. 12 Thomas Esser (1870-1948), Buchdrucker; 1900 Leiter der Gewerbebank Euskirchen; Vors. d. Rhein. Handwerkerbünds; 1919-21 MdprLVers.; seit 1921 MdprLT; 1921-33 MdR; 1926-33 Vizepräsident des Reichstags; 1930-31 interimistisch Vorsitzender der Reichstagsfraktion des Zentrums. I m A p r i l 1933 und von August bis Oktober 1944 i n Haft; 1946 Bürgermeister von Euskirchen. 13 Ludwig Perlitius (1872-1938), Philologe, Direktor des kath. Gymnasiums in Glatz; 1924-33 MdR; 1931-33 Vorsitzender der Reichstagsfraktion des Zentrums. 14 Matthias Erzberger: Staat und Kirche, Bd. III, S. 531, Anm. 3. 15 Joseph Wirth: oben S. 168, Anm. 4. 16 Peter Spahn: Staat und Kirche, Bd. III, S. 258, Anm. 11. 17 Zur Entwicklung des Zentrums i n der Weimarer Zeit siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 961 ff.; Bd. VI, S. 196ff.; ferner: H. Broermann/K. Grobbel, Unterm Zentrumsbanner. Werden und Wirken der Zentrumspartei. Dokumente zur Zeitgeschichte (1927); K. Bachem, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei, Bd. V I I I (1931); H. Lutz, Demokratie i m Zwielicht. Der Weg der deutschen Katholiken aus dem Kaiserreich in die Republik 1914-1925 (1963); R. Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei 1917-23 (1966); ders., Die Protokolle der Reichstagsfraktion und des Fraktionsvorstands der Deutschen Zentrumspartei 1926-33 (1969); ders., Der Untergang des politischen Katholizismus (1977); ders./K. Ruppert, Die Protokolle der Reichstagsfraktion der deutschen Zentrumspartei 1920-25 (1981); H. Hömig, Das preußische Zentrum i n der Weimarer Republik (1979); K.-E. Lonne, Politischer Katholizismus i m 19. und 20. Jahrhundert (1986), S. 217 ff. 7
I. Die Programmatik der katholischen Parteien
371
Sezession zur Deutschnationalen Volkspartei wurde von Martin Spahn18 angeführt, der 1921 seinen Austritt aus dem Zentrum erklärte 19. Bereits vor Spahns Übertritt war der Reichskatholikenausschuß der DNVP mit einem Wahlaufruf zur preußischen Landtagswahl (20. Februar 1921) an die Öffentlichkeit getreten (Nr. 201). Durch Spahns Übertritt verstärkte sich das Gewicht dieses Ausschusses wie auch die Wählerresonanz, die die DNVP im katholischen Bereich fand 20. Von erheblich größerem Gewicht als diese Sezession war die Abspaltung des bayerischen Zentrums von der Reichspartei. Schon am 12. November 1918 beschlossen Vertreter des bayerischen Zentrums in Regensburg die Gründung einer neuen, eigenständigen Partei, der Bayerischen Volkspartei. Bereits am 15. November wurden die „Grundsätze" der neuen Partei verabschiedet 21. Vom Zentrum unterschied sich die BVP vor allem durch die starke Hervorhebung des föderalistischen Prinzips und der Sonderstellung Bayerns in einer politischen Gemeinschaft der deutschen Länder. Aus der Fraktionsgemeinschaft mit dem Zentrum im Reichstag löste sich die Bayerische Volkspartei erst im Jahr 1920. Das Parteiprogramm vom Oktober 1922 (Nr. 203) bestätigte im wesentlichen die Grundsätze von 1918. Seit 1924 war die Bayerische Volkspartei gemeinsam mit dem Zentrum an der Reichsregierung beteiligt 22. Parteivorsitzender der BV war von 1918 bis 1929 Karl Friedrich Speck 23; ihm folgte in diesem Amt Fritz Schäffer 24.
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Martin Spahn: Staat und Kirche, Bd. III, S. 189, Anm. 2. Vgl. G. Clemens, Martin Spahn und der Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik (1983). 20 Der Anteil der Katholiken unter den Wählern der DNVP w i r d nach Spahns Übertritt auf 6-8% geschätzt; vgl. R. Morsey, Martin Spahn, in: J. Aretz/R. Morsey/A. Rauscher (Hrsg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. I V (1980), S. 143ff. (154). Dabei ist zu berücksichtigen, daß nach einer Studie zum Wahlverhalten der deutschen Katholiken aus dem Jahr 1928 die Bindung der Katholiken an das Zentrum insgesamt zurückging: während in der Kulturkampfzeit 85% der Katholiken das Zentrum wählten, waren dies 1919 ohne die Frauenstimmen für Zentrum und B V P noch 48%, 1928 mit Frauenstimmen 48%, ohne Frauenstimmen 39%, vgl. J. Schauff Das Wahlverhalten der deutschen Katholiken i m Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Untersuchungen aus dem Jahre 1928, hrsg. v. R. Morsey (1975). 21 Text: Fr. Purlitz, Die deutsche Revolution 1918/19, Bd. I (1919), S. 346ff. 22 Zur Entwicklung der B V P i n der Weimarer Zeit siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 970ff.; Bd. VI, S. 205ff.; ferner: Kl. Schönhoven, Die Bayerische Volkspartei 1924-32 (1972). 23 Karl Friedrich Speck (1862-1939), Jurist in der bayer. Finanz Verwaltung; 18981914 MdR; bis 1918 Mdbayer. II.Kammer (Ztr.); seit 1919 Mdbayer.LT (BVP); 1918-29 Vorsitzender der Bayerischen Volkspartei; 1919-20 bayer. Finanzminister; 1920-29 Präsident des Landesfinanzamts München. 24 Fritz Schäffer (1888-1967), Jurist; seit 1917 i m bayer. Innenministerium; 1918-20 Bezirksamtmann in Kelheim; 1920-31 i m bayer. Kultusministerium; 1920-33 Mdbayer LT; 1929-33 Vorsitzender der Bayerischen Volkspartei; 1931-33 Staatsrat und kommissarischer Leiter des bayer. Finanzministeriums. Seit 1933 Rechtsanwalt in München; vom 28. Mai bis zum 30. September 1945 bayer. Ministerpräsident; Mitbegründer der CSU; 1949-61 MdB; 1949-57 Bundesfinanzminister; 1957-61 Bundesj us tizminis ter. 19
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Nr. 199. Leitsätze der Zentrumspartei vom 30. Dezember 1918 (Fr. Purlitz,
Die deutsche Revolution 1918/19, Bd. I, 1919, S. 342ff.) — Auszug —
III. A.
Innenpolitik Kulturpolitik
16. Erhaltung und Kräftigung des christlichen Kultur- und Erziehungsideals i m Volksleben. 17. Gewissensfreiheit und Freiheit der Religionsübung, Freiheit der Religionsgesellschaften, ihrer Vereinigungen und Genossenschaften. Verständnisvolles Zusammenarbeiten von Kirche und Staat; keine gewaltsame Änderung der staatlichkirchlichen Rechtsverhältnisse unter Verletzung der Überzeugungund der berechtigten Ansprüche der kirchlich gesinnten Volkskreise. 18. Gleichmäßige Berücksichtigung der Angehörigen und Anstalten der verschiedenen Glaubensbekenntnisse auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, insbesondere bei Verleihung öffentlicher Ämter und Zuwendung öffentlicher Mittel. 19. Freiheit der christlichen Liebestätigkeit und paritätische Förderung ihrer Einrichtungen. 20. Schutz und Stärkung der Ehe und Familie. Tatkräftige Fürsorge für kinderreiche Familien. Schutz des Kindes, der heranwachsenden Jugend und der Frau gegen Ausbeutung. Kampf gegen sittliche Verwilderung i m Volke, insbesondere auch gegen eine entartete Kunst und eine verkommene Literatur. 21. Wahrung des Rechts der Eltern und der Religionsgesellschaften auf die Erziehung der Kinder. Erhaltung der konfessionellen Volksschule. Sicherung eines genügenden Religionsunterrichts an allen Schulen. Freiheit des Unterrichts und der Wissenschaft. 22. Freie Bahn zum Aufstieg der Tüchtigen aus allen Volksschichten 25 ; Beseitigung eines überlebten Berechtigungswesens und des Kastengeistes i m Schulwesen. 23. Freie Entfaltung der Mitarbeit der Frauen bei dem Wiederaufbau und der Pflege des deutschen Volkslebens unter voller Auswertung der weiblichen Eigenart. ...
25 Die Formulierung geht auf die Reichstagsrede des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg am 28. September 1916 zurück (Verh. d. RT, Bd. 308, S. 1694); vgl. Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 133.
I. Die Programmatik der katholischen Parteien
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Nr. 200. Aufruf des Bundes christlicher Demokraten (evangelischer Zweigverein der Zentrumspartei) vom 7. Januar 1919 (H. BroermannjK. Grobbel, Unterm Zentrumsbanner. Werden und Wirken der Zentrumspartei. Dokumente zur Zeitgeschichte, 1927, S. 87 ff.) Für evangelische Christen zur
Aufklärung!
Warum wir uns der „Christlichen Volkspartei" — Zentrum anschließen! Wir unterzeichneten evangelischen Männer und Frauen legen hiermit vor unseren Glaubensgenossen allen Verdächtigungen und Verunglimpfungen zum Trotz ein Bekenntnis unserer politischen Überzeugung ab. 1. Wir erstreben eine Politik, die i m tiefsten und vollsten Sinne des Wortes demokratisch gerichtet ist; die auf den Trümmern des alten Regierungssystems einen völligen Neubau aufrichtet, die nicht heimlich reaktionären Bestrebungen Raum gibt, die für immer jede einseitige Herrschaft eines Standes oder einer Klasse beseitigt, die dabei von sozialem Geist beseelt, die Kluft zwischen Reich und A r m zu mildern bestrebt ist, und den Auswüchsen des Kapitalismus — Wucherern und Kriegsgewinnlern — rücksichtslos begegnet. 2. Den Geist und Willen für solche Politik entnehmen w i r als evangelische Männer und Frauen unserem christlichen Glauben. Es genügt uns nicht, daß unsere christliche Religion von etlichen politischen Parteien nur anerkannt, von anderen gar bloß geduldet wird. Für uns steht die Religion als Lebensquelle auch i m Zentrum der Politik. 3. Wie wir es ablehnen, unsere Stimme solchen Parteien zu geben, die reaktionär gerichtet sind, so lehnen w i r es vollends ab, daß unser evangelischer Glaube wie früher in den Dienst bestimmter regierungstreuer Parteien gestellt wird. Unser Glaube soll überhaupt nicht i m Schlepptau einer bestimmten politischen Partei stehen, er soll selbständig von sich aus seine Politik bestimmen. 4. Wir finden, daß das alte Zentrum i n den letzten Jahrzehnten vom katholischen Standpunkt aus ein solches politisches Ideal in hohem Maße verwirklicht hat. Wir wünschen dem evangelischen Volksteil eine ähnliche Machtstellung in der Politik. Aber die Evangelischen sind dazu infolge ihrer Zerrissenheit nicht imstande. 5. Nachdem nun aber das alte Zentrum als neue christliche Volkspartei auf den Plan getreten ist, nachdem es den von i h m grundsätzlich stets betonten interkonfessionellen Charakter durch die politische Entwicklung der Verhältnisse fortan viel stärker als früher zur Geltung bringen kann, und nachdem es das evangelische Deutschland zu gemeinsamer Arbeit an unserem Volke aufgerufen hat, halten w i r dafür, daß die Stunde des Zusammengehens und Zusammenwirkens für Evangelische und Katholiken innerhalb der gesetzgebenden Körperschaften geschlagen hat. 6. Es versteht sich zudem ganz von selbst, daß die von einer Konfession erstrebte und erkämpfte Bewegungsfreiheit auch der anderen zugute kommen muß. Für uns Evangelische ist aber ein starker politischer Rückhalt gerade gegenwärtig gegenüber antichristlichen und materialistischen Strömungen wünschenswert: Die „Christliche Volkspartei" bietet ihn uns an.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
7. Wir begrüßen dieses gemeinsame Zusammenstehen der beiden großen christlichen Konfessionen noch aus folgenden Gründen: Es w i r d dem religiösen Bruderkampf, dem gegenseitigen Mißtrauen, der zunehmenden inneren Entfremdung grundsätzlich ein Ende gesetzt, die Einheit des Reiches und der Reichsgedanke w i r d gestärkt und genährt, die zerstreuten und zersplitterten Kräfte des Protestantismus werden zu organisatorischer politischer Leistung erzogen. 8. Wir denken so wenig daran, die Katholiken zu uns herüberzuziehen, als diese daran denken, unter den Evangelischen Propaganda zu machen. Aber w i r denken freilich daran, Achtung und Ehrfurcht vor der beiderseitigen Überzeugung zu erwecken. 9. Wir Evangelische in Deutschland sind politisch heimatlos. Wir hängen uns an alle politischen Parteien bis zu den „Unabhängigen". Selbst können wir keine Partei bilden. A m verhängnisvollsten aber w i r d unsere Lage, wenn bestimmte Parteien mit einseitigen, reaktionären, alldeutschen, feudalen Bestrebungen unsere evangelische Kirche mit Beschlag belegen. Allein gestützt auf die christliche Volkspartei w i n k t uns Evangelischen Bewegungsfreiheit nach rechts und nach links, nach oben und nach unten, und je mehr Evangelische sich uns anschließen, u m so gefestigter w i r d unsere Stellung innerhalb dieser christlichen Volkspartei. Darum: evangelische Männer und Frauen, schließt Euch uns an! 26
Nr. 201. Wahlaufruf des Reichsausschusses der Katholiken in der Deutschnationalen Volkspartei vom 12. Februar 1921 (Mitteilungen der Deutschen Zentrumspartei 2, 7/8, 1921) — Auszug — Katholiken Preußens, ... eine Aussicht, geeignete Berater und Führer aus dem Zentrum in diesen Schicksalstagen unseres Volkes zu gewinnen ... , ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht vorhanden! Nach unvergleichlichen Heldentaten deutscherseits ohne irgendeinen entscheidenden Waffenerfolg zu Lande oder Wasser feindlicherseits brachen sein ehrgeiziger Führer Erzberger und dessen Mitläufer i m Kriege in Gemeinschaft mit der Sozialdemokratie den Siegeswillen unseres Volkes. Mitschuldig sind sie an der widerstandslosen Auslieferung unserer großen und unbesiegten Kriegsflotte, unserer Handelsflotte, unserer Waffen. ... Preisgab das Zentrum, das sich vorher stolz als Stütze von Thron und Altar bezeichnete, bei der ersten, ernsten Belastungsprobe, zusammengehend mit der Sozialdemokratie, der ausgesprochenen Feindin der christlichen Weltanschauung, die monarchische Staatsverfassung, die früher verfassungsmäßig festgelegte christliche Jugenderziehung, das seitherige enge Band zwischen Staat und Kirche und die alte Reichsflagge. Das Zentrum ist daher nicht mehr vertrauenswürdig! ... 26 Unterzeichnet ist der Aufruf an erster Stelle von dem Pfarrer Johannes Haecker, Berlin; dem Theologieprofessor Karl Dunkmann, Greifswald; dem Bankier Albert Weidner und dem Rechtsanwalt Arno v. Rehbinder, beide Berlin.
I. Die Programmatik der katholischen Parteien
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Nr. 202. Richtlinien der Zentrumspartei vom 16. Januar 1922 ( Κ . Bachem, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei, Bd. VIII, 1931, S. 369ff.) — Auszug — Die Zentrumspartei ist die christliche Volkspartei, die bewußt zur deutschen Volksgemeinschaft steht und fest entschlossen ist, die Grundsätze des Christentums in Staat und Gesellschaft, in Wirtschaft und K u l t u r zu verwirklichen. Sie sieht in einer zielklaren christlich-nationalen Politik die sichere Gewähr für die Erneuerung und die Zukunft des deutschen Volkes. Die Geschlossenheit der deutschen Stämme nach außen und die einheitliche Kraftentfaltung i m Innern sind Grundlage der Weltgeltung Deutschlands. A u f diese nationalen Notwendigkeiten, die unbedingt der Parteipolitik überzuordnen sind, muß der politische Wille des ganzen Volkes eingestellt werden. Das Verlangen nach Selbstbehauptung und Selbstbestimmung soll dabei nicht vom eigensüchtigen Machtgedanken, sondern von der sittlichen Idee des Rechts geleitet sein. Die wahre christliche Völkergemeinschaft gilt der Zentrumspartei als höchstes Ideal der Weltpolitik. Die Stellung der Zentrumspartei zu den innerstaatlichen Angelegenheiten w i r d durch die christliche Staatsauffassung und durch ihren überlieferten Charakter als Verfassungspartei bestimmt. Jeden gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Zustände lehnt sie grundsätzlich ab. Ebenso entschieden, wie sie die Staatsallmacht verwirft, bekämpft sie die Verneinung und Auflösung des Staatsgedankens. Die Staatsgewalt findet ihre Grenzen i m natürlichen Recht und i m göttlichen Gesetz: die Unterordnung und Pflichterfüllung dem Staate gegenüber ist eine Forderung des Gewissens. Die Zentrumspartei bekennt sich zum deutschen Volksstaat, dessen Form durch den Willen des Volkes auf verfassungsmäßigem Wege bestimmt wird. Das Volk muß als Träger der Staatsgewalt mit dem Bewußtsein der Verantwortung für die Staatsgeschicke erfüllt werden. Darum sind die Bürger aller Volksschichten in weitgehender Selbstverwaltung an den öffentlichen Angelegenheiten zu beteiligen, wobei das Berufsbeamtentum Rückgrat der Verwaltung bleiben muß. Die Vorherrschaft einer Klasse oder Kaste ist mit dem Wesen des Volksstaates unvereinbar. Die verantwortliche Anteilnahme aller Bürger an den Aufgaben des Volksstaates bedingt die politische Gleichberechtigung der Frau und die volle Auswertung der weiblichen Mitarbeit in Gesetzgebung und Verwaltung. Die Reichseinheit, die begründet ist i n der Kulturgemeinschaft und Schicksalsverbundenheit der deutschen Stämme, gilt der Zentrumspartei als unverletzlich. M i t ihr steht und fällt die staatliche Lebenskraft des deutschen Volkes. I m Rahmen der Reichseinheit ist das Eigenleben der Länder zu schützen und zu pflegen. Eine starke Zentralgewalt sichert den Stämmen und Ländern Bestand und Lebensentfaltung; der zentralistische Staatsaufbau entspricht nicht dem deutschen Volkscharakter. Das organische Wachstum der deutschen Volksgemeinschaft beruht auf der Solidarität aller Schichten und Berufsstände. Die Zentrumspartei w i l l die natürlich gegebene Gemeinsamkeit i m Geiste christlich-sozialer Lebensauffassung zu einem
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
starken Gemeinschaftsbewußtsein entwickeln und damit dem staatlichen Leben dienstbar machen. Sie lehnt Klassenkampf und Klassenherrschaft grundsätzlich ab, fordert dagegen die Auswirkung der sozialen Triebkräfte des Berufsgedankens und der Berufsgemeinschaft. Als Grundlage des berufsständischen Aufbaues hat die organische Selbsthilfe und die freie Genossenschaft zu gelten. Die Zentrumspartei w i l l die gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik i m gleichen christlich-sozialen Geiste und in engster Verbindung miteinander geführt wissen. Endziel der Wirtschaft muß der Mensch und seine höhere Lebensaufgabe sein. Darum dürfen Menschenwürde und sittlicher Charakter der Arbeit niemals den rein wirtschaftlichen Zwecken geopfert werden. Die Wirtschaftsordnung muß vom Gemeinsinn getragen sein und das Gesamtwohl über den Vorteil des Einzelnen stellen. Den politischen, sozialen und kulturellen Gefahren einer Übermacht des Kapitals ist weitschauend vorzubeugen. A n alle Träger des Wirtschaftslebens, an Grundbesitz und Kapital, an Kopf- und Handarbeiter richtet sich die Forderung des pflichtmäßigen Dienstes am Gemeinwohl. Arbeit und Wirtschaft haben den Lebensbedarf des Einzelnen und der Gemeinschaft zu befriedigen, haben jedem Volksgenossen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Dieses Ziel verlangt neben der zunehmenden Steigerung der Gütererzeugung eine gerechte Güterverteilung, die allen Volksschichten außer dem Lebensnotwendigen die Teilnahme an den Kulturwerten sichert. Die Zentrumspartei hält grundsätzlich am Privateigentum fest und ist bestrebt, die Zahl der Eigentümer ständig zu mehren. Sie erkennt die volkswirtschaftliche Bedeutung der freien Unternehmertätigkeit und der persönlichen Erwerbslust an. Als gleich bedeutsam schätzt sie die Hebung der Arbeitsfreudigkeit und Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer ein. Darum w i l l sie auch diesen Mitverwaltung sichern, Ertragsbeteiligung und Eigentum ermöglichen. Die staatliche Sozialpolitik muß planvoll fortgeführt und ausgebaut werden. Sie soll zunächst dem Schutze und der Förderung der Berufsstände dienen, i m übrigen müssen unparteiische Abwägung und Ausgleichung der entgegengesetzten Interessen, gerechte Verteilung der öffentlichen Lasten, tatkräftige Unterstützung der wirtschaftlich Schwachen feststehende Richtpunkte für die gesamte Gesetzgebung und Verwaltung sein. Darüber hinaus weist die Zentrumspartei dem Wohlfahrtsstaate umfassende Aufgaben der unmittelbaren Volksfürsorge und Wohlfahrtspflege zu, die gemeinsam mit der freien und kirchlichen Liebestätigkeit zu lösen sind. Die deutsche Kulturpolitik muß auf die Erneuerung und Festigung der geistigen und sittlichen Volksgemeinschaft abzielen. Die K u l t u r des deutschen Volkes wurzelt in der christlichen Religion: die Zentrumspartei betrachtet es daher als ihre besondere Aufgabe, unter Wahrung der verfassungsmäßigen Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit und Unterrichtsfreiheit das christlich-deutsche Geisteserbe zu schützen und die freie Auswirkung der religiösen Lebenskräfte zu sichern. Die Zentrumspartei w i l l die Freiheit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gemeinschaften und ihren Einfluß auf das Volksleben gewahrt wissen. Staat und Kirche sollen zum Segen der Volkskultur auf allen Gebieten einträchtig, ohne Verletzung der beiderseitigen Selbständigkeit zusammenwirken. Den Gefahren einer geistigen und moralischen Zersetzung des Volkslebens tritt die Zentrumspartei mit allem Nachdruck entgegen. Die Volkssittlichkeit ist die Quelle der Volksgesundheit und der Nährboden aller kulturgestaltenden Kräfte.
I. Die Programmatik der katholischen Parteien
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Die Familie muß als Keimzelle der menschlichen Gemeinschaft und als wesentlichste Lebensbedingung der K u l t u r gesund erhalten werden. Die mütterliche und heimgestaltende Kraft der Frau i n Familie und Volksleben ist als unersetzbares Volksgut zu hüten. Die Erziehung des heranwachsenden Geschlechts zu persönlicher, beruflicher und staatsbürgerlicher Tüchtigkeit unter voller Entfaltung der christlichen Lebenswerte ist als Daseinsfrage des deutschen Volkes eine Hauptsorge der Zentrumspartei. Sie erkennt den Anteil des Staates an der Jugenderziehung durchaus an, muß aber das staatliche Schulmonopol ablehnen und an dem Rechte der Kirche auf die religiös-sittliche Erziehung der Jugend unbedingt festhalten. Sie tritt entschieden für das natürliche, auch i n der Reichsverfassung verbürgte Recht der Eltern auf die Erziehung der Kinder ein und fordert grundsätzlich die Bekenntnisschule. Die Leitgedanken der Zentrumspartei sind also: Christliche Staatsauffassung, nationale Freiheit und Erneuerung, Volksstaat und Reichseinheit unter Wahrung des Eigenlebens der Länder, sittliche und soziale Wirtschaftsordnung, christlichdeutsche Volkskultur, christliche Völkergemeinschaft.
I. Auswärtige
Angelegenheiten
II. Staatsordnung
und Verwaltung
III. Finanzwesen und Steuern
IV. Wirtschaft
V. Volkswohlfahrt
und Arbeit
und Kultur
7. Die Erziehungs- und Bildungsanstalten aller A r t müssen auch bei den jetzigen beschränkten Mitteln des Gemeinwesens weitblickende Förderung erfahren.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Ernsthaften Reformversuchen ist freie Entfaltung und Unterstützung zu gewähren. Die Verbindung zwischen Elternhaus und Schule ist durch zweckentsprechende Einrichtungen, Beiräte, Schulkommissionen und dergleichen herzustellen und fruchtbar zu machen. 8. Das deutsche Schulwesen muß dem heranwachsenden Geschlecht die feste Grundlage für eine Lebensführung i m Sinne des christlichen und deutschen Bildungsideals geben. I m Dienste von Staat, Kirche und Familie hat die Schule der Jugend einen starken sittlichen Charakter und die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten für Beruf und Leben zu vermitteln. I m Mittelpunkt von Erziehung und Unterricht müssen Religion und Vaterland stehen. 9. Den Bekenntnisschulen müssen Gesetzgebung und Verwaltung i n weitherziger Anwendung der Reichsverfassung Raum zur Entwicklung schaffen. Die konfessionelle Vorbildung der Lehrkräfte ist ihre unentbehrliche Voraussetzung, die entsprechende Schulaufsicht ihre notwendige Ergänzung. Schulbücher und Schulbüchereien dürfen in keiner Schule das religiöse und sittliche Empfinden der Jugend verletzen; in der konfessionellen Schule müssen sie auf die Pflege des Bekenntnisses gebührend Rücksicht nehmen. 10. Die Volksschule, die den Grund zur deutschen Volksbildung legt, ist in erster Linie zu pflegen und auszubauen, damit sie nach jeder Richtung hin hochwertige Leistungen erzielen kann. 11. Für den Aufstieg begabter Kinder aus minderbemittelten Familien in die mittleren und höheren Schulen sind aus öffentlichen Mitteln Beihilfen bereitzustellen. Die Übergangsmöglichkeiten von einer Schulart zu anderen sollen vermehrt werden. 12. Die Erziehungsbedürfnisse der Schwachbegabten, körperlich oder geistig zurückgebliebenen oder abgearteten Kinder sind sorgsam zu befriedigen. Die allgemeine Schulgesundheitspflege und soziale Schulkinderpflege muß weiter entwickelt werden. 13. Das mittlere und höhere Schulwesen muß i n seiner Bedeutung für die berufliche und wissenschaftliche Bildung erhalten bleiben. Reformen dürfen nicht auf eine äußerliche Gleichmacherei hinauslaufen, vielmehr ist den vielgestaltigen Erfordernissen des praktischen und wissenschaftlichen Lebens Rechnung zu tragen. Auch auf die landschaftliche Eigenart ist Rücksicht zu nehmen. 14. Die Mädchenerziehung bedarf besonderer Pflege, u.a. durch vermehrte Bildungsgelegenheiten, die sich auf der Volksschule aufbauen. Der Frau ist bestimmender Einfluß auf ihre Gestaltung einzuräumen. Die allgemeine Durchführung der Gemeinschaftserziehung der Geschlechter ist aus psychologischen, erziehlichen und sittlichen Gründen abzulehnen. 15. Der Berufserziehung beider Geschlechter muß durch planmäßige Berufsberatung und zeitgemäße Ausgestaltung der landwirtschaftlichen, gewerblichen, kaufmännischen und hauswirtschaftlichen Fortbildungs- und Fachschulen steigende Sorgfalt zugewandt werden. 16. Der Errichtung von Privatschulen gebührt vollste Freiheit. Die durch den Willen der Erziehungsberechtigten geforderten Privatschulen sind ohne Beein-
I. Die Programmatik der katholischen Parteien
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trächtigung ihrer Selbständigkeit als Ergänzung und Bereicherung des öffentlichen Bildungswesens aus öffentlichen Mitteln ausreichend zu unterstützen. 17. Die Lehrerbildung ist umzugestalten mit dem Ziel der wissenschaftlichpädagogischen Vertiefung und der lebensvollen Erfassung des deutschen Volkstums. Die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Sicherstellung der Lehrer und Lehrerinnen ist eine Vorbedingung für das Gedeihen der Schule. 18. Die Universitäten und die übrigen Hochschulen müssen als Forschungsstätten und führende Unterrichtseinrichtungen erhalten und gepflegt werden. Von größter Bedeutung ist die Ergänzung des akademischen Lehrkörpers durch wissenschaftlich hochstehende Kräfte. Die christliche Weltanschauung verlangt bei ihrer entscheidenden Bedeutung für das deutsche Kulturleben eine angemessene Vertretung. Den Lehrkörpern der Hochschulen und ihrer Fakultäten sowie der Studentenschaft ist der Selbstverwaltungsgedanke zu bewahren. 19. Der Notlage der deutschen Wissenschaft ist durch öffentliche Aufwendungen für die wissenschaftlichen Forschungsinstitute und ihren akademischen Nachwuchs, für die Drucklegung und Anschaffung fachwissenschaftlicher Werke zu steuern. Mittellose Studierende müssen durch Beihilfen, durch Ausbau der akademischen Berufsberatung und durch Erwerbsvermittlung unterstützt werden. Die Angehörigen der freien Berufe, die durch die veränderten WirtschaftsVerhältnisse gelitten haben, verdienen als kulturschöpferische Kräfte Anteil an allen Hilfsmaßnahmen. 20. Das freie Volksbildungswesen beansprucht tatkräftige Unterstützung. Von aller behördlichen Bevormundung und Gleichmacherei ist abzusehen; vielmehr ist die freie Entfaltung der Volkskräfte und die Volksbildungsarbeit der religiösen und kulturellen Vereinigungen zu fördern. ... Diese aus schwerster Volksnot nach Weltkrieg und Umsturz erwachsenen Richtlinien der deutschen Zentrumspartei wollen dem Aufbau des deutschen Vaterlandes dienen sowie das deutsche Volk i m Geiste des Christentums und der Hingabe an das Gemeinwohl einer besseren Zukunft entgegenführen.
Nr. 203. Bamberger Programm der Bayerischen Volkspartei vom Oktober 1922 (W. Mommsen, Deutsche Parteiprogramme, 1952, S. 127 ff.) — Auszug — Die Gesundung des deutschen Verfassungslebens erwartet die Bayerische Volkspartei nur von der Rückkehr zur bundesstaatlichen Form des Reiches und ausgeprägten Staatspersönlichkeit der Einzelstaaten. Sie fordert daher: 1. Wiedereinführung eines dem Reichstag gleichberechtigten föderativen Organs nach dem Vorbild des früheren Bundesrats. 2. Anerkennung des Rechtes der Einzelstaaten, i m Rahmen der Reichseinheit ihre Verfassungs- und Staatsform nach dem freien Willen des eigenen Volkes zu regeln.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
3. Beschränkung der Reichsgesetzgebung auf die dringend notwendige Rechtseinheit. 4. Wiederherstellung der eigenen Steuerhoheit der Staaten und Zusicherung ausreichender Einnahmequellen an die Gemeinden. Anerkennung der Rechte der Einzelstaaten, mit ausländischen Staaten i m Rahmen der Reichspolitik Verträge über ihre wirtschaftlichen und kulturellen Belange abzuschließen und Vertreter i m Auslande zu bestellen. ... 6. Die Bayerische Volkspartei w i r d eine Änderung der Reichs Verfassung i m Sinne dieser Forderungen mit den verfassungsmäßigen Mitteln nachdrücklich betreiben. Sie sieht in einer solchen föderativen Gestaltung dieser Verfassung die Bürgschaft für den Bestand und das Glück des Reiches. ... 14. Die Regelung des Schulwesens soll durch die Länder erfolgen. Dem Reich bleibt die Anordnung der allgemeinen Schulpflicht und ihre Dauer vorbehalten, ebenso die Grundsatzgesetzgebung zur Sicherstellung des Religionsunterrichts an den nicht bekenntnisfreien Schulen, die Sicherung des Elternrechts auf die Bestimmung der Gesinnungserziehung ihrer Kinder sowie auf Errichtung von Privatschulen bei staatlicher Unterstützungspflicht. ... Die Bayerische Volkspartei fordert, daß die jetzige Reichsverfassung in föderalistischem Geiste zur Anwendung kommt unter Ablehnung zentralistischer Bestrebungen.
II. Die katholische Kirche und der Friedensvertrag von Versailles Durch die Belastungen, die der Friedensvertrag von Versailles für die deutsche Politik zur Folge hatte, waren die katholische Kirche und die Zentrumspartei in besonderer Weise getroffen. Die Versuche des Vatikans, auf die den Ersten Weltkrieg beendenden Friedensverträge Einfluß zu nehmen, hatten nur einen sehr begrenzten Erfolg 1. Daß der Versailler Vertrag nicht vom Geist der Versöhnung geprägt war und deshalb auch keine Versöhnung bewirken konnte, war eine Überzeugung, die Papst Benedikt XV. in seiner Enzyklika Pacem Dei munus vom 23. Mai 1920 (Nr. 204) deutlich erkennen ließ. Umso dringlicher legte er dem katholischen Episkopat die Aufgabe nahe, die Entwicklung wirklicher Friedensgesinnung unter den Gläubigen zu fördern. Die deutsche den Versailler Staatssekretär men2. Bei der sammlung am
Zentrumspartei war an den politischen Auseinandersetzungen um Vertrag unmittelbar beteiligt. Matthias Erzberger unterzeichnete als am 11. November 1918 in Compiègne das WaffenstillstandsabkomAnnahme des Versailler Friedensvertrags durch die Nationalver22.123. Juni 1919 gaben die Stimmen des Zentrums den Ausschlag 3.
1 Immerhin übergab Art. 238 des Versailler Vertrags die katholischen Missionsstationen dem Vatikan; vgl. K. Repgen, Die Außenpolitik der Päpste i m Zeitalter der Weltkriege, in: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. VII, (1979/1985), S. 51. 2 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 581ff.; 760ff. 3 Ebenda S. 1159ff.
II. Die katholische Kirche und der Friedensvertrag von Versailles
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Zugleich waren die Sprecher des Zentrums von der Ungerechtigkeit der Vertragsbedingungen tief erfüllt Sie sahen sich vor der Aufgabe, Erfüllungs- und Revisionspolitik zugleich zu betreiben. Verschärft wurde die Lage der katholischen Kirche dadurch, daß die Deutschland durch den Versailler Vertrag aufgenötigten Gebietsabtretungen überwiegend katholische Gebiete betrafen und daß auch die Besetzung des Rheinlands eine vorwiegend katholische Region betraf. Es war deshalb ein bewußter demonstrativer Akt, daß für den Katholikentag 1922 in München ein Rheinländer, der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer 4, zum Präsidenten bestimmt wurde*. In seiner Eröffnungsansprache (Nr. 205) erneuerte Adenauer die Kritik am Versailler Vertrag mit großem Nachdruck. Er appellierte an die Geschlossenheit des deutschen Katholizismus ebenso wie an die Versöhnungsbereitschaft der Katholiken in den Gegnerstaaten Deutschlands während des Ersten Weltkriegs.
Nr. 204. Enzyklika Papst Benedikts XV. „Pacem Dei munus" über die Wiederherstellung des Friedens unter den Völkern vom 23. Mai 1920 (Lateinischer Text: Acta Apostolicae Sedis 12, 1920, S. 209 ff.; autorisierte deutsche Übersetzung: Rundschreiben Unseres Heiligsten Vaters Benedikt X V . über die Wiederherstellung des Friedens unter den Völkern, 1921) — Auszug — Ehrwürdige Brüder! Gruß und Apostolischen Segen! Das schönste Geschenk Gottes ist der Friede. „Nichts pflegt man", wie der hl. Augustinus sagt, „auch unter den irdischen und sterblichen Dingen willkommener zu hören, nichts sehnlicher zu wünschen, nichts Besseres endlich läßt sich finden als dieses" 6 . Daß nach mehr als vier Jahren endlich, erfleht durch so heiße Wünsche der Guten, durch so innige Gebete der Frommen und so schmerzliche Tränen der Mütter der Friede den Völkern sich zu zeigen begonnen hat, darüber freuen Wir Uns vor allem mit ganzem Herzen. Allein diese Freude Unseres väterlichen Herzens stören noch allzuviele und zugleich höchst bittere Erscheinungen. Denn wenn auch fast überall der Krieg in irgendeiner Weise beigelegt ist und gewisse Friedensverträge unterschrieben sind, so sind doch die Keime der alten Feindseligkeiten übrig geblieben. Und ihr, ehrwürdige Brüder, seid euch richtig klar darüber, daß kein Friede bestehen, kein Bund des Friedens erstarken kann, mag er durch noch so
4 Konrad Adenauer (1876-1967), Jurist; 1906 Beigeordneter der Stadt Köln; 191733 Oberbürgermeister von Köln; 1917-18 MdprHH; 1920-33 Präsident des preuß. Staatsrats; bis 1933 M. d. Zentrumspartei; Mai bis Oktober 1945 erneut Oberbürgermeister von Köln; 1945 Mitbegründer der CDU i m Rheinland, seit 1946 deren Vorsitzender in der brit. Besatzungszone; seit 1949 Vors. der Gesamt-CDU; 1948-49 Präsident des Parlamentarischen Rats; 1949-67 MdB; 1949-63 Bundeskanzler. 5 Siehe H. Stehkämper, Konrad Adenauer als Katholikentagspräsident 1922 (1977). 6 Der Gottesstaat 19, 11.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
lange und mühevolle Beratungen zustande gebracht und sanktioniert worden sein, wenn nicht durch die Wiederherstellung der gegenseitigen Liebe der Haß und die Feindschaft zugleich zur Ruhe gebracht worden sind. Daher beschlossen Wir über diese Angelegenheit, die wahrlich für das Gemeinwohl von größter Wichtigkeit ist, mit euch, ehrwürdige Brüder, zu sprechen und eure Bevölkerungen desgleichen nachdrücklich zu ermahnen. Denn von der Zeit ab, da Wir durch Gottes geheimnisvollen Ratschluß zur Würde dieses (Apostolischen) Stuhles erhoben wurden, haben Wir Uns unaufhörlich mit aller Uns zu Gebote stehenden Macht bemüht, während der Krieg entbrannte, daß alle Völker des Erdkreises so bald als möglich wieder den brüderlichen Verkehr unter sich aufnehmen möchten. Daher ließen Wir nicht ab mit Bitten, erhoben wiederholt Unsere Ermahnungen, schlugen die Wege zur Erneuerung der Völkerfreundschaft vor und versuchten endlich alles, um, wenn es möglich wäre, mit Gottes Hilfe zu einem Frieden, der ein gerechter, ehrenvoller und dauernder sein sollte, den Menschen den Zugang zu eröffnen. Inzwischen bemühten Wir Uns in väterlicher Gesinnung aufrichtigst, u m in den schweren Leiden und Kümmernissen jeder Art, welche das Gefolge des furchtbaren Kampfes waren, doch ein wenig Erleichterung immerfort zu bringen. Dieselbe Liebe Jesu Christi, die Uns i m schwierigen Anfang Unseres Pontifikates angetrieben hat, für die Rückkehr des Friedens und die Milderung der Kriegsschrecken Uns zu bemühen, drängt Uns heute, wo endlich einmal ein gewisser Friede vereinbart ist, alle Kinder der Kirche und die Gesamtheit der Menschen aufzufordern, den schon allzu lange genährten Haß aus den Herzen zu bannen und die Eintracht und gegenseitige Liebe aufzunehmen. Es bedarf wahrlich nicht vieler Beweise, daß die menschliche Gesellschaft den schwersten Nachteil erleiden würde, wenn nach Abschluß des Friedens dennoch die verborgenen Feindschaften und eifersüchtigen Spannungen der Völker untereinander fortdauern würden. Wir übergehen dabei die Schädigungen all dessen, was die Entwicklung des bürgerlichen Lebens erhält und fördert, wie den Handel, das Gewerbe, Kunst und Wissenschaft, die ja alle auf dem Boden des gemeinsamen Verkehrs der Völker und ruhiger Verhältnisse gedeihen. Aber, was weit wichtiger ist, der Geist und die Gestaltung des christlichen Lebens, dessen ganze Kraft in der Liebe beruht, da ja die Predigt des christlichen Gesetzes selbst als Evangelium des Friedens bezeichnet wird 7 , würde die schwerste Wunde empfangen. Denn wie ihr wißt und woran Wir auch mehrmals an anderer Stelle erinnert haben, ist den Jüngern von Jesus Christus nichts so oft und nachdrücklich eingeschärft worden als dieses Gebot der gegenseitigen Liebe, welches ja alles andere in sich schließt; und dieses nannte Christus sowohl ein neues als auch das seine und wollte, daß es gleichsam ein Abzeichen der Christen sei, an dem sie von andern leicht unterschieden werden könnten. ... Niemals aber hat sich der Spielraum für die Liebe größer gezeigt als gerade i n diesen Tagen, in dieser großen Notlage, von der wir alle bedrückt werden und leiden; und niemals sonst ist vielleicht dem Menschengeschlecht die allgemeine Wohltätigkeit, die aus aufrichtiger Liebe der andern hervorgeht und voll Hingebung und Eifer ist, so vonnöten gewesen wie heute. Denn wenn Wir Umschau 7
Epheser 6, 15.
II. Die katholische Kirche und der Friedensvertrag von Versailles
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halten, wo immer die Kriegsschrecken dahingegangen sind, da treten Uns unermeßliche Länderstrecken entgegen, wo Verödung und Verwüstung herrscht, wo alles unbebaut und verlassen ist; die Bevölkerungen sind in solche Not zurückgeworfen, daß sie der Nahrung, der Kleidung und selbst des Obdaches entbehren; zahllos sind die Witwen und Waisen, welche eines jeden Hilfe nötig haben; unglaublich ist die Zahl der Unterernährten, zumeist der kleinen Kinder und des jugendlichen Alters, welche mit ihrem kranken Körper die Grausamkeit dieses Krieges bezeugen. Wer dieses große Elend betrachtet, von dem das Menschengeschlecht bedrückt wird, dem kommt von selbst jener Reisende 8 i m Evangelium i n den Sinn, der von Jerusalem und Jericho hinabstieg und unter die Räuber fiel, von denen er ausgeraubt, mit Schlägen mißhandelt und halbtot liegen gelassen wurde. Groß ist nämlich zwischen beiden die Ähnlichkeit; und wie zu jenem, von Barmherzigkeit erfaßt, der Samaritan hinzutrat, der die Wunden verband, sie mit Öl und Wein begoß und ihn zur Herberge führte und für ihn Sorge trug, so muß zur Heilung der Wunden der menschlichen Gesellschaft Jesus Christus Hand anlegen, dessen Rolle jener Samaritan vorbildete. Diese Tätigkeit und Aufgabe nimmt die Kirche, die Jesu Christi Geist als sein Erbe hütet, als ihre eigene i n Anspruch; die Kirche, sagen Wir, deren ganzes Leben aus einer wunderbaren Mannigfaltigkeit von Wohltaten sich zusammenwebt. ... Daher, ehrwürdige Brüder, bitten und beschwören Wir euch bei den Erbarmungen der Liebe Christi, verlegt euch mit allem Eifer und aller Sorgfalt darauf, daß ihr alle eurer Obhut Anvertrauten nicht nur dazu antreibt, daß sie den Haß ablegen und die Unbilden verzeihen, sondern daß ihr sie auch dafür gewinnt, daß sie alle jene Einrichtungen der christlichen Wohltätigkeit befördern, welche den Bedürftigen eine Stütze, den Trauernden ein Trost, den Schwachen eine Kräftigung sind und zuletzt allen, die i m Kriege große Verluste erlitten haben, zeitgemäße Hilfe verschiedener A r t bringen. Vorzüglich aber wünschen Wir, daß ihr die Priester, welche die Diener des christlichen Friedens sind, ermahnt, daß sie in dieser Angelegenheit, welche das christliche Leben hauptsächlich i n sich begreift, beharrlich seien, d. h. in der Empfehlung der Liebe gegen die Nächsten oder gegen die Feinde. ... Die Mahnungen zur Übung der Pflicht der Liebe, welche Wir hier an die einzelnen richten, sollen nach Unserem Willen ebenso an die Völker gerichtet sein, die den langen Kriegsstreit durchgemacht haben, auf daß sie so weit als möglich mit den Ursachen der Zwistigkeiten aufräumen und unter Wahrung der Gesichtspunkte der Gerechtigkeit unter sich die Freundschaft und Verbindung wieder erneuern. Denn das Evangelium kennt kein besonderes Gesetz der Liebe für die einzelnen Menschen und kein besonderes für die Staaten und Völker, die doch zuletzt alle aus einzelnen Menschen zusammengewachsen sind 9 und bestehen. Nachdem aber der Krieg vorbei ist, scheinen die Verhältnisse nicht bloß wegen der Liebe, sondern auch unter dem Einfluß einer gewissen Nötigung zu einer Gesamtverbindung der Völker untereinander zu drängen, da die Völker zugleich durch das natürliche Band sowohl des wechselseitigen Bedürfnisses als auch des Wohlwollens zugleich 8 9
Lukas 10, 30 ff. „sind" fehlt versehentlich i n der Vorlage.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
jetzt am meisten verbunden werden, während bei dieser ausgesuchteren Pflege der Menschlichkeit auch die Leichtigkeit des Geschäftsverkehrs wunderbar gewachsen ist. ... Weil diese Eintracht gebildeter Völker die heute zur Erledigung wichtiger Geschäfte in Aufnahme gekommene Übung gegenseitiger Besuche und Zusammenkünfte der Staatslenker und Fürsten schützt und mächtig befördert, wären Wir unter Berücksichtigung aller Dinge und der veränderten Verhältnisse sowie auch der großen Wendung in der allgemeinen Zeitlage nicht einmal der Entschließung abgeneigt, etwas von der Strenge jener Bedingungen nachzulassen, welche Unsere Vorgänger wegen Unterdrückung der weltlichen Herrschaft des Apostolischen Stuhles mit Recht aufgestellt haben, u m feierliche Besuche katholischer Fürsten in Rom zurückzuhalten. Wir erklären aber mit aller Offenheit, daß die Milderung Unserer Maßnahmen, welche die über die Maßen schwere Zeitlage der menschlichen Gesellschaft zu empfehlen und daher zu fordern scheint, keineswegs als stillschweigende Aufgabe der heiligen Rechte des Apostolischen Stuhles ausgelegt werden darf, als hätte er sich gleichsam mit dem gegenwärtigen abnormen Zustand, in dem er sich befindet, endlich zufrieden gegeben. ... So ist es also zu wünschen, ehrwürdige Brüder, daß nach Wiederherstellung der Dinge und Wiederaufrichtung der Ordnung der Gerechtigkeit und Liebe alle Völker hüben und drüben allen Argwohn unterdrücken und gleichsam zu einer Gesellschaft oder vielmehr zu einer A r t Familie zusammenwachsen sowohl zur Verteidigung der Freiheit eines jeden als auch zur Erhaltung der Ordnung der menschlichen Gesellschaft. Eine solche Vereinigung der Völker zu schließen, dazu mahnt, u m vieles andere zu übergehen, die ganz allgemein erkannte Notwendigkeit, daß man sich alle Mühe gäbe, damit unter Abgang oder Verminderung der militärischen Lasten, deren ungeheuern Druck die Staaten nicht mehr ertragen können, künftig solch verhängnisvolle Kriege gar nicht mehr entstehen oder doch ihre Gefahr so weit als möglich abgewendet werde und einem jeden Volk mit freier Selbständigkeit die Unversehrtheit seines mit gerechten Grenzen umgebenen Gebietes erhalten bleibe. Wenn aber die Völker nach christlichem Gesetze sich vereinigen, so w i r d bei allen ihren vom Geist der Gerechtigkeit und Liebe getragenen Unternehmungen die Kirche es an Teilnahme und Mitarbeit nicht fehlen lassen, da sie das vollendetste Vorbild einer allumfassenden Gesellschaft ist und sowohl aus ihrer eigenen Organisation als auch durch ihre Einrichtungen über eine wunderbare Kraft verfügt, nicht nur die Menschen für ihr ewiges Heil zu verbinden, sondern auch zur Wohlfahrt dieses Lebens, indem sie dieselben so durch die zeitlichen Güter hindurchleitet, daß sie dabei die ewigen nicht verlieren. ... So bitten und beschwören Wir also nochmals, u m zum Anfang Unseres Schreibens zurückzukehren, zuerst alle Unsere Söhne voll Liebe i m Namen unseres Herrn Jesus Christus, daß sie den Entschluß fassen, die gegenseitigen Feindschaften und Kränkungen alle in freiwilliger Vergessenheit zu begraben und sich gegenseitig durch das Band der christlichen Liebe, dem niemand fremd ist, zu vereinigen. Dann mahnen Wir eindringlich alle Völker, daß sie unter sich i m Geiste christlichen Wohlwollens einen wahren Frieden schließen mögen, indem sie zu einem bleibenden Bündnis i m Geiste der Gerechtigkeit zusammentreten; endlich rufen Wir alle Menschen und Völker auf, daß sie den Absichten und dem Geist der
II. Die katholische Kirche und der Friedensvertrag von Versailles
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katholischen Kirche und durch die Kirche Christus, dem Erlöser des Menschengeschlechts, sich anschließen möchten, auf daß Wir so alle mit den gleichen Worten, die einst der Apostel Paulus an die Epheser richtete, i n voller Wahrheit anreden können: „ N u n seid ihr, die ihr einstens ferne wäret, in Jesus Christus nahe geworden i m Blute Christi, denn er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und die mitten aufragende (absperrende) Scheidemauer zerstört h a t . . . , indem er die Feindschaft i n sich selbst tötete. Er kam und verkündete Frieden euch, die ihr ferne gewesen seid, und Frieden denen, die nahe waren" 1 0 . Nicht weniger gut passen hierher die Worte desselben Apostels an die Kolosser 11 : „Belüget einander nicht, sondern ziehet den alten Menschen mit seinen Taten aus und ziehet einen neuen Menschen an, jenen, der erneuert w i r d zur Erkenntnis gemäß dem Bilde dessen, der ihn erschaffen hat: wo nicht mehr Heide ist und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Sklave und Freier, sondern wo alles in allen Christus ist."...
Nr. 205. Ansprache des Präsidenten Konrad Adenauer zur Eröffnung des Katholikentags in München am 28. August 1922 (Die Reden, gehalten i n den öffentlichen und geschlossenen Versammlungen der 62. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands zu München 27. bis 30. August 1922, 1923, S. 43 ff.) — Auszug — ... Dem deutschen Vaterlande, das in bitterster Not und Gefahr ist, gilt unser herzlichster Gruß. Haben w i r schon früher treu zu i h m gestanden, jetzt, wo es in Not und Elend ist, stehen w i r in doppelter, hingebender Liebe und Treue zu ihm, alle deutschen Gaue, alle deutschen Stämme. So gedrückt und gedemütigt w i r sind, niemals werden wir unsere nationale Zusammengehörigkeit, unsere nationale Einheit preisgeben. Man hat das deutsche Volk ausgehungert und zu Boden geworfen. Von dem zusammengebrochenen (Volke) hat man ein Schuldbekenntnis erpreßt, i h m Bedingungen auferlegt, die seine nationale und staatliche Existenz vernichten, seine Wirtschaft zerstören, Millionen einem langsamen Tode preisgeben, den Rest in unerträglicher Knechtschaft und Sklaverei halten. I n der europäischen Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit gibt es kein Dokument, das so allen menschlichen, allen christlichen Grundsätzen hohnspricht, wie das Diktat von Versailles. Eine furchtbare Schuld, die Verantwortung für ein namenloses materielles und moralisches Elend haben seine Urheber auf sich geladen. Die Katholiken Amerikas, Belgiens, Englands, die Katholiken der ganzen Welt, alle, die sich noch zum Namen Christi bekennen, bitte und beschwöre ich: Helft! Seid eingedenk eures katholischen Glaubens, eures christlichen Namens! Verhütet das Sterben eines Volkes von 60 Millionen! A n die französischen Katholiken wende ich mich noch ganz besonders: Frankreich martert, Frankreich quält uns, auch uns, eure Glaubensbrüder! Zu Frank10 11
Epheser 2, 13 ff. Kolosser 3, 9-11.
25 Huber
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reichs Ehre nehmen w i r an, es handelt so, weil es glaubt, so handeln zu müssen. Glaubt uns, Frankreich irrt, es gibt andere Wege für Frankreich, u m zu dem zu kommen, was i h m gebührt. K o m m t zu uns, ihr französischen Katholiken, laßt uns gemeinsam einen Weg suchen, der unseren beiden Ländern hilft! ... Wir müssen die internationalen Beziehungen der Katholiken stärker pflegen und ausbauen, damit auch in den Verhältnissen der Völker zueinander die Grundsätze des Christentums maßgebend werden. Der Krieg und die Jahre nach dem Kriege haben uns in grausamster Weise vor Augen geführt, daß das nicht der Fall ist. Tun wir, was in unseren Kräften steht, damit es anders wird! Gerade wir Katholiken sind dazu besonders berufen, die Katholiken der verschiedenen Länder müssen sich miteinander verbinden und vereinen, u m das zu erreichen. Niemand, dem das Wohl der Menschheit am Herzen liegt, w i r d uns deshalb des Mangels an Vaterlandsliebe zeihen können. A u f das tatkräftigste und entschiedenste müssen wir alle Bestrebungen des Heiligen Stuhls unterstützen, die dahin gehen, daß die Beziehungen der Völker zueinander nach den christlichen Grundsätzen, nach Recht und Gerechtigkeit geordnet werden. ...
I I I . Die katholische Kirche und der Staat von Weimar Der Aufgabe, am Aufbau einer neuen Verfassungsordnung in Deutschland mitzuwirken, hatte sich die Zentrumspartei schon bald nach dem Novemberumsturz gestellt 1. Der Episkopat sah seine vorrangige Aufgabe darin, für die Aufrechterhaltung katholischer Grundsätze im Erziehungswesen und im öffentlichen Leben einzutreten. Davon waren auch die Wahlaufrufe bestimmt, mit denen katholische Bischöfe an die Öffentlichkeit traten. Das Mahnwort, mit dem der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, der Breslauer Fürstbischof Bertram, sich vor den preußischen Landtagswahlen vom Februar 1921 an die Gläubigen seiner Diözese wandte, bildet dafür ein Beispiel (Nr. 206). Doch der Konflikt über die Frage, ob der Sturz der Monarchie und die Aufrichtung einer republikanischen Verfassung von katholischen Christen widerspruchslos hinzunehmen war, dauerte in den ersten Weimarer Jahren an. Er trat dramatisch hervor, als der Münchener Erzbischof, Kardinal Faulhaber, in einer Predigt zum Beginn des Münchener Katholikentags 1922 die Novemberrevolution als „Meineid und Hochverrat" bezeichnete (Nr. 207). Als Präsident des Katholikentags benutzte Konrad Adenauer die Gelegenheit seiner Schlußansprache, um sich, wenn auch in verhaltener Form, von diesen politischen Äußerungen des Kardinals zu distanzieren (Nr. 208f. Die Spannung zwischen der vernunftrepublikanischen Bereitschaft, im Staat von Weimar politische Verantwortung wahrzunehmen, und der Treue zur Monarchie, die in manchen Strömungen in eine neue „Vision des Reichs" umschla1
Siehe oben S. 118ff. Darstellung des Konflikts bei H. Stehkämper, Konrad Adenauer als Katholikentagspräsident 1922 (1977); vgl. auch H. Lutz, Demokratie i m Zwielicht. Der Weg der deutschen Katholiken aus dem Kaiserreich i n die Republik 1914-1925 (1963); L . Volk, Kardinal Faulhabers Stellung zur Weimarer Republik und zum NS-Staat, in: Stimmen der Zeit 177 (1966), S. 173ff. 2
III. Die katholische Kirche und der Staat von Weimar gen konnter 3, bestimmte die politischen Einstellungen während der gesamten Weimarer Zeit.
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im deutschen Katholizismus
Nr. 206. Mahnwort des Fürstbischofs von Breslau, Kardinal Bertram, zu den Wahlen in Preußen von Anfang 1921 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 101, 1921, S. 154f.) Wenn diese Wahlen bevorstehen, dann mischt sich die Kirche allerdings nicht i n die rein politischen Fragen. Es ist ausdrücklich verboten, politisierende Predigten zu halten. Aber die Kirche kann denjenigen Wahlen nicht gleichgültig gegenüberstehen, die voll tiefster Bedeutung für die religiösen Güter des Volkes sind. Denn die Kirche hat den Beruf, das Gottesreich auf Erden zu schützen und auszubreiten. Sie ist verpflichtet, dem Kampfe zwischen irdischem Reich und Gottesreich mit aller Umsicht und Festigkeit zu wehren. Darum ruft sie allen Katholiken ihre hohen sittlichen und religiösen Pflichten i m öffentlichen Leben in Erinnerung. Wo immer Wahlen bevorstehen, die entscheidungsvoll sind für den Frieden in Staat und Bürgerschaft, entscheidungsvoll für die höchsten religiösen Güter des Volkslebens, da ist es eine echt kirchliche Hirtenaufgabe, die Katholiken an ihre Pflicht zu erinnern, so zu wählen, wie es zum Frieden i m Vaterlande und zum Frieden zwischen Staat und Kirche gereichen wird. So tat es 1870 mein in schwerer Kampfeszeit stehender Amts Vorgänger, der edle Dulderbischof Heinrich Förster 4 . So tat ich es 1918, als ich i n den Umsturztagen vor die Katholiken Breslaus i n öffentlicher Versammlung hintrat. So zu tun, drängt es mich heute. Meine erste Mahnung ist: macht alle von eurem Wahlrechte Gebrauch. Denn das Wahlrecht ist eines jener Talente, mit denen du arbeiten sollst. So verlangt es deine Pflicht gegen das Vaterland, dessen K i n d du bist. Wie jeder für das Wohl seiner Familie sorgen muß, so auch jeder für das Wohl der großen Staatsfamilie. Das geschieht am Wahltage. Meine zweite Mahnung ist: nehmet es ernst mit eurer Entschließung am Wahltage. Wichtige und heilige Güter des Vaterlandes und der Familien hängen i n ihrem Bestände ab vom Ausfall der Wahlen. Es ist daher eine ernste Gewissenssache, wie du wählst. Die dritte Mahnung lautet: gib deine Stimme nur denen, die die Rechte der katholischen Kirche treu und mutig vertreten; nur denen, die für volle Sicherstellung katholischer Jugenderziehung und deshalb für konfessionelle Schulen eintreten; — nur denen, die christliche Sitte und christliche Gesinnung i n den Familien und i m privaten und öffentlichen Leben pflegen; — nur denen, die den Klassenhaß verwerfen und für eine gesunde Gestaltung des sozialen Lebens nach den Grundsätzen der katholischen Kirche eintreten wollen.
3 4
25*
Vgl. K. Breuning, Die Vision des Reiches (1969). Staat und Kirche, Bd. II, S. 100, Anm. 9.
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Höret nicht auf die, die mit vieldeutigen Versprechungen Stimmenfang treiben oder Spaltung ins katholische Volk zu bringen suchen. Heute tut uns Katholiken vor allem Einigkeit not. Folget Männern, die durch die Tat bewiesen haben, ob sie es ehrlich mit Kirche und Schule, mit der Heiligkeit von Ehe und Familie, mit dem friedlichen Ausbau der wirtschaftlichen und staatlichen Ordnung meinen. Das ist meine Mahnung. So verstehe ich den Ruf, der aus Eurer aller Herzen wie ein gewaltiges Volksgebet zum Himmel dringt. Da pacem, Domine, i n diebus nostris! Gib Frieden, Herr, in unseren Tagen!
Nr. 207. Predigt des Erzbischofs von München-Freising, Kardinal Faulhaber, beim deutschen Katholikentag in München am 27. August 1922 (Die Reden, gehalten i n den öffentlichen und geschlossenen Versammlungen der 62. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands zu München 27. bis 30. August 1922, 1923, S. Iff.) — Auszug — ... Wehe dem Staate, der seine Rechtsordnung und Gesetzgebung nicht auf den Boden der Zehn Gebote Gottes stellt, der eine Verfassung schafft ohne den Namen Gottes, der die Rechte der Eltern in seinem Schulgesetz nicht anerkennt, der die Theater- und die Kinoseuche nicht fernhält von seinem Volke, der durch neue Gesetze die Ehescheidung immer noch mehr erleichtert und die uneheliche Mutterschaft in Schutz nimmt. Wo die Zehn Gebote nichts mehr gelten, da werden zehntausend Staatsgesetze keine Rechtsordnung aufrichten. Wo die Gesetze eines Staates mit den Geboten Gottes in Widerspruch stehen, da gilt der Satz: Gottesrecht bricht Staatsrecht. ... Katholisch sein heißt ein Charakter sein auf dem Boden der christlichen Sittenlehre, heißt Grundsätze haben i m privaten und öffentlichen Leben. Kompromisse sind unvermeidlich zum Ausgleich der Gegensätze und Interessen. Über allen Kompromissen aber stehen wie die ewigen Sterne die Grundsätze, und es kann eine Grenze kommen, wo es heißt: Bis hierher und nicht weiter! Die Revolution war Meineid und Hochverrat und bleibt i n der Geschichte erblich belastet und mit dem Kainsmal gezeichnet. Auch wenn der Umsturz ein paar Erfolge brachte, wenn er den Bekennern des katholischen Glaubens den Weg zu den höheren Ämtern weit mehr als früher erschloß, — ein sittlicher Charakter wertet nicht nach den Erfolgen, eine Untat darf der Erfolge wegen nicht heilig gesprochen werden. ...
I . Die katholische Kirche und de
taatone
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Nr. 208. Schlußansprache des Präsidenten Konrad Adenauer beim Katholikentag in München am 30. August 1922 (Die Reden, gehalten in den öffentlichen und geschlossenen Versammlungen der 62. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands zu München 27. bis 30. August 1922, 1923, S. 203ff.) — Auszug — ... Die Münchener Tagung ist zu Ende! Die Worte heißen und herzlichsten Dankes, die w i r alle seit Tagen auf dem Herzen tragen, sollen nunmehr gesprochen werden. ... Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten. Auch von diesem Schatten zu sprechen, ist meine Pflicht. Es sind hie und da Äußerungen gefallen, die man sich aus Verhältnissen örtlicher Natur erklären kann, hinter denen aber die Gesamtheit der deutschen Katholiken nicht steht. Unsere Einigkeit in der Einschätzung und Bewertung mancher Dinge leidet unter der Verschiedenheit unserer Beurteilung der gegenwärtigen staatlichen Verhältnisse. Ich hoffe und bin überzeugt, daß der kristallklare Vortrag des Prälaten Mausbach 5 , der sich bei dem, was er sagte, auf die Aussprüche unserer höchsten kirchlichen Autorität stützen konnte, in dieser Hinsicht reinigend und klärend gewirkt hat. Ich erblicke in dieser Verschiedenheit der Beurteilung eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Aktionsfähigkeit der deutschen Katholiken, für ihre Aktionsfähigkeit, die sie bei der Verteidigung ihrer religiösen Grundsätze jetzt mehr denn je nötig haben werden. Manche katholischen Kreise müssen ihr Gefühl etwas zurücktreten lassen. Ich bin überzeugt, die Verschiedenheit in der Beurteilung der heutigen staatlichen Verhältnisse ließe sich, wenn sie auch i m Prinzip bleiben mag, so gestalten, daß sie nicht mehr unsere Einigkeit gefährden würde. I m staatlichen Leben dürfen Gefühlsmomente, und mögen sie an sich noch so großer Achtung wert sein, keine ausschlaggebende Rolle spielen. Feste, in Ruhe überlegte Grundsätze sind nötig. Nötig ist auch die kühle und klare Erkenntnis der Dinge und der Möglichkeiten. Es verrät Mangel an historischem Blick, die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heutigen Zustände. Es verrät Mangel an historischem Blick, sie verantwortlich zu machen für die Kämpfe, die uns Katholiken bevorstehen.
5 Joseph Mausbach (1861-1931), kath. Priester; 1884 Kaplan i n Köln, 1889 Religionslehrer i n München-Gladbach, 1892 Professor für Apologetik und Moraltheologie in Münster, 1918 zugleich Domprobst in Münster; 1919/20 MdWeimNatVers. (Zentrum), 1920 Teilnehmer an der Reichsschulkonferenz, 1922 Mitbegründer und seitdem Kuratoriumsvorsitzender des Deutschen Instituts für wissenschaftliche Pädagogik in Münster. — I n seinem Beitrag auf dem Katholikentag in München hatte Mausbach zwar jede gewaltsame Änderung einer Staatsverfassung verworfen, zugleich aber die Pflicht der Katholiken betont, sich der bestehenden staatlichen Herrschaft auch dann unterzuordnen, wenn sie durch einen revolutionären Gewaltakt zustandegekommen sei (Die Reden, gehalten i n den öffentlichen und geschlossenen Versammlungen der 62. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands zu München, 1923, S. 184f.).
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Alles ist organisch geworden, nichts fällt ohne weiteres vom Himmel herab, nichts ist das Werk eines Augenblickes, alles i n der Natur ist das Produkt einer längeren Arbeit. Wenn i m Herbste der Wind die Blätter von den Bäumen fegt, so ist der Wind nur der Anstoß, denn die Blätter waren alt und müde, und wenn der Sturm Äste und Bäume bricht, so war der Sturm nur der Anstoß, denn die Bäume waren alt und morsch; denn wären sie nicht morsch und lebensschwach gewesen, so hätten sie den Sturm überdauert. Wie in der Natur, so ist es überall, nichts ereignet sich ohne organisches Werden. Die Treibhaustemperatur des Krieges hat Keime zu rascher Entwicklung gebracht, die aber bereits lange vor dem Kriege gelegt waren. ... Die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Wie ich an das Walten einer Gerechtigkeit glaube, so glaube ich auch daran, daß etwas, was gut und stark ist, nicht untergehen kann. Manches werden wir über Jahr und Tag, wenn w i r erst einen gewissen Abstand von den Ereignissen gewonnen haben, anders ansehen als heute. Aber heute kann es für die deutschen Katholiken nur eine Parole geben und die ist: Einigkeit und Geschlossenheit! Und alles zurückstellen, was die einzelnen von uns trennt! Wer der Einigkeit des Katholizismus dient, dient dem deutschen Volke. Ohne den einigen deutschen Katholizismus ist der Wiederaufbau des deutschen Vaterlandes unmöglich. Dies ist die Arbeit am Vaterland, und wer diese Arbeit leistet, nützt auch dem deutschen Katholizismus. Denn das deutsche Vaterland ist auch wichtig für den Katholizismus, ohne das deutsche Vaterland w i r d auch der deutsche Katholizismus nicht das bleiben, was er ist, ja ohne Deutschland ist es unmöglich, daß sich der deutsche Katholizismus auf deutsche A r t auswirken kann. A n dem Bestehen des deutschen Katholizismus hat auch unsere heilige Kirche das größte Interesse; wir sind darum verpflichtet gegenüber uns selbst, gegenüber unseren Kindern, gegenüber unserem Volke und gegenüber unserer Kirche, an der Einigkeit der deutschen Katholiken mit allen Kräften mitzuwirken. ...
IV. Die katholische Kirche und die Sozialdemokratie Bereits unmittelbar nach der Novemberrevolution trat die Frage auf, ob die katholische Kirche ihre Haltung zur Sozialdemokratie angesichts der gewandelten Zeitumstände geändert habe. Als erster Vertreter des deutschen Episkopats antwortete der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, mit einer Anweisung vom 22. Dezember 1918 auf diese Frage (Nr. 209). Die Bischöfe des Kölner Metropolitanbezirks schlossen sich mit einem Hirtenbrief vom 8. Januar 1919 an (Nr. 210). Einvernehmlich stellten die Bischöfe klar, daß der katholische Glaube mit der sozialistischen Weltanschauung, damit aber auch mit der Mitgliedschaft in sozialistischen Vereinigungen unvereinbar sei. Grundsätzlich war damit die Mitgliedschaft in sozialdemokratischen Parteien oder in freien Gewerkschaften mit dem Ausschluß von den Sakramenten, also mit der Exkommunikation bedroht. Der Erlaß des bischöflichen Ordinariats Speyer vom 23. August 1920 (Nr. 211) verdeutlicht allerdings, inwieweit aus seelsorgerlichen Gründen von diesem Grundsatz der
IV. Die katholische Kirche und die Sozialdemokratie
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Exkommunikation abgewichen werden konnte. Im Jahr 1921 verständigte sich die Fuldaer Bischofskonferenz auf gemeinsame Empfehlungen an die Geistlichen für den Umgang mit Angehörigen „glaubensfeindlicher Vereinigungen" l. Im August 1923 bekräftigte die Fuldaer Bischofskonferenz, daß den Katholiken grundsätzlich die Mitgliedschaft in freien Gewerkschaften untersagt sei; sie verband diesen Grundsatz allerdings mit der Auf zählung der Bedingungen, unter denen die Kirche eine solche Mitgliedschaft dulde (Nr. 212). Damit waren die Prinzipien und Verfahrensweisen entwickelt, die der katholische Episkopat in der Folgezeit auch gegenüber dem Nationalsozialismus anwandte?. Der Kardinal Bertram bekräftigte in einem Hirtenbrief vom 1. August 1924 die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Kommunismus mit dem christlichen Glauben (Nr. 213).
Nr. 209. Anweisung des Fürstbischofs von Breslau, Kardinal Bertram, an den Klerus seiner Diözese vom 22. Dezember 1918 (Verordnungsblatt des Fürstbischöflichen General-Vikariat-Amtes zu Breslau, 1918, S. 184) Gegenüber der neuerdings i n wohl erkennbarer Absicht öffentlich aufgestellten Frage: ändert die katholische Kirche jetzt ihren Standpunkt zu den sozialistischen Parteien? erklärt sie darum jetzt die Zugehörigkeit der Katholiken zu denselben für erlaubt? ist mit einem bestimmten und klaren Nein zu antworten. Über den Widerspruch und die Unvereinbarkeit von Grundsätzen i m Sozialismus mit der christlichen Religion, und für die Beurteilung der Fragen sozialer Natur, der christlichen Demokratie, der christlichen Staatsordnung und der Pflichten des christlichen Bürgers geben die dem Klerus bekannten Enzykliken des Papstes Leo X I I I . 3 lichtvollen Aufschluß. Es ist die Pflicht der Bischöfe und des Klerus, die Gläubigen zu warnen vor Vereinigungen, die diesen klaren Normen für das öffentliche Leben der Katholiken entgegen sind. Solche Warnung entspringt der pflichtmäßigen Sorge für das Glaubensleben der katholischen Christen und für die christliche Weltordnung. M i t dieser Warnung ist verbunden das warmherzige Eintreten für berechtigte Forderungen der arbeitenden Klassen, wie es in den weitblickenden Enzykliken eines Leo X I I I . und in der erfolgreichen Mitarbeit an der sozialen Gesetzgebung Deutschlands offen bekundet ist. Ebenso warmherzig muß überall die Achtung vor den arbeitenden Klassen sich erweisen und das Verständnis und die Hilfsbereitschaft gegenüber den i n Arbeiterkreisen herrschenden Notständen, zumal diese Notstände auch auf die von der Kirche zu schirmenden sittlichen Güter des Volkes vielfach einen unheilvollen Einfluß ausüben.
1 Winke, betr. Aufgaben der Seelsorger gegenüber glaubensfeindlichen Vereinigungen von 1921 (Text: W. Cor sten, Sammlung kirchlicher Erlasse, Verordnungen und Bekanntmachungen für die Erzdiözese Köln, Bd. I, 1929, S. 619 ff.); vgl. die Neufassung dieser Winke in der Seelsorgeinstruktion vom 5. August 1931 (unten Nr. 229). 2 Siehe unten Nr. 227 ff. 3 Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 126, Nr. 137, Nr. 138, Nr. 139.
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Nr. 210. Hirtenbrief der Bischöfe der niederrheinischen Kirchenprovinz und der ihr angeschlossenen Diözesen über den Sozialismus vom 8. Januar 1919 (Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück und die Norddeutschen Missionen, 35, 1919, S. 149ff.) „Christentum und Sozialismus stehen sich gegenüber wie Feuer und Wasser" 4 . So hat einer der einflußreichsten und zuständigsten Wortführer des Sozialismus ausdrücklich gesagt. Er hat damit die volle und unleugbare Wahrheit bekannt. Es ist wirklich so: Christentum und Sozialismus stehen sich gegenüber wie Feuer und Wasser. Man kann nicht überzeugter Anhänger des Sozialismus und gleichzeitig ein aufrichtiger katholischer Christ sein. Entweder — oder. Der Widerspruch und Kampf des Sozialismus gegen Christentum und Kirche ist unversöhnlich. Die sozialistische Lehre steht i m stärksten und schroffsten Gegensatz zu unserem christ-katholischen Glaubensbekenntnis. Der Sozialismus w i l l den Atheismus, die Gottesleugnung nach Kräften überall verbreiten. I n diesem Bestreben waren alle seine Führer von jeher einig. Die verhängnisvolle Irrlehre des Sozialismus ist nämlich aufgebaut auf den sogenannten Materialismus: mit der materialistischen Weltanschauung ist sie innerlich und unzertrennlich verbunden. Danach gibt es überhaupt nichts Geistiges, nichts Ewiges, nichts Unveränderliches. Alles ist Stoff, alles ist zeitlich, alles ist mit dem Tode zu Ende, alles, was existiert, ist i n fortwährendem, veränderlichem Fluß. Seht, geliebte Diözesanen, das ist das Grunddogma des Sozialismus. Ihr erkennt sofort, daß es dann keinen Gott geben kann, keine Unsterblichkeit. Dann gibt es keinen Gottmenschen Jesus Christus, keinen göttlichen Heiland, keine Erlösung. Dann gibt es keine Kirche, keine Sakramente, kein Jenseits und kein Wiedersehen, keine ewige Hölle und keinen ewigen Himmel. Wahrlich, wie „Feuer und Wasser" stehen sich sozialistische Lehre und katholisches Glaubensbekenntnis gegenüber. Der Sozialismus w i l l auch die katholische Sittenlehre und das katholische Sittenleben zertrümmern. Er verkündet, daß es ewige, unbedingt verpflichtende, allgemeine, unzerstörbare Sittenvorschriften überhaupt nicht gibt. Er spottet über den ewigen Gott, der die Menschen erschaffen hat und sie einmal richten wird. Er betet nicht und w i l l das Gebet, wie Ihr jüngst selber erfahren mußtet, einfach abschaffen. Er leugnet das Jenseits und die Vergeltung i m Jenseits. Er w i l l nichts wissen von einer aus Gott stammenden Gewissenspflicht und Gewissens-Verantwortung. Täuschet Euch nicht darüber: Der Sozialismus kennt nur ein Leben für das Diesseits, für die Erde. Die Gebote Gottes w i l l er abtun und außer Kurs setzen. U m Gott und sein Gesetz braucht sich nach dem Sozialismus niemand mehr zu kümmern. Seid aber versichert, geliebte Diözesanen: „Gott läßt sich nicht spotten" 5 , von keinem Menschen. Und es bleibt ewig wahr: „Es ist dem Menschen bestimmt, einmal zu sterben, und dann folgt das Gericht" 6 . 4 A. Bebel, Christentum und Sozialismus (1874), in: Ausgewählte Reden und Schriften, 1 (1978), S. 298. 5 Galater 6, 7. 6 Hebräer 9, 27.
I . Die katholische Kirche und die
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Der Staat soll von der Kirche getrennt werden, die Schule soll weltlich, das heißt, religionslos sein. Für den Staat und für die Schule soll kein Gott und keine Kirche mehr existieren. I n dem letzten gemeinsamen Hirtenschreiben 7 , geliebte Diözesanen, haben wir Euch u m der Liebe Christi willen gebeten, daran zu denken, welch schlimmes Unrecht gegen Gott den Herrn, gegen seine Kirche, gegen die leidende Menschheit, gegen Eure Seelen und gegen die unschuldigen Seelen Eurer Kinder damit geplant wird; w i r haben Euch die Gefahren i n aller Wahrheit dargelegt, die daraus für Staat und Schule, für Gemeinschaft und Familie entstehen. Wir ermahnen und beschwören Euch heute wiederum: Verkennet die entsetzliche Tragweite dieser sozialistischen Forderung nicht! Wenn der Sozialismus sich durchsetzt, dann wird — man mag sagen, was man w i l l — Eure Religion und Gewissensfreiheit geknechtet und geknebelt. Dann w i r d der gekreuzigte Heiland aus der Öffentlichkeit und aus der Schule mit Schmach und Schande vertrieben. Die Sozialisten zerstören die christliche Ehe und Familie. Daß dieses beabsichtigt wird, haben ihre Führer oft genug vor aller Welt ausgesprochen. Sie wollen den Eltern das Recht nehmen, nach ihrer Überzeugung und ihrem eigenen Gewissen die Kinder zu erziehen. Das sechste und neunte Gebot soll keine Geltung mehr haben. So wagt es der Sozialist, an Gottes heiligen Gesetzen sich schmählich zu vergreifen. Ihr seht es klar, daß zwischen Sozialismus und Christentum keine Brücke möglich ist. Aber höret noch weiter! Der Sozialismus verlangt gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle Menschen. Das klingt schön und gut. Aber laßt Euch trotzdem nicht irre machen! Einen Gehorsam u m Gottes und des Gewissens willen gibt es dann nicht mehr, weder i n der Familie, noch i n der Schule, weder i m Staate, noch in der Gesellschaft. Das vierte Gebot mit allen Pflichten, die sich daraus für die mannigfach gegliederte Ordnung der menschlichen Gesellschaft ergeben — das gesamte vierte Gebot wäre damit abgeschafft. Und schließlich: Ihr wißt, daß der Sozialismus grundsätzlich das Privateigentum an den Produktionsmitteln, z.B. an Grund und Boden, an Werkzeugen, Maschinen, Rohstoffen, Verkehrsmitteln beseitigen w i l l (vergi, das sogenannte Erfurter Programm 8 ). Diese Produktionsmittel sollen i n Staatsbesitz übergehen. Goldene Berge verspricht man sich davon. Die sichere und unversiegbare Quelle des Glückes und des Wohlstandes für alle Menschen w i l l man damit gefunden haben. Laßt Euch nicht von diesem sozialistischen Plane betören, geliebte Diözesanen! Seine wirkliche Ausführung würde den breiten Massen des Volkes eine grausame und verhängnisvolle Enttäuschung bereiten. Industrie und Handel, Handwerk und Gewerbe würden vielfach, statt aufzublühen, ihre Lebenskraft verlieren. Nachher würde es gerade so gut wie heute eine Menge armer, unglücklicher, leidender Menschen geben, die mit Sorge u m ihre Existenz kämpfen müssen und auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Und bedenket wohl: Der ganze Plan ist unchristlich und geht gegen Gottes Anordnung. Der Schöpfer hat dem Menschen das Recht des Privateigentums in und mit der menschlichen Natur gegeben. Und die gottgewollte Ordnung und Entwicklung in der menschlichen Gesellschaft fordert das Privateigentum ebenfalls gebieterisch. I m siebenten Gebote heißt es ausdrücklich: „ D u sollst nicht stehlen". I m zehnten Gebote w i r d sogar das ungeordnete Verlangen 7
Oben Nr. 16. Das Erfurter Programm der SPD von 1891 (Text in: D. Dowe/K. Klotzbach, Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie, 1973, S. 175ff.). 8
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
verboten: „ D u sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Acker, Knecht, Magd, Ochs, Esel, noch irgend etwas von allem, was sein ist". Kein Mensch ist befugt, seinen Mitmenschen das Recht auf das Privateigentum grundsätzlich abzusprechen oder zu rauben. So lehrt es Christus, unser Gott und Heiland, so lehren es die Apostel, so lehrt es die katholische Kirche von den Tagen der Kirchenväter angefangen bis auf Leo X I I I . und seine berühmte Enzyklika über die soziale Frage 9 . Und niemals w i r d die Kirche, dessen dürft Ihr sicher sein, den Unterschied von Mein und Dein irgendwie verwischen und verwirren lassen. Gewiß: Der Besitzende hat auf Grund seines Besitzes soziale Pflichten, ernste und große Pflichten, sowohl Pflichten gegen die Nichtbesitzenden, als auch Pflichten gegen die Gemeinschaft. Der Gedanke der sozialen Verantwortlichkeit hat überhaupt erst, als die Kirche ihn verkündete, in der Menschheit Wurzel gefaßt. Wer der Wahrheit Zeugnis geben will, muß anerkennen, daß die Kirche stets der eifrigste Anwalt für alle berechtigten sozialen Forderungen, namentlich der arbeitenden Klassen gewesen ist. Und nie hat die Kirche bestritten, daß der Staat unter Beobachtung der Gesetze der Gerechtigkeit zugunsten des öffentlichen Wohles i n das Privateigentum eingreifen darf. Dabei bleibt jedoch bestehen: Es ist ungerecht und unerlaubt, das Privateigent u m an allen sogenannten Produktionsmitteln beseitigen zu wollen. Ein solches Vorhaben steht der christlichen Lehre und dem christlichen Gesetze unvereinbar gegenüber. Geliebte Diözesanen! Laßt Euch nicht hinters Licht führen durch das Schlagwort: Bei den Sozialdemokraten ist die Religion Privatsache 10 . Damit sucht man nur Stimmung für die Sozialdemokratie zu machen in den Kreisen derer, die das wahre Gesicht des Sozialismus, seine erbitterte Feindschaft gegen die Religion allzusehr abschrecken würde. Jenes Schlagwort ist nur eine Maske, ist eine Verkleidung. Unzählige Zeugnisse aus den Schriften und dem Leben der Sozialisten, unzählige Äußerungen wütenden Gotteshasses und wüster Religionsspötterei sagen es offen und laut, daß der Sozialismus ein unversöhnlicher Gegner von Christentum und Kirche ist. Und glaubt es nur: die verschiedenen Gruppen i m Sozialismus — die Unabhängigen und die Mehrheitssozialisten — machen hierin keinen Unterschied. Es bedeutet garnichts, daß manche, die sich zur Sozialdemokratie bekennen, dennoch vorgeben, gute Katholiken sein zu wollen. Wer den Sozialismus fördert, arbeitet gegen die Religion. Wer den Sozialismus unmittelbar oder mittelbar, durch eigenes Tun oder durch Nachlässigkeit oder durch Saumseligkeit unterstützt, versündigt sich an Christus und an seiner Kirche. Wer zu Christus und zu seiner Kirche hält, kann es nicht mit dem Sozialismus halten! Entweder — oder! „Christentum und Sozialismus stehen sich gegenüber wie Feuer und Wasser".
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Die Enzyklika „Rerum novarum" von 1891 (Text: Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 126). 10 „Erklärung der Religion zur Privatsache" ist die berühmte, in das Erfurter Programm von 1891 aufgenommene religionspolitische Formel der Sozialdemokratie i m 19. Jahrhundert (a.a.O. S. 178).
I . Die katholische Kirche und die
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Nr. 211. Erlaß des Bischöflichen Ordinariats Speyer über die Zulassung von Sozialdemokraten zu den Sakramenten vom 23. August 1920 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 100, 1920, S. 133) 1. Ein tatsächlicher Sozialdemokrat, der bewußt m i t w i r k e n w i l l zum Atheismus, zur Entrechtung der heiligen Kirche, zur Zerstörung der konfessionellen und christlichen Schule, zur Untergrabung des Sittengesetzes, also Agitatoren, Sekretäre, Redner dieser Partei könnten erst dann absolviert werden, wenn sie ernstlich versprechen, wenigstens diese religionsfeindliche Tätigkeit zu unterlassen. Nebenbei sei bemerkt, daß, wenn diese als publici peccatores sterben, das kirchliche Begräbnis w o h l nur mit Ärgernis verbunden wäre. I m Einzelfalle möge anher Näheres berichtet werden. 2. Mitglieder freier Gewerkschaften, die zum Austritte nicht bestimmt werden können, weil sie entweder durch die Verhältnisse gezwungen sind, ihnen anzugehören, oder auf wirtschaftliche Vorteile nicht glauben verzichten zu können, die aber andererseits die religionsfeindlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie in keiner Weise gutheißen und unterstützen wollen, mögen einstweilen absolviert werden, jedoch gegen das Versprechen, die Verbindung zu lösen, sobald die Verhältnisse es gestatten. Der Eintritt in eine christliche Organisation ist zu ermöglichen. 3. Wer sozialdemokratische Druckerzeugnisse, die die katholische Religion, ihre Einrichtungen und Diener fortwährend beschimpfen und verächtlich machen, oder die nach der allgemeinen menschlichen und vernünftigen Anschauung Unsittlichkeiten enthalten, regelmäßig liest und, obschon gemahnt, davon nicht ablassen will, kann nicht absolviert werden. Nur wer einen ganz triftigen Grund hätte, solche Druckerzeugnisse zu lesen — dieser Fall w i r d nicht häufig vorkommen — könnte absolviert werden, wenn er das Ärgernis beseitigt und das Periculum Proximum in ein remotum verwandelt 1 1 . 4. Weil die Zahl der Verirrten so groß ist, viele auch die Sündhaftigkeit ihres Handelns nicht erkennen, vielmehr glauben, für ihre Zugehörigkeit zu der Sozialdemokratie mancherlei Gründe zu haben, dabei aber doch ihren katholischen Glauben nicht preisgeben wollen, so ist i m allgemeinen die Verweigerung der Absolution nur selten anzuwenden, u m nicht Tausende von der Kirche abzustoßen, nach den Worten des Apostels: „Ego autem libentissime impendam et superimpendar ipse pro animabus vestris" (II. Kor. 12, 15)12.
11 D.h. die unmittelbar drohende Versuchung zur Sünde in den Hintergrund treten läßt. 12 „Ich aber w i l l gern hingeben und hingegegeben werden für eure Seelen."
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Nr. 212. Warnung der Fuldaer Bischofskonferenz, betreffend sozialistische und kirchenfeiiidliche Vereine vom August 1923 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 103, 1923, S. 232) Die Fuldaer Bischofskonferenz hat unter Hinweis auf die an den Klerus erlassenen „Winke" 1 3 über die Behandlung der Sozialisten usw. beschlossen, folgende Grundsätze bekannt zu geben: a) Es ist den Katholiken nicht gestattet, den freien Gewerkschaften als Mitglieder anzugehören, einerlei, ob es sich u m Gewerkschaften für Arbeiter oder solche für Angestellte oder Beamte handelt. b) Wenn die Katholiken die Möglichkeit haben, sich in Verbänden zu organisieren, die ihren religiösen Interessen nicht entgegenstehen, so sind sie verpflichtet, aus den freien Gewerkschaften auszutreten. c) Geduldet werden kann, daß ein Katholik zeitweilig seinen Namen in den Mitgliederlisten i m Einzelfalle w i r k l i c h stehen läßt, wenn folgende Umstände zusammentrafen, die hierfür Voraussetzung bilden: 1. Wenn der Beitritt in gutem Glauben, also in Überzeugung von der Erlaubnis erfolgt ist; 2. wenn Ärgernis verhütet w i r d durch die Erklärung, daß die Weiterzahlung nur zur Verhütung schweren Nachteils erfolge, i m übrigen aber jede Gemeinschaft mit der betr. Vereinigung vermieden wird; 3. wenn dem Betreffenden oder seiner Familie sonst schwerer Schaden erwächst; 4. wenn nicht für den betreffenden oder seine Familie die Gefahr des Abfalls vom Glauben besteht. d) 14 Wenn Katholiken trotz erfolgter Aufklärung und obwohl ihnen Eintritt in eine andere Organisation möglich ist, dennoch als Mitglieder in den freien Gewerkschaften verbleiben, so sind sie zu dem Sakramentenempfang nicht mehr zuzulassen.
Nr. 213. Hirtenbrief des Fürstbischofs von Breslau, Kardinal Bertram, zu den bevorstehenden politischen Wahlen vom 1. August 1924 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 104, 1924, S. 372 f.) — Auszug — ... Bei den Kundgebungen über staatsbürgerliche Pflichten katholischer Christen, die ich gelegentlich einzelner Reichstags- und Landtagswahlen veröffentlicht habe, lag mir ein Dreifaches am Herzen, nämlich 13 14
Siehe oben Anm. 1. I n der Vorlage versehentlich: 5.
IV. Die katholische Kirche und die Sozialdemokratie
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1. aus pflichtmäßiger, rein religiöser Sorge die Gläubigen mit aller Offenheit zu warnen vor Mitlaufen mit Parteien, die den Grundsätzen und Vorschriften der christlichen Religion und unserer katholischen Kirche widerstreiten oder der öffentlichen Ordnung feindlich gegenüberstehen; 2. allen Diözesanen jene markige Mahnung zur Einigkeit i n Erinnerung zu rufen, die in vielbewegter Zeit Fürstbischof Heinrich Förster und an Windthorsts Bahre Kardinal Kopp 1 5 den Diözesanen zugerufen haben; 3. die hochwürdige Geistlichkeit anzuleiten, i m Gotteshause nur die religiösen Angelegenheiten und Pflichten zu erläutern, daher nicht über die i n meinen Mahnungen gegebenen Richtlinien hinauszugehen. Alles das gilt wiederum für die in Oberschlesien bevorstehenden neuen Wahlen; darum erinnere ich an Folgendes. Weil Sozialismus und Kommunismus unvereinbar sind mit fundamentalen Lehren und Grundsätzen unserer Religion, darf und muß zum Schutze des Glaubens und der christlichen Ordnung ihnen mit aller Offenheit und Festigkeit entgegengetreten werden. Kein Katholik darf aus wirtschaftlichen Gründen einer Partei angehören, deren Führer zugleich den K a m p f gegen diese höchsten und heiligsten Interessen betreiben. Was ein Führer sozialistischer Parteien mit den drastischen Worten erklärte: Christentum und Sozialismus verhalten sich wie Wasser und Feuer 1 6 , das ist zutreffend und das gilt auch heute noch, und gilt i n erhöhtem Maße vom Kommunismus. Bewußte Anhänger sozialistischer und kommunistischer Parteien, wenn sie allen Belehrungen sich unzugänglich erweisen, schließen sich selbst von den hl. Sakramenten aus und dürfen zu denselben nicht zugelassen werden. Meine Diözesanen können und müssen von mir verlangen, daß ich die öffentliche Kundmachung dieses Grundsatzes von der Kanzel anordne, wie hiermit geschieht. Ebenso wie Arbeiter, die verbotenen und kirchenfeindlichen Vereinigungen angehören, von den Sakramenten ausgeschlossen sind, sind ausgeschlossen auch Besitzende, Arbeitgeber und andere, wenn sie Vereinigungen angehören, die die Kirche verbietet oder deren Feindlichkeit gegen Religion, Kirche und christliches Sittengesetz erweisbar ist. Handelt es sich u m andere politische Parteien, deren Grundsätze nicht solcher Kirchenfeindlichkeit huldigen, u m Parteien, deren Stellung gegen Christentum und Kirche nicht feindlich ist, so soll das Gotteshaus zur Stellungnahme für oder gegen sie nicht benutzt werden; dem Geistlichen bleibt außerhalb des Gotteshauses Gelegenheit genug für Erklärung seines Vertrauens zu einer genügend bewährten Partei, für Ausübung der jedem Wahlberechtigten zustehenden politischen Rechte und zum Wirken für die dem katholischen Deutschland so notwendige Einigkeit. Wenn wieder der Fall eintritt, daß eine kirchlich geduldete Wahl-Kandidatur so hingestellt wird, als sei sie durch meine Genehmigung unterstützt, so erwarte ich vom hochwürdigen Klerus, daß er solchem Treiben sofort öffentlich entgegentritt, einerlei, u m welche Partei es sich handelt. Die einem Priester gewährte Duldung 15 Heinrich Foerster: Staat und Kirche, Bd. II, S. 100, Anm. 9; Georg Kopp: ebenda S. 822, Anm.14. 16 Siehe oben S. 392, Anm. 4.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
einer Kandidatur oder Erlaubnis zur Annahme ist eine innerkirchliche Angelegenheit; diese tendenziös i n die politischen Wahlkämpfe zu zerren, ist ein Unfug, der nie und nimmer geduldet werden soll. Bestehen bleibt dauernd mein mit ernstester Pönal-Sanktion versehenes Verbot, daß Priester in einer Gemeinde ohne Genehmigung des Ortspfarrers politische Reden halten, weil ich es nicht zulasse, daß in einer Gemeinde Priester gegen Priester auftritt. Ich dehne dieses Verbot als ein für die Personen der Diözesangeistlichen verbindliches Dekret mit derselben Sanktion hiermit aus auf solche Reden auch in Gemeinden außerhalb unserer Diözese. ...
V. Die katholische Kirche und die Ruhrbesetzung Am 6. Februar 1922 trat Papst Pius XI. 1 die Nachfolge Benedikts XV. 2 an. Er setzte den Versuch seines Vorgängers fort, den Grundsatz außenpolitischer Neutralität mit dem Ziel der Versöhnung zwischen den europäischen Nationen zu verknüpfen 3. Diese Bemühungen wurden alsbald auf eine schwere Probe gestellt, als Frankreich und Belgien im Reparationskonflikt mit dem Deutschen Reich zu dem Mittel der Besetzung des Ruhrgebiets griffen 4. Angesichts des in der Ruhrbesetzung liegenden offenkundigen Rechtsbruchs sah sich der Heilige Stuhl alsbald dem Vorwurf ausgesetzt, daß er diesen Einmarsch in fremdes Staatsgebiet schweigend geschehen lasse, während er zu Beginn des Ersten Weltkriegs die deutsche Invasion in Belgien mit klaren Worten verurteilt habe. Das Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Gasparri 5 an Nuntius Pacelli 6 vom 20. Februar 1923 (Nr. 214) antwortete auf diesen Vorhalt in eher ausweichender Form. Der Papst entsandte im Frühjahr 1923 den Möns. Testa 7 als Delegaten in das besetzte Gebiet. Testa bemühte sich um karitative Hilfe sowie um die Freilassung von politischen Gefangenen. Die Reichsregierung sprach dem Papst dafür gegen Ende des Jahres 1923 ihren ausdrücklichen Dank aus (Nr. 219). Der Offene Brief Papst Pius XI. an den Kardinalstaatssekretär vom 27. Juni 1923 (Nr. 215) — also mehr als fünf Monate nach Beginn der Ruhrbesetzung — gab dem Wunsch des Papstes nach einem baldigen Ende der Okkupation deutlichen Ausdruck. Jedoch bewirkten die Sabotagehandlungen gegen die Besatzungsmächte eine neue Wendung der päpstlichen Politik. In scharfer Form forderte der Vatikan am 2. Juli 1923 die deutsche Regierung dazu auf, sich von allen gewaltsamen 1
Pius XI.: oben S. 280, Anm. 13. Benedikt XV.: Staat und Kirche, Bd. III, S. 315, Anm. 9. 3 Siehe K. Repgen, Die Außenpolitik der Päpste, in: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. V n (1979/1985), S. 51 ff. 4 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 271 ff. 5 Pietro Gasparri: Staat und Kirche, Bd. III, S. 493, Anm. 4. 6 Eugenio Pacelli: ebenda S. 858. 7 Gustavo Testa (1886-1969), katholischer Priester; 1920 Sekretär der Apostolischen Nuntiatur i n Wien, 1923 und 1924 päpstl. Delegat i m Rheinland, Ruhr- und Saargebiet und in der Pfalz; 1924 Minutant i m päpstl. Staatssekretariat, 1929 Consigliere an der Apostolischen Nuntiatur beim Quirinal, 1933 päpstl. Delegat für das Saargebiet, 1934 Apostolischer Delegat für Ägypten, Eritrea und Abessinien (Titularerzbischof von Amasea); 1942 an der Kurie, 1948 Apostolischer Delegat i n Jerusalem, 1953 Apostolischer Nuntius in Bern, 1959 Kardinal. 2
V. Die katholische Kirche und die
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Widerstandshandlungen zu distanzieren (Nr. 216, Nr. 217). Reichskanzler Cuno kam dieser Erwartung nach, wies jedoch gleichzeitig darauf hin, daß die Widerstandshandlungen den Charakter der Notwehr trügen (Nr. 218). Im September 1923 sah sich die Regierung Stresemann genötigt, den passiven Widerstand gegen die Ruhrbesetzung für beendet zu erklären 8.
Nr. 214. Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Gasparri an den Päpstlichen Nuntius in München und Berlin Pacelli vom 20. Februar 1923 (Italienischer Text und deutsche Übersetzung: L. Volk, A k t e n Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Bd. I, 1975, S. 297 f.) Von einigen in Rom wohnenden Deutschen wurden manche Klagen vorgebracht über die Haltung des Hl. Stuhles, weil dieser öffentlich gegen den deutschen Einfall in Belgien am Beginn des Weltkriegs protestierte 9 , während er gegen den französisch-belgischen Einmarsch ins Ruhrgebiet nicht protestiert hat. Ew. Exzellenz entgeht gewiß nicht, wie ungerecht solcherlei Klagen sind und wie gefährlich sie angesichts ihrer Unfundiertheit dort sind, wo sie verbreitet werden. Es w i r d daher angezeigt sein, daß Ew. Exzellenz i n der Ihnen am klügsten erscheinenden Form öffentlich erkennen lassen, daß die beiden Fälle völlig verschieden sind. Tatsächlich haben Ew. Exzellenz in guter Erinnerung, daß der deutsche Kanzler selbst erklären mußte, daß der deutsche Einfall i n Belgien gegen das Recht, d. h. gegen die klare Bestimmung der Verträge verstoße. Das aber trifft auf den französisch-belgischen Einmarsch ins Ruhrgebiet nicht zu. Die Franzosen und Belgier erkennen nicht nur nicht auf eine Verletzung des Versailler Vertrags, sondern berufen sich vielmehr auf ihn, u m die Besetzung zu rechtfertigen. Selbst England, obwohl es die Besetzung mißbilligt, hat niemals gesagt, daß diese dem Versailler Vertrag widerspreche; vielmehr hat es das Gegenteil gesagt. Und schließlich läßt sich nicht einmal aus dem Text des Vertrags (Teil VIII, Anhang Π, § 18) klar ableiten, daß die Besetzung vonseiten nur einiger Mächte verboten sei. Daraus folgt, daß beim deutschen Einfall i n Belgien der Hl. Stuhl diesen mit aller Bestimmtheit für vertragswidrig erklären konnte; vom französisch-belgischen Einmarsch ins Ruhrgebiet könnte er das aber mit gleicher Bestimmtheit nicht sagen. Dessen ungeachtet hat der Hl. Vater in seinem Brief an den Kardinalvikar 1 0 nicht verfehlt, in vorsichtigen Wendungen seine Auffassung bezüglich des französisch-belgischen Einmarsches zu erkennen zu geben, was eine freundschaftliche Rückfrage vonseiten des hiesigen französischen Geschäftsträgers auslöste. Ew. Exzellenz möge ihren Eminenzen, den deutschen Kardinälen, von diesem meinem Schreiben Mitteilung machen. 8 Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 335ff; St. A. Stehlin, Weimar and the Vatican 1919-1933 (1983), S. 209ff. 9 Nämlich durch das Schreiben Papst Benedikts XV. an Kardinal Mercier vom 8. Dezember 1914; vgl. Staat und Kirche, Bd. III, S. 496, Anm. 11. 10 Schreiben Pius XI. an den Kardinalvikar von Rom Pompiii vom 31. Januar 1923 (Text: Acta Apostolicae Sedis 15, 1923, S. 97 f.)
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Nr. 215. Offener Brief Papst Pius X I . an den Kardinalstaatssekretär Gasparri vom 27. Juni 192311 (Deutsche Übersetzung: H. Michaelis/E. Schraepler, Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart, Bd. 5, 1960, S. 148f.) Herr Kardinal! Als ich Sie am Anfang meines Pontifikats voll Sorge u m die jetzigen und voll Furcht u m die künftigen Übel in einem für die Ruhe Europas und des Heiles der Menschheit entscheidenden Augenblick beauftragte, den Vertretern an der Konferenz von Genua 12 unsere Gefühle und Wünsche auszudrücken, luden w i r auch zur Überlegung ein, wie sehr sich das Elend und die drohenden Verhältnisse Europas verschlimmern würden, wenn jeder Versuch einer aufrichtigen Versöhnung und dauernden Verständigung mißlingen würde. Nach kaum mehr als einem Jahre braucht nicht gesagt zu werden, wie sehr sich Unsere Befürchtungen bewahrheitet haben. I n dieser kurzen Zeit haben sich die internationalen Beziehungen nicht nur nicht gebessert, wie man nach der Konferenz von Genua erwarten durfte, sondern sie haben sich eher verschlechtert, so daß sie zu neuen ernsten Befürchtungen für die Zukunft Anlaß geben. U m die ernsten und allgemeinen Leiden der Völker zu lindern, müssen Wir jetzt die Gelegenheit benutzen, in irgendeiner Weise zur Versöhnung und Wiedervereinigung der Völker und Menschen in Christo beizutragen: Wenn daher eine Regierung der meistbeteiligten Mächte neue Vorschläge und diplomatische Besprechungen vorbereitet, u m eine freundschaftliche Lösung der Frage zu finden, die das Zentrum Europas und daher unvermeidlich alle anderen Völker beschäftigt, halten wir es für unsere Pflicht, wieder unsere selbstlose und unparteiische, sowie für alle wohlwollende Stimme zu erheben. Eingedenk der ernsten Verantwortung, die i n diesem Augenblick auf uns und jenen lastet, die die Geschicke der Völker i n den Händen haben, beschwören wir daher euch, noch einmal die verschiedenen Fragen und namentlich die Frage der Wiedergutmachungen mit jenem kräftigen Geist zu prüfen, der die Gefühle der Gerechtigkeit mit jenen der sozialen Menschenliebe vereinigt, auf die sich die Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft stützt. Falls der Schuldner zur Tilgung der schweren Schäden seinen festen Willen beweist, zu einer gerechten und endgültigen Verständigung zu gelangen, indem er ein unparteiisches Urteil über die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit anruft und die Verpflichtung übernimmt, den Schiedsrichtern jedes Material der Wahrheit und genauen Kontrolle zur Verfügung zu stellen, erfordern Gerechtigkeit und soziale Menschenliebe ebenso wie das Interesse der Gläubiger und der Völker selbst, daß vom Schuldner nichts verlangt wird, was er nicht geben könne, ohne dadurch seine eigenen Hilfskräfte und seine Leistungsfähigkeit mit nicht wieder gutzumachenden Schäden für ihn und seine Gläubiger zu beeinträchtigen, was die Gefahr sozialer Störungen in sich bergen würde, die ganz Europa in das größte Unglück stürzen und Haß hervorrufen würde, der eine ständige Drohung mit neuen Konflikten werden würde. 11 Der Brief wurde den beim Hl. Stuhl akkreditierten diplomatischen Vertretern übergeben. 12 10. A p r i l bis 19. Mai 1922 (siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 235 ff.).
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Wenn es ebenso gerecht ist, daß die Gläubiger ihren Guthaben entsprechende Garantien für die lebenswichtigen Zahlungen erlangen, müssen sie erwägen, ob es zu diesem Zwecke notwendig ist, auf jeden Fall Gebietsbesetzungen aufrecht zu erhalten, die sowohl der besetzenden Macht als auch den besetzten Gebieten schwere Opfer auferlegen, oder ob es nicht ratsam wäre, sie dann auch allmählich durch andere ebenso wirksame und gewiß nicht so gehässige Sicherungen zu ersetzen. Wenn beiderseits diese friedliche Absicht geteilt w i r d und folglich die Härten der Besetzung ein Ende nehmen und die Besetzung allmählich vermindert wird, bis sie ganz aufhört, so könnte endlich jene aufrichtige Völkerversöhnung erreicht werden, die die unerläßliche Vorbedingung für den von allen ersehnten 13 wirtschaftlichen Wiederaufbau bedeutet. Eine solche Versöhnung und ein solcher Wiederaufbau ist eine derartig große Wohltat für die siegreichen und besiegten Völker, daß kein erforderliches Opfer zu schwer sein sollte, u m sie zu erlangen. Aber weil eben diese Wohltat so großartig ist, muß sie einzig und allein durch die außergewöhnliche Gnade Gottes erlangt werden.
Nr. 216. Depesche des Kardinalstaatssekretärs Gasparri an den päpstlichen Nuntius in Berlin Pacelli vom 2. Juli 1923 (Schultheß, Europäischer Geschichtskalender 1923, S. 340) Während der Heilige Vater mit seinem Schreiben 14 die Mächte zu einer friedlichen Verständigung zu bewegen bestrebt war und alles zu vermeiden anriet, was eine solche Verständigung verhindern könnte, bedauert er tief, von den Sabotageakten i m besetzten Gebiet 15 und von anderen unter dem Vorwand des passiven Widerstandes begangenen Verbrechen zu vernehmen. Der Papst beauftragt Sie, entschieden dahin zu wirken, daß die deutsche Regierung ein für alle Mal einen solchen verbrecherischen Widerstand verurteilt, der vom Heiligen Vater selbst verurteilt wird.
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I n der Vorlage steht versehentlich: „erwähnten". Gemeint ist das Schreiben vom 27. Juni 1923 (oben Nr. 215). 15 Gemeint ist insbesondere der i n der Nacht zum 30. Juni 1923 auf der Rheinbrücke bei Duisburg-Hochfeld unternommene Anschlag auf einen belgischen Militärzug, bei dem neun belgische Soldaten ums Leben kamen. 14
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte im Blickfeld der katholischen Kirche
Nr. 217. Bericht des bayerischen Gesandten am Vatikan, v. Ritter 1 6 an das bayerische Staatsministerium vom 3. Juli 192317 (Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Cuno, bearb. von K.-H. Harbeck, 1968, Nr. 213) Betr.: Sabotage i m Ruhrgebiet Das in meinem gestrigen Bericht Nr. 69 gemeldete Telegramm des KardinalStaatssekretärs an den Msgre. Pacelli, betr. die Verurteilung der Sabotage, wie sie i m Ruhrgebiet von den Deutschen geübt würde 1 8 , ist tatsächlich auf die Vorstellung zurückzuführen, die der französische und belgische Botschafter beim Heiligen Stuhl wegen des Friedensbriefs des Papstes 19 gemacht haben und die besonders dahin gingen, daß die Deutschen durch diesen Brief in ihrem passiven Widerstand und in der VerÜbung von Verbrechen, wie Sabotage-Akte solche seien, bestärkt würden. Dem Eindruck dieser unberechtigten Vorstellungen hat sich der Heilige Stuhl nicht entzogen. Zunächst bat der Kardinal-Staatssekretär den deutschen Botschafter 20 , die Reichsregierung zu bestimmen, daß sie ihr möglichstes tue, u m solche Vorkommnisse zu verhindern. Diese Bitte wäre noch nicht so schlimm gewesen, und daher erklärte sich der Botschafter bereit, i n ihrem Sinne an die Regierung zu berichten. U m so erstaunter war der Botschafter, als i h m kurz darauf der Staatssekretär von dem an Msgre. Pacelli gerichteten Telegramm Kenntnis gab, das an die interessierten Mächte mitgeteilt worden sei. Es scheint somit in der Zwischenzeit ein stärkerer Druck seitens Frankreichs und Belgiens auf den Heiligen Stuhl ausgeübt worden zu sein, damit dieser die i m ursächlichen Zusammenhange mit dem von Deutschland i m Ruhrgebiet geübten passiven Widerstand begangenen Sabotage- und anderen dort verübten Verbrechen verurteile und daraus geschlossen werden könne, daß der Heilige Stuhl den passiven Widerstand überhaupt nicht billige oder wenigstens dessen Einstellung wünsche. Diese letztere Schlußfolgerung zieht auch bereits der franzosenfreundliche Messagero, obwohl er zugeben muß, daß nach dem Wortlaut des Telegramms der Papst den passiven Widerstand nur insoweit zu verurteilen scheine, als er einen verbrecherischen Charakter annahm. Andere Blätter erblicken i n dem Telegramm nur ein Beruhigungsmittel für die durch den päpstlichen Brief gereizte Empfindlichkeit Frankreichs, das sich nun zufrieden geben könnte. Andererseits bestünden aber keine Anhaltspunkte dafür, daß die Deutsche Regierung nicht schon von sich aus solche Verbrechen, die nicht zum passiven Widerstand gehören, verurteilte. Erst gestern berichtete der Corriere d'Italia gleichzeitig mit der Veröffentlichung des Telegramms an Pacelli, daß der Preußische Minister des Innern verbrecherische Sabotagen absolut verurteile. Demnach 16
Otto Frh. v. Ritter zu Groenesteyn: Staat und Kirche, Bd. III, S. 459, Anm. 8. Der Bericht wurde vom Bayerischen Staatsministerium an den bayerischen Gesandten in Berlin, v. Preger weitergegeben, der ihn an Reichskanzler Cuno weiterleitete. Cuno erhielt den Bericht am 7. Juli; aus dem Inhalt ist zu erschließen, daß er am 3. Juli 1923 abgefaßt wurde. 18 Siehe oben Nr. 216. 19 Oben Nr. 215. 20 Botschafter Diego v. Bergen: oben S. 277, Anm. 5. 17
V. Die katholische Kirche und die Ruhrbesetzung
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wäre die dem Nuntius erteilte Weisung eigentlich nur ein Lufthieb. M i t einer dahin lautenden Antwort an Msgre. Pacelli fiele es meines Erachtens nicht schwer, dem Telegramm die gegen Deutschland gerichtete Spitze zu nehmen und überdies dem Heiligen Stuhl zu verstehen zu geben, daß er sich von Frankreich und Belgien habe mißbrauchen lassen. Gleichwohl bleibt es sehr unerfreulich, daß der Heilige Stuhl sich hat bestimmen lassen, Ausschreitungen, die von Deutschen begangen worden sind, öffentlich zu verurteilen, während er zu den von den Franzosen und Belgiern i m Ruhrgebiet verübten Missetaten immer geschwiegen habe. I n Deutschland w i r d das mit Recht einen sehr schlechten Eindruck machen. Diese Behandlungsweise widerspricht auch dem vom Heiligen Stuhl bisher eingenommenen Standpunkt, daß der Papst sich aus Opportunitätsgründen i m Interesse Deutschlands zu einzelnen Vorkommnissen i m besetzten Ruhrgebiet nicht äußern könne. Frankreich und Belgien zuliebe habe er es nun doch getan. Nicht zu verwundern wäre es, wenn die günstige Auswirkung des päpstlichen Briefes i n Deutschland dadurch abgeschwächt würde; andererseits brauchen w i r uns über diesen Peitschenhieb nach Zuckerbrot noch nicht besonders aufzuregen, weil er ein Lufthieb ist. Ganz anders sitzt i m Volke der Hieb, den der Papst in seinem Briefe gegen Frankreich geführt hat. Nichtsdestoweniger hat der deutsche Botschafter, und zwar mit Recht, dem Kardinalstaatssekretär sofort sein persönliches lebhaftes Befremden gegen dieses Vorgehen des Hl. Stuhles gegen Deutschland geäußert, besonders weil er den Duisburger Vorfall 2 1 , obwohl dieser noch gar nicht aufgeklärt ist, zum Anlaß genommen hat, so scharfe Beschuldigungen gegen Deutschland zu richten, während der Kardinal, wenn der Botschafter sich über französische oder belgische frevlerische Taten bei ihm beklagte, immer sich erst genau zu vergewissern suchte, ob tatsächlich ein Verschulden unserer Gegner vorlag, bevor er sich entschloß, bei diesem irgendeine Demarche zu machen. A u f den Kardinal hat der vom Botschafter erhobene Vorwurf sichtlichen Eindruck gemacht, und er beklagte sich darüber, daß er immer, bald von der einen, bald von der anderen Seite Vorwürfe ernte, wenn er sich u m die Wiederversöhnung der Völker bemühe. Ich glaube, daß es eine kluge Taktik wäre, in diesem Falle dem Hl. Stuhl keine Schwierigkeiten zu bereiten, sondern die dem Msgre. Pacelli erteilte Weisung auf die leichte Schulter zu nehmen, da sie offene Türen einstoße. Damit würden w i r auch unsere Gegner entwaffnen, ihnen eine Enttäuschung bereiten und uns der Welt gegenüber in ein günstiges Licht stellen. Der Hl. Stuhl ist schon dadurch gestraft, daß seine Diplomatie diesmal fehlgeschlagen hat.
Nr. 218. Offiziöse Mitteilung über die Besprechungen zwischen Reichskanzler Cuno und dem päpstlichen Nuntius in Berlin, Pacelli am 4./5. Juli 1923 (Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Das Kabinett Cuno, bearb. von K.-H. Harbeck, 1968, S. 633, Anm. 6) Nuntius Pacelli hat i m Auftrage der Kurie die Sabotage-Akte i m besetzten Gebiet zur Sprache gebracht und die Ansichten und Wünsche des Heiligen Stuhles 21
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Siehe oben Anm. 15.
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eingehend dargelegt. I n seiner Erwiderung hat der Reichskanzler daraufhingewiesen, daß es sich u m Vorfälle handelt, die aus der Erregung eines gepeinigten Volkes und als verzweifelte Versuche der Notwehr zu erklären sind. Die Reichsregierung sei jedoch mit dem Heiligen Stuhl darin einig, jede verbrecherische Gewaltanwendung zu verurteilen 2 2 .
Nr. 219. Telegramm des Reichskanzlers Wilhelm Marx an Papst Pius X I . vom Dezember 1923 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 103, 1923, S. 216) Euer Heiligkeit bitte ich namens der deutschen Reichsregierung für die vermittelnde Tätigkeit Ihres Delegaten für das Ruhrgebiet, Monsignore Testa, dem es gelungen ist, die Begnadigung oder die vorzeitige Freilassung von etwa 300 Ausgewiesenen und politischen Gefangenen bei den Besatzungsmächten zu erwirken, wärmsten Dank aussprechen zu dürfen. Das caritative Werk, das die römische Kirche unter Euer Heiligkeit Führung i m besetzten deutschen Gebiete durch diese Vermittlung und auch sonst durch unmittelbare Hilfe für die Notleidenden und Bedrängten vollbringt, ist dem deutschen Volke ein starker Trost in der schweren Heimsuchung, der es in Verfolg des Krieges verfallen ist.
VI. Die katholische Kirche und die nationalen Organisationen Weniger scharf als die Abgrenzung von sozialistischen Organisationen war in der Weimarer Zeit der Widerspruch des Episkopats gegen nationale Vereinigungen. Zwar lehnte die Fuldaer Bischofskonferenz am 19. August 1924 eine Empfehlung für den Jungdeutschen Orden, den Stahlhelm und vergleichbare Verbände 1 ausdrücklich ab (Nr. 220). Doch tat sie dies mit der Begründung, daß die lobenswerten Ziele dieser Organisationen in katholischen Vereinigungen in überzeugender Weise gepflegt würden. Wie im Bereich des Protestantismus 2 so entwickelten sich auch im deutschen Katholizismus Bestrebungen, der weltanschaulichen „Leere" des Weimarer Staats mit nationalen Vorstellungen, insbesondere mit einer Wiederbelebung der „großdeutsch-föderalistischen Reichsidee" entgegenzutreten. Ein frühes Beispiel hierfür 22 Zur gleichen Zeit beauftragte der Hl. Stuhl die päpstlichen Geschäftsträger i n Paris und Brüssel, bei den Regierungen Frankreichs und Belgiens die Erwartung des Papstes vorzutragen, „daß keine Maßregeln getroffen würden, welche die Gemüter mit entsprechenden schmerzlichen Folgen weiter aufbrächten" (Schultheß, Europäischer Geschichtskalender, 1923, S. 340). 1 Vgl. v.a. K. Hornung, Der Jungdeutsche Orden (1958); V.R. Berghahn, Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918-35 (1966); H. Wolf, Die Entstehung des Jungdeutschen Ordens 1918-22 (1970); ders., Der Jungdeutsche Orden 1922-25 (1972); ders., Der Jungdeutsche Orden 1925-28 (1978); A. Kessler, Der Jungdeutsche Orden 1928-30 (2. Aufl. 1975); ders., Der Jungdeutsche Orden 1931-33 (1976). 2 Dazu unten S. 782ff.
VI. Die katholische Kirche und die nationalen Organisationen ist der Gründungsaufruf des Reichs- und Heimatbunds 2. September 1924 (Nr. 221 f.
Deutscher Katholiken
405 vom
Nr. 220. Erklärung der Fuldaer Bischofskonferenz zum Beitritt in verschiedene Organisationen vom 19. August 1924 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 104, 1924, S. 376) Von verschiedenen in neuerer Zeit entstandenen Vereinen und Organisationen ist an den Episkopat das Ersuchen gerichtet, den Eintritt von Katholiken in diese Organisationen für einwandfrei zu erklären. Solches Ersuchen erfolgt aus den Reihen des Jungdeutschen Ordens, des Stahlhelms und mehrerer anderer Organisationen. Die in der Fuldaer Bischofskonferenz vereinigten Oberhirten deutscher Diözesen bemerken gemäß Konferenzbeschluß vom 19. August 1924 dazu folgendes: Es ist keineswegs Sache des Episkopates, zu jeder mit schönen Satzungen entstehenden Vereinigung oder Organisation, deren Entwicklung noch nicht abzusehen ist, eine Erklärung i m obigen Sinne als Empfehlung oder Werbemittel abzugeben. Insbesondere lehnt die Fuldaer Bischofskonferenz es ab, den Eintritt in Organisationen der vorgenannten A r t für einwandfrei zu erklären, hat vielmehr die triftigsten Gründe, die Katholiken aufs dringendste aufzufordern, den katholischen von kirchlicher Autorität approbierten Vereinen beizutreten. Was vorgedachte neue Organisationen an lobenswerten Zielen zu erstreben erklären in vaterländischer Erziehung, Ertüchtigung und sittlicher Schulung der Jugend, bieten schon längst die katholischen Vereine. Es gibt aber auch noch höhere, darüber hinausgehende, für die Jugend unserer Tage überaus bedeutsame Aufgaben.
Nr. 221. Gründungsaufruf des Reichs- und Heimatbunds Deutscher Katholiken vom 2. September 19244 (Allgemeine Rundschau, 21, 1924, S. 791; abgedruckt bei K . Breuning, Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur 19291934, 1969, S.49f.) — Auszug — Die aufbauende Kraft ist i n unserem Vaterlande erlahmt. I m Innern nur noch Zusammenhalt durch künstliche Klammern und Scheindemokratie, nach außen Isolierung und feindseliges Mißtrauen. 3 Siehe K. Breuning, Die Vision des Reiches (1969); R. Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus (1977); J. Aretz, Katholische Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus (1979); K. Gotto/K. Repgen (Hrsg.), Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus (2. Aufl. 1982); G. Clemens, Martin Spahn und der Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik (1983). 4 Zu den Unterzeichnern des Aufrufes gehören u.a. Franz Xaver Hoermann, Franz Xaver Kiefl, Otto Kunze, Wilhelm Maxen, Ernst Michels, Hans Rost, Carl Oskar Frh. v. Soden.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Mitten hineingestellt in die bedeutungsvollste Schicksalswende unseres Volkes fühlen w i r alle die Not der Zeit und ahnen den Durchbruch neuer Gestaltungen. U m die politische, wirtschaftliche und soziale Wiedergesundung des deutschen Volkes anzubahnen, u m das Glück und die Wohlfahrt der kommenden Geschlechter zu sichern, bedürfen w i r eines großen Leitgedankens, insbesondere der Herausarbeitung eines Reichs- und Staats-Ideals, das zugleich christlich und deutsch ist. Nur ein solches macht einig, opferfreudig und stark. Dieses Ideal ist uns die föderalistisch-großdeutsche Idee, die ehedem Gemeingut der deutschen Katholiken war, für die unsere großen heimgegangenen Führer Reichensperger 5 , Mallinckrodt?, Windthorst 7 , Ketteier 8 und so viele andere gestritten und gelitten haben. Nur sie weist uns die natürlichen Formen deutschen Reichsaufbaues, die unserer Weltanschauung, unserer großen Vergangenheit und unserer deutschen Eigenart entsprechen. Nur sie belebt die christlich-deutsche Staatsgesinnung, die das Staatsleben umgestalten kann zur lebendigen, organischen Volksgemeinschaft voll friedlich-starker Kraft. Zur Verwirklichung dieser hehren Ziele ist ... der Reichs- und Heimatbund Deutscher Katholiken ins Leben gerufen worden. Die Grundlagen seiner Bestrebungen sind: 2.
1. katholisch föderalistisch-großdeutsch, 3. überparteilich.
Beiden — Reich und Heimat — w i l l er geben, was ihnen gebührt. Der Föderalismus ist ihm keine Kleinstaaterei, sondern unauflösliche Reichsgemeinschaft und Schicksalsverbundenheit der freien deutschen Stämme. Er erstrebt daher in schärfstem Gegensatz zu jedem Separatismus ein festgefügtes bundesstaatliches Reich, das sich organisch aufbaut auf gleichberechtigten und möglichst gleichwertigen Heimat-Stammesstaaten. Er lehnt alle partikularistischen und unitaristischzentralistischen Bestrebungen ebenso entschieden ab, wie die Hegemonie eines Einzelstaates; denn die Vorherrschaft eines Teiles bedeutet Rechtsminderung für die anderen und schwächt damit deren aufbauende Kraft für das Ganze. Gemeinsam mit den anderen großdeutsch-föderalistischen Organisationen verteidigen w i r den in der Reichsverfassung sichergestellten Grundgedanken einer natürlichen Gliederung des Reiches gegen alle Angriffe machtpolitisch eingestellter Parteiextreme von rechts und links. Bewußt ist für unseren Bund die katholische Grundlage gewählt worden, u m das Verantwortlichkeitsgefühl der deutschen Katholiken für die Mitarbeit am Wiederaufbau des Vaterlandes weltanschaulich zu vertiefen und zu stärken. Zusammenarbeit mit anderen föderalistisch-großdeutschen Bestrebungen ist vorgesehen.
5 Peter und August Reichensperger: Staat und Kirche, Bd. II. S. 69, Anm. 6; S. 790, Anm. 22. 6 Hermann v. Mallinckrodt: ebenda S. 544, Anm. 2. 7 Ludwig Windthorst: ebenda S. 537, Anm. 10. 8 Bischof Wilhelm Emanuel Frh. v. Ketteier: ebenda S. 158, Anm. 5.
VII. Die katholische Arbeitnehmer-Bewegung
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Sammlung ist die Losung des Bundes. Jede Zersplitterung liegt i h m fern, er w i l l keine neue Partei sein, vielmehr mit den bestehenden politischen Parteien der deutschen Katholiken aufrichtig zusammenarbeiten. Katholiken Deutschlands, erkennet das Gebot der Stunde! Begeistert Euch wieder für den Reichsgedanken, an dem Eure Väter mit heißer Sehnsucht gehangen! Das deutsche Vaterland, die deutsche Zukunft ruft Euch! Wollt Ihr ein deutsches Reich, ein Reich der Wahrheit, des Rechtes und der Freiheit, dann schließt Euch zusammen. ...
V I I . Die katholische Arbeitnehmer-Bewegung Die langen Auseinandersetzungen um die Organisation der katholischen Arbeitnehmer hatten bereits vor dem Ersten Weltkrieg ihr Ergebnis darin gefunden, daß katholische Arbeiter zwar einerseits Mitglieder der überkonfessionellen Christlichen Gewerkschaften sein konnten, sich nach dem Willen des deutschen Episkopats aber andererseits in besonderen katholischen Arbeitervereinen organisieren sollten 1. Die Spannung zwischen diesen beiden Arten von Vereinigungen machte sich auch nach 1918 bemerkbar 2. Während der Deutsche Gewerkschaftsbund ein breites, bis zur DNVP reichendes Spektrum politischer Orientierungen in sich vereinigte und nach dem Willen seines Vorsitzenden Adam Stegerwald die Basis für eine christlich-nationale Volkspartei abgeben sollte 3, bemühten sich die Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine um die Entwicklung eines zusammenhängenden christlichsozialen Programms. Nachdem am 10. November 1919 der Konflikt zwischen den west- und süddeutschen Arbeitervereinen, die im Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands eine starke Stellung innehatten, und dem „Sitz Berlindurch eine Vereinbarung überwunden worden war (Nr. 222), beschloß der Kartellverband katholischer Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine Deutschlands am 7. Mai 1921 die programmatischen Leitsätze für die gemeinsame Tätigkeit (Nr. 223). Auf dieser Grundlage wurde der relativ lose Zusammenschluß des Kartellverbands 1927 in einen Reichsverband umgewandelt. An dessen Spitze standen als Verbandspräsides die Prälaten Otto Müller 5 und Carl Walterbach 6 sowie als Verbandsvor-
1
Siehe Staat und Kirche, Bd. III, S. 273 ff. Zur Entwicklung der Christlichen Gewerkschaften nach 1918 siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 1120ff. 3 Vgl. R. Morsey, Die deutsche Zentrumspartei 1917-1923 (1966), S. 360ff. 4 Staat und Kirche, Bd. III, S. 274. 5 Otto Müller (1870-1944), kath. Geistlicher, Doktor der Staatswissenschaften; nach der Priesterweihe 1894 Kaplan in Morsbach und München-Gladbach; 1906 Diözesanpräses der kath. Arbeitervereine der Erzdiözese Köln; 1918 Verbandsvorsitzender der katholischen Arbeitervereine Westdeutschlands, 1927 Präses des Reichsverbands der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine (1922 päpstl. Geheimkämmerer). 6 Carl Walterbach (1870-1952), kath. Geistlicher; 1903-33 Präses des Süddeutschen Verbandes der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnen vereine, 1909-28 Diözesanpräses der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine i n der Erzdiözese München und Freising. 2
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
sitzende Joseph Joos 1 und Rudolf Schwärzet*. Das Schreiben Papst Pius XI. an den Reichsverband vom 9. November 19299 erkannte dessen Grundsätze wie dessen praktische Arbeit ausdrücklich an. Im Jahr 1931 umfaßte der Reichsverband der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine Deutschlands 315 000 Mitglieder 10.
Nr. 222. Vereinbarung zwischen dem Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands und dem Verband der katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin) vom 10. November 1919 (Zentralblatt der christlichen Gewerkschaften, 1919, S. 186) Die gewerkschaftliche Zusammenfassung aller christlichen Arbeiter und Angestellten ist eine gebieterische Notwendigkeit. Von dieser Erwägung ausgehend, hat zwischen einer Vertretung des Vorstandes des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften Deutschlands und einer Vertretung des Vorstandes des Verbandes der katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin) eine Aussprache über die unter den deutschen Katholiken auf gewerkschaftlichem Gebiete obwaltenden Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse stattgefunden. Dabei ergab sich Übereinstimmung in folgender Auffassung: 1. Eine Gewerkschaft, die für katholische Arbeiter geeignet sein soll, muß so beschaffen sein, daß sie als solche ihren Mitgliedern die Möglichkeit bietet, die gewerkschaftliche Tätigkeit auch vom Standpunkte der Religion und Moral zu beurteilen, zu beeinflussen und dementsprechend zu handeln. Insbesondere dürfen 7 Joseph Joos (1878-1965), geb. in Wintzenheim (Elsaß), Tischler; 1901 Redakteur der „Oberelsässischen Landeszeitung", 1903 Redakteur der „Westdeutschen Arbeiterzeitung" in München-Gladbach (1905 Chefredakteur); 1919 MdWeimNatVers., 1920-33 MdR (Zentrum); 1926-32 Vorstandsmitglied des Reichsbanners SchwarzRot-Gold; 1927 Vorsitzender des Reichsverbands der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine; 1928 Vorsitzender der „Katholischen Arbeiterinternationale"; i m März 1933 in der Reichstagsfraktion des Zentrums einer der Gegner der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz; 1938 Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit; 1940-45 Inhaftierung i m „Ausländerlager" Dachau; Entlassung nach Frankreich (seitdem franz. Staatsbürgerschaft); 1949-60 Mitarbeit beim katholischen Männerwerk i n Fulda. 8 Rudolf Schwarzer (1879 -1964), Vorsitzender des Süddeutschen Verbands katholischer Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine Deutschlands. 9 Text: Archiv für kath. Kirchenrecht 110 (1930), S. 672 ff. 10 Vgl. J. Joos, A m Räderwerk der Zeit. Erinnerungen aus der katholisch-sozialen Bewegung und Politik (1950); ders., Die Katholische Arbeitnehmerbewegung in der Geschichte der christlichen Arbeiterbewegung Deutschlands (o. J.); P. Jostock, Die katholisch-soziale Bewegung der letzten hundert Jahre i n Deutschland (1959); ders., Überblick über die Geschichte der Katholischen Arbeiterbewegung in Deutschland, in: Die Neue Ordnung 17 (1963), S. 425ff.; H. S. Scholl, Katholische Arbeiterbewegung in Westeuropa (1966); F. J. Stegmann, Geschichte der sozialen Ideen i m deutschen Katholizismus, in: W. Gottschalch, F. Karrenberg, F. J. Stegmann, Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland (1969), S. 325ff.; W. Klein, H. Ludwig, K-J. Rivinius, Texte zur katholischen Soziallehre II. Dokumente zur Geschichte des Verhältnisses von Kirche und Arbeiterschaft am Beispiel der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (1976); M. Schneider, Die Christlichen Gewerkschaften 1894-1933 (1982), S. 442ff.
VII. Die katholische Arbeitnehmer-Bewegung
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Mitglieder nicht benachteiligt werden, wenn sie auf Grund religiöser Verpflichtungen nach den allgemein maßgebenden kirchlichen Normen Gewerkschaftsmaßnahmen nicht zustimmen können. 2. Gegen die gemeinsame Arbeitseinstellung an sich ist vom Standpunkt der Moral nichts einzuwenden. Sie kann allerdings durch die Absicht, Umstände und Mittel verwerflich werden. Eine Arbeitseinstellung unter Anwendung ungerechter Gewalt ist zu verwerfen. 3. Wir stehen vor einer Neuformung unseres Wirtschaftslebens. Die Schaffung von wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern auf gesetzlicher Grundlage und freien Arbeitsgemeinschaften von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat eine stärkere Bindung unserer Wirtschaft zur Folge, welche die Bildung friedlicher Einrichtungen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse, insbesondere gewerblicher Einigungsämter mit entscheidenden Vollmachten fordert. Diese Forderung w i r d sowohl von den katholischen Arbeitervereinen als auch von den christlichen Gewerkschaften mit Nachdruck vertreten. 4. Die Lösung der den Arbeitervereinen und Gewerkschaften gemeinsamen Aufgaben soll dadurch gefördert werden, daß aus Vertretern beider Organisationen ein Ausschuß gebildet wird. Die beiderseitigen Verbandsvorstände haben diesen Leitsätzen zugestimmt vorbehaltlich der Genehmigung der Vertreterversammlungen ihrer Organisationen.
Nr. 223. Programm der katholischen Arbeiter- und ArbeiterinnenVereine Deutschlands vom 7. Mai 1921 (W. Klein, H. Ludwig,
K.-J. Rivinius, Texte zur katholischen Soziallehre Π/2, 1976, S. 1029ff.) — Auszug —
I n den katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnen-Vereinen haben w i r katholische Arbeiter und Arbeiterinnen uns eine katholische Standesbewegung geschaffen. Als Grundlage für unsere Bestrebungen gilt uns der Glaube an das Ziel und die Verantwortung des Menschen i m Jenseits, an einen persönlichen Gott. Wir bekennen uns zu einer Lebensauffassung, welche die katholische Kirche allen Gläubigen verkündet. Wir bekennen uns zu dem Grundsatze, daß die soziale Frage i n erster Linie eine sittliche und religiöse sei; deshalb bekennen wir uns auch zu jenen Richtlinien, die Papst Leo X I I I . zur Lösung der neuzeitlichen Arbeiterfrage in seinem Rundschreiben Rerum novarum 1 1 gewiesen hat. Wir wollen unsere Auffassung und unsere Grundsätze in allen Verhältnissen des Arbeiterlebens zur Verwirklichung bringen.
11
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 126.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Als Deutsche bekennen wir uns zur Kultur- und Schicksalsgemeinschaft unseres Volkes und wollen unsere Kräfte für die innere und äußere Erneuerung unseres Vaterlandes einsetzen. Wir treten ein für Völker Versöhnung und gemeinsames Zusammenwirken aller Nationen i m Dienste des Rechtes und sittlicher Menschheitszwecke. Wir stehen auf dem Boden des Privateigentums, das in der Natur des aufstrebenden Menschen und i n den Bedürfnissen der Familie und der Gesellschaft unaustilgbar begründet ist. Die Anhäufung zu großer Reichtümer i n den Händen einzelner weniger wurde zum Schaden weiter Volkskreise und gab den Eigentümern eine wirtschaftliche, politische und kulturelle Vormachtstellung, die zur Benachteiligung einzelner und der Allgemeinheit führen muß. Es ist eine Besitzordnung anzustreben, welche die wirtschaftliche Ausnutzung des Eigentums mehr in den Dienst des Gesamtwohls stellt. Ausgehend von diesen Grundgedanken bekennen w i r uns zu folgenden Anschauungen und Forderungen zwecks Regelung der wichtigsten Einzelfragen des Arbeiterlebens. ... Eine Gewerkschaft, die für katholische Arbeiter geeignet sein soll, muß ihren Mitgliedern die Möglichkeit bieten, die gewerkschaftliche Tätigkeit auch vom Standpunkt der Religion und Moral aus zu beurteilen und einzurichten. Für unsere Verhältnisse entsprechen die christlichen Gewerkschaften einer solchen Forderung. Darum erwarten w i r von allen katholischen Arbeitern, daß sie durch Eintritt und Werbung die christlichen Gewerkschaften mit allen Kräften unterstützen. Wir erwarten aber auch von den Gewerkschaften, daß sie ihre katholischen Mitglieder zum Eintritt in die katholischen Arbeitervereine anhalten, welche für die gewerkschaftliche Betätigung Grundsätze und Gesinnung der katholischen Kirche vermitteln. ... Wir betrachten die Berufsstände als einander gleichberechtigte Glieder der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Volksgemeinschaft. Jeder Stand muß die Wahrnehmung seiner Interessen mit den Anforderungen des Gesamtwohls in Einklang bringen. Jeder Stand muß für die Bedürfnisse und Rechte der übrigen Stände und Berufsgruppen wohlwollendes Verständnis haben und das Ziel aller staatlichen und gemeindlichen Politik suchen i m gerechten Ausgleich der Interessen aller Erwerbs- und Volksschichten. Kein Stand darf Sondervorteile wirtschaftlicher und politischer A r t beanspruchen oder gar mit Gewalt erzwingen wollen. Von den politischen Parteien erwarten wir, daß das Gesamtwohl des Volkes Ziel und Richtschnur ihrer gesamten Tätigkeit ist. Wir werden uns nur solchen Parteien, deren Grundsätze und deren Wirken unseren Anschauungen über staatsbürgerliche Betätigung am meisten Rechnung tragen, anschließen; insbesondere muß unsere Partei kraftvoll dafür eintreten, daß die staatliche Ordnung auch den religiösen Anschauungen der Katholiken gerecht werde und ein freies Wirken der Kirche i m Volke ermögliche. ... Durch Gründung von katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnen-Vereinen haben wir eigene katholische Standesvereine gebildet, u m unter Leitung von geistlichen Präsides und selbstgewählten Vorständen das religiöse Leben unter den katholischen Arbeitern und Arbeiterinnen zu pflegen. I n diesen Vereinen werden die Belehrung über die Glaubenswahrheiten und die Anleitung zu ihrer praktischen
VIII. Stellungnahmen des deutschen Episkopats
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Ausübung den Bedürfnissen des Arbeiterstandes angepaßt. Auch wollen w i r durch unsere Vereine den Mitgliedern unseres Standes die Möglichkeit geben, auf den verschiedenen Gebieten des kirchlichen Gemeindelebens erfolgreich mitzuwirken. Vor allem aber wollen w i r auch durch unsere katholischen Standesvereine vor aller Öffentlichkeit ein Bekenntnis der Treue zu Glaube und Kirche ablegen und durch gemeinsame Betätigung der Religion dem Einzelnen Anregung und Kraft geben, i m Geiste der Kirche zu leben. ...
V I I I . Stellungnahmen des deutschen Episkopats zu den wirtschaftlichen Auseinandersetzungen Die Stellungnahmen des deutschen Episkopats zu den aktuellen wirtschaftlichen Konflikten waren durch das Bestreben bestimmt, die einzelnen Streitfragen an den Grundsätzen der katholischen Soziallehre zu messen, die insbesondere durch die Enzyklika Leos XIII. „Rerum novarum" 1 entwickelt worden waren. Dabei traten die Aufgabe des Gemeinwohls und die Grundsätze der Gerechtigkeit als bestimmend in den Vordergrund. Nach der großen Inflationskrise des Jahres 1923 und den beginnenden Erfolgen der Stabilisierungspolitik? verstärkte sich auch im Bereich der katholischen Arbeiterschaft die Forderung, daß nun die wirtschaftliche Stellung der Arbeitnehmer einschneidend zu verbessern sei. Der deutsche Episkopat antwortete darauf mit einer grundsätzlichen Stellungnahme vom August 1924 (Nr. 224). Die Äußerung der Bischöfe war von dem Gedanken bestimmt, daß alle wirtschaftlichen Stände ihre Ansprüche am Gemeinwohl zu messen haben. Die hohe Bedeutung, die innerhalb der katholischen Soziallehre dem Begriff des Privateigentums zukam, zeigte sich deutlich in der Stellungnahme der Fuldaer und Freisinger Bischof skonferenz zum Problem der Fürstenenteignung* vom 1. Juni 1926 (Nr. 225). Nachdem im Rahmen des Volksbegehrens vom März 1926 auch eine erhebliche Zahl katholischer Stimmberechtigter das Verlangen nach entschädigungsloser Enteignung der deutschen Fürstenhäuser unterstützt hatte, traten die Bischöfe unmittelbar vor der Abstimmung über den Volksentscheid mit großem Nachdruck dafür ein, daß allein eine zum Vermögensausgleich führende Fürstenabfindung mit den für alle Katholiken verpflichtenden Grundsätzen vereinbar sei.
Nr. 224. Mahnung der Fuldaer Bischofskonferenz zum Arbeitskampf vom August 1924 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 104, 1924, S. 374f.) Unter den verschiedenen Anregungen, die an die diesjährige Fuldaer Bischofskonferenz gelangt sind, nahmen eine besonders beachtliche Stellung ein die Klagen zahlreicher Kreise der Arbeiterbevölkerung über Mangel an Berücksichtigung 1 2 3
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 126. Dazu insbesondere Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 356ff., S. 422if. Ebenda S. 577ff., S. 590ff.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
gerechter Anforderungen der Arbeiter an manche Gruppen von Arbeitgebern. Die Bischofskonferenz mußte diesen Klagen, deren Berechtigung allerdings nicht die gleiche in den verschiedenen Gegenden ist, aufmerksame Beachtung widmen, sowohl wegen ihrer Bedeutung für die Arbeiter, als auch wegen ihrer Wirkung auf das gegenseitige Verhältnis der Stände, und ist zu einer Stellungnahme gelangt, die i n folgendem ihren Ausdruck finden möge. Angesichts der übergroßen Not, mit der Reich, Staat und Volkswirtschaft in Deutschland zurzeit und noch auf Jahre hinaus zu ringen haben, ist es Pflicht aller Stände, sowohl die Arbeitskräfte zu tunlichst großer Leistung anzuspannen, wie auch in Einfachheit und Genügsamkeit dem zeitigen Notstande Rechnung zu tragen und in weitblickender Liebe werktätig der Not der Mitmenschen nach bestem Können abzuhelfen. Das sind Mahnungen, die die katholische Kirche nicht nur an die Arbeiter richtet, sondern ebenso eindringlich an die Arbeitgeber; nicht nur an die ärmeren Klassen, sondern ebenso an die Besitzenden. Es gibt keine verschiedene Moral für die verschiedenen Stände. Die gleichen sittlichen Gesetze und sozialen Pflichten obliegen allen. Nichts w i r k t in solchen kritischen Zeiten verderblicher als Beispiele von Luxus, Verschwendung und Genußsucht, einerlei ob sie von zahlreichen oder nur von einzelnen gegeben werden, einerlei ob ein Reicher große Summen oder ein jugendlicher Arbeiter den Wochenlohn der Genußsucht opfert. Solches Treiben untergräbt die Volkskraft und das Volksgewissen und w i r k t verbitternd auf jene Hunderttausende und Aberhunderttausende, die durch das Unheil des letzten Jahrzehntes ohne ihr Verschulden vollständig verarmt sind. Ein solches Treiben führt daher von selbst zu verhängnisvoller Entzweiung der Schichten des Volkes. Diese Entzweiung w i r d noch bedrohlicher, wenn Herzlosigkeit i m Verhältnis von Arbeitgebern und darbenden Arbeitern herrscht. Gewiß ist es Pflicht der Kirche, die Arbeiter anzuhalten zu tüchtiger Arbeitsleistung und Vertragstreue, einerlei ob es gern oder ungern gehört wird, sie zu warnen vor aufrührerischem Treiben gewissenloser Hetzer und Agenten umsturzlustiger Parteien, sie zurückzuhalten von Gesellschaften, die mit unerfüllbaren Versprechungen wirtschaftlicher Vorteile anlocken, u m zugleich den Kampf gegen Christus und seine Kirche, gegen die Grundgesetze unserer Religion zu betreiben. Aber die Kirche wendet sich nicht einseitig nur an die Arbeiter. Sie beschränkt sich nicht darauf, diese vor übertriebenen und unerfüllbaren Forderungen zu warnen oder Berücksichtigung der Schwierigkeiten in der Lage vieler Betriebe von ihnen zu verlangen. M i t derselben Offenheit warnt sie die Arbeitgeber vor egoistischen und materialistischen Grundsätzen i m Wirtschaftsleben, ruft ihnen ins Gewissen die Pflicht gerechter und wohlwollender Lohn- und Arbeitsbemessung, warnt vor jeder ungerechten Ausnützung der Notlage der Arbeiter und erinnert an die Pflicht, ein Herz zu haben für die Lage der Arbeiter und ihrer Familien. Zur starren Gerechtigkeit muß die rücksichtsvolle Liebe hinzutreten: so lautete vor kurzem die Mahnung des Nachfolgers Petri an die Machthaber hinsichtlich der Völker Verträge. Gleiches gilt für Arbeitsverträge. Das ist soziale Gesinnung i m Geiste unserer heiligen Kirche. Die Mahnungen der Kirche sind keineswegs fruchtlos geblieben. Ehrende Anerkennung sei allen den Arbeitgebern gezollt, die das Los der Arbeiter und ihrer Familien, das sittliche und wirtschaftliche Wohl derselben nach bestem Können zu heben bestrebt waren.
VIII. Stellungnahmen des deutschen Episkopats
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Wenn es nun auch nicht Sache der einzelnen Bischöfe ist, in den einzelnen Fällen zu untersuchen, inwieweit die industriellen Werke bei ihrer wirtschaftlichen Lage den Forderungen der Arbeiter entgegenzukommen vermögen, so ist und bleibt es doch Pflicht der Kirche, die Arbeitgeber zu mahnen, die i m Obigen angedeuteten Grundsätze als Richtlinien bei ihrer Stellungnahme zu befolgen, soweit es mit der Erhaltung der Lebensfähigkeit ihrer Betriebe vereinbar ist. Wenn das geschieht, und wenn das die Arbeiter erkennen, dann w i r d ganz von selbst ein gesunderes Verhältnis der Stände zu einander angebahnt. Damit w i r d dem Volkswohl der beste Dienst erwiesen. Ohne Befolgung dieser Richtlinien kein wahres Christentum. Und ohne Opferleben i m Dienste Gottes und der Menschheit keine Rettung aus den Nöten unserer Zeit; das gilt für Arbeitgeber und Arbeiter in gleicher Weise. Die Not der Zeit entspringt nicht nur materiellen Mißständen, sondern ist in weit höherem Grade eine seelische Not. Daher darf die Kirche nicht müde werden, Lehre und Beispiel unseres Erlösers allen Ständen ohne Ausnahme als Leitstern vor Augen zu stellen. I m Lichte dieser Grundsätze zum Dienen und Opfern für die Gesamtheit anzuleiten, ist Aufgabe der Diener der Kirche als mutiger Verkünder der Lehren der Bergpredigt, ist Aufgabe der katholischen Vereine und der christlichen Organisationen. Nicht mit fruchtloser K r i t i k w i r d Hilfe geschaffen, sondern jeder wirke an seiner Stelle i m Geiste dieser christlichen Grundsätze in Tat und Beispiel: das ist beste Mitarbeit am Wiederaufbau unseres Volkstums unter M i t w i r k u n g der christlichen Caritas, die in diesen Jahren der Not bewiesen hat, daß sie die Zeichen der Zeit versteht.
Nr. 225. Erklärung der Fuldaer und der Freisinger Bischofskonferenz zur Beurteilung einer Fürstenenteignung vom 1. Juni 1926 (Amtsblatt der Erzdiözese München-Freising, 1926, S. 103f.; L . Volk (Hrsg.), A k t e n Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Bd. I, 1975, S. 389f.) — Auszug — Die katastrophalen Folgen des unglücklichen Weltkrieges, die Vernichtung zahlloser Existenzen infolge des wirtschaftlichen Niedergangs, der Geldentwertung und der Arbeitslosigkeit, damit verbunden eine tiefe Verbitterung Notleidender gegen Bessergestellte und gegen den vermeintlichen oder wirklichen Urheber verhängnisvoller Maßnahmen, die sich kundgibt i m Aufschrei von Millionen nach einem besseren sozialen Ausgleich: alles das hat i n weitesten Kreisen zu einer Auffassung vom persönlichen Eigentum geführt, die mit den Grundsätzen des christlichen Sittengesetzes nicht vereinbar ist. Demgegenüber muß bei allem Mitgefühl für die Not des Volkes und bei allem Verständnis für die Volksstimmung doch mit Offenheit erklärt werden, daß die Grundsätze des Eigentumsrechtes, die in der natürlichen sittlichen Ordnung begründet und durch Gottesgebot geschützt sind, auch in solchen Zeiten tiefgehender Verwirrung und Aufregung unverändert in Geltung bleiben und stürmische Zeiten überdauern müssen als Grundlage gesunder Ordnung im privaten Familien- und Gemeinschaftsleben. ...
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Dabei ist die Haltung der kirchlichen Autorität keineswegs eine einseitige zugunsten der Besitzenden. M i t gleicher Entschiedenheit hat die Kirche stets von neuem Besitzende und Arbeitgeber gemahnt, die großen und heiligen Pflichten der Gerechtigkeit, Liebe und sozialen Fürsorge gegen Notleidende, Besitzlose, gegen Arbeitnehmer und ihre Familien zu erfüllen. Diese Mahnung hat die Kirche auch dann erhoben, wenn man ihr eine einseitige Stellungnahme zugunsten der arbeitenden Klassen vorwerfen zu dürfen glaubte. I n derselben Richtung bewegt sich die öffentliche Mahnung, die der Episkopat an den Gesetzgeber richtete, als bei den Verhandlungen über die Aufwertungsfrage Maßnahmen auftauchten, die nicht genügend Rücksicht nahmen auf den Grundsatz von Treu und Glauben, auf Verarmte und ihre Familien 4 . A u f diesem Standpunkte beharrend, erachten die in der Fuldaer und der Freisinger Bischofskonferenz vereinigten Oberhirten den Zeitpunkt für gekommen, der Verwirrung sittlicher Grundsätze entgegenzutreten, die aus Anlaß der Frage der Fürstenabfindung leider i n weitesten Kreisen Boden gefunden hat und durch maßlose Agitation immer mehr gesteigert wird. Wer Gerechtigkeit für jeden fordert, darf sie den Fürstenhäusern nicht verweigern. Es ist nun allerdings nicht Sache der bischöflichen Autorität, in den Einzelfallen zu entscheiden, welche Stücke seitherigen fürstlichen Besitzes nach ihrer Herkunft und ihrem rechtlichen Charakter als Privateigentum und welche als Staatseigentum anzusprechen sind. Es ist auch nicht Sache der bischöflichen Autorität, in jedem Einzelfalle abzumessen, inwieweit die Rücksicht auf die wirtschaftliche Bedrängnis und die kulturellen Bedürfnisse des Volkes ein besonderes Entgegenkommen seitens der Fürstenhäuser i m Ausmaß ihrer Forderungen verlangt: ein Entgegenkommen, das unbestreitbar i n dieser Zeit allgemeiner Not auch zahllosen anderen Besitzenden als ernste Pflicht obliegt. Aber dagegen erheben die Bischöfe ihre Stimme, daß einem Fürstenhause jene Rechte abgesprochen werden, die jedem Menschen, jedem Staatsbürger und jeder Familie zustehen —jene Rechte, die durch das Sittengesetz geschützt sind und die auch in der Verfassung Anerkennung gefunden haben. Eine rechtswidrige Vergewaltigung würde erfolgen, wenn eine unzulässige und ungerechte Enteignung durchgeführt würde. So ist als unzulässig eine Enteignung zu bezeichnen, die und soweit sie ohne Not, ohne gerechte zwingende Gründe erfolgt. Ungerecht würde es sein, wenn sie ohne solche Entschädigung erfolgen würde, die als angemessen zu betrachten ist unter Berücksichtigung des wirklichen Wertes einerseits und der Verhältnisse des i n schwerer Krise befindlichen Volkswohles andererseits. A n den hierfür geltenden Grundsätzen des natürlichen und christlichen Sittengesetzes findet die Zuständigkeit aller irdischen Autorität und alles Volkswillens eine unverletzbare Schranke. Wer immer diese Schranke überschreitet, macht sich, er mag es beabsichtigen oder nicht, mitschuldig an den Folgen, die ein solches Vorgehen i n seiner Auswirkung für alle Zukunft nach sich ziehen müßte in Untergrabung der sittlichen und wirtschaftlichen Ordnung i m Volksleben. 4 Vgl. insbesondere die Richtlinien des deutschen Episkopats zum Verhältnis von Aufwertungsfrage und Moral vom Januar 1926 (Text: Archiv für katholisches Kirchenrecht 106, 1926, S. 305ff.).
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage
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Unsere Diözesanen erwarten mit Recht, daß die Oberhirten warnend und mahnend mit aller Offenheit erklären, daß die Vergewaltigung der Rechte der Fürstenhäuser ebenso wie die Vergewaltigung der Rechte anderer unvereinbar ist mit den Grundsätzen des christlichen Sittengesetzes.
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage Papst Pius XI. benutzte das vierzigjährige Gedächtnis der epochemachenden Sozialenzyklika „Rerum novarum" von 18911 nicht nur dazu, an die Aussagen Leos XIII. zur Arbeiterfrage zu erinnern. Vielmehr verknüpfte er in seiner Sozialenzyklika „Quadragesimo anno" diesen Rückblick mit einer erweiterten Fragestellung. Damit wurde die gesellschaftliche Ordnung im Ganzen zum Thema der päpstlichen Soziallehre. Pius XI. wie seinen Beratern — unter ihnen vor allem Oswald von NellBreuning 2 und Gustav Gundlach 3 — schwebte eine „klassenfreie" Gesellschaftsordnung vor, die sie unter dem mißverständlichen Begriff einer „berufsständischen Ordnung" darstellten. Personalität, Solidarität und Subsidiarität stehen in der Enzyklika „Quadragesimo anno" (Nr. 226) als leitende Prinzipien im Vordergrund. Auf dieser Grundlage erteilte sie den Auswüchsen des Kapitalismus wie allen Spielarten des Sozialismus und Kommunismus eine Absage
1
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 126. Oswald von Nell-Breuning (geboren 1890), seit 1911 Mitglied der Societas Jesu, nach Studien in Kiel, München, Straßburg und Münster seit 1928 Professor der Ethik und Moral sowie der christlichen Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften an der philos.-theol. Hochschule St. Georgen in Frankfurt. Seit den zwanziger Jahren einer der führenden Vertreter der katholischen Soziallehre; seit 1930 mit den Vorarbeiten für die Enzyklika „Quadragesimo anno" beauftragt, die er seit ihrem Erscheinen vielfach kommentierte, zuerst in: Die soziale Enzyklika (1932). 3 Gustav Gundlach (1892-1963), zunächst Studium der Philosophie, dann seit 1912 Mitglied der Societas Jesu; nach dem Studium von Philosophie und Theologie seit 1924 Studium der Nationalökonomie; 1929 Professor für Sozialethik und Soziologie an der philos.-theol. Hochschule St. Georgen i n Frankfurt; wie Nell-Breuning seit 1930 Mitglied des „Königswinterer Kreises"; Berater Neil-Breunings bei den Vorarbeiten für die Enzyklika „Quadragesimo anno"; seit 1935 Professor für Sozialethik an der Gregoriana i n Rom; dort maßgeblich an der Entwicklung der päpstlichen Soziallehre unter Pius XII. beteiligt; 1962-63 Leiter der neu gegründeten Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle i n Mönchengladbach. 4 Siehe auch P. Jostock, Die sozialen Rundschreiben (3. Aufl. 1961); Texte zur katholischen Soziallehre, hrsg. vom Bundesvorstand der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung, mit einer Einführung von O. v. Nell-Breuning (4. Aufl. 1977); O. v. Nell-Breuning, Soziallehre der Kirche (1977); St. H. PfürtnerjW. Heierle, Einführung in die katholische Soziallehre (1980). 2
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Nr. 226. Enzyklika Papst Pius X I . „Quadragesimo anno" über die soziale Frage vom 15. Mai 1931 (Lateinischer Text: Acta Apostolicae Sedis 23, 1931, S. 177ff.; autorisierte deutsche Übersetzung: Archiv für katholisches Kirchenrecht, 111, 1931, S. 525 ff.) — Auszug 5 — Ehrwürdige Brüder, geliebte Söhne! Gruß und Apostolischer Segen! 1. Vierzig Jahre sind verflossen, seit Unser Vorgänger seligen Angedenkens Leo X I I I . sein herrliches Rundschreiben Rerum no varum ergehen ließ. In dankbarer Freude ergreift der ganze katholische Erdkreis diesen Anlaß, u m das Gedenken verdientermaßen feierlich zu begehen. 2. Als Wegbereiter dieser einzigartigen Urkunde oberster Hirtensorge waren schon andere Rundschreiben Unseres Vorgängers vorausgegangen: ... Das Rundschreiben Rerum Novarum aber zeichnete sich dadurch vor allen übrigen aus, daß es die sichere Richtschnur zur glücklichen Lösung jener dornenvollen Frage u m die menschliche Gesellschaft, die als soziale Frage bekannt ist, gerade i n dem Augenblicke der Menschheit darbot, da es am meisten gelegen kam, ja sogar dringendst not tat. Veranlassung 3. Gegen die Neige des 19. Jahrhunderts hatten ja die neue Wirtschaftsweise und die Industrialisierung bei einer ganzen Reihe von Völkern mehr und mehr zu einer Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen geführt: die eine Klasse, nur gering an Zahl, genoß fast allein alle die Annehmlichkeiten, welche die neuzeitlichen Erfindungen so reichlich zu bieten vermochten; die andere Klasse dagegen, die ungeheure Masse der Arbeiterschaft umfassend, litt unter dem Druck jammervoller Not, ohne sich trotz angestrengtesten Bemühens aus ihrer kläglichen Lage befreien zu können. 4. M i t dieser Lage der Dinge fanden sich jene leicht genug ab, die selber i m Reichtum schwimmend in ihr einfach das Ergebnis naturnotwendiger Wirtschaftsgesetze erblickten und folgerecht alle Sorge u m eine Linderung der Elendszustände einzig der Nächstenliebe zuweisen wollten — gerade als ob es Sache der Nächstenliebe wäre, die von der Gesetzgebung nur allzuoft geduldete, manchmal sogar gutgeheißene Verletzung der Gerechtigkeit mit ihrem Mantel zuzudecken. Knirschend dagegen ertrug die Arbeiterschaft diesen Stand der Dinge, unter dem ihr ein so hartes Los zufiel, und bäumte sich auf gegen ein so unerträgliches Joch. Unter dem Einfluß der Verhetzung erstrebte der eine Teil der Arbeiterschaft den völligen Umsturz der menschlichen Gesellschaft; aber auch bei dem anderen Teil, der durch seine gediegene christliche Durchbildung gegen solche Verirrungen gefeit war, 5 Die Übersetzung, die von O. von Nell-Breuning stammt, wurde zwar nicht amtlich approbiert, stellt aber den autorisierten deutschen Text dar. Die Abschnittnumerierung, nach der „Quadragesimo anno" i n der Regel zitiert wird, fehlt in der ursprünglichen lateinischen wie deutschen Fassung; sie stammt von G. Gundlach.
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage
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festigte sich die Überzeugung, daß ein tiefgreifender Wandel dringend und schleunig geboten sei. 5. Ganz gleich dachten nicht wenige jener katholischen Männer, Geistliche und Laien, die von bewundernswürdiger Nächstenliebe getrieben, schon lange der unverdienten Notlage des Proletariats abzuhelfen sich mühten. Auch sie vermochten sich nicht einzureden, daß eine so ungeheuerliche und so unbillige Ungleichheit in der Verteilung der zeitlichen Güter den Absichten des allweisen Schöpfers entsprechen sollte. 6. Sie alle suchten aufrichtig und ehrlich nach einem wirksamen Heilmittel für die jammervolle Störung der allgemeinen Ordnung sowie nach vorbeugenden Maßnahmen, u m wenigstens eine noch ärgere Verschlimmerung hintanhalten zu können. Indes — so armselig ist nun einmal der Geistesflug selbst hochstrebender Menschen, — von den einen erfuhren sie als gefährliche Neuerer scharfe Ablehnung, von der andern Seite fielen ihnen Mitarbeiter am gleichen edlen Werk, deren Ansichten und Pläne aber in anderer Richtung gingen, hindernd in den A r m , so daß sie in dem Widerstreit der Meinungen schließlich nicht mehr wußten, welchen Weg sie einschlagen sollten. 7. I n diesem geistigen Ringen nun, da der Meinungsstreit hin und her tobte und gelegentlich zu großer Schärfe aufflammte, richteten sich wie so oft zuvor aller Augen auf Petri Stuhl, auf diesen ehrwürdigen Hort der Wahrheit, von dem Worte des Heiles in die ganze Welt ausgehen. Ja, zu den Füßen des Stellvertreters Christi auf Erden strömten in nie gekannter Zahl führende Männer der Sozialwissenschaften, Arbeitgeber und schließlich Arbeiter zusammen; alle miteinander hatten das eine Anliegen, endlich den sicheren Weg gewiesen zu werden. 8. Reiflich erwog der Papst in seiner hohen Klugheit die Dinge mit sich allein und vor Gott; die erfahrensten Berater wurden zugezogen; nach allen Seiten ward jegliches ernst überdacht. A m Ende stand sein Entschluß fest: i m Bewußtsein der heiligen Pflicht seines Apostolischen Amtes 6 , u m durch längeres Schweigen auch nicht den Schein der Pflichtversäumnis auf sich zu laden 7 , w i r d er zur Kirche Christi, zur Menschheit sprechen, seines von Gott aufgetragenen Lehramtes walten. 9. So erhob denn der Papst am 15. Mai 1891 seine lang erwartete Stimme. Von der Schwierigkeit der Aufgabe nicht erschreckt, vom Alter nicht gebeugt, nein, i n hochaufgereckter Kraft wies er das Menschengeschlecht zur Lösung der sozialen Fragen neue Bahnen. Gegenstand 10. Ihr alle, Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, seid wohlvertraut mit jener bewunderungswürdigen Lehre, die der unvergängliche Ruhm des Rundschreibens Rerum novarum ist. 8 ... 6
Rundschreiben Rerum novarum, n. 1. Vgl. Rundschreiben Rerum novarum, n. 13. 8 Es folgt eine inhaltliche Zusammenfassung wichtiger Aussagen von „Rerum novarum" sowie der Reaktion auf die Enzyklika. — I m Folgenden werden die Zitate und Referate aus „Rerum novarum" aus Raumgründen weitgehend ausgelassen. 7
27 Huber
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte im Blickfeld der katholischen Kirche Inhalt und Zweck des vorliegenden Schreibens
15. Die Vierzigjahrfeier des päpstlichen Rundschreibens, die allerorts und i n allen Kreisen, besonders aber von den aus der ganzen Welt nach dieser heiligen Stadt zur Feier zusammenströmenden katholischen Arbeitern mit großer Begeisterung begangen wird, bietet Uns erwünschten Anlaß, das Wort zu ergreifen. Wir wollen die segensreichen Früchte des Leoninischen Rundschreibens für die Katholische Kirche wie für die ganze menschliche Gesellschaft rückblickend überschauen (I), alsdann des großen Meisters Gesellschafts- und Wirtschaftslehre gegenüber gewissen Erörterungen, die sich daran geknüpft haben, zweifelsfrei klar stellen sowie i n einigen Stücken ihre Ansätze weiter entfalten (II), endlich mit der Wirtschaft von heute ins Gericht gehen und über den Sozialismus das Urteil sprechen, u m die wahre Ursache der gegenwärtigen Störung der gesellschaftlichen Ordnung aufzudecken und damit zugleich den einzigen Weg zur Heilung aufzuzeigen, nämlich die sittliche Erneuerung aus christlichem Geiste (III). Damit haben Wir die drei Hauptteile dieses Unseres Rundschreibens bezeichnet. I. Die segensreichen Wirkungen
II. Die Gesellschafts- und Wirtschaftslehre die heutige Lage Machtvollkommenheit
von „Rerum
novarum"
Leos XIII., dargelegt, erklärt angewandt
und auf
der Kirche über Gesellschaft und Wirtschaft
41. A n die Spitze Unserer Ausführungen setzen w i r den von Leo Χ Π Ι . schon in helles Licht gestellten Satz: nach Recht und Pflicht walten Wir kraft Unserer höchsten Autorität des Richteramts über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen 9 . Gewiß ward der Kirche nicht die Aufgabe, die Menschen zu einem bloß vergänglichen und hinfälligen Glück zu führen, sondern zur ewigen Glückseligkeit. Ja, „die Kirche würde es sich als einen Übergriff anrechnen, grundlos in diese irdischen Angelegenheiten sich einzumischen" 10 . Aber unmöglich kann die Kirche des von Gott ihr übertragenen Amtes sich begeben, ihre Autorität geltend zu machen, nicht zwar i n Fragen technischer Art, wofür sie weder über die geeigneten Mittel verfügt noch eine Sendung erhalten hat, wohl aber i n allem, was auf das Sittengesetz Bezug hat. Die von Gott uns anvertraute Hinterlage der Wahrheit und das von Gott uns aufgetragene heilige A m t , das Sittengesetz in seinem ganzen Umfang zu verkünden, zu erklären und — ob erwünscht, ob unerwünscht — auf seine Befolgung zu dringen, unterwerfen nach dieser Seite hin wie den gesellschaftlichen, so den wirtschaftlichen Bereich vorbehaltlos Unserm höchstrichterlichen Urteil. 42. I n der Tat, wenngleich Wirtschaft und Sittlichkeit jede in ihrem Bereich eigenständig sind, so geht es doch fehl, die Bereiche des Wirtschaftlichen und des Sittlichen derart auseinanderzureißen, daß jener außer alle Abhängigkeit von diesem tritt. Die sogenannten Wirtschaftsgesetze, aus dem Wesen der Sachgüter wie aus dem Geist-Leib-Wesen des Menschen erfließend, besagen nur etwas über 9 10
Vgl. Rerum novarum, n. 13. Rundschreiben Ubi arcano, 23. Dezember 1922.
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage
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das Verhältnis von Mittel und Zweck und zeigen so, welche Zielsetzungen auf wirtschaftlichem Gebiet möglich, welche nicht möglich sind. Aus der gleichen Sachgüterwelt sowie der Individual- und Sozial-Natur des Menschen entnimmt sodann die menschliche Vernunft mit voller Bestimmtheit das von Gott, dem Schöpfer, der Wirtschaft als Ganzem vorgesteckte Ziel. 43. Anders das Sittengesetz. I h m allein eignet verpflichtende Kraft, mit der es unsern Willen bindet, wie i n all unserm Tun und Lassen die Richtung auf unser höchstes und letztes Ziel, so i n den verschiedenen Sachbereichen die Ausrichtung auf die jedem einzelnen von ihnen vom Schöpfer erkennbar vorgesteckten Ziele und damit zugleich die rechte Stufenordnung der Ziele bis zum höchsten und letzten allzeit innezuhalten. Wir brauchen nur diesem Gesetz zu gehorsamen, u m alle Einzelziele wirtschaftlicher Art, Sozial- und Individual-Ziele, in die große Gesamtordnung der Ziele sich einreihen zu sehen, womit sie für uns ebensoviele Stufen werden, auf denen w i r hinaufsteigen bis zum letzten Ziel und Ende aller Dinge, zu Gott, dem höchsten, unendlichen Gut. 1. Eigentum 44. U m zum einzelnen überzugehen, so beginnen Wir mit dem Eigentum bzw. dem Eigentumsrecht. Es ist Euch erinnerlich, Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, wie Leo X I I I . sei. Angedenkens gegen den damaligen Sozialismus das Eigentum unerschrocken verteidigte, indem er dartat, wie die Abschaffung des Sondereigentums, statt der Arbeiterschaft zu nützen, ihr größtes Unglück sein würde. Da nichtsdestoweniger einige—gewiß sehr zu Unrecht! — Papst und Kirche verleumderisch der Begünstigung der besitzenden Kreise zum Nachteil der Enterbten bezichtigten, da ferner auch unter Katholiken einige Zweifel über die wirkliche und lautere Lehre Leo's X I I I . entstanden sind, so erachten Wir es für angezeigt, die Lehre des Papstes, die keine andere als die der Kirche ist, gegen solche Verleumdung i n Schutz zu nehmen und gegenüber irriger Auslegung klarzustellen. Individual-
und Sozial-Natur
45. Zunächst muß allem Streit entrückt sein: weder Leo noch die unter Leitung des kirchlichen Lehramtes wirkenden Theologen haben jemals die Doppelseitigkeit des Eigentums, d. i. seine individuelle und seine soziale, seine dem Einzelwohl und seine dem Gesamtwohl zugeordnete Seite verkannt oder in Zweifel gezogen. I m Gegenteil: einmütig lehren sie, das Sondereigentumsrecht sei von der Natur, ja vom Schöpfer selbst dem Menschen verliehen, einmal, damit jeder für sich und die Seinen sorgen könne, zum andernmal, damit mittelst dieser Institution die vom Schöpfer der ganzen Menschheitsfamilie gewidmeten Erdengüter diesen ihren Widmungszweck w i r k l i c h erfüllen: beides hat die Einhaltung einer festen und eindeutigen Ordnung zur unerläßlichen Voraussetzung. ... Befugnisse des Staates 49. Daß beim Eigentumsgebrauch nicht nur an den eigenen Vorteil zu denken, sondern auch auf das Gemeinwohl Bedacht zu nehmen ist, folgt ohne weiteres aus der bereits betonten Doppelseitigkeit des Eigentums mit seiner Individual- und 27*
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Sozialfunktion. Sache der Staatsgewalt ist es, die hier eingeschlagenen Pflichten, wo das Bedürfnis besteht und sie nicht bereits durch das Naturgesetz hinreichend bestimmt sind, ins einzelne gehend zu umschreiben. Der Staat kann also — immer i m Rahmen des natürlichen und göttlichen Gesetzes — mit Rücksicht auf wirkliche Erfordernisse des allgemeinen Wohls genauer i m einzelnen anordnen, was die Eigentümer hinsichtlich des Eigentumsgebrauchs dürfen, was ihnen verwehrt ist. ... Selbstverständlich darf die Staatsgewalt nicht w i l l k ü r l i c h verfahren. Das naturgegebene Recht auf Sondereigentum, eingeschlossen das Erbrecht, muß immer unberührt und unverletzt bleiben, da der Staat es zu entziehen keine Macht hat: ... Indem jedoch die Staatsgewalt das Sondereigentum auf die Erfordernisse des Gemeinwohls abstimmt, erweist sie den Eigentümern keine Feindseligkeit, sondern einen Freundschaftsdienst; denn sie verhütet auf diese Weise, daß die Einrichtung des Sondereigentums, vom Schöpfer i n weiser Vorsehung zur Erleichterung des menschlichen Lebens bestimmt, zu unerträglichen Unzuträglichkeiten führt und so sich selbst ihr Grab gräbt. Das heißt nicht, das Sondereigentum aufheben, sondern es schirmen; das ist keine Aushöhlung des Eigentums, sondern seine innere Festigung. Pflichten
bezüglich der Einkommens-Verwendung
50. Desgleichen sind die freien Einkünfte, d.h. diejenigen, die zur angemessenen und würdigen Lebenshaltung nicht benötigt werden, keineswegs dem Belieben des Menschen anheimgegeben. Die strenge Pflicht der Mildtätigkeit, der Wohltätigkeit i m weiteren Sinne, der Großzügigkeit den besitzenden Kreisen immer wieder einzuschärfen, werden die hl. Schrift und die hl. Väter der Kirche nicht müde. 51. Die Verwendung sehr großer Einkünfte zur Schaffung von Arbeits- und Verdienstgelegenheiten i m großen Stil aber muß, wofern nur die Arbeit der Erzeugung w i r k l i c h wertechter Güter dient, nach den Grundsätzen des Englischen Lehrers als eine ausgezeichnete und hervorragend zeitgemäße Übung der Tugend der Großzügigkeit gelten 1 1 . ... 2. Kapital Widerrechtliche
und Arbeit
Ansprüche des Kapitals
54. Lange genug konnte i n der Tat das Kapital ein Übermaß für sich vorwegnehmen. Das gesamte Erträgnis, die ganzen Überschüsse nahm das Kapital vorweg für sich in Anspruch, dem Arbeiter kaum die Notdurft für die Erhaltung der Arbeitskraft und ihre Reproduktion übrig lassend. Nach einem unwiderstehlichen Naturgesetz der Wirtschaft sollte alle Kapitalakkumulation nur beim Kapitalbesitzer stattfinden können, während das gleiche Gesetz den Arbeiter zu ewiger Proletarität und zu einem Leben an der Grenze des Existenzminimums verdamme. So wenigstens lautete die Theorie. Zugegeben w i r d sein, daß es i m Leben doch nicht ständig und allgemein so hart hergegangen ist, wie die liberal-manchesterliche Theorie es wollte. Aber es läßt sich doch auch nicht i n Abrede stellen, daß das ganze Schwergewicht gesellschafts-wirtschaftlicher Gegebenheiten unablässig nach die11
Vgl. S. Thomas, Summa Theologica, II. II., q. 134.
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ser Grenzlage hindrängte. Kann es wundernehmen, daß derart verkehrte Auffassungen, derart unberechtigte Ansprüche leidenschaftlich bekämpft wurden? Dabei standen die Enterbten, die sich solchergestalt u m ihr angeborenes Recht auf wirtschaftlichen Aufstieg betrogen sahen, keineswegs allein. Widerrechtliche
Ansprüche der Arbeit
55. Zu der in ihrem Recht verkürzten Arbeiterschaft stießen die sog. Intellektuellen. Jenem angeblichen Naturgesetz der Wirtschaft stellten sie ein ebenso aus der Luft gegriffenes sittliches Postulat entgegen: alle Erträgnisse oder Überschüsse, nach Abzug lediglich des Mindestbedarfs für Kapitalerhaltung und Kapitalerneuerung, gebühre kraft Rechtens dem Arbeiter. Viel bestechender als die sozialistische Forderung der Verstaatlichaung oder Vergesellschaftung der Produktionsmittel, bedeutet diese falsche Lehre eine u m so größere Gefahr, je leichter sie sich i n arglose Gemüter einschleicht: ein süßes Gift, das viele gierig schlürften, die der offen sozialistischen Verführung unzugänglich waren. Leitregel für Bemessung der beiderseitigen
Anteile
57. Keineswegs jede beliebige Güter- und Reichtumsverteilung läßt den gottgewollten Zweck, sei es überhaupt, sei es in befriedigendem Maße erreichen. Darum müssen die Anteile der verschiedenen Menschen und gesellschaftlichen Klassen an der mit dem Fortschritt des Gesellschaftsprozesses der Wirtschaft ständig wachsenden Güterfülle so bemessen werden, daß dieser von Leo X I I I . hervorgehobene allgemeine Nutzen gewahrt bleibt oder, was dasselbe mit anderen Worten ist, dem Gesamtwohl der menschlichen Gesellschaft nicht zu nahe getreten wird. Dieser Forderung der Gemeinwohlgerechtigkeit läuft es zuwider, wenn eine Klasse der andern jeden Anteil abspricht. Gegen dieses Gesetz aber versündigt sich gleicherweise eine satte Bourgeoisie, die in naiver Gedankenlosigkeit es als die natürliche und befriedigende Ordnung der Dinge ansieht, daß ihr allein alles zufällt und der Arbeiter leer ausgeht, wie ein i n seinem Recht verletztes und darob leidenschaftlich gereiztes Proletariat, das in seinem Rechtssinn und seiner Rechtsverfolgung einseitig geworden, nunmehr alles vermeintlich seiner Hände Werk für sich beansprucht und daher jegliches nichterarbeitete Vermögen oder Einkommen unterschiedslos und ohne Rücksicht auf seine Bedeutung i m Gesellschaftsganzen schlechthin als solches bekämpft und beseitigen will. Völlig abwegig ist die Berufung auf das Apostelwort: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen" 12 . Hier spricht der Apostel denen das Urteil, die nicht arbeiten mögen, obwohl sie arbeiten könnten und müßten; zugleich mahnt er, die Gottesgabe der Zeit sowie unsere Körper- und Geisteskräfte fleißig zu nutzen und nicht anderen zur Last zu fallen, wo wir uns selbst helfen können. Davon, daß Arbeit allein ein Recht auf Lebensunterhalt oder Einkommen verleihe, sagt der Apostel kein Wort 1 3 . 58. Jedem soll also sein Anteil zukommen; i m Ergebnis muß die Verteilung der Erdengüter, die heute durch den ungeheuren Gegensatz von wenigen Überreichen und einer unübersehbaren Masse von Eigentumslosen aufs schwerste gestört ist — 12 13
2. Thessalonicher 3, 10. Vgl. ebenda 3, 8-10.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
keiner, der das Herz am rechten Fleck hat, kann sich darüber einer Täuschung hingeben—, wieder mit den Forderungen des Gemeinwohls bzw. der Gemein wohlgerechtigkeit in Übereinstimmung gebracht werden. 3. Entproletarisierung
des Proletariats
59. Das ist die Entproletarisierung des Proletariats, das Ziel, auf das hinzuarbeiten Unser Vorgänger als gebieterische Notwendigkeit bezeichnete. ... Gewiß ist die Lage der Arbeiterschaft zum Besseren gewendet und i n vielfacher Hinsicht gehoben, namentlich in den fortgeschrittenen Ländern, wo die Arbeiterschaft nicht mehr allgemein und unterschiedslos als i n Elend und Not lebend angesehen werden kann. Doch seit die moderne Technik und die Industriewirtschaft reißend i n unübersehbare Gebiete, i n die jungen Einwanderungsländer wie i n die uralten Kulturstaaten des fernen Ostens eingebrochen sind und sich dort festsetzten, ist von neuem ein Elendsproletariat zu ungeheuerer Zahl angeschwollen, dessen jammervolle Lage zum Himmel schreit. Dazu kommt das Riesenheer des Landproletariats, auf die unterste Stufe der Lebenshaltung herabgedrückt und jeder Hoffnung bar, jemals „ein Stückchen Erdboden" 1 4 sein eigen zu nennen — daher, wenn nicht einsichtige und zugleich durchgreifende Maßnahmen ergriffen werden, auf ewig der Proletarität verhaftet. 60. So wahr es ist, daß Pauperismus und Proletarität wohl zu unterscheidende Begriffe sind, so ist die überwältigende Massenerscheinung des Proletariats gegenüber einem kleinen Kreise von Überreichen ein unwidersprechlicher Beweis dafür, daß die Erdengüter, die i n unserm Zeitalter des sog. Industrialismus i n so reicher Fülle erzeugt werden, nicht richtig verteilt und den verschiedenen gesellschaftlichen Klassen nicht entsprechend zugute gekommen sind. Überwindung
der Proletarität
durch Vermögensbildung
61. Darum ist mit aller Macht und Anstrengung dahin zu arbeiten, daß wenigstens i n Zukunft die neugeschaffene Güterfülle nur i n einem billigen Verhältnis bei den besitzenden Kreisen sich anhäufe, dagegen i n breitem Strom der Lohnarbeiterschaft zufließe. Gewiß nicht, damit der Arbeiter von der Arbeit ablasse — ist doch der Mensch zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fluge 1 5 —, sondern damit er durch Sparsamkeit seine Habe mehre, durch ihre sorgsame Verwaltung mit größerer Leichtigkeit und Sicherheit die Familienlasten bestreite und der Daseinsunsicherheit, die so recht eigentlich Proletarierschicksal ist, überhoben, nicht bloß den Wechselfällen des Lebens gerüstet gegenüberstehe, sondern noch über dieses Leben hinaus die beruhigende Gewißheit habe, daß seine Hinterbliebenen nicht ganz unversorgt dastehen. ... 4. Lohngerechtigkeit 63. Die Ausführung, von der Wir sprachen, geschieht auf dem Wege, daß der eigentumslose Nurlohnarbeiter durch Fleiß und Sparsamkeit sich jedenfalls zu einer gewissen bescheidenen Wohlhabenheit emporarbeitet Wovon anders aber 14
Rerum novarum, n. 35. Hiob 5, 7; vgl. auch die Aufnahme dieser Stelle i n einer Predigt M. Luthers von 1525 (Weimarer Ausgabe Bd. 17/1, S. 23). 15
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage
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als von seinem Lohn kann derjenige bei eingeschränkter Lebenshaltung etwas zurücklegen, der nichts anderes hat als seine Arbeit, u m sich Lebensunterhalt und Lebensbedarf zu erwerben? So kommen Wir zur Lohnfrage. ... Lohnverhältnis
nicht in sich ungerecht
64. Zunächst kann nicht der Lohnvertrag in sich als ungerecht bezeichnet und sein Ersatz durch den Gesellschaftsvertrag gefordert werden. Eine solche Behauptung ist nicht nur völlig unhaltbar, sondern zugleich schwer ehrenrührig für Unsern Vorgänger, der in seinem Rundschreiben den Lohnvertrag nicht nur gelten läßt, sondern sich eingehend mit seiner gerechten Ausgestaltung befaßt. 65. Für den heutigen Stand der gesellschaftlichen Wirtschaft mag immerhin eine gewisse Annäherung des Lohnarbeitsverhältnisses an ein Gesellschaftsverhältnis nach Maßgabe des Tunlichen sich empfehlen. Erfreuliche Anfange sind ja bereits gemacht zum beiderseitigen nicht geringen Vorteil, der Arbeitnehmer wie der Produktionsmittelbesitzer. Arbeiter und Angestellte gelangen auf diese Weise zu Mitbesitz und Mitverwaltung oder zu irgend einer A r t Gewinnbeteiligung. 66. Die gerechte Bemessung des Lohnes kann nicht nach einem, sondern nur nach einer Mehrzahl von Gesichtspunkten geschehen. ... 68. Ganz in die Irre geht ein heute viel verfochtener Grundsatz: der Wert der Arbeitsleistung und daher der Entgelt zum Gleich wert sei gleichzusetzen dem Wert des Arbeitsertrags; der Lohnarbeiter habe infolgedessen einen Rechtsanspruch auf den „vollen Arbeitsertrag". Die Unhaltbarkeit dieser Auffassung ergibt sich ohne weiteres aus Unsern obigen Ausführungen über Kapital und Arbeit. Individual-
und Sozial-Natur
der Arbeit
69. Ebenso wie das Eigentum weist nun auch die Arbeit, ganz besonders die in den Dienst eines anderen gestellte, neben ihrem Personal- oder Individualcharakter auch eine soziale Seite auf, die offenbar nicht übersehen werden darf. Nur der Bestand eines wirklichen Sozialorganismus, nur der Schutz der gesellschaftlichen Rechtsordnung, nur die gegenseitige Befruchtung und Ergänzung der verschiedenen, in ihrem Wohl und Wehe aufeinander angewiesenen Gewerbszweige, nicht zuletzt das Zusammenwirken, der innige Bund von Intelligenz, Kapital und Arbeit gewährleisten der menschlichen Schaffenskraft ihre Fruchtbarkeit. Außerachtlassung des zugleich sozialen und individualen Charakters der menschlichen Arbeit verunmöglicht daher wie ihre gerechte Wertung, so ihre Abgeltung zum Gleichwert. Drei Gesichtspunkte 70. Aus dieser der menschlichen Arbeit wesenseigenen Doppelnatur ergeben sich weittragende Forderungen für Bemessung und Regelung des Arbeitslohns. a) Lebensbedarf
des Arbeiters
und der Arbeiterfamilie
71. A n erster Stelle steht dem Arbeiter ein ausreichender Lohn zu für seinen und seiner Familie Lebensunterhalt. Gewiß soll auch die übrige Familie zum gemeinsamen Unterhalt je nach Kräften des einzelnen beitragen, wie dies besonders i m
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Bauernhause, aber auch in vielen Handwerker- und kleinen Kaufmannsfamilien zu beobachten ist. Aber Frauen und Kinder dürfen niemals über das Maß ihres Alters und ihrer Kräfte belastet werden. Familienmütter sollen in ihrer Häuslichkeit und dem, was dazu gehört, ihr hauptsächliches Arbeitsfeld finden i n Erfüllung ihrer hausfraulichen Obliegenheiten. Daß dagegen Hausfrauen und Mütter wegen Unzulänglichkeit des väterlichen Arbeitsverdienstes zum Schaden ihres häuslichen Pflichtenkreises und besonders der Kindererziehung außerhäuslicher Erwerbsarbeit nachzugehen genötigt sind, ist ein schändlicher Mißbrauch, der, koste es, was es wolle, verschwinden muß. A u f alle Weise ist daher daraufhinzuarbeiten, daß der Arbeitsverdienst der Familienväter zur angemessenen Bestreitung des gemeinsamen häuslichen Aufwandes ausreiche. Falls dies unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht in allen Fällen möglich ist, dann ist es ein Gebot der Gemeinwohlgerechtigkeit, alsbald diejenigen Änderungen in diesen Verhältnissen eintreten zu lassen, die einen Lohn in der gedachten Höhe für jeden erwachsenen Arbeiter sicherstellen. ... b) Lebensfähigkeit
des Unternehmens
72. A n zweiter Stelle ist die Lage des Unternehmens bzw. des Unternehmers bei der Bestimmung der Lohnhöhe i n Betracht zu ziehen. Ungerechtfertigt wäre die Forderung übertriebener Löhne, die zum Zusammenbruch des Unternehmens mit allen sich daraus ergebenden bösen Folgen für die Belegschaften selbst führen müßten. ... 73. I n gemeinsamen Überlegungen und Anstrengungen sollten daher Werksleitung und Belegschaften der Schwierigkeiten und Hindernisse Meister zu werden suchen; eine kluge staatliche Wirtschaftspolitik sollte ihnen die Sache erleichtern. K o m m t es zum Äußersten, dann ist zu überlegen, ob und wie eine Stillegung sich vermeiden läßt, gegebenenfalls, wie anderweitig für die Belegschaft Vorsorge zu treffen ist. Gerade bei dieser schwersten Entscheidung muß sich die innere Verbundenheit und christliche Solidarität von Werksleitung und Belegschaft zeigen und praktisch bewähren. c) Allgemeine Wohlfahrt 74. Endlich muß die Lohnbemessung der allgemeinen Wohlfahrt Rechnung tragen. Was es für diese Wohlfahrt, was es für das allgemeine Wohl bedeutet, daß Arbeiter und Angestellte einen Lohn- oder Gehaltsanteil, den sie von der Lebensnotdurft erübrigen, zurücklegen können und so allmählich zu bescheidenem Wohlstand gelangen, haben Wir weiter oben ausgeführt. Ein anderer Punkt von kaum geringerer Tragweite und von ganz besonderer Dringlichkeit i m Augenblick darf nicht übersehen werden, nämlich, daß alle Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen auch w i r k l i c h Arbeitsgelegenheit finden. Hier ist nun die Lohnhöhe von nicht zu unterschätzendem Einfluß: so günstige Wirkungen ihre richtige Festsetzung hat, so nachteilig kann es sich auswirken, wenn der zulässige Spielraum nach oben oder unten überschritten wird. ... 75. Hierhin gehört auch das richtige Verhältnis der Löhne untereinander. Eng hängt damit wieder zusammen das richtige Verhältnis der Preise für die Erzeugnisse der verschiedenen Wirtschaftszweige, beispielshalber für Agrar- und Industrieprodukte u. a. m. Die rechte Innehaltung aller dieser Beziehungen läßt die verschie-
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denen Wirtschaftszweige gewissermaßen zu einem großen Wirtschaftskörper zusammenwachsen, innerhalb dessen sie als Glieder sich gegenseitig ergänzen und fördern. Damit erst besteht eine wirkliche, ihren Sinn erfüllende Volkswirtschaft, indem allen Gliedern des Wirtschaftsvolkes alle die Güter zur Verfügung stehen, die nach dem Stande der Ausstattung mit natürlichen Hilfsquellen, der Produktionstechnik und der gesellschaftlichen Organisation des Wirtschaftslebens geboten werden können. So reichlich sollten sie bemessen sein, daß sie nicht bloß zur lebensnotwendigen und sonstigen ehrbaren Bedarfsbefriedigung ausreichen, sondern den Menschen die Entfaltung eines veredelten Kulturlebens ermöglichen, das, i m rechten Maß genossen, dem tugendlichen Leben nicht nur nicht abträglich, sondern i m Gegenteil förderlich ist. 5. Die neue Gesellschaftsordnung
77. Ein glücklicher Anfang ist gemacht. U m ihn aber zu sichern und u m durch Ausführung des noch Ausstehenden zum guten Ende zu kommen, wodurch dem Menschengeschlecht erst die reichsten und beglückendsten Segnungen zuteil werden, braucht es vor allem zwei Dinge: Zuständereform und Sittenbesserung. 78. Bei der Zuständereform denken Wir zunächst an den Staat. Nicht als ob alles Heil von der Staatstätigkeit zu erwarten wäre; der Grund ist ein anderer. I n Auswirkung des individualistischen Geistes ist es soweit gekommen, daß das einst blühend und reich gegliedert i n einer Fülle verschiedenartiger Vergemeinschaftungen entfaltete menschliche Gesellschaftsleben derart zerschlagen und nahezu ertötet wurde, bis schließlich fast nur noch die Einzelmenschen und der Staat übrigblieben — zum nicht geringen Schaden für den Staat selber. Das Gesellschaftsleben wurde ganz und gar unförmlich; der Staat aber, der sich mit all den Aufgaben belud, welche die von i h m verdrängten Vergemeinschaftungen nun nicht mehr zu leisten vermochten, wurde unter einem Übermaß von Obliegenheiten und Verpflichtungen zugedeckt und erdrückt. 79. Wenn es nämlich auch zutrifft, was j a die Geschichte deutlich bestätigt, daß unter den veränderten Verhältnissen manche Aufgaben, die früher leicht von kleineren Gemeinwesen geleistet wurden, nur mehr von großen bewältigt werden können, so muß doch allzeit unverrückbar jener oberste 16 sozialphilosophische Grundsatz festgehalten werden, an dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist. Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, i h m nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen. 16 O.v. Nell-Breuning hat später diese Übersetzung von „gravissimum" geändert i n „sehr gewichtige", u m das Mißverständnis zu vermeiden, das Subsidiaritätsprinzip sei der (einzige) oberste sozialphilosophische Grundsatz (siehe Texte zur katholischen Soziallehre, 4. Aufl. 1977, S. 151).
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80. Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung, die nur zur Abhaltung von wichtigeren Aufgaben führen müßten, soll die Staatsgewalt also den kleineren Gemeinwesen überlassen. Sie selbst steht dadurch nur umso freier, stärker und schlagfertiger da für diejenigen Aufgaben, die i n ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, weil sie allein ihnen gewachsen ist: durch Leitung, Überwachung, Nachdruck und Zügelung, je nach Umständen und Erfordernis. Darum mögen die staatlichen Machthaber sich überzeugt halten: je besser durch strenge Beobachtung des Prinzips der Subsidiarität die Stufenordnung der verschiedenen Vergesellschaftungen innegehalten wird, u m so stärker stehen gesellschaftliche Autorität und gesellschaftliche Wirkkraft da, u m so besser und glücklicher ist es auch u m den Staat bestellt. Berufsständische
Ordnung
81. I n heißem Bemühen aber müssen Staatsmänner und gute Staatsbürger dahin trachten, aus der Auseinandersetzung zwischen den Klassen zur einträchtigen Zusammenarbeit der Stände uns emporzuarbeiten. 82. Erneuerung einer ständischen Ordnung also ist das gesellschaftspolitische Ziel. Bis zur Stunde dauert ja der unnatürlich-gewaltsame Zustand der Gesellschaft fort und ermangelt infolgedessen der Dauerhaftigkeit und Festigkeit; ist doch die heutige Gesellschaft geradezu aufgebaut auf der Gegensätzlichkeit der Interessenlagen der Klassen und damit auf dem Gegensatz der Klassen selbst, der allzuleicht in feindseligen Streit ausartet. 83. Zwar ist Arbeit, wie Unser Vorgänger in seinem Rundschreiben darlegt 1 7 , keine feile Ware, vielmehr ist i n ihr immer die Menschenwürde des Arbeiters zu achten; auch kann sie nicht wie irgendeine beliebige Ware i m Markte umgehen. Nichtsdestoweniger läßt bei der heutigen Sachlage Nachfrage und Angebot der Arbeitskraft die Menschen auf dem „Arbeitsmarkt" zwei Klassen, sozusagen zwei Kampffronten bilden; die Auseinandersetzung dieser Arbeitsmarktparteien aber macht den Arbeitsmarkt zum Kampffelde, auf dem die beiden Parteien in heißem Streite miteinander ringen. Die Notwendigkeit schleunigster Abhilfe gegenüber diesem Zustand, der eine Gefährdung der menschlichen Gesellschaft bedeutet, kann niemand verkennen. Durchgreifende Abhilfe aber hat die Ausräumung dieses Gegensatzes zur unerläßlichen Voraussetzung und erscheint kaum anders möglich als dadurch, daß wohlgefügte Glieder des Gesellschaftsorganismus sich bilden, also „Stände", denen man nicht nach der Zugehörigkeit zur einen oder andern Arbeitsmarktpartei, sondern nach der verschiedenen gesellschaftlichen Funktion des einzelnen angehört. Denn genau, wie die nachbarschaftliche Verbundenheit die Menschen zur Gemeinde zusammenführt, so läßt die Zugehörigkeit zum gleichen Beruf — gleichviel ob wirtschaftlicher oder außerwirtschaftlicher A r t — sie zu Berufsständen oder berufsständischen Körperschaften sich zusammenschließen. Das eine ist so natürlich wie das andere. Darum werden ja auch diese autonomen Körperschaften, ohne Wesensbestandstücke der bürgerlichen Gesellschaft zu sein, doch gern als ihre naturgemäße Ausstattung bezeichnet. ... 85. I n diesen Körperschaften liegt das Schwergewicht durchaus bei den gemeinsamen Angelegenheiten, deren bedeutsamste diese ist, die M i t w i r k u n g des Berufs17
Rerum novarum, n. 16.
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage
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standes zum allgemeinen Wohl des Gesamtvolkes möglichst fruchtbar zu gestalten. Angelegenheiten dagegen, die i n besonderer Weise die Sonderinteressen der Selbständigen oder der Gehilfenschaft berühren, so daß ein Schutz gegen Vergewaltigung geboten sein muß, unterliegen vorkommendenfalls gesonderter Beratung und je nach der Sachlage auch getrennter Beschlußfassung. ...
Regulatives Prinzip
der Wirtschaft
88. Noch eines wird erfordert, das mit dem vorigen eng zusammenhängt. So wenig die Einheit der menschlichen Gesellschaft sich gründen kann auf der Gegensätzlichkeit der Klassen, ebensowenig kann die rechte Ordnung der Wirtschaft dem freien Wettbewerb anheimgegeben werden. Das ist ja der Grundirrtum der individualistischen Wirtschaftswissenschaft, aus dem all ihre Einzelirrtümer sich ableiten: in Vergessenheit oder Verkennung der gesellschaftlichen wie der sittlichen Natur der Wirtschaft glaubte sie, die öffentliche Gewalt habe der Wirtschaft gegenüber nichts anderes zu tun, als sie frei und ungehindert sich selbst zu überlassen; i m Markte, d. h. i m freien Wettbewerb besitze diese ja ihr regulatives Prinzip in sich, durch das sie sich viel vollkommener selbst reguliere, als das Eingreifen irgendeines geschaffenen Geistes dies je vermöchte. Die Wettbewerbsfreiheit — obwohl innerhalb der gehörigen Grenzen berechtigt und von zweifellosem Nutzen — kann aber unmöglich regulatives Prinzip der Wirtschaft sein. Die Erfahrung hat dies, nachdem die verderblichen individualistischen Theorien in die Praxis umgesetzt wurden, bis zum Übermaß bestätigt. Daher besteht die dringende Notwendigkeit, die Wirtschaft wieder einem echten und durchgreifenden regulativen Prinzip zu unterstellen. Die an die Stelle der Wettbewerbsfreiheit getretene Vermachtung der Wirtschaft kann aber noch weniger diese Selbststeuerung bewirken: Macht ist blind, Gewalt ist stürmisch. U m segenbringend für die Menschheit zu sein, bedarf es selbst kraftvoller Zügelung und weiser Lenkung; diese Zügelung und Lenkung kann sie sich aber nicht selbst geben. Höhere und edlere Kräfte müssen es sein, die die wirtschaftliche Macht in strenge und weise Zucht nehmen: die soziale Gerechtigkeit und die soziale Liebe! Darum müssen die staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen ganz und gar von dieser Gerechtigkeit durchwaltet sein; vor allem aber tut es not, daß sie zur gesellschaftspolitischen Auswirkung kommt, d.h. eine Rechts- und Gesellschaftsordnung herbeiführt, die der Wirtschaft ganz und gar das Gepräge gibt. Seele dieser Ordnung muß die soziale Liebe sein; die öffentliche Gewalt aber hat sie kraftvoll zu schützen und durchzusetzen, was sie u m so leichter vermag, wenn sie sich jener Belastungen entledigt, die, wie oben dargelegt, ihr wesensfremd sind. 89. Mehr noch: die verschiedenen Völker sollten angesichts ihrer starken gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit durch gemeinsames Raten und I k t e n zwischenstaatliche Vereinbarungen und Einrichtungen schaffen zur Förderung einer wahrhaft gedeihlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit untereinander. 90. Werden so die Glieder des Sozialorganismus hergestellt und erhält die Volkswirtschaft wieder ihr regulatives Prinzip, dann wird, was der Apostel vom geheimnisvollen Leibe Christi sagt, auch auf diesen Organismus einigermaßen anwendbar sein: „Der ganze Leib, zur Einheit gefügt durch die Verbundenheit der
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Dienstleistungen aller Glieder, indem jeder Teil die i h m angemessene Betätigung verrichtet, entfaltet sein Wachstum, bis er in der Liebe erbaut ist 1 8 . 91. Nun ist unlängst eine eigenartige gewerkschaftliche und berufsständische Organisation eingeführt worden, die bei dem Gegenstand dieses Unseres Rundschreibens hier nicht ohne einige Charakterisierung und entsprechende Würdigung bleiben kann 1 9 . 92. Der Staat verleiht der Gewerkschaft die rechtliche Anerkennung und zwar nicht ohne Monopolstellung, insofern ausschließlich die so anerkannte Gewerkschaft Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber vertreten, ausschließlich sie Tarifverträge und Tarifgemeinschaften schließen kann. Die Zugehörigkeit zur Gewerkschaft ist freigestellt, und nur in diesem Sinne kann die gewerkschaftliche Organisation als frei bezeichnet werden, denn der Gewerkschaftsbeitrag und andere besondere Abgaben sind pflichtmäßig für alle Berufszugehörigen, gleichviel ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, wie auch die von den rechtlich anerkannten Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträge bindend sind für alle. Allerdings wird amtlich erklärt, daß die rechtlich anerkannte Gewerkschaft das Bestehen rein tatsächlicher Vereinigungen auf beruflicher Grundlage nicht ausschließt. 93. Die berufsständischen Körperschaften sind zusammengesetzt aus Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Gewerkschaften des gleichen Gewerbes oder Berufszweiges. Als wirkliche und eigentliche Staatsorgane und Staatseinrichtungen üben sie die Oberleitung über die Gewerkschaften aus und stellen i n Angelegenheiten, die gemeinsame Belange betreffen, die Übereinstimmung zwischen diesen her. 94. Arbeitseinstellungen sind verboten; wenn die streitenden Teile sich nicht einigen können, schlichtet die Behörde. 95. Schon eine flüchtige Überlegung läßt die Vorteile der insoweit kurz geschilderten Regelung erkennen: friedliche Zusammenarbeit der Klassen, Zurückdrängung der sozialistischen Organisationen und Bestrebungen, regelnder Einfluß eines eigenen Behördenapparats. U m jedoch in einer Sache von solcher Bedeutung nichts zu verabsäumen, sowie i m Einklang mit den oben herausgestellten Grundsätzen und einigen weiteren, die hier folgen, müssen Wir ergänzen, daß es Uns nicht entgeht, wie manche die Befürchtung hegen, der Staat setze sich an die Stelle der freien Selbstbetätigung, statt sich auf die notwendige und ausreichende Hilfsstellung und Förderung zu beschränken; sodann, die neue gewerkschaftliche und berufsständische Verfassung habe einen übermäßig bürokratischen und politischen Einschlag; endlich, trotz der angeführten allgemeinen Vorteile, die sie bietet, könne sie politischen Sonderbestrebungen mehr dienstbar sein, als der Herbeiführung und Einleitung einer besseren gesellschaftlichen Ordnung. ... 98. So haben wir nur noch mit der Wirtschaft von heute sowie mit ihrem großen Ankläger, dem Sozialismus, ins Gericht zu gehen und mit ebensoviel Freimut als strenger Gerechtigkeit beiden das Urteil zu sprechen, u m die tiefste Wurzel des Übels aufzudecken und damit auch schon das erste und notwendigste Heilmittel zu bezeichnen: die sittliche Erneuerung. 18 19
Vgl. Epheser 4, 16. Das Folgende ist eine K r i t i k am faschistischen Korporativstaat.
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage III. Beurteilungen
des Kapitalismus
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und Sozialismus, Ursachen und Heilmittel
der heutigen Übel Wandlungen seit Leo XIII. 1. Wandlungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise 103. Gerade i m Gefolge der reißend schnellen Ausbreitung des Industrialismus hat die kapitalistische Wirtschaftsweise seit dem Erscheinen des Rundschreibens Leo's X I I I . eine ungeheure Ausweitung erfahren, so daß sie tatsächlich auch den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen des außerkapitalistischen Raumes ihr Gepräge aufdrückt, sie mit ihren Vorzügen, nicht minder aber mit ihren Nachteilen und Schäden maßgebend beeinflußt. 104. Es geht aber nicht nur u m die besonderen Belange der hochkapitalistischen Länder oder der Industriewelt allein, sondern u m die Belange der Gesamtmenschheit, wenn Wir hier die Wandlungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise, wie sie seit den Tagen Leo's X I I I . sich ereignet haben, näher ins Auge fassen. Vermachtung
als Ergebnis der Wettbewerbsfähigkeit
105. A m auffallendsten ist heute die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt i n den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie mit geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen. 106. Zur Ungeheuerlichkeit wächst diese Vermachtung der Wirtschaft sich aus bei denjenigen, die als Beherrscher und Lenker des Finanzkapitals unbeschränkte Verfügung haben über den Kredit und seine Verteilung nach ihrem Willen bestimmen. Mit dem Kredit beherrschen sie den Blutkreislauf des ganzen Wirtschaftskörpers; das Lebenselement der Wirtschaft ist derart unter ihrer Faust, daß niemand gegen ihr Geheiß auch nur zu atmen wagen kann. ... Schlimme Folgen 109. Die letzten Auswirkungen des individualistischen Geistes sind es, die Ihr, Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, vor Augen habt und beklagt: der freie Wettbewerb hat zu seiner Selbstaufhebung geführt; an die Stelle der freien Marktwirtschaft trat die Vermachtung der Wirtschaft; das Gewinnstreben steigerte sich zum zügellosen Machtstreben. Dadurch k a m in das ganze Wirtschaftsleben eine furchtbare grausenerregende Härte. Dazu traten die schweren Schäden einer Vermengung und unerfreulichen Verquickung des staatlichen und des wirtschaftlichen Bereichs. Als einen der schwersten Schäden nennen Wir die Erniedrigung der staatlichen Hoheit, die unparteiisch und allem Interessenstreit entrückt, einzig auf das gemeine Wohl und die Gerechtigkeit bedacht, als oberste Schlichterin i n königlicher Würde thronen sollte, zur willenlos gefesselten Sklavin selbstsüchtiger Interessen. I m zwischenstaatlichen Leben aber entsprang der gleichen Quelle ein doppeltes Übel: hier ein übersteigerter Nationalismus und Imperialismus wirt-
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schaftlicher Art, dort ein nicht minder verderblicher und verwerflicher finanzkapitalistischer Internationalismus oder Imperialismus des internationalen Finanzkapitals, das sich überall da zuhause fühlt, wo sich ein Beutefeld auftut. Abhilfe 110. Die Mittel, um diesen schweren Übelständen abzuhelfen, haben Wir i m lehrhaften (zweiten) Teile dieses Rundschreibens dargelegt, so daß hier eine kurze Erinnerung genügt. ... Der freie Wettbewerb, innerhalb der gehörigen Schranken gehalten, mehr noch die wirtschaftliche Macht, sind der öffentlichen Gewalt in allem, was deren Amtes ist, entschieden unterzuordnen. Das menschliche Gemeinschaftsleben insgesamt ist durch die öffentlichen Einrichtungen den Erfordernissen des Gemeinwohls, oder, was dasselbe besagt, den Anforderungen der Gemeinwohlgerechtigkeit entsprechend zu gestalten, womit es nicht ausbleiben kann, daß auch jener überaus bedeutsame Zweig gesellschaftlichen Lebens, den die Wirtschaft ausmacht, zur rechten und gesunden Ordnung sich zurückfindet. 2. Wandlungen im Sozialismus 111. Aber nicht nur das Bild der Wirtschaft hat sich seit den Tagen Leo's X I I I . gewandelt. Mindestens in gleichem Maße gilt dies von dem Gegner, gegen den Leo X I I I . zu kämpfen hatte, vom Sozialismus. ... a) Die schärfere Richtung:
Kommunismus
112. Nach der einen Seite hin hat der Sozialismus die gleiche Vermachtung durchgemacht, die Wir soeben von der sog. kapitalistischen Wirtschaftsweise beschrieben haben. Dieser zum Kommunismus gewordene Sozialismus verfolgt i n Theorie und Praxis seine beiden Hauptziele: schärfster Klassenkampf und äußerste Eigentumsfeindlichkeit. Nicht auf Schleich- und Umwegen, sondern mit offener und rücksichtsloser Gewalt geht er aufs Ziel. Vor nichts schreckt er zurück; nichts ist i h m heilig. Zur Macht gelangt erweist er sich von unglaublicher und unbeschreiblicher Härte und Unmenschlichkeit. Die unseligen Trümmer und Verwüstungen, die er in dem ungeheueren Ländergebiet von Osteuropa und Asien angerichtet hat, sprechen eine beredte Sprache. I n welchem Maße dieser kommunistische Sozialismus offen kirchenfeindlich oder gottesfeindlich ist, das ist leider nur zu sehr bekannt, nur zu sehr durch Tatsachen belegt! Für die guten und treuen Kinder der Kirche bedarf es da wahrlich keiner Warnung mehr vor dem gottlosen und ungerechten Kommunismus. Aber nur mit tiefem Schmerze können Wir die Sorglosigkeit derer mitansehen, die der von dieser Seite drohenden Gefahr nicht achtend ruhig zusehen, wie die Bestrebungen eines gewaltsamen und blutigen Umsturzes in alle Welt getragen werden. Noch schärfere Verurteilung aber verdient der Leichtsinn, der u m all dieses unbekümmert Zustände weiter bestehen läßt, die den fruchtbaren Nährboden berechtigter Unzufriedenheit abgeben und so der angestrebten Weltrevolution Schrittmacherdienste leisten. b) Die gemäßigtere Richtung im Sozialismus 113. Anders verhält es sich mit der gemäßigteren Richtung, die auch heute noch die Bezeichnung „Sozialismus" weiter führt. Dieser Sozialismus verzichtet nicht nur auf die Anwendung roher Gewalt, sondern kommt mehr oder weniger selbst zu
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage
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einer Abmilderung des Klassenkampfes und der Eigentumsfeindlichkeit, wenn nicht zu ihrer gänzlichen Preisgabe. Erschreckt vor seinen eigenen Grundsätzen und den vom Kommunismus davon gemachten Anwendungen, wende, so möchte man meinen, der Sozialismus sich wieder zurück zu Wahrheiten, die christliche Erbweisheit sind, oder tue jedenfalls einige Schritte darauf zu. Unleugbar ist hier gelegentlich eine bemerkenswerte Annäherung sozialistischer Programmforderungen an die Postulate einer christlichen Sozialreform zu beobachten. 114. Werden die Feindseligkeit und der Haß gegenüber der anderen Klasse aufgegeben, so kann der verwerfliche Klassenkampf entgiftet werden und sich wandeln in ehrliche, vom Gerechtigkeitswillen getragene Auseinandersetzung zwischen den Klassen, die zwar noch nicht den allseits ersehnten sozialen Frieden bedeutet, aber doch als Ausgangspunkt dienen kann und soll, von dem aus man sich zur einträchtigen Zusammenarbeit der Stände emporarbeitet. Auch die Eigentumsfeindlichkeit kann sich mehr und mehr läutern, so daß nicht mehr das Eigentum an den Produktionsmitteln als solches bekämpft wird, sondern nur eine wider alles Recht angemaßte gesellschaftliche Herrschaftsstellung des Eigentums. I n der Tat kommt ja eine solche Herrschaftsstellung des Eigentums von Rechts wegen gar nicht dem Eigentum zu, sondern der öffentlichen Gewalt. Alsdann kann auch hier ein fließender Grenzübergang stattfinden von den Forderungen eines solchen gemäßigten Sozialismus zu durchaus berechtigten Bestrebungen christlicher Sozialreformer. Mit vollem Rechte kann man dafür eintreten, bestimmte Arten von Gütern der öffentlichen Hand vorzubehalten, weil die mit ihnen verknüpfte übergroße Macht ohne Gefährdung des öffentlichen Wohls Privathänden nicht überantwortet bleiben kann. 115. Berechtigte Bestrebungen und Forderungen solcher A r t haben nichts mehr an sich, was mit christlicher Auffassung i m Widerspruch stünde; noch viel weniger sind sie spezifisch sozialistisch. Wer nichts anderes w i l l als dies, hat daher keine Veranlassung, sich zum Sozialismus zu bekennen. 116. Gebe sich aber niemand der Täuschung hin zu glauben, alle nichtkommunistischen Richtungen des Sozialismus ohne Ausnahme hätten in Programm und Praxis diese Wendung zur besseren Einsicht schon vollzogen. Meistens handelt es sich nicht u m Aufgabe, sondern nur u m eine gewisse Milderung des Klassenkampfprinzips und der Eigentumsfeindlichkeit. Ein Mittelweg? Gerade i m letzteren Falle der bloßen Abmilderung oder Verwischung falscher Grundsätze erhebt sich — oder vielmehr erhebt man unbegründeterweise — die Frage, ob sich vielleicht auch die christlichen Grundsätze ein wenig abschwächen oder abbauen ließen, sodaß man dem Sozialismus entgegenkomme und sich sozusagen auf halbem Wege begegne. Dieser und jener wiegt sich in der Hoffnung, auf diese Weise ließen sich die Sozialisten zu uns herüberziehen. Trügerische Hoffnung! Wer als Apostel in den Kreisen des Sozialismus wirken will, der muß die christliche Wahrheit i n vollem Umfang offen und ehrlich bekennen und darf sich auf keine Halbheiten einlassen. Wer ein rechter Künder der Frohbotschaft sein will, verlege sich vor allem darauf, den Sozialisten vor Augen zu führen, wie ihre Forderungen, soweit sie die Gerechtigkeit für sich haben, aus den Grundsätzen des
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
christlichen Glaubens eine viel schlagendere Begründung, aus der Kraft christlicher Liebesgesinnung eine viel machtvollere Förderung erfahren. 117. Wie aber, wenn in bezug auf Klassenkampf und Sondereigentum der Sozialismus sich w i r k l i c h so weit gemäßigt und geläutert hat, daß dieserhalb nichts mehr an i h m auszusetzen ist? Hat er damit auch schon seinem widerchristlichen Wesen entsagt? Das ist die Frage, die viele tiefinnerlichst bewegt. Gerade die vielen Katholiken aber, die ganz klar sehen, daß eine Preisgabe oder Verwischung christlicher Grundsätze niemals in Betracht kommen darf, richten ihre fragenden Blicke auf den Hl. Stuhl und erwarten sehnlichst Unsere Entscheidung, ob ein solcher Sozialismus von seinen irrigen Aufstellungen so völlig abgegangen sei, daß er ohne Preisgabe irgendeines christlichen Grundsatzes anerkannt und sozusagen getauft werden könne. U m diesen Fragestellern gemäß Unserer väterlichen Hirtensorge Genüge zu tun, erklären Wir: der Sozialismus, gleichviel ob als Lehre, als geschichtliche Erscheinung oder als Bewegung, auch nachdem er in den genannten Stücken der Wahrheit und Gerechtigkeit Raum gibt, bleibt mit der Lehre der katholischen Kirche immer unvereinbar — er müßte denn aufhören, Sozialismus zu sein: der Gegensatz zwischen sozialistischer und christlicher Gesellschaftsauffassung ist unüberbrückbar. Gegensatz zur christlichen Gesellschaftsauffassung 118. Nach christlicher Auffassung ist der Mensch mit seiner gesellschaftlichen Anlage von Gott geschaffen, u m in der Gesellschaft und in Unterordnung unter die gottgesetzte gesellschaftliche Autorität 2 0 sich zur ganzen Fülle und zum ganzen Reichtum dessen, was Gott an Anlagen in ihn hineingelegt hat, zur Ehre Gottes zu entfalten und durch trei!ie Erfüllung seines irdischen Lebensberufs sein zeitliches und zugleich sein ewiges t l ü c k zu wirken. Von all dem weiß der Sozialismus nichts; vollkommen unbekannt und gleichgültig ist i h m diese erhabene Bestimmung sowohl des Menschen als der Gesellschaft; er sieht in der Gesellschaft lediglich eine Nutzveranstaltung. 119. ... Während die sozialistische Gesellschaft auf der einen Seite ohne ein Übermaß von Zwang weder vorzustellen noch durchzuführen ist, huldigt sie auf der andern Seite einer nicht minder falschen Freiheitsidee. Echte gesellschaftliche Autorität aber findet in der sozialistischen Gesellschaft keinen Raum. I n Nützlichkeit, i m Diesseits kann wahre Autorität nun einmal nicht gründen; ihr Ursprung ist eben nur i n Gott, dem Schöpfer und letzten Ziel aller Dinge 2 1 . Katholik
und Sozialist
unvereinbar
120. Enthält der Sozialismus — wie übrigens jeder I r r t u m — auch einiges Richtige (was die Päpste nie bestritten haben), so liegt i h m doch eine Gesellschaftsauffassung zugrunde, die i h m eigentümlich ist, mit der echten christlichen Auffassung aber in Widerspruch steht. Religiöser Sozialismus, christlicher Sozialismus sind Widersprüche in sich; es ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein. 20
Römer 13, Iff. Vgl. Rundschreiben Diuturnum, 29. Juni 1881 (siehe Staat und Kirche, Bd. III, S. 335, Anm. 2). 21
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage
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Kultursozialismus 121. Dieses von Uns hiermit ausdrücklich erneuerte und bestätigte Urteil gilt gleicherweise auch gegenüber einer neuen Erscheinung i m Sozialismus, die früher i n dieser Form unbekannt war, heute aber keineswegs auf eine Richtung innerhalb des Sozialismus beschränkt ist. Wir meinen den Sozialismus als Bildungs- und Erziehungsbewegung. M i t aller Macht suchen die sozialistischen Kinderfreunde schon die zarte Jugend an sich zu ziehen und für sich zu gewinnen. Aber darüber hinaus soll die Gesamtheit des Volkes erfaßt werden, u m den „sozialistischen Menschen" zu bilden als Träger der sozialistischen Gesellschaftsordnung. 122. Nachdem Wir in Unserm Rundschreiben D i v i n i illius Magistri die Grundsätze und Ziele einer christlichen Erziehung ausführlich entwickelt haben 22 , liegt die Unvereinbarkeit der von diesem Bildungs- und Erziehungssozialismus eingeschlagenen Wege und angestrebten Ziele mit den christlichen Grundsätzen so klar und offen zu Tage, daß Wir Uns nicht noch eigens darüber zu verbreiten brauchen. Aber Größe und Ernst der hier drohenden Gefahr werden offenbar noch längst nicht überall gebührend gewürdigt, woher es denn auch vielfach an entsprechend entschlossenen Gegenmaßnahmen fehlt. Vor dem hier drohenden Unheil zu warnen ist Pflicht Unseres Hirtenamtes. Möge sich jedermann darüber klar sein: am Anfang dieses Kultursozialismus steht der Kulturliberalismus; an seinem Ende steht der Kulturbolschewismus. Katholiken
im Lager des Sozialismus
123. Nach all dem begreift Ihr, Ehrwürdige Brüder, die Größe Unseres Schmerzes, sehen zu müssen, wie — namentlich in einzelnen Ländern — nicht wenige Unserer Söhne, von deren gläubiger Gesinnung und deren aufrichtig gutem Willen Wir immer noch überzeugt sein möchten, der Kirche den Rücken gekehrt haben und in den Reihen des Sozialismus stehen. ... 124. I n der Bekümmernis Unseres Vaterherzens quält Uns immer wieder die Frage: wie konnten sie sich dorthin verirren? Es ist Uns, als vernähmen Wir die Antwort, mit der viele von ihnen sich rechtfertigen wollen: Kirchen und kirchlich Gesinnte hielten es mit den Besitzenden, kümmerten sich nicht u m den Arbeiter und nähmen sich seiner nicht an; darum müßten die Arbeiter i m Sozialismus sich zusammenschließen, u m selbst ihre Sache i n die Hand zu nehmen. 125. Gott sei es geklagt, Ehrwürdige Brüder, w i r k l i c h hat es Kreise gegeben und gibt es sogar heute noch, die sich des katholischen Namens rühmen, bei denen aber jenes erhabene Gesetz der Gerechtigkeit und Liebe, nach dem wir nicht nur jedem das Seine zu gewähren haben, sondern der notleidenden Brüder wie Christus des Herrn selber uns annehmen sollen 23 , fast völlig dem Bewußtsein entschwunden ist, ja, was noch ernster zu nehmen, bei denen das Gewissen sogar zu gewinnsüchtiger Ausbeutung des Arbeiters schweigt. Ja, selbst das findet sich, daß man gerade die Religion vorzuschützen sucht als Wandschirm, hinter dem man mit seinen ungerechten Machenschaften sich verstecken und durchaus gerechten Forderungen der Arbeiterschaft sich entziehen will. Niemals werden wir davon ablassen, diesen 22 Rundschreiben D i v i n i illius Magistri, 31. Dezember 1929 (italienisch: A A S 21, 1929, S. 723 ff.). 23 Vgl. Jakobus 2.
28 Huber
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Leuten auf das ernsteste ins Gewissen zu reden. Sie sind es, die die Schuld tragen, daß auf die Kirche der falsche Schein und die Verdächtigung fallen konnte, sie begünstige die Besitzenden und sähe die Leiden und Nöte der Enterbten teilnahmslos mit an. Wie falsch dieser Schein, wie ungerecht diese Verdächtigung ist, dafür zeugt die ganze Kirchengeschichte; wenn aber irgend etwas, dann müßte das Rundschreiben, dessen Jubelfeier Wir hier begehen, aller Welt sichtbar machen, wie bitteres Unrecht diese verleumderischen und ehrenkränkenden Anklagen der Kirche antun. Einladung
zur Heimkehr
126. Aber weit entfernt, i m Bewußtsein des Uns angetanen Unrechts i n gekränktem Vaterschmerz diese Unsere Söhne, die so elend in die Irre gingen und jetzt so fern der Wahrheit und dem Heile sind, von Uns zu weisen und zu verstoßen, rufen Wir sie mit aller Inständigkeit zum mütterlichen Schoß der Kirche zurück. ... 3. Sittliche Erneuerung 127. Tiefere und eindringendere Betrachtung zeigt klar, daß der so heiß ersehnten Erneuerung der Gesellschaft eine ganz innerliche Erneuerung i m christlichen Geist voraufgehen muß, den so viele Menschen i m wirtschaftlichen Leben verleugnen. Andernfalls werden alle Bemühungen vergeblich sein, und das Gebäude w i r d statt auf Felsengrund auf flüchtigem Sand gebaut 24 . ... Hauptübel
des heutigen Zustandes: das Verderben der Seelen
130. Die zeitlichen Wirrnisse, Verluste und Verwüstungen nehmen ja alle Gemüter fast völlig i n Anspruch. Und doch, wenn wir, wie gehörig, die Dinge mit christlichen Augen anschauen, was bedeuten dann sie alle zusammen gegenüber dem Verderben der Seelen? Nun können aber die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart ohne Übertreibung als derartig bezeichnet werden, daß sie einer ungeheuer großen Zahl von Menschen es außerordentlich schwer machen, das eine Notwendige, ihr ewiges Heil zu wirken. ... Ursachen dieses Verlustes 132. Tiefste Ursache dieser Abkehr vom Gesetze Christi in Gesellschaft und Wirtschaft und des daher rührenden Abfalls so großer Arbeitermassen vom katholischen Glauben ist die ungeordnete Begierlichkeit i n der Menschenbrust, diese traurige Folge der Erbsünde. ... 133. Eine strenge und feste Handhabung der Wirtschaftsmoral seitens der Staatsgewalt hätte diese überaus schweren Übelstände fernhalten oder ihnen zuvorkommen können; daran fehlte es aber allzuoft kläglich. Da die Anfänge der neuen Wirtschaft gerade in die Zeit fielen, da der Rationalismus die Geister beherrschte und sich tief in sie eingefressen hatte, entstand bald eine Wirtschaftswissenschaft, die es unterließ, sich an der wahren Sittennorm zu orientieren. Das hatte zur Folge, daß den menschlichen Leidenschaften völlig die Zügel gelockert wurden. ... 24
Vgl. Matthäus 7, 24ff.
I X . Die Enzyklika Papst Pius' X I . über die soziale Frage
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Heilmittel a) Erneuerung
der Wirtschaft
in christlichem Geiste
136. ... Alle w i r k l i c h sachverständigen Sozialreformer erstreben eine vollkommene Rationalisierung, die die rechte Vernunftordnung des wirtschaftlichen Lebens wiederherstellt. Aber diese Ordnung, die Wir selbst so dringend wünschen und eifrig fördern, bleibt ganz und gar unzulänglich und mangelhaft, wenn nicht alle wirtschaftlichen Betätigungen der Menschen in Nachahmung der wunderbaren Einheit des göttlichen Weltplanes und, soweit Menschen dies gegeben ist, zu seiner Verwirklichung freund w i l l i g sich vereinigen. Wir meinen jene vollkommene Ordnung, die von der Kirche mit aller Kraft gepredigt, ja schon von der natürlichen Vernunft gefordert wird: alles auf Gott hingeordnet, das erste und höchste Ziel aller geschöpflichen Tätigkeit; alles, was nicht Gott ist, bloßes Mittel, das soweit in Anspruch genommen wird, als es zur Erreichung des letzten Zieles und Endes dienlich ist. ... b) Anteil der Liebe 137. Den Hauptanteil an allem aber muß die Liebe haben, die das Band der Vollkommenheit ist 2 5 . Einer großen Täuschung erliegen daher alle unbesonnenen Reformer, die einzig bedacht auf Herstellung der Gerechtigkeit — obendrein nur der Verkehrsgerechtigkeit! — die M i t w i r k u n g der Liebe hochmütig ablehnen. Gewiß kann die Liebe kein Ersatz sein für geschuldete, aber versagte Gerechtigkeit. Aber selbst wenn der Mensch alles erhielte, was er nach der Gerechtigkeit zu erhalten hat, bliebe immer noch ein weites Feld für die Liebe: die Gerechtigkeit, so treu sie auch immer geübt werde, kann nur den Streitstoff sozialer Konflikte aus der Welt schaffen; die Herzen innerlich zu verbinden vermag sie nicht. Nun ist aber die innere Gesinnungsverbundenheit unter den Beteiligten die feste Grundlage aller Einrichtungen zur Sicherung des sozialen Friedens und zur Förderung der Zusammenarbeit unter den Menschen. ... 138. Von solch neuer Ausgießung des Geistes der Frohbotschaft, des Geistes christlicher Mäßigung und allumfassender Liebe, versprechen Wir Uns die ersehnte durchgreifende Erneuerung der menschlichen Gesellschaft in Christus. ... Schwere des Werkes ... 140. Verheißungsvolle Anzeichen einer Erneuerung der Gesellschaft sind die Arbeiterverbände. Zu Unserer großen Freude erblicken Wir i n ihren Reihen auch die festgefügten Sturmtrupps der werktätigen Jugend, die dem Rufe der göttlichen Gnade willige Folge leistet und mit bewundernswertem Eifer ihre Berufs- und Altersgenossen für Christus zu gewinnen strebt. Keine geringere Anerkennung verdienen die Arbeiterführer, die uneigennützig nur auf das Wohl ihrer Berufsgenossen bedacht in geschickter Weise deren berechtigte Ansprüche mit dem Wohlergehen des ganzen Berufsstandes in Einklang zu setzen verstehen und beide zugleich zu fördern beflissen sind, wobei sie weder durch sachliche Schwierigkeiten noch durch persönliche Verdächtigungen sich von ihrer ungemein bedeutsamen 25
28*
Kolosser 3, 14.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Aufgabe abbringen lassen. Auch i n den Kreisen derer, denen durch Bildung und Besitz einflußreiche Stellungen i m gesellschaftlichen Leben sicher sind, sieht man den jungen Nachwuchs vielfach den Fragen des Gesellschaftslebens mit großem Ernst sich zuwenden, um, wie hiernach zu hoffen steht, sich einmal mit ganzer Kraft der Erneuerung der Gesellschaft anzunehmen. Einzuschlagender Weg 141. So lassen die GegenwartsVerhältnisse, Ehrwürdige Brüder, bereits ganz klar den einzuschlagenden Weg erkennen. Uns steht heute — wie es auch früher schon mehr als einmal in der Kirchengeschichte der Fall war — eine Welt gegenüber, die großenteils ins Heidentum zurückgefallen ist. U m so weite Gesellschaftskreise nach ihrem Abfall von Christus wieder zu Christus zurückzuführen, braucht es eine Auslese wohlausgebildeter Laienhelfer aus ihrer eigenen Mitte, die mit ihrer ganzen Denkweise und Willensrichtung aufs genaueste vertraut sind und in brüderlich freundwilliger Gesinnung den Weg zu ihren Herzen finden. Die ersten und nächsten Apostel unter der Arbeiterschaft müssen Arbeiter sein; ebenso müssen die Apostel für die Welt der Industrie und des Handels aus dieser selbst hervorgehen. 142. ... Gewiß ist es ein schweres Stück Arbeit, das hier dem Priester zugemutet wird. Darum muß der ganze priesterliche Nachwuchs durch angestrengtes Studium der Gesellschaftswissenschaften eine gediegene Ausrüstung dazu erhalten. Diejenigen aber, die Ihr eigens für dieses Arbeitsfeld freistellt, müssen die unbedingte Gewähr hochentwickelten Gerechtigkeitssinnes und männlichen Mutes bieten, u m jedwedem, der ungerechtfertigte Ansprüche stellt oder ungerechte Machenschaften sich erlaubt, mit Entschiedenheit entgegenzutreten; sie müssen sich auszeichnen durch Klugheit und Maßhaltung, die sich vor der Gefahr des Radikalismus nach der einen oder der anderen Seite hin bewahrt. ... Einheit und Einigkeit 147. Gewiß kann niemand die großen Leistungen verkennen, die der unermüdliche Eifer der Katholiken aufzuweisen hat, sowohl auf gesellschaftlichem und wirtschaftlichem, als auf schulischem und kirchlichem Gebiet. Aber alle diese bewundernswerte und hingebungsvolle Arbeit hat oft nicht den entsprechenden Erfolg wegen übermäßiger Zersplitterung der Kräfte. Darum mögen alle, die guten Willens sind, alle, die unter Führung der Hirten der Kirche diesen guten und friedlichen Kampf für die Sache Christi bestehen wollen, mögen alle, von der Kirche geführt und belehrt, sich zusammenschließen zur Erneuerung der menschlichen Gesellschaft i m christlichen Geiste, wie sie Leo X I I I . durch sein herrliches Rundschreiben Rerum novarum eingeleitet hat. ...
X . Die katholische Kirche und der Nationalsozialismus
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X. Die katholische Kirche und der Nationalsozialismus Die katholische Kirche wandte die gegenüber Sozialismus und Kommunismus entwickelten Grundsätze auch gegenüber dem Nationalsozialismus an1. Die Mitgliedschaft in der NSDAP und deren Unterstützung galten ihr als mit dem katholischen Glauben unvereinbar. Wachsende Bedeutung gewann diese Entscheidung nach der dramatischen Zunahme der für die NSDAP abgegebenen Stimmen in den Septemberwahlen 1930?. Nachdem sich in diesen Wahlen der Stimmenanteil der Nationalsozialisten von 2,6% auf 18,3% erhöht hatte, stand der Episkopat vor der Frage, ob an den bisherigen Grundsätzen unverändert festzuhalten sei. Von den entsprechenden Stellungnahmen aus dem Frühjahr 1931 sind im Folgenden die Äußerungen des bayerischen Episkopats sowie die der Bischöfe des Kölner Metropolitanbezirks wiedergegeben (Nr. 227, Nr. 228). Alle Verlautbarungen warnten übereinstimmend vor den Irrlehren und den glaubensfeindlichen Tendenzen des Nationalsozialismus; sie untersagten den Geistlichen jede Agitation für die NSDAP; bei der Zulassung zu den Sakramenten suchten sie zwischen aktiven Mitgliedern und bloßen Mitläufern der NSDAP zu unterscheiden. Das damit aufgeworfene seelsorgerliche Problem fand ausführliche Behandlung in der Seelsorgeinstruktion der Fuldaer Bischofskonferenz vom 5. August 1931 (Nr. 229), die an die Stelle der Winke zum seelsorgerlichen Verhalten gegenüber den Angehörigen glaubensfeindlicher Vereinigungen von 1921 traf .Die prinzipielle Ablehnung des Nationalsozialismus und die differenzierende Behandlung der Einzelfälle wurden ein Jahr später in der Instruktion der Fuldaer Bischofskonferenz vom 17. August 1932 noch einmal in knapper Form wiederholt (Nr. 230). Zum Zeitpunkt der Machtübergabe (30. Januar 1933) konnte am grundsätzlichen Widerspruch des katholischen Episkopats gegen die nationalsozialistische Weltanschauung kein Zweifel bestehen. Dagegen hatte sich im seelsorgerlichen Verhalten des Klerus eine weitgehende Rücksicht auf das starke Anwachsen der nationalsozialistischen Anhängerschaft entwickelt i.
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Siehe oben Nr. 209 ff. Siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 298ff. 3 Siehe unten Anm. 10. 4 Vgl. H. Müller, Katholische Kirche und Nationalsozialismus. Dokumente 19301935 (1963); G. Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich (1965); L . Volk, Der bayerische Episkopat und der Nationalsozialismus 1930-1934 (2. Aufl. 1966); E. W. Böckenförde, Kirchlicher Auftrag und politische Entscheidung (1973), S. 30ff.; L . Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus und Kirchen. Religionspolitik von Partei und Staat bis 1935 (1974), S. 15ff.; D. Albrecht (Hrsg.), Katholische Kirche i m Dritten Reich (1976); K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I (1977), S. 60ff.; H.-A. Raem (Hrsg.), Katholische Kirche und Nationalsozialismus (1980); F. Hainbuch, Die Extremismus-Beschlüsse der Fuldaer Bischofskonferenz von 1930 und 1931 unter Vorsitz Kardinal Adolf Bertrams, in: G. Adriany (Hrsg.), Festgabe für B. Stasiewski zum 75. Geburtstag (1980), S. 104ff.; K. Gotto /K. Repgen (Hrsg.), Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus (2. Aufl. 1982); K. Repgen, Katholizismus und Nationalsozialismus. Zeitgeschichtliche Interpretationen und Probleme (1983); Erinnerung und Verantwortung. 30. Januar 1933-30. Januar 1983. Fragen, Texte, Materialien, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (1983); G. Denzler, Widerstand oder Anpassung? Katholische Kirche und Drittes Reich (1984); G. Denzler/V. Fabricius, Die Kirchen i m Dritten Reich. Christen und Nazis Hand in Hand? (2 Bde., 1984); K.-E. Lonne, Politischer Katholizismus i m 19. und 20. Jahrhundert (1986), S. 230ff. 2
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
Nr. 227. Pastorale Anweisung des bayerischen Episkopats 5 vom 10. Februar 1931 CB. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1933-34, 1968, S. 806 ff.) 1. Der Nationalsozialismus enthält in seinem kulturpolitischen Programm Irrlehren, weil er darin wesentliche Lehrpunkte des katholischen Glaubens ablehnt oder doch schief auffaßt und weil er nach der Erklärung seiner Führer eine neue Weltanschauung an die Stelle des christlichen Glaubens setzen will. Es liegt uns ferne, uns mit den staatspolitischen Zielen des Nationalsozialismus zu befassen; wir fragen uns nur, was für eine Stellung er zum katholischen Christentum einnimmt. Führende Vertreter des Nationalsozialismus stellen die Hasse höher als die Religion. Sie lehnen die Offenbarungen des Alten Testamentes und sogar das mosaische Zehngebot ab. Sie lassen den Primat des Papstes i n Rom nicht gelten, weil er eine außerdeutsche Stelle sei, und spielen mit dem Gedanken einer dogmenlosen deutschen Nationalkirche 6 . I n § 24 des Programms 7 soll das ewig gültige christliche Sittengesetz an dem Moralgefühl der germanischen Rasse nachgeprüft werden. Auffassungen vom Recht der Revolution, die von Erfolg begleitet wird, und vom Vorrecht der Macht vor dem Recht stehen i m Widerspruch mit der christlichen Gesellschaftslehre. Aus bisherigen Kundgebungen der Partei oder der Parteiführer läßt sich feststellen: Was der Nationalsozialismus Christent u m nennt, ist nicht mehr das Christentum Christi. Die Bischöfe müssen also als Wächter der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre vor dem Nationalsozialismus warnen, solange und soweit er kulturpolitisch Auffassungen kundgibt, die mit der katholischen Lehre nicht vereinbar sind.
5 Der Text w i r d i m Original mit folgender Anmerkung eingeleitet: „Aus den Reihen der Seelsorger kamen in den letzten Monaten wiederholt Anfragen an die oberhirtliche Stelle, wie sie sich bei Gesuchen u m einen Gottesdienst seitens nationalsozialistischer Gruppen zu verhalten hätten. Da der Klerus ein Recht hat, i n allen pastoralen Fragen von seinen Bischöfen Richtlinien zu erhalten, lassen die Oberhirten der acht bayerischen Diözesen die nachstehende gemeinsame Anweisung an den Klerus ergehen. Die Anweisung erfolgt i n einem längeren zeitlichen Abstand von der Wahlbewegung, u m auch auf diese Weise den unpolitischen, rein seelsorgerlichen Charakter deutlich hervortreten zu lassen." — Bezug genommen w i r d in dieser Anmerkung auf die Reichstagswahlen vom 14. September 1930, bei denen die NSDAP 18,3% der Stimmen erhalten hatte. 6 Zu den Auseinandersetzungen u m die „romfreie" deutsche Nationalkirche vor 1933 siehe W. GerdemannjH. Winfried, Christenkreuz oder Hakenkreuz? Tatsachen und Bilder aus der nationalsozialistischen Geistesbewegung (1931), S. 40ff.; J. NötgeSy Nationalsozialismus und Katholizismus (1931), S. 145 ff. 7 Der bekannte Punkt 24 des Parteiprogramms der NSDAP vom 24. Februar 1924 hat folgenden Wortlaut: „Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse i m Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- oder Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist i n und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz geht vor Eigennutz." (W. Treue, Deutsche Parteiprogramme seit 1861, 4. Aufl. 1968, S. 158f.).
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2. Dem katholischen Geistlichen ist es streng verboten, an der nationalsozialistischen Bewegung in irgendeiner Form mitzuarbeiten. Dem katholischen Geistlichen, der kraft seiner theologischen Bildung Dogma und Irrlehre zu unterscheiden fähig ist, können die christentumsfeindlichen und kirchenfeindlichen Grundsätze und Tatsachen dieser Bewegung nicht unbekannt sein, wie die Ablehnung jeglichen Konkordates, die Forderung der Simultanschule, der Radikalismus des nationalen Gedankens, der Widerstand gegen den Schutz des keimenden Lebens. Ein schuldlos irriges Gewissen kann beim Priester nicht angenommen werden. Aus dem gleichen Grunde hat der Seelsorger die Pflicht, in ruhig sachlichem Ton das Volk darüber aufzuklären, daß der Nationalsozialismus, von Haus aus eine gegen den Marxismus gerichtete staatspolitische Bewegung, i m Laufe der letzten Jahre mehr und mehr auf das kulturpolitische Gebiet abschwenkte und dabei in eine Kulturkampfstellung gegen die Kirche und ihre Bischöfe geriet. I n der führenden Presse dieser Partei wurden gegen katholische Kundgebungen, sogar den Aufruf des HL Vaters zur Abwehr des Bolschewismus, Töne angeschlagen, die jegliche Sachkenntnis i n religionswissenschaftlichen Fragen und jegliche Ehrfurcht vermissen lassen. 3. Die Teilnahme von Nationalsozialisten an gottesdienstlichen Veranstaltungen i n geschlossenen Kolonnen mit Uniform und Fahne ist und bleibt verboten, weil eine solche Kirchenparade das Volk auf den Gedanken bringen müßte, die Kirche habe sich mit dem Nationalsozialismus abgefunden. Wenn der einzelne Nationalsozialist mit den Abzeichen seiner Partei i n der Kirche erscheint, kann das nur dann unbeanstandet bleiben, wenn dabei i n keiner Weise eine Demonstration beabsichtigt wird und eine Störung der hl. Handlung in keiner Weise zu fürchten ist. 4. Zu der Frage, ob ein Nationalsozialist zu den hl. Sakramenten der Buße und des Altares zugelassen werden kann, ist von Fall zu Fall zu prüfen, ob der Betreffende ein Mitläufer der Bewegung ist, der über die religiösen und kulturpolitischen Ziele der Bewegung sich keine Rechenschaft gibt, oder ob er als Abgeordneter, als Schriftleiter, als Agent für die gesamten Ziele seiner Partei sich einsetzt, also auch für jene Punkte, die mit dem Wesen des Christentums und mit der Glaubenslehre der Kirche nicht i m Einklang stehen. Unter den Massen, die bei der letzten Wahl 8 nationalsozialistisch gewählt haben, gibt es ohne Zweifel eine große Zahl, die nur die vaterländischen Ziele des Nationalsozialismus (z.B. Überprüfung des Friedensvertrages) oder die volkswirtschaftlichen Ziele (z.B. Besserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiterschaft, höhere Aufwertung) mitmachen, dagegen die kulturpolitischen Gegensätze gegen Christentum und Kirche gar nicht kennen oder wenigstens für ihre Person nicht wollen und so subjektiv i m guten Glauben leben. I n solchen Fällen muß der Beichtvater sich ein Urteil bilden, ob die Zugehörigkeit zum Nationalsozialismus eine nächste Gelegenheit zur Sünde 9 bedeutet oder nicht. Wie weit hier für den Beichtvater eine Frage- und Belehrungspflicht vorliegt, ergibt sich aus den allgemeinen Regeln der Pastoral.
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Siehe oben Anm. 5. Die Meidung der „nächsten Gelegenheit" gilt i m Rahmen der katholischen Bußlehre als besonders wichtiges Zeichen für die Echtheit des Vorsatzes, eine Sünde nicht mehr zu begehen; vgl. z.B. F. Tillmann, Handbuch der katholischen Sittenlehre, Bd. IV/2 (1936), S. 214f. 9
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
5. Die pastoralen Grundsätze gegenüber dem Nationalsozialismus bleiben die gleichen, die gegenüber dem Liberalismus der alten Zeit und gegenüber dem Sozialismus noch in den letzten Jahren von berufener Seite aufgestellt wurden 1 0 : Auch unter den Anhängern dieser Irrlehren gab und gibt es solche, die persönlich an ihrem Firmungsgelöbnis nicht rütteln und an ihrer Kirche nicht zu Verrätern werden wollen. Bei der Frage, ob i m Einzelfall ein Anhänger des Nationalsozialismus oder Sozialismus, der ohne die heiligen Sakramente plötzlich starb, das kirchliche Begräbnis erhalten kann, ist nach dem Gesagten die Vorfrage zu stellen, ob der Betreffende am kirchlichen Leben sich beteiligte, seine Osterpflicht 11 erfüllte und überhaupt in Frieden mit seiner Kirche lebte. 6. Sollte sich, was w i r nicht hoffen, der Nationalsozialismus zu den Methoden des Bolschewismus entwickeln, dann könnte allerdings bei den Einzelnen eine bona fides nicht mehr angenommen werden. I m übrigen gelten hier die Richtlinien, die von den Bischofskonferenzen in Fulda und Freising für die Seelsorge gegenüber glaubensfeindlichen Vereinigungen aufgestellt wurden.
Nr. 228. Kundgebung der Bischöfe der Kölner Kirchenprovinz zur nationalsozialistischen Bewegung vom 5. März 193112 (. Β. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 814ff.) Seit Monaten ergehen an uns von gewissensbedrängten Gläubigen, von verantwortungsbewußten und besorgten Priestern, von Katholiken des öffentlichen Lebens ebenso wie von Männern des schlichten Volkes Anfragen: Wie haben wir uns als treue Katholiken zu einer Bewegung zu stellen, die unter der Bezeichnung „Nationalsozialismus" sich in Deutschland verbreitet und einen großen Teil unserer Volksgenossen, vor allem auch weite Kreise der Jugend, erfaßt hat? Die Erwartung, daß es den Führern dieser Bewegung in Bälde gelingen werde, ihre Ziele und Grundsätze so zu entwickeln und zu klären, daß sie zu begründeten Mißverständnissen oder zu Bedenken bei gläubigen Katholiken keinen Anlaß mehr gäben, hat sich nicht erfüllt. Ebensowenig auch die Hoffnung, daß so manches Beklagenswerte i m Auftreten nationalsozialistischer Vertreter, nicht zuletzt in der Sprache ihrer Presseorgane, sich als vorübergehende Begleiterscheinung erweisen würde, die eben leicht mit unerwartet schnell anschwellenden Massenbewegungen sich verbindet. Vielmehr drohen fortgesetzt eine Reihe von schiefen und falschen Auffassungen, die von führenden Vertretern der nationalsozialistischen Bewegung 10 Vgl. insbesondere die Winke betr. Aufgaben der Seelsorger gegenüber glaubensfeindlichen Vereinigungen von 1921, in: W. Corsten (Hrsg.), Sammlung kirchlicher Erlasse, Verordnungen und Bekanntmachungen für die Erzdiözese Köln, Bd. I (1929), S. 619ff. (Neufassung von 1931 unten Nr. 229). 11 Also die Pflicht zur Beichte i n der vorösterlichen Fastenzeit. 12 Vgl. auch die Kundgebung der Bischöfe der Paderborner Kirchenprovinz vom 10. März 1931 (Text: B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 818 ff.) sowie die Kundgebung der Bischöfe der oberrheinischen Kirchenprovinz vom 19. März 1931 (Text: ebenda S. 824ff.).
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in öffentlichen Versammlungen, i n Presse und Literatur über fundamentale christliche Glaubenswahrheiten, insbesondere über die katholische Lehre von der Universalität, Einheit und Autorität der Kirche Jesu Christi, über einzelne sittliche Grundsätze, ferner über das Verhältnis von Kirche und Staat, von Religion und Rasse kundgetan wurden, mehr und mehr die unserer Hirtensorge anvertrauten Seelen zu verwirren und zu gefährden. Dieser Verwirrung und Gefährdung gegenüber können und dürfen auch w i r Oberhirten nicht länger schweigen, zumal als unser Abwarten gegenüber der Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung schon mißdeutet wurde. Vor allem aber auch, weil die schon ausgesprochenen wohlabgewogenen Warnungen, wie sie insbesondere der Hochwürdigste Herr Kardinal und Erzbischof von Breslau in aller Öffentlichkeit hat ergehen lassen 13 , und auch die Stellungnahme der Hochwürdigsten Herren Erzbischöfe und Bischöfe Bayerns 14 die verantwortlichen Führer der Bewegung nicht dazu vermochten, die der katholischen Glaubens- und Sittenlehre widersprechenden Kundgebungen aus ihren eigenen Reihen klar und eindeutig abzulehnen. Auch die höchst unehrerbietige, oft geradezu in Schmähungen sich ergehende Sprache gegenüber den Vertretern der kirchlichen Autorität, die aus berechtigter Hirtensorge sprachen, begegnet keinem wirksamen Widerspruch. Wir Bischöfe der Kölner Kirchenprovinz haben unserer Hirtenpflicht eingedenk durch eine eigene gemeinsame Kundgebung vom 8. Januar 191915 nachdrücklich und freimütig vor dem katholikenfeindlichen Sozialismus und damit auch vor dem aus i h m hervorgegangenen Kommunismus gewarnt und warnen heute mit unverändertem Nachdruck. Ebenso pflichtbewußt handeln w i r jetzt, wenn wir unsere Diözesanen auf die mit der nationalsozialistischen Bewegung für katholisches Denken und Leben entstandene Gefahr aufmerksam machen und mahnend unsere Stimme erheben. Es verdient in diesem Zusammenhang alle Beachtung, daß die höchste kirchliche Autorität, unser Heiliger Vater Papst Pius XI., die den Irrtümern nationalistischer Führer i n einzelnen wesentlichen Punkten ganz offensichtlich verwandte nationalistische Bewegung „Action fran£aise" verurteilt hat 1 6 . I n Übereinstimmung mit einem Worte der bayerischen Oberhirten warnen w i r mit tiefem Ernst vor dem Nationalsozialismus, „so lange und so weit er kulturpolitisch Auffassungen kundgibt, die mit der katholischen Lehre nicht vereinbar sind" 1 7 . Ausdrücklich machen wir uns als besondere Begründung dieser Warnung die Ausführungen des Hochwürdigsten Herrn Kardinals und Erzbischofs von Breslau zu eigen, der in seinem „Offenen Mahnwort zur Jahreswende" schreibt 18 : 13 Kundgebung Adolf Kardinal Bertrams vom 31. Dezember 1930 (Text: ebenda S. 800ff); Pastorale Winke des Kardinals Bertram vom 14. Februar 1931 (ebenda S. 809 ff). 14 Oben Nr. 227. 15 Oben Nr. 210. 16 Vgl. das Dekret des Hl. Offiziums Damnantur quaedam opera Caroli Mauras et ephemerides „L'action fran^aise" vom 29. Dezember 1926 (Text: A A S 18, 1926, S. 529f.); dazu L . Thomas, L'action fran^aise devant l'église de Pie X à Pie X I I , Paris 1965. 17 Oben Nr. 227. 18 Stasiewski, a.a.O., S. 803.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche
„Wir katholischen Christen kennen keine Rassenreligion, sondern nur Christi weltbeherrschende Offenbarung, die für alle Völker den gleichen Glaubensschatz 19 , die gleichen Gebote und Heilseinrichtungen gebracht hat. Möge jedes Volk und jeder Stamm alles Edle seiner Eigenart in diesem Reiche des Königs Christus voll und ganz zur Entfaltung bringen", und weiter: „Wir Katholiken kennen kein nationales Kirchengebilde. Katholisch heißt allgemein. ,Ein Hirt und eine Herde' 2 0 rings auf dem Erdenkreise: das ist der Grundplan des Reiches Christi, feierlich verkündigt vor seinem Kreuzestode. — ,Ein Hirt und eine Herde': das ist zugleich die Weihe des geistigen Bandes, das i n der Völkerfamilie herrscht und durch keinerlei irdische Differenzen und Interessenkämpfe gelockert werden kann." Das schließt, wie wir mit Nachdruck betonen, nicht aus, daß w i r auch vom Standpunkte unserer heiligen Religion aus, ja gerade von dieser aus, es verstehen und begrüßen, wenn in unserem armen, gedemütigten und geknechteten Vaterlande, in unserem von Gegensätzen aller A r t zerrissenen Volke das Zusammengehörigkeitsgefühl deutscher Stammes- und Volksgenossen untereinander allenthalben sich neu belebt. Wir begrüßen es, wenn die Liebe zum Vaterlande, gerade weil es in Not und Leiden sich windet, ganz besonders betont und geübt wird, wenn das eigenartige Gute, das die göttliche Vorsehung dem deutschen Volke mit seinem tiefen Gemüt, seinem zähen Willen, seinem ursprünglichen Sinn für Treue und Glauben geschenkt hat, von allen Deutschen geschätzt und ohne Überheblichkeit gegenüber anderen Völkern gepriesen und zur Geltung gebracht wird. Ja, wir verstehen und billigen es auch, wenn mehr und mehr gegenüber so mancher Unwahrheit und so manchem Unrecht, die wie ein unheilvoller dunkler Schleier Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unseres Volkes zu umhüllen drohen, bei uns sich immer stärker ein einheitlicher Abwehrwille, ein entschlossenes Eintreten für Recht und Wahrheit in den Beziehungen der Menschen und Völker zueinander geltend macht. Aber alle diese edlen Regungen eines Volkes werden bedeutungslos verklingen, j a können sogar zu Gefahren werden, wenn sie nicht zu ernsten, großen, sittlich guten Taten führen. Die Liebe zu Volk und Vaterland, wie die Religion Christi sie lehrt, muß sich zunächst und vor allem darin kundtun, daß w i r als Söhne desselben deutschen Vaterlandes treu zueinander stehen, daß wir, wenn Millionen unseres Volkes bitterste Not leiden, nicht gleichgültig bleiben, vielmehr uns allenthalben in Stadt und Land entsprechend den örtlichen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu planvoller, opferfreudiger Hilfe zusammenschließen. „Einer trage des anderen Last" (Gal. 6, 2), das ist zugleich christliche und vaterländische Pflicht. Die Liebe zu Volk und Vaterland, wie echtes Christentum sie lehrt, fordert, daß w i r uns bereitfinden zu den Opfern und Lasten, die eine rechtmäßige Obrigkeit u m des Wohles des Ganzen willen glaubt von uns fordern zu müssen. Wahre Liebe zu Volk und Vaterland fordert weiter, daß w i r ehrlich und einmütig über alle Gegensätze von Stand und Klasse, Konfession und Partei hinweg uns bemühen, die Wurzeln des Elends unserer Zeiten aufzufinden und ohne unfruchtbare Polemik nach entsprechender Besserung i n unserer Lebens-, Gesellschafts- und
19 I n der Vorlage versehentlich: „Glaubenssatz". Gemeint ist aber offenkundig nicht ein einzelnes Dogma, sondern das depositum fidei. 20 Vgl. Johannes 10,16.
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Wirtschaftsordnung zu streben. „ E i n jeder aber prüfe", wie der Apostel sagt, „sein eigenes Tun!" (Gal. 6, 4). Edle Liebe zu Volk und Vaterland fordert endlich, daß w i r auch vor der abweichenden Überzeugung des anderen Achtung haben und da, wo w i r als Staatsbürger öffentlich oder privat, i n der Presse oder i n den Körperschaften der Volksvertretung unsere Meinung geltend machen, es stets in Formen tun, die einer christlichen Kulturnation würdig sind. Nur mit tiefem Kummer und großer Sorge kann man es sehen, wie erbittert, ja wie gehässig weite Kreise unseres Vaterlandes, Söhne des gleichen Volkes, gar manches Mal selbst Glaubensgenossen, Kinder der gleichen geistigen Mutter, unserer heiligen Kirche, gegeneinander stehen. Darum rufen wir die unserer Hirtensorge unterstellten Gläubigen mit aller Liebe und Eindringlichkeit zu neuem ernsten Besinnen auf. Niemals dürfen w i r uns, auch nicht i m Kampfe gegen Unrecht und Unwahrheit, Lieblosigkeit und Gewalttat zu Formen der Abwehr hinreißen lassen, die mit dem christlichen Sittengebote nicht vereinbar sind. Der Atmosphäre des Hasses, die Volk und Völker zu vernichten droht, müssen w i r die Atmosphäre der Liebe entgegensetzen. Nicht gemeint ist die weichliche Nachgiebigkeit, die zu Unwahrheit und Zersetzungserscheinungen, zu Unrecht und Gewalttat charakterlos schweigt, sondern jene Liebe, die bessern und helfen, aber nicht verletzen und zugrunde richten will, jene Liebe, die nach den Worten des Völkerapostels „nicht das ihrige sucht, sich nicht erbittern läßt", die „alles glaubt, alles hofft" aber auch — „alles übersteht" (1. Kor. 13, 5-7), weil sie von Gott kommt, der allein die Menschen und Völker wieder i n einträchtigem Verstehen zusammenführen, der auch unser geliebtes Volk und Vaterland wieder zu wahrer Gesundung, zu neuem Aufstieg führen kann.
Nr. 229. Seelsorgeinstruktion der Fuldaer Bischofskonferenz „Cura impenda" vom 5. August 1931 (JB. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 832ff.) Über die seelsorgerliche Behandlung derjenigen, die christentumsfeindlichen Parteien angehören, sind vereinzelt kurze Entscheidungen auf Anfragen seitens des Hl. Stuhles und Anweisungen seitens der Oberhirten einzelner Diözesen erfolgt. Da mehrfach der Wunsch laut geworden ist, eine Zusammenstellung der wichtigeren einschlägigen Richtlinien zu erhalten, w i r d folgendes zur Kenntnis des hochwürdigen Seelsorgeklerus gebracht 21 .
21 Es handelt sich u m eine überarbeitete Fassung der Winke, betr. Aufgaben der Seelsorger gegenüber glaubensfeindlichen Vereinigungen aus dem Jahr 1921 (Text: W. Corsten, Sammlung kirchlicher Erlasse, Verordnungen und Bekanntmachungen für die Erzdiözese Köln, Bd. I, 1929, S. 619ff.). Wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung w i r d die Neufassung dieser Winke i m Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte i m Blickfeld der katholischen Kirche I.
Nichts kann die Kirche bestimmen, ihren ablehnenden Standpunkt gegenüber allen und jeden Christentums- und kirchenfeindlichen Vereinigungen und Richtungen, seien sie sozialistischen, freimaurerischen oder anderen Namens, aufzugeben oder abzuschwächen. Es ist und bleibt jedem Katholiken streng verboten, solchen Parteien oder Vereinigungen beizutreten oder ihre Bestrebungen zu fördern. Dieses Verbot gilt auch dann, wenn einzelne Parteien neben verwerflichen auch manche berechtigten Ziele verfolgen oder wenn sie dem Christentum und der Kirche langsam ein wenig sich zu nähern streben. So lange eine Richtung oder Partei Lehren oder Bestrebungen befolgt, die mit Christi und seiner Kirche Lehre und Rechten nicht vereinbar sind, ist Zugehörigkeit zu ihnen unerlaubt, weil die Zugehörigkeit nicht auf einzelne erlaubte Bestrebungen beschränkt werden kann, sondern den Einzelnen, seinen Namen und seine Beiträge in den Dienst des ganzen Programms stellt, und damit in den Dienst kirchenfeindlicher Bestrebungen; hinzukommt für den Einzelnen die Gefahr der Ansteckung, der allmählichen Entfremdung vom Glaubensleben und von den kirchlichen Übungen. „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich w i l l dir sagen, wer du bist" 2 2 . Niemals darf es heißen, die Kirche habe sich mit irgendeiner glaubensfeindlichen Partei abgefunden. Über die Gründe einer solchen ablehnenden Haltung, speziell bezüglich der sozialistischen Parteien, findet sich kurze Aufklärung i m Hirtenbriefe der niederrheinischen Kirchenprovinz, d. d. 2 3 Münster, d. 8. Januar 191924 und in einer Reihe wissenschaftlicher und populärer Schriften und Aufsätze 25 . Die Unerlaubtheit w i r d dadurch nicht aufgehoben, daß i n manchen öffentlichrechtlichen oder wirtschaftlichen Körperschaften (Reichstag, Landtag, Kartells und dergleichen, in Ministerien) treue katholische Abgeordnete, Beamte und sonstige Beteiligte in erlaubten Dingen mit Anhängern der christentumsfeindlichen Parteien gemeinsam abstimmen oder handeln, was nach seiner Opportunität zu beurteilen i n vielen Fällen den mitten i m Kampfe stehenden Vertretern der berechtigten Interessen überlassen bleiben muß. Es ist nicht zu leugnen, daß eine Verständigung gar oft ad evitanda majora mala 26 notwendig ist. Ein solches gemeinsames Handeln in erlaubten Einzelfragen darf nicht zu einem Zusammengehen in Prinzipienfragen bedenklicher Art, nicht zu einer die Reinheit der katholischen Grundsätze gefährdenden Annäherung auswachsen. Die politische Bewe22 J. W. v. Goethe, Maximen und Reflexionen (Hamburger Ausgabe, Bd. X I I , Nr. 1077, S. 517): „Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist; weiß ich, womit du dich beschäftigst, so weiß ich, was aus dir werden kann" (ursprünglich aus: Wilhelm Meisters Wanderjahre). 23 de dato. 24 I n der Vorlage versehentlich: 1920; siehe oben Nr. 210. 25 Anmerkung in der Vorlage: „Da bei der Behandlung dieser Frage namentlich auch die jedem verständlichen, populären Schriften von Nutzen sind, sei hingewiesen auf Cathrein, Sozialdemokratie und Christentum (Herder 1919), auf die i m Volksvereinsverlag (München-Gladbach) erschienenen verschiedenen Schriften über Sozialismus, insbesondere: .Sozialdemokratie und Religion'; »Sozialistische Ethik und Christentum'; »Sozialdemokratie und christliche Sittenlehre'; »Religion ist Privatsache' u. a. m. — Nieder, Sozialismus; Mausbach, Sozialismus und Christentum; Bischof Buchberger, Gibt es noch Rettung?; Schilling, Die soziale Frage. U.a.m." 26 zur Vermeidung größerer Übel.
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gungsfreiheit der Katholiken ist kirchlicherseits laut Schreiben des Herrn Kardinal-Staatssekretärs vom 30. Oktober 190627 anerkannt in solchen Dingen, die Religion und Kirche nicht berühren. Als Vorbedingung des Beitritts von Katholiken zu einer politischen Partei verlangt das päpstliche Schreiben an die Bischöfe Argentiniens vom 4. Februar 193128: daß die politische Partei gebe sicure garanzie di rispettare i diritti ed osservare i leggi della Chiesa Cattolica , also zuverlässige Garantie für Anerkennung der Rechte und Beobachtung der Gesetze der Katholischen Kirche. Bei den Prinzipienfragen der gedachten Parteien aber handelt es sich u m grundstürzende Gefährdung des Glaubens, der christlichen Grundsätze und der Kirche 2 9 . II. Hierüber sind die Gläubigen an der rechten Stelle, zu rechter Zeit und in der rechten Weise durch Wort und Schrift, durch planmäßige Schulung in Vereinen, durch die Presse und i m privaten Verkehr zu belehren: Indem der Schutz von Glaube und christlichem Sittengesetz, katholischer Erziehung und Familienreinheit, katholischer Weltanschauung, christlicher K u l t u r und Berufsauffassung, der Schutz von Autorität und gottgesetzter Ordnung, insbesondere der übernatürliche Charakter des menschlichen Lebens in allen seinen höheren Zielen und die Verteidigung der Pflichten der Gerechtigkeit und Liebe als einzig bestimmender Grund des kirchlichen Standpunktes dargetan wird, w i r d ganz von selbst dem Vorwurf vorgebeugt, als benutze die Kirche mißbräuchlich ihre Autorität für die Interessen politischer Parteien. Ob einzelne Parteien bei solcher Belehrung deutlich mit ihrem Namen zu nennen sind, hängt von den örtlichen Umständen ab. Nicht immer ist es leicht, die rechte 27 Das Schreiben des Kardinalstaatssekretärs Raffaele Merry del Val wurde nicht ermittelt. 28 Gemeint ist wohl das Schreiben Pius XI. vom 4. Dezember 1930 (Text: A A S 34, 1942, S. 242ff.). 29 Anmerkung in der Vorlage: „Hinsichtlich der Bewegungsfreiheit auf politischem Gebiete sind die i m öffentlichen Leben wirkenden Männer und Frauen und die i m Vereinsleben tätigen Geistlichen namentlich auch auf folgendes aufmerksam zu machen. U m die Massen des katholischen Volkes gegen ihre politischen Führer mißtrauisch zu machen, w i r d gegnerischerseits i n unzähligen Wendungen bis ins letzte Dorf hinein durch die Gegner Woche für Woche die Darstellung verbreitet, als ob parlamentarische katholische Vertreter, die des besonderen Vertrauens des katholischen Volkes sich erfreuen, mit kirchenfeindlichen Parteien, insbesondere mit dem Marxismus sich innerlich verbündet hätten: eine Darstellung, die nicht nur diesen Parlamentariern selbst die Fühlung mit dem katholischen Volke vergiftet, sondern ebenso das Vertrauen zu den Trägern der katholischen Autorität unterwühlt. Es geschah bisher nicht genug, u m solche Ausstreuungen unwirksam zu machen. Daher ist es Pflicht der katholischen Volksvertreter und der katholischen Presse, überall Klarheit zu schaffen, und zwar nicht nur gelegentlich i n einmaligen Erklärungen, sondern immer wieder mit unzweideutiger Bestimmtheit öffentlich und überzeugend zum Ausdruck zu bringen, daß die katholischen Volksvertreter entschlossen sind, bei den kirchenfeindlichen Parteien alles das zu verurteilen, was die Kirche verurteilt; und daß ein Zusammengehen mit den Vertretern derselben nur in erlaubten, das Wohl des Vaterlandes fördernden Fragen stattfinden kann, soweit eine gebieterische Notwendigkeit gegenüber dem Vaterlande vorliegt, daß aber solches Zusammengehen keineswegs die unveränderte Ablehnung und Bekämpfung ihrer Weltanschauung abschwächt oder aufhebt. Vergleiche Stimmen der Zeit, 1931, S.312ff."
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Mitte zwischen kluger Vorsicht und Hirtenfreimut zu treffen. I n einigen bischöflichen Ausschreibungen und Erlassen sind solche Parteien offen mit Namen genannt unter solchen Umständen, unter denen es geradezu geboten erschien, daß kein Katholik sagen könne, durch Verschleierung oder Ungenauigkeit sei er zu Unklarheit geführt worden. Zu verhüten ist eine Ausdrucksweise, die Anlaß geben könnte zu der Annahme, als mache die Kirche i m Sittengesetze und i n ihrer Stellungnahme Unterschiede zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen akademisch gebildeten Katholiken und Männern des schlichten Volkes. Es ist pflichtmäßig und ehrenvoll für die Hirten der Gemeinden, daß sie allen und jeden Abirrungen von der christlichen Glaubens- und Sittenlehre, insbesondere auch den Irrtümern und Ausschreitungen eines falschen Liberalismus, des mammonistischen Kapitalismus, des Wuchers, der Ausbeutung der unteren Stände usw. stets, wo immer es die Zeitumstände erheischen, mit demselben Freimut entgegentreten, wie den dem Arbeiterstande drohenden Verirrungen. Wenn die Kirche ihre Sorge i n den letzten Jahrzehnten ganz besonders den Arbeitern zuwandte, so hat das seinen Grund i n der zunehmenden Massenverführung und i m Verlangen der Arbeiter nach klarer Stellungnahme der kirchlichen Autorität. — Zu verhüten ist eine Ausdrucksweise, als sei die Kirche dem Verlangen nach standesmäßigen Organisationen der Arbeiter entgegen 30 , als verbiete sie diesen das Erstreben berechtigter Ziele mit erlaubten Mitteln, als verbiete sie die K r i t i k an Schäden des modernen Wirtschaftslebens. I n jeder Hinsicht bleibt die vom Papst Pius X . sowohl wie schon zweimal vom Papst Bededikt XV. ausdrücklich bestätigte Enzyklika „Rerum novarum" des großen Papstes Leo X I I I 3 1 und die Enzyklika „Quadragesimo anno" von Papst Pius X I . 3 2 nach Inhalt und Form, Abwägung und Ausdrucksweise stets vorbildlich. Die Benutzung derselben auf Grund wiederholten eingehenden Studiums ihres Textes und der folgenden Literatur zeigt die rechten Wege für das belehrende Wirken des Klerus. Gilt doch von aller Verkündigung des göttlichen Wortes die Regel, nicht nur auf Abwehr und Widerlegung, sondern mehr noch auf positiven Aufbau und Einführung in die großen Heilswahrheiten und Heilskräfte der christlichen Lebensund Weltordnung das Hauptaugenmerk zu richten. III. Aus obigem ergibt sich von selbst die Pflicht: wer einer verbotenen Gesellschaft angehört, muß aus ihr austreten, auch wenn das i h m Opfer auferlegt. I n der Beurteilung der Erlaubtheit und Unerlaubtheit ist für den Katholiken das kirchliche Lehramt maßgebend. Wer diese Pflicht nicht erfüllt, obwohl er sie genügend kennt und ohne schweren Schaden erfüllen kann, kann zu den Sakramenten deshalb nicht zugelassen werden, weil er sich selbst so lange von der Würdigkeit zum Empfange der hl.
30 Vgl. dazu die Auseinandersetzungen u m die Organisation der katholischen Arbeiter seit 1890, insbesondere den „Gewerkschaftsstreit" (Staat und Kirche, Bd. III, S. 273 ff.). 31 Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 126. 32 Oben Nr. 226.
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Sakramente ausschließt, indem er sich freiwillig in einem wichtigen Stücke in Gegensatz stellt zu den vom höchsten Lehramte der Kirche verkündigten Pflichten 3 3 . Hierüber dürfen w i r die Beteiligten nicht i n Zweifel lassen. Sie haben ein Anrecht darauf, von uns klar und deutlich belehrt zu werden. Was bei der Bischofsweihe über den Bischof gebetet wird: nie sollst du Gutes böse, nie sollst du Böses gut heißen 34 , das gilt für jeden Priester. Nie dürfen w i r i n Verwaltung des Bußsakramentes, des Sakramentes des Seelenfriedens, zu denen gehören, die sagen: pax, ubi non est pax 3 5 . Wenn auch gegen Irregeführte nicht sofort mit Schroffheit, sondern i n omni patentia et doctrina mit wiederholter liebevoller Belehrung und Geduld, nötigenfalls unter Hinweis auf die bei andauernder Renitenz eintretenden Folgen vorzugehen ist, namentlich in Zeiten, wo Massenirrtümer, Massenunzufriedenheit und Massenverführung herrscht und viele sonst durchaus gutgesinnte Katholiken i m Gewirre der gegnerischen Behauptungen die Orientierung zeitweilig verlieren können, so ist doch, wenn alle Belehrung nicht hilft, der Mangel an Würdigkeit zum Sakramentenempfange also unleugbar und andauernd bleibt, auch die Konsequenz zu ziehen. Der einzelne Pönitent und die katholische Gemeinde darf uns i m letzten Gerichte nicht vorwerfen können, daß w i r zur Seelenrettung und zur Aufrechterhaltung des katholischen Bewußtseins i m Volke die unentbehrliche Strenge nicht angewandt hätten 3 6 . Wenn i m Vorstehenden die unermüdliche Ausdauer in überzeugender und liebevoller Belehrung so eindringlich betont und vor Übereilungen gewarnt ist, so ist an solche Gegenden gedacht, wo die Massenverwirrung zu einer ignorantia invincibilis geführt hat, daß selbst solche Katholiken, an deren gutem Willen zu treu katholischer Gesinnung nicht zu zweifeln ist, sich nicht zurechtfinden können; und an solche Gegenden, in denen wirtschaftlich abhängige Parochianen 37 von den Brotherren und Werkleitern terrorisiert werden. I n solchen Situationen die für Gemeinden und Einzelne nutzbringende einheitliche Pastorationsweise zu finden, macht angesichts der Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse eingehende Beratung in Dekanatskonferenzen notwendig. IV. Einer besonderen Schwierigkeit begegnet der Seelsorger nicht selten da, wo es sich u m Zugehörigkeit zu einer Organisation handelt, die an sich nur wirtschaftliche Interessen verfolgt, tatsächlich aber der wirksamste Vorspann für eine christentumsfeindliche Richtung ist, mit der sie nach Entstehung, Zielen und Arbeitsweise eng verbunden ist. Als Beispiel seien genannt die sogenannten Freien Gewerkschaften, die unleugbar die wirksamsten Schrittmacher des christentumsfeindlichen Sozialismus sind, gefährlich auch deshalb, weil sie die Mitglieder allmählich mit sozialistischen Anschauungen erfüllen. 33 Es handelt sich also u m den Fall der excommunicatio ipso facto (CIC 1917, c. 2257, § 1). 34 Anmerkung in der Vorlage: „Non ponat lucem tenebras, nec tenebras lucem. Non dicat malum bonum, nec bonum malum." 35 Vgl. Jeremia 6, 14; 8, 11. 36 Anmerkung i n der Vorlage: „Si speculator viderit gladium venientem, et non insonuerit buccina, et populus se non custodierit , veneritque gladius, et tulerit de eis animam, ... sanguinem ejus de manu speculatoris requiram. Ezech. 33, 6." 37 Gemeindeglieder.
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Das ist Grund genug, u m die Zugehörigkeit zu ihnen für unerlaubt und den Austritt für Pflicht zu erklären. U m i n einer den Christen erlaubten Weise die geistigen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter zu schützen und zu fördern, sind die katholischen Arbeitervereine und die christlichen Gewerkschaften gegründet, die sich insbesondere durch die programmatische Erklärung vom 3. März 191238 verpflichtet haben, in keinerlei Hinsicht, auch nicht in wirtschaftlicher Beziehung, in Wort und Tat etwas zu unternehmen, was mit den Grundsätzen des katholischen Sittengesetzes nach Lehre der zuständigen kirchlichen Autorität unvereinbar wäre. Wo diese bestehen oder wo durch Zugehörigkeit zu anderen kirchlich gebilligten Vereinen den berechtigten wirtschaftlichen Interessen Genüge geschehen kann, liegt in der Regel kein Entschuldigungsgrund vor, u m den Austritt aus den freien Gewerkschaften hinauszuschieben. Wie aber ist zu entscheiden, wenn sofortiger Austritt sicher schweren Schaden für den Einzelnen und seine Familie herbeiführen würde? Wenn Terror und Boykott den Austretenden ins Elend stürzen würden? Hinsichtlich der Möglichkeit sofortigen Austritts oder der zeitweiligen Unmöglichkeit sofortigen Austritts aus einer sozialdemokratischen gewerkschaftlichen Organisation sind die Umstände des Einzelfalles mit verständiger Rücksichtnahme auf alle Verhältnisse des Einzelnen und seiner Familie zu prüfen. Instruktiv ist in dieser Hinsicht eine Entscheidung des Hl. Stuhles von 1896. Aus Amerika war angefragt, ob ein Katholik, der einer kirchlich verbotenen Organisation in Überzeugung von der Erlaubtheit seines Schrittes beigetreten sei, seinen Namen in der Mitgliederliste stehen lassen und in taxae solutione perseverare? 9 dürfe. Die Antwort lautete: i m allgemeinen: nein. Jedoch mit folgendem Winke. Geduldet werden könne es, wenn folgende Umstände zusammentreffen: 1. wenn der Beitritt bona fide, also in Überzeugung von der Erlaubtheit, erfolgt ist; 2. wenn Ärgernis verhütet w i r d durch die Erklärung, daß die Weiterzahlung nur zur Verhütung schweren Nachteils erfolge, i m übrigen aber a quavis sectae communione et a quovis interventu abstinendo 40; 3. si grave damnum sibi autfamiliae
in renuntiatione
obveniat 11;
4. ut non adsit homini illi velfamiliae ejus periculum perversioni s42. (Antwort des S. Officium vom 19. Januar 1896. Archiv für kath. Kirchenrecht 76, S. 103). Sinngemäß sind die vorstehenden Grundsätze wie auf den Sozialismus und Kommunismus, so auch auf den Nationalsozialismus anzuwenden, der an sich nur eine politische Partei mit berechtigten nationalen Zielen zu sein vorgibt, aber tatsächlich mit fundamentalen Wahrheiten des Christentums und mit der von 38
Westdeutsche Arbeiterzeitung 19 (1912), Nr. 19, S. 74f. unter Weiterzahlung der Beiträge. 40 unter Enthaltung von jeder Verbindung mit der Vereinigung oder Teilnahme an ihren Veranstaltungen. 41 wenn i h m selbst oder seiner Familie durch die Aufkündigung der Mitgliedschaft schwerer Schaden entstehen würde. 42 unter der Voraussetzung, daß aus der Mitgliedschaft für ihn selbst oder seine Familie nicht die Gefahr einer Verderbnis entsteht. 39
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Christus geschaffenen Organisation der katholischen Kirche in schroffstem Gegensatze steht. Das ergibt sich für jeden, der offenen Auges die Arbeit der Partei betrachtet, teils aus ihrem Programm und mehr noch aus zahllosen Kundgebungen ihrer hervorragendsten Vertreter und Wortführer. Es handelt sich da nicht etwa nur u m Entgleisungen Einzelner, sondern die Gesamtheit dieser Kundgebungen und Tatsachen gibt dieser Partei ein Gepräge, demgegenüber einzelne Ableugnungen nicht entscheidend sind. Daher die Notwendigkeit klarer Belehrung an der Hand der bischöflichen Kundgebungen und der einschlägigen katholischen Literatur. Ingleichen ist es eine auf Berechnung beruhende Irreführung, wenn von religiösem Sozialismus geredet wird. Da der Sozialismus durch Leugnung der übernatürlichen Offenbarung, des göttlichen Sittengesetzes, des übernatürlichen Zieles der Menschheit und der Göttlichkeit der Kirche tatsächlich auf dem Atheismus ruht, ist religiöser Sozialismus unmöglich. So neuerdings erklärt in der Enzyklika „Quadragesimo anno" vom 15. Mai 193143. Alles das i n kurzer, überzeugender Darstellung wiederholt darzutun, ist Pflicht gegenüber den der Irreführung ausgesetzten Volksmassen. V. Die Lehre von der pflichtmäßigen Meidung der nächsten Gelegenheit 44 erstreckt sich selbstverständlich auch auf die Teilnahme an sozialistischen Versammlungen, auf Lektüre von Zeitungen und Schriften u. dgl. m. Jeder hat zu meiden, was i h m Gefahr oder anderen Ärgernis bereitet. I n einer rheinischen Großstadt erklärten die Pfarrer bei der Volksmission den Missionären: wer ein Jahr lang jene bestimmte Zeitung gelesen hat, der ist selbst bei den Volksmissionen nicht zu belehren. Darum ist es strenge Pflicht der Seelsorger, immer von neuem auf das schwer Sündhafte des Lesens kirchenfeindlicher Blätter hinzuweisen und für die Verbreitung der katholischen Presse sorgen zu helfen. Ob für Einzelne eine Notwendigkeit zur Lektüre eines solchen Blattes oder bestimmter Teile desselben vorliege, kann dem Seelsorger i m Zweifelsfalle zu beurteilen überlassen bleiben. I n ähnlicher Weise ist die Teilnahme an Versammlungen zu beurteilen, die der Agitation für kirchenfeindliche Bestrebungen und Vereinigungen dienen. Fernbleiben ist Pflicht, wenn entweder Teilnahme Ärgernis gibt oder wenn der Einzelne nicht eine gegen Verführung genügend schützende Vorbildung hat. Auch dann, wenn für die Teilnahme an solchen Versammlungen kein genügend triftiger Grund vorliegt, ist diese unerlaubt. VT. Dem Vorstehenden entsprechend ist also in erster Linie wiederholte, überzeugende und liebevolle Belehrung an geeigneter Stelle und zu rechter Zeit anzuwenden. M i t der mündlichen Belehrung ist die Verbreitung geeigneter Drucksachen zu verbinden. Zur Belehrung trete hinzu die Organisation der Katholiken in katholi43 44
Oben Nr. 226. Siehe oben Anm. 9.
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sehen Vereinen und nach Bedarf i n solchen beruflichen (gewerkschaftlichen) Vereinigungen, die einerseits den wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten genügen und andererseits von der Kirche als zulässig für Katholiken anerkannt sind. A n zahlreichen Orten ist zu hoffen, daß nach Eintritt ruhigerer Verhältnisse diese Belehrung, verbunden mit mehr praktischer Arbeit in Pflege des Vereinslebens, allmählich immer mehr gute Aufnahme finden werde. VII. Zu den schwierigsten Fragen der Pastoral gehört die, ob die Zulassung zu den heiligen Sakramenten denen zu verweigern ist, die durch Zugehörigkeit zu verbotenen Vereinigungen w i r k l i c h nur wirtschaftliche, keineswegs aber kirchenfeindliche Ziele vefolgen; und solchen, die ohne Not Mitläufer sind. Die Behandlung dieser w i r d eine verschiedene sein, je nachdem für die Einzelnen größere oder geringere Glaubensgefahr, für ihren Bekanntenkreis mehr oder weniger Ärgernis, und je nachdem bei ihnen selbst andauernder bewußter Eigensinn oder Mangel an Verständnis vorliegt. Wegen dieser Verschiedenheit der Einzelfalle ist auf die allgemeinen Regeln der Pastor al hinzuweisen. Daß hinsichtlich der Zulassung zu den heiligen Sakramenten ein Unterschied zu machen ist zwischen solchen, die aus verbotenen Gesellschaften ohne erheblichen Schaden austreten können, und solchen, denen für einige Zeit der formell erklärte Austritt noch nicht möglich ist, — ferner zwischen solchen, die agitatorisch tätig sind, und solchen, die nur durch irreführende Vorspiegelungen Mitläufer 4 5 geworden sind, — endlich zwischen solchen, die andauernd sich weigern, der Stimme des Apostolischen Stuhles und des gesamten Episkopates Gehör zu geben, und solchen, bei denen als Frucht wiederholter Belehrung und Mahnung Umkehr zu hoffen ist, das ergibt sich aus den Regeln der Pastoral für alle derartigen Fälle. Scheitert alle Belehrung und Mahnung und die Andeutung, daß bei fortdauerndem Ungehorsam der Pönitent sich selbst von den Sakramenten ausschließen würde, endgültig am Starrsinn, so bleibt allerdings kein Zweifel am Mangel der erforderlichen Disposition. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß es verkehrt sein und zersetzend wirken würde, wollte man Mitläufer allgemein als entschuldbar behandeln. Können solche, die als Mitläufer zu bezeichnen sind, ohne ihre und ihrer Familie Existenz zu gefährden, nicht austreten, so haben sie jedenfalls doch i n geeigneter Weise durch ihr Beispiel entstehenden Ärgernissen nach bestem Können vorzubeugen. Können sie aber ohne jede verhängnisvolle Gefährdung austreten, und verweigern sie den Austritt aus Feigheit, Bequemlichkeit, Menschenfurcht oder Eigensinn, so sind sie nach fruchtloser liebevoller Belehrung als schuldbar und bewußt widerspenstig zu betrachten und zu den Sakramenten nicht zuzulassen. Dies ist u m so notwendiger, als seit einiger Zeit solche Widerstrebende planmäßig dazu geschult werden, die Seelsorger zu täuschen, einen seelischen Druck auf nachgiebige Geistliche auszuüben, die Arbeit der Seelsorge durch Verwirrung der öffentlichen Meinung zu 45 Anmerkung i n der Vorlage: „Als »Mitläufer 4 können selbstverständlich nicht alle solche bezeichnet werden, die einer Partei folgen, deren Christentumsfeindlichkeit eine jedem bekannte, offen andauernd erklärte, radikale ist."
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durchkreuzen und dann als anerkannt gute Katholiken durch ihr stilles Beispiel Propaganda zu üben, so daß allmählich weiteste Kreise unter beschwichtigender Selbsttäuschung zum feindlichen Lager halten und doch zu den Sakramenten zugelassen werden. Der Ausblick auf solche Folgen nötigt zu ruhiger konsequenter Ausführung unserer Grundsätze. A n der Richtigkeit dieser Norm ist nicht zu zweifeln. Doch sei auch an dieser Stelle bemerkt, daß es Gemeinden gibt, i n denen die Verwirrung der öffentlichen Meinung so tief eingedrungen ist, daß selbst manche treu katholische Parochianen sich nicht leicht zurechtfinden können. Es ist oben erwähnt, daß, wenn sonst die katholische Gesinnung des Einzelnen außer Zweifel steht, zuweilen mit einer A r t zeitweiliger ignorantia invincibilis 4 6 zu rechnen ist. Demgegenüber ist die Pflicht geduldiger, wiederholter und liebevoller Belehrung besonders treu zu erfüllen. Es ist durch Beratung i m Dekanatsklerus dafür zu sorgen, daß die Handlungsweise eine einheitliche und konsequente sei, und zu sorgen, daß nicht andererseits durch übereilte Schritte größerer Schaden entstehe. Daß nicht politische Motive die Kirche zu ihrer Strenge bestimmen, die Kirche vielmehr jeder zulässigen Staatsform und Wirtschaftsordnung sich anzupassen weiß, und daß heilige Pflichten sittlicher und religiöser Natur allein Leitstern des kirchlichen Handelns sind, muß auch i n dieser den Einzelnen am tiefsten berührenden Frage den gegnerischen Ausstreuungen gegenüber wiederholt dargetan werden. VIII. Zeiten folgenschwerer Entscheidung sind die Wahlen zu öffentlichen Körperschaften. Je weiter das Wahlrecht ausgedehnt ist, je mehr es auf jede einzelne Stimme ankommt, je größer die Gewalten der gewählten Körperschaften sind, je heilloser die Verwirrung durch die Hetze der Presse und Versammlungen wird, desto ernster und eindringlicher sind mit Freimut die Wahlberechtigten an die Gewissenspflicht zu mahnen, von ihrem Wahlrechte Gebrauch zu machen und zwar so Gebrauch zu machen, wie es das Heü der Kirche und die Ordnung des öffentlichen Lebens, das Heü der konfessionellen Schule und des christlichen Familienlebens erfordert. Dabei ist mit Ruhe und Würde zu vermeiden, was ein Hineintragen des politischen Kampfes i n das Heiligtum bedeuten würde. Was die Frage der Opportunität von Kanzelverkündigungen betrifft, so halte sich der Priester da, wo die Diözesanoberen Weisungen gegeben haben, genau an die Vorschriften. Wird der Priester befragt, ob man einer bestimmten Partei, deren kirchenfeindliche Bestrebungen notorisch sind, die Stimme geben dürfe, so antworte er mit einem bestimmten Nein unter Angabe des Grundes. Die Frage, ob man nach geschehener Wahl i m Beichtstuhl über die A r t der Wahlbetätigung den Einzelnen befragen solle, ist zu verneinen. Doch ist Grund und eventuell Pflicht zur Belehrung da vorhanden, wo ein kirchenfeindliches Handeln des Einzelnen öffentlich bekannt ist, oder wo die Umstände genügend erkennen lassen, daß das Gewissen des Einzelnen i n dieser Hinsicht sich beunruhigt fühlt.
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unüberwindlicher Unwissenheit.
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12. Kap.: Ereignisse und Kräfte im Blickfeld der katholischen Kirche IX.
Es ist bewährtes und in der liturgischen Praxis begründetes Herkommen, daß Gesuche von Vereinsorganisationen u m Zulassung zu gottesdienstlichen Veranstaltungen i m Gotteshause mit Fahne oder ähnlichen Abzeichen oder in vereinsmäßigem Aufzuge nur dann berücksichtigt werden, wenn die Vereinigung oder Organisation kirchlich approbiert ist oder zu keinerlei kirchlicher Beanstandung Anlaß gibt 1 7 , auch nicht zu den politischen Kampforganisationen gehört 4 8 . Dieses Herkommen ist aus sehr dringenden, rein kirchlichen Gründen sowohl, wie zur Vermeidung der peinlichst berührenden Konsequenzen einer Abweichung treu beizubehalten. Das gilt auch für gottesdienstliche Veranstaltungen außerhalb des Gotteshauses, insbesondere Feldmessen, Prozessionen usw. Solche Feldmessen u. dgl. sind zu unterlassen, wenn obiger Norm zuwider gehandelt wird. Alles Eindringen parteipolitischer Demonstrationen ist mit der Heiligkeit der gottesdienstlichen Handlungen unvereinbar. Auch Nichtkatholiken sehen ein, daß kirchliche Gebäude und Funktionen nicht Schauplatz solcher Demonstrationen werden dürfen. Die einzelnen Mitglieder weltlicher Vereinigungen, die in privater Weise ohne vorbezeichnete Fahnen, Insignien und Aufmachung am Gottesdienste teilnehmen wollen, sind zuzulassen, vorausgesetzt, daß die Teilnahme nicht Formen einer Demonstration gegen die obige kirchliche Anordnung annimmt. Was die Gewährung oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses betrifft, so ist maßgebend die Bestimmung des can. 1240 über die qui ecclesiastica sepultura privantur, nisi ante mortem aliqua dederint poenitentiae signa 49. Die i m obigen besprochenen Unterscheidungen zwischen Arten von Anhängern sozialistischer Organisationen sind daher auch hinsichtlich der Gewährung der ecclesiastica sepultura sinngemäß zu beachten. Zweifellos fallen gar viele unter Ziffer 1 und Ziffer 6 des can. 124050. Für die Feier des Begräbnisses gilt can. 1233 § 2: Nunquam admittantur societates vel insignia religioni catholicae manifeste hostilia 51. Der Pfarrer wird daher in geeigneten Fällen die Verwandten anzuhalten haben, vorbeugend dafür zu sorgen, daß solche Demonstrationen beim Begräbnis unterbleiben, durch die sozialistische Vereine nicht selten sich den Anschein geben wollen, als seien sie kirchlich zugelassen oder toleriert, als habe die Kirche nichts mehr gegen die Zugehörigkeit zu ihnen. 47 Anmerkung i n der Vorlage: „Als beanstandet sind insbesondere Vereinigungen zu betrachten, vor denen der Episkopat gewarnt hat." 48 Anmerkung i n der Vorlage: „Ob rein weltliche Vereine, wie Vergnügungs-, Sport- und gesellige Vereine, wenn sie sonst einwandfrei sind, i m Gotteshause zuzulassen angängig ist, möge nach den örtlichen Verhältnissen beurteilt werden." 49 diejenigen, denen das kirchliche Begräbnis vorenthalten wird, es sei denn, sie haben vor ihrem Tod Zeichen der Reue gezeigt. 50 Can. 1240 CIC (1917) nennt unter denjenigen, denen das kirchliche Begräbnis verweigert werden muß, i n Ziffer 1 notorische Apostaten, Häretiker und Schismatiker sowie die Freimaurer und Angehörige vergleichbarer Vereinigungen, in Ziffer 6 „andere öffentliche und offenkundige Sünder". 51 Niemals dürfen Vereinigungen oder Abzeichen zugelassen werden, die der katholischen Religion offenkundig feindlich sind.
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Durchweg ist die Regel zu beachten, daß der Pfarrer seine M i t w i r k u n g beim Begräbnis zu versagen hat in Fällen, in denen sie ein scandalum publicum, geradezu eine Verwirrung in den religiösen Anschauungen der Gemeinde hervorrufen würde. Andererseits sind unliebsame Auftritte nirgends sorgfältiger zu vermeiden als i m Trauerhause und am offenen Grabe. Daher vorstehender Wink betr. vorbeugenden Einfluß der Verwandten. Der Pfarrer hat die örtlichen Verhältnisse bei seinen Entschließungen zu beachten. I n einer den örtlichen Verhältnissen entsprechenden Form ist zur Kenntnis der Gemeinde zu bringen, daß Mitglieder verbotener oder kirchlicherseits beanstandeter Vereinigungen nicht als geschlossene Körperschaft, also nicht i n vereinsmäßigem Aufzuge oder mit Fahnen oder Abzeichen am kirchlichen Begräbnis teilnehmen dürfen. Es muß also ein Modus des Verhaltens gewählt werden, so, daß der Erregung von Ärgernis und dem Eintreten verwirrender Auffassungen nach bestem Können vorgebeugt werde. I n dieser Hinsicht sei folgendes hier bemerkt: 1. I n jedem Falle kann und w i r d der Priester verhindern, daß während der liturgischen Funktion am Grabe bis zum Fortgange des Geistlichen demonstratives Gebaren seitens der kirchlicherseits verbotenen und kirchlicherseits beanstandeten Vereinigungen stattfinde. 2. Steht der Gottesacker i m Eigentum der Kirchengemeinde, so kann außerdem solchen Vereinigungen ein in demonstrativer Aufmachung erfolgendes Betreten des Gottesackers verboten werden. 3. Die Begleitung des Leichenzuges durch den Priester ist abzulehnen, wenn das demonstrative Auftreten der Vereinigungen ein kirchenfeindliches Gepräge trägt und somit ein das öffentliche Gewissen verwirrendes Ärgernis hervorruft. Dies sei besonders vermerkt bezüglich solcher Vereinigungen, deren Gebaren allgemein als kirchenfeindlich erkannt ist. 4. Was Teilnahme solcher anderer Vereinigungen betrifft, vor denen als politischen Kampforganisationen oder Förderern interkonfessioneller Jugendbildung der Episkopat gewarnt hat, so hat sehr oft ihr Erscheinen i n vereinsmäßiger Aufmachung beim kirchlich-liturgischen Begräbnis die Absicht der Werbetätigkeit und w i r d nicht selten erstrebt, daß die Teilnahme des Geistlichen als Zulassung solcher Tendenz gedeutet werde. Da ist es denn Sache des Beschlusses des Dekanatsklerus, festzustellen, ob aus diesem Grunde unter den Verhältnissen der Gemeinden des Dekanats die kirchliche Begleitung des Leichenzuges abhängig zu machen ist vom Unterlassen solchen demonstrativen Auftretens. — D i e Erklärung, daß es dem Geiste der Kirche und dem Ernste der Sprache des Grabes nicht entspricht, zu solchen Demonstrationen die liturgische Funktion zu benutzen, muß auch Andersdenkenden verständlich sein. 5. Wenn ein Kranz mit roter Schleife oder Sowjetstern oder Hakenkreuz oder dergleichen Symbolen während der kirchlichen Funktion auf das Grab zu legen versucht wird, ist das i n aller Regel zu untersagen ohne jedwede verletzende Bemerkung. Selbstverständlich steht es jedem Ordinariate zu, nach den Erfahrungen der Diözese noch bestimmtere Anweisungen zu erlassen. Wird den kirchlichen Anordnungen zuwidergehandelt, so ist nachher in geeigneter Weise ohne verletzende Schärfe dies zu rügen und die kirchliche Anordnung
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selbst als fortbestehend aufrecht zu halten. Führt das nicht zum Ziele, so ist für Wiederholungsfälle die Verweigerung der kirchlichen Funktionen i n Aussicht zu stellen. Vor übereilten Schritten wolle übrigens der Geistliche sich hüten; daher ist Beratung der Einzelfälle auf Dekanatskonferenzen dringend zu empfehlen. Vorstehende Darlegungen und Anweisungen sind von den Herren Dechanten und Erzpriestern zum Gegenstande der Beratung auf Konventen zu machen.
Nr. 230. Stellungnahme der Fuldaer Bischofskonferenz zur NSDAP vom 17. August 1932 (B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 843 f.) I. In prinzipieller
Hinsicht
Sämtliche Ordinariate haben die Zugehörigkeit zu dieser Partei für unerlaubt erklärt, weil 1. Teile des offiziellen Programms derselben, so wie sie lauten und wie sie ohne Umdeutung verstanden werden müssen, Irrlehren enthalten, 2. weil die Kundgebungen zahlreicher führender Vertreter und Publizisten der Partei glaubensfeindlichen Charakter, namentlich feindliche Stellung zu grundsätzlichen Lehren und Forderungen der katholischen Kirche enthalten, und diese Kundgebungen keine Ablehnung oder Widerspruch seitens der obersten Parteileitung erfahren haben; es gilt dies auch von der Stellungnahme i n Fragen der konfessionellen Schule, der christlichen Ehe u. a. m. 3. Es ist das Gesamturteü des katholischen Klerus und der treu katholischen Vorkämpfer der kirchlichen Interessen i m öffentlichen Leben, daß, wenn die Partei die heiß erstrebte Alleinherrschaft in Deutschland erlangt, für die kirchlichen Interessen der Katholiken die dunkelsten Aussichten sich eröffnen. 4. Es ist nicht entschuldbar, wenn weite Kreise der Partei sich anschließen in der Absicht, nur die wirtschaftlichen Interessen und die Ziele des weltlich politischen Gebietes, wie sie in der Partei vertreten sind, damit unterstützen zu wollen. Denn die Unterstützung der Partei selbst schließt, man mag wollen oder nicht, die Förderung ihrer Gesamtziele ein. Es kommt hinzu, daß die Verheißungen der Partei als unerfüllbar erscheinen. II. Beurteilung
konkreter Einzelfälle
Ob i m Einzelfalle die formelle Zugehörigkeit zur Partei ohne materielle Förderung 5 2 ihrer kulturellen Ziele und ohne Teilnahme an ihrer Agitation entschuldbar sein kann, z. B. wegen schuldlos irrender Auffassung, wegen Einflusses einer A r t Massenpsychose, wegen terroristischen Zwanges, wegen sonst eintretender ver-
52 I n der Vorlage versehentlich: „die materielle Zugehörigkeit zur Partei ohne formelle Förderung".
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hängnisvollster Folgen, bleibt der 5 3 Beurteilung des Seelsorgers überlassen, dem die zu beachtenden pastoralen Normen bekannt sind und auch vom Episkopate noch besonders dargelegt sind 5 4 . III. Der Episkopat verlangt, daß der Klerus jedwede Stellungnahme und Erklärung vermeide, die Verwirrung hervorrufen könnte oder abweicht von den Kundgebungen der Bischöfe oder Ärgernis i m Volke anstiften kann.
53 54
I n der Vorlage versehentlich: „die". Oben Nr. 229.
Dreizehntes Kapitel
Das Reichskonkordat I. Vorverhandlungen über das Reichskonkordat Die in den frühen zwanziger Jahren entwickelten Pläne zu einem Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl 1 wurden in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre nur sporadisch und ohne besonderen Nachdruck aufgegriffen 2. Für die Kurie bildete die offene Frage nach der Ordnung der katholischen Militärseelsorge den wichtigsten Ansatzpunkt für die Wiederaufnahme der Verhandlungen. Denn der reichseinheitlichen Wehrverfassung der Weimarer Zeit mußte über kurz oder lang eine einheitliche Regelung der katholischen wie der evangelischen 3 Militärseelsorge entsprechen. Freilich stieß die Reichsregierung mit dem Streben nach der exemten Stellung des katholischen Feldpropstes auf erheblichen Widerstand in Teilen des katholischen, insbesondere des bayerischen Episkopats. Kaum hatte der bisherige päpstliche Nuntius in Berlin Eugenio Pacelli 4 1929 das Amt des Kardinalstaatssekretärs übernommen, gab er seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit der deutschen Regierung kund, bei denen ihm als deutscher Unterhändler der Zentrumsvorsitzende Ludwig Kaas 5 besonders willkommen sei. Doch führten die darauf eingeleiteten Vorverhandlungen vom Sommer 1930 zwar zu Klärungen des Problemstandes, aber nicht zu echten Verhandlungsschritten. Die Aussichten, die Frage der Militärseelsorge und den Plan eines Reichskonkordats wirksam miteinander zu verknüpfen, schienen bei einem Besuch des Reichskanzlers Brünincf in Rom im August 1931 in weite Ferne gerückt. Doch die Übernahme des Reichswehrministeriums durch Schleicher 7 veränderte die Lage. Dieser erklärte den katholischen Bischöfen kategorisch, eine exemte Militärseelsorge sei ein notwendiges Kennzeichen einer international ebenbürtigen Armee?; er verweigerte sich jeder 1
Siehe oben Nr. 169 ff. Siehe L . Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 (1972), S. 32ff. 3 Dazu oben Nr. 164. 4 Eugenio Pacelli : Staat und Kirche, Bd. III, S. 858. 5 Ludwig Kaas: oben S. 123, Anm. 23. 6 Heinrich Brüning: oben S. 370, Anm. 11. 7 Kurt von Schleicher (1882-1934), preuß. Offizier; 1913 i m Großen Generalstab, 1914 in der Obersten Heeresleitung; 1918 politischer Referent des Ersten Generalquartiermeisters Wilhelm Groener, 1926 Abteilungsleiter i m Reichswehrministerium, 1929 Chef des Ministeramts unter Groener (Staatssekretär und Generalleutnant); seit Juni 1932 Reichswehrminister; vom 2. Dezember 1932 bis zum 29. Januar 1933 Reichskanzler; am 30. Juni 1934 von einem SS-Kommando ermordet. 8 Brief des Reichswehrministers v. Schleicher an Bischof Klein, Paderborn vom 13. Juli 1932 (Text: A. Kupper, Zur Geschichte des Reichskonkordats, in: Stimmen der Zeit 163, 1957/58, S. 25ff., Dokument 7). 2
I. Vorverhandlungen über das Reichskonkordat
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interimistischen Neubesetzung des Amts des katholischen Feldpropsts. Daraufgab die Fuldaer Bischofskonferenz im August 1932 ihren Widerstand gegen die exemte katholische Militärseelsorge auf 0. Pacellis Bemühungen richteten sich nun darauf, die wieder in Fluß geratenen Verhandlungen über die Militär seelsorge mit anderen vatikanischen Forderungen zu verknüpfen und so den Plan eines Reichskonkordats wieder aufzunehmen. Seine Ausgangsposition faßte er in dem Promemoria vom 25. Oktober 1932 zusammen (Nr. 231). In den krisenhaften letzten Monaten der Weimarer Republik wurden die Forderungen des Vatikans zwar noch von den beteiligten Ministerien geprüft, aber nicht mehr auf politischer Ebene beantwortet.
Nr. 231. Promemoria des Kardinalstaatssekretärs Pacelli für den deutschen Botschafter v. Bergen 11 vom 25. Oktober 1932 (E. Deuerlein, Das Reichskonkordat, 1956, S. 89 f.) Der Heilige Stuhl hat kürzlich von dem Schreiben Kenntnis erhalten, welches S. Exzellenz der Herr Reichswehrminister in Sachen der Organisation der katholischen Militärseelsorge in Deutschland an S. Exzellenz den Herrn Erzbischof von Paderborn gerichtet hat 1 2 . Angesichts der besonderen Verhältnisse Deutschlands und der von dem Episkopat geltend gemachten schwerwiegenden Gründe, auf Grund deren er bis zur Stunde die Bestellung eines exemten Feldpropstes mit Bischofscharakter für nicht erforderlich erachtet, allerdings mit der Erklärung, daß er jede Entscheidung des Heiligen Stuhles gern begrüßen werde, hatte letzterer die Durchführung der Vorschläge des Episkopats für eine den gegenwärtigen Umständen entsprechende Lösung angesehen. I n Würdigung des Antrags der Reichsregierung, einen Bischof mit exemter Jurisdiktion zu bestellen, hat trotzdem der Heilige Stuhl, in dem Bestreben, einen Beweis seiner Verständigungsbereitschaft zu geben, sich schon früher hierzu grundsätzlich bereit erklärt und hält auch weiter an dieser Bereitwilligkeit fest, ersucht jedoch, i n Übereinstimmung mit seiner auch in der Vergangenheit eingenommenen Stellungnahme, darum, daß einige, die Interessen der katholischen Kirche i n Deutschland besonders angehende Fragen, die in den mit den Einzelländern abgeschlossenen Konkordaten mit Rücksicht auf die Zuständigkeit des Reichs nicht einbezogen werden konnten, gleichzeitig einer befriedigenden Regelung zugeführt werden. Der Heilige Stuhl sieht darin keine Verquickung nicht zusammenhängender Materien, sondern hält lediglich die Regelung der Militärseelsorge für die natürlich gegebene Gelegenheit, die wesentlichsten, zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich schwebenden Fragen zu bereinigen.
9 Brief Schleichers an Klein vom 19. Juli 1932 (zitiert bei L . Volk, a.a.O., S. 50). Zur Beauftragung Rarkowkis mit der kirchlichen Zuständigkeit für die katholische Militärseelsorge in Preußen siehe S. 262. 10 L . Volk, a.a.O. 11 Diego v. Bergen : oben S. 277, Anm. 5. 12 Siehe oben Anm. 8.
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13. Kap.: Das Reichskonkordat
Es handelt sich insbesondere u m folgendes: 1. Die Beseitigung der Strafe für Geistliche, welche aus unaufschiebbaren Gewissensgründen eine kirchliche Ehe vor Abschluß des Zivilaktes einsegnen. Der Heilige Stuhl gibt sich der Hoffnung hin, daß sich die Reichsregierung der Erfüllung dieser Bitte nicht verschließen wird, die den fundamentalen Grundsätzen der Gewissensfreiheit entspricht und die seinerzeit i n den Punktationen enthalten war, welche am 15. November 1921 seitens des damaligen Apostolischen Nuntius i n Berlin als Diskussionsgrundlage für den Abschluß eines etwaigen Reichskonkordats dem Herrn Minister des Auswärtigen behändigt worden sind 1 3 . 2. Die Zusage, daß, falls das Reich zu dem Erlaß eines Gesetzes über die Ablösung der finanziellen Leistungen an die Kirche nach Maßgabe des Art. 138 der deutschen Reichsverfassung schreiten sollte, dies nicht ohne rechtzeitiges freundschaftliches Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl geschehen werde. Diese Forderung beruht auf Rechtsansprüchen, die durch vertragliche Abmachungen, nämlich durch die früher vereinbarten Zirkumskriptionsbullen anerkannt sind, welch letztere i n den neuen Länderkonkordaten sachlich übernommen und den Verhältnissen der Gegenwart angepaßt wurden. Es handelt sich demnach u m Rechte, die nicht durch einseitige Rechtssatzung ohne Zustimmung des andern Partners geändert werden können. 3. Die Reichsregierung möge i m Hinblick auf das kommende Schulgesetz, dessen Erlaß in Art. 146 Abs. 2 der Reichsverfassung vorgesehen ist, dem Heiligen Stuhl verbindliche Zusagen geben bezüglich des Schutzes der Rechte der Katholiken in Hinsicht der konfessionellen Schule und des Religionsunterrichts. 4. Die Reichsregierung möge, i n Übereinstimmung mit der von dem Herrn Minister des Auswärtigen abgegebenen Erklärung Ν. Π Va. 515 vom 13. November 1920, dem Heiligen Stuhl bindende Zusicherungen dahin geben, daß etwaige Änderungen der Verfassung oder der Gesetzgebung des Reichs den in feierlichen Konkordaten anerkannten Rechten der Kirche keinen Abbruch tun. Das eingangs genannte Schreiben des Herrn Reichswehrministers nimmt unter anderm Bezug auf die seitens des Heiligen Stuhles andern Staaten in Sachen der Militärseelsorge gemachten Zugeständnisse, insbesondere auf Italien. Es darf darauf hingewiesen werden, daß, wenn Italien einen Erzbischof als Feldpropst hat, es mit dem Heiligen Stuhl auch ein ganz umfassendes Konkordat geschlossen hat. Die in dem vorliegenden Promemoria ausgesprochenen Gegenwünsche des Heiligen Stuhles und die Anregung, über sie zu einer Vereinbarung mit dem Reich zu gelangen, stellen demgegenüber ein Mindestmaß berechtigter kirchlicher Ansprüche dar.
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Oben Nr. 170.
II. Katholische Stellungnahmen zur Reichstagswahl vom 5. März 1933
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II. Katholische Stellungnahmen zur Reichstagswahl vom 5. März 1933 Schon die Übergabe des Kanzleramts an Adolf Hitler 1 am 30. Januar 1933 warf für die katholische Kirche die Frage auf, ob die veränderten politischen Machtverhältnisse eine Revision ihrer Stellungnahme zum Nationalsozialismus erforderlich mache. Angesichts der Auflösung des Reichstags und des preußischen Landtags (1. und 6. Februar 1933) bekräftigten jedoch zunächst der Episkopat wie die katholischen Verbände in ihren Aufrufen zu den Wahlen (Nr. 232, Nr. 233) ihren Widerspruch gegen den „Bolschewismus von rechts und von links" und forderten mit Nachdruck zur Stärkung der politischen Mitte auf.
Nr. 232. Aufruf katholischer Organisationen zur Reichstagswahl vom 17. Februar 19332 (B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 3 ff.) Eine Zeitenwende w i r d in Deutschland verkündet. Die Regierung hat Neuwahlen angeordnet, u m eine letzte Entscheidung herbeizuführen. Die i m Besitz der politischen Macht sind, sprechen von einem neuen Aufbau aller staatlichen, wirtschaftlichen und geistig-sittlichen Verhältnisse. Als Vertreter großer Verbände der deutschen Katholiken fühlen w i r uns i n dieser schicksalsschweren Stunde verpflichtet, öffentlich folgendes auszusprechen: Wir haben den entscheidenden und unbeugsamen Willen, an der Schicksalsgestaltung unseres Reiches und Volkes zu neuer Größe und allgemeiner Wohlfahrt mitzuwirken. Was wir aus tiefster Verantwortung als unsere pflichtmäßige Aufgabe an und in der Nation betrachten, kann uns von niemand streitig gemacht werden.
1 Adolf Hitler (1889-1945), seit 1907 i n Wien, seit 1913 i n München; 1914 bayer. Kriegsfreiwilliger (dadurch Verlust der österreichischen Staatsangehörigkeit); 1919-20 „Bildungsoffizier" i m Münchner Schützen-Regiment 41; zugleich i m Reichswehrgruppenkommando I V tätig; September 1919 M. d. Deutschen Arbeiterpartei, seit Juli 1921 Vorsitzender der NSDAP. Nach dem Putschversuch vom 8./9. November 1923 am 1. A p r i l 1924 zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt; Ende 1924 vorzeitig entlassen. A m 27. Februar 1925 bei der Wiedergründung der NSDAP erneut Vorsitzender. Durch Ernennung zum braunschweigischen Regierungsrat seit 23. Februar 1932 deutscher Staatsangehöriger. A m 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt; seit dem 2. August 1934 zugleich „Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches". Freitod in der Reichskanzlei am 30. A p r i l 1945. 2 Der Aufruf ist von folgenden Verbänden unterzeichnet: Reichsverband katholischer Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine Deutschlands; Verband katholischer Beamtenvereine Deutschlands; Katholischer Deutscher Frauenbund; Katholischer Gesellenverein; Zentralverein der katholischen Jungfrauenvereine Deutschlands; Katholischer Jungmännerverband Deutschlands; Verband katholischer kaufmännischer Vereinigungen Deutschlands; Jugendbund i m Verbände katholischer kaufmännischer Vereinigungen Deutschlands; Katholischer Lehrerverband des Deutschen Reiches; Verein katholischer deutscher Lehrerinnen; Verband der katholischen Frauen- und Müttervereine Deutschlands; Katholische Werkjugend; Volksverein für das katholische Deutschland.
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13. Kap.: Das Reichskonkordat
Aus dieser gewissenhaften Verantwortung heraus sagen wir: Was sich seit Mitte März vorigen Jahres 3 i n unserem Lande ereignet hat, ist ein nationales Verderben. Das Volk verwirrt, das Rechtsbewußtsein erschüttert, die Kluft zwischen den sozialen Schichten vertieft, Haß, Feindschaft und Gewalttat überall — das ist die Lage. Angesichts dieser Not, die tiefer geht als alles andere, erheben w i r unsere Stimme. Recht und Gerechtigkeit ist die Sehnsucht, die durch unsere Zeit geht. Weite Kreise des Volkes haben den Eindruck, daß gewisse Machthaber keine Hochachtung vor den verfassungsmäßigen Volks- und Landesrechten haben, und daß sie messen mit zweierlei Maß. Damit ist der Glaube an die Autorität des Rechts ins Wanken gekommen und die Unsicherheit unserer Tage entstanden. Recht und Gerechtigkeit müssen aber die Grundlagen bleiben, auch für unser Volk und Land. Der Reichstag wurde aufgelöst ohne Not und der preußische Landtag i m Widerspruch zur Verfassung 4 . Die kommunalen Vertretungen in Preußen verfielen derselben Maßnahme. Alles das geschieht zu dem Zwecke, den in der Macht stehenden Gruppen die Möglichkeit zu geben, durch Neuwahlen die Mehrheit zu erobern, u m sich dadurch in Gesetzgebung und Verwaltung endgültig festzusetzen. Wir fragen: Was werden die Früchte einer solchen Herrschaft sein, wenn sie sich einmal i m Besitze dauernder Macht weiß? Eine Staatsordnung, i n der an Stelle des Rechts Willkür und Parteilichkeit, an Stelle des Gemeinwohls Gruppeninteressen entscheiden; eine Wirtschaftsordnung, i n der ein gerechtes Abwägen der Lebensbedürfnisse aller Stände verdrängt w i r d durch einseitige Bevorzugung bestimmter Schichten; die Beseitigung jener Staatspolitik, die als Gebot des Gemeinwohles die Sorge für die bedrängten Stände durch eine ausgebaute Sozialgesetzgebung als heilige Aufgabe betrachtet. I n der Zusammensetzung und in den Maßnahmen der neuen Regierung suchen wir vergebens die Bürgschaften für die Erneuerung unseres Volkes i n christlichem und nationalem Sinne. Wir hören stolze Worte von deutschem Geist, deutscher Treue, deutscher Freiheit und Ehre, wahrem Christentum und reiner Religion. Deutsch ist nach unserer Überzeugung Treue gegenüber dem Schwur, den man der Verfassung leistet. Deutsch ist, die Freiheit lieben, auch die Freiheit des Gegners achten und die Gewalttätigkeiten nicht straflos lassen. Wahres Christentum ist, seinem Stifter folgen, der selig nannte die Friedfertigen und jene, die Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit haben 5 .
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Also seit der Verschärfung der innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Phase der Reichspräsidentenwahl (erster Wahlgang: 13. März 1932) und der Vorbereitung der preußischen Landtagswahlen (24. A p r i l 1932), i n deren Rahmen das SA-Verbot vom 13. A p r i l 1932 gehörte; vgl. Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 925ff., 938ff. 4 Zur Auflösung des Reichstags am 1. Februar 1933 und des preußischen Landtags am 6. Februar 1933 siehe Dokumente, Bd. 3 (2. Aufl. 1966), Nr. 159/7 sowie Nr. 521523. 5 Matthäus 5, 6 und 9.
II. Katholische Stellungnahmen zur Reichstags wähl vom 5. März 1933
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Für uns sind deutsches Wesen und Christentum heilige Verpflichtung. Wie recht diejenigen hatten, die ausreichende Sicherungen für die Zukunft verlangten, lehren die Ereignisse. M i t tiefer Entrüstung folgen w i r den Verirrungen, die i n unser Volk hineingetragen werden. Eine Sünde an der deutschen Einheit nennen w i r es, wenn man Männer, die für Volk und Reich geblutet haben, als Landesverräter beschimpft, nur weil sie sich dieser Entwicklung entgegenstemmen; eine Versündigung an der Jugend, wenn man sie zu Haß- und Rachegedanken aufruft und Andersdenkende vor ihr als vogelfrei erklärt. Das ist Verwüstung deutscher Jugend und Vernichtung der Grundlagen eines gesunden Staatswesens. Rechts jene, die den Kampf gegen den Marxismus führen, links Marxisten zweier Richtungen, die zu einem gefährlichen Zusammenspiel gedrängt werden. Was w i r d das Ende sein? Ein Kampf auf Leben und Tod, Front gegen Front, Deutschland ein Bürgerkriegsgebiet. Dem Bolschewismus und der Gottlosigkeit sagt man den Kampf an. Aber man versucht nicht, sie von innen her zu überwinden, wie es unsere Volksverbände in ernster Anstrengung seit Jahren getan haben. Statt dessen ahmt man den Bolschewismus nach, in Wortprägungen und Losungen. Wir erfahren es: Bolschewismus kann auch werden unter nationalem Vorzeichen. Wir erklären, daß w i r den Kampf führen werden gegen alle Formen des Bolschewismus. Wer unser Land und Volk erhalten, wer der Nation wahrhaft dienen will, muß mit uns heute bekennen: Deutschland darf nicht den Extremen ausgeliefert werden; weder rechts noch links. Rettung kann nur werden aus dem Geiste einer starken, eigenwüchsigen und schöpferischen Mitte, einer politischen Mitte, die ihre Ziele setzt nach unveränderlichen Normen für die staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung. Das katholische Volk aller Lebens- und Berufsstände fühlt sich als unzerstörbarer Träger einer solchen Ordnung. Darum verurteilen seine Vertreter jede Politik, die die Bahnen des Rechtes und der Gerechtigkeit verläßt, mag sie von unten oder oben kommen. Uns ist die Freiheit ein hohes Gut. Darum lehnen w i r eine Diktatur ab, die dem Volke nichts weiter zugesteht, als sich regieren zu lassen. Wir kämpfen i m Geiste der großen Papstenzykliken gegenüber unchristlichem Staatsabsolutismus für die Selbständigkeit volkhafter Lebensordnung i n Familie und Gemeinde, i n Beruf und Stand, in Stamm und Landschaft. Wir wollen die Erhaltung des Rechtes i m öffentlichen Leben, die Heilighaltung des Verfassungseides, die Wahrung der staatsbürgerlichen und sozialen Grundrechte der Reichsverfassung. Zu diesem Einsatz aller geistigen und staatsbürgerlichen Kräfte für Verständigung, Versöhnung, Ausgleich, für Rechtsordnung, Wirtschafts- und Kulturordnung rufen w i r alle auf. Nur so w i r d der Selbstzerfleischung Einhalt geboten und das deutsche Volk zurückgeführt auf den Weg der Gesundung. Für Wahrheit, Recht und Freiheit!
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13. Kap.: Das Reichskonkordat
Nr. 233. Kundgebung der Fuldaer Bischofskonferenz zu den Reichstagswahlen vom 20. Februar 1933 (B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 6 f.) Die bevorstehenden Wahlen zum Reichstage, zum Landtage und zu den Verwaltungs-Körperschaften 6 haben nicht nur in politischer Hinsicht, sondern auch wegen des Einflusses auf Schutz und Förderung der religiösen und sittlichen Güter des ganzen Volkes und auf die Stellung der Kirche i m öffentlichen Leben eine überaus große Bedeutung. Dies gibt uns Anlaß, in entscheidender Stunde ernst und eindringlich alle katholischen Christen an die vaterländische Pflicht zu erinnern, von ihrem Wahlrecht so Gebrauch zu machen, wie es der Verantwortung des treuen Staatsbürgers und treuen katholischen Christen entspricht. Wir erneuern daher unsere Mahnung: Wählet Abgeordnete, deren Charakter und erprobte Haltung Zeugnis gibt von ihrem Eintreten für Frieden und soziale Wohlfahrt des Volkes, für den Schutz der konfessionellen Schulen, der christlichen Religion und der katholischen Kirche. Hütet euch vor Agitatoren und Parteien, die des Vertrauens des katholischen Volkes nicht würdig sind. Schöpfet Eure Belehrung aus bewährten katholischen Blättern. Das ist die Mahnung eurer Bischöfe, die nicht den politischen Parteikampf in das Heiligtum der Kirche tragen wollen, doch an Ereignissen, die für Vaterland und Kirche von tiefer Bedeutung sind, nicht ohne ein Wort der Mahnung vorübergehen wollen.
I I I . Stellungnahmen des katholischen Episkopats nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 Nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 verfügte die NSDAP mit einem Stimmenanteil von 43,9 % über 288 Mandate; zusammen mit der DNVP verfügte die Regierung der „nationalen Sammlung" über die absolute Mehrheit der Reichstagssitze. Daß die Regierung diese Mehrheit zu einem Angriff auf die Rechtssicherheit im allgemeinen und die Stellung der Kirchen im besonderen nutzen werde, war die Befürchtung, die der katholische Episkopat schnell und deutlich aussprach. Besonders nachdrücklich äußerte sich in diesem Sinne der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, in einem Schreiben an den Reichspräsidenten v. Hindenburg 1 vom 10. März 1933 (Nr. 234), das dieser an Hitler weiterleitete 6 Gemeint sind die gleichzeitig mit den Reichstagswahlen am 5. März 1933 stattfindenden Landtags- und Kommunalwahlen i n Preußen. 1 Paul v. Hindenburg und Beneckendorf (1847-1934), seit 1866 preuß. Offizier, seit 1878 i m Generalstab; 1889 Chef der Infanterieabteilung i m Kriegsministerium; 1893 Kommandeur in Oldenburg, 1896 Chef des Stabes in Koblenz, 1903 Kommandierender General in Magdeburg; seit 1911 i m Ruhestand. Seit 22. August 1914 Oberbefehlshaber der 8. Armee, seit 1. November 1914 Oberbefehlshaber Ost (Generalfeldmarschall); vom 29. August 1916 bis 25. Juni 1919 Chef der Obersten Heeresleitung. Vom 12. Mai 1925 bis 2. August 1934 Reichspräsident.
III. Der katholische Episkopat nach der Reichstagswahl
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(Nr. 235). Zugleich entwickelte sich im Episkopat aber auch die Bereitschaft, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen und eine dem Kulturkampf vergleichbare Zuspitzung zu vermeiden. Den Austausch der Ratifikationsurkunden für den badischen Konkordat am 11. März 1933P nahm der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber 3 zum Anlaß, in einem ausführlichen Schreiben an den Kardinalstaatssekretär Pacelli vom 18. März 1933 (Nr. 236) die Grundzüge einer Politik der flexiblen Anpassung zu entwickeln, die auf einen modus vivendi zwischen dem nationalsozialistischen Staat und der katholischen Kirche gerichtet sein sollte 1.
Nr. 234. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichspräsidenten v. Hindenburg vom 10. März 1933 ( Β. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 7 f.) Eure Exzellenz! Höchstzuverehrender Herr Reichspräsident! Die i n der Fuldaer Bischofskonferenz vereinigten Oberhirten der Diözesen Deutschlands halten sich i m Gewissen und i m Bewußtsein der schweren Verantwortung der Kirche vor Gott, vor dem Volke und Vaterlande für verpflichtet, Eurer Exzellenz die ernstesten Sorgen vorzutragen, die uns und weiteste Kreise des ganzen Volkes erfüllen. Die sich überstürzenden Ereignisse der letzten Tage wecken die Befürchtung i n den weitesten Kreisen, einerlei welchem religiösen Bekenntnis sie angehören, daß in ihrer Auswirkung die Sicherheit von Recht und Gerechtigkeit und von gesetzlich verbürgter Freiheit der dem Volkswohl treu dienenden Organisationen i m Volksbewußtsein stark erschüttert werde. A n uns als Bischöfe tritt insbesondere mit wuchtigem Ernste die Frage heran, ob die zur Macht gelangte Bewegung vor dem Heiligtum der Kirche und vor der Stellung der Kirche i m öffentlichen Leben Halt machen werde. Eure Exzellenz wissen aus reichster Lebenserfahrung und aus dem zweitausendjährigen Zeugnis der Geschichte, daß die Heiligkeit des christlichen Glaubens, der religiösen Übung und Überzeugung zu den unantastbaren Gütern gehört. Wie die Kirche ihrerseits von den rein politischen Angelegenheiten sich fernhält und nicht mit politischen Kampforganisationen Gemeinschaft macht, diese auch nicht i n ihr Heiligtum eindringen läßt 5 , so ist auch ihr Innenleben und ihr Wirken jeder weltlichen Macht entzogen. Eure Exzellenz wissen ferner, daß die Kirche in der reichsten Entfaltung des vielseitigen Ordenslebens und Vereinslebens in unserem Vaterlande den segensreichsten Einfluß auf alle Kreise des Volkes i m karitativen, kulturellen und sozialen Leben, in Anleitung zur Treue gegen Volk, Staat und Obrigkeit und ganz besonders 2
Dazu oben Nr. 198. Conrad Gröber: unten S. 875. 4 Vgl. die Literaturhinweise oben S. 437, Anm. 4. 5 Erinnerung an das Verbot der Teilnahme nationalsozialistischer Formationen in Uniform an katholischen Gottesdiensten (oben Nr. 227 ff.). 3
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13. Kap.: Das Reichskonkordat
auf die religiös-sittliche Jugenderziehung geübt hat. Daß das alles schwerster Gefährdung ausgesetzt werden wird, ist inmitten der sich überstürzenden Ereignisse die Befürchtung weitester Kreise des katholischen Volkes. Die Stunde ist gekommen, wo w i r uns an das Reichsoberhaupt wenden müssen mit der dringenden Bitte u m Schutz für Kirche und kirchliches Leben und Wirken. Möge unser Ruf nicht ungehört bleiben.
Nr. 235. Antwortschreiben des Reichspräsidenten v. Hindenburg an den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram vom 14. März 1933 (H. Schlömer, Die deutschen Bischöfe und der Nationalsozialismus. Zur Vorgeschichte der bischöflichen Erklärung vom 28. März 1933, in: Kath. Nachrichten-Agentur, Informationsdienst 9/34 vom 2. September 1961, Dokumentation S. 3) Eurer Eminenz bestätige ich ergebenst den Empfang des i m Namen der Fuldaer Bischofskonferenz an mich gerichteten Schreibens vom 10. d. M. Ich habe von Ihren Darlegungen Kenntnis genommen und Ihren Brief alsdann dem Herrn Reichskanzler zugeleitet. Ich werde Gelegenheit nehmen, mit dem Herrn Reichskanzler über die von Ihnen hier berührten Fragen alsbald zu sprechen.
Nr. 236. Schreiben des Erzbischofs von Freiburg, Conrad Gröber, an den Kardinalstaatssekretär Pacelli vom 18. März 1933 CB. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 9f.) — Auszug — ... Es w i r d für Ew. Eminenz eine große Freude gewesen sein, als die Nachricht in die Vatikanstadt kam, daß es noch gelungen ist, das badische Konkordat i m letzten Augenblick zu ratifizieren 6 . Ich selber betrachte das Inkrafttreten des Konkordates als den Abschluß eines besonderen Wohlwollens des Heiligen Stuhles meinem Heimatlande und meiner Erzdiözese gegenüber. Soviel ich bisher erfahren konnte, w i r d auch die neue Regierung sich auf den Boden des Konkordates stellen, was schon daraus hervorgeht, daß die Verhandlungen, die durch den Wandel i n der Regierungsform für einige Tage abgebrochen waren, nunmehr i n der nächsten Woche wieder aufgenommen werden sollen. Es handelt sich dabei u m die Verkirchlichung des Oberstiftungsrates, der bisher eine gemischt kirchlich-staatliche Behörde gewesen ist. Auch mündlich hat der derzeitige Reichskommissär 7 dem 6 Der Austausch der Ratifikationsurkunden erfolgte am 11. März 1933; siehe oben Nr. 198. 7 Robert Wagner: oben S. 354, Anm. 5.
III. Der katholische Episkopat nach der Reichstagswahl
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Abgeordneten Föhr 8 gegenüber erklärt, daß die Nationalsozialisten das Konkordat nicht antasten werden. Was die allgemeine Lage betrifft, so werden w i r i n Deutschland jeden Tag vor neue Überraschungen gestellt. Für mich selber handelt es sich namentlich darum, mit einer gewissen Elastizität mich den neuen Verhältnissen anzupassen, ohne irgendwie katholische Anschauungen und politische Beziehungen damit preiszugeben. Vor allem müssen w i r alles unterlassen, was wie eine Provokation der neuen Herrschaft aussehen und gegen die Kirche und ihre Priester einnehmen könnte. Ich hoffe, daß sich i n der nächsten Zeit ein modus vivendi 9 herausbildet, der für uns erträglich ist. Namentlich müssen wir zu verhindern suchen, daß unsere katholischen Organisationen nicht gänzlich zerschlagen werden. Ob es in Baden möglich sein wird, eine A r t Koalition mit dem Zentrum zustande zu bringen, ist vorerst noch nicht ersichtlich. Hier würde das Beispiel von Bayern und Preußen wiederum maßgebend sein. I n jedem Falle ist damit zu rechnen, daß der Nationalsozialismus mit allen Mitteln eine Dauerherrschaft zu erlangen versucht. Betrüblich ist dabei, daß auch in meiner Erzdiözese eine größere Anzahl rein katholischer Gemeinden mit fliegenden Fahnen zu dieser Partei hinübergezogen sind. Hält die neue Herrschaft allerdings nicht, was sie verspricht, so w i r d sich in absehbarer Zeit eine Reaktion anmelden, die nach dem anderen Extrem sich bewegt. Auch das legt uns deutschen Bischöfen nahe, zwar ohne Feindseligkeit die neuen Verhältnisse zu betrachten, aber doch ihnen gegenüber eine gewisse Distanz zu bewahren, damit nicht bei einem Gegenschlag die Kirche wiederum ihre Verbrüderung mit dem Nationalsozialismus zu büßen hat. Namentlich w i r d es sich auch darum drehen, ob die katholischen Führer i m Nationalsozialismus ihren Einfluß aufrechterhalten oder den kulturkämpferischen Elementen nachgeben, die in radikalster Weise gegen die schwarze Internationale vorgehen wollen. Das ist es besonders, was den deutschen Nationalsozialismus vom italienischen Faschismus unterscheidet. Italien ist gottlob noch ein i m Glauben geeintes Land, während der Protestantismus jede politische Gelegenheit benützt, u m seinen Haß und Vernichtungswillen gegen die katholische Kirche zu äußern. Obwohl ich i m großen und ganzen Optimist bin, rechne ich trotzdem mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, daß wir, wenigstens vorübergehend wieder, i n schwere Kulturkampfzeiten versetzt werden. Interessant und tiefbedauerlich ist es jetzt schon, daß manche, die bisher treu zum Zentrum und den katholischen Organisationen gestanden sind, nunmehr sich ängstlich zurückziehen oder ihre Anmeldung bei den Nationalsozialisten bereits vollzogen haben. Aber dieser Blätterfall kommt nicht überraschend, wenn man namentlich die Zwangsmethoden betrachtet, mit denen der Nationalsozialismus zu arbeiten pflegt. ...
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Ernst Föhr: oben S. 349, Anm. 9. A u f die Herbeiführung eines modus vivendi (und nicht etwa eine Übereinkunft i m Prinzipiellen) war bereits die Beilegung des Kulturkampfs gerichtet (siehe Staat und Kirche, Bd. II, S. 764ff.). 9
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13. Kap.: Das Reichskonkordat
IV. Staatliche Garantieerklärung und kirchliche Anerkennung In seiner ersten Sitzung am 23. März 1933 nahm der neugewählte Reichstag eine Regierungserklärung des Reichskanzlers entgegen, in welcher Hitler ausdrücklich den Fortbestand der bisherigen kirchlichen Rechte zusicherte (Nr. 237). Die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes in derselben Sitzung besiegelte das Ende der Weimarer Reichsverfassung. Die Stimmen der Zentrumsfraktion gaben den Ausschlag dafür, daß dieses Gesetz die notwendige Zweidrittelmehrheit erhielt. Die notwendige Folge des eingetretenen Wechsels war die Auflösung aller politischen Parteien mit Ausnahme der NSDAP. Hitlers Erklärung enthielt denn auch bezeichnender Weise zwar eine Garantie für den Fortbestand des Reichstags, nicht aber für die Erhaltung des Systems einer Vielheit freigebildeter politischer Parteien. Nach dem vorangegangenen Verbot der KPD (28. Februar 1933) und der Kassation der in der Wahl vom 5. März 1933 errungenen kommunistischen Mandate (13. März 1933) sowie dem Verbot der SPD (22. Juni 1933) beschlossen die bürgerlichen Parteien unter dem wachsenden Druck die Selbstauflösung. So gab der Parteivorstand des Zentrums am 5. Juli 1933 die Selbstauflösung der Partei bekannt 1. Hitlers Garantieerklärung vom 23. März ermöglichte dem deutschen Episkopat die Revision seiner bisherigen Haltung zum Nationalsozialismus. Schon wenige Tage nach der Regierungserklärung, am 28. März 1933, nahm der deutsche Episkopat in aller Form seine Verbote und Warnungen gegenüber dem Nationalsozialismus zurück (Nr. 238). Die Instruktion der Fuldaer Bischofskonferenz vom folgenden Tag (Nr. 239) verdeutlichte, daß damit alle Kirchenstrafen gegenüber Angehörigen der nationalsozialistischen Bewegung hinfällig waren und daß die Teilnahme nationalsozialistischer Formationen in Uniform am Gottesdienst nunmehr gestattet wurde 2.
Nr. 237. Regierungserklärung des Reichskanzlers Adolf Hitler vom 23. März 1933 (Stenographische Berichte des Deutschen Reichstags, Bd. 457, 1933, S. 25ff.) — Auszug — ... Indem die Regierung entschlossen ist, die politische und moralische Entgiftung unseres öffentlichen Lebens durchzuführen, schafft und sichert sie die Voraussetzungen für eine w i r k l i c h tiefe, innere Religiosität. Die Vorteile personalpolitischer Art, die sich aus Kompromissen mit atheistischen Organisationen ergeben mögen, wiegen nicht annähernd die Folgen auf, die i n der Zerstörung der allgemeinen religiös-sittlichen Grundwerte sichtbar werden. Die nationale Regie1
Siehe R. Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus (1977), S. 183 ff. Die wissenschaftliche Diskussion über diesen Kurswechsel des katholischen Episkopats wurde durch E.-W. Böckenfördes Aufsatz von 1961 „Der deutsche Katholizismus i m Jahre 1933" ausgelöst (wieder abgedruckt in: ders., Kirchlicher Auftrag und politische Entscheidung, 1973, S. 30ff.). Zu den neueren zusammenfassenden Darstellungen siehe oben S. 437, Anm. 4. 2
IV. Staatliche Garantieerklärung und kirchliche Anerkennung
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rung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums. Sie w i r d die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren; ihre Rechte sollen nicht angetastet werden. Sie erwartet aber und hofft, daß die Arbeit an der nationalen und sittlichen Erhebung unseres Volkes, die sich die Regierung zur Aufgabe gestellt hat, umgekehrt die gleiche Würdigung erfährt. Sie w i r d allen anderen Konfessionen in objektiver Gerechtigkeit gegenübertreten. Sie kann aber niemals dulden, daß die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession oder einer bestimmten Rasse eine Entbindung von allgemeingesetzlichen Verpflichtungen sein könnte oder gar ein Freibrief für straflose Begehung oder Tolerierung von Verbrechen. Die nationale Regierung w i r d i n Schule und Erziehung den christlichen Konfessionen den ihnen zukommenden Einfluß einräumen und sicherstellen. Ihre Sorge gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Kirche und Staat. Der Kampf gegen eine materialistische Weltauffassung und für die Herstellung einer wirklichen Volksgemeinschaft dient ebenso den Interessen der deutschen Nation wie denen unseres christlichen Glaubens. ... Ebenso legt die Reichsregierung, die i m Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes sieht, den größten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhle weiter zu pflegen und auszugestalten. ... Die Regierung beabsichtigt..., von diesem Gesetz3 nur insoweit Gebrauch zu machen, als es zur Durchführung der lebensnotwendigen Maßnahmen erforderlich ist. Weder die Existenz des Reichstags noch des Reichsrats soll dadurch bedroht sein. Die Stellung und die Rechte des Herrn Reichspräsidenten bleiben unberührt; die innere Übereinstimmung mit seinem Wülen herbeizuführen, w i r d stets die oberste Aufgabe der Regierung sein. Der Bestand der Länder w i r d nicht beseitigt, die Rechte der Kirchen werden nicht geschmälert, ihre Stellung zum Staate nicht geändert. ...
Nr. 238. Kundgebung der Fuldaer und Freisinger Bischofskonferenz, betreffend die Stellungnahme der Katholiken zur nationalsozialistischen Bewegung vom 28. März 1933 (Archiv für katholisches Kirchenrecht, 113, 1933, S. 536f.) Die Oberhirten der Diözesen Deutschlands haben aus triftigen Gründen, die wiederholt dargelegt sind 4 , i n ihrer pflichtmäßigen Sorge für Reinerhaltung des katholischen Glaubens und für Schutz der unantastbaren Aufgaben und Rechte der katholischen Kirche in den letzten Jahren gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung eine ablehnende Haltung durch Verbote und Warnungen eingenommen, die so lange und insoweit in Geltung bleiben sollten, wie diese Gründe fortbestehen.
3 Nämlich dem am selben Tag eingebrachten und nach der Regierungserklärung beschlossenen Ermächtigungsgesetz (RGBl. I, S. 141). 4 Oben Nr. 227 ff.
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13. Kap.: Das Reichskonkordat
Es ist nunmehr anzuerkennen, daß von dem höchsten Vertreter der Reichsregierung, der zugleich autoritärer Führer jener Bewegung ist, öffentlich und feierlich Erklärungen gegeben sind, durch die der Unverletzlichkeit der katholischen Glaubenslehre und den unveränderlichen Aufgaben und Rechten der Kirche Rechnung getragen, sowie die vollinhaltliche Geltung der von den einzelnen Ländern mit der Kirche abgeschlossenen Staatsverträge durch die Reichsregierung ausdrücklich zugesichert wird. Ohne die in unseren früheren Maßnahmen liegende Verurteilung bestimmter religiös-sittlicher Irrtümer aufzuheben, glaubt daher der Episkopat das Vertrauen hegen zu können, daß die vorbezeichneten allgemeinen Verbote und Warnungen nicht mehr als notwendig betrachtet zu werden brauchen. Für die katholischen Christen, denen die Stimme ihrer Kirche heilig ist, bedarf es auch i m gegenwärtigen Zeitpunkte keiner besonderen Mahnung zur Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit und zur gewissenhaften Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten unter grundsätzlicher Ablehnung alles rechtswidrigen oder umstürzlerischen Verhaltens. I n Geltung bleibt die so oft i n feierlicher Kundgebung an alle Katholiken ergangene Mahnung, stets wachsam und opferfreudig einzutreten für Frieden und soziale Wohlfahrt des Volkes, für Schutz der christlichen Religion und Sitte, für Freiheit und Rechte der katholischen Kirche und Schutz der konfessionellen Schule und katholischen Jugendorganisationen. I n Geltung bleibt ferner die Mahnung an die politischen und ähnlichen Vereine und Organisationen, i n Gotteshaus und kirchlichen Funktionen aus Ehrfurcht vor der Heiligkeit derselben zu vermeiden, was als politische parteimäßige Demonstration erscheinen und daher Anstoß erregen kann. I n Geltung bleibt endlich die so oft und eindringlich ergangene Aufforderung, für Ausbreitung und Wirksamkeit der katholischen Vereine, deren Arbeit so überaus segensreich ist für Kirche, Volk und Vaterland, für christliche K u l t u r und sozialen Frieden, stets mit weitblickender Umsicht und mit treuer opferwilliger Einigkeit einzutreten.
Nr. 239. Instruktion der Fuldaer Bischofskonferenz für die katholischen Geistlichen vom 29. März 1933 (B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 33 ff.) I m Anschluß an die gestern veröffentlichte Kundgebung der Fuldaer Bischofskonferenz bezüglich Stellungnahme zur nationalsozialistischen Bewegung geben w i r dem hochwürdigen Klerus folgende Richtlinien betreffend seelsorgerliches Verhalten zu Anhängern derselben, wobei auf die in jener Kundgebung dargelegten Gründe, Grundsätze und Mahnungen ausdrücklich Bezug genommen wird. I. Angehörige der nationalsozialistischen Bewegung und Partei sind wegen dieser Zugehörigkeit hinsichtlich des Sakramentenempfanges nicht zu beunruhigen, vorausgesetzt, daß gegen ihre Würdigkeit i m übrigen begründete Bedenken nicht obwalten und daß sie entschlossen sind, niemals glaubens- oder kirchenfeindlichen Anschauungen oder Handlungen zuzustimmen.
V. Erste Auseinandersetzungen u m die Politik der Gleichschaltung
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Desgleichen ist die bloße Zugehörigkeit zu jener Partei kein Grund zur Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses. Für Gewährung oder Verweigerung desselben gelten i m übrigen die allgemeinen kirchlichen Bestimmungen. II. Die in Uniform erscheinenden Mitglieder können zu Gottesdienst und Sakramenten zugelassen werden, auch wenn sie i n größerer Zahl erscheinen. III. Das Einbringen von Fahnen dieser und anderer politischer Parteiorganisationen in die Kirche ist durch freundliche vorherige Verständigung nach Tunlichkeit zu verhindern, weil es das Gepräge einer politischen Parteidemonstration zu haben pflegt, eine solche aber i m Heiligtum des Gotteshauses nicht geziemend ist. Bemerkungen hierüber sind in ruhigem, achtungsvollem Tone zu halten. Werden solche nicht befolgt, so ist ein öffentlicher Skandal, der bei Ausweisung meist eintritt, zu vermeiden, jedoch die bevorstehende Erinnerung in ebenso ruhiger und nicht verletzender Form hernach oder gelegentlich zu erneuern. IV. Veranstaltung von Festgottesdiensten für politische Parteiorganisationen ist, weil sie parteipolitischen Charakter zu haben pflegen, i m allgemeinen zu unterlassen. Für allgemeine vaterländische Veranstaltungen gilt diese Bemerkung nicht. V. Die Ordnung bei kirchlichen Begräbnissen bestimmt sich nach den allgemeinen kirchlichen Grundsätzen und örtlichen Gewohnheiten. Danach ist die Zulassung weltlicher Vereine, die keinen kirchenfeindlichen Charakter tragen, nicht untersagt. Das Mitführen von Fahnen außerhalb des Gotteshauses möge, wie auch bei anderen nicht kirchenfeindlichen Vereinen üblich, nicht behindert werden; doch möge auf Unterlassung parteipolitischer Kundgebungen am Grabe — wenigstens i n Gegenwart des Priesters — hingewirkt werden, da i m Anblicke des offenen Grabes das Gebet für den Verstorbenen und der Gedanke an die Ewigkeit die Stimmung beherrschen soll. Bei der Fronleichnamsprozession ist das Mitführen von Fahnen politischer Vereine niemals üblich gewesen, daher an diesem Herkommen festzuhalten. VI. So sehr es erklärlich ist, daß in unserer vielbewegten Zeit die politischen Fragen alle Kreise des Volkes und selbst die Jugend höherer und niederer Schulen aufs tiefste beschäftigen und aufregen, bleibt es doch Aufgabe der Kirche, u m so eindringlicher und herzlicher die Augen stets hinzulenken auf die höheren Aufgaben und Ziele des Menschen, auf die christliche Religion als Grundlage und Quellborn der Kultur, auf die Notwendigkeit innerer religiöser und sittlicher Bildung, damit zugleich auf die hohen Aufgaben, die unsere katholischen, kirchlich approbierten Vereine für religiöses Leben und religiöse Bildung, für die gesamte katholische Jugendpflege, für sozialen Frieden und damit für Volk und Vaterland, für zeitliches und ewiges Heil der Menschheit zu erfüllen haben.
V. Erste Auseinandersetzungen um die Politik der Gleichschaltung Drei parallele Entwicklungen bestimmten das Verhältnis der katholischen Kirche zum nationalsozialistischen Regime im Frühjahr und Sommer 1933: der Umschwung in der Haltung des Episkopats zum Nationalsozialismus und damit zur „nationalen Revolutiondie Anfang April einsetzenden Verhandlungen über das
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Reichskonkordat und schließlich die beginnenden staatlichen Aktionen gegen Staatsbeamte, die Angehörige des Zentrums waren, und gegen die katholischen Verbände 1. Bereits am 6. April wandte sich Kardinal Bertram in einem Schreiben an den Reichspräsidenten (Nr. 240), in dem er sich für die katholischen Beamten einsetzte, die von Verfolgungsmaßnahmen und Amtsenthebungen bedroht waren — eine Sorge, die für den katholischen Episkopat die beginnenden Maßnahmen des neuen Regimes gegen jüdische Staatsbürger und Staatsbeamte überlagerteEine Reihe weiterer Eingaben und öffentlicher Stellungnahmen schloß sich an dieses Schreiben an. Die ersten Maßnahmen gegen katholische Verbände veranlaßten Bertram zu einem Schreiben an Hitler vom 16. April 1933 (Nr. 241 ), das dieser am 28. April 1933 beantwortete (Nr. 242). Beide Seiten beriefen sich in diesem Briefwechsel auf den Kampf gegen den Bolschewismus als gemeinsames Ziel. Hinsichtlich der katholischen Verbände kündigte Hitler an, diese könnten fortbestehen, soweit sie nicht „parteipolitische, dem jetzigen Regiment feindliche Tendenzen" pflegten. Den bisher behandelten Themen stellte Kardinal Bertram in seinem Schreiben vom 6. Mai 1933 die Sorge um den Fortbestand der Konfessionsschulen und den ungehinderten Einfluß der katholischen Kirche auf die Erziehung der Jugend zur Seite (Nr. 243). Angesichts der Bedrohung der katholischen Arbeitervereine und der katholischen Jugendverbände wandte Bertram sich erneut durch ein Schreiben vom 25. Juni und ein Telegramm vom 4. Juli 1933 an Hitler (Nr. 244, Nr. 245). Diese Dokumente belegen, daß der katholische Episkopat sich bereits vor der Unterzeichnung des Reichskonkordats in die Abwehr gegen die „Gleichschaltung" gedrängt sah. Bald zeigte sich, daß auch das Reichskonkordat kein wirksames Instrument gegen die Gleichschaltungsmaßnahmen bildete.
Nr. 240. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an Reichspräsident v. Hindenburg vom 6. A p r i l 1933 (B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 49f.) — Auszug — Höchstzuverehrender Herr Reichspräsident! Exzellenz! I m Anschluß an Eurer Exzellenz geneigtes Entgegenkommen auf die Vorstellungen des Episkopats 3 und i m Vertrauen auf die großzügigen Erklärungen des Herrn Reichskanzlers bei Eröffnung des Reichstages 4 haben die Bischöfe Deutschlands
1 Vgl. dazu R. Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus (1977), S. 158ff.; K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I (1977), S. 346ff.; zur K r i t i k an den zurückhaltenden Reaktionen der Bischöfe G. Denzler, Widerstand oder Anpassung? Katholische Kirche und Drittes Reich (1984), S. 29ff. 2 Vgl. W. Huber, Folgen christlicher Freiheit (2. Aufl. 1985), S. 77 ff. Als Darstellung aus der Sicht der katholischen Bischofskonferenz vgl. die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz „Über das Verhältnis der Kirche zum Judentum" (1980). 3 Oben Nr. 234, Nr. 235. 4 Oben Nr. 237.
V. Erste Auseinandersetzungen u m die Politik der Gleichschaltung
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sich rasch entschlossen, durch die öffentliche Kundgebung vom 28. v. M. 5 ein den kirchlichen Grundsätzen entsprechendes und dem öffentlichen Frieden dienendes Verhältnis zu der neuen Gestaltung des öffentlichen Lebens anzubahnen. Wir sind Eurer Exzellenz dankbar für die hohe Würdigung unserer Vorstellungen und dürfen gewiß vertrauen, daß auch ferner ein offenes Wort uns gestattet wird, das der Sorge u m Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Sorge u m Rechtsund Gerechtigkeitsbewußtsein i m Volke entspringt. Trotz so mancher sehr anerkennenswerter Verfügungen, die die neue Regierung i n Liebe zu Heimat und Volk zwecks Beseitigung aufrührerischer Elemente und zum Schutze der öffentlichen Sittlichkeit ergriffen hat, herrscht doch i n weiten vaterländisch treuesten und ordnungsliebenden Kreisen, besonders i m katholischen Volke, tiefe Besorgnis und eine gedrückte Stimmung, nicht aus parteipolitischen, sondern aus tiefer liegenden Gründen. Wenn jetzt i n weitesten Kreisen die Überzeugung herrscht, daß so manche hervorragend tüchtige katholische Beamte, die jahrelang treueste und segensreichste Arbeit dem Volke und Vaterlande geleistet haben und ehrlich bereit sind, mit gleicher Hingebung unter der neuen Regierung opferwillig und in korrekter Einstellung zu arbeiten, auf stürmisches Drängen gegnerischer Kreise eben deshalb entfernt werden, weil sie der Kirche mit gleicher Anhänglichkeit ergeben waren 6 , so ist das für das gesamte katholische Volk überaus niederdrückend. Es handelt sich u m Männer, die auch jetzt und gerade jetzt durch ihr kluges, besonnenes und versöhnendes Wirken wertvollste Aufbauarbeit leisten können. Ich habe bereits am 18. März Gelegenheit gehabt, mit dem Herrn Vizekanzler offenste Aussprache hierüber zu pflegen 7 . ... Ich bitte nicht zu übersehen, wenn bei schwersten und rohesten Angriffen auf katholische Staatsbeamte i n hoher Stellung die ordentliche Polizei sich vielfach machtlos sieht gegenüber stürmischen Bedrohungen von Anhängern nationaler Verbände, die ihre sofortige Entfernung verlangen. Da werden der Autorität der höchsten Stellen und dem vaterländischen Bewußtsein und Vertrauen des katholischen Volkes Wunden geschlagen, die wahrhaftig nicht zur Gesundung des Gesamtorganismus dienen. ...
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Oben Nr. 238. A m Tag nach diesem Brief schuf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. A p r i l 1933 (RGBl. I, S. 175) die gesetzliche Grundlage für die Entfernung der nichtarischen Beamten ebenso wie derjenigen, „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten" (§ 4). 7 A m 18. März 1933 empfing Kardinal Bertram den Vizekanzler v. Papen zu einem Besuch. 6
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Nr. 241. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichskanzler Adolf Hitler vom 16. A p r i l 1933 (B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 60ff.) Hochverehrter Herr Reichskanzler! Exzellenz! Nachdem Eure Exzellenz in der programmatischen Reichstagsrede die Stellung der neuen Regierung zur Kirche klargestellt haben 8 , hat der Episkopat diese Erklärung gern benutzt, u m unter gleichzeitiger pflichtmäßiger Wahrung unseres kirchlichen Standpunktes jene Bedenken zurückzustellen, die seither gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung bestanden. Die von der Fuldaer Bischofskonferenz im Einvernehmen mit dem Episkopate Bayerns am 28. März veröffentlichte Kundgebung 9 gibt Zeugnis davon und gibt zugleich der Hoffnung Ausdruck, daß auch unter den neuen Verhältnissen die Arbeitszweige des kirchlichen Wirkens i m Volke, und damit auch das mit hohen Opfern und segensreichem Erfolge ausgebaute kirchliche Vereinswesen Freiheit der Bewegung in seinem von politischer Einstellung nicht beeinflußten Wirken behalten werden. Da dieserhalb aber in weitesten Kreisen durch verschiedene Vorkommnisse ernste Besorgnis geweckt wurde, war es meine Pflicht, i m Auftrage der Oberhirten der deutschen Diözesen dem Verlangen der katholische Kirche Ausdruck zu geben. Es ist das geschehen in den Eurer Exzellenz bekanntgewordenen Eingaben, die ich der schuldigen Ehrerbietung halber in erster Linie an den Herrn Reichspräsidenten richten mußte 1 0 , und i n Eingaben an die ressortmäßig zuständigen Herren Reichsminister, am 12. A p r i l d. J. an Herrn Reichsinnenminister 11 und am 15. A p r i l an den Herrn Reichsarbeitsminister und Reichskommissar für Arbeitsdienst 12 . Ich bitte, diese Schreiben auch Eurer Exzellenz in Abschrift anbei unterbreiten zu dürfen, zumal die Entschließungen auf diesen Gebieten gewiß nicht ohne ausdrückliche entscheidende Weisung Ihrerseits getroffen werden. Die katholischen Vereine und insbesondere die Jugendorganisationen sind, wie das reiche Schrifttum derselben zeigt, nicht aus politischen Gründen entstanden. Die Bischöfe haben auch nicht die Absicht, i n die rein weltlichen politischen Angelegenheiten sich einzumischen. Entstehung und Wirken dieser Vereine verdanken ihren Ursprung der Aufgabe der Kirche, durch die Kräfte der Religion auf alle Kreise des Volkes und ganz besonders auf die Jugendlichen in den gefahrvollen Entwicklungsjahren belehrend, sittigend und stärkend einzuwirken, ein körperlich und seelisch tüchtiges, für berufliches Wirken und i n opferwilliger Vaterlandsliebe geschultes Geschlecht zu erziehen und damit zugleich der Volkswohlfahrt den segensreichsten Dienst zu erweisen. Das gilt auch von den Sportorganisationen, die nun einmal für die Jugend und Jungmannschaft ein unentbehrliches Glied der vereinsmäßigen Schulung bilden und aus der Gesamtaufgabe der 8
Oben Nr. 237. Oben Nr. 238. 10 Oben Nr. 240; vgl. auch Nr. 234. 11 Stasiewski, a.a.O., S. 52f. 12 Ebenda S. 64 ff.
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Vereine nicht herausgebrochen werden können. Die Wirksamkeit solcher katholischer Vereine ist in Deutschland u m so notwendiger, je größer bei der Mischung der Konfessionen die Gefahr der religiösen Unsicherheit und des Indifferentismus ist: ein Moment, das namentlich vom Heiligen Stuhle bei der Beurteilung deutscher Verhältnisse stets i n seiner ganzen Tragweite geschätzt und eindringlich beachtet ist. Gerade i m Lichte religiöser Klarheit, Schulung und Betätigung haben diese Vereine i m Kampfe gegen den Marxismus die Feuerprobe bestanden, haben auch gern sich bereit gefunden, den von staatlicher Seite ergehenden Anregungen, so noch jüngst dem Aufrufe zu Geländesport und Wehrertüchtigung Folge zu leisten 13 . Es darf bei aller Vermeidung von Selbstüberhebung doch als ein Charakteristikum des deutschen Katholizismus angesprochen werden, daß er offenes Auge für alle Aufgaben der Gegenwart hat und so zu echter lebendiger Volksverbundenheit gelangt. A u f allen Gebieten des kulturellen Lebens ist es aber zweifellos ein A k t staatsmännischer Klugheit, den für Volk und Vaterland, religiöse Festigung und Schulung, in Bildung und Erziehung und allseitiger Ertüchtigung freiwillig und aus edelsten Motiven zur Mitarbeit bereiten Organisationen jenes Maß von Bewegungsfreiheit und jene Förderung zuzugestehen, ohne die ein freudiges und erfolgreiches Mitarbeiten nicht möglich sein würde. Die Bitte der Bischöfe geht daher dahin, daß die Reichsregierung und die Regierung der Länder dieser Erkenntnis sich nicht verschließen wolle, sondern vertrauensvoll solche Mitarbeit begrüßen wolle. A n Eure Exzellenz richtet daher der Episkopat durch den unterzeichneten Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz die ergebenste und dringendste Bitte, den anliegenden Gesuchen wohlwollende Aufnahme geneigtest zuzuwenden.
Nr. 242. Antwortschreiben des Reichskanzlers Adolf Hitler an den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram vom 28. A p r i l 1933 (B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 62 ff.) Eure Eminenz! Eure Eminenz geruhten eine Anzahl von Eingaben an den Herrn Reichspräsidenten und an einzelne Ressortminister zu richten, die mir zur Kenntnisnahme vorgelegt wurden. Durch das unter dem 16. A p r i l an mich gerichtete direkte Schreiben — für das ich Eurer Eminenz ehrerbietigst danke — erhalte ich die Möglichkeit, zu den in den verschiedenen Eingaben behandelten Vorgängen und Fragen selbst Stellung zu nehmen. Eure Eminenz drücken in dem unter dem 6. A p r i l an den Herrn Reichspräsidenten gerichteten Briefe 14 Besorgnisse aus über die bedrohte Aufrechterhaltung der 13 Siehe dazu H. Roth, Katholische Jugend in der NS-Zeit unter besonderer Berücksichtigung des Katholischen Jungmännerverbandes. Daten und Dokumente (1959). 14 Oben Nr. 240.
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öffentlichen Ordnung, der eine Schmälerung des Rechts- und Gerechtigkeitsbewußtseins i m Volke nachfolgen könnte. Niemand bedauert mehr die Notwendigkeit, durch eine Revolution Deutschland vor dem Schicksal der Bolschewisierung zu bewahren als ich selbst, Herr Kardinal. Lange Jahre lebte ich i n der Meinung, es könnte vielleicht doch gelingen, die Regierungen und insonderheit das Zentrum als eine der tragenden Regierungsparteien zu bewegen, in Würdigung des Sinnes der Verfassung der Nationalsozialistischen Partei den ihr gebührenden Einfluß zu gewähren. Leider wurden diese Hoffnungen bitter enttäuscht. Als sich der Herr Generalfeldmarschall v. Hindenburg endlich entschloß, von sich aus die Nationalsozialistische Bewegung und mich in die Regierung zu berufen, war die Frage des drohenden kommunistischen Aufruhrs zur akuten Gefahr geworden. Was in den letzten anderthalb Jahrzehnten auf diesem Gebiete von den verschiedenen Regierungen gesündigt worden war, kann heute aus Gründen der Staatsraison und der öffentlichen Sicherheit noch nicht bekanntgegeben werden. Ich bin aber gerne bereit, einem Priester, den Eure Eminenz zu diesem Zwecke bestimmen möge, einen Einblick i n die Zustände zu gewähren, deren Kenntnis Eurer Eminenz den Ablauf der nationalen Revolution sicherlich in vielem entschuldigen wird. Gemessen an dem Unglück, das das hinter uns liegende Regiment seit den Novembertagen 1918 über Deutschland gebracht hat, der Tiefe des Verfalls, in den es uns zog, sowie der Gefahr, vor der wir standen, ist der Gesamtverlauf der nationalen Erhebung ein in der Geschichte solcher Vorgänge einzigartig gemäßigter und disziplinierter. Ich darf Eure Eminenz darauf hinweisen, daß meine Bewegung, die immer nur aus glühender Vaterlandsliebe gehandelt hat, i n den wenigen Jahren ihres politischen Ringens mehr als 350 Tote und über 40000 Verletzte zu beklagen hatte. Ich darf weiter darauf hinweisen, daß viele Zehntausende die Liebe und das Bekenntnis zu ihrem Volk und Vaterland mit dem Gefängnis büßen mußten. K a u m einer der Führer dieser Bewegung — mit Stolz kann ich mich selbst dazu rechnen — hat nicht infolge einer oft geradezu unerhörten Beugung von Recht und Gesetz schwere Freiheitsstrafen erduldet. Ich darf weiter bemerken, daß Hunderttausende meiner Anhänger A m t und Stellen verloren haben ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder, daß man sie vom Arbeitsplatz brachte und der schlimmsten Not auslieferte, nur weil sie es wagten, sich der marxistischen Verderbung unseres Volkes zu widersetzen. Ich w i l l dabei ganz schweigen von den sonstigen Verfolgungen, den ewigen Verboten, den ununterbrochenen Haussuchungen, den Konfiskationen, den Redebehinderungen usw. Man wird in der Geschichte dereinst die nationale Revolution dieses Jahres nur als eine Erhebung, aber keineswegs als eine Vergeltung bezeichnen können. Ich glaube nicht, daß i m Ablauf dieses geschichtlichen Geschehens mehr als höchstens 20 Menschen ihr Leben verloren haben. Ich bedaure auch dies, obwohl ich nicht dasselbe Bedauern bei unseren Gegnern anläßlich der Ermordung der Hunderte meiner Anhänger gefunden habe. Die Arbeit, die heute vor uns steht, Eure Eminenz, ist eine sehr schwere. Was viele Jahre gesündigt haben, muß jetzt wieder gesühnt werden. Wenn zahlreiche deutsche, fleißige Menschen durch den Druck unerträglicher Steuern Geschäft und Haus und Hof verloren, dann trägt nicht geringe Schuld an dem eine Aufblähung unserer Verwaltung, die w i r uns selbst in
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den glücklichen Zeiten des deutschen Lebens nicht hätten leisten können. Wenn wir heute einen Teil unseres Beamtenkörpers abzubauen gezwungen sind, dann tun wir, was auf die Dauer andere Regierungen nicht hätten vermeiden können. Ich nehme vor der Nation die Unpopularität auf mich, die diese Eingriffe mit sich bringen müssen. Ich darf allerdings Eurer Eminenz versichern, daß kein Beamter entfernt w i r d wegen seiner Religion oder gar wegen seines katholischen Glaubens. Eure Eminenz weisen besonders hin auf Oberschlesien und beklagen, daß gerade dort solche Eingriffe vorgenommen würden. Eure Eminenz befürchten, daß gerade i m Grenzland die Volksseele — durch jahrelange feindliche Besatzung aufgepeitscht und zermürbt — Schaden nehmen könnte. Ich bedaure, daß man aber gerade in Oberschlesien durch viele Jahre ohne Rücksicht auf diese gefährliche Situation die zahllosen Anhänger meiner Bewegung auf das ungerechteste behandelt hat. Heute fordern diese allerdings die Wiederherstellung des verletzten Rechtes. Eure Eminenz weisen weiter auf beispiellose rohe Haussuchungen hin. Ich bedaure sehr, wenn solch ein Fall vorgekommen sein soll und bitte u m nähere Angaben darüber. Ich darf aber wieder sagen, daß unter der Regierung des Reichsinnenministers Wirth 1 5 bei unzähligen Nationalsozialisten Haussuchungen stattfanden — ohne jeden Grund und ohne jede Veranlassung — , Haussuchungen, bei denen man des nachts die Frauen und Kinder aus den Betten trieb und auf die Korridore hinausjagte oder i n den Höfen aufstellen ließ, nur auf das notdürftigste bekleidet, u m sie so stundenlang in eisiger Kälte stehen zu lassen. Wir konnten uns darüber ja nicht beklagen, denn wir waren rechtlos und wehrlos. Anläßlich meiner Vernehmung als Zeuge vor dem Gericht zu Leipzig 1 6 hat mein früherer Oberster SA-Führer 1 7 als Zeuge unter seinem Eid eine solche an i h m vorgenommene Prozedur dem Obersten deutschen Gerichte mitgeteilt. Und das passierte nicht zehnen, zwanzig oder hunderten, nein zehntausenden von uns. Noch zu Beginn des vergangenen Jahres wurden durch den Reichsinnenminister Wirth in Berlin zahlreiche meiner SA-Kameraden aus ihren Quartieren getrieben, die Betten auf die Straße hinuntergestellt, wo sie i m Regen blieben, bis sich barmherzige Menschen ihrer annahmen. Aber trotzdem bedaure ich aufrichtig, Herr Kardinal, wenn einem Priester Ähnliches zugestoßen sein sollte. I m übrigen bin ich überzeugt, daß, wenn irgendwo Angriffe gegen Staatsbeamte in hohen Stellungen erfolgt sind, diese Angriffe nicht dem Katholiken oder Staatsbeamten, sondern dem parteipolitischen Feind gegolten haben. Hier aber glaube ich, kann man bei aller Verurteilung einzelner Ausschreitungen insgesamt immer nur feststellen, daß diese Vergeltun15 Joseph Wirth (oben S. 168, Anm. 4) war Reichsinnenminister i m ersten Kabinett Brüning vom 30. März 1930 bis zum 9. Oktober 1931. I n seine Amtszeit fallen die Versuche, mit den Verordnungen zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom März, Juli und Oktober 1931 den politisch motivierten bürgerkriegsähnlichen Gewalttaten entgegenzuwirken. 1(3 Nämlich i m Rahmen des Ulmer Reichswehrprozesses vor dem IV. Strafsenat des Reichsgerichts vom 23. September bis 4. Oktober 1930 (siehe Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 685ff.). 17 Franz Pfeffer v. Salomon (1888-1968), preuß. Offizier; 1919/20 Freikorps-Führer i m Reich, i m B a l t i k u m und in Oberschlesien, 1923 i m Ruhrkampf; 1925 M.d. NSDAP; Anfang 1926 bis Ende 1930 Oberster SA-Führer; November 1932 bis November 1942 MdR (Mandat aberkannt); 1944 als Gegner Hitlers i n Haft.
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gen in keinem Verhältnis zu dem stehen, was man zum Teil durch dieselben Beamten den Anhängern meiner Bewegung an Leid zugefügt hat. Es w i r d aber mein Bestreben sein, Ew. Eminenz, alles zu t u n 1 8 , u m die vollständige Ruhe und Ordnung i n Deutschland so schnell als möglich wieder herzustellen. Denn über dieser 19 Erhebung soll ja nicht der Haß gegen unsere früheren Feinde, sondern die Liebe zu unserem Volke stehen. Ich bitte aber nochmals, mir i m einzelnen für die angezogenen Fälle gütigst die Namen zukommen zu lassen, und ich werde dann unverzüglich anordnen, eine Untersuchung einzuleiten. Eure Eminenz erwähnen in den verschiedenen Eingaben die Lage der katholischen Verbände und knüpfen daran die Erwartung, daß ihnen durch das neue Regiment keinerlei Schädigung erwachse. Ich darf Ihnen, Herr Kardinal, versichern, daß insoweit solche Verbände keine parteipolitisch dem jetzigen Regiment feindliche Tendenzen pflegen, auch keine Absicht besteht, gegen sie vorzugehen. Die Regierung würde glücklich sein, wenn sich erweisen sollte, daß diese Voraussetzungen zuträfen. Denn sie wünscht nicht mit den beiden Kirchen i n Deutschland Konflikte, sondern aufrichtiges Zusammenarbeiten zum Nutzen des Staates sowohl als auch zum Nutzen der Kirchen. Die Fragen, die den Arbeitsdienst betreffen, finden ihre Erledigung i n der i n Kürze bevorstehenden Einführung der Allgemeinen Arbeitsdienstpflicht 20 . Ich darf Eure Eminenz bitten, den guten Willen und die guten Absichten der nationalen Regierung mit Vertrauen anzunehmen. Die nationalsozialistische Bewegung aber hat keinen sehnlicheren Wunsch als den, es möchten doch die beiden Kirchen dem Kampfe zur Niederzwingung des Bolschewismus und der Wiederherstellung einer wirklichen Autorität sowie der Stärkung und Festigung unseres gesamten Lebens ein gütiges Verstehen entgegenbringen. Ich glaube, Ew. Eminenz, daß wir damit nur mitkämpfen, auch das Christentum wenigstens i n Deutschland vor einer der größten Gefahren zu schützen, die seit vielen Jahrhunderten i n Erscheinung getreten sind 2 1 .
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„zu" fehlt versehentlich i n der Vorlage. I n der Vorlage versehentlich: „diese". 20 Der E n t w u r f eines „Gesetzes zur Vorbereitung der allgemeinen Arbeitsdienstpflicht" wurde i m Sommer 1933 vor allem auf Grund der Einwände des Reichsfinanzministers v. Schwerin-Krosigk und des Reichsaußenministers v. Neurath zurückgestellt. Erst am 13. Dezember 1934 wurde das Gesetz über den Freiwilligen Arbeitsdienst verkündet (RGBl. 1934 I, S. 1235). Das Gesetz vom 26. Juni 1935 (RGBl. I, S. 769) führte die Arbeitsdienstpflicht für die männliche und weibliche Jugend ein. 21 Diesem Schreiben ging ein Gespräch Hitlers mit Bischof Berning voraus (Protokoll: Stasiewski, a.a.O., S. lOOff.). 19
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Nr. 243. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichskanzler Adolf Hitler vom 6. Mai 1933 (ß. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 133ff.) — Auszug — Hochzuverehrender Herr Reichskanzler! Es ist mit aufrichtigem Danke anzuerkennen, daß durch die von Eurer Exzellenz bei Eröffnung des Reichstags in feierlicher Kundgebung gegebenen Erklärungen 2 2 und durch die Unterredung, die Eure Exzellenz jüngst dem Herrn Bischof von Osnabrück zu gewähren die Güte hatten 2 3 , viele schwere Bedenken beseitigt sind, die seither beim Episkopate aller deutschen Diözesen gegenüber der neuen Bewegung bestanden. Die Bischöfe haben das umso herzlicher begrüßt, als nur auf der Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens ein Zusammenarbeiten zum Heile von Volk und Vaterland möglich ist. Aus den Erklärungen Eurer Exzellenz ist Ihre Überzeugung zu erkennen von dem tiefen, weitgreifenden Einflüsse, den eine den Charakter des Volkes durchdringende, in allen Zweigen des Lebens wirkende religiöse Gesinnung auf die Gesundung des öffentlichen Lebens haben wird. Aus dieser Überzeugung quillt das Bewußtsein von der Unantastbarkeit unseres Glaubens und kirchlichen Lebens, wie andererseits die Kirche zu allen Zeiten und ohne Unterschied unter allen Regierungsformen sich ihrer heiligen Pflicht bewußt ist, in den Herzen der Gläubigen die Ehrerbietung und den Gehorsam gegen die Obrigkeit als religiöse Tugend zu vertiefen und zu opferwilliger Mitarbeit am Gemeinwohl alle Kreise des Volkes zu erziehen. Wenn ich Beschwerden i n Einzelfallen nicht immer an die höchste Instanz bringe 2 4 , sondern, soweit überhaupt eine objektive Beurteilung des Einzelfalles erreichbar ist, mit den örtlich zuständigen Organen zu erledigen suche, so bestimmt mich dazu die Erwägung, daß inmitten der großen Aufgaben organisatorischer A r t , die die Gegenwart den Zentralbehörden auferlegt, die prinzipiellen Fragen alle Kräfte der Zentralbehörden in Anspruch nehmen. Es sind das die Probleme, die in der Unterredung Eurer Exzellenz mit dem Herrn Bischof von Osnabrück berührt sind. Wenn die katholische Kirche Volkskirche in vollem Sinne sein soll — und das ist und bleibt ihre Bestimmung —, so kann ihr Wirken nicht gleichsam auf die Sakristei beschränkt werden. Salz der Erde und Licht der Welt nach Christi Wort zu sein 25 , das verlangt Bewegungsfreiheit i m Volksleben, was mit rein weltlichen Angelegenheiten der einzelnen politischen Parteien nichts zu t u n hat. Von diesem hohen Gesichtspunkte aus ist es für das kirchliche Wirken unentbehrlich, vor allem Bewegungsfreiheit i m Gebiete der religiösen und sittlichen 22
Oben Nr. 237. Gemeint ist die Unterredung Bernings mit Hitler am 26. A p r i l 1933 (siehe oben Anm. 21). 24 Bertram bezieht sich damit auf die Aufforderung i n Hitlers Schreiben vom 28. A p r i l 1933 (oben Nr. 242), i h m Einzelfalle namentlich zur Kenntnis zu bringen. 25 Matthäus 5, 13-14. 23
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13. Kap.: Das Reichskonkordat
Erziehung und Bildung der Jugend zu haben. Daher unser Eintreten für die konfessionelle Schule, weil eine religiös-sittliche Erziehung ohne klare Glaubensgrundlage erfahrungsgemäß i m Indifferentismus endet. Daher unser Eintreten für konfessionelle Hochschulen der Lehrerbildung und für die konfessionellen Lehrervereine 26 , die über ein halbes Jahrhundert den segensreichsten Einfluß auf die gesamte Arbeit an der Jugend geübt haben 27 . ... Gewiß darf ich vertrauen, daß Eure Exzellenz in diesen meinen Darlegungen nicht eine Einmischung in staatliche Gebiete erblicken, sondern den Ausdruck der treuen Sorge u m die zentnerschwere Pflicht der Kirche, durch lebenswarme religiös-sittliche Erziehung des Volkes der Gottlosenbewegung und dem Bolschewismus mit den von Christus uns gegebenen Heilsmitteln entgegenzuarbeiten, so wie die Abwehr der Gottlosenbewegung jahraus jahrein die ernsteste Sorge aller Bischofskonferenzen gewesen ist. M i t herzlicher Freude begrüßen w i r alle Maßnahmen, die Eure Exzellenz mit fester Hand in klarer Zielsetzung für Unterstützung dieser Aufgaben treffen, soweit die Mitarbeit der staatlichen Gewalt dazu i m Stande ist. ...
Nr. 244. Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichskanzler Adolf Hitler vom 25. Juni 1933 (B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 255 f.) — Auszug — Hochzuverehrender Herr Reichskanzler! I m geneigten Schreiben vom 28. A p r i l d. J. 2 8 haben Ew. Exzellenz mir als Vorsitzendem der Bischofskonferenzen die gütige und beruhigende Zusicherung gegeben, daß gegen katholische Organisationen nicht werde vorgegangen werden, wenn sie keine parteipolitisch dem jetzigen Regiment feindlichen Tendenzen verfolgen. Ich spreche wiederholt herzlichsten Dank aus für diese begrüßenswerte Erklärung. Dieselbe gibt mir das Vertrauen, für folgende Vorstellung gute Aufnahme zu finden. Der Führer der Deutschen Arbeitsfront Herr Staatsratspräsident 29 Dr. L e y 3 0 hat am 22. d. M. die Katholischen Arbeitervereine den staatsfeindlichen Organisationen zugezählt 31 . Diese Auffassung ist irrtümlich. 26 Der Katholische Lehrerverband des Deutschen Reiches, gegründet 1889, umfaßte 1933 25540 Mitglieder, der Verein Katholischer Deutscher Lehrerinnen, gegründet 1885, ungefähr 20000 Mitglieder. 27 I m folgenden äußert Bertram sich ausführlich zu der Notwendigkeit des Fortbestands der katholischen Lehrer- und Lehrerinnenvereine sowie der katholischen Jugend-, Jungmänner- und Jungfrauen vereine. Er wirbt ferner u m Anerkennung der eigenständigen Rolle der katholischen Verbände i m Rahmen des freiwilligen Arbeitsdienstes. 28 Oben Nr. 242. 29 Die Vorlage schreibt irrtümlich „Staatspräsident"; Ley war vom A p r i l bis zum 7. Juli 1933 Präsident des preußischen Staatsrats.
V. Erste Auseinandersetzungen u m die Politik der Gleichschaltung
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Als Senior des preußischen Episkopats kann ich aus einer Beobachtung und Erfahrung von fünf Jahrzehnten bezeugen, daß die Katholischen Arbeitervereine stets bestrebt gewesen sind, zuverlässige Stützen der staatlichen und kirchlichen Autorität und eine starke Truppe gegen Gottlosenbewegung, Marxismus und Bolschewismus zu sein. Stets haben sie aufs gewissenhafteste Gehorsam gegen die staatliche Autorität um des Gebotes Gottes willen verlangt, haben christliche Sittlichkeit und christlichen Familiengeist bei allen ihren Mitgliedern gefordert und sind eine Schule für kameradschaftliche Tugenden und Berufstüchtigkeit gewesen. Das Arbeiterkleid war ihr Ehrenkleid. Die Tage, an denen ich die Tausende ihrer Mitglieder i n Breslau, Gleiwitz, Beuthen und Annaberg u m mich versammelt sah, waren mir die erhebensten meines Episkopats. Nicht umsonst hat Papst Pius X., selbst ein Arbeiterkind, in der Enzyklika Singulari quadam vom 24. September 191232 alle deutschen katholischen Arbeiter dringend gebeten, den Deutschen Katholischen Arbeitervereinen beizutreten. Dieselben bejahen voll und ganz und ehrlich den neuen Staat. Diese Katholischen Arbeitervereine sind kirchliche Vereine, stehen unter der Aufsicht der Bischöfe und erhalten ihre Präsiden durch bischöfliche Ernennung. Zu dem großen berufsständischen Aufbau werden sie rückhaltlos und freudig mitwirken, und es wird sich, wie es auch bei den Lehrervereinen geschehen ist, leicht ein Weg finden, u m sie ohne Vernichtung ihrer Selbständigkeit i n diesen Aufbau als Glieder einzufügen, die u m so wertvoller sind, je fester gegründet ihre religiösen und sittlichen Grundsätze und Kräfte sind. Meine Bitte ist diese: es möge die genannte 33 Erklärung des Herrn Führers der Deutschen Arbeitsfront nicht eine Auswirkung haben, die mit der Zusicherung Eurer Exzellenz vom 28. A p r i l w i r k l i c h nicht vereinbar ist.
30 Robert Ley (1890-1945), Chemiker; i m 1. Weltkrieg Leutnant d.R.; 1924 in der „Völkischen Freiheitsbewegung"; 1925 M.d. NSDAP; 1925-32 Gauleiter des Rheinlands; 1928-33 MdpreußLT; September 1930-Mai 1945 MdR; 1932-33 Leiter des „Reichsorganisationsamts" der NSDAP; 1933-45 Führer der „Deutschen Arbeitsfront" (Freitod am 25. Oktober 1945 i m Gefängnis in Nürnberg). 31 Nach der Auflösung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 hatte Robert Ley die Leitung der Deutschen Arbeitsfront übernommen. I n einem Erlaß vom 22. Juni 1933 (Deutsche Allgemeine Zeitung, 23. Juni 1933; abgedruckt bei Stasiewski, a.a.O., S. 254, Anm. 2) erklärte er: „ M i t der Bildung der Deutschen Einheitsfront sollte der Vielheit der Arbeitnehmer- und Unternehmerorganisationen gegenübergetreten werden. Nicht allein sollte damit der letzte Unterschlupf des Marxismus getroffen werden, sondern es sollte auch die unglückselige Zerklüftung der deutschen Arbeitsmenschen behoben werden. Kleinliche und eigensüchtige Subjekte wollen diese große revolutionäre Tat nicht anerkennen und versuchen, mit Nachbildungen und Selbsthilfeorganisationen diese Arbeit zu schwächen. Es ist der Wille des Führers, daß außer der Deutschen Arbeitsfront keinerlei Organisationen mehr, weder der Arbeitnehmer noch Arbeitgeber, existieren. Ausgenommen sind der ständische (in der Vorlage versehentlich: ständige) Aufbau und Organisationen, die einzig und allein der Fortbildung i m Berufe dienen. Alle übrigen Vereine, auch sogenannte katholische und evangelische Arbeitervereine, sind als Staatsfeinde zu betrachten, weil sie den großen Aufbau hindern und hemmen. Deshalb gilt ihnen unser Kampf, und es ist höchste Zeit, daß sie verschwinden." 32 33
Staat und Kirche, Bd. III, Nr. 132. Die Vorlage sagt „gesamte"; doch kann nur „genannte" gemeint sein.
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Nr. 245. Telegramm des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, an den Reichskanzler Hitler und den preußischen Ministerpräsidenten Göring vom 4. Juli 1933 (L. Volk, Kirchliche A k t e n über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, 1969, S. 115) Die Maßnahmen gegen die katholischen Jugendverbände haben den Episkopat Deutschlands und alle treu katholischen Volkskreise aufs schmerzlichste berührt. Namens der Fuldaer Bischofskonferenz erkläre ich, daß diese Verbände rein kirchliche Organisationen sind ohne jedwede politische Aufgaben, als kirchliche Kongregationen der Aufsicht der Bischöfe unterstehen und treu zur jetzigen Regierung halten. Vertrauend auf die vom Herrn Reichskanzler amtlich mir gegebene Zusicherung 34 bittet der Episkopat u m Aufnahme von Verhandlungen zwecks Aufklärung und Rückgängigmachung der Maßnahmen.
V I . D i e Stellung des deutschen Episkopats zur „ n a t i o n a l e n Revolution" Vom 30. Mai bis zum 1. Juni 1933 kamen alle deutschen Bischöfe, also die Angehörigen sowohl der Fuldaer als auch der Freisinger Bischofskonferenz, zu einer Plenarkonferenz in Fulda zusammen 1. Diese Zusammenkunft beschloß einen Hirtenbrief an die deutschen Katholiken, der über die Haltung der Bischöfe zum „neuen Staat" Auskunft gab (Nr. 246). Die Bischöfe begrüßten die nationale Erhebung ebenso, wie sie den rückhaltlosen Kampf gegen den Bolschewismus guthießen. Auf dieser Grundlage setzten sie sich für die Freiheit der kirchlichen Betätigung und den Fortbestand der katholischen Verbände wie der katholischen Presse ein.
Nr. 246. Gemeinsamer Hirtenbrief des deutschen Episkopats vom 3. Juni 1933 (B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 239 ff.) — Auszug — ... Nicht bloß nebensächliche Einrichtungen innerhalb unseres Volkslebens wanken und verschwinden, das Volksganze sucht nach einer neuen Grundlegung und einem staatlichen Ausbau, der sich vom bisherigen wesentlich unterscheidet. Auch der Einzelne erfährt dem Staate und Volke gegenüber eine Umwertung, die ihn vor schwerste Fragen und Aufgaben stellt und oft i n einen Gegensatz zu seiner 34
Nämlich i n dem Schreiben vom 28. A p r i l 1933 (oben Nr. 242). Protokoll: B. Stasiewski, A k t e n deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I, 1968, S. 196 ff. 1
VI. Die Stellung des deutschen Episkopats zur „nationalen Revolution" 481 bisherigen Geisteshaltung bringt. Und all dieses Gären und Wogen vollzieht sich nicht bloß auf dem politischen und sozialen Gebiet, sondern brandet stürmisch bis an die Mauern der Kirche, ja sogar bis in das Kirchliche hinein. Bei diesem Umsturz der Verhältnisse und Umschwung auch der Menschen halten wir deutschen Bischöfe es für dringend notwendig, uns grundsätzlich zu äußern und den Diözesanen Wegweisungen zu geben, die aus dem katholischen Glauben entspringen, aber auch Wünsche vorzutragen und Forderungen zu stellen, die unserem oberhirtlichen Gewissen und unserer aufrichtigen Liebe zum Volke und zur Kirche entstammen. 1. Wenn w i r unsere Zeit mit der vergangenen vergleichen, so finden wir vor allem, daß sich das deutsche Volk noch mehr als bisher auf sein eigenes Wesen besinnt, u m dessen Werte und Kräfte zu betonen. Wir deutschen Bischöfe sind weit davon entfernt, dieses nationale Erwachen zu unterschätzen oder gar zu verhindern. Wir erblicken i m Gegenteil in Volk und Vaterland herrliche natürliche Güter und in der wohlgeordneten Vaterlandsliebe eine von Gott geschenkte, schöpferische Kraft, die nicht nur die Helden und Propheten des Alten Testaments, sondern auch den göttlichen Heiland beseelte. M i t der ganzen Innigkeit seines gottmenschlichen Herzens hing er an seinem Land und Volk und beweinte bitter das Verhängnis der Heiligen Stadt. Auch die Apostel vergaßen, bei aller Gegensätzlichkeit auf dem religiösen Gebiete, den Zusammenhang mit ihrem Stammvolk nicht, sondern erhofften immer noch Israels Heil, wenn auch erst i n den fernsten Zeiten (Rom. 11, 25 ff.). Die Liebe zum Vaterland und Volk hat darum i n der Christenheit auch, selbst in den Tagen blutigster Verfolgung, ihr natürliches Recht unvermindert bewahrt und bis in die Gegenwart hinein als etwas Pflichtmäßiges gegolten und als heiliges Sinnbild gedient. Denn vom irdischen Vaterland flog immer wieder der christliche Blick zu jenem grenzenlosen Lande jenseits der irdischen Meere, das die letzte und eigentliche Heimat aller Menschenseelen bildet und die beseligende Erfüllung aller Menschensehnsucht bringt. Wir deutschen Katholiken brauchen deswegen auch keine Neueinstellung dem Volk und Vaterland gegenüber, sondern setzen höchstens bewußter und betonter fort, was wir bisher schon als unsere natürliche und christliche Pflicht erkannten und erfüllten. Freilich vergessen wir über unserer Liebe zu Volk und Vaterland die natürliche und christliche Verbundenheit mit den anderen Völkern und Völkerfamilien nicht, sondern denken an das große, weltweite Gottesreich auf Erden, das der Heiland dazu berief, alle Menschen ohne Unterschied der Sprache und der Zeit, der Nation und Rasse erlösend zu erfassen (1. Tim. 2, 5). Wir entziehen damit der Liebe zu unserem Volke nichts von ihrer ursprünglichen Wärme und Kraft, sondern verbinden mit ihr nur die Gerechtigkeit und die allumfassende, christliche Liebe, die mittelbar wieder den Frieden und die Sicherheit unseres eigenen Volkes verbürgen. 2. Neben der gesteigerten Liebe zum Vaterland und Volk kennzeichnet sich unsere Zeit durch eine überraschend starke Betonung der Autorität und durch die unnachgiebige Forderung der organischen Eingliederung der Einzelnen und der Körperschaften in das Ganze des Staates. Sie geht damit vom naturrechtlichen Standpunkte aus, daß kein Gemeinwesen ohne Obrigkeit gedeiht, und nur die willige Einfügung i n das Volk und die gehorsame Unterordnung unter die rechtmäßige Volksleitung die Wiedererstarkung der Volkskraft und Volksgröße 31 Huber
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gewährleisten. ... Gerade i n unserer heiligen, katholischen Kirche kommen Wort und Sinn der Autorität ganz besonders zur Geltung und haben zu jener lückenlosen Geschlossenheit und sieghaften Widerstandskraft geführt, die selbst unsere Gegner bewundern. Es fällt deswegen uns Katholiken auch keineswegs schwer, die neue, starke Betonung der Autorität i m deutschen Staatswesen zu würdigen und uns mit jener Bereitschaft ihr zu unterwerfen, die sich nicht nur als eine natürliche Tugend, sondern wiederum als eine übernatürliche kennzeichnet, weil w i r in jeder menschlichen Obrigkeit einen Abglanz der göttlichen Herrschaft und eine Teilnahme an der ewigen Autorität Gottes erblicken (Rom. 13, Iff.). Wir dürfen andererseits erwarten, daß die staatliche Autorität nach dem Vorbild der Autorität innerhalb der katholischen Kirche die menschliche Freiheit nicht mehr beschneide, als es das Gesamtwohl verlangt, sondern sich mit der Gerechtigkeit schmücke, und damit jedem Untertanen das Seine, sei es Eigentum, Ehre oder Freiheit, gebe und lasse. Jeder Mißbrauch der Autorität führt zu ihrer eigenen Schwächung und Auflösung, und jedes Unrecht, das die staatliche Autorität durch Überspannung oder durch Duldung von Übergriffen untergeordneter Organe oder unbefugter Eindringlinge am Volksganzen begeht, rächt sich sowohl an ihr als am Volksganzen. 3. Auch die Ziele, die die neue Staatsautorität für die Freiheit unseres Volkes erstrebt, müssen w i r Katholiken begrüßen. Nach Jahren der Unfreiheit unserer Nation und der Mißachtung und schmachvollen Verkürzung unserer völkischen Rechte muß unser deutsches Volk jene Freiheit und jenen Ehrenplatz in der Völkerfamilie wieder erhalten, die i h m auf Grund seiner zahlenmäßigen Größe und seiner kulturellen Veranlagung und Leistung gebühren. Wir bedauern es, daß die Siegernationen i n verblendeter Selbstsucht die Gerechtigkeit hintan setzen und durch eine ungeheuere Belastung der deutschen Schultern das mannigfache Elend vermehren, unter dem wir seit Kriegsende bis zur Unerträglichkeit leiden. Sie haben dabei übersehen, daß nicht bloß jedes einzelne Volk einen Organismus darstellt, sondern auch die Völker zusammen eine A r t Körperschaft bilden, bei der die Vergewaltigung und Verkümmerung des einzelnen Gliedes sich an der Gesamtheit rächt, wie die Weltlage beweist. Wir reden aber auch nicht einer unchristlichen Rachepolitik oder gar einem kommenden Kriege das Wort, sondern verlangen nur Gerechtigkeit und Lebensraum i m Interesse des allgemeinen Friedens, wie es auch unser Heiliger Vater des öfteren feierlich betonte. Wenn die neue staatliche Autorität sich weiter bemüht, sowohl die Ketten zu zerbrechen, i n die andere uns schlugen, als auch die eigene Volkskraft und Volksgesundung zu fördern und damit unser Volk zu verjüngen und zu einer neuen, großen Sendung zu befähigen, so liegt auch das ganz i n der Richtung des katholischen Gedankens. ... Wenn sodann nach dem Willen der staatlichen Autorität die Zerrissenheit und Gegensätzlichkeit innerhalb unseres Volkes endlich der Einheit und Geschlossen* heit weichen soll, so findet sie uns Katholiken auch auf diesem Gebiete als verständnisvolle und opferwillige Helfer. Ausgehend von der katholischen Einheit bedauern w i r jegliche Gespaltenheit und Zerklüftung, weil sie dem Geiste Gottes widersprechen und die Volkskraft nach außen und innen verhängnisvoll lähmen. Nur glauben wir, daß eine Volkseinheit sich nicht nur durch die Blutsgleichheit, sondern auch durch die Gesinnungsgleichheit verwirklichen läßt, und daß bei der
VI. Die Stellung des deutschen Episkopats zur „nationalen Revolution" 483 Zugehörigkeit zu einem Staatswesen die ausschließliche Betonung der Rasse und des Blutes zu Ungerechtigkeiten führt, die das christliche Gewissen belasten, vor allem, wenn sie Mitmenschen treffen, die i n Christus durch das hl. Sakrament der Taufe wiedergeboren sind und „ein neues Geschöpf in i h m wurden (2. Cor. 5, 17). Was bisher für jede Volksgemeinschaft galt, daß die Gerechtigkeit die Grundlage aller Volkswohlfahrt sei, muß erst recht bei der Neuordnung des deutschen Volkswesens gelten. Diese Gerechtigkeit darf auch dem bisherigen Feinde gegenüber nicht versagen, sondern muß, zumal bei seiner Verurteilung und Bestrafung, weniger an die rücksichtslose Ausmerzung der Menschen, als an ihre Besserung und Wiedergewinnung für die Volksfamilie denken. Den politisch nur Andersgesinnten aber w i r d diese Gerechtigkeit, sofern er aufrichtig entschlossen ist, i m neuen Staat ehrlich und opferwillig zu dienen, nicht einem ungewissen Schicksal trotz aller bisherigen, oft überaus großen vaterländischen Verdienste, hartherzig überliefern, sondern seine Mitarbeit wiederum ermöglichen. Nicht die Menschen der leichten Anpassung und die Ausbeuter einer günstigen Zeitlage sind die Besten eines Volkes, sondern jene, die Überzeugung und Charakter besitzen und sich, wenn auch manchmal erst nach starkem inneren Ringen, zu einer Sache mit ihrem Gewissen und ihrer ganzen Hingabe bekennen. 4. Sowohl die Volksautorität als auch die Gerechtigkeit, die das Volkswohl begründet, setzen die Religion als notwendiges Fundament voraus. Zu unserer großen Freude haben die führenden Männer des neuen Staats ausdrücklich erklärt, daß sie sich selbst und ihr Werk auf den Boden des Christentums stellen. Es ist das ein öffentliches, feierliches Bekenntnis, das den herzlichen Dank aller Katholiken verdient. Nicht mehr soll also der Unglaube und die von i h m entfesselte Unsittlichkeit das Mark des deutschen Volkes vergiften, nicht mehr der mörderische Bolschewismus mit seinem satanischen Gotteshaß die deutsche Volksseele bedrohen und verwüsten. I n Erinnerung an die großen Jahrhunderte deutscher Geschichte sollen die neue deutsche Würde und Größe aus der christlichen Wurzel erblühen. Wir glauben, daß gerade daraus das beste und sicherste Heilmittel gegen die Schäden und Wunden erwächst, unter denen unser Volk schon seit langen Jahrzehnten litt. So tritt denn an alle die ernste Frage, was denn eigentlich dieses grundlegende Christentum nach Glaube und Sitte will. Wir Katholiken erblicken in unserer hl. katholischen Kirche die von Christus gestiftete Religion, ohne unsere Liebe und brüderliche Zusammenarbeit jenen zu verweigern, die leider seit Jahrhunderten i m Glauben von uns getrennt sind. So sehr wir uns stolz und freudig als Deutsche bekennen und mutig bereit waren und sind, für das Volk und Vaterland die allergrößten Opfer zu bringen, fühlen w i r uns dennoch als Glieder der großen, einigen, heiligen, katholischen und apostolischen Weltkirche, deren Oberhaupt der Stellvertreter Christi auf Erden, der Heilige Vater in Rom, ist. I n diese katholische Einheit sind wir durch sakramentale Kraft und persönliche, unerschütterliche Überzeugung so innig verwachsen, daß w i r jeden Versuch, sie zu lockern oder zu einer romfreien Nationalkirche 2 zu machen, als einen unerträglichen Angriff auf das Heiligste unseres Wesens und einen Frevel am Erbe des hl. Bonifatius betrachten. ...
2 Die Forderung nach einer „romfreien Nationalkirche" war bereits i n Alfred Rosenbergs „Mythos des 20. Jahrhunderts" (zuerst 1930) enthalten.
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5. Die Kirche selber kann aber nur dann ihre Kräfte entfalten, wenn ihr jene Freiheit gewährt wird, die sie auf Grund ihres Wesens und ihrer Aufgabe braucht und verdient. Sie ist nach ihrem Ursprung, ihren Mitteln und Zielen eine vollkommene und darum selbständige Gesellschaft, die ihre Berechtigung nicht erst vom Staatswillen, sondern von Gott selber empfangt. ... Die Lenker unseres Staatswesens handeln darum i m Interesse unseres Staates selbst, wenn sie die katholische Kirche nicht als eine dienstpflichtige Magd betrachten, sondern als eine Gottesmacht auf Erden ehren, die die Menschen an Gott und damit auch mit ihrem Gewissen an die Bürgerpflichten bindet gemäß jenem Wort des Herrn: „Gebet Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist" 3 . Die Geschichte selber lehrt es an einer Fülle von Beispielen, daß alles Staatskirchentum nicht bloß das kirchliche, sondern auch das staatliche Leben verhängnisvoll lähmt und langsam zum Zusammenbruch beider führt. 6. Wenn die Kirche aber ihre verfassungsmäßig verbriefte Freiheit weiter genießen soll, darf ihre Uneingeschränktheit sich nicht nur auf das kirchliche Leben i m engen Sinn beziehen. Es genügt nicht, daß die Kirche nur innerhalb der Kirche, d. h. des Gotteshauses, und bei der Spendung der Sakramente frei ist. Denn es liegt in ihrer Aufgabe, das ganze Leben des Menschen, das private und öffentliche, zu durchdringen und mit ihren Lebenskeimen zu befruchten. Sie ist der Sauerteig, der nicht ruht, bis alles durchsäuert ist 1 . Erst dann empfängt ein Volk den Charakter eines christlichen, wenn es christlich denkt und strebt, erträgt und entsagt und aus seinen christlichen Zielsetzungen und Antrieben handelt und lebt. Die Verchristlichung des Menschen muß schon die Familie als die Volkszelle erfassen und sich i n der Erziehung der jungen Menschen bekunden und bewähren. Da Verchristlichung für uns aber soviel bedeutet als Vermittlung von christlichen Grundsätzen und Kräften, scheidet die interkonfessionelle Erziehung grundsätzlich aus. Dadurch werden weder religiöse noch bürgerliche Charaktere erzogen, weil sich auf Flugsand und nachgiebigem Grund kein festes Gebäude erstellen läßt. Es ist deswegen auch i m Interesse des Staates gelegen, die konfessionelle Schule und konfessionelle Lehrerbildung zu schützen und die jungen Menschen zu einheitlichen Charakteren zu formen und sie nicht durch religiöse Verschwommenheit auch ihrer bürgerlichen Zuverlässigkeit und Tragkraft zu berauben. Wir bestreiten mit dieser Forderung keineswegs die natürlichen Rechte des Staates an der Schule, sondern erleichtern i h m damit nur die Erreichung seiner eigenen schulischen Zwecke. 7. Aber auch der schulentlassene Mensch bedarf der sorgsamen Betreuung durch die Kirche 5 . ... 8. Was endlich die karitativen Vereine und Verbände betrifft, so bilden sie die naturgemäße Verkörperung des christlichen Geistes, der in der wohltätigen Liebe das Abbild der Gottes- oder Erlöserliebe und in jedem Armen Christus selber erblickt?. ...
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Matthäus 22, 21. Matthäus 13, 33. 5 Die Bischöfe legen i m folgenden die Gründe für die Fortführung eigenständiger katholischer Jugendorganisationen, Standes- und Berufsvereine dar. 6 Matthäus 25, 40, 45. 4
VII. Die Verhandlungen über das Reichskonkordat
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9. Soll der neue Staat ein christlicher sein und die katholische Kirche darin ihre Freiheit genießen, so w i r d sie auch berechtigt sein müssen, eine katholische Presse zu besitzen. ... Die Kirche kann auf dieses modernste Seelsorgemittel auf keinen Fall verzichten und muß für sie jenes Maß von Freiheit verlangen, das ihre segensreiche Wirksamkeit ermöglicht, wenn sie nicht wahrnehmen will, daß sich die i m gottesdienstlichen Leben gesammelten und i n den katholischen Organisationen vertieften Erkenntnisse und Entschließungen in der Flut einer religiös unbestimmten Inespresse verwässern. Gerade die katholische Presse hat sich immer und überall als staatserhaltend erwiesen, weil sie jene Grundsätze ihrer Leserwelt vermittelt, die die Eingliederung in das Staatsganze und die willige Unterwerfung unter die rechtmäßige Obrigkeit verlangen. Geliebte Diözesanen! Wenn wir deutschen Bischöfe die aufgezählten Forderungen erheben, so liegt darin nicht etwa ein versteckter Vorbehalt dem neuen Staat gegenüber. Wir wollen dem Staat u m keinen Preis die Kräfte der Kirche entziehen, und w i r dürfen es nicht, weil nur die Volkskraft und die Gotteskraft, die aus dem kirchlichen Leben unversiegbar strömt, uns erretten und erheben kann. Ein abwartendes Beiseitestehen oder gar eine Feindseligkeit der Kirche dem Staat gegenüber müßte Kirche und Staat verhängnisvoll treffen. Nur vertrauen auch wir darauf, daß so manches, was uns vom katholischen Standpunkt aus i n den letzten Monaten als befremdlich und unbegreiflich erschien, sich nur als ein Gärungsvorgang erweist, der bei der Klärung der Verhältnisse als Hefe zu Boden sinkt. Wir vertrauen, daß die Gerechtigkeit sich nunmehr auch jenen gegenüber großmütig bewähre, die bisher unter den Zusammenbrüchen, Umschaltungen und Ausschaltungen Unsägliches erlitten und unser innigstes Mitleid verdienen. Wir vertrauen, daß in der Wiederkehr der Ruhe alles Haßerfüllte und Unversöhnliche verschwinde, damit die Volkseinheit nicht etwa nur das Werk des äußeren Zwanges oder einer vorübergehenden, völkischen Stimmung, sondern der opferwilligen, freudigen und dauernden Einordnung ist und zur unüberwindlich starken Volkseinheit wird. Erst dann gewinnt der neue Staat seine unwiderstehliche Kraft und jene spannungsfreie Geschlossenheit, die uns die Hochachtung und das gebührende Entgegenkommen der anderen Völker und den Gottessegen von oben erwirbt. Wir vertrauen, daß es der Umsicht und Tatkraft der deutschen Führer gelingt, alle jene Funken und glimmenden Kohlen zu ersticken, die man da und dort zu furchtbaren Bränden gegen die katholische Kirche anfachen möchte. ...
V I I . Die Verhandlungen über das Reichskonkordat Ob am 23. März 1933, als Hitler den Kirchen abgab und die Zentrumsfraktion im Reichstag setz zustimmte, bereits eine Vorverständigung dats erzielt war, ist umstritten 1. Die offiziellen
gegenüber eine Garantieerklärung mehrheitlich dem Ermächtigungsgeüber den Plan eines ReichskonkorVerhandlungen über das Konkordat
1 Unter den zahlreichen Beiträgen zur Kontroverse u m das Reichskonkordat vgl. insbesondere: F. Giese, F. von der Heydte (Hrsg.), Der Konkordatsprozeß (4 Bände 1956-1959); E. Deuerlein, Das Reichskonkordat (1956); L . Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 (1972); L . Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus und Kirchen (1974), S. 90ff.; R. Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus (1977); K . Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I (1977), S. 482ff.; K. Repgen, Die
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kamen in Gang, nachdem der Vizekanzler von Papen 2 und der Zentrumsführer Kaas — nach der Auskunft des Letzteren zufällig — am 8. April 1933 gemeinsam im Zug nach Rom gereist waren. In den alsbald eingeleiteten Verhandlungen mit dem Kardinalstaatssekretär Pacelli richteten sich die vatikanischen Interessen auf die Sicherung der kirchlichen Handlungsmöglichkeiten. Die staatlichen Verhandlungsziele lagen vor allem — dem Vorbild der Lateranverträge von 1929 entsprechend — in der „Entpolitisierung