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German Pages [328] Year 2013
Literatur und Leben Band 85
Julia Müller
Sprachtakt Herta Müllers literarischer Darstellungsstil
2014 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Ludwig Sievers Stiftung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Herta Müller. Foto: Jens Rötzsch / OSTKREUZ © 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-22151-5
Danksagung Für die vielfältige Unterstützung, die mir über die Jahre der Arbeit an diesem Buch zuteil wurde, möchte ich mich herzlich bedanken. Zunächst danke ich der Friedrich-Schiller-Universität für die Zuerkennung eines Landesgraduierten-Stipendiums und der Studienstiftung des deutschen Volkes für ein Promotionsstipendium, das mir Forschung und Schreiben ermöglichte. Dank gebührt auch den Freunden und meiner Familie: Corinna Kuhr-Korolev, Dirk van Laak, Astrid Menz, Roswitha und Karl-Heinz Müller, Stephan Pabst und Nicole Richter. Sie haben mir auf unterschiedlichste Weise Hilfe gewährt. Meine akademischen Lehrer Gottfried Willems und Stefan Matuschek haben mich bei der Entstehung der Arbeit mit Geduld und steter Gesprächsbereitschaft sehr unterstützt. Besonders bin ich Gottfried Willems für seine Förderung, seine Anregungen und seinen Langmut zu Dank verpflichtet. Schließlich ist nicht zuletzt Dirk Oschmann zu nennen, dem ich gar nicht genug danken kann. Thies und Caroline: Danke, dass Ihr alles möglich gemacht habt! Julia Müller
Leipzig, Mai 2013
Inhaltsverzeichnis Danksagung ........................................................................................................... 5 Einleitung............................................................................................................... 9 A. Sprachsuche. Lyrik (1969–1976)....................................................................... 13 1. Vor dem Werk.............................................................................................. 13 2. Die rumäniendeutsche Kultivierung des Schülergedichts ............................. 17 3. Auftakt ......................................................................................................... 35 4. Sprachskeptischer Ausklang........................................................................... 45 B. Spracherforschung. Kurzprosa (1978–1985) ..................................................... 57 1. Literarisches Umfeld ..................................................................................... 57 1.1. Publikationsgeschichtliche Aspekte....................................................... 57 1.2. Der „Adam Müller-Guttenbrunn“-Literaturkreis ................................. 61 1.3. Gattungen: Lyrik der „engagierten Subjektivität“.................................. 74 1.4. Gattungen: Prosa als neue Leitgattung ................................................. 90 2. Die Kurzprosa .............................................................................................. 102 2.1. Der Übergang von der Lyrik zur Prosa: „Die Straßenkehrer“................ 109 2.2. Spracharbeit: Fülle................................................................................ 115 2.2.1. „Bewusstseinspoesie“.................................................................. 115 2.2.2. „Prosastücke einer Lyrikerin“..................................................... 121 2.2.3. Parabolische Rede...................................................................... 130 2.2.4. Satire – „durchschaubare Verstellung“........................................ 138 2.2.5. Sprachkritische Satire................................................................. 148 2.2.6. Einzelfälle: Artistik..................................................................... 154 2.3. Spracharbeit: Reduktion. Von kleiner Prosa über „Niederungen“ I zu „Niederungen“ II ............................................................................ 160 C. Sprachzeichen. Roman (1986 – 1997) .............................................................. 179 1. Publikationsgeschichtliche Aspekte............................................................... 179 2. Wiederholung und Fremdheit: Der Fuchs war damals schon der Jäger ........... 182 2.1. Wiederholungen im Text: Wörtliche, motivische und sachliche............ 183 2.2. Wiederholungen: Unzuverlässige Zeichen ............................................ 199 D. Sprachspiel. Postkarte (1991–2012) .................................................................. 207 1. Die Postkarte als junges Medium.................................................................. 209 2. Vorstellung der Postkartenbücher, Überlegungen zum Medium und zum Herstellungsverfahren ........................................................................... 212 3. Die Gattungsfrage ........................................................................................ 222
8 Inhaltsverzeichnis 4. Der Wächter nimmt seinen Kamm.................................................................. 225 4.1. Texte und Bilder vom Verschwinden: W 43 bis W 46 – „ – eine Hand hält eine Karte“; „Ich drehe die Karte um“; „Dann Ruhe“; „In der die Haare“ ..................................................................................... 225 4.2. Natur, Sprache, Geschichte: W 92 – „die Muttersprache kichert schwarz auf Kindesbeinen“................................................................... 232 4.3. Theodizee in der Diktatur: W 38 – „Ich hatte Freunde verstand nicht daß sie“........................................................................................ 239 5. Im Haarknoten wohnt eine Dame .................................................................. 244 5.1. Große und kleine Perspektiven: D 93 – „spätabends an der Wohnungstür“...................................................................................... 244 5.2. Volkslied in der Diktatur: D 54 – „als die Zeit schlecht war wurde“..... 247 Zusammenfassung .................................................................................................. 257 Anhang .................................................................................................................. 261 Siglen und Abkürzungen................................................................................... 261 Beispieltexte aus der rumäniendeutschen Literatur zum Brunnen-Motiv .......... 262 Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976) in der Neuen Banater Zeitung, in Neue Literatur, Volk und Kultur und Wortmeldungen .......... 268 Literaturverzeichnisse......................................................................................... 285 Primärliteratur................................................................................................... 285 Quellen mit Erscheinungsort Rumänien ........................................................... 293 Sekundärliteratur............................................................................................... 299 Chronologisches Verzeichnis der Publikationen Herta Müllers.......................... 309 Personenregister................................................................................................. 323
Einleitung Beim Schreiben wirft man das Gelebte in ein anderes Metier. Es ist nicht mehr Tag oder Nacht, Dorf oder Stadt, sondern es herrschen Substantiv und Verb, Haupt- und Nebensatz, Takt und Klang. Herta Müller
In einem kurzen Text Herta Müllers, in dem sie ihre rumäniendeutsche Herkunft bedenkt, heißt es programmatisch: „Man hat sich den Glauben an das, was man sieht, abzugewöhnen.“1 Und was sieht man gewöhnlich beim Blick auf Herta Müllers Werk? Bis zum Erscheinen von Atemschaukel im Jahr 2009, das seither das Bild prägt, waren es neben ihrem vielbeachteten Prosadebüt, dem Erzählungsband Niederungen aus dem Jahr 1984, zunächst wohl vor allem ihre Romane über die Diktaturerfahrung: Der Fuchs war damals schon der Jäger von 1992, Herztier von 1994 und Heute wär ich mir lieber nicht begegnet von 1997. Diese drei Romane haben das Bild der Autorin in einem Maße bestimmt, dass sie mit ihnen nicht nur vollständig identifiziert, sondern in der Tendenz auch darauf reduziert wurde – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, die ihr nach Erscheinen des zuletzt genannten Textes empfahl, sich nun aber rasch anderen, ihrer neuen Lebenswelt tatsächlich entsprechenden Gegenständen zuzuwenden.2 Für solche, in doppeltem Sinne beschränkte Formen der Wahrnehmung hat Herta Müller ein scharfes Sensorium, wie sie überhaupt in ihren Werken kontinuierlich Wahrnehmungsprozesse aller Art thematisiert, inszeniert und problematisiert, wobei das motivische Feld des Auges und allgemein des Sehens und Gesehenwerdens ganz im Vordergrund steht; wichtige poetologische Texte verweisen darauf bereits im Titel: Der Teufel sitzt im Spiegel. Wie Wahrnehmung sich erfindet (1991) und Der Fremde Blick (1999). Diese Konzentration auf die Wahrnehmung kann freilich in ganz verschiedene Begründungszusammenhänge eingeordnet werden, zum Beispiel durch den Rekurs auf die Position Berkeleys, der das Sein als Wahrgenommenwerden definiert: esse est percipi. Oder, geschichtlich und biographisch konkret, durch den Hinweis auf das lebensbedrohliche Überwachungssystem der Securitate, unter dessen Augen die Autorin ihr Leben und Überleben einrichten musste, was zwangsläufig eine scharfe Beobachtung auf 1 Herta Müller: Der Fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne. Göttingen 1999, S. 15. 2 „Ich erlebe es bei jedem Buch: deutsche Literaturkritiker formulieren zwar etwas komplizierter als die deutschen Brezel- und Aspirinverkäufer, aber ihre Wünsche gehen in dieselbe Richtung. Auch sie wollen endlich den hiesigen Akzent in meinen Büchern sehen. Sie raten mir, mit der Vergangenheit aufzuhören und endlich über Deutschland zu schreiben.“ Herta Müller: Der König verneigt sich und tötet. München / Wien 2003, S. 184f.
10 Einleitung „beiden Seiten“ nach sich zog. Oder schließlich literarhistorisch orientiert, indem man an die lange, vornehmlich platonische Tradition der Beziehung von Schreiben und Sehen erinnert.3 Über diese wichtigen Bezüge hinaus gibt es jedoch eine weitere, für die vorliegende Untersuchung entscheidende Auffassung des Problems, nämlich die Überzeugung der Autorin, dass die Sprachen nicht allein Spielräume der Selbstauslegung eröffnen, sondern als Weisen der Weltwahrnehmung zu verstehen sind.4 Mehr noch: Sprachen und Wörter begreift Herta Müller explizit als Organon der Wahrnehmung. Dabei kommt der Pluralität von Sprachen größte Bedeutung zu, weil erst sie eine grundlegende, mit Fragen der Wahrnehmung aufs engste verknüpfte Differenzerfahrung ermöglichen: „Im Dialekt des banatschwäbischen Dorfes, in dem ich aufgewachsen bin, sagte man: Der Wind geht. Im Hochdeutschen, das man in der Schule sprach, sagte man: Der Wind weht. Und das klang für mich als Siebenjährige, als würde er sich weh tun. Und im Rumänischen, das ich damals in der Schule zu lernen begann, sagte man: Der Wind schlägt, vintul bate. Das klang damals, als würde er anderen weh tun. Und genauso unterschiedlich wie das Wehen ist das Aufhören des Windes. Auf Deutsch heißt es: Der Wind hat sich gelegt. Auf Rumänisch aber: Der Wind ist stehen geblieben, vintul a stat. Dieses Beispiel vom Wind ist nur eines von den ständig verschiedenen Bildern, die zwischen zwei Sprachen für ein und dieselbe Tatsache stehen. Zwischen allen Sprachen tun sich Bilder auf.“5
Dialekt, Hochdeutsch und Rumänisch entwerfen demnach völlig verschiedene Perspektiven auf dieselben Dinge und Sachverhalte und teilen damit zugleich die Welt ganz unterschiedlich ein. Und die Wörter im Einzelnen sind weniger Bezeichnungen als vielmehr Blickweisen, die in einem gleichsam phänomenologischen Verständnis je spezifische Seiten eines Gegenstandes zu erkennen geben. „Zwischen allen Sprachen tun sich Bilder auf. Jeder Satz ist ein von seinen Sprechern so und nicht anders geformter Blick auf die Dinge. Jede Sprache sieht die Welt anders an, hat ihr gesamtes Vokabular durch diese andere Sicht anders gefunden – ja sogar anders eingefädelt ins Netz seiner Grammatik. In jeder Sprache sitzen andere Augen in den Wörtern.“6 Doch mit diesem sprachimmanenten Perspektivismus verbinden sich über erkenntnistheoretische Aspekte hinaus unmittelbar poetologische Fragen, da sich die für Literarizität konstitutive Sprachbildlichkeit hier offenbar nicht allein in, sondern auch 3 Vgl. etwa Jürgen Manthey: Wenn Blicke zeugen könnten. Eine psychohistorische Studie über das Sehen in Literatur und Philosophie. München / Wien 1984 sowie Volker Mergenthaler: Sehen schreiben – Schreiben sehen. Literarische und visuelle Wahrnehmung im Zusammenspiel. Tübingen 2002. 4 Dass sich unter dieser Voraussetzung Parallelen zu sprachtheoretischen Thesen des 18. Jahrhunderts herstellen ließen, etwa zu Herder, Karl Philipp Moritz und Wilhelm von Humboldt, sei immerhin angemerkt. 5 Herta Müller: Heimat ist das was gesprochen wird. Blieskastel 2001, S. 14f. 6 Ebd., S. 15.
Einleitung 11
zwischen den Sprachen des Banatschwäbischen, des Hochdeutschen und des Rumänischen entwickelt. Erst von hier aus erklärt sich dann die vielfach ungewöhnliche Gestalt von Herta Müllers Sprachbildern, die eine vermeintlich bekannte Lebenswelt oft in völlig neuem Licht zeigen und nur begrenzt in den Zusammenhang der deutschen Literatur und Sprache zu integrieren sind. In der dreigliedrigen Konstellation von Sprache, Wahrnehmung und Bildfindung ist es demnach der Weg der Autorin durch die Sprachen hindurch, den es bei der folgenden Rekonstruktion ihres Darstellungsstils zu bedenken gilt. Dieser Weg wird kapitelweise durch die Stationen der Sprachsuche (A), der Spracherforschung (B), der Sprachzeichen (C) und des Sprachspiels (D) markiert. Er lässt sich in gattungstheoretischer Hinsicht als Abfolge von Gedicht, Kurzprosa, Roman und der Postkarte als „Quasi-Gedicht“ vergegenwärtigen. Dass dies ein von der Autorin zurückgelegter Weg ist, deutet zum einen auf die entstehungsgeschichtliche Logik, an welcher sich diese Studie orientiert, zum anderen aber auf den prozessualen Charakter gleichermaßen wie auf das breite Spektrum an Möglichkeiten der Müllerschen Darstellungsformen, unter denen die oben erwähnten Diktatur-Romane eben eine Variante bilden. Dabei wird deutlich, dass Müller auf diesem Weg tatsächlich bestimmte Verfahren und damit einhergehend Gattungen aufgreift, ihre Potenziale für sich aufschließt und dann mit diesem ästhetischen Kapital wieder eine neue Richtung einschlägt. In diesem Takt des steten Weitergehens, der aufeinanderfolgenden Schritte entwickelt sich die literarische Sprache Müllers und bietet – metaphorisch gesprochen – nach jeder Wegbiegung neue Aussichten. Um diesen großen darstellungstechnischen, von Prozessualität und Heterogenität geprägten Facettenreichtum herauszuarbeiten, bedarf es einer spezifischen, zur öffentlichen Wahrnehmung sich beinah umgekehrt proportional verhaltenden Gewichtung der bisher vorliegenden Texte der Autorin. Nicht ihre Romane stehen im Mittelpunkt, wie es bei einer Untersuchung des Gesamtwerkes vielleicht zu erwarten wäre, sondern zunächst die Anfänge und Ursprünge von Herta Müller, also gewissermaßen „das Werk vor dem Werk“, da hier die verschiedenen, von ihr umfassend erkundeten ästhetischen Optionen sichtbar werden, die schließlich grundsätzliche Richtungsentscheidungen zur Folge hatten. Nicht in einzelnen Werkinterpretationen besteht das Ziel der Arbeit, sondern in der Erhellung der Vielfalt an fiktionalen Darstellungsverfahren, deren Konstitutionsphase im Zuge dessen umso wichtiger wird. Diese Konstitutionsphase, wie sie hier erstmals, und zwar auf dem Fundament einer Fülle an bisher nicht erschlossenem oder gesichtetem Material, dargeboten wird, gewinnt aber noch aus einem weiteren Grund an Bedeutung. Denn der literarische und institutionelle Kontext, in dem Herta Müller zum Schreiben findet, differiert fundamental von den „innerdeutschen“ Literaturbetrieben sowohl der alten Bundesrepublik als auch der ehemaligen DDR. Der Unterschied der Sprachen erscheint multipliziert durch die verschiedenen Traditionsbildungen, Kulturen, Mentalitäten, politischen Systeme und der Lebensverhältnisse insgesamt. Dass solche Differenzerfahrungen auf allen Ebenen zum Grundbestand der Autorin gehören, hat natürlich unmittelbar mit ihrer rumäniendeutschen Herkunft zu tun. Im Verhältnis zum binnendeutschen Raum exterritorial, im
12 Einleitung Verhältnis zu Rumänien minoritär: das sind die eigentümlichen Bedingungen einer Kultur und Literatur, die sich stets in Spannung und Kontrast zu einem Anderen konstituieren muss und die das Selbstverständnis Müllers von Beginn an prägen. Hinzu kommen für die Autorin selbst die Aspekte der Oppostion und Dissidenz gegenüber der Herkunft und dem herrschenden politischen System. Das Bestreben, den literaturgeschichtlichen und ästhetischen Ort ihres Werkes zu benennen, hat daher die politische, kulturpolitische, institutionelle und für die Literatur folgenreiche Ausgangslage in umfassender Weise einzubeziehen. Diesem Anspruch wird in den Kapiteln A und B, die sich mit Herta Müllers Schaffen der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts befassen, Rechnung getragen. Die anderen beiden Kapitel widmen sich dann den dominanten Darstellungsverfahren der 1990er Jahre und der Zeit danach. In einer exemplarischen Analyse von Der Fuchs war damals schon der Jäger konturiert Kapitel C die wesentlichen Aspekte der Romanpoetik, während sich Kapitel D mit der von Müller zuletzt entwickelten Hybridform der Postkartenbücher auseinandersetzt. Der jüngste Roman Müllers, Atemschaukel, erfährt in der vorliegenden Arbeit, die kurz vor Erscheinen dieses Buches im Jahr 2009 fertiggestellt war, keine Berücksichtigung. Er hätte ein eigenes Kapitel erfordert, das dem erneuten Erfinden einer genuinen Sprache, dieses Mal für die Darstellung der Lagerwelt, zu folgen hätte, wobei auch das Sprechen im Namen eines anderen näher zu untersuchen wäre. Zwar sind Rollenrede und die Fiktion eines sprechenden Ich eine alltägliche Erscheinung in der Literatur, aber der Beitrag und die Stimme Oskar Pastiors sind von Herta Müller hier in bemerkenswerter Weise aufgehoben. Mit dem Gang durch das Werk bis zu den Postkartenbüchern und die jeweiligen Darstellungsverfahren soll nicht nur Herta Müllers literarhistorischer Ort erstmals in aller Bestimmtheit ans Licht treten, sondern auch ins Bewusstsein gehoben werden, dass sich dieser Ort, trotz erkennbarer Kontinuitäten, selbst unablässig geändert hat.
A. Sprachsuche. Lyrik (1969–1976) Mein Inneres aber muß ich Ihnen darlegen, eine Sonderbarkeit, eine Unart, wenn Sie wollen eine Krankheit meines Geistes, wenn Sie begreifen sollen, daß mich ein ebensolcher brückenloser Abgrund von den scheinbar vor mir liegenden literarischen Arbeiten trennt als von denen, die hinter mir sind und die ich, so fremd sprechen sie mich an, mein Eigentum zu nennen, zögere. Hugo von Hofmannsthal, Ein Brief
1. Vor dem Werk Bislang wurde das literarische Vorleben Herta Müllers in Rumänien von der Forschung wenig beachtet.1 Es verdient jedoch Aufmerksamkeit, weil sich an ihm die Entwicklung eines persönlichen Schreibstiles und -themas beobachten lässt und damit einhergehend das Vordringen von den Rändern ins Zentrum der modernen Literatur. Nicht nur ist Herta Müller eine der wenigen rumäniendeutschen Stimmen, die schon mit ihrem rumänischen Buchdebüt in der Bundesrepublik wahrgenommen wurde, sie vollzieht mit ihrer Übersiedelung und ihrem großen Erfolg im bundesdeutschen Literaturbetrieb auch geographisch diesen Übergang von der Peripherie ins Hauptgebiet der deutschsprachigen Literatur und zu guter Letzt mit dem Nobelpreis im Jahr 2009 in die internationale Öffentlichkeit. Sie selbst beschreibt diesen Weg in ihrer Tischrede zur Preisverleihung: „Der Bogen von einem Kind, das Kühe hütet im Tal, bis hierher ins Stadthaus von Stockholm ist bizarr. Ich stehe (wie so oft) auch hier neben mir selbst.“2 Dieses Bild von Zentrum und Rand entspricht durchaus der Eigenwahrnehmung innerhalb der rumäniendeutschen Kultur, die sich selbst eher im Nachvollzug der Entwicklungen im sogenannten „Binnenland“, nämlich Deutschland, begriffen hat. Die Rede vom „Binnenland“ impliziert, dass die verschiedenen deutschen Siedlungsgebiete in Rumänien Inseln vergleichbar sind, die dem Anbranden fremder Kulturen über 1 Hinweise auf das früheste Werk Müllers gibt wiederholt Eke. Vgl. Norbert Otto Eke: Augen/Blicke oder Die Wahrnehmung der Welt in den Bildern. Annäherung an Herta Müller. In: Die erfundene Wahrnehmung. Annäherung an Herta Müller. Hg. v. Norbert Otto Eke. Paderborn 1991, S. 7–21; sowie ders.: Schönheit der Verwund(er)ung. Herta Müllers Weg zum Gedicht. In: Herta Müller. Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. Heft 155/ Juli 2002, S. 64–79. Paola Bozzi nimmt den Publikationsraum Rumänien und die früheren Arbeiten Müllers ebenfalls zur Kenntnis. Vgl. Paola Bozzi: Der fremde Blick. Zum Werk Herta Müllers. Würzburg 2005. 2 Tischrede. In: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München 2011, S. 22–24.
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976)
Jahrhunderte trotzten, während im sicheren Binnenland der Überfluss an kulturellen Potenzialen ungestört ausgeschöpft werden konnte. In der Forschungsliteratur wurde insbesondere mit der Anwendung von der Theorie einer „kleinen Literatur“ von Deleuze und Guattari die Spezifik dieser Situation reflektiert, sie wies jedoch dem Befund der Nachgeordnetheit einen positiven Effekt zu, indem hier in der Exterritorialität eine künstlerisch fruchtbare „Intensivierung des Sprachgebrauchs“ möglich sein soll. Die Bezüge zwischen Rand und Zentrum bleiben als solche unangetastet, können nun aber in Umkehrung die literarischen Strategien des Randes ins Zentrum der avanciertesten Literaturentwicklung projizieren.3 Die nachträgliche theoretische Aufwertung des Gesamtzusammenhanges der rumäniendeutschen Minderheitenliteratur wird den Texten Müllers im speziellen gerecht, weil sie mit der Herausbildung ihres unverwechselbaren Darstellungsstils in sinnfälliger Parallelität zur geographischen auch eine poetische Bewegung ins Werk setzt, die sie in ästhetischer und geschichtsphilosophischer Hinsicht tatsächlich zu einem genuin modernen Schreiben führt. Der weite Weg dorthin beginnt, um das Bild des Randes aufzugreifen, bei einer epigonal modernen Lyrik und verläuft über ein kurzes Experiment mit der Satire bis zu einer im weitesten Sinne phänomenologisch geprägten Prosa, schließlich zur spielerischen, die Mediengrenzen überschreitenden Postkarten-Lyrik. Für die genauere Kenntnis dieses Beginns müssen die frühesten Texte herangezogen werden, die zwar veröffentlicht sind, die die Forschung bislang in ihrer Eigenwertigkeit aber wenig interessierten. Obgleich dabei weder eine spektakuläre Entdeckung von wertvollen, vergessenen Texten zu verzeichnen, noch die Rekonstruktion starker Kontinuitäten oder gar die grundsätzliche Neubewertung von Müllers Werk im Lichte eines völlig entgegengesetzten Anfangs vorzunehmen ist, schärft die Beschäftigung mit den frühesten Texten Müllers das Verständnis für den Werdegang der Autorin. Als einzige aus einer ganzen Heerschar von jungen Talenten unter denselben Ausgangsbedingungen und mit vergleichbaren Schreibanfängen hat sie einen solchen herausragenden Weg genommen. Im Zuge dessen musste sie neben den üblichen Anfangsschwierigkeiten zunächst auch eine Gemengelage von literarischen Traditionen, Erwartungen der Kulturverweser und des Publikums an das Schreiben der Jugendlichen und von weiteren außerliterarischen Motiven überwinden, denn höchst aufmerksam wurden die ersten Schreibversuche von der offiziellen Kulturpolitik verfolgt und in bestimmter Weise aufgenommen. Als Bezugsrahmen diente stets die rumäniendeutsche Minderheit und ihr kultureller Fortbestand. Die Autorin selbst hingegen verstand sich von Anfang an im Kontext der ästhetischen Moderne. Auf welche Weise ihre ersten Texte sich in diesen Zusammenhang und in den zeitgenössischen Kontext der rumäniendeutschen Literatur einfügen lassen, soll Gegenstand dieses Kapitels sein. Umgekehrt ist aber auch zu fragen, wie ihre Texte aus der rumäniendeutschen Literatur hervorgehen und wie sie diese Literatur in einem weiteren Schritt als Raum der Selbstverständigung schließlich verlassen.
3 Vgl. hierzu Gilles Deleuze/Felix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt/M. 1976.
Vor dem Werk
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Das Schreiben Müllers in Rumänien kann in zwei Abschnitte eingeteilt werden: Die lyrische Produktion wird von 1970 bis 1976 veröffentlicht, ab 1978 bis 1985 erscheinen Prosatexte. Haben die Arbeiten der letzteren Kategorie schon gelegentliche Würdigung in der Forschung erfahren, so sind von den ersten Publikationen lediglich vier in die äußerst verdienstvolle und sorgfältige Bibliographie von Norbert Otto Eke eingegangen, dessen Sammelband den Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Autorin markiert.4 Insgesamt sind aber 34 veröffentlichte Beiträge Müllers bis 1976 nachweisbar, von denen 23 eigenständige Gedichte sind. Dazu kommen eine Variante von „OHNE DICH“ unter dem Titel „Legende“, drei kleine Prosa-Versuche, zwei Interviews und ein Schülerzeitungsspaß. Das Gedicht „Am Schwengelbrunnen“ ist wie auch „Woher“ zweimal erschienen. Zudem publizierte die Neue Banater Zeitung eine Rezension und ein Interview, die vermutlich im Zusammenhang mit einem Praktikum der Studentin Müller angefertigt wurden.5 Der zweite Abschnitt von 1978 bis zum Jahr 1985, in dem der letzte Beitrag Müllers in Rumänien erscheint, endet in biographischer Hinsicht erst 1987 mit der Übersiedelung Müllers in die Bundesrepublik. Seit 1984 hatte sie schon parallel im „Binnenland“ veröffentlicht. Die Übersiedelung Müllers in die Bundesrepublik 1987 ist nicht zugleich der Wendepunkt für ihr Schreiben. Obwohl es so aussieht, als beginne nun retrospektiv die explizite Auseinandersetzung mit der rumänischen Diktatur im Erzählungsband Barfüßiger Februar (1987), in den drei Romanen Der Fuchs war damals schon der Jäger (1992), Herztier (1994) und Heute wär ich mir lieber nicht begegnet (1997) sowie mit der Ankunft in der Bundesrepublik in Reisende auf einem Bein (1989), stellt sich dieser Übergang in literarischer Hinsicht viel komplexer dar. Nicht nur hatte Müller 1982 mit Niederungen und 1984 mit Drückender Tango schon zwei vielbeachtete Bücher in Rumänien vorgelegt, sie hatte seit 1978 insgesamt 73 Prosatexte an etwa 125 Stellen 4 Mit dem von Norbert Otto Eke herausgegebenen Sammelband Die erfundene Wahrnehmung. Annäherung an Herta Müller (Paderborn 1991) wurde neben den aufschlussreichen Beiträgen die grundlegende Bibliographie der veröffentlichten Texte Müllers geliefert, die sich gründlich auch der in Rumänien erfolgten Publikationen annimmt. Bis zu vier kleinen Gedichten im Jahr 1972 verfolgt Eke diese zurück und erfasst nach einer Pause bis 1979 dann die Prosatexte, die größtenteils sowohl in Zeitschriften als auch in den Erzählungsbänden rumänischer oder deutscher Provenienz erschienen waren. 5 Der Schülerzeitungsspaß erschien 1969 und wird in Wortmeldungen. Eine Anthologie junger Lyrik aus dem Banat (Temeswar 1972) anscheinend als Debüt bezeichnet. Er soll keine Rolle in der weiteren Betrachtung spielen. Die Texte werden mit vollständigen Quellenangaben im Anhang wiedergegeben. Zum Praktikum Müllers vgl. folgendes Interview: Gabriela Adameşteanu: Limba română participă la limba germană în care scriu. Herta Müller în dialog cu Gabriela Adameşteanu. In: „22“. Săptămânal independent de analiză politică şi actualitate culturală. Nr. 711. 21.-27.10.2003, S. 8–10. Das Interview führte Müller mit Wolf Aichelburg: Hertha Karl-Müller: „Ich halte mich für eine bejahende Natur.“ Gespräch einer Temeswarer Studentin mit dem Dichter Wolf Aichelburg in Sibiu. In: Neue Banater Zeitung, 01.07.1976. Die Rezension erscheint unter dem Namen Herta Müller-Karl: Sensibilität und ethisches Bewusstsein. Zu dem Gedichtband „Flussgebet und Gräserspiel“ von Ilse Hehn. In: Neue Banater Zeitung, 14.12.1976.
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976)
publiziert. Das Debüt Müllers im bundesdeutschen Literaturbetrieb 1984 mit Niederungen erweist sich als „überarbeitete Neuauflage“ im eigentlichen Sinne ihres prämierten Buchdebüts 1982 in Rumänien. Aus Drückender Tango (1984) kommen ebenfalls in der Bundesrepublik große Teile zur Neuauflage. Eine Reihe von Texten wird also einmal dort und einmal hier veröffentlicht; andere Stücke wiederum sind noch in Rumänien entstanden, werden aber erst hier publiziert. Und eine dritte Gruppe liegt verschlossen in ihren rumänischen Publikationsorganen deutscher Sprache, offensichtlich von der Autorin selbst nicht für wert befunden, sie ins deutsche „Binnenland“ zu begleiten. Dazu gehören sämtliche Texte vor 1976 und eine Reihe der späteren ProsaTexte vor 1985.6 Die Betrachtung der Texte des ersten Abschnittes bis 1976 soll nicht vorrangig von der Frage nach deren Qualität geleitet werden, sondern vielmehr von der Frage nach Charakteristika, die sich der besonderen Schreibsituation verdanken. Allerdings scheiden hier einige Beiträge aus, weil sie für literaturwissenschaftliche Fragestellungen völlig unerheblich sind und zum Bild der Autorin Müller wenig beitragen. Dazu gehört der erste kleine Text, der anlässlich einer Kurzbiographie in der Lyrikanthologie Wortmeldungen wohl als Debüt im Jahr 1969 deklariert wird7 und jeweils in ein bis zwei Sätzen Beobachtungen zu Namen und Wesen dreier Mitschüler enthält, wie es in Schülerzeitungen wohl gebräuchlich war. Ein zweiter, kaum aussagekräftiger Beitrag ist ein Interview mit Herta Müller und zwei weiteren Schülerinnen, in dem die drei zu ihrer Teilnahme an einem landesweiten Aufsatzwettbewerb befragt werden, nachdem sie Preise gewonnen hatten. Als Ergebnis ließe sich allenfalls festhalten, dass Müller wohl eine gute Schülerin mit einem anerkannten Schreibtalent im Sinne des Schulaufsatzes gewesen sein muss.8 Doch selbst die berücksichtigten Texte, zumeist Lyrik, sollten keinesfalls dasselbe Gewicht erhalten wie die späteren „gültigen“ Veröffentlichungen. Die für den Zeitraum von sechs Jahren relativ wenigen Texte sind sehr unterschiedlich, zeugen deutlich von der Suche nach einem eigenen Ton. Und unübersehbar sind es erste Schreibübungen, die nicht immer gelingen. Die Entscheidung der Autorin, sie nicht in die Bibliographie von Eke eingehen zu lassen, erscheint insofern durchaus gerechtfertigt. Interessant sind diese Zeugnisse vor allem im Hinblick auf ihre Situierung in den kulturpolitischen Zusammenhängen am Beginn der 1970er Jahre in Rumänien.
6 Dabei handelt es sich um 46 von insgesamt 73 Prosa-Texten. Vom letzten der in Rumänien publizierten Texte, „Matthias“ (NL 5/1985, S. 21–41), erschien unter dem Titel „Viele Räume sind unter der Haut“ zudem eine überarbeitete Fassung in Barfüßiger Februar (Berlin 1987), S. 50–74. 7 „Müller, Hertha, [...] debütierte 1969 in der Neuen Banater Zeitung [...]“. In: Wortmeldungen. Eine Anthologie junger Lyrik aus dem Banat. Hg. v. Eduard Schneider. Temeswar 1972, S. 144. Der Beitrag „Unsere Namenecke“ findet sich auf einer den Schülern zur Gestaltung überlassenen Seite in der NBZ. 8 Trotzdem werden alle Beiträge gleichermaßen in einem Anhang mit genauen Quellenangaben dokumentiert.
Die rumäniendeutsche Kultivierung des Schülergedichts
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2. Die rumäniendeutsche Kultivierung des Schülergedichts Obgleich in der Forschung die gesellschaftlichen und historischen Rahmenbedingungen wiederholt dargestellt wurden, sollen einige Aspekte hier nochmals in Erinnerung gerufen und ergänzt werden. Die rumäniendeutsche Literatur fand sich Mitte der 1960er Jahre wie die rumäniendeutsche Minderheit selbst in ein Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Zukunft gestellt. Einerseits trug sie zur Bewahrung und Fortschreibung der deutschen Identität bei, andererseits war sie stets auch ein Medium der Integration in die Gesellschaft, die sich mit der Machtübernahme durch Ceauşescu ab 1965 zunächst zu liberalisieren begann. Besonders attraktiv erschien Ceauşescu der Bevölkerung nach einer langen stalinistischen Phase unter sowjetischem Einfluss durch seine Betonung der Eigenständigkeit Rumäniens, was sich nicht zuletzt in seiner öffentlichen Distanzierung vom Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag 1968 ausdrückte. Im „rumänischen Tauwetter“ gewann die angestrebte gesellschaftliche Umgestaltung durchaus die Sympathien, auch und besonders der jungen Leute. Sie hatten weder die Nachkriegserfahrungen des Stalinismus noch als Angehörige der deutschen Minderheit die „Bestrafungsmaßnahmen“ für ihre Kollektivschuld wie Deportation, Umsiedelung und Enteignung erlebt. Für sie klang die Deklaration der gleichberechtigten Mitgestaltungsmöglichkeiten für die „mitwohnenden Nationalitäten“ überzeugender, zumal hier tatsächlich Verbesserungen zu beobachten waren. Die tolerantere Minderheitenpolitik im Inneren und die stärkere Emanzipation von der Blockdoktrin nach außen eröffnete auch im rumäniendeutschen Kulturbetrieb neue Spielräume. An der Literaturzeitschrift Neue Literatur, die als wichtigste Quelle in Bezug auf Entwicklungen und Diskussionen in der deutschsprachigen literarischen Landschaft Rumäniens anzusehen ist, können die Bestrebungen zur Erneuerung und Bewahrung, zur Internationalisierung und expliziten Pflege deutschen Kulturgutes, aber auch die unterschiedlichen Formen der Indienstnahme von Literatur beobachtet werden.9 Tatsächlich ändert sich ab Mitte der 1960er Jahre der Anspruch, mit dem hier ein Bild der zeitgenössischen Literatur vermittelt wird. Dominierten noch am Anfang der 1960er in der zeitgenössischen Lyrik der Hymnen-Ton, die Bau-Metaphern und in der Prosa die relativ kunstlose Darstellung der Wege in die neu zu gestaltende Gesellschaftsordnung,10 Reportagen aus verschiedenen Landesteilen über Produktion und Aufbau,11 so stellt sich die Situation fünf Jahre später schon ganz anders dar. Der naive Aufbruchsoptimismus, 9 Die Zeitschrift wurde 1948 in Temeswar gegründet unter dem Namen „Banater Schrifttum“ und 1956 umbenannt in „Neue Literatur“, was den breiteren Anspruch dokumentieren sollte. Aus demselben Grund zog die Redaktion nach Bukarest und unterhielt einen Literaturkreis. Vgl. Heinz Leonhard: 20 Jahre „NEUE LITERATUR“. Deutsche Zeitschrift des Schriftstellerverbandes führt Traditionen weiter. In: Neuer Weg-Kalender 1970, S. 80–81. 10 Bekanntlich gehörte es zum Modernisierungskonzept des sozialistischen Realismus, „neue Menschen“ aus den alten zu machen; eine Vorstellung, die in der Literatur zu antizipieren war. 11 Sofern das in einer Literaturzeitschrift geschah, zeigt sich hier der Literaturbegriff im engsten Zusammenhang mit gesellschaftlichen und ideologischen Interessen.
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976)
der vorher geschürt und ausgedrückt werden musste, verschwindet nach und nach. Die Lyrik ist nicht mehr allein dem Lob und Preis des Aufbaus gewidmet, sondern immer häufiger der Natur und der Liebe. Der „Internationalismus“, der ganz im Sinne der sogenannten „Freundschaft mit den sozialistischen Bruderländern“ gepflegt worden war, ist einer wirklich internationalen Orientierung im Bemühen um Anschluss an die neueren literarischen und literaturtheoretischen Entwicklungen gewichen. Auch die Interviews mit Verlagsmitarbeitern über die Programme der deutschsprachigen Verlage lassen diese veränderte Atmosphäre erkennen, da sie sich gezielt um einen Kanon der internationalen, immerhin schon achtzigjährigen Moderne kümmern und den deutschen Lesern in Rumänien zugänglich machen wollen. Zugleich wird dieser neue Spielraum für die Pflege des „Erbes“ genutzt.12 Unablässig werden dabei die Schwierigkeiten reflektiert, vor denen eine Minderheitenliteratur mit ihren begrenzten institutionellen, personellen und substanziellen Möglichkeiten steht. Weniger problematisch wird das vorsichtige Anknüpfen an jüngere literarische Traditionen der 1920er bis 1940er Jahre wahrgenommen, wohl weil sich keiner der bedeutenderen rumäniendeutschen Autoren ausdrücklich zum Nationalsozialismus bekannt hat. Dieses Zugleich von der Wendung nach vorn im Bemühen um Modernität und einer Wendung zurück zu den identitätstragenden Traditionen, manchmal von denselben Personen ausgeführt, kennzeichnet die Situation, in der Herta Müller und ihre Generation beginnen zu schreiben. Ein weiteres Problem stellen Sprachpflege und Geschmacksbildung des Publikums dar. In der NBZ finden sich recht regelmäßig Artikel zum korrekten Gebrauch der 12 Vgl. Peter Motzan: Die deutschen Regionalliteraturen in Rumänien (1918–1944). Forschungswege und Forschungsergebnisse der Nachkriegszeit. In: Die deutschen Regionalliteraturen in Rumänien (1918–1944). Hg. v. Peter Motzan und Stefan Sienerth. München 1997, S. 33–67. Motzan konstatiert für diesen Zeitraum: „Während jüngere rumäniendeutsche Autoren nun eine Einübung in die Stilmittel der europäischen ‚Moderne‘ betrieben, kam es gleichzeitig zu einer [...] Rückbesinnung auf Verdrängtes und Verschollenes“. Ab 1972 wird an den Germanistik-Sektionen die Geschichte der deutschen Minderheitenliteratur[en] unterrichtet, es entstehen Diplomarbeiten und Dissertationen auf diesem Gebiet. Ebd., S. 41. Herta Müller selbst verfasst ihre Diplomarbeit zu Wolf Aichelburg (1912–1994). Außerdem erscheinen Anthologien zu Humanismus, zur Aufklärung und zu Lyrik und Prosa des 19. und 20. Jahrhunderts. Sienerth bilanziert als Ergebnis dieser „Rückbesinnung“ auch Ausgaben einer ganzen Reihe von deutschsprachigen Autoren dieses Kulturraumes: Friedrich Wilhelm Schuster, Traugott Teutsch, Adam Müller-Guttenbrunn, Heinrich Schuster, Anna Schuller-Schullerus, Adolf Meschendörfer, Otto Alscher, Bernhard Capesius, Oscar Walter Cisek, Alfred Margul-Sperber, Erwin Wittstock und Irene Mokka. Vgl. Stefan Sienerth: Rumäniendeutsche Literaturgeschichtsschreibung der letzten zwei Jahrzehnte. Erkenntnisse der letzten zwanzig Jahre. In: NL 8/1986 S. 10–21, hier S. 18–19. Dieter Schlesak und Alfred Kittner geben 1969 Auskunft über eine geplante „Anthologie der deutschen Lyrik unseres Landes“ im 20. Jahrhundert: „Eine Sensation für Liebhaber. Eine Art ‚Museum der nichtmodernen Poesie‘. Wir wollen alles retten, was an deutscher Lyrik noch in Schubladen, auf Dachböden, in Kisten liegt.“ Arbeitstitel: Hinter sieben Buchen, hinter sieben Bergen. Vgl. Bücher in Vorbereitung. NL-Interview mit Hans Liebhardt, Dieter Schlesak und Claus Stephani. In: NL 5/1969, S. 111–116, hier S. 113.
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deutschen Sprache, die NL nimmt sich der Schwierigkeiten des Deutschunterrichtes an,13 jedoch geben die Studierenden der Germanistik dann noch immer Anlass zur Klage, wenn sie sich für Jerry Cotton und Ludwig Ganghofer interessieren.14 Auch hier werden offensichtlich ganz ungleichzeitige Verhältnisse zur modernen Literatur gepflegt, denn im selben Rundtischgespräch der NL, in dem diese Fragen erörtert werden, wird festgestellt, dass die guten Studenten einen so hohen Anspruch haben, dass sie lieber eine Abschlussarbeit zu Kafka schrieben als zu einem rumäniendeutschen Autor.15 Wünschenswert erscheint allen Beteiligten dieser Diskussion, dass sich die begabten Studierenden und die nachfolgenden Generationen für die Pflege des Erbes und damit den Erhalt der rumäniendeutschen Literatur engagieren mögen. Ähnlich willkommen sind da natürlich Nachwuchsautoren, die nicht nur rezeptiv, sondern auch produktiv dazu beitragen. Die jungen Talente, zu Beginn ihrer Schreiblaufbahn meist noch an den Lyzeen, werden nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern gezielt zum Schreiben ermuntert, gefördert und früh publiziert. Daher liegen, wie auch von den meisten anderen Autoren dieser Generation, von Herta Müller früheste Texte vor, die vor allem dem gesteigerten Interesse an der Erhaltung der deutschsprachigen Minderheitenliteratur ihre Veröffentlichung verdanken. Während sich der Weg anderer, früh entdeckter Schreibbegabungen, wie beispielsweise der Richard Wagners, recht leicht von den Schülerseiten der NBZ über die Studentenseiten und die NL bis zu einer Reihe von Buchveröffentlichungen sowie Wagners journalistischer Tätigkeit und dem Vorsitz des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“ verfolgen lässt, so ist der Weg Herta Müllers bis zu ihrem spektakulären Buchdebüt 1982 weniger gut nachvollziehbar, weil sie an ihre ersten lyrischen Versuche mit den späteren bekannten Texten nicht anknüpft und sich weder offensiv ins literaturpolitische Tagesgeschehen einmischt noch beruflich mit der übersichtlichen Literaturszene zu tun hat. Das hat in der Forschung zur Folge, dass bei der Darlegung der Schreibanfänge Herta Müllers nicht nur die ersten „lyrischen Jahre“ abgetan wurden, sondern, in einer Hilfskonstruktion, immer wieder auf die scheinbar analoge Entwicklung der AG Banat verwiesen wurde. Herta Müller wurde im Umkreis dieser Autorengruppe angesiedelt und die erklärungsbedürftigen Leerstellen mit Berichten über die AG Banat gefüllt.16 Die „Aktionsgruppe Banat“ war ein lockerer Zusammenschluss von jungen Autoren der Jahrgänge 1951 bis 1955, die anfangs mit ihrer frechen, kritischen Haltung und ihrem neuartigen Umgang mit Literatur von einigen älteren Autoren oder Redakteuren 13 Vgl. beispielsweise: Schule, Sprachunterricht, Sprachpflege. Gespräch am runden Tisch. In: NL 9–10/1966, S. 131–139. 14 Vgl. Vom Beschreiben zum Urteilen – vom Urteil zur Wirkung. NL-Rundtischgespräch zu Fragen der Literaturkritik. In: NL 1–2/1968, S. 8–31. 15 Ebd., S. 19. 16 Neuerdings beispielsweise bei Patrut, die Herta Müller ganz selbstverständlich zur AG Banat zu zählen scheint. Vgl. Iulia-Karin Patrut: Schwarze Schwester – Teufelsjunge. Ethnizität und Geschlecht bei Paul Celan und Herta Müller. Köln, Weimar, Wien 2006, S. 113ff.
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gefördert wurden.17 Drei Jahre lang, von 1972 bis 1975, konnten Albert Bohn, Rolf Bossert, Werner Kremm, Johann Lippet, Gerhard Ortinau, Anton Sterbling, William Totok, Richard Wagner und Ernest Wichner in den deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften des Landes produktive Unruhe stiften, indem sie „programmatisch Denk-, Lese-, Verhaltens- und andere Gewohnheiten und Konventionen in Frage stellt[en]“18, dann wurde die Gruppe von der Securitate zerschlagen. Die jungen Männer hatten aus ähnlich unbestimmten Anfängen wie denen der anderen früh geförderten Schreibtalente ihrer Jahrgänge zu einer dezidiert progressiven Haltung gefunden – in Bezug auf die Literatur ebensowohl wie auf die Gesellschaft. Mit unübersehbarer Lust an der Provokation trieben sie ihr respektloses Spiel mit den konventionellen Formen und der traditionellen rumäniendeutschen Literatur, wobei ihre Vorbilder Brecht und die Vertreter der konkreten Poesie für die Aspekte der sozialen Wirksamkeit und des literarischen Experiments standen. Der latente Generationenkonflikt wird nun auch in der Literatur ganz explizit ausgetragen, indem nicht nur die gegenwärtig praktizierten Lebensmuster und Wertvorstellungen einer scharfen Kritik unterzogen werden, sondern gerade die schuldhafte Vergangenheit der Deutschen in Rumänien den Eltern zum Vorwurf gemacht wird, hatte doch ein Teil der Väter in der Waffen-SS am Krieg teilgenommen. In ähnlicher Weise wie in der „binnendeutschen“ 68er Bewegung wirkten über diese Anklage hinaus auch die politisch linke Position – beispielsweise beruft sich Wagner vehement auf Marx, man ergreift literarisch Partei für Vietnam und beim Putsch in Chile, stets mit implizitem kritischem Blick auf die heimischen Verhältnisse – und nicht zuletzt der Musikgeschmack, der in zahlreichen Texten chiffrengleich mit Namen wie Janis Joplin oder Jimi Hendrix signalisiert wird. Gerade die scharfe Auseinandersetzung mit den Werten und Bräuchen der Vorgängergenerationen wird von der Forschung analogiebildend unter Vernachlässigung der Chronologie für Herta Müller in Anschlag gebracht. Dieser wesentliche Aspekt zeigt sich aber, solange die AG Banat besteht, bei ihr noch gar nicht. Es verhält sich geradezu andersherum: Während die AG Banat ihre bissigen Texte propagiert, hält Müller eher Abstand, weil ihr die Akteure „arrogant“ und unnahbar erscheinen.19 Erst später entwickelt sie, nicht über eine Programmatik, sondern aus einer biographischen Situation und subjektivem Erleben heraus, in tagebuchartigen 17 Wichner nennt Gerhardt Csejka, Anemone Latzina, Bernd Kolf und Emmerich Reichrath. Vgl. Ernest Wichner: Blick zurück auf die Aktionsgruppe Banat. In: Ein Pronomen ist verhaftet worden. Die frühen Jahre in Rumänien. Texte der Aktionsgruppe Banat. Hg. v. Ernest Wichner S. 7–11, hier S. 9. 18 Gerhardt Csejka: Aktionsgruppe Banat: „Wire Wegbereiter“. In: Wichner (Hg.): Pronomen, S. 126- 129, hier: S. 126 (erstmals in: NL 4/1974). 19 „Es ist die Zeit der „Aktionsgruppe“ – sie findet keinen Kontakt zu ihr. Engagement, Politisierung der Literatur, Machbarkeit der Kunst – das sind Schlagwörter, die sie faszinieren und gleichzeitig hemmen, da sie selbst mit ihnen nichts anfangen kann, und im Munde ihrer sprachgewandteren Kollegen (sie findet sie arrogant) einschüchtern.“ Annemarie Schuller: Ihre Mittel: arm und reich zugleich. In: KR, 14.06.1985. „[..] die waren meist ironisch, sie schienen mir alle arrogant, mir
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Aufzeichnungen ihre Art des literarischen Umgangs mit der Problematik. Müller schreibt also unterdessen weiterhin ihre eher von „subjektiver Innerlichkeit“20 geprägten Gedichte, natürlich nicht, ohne Probeausflüge in die engagierte Literatur zu unternehmen, wovon der Prosatext „Ich wäre nie daraufgekommen“ oder das von Brechtischer Dialektik inspirierte Gedicht „Brief von/ an Doppelgänger“ zeugen. Beide Texte sind in der studentischen Abteilung „Universitas“ der NBZ erschienen, gemeinsam mit einer kurzen programmatischen Darstellung des „Arbeitskreis[es] 74“, in dem Müller offenbar während ihres Studiums tätig ist.21 Die Kontakte zur schon aufgelösten AG Banat stellen sich erst später her, als Müller mit ihren Prosatexten wiederum einen anderen literarischen Weg als den von den damaligen Jungstars der Szene vorgegebenen einschlägt. Mit den ab 1978 veröffentlichten Erzählungen beginnt ihre eigentliche literarische Laufbahn, so dass sich auch die Kritik nach Niederungen (1982) stets nur auf diese Texte bezieht und die Anfänge mit lyrischen Texten lediglich erwähnt. Die Forschungsliteratur hat die Lyrik bisher fast gar nicht zur Kenntnis genommen. Eke hat wenigstens vier Gedichte bibliographisch erfasst und zwei davon kurz charakterisiert: „Die Anthologie ‚Wortmeldungen‘ enthält zwei Gedichte Herta Müllers (,Am Schwengelbrunnen‘, ‚Legende‘), erste, noch unsichere Versuche, kaum eigenständig zu nennen in Ausdruck und Form. Mit ihrer subjektiven Innerlichkeit stehen sie quer zu der angedeuteten Repolitisierung der Literatur, die ihren Höhepunkt in dem gemeinsamen Auftreten einer Reihe junger Autoren, in der Mehrzahl Studenten der Temeswarer Universität, als Gruppe fand, deren gemeinsames Ziel die Rückführung der ‚Sprache des Gedichts in die Wirklichkeit der Gesellschaft‘ war.“22
So wenig eigenständig tatsächlich Ton und Machart sind, so kennzeichnend sind sie für die Anfänge sowohl einer Autorin als auch einer Generation von Schreibenden, die überlegen, Ortinau z.B. war mir eine Zeitlang richtig unheimlich.“ In: Und ist der Ort wo wir leben. Interview mit Herta Müller von Annemarie Schuller. In: Reflexe II, S. 121–125, hier S. 124. 20 Diese treffende Charakterisierung stammt von Eke. Vgl. Norbert Otto Eke: Augen/Blicke oder Die Wahrnehmung der Welt in den Bildern. In: Eke (Hg.): Die erfundene Wahrnehmung, S. 7–21, hier: S. 9. 21 Das „Programm“ des Arbeitskreises 72 hält geradezu demonstrativ Abstand zur zeitgleich operierenden AG Banat: „unser programm: 1 wir haben kein programm wir sind ein arbeitskreis 2 wir schreiben 3 lesen und diskutieren im universitätsklub 4 und nicht nur da 5 um: keine einzelgänger für uns und andere zu sein 6 deshalb: im sagen verschieden auf gemeinsamem nenner: jetztundhier: gerlinde ballmann – michael bleiziffer – richard didicher – peter grosz – hertha müller – balthasar waitz...auf weitere warten...“ In: NBZ, 20.01.1974. 22 Norbert Otto Eke: Augen/Blicke oder Die Wahrnehmung der Welt in den Bildern. In: Eke (Hg.): Die erfundene Wahrnehmung, S. 7–21, hier: S. 9. Bezeichnenderweise verlegt sich Eke eher auf die Beschreibung der AG Banat, die hier mit „Reihe junger Autoren“ gemeint ist, als der Gedichte Herta Müllers, um die es eigentlich gehen sollte. Siehe auch: Norbert Otto Eke: Schönheit der Verwund(er)ung. Herta Müllers Weg zum Gedicht. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Herta Müller. Text + Kritik. Bd. 155, S. 64–79.
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später als die „letzte Epoche einer Minderheitenliteratur“23 gelten wird und doch stets den Dissens mit ebendieser Literatur für sich reklamiert. Ironischerweise sind es gerade diese Autoren – darunter nur eine Autorin –, die im deutschsprachigen „Binnenland“ wahrgenommen werden, und zwar als Vertreter einer Literatur, zu der sie nicht gehören wollten. Die Haltung des bewussten Neubeginns zeichnet sich grundsätzlich schon in der Aufbruchssituation Ende der 1960er Jahre ab, wenn auch nicht, wie Eke verkürzend bemerkt, schon eine „Repolitisierung“ der Literatur. Zunächst geht es um ein Schreiben, das den Anschluss an die Moderne und eine eigene Sprache sucht, in Absetzung von der bis dahin gepflegten Norm des Realismus sozialistischer Prägung mit seinen Formidealen aus dem 19. Jahrhundert. Insofern stehen die vier erwähnten Gedichte nicht „quer“ zur geförderten Nachwuchsliteratur, vielmehr repräsentieren sie eine der in den Anthologien tatsächlich dokumentierten Möglichkeiten des Schreibens auf der Spur der modernen Lyrik, die von Innerlichkeit über Neufassungen des Volksliedes bis zum engagierten Gedicht in diversen Spielarten ausprobiert wird. Eingebettet sind diese Bestrebungen in eine allgemeinere Empfindung des Aufbruchs gegenüber der Elterngeneration, wie sie um 1968 herum in Europa weit verbreitet ist. Der Konflikt, den die nach dem Krieg Geborenen und deren Elterngeneration austragen, stellt sich in der Minderheitensituation der Deutschen in Rumänien mit besonderer Schärfe dar, insofern jedes Abweichen, jede Kritik und Verweigerung gegenüber den tradierten Lebensentwürfen als Gefährdung der lange bewahrten ethnischen Identität aufgefasst werden kann. Die jeweils individuelle Rolle des Schreibens für den einzelnen wird in dieser Lage mit enormem kollektivem Ballast befrachtet.24 Nur der „konstruktiv kritische“ Umgang wird, wenn überhaupt, akzeptiert, ansonsten eher Wert auf die konservierende Funktion der Literatur gelegt. Trotzdem bedarf die rumäniendeutsche Kultur zu diesem Zeitpunkt auch im Urteil ihrer Funktionäre dringend der Erneuerung und damit der Beteiligung der nachwachsenden Generationen. Die Förderung der „jungen Talente“ setzt zunächst deren Suche unter den Jugendlichen voraus und die Anregung zum Schreiben. Für die Protagonisten dieser Aktionen – Schreibzirkel, Schreibwettbewerbe, Schülerseiten in der NBZ, Gespräche mit Schülern, „Tournee“ durch die Lyzeen, Anthologien –, also die Lehrer, Zeitungs- und Zeitschriftenredakteure und Verleger steht bei aller Offenheit für literarische Innovationen stets der Fortbestand einer Kultur im Mittelpunkt. Dies ist der Rahmen, auf den sowohl die Fördermaßnahmen als auch die Beurteilung der entstehenden Texte bezogen bleiben. Das heißt nicht, dass Geschmack und Horizont der Förderer provinziell sind, was auch vorkommen mag, sondern vielmehr, dass mit hohem Anspruch und stetem Blick auf Entwicklungen der vier anderen deutschen Literaturen eine 23 Vgl. hierzu vor allem Cristina Tudorică: Rumäniendeutsche Literatur 1970–1990. Die letzte Epoche einer Minderheitenliteratur. Tübingen 1997 sowie René Kegelmann: An den Grenzen des Nichts, dieser Sprache... Zur Situation rumäniendeutscher Literatur der 80er Jahre in der BRD. Bielefeld 1995. 24 Vgl. dazu auch Deleuze, Gilles/ Guattari, Felix: Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 24ff.
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Kontinuität in der sogenannten „fünften“ deutschen Literatur aufgebaut werden soll. Nach entsprechenden Kriterien findet die Betreuung der jungen Leute statt, die zum Zeitpunkt ihrer „Entdeckung“ meist fünfzehn bis siebzehn Jahre alt sind. Sie sollen sich zwar eigenständig entfalten, ihre Sicht und Sprache beisteuern, aber wiederum auch den Erwartungen, die in Bezug auf eine Fortschreibung der rumäniendeutschen Literatur an sie gerichtet werden, entsprechen. Das schlägt sich in der Themenwahl für die Wettbewerbe, in der Auswahl für die Veröffentlichungen in der Zeitung oder Anthologien nieder und letztlich auch in der Gestalt der Texte selbst. Auf der anderen Seite betrachten sich die jungen Autorinnen und Autoren weniger als die jüngsten Bewohner einer alten, traditionsverbundenen Literaturlandschaft. Ihr Augenmerk liegt mehr auf der Innovation, die sie mit ihrer Dichtung leisten möchten. Explizit bekennen sie sich in den aktuellen Diskussionen um die Begriffe „Modernität“, „Chiffre“ „Unverständlichkeit“25 und „Verschlüsselung“26 zur „modernen Lyrik“. Die Vorliebe für die Gattung verdankt sich ihrer scheinbar leichteren Beherrschbarkeit: Die Texte sind kurz, was zudem günstiger für die Publikation ist, sowie für formale Erkundungen und Experimente zugänglicher. Hinzu kommt eine Besonderheit des deutschen Sprachraumes in Rumänien. Das „Inseldasein“ des Deutschen hat zur Folge, dass es abgeschnitten von den lebendigen Weiterentwicklungen in den beiden deutschen Staaten, in der Schweiz und in Österreich sowie im ständigen engen Kontakt mit fremdsprachigen Kulturen nicht den Reichtum bereithalten kann, der für die Unterhaltung einer vielfältigen Hochliteratur notwendig ist. Motzan beschreibt noch 1980, dass die Mundart zum Teil die „geläufige Verkehrssprache“ sei und das „Gefühl der unverwechselbaren Identität“ stärke.27 Diese Situation wirkt sich auf das Erscheinungsbild und den Charakter der rumäniendeutschen Literatur unmittelbar aus, so dass zum Beispiel die Gattungen mit unterschiedlicher Intensität gepflegt werden: „Prosagenres sind – schon durch Dimensionen und Darstellungsverfahren – auf ein reiches Sprachreservoir – angewiesen; sie dokumentieren – abgesehen von Stoff- und Sujetwahl – die sprachlichen und Realitätsverhältnisse augenfälliger. Lyrik setzt zwar präzisere Arbeit und intensivere Verdichtung voraus, ist aber, dank der verkürzenden Widerspiegelungsmodalität, weniger abhängig von dem umweltgeprägten Sprachangebot. Wahrscheinlich liegt darin der Grund, dass – verallgemeinernd gesagt – die ernstzunehmende zeitgenössische Lyrik der Epik überlegen ist, oder vorsichtiger ausgedrückt: daß sie mehr gepflegt wird und daß es ‚leichter‘ ist, sich der Wirklichkeit mit den verfügbaren Sprachmitteln ‚lyrisch‘ zu bemächtigen. Gute rumäniendeutsche Romane haben leider Seltenheitswert, die bevorzugte Prosagattung ist die Kurzgeschichte; den
25 Zitiert nach Peter Motzan: Die Lyrik Irene Mokkas. In: Reflexe II. Aufsätze, Rezensionen und Interviews zur deutschen Literatur in Rumänien. Hg. v. Emmerich Reichrath. Cluj 1984, S. 109– 120 (zuerst in : NL 9/1977, S. 79–86). 26 „Und nun zum Vorwurf, der bei Diskussionen über moderne Lyrik fast nie fehlt: Verschlüsselung!“. Ewald Ruprecht Korn zur Lesung Dieter Schlesaks. In: NL 5–6/1967, S. 140f. 27 Motzan: Lyrik 1944, S. 25.
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976) neun Lyrikanthologien der Zeitspanne 1949–1979 stehen nur drei Prosasammlungen gegenüber. Und auch die Lyrik zeichnet sich – wiederum ganz allgemein gesprochen – nicht gerade durch verbale Brisanz und Versatilität aus.“ 28
Diese Zustandsbeschreibung von 1980 trifft umso mehr für die Situation der rumäniendeutschen Literatur Ende der sechziger Jahre zu. Ab Mitte der 1960er Jahre hatte sich langsam die Doktrin des sozialistischen Realismus gelockert, und mit der gezielten Förderung des Nachwuchses Ende des Jahrzehnts erhielt vor allem die Gattung Lyrik einen regelrechten Schub, so dass aus der grassierenden Schreibwut letztendlich einige begabte Autoren hervorgingen, die bis in die siebziger Jahre hinein die Vormachtstellung der Lyrik festigten. Sie bedienten sich jedoch kaum der traditionellen Versformen, die schon „fertige Schemen“ vorgeben, sondern suchten gleich die Vorteile der vermeintlich unregulierten Sprachverwendung der modernen Lyrik. Mit der Bevorzugung der „modernen Lyrik“ können sich Schreibanfänger diese Vorteile besonders zunutze machen, während die freiere Form auch den Erfahrungen entgegenzukommen scheint, deren Formulierung in traditionellen Versparadigmen ihnen als nicht mehr zeitgemäß gilt.29 Damit rennen die Jungautoren und -autorinnen allerdings offene Türen ein, denn längst gibt es in der rumäniendeutschen Literatur beispielsweise mit Anemone Latzina (1942–1993) und Oskar Pastior (1927–2006), mit Dieter Schlesak (*1934) oder auch der etwas älteren Irene Mokka (1915–1973) eine Lyrik, die den Ansprüchen an Modernität auf hohem Niveau gerecht wird. Bezeichnenderweise verlässt aber der sehr geachtete Oskar Pastior 1968 das Land, unter anderem weil er nicht lebenslang ein rumäniendeutscher Vorzeigedichter sein möchte.30 28 Motzan: Lyrik 1944, S. 27. 29 Zu unterscheiden sind davon die Anstrengungen in den 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre, in freien Rhythmen hymnische Gedichte meist zum Lob und Preis der neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit zu verfassen. Neben den Beispielen in der NL sind auch die kurzen Urteile und Hinweise der Redakteure zu eingesandten Texten recht aufschlussreich. Sie empfehlen wiederholt den Gebrauch bestimmter Versmaße, um das Schreiben zu disziplinieren und tatsächlich Lyrik, nicht umgebrochene Prosa, zu produzieren. Vgl. „Wir antworten“. In: NL 1/1960; 5/1960; 2/1961; 5/1961 jeweils S. 159. Es gibt kurze Hinweise an Leser, die Texte eingereicht haben, Ratschläge fürs Schreiben selbst und praktische Tipps, wie die Qualität verbessert werden kann, z.B. Lesehinweise, den Rat, sich an Lehrer zu wenden oder einen Zirkel zu besuchen. So erhält in NL 2/1961 Gerhardt Csejka aus Sanktanna Zuspruch: „Lobenswert ist, daß Sie die strenge Form des Sonetts benützt haben. So schult man am besten sein Formempfinden. Jedem Anfänger ist das anzuempfehlen.“ Die Linie der hymnischen Preisgedichte vom Anfang der 1960er Jahre ist nicht beerbt worden; die rumäniendeutschen Schriftsteller haben sich mit der später geforderten Panegyrik auf den Genossen Ceauşescu im Vergleich zu ihren rumänischen Kollegen sehr zurückgehalten. Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Thomas Kunze: Nicolae Ceauşescu. Eine Biographie. Berlin 2000, S. 236. 30 „Einer der Gründe, weshalb ich vor fünfzehn Jahren aus Bukarest wegging, war eben der, daß ich auf dem besten Weg war, dort von der Obrigkeit hochgefördert, hochstilisiert zu werden, zum Aushängeschild einer Minderheitenlyrik – und das hat mir gestunken. Statt so bekannt zu werden – dann lieber das Risiko hier, auf Kategorien wie >verkannt/ nicht verkannt< pfeifen zu können.“
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Damit geht dem kleinen Literaturbetrieb ein wichtiger Autor und den jungen Schreibanfängern ein mögliches Vorbild verloren. Ebenso unterliegen die Texte Schlesaks einem Bann, denn er verlässt Rumänien 1969. Anders liegt der Fall bei Irene Mokka, die zwar als „Wegbereiterin“ gelten könnte und deren Gedichte „,moderner’ in der Machart“ auch „in der engeren Geschichte banatdeutscher Lyrik [...] wie ein Fremdkörper“ wirken.31 Dass sie keine direkte Vorläuferin der neu einsetzenden Lyrik-Strömung ist, mag nicht allein an ihren naturmagischen Akzenten liegen. Ähnlich wie der äußerst verdienstvolle Literaturförderer und Lyriker Alfred Margul-Sperber hatte Mokka unter dem Pseudonym Grete Groß bis 1958 Gedichte „begrenzter Darstellungsmuster“ als „Erfüllung eines sozialen Auftrags“32 veröffentlicht. In NL sind allerdings bis 1965 sowohl Prosa als auch Lyrik, sogar ein Märchenspiel unter diesem Namen erschienen. Die Gedichte entsprechen nicht unbedingt dem negativen Werturteil Motzans, sind aber auch nicht modern zu nennen, z.B. „Alle Brunnen“ in NL 1/1965 (S. 53). Es ist nicht nachvollziehbar, ob diese konkreten Beispiele im Selbstverständigungsprozess der nachwachsenden Autoren eine gewichtige Rolle spielen, jedoch tragen sie zum Bild bei, das sich diesen von der vorhergehenden Schriftstellergeneration bietet. Von den Dagebliebenen sind die meisten einfach nicht interessant. Sie hatten die stalinistischen 1950er und 1960er Jahre vielleicht „überwintert“ oder sich mit ihrer Literatur korrumpieren lassen. Wer sich literarisch für den gesellschaftlichen Aufbau einsetzte, tat dies meist nach der Doktrin des sozialistischen Realismus; wer sich demgegenüber widerständig verhalten hatte und andere ästhetische Prinzipien verfolgte, wurde entweder nicht veröffentlicht oder verließ das Land. Als diese Phase der Literaturpolitik etwa Mitte der sechziger Jahre ausgestanden war, gab es kaum Autoren und Autorinnen, die sich nicht in irgendeiner Weise in gesellschaftliche und/oder ethnische Belange mit den entsprechenden ästhetischen Konsequenzen verwickeln lassen hatten. Die Verwicklung der älteren Schreibenden in Anforderungen sozialer und ethnischer Art und die Produktion ästhetisch heteronomer Texte – auch Pastior lobt in frühen Texten den gesellschaftlichen Fortschritt, spielt jedoch wegen Abwesenheit keine Vorbildrolle – sind trotz deren Verdienste um die moderne Lyrik durchaus ein einsichtiger Grund, warum die jüngeren Autoren nicht an sie anknüpfen möchten. Diese älteren Generationen repräsentieren mit dem „opportunistischen“ Teil ihres Schaffens die Unterordnung unter die Überlebensinteressen der deutschen Minderheit, statt als mögliche Wegbereiter für nachfolgende Autoren der „modernen Lyrik“ verstanden zu werden. Motzan beschreibt den literarischen Aufschwung Ende der sechziger Jahre mit den neuerungswilligen Nachwuchsautoren als Oskar Pastior: „Bei meinem Unbehagen ...“. In: Oskar Pastior: Jalousien aufgemacht. Ein Lesebuch. Hg. v. Klaus Ramm. München 1987, S. 71f. Vgl. auch das Interview: Oskar Pastior: „Meine Bockigkeit, mich skrupulös als Sprache zu verhalten“. In: Stefan Sienerth: „Daß ich in diesen Raum hineingeboren wurde“. Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa. München 1997, S. 199–216, besonders S. 211f. 31 Motzan: Die Lyrik Irene Mokkas. In: Reflexe II, S. 109–120, hier S. 110f. 32 Ebd.
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976) „,Moment der beschleunigten Entwicklung’, der eintritt, ,wenn Erscheinungen und Errungenschaften differenzierter Nationalliteraturen eine stimulierende Rolle spielen.’ Und man darf hinzufügen: Wenn die Autorität der Traditionsträger im allgemeinen und die der unmittelbaren Vorgänger im besonderen geschwächt ist.“33 „Zugespitzt formuliert [für die rumäniendeutsche Lyrik]: Jede Generation begriff sich in ihrem literarischen Anfang als Anfang. Man stieß sich – durch Mißachtung und kritisch-parodistische Abstandnahme – von den als eingerostet empfundenen Gedichtstrukturen der voraufgegangenen Periode ab.“34
Das bewusste Abrücken von traditioneller Literatur und die Proklamation eines neuen Sprechens für die Generation der Nachkriegsgeborenen35 scheint ohnehin gleichermaßen ein Impuls zu sein, der sich gegen einen ganzen kulturellen Kontext, gegen die Lebenswirklichkeit der kleinen Städte und Dörfer richtet, aus denen sie stammen. Das Beharren darauf, nicht Teil der rumäniendeutschen Literatur zu sein, das viel später in den Selbsterklärungen immer wieder bekräftigt wird, nimmt seine Motivation sicher sowohl aus der Ende der 1960er Jahre vorgefundenen Literaturlandschaft wie auch aus dem lebensweltlichen Horizont der mehr als traditionsbewussten deutschen Minderheit. Nicht zuletzt spielt der Avantgarde-Gedanke der Moderne eine wichtige Rolle, in dessen Geist jede neue Generation von Künstlern die Überbietung und zugleich Absetzung von ihren Vorgängern anstrebt. Nichtsdestotrotz bewegen sich die ersten Veröffentlichungen – und in Anbetracht des Alters der Schreibenden sicher auch die ersten Schreibversuche – im institutionellen Rahmen der Schulen und Universitäten, in deren „Organen“ sie erscheinen, nämlich den jeweiligen Sonderseiten für Schüler und Studenten in der NBZ. Und bis zu ihrer späteren Übersiedelung bleiben die meisten dieser Autoren auf die Publikationsmöglichkeiten in Rumänien angewiesen, so dass in der NBZ oder dem Neuer Weg-Kalender mitunter befremdliche Nachbarschaften entstehen, wenn sich Autoren beispielsweise auf einer NBZ-Literaturseite versammelt finden, die das Loblied des Banat singen wie Peter Barth oder die Familiengeschichte als kontinuitätsstiftendes Moment erinnern wie Eduard Schneider, zusammen mit jenen Autoren, die, dem völlig entgegengesetzt, die
33 Motzan: Lyrik 1944, S. 32. 34 Motzan: Lyrik 1944, S. 34. Als Beispiele nennt Motzan Irene Mokka, Franz Liebhard und Richard Wagner. Die Haltung des Neubeginns zeichnet also nicht nur Wagner & Co aus, sondern auch deren Vorgänger nach dem Krieg. 35 „Auf eine vorwiegend von moralischen Leitsätzen und Programmen diktierte Lyrik, auf eine traditionsgereifte Dichtung, die in schönen, erlesenen Strophen durch alle Anfechtungen und Gefahren hindurch das Vertrauen in die kosmische Ordnung bekundet, auf eine verinnerlichte, naturbeschwörende Poesie entfaltet sich heute eine rumäniendeutsche Lyrik, die darum so viel verspricht, weil sie den Bezug von lyrischem Ich und sozialistischer, gegenwärtiger Gesellschaft sichtbar macht.“ Peter Motzan: Überlegungen zu einer Geschichte der rumäniendeutschen Lyrik nach 1945, NL 3/1973, S. 73–86, hier S. 84.
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Lebenswirklichkeit kritisch-detailliert befragen wie Herta Müller und Johann Lippet.36 Ähnliche Nachbarschaften des Ungleichzeitigen oder Ungleichartigen stellen sich in dem Kalender der Zeitung Neuer Weg her, einer bunten, unterhaltsamen Sammlung von jeweils 175 bis 260 Seiten, die sich rühmen kann, die deutschsprachige Publikation mit der höchsten Auflage zu sein.37 Zwischen Unmengen von Trachtenabbildungen und Brauchtumsbeschreibungen, heimatkundlichen Texten und Bildern, Würdigungen großer Persönlichkeiten mit Bezug zur banatdeutschen oder siebenbürgischsächsischen Geschichte, Gesundheits- und Erziehungsratgebern, populärwissenschaftlichen Texten, Industrieund Agrarprojekten, Reportagen sowie Unterhaltungsliteratur finden sich hin und wieder Gedichte. Der für literaturferne Schichten gedachte Kalender überfordert seine Leser nicht mit avancierter Prosa, wagt es ab Mitte der siebziger Jahre jedoch, einige Gedichte von Autoren der Nachkriegsgeneration anzubieten, überwiegend von Richard Wagner, der damit als ein Nachwuchsstar den Schritt in die Reihe der kanonischen Banater Autoren geschafft hat, denn möglichst nur „Klassiker“ der Lyrik, sei es der binnendeutschen, sei es der rumäniendeutschen, werden in diese Publikation aufgenommen. Der Kalender als Literaturform auf der Grenze zum Pragmatischen38 spiegelt in seiner Gestaltung die Bedürfnisse und Erwartungen seiner rumäniendeutschen Leserschaft wider wie auch die ideologischen Zurichtungsversuche je nach den politischen Großwetterlagen Rumäniens. Darin liegt, neben der weiten Verbreitung, seine Relevanz, wenn es um die Rolle der Literatur für die sozio-ethnische Selbstverständigung der rumäniendeutschen Minderheit geht. In den Zeiten der planmäßig betriebenen Modernisierung der rumänischen Gesellschaft und einer langen, verordneten Zurückhaltung bei ihrer Brauchtumspflege sehen die Rumäniendeutschen ihre Kultur einer stetigen Erosion ausgesetzt, der sie unter den Bedingungen der etwas gelockerten Minderheitenpolitik durch das forcierte Festhalten an Bräuchen, die Bewahrung volksund heimatkundlichen Wissens und teilweise die Wiederbelebung ehemals verbotener 36 NBZ 31.12.1980; Seite „Literaturkreis Adam Müller Guttenbrunn“ zum Jahreswechsel. Dort finden sich neben dem verklärenden Lobgedicht auf das Banat von Peter Barth Gedichte von Nikolaus Berwanger, Horst Samson, Franz Th. Schleich, Hans Mokka, William Totok, Helmuth Frauendorfer und Prosatexte von Johann Lippet, Adelheid Mokka, Richard Wagner, Herta Müller und Eduard Schneider. Auf der Doppelseite mit diesen sehr unterschiedlichen Autoren wirkt dann Peter Barths Beitrag in der rechten unteren Ecke wie ein versöhnliches Zugeständnis an die Leser, die nicht ungetröstet ins neue Jahr gehen sollen. 37 „Vor rund dreißig Jahren, am 13. März 1949 erschien in Bukarest die erste Nummer der [...] Tageszeitung Neuer Weg; schon gegen Ende des ersten Erscheinungsjahres wurde von der Schriftleitung auch der erste Neuer Weg Almanach herausgebracht. Seither erschienen durchschnittlich 40000 Exemplare je Ausgabe; das waren insgesamt 1 Million 200000 Stück. Der NW-Kalender ist somit, wie es in der redaktionellen Vorbemerkung heißt, das auflagenstärkste und meistverbreitete Buch in der mehr als 450jährigen Geschichte des Buchdruckes in unserem Land.“ In: M. Giesel: Neuer Weg Kalender 1979, Bukarest. In: NL 4/1979, S. 118. 38 Vgl. hier Thomas Schmidt: Kalender und Gedächtnis. Erinnern im Rhythmus der Zeit. Göttingen 2000.
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Elemente ihrer Tradition widerstehen wollen. Es soll gerettet werden, was noch zu retten ist. Der Kalender stellt mit seinen kleinen, allgemeinverständlichen Beiträgen ein Medium der Selbstvergewisserung dar, in dem Interessen und Bildung der Leser sich mit den Interessen der Kulturfunktionäre treffen. Andererseits ist der Kalender selbstverständlich auch Medium des linientreuen Jubeljournalismus, der im vorderen Teil die Errungenschaften der Volkswirtschaft, Großprojekte der Industrie und die weise Außenpolitik des Genossen Ceauşescu preist. Spätestens ab 1974 wird auf der ersten Seite der Genosse Nicolae Ceauşescu abgebildet, von 1971 bis 1975 wird bevorzugt an dieser prominenten Stelle auf die gleichberechtigte Mitwirkung der „mitwohnenden Minderheiten“ hingewiesen.39 Das enthebt diese Minderheiten auch in der kurzen Zeit ihrer „gleichberechtigten Mitwirkung“ jedoch nicht der allgemeinen Pflicht zur Modernisierung, was sich symptomatisch darin zeigt, dass 1973 von den sieben deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften drei ein programmatisches „neu“ im Namen führen.40 Diesem Neuerungszwang, der weithin als Identitätsbedrohung aufgefasst wird, wird im Neuer Weg-Kalender unter anderem mit der zuverlässig zu erwartenden Abbildung von Trachten, Heimatimpressionen und -kunst im Kalendarium und auf dem Titelbild begegnet, weil sie die einfachsten Symbole der kulturellen Stabilität sind. Welche Rolle spielt die Literatur in diesem Kalender? Zunächst soll sie schlichtweg unterhalten, erbauen, die Leser sollen sich in den Texten der einheimischen Autoren wiederfinden. Auf diese Weise werden die Texte schon allein aufgrund des Erscheinungskontextes für die Bewahrung und Stiftung der kulturellen Identität funktionalisiert, wo sie nicht selbst schon davon sprechen. Der Kalender als Gattung reiht sich in dieser Hinsicht auch dem Sprachstillstand ein, von dem die gesamte rumäniendeutsche Kultur betroffen ist. Der Anteil der Literatur oder gar der Lyrik ist sehr klein, gerade darum wirkt sie eher wie eine Illustration oder Garnitur des Hauptanliegens dieses Jahrbuches. Also nehmen die Autoren, wenn sie hier publizieren wollen oder sollen, in Kauf, dass sie schon strukturell in einen Traditionszusammenhang eingebunden werden, dem sie persönlich entweder affirmativ oder wenigstens skeptisch gegenüberstehen. Diese Beobachtung trifft in größerem Maßstab für die Lage der rumäniendeutschen Literatur insgesamt zu. Als einziger gelingt es Müller 1981, mit ihrer kurzen Erzählung „Das schwäbische Bad“, mal einen handfesten Literaturskandal zu provozieren, und das ohne vordergründig provokatorische Absicht. Allein die Kontexte, in denen die Texte dieser Autoren von Anfang an der Öffentlichkeit präsentiert werden, setzen diese meistens unvermeidlich in Beziehung zur vorgängigen und zeitgenössischen rumäniendeutschen Literatur oder gar in einen allgemeinen Brauchtumskontext, indem sie gemeinsam abgedruckt werden oder in entsprechenden Vorworten zu den Nachwuchsanthologien diese Beziehung hergestellt wird. Nur wird diese Beziehung von den Herausgebern und Förderern als eine der Kontinuität 39 Vgl. beispielsweise die Parteiprosa über die gleichberechtigte Mitwirkung der Deutschen: Eduard Eisenberger: Ausblick und Auftrag. In: Neuer Weg- Kalender 1971, S. 26. 40 1980 sind es acht deutschsprachige Periodika. Vgl. Motzan: Lyrik 1944, S. 23.
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betrachtet, d.h. einer organischen Fortsetzung der literarischen Traditionen, während die jüngeren Schreibenden sich recht schnell von diesen Erwartungshaltungen distanzieren und ihre literarische Praxis als Bruch mit sowohl literarischen als auch soziokulturellen Mustern verstehen. Zu dieser Position der Distanzierung arbeiten sich die Autoren, wenn überhaupt, erst vor und erwerben sich paradoxerweise zugleich die Anerkennung, die ihrer kritischen Stimme Gehör und Veröffentlichungsmöglichkeiten verschafft. Die Anfänge dieses Prozesses, der bald, wie exemplarisch an der AG Banat zu sehen ist, an die Grenzen des offiziell Geduldeten führt, können in den Schüler- und Studentenseiten sowie in den Anthologien zur jungen rumäniendeutschen Dichtung beobachtet werden. Am Beispiel Herta Müllers zeigt sich diese Suche nach den ihr eigenen Ausdrucksmitteln, die zugleich der Weg ist aus dem Geflecht von Erwartungen an die jungen Dichter, von herrschenden Vorstellungen über die Rolle der Literatur und von der Bereitschaft, diesen und jenen zu genügen. Die sehr schmale Textbasis von 34 Beiträgen über einen Zeitraum von sechs Jahren, in dem Müller die Schule beendet und ein Universitätsstudium absolviert, also eminent wichtige Entwicklungsschritte macht, lässt die detaillierte Rekonstruktion eines literarischen Bildungsganges nicht zu. Von großer Bedeutung ist dabei die Auskunft Müllers, dass ihre grundlegenden Leseerfahrungen in die Zeit ihres Schulbesuches in der Stadt fallen, da das Lesen in ihrer Familie nicht gepflegt wurde. Intensive Lese- und erste Schreiberfahrungen fallen also zeitlich zusammen. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass ein weiter literaturgeschichtlicher Resonanzraum in den ersten Texten mitschwingen kann. Von 1971 stammt die dezidierte Stellungnahme der Schülerin für die „moderne Lyrik“, die wohl in legitimatorischer Weise auch für Müllers eigene Anstrengungen verstanden werden kann: „‚Ich verstehe nichts davon‘ – sagen viele, und sogar sehr gebildete Menschen. Das klingt so, also ob ein kleines Kind sagen würde: ‚Die Suppe schmeckt mir nicht‘, ohne sie zu kosten. Die ‚moderne Lyrik‘ ist eigentlich gar nicht so modern. Denn Gefühle bleiben Gefühle. Natürlich muss man auch guten Willen haben, um zu verstehen. Mit flüchtigem Durchlesen wird man Lyrik nie verstehen. Lyrik, und im allgemeinen alle Gedichte, muss man nicht nur durchlesen; das Hauptgewicht liegt auf dem Durchdenken. Allerdings braucht man dazu auch ein Stückchen Phantasie. Moderne Lyrik zu verstehen heisst, zwischen den Zeilen zu lesen. Jedes einzelne Wort muss durchdacht werden, denn es ist die Tür zu einem weiten Raum, mit unzählig vielen Zeitschritten gefüllt. Gerade darum ist moderne Lyrik so schön, weil man sich nicht direkt ausdrückt. Es gibt auch junge Lyriker, die wenig sagen. Deswegen hat aber niemand das Recht zu verallgemeinern. Und überhaupt: uns Anfänger dürfte man nicht gleich verurteilen. Kritisieren soll man, um zu helfen, und nicht, um einzuschüchtern. Aufklärung, Klassik, Romantik usw. wurden von der Zeit verlangt. So hat auch unsere Zeit das Recht, eine neue bzw. moderne Literatur zu verlangen.“41 41 „Modern ist Zeitprodukt“. In: NBZ, 08.01.1971.
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Damit findet sich Müller in Übereinstimmung mit den Äußerungen der anderen zitierten Schüler, die allesamt ein Plädoyer für die „moderne Lyrik“ halten, die offenbar gegen schwere Kritik zu verteidigen ist. Leider werden keine Namen genannt, die Aufschluss über die Art der verteidigten Literatur geben würden; jedoch wird deutlich, dass wohl in den Schulen die Auseinandersetzung mit Texten der Moderne stattfindet und die Lernenden ermuntert werden, sich eigene Urteile zu bilden. Die Forderung, die „moderne Lyrik“ unter dem Aspekt der Zeitangemessenheit zu akzeptieren, wird in den Bemühungen um eine gegenwartsbezogene, „wirklichkeitshaltige“ Literatur speziell von der AG Banat später immer wieder erhoben. Allerdings scheinen die Formulierungen Müllers „moderne Lyrik ist so schön, weil man sich nicht direkt ausdrückt“ und „Gefühle bleiben Gefühle“ hier pro domo gesprochen – in Rechtfertigung für das lernende Experimentieren mit sprachlichen Bildern, das sich im Blick auf Müllers früheste Texte zeigt. Zum überwiegenden Teil dienen die formal modernen Texte dem Ausdruck subjektiver Befindlichkeiten, ohne auf Welthaltigkeit oder gar die Behandlung konkreter gesellschaftlicher Fragen zu zielen. Es finden sich einige Themen und Motive konventioneller Art, wobei nicht von einem direkten Anknüpfen an bestimmte literarische Vorbilder gesprochen werden kann. Das verbindet sie mit den meisten anderen Autoren ihrer Generation. Natürlich gibt es einflussreichere Vorlieben, die in den entstehenden Texten nachhallen. In der Anthologie Wortmeldungen von 1972 geben von den 22 jungen versammelten Dichtern 17 Auskunft über ihre bevorzugten Autoren. Müller nennt Hesse, Brecht, Rilke und Blaga, dabei liegt sie lediglich mit Hesse neben dem Trend. Ansonsten sind Bert Brecht mit neun, Rainer Maria Rilke mit sechs und Lucian Blaga mit sieben Nennungen die Spitzenreiter dieses kleinen Rankings. Nur Anemone Latzina wird noch ähnlich gern gelesen, nämlich von acht der Jungautoren.42 Zwei grundlegende Tendenzen der Lyrik dieser jungen Leute sind in diesen Namen schon festgelegt; einerseits die Tendenz zur sachlichen, an der Gesellschaft teilhabenden und zum eigenen Denken anregenden Dichtung. Die zeitgenössische Autorin Latzina43 nimmt durchaus mit ihren letztlich spielerischeren Texten den Stil Brechts auf: „Der Luxus des Nüchternen und der Schmuck der Schmucklosigkeit verlieh ihren Gedichten eine große Anziehungskraft.“44 Andererseits stehen die Namen Rilkes und Blagas für eine symbolhaft reich aufgeladene Dichtung, deren Formensprache die Ansprüche an die durchgebildete Schönheit eines Kunstwerkes einlöst. Wo Rilke jedoch die Sphäre des Ästhetischen, Hochzivilisierten 42 Vgl. Schneider (Hg.): Wortmeldungen, S. 139–151. Insgesamt werden 51 Namen genannt – d.h. dabei auch „Barockdichter und Expressionisten“ –, unter denen Hans Magnus Enzensberger (3), Marin Sorescu (5) und Hemingway (3) die folgenden Ränge belegen. Neben den 29 deutschen und den Dichtern der „internationalen Moderne“ sind die Rumänen mit insgesamt dreizehn Namen stark vertreten. 43 Latzina hat im Erscheinungsjahr von Wortmeldungen (1972) erst einen Eigenband veröffentlicht: Was man heute so dichten kann. Cluj 1971. Sie ist sonst in Anthologien vertreten und publiziert in Zeitungen und Zeitschriften. 44 Motzan: Lyrik 1944, S. 139.
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aufruft und Sinnstiftung in der gestalthaften Ordnung der künstlerischen Form erhofft, lässt Blaga mit der in seinem philosophischen System fußenden Dichtung, die in beschwörender Evokation kosmischer Einheit die Ursprünge in Natur, Kindheit und heimatlichem Dorf aufsucht, Natur und Kultur ineinanderfließen. Beide beziehen sich sowohl auf den christlichen als auch auf den antiken Mythos. Es ist bezeichnend, dass für die letztere Richtung keine einheimischen, rumäniendeutschen Autoren Anklang finden, denn obwohl sich die literarische Landschaft in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre stärker ausdifferenziert hatte, werden die Texte von Autoren der Zwischenkriegszeit, die wieder in die Öffentlichkeit getreten sind und an ihre Produktion von damals anschließen, nicht als vorbildhaft angesehen. Zwar ist Blaga ebenfalls einer der bis in die sechziger Jahre verfemten Autoren45, doch sind seine Werke wohl nicht vom Ruch des Provinziellen und Altbackenen umgeben. Die vitalistischen Elemente seiner Philosophie und seine Nähe zu den literarischen Strömungen nach der Jahrhundertwende, insbesondere zum Expressionismus, machen ihn zu einem attraktiven Vertreter einer der zentralen Ausprägungen der ästhetischen Moderne, deren engster Bezug auf die rumänische Kultur und Verortung im karpatho-danubischen Raum den weiten, mitunter weit entfernten, gesamteuropäischen Rahmen der Moderne auf die heimischen Gegebenheiten zumaß. Letzten Endes verlieren die – ohnehin schon kargen – symbolträchtigen, subjektiven Ansätze so viel an Boden, dass solche Anfänge keine Fortsetzung, noch nicht einmal eine Darstellung in der sehr ausführlichen Lyrik-Geschichte von Peter Motzan finden. Dieser Ton und diese Art zu dichten passen nicht recht in die Aufbruch atmende Gegenwart, zumal sie der sich allgemein durchsetzenden Verpflichtung zur kritisch-dialektischen Durchdringung der Realität nicht nachkommen. In der Anthologie Wortmeldungen ist das Spektrum der Schreibweisen etwas breiter. Drei kleine Beispiele sollen hier für die Wiederaufnahme von Volksliedformen, für die vorrangig in der Natur gespiegelte Innerlichkeit und für den nüchtern kritischen Witz des diskursdominierenden Tones der sich gerade konstituierenden AG Banat stehen:46 Ilse Hehn und ich zog mein Königskleid an und zog über sieben Berge und suchte in sieben Burgen und ich war nackt im letzten Tal
45 Der Kulturphilosoph Blaga musste 1949 von seinem Lehrstuhl zurücktreten und wurde bis zu seinem Tod 1961 nicht verlegt; erst 1962 erschien wieder ein erster Band mit Poezii. Vgl. Eva Behring: Rumänische Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Konstanz 1994, S. 256. 46 Ilse Hehn: Und ich zog mein Königskleid an; Irmgard Gabriel: Stunde; Richard Wagner: Banater Rühreilandschaft. In: Wortmeldungen, S. 22, 55 und 67.
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976) und ich sang mein Königslied und zog über sieben Berge und suchte in sieben Burgen und ich war stumm im letzten Tal und ich nahm mein Kleid und ich nahm mein Lied und vergrub alles hinter sieben Bergen hinter sieben Burgen und ich kam irgendwo an
Irmgard Gabriel Stunde Dicht bei den ewigen Brunnen, die offen euren warmen, schöpfenden Händen für das lodernde, irrende Hoffen unendlich sanftere Kühle spenden, gleitet die Stunde dämmernde Wege über den Abgrund sinkender Lider, blickloser Augen und Gesten, die träge, hörig der Qual sind und doch immer wieder, wieder das Licht, und sei es der Wolken, beschwören gegen gespenstige geisternde Tannen im Abend und gegen die welken weichen Zyklamen. Die Angst zu bannen.
Richard Wagner Banater Rühreilandschaft heut hat’s mal wieder zu regnen begonnen einer hält sich die pipatsch vors gesicht auf den strassen liegt jede menge staub die witze sind noch immer die gleichen landauf landab geistert die kerweih
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die sonne blinzelt beschämt den steifen schwabengirls zu dann und wann hör ich schritte wie von stiefeln
In allen drei Texten wird Landschaft evoziert; während Wagner ganz konkret und Hehn anspielend sich auf bestimmte Regionen festlegen, nämlich Banat und Siebenbürgen, bleibt bei Gabriel der Raum im mythisch Unbestimmten angesiedelt: „Dicht bei den ewigen Brunnen“. Das Sprechen von den Landschaften und die damit verknüpften Wertungen sind jedoch grundverschieden. Hehn bedient sich einer höchst einfachen Sprache, deren auffälligstes Stilmittel die Wiederholungen sind. Unvermittelt setzt der Text mit dem „und“ ein, suggeriert auch durch das Fehlen eines Titels den Sprung mitten in ein episches Geschehen. Die dreistrophige Komposition mit dem Achtergewicht, die formelhaften, immer wieder mit „und“ eingeleiteten Verse sowie das thematische Inventar von der Wanderung über sieben Berge und der Suche in sieben Burgen, von Königsutensilien und einer erlösenden Ankunft am Ende zitieren sowohl Märchen als auch Volkslied. Doch der reimlose Text entwirft kein geschlossenes Sinngeschehen, sondern wirft vielmehr Fragen auf: Der Ort der Ankunft bleibt ungewiss, ebenso wie Gegenstand und Beginn der Suche. Das artikulierte Ich des Textes erleidet auf der Suche Verluste, die in der letzten Strophe aus eigenem Entschluss nochmals vollzogen werden; jedoch trennt es sich, nachdem es „nackt“ und „stumm“ ohne königliche Insignien jeweils im letzten Tal angelangt war, nun vom einfachen „Kleid“ und „Lied“. Ist das der Preis der Ankunft? Der Rezipient wird mit den Unbestimmtheiten und Ungereimtheiten des Textes – denn welches „Lied“ und „Kleid“ bleiben am Ende zu vergraben?– zurückgelassen. Keinesfalls ist die Ankunft hinter sieben Bergen und hinter sieben Burgen eine glückliche, sondern eher ein ambivalentes Fügen ins Geschick. Die Trennung vom „Königslied“ und vom „Königskleid“, gefolgt von der Aufgabe der identitätsabbildenden Güter „Kleid“ und „Lied“ in der letzten Strophe sind Teil der Geschichte einer Suche, die erst mit dem Abschied ein Ankommen erlaubt. Obwohl sich hier ein Ich artikuliert, kann mit Blick auf die verwendeten Sprachformen kollektiver Sageweisen und die evozierte Landschaft Siebenbürgens der individuellen Lesart eine kollektive an die Seite gestellt werden: Die Suche des Ich lässt sich analog zum geschichtlichen Weg der Siebenbürger Sachsen lesen, deren Existenz fern ihrer ursprünglichen Heimat sich in der Perspektive dieses Textes nicht dem Festhalten am Alten, sondern dem beherzten Neubeginn verdankt. Was das für ein Neubeginn ist, kann ebenso wie für das sprechende Ich nicht eindeutig bestimmt werden. Es bleiben Zweifel. Wenig zweifelhaft ist dagegen die Position, die mit Wagners Text bezogen wird. Schon mit dem Titel „Banater Rühreilandschaft“ persifliert er die reiche Tradition der Lobgedichte auf das Banat, deren erbaulicher Zweck eben meist in der Rührung angesichts der beschriebenen Schönheit liegt. Dem dort gepflegten feierlichen Gestus läuft die betonte Alltäglichkeit in Sprache und dargestellter Szenerie von Wagners Text zuwider. In diese Normalität mischen sich allerdings einige bedenkliche Nuancen, die vor
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allem mit der Konstanz zu tun haben: Nach dem „mal wieder“ des einleitenden Verses, verweisen das „noch immer die gleichen“ in Bezug auf die Witze und das „landauf landab“ der Kerweih auf die Unerschütterlichkeit des abgeschilderten Zustandes. Im Zusammenspiel von Gedichttitel, der den Text in eine von vornherein desavouierte Gattungstradition stellt, von den genannten Realien wie der Kerweih, dem Hauptstück sozialkultureller Betätigung in den kleinen Banater Orten, oder der „Pipatsch“, der Mundart-Abteilung aus der NBZ, sowie dem Verb „geistern“, das neben dem Blinzeln der Sonne die einzige bildhafte Wendung des Textes ist, stellt sich eine Wertung ein, die nicht erst durch die letzten beiden Verse erhärtet werden muss. Die gesamte Szenerie vermittelt den Eindruck einer lange aufrechterhaltenen Kulisse, die den Horizont ihrer Bewohner einschränkt („die pipatsch vors gesicht“, nicht etwa die NBZ). Und durch die Kulisse sind dem Textsubjekt die Zeichen einer zweiten, verdrängten Realität vernehmbar, die nicht weiter spezifiziert wird, aber durch den Klang der Stiefel mit der jüngsten deutschen Geschichte verbunden ist. Im Gegensatz zu Hehn formuliert Wagner einen unzweideutigen, respektlosen Angriff auf das selbstzufriedene Dasein der Banatdeutschen und attackiert gleichermaßen dessen tradierte literarische Verklärung. Das letzte Beispiel, der Text „Stunde“ von Irmgard Gabriel, zeichnet sich durch eine stark durchgebildete Formensprache aus, die neben dem Endreim auch Assonanzen, Alliterationen und eine komplexe Syntax nutzt. Kunstvoll werden die abendliche Dämmerung und die subjektive Gestimmtheit miteinander verschränkt. Zwar spricht sich hier kein artikuliertes Ich aus, doch in der Anrede „euer“ im zweiten Vers etabliert sich ein Textsubjekt, das auf diese Weise und am Schluss mit der Rede von „Angst“ ohne Bezugsperson etwas Distanz zum Textgeschehen gewinnt. Im ersten, komplex gebauten Satz wird die gesamte Situation entworfen, während der zweite, elliptische Satz die schon angedeutete Stimmung zur „Angst“ konkretisiert. Die sehr allgemeine, eher unpersönlich scheinende Evokation der „Stunde“, die zudem Hauptagens des Textes ist, erfährt ihre Ausweitung ins Überpersönliche und Überzeitliche gleich zu Beginn durch die Lokalisierung „dicht bei den ewigen Brunnen“ und am Ende durch die Kulmination der vorhergehenden Einzelbeobachtungen im Begriff der Angst. Diese erscheint schließlich als die Grundbefindlichkeit, auf deren Hintergrund das gesamte Abendstück als existenzielle Aussprache gelesen werden muss. Auch Gabriel, deren Gedicht deutlich epigonale Züge trägt, hinterlässt wie Wagner und Hehn in ihren jeweiligen Auseinandersetzungen mit den konkreten regionalen Bezugsräumen ein eher zwiespältiges Bild von der Beziehung des Einzelnen zu den Traditionen, landschaftlichen Gegebenheiten und Prägungen: Wo bei Wagner offene Kritik ausgesprochen wird, wo bei Hehn von der recht zweifelhaften „Ankunft“ irgendwo hinter „sieben Burgen“ erzählt wird, stellt Gabriel vor den Leser eine von existenzieller Angst bestimmte Abendszene hin. Aber während Gabriel allein auf die Vermittlung dieser Stimmung in konventioneller lyrischer Form setzt und damit den tradierten literarischen Bestand der rumäniendeutschen Kultur unangetastet lässt, während sie ein Unbehagen so allgemeingültig ausdrückt, lediglich geknüpft an die Erfahrung der Vergänglichkeit und der menschlichen Machtlosigkeit gegenüber den immer gleichen Zyklen der Natur, bedienen sich Hehn und
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Wagner der interessanteren formalen Mittel, die in ihrer Neufassung des Volksliedes bzw. Persiflierung des Landschaftsgedichtes in Alltagssprache die inhaltlichen Vorstöße in Auseinandersetzung mit den literarischen Konventionen formal beglaubigen. Die schlichte klare Volksliedform und der knappe Bericht erweisen sich hier als die Schreibweisen, die den Anspruch der Neuheit tatsächlich auch einlösen können. So verschieden diese beispielhaft dargestellten Schreibweisen sind, sie alle wurden in der Anthologie Wortmeldungen (1972) vom Herausgeber Eduard Schneider in der Erwartung begrüßt, dass sie zum Bestand der zeitgenössischen rumäniendeutschen Literatur beitragen mögen: „In diesem Sinn komplexer Zusammen-Schau versucht die Anthologie ein Bild von dem Wirklichkeitsverständnis und dem lyrischen Sprech-Vermögen der jungen Banater Autoren zu geben, von deren Wortmeldungen man erwarten kann, dass sie zur Nuancierung der rumäniendeutschen Dichtung heute beitragen werden.“47
Schneider macht auch deutlich, dass von den jungen Banater Autoren keine Neuerung, sondern lediglich „Nuancierung“ verlangt wird. Doch die zeitige Förderung ermutigte viele der Nachwuchsautoren, ihren eigenen Weg zu verfolgen und sich alsbald eigene, kritische Betrachtungsweisen anzueignen, die ihren Bezugsrahmen weit über die rumäniendeutsche Literatur hinaus spannten.
3. Auftakt Unter den vorgestellten Autorinnen und Autoren ist auch Herta Müller, deren zwei Texte in dem breiten Spektrum präsentierter Schreibweisen nicht herausragen. „Legende“ und „Am Schwengelbrunnen“48 bewegen sich genau in dem Spannungsfeld zwischen Neuerungswillen, Suche nach einem individuellen Stil und tradierten Themen und Motiven. Wie in den meisten anderen lyrischen Texten Müllers auch ist die Sprache einfach, ohne komplexe syntaktische Konstruktionen oder ausgefallene Lexik. Poetische Effekte werden allein durch die Bildlichkeit erzielt. Müller, die gerade ihr Studium begonnen hat und schon als Germanistik-Studentin vorgestellt wird, hatte bis zu dieser ersten Veröffentlichung in Buchform mindestens 15 Texte vor allem in den Schüler-Seiten der NBZ und in einer Sonder-Nummer der NL vorgestellt.49 Wie zahlreiche Mitschülerinnen und Mitschüler hatte sie profitiert von den verstärkten Anstrengungen der Nachwuchsbetreuung:
47 Eduard Schneider: Meldung des Herausgebers. In: Wortmeldungen, S. 5–11, hier S. 11. 48 Am Schwengelbrunnen; Legende. In: Wortmeldungen, S. 53 und 89. 49 Laut Angabe in Wortmeldungen wurden auch Texte in rumänischer Übersetzung in der Temeswarer Zeitschrift „Orizont“ veröffentlicht. Es war nicht möglich, diese Zeitschrift in der Bundesrepublik
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976) „Am erstaunlichsten, ja geradezu phantastisch ist die große Zahl der Dichter, die auf den Seiten der Schülerbeilage zu einer Konkurrenz antreten, die in den letzten 20 Jahren innerhalb der deutschen Literatur unseres Landes nicht ihresgleichen hat: Veronika Amsel, Hedwig Andree, Nikolaus Balzer, Alfred Bohn, Uwe Erwin Engelmann, Christa Karin Fabry, Walter Färber, Franz Graß, Gertrud Grün, Adelheid Hellebrand, Claus Hermann, Helga Just, Helen Kremling, Harald Kyri, Edda Linster, Hans Lippet, Hans Matye, Hertha Müller, Gerhard Ortinau, Hedwig Portscher, Cornel Reiter, Elfriede Richter, Heilmar Roch, Gerhard Schwarz, Werner Söllner, Anton Sterbling, William Totok, Maria Solveig Vaka, Hertha Wagner, Richard Wagner, Anni Zöllner – 31 neue Namen in einem halben Jahr! (Die hervorgehobenen Autoren sind jetzt schon als ernstzunehmende Nachwuchslyriker anzusehen – und es ist keineswegs ausgeschlossen, daß die eine oder andere der NBZ-Schülerseiten nach Jahren bibliophilen Wert haben wird, weil in ihr das erste Gedicht eines bedeutenden Dichters abgedruckt wurde.)“50
Die Aufnahme in die repräsentative Anthologie zwei Jahre später lässt darauf schließen, dass Müller als sehr förderungswürdiges Schreibtalent gilt und von ihr weiterhin „nuancierende“ Beiträge zur rumäniendeutschen Dichtung erhofft werden. Mit dem Gedicht „Am Schwengelbrunnen“ kommt sie einer solchen Hoffnung ohne revolutionäre Experimente entgegen. Die idyllische Anlage des Textes und der entworfene Raum entsprechen einerseits einer älteren literarischen Tradition, während andererseits die Formensprache der Moderne zuneigt: Am Schwengelbrunnen Die Zeit wächst in die Baumrinden, das Wasser fliesst mit. Goldgelb glänzen Mais und Sonnenrosen durch dein Haar. Im Flüstern wird der Tag geschwengelt, und der Wind sucht dabei auf zertretenem Gras unsere Sonnenuhr.
bibliographisch zu ermitteln. Interessant ist, dass Schüler-Lyrik übersetzt wurde; vom Rumänischen ins Deutsche geschah das anscheinend nicht. 50 Paul Schuster: Nichtprovinzielles aus der Provinz. Zu den Beilagen der NBZ für Schüler und Studenten – II. In: NL 10/1970, S. 100–105, hier S. 104f. In der dreiteiligen Artikelfolge beschreibt Schuster recht plastisch die genannten Beilagen sowie den „NBZ-Kulturboten“, das Feuilleton der NBZ. Vgl. Paul Schuster: Nichtprovinzielles aus der Provinz. In: NL 9/1970, S. 108–110 (I); NL 10/1970, S. 100–105 (II); NL 11/1970, S. 99–101 (III).
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Eingeleitet wird der Text durch zwei Verse, die das Vergehen der Zeit in den Bildern der Baumrinden und des fließenden Wassers veranschaulichen. Der Naturraum wird auch in dem folgenden Hauptteil nicht verlassen, sondern vielmehr in ein ländliches Ambiente überführt, wofür „Mais“, „Sonnenrosen“ und das Verb „schwengeln“ Ausweis sind. Das sprechende Ich, das in der Anrede an ein Du die abendliche Zweisamkeit am Brunnen etabliert, überschreitet die Grenzen des dargestellten Raumes nicht. Selbst in der abschließenden Wiederaufnahme des Themas „Zeit“ kann nur von einer „Sonnenuhr“, die erneut Zeit und Natur integriert, die Rede sein.51 Müller stellt sich mit diesem Text in eine lebendige Tradition der Brunnen-Motivik, die im 19. Jahrhundert populäre Volkslieder hervorgebracht hat und im 20. Jahrhundert in der rumäniendeutschen Literatur durchaus noch gepflegt wird. Das weite Feld des Brunnen-Motivs reicht von der amourös bedeutsamen Begegnung am Brunnen – ein Topos biblischen Alters – über die lebenspendende Schöpferkraft bis zur Versinnbildlichung der Bindung an Vergangenheit, Vorväter und den umgebenden Kulturraum. Für letztgenannte Funktionalisierung soll als Beispiel einer der wichtigsten Texte rumäniendeutscher Dichtung des 20. Jahrhunderts dienen. Die „Siebenbürgische Elegie“ von Adolf Meschendörfer (1877–1963) aus dem Jahr 1927 ist zentral für die literarisch-ethnische Identitätsbildung und dient gerade mit ihren Anfangszeilen als wohlfeiler Zitatenschatz in der Presse, aber auch als Folie für neue Versuche, das Charakteristische am Deutschtum in Rumänien zu fassen. 52 Die Verquickung von persönlicher Reflexion eines Fünfzigjährigen, der den Herbst seines Lebens heraufziehen sieht, mit der Betrachtung der siebenbürgischen heimatlichen Landschaft zeichnet das Bild einer von Vergangenheit bestimmten Lebensweise, der nicht einmal der „fromme Bauer“ in unerschrockener Tätigkeit frische Gegenwart abgewinnen kann. Den damaligen Zeitumständen ist die große Popularität des Gedichtes geschuldet, das nach der Einordnung Siebenbürgens in den neuen Rahmen des rumänischen Staates im Jahr 1918 das Lebensgefühl der „bürgerlichen Generation“ widerzuspiegeln schien.53 Umso bezeichnender ist die starke Präsenz dieses Textes im kulturellen Gedächtnis der Rumäniendeutschen in den Jahrzehnten nach 1944. Erst recht muss die melancholische Vergänglichkeitsemphase den Nerv der in ihrem kulturellen Bestand aktuell gefährdeten rumäniendeutschen Minderheit im Rahmen des neuen rumänischen Staates treffen.
51 Der Text wurde schon 1970 in der NBZ-Schülerbeilage mit geringen Abweichungen veröffentlicht; neben anderen Zeilenumbrüchen heißt es dort „im Flüsterton“ statt „Flüstern“: Die Änderung erfolgte wohl unter rhythmischen Gesichtspunkten. Vgl. Am Schwengelbrunnen. In: NBZ, 20.11.1970. 52 Dieser Text von Meschendörfer und alle weiteren besprochenen Texte, die das Brunnen-Motiv aufnehmen, finden sich im Anhang. 53 Interpretationen deutscher und rumäniendeutscher Lyrik. Hg. v. Brigitte Tontsch. Klausenburg 1971, S. 275–279.
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An diesen enorm wichtigen Text anknüpfend weitet Dieter Schlesak 1968 mit seinem „Landschaftsversuch aus Traum“54 den Horizont wesentlich, indem er nicht nur jüngere geschichtliche Erfahrungen integriert und den Blick über die Grenzen des eigenen Lebensraumes hinaus auf die Begegnung von Orient und Okzident darin lenkt, sondern in intertextuellem Bezug andere Autoren dieses Zusammenhanges zu Wort kommen lässt. Neben Meschendörfer tritt sehr prominent Paul Celan in Erscheinung, dessen Dichtung ebenfalls in den entworfenen geschichtlichen und territorialen Kontext gehört. Die zentrale Metapher für den Lebensvollzug, das „Trinken“, bleibt an das Bild der andersrauschenden Brunnen gebunden, deren leere Eimer nur „Rührung aus Staub und Gedenken“ hergeben und letzten Endes auf das Befangensein in der Geschichte, und zwar in dieser Geschichte, als unfruchtbares Beharren auf starren, schuldbeladenen Mustern hindeuten. Die beiden Beispiele und einige weitere von Grete Groß (Irene Mokka), Claus Stephani, Richard Wagner, Raimund Binder sowie das oben vorgestellte Gedicht von Irmgard Gabriel zeigen, wie vielgestaltig produktiv das Bild-Feld „Brunnen“ in der rumäniendeutschen Lyrik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch unter den jüngeren Autoren tatsächlich noch ist55, was nicht zuletzt mit dem Vorhandensein und der Nutzung von Brunnen, also der lebensweltlichen Erfahrung damit zu tun haben mag. Müller selbst greift also mit ihrem kurzen Gedicht sowohl auf Realien des Alltagslebens zurück, als auch auf literarische Vorbilder, wobei sie allerdings die überreiche Aufladung mit symbolischen Gehalten meidet und aus dem weiten Feld das einfachste Motiv auswählt, nämlich das der abendlichen Begegnung am Brunnen, das ganz konsequent auf die allgemeineren Themen Natur, Zeit und die in ihrer Zweisamkeit isolierten Menschen darin beschränkt bleibt. Es ist wohl kaum legitim, an diesen frühen Text weitreichende Interpretationen zu knüpfen, aber deutlich ist schon, dass Müller einerseits recht gut in den Erwartungskontext um die junge Autorengeneration passt, sich andererseits an ihren konkreten Erfahrungshorizont hält, ohne an irgendeiner Stelle sich ausdrücklich auf das „Bearbeiten“ von Themen im speziellen Interesse der rumäniendeutschen Minderheit einzulassen oder gar in Heimattümelei zu verfallen. Einen ähnlich unspektakulären Zugriff erprobt Müller in ihrem zweiten Text in Wortmeldungen, „Legende“. In einer etwas längeren Fassung war das Gedicht ohne Titel schon 1971 in der Schüler-Beilage der NBZ erschienen:56
54 Dieter Schlesak: Landschaftsversuch aus Traum. In: Dieter Schlesak: Grenzstreifen. Bukarest 1968, S. 24–26. 55 Eine Auswahl von Texten (von Anemone Latzina, Franz Hodjak, Raimund Binder, Richard Wagner, Claus Stephani, Wolf Aichelburg, Irene Mokka, Dieter Schlesak) mit diesem Motiv wird im Anhang zitiert; die meisten beziehen sich auf den „Ur-Text“ von Adolf Meschendörfer. 56 „Legende“. In: Wortmeldungen, S. 89; „Ohne dich...“. In: NBZ, 19.02.1971.
Auftakt 39 Legende Die Stadt ist weit und hat ihre Legende: Wo Feuchte ist, wächst Gras, Wo Steine das Wasser lieben, ist eine Brücke. Nur wo ich aufgehe, da gehst du unter. Und keiner von uns beiden weiss warum.
Die neue Fassung akzentuiert mit dem Titel die doppelte Lesbarkeit dieses Begriffes und strafft mit den anderen Veränderungen das Textgeschehen auf das grundlegende Paradigma hin, das dann im Dreischritt mit denselben Formulierungen die topographischen Bestimmungen in ein Verhältnis zwischen Du und Ich überführt. Liest man den Titel „Legende“ als Gattungsbegriff, stellen sich die angeführten Gesetzmäßigkeiten als ganz im mythischen Raum angesiedelte Feststellungen dar, die zwanglos den Menschen und seine Stadt und Brücke in die Naturordnung integrieren. Die Legende der Stadt wäre eben dieses Erzählen von den Dingen der Natur. Im Aufgreifen der Textgattung Legende ließe sich wiederum ein Bezug auf tradierte literarische Formen sehen, deren Übertragung aus den erzählenden Genres in die Lyrik von dem Willen zum freieren Umgang mit eben diesen Formen zeugte. Mit der anderen möglichen Lesart des Begriffes „Legende“ rücken die Zusammenhänge in ein gänzlich anderes Licht; zu lesen wäre dann hier ein Lesevorgang. Die Ordnung der Stadt wird mittels einer Legende gedeutet, nur ist diese Stadt eine, deren einziger Verweis auf Städtisches die Brücke zu sein scheint und ansonsten der Natur näher als der Zivilisation steht. In die städtische Topographie – ebenso wie in die natürliche der anderen Lesart – ist auch das Verhältnis zweier Menschen zueinander eingetragen. In Analogie zu den vorhergehenden Bestimmungen, sollte auch hier ein Miteinander, das bei den Steinen sogar Liebe zum Wasser ist, erwartet werden. Doch die Dinge liegen bei den Menschen offensichtlich komplizierter, denn so wie bei Sonne und Mond, auf deren alten Topos hier angespielt wird, ist ein Miteinander ausgeschlossen.57 Obzwar dieses Verhältnis vom Textsubjekt und seinem Gegenüber unverstanden bleibt, so erschließt sich dem Rezipienten die Aussichtslosigkeit dieser Situation, vielleicht sogar mit einem komischen Effekt, der durch die Ahnungs57 Möglich ist auch die Auffassung der letzten vier Verse als Rollenrede, so dass tatsächlich von Sonne und Mond die Rede sein könnte. Natürlich würde sich dann in diesem Verhältnis das menschliche Geschick doch wieder spiegeln. Leider fehlen Anhaltspunkte für die Rollenrede, aber der Text ist auch sonst sehr knapp gehalten. In „Dämmerungseile“ nutzt Müller den verwandten Topos von Tag und Nacht, jedoch stellt sie dort die Dämmerung als Trauung beider dar: „Der Tag schenkt der Nacht / den Ehering, / und siebenmal kündet die Glocke / ihre Trauung an.“ „Dämmerungseile“. In: NBZ, 27.02.1970.
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losigkeit der Beteiligten in Bezug auf solch ein offensichtliches Faktum hervorgerufen wird. Allerdings scheint diese Komik nicht intendiert, wie auch die anderen frühesten Texte Müllers noch nichts von dem beißenden Witz der Autorin ahnen lassen. Mit dieser manchmal etwas angestrengten Ernsthaftigkeit weisen sich die Gedichte und vor allem die beiden Prosa-Versuche als typische Erstlingswerke aus. Dass diese so aussehen und nicht wie die verspielteren, mitunter vom Sprachwitz lebenden Texte der AG BanatProtagonisten, die sich neben sozialer Relevanz auch um Leichtigkeit, Eingängigkeit und Verständlichkeit bemühen, hängt wesentlich mit Müllers Sprachverwendung zusammen, die viel mehr auf die dichte Bildlichkeit setzt als auf die Vermittlung eines gedanklichen Konstrukts. Die Beherrschung der sprachlichen Mittel, die somit in ihrer Eigenwertigkeit weitaus stärker zur Geltung kommen sollen, bedarf ja nicht nur des Talents, sondern auch der Schreiberfahrung und Übung. Nicht immer also gelingen die Sprachbilder, was aufwendige Interpretationen unangemessen scheinen lässt. Während die semantische Überschneidung in „Legende“ einen gelungenen Effekt erzielt, indem die eigentlich nüchterne Sache, die topographische Legende, durch die zweite Bedeutung im Sinne einer überlieferten Erzählung in ein geheimnisvolleres Licht getaucht wird, geht die vergleichbare Konstellation in dem Text „Besprechung“ nicht recht auf.58 Besprechung Leg den Regenbogen ab! Was bunt ist, ist müde; was müd ist, ist alt. Lass den Wirbel veradern, denn immer wenn du lachst sieht man deine Zähne. Wir speisen wieder; im Tische singt der Holzwurm... wie lang noch knabbern wir an seinen Tönen?
Wieder gibt es die Möglichkeit, den Titel als schlichtes sachorientiertes Gespräch zu verstehen oder erneut als Textgattung, nämlich als beschwörenden Spruch. Die erste Strophe scheint mehr dem Beschwörungscharakter zu entsprechen mit ihrer direkten, imperativischen Ansprache eines Du. Mit einer Frage endet das Gedicht, das insgesamt von Vergänglichkeit redet: „müde“, „alt“, der „Holzwurm“, dessen „Gesang“ üblicher58 Besprechung. In: NBZ, 12.11.1972 (Universitas).
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weise als das Ticken der Totenuhr gilt – diese semantische Reihe führt dann zu der unsicheren Frage, wie viel Zeit noch bleibt. Das sprechende Ich artikuliert sich hier nur als Wir, so dass der ganze Text von einer überpersönlichen Allgemeinheit bestimmt wird, die eher banal wirkt und ein wenig ungeschickt präsentiert. „Besprechung“ ist das letzte in der Reihe der Schüler-Gedichte, die im Herbst 1972 endet. Freilich ist es schon in der Studenten-Beilage gedruckt, doch es ist noch ganz im Ton der vorhergehenden Texte gehalten. Müller hatte gerade ihr Studium aufgenommen und war wohl aus den Fördermaßnahmen für Schüler heraus gleich als willkommene Beiträgerin zu Universitas, der Studenten-Beilage der NBZ, empfangen worden. Nachdem im Jahr 1973 nur eine Veröffentlichung, nämlich „Das gehört dazu“ erfolgte, kam 1974 der dritte und letzte Beitrag zu Universitas heraus. Es handelt sich dabei um „Brief von/an Doppelgänger“ und „Ich wäre nie daraufgekommen“, letzteres ein Prosatext, der um die winterliche Kälte und die Wärme des Schnees auch in auf die Gesellschaft übertragener Bedeutung kreist.59 Diese beiden Stücke fallen etwas aus dem Rahmen sowohl der früheren als auch der späteren Texte, insofern sie als einzige explizit die Problematik des Individuums in seinem Verhältnis zur Gesellschaft reflektieren. Vermutlich sind hier Anregungen durch das Studium und die Mitarbeit in dem „arbeitskreis 74“ eingegangen, der am Ende der Seite vorgestellt wird.60 Ausdrücklich wird als eines der Ziele genannt: „keine einzelgänger für uns und andere zu sein“, als habe Müller ein programmatisches Gedicht für den Arbeitskreis geschrieben oder dieser sich mit seiner Bestimmung besonders gut in „Brief von/an Doppelgänger“ spiegeln lassen. Brief von/an Doppelgänger I. Du bist ein Einzelgänger es ärgert mich dass ich mit dir vertauscht werde. II. Du bist kein Einzelgänger, es freut mich dass ich mit dir vertauscht werde.
59 Brief von / an Doppelgänger; Ich wäre nie daraufgekommen. In: NBZ, 20.01.1974 (Universitas) sowie: Das gehört dazu. In: NBZ, 25.11.1973 (Universitas). 60 „arbeitskreis 74 unser programm: 1 wir haben kein programm wir sind ein arbeitskreis 2 wir schreiben 3 lesen und diskutieren im universitätsklub 4 und nicht nur da 5 um: keine einzelgänger für uns und andere zu sein 6 deshalb: im sagen verschieden auf gemeinsamem Nenner: jetztundhier: gerlinde ballmann – michael bleiziffer – richard didicher – peter grosz – hertha müller – balthasar waitz ...auf weitere warten...“ In: NBZ, 20.01.1974 (Universitas).
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Der kurze zweiteilige Text, gewissermaßen mit zwei nummerierten Kapiteln, beleuchtet die Empfindungen angesichts des Einzelgängertums von zwei Seiten, aus der Sicht des Einzelgängers und aus der Sicht des in die Gesellschaft wohl integrierten Individuums. Weil beide aber Doppelgänger voneinander sind, d.h. untrennbar zusammengehören, sind sie, die eigentlich grundverschieden sind, zum Verwechseln ähnlich. Im Grunde sind hier die widerstrebenden Tendenzen eines jeden Subjektes beschrieben; jedoch ist die dialektische Konstruktion, die sicherlich auf die weit verbreitete Brecht-Rezeption zurückgeführt werden kann61, nicht konsequent bis an ihre Grenze ausgereizt. Der Begriff „Einzelgänger“ behält letztlich seine negative Konnotation, so dass keines der beiden Textsubjekte, die ja vielleicht doch nur zwei Seiten einer Person repräsentieren, mit dem „Einzelgänger“ verwechselt werden möchte, nicht einmal der Einzelgänger, der auch lieber kein Einzelgänger wäre. Hier wird also nicht in dialektischer Manier die Notwendigkeit einer allseitigen Betrachtung vorgeführt, die zu keinem zweifelsfreien Urteil gelangt, sondern die sozusagen in ein dialektisches Gewand gekleidete Beobachtung, dass auch der dringende Wunsch nach Teilhabe an einer Gemeinschaft nicht allein dadurch in Erfüllung geht. Ganz anders wird diese Frage in dem Prosatext behandelt: Ich wäre nie daraufgekommen Jetzt bin ich ausgerutscht, dieses Glatteis! Ich hätte zu Hause bleiben sollen, hinterm Ofen. Aber das Brot, dieses Brot ist mir ausgegangen. Doch ich hätte zu Hause bleiben sollen. Jetzt kann ich kaum aufstehen. Warum bin ich überhaupt ausgegangen? Aber das Brot, dieses Brot ist mir doch gar nicht ausgegangen. Ich kaufe es nur so, täglich, denn man soll Brot im Haus haben, nie soll es ausgehen, das Brot, denn es ist warm, es wärmt und nährt. Und wer will nicht gewärmt sein. Man sagt, auch der Schnee wärme, die Saat, und die Saat ist das Brot. Man sagt aber nicht, der Schnee wärmt das Brot, und man denkt es auch nicht. Als hätte der Schnee es verboten, das zu denken. Aber der Schnee kann nichts verbieten, er kann sich die Wärme nicht verbieten, die er der Saat spendet, und das Brot kann sich die Wärme nicht verbieten, die er der Saat spendet. Und wenn der Schnee auch uns Menschen wärmen würde, müssten wir im Winter kein Brot essen. Ich wäre heute nicht ausgegangen, ich wäre heute nicht hingefallen. Ich hätte heute nicht gespürt, dass der Schnee mir seine Wärme verweigert. Ich hätte heute nicht darüber nachgedacht, ich hätte nie darüber nachgedacht, dass der Schnee nur das Brot wärmt. Ich hätte gelacht, wenn ein anderer hingefallen wäre, und hätte mein Brot nachhause getragen, und ich hätte nachgedacht, und ich hätte mein Brot gegessen und hätte gespürt, dass es Wärme spendet, und ich hätte noch immer darüber nachgedacht, dass der Schnee nur die Saat wärmt, nur das Brot wärmt und dass er mir seine Wärme verweigert, weil ich kein Brot bin. Ich wäre nie daraufgekommen, dass das Brot Brot ist, weil der Schnee es wärmt und weil es diese Wärme weiterspendet. Ich hätte nie daran gedacht, dass auch ich die Wärme weiterspenden müsse, solchen, die lachten, weil
61 Müller führte in Wortmeldungen Bert Brecht als einen von ihr bevorzugten Autor an.
Auftakt 43 ich hingefallen bin, denn sie lachen, weil sie kalt haben, weil sie noch nie dazugekommen sind, nachzudenken.
Die Erkenntnis am Ende ist nicht überraschend, dass man „Wärme“ spenden müsse, damit sich das Zusammenleben aller verschönere. Denn es sei ja nur deshalb so unerquicklich, weil die Menschen diese Wärme nicht besitzen. Interessant an dieser Reflexion ist die sprachliche Gestalt, die deutlich auf die dann nicht mehr so harmlosen Erzählungen Müllers vorausweist. Die betont einfache Sprache, die mit den immer gleichen Formulierungen denselben Sachverhalt hin- und herwendet und bis zu der gewonnenen Einsicht treibt, wird in den kurzen, satirischen Texten über das Dorfleben wiederaufgenommen. Zum Beispiel „Das schwäbische Bad“, „Meine Familie“ und „Dorfchronik“ bedienen sich der gleichen Verfahrensweise, jedoch tauchen dort die langen Konditionalsätze mit ihren zahlreichen Konjunktiven nicht auf, weil kein Nachdenken über ein Problem stattfindet, sondern nurmehr die schiere Beobachtung. Das Textsubjekt schildert treuherzig ab, was ihm vor die Augen und die Ohren kommt und nutzt dergestalt die Möglichkeiten der Erzählperspektive, um Wertungen zu treffen, und spricht diese nicht direkt aus wie im vorliegenden Beispiel. Die Form der monomanischen Erörterung bedingt die komplexeren Satzstrukturen und erinnert stark an den Stil Thomas Bernhards. In einem späteren Interview schildert Müller, wie dieser Autor einen tiefen Eindruck auf sie gemacht habe.62 Die beiden letzten Veröffentlichungen von Lyrik verdanken sich demselben Anlass: Bei einer Sitzung des Literaturkreises Adam Müller-Guttenbrunn Anfang 1976 liest Müller neuere Gedichte vor, von denen drei in den NBZ-Kulturboten, das Feuilleton der NBZ, aufgenommen werden.63 Auch der letzte Auftritt als Lyrikerin in der Presse, und zwar in der Rubrik „Junge Talente“ der Zeitschrift Volk und Kultur (VK), zehrt von dieser Lesung und bringt fünf Texte.64 Gerade in dieser Zeit beendet sie ihr Studium mit einer Diplomarbeit über Wolf Aichelburg. Im Alter von 15 Jahren hatte sie in den Schülerseiten der NBZ debütiert, nun, im Alter von dreiundzwanzig, stellt sie gewissermaßen die Summe ihrer lyrischen Tätigkeit vor. Die NBZ berichtet: „In der Aussprache, die Nikolaus Berwanger leitete, wurde danach getrachtet, eine nuancierte Beurteilung der Lyrik der jungen Autorin zu geben, die seit ihrem Debüt in der ‚Neuen Banater Zeitung‘ und in der Anthologie ‚Wortmeldungen‘, wie anhand der Texte aufgezeigt werden konnte, 62 „Ich hatte natürlich gelesen; ich hatte Thomas Bernhard gelesen, Das Kalkwerk, Die Verstörung. Das waren Bücher, die mir seinerzeit mit ihrer Sprache richtiggehend ins Genick gesprungen sind. Ich konnte zwei, drei Seiten lesen und mußte aufhören, weil ich die Sprache so überwältigend fand, daß ich sie nicht ertragen konnte.“ Alles, was ich tat, das hieß jetzt warten. Die ausgewanderte rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller im Gespräch mit Klaus Hensel. In: Frankfurter Rundschau, 08.08.1987. Die Häufung der Konjunktive bei Bernhard verdankt sich jedoch eher der indirekten Rede als dem Konditional. 63 Woher; Verhindert; Niemals. In: NBZ, 04.03.1976 (NBZ-Kulturbote). 64 Täglich; Und auch andere; Allerweltpronomen; Woher; Der Reihe nah [!]. In: VK 8/1976, S. 39.
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976) eine Entwicklung mitgemacht hat. Hervorgehoben wurde der persönliche Ton, der ungeschminkt ehrliche Charakter dieser Gedichte.“65
VK konstatiert: „Aus der Selbstbefragung und aus der Befragung ihrer Umwelt leitet sie eigenwillige und tiefsinnige Antworten ab.“66 „Eigenwillig und tiefsinnig“ heißt wohl, dass ihre Texte es dem Rezipienten nicht ganz leicht machen und wirklich einen eigenen Stil haben, der weder auf bestimmte Vorbilder festgelegt werden kann noch in Produktionszusammenhängen mit gleichaltrigen Autoren steht. Im Oktober des Jahres zuvor war die AG Banat aufgelöst worden, gefolgt von einem zeitweiligen Publikationsverbot für die Mitglieder, und deshalb suchte die vielversprechende Nachwuchsriege der Autoren nach und nach den engeren Anschluss an andere Einrichtungen, in denen der Austausch über Literatur stattfinden konnte. Der Literaturkreis Adam MüllerGuttenbrunn bestand schon seit 1968 und bot einen institutionellen Rahmen für ein solches Gespräch. Auf diese Weise konnte eine gewisse Öffentlichkeit hergestellt werden, zudem wurden Kontakte gepflegt und die Beteiligung, möglichst auch Mitbestimmung am literarischen Leben gesucht.67 Der Literaturkreis veröffentlichte auch selbst Anthologien, in denen seine Mitglieder zu Wort kamen. So erschienen z.B. 1979 der Band im brennpunkt stehn und die Sammlung schwäbischer Dialektlyrik Fechsung.68 1982 folgte dann das „Jahrbuch des Literaturkreises Adam Müller-Guttenbrunn“ Pflastersteine. Solche Editionen bieten einen guten Überblick über die sehr disparaten Vorstellungen, Fähigkeiten und Schreibweisen der vertretenen Mitglieder. Hauptsächlich bestand die Arbeit jedoch in Treffen, auf denen Lesungen stattfanden, mitunter begleitet von Referaten zu den Texten, es wurden Vorträge gehalten und Diskussionen zum Gehörten veranstaltet. Nur dieses eine Mal im Jahr 1976 präsentierte Müller lyrische Texte in diesem Rahmen, ab 1978 trat sie mehrmals mit Prosatexten auf und wurde in den Folgejahren zu einem der hervorragenden Mitglieder.
65 NBZ, 22.01.1976. 66 Vgl. VK 8/1976, S. 39. 67 Wagner z.B. war anscheinend seit 1969 Mitglied des AMG-Literaturkreises, später Ende der 70er stellvertretender und in der Saison 1981/82 sogar Vorsitzender des Kreises, bis er seinen Posten aus Protest gegen einen „inszenierten Zwischenfall“ (Hausdurchsuchung bei einem Kollegen) niederlegte und im Herbst 1983 gemeinsam mit anderen Autoren den Literaturkreis verließ. Im KLG wird vermerkt, Wagner sei erst Anfang der 80er in den „offiziellen Temeswarer Literaturkreis Adam Müller-Guttenbrunn“ eingetreten – die NBZ verzeichnet jedoch schon seit 1969 seine Mitgliedschaft und recht regelmäßige Beteiligung. Vgl. Gerhardt Csejka: Richard Wagner. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. München 1978 ff. Müller wird erst ab 1976 im Zusammenhang mit dem AMG genannt. 68 Im Brennpunkt stehn. Lesebuch mit Beiträgen der jungen und jüngsten Mitglieder des Temeswarer Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Anton Palfi. Temeswar 1979; Fechsung. Lyrische Texte in banatschwäbischer Mundart. Hg. v. Ludwig Schwarz. Bukarest 1979.
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4. Sprachskeptischer Ausklang Im Jahr 1976 galt Müller jedoch noch als „Junges Talent“ und musste zu einer Lesung erst ermuntert werden.69 Die sieben Texte, die im Nachgang dieser Lesung veröffentlicht wurden, unterscheiden sich signifikant von den vorhergehenden Gedichten. Sie zeugen nicht nur von persönlicher Reife und einer größeren sprachlichen Souveränität, sondern ebenso von einem neuen Stand im Bewusstsein von den sprachlichen Mitteln und dichterischen Möglichkeiten. Dass dieses Bewusstsein ein wesentlich kritisches ist, das die Fortsetzung der lyrischen Produktion zweifelhaft erscheinen lässt, mag sich erst in der historischen Rekonstruktion der künstlerischen Biographie Müllers vollkommen schlüssig darstellen, doch muss das „Ende der Gedichte“ im Rückblick mitgelesen werden. Die wenigen Texte selbst bieten allerdings genug Anhaltspunkte, die auf den Problemhorizont verweisen. „Niemals“, „Täglich“, „Und auch andere“, „Allerweltpronomen“ sowie „Der Reihe nah“ [!] lassen ein Ich über seine verwickelte Beziehung zu einem Du respektive zu einem Er sprechen. „Verhindert“ nimmt unter den sieben vorliegenden Texten eine Mittelstellung ein, weil es schon vom authentischen Ausdruck wegstrebt und sprachreflexive Momente aufführt, während dieses Nachdenken über die Sprache in „Woher“ explizit erfolgt. „Allerweltpronomen“ wiederum verschränkt beide Themen. Keines dieser Gedichte ist wie auch die früheren Texte Müllers strophisch gebaut, enthält Reime oder macht sonstige Konzessionen an den „schönen Klang“. Formale Schönheit soll ausdrücklich vermieden werden. Einzig erkennbares Formprinzip sind formelhafte Wiederholungen wie zum Beispiel in „Täglich“70:
69 „Nikolaus Berwanger hat mich einmal richtig gezwungen, meine Gedichte im Temeswarer Literaturkreis zu lesen. Damals hat mir Richard Wagner Mut gemacht, weiter zu schreiben.“ In: Annemarie Schuller: „Und ist der Ort wo wir leben“. Interview mit Herta Müller. In: Reflexe II, S. 121– 125, hier S. 124. Die Gedichte wurden, abweichend von den Üblichkeiten, durch den Schauspieler Hans Kehrer vorgetragen. Vgl. dazu Berwanger: „Die Aktionsgruppe Banat (1972–1975), gegründet in den Redaktionsräumen der Neuen Banater Zeitung, begann ihr revolutionierendes Programm, das wir als Rundtischgespräch abdruckten, obzwar das selbst damals gar nicht so einfach war. Der Gruppe gehörten u.a. an: Wagner, Totok, Lippet und Bossert. Nicht dazu gehörte Herta Müller, deren späterer Weg zur besten jungen Prosaautorin der rumäniendeutschen Literaturszene überhaupt, damals allerdings noch nicht vorauszusehen war. Ja, einige Autoren waren sogar der Meinung, daß sie talentlos sei, und ich erinnere mich an sehr lange und harte Gespräche mit der eingeschüchterten Schülerin des Lenaulyzeums, die damals das Schreiben endgültig aufgeben wollte. Ob ich ihr tatsächlich einmal gedroht habe, sie durchzuhauen, wenn sie auf das Schreiben verzichte, weiß ich heute nicht mehr, obschon Herta Müller das sogar in einem retrospektiven Zeitungsinterview geschildert hat.“ Nikolaus Berwanger: Zur banatdeutschen Literatur 1944–1984. Betrachtungen – Feststellungen – Erinnerungen. In: Beiträge zur deutschen Literatur in Rumänien seit 1918. Hg. v. Anton Schwob. München 1985, S. 19–30, hier S. 24. 70 Täglich. In: VK 8/1976, S. 36.
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976) Täglich kommt ein Tag mich besuchen. Ich öffne ihm die Tür. Ich biete ihm einen Stuhl an. Er setzt sich nie. Er hilft mir meine Arbeit beenden. Er hilft mir mein Essen zubereiten. Er isst und trinkt mit mir. Wenn er abends nachhause geht, wenn ich mich niederlege, wenn ich nicht einschlafen kann, dann sagt mir ein leeres Zimmer, dass du dieser Tag bist.
Die Verse 2 und 3 beginnen ihre parallelgeführten Sätze jeweils mit „Ich“, Vers 4 bis 7 enthält die Tätigkeitsbeschreibungen des „Er“, dann in Vers 8 bis 10 werden die Konditionalbestimmungen dreimal mit „wenn“ eingeleitet – und erst nach dieser Spannungssteigerung erfolgt die Auflösung des Rätsels, das der Text dem Rezipienten aufgibt, nämlich die Identität von „Er“, „Tag“ und „Du“. In der scheinbaren Alltäglichkeit des geschilderten Tagesablaufes verbirgt sich die ganz besondere Beziehung zwischen Ich und Du, deren Charakter und Wert erst mit der Abwesenheit des Gegenüber erkennbar wird. Erst dann, wenn Tag bzw. Du gegangen sind, fällt die Leere des Zimmers im Gegensatz zum angefüllten Tag auf, so dass die Bedeutung des Du durch die Identifikation mit „Tag“ ins Elementare vergrößert wird. Umgekehrt erhält schon der Tag ein persönliches Gepräge, indem die Personifikationen seine Teilnahme an den gewöhnlichsten Verrichtungen hervorheben und diese dadurch adeln. Das Bild der unauflösbaren gegenseitigen Durchdringung von Alltag und Beziehung von Ich und Du wäre ein wahres Idyll, wenn nicht das Bewusstsein davon sich beim Ich täglich im Nachhinein einstellen würde. Der unspektakuläre Glückszustand erlaubt keine Erkenntnis, so dass die Erkenntnis immer zu spät kommt. Die Begrenztheit der häuslichen Idylle wird überschritten, jedoch mit der Hoffnung auf die tägliche Wiederholung. Das in „Niemals“71 entworfene Bild ist dem eben betrachteten völlig entgegengesetzt, zeigt es doch ein Feuer und zwei Menschen – nämlich das artikulierte Ich und das angesprochene Du – in bedrohlicher Wildnis mit Wölfen:
71 Niemals. In: NBZ, 04.03.1976.
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Niemals Lösch unser Feuer aus, wenn es brennt, finden uns die Wölfe gleich, bevor wir noch diesen Sand getrunken haben, der unsere Körper wärmt. Deine Augen sind wieder verletzt vom Unaussprechlichen. Lösch unser Feuer aus, wenn es brennt, finden uns die Menschen gleich, wir müssen doch noch die Farbe finden, in die wir das Vergessen tauchen, und das Gefäss, in dem es nicht ertrinkt. Meine Wärme ist nicht für dich. Vielleicht für einen Fremden. Lösch unser Feuer aus, unsere Worte schämen sich im selben Hemd wie gestern. Ich zeige dir meine nackten Brüste, doch lösch unser Feuer aus. Und dann Auch mein nacktes Gesicht.
In der Parallelanordnung von „Wölfen“ und „Menschen“ wird suggeriert, dass diese Wildnis zugleich die der menschlichen Gesellschaft ist. In vierfacher Wiederholung fordert das Ich: „Lösch unser Feuer aus“, damit Wölfe und Menschen die gefährdete Zweisamkeit nicht von außen zerstören. Auf einen inneren Grund beziehen sich hingegen die dritte und die vierte Mahnung: „unsere Worte schämen sich/ im selben Hemd wie gestern“. Die Worte, d.h. die Rede der beiden in der Wildnis Abgeschiedenen, gehören dem analogischen Konstruktionsprinzip zufolge einer mit Misstrauen und Abwehr wahrzunehmenden Sphäre an. Aufgrund des Eingangsbildes der ums Feuer schleichenden Wölfe72 und der refrainartigen Verwendung der Bitte wird diese GefahrenKonnotation auf die „Menschen“ und die „Worte“ übertragen, auch wenn im letzten Drittel von Scham die Rede ist. Paradoxerweise verbindet sich die Scham mit den gesprochenen Worten und nicht mit dem intimen Beisammensein; die Begründung dafür liegt wohl in der Konventionalität der Rede, denn in der Wiederholung, der Wiederaufnahme des schon einmal Gesagten, noch genauer in der Einkleidung der Worte ist das beschämende Moment zu sehen. Insofern wären die Worte die letzten Ausläufer der in die Zweisamkeit der beiden hineinragenden Gesellschaft, die ja wesent72 Logisch nicht ganz einleuchtend – wie sicherlich jeder Leser von Abenteuerromanen weiß, muss man gegen wilde Tiere das Feuer am Brennen halten. Aber Sand ist auch nicht trinkbar.
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lich auf Übereinkünften beruht. Und noch einmal in paradoxer Wendung soll diese missliche Situation der in Konvention zur Peinlichkeit erstarrten Sprache durch das Löschen des Feuers behoben werden. In sachlicher Hinsicht sind also mehrfache Fehlschlüsse in den Text aufgenommen: Feuerlöschen gegen Wölfe und Worte. Was dann bleibt, sind die ganz auf sich und ihre Körperlichkeit zurückgeworfenen Menschen ohne sozialen Kontext, ohne das Instrument der Sprache und dann im Dunkeln auch ohne den intellektuellsten der Sinne, den Gesichtssinn. Dies wird in den letzten vier Versen in doppeldeutiger Wendung weiter ausgeführt: „Ich zeige dir meine nackten Brüste, / doch lösch unser Feuer aus. / Und dann / Auch mein nacktes Gesicht.“ Das „auch“ lässt sich sowohl auf das Zeigen als auch auf das Auslöschen beziehen, so dass einerseits die Preisgabe des Innersten des Ich, gemeint mit dem „nackte[n] Gesicht“, und andererseits das gleichzeitige Verlöschen der Individualität in diesem Akt anklingen. Der Text dringt also von einem äußeren Rahmen in die inneren Strukturen einer intensiven Begegnung vor, wobei eine der zurückgelassenen äußerlichen Bestimmungen die Sprache ist. Schon in „Niemals“ findet sich demnach eine Spur sprachkritischen Denkens, jedoch eher als Topos der Dichtung, die verstummen muss wie alles Sprechen, wo es keine Worte mehr zu geben scheint für die starken Emotionen oder das Fassungsvermögen übersteigende Erfahrungen. Dieser Unsagbarkeitstopos wird in „Niemals“ und „Woher“ auch explizit aufgerufen mit dem Begriff „unaussprechlich“ bzw. das „Unaussprechliche“. Tatsächlich selbstreflexiv wird die dichterische Rede auf diese Weise noch nicht. Ein Text, der auf eine solche Position hinarbeitet, ist „Verhindert“73, der in knappen acht Zeilen vorführt, wie aus den Strukturen der Sprache selbst ein lyrischer Text entwickelt werden kann: Verhindert Denn als die Zeit da war, da hatten wir keine Zeit. Und als es dann endlich soweit war, da blieb es dennoch so weit. Und als dann nichtsmehr im Weg lag, da fanden wir nichtmehr den Weg.
In steter Umkehrung eines positiven Befundes wird dreimal in den jeweils nachfolgenden Negationen – hier wird erneut mit formelhaften Wiederholungen gearbeitet – ein Begründungszusammenhang in Bezug auf den Titel „Verhindert“ hergestellt. Das Fehlen jeder Konkretion verweist nachdrücklich auf die Sprachgestalt selbst zurück, so dass 73 Verhindert. In: NBZ, 04.03.1976.
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umso deutlicher das Bauprinzip hervortritt. In jedem Abschnitt werden einzelne Sprachelemente aus dem ersten, positiven Teil im zweiten, negierenden Teil aufgenommen, so zunächst „Zeit da“ und „da [...] keine Zeit“, im folgenden „soweit“ und „so weit“ sowie zum Schluss „nichtsmehr im Weg“ und „nichtmehr den Weg“. Mit dieser Vorführung geradezu einer Sprachmechanik scheint Vertrauen in das Material der Sprache demonstriert zu werden; gewissermaßen selbstständig generiert es aus sich heraus eine Aussage und im nächsten Atemzug das Gegenteil. Spätestens das insgesamt negative Ergebnis, nämlich Verhinderung und Stagnation, weckt zumindest Misstrauen, kann doch wenig Verlass sein auf ein System, das so leicht für die mühelose Funktionalisierung seiner einzelnen Bestandteile in je diametral entgegengesetzter Aussage-Absicht taugt. Zur ausdrücklichen Behandlung des Sprachproblems kommen allerdings nur die beiden Texte „Woher“ und „Allerweltpronomen“, so dass die weite Perspektive auf das Ende der Lyrik bei Müller und den Gattungswechsel recht spekulativ erscheinen mag. Viel deutlicher als diese beiden Texte kann allerdings kaum ein literarischer Text über seine eigenen sprachlichen Grundlagen ins Zweifeln geraten. Emphatisch ließe sich hier sogar von Müllers „Chandos-Brief“ sprechen, da diese Gedichte nicht allein von dem schwindenden Zutrauen in die unhintergehbare Abbildungsfähigkeit der Sprache handeln, sondern tatsächlich am Wendepunkt einer Künstlerbiographie stehen. Bei näherer Betrachtung bleibt der Vergleich auf diese beiden Momente zu beschränken, zumal die in Hofmannsthals historischer Fiktion inszenierte radikale Absage an jegliche literarische Betätigung bei Müller keineswegs gegeben wird. Auch wird nicht annähernd die erschütternde Wucht entfaltet, mit der Hofmannsthal seinen Chandos den Sprachverlust an der Schwelle zur Moderne äußerst eloquent beschreiben lässt. Überhaupt geht es in Müllers Texten dann nicht um die letzte Konsequenz des Schweigens, sondern die formulierten Zweifel halten die Schwebe zwischen dem Ungenügen der Sprache und ihrer Notwendigkeit. Doch das fundamentale Unbehagen, das von der ästhetischen Moderne angesichts der Sprachkrise formuliert und dann in neue literarische Verfahrensweisen überführt wird, verbindet über 74 Jahre hinweg die Gedichte Müllers mit dem „Brief“ Hofmannsthals. Vielleicht liegt hier genau der Punkt, an dem Müller von einer epigonal modernen Dichtung, die vor allem in der Nachgestaltung formaler Besonderheiten die Annäherung sucht, zu einer auch substanziell modernen Schreibweise findet. In dieser Neubestimmung des Schreibens Herta Müllers liegt der individualbiographische Nachvollzug literaturgeschichtlicher Entwicklungsgänge. „Allerweltpronomen“74 verfolgt zwei Fragen gleichzeitig: Einerseits soll geklärt werden, warum die drei grammatischen Personen Ich, Du und Wir als lebendige Personen in einem unverständlichen Verhältnis zueinander stehen, andererseits wird die Rolle der Grammatik für das reale Miteinander und die Gemeinsamkeit einer Liebesbeziehung in Frage gestellt:
74 Allerweltpronomen. In: VK 8/1976, S. 36.
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Sprachsuche. Lyrik (1969–1976) Allerweltpronomen Das Ich kann es nicht sagen, wer ich bin. Das Du erfasst nicht, wer du bist. Das Wir drückt ein Verhältnis aus für ich und du und löst das Rätsel nicht von mir und nicht von dir. Denn in den Nächten ist es mit der Syntax aus. Wenn du und ich und wir uns nicht durchschauen, so liegt das nicht zuletzt am Allerweltpronomen.
Die Grammatik mit ihren Stereotypen kommt ihrer Aufgabe der Wirklichkeitsabbildung in der Sprache nicht nach, wie sich hier in der doppelten Bedeutung von Ich, Du und Wir als grammatischen Kategorien einerseits und als ontologischen Kategorien andererseits offenbart. Die Personalpronomina haben keine Benennungskraft und schon gar kein Potenzial zur Wesensbestimmung der gemeinten Menschen, sind sie ja doch jenseits aller spezifischen Eigenschaften für jeden gleich. Sie stehen anstelle des Individuellen, nämlich „für den Namen“. Der Titel des Gedichtes bezieht sich auf diesen Mangel, der eine Auflösung der grundlegenden Verknüpfung von Zeichen und Bezeichnetem allein aufgrund der sprachlichen Strukturen konstatiert – die Grammatik beruht auf ihrer Universalität, in strenger Lesart auf der Beliebigkeit der Zuordnung zu ihren lebensweltlichen Korrelaten. Das Prinzip der Arbitrarität75 wird in diesem Text über seine linguistische Geltung hinaus in erkenntnistheoretische Zusammenhänge gestellt und in Übertragung auf eine konkrete Konstellation zweier Menschen zur Beschreibung dessen, dass manche zwischenmenschliche Regung jenseits des sprachlich Vermittelbaren liegt. Das Leben übersteigt die sprachlichen Möglichkeiten, doch mit der durchgängigen Betrachtung der Grammatik geht das Gedicht weit über den Unsagbarkeitstopos hinaus, indem das prinzipielle Ungenügen der Sprache zur Sprache kommt. Darüber hinaus handelt der Text auch schlicht von der unauflösbaren Rätselhaftigkeit, die der Mensch sich selbst und anderen gegenüber an den Tag legt sowie von dem noch größeren Rätsel der Liebe. Wenn Ich, Du und Wir als ontologische Kategorien gelesen 75 Auch diese Neuigkeit ist schon älter und steht am Beginn der ästhetischen Moderne. Vgl. Ferdinand de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin 21967.
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werden, dann stellt das Ich genau diese Erkenntnisunfähigkeit fest: „Das Ich kann es nicht sagen, wer ich bin,“ heißt eben nicht nur, dass das Pronomen für die erste Person Singular das Wesen des Sprechenden nicht ausdrücken kann, sondern auch, dass dieser Sprechende sich selbst nicht sprachlich verfügbar ist. Ebenso verhält es sich mit dem Du, das sich genauso wenig selbst erkennt. Zusammengeführt im bewusste Gemeinsamkeit verheißenden Wir, bleiben die beiden im Kollektivum lediglich einander zugeordnet, für sich selbst jeweils auch nicht durch das entstandene Verhältnis transparenter. An sich und in seinen Relationen ist der Mensch sich selbst nicht erkennbar. Der Gedichttext gibt dafür eine zunächst sprachliche Begründung: „Denn in den Nächten/ ist es mit der Syntax aus.“ Die Sprache als logische Ordnung versagt vor den irrationalen, letztlich nicht in sprachlichen Strukturen domestizierbaren Trieben des Menschen, hier regiert die dem Logos abgeneigte Dunkelheit der Nacht. In den letzten, vom Hauptteil des Textes abgesetzten fünf Versen, findet explizit die Schuldzuweisung an die Sprache statt für die Fremdheit des Ich und des Du sich selbst gegenüber sowie der Fremdheit, die selbst in den engsten Verhältnissen bleibt. Hier ist deutlich nicht die Rede von den anfangs mit Majuskeln eingeführten grammatischen Begriffen, sondern von den real hinter den Pronomina existierenden Menschen: ich, du und wir. Schuld soll die Sprache sein, wenn die Menschen sich selbst und einander nicht verstehen. Das könnte wohl ein pathetisches Bekenntnis zur Lebendigkeit des Lebens gegenüber dem toten Buchstaben der sprachlichen Ordnung sein oder einfach eine hübsche Ausrede, die dem Rezipienten trotz ihrer Gewitztheit durchschaubar ist. Mit einem unzweifelhaften Pathos dagegen spricht „Woher“76 von der Sprachnot. Das offensiv den Text eröffnende Ich rechtfertigt seinen Sprachgebrauch, indem es auf die Wahrheit in seiner Rede verweist. Zugleich konzediert es die eigentliche Unzugänglichkeit der Phänomene für deren sprachliche Bewältigung, indem die „Unaussprechlichkeit“ ins Feld geführt wird: Woher Ich kann den Zweifel Doch nur Zweifel nennen. Und die Maske nur Maske. Hilflosigkeit ist unaussprechlich. Dennoch hat sie einen Namen. Kinder weinen seit Jahrtausenden Mit denselben Lauten. Ich kann die Gewalt Doch nur Gewalt nennen. Und den Schrei nur Schrei. Woher sollte ich die neuen Wörter nehmen? 76 Woher. In: NBZ, 04.03.1976 sowie in: VK 8/1976, S. 36.
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Hier erscheint das Verhältnis zwischen Namen und Ding einerseits eines der willkürlichen Zuweisung, andererseits ein nun notwendig festes Verweisungsverhältnis zu sein. Wenn also der Name für etwas existiert, dann gilt er ausschließlich. Der Rechtfertigungsgrund liegt also nicht vorrangig im Druck einer Sprachkrise, sondern vielmehr in dem Vorwurf, gegen den das Ich seine Verteidigung vorbringt. Wofür stehen denn die Namen, die offensichtlich nicht gebraucht werden sollen? Es geht um die unangenehme Realität: „Zweifel“, „Maske“, „Hilflosigkeit“, „Kinder weinen“, „Gewalt“ und „Schrei“. Dass diese Reihe mit dem Begriff des Zweifels beginnt und mit der abschließenden Frage endet, zeigt schon, wie das Verhältnis des Ich zu den im Vorwurf anscheinend vorgeschlagenen Korrekturen aussieht, nämlich grundsätzlich skeptisch. Gegen die Verschleierung der Wahrheit durch „neue Wörter“ für die schrecklichen Tatsachen setzt das Ich sich zur Wehr, indem es seinen Mangel eingesteht, weil es nicht über die besänftigenden, aber lügnerischen Mittel verfügt, die nötig wären, die unschöne Realität mit einer schönen Sprachkulisse zu verstellen. Und trotzdem bleibt nicht nur das Eingeständnis des sprechenden Ich, zur Lüge nicht fähig zu sein, als Fazit sondern ebenso die Begrenztheit der Sprache und ihre strukturelle Unzuverlässigkeit, denn für die Wahrhaftigkeit der Rede bürgt allein das Ich unter dem Druck der Erfahrung. „Woher sollte ich die neuen Wörter nehmen?“ Das ist die rhetorische Frage am Ende des Gedichtes. Doch diese Frage scheint sich auch in einer weiteren Perspektive zu stellen. Es ist nicht unbedingt eine grundlegende Skepsis, die sich in den beiden Texten „Woher“ und „Allerweltpronomen“ artikuliert, sondern eher eine kritische Haltung im Sinne der genauen Prüfung der Voraussetzungen und Möglichkeiten lyrischen Sprechens. Gerade der Vorzug der modernen Lyrik, zu der sich Müller in ihrer Stellungnahme von 1971 bekannt hatte: „Moderne Lyrik ist so schön, weil man sich nicht direkt ausdrückt,“ scheint sich mit einer Verschiebung auf eine andere Ebene in ein Problem zu verkehren. Ist das von der jungen Autorin in den eigenen Texten gepflegte Merkmal der Lyrik die originelle und vieldeutige Bildlichkeit, so stellt sich diesem Reichtum gegenüber hier eine Sprachnot dar. Die Not besteht darin, dass ein geschärftes Sprachbewusstsein über das sprachliche Material zur Konstruktion dieser Bilder nicht mehr selbstverständlich verfügt. Das heißt nicht, dass Müller bislang in unbedarfter Naivität losdichtete, zeugen doch ihre Texte von einem ausgeprägten Sprachgespür und das Vorhandensein von veröffentlichten Varianten auch von der anhaltenden Arbeit an den Gedichten, es heißt vielmehr, dass das Nachdenken über die Sprache so dringlich wurde, dass es selbst zum Thema der lyrischen Texte geworden ist, die sonst vor allem dem Ausdruck subjektiver Befindlichkeiten dienen mit so existenziellen Gegenständen wie der Liebe, dem Vergehen der Zeit, der Natur und dem Menschen darin. Das „Sich nicht direkt Ausdrücken“ ist nicht mehr der gewählte Vorzug literarischen Sprechens, sondern eine ambivalente Angelegenheit, wenn ausgerechnet die Pronomina mit ihrer gerade für die Lyrik essenziellen Stellvertreterfunktion ins Zwielicht geraten. Das alte lyrische Ich, das leicht pathetisch wirkende Du und das für Kollektiv oder Zweisamkeit stehende Wir – sie werden der Beliebigkeit gescholten und in Rückbindung ans Reich des Zwischen-
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menschlichen sogar für die Fremdheit unter den Menschen verantwortlich gemacht. Das Leben ist eben größer als die Möglichkeiten der Sprache. Und die Feststellung, dass der Zweifel doch nur Zweifel zu nennen sei, ist zwar einerseits Willensbekenntnis zum klaren, ehrlichen Ausdruck, im Sinne von Authentizität, aber gleichzeitig eine Absage an das dichterische Prinzip des uneigentlichen Ausdrucks. Wenn nicht mehr in Bildern gesprochen werden soll, wie Müller das bisher – und übrigens auch weiterhin – tut, sondern nur noch in den einzig richtigen, zutreffenden Begriffen, dann wäre die Konsequenz das Schweigen, sofern nicht eine völlig andersgeartete Lyrik entstehen soll. Ob das tatsächlich der Grund für das Ende der lyrischen Produktion Müllers sein könnte, bleibt Spekulation. Unbestritten ist aber die Sprachkrise, die in den beiden verhandelten Texten ihren Niederschlag findet. „Krise“ bedeutet nicht nur die lähmende Konfrontation mit einem unlösbaren Problem, das den Stillstand der literarästhetischen Entwicklung Müllers bedingen würde.77 Gerade die Auseinandersetzung damit wurde von Müller ja schon produktiv gewendet. Allerdings scheint damit ein vorläufiger Endpunkt eines Werdeganges erreicht, so dass von diesem Punkt aus neue Wege zu suchen sind. Müllers Entscheidung, ihre Wahl – wie Krise ja auch übersetzbar ist – führt nicht zur differenzierteren Behandlung der Lyrik, wie das bei einigen AutorenKollegen der Fall ist, die sich aus einer Phase der engagierten Literatur in die neue Phase der engagierten Subjektivität begeben und weiterhin Gedichte schreiben, allerdings nachdenklicher und „stoffreicher“.78 Müller hingegen wählt eine andere Gattung und ist erneut eine von vielen, die an einem Entwicklungsschub der rumäniendeutschen Literatur mitwirken: Die Erzählung, näherhin die Kurzgeschichte, ist gerade dabei, einen regelrechten Aufschwung zu erleben. Zwar erfordert die Prosa andere literarische Verfahrensweisen, aber die Nähe von Müllers Lyrik und ihren erzählenden Texten ist unübersehbar. Einerseits neigen schon die Gedichte mit ihrem einfachen Bau zur Prosa hin, andererseits zehren die anfangs äußerst kurzen Prosatexte von der erprobten Bildlichkeit und der präzise ausbalancierten Rhythmisierung. Doch nicht nur Äußerlichkeiten der Gestaltung gehen in die Beschäftigung mit der neugewählten Gattung ein. Das geschärfte Sprachbewusstsein spielt eine grundlegende 77 „Zu bedenken ist, daß Krisen Übergangszustände und als solche ambivalent sind: Sie implizieren die Abkehr von falschen Selbstverständlichkeiten, die Preisgabe scheinbar solider Voraussetzungen. Aber sie sind auch Bedingung dafür, daß sich etwas ändert. ‚Krise‘ ist der Moment, da differenziert, etwas zerschnitten, eine Entscheidung getroffen wird – der Moment, da etwas auf dem Spiel steht und eine Richtung zu wählen ist.“ Diese allgemeine Darstellung Schmitz-Emans’ der Sprachkrise, die die moderne Dichtung eigentlich kontinuierlich begleitet, verdeutlicht die Chancen, die in solch einer Situation potenzierter Reflexion stecken. Monika Schmitz-Emans: Die Sprache der modernen Dichtung. München 1997, S. 45. 78 Motzan beschreibt den neuen Ton auch als Beschränkung, die gerade mehr stoffliche Welthaltigkeit ermöglicht: „Ganz allgemein gesehen, sind die Ansprüche bescheidener geworden. Auf die besserwisserische Attitüde und den Kampagne-Ton verzichtet man zugunsten einer Erkundung der Realitätsbereiche, die in den subjektiven Erfahrungshorizont hineinragen“. Motzan: Lyrik 1944, S. 152.
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Rolle bei der Herausbildung eines eigenen Darstellungsstils. Es klang schon an, dass Müller hier nicht nur die Gattung wechselt, sondern auch engeren Anschluss an die Moderne findet. Dies geschieht unübersehbar auf der Grundlage der sprachreflektorischen Dimension, die sich in dem literarischen Horizont Müllers ausprägt. Zwar gibt es keine weiteren explizit von dem Thema handelnden literarischen Texte, doch die Darstellungsverfahren beweisen einen souveränen Umgang mit der „Spaltung“, von der die letzten Gedichte Müllers zeugen. Diese Spaltung betrifft die Bindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem, denn wie sich in „Allerweltpronomen“ herausstellt, ist das Zeichen nicht wesentlich mit dem Bezeichneten zusammengeschlossen, aus dem Dargestellten ergibt sich also nicht zwangsläufig eine bestimmte sprachliche Darstellung. Die Darstellungsebene wird demnach freier für Experimente mit den Formen, so dass ein sich ausdrückendes Ich auch nicht mehr unbedingt die eigene Befindlichkeit mit seinen eigenen Worten vortragen muss. Authentischer Ausdruck, der sich den inneren Notwendigkeiten des unmittelbaren Zusammenspiels von sprechendem Ich, darzustellender Befindlichkeit und sprachlicher Realisierung verdankt, kann im Bewusstsein der zahlreichen Freiheitsgrade in diesem Spiel kaum noch möglich sein. Es trennt sich die Sprache in das, was sie darstellt, und das, was sie selbst ist. Und dieses Selbst der Sprache kann nun auf ganz verschiedene Weisen gestaltet werden. Dieses Bewusstsein vom Zeichen- und Verabredungscharakter der Sprache ist, wenn es gar in die literarische Form einreflektiert ist, ein wesentlich moderner Zug der Literatur. In der ästhetischen Moderne erweisen sich aber auch die beiden anderen am literarischen Geschehen beteiligten Größen, nämlich das Ich und die Realität im weitesten Sinne als das Darzustellende, als zunehmend unverfügbare, unverständliche, ja regelrecht zerfallende Begriffe. Diese beiden bleiben bei Müller jedoch zunächst unberührt; sie zeigt sich keineswegs infiziert von der Unfähigkeit Ich zu sagen79, vielmehr bleibt das Ich ein verlässlicher Bürge für eine Wahrheit, die in der Rede allerdings nicht unbedingt unmittelbar aufgehoben sein muss. Wie sich zum Beispiel zeigen wird, ist ein neues literarisches Verfahren Müllers, das in der Prosa häufig zu finden ist, das Sprechen mit „verstellter Stimme“, wie es für die Satire typisch ist. Auch die zweite Größe, das Wirklichkeitsverständnis, wird hier noch nicht in Mitleidenschaft gezogen. Erst später in den erzählenden Texten, die der Darstellung totalitärer gesellschaftlicher Verhältnisse dienen, wird die unverlässliche Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem in außersprachliche Zusammenhänge übertragen und als ständiges Moment der Verunsicherung vorgeführt. Am Ende der lyrischen Produktion jedoch steht erst das geschärfte Sprachbewusstsein, das zwar nicht in radikale literarische Strategien überführt wird, aber mit verantwortlich 79 Zu den Schwierigkeiten, in der modernen Literatur „Ich“ zu sagen, vgl. exemplarisch Ingeborg Bachmann: Frankfurter Vorlesungen. Probleme zeitgenössischer Dichtung. In: Bachmann: Werke. Hg. v. Christine Koschel, Inge von Weidenbaum und Clemens Münster. Bd. 4: Essays, Reden, Vermischte Schriften, Anhang. München/Zürich 51993, S. 182–271, besonders S. 217ff. (Teil III: Das schreibende Ich).
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für den Gattungswechsel zur Prosa zu sein scheint. Müller formuliert wohl eine sprachskeptische Position, doch die Grundlagen sind nicht erschüttert. Eher wird hier ein kleiner Keil getrieben, der neue Räume für die literarische Betätigung eröffnet. Wenn die Sprache schon als in sich gespalten auftritt, dann kann das eben fruchtbar gemacht werden im Ausprobieren anderer Darstellungsweisen. Zwar stellt Müller ihre LyrikSchreibanfänge später als Scheitern dar, als ein „Versagen an der Sprache und Versagen der Sprache an mir“80, doch aus diesen Erfahrungen heraus, insbesondere mit der Sprachlichkeit von Literatur, entwickelt sie einen neuen Zugang zum Schreiben, der letztendlich im Spiel der Postkarten-Texte gar nicht mehr den einen, zwingenden Ausdruck für etwas sucht, sondern sich die Sprache scheinbar vom Zufall schenken lässt. Auf die von den Kulturfunktionären gehegte Erwartung, dass die jungen Autoren der Nachkriegsgeneration eine kontinuitätsstiftende Fortschreibung der rumäniendeutschen Literatur veranstalten würden, haben sich diese nicht eingelassen. Ihr Selbstverständnis war das eines neuen Anfangs, eines expliziten Bruches, der sich trotz einiger anfänglicher motivischer und formaler Anleihen bei der tradierten Lyrik eher auf die europäische und binnendeutsche Moderne berief denn auf die einheimischen modernen Wegbereiter selbst der unmittelbar vorangehenden Generation. Der gesamte lyrische Aufschwung verdankte sich neben dem Interesse am modernen Schreiben auch dem Interesse der jungen Leute am modernen Leben, das in kritischer Absetzung von der Elterngeneration gestaltet werden sollte. Zu einem wichtigen inhaltlichen Element wurde dabei die Thematisierung der historischen Schuld der Deutschen. Geprägt ist unser Bild von dieser wichtigsten Bewegung der rumäniendeutschen Literatur – denn nur sie drang tatsächlich auch, mit Verzug, an unsere breitere Öffentlichkeit – durch die AG Banat, deren Akteure jedoch gemeinsam mit vielen anderen Schülerinnen und Schülern am Ende der sechziger Jahre ihre ersten Schreibversuche unternahmen. Eine der anderen war Herta Müller, deren wenige überlieferten Gedichte nicht dem respektlosen, sozial engagierten Aktionismus der AG Banat huldigten, der recht bald als literarischer Nachwuchsdiskurs dominierte, sondern vorwiegend einer „subjektiven Innerlichkeit“ (Eke) verpflichtet sind. Ihr beinahe unbemerkter literarischer Werdegang durch Schüler- und Studentenzirkel verabschiedete dann Mitte der siebziger Jahre die Lyrik, gerade als die AG Banat aufgelöst wurde, und wandte sich der Prosa zu, die einen ähnlich subjektiv geprägten Zugang zu den thematischen Problemfeldern fand, die zuvor von den Autoren der AG Banat bearbeitet worden waren: die Enge und der Konservatismus der Lebenswirklichkeit der kleinen Städte und Dörfer, der bornierte exklusive Nationalstolz und die Überlebtheit der tradierten Werte der rumäniendeutschen Gemeinschaft. Aus der besonderen Sprachsituation heraus, die das Deutsche in Rumänien als arm, unbeweglich und für bestimmte literarische Genres wenig geeignet erscheinen ließ, schlug Müller einen gänzlich anderen Funken als die AG Banat, die zur Verlebendigung und Ästhetisierung auf Sprachspiel und Sprachwitz setzte. 80 Dankrede. In: NBZ, 07.06.1981.
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Müller dagegen nahm in ihrer entstehenden Prosa das Sprachangebot auf, um in der elementaren Sprache die dargestellte Welt essenziell auszuweisen. Parallel dazu versuchte Müller sich an Prosatexten, die einen eher satirischen Charakter haben; dieses Experimentieren mit dieser für heteronome Bestimmungen anfälligen literarischen Redeweise fand jedoch auch ein Ende, so dass bis heute der Entwicklungsgang des artistischen und zugleich höchst authentischen Schreibens anhält. Von den Anfängen der epigonal modernen Lyrik, die z.B. mit dem Motiv vom abendlichen Treffen am Schwengelbrunnen oder dem Aufgreifen der Legende, der pathetischen Anrede eines Du einige konventionelle Momente aufweist oder auch mit den Texten, die im Rahmen eines studentischen Literaturzirkels entstanden und auf eine engagierte Literatur zu zielen scheinen, hat Müller ihren weiten Weg zurückgelegt, der einerseits zur Ablösung von den Erwartungen der Literaturförderer und andererseits zu einer eigenen Stimme neben dem dominierenden Muster der AG Banat führte. Der Gattungswechsel zur Prosa stellt sich dann auch ganz anderen sprachlichen Herausforderungen, greift aber eine jüngere Tendenz zur Kurzprosa innerhalb der rumäniendeutschen Literatur auf.
B. Spracherforschung. Kurzprosa (1978–1985) 1. Literarisches Umfeld 1.1. Publikationsgeschichtliche Aspekte Im Jahr 1978 veröffentlicht Herta Müller ihren ersten Text in einer langen Reihe von Kurzprosastücken.1 „Die Straßenkehrer“ erscheinen in der Studentenzeitschrift Echinox und werden bis 1993 weitere vier Mal gedruckt.2 Zwar ist die Entstehungsgeschichte und -reihenfolge der zahlreichen folgenden kurzen und kürzesten Texte nicht im Einzelnen nachvollziehbar, aber dieser Text liegt auf aussagekräftige Weise nach dem Ende der Lyrik und am Beginn der Prosa. Bis zum Jahr 1985, in dem ein letzter Prosatext, „Matthias“, in Rumänien erscheinen kann, lassen sich 73 eigenständige, erstveröffentlichte Texte nachweisen, die sich aufgrund von Nachveröffentlichungen zu insgesamt 125 Publikationen summieren.3 Fünf Titel davon sind relativ frühe Übersetzungen der entsprechenden Texte Müllers ins Rumänische; die Texte der beiden Erzählungsbände von 1982 und 1984 sind einzeln gezählt. Schon ab 1984 beginnt teils parallel4, teils in Ersetzung der nun verschlossenen Möglichkeiten in Rumänien die bundesdeutsche Publikationsgeschichte Herta Müllers. Während in dem Erstling Niederungen (Berlin 1984; N II)5 ausschließlich bereits in Rumänien veröffentlichte Stücke versammelt sind, folgen im Jahr 1986 Texte, 1 Nicht gezählt sind hier der „Frühlings“-Text („Der Duft des Waldes“) und der „Schnee“-Text („Ich wäre nie daraufgekommen“) sowie „Das gehört dazu“ als wenig aussagekräftige Versuche vor 1978. Ganz da ist Müller erst in der nun einsetzenden Prosa-Produktion. 2 „Die Straßenkehrer“. In: Echinox, Nr. 8–9, S. 25; weiterhin in: NL 5/ 1979, S. 24–25; in: Niederungen. Bukarest 1982, S. 104; in: Niederungen. Berlin 1984, S. 138–139 sowie in: Das Land am Nebentisch. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 114–115. 3 Einige Texte, die unter demselben Titel erscheinen, erfahren geringe bis starke Überarbeitungen – sie werden hier als Varianten aufgefasst und daher nicht einzeln gezählt. „In einem tiefen Sommer“ heißen allerdings zwei sehr unterschiedliche Stücke; das erste aus NL 6/1982, S. 48–52, leiht den Titel und einen kurzen Absatz für DT, S. 71 und BF 1987, S. 100. Ein Grenzfall ist „Die Lebenslinie“, das aber von NL 5/1979, S. 22–23 bis DT, S. 43 nur besonders stark bearbeitet wurde. Die letzte Veröffentlichung „Matthias“ in NL 8/1985, S. 21–41 taucht etwas gekürzt und bearbeitet als „Viele Räume sind unter der Haut“ in BF, S. 50–74 wieder auf. 4 „Die Grabrede“ in: Tintenfisch 24. Jb. für Literatur. 1985, S. 27–30; „Dorfchronik“ erscheint gemeinsam mit einem Interview Müllers (von Matthias Müller-Wieferig) und einem kurzen Artikel von Matthias Focht zur Abwanderung der Rumäniendeutschen, zur letzten Autorengeneration. In: Kulturpolitische Korrespondenz, 30.12.1986, S. 16–23. 5 Zur Unterscheidung der Ausgaben und Texte werden folgende Siglen verwendet: Für die rumänische Ausgabe des Buches Niederungen steht „N I“ (Bukarest 1982), für die deutsche „N II“ (Berlin 1984). Analog steht für die rumänische Version der zentralen Erzählung „Niederungen“ das Kürzel „Nie I“, für die deutsche Variante „Nie II“.
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die nur in Deutschland herauskommen: „Wenn ich mich tragen könnte“, „Maramuresch“ und der Roman Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt 6 . 1987, im Jahr der Übersiedelung Müllers in die Bundesrepublik, wird als letztes offensichtliches Übergangsdokument der Band Barfüßiger Februar7 veröffentlicht, von dessen 27 Texten elf schon einmal in Rumänien erschienen waren. All diese kurzen bis kürzesten Prosatexte stellen ein Experimentierfeld des Schreibens für Herta Müller dar. So homogen ihr Stil in den Erzähltexten seit 1987 erscheint, mit Blick auf die frühen Veröffentlichungen und sogar noch auf die Berliner Niederungen lassen sich unterschiedliche Verfahren beobachten, die von der Autorin erprobt werden. Da sie in Rumänien Mitglied des deutschen Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“ war, gelangten solche ersten Stücke auf die Kulturseiten der NBZ, in die beiden Lesebücher des Literaturkreises, und recht schnell konnte sie auch in der NL publizieren. Der erste Auftritt mit einem Prosatext – „Die Straßenkehrer“ – erfolgte jedoch in Echinox, einer anspruchsvollen dreisprachigen Studentenzeitschrift an der Universität Cluj/Klausenburg.8 Für die Beschreibung eines Entwicklungsganges sind diese Texte wichtige Anhaltspunkte, zumal einige mehrmals und zum Teil überarbeitet abgedruckt wurden.9 Anfang und Ende des im vorliegenden Kapitel behandelten Zeitabschnittes werden von äußeren Daten bestimmt, die freilich zum Werk Müllers in enger Beziehung stehen. Nach einer Schreibpause, die in der Publikationsliste etwa zwei Jahre von Mitte des Jahres 1976 bis Jahresmitte 1978 ausmacht, beginnt Herta Müller wieder, mit literarischen Texten an die Öffentlichkeit zu treten. Dieser Einschnitt bringt auch den Gattungswechsel zur Prosa mit sich. Das Ende dieser ersten, in Rumänien begonnenen Karriere ergibt sich aus dem Ausreiseantrag, den die Autorin im Oktober 1985 stellt. Von da an hat sie keine Möglichkeit mehr, in Rumänien zu veröffentlichen, so dass 6 Herta Müller: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Roman. Berlin 1986 (= FW). Maramuresch. In: Die Zeit. Magazin, 28.03.1986, S. 39–52; Wenn ich mich tragen könnte. In: Die Zeit, 2.-3.01.1986. 7 Herta Müller: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987 (= BF). 8 Echinox. Revistă studenţească de cultură brachte seit ihrer Gründung 1968 neben den rumänischen stets auch ungarische und deutsche Beiträge, die durchweg ein hohes Niveau anvisieren. Auseinandersetzung mit neuester Theoriebildung, Rezeption international wichtiger Bücher, Rezensionen einheimischer Bücher, Reflexion der eigenen Teilnahme an Wissenschaft und Kultur und nicht zuletzt die Übersetzung zwischen den drei genannten Sprachen und aus der Weltliteratur aller Epochen bilden die Schwerpunkte des vorrangig von studentischer Hand geschriebenen Magazins. Literarische Texte werden ebenfalls abgedruckt, wohl auch aus Platzgründen meist Lyrik oder Kurzprosa. Deutsche Mitarbeiter in den siebziger Jahren sind z.B. Georg Aescht, Helmut Britz, Franz Hodjak, Bernd Kolf, Peter Motzan, Anton Seitz, Werner Söllner und Richard Wagner. Franz Hodjak und Werner Söllner schwärmen später regelrecht von Echinox. Vgl. „Daß ich in diesen Raum hineingeboren wurde...“ Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa. Hg. v. Stefan Sienerth. München 1997, S. 281f. und 297f. 9 Für die genaue Publikationsliste, die Auskunft über Mehrfachveröffentlichungen und Publikationsorte gibt, vgl. das chronologische Verzeichnis im Anhang.
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ausschließlich in der Bundesrepublik neue Texte erscheinen können.10 War bislang noch eine gewisse Rücksicht auch bei den Veröffentlichungen außerhalb Rumäniens geboten, von Zensurmaßnahmen in Rumänien selbst ganz zu schweigen, so kann ab 1985 davon ausgegangen werden, dass die nun gedruckten Texte in vollem Umfang den Vorstellungen der Autorin entsprechen und auch Texte herauskommen, die in Rumänien „unmöglich“ gewesen wären. Die Annahme, dass bereits Niederungen (Berlin 1984; N II) eine „Originalfassung“ sei im Vergleich zur stark zensierten Fassung von 1982 (N I)11, lässt sich aber so von den Texten aus kaum bestätigen. Es gibt zwar Unterschiede zwischen den beiden Prosabänden, doch diese bestehen in der Reihenfolge der Texte, dem Ausschluss von vier Texten in der Berliner Ausgabe und dem Hinzutreten von drei anderen, die allerdings bereits in Drückender Tango12 enthalten sind. Weiterhin ist der zentrale Text „Niederungen“ in der Berliner Ausgabe (Nie II) gekürzt – nicht etwa länger. Nimmt man massive Eingriffe in die Textgestalt der Bukarester Ausgabe der Niederungen (N I) an, so wurden sie für die Berliner Ausgabe (N II) nicht beseitigt, entweder weil sie so schwerwiegend nicht waren, oder weil weiterhin Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der rumänischen Behörden zu nehmen war, hatte Herta Müller doch bis 1985 die Absicht, Rumänien nicht zu verlassen.13 Die lange Verzögerung ihres ersten Buches und Zensureingriffe bleiben völlig unbestritten14, lediglich das Verhältnis von „zensiert“ und „original“ bleibt bei vergleichender Lektüre beider Ausgaben unklar. Allenfalls die 10 Die Daten werden in den Quellen unterschiedlich angegeben, so z.B. auch ein Publiaktionsverbot ab April 1985. Vgl. „Wir wollen das Land aus politischen Gründen verlassen“. Gespräch mit der rumäniendeutschen Schrifstellerin Herta Müller in Temeswar. In: Kulturpolitische Korrespondenz, 30.12.1986, S. 21–23. Trotzdem erscheint in NL 8/1985 noch „Matthias“. Totok berichtet von einem Publikationsverbot bei Radio Temeswar ab September 1984 und einem erneuerten Publikationsverbot ab Oktober 1985 in Folge des Ausreiseantrages. William Totok: Die Zwänge der Erinnerung. Aufzeichnungen aus Rumänien. Hamburg 1988, S. 146ff. 11 Beispielsweise: „Das Erscheinen ihres Buches Niederungen wurde jahrelang verhindert, 1982 erschien es nach starken Eingriffen der Zensur in Bukarest und 1984 in der Originalfassung in Deutschland.“ Text + Kritik. H. 155: Herta Müller. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. München 2002, S. 104. 12 Bukarest 1984 (= DT). „Das war damals ein kleiner Lichtblick – schon in der Zeit, als die Dinge eingeschränkt wurden. Es kamen dabei auch mehrere Zufälle zusammen. Damals war zum Beispiel Rolf Bossert Lektor im Verlag...[...] Ich habe damals eine Reihe von Texten gehabt, die teils nicht erschienen waren, weil man sie abgelehnt hatte, teils aus konzeptionellen Gründen nicht in die Bücher oder in die Aufstellungen der Texte in den Zeitschriften hineingepaßt haben. Die habe ich zusammengesucht und dem Verlag gegeben. Ich glaube, daß nach 1984 das Buch und auch andere, die in dieser Zeit veröffentlicht wurden, nicht mehr hätten erscheinen können.“ Aus: Es wird alles erstickt. In: SZ 9./10.05.1987. 13 Als Zensureingriff könnte der Ausdruck „fremdes Land“ (Nie I, S. 75) für „Rußland“ (Nie II, S. 93f.) im Zusammenhang mit der Deportation der Deutschen nach dem Krieg betrachtet werden. Der Grund für die erzwungene Verschleierung leuchtet allerdings nicht ganz ein, zumal der „sibirische Wind“ (Nie I, S. 75) den Ort genau anzeigt. 14 So wird schon Anfang 1980 anlässlich einer Lesung Müllers angekündigt, ihr Debütband befinde sich „in Vorbereitung“. In: NBZ, 20.02.1980.
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Unterdrückung der drei Texte, die in Drückender Tango parallel zu Niederungen (Berlin 1984; N II) herauskamen, könnte demnach als zwei Jahre später revidierter Zensureingriff betrachtet werden.15 Es scheint also geboten, eine Zäsur etwa für die Jahresmitte 1985 anzunehmen, zumal die im folgenden erscheinenden Texte sich tatsächlich mit größerer Schärfe auf den rumänischen Staat und seine Politik beziehen. In den Jahren von 1978 bis 1985 also profiliert sich Herta Müller als eigenständige Prosa-Autorin, die verschiedene narrative Möglichkeiten erprobt und trotzdem schon in den ersten publizierten Stücken über ihren unverwechselbaren Ton verfügt. Noch „Matthias“, der letzte Text dieser Phase, stellt ein erzähltechnisches Experiment dar, weil hier aus der Perspektive einer Person erzählt wird, die in drei Gestalten – Matthias, der Mann mit dem Hut, das Kind – zugleich auftritt. In anderen Texten variiert Müller die Perspektivierungen und die Stimme, das Zeitregime sowie die grundlegende Erzählhaltung, so dass sie beispielsweise unter letzterem Aspekt in weitgehend satirische und authentisch illusionierende Texte unterteilt werden können. Ebenfalls noch in Herausbildung begriffen sind die stilistischen Eigenheiten wie die konzentrierte Kargheit der Sprache, die anfänglich mit Hilfe von mehrfachen Attributierungen und Relativsätzen eine Genauigkeit der evozierten Bilder anstrebt, dies im Verlauf der Entwicklung freilich mit immer weniger Aufwand erzielt. Diese Entwicklung bildet sich nicht als ein von Text zu Text deutlicher sichtbarer Prozess ab, sie fällt eher bei der Betrachtung größerer Zeiträume und der Gattungswechsel ins Auge. Daher soll auch nicht minutiös die jeweilige Jahresproduktion Müllers mit der vorhergehenden verglichen werden. Vielmehr bietet es sich an, unter verschiedenen Leitaspekten einige Texte exemplarisch zu lesen und anstelle der in der Forschung bislang stillschweigend vorausgesetzten Homogenität in Stil und narrativen Verfahren die Vielfalt, aber auch bestimmte Kontinuitäten zu zeigen. Eine besondere Stellung wird dabei die Erzählung „Niederungen“ einnehmen, da sich hier drei Stufen der Textgenese verfolgen lassen, von den ersten Splittern aus dem Jahr 1978, die in die Langerzählung der Fassung von 1982 (Nie I) eingehen, bis zu der gestrafften Ausgabe von 1984 (Nie II). Damit erstreckt sich die Bearbeitungs- und Publikationsgeschichte dieses zentralen Textes fast über die gesamte betrachtete Zeitspanne. So wie Müller ihre letzten Gedichte im „Adam Müller-Guttenbrunn“-Literaturkreis (AMG) vorgestellt hatte, so findet sie dort auch mit ihren frühen Prosa-Texten ein halbwegs öffentliches Forum und erste Publikationsmöglichkeiten. Dieser Temeswarer Literaturkreis stellt sich besonders in den siebziger Jahren als Mittelpunkt und als eine Durchgangsstation in der rumäniendeutschen Literaturpraxis nicht nur des Banats dar. Gesellschaftliches Klima, literarische Tendenzen und Umbrüche in der kleinen Literaturszene lassen sich an seiner Geschichte ebenso verfolgen wie die Laufbahn einzelner Autoren, die, sofern sie geographisch dem Banat zugehörten, fast ausnahmslos dort teilnahmen. Im Hinblick auf Müllers Entwicklung bildet sich in der Geschichte dieses Kreises nicht allein ihr Weg an die Öffentlichkeit ab, sondern es erschließt sich 15 Es geht um „Faule Birnen“, „Das Fenster“ und „Drückender Tango“.
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ein Erfahrungsraum, in dem die Verschränkung von literarischer Praxis und Politik unmittelbar und exemplarisch zutage tritt. Darum soll zunächst in einem Abschnitt zur Institutionengeschichte ein genaueres Bild von diesem Raum gezeichnet werden. Mit diesem äußeren, organisatorischen Rahmen von Herta Müllers Weg zur etablierten Autorin eng verflochten sind die größeren innerliterarischen Verschiebungen. Aufschluss über die Einbettung der Prosatexte Müllers darin gibt die nähere Bekanntschaft mit den gattungsgeschichtlichen Zusammenhängen, die den Wechsel von Lyrik zu Prosa und deren Gestalt zunächst als allgemeineres Phänomen erscheinen lassen, jedoch die individuelle Leistung und Handschrift Müllers umso stärker unterstreichen. Der große Erfolg der Autorin noch in Rumänien erklärt sich auch aus dem gattungshistorischen Ort, an dem ihr Entree mit Prosa angesiedelt ist. In zwei Abschnitten zur rumäniendeutschen Gattungsgeschichte von Lyrik und Prosa werden die jeweiligen Verschiebungen und Neuausrichtungen im Verlauf besonders der 1970er Jahre beschrieben, um Herta Müllers Position darin genauer bestimmen zu können, denn ihre künstlerische Eigenständigkeit und Gestaltungskraft, die über ihre Texte hinaus in die gesamte Literaturlandschaft wirkt, zeigt sich gerade im Vergleich mit den vorherrschenden Paradigmen einer so engen, aufeinander angewiesenen literarischen Gemeinschaft.
1.2. Der „Adam Müller-Guttenbrunn“-Literaturkreis16 Die Bewohner unserer Stadt gehen nach der Arbeit zu Vereinen. In unserer Stadt gibt es Vereine für Bienenzüchter, Fischzüchter, Hundezüchter, Angler, Sportler, Briefmarken- und Münzensammler und für Schriftsteller. Die Bewohner unserer Stadt sammeln und züchten sich ein Leben. Herta Müller, Unsere Stadt
Mit dem schriftstellerischen Neubeginn nimmt Müller ab 1978 nachweislich wieder produktiv am Literaturbetrieb teil; ob die vorangegangene Schreibpause auch ein Fernbleiben von öffentlichen Lesungen, Diskussionen und den Kreisen junger Nachwuchsautoren bedeutet, ist anhand der kleinen Pressemeldungen über den Literaturbetrieb nicht zu entscheiden. Vermutlich hatte sie als Mitglied des AMG-Literaturkreises weiterhin Kontakt gehalten, denn schon zu Beginn der Saison 1978/79 wird im Herbst auf einer Veranstaltung 16 Für detaillierte Darstellungen mit Zahlen, Daten und Fakten sind Totok und Krause zu konsultieren. Vgl. Totok: Zwänge der Erinnerung sowie Thomas Krause: „Die Fremde rast durchs Gehirn, das Nichts...“. Deutschlandbilder in den Texten der Banater Autorengruppe (1969–1991). Frankfurt/M. u.a. 1998 (Diss.) Ein Abschreiben von deren Ergebnissen ist nicht notwendig; bei Totok ist zudem persönliche Betroffenheit in Rechnung zu stellen, die zuweilen zu recht scharfen Urteilen und Formulierungen führt.
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die Anthologie „im brennpunkt stehn“. Lesebuch mit Beiträgen der jungen und jüngsten Mitglieder des Temeswarer Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“ vorgestellt, die den kurzen Text „Irrlicht im Schnee“ enthält.17 Kurz darauf stellt sie ihre Prosa bei einer Lesung im Literaturkreis vor, begleitet von einem Referat Richard Wagners über ihre Arbeiten.18 Auf diese Weise bleibt Müller eingebunden in die institutionellen Zusammenhänge des rumäniendeutschen Literaturbetriebs und erhält Zugang zu einer zunächst kleinen Öffentlichkeit der regelmäßigen Arbeitssitzungen, auf denen die entstehenden und neuesten Texte der Teilnehmer gelesen, meist von einem Vortrag begleitet und sofort diskutiert werden. Neben den Rückmeldungen und kritischen Einwänden durch das mehr oder weniger fachkundige Publikum ergibt sich auch ein Überblick über das Spektrum der neuesten zeitgenössischen Literatur nicht nur in Temeswar. Gäste aus anderen Städten und dem Ausland werden ebenfalls geladen, genauso wie Literaturkritiker und -wissenschaftler zu theoretischen Aspekten sprechen oder Universitätslektoren über die Entwicklungen in den anderen deutschen Literaturen berichten. Unter den Teilnehmern der Zusammenkünfte werden Schüler, Studenten, Schriftsteller, Hochschullehrkräfte, Journalisten, Schauspieler, Lehrer, Professoren und Rentner verzeichnet.19 Der AMG-Literaturkreis bündelt somit viele Funktionen und Interessen, die in ihm eine Art „Zentralorgan“ in der doch stets übersichtlichen deutschsprachigen Literaturszene, erst recht der des Banats finden.20 Dieser Literaturkreis hat eine bis ins Jahr 1949 zurückreichende Vorgeschichte, als in Rumänien nach sowjetischem Vorbild ein Literaturfonds für die materielle Versorgung der linientreuen Schriftsteller und als Förder- und Lenkungsinstrumente Literaturkreise 17 „Im Brennpunkt stehn“. Lesebuch mit Beiträgen der jungen und jüngsten Mitglieder des Temeswarer Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Anton Palfi. Temeswar 1979. Zum Saisonauftakt wird gemeinsam mit dieser Nachwuchs-Anthologie eine Anthologie mit schwäbischer Dialektlyrik präsentiert: „Fechsung. Lyrische Texte in banatschwäbischer Mundart. Hg. v. Ludwig Schwarz. Bukarest 1979. Es lesen Autoren beider Bücher: Nikolaus Berwanger, Walter Färber, Johann Lippet, Herta Müller, Horst Samson, Erika Scharf, Franz Th. Schleich, William Totok und Richard Wagner. In: NBZ, 07.11.1978. 18 In: NBZ, 13.12.1978. Kegelmann gibt ohne näheren Nachweis an, dass Herta Müller erst 1981 zum AMG-Kreis gestoßen sei. Die Veröffentlichung in „Im Brennpunkt stehn“ und die Beteiligung an Lesungen schon 1976 und regelmäßig ab 1978 sprechen für ein deutlich früheres Datum. Vgl. René Kegelmann: An den Grenzen des Nichts, dieser Sprache... Zur Situation rumäniendeutscher Literatur der 80er Jahre in der BRD. Bielefeld 1995 (Diss.), S. 45. 19 Vgl. Edgar Schnitzler: Bilanz einer literarischen Saison. In: NL 8/1977, S. 107–108. 20 Literaturkreise dieser Art gab es in einigen größeren Städten Rumäniens, nicht nur für die deutschsprachige, sondern auch für die rumänische, ungarische und andere Literaturen. Im Frühjahr 1974 waren es in Temeswar fünf deutschsprachige Literaturkreise: Neben dem AMG-Kreis des Schriftstellerverbandes waren der „Universitas“-Kreis des Studenten-Kulturhauses (Hauskreis der AG Banat unter Leitung von Richard Wagner) und der „Arbeitskreis ’74“ aktiv sowie der „Autorenkreis des Deutschen Staatstheaters“ und der „Hörspielkreis“ des Temeswarer Rundfunks. Vgl. NL 4/1974, S. 124. Im Laufe der späten siebziger Jahre werden landesweit neue Zirkel gegründet. Die Form des „Zirkels“ als Organisationsform ist eher „sozialistisch“ als landsmannschaftlich reaktionär einzuordnen.
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gegründet wurden.21 In Temeswar hatte der sogenannte „Flacăra“-Kreis („Die Flamme“) eine rumänische, deutsche, ungarische und später auch serbische Abteilung und war der dortigen Filiale des Schriftstellerverbandes untergeordnet. Die rumäniendeutschen Autoren, die sich hier betätigten, werden von den nachfolgenden, zumeist nach dem Krieg geborenen Jungautoren eher als Opportunisten denn als mögliche Vorbilder wahrgenommen. Zum Teil haben sie schon eine Vergangenheit mit ideologisch verdächtigen Publikationen und scheinen nun erneut dem Zeitgeist ihren Tribut gezollt zu haben, so dass ihre mangelnde Glaubwürdigkeit – neben der Qualität ihrer Arbeiten – nicht eben für ernstzunehmende Künstlerschaft bürgt. Totok beschreibt sie gar mit einem Wort Stalins als „Autoren, die sich schmerzlos in ,Ingenieure der menschlichen Seele’ verwandelt hatten“22, während Gabanyi darauf hinweist, dass „das in diesen Kreisen herrschende ideologische Niveau keineswegs immer den Erwartungen der Partei entsprach“.23 Im Jahr 1950 wurde die deutsche Abteilung des „Flacăra“-Kreises in „Nikolaus-Lenau“-Literaturkreis umbenannt und 1968 im Zuge der liberaleren Neuordnung des Kulturbetriebs als „Adam Müller-Guttenbrunn“-Literaturkreis weitergeführt. Auch diese neue Ausrichtung des Kreises verfällt der harschen Kritik der nachdrängenden Autoren, die gegen Ende der sechziger Jahre mit ersten literarischen Versuchen hervortreten, denn diesen erscheint die Zirkel-Arbeit als zu sehr auf die restaurative Wiederbelebung banatschwäbischer Traditionen und somit auf die nationale Legitimation gerichtet.24 Ihr Interesse gilt nicht der nun wieder möglichen Kerweih, sondern der gleichberechtigten Teilnahme an gesamtgesellschaftli21 Vgl. Anneli Ute Gabanyi: Partei und Literatur in Rumänien seit 1945. München 1975, S. 28ff. 22 Totok nennt hier Franz Liebhard (alias Robert Reiter), Irene Mokka (alias Irene Fassel, alias Grete Groß), Hans Mokka, Else Kornis, Johann Szekler, Hans Kehrer (alias Stefan Heinz), Hans Bohn, Andreas A. Lillin, Michael und Erich Pfaff. Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 130. Speziell für Liebhard, Irene Mokka und Hans Kehrer versucht Totok eine „faschistische“ Vorgeschichte nachzuweisen. Die Schärfe des Urteils mag stark in der Perspektive Totoks und im weiteren auch seiner Generationskollegen begründet sein. 23 Gabanyi: Partei und Literatur, S. 28. 24 Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 134. Die Meldung über die Gründung findet sich in: NL 12/1968, S. 125: „,Adam Müller-Guttenbrunn’ heißt der Literaturkreis, der Ende Oktober in Temesvar unter Teilnahme von etwa vierzig Personen gegründet wurde und den bisherigen Kreis des Schriftstellerverbandes, den Nikolaus-Lenau-Kreis (Regionshaus für Volkskunstschaffen) sowie den Arbeitskreis für deutsche Literatur der Germanistikstudenten der Universität Temesvar zusammenschließt. Leiter des Kreises sind Franz Liebhard, Hans Kehrer und Nikolaus Berwanger. Anläßlich der Eröffnung hielt Franz Liebhard einen Vortrag über Leben und Werk AMGs., in der zweiten Sitzung sprach Dr. Rudolf Hollinger über den Temesvarer Dichter und 1848er Bürgermeister Johann Nepomuk Preyer, aus dessen Bühnenstück Hannibal Schauspieler des deutschen Staatstheaters Fragmente vortrugen, anschließend las Ludwig Schwarz Erzählungen aus seinem demnächst im Jugendverlag Bukarest erscheinenden Band vor.“ Das weitere Programm sieht vor: monatlich eine Sitzung, regelmäßige Lesungen aus neuen Arbeiten Banater Autoren, Folge literaturtheoretischer wie auch aufs Banat bezogener literaturgeschichtlicher Vorträge, die sich mit dem Werk wichtiger Banater deutscher Autoren auseinandersetzen, auf Guttenbrunn und Preyer sollen Eugen Probst, Nikolaus Schmidt und Otto Alscher folgen. Ebd., S. 126.
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chen Prozessen, unter denen für sie die literarische Praxis zunächst am attraktivsten ist. Obwohl oder weil sie sich als erste Generation rumänischer, zugleich deutsch schreibender Staatsbürger begreifen wollen25, gewinnen sie ihr künstlerisches Profil vor allem in der Frontstellung gegen ihre anscheinend so konservativen rumäniendeutschen Vorgänger. Totok erfasst rückblickend mit der ihm eigenen Schärfe die Umbruch- und Aufbruchssituation zu Beginn der siebziger Jahre: „Die unausweichliche Kollision zwischen den Repräsentanten dieser traditionsgebundenen, zum Teil von faschistischen aber auch von stalinistischen Denkmustern geprägten Autoren und den experimentierfreudigen, nonkonformistischen und gleichzeitig linken Nachwuchsautoren, die Anfang der siebziger Jahre als >Aktionsgruppe< den kleinen, rumäniendeutschen Literaturbetrieb revolutionierten, hatte bis 1975/76, dem Jahr des ,Kahlschlags’, die gesamte Szene gespalten.“26
In William Totoks Erinnerungsbuch ist davon die Rede, dass zwischen dem AG-BanatHauskreis „Universitas“ (Leitung: Richard Wagner) und dem AMG-Kreis Rivalität herrschte, die 1974 in einen offenen Konflikt ausartete.27 Seitdem die literarische Szene allein auf den AMG-Kreis angewiesen ist, da die anderen Zirkel eingegangen sind und die AG Banat im Jahr 1975 zerschlagen wurde, werden diese fundamentalen Differenzen dort ausgetragen, was den Kreis zu einer der interessantesten Einrichtungen des rumäniendeutschen Literaturbetriebes macht. Die Verschiedenartigkeit der vertretenen Positionen, die starke Präsenz von erneuerungswilligen Autoren sowie der Versuch „kultureller Insubordination“28 im repressiver werdenden Klima Rumäniens, auch im Hinblick auf die chauvinistische Minderheitenpolitik, verleihen dem Arbeitskreis ein 25 „Der heutige rumäniendeutsche Schriftsteller vertritt nach außen hin nicht eine rumäniendeutsche Gesellschaftsform, sondern die Gesellschaftsform Rumäniens.“ Gerhardt Csejka: Bedingtheiten der rumäniendeutschen Literatur. Versuch einer soziologisch-historischen Deutung. In: NL 8/1973, S. 25–31, hier S. 27. „Seine Motivation findet dieses Vorgehen auch darin, daß Wagner uns in dreifacher Hypostase begegnet: als Person, als Schrittmacher der ‚Aktionsgruppe Banat‘ und als Resultat und Komponente eines umfassenderen, verbindlichen Status, unserer zeitbezogenen und -bewußten Literatur, deren Entwicklung aus dem Partikulär-Regionalen zum Generellen verlief. Das bewies früh schon der Band der Anemone Latzina, die keine provinzielle (banater-schwäbische oder siebenbürgisch-sächsische) Komplexiertheit bewußt machte, sondern als rumänischer Staatsbürger deutscher Nationalität schrieb.“ Bernd Kolf: Unser Beitrag in dieser Runde. Recherchen zu unserer lyrischen Situation nach der Lektüre von Richard Wagner: Klartext. Ein Gedichtbuch. Albatros Verlag, Bukarest 1973. In: NL 1/1974, S. 95–103, hier S. 95. 26 Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 134. 27 Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 74–76. „Die ehemaligen ‚Förderer‘ der Aktionsgruppe scheuten sich nicht, Intrigen zu schmieden, wobei sogenannte ‚Leser‘ zum Sprachrohr der beleidigten ‚konsekrierten‘ deutschen Schriftsteller als die Repräsentanten der Minderheit erfunden wurden.“ Totok sieht hier einen „sich zuspitzenden Konflikt zwischen der Aktionsgruppe und dem GuttenbrunnKreis einerseits und der konservativen Leserschaft, die ihre faschistische Vergangenheit nie bewältigt hatte, andererseits.“ Ebd. 28 Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 137.
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charakteristisches Profil, das – einmalig für solche Institutionen – in zwei Jahrbüchern und zwei Sonderheften der NL dokumentiert wird.29 Aus heutiger Sicht wird der Stellenwert des AMG-Kreises bestätigt, sind es doch von der damaligen rumäniendeutschen Literaturszene hauptsächlich die Mitglieder der AG Banat, Franz Hodjak, Werner Söllner und Herta Müller, also Autoren aus dem Einzugsbereich des Literaturkreises, die den Schritt über den regionalen, minoritären Rahmen hinaus geschafft haben. Der Literaturkreis ist ein Ort, an dem verschiedene Entwicklungen sichtbar werden: die fortgesetzte Abgrenzung zwischen traditionsverhafteten und/oder regimefreundlichen Autoren und kritischen, neuerungswilligen Autoren; die Herausbildung neuer „Koalitionen“ unter den jüngeren Autoren, so beispielsweise das gemeinsame Auftreten von Herta Müller und der Ex-Aktionsgruppe; die andauernde Bemühung um eine zeitgemäße und unverblümte Literatur durch die progressivere Fraktion; und zuletzt auch das Scheitern dieser Bemühungen im Rahmen des AMG-Kreises. Gegen Ende der siebziger Jahre wird der AMG-Literaturkreis zum Obdach für diese jungen Autoren, die in kritischer Auseinandersetzung stehen sowohl mit der zunehmend totalitären rumänischen Gegenwartsgesellschaft als auch mit der um ihren kulturellen und demographischen Fortbestand ringenden rumäniendeutschen Minderheit. Nach Zerschlagung der AG Banat im Jahr 1975, die Schock und Desillusionierung der schwer getroffenen AG-Mitglieder bedeutet, bildet für diese ab 1977 der Literaturkreis einen offiziell geduldeten Raum, in dem Literaturpraxis stattfinden kann.30 Auch innerliterarisch findet die gewandelte soziale Situation ihren Ausdruck. Der engagierte Elan zur Mitgestaltung in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, der sich vor allem bei der AG Banat niedergeschlagen hatte, weicht nach und nach einer Schreibhaltung, die eher gesellschaftliche Bedingungen von der Warte des Einzelnen aus reflektiert. Hierin ist die rumäniendeutsche Literaturgeschichte durchaus den Entwicklungen in den deutschen Literaturen in Ost und West vergleichbar, wo diese neuen Positionen unter dem Stichwort „neue Innerlichkeit“ bzw. „neue Subjektivität“ firmieren. Die rumäniendeutsche Variante erhält die Bezeichnung „engagierte Subjektivität“.31 Das Angebot des Literaturkreises als neues Diskussionsforum für die zur Ordnung gerufenen Jungautoren scheint auch ansonsten regen Zuspruch zu finden, wie die steigenden Mitgliederzahlen bestätigen. So wird für 1980 ein Anstieg von 34 auf 71 Mitglieder angezeigt; in der Saison 1982/83 sind es 100 Mitglieder.32 In einem Interview von 1981 lobt Franz
29 Es handelt sich um die vier Publikationen im brennpunkt stehn, Pflastersteine und die Sonderhefte NL 12/1980 und NL 12/1981. 30 Zur genaueren Schilderung der Vorgänge 1975 vgl. Totok: Zwänge der Erinnerung und Krause: Deutschlandbilder. 31 Erstmals bei Walter Fromm: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. In: Die Woche, 26.01.1979. 32 NBZ, 23.05.1981. 100 Mitglieder sind es 1982/83 laut Edgar Schnitzler: Reicher Inhalt – vielfältige Formen. Der Temeswarer Literaturkreis „Adam Müller-Guttenbrunn“ in der Saison 1982/83. Zum vierten Mal Literaturpreise verliehen. In: VK, 8/1983, S. 24–26.
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Liebhard33 den florierenden Banater deutschen Literaturbetrieb und beschreibt die belebende Wirkung der neuen, vorher nicht üblichen Form der Arbeit im AMG-Literaturkreis. Fast jede wichtige Banater Veröffentlichung werde dort diskutiert.34 Zu diesem Literaturkreis gehört, wie auch zum rumänischen, ungarischen und serbischen Literaturkreis der Temeswarer Schriftstellervereinigung, eine Kommission, die „den Verlagen die Veröffentlichungsempfehlungen ausstell[t]“.35 Die Bedeutung des Literaturkreises wächst offensichtlich mit dem politischen Druck auf die gesamte Bevölkerung und speziell auf die Minderheiten im Land, wobei den Deutschen zwar die Pflege ihres Brauchtums gestattet, jedoch durch Zensur und Überwachung eine lebendige Gegenwartskunst gelähmt wird.36 So ist vermutlich die zurückhaltende Äußerung Peter Motzans von 1983 auch aufzufassen, der zu einer Lesung Müllers einen Vortrag hält: „Den Temeswarer Literaturkreis ‚Adam Müller-Guttenbrunn‘ halte er unter den derzeitigen Bedingungen des rumäniendeutschen Literaturbetriebs ‚für das einzige Diskussionsforum, das noch irgendwie funktioniert’, erklärte der Klausenburger Literaturkritiker und Hochschullehrer Peter Motzan (36) in der Literaturkreissitzung [...].“37
Die doppelte Ausrichtung des Literaturkreises einerseits auf die zeitgemäße Fortschreibung der rumäniendeutschen Literatur und andererseits auf die Bestätigung und Bewahrung der banatdeutschen Identität tritt im Ausschreibungstext für die ab 1980 verliehenen Förderpreise zutage. Vorzugsweise junge Autoren sollten diese Preise erhalten für Arbeiten, „die von Mitgliedern des Kreises innerhalb einer Saison gelesen wurden und, 33 Franz Liebhard (1899–1989), Autor und Publizist, 1951 Mitbegründer des „Banater Schrifttums“, der späteren NL. Gemeinsam mit Andreas Lillin und Michael Pfaff auch Gründung des FlacăraKreises (1949), der später in „Adam Müller-Guttenbrunn“-Kreis umbenannt wurde. Vgl. auch Grazziella Predoiu: Faszination und Provokation bei Herta Müller. Eine thematische und motivische Auseinandersetzung. Frankfurt/M. 2001, S. 23. Vgl. zu Liebhard und dem AMG-Kreis Totok: Zwänge der Erinnerung sowie Krause: Deutschlandbilder. 34 NBZ, 22.01.1981. 35 Vgl. NL 11/1977, S. 123–124. Vorsitzender des AMG-Kreises wie der zugehörigen Kommission ist beispielsweise 1977/78 Nikolaus Berwanger – zugleich Redakteur der NBZ. 36 Für 1977 stellt Totok fest, dass „als einziger offiziell anerkannter deutscher Literaturzirkel [...] nur noch der unter Ägide der Temeswarer Schriftstellervereinigung funktionierende ‚Adam-MüllerGuttenbrunn‘-Literaturkreis [existierte], dem ab 1977 auch die ehemaligen Aktionsgruppenmitglieder in der Absicht beitraten, in diesem staatlich organisierten Rahmen ihre kritische literarische Tätigkeit fortzusetzen.“ Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 128. Vermutlich bezieht sich Totok lediglich auf die ehemals fünf Literaturkreise in Temeswar, denn landesweit ist eine ganze Reihe von solchen Einrichtungen weiterhin tätig. 37 ES (Autorenkürzel): Versprachlichung der Realität. In: NBZ, 12.02.1983. Bezeichnenderweise wird am Ende des ausführlichen Berichts über Referat und kontroverse Diskussion über Müllers Texte für die nächste Sitzung eine Gruppenlesung zum Thema „Kerwei und Brauchtum“ angekündigt. Ein Thema, das offensichtlich Aufmerksamkeit erheischt und erhält, wenn auch in kontroverser Weise.
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dem Namen des Literaturkreises Rechnung tragend, vordringlich auf die Situation der Banater deutschen Bevölkerung ausgerichtet sind und sich durch originelle literarische Gestaltung auszeichnen.“38 Vor den literarischen Wert haben die Förderer hier die regionale Verwurzelung der Kunst gesetzt.39 Über die Preisvergabe wird ohne staatliche Einmischung von allen zahlenden Mitgliedern geheim abgestimmt; das ist für den gesamten Kulturbetrieb in Rumänien einmalig. Im Mai 1981 beteiligen sich beispielsweise 65 von 71 Mitgliedern an der Wahl. Von den letztendlich 64 abgegebenen Stimmen gehen für den Förderpreis (Prosa) 48 an Herta Müller, während das Abstimmungsergebnis für den Lyrik-Preis weniger deutlich ausfällt.40 Doch diese demokratisch belegte Wertschätzung der jungen Autorin teilt nicht nur das breitere Lesepublikum nicht, obwohl sämtliche Kritiken für den 1982 endlich erscheinenden Debütband Niederungen positiv bis euphorisch sind41, sogar im Literaturkreis selbst stehen einige Mitglieder der hier prämierten Art von Literatur skeptisch gegenüber, wobei sich die Argumente gleichen. Anlässlich der Veröffentlichung des Textes „Das schwäbische Bad“ in der NBZ, ebenfalls im Mai 1981, hagelt es regelrecht empörte Leserbriefe, unter denen sich auch ein Brief von Nikolaus Haupt, einem Temeswarer Kinderbuchautor und Mitglied des AMG-Literaturkreises, findet. Er soll hier als einziger aus dieser für den rumäniendeutschen Literaturbetrieb einmaligen Kontroverse ausführlicher zitiert werden, weil er nicht nur den Tenor der anderen 38 Im Herbst 1978 wurde beschlossen, den AMG-Literaturpreis am Ende der Saison 1978/79 zu vergeben. Vgl. NBZ, 11.11.1978. Erstmalig verliehen wurden die Preise in den Kategorien Prosa (Johann Lippet) und Lyrik (Franz Th. Schleich) aber am Ende der Saison 1979/80. Vgl. KR, 20.06.1980, S. 1 und 7 sowie den „Jahresrückblick Kultur“ in: NBZ, 08.01.1981. Ab 1981 gibt es auch einen Nachwuchspreis. Vgl. NBZ, 23.05.1981. 39 Vgl. hier Richard Wagner: „Ich gehöre zu den Mitbegründern der Aktionsgruppe Banat, ich war in der ersten Phase dabei, als wir legal unter diesem Namen gewirkt haben, und in jener zweiten, etwas skurrilen Phase, in der wir uns in einen offiziellen Literaturkreis begeben hatten, den Adam MüllerGuttenbrunn-Kreis, und in diesem Kreis haben wir dann auch recht abenteuerliche Dinge für den ‚realen Sozialismus‘ machen können. So haben wir unter anderem Anfang der achtziger Jahre, ohne jemanden zu fragen, einen Literaturpreis kreiert, Geld gesammelt und den Preis, obwohl er nie genehmigt worden war, offiziell vergeben, und die offiziellen Medien haben das auch akzeptiert. Es war ein De-facto-Preis. Aber das konnten wir auch nur [bis] 1982 treiben, bis dann unsere treuesten Sympathisanten [Securitate] wieder zugegriffen haben.“ In: Entstehung und Auflösung einer literarischen Gruppe. Podiumsdiskussion. In: Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Zweites Marburger Literaturforum vom 8.-11.10.1989. Hg. v. Wilhelm Solms. Marburg 1990, S. 265–287, hier S. 271f. 40 Prosa: Herta Müller (48), Albert Bohn (8), William Totok (6), zwei Enthaltungen; Lyrik: Eduard Schneider (23), Horst Samson (19), William Totok (15), Helmuth Frauendorfer und M. Kern (je 1). Vgl. NBZ, 23.05.1981. 41 Vgl. Rezensionen zu Niederungen, z.B.: Hellmut Seiler: Sachlich, aber phantasievoll. In: KR, 12.11.1982, S.4/5; Gertrud Rehner: „Wenn egal wovon die Rede ist von Verlieren die Rede ist“. In: Echinox, Nr. 10–11–12, 1982, S. 19; Von unseren Verlagen – für Sie. „Niederungen“ ist ein Buch, das man gelesen haben muß. In: VK, 3/1982, S. 29; Adrian Löw: Schmetterling spielt Vespe. In: VK, 3/1982, S. 32f.; Später: Annemarie Schuller: Ihre Mittel: arm und reich zugleich. In: KR, 14.06.1985, S. 4f.
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Wortmeldungen trifft, sondern auch die Irritation über die Entwertung des eigenen Kunstkonzeptes in Entrüstung wandelt. In seiner polemisch aufgeladenen Perspektive stellen sich doch recht gut die Entwicklungen der neueren Banater Literatur und zugleich die Verschiebungen im Literaturkreis dar – die nachfolgende Generation teilt offensichtlich das Literaturverständnis Haupts absolut nicht, der Verständlichkeit und Abbildtreue sowie Erbauung erwartet. Er diagnostiziert sehr treffend die neuerdings häufig zum Ausdruck gelangende „totale Entwurzelung“ der kritisierten jungen Autoren, räumt jedoch vor lauter „Volksbejahung“ dieser Befindlichkeit keinen Platz in der heimischen Literatur ein. Das Alter des Briefschreibers, nämlich 77 Jahre, weist auch auf den Generationskonflikt hin, der die literarische Diskussion häufig mit bestimmt und im AMG-Kreis zugunsten der jungen Erneuerer entschieden scheint: „Es ist eine altbekannte Tatsache, dass man den Lesern sehr viel zumuten kann. Insbesondere den Zeitungslesern. Man kann ihnen, um nur ein Beispiel zu sagen, in den Kulturbeilagen mit neuzeitlicher Lyrik kommen, die kein Hund versteht und in der die Bäume Kopf stehen, man kann ihnen ganz wirres Zeug, Ausgeburten krankhafter Gehirne in Prosa auftischen, sie sind stark im Nehmen, die Leser, schimpfen höchstens einmal leise oder laut, sagen, na so’n Blödsinn, lachen vielleicht. Wie gesagt, der Leser ist geduldig, sehr geduldig sogar. Aber auch diese Geduld hat ihre Grenze. Und wenn diese Grenze erreicht ist, platzt ihm der Kragen. Und er wird renitent. In einem solchen Zustand der Renitenz befindet sich ein Teil der Leser der NBZ. Es handelt sich um einen Sturm des Protestes, ausgelöst durch die Veröffentlichung eines Prosatextes, dessen Verfasserin Herta Müller heisst. [...] Es mag vieles unrichtig gewesen sein bei uns Schwaben in der Vergangenheit. Aber die totale Entwurzelung, die den Grundton bei den Arbeiten des Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises in der verflossenen Saison bildete, hat mich aufs tiefste erschreckt. Es handelte sich dabei um vorgelegte Arbeiten junger Menschen, die sich zu den Wortführern und gewissermassen Wegweisern einer ganzen Generation aufspielen und die kraft einer vielfach berufsbedingten Rabulistik schier ohne Gegenwehr den Literaturkreis in eine Geistesrichtung drängen, die geeignet zu sein scheint, ihn bei weiten Kreisen der Leserschaft in Verruf zu bringen. Offenen Protest löste Herta Müllers Kurzprosa über das schwäbische Bad aus, wobei dem Literaturkreis nicht der Vorwurf erspart werden kann, der Autorin sogar einen Literaturpreis zugesprochen zu haben. Wenn man bedenkt, dass solches in einer Zeit vor sich geht, in welcher die deutschen Menschen in diesem Landstrich vielleicht wie noch nie zuvor eines inneren Haltes und des Glaubens an den eigenen Wert bedürfen, ist es verständlich, dass die Herausstellung dieser Schreibenden und der Grundton der Laudatio, die bei der Preisverleihung auf diese Literatin gehalten wurde, in noch gesunden Schichten unserer deutschen Mitbürger Missmut, Ablehnung und empörten Widerspruch ausgelöst haben. Das umsomehr, als die rumänische Gegenwartsliteratur in ihrer beispielgebend bewusst volksbejahenden Haltung auch den jungen Autoren des Literaturkreises, sowie einer Herta Müller kaum unbekannt geblieben sein dürfte.“42 42 NBZ, 05.07.1981. Übrigens weist ein Diskussionsbericht an anderer Stelle auf Haupts Beteiligung an der Polemik gegen „Das schwäbische Bad“ hin und vermerkt kommentarlos – ausnahmsweise – dessen Alter. Das ist in dem ansonsten sehr sachlichen Artikel Hinweis genug. Vgl. ES: Versprachlichung der Realität. In: NBZ, 12.02.1983. Zur „Skandaldebatte“ vgl. auch die Artikel von Doro-
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Jeder Kommentar zur Bezeichnung der von Haupt verabscheuten Literatur als „Ausgeburt krankhafter Gehirne“ und der empörten Leser als „noch gesunder Schichten unserer deutschen Mitbürger“ erübrigt sich. Der Zusammenklang einer solchen Weltanschauung mit der von ihm vertretenen Kunstauffassung macht deutlich, mit welch gespenstischen Ansichten die jungen Autoren durch (Nicht-)Leser und sogar Kollegen mitunter konfrontiert werden. Nicht unbedingt handelt es sich dabei stets um den Gegensatz zwischen Jung und Alt, aber dies entspricht wohl am ehesten der Selbstwahrnehmung der Jungen.43 Nachdem also die jüngere Autorengeneration aus den anderen Einrichtungen des Literaturbetriebs in den AMG-Kreis gekommen ist, verlagert sich der schon schwelende Generationskonflikt in der Literaturszene dorthin. Die vor der Zerschlagung der AG Banat geführten Auseinandersetzungen um Aufgabe und Aussehen der rumäniendeutschen Literatur werden dann im AMG-Kreis fortgeführt, wobei die Fraktion der Erneuerer einerseits von stärkeren Positionen aus argumentieren kann, andererseits jedoch durch die repressiven Maßnahmen der Jahre 1975/76 schockiert ist. Wo es Richard Wagner beispielsweise gelingt, aus dem Lehrerberuf zum Journalismus zu wechseln und damit ein ihm gemäßeres Wirkungsfeld zu finden, da gibt Werner Kremm das Dichten ganz auf, kämpft William Totok gegen seine willkürliche Verhaftung und Kriminalisierung und deren Folgen, verlassen Ernest Wichner (1975), Anton Sterbling (1975) und Gerhard Ortinau (Entschluss 1976, Ausreise 1980) Rumänien. Exemplarisch für die Situation der rumäniendeutschen Literatur bilden sich schließlich die Fraktionen der konservativen und der progressiven Linie, zu der neben den verbliebenen ehemaligen AG-Banat-Mitgliedern weitere Autoren zählen, z.B Jakob Mihăilescu, Herta Müller, Werner Söllner, Helmuth Frauendorfer und Roland Kirsch. Ein Ausgleich lässt sich nicht herbeiführen.44 Die „berufsbedingte Rabulistik“ kreidet Haupt in seinem oben zitierten Leserbrief wohl vor allem dem Journalisten und mittlerweile „Star-Autor“ Richard Wagner an, der nicht nur die inkriminierte Laudatio gehalten hatte, sondern in der Saison 1981/82 thea Götz: Vom Ende einer heilen Welt. In: Beiträge zur deutschen Literatur in Rumänien seit 1918. Hg. v. Anton Schwob. München 1985, S. 97–102 und Franz Heinz: Kosmos und Banater Provinz. In: Ebd., S. 103–112. 43 Eine hervorragende Quelle für die Erfahrungen und Auffassungen der Autoren unterschiedlicher Generationen ist der Band Daß ich in diesen Raum hineingeboren wurde... Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa. Hg. v. Stefan Sienerth. München 1997. Im Gespräch mit Autoren wie Wolf von Aichelburg, Andreas Birkner, Georg Scherg, Hans Bergel, Oskar Pastior, Dieter Schlesak, Joachim Wittstock, Karin Gündisch, Franz Hodjak, Werner Söllner, Richard Wagner und Herta Müller entsteht ein lebendiges Bild von deren Lebenswegen und von den Erfahrungen im rumänischen Staatswesen zu unterschiedlichen Zeiten. Interessant sind die Berichte über das literarische Leben mit allen Widrigkeiten und Einschränkungen sowie über die Sympathien und Antipathien, die Autoren der hier vorgestellten Generationen füreinander hegen. Nicht zuletzt tritt aber das breite Spektrum von Literaturauffassungen zutage. 44 Vgl. Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 135. Laut Krause gehören Horst Samson und Balthasar Waitz mit Abstrichen zur Neuererfraktion. Krause: Deutschlandbilder, S. 130.
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sogar Vorsitzender des Literaturkreises wird.45 In seiner Laudatio hatte er vor allem die kritische Widerspiegelungskraft der Autorin gelobt, während er damit gleichzeitig selbst Anklage gegen die bornierte Mehrheit erhob und ein Bild der eigenen Autorengeneration zeichnete: „Und dann fingen wir an zu schreiben. Und wir, ein kleines Häuflein, sich gegenseitig festhaltend, um nicht abzurutschen46 in den allseitigen Opportunismus dieses Lohnempfängerplaneten, schrieben uns ran an die Übereinkünfte dieser Deutschen. Wir sagten, mitten in diesem kleinen Volk, aus dem ständig Leute fortgehn und uns ihre Generationsprobleme hinterlassen, mitten in diesem Volk sagten wir: Schaut euch doch mal selbst an! Und so entstanden dann diese Texte, die nicht der unmittelbaren Reproduktion dienen und geschrieben sind aus dem Irregehn an der Norm, die Texte der Herta Müller, geschrieben mit einem gehetzten Blick, unbequem für die Angeschauten, zuweilen eine Herausforderung, programmatisch die Übereinkunft Wirklichkeit verzerrend und sprengend mit dem ausgesprochenen Schreibziel, die Angeschauten merken zu lassen, wie sie wirklich sind und was nicht in Ordnung ist unter der Wolke der Welt und wie erschreckend die Züge sein können von dem, was man gemeinhin als Ordnung bezeichnet. [...] Müller hat sich mit ihrer Prosa von uns allen am weitesten vorgewagt zu den Verfestigungen unserer kleinen Sprach- und Kulturgemeinschaft.“47
Wagners Augenmerk liegt hauptsächlich auf der explosiven Wirkung von Müllers Texten, die sogar einen programmatischen Anspruch auf Enthüllung des „wirklichen“ Charakters der „kleinen Sprach- und Kulturgemeinschaft“ haben sollen. Die gelobte und prämierte Autorin hatte wiederum gedankt, selbst ihr Schreiben nicht als konstruktiv-kritische Widerspiegelung, sondern in erster Linie als persönliche Krisenbewältigung charakterisierend. Zunächst habe sie mit dem Schreiben von Gedichten ihre Depressionen überwinden wollen, später habe sie mit dem Aufschreiben von Erlebnissen aus ihrer Kindheit sich diese durch die Sprache aneignen wollen: „Ich musste wissen, was das Dorf in meinem Kopf aus mir gemacht hatte.“ Eigentlich nimmt Herta Müller eine ganz gegensätzliche Perspektive zu der ihres Laudators ein, der selbstverständlich genrebedingt die Leistung Müllers in ihren Rahmenbedingungen erklärt und von diesem historischen Allgemeinen zum speziellen Kollektiven des „kleinen Häufleins“ von schreibenden Nachgeborenen kommt und erst dann zu Herta Müllers literarischen 45 Wagner übt diese Funktion aus, bis er sich durch einen „typischen ,Zwischenfall’ (eine gezielte Hausdurchsuchung bei einem Kollegen) zum Rücktritt“ gezwungen sieht. Vgl. Gerhardt Csejka: Richard Wagner. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. München 1978ff. 46 Mit dieser Formulierung erinnert Wagner an das „Schneeballgedicht“ von Werner Söllner aus dessen vielgelobtem und prämiertem Band Mitteilungen eines Privatmannes (1978). Dieser zählt mit zu den „Geburtsdokumenten“ der „engagierten Subjektivität“. Söllner: „Ich stehe ja auch nur fröstelnd im Nieseln/ der Behauptungen, im Matsch/ der Erlässe, wie wir alle,/ ein kleines Häufchen, uns an den Händen haltend,/ um nicht zu versinken im mäßigen/ Schnee, der uns den Mund“. In: Werner Söllner: Kopfland. Passagen. Gedichte. Frankfurt/M. 1988, S. 21f. 47 NBZ, 07.06.1981.
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Texten. Müller verwendet diesen Begriff des „kleinen Häufchens“ ebenfalls, aber in seiner herkömmlichen von den Schwaben selbst gebrauchten Weise, nämlich für deren Situation unter ständigem Assimilationsdruck. Es scheint charakteristisch zu sein, dass Wagner sich dieses Bild aneignet, um einen ähnlichen Druck auf das von ihm beschworene Autorenkollektiv zu beschreiben, während Müller ihre Position konsequent als individuelle darstellt und die Häufchenbildung denjenigen überlässt, die damit ihre schwäbische Wertetafel rechtfertigen. Von einer demaskierenden Wirkung der Literatur, wie sie Wagner zeigt, ist bei Müller nicht die Rede, vielmehr bekennt sie umgekehrt, dass ihre Texte aus einer Verstörung resultieren, die das „Produkt dieser ethnozentristischen, imaginären Werte [ist], auch wenn die Schwaben sich dagegen wehren, dass ich das sage.“ Sie schließt nur scheinbar versöhnlich: „Es ist erfreulich, dass es hier noch einen Kreis von Leuten gibt, die das Aufschreiben einer Verstörung akzeptieren.“48 Dieser Kreis von Leuten scheint dort, trotz der Invektiven Nikolaus Haupts, gar nicht so klein zu sein, und auch in der wichtigsten rumäniendeutschen Literaturzeitschrift Neue Literatur kommen Müllers Texte regelmäßig zur Publikation: 1979 erscheinen hier zehn Texte, 1980 sechs, 1981 vier, 1982 sechs, 1983 elf. Und mit der lange verschleppten Publikation von Niederungen (1982) sowie dem Folgeband Drückender Tango (1984) hat sich Müller neben den anderen kreativen Unruhestiftern als Prosa-Autorin etabliert. Zu ihrem Status tragen dann insbesondere das rasche Erscheinen und die vielfache Auszeichnung ihres Debütbandes in der Bundesrepublik bei, womit ihr gleichsam als Qualitätsausweis die Aufnahme in die binnendeutsche Literatur bescheinigt wird. Hatte Müller als Studentin den Kontakt zu den als Hoffnungsträger für eine moderne rumäniendeutsche Literatur geltenden Mitgliedern der AG Banat nicht gesucht49, so dokumentiert sich in den Nachrichten über den Literaturkreis ihr engerer Anschluss an die Szene, wo die avancierteren ästhetischen Positionen gepflegt werden. Einerseits zeigen die regelmäßigen, d.h. jede Saison stattfindenden Lesungen Müllers, das jährliche Erscheinen neuer Texte und die Laudatio, die sie selbst für den Förderpreisträger des AMGLiteraturkreises Jakob Mihăilescu 1983 hält, dass sie von der wohlwollend betrachteten, Gedichte schreibenden Schülerin und Studentin zur ernstgenommenen, geschätzten Autorin geworden ist. Doch Müller bekleidet im Gegensatz zu einigen ihrer hartnäckig 48 NBZ, 07.06.1981. Der Begriff der „Verstörung“ verweist deutlich auf Thomas Bernhards gleichnamigen Roman; Bernhard war für Müller bekanntlich eine prägende Lektüreerfahrung. Vgl. Thomas Bernhard: Verstörung. Frankfurt/M. 1967. Vgl. außerdem: Alles, was ich tat, das hieß jetzt warten. Die ausgewanderte rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller im Gespräch mit Klaus Hensel. In: Frankfurter Rundschau, 08.08.1987. 49 Vgl. Schuller „Ihre Mittel: arm und reich zugleich“. Vgl. auch das zwar anonyme, aber nichtsdestoweniger programmatische Zitat in der NL: „Der ,Arbeitskreis ’74’ (Leitung: Peter Grosz) will sich nicht als Außenseiterkreis verstanden wissen. Sein Programm ist, programmatisch kein Programm zu haben. [...] ,Obwohl die Mitglieder [...] wie jene der Aktionsgruppe Studenten sind, wird keine Fusion erwartet.’ (Peter Grosz)“ In: NL 4/ 1974, S. 124. Das lässt schon auf eine ausgesprochene Nebenrolle des „arbeitskreises“ schließen, in dem sich Herta Müller wie die anderen Mitglieder nachdrücklich auf Distanz zum Hauptschauplatz Aktionsgruppe hält.
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engagierten Generationskollegen keinerlei Funktionen im Literaturbetrieb, betätigt sich auch nicht nebenberuflich als Rezensentin oder journalistische Berichterstatterin. Der ihr gezollte Respekt ist nicht allein an den Preisen ablesbar, die ihr schon ihr Debüt-Band einbringt50, sondern auch an kleineren Zeichen. Beispielsweise hält Peter Motzan ein Referat auf einer ihrer Lesungen 1983. Üblicherweise sprechen eher Temeswarer AMGMitglieder über ihre Kolleginnen und Kollegen; Motzan, der junge engagierte Wissenschaftler aus Klausenburg, Schulbuch-Autor, kenntnisreicher Kritiker und dominierende Figur der Forschung zur neueren rumäniendeutschen Literatur, hat jedoch seinen Vortrag über Müllers Werk parat, als er eingeladen wird.51 In einem Staat, in dem sich der Erfolg der Autoren weder in Preisvergaben, noch in Auflagenzahlen, noch gar in der Anzahl der Veröffentlichungen annähernd objektivieren ließe, gewinnen solche Hinweise, welche erwiesenermaßen kompetenten und ideologisch unverdächtigen Rezipienten bestimmte Autoren schätzen, eine gewisse Aussagekraft. Es geht hierbei eben nicht um das identifikatorische Lesen durch gesellschaftskritische Text-Kryptologen, das den kurzen Erfolg manches Dissidenten-Werkes begründet, sondern um die sachliche Kenntnisnahme literarischer Qualitäten. Das Fehlen von Öffentlichkeit, das Prärogativ wechselnder ideologischer Kriterien in der Verlagspolitik sowie der schönfärberische Grundton in der Tagespresse zwingen nachträglich zu eben der Quellen-Lektüre „zwischen den Zeilen“, die Aussagen zu Botschaften und Indizien zu Argumenten werden lässt. Anlässlich einer kleinen Schülerbefragung 1985 wird Herta Müller zwar nicht als Autorin für die Freizeitlektüre benannt, aber deutlich als Favoritin unter den NL-Autoren. Gar nicht genannt werden ihre Generationskollegen, allenfalls der zehn Jahre ältere Franz Hodjak, der in den weiteren Umkreis der „engagierten Subjektivität“ gehört.52 Erstaunlich mutet die Beliebtheit Herta Müllers in der Reihe von bevorzugten 50 Preise in Rumänien: Förderpreis des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“ (1981), Debütpreis des Rumänischen Schriftstellerverbandes (1982) und Literaturpreis des Rumänischen Kommunistischen Jugendverbands (1982); Preise in der Bundesrepublik: Aspekte-Literaturpreis des ZDF (1984), Förderpreis des Bremer Literaturpreises (1985), Rauriser Literaturpreis (1985), Ricarda-Huch-Preis der Stadt Darmstadt (1987). 51 „Obwohl eher ein Zufall, da Motzan seine Lesung nur kurz vor der geplanten Arbeitssitzung angeboten hatte, wurde es als eine glückliche Fügung bezeichnet, dass dieser literaturkritische Beitrag und die Lesung Müllers miteinander hatten verbunden werden können.“ ES: Versprachlichung der Realität. In: NBZ, 12.02.1983. 52 So vorsichtig solche Umfragen und erst recht ihre anschließende Veröffentlichung zu werten sind, scheint Herta Müller wenn nicht eigentlich in der Gunst der Schüler, so doch in der Gunst der Lehrer und der NL-Redakteure zu stehen. „Lest ihr die NL? Welches ist eure Meinung über diese Zeitschrift? Ist euch ein Text besonders aufgefallen? Was würdet ihr gern in der NL lesen?“, lautete die entsprechende Frage. Besonders beliebt sind demnach: „ausländische Schriftsteller“ sowie Klaus Konjetzky, Heinz Kahlau, Gedichte sächsischer Mundart, Franz Liebhard, Josef Puvak. Die „moderne“ Dichtung bzw. Lyrik trifft hier auf weitaus mehr Reserven als in den kurzen Äußerungen von Schülern aus dem Jahr 1969. Trotzdem wird Herta Müller als einzige mehrfach genannt. Goethe und Rilke werden als unerreichte Vorbilder deklariert. Vgl.: Zum Internationalen Jahr der Jugend. Musterschüler oder Punks? Was tun junge Leute in ihrer Freizeit/ Eine Umfrage in den XII.
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Autoren schon an, ist sie doch die einzige von ihnen, die kompromisslos modern und hoch poetisch erzählt. Ansonsten sind die Vorlieben eher gemäßigt modern bis altbacken. Wenn sich die befragten Schüler nur auf Müllers Erzählungen aus der NL beziehen, dann meinen sie solche Texte wie „Faule Birnen“, „Dreihundertneunundneunzig Jahre“, „Wer seinen Teller nicht leer ißt“, „Die kleine Utopie vom Tod“ und andere, die bis 1983 in der NL erschienen sind, denn erst im August 1985 folgt „Matthias“. Möglicherweise speist sich ihre Popularität neben dem erreichten Status im binnendeutschen Raum aus dem Identifikationsangebot, das aus dem Erzählen von der Lebens- und Erfahrungswelt der Jugendlichen, häufig aus Kinderperspektive, resultiert, und dem schockierenden Moment, das zugleich verfremdend und enthüllend („programmatisch verzerrend“, formulierte Wagner) dem Abgrenzungsbedarf der Heranwachsenden entgegenkommt. Darüber hinaus druckt NL auch Leserbriefe mit Gefallensbekundungen älterer Leser.53 In der Saison 1984/85 macht der AMG-Kreis eine Zwangspause und nimmt erst im Herbst 1985 seine Tätigkeit wieder auf. Genaueren Aufschluss über die Ereignisse, die zu der Unterbrechung führten, geben wiederum William Totok und Thomas Krause. Der allgegenwärtige Einfluss der Securitate hatte nicht nur dazu geführt, dass Herta Müller schon 1980 ihre Arbeit als Übersetzerin in einem Temeswarer Betrieb verlor, sondern auch Richard Wagners Rücktritt als Vorsitzender des AMG-Kreises im Herbst 1982 veranlasst.54 Andere Autoren waren ebenfalls in Bedrängnis geraten, zudem hatten sich die Spannungen im Literaturkreis verschärft. Es kam Ende 1983 zum Austritt von Wagner und anderen Mitgliedern, weil diese die Aufnahme eines „seit den fünfziger Jahren aktiven Hofdichters“ nicht dulden wollten. Herta Müller trat zwar nicht aus, besuchte die AMG-Veranstaltungen aber nur noch sporadisch.55 Nachdem im Sommer 1984 der junge Autor Helmuth Frauendorfer von der Securitate verhört worden war mit dem Ziel, ihn zur Denunziation seiner Kollegen und des AMG-Kreises zu zwingen, schrieben sieben Temeswarer Autoren – unter ihnen Herta Müller – einen Protestbrief an die zuständigen Instanzen: an das Temescher Kreis[partei]komitee und an den Schriftstellerverband. Das Ergebnis waren noch mehr Repressionen.56 Klassen des Kronstädter „Johannes Honterus“-Lyzeums. In: NL 5/1985, S. 3–9. Heinz Kahlau war auch unter DDR-Jugendlichen recht beliebt und, wie es scheint, war er auch ein Exportschlager. 53 Vgl. die Nummern 9/1985 und 11/1985. 54 Vgl. Krause: Deutschlandbilder, S. 138; Berwanger war Vorsitzender, Wagner wieder Stellvertreter. 55 Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 142ff. Herta Müller weigerte sich, mit der Securitate zusammenzuarbeiten und wurde deshalb 1980 entlassen. Wagner verlor im Dezember 1983 seine Anstellung bei der KR, weil er keine „Feiertagsreportagen“ zum 23.August schreiben wollte. Samson und Totok hatten 1982 unter Hausdurchsuchungen zu leiden, Totok wurde erneut verhaftet. Wagner und Frauendorfer verlassen Ende 1983 den AMG, weil sie Johannes Bulhardt nicht als Mitglied akzeptieren wollen. Vgl. Krause: Deutschlandbilder, S. 142. 56 Vgl. Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 144ff. Anfang 1990 werden eine Darstellung der Ereignisse sowie der Brief auch in NL publiziert. Der Autor Balthasar Waitz stützt sich dabei auf Totoks
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Schließlich sahen sich die Mitglieder des gesamten Literaturkreises veranlasst, sich gegen die Einmischung des Kreiskomitees in ihre Arbeit zur Wehr zu setzen. Sie wählten das einzige öffentlich wirksame Mittel der Selbstauflösung, obwohl der Schriftstellerverband einem damit verbundenen Skandal vorbeugen wollte. Erst im November 1985 nimmt der Kreis seine Arbeit wieder auf, ohne dass die namhaften oppositionellen Autoren zurückgekehrt wären.57 Das entschärfte Arbeitsprofil schlägt sich gleich im Programm des AMG-Kreises nieder: Im Dezember 1985 wird „Banatdeutsche Volksliteratur“ als Arbeitsthema für eine Zusammenkunft angekündigt. Auch die Preisvergabe für diese Saison weicht in mehreren Punkten von der kurzen Tradition ab. Die wenigen Mitglieder – es sind nur noch 34 – scheinen nicht selbst abzustimmen, sondern die Entscheidung einer Jury zu überlassen. Zwar erhält den Förderpreis tatsächlich ein junger Lyriker, doch die Hauptpreise, die zuvor jeweils für Lyrik und Prosa verliehen wurden, werden nun für zwei literaturhistorische Vorträge vergeben.58 Der ursprüngliche Widmungstext hatte klar das Kriterium der „originellen literarischen Gestaltung“ benannt, so dass nur ein Schluss naheliegt: Dem Literaturkreis sind die ernstzunehmenden Dichter ausgegangen. Die hatten ja zum großen Teil die Konsequenzen gezogen, waren dem AMG ferngeblieben und hatten Ausreiseanträge gestellt, was sie endgültig zu unerwünschten Personen im Kulturbetrieb machte. Ihre Namen dürfen nun in offiziellen Publikationen nicht mehr erwähnt werden. Mit dem Ausschluss von Herta Müller und ihren schreibenden Generationskollegen aus jeglicher Öffentlichkeit ist es gelungen, die rumäniendeutsche Literatur entscheidend zu beschädigen. Auch der „Adam Müller-Guttenbrunn“Literaturkreis sinkt in die Bedeutungslosigkeit zurück.
1.3. Gattungen: Lyrik der „engagierten Subjektivität“ Spätestens mit dem Ausreiseantrag vom Oktober 1985 wird Müller gänzlich ausgeschlossen aus dem offiziellen Literaturbetrieb; ihr Name wird nirgends mehr erwähnt, geschweige denn ein Text von ihr veröffentlicht. Damit ist die Laufbahn Müllers als Buch, berichtet aber auch aus eigener Erinnerung. Er gehörte neben Helmuth Frauendorfer, Herta Müller, Richard Wagner, William Totok, Johann Lippet und Horst Samson zu den Unterzeichnern und stellte als einziger von ihnen keinen Ausreiseantrag als Konsequenz der Geschehnisse. Er nahm ab 1985 an keiner AMG-Sitzung mehr teil. Vgl. Balthasar Waitz: „1984“ in Temeswar, Rumänien. Seiten einer (durch die Revolution) geöffneten Akte. Der Protestbrief der sieben deutschen Autoren aus Temeswar. In: NL 1–2/ 1990, S. 174–178. 57 Laut Totok nahm der AMG seine Arbeit auf Betreiben der Securitate wieder auf. Dem Kreis waren außerdem kurz hintereinander zwei Vorsitzende durch eine Reise in den Westen abhandengekommen; zunächst Nikolaus Berwanger, der den Vorsitz von Wagner zurück übernommen hatte, dann Erwin Lessel. Vgl. Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 148. 58 Der Förderpreisträger ist Marius Koity; die beiden Hauptpreise der Saison 1985/86 wurden verliehen an Luzian Geier („Unbekannte Briefe Adam Müller-Guttenbrunns im Staatsarchiv von Sibiu“) und Walther Konschitzky („Deutsche Volksliteratur im Banat“). Vgl. NL 7/1986, S. 90.
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Autorin in Rumänien beendet, und ihre Perspektiven liegen keinesfalls mehr in dem sich stetig mehr isolierenden Land. Die literarische Landschaft, in der Müller begonnen hat zu schreiben, verändert sich in dem Maße, wie ihre Akteure sich entwickeln, aber dies natürlich im Zusammenhang mit den Veränderungen in der rumänischen Gesellschaft. Vergleichbar mit den Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas in der Bundesrepublik und der DDR, findet auch in Rumänien die Hoffnung auf rasche Verwirklichung einer wirklich volksdemokratischen Gesellschaftsform ein schleichendes Ende. Die zeitliche Verzögerung dieses Umschwungs führt zur späteren Adoption von literarischen Tendenzen, die im binnendeutschen Raum schon Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre Raum gewinnen. Wenn sich in der Bundesrepublik im Laufe der siebziger Jahre der Blick der Schreibenden auf den Einzelnen, auf sich selbst und das Innere des Menschen richtet, so wohl auch in einer Gegenbewegung („Jetzt dichten sie wieder!“) zu den zuvor dominierenden Konzepten, die mit der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung um 1968 verknüpft waren. In der DDR-Literatur gibt es ebenfalls eine Besinnung auf solche Formen wie Autobiographie, Tagebuch etc. im Zuge eines erstarkten Interesses an subjektiveren Perspektiven. Genauso geht es nicht nur um eine innerliterarische Entwicklung weg von den noch virulenten drögen Planvorgaben der gelenkten sozialistischen Literatur des Realismus, sondern auch um die Nachwirkung des Jahres 1968, das in der DDR jedoch stärker mit dem Ende des Prager Frühlings verbunden ist. Die eingeschlagene gesellschaftspolitische Entwicklungsrichtung führt schließlich nach einem winzigen Lichtblick 1971 zur Vereisung des Klimas in der DDR ab 1976. Enttäuschung und Zweifel, Befürchtungen über das Scheitern eines ganzen Gesellschaftskonzeptes rücken in der Literatur aber schon gegen Ende der sechziger Jahre den Einzelnen als gewissermaßen letzte Prüfinstanz für die Wahrheit und individuelle Verträglichkeit des großen Entwurfes in den Mittelpunkt. Die darzustellende Dialektik von Individuum und Gesellschaft wird immer häufiger umgemünzt in die Behauptung des ganz persönlichen Rechtes auf Glückserwartungen und die Erzählung scheiternder Lebensentwürfe.59 In Rumänien gab es im Jahr 1968 zwar noch Anlass zu Optimismus, da hier die Niederschlagung des Prager Frühlings auf scharfe Kritik durch die Staatsführung stieß, jedoch ab 1971 ziehen die Temperaturen auch hier allmählich an (Kleine Kulturrevolution), so dass spätestens ab Mitte der siebziger Jahre die Hoffnungen auf jegliche, gar gleichberechtigte Mitgestaltung durch den Einzelnen oder die ethnischen Minderheiten im Land illusorisch sind. Der literarische Blick nach innen läuft einerseits parallel zu den Erstarrungsprozessen in der Gesellschaft und anderseits zur persönlichen Entwicklung der experimentierfreudigsten Protagonisten in der zeitgenössischen rumäniendeutschen Literatur, die ja allesamt sehr jung an die Öffentlichkeit getreten waren. Werner Söllner, 59 Man denke hier an Bücher wie Christa Wolfs Nachdenken über Christa T. (1968), Ulrich Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. (1972), Volker Brauns Das ungezwungene Leben Kasts (1972) oder an das posthum veröffentlichte Franziska Linkerhand (1974) von Brigitte Reimann.
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1980 befragt, ob seine Generation in den letzten acht Jahren ihre sozialpolitischen Anschauungen geändert habe, stellt fest: „Vorher suchten wir die möglichen Bewegründe [!] der Hoffnung, heute suchen wir die Ursachen der Traurigkeit.“60 Herta Müllers Wechsel von der Lyrik zur Prosa ist wohl auch ihrer persönlichen Entwicklung geschuldet und wird von ihr selbst als Neubeginn ihres Schreibens dargestellt, jedoch fügt sich dieser Schritt in die Umbrüche der rumäniendeutschen Literatur der späten 1970er Jahre ein. Vielleicht lässt sich ihre Autorenbiographie bis zur Übersiedelung in den Westen immer auch als Teil eines kollektiven Bildungsromans fassen, der den Werdegang einer ganzen Autorengeneration enthält. Die nach dem Krieg Geborenen stammen vorrangig aus Dörfern und kleinen Städten, meist erarbeiten sie sich an den Schulen und Universitäten ein höheres Bildungsniveau, gewinnen mit dem Fortgang aus ihren Herkunftsorten einen weiteren Horizont als ihre Eltern. Der früh geförderte Anfang mit lyrischen Versuchen und die anschließende philologische Ausbildung münden in ernsthaftere literarische Betätigung, die weiterhin gewünscht und in offiziellen Literatur-Institutionen unterstützt wird. Allerdings werden solche eigentlich kunstförderlichen Einrichtungen wie der Literaturkreis oder die wenigen Verlage zu Austragungsorten für staatliche Überwachung, Schikane und Vergeltung für abweichende ideologische Positionen. Die Schlachten um die Anerkennung moderner Literatur scheinen vielleicht nur deshalb endlich geschlagen, weil das Publikum sich aufteilt in diejenigen, die erst bei vermeintlicher Verunglimpfung ihrer Werte mit Leserbriefen reagieren, ansonsten aber ohne Literatur auskommen, und in diejenigen, die als Mitglieder einer Kulturelite sich zum derzeit regierenden Modernitätspostulat bekennen. In literaturbeflissenen Kreisen ist der Nachholbedarf vom Ende der sechziger Jahre in Sachen europäischer Moderne tatsächlich gedeckt, so dass auf dieser durch Literatur und Literaturkritik gesicherten Grundlage sich einige eigenständige Stimmen gleichauf mit dem internationalen Stand der Literatur vernehmen lassen können. Die ästhetische Gleichrangigkeit und Eigenständigkeit, jahrzehntelang angestrebt im Bewusstsein der Randlage, wird aber wertlos und sogar zum Grund für Nachstellungen, wo der geistige Horizont, die Aufgeschlossenheit und Unabhängigkeit, die für solche ästhetische Qualität Voraussetzung sind, allein schon als staatsfeindlich eingestuft werden. Im Moment ihrer Entstehung ist die neuere rumäniendeutsche Literatur von Rang am Ende. Ihre Protagonisten sehen sich gezwungen, das Land zu verlassen, wenn sie für ihr künstlerisches Selbstverständnis nicht mit Leib und Leben haften wollen. Diese Art von Auslöschung der rumäniendeutschen Literatur durch Erreichen einer ästhetischen Qualität war nie gemeint von den Autoren, die stets auch am Transzendieren der regionalen Bedingtheit ihres Schreibens gearbeitet hatten. Herta Müllers Weg durch den rumäniendeutschen Literaturbetrieb und aus ihm heraus verläuft jedoch ein wenig anders als eben grob skizziert. Da sie weder Mitglied 60 Zitiert nach: „Lyrik müsste jetzt wieder ein bisschen anders werden.“ Gespräch mit Richard Wagner anläßlich einer Lesung im Literaturkreis der Klausenburger Philologiefakultät. In: Echinox, Nr. 11–12/ 1980, S. 16.
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der AG Banat ist, noch sich mit ihren Gedichten stilistisch oder thematisch der schwungvollen Aufbruchsstimmung in der Lyrik des „polemisch-präskriptiven Engagements“61 anschließt, finden ihre Schreibversuche zunächst keine größere Beachtung. Das ihr als junger Lyrikerin zugesprochene Lob ereilt Anfang der siebziger Jahre viele andere auch, so dass auch die Suchbewegung im „Arbeitskreis ’74“ an der Universität sowie der neue Ton am Ende ihres Gedichtschaffens kaum auffallen. Zumindest im Literaturkreis, wo sie 1976 die letzten veröffentlichten Gedichte vorgetragen hatte, horcht man auf und tut sich schwer sowohl mit den letzten Gedichten als auch mit den ersten Prosatexten 1978.62 Die Schwierigkeit rührt her aus dem Befremden gegenüber der zutiefst persönlichen Offenlegung subjektiver, offenbar bedrückter Befindlichkeiten.63 Dieser „ungeschminkt ehrliche“ Ton von einer langsam ernstzunehmenden Autorin ist wohl neu für die Dichtungslandschaft Mitte der siebziger Jahre. Beim Vergleich der vorangegangenen Gedichte Müllers mit denen von 1976 ist der Qualitätssprung nicht zu übersehen, der aber nicht allein in der radikaleren Selbstaussage liegt, sondern auch im wesentlich reflektierteren Sprachverhältnis. So überrascht die Entblößung von scheinbar Privatestem das Publikum derart, dass die sprachliche Gestalt und die weit über das Persönliche hinausweisende Sprachkritik gar nicht erst wahrgenommen werden. Diese Kombination erlangt erst mit dem Aufkommen der „engagierten Subjektivität“ die Weihen der Literaturkritik. Zunächst verstört der Grad der Subjektivität. Insofern erweist sich Müllers Schreiben als different zum gerade noch in Geltung stehenden, eher „aktionis-
61 So kategorisiert Motzan die von programmatischen Äußerungen begleitete Hauptströmung der Lyrik von ca. 1970–1975 mit ihren Hauptakteuren der AG Banat. Vgl. Motzan: Lyrik nach 1944, S. 138–157. Vgl. auch Peter Motzan: Kontinuität und Wandel. Zu Werner Söllners Lyrikbänden „wetterberichte“. Cluj-Napoca 1975 und „Mitteilungen eines Privatmannes“. Cluj-Napoca, 1978. Nebst einer längeren Vorrede. In: NL 11/1979, S. 98–103. 62 Aus einem Bericht über die Lyrik-Lesung Müllers: „Hertha Müller-Karl bringt in ihren Gedichten Erkenntnis und Auseinandersetzung, Beziehung und Entfremdung zwischen Ich und Du zum Ausdruck, in espritreichem Wortspiel, mit der unverkennbaren Lust am Kombinieren, aber auch in dramatischen Bekenntnissen, die eine ungewöhnlich sensible Natur entdecken, in beiden Fällen jedenfalls mit einer Tiefe des Denkens und Empfindens und in einer sprachlichen Form, die nicht nur verheißungsvolle Perspektiven skizziert sondern teilweise heute schon die junge Dichterin legitimiert. Das lebhafte Für und Wider galt in der Folge weniger den Leistungen der Lyrikerin als vielmehr der Streitfrage, inwiefern Poesie dichterischen, siehe Öffentlichkeitswert hätte und wo sie als ureigenste Privatsache zu betrachten sei.“ Nina Fischer: Erlesene Harmonien in neubarocker Villa. Kulturbrief aus Temeswar. In: NL 4/1976, S. 101–102, hier S. 102. „In der Aussprache, die Nikolaus Berwanger leitete, wurde danach getrachtet, eine nuancierte Beurteilung der Lyrik der jungen Autorin zu geben, die seit ihrem Debüt in der ‚Neuen Banater Zeitung‘ und in der Anthologie Wortmeldungen, wie anhand der Texte aufgezeigt werden konnte, eine Entwicklung durchgemacht hat. Hervorgehoben wurde der persönliche Ton, der ungeschminkt ehrliche Charakter dieser Gedichte.“ NBZ, 22.01.1976. 63 Vgl. die überlieferten Gedichttexte im Anhang und Kapitel A. 3. und A. 4.
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tischen“ Literaturkonzept.64 Die zwei Jahre später erscheinenden Prosatexte sichern dann erst grundsätzlich zustimmende Aufmerksamkeit. Dass Müller im Jahr 1978 mit der produktiven Neuorientierung zum Brennpunkt des literarischen Geschehens vorstößt, liegt neben ihrem Neubeginn auch daran, dass sich dieser Fokus verlagert. Mitte des Jahres 1976 tauchen erstmals literarische Dokumente der „engagierten Subjektivität“ auf, die allerdings nach vereinzelten Beobachtungen in Rezensionen und Interviews erst in einer kleinen Debatte zum Abschluss des literarisch sehr ertragreichen Jahres 1978 ihren Namen erhält. An der zeitlichen Bestimmung der neuen Strömung zeigt sich eine der Eigenheiten des rumäniendeutschen Literaturbetriebes, nämlich die Differenz zwischen dem Bild eines Autors oder eines literarhistorischen Abschnittes, das durch die Gesamtheit der Printmedien vermittelt wird, und dem Bild aufgrund der Buchpublikationen. Letzteres wird in der gegenwärtigen Forschung meist zugrundegelegt. Bevor ein – insbesondere junger – Autor jedoch mit Lyrik oder Prosa in Buchform herauskommen konnte, waren Texte oder Fragmente schon längst in Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Nicht alle vorab veröffentlichten Texte wurden unbedingt in das folgende Buch aufgenommen; nicht jedes Fragment eines Romans entstammte einem fertigen Text, der später vollständig erschien; manchmal änderten sich einfach die ideologischen Rahmenbedingungen in dem mitunter langen Zeitraum, den die Werke beim Verlag zubringen mussten. Ein gutes Beispiel für die Kluft zwischen Buchpublikationen und tatsächlicher Wirksamkeit ist die Autorin Anemone Latzina, die nur ein kleines Gedichtbändchen veröffentlichte, aber als Mitarbeiterin der NL, als Übersetzerin, Kritikerin und nicht zuletzt als weiter in Zeitschriften publizierende Dichterin eigentlich die einzige allgemein akzeptierte Vorreiterin der innovativen, neueren rumäniendeutschen Literatur gewesen ist.65 Werden lediglich Buchpublikationen zur Literaturgeschichtsschreibung herangezogen, so verschiebt sich das Bild von Autoren ebenso, wie auch die Datierung bestimmter literarischer Entwicklungen schwieriger wird. Im Hinblick auf die „engagierte Subjektivität“ setzt Walter Fromm den Beginn auf „Mitte des Jahres 1976“ fest, ohne genauer anzugeben, welche Veröffentlichungen er für maßgeblich hält.66 Hatte die Kritikerin Annemarie Schuller das Phänomen ausführlich betrachtet und einige Bezeichnungen ausprobiert, so findet Walter Fromm mit „engagierte Subjektivität“
64 Man möchte die Hand ins Feuer legen dafür, dass Müller sowohl gegen literarische Konvention verstößt, als auch gegen traditionelle Rollenvorgaben. Bei ihr ist recht deutlich auch der sexuelle Aspekt einer Beziehung zwischen Ich und Du mitgemeint. Die männlichen Autorenkollegen schreiben einerseits nicht so persönlich-körperlich, andererseits steht ihnen der Schuss Machismo zu. Eine junge Autorin, die sich so weit vorwagt, irritiert. Sie hatte die Texte offenbar nicht einmal selbst vorgetragen, sondern – nach Überredung zur Lesung überhaupt – dem Schriftsteller und Schauspieler Hans Kehrer zum Vortrag anvertraut. 65 Zu Was man heute so dichten kann (Cluj 1971) mit 35 Texten kam erst 1992 ein Bändchen, das in Deutschland erschien, nämlich Anemone Latzina: Tagebuchtage. Gedichte 1963 bis 1989. Hg. v. Gerhardt Csejka. Berlin 1992. 66 Walter Fromm: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. In: Die Woche, 26.01.1979.
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den sich erfolgreich durchsetzenden Namen.67 Schullers Vorschläge, eine veränderte Schreibhaltung und neue Ausdrucksformen in der Lyrik zu erfassen, sind dagegen „Besinnlichkeit“, „Rückzug aufs mehr oder weniger Private“, „Neue Innerlichkeit“ – in Anlehnung an die bundesdeutschen Entwicklungen der sogenannten „Tendenzwende“ –, „ernüchterte ,Nüchternheit‘“ in Wiederaufnahme von Motzans „Euphorie der Nüchternheit“ als Charakteristikum der AG Banat-Dichtung oder „besinnliche[s] Tatsachenprotokoll“. Fromm und später auch Motzan halten das Beharren auf der angestrebten Wechselwirkung von Literatur und gesellschaftlicher Wirklichkeit für einen entscheidenden Zug der rumäniendeutschen im Vergleich mit der europäischen und amerikanischen neueren Literatur, von der sie Anregungen bezieht.68 Obwohl also gesellschaftliche Realität weiterhin eine große Rolle spielt, fällt offensichtlich als Differenzkriterium die erstarkte Position des lyrischen Ich auf, das sich nun im Gegensatz zum grammatisch oft nicht sichtbaren – wohl aber hörbaren – Ich oder dem etwas großsprecherischen „Wir“ der ersten Hälfte der siebziger Jahre artikuliert. Generell treten nun die Individualstile, die Themen und Vorlieben der einzelnen Autoren stärker hervor, so dass ein gemeinsames programmatisches Ringen um die korrekte Schreibhaltung wie zu Anfang der siebziger Jahre in Rundtischgesprächen oder im Zirkel der AG Banat nicht mehr möglich, ja nicht geboten erscheint. Zudem ist mit der AG Banat, die organisatorisch ein Literaturzirkel von Temeswarer Studenten war, auch ein äußerer Rahmen der kollektiven Selbstverständigung entfallen. Obwohl die ehemaligen Mitglieder beruflich eigene Wege gehen, unterschiedlichste Erfahrungen an verschiedenen Orten des Landes machen, bleibt der Kontakt unter den verbliebenen, aktiven Autoren bestehen. Darüber hinaus kommt nun auch die Dichtung von jungen Autoren wie Klaus Hensel und Werner Söllner zur Geltung, die sich neben der Dominanz der AG Banat einen eigenen Weg gesucht hatten. Frühe Vorläuferin für die engagiert-subjektive Tendenz ist übrigens wie67 Vgl. Annemarie Schuller: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. Ein Versuch über die Entwicklung der neueren rumäniendeutschen Lyrik. In: Die Woche, 05.01.1979 sowie Walter Fromm: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. In: Die Woche, 26.01.1979. Die „operative Formel“ Fromms (Motzan: Kontinuität und Wandlung. In: NL 11/1979, S. 98–103, hier S. 99) hat sich bis heute in der Forschung gehalten. Kegelmann hatte zwar für diesen literarhistorischen Abschnitt von ca. 1975–1985 statt der „Hilfsbezeichnung“ „engagierte Subjektivität“ den Begriff der „Entfremdung“ vorgeschlagen, aber wohl zu sehr mit Blick auf bestimmte Aspekte der Schreibhaltung und die schließlich erfolgte Ausreise der meisten Autoren, also vom Ende her. Vgl. Kegelmann: Grenzen des Nichts, S. 40ff. 68 Es stellt sich die Frage, ob Fromm und Motzan hier eventuell der Bezeichnung „Neue Subjektivität“ auf den Leim gehen? Eine Fortführung deutscher Innerlichkeitsdichtung, wie sie zu befürchten scheinen, findet sich nämlich nicht unter dieser Benennung. Weder in der östlichen noch in den westlichen Literaturen verabschieden sich die Autoren auf Nimmerwiedersehen von der Reflexion politisch-gesellschaftlicher Wirklichkeit. Es kommt in der rumäniendeutschen Kritik nicht zur konkreten Bestimmung des Engagements, das die hiesigen Autoren gegenüber den binnendeutschen auszeichnen soll; genauso wenig werden letztere überhaupt namentlich erwähnt, so dass diese Differenzierung den Kenntnissen und der Phantasie der Leser zum Nachvollzug anheimgestellt bleibt.
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derum die vielverehrte Anemone Latzina, die schon in der ersten Hälfte der siebziger Jahre Texte mit einer vergleichbaren Schreibhaltung publiziert.69 Nach wie vor existieren unterschiedliche Lyrik-Konzepte nebeneinander, aber die diskursive Vorherrschaft geht von einem provozierenden Ansatz der frühen Siebziger auf einen reflektierenden Ansatz für die zweite Hälfte der Siebziger über. Zu den Vertretern der neuen Richtung in der Lyrik ist auch der zehn Jahre ältere Franz Hodjak zu zählen. Gerhard Ortinau, Richard Wagner, Johann Lippet, William Totok und Rolf Bossert, der zwar nicht direkt zur AG Banat, aber in deren engen Freundeskreis gehörte, sind daneben die weiterhin aktiven, die neue Strömung bestimmenden Autoren. Charakteristisch für die engagierte Subjektivität ist die Bevorzugung des „langen Gedichtes“70; das hängt eng mit dessen konzeptioneller Offenheit für disparate Wirklichkeitsfragmente zusammen, ohne dass diese von einer gesicherten Position des sprechenden Subjekts aus unter ein thetisch oder dialektisch ordnendes Prinzip gefasst würden.71 Die Augenblickshaftigkeit, das Zusammenschießen von Wahrnehmung und Reflexion zielt aber nicht auf die Feier des Augenblicks, auf die Faszination durch das Lebendige schlechthin. Vielmehr scheint sich die äußere Distanz der frühen Jahre, die Provokation und Keckheit zeitigte, nach innen verlagert zu haben, so dass durch bittere Selbstironie, Selbstbeobachtung und elegische Realistik72 das Unbehagen nicht nur an den äußeren Umständen, sondern an der Situation des Subjekts in diesen Umständen 69 Auf Latzinas Vorbildhaftigkeit nicht nur in Sachen Nüchternheit, sondern auch in Subjektivität weist Motzan hin. Franz Hodjak und Frieder Schuller nennt er ebenfalls in diesem Zusammenhang. Vgl. Motzan: Kontinuität und Wandlung, S. 100. 70 Das „lange Gedicht“ wird, wie schon in seiner Konzeption durch Walter Höllerer (1965) angelegt, in unterschiedlichen Längen gepflegt. Höllerers „Thesen zum langen Gedicht“ entfalteten in der Bundesrepublik ihre Wirkung bis weit in die siebziger Jahre hinein. Vgl. Ralf Schnell: Die Literatur der Bundesrepublik. Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb. Stuttgart 1986, S. 294ff.; dort auch: Walter Höllerer: Thesen zum langen Gedicht, S. 297. Die rumäniendeutschen Autoren nehmen Anregungen von deutschen und amerikanischen Autoren auf, jedoch entwickeln sie mit zeitlich geringer Verzögerung eine eigenständige Spielart, so dass die Diskussion um deren Benennung notwendig zu sein scheint. 71 „Das Gedichtmodell aus dem ‚Klartext‘ war nicht weiter verwendbar, weil ich den unabweislichen Eindruck hatte, in dieser Gedichtform nichts mehr zu der eingekreisten Problematik hinzufügen zu können. Das Problem stellte sich vordergründig dar als Suche nach einem neuen Gedichtmodell. Ich strebte ein direkteres Verhältnis zur Realität an, d.h., daß jetzt zum Unterschied von meinem ersten Band, der die Probleme im nachbrechtschen Reduktionsgedicht verallgemeinert darstellte, ein anderer Blickwinkel in den Vordergrund rückte, der die Verhältnisse eher aus den Einzelheiten des Alltags erfassen wollte. Im Ergebnis kam ich von der aphoristisch zugespitzten Formulierung des Kurzgedichts auf die Formel des langen Gedichts, das mir erlaubte, die Phänomene an ihrer konkreten Widersprüchlichkeit aufzustellen.“ Emmerich Reichrath: Direktes Verhältnis zur Realität. Gespräch mit dem Schriftsteller Richard Wagner. In: Neuer Weg, 24.5.1977. Zitiert nach: Peter Motzan „...und hier wird schon noch geredet werden.“ Vom Klartext (Albatros Verlag, 1973) zur Invasion der Uhren (Kriterion Verlag, Bukarest, 1977). In: NL 2/1978, S. 112–116, hier S. 114. 72 Die Begriffe stammen von Peter Motzan: Kontinuität und Wandlung, S. 100.
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zum Ausdruck kommt. Die betonte Diskursivität wird abgelöst durch das Prinzip der Reihung, die keine argumentativen Strukturen hervorbringt: „Die Gedichte gehen sozusagen aus dem Leim. Der soziale Alltag wird darin immer weniger in wesentlichen Erlebnismomenten erfasst, er breitet sich in den Gedichten seinem Wesen gemäss aus, nämlich als privates, unorganisiertes, allenfalls chronologisch ablaufendes Phänomen. [...] Die Begrenztheit der eigenen, privaten Wahrnehmung wird überbetont.“73
Das schlägt sich nieder in solchen Textbezeichnungen wie Notizen, Impressionen, Fragment, Report, die laut Schuller häufig im Titel erscheinen. Nicht nur in der literarhistorischen Betrachtung Schullers, Fromms oder Motzans erweisen sich die Besonderheiten der Lyrik der „engagierten Subjektivität“ in der Differenz zum vorausgegangenen „polemisch-präskriptiven Engagement“ als charakteristisch, sondern diese Differenzerfahrung selbst macht ein wesentliches Element der neugewonnenen Schreibhaltung aus. Erst wenn die eigene, frühere Position des selbstsicher drängenden Engagements vorausgesetzt wird, kann die gegenwärtige als beschränkter, vorsichtiger begriffen werden. Als müsste dieser scheinbare Rückzug aufs Private von jedem Verdacht eben der Beschränktheit freigehalten werden, gibt Wagner, der wie stets die Entwicklung mitbestimmt, die Auskunft, dass genau ein solcher Schritt nahegelegen habe: „Das nachbrechtsche Kurzgedicht fing an, die Wirklichkeit seinem Erfahrungsmuster anzugleichen. Ich brauchte ein Verfahren, das mir wieder ein direktes Verhältnis zur Wirklichkeit ermöglichte.“74 Wagner zeichnet die Bewegung als wesentlich innerliterarische, benutzt für seine Argumentation sogar die Denkfigur und das entsprechende Vokabular der formalistischen Schule, dass Literatur sich als „Verfahren“ realisiere, das jeweils im Rhythmus von Automatisierung und Entautomatisierung erneuert werde. Er beharrt zugleich auf dem Movens seiner persönlichen künstlerischen Entwicklung, die schließlich literarisches Neuland erschließe: „Andererseits ist mein Selbstverständnis nicht mehr so ungebrochen wie ehedem, das Vertrauen in die Sprache (Sprache im weiteren Sinn) ist kein blindes Vertrauen mehr, ich würde das aber nicht als Zurückstecken, sondern als Ausweitung des Schreibprogramms sehen.“75 73 Schuller: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. 74 Walter Fromm: Interview mit Richard Wagner. In: NL 2/ 1979, S. 52–54, hier S. 53. 75 Ebd. Fromm weist an anderer Stelle nicht ausdrücklich, aber nachdrücklich auf die schockierenden Erfahrungen hin, die die jungen Autoren 1975/76 mit den Repressalien der rumänischen Diktatur machten: „Die Autoren mussten umdenken und ihr Selbstverständnis möglichst revidieren. Sie hatten zahlreiche Erfahrungen gemacht, die sich nicht mehr bruchlos in eine lyrische Manifestationsform mit begrenzten Möglichkeiten einordnen liessen. Es ist bezeichnend, dass in keinem einzigen Gedicht der neuen engagierten Subjektivität diese selbst, ihr situativer Hintergrund und ihr ideologisches Umfeld auch nur lobend erwähnt oder gar enthusiastisch begrüsst worden wären. Im Gegenteil, mir scheint’s, dass man traurig und ratlos und auch ein wenig resigniert diese eigene Innerlichkeit durchlebt.“ Fromm: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit.
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Diese Reflexion auf die Bedingungen und Möglichkeiten lyrischen Sprechens, literarischen Sprechens und sprachlicher Identität überhaupt wird vielen Texten der engagierten Subjektivität eingeschrieben. In der Kritik ist sogar von „Sprachkrise“ die Rede. Wenn zuvor das eigene Tun, nämlich das Verfassen von Texten – ausdrücklich nicht das Dichten von Gedichten – unbezweifelt als Teilnahme an und Motor von gesellschaftlichen Prozessen aufgefasst und dargestellt wurde, so tritt in den neuen Texten das Moment der Individuation in den Vordergrund. Die zuvor „geradezu programmatische Ausschaltung jeder emotionalen Partizipation“76 weicht einer Offenheit für Stimmungen, zuweilen fürs Sentiment, wobei die Gefühle von „Unbehagen, Melancholie, Unruhe, Angst, Resignation, hingebungsvolle[r] Tristesse, Galgenhumor“ 77 vorherrschen. Vorwiegend negativ ist also die Selbsterfahrung strukturiert, die der Subjektivierung in diesen Gefühlslagen Vorschub leistet. Von einer solchermaßen individualisierten Position aus wird die weiterhin aus dem gesellschaftlichen Umfeld bezogene Welterfahrung in den Blick genommen. Statt der angestrebten allgemeinen Gültigkeit der provokanten, engagierten Texte der früheren Jahre wird die Geltung des Gesagten durch die betont subjektive Verarbeitung rückgeführt auf den Erlebnis- und Reflexionshorizont des Einzelnen. Der Zug zur das lyrische Sprechen legitimierenden Individualisierung zeigt sich auch in der lebensweltlichen Verankerung der Texte. So bilden häufiger konkrete Orte und alltägliche Situationen die Ausgangspunkte für die neueren Gedichte, während beispielsweise bei Wagner in der ersten Hälfte der siebziger Jahre öfter unspezifizierte Bau-Metaphern zu finden sind, die wiederum eine blasse Erinnerung an die Aufbau-Dichtung der 1950er und frühen 1960er Jahre wachrufen. Selbstverständlich liegen Welten zwischen beiden Arten von Literatur, nämlich der polemisch engagierten Dichtung der frühen Siebziger und der affirmativ engagierten Literatur der Fünfziger und Sechziger, aber die analoge Vorliebe, Gesellschaft als ein in Bau befindliches Gemeinschaftswerk darzustellen, weist auf eine Verwandtschaft beider Dichtungskonzepte hin, die aus einer grundsätzlich optimistischen Perspektive heraus den appellativen Gestus ihrer Texte speisen. Jedoch erwartet die Theoriebildung und poetologische Reflexion der rumäniendeutschen Avantgarde Anfang der siebziger Jahre von den pathosfernen Texten einen „Gebrauchswert“, der natürlich nicht im Rühmen der Errungenschaften und im visionären Ausblick auf kommende Großartigkeiten bestehen kann. Der von Brecht inspirierte Begriff des „Gebrauchswertes“ zielt auf den Nutzen, die Anwendbarkeit von Literatur und ersetzt das Dogma der „sozialistisch realistischen Schreibweise“ in seiner engen Abbild-Auffassung, so dass weitaus mehr künstlerische Freiheit in der Wahl der literarischen Mittel besteht. Die enge Beziehung zwischen Literatur und sozialer Wirklichkeit soll die Literatur nicht allein zu einem Artefakt, sondern aufgrund ihres kritischen Potentials zu einem Erkenntnis- und Handlungsinstrument machen. Damit verbunden ist die Hoffnung auf 76 Motzan: Lyrik nach 1944, S. 141. 77 Schuller: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit.
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die Wirksamkeit von Literatur in gesellschaftlichen Prozessen und davor die Überzeugung, dass diese überhaupt in eine wünschenswerte Richtung führen. Von einem solchen optimistischen Blick der Literatur auf die Wirklichkeit kann trotz der noch immer aufklärerischen Züge der engagierten Subjektivität ab Mitte der 1970er Jahre in Rumänien keine Rede mehr sein. Wenn man von der offiziellen Gattung der Staatspanegyrik absieht. Diese pflegt noch immer unverdrossen den Hymnen-Ton und dient dem wachsenden Personenkult um das Herrscherpaar Ceauşescu. Ebenfalls nicht kanonisiert – zumindest im Großkanon der deutschsprachigen Literatur – sind Tendenzen, die sich nicht unmittelbar zur engagierten Subjektivität bekennen. In den späteren siebziger Jahren erlebt zum Beispiel die Dialektdichtung einen Aufschwung, was sich nicht einfach als Erstarken konservativer Kräfte abtun lässt. Ebenso wie die „engagierte Subjektivität“, wie der Drang zu Biographie und Autobiographie oder wie die Aufnahme der „Dorfgeschichte“, die allesamt zum kanonisierten Teil dieser Literatur beitragen, ist diese Erscheinung zugleich eine eigenständige Entwicklung der rumäniendeutschen Literatur wie auch Parallelaktion zur binnendeutschen Literatur, die wiederum durch ähnliche Züge das ferne Echo in Rumänien legitimiert. Dass nicht alle Ausprägungen der Literatur der Geschichtsschreibung für wert befunden werden, ist kein Merkmal der rumäniendeutschen Literatur allein. Aber von der Vielfältigkeit des Gleichzeitigen blieb bemerkenswerterweise bislang gerade bei der kleineren, übersichtlichen Literatur nur eine neuere Entwicklungslinie im Gedächtnis, nämlich die der Lyrik, wie sie in der Tauwetterperiode Ende der 1960er Jahre begann und spätestens Mitte der 1980er Jahre wegen Autorenschwundes im Sande verlief. Die Dialektabteilung jedoch – aller deutschsprachigen Literaturen – bereitet wegen ihrer sprachlichen Besonderheit bei der breiteren Rezeption und Kanonisierung große Schwierigkeiten. Das vermehrte Interesse der hochsprachlichen Literatur, und näherhin der Lyrik, am Subjekt, seinen Befindlichkeiten und seiner Geschichtlichkeit schlägt sich also auch in der rumäniendeutschen Literatur als Hinwendung zu Biographie und Autobiographie nieder. Dabei ist freilich auffällig, dass diese tendenziell eher erzählenden Textgattungen in der Lyrik ebenfalls realisiert werden. So erscheint beispielsweise 1978 ein Teil aus „Biographie. Ein Muster“ von Johann Lippet78, in dem der Autor seine Herkunft und Entwicklung in einem langen Erinnerungsgedicht erforscht, und Werner Söllners langes Gedicht „Eine Entwöhnung“79 von 1980 stellt einen vergleichbaren Versuch über das eigene Gewordensein dar.80 78 Ein Fragment erschien 1978: Johann Lippet: biographie. ein muster. In: NL 8/1978, S. 11–16. Als Buch erst 1980 in Bukarest. Der Titel erinnert stark an Christa Wolfs 1976 publizierten Roman Kindheitsmuster. 79 Werner Söllner: Eine Entwöhnung. In: NL 1/1980, S. 20–26. 80 Johann Lippet: Biographie. Ein Muster. Bukarest 1980; Werner Söllner: Eine Entwöhnung. In: Kopfland. Passagen. Frankfurt/M. 1988; zuerst in: Eine Entwöhnung. Bukarest 1980.
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Müller selbst tritt erstmals im Jahr 1978 mit Prosatexten an die Öffentlichkeit, die ab 1976 entstanden sind. Der Anlass für den Neubeginn ihres Schreibens war nach eigener Auskunft das Bedürfnis, sich nach dem Tod ihres Vaters mit der Welt ihrer Kindheit auseinanderzusetzen. Damit ordnet sich Müller in eine größere Strömung der deutschsprachigen Literatur nicht nur in Rumänien ein. Sowohl in der Literatur der DDR als auch in den westlichen deutschsprachigen Literaturen kommt in den Siebzigern ein von verschiedensten Texten belegtes Verlangen nach in Subjekt-Geschichte verbürgter Authentizität auf.81 Was sich im Westen als langanhaltende Konjunktur biographischen und autobiographischen Schreibens niederschlägt, findet zwar auch im Osten zu diesen Formen, jedoch nicht in dieser Breite. Hier erlangt zugleich die Form der Dokumentation Bedeutung, die Alltagsgegenwart und z.T. Zeitgeschichte scheinbar neutral spiegeln kann.82 So unterschiedlich die einzelnen Antworten auf den Bedarf an „echter Biographie“83 sein mögen, liegen ihm wohl vergleichbare Motive zugrunde. Michael Rutschkys Begriff vom „Erfahrungshunger“ erfasst in diesem Zusammenhang wohl den wachsenden Orientierungsbedarf in Zeiten wachsender Unübersichtlichkeit. Schon in den zwanziger Jahren, einer Phase großer gesellschaftlicher Verwerfungen, gab es einen regelrechten Boom biographischer Literatur. Über das erneute Aufweichen von Ideologien am Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger stellt sich sowohl im Westen wie auch im Osten ein Verlangen nach Etablierung von Perspektiven ein, die dem Einzelnen mit seiner persönlichen Geschichte und seinen Wünschen mehr Geltung einräumen. Im Osten steht eine Generation von Autoren in der Öffentlichkeit, für die das schon die „zweite Erkenntnis“ in Bezug auf ideologische Heilsversprechen ist. Andere sagen sich zum ersten Mal von solchen Vorgaben los. Während in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik die neue Gattung der „Verständigungstexte“ entsteht, erstarkt in der DDR die Protokoll- und Dokumentarliteratur. Diese bleibt im Westen ein zusätzliches, vergängliches Forum von zweifelhafter Literarizität. Doch im Osten bildet sie wohl ab ca. 1975 eine Art Öffentlichkeitsersatz von größtmöglicher Wahrhaftigkeit. Das ent81 Wichtig in diesem Zusammenhang ist dabei der von Ingeborg Bachmann konstatierte strukturelle Ortswechsel des Subjekts: „Die erste Veränderung, die das Ich erfahren hat, ist, daß es sich neuerdings nicht mehr in der Geschichte aufhält, sondern daß sich neuerdings die Geschichte im Ich aufhält.“ Bachmann: Frankfurter Vorlesungen, S. 230. 82 Als Beispiel im rumäniendeutschen Horizont ist hier zu nennen Walther Konschitzky: Zum Alter die Ehr. Bukarest 1982. Dabei handelt es sich um Lebensberichte alter Menschen aus den Banater Ortschaften. Motzan weist in seiner Rezension zu Niederungen (N I) auf seine parallele Lektüre dieses Buches hin: „trauriges und freundliches, ein gefaßtes und bestürzendes Buch“. Vgl. Peter Motzan: „Und wo man etwas berührt, wird man verwundet“. In: NL 3/1983, S. 67–72, hier S. 72. 83 Unter „biographischem Schreiben“ wird nicht allein das Abfassen von schulmäßigen Biographien historischer Persönlichkeiten verstanden, sondern jene Art von Literatur, die einen solchen Lebenslauf erstmals erforschend oder neu interpretierend als Gewähr (quasi als Beweismittel oder Versuchsanordnung) für Gegenwärtiges nutzt. Ein Beispiel wäre die fiktive Begegnung von Kleist und der Günderode in Christa Wolfs Kein Ort. Nirgends (1979). Biographisches Schreiben kann ebenfalls das detaillierte Betrachten des Gewordenseins fiktionaler Figuren sein, wie es paradigmatisch Uwe Johnson in Jahrestage (1970–1983) vorführt.
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gegengesetzte Phänomen wäre hier nicht die literarische Phantastik, sondern die offiziellen Medien mit ihrer propagandistischen Funktionalisierung. Schlichte Aufzeichnung von Realität in Form von Protokollen und Dokumentationen ist nicht zu treffen vom Universal-Argument, das seien nicht die Sorgen „unserer Menschen“. Die große Popularität84 dieser Art von Literatur erklärt sich letztlich auch damit, dass hier der Einzelne gesucht wird, seine Befindlichkeit und sein Blick auf die Welt ernst genommen werden. Nicht in dieser Breite und Vielfalt wie in den deutschen Binnenliteraturen, aber doch deutlich genug zeigt sich in den Texten der „engagierten Subjektivität“ der Ansatz, das eigene So-Sein aus seiner Geschichte heraus zu verstehen. Eine weitere Spielart biographischen Interesses stellt wohl der Schritt in die Kinderliteratur dar. Die Vergangenheit, bei den jungen Autoren eben Kindheit und Jugendzeit, als Begründung für die gegenwärtige Verfasstheit des Individuums zu verstehen, führt zu einer Aufwertung dieses biographischen Abschnittes. Halten es einige Autoren für dringlich, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, tragen andere der Bedeutung dieses Entwicklungsabschnittes Rechnung, indem sie sich an die gegenwärtigen Kinder, somit die zukünftigen Subjekte der Geschichte wenden. Von den Protagonisten der „engagierten Subjektivität“ bringen Richard Wagner, Franz Hodjak und vor allem Rolf Bossert für Kinder bestimmte Bücher heraus.85 Die Entdeckung der Kindheit als produktions- und rezeptionsästhetischer Spielraum mag die unterschiedlichsten Motive haben, jedoch scheint die Erschließung einer neuen Wirkungsmöglichkeit per Literatur zu locken. Politische Implikationen können in Kinderbüchern gleichsam „geschmuggelt“ werden, so dass diese Bücher zugleich eine Ausweichbewegung gegenüber der Zensur darstellen. Nicht allein die staatliche Zensur spielt hier eine Rolle, wohl auch der verfestigte 84 In Form von Erlebnisberichten, Reisebüchern, Tagebüchern, Memoiren, Reportagen, Protokollen und Interviews. Ab 1970 erscheinen verstärkt Memoiren namhafter „Veteranen“ aus verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Vgl. Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig 1996, S. 291f. 85 Rolf Bossert: Mi und Mo und Balthasar. Bukarest 1980; Der Zirkus. Bukarest 1982. Übersetzungen Bosserts: Victor Eftimiu: Märchen. Bukarest 1980; Gellu Naum: Der Pingiun Apollodor. Bukarest 1982. Franz Hodjak: Die humoristischen Katzen. Kinderverse. Bukarest 1979; Der Hund Joho. Bukarest 1985. Fridolin schlüpft aus dem Ei. Bukarest 1986. Richard Wagner: Anna und die Uhren. Geschichten für Kinder. Bukarest 1981. Alle diese Bücher erschienen im Kinderbuchverlag „Ion Creangă“ Bukarest. Werner Söllner war 1976 bis zu seiner Ausreise 1982 Lektor beim Kinderbuchverlag und betreute nicht nur, sondern regte befreundete Autoren zum Schreiben von Kinderbüchern an. Den „sprunghaften Anstieg des Niveaus der rumäniendeutschen Kinderliteratur“, der sich auch der erfolgreichsten Kinderbuchautorin Karin Gündisch verdankt, sieht auch Kurt Markel: Das deutschsprachige literarische Leben im Rumänien der Nachkriegszeit (1944– 1989). Ein essayistischer Arbeitsbericht. In: Wer mag wohl die junge, schwarzäugige Dame seyn? Zuordnungsfragen, Darstellungsprinzipien, Bewertungskriterien der deutsch(sprachig)en Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa. Hg. v. Werner Biechele und András F. Balogh. Budapest 2002, S. 61–67, hier S. 67. Leider belässt er es bei einem Hinweis auf Söllners Tätigkeit, ohne das Interesse der Autoren an der Kinderliteratur zu beschreiben.
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Konservatismus der rumäniendeutschen Minderheit könnte so umgangen werden. Jeder Kinderliteratur inhäriert ein verborgenes Bildungskonzept, das nach listigem Durchmarsch durch die selektiven Instanzen Zensur, Bildungssystem und Eltern bei den kindlichen Lesern auf Komplizenschaft hoffen kann. Bei einigen Büchern jedoch ist die Komplizenschaft auch mit den großen Lesern unverkennbar.86 Eine wirksame, d.h. engagierte Literatur setzt dergestalt auf Subversion in den Kinderköpfen; sie sät Zweifel an geltenden und täglich befolgten Wertvorstellungen. Im scheinbar harmlosen spielerischen Moment liegt der Wunsch, wenigstens die nachfolgende Generation zu gedanklicher Beweglichkeit anzuregen. Die erwachsenen Leser dagegen können sich so manchen Reim auf einige Geschichten machen.87 Zwei ausgewählte Beispiele von Rolf Bossert belegen den hintergründigen Witz solcher Texte. Rolf Bossert MAUS UND ELEFANT Die kleine Maus, der Elefant, Sie wohnen in demselben Land. Der große Elefant, die kleine Maus, Sie leben nicht im selben Haus. Drum haben sie – nicht zu vergessen! – Oft grundverschiedne Interessen.
DAS LETZTE GEHEIMNIS Großvater Frosch muß auch einmal sterben: Erwartungsvoll harren die fünfzig Erben. Zitternd ergreift eine Schachtel der Greis, Er gibt nun sein letztes Geheimnis preis: 86 Bossert apostrophierte seine entsprechenden Texte aus der NL 6/1982 als „Pseudokindergedichte“. Vgl. Editorische Notiz. In: Rolf Bossert: Ich steh auf den Treppen des Winds. Gesammelte Gedichte 1972–1985. Hg. v. Gerhardt Csejka. Frankfurt a.M. 2006, S. 311. 87 Vgl. Markel: Das deutschsprachige literarische Leben, S. 67. Beispielsweise im Blick auf „Mi und Mo und Balthasar“ als Geschichte von rebellischen Mäusen, die sich gegen einen übermächtigen Rattenstaat durchsetzen. Kinderbücher tauchen auf dem Zensurradar trotz allem auf. Die rumänische Schriftstellerin Ana Blandiana erhält 1986 Publikationsverbot wegen des Kinderbuches „Întîmplări din grădina mea“ (Bukarest 1986), in dem ein unsympathischer Kater stark an Ceauşescu erinnert. Vgl. Thomas Kunze: Nicolae Ceauşescu. Eine Biographie. Berlin 2000, S. 364.
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„In dieser Schatulle aus Ebenholz Ruht unsre Geschichte, der Sippe Stolz: Es ist einer Königin Strumpfband, Das Ururahn Quak hier im Sumpf fand!“88
Während „Elefant und Maus“ die Minderheitenproblematik in ein äußerst anschauliches Bild gießt, kommentiert „Das letzte Geheimnis“ entlarvend eine Art legitimatorischer Geschichtsschreibung, die noch den kleinsten Zipfel Anteil an ferner Größe zum Begründungsereignis der eigenen Identität stilisiert. Gemeint fühlen können sich hier sowohl die rumäniendeutschen Sachwalter der Kulturgeschichte mit ihrer Erinnerungspolitik als auch die rumänischen Historiker, die ihrem dakorumänischen Anspruch gegenüber den „mitwohnenden Nationalitäten“ zur Geltung verhelfen, indem sie klären, wer denn nun zuerst wo siedelte und zudem am abendländischen Erbe der Romanität partizipiert. Gerade Rolf Bossert zeigt mit seinen Versen, die oft einfach Freude am Sprachspiel vermitteln, dass die Wendung zur Kinderliteratur nicht unbedingt nur Ersatzhandlung sein muss, sondern auch den Begabungen und Leidenschaften eines Autors entsprechen kann.89 Außer für Karin Gündisch, der einzigen in diesem Zusammenhang auftretenden Autorin, die ausschließlich und sehr erfolgreich für Kinder schreibt, bleibt die Kinderliteratur für die oben genannten Autoren eine von mehreren verfügbaren Ausdrucksformen. Die Strömung der „engagierten Subjektivität“ ist nicht von langer Dauer. Nachdem sie ab ca. 1976 aufgekommen und Ende der siebziger Jahre zur gewissermaßen offiziell anerkannten Schreibhaltung vor allem der Lyrik geworden war, führten mehrere Gründe zu ihrer Abdankung. Zunächst ist es schlichter Mangel an guten Autoren, da die 88 Rolf Bossert: Gedichte für große und kleine Kinder. In: NL 6/1982, S. 30–32. 89 „Unabhängig von der Diskussion darüber, ob etliche dieser Neuerscheinungen nicht eher verkappte Kinderbücher, also eigentlich den Erwachsenen zugedacht waren, bleibt die Tatsache festzuhalten, daß in ihnen der berüchtigte Zeigefinger tunlichst vermieden, das Kind als Partner behandelt, an seine Kreativität und noch unverschüttete Beobachtungs- und Erlebnisfähigkeit appelliert wird – vielleicht gar in der heimlichen Hoffnung auf künftige ‚zuständige Leser‘ nach den nicht eben ermutigenden Erfahrungen diesbezüglich.“ Reichrath: Reflexe II, S. 13. Vgl. weiterhin Annemarie Schuller: Hat das Kinderbuch keine Kritik? Überlegungen zum Stand der rumäniendeutschen Kinderliteratur und ihrer Rezeption. In: Reflexe II, S. 52–57, v.a. S. 54f. Dort wird auch als guter Creangă-Übersetzer Gerhardt Csejka genannt. Die Orientierung an Autoren aus der DDR bezieht sich etwa auf Peter Hacks, Heinz Kahlau, Eva Strittmatter, Rainer Kirsch u.a. Zu den Werten gehört, das Kind als geistigen und gesellschaftlichen Partner zu akzeptieren. Man will keine „Besserungsliteratur“ schreiben – vielmehr stellt man das freie Phantasieren höher als die Wahrheitspflicht; andererseits wird die reale Umwelt wichtiger als „runde“ Geschichten. Phantasie, Humor und Ironie erscheinen erstmals nicht nur als Mittel zum pädagogischen Zweck, sondern als Gestaltungsmittel, die ein bestimmter literarischer Stoff verlangt.
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Protagonisten der neueren rumäniendeutschen Literatur nach und nach das Land verlassen. Wer nicht eine Auslandsreise zum Wegbleiben nutzt, sondern einen Ausreiseantrag stellt, erhält faktisch Publikationsverbot und scheidet somit aus dem offiziellen Literaturbetrieb aus. Das betrifft nicht allein die jüngere Generation, auch die etwas älteren Vorgänger mit ihren Mehrfachpositionen als Schriftsteller und Funktionäre kehren Rumänien den Rücken. Nachdem Emmerich Reichrath schon in seiner Darstellung der literarischen Entwicklungen von 1975 bis Ende 1983 festgestellt hatte, dass er bei seiner Auswahl „auf einige Autoren verzichten mußte, die inzwischen freiwillig aus dieser Literatur ausgeschieden sind“90, konstatiert Helmut Britz für 1985/86 das schlussendliche Erliegen im Ringen um eine satisfaktionsfähige Literatur: „Vor etlichen Jahren lief die Diskussion über die adäquaten Maßstäbe der rumäniendeutschen Literatur; man war sich nicht einig darüber, inwieweit sie denen, die im gesamten deutschen Sprachraum gängig waren, angepaßt werden sollten. Die Werke, die unterdessen erschienen sind, setzten Maßstäbe, angesichts derer sich jede diesbezügliche Diskussion erübrigt. Somit haben wir abgesicherte Maßstäbe (wie es sie eigentlich schon einmal während der Zwischenkriegszeit gab), können mit ihnen aber nicht glücklich werden, denn das Objekt der Analyse will nicht mehr so recht.“91
Mit dem Verlust der ersten Riege von Autoren geht der Mangel an prägenden Werken einher, die eine neue Entwicklungsrichtung der rumäniendeutschen Literatur anzeigen könnten. Der gesamte Kulturbetrieb erleidet empfindliche Einbußen, zumal ihm auch das potenzielle Publikum verlorengeht. Wenn im Jahr 1987 Herta Müller und Richard Wagner, Helmuth Frauendorfer, Johann Lippet, William Totok und Horst Samson ausreisen, sind sie fast die letzten namhaften Vertreter der jüngeren rumäniendeutschen Literatur. Wenige anerkannte Autoren bleiben bis zum Sturz des Ceauşescu-Regimes; danach verstärkt sich die Ausreisewelle noch einmal und bewegt auch die letzten Ausharrenden der schwindenden deutschen Minderheitskultur zum Weggang.92 Das Versanden der vorerst letzten literarischen Strömung hängt neben diesen sozialen Faktoren – die ja immer auch in engstem Stoffwechsel mit der Literatur stehen – mit innerliterarischen Aspekten zusammen. Schon bevor akuter Personalmangel dem Literaturbetrieb zu schaffen macht, scheint die „engagierte Subjektivität“ an ihr Ende gelangt. So wie zuvor die Schreibweisen des „polemisch-präskriptiven Engagements“ nicht mehr angemessen schienen, ist nun die Form des langen Gedichtes mit ihrer Gefahr des allein Ich-bezogenen Lamentierens überholt. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass diese Art des Dichtens so rasch zum vorbildhaften Muster erklärt wurde und 90 Reichrath: Reflexe II, S. 9. 91 Helmut Britz: Bescheiden. Zu: Hans Peter Müller „Michel“, Kriterion Verlag, Bukarest 1985. In: NL 3/1986, S. 78–81, hier S. 78. 92 Schon 1985 waren Rolf Bossert und 1986 der Kritiker Gerhardt Csejka gegangen. Anemone Latzina blieb bis zu ihrem Tod 1993, Hodjak blieb bis 1992.
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willige Nachahmer fand. Die oftmals der Behäbigkeit beschuldigte rumäniendeutsche Literatur erweist sich hier als wesentlich reaktionsschneller im Vergleich zu binnendeutschen Entwicklungen, weil sie aufgrund ihrer Übersichtlichkeit deutlich empfindlicher auf die Vernutzung von Schreibverfahren reagiert.93 Schreiben zehn (Nachwuchs-) Autoren wie ihr Vorbild, dann ist praktisch schon der halbe Betrieb bekehrt, was gerade Autoren, die mit einem literaturrevolutionären Anspruch angetreten waren und ihre Rolle als kreative Avantgarde weiter pflegen, nachdenklich stimmen muss. Jedenfalls verfällt die „engagierte Subjektivität“ als solche recht bald dem Verdikt des gewichtigsten Autors der jüngeren Generation, die sich dieser Tendenz vor allem verpflichtet hatte: „Ich glaube, die engagierte Subjektivität hat die Grenzen ihrer Artikulationsmöglichkeiten erreicht. Lyrik müßte jetzt wieder ein bißchen anders werden, sonst wird’s langweilig, was Literatur nicht sein dürfte.“94 Was Richard Wagner hier 1980, mit dem Hinweis, seit zwei Jahren keine Gedichte mehr zu schreiben, noch zurückhaltend formuliert, fällt im Jahr 1982 mit Blick auf die Epigonen einer von ihm schon überwundenen Position schärfer aus: „Was das Literarische betrifft, also den Trend bei uns, was er war und wie er ist, scheint mir neben der Verführung zur Schlampigkeit, die das Langgedicht, wie viele es hierzulande begreifen, nun mal mit sich bringt, die entscheidende Negativ-Größe einfach die Verwechslung des lyrischen Ichs mit dem privaten des Zeitgenossen sowieso zu sein, der nicht schreiben kann, aber der unumstößlichen Meinung ist, er könne die fehlende Sensibilität durch einen Überschuß an Weinerlichkeit erfolgreich ersetzen.“95
Aber bereits Annemarie Schuller hatte in ihrem das Phänomen erstmals beschreibenden Essay auf die Gefahren der Verselbstständigung eines Verfahrens hingewiesen.96 Die Gefahr liegt vor allem in der Tendenz, die ursprünglich als Schreibhaltung deklarierte „engagierte Subjektivität“ als bestimmtes Schreibverfahren aufzufassen. Nicht nur Autoren erliegen 93 Das funktioniert freilich erst nach der Adoption des Avantgarde-Konzepts und gilt nur für einen Teil der rumäniendeutschen Literatur, andere Teile halten sich an den Realismus oder gehen sowieso als Unterhaltungsliteratur durch. Liebhardt beispielsweise giert geradezu nach Popularität (wie sie Autoren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts haben), er möchte in Kränzchen gelesen werden und jeder soll seinen Namen kennen wie diejenigen von Adam Müller-Guttenbrunn, Meschendörfer oder Lenau usw. Vgl. Hans Liebhardt: Interview mit sich selbst. In: NL 7/1968, S.98 (zit. nach Aescht: Ein Jahrzehnt, S. 159) 94 „Lyrik müsste jetzt wieder ein bisschen anders werden“. Gespräch mit Richard Wagner anlässlich einer Lesung im Literaturkreis der Klausenburger Philologiefakultät. In: Echinox 11–12/1980, S. 16. 95 Wir sind fürs Lebendige. Interview mit Richard Wagner von Emmerich Reichrath. In: Reflexe II, S. 47–51, hier: S. 51. 96 „Wie jede literarische Strömung, wo man sich ja auf gewisse Verfahrensweisen geeinigt zu haben scheint, birgt auch die ‚neue Innerlichkeit‘ die Gefahr der stilistischen Beliebigkeit, die sich – bei einer sehr nah am Alltag und seiner Sprache angesiedelten Poesie – als Formlosigkeit, Klischeelastigkeit und Ausdrucksarmut äußert.“ Schuller: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit.
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diesem Fehlschluss, auch die Rezipienten akzeptieren unter der Überschrift „engagierte Subjektivität“ ausschließlich Lyrik bestimmter Machart. Auf diese Weise entgehen der zeitgenössischen Kritik ebenso wie der Forschung Querverbindungen und Fortsetzungen, die nicht in der Lyrik und nicht im langen Gedicht stattfinden.
1.4. Gattungen: Prosa als neue Leitgattung Ein Grundproblem der Geschichtsschreibung für die rumäniendeutsche Literatur besteht, abgesehen von allen Implikationen dieser Spezifizierung selbst, darin, dass deren Gegenstand klein ist und immer kleiner wird. Gerade mit Blick auf die siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts würde für das Aufspüren und Messen von Verschiebungen unter der Oberfläche der Literatur tatsächlich ein Seismograph gebraucht. In den Jahren 1975 bis 1977 herrschte eine gewisse Betroffenheit und Vorsicht, nachdem die Mitglieder der AG Banat schmerzlich gemaßregelt worden waren. Ausdruck dessen ist Schweigen, so dass weder über den Vorgang an sich noch über seine Konsequenzen, nämlich zeitweilige Publikationsabstinenz, in den Medien zu lesen ist. Nur zwischen den Zeilen kommt auch die stetige Ausreise von Autoren und Lesern zur Sprache. Die gedruckte Lage der Literatur deckt sich also nie mit der tatsächlichen Situation. Zudem lässt der Eifer der Literaturkritik nach, über das einzelne Werk hinausgreifende Kontextualisierungen vorzunehmen, größere Periodisierungen und Beurteilungskriterien aus dem Material abzuleiten. Auch hier scheint sich der Schwung zu weiterreichenden Entwürfen aufs Tagesgeschäft zurückzuziehen. Wenn die zeitgenössische Literaturkritik bestimmte Entwicklungen höchstens implizit widerspiegelt, dann kann das also unter anderem daran liegen, dass einerseits die Kritik schwächelt, dass andererseits ihr Gegenstand nur schwach röchelt. An den Veröffentlichungszahlen und der Darstellung der literarischen Prozesse in der Kritik lässt sich die These vom Prosaaufschwung nur schwer beweisen, zumal die Autoren, die an dem Aufschwung der Prosa beteiligt sind, häufig einige Schwierigkeiten mit ihren Veröffentlichungen haben. Eine detaillierte Literaturgeschichte dieses Abschnittes müsste mit sicheren Hintergrundkenntnissen und Zugang zu allen relevanten Quellen eine Neubeschreibung versuchen. In den bisherigen Darstellungen fehlt meist ein gattungsgeschichtlicher Zugriff; dabei kann gerade die Konstellation von Müllers Prosatexten und dem Stand der literarischen Gattungen zur gegenseitigen Erhellung dienen. Der individuelle Entwicklungsgang der Autorin darf durchaus als Verdeutlichung einer vageren Tendenz in der rumäniendeutschen Literatur aufgefasst werden. Wo bei anderen Autoren zur Lyrik die Prosa hinzukommt oder sich lediglich der Akzent verlagert, da wagt Müller einen kategorischen Neubeginn, so dass nicht Prosa an der Seite von Lyrik gepflegt wird, sondern die eine die andere ablöst. In der literarischen Praxis und demzufolge auch in der literaturwissenschaftlichen Systematik sind die Übergänge zwischen „langem Gedicht“ und kurzer Prosa fließend, für Herta Müller jedoch ist der Wechsel tatsächlich ein klarer Schnitt.
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Während die Lyrik ab Mitte der 1970er Jahre die „engagierte Subjektivität“ als letzte größere Tendenz verzeichnet und schon am Ende des Jahrzehntes wieder verabschiedet, drängt die Gattung Prosa unvermerkt an die Spitze der literarischen Entwicklung, so dass sie wohl zur Abdankung der erschöpften Lyrik als literarischer Königsdisziplin beiträgt. Auch hier spielen die bekannten Autoren der jüngeren Generation eine Rolle, die an der Erweiterung und Erneuerung ihrer ästhetischen Mittel arbeiten. Kurze Prosa hatte bereits Anfang der siebziger Jahre durch Wagner, Ortinau, Bohn und Sterbling ins Repertoire der AG Banat gehört, jedoch nie denselben Stellenwert erreicht. Das Konzept sah vor, im freien Umgang mit verschiedensten literarischen Mitteln so dicht wie möglich an die „Realität“ heranzukommen. Das schloss selbstverständlich die Prosa mit ein, die unter solchen Testbedingungen zur Kürze neigte. Rezipiert wurde die Tätigkeit der AG Banat jedoch im Rahmen des großen lyrischen Aufbruchs, an dem sich so viele Jungdichter beteiligten. Die AG Banat-Autoren haben selbst nicht auf der Gleichrangigkeit der beiden Gattungen in ihrem Tun beharrt. Denn beim Ausprobieren der ästhetischen und medialen Möglichkeiten, die für eine vorwitzig am Selbst-und Weltbild der Rumäniendeutschen – als dem zunächst erreichbaren Publikum – rüttelnden Literatur ausgeschöpft werden sollten, wurden die Gattungsgrenzen durchlässig.97 Es gab neben kollektiven Gedicht- und Tonbandcollagen Prosa-Texte in lakonischem Berichtston, Science Fiction und Elemente wissenschaftlicher Diktion, ans Lyrische grenzende Notate von Wirklichkeitsausschnitten, Ironie und Erfindergeist, aber auch Kurzgeschichten, die geradheraus erzählen von charakteristischen Situationen. Lyrik bleibt – mitbedingt durch die Rezeptionsmuster – die wichtigere Gattung für die tonangebende AG Banat. Ortinau ist der einzige Autor dieser Gruppe, der sich vorrangig der Prosa widmet. Sein Buch Verteidigung des Kugelblitzes (1976)98, der erste Prosa-Band eines AG-Mitgliedes, markiert dann nach dem AG-Ende nicht allein sein schon länger währendes Interesse an Prosaformen, sondern auch die stärkere Konzentration seiner Generationskollegen auf die kurze Epik. 97 Auf verwischende Gattungsgrenzen weist z.B. Schuller hin: „Dieser Zuschuß an Realität ging Hand in Hand mit der Erneuerung und Bereicherung literarischer Techniken. Gedichtkonzentrate, Parabeln, aphoristische Zuspitzungen, hintergründiges Wortspiel, Montagen und verfremdender Gebrauch von vorgegebenen Formen und Sagweisen, oder umgekehrt die Aufbereitung von dokumentarischem und alltäglichem Sprachmaterial sind nur einige dieser Techniken, die immer mehr zu einer Verwischung der Gattungsgrenzen geführt haben. Es gab schließlich mehr ‚Texte‘ als Prosa und Lyrik.“ Schuller: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. 98 Das Buch sollte eigentlich schon 1975 erscheinen, fiel aber den Maßnahmen zur Auflösung der AG Banat zum Opfer und wurde stark zensiert. Ortinau entschied sich noch 1976 für die Ausreise, die erst 1980 erfolgte. Ortinau, die „literarisch auffälligste, interessanteste Gestalt innerhalb der AG“, setzte seine Schriftstellerkarriere zunächst nicht fort. Vgl. Gerhardt Csejka: Die AktionsgruppenStory. In: Ein Pronomen ist verhaftet worden. Die frühen Jahre in Rumänien. Texte der Aktionsgruppe Banat. Hg. v. Ernest Wichner. Frankfurt/M. 1991, S. 228–244, hier S. 243. Auch Anton Sterbling und Albert Bohn verlassen Rumänien. Damit fehlen im Literaturbetrieb insgesamt drei der vier AG-Prosaisten.
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An den Jahreszahlen der Buchveröffentlichungen lassen sich solche Wendungen kaum ablesen, denn es dauert seine Zeit und meist gehen einige Publikationen in Zeitungen, Zeitschriften voraus, bis sich die gewandelten Interessen der Autoren – möglicherweise – in Buchform dokumentieren. Die interessierte Öffentlichkeit und die Kritik haben bei Erscheinen eines Buches häufig den neuen Trend längst vorab zur Kenntnis nehmen können und beobachten auch jetzt Mitte der siebziger Jahre, aufgrund der Zerschlagung der AG Banat zunächst in „betretene[m] Schweigen“99 verharrend, wie die selbstermächtigte Avantgarde richtungweisend Wege in der Lyrik und neuerdings stärker in der Prosa sucht. Dabei lässt sie, ihre Avantgarde-Haltung bekräftigend, erneut die rumäniendeutschen Vorgänger auf diesem Gebiet ausnahmslos links liegen, um sich eher an binnendeutschen Autoren zu orientieren. Für Herta Müller sind dies beispielsweise nach ihrer eigenen Darstellung Schriftsteller wie Thomas Bernhard und Franz Innerhofer.100 Obwohl es bei den Prosa-Stücken der gleichzeitigen Lyriker thematische Parallelen gibt, differenzieren sich die unterschiedlichen Schreibweisen wie schon innerhalb der Lyrik weiter aus. Programmatische Äußerungen, die einen gesellschaftlichen Bezug herstellen, sind allenfalls noch bei Preisverleihungen zu vernehmen. Direkt Politisches, also alles, was nicht nur die rumäniendeutsche Minderheit unmittelbar betrifft, sondern auf die gesamte rumänische Gesellschaft zielt, wandert in den Subtext von literarischen und literaturkritischen Texten ab. Ein weiteres Mal versucht die „letzte Generation“ rumäniendeutscher Autoren, die rumäniendeutsche Literatur neu zu erfinden. Eine Entwicklung hatte nämlich zuvor auch die Prosa durchgemacht, die in ihrer kurzen Variante durch „Abkehr von einem dogmatisch aufgefaßten‚ sozialistischen Realismus‘ [...] zum Pluralismus der Formen“101 gelangt war. Die Prosa-Gattung schleppt wie auch die Lyrik bis weit in die sechziger Jahre noch Ballast ideologischer Art mit sich: Während diese aber nach der sozialistischen Bekenntnisdichtung neben einer formbewusst bewahrenden Richtung eine hermetische Tendenz ausbildet, die formal moderne Mittel, wie sie im stark rezipierten Buch Struktur der modernen Dichtung von Hugo Friedrich102 vorgestellt werden, zu einer evasionistischen Dichtung der „Esoterik und 99 Schuller bezeichnet so die Haltung der Öffentlichkeit, nachdem die AG Banat aufgelöst wurde, ohne jedoch die Vorgänge direkt anzusprechen. Vgl. Schuller: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. 100 Vgl. hierzu v.a. Paola Bozzi: Langsame Heimkehr oder der Betrug der Dinge. Zu Affinitäten zwischen Herta Müller und Thomas Bernhard, Franz Innerhofer und Peter Handke. In: PhiNet 6/1998, S. 1–19 (URL: http://www.fu-berlin.de/phin/phin6/p6t1.htm) sowie dies.: Der fremde Blick. Zum Werk Herta Müllers. Würzburg 2005, S. 46ff. 101 Georg Aescht: Zum Formenregister rumäniendeutscher Kurzprosa (1962–1972). In: Echinox, 10–11–12/1981, S. 20. 102 Das Buch wurde Anfang der 1960er in Rumänien übersetzt und findet seinen Niederschlag in zahlreichen kritischen Texten sowie im Schaffen der damals jungen Autoren. Vgl. Heinrich Stiehler: Deutschsprachige Dichtung Rumäniens. Zwischen Utopie und Idylle. In: Akzente. 21/1974, H. 1, S. 21–37, hier S. 25 sowie vgl. Motzan: Lyrik nach 1944, S. 130.
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Innerlichkeit“103 nutzt, fällt es der Prosa schwerer, sich den kulturpolitischen Vorgaben zu entziehen, muss sie doch, selbst wenn der von ihr weiter gepflegte Realismus nicht unbedingt mehr sozialistischen Zuschnittes ist, stets „etwas“ darstellen. Dieses „Etwas“ unterliegt zuletzt zwar der staatlichen Zensur, davor jedoch den Bedenken von Verlegern und Redakteuren sowie den Tabus und Konventionen der rumäniendeutschen Literatur – es ist historisch hindurchgegangen durch die Diskussionen um die darzustellenden Konflikte, um den sozialistischen Helden und den Erziehungsauftrag des Schriftstellers. Zu stalinistischen Zeiten in den gesamten 1950er Jahren hatte der Monumentalroman als adäquates Genre des sozialistischen Realismus gegolten, da er als komplexe Abbildung gesellschaftlicher Zusammenhänge einem auktorialen Erzähler die Belehrung des Lesers über die historische Wahrheit anvertrauen konnte. Unter diesen Voraussetzungen galt in der rumänischen wie auch in der rumäniendeutschen Literatur die Entscheidung für Kurzprosa mit ihren offeneren Formen als weltanschauliches Bekenntnis, so dass literaturtheoretische Debatten von dramatischer Tragweite sein konnten.104 Eben mit dem politischen Rahmen lockerte sich in den sechziger Jahren der Zwang für die Literatur, gesellschaftliche Totalität abbilden zu sollen. „[D]as Ende einer verkrampften Haltung sozialpolitischem Stoff und dessen Problematik gegenüber“105 sieht Aescht speziell durch die folgende Entwicklung in der kurzen Prosa für die rumäniendeutsche Literatur gekommen. Denn sie erfährt in diesem Genre durch Autoren wie Franz Storch, Arnold Hauser, Franz Heinz, später auch Dieter Roth und Claus Stephani eine Bereicherung. Sie erschließen die Möglichkeiten der Perspektive, des Erzählerstandpunktes und -kommentares, integrieren Reflexionen ins Erzählen und ertasten andererseits die Gattungsgrenzen zur Lyrik hin, versuchen sich auch am Parabolischen. Ein äußerst erfolgreicher Autor dieser Generation ist Hans Liebhardt, der mit seinen Weißkircher-Geschichten sein in dieser „Kurzprosa-Euphorie“ gefundenes Muster bis in die achtziger Jahre und bis zum Überdruss der Kritik ausreizt. Gern zitiert wird seine persönliche Definition des größten schriftstellerischen Erfolges: Seine Geschichten sollten in Kränzchen und Rockenstuben vorgelesen werden.106 Es ist aber nicht allein der Drang zur Popularität wie bei Liebhardt oder der Journalistenberuf vieler Autoren, die raschere Publizierbarkeit und größere Breitenwirkung sowie die mögliche Konzentration auf einen Realitätsausschnitt und Behandlung tabuisierter Themen107, was die Kurzprosa attraktiv macht. Darüber hinaus ist die lange Form des Romans einfach unattraktiv aufgrund ihrer jüngsten Geschichte. Dazu mag die wiederholt beschworene Sprachnot kommen. Doch 103 Motzan: Lyrik nach 1944, S. 130ff. 104 Behring: Rumänische Literaturgeschichte, S. 269f. und S. 278. 105 Georg Aescht: Ein Jahrzehnt rumäniendeutscher Kurzprosa. Zur Entwicklung ihres Formenregisters 1962–1973. In: Transsylvanica 2. Studien zur deutschen Literatur aus Siebenbürgen. Hg. v. Michael Markel. Cluj-Napoca 1982, S. 148–175, hier S. 158. 106 Hans Liebhardt: Interview mit sich selbst. NL 7/1968, S. 98 (zitiert nach Aescht: Ein Jahrzehnt, S. 159). 107 Diese Faktoren führt Predoiu an. Vgl. Predoiu: Faszination und Provokation, S. 26.
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die umfassende Beantwortung der oft „gestellte[n] Frage nach dem rumäniendeutschen Gesellschaftsroman, der doch, sollte man meinen, bei einem viertel Hundert Prosaautoren konsistenter in Erscheinung getreten sein müßte“108, kann die Gattungsgeschichte nicht unberücksichtigt lassen. Der größere Deutungsspielraum und die Freiheit von Wertungsvorgaben stellen sich den Autoren gewiss als Vorzug gegenüber dem Paradigma des sozialistischen Romans dar; vom „Durchbruch der Kurzgeschichte“109 wie Predoiu zu sprechen hätte nur insofern Sinn, als von kurzer Prosa die Rede wäre und damit auch eher gattungsinterne Entwicklungen gemeint wären, also nicht der Durchbruch zur Vormachtstellung in der Literatur, sondern ein forsches Erkunden der gattungsspezifischen Möglichkeiten und darum ein ästhetischer Vorsprung gegenüber den epischen Langformen.110 Diese Entfaltung des Kurzprosa-Genres vermag das gesamte Gattungsgefüge jedoch nicht zu verschieben. Weiterhin bleibt das Drama vernachlässigt, und weiterhin bleibt die Lyrik die Gattung mit dem größten Potenzial und der höchsten Reputation unter den Sachverständigen.111 Das setzt sich insbesondere fort, als zu Beginn der siebziger Jahre sich die jüngste Generation von Autoren hauptsächlich mit Lyrik Gehör zu ver108 Aescht: Zum Formenregister, S. 20. 109 Predoiu: Faszination und Provokation, S. 25. 110 Eine These Csejkas zu Roman und kurzer Prosa lautet: „Ein anderes Phänomen von einschneidender Bedeutung, das sich in den sechziger Jahren bereits deutlich genug abzeichnete (doch heute erst richtig wahrgenommen wird), ist der faktische Zusammenbruch einer Illusion: der ungemein hartnäckigen Illusion nämlich, die rumäniendeutsche Literatur habe als Auftraggeber in einem ‚höheren‘ Sinn die Geschichte, und zwar die Geschichte der Deutschen in Rumänien. Sinnfälligstes Anzeichen dafür, daß die Idee eines gleichsam nationalen Geschicks der rumäniendeutschen Minderheit die Kraft nicht mehr besaß, die dieser Idee in den fünfziger Jahren, als die Kommunisten sie gewaltsam zu brechen versuchten, durchaus noch innegewohnt hatte, war der Siegeszug der Kurzgeschichte zu Lasten des Romans. Das siebente Jahrzehnt war eindeutig das Jahrzehnt der kurzen Prosa in der rumäniendeutschen Literatur.“ Gerhardt Csejka: Rückblick auf die rumäniendeutsche Nachkriegsliteratur. In: Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Hg. v. Wilhelm Solms. Marburg 1990, S. 145–159, hier S. 154f. Drei Beispiele der letzten ehrgeizigen Versuche, die große Form in traditioneller Manier zu meistern in diesem Jahrzehnt – Paul Schuster: Fünf Liter Zuika; Georg Scherg: Zünglein an der Waage; Franz Storch: Drei schwere Tage – machten die Problematik solcher Unternehmungen in eigentümlicher Weise deutlich. 111 Indizien für die Stagnation der Prosa im Vergleich zur dynamischeren Lyrik könnten sein: Erstens die als repräsentativ für den jeweils gegenwärtigen Stand angelegte Form der Anthologie – ProsaAnthologien ab 1965: Humoristische Prosa (1966), Worte und Wege (1970), Worte unterm Regenbogen (1973, überarbeitete und ergänzte Fassung von 1970) und erst nach einer langen Pause wieder Das Land ist ein Wesen. Debütanthologie (1989); aber die Lyrik ist vor allem in den Siebzigern stark: 17 Ich – ein Wir (1965), Wortmeldungen (1972), Befragung heute (1974), Vorläufige Protokolle (1976) und zwei Jubiläumsanthologien (1972 und 1977); gemischte Anthologien: Im Brennpunkt stehn (1979) und Pflastersteine (1982). Zweitens die Tatsache, dass bis 1981 die Rubrik „Junge Autoren“ in der NL ausschließlich mit Lyrik bestritten wurde. Zwar bildet die Lyrik ohnehin meist den produktivsten, weil subjektiv einfachsten Zugang zur Literatur, doch unabhängig davon wird sie schon traditionell höher bewertet als die „prosaischen“ Gattungen von Epik und Drama.
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schaffen beginnt und mit ihrer frischen Art die Literatur endlich sowohl in die ästhetische Moderne als auch in die unmittelbare gesellschaftliche Gegenwart zu putschen versucht. Die etablierten Prosa-Autoren stoßen mit ihrem „ausgeprägten Formwillen“ an Grenzen, „scheinen sich einem Zwang zur ‚Moderne‘ zu unterwerfen, dem ihr Formwille nicht gewachsen ist“112 und treiben letztlich ihre Erkundungen in dieser Gattung wohl mit weniger Nachdruck voran, so dass Reichrath bei seinem Überblick über die Jahre 1975 bis 1983 feststellt: „Romane, zumal gelungene, sind selten in der rumäniendeutschen Literatur. [...] Die eigentliche Domäne rumäniendeutscher Nachkriegsepik war die kurze Prosa, und sie ist es bis heute geblieben. Gepflegt wurde sie in den sechziger und frühen siebziger Jahren vor allem von den Autoren der damals mittleren Generation (Franz Storch, Hans Liebhardt, Ludwig Schwarz, um bei den in dieser Sammlung vertretenen Namen zu bleiben), die jetzt allerdings teilweise andere Wege gegangen sind: Storch hat sich mit unterschiedlichem Erfolg als Lyriker versucht, Schwarz wandte sich fast ausschließlich der Mundartliteratur zu und Liebhardts neue Bücher waren eine Mischung aus Betrachtungen und anekdotisch-dokumentarischem Geplauder, die den literarischen Maßstäben nicht standhalten konnte, die die Kritik (wohl aus dem Wissen um den ehemals gefeierten Kurzgeschichtenschreiber) an sie herantrug. Dafür haben jüngere Autoren (Joachim Wittstock, Franz Hodjak und Balthasar Waitz) die Stafette übernommen.“113
Die letztgenannten Prosa-Autoren hatten alle als Lyriker begonnen und pflegen diese Gattung auch weiter; in den Augen der Kritik bringen sie ihre eigene Stimme in das literarische Geschehen ein, aber die Prosa-Gattung als solche nicht mehr recht voran. Es wird gewartet, während in der Lyrik sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre mit der „engagierten Subjektivität“ die „wohl wichtigste und einzige wirklich neue Tendenz in der rumäniendeutschen Literatur“ abzeichnet.114 Die Situation für die Prosa ist vergleichbar mit derjenigen, die Ende der sechziger Jahre vor der großen Lyrik-Welle herrschte: Die vorangegangenen Entwicklungen haben Freiräume und damit eine Erwartungshaltung geschaffen für die angestrebte Erneuerung der Literatur, die von den Vorbereitern selbst nicht so radikal geleistet wurde. Aescht befindet sich mit den einleitenden Bemerkungen seines Aufsatzes von 1981 auf einer Zwischenstation, von der aus die Resultate der Prosa-Entwicklung bis 1972 schon nicht mehr den Ansprüchen genü112 Aescht: Ein Jahrzehnt, S. 164. „Die immer kompetentere und deshalb schärfere Kritik, die eigene tiefere Einsicht in derartige und andere Mängel und offenbar auch ein nach der ‚Euphorie‘ allgemein sich einstellender Überdruß an der kurzen Form bestimmen und begleiten den fast distonierenden Ausklang des rumäniendeutschen Kurzprosa-Phänomens.“ Ebd., S. 169. 113 Reichrath: Reflexe II, S. 16f. Ortinau, Bohn und Sterbling wandern aus; Wagner mischt die Gattungen, bleibt aber bei der Lyrik. Nachweise für die im Zitat genannten Autoren wären Joachim Wittstock: Blickvermerke (1976, Prosa), Karussellpolka (1978, Erzählung), Parole Atlantis (1980 Erzählungen und Skizzen); Franz Hodjak: Das Maß der Köpfe (1978, Prosa); Balthasar Waitz: Ein Alibi für Papa Kunze (1981, Erzählungen und Skizzen). 114 Reichrath: Reflexe II, S. 11.
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gen, gleichzeitig aber jüngste Veröffentlichungen auf sich vollziehende Umbrüche schließen lassen. Deren Tendenzen bleiben vorerst undeutlich; so sind beispielsweise die für die Kurzprosa oben als typisch angeführten Wittstock, Hodjak und Waitz grundverschiedene Autoren: „Es scheint eine gewaltsame Beschränkung zu sein, wenn man die Entfaltung der rumäniendeutschen Kurzprosa auf die Zeitspanne 1962 – 1972 festlegen will, weil damit die so bedeutenden Prosaerscheinungen der letzten Jahre nicht in die Betrachtung einbezogen werden. Dabei ist klar, daß letztere erst die eigentlich mündige Prosa darstellen. Es sind jedoch lauter Publikationen mit ausgeprägt individuellem Charakter, während die Kurzprosa der sechziger und Anfang der siebziger Jahre ein, in vielen Beziehungen, kompaktes Phänomen bilden [!], innerhalb dessen sich sogar eine mehr oder weniger kontinuierliche Entwicklung ausmachen läßt.“115
Ein Indikator für die Richtung, die sich da andeutet, kann die seit 1980 stattfindende Preisverleihung im AMG-Literaturkreis sein. Im Jahr 1980 erhält den Preis für Prosa Johann Lippet mit seinen in der Saison vorgestellten Texten über das Dorfleben. In seiner Dankrede distanziert er sich implizit von der traditionellen heimatbezogenen Literatur, indem er betont, das Dorf sei für ihn nicht Inspirationsquell, sondern die Ursache für Versuche, sich an die Realität heranzuschreiben. Sein Aufbruch in die Welt sei gleichzeitig sein Einbruch in die Literatur.116 Er knüpft mit seiner Formulierung, „sich an die Realität heranschreiben“ zu wollen, direkt an das von der AG Banat verkündete Postulat der realitätsverpflichteten Literatur im Sinne eines undogmatischen Realismus an. Ein Jahr später geht der Prosa-Preis an Herta Müller, die, wie auch Lippet, eine Reihe von Texten schon an verschiedenen Orten, nur noch nicht in Buchform veröffentlicht hat. Von Wagner wiederum erscheint 1980 Der Anfang einer Geschichte117, eine Prosa-Sammlung, die stark von den skeptischen Positionen der engagierten Subjektivität zehrt. Im Hauptstück wird aus der Perspektive des jungen Berger von einem für andere selbstverständlichen Alltag erzählt. Ihm selbst sind sowohl seine Umwelt als auch deren sprachliche Durchdringung auf Reflexionsdistanz gerückt. Auszüge aus diesem Text waren 1979 noch unter dem programmatischen Titel „Der junge Berger. Ansätze zu einer Erzählung“ in der NL erschienen.118 In den greifbaren Ergebnissen der Wendung jüngerer Autoren zur Prosa, nämlich den Preisen für förderungswürdige Prosa einerseits und Wagners Buch andererseits, deutet sich die Spannbreite ihrer Bemühungen an.119 115 Aescht: Zum Formenregister, S. 20. 116 Richard Wagner in: KR, 20.06.1980, S. 1 und 7. Vgl. auch Krause in Bezug auf die empfindlichen Reaktionen wegen Lippets Dorfchronik Von Haus zu Haus. Krause: Deutschlandbilder, S. 133. 117 Richard Wagner: Der Anfang einer Geschichte. Cluj-Napoca 1980. 118 Richard Wagner: Der junge Berger. Ansätze zu einer Erzählung. In: NL 1/1979, S. 6–25 und 2/1979, S. 34–51. 119 Krause spricht davon, dass infolge der Förderungsanstrengungen u.a. im AMG ab 1977 eine „Veröffentlichungswelle“ einsetze. Er führt Publikationen aus den Jahren 1980 und 1981 dafür an,
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Die jüngeren Autoren, die sich der neu errungenen ästhetischen Freiräume selbstverständlich bedienen und sie schreibend erweitern, knüpfen an diese „Vorleistungen“ (der bereits etablierten Prosa-Autoren) aber nicht an, wollen vielmehr aus eigener Kraft den Neubeginn schaffen. Sie pflegen weiter ihr Avantgarde-Selbstverständnis, das die Entkräftung von literarischen Konventionen einerseits erfordert und andererseits doch die Anregungen aus dem binnendeutschen Raum sowie von der neuesten europäischen und amerikanischen Literatur dankbar aufnimmt. Indem sie die eigene Beschäftigung mit der Gattung Lyrik ergänzen durch die Eroberung der Prosa, übertreffen sie die für diese gehegten Erwartungen. Anstatt endlich einen gültigen Roman zu liefern oder die zartesten formalen Verästelungen in der Kurzprosa zu züchten, erregen sie wohl zunächst eher mit der inhaltlichen Ausrichtung der neu entstehenden Prosa-Texte Aufmerksamkeit und versetzen die literarische Szene in Bewegung. Der gediegene Literatur-Skandal um Herta Müllers „Schwäbisches Bad“, der von literaturnahen und -fernen Schichten der Bevölkerung mitvollzogen wird, ist lediglich die verschärfte Reaktion auf die vielen kritischen Vorwürfe, die im Medium der Literatur von den jüngsten Autoren seit Jahren an die rumäniendeutsche Minderheit herangetragen wurden. Die Auseinandersetzung mit der Kindheit und Jugend im dörflichen Milieu, mit den Normen und Wertvorstellungen der rumäniendeutschen Minderheit, mit den geschichtlichen Tabus und der bedrängenden gegenwärtigen Lage läuft schon länger, trifft aber mit Müllers Text offensichtlich einen so empfindlichen Punkt, dass hier eine enorme Resonanz entsteht. Der experimentellen ästhetischen Anstrengungen, die mit den vorgelegten Texten unternommen werden, wird die Öffentlichkeit eigentlich erst in zweiter Linie gewahr. Wenn die herbeigewünschte Lyrik am Anfang der siebziger Jahre ihre Förderer sowohl mit ihrer Haltung als auch mit ihrem Stil bzw. mit ihrer Stilvielfalt überrascht, so sorgt auch die lang erwartete Prosa-Entwicklung, die sich am Ende der siebziger Jahre abzeichnet, für Verdutzung. Diese schlägt dann gerade zu dem Zeitpunkt, an dem der ästhetische Wert Anerkennung findet, in offenen Ärger mit dem Gewünschten um. Spätestens mit dem Erscheinen des Debüt-Bandes von Herta Müller, Niederungen (1982), wird nämlich die Lyrik als Leitgattung der rumäniendeutschen Literatur120 abgedie er in drei Gruppen unterteilt: 1. Wagner: Hotel California I und II (1980 und 1981), Totok: Vergesellschaftung der Gefühle (1980) und Lippet: Biographie. Ein Muster (1980) sowie Horst Samson: Tiefflug (1980) (alles Lyrik); 2. „Prosatexte“, das ist allerdings nur Wagners: Der Anfang einer Geschichte (1980); 3. die Kinderbücher von Wagner und Bossert. Vgl. Krause: Deutschlandbilder, S. 124–128. Immerhin fällt die Prosa schon ins Gewicht, auch wenn Veröffentlichungen jenseits der Buchpublikationen unberücksichtigt bleiben. 120 Ein Beispiel für die von allen Kritikern geteilte Auffassung zur allgemeineren Entwicklung der rumäniendeutschen Literatur: „Schrittmacherdienste leistete die Lyrik; in der nachfolgenden Auseinandersetzung mit ihren neuen Tendenzen bildete sich ein neuer Konsens darüber heraus, was Literatur kann und soll.“ Helmuth Britz: querschnittbelebt. Zu dem Prosaband das maß der köpfe von Franz Hodjak (1978). In: Reflexe II, S. 77. Noch 1982 vermerkt Wagner: „Mit Prosa war unsere Literaturstatistik (auch) im letzten Jahrzehnt nur spärlich bestückt. Wenn von der rumäniendeutschen Literatur die Rede ist, ist vor allem die Lyrik gemeint. Das ist nicht nur,
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löst durch die Prosa – insbesondere durch die kürzere Prosa, denn Romane bleiben selten. Reichrath gibt genau dieses Datum für den Umschwung an, „ein Ereignis, das irgendwie aus dem Rahmen rumäniendeutscher Literaturentwicklung nach 1944 fällt“: „Bisher galt als Regel, daß grundlegende Veränderungen in Haltung und Schreibweise eher in der Lyrik manifest werden, und als Erklärung dafür bot sich an, daß diese konzentrierte, Realität verdichtende Darstellungsform es den Autoren eher gestattet, aus ihrer Sprachnot eine Tugend zu machen. [...] Die Priorität der Lyrik läßt sich jedenfalls nicht mehr so eindeutig vertreten seit dem Prosadebüt Herta Müllers. Zumindest bei der Kritik hat der Band Niederungen (1982) wie eine Sensation eingeschlagen, er wurde zum meistbesprochenen Buch der neueren rumäniendeutschen Literatur [...].“121
Kurz gesagt, ist die Situation in der zweiten Hälfte der 1970er folgende: Die Lyriker kommen mit der „engagierten Subjektivität“ bald nicht mehr voran, und die Prosa tritt ohne erneuerungsfreudige und überhaupt ohne ihre etablierten Autoren auf der Stelle122 – also wird die Subjektivität in die andere Gattung mitgenommen, und die Quellen sprudeln wieder. Letztmalig. Predoiu weist darauf hin, dass die jüngeren Autoren bei ihrer Beschäftigung mit Kurzprosa nicht zurückgreifen auf die erfolgreichen Modelle ihrer unmittelbaren Vorgänger, die zur „Blüte der Kurzgeschichte“ beigetragen hatten, ja dass sie diese nicht einmal kannten oder kennen wollten. Dabei unterstreicht sie nachdrücklich die absolute Gleichwertigkeit der beiden Gattungen Lyrik und Prosa, wenn nicht sogar den Vorrang der letzteren. Sie beruft sich auf die gattungsgeschichtlichen Entwicklungen bis 1972 – dabei vor allem auf die Thesen von Georg Aescht gestützt – und bestreitet die von den rumäniendeutschen Kritikern bis Anfang der 80er Jahre behauptete Dominanz der Lyrik: „Wenn viele Literaturkritiker behauptet haben, dass die Lyrik der Epik in der Nachkriegsperiode überlegen sei, so hat diese Aussage mit dem Ende der 60er Jahre ihre
weil die jungen und jüngeren Autoren sich der Lyrik verschneben [!] haben und/oder wenn sie gerade dabei sind, zu den größeren Entwürfen zu schreiten, uns ganz abhanden kommen, sondern auch weil die älteren Autoren, selbst wenn das Schwergewicht ihrer Veröffentlichungen die Prosa darstellen mag, sich immer wieder in lyrische Gefilde begeben. [Franz Storch, Georg Scherg, Ludwig Schwarz, Arnold Hauser]. Dann gibt es die Leute zwischen dreißig und vierzig, die allesamt mit Gedichten debütiert haben. [Joachim Wittstock, Gerhard Ortinau, Herta Müller, Balthasar Waitz]“ Wagner: Einladung zum petit bal masqué. Zu dem Prosaband Ein Alibi für Papa Kunze von Balthasar Waitz. In: Reflexe II, S. 206. 121 Reichrath: Reflexe II, S. 15f. 122 „Als einzige Kurzprosaveröffentlichung des Jahres 1973 steht die Anthologie Worte unterm Regenbogen wie ein kategorischer Endpunkt hinter den Bemühungen der vielen Autoren und Publizisten, dieser Kurzprosa zu Aktualität und Bedeutung zu verhelfen bzw. solche zu erhalten.“ Aescht: Ein Jahrzehnt, S. 171.
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Gültigkeit verloren.“123 Das liegt vermutlich daran, dass sie sich auf Quellen vom Ende der 60er Jahre bezieht. In der Tat mag da die „Kurzprosa-Euphorie“ geherrscht haben (ein Ausdruck, den sie von Aescht entlehnt), jedoch gab es kurz darauf die „Lyrik-Welle“, den „poetische[n] Massenaufbruch“124, die sämtliche Prosa wieder in den Schatten stellten. Einen Hinweis auf eine solche Abfolge geben beispielsweise zwei Aufsätze von Gerhardt Csejka, die nicht in Reihenfolge ihrer Entstehung veröffentlicht wurden – „Bedingtheiten der rumäniendeutschen Literatur. Versuch einer soziologisch-historischen Deutung“125 von ca. 1971 und „Als ob es mit ALS OB zu Ende ginge. Neues in der rumäniendeutschen Lyrik 1972“126. Während der erste Aufsatz als Nachwort einer geplanten Prosa-Anthologie gedacht war und sich demzufolge eher auf Prosa konzentriert, betrachtet der zweite Aufsatz über die neuere Lyrik die Generation der AG Banat und verweist dabei auch auf siebenbürgische Autoren dieses Alters. Die Konstellation beider Aufsätze illustriert genau diesen Umschwung in der rumäniendeutschen Literatur.127 Es stellt sich die Frage, ob nicht wiederum dieser Umschwung zur Prosa als eine die „engagierte Subjektivität“ ablösende Strömung aufgefasst werden kann, so dass die rumäniendeutsche Literaturgeschichte in Rumänien128 mit dem Kapitel der kurzen Prosa ausklänge. Dagegen sprechen im Wesentlichen zwei Argumente: Zunächst ist die Wendung zur Prosa ja eine zu einer bestimmten Gattung, auch wenn deren kürzere Formen bevorzugt werden. Die entstehende Prosa ist viel weniger auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen als die Texte der „engagierten Subjektivität“, die lediglich eine bestimmte Art von lyrischen Texten charakterisieren soll. In ihrer Verbreitung lässt sich die „engagierte Subjektivität“ möglicherweise als eine eher von außen motivierte Haltung erklären, als Reaktion auf Erfahrungen von Repression und Ohnmacht. Die entspre123 Predoiu: Faszination und Provokation, S. 29. 124 Kolf: Unser Beitrag in dieser Runde. NL 1/1974, S. 95–103, hier S. 99. 125 NL 8/1973, S. 25–31. 126 NL 12/1972, S. 61–67. 127 Ich teile daher Predoius Darstellung nicht, obwohl sie verdienstvoll erstmals die Gattungsproblematik überhaupt im Zusammenhang mit der frühen Herta Müller thematisiert. Genauer müsste darum auch ihre weitere Darstellung im Kapitel „2.3.4. Experimentelle Literatur. Weitere Blütezeit der Kurzgeschichte“ sein. Vgl. Predoiu: Faszination und Provokation, S. 30–38. Unhaltbar sind leider die vorgenommenen Datierungen – zunächst ist die „engagierte Subjektivität“ die Strömung nach der AG Banat, also deren Ablösung nach 1975 (auch nicht allein von deren ehemaligen Mitgliedern vertreten) und nicht deren Charakteristik: „Emmerich Reichrath spricht im Zusammenhang mit dem Generationswechsel von 1967–1974 von einer ‚Akzentverschiebung‘ und definiert diese neue Tendenz in der rumäniendeutschen Literatur mit dem von Walter Fromm geprägten Begriff der ‚engagierten Subjektivität‘.“ Ebd., S. 32. Sie vermischt hier zwei Quellen und zitiert ungenau. Zudem sind außer dem Text „die letzte banater story“ von Gerhard Ortinau sämtliche angeführten Prosatexte nach Auflösung der AG Banat veröffentlicht worden und können somit nicht für die Tätigkeit der losen Autorenverbindung beansprucht werden. 128 Die aber gleichsam mit den in die BRD ausgereisten Autoren weitergeschrieben wird.
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chenden Autoren teilen nicht allein die Enttäuschung durch die zunehmende Kältestarre der gesamtrumänischen Gesellschaft, sondern auch die desillusionierte Schreibhaltung, so dass sich Ton und Verfahren ähneln. Die kurze Prosa dagegen scheint mehr eine Reaktion auf Ermüdungserscheinungen innerhalb der Literatur darzustellen. Je nach Autor führt parallel oder recht bald nach Versuchen mit der „engagierten Subjektivität“ das Ungenügen an deren gegenwärtig verfügbaren Möglichkeiten zur Suche nach anderen Wegen. Ironischerweise enthält gerade die vorangegangene Entdeckung der Subjektivität in der Literatur ein entindividualisierendes Moment, indem sich nun fast alle Autoren zugleich des Verfahrens des langen Gedichtes bedienen. Neben anderen Lösungen stellt sich Individualität des Ausdrucks demnach erst mit dem Ausweg in eine andere Gattung wieder her. Im Vergleich mit dem Modernisierungsschub der Literatur am Ende der sechziger Jahre zeigt sich, dass die nun agierenden Autoren sich dem Modernitätspostulat gegenüber viel freier verhalten. Sie sind nicht mit dem Informationsmangel ihrer Vorgängergenerationen aufgewachsen und verfügen daher über breitere und sicherere Kenntnis der Gegenwartsliteratur, was ihnen beim Schreiben eine größere Vielfalt von Ansätzen ermöglicht. Nichtsdestotrotz ergibt sich ein ähnliches Phänomen wie bei den Junglyrikern am Anfang der Siebziger: Die empfundene Offenheit des zu erschreibenden literarischen Raumes bringt zunächst ein breites Spektrum an Schreibweisen hervor, die aber schnell an der Öffentlichkeit ihren Prüfstein finden. Nur sind hier jetzt erfahrenere Autoren am Werk, die sich einer gestrengeren Veröffentlichungspolitik unterwerfen müssen. Der Experimentalcharakter der Literatur stellt sich daher nicht erneut auf so breiter Front ein. Doch der Unterschied zwischen der relativ klar umrissenen „engagierten Subjektivität“ und der Erkundung der Prosa tritt deutlich zutage. Bedienen sich die Autoren im Rahmen der „engagierten Subjektivität“ eines bereitliegenden Musters, vielleicht um rasch ihre Irritation in unangreifbaren, da scheinbar nur für sich selbst Geltung beanspruchenden Zustandsbeschreibungen zu formulieren, so ist die Wendung zur Prosa auch ein Schritt auf brachliegendes Terrain, das dem einzelnen weitere Erkundungsräume zugesteht als die inzwischen in Strömungen, bestimmten Verfahren stärker regulierte rumäniendeutsche Lyrik. So erproben die Autoren trotz vieler inhaltlicher Gemeinsamkeiten auch in den jeweils eigenen Texten ganz unterschiedliche Darstellungsformen. Weder diese Darstellungsformen noch eine bestimmte Schreibhaltung charakterisieren also eine größere Gruppe von Autoren. Genau die Gruppengröße stellt auf einer äußerlichen Ebene das andere Argument dar, denn es sind gar nicht mehr genug innovative Autoren ausreichend lange auf diesem Feld tätig. Die jüngere Generation, die für eine Erneuerung der rumäniendeutschen Literatur sorgen sollte und wollte, hatte schon ab 1975 mit dem Ausreisen begonnen. Die verbleibenden Autoren dieser Generation suchten dann am Anfang und endgültig Mitte der achtziger Jahre das Weite. Wachsende Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, schwindende Publikationsmöglichkeiten für die als Dissidenten gehandelten Schriftsteller und letztlich der schleichende innere Abschied von den Lebensperspektiven in Rumänien entziehen der gesamten Literatur die Basis. Nicht zuletzt die Abwanderung verhindert die deutlichere Ausprägung eines
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nachhaltigen Prosa-Trends. Krause konstatiert für die Zeit ab 1984: „Nach und nach verschwinden die Autoren aus dem öffentlichen Leben in Rumänien.“129 Die Protagonisten der dominierenden Literaturströmungen, zunächst des polemischpräskriptiven, dann des subjektiven Engagements, und die Autorin Müller nähern sich gewissermaßen von zwei Seiten einander an. Während sich die einen auf sich selbst zurückverwiesen sehen, wenn sie mit ihren Texten weiterhin an Lebensrealität heranwollen, so öffnet die andere durch ihren Gattungswechsel zur Prosa den subjektiven Raum ihrer Texte für mehr Welthaltigkeit. Paradoxerweise finden sich die beiden Ausgangspositionen in der Lyrik, die eben in zwei höchst unterschiedlichen Literaturkonzepten gepflegt worden war. Mit ihren neuen Versuchen lenken die vielbeachteten Beherrscher des literarischen Diskurses die Aufmerksamkeit auf literarische Positionen, die Müller von der Lyrik her mitbringt: Subjektivität einerseits und Sprachskepsis andererseits. Müller, die anfangs nur eine von vielen ein wenig beachteten Nachwuchsautoren war und sich ausdrücklich nicht im Zentrum des Innovationsgeschehens sah, findet sich mit ihrem eigenen Neubeginn des Schreibens auf einmal mitten in der Avantgarde der rumäniendeutschen Literatur wieder. Sie hat zwar nicht die Richtung ihres Schreibens grundsätzlich geändert, sondern nur die Gattung, aber der Tross der Literaturschaffenden ist auf ihren Weg eingeschwenkt. Wohl hat Müller an diesem Gesamtrichtungswechsel mitgewirkt, indem sie mit ihren Texten die Möglichkeiten der Prosa vorführte, doch sicherlich ist ihr Einfluss um 1978 nicht gewichtig genug für einen Paradigmenwechsel. Diese Kraft geht eher von den Autoren der ehemaligen AG Banat und ihrem Umkreis aus, zu dem Müller als zunächst unbekannte Nachwuchsliteratin erst nach Mitte der siebziger Jahre gestoßen ist. Zweifellos ist die Auseinandersetzung mit den ästhetischen Positionen der vorher gemiedenen Avantgarde der rumäniendeutschen Literaturgegenwart ein wichtiges Moment der weiteren Entwicklung Müllers; von einigem Einfluss wird auch die gegenseitige Durchdringung von Kunst und Politik sein, die an den ständigen Spannungen im AMG-Kreis und dessen Verstrickungen sichtbar werden. Nicht zuletzt der persönliche Austausch in einem neuen, engen Freundeskreis, der einerseits als Lesekartell ästhetische Erfahrungen130 und andererseits zunehmende Verfolgungserfahrungen durch den Staat teilt, mögen zu neuen Aspekten im Schreiben Müllers beitragen. Zunächst jedoch treffen diese individuelle Autorenbiographie Müllers und die innerliterarischen Umbrüche an einem günstig gelegenen Punkt zusammen. Wo die „engagierte Subjektivität“ als lyrische Ausdrucksform an Personalmangel und Erschöpfung eingeht und gleichzeitig die Prosa an die Führung im Gattunsgefüge drängt, tritt Müller 129 Krause: Deutschlandbilder, S. 150. 130 Vgl. einige Berichte über das Beschaffen und Tauschen von Büchern und Zeitschriften. Siehe dazu Anke te Heesen: Interview mit der Schriftstellerin Herta Müller über ihren literarischen Umgang mit Zeitungsschnipseln. In: Cut and paste um 1900. Der Zeitungsausschnitt in den Wissenschaften. Hg. v. Anke te Heesen. Berlin 2002, S. 171–180.
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erstmals mit Prosatexten an die Öffentlichkeit, die gerade das fruchtbare Moment der neueren Lyrik, nämlich die subjektive Perspektive, doch ohne Verpflichtung auf ein bestimmtes Verfahren, mit den neu zu erschließenden Möglichkeiten der Prosa vereinen. Es dauert nicht lange, und Herta Müller gilt als die Jungautorin, sogar noch vor ihrem Überraschungserfolg in der Bundesrepublik.
2. Die Kurzprosa Nach der ausführlichen Darstellung des institutionellen Rahmens und der gattungsgeschichtlichen Zusammenhänge, in denen Herta Müllers erste Prosa-Texte angesiedelt sind, folgt nun ein konkreter Blick auf diese Texte selbst. „Bisher hatte Herta Müller, 25, Gedichte veröffentlicht, in Zeitungen, Zeitschriften und einer Anthologie, und einmal aus ihrer Lyrik im ‚Adam Müller-Guttenbrunn‘-Literaturkreis vorgelesen. Dass sie nun [...] erstmals Prosatexte zur Diskussion stellte, war für die Anwesenden eine Überraschung. Nikolaus Berwanger vermerkte sie als ‚erfreuliche‘ Tatsache, da die jungen Schreibenden sich bisher nur ausnahmsweise diesem Genre zugewandt hätten.“131
Es mag ein unbedeutendes Zusammentreffen sein, doch in und mit dieser Meldung tritt tatsächlich die Autorin Herta Müller auf, wie sie in der deutschen Gegenwartsliteratur bekannt und geschätzt ist. Hier liegt nämlich in doppelter Hinsicht der Beginn dieser Autorenlaufbahn, da Müller jetzt als Prosa-Schriftstellerin debütiert und unmittelbar so überzeugend wirkt, dass auf der besprochenen Veranstaltung der Wunsch nach einer Buchpublikation laut wird. Zwar braucht die Erfüllung dieses Wunsches fast vier Jahre, doch in der Zwischenzeit veröffentlicht Herta Müller in Zeitungen und Zeitschriften, nachdem sie vor diesem Auftritt im AMG-Literaturkreis einen einzigen Prosa-Text, allerdings mit uneindeutiger Gattungszuordnung, vorgelegt hatte. „Die Strassenkehrer“ waren in der Studentenzeitschrift Echinox132 erschienen, und zwar unter dem Namen Herta Karl. Bemerkenswert ist an dem oben zitierten Artikel aus der NBZ nicht nur das Datum des ersten Auftrittes als Prosa-Autorin im AMG-Kreis, sondern auch die Tatsache, dass ab diesem Zeitpunkt Herta Müller stets Herta Müller und nicht mehr Hertha Müller, Herta Müller-Karl, Hertha Karl-Müller oder gar Herta Karl sein wird.133 Es 131 ES: Dorfleben aus subjektiver Sicht. In: NBZ, 16.12.1978. 132 Für den Charakter und den Stellenwert der Zeitschrift Echinox vgl. Franz Hodjak: „Von der Suche nach einem Ort“. In: Stefan Sienerth: „Daß ich in diesen Raum hineingeboren wurde...“ Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa. München 1997, S. 269–286, hier S. 281f. 133 Vorhergehende Veröffentlichungen waren auch mit diesen Namensvarianten gezeichnet, z.B. unter Hertha Müller erschienen u.a. „Lass dich“, „Der Duft des Waldes“, „Wenn ihr vergesst“, „Schleier der Zeit“, „Gedämpft“, „Gegen Vorurteile“, „Besprechung“, die Texte in „Wortmeldungen“, „Brief von/an“, „Ich wäre nie daraufgekommen“; unter Hertha Müller-Karl: „Woher“, „Verhindert“, „Niemals“ und VK-Texte; unter Hertha Karl-Müller: Interview mit Wolf Aichelburg;
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wirkt, als sei mit dem Neubeginn im Schreiben auch die gültige künstlerische Identität gefunden. Im zitierten NBZ-Artikel deuten sich des weiteren Rezeptionsmuster im Kontext der rumäniendeutschen Literaturszene an. Richard Wagner hielt unter der Überschrift „Das isolierte Subjekt“ das übliche Referat zur Lesung, und in der anschließenden Diskussion zeigte sich neben dem Wohlwollen für das Unterfangen der jungen Autorin, neuartige Prosa zu schreiben, gleichermaßen Irritation über die schonungslose Darstellung vor allem des Dorflebens. Wagner beschreibt dies zunächst positiv, die Diskutierenden sparen allerdings nicht mit kritischen Anmerkungen: „Ein verletztes Individuum artikuliere hier seine Verstörung, seine Obsessionen, feminine u.a. – ‚verhalten bis aggressiv‘. In den Texten Herta Müllers, den Prosastücken einer Lyrikerin, spreche sich existentielle Bedrängnis, die Erfahrung von Gewalt, Angst und Tod, in einer visionären, farbigen Bildersprache aus, in der landläufige Bräuche (z.B. das Spiel mit ausgehöhlten Kürbisköpfen, das Schweineschlachten) zu ‚sauren Idyllen‘ umfunktioniert werden (Eduard Schneider), die, wie ein Gedicht Liliencrons heisst, ‚acherontisches Frösteln‘ auszulösen vermögen. Hans Kehrer bereitete diese ‚bedrückende‘ Art das Dorfleben zu gestalten Unbehagen, ihn störte desgleichen ein stellenweise anzutreffender ‚krasser Naturalismus‘. Es wäre wünschenswert, sagte man abschliessend, wenn Herta Müllers Prosa in Buchform erscheinen würde.“134
Wagner betont die Berechtigung einer solchen subjektiven Perspektive und wird später in seiner Laudatio auf die Preisträgerin Müller gerade loben, dass sie auf diese Weise ihrer Umwelt einen wenig schmeichelhaften Spiegel vorhalte. Aus demselben Anlass der Preisvergabe wird dann Kehrers Unbehagen an der „bedrückenden Art“ und dem „krassen Naturalismus“ in offene Anfeindungen von verärgerten Banatern umschlagen.135 Noch überlagern die literaturfremden Gesichtspunkte die Debatte nicht, doch begeisterte Zustimmung auf der einen und gekränkte Distanznahme auf der anderen Seite werden Müllers weiteren Weg im rumäniendeutschen Literaturbetrieb begleiten. Dem Auftritt im AMG-Literaturkreis war eine knapp zweijährige Publikationspause und Umorientierung Müllers vorausgegangen. Sie hatte sich von der Lyrik verabschiedet, doch der künstlerische Neubeginn mit den Prosa-Texten knüpft an die Erfahrungen im Schreiben selbstverständlich an. Herta Müller hat wohl nicht in der Weise bei Null begonnen, wie es ihre eigene Darstellung dieses Schrittes nahe legt. Sie äußert sich, als habe sie das Dichten völlig aufgegeben, weil es lediglich zu ambitionierter Schülerlyrik unter Herta Müller-Karl: „Sensibilität und ethisches Bewußtsein“; schließlich unter Herta Karl: „Die Strassenkehrer“ in Echinox, 1978. 134 ES: Dorfleben aus subjektiver Sicht: NBZ, 16.12.1978. 135 Vgl. das Kapitel zum literarischen Umfeld (B.1.). Siehe außerdem Dorothea Götz: Vom Ende einer heilen Welt. In: Beiträge zur deutschen Literatur in Rumänien seit 1918. Hg. v. Anton Schwob. München 1985, S. 97–102 sowie Franz Heinz: Kosmos und Banater Provinz. In: Ebd., S. 103–112.
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reichte136, und habe sich von diesem ersten, immerhin fast acht Jahre währenden Beginnen völlig verabschiedet. Erst die einsetzende Prosa-Produktion erklärt sie zum eigentlichen Eintritt in die Literatur. Noch in der Dankrede für den AMG-Literaturpreis und einem Interview schildert Müller jedoch ihren anfänglichen Schreibimpuls. Es sollte das Schreiben von Gedichten nicht nur zur Bewältigung von Isolation, Fremdheit und Orientierungsverlust dienen, sondern auch der Suche nach einer eigenen Sprache. „Als ich ans Lyzeum kam, war ich zum ersten Mal gezwungen, sechs Tage hintereinander in der Stadt zu leben. Ich mass die Zeit an der Anzahl der Samstage, denn samstags durfte ich ‚nachhause‘ fahren. In diesen sechs Tagen war ich verbittert und weinte vor Heimweh. [...] Ich wollte das Dorf sehen, und das Haus, und den Garten, und die Bäume im Hof. [...] Sechs Tage lang hatte ich in der Stadt das Dorf gesucht, weil ich etwas Bekanntes gesucht hatte, weil ich das Bedürfnis hatte, wohin zu gehören. Das Dorf war so klein, dass man sich darin nicht verlieren konnte. Das Dorf war ein Rahmen für mich. Ich konnte nicht ohne einen Rahmen leben. Das Dorf war in meinem Kopf. [...] Ich hatte den Wunsch ‚normal‘ zu sein, also in der Norm zu bleiben. In dieser Zeit schrieb ich Gedichte. Es waren Gelegenheitsgedichte, durch die ich meine Depressionen überwinden wollte. Aber die Sprache versagte an mir und ich versagte an der Sprache. Ich hatte sehr wenig gelesen. Ich kannte nichts als meine unbeholfene Verletzlichkeit.“137
Auch in einem Interview von 1982 wird Herta Müller mit dem Motiv der Sprachsuche und der Selbstvergewisserung zitiert: „Mit diesem Dorf im Kopf kam ich in die Stadt. Ich war lange Zeit auf mich zurückgeworfen. Ich konnte keine Kontakte aufnehmen, ich konnte nicht reden mit den Leuten. Ich schrieb Gedichte, um mich zu vergewissern, daß ich eine Sprache habe, daß es mich gibt.“138
136 „Ich bin sehr spät in den Literaturbetrieb hineingekommen. Ich habe, als ich Schülerin war, etliche Gedichte geschrieben, die ich dann später selbst nicht mehr ernst genommen habe. Das war auch Zufall, weil es an den Gymnasien damals eine Art Schülerzeitung gab, auch Schülerseiten in den Lokalzeitungen, und da wurde man von den Deutschlehrern aufgefordert, sich an der Gestaltung dieser Seiten zu beteiligen. Weil die Deutschlehrer nach einer sehr kurzen Zeit immer heraus hatten, wer Gedichte schreibt – meist von Gedichten war in dem Alter die Rede – wurde man direkt aufgefordert, Gedichte in diesen Schülerbeilagen zu veröffentlichen. Ich habe später als Studentin nichts mehr geschrieben, in der Zeit aber viel gelesen, z.B. die Geschichte des Dritten Reiches, und zwar anders, als man mir sie von zu Hause in diesem schwäbischen Dorf mitgegeben hatte.“ Aus: Alles, was ich tat, das hieß jetzt warten. Die ausgewanderte rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller im Gespräch mit Klaus Hensel. In: Frankfurter Rundschau, 08.08.1987. Je später die Äußerungen Herta Müllers zu diesem Thema, desto deutlicher distanziert sie sich von ihren Jugend-Gedichten. 137 Herta Müller: Dankrede. In: NBZ, 07.06.1981. 138 Annemarie Schuller: „Und ist der Ort wo wir leben“. Interview mit Herta Müller von Annemarie Schuller. In: Reflexe II, S. 121–125, hier S. 124.
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Obwohl sich Müller hierin als gescheitert betrachtet, hat sie durch die frühen Gedichte und die kleinen Prosa-Versuche bereits einige grundlegende Erfahrungen gesammelt. Ihre fortgesetzte Suche nach einer eigenen Sprache vollzieht sich in einem Spannungsfeld vieler Sprachen wie derjenigen des Deutschen und des Rumänischen, des Dialekts und des Hochdeutschen, der Sprachen des Privaten und des Öffentlichen, der Sprachen des Dorfes und der Stadt, der angemessenen Fach- und Sachsprachen in Studium und Beruf, des Alltags und nicht zuletzt der verschiedenen Optionen literarischen Sprechens. Auch hier erreicht die Angebotspalette eine beträchtliche Spannweite über die Beispiele im AMG und den einheimischen Medien, über die eigene Lektüre, die durch den Austausch von Büchern und Ideen mit befreundeten Autoren bereichert wird und ästhetisches Neuland erschließt.139 Anregungen bezieht Müller gewiss aus dem Kreis der befreundeten Autoren, mit denen sie gemeinsam zur Fraktion der erneuerungswilligen AMGMitglieder gehört. Einen Hinweis auf solche neuen Einflüsse enthält Herta Müllers Text „Damals im Mai“ aus dem Mai-Heft der NL von 1979.140 Während der Kontrast zwischen der eindrücklichen Beschreibung eines Aufenthaltes am Schwarzen Meer und der eintönigen Bewertung mit dem ständig wiederholten Wort „schön“ sofort ins Auge fällt, entbirgt sich ein starker intertextueller Bezug erst auf den zweiten Blick, obwohl es schon im zweiten Satz heißt: „Die Forellen, die Forellen gab es nicht, aber ich hatte ein Buch dabei, und darin gab es Regenbogenforellen, jede Menge, verlorene Forellen.“141 Der Text kommt auf das Buch mit den Forellen zwar zurück und lehnt sich mit einigen Formulierungen eng daran an, gibt jedoch den Namen von Trout Fishing in America nicht preis:
139 Im Rumänien der siebziger und achtziger Jahre war der Zugang zu Büchern bekanntermaßen eingeschränkt, was bei der Orientierung für junge Schreibende ein zusätzliches Hemmnis darstellte. In einer Rezension für mehrere Bücher Horst Samsons wird die entscheidende Rolle von Kontakten mit anderen Autoren und der Teilnahme am ganz konkreten Buch-Austausch geschildert. Samson schätzt selbst ein, dass er 1979/80 einen qualitativen Sprung als Autor machte: „Entscheidend für das Künftige war die Rückkehr ins Banat, der Kontakt mit dem Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreis, die Anstellung bei der Neuen Banater Zeitung. [...] Der Umgang mit anderen Schreibenden, die Bücher und Publikationen besaßen und gelesen hatten, von denen ich damals noch nicht mal wusste, dass es sie gab, die unsere Zeit anders, genauer und kritischer sahen, als sie in den einheimischen Zeitungen aufschien, hat mich verändert. Da entdeckte ich mich selber.“ Helmut Britz resümiert etwas salopp: „Zusammengefaßt: er hatte von nun an teil an einem Informationsprivileg. Um in der Branche mitreden zu können, muß man das Rotwelsch erlernen.“ Helmut Britz: Ein grauer Elefant. Zu: Horst Samson, „der blaue wasserjunge“, Facla Verlag, Timişoara 1978, „tiefflug“, Gedichte, Dacia Verlag, Cluj-Napoca 1981, „reibfläche“ Gedichte. Kriterion Verlag, Bukarest 1982. In: NL 5/1983, S. 65–72, hier S. 66–68. Samson erwähnt noch nicht einmal die Bücher, die nicht nur kritischer als die einheimischen Zeitungen, sondern gar nicht einheimisch waren und heimlich besorgt, gelesen und ausgetauscht wurden. 140 Herta Müller: Damals im Mai. In: NL 5/1979, S. 15–16. 141 Ebd., S. 15.
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„Am Strand lagen noch dürre Äste. Sie hatten schöne bedrohliche Verknorrungen, und wenn der Wind wehte, er wehte immer, verfielen sie in Zuckungen und glichen in ihrem schönen Ersticken den Forellen aus meinem Buch, die im Buch nicht erstickten aber starben, und das war schön.“142
In Richard Brautigans Forellenfischen in Amerika, das zu den meistverkauften Büchern der amerikanischen Nachkriegsliteratur gehört und 1971 ins Deutsche übertragen wurde, finden sich folgende Vorbildsätze: „Ich habe ’ne bessere Idee“, sagte er. „Bevor ich sie umbringe, laß mich sie sanft auf den Tod vorbereiten. Diese Forelle braucht einen Drink.“ Er zog die Flasche Port aus seiner Tasche, schraubte den Verschluß auf und schüttete ihr einen guten Schluck ins Maul. Die Forelle fiel in Zuckungen. [...] Die Forelle lag jetzt ganz still. „Sie starb glücklich“, sagte er.“143
Indem dieser populäre Untergrundklassiker hier und an weiteren Stellen dieses Textes anzitiert wird, tritt nicht er allein, sondern mit ihm der von den AG Banat-Autoren gepflegte Bezug zur amerikanischen Beat-Literatur auf den Plan. Auch wenn Herta Müller sich an keiner Stelle über ihre Lektüre Brautigans oder anderer amerikanischer Autoren äußert, wie das beispielsweise Richard Wagner oder William Totok tun, ist ein Resultat ihrer Beschäftigung damit hier mit Händen zu greifen. Neben dieser Erweiterung des äußeren literarischen Einzugsbereiches sind die eigenen Schreiberfahrungen der Ausgangspunkt für Müllers weitere Schritte. Insbesondere ist ihr Glaube an die rein instrumentelle Verwendung von Sprache geschwunden, aber sie fasst Literatur weiterhin als Medium der Selbstverständigung und Bewältigung von existenziellen Erschütterungen auf: „Als mein Vater gestorben war und ich diese Einsichten alle hatte, haben die mich einfach zum Schreiben getrieben. Ich habe überhaupt nicht an Veröffentlichung gedacht, Niederungen als Tagebuch geschrieben und Bekannten gezeigt [...]. Ich glaube, daß das Schreiben der ersten Prosatexte geholfen hat, daß ich an den Sachen nicht verrückt werde, weil ich sie aufschreiben konnte. [...] weil ich im nachhinein diese Zeit meiner Kindheit und auch die Zeit danach als etwas so Abstraktes empfand.“144 142 Ebd. 143 Richard Brautigan: Forellenfischen in Amerika. Roman. Berlin 1986 (Übernahme der Übersetzung durch Céline und Heiner Bastian von 1971), S. 40 (Kapitel: Forellentod durch Portwein). 144 Klaus Hensel: Alles was ich tat, das hieß jetzt warten. Die ausgewanderte rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller im Gespräch mit Klaus Hensel. In: Frankfurter Rundschau, 08.08.1987. In einem anderen Interview betont Müller, dass dieses Schreiben nichts mit der Idee eines Tagebuchs zu tun gehabt habe: „Ich habe auch gar nicht an Veröffentlichung gedacht. Auch nicht an Tagebuch. Für mich ist Tagebuchschreiben etwas sehr Dubiöses. Ich könnte es auch
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Der Neubeginn im Schreiben wird von Müller darüber hinaus als Gegenprogramm zur abstrahierenden Erinnerung an die Kindheitswelt entworfen. Mit der Gattung Prosa eröffnet sie sich nicht nur größere literarische Gestaltungsspielräume als mit der Lyrik, sondern auch die Möglichkeit zur Konkretion. Das erweist sich an der besonderen Art von Welthaltigkeit der entstehenden Texte, die sich vor allem aus dem genauen Blick aufs einzelne Detail der dargestellten Welt speist. Obwohl mit der Hinwendung zu den Dingen und der stets ins Konkrete übersetzten Reaktion des Individuums darauf eine gesicherte Basis gefunden zu sein scheint, von der aus sich die Fragen der Sprache von selbst beantworten, bleibt das grundsätzliche Bewusstsein dafür erhalten, dass sich etwas auf verschiedene Weisen sagen lässt und damit selbst etwas anderes wird. Besonders stark ergab sich für Müller dieser Eindruck wohl gerade bei ihren lyrischen Versuchen, das Stimmungshafte und Ungefähre sprachlich zu fixieren. Wenn in den neu entstehenden Prosa-Texten deshalb die sprachskeptische Position durch das Kraftfeld der dargestellten Wirklichkeit abgeschwächt wird, so ist eine fundamentale Skepsis weiterhin bestimmend für die Haltung Herta Müllers sowohl in ästhetischer als auch in allgemeiner Hinsicht. Ohne die bereits dargestellte sprachskeptische Wendung am Ende der LyrikProduktion ist jedoch der experimentierende Zugriff auf Sprache in ihren Ausdrucks-, Darstellungs- und Reflexionspotentialen nicht denkbar. Angesichts des Ungenügens am lyrischen Sprechen war eine Neuorientierung fällig. Wenn der einfache Ausdruck von Befindlichkeiten einerseits, z.B. des Gefühls der Verlorenheit und Isolation wie in „Schwarzer Park“, und die abbildhafte Darstellung einer bäuerlichen Lebens- und Vorstellungswelt wie in zahlreichen kurzen Texten andererseits der Sprachskepsis scheinbar widerspricht, so zeigt sich in distanzierenden, diese Unmittelbarkeit von Ausdruck und Darstellung brechenden Verfahren eine neue Qualität der Sprachverwendung. Über ihre Funktionen von Ausdruck und Darstellung hinaus können Sprache und Sprechen nun selbst zum Gegenstand werden. Es gibt beispielsweise Texte, die ganz vom Reiz der „Übersetzung“ leben, weil die Benennungen der dargestellten Welt in zwei Versionen angeboten werden wie in „Dorfchronik“, oder das Sprechen ausschließlich abbilden wie in „Überlandbus“. Auch Formen des uneigentlichen Sprechens werden von der Autorin auf ihre Eignung geprüft.145 Die Unterschiedlichkeit der entstehenden Texte zehrt wohl von den neuen Anregungen aus Müllers Umfeld, verdankt sich jedoch vor allem ihrem beharrlichen Experimentierdrang, der einen umso geschärfteren Sinn für die eigene Sprache hervorbringt. nicht. Erstens möchte ich nicht überwacht werden, auch nicht von mir selber. [...] ich glaube Tagebuchschreiben, das hieße, wenn man abends etwas aufschreibt, man legt es, man schreibt es fest. Das heißt, man legt es auch inhaltlich fest. Durch die Worte und den Satz, den man formulieren muß. Man hat es auf eine bestimmte Weise schon abgetötet. Und es gibt die Varianten, die Differenzen oder die Ungewißheiten nicht mehr.“ Dias Furtado, Maria Teresa: Interview mit Herta Müller. In: Runa 1993, H.1, S. 189–195, hier S. 190. 145 Vgl. die Beispiele zum parabolischen und satirischen Schreiben in den Kapiteln B.2.2.3, B.2.2.4. und B.2.2.5.
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Die Vielfalt der erprobten Möglichkeiten zeigt sich im Überblick über alle 73 in Rumänien erschienenen Prosatexte der Jahre 1978 bis 1985.146 Dabei sind im Wesentlichen zwei Prozesse zu beobachten: Zum einen entfaltet Müller in den über siebzig Texten ein ganzes Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten der Prosa; es ließe sich hier der Begriff der Fülle an Darstellungsverfahren verwenden. Diese sollen unter sechs orientierenden Kategorien beschrieben werden: „Bewusstseinspoesie“, „Prosastücke einer Lyrikerin“, Parabolisches Schreiben, Satire, Sprachanalytische Satire und Artistik. Zum anderen arbeitet Müller von Anfang an ihren spezifischen Darstellungsstil heraus, präzisiert und klärt, befreit ihn von stilistischem Ballast. Ebenso werden einige der literarischen Gestaltungsmöglichkeiten nach ihrer Erprobung verabschiedet. Dieser Vorgang ließe sich als Reduktion oder Konzentration vor allem der stilistisch-rhetorischen Darstellungsmittel wie auch der Verfahren bezeichnen und ist besonders eindrücklich nachvollziehbar an Texten, die in mehreren Fassungen vorliegen. Dort wird das Reduzieren schon allein an den Streichungen sinnfällig. Äußerst selten ergänzt Müller; die Kürzungen überwiegen und lassen die eigentümliche Knappheit ihres Stils wirkungsvoller hervortreten.147 Während die Fülle der erprobten Möglichkeiten eher in der Zusammenschau der bisweilen überraschend unterschiedlichen Texte erscheint, ist die reduzierende Arbeit am Darstellungsstil an Varianten von einzelnen Texten zu verfolgen. Insbesondere die Entstehungsstufen des Erzählungsbandes Niederungen bieten dafür aussagekräftiges Material; überdies erstreckt sich dieser Vorgang vom ersten Ausgangstext „Irrlicht im Schnee“148 (1978) in drei Stufen bis 1984 mit Niederungen (Berlin) über einen vergleichbaren Zeitraum. Obwohl beide Prozesse voneinander abhängig sind, verlaufen sie weder streng parallel, noch linear, noch aufsteigend oder mit systematischer Intentionalität. Es entsteht einfach das Bild eines Zeitraumes, in dem Herta Müller als Autorin auf einem Experimentierfeld ihre eigene Sprache erforscht und dabei trotzdem mit ihren ersten Veröffentlichungen eine große Sicherheit in Bezug auf ihren eigenen Stil an den Tag legt. Das hindert sie jedoch nicht daran, es auch noch anders zu versuchen und an ihrer spezifischen Diktion weiter zu arbeiten.
146 Gezählt wurden alle Texte von „Die Straßenkehrer“ (1978) bis „Matthias“ (1985), die in Rumänien erschienen. „In einem tiefen Sommer“ (1982/ 1984) und „Die Lebenslinie“ (1979/ 1984) liegen jeweils in zwei Varianten vor, die so erheblich voneinander abweichen, dass sie hier als eigenständige Texte gewertet wurden. Viele Texte sind in der Bundesrepublik erneut publiziert worden, 46 dieser frühen Stücke jedoch nicht. 147 Hier soll jedoch nicht mit der Figur von Deleuze und Guattari argumentiert werden, die in der Akzeptanz der sprachlichen Beschränkung des Umfeldes eine Kraftquelle für die minoritäre Literatur des Randes sehen, so dass durch die weitere Verknappung der sprachlichen Mittel eine Intensivierung des Sprachgebrauchs herbeigeführt wird, die eine solcherweise charakterisierte Literatur unversehens ins Zentrum der literarischen Avantgarde versetzt. Vgl. Deleuze/Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 24ff. 148 Herta Müller: Irrlicht im Schnee. In: NBZ, 21.12.1978.
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Mit diesem Blick auf den frühen Entwicklungsabschnitt von Herta Müllers Œuvre wird ihr Bild als Autorin um wesentliche Aspekte ergänzt. Denn hier liegt alles begründet: Einerseits findet sie überhaupt zum Schreiben, prägt ihr Selbstverständnis als Autorin aus und entwickelt ihren unverwechselbaren Stil und Ton; im engen Zusammenhang damit verdichten sich andererseits die Themen und Motive dieses Erfahrungsraumes, die von ihr zur damaligen Zeit literarisch erarbeitet wurden und in den neueren Publikationen wieder neue Gestalt annehmen, wie z.B. in den Postkartenbüchern von 1995, 2000 und 2012 oder in Der König verneigt sich und tötet (2004) sowie Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel (2011). Hier wendet sich Müller nicht allein ihrer rumänischen Kindheit zu.149 Vielmehr verweisen die hier unternommenen Überlegungen zur eigenen Sprache, zu deren Wesen und Herkunft auf die experimentierenden Anfänge ihres Schreibens zurück. Wo die Autorin heute in ihren poetologischen Texten diese Sprachfragen in den expliziten Reflexionshorizont einrückt und die Fundamente ihrer Sprache rekonstruiert, stand am Beginn ihrer Laufbahn die Eroberung der eigenen Sprachmächtigkeit im literarisch-ästhetischen Experiment.
2.1. Der Übergang von der Lyrik zur Prosa: „Die Straßenkehrer“ Am Übergang von der Lyrik zur Prosa steht in signifikanter Weise der erste veröffentlichte Prosatext Müllers, „Die Straßenkehrer“, der zugleich der erste für die Autorin selbst gültige Text zu sein scheint, weil er in Rumänien und Deutschland von 1978 bis 1993 nahezu unverändert wiederholt publiziert wird. Müller lässt trotz der gelegentlichen Erwähnung der Gedichte ihre eigentliche Schriftstellerlaufbahn hier beginnen, denn erst die Prosatexte werden von ihr selbst ernstgenommen. Das Bild der Autorin wird für die Jahre in Rumänien vor allem von ihren Dorf-Texten in Niederungen (1982) geprägt, die als schonungslose Kritik an den banatschwäbischen Lebensverhältnissen aufgefasst werden. Neben „Die Straßenkehrer“ kommen jedoch im selben Band auch andere Stücke zur städtischen, moderneren Lebenswelt heraus, ohne freilich im rasch entfachten Lärm um die „Nestbeschmutzerin“ der Banater Heimat gebührend wahrgenommen zu werden. Es erscheinen von Anfang an Texte über andere Erfahrungsräume wie eben z.B. „Die Straßenkehrer“ (1978), „Abziehbild“, „Damals im Mai“ (1979), „Schwarzer Park“, „Arbeitstag“, „Das Blockkomitee“ (1980), die offenbar aus damaligen Erlebnissen gespeist sind. Bereits mit den letzten Gedichten von 1976, gleich zu Beginn der „engagierten Subjektivität“ in der rumäniendeutschen Literatur, zeigte sich Müllers große Nähe zu dieser Strömung. Der sehr persönliche Ton der Gedichte, die Skepsis und die Melancholie verbinden sie mit dieser aufkommenden Tendenz. Statt jedoch diesen Weg als Lyrikerin 149 So legt es beispielsweise Detering in seiner Rezension von Der König verneigt sich und tötet nahe. Heinrich Detering: Himmel essen Seele auf. Der Irrlauf im Kopf. Herta Müller wendet sich erneut ihrer rumänischen Kindheit zu. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.10.2003.
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weiter zu verfolgen, wählt Müller die Prosa. Nicht weniger persönlich, nicht weniger poetisch und auch nicht weniger reflektiert erscheinen ihre Texte einer Gattung, die von den Lesern mehr geschätzt wird als von den Kritikern. Die im Fachpublikum deklarierte Dominanz der Lyrik im Gattungsgefüge ist im Jahr 1978 noch unbestritten; von ihr, nicht von der Prosa werden stets Innovationen in der Literatur erwartet. Mit den „Straßenkehrern“ beginnt nun unvermerkt eine Verschiebung im Gattungsgefüge, denn die individuelle Entwicklung der Autorin Müller prägt fortan die rumäniendeutsche Literaturlandschaft, spätestens mit dem Erscheinen der Niederungen im Jahr 1982 auch offiziell.150 Müllers Konzentration auf die Prosa fügt sich wohl in eine kurzlebige Tendenz151 innerhalb der rumäniendeutschen Literatur der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ein, doch rasch erregt sie in literarisch interessierten Kreisen Aufmerksamkeit und erringt dann mit ihrem Debütband endlich breite öffentliche Anerkennung. Ihr kommt sogleich eine unangefochtene Vorreiterrolle zu – sie ist jetzt gewissermaßen die Spitze der einheimischen Avantgarde. Der am Beginn dieser Entwicklung stehende Text „Die Straßenkehrer“ wurde erstmals in der Studentenzeitschrift Echinox in Cluj/Klausenburg veröffentlicht. In dieser ersten Fassung erinnert das Druckbild der „Straßenkehrer“ mit seinem Zeilenstil eher an ein Gedicht, während die späteren Wiederveröffentlichungen sich konsequenter auch äußerlich, d.h. typographisch zur Gattung der Prosa bekennen. Von den EchinoxHerausgebern wurde dieser Text zweifellos als Lyrik aufgefasst, wie an der Zuordnung des Textes erkennbar ist. Er wurde auf derjenigen Hälfte einer Doppelseite mit deutschsprachigen Prosa- und Lyrik-Texten gedruckt, die in drei Spalten ausschließlich Lyrik 150 „Zu den hervorragenden Bucherscheinungen des vergangenen Verlagsjahrs gehört zweifelsohne Herta Müllers Prosaband Niederungen, der dieses Jahr erst auf den Büchertisch gelangt ist. Bereits vor seinem Erscheinen war verschiedenerorts (nicht nur) von der Fachkritik auf ihn aufmerksam gemacht worden, unter Eingeweihten galt er als der ausgemacht wichtigste Belletristiktitel des Jahres.“ Hellmut Seiler: Sachlich, aber phantasievoll. In: KR, Nr. 45, 12.11.1982, S. 4–5. „Die rumäniendeutsche Literaturszene ist überschaubar. Insider kennen nicht nur die meisten schreibenden Autoren persönlich, sondern sie kennen oft auch deren Texte, noch bevor diese durch Lesungen oder Veröffentlichungen in unseren Periodika einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht worden sind. Erscheint also das Buch eines Zeitgenossen, so wird es von kaum einem Literaturliebhaber mit der ganzen Spannung dessen erwartet, der darin das Neueste von dem betreffenden Autor kennenzulernen hofft. Das Ereignis besteht darin, daß das aus Zeitschriften, Zeitungen oder von anderen Gelegenheiten Bekannte ihm nun gesammelt als Buch entgegentritt. Ausnahmen sind selten. Eine davon ist der Prosaband Herta Müllers. Obwohl auch darin größtenteils Texte stehn, die man bereits andernorts, vor allem in der NL, lesen konnte, war die Neugier vor dem Erscheinen des Debütbandes groß. Und das nicht nur bei Kundigen. Auch bei den literarisch weniger Interessierten, wie Herta Müller das in Selbstaussagen bestätigte. Zurückführen lässt diese Wirkung sich nicht allein auf das Genre, das im Vergleich etwa zur Lyrik höher in der Gunst des Publikums steht.“ Herbert Rudolf: Die Einsamkeit der Sätze. Zu: Herta Müller, Niederungen, Prosa, Kriterion Verlag, Bukarest 1982. In: NL 4/1983, S. 67–72. 151 Kurzlebig nicht allein, weil die Autoren sich anders besannen, sondern auch, weil sie einfach ausreisten.
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enthält.152 Tatsächlich eignet dem Text mit seinen Wiederholungen des „kehren“ eine gewisse Rhythmik, und die Zeitangabe „Zwölf Uhr nachts“ legt einen Vergleich mit den konkret bestimmten Situationen in den Gedichten der „engagierten Subjektivität“ nahe. Steht doch gleich auf derselben Seite ein Text von Totok unter dem Titel „Neue Privatheit, Sonntag, am 2. April 1978“. Allerdings ist hier sofort auch ein Unterschied sichtbar: Nicht als Titel, d.h. als Programm, unter dem der gesamte Text in seiner bedeutsamen Alltäglichkeit zu begreifen wäre, sondern gleichsam als Regie-Anweisung für den vorzustellenden Handlungsraum funktioniert diese Angabe. Sie bleibt relativ unbestimmt, indem lediglich eine Uhrzeit und kein Datum, keine Jahreszeit oder gar ein konkreter Ort genannt werden. Dafür handelt es sich bei der Uhrzeit um einen symbolisch aufgeladenen Hinweis, nämlich die magische Mitte der Nacht, so dass eher an die abgründige Nachtverliebtheit der Romantik als an die gut ausgeleuchtete Detailfreudigkeit des langen Gedichtes zu denken ist. An diesem unscheinbaren Textelement werden zugleich oberflächliche Verwandtschaft und Abstand zum Konzept der „engagierten Subjektivität“ sichtbar, das sich ja vorwiegend im langen Gedicht manifestiert. In späteren Wiederveröffentlichungen ist dieser Einleitungssatz gestrichen153, womit einerseits ein Verbindungsstück zur neueren Entwicklung in der rumäniendeutschen Lyrik entfällt und andererseits dem Text eine phantastische Dimension entzogen wird. Ein solcher Verzicht auf vergleichbare Elemente, die die fingierte Realität unter Vorbehalt stellen, zeigt sich auch in den weiteren Prosa-Experimenten Müllers, insbesondere bei mehreren überarbeiteten Fassungen von einzelnen Texten. So entpuppt sich die träumerische Erzähllogik in „Die Grabrede“ tatsächlich als Traum-Logik, während eine vergleichbar unwirkliche Erfahrung in „Der deutsche Scheitel und der deutsche Schnurrbart“ lediglich vermittelt, als Erzählung einer Erzählung eines Bekannten dargeboten wird.154 Noch in der ersten Fassung der „Niederungen“ (Nie I) gerät der gesamte Text unter den relativierenden Bann eines Schlusses im Märchenton. Zunehmend aber verlässt sich Müller auf die ästhetische Legitimität der verfremdenden Darstellungsformen, als müsse die äußerst subjektive Gestaltung der fingierten Wahrnehmung und Welt nicht mehr mit solchen Gesten plausibilisiert und geradezu entschuldigt werden. In Gattungsbegriffen könnte das heißen, dass die in den lyrischen Texten Müllers vorausgesetzte, ja unabdingbare Subjektivität in der Prosa erst allmählich ganz Fuß fassen kann. Der kleine Text beschreibt einen nächtlichen Parkspaziergang, auf dem das sprechende Ich Straßenkehrern begegnet:155 152 Vgl. Echinox, Nr. 8 – 9, 1978, S. 25. Die etwas unübersichtliche Anordnung führte Krause wahrscheinlich zu der Annahme, dass „Stilleben mit Meer und Sonnenschein“ sowie „Neue Privatheit, Sonntag, am 2. April 1978“ auch von Müller stammten. Vgl. Krause: Deutschlandbilder, S. 276. Die Texte sind aber von Horst Samson und William Totok. 153 Der Text erscheint fünf Mal – erst ab 1982 N I fehlt der erste Satz, d.h. in Echinox (1978) und NL (1979) ist er noch enthalten; in N I und N II sowie in Das Land am Nebentisch entfällt er. 154 In „Das Geweih“ wird eine solche Rahmenerzählung ausführlicher angelegt, so dass die Reaktionen des Protagonisten aus seiner eigenen Sicht erzählt werden. 155 Herta Karl: Die Strassenkehrer. In: Echinox, Nr. 8–9, 1978, S. 25.
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Die Strassenkehrer Zwölf Uhr nachts. Die Stadt ist mit Leere getränkt. Ein Auto überfährt mir die Augen mit seinen Lichtern. Der Lenker flucht, weil man mich nicht sieht in der Dunkelheit. Die Straßenkehrer haben Dienst. Sie kehren die Glühbirnen weg, kehren die Straßen aus der Stadt, kehren das Wohnen aus den Häusern, kehren mir die Gedanken aus dem Kopf, kehren mich von einem Bein aufs andere, kehren mir die Schritte aus dem Gehen. Straßenkehrer schicken mir ihre Besen nach, ihre hüpfenden mageren Besen. Die Schuhe klappern mir vom Leib. Ich gehe hinter mir her, ich falle aus mir heraus, über den Rand meiner Vorstellungen. Neben mir bellt der Park. Die Eulen fressen die Küsse auf, die auf den Bänken geblieben sind. Die Eulen übersehen mich. Im Gebüsch kauern die müden strapazierten Träume. Die Besen kehren mir den Rücken ab, weil ich mich zu sehr anlehne an die Nacht. Die Straßenkehrer kehren die Sterne auf einen Haufen, kehren sie auf die Schaufel, leeren sie in den Kanal. Ein Straßenkehrer ruft einem anderen Straßenkehrer etwas zu, der andere dem anderen, und wieder einem andern. Jetzt reden alle Straßenkehrer aller Straßen durcheinander. Ich gehe durch ihre Schreie, durch den Schaum ihrer Znrufe [!], ich zerbreche, ichl [!] falle in die Tiefe der Bedeutungen. Ich mache große Schritte. Ich reiß mir beim Gehen die Beine aus. Der Weg ist weggekehrt. Die Besen fallen über mich her. Alles überschlägt sich. Die Stadt irrt quer übers Feld, irgendwohin.
Geradezu beispielhaft wird in diesem Stück die für die Moderne kennzeichnende Identitäts- und Sprachproblematik vorgeführt. Der Gang des Subjektes durch die Nacht führt nicht zu dessen romantischer Verinnerlichung, sondern in das Verschwinden von Stadt und Spaziergänger beinahe à la Daniil Charms.156 Durch das den ganzen Text 156 Vgl. die kurzen Prosastücke von Charms wie beispielsweise „Vorfall in der Straßenbahn“, „Wie ein Mensch zerfiel“ und „Das Blaue Heft Nr. 10“. Daniil Charms: Alle Fälle. Das unvollständige Gesamtwerk in zeitlicher Folge. Hg. und übersetzt von Peter Urban. Zürich 1995, S. 123, S. 260 und S. 333.
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bestimmende Kehren wird die Stadt ebenso wie das Ich aus dem jeweiligen Konzept gebracht. Während die Stadt ihrer Funktionen beraubt wird, muss das Ich seinen Zerfall mit sich selbst in physiologischer und geistiger Hinsicht erfahren: Gedanken, Schuhe, Beine, Schritte gehen verloren, bis das Ich hinter sich selbst geht, über den Rand seiner Vorstellungen getrieben wird und schließlich zerbricht und fällt. Die vorgeführten konzeptuellen Irritationen verweisen auf die prekäre Situation des Ich, das sich hier ja explizit außerhalb aller alltäglichen und selbstverständlichen Definitionszusammenhänge erlebt. Es wird durch seine Entfremdungserfahrung jedoch nicht nur verunsichert, vielmehr stürzt es in die absolute Orientierungslosigkeit, wie anhand des misslingenden Verstehens gezeigt wird. Zum Ansturm des sich unerbittlich wiederholenden Kehrens gesellt sich das kommunikative Durcheinander der Unterhaltung der Straßenkehrer; in der Überforderung des Ich mit diesen unverständlichen, zu vielen und ungeordneten Zeichen gipfelt der Prozess des Sinnverlustes, dem das Ich unter- und erliegt: „Ein Straßenkehrer ruft einem anderen Straßenkehrer etwas zu, der andere dem anderen, und wieder einem andern. Jetzt reden alle Straßenkehrer aller Straßen durcheinander. Ich gehe durch ihre Schreie, durch den Schaum ihrer Zurufe, ich zerbreche, ich falle in die Tiefe der Bedeutungen.“ (Hervorhebungen d. A.)
In dieser allgemeinen Verwirrung, in der die Stadt entgegen ihrer Bestimmung leer ist und weiter leergekehrt wird, in der das Ich sich selbst fremd wird und seine Deutungsmacht über sich und seine Umwelt einbüßt, vertauschen sich Ich und Stadt, nachdem sie beide die Orientierung in Form eines Weges verloren haben. Dieser ontologische Salto bildet den Schlusspunkt: „Der Weg ist weggekehrt. Die Besen fallen über mich her. Alles überschlägt sich. Die Stadt irrt quer übers Feld, irgendwohin.“
Nicht allein das typographische Erscheinungsbild der Erstveröffentlichung in Echinox rückt diesen Text, der mit seinen Wiederholungen von „kehren“, „die Straßenkehrer“ und der syntaktischen Invarianz von großer sprachlicher Eindringlichkeit ist, in die
„Sie [die rumänischen Schriftsteller] lasen zwar nicht Elias Canettis Masse und Macht, es war nicht ins Rumänische übersetzt, aber sie lasen wie ich Garcia Marquez’ Der Herbst des Patriarchen und Daniil Charms, Zwetajewa, Mandelstam. Die Inhalte unserer Bücher trafen sich, wir lasen die Inter-National-Literatur der Angst, Bücher über Repressalien in abgeschafften und bestehenden Diktaturen.“ Herta Müller: Wie kommt man durchs Schlüsselloch. In: Neue Zürcher Zeitung, 27.09.2003.
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Nähe der Lyrik. Fast jeder Satz beginnt auf einer neuen Zeile, wodurch der Text eine zusätzliche, etwas atemlose Rhythmisierung mit stetigen Unterbrechungen und Neuansätzen erhält. Über die Gewichtung des einzelnen wahrgenommenen Details hinaus bildet sich in dieser Sprachgestalt des betonten Nacheinanders von Sätzen, die nicht auseinander folgen, sondern nur aufeinander, die Mühsal des ordnenden und sprechenden Subjekts ab, das ausschließlich im Beobachten der regelmäßigen Kehrbewegung und des Anschwellens der Kehrerunterhaltung zu längeren Parataxen kommt. Diese sind, wie auch einige eigenständige Sätze, in ihren Teilen jeweils parallel gebildet; so im ersten langen Satz über die Tätigkeit der Straßenkehrer oder im schon zitierten Schlüsselsatz: „Ich gehe durch ihre Schreie, durch den Schaum ihrer Zurufe, ich zerbreche, ich falle in die Tiefe der Bedeutungen.“ (Hervorhebung d. Verf.) Neben anderen Wiederholungsstrukturen ist hier vor allem die stete Wiederkehr des „kehren“ dreifach wirksam: Zunächst dient es in mimetischer Funktion der schlichten Abbildung der ununterbrochenen Tätigkeit, die das Erleben des Ich grundiert. Dann bildet diese Repetition einen Rhythmus aus, der sich wie ein Netz auf der Sprachoberfläche des Textes spannt.157 Die Rhythmisierung durch Wiederholen zeigt ein Beispielsatz, in dem der dritte Teilsatz zugleich Höhepunkt und Variation darstellt: „Die Straßenkehrer kehren die Sterne auf einen Haufen, kehren sie auf die Schaufel, leeren sie in den Kanal.“ Dabei fallen zusätzlich als phonetisch strukturierendes Moment die zahlreichen „e“ auf, wie auch in „Neben mir bellt [...]“, „kehren“, „leeren“, „reden“, „gehen“, „fressen“, „Leere“, „Lenker“, „Besen“, „Sterne“, „Feld“, „zerbreche“, „her“ und „quer“ und „Der Weg ist weggekehrt.“ 158 Und drittens findet eine Bedeutungsentwertung durch Wiederholung statt. Indem das Verb „kehren“ mit seinem Korrespondenten „leeren“ so penetrant immer wieder verwendet wird, tritt seine Abbildungsfunktion zugunsten seiner lautlichen Qualitäten zurück. 159 Es wird selbst semantisch entleert. Nun verhält es sich aber so, dass genau dieser Vorgang einerseits zur Illusionierung beiträgt, weil dergestalt das Kehrgeräusch evoziert wird160, und andererseits die angedeutete Schwierigkeit des erlebenden Ich mit der „Tiefe der Bedeu157 Es erinnert in seiner Machart an das Gedicht „Die schlesischen Weber“ von Georg Herwegh, in dem sich das scheinbar endlose Andauern einer Tätigkeit ebenfalls als strukturelles Textmoment niederschlägt, hier allerdings als ordnender Refrain: „Wir weben, wir weben...“. Sogar lautlich scheint hier eine Korrespondenz auf. 158 Berücksichtigte man die tatsächlichen phonetischen Kriterien, wären auch die „ä“ des Textes aufzuführen. Darüber hinaus zeigt sich an dem letzten Beispiel „Der Weg ist weggekehrt“ und an dem vorhergehenden Satz „Ich reiß mir beim Gehen die Beine aus“ durchaus Sprachwitz, der mit der Vieldeutigkeit von Worten und Wendungen spielt. 159 Vgl. in diesem Zusammenhang vor allem Lobsien: Wörtlichkeit und Wiederholung. Phänomenologie poetischer Sprache. München 1995 sowie Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. München 31989, S. 158ff. 160 Ein vergleichbarer Effekt bzw. ein Zusammenhang zwischen dem Dargestellten und der Darstellungsform findet sich z.B. in „Das Fenster“, wo der Sog der endlosen Drehbewegung in der immer gleichen Syntax anschaulich abgebildet, weil zudem von ihr nachgebildet wird.
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tungen“, also die Störung des Sinnbildungsprozesses mitvollzogen wird. Die Wiederholungsstruktur dieses ersten Textes begründet sich also ganz im Abgebildeten – die Kehrer wiederholen sich eben. Aber hiermit ist ein grundlegendes Stilmittel Müllers schon angelegt, nämlich die Wiederholung auf verschiedenen Textebenen. Das betrifft das Dargestellte ebenso wie die Darstellung, über die Syntax bis hin zu den Mikrostrukturen der Lautgestalt. In diesem kurzen Stück „Die Straßenkehrer“ scheinen die wesentlichen Charakteristika von Müllers Darstellungsstil schon versammelt: Mit einer unkomplizierten Sprache, vorwiegend parataktischen Konstruktionen, ausgeprägten Parallelismen wird unter Verwendung von ungewöhnlichen Sprachbildern und Anthropomorphisierungen das Erleben des literarischen Subjektes unmittelbar nachgebildet, dessen Erfahrung der Sinnstörung bis hin zum Sinnverlust eingeschlossen. Dabei entsteht eine Spannung zwischen dem illusionierenden Zugriff und den sprachgestalterischen Mitteln, die bisweilen durch ihre starke Präsenz dem mimetischen Geschehen entgegenzuwirken scheinen. In „Die Straßenkehrer“ erweisen sie sich jedoch als Bestandteil der Mimesis selbst und treten nicht verselbstständigt auf. Im Weiteren wird sich zeigen, dass Müller durchaus kurze Prosatexte verfasst hat, die nicht mimetisch-illusionierend verfahren, weil sie teils nicht unmittelbar ab- oder nachbilden, teils das sprachliche Material so stark ins Bewusstsein des Lesers heben, dass es selbst zum Gegenstand wird und dabei seine repräsentative Funktion zurücktritt hinter der Präsentation seiner selbst. Nicht dass dies Resultate immanenter Unausgewogenheit wären, vielmehr sind es bewusste Entscheidungen für andere Darstellungsprinzipien.
2.2. Spracharbeit: Fülle 2.2.1. „Bewusstseinspoesie“ Herta Müllers Gedichte und die 73 in Rumänien erschienenen Prosatexte der Jahre 1978 bis 1985 zeigen, wie sich die Autorin zunächst im lyrikbegeisterten Umfeld auf die Suche nach eigenen Ausdrucksmöglichkeiten begibt, in ihren Gedichten zuletzt eine sprachkritische Haltung einnimmt und dann mit ihrem Schritt in die Gattung der kleinen Prosa sofort ihren charakteristischen Ton und Stil findet. Dieser Neuanfang erscheint im Lichte des literaturgeschichtlichen Kontextes, namentlich der Wendung zum „langen Gedicht“ gar nicht so schroff. Zeichnet sich doch gerade die Prosa Müllers meist durch ihre hohe Subjektivität und zudem starke lyrische Qualitäten aus. Tatsächlich pflegt die Autorin anfangs eine Schreibhaltung, die den Eindruck der unmittelbaren Teilnahme am Erleben des sprechenden Ich erweckt, bevor sie andere Darstellungsweisen probiert.161 Chrono-
161 Bis „Mutter, Vater und der Kleine“ vom November 1979 erscheinen neun Prosa-Texte, in denen ein solches Ich unterschiedlich präsent ist, dessen Erfahrungsbereich aber nie überschritten wird.
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logisch und systematisch steht der hier als „Bewusstseinspoesie“162 bezeichnete Ansatz in nächster Nachbarschaft zur abgeschlossenen Lyrik, denn in beiden Gattungen geht es Müller um die Erfahrungswirklichkeit eines Ich. Der Begriff der „Bewusstseinspoesie“, der von Gottfried Willems am Beispiel des Spätwerkes von Gottfried Benn und der Neuen Lyrik entwickelt wurde, enthält ursprünglich auch eine enge Verknüpfung mit dem vielfältigen und anregenden Erlebnisraum der Großstadt. Im Unterschied dazu zeigen sich in Müllers zahlreichen Texten aus dem städtischen Umfeld eine grundlegende Homogenität und unverfügbare Fremdheit des Außen, die den dörflichen Erzählraum ebenso wie die erzählte Stadt prägen: Es spielt hier keine Rolle, ob Dorf oder Stadt den Erlebnisraum bilden, weil sich die Stadt nicht kategorial vom Dorf abhebt. Trotzdem erschließt der – um den Aspekt der urbanen Wirklichkeit gekürzte – Begriff Willems‘ wesentliche Charakteristika von Müllers Prosatexten. Einerseits kommt die Dominanz lyrischer Schreibweisen zum Vorschein. Andererseits, und das ist entscheidend, trägt er der grundlegenden Verfasstheit der meisten Prosastücke Müllers Rechnung, indem er ihre Konzentration auf das Bewusstseinsleben des erlebenden Ich anhand alltäglicher, kaum ereignis- oder erlebnishafter Situationen akzentuiert. In solchen unspektakulären Momenten treten die Wahrnehmung des Außen und die konkrete Befindlichkeit des Ich darin verstärkt ins Bewusstsein. Zum Ereignis des Textes wird eben das bewusste Bewussthaben, die Vergegenwärtigung des unmittelbaren Erlebens. Bei Müller sind diese Vergegenwärtigungen im Gegensatz zu Benn und den Vertretern der Neuen Lyrik häufig von Angst, Bedrängnis oder wenigstens Unbehagen grundiert. Der paradigmatische Text „Straßenkehrer“ am Übergang von einer Gattung zur anderen könnte genauso gut als langes Gedicht firmieren, wenn er nicht sogar eine größere inhaltliche und stilistische Geschlossenheit aufweisen würde als das Idealgedicht der „engagierten Subjektivität“, das sich ja per definitionem der Vielfalt der Wirklichkeit öffnen soll. Müllers Text dagegen konzentriert sich – auch in seiner formalen Gestaltung – auf einen Ort, eine Situation und einen Vorgang. Er fingiert das Erleben eines Ich, indem es dessen Spaziergang im Park, seine Wahrnehmungen und seine ins Chaotische mündende Irritation unmittelbar zugänglich macht. So werden Ich und Welt aussagekräftig ins Verhältnis gesetzt. Eine solche unmittelbare Zugangsweise zum Bewusstseinsleben von literarischen Figuren, sei es nun in Er- oder Ich-Perspektive, verfolgt Müller in einer ganzen Reihe von unterschiedlich gestalteten Prosa-Texten. Beispielsweise erfasst „In einem tiefen Sommer“163 die Welt entlang der Wahrnehmung von Inge, die an einem Sommertag den Friseur aufsucht. Sie fährt mit der Straßenbahn, betrachtet dort einen Jäger mit einem toten Hasen im Rucksack und eine „starre Frau“ 162 Zu diesem Terminus vgl. Gottfried Willems: Großstadt- und Bewußtseinspoesie. Über Realismus in der modernen Lyrik, insbesondere im lyrischen Spätwerk Gottfried Benns und in der deutschen Lyrik seit 1965. Tübingen 1981. 163 Herta Müller: In einem tiefen Sommer. In: NL 6/1982, S. 48–52.
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mit einem Blumenstrauß. Nach dem Aussteigen sieht Inge die Frauen und die Tauben auf der Straße sowie ein Schaufenster. Ähnlich wird der Betrieb im Friseurladen beschrieben: Inge wartet und schaut auf die anderen Wartenden, hört ein Gespräch mit an, beobachtet eine Maniküre und lässt sich die Haare waschen. Inge geht wieder auf die Straße. Im Grunde herrscht hier ein Abbildrealismus vor, in dessen Schilderung des Gesehenen, Gehörten und Gespürten keine Brüchigkeiten in der Welt oder dem erlebenden Subjekt aufscheinen. Wenn Unordnung, Spannung oder Widersprüche beschrieben werden, dann liegen sie zunächst ganz banal in den alltäglichen Zumutungen der Mangelwirtschaft: Beim Friseur bestimmen Trinkgeld und Bekanntschaft die Reihenfolge, die Handtücher sind muffig, der Strom ist ausgefallen und das Wasser kalt. Im Gespräch klingt kurz die Wohnungsmisere an. Einen kommentierenden Kontrast bildet dazu die Schriftwelt, wie sie in Zeitung, Plakat und Hinweisschildern beschworen wird.164 In der Welt jenseits aller schriftlichen Ordnungsbehauptungen erfährt Inge vor allem ein sinnliches Gegenprogramm. Sie bleibt als Figur eigentümlich distanziert, denn es wird lediglich angeführt, was sie wahrnimmt, sieht, hört, riecht, sagt und tut, aber nicht, was sie als persönliche Regung fühlt und denkt.165 Sie ist als literarische Figur eine 164 An der Opernfassade hängt ein staubiges Plakat, das auf die Selbstfeier der rumänischen Kultur verweist: „Cîntarea României“ (S. 49). Dieser landesweite Kulturwettbewerb ist der Inbegriff der folkloristisch inszenierten Staatskultur. Vgl. Frankdieter Grimm: Rumänien. Landeskundlicher Überblick. Leipzig 1985, S. 50: „Gleichermaßen gefördert wird die Volksmusik, besonders durch die Ausscheide und Aufführungen zum Volkstanz- und Liederfestival ‚Cîntarea România‘ [!]“. Müller schildert diesen Landeswettbewerb selbstverständlich ganz anders: „Es gibt eine sogenannte Massenbewegung, die von den Funktionären eingeleitet ist, wie von Ceauşescu selbst. Sie heißt: ‚Preis dir, Rumänien!‘ Es handelt sich um Veranstaltungen, in denen ausschließlich Laienkünstler auftreten. Damit sind die Medien vollgestopft. Sie haben die Aufgabe, das Vaterland, Ceauşescu, die Partei, die Erfolge zu besingen. Und sonst nichts. Dann gibt es in der Presse immer öfter patriotische Kultur: zum Beispiel Feiertagsgedichte und Feiertagsartikel, die natürlich auch in erster Linie Ceauşescu besingen. Das ist ja keine Kultur.“ Schoeller, Wilfried F.: Es wird alles erstickt. Interview mit Herta Müller. In: Süddeutsche Zeitung, 9.5.1987. Ebenso verschlüsselt – selbstverständlich nicht für die rumäniendeutschen Leser – kommt der Hinweis daher, dass der Brauch des Trinkgeldes verboten sei: „În aceastâ unitate bacşişul este interzis!“ (S. 51). Und schließlich unterstreicht der Zeitungsausschnitt über die Nützlichkeit des schönheits- und willensfördernden Sportunterrichtes die Vergeblichkeit allen Wollens, wenn man den Unwägbarkeiten eines rumänischen Friseurbetriebs ausgesetzt ist. Das zeigt noch einmal gegen Ende des Textes das Schild mit den Telefonnummern von Polizei und Feuerwehr an. Was sollte es schon bewirken, eine „Zahl, die mit Null beginnt“ (S. 52), zu wählen und sich zu beklagen. Die in den schriftlichen Elementen angedeutete Welt ist nicht einmal die des Möglichen gegenüber der Welt des Wirklichen – sie bildet einfach einen hintersinnigen, auf Kontrast beruhenden Kommentar: „Preis dir, Rumänien!“ 165 „Das lyrische Ich erweist sich [...] als zutiefst mit der Wirklichkeit beschäftigt, mit dem, was es vor Augen und unter den Händen hat, was seinen Sinnen und seinem Erleben unmittelbar zugänglich ist. Zugleich ist es jedoch auch zutiefst gleichgültig, fern von jedem praktischen persönlichen Interesse, von Genuß und Abscheu, von allgemeinen moralischen Zwecksetzungen, vom Bewußtsein der Wesentlichkeit, überhaupt von allem, wodurch Wirklichkeit im Horizont eines Subjekts
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Sammelstelle für die Eindrücke, da sie nur registrierend auf die Welt zu blicken scheint, wobei allerdings kein impressionistisches Konzept zugrundeliegt. Von ihr selbst entsteht weder ein äußerliches, noch ein Charakterbild; sie ist in dieser Erzählkonstruktion ein blinder Fleck. Verfolgt sie das Entstehen einer Frisur, so erblickt auch der Leser mit ihr lediglich die beteiligten Gegenstände, Handgriffe und anatomischen Details. Das Resultat, nämlich die fertige Frisur, erregt ihre Aufmerksamkeit nicht, also sieht es der Leser ebenso wenig. Die Fragmente der Schriftwelt und das Gerede der anderen gelangen nach demselben Muster in den Text, nämlich einfach, indem sie an Inges Auge und Ohr dringen, ohne dass ihre Haltung dazu offenbar würde. Sie sieht, hört und spürt, und allein die zurückhaltende Einfärbung des Gesehenen durch Metaphern und wertende Ausdrücke vermittelt einen Eindruck von Inges Auffassung der Welt: „Inge steigt aus der Straßenbahn. Die Frau sitzt starr. Der Jäger steht grün hinter der Scheibe. Inge riecht das Hasenblut aus ihrem Haar, aus ihrem Mund, an ihren Händen. Über die Straße schwimmen die Frauen. Sie klammern ihre Hände um die kleinen Kunsthauttaschen. Ihre Sommerkleider flattern um die Beine. Ihre Sommerkleider flattern Farben und treiben die Frauen unter der Haut ins Altern, zu den bestickten feinverzierten Gräbern hin. Im Haar der Frauen stehen frische Ohren, doch um den Hals, da treibt der Wundklee stumme angewelkte Ränder. Die Tauben haben krumme Krallen. Ihre Federn stecken tief im Fleisch. Ihre Köpfe sind wie Fingerhüte. Unter den Federn, da ist kein Gesicht, da ist keine Regung. Sie stehen vor der Oper mit gespreizten Schnäbeln und würgen an nassem Brot. An der Opernfassade klebt ein staubiges Plakat: Cîntarea României.“166
Vor allem am Beginn des Textes, der den Weg durch die Stadt beschreibt, gerinnen die beobachteten Dinge zu Bildern, die Inges Gedankenwelt widerzuspiegeln scheinen: die Passagiere in der Straßenbahn, die Frauen auf der Straße, die Tauben. In der Metaphorik der entsprechenden Passagen und den Bildassoziationen entfaltet sich eine spätsommerliche, vom Tod durchdrungene Atmosphäre. In irritierender Weise – für den Leser, nicht jedoch für Inge, die weiterhin nur registriert – erreicht diese Stimmung den Friseurladen, wo eine Kundin auftaucht, die mit genau denselben Worten wie die „starre Frau“ aus der Straßenbahn beschrieben wird. Für Irritation sorgt, dass diese Frau erst hier ihre „zyklamenroten Nägel“ und die verletzte Nagelhaut davonträgt, es sich also um eine Doppelgängerin handeln muss. Dieses merkwürdige Déjà-vu erschüttert zumindest Inges Vertrauenswürdigkeit inmitten dieser fraglosen, reinen Beobachtungen, wenn sich über sein Wirklichsein hinaus mit Bedeutung aufzuladen vermag.“ Gottfried Willems: Großstadt- und Bewußtseinspoesie, S.94f. 166 In einem tiefen Sommer. In: NL 6/1982, S. 48–52, hier S. 48f. In diesem Zitat tritt auch eine sehr subtile Parallelisierung im Anblick der Frauen und der Tauben zutage, insofern der äußere Eindruck der um die Taschen geklammerten Hände im Bild der krummen Krallen der Tauben wiederkehrt, ebenso wie der Blick unter die Haut der Frauen und die Federn der Tauben.
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nicht das Auftreten der „starren Frau“ in dieser unmöglichen Zeitkonstellation die gesamte Alltagsszenerie unter Verdacht stellen soll.167 Ein kleiner, überarbeiteter Teil des Textes ist unter demselben Titel „In einem tiefen Sommer“ in DT und BF168 erschienen – aus den viereinhalb dicht bedruckten Seiten ist dort ein Text von neun lapidaren Sätzen geworden, so dass hier ein Paradebeispiel für den Prozess der Reduktion vorliegt, denn von der ganzen Erzählung des Friseurbesuchs ist lediglich der Mann aus der Straßenbahn geblieben. Dies ist die Ausgangspassage: „Vor Inge steigt ein grüner Mann in die Straßenbahn. Er hat ein ausgeschorenes Genick. Auf seinem Rücken hängt ein grüner Rucksack, daraus steht ein toter Hasenkopf hervor. Das Blut klebt schwarz gedorrt um beide Ohren. Der Jäger trägt ein Seidenband an seinem grünen Hut. Am Seidenband trägt er ein Edelweiß und eine Feder. Die ist von einem wilden Huhn. Die steht so still, als hätt das wilde Huhn im Waldgebüsch oder im flachen Feld in einem tiefen Sommer die Zeit nicht mehr gehabt zum Schrei.“169
Nur dass dieser Jäger hier in seine passende Umgebung versetzt wurde, nämlich an den Waldrand, wo er einzig als Bild entworfen ist. Er geht, und der Rest ist Bildbeschreibung, in der sich die unterschwellige Stimmung des einst langen Textes verdichtet: „Am Waldrand geht ein grüner Mann ins Feld. Er hat ein kahlgeschorenes Genick. Der grüne Mann hat einen grünen Rucksack. Aus dem Rucksack schaut ein Hasenkopf hervor. Das Blut klebt schwarz verdorrt um beide Ohren. Der grüne Mann trägt einen grünen Hut. Über der Krempe ist ein Seidenband mit einem Edelweiß und einer Feder dran. Die Feder ist von einem wilden Huhn. Sie steht so still, als hätt das wilde Huhn, im Waldgebüsch oder im flachen Feld, in einem tiefen Sommer die Zeit nicht mehr gehabt zum Schrei.“ (BF, 100)
Nicht mehr der Gang durch den rumänischen Alltag ist von Interesse, sondern ein einziger, vom Ganzen zum Kleinsten vordringender Blick – doch beides beruht auf demselben darstellerischen Prinzip, das anschaulich einen Weltausschnitt vor den Leser hinstellen will. Ist es in der langen Fassung des Textes Inges schweifender Blick auf ihre Umgebung, von dem dieser Ausschnitt bestimmt wird, so konzentrieren sich die verbliebenen Sätze der zweiten Variante auf einen Anblick, ohne dass eine wahrnehmende Instanz markiert wäre. Die Auskopplung dieses Textabschnittes war gut möglich, weil in Inges Wahrnehmung die Dinge ihrer Umwelt unverbunden nacheinander auftreten. So 167 Von einer symbolischen Deutung der „starren Frau“ als Ikone des uniformen und erstarrten Alltags lässt sich absehen, wenn der Rest des Textes einbezogen wird, der zur Darstellung genau dessen völlig andere Mittel nutzt. 168 DT, S. 71; BF, S. 100. 169 In einem tiefen Sommer. In: NL 6/1982, S. 48–52, hier S. 48.
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wie sie eins nach dem anderen in den Blick nimmt, ohne es zueinander in Beziehung zu setzen, wirft nun der Rezipient mit der Erzählinstanz einen einzigen langen Blick auf den „grünen Mann“. Dieses lose Nacheinander wurde durch einige Texteingriffe in der kurzen Variante verstärkt. So setzt nach jedem Weitergleiten des Blickes der Text mit einem neuen Absatz ein. Ebenso wird der Mann fast immer aufs neue metonymisch als „grüner Mann“ und nicht mehr als „Jäger“ oder „er“ bezeichnet, wie auch seine durchgängige „Grünheit“ insgesamt hervorgehoben wird. Zudem bleibt der Blick in dieser zweiten Variante äußerlicher, wenn eben der Mann nicht als Jäger benannt wird oder dessen Rucksack nur aufgezählt wird, anstatt „auf seinem Rücken“ zu hängen.170 Obwohl beide Textvarianten vom selben darstellerischen Prinzip geprägt sind, das ganz darauf zielt, den Leser in die fingierte Welt unmittelbar hineinzustellen – so sind beide Stücke im reinsten Präsens gehalten, was den Eindruck der absoluten Gegenwart verstärkt – sind doch gewichtige Unterschiede in dessen Ausführung festzuhalten. Der Jäger ist genauso detailliert und anschaulich vor den Leser hingestellt wie der Weltausschnitt in Inges Perspektive, aber darüber hinaus verfügt er als ganzer über eine Bildqualität, insofern er in einem geschlossenen Konstrukt auch von besonderer sprachlicher Gestalt die zusammengehörigen Gegensatzpaare von Leben und Tod, Täter und Opfer in allegorisch anmutender Weise darstellt. Gleichwohl setzen beide Varianten gänzlich auf das Fingieren eines unmittelbar wahrnehmenden Bewusstseins, in das verschiedene äußere Eindrücke hineinfallen, ohne dass zwischen ihnen ein anderer Zusammenhang geschaffen würde als der des Wahrgenommenwerdens. Ist es im langen Text Inges Wahrnehmung, an der entlang der Weg durch die unspektakulären Stadtansichten verfolgt wird, sind es im herausgelösten Abschnitt die Details einer einzigen Ansicht, die als wahrgenommene vor den Leser hingestellt wird. Der Wahrnehmungsakt wird hier durch die kurze Reflexion am Ende zugleich gekennzeichnet und überschritten. Aus der Kette von wahrgenommenen Bildern, die in ihrer Abfolge äußere Bewegung abbilden, wurde ein einziger Moment herausgelöst, in dem diese Bewegung stillgestellt ist. An dieser Konstellation von Ursprungstext und Kurzvariante lässt sich die engste darstellungstechnische Verwandtschaft dieser anscheinend so unterschiedlichen Texte gut erfassen.171
170 Durch die Änderungen wird auch die Rhythmisierung des ganzen Textes deutlicher, die sowohl im Sprachfluss entsteht als auch in der Anordnung der Absätze, die mit ihrem dreiteiligen Blick auf die grüne Gestalt aufsteigen, mit einem retardierenden Moment auf der Feder verharren, um dann in einer längeren Satzperiode aufs Ende zustrebend emphatisch den Tod des wilden Huhnes zu vergegenwärtigen. 171 Zu beachten ist bei der Veröffentlichung der zweiten Textvariante auch, dass sie in BF dem eng verwandten Text „Kalte Bügeleisen“ beigesellt ist, der beginnt mit dem Satz: „Ein kleiner grauer Mann geht am Parkrand.“ In dieser Zusammenstellung tritt sowohl der Aspekt der rein sprachlichen Eigenheiten wie Rhythmisierung, Spiel mit den Lexemen als auch die Assoziativität des Textes stärker hervor, als es im Kontext der langen ersten Variante möglich war. Vgl. Kalte Bügeleisen. In: BF, S. 99; In einem tiefen Sommer. In: BF, S. 100.
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Es kommt Müller also darauf an, Welt so darzustellen, wie sie in das Bewusstsein ihrer wahrnehmenden Instanzen einfällt, und nicht so, wie sie in dem Erleben nachgeordneten Sinn- und Ordnungsmustern erscheint. Dabei liegt besonderes Gewicht auf der „erlebnishaften Gegenwärtigkeit“ des Wahrgenommenen, so dass der jeweilige Vollzug des Wahrnehmens ebenfalls präsent bleibt. Eben auf diesen Eigenwert des Wahrnehmens und Erlebens ist die Bewusstseinspoesie aus. In den beiden vorgestellten Texten sind diese Prinzipien geradezu beispielhaft als ein Anschauen der Wirklichkeit, wie sie sich in ihrer ungeordneten Vielfalt und Detaillierung darbietet, realisiert.172
2.2.2. „Prosastücke einer Lyrikerin“ An der kurzen Version von „In einem tiefen Sommer“ tritt ein Zug der Prosa Herta Müllers hervor, der insbesondere ihre kürzeren Texte immer wieder auszeichnet. Der auch durch eklatante Wiederholungen geprägte Sprachrhythmus, die klare Gliederung durch Absätze, die einem Augenblick abgewonnene Dramaturgie mit der Wendung ins Reflexive rücken diesen Text durchaus in die Nähe des Gedichts. Diese Nähe, die weniger von Müllers Bemühen um Überschreitung von Gattungsgrenzen zeugt als vielmehr von deren Hinfälligkeit, wurde sofort beim ersten Auftritt der Prosa-Autorin vermerkt. Als „Prosastücke einer Lyrikerin“ beschreibt demnach Richard Wagner im Jahr 1978 die gerade im AMG vorgestellten Texte Herta Müllers.173 Er erfasst damit nicht allein die Entwicklung der jungen Autorin, die nach ihrem Debüt als Lyrikerin nun erstmals mit Prosa an die Öffentlichkeit getreten ist, sondern vielmehr bestimmte Eigenschaften ihrer Prosa. Bereits die Veröffentlichung des ersten Textes „Die Straßenkehrer“ als Gedicht war zwar möglicherweise ein nachvollziehbares Versehen, doch ebenso wohl symptomatisch für den „Neuigkeitswert“ dieser Art Prosa zu schreiben und deren Zuordnungsschwierigkeiten, solange keine Gattungszugehörigkeit ausgewiesen ist.174 Was sich hier andeutete, hebt Annemarie Schuller dann in einer überblickshaften Betrachtung im Jahr 1985 als ein wesentliches Charakteristikum der Schreibweise Herta Müllers hervor: „Prosa, das ist für Herta Müller Poesie, und der Idealzustand ihrer Prosa – wäre er die Lyrik, von der sie aus- (und weg-) gegangen war? Wohl nicht. Denn außer daß sie sich expressis verbis von der Klassifizierung in Prosa und Lyrik distanziert, welche die ‚Nachvollzieher des Schreibens‘ (die Kritiker) vornehmen, sie schreibt ja stets Lyrik und Prosa zugleich (wobei mal die eine, mal die andere Haltung überwiegt). Denn dem Drang nach Verdichtung steht das ebenso starke Bedürfnis
172 Zu Immanenzprinzip und Aktualisierungsprinzip vgl. Willems: Anschaulichkeit, S. 409. 173 Zitat aus ES: Dorfleben aus subjektiver Sicht. In: NBZ, 16.12.1978. 174 Die Strassenkehrer. In: Echinox, 8–9/1978, S. 25. Der Text findet sich dort auf einer LiteraturDoppelseite in der Lyrik-Abteilung.
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nach Mitteilung entgegen, der Sehnsucht nach dem Zustand der Lyrik die Lust an der Bewegung der Prosa, der Konzentration auf das Innere der Dinge die Extroversion des Erzählens.“175
Für diese Zwischenstellung von Müllers Prosa macht Schuller neben der Rhythmisierung vor allem auch die „reiche[n] Epitheta, üppige[n] Metaphern, kunstvolle[n] Wortschöpfungen [...], assoziative[n] Bilderketten“ verantwortlich, die im Kontrast zu den kargen Satzkonstruktionen stünden 176, wobei sie schon selbst den Sinn der Kategorien „Prosa“ und „Lyrik“ in diesem Zusammenhang bezweifelt. Die Autorin Müller habe ja Abstand von diesen Klassifizierungen genommen. Und in der Tat kann bei näherer Betrachtung der Begriff „Lyrik“ wenig Erhellendes beitragen, erweisen sich doch alle Besonderheiten, die damit umfasst werden sollen, als mögliche Erscheinungsweisen der Prosa. Diese kann ebenso wohl Zustands- und Befindlichkeitsausdruck wie Geschehensbericht sein; sie kann ebenso bildreich und interpretationsbedürftig wie schnörkellos sein; sie kann ebenso kurz und dicht wie weitschweifig sein; sie kann genauso rhythmisiert und strukturiert wie schlicht in ihrer äußeren Gestaltung sein. Kurz gesagt: Prosa wird erst dann zur Lyrik, wenn sie als Lyrik gemeint ist und darum in entsprechenden Kontexten mit entsprechenden Signalen versehen auftritt. Als entscheidendes Kriterium zur Bestimmung eines Prosagedichtes dienen laut Wolfgang Bunzel paratextuelle und kontextuelle Hinweise wie Genrebezeichnungen oder die Assemblierung mit lyrischen Texten.177 Von den Bezeichnungen „poetische Prosa“ oder gar „Prosagedicht“ soll deshalb hier kein Gebrauch gemacht werden, um die Texte Müllers nicht in einen Traditionszusammenhang zu stellen, der wohl keinesfalls in Frage kommt, denn die Transgression der Gattungsgrenzen ist von der Autorin nicht als intentional ausgewiesen. Ihre Schreibweise entfaltet die oben benannten Eigenarten vollkommen aus der Notwendigkeit des Darstellungszieles heraus und nicht als Herausforderung an tradierte Gattungsmuster.178 Nichtsdestotrotz fallen bestimmte Eigenschaften der Prosa Müllers auf, in einigen Texten mehr, in anderen weniger, die von ihren ersten Kritikern mit dem Begriff „Lyrik“ umschrieben wurden. Eine Besonderheit stellt neben der reichen Bildlichkeit die eher für die Lyrik typische starke Strukturierung dar, die durch Wiederholungen unterschied-
175 Schuller, Annemarie: Ihre Mittel: arm und reich zugleich. In: KR, 14.06.1985. 176 Ebd. 177 Vgl. Wolfgang Bunzel: Das deutschsprachige Prosagedicht. Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung der Moderne. Tübingen 2005, S. 22. 178 Wie das Bunzel als notwendiges Kriterium für eine Bestimmung als „Prosagedicht“ ansieht. Es bleibt bei Bunzel jedoch die Frage offen, wie Texte einzuordnen sind, deren Autoren ohne revolutionären Anspruch die Gattungsgrenzen missachten und gewissermaßen schreiben, ohne sich um Theorie zu scheren, wie das Herta Müller ja ausdrücklich tut. Lassen sie bei ihren Texten die Gattungsbezeichnung weg, liegt es oftmals im Ermessen der Herausgeber, als was jene auf den Markt gelangen. (N I führt noch „Prosa“ im Untertitel, N II dagegen nicht mehr.) Letztes Kriterium wäre dann tatsächlich die Typographie.
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licher Art und Rhythmisierung hergestellt wird. An zwei Beispieltexten soll dies kurz gezeigt werden. „Der Regen“ gibt den Monolog von Inge wieder, die am Fenster steht, sich umwendet und hinter sich den Regen trommeln hört. Darin sind auch die zitierten Äußerungen eines „Ihr“ und eines Fotografen enthalten; erst am Ende gibt sich Inge in der knappen Formel „sagt Inge“ als das sprechende Subjekt zu erkennen.179 Ihr Reden kreist um die alltägliche Bedrückung und die Angst vor dem Kommenden, wobei der erste Teil die einleitende Wortverbindung „Tag für Tag“ fünf Mal wiederholt und der zweite Teil nach der Blickwendung Inges die Zukunft mit einem zehnmaligen „noch“ verzögert, um mit dem abschließenden „dann“ das Bedrohliche eintreffen zu lassen: „Tag für Tag nimmt man mir mich weg. [...] Tag für Tag stiehlt man mir das Leben. [...] Tag für Tag atme ich mich leer, [...]. Tag für Tag leg ich mir die Hände um den Hals, [...]. Tag für Tag drück ich das Gesicht an diesen Tag, an diese Scheibe.“ „Noch ist es nur der Regen, sag ich vor mich hin. [...] Noch geh ich zwischen euren Körpern hin und her, [...]. Noch red ich vor mich hin, noch dreht sich mir die Zunge heiß im Mund. Noch ist mir der Gaumen nicht aufs Herz gefallen. Noch suche ich ein Wort, wenn ich was sagen will und finde diesen harten weißen Knäuel. Noch trommelts hinter mir, noch gehts mir nach. Noch ist es mir an meinem Rücken festgewachsen. Noch will es nur und kann es nur der Regen sein. Dann klappt die Schnalle zu in meinem Hals, sagt Inge.“180
Genauso wie Inge auf der Stelle steht, bewegt sich das Textgeschehen nur stockend weiter, weil die einzelnen Sätze häufig semantisch anhalten und dasselbe mehrfach formulieren bzw. präzisieren oder neu betrachten. Es tritt keine substanziell neue Aussage hinzu, nur ein neuer Aspekt des Gesagten wird sichtbar. Der Eindruck der Beengung und des Eingeschlossenseins in einen schrumpfenden Horizont verstärkt sich dadurch, als wäre Inge jeweils auf eine Idee fixiert, die sie gedanklich nicht weitergehen lässt. Diese Sätze weisen meist eine Apposition auf, die dem gedanklichen Verharren einen wiegenden Rhythmus verleiht: 179 Da die wörtliche Rede insgesamt nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet ist, bleiben die Rede-Instanzen etwas unklar. Es könnte auch eine dritte Instanz die Anteile beider Gesprächsparteien, nämlich Inges und des „Ihr“, berichten. 180 Der Regen. In: NL 6/1982, S. 47. Die Häufung der „noch“ bildet zudem eine Steigerung aus, da sie in immer kürzeren Abständen aufeinander folgen. Eine weitere Anapher findet sich gegen Ende des Textes in: „Das ist ein Platzen [...]. Das ist ein Augenaufschlag [...]. Das lächelt sich aus mir heraus und ist nicht mehr aus eurer Welt.“
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„Tag für Tag drück ich das Gesicht an diesen Tag, an diese Scheibe.“ „Mein Atem haucht die Scheibe an. Sie wird aus Stein, sie wird zur Wand. Ich steh mit dem Gesicht vor diesem Tag, vor dieser Wand, und spreiz die Finger, bis sie nichts mehr von mir selber sind als Schmerz, bis sie nur noch eine Handvoll Spinnen sind.“ „Das ist ein Platzen, das es auf den Körper abgesehen hat, aufs Leben.“181 (Hervorhebungen d. A.)
Andere Satzstrukturen des Stockens sind asyndetische bzw. polysyndetische Häufungen sinnähnlicher Satzbestandteile: „Tag für Tag atme ich mich leer, drück ich mich zusammen, preß ich mich in meine dürre Hand.“ „Das Gesicht ist nichts als Teig, ein leerer Kuchen nur ist mein Gesicht und soll so aussehen wie ich, und soll ich selber sein, so glatt und fremd, ein Bild von mir, sagt der Fotograf, wenn er den Knopf berührt und auf ihn drückt und schießt.“182 (Hervorhebungen d. A.)
Der erste, asyndetisch gefügte Beispielsatz formuliert ebenso eindringlich den existenziellen Druck, wie der zweite, polysyndetische Satz die existenzielle Entfremdung von sich selbst und das Gefühl der Bedrohung durch eine fremdbestimmte Identitätsbehauptung einfängt. Inge spricht die Versicherungen des Fotografen zur Selbstvergewisserung nach und kann ihm doch nicht glauben. Der zuletzt zitierte Satz zeichnet sich zudem durch einen Chiasmus im ersten Teil aus sowie durch den Anschein einer metrischen Regelmäßigkeit mit jambischen Auftakten der Sinneinheiten und wohlgeordneten Hebungen. Diese vielfältigen Mittel der Zusammenhangskonstitution an der Textoberfläche, nämlich die Anaphern, die Wiederholung von syntaktischen Sinneinheiten in doppelter oder mehrfacher Ausführung, die Rhythmisierung durch diese Wiederholungen und nicht zuletzt der auffällige Sprachrhythmus selber verleihen dem ganzen Text eine Ausdrucksdimension, die weit über den reinen Sachgehalt hinausgeht, von der reichen Bildlichkeit, die in der für Müller typischen Weise Körperlichkeit inszeniert, ganz zu schweigen. Die karge äußere Handlung – der Blick aufs Fenster und das Umwenden Inges – findet ihre Entsprechung in Inges bedrängter Befindlichkeit, die sich bis zur Paranoia steigert. Dagegen breitet Inge ihre Seelenlage in kleinsten Gesten und Differenzierungen aus, die sie in dem beschriebenen zögerlich-wiegenden Sprachgestus und dem aus dem alltäglichen Sprachgebrauch fallenden Rhythmus einholt. Die Rede Inges stellt die Verengung ihres Lebenskreises, das Verharren und das Abgeschiedensein von der eigenen Existenz auch formal dar. Diese Art der Aussprache eines Ich, mit den Sprachbildern, dem Reichtum an sprachlich-rhetorischer Strukturierung und nicht zuletzt mit der Rhythmisierung lassen wohl an tradierte Muster der lyrischen Gattung denken, doch sind diese starren 181 Der Regen. In: NL 6/1982, S. 47, Hervorhebungen d. A. 182 Ebd. Die in drei Ballungen semantisch nur leicht verschobenen Satzteile sind jeweils kursiviert, unterstrichen und wieder kursiviert.
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Gattungsmuster in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts längst verblasst, so dass ein Bezug Müllers darauf, die als Autorin dezidiert „moderner Lyrik“ angefangen hatte, nicht anzunehmen ist. Der damaligen Kritik dient der Begriff ja auch vor allem als Deskriptionshilfe, die vermeintlich naturgegebene Sageweisen der Gattungen als Orientierungsmuster voraussetzt. Es dürfte auch deutlich geworden sein, dass die für „Der Regen“ beschriebenen starken Oberflächenstrukturen der Sprache nicht die Aufmerksamkeit auf sich selbst ziehen, sondern vielmehr im Dienst einer spezifischen Illusionsbildung stehen, nämlich der Vorspiegelung, einer Selbstaussprache Inges183 unmittelbar beizuwohnen. All diese rhetorischen Mittel dringen in ihrer Gesamtheit lediglich als Indikatoren der Seelenlage Inges ins Bewusstsein; die besondere Verfasstheit der Rede geht auf die Verfassung von deren Verfasserin Inge zurück, nicht aber auf das Bemühen, die Sprache als solche zum Vorschein zu bringen. Dasselbe gilt auch für den kleinen Text „Das Licht, das aus den Bäumen fällt“, der im selben Heft der NL im Jahr 1982 herauskam.184 Die achtzehn Zeilen vollziehen in der Ich-Form eine widersprüchliche Selbstverortung. Ähnlich wie „Der Regen“ wird der Text eingeleitet mit der anaphorischen Formel „dieser Tag“: „Dieser Tag ist kein Feiertag. Dieser Tag ist kein Arbeitstag. Dieser Tag ist das Licht, das aus den Bäumen fällt. Durch die Wurzeln treibt der Kanal. Ich schau nicht hin. Ich seh ihn doch. [...] Hier bin ich, will ich sagen. Nein, ich sag es nicht. Und sag es doch. Hier bin ich nicht mehr, was ich bin. [...] Hier ist viel Grünes dran und dort viel Nebel drauf. Und doch gehört der Blattnerv und das Wasser diesem Staat. Und ich. Hier bin ich, denke ich. Ich denk es nicht und denk es doch. Hier steht mein Kopf im Licht, das aus den Bäumen fällt. Durch die Winden treibt der Kanal.“
Das Ich nimmt dreimal Anlauf, bevor ihm mit einer Metapher die Bestimmung des Tages gelingt, um anschließend von den Bäumen aus Ich und Umgebung zueinander ins Verhältnis zu setzen. Dieser auf die Einleitung folgende Hauptteil des Textes wird wiederum durch zwei parallel geführte Sätze eingeschlossen, die ereignislose Stagnation suggerieren: „Durch die Wurzeln treibt der Kanal. [...] Durch die Winden treibt der Kanal.“ Dazwischen schwankt das Ich zwischen Selbstbehauptung und Selbstverleugnung, die notwendig der Tatsache geschuldet ist, dass das Ich genau wie alles andere „diesem Staat“ 183 Zwar sind Äußerungen anderer ebenfalls aufgenommen, diese werden jedoch in der Rede Inges von ihr zitiert. 184 Zitiert wird aus: Das Licht, das aus den Bäumen fällt. In: NL 6/1982, S. 52. Noch einmal mit sehr geringfügigen Änderungen in: DT, S. 52.
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gehört: „Hier bin ich, will ich sagen. Nein, ich sag es nicht. Und sag es doch. Hier bin ich nicht mehr, was ich bin. [...] Hier bin ich, denke ich. Ich denk es nicht. Und denk es doch.“ An den Beispielsätzen wird die wiederholte, anaphernreiche Widerspruchskonstruktion sichtbar, die ähnlich wie in „Der Regen“ eine innere Bewegung des Ich in die äußere Textgestalt aufnimmt. Der stete Neuansatz der Rede mit einem „hier“ am Satzanfang bildet nicht allein das angestrengte Insistieren des Ich auf seiner zentralen, maßgebenden Position in seiner Lebenswelt ab, sondern rückt zugleich mit der Bezugnahme auf „diesen Staat“ den konkreten Ort dieser Lebenswelt ins Bewusstsein. Und dieser Ort begründet letztlich das Enteignungsverhältnis, das dem Ich dieses „Hier-Sagen“ einerseits abverlangt und zugleich unmöglich macht. Letztlich bleiben aber auch die so lyrisch anmutenden Prosastücke Müllers einem durchgehenden Prinzip verpflichtet, nämlich dem Bestreben, ein erlebendes Bewusstsein zu fingieren, das einmal eher auf das Wahrnehmen der Außenwelt und ein andermal eher auf das Wahrnehmen seiner eigenen Befindlichkeiten gerichtet ist. Ob das nun in Ich-Perspektive oder in Er- bzw. Sie-Perspektive geschieht, bleibt unerheblich, denn es geht jeweils um das Wie des Erlebens und weniger um das Was. Gerade an „In einem tiefen Sommer“ zeigt sich die banale Alltäglichkeit des Beobachteten, während Kategorien wie Handlung, Konflikt und Figurencharakter nicht zum Zuge kommen. Dieses Interesse an der Darstellung des Erlebens selbst ohne Rückgriff auf solche Sinnbildungskategorien formuliert Herta Müller in einem Interview. Die Autorin hatte eine Reihe von Texten in unterschiedlichen Erzählweisen mit der wiederkehrenden Figur Inge185 veröffentlicht und wird nun gefragt: „Herta Müller, in vielen deiner neueren Texte kommt eine Gestalt vor, die Inge heißt. Ist das ein Zufall oder verbindest du damit irgend eine Intention? Inge ist eine verletzliche Person, die sich im Leben nicht zurechtfindet. Ich selbst könnte Inge sein. Ich habe sie einmal erfunden und dann immer wieder in meine Texte eingesetzt, bis ich auf den Gedanken gebracht wurde, ein Buch aus den Inge-Texten zu machen. [...] Inge ist – soweit ich sie aus den bisherigen Texten kenne, eine gesichts- und geschichtslose Gestalt. Wird im geplanten Buch über Inge diese Frau auch eine eigene Physiognomie und eine eigene Biographie bekommen? Nein, ich glaube nicht. Ich habe einmal versucht, Inge als Fremdsprachenlehrerin zu gestalten, aber es ist mir nicht gelungen. Wichtig ist mir nicht ihr Gesicht oder ihre Geschichte, sondern die Geschichten, denen sie ausgesetzt ist. Inge gehört zu den Frauen, ‚die kein Leben haben, die nicht hineinpassen in den Kram, in diese Gesellschaft und in keinen anderen Kram. Auch nicht in ihren eigenen‘. Ich schreibe kein Buch über Inge, ich schreibe immer nur einzelne Texte.“186 (Hervorh. d. A.) 185 Der Komplex umfasst: In einem tiefen Sommer; Inge; Schulbankgesicht; Möbelstücke; Der Regen; An diesem Tag; Eine Arbeit, Es ist Sonntag. 186 Aus Schuller: Und ist der Ort... In: Reflexe II, S. 121.
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Für die literarische Figur Inge sind Kategorien der Sinnbildung, wie sie noch der mimetische Illusionismus zum Erzählen nutzt, nicht von Belang; weder spielt ihr Aussehen eine Rolle, noch Herkunft, Beruf oder Charakter. 187 Einzig von Belang sind die „Geschichten, denen sie ausgesetzt ist“, also einzelne Situationen und deren Erleben. Nicht einmal über das äußere, formale Moment des gleichartigen Darstellungsstiles werden die Inge-Geschichten in einen Zusammenhang gebracht, der sich womöglich in einem „Buch über Inge“ mit den verschiedenen Facetten ihrer Persönlichkeit und Beschreibungen ihres Lebens niederschlagen könnte. Lediglich „einzelne Texte“, deren Gestaltung recht unterschiedlich ausfällt und die damit kein kontinuierliches Bild von Inge zeichnen könnten, sind von der jeweils abgebildeten Art des Erlebens geprägt und nicht von der sozial, psychologisch oder biographisch plausibilisierten Figur Inge.188 Auch wenn ein solches Buch, das sich kaum dem Erzählen vom Schicksal einer Figur im eigentlichen Sinne gewidmet hätte, nicht zustande kam, so zeugen die Texte über Inge, die ausschließlich punktuell bestimmte Situationen und Befindlichkeiten aufgreifen, trotz ihrer Unterschiedlichkeit von einer einheitlichen Absicht der Autorin, anhand von Inge Lebensmomente in ihrer unmittelbaren Wirkung auf das Erleben darzustellen. Und diese Wirkung erweist sich durchgehend als von Fremdheit, Verunsicherung, Verängstigung oder bestenfalls großer Distanz bestimmt, so dass Inge stets auf sich selbst in ihrem intensiven Erleben zurückgeworfen ist. Der Abstand zu ihrer Umwelt und anderen Personen, seien es der Schulinspektor in „Inge“189, die Passanten und Friseurkundinnen aus „In einem tiefen Sommer“ oder Inges Freund in „An diesem Tag“ scheint unabhängig von der persönlichen Beziehung immer gleich groß zu sein, nämlich
187 Willems verweist für die Entwicklung der intuitionistischen Bewusstseinspoesie auf den Zusammenhang zwischen der Auflösung der traditionellen Gattungsgrenzen und der Zersetzung der Sinnbildungskategorien: „[...] Kategorien wie Handlung, Charakter, Ich, Natur, Szene, Erlebnis, Stimmung. Sie alle unterliegen nun der Forderung der Lebendigkeit. In eben dem Maße, in dem sie ihr unterworfen werden, müssen sie aber ihren ursprünglichen Sinn verlieren und sich schließlich auflösen.“ Vgl. Willems: Anschaulichkeit, S. 396. 188 Ein Querverweis auf eine literarhistorische Marginalie sei hier gestattet. Von Helmuth Frauendorfer, der zum AMG und zum Freundeskreis Müllers gehörte, erschien 1981 und 1982 eine Erzählung unter dem Titel „Inge. Briefe eines Mädchens“. In: NL 12/1981, S. 36–44 und NL 10/1982, S. 12–27 sowie in NBZ, 14.03.1982. Ursprünglich hatte Frauendorfer dieses Projekt als Roman geplant, beließ es augenscheinlich aber bei einer längeren Erzählung. In einer Reihe von Briefen an eine Freundin berichtet die Studentin Inge von ihren Erfahrungen an der Uni, in einer rasch scheiternden Ehe und von ihrem Ungenügen, das sie an einer erstarrten und beengenden Umwelt empfindet. Die Freundin, an die sie schreibt trägt den Namen Herta. Ob Frauendorfer absichtlich die literarische Figur einer befreundeten Autorin an diese selbst schreiben lässt? Seine Inge gleicht der Inge Müllers sehr; jedoch schildert sie ihr Erleben, obwohl oder vielmehr weil es sich um Briefe von ihr selbst handelt, in wesentlich stärker objektivierter Form als die von außen geschilderte Inge Müllers. 189 Inge. In: NL 9/1981, S. 26–30 und N I, S. 116–120.
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unüberbrückbar. Im letztgenannten Text drückt Inges Freund diesen Abstand so aus: „Sie ist verrückt, sagte er laut vor sich hin. Geworden sagte er nicht dazu.“190 An dieser Stelle bietet sich noch einmal ein Blick auf ein Gedicht Rolf Bosserts an, der eine solche Fremdheitserfahrung unter dem Titel „Sprachstörung“ beschreibt.191 Auch dieser Text war für „Große und kleine Kinder“ gedacht, und mit seiner spielerischen Gestalt bildet er einen schwarzhumorigen Gegenpol zur existenziellen Verstörung Inges, die sich in „An diesem Tag“ nur noch an den grammatischen Regularitäten festhalten kann. Bei Bossert geraten aber gerade die Regelhaftigkeiten der Sprache durcheinander – was zuletzt aber zum noch drastischeren Verlust der eigenen Existenz führt, nämlich zum Tod: Rolf Bossert: Sprachstörung Ich hatte alle Tassen im Schrank, d.h., ich war hier oben nicht krank. Ich hatte bei der einen Stein im Brett, d.h., du fändest mich schrecklich nett. Ich hatte stets mehrere Eisen im Feuer, d.h., ich riskierte kein Abenteuer. Auch hatte ich noch mein Huhn im Topf, d.h., ich zerbrach mir nicht sehr den Kopf. Und heute gackert mein Huhn im Schrank: Es macht keine Eier, doch sehr viel Gestank. Die Tassen fallen mir alle ins Feuer: Dort platzen sie lustig – der Spaß wird teuer. Zum Mittagstisch find ich ’nen Stein im Topf: Nun heißt es kauen, ich armer Tropf! Am Abend schlag ich ein Eisen ins Brett: Ich steig in den Sarg und nicht in mein Bett.
190 An diesem Tag. In: DT, S. 62 und BF, S. 33–34. 191 Rolf Bossert: Sprachstörung. In: Ich steh auf den Treppen des Winds. Gesammelte Gedichte 1972–1985. Hg. v. Gerhardt Csejka. Frankfurt a.M. 2006, S. 289. Dieser von Bossert unter seine „Pseudokindergedichte“ gerechnete Text stammt aus dem Jahr 1982.
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Bei Inge hingegen verlässt die Gegenstandswelt ihre angestammte Ordnung, ja Inge forciert diesen Vorgang noch, weil sie jeglichen Bezug zu diesen vertrauten Dingen verloren hat; allein das grammatische Geschlecht der Gegenstände, zu denen am Schluss auch der Freund gehört, erlaubt ihr einen Bezug zur Welt: „Inge nahm das Geschirr aus der Küche und stellte es ins Vorzimmer. Das Geschirr ist neutrum, sagte Inge vor sich hin. Sie nahm die Flaschen aus der Abstellkammer und stellte sie in die Bibliothek. Die Flasche ist feminin. Sie nahm die Bücher von den Möbeln und stellte sie in die Abstellkammer. Das Buch ist neutrum. [...] Sie saß auf den Fliesen und starrte ins Nichts. Das Nichts ist neutrum, sagte Inge vor sich hin. [...] Sie ist verrückt, sagte er laut vor sich hin. Geworden sagte er nicht dazu. Inge schaute starr auf seinen Mund. Wie er das sprach. Und sein Gesicht stand rund herum um den Mund, der in der Mitte war. Inge saß vor ihm und grub die Hände unter das Geschirr. Der Freund ist maskulin, sagte Inge durch die leere Tür.“ (BF, S.33f )
Diese existenzielle Fremdheit Inges in ihrem eigenen Dasein ist für Herta Müller ja das einzige Charakteristikum dieser Figur: „Inge gehört zu den Frauen, ‚die kein Leben haben, die nicht hineinpassen in den Kram, in diese Gesellschaft und in keinen anderen Kram. Auch nicht in ihren eigenen‘.“192 Das Selbstzitat über „Frauen, die kein Leben haben“ stammt aus einem der älteren Texte Müllers, „Schwarzer Park“193, und weist auf die große Bedeutung dieser Lebens- und Welterfahrung für das Schreiben Müllers hin. Dieses „kein Leben haben“ stellt sich als die grundlegende Befindlichkeit und Bedrohung dar, von denen in Müllers Texten immer wieder gehandelt wird. So spielt in „Der Regen“, einem sehr bildhaft-abstrakten Text über eine Seelenlage, der Begriff des Lebens die zentrale Rolle: „Tag für Tag stiehlt man mir das Leben. [...] So wird mein Leben immer kleiner, und das ist gut so, sagt ihr, weil man auf mein Leben ohnehin nicht bauen kann.“ „Noch ist es nur der Regen, sag ich vor mich hin. Die Bläschen platzen aber laut. Das ist ein Platzen, das es auf den Körper abgesehen hat, aufs Leben.“194
Von hier aus wird die enorme Bedeutsamkeit des Lebens für das ästhetische Konzept Müllers sichtbar, auch wenn sie mit diesem Begriff selbst nur sehr selten operiert, was als selbstverständliche Konsequenz aus dieser Voraussetzung gelten kann. Es geht nicht um die begriffliche Fixierung, sondern die möglichst unmittelbar anschauliche Vergegenwärtigung der Lebensvollzüge oder eben der Schwierigkeiten mit deren Verwirklichung. Diese Lebendigkeit im Sinne einer geistig wachen Anwesenheit des 192 Schuller: Und ist der Ort, S. 121. 193 Schwarzer Park, zuerst in: NBZ, 28.02.1980. 194 Der Regen. In: NL 6/1982, S. 47.
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Subjektes und der erlebnishaften Gegenwärtigkeit der Wirklichkeit wird vor allem über den sinnlichen Zugang zur Welt hergestellt, da er das unmittelbare Erfassen dieser Wirklichkeit vor ihrer konzeptuellen Durchdringung abbilden kann. Bei Müller zeigt sich das in der Konkretion des Körperlichen, von dem aus das Bewusstseinsleben des Subjektes veranschaulicht werden kann.195 Die literarischen Figuren Müllers erfahren ihre eigene Gegenwart in der Wirklichkeit demnach nicht als aktive Auseinandersetzung mit dem Wahrgenommenen, das ja zu Begrifflichkeiten wie der des „Lebens“ führen würde, sondern als sinnlich-körperliches Rezipieren, das von der Erfahrung der Unvertrautheit und häufig von Angst begleitet wird. Über den ästhetischen Horizont des Lebensbegriffs hinaus deutet sich hier bereits schon die ethische und politische Dimension dieser Haltung an, denn wenn allein die unmittelbar sinnlich erfahrbare Gegenwart des Individuums eine solche Wertigkeit hat, dass sie im Zentrum der ästhetischen Verfahren steht, erfährt die Lebenswelt, die ja ausschließlich dem Einzelnen überhaupt zugänglich ist, in allen ihren Details eine faktische Aufwertung weit über ihre ästhetische Funktion hinaus. Sie macht also letztlich das Dasein des Einzelnen aus und bildet schließlich die Urteilsgrundlage für gesellschaftliche Konzepte jeglicher Art, die der Lebenswelt gegenüber stets sekundär bleiben müssen.
2.2.3. Parabolische Rede Der feste Platz; Die Meinung; Der Fernsehsprecher Die Art und Weise des Erzählens, die hier als „parabolische“ beschrieben werden soll, prägt nur sehr wenige Texte Müllers. Als Beispiele finden sich hier lediglich drei kurze Stücke, nämlich „Die Meinung“, „Der feste Platz“ und „Der Fernsehsprecher“.196 Keines davon wurde unter die Neuveröffentlichungen in der Bundesrepublik aufgenommen. Und das hängt wohl mit ihrer uneigentlichen Rede zusammen, deren Funktion eng an einen außerliterarischen Kontext gebunden ist. Diese spezielle Uneigentlichkeit des Erzählens soll mit dem Begriff „parabolisch“ erfasst werden, obwohl die drei in Frage kommenden Stücke nach allen Seiten aus dessen engerer Bedeutung herausstreben, wobei Anleihen bei der Fabel und der Kurzgeschichte hinzukommen. Weder schließen sie sich an die Tradition der Lehrerzählung an, die beispielsweise durch eine explizite situative Einbettung bzw. beigefügte Exegese aufgerufen würde; 195 Zum Problem der „intensiven Bewusstheit“ des Lebens vgl. Willems: Anschaulichkeit, S. 382 u.ö. Das „ursprüngliche“ Verhältnis zum Stoff der Welt, wie es sich der Intuitionismus zum Programm macht, ist der Ausgangspunkt für die spezifische Sinnbildung der Kunst der Moderne. Vgl. ebd., S. 344. 196 Die Meinung. In: Karpatenrundschau, 05.06.1981, S. 4/5 und in: N I 1982, S. 105; Der Fernsehsprecher. In: Pflastersteine. Jahrbuch des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Nikolaus Berwanger, Eduard Schneider, Horst Samson. Temeswar 1982, S. 122–123; Der feste Platz. In: Karpatenrundschau, 26.02.1982, S. 4/5 und in: DT 1984, S. 70.
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noch entspricht das Personal der herkömmlichen Definition. Gleichwohl erwecken alle drei Texte sofort den Eindruck, dass sie zwar etwas erzählen, aber mit dem Dargestellten auf etwas anderes hinauswollen und der eigentliche Sinn hinter, nicht in ihren Worten verborgen liegt. Ein solches Nebeneinander, wie es im griechischen paraballein (danebenwerfen) anklingt197, wie auch eine im weiteren Sinne moralische Intention, verbinden sie letztlich mit der Textgattung der modernen Parabel, von der das Verfahren der parabolischen Rede übernommen ist. An diesen drei Beispieltexten treten einige Eigentümlichkeiten des Stils von Herta Müller zwar deutlich hervor, doch sind diese in einen Funktionszusammenhang gestellt, der die Stücke von den anderen nicht nur unterscheidet, sondern geradezu untypisch für Müller erscheinen lässt. Stellt sie sonst das Erleben des Einzelnen in den Mittelpunkt ihrer Darstellung, um von dort aus ein Licht auf die Welt dieses Einzelnen fallen zu lassen, so sind die Figuren der parabolischen und satirischen Texte völlig unpersönliche Konstrukte, die ohne Innenleben allein der These des Textes dienen. In anderer, über Müller hinausweisender Hinsicht sind sie wiederum typisch, denn sie ordnen sich in den literarhistorischen und systematischen Kontext einer Literatur unter totalitären Bedingungen ein, die im Klima von Zensur und Überwachung häufiger zu Formen des uneigentlichen Sprechens und dabei im Bemühen um allgemeine Verständlichkeit paradoxerweise zu parabolischen Ausführungen greifen muss. Über die traditionelle Konstellation parabolischen Sprechens hinaus treten hier Verschlüsselung und Klarheit der Rede in ein spannungsvolles Verhältnis, denn die vereinfachende Darstellung einer komplexen Situation zu Lehrzwecken entfaltet insofern einen zusätzlichen Aspekt, als diese Zurichtung auf einen bestimmten Sinn diesen Sinn zugleich verbergen soll. Wenn in der klassischen Lehrparabel mit Hilfe der Parallelität zwischen einer Lebenslage und dem konstruierten Beispiel eine beiden eingeschriebene Sinnfigur aufgedeckt werden soll, so verdeckt die Konstruktion der Parabel als Lehrstück für ein Publikum, dem zu lernen verboten ist, zunächst absichtsvoll diese Sinnfigur. Zugespitzt hieße das, die parabolische Erzählform funktioniert unter totalitären Bedingungen genau umgekehrt: Die klassische Parabel wirft ein erhellendes Licht auf ihren Kontext und klärt damit ihre Rezipienten auf – das parabolische Erzählen in der Diktatur greift auf das vorliegende Verständnis der Rezipienten zurück, so dass die Auslegung keinen Erkenntnisgewinn bringt, allenfalls eine Bestätigung des schon Gewussten. Der Nutzen eines solchen Verfahrens liegt vor allem in der Herstellung einer Öffentlichkeit, wo diese nicht gestattet ist. Gewissermaßen wird der Nebeneffekt der literarisch-ästhetischen Lehrmethode, nämlich der notwendig vorhandene Sinnüberschuss und die damit verknüpfte Auslegungsnotwendigkeit, zum großen Vorteil, wenn in aller – literarischen – Öffentlichkeit verbotene Gedanken vorgeführt werden sollen. Der Nachteil solcher Redeweisen besteht einerseits in ihrer engen Gebundenheit an den außerliterarischen Kontext, auf den sie stets verweisen, und andererseits in ihrer Konzentration auf einen 197 Vgl. hier Rüdiger Zymner: Aphorismus/Literarische Kleinformen. In: Fischer Lexikon Literatur. Hg. v. Ulfert Ricklefs. Bd. I. Frankfurt/M. 1996, S. 80–106, hier S. 104.
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bestimmten Sinn198, auf eine zu erzielende rationale Einsicht beim Rezipienten. Das Wiedererkennen des Eigenen, der eigenen Situation oder des eigenen Weltverhältnisses199 kann sich in moderner Wendung auch auf die Abwesenheit der in Aussicht gestellten Sinnfigur beziehen. Schon dieser ganz allgemeine Befund gewinnt wiederum unter totalitären Bedingungen eine ins Außerliterarische weisende Brisanz, da das Totalitäre ja gerade auf der Absolutheit seiner Sinnbehauptung beruht. Und auch hier scheint sich der auf die Abwesenheit des Sinnes zielende Sinnüberschuss des Parabolischen wieder zu verengen auf die Verdeckung einer Botschaft, insofern sie gegen die Übermacht der totalitären Sinnverwaltung argumentiert. Verwendet ein Autor parabolische Formen, handelt er sich über die eng mit deren Pragmatik verflochtene Gattungstradition automatisch eine solche Kontextgebundenheit ein. Ebenso weckt er die Erwartung eines Hintersinnes, aus dem der Rezipient Erkenntnisse über sich und seine Lebenswelt entnehmen können soll. Diese Gattung von Texten entkommt dem Erbe ihrer Form nicht und bleibt häufig in gewisser Weise beschränkt. Am deutlichsten von den drei in Rede stehenden Prosatexten weist sich wohl „Die Meinung“ als parabolisch aus, indem nicht nur allgemein von „einem Frosch“, „einem Direktor“ und „einer Meinung“ gesprochen wird, sondern das Personal dazu eigentümlich gemischt ist. Zum einen Teil handelt es sich um eine anthropomorphisierte Figur, den als Ingenieur tätigen Frosch; dann gibt es mit seinen späteren Kollegen Wetterfröschen Figuren, die zwar ebenso als Tiere vermenschlicht auftreten, jedoch mit ihrem „Beruf“ aus konventionalisierten Redeweisen über Meteorologen entstammen und daher das ontologische Bindeglied zum zweifellos menschlichen Direktor bilden. Gemeinsam stellen die ausgewiesene Beispielhaftigkeit des Geschehens und die zum Teil anthropomorphisierten Figuren ein starkes Signal für die Uneigentlichkeit des Erzählten dar, zumal sie dadurch an die Gattungstradition der Fabel anknüpfen.200 Wichtig scheint also die Konstruktion eines Falles zu sein, der den Lesern und Hörern etwas über sich selbst oder
198 Die Parabel ist, als Konkurrenzbegriff zur Allegorie, stärker hermeneutisch akzentuiert und – in der Moderne meist paradox – auf Sinnganzheit, weniger auf eine Polyphonie, kontrastiver Sinnlinien und Bezüge ausgerichtet. Vgl. Ulfert Ricklefs: Bildlichkeit In: Fischer Lexikon Literatur, Bd. II, S. 260–320, hier S. 292. 199 Dieses im Bezug von Text und Kontext der Parabel enthaltene de te fabula narratur ist die Brücke in die moralische Praxis. Vgl. hierzu auch Bernd Auerochs: Innehalten vor der Schwelle. Kafkas Vor dem Gesetz im Kontext der traditionellen Parabel. In: Grenzsituationen. Wahrnehmung, Bedeutung und Gestaltung in der neueren Literatur. Hg. v. Dorothea Lauterbach, Uwe Spörl, Uli Wunderlich. Göttingen 2002, S. 131–149. 200 Bei der Gelegenheit sei an Rolf Bosserts Kindergedichte „Maus und Elephant“ und „Das letzte Geheimnis“ erinnert. Ururahn Quak, der Frosch im Sumpf, hat hier einen Vetter. Die Maskierung der außerliterarischen Wahrheit geschieht auf verwandte Weise. Vgl. Rolf Bossert: Ich steh auf den Treppen des Winds. Gesammelte Gedichte 1972–1985. Hg. v. Gerhardt Csejka. Frankfurt/M. 2006, S. 278 und S. 280.
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auch eine allgemeine Lehre vermitteln kann.201 Der Fall ist schnell erzählt: Da leistet sich jemand eine eigene Meinung, wird dafür degradiert und schließlich wegen anhaltender Renitenz ganz zum Verschwinden gebracht. Nicht, dass hier eine Neuigkeit für das rumäniendeutsche Publikum zu entdecken oder ein Hinweis auf künftig moralischeres Verhalten enthalten gewesen wäre. Gesinnungskontrolle und Disziplinierungsmaßnahmen waren bekanntermaßen gängige Praxis, eigentlich hätte der Rezipient seine Wahrnehmung genau bestätigt finden können. Warum wird also erzählt, wenn es nicht allein um das stille Einverständnis zwischen Autor und Leser gehen soll? Die Antwort steckt schon im Titel, der einen Bericht von einer „Meinung“, nicht von einem Frosch verspricht. „Die Meinung“ des Frosches und „die Meinung“ der Vielen, die allein die richtige sein soll und die der Minister seinen Untergebenen zuweist, sind völlig unabhängig von ihrer inhaltlichen Füllung je nach Perspektive das Skandalon des Textes. Dass die FroschMeinung als solches behandelt wird202, ist offensichtlich, doch im Fokus steht die Sprachpraxis203 der Meinungsbildung auf Seiten des gesamten Machtapparates bis hinunter zu den einfachen Arbeitern und Wetterfröschen. Einerseits wird zentral eine Meinung ausgegeben: „Und da sagte der Minister dem Generaldirektor, und da sagte der Generaldirektor, und da sagte der Direktor dem Chefingenieur, und da sagte der Chefingenieur den Ingenieuren, und da sagten die Ingenieure den Arbeitern eine Meinung, nämlich die Meinung, die die richtige Meinung war, weil sie die Meinung der Vielen war.“ (N I, S. 105)
Andererseits unterliegt diese Meinung dann scheinbar aus einer ihr innewohnenden Dialektik heraus einer Generallegitimierung: „Und da sagte diese richtige Meinung, daß die Meinung der Wenigen, weil sie nicht die Meinung der Vielen sei, eine falsche Meinung sei. Und da sagte die richtige Meinung, daß eine falsche Meinung das Schlimmste sei, was es gebe, daß eine falsche Meinung weit schlimmer als keine 201 „Die Meinung“ wurde erstmals am 05.06.1981 in der KR anlässlich der Preisverleihung an Herta Müller veröffentlicht, also für aussagekräftig in Bezug auf die Autorin und die förderungswerte Literatur gehalten. 202 „Und das schlimmste an dieser Meinung war, daß es eine eigene Meinung war, die immer anders als die Meinung der anderen war, die bloß eine Meinung war, die die Meinung des Chefingenieurs war, die wiederum die Meinung des Direktors war, die wiederum die Meinung des Generaldirektors war, die wiederum die Meinung des Ministers war, die wiederum...“ Bei der Publikation des Textes in N I wurde der kursiv markierte Satzteil, neben einigen unerheblichen stilistischen Korrekturen, gestrichen. Der Meinungsprozess ist natürlich mit den Auslassungspunkten nicht als unendlich gekennzeichnet, vielmehr wird auf die letzte, nicht benennbare Instanz verwiesen. Grund genug für die Zensur? Vgl. die erste Fassung in: Karpatenrundschau, 05.06.1981 sowie zweite Fassung in: N I, S. 105–107, hier S. 105. 203 Sprachpraxis steht als eines der zentralen Themen Müllers auch in einer Reihe von weiteren Texten im Mittelpunkt, jedoch wird dort anders verfahren.
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Meinung sei, daß sich eine falsche Meinung mit keiner Meinung gar nicht vergleichen lasse, da keine Meinung ja eine Meinung sei, ja sogar die Meinung der Vielen, ja sogar die richtige Meinung sei.“ (N I, S.105)
In diesem sprachlichen Dickicht wird die Wahrheit schließlich erfolgreich verborgen. Diese Strategie führt der Text wiederholt vor, so wenn der Direktor den Frosch überzeugen will oder am Ende ein Wetterfrosch sich selbst überzeugt. Das Kompromissangebot, die Meinung einfach für sich zu behalten, wird knapp abgelehnt. So zeichnet sich der eigensinnige Frosch auch sonst durch sprachliche Entschiedenheit aus: „Da sagte der Frosch, daß seine Meinung noch immer seine Meinung sei.“ (N I, S.105) „Da sagte der Frosch, daß eine Meinung keine Meinung sei, wenn sie nicht gesagt sei.“ (N I, S.106) „Da sagte der Frosch, daß der Wetterbericht eine Lüge sei.“ (N I, S.106) Allerdings macht der Text letztlich keinen Unterschied in der sprachlichen Repräsentation der einzelnen Protagonisten, so dass der Frosch mit derselben Umständlichkeit dargestellt wird wie auch die anderen. Überhaupt weist der Text ein äußerst monotones Sprachbild auf; die Sätze sind gleich gebildet, schlingen sich teils als endlose Parataxen mit syntaktischen und lexikalischen Wiederholungen hin, teils heben sie zur Darstellung der Handlungsabfolge in kürzesten Sätzen unaufhörlich mit einem „da“ an: „Da rief der Direktor den Frosch zu sich. Da bot der Direktor dem Frosch eine lange Zigarette an. Da bot der Direktor dem Frosch ein Gläschen Whisky an. Da redete der Direktor den Frosch mit lieber Kollege an. Da lächelte der Direktor. Da fragte der Direktor den Frosch, wie das mit dieser Meinung sei. Da lächelte der Frosch. Da sagte der Frosch, daß seine Meinung noch immer seine Meinung sei.“ (N I, S.105) „Da nahm der Frosch seinen grünen Schirm und ging damit zur Wetterwarte. Da war der Frosch ab nun ein Wetterfrosch. Da saß der Frosch als Wetterfrosch tagelang auf den Wolken, die über die Stadt zogen. Da hörte der Frosch auf den Wolken die Wetterberichte im Radio und im Fernsehen. Da stand der Frosch mit seinem grünen triefenden Schirm im Regen und war durch und durch naß. Da kippte der Frosch das Wasser aus seinen Schuhen und hörte im Radio, daß heute Schönwetter sei und daß morgen gemäßigtes Wetter sein werde.“ (N I, S.106)204
In Verbindung mit der Einleitungsformel „es war einmal“ soll hier wohl der Eindruck eines vorgetäuscht naiven Erzählens in den Formen des Märchens erweckt werden. Der Kontrast zwischen dieser ausgestellten Simplizität des Sprechgestus auf der Erzählebene und der spitzfindigen Verschlungenheit der dargestellten Sprachpraxis, die sich bis zum 204 Die Verkündung des „Schönwetters“ durch die offiziellen Medien verweist zwar allgemein auf die Praxis der beschönigenden Berichterstattung, hat aber ihre spezielle Pointe darin, dass im Rumänien der achtziger Jahre die Wintertemperatur nie unter eine bestimmte Marke fiel. Jedenfalls nicht in den staatlichen Wetterberichten.
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angestrebten Ergebnis, der „richtigen Meinung“, dreht und wendet, liefert dem Rezipienten noch ein weiteres Wertungsmoment. Während die Wahrheit in den sprachlichen Wucherungen der abgebildeten Meinungsprozesse untergeht, kann die Erzählung selbst sich auf das basale Formeninventar verlassen, das weder der zeitlichen und logischen Raffinesse von Konjunktionen bedarf noch der Erhöhung der Anschaulichkeit durch sprachliche Abwechslung. Es muss nur ausgesprochen werden, wie es war. In dieser scheinbar neutralen Präsentation eines – offensichtlich konstruierten – Falles beruht ja gerade der parabolische Charakter des Textes. In vergleichbarer Machart stellen sich die beiden anderen parabolischen Texte dar. In „Der Fernsehsprecher“ wird ebenfalls von einer Regelverletzung und der folgenden Disziplinierung erzählt. „Der feste Platz“ schildert zwar auch einen solchen Fall, legt sich im Urteil jedoch nicht so eindeutig fest und lässt mehr Raum für unterschiedliche Deutungsweisen, so dass sich der Autor eines kleinen Begleittextes bei der Erstveröffentlichung in der KR zu einigen interpretierenden Sätzen herausgefordert sah: „Mit ihren Arbeiten will Herta Müller gegen lebensverformende Verhaltensklischees anschreiben, sie zeigt Widersprüche zwischen Glücksanspruch und Erfüllungsmöglichkeiten, das Auseinanderklaffen von verordnetem und tatsächlichem Alltag, die Gefahr mechanistischer Lebensregeln. In der hier abgedruckten Geschichte wird versucht zu zeigen, wie ein undialektisches, erstarrtes Selbstverständnis von der Realität in Frage gestellt wird.“ 205
Diese Deutung kann wohl gelten für den ersten Teil der kleinen Erzählung, in dem das isolationistische Selbstverständnis eines Mannes anhand von Stammkneipengewohnheiten verbildlicht wird. Der Mann hat keinen Namen, aber einen festen Platz. Bis dahin leuchtet die angebotene Lesart ein, zumal der feste Platz allein im Kopf des Mannes existiert; aber das Auftreten des Mannes, der den „Mann mit dem festen Platz“ bedrängt, stellt diese Interpretation in Frage. Schließlich nimmt der „Mann mit dem Gesetz“ den „Mann, der keinen Namen hatte“, wegen Störung der öffentlichen Ordnung mit, bloß weil dieser einen Gesetzestext laut ins Lokal gerufen hatte: „Er drängte nicht. Er nannte den Namen des Mannes mit dem festen Platz nicht. Er zeigte kein Gesetz. [...] Er nahm ihn mit.“ (DT, S. 71) Es sieht nicht so aus, als sei dieses Verfahren dem Mann mit dem festen Platz anzulasten, der ein „undialektisches, erstarrtes Selbstverständnis“ der Realität entgegensetzt. Eher erinnert dies an die totalitäre Praxis, Personen zu verhaften, die sich explizit und vor allem öffentlich auf die Gesetze des eigenen Landes berufen, nachdem genau mit diesen Gesetzen die Rechte der Bürger festgestellt wurden.206 Auch hier wird dem Mann 205 Vgl. o.A.: Der feste Platz. In: Karpatenrundschau, 26.02.1982, S. 5. „Der feste Platz“ wurde gemeinsam mit den einleitenden Sätzen anlässlich einer Lesung Herta Müllers im KR-Literaturkreis veröffentlicht. 206 Eine Textänderung soll hier noch vermerkt werden, weil sie bedeutungstragend ist. Wer die Verantwortung dafür trägt, mag dahingestellt bleiben. Wo in der Erstveröffentlichung der Karpatenrundschau noch „durfte“ steht, findet sich in DT ein „konnte“: „Von diesem festen Platz aus schaute der Mann nach rechts und links und sah die Männer und Frauen und die Welt, die er
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mit dem festen Platz das Gesetz zuvor gezeigt mit dem Hinweis, das „das, was dort stehe, keine Drohung sei für den, der nichts auf dem Gewissen hat.“ (DT, S. 71) Die Formelhaftigkeit der Rede, die von den beiden beteiligten Männern und ihren Tätigkeiten in immer den gleichen Wendungen handelt, wie auch die Abstraktion der wichtigsten Gegenstände, nämlich des festen Platzes und des Gesetzes, verweist im Verein mit der allgemeinen Unbestimmtheit von Ort, Zeit und Personen auf den weitergehenden Geltungsanspruch des Erzählten. Wenn der erste Mann allein durch die Namensproblematik sowie seinen beanspruchten festen Platz charakterisiert wird und der ihn bedrängende Mann nur durch sein Drängen und seine Einschüchterung des ersten mit dem Gesetz, dann scheint wohl auch eine ferne Verwandtschaft mit Kafkas Roman Der Proceß auf und zitiert damit den einschlägigsten Text der Moderne über den Einzelnen, der ohne bewusstes Verschulden von undurchschaubaren Instanzen schuldig gesprochen wird. Der Mann mit dem festen Platz gerät völlig absichtslos und ohne Begehren ins Gesetz, so wie es Josef K. ebenfalls widerfährt. In der Gesellschaftsordnung der tatsächlich alltäglichen Überwachung und Auslieferung an existenzbedrohende Geheiminstitutionen ist von dieser Lage selbst ausschließlich in parabolischer Form zu sprechen. Als sei die Roman-Handlung von Kafkas Der Proceß als Parabel auf die moderne Welt ernstgenommen und darum konsequent in eine parabolische Form umgegossen worden. Schließlich gehört in die kleine Reihe von parabolischen Texten noch der erwähnte „Fernsehsprecher“, der sicherlich der am wenigsten parabolische ist im Hinblick auf Sinnreichtum und Deutungsmöglichkeiten. In einfacher Form wird berichtet, wie ein Fernsehsprecher eines Tages von der Verhaltensnorm abweicht und sich selbst diszipliniert, indem ein „gehobener Zeigefinger“ in seiner Stirn ihn zum Verschwinden bringt. Hier wird die Formelhaftigkeit der Sprache, mit der die beiden anderen Texte auch operieren, auf die Spitze getrieben. Zunächst wird genau gesagt, wie sich der Fernsehsprecher benimmt, dann wird mit denselben Formulierungen die Übereinstimmung des Verhaltens mit den entsprechenden Anweisungen bestätigt und später sogar die Abweichung von der sprachlich gesetzten Norm her beschrieben. Dass diese kurze Geschichte vor allem durch das Schlussgeschehen über ihre Wörtlichkeit auf eine darin geborgene Sinnfigur hinausweist, ändert wenig an der etwas aufdringlichen Sinnfälligkeit des Gemeinten. Das Bild des Sprechers, der zunächst äußerem Reglement unterworfen ist und dann bei Abweichung durch den Zeigefinger im eigenen Kopf ausgelöscht wird, ist schon überdeutlich. Parabolische Erzählform und bestimmte sprachliche Formen kommen in diesen Texten Müllers einander so weit entgegen, dass einige der sprachlichen Verfahren ihren Zweck übererfüllen und damit einen ästhetischen Mehrwert hervorbringen, der die drei sah und die er nicht sehen durfte aus diesem Land. Und mit den Männern und Frauen und mit der Welt, die er nicht sehen durfte aus diesem Land, redete der Mann von seinem festen Platz aus oft auch in Gedanken, bis ihm die Gedanken rissen und er an diesem festen Platz bloß saß und schaute.“ (Hervorhebung d. A.)
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Stücke zwar nicht zu Paradewerken Müllers, aber hinreichend interessant macht. Weil die parabolische Rede als vergleichende zwischen dem komplexen Gemeinten und dem vereinfachten Dargestellten auf Klarheit angewiesen ist, bedient sie sich eher schlichter sprachlicher Formen und reduziert das Dargestellte auf die für den Lehrzweck notwendigen Details. Das Personal ist begrenzt, dessen Charakterisierung bleibt holzschnittartig, und die Handlungsorte finden eigentlich nur der Vollständigkeit halber Erwähnung. Die Zeitstrukturen bleiben ebenfalls sehr übersichtlich; die vorliegenden Fälle berichten alle von einem Zustand vorher und einem Ereignis, das diesen Zustand beendet. Die Sprache sollte für parabolische Rede also idealerweise wenig Aufmerksamkeit auf sich selbst ziehen und allein dem Dargestellten Raum geben. Wenn allerdings Reduktion aufs Wesentliche und größtmögliche Klarheit noch mit Genauigkeit gepaart werden, dann stellen sich sprachliche Phänomene ein, die von Müller hier absichtsvoll verstärkt werden. Es treten beispielsweise Wiederholungen auf, wo eine einmalige Nennung reichen oder eine Ersetzung durch Synonyma Abwechslung schaffen würde. Stattdessen werden dieselben Formulierungen beibehalten, als solle dem Rezipienten die Orientierung erleichtert und das Vokabular nicht unnötig erweitert werden. Aber die vorgebliche Vereinfachung der Sprache im Geiste des Parabolischen führt in der Folge zu Vervielfachungen und Verkomplizierungen, so durch die Vermeidung von Personalpronomina, die stetige erneute Aufzählung von charakterisierenden Attributen oder von Üblichkeiten, Gewohnheiten und herrschendem Reglement.207 Zum Beispiel sind in „Die Meinung“ einmal sieben Sätze hintereinander nach dem Muster „da [tat] der Direktor [etwas]“ gebildet. Der später mitgenommene Mann in „Der feste Platz“ wird wiederholt als „der Mann mit dem festen Platz“ bezeichnet, und viele Tätigkeiten werden mindestens doppelt genannt: das Sitzen und Trinken, das Vor- und Nachdenken, das Sehen der „Männer und Frauen und der Welt, die er sah und die er nicht sehen konnte aus diesem Land“, das Drängen des Mannes mit dem Gesetz. Am stärksten ausgeprägt zeigen sich solche Wiederholungsstrukturen in den Passagen der offiziellen Meinungsdialektik in „Die Meinung“ und in der Verhaltensbeschreibung in „Der Fernsehsprecher“. Im ersten Fall bildet die ständige Wiederaufnahme des Wortes „Meinung“ eine genau auf diesem Wort basierende, verunklärende Argumentation ab. Dabei entsteht ein unaufhörliches Strudeln um dieses Wort herum, bis es völlig bedeutungsentleert ist, nicht nur wegen der scheinbar sachlichen Neutralisierung seines Sinnes, sondern auch wegen seiner enervierenden Repetition. Ganz anders funktioniert das Mittel der Wiederholung in „Der Fernsehsprecher“, wo längere Textpassagen einander entsprechen: „Der Fernsehsprecher zieht sich so an, kämmt sich so, spricht so deutlich, lächelt so mäßig, so leicht freundlich, so angenehm, schlägt die Augen so unauffällig auf und zu [...] wie dem Fernsehsprecher von seinem Chef gesagt wird, daß er sich anziehen muß, sich kämmen muß, 207 Da ist die Schreibweise Thomas Bernhards nicht mehr weit entfernt, der mit seiner übergroßen Genauigkeit scheinbar endlose Wiederholungsstrukturen schafft.
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sprechen muß, lächeln muß, die Augen auf und zu schlagen muß [...]. Gestern Abend sprach aus meinem Bildschirm derselbe Fernsehsprecher. Derselbe Fernsehsprecher war gestern Abend anders angezogen, anders gekämmt, er sprach undeutlich, er lachte laut und ausgelassen, er schlug die Augen auffällig auf und zu [...].“ (Pflastersteine, S. 122)
Weil die ausufernde Normierung im Verhalten des Fernsehsprechers noch das kleinste Detail erfasst, wächst sich dessen Abweichung geradezu zur Ungeheuerlichkeit aus. Obwohl beide angeführten Textpassagen in ihrer sprachlichen Struktur selbst etwas zu verkörpern scheinen, hier totale Reglementierung und dort eine verwirrende Argumentation, sind sie nicht allein Illustration oder Ontologisierung des Gezeigten in der Sprache. Aus der sprachlichen Einfachheit der parabolischen Form sind unversehens weit komplexere Strukturen hervorgetreten. Was in parabolischem Klarheitsstreben die Simplizität des Dargestellten zu unterstreichen scheint, bildet auf der Darstellungsebene mit Tendenz zur Verselbstständigung mehr sprachliche Struktur aus, als dazu vonnöten wäre.208
2.2.4. Satire – „durchschaubare Verstellung“209 Das Blockkomitee; Das schwäbische Bad; Das Lied vom Marschieren; Unsere Stadt; Herr Wultschmann Satire ist die einzig rechtmäßige Form von Heimatkunst. Walter Benjamin, Karl Kraus
Wenn schon die parabolische Schreibweise Müllers eine Form der uneigentlichen Rede ist, wird das bei ihren satirischen Texten noch deutlicher einsichtig. Ist die Uneigentlichkeit der Parabel nur an ihre Darstellung gebunden, die eine Übersetzung durch den Leser erfordert, so liegt das entscheidende Moment der Satire in der Wertung, insofern hier eine andere Bewertung des Dargestellten impliziert als explizit ausgesprochen wird. Wohl wird eine Welt fingiert, wobei mimetische Darstellungsprinzipien angewandt werden, doch zugleich bricht sich die Illusion an dem stets mitvermittelten Bewusstsein, hier einer gezielten, wertenden Zurichtung des Erzählten beizuwohnen. Eine solche wertende Formung des Erzählmaterials erfolgt durch Auswahl sowie Darstellungsweise der einzelnen Elemente ohnehin immer, allerdings steht dieses Wertungsgeschehen bei 208 Im Hinblick auf die Art der Sinnstiftung in diesen Texten und der Art des Sinnes ist ein vormodernes Parabelverständnis zugrundezulegen; d.h. es ist tatsächlich ein Sinn angelegt, nicht eine fundamentale Sinnbezweifelung oder gar -absage; für die moderne Parabel sind die Kafka-Texte paradigmatisch. Vgl. hierzu allgemein: Die deutsche Parabel. Zur Theorie einer modernen Erzählform. Hg. v. Josef Billen. Darmstadt 1986. 209 Jürgen Brummack: Satire. In: Fischer Lexikon Literatur, Bd. III, S. 1723–1745, hier S. 1726.
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der Satire im Vordergrund. Diese forcierte Zweigleisigkeit von Darstellung und Wertung läuft auf eine Kritik der scheinbar wertungsfrei oder gar positiv abgebildeten Verhältnisse hinaus, so dass für den Leser zwei gegensätzliche Vorgänge in einem ästhetischen Prozess vermittelt werden. Bei der Parabel ist eine verwandte Verdoppelung zu beobachten, aber dort wird die vorliegende Konstruktion auf eine Analogie hin transparent gehalten, während in der Satire das Moment der Negation die entscheidende Rolle spielt. Denn das Dargestellte wird zwar als einsinnig Geschriebenes hingestellt, unterliegt aber der darin eingeschlossenen Kritik. Braucht also die Parabel für ihr Funktionieren Durchschaubarkeit, kommt in der Satire Verstellung hinzu.210 Außerdem muss genau diese Verstellung durchschaubar sein, damit das gegensätzliche Wertungsmoment aus der Darstellung heraus vom Leser überhaupt als intendiert rezipiert werden kann. Geradezu zwei Musterbeispiele für ein solches satirisches Schreiben sind die Texte „Das schwäbische Bad“ und „Das Blockkomitee“, der nur einmal gedruckt wurde.211 In letzterem werden sehr ausführlich die Aufgaben und Tätigkeiten eines Gremiums zur Regulierung des Wohnens, offenbar in einem Neubaublock, geschildert. Dies beginnt mit der Einrichtung der Wohnungen bis ins Detail, mit der Benutzung und Aufbewahrung der persönlichen Gegenstände, erstreckt sich über die Frisuren aller Bewohner bis zur Unkrautbekämpfung auf der Grünfläche vor dem Haus. Sprachlich ist dieser Text in keiner Weise auffällig; so treuherzig wie das Ich die zahlreichen Verbote, Gebote und Regelungen wiedergibt, so glatt und ordentlich schnurrt das Erzählen auch in seiner äußeren Form herunter: „Wenn sich ein Blockbewohner Möbel kauft, tritt das Blockkomitee zusammen und beschließt, auf welche Blockseite jedes einzelne Möbelstück gestellt werden muß, damit das Gleichgewicht des Wohnblocks nicht gefährdet wird. Und die Bewohner des Wohnblocks müssen sich so in den Wohnungen verteilen, daß an keiner Stelle der Wohnung ein Übergewicht entsteht. Nur das Blockkomitee darf sich wann- und woimmer versammeln, ohne das Gleichgewicht des Wohnblocks in Gefahr zu bringen. Das Blockkomitee beschließt auch, wo jeder einzelne Gegenstand in den Wohnungen zu stehen hat.“212 210 Die „auf Durchschaubarkeit angelegte Verstellung“ benennt Brummack vor allem als Merkmal, das der Satire beim Spiel mit literarischen Mustern zukomme. Brummack: Satire, S. 1726. Dieses Kriterium der „durchschaubaren Verstellung“ unterscheidet beispielsweise den Text „Unsere Stadt“ von „Das Blockkomitee“. Während letzterer Text scheinbar harmlos das wohlgeordnete Universum eines Wohnblockes ausbreitet, beschreibt „Unsere Stadt“ schon ohne Verstellung in bitterem Ton das Universum einer Stadt und ihrer Bewohner, bevor am Ende explizit einige stehen, die es „nicht mehr ertragen“. Vgl. Das Blockkomitee. In: NL 6/ 1980, S. 15–18; Unsere Stadt. In: Pflastersteine. Jahrbuch des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Nikolaus Berwanger, Eduard Schneider, Horst Samson. Temeswar 1982, S. 123–125. 211 Das Blockkomitee. In: NL 6/ 1980, S. 15–18. 212 Das Blockkomitee. In: NL 6/ 1980, S.15–18, hier: S.15
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Diese Glätte trägt von Anfang bis Ende über die absurdesten Ausgeburten der Ordnungsphantasie: ein Bücherschrank ist nur einmal wöchentlich zu öffnen, Herrenund Damenwäsche ist getrennt aufzubewahren, Schuhe müssen in der Wohnung verteilt werden, alle Blockbewohner müssen vom selben Friseur die gleiche Frisur erhalten und sich Kuckucksuhren zulegen. Eine solche Spannung zwischen Komik und Bitterkeit kennzeichnet schon die lange Gattungstradition der Satire und ebenso das Ende des Textes, an dem die Konsequenz einer solchen Universalreglementierung „verblümt“ ausgesprochen wird.213 Die finale Butterblumenvertilgung wird zugleich die rein zu erhaltende Grünfläche vernichten – totale Ordnung ist absolute Lebensfeindlichkeit: „Außerdem hat er [der Blockkomiteevorsitzende] mitgeteilt, daß alle Blockbewohner in der Bekämpfung der Butterblumen jedwelches Risiko auf sich nehmen müssen, selbst jenes, daß bei der Butterblumenvertilgung auch der Rasen und die Bäume eingehen und unser Wohnblock keine Grünfläche mehr hat. Alle Bewohner waren mit diesem Vorschlag einverstanden.“214
Nicht erst diese Pointe legt dem Rezipienten einen Hintersinn des Textes nahe, denn schon die bloße Häufung der Vorschriften, die in ihrer Unsinnigkeit und Aufdringlichkeit mal scheinheilig begründet werden, mal willkürlich festgelegt sind, verbreitet Unbehagen. Was das Ich als wohleingerichtete kleine Welt beschreibt, stellt sich dem Leser als Alptraum vom Wohnen unter einem Blockkomitee dar, mit dem die Bewohner sogar einverstanden sind.215 213 Die übertreibende Komik der Satire korrespondiert der unfreiwilligen Komik der offiziellen Presse: „Die rumänischen und deutschsprachigen Zeitungen sind jeden Tag voll mit sogenannten Reportagen, die von vornherein keiner mehr glaubt. Man kann darüber lachen, wenn man noch den nötigen Zynismus hat. Aber man kann nicht mehr darüber lachen, weil man, wenn man hier lebt, auch weiß, daß man über sich selbst lacht und daß man den kürzeren zieht, während man lacht.“ Aus: „Wir wollen dieses Land aus politischen Gründen verlassen.“ Interview. KK 638/639 vom 30.12.1986, S. 21–23, hier S. 22. 214 Das Blockkomitee, NL 6/ 1980, S. 15–18, hier S. 18. 215 In dieser scheinbar maßlos übertriebenen Darstellung verbergen sich inmitten der absurden, erfundenen Regelungen Kleinigkeiten aus dem rumänischen Alltag, so dass hier die Textwirklichkeit, wie sie vom sprechenden Ich lediglich „aufgezählt“ wird, eine sarkastische Charakterisierung der Wirklichkeit abgibt. Das Brillenverbot für Komitee-Mitglieder verweist auf die manifeste Intellektuellenfeindlichkeit; das Spiel mit der Kurz- und Weitsichtigkeit der Komitee-Mitglieder sowie die Weisheit des großen Vorsitzenden zielen auf den Personenkult um den unfehlbaren Ceauşescu. Das Verbot von Thermometern und Wasserwaagen korrespondiert der Praxis, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, d.h. die Wintertemperatur fiel in offiziellen Bulletins, ebenso wie im Wetterbericht, nie unter einen bestimmten Wert, und der sozialistische Wohnungsbau war tadellos. Die Temperatur und die Qualität des Gebäudes bleiben der individuellen Überprüfung entzogen. Der Entzug des Spiegels, der auch an Müllers Motiv aus Der Teufel sitzt im Spiegel erinnert, versinnbildlicht hier wie dort das Individualisierungsverbot qua Selbsterkenntnis. Das zeigt sich zugespitzt in der verordneten Kollektivierung der Körperpflege und des persönlichen
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Vergleichbar funktioniert „Das schwäbische Bad“, in dem die samstägliche Reinigung einer Familie geschildert wird: Alle benutzen dasselbe Wasser, vom kleinen Arni über Mutter, Vater, Großmutter und Großvater, bis schließlich die Familie vor dem Fernseher auf den samstäglichen Film wartet. Der Text sagt, dass sie das „frisch gebadet“ tun, gezeigt hat er aber, dass die Sauberkeit abnehmend in der Reihenfolge der Badenden hergestellt wurde. Die durchaus nicht unrealistische Beschreibung – ein anschauliches Detail des Schmutzes sind die „grauen Nudeln“, übrigens eine von nur zwei Metaphern des Textes – bezieht ihre Anschaulichkeit neben diesem Detail vor allem aus der Regelmäßigkeit der sprachlichen Gestaltung: „Das Wasser ist noch heiss. Die Seife schäumt. Die Mutter reibt graue Nudeln von ihrem Hals. [...] Das Wasser ist warm. Die Seife schäumt. Der Vater reibt graue Nudeln von seiner Brust. [...] Das Wasser ist lauwarm. Die Seife schäumt. Die Grossmutter reibt graue Nudeln von ihren Schultern. [...] Das Wasser ist eiskalt. Die Seife schäumt. Der Grossvater reibt graue Nudeln von seinen Ellbogen. Die Nudeln des Grossvaters schwimmen mit den Nudeln der Mutter, des Vaters, der Grossmutter auf der Wasserfläche. [...] Der Grossvater lässt das Badewasser aus der Badewanne ab. Die Nudeln der Mutter, des Vaters, der Grossmutter, des Grossvaters kreisen über dem Abfluss.“216
Die ganze Ritualhaftigkeit des offenbar jeden Samstag wiederholten und in sich wiederholenden Vorganges schlägt sich in den immer wiederkehrenden Formulierungen nieder, bis eben am Ende des Textes die Sauberkeit aller hervorgehoben wird, als sei das Befolgen eines ewig währenden Badeplanes schon die Garantie für dessen Erfolg. Entscheidend ist, dass sich im Verlauf dieses auf den ersten Blick, und auch sprachlich so gestalteten, einförmigen Baderituals einige Details ändern. Aus dem heißen Wasser wird kaltes, jedes Familienmitglied reibt sich graue Nudeln von einer anderen Körperstelle. Am Ende fühlen sich doch alle sauber, obwohl gezeigt wurde, wie sich der Schmutz im Wasser summiert. Die wörtlichen Wiederholungen stellen besonders diese graduelle Veränderung der Badebedingungen heraus. Titel und Schluss der Erzählung bilden mit ihren Begriffen „schwäbisches Bad“ und „schwäbische Familie“, zu der sich alle Badenden am Ende vereint finden, einen verallgemeinernden Rahmen. Auch hier wird scheinbar harmlos geschildert, was sich letztlich selbst desavouiert: „Die schwäbische Familie sitzt frisch gebadet vor dem Bildschirm. Die schwäbische Familie wartet frisch gebadet auf den Samstagabendfernsehfilm.“ (N I, S.88) Selbstverständlich geht es auch um die Verspottung speziell „schwäbischer“ Werte, zu denen hier „Sauberkeit“ und Erscheinungsbildes durch den Besuch des Einheitsfriseurs. So wird von Realien aus ein Gedanke bis zur Unerträglichkeit weitergetrieben, vgl. das berühmte Beispiel Swifts, der das Schlachten von Kindern zur Bekämpfung der Hungersnot vorschlug. 216 Das schwäbische Bad. In: NBZ, 24.05.1981. In den späteren Veröffentlichungen gab es einige geringfügige Änderungen. Vgl. Das schwäbische Bad. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 88; sowie in: Niederungen. Berlin 1984, S. 13–14; und in: Der Bremer Literaturpreis 1954– 1987. Reden der Preisträger und andere Texte. Eine Dokumentation der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung. Hg. v. Wolfgang Emmerich. Bremerhaven 1999, S. 329.
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„Familie“ gezählt werden. Die Implikation des gemeinschaftlichen Bewusstseins, das die Familie als saubere und schwäbische von sich hat, ist der Punkt, an dem die Satire bissig wird. Beide Texte kennzeichnet die arglose Rede, die jedoch die als mustergültig beschriebenen Umstände als zutiefst zweifelhaft ausstellt. Der gezügelte Witz stammt aber aus unterschiedlichen Quellen, insofern im „Blockkomitee“ immer skurriler werdende, unterschiedliche Vorschriften dargelegt werden, wo es im „Schwäbischen Bad“ allein auf die Gleichförmigkeit der einen, wiederholten Handlung ankommt, deren Wirkung gerade mit ihrer Wiederholung immer lächerlicher wird. So könnten wiederum beide Texte in einer Traditionslinie der Satire von der Torheit der Menschen ganz allgemein handeln, wenn nicht unmittelbar von den Lebensverhältnissen des Publikums gehandelt würde. Kann dieses Publikum in dem einen Fall als Opfer realer Blockkomitees mitlachen, auch wenn es im letzten Satz als geistig „gleichgeschaltet“ gezeigt wird, muss es sich in dem anderen Fall selbst angegriffen fühlen, falls es seine schwäbische Identität beschrieben findet. Gemeinsam ist aber beiden Texten die deutlich eingeschriebene Möglichkeit, ihren fiktionalen Weltentwurf an der Wirklichkeit zu messen. Dieses Angebot wurde vor allem beim „Schwäbischen Bad“ auch angenommen, wohl weil es sich einerseits explizit an eine bestimmte landsmannschaftliche Geisteshaltung heranwagt und sich andererseits ideologiefern in der Presse diskutieren ließ. Zu alledem war den Leserbriefschreibern ihr banatschwäbisches Hemd wesentlich näher als ihr zwangsverordneter kollektivistisch verbrämter Rock. Mit der Kontroverse über „Das schwäbische Bad“ erlangte Herta Müller eine gewisse Bekanntheit – als Satirikerin, die sie ja tatsächlich auch war. Dies bestimmte allerdings nur einen kleinen Teil ihres Werkes und war, wie das Intermezzo mit der Parabel, eine Durchgangsstation bei der Entwicklung ihres Darstellungsstiles. Im Jahr 1983 fand – nach der skandalbegleiteten Preisverleihung und der gefeierten Buchveröffentlichung in den beiden Jahren zuvor – erneut eine Lesung im AMG mit der zugehörigen Diskussion statt, bei der Richard Wagner sich neben anderen zu Wort meldete: „Zu den Geschichten Herta Müllers sagte Wagner: ‚Was sie schreibt, ist innerhalb ihres Stils, eine Versprachlichung dessen, was sie sieht.‘ Satire habe für sie eine der Modalitäten dargestellt, als es darum ging, sich institutionalisierten Verhaltungsweisen gegenüber zu wehren, in einer sich auflösenden Welt, die keinen Widerstand leiste, habe die Satire ihre Funktionalität verloren. Es gehe heute in unserer Literatur darum, ‚nicht Alternativen‘, sondern ‚verinnerlichte Realitäten‘ aufzuschreiben; die Texte Herta Müllers seien Beispiele dafür [...].“217
217 ES: Versprachlichung der Realität. In: NBZ 12.02.1983. Der Artikel bietet einen Bericht über die Lesung Herta Müllers und über das Referat von Peter Motzan. Die Zusammenfassung der anschließenden Debatte spiegelt nicht allein die unterschiedlichen Rezeptionshaltungen der Teilnehmer, sondern auch die Unterschiedlichkeit der vorgetragenen Texte Müllers. Das angeführte Zitat unterliegt – wie andere der benutzten Quellen auch – dem doppelten Vorbehalt des Zitats aus zweiter Hand und des Zitats aus zensierten Medien.
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Für Wagner stellt die Satire also unter den gegebenen Umständen eine nicht mehr angemessene literarische Form dar, und er attestiert Müller, mit ihrer Entscheidung gegen die Satire der Herausforderung durch diese Umstände zu entsprechen. Wagners Formulierung „sich auflösende Welt“ berührt zwei Aspekte: Ist die Rede von der Welt der Banater und Siebenbürger Rumäniendeutschen, so hat er im Jahr 1983 wohl allen Anlass, von „Auflösung“ zu sprechen, aber nicht von mangelndem Widerstand, den Herta Müller ja ein Jahr zuvor außerordentlich heftig erfahren hatte. Ebenso wohl meint Wagner jedoch die Auflösung einer Zivilgesellschaft, deren Illusion aus den frühen siebziger Jahren sich längst in die Agonie eines repressiven Staatswesens von bitterer Armut und Perspektivlosigkeit verflüchtigt hat. Wenn die Realität, und mit der verknüpft Wagner die Satire selbstverständlich, schon jeder Beschreibung spottet, kann keine literarische Beschreibung ihr mit satirischen Mitteln beikommen. Sie eilt dem Spott durch Literatur voraus.218 Für ein solches Verhältnis von Wirklichkeit und Satire gibt es zwar keinen objektiven Maßstab, der anzeigen könnte, wo das Leben die Literatur überholt, aber die Aussage Wagners kann sehr wohl als Feststellung einer solchen verzweifelten Befindlichkeit, solcher „verinnerlichter Realitäten“, interpretiert werden. Seiner stets auf die gesellschaftliche Dimension der Literatur bezogenen Ansicht nach sollte sich das Schreiben konsequenterweise diesen „verinnerlichten Realitäten“ zuwenden. Anscheinend ist es tatsächlich so, dass Müller zu diesem Zeitpunkt keine neuen Texte satirischer Art mehr schreibt. Wie auch das parabolische Sprechen hält die Beschäftigung mit der Satire chronologisch ungefähr eine Mittelstellung in den Jahren der ersten Kurzprosa; und sie ersetzt ebenso wenig den intuitionistischen Darstellungsstil der Bewusstseinspoesie, sondern stellt gemeinsam mit dem Parabolischen eine Erweiterung des Schreibrepertoires auf Probe dar, die nur wenige Jahre zu beobachten ist. Die noch in N I und N II veröffentlichten satirischen Stücke sind allesamt zuvor bereits erschienen.219 Wie bei den anderen Kategorisierungen der frühen Prosa-Texte auch können im Grunde keine ausschließlichen Zuordnungen für alle Stücke getroffen werden: Satirische 218 „Schwer, eine Satire zu schreiben. Nicht bloß weil der Zustand, der ihrer mehr bedürfte als je einer, allen Spottes spottet.“ Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M. 221994, S. 280. Und weiter: „Schuld an der Unmöglichkeit von Satire heute hat nicht, wie Sentimentalität es will, der Relativismus der Werte, die Abwesenheit verbindlicher Normen. Sondern Einverständnis selber, das formale Apriori der Ironie, ist zum inhaltlich universalen Einverständnis geworden. Als solches wäre es der einzig würdige Gegenstand von Ironie und entzieht ihr zugleich den Boden. Ihr Medium, die Differenz zwischen Ideologie und Wirklichkeit, ist geschwunden. Jene resigniert zur Bestätigung der Wirklichkeit durch deren bloße Verdopplung.“ Ebd., S. 282. Zu behaupten, Müller würde in ihren Satiren genau das beschreiben, nämlich wie zur Wirklichkeit gewordene Ideologie aussieht, wäre nicht richtig, nutzt sie doch das Mittel der Übertreibung und Zuspitzung – wo sie das nicht mehr kann, schreibt sie auch keine Satiren mehr. Dann folgt sie Adornos Befund doch, der in der äußersten Barbarei, wo der Nationalsozialismus zwischen der Proklamation seiner menschenfeindlichen Ideologie und ihrer alltäglichen Umsetzung keine Differenz zulässt, die Möglichkeit der tatsächlich kritischen Satire ausschließt. 219 Außer der Groteske „Herr Wultschmann“. Vgl. N I, S. 121–124.
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Züge sind sehr wohl einigen später entstandenen Texten eigen, doch durchweg satirisch angelegte Prosa gehört für Müller im Jahr 1983 tatsächlich der Vergangenheit an.220 Ein zwischen den Kategorien „satirisch“ und „parabolisch“ angesiedelter Text ist beispielsweise „Der Fernsehsprecher“, der mit der Aufnahme des totalen Normierungsprinzips in seine Sprachform als Satire, mit seiner Beispielhaftigkeit als parabolische Fallstudie gelten kann. Weit über die Satire hinaus schießt das Porträt eines offenbar überschnappenden älteren Mannes „Herr Wultschmann“, das eine Groteske par excellence und damit ein Einzelstück im Werk Müllers darstellt.221 Der Text charakterisiert Herrn Wultschmann, indem dessen wörtlich zitierte Ansichten und sein merkwürdiges Verhalten ausgestellt werden. Herr Wultschmann kultiviert seine Erinnerungen an den 2. Weltkrieg und bezieht aus ihnen sowohl seine Tugendvorstellungen als auch eine gewisse Lebensintensität: Er spielt schließlich mit seinen Hühnern Krieg, wobei Gurkenranken den Stacheldraht und faule Gurken die Handgranaten darstellen. Mit seinen Weltanschauungstiraden wandelt Herr Wultschmann auf dem schmalen Grat zwischen konservativen Allgemeinplätzen und blankem Irrsinn. Hier wird seine Sprache in satirischer Manier zum Ausweis einer beschränkten Denkungsart gemacht, ohne die in anderen Texten Müllers vorhandenen „Übersetzungsgesten“ zu benutzen. Doch schon die stetige Nennung von „Herrn Wultschmanns“ unschönem Namen – 87mal, während er lediglich neunmal durch das Personalpronomen und nie durch Synonyme ersetzt wird – diskreditiert seine dergestalt hypertrophierte Bürgerlichkeit. An den Beispielen „Das schwäbische Bad“ und „Das Blockkomitee“ zeigt sich allerdings auch die Problematik der Gattung Satire. Deren Kritik bezieht sich ja im Wesentlichen auf einen vorausliegenden Wertekonsens, der als solcher jedoch nicht zur Debatte gestellt wird. Gezeigt wird lediglich das Scheitern einer definierten Gemeinschaft an genau den Maßstäben, aus denen sie ihr Selbstbewusstsein bezieht. Ist es im „Schwäbischen Bad“ das Bewusstsein vollendeter Sauberkeit, die indessen nicht so lupenrein hergestellt wird, so konfrontiert „Das Blockkomitee“ die ehemals volksdemokratische Idee, das engere Zusammenleben selbst zu regeln, mit ihrer konsequenten Umsetzung, die in den Regelwahn und die total entmündigende Kontrolle führt. In „Das Lied vom Marschieren“222 schließlich tut sich eine Kluft auf zwischen der behaupteten Innigkeit und Subjektivität des Erinnerns einerseits und der hohlen Ritualisierung der kollektiven Trauerbekundungen andererseits. Dem satirischen Schreiben Müllers geht es ganz im Sinne der langen Gattungstradition um diese Differenz zwischen Anspruch, Behauptung, Selbstbild des Dargestellten und dessen Realität. Eine solche Differenz wird weniger im Text behauptet als über die Darstellung ausgewiesen. Eines der konventionellen Mittel satirischen Schreibens ist die sachliche Übertreibung wie im „Blockkomitee“, wo sich ein Kaleidoskop der unendlich vielen Regeln bietet. 220 Möglicherweise wurde das satirische Register schon früher aufgegeben, das ist jedoch anhand der Veröffentlichungen allein schwer zu prüfen. 221 Herr Wultschmann. In: N I, S. 121–124. 222 Das Lied vom Marschieren. In: Echinox, Nr. 1 – 2 – 3 /1981, S. 24 sowie in BF, S. 45–47.
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Ebenso übertrieben mutet die Handlung in „Das Lied vom Marschieren“ an, deren Gerüst von einem identisch wiederholten Dreierschritt von Familientreffen, Ableben eines ehemaligen Kriegsteilnehmers und Trauerbekundungen bestimmt wird. Eine Art von sprachlicher Übertreibung stellt die Wiederholung dar. Sie kann aus der sachlichen Wiederholung hervorgehen und dabei entweder das erneute Auftreten ein und derselben Sache kennzeichnen, wie der Name Herrn Wultschmanns, oder aber mit denselben Worten nur Ähnliches erfassen. In beiden Fällen gerät das Erzählen ins Stocken, weil es auf der Darstellung eines bestimmten Aspektes besteht, sei dieser nun die Wiederkehr einer Sache oder die so starke Ähnlichkeit zwischen zwei verschiedenen Sachen, dass sie unbedingt dieselbe Wortwahl zu erfordern scheinen. Daraus entsteht ein Beharren der Erzählung auf diesen bestimmten Aspekten, so dass sie einerseits, durch die Wiederholung immer auf die erste Nennung zurückverweisend, zeitlich auf der Stelle zu treten scheint, andererseits ihren Gegenstandsbereich beschränkt und so die Aufmerksamkeit des Lesers auf die dergestalt herausgehobenen Details festlegt. Der Ausschnitt der dargestellten Welt bleibt überhaupt kleiner im Verhältnis zur Textlänge bzw. kann dieser Ausschnitt schon groß sein, nur spielt das keine Rolle, weil er vor allem als in sich selbst ähnlich zum Vorschein kommt. Er wirkt kleiner. Dafür wirken die mit wiederholten Worten formulierten Vorgänge, Dinge und Eigenschaften riesengroß. Gerade die sprachliche Wiederholung dient in den meisten satirischen Texten Müllers dazu, bestimmte Elemente der Fiktion herauszustreichen und sie dadurch ins Zweifelhafte zu ziehen. Überaus anschaulich ist dieser Vorgang im „Schwäbischen Bad“, das die Verknüpfung von Sach- und Sprachwiederholung sowie die damit einhergehende Entwertung des Säuberungsrituals vorführt. Nicht halb so wirkungsvoll wäre eine Kurzversion ohne Wiederholungen: Eine schwäbische Familie badet immer samstags, wobei alle Familienmitglieder sparsam dasselbe Wasser benutzen. Anschließend warten sie gemeinsam auf den Samstagabendfilm. Das trifft auch für „Das Lied vom Marschieren“ zu, dessen Wirkung ebenfalls vom Zeigen und nicht vom Behaupten der gleichförmigen Prozeduren abhängt. Da es Müller mit den Satiren offenbar auf eine Kritik des unbedingten Konservatismus ankommt, der jeglicher Entwicklung abgeneigt ist und deshalb das Vergehen der Zeit am liebsten ignorieren will, der Lebendiges in möglichst übersichtliche Formen ordnen möchte, ist nicht nur die sachliche Wiederholung als eine Übertreibungsform, sondern vor allem die sprachliche Wiederholung ein entscheidendes Darstellungsprinzip. In Verbindung mit der unpersönlichen Vortragsweise verfällt die dargestellte Welt einem scheinbar objektiven Urteil: Sie hat sich ja aufgrund ihrer tatsächlichen Verfasstheit mit den eigenen proklamierten Ansprüchen selbst verurteilt, zumal die sprachliche Gestaltung mittels Wiederholungen direkt aus der dargestellten Welt mit ihren tatsächlichen Gleichförmigkeiten hervorzugehen scheint. Denn obwohl bei Müller überwiegend ein Ich spricht, enthält es sich doch jeglicher Bewertungen, ja niemals wird das Dargestellte überhaupt als etwas Erlebtes ausgewiesen. Satire funktioniert nur, wenn die Übertreibung nicht als subjektive Erlebnis- oder Urteilsqualität nachzuvollziehen ist, sondern als reine, objektive Wahrheit behauptet wird, damit das Empfinden der
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Unmittelbarkeit sich beim Leser gar nicht erst einstellen kann und ihm in solcher Distanz die Aktivierung seines Urteilsvermögens abverlangt wird. Hierbei spielt das Stilmittel der Wiederholung ebenfalls eine nicht zu überschätzende Rolle, denn es stört, sobald es massiv auftritt, den Illusionierungsprozess.223 In dieser Hinsicht der fehlenden Unmittelbarkeit bricht „Das Lied vom Marschieren“ schon wieder aus der Gruppierung der satirischen Texte aus. Der Erlebnishorizont des erzählenden Ich geht hier bereits stärker in die Darstellung ein, wie bereits die Anwesenheit zahlreicher Metaphern anzeigt. Gerade in Bezug auf die Wiederholung als sistierendes, die Unmittelbarkeit verhinderndes Mittel befindet sich das Stück auf der Grenze, da seine Wiederholungen zugleich variieren und die sich allmählich verändernden Konstellationen aufnehmen. „Das Lied vom Marschieren“ erschien mehrfach und wurde dabei an vielen Stellen, jedoch nicht grundlegend überarbeitet.224 Es befasst sich, wie zum Beispiel auch „Das Schwäbische Bad“, ebenfalls mit einem Ritual, allerdings erzählt es dessen Ursprung und Institutionalisierung. Bei einer Familienzusammenkunft bricht der Vater des erzählenden Ich zusammen und stirbt. Daraufhin findet das Familientreffen jedes Jahr auf die gleiche Weise statt – mit der makaberen Pointe, dass in jedem Jahr ein anderer Mann aus dieser Generation stirbt. Schließlich findet das Treffen nur noch mit den hinterbliebenen Frauen statt, die die stets gesungenen Soldatenlieder, nämlich das „Lied vom Marschieren“, jetzt vom Band abspielen müssen. Dreimal wird ein solches Treffen mit wiederkehrenden Formulierungen geschildert, ebenso wie sich die Trauer der Frauen in denselben Verhaltensmustern und Worten äußert: „Nach dem Essen tanzten die Frauen miteinander. Meine kleine dürre Mutter tanzte schwitzend mit meiner dicken Tante.“ (BF, S. 45) „Nach dem Essen tanzten die Frauen miteinander. Meine Mutter saß jedesmal blaß und frierend in einer Zimmerecke. Ihre Augen wurden naß, und sie schnupfte lauwarme Tränen, die sich durch 223 Geradezu körperlich äußert sich ja das Erschrecken über unerwartete Wiederholungen, wenn eine Schallplatte „einen Sprung“ hat. Der Rezeptionsvorgang endet in der schlagartigen Bewusstwerdung aller technischen Gegebenheit des ästhetischen Erlebnisses: Vom aufgezeichneten Gebrauch der Instrumente und/oder der Stimme über die Apparatur der Wiedergabe bis zu dem Faktum, dass das eben noch lebendig erscheinende Artefakt an einen unbelebten Träger gebunden ist, von dem die unendliche Anzahl absolut identischer Wiederholungen des einmaligen Artefakts erwartet wird. 224 Vgl. Echinox, 1–2–3/1981, S. 24; DT und BF; schon von Echinox zu DT erfolgen die Eingriffe in den Text. Die gewichtigste Änderung betrifft den Schluss, dessen letzte Sätze in der neuen Fassung nachdrücklicher die Verselbstständigung, Erschöpfung und Perpetuierung des leeren Rituals darstellen. Statt einfach: „Und das Summen liegt noch immer in der dicken schwarzen Luft des dunklen Zimmers“, heißt es nun nach einigen eingefügten Sätzen: „Das Summen hing noch lange in der Zimmerluft. Das Summen war schon eintönig und müde. Und grenzenlos wars in der Dämmerung.“ DT, S. 49. Auch hier werden übrigens die attributiven Adjektive entfernt und der Duktus gestrafft, obwohl aus einem Satz drei Sätze hervorgehen.
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ihre Nase drängten, jedesmal wieder hinauf in die Stirn. Sie zerknüllte das Taschentuch in ihrer erfrorenen Hand, schluchzte, daß mein Vater für sie unvergeßlich, für sie immer noch derselbe sei.“ (BF, S. 46) „Nach dem Essen standen die Frauen auf, und der Tisch war leer. Jede Tante setzte sich blaß und frierend in eine Zimmerecke und weinte, und drückte das Taschentuch über die lauwarmen Tränen, übers Gesicht, und schluchzte, daß ihr Mann für sie unvergeßlich und immer noch derselbe sei.“ (BF, S. 46)
Sicherlich ist dieser Text ein Grenzfall, doch im Vergleich mit Müllers anderen Texten neigt er eindeutig auf die satirische Seite. Es geht an keiner Stelle explizit um das persönliche Erleben des berichtenden Ich, das immerhin mehrere Jahre erzählter Zeit überblickt. Einzig die Formen des Erinnerns, wie sie unter anderen so rührend von den Witwen vorgeführt werden, sind Gegenstand der Erzählung. Gerade deren standardisierte Reaktion treibt aus dem satirischen Grundeinfall des ritualisierten Ablebens beim Singen von Soldatenliedern die Essenz einer völlig hohlen, falsch pathetischen und gespenstischen Form des Gedenkens hervor. Der Gipfel ist schließlich das unreflektierte Eintreten der Frauen in einen Gedenkzusammenhang, der ihnen aus Pietät geboten scheint, allerdings für sie völlig unangemessen ist. Darum werden die Soldatenlieder nur noch vom Band gespielt. An dieser halb satirisch, halb unmittelbar erzählten Geschichte demonstriert Müller, wie die Satire, die von Adorno des halben Einverständnisses mit den Verhältnissen geziehen wird, da sie die zugrundeliegende Ideologie selbst nicht in Zweifel ziehen könne225, nichtsdestoweniger genau in dieser Hinsicht kritische Kraft entfalten kann, indem sie eben das Ideal eines Kollektivs beim Übergang ins Ideologische zum Gegenstand macht. Das gelingt hier, weil Müller ein rein satirisches Schreiben meidet und die Fiktion mit dafür eigentlich überflüssigen, anschaulichen Details anreichert, die den Leser nicht in eine reflexive Distanz verbannen, sondern das Geschehen scheinbar ganz plausibel und unmittelbar vor ihn hinstellen. Beschränkt sich Müller im „Schwäbischen Bad“ auf das Detail der „grauen Nudeln“, so sieht der Leser im „Lied vom Marschieren“ die Goldknöpfe wie Medaillen blitzen, die Wangen der Tante beben, die dicken Ärsche der Frauen hüpfen und hört die imaginären Splitter des Vaters im Teller klirren.226 So tritt der Leser beim Betreten der Fiktion zugleich in einen Erlebens- und nicht nur in einen 225 „Dabei setzt sie [die Satire] die Idee des Selbstverständlichen, ursprünglich der gesellschaftlichen Resonanz voraus. Nur wo ein zwingender Consensus der Subjekte angenommen wird, ist subjektive Reflexion, der Vollzug des begrifflichen Akts überflüssig. Der bedarf des Beweises nicht, welcher die Lacher auf seiner Seite hat.“ Adorno: Minima Moralia, S. 280. 226 In der Erstveröffentlichung in Echinox sind die „Wangen“ noch „Hängebacken“, die „Ärsche“ noch „Arschbacken“, und das Detail der wie Medaillen schimmernden Knöpfe fehlt. Vgl. „Das Lied vom Marschieren“. In: Echinox, 1–2–3/ 1981, S. 24. Diese Änderungen sind dann für die Publikation in DT und BF vorgenommen worden. Vgl. „Das Lied vom Marschieren“: In: DT, S. 48 sowie BF, S. 45–47.
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Reflexionszusammenhang ein. Obwohl das erzählende Ich so zurückhaltend auftritt, kann der Rezipient doch von dieser Erlebensperspketive aus die Stickigkeit und Falschheit dieser Erinnerungsrituale nachvollziehen, während ihm auf der diskursiven Ebene mit der präzisen Tödlichkeit der Soldatenlieder ein Hinweis auf die Gefahren einer solchen kriegsverherrlichenden Nostalgie gegeben ist. Weil „Das Lied vom Marschieren“ mit seinem Anteil unmittelbaren Erzählens aus der Gattung der reinen Satire hinausstrebt, entkommt es deren von Adorno scharf kritisiertem, pseudo-diskursivem Anspruch, der zwar beim Leser auf eine Einsicht ziele, doch die Anstrengung des Begriffs scheue.227 Indem dieser kleine Text Müllers sich nicht allein auf eine solche intellektuelle Einsicht beim Leser konzentriert, ist das Umgehen der Begrifflichkeit kein Problem mehr. Müller stimmt in ihrer literarischen Praxis mit Adorno also über die Unzulänglichkeit der Satire insoweit überein, als unter bestimmten Bedingungen ihre Schärfe die Realität kaum einholen kann und der notwendig der satirischen Literatur vorausliegende Wertekonsens selbst kritikwürdig ist. Wo aber Adorno die Satire der Unfähigkeit zur klaren Reflexion und kritischer Begriffsbildung bzw. begriffsbildender Kritik bezichtigt, da kommt es Müller mit ihrem Schreiben gerade darauf nicht an. Sie erachtet Begriffsbildung nicht nur im ästhetischen Geschehen für überflüssig, sondern auch darüber hinaus als hoch verdächtig. Bewertungen müssen aus dem unmittelbaren Erleben heraus deutlich werden. Letztlich stehen hinter dieser Differenz unterschiedliche Auffassungen von der Funktion der Literatur und Kunst. Wenn sie bei Adorno zuweilen zur reinen Dienerin der rationalen Erkenntnis der Verhältnisse gemacht erscheint, nutzt Müller die Literatur fast als letzttaugliches Paradigma lebendiger Erfahrungsvermittlung.
2.2.5. Sprachkritische Satire Mutter, Vater und der Kleine; Dorfchronik; Meine Familie; Unsere Stadt; Überlandbus Die Notwendigkeit, von den satirischen Texten noch einmal die sprachkritischen Satiren zu unterscheiden, ergibt sich aus der hervorgehobenen Rolle der Sprache in letzteren Stücken. Wenn in den Satiren allein über die Gegenläufigkeit von Darstellung und darin implizierter Wertung das Erzählen vermittelt wird, dann enthalten die sprachkritischen Satiren noch einen Vermittlungsschritt mehr, der die Sprachlichkeit der dargestellten Welt und damit generell die Sprache als Material viel stärker ins Bewusstsein hebt. Ein Beispiel dafür ist „Mutter, Vater und der Kleine“228, das seinen satirischen Effekt nicht allein durch einen inhärenten Widerspruch erzielt, sondern zusätzlich durch die explizite Gegenüberstellung eines nichtssagenden Postkartentextes und der realen
227 Adorno: Minima Moralia, S. 280. 228 Karpatenrundschau 26.10.1979, sowie N I und N II.
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Hölle229 eines Familienurlaubs am Schwarzen Meer. „Mutter, Vater und der Kleine“ ist zwar witzig, aber auch ein wenig wohlfeil denunziatorisch mit seinem Missverhältnis zwischen der unbeholfenen Sprache seiner Figuren, hier repräsentiert durch die Textgattung „Urlaubspostkarte“, und deren abgebildeter Lebenspraxis. Wie Müller im Rahmen dieses Postkarten-Textes im ersten Zitat das Bemühen der Mutter um eine geziemende Außenwirkung dokumentiert, so macht die Autorin in den hier behandelten Texten also die Sprache der dargestellten Welt selbst zum Gegenstand. Die Art zu reden dient zwar auch in Nie I/ II und den entsprechenden Vorgängertexten weniger zur Charakterisierung der einzelnen Figuren als zum Ausweis einer kollektiven Denkungsart. Und in „Der Überlandbus“, aus dem das zweite Zitat stammt, kommt im Gerede der Passagiere eine Welt zum Vorschein, indem sie im Spiegel der mündlichen Öffentlichkeit mit ihren Vorurteilen und Protomythologisierungen reflektiert wird: „Viele Grüße von der sonnigen Schwarzmeerküste. Wir sind gut angekommen. Das Wetter ist schön. Das Essen ist gut. Die Kantine ist unten im Hotel, und der Strand ist gleich neben dem Hotel. [...] Hier sieht man das Hotel, in dem wir wohnen. Unser Fenster habe ich mit einem Kreuzchen angezeichnet. Das andere Kreuz unten im Sand zeigt den Platz, wo wir immer Sonnenbad machen. Wir gehen schon frühmorgens los, damit wir die ersten sind, damit uns kein anderer den Platz besetzt.“230 „Die Blumen haben noch gefehlt, diese typisch walachischen Blumen, sie stinken, daß es einem übel wird, sagte eine Frau. Diese Schwäbinnen gackern wieder den ganzen Bus voll, sagte ein Mann. [...] Im Frühjahr ist sehr viel Schnee geschmolzen, mehr als es geschneit hatte. Da sind alle Schafe krepiert, außer ein paar, die wurden vorher geschlachtet. Sie hatten Geschwülste am Hirn. Der Schafhirt ist an Überdruß gestorben.“231
Über diese Funktionalisierung der Figurensprache hinaus reicht aber die Rolle der Sprache in „Meine Familie“ und „Dorfchronik“. Dort wird der Sprachgebrauch der dörflichen Welt explizit so thematisiert, dass erst darüber die Narration überhaupt entsteht. In beiden Texten wird auch weniger Geschehen erzählt, als dass eine Familiengeschichte aus den getratschten Mutmaßungen zusammengesetzt oder ein Dorfkosmos vor den Augen des Lesers ausgebreitet wird. Im Unterschied zu den parabolischen und im engeren Sinne satirischen Texten ist die Doppelbödigkeit der Rede zunächst einfa229 Verzweifelt machen alle sich gegenseitig für das kollektive Unglück verantwortlich – „Die Hölle, das sind die anderen.“ Eine vulgärexistenzialistische Seinsverdrossenheit. 230 Mutter, Vater und der Kleine. In: N I, S. 108–110. Zuerst in: Karpatenrundschau, 26.10.1979, erneut dann in: N II, S. 135–136 (mit Änderungen). 231 Der Überlandbus. In: N II, S. 132–134. Zuerst in: NL 6/1980, S. 13–15 sowie in: N I, S. 100– 103 – mit Änderungen, z.B. werden aus den „oltenischen Blumen“ in N II „walachische Blumen“, vermutlich, weil der bundesdeutsche Leser sich darunter eher etwas vorstellen kann.
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cher, schließlich aber sogar eine mehrfache. In beiden Texten wird ja nicht mit impliziten Signalen auf die Übertragungsnotwendigkeit hingewiesen, die für die gesamte Parabelkonstellation oder für die satirische Wertungsperspektive besteht. Vielmehr wird eine Übertragung direkt vorgeführt, indem das erzählende Ich ständig eine Verdoppelung in der Rede demonstriert. Die kleine, abgeschlossene Welt muss nach außen verständlich gemacht werden. „Unsere Stadt“ arbeitet zum Teil ebenfalls mit dem Kunstgriff, die städtische Welt, die „eine Ansammlung von Dörfern“232 ist, in ihrem Aufbau und ihren Lebensvollzügen zu erklären, wozu das Erläutern von Wortbedeutungen in dieser Stadt gehört: „Zu jenen, die allein leben, sagt man Junggesellen oder alte Jungfern.“ (S. 123) „Das Wort Freizeit hat in unserer Stadt einen sehr weiten Sinn. Der engere Sinn des Wortes hat eigentlich keinen Sinn.“ (S. 124) „In unserer Stadt werden die Straßen nach den Verstorbenen benannt, die Lokale nach den Naturschönheiten, die es nirgends gibt, und die Getränke und Süßigkeiten tragen Mädchennamen und Preise.“ (S. 124)233
Die traurige und gedrückte Atmosphäre wird aber direkt geschildert, genauso wie die Verbote und Ängste der „Lebenden“ thematisiert werden. Deshalb ist „Unsere Stadt“ weder den Satiren noch den sprachkritischen Satiren ganz hinzu zu rechnen. Der Sprachgebrauch wird am Problem der ständig wechselnden Verbote sogar explizit als Teil dieser Stadt reflektiert: „Und es geht immer um veränderte Deutungen und nie um veränderte Zustände. Und trotz der vielen Veränderungen ist die Langeweile so groß wie diese Stadt und so lang wie ihre Lebensläufe.“234 Dieser Text enthält wohl große Anteile von beiden Verfahrensweisen, und obwohl er genauso wenig auf die Illusionierung des Rezipienten zielt, bedient er sich letzten Endes mit seinen klaren Aussagen einer direkten Darstellungsweise. Anders jedoch in dem Paradebeispiel für sprachkritische Satiren „Meine Familie“. Dort legt ein Kind seine – vermutlich – unübersichtlichen Familienverhältnisse dar, die vor allem im Gerede der Leute beleuchtet werden. Dabei greift das Ich immer wieder auf die Formeln „die Leute sagen“ und „die anderen Leute sagen“ zurück. Die Verstehensanstrengungen des Kindes sind allein auf diesen Klatsch angewiesen, der naturgemäß auch gleich die moralischen Urteile mitliefert. Die am Textanfang beschriebenen Gebrechen der einzelnen Familienmitglieder sind schon Indikatoren für die innere Verkommenheit der Verhältnisse. Aber diese Verhältnisse, nämlich Inzucht, Ehebruch, Selbstmord und Mord sowie Ehen aus Berechnung, erregen weniger Anstoß 232 Unsere Stadt. In: Pflastersteine, 1982, S. 123–125, hier S. 123. 233 Ebd., S. 123f. 234 Ebd., S. 124.
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als ein Verhältnis außerhalb des Dorfes, gar mit einer anderssprachigen Frau: „Die Leute sagen, daß man einen Mann, der außerhalb des Dorfes noch eine andere Frau und ein anderes Kind hat, verachten muß und daß das nichts Besseres als Inzucht, daß das noch schlimmer als die reinste Inzucht, daß das die reinste Schande ist.“235 Zwar bleibt die Haltung des erzählenden Ich, des Kindes, im Dunkeln, doch der Horizont wird mit diesem Darstellungsverfahren verdoppelt, weil das Kind seinen eigenen Horizont mit der Bezugnahme auf den Klatsch-Horizont, der ja weit in die Vergangenheit reicht, überschreitet. Eine vergleichbare Übertragungsgeste wie „die Leute sagen“ strukturiert den Text „Dorfchronik“.236 Hier beschreibt ein Ich, das sich erst ganz am Ende des Textes nennt, ein Dorf mit seinen Einrichtungen, Machtverhältnissen, Gewohnheiten und Denkweisen. Letztere werden vor allem in ihrer sprachlichen Konkretion hervorgehoben, wenn bestimmte Ausdrücke und Formulierungen doppelt auftreten. Zuerst werden sie einfach genannt, um anschließend in die Sprache des Dorfes übersetzt zu werden: „Der Bürgermeister, der im Dorf Richter genannt wird, hält im Gemeindehaus seine Sitzungen. Unter den Anwesenden gibt es Raucher, die abwesend rauchen, Nichtraucher, die nicht rauchen und schlafen, Alkoholiker, die im Dorf Säufer genannt werden und die Flaschen unter den Stühlen stehen haben, sowie Nichtalkoholiker und Nichtraucher, die schwachsinnig sind, was im Dorf anständig genannt wird, die so tun, als würden sie zuhören, die aber an etwas ganz anderes denken, falls es ihnen überhaupt gelingt, zu denken.“ (N II, 119) (Hervorhebungen d.A.) „Ausnahmen bilden die Helden, von denen man annimmt, daß sie sich zu Tode gekämpft haben. [...] Die Helden, die im Dorf Gefallene genannt werden, sind, um zu beweisen, daß sie nicht vergebens gestorben sind, was im Dorf den Heldentod gefunden haben genannt wird, weil man wahrscheinlich annimmt, daß sie ihn gesucht haben, auf demselben Friedhof gleich zweimal begraben: einmal im Grab der jeweiligen Familie und einmal unter dem Heldenkreuz. In Wirklichkeit liegen sie aber irgendwo in einem Massengrab, was im Dorf im Krieg geblieben genannt wird.“ (N II, 127)237
Obwohl gerade dieser Text auch detailreich die äußere Erscheinung des Dorfes schildert und einige Personen mit ihrer Geschichte und Eigenheiten beschreibt, bleibt der ganze Dorfmikrokosmos auf Distanz, da an die Außenperspektive mit der Formel „im Dorf genannt werden“ unablässig erinnert wird. Wenn am Ende das Ich seinen gedanklichen 235 Meine Familie. In: N II, S. 15–16, hier S. 16. 236 Dorfchronik. In: N II, S. 116–128. Die enge Verwandtschaft mit Thomas Bernhard scheint hier wieder auf, der ebenfalls den Sprachgebrauch thematisiert. Aber auch solche Schachtelsätze mit dem schönen Aufeinandertreffen vieler finiter Verbformen klingen nach ihm: „Die Kapelle wurde vor dem ersten Weltkrieg vom damaligen Metzger, der, nachdem er den Krieg überlebt hatte, nach Rom gefahren war, wo er den Papst, der im Dorf der heilige Vater genannt wird, gesehen hatte, gebaut, was im Dorf gestiftet genannt wird.“ S. 98. 237 Dorfchronik. In: N II, S. 116–128, hier S. 119 und S. 127.
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Rundgang durchs Dorf beendet, verlässt es diesen engen Bezirk nur, um womöglich genau in dessen Mitte zu bleiben.238 Das Übersetzer- und Erklärer-Ich hält seine eigenen Ansichten genauso zurück wie das Kind in „Meine Familie“; beide sind personifizierte „Bruchstellen“. An ihnen bricht sich in inhaltlicher Hinsicht das Bild der scheinbar heilen Welt, in struktureller Hinsicht die Unmittelbarkeit der Fiktion. Zu diesen ausformulierten Bruchstellen, welche die hier behandelten Texte von den parabolischen und strenger satirischen unterscheidet, tritt selbstverständlich noch der satirische Mechanismus der implizit negativen Wertung hinzu, so dass eigentlich die dargestellte Welt vor allem über ihren scheinbar neutral ausgestellten Sprachgebrauch satirisiert wird.239 Dazu musste dieser Sprachgebrauch überhaupt als solcher bewusst gemacht werden. Als besonderer und darum charakteristischer tritt er ja nur zutage, wenn er ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird. In der Welt der Sprachlichkeit, der Literatur, wird die Sprachlichkeit der Welt zur Fiktionsgrundlage. Dabei tritt diese Sprachlichkeit nicht zugunsten der dargestellten Welt zurück, sondern bleibt als Medium präsent. Alle drei Darstellungsweisen, die hier mit den Begriffen parabolisch, satirisch und sprachkritische Satire beschrieben werden, haben zweierlei gemeinsam: Sie sind keine unmittelbaren Darstellungsweisen, denen es darauf ankäme, eine bruchlose Illusion für den Leser zu erzeugen. Auch wenn sie mit anschaulicher Bildlichkeit eine Welt fingieren, so bleibt diese doch auf Distanz. Dafür verantwortlich ist unter anderem die zweite Eigenheit dieser Texte. Die Position, von der aus auf die fingierte Welt geblickt wird, ist eine unbeteiligte Außenposition, selbst wenn ein explizites Ich spricht. Wohl sind in den zuletzt erörterten Texten „Meine Familie“ und „Dorfchronik“ die sprechenden Subjekte offensichtlich Teil der abgebildeten Welt, doch gerade hier wird der Abstand zum Rezipienten durch die eingearbeitete „Übersetzung“ vergrößert. Er kann nicht direkt eintreten in die ihm präsentierte Welt, sondern geht gewissermaßen stets an der Hand eines Fremdenführers und Übersetzers darin herum. Der erklärt ihm – oder auch nur
238 Mit diesem Ende, das vom weithin mimetischen Charakter des Textes abweicht, läuft der gesamte Text wie auch die erste Version von „Niederungen“ Gefahr, ins harmlos Putzige zu entschwinden: „Ich klettere auf einen Baum, der am Rand der Wiese steht, der aber ebenso gut in der Dorfmitte stehen könnte, falls er nicht gar in der Dorfmitte steht. Ich halte mich mit beiden Händen an einem Ast fest und sehe die Kirche des Nachbardorfes, auf deren dritter Treppe sich ein Marienkäfer den rechten Flügel putzt.“ Dorfchronik. In: N II, S. 116–128, hier S. 128. In der ersten Variante des Textes gab es noch zwei Absätze am Anfang des Textes; der erste Satz bildete gemeinsam mit dem Schluss einen Rahmen: „In der Dorfmitte steht die Kirche.“ Vgl. Dorfchronik. In: N I, S. 91–99, hier S. 91. 239 „Der Satiriker Musil richtet nicht durch sein Wort und hebt nicht in seinem Wort auf, sondern läßt zu Wort kommen und das zu Wort Gekommene sich selbst richten. Die exakteste Wirklichkeitsdarstellung ist Wirklichkeitssatire.“ Helmut Arntzen: Deutsche Satire im 20. Jahrhundert. In: Ders.: Literatur im Zeitalter der Information. Aufsätze, Essays, Glossen. Frankfurt/M. 1971, S. 167–192, hier S. 191.
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sich selbst in „Meine Familie“ – zwar unvoreingenommen die besichtigte Sprachwelt, hält sich aber mit der Formulierung seiner eigenen Meinung zurück. Weniger präsent ist die Sprache als Material in den satirischen Texten, doch die Haltung des sprechenden Ich ist genau dieselbe. Der Rezipient blickt gemeinsam mit dieser Erzählinstanz auf bestimmte Üblichkeiten, Einrichtungen und Denkweisen, ohne dass eine subjektive Wertung irgendwo explizit zum Vorschein käme. Wie das Sprechen der Dörfler desavouiert sich die Welt der Satiren selber, so dass die vorgenommene Wertung sogar eine gewisse Objektivität erlangt. Am wenigsten persönlich ist die Rede in den parabolischen Beispielen, denn hier braucht es auch die geringste Legitimation durch eigenes Erleben. Im Gegenteil soll das Dargestellte ja insgesamt transparent auf das eigentlich Gemeinte sein und insofern seinen Konstruktionscharakter nicht verleugnen. Die Leseweisen der beiden satirischen Spielarten differieren trotz der gemeinsamen Mittelbarkeit des Erzählens doch erheblich von der Leseweise der parabolischen Stücke. Muss bei letzteren eine 1:1-Übertragung in den eigenen Lebenskontext erfolgen, benötigen die Satiren eine um 180° gewendete Auffassung. Was sie als gut und schön schildern, soll ja schlecht und hässlich sein, während die Parabeln eine böse Lage auch als solche zeigen. Diese Differenz ist nicht zuletzt an den Enden des jeweiligen Geschehens ablesbar. Der Fernsehsprecher, der Frosch und der Mann mit dem festen Platz erleiden ihren Untergang. Das Blockkomitee trifft jedoch auf allgemeine Zustimmung, die schwäbische Familie ist schön sauber und das Lied vom Marschieren findet seine endlose Tradierung. Die Satire favorisiert das geradezu unheimlich gute Ende; die Parabel geht stets schlecht aus. Nicht allein die „Außenposition“, die dem Rezipienten durch die Mittelbarkeit des Erzählens zugewiesen wird, verbindet die drei zuletzt erörterten Darstellungsweisen, sondern vor allem wird dem Leser unbedingt eine hermeneutische Anstrengung abverlangt. Läse er die Texte, ohne deren Uneigentlichkeit in der Darstellung und der Wertung zu erfassen, verfehlte er deren Absicht. Er muss stets eine nicht dargestellte Welt mitdenken, was ihm einen unmittelbaren Zugang zur fingierten Welt verstellt. Die Parabeln muss er in seinen Lebenskontext übertragen, wobei beispielsweise Frösche als Menschen zu denken sind; in den Satiren wird er ebenfalls auf seine Lebenswelt verwiesen, die ihm in übertriebener Ausgestaltung bekannt vorkommen soll. Doch nicht erst dieser Bezug auf einen außerliterarischen Referenzraum, bereits das Mitdenken des Gemeinten im Geschriebenen bringt einen diskursiven Aspekt in den Verstehensprozess, der im Zuge von Verallgemeinerungen und Referenzialisierungen das ästhetische Artefakt für theoretische Spekulationen öffnet. Herta Müller hegt aber allergrößtes Misstrauen gegenüber jeglicher Theoriebildung, die womöglich anschlussfähig für ideologische Implikationen sein könnte. Als Autorin sucht sie demzufolge Legitimierung im Einzelnen, Persönlichen, Individuellen, Subjektiven – nur das allein ist eigentlich ihr Interesse. Darum verabschiedet sie diese uneigentlichen, nur mittelbaren literarischen Redeweisen und konzentriert sich auf den Nachvollzug bzw. die Fiktion des individuellen Erlebens. In der Auseinandersetzung mit den anderen Erzählmöglichkeiten festigt sie also ihre ästhetische und damit zugleich ethische Haltung.
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„Die Literatur muß sich aus den Einzelheiten, aus den kleinsten Bruchteilen der Eigentlichkeit zusammensetzen, nicht aus Theoretischem das zusammenfindet. Denn nur dieses Theoretische, das über diesem Eigentlichen steht, kann ideologisch werden. Während das Eigentliche, das sich selber nicht ganz begreift, nicht taugt zur Ideologie. Es garantiert die Unberechenbarkeit der Gedanken und lebt von ihr.“240
Das Theoretische als potenzielle Konsequenz aus den parabolischen und satirischen Erzählweisen ist also abzulehnen, zumal deren kritische Reichweite ohne begriffliche Schärfe beschränkt bleiben muss. Schon das Hintergehen bzw. Übersteigen des ausformulierten Horizontes, wie es im Parabolischen, Satirischen und Sprachsatirischen angelegt ist, tritt einen Schritt vom Erleben weg, auch wenn es zu Theoriebildung und Ideologie noch sehr weit wäre. Diese Haltung ist aber keinesfalls identisch mit vitalistischen, theoriefeindlichen Positionen. Müller kommt es darauf an, vor allem die Entfremdungsprozesse des gefährdeten Individuums gegenüber seiner Umwelt im unmittelbaren Erleben nachvollziehbar zu machen. Wenn der Vitalismus Lebendigkeit um ihrer selbst willen proklamiert und deren Steigerung sucht, besteht Müller auf einem anders ausgerichteten Minimalprogramm: der Dignität des subjektiven Erlebens.
2.2.6. Einzelfälle: Artistik Die Zuordnungen unter die vorgeschlagenen Kategorien sind nicht als klassifikatorische Festlegungen zu verstehen, vielmehr treten in den vorgenommenen Gruppierungen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweils bestimmenden Darstellungsverfahren besser hervor. Mit einer anderen Fragestellung, z.B. der nach Handlungsräumen, nach narrativen Mustern oder nach intertextuellen Beziehungen, kämen ganz andere Konstellationen zum Vorschein. Selbst mit den fünf bislang eingeführten Kategorien bleiben genug Texte übrig, die zwar der einen oder anderen Gruppe angehören, aber in ihrer speziellen Ausführung singuläre Stücke sind, wie das nicht anders zu erwarten ist, wenn die Autorin experimentiert. Solche Einzelstücke sind beispielsweise „Damals im Mai“, „Sie“, „Eine Arbeit“, „Herr Wultschmann“, „Haar“, „Überlandbus“ in der zweiten Fassung, „Das Geweih“ oder „Matthias“. Alle diese Texte haben keine näheren, nur ferne Verwandte, d.h. ihre Familienähnlichkeit ist nur schwach ausgeprägt. Bestimmte Auffälligkeiten sondern sie vom Rest der Texte etwas weiter ab: Ist es in „Damals im Mai“ die auffällige Spannung zwischen dem stereotyp verwendeten „schön“ und der genauen, anschaulichen Beschreibung des Erlebten, so ragt „Herr Wultschmann“ durch die groteske Überzeichnung seines Protagonisten heraus. „Haar“ wiederum führt in phantastischer Manier die Geburt eines Vogels aus einem aufgelesenen Nest vor, bevor 240 Dias Furtado, Maria Teresa: Interview mit Herta Müller. In: Runa 1993, H.1, S. 189–195, hier S. 193.
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dieses unheimliche Tier zunächst alles Grüne und alles Grün aus der Wohnung, anschließend alles Gelb vertilgt und im Schlussbild das blondierte Haar des erzählenden Ich anvisiert. Die Erzählung „Das Geweih“ ist eine regelrechte Kurzgeschichte, die in der Rahmenerzählung die Pointe birgt, dass die Reihe der überfahrenen Tiere der Binnenhandlung nicht von einem Hirsch, sondern vielmehr von einem Menschen gekrönt wird. „Der Überlandbus“ bedient sich des tendenziell naturalistischen Verfahrens, die Umgebung eines wahrnehmenden Ich fast ausschließlich über das Sprechen der anderen Figuren ganz unmittelbar abzubilden, allerdings ohne dieses Sprechen selbst mimetisch nachzubilden.241 Es bleibt eine unspezifische, den Regeln der Literatursprache verpflichtete Rede, die außerdem von reflektierenden Passagen durchsetzt ist. Trotzdem besteht der Haupteffekt im Anhören des Geredes der Buspassagiere. Anhand der Dominanz anderer Wahrnehmungskategorien sind zwei weitere Texte zu beschreiben, die in DT unmittelbar hintereinander angeordnet sind, nämlich „Eine Arbeit“ und „Sie“.242 Während „Eine Arbeit“ mit einem langen Satz von 259 Wörtern kreisförmig Inges klaustrophobische Befindlichkeit notiert, schaut „Sie“ dabei zu, wie eine Frau gefüllte Paprika zubereitet. Allerdings spricht der Text dies an keiner Stelle aus, denn genauso wie die Frau keinen Namen erhält, enthält sich die Beschreibung jeglicher begrifflichen Erfassung des Gesehenen und gibt stattdessen ein minutiöses Protokoll der physischen Tätigkeiten, Haltungen und Bewegungen: „Die rechte Hand dreht mit der Messerspitze einen Kreis von sich weg und gegen sich zu und die linke Hand dreht mit der Paprikaschote einen Kreis gegen sich zu und von sich weg. Durch die beiden sich gegeneinander drehenden Kreise bohrt die Messerspitze das Gehäuse aus der Paprikaschote. Das Gehäuse fällt aus der Paprikaschote in den Teller. Die weißen Kerne spritzen über den Tellerrand.“ (DT, S. 65)
In der rein phänomenalen Auffassung liegt eine Distanz zum Gesehenen, die völlig neutral gleichermaßen die beobachteten Einzelheiten vergrößert, wie sie die Frau auf den äußeren Anblick ihrer Körperlichkeit reduziert, dergestalt dass sich nun Person und Gegenstände kaum noch voneinander abheben. Von ihrer Körperlichkeit her wird auch
241 Dieser Aspekt wird vor allem in der zweiten Fassung durch Kürzungen betont, so dass er erst nachträglich als Grundidee des Textes hervortritt. Es bleiben situierende, beobachtende und reflektierende Passagen erhalten, die eine Umgestaltung des Textes zum reinen Wahrnehmungsprotokoll verhindern. Vgl. drei Fassungen, wobei der entscheidende Überarbeitungsschritt von N I zu N II erfolgte: Der Überlandbus. In: NL 6/ 1980, S. 13–15; N I, S. 100–103 sowie N II, S. 132–134. In der neueren Literatur wäre Vladimir Sorokins „Očered’“ (Die Schlange) eine Vergleichsgröße, da auch hier auf die naturalistische Ausgestaltung der Mündlichkeit verzichtet wird. 242 „Eine Arbeit“ beschließt an dieser Stelle zudem eine Reihe von Inge-Texten: „Es ist Sonntag“, „Schulbankgesicht“, „Der Regen“, „Möbelstücke“, „An diesem Tag“, „Eine Arbeit“ (S. 55–64). „Die Lebenslinie“ (S. 43–44) steht in diesem Inge-Komplex etwas abseits.
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die Figur Inge in „Eine Arbeit“ dargestellt, aber im entgegengesetzten Extrem, da es keinerlei Außenwahrnehmung gibt in der Beschreibung ihrer Situation: „Inge spürt von innen zu beiden Seiten des Kopfes nach außen die Schläfen hämmern unter dem stillen Gegendruck der Haut, der Haut um den Kopf, die klebt, der Haut um den Brustkorb, die spannt, [...] der Mund, der tiefer ist als die Leere, die schluckt, die Inge schluckt mit dem tiefen Mund, durch den steifen Hals, in die schwammige Brust, die Leere, die schluckt und geschluckt wird, und Stille wird, [...] und Leere, die kommt und kommt, und nicht mehr geht, und voraus geht, und nebenher geht, und hinterher geht, und einher geht, und nicht mehr vergeht und übergeht in das Hämmern der Schläfen von innen zu beiden Seiten des Kopfes nach außen unter dem stillen Gegendruck der Haut.“ (DT, S. 63f.)
Wo der eine Text ausschließlich von außen blickt, zieht der andere die Distanz vollkommen ein und hält sich im Inneren der Person auf; beiden gemeinsam sind die Konkretheit und die Genauigkeit, mit der hier jeweils die Körperwahrnehmung zum Indikator für absolute Isolation gemacht wird. Beide Figuren scheinen in sich eingeschlossen und einsam zu sein, was mit genau entgegengesetzten Darstellungsweisen erreicht wird, wobei natürlich beide darauf ausgerichtet sind, Bewusstseinsleben darzustellen. Verlegt „Eine Arbeit“ den Punkt, von dem aus ein Bewusstsein fingiert wird, im Wortsinne in die beobachtete Person hinein, so bleibt in „Sie“ dieser Punkt auf Distanz, so dass sogar die Fiktion eines willkürlich verfahrenden Beobachters aufkommen kann: „Wenn man sich den Stuhl wegdenkt, steht ihr Körper gekrümmt in sich selbst da.“ (DT, S. 64) Beide Texte sind mit ihren konsequent durchexerzierten darstellungstechnischen Vorgaben Studien zu demselben Thema der „inneren Leere“, als seien von der Autorin diese Möglichkeiten auf ihre Leistungsfähigkeit überprüft worden. Gerade im unmittelbaren Vergleich wird sichtbar, wie unterschiedlich das von Herta Müller bevorzugte Erzählen im Duktus der intuitionistisch fundierten Bewusstseinspoesie ausfallen kann, selbst wenn solche Faktoren wie die Konzentration aufs vereinzelte Detail und auf die konkret wahrzunehmende Körperlichkeit gleich bleiben. Zuletzt sei noch ein Beispiel für die Experimentierfreude Müllers vorgestellt, das ebenso wie „Der Überlandbus“ in überarbeiteter Form in der Bundesrepublik erneut veröffentlicht wurde. In BF kam „Matthias“, der letzte in Rumänien publizierte Text, unter dem Titel „Viele Räume sind unter der Haut“ heraus. Die Titelfigur scheint hier in dreifacher Identität durch den Text zu gehen, nämlich in den jeweiligen Ausprägungen von Matthias, der auch als „der Mann mit dem Hut“ und als „das Kind, das allein geht“, auftritt. Es entsteht allerdings kein Multiperspektivismus, denn die einzelnen Verkörperungen von Matthias bilden keine konkurrierenden Wahrnehmungen aus, als ob gerade diese Integration der verschiedenen Lebensstufen in eine Person die Einheit dieser Person in ihrer Geschichte bekräftigte. Matthias ist immer gleichzeitig das Kind, das er war, und der Mann mit dem Hut, der als Post-Figuration des Vaters gelten kann, sowie Matthias, der mit seinen individuellen Erfahrungen und dem Bewusstsein der
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eigenen Herkunft durchs Dorf geht und eben diesen inneren, geschichtlichen Raum einerseits sowie den äußeren gegenwärtigen Raum andererseits reflektiert. Diese – hier thesenhaft zugespitzte – Konstellation ist aber bei weitem die experimentellste in Bezug auf die Erzählinstanzen der Kurzprosa.243 Eine weitere eigene Gruppierung von Texten ergibt sich durch den Kunstgriff, diese durch direkte Anrede zu adressieren. Als einziger Text bedient sich „Schulbankgesicht“ dabei des abgrenzenden und vorwurfsvollen „ihr“, mit dem die spießigen Altersgenossen der Außenseiterin Inge charakterisiert werden. So kommt es zu dem etwas schwindelerregenden Effekt, dass durch die Beschimpfung der Spießbürger deren Blick auf Inge nachvollzogen wird, während sie selbst der Kritik der Erzählinstanz verfallen. Ganz einfach hingegen ist die Inszenierung einer Rollenrede in „Drosselnacht“, in der eine Frau vom Kriegstod ihres Sohnes und vom Tod ihres Mannes erzählt. Das Du dient allein der Beglaubigung einer Erzählsituation:244 „Wer glaubt mir, daß es an der Drossel lag, daß Martin starb. Ich hab mir keine Jahreszahl gemerkt. Als es anfing, was ich dir erzähl, war um die Hügelspitzen hinterm Dorf der Wind mit roten Wolken übers Laub gefallen.“245
Weniger erzählt, als vielmehr beschworen wird über die Anrede eines Du in den beiden Texten „Dreihundertneunundneunzig Jahre“ und „Schwarze Tücher“ 246. Spricht die Erzählerin in „Drosselnacht“ ein Du nur kurz an, kommt in diesen Stücken vor allem die Existenz des Du zum Vorschein. Während in „Schwarze Tücher“ die Spuren der Vergänglichkeit und der Vergangenheit einer unbestimmt bleibenden Frau erinnernd evoziert werden, tritt das Ich in „Dreihundertneunundneunzig Jahre“ in einen imaginären Dialog mit seiner Mutter, von deren Schicksal ein Bogen zur Gegenwart geschlagen wird.247 Dieser Text nimmt auf seine Weise das Muster von Paul Celans lyrischer 243 Vgl. Johann Lippet: Wenn ich abends spazieren gehe,// gehen wir immer zu dritt:/ Mein heller Schatten/ mein dunkler Schatten/ und Ich./ Wenn ich gehe/ sind wir immer zu dritt./ Mein heller Schatten voran,/ mein dunkler Schatten danach/ und Ich. In: NBZ, 05.03.1972. 244 Eine Kombination von Rollenrede und einfacher Erzählerrede stellt „Die kleine Utopie vom Tod dar“, in der die Gedanken der Enkelin am Grab der Großmutter und deren eigener Lebensbericht miteinander verwoben sind. Es gibt jedoch keinen Dialog oder eine direkte Ansprache der beiden Figuren, sondern zwei gleichrangige Erzählinstanzen. Vgl. Die kleine Utopie vom Tod. In: BF, S. 35–43. 245 Drosselnacht. In: BF, S. 26. 246 Schwarze Tücher. In: DT, S.48f.; Dreihundertneunundneunzig Jahre. In: DT, S.12–16. 247 Das Symbol der schwarzen Krähe erinnert an ein anderes Symbol Müllers für die Verschmelzung des individuellen mit dem kollektiven Schicksal, nämlich an den deutschen Frosch, der beispielsweise in Nie auftaucht. Zudem entfaltet sich über die schwarze Krähe hinaus eine Farbsymbolik, in der das Wasser, der Schwarzwald, die Krähe in den Augenhöhlen und als Haar, die Bügelfalten des Hochzeitsanzuges genauso wie die Kohlegruben schwarz sind, während die Bäume und Blätter grün sind. Weiß jedoch sind neben dem Schnee der Hochzeitsschuh und der weiße Phlox des Straußes wie auch der weiße Kragen des Bräutigams und die weißen Berge über den Gruben.
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Erinnerungsrede auf, was deutlich am Sprachgestus ablesbar ist. Die wiederholte Anrede „Mutter“, durch die die Tochter deren Erinnerungen vergegenwärtigt, bräuchte im Verein mit der eigentümlichen Rhythmisierung und Phrasierung und dem ebenfalls von Wiederholungen durchwobenen Beschwörungston kaum noch solche Wort- und Bildfindungen wie „schneeige[s] Gebirg“, „schneeige[r] Leib“ und „Schwarzwaldschatten“ oder die Stein-Metaphorik, um das Vorbild Celan zu assoziieren.248 Dies umso mehr, als schon der Textbeginn das berühmte Bild vom „Grab in den Lüften“ in ambivalenter Weise aufruft: „Der Himmel ist ein seichtes Flußbett. Im Wasser stehn wolkige Steine, die drücken auf den Grund. Das Wasser des Himmels steht still. Hinter den Steinen liegen die Toten. Die Gräber der Toten sind auf dem Friedhof.“ (DT, S. 45)
Während in Celans Werk das Thema des Sprechens und der Sprache zentral ist, geht es in diesem korrespondierenden Text Müllers um das Erzählen, dessen Möglichkeiten doch von der grausamen Wirklichkeit überschritten werden. Die Einfühlung in das Schicksal der Mutter tritt mit mythologisierenden und märchenhaften Elementen zusammen, deren Aufklärungswert für die historische Welt sich als unzulänglich erweist. Ebenso bestimmt, wenn auch nicht immer so konkret wie die Gestalt der Mutter in „Dreihundertneunundneunzig Jahre“, sind die jeweiligen Ansprechpartner in der Reihe von adressierten Prosa-Stücken, die erst in BF herauskommen. In „Diktator oder Hund“ ergießt sich die Flut strenger Pädagogenschelte auf „Mädchen“ und „Junge“. Eine rechtfertigende Rede richtet sich an das ungeborene, abgetriebene Kind: „Damit du nie ins Herz der Welt gerissen wirst“. An eine tote Frau wendet sich „Die Tote vom Armenfriedhof“, an „mein Herz“ ist „Fressender Schuh“ gerichtet, an die eigene Sprache „Mein Schlagabtausch, mein Minderheitendeutsch“. Den „Liebsten“ schließlich spricht der Text „Bleiben zum Gehn“ an, der als einziger bereits in Rumänien publiziert wurde.249 Alle diese adressierten Texte aus BF brauchen ihr Gegenüber eher als Reflexionsfläche für die Gedanken und Gefühle des sprechenden Ich, so dass sich keine Brechung durch das Verdoppeln der Perspektive ergibt, wie sie durch den verächtlichen Nachvollzug der Spießersicht in „Schulbankgesicht“ oder die einfühlende Beschwörung des Schicksals der Mutter in „Dreihundertneunundneunzig Jahre“ erzeugt wird. In dieser erzähltechnischen Hinsicht bilden die beiden letztgenannten Texte trotz ihrer formalen Ähnlichkeit
Schwarz und Weiß bilden also keinen strengen Gegensatz, sondern treten im Tod, der „aus Schnee und Kohle“ ist, zusammen ebenso wie in der Hochzeitsausstattung. 248 Weitere vergleichbare Motive sind der Schnee, Stein und das Wasser. 249 Alle aufgeführten Texte in BF: Diktator oder Hund, S. 44; Damit du nie ins Herz der Welt gerissen wirst, S. 80–81; Die Tote vom Armenfriedhof, S. 92; Fressender Schuh, S. 90; Mein Schlagabtausch, mein Minderheitendeutsch, S. 123–124; Bleiben zum Gehn, S. 79.
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mit den anderen adressierten Texten und ihrer Unterschiedlichkeit eine gemeinsame kleine Ausreißergruppe unter den Solitären von Müllers kleiner Prosa. In der kurz ausgebreiteten Sammlung von singulären Texten wiederholt sich das Bild, das schon das gesamte Experimentierfeld der Kurzprosa Müllers bietet. Unter dem gemeinsamen Dach des persönlichen Schreibstils, hier ist es auch vor allem das Dach der Bewusstseinspoesie, finden sich doch recht unterschiedliche Ausführungen, an denen jeweils ein bestimmter Zug so stark wirkt, dass der Experimentalcharakter sofort ins Auge fällt. Dabei geht es selbstverständlich nicht um die systematische Regulierung einzelner Parameter durch die Autorin, sondern um das zuweilen ins Extrem getriebene Erproben von Textmustern, stilistischen und narrativen Möglichkeiten. Hier finden sich Anklänge an die moderne Gattung Kurzgeschichte mit ihrer Orientierung auf einen Schlusseffekt, an die romantische Form der Groteske mit ihrer Übertreibungssucht, aber auch an die romantische Tradition der Phantastik und des Unheimlichen. In anderen Fällen werden unterschiedliche Wahrnehmungsweisen zur Erzählgrundlage gemacht, wie z.B. die extrem phänomenale, die mal die Innensicht, mal die Außensicht und ein anderes Mal vor allem das Hören herauspräpariert. Letztere Möglichkeit bleibt jedoch streng gebunden an die kohärent-sinnhaften, wenn auch nicht tiefsinnigen Dialoge der Mitmenschen. Mit der immanenten Vervielfachung der Hauptfigur muss nicht zwangsläufig eine Vervielfachung der Perspektiven auf das Geschehen einhergehen; dafür kann über den Kunstgriff der Adressierung des Textes über nur eine Erzählinstanz eine Brechung der Perspektive erzielt werden, die wiederum eine Verdoppelung der Wertungsinstanz nach sich zieht. Schließlich ist auch ein einfaches stilistisches Experiment dabei, das über die stete Wiederholung einer Wertung etwas Zwielicht über den gesamten Text verbreitet. Schon die Heterogenität der hier vorgestellten Texte lässt Rückschlüsse auf die Suchbewegungen der Autorin Müller zu. Auf praktisch allen Textebenen testet sie aus, wie weit sich manche Kunstgriffe treiben lassen, ohne ihren Mitteilungsintentionen im Wege zu stehen. Oder es geht um die Frage nach dem Charakter der dargestellten Welt: Wirken phantastische Elemente möglicherweise relativierend, oder tragen sie essenziell bei zur Bildfindung für eine Befindlichkeit? Im Muster der Kurzgeschichte steckt eine objektivierende Sachlichkeit, die zwar den Schrecken im Zaum hält, ihn jedoch zur Pointe zu degradieren droht. Ist mit einer grotesken Weltdarstellung nicht sogar weniger zu leisten als mit einer scheinbar kühlen Beobachtung, da diese immer dem Verdacht der böswilligen Autorintention unterliegt, während jene für sich selbst spricht? Insofern sich die in diesem Abschnitt verhandelten Texte vor allem an solchen Kriterien der stärker hervortretenden Darstellungsmittel und -formen betrachten und beschreiben lassen, könnten sie mit Recht als der Bereich der Artistik auf dem Experimentierfeld der kurzen Prosa zusammengefasst werden.250 Eine Klammer dieser 250 Als „Zurücktreten des Interesses an den jeweiligen Inhalten der Rede zugunsten der Auseinandersetzung mit ihren formalen Mitteln“ beschreibt Willems das Prinzip der Artistik. Vgl. Willems: Anschaulichkeit, S. 428.
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Art ist jedoch nur von deskriptivem Nutzen, weil sie es erleichtert, so verschiedenartige Texte wie diese vorzustellen, die bei der Beschreibung der charakteristischen Kernbereiche von Müllers Werk nicht vorkommen würden. Charakteristisch an ihnen ist in dieser Konstellation ihre jeweilige Außenposition auf dem erschlossenen Feld. Aber vielleicht zeugen gerade sie am nachdrücklichsten von der intensiven Arbeit Herta Müllers an ihrem eigenen Darstellungsstil.
2.3. Spracharbeit: Reduktion. Von kleiner Prosa über „Niederungen“ I zu „Niederungen“ II Herta Müller breitet auf dem Experimentierfeld ihrer kurzen Prosa unterschiedliche Darstellungsmöglichkeiten aus, wobei sich dabei weniger eine Unsicherheit in der Wahl der ästhetischen Mittel abzeichnet als vielmehr das Bestreben über den seit den lyrischen Anfängen gepflegten subjektiven Ansatz hinaus weitere literarische Redeweisen zu erkunden. Zwar stellt sich im Überblick über ihre veröffentlichten Texte von 1978 bis 1985 eine gewisse Vielfalt an Schreibweisen dar, doch dominiert letztlich der bis heute von ihr bevorzugte Darstellungsstil. Dass dieser zwar im Grundsatz von Beginn an da war, aber durchaus von der Autorin erst nach und nach entfaltet wurde, zeigt sich besonders deutlich im Vergleich überarbeiteter Fassungen ihrer Texte. Im Gegensatz zur oben beschriebenen äußeren Fülle von Schreibweisen, stellt sich diese Ausbildung des Darstellungsstils von Müller als Reduktionsprozess dar. Zum einen werden vor allem die uneigentlichen Redemodi mit ihrer Tendenz zur Verallgemeinerung statt zur Subjektivierung stillgelegt. Zum anderen leistet Herta Müller tatsächlich am gewählten Darstellungsstil reduzierende Spracharbeit, indem sie kürzt und vereinfacht sowie den fingierten Erlebens- und Wertungshorizont verkleinert. Im Folgenden soll diese Arbeit näher betrachtet werden. Aufgrund der Publikationspraxis im rumäniendeutschen Literaturbetrieb ist es gut möglich, die Entwicklung des spezifischen Stils der Prosa-Autorin Müller zu beobachten. Zunächst ist ja der überwiegende Teil der Texte vor der Veröffentlichung in Niederungen (Bukarest 1982; N I) in der Tagespresse oder der NL erschienen251, noch während dessen Manuskript im Verlag auf die Freigabe durch die Zensur wartete. Zwei Jahre nach Erscheinen dieses ersten Buches wurde die bundesdeutsche Ausgabe von Niederungen (Berlin 1984; N II) aufgelegt, so dass eine Reihe von Texten sogar in drei Fassungen vorliegt, denn von Stufe zu Stufe haben kleinere bis größere Überarbeitungen stattgefunden. Elf eigenständige Texte können so in den Fassungen ihrer Erstveröffentlichung, ihrer Veröffentlichung in N I sowie in N II verglichen werden.252 Einige erfahren bei weiteren Publikationen sogar erneute Änderungen, die jedoch wegen 251 Außer „Herr Wultschmann“ und dem neu entstandenen Titelstück „Niederungen“. 252 Außer „Faule Birnen“, „Das Fenster“ und „Drückender Tango“, die aber ebenfalls dreifach veröffentlicht sind, da sie in NL, DT und N II stehen.
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ihrer Geringfügigkeit zu vernachlässigen sind. Die Titelerzählung „Niederungen“ lässt einen anderen Entstehungsweg erkennen. Hier sind vor N I sieben einzelne Texte auszumachen, deren Kerne erst in N I in einen viel längeren Text eingehen.253 Insbesondere an dieser Erzählung zeigen sich dann wesentliche darstellungstechnische und stilistische Veränderungen auf dem Weg von N I zu N II. Während die ersten Veröffentlichungen, also die eigenständig bleibenden Texte und die Vorstufen für die Erzählung „Niederungen“, noch einige sprachliche Unebenheiten aufweisen, sind sie in der N I-Fassung abgeschliffen. Umgangssprachliche Wörter und Wendungen werden ebenso wie einige ungelenke Formulierungen ersetzt, wobei nicht selten auch der Satzrhythmus gewinnt. Nicht ganz einwandfreie grammatische Konstruktionen, wie beispielsweise unklare Anschlüsse, werden berichtigt; die ThemaRhema-Beziehung wird vereindeutigt. Hin und wieder werden Präpositionen ausgetauscht, deren Verwendung vermutlich der Umgangssprache zu verdanken war. Selbstverständlich lassen sich all diese Änderungen auch schon als stilistische Verbesserungen auffassen, aber häufig handelt es sich entweder um tatsächliche Schnitzer oder um regionale bzw. colloquiale Besonderheiten der Sprachverwendung, die nicht der Erhöhung des ästhetischen Reizes dienen, sondern offensichtlich unterlaufen sind. Vermutlich sind die Texte gerade für die Tagespresse nicht einer gründlichen Begutachtung und Besprechung unterzogen, vielmehr als Dokument einer jeweils vorangegangenen Lesung veröffentlicht worden.254 Für die Wiederveröffentlichung in Buchform wurden diese kleinen Mängel behoben; man könnte sagen, dass hier letzte Reste der Umgangssprache, die geringe regionale Eigenheiten aufwies, aus den literarischen Texten herausgezogen werden, so dass ein klarer, geradliniger Erzählton zum Vorschein kommt, der an gesprochene Sprache allenfalls erinnert, sie jedoch höchstens im Zitat abbildet. Dieser erste Bearbeitungsschritt lässt vermuten, dass mit den ersten Publikationen zum Teil Texte ohne den letzten Schliff direkt aus der Werkstatt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und anschließend noch einmal verbessert wurden. Im zweiten Schritt, von Buch zu Buch, sind die Änderungen kaum noch grammatisch verbessernder Art. Sie betreffen in erster Linie den Stil und die Gesamterscheinung der jeweiligen Texte, denn es sind vor allem Kürzungen, die Müller noch einmal vornimmt. Einerseits wird solch ein Text durch die Streichung von Nebensätzen, von Attributen oder von ganzen, etwas barocken Passagen gestrafft. Solche Konzentrationsprozesse schlagen sich auch in den neu entstehenden Texten nieder, die sofort ohne diese „sprachlichen Wucherungen“255 auskommen. Andererseits schwinden ganze Textabschnitte mit unter253 „Irrlicht im Schnee“, „Im Dezember“, „Die Mäuse“, „Der schwarze Kutsche“ [!], „Heini“, „Grossmutters Schlaf“, „Die Frösche“. 254 So z.B. Irrlicht im Schnee (NBZ, 21.12.78), Im Dezember (NBZ, 31.12,78) nach der ersten Lesung am 14. oder 13.12.1978; Schwarzer Park (NBZ, 28.02.1980) nach einer Lesung am 21.02.1980 (vgl. NBZ, 23.02.80). 255 Auf Kürzungsbedarf wies schon gleich in der ersten Prosa-Lesung Müllers der Autor Franz Schleich hin, indem er die „sprachlichen Wucherungen“ kritisierte. Zugleich wurde ihr von Hans Kehrer „krasser Naturalismus“ vorgehalten. Vgl. NBZ, 16.12.1978. Noch zwei Jahre später findet
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schiedlichen Ergebnissen. Wohl gibt es Fälle, in denen ein Text schlicht verschlankt wird und so an Schärfe gewinnt. Hinzu kommen jedoch Kürzungen, die das gesamte Konzept verändern. Sind beispielsweise schon in der zweiten Stufe, in der einzelne Prosa-Stücke zu den „Niederungen“ (Nie I) zusammengefügt wurden, einige situative Einbettungen, gewissermaßen erzählerische Rahmen, verschwunden, so entfernt die Autorin für die dritte Stufe die märchenhaft-phantastische Ausleitung aus „Niederungen“ (Nie II). Der gesamte Text rückt dadurch in ein völlig anderes Licht – er wird realistischer, in seiner Gültigkeit weniger beschränkt. Auch hier zeigt sich, dass in den neu entstehenden Texten keinerlei Neigung mehr zum Ausbiegen ins Phantastische und somit relativierend Versöhnliche Platz findet. Im uneingeschränkten Geltenlassen des Gesagten beweist sich dann eine ausgeprägtere Rigorosität. Zwar macht die Autorin weiterhin Anleihen beim Märchen und bei der Phantastik, funktionalisiert sie aber anders, denn meist werden nur strukturelle Momente des Märchens in bestimmten Sprachformen aufgerufen256, und nicht eine Märchenhaftigkeit als solche behauptet oder ein bestimmter Text zitiert.257 Ausschlaggebend ist die Positionierung des narrativen „Augenzwinkerns“ als Rahmen oder Abschluss eines Textes – dazu zählt auch die Einkleidung als Traum oder als Wiedergabe eines Berichtes – , weil damit der gesamte Status des Gesagten festgelegt wird, während ein Aufrufen märchenhaft-phantastischer Elemente im Text selbst keine Zweifel am Ganzen sät. Kurz gesagt: Als Rahmen oder Ausleitung definiert das Märchenhafte die dargestellte Welt als Teil seiner man sich mit dem neuen Ton in der Literatur nicht ab: „Nikolaus Haupt forderte von den jungen Schreibenden mehr Optimismus [...]“. Vgl.: HM: Junge Autorin las Prosa. In: NBZ, 23.02.1980. 256 Die schlichte parataktische Erzählfolge erinnert zuweilen an die Form des Märchens, das als logische Verknüpfung meist ein einfaches „und dann“ bevorzugt. Schon die kompliziertere Konstruktion mit dem konsekutiven „so dass“ des Märchens nimmt Müller aber nicht auf. Hin und wieder benutzt sie das temporale „da“. Eine weitere sprachliche Analogie zum Märchen ist die wiederholende Bezeichnung von Personen mit formelhaften Ausdrücken, wie es im Märchen für den „schönen Jüngling“ oder die „böse Königin“ üblich ist. Oder auch die formelhafte Rede „so rot wie Blut, so weiß wie Schnee, so schwarz wie Ebenholz“. Ein strukturelles Moment ist die dreifache Handlungswiederholung, die zur Rhythmisierung der Narration mit dem Achtergewicht arbeitet. Insgesamt verweist so die leichte Formelhaftigkeit der Rede auf den Raum des Märchens, wie sie zugleich sprachversessene Autoren wie Bernhard ins Gedächtnis ruft. 257 Offene oder versteckte Hinweise auf konkrete Texte gibt es jedoch auch: „Meine Finger“ erinnert an „Das eigensinnige Kind“; „Im Dezember“ und die entsprechenden Passagen in „Niederungen“ zitieren „Schneewittchen“ sowie „Rotkäppchen“. Vgl. Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm. Vollständige Ausgabe auf der Grundlage der dritten Auflage. Hg. v. Heinz Rölleke. Darmstadt 1999. „Die große schwarze Achse“ beschreibt die Aufführung von „Genoveva“ durch eine Wandertruppe. Sill glaubt, das Märchen von Dornröschen in „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“ zu identifizieren. Vgl. Oliver Sill: Gehen. Herta Müller: „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“. (1986); „Dornröschen“ in der Fassung der Brüder Grimm. In: Oliver Sill: Der Kreis des Lesens. Eine Wanderung durch die europäische Moderne. Bielefeld 2001, S. 133–165. In der Erzählung „Damit du nie ins Herz der Welt gerissen wirst“ kommen H.C. Andersens „Des Kaisers neue Kleider“ zum Vorschein: „Der Herbst kommt wie des Königs nackte Kleider.“ In: BF, S.80f.
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selbst, wohingegen die Verwendung einiger Elemente im Verlaufe des Textes das Märchenhaft-Phantastische zu einer Facette dieser Welt unter anderen macht oder darin lediglich die subjektiv eingefärbte Wahrnehmung beispielsweise eines Kindes nachvollzieht. Ein ausführlicher kritischer Apparat, der die großen und kleinen Veränderungen an den Texten im Detail erfassen könnte, kann an dieser Stelle nicht vorgelegt werden. Er böte wohl einen genaueren Blick auf diese frühe Phase im Werk von Herta Müller und damit auf die Genese ihres Darstellungsstiles anhand der bekannteren und noch unbekannteren Texte aus der rumänischen Zeit. Für einen ersten Eindruck sollen jedoch einige konkrete Beispiele angeführt werden, die zunächst die Beseitigung kleiner sprachlicher Mängel dokumentieren. Es werden sprachliche Schwächen oder nur Auffälligkeiten getilgt, die zu sehr auf die gesprochene Sprache verweisen; manchmal jedoch bleiben solche Wörter auch stehen: – „Und mittags knatschen sie die Stärke aus den runden weißen Nudeln.“ (Irrlicht im Schnee/ Nie I, S. 19); „Und mittags kauen sie die Stärke aus den runden weißen Nudeln.“ (Nie II, S. 33) – „platschvolle[r] Nachttopf“ (Grossmutters Schlaf, S. 13 / Nie I, S. 65); „volle[r] Nachttopf“ (Nie II, S. 82) – „Am dritten Tag stieg sie zeitig aus dem Bett und ging mitten in ihren Haushalt hinein und klemperte sich mit den Töpfen in den späten Nachmittag [...]“ (Grossmutters Schlaf, S. 13); „Am vierten Tag stieg sie zeitig aus dem Bett und ging mitten in ihren Haushalt hinein und klapperte sich mit ihren Töpfen in den späten Nachmittag [...]“ (Nie I; S. 65/ Nie II, S. 83). Mit der Ersetzung von „vierter Tag“ statt „dritter Tag“ ist zugleich eine religiöse Lesart abgewendet. – „Neben den Wegen haben die Hunde [...] die starren Gestrüppreste nackt ausgezogen.“ (Irrlicht im Schnee); „Neben den Wegen haben die Hunde [...] die starren Gestrüppreste entkleidet.“ (Nie I, S. 20/ Nie II, S. 34)
Umgangssprachliche Wörter und Wendungen werden geändert ebenso wie einige ungelenke Formulierungen: – „Darübersteigen über Flaschen, die noch von gestern auf dem Teppich stehn.“ (Schwarzer Park); „Über Flaschen steigen, die noch von gestern auf dem Teppich stehn.“ (N I, S. 114/ NII, S. 140) – „Vater ist der einzige, der im Anzug und mit Krawatte in der Kantine sitzt. Doch Mutter tut es nicht anders.“ (Mutter, Vater und der Kleine); „Vater ist der einzige [...]. Doch Mutter wills nicht anders.“ (N I, S. 108); „[...] Doch Mutter will’s nicht anders.“ (N II, S. 135)
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Satzrhythmus und Stimmigkeit im Satz werden verbessert, z.T. durch den Gebrauch geeigneterer Pronomina und Veränderung der Satzstellung: – „Und die Mühseligkeit, die man hat mit diesem Leben.“ (Schwarzer Park); „Und die Mühe, die man hat mit diesem Leben.“ (N I, S. 114), vgl. auch Bsp. aus „Schwarzer Park“ mit „darübersteigen“. – „In ihren Bewegungen rollen sich die Stoffrollen der schwäbischen Kleider auf [...]“ (Der schwarze Kutsche[r], S. 7); „In ihren Bewegungen rollen sich die Stoffballen der schwäbischen Kleider auf [...].“ (Nie I, S. 45/ Nie II, S. 61) – „Die Kälte frißt mit ihrem Salz an den Häusergiebeln.“ (Irrlicht im Schnee); „Die Kälte frisst an den Häusergiebeln mit ihrem Salz.“ (Nie I, S. 18/ Nie II, S. 32) – „[...] gleichen den Schneemännern, die an den Strassenecken aus dem Nebel treten mit ihren dicken Bäuchen, mit denen man das Dorf umrennen könnte.“ (Irrlicht im Schnee); „[...] gleichen den Schneemännern, die mit ihren dicken Bäuchen, mit denen sie das Dorf umrennen könnten, an den Straßenecken aus dem Nebel treten.“ (Nie I, S. 18/ Nie II, S. 32) – „Und der Winter sitzt genausotief wie in der Landschaft in den Kleidern.“ (Irrlicht im Schnee); „Und der Winter sitzt genauso tief in den Kleidern wie in der Landschaft.“ (Nie I, S. 19; gestrichen in Nie II)
Nicht ganz einwandfreie grammatische Konstruktionen, wie beispielsweise unklare Anschlüsse, werden berichtigt oder die Thema-Rhema-Beziehung vereindeutigt: – „Der Kleine, der nur aus seiner eigenen Schale isst, die mit dem Donald drauf, und nur mit seinem eigenen Löffelchen [...].“ (Mutter, Vater und der Kleine); „Der Kleine, der nur aus seiner eigenen Schale isst, der mit dem Donald drauf, und nur mit seinem eigenen Löffelchen [...].“ (N I, S. 108; gestrichen in N II) – „Kürzlich kam ein Bekannter aus einem nahegelegenen Dorf. Er wollte dort seine Eltern besuchen.“ (Der deutsche Scheitel und der deutsche Schnurrbart, S. 5); „Kürzlich kam ein Bekannter aus einem nahegelegenen Dorf zurück. Er wollte dort seine Eltern besuchen.“ (N I, S. 86/ N II, S. 29)
Präpositionen werden ausgetauscht: – „Mutter war bei der Arbeit, Vater war bei der Arbeit, Großvater war bei der Arbeit.“ (Heini, S. 12); „Mutter war in der Arbeit, Vater war in der Arbeit, Großvater war in der Arbeit.“ (Nie I, S. 34/ Nie II, S. 49)
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– „gegen Frühjahr“ (Irrlicht im Schnee); „im Frühjahr“ (Nie I, S. 19/ Nie II, S. 32) – „Die Tropfen hängen eine Weile darunter [unter den Nasen] und glitzern, dann fallen sie in die Schürzen und vergehn.“ (Irrlicht im Schnee); „Die Tropfen hängen eine Weile an ihnen [den Nasen] und glitzern, dann fallen sie in die Schürzen und verschwinden.“ (Nie I, S. 19/ Nie II, S. 33) – „[...] und hinter ihnen steht ein Wagen aufgetürmt mit Heu.“ (Irrlicht im Schnee); „[...] und hinter ihnen steht ein Wagen, darauf aufgetürmt das Heu.“ (Nie I, S. 19/ Nie II, S. 34)
Tatsächliche sprachliche Schnitzer oder regionale bzw. colloquiale Besonderheiten der Sprachverwendung werden verbessert oder geglättet: – „Der Kleine weint und lässt sich im Gehen hängen und zu Boden fallen, und Mutter zerdrückt seine Finger in ihrer geschwitzten Hand, und Mutters Fingerspuren sind roter als der Sonnenbrand auf seinen Wangen abgemalt.“ (Mutter, Vater und der Kleine); „Der Kleine weint und lässt sich im Gehen hängen und zu Boden fallen, und Mutters Fingerspuren leuchten röter auf seinen Wangen als der Sonnenbrand.“ (N I, S. 109/ N II, S. 136) – „[…] und Vater ekelt vor ihrer speckigen Brieftasche […]“ (Mutter, Vater und der Kleine); „[...] und Vater ekelt es vor ihrer speckigen Brieftasche[...]“ (N I, S. 109/ N II, S. 136) – „Vater schwitzt und schnarcht, Vater liegt auf dem Bauch, Vater vergräbt sein Gesicht und befleckt mit Speichel das Kissen im Traum.“ (Mutter, Vater und der Kleine); „[...] Vater vergräbt sein Gesicht und befleckt im Traum das Kissen mit Speichel.“ (N I, S. 109/ N II, S. 136) – „Brüllende Kinder schaukeln die abgeschnittenen grinsenden Köpfe durch die Dunkelheit. Unbeteiligte gehetzte Kinder stieben weinend in die Häuser.“ (Irrlicht im Schnee), „Brüllende Kinder schaukeln die abgeschnittenen grinsenden Köpfe durch die Dunkelheit. Gehetzte Kinder stieben weinend in die Häuser.“ (Nie I, S. 20), „Die Kinder schaukeln die abgeschnittenen Köpfe durch die Dunkelheit. Sie laufen weinend in die Häuser.“ (Nie II, S. 34) – „Und je älter sie werden, je verzerrter werden die Geheimnisse in ihren Gesichtern.“ (Irrlicht im Schnee); „Und je älter sie werden, desto verzerrter stehen ihnen die Geheimnisse ins Gesicht geschrieben.“ (Nie I, S. 20, gestrichen in Nie II) – „die dürren Felder überall dieselben“ (Irrlicht im Schnee); „die dürren Felder überall die gleichen“ (Nie I, S. 20; gestrichen in Nie II) – „weiß nicht, wer der Arzt und wer das Fahrrad ist“ (Irrlicht im Schnee); „weiß nicht, welches der Arzt und welches das Fahrrad ist“ (Nie I, S. 20/ Nie II, S. 35)
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– „Handuhr“ („Arbeitstag“ in: NBZ, 16.10.1980); „Armbanduhr“ („Arbeitstag“ in N I, S. 125/ N II, S. 142)
Nicht geändert werden die bereits von Annemarie Schuller als umgangssprachlich hervorgehobenen verkürzten Verbformen: „ich hab, hätt, mach, seh, schau, steck“.258 Das gilt neben der ersten Person Singular ebenso für die dritte Person Plural und den Infinitiv: stehn, gehn, schaun u.a. Ihre Beibehaltung nähert das Geschriebene nur scheinbar der gesprochenen Sprache an; ganz wesentlich ist die Kürze dieser Formen für die Rhythmisierung des Textes259 und den Eindruck der sprachlichen Knappheit allgemein. Es folgen einige Beispiele für den zweiten Bearbeitungsschritt, der vor allem die Erzählung „Niederungen“ in den Fassungen Nie I und Nie II betrifft. An ihr wird die Spracharbeit Herta Müllers besonders sichtbar. In Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur erscheinen 1990 unter dem Titel „Zwischen den Häusern ist nichts“ sogenannte „Paralipomena aus ‚Niederungen‘“. Dabei handelt es sich um elf Passagen aus Nie I, die für Nie II gekürzt wurden. Sie sind allerdings nicht gut geeignet, den ursprünglichen Gesamteindruck von Nie I aufscheinen zu lassen, sondern unterscheiden sich in ihrem Charakter nicht von Nie II. Allein die beiden letzten Fragmente entstammen einer längeren Textpassage aus Nie I, die viel aussagekräftiger ist für die Veränderung des Textes von Nie I zu Nie II. Diese Abschlusspassage bleibt neben anderen beim Wechsel der Autorin in die binnendeutsche Literaturlandschaft zurück und wird dann nur in kleinsten Ausschnitten für die „Paralipomena“ nachgeholt.260 Genau wie für die anderen Änderungen in N I ist für die einzelnen Eingriffe in die Texte nicht ersichtlich, inwieweit sie auf die ureigene Initiative der Autorin oder auf Lektorenvorschläge zurückgehen. Wie bereits erwähnt, ist ebenso wenig die Frage der Zensur anhand der vorliegenden Textfassungen zu klären. Die Veröffentlichung der „Paralipomena“ deutet jedoch darauf hin, dass Müller die gestrichenen Passagen durchaus für publikationsfähig hielt und die Kürzungen womöglich auch auf einen Rat anderer erfolgten.261 Die wesentlichen Änderungen von N II im Vergleich zu N I sind jedoch 258 Annemarie Schuller: Ihre Mittel: arm und reich zugleich. In: Karpatenrundschau, Nr. 24, 14.06.1985, S. 4–5. 259 So wird die Verwendung beider Infinitiv-Formen in einem Text jeweils ganz vom Satzrhythmus bestimmt, z.B.: „Was ist das Gehn im Morgengraun. Das ist kein Park. [...] Das Gehen durch den Park im Morgengraun. Ist das ein Arbeiter. Ist das ein Park.“ Vgl. „Im Sommer wächst das Holz“. In: BF, S. 96–98, hier S. 96f. 260 Herta Müller: Zwischen den Häusern ist nichts. Paralipomena aus „Niederungen“. In: Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Hg. v. Wilhelm Solms, Marburg 1990, S. 67–76. 261 Solms führt die Kürzungen auf den Rat des bundesdeutschen Lektors zurück: „Die Passagen aus Herta Müllers Niederungen, die nicht der Schere eines rumänischen Zensors, sondern der ihres Westberliner Lektors zum Opfer gefallen sind, sind in ihrer poetischen Intensität kaum zu ertragen. Die ‚eingefrorenen Bilder‘ aus dem Banater Dorf: die Bilder von den Schneemännern mit den ‚Augen voller Gewalt‘, von den vor Gelbsucht fiebernden Pappeln und von den alten, allein-
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Ausweis einer künstlerischen Entwicklung, die sich in den parallel und später entstehenden Texten ebenfalls niederschlägt. Hier findet Herta Müller ganz zu ihrer Sprache. Ihr Stil ist ungefähr ab N II durchgehend so ausgebildet, wie er die folgenden Texte – Romane, Essays, Poetologisches – bestimmt. Erst mit den Postkarten-Büchern tritt ein ganz neuer Aspekt zu den Ausdrucksmitteln Müllers hinzu. Die Erzählung „Niederungen“, die wohl für die erste Rezeption in der Bundesrepublik die wichtigste Rolle innerhalb von N II spielte, wurde von allen wiederveröffentlichten Texten von Müller am stärksten bearbeitet. Nachdem schon die sieben kurzen Prosastücke als Kristallisationskerne für Nie I gedient hatten, wurde dieser bis dahin längste Text Müllers vor allem gekürzt. Von den 74 Druckseiten sind ca. 17 Seiten gestrichen worden, also etwa 23% des Textes. Der verbleibende Text blieb weitgehend unberührt, er hat keine grundsätzliche Umgestaltung erfahren. Kleinere stilistische Korrekturen262 dienen einerseits zur Vereinfachung, Verschlankung und andererseits zur Anpassung an den schlichten Gesamtduktus des Textes. Einige der oben angeführten Beispiele zeigen dies bereits. Weitere Belege wären: „[...] und sie [die Ameisen] machten nicht den geringsten Lärm bei ihrer Arbeit“ (Nie I, S. 32)
„[...] und sie machten keinen Lärm bei ihrer Arbeit.“ (Nie II, S. 46)
„[...] und es wurde mir bewußt, daß ich nicht allein in diesem Zimmer lag“ (Nie I, S. 33)
„[...] und ich wußte, daß ich nicht allein in diesem Zimmer lag“ (Nie II, S. 48)
gelassenen Frauen – ‚die leeren knochigen Kopftücher ohne Gesichter‘ – bleiben im Gedächtnis haften.“ Wilhelm Solms: Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. In: Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Hg. v. Wilhelm Solms, S. 11–24, hier S. 19. Aber als Paralipomena sind auch nur einige der aus Nie I gestrichenen Passagen publiziert, nicht alle fehlenden Abschnitte wurden präsentiert. Mögliche rumänische Zensurkriterien sind nachträglich kaum zu vermuten, zum Beispiel: „In meinem ersten Buch über eine Kindheit im banatschwäbischen Dorf zensierte der rumänische Verlag neben all dem anderen sogar das Wort Koffer. Es war zum Reizwort geworden, weil die Auswanderung der deutschen Minderheit tabuisiert werden sollte.“ Herta Müller: Heimat ist das was gesprochen wird. Rede an die Abiturienten des Jahrgangs 2001. Blieskastel 2001, S. 27. Aus einem anderen Interview: „Es wird zensuriert in den Verlagen, es werden alle politischen Angriffsflächen herausgestrichen aus den Büchern. Und nicht nur die, sondern auch, was an Obszönität grenzt – was man hier in Rumänien darunter versteht –, was an Erotik grenzt. Reizwörter sowieso.“ Matthias Müller-Wieferig: Wir wollen dieses Land aus politischen Gründen verlassen. Gespräch mit der rumäniendeutschen Schriftstellerin Herta Müller in Temeswar. In: Kulturpolitische Korrespondenz. Berichte, Meinungen, Dokumente. 30.12.1986, S. 21–23. 262 Einfache Korrekturen z.B.: „mit verwirrten Bewegungen“ (Nie I, S. 37) – „mit verwirrten Blicken“ (Nie II, S. 51); „Pölster“ (Nie I, S. 39) – „Polster“ (Nie II, S. 53); „[Hühner] plumpsen pelzig zu Boden“ (Nie I, S. 46) – „fallen pelzig zu Boden“ (Nie II, S. 63); „Ihr glasiges Geschau bleibt starr auf die melkenden Finger gerichtet.“ (Nie I, S. 56) – „Ihr Blick bleibt starr auf die melkenden Finger gerichtet.“ (Nie II, S. 71).
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„ich hatte alle Kraft eingebüßt“ (Nie I, S. 33)
„ich hatte keine Kraft“ (Nie II, S. 48)
„[...] und daß diese Frauen nie absteigen würden in unserem Bahnhof, der so klein war, weil er nun einmal so klein war. Sie waren einfach zu schön, um in diesem Bahnhof auszusteigen.“ (Nie I, S. 61)
„[...] und daß diese Frauen nie absteigen würden in unserem Bahnhof, der zu klein für sie war. Sie waren zu schön, um in diesem Bahnhof auszusteigen.“ (Nie II, S. 77)
„[...] in mir kam das Gefühl auf, daß [...] ich sterben werde.“ (Nie I, S. 61)
„[...] ich hatte das Gefühl, daß [...] ich sterben werde.“ (Nie II, S. 77)
„Ich wollte mich bemühen, auf den Rücken zu fallen, um mir nicht das Gesicht zu zerkratzen.“ (Nie I, S. 61)
„Ich wollte auf den Rücken fallen, um mir nicht das Gesicht zu zerkratzen.“ (Nie II, S. 77f.)
„Doch der Tod fand sich noch immer nicht ein.“ (Nie I, S. 61)
„Doch der Tod kam noch immer nicht.“ (Nie II, S. 78)
Wie bei den vorangegangenen Beispielen dient auch die Ersetzung von Fremdwörtern nicht allein der Vereinheitlichung des Duktus, sondern vor allem der plausibleren Gestaltung der Ausdrucksweise des erlebenden Ich, das ja als Kind eingeführt wird: „[Großvater] gestikulierte“ (Nie I, S. 28) – „bewegte die Arme“ (Nie II, S. 42); „Invasion“ (Nie I, S. 46) – „Belagerung“ (Nie II, S. 62); „Brillenetuis“ (Nie I, S. 57) – „Brillenschachteln“ (Nie II, S. 73). In diesem Zusammenhang steht wohl ebenfalls die Entfernung eines programmatischen intertextuellen Verweises, wobei dessen herausragende Position als zweiter Satz den gesamten Charakter des Textes in einer Weise festgelegt hatte, die den in Nie II herausgearbeiteten Intentionen zuwiderläuft: „Die Malvenblüten bei Aragon, die malvenfarbenen Augen, Blanche oder das Vergessen.“ (Nie I, S. 5). Abgesehen davon, dass die Evokation der Malvenblüten nur vermittelt über die im Text genannten Akazienblüten motiviert wird, steckt in dem Verweis auf Aragon ein ganzer literarästhetischer Zusammenhang von Surrealismus und, über den Buchtitel „Blanche oder das Vergessen“263, von der Erinnerungsfunktion der Literatur. Diese komplexe Einlagerung, die den folgenden Text in einen weiten literaturgeschichtlichen und -theoretischen Raum hineinstellt, zieht gewissermaßen den Vorhang weg vor der Apparatur des Schreibens, das auf die Illusion eines zwischen Erleben und Erinnern changierenden Bewusstseins zielt. Nicht nur, dass benannt wird, wie möglicherweise bestimmte Bildfindungs- und Verkettungsverfahren von Vorbildtexten inspiriert sind, nämlich durch die stets überraschende Verknüpfung von Bildbereichen und das assoziative Anlagern von Erinnerungsfragmenten im Surrealismus, vielmehr entpuppt sich schon 263 Louis Aragon: Blanche oder Das Vergessen. Roman. Berlin 1972.
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vor Beginn des eigentlichen Erzählens dessen ganz und gar artifizieller Status auf dem Hintergrund literarischer Tradition. Selbst wenn dieser Verweis auf einen Roman von Aragon als Teil der Fiktion aufgefasst wird, das heißt als Induktionsfunke für eine längere Erinnerung, wäre die Illusion eines erlebenden kindlichen Ich erheblich gestört, weil das Gedächtnis eines deutlich älteren, mit solcher Leseerfahrung ausgestatteten Ich ja durch das Gedächtnis der Literatur hindurch funktionieren würde. In der Überarbeitung für die Fassung von Nie II wurde jedoch die Position des erlebenden und nicht des erzählenden Ich gestärkt, wie auch anhand der noch folgenden Beispiele sichtbar wird. Dabei wird der Erzählton, wie an den Kürzungsbeispielen schon gezeigt, in der Tendenz sachlicher und weniger pathetisch. Hier wäre als rein äußerliche Form der Verzicht darauf zu nennen, einige Sätze in Majuskeln zu setzen, um ihre Lautstärke, Nachdrücklichkeit oder emotionale Intensität hervorzuheben; zum Teil wurden solche Sätze ganz gestrichen.264 Explizite Wertungen oder gar resümierende Passagen werden wesentlich sparsamer eingesetzt: „Blutflecken auf dem Schnee, das grausame Märchen vom Schneewittchen: Es hatte Haut so weiß wie Schnee und Wangen so rot wie Blut.“ (Nie I, S. 18)
„Blutflecken auf dem Schnee. Schneewittchen hatte Haut so weiß wie Schnee und Wangen so rot wie Blut.“ (Nie II, S. 32)
„Die Männer lachen schallend und nervös und greifen sich mit dicken Mantelärmeln ins Gesicht.“ (Nie I, S. 20)
„Die Männer greifen sich mit dicken Mantelärmeln ins Gesicht.“ (Nie II, S. 34)
„Ich darf auch heute nicht dabeisein, wenn die Kuh wirft. [...] Und die Eltern glauben wieder, mich geschont zu haben. Das Leben blutet an manchen Stellen, bei manchen Gelegenheiten, und die soll ich nicht sehen. Man will mich wieder verschonen, und ich bin deshalb voller Wunden.“ (Nie I, S. 28)
„Ich darf auch heute nicht dabeisein, wenn die Kuh kalbt.“ (Nie II, S. 42)
264 Gestrichen wurden u.a.: „GROSSMUTTER, ICH HASSE DICH.“ (Nie I, S. 22); „MUTTER, GIB DOCH ZU, DASS DU EINSAM BIST.“ (Nie I, S. 23); „DER FRIEDHOF VERBRANNTE, UND DAS EWIGE LICHT LEUCHTETE IHM. DAS DORF MÖGE RUHEN IN FRIEDEN.“ (Nie I, S. 24); „RETTET DAS DORF, IHR SCHWARZEN MÄNNER DER GEFAHR.“ (Nie I, S. 25). Nicht in Majuskeln erscheinen dann in Nie II u.a.: „DER SOMMER IST HOCH OBEN.“ (Nie I, S. 22/ Nie II, S. 37); „SCHÖNER SONNTAG, BESTEN APPETIT.“ (Nie I, S. 22/ Nie II, S. 37); „GROSSMUTTER, DU HAST SO HARTE HÄNDE.“ (Nie I, S. 23/ Nie II, S. 38); „FROHE WEIHNACHTEN.“ (Nie I, S. 26/ Nie II, S. 41).
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„Und täglich sagte sie [Mutter] mehrmals mit vorgetäuschtem Unwillen, daß sie keine Zeit habe, daß sie mit der vielen Arbeit nie fertig werde.“ (Nie I, S. 52)
„Und täglich sagte sie [Mutter] mehrmals, daß sie keine Zeit habe, daß sie mit der vielen Arbeit nie fertig werde.“ (Nie II, S. 69)
„Die Dorfleute lobten sie aber nicht für ihren Fleiß, wie es sich Mutter erhoffte. Ihr Schaffen war für alle selbstverständlich.“ (Nie I, S. 52)
„Die Dorfleute lobten sie aber nicht für ihren Fleiß.“ (Nie II, S. 69)
„Der Sand wird wieder getrocknet sein und zusammengerieselt. Und Mutter wird auch dann nicht zugeben, daß sie vergebens geschuftet hat.“ (Nie I, S. 53)
„Der Sand wird wieder getrocknet sein und zusammenrieseln.“ (Nie II, S. 69)
„Vater ist ein todtrauriges Tier.“ (Nie I, S. 67)
gestrichen in Nie II, S. 85
„Vaters Singen und Mutters Reden mischen sich zu Schweiß in meinem Gesicht. Und beide sagen das Wort allein, wenn sie einsam sagen wollen. Beide und alle im Dorf kennen das Wort einsam nicht, wissen nicht, wer sie sind.“ (Nie I, S. 68)
gestrichen in Nie II, S. 86
In diesen wenigen und kurzen Beispielen zeigt sich neben der größeren Zurückhaltung bei Wertungen und der emotionalen Färbung ein zweiter Effekt der Überarbeitung. Nicht allein die resümierende Instanz, die oftmals eher dem erzählenden Ich zugeordnet werden kann, tritt weiter zurück, sondern auch der Einblick bzw. die Einsicht, die das erlebende Ich ins Innere der anderen Figuren oder in kollektive Haltungen im Dorf hat.265 Weiterhin trägt zu diesem Konzentrationsprozess die Entfernung einiger situativer Einbettungen bei, wie sie noch von Vorstufen in den selbstständigen Erzähltexten vor Nie I herrühren. Wenn beispielsweise auf die in „Der schwarze Kutsche“ [!] angelegte 265 Ein aufschlussreiches Beispiel für das Entfernen expliziter Wertungen im Text zeigt sich beim Vergleich von „Meine Finger“ in den Fassungen aus DT (1984) und BF (1987). Ersatzlos gestrichen wurde für die Veröffentlichung in der Bundesrepublik folgende Passage: „Meine Finger sind gegen das Hand in Hand und gegen das Schulter an Schulter./ Meine Zeigefinger sind gegen Losungen. Meine Mittelfinger sind gegen die Gewalt. Meine kleinen Finger sind gegen hohle Reden.“ (DT, S. 68) Hier zeigt sich auch, wie die zitathafte Aufnahme von kritisierten Versatzstücken der öffentlichen Sprache den kritischen Text selbst in Mitleidenschaft ziehen kann, so dass Losungshaftigkeit ihn selbst infiziert.
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Rahmung266 verzichtet wird, mittels derer drei alte Männer einen Selbstmord im Dorf kommentieren, dann fällt sowohl eine Beurteilung dieses Ereignisses weg („Der ist nicht mehr wert, der das tut [...]“ Nie I, S.43), als auch eine Textinstanz. In der Konsequenz wird eine weitere, dazu sekundäre Wertung ausgeschlossen, indem nämlich die Darstellung dieser drei Männer durch das Ich unterbleibt. Zwei kurze Abschnitte zur Illustration: „Und einer der drei redet sehr viel, und beim Sprechen schlüpft ihm ein Hühnerflügel aus der Mundhöhle oder seine sehr dicke grießige Zunge. Er leckt sich mit dieser Zunge die Lippen ab und gleicht den satten halbblinden Hunden, die mit kurzen krummen Beinen im Gras des Dorfes hin und her gehen.“ (Nie I, S. 43) „Er schlägt seine dicken Knöchel an das dünne Bein der Bank und läßt die Knie in der Luft baumeln. Und wenn die Bank wackelt, gluckst zwischen seinem Nabel und seinem Geschlechtsteil die Sonntagssuppe. Und es tropft ihm Speichel aufs Hemd, der in einem Quadrat des Musters ein glasiges Bläschen bildet, das gleich zerplatzt. Es bleibt ein nasser Fleck zurück. In der Mittagssonne glänzen drei Glatzen wie Pfannkuchenbleche, und alle Sonntagsfliegen surren mit ihren schillernden Bäuchen irr und eindringlich über die salzigen Schweißtropfen, als wollten sie ihre Eier in diesen Köpfen ablegen. [...] Dann kommt ein bißchen Wind auf, und der Qualm wird fadenscheinig und verzweifelt und reißt sich los aus ihren nassen kleinen Kriechtieraugen, und reitet auf ihren sonnenwarmen Rücken wie auf vollen Säcken in den Nachmittag.“ (Nie I, S. 44)
Insbesondere durch die Assoziation der drei Männer mit der unansehnlichen Tierwelt und durch die Ausstellung ihrer abstoßenden Leiblichkeit wird in dieser Passage solch eine starke, ins Groteske reichende Überzeichnung hergestellt, wie sie in der Fassung von Nie II an keiner Stelle zu finden ist. Es werden also einerseits dem Ich – an dieser Stelle ein beinahe auktoriales Erzähler-Ich – die extremeren Verallgemeinerungs- und Wertungsformen entzogen und andererseits eine Entmischung der Perspektiven forciert, weil ja der Kommentar der drei alten Männer zum Geschehen nicht mehr stattfindet. Andere in Nie II erhaltene, wörtliche Berichte oder Urteile sind dort jeweils Teil der Figuren, die im näheren Bezug zum Ich stehen. Die drei Männer repräsentieren jedoch nur eine kollektive und durch die Weise der Abbildung ausreichend charakterisierte Haltung, die bereits vom Pfarrer in seiner Trauerrede geäußert wird. So wie an dem Beispiel der aus Nie II gekürzten alten Männer eine Verringerung der unterschiedlichen Wertungsperspektiven deutlich wird, so lässt sich anhand weiterer Streichungen nachvollziehen, dass sogar innerhalb des Ich auf eine Vereinheitlichung der Perspektive gezielt wird. Stellt sich in Nie II das erzählende Ich im Wesentlichen auch als das erlebende Ich dar, dessen zeitlicher und räumlicher Abstand zum Erzählten nur einmal 266 In Nie I handelt es sich durch eine Textumstellung um eine Überleitung zur Schilderung der Trauerrituale. Die gestrichene Passage umfasst S. 43 und 44.
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kurz im Verlauf des Textes und dann erst gegen Ende wieder aufscheint267, wechselt diese Distanz in Nie I häufiger und wird dabei deutlicher ausgewiesen.268 Auffälligste äußerliche Form für diese Sprünge ist die wiederholte Ankunft des Ich mit dem Zug im Dorf, das offenbar als biographische Station schon hinter ihm liegt. Gegen die Einordnung des gesamten Textes in eine Zeit nach dem Dorf spricht neben der Selbstverständlichkeit, mit der das Ich Teil des Dorfes ist, eine Stelle, an der vom Kindergarten die Rede ist.269 In der letzten Fassung Nie II springt das Ich zwar zwischen Präsens und Präteritum, jedoch kaum aus dem Erlebenshorizont des Kindes im Dorf heraus. Der Tempuswechsel zeigt nicht vorrangig die biographische Nähe oder Ferne des erzählenden Ich an, vor allem erzeugt er unterschiedliche Ausprägungen von Gegenwärtigkeit des Dargestellten, das vom Ich mit gleicher Intensität erlebt wird. Insgesamt erreicht Herta Müller mit ihren Änderungen auf dem Weg von den Vorstufen über die erste bis zur zweiten Fassung von „Niederungen“ also ein viel strafferes Erscheinungsbild dieser Erzählung. Dazu tragen sowohl das Kürzen ganzer Passagen als auch einzelne Eingriffe zur Vereinfachung und Verschlankung des Stils bei, wie zum Beispiel auch der Verzicht auf eine solche Formulierung, die leicht als ornamentale Sprachspielerei das Gesagte verdrängen könnte: „Es ist nicht die Angst selber, es ist die Angst vor der Angst, die Angst vor dem Vergessen der Angst, die Angst vor der Angst der Angst.“ 270 Wichtiger noch als die rein stilistischen Verknappungen sind die Konzentration und die Fokussierung auf die eine Textinstanz des Ich, wobei dessen doppelte Natur als erlebendes und erzählendes Ich nicht aufgelöst wird, sondern sich stärker in die Richtung des Erlebens neigt. Diese Ambivalenz steckt bereits im Zeitregime, das in Präsens und Präteritum sowie in „als“ (Ereignis) und „wenn“ (Iteration) operiert. Am strategisch entscheidenden Textende verlässt das Ich ganz die Zeitebene des anfangs Erzählten und lässt die Haltung eines gereiften, nicht mehr im Dorf beheimateten Ich erkennen. Im Wesentlichen aber wird die Perspektivierung, d.h. der Überblick des Ich, dessen Fähigkeit zur Wahrnehmung und Wertung stärker auf das erlebende Ich im Dorf abgestellt. Zugleich reduziert Herta Müller solche Wertungsmomente zugunsten einer vorrangig wahrnehmenden, intensiv erlebenden und sich dem Erlebten ausliefernden Haltung des Ich. Der intuitionistische Darstellungsstil aus Nie I, der zwar auch einen individuellen Erlebnishorizont zeichnet, jedoch nicht allein aufgrund der Verschmelzung von zuvor eigenständigen Texten eine gewisse Uneinheitlichkeit in Perspektivierung und Zeitregime hinnimmt, wird in Nie II deutlicher und zielgerichteter eingesetzt, um die Fiktion eines überwiegend kindlichen Bewusstseins zu plausibilisieren, in dem sich das dargestellte 267 „Später, als ich in die Stadt kam, sah ich das Sterben auf der Straße, ehe es noch fertig war.“ (Nie I, S. 27/ Nie II, S. 91ff.). 268 Das Zeitregime in Nie II ist auch nicht starr, sondern springt erinnerungshaft zwischen „als“ und „wenn“, also der Darstellung von einzelnen Ereignissen und Zuständen, Gewohnheiten und Üblichkeiten. Dabei ist eine Chronologie nicht festzulegen. 269 Nie I, S. 29f. 270 Nie I, S. 72.
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Dorf bricht.271 Dies ist die grundlegende ästhetische Idee des Textes, die durch die Überarbeitungen der beiden vorgängigen Stufen präziser herausgearbeitet wird. Die tiefgreifendste Veränderung erfährt der gesamte Charakter des Textes mit der Streichung des 22. und letzten Textabschnittes von vier Seiten. 272 Während im Textabschluss von Nie II eine intime familiäre Situation die Einordnung des alltäglichen Dorfgeschehens in einen historischen Zusammenhang, der wiederum die persönlichen Schicksale betrifft, leistet273, bietet Nie I noch nach dieser Szene eine überblickshafte Darstellung des aussterbenden Dorfes an, wobei das Dorf prototypisch für eine soziale Entwicklung steht. Schließlich biegt der Text aus dieser distanzierten Betrachtung in eine phantastisch anmutende Schlussszene ein, die das Verschwinden des Dorfes an der Durchfahrt eines Überlandbusses auch als Textbewegung demonstriert. Aus diesem Schlussabschnitt soll hier ausführlicher zitiert werden, da dessen Charakter und die Tatsache seiner Streichung genaueren Aufschluss gibt über die Schreibweise, die Herta Müller nach Erprobung nicht weiter verfolgt. Obwohl diese Passage durchaus den typischen Stil der Autorin aufweist, mit Wiederholungen, rhythmisierter Sprache und eindringlicher Bildlichkeit, gibt es doch einen grundlegenden Unterschied, der sie nicht nur vom Rest des Textes, sondern auch vom nachfolgenden Schreiben Müllers unterscheidet: Das ist ein wissender, resümierender und unpersönlicher Erzählstandpunkt, dessen Möglichkeit zur Verallgemeinerung bereits mit der Verwendung des Pronomens „man“ angezeigt ist. „Die Ebene ist so flach, daß man den Eindruck hat, sie liegt unter sich selbst. Es scheint so, als wären zuerst die Wege dagewesen und erst viel später diese Ortschaften. Man fährt immer nur an ihnen vorbei, auch wenn man mittendurch fährt, fährt man an ihnen vorbei, aus welcher Richtung man auch kommen mag. Man fährt mit den Zügen durch die Bahnhofsschilder. Die Züge haben auf der Fahrt von der Stadt zum Dorf immer mehr Holz und immer weniger Fenster an sich, und immer engere Schienen unter sich. Die Überlandbusse fahren mitten durchs Dorf. Es ist den ganzen Tag Mittag und nie ein Mensch im Dorf zu sehen. Die Busse treiben den Staub auf die Giebel der Häuser. Am Geflügel, das im Schatten der Bäume sitzt, an den kleinen wackligen Hunden, an den großen fetten Katzen, die durch die Zaunlücken spähen, erkennt man jedoch, daß das Dorf bewohnt ist.
271 Die Streichung des Aragon-Verweises bedingt auch den Einzug der Distanz und ein direktes Hineinstellen in den Erlebnishorizont des Kindes, an den kein Herantasten als Erinnerungsvorgang mehr erfolgt. Durch die Ersetzung von Regionalismen oder Umgangssprachlichem wird die Kennzeichnung und Fremdheit des Vokabulars aufgehoben. All das zielt ebenso auf Unmittelbarkeit und die Illusionierung im Hinblick auf das direkte Erleben. 272 Nie I. In: N I: S. 75–78. 273 Nie II. In: N II, S. 91–94; in dieser Fassung bildet der 19. Abschnitt über das persönliche Schicksal der Mutter im Krieg und das kollektive Schicksal der rumäniendeutschen Einwanderer den Textabschluss.
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Doch sieht alles so selbständig aus, als könnte es auch ohne Leute zurechtkommen, als würden Leute nur stören, wenn sie anwesend sind. Heiße nackte Sonne brennt in den leeren Straßen. Das Gemüse ist welk, als wäre keine Erde darunter. Man fragt sich, ob das Gemüse oder das eingezäunte Gelände Garten heißt.“ (Nie I, S. 75f.) „In den Häusern mit alten Zäunen aus halben mürben Brettern wohnen alte alleinstehende Frauen, deren Kinder in die Stadt gezogen sind und zu Weihnachten und Ostern mit dem Auto kommen und sich beklagen über die schlechten holprigen Wege, die sich die Taschen vollpacken mit Obst und Gemüse und gleich wieder zurückfahren in den Wohnblock. Die alten Frauen werden immer schmächtiger und dünner, und während man sie ansieht, verdunsten sie ununterbrochen. Mit ihren durchsichtigen Knochen und blassen Gesichtern sehen sie wie kleine verstörte Mädchen aus. Ihre Höfe liegen unter Gras, in dem rauher Samen knistert. Die Stauden sind auch mitten im Sommer dürr und hart. Der Wind bläst das ganze Jahr eindringlich durch die kleinen verwachsenen Höfe. [...] In diesen Häusern sind die Türen immer verschlossen und die Betten immer offen und sumpfig und siechend und seicht. Die schmutzige Unterwäsche liegt überall auf den Stühlen herum, es gibt nichts mehr zu verstecken, es kommt ja niemand in diese Häuser. Nur manchmal kommt der Arzt. Abends versinken diese Zimmer mit ihren siechenden Betten, und die Frauen fürchten den Schlaf und fürchten die Gespenster, die nachts durch die Häuser und Gärten streunen. Das Dorf ist überall am Ende. Sein wirkliches Ende ist der Friedhof. Der Friedhof geht in Sumpf über und gehört nicht mehr zum Dorf. Man hat die Sonne mitten über dem Kopf, man hat sie im Haar hängen und kommt nicht vorwärts im Gehen. Man hat keinen einzigen Gedanken im Kopf, nur Hitze und den Druck im Hinterkopf. Und wenn man dann endlich am anderen Ende des Dorfes ist, das kein wirkliches Ende ist, aber das dennoch ein Ende ist, hat man noch immer die Sonne mitten über dem Kopf. So groß ist die Sonne in diesem Dorf, wenn sie den Leuten im Haar hängt.“ (Nie I, S. 76f.) „Man sieht überhaupt kein Dorf in diesem Dorf, nur Häuser, eines neben dem andern und sehr weit voneinander entfernt. Zwischen den Häusern ist nichts. Der dunkle Überlandbus, dessen Fenster voller Gesichter hängen, fährt über das Dorf hinweg. Das Ortsschild bei der Einfahrt ins Dorf ist umgefallen und liegt in den hohen Wegwarten. Der Bus hält blauen Wegwarten zuliebe nicht an. Er fährt in seinem aufgewirbelten Staub. Im Bus sagt einer auf dem ersten Sitz, der durchs Fenster schaut: Hier wäre fast ein Dorf. Wo kein Ortsschild ist, ist auch kein Dorf, sagt der Schofför, und wo kein Dorf ist, hält auch kein Bus. Aber dort stehen doch Leute und warten auf den Bus, sagt einer auf dem zweiten Sitz. Hier ist kein Dorf, und wo kein Dorf ist, weiß ich nicht, worauf die Leute warten, sagt der Schofför.
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Aber hier ist doch eine Kirche, sagt einer auf dem dritten Sitz. Die Kirche steht zwischen den Dörfern, sagt der Schofför. [...] Aber da steht doch ein Kreuz in der Dorfmitte, sagt einer auf dem zehnten Sitz. Auf allen Wegen kommen Leute um, sagt der Schofför, es gibt eine Sorte, die bringt sich selber um. Da sind doch Brunnen auf der Straße, sagt einer auf dem elften Sitz. Auf den Feldern brauchen die Leute Wasser, sagt der Schofför, in den Dörfern trinken sie Schnaps und Wein. Alle Leute knöpfen sich die Hemden auf. Es ist sehr heiß im Bus. Es ist sehr viel Staub im Bus. Der Bus selber wirbelt den Staub auf. Die Wegwarten werden immer höher und blauer. Der Schofför lenkt mit der rechten Hand den Bus und sucht mit der linken Hand seine Brille. Der Bus fährt ins Tal. Als er auf den Berg fahren will, gerät er in ein zweites Tal. Der Bus rollt in einen Schlehenstrauch und verschwindet in einer dunkelblauen Schlehe. Ich habe eine Schlehe gepflückt. Ich beiße sie auf. Sie ist sehr sauer und bitter. Es steckt eine große Schlange drin. Entweder ist sie eine Brillenschlange, oder sie trägt die Brille des Schofförs.“ (Nie I, S. 77f.)
In diesem ganzen letzten Abschnitt scheint das Ich, das den Text zuvor aus seinem Horizont heraus bestimmte, abwesend zu sein, bis es hier am Ende unvermittelt wieder zu Wort kommt. Aber sowohl die Passagen über das vergehende Dorf und die einsamen alten Frauen als auch die Fahrt des Busses durchs Dorf stehen in Kontrast zueinander und zu den 21 vorangegangenen Abschnitten. In der motivischen Klammer vom Überlandbus, der „mitten durchs Dorf fährt“, findet sich einerseits eine Darstellung von geradezu soziologischer Prägnanz: Wie entwickelt sich das Dorf weiter, nachdem die jüngeren Generationen fortgezogen sind. Dabei rechnet sich die Erzählinstanz – das übergeordnete, auktorial unpersönlich wirkende Ich – nicht zum Dorf, aber auch nicht zu den Weggezogenen. Es beobachtet genau die Details des Verfalls an den zurückgebliebenen Müttern und an den unbewirtschafteten Höfen. Diese sehr realistische Schilderung, die noch einige „als würde“, vergleichende Konjunktive, für ihre Bilder aufwendet274, geht über in die unvermittelte Abbildung der elementaren Zusammenhanglosigkeit, die das Dorf, das „überall am Ende“ ist, auszeichnet: „In den Spalten der Zäune teilt sich die Sonne in Strahlen und ändert ihre Farbe. In jedem Strahl bewegt sich eine Fliege. [...] Aber auch die Fliegen sind in diesem Dorf einsam. Das sind auch die 274 „Auf den Wäscheleinen hängen fadenscheinige Wäschestücke, die sich bauschen, als hingen auch die kleinen verstörten Frauen darin, mitsamt ihrem schütteren, zerblasenen Haar. Es setzen sich Schwalben mitten hinein in die Schnüre und singen, als würde etwas zerreißen in ihrem Hals, als würde der Schnabel ihnen zerspringen zwischen den Augen.“ Nie I. In: N I, S. 76 (Hervorhebungen d. A.).
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Blumen, selbst wenn sie auf ihren Stengeln, durch ihre Blütenstände so tun, als ob sie zusammengehörten. Sie hängen jedoch allesamt in der Luft. Man sieht keinen Rasen in diesem Dorf. Nur einzelne Grasbüschel, eins auf dem anderen. Das Gras erträgt keine Bindung, jeder Halm weiß nur von sich selbst, was er weiß und was er nicht weiß. Man sieht überhaupt kein Dorf in diesem Dorf, nur Häuser, eines neben dem andern und sehr weit voneinander entfernt. Zwischen den Häusern ist nichts.“ (Nie I, S. 77)
So wie das soziale Gefüge des Dorfes zerbricht, so scheint auch seine materielle Daseinsform völlig dissoziiert zu sein, wenn die Sonne sich in Strahlen teilt, selbst Fliegen und Blumen einsam sind und nur noch eine Bindung vortäuschen, wozu das Gras schon nicht mehr in der Lage ist. Das Dorf verschwindet in der bedeutungslos gewordenen Ansammlung seiner Bestandteile. Sie ergeben ohne einen inneren Zusammenhang kein „Dorf“ mehr. Noch einmal wird diese Zustandsbeschreibung wiederholt, aus einer anderen Perspektive und mit einem gänzlich anderen Verfahren. War die erste Beschreibung bis in die Schlafzimmer der alten Frauen und bis in die dissoziierte Struktur des Rasens vorgedrungen, stellt sich das Bild desselben Dorfes, das schon kein Dorf mehr ist, bei der Durchfahrt den Insassen des Busses anders dar. In der Wechselrede zwischen „Schofför“ und Fahrgästen wird das Dorf auf eine widersprüchliche Weise beschworen: Während die Fahrgäste ihren Augen trauen wollen und die Existenz des Dorfes anhand des Erblickten zu beweisen versuchen, findet der „Schofför“ stets spitzfindige Antworten, die seinem Unglauben entspringen. Ausgerechnet der Fahrer scheint nicht nur vom aufgewirbelten Staub in seiner Wahrnehmung irritiert, sondern darüber hinaus auch noch schwachsichtig zu sein. Weil er seine Brille sucht, „gerät [der Bus] in ein zweites Tal“. Das passierte Dorf ist ausschließlich in den Äußerungen der Fahrgäste zu greifen, es selbst wird gar nicht mehr sichtbar. So verschwindet es hier ein drittes Mal. Zuerst wurde der Untergang des Dorfes als sozialer Prozess abgebildet, dann in dessen elementarer Dissoziiertheit als ontologischem Status und nun zuletzt im literarischen Verfahren selber. Allein der hartnäckige Zweifel des Busfahrers entlockt den Fahrgästen ihre Beteuerungen, das Dorf doch zu sehen. Der Busfahrer dagegen sieht nichts. Er kann nichts sehen, denn der für ihn entscheidende Wink entfällt im wahrsten Sinnes des Wortes: „Das Ortsschild bei der Einfahrt ins Dorf ist umgefallen und liegt in den hohen Wegwarten.“ (Nie I, S. 77) Dazu kommen Staub und die fehlende Brille. Es deutet alles auf die Unfähigkeit des Busfahrers, doch würden nicht die Fahrgäste das Dorf beschwören, bliebe es dem Rezeptionsvorgang entzogen. Schließlich trägt der Schluss zur Entwirklichung der gesamten Szene bei, indem der Bus hier in einer Schlehe verschwindet, die wiederum vom plötzlich wieder aufgetauchten Ich gepflückt wird. Schon die Wechselrede zwischen dem „Schofför“ und elf Passagieren erinnert in ihrer formalisierten Gestalt an die Gattung des Märchens, erst recht die Schlussformel, obwohl sie ja auf den ersten Blick eine Rückkehr zum erzählenden Subjekt des Textes darstellt:
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„Der Bus rollt in einen Schlehenstrauch und verschwindet in einer dunkelblauen Schlehe. Ich habe eine Schlehe gepflückt. Ich beiße sie auf. Sie ist sehr sauer und bitter. Es steckt eine große Schlange drin. Entweder ist sie eine Brillenschlange, oder sie trägt die Brille des Schofförs.“ (Nie I, S. 77f.)
Aber es ist eine Rückkehr, wie sie im Erzählduktus des Märchens üblich ist, wenn der Erzähler sich an seine Zuhörer wendet und eine Formel spricht. Dort dient sie zur mitunter scherzhaften Beglaubigung des Erzählten. Dann sind häufig auch NonsensWendungen im Spiel, die Zuhörer und Leser aus dem Reich des Märchenhaften in die Wirklichkeit entlassen und dabei genau diese Grenze hervorheben. Dies geschieht durch eben eine prägnante sprachliche Begrenzung, einen kleinen „rite de passage“, und durch die Entrückung des Erzählten ins Unwirkliche. Wenn die Abschlussformel einen bestimmten Charakter erhält, prägt sie damit dem gesamten vorangegangenen Text ihren Stempel auf. In diesem Licht stellen sich die letzten sechs Sätze von Nie I als verwandt mit entsprechenden Märchen-Formeln dar. Zwar entbehren sie einer explizit formelhaften Gestalt, doch die Wiedereinführung eines Ich, das hier aber keiner Figur zugeordnet werden kann, sondern eine reine Erzählfunktion ist, wie auch die phantastische Vorstellung des Busses, der Schlehe, der Schlange sowie der Brille, verweist stark auf solche End-Ornamente. Das unvermittelt wieder auftauchende Ich, das als erzählendes Ich eben doch an die zuvor entworfene Figur anknüpft, lässt das Dorf hinter sich und in einer märchenhaft changierenden Vergangenheit versinken. Mit der Streichung der ganzen Passage jedoch nimmt Herta Müller dem Ich diese souveräne Verfügungsmacht über die Welt und seine eigene Vergangenheit, wie sie im Pflücken und Aufbeißen der Schlehe, dem Fluchtpunkt der entfalteten Wirklichkeit, verbildlicht wird. Das Ich von Nie II bewegt sich immer auf Augenhöhe mit seiner Umwelt, nie darüber oder danach, so dass es nur das seiner Wahrnehmung Zugängliche im eigenen Horizont reflektieren kann. Durch die hier vorgestellten Kürzungen entsteht ein Verhältnis zwischen den Varianten, das dem Verhältnis zwischen „In einem tiefen Sommer I“ und „In einem tiefen Sommer II“275 vergleichbar ist. Beide Überarbeitungen entfernen aus den Texten soziale beziehungsweise „soziologisch“ betrachtete Wirklichkeit. Wo der Erzähltext über Inges Friseurbesuch einen sehr sinnlichen Eindruck von ihrer Lebensumwelt vermittelt, in dem die Gegebenheiten des rumänischen Alltags zum Vorschein kommen, ist in Nie I der Niedergang eines Dorfes von einer übergeordneten Instanz, und das heißt mit entsprechender Distanz, als allgemeineres Phänomen geschildert. In beiden Fällen bedingen die Kürzungen dieser Textelemente eine Beschränkung auf einen wesentlich kleineren Horizont: Im Bild des Jägers am Waldrand mit dem toten Hasen im Rucksack scheint nur noch die punktuelle, unmittelbare Wahrnehmung eben dieses Bildes auf. Und Nie II hält sich fast bis zum Schluss an die unverstellte Kinderperspektive, so dass in 275 Herta Müller: In einem tiefen Sommer. In: NL 6/1982, S. 48–52 (I) und: In einem tiefen Sommer. In: BF, S. 100 (II). Vgl. auch das Kapitel zur Fülle der Kurzprosa 2.2.
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beiden neuen Textvarianten die verallgemeinernde, auf Realien außerhalb des Textes verweisende Konkretion abgelöst wird durch eine völlig augenblickshafte, auf das Erleben des Subjektes bezogene Konkretion. Vor allem an der hier gezeigten Spracharbeit276 und der damit einhergehenden Konzentration auf ein konsequenter fingiertes, eingeschränktes Bewusstsein zeichnet sich Herta Müllers zunehmende Sicherheit in Bezug auf ihren ganz spezifischen Darstellungsstil ab. So wie aus der Fülle der erprobten Möglichkeiten nur die eine, auf die Fiktion des Bewusstseinslebens zielende Schreibweise von der Autorin ausgewählt und fortgeführt wird, so präzisiert sie in der Abfolge der Überarbeitungen von „Niederungen“ (Nie) dieses Verfahren und entzieht dem Text Elemente, die dieses Bewusstsein sachlich oder zeitlich übersteigen. Auf diese Weise wird die Fülle, die einerseits in dem breiten Repertoire an darstellerischen Möglichkeiten in der gesamten Kurzprosa-Produktion und andererseits in den divergierenden Erzählerstandpunkten von Nie I angelegt ist, zu einer bestimmten Anlage des Erzähler- und Erlebensstandpunktes reduziert. Die sprachliche Gestalt wird diesem aufs unmittelbare Erleben ausgerichteten Darstellungsstil angepasst, wie in den Übersichten zu den kleineren Textänderungen nachvollziehbar zu sehen ist. Auktorial anmutende, objektiv reflektierende oder begriffsbildende Elemente wurden konsequent ausgestrichen, ebenso wie relativierende Einbettungen, die zusätzlich die Aufmerksamkeit auf die Fiktionalität des Dargestellten verweisen würden. Erst die beiden parallelen Prozesse – die Auswahl aus einer Fülle an Darstellungsmöglichkeiten und die reduzierende Arbeit an den sprachlichen Realisierungen – führen zu dem charakteristischen ästhetischen Profil, mit dem Herta Müller schließlich als dezidiert moderne Autorin in den bundesdeutschen Literaturbetrieb eingetreten ist.
276 Csejka schlägt in Anwendung des Konzepts der „kleinen Literatur“ von Deleuze und Guattari vor, analog zu Wagenbachs Beschreibung der grammatischen Besonderheiten des Prager-Deutsch um Kafka herum, eine genaue Analyse des Minderheiten-Deutsch bei Herta Müller vorzunehmen und empfiehlt dafür die Bukarester Fassung der „Niederungen“, „denn möglicherweise ist später einiges davon redigierendem Wohlwollen zum Opfer gefallen“. Vgl. Gerhardt Csejka: Der Weg zu den Rändern, der Weg der Minderheitenliteratur zu sich selbst. Siebenbürgisch-sächsische Vergangenheit und rumäniendeutsche Gegenwartsliteratur. In: Die siebenbürgisch-deutsche Literatur als Beispiel einer Regionalliteratur. Hg. v. Anton Schwob und Brigitte Tontsch. Köln u.a. 1993, S. 51–70, hier S. 67. Tatsächlich sind die regionalen Eigenheiten oder Unsicherheiten, die aus der räumlichen Distanz zur Literatursprache Deutsch resultieren, bereits vor N I getilgt.
C. Sprachzeichen. Roman (1986–1997) 1. Publikationsgeschichtliche Aspekte Die Entwicklung der Autorin Herta Müller stellt sich zu weiten Teilen als ein Fortschreiten von der kleinen lyrischen Form über kurze erzählende Texte zur größeren epischen Form des Romans dar. Allein die erste Phase der Lyrik war von der Autorin klar abgeschlossen und ad acta gelegt worden; ansonsten gehen die Arbeiten an kurzer Prosa, am Roman und letzthin an den Postkarten zwar ineinander über, doch die Akzente liegen für eine bestimmte Zeit deutlich auf jeweils einer der Gattungen. Als Herta Müller sich auf den Roman zu konzentrieren beginnt, wird die Vielgestaltigkeit in ihren Prosa-Experimenten abgelöst durch eine neue Ausdifferenzierung der gepflegten Gattungen. Es mag auch an den Publikationsmöglichkeiten und -nachfragen liegen, wenn kurz vor und nach Müllers Übersiedelung in die Bundesrepublik neben die dezidiert fiktionalen Texte zunächst Arbeiten wie der poetische Reisebericht „Maramuresch“1 oder einzelne Artikel für die tageszeitung treten. Später kommen die poetologischen Betrachtungen in Der Teufel sitzt im Spiegel hinzu sowie essayistische Texte in Eine warme Kartoffel ist ein warmes Bett und Hunger und Seide.2 Schließlich äußert sich Müller in Begleittexten und dem Band In der Falle ebenfalls in essayistischer Form zum Schreiben anderer Autoren.3 Am breitesten rezipiert wurden in den Jahren zwischen 1986 und 1997 jedoch Müllers fünf Romane, und sie bilden auch eine unmittelbare Fortsetzung der Spracharbeit Müllers, die hier neues Gebiet erschlossen und durchmessen hat. Im Jahr 1995 treten dann die Postkartenbücher hinzu, mit denen Müller erneut, wie schon mit ihrer Prosa in Rumänien, einen singulären Neubeginn gewagt hat. Auch hier herrscht selbstver1 Zunächst in: ZEIT Magazin, 28.03.1986, S. 39–52; nochmals unter dem Titel „Überall wo man den Tod gesehen hat. Eine Sommerreise in die Maramuresch“ in BF, S. 101–121. 2 Vgl. die Bände: Der Teufel sitzt im Spiegel. Wie Wahrnehmung sich erfindet. Berlin 1991. Hier sind einerseits Poetik-Vorlesungen und andererseits Kolumnen sowie eine Preisrede veröffentlicht. Auch: Eine warme Kartoffel ist ein warmes Bett. Hamburg 1992. Diese Sammlung enthält hauptsächlich Kolumnen aus der Schweizer Monatsschrift „Du“.Weiterhin: Hunger und Seide. Essays. Reinbek 1995. Auch dieser Band versammelt bereits veröffentlichte Vorträge und Zeitungsartikel. 3 Vgl. Die Nacht sie hat Pantoffeln an. Über Inge Müllers Gedichte. In: Über das Darstellbare. Hg. v. Martin Lüdke und D. Schmidt. Reinbek 1994, S.14–18. Weiterhin: Am Ende war es keiner gewesen. Vor zwanzig Jahren starb die Schriftstellerin Marieluise Fleißer. In: die tageszeitung, 2.2.1994. Sowie: Notizen und Gedichte des iranischen Exilautors Said. Es möge deine letzte Trauer sein. In: Die Zeit, 11.8.1995. Und: Nekrolog. In: Roland Kirsch: Der Traum der Mondkatze. Prosastücke. Hg. v. Richard Wagner. Berlin und München 1996, S. 97–98. Weiterhin: Lebensangst und Liebesgier – An einen imaginären Freund. In: Theodor Kramer: Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan. Gedichte. Hg. und mit einem Nachwort v. Herta Müller. München 1999, S. 187–192. Und: Nachwort. In: M. Blecher: Aus der unmittelbaren Unwirklichkeit. Frankfurt a. M. 2003, S. 140–152. Und: In der Falle. Bonner Poetik-Vorlesungen. Bd. II. Göttingen 1996.
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ständlich kein strenges Nacheinander, kamen die ersten „Postkarten“ doch bereits 1991 in den Poetik-Vorlesungen Der Teufel sitzt im Spiegel zur Veröffentlichung.4 Sie begleiten von da an hin und wieder andere Texte oder erscheinen einzeln in Zeitungen bzw. Zeitschriften. Einen Schwerpunkt in Müllers Publikationen in Buchgestalt bilden sie allerdings erst ab 1995 mit Der Wächter nimmt seinen Kamm. Noch in Rumänien erhielt Herta Müller nach ihrem Ausreiseantrag im Jahr 1985 ein Publikationsverbot, so dass sie nun Öffentlichkeit und ein Lesepublikum ausschließlich im binnendeutschen Sprachraum finden konnte. Sie schickte ihrer Übersiedelung in die Bundesrepublik im Frühjahr 1987 nicht allein den Erzählungsband Niederungen (Berlin 1984) voraus, der ihr Literaturpreise und Einladungen brachte, sondern auch ihren ersten Roman Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt (Berlin 1986).5 Im Jahr ihrer Ausreise kam ihr letzter Erzählungsband Barfüßiger Februar (Berlin 1987) heraus, der zur Hälfte Texte enthält, die bereits in Rumänien erschienen waren, und zur anderen Hälfte neue Stücke.6 Er ist auch darum ein regelrechtes Dokument des Überganges. So wie er erneut unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten von der dichten, fast hermetischen Prosaskizze bis zum poetisch-politischen Reisebericht ausbreitet, öffnet sich der Band auch einer thematischen Vielfalt, die individuelle und kollektive Dorfschicksale ebenso umfasst wie die Erfahrung der rumänischen Diktatur in Dorf und Stadt, Fremdheit und Isolation sowohl in Rumänien als auch in Deutschland. Dieses heterogene Erscheinungsbild verdankt sich wohl vor allem der biographischen Situation Müllers zwischen zwei Orten, zwischen zwei Öffentlichkeiten und zwischen zwei Systemen und zwei Diskurswelten. Nachdem die Autorin in ihrem ersten Roman Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt das Weggehen aus Rumänien thematisiert hatte, war im zweiten Roman Reisende auf einem Bein (Berlin 1989) das Ankommen in Deutschland ihr Gegenstand:7 Diese beiden Bücher repräsentieren nicht allein durch die Handlungsräume, ein Dorf in Rumänien und West-Berlin, zwei vollkommen verschiedene Welten, vielmehr schlägt sich die fundamentale, ja existenzielle Differenz zwischen der im Untergang begriffenen 4 Vgl. Der Teufel sitzt im Spiegel; die Postkarten sind auf den Seiten: 8, 32, 56, 74, 88, 106, 112, 116, 120, 126, 134 jeweils vor einen neuen Text gesetzt. Ebenso finden sich Postkarten in: Der fremde Blick oder das Leben ist ein Furz in der Laterne, Ss. 7, 10, 14, 17, 20, 23, 25, 28. Bei erneuter Publikation des Textes in: Der König verneigt sich und tötet sind diese nicht wieder abgedruckt. 5 Der Roman nimmt eine Sonderstellung ein, insofern als seine Sprache nicht allein in der Figurenrede deren Denkwelt entspricht, sondern insgesamt in ihrer Gestalt (einfachste Sätze, regionaltypische Formulierungen u.ä.) dieser Welt angeähnelt ist. 6 Zwei Texte daraus waren schon 1986 in der Wochenzeitung Die Zeit erschienen: „Wenn ich mich tragen könnte“. In: Die Zeit, 02./03.01. 1986; und „Maramuresch“: In: Die Zeit. Magazin, 28.03.1986, S. 39–52. 7 Eine vergleichbare Abfolge von Büchern lieferte Richard Wagner, mit dem sie gemeinsam ausreiste: Ausreiseantrag. Eine Erzählung (Darmstadt 1988) und Begrüßungsgeld. Eine Erzählung (Frankfurt a.M. 1989). Allerdings gehören seine Bücher direkt zusammen, wofür nicht zuletzt die Hauptfigur beider Texte, der Journalist Max Stirner, bürgt.
Publikationsgeschichtliche Aspekte
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Lebenswelt der Familie Windisch einerseits und dem städtischen Erfahrungsraum der allein reisenden Irene andererseits unmittelbar in Sprache und Gestaltung der Texte nieder. Gemeinsam ist diesen beiden so unterschiedlichen Texten die Darstellung transitorischer Zustände, die je eigene Erfahrungen von Fremdheit mit sich bringen – hier das Heraustreten aus vertrauten sozialen Zusammenhängen, dort die Verunsicherung angesichts einer noch unvertrauten Lebenswelt. Die Bücher aus den Jahren 1986 bis 1989 sind also auf je eigene Weise „TransitTexte“, zumal sie sich in dieser Phase des biographischen und publikationsräumlichen Übergangs auf analoge Weise anzuordnen scheinen: Vor der Ausreise behandelt Müller in Fasan ihren bäuerlichen Herkunftsraum und dessen Ende; dabei liefert die Ausreise den Erzählanlass, während die Mentalität dieses Raumes die Erzählsprache prägt. Danach verkörpert BF in seiner Gestalt und Substanz diesen Übergang – auch noch zugleich mit der Übersiedelung – direkt. Und schließlich findet die Ankunft im Raum der modernen, westlichen Großstadt nach dem Übergang ihren thematischen und formensprachlichen Niederschlag in Reisende. Darauf folgten die drei Romane, mit denen Herta Müller die Diktaturerfahrung in Rumänien beschrieb: Der Fuchs war damals schon der Jäger (1992), Herztier (1994) und Heute wär ich mir lieber nicht begegnet (1997). Nachdem Herta Müller auf dem Feld der kürzeren Prosa die Entscheidung für ihre bevorzugte Darstellungsweise, für ihre literarische Sprache und ihre ästhetischen Verfahren getroffen hatte, hielt sie an ihnen fest. Zugleich war dieser Suchprozess ein Übungs- und Experimentierfeld gewesen, das mit seinen verschiedenartigen Redeweisen und Perspektivierungen zur Modulationsfähigkeit der Stimme der Autorin beitrug. Von den sechs Büchern mit fiktionalen Texten, die von 1986 bis 1997 erschienen, verfügen die fünf Romane über je eigene Sprachen bzw. Sprechweisen, die dem Handlungsraum, der Weltauffassung und der Persönlichkeit der fingierten Figuren nicht nur entsprechen, sondern diese erst zum Vorschein bringen, unabhängig davon, ob es sich um Figurenrede oder Rede des impliziten Autors handelt. Wird in Fasan beispielsweise eine sehr schlichte, geradlinige Sprache mit einigen regionalen Einsprengseln gesprochen, die gerade mystifizierenden Welterklärungen Raum gibt, findet der Wahrnehmungs- und Erzählfluss in Reisende so wenig zur Kontinuität wie die flanierende Wahrnehmung der Außenseiterin Irene, die im Prinzip der Collage endlich ein Umgangsmuster für das Unvertraute findet, indem sie es in seinen fragmentierten Medienbildern bewusst fremd stehen lässt. Sie schneidet aus Postkarten und Zeitungen einzelne Bildelemente aus und klebt sie nach nur einem Grundsatz auf Packpapier zusammen: „Die Verbindungen, die sich einstellten, waren Gegensätze.“ (R 47) Ebenso prägt in Heute wär ich mir lieber nicht begegnet eine kräftige, raue Alltagssprache den gesamten sozialen Umgang und nicht nur die Straßenbahnfahrt, in deren Verlauf sich die zur Geheimpolizei bestellte Protagonistin mit Hilfe von Erinnerungen und Reflexionen zu sammeln und ihrer selbst zu vergewissern sucht, nur um sich am Ende überhaupt nicht mehr – weder in der Gegend noch in ihrem Leben – auszukennen.
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2. Wiederholung und Fremdheit: Der Fuchs war damals schon der Jäger Dies aber ist das Land in dem ich lebe. Dies sind die Menschen. Das Gras ist grün. Der Schnee ist weiß. Der Himmel hoch. Das Volk macht mit. Dies aber sind die Menschen. Die Menschen in dem Land in dem ich lebe. Anemone Latzina
Dieses „Sich nicht Auskennen“ ist auch das zentrale Thema der drei Romane über die rumänische Diktatur. Es geht auf der Handlungsebene in diesen Texten um Freundschaft und Verrat unter den Bedingungen von allgegenwärtiger Beobachtung und Bedrohung. Ihre Erzählweisen ähneln sich trotz einiger Unterschiede, insofern sie ein Grundproblem nicht allein des Lebens in totalitären Verhältnissen, sondern der Moderne überhaupt immer wieder veranschaulichen, nämlich das Problem der fundamentalen Unsicherheit beim Deuten der Zeichen der Lebenswelt. Wo aber der einzelne eigentlich seine Haltung gegenüber einer solchen undurchsichtigen Umwelt selbst wählen könnte, z.B. als irritiert, unentschieden, gelähmt oder auch neugierig, befreit und entlastet, da ist das einzige Ziel des totalitären Regimes allein die Angst und Einschüchterung seiner Opfer, indem es den Zustand der Undurchsichtigkeit absichtsvoll herbeizwingt. Diesen Opfern wird fast jeder Lebensvollzug vergällt, indem ihre Umgebung für sie zum Überwachungs- und Bedrohungsszenario umgestaltet wird, dessen Harmlosigkeit oder Gefährlichkeit nicht mehr einzuschätzen ist. Dabei erweisen sich nicht allein die engsten Freunde als mögliche Verräter, sondern jeder Gegenstand, jedes Detail kann zum Komplizen des Überwachungsstaates werden, ohne dass der Seitenwechsel dem Überwachten bekannt würde. Dafür geraten andere Personen oder Dinge in Verdacht, so dass letztendlich vieles mit dem Schein der Mehrdeutigkeit umgeben ist oder die Grenzen zwischen Täter und Opfer ins Schwimmen zu geraten scheinen. Obwohl auch in Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt die totalitäre Gesellschaftsform den Hintergrund für die Perspektivlosigkeit und Korruption des Dorflebens bildet, bleibt sie doch ein fernes Regime ohne direkten Zugriff auf die einzelnen Figuren. Dieser direkte Zugriff ist dann das Hauptmoment der drei Texte, die als „Diktatur-Romane“ zusammengefasst werden können, von Der Fuchs war damals schon der Jäger, Herztier und Heute wär ich mir lieber nicht begegnet. Exemplarisch soll am ersten der drei Texte gezeigt werden, wie Herta Müller ein Dasein in der Diktatur darstellt. Dabei soll vor allem die tragende Rolle des Stilmittels der Wiederholung genauer betrachtet werden. War die Wiederholung schon in der Kurzprosa ein prominentes Textphänomen, so gewinnt sie vor allem in diesem Roman eine weitere ästhetische
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Dimension hinzu, indem sie für die Verdeutlichung der lebensweltlichen Zeichenproblematik innerhalb der dargestellten Welt, aber auch in der Darstellung selbst funktionalisiert wird. Erzählt wird in Der Fuchs war damals schon der Jäger die Geschichte einer Freundschaft, die in der Zeit kurz vor und während des gesellschaftlichen Umsturzes in Rumänien in die Brüche geht. Adina und Clara, zwei befreundete junge Frauen, werden von Pavel Murgu angesprochen. Beide erblicken in ihm zunächst nur den forschen jungen Mann auf der Suche nach einem Liebesabenteuer; Adina weist ihn ab, Clara beginnt ein Verhältnis mit ihm. Nach der Entdeckung von Pavels wahrem Beruf, nämlich dem eines Agenten des Geheimdienstes, der den Freundinnen aus dienstlichen Gründen nachstellte, verlangt Adina die Beendigung dieser Beziehung von Clara, die sich jedoch zu Pavel bekennt. Wegen der immer massiveren Bedrohung durch den Geheimdienst flüchtet Adina mit einem Freund zu Beginn der Unruhen aufs Land, wo sie den Umsturz, im Gegensatz zu Freunden, unbeschadet übersteht. Die Freundschaft zu Clara aber ist unwiderruflich zerstört; allein die Verhältnisse im Land erweisen sich als die alten. In 33 Kapiteln unterschiedlicher Länge wird diese Haupthandlungslinie gezeichnet und darüber hinaus wird in Ansichten vom Alltag in der Stadt, bei der Armee und auf dem Dorf das Leben im realsozialistischen Rumänien beleuchtet. Die historisch-geographische Verortung des Geschehens geschieht eher nebensächlich, aber eindeutig, indem der Diktator Ceauşescu beim Namen genannt wird. Schlüsselszenen des politischen Umsturzes, wie die Unruhen in Temeswar, die Versammlung der Menschen beim „ungarischen Pfarrer“ (F 228) und die Fernseh-Übertragung von der Hinrichtung des Ehepaares Ceauşescu (F 276f.), sind eindeutig identifizierbar. Doch kommt es auf die historische Situation vor allem als lebensweltliche Umgebung an, nicht so sehr auf ihre historische Singularität. Daher tauchen im Entwurf des städtischen Raumes nur Orte auf, die ebensogut jeder anderen Stadt angehören könnten: Fluss, Park, Opernplatz, Vorstadt und Fabriken. Sie charakterisieren den Handlungsraum in typisierender Weise als „Stadt“; deren Name fällt erst am Ende des Textes: „Temeswar, sagt Ilije.“ (F 285) Die Stadt erscheint dabei als ein trostlos-wilder, lebensfeindlicher Ort, in dem die Natur die Menschen nie völlig entlässt und sie immer wieder auf ihre eigene Kreatürlichkeit zurückverweist. Im Gegenzug wird die Natur außerhalb der Stadt, im Grenzgebiet des Landes, einem tödlichen Regime unterworfen. Auf den Feldern üben Soldaten; dort liegen auch die vergessenen Toten der missglückten Fluchtversuche. So stellen sich die totalitären Gesellschaftsstrukturen und die unbezähmbare Natur als einander entgegengesetzte, jedoch komplementär ineinander verschränkte Pole der geschilderten Lebenswelt dar.
2.1. Wiederholungen im Text: Wörtliche, motivische und sachliche Ein weiteres Indiz für eine solche Verschränkung von Natur und Gesellschaft sind beispielsweise die Pappeln, wie sie die Stadtlandschaft des Romans als allgegenwärtige natürliche Komplizen der totalitären Herrschaft durchsetzen. An ihnen wird das
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Bauprinzip der Wiederholung, wie es schon bei den kürzeren Prosatexten Müllers auffiel, erneut sichtbar. Im Folgenden soll an einer Reihe von Beispielen keine vollständige Typologie der Wiederholung in Der Fuchs war damals schon der Jäger entwickelt werden; vielmehr illustrieren die nachfolgenden Fälle, wie vielfältig die Ausgestaltungen und Funktionen dieses Stilmittels hier sind. Im Falle der schnellwachsenden Bäume steht diese Wiederholung sehr wohl im Dienste der fiktionalen Detaillierung, da sie tatsächlich eine typische, ubiquitäre Erscheinung sozialistischer Stadt- und Landschaftsgestaltung sind. Zugleich sind sie jedoch nicht nur unheilvolle Zeichen der Staatsmacht, sondern in textstruktureller Hinsicht auch Teil eines dichten Netzes von Wiederholungen, die auf allen Textebenen, von stilistischen und syntaktischen Phänomenen über darstellerische Mittel und Elemente der dargestellten Handlung bis zum Paratext, unterschiedliche Funktionen erfüllen. So stehen die Pappeln nicht allein bei dem Wohnblock, auf dessen Dach der Roman beginnt: „Die Decke liegt auf dem Dach des Wohnblocks, um das Dach stehen Pappeln. Sie sind höher als alle Dächer der Stadt, sind grünbehängt, sie tragen keine einzelnen Blätter, nur Laub. Sie rascheln nicht, sie rauschen. Das Laub steht senkrecht an den Pappeln wie die Äste, man sieht das Holz nicht. Und wo nichts mehr hinreicht, zerschneiden die Pappeln die heiße Luft. Die Pappeln sind grüne Messer.“ (F 9)
Auch am Fluss, in der Nähe des von Adina immer wieder besuchten Cafés sind die Pappeln für die Angler ein verdächtiges Ärgernis, in dessen Schatten die Fische nicht beißen. Sie rücken hier in nächste Nachbarschaft zum in der Natur gespiegelten Diktator: „Pappelschatten fallen am Ufer die Treppen herunter, zerbrechen an den Kanten und tauchen nicht. Wenn die Straßenbahn über die Brücke fährt, treiben die Schatten kleinere Schatten hinaus in den Wasserlauf, wie die Stirnlocke des Diktators kleinere Locken auf den Hinterkopf des Diktators treibt. Pappellicht und Pappelschatten, bis die ganze Stadt gestreift ist. Steinplatten, Wände, Grasbüschel, Wasser und Bänke. [...] Die Angler trauen dem gestreiften Sommer nicht. Sie wissen, daß Pappelschatten unten das bleiben, was Pappeln oben sind, Messer.“ (F 28f.)
Wann immer eine Szene im oder beim Fluss-Café angesiedelt ist, kommen die Pappeln erneut ins Bild. Eine regennasse Pappel wiederum ist die entsprechende Szene hindurch wiederkehrender Anblick sowohl für Pavel Murgu als auch für Abi, den von ihm verhörten Freund Adinas: „Er [Pavel Murgu] nimmt den Hörer ab, vor dem Fenster steht eine Pappel. Er sieht hinaus, seine Augen sind klein, sein Blick so naß wie die Pappel. Sein Blick fällt durch die Pappeläste, ohne die Äste zu sehen.“ (F 146)
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„Und Abis Augen hängen an der Fensterscheibe, und draußen regnet es, man sieht nicht, wie der Regen auf die Pappel fällt, als wär die Pappel nichts.“ (F 146)
Und auch draußen im Land, wo Adinas Verlobter Ilije seinen qualvollen Wehrdienst ableistet, finden sich diese Bäume: „[...] und hinter der Biegung steht die Pappelallee, die Ilije beschrieben hat, und ein Mauerzaun und die Kaserne [...].“ (F 187) In dieser Weise noch öfter im Text auftauchend, bleiben die Pappeln nicht allein anschauliches Detail der Handlungsumgebung, sondern verkörpern geradezu das Prinzip der Systemnähe.8 Sie sind selbst dem totalitären System nahe und erinnern stets daran, dass das System immer nahe ist. Schon bei ihrem ersten Auftritt werden sie ja als die Luft zerschneidende Messer vorgeführt – von diesen Bäumen ist nichts Gutes zu erwarten.9 Auf der Ebene des Dargestellten sind die Pappeln nicht das einzige wiederholte Detail, nur wird an ihnen eine Funktion der Wiederholung besonders deutlich, nämlich die gegenseitige Bedeutungsaufladung des wiederholten Umgebungsdetails und der darin spielenden Szenen. Ebenso assoziiert sich das scheinbar harmlose Verb „glänzen“ mit der alles sehenden, alles durchdringenden Macht des überall sichtbaren Diktators. Zunächst tritt es jedoch als Eigenschaft seiner geölten Stirnlocke auf einem Foto auf: „Die Zeitung ist rauh, doch die Stirnlocke des Diktators hat auf dem Papier einen hellen Schimmer. Sie ist geölt und glänzt. [...] Was glänzt, das sieht. Die Stirnlocke glänzt. Sie sieht jeden Tag ins Land. Der Bilderrahmen des Diktators ist jeden Tag in der Zeitung so groß wie der halbe Tisch. [...] Das Schwarze im Auge des Diktators ist wie Adinas Daumennagel, wenn sich der Daumen krümmt, ohne nach etwas zu greifen. Das Schwarze im Auge sieht jeden Tag aus der Zeitung ins Land. Im Land läuft der Sehnerv. [...] 8 Auch an der vom Hund Olga bewachten Holzbaracke und in der Nähe der Schule – wieder zwei systemtragenden Einrichtungen – wachsen Pappeln. Vgl. F 59f. Genauso scheinen sie Pavel Murgu beim staatlich verordneten Ehebruch zu begleiten. Vgl. F 137. 9 „Die Diktaturen haben unabhängig voneinander nur durch die Gleichheit ihrer Lebenszustände und der angestrebten Entmündigung von Menschen die gleiche Ästhetik hervorgebracht, und die Armut war ja nicht Begleiterscheinung, sondern ein kalkuliertes Machtinstrument. [...] Und genauso ist es es auch mit den Dingen, wie sie gesehen werden. Ich meine, Pappeln sind eben wie Messer. Das ist eine subjektive Sicht, aber was nützt das? [...] Also fängt man an, Dinge verantwortlich zu machen, z.B. die Nelke, die aus der Reihe der Pflanzen in den Staat überging, weil alle offiziellen Blumensträuße und Kränze mit großen roten Nelken geschmückt sind. Und die Pflanze hat auch etwas, was sich dafür eignet. Nie könnte dafür eine Narzisse in Frage kommen oder ein Schneeglöckchen. Ich habe immer Unterschiede gesehen zwischen den Pflanzen und den Menschen, solchen die sich dafür eignen und hergeben, und solchen, die es nicht tun.“ In: KroegerGroth, Elisabeth: „Der Brunnen ist kein Fenster und kein Spiegel“ oder: Wie Wahrnehmung sich erfindet – im Gespräch mit Herta Müller. In: Diskussion Deutsch 26/1995, H. 143, S. 223–30, hier S. 226f.
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Und Menschen, da wo das Licht aus dem Schwarzen ins Auge fällt, stehen sie im Land und haben Orte unter den Füßen, die an den Kehlen steil hinauf und an den Rücken steil hinunter gehen.“ (F 27f.)
Aus der verkehrten Situation, dass hier ein Blick nicht auf die Zeitung, sondern aus der Zeitung heraus geworfen wird, vergrößert sich die Sehapparatur des Papier-Ceauşescu monströs zur Anatomie eines ganzen Landes, die sogar die Menschen körperlich umfasst. Doch ebenso manifestiert sich dieser Blick des Glänzenden im Flusswasser („[...] und im Wasser steht es noch einmal, das Schwarze im Auge. Und glänzt. Was glänzt, das sieht.“ F 28), auf den obligatorischen Porträts in der Schule („Die Stirnlocke glänzt über der Tafel, und das Schwarze im Auge glänzt, fängt den Lichtfaden ein, der durchs Fenster fällt.“ F 82; „Über dem Kopf des Direktors hängt die Stirnlocke und das Schwarze im Auge.“ F 84)10, im Wartesaal eines Bahnhofs („Über dem Eisenofen ist eine Wandzeitung, dreimal das Bild des Diktators, das Schwarze im Auge ist so groß wie Adinas Mantelknopf. Es glänzt. Und die Spucke auf dem Boden glänzt./ Was glänzt, das sieht.“ F 185), aber auch an unerwarteter Stelle („Adina stößt mit dem Löffel, der Löffel glänzt, die Limonade, was glänzt, das sieht.“ F 30; „Eine Krähe steht im Hirschgras und glänzt.“ F 137 – und ist Zeugin von Pavel Murgus dienstlichen Aktivitäten mit Clara; „In den Mantelknöpfen steht noch der kleine Bahnhof und das Schwarze im Auge.“ F 192). Sogar der Goldzahn eines Offiziers von Ilije scheint im Gefolge der nachdrücklich wiederholten Versicherung „Was glänzt, das sieht“ zum Späher auf die sadistischen Ertüchtigungspraktiken bei der Armee zu werden: „Das Wespenspiel ist ein guter Ausgleich, ein schöner Kampf, sagt der Offizier. Er spielt nicht mit, er bewacht das Spiel. Die Spielregeln glänzen an seinem goldenen Zahn.“ (F 236) Doch am greifbarsten wird die Bedeutungsausweitung von der glänzenden Stirnlocke als Überwachungsmetonymie auf das Verb „glänzen“ an sich beim dreimaligen Auftritt eines Mannes mit flatternden Hosenbeinen und glänzenden Schuhen (F 158, 198, 211), der als Agent des Geheimdienstes Adina verfolgt und bedrängt. So steht nicht allein die Person des Agenten im Dienst der Geheimpolizei, vielmehr sind so unscheinbare Gegenstände wie dessen Schuhe zu Instrumenten der Kontrolle geworden, denn was glänzt, das sieht. Sie begleiten ihn bei jedem Einsatz wie willige Helfer, von denen er selbst nicht ahnt, dass sie auch seinen Körper wie die Körper der anderen Menschen im Land ganz physisch und blickweise umschließen. Diese Wiederholungen, die sowohl auf der reinen Sachebene des Textes angesiedelt sind (Pappeln) als auch über die sprachliche Form den sachlichen Zusammenhang erst herstellen (Glänzen), vermitteln auch die äußere und innere Beschränktheit der dargestellten Welt. Der Text rekurriert immer wieder auf diese Phänomene, die überall 10 Noch nach der Erschießung Ceauşescus und seiner symbolischen Entmachtung bei der Verbrennung der Partei-Devotionalien in der Schule ist das Organ seiner Macht sichtbar: „Das Kind [...] trägt ein Bild vor dem Gesicht. Auf dem Bild ist die Stirnlocke und das Schwarze im Auge.“ (F 281).
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die gleichen und Dasselbe sind, so dass die räumliche Vorstellung eines beengten, gleichförmigen Daseins wachgerufen wird. Nicht dass die wechselnden Schauplätze womöglich Abwechslung bringen würden; ihr identisches Auftreten in der Wiederholung verursacht nicht allein die Erkenntnis der Uniformität, sondern lässt geradezu in einer Gegenbewegung zum äußerlichen Ortswechsel die Räumlichkeit zusammenschrumpfen. Das trifft insbesondere für das allumfassende Sehen des Diktators zu, das jederzeit an unerwarteten Orten Gestalt gewinnt. Auch der Text selbst wird in seinem Verlauf stets rückbezogen auf die erste Erwähnung des Glänzens, in der dessen metonymische Verbindung zum Überwachen etabliert wurde, während sich die einzelnen Blicke in der Aufmerksamkeit des Lesers beim Fortschreiten zur ganzen, fast ontologisch-pathologischen Ungeheuerlichkeit summieren. Dienen die wiederholten Erwähnungen der Pappel und des überwachenden Glänzens der Anreicherung mit Details, der Verkleinerung des Text-Universums ebenso wie der Veranschaulichung einer Daueranwesenheit von Staatsmacht, so werden weitere Wiederholungsstrukturen der dargestellten Welt auf andere Art zum Ausweis von deren Verfasstheit. Sie werden zum Teil von der impliziten Erzählinstanz und zum Teil von den fiktionalen Figuren selbst artikuliert. Zunächst fällt in diesem Zusammenhang das Sagen selbst auf, das von der einfachen, konkret situativ eingebetteten Äußerung über die vertraulichen Erzählungen als Öffentlichkeitsersatz bis zu den Versuchen, Regelhaftigkeiten des Alltags zu formulieren, reicht. Besonders die beiden letzten Äußerungstypen sind Versuche, der Intransparenz und Unbeherrschbarkeit des Daseins unter Diktaturbedingungen zu begegnen. Darin bezeugt sich gleichzeitig eine Mentalität, die eben als Ersatz solche mystifizierenden Narrative und Faustregeln hervorbringt. So stellt sich über weite Strecken das Wissen über die Welt als ein Wissen vom Hörensagen dar, so dass dieses Sagen als Vermittlungsstufe sehr häufig im Text explizit ausgewiesen wird. Wenn beispielsweise eine Kollegin Adinas, die Tochter der Dienstbotin, aus dem Inneren der Macht berichtet, von den Privatissima eines Offiziersehepaares (F 32–38) ebenso wie von den verheerenden Gesten und Gewohnheiten Ceauşescus (F 238–240), dann sind diese Erzählungen von der Inquit-Formel „sie sagte“ durchsetzt. In vergleichbarer Weise werden ständig die Kollektiv-Überzeugungen anderer zitiert: Die Leute sagen, die Frauen sagen, die Kinder sagen, ein Mann sagt, eine Frau sagt, die Pförtnerin sagt, die Angler sagen. Äußerst selten, nur in Situationen höchster emotionaler Intensität, wird ein anderes Verb für diese Formel benutzt, allerdings auch dann in wiederholter Form: „Dich kenne ich nicht, sagt Adina, [...] die ich kenne, das bist nicht du, sagt sie, ich dachte, daß ich dich kenne. [...] du schläfst mit einem Verbrecher, schreit Adina, du bist wie er, du trägst ihn im Gesicht, hast du gehört, du bist so wie er. [...] ich will dich nicht mehr sehen, schreit Adina. Nie wieder. [...] Faß mich nicht an, schreit sie, ich kann deine Hände nicht sehen.“ (F 223)
Ansonsten stellt sich diese Welt in den Momenten, in denen die Handlung des Romans zugunsten einer Darstellung des den Figuren nicht unmittelbar Einsichtigen und Greifbaren zurücktritt, als eine Welt des Sagens dar. Offenbar ist eine solche Welt, wie
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sie unter Diktaturbedingungen eingerichtet ist, für die darin Lebenden nicht zu haben, es lässt sich nur dieses oder jenes von ihr sagen. Zu diesen Wiederholungen des Sagens selbst kommen die bereits erwähnten Äußerungen, die bestimmte Regelhaftigkeiten aussprechen und damit oft recht hilflose Versuche darstellen, die Welt zu verstehen und das Leben zu meistern. Dabei thematisieren sie meist die ewige, scheinbar unausweichlich schicksalhafte Wiederholung des Immergleichen im Leben. Sie sollen also ohne zeitliche Begrenzung gelten und zur Orientierung taugen11, doch signalisieren sie in den hier vorliegenden Fällen eine gewisse Resignation, ein sich ins Unvermeidliche Schicken, das selbst vor den intriganten Praktiken des Geheimdienstes, zu ahndende Gesetzesverstöße erst zu produzieren, kapituliert: „Schwarzhandel ist schwarz, sagt die Pförtnerin, man muß ja nicht kaufen. Alles, was schwarz ist, ist unsicher. Der Pförtner sagt, der eine hat es, der andere braucht es, die Welt dreht sich mit uns. Jeder tut, was er kann.“ (F 97)
Weitere Beispiele für solche Lebensweisheiten sind im gesamten Text anzutreffen, allein die verfolgten Hauptfiguren vermeiden solche Allgemeinplätze und tautologischen Aussagen12: „Er sah den Mann an, der nach Gras roch, wer Erhängte abschneidet, sagte er, bindet sich selber den Strick.“ (F 52) „Distelflaum ist für die Kissen der Toten, sagen die Mütter, wenn die Kinder abends spät vom Feld kommen, Maschinenöl frißt die Haut, sagen sie, doch Distelflaum frißt den Verstand.“ (F 61) „Alle, die aus SEINER [Ceauşescus] Gegend kommen, sagt der Direktor, haben einen starken Willen.“ (F 116) „Er sagte, auf Füchse schießt man nicht, Füchse gehen in die Falle.“ (F 167) „Er hat ganz leise gesagt, jeder Mensch hat ein Stück Glut im Mund, deshalb muß man jedem auf die Zunge schauen. Ein zorniges Wort kann in einem Atemzug mehr zertreten, hat er gesagt, als zwei Füße in einem ganzen Leben.“ (F 171) „Wenn man groß ist, vergehen die Warzen, sie gehen an die Kinder. Meine Mutter hat gesagt, wenn die Warzen vergehen, kommen die Sorgen.“ (F 229)
11 Zuerst ist hier natürlich zu nennen „Was glänzt, das sieht.“ (F 28 u.ö.). 12 Clara übernimmt von Pavel die alles und nichts bedeutende Formel: „Ich weiß, was ich weiß.“ (F 137 und 208).
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„Winterblitz und Winterdonner/ Im Dezember Himmelsscherben/ Daran muß der König sterben. Das hat sie gesagt. Ich bin alt, früher war das so, hat sie gesagt.“ (F 268)
Die Wiederholung, die noch im Falle der Pappeln, des Glänzens und des Sagens sowohl inhaltlich als auch formal verankert war, spielt hier vor allem im Rahmen der Fiktion und weniger im Akt des Fingierens eine Rolle. In der Darstellung der Fabrik, in der Clara arbeitet, werden – wiederum meist im Modus des Sagens vorgeführt – solche fiktionsimmanenten Wiederholungsstrukturen exemplarisch ausgebreitet. Beinahe zur Hauptfigur in diesem tristen Setting gerät die Katze, die überall Zugang hat, alles sieht, alles weiterträgt und darum Einfluss auf viele Vorgänge hat. Ihr Lebensrhythmus bestimmt das Handeln der Frauen, die immer wieder doppelt betrogen werden: In der Hoffnung nicht gesehen zu werden, verlegen sie die Treffen mit dem Verwalter Grigore in die Trauerwoche der Katze13, deren Termine jedoch die Pförtnerin gegen Bestechung ad libitum ansetzt. So werden die Frauen für eine Wattejacke sexuell und materiell ausgebeutet, ohne dass sie den erkauften Schutz tatsächlich besitzen. (F 93–98) Aus diesem sich wiederholenden Geschehen entstammen laut Pförtnerin viele Kinder der Frauen, die allesamt Grigore ähneln und von klein auf einen Rostfleck tragen, früher oder später ans Tor der Fabrik kommen und dort „in den Draht schauen“. Das erfüllt ihre Prädestination, denn wer einmal in den Draht geschaut hat, wird unweigerlich in der Fabrik arbeiten und sein Schicksal irgendwann hinnehmen: „Sie kommen hierher, weil sie nicht weiter wissen. Sie stoßen von der Nasenspitze zu den Schuhspitzen nie auf einen Weg, weil keiner offen ist. Nur diesen Rinnstein finden sie aus Armut, Ausweglosigkeit und Überdruß von Mutter zu Kind und Kindeskindern. [...] Auch Grigores Mutter war Arbeiterin in der Fabrik. Auch die Mutter der Pförtnerin.“ (F 101)
Diese Zusammenhänge werden nur einmal dargelegt, doch sie bezeugen eindrücklich den Stillstand in der ständig wiederholten Abfolge des Betrugs, des Missbrauchs und des in die Wiege gelegten Drahtfabrik-Arbeiterschicksals. Sogar der Direktor der Drahtfabrik trägt ein solch unentrinnbares Schicksal; war er doch schon in vielen Landesteilen Direktor verschiedener Fabriken, und stets begleitet ihn ein Mottenfalter: „Aus seinem Hemdkragen fliegt ein brauner Mottenfalter, er flattert zum Fenster.“ (F 115) Wie bei anderen Gelegenheiten auch, so ist der Mottenfalter beim wöchentlichen Gang zum Pförtnerhaus, wo der Direktor sich immer wieder nach dem Namen des Zwerges erkundigt, nur um ihn stets aufs neue zu vergessen, dabei:
13 Die Katze bekommt jedes Jahr Junge, frisst sie gleich auf und trauert eine Woche, in der sie keine Bilder der geheimen Aktivitäten in der Fabrik mit sich trägt. (F 93 und 98).
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„Der Direktor kommt jede Woche zum Tor, sagte die Pförtnerin zu Clara. [...] Der Direktor war als junger Mann Direktor der Hutfabrik, das war hinter den Karpaten, sagte die Pförtnerin. Von da kommen die Motten her. Er war seither Direktor beim Wasserwerk im Süden und Direktor beim Wohnungsbau hier in der Stadt. Doch die Motten aus der Hutfabrik kriegt er nicht mehr los. [...] Und er nimmt einen gleichen Zettel aus der gleichen Tasche, und es fliegt der gleiche Mottenfalter aus seinem Hemdkragen, und er schreibt den gleichen Namen wieder auf. Und der Mottenfalter fliegt weit in den Hof hinein, in den Draht.“ (F 118f.)
Geht es in dem ganzen Fabrik-Komplex um den Zusammenhang von Wiederholung und Dauer vor allem auf der Ebene des Dargestellten, so dass sich die Wiederholungen im formalen Bereich in kleineren Texträumen zeigen und dabei kaum neue Perspektiven anlegen, kommt es auf der Darstellungsebene einerseits zu verwandten und andererseits zu überraschenden Effekten, wenn weiter auseinanderliegende Textstücke und Handlungsräume durch Wiederholungen verknüpft werden. Kontinuität wird beispielsweise wiederum hergestellt, wenn einige Figuren mit immer denselben stereotypen Merkmalen oder sogar Formulierungen eingeführt werden. Der Geheimdienstler Pavel tritt zwar in privaten Situationen ohne diese auf, in dienstlicher Mission oder später auf der Flucht wird er für die anderen handelnden Personen und für den Leser meist an seinem Muttermal, das auch metonymisch ganz für ihn eintreten kann, und an seiner rotblau getupften Krawatte identifizierbar. Der schon erwähnte Agent mit den „glänzenden Schuhen“ ist bei seinen drei Auftritten ausschließlich für den Leser eben wegen der Schuhe als immer derselbe Mann zu erkennen. Ebenso der „Angler mit der Angst vor den Melonen“, der für die Dramaturgie genauso wenig vonnöten ist wie der Zwerg Constantin aus der Fabrik, dessen Schuhwerk stets aufs Neue mit „abgebrochenen Ziegelsteinen“ assoziiert wird. Das Gesicht der Ehefrau Livius, zu dem sich Adina und Paul flüchten, wird zunächst mit einem Lamm verglichen, nur um fortan metonymisch und metaphorisch zugleich für den ungenannt bleibenden Namen einzutreten; sie wird einfach „das Lamm“ genannt. Auch Clara wird wiederholt mit ihren dünnen Fingern und rotlackierten Fingernägeln vor das Auge des Lesers hingestellt. Andere, im Handlungszentrum stehende Figuren bleiben dagegen mit ihrem äußeren Erscheinungsbild völlig im Dunkeln. Weiter auseinander liegende Sphären werden beispielsweise in parallelen Szenen oder wiederkehrenden Formulierungen ins Verhältnis gesetzt. Nicht unerwartbar ist so die doppelte Heimkehr Pavels mit den Taschen voller Westwaren, einmal zu seiner Familie und einmal zu Clara. Beide Male verteilt er die gleichen raren Güter, sogar in sorgfältig ausgezählter identischer Menge. (Vgl. F 153 und 169) Parallel verlaufen auch die Szenen in Claras Wohnung – beide Male unter Beobachtung eines kleinen grünen Balles in einer Astgabel vor dem Fenster –, in denen zunächst Clara Pavel wegen der Bedrohung Adinas zur Rede stellt und später Adina Clara selbst wegen deren Verhältnis mit Pavel die Freundschaft kündigt. (Vgl. F 170–174 und 221–223) Nicht zuletzt sind schließlich jene zwei Szenen durch ihre jeweilige Lokalisierung parallelgeführt, die erst die reale Hinrichtung des Ehepaares Ceauşescu im Fernsehen und anschließend die symbolische
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Beendigung von deren Herrschaft durch Verbrennen ihrer Devotionalien in der Schule zeigen: „Ich habe euch geliebt wie meine Kinder, sagte die Frau des Diktators ins Zimmer. Er nickte, er sah die Nagelschere neben Adinas Hand auf dem Tisch und zog seine schwarze Pelzmütze in die Stirn. [...] Dann schlugen Kugeln durch den Bildschirm, fielen an die Wand einer Kaserne, in den dreckigsten nackten Winkel im Hof.“ (F 276; Hervorhebungen d.A.) „Im dreckigsten nackten Winkel im Schulhof, vor einer Wand liegt ein Berg. Die eine Hälfte ist aus Tuch, geflochtene Kordeln, gelbe Quasten, Schulterklappen. Die andere Hälfte ist aus Papier, Losungen, Landeswappen, Broschüren und Zeitungen mit den Reden und Bildern.“ (F 281; Hervorhebungen d.A.)
Die beiden Ebenen von Darstellung und Dargestelltem sind natürlich nie zu trennen, und die inhaltliche Verwandtschaft der jeweiligen Szenenpaare liegt auf der Hand, so dass sie nicht durch formale Mittel herausgearbeitet werden müsste. Es gibt jedoch auch Textelemente, deren Verbindung auf formaler Ebene die inhaltlichen Zusammenhänge allererst stiftet. In einigen Situationen wird zum Beispiel die Formulierung benutzt „ein Geräusch im Kopf, wie wenn ein Ast bricht. Nur anders.“ „Manchmal hört man von weitem Schüsse, sagte Liviu. Nicht lauter, als wäre ein Ast abgebrochen. Nur anders, ganz anders.“ (F 106) „Ilije sitzt wie Liviu im flachen Süden. Gleich nahe, gleich weit von der Donau, beide in verschiedenen Orten. [...] Nur die Schüssen fallen an beiden Orten gleich, als würde ein Ast abbrechen, nur anders. Ganz anders.“ (F 113) „Ich habe noch keinen Schuß gehört, sagt Paul, ich höre die Hunde bellen und die Gänse schnattern, und den Briefträger rufen am Tor. Ich horche auf das, was laut ist, obwohl ich von Liviu weiß, daß die Schüsse leise sind, wie wenn ein Ast bricht, nur anders.“ (F 258) „Und Paul sagte, weißt du, wem Abi den Witz mit dem kleinen Rumänen erzählt hat. Wem, fragte sie und Paul sagte: lije. Adina sah in ihren Teller, die Suppenaugen blieben rund, verteilten sich auch mit dem Löffel nicht. Adina hörte zum ersten Mal ein Geräusch. Es war kein Hund und keine Gans, es war, wie wenn ein Ast bricht, nur anders, ganz anders. Es war innen im eigenen Kopf.“ (F 259f.) „Unter seinen [des Kindes] Fingerspitzen schiebt sich der Kopf des Fuchses vom Hals weg. Das Kind legt den Fuchskopf auf den Tisch. Adina spürt zum zweiten Mal ein Geräusch im Kopf, wie wenn ein Ast bricht. Nur anders.“ (F 283)
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Die ersten drei Zitate beziehen sich auf das Grenzregime, das Liviu in unmittelbarer Nachbarschaft seines Dorfes und Ilije als Soldat miterleben; die beiden anderen Textstellen deuten auf einen möglichen Verrat Ilijes und die Fortdauer der Bedrohung Adinas noch nach dem Umsturz. Sie verlagern durch die wörtliche Wiederaufnahme das ursprünglich weit entfernte, doch schreckliche Mordgeschehen an der Grenze in das Innere Adinas. Die letzten Reste von Sicherheit, sowohl das Vertrauen in eine nahestehende Person als auch die Gewissheit über das Diktaturende, werden schlagartig zerstört. Nachdem sie bereits mit Clara eine Vertraute verloren und den Privatraum ihrer Wohnung eingebüßt hatte, bricht nun die Erkenntnis über Adina herein, ohne es zu wissen möglicherweise schon längst in der Vergangenheit verraten worden zu sein und auch in der Zukunft keinerlei Schutz vor den Machenschaften der Securitate zu finden. In der durch Wiederholung erzeugten Parallelität kommt die tiefgreifende Ungeheuerlichkeit zum Vorschein, die eine solche angemaßte Verfügungsgewalt über Leib und Leben, über das gesamte Schicksal jedes einzelnen Menschen in der Diktatur darstellt, die sogar über ihre historische Dauer hinaus zerstörerisch wirkt.14 Sie dringt eben nicht allein räumlich, wie am Beispiel der Pappeln und des Glänzens gezeigt, in die Landschaft, die Städte, die Wohnungen, in das Leben allgemein ein, sondern ins Innerste des Individuums, um dort selbstbestimmtes Leben auszutilgen. Liegt in dieser Zusammenschau des äußerlichen Grenzregimes und der inneren Zerstörungsarbeit des Totalitarismus eine nachvollziehbare Logik, so kommt das Zusammentreten zweier ganz entgegengesetzter Positionen überraschender, wenn nämlich Pavel und Adina über einige – fast unterirdische – Textelemente in Verbindung gebracht werden. Zunächst ist hier das augenfälligste Faktum zu nennen: Die Namen Pavel und Paul sind einfach die slawische und die deutsche Form ein und desselben Namens. Pavel ist der abgewiesene, vielleicht auch persönlich gekränkte und rachsüchtige Geheimdienst-Romeo, während Paul zwar der ehemalige Lebensgefährte, doch im Laufe des Textes die vertrauteste und verlässlichste Person für Adina ist. Die beiden um Adina gruppierten strukturellen Gegenspieler sind wenigstens im Namen aufs engste verwandt. Weitere Hinweise auf eine tiefere Verknüpfung Adinas und Pavels liegen erneut in der Aufnahme von Formulierungen, die sich einmal auf die unmittelbar physische und das andere Mal auf eine metaphorisch körperliche Ebene beziehen. Pavel passt Adina beim Nüssekauf auf dem Markt ab, um sie anzusprechen, hat jedoch keinen Erfolg. Beide Figuren werden auch beim Öffnen und Essen der Nüsse gezeigt – wobei Pavels wahres Anliegen, das Einbrechen in seine Zielperson, schon im Anblick dieses Vorgangs entlarvt wird:
14 Eine kleine Parabel über das zerstörerische Wirken der Diktatur auf den Geist und den Leib ist in ein Gespräch eingebettet, in dem Paul Adina und Liviu von dem Mann erzählt, der zwar mit einer kleinen Hacke im Kopf, jedoch beschwerdefrei ins Krankenhaus kommt. Bei der Entfernung der Hacke stirbt der Mann, weil „das Gehirn im Kopf sich dran gewöhnt“ hatte. (Vgl. F 108f.)
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„Er schließt die Hand, drückt im Gehen eine Nuß an die andere. Die Schale kracht, und er öffnet die Hand. Die eine Nuß ist ganz, die andere aufgebrochen. Adina sieht das weiße Gehirn in der Hand.“ (F 109f.)15
Adina und Pavel öffnen die Nüsse zwar auf je eigene Weise, aber eines verbindet sie: „Pavels Zunge sucht die zerkauten Nußstücke zwischen den Zähnen, steig ein, sagt der Mann im Auto, wir fahren.“ (F 111) „Adinas Zunge sucht nach den zerkauten Nußstücken zwischen den Zähnen.“ (F 114) Ebenso diskret werden beide Figuren in ihren antagonistischen Rollen doch wieder in sprachformaler Weise verknüpft. Pavel berichtet von seinem Vater, der Streit vermeiden wollte, mit der Begründung, jeder Mensch habe ein Stück Glut im Mund und könne mit ein paar Worten mehr zerstören als mit den Füßen in seinem ganzen Leben. (Vgl. F 171) Er will Clara offenbar davon abbringen, sich unüberlegt von ihm zu trennen. Adina tut dann später genau das, weil sie von ihrer Freundin tatsächlich die im Namen angelegte Klarheit anstelle der lavierenden Erklärungen verlangt. Sie bricht in verständlicher Empörung über Claras Unehrlichkeit und eine gewisse Naivität alle Bindungen ab: „[...] ich will dich nicht mehr sehen, schreit Adina, nie wieder. Ihre Hände schlagen um sich, ihre Augen sind aufgerissen, ihr Blick ist der Jäger, springt aus den Augen und trifft. Was der nasse Mund schreit, ist Glut auf der Zunge. Ihr Zorn ist Haß und so schwarz wie ihr Mantel.“ (F 223; Hervorhebung d. A.)
Obwohl Pavel und Adina die entsprechenden Worte in unterschiedlicher Weise zugeordnet werden, bilden sie doch eine Klammer zwischen beiden. Solche Bedeutungsverschiebungen oder -erweiterungen, wie sie in den vorangegangenen Beispielen anhand der wörtlichen Wiederholungen in mehr oder weniger differierenden Kontexten stattfanden, kennzeichnen die entworfene Lebenswelt insgesamt. Besonders der Aspekt der Überwachung und Bedrohung wird mit diesen formensprachlichen Mitteln zum ästhetischen Vorschein gebracht. Ein wiederholt auftretendes Verfahren, Szenen oder Gegenstände mit einer neuen, gefährlicheren Bedeutung aufzuladen, ist das erstmalige, rein phänomenale Vorführen ohne weiteren Hintergrund und die anschließende Entlarvung der wahren Natur des Gezeigten. Dabei stellt sich, wie auch bei Claras Verhältnis mit Pavel, für den Leser ein Wissensvorsprung gegenüber Adina ein. So geschieht es zum Beispiel mit der idyllischen Ansicht der Frau mit dem kastanienroten, gewellten Haar im gegenüberliegenden Haus, die hingebungsvoll ihre weißen Petunien pflegt. Ein erster Blick auf das für Adina ver15 Dieses Bild lässt sich auch als Vorausdeutung auf die Geschichte Adinas, Claras und Pavels lesen. Es gelingt Pavel, die eine von beiden zu „knacken“. Die andere will er vernichten: „Er nimmt die Nuß aus der Jackentasche, legt sie auf den Asphalt. Er stellt den Schuh auf die Nuß, schiebt sie unter der Sohle an den Absatz, genau an den Rand. Er stellt sein Gewicht genau auf die Nuß. Und die Schale kracht. Pavel bückt sich, nimmt das Gehirn aus der Schale, er kaut und schluckt.“ (F 110).
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traute Bild zeigt nichts Ungewöhnliches (F 140)16, jedoch beim zweiten Auftritt dieser Frau, erweist sich, dass sie wohl mit dem Geheimdienst im Bunde ist: „Er [der Securist] geht zum Fenster. Die Frau mit dem kastanienroten großgewellten Haar steht hinter den Petunien. Er macht ihr mit der Hand ein Zeichen.“ (F159)17 Jede weitere Erwähnung beruft sich automatisch auf dieses Wissen des Lesers, das Adina bis zum Schluss nicht teilt. (F 237f., 283) Ein leises Echo erzeugt diese Szenerie noch, als Adina bereits auf der Flucht Paul abends im Krankenhaus aufsucht, um ihn zu warnen und mit ihm zu fliehen: „Paul kommt die Treppen herunter, seine weiße Mütze ist eine große Petunie, sie schluckt sein linkes Ohr.“ (F 243) So überträgt sich aus der mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladenen Szenerie vor Adinas Fenster das Drohmoment auf das Äußere und den Körper Pauls, was sowohl für Adina als auch für Paul selbst unsichtbar bleibt. In dieses Netz aus Wiederholungen, das sich auf alle Textebenen erstreckt, fügt sich als zentrales Symbol der Fuchs ein. Er taucht nicht allein als Fell in Adinas Wohnung auf (zuerst F 141), das bei heimlichen Besuchen des Geheimdienstes nach und nach zerschnitten wird und Adina auf diese Weise vom Vordringen der Bedrohung in ihren scheinbar privaten Rückzugsraum kündet, sondern bereits im Titel wird seine Identität mit dem Jäger behauptet.18 Darüber hinaus gibt es eine kurze Reihe von Fuchspelzen.19. In dem Kapitel „Füchse gehen in die Falle“ (F 161) wird erzählt, wie Adina als Kind das Fuchsfell bekam und dabei den fuchsroten Jäger traf, der zur Titelthese den Anlass gibt. Der Fuchs geht durch Adinas Traum (F 188), von dem sie Ilije berichtet, und: „Der Fuchs steht immer im Kopf.“ (F 231) Als Metapher für die Präsenz des Geheimdienstes liegt „der Fuchs auch bei ihnen im Haus, und Liviu und das Lamm werden der Gefahr des Fuchses nicht gewachsen sein.“ (F 263) Dies sind im strengen Sinne keine 16 Unmittelbar daran anschließend entdeckt Adina den ersten abgeschnittenen Fuß des Fuchses und ist über die Bedeutung dessen noch ganz unsicher, selbst als sie, die keine Quitten isst, in der Küche eine halbe Quitte und ein Messer vorfindet. Vgl. F 141–143. 17 Erst hier wird dem Leser minutiös der Einbruch und die Präparation von Adinas Wohnung vorgeführt, während Adina dieser Vorgang weiter verborgen bleibt. Vgl. F 158–160. 18 Auf diese Weise gelangen Fuchs und Jäger, die beiden metaphorischen Gegenspieler des Textes, schon ins Bewusstsein des Lesers, bevor der Text überhaupt begonnen hat. Sie werden zueinander in ein Verhältnis gesetzt, das die erzählte Geschichte nun beglaubigen muss. Insofern hat sie, wie ein Roman dies laut Lukács tun soll, eine Handlung darzubieten, die Anfang und Ende aufweist. Lukács möchte das Ende des Romans, zwar außerhalb der biographischen Kategorien von Geburt und Tod des Helden, aber gebunden an eine letztgültige Sinnerfüllung sehen, die schlechterdings nur das Lebensende des Helden garantieren kann. Hier wird diese Forderung in übertragenem Sinne erfüllt, indem Adina und Paul das Fuchsfell verabschieden, sozusagen beerdigen (F 284), das stellvertretend für Adina vom Geheimdienst zerstückelt wurde. Vgl. Georg Lukàcs: Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Form der großen Epik. Frankfurt a. M. 1991, S. 70ff. Die hier entfalteten Überlegungen zielen vorrangig auf die Traditionen des Romans im 19. Jahrhundert, können aber im Zusammenhang mit Herta Müllers Roman erhellend sein, da die Autorin tatsächlich auf eine im metaphysischen Sinne geschlossene Handlung zurückgreift. 19 Als Pelzkragen am Mantel, den die Tochter der Dienstbotin von der Frau des Offiziers bekam (F 164); wieder als „Fuchskragen mit verknoteten Füßen“ einer Frau im Zug (F 184).
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Wiederholungen, weder werden Formulierungen aufgenommen, noch werden Handlungen genau wiederholt. Allein die Entdeckungen, die Adina an dem vom Geheimdienst zugerichteten Fuchsfell machen muss, stellen eine Wiederholung mit Variationen und Steigerung dar. Mit jedem Schnitt rückt die Bedrohung näher an sie heran, was auch thematisiert wird: „Und du bleibst hier, sagt Ilije, du wartest, daß sie deinen Fuchs zerschneiden, und dann.“ (F 190) „Noch ein Fuß, sagt Paul, das ist ein Fuchs, mit dem man den Verstand verliert.“ (F 201) Und ihre Reaktionen werden immer irrationaler; sucht sie zunächst das Gespräch mit Clara (F 165), dann mit Ilije (F 179–190), so will sie später in den Rausch entkommen, was ihr die strengen Alkoholvorschriften der treu sorgenden Regierung verwehren (F 191–195), nur um kurz darauf erneut einen abgeschnittenen Fuchs-Fuß vorzufinden. (F 199) Die größte Irritation löst jedoch der abgetrennte Fuchskopf aus, weil Adina – und mit ihr der Leser – nicht mehr damit rechnet, noch nach dem Sturz der Diktatur von den Agenten überwacht und heimgesucht zu werden. (F 283) Im Gegensatz zu den weiter oben besprochenen, vom Text lediglich thematisierten, aber nur schwach formal verankerten Wiederholungen von Handlung und Geschehen wird jeder einzelne Schnitt am Fuchs besprochen, z.T. sogar gezeigt, so dass sich in der formal variierten Wiederholung nicht Kontinuität oder Stagnation zeigt, sondern vielmehr eine Steigerung bis zum trotzdem noch überraschenden Höhepunkt. Das Fuchsfell selbst spielt in diesem Zusammenhang gewissermaßen eine Doppelrolle, denn es lenkt neben anderen Momenten des Textes die Aufmerksamkeit auf die Verletzbarkeit des letzten Rückzugsortes eines Individuums, des Körpers. Einerseits ist der Körper auch Sitz der Sinneswahrnehmungen, die in Müllers Texten elementar der authentischen Vermittlung von Wirklichkeit dienen, doch für die Figuren ist ihr Körper zugleich in dem existenziellen Enteignungsverhältnis gegenüber ihrem Leben der Bürge für die letzten Reste an Verfügungsgewalt über ihr Dasein. Ständig thematisieren die Figuren die physiologische Seite ihrer Existenz im Fluch oder in zotigen Erörterungen, ebenso richten sich die Repressionen, denen die vom Geheimdienst bespitzelten Menschen ausgesetzt sind, direkt auf ihre Physis: Die verbalen Belästigungen und körperlichen Übergriffe verletzen auf infame Weise die intime Sphäre der Sexualität Adinas. (F 111, 199, 212) Diese bringt die geheimdienstlichen Taktiken Pavels auf den Punkt: „[...] für Männer wird seine Faust hart, für Frauen sein Schwanz.“ (F 222) In diesem Spannungsfeld des Körpers, der einerseits Sitz letzter Selbstbestimmung und andererseits ein besonders verletzliches Ziel von repressiven Maßnahmen ist, spielt das zerschnittene Fuchsfell eine signifikante Rolle. Die von ihm ausgehende Bedrohung kann nur wirksam sein über die Identifikation dieses toten Körpers mit dem lebendigen Körper Adinas, so dass der Fuchs einerseits als ihr Stellvertreter und andererseits als Stellvertreter der unsichtbar operierenden Geheimdienstler funktioniert. Wie auch der Titel des Romans nahelegt, fallen hier Opfer- und Täterrolle zusammen. Auch andere bedeutungsaufgeladene Momente des Textes weisen auf diese Identität hin. An erster Stelle ist hier wohl die Erzählung Adinas vom Erwerb des Fuchsfelles zu nennen, das ihr in ihrer Kindheit die Ähnlichkeit der Rollen von Täter und Opfer direkt
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vor Augen führte. Der Jäger gleicht dem Fuchs buchstäblich bis aufs Haar, das, wie auch sein Bart, fuchsrot ist. (F 167) An genauso prominenter Stelle wie das Fuchsfell steht ein anderes Element, das die Nähe von Tätern und Opfern betont. Es handelt sich um die Namen, die zuweilen sogar mit Majuskeln angeführt werden. Beinahe jeder Name setzt sich zu den anderen in Beziehung; die meisten Nebenfiguren werden in typisierter Form entweder mit ihrem Beruf oder einem narrativ eingeführten Attribut bezeichnet, z.B. „die Schnittwunde“ für einen Geheimpolizisten (F 147ff.), „die Tochter der Dienstbotin“ (F 32 u.ö.), in der Verhörsituation steht für Pavel Murgu „das Muttermal“ (F 147ff.). Eine solche Sparsamkeit in der Namensgebung fällt auch in den anderen Texten Müllers auf; ein kaum zu überlesender Hinweis bietet sich also in der ausführlichen Überlegung, dass der Wachhund eines Objektes in der Nähe von Adinas Wohnung trotz seines männlichen Geschlechtes den Namen „Olga“ (F 59) trägt. Warum sollte diese Tatsache so wichtig sein, wenn sie nicht weiter verweisen würde? Ein Name mit größter Ähnlichkeit ist schnell gefunden: Dolga. Es ist der Familienname von Adinas Verlobtem Ilije, der an der Grenze seinen Wehrdienst leistet. Die Klangverwandtschaft der Namen deutet auf die prinzipielle Ähnlichkeit der Tätigkeiten; beide sind im Dienst der Macht ohne Verweigerungsmöglichkeiten mit der Bewachung des Machtbereichs beschäftigt, der eine als tatsächlicher Wachhund, der andere als soldatischer Wachhund. Noch klarer wird die Struktur an der bereits erörterten symmetrischen Entsprechung bei den Namen der wichtigsten Männer des Textes, nämlich Pavel und Paul.20 Adina selbst besitzt keine namentliche Entsprechung jenseits der angenommenen Grenze zwischen Gut und Böse, doch ihr Schicksal findet seine Parallele in dem des Freundes Albert, genannt Abi (das klanglich dann doch an „Adina“ erinnert). Symbolisch bedeutsam lautet sein ungarischer Familienname Karaczoly auf Deutsch „Weihnachten“, und dieses Fest erhält seine Bedeutung im Leben Adinas, weil sie aus diesem Anlass in ihrer Kindheit das Fuchsfell geschenkt bekommt. Die Figur Adinas hat mit Abi darüber hinaus gemeinsam, dass sich beide an ihre Kindheit erinnern, was anderen Figuren verwehrt bleibt. An Abi erfüllt sich das auch Adina zugedachte Schicksal während des politischen Umsturzes: er „verschwindet“, so dass sich Pavel Murgu seiner Identität zur Flucht über die Grenze bedienen kann. (F 273) Allein Clara lässt sich weder der Gruppe der Verfolger noch der Gruppe der Verfolgten zuordnen. Sie, deren Name eigentlich auf claritas zurückzuführen ist, steht zwischen allen Parteien – sie ist nicht „gut“ und nicht „böse“, sondern völlig unentschieden und uneindeutig in ihrer Haltung. Sie will sowohl die Freundschaft zu Adina bewahren als auch die Treue zu Pavel als auch die materiellen Vorteile dieses Verhältnisses genießen.
20 Bei einer Autorin, deren Texte auch stark mit klanglichen Effekten und Rhythmisierungen arbeiten, sei hier ein kurzer Hinweis auf die Nähe von „Pavel“ und „Pappel“, dem Namen des Agenten der Staatsmacht und dem Baum der Staatsmacht, gestattet.
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Was geschieht durch diese symmetrische Anordnung der Namen? Werden Täter und Opfer in eine gleichsetzende Nähe gerückt, wie mancherorts behauptet?21 Die gesamte Symbolstruktur des Textes scheint diese Lesart nahezulegen, zumal der Titel eine Identität von Jäger und Gejagtem behauptet. Doch beim Vergleich der Figuren auf beiden „Seiten“, auch der durch ihren Namen zusammengeschlossenen, erweist sich diese Deutung als kaum haltbar, legt doch keine Verhaltensweisen an den Tag, die ihrer Täterbzw. Opferrolle widersprechen würde. Pavel Murgu stilisiert sich zwar im Gespräch mit Clara zum Leidensgenossen (F 172), der ebenso nur auf seinem Posten ausharrt wie alle anderen auch, aber das ist durchaus als zynische Rhetorik zu verstehen, da gerade er die Überwachung und Bedrohung Adinas anleitet und am Ende auch für Abis Tod verantwortlich zu sein scheint. Unhaltbar ist also die These, dass hier die einander bedingenden und durchdringenden Rollen von Täter und Opfer dargestellt werden sollen. Wohl eher das Gegenteil: Täter und Opfer sind im fiktionalen Rahmen ganz klar definiert, so dass die verfolgte Adina kaum mit ihrem Verfolger Pavel Murgu gleichgesetzt werden kann. Die im Titel behauptete Identität von Fuchs und Jäger erwächst vielmehr aus einem Deutungsproblem, das sich fiktionsimmanent den Figuren stellt. Das Fuchsfell spielt ja eine Doppelrolle, ist insofern für Adina immer ein ambivalentes Zeichen. Einerseits wird der Fuchs an ihrer Stelle zerschnitten, andererseits geht von ihm die Bedrohung aus. Sie muss den Fuchs als ihren Jäger in ihrer Wohnung empfinden. Er ist ein Symbol, das für sie keine eindeutige Aussage beinhaltet. Es treten in ihm also nicht die Funktionen von Fuchs und Jäger zusammen, vielmehr treten sie in ihm als mehrfach deutbarem Zeichen auseinander. In diesem Licht erscheint auch die Problematik der verwandten Namen völlig anders. Ihre Ähnlichkeiten bedeuten eben nicht, dass ihre Träger wesensverwandt wären, wie das vor allem bei „Olga“ und „Dolga“ zu sein scheint, sondern hierdurch werden die Namen der Menschen und Dinge als Wesenszeichen diskreditiert. Dass Pavel und Paul denselben Namen tragen, sagt nichts über ihre Identität, es sagt etwas über ihre Namen, nämlich über deren Bedeutungslosigkeit. Die Erfahrung des nicht passenden Namens wird ja explizit thematisiert am Beispiel des Zwerges Constantin, dessen Namen sich der Direktor nie merkt, weil er nicht der Person entspricht. (F 119f.) Daher erweist sich der Zwerg Constantin als Pendant zu Clara. Die Entsprechung bzw. Verdoppelung liegt hier jedoch nicht in einer klanglichen Verwandtschaft der Namen, sondern in ihrer analogen Funktion; zu Constantin und Clara passen die Namen nicht, weil sie das Wesen im Namen verweigern. Wie die Namen der Menschen keinen zuverlässigen symbolischen Charakter tragen, so erweist sich auch jedes lebensweltliche Detail als äußerst unzuverlässig im Hinblick auf seine Bedeutung. Trotz der möglichst unmittelbaren Präsentation der Sinneswahrnehmungen kann jedes Bild, jedes Detail mehrfach gedeutet werden. Einige 21 „Zwischen Täter und Opfer besteht kein Unterschied mehr. Schuldige und Unschuldige sind sich täuschend ähnlich geworden.“ Verena Auffermann: „Wo bei anderen das Herz ist, ist bei denen ein Friedhof.“ In: Süddeutsche Zeitung, 30.09.1992.
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Male wird im Verlauf des Textes vorgeführt, wie scheinbar eindeutige, harmlose Szenerien sich als inszenierte Überwachungsmaßnahmen entpuppen. Das zeigte sich bereits an der Frau mit dem kastanienroten Haar und den weißen Petunien, aber auch Pavel taucht zunächst als harmloser Spaziergänger auf: „Auf der anderen Seite des Flusses sitzen zwei Männer auf einer Bank. Sie tragen Anzüge. Ihre Ohren sind durchsichtig vom Licht, sie stehen wie Blätter nebeneinander. Der eine trägt eine rotblau getupfte Krawatte.“ (F 44) „Der Mann mit der rotblau getupften Krawatte steht von der Bank auf, im Gehen steckt er die Krawatte in die Jacke, [...] er geht Claras Beinen nach, ihr Sommerkleid fliegt.“ (F 48)
Zwar können Sinneswahrnehmungen selbst nicht Sinn tragen, aber ihre Deutung stellt eine existenzielle Notwendigkeit dar. Um ein Leben führen zu können, ist der Mensch auf die stetige Einordnung und das Verstehen der ihn umgebenden lebensweltlichen Phänomene angewiesen. Wenn die Gegenstände der Sinneswahrnehmungen jedoch mehrfache, widersprüchliche Bedeutungen bergen, so wird es sinnlos, sie deuten zu wollen. Selbst in der auf das Konkret-Sinnliche reduzierten Wahrnehmung stecken demnach noch trügerische Potentiale. Es bleiben in einer solchen Welt nur noch der Rückzug und die Hinnahme des Gegebenen als Gegebenes selbst, und zwar ohne Anspruch auf Sinnhaftigkeit. Dies legt auch das Motto mit seiner dreimaligen resignativen Geste nahe: „Macht nichts, macht nichts, sagte ich mir, macht nichts.“ Die stilistisch-syntaktische Wiederholung im Motto selbst wird verstärkt durch die Wiederholungen im Text sowie im Paratext. Es wird wie ein Leitmotiv von verschiedenen Personen in unterschiedlichen Bedeutungen, aber ähnlichem Wortlaut gebraucht (F 111, 123, 183, 212, 263, 284f.) und benennt, gewissermaßen als Quintessenz, das letzte Kapitel: „Macht nichts“. (F 284)22 Es besagt in seiner vielseitigen Verwendbarkeit eigentlich nichts, wobei es ja selbst die Nichtigkeit jeder Aussage- bzw. Handlungsanstrengung behauptet. Wo keine Sicherheit über die Welt herrscht, kann nicht mit Aussicht auf Erfolg planvoll in sie eingegriffen werden. 22 Das Motto entstammt Venedikt Erofeejevs Untergrund-Klassiker Die Reise nach Petuschki. Ein Poem. (Moskva – Petuški. 1969/1973) Dieses Buch, auf das Müller so nachdrücklich intertextuell verweist, ist auf vielfältige Weise eng mit Müllers Text verwandt, obwohl auf den ersten Blick das verspielte, komisch-melancholische Saufgelage mit dem Diktatur-Roman Müllers wenig verbindet. Einerseits ziehen sich durch das wortwörtliche Stationen-Drama Erofeejevs Wiederholungen auf der Handlungsebene (Zugstationen, Trinkrituale, Rezepte, Scheitern) genauso wie auf der formalen Ebene: „Und ich trank unverzüglich.“ „Macht nichts, macht nichts.“ Eng verbindet beide Texte auch die ausgestellte Ideologieferne, die einerseits durch die gesamte Anlage des Textes als karnevalesker Gegendiskurs von unten und durch die aberwitzigen Dialoge auf der Bahn und andererseits – bei Müller – durch die Konzentration auf das unmittelbar Wahrnehmbare und Erfahrbare ohne den jenseits der Lebenswelt angesiedelten ideologischen Überbau gehalten wird. Vgl. Wenedikt Jerofejew: Die Reise nach Petuschki. Ein Poem. München 72000.
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Die Undurchschaubarkeit der Welt beschränkt sich nicht auf die Gegenstände, deren Zeichencharakter sich als so unzuverlässig erweist, sie bestimmt ganz wesentlich die Beziehungen der Menschen untereinander, da keiner dem anderen trauen kann. Der Vertrauensbruch ist eine alltägliche Geste, aus der sogar Kapital geschlagen wird. Beispielsweise verkauft Grigore illegal Goldschmuck, nur um die Käufer anzuzeigen und die Ware nach Beschlagnahme erneut anzubieten. Dabei ist dieses Verfahren Grigores ein offenes Geheimnis. Schwerer wiegt dagegen der scheinbare Vertrauensbruch, den Clara an Adina durch ihr Verhältnis mit Pavel begeht. Dies ist aber durchaus keine Entscheidung, die auf einer Sinnesänderung Claras beruhen würde, vielmehr macht sie ihren Anspruch auf Liebe und auf Schönheit in ihrem Leben geltend, dabei den unschönen Ehebruch Pavels und den Verrat an Adina in Kauf nehmend. Adina kann daher nur durch die Vehemenz überrascht werden, mit der Clara ihre Wünsche durchsetzt ohne Rücksicht auf so zerbrechliche Werte wie Freundschaft oder Moral. Adina hatte die Mächtigkeit von Claras Begehren nach Lebendigkeit unterschätzt – sie kennt sie nun nicht mehr und muss feststellen, dass Clara für sie eine Fremde ist. (F 282) Diese Empfindung der Fremdheit prägt beinahe jede menschliche Bindung, da das Wissen über die Persönlichkeit, die Wünsche und die Ängste des anderen sich ständig als falsch erweisen kann. So zeigt sich, dass Ilije wohl einen politischen Witz Abis an den Geheimdienst weitergegeben hat. Es gibt keinerlei Informationen über die möglichen Motive dieser Handlung, was im Raum stehen bleibt, ist allein der Verrat. Keiner kennt den anderen, so dass das Feld der zwischenmenschlichen Beziehungen sich letzten Endes als ebenso undurchschaubar, unberechenbar und unsicher darstellt. Dieses Feld ist also nicht ausgenommen von der Unzuverlässigkeit der Zeichen, die der gesamten Lebenswelt ihre sichere Ordnung raubt.
2.2. Wiederholungen: Unzuverlässige Zeichen Die Wiederholung ist stets ein Mittel der Literatur: Sie hält Texte formal zusammen, reguliert und rhythmisiert den Textfluss, stiftet, verschiebt und überträgt Bedeutung, lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers, stellt Literarizität der Rede oft erst her und bestimmt je nach Art ihrer Realisierung häufig auch den Grad der Poetizität des Textes. Hier, bei Müller, gehen ihre Wirkungen aber weit darüber hinaus, denn sie werden einerseits zum fiktionsimmanenten Merkmal der dargestellten Welt und andererseits zum Medium, in dem sich deren besondere Verfasstheit und ein generelles Problem der Zeichen dieser Welt durchdringen. Zunächst sind innerhalb der Fiktion die Wiederholungen ein Charakteristikum der lebensweltlichen Umgebung und der ausweglosen Diktatur-Existenz, die über Generationen hinweg die Biographien in dröge, ununterscheidbare Kollektivschicksale zwängt. Die äußerliche Eintönigkeit bedeutet jedoch mitnichten Entlastung, sondern birgt, wie am Beispiel der Pappeln und des Sehens durch glänzende Gegenstände gezeigt, die Allgegenwart und Allmacht des herrschenden Regimes. Das ästhetische Prinzip setzt die politische Totalisierung auf diese Weise in einfache Bilder. Der wiederholte Goldverkauf Grigores mit
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anschließendem Besuch der Securitate bedeutet ebenso wie die stets enttäuschte Hoffnung der Fabrikarbeiterinnen auf den Schutz der trauernden Katze, während sie für eine Wattejacke missbraucht werden, den fortgesetzten Betrug an den Frauen. Alles scheint still zu stehen in der ewig gleichen Abfolge des Daseins und den ewig gleichen Ansichten von Stadt und Land. Räumlich und zeitlich veharrt das dargestellte Leben auf der Stelle, die der Text sprachlich (wörtliche Wiederholungen) und inhaltlich (erzählte und motivische Wiederholungen) immer wieder aktualisiert. Dieser Eindruck wird in den Äußerungen der Figuren narrativ hergestellt, im Verlauf des Textes durch Wiederaufnahmen von Details oder Formulierungen auch formal verankert und nicht zuletzt in einigen kürzeren Textabschnitten syntaktisch und stilistisch verstärkt. Dort wird das Auf-der-Stelle-Treten unmittelbar in sprachliche Struktur umgesetzt: „Es gibt Tage in dieser Stadt im August, da ist die Sonne ein geschälter Kürbis. Da erhitzt sich von unten der Asphalt und von oben der Beton des Wohnblocks. Da geht der Kopf vor Hitze mit losgelöster Schädeldecke durch den Tag. Da krümmt sich am Mittag der kleinste Gedanke im Kopf und weiß mit sich nicht wohin. Da wird der Atem schwer im Mund. Da haben die Leute nur diese verlorenen Hände. Da kleben diese Hände nasse Bettücher an die Fensterscheiben, um sich zu kühlen. Da sind die Bettücher schon trocken, bevor die Hände sich zurückziehen vom Glas.“ (F 113)
Ein solcher Tag treibt Ilijes ganze Verzweiflung über das Leben in Ceauşescus Rumänien hervor, und auch der Leser wird mit der anaphorischen Verwendung des „da“ auf die Wahrnehmungen an einem typischen heißen Augusttag in der Stadt fixiert, an dem es keinen Ausweg, weder aus der Hitze noch auch aus dem ganzen Land, zu geben scheint.23 Eine vergleichbare Passage spricht über den Winter mit seiner Kälte, die in die Menschen dringt und sie in ihrem Unglück verstummen lässt. Auch hier werden parallele syntaktische Konstruktionen und Anaphern eingesetzt, um den Erzählfluss anzuhalten und die Wirkungen des Winters bis in die Körper hinein zu verfolgen: „Es ist ein Abend im Café, der sich mitten in der Stadt die Uhrzeit nimmt, wie hier und da, wie nebenbei ein menschengroßer Schatten sich im Fluß das Leben. Es ist ein Winter in der Stadt, ein langsamer, vergreister, der seine Kälte in die Menschen steckt. Ein Winter steht da in der Stadt, in dem der Mund auskühlt [...]. Ein Winter steht da in der Stadt, in dem das Wasser nicht einmal zu Eis gefriert, in dem die Alten ihr vergangenes Leben wie Mäntel tragen. Ein Winter, in dem die Jungen sich wie Unglück hassen müssen [...]. Ein Winter geht da um den Fluß, wo statt des
23 Ilije erleidet einen Zusammenbruch und tötet sinnlos Kakerlaken: „Sie werden alles überleben, Städte und Dörfer. Auch das endlos geackerte Feld ohne Weg und Baum, auch den elenden Mais, die Karpaten und den Wind auf den Steinen, auch Schafe und Hunde und Menschen. Sie werden diesen Sozialismus fressen, ihn mit dicken Bäuchen runter an die Donau schleppen. Und drüben, am anderen Ufer, werden Erschrockene stehen und in die Hitze blinzeln. Und übers Wasser schreien, das sind die Rumänen, sie haben es verdient.“ (F 114).
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Wassers nur das Lachen friert. Wo stottern schon geredet ist [...]. Wo jede Frage in der Kehle abklingt und immer wieder stumm und stummer mit der Zunge an die Zähne schlägt.“ (F 218; Hervorhebungen d. A.)
Die Wiederholung, auf inhaltlicher und formaler Ebene, bedeutet also zunächst einmal Stagnation und schlechte Kontinuitäten. In der entworfenen Welt sind die Menschen eingeschlossen in diesen Raum aus existenziellen Gleichförmigkeiten und ubiquitärer Beaufsichtigung. Sie besitzen kaum Verfügungsgewalt über ihr Leben, sind durch die Differenz zwischen dem, was man zeigen und sagen darf, und den geheimen Ansichten und Aktivitäten, Fremde darin. Freunde verbergen ihr Innerstes nicht allein in der Öffentlichkeit, sondern auch vor vermeintlich engen Vertrauten. So erscheinen letztendlich auch die Menschen einander als grundsätzlich fremd. Die Wiederkehr des Gleichen führt also paradoxerweise nicht zu Verlässlichkeit, zum Gefühl des Heimisch-Seins in den Verhältnissen und sozialen Bindungen, vielmehr kann der einzelne jederzeit aus seinen brüchigen Sicherheiten vertrieben werden. Dieses Bewusstsein ist bei den Hauptund Nebenfiguren naturgemäß unterschiedlich stark ausgeprägt; vor allem an Adina wird dieses Schwinden der alltäglich notwendigen, doch notdürftigen Vertrauensbasis vorgeführt, da ihr nach und nach der sichere Boden in allen Lebensbereichen entzogen wird. Dieser Entzug beruht im Wesentlichen auf der Verunsicherung, die angesichts der Undurchschaubarkeit der Umwelt und des Geschehens Adinas Leben bestimmt. Für sie bleibt das Zerschneiden des Fuchses ein Vorgang im Verborgenen; die zotigen Zettel in ihrem Briefkasten sind anonym (vgl. F 111); der sie belästigende Mann mit glänzenden Schuhen erscheint für sie verdächtig, kann von ihr aber nicht klar eingeordnet werden (F 198f. und 211f.). Ob Clara sie im eigentlichen Sinne verraten hat, weiß sie nicht genau, so dass sie deren Verhältnis mit Pavel überhaupt als Grund für die Beendigung der Freundschaft ansehen muss. An der Integrität Livius und dessen Frau zweifelt Adina nicht, fürchtet aber deren mögliche Schwäche (F 263). Und schließlich hält die Bedrohung durch den Fuchs in ihrer Wohnung auch nach dem Ende des Regimes an, ohne dass ihr – oder dem Leser – klar wird, wer warum dafür verantwortlich ist. Diese Unklarheiten auf der Figurenebene werden also für den Rezipienten nur zum Teil beseitigt; er erfährt zwar, wer wie das Fuchsfell zerschneidet und dass Pavel und Clara offenbar dann doch mehr verbindet als dienstliches oder materielles Interesse, trotzdem ist sein Wissensvorsprung gering. Und dieses Wissen teilt sich ihm in erster Linie über Wiederholungen in der Darstellung mit. So erlebt er zweimal, wie Pavel seine Zielpersonen anspricht, erblickt mehrmals die Frau mit den Petunien, beobachtet dreimal den Mann mit den glänzenden Schuhen. Hier entbirgt sich ihm in der Wiederholung jeweils eine neue Bedeutung des Gezeigten. Nur weil der Leser den Mann mit den glänzenden Schuhen schon „bei der Arbeit“ gesehen hat, weiß er um dessen wahre Intentionen, als dieser Adina belästigt. Und nur weil er die Frau mit den Petunien als harmlose Nachbarin gezeigt bekam, kann der Leser einschätzen, wie eng die von Adina unbemerkte Überwachung tatsächlich ist. Diese Bedeutungsverschiebungen und -erweiterungen werden ohne größeren erzähleri-
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schen Aufwand meist durch die wörtlichen Wiederaufnahmen von Formulierungen möglich. Trotzdem muss der Leser, genau wie Adina, seine Deutungsleistung immer wieder neu erbringen. Zwar kann sich die Hauptfigur ihrer lebensweltlichen Sicherheiten in der Gegenstandswelt und in ihren sozialen Bindungen immer weniger gewiss sein, während dem Rezipienten der Überwachungsapparat transparenter ist, doch letztlich gewinnen beide keinen Aufschluss über die wichtigen Zusammenhänge: Was ist mit Abi geschehen? Hat Ilije die anderen verraten? Welche Rolle spielt Pavel genau dabei? Hat Clara Adina verraten? Wer erhält das Drohszenario am Ende noch aufrecht? Warum? Darüber geben dem Leser die unvollständigen Außenansichten genauso wenig Auskunft wie Adina. Letztendlich steht der Leser ebenso wie Adina immer wieder vor der Herausforderung, Zeichen deuten zu müssen. Adina muss die Zeichen ihrer – fingierten – Lebenswelt deuten, der Rezipient muss diesen Deutungsprozess mit ihr durchlaufen, allerdings vermittelt über die Sprache, so dass aus dem existenziellen Problem Adinas auch ein zeichentheoretisches Problem auf der Rezeptionsebene wird. Müssen die Figuren der dargestellten Welt diese immer neu entziffern und feststellen, dass ihre wiederholten Anstrengungen zu keinem sicheren Ergebnis führen, kann auch der Leser stets mit einer Bedeutungsverschiebung rechnen oder gar mit mehrdeutigen Zeichen, deren Bedeutungspotenzial so weit gespannt wird, dass es sinnlos ist, einen Sinn festschreiben zu wollen. Dieser Fall wird am stärksten durch das Fuchsfell und die Namenskonstellation repräsentiert. In zeichentheoretischer Hinsicht durchläuft auch das Motto „Macht nichts“ in seinen vielfältigen Verwendungsweisen einen vergleichbaren Prozess, der sogar zur völligen Einbuße von Bedeutung führt: Wenn es in allen möglichen Kontexten geäußert werden kann, ohne unpassend zu sein, sind entweder die fiktionalen Kontexte im Grunde keiner Bedeutungszuschreibung zugänglich, da Bedeutung über Differenz hergestellt wird – das wäre eine Aussage über die fiktionale Welt – oder das ständige Wiederholen der Zeichen bringt nur noch ein „semantisches Rauschen“24 hervor, keine spezifische Bedeutung. Es bleibt nur die allgemeine resignative Geste, die sich einerseits in die Unverfügbarkeit und Undurchschaubarkeit des eigenen – als nicht sinnhaft erfahrenen – Schicksals schickt, und andererseits die Entmachtung tradierter literarischer Techniken der Bedeutungskonstitution. Nicht Identität scheint hinter den sprachlichen Zeichen auf, sondern vielmehr gerät die Zeichenhaftigkeit, sei es in definierten Elementen der literarischen Formensprache wie dem Symbol, sei es in fiktionsimmanenten Bedeutungsverschiebungen qua Wiederholung, selbst unter Verdacht. Vor allem auf der Basis der wörtlichen und sachlichen Wiederholungen ergibt sich ein Gesamtbild, das einerseits die dargestellte Welt in ihrer Enge und Stagnation und zugleich deren ständigen Entzug für die Figuren vorführt und andererseits das Darstellen selbst für den Leser als prekären Prozess charakterisiert.25 Zwar verfügt der Rezipient über deutlich 24 Zu diesem Begriff vgl. Naumann, Dietrich: Semantisches Rauschen. Wiederholungen in Adalbert Stifters Roman „Witiko“. In: Dasselbe noch einmal: Die Ästhetik der Wiederholung. Hg. v. Carola Hilmes und Dietrich Mathy. Opladen, Wiesbaden 1998, S. 82–108. 25 Haupt-Cucuiu analysiert die bevorzugte sprachliche Form von Müllers Texten an einigen Beispielen sehr genau, bezieht aber leider ihre Beobachtungen nicht auf das Dargestellte zurück, obwohl
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mehr Kenntnis der Vorgänge, die Adina verborgen bleiben, doch grundsätzlich ist er derselben Unsicherheit und Unzuverlässigkeit der Zeichen, seien sie fiktionsimmanent lebensweltlich, seien sie sprachliche Zeichen an der Textoberfläche, ausgeliefert. Dieses Moment der Fremdheit Adinas im eigenen Dasein teilt sich dem Rezipienten auch sprachlich schon im einfachen parataktischen Stil mit, der die Wahrnehmungsdetails des fingierten Bewusstseins nicht in einen logisch-begrifflichen Zusammenhang bringt, sondern sie als nicht sinnhaft, ausschließlich sinnlich erfahrbare Daten der Umwelt ausweist. Verstärkt wird diese Wirkung noch durch das mehrfach angewandte Verfahren, neue Kapitel oder Textabschnitte mit längeren Passagen zu beginnen, die lediglich einen registrierenden Blick auf Details erlauben und erst nach und nach deren sachlichen Zusammenhang liefern. In stehenden Bildern werden Einzelheiten wahrgenommen, die sich erst allmählich zu einem Ganzen fügen.26 „Die Stricknadeln liegen auf dem Tisch. Der Fabrikhof ist still. Der Wind riecht nach Malz. Hinter den Dächern drüben steht der Kühlturm der Bierfabrik. Aus dem Kühlturm spannt sich das dicke, eingepackte Rohr über die Straße in den Fluß. Aus dem Rohr steigt Dampf.“ (F 102) „Auf der Windschutzscheibe liegt dicker Staub. Sein Ellbogen steht auf ihrem Haar. Sein Mund keucht, sein Bauch stößt. Sie drückt das Gesicht an die Lehne. Sie hört am Handgelenk das Ticken der Uhr. Das Ticken riecht nach eiligen Wegen, nach Mittagspausen und Benzin. Seine Unterhose liegt auf dem Boden, seine Hose hängt auf dem Lenkrad. Hinter der Scheibe sehen Maisstengel schief nach vorne gebeugt in ihr Gesicht. Ihr Höschen liegt unter seinem Schuh.“ (F 135)
Stilfragen nie ohne Konsequenz für die Fiktion bleiben. Ihre Arbeit ist trotzdem durch die ausführliche Behandlung stilistischer Eigenheiten Müllers ein aufschlussreicher Beitrag. „Es wird viel mit den Mitteln der Musik gearbeitet: 1 Parallelität, 2 Wiederholung, 3 Wiederholung mit Variation, 4 Steigerung. Diese Mittel erhöhen die Lebendigkeit, Eindringlichkeit und Intensität der Texte.“ Herta Haupt-Cucuiu: Eine Poesie der Sinne. Herta Müllers „Diskurs des Alleinseins“ und seine Wurzeln. Paderborn 1996, S. 21. 26 Den Hinweis im Buch, dass dieser Text auf der „Grundlage des Drehbuchs zu dem Film ‚Der Fuchs der Jäger‘“ entstand, nimmt Raddatz zum Anlass, solche Passagen zu Beginn von Textblöcken als „Resteverwertung“ zu kritisieren, da der Roman nach dem Film geschrieben wurde; das „bloße Beimengen von Kameramanndiktate[n]“ führe zu einem verdorbenen Ergebnis. Vgl. Fritz J. Raddatz: Pinzetten-Prosa. In: Die Zeit, 28.08.1992. Dazu wäre zu bemerken, dass sich Müller dieser Erzähleinstiege eben schon in den „Niederungen“ bedient und dies keineswegs als unliterarisch zu bewerten ist. Vielmehr kann der Begriff des „filmischen Schreibens“ hier eine berechtigte Anwendung erfahren. Denn wie in der Art aufeinanderfolgender Kamera-Einstellungen wird das Gesamtbild in eine „Reihe möglicher Wahrnehmungen aufgelöst [..]; deren Benennung soll zu einem möglichst unmittelbaren Auffassen des Mitzuteilenden führen.“ Willems stellt diese Darstellungstechnik in den Rahmen des Bewusstseinsillusionismus. Vgl. Gottfried Willems: Anschaulichkeit. Zu Theorie und Geschichte der Wort-Bild-Beziehungen und des literarischen Darstellungsstils. Tübingen 1989, S. 357f.
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Diese stark herausgearbeitete Detailwahrnehmung korrespondiert auf der stilistischen Ebene der parataktischen Syntax. So, wie die Parataxe verzichtet auf die Ordnung der dargestellten Welt in subordinierte, abhängige und gewichtige Informationen im Hauptsatz, so verzichtet der Blick auf die Vielzahl der Details bewusst auf deren Hierarchisierung. Konnte in den „Niederungen“ eine solche Art der Weltwahrnehmung vorrangig als Mittel zur Simulation einer kindlich unbefangenen Perspektive aufgefasst werden, muss spätestens in diesem Roman ein weiterer Bedeutungsaspekt des Nexus von Detailreichtum und parataktischem Stil zur Kenntnis genommen werden: Da hier nicht ein erzählendes Subjekt den Blick auf die dargestellte Welt prägt, kann aufgrund der vorrangig personalen Erzählperspektive die objektive Verfasstheit der Welt für diese Verflechtung mitverantwortlich sein. Nicht subjektiver Mangel an Ordnungskategorien, vielmehr die objektive Abwesenheit jeglicher Ordnungszusammenhänge überhaupt wird hier sprachlich eingeholt. Die in dieser Weise noch ungeordnet erscheinende Wirklichkeit wird so aus nächster Nähe ergriffen, ohne dass ein begriffliches oder sonstiges Wahrnehmungsraster vorgeschaltet wäre; es entsteht der Eindruck größter Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit. In solcher sprachlicher Präsentation behält jedes Ding die ihm eigene Dignität, allerdings auch Distanz und Fremdheit gegenüber den Wahrnehmenden.27 Im Kontext des Romans Der Fuchs war damals schon der Jäger stellt sich diese Fremdheit vorrangig als Effekt der Diktatur dar, die ihren Insassen nicht nur die Verfügungs- und Sinngebungsmacht über das eigene Schicksal vorenthält, sondern auch die Deutungskompetenz gegenüber der Lebenswelt. Doch indem diese Erfahrung auch in die Darstellungsebene einwandert, wird sie nicht allein als individuell zu erleidendes Schicksal in bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhängen entworfen, vielmehr erweist sie sich als Grundbefindlichkeit in der Moderne. Die Autorin Müller betont zwar immer wieder den totalitären Zwang, der für den einzelnen zum ununmkehrbar „fremden Blick“28 führt, 27 Baßler sieht zwar ebenfalls Adina und den Rezipienten mit denselben Deutungsaufgaben befasst, setzt allerdings den Leser mit dem Jäger gleich: „Der Leser – darin der Jäger – spürt nach immer weiteren Indizien, nach Textstellen, die seinen Verdacht auf narrative Struktur bestätigen und diese Narration zugleich weitertreiben. Dieses Verfahren teilt er mit den Protagonisten, vor allem der weiblichen Hauptfigur Adina, die in bezug auf die gegen sie und ihre Freunde gerichteten Maßnahmen des rumänischen Geheimdienstes ebenfalls auf Indizien angewiesen ist.“ Moritz Baßler: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2002, S. 156. Haupt-Cucuiu wiederum betrachtet solche Erzähleinstiege vor allem als Moment der Spannungssteigerung: „Die Sätze und Satzglieder werden oft durch Rückverweise verbunden, das erhöht die Spannung (da beim Lesen aufkommende Fragen erst an einer späteren Stelle im Text beantwortet werden) und schließt die oft auf den ersten Blick zusammenhanglosen Teile zu einem Ganzen, einem Bedeutungsgefüge zusammen.“ In: Herta Haupt-Cucuiu: Eine Poesie der Sinne. Herta Müllers „Diskurs des Alleinseins“ und seine Wurzeln. Paderborn 1996, S. 21. 28 Vgl. u.a. Herta Müller: Der fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne. Göttingen 1999. Was sich hier zunächst als unmittelbare Verarbeitung und Bewältigung der alptraumhaften Erfahrungen im Rumänien der siebziger und achtziger Jahre auffassen lässt, hat seine Wurzel wohl auch bereits in den gänzlich apolitischen Erfahrungen, die die Autorin an den Beginn ihres Schreibens gestellt hat: „So haben mich alle Gegenstände auf die Probe gestellt. Mein Schreibansatz war,
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doch trifft sie selbst im Schreiben stets aufs neue die Wahl, die Welt als grundsätzlich fremd und nicht nur fremd für die fiktionalen Protagonisten auszuweisen. Bereits in den zahlreichen kürzeren Prosa-Texten hatte Müller ja Darstellungsmöglichkeiten für dieses existenzielle Gefühl der Fremdheit gesucht, ohne unbedingt äußerliche Ursachen dafür zu entwerfen. Mit Sicherheit ist die Begründung des Fremdseins im eigenen Leben durch die Diktatur auch schlicht aus Zensur-Gründen nicht ausgeführt worden, jedoch geht im Werk Müllers die ästhetische Ausformung des „fremden Blicks“ der expliziten Erzählung über dessen Grund voraus. In den Romanen und der Erzählung „Niederungen“ wird diese Distanz jeweils mit einer gewissen Außenseiterperspektive motiviert. Ist es in „Niederungen“ die Ich-Perspektive eines Kindes, das sich gerade auf der Grenze der erwachsenen Wertegemeinschaft und der Ordnungszusammenhänge befindet und die automatisierten Wahrnehmungsmuster noch nicht vollständig verinnerlicht hat, so werden in den drei Diktatur-Romanen die weiblichen Hauptfiguren aufgrund ihrer Verfolgung durch den Geheimdienst von den möglichen Gewissheiten und Sicherheiten ferngehalten beziehungsweise aus ihnen vertrieben. In Reisende auf einem Bein liegt das Fremdsein in der Welt scheinbar ganz in der Tatsache begründet, dass sich die ausgereiste Irene in vielerlei Hinsicht auf völlig neuem Terrain bewegt. Aus den angestammten Lebensverhältnissen herausgetrieben wird auch die Familie Windisch, die in Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt auf ihre Ausreise wartet und noch vor Ort ihre alte Welt zusammenbrechen sieht.
so unengagiert das auch sein mag, meine Hilflosigkeit in solchen Situationen, meine zugeschnürte Kehle: vor dem verdammten Baum stehn, nichts deuten können und nicht weiter wissen.“ Annemarie Schuller: Ihre Mittel: arm und reich zugleich. Zur Prosa von Herta Müller. In: KR, Nr. 24, 14.06.1985, S. 4–5. Zu diesem Schlüsselbegriff der Müller-Forschung vgl. etwa Paola Bozzi: Der fremde Blick: Zum Werk Herta Müllers. Würzburg 2005.
D. Sprachspiel. Postkarte (1991–2012) Mitteilung für Schreibmaschinenbesitzer Seitens des Milizinspektorats des Kreises Temesch wird den Besitzern von Schreibmaschinen mitgeteilt: Laut Staatsratsdekret Nr. 98 vom 28. März 1983 sind alle physischen Personen, die über Schreibmaschinen verfügen, verpflichtet, binnen 30 Tagen nach Erscheinen dieser Bekanntgabe bei der örtlichen Milizstelle, zu der sie gehören, um die Autorisation für den Besitz der Schreibmaschine anzusuchen. Die schriftlichen Gesuche werden bei den jeweiligen Milizstellen der Munizipien, Städte und Gemeinden hinterlegt. Die Registriernummer ist aufzubewahren. Das Gesuch muss folgende Angaben enthalten: die Daten über den Eigentümer, so wie sie im Identitätsausweis (Bulletin) eingetragen sind, Beruf, Arbeitsplatz, Marke und Seriennummer der Schreibmaschine, Art und Weise ihres Erwerbs (z.B. Kauf, Geschenk usw.), die Motivierung, weshalb man das Gerät benötigt, sowie die Liste sämtlicher grossjähriger Familienmitglieder, die mit dem Besitzer der Maschine zusammen wohnen. Innerhalb der legalen Frist werden die Milizdienststellen den Antragstellern antworten und die Prozedur der Autorisationsausfolgung bekanntgeben. Neue Banater Zeitung, 30.04.19831
Nach dem Ende der frühen Lyrik, nach dem Ende der kurzen Prosa und der Hinwendung zum Roman erweist sich Herta Müller mit der Erfindung der Postkartenbücher nicht nur in eigener Sache wiederum als Autorin des steten Neubeginns. Gelang es ihr, noch in Rumänien die Literaturlandschaft entscheidend zu beeinflussen und in Deutschland die hiesige Literatur um Erzählräume und eine neue Sprache zu bereichern, so hat sie mit den – bislang – vier Collagen-Sammlungen der Literatur überhaupt ein neues 1 Auf derselben Seite findet sich unmittelbar über dieser „Mitteilung“ ein knapper Bericht über den Besuch von F.C. Delius beim AMG-Literaturkreis. Vermerkt wird auch die Anwesenheit und Diskussionsbeteiligung Herta Müllers. Vgl. ES: Problemdichte lyrische Texte. In: NBZ, 30.04.1983. Auf Vermittlung dieses Autors und ehemaligen Lektors beim Rotbuch-Verlag Berlin kam Müllers erste Veröffentlichung, Niederungen (1984), in der Bundesrepublik zustande.
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Medium erschlossen. Wohl gibt es bereits die Collagen der Dadaisten und Surrealisten, die Technik des automatischen Schreibens, Texte auf und für Ansichtskarten, doch Herta Müller ist die erste Autorin, die mit einer Kombination dieser Formen solch ein vielfältiges und opulentes Konvolut von Text-Bild-Collagen geschaffen hat. Im Vergleich mit den genannten Traditionen sind die Querverbindungen zu den anderen Texten Müllers und die stilistisch-thematischen Eigenheiten deutlich stärker ausgeprägt; sie sind unverkennbar in ihrem Darstellungsstil gestaltet und darum gleichzeitig Erprobung wie Indienstnahme freierer Schreibtechniken. Die Postkarten sind über Themen und Stil hinaus auch in einer anderen Hinsicht eine kontinuierliche Fortsetzung der Sprachexperimente. Arbeitete Müller in den kurzen Prosatexten an einer Reduktion und Verschlankung des Stils, so bildet die Festlegung auf das Postkartenformat eine neue, rein äußerliche Form der reduzierenden Beschränkung, die den Texten eine bestimmte Länge und Knappheit vorschreibt. Das führt auf diesem engen Raum zu einer hohen Verdichtung der Texte, die trotz der restringierenden Vorauswahl des bereits ausgeschnittenen, sprachlichen Materials immer neue, unerwartete poetische Effekte präsentiert. Ziel des Kapitels über die Postkartenbücher ist es, einerseits die Einflüsse der singulären medialen Präsentationsform zu bedenken und andererseits die neuerliche Vielfalt der entstandenen Texte genauer in den Blick zu nehmen, denn mit demselben Verfahren werden vor allem in Bezug auf die Textbestandteile der Karten völlig unterschiedliche Ergebnisse erzielt; auf die Einbindung der Postkarten in das Gesamtwerk Müllers soll an den entsprechenden Stellen ebenso hingewiesen werden. Zu diesem Zweck werden an wenigen ausgewählten Karten exemplarische Lektüren vorgeführt, die möglichst Text, Bild und Text-Bild berücksichtigen, um den besonderen Charakter dieser Artefakte genauer zu verstehen. Aus dem ersten „Buch“ Der Wächter nimmt seinen Kamm. Vom Weggehen und Ausscheren werden zuerst ein Kartenzyklus und dann zwei einzelne Karten mit paradigmatischer Bedeutung für Müllers Schreiben betrachtet. Aus Im Haarknoten wohnt eine Dame folgen zwei weitere Kartenbeispiele, die auch für einen neuen Ton in der zweiten Publikation dieser Art stehen. Aus den vorerst letzten Sammlungen Die blassen Herren mit den Mokkatassen und Vater telefoniert mit den Fliegen wird zwar kein Beispiel ausführlich interpretiert, weil hier keine neue Qualität im Vergleich zu den Vorgänger-Büchern hinzutritt, aber sie bleiben bei allen Erörterungen präsent.
Die Postkarte als Medium
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1. Die Postkarte als junges Medium Sub tufişul mic şede iepurele. In kleinen Büschen hockt der Hase. 750 rumänische Sprichwörter. 750 proverbe româneşti. Bukarest 1973
Die Postkarte ist ein ausgesprochen modernes Kommunikationsmittel. Wesentlich jünger als der Brief, ist sie dazu bestimmt, kurze und nicht-geheime Botschaften zu übermitteln. Modern ist die Postkarte aber nicht nur aufgrund ihres Erfindungsdatums 1869, sondern auch wegen ihrer spezifischen Eigenschaften im Kommunikationsprozess. Sie leistet ihren Dienst nur in Gesellschaften mit hoher Mobilität und ausgeprägten Infrastrukturen zur Kommunikation, denn sie tritt erst ergänzend zum Brief oder zum direkten Gespräch hinzu. Ihr nachrichtlicher „Gehalt“ wiegt meist geringer, oft ist erst die gesamte Karte mit all ihren Eigenheiten die Botschaft: mit einem Bild, mit der Adresse und dem hinzugefügten persönlichen Text. Die Gattung der Urlaubskarte ist wohl die populärste, inzwischen vom Aussterben bedrohte Vertreterin dieser Art. Es kann natürlich gerade der begrenzte Raum eine Konzentration des persönlichen Textes auf das Notwendigste erfordern, so dass eine Nachricht in Kürze und auf dem speziell für diesen Zweck aktivierten Medium mehr Gewicht erhält. Im allgemeinen jedoch besitzt die Postkarte ein Potential der Unbestimmtheit einerseits durch die häufig anzutreffenden Bildelemente, die in vielfältige Beziehungen zum handschriftlichen Text treten, andererseits durch die Lektüremöglichkeit für jeden Unbeteiligten, wodurch der potenzielle Adressatenkreis sich ins Unübersichtliche vergrößert. Erstmals wurde die standardisierte Postkarte 1869 in Österreich ausgegeben. Nach diesem Beispiel führte die Postverwaltung des Norddeutschen Bundes im Juli 1870 die „Korrespondenzkarte“ ein. Von Anfang ihrer Geschichte an lud eine Seite der Postkarte, nämlich diejenige, die nicht die Adressierung trug, zur Gestaltung ein. Auf den beiden zur Verfügung stehenden Seiten mussten drei Elemente Platz finden; zunächst Adresse, Absender, der jedoch fakultativ ist, und Postwertzeichen – also die technischen Notwendigkeiten für den Postverkehr – dann der persönliche Text und im Fall der illustrierten Postkarte eben noch die Gestaltung, die im Rahmen der industriellen Kartenproduktion sofort zum festen Bestandteil wurde. Waren anfangs Nachrichtentext und Bild – je nachdem Grafik oder Fotografie – auf eine Seite gebannt2, so war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die heutige Form der Postkarte zum Standard geworden. Text und Bild fanden ihre getrennten Räume, so dass deren Betrachtung immer ungleichzeitig stattfinden muss. Die industriell hergestellte illustrierte Postkarte scheint somit eine sub2 So die bis 1905 bestehende postamtliche Auflage: eine Seite sei vollständig der Adresse vorzubehalten und die Mitteilung auf der Bildseite unterzubringen. Vgl. Kunst und Postkarte. Sonderausstellung 25. Juni bis 20. September 1970 Altonaer Museum in Hamburg. (Katalogbearbeitung: Gerhard Kaufmann, Manfred Meinz) Hamburg 1970, S. 11.
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jektive Textseite mit Adresse und persönlichem Kurztext sowie eine objektive Bildseite mit unterschiedlichen Motiven aufzuweisen. Diese Seite war in der kurzen Geschichte des Mediums Postkarte die Brücke zur bildenden Kunst, die in hauptsächlich drei Varianten vertreten war: Es gibt Kunstpostkarten, die in verschiedensten Drucktechniken Kunstwerke abbilden; es gibt Bildpostkarten, denen eigenständige künstlerische Entwürfe zugrunde liegen und die Postkarte als eigenständiges Kunstwerk, welche als Träger von Bildmitteilungen genutzt wird. Von der einmaligen Künstlerpostkarte bis zur privaten Bastelei reichen die Möglichkeiten dieser letztgenannten Sorte.3 In dieses Spektrum gehören auch die Publikationen Müllers mit den Formprinzipien der Postkarte und der Collage: Der Wächter nimmt seinen Kamm (1995), Im Haarknoten wohnt eine Dame (2000), Die blassen Herren mit den Mokkatassen (2005) und Vater telefoniert mit den Fliegen (2012).4 Mit großer Wahrscheinlichkeit nimmt die Autorin keinen direkten Bezug auf künstlerische oder populäre Vorläufer der montierten Postkarte, wie sie aus den volkstümlichen Formen von Collage und Montage im 18. und 19. Jahrhundert hervorgingen5, eher treffen sich hier Interessen an surrealistischer Kunsttradition und dem komplexen Medium der offenen Postkarte. Der Wächter nimmt seinen Kamm ist tatsächlich eine Sammlung von 94 in einer Schachtel versammelten Karten mit fortlaufenden Nummern, so dass das scheinbare Auseinanderstreben der einzelnen Karten in eine Ordnung gezwungen wird. Nur fünf Karten (W 42, 44, 45, 46 und 69) nutzen die Unabhängigkeit von Formatvorgaben und sind im Querformat angelegt, während alle weiteren Karten hier und auch in allen Folgepublikationen im Hochformat gestaltet sind. Weil keine Karte eine eigene Titelzeile enthält, lässt jede sich unmittelbar auf den Gesamttitel beziehen. Es steht dem Leser womöglich frei, diese Sammlung als geschlossenes Werk mit einem fortlaufenden, zusammenhängenden Text anzusehen oder auf die Vorannahme eines geschlossenen Werkcharakters zu verzichten und jede Karte als eigenständiges Werk zu betrachten. Der doppeldeutige Untertitel Vom Weggehen und Ausscheren verweist sowohl auf eben diese inhärente Dynamik der Anordnung als auch auf das einfache Herstellungsprinzip. Auf jeder Karte findet sich ein Text, der aus jeweils separat ausgeschnittenen Wörtern bzw. sogar Buchstaben zusammengesetzt ist und von einer kleinen Bildcollage oder einem schwarzen Scherenschnitt begleitet wird. Auf einer zweiten Ebene verhandelt dieser Untertitel auch die thematischen Bestimmungen des 3 Vgl. Kunst und Postkarte; Maurice Nadeau: Geschichte des Surrealismus. Reinbek bei Hamburg 1992; Diane Waldman: Collage und Objektkunst vom Kubismus bis heute. Köln 1993. 4 Der Wächter nimmt seinen Kamm. Vom Weggehen und Ausscheren. Reinbek bei Hamburg 1995 (= W); Im Haarknoten wohnt eine Dame. Reinbek bei Hamburg. 2000 (= D); Die blassen Herren mit den Mokkatassen. München 2005 (= B). Vater telefoniert mit den Fliegen. München 2012 (= V). Zur Zitierweise: Da W fortlaufende Nummern enthält, werden diese beim Zitieren benutzt. Für D und B, die keinerlei Nummerierung aufweisen, werden Ordnungszahlen strikt nach Reihenfolge im Buch zugewiesen; während für V einfach die entsprechenden Seitenangaben verwendet werden. 5 Vgl. Diane Waldman: Collage und Objektkunst vom Kubismus bis heute. Köln 1993.
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Postkartenbuches, die im weiten Sinne die Motive der Auswanderung und der Normabweichung wiederaufnehmen.6 Im Haarknoten wohnt eine Dame, Die blassen Herren mit den Mokkatassen und Vater telefoniert mit den Fliegen bedienen sich gleichfalls der Grundprinzipien der Postkarte und der Collage. Hier jedoch bleiben die 97 (D), 114 (B) bzw. 191 (V) Collagen als Abbildungen im entsprechenden Format an die Form des Buches gebunden. Durch eine spezielle Form der Buchbindung in D bleiben die Rückseiten jeweils unbedruckt.7 Auch in D, B und V gibt es mit wenigen Ausnahmen keine Titelzeilen für die Texte.8 In D und B fehlt eine ordnende Nummerierung ebenso wie Untertitel, die Aufschluss über Thema oder Machart geben würden. Vater telefoniert mit den Fliegen hingegen besitzt nicht nur Seitenzahlen, sondern ist auch in fünf etwa gleich lange Abschnitte unterteilt, deren Benennung durch ein Zitat aus der Collage am jeweiligen Beginn des Abschnittes erfolgt.9 Der Paratext bietet bei allen vier Publikationen keinen Aufschluss über eine Gattungszuordnung, die bei näherer Betrachtung problematisch ist. Handelt es sich um Lyrik bei diesen Texten und zugehörige Illustrationen? Oder haben wir Collagen mit Text- und Bildelementen vor uns? Verhalten sich die einzelnen „Seiten“ der Postkartenbücher zueinander wie Bestandteile eines Zyklus, sind sie in einer zwingenden Reihenfolge angeordnet, oder gilt jede Karte für sich als abgeschlossenes Artefakt? Die Frage nach der Gattungszugehörigkeit dient also zur Klärung der inneren Strukturen dieser Werke, denn die Gattung „Postkarte“ ist als solche weder in der 6 Der Begriff „Postkartenbuch“ für Der Wächter nimmt seinen Kamm hat sich in der Forschung bereits durchgesetzt und ist angesichts der populären Form des Postkartenbuches, das vergleichbar aufgebaut ist, ganz adäquat. Dass diese Bezeichnung für Im Haarknoten wohnt eine Dame und Die blassen Herren mit den Mokkatassen sowie Vater telefoniert mit den Fliegen übernommen wird, erscheint folgerichtig im Hinblick auf die strenge formale Analogie zum Wächter-Buch. Dem widerspricht auch nicht das Arbeitsprinzip Müllers, die Texte auf kleinen Karteikarten zusammenzufügen, denn das Format des vorangehenden „Postkartenbuches“ kehrt hier wieder. Die Erwähnung der Karteikarten vgl. Schnipsel aus dem Wörterkasten, Süddeutsche Zeitung, 25.07.2000. 7 Die Rückkehr zur konventionelleren Präsentationsform des Buches könnte neben künstlerischen Erwägungen durchaus die problematische Handhabung der Postkartensammlung im Buchhandel zum Motiv haben. Denkbar ist jedoch auch das Bemühen, Im Haarknoten wohnt eine Dame, Die blassen Herren mit den Mokkatassen und Vater telefoniert mit den Fliegen etwas aus der Nachbarschaft zu den gängigen Postkartensammlungen heraus- und eher in die Nähe des Künstlerbuches zu rücken. Die letztgenannte Publikation ist formal schon am weitesten in den Bereich konventioneller Buchveröffentlichungen vorgerückt. 8 D 48 „das Malheur mit dem alten Portier“; D 80 „kurz darauf sagt Barbara“; B 113 „Pfirsich, Frucht“ enthält im oberen Drittel Ausschnitte aus einer Abbildung mit Bildlegende zum Pfirsich; B 103 „Warst du schon mal so nervös“ ist zweigeteilt in einen ganzen Ausschnitt mit einer Frage, auf die in der unteren Kartenhälfte in der üblichen, zusammengesetzten Form geantwortet wird. In V erscheinen zwei Collagen unter der offenbar komplett ausgeschnittenen Überschrift „Kurz notiert“. Vgl. V, Ss.16 und 17. 9 Bei der großen Anzahl der abgedruckten Collagen boten sich derlei Ordnungs- und Strukturierungsmaßnahmen an.
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Literatur noch in der Kunstgeschichte in einer vergleichbaren Weise tradiert. Allenfalls die Popularkultur und die Gebrauchsliteratur räumen diesem Medium einen Stellenwert ein.10 Die Form des „Postkartenbuches“ bzw. des „Postkartenkalenders“ ist weit verbreitet als Lieferantin für eben zum Schreiben und Verschicken gedachte Postkarten mit unterschiedlichsten Bildmotiven und Textbeigaben. Die Massenproduktion dieser Karten führt unweigerlich zur Trivialisierung – mit Benjamin gesprochen zur Entauratisierung – selbst der edelsten verwendeten Literatur- und Kunstgüter, da die Koppelung derselben mit den anderen, ganz lebensweltlich funktionalen Elementen der Postkarte ihnen einen rein dekorativ-begleitenden Charakter verleiht. Doch auch in diesem Kontext nähmen sich Müllers Postkarten ungewöhnlich aus, da ihr Umgang mit dem Banalen und Trivialen, wie es für die Herkunft und Beschaffenheit der Bildmotive sowie für eingesetzte sprachliche Versatzstücke charakteristisch ist, wiederum zu ästhetisch durchgebildeten Werken mit einer Aufmerksamkeit fordernden Struktur führt.
2. Vorstellung der Postkartenbücher, Überlegungen zum Medium und zum Herstellungsverfahren Poesie geschieht und wird gemacht. Oskar Pastior, Geschichte, Poesie
Obwohl die vier Bücher mit demselben Verfahren hergestellt wurden, besitzen sie ihren je eigenen Charakter. Zunächst ist ihr Erscheinungsbild deutlich unterschieden, insofern das Wächter-Buch eben eine Kartensammlung darstellt, während das Dame-Buch, das HerrenBuch und das Vater-Buch ja als solche dem Leser entgegentreten. Differenzen zeigen sich ebenfalls in der Verwendung der Bild- und Textelemente sowie im Charakter der Texte selber. Die markante schwarze menschliche Silhouette tritt im ersten Buch wesentlich häufiger auf (knapp 40 mal von 94 Karten) als im zweiten (ca. 13 mal von 97 Karten), während sie im dritten und vierten Buch nicht mehr enthalten ist; die Textbausteine sind im zweiten, dritten und vierten Buch selbst viel stärker Gegenstand eines Spiels mit Formen und Farben. Hier findet auch das Stilmittel des Reimes fast durchgängig Verwendung, während in Wächter bis auf wenige Ausnahmen (W 40, 72) darauf verzichtet wird. Diese wenigen Merkmale prägen schon formal die Postkartenbücher, so dass sie den jeweiligen Leseeindruck unterstützen. Der Wächter nimmt seinen Kamm spricht überwie10 Texte für Ansichtskarten fanden schon Eingang in die Literatur. Bei Peter Altenberg beispielsweise, dem der gedrängte Raum für seinen skizzenhaften Stil entgegenkommt. Vgl. Peter Altenberg: Diogenes in Wien. Aphorismen, Skizzen und Geschichten. 2 Bände. Hg. v. Dietrich Simon. Berlin 21982; Vitězlav Nezval: Básně na pohlednice (Gedichte auf Ansichtskarten). Prag 1926. Eine neuere Variante zeigt Cees Nooteboom, dessen Kurztexte mit Linolschnitten von Svato Zapletal Ansichtskarten nachbilden und zu einem Künstlerbuch zusammengefasst sind. Cees Nooteboom: Absinth und Ambre Solaire. Fünf Erzählungen. 2000.
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gend von bedrohlichen Situationen und düsteren Themen wie Lüge, Verrat, Tod (ungewiss, ob Mord oder Suizid), Flucht und Grenzregime, Diktatur und Macht, Verhören und Bespitzelung sogar unter Freunden. Einige Beispiele: „die Freundin war längst vom Geheimdienst gekauft“ (W 2); „der Grenzer faltete die Hand:/ zum Schießen –“ (W 3); „schattige Bettszene mit den Mächtigen/ [...]/ der Diktator trägt einen Maulwurf als Kragenspange“ (W 9); „Donau/ Landschaft im Rücken,/ Soldaten Ferngläser Hunde“ (W 14); „Jede Nacht legt er sich und beendet ein/ Leben zeigt Zivilcourage Morgens um fünf/ wird einer wegen zwei Zeilen verhaftet“ (W 26); „Wahrheit die immer nur auf Besuch ist, leuchtet winzig und/ verlernt sich selbst“ (W 30); „In den täglichen Verhören will der Vernehmer wissen, ob die/ Taube fliehen wollte, im Gedicht ob sie davon wußte daß der Staat eine Holzkiste und das Land ein Wachsbild im Stiefel/ ist oder sagt der Hauptmann“ (W 36); „Ich hatte Freunde verstand nicht daß sie/ kuschende Beute waren gegen sich selbst/ Manchmal starben sie an einem/ Jungen Ende aus dem Fenster oder am Strick“ (W 38); „daß Freunde keine Selbstmörder sind sondern/ Dahinter ein Holzmann stand/ Daneben ein Drahtzieher Lieder sang hundekalt“ (W 40). Auch die Angst ist ein wiederkehrendes Motiv: „Uns/ gehört/ die/ Angst/ der/ Sanftheit,“ (W 25); „und die Angst verkauft ihre Niemande“ (W 41); „die Langsamkeit/ der Angst ist/ In den/ Mundhöhlen/ doppelt wie Kreide und Kreide“ (W 53). Innerhalb der Kartenanordnung lässt sich vage eine Bewegung hin zu den Themen des Ankommens in der Fremde, des Fremdseins und der „Fremdsprache“ Deutsch ausmachen: „Ich sag guten Tag und wo/ ich herkomme, von Ost nach West,/ Fremde schlucken leer,/ Balkan ist für die ein Schimpfwort“ (W 38) „Ich habe die Jahre aus dem Osten in einem/ Bahnhofsschließfach abgestellt“ (W 49); „Exil das ist nicht eng“ (W 50); „Asyl ist flüchten in die Spiegeltür“ (W 63); „niemanden treibt ein Heimweh rund um die Erde/ aber der Krieg“ (W 67); „wenn sie Flucht sagen/ meinen sie den Fuchs/ sagen sie Taschendieb/ meinen sie den Emigrant“ (W 70); „Ich hab den Bauch aus dem Osten [...]/ Man sagt auch, der östliche Blick fällt auf“ (W 78); „die Muttersprache kichert schwarz auf Kindesbeinen/ der Grammatiker wohnt im Mund Deutschfieber“ (W 92).
Auch verlieren die Texte ihren düsteren Ton und tendieren zu poetischen Spielereien: „Ich werde mich verlosen kein Faden und ein Nadelöhr/ nur noch mehr/ Das Gerücht, draußen im Hirn so und wo/ Das Haar will ich vermieten drin liegt die Beute, alles Beute gute Leute/ das Kinn und der Haß/ alles Haß/ So etwas“ (W 72); „Kaninchenjäger gibt es nicht/ nur Schneider aus Kalkstein/ Und Erde./ Die Maus ist Kühl wie das Erdbeerfeld,“ (W 69); „Man/ spricht/ in Atem/ allein/ Und dann fahren wir, diesmal am hellen Tage,/ Noch einmal, weil’s/ so schön war:/ nach unten./Uns kommt es so vor“ (W 59).
Das letztgenannte Beispiel lebt zudem von seiner graphischen Gestaltung, denn es ist der einzige Fall, in dem Text und Bild in eine solche untrennbare Verbindung treten.
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Der grundsätzlich existenzielle Zug des Buches wird verstärkt durch die Aussparung von Eigennamen (außer: „George“, W 91), die ersetzt sind durch Berufsbezeichnungen und soziale Kennzeichnungen (militärische Ränge, Präsident, Diktator, die Mächtigen, Schneider, Uhrmacher, Wächter, Geiger, Herr Holzbläser, Herr Wollstreicher u.a.), Verwandtschaftsbezeichnungen (Vater, Mutter, Kind) und allgemeinere Ausdrücke (Freundin, Freunde, er, sie, man, Hühnerdieb, Taschendieb, Leute, Männer, Frauen). Die beiden letzteren werden nie durch Possessivpronomina auf das sprechende Subjekt zurückbezogen, sie bleiben immer nur „die Freundin“ oder „der Vater die Mutter die Kinder“ (W 18). Metaphorische Personenbezeichnungen sind selten (Fuhrmänner der Karriere, W 52). Das sprechende Subjekt beschränkt sich stets auf die erste Person Singular, obwohl das Motiv der Freundschaft eine gewichtige Rolle spielt und „Freunde“ oder „die Freundin“ häufig genannt werden. Es gibt in diesem Universum kein „wir“, von dem aus die gemeinsamen Erfahrungen reflektiert würden. Das einzige „wir“ aller Karten ist Teil einer Rollenrede und bezieht sich auf einen kollektiven Redestandpunkt, wie er von den Machthabern und obskuren Gestalten bedrohlich klargemacht wird: „Eines Tages haben sie gesagt:/ Wir wiederholen gerne alles,/ wenn du weder/ das nicht was nicht noch/ verstehst und anschließend// Und dann kam: Sie haben deshalb/ noch mit meiner Mutter gesprochen./ ein Jahr/ vor den Augen.“ (W 10). Auch gibt es keine direkte Ansprache eines „ihr“ oder gar „du“. Diese unpersönliche Redeweise steht im starken Kontrast zu dem sehr subjektiven Darstellungsverfahren, so dass das Ich dieses Buches, wiewohl es als Sprecher einiger Texte markiert wird, wenig greifbar und verdeckt bleibt. Tatsächlich wird dadurch die Konnotation des anonymen Briefes verstärkt, die schon durch die ausgeschnittenen Wörter aufgerufen wird. Im Haarknoten wohnt eine Dame, Die blassen Herren mit den Mokkatassen und Vater telefoniert mit den Fliegen verdanken ihre äußere Gestalt zwar demselben Herstellungsprinzip, zeigen sich aber viel verspielter und witziger als ihr Vorgänger; Farbigkeit, End- und Binnenreime und poetische Neologismen lockern die Strenge auf: Hasenfälscher (D 2), Traubenaugen (D 5), der Kies und die Kiesin (D 16), Tintentrauben11 und Nachtaugen (D 26), Mehlhauptmann und Pfeiffrosch (D 28), der dorfbucklige Tag (D 53), Staubfusselerweckungstante (D 55), Krückenmond (D 59), Mondkipfel (D 64), Vogelschnabelnasen (D 78), Demokrazi (D 80).
Auch in B werden solche Neologismen verwendet: der unerhörte Pelzprobierer (B 1), Schlangenkringelzopf und Seifenblasenkropf (B 9), Knorpeltasse (B 18), Nachtaugen (B 27), Lachwind (B 30), Fluchtfasan und Hutschachtelgebirge (B 32), Grasort (B 44), Vagabundenhund (B 47), Hemdlaus (B 53), Nachtkretin (B 56), Zahnschmelztassen
11 „Tintentrauben“ ist kein poetischer Neologismus, sondern eine regional übliche Bezeichnung für dunkle Traubensorten.
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(B 57), Windschuh (B 59), Nachthalshuhn (B 102), Holzapfelgerippe, Nachtamsel, Schnabellied (B 109).
Weiterhin finden sich in V solche Neubildungen: katzenblasser Winter (V, S. 16), pelzgefütterter Gaumen (V, S. 17 ) Akazienhaus (V, S. 18), finstergrüne Weltbotanik (V, S. 19), Giftpfirsich (V, S. 26), Ameisenhügelfrisur (V, S. 29), Grasappetit (V, S. 32), Wolkenglatze (V, S.38), Milchlicht (V, S.42), herrenlose Mehlländer (V, S. 49), Zitterdraht (V, S. 53), Wolkenziege (V, S. 54), Lippenschnee (V, S. 56), Jenseitspapagei (V, S. 65), Blaustoppelsänger (V, S.67), Seidenbaum (V, S.76), Silhouettenkarussell (V, S.81), das Glasfischchen des Zufalls (V, S. 90), Trompetennasenhund (V, S.91), Staubschuh (V, S.96), Grenzhimmel (V, S. 131), Gelbrockmuster (V, S. 132), Wachstasse (V, S.138), Ameisenhüter (V, S. 142), Bartdiebe (V, S. 146), nierengelbes Maisfeld (V, S.164), Nabelspirale, schreckdünne Haut (V, S. 167), Sichelhahn (V, S.170), Schönherz (V, S. 180), Schnabelzungen (V, S. 184), Gaumenhölzchen (V, S. 186).
Für alle Collage-Texte gilt jedoch, dass weniger Neologismen dieser Art als vielmehr das überraschende Zusammentreffen von Elementen der Alltagssprache aus den unterschiedlichsten Kontexten und damit auch ontologischen Bereichen ihren Charakter prägen. In den stehengebliebenen Rändern um die Buchstaben herum werden die zurückgelassenen Herkunftskontexte in die Aufmerksamkeit des Rezipienten gehoben. Der Zusammenprall dieser einander fremden Funde verstärkt sich noch durch die unterschiedlichen Typografien, die am deutlichsten in V differieren. Neben relativ schlichten Druckschriften sind auch stark gestaltete Schriften bis hin zu scheinbar handschriftlichen Elementen verarbeitet. Die Ausschnitte sind insgesamt in V viel größer. Hier sind auch größere Bestandteile anderer Textformen aufgenommen worden: So ist zum Beispiel eine ausgeschnittene Abbildung einer Hand beschriftet als „greiffähige Hand“ (V, S.159); ein Stück Kreuzworträtsel wird zum Textteil mit den Worten: „mechan. Gerät für die Freizeit“ (V, S.47) oder „Marineoffizier“ (V, S.33); auch ein Sudoku wird als Quelle herangezogen: „176“ (enthält auch drei Leefelder; V, S.31). Zum Teil erhalten auch längere Ausschnitte Platz: „Tür auf./ Einsteigen./ Losfahren.“ (V, S.11) „Holz macht stolz“ und „Was immer passiert“ (V, S. 14), „wann ein Fahrer müde wird.“ (V, S. 125). Insgesamt zeigt sich in V eine größere Offenheit für die visuelle Verschiedenartigkeit der Collage-Bestandteile, was zu einem wesentlich bunteren Gesamtbild führt. In D, B und V erweist sich zugleich die Redeweise als persönlicher, indem beispielsweise verstärkt Eigennamen verwendet werden, von „Vater“ und „Mutter“, sogar von „mein[em] Vater“ und „meine[r] Mutter“ die Rede ist: (D 4, 6, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 29, 35, 38, 39, 41, 43 sogar „Papa“ und „Mama“, 44, 45, 49, 71, 78, 80 Rollenrede; ebenso in B: 3, 7, 12, 19, 25, 30, 35, 42, 66, 70, 89, 100, 102 und 9, 56). Die Themen Tod, Überwachung und Bespitzelung, Macht und Ausgeliefertsein der Machtlosen werden wieder aufgenommen, aber entsprechend dem sarkastisch scherzenden Ton gewendet, so dass hier nicht „Präsident“ oder „Diktator“ auftreten, sondern ein „König“ (D 3,
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23, 38, 40; B 34, 37). Dem entsprechen vor allem in D und V auch die Erweiterung des Themenspektrums um den dörflichen und familiären Raum sowie sprachliche Anleihen beim Märchen bzw. ein rhythmisch gestaltetes Erzählen als grundlegender Textgestus: „meine liebe Mutter spinnt/ hält den Waschtisch für ihr Kind/ und mein lieber Vater spinnt/ mäht im Garten kahlen Wind/ und ich habe mir gedacht/ gib gut acht wie man es macht“ (D 19). Gerade die Aufnahme von Familie und Dorf in die fingierte Welt bringt die Verwendung des Personalpronomens „wir“ mit verschiedenen Bezugsmöglichkeiten mit sich; es bezeichnet vielfach eben den kollektiven Zusammenhang des Familienverbandes oder einer begrenzten Gemeinschaft, wie sie typisch ist für eine kleine Dorfwelt (D 2, 9, 14, 28, 37, 38, 44, 56, 71, 74, 78, 87, 89), doch zuweilen bilden nur zwei Personen dieses vertrauliche „wir“ (D 92), oder es bleibt eher unbestimmt, wer neben dem sprechenden Subjekt mitgemeint ist (D 18, 24, 60, 95). Die Isoliertheit und grundsätzliche Einsamkeit des ausschließlich „ich“ sagenden Subjektes des Wächter-Buches findet ein, wenn auch recht dubioses, Gegengewicht im gemeinschaftsstiftenden „wir“. Die Beschaffenheit einer solchen Gemeinschaft erweist sich aber in jedem der einschlägigen Texte als äußerst zweifelhaft: „Ich bin so glatt wie das gefrorene/ Wasser damit wir uns nicht gleichen sind/ wir drei Schritt dieselben wenn wir uns/ begegnen“ (D 18). Hervorgehoben sind in diesem Textausschnitt durch ihren farbigen Untergrund die Wörter „wir“ (nur das erste), „nicht“, „sind“ und „drei“. Die Syntagmen sind durch Enjambements in mehrdeutige Sinneinheiten geteilt, dass aber „wir“ entweder „uns nicht gleichen“, weil das sprechende Subjekt „so glatt wie das gefrorene Wasser“ ist, oder „damit wir uns nicht gleichen [...] drei Schritt dieselben sind“, führt zu derselben Feststellung der Differenz zwischen dem „Ich“ und dem im „wir“ enthaltenen kollektiven Subjekt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das Verb „begegnen“, das entgegen seinem semantischen Gehalt isoliert auf einer Zeile steht und dergestalt das Nicht-Stattfinden einer Begegnung veranschaulicht. Ein weiteres Beispiel für solch eine zweifelhafte Funktion des „wir“ zeigt zugleich eine auffällige Eigenheit des Dame-Buches im Vergleich zum Wächter-Buch: „wär gut wenn wirs nicht wüssten wir waren alle wie wir sind bei einem Spezialisten der stellte uns nackt in den Wind und streichelte sich Stirn und Mund das liegt in der Familie wir seien skandalös gesund nur dumm wie Petersilie“ (D 89)
Neben einigen anderen Wörtern sind sämtliche „wir“ dieses Textes (auch „wirs“, „alle“ und „uns“) in einer etwas größeren Type gehalten und ziehen so die Aufmerksamkeit auf sich. Zu dem Familienverband, dessen Begutachtung spaßig reimend vorgeführt wird,
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zu gehören, ist offensichtlich keine Auszeichnung, sondern eher eine Hypothek, was auch noch allen Mitgliedern klargemacht wurde. Obwohl dieses Wissen als zumindest unbehaglich beschrieben wird, stellt sich doch ein komischer Effekt ein auf Kosten des „wir“, dem das redende Subjekt angehört. Hergestellt wird dieser Witz vornehmlich durch die schlichte Reimstruktur und das letzte Wort des Textes, das sich zu deren Unglück auf die in Rede stehende „Familie“ reimt: „Petersilie“. Komik und Gnomik liegen dicht nebeneinander. Im Haarknoten wohnt eine Dame und Die blassen Herren mit den Mokkatassen und Vater telefoniert mit den Fliegen vereinen überhaupt mehr Texte, die dem verwendeten Sprachmaterial witzige und unerwartete Wirkungen abgewinnen. Der existenzielle Zug des Wächter-Buches wird hier kontrapunktiert durch die Bewegung ins Unwirklich-Spielerische. Erreicht wird diese Potenzierung, denn surreal und hochpoetisch sind die Bildfindungen des ersten Postkartenbuches schon, durch die ausgestellte Spielfreude am Material, die im ersten Buch hinter der Ernsthaftigkeit der evozierten Lebensnot zurücktritt. Stärker noch als im Wächter-Buch wird die Aufmerksamkeit auf die sprachliche Form gerichtet; ein markantes Beispiel ist ein Text, der ausschließlich den Vokal „a“ verwendet: „Anna war kalt am Tag danach“ (D 52).12 Die blassen Herren mit den Mokkatassen schließt sich in seiner äußeren Gestalt und im Gehalt der Texte eng an das Dame-Buch an, wobei deutlich mehr Texte länger sind und noch häufiger einen narrativen Charakter tragen. Während in allen vier Büchern die Syntax schlicht, knapp und übersichtlich vor allem parataktisch bleibt, heben Neologismen, Reime und Assonanzen die Sprache in den drei neueren Büchern noch deutlicher von der Alltagssprachverwendung ab, während die häufiger narrativen Strukturen wieder eine größere Zugänglichkeit suggerieren. Gemeinsam ist allen jedoch die hochpoetische Bildfindung, die kunstvoll durch die Schnittstellen in den Texten ihren zusammengesetzten und vorläufigen Charakter ausstellt.13 Überhaupt scheint das Experiment am Sprachmaterial in den vier CollagenSammlungen ebenso gewichtig zu sein wie das Bemühen um Ausdruck. Die Sinnbildung wird erschwert durch die Verwendung semantisch nicht vereinbarer Begriffe; in surrealistischer Manier finden allein durch die Macht des sprachlichen Nebeneinander ontologische Unmöglichkeiten statt. Der Zufall als Selektionsprinzip verbindet diese Art der Textgestaltung mit der dadaistischen und der surrealistischen Tradition, die in der 12 Dieser Text verweist sehr deutlich auf die Konkrete Poesie eines Ernst Jandl, dessen inzwischen geradezu populäres „drama“ mit dem Buchstaben „a“ unverkennbar zitiert wird. Ernst Jandl: mal franz mal anna. In: Ernst Jandl: Poetische Werke. Bd. 6. München 1997, S.141. 13 Die Vorläufigkeit ist natürlich keine reale Größe, denn ist ein „Gedicht einmal aufgeklebt, gibt es keine Chance der Veränderung mehr“. Anton Thuswaldner: Wörter sammeln und zusammensetzen. Salzburger Literaturhaus: Herta Müller und ihre „gemachten“ Gedichte. In: Salzburger Nachrichten, 28.04.01. Das Zusammensetzen stellt auch das Fundament der Literatur überhaupt dar: „Als Grundoperation der Literatur könnte die Zusammenstellung von Buchstaben und Worten zu graphisch sichtbaren Texten verstanden werden; man könnte sagen, sie arbeitet mit der Differenz von flüchtiger und bleibender Anordnung sprachlicher Mittel.“ Martin Seel: Ästhetik des Erscheinens. Frankfurt a.M. 2003, S. 175.
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Absicht, in der zufälligen sprachlichen Fügung eine neue Wahrheit aufscheinen zu lassen, aleatorische Techniken des nicht subjektiv-gesteuerten Schreibens erprobte. Eine kohärente Aussage lässt sich solchen Texten schwerlich abringen – ein Befund, der auf viele der Kartentexte weit über das literarischen Texten zugestandene Maß hinaus zutrifft. Es gibt Texte, die so hermetisch gearbeitet sind, dass Auslegungsversuche sich dem Vorwurf der Spekulation aussetzen. So beispielsweise auf einigen Karten aus W: „Der Rasierer,/ OHNE Weg/ Und die blecherne Teekanne“ (W 62); „er/ legte einen/ Stein auf die/ Straße/ und sagte:/ Atemzug“ (W 56). Obwohl die Texte in B einen gänzlich anderen Charakter haben, ist auch ihre Deutung mitunter eine recht willkürliche Angelegenheit: „nirgends EIN APRIKOSENAST/ die Nacht füttert den Hund/ aus Teer fast so als obs MEIN/ Fehler wär“ (B 67); „mir tickt die WOLKE/ durch den Kopf und die Stadt/ sitzt krötenstill morgens vor/ meinem Mantelknopf“ (B 104).14 Gegen den oberflächlichen Eindruck, dass hier generell dem Verfahren die „Mitteilung“ geopfert wurde, erweisen sich die thematischen Bezüge und stilistischen Eigenheiten aber als konsequent durchgehaltene Konstanten. Es gibt innerhalb der Postkartenbücher neben den thematischen Akzenten wiederkehrende Motive, Figuren (der Wächter, Vater, Mutter, Friseur) und Ausdrücke (Tintentrauben, Nachtaugen). Doch einige Motive, Zeilen und Ausdrücke15 sind auch in Müllers Prosatexten wiederzufinden und knüpfen die Verbindung zwischen den präzise gearbeiteten erzählenden Texten und den scheinbar so frei zusammengestellten Postkartenproduktionen.16 Diese bewahren als Ganzes im Detail ein prekäres Gleichgewicht zwischen zwingender Notwendigkeit der sprachlichen Gestalt und willkürlicher Kombination von vorgefundenem Material. Der Rezeption als integeren kohärenten Sprachgebilden stemmt sich allein schon die Art der Präsentation entgegen. Zusätzlich zum Format der Postkarte, dem ein Auseinanderstreben der einzelnen Karten durch Versenden inhäriert, sind ja die Texte und Bilder auf der Vorderseite in sich wieder vielfach zusammengesetzt. Zuweilen treten Texte und 14 Aufschluss über die konkrete lebensweltliche Verankerung dieses kleinen Textes gibt Müller in der Klagenfurter Rede zur Literatur 2004. Hier mischen sich im Bild der im Kopf tickenden Wolke die strikten Zeitregime, denen sowohl Müller als auch ihre Großmutter zeitweise unterworfen waren. Vgl. Die Anwendung der dünnen Straßen. In: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München 2011, S.110–124. 15 Teresa nahm den Strick, D 58 – Herztier; heut wäre ich mir lieber nicht begegnet, D 63 – Heute wär ich mir lieber nicht begegnet; Tote im Getreidefeld, W 19 – Der Fuchs war damals schon der Jäger; Hase zieht Hemd an, das noch wächst, W 32 – Heute wär ich mir lieber nicht begegnet; Todesarten: an der Grenze, Suizid durch Strick und Sprung aus dem Fenster – Herztier. 16 B 37 verweist mit einigen Schlüsselbegriffen sogar auf einen noch im Entstehen begriffenen Text: „Löffelbieger“ (Hunger), „Herzschaufel“ (besondere Schaufel für die Kohle), „Grammophonkistchen“, „Anwendung der dünnen Strassen“. Diese Begriffe entstammen dem Kontext bzw. Text, den Herta Müller gemeinsam mit Oskar Pastior über dessen Verbannungsjahre im Donbass erarbeitete. Vgl. u.a. Herta Müller (gemeinsam mit Oskar Pastior): Vom Hungerengel eins zwei drei. In: Die Horen 3/2005, S.123–134 und: Die Anwendung der dünnen Strassen. Rede zur Literatur (Bachmannpreis 2004). In: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München 2011, S.110–124. Und nicht zuletzt: Atemschaukel. Roman. München 2009.
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Bildelemente dergestalt in eine Beziehung zueinander, dass der Bildteil einen im Text genannten Gegenstand abbildet, jedoch sind die ausgeschnittenen Bildeinzelteile meist nicht kantengenau herausgetrennt, sondern die Schnittlinien verletzen die Grenzen der Abbildung, aus der solch ein Einzelteil stammt. Sämtliche Ausschnitte stammen aus Fotografien, d.h. gegenständlichen Abbildungen. Es gibt auch Beispiele, in denen die herausgeschnittene Form überhaupt nichts mit der Ursprungsabbildung gemein hat und nur die abgebildete Struktur wieder zur Oberflächenstruktur einer Abbildung wird, die wiederum ebenfalls nicht mit dieser Struktur kompatibel ist. Eine Ausnahme bilden in diesen Spannungsverhältnissen die schwarzen Silhouetten, die eine aufs Elementare reduzierte menschliche Gestalt darstellen. Sie bestehen selbst meistens aus einem Stück und bezeugen so als einzige Bestandteile einen unverletzbaren Kern des Darstellbaren, aber um den Preis der Reduktion. Ansonsten sind äußerst disparate Bildteile – zum Teil in Form und Oberflächenbildgebung inkongruent – zu irrealen Gesamtabbildungen gefügt, die so recht eigentlich nichts abbilden. Ihre besondere Qualität besteht in der Herstellung überraschender Kompositionen, welche ihren Bezug zur Gegenständlichkeit selten aufgeben. Es entstehen auf diese Weise geheimnisvolle und anspielungsreiche Gebilde mit einer inneren Spannung. Analog sind die kurzen Texte hergestellt. Auch hier herrscht das Prinzip des Zusammensetzens von ausgeschnittenen Einzelteilen. Sind im Wächter-Buch die Textbestandteile nur in ausgewählten Stücken von typographischer Vielfalt zur Hervorhebung bestimmter Wörter oder eben, weil möglicherweise kein anderes da war, so bilden im Dame-Buch, im Herren-Buch und im Vater-Buch häufig die einzelnen Ausschnitte durch ihre Farbgebung und unterschiedliche Größe einen eigenständigen, auch ornamentalen Bildteil. In allen Büchern bleiben aber Schrift und Bild getrennten Bereichen vorbehalten und verbinden sich nicht zu einer ineinander verwobenen Gesamtkomposition, wie es in der dadaistischen und surrealistischen Collage häufig der Fall ist (außer W 59).17 Die Bildcollagen auf den Postkarten behalten in jedem Fall rein illustrativen Charakter und korrespondieren mit den Texten auf Abstand. Deren Auftritt erhält durch die die Buchstaben umgebenden Papierränder einen Anklang an die Bildelemente; die einzelnen Wörter und ihre Aneinanderreihung ergeben neben ihrem semantischen Sinn eine dekorative Qualität.18 Die das einzelne Wort umgebenden Papierränder isolieren es, verleihen jedem ein eigenes Gewicht, so dass der fortlaufende Text zugleich immer kein Text ist, da sich optisch die Ausschnitte nicht zu einem organischen Ganzen verbinden, sondern allenfalls in der Reihung ihre Zusammengehörigkeit erweisen. Das Auge wird im Rezeptionsvorgang gleichermaßen durch den Textzusam17 Die „poémes-collages“ von André Breton bestehen hingegen nur aus Textausschnitten, die allerdings zeilen- und abschnittweise zu einem neuen Text zusammentreten. 18 Dass die Kombination von Bild, Text und Text-Bild durchaus einen dekorativen Charakter besitzt, lässt sich an der Verwertung als „Literaturtapete“ ablesen. Eine ganze Reihe von Postkarten ist tatsächlich im Tapetenformat oder als großformatige Reproduktion als Wandschmuck erhältlich. Der Hinweis darauf findet sich sogar im Impressum von Vater telefoniert mit den Fliegen.
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menhang vorwärts gedrängt als auch durch die Unterbrechungen im Textfluss aufgehalten. Die äußere Gestalt der Textblöcke als eines unfest, scheinbar provisorisch Zusammengefügten setzt sich in der sprachlichen Struktur fort. Den Gepflogenheiten der Gattung Lyrik entspricht auf den ersten Blick die vorherrschende Einteilung der Texte in Verse. Auch die Ellipsen und isolierten Ausdrücke sind ja in der Lyrik des 20. Jahrhunderts zur Üblichkeit geworden. Die sprachliche Struktur zeichnet sich weiterhin durch gelegentliche syntaktische Uneindeutigkeiten aus, obzwar sie im Wesentlichen den grammatischen und orthografischen Regeln bis hin zur Bildung korrekter syntaktischer Gefüge folgt. Die Rezeption der Texte stellt sich allerdings viel herausfordernder das, als das bei vergleichbaren Texten in Normtypografie der Fall wäre. Das Auge gleitet die Zeilen viel langsamer entlang, Enjambements und fehlende Satzzeichen verlangen vom Rezipienten ein höheres Maß an Aufmerksamkeit und eigener Aktivität, zudem entbergen sich mögliche Sinneinheiten erst beim zweiten Lesen, wenn beispielsweise ein Reimpaar vervollständigt wird. Beim Lesen stellt sich häufig die Notwendigkeit her, in den Textblöcken zunächst vor und dann zurück zu gehen, da erst beim Weitergehen im Text die Zusammengehörigkeit von Ausschnitten und Zäsuren im Text als solche kenntlich werden. Es wäre sicherlich möglich aus einer ganzen Reihe von Collagen ein in Reimpaaren zeilengetreu geordnetes Gedicht zu setzen – aber es kommt neben dem visuellen Aspekt, dass eben nicht die Sinngrenzen, sondern die Kartengrenzen die Zeileneinteilung vorgeben, der konzeptionelle Aspekt dieser besonderen, stets mit Überraschungen aufwartenden Art der Rezeption hinzu. Die Eigenart dieser Sprache selbst besteht vor allem in der Zusammenführung auseinander liegender semantischer Felder, und hier liegt das entscheidende poetische und poetologische Prinzip all dieser Texte: An diesem Punkt liegt die Schnittstelle aller formalen und konzeptionellen Aspekte der Postkartenbücher. Bis in die sprachliche Struktur hinein wirkt das Prinzip des Fragmentierens, Collagierens und des Bekennens zur nur unzulänglichen Verkleisterung – im Sinne des Wortes – der Stellen des Zusammenstoßes. Im Zusammenfügen von Begriffen unterschiedlicher Provenienz findet sich auch eine Parallele zu einer Grundtechnik literarischer Rede, nämlich der Metapher, die ebenfalls unterschiedliche Seinsbereiche sprachlich verknüpft; man könnte hier von einer materiellen Metapher für die Metapher sprechen. Die Schnittstellen bleiben als solche aber auch Ausweis der ontologischen Kontingenz, die auch die poetische Wahl des „passenden“ Wortes bestimmt. Jede hermeneutische Anstrengung muss also in Bezug auf die Texte dieses spielerische Herstellungsprinzip in seiner Gebundenheit an den Zufall präsent halten. Zudem beanspruchen in jeder Detailanalyse die jeweils anderen Ebenen, nämlich die äußere Text- und Bildgestaltung sowie der Zusammenhang in einer größeren Sammlung von gleichartigen Artefakten, unabweisbare Geltung. Denn obwohl die zentrifugale Disparatheit der einzelnen Bestandteile, von der Karte bis hinunter zum einzelnen Wort und dem Papierschnipsel der Bilder, das Wesen der Postkartenbücher ausmacht, sind die gegenstrebigen, gewissermaßen nach innen gerichteten Kräfte ebenso
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wirksam. Die Strenge des auf jeder Karte durchgehaltenen Herstellungsprinzips mit Text und Bild und das starre Format der normierten Postkarte, wie sie ja im gesellschaftlich reglementierten Briefverkehr zirkuliert, bilden eine starke Klammer. Die Öffnung der mitunter fast hermetischen Poesie gegenüber der Welt erfolgt eher in ihren äußeren formalen Bestimmungen, eben durch die Herkunft der materiellen Bestandteile aus dem gesellschaftlichen Kommunikationsprozess. Einerseits stammen die Ausschnitte aus den Printmedien, andererseits stammt das Postkartenformat aus einem alltäglichen, jedoch sehr ambivalenten Kommunikationszusammenhang. Die Postkarte ist ja gedacht als privater Mitteilungsträger, gerät aber aufgrund ihrer Beschaffenheit zum öffentlichen Medium mit einer prinzipiell unbegrenzten Leserschaft. Diese Spannung von Privatheit und Öffentlichkeit ist es auch, die in der Gattung Lyrik am stärksten von allen literarischen Gattungen zum Tragen kommt. Und in den Postkartenbüchern wird dieser Spannung in medialer Hinsicht ebenso Rechnung getragen, denn der Leser erhält wohl eine Botschaft, jedoch ist diese niemals an ihn persönlich adressiert. Vielmehr bleibt die Rückseite, im Falle des Dame-Buches nur als Zitat, und im Herren-Buch und VaterBuch dann gar nicht mehr, leer und damit dem Leser als Raum für eigene Texte zur Verfügung. In den drei neueren Sammlungen wird lediglich über das ursprüngliche Postkarten-Format als mehr und mehr verblassende Erinnerung ein Bezug zum Prinzip Postkarte hergestellt. Gedacht wären die Karten wohl aber nicht zum Versenden, was zählt, ist die potenzielle Leere der mitzudenkenden Rückseite. Unsicherheit entsteht über die Frage, ob die Texte und Bilder nun tatsächlich die Botschaft an den Leser oder einfach eine dekorative Gestaltung darstellen und die eigentliche Mitteilung noch fehlt. Der Status der Vorderseite gerät ins Zwielicht von anonymem Brief, der ohne Absender bedroht, und von Geheimbotschaft, die für jedes Auge offenliegt und dennoch nur vom eingeweihten Adressaten entschlüsselt werden soll. Die Ergebnisse eines sehr persönlichen Spiels der Autorin erhalten schon durch das Faktum ihrer massenhaften Reproduktion einen öffentlichen Charakter, der sich durch die Form dieses Spiels wieder vielfach selbst kommentiert: Als literarische Werke für die Veröffentlichung bestimmt, sind die Postkartenbücher auch persönliche Äußerungen der Autorin, die mittels der Funktionalisierung der Postkarten-Form wiederum auf das Spannungsfeld zwischen Privatheit und zwangsläufiger Diskursivität/Zugänglichkeit jeder Kommunikation und darüber hinaus auf die strukturell bedingte Gefährdung einer privaten Nachricht im Zirkulationsprozess des standardisierten und somit zur unfreiwilligen Öffentlichkeit verdammten Postverkehrs verweist. Selbstverständlich liegt hier keine Kritik am Post- und Kommunikationswesen der modernen Gesellschaft vor, vielmehr ist die Wahl der Postkarte, und nicht des Briefes als einer tradierten literarischen Gattung, ein souveräner Zug, um mit eben diesen ambivalenten Kommunikationsverhältnissen zu spielen. Folgt man den thematischen Bestimmungen der Bücher, dann handelt es sich um ein existenzielles, bitteres und befreiend witziges Spiel gleichermaßen. Das Medium der Postkarte korrespondiert aufgrund seiner Mischung aus Privatheit der Nachricht und müheloser Lesbarkeit für jeden Unbeteiligten mit den Bedingungen der observierten Kommunikation. Es wäre sinnlos, verschlossene Briefe in der Hoffnung
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auf Wahrung des Briefgeheimnisses zu verschicken, also kann das Geheimnis gleich einer offenen Postkarte anvertraut werden in der Hoffnung, dass nur der intendierte Adressat es sowohl lesen als auch deuten kann. Jeder Unbefugte mag wohl lesen können und sollen, aber den wirklichen Textsinn nicht verstehen. Dieses Prinzip greift Müller auf und sendet ihren Lesern geradezu subversive Postkarten, die den öffentlichen Diskurs respektlos in seine kleinsten Bestandteile zerlegen, diese zusammenfügen zu Text-BildKompositionen, welche sich den Regeln dieses Diskurses widersetzen, indem sie sich der Freiheit des Spiels und den Chancen und Gefahren des vieldeutigen Sprechens aussetzen. In den willkürlich collagierten Varianten auf den Karten der vier Bücher entsteht eine neue Möglichkeit, die Welt zu lesen und anzuschauen. Diese fingierte Welt aus den Bruchstücken vorgefundener Realitätsabbilder in Text und Fotografie beansprucht selbst eine Teilhabe an den mimetischen Prozessen jeder Weltbeschreibung und verfremdet zugleich unseren Blick. Mit der Aufnahme der alltäglichen Praxis des Postkartenschreibens soll Authentizität verbürgt werden. Zudem liefert das literarische Prinzip Postkarte die entstehenden Botschaften einer breiten Öffentlichkeit aus, womit jede Form der schlechten, weil erzwungenen Halböffentlichkeit einer postalischen „Korrespondenzkarte“ desavouiert wird. Die scheinbare Affirmation entmachtet in der Form der „konspirativen“ Postkarte jegliche Kontrollinstanz.
3. Die Gattungsfrage Der Wächter nimmt seinen Kamm, Im Haarknoten wohnt eine Dame, Die blassen Herren mit den Mokkatassen und Vater telefoniert mit den Fliegen bieten dem ersten Blick wegen des durchgehaltenen Formats und Collage-Charakters ein recht homogenes Erscheinungsbild, das geneigt macht, eine durchgehaltene Herstellungsweise anzunehmen, so dass letztendlich auch die Texte sich gleichen müssten. Schon der Unterschied in Ton und Themenspektrum zwischen den Postkartenbüchern verweist hingegen auf die Notwendigkeit einer genaueren Analyse der Beschaffenheit der einzelnen Texte. Dabei soll zugleich Licht auf das Problem der Gattungszugehörigkeit fallen, denn für die Beschreibung des Gesamtwerkes von Herta Müller ist dessen Verhältnis zu den Gattungen Prosa und Lyrik zu klären. Schon bei Müllers Kurzprosa war ja die Verbindung von Qualitäten beider Gattungen deutlich sichtbar gewesen. Eigentlich erübrigt sich seit der Etablierung des Begriffes des „Prosagedichtes“ die Anstrengung, die vorliegenden Texte unbedingt einer Gattung einzuordnen. Trotzdem sollen die formalen Besonderheiten noch einmal vorgestellt werden, um die entschiedene Zwischenposition – wiederum an einer Schnittstelle – zwischen beiden Gattungen zu unterstreichen. Trägt man an die Postkarten-Texte formale Kriterien zur Bestimmung der Gattungszugehörigkeit heran, so kann die überwiegende Anzahl wohl als Lyrik betrachtet werden, da sie ganz offensichtlich eine durchs Karten-Format vorgegebene Länge nicht überschreiten und in linksbündig angeordnete Verszeilen gegliedert sind. Die
Die Gattungsfrage
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Gesamtbreite der Karten wird hierbei zunächst meist nicht ausgenutzt, so dass die Gliederung in Verszeilen deutlich als intentional erkennbar ist. Im Dame-Buch tritt als weiteres formales Kriterium der Reim hinzu, der ein prägendes Stilmerkmal bildet und die Überstrukturierung der Sprache ausweist. Nicht alle Karten aber enthalten eindeutig zu kategorisierende Texte. Die Frage der Gattungszuordnung ist besonders für Der Wächter nimmt seinen Kamm schwierig zu beantworten, da dessen Texte nicht über so auffällige Elemente wie Reime gegliedert sind. Zuweilen entsteht der Eindruck, es seien Zeilen eher aus Platzgründen denn zur kreativen Gliederung in Sinneinheiten umgebrochen, so dass von einem Zeilenstil auf zu engem Raum gesprochen werden könnte, denn der nächste Satz bzw. das nächste Syntagma beginnen wieder auf einer neuen Zeile (W 29, 30, 89 u.a.). Andere Texte entbehren einer äußeren Gliederung in Verszeilen und sind als fortlaufende Texte zwar lesbar, führen jedoch nicht zum Leseeindruck von Prosa, weil sie über unvollständige Syntagmen und rhythmisierende Elemente verfügen (W 77, 92, 93 u.a.). Sind vollständige Syntagmen anzutreffen, so ist der Leser auf die Hilfestellung der Großschreibung der Satzanfänge, falls angewandt, angewiesen, denn die Interpunktion als sinnstiftende Praxis unterbleibt in den meisten Fällen. Hängende Einzüge werden ebenfalls genutzt, um mehrere Zeilen als Block vom Rest des Textes abzusetzen (W 19, 36, 40 sowie 29, 39, 57, 70, 77, 84, 89, 93 in Korrespondenz zu benachbarten Scherenschnitten bzw. Collagen). Und zu guter Letzt gibt es auch Texte, die man schlicht der Prosa zurechnen könnte, obwohl weder die syntaktisch notwendige Großschreibung noch die Interpunktion den grammatikalischen Gepflogenheiten entsprechen (W 26, 37, 54 u.a.). Im Haarknoten wohnt eine Dame weist überwiegend Texte auf, die klar als Lyrik charakterisiert werden können: Sie sind deutlich in Versen gesetzt, haben einen rhythmisierten Sprechgestus und zahlreiche Reime. Doch auch hier finden sich Gegenbeispiele mit einer Tendenz zur Gattung Prosa, denn sie sind zunächst nicht gereimt oder haben nur sporadische Binnenreime, ihr Textfluss ist nicht in Verse geteilt, sondern meist in Absätze mit hängenden Einzügen am Beginn. Ihr Ton ist eher erzählend und oft von Märchen oder Legende entlehnt. Im Herren-Buch dominieren relativ lange Texte, die nicht in Versen, sondern meist in fortlaufenden Textblöcken über die ganze Kartenbreite gesetzt sind, eine kleine Narration entfalten und sich dabei trotzdem, mitunter abenteuerlich, reimen. Das Vater-Buch wiederum enthält ebenfalls vorwiegend narrativ strukturierte Texte, die über die gesamte Kartenbreite zu Textblöcken zusammengesetzt sind. Hier sind die Texte tendenziell wieder kürzer, weil die einzelnen Ausschnitte deutlich größer als in den vorangegangenen Sammlungen sind. Beibehalten werden die Prinzipien des Reims und der Rhythmisierung. Diese Art der sprachliche Überstrukturierung weist wohl in Richtung Lyrik, während die Autorin selbst diese Frage eher in Richtung Prosa zu beantworten scheint, denn die Wörter fügen sich nicht zu einem Gedicht, sondern zu einer Geschichte: „Ich könnte nie ein Gedicht schreiben, mich hinsetzen, mit der Hand und dem Stift. Aber auf diese Art und Weise, wenn ich diese gedruckten Wörter ausgeschnitten auf dem Tisch liegen habe, flie-
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gen sie zusammen und werden eine Geschichte. Sie lassen mich draußen und ich bin doch drin, ich kann gar nicht erklären warum.“19
Allerdings vermischen sich in ihrer Aussage die Gattungen ebenfalls, so dass letztlich eine Kombination von autonom entstandener Geschichte in Form eines Gedichtes auf den Postkarten lesbar wird. Zugleich erinnert diese Aussage an Müllers Bekenntnis, beim Schreiben ihrer frühen Gedichte, an der Sprache versagt zu haben – und die Sprache an ihr.20 Hier nun wird durch die Freiheit „zusammenzufliegen“, die dem Sprachmaterial zugebilligt wird, ein Text ermöglicht, der sich den einst im Zeichen des Modernitätspostulats streng untersagten Stilmitteln völlig zwanglos hingibt. Verzichtete die Produktion „moderner Lyrik“ am Anfang von Herta Müllers Weg ganz auf Reime, Assonanzen und andere wohlklingende, aber des Konservatismus verdächtige Mittel, so stellen sie, besonders in den neueren Postkartenbüchern ein starkes Charakteristikum dar. Dabei ist die Zuwendung zu dieser, in vielerlei Hinsicht, Zwischengattung, ganz offensichtlich keine Heimkehr zu den persönlichen Anfängen des Schreibens oder gar zu vormodernen Formen der Lyrik. Ganz im Gegenteil wird hier eine Form gefunden, die niemals an irgendeine Art von ästhetischen Ganzheitsvorstellungen Konzessionen macht. Die Postkartenbücher als ganze entziehen sich also einer eindeutigen Zuordnung zu einer bestimmten Gattung, doch die überwiegende Zahl der Texte neigt wohl eher zur Lyrik. Die Analyse von einzelnen Karten muss jeweils Aufschluss über die konkrete Gestalt und den Gattungs-Charakter geben, zumal stets zum collagierten Text ein Bild tritt, so dass die Frage der Gattung durch die Frage des Mediums ergänzt werden muss. Bild und Text sind ja, im Gegensatz zu den üblichen postalischen Karten, immer gleichzeitig präsent und erinnern in ihrer spezifischen Struktur an die Tradition der Emblematik. Um ein genaueres Bild von den verhandelten Gegenständen zu bekommen und die Vergleichbarkeit mit ähnlichen Formen in Literatur- und Kunstgeschichte abzuklären, sollen einige Beispiele aus den Postkartenbüchern vorgestellt werden. Die genaue Lektüre vor allem der Texte trägt dem Umstand Rechnung, dass der Schwerpunkt der Postkartenbücher nach wie vor auf dem Textteil der einzelnen Collagen liegt. Eine Veröffentlichung einiger Texte ohne das umrahmende Postkartenformat, ohne Bildteil und vor allem in ganz üblicher Typographie war darum möglich.21 Nicht alle Texte der
19 Driver Eddy, Beverly: Die Schule der Angst. Gespräch mit Herta Müller, den 14. April 1998. In: The German Quarterly, Vol. 72, Nr. 4, 1999, S. 329–339, hier: S. 338. 20 „In dieser Zeit schrieb ich Gedichte. Es waren Gelegenheitsgedichte, durch die ich meine Depressionen überwinden wollte. Aber die Sprache versagte an mir und ich versagte an der Sprache. Ich hatte sehr wenig gelesen. Ich kannte nichts als meine unbeholfene Verletzlichkeit.“ Herta Müller: Dankrede. In: NBZ, 07.06.1981. 21 Vgl. Brigid Haines (Ed.): Herta Müller, Cardiff 1998, versammelt zehn Texte aus Dame; sowie Akzente 4/ 1997, H.2, S. 104–112 – dort sind insgesamt 21 kurze Texte abgedruckt, von denen elf im Dame-Buch wieder auftauchen. Sie sind dort einem Aufsatz von Friedmar Apel vorangestellt,
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Postkartenbücher würden diese Kürzung um mehrere Sinndimensionen unbeschadet überstehen. Von den insgesamt 496 Karten soll hier nur ein kleiner Ausschnitt von neun Karten aus dem Wächter-Buch und dem Dame-Buch näher betrachtet werden.
4. Der Wächter nimmt seinen Kamm 4.1. Texte und Bilder vom Verschwinden: W 43 bis W 46 – „ – eine Hand hält eine Karte“; „Ich drehe die Karte um“; „Dann Ruhe“; „In der die Haare“ Diese vier Karten bilden als einzige einen kleinen Zyklus innerhalb des Wächter-Buches, denn sie tragen als Bildelemente jeweils ein bzw. zwei gleich große schwarze Rechtecke, die auf den ersten drei Karten einen ebenfalls rechteckigen Ausschnitt aufweisen. Das Format der Karten wird durch die Anordnung der Texte bestimmt, so dass Nr. 43 als einzige ein Hochformat ist und die restlichen Karten 44 bis 46 Querformate sind. Das schwarze Rechteck, das auf Nr. 43 und in seiner doppelten Ausführung auf Nr. 44 zusätzlich fünf, vier bzw. drei weiße Querlinien trägt, ist aber auf allen Karten als Hochformat abgebildet. Nr. 46 besitzt lediglich dieses schwarze Rechteck ohne weitere bildliche Gestaltungselemente. Neben diesen variierten Elementen lassen sich die Texte ebenfalls in einen Zusammenhang bringen, so dass von Nr. 43 bis 46 ein fortlaufender, narrativer Text entsteht, der den Betrachtungsvorgang einer Karte beschreibt. Die im Text angesprochene Bewegung der betrachteten Karte wird mittels des schwarzen Rechtecks auf den Postkarten mitvollzogen. Daher zeichnet sich dieser vielfach zusammengesetzte Text nicht nur durch seinen zyklischen Charakter aus, sondern ebenso durch den sonst selten anzutreffenden Aspekt der Selbstreflexivität aus. Die Bildgeschichte, denn so lässt sich diese Abfolge von aufeinander bezogenen Texten und Bildelementen wohl auffassen, setzt auf Nr. 43 zunächst mit einem fünfzeiligen Textblock ein, der unterhalb des mittig angeordneten Rechtecks seine wieder fünfzeilige Fortsetzung erhält. Korrespondierend zur zweimaligen Zeilenanzahl verhalten sich die fünf weißen Linien über der rechteckigen, hochformatigen Öffnung im schwarzen Rechteck. Unvermittelt beginnt der Text mit einem Bindestrich. Ohne dass das sprechende Subjekt als solches kenntlich würde, lässt der erste Abschnitt das Bild einer wiederum ein Bild haltenden Hand entstehen, welche erst auf der nächsten Karte dem Ich des Textes zugeordnet wird. Während des Betrachtens erweitert sich die Wahrnehmung nach einer Drehung der Karte auch auf den Hörsinn, Bewegung im Bild wird sichtbar: „Sehe den Boden laufen [...] Ich höre im Kopf/ ein Geräusch.“ Und auf der Karte Nr. 46: „In der die Haare/ Einzeln versinken,/ Die Mädchen verlieren geräuschlos die der sich auf Der Wächter nimmt seinen Kamm bezieht. Ders.: Turbatverse. Ästhetik, Mystik und Politik bei Herta Müller. In: Akzente 4/1997, H.2, S. 113–135.
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1 Der Wächter nimmt seinen Kamm, Nr. 43
Kleider.“ Dies scheint über eine Stufe der Verunsicherung zu geschehen, denn bevor auf der letzten Karte die Vorgänge einfach als sie selbst genannt und attribuiert werden, stellt das sprechende Subjekt auf der zweiten Karte zwischen die Wahrnehmung und ihre Benennung die Verben, die ein Bewusstsein der Vermittlung noch mitschwingen lassen: „Sehe den Boden laufen“ und „Ich höre im Kopf/ ein Geräusch“. (Hervorhebungen d. A.). Unsicherheit über die Objektivität der Beobachtungen wird auf diese Weise artikuliert. Dergestalt wird jedoch auch die allmähliche Aneignung des Gesehenen durch das sprechende und zugleich wahrnehmende Subjekt gezeigt. Das Bild, das anfangs von
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2 Der Wächter nimmt seinen Kamm, Nr. 44
der als fremd wahrgenommenen Hand noch auf Distanz gehalten wird, tritt in den Horizont des Ich hinein, wird reflektierend begutachtet, und nach einer Drehung entfaltet das Bild immer weiter in das Innere des Ich vordringend ein Eigenleben, so dass am Ende dieses Prozesses eine neue Realität entstanden sein mag, über deren objektive Gültigkeit nicht entschieden werden kann. Die Bildbetrachtung ist eine intensive, mehrere Sinne beanspruchende Erfahrung, wohingegen die Hand mit der Karte darin bis zum Schluss nicht als die eigene qualifiziert wird; sie bleibt weiter entfernt vom sprechenden Subjekt als die Vorgänge bei der Auseinandersetzung mit dem Gesehenen: „– eine Hand hält eine Karte“, setzt der Text ein, um auf der nächsten Karte fortzufahren: „Ich drehe die Karte um/ in der Hand die Erde“. (Hervorhebungen d. A.) Was spielt sich nun aber auf dem betrachteten Bild selbst ab? Und wie verhalten sich die Bilder auf den Karten zu den Texten? Die erste Karte, Nr. 43, bietet im ersten, oberen Abschnitt eine Beschreibung der Abbildung, auf der Landschaft und Kinder sichtbar sind. Das Loch, von dem die Rede ist – „unten ein Loch auf dem Grund“ –, wird abgebildet im unteren Teil des hochformatigen schwarzen Rechtecks. Dieses nimmt in seiner kompakten Erscheinung und durchgehend dunklen Farbgebung die Homogenität der beschriebenen Abbildung mit der „Erde“, der „baumlos gewellte[n] Erde“ und dem „Berg“ auf. Aufgelockert wird das evozierte Bild lediglich durch das „Loch“ und die „Kinder“, deren Auftauchen am Ende des Abschnittes eine erste Klimax ist. Sie werden im nächsten, unteren Abschnitt der Karte zum Hauptthema. Betont wird ihre Gleichheit
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durch ihr Geschlecht, durch ihr Äußeres und durch ihre regelmäßige Anordnung. Selbst das Lachen, das ein Mädchen von den anderen unterscheiden könnte, wird jeder als Möglichkeit zugesprochen, so dass an dieser Stelle die Verunsicherung einsetzt. Wenn tatsächlich eins der Mädchen lacht, müsste sie ja gerade auffällig zwischen den anderen sein, aber das Lachen will scheinbar entdeckt oder geraten werden, jedenfalls ist es dem sprechenden Subjekt nicht unmittelbar erkennbar: „nur eine unter ihnen lacht ich weiß nicht welche“. Dieser Akt der Identifizierung eines Individuums inmitten gleicher Existenzen scheitert nicht an der Nicht-Sichtbarkeit der Differenz, sondern vielmehr an der Hilflosigkeit der Betrachtungs- und Reflexionsinstanz. Mit resignierter Geste wird festgestellt: „es könnte jede sein“, weil das Ich des Textes nicht über die Fähigkeit zur Differenzierung verfügt. Auf der folgenden Karte Nr. 44 nimmt das Ich, welches gerade im Überprüfen seines Erkennungsvermögens auf sich selbst verwiesen wurde, einen selbstsicheren Perspektivwechsel vor, indem die Karte auf den Kopf gestellt wird: „Ich drehe die Karte um“. An den beiden schwarzen Rechtecken wird diese Bewegung offensichtlich, denn die Öffnung, das Loch in ihnen befindet sich von nun an in der oberen Hälfte. Erneut erfolgt im linken dreizeiligen Textblock eine Bestandsaufnahme des auf dem beschriebenen Bild Sichtbaren, nun Umgekehrten. Doch sofort verwischen die ontologischen Grenzen, derweil die auf der „Karte“ abgebildete „Erde“ sich jetzt direkt, ohne medialen
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4 Der Wächter nimmt seinen Kamm, Nr. 46
Zwischenschritt, in der Hand befindet. Der rechte, vierzeilige Textblock unter dem zweiten schwarzen Rechteck vergegenwärtigt die sinnlichen Wahrnehmungen des Textsubjektes, das angesichts einer Abbildung Bewegung sieht und ein Geräusch hört. Die Verschiebung der ontologischen Grenzen setzt sich hiermit fort in der Belebung dieses Bildes. Auf der zweiteiligen Karte Nr. 44 befindet sich gewissermaßen der dramatische Höhepunkt der Narration innerhalb dieser Bildgeschichte, denn die nächste Karte Nr. 45 enthält einen einzigen elliptischen Satz, der lakonisch festhält: „Dann Ruhe.“ Er wird mit einem deutlichen Punkt beschlossen und lässt im Rezeptionsprozess eine Pause entstehen, deren optische Entsprechung sich in der leeren rechten Hälfte der querformatigen Postkarte zeigt. Mit der vollständigen „Verdunklung“ der Öffnung des schwarzen Rechtecks, schon begonnen im rechten Rechteck auf der vorhergehenden Karte, wird die Stillstellung aller Wahrnehmung begleitet. Auch die weißen Streifen haben vom Beginn bis zu diesem Punkt, d.h. vom ersten bis zum vierten schwarzen Rechteck, abgenommen und sind schließlich verschwunden. Als bildliche Darstellung der eingetretenen Ruhe lässt sich dann das völlig monochrome schwarze Rechteck auffassen, das auf der linken Hälfte der letzten Karte dieses Zyklus, auf Nr. 46, zu sehen ist. Darunter ein letzter vierzeiliger Textblock, der sich von den anderen durch Enjambements unterscheidet. Die bisherige beinahe vollständige Übereinstimmung von Syntagmen- und Zeilengrenzen hatte dem Text eine Anmutung von wohlgeordneter Flüssigkeit und eines vergewissernden Nacheinander verliehen.
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Nun gerät diese schrittweise Darstellung des Bild-Aneignungsprozesses ins Stocken. Der erste, auf drei Zeilen verteilte Satz könnte, wenn nicht die vorangegangene Karte mit dem deutlichen Punkt geendet hätte, als anschließender Relativsatz gelten, mit dem die „Ruhe“ charakterisiert wird. So jedoch ist der vorletzte Satz des Textes eine Ellipse, genauer ein Nebensatz, dessen Hauptsatz auf einem anderen Blatt steht. Durch den Kartenwechsel und die optische Pause auf Nr. 45 rücken die beiden zusammengehörigen Satzteile so weit auseinander, dass der Satz tatsächlich ein unterbrechendes Schweigen enthält. Die harten Enjambements verleihen jedem der nun einzeln stehenden Wörter in: „In der die Haare/ Einzeln/ versinken,“ eigenen Raum und Gewicht. Auf diese Weise werden die erwähnte Vereinzelung und die Langsamkeit des Absinkens mitvollzogen, gleichermaßen die zögernde Versprachlichung der Wahrnehmung. Der Schlusssatz beschreibt einen letzten Vorgang auf der evozierten Karte: „Die Mädchen verlieren geräuschlos die Kleider“. Damit ist ein Endpunkt in den Prozessen der Reduktion und des Verschwindens („versinken“, „verlieren“) markiert, denn die vorherigen Schritte des Schweigens und der optischen Pause finden nun ihre Fortsetzung im Fiktionsrahmen der betrachteten Karte, indem die „Mädchen“ etwas verlieren, das sie alle gekennzeichnet hatte, nämlich die zuvor genannten „weiß[en] Kleider“. Der nächste Schritt ist die logische Konsequenz aus dieser Textbewegung – es tritt erneut vollständige Leere ein. Der letzte Teil der Bildgeschichte ist die rechte, weiße Seite der Postkarte, was sich auch an den Bildelementen nachvollziehen lässt, deren erster Vertreter noch Öffnung und die höchste Streifenanzahl hatte, deren letzter Vertreter rein schwarz war und im Abschluss vollkommen verschwunden ist. Parallelisieren lässt sich diese schrittweise Reduktion mit einer Lesart des Textes: Diese versteht den Text und die zugehörigen Bilder als vorgeführtes Verschwinden des sprechenden Subjektes. Von diesem ist zuerst nur die Hand im Text vertreten, dann tritt das Ich als reflektierendes Subjekt auf, das die Karte nicht nur betrachtet, sondern sie auch bewegt. Anschließend, nach dem Perspektivwechsel, wird das Ich vorgeführt, wie es seine Wahrnehmung bewusst wahrnimmt sowie versprachlicht und dann die Ruhe erfährt. Die in den Verben „sehen“ und „hören“ noch anwesende Instanz der Wahrnehmung ist dann gelöscht, so dass letztlich unentschieden bleiben muss, ob das sprechende Subjekt sich dem betrachteten Bild anverwandelt hat und verschwunden ist, oder ob es sich das Bild einverleibt und in seinen Lebenshorizont eingestellt hat. In den Zeilen „In der die Haare/ Einzeln/ versinken,“ zeigt sich diese Unentschiedenheit deutlich, weil zweifelhaft bleibt, wessen Haare in Rede stehen. Sind es die der Mädchen, ist also das Subjekt aufgegangen in der Beobachtung, oder sind es eben die des sprechenden Subjektes, das ja von „seiner“ Hand auch als „der“ Hand spricht. Tendenziell ist wegen des äußerst lebendigen, dynamischen Eindrucks, den das evozierte Bild hervorruft, wohl eher die Lesart des verschwindenden Subjektes zu favorisieren. Am Ende steht ja dann auch nur noch das Zeugnis einer Abwesenheit: die leere weiße Fläche. Eine weitere Lesart orientiert sich an der Rolle von Oben und Unten innerhalb dieses Textes. Zunächst sind die beiden Ortsangaben für die auf der Karte in der Karte abgebildeten Dinge gültig: „unten ein Loch auf dem Grund/ oben baumlos gewellte
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Erde ein Berg“. Wenn die „Karte“ umgedreht ist, verkehren sich die Verhältnisse: “das ErdLoch nach oben“, so dass anschließend die Dinge in Bewegung kommen können. Die auf der letzten Karte folgende Richtungsangabe im Verb „versinken“ weist nach unten, während für das „ErdLoch“ die entgegengesetzte Richtung bestimmt wurde. Die Erde aber dominiert das Gesamtbild, auch veranschaulicht an dem schwarzen Rechteck, da sie am häufigsten und für beide Richtungen genannt wird: „auf der Karte ist Erde/ unten ein Loch auf dem Grund/ oben baumlos gewellte Erde ein Berg“ (W 43), „in der Hand die Erde/ das ErdLoch nach oben“ (W 44). Ausdrücklich abwesend ist der Himmel als potenzielles Gegenstück, der eigentlich für „oben“ auf der beschriebenen Karte zu erwarten wäre, stattdessen sind lediglich Kinder, d.h. Mädchen, und Erde zu sehen. In dem Moment, in dem das Erdloch – ein weiterer Richtungsindikator nach unten – durch die Karten-Drehung an die Stelle des Himmels tritt, nämlich nach oben weist, beginnt das Bild seine scheinbare Dynamik zu entfalten und die Reduktion einzusetzen. Die „verkehrte“ Ordnung der fingierten Welt ist offensichtlich der Grund für diese Prozesse. Suspekt muss jedoch schon zu Beginn des Zyklus das Fehlen des Himmels und die unsichere Identifizierung des einzigen lachenden Mädchens in diesem Ensemble wirken, so dass die Verbindung zwischen der Erde, dem Erdloch und den abgebildeten Kindern auffällt. Diese verlieren am Ende des Textes „geräuschlos die Kleider“, möglicherweise „versinken“ ihre Haare. Der Verlust der Kleider erweist sich als signifikant, denn diese hatten als einzige Gegenstände des Textes ein Farbattribut erhalten, das mit den Begriffen von Unschuld, Reinheit und Licht konnotiert ist. Zwei Begriffsfelder stehen sich also letztlich gegenüber: einerseits der bereits abwesende Himmel, das nicht erkennbare Lachen und die verloren gehenden weißen Kleider; andererseits die dominante Erde und das Erdloch. Das zweite Feld, eher als dunkel einzustufen, wirkt dominant auch in der bildlichen Darstellung, während die hellen Bildelemente, parallel zur Textbewegung, bis zum Verschwinden reduziert werden. Sind also die weißen Kleider verloren, dann fehlt das Verbindungsglied zwischen den Mädchen und dem Begriffsfeld „Himmel“, welches von Anfang an in einer schwachen Position ist. Bezieht sich dieser Befund auf eine ontologische Beschreibung der abgebildeten Welt, so lässt sich diese nur als düstere und hoffnungslose charakterisieren, der die Mädchen am Ende schutzlos, weil nackt, ausgeliefert sind. Eine metaphysische Rettungsvorstellung in Gestalt des Himmels bleibt von Beginn an außerhalb des Bildes und damit den Mädchen vorenthalten. Die Verdüsterung der Bildlegende illustriert den Vergegenwärtigungsprozess dieser Erkenntnis, die am Bild der entkleideten Mädchen ihre anschauliche Zuspitzung erfährt. Welche Qualität kommt mit dem Herstellungsverfahren ins Spiel? Wie auf allen Karten des Wächter-Buches gibt es keine farbigen Akzente durch die ausgeschnittenen Bestandteile der Textblöcke, jedoch sind einige Wörter durch andere, größere Drucktypen hervorgehoben. Im ersten Abschnitt trifft dies nur für „Hand“ zu, im zweiten sind es sogar Wortgruppen: „alle gleich“, „in Reihen“, „die Kleider“. Auf der folgenden Karte W 44 sind es die Wörter „Karte“, „in der Hand“, „das ErdLoch“ – letzteres weist eine orthographische Besonderheit auf. Hier sind in der rechten Hälfte die Wörter „sehe“
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und „ein Geräusch“ auffällig. Die letzte Karte W 46 betont „Einzeln“, entgegen der sonstigen Praxis großgeschrieben, und „geräuschlos“. Es ergibt sich kein versteckter Text oder eine wesentlich andere Lesart als ohne Berücksichtigung dieser Hervorhebungen. Die augenfälligsten Abweichungen auf den Karten W 43 und 44 unterstreichen noch einmal die Gleichheit der Mädchen, die aufgrund ihrer Anordnung und identischen Kleidung einen ornamentalen, verdinglichten Charakter annehmen, weil von ihnen vorrangig diese Merkmale wahrgenommen werden. Die typographische Gestaltung bildet gewissermaßen den Betrachtungsvorgang des beschriebenen Bildes nach; die hervorstechenden Details und Beobachtungen erhalten auch Gewicht in der äußeren Gestalt des Textes. Ähnlich verhält es sich mit dem am stärksten markierten Wort „ErdLoch“, das, wie in den vorgeführten Lesarten gezeigt, eine zentrale Rolle bei der Perspektivänderung spielt. Es verdrängt den Platz des metaphysisch aufgeladenen „Himmels“ und ist, ebenso ausgewiesen in der Bilderfolge, das Hauptmotiv des Zyklus. Insgesamt lässt sich feststellen, dass zwischen dem Textteil, den Bildelementen und der typographischen Gestaltung der besprochenen vier Karten ein enger Zusammenhang besteht. Im Textteil selbst wiederum zeigt sich ein genauer Umgang mit den einzelnen Ausschnitten, die in lyrischer Manier zu Verszeilen geordnet, einen präzis gebauten Text mit aufeinander bezogenen Motiven und einem stringenten „Handlungsverlauf“ ergeben. Wenig deutet auf ein freies oder gar mit dem Zufall arbeitendes Experimentieren. Vor allem die logische Gestaltung über vier Karten hin lässt einen planenden Umgang mit den verwendeten Materialien vermuten. Einige der Wörter sind, weil sie offenbar an den entsprechenden Stellen notwendig waren, aus mehreren Teilen zusammengesetzt, z.B. „gleich“ (ein Schnitt), „Reihen“ (drei Schnitte), „Kleider“ (ein Schnitt), „könnte“ (ein Schnitt), „ErdLoch“ (drei Schnitte), „Sehe“ (ein Schnitt). Sogar die Interpunktion, deren Handhabung bei dieser Technik wohl häufig recht beliebig sein kann, kann an entscheidenden Stellen für eine Interpretation in Dienst genommen werden. Der erste Abschnitt auf W 43 wird als sachliche Bestandsaufnahme mit einem Punkt beschlossen. Der nächste Punkt befindet sich auf der Karte W 44 und beendet die sich vergewissernde Bestandsaufahme der Wahrnehmungen. Karte W 45 trägt nur den lakonischen Satz: „Dann Ruhe.“, wobei der Punkt gleichzeitig eben das Verstummen anzeigt und die folgende Pause absetzt. Der letzte Abschnitt auf W 46 enthält nur Kommata, das erste nach „versinken“ trennt und verbindet zugleich die beiden Textbewegungen des Absinkens und des Kleiderverlustes, das zweite bildet den Schluss des ganzen Textes und entlässt die Mädchen ins Unbestimmte und Offene, denn dergestalt erscheint die Narration des Kartenzyklus noch nicht vollendet – es folgt das wortlose Weiß.
4.2. Natur, Sprache, Geschichte: W 92 – „die Muttersprache kichert schwarz auf Kindesbeinen“ Gegen Ende des Buches Der Wächter nimmt seinen Kamm gibt es mehrere Karten, die sich mit dem Thema Deutschtum (W 75, 92, 93) und der deutschen Sprache (W 91)
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befassen. Ausdrücklich verhandelt W 92 die kulturellen, geschichtlichen und sprachlichen Aspekte dieses Feldes. Das Bild auf der oberen Kartenhälfte irritiert durch seine doppelte Lesbarkeit: der Umriss des Ausschnittes zeigt ein T-Shirt; darauf oder durch den Umriss hindurch ist die fotografische Abbildung der Beine eines Huhnes auf einem Holzbalken stehend sichtbar. Die Kontur des Halsausschnittes läuft parallel zu der Wölbung des Hühnerrumpfes. Die Rätselhaftigkeit dieser Zweifachabbildung wird auch im 15zeiligen Textblock nicht aufgelöst, der nur in den letzten sechs Versen eine deutliche Zeilengliederung aufweist. Ansonsten füllen die langen Zeilen die volle Breite der Karte aus, so dass im Verein mit den zahlreichen Enjambements der Eindruck entsteht, dass die ersten neun Verse nicht unbedingt planvoll an bestimmten Stellen umgebrochen wurden, sondern nach Maßgabe der Kartengröße. Hervorgehoben durch eine größere Drucktype sind die Ausschnitte mit den Wörtern „Eiche“ und „Blumen“. Das Thema Deutschtum wird hauptsächlich vermittelt über die Reflexion der Sprache, was ausdrücklich in einer Art Rahmen am Anfang und Ende des Gedichtes geschieht: „Deutschfieber“ in Verbindung mit dem „Grammatiker“, „deutsche[...] Eiche“, „auf deutsch auf die Zähne beißen“, „alle Blumen heißen auf deutsch Bleiwurz und/ Schwarze Susanne“. Über das einzige Farbadjektiv „schwarz“, das ebenso in dem Rahmen enthalten ist, in „die Muttersprache kichert schwarz auf Kindesbeinen“ und „Schwarze Susanne“, stellt sich sofort eine düstere Konnotation ein, um im Verlauf des Textes bis zur schrecklichen Bestätigung geführt zu werden und dann jedoch ins Botanische auszubiegen. Die Konnotation wird nicht überführt in eine konkrete Aussage, sondern vielmehr bleibt das Ungeheuerliche ausgespart. Der Weg bis zu diesem Kulminationspunkt geht von dem Substantiv „Landzunge“ durch eine Wortlandschaft mit einigen vorausdeutenden Fixpunkten. Schon der unvermittelt am Ende des zweiten Verses eingefügte Begriff „Deutschfieber“ kennzeichnet die folgende dichte Evokation dieser Landschaft als erhitzte Vision, in der eher nach der Art einer Fiebertraum-Logik von einem Element zum nächsten sich ein sprunghafter Übergang einstellt und doch der bedrohliche Endpunkt dieser Kette von Beginn an zu ahnen ist. Mit der „deutschen Eiche“, gefolgt vom „Bluthandschuh“, mit dem „Ohrabschneider“ und der „Witwe“ wird bereits das thematische Feld von Gewalt etabliert und in Verbindung mit tradierten, deutschen Wertsymbolen gestellt. Diese Motivkette steigert sich hinein in die ununterbrochene Aneinanderreihung von Ausdrücken, wie sie typisch sind für unverhohlenen Hass und Gewaltphantasien: „Kopfabschlagen und melden aufs Maul in die Eier/ auf deutsch auf die Zähne beißen“. Die spezifisch deutsche Wendung zwischen diesen ganzen brutalen Vorschlägen besteht wohl in der Absicht zu „melden“, also zu denunzieren. Vom Ausgangspunkt der personifizierten Muttersprache findet eine allmähliche Verschiebung zur nackten körperlichen Gewalt hin statt. Hier wird vorgeführt, welches Potenzial einer bestimmten Sprachpraxis innewohnt, die sich als unausweichlich ausgibt, da sie von Kindheit an geübt wird. Das unreflektierte Hineinwachsen, die Benutzung einer Sprache ausschließlich mit dem Mund macht sie anfällig und geradezu zum pathologischen Phänomen. Dabei ist die anfangs festgestellte Differenz zwischen der einen
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und der anderen Sprachpraxis noch nicht signifikant, denn es geht lediglich um unterschiedliche Naturbezeichnungen: „Landzunge sagt er statt Sandstreifen“, die nicht vom sprechenden Subjekt verwendet werden, denn „er“ ist der Sprecher, um den es geht. Eine Zeile später wird mittels der Benennung dann eine dezidierte Feststellung getroffen: „Sumpfkrepp gibt es nicht“, so dass die sprachliche Differenzierung umschlägt in eine rigoros ausgeübte Beschreibungsmacht. In den Zeilen 3 bis 5 treten zu den Naturgegenständen im jeweils ersten Teil Gegenstände aus der Sphäre der menschlichen Zivilisation: „Tasche“, „Badehose“ und „Bluthandschuh“, wobei die Zusammenhänge
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zwischen Natur- und Zivilisationsgegenständen bis hin zum Begriff „Bluthandschuh“ selbst immer stärkere Poetizität erlangen. Vom „Loch in der Tasche“ über „das Ufer in der Badehose“ bis zum „Bluthandschuh“, der „vom Ast“ absteigt, werden auch die syntagmatischen Verhältnisse vieldeutiger. Das erste Beispiel ist durch den Ausschnitt mit „ein Loch in der“ noch klar zu deuten, aber im nächsten Fall sind zwei Lesarten möglich; einmal „Sumpfkrepp gibt es nicht nur das Ufer“ und das folgende Syntagma mit einem Enjambement: „in der Badehose/ die Krone der deutschen Eiche“. Oder auch das Syntagma: „nur das Ufer in der Badehose“. Die erste Lesart hat den Vorteil, dass trotz des Zeilensprungs die Syntagmen einen grammatikalisch vollständigeren Eindruck machen. Die nächsten beiden Zeilen 5 und 6 bieten ähnliche Schwierigkeiten. Entweder liest man: „Bluthandschuh steigt ab/ vom Ast dem Spätsommer ins Ohr“, oder: „steigt ab vom Ast dem Spätsommer ins Ohr der leise Ohrabschneider“. „Bluthandschuh“ bliebe dann als isolierter Ausdruck stehen, während bei der ersten Möglichkeit „der leise Ohrabschneider“ isoliert bleiben könnte. Obwohl grundsätzlich diese Uneindeutigkeiten viel zur Poetizität des Textes beitragen und interpretatorische Spielräume eröffnen, ist doch meist eine zu favorisierende Variante auszumachen, deren jeweiliges Gegenstück mitschwingt. In diesem Fall der Zeilen 5 und 6 wäre „Bluthandschuh steigt ab/ vom Ast dem Spätsommer ins Ohr“ die Hauptlesart, weil die andere Variante mit einer für Herta Müller sehr untypischen Inversion arbeitet. In der angesprochenen Verkettung von Natur und Zivilisation bringt gerade das Substantiv „Bluthandschuh“, der „vom Ast“ absteigt, unmittelbar nach der „deutschen Eiche“ den ersten expliziten Verweis auf die Komponente der Gewalt und stellt somit die Zivilisation in dieser Landschaft als solche unter Verdacht. Doch bereits die Qualifikation der „Eiche“ als „deutsch“ stellt den Sündenfall dar, denn deren Inanspruchnahme als nationales Wertsymbol zwingt die benannte Natur in eine bestimmte Wahrnehmungsperspektive. Die Natur bringt entsprechende bedrohliche Erscheinungen hervor, nämlich den „Bluthandschuh“ und den „Ohrabschneider“. Sie ist zur ausdrücklichen Komplizin geworden, nachdem sie schon am Textanfang für die in Rede stehende, scheinbar harmlose Sprachpraxis in Dienst genommen wurde. In „Landzunge“ treffen sich ja die Aspekte von Sprache, wie sie mit den Begriffen „Muttersprache“ und „Grammatiker wohnt im Mund“ aufgerufen wurden, von Natur/Landschaft sowie von Körperlichkeit. Das hier thematisierte Sprechen ist also eines, das alle drei Aspekte miteinander verbindet, jedoch nicht in versöhnender Absicht, sondern im weiteren Textverlauf mit katastrophalem Ergebnis. Denn dieses Sprechen führt zu den als „deutsch“ apostrophierten Wendungen von erschreckender Geradlinigkeit: „Kopfabschlagen und melden aufs Maul in die Eier/ auf deutsch auf die Zähne beißen“. So wie zuvor Motivketten durch die Wortlandschaft geführt haben, beispielsweise „Ohr“, „Ohrabschneider“, „Ohrknorpel“ und „Ohrbucht“ oder „Mund“, „Landzunge“, „aufs Maul“ und „Zähne“, wird nun mit dem einzigen wiederholten Substantiv der Nexus zwischen diesen versprachlichten Gewaltphantasien und einem tatsächlichen Gewaltverbrechen hergestellt, indem die „Zähne“ im kurzen Satz: „Der Jude besaß vier goldene Zähne Goldgeschirr nach dem/ Verbrechen“ ein zweites Mal auftreten. Dieser Satz setzt nicht nur in auffälliger Weise auf einer neuen Zeile ein, vielmehr wechselt
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in ihm auch das Tempus zum Präteritum. Er berichtet als einziger ein Geschehen der Vergangenheit, schließt also Sprache, Natur, von denen er herkommt, und Geschichte, die er darstellt, zusammen. Obwohl dieser Satz das geschehene Verbrechen nicht ausspricht, ist der Bezug auf die deutsche Geschichte eindeutig. Die Darstellung dieser Schuld, die selbst am individuellen Schicksal eines einzelnen Juden scheitert, versucht wenigstens mit dem Detail der goldenen Zähne einen Weg in die Vorstellbarkeit zu gewinnen. Aber es bleibt beim andeutenden Nebeneinander von „goldene[n] Zähne[n]“ und „Goldgeschirr“, das durch das „Verbrechen“ hergestellt wurde. Diese auf Anfang und Ende beschränkte Darstellung ist ein Musterbeispiel für die Technik der Reduktion. Nicht darstellbar, unaussprechlich und damit letztlich unvorstellbar ist dieser Kulminationspunkt des Textes, in dem eine Sprachpraxis umschlägt in tätliche Praxis, vor der die Sprache versagt. Einen schwachen Versuch zur Verifizierung des zugleich Ausgesprochenen und doch nur Angedeuteten stellt der Hinweis auf die Zeugen dar, deren genauere Kennzeichnung nicht gelingt: „Es gibt Zeugen auch Ehemalige in allen“. Auch diese Äußerung bricht ab, bevor eine Mitteilung über den Sachverhalt gemacht wird. Wiederum endet die Annäherung an die Vergangenheit, diesmal auf dem Wege der persönlichen Erinnerung der Zeugen, im Verstummen, so dass die potenziellen Vermittlungsinstanzen im – auch grammatikalisch – Unbestimmten verborgen bleiben. Am Ende biegt der Text wieder aus in die scheinbar harmlose Betrachtung der Natur und ihrer sprachlichen Durchdringung. Es zeigt sich, dass die Sprache, einmal hindurchgegangen durch den Prozess der Gewaltwerdung, sich nicht wieder reingewaschen den unschuldigen Gegenständen der Natur zuwenden kann. Sowohl die deutsche Sprache als auch die Natur in deren Perspektive bewahren die eigene Schuld im Gedächtnis, so dass die Naturidylle unmöglich geworden ist: „alle Blumen heißen auf deutsch Bleiwurz und/ Schwarze Susanne“. Die Namen von allen Blumen, die eigentlich als Ausweis einer differenzierenden und manchmal durchaus dichterisch liebevollen Zuwendung zur Natur gelten könnten, sind nun resignierte Globalurteile über die Verstrickung von Natur in Geschichte, deren düsteres Verhängnis in den entsprechend konnotierten Bezeichnungen Ausdruck findet. Eine Ausflucht bieten also Natur und das Sprechen über Naturgegenstände nicht an, vielmehr hat sich ihnen der Konnex von deutscher Sprache, Naturlandschaft und Gewalt noch tiefer eingeprägt. Dass es in dem Text nicht in erster Linie um eine Darstellung von Natur geht, sondern um ein Sprechen und damit den Zugriff auf Natur, ist ablesbar an den Übersetzungsgesten wie „sagt er“, „auf deutsch“ und dem Begriff „Deutschfieber“. Weiterhin stellt sich Bewegung im Text weniger über Verben her, von denen unverhältnismäßig wenig gebraucht werden, als über die Verschiebung vom Sprach- und Naturdiskurs hin zum Geschichtsdiskurs. Vorgeführt wird diese Verschiebung von Anfang bis Ende als eine Sprachpraxis, die einerseits durch Geschichte hindurchgeht und andererseits genau diese Geschichte zu verantworten hat. Dass es sich bei der inkriminierten Sprache um die deutsche handelt, ist überdeutlich gemacht, doch ergibt sich dann der Widerspruch zwischen der Sprachkritik, die am Deutschen geübt wird, und der Abfassung des kritisierenden Textes in eben derselben
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Sprache. Mit dem Bewusstsein dieser Zwangslage, die Muttersprache schuldig zu sehen und sie trotzdem in Dichtung zu verwandeln, steht Herta Müller in der Nachfolge Paul Celans. In ihrem Werk sind unterschiedliche Bezugnahmen nachweisbar, aber selten arbeitet sich ein literarischer Text in solchen Analogien an dieser Problematik ab.22 Selten ist auch der hohe Grad der Selbstreflexivität, der, obwohl ein sprechendes Subjekt nicht auftritt, erreicht wird. Diese Selbstreflexivität entsteht vor allem aus dem angesprochenen Widerspruch zwischen Kritik einerseits und Festhalten an der deutschen Sprache als dem Idiom der Dichtung andererseits. Welchen Raum bietet eine missbrauchte und schuldig gewordene Sprache der Dichtung noch? Im Text der Karte W 92 scheint die Möglichkeit eines anderen Sprechens nur auf in den kurzen Momenten der Distanznahme durch das sprechende Subjekt; beispielsweise in den Übersetzungsgesten „sagt er“ und „auf deutsch“ äußert sich das Bewusstsein einer Differenz und eines Abstands von der im Text entfalteten Sprachpraxis. Der Unterschied zwischen „Landzunge“ und „Sandstreifen“ deutet zugleich auf einen anderen Raum in der Sprache, der aber verborgen bleibt. Ob mit „Landzunge statt Sandstreifen“ ein Verweis auf einen bestimmten regionalen, historischen oder sozialen Kontext gegeben ist, steht dahin. Wohl eher geht es um die poetische Qualität des ersten Substantivs, von dem aus die Aspekte der Sprache, der Natur/Landschaft und der Körperlichkeit dargestellt werden können. Aber wie bleibt weiterhin das aufgeklärte Bewusstsein, das hinter der Sprachkritik steht, im Text präsent?23 Es bleibt präsent, indem es präsentiert. Über die Sprachpraxis der Gewaltwerdung aus Sprache hinaus wird das Verstummen angesichts der Schrecken der Geschichte gezeigt sowie die Verarmung der schuldigen Sprache, die zum Dichten beschränkt wird auf die eine düstere Farbe. Ein poetisch differenzierendes Sprechen ist somit unmöglich, wenn die Anreicherung der Sprache mit Geschichte sämtliche anderen Register übertönt und sogar die scheinbar von Menschheitsgeschichte weit weg führende Naturdichtung, die sich mit Blumen befasst, sich nicht aus diesem Bann befreien kann. Programmatisch führt dieser Text vor, wie denn noch in der Dichtung gesprochen werden kann, wenn die deutsche Sprache korrumpiert ist. Keine täuschende Schönheit, keine endgültigen Sinnverweise und keine utopischen Fluchtpunkte. Schon die Präsentationsform 22 Vgl. Herta Müller: Überall, wo man den Tod gesehen hat. Eine Sommerreise in die Maramuresch, In: Barfüßiger Februar, S. 101–121. Hier setzt sich Müller mit einer vergleichbaren Konstellation von Natur und Geschichte in einem Reisebericht auseinander. Celan bildet für diesen Text einen Referenzpunkt. Vgl. auch: Janssen-Zimmermann, Antje: „Überall, wo man den Tod gesehen hat, ist man ein bißchen wie zuhaus.“ Schreiben nach Auschwitz. Zu einer Erzählung Herta Müllers. In: Literatur für Leser 4/ 1991, S. 237–249. Weiterhin: Pasewalck, Silke: Erinnerte Gewalt der Grenze – zu Herta Müllers Prosaband Barfüßiger Februar. In: Literatur Grenzen Erinnerungsräume. Erkundungen des deutsch-polnisch-baltischen Ostseeraums als einer Literaturlandschaft. Hg. v. Bernd Neumann, Dietmar Albrecht und Andrzej Talarczyk. Würzburg 2004, S. 357–368. 23 Für den Anschluss Herta Müllers an die Tradition der Aufklärung auch im Wächter-Buch vgl. Norbert Otto Eke: „Sein Leben machen/ ist nicht/ sein Glück machen/ mein Herr.“ Zum Verhältnis von Ästhetik und Politik in Herta Müllers Nachrichten aus Rumänien. Jb. Der Deutschen Schillergesellschaft. 1997, S. 481- 509.
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des Textes verweigert sich den Vorstellungen von einem harmonischen Textganzen, vielmehr werden deutlich als Fragmente ausgewiesene Teile zusammengelegt und so belassen. Die Unvollständigkeit und das etwas Provisorische dieser Fügung lässt immer die Fehlstelle spürbar werden, die auf der inhaltlichen Ebene als Schweigen vor dem Undarstellbaren parallelgeführt wird. In den Schnittstellen ist der gesamte Rest verborgen, der nicht ausgeschnitten oder nicht ausgewählt wurde für diese Karte. Auf dieses gespannte Verhältnis von Präsentiertem und Ausgespartem hin lässt sich auch der Bildteil lesen. Es ist etwas abgebildet, nämlich ein Huhn, das aber nicht ganz zum Vorschein kommt, da die Schnittlinien uns etwas anderes suggerieren. Die trügerische Behandlung der Wirklichkeit durch die schöne Dichtung findet hier eine ganz einfache bildliche Darstellung. In vergleichbarer Weise funktioniert auch der Text als sprachliches Gewebe. Dieses enthält zwar die Verschiebung der Sprachpraxis hin zur Gewalt, aber zugleich evoziert es eine Sumpflandschaft und Vegetation; Motivketten führen durch es hindurch und setzen beispielsweise Sprechen und Hören ins Verhältnis zueinander. Für das Sprechen sind „Muttersprache“, „Grammatiker“, „Mund“, „Landzunge“, „Maul“, „Zähne“, „Zeugen“ und nicht zuletzt „deutsch“ in Anspruch genommen; zum Feld des Hörens passen „Ohr“, „Ohrabschneider“, „Ohrknorpel“ und „Ohrbucht“. Die zu „Ohr“ gehörigen Komposita sind sämtlich einteilige Ausschnitte, d.h. es sind wohl Fundstücke, die als Gerüst des Textes angesehen werden können. Ein weiteres Element, das beiträgt zur atmosphärischen Aufladung, ist das Wortfeld um die Vergänglichkeit: „Spätsommer“, „schon mürbe“, „der Händedruck älterer Damen“, „Ermattung“, „Witwe“, „Kopfabschlagen“ und „Ehemalige“. Die enge Verflechtung dieser Felder führt aber nicht zu einem besonders komplexen Textgebilde in syntaktischer oder stilistischer Hinsicht, sondern eher zu einer „Wortaufschüttung“24, die neben der Ausstellung ihres semantischen Gehaltes immer wieder vor allem auf ihre Materialität und Fragmenthaftigkeit deutet, denn die syntagmatischen Zusammenhänge sind eher lose, die Thema-Rhema-Verknüpfung folgt nicht so sehr logischen als traum- und sprachlogischen Regeln. Kurz gesagt: Die Sprache wird in diesem Text zwar benutzt, um in präsentierender Geste eine bestimmte Sprachpraxis zu kritisieren, beweist aber gleichzeitig ihre nicht-instrumentelle Verwendung in der Poesie, indem dicht verwoben mit dem Sprachdiskurs eine poetische Praxis vorgeführt wird. Der Text, der weder eine harmonisch glatte Oberfläche bietet, noch selbst eindeutig sinnbildende Prozesse zulässt mit seiner komplexen, mindestens doppelt codierten Struktur, gibt ebenfalls keine Orientierung auf ein rettendes utopisches Moment, das dem poetischen Sprechen innewohnen könnte. Die zu Beginn kurz aufblitzende Differenz zwischen zwei unterschiedlichen Sprachpraktiken führt nicht zu einem Ausblick auf ein besseres, vielleicht poetisches Sprechen, denn das in die gewaltwerdende Sprachpraxis verwobene poetische Sprechen wird nicht zum Gegen- und Heilsprogramm 24 Der Begriff stammt von Paul Celan (II, 29), der zwei Strategien damit bezeichnet: einerseits größere sprachliche Komplexität vermittels Wortballung und die des „Wortzerfalls“, eine immer radikalere Fragmentierung und Reduktion der Wörter und Verse andererseits. Wolfgang Emmerich: Paul Celan. Reinbek bei Hamburg 1992, S. 162.
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ausgerufen. Was ihm bleibt, ist am Ende die Erklärung seiner eigenen Machtlosigkeit und seiner Bannung unter das Verhängnis der deutschen Geschichte. Allenfalls das Aufspüren und Benennen von deren Spuren wie in den Blumennamen ist möglich. Das birgt jedoch nicht das utopische Moment der Freiheit oder gar der Erlösung von der Geschichte in sich; eher gerinnt die Poesie zum Zeugnis einer immerwährenden Abarbeitung an diesen für die deutsche Sprache dringlichen Problemen. Die Karte W 92 stellt also eine geradezu paradigmatische Positionsbestimmung des Schreibens von Herta Müller dar im Schnittpunkt literarhistorischer, geschichtlicher und biographischer Perspektiven. Im Gegensatz zu Paul Celan, dessen Muttersprache zur Mördersprache geworden war, und der ihr in bewusstem Widerspruch zu Adornos Diktum von der Unmöglichkeit eines Gedichtes nach Auschwitz eine neue Poetologie eben nach Auschwitz abgewinnen konnte, musste sich Müller stets mit der Tatsache auseinandersetzen, dass nicht nur ihre Muttersprache schuldig geworden war, sondern der gesamte kulturelle Zusammenhang, die Landschaft, in der sie aufgewachsen war, und die eigene Familie in diese Schuld verstrickt waren. Ihr Schreiben kreist immer wieder um diesen Komplex und sucht mit verschiedenen Mitteln, dieser Verschattung der eigenen Biographie und Sprache beizukommen. In den erzählenden Texten wird die Zeit des Nationalsozialismus wiederholt thematisiert im Hinblick auf die ganz persönliche Beteiligung an Krieg und Verbrechen. Aber auch die geistigen Dispositionen für diese Schuld werden einer scharfen Analyse unterzogen. Mit der hier betrachteten Karte reiht sich Müller aber tatsächlich in die lyrische Tradition seit Celan ein, insofern die Behandlung von Geschichte, Natur und Sprache in einem Text vorgeführt werden, der sein eigenes Sprechen bzw. die Unmöglichkeit seiner Existenz als Dichtung einreflektiert. Die sprachlichen Verfahren sind allerdings nicht allein dem Erbe Celans verpflichtet, sondern sind deutlich geprägt von Müllers eigenem Darstellungsstil, der stark metaphorisch aufgeladen ist und mit sprachlichen und materiellen Versatzstücken verschiedener Herkunft souverän einen komplexen, mehrsträngigen Text zusammensetzt.
4.3. Theodizee in der Diktatur: W 38 – „Ich hatte Freunde verstand nicht daß sie“ Erhängen. Beim Herabnehmen oder Abschneiden des Körpers Vorsicht vor Aufschlagen! Künstliche Atmung, frische Luft zuführen. Erste Hilfe (bis zum Eintreffen des Arztes), Neuer WegKalender 1970
Die Karte Nr. 38 trägt einen Text, der mehrere für Der Wächter nimmt seinen Kamm und für Müllers Gesamtwerk typische Themen versammelt: Freundschaft, Tod, Diktatur, Exil und Fremdheit. Er setzt ein mit dem Personalpronomen „Ich“ und entwickelt sich
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am individuellen Schicksal dieses starken sprechenden Subjektes entlang. In drei Abschnitten breitet der Text, der deutlich in Verse gegliedert ist, die verstörenden Erfahrungen aus, die das „Ich“ in seinem Heimatland und nach der Ankunft im Exil macht. Zwischen dem zweiten und dem dritten Abschnitt verläuft ein schmaler schwarzer Streifen, der auf der rechten Kartenseite von einem Mann in der Hand gehalten wird. Der Mann ist halb von hinten zu sehen, steht auf einem Stuhl, als ob er hinunterspringen wolle, und trägt einen Hut. Der von ihm gehaltene Streifen markiert im Text einen thematischen und geographischen Sprung, denn im letzten Abschnitt wird das Weggehen beschrieben, das ja ebenfalls eine grenzüberschreitende Bewegung beinhaltet. Unter den zweiten Titel des Wächter-Buches Vom Weggehen und Ausscheren passt diese Karte besonders, weil sie sowohl eben den Gang ins Exil aufnimmt als auch die Außenseiterrolle, die dem sprechenden Subjekt daheim und in der Fremde zukommt. Erzählt wird auf dieser Karte in der Rückschau aus einer gegenwärtigen Asylsituation heraus, so dass der größte Teil des Gedichtes aus erinnerten Geschehnissen und Gefühlen besteht. Im ersten Abschnitt werden die Freunde erinnert, die jung starben und deren Tod scheinbar ein Suizid, jedoch nicht freiwillig war. In der Wendung „kuschende Beute [...] gegen sich selbst“ offenbaren sich die äußerst zweifelhaften Todesumstände; die Möglichkeit, dass die Freunde in größter Not und unter Druck sich das Leben selbst nahmen, kann nur in einem letztlich verdinglichten Verhältnis zu sich selbst gelegen haben. Aggressionen gegen sich zu richten und sich selbst zur „kuschende[n] Beute“ zu machen, wirft ein Licht auf die vorausgegangene Zerstörung der Persönlichkeiten durch die lebensfeindliche Umgebung. Eine weitere Lesart stellt auch die Tatsache des Suizids unter Verdacht: Die Freunde waren „kuschende Beute“, haben ihren Lebens(eigen)willen aufgegeben zugunsten eines Gehorsams, der nicht ihrem Wesen entsprach und sich gegen sie selbst richtete.25 Fast sachlich rekapituliert das „Ich“ die Fremdheit zwischen sich und den Freunden, so dass ein Verständnis von deren Situation erst im Rückblick erwachsen konnte. Auch der folgende Abschnitt versucht zunächst, sich in das Leben und Sterben der Toten einzufühlen, indem deren Aussichtslosigkeit und Einsamkeit vor Augen geführt wird. Nicht einmal der Trost einer transzendenten Heilsinstanz, nach dem sicher Bedürfnis gehegt wurde, war den Bedrängten gegönnt: „Aber zu beten war ihren Köpfen nicht geglückt.“ Nicht nur, dass ihnen ihre eigene Aufgeklärtheit dabei im Wege gestanden hätte, es geht vielmehr um die bittere Erkenntnis, dass keine Rettung von dort zu erwarten ist, wo die üblen Verhältnisse offensichtlich gebilligt werden. Der zweite Abschnitt leitet aus dieser Vorgeschichte und der absoluten Verlassenheit der toten Freunde eine regelrechte Abrechnung mit Gott her, dessen moralische Verkommenheit in kräftigen Bildern dargestellt wird: „Gott hat es hingenommen stieg 25 Das Motiv genau dieser beiden Todesarten wiederholt sich in dem Roman „Herztier“. Einen biographischen Bezug mit den Namen zweier Freunde weist Predoiu nach. Vgl. Grazziella Predoiu: Faszination und Provokation bei Herta Müller. Eine thematische und motivische Auseinandersetzung. Frankfurt a. M. 2001.
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zu den Mächtigen ins Bett [...] Tagelöhner der Genossen/ und Tänzer im Schlamm/ wie der große Diktator derselbe Gott“. So erfährt der Leser etwas über die Zustände im Land, wo ein Diktator gottgleich regieren kann, so dass die Gleichstellung mit Gott dazu führt, dass sich Gott gleichmacht mit den Mächtigen.26 Die Ohnmächtigen sind daraufhin verraten und verlassen; Gott, der eigentlich ein „transzendentales Obdach“ 26 Die Panegyrik zu rumänischen Diktaturzeiten schreckte vor dem Vergleich des großen Conducătors mit Gott durchaus nicht zurück. Was anmutet wie eine übertriebene Metapher für die Regierungs-
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bieten sollte, bringt den Menschen nur ein „Grasdach in aller Stille“ und ein „Bleidach über Menschenangst“, nämlich die Grasnarbe über dem Bleisarg. Tod und Verstrickung in die allgegenwärtige Angst lassen keinen freien Aufblick in einen verheißungsvollen Himmel zu. Wo Gott den „Genossen“ billig und willig zu Diensten ist, gibt es kein Vertrauen in ihn. Mit dem optisch notwendigen Schritt über die Grenze in der Kartenmitte, lässt auch das sprechende Subjekt von dem Gedankengang ab und wendet sich der eigenen Geschichte wieder zu. Der Weggang aus „diesem Land“ wird dargestellt nicht als Aufbruch in eine bessere Welt, sondern als Flucht, auch vor der ubiquitären Überwachung: „diesem Land aus den Augen“. Trotzdem gilt das Land noch als „Heimat“, mit deren Wortstamm noch „Heimweh“ und „heimlich“ verwandt sind. Sich zu bekennen zum Heimweh nach dieser „Heimat die den Verstand“ verlor, wäre so paradox, dass lieber nur im Verborgenen davon geredet wird: „und heimlich wie eine Verletzung/ innen im Hals eine fremde Bewegung“. Verständnis ist im Land des Exils im Westen nicht zu erwarten, wo niemand etwas mit der Herkunft des „Ich“ verbindet, allenfalls ein allgemeines und abschätziges Globalurteil: “Balkan ist für die ein Schimpfwort“. Dieser Widerspruch zwischen dem erfahrenen Leid in der Heimat und dem völlig irrationalen Heimweh, das sich sperrt gegen die pauschale Aburteilung, ist der berührende Fluchtpunkt dieses Gedichtes. Daran wird die neue, gegenwärtige Einsamkeit des Flüchtlings offenbar. Hatte das sprechende Subjekt zu Anfang des Textes nicht verstanden, in welcher Verfassung seine todgeweihten Freunde waren, so ist es jetzt selbst konfrontiert mit der Gleichgültigkeit und den Vorurteilen der Fremden in der Fremde. Die Biographie des „Ich“, die Geschichte seiner Freunde und der Heimat werden abgetan mit einem ignoranten Schimpfwort. In der Enttäuschung darüber liegt keine Verklärung der zurückgelassenen Verhältnisse, aber teilen kann das sprechende Subjekt diese Haltung nicht. Die Text- und Bildcollage W 38 repräsentiert drei Themenbereiche, denen sich Müller in ihren Werken stets von neuem widmet: Freundschaft und die unüberwindbare Fremdheit zwischen Menschen, die unter dem Druck eines totalitären Regimes leben; die Entwertung jeglicher Heilsperspektiven in solchen Verhältnissen und die Erfahrung des Exils, das keine neue Heimat, sondern wiederum Isolation und Verständnislosigkeit bietet. Bemerkenswert ist allerdings die Rigorosität, mit der im Mittelteil des Textes eine Theodizee unter den Bedingungen der Diktatur ausgebreitet wird. An keiner anderen Stelle ihres literarischen Werkes wird Gott als lebendige und zutiefst korrumpierte Instanz dargestellt.27 Vom katastrophalen Scheitern gesellschaftlicher Utopien, die in Unterdrückung und Terror münden, sprechen die fiktionalen Texte indirekt und veranverhältnisse, wurde als Lobpreis tatsächlich gedruckt. Vgl. Thomas Kunze: Nicolae Ceauşescu. Eine Biographie. Berlin 2000. 27 Anlässlich der Veröffentlichung von Im Haarknoten wohnt eine Dame bezeichnet Herta Müller die Gedichte als „Gebete derer, die nicht an Gott glauben“. Vgl. Schnipsel aus dem Wörterkasten. Die deutsch-rumänische Autorin liest bei Moths. SZ, 25.07.2000.
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schaulichen am konkreten Detail die Auswirkungen für die individuelle Existenz. In Essays, Interviews und den poetologischen Texten bezieht Müller entschieden Stellung gegen kollektive Heilskonzepte, doch hier auf dieser Karte greift sie über den von Menschen allein zu verantwortenden Handlungshorizont hinaus auf in der Moderne längst abgelöste Vorstellungen von Geborgenheit in der Transzendenz zurück. Sie gibt dem alten Problem der Theodizee eine spezifische Wendung, so dass darin der geschichtsphilosophische Befund vom Ende des „transzendentalen Obdachs“ trotz der Existenz Gottes zum Vorschein kommt. Indem Gott sich gemein zu machen scheint mit den Machthabern, die Leid und Tod verbreiten, bringt er sich als Trost- und Erlösungsinstanz zum Verschwinden. Die Metapher des Himmels für eine überirdische Gerechtigkeit und Heilsgewissheit verkehrt sich in das Bild vom „Tänzer im Schlamm“, der der diktatorgleiche Gott ist. Auf diese Weise geht ein heilsgeschichtlicher Horizont völlig auf in den Niederungen der bedrängten Existenz, und Gott ist auch über dialektische Modelle nicht zu rechtfertigen angesichts des Bösen in der Welt, denn es bleibt nur noch diese eine Welt, in der allenfalls der Name Gottes noch gängige Währung, aber längst sinnentleert ist. Mit solch einer expliziten Absage an religiöse Vorstellungen stellt dieser Text, obwohl er eigentlich recht typische Themen verhandelt, etwas Besonderes nicht nur im Wächter-Buch, sondern auch im gesamten Œuvre Müllers dar. Die Deutlichkeit, mit der hier argumentiert wird, verdankt sich auch einem weitestgehenden Verzicht auf eine übermäßig experimentelle Sprache. Die poetischen Bilder und Metaphern sind leicht zu entschlüsseln, die wenigen Zeilensprünge führen nicht zu mehrdeutigen grammatischen Konstruktionen, ebenso stehen die elliptischen Sätze einem raschen Textverständnis nicht im Wege. Der präzise Bau stellt einen stringenten narrativen Ablauf her, dessen einzige Aufgabe in der Darstellung der individuellen Geschichte und Gedanken besteht. Das eigene Sprechen des Subjektes wird nicht zum Gegenstand der Reflexion, es konzentriert sich ganz auf die repräsentierende Funktion der Sprache. In diesem Fall trägt auch das Herstellungsverfahren der Karte nicht konstitutiv zum Textgehalt bei; er würde genauso wirken, wenn er in Normtypographie gesetzt wäre. Das Bewusstsein der Materialität und der Zusammengesetztheit findet im Text selbst keinen auffälligen Niederschlag, das heißt, Zufallsfunde und ein freies Spiel mit den Ausschnitten waren wohl nicht wesentlich an der Entstehung beteiligt. Die Aufgabe der Bildelemente und das Verhältnis zum Text ist mehrdeutig. Einerseits kann der Mann mit dem Hut wohl eine Grenze markieren durch den schwarzen Streifen, den er in der Hand hält. Andererseits sind möglicherweise der Strick und der Sprung aus dem Text abgebildet. Der Mann ist jedenfalls abgewandt, so dass sein Gesicht, Ausweis seiner Identität, aber auch Indikator seiner Verfassung, verborgen bleibt. Wie bei den Freunden, die an einem „Jungen Ende“ starben, ist sein Inneres für den Betrachter nicht zugänglich. Ein wesentlich freundlicheres Bild von Gott zeichnet Müller in einer Collage aus ihrer jüngsten Veröffentlichung:
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„Der Himmel glich dem TAUBENKÄFIG Gott reparierte EINER Fliege DEN Pelz einer Kirsche den Stein mich ließ ER sein.“28
Hier nimmt sich ein detailbesessener zugewandter Gott der kleinsten Dinge an, um sie in Ordnung zu bringen. Das Ich des Textes, das nach Fliege und Kirsche das strukturelle Achtergewicht bildet, konstatiert gelassen, dass es selbst nicht einbezogen war – ob der Grund dafür in der Abwesenheit von Mängeln oder aber in der großzügigen Akzeptanz des Menschen als Mängelwesen lag, bleibt dahingestellt. Zudem waltet in der typografischen Gestaltung eine gewisse Respektlosigkeit, denn nicht allein das Personalpronomen für Gott „ER“ wird, als Erinnerung an die Praxis in der Bibel und anderen theologischen Texten, den HERRN stets mit Majuskeln zu schreiben, ebenfalls mit Großbuchstaben präsentiert, an seine Seite treten auch der „TAUBENKÄFIG“ und so wenig großartige Worte wie „EINER“ und „DEN“. Auf spielerische Art wird einer langen abendländischen Tradition im Vorbeigehen ein Schnippchen geschlagen.
5. Im Haarknoten wohnt eine Dame 5.1. Große und kleine Perspektiven: D 93 – „spätabends an der Wohnungstür“ Der 21zeilige Text dieser Collage wird begleitet von einigen fragmentarischen Abbildungen einer städtischen Umgebung am unteren Bildrand. In seltener Umkehrung befinden sich die hellen Ausschnitte mit den Wörtern auf einem dunkelblauen Untergrund, der in Verbindung mit den Ausschnitten einer Straßenlaterne, von Gebäuden und Schornsteinen wie ein Himmel wirkt, auf dem der Text angeordnet wurde. In dem Gedicht geht es um einen Besuch unter Freunden und die dabei geführten Gespräche. Eindeutige Hinweise lassen an einen gegenwärtigen Kontext denken, denn die verhandelten Themen sind auch Gegenstand des öffentlichen Diskurses in der Bundesrepublik. Eigentlich wird nicht das Gespräch, das ein später Besucher dem sprechenden Subjekt aufdrängt, dargestellt, sondern vielmehr eine Art Monolog, der in rasantem Galopp ohne Punkt und Komma nach einer kurzen persönlichen Äußerung sämtliche aktuellen Themen anschneidet. Auch die Themenwechsel und kurzen Verschnaufpausen, die Reaktion des oder der zum Zuhören Gezwungenen sind anschaulich nachgebildet. Auf diese Weise entsteht sowohl ein Bild von der bundesdeutschen Gesellschaft, wie sie
28 In: Vater telefoniert mit den Fliegen. München 2012, S.55.
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sich im aufgeregten Stellungnehmen eines Intellektuellen widerspiegelt, als auch von einem zwischenmenschlichen Verhältnis und den unterschiedlichen Weisen der Teilhabe an der Welt. Der Text wird in seiner äußeren Gestalt und seiner Binnenstruktur von mehreren Spannungsverhältnissen getragen. Zwischen dem freundschaftlichen Besuch, dem persönlichen Anliegen des Besuchers sowie der Selbstbesinnung des „Ich“ am Textende und dem dominierenden allgemeinen Geschwätz des Mittelteils baut sich eine Spannung auf. Aus dieser Konstellation heraus wirkt auch die Präsentation des Textes als Collage ambivalent. Einerseits wird ein Bericht über eine menschliche Begegnung und
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deren Bewertung in Bruchstücken aus den öffentlichen Printmedien gegeben, andererseits stellt die Verwendung dieser Fragmente genau das Eindringen des öffentlichen Diskurses in die Privatsphäre der Menschen aus. Die sprachlichen Versatzstücke, mit denen der Freund die Unterhaltung bestreitet, verbergen ihre Herkunft nicht; so wie das Gespräch bzw. der Monolog von einem Thema zum anderen springt, so kommen hier die einzelnen Teile des Textes materialiter zusammen. Das Herstellungsverfahren der Collage bringt die papierne, unpersönliche Qualität des gesamten Gesprächs, das keine Fragen und Antworten, nur Statements enthält, adäquat zum Vorschein. Die Haltung des sprechenden Subjektes wirkt hingegen sehr authentisch, wird doch der letzte Teil mit den Zeilen 15 bis 21 durch die ungeduldige Aufkündigung der Zuhörerschaft eingeleitet: „Mensch leck mich doch“. Die folgenden Verse benutzen auch wieder eine poetische bildreiche Sprache, wie sie der Mittelteil mit dem Themengeklapper nicht aufweist. Wurde zu Beginn in den Versen 1 bis 6 noch aus der Perspektive des „Ich“ gesprochen und die Rede des Besuchers in indirekter, konjunktivischer Form wiedergegeben, wechselt ab Vers 7 bis 14 mit der Perspektive und dem Modus die Sprachqualität, die nun nichts Eigenes mehr hat. Sie besteht nur aus abgenutzten Begriffen und Schlagworten. Erst bei der Rückkehr zur Innenperspektive des „Ich“ in Vers 15 stellt sich die subjektiv eingefärbte Redeweise wieder ein: „die Nacht durchquert verschleppt vertan/ der Himmel zieht sich rötlich an“. Die vier Schlusszeilen treiben die Differenz zwischen den beiden Umgangsweisen mit Sprache auf die Spitze. Während der intellektuelle Besucher sein Zitierwerk krönt mit „Hölderlin/ den er so mag“, also erneut keine eigenen Worte findet, um sich mitzuteilen, bescheidet und behauptet sich zugleich das „Ich“ mit der Feststellung: „ich habe wieder nichts im Sinn/ als ein bißchen Donnerstag“. Es entzieht sich den Aufgeregtheiten der großen Themen und Namen, indem es seinen Eigensinn ganz unspektakulär pflegt. In seiner Wahrnehmung erlebt auch der Leser diesen Besuch und vollzieht dessen Wertungen nach. Diese finden deutlich und jeweils der Stimmung entsprechenden Ausdruck, so beispielsweise am Anfang des Textes in der leicht ironisierenden Wiedergabe der Verfassung des Freundes, der „blaß wie Zement“ und „verstört“ ist, weil „ein Gestrüpp aus Frau und Krise/ ihn am Roman nicht schreiben ließe“. Noch mit Witz wird der Besucher aufgenommen, doch mit dem Schlagzeilenkatalog und wohlfeiler Kritik an den Verhältnissen, wird die Geduld des „Ich“ überstrapaziert und wandelt sich in Verdrossenheit über die „Nacht durchquert verschleppt vertan“. Der Ton des Gedichtes ist leicht, und nicht zuletzt die Reimstruktur trägt dazu bei. Bis Vers 10 sind es Paarreime, die von einer Zeile zur anderen führen und sie locker zusammenbinden, wie auch im Text das Gespräch von einem Thema zum anderen wandert. Zeile 12 wird umschlossen von zwei reimenden Zeilen; sie stellt als Waise ein kurzes Innehalten dar und tritt mit einem Binnenreim ein wenig auf der Stelle: „die Korruption im Feuilleton“. Dem schließt sich, als ob das Gespräch einen Endpunkt erreicht hätte, der erste Aufbruchsversuch des Gastes an. Allerdings greift diese Ankündigung (Zeile 13) reimend die vorhergehende Zeile mit „die Schwarzarbeit das Fernsehen“ (Zeile 11) wieder auf. Es scheint munter weiterzugehen mit der Konversation,
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aber hier wechselt die Perspektive gleich zum sprechenden Subjekt, das nun genug hat. Noch vier Zeilen Paarreime (14 bis 17) leiten weiter bis zum Ausklang des Abends und zugleich des Gedichtes. Hier verschränken sich die gegensätzlichen Haltungen und Sprechweisen beider Freunde zu vier Versen mit Kreuzreimen. Eine Begegnung im emphatischen Sinne soll doch noch gelingen, indem der Besucher sein Innerstes öffnet; da dort jedoch nur ein Autorname, wenn auch der Hölderlins, zum Vorschein kommt, bleiben die Freunde distanziert. Die in der Reimstruktur angestrebte Annäherung wird umso deutlicher verfehlt, wie sich in dem Festhalten des „Ich“ an einer ganz alltäglichen Subjektivität zeigt. Der Gegensatz zwischen dem hohen Hymnenton Hölderlins und der schlichten Erzählung vom Verlauf einer „vertanen Nacht“ könnte nicht größer sein. Auf der einen Seite findet sich der Dichter der größten geschichtsphilosophischen Perspektiven von seinem engagierten modernen Kollegen zusammengespannt mit den pseudo-wichtigen Themen des täglichen Medienterrors. Auf der anderen Seite ist der Alltag in einem positiven Verständnis angedeutet, weil er das Subjekt weder mit den Großperspektiven überfordert noch mit den Medienklischees überfüttert. „Ein bißchen Donnerstag“ ist das Naheliegende, das zu bewältigen ist.
5.2. Volkslied in der Diktatur: D 54 – „als die Zeit schlecht war wurde“ Zwei jeweils siebenzeilige Strophen bilden den Textteil der Collage Nr. 54. Auf dem unteren Viertel des Kartenformats befindet sich eine kleine vignettenartige Bildcollage, die aus drei Teilen besteht. Quer auf einer steingrauen ovalen Farbfläche liegt eine längliche Form, die wiederum aus einem ausgeschnittenen menschlichen Kopf und einem nach rechts aus der Fläche ragenden Ausschnitt mit sich wiederholenden ovalen Formen besteht. Auffällig ist die sehr farbige Gestaltung der beiden Textblöcke, die dadurch dem Auge mehr optischen Reiz bieten als der grau in grau gehaltene Bildteil. Kaum zwei nebeneinander stehende ausgeschnittene Wörter sind auf gleichfarbigem Papier gedruckt, sogar innerhalb weniger Wörter wechselt die Untergrundfarbe, z.B. „Augenfarbe“ (drei Schnitte, zwei Farben) und „Apfelkerne“ (vier Schnitte, drei Farben). Außerdem ist der Text in seinen beiden Textblöcken mit jeweils hängendem Einzug in der ersten Zeile nicht in Verse gegliedert. Das äußere Erscheinungsbild lässt zunächst an Prosa denken. Auch der Beginn des Textes mutet zunächst episch an: „als die Zeit schlecht war wurde/ man ärmer“. Jedoch strukturieren zahlreiche Binnenreime den Text und verdichten ihn zusätzlich zur lückenlosen Aneinanderreihung ohne Interpunktion. Ihr Fehlen führt zu syntaktischen Mehrdeutigkeiten und Auslegungsmöglichkeiten: „geschliffenes Glas die Augenfarbe wie/ Apfelkerne und Zähne aus Messing von der/ Trompete“. In den Zeilen 5 bis 7 stehen diese beschreibenden Ellipsen; lesen kann man sie entweder: „geschliffenes Glas die Augen“, und weil „Augenfarbe“ in der Wortfuge die Farbe wechselt, auch noch „die Augenfarbe wie Apfelkerne“. Oder man bezieht „geschliffenes Glas“ noch auf die vorhergehende „am Hals eine Narbe“ und deutet es als Verursacher derselben. In den Zeilen 13 und 14 findet sich eine vergleichbare Konstellation, wo das Verb
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„stand“ nach vorn oder zurück bezogen werden kann: „sein Kopf lag wo kein/ Wasser stand vier Meter weiter der Wächter“. Ebenso offen bleibt die Fügung bei: „der ging Patrouille am Fluß bei der Biegung im/ Sand wuchs Haselnuß“. An diesen grammatikalisch mehrfach zu lesenden Strukturen wirken auch die Zeilensprünge mit, die durch das Kartenformat vorgegeben werden. Jene sind ein weiteres verdichtendes Moment über Blocksatz und Binnenreime hinaus. Die Reimstruktur ist unregelmäßig und bildet keine durchgehende Rhythmisierung des Textes aus. Es reimen sich sowohl benachbarte als auch weit auseinanderliegende Wörter, z.B. Hand/ fand (2), Bauch/ auch (3), siebter/
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Geliebter (3/ 4), gerne/ Apfelkerne (4/ 6), Narbe/ Augenfarbe (5), Ohr/ schor/ vorvorher (9/ 10/ 10), Fluss/ Haselnuss (11/ 12), Sand/ stand (12/ 14), schlechter/ Wächter (13/ 14). Von drei Geliebten erzählt das sprechende Subjekt, einer davon der „siebte[..] Geliebte[..]“. Diese Zahlenangaben, der Erzählton einiger Stellen und speziell ein Motiv erinnern an volkstümliche Formen des Liedes. Allerdings kommt das Gedicht uns durchaus nicht liedhaft entgegen mit seiner strukturellen Komplexität und teils verschlüsselnden Redeweise, seinen sporadischen Reimen und der thematischen Einbettung in einen historischen Kontext („schlechte Zeiten“). Vor der genaueren Betrachtung der Liedhaftigkeit soll aber der narrative Zusammenhang des Textes herausgearbeitet werden. Im ersten Abschnitt tritt nach der allgemeineren Kennzeichnung der Zeit als schlechte, in der Armut zu Gewalt führt, der siebte Geliebte auf. Auch er trägt ein Mal der Gewalt, die Narbe am Hals, ist aber ein lebenslustiger Mann: „der spaßte so gerne“, und macht Musik. Im zweiten Abschnitt erinnert sich das „Ich“ an einen anderen Geliebten in einer rätselartigen Form: „der pfiff/ sich so traurig ins Ohr seiner Kunden und war/ kein Friseur wenn er sie schor“. Vor dem Schäfer, um den es hier offenbar geht, gab es noch einen weiteren, nämlich den „vorvorher“. Dessen Patrouillengang endet für ihn offenbar tödlich, im Kontext einer Zeit, die „arm war“ und moralischen Niedergang mit sich brachte. Der anspielungsreiche zweite Abschnitt verbindet ein tradiertes Motiv der rumänischen Volkslieder und Mythen mit einem von Herta Müller sehr häufig aufgegriffenen Motiv der Moderne. Der Schäfer, Identifikationsfigur der rumänischen Nationalideologie, trifft auf einen Flüchtenden, der an der Grenze stirbt. Der Wächter, eine schon im ersten Postkartenbuch gepflegte Symbolfigur, schließt den Text an der Grenze gewissermaßen ab. Aus dem Schäfer, der seine Herde hütet, ist mit der Ankunft in der Moderne, denn erst die brachte das gnadenlose Grenzregime, der Wächter geworden, der als neueres Symbol des Bewachens gelten kann. Das Motiv des Schäfers bildet das Herzstück der Nationalmythologie Rumäniens mit der Legende von Mioriţa, die in vielfältigen Varianten die Geschichte eines Schäfers berichtet, der, von seinem treuen Schaf Mioriţa vor einem Mordkomplott gewarnt, sich trotzdem in sein Schicksal ergibt und sich eine Bestattung in der Natur wünscht. Der rumänische Kulturphilosoph Lucian Blaga entwickelte in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf dieser Grundlage die Theorie des „mioritischen Raumes“, in der er die spezifische Verfasstheit der rumänischen Kultur und Nation in ihrer engen Bindung an den Naturraum begründete.29 Wenn Müller also in einer Art Rätsel den Topos des Schäfers herbeizitiert, dann ruft sie damit einen weiten Horizont auf, der sowohl volkstümliche Erzählformen als auch kulturphilosophische Spekulationen umfasst. In densel29 Lucian Blaga: Trilogia cunoaşterii/culturii/valorilor, 1943/1944/1946. Von Müller wurde Blaga bei einer ihrer ersten Veröffentlichungen (In: Wortmeldungen. Eine Anthologie junger Lyrik aus dem Banat. Hg. v. Eduard Schneider. Temeswar 1972) neben Rilke als einer ihrer Lieblingsautoren benannt. Die meisten anderen jungen Autoren nannten Blaga auch, der Ende der sechziger Jahre nach stalinistischer Verdammung eine regelrechte Renaissance erlebte.
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ben Raum wird dann auch das Schicksal der anderen beiden Geliebten gestellt. Ist mit dem ersten Musik als verbreitetes Medium der volkstümlichen Tradition verbunden, so führt die Textbewegung über den versteckten Bezug auf rumänische Nationalmythologie zur modernen, ideologischen Wendung dieses Nationalismus. Der zuletzt erinnerte Geliebte schreitet den eröffneten Kulturrraum bis zur Gänze aus – er gerät an die Grenze, wo die anzitierten Werte der rumänischen Kultur absolut ihre Geltung einbüßen, weil sie absolut gesetzt werden. Das kostet ihn das Leben, denn diese Grenze findet ihre grausame reale Entsprechung im Grenzregime „am Fluß bei der Biegung“. Einen Rahmen um diese Textbewegung bilden die Feststellungen: „als die Zeit schlecht war wurde/ man ärmer“ am Beginn und: „als die Zeit arm war/ wurde man schlechter“ gegen Ende. Dabei handelt es sich nicht um einen einfachen Kreisschluss, aus dem es in fatalistischer Lesart kein Entkommen gibt. Vielmehr scheint es einen Unterschied zwischen „schlecht[er]“ und „arm[er]“ Zeit zu geben. Wenn die Zeit schlecht ist, führt die Armut in ihrem Gefolge zu Gewalt, die aus Not zwischen den einzelnen Individuen ausgeübt wird. Der Druck, der auf den Menschen lastet, macht sie schneller bereit, zum Messer zu greifen. Wenn die Zeit jedoch arm ist, und das auch in einem emphatischen Sinne, lässt der Verlust allgemeingültiger moralischer Begriffe nicht auf sich warten – ihr Fehlen macht die Zeit unter anderem „arm“. Die geistige Armut einer Zeit und die Armut an Werten bringen solche Phänomene wie Staatsgewalt und Grenzterror mit sich. Die individuelle Gewaltbereitschaft der Armut wird ersetzt durch die systematische Gewalt, die eine ganze Gesellschaft in Schach hält. Wurde zu Anfang des Textes ein Konflikt zwischen den Interessen von Einzelnen zwar als häufiges Vorkommnis dargestellt, so ist am Ende des Textes kein persönliches Interesse mehr im Spiel. Die Verbindung zwischen dem Wächter und dem Flüchtenden stellt sich nur noch über die doppelte grammatische Funktionalisierung des Verbes „stand“ her, so dass der denkbar schlimmste Eingriff in das Dasein des einen durch den anderen trotzdem von einer großen existenziellen Distanz begleitet wird. Es sind also zwei Momente, die in diesem Text zusammen wirken. Einerseits gibt es Verweise auf volkstümliche Formen wie Rätsel (Schäfer-Rätsel), Lied (die Zahlen drei und sieben sowie das Thema der drei erinnerten Geliebten) und deren Idyllik. Andererseits gibt es die Einbindung in einen zeithistorischen Kontext und die Ausschreitung des anzitierten Raumes, der durch das erste Moment eröffnet wird. Beide zusammen ergeben das vorliegende Textgebilde, das nur noch entfernt an tradierte Liedformen erinnert. Die Textstruktur ist äußerst komplex; die Reime tragen den Text nicht in rhythmisierender Form, sondern stellen nur noch Korrespondenzen und Verdichtungen her; es gibt lediglich andeutende Redeformen, die nicht der Poetisierung dienen, sondern Schreckliches unausgesprochen lassen. Die Befunde über Zeit, Armut und Gewalt sind auch einer eher aufgeklärten als naiven Perspektive zuzuschreiben, wie letztendlich die Themenentwicklung vom „siebte[n] Geliebte[n]“ hin zum Mord an der Grenze keinesfalls mehr ins Liedparadigma hineinpasst. Pointiert gesagt, haben wir hier das (Volks-)lied unter den Bedingungen einer modernen Diktatur vor uns. Die formalen Bestimmungen tragen diese Spannung aus und bringen eine neue Textqualität zum Vorschein.
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Der Wächter nimmt seinen Kamm, Im Haarknoten wohnt eine Dame, Die blassen Herren mit den Mokkatassen und Vater telefoniert mit den Fliegen bieten ein breites Spektrum an Sprechweisen, Themen, Text-Bild-Verhältnissen innerhalb der Collagen und einige intertextuelle Verweise. Wie die Betrachtung der ausgewählten Beispiele gezeigt hat, ist das Herstellungsverfahren der Collagen zwar streng durchgehalten, führt aber zu ganz eigenständigen künstlerischen Ergebnissen von unterschiedlichem Komplexitätsgrad. Jede Karte kann für sich gelesen und ausgelegt werden (mit Ausnahme von W 43–46); trotzdem bilden jeweils die 94, 97, 114 und 191 Collagen einen lose gefügten Gesamttext, der ähnlich wie die Ausschnitte auf einer Karte zu einer Art kaleidoskopischer Ansicht von einem fiktionalen Raum zusammentreten. So wie auf einigen Karten die Logik der Fügung wenig einsichtig wirkt, auf anderen Karten dagegen das Herstellungsprinzip völlig hinter der geradlinigen „Aussage“ zurücktritt, also sich die Frage nach dem Warum der Fügung gar nicht stellt, so sind die Zusammenhänge der Karten untereinander strukturiert. Es lassen sich Gruppen bilden nach Themen, nach äußeren Gestaltungskriterien oder nach Handlungsräumen und sprechenden Subjekten. Am ehesten fasst wohl der Begriff der Familienähnlichkeit30 die alle verbindenden Merkmale; durch das einheitliche Format und das Grundprinzip der Collage ähneln sich alle Karten, bei genauerem Hinsehen hat jede einen eigenen Charakter und ist in bestimmter Hinsicht mit einigen anderen enger verwandt. An den Beispielen sollten vor allem Differenzen herausgearbeitet werden, so dass die Vielfalt innerhalb der Postkartenbücher aufscheint. Der Kartenzyklus W 43–46 „– eine Hand hält eine Karte“ stellt eine Ausnahme dar mit seiner Narration über mehrere Karten. Ebenso ungewöhnlich ist die rein abstrakte Bildgestaltung, die gemeinsam mit dem Text eine verstörende ästhetische Erfahrung beschreibt und insofern selbstreflexiv wird. Die beiden folgenden Beispiele aus dem Wächter-Buch, W 92 „Die Muttersprache kichert schwarz auf Kindesbeinen“ und W 38 „Ich hatte Freunde verstand nicht daß sie“, zeigen, dass die thematische Verflechtung der Postkarten mit dem Gesamtwerk Müllers sehr eng ist. Während W 38 eine rasch verständliche Auseinandersetzung mit den Themen der Freundschaft, der Diktatur und des Todes darstellt, deren Sprachgebrauch unhinterfragt abbildend ist, findet sich in W 92 eine hochkomplexe Behandlung der Themen Naturlandschaft, Geschichte und Sprache. Die deutsche Sprache ist hier der poetisch erfasste Schnittpunkt dieser drei literarischen Großparadigmen, die selbst wiederum in ihrem Reflexionsvermögen gegenüber diesem kontaminierten Gebiet vorgeführt wird. Der Text ist ausdrücklich keine Verdammung der deutschen Sprache, sondern eher die Einforderung eines Sprach- und Geschichtsbewusstseins, das sich nicht wohlfeilen Verurteilungen anschließt. Friedmar Apel spricht gerade im Zusammenhang mit der Landschaftsdarstellung Müllers von einer „negativen Topographie“ Müllers und 30 Bei diesem Begriff Ludwig Wittgensteins muss allerdings kein alle Exemplare betreffender Zug diese vereinen. Entfernte Verwandte müssen sich gar nicht mehr ähneln. Insofern findet „Familienähnlichkeit“ eine etwas eingeschränkte Anwendung, denn der Familiencharakter wird ja durch das durchgängige Format und das Collagen-Prinzip gestiftet.
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beschreibt sehr treffend ihr „eigentümliches Bekenntnis zum Deutschtum und zur deutschen Sprache“, das sie in krassen Gegensatz zur landsmannschaftlichen Heimatideologie gebracht habe.31 Angesichts des Reichtums von Themen und Behandlungsweisen fällt es wohl schwer, über die Äußerlichkeiten hinaus, einen gemeinsamen Nenner zu finden.32 Unumgänglich zwingt das breite Spektrum zu einem Blick auf das Detail, die einzelnen Karten, die erst dann Auskunft über einen größeren Horizont geben, wenn sie als eigenständiges Artefakt gewürdigt wurden. Für jede Collage müssten die Fragen nach der Gattungszugehörigkeit der Texte, nach der Text-Bild-Beziehung, nach möglichen Interpretationen und nach der Beziehung zum Gesamtwerk Müllers neu gestellt und beantwortet werden. Eine potenzielle Systematik der Texte wäre aber zu kleinteilig und müsste sehr viele Zuordnungsmöglichkeiten berücksichtigen – am Ende stünde beinahe eine Verdoppelung des Postkartenbuches. Im Vergleich mit dem zweiten Collagen-Buch, Im Haarknoten wohnt eine Dame, scheinen dann doch einige Charakterzüge auf, in denen sich die jeweiligen Textuniversen unterscheiden. Es kommen einige Ausdrucksmittel und Sprechweisen hinzu, die im Wächter-Buch noch nicht verwendet werden. Sie erinnern eher an den Erzählungsband Niederungen (1982/84), mit dem Müller zweimal debütierte. Der Handlungsraum des Dorfes und der Familie bringt scheinbar kindliche Rollenrede mit sich, Anklänge an das Märchen, an Abzählreime und volkstümliche Formen der Poesie. Außerdem hat das Sprachexperiment, das auch witzige und komische Momente produziert und darstellt, wesentlich breiteren Raum. Die Beispiele sollten diesen Hinzugewinn verdeutlichen. Einen anderen, betont authentischen Weltzugang präsentiert z.B. D 93 „spätabends an der Wohnungstür“. Die Ausschnitte, aus denen der Text besteht, verweisen direkt auf ihre Herkunft aus den Printmedien der Bundesrepublik und werden in einer gegenläufigen Strategie ebenfalls dazu benutzt, eine ganz individuelle und gelassen subjektive Teilhabe an der Welt darzustellen. Eine mehrfache Codierung weist Collage D 54 „als die Zeit schlecht war“ auf. Hier treten Bezüge auf volkstümliche Literaturformen, wie Lied, Rätsel und Legende, unter die Bedingungen einer totalitär verfassten Moderne und ihres nationalmythologischen Gebrauchs dieser Formen. Das Ergebnis ist ein komplexes Textgebilde, das von ferne noch erinnert an seine Vorläufer, aus dem aber jegliche Idyllik in thematischer und sprachlicher Hinsicht ausgetrieben wurde. 31 „Der widerständige Blick Herta Müllers nimmt in der Landschaft wieder die Spuren der Macht wie die Angst und den Konformismus der Unterdrückten wahr.“ Apel, Friedmar: Landschaft als Totalitarismuskritik. Herta Müller. In: Deutscher Geist und deutsche Landschaft. Eine Topographie. München 1998, S. 220–232; hier S. 222f. 32 Etwas zu einfach ist allerdings der Versuch Growes, das Wächter-Buch unter dem politischen Aspekt zu summieren. „Bild, Text und inhaltliche Beschreibung verweisen gerade in ihrer hermetischen Struktur auf die Unbegreiflichkeit eines Lebens unter diktatorischer Herrschaft, sei sie privat oder politisch.“ Growe, Ulrike: Das Nicht-Sagbare schreiben im „Überdruß der Münze die auf den Lippen wächst. Über Herta Müllers ‚Der Wächter nimmt seinen Kamm‘. In: Köhnen, Ralph (Hg.): Der Druck der Erfahrung treibt die Sprache in die Dichtung, S. 95–108, hier S. 106.
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Auch mit dem Dame-Buch und dem Vater-Buch wird vor uns ein wahrer Katalog an Umgangsmöglichkeiten mit dem Herstellungsverfahren der Collage im Postkartenformat aufgeblättert. Sie bieten wiederum die Techniken des Zerschneidens und Zusammenfügens von Bild- und Textfragmenten an, um ein subjektives Bild von der Welt zu erzeugen. Aber es bleibt eben nicht bei der einen Variante, sondern es gibt immer neue Entwürfe und Sichtweisen auch der Sprache als eines Bestandteiles der Welt. Durch die Präsentationsform wird ständig auf deren Materialität verwiesen wie auch auf die Brüchigkeit der von der Sprache generierten Weltansichten. Die Spannung zwischen Destruktion und Konstruktion in dieser Technik nimmt ein poetologisches Prinzip Müllers materialiter auf, das schon verschiedentlich an ihren erzählenden Texten als „trennender Blick“ beschrieben wurde.33 Insbesondere Apel bindet eine längere geistesgeschichtliche Tradition über die Romantik bis zurück zur Mystik an die Technik der „Turbatverse“, in deren Kombinatorik eine neue, wahre Ansicht der Welt zum Vorschein kommen könne, die vor allem auch die Brüche und Risse aufnimmt. Der Riss in der Welt werde abgebildet in den Schnittstellen der Müllerschen Collage. Ihr mystischer Impuls richte sich gegen falsche Ganzheits- und Kontinuitätsvorstellungen.34 Auch Apel richtet seine Aufmerksamkeit vor allem auf die politischen Konsequenzen einer solchen Ästhetik, ohne beispielsweise dem Medium der Postkarte intensiver Aufmerksamkeit zu zollen. Das erweist sich jedoch als notwendig wie auch ein kurzer Blick auf die Mechanik des Herstellungsverfahrens. Die Postkartenbücher sind in jeder Hinsicht Artefakte, die sich mit aller Entschiedenheit eindeutigen Systematisierungen entziehen. Als Bücher, die Postkarten enthalten, sind sie Zwitter – einerseits zusammengefügt zu einem Ganzen, das aber potenziell auseinanderstrebt. Das Medium der Postkarte selbst birgt über die zentrifugalen Kräfte hinaus eine Reihe von Unwägbarkeiten in sich: Was ist vorn, was ist hinten? Gibt es schon eine Botschaft, oder muss sie auf der leeren Seite eingefügt werden? Wer ist der Adressat, wer der Absender? Die Kombination von Öffentlichkeit und Privatheit ist bei diesem Medium einerseits eine Gefahr andererseits eine Möglichkeit zur Subversion.35 In der Schwebe bleiben dann ebenfalls die Collagen mit ihren irrealen, geheimnisvollen Bildern und an anonyme Briefe erinnernden Texten. Deren schwankende Gattungszuordnung bildet genauso ein oszillierendes 33 Vgl. Norbert Otto Eke: Augen/Blicke oder: Die Wahrnehmung der Welt in den Bildern. Annäherung an Herta Müller. In: Die erfundene Wahrnehmung. Hg. v. Norbert Otto Eke, S. 7–21; Friedmar Apel: Schreiben, Trennen. Zur Poetik des eigensinnigen Blicks bei Herta Müller. Ebd., S. 22–31; Claudia Becker: ‚Serapiontisches Prinzip‘ in politischer Manier. Wirklichkeits- und Sprachbilder in „Niederungen“. Ebd., S. 32–41. Deutlich zeigt sich im Hinblick auf die Etablierung des Begriffs „trennender Blick“ die paradigmatische Kraft des ersten Sammelbandes zu Herta Müller. 34 Apel: Turbatverse. Ästhetik, Mystik und Politik bei Herta Müller, S. 116f. 35 Apel nimmt vor allem die Möglichkeit der affirmativen Postkarte in den Blick: „Das populärste Medium der Scheinkommunikation in der Vorspiegelung eines heilen Lebens verwandelt sich dann in den Collagen zum kommentarlosen Dementi der „Uns geht’s gut“-Ideologie wie des organischen Werks.“ In: Turbatverse, S. 117.
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Moment wie der Schritt über die medialen Grenzen zwischen Text und Bild, zwischen „Buch“-Literatur und Postkartentexten. Das Moment der Unentschiedenheit wird zum Eindruck, der offensichtlich entschieden hervorgerufen werden soll. In der Herstellungstechnik der Collagen ist ebenso eine Spannung angelegt. Die Texte und Bilder sind bei näherer Betrachtung überwiegend präzise und logisch gebaut sowie in unterschiedlicher Weise aufeinander bezogen. Trotzdem vermitteln sie die Botschaft ihres Fragmentcharakters, ihrer zufälligen Entstehung und ständigen Bereitschaft, wieder auseinanderzustieben. Müller selbst stellt das Verfahren der Collage auch literarisch dar36 und akzentuiert die Rolle des Zufalls beim Schreiben in ihren Poetikvorlesungen Der Teufel sitzt im Spiegel: „Die Wahrnehmung, die sich erfindet, steht nicht still. Sie überschreitet ihre Grenzen, da, wo sie sich festhält. Sie ist unabsichtlich, sie meint nichts Bestimmtes. Sie wird vom Zufall geschaukelt. Ihre Unberechenbarkeit trifft jedoch die einzig mögliche Auswahl, wenn sie sich wählt.“ (TS 19) Die Präsentation der Collagen als Fundstücke und als Ergebnis eines „schönen Spiels“ besitzt eine Bedeutung, die über die Abbildung der brüchigen Welt hinausreicht. Dass der Zufall als Auswahlprinzip zu den dichten und hochpoetischen, manchmal auch witzigen Texten sowie den genau komponierten Bildern führen soll, gewinnt nicht nur der Sprache (auch der Bildsprache) eine neue Wahrheit im Sinne der aleatorischen Wahrheitssuche des Surrealismus ab. In existenzieller Wendung verbirgt sich darin der Ausweis der ontologischen Kontingenz, die, so wie die Postkarten-Collagen Müllers eine ästhetische Geschlossenheit dezidiert meiden, geschlossene Wertsysteme, seien es Ideologien oder Religionen, sabotiert. Über diese her- und ausgestellte Kontingenz hinaus bezeugen die Collagen aber auch eine Eigenschaft des Textuniversums von Herta Müller, welche in ihren erzählenden Texten eine bedeutsame Rolle spielt. Einerseits kommt hier die Unverfügbarkeit und Eigenmächtigkeit der Welt nicht in erzählter Form, sondern in materialisierter Form wieder zum Vorschein. So wie die fingierten Personen die Welt, in der sie leben, nicht beherrschen, gestalten oder wenigstens durchschauen, so wird der Produktionsprozess hier als fast gänzlich autonomes Werden eines ästhetischen Artefakts ausgewiesen. Denn der Prozess bleibt in dieser Präsentationsweise stets sichtbar, indem eben eine Collage, und nicht ein möglicherweise durch Collagieren entstandener Text in Normtypographie, gedruckt wird. Zwar sind die Themen, die Redeweisen, bestimmte sprachliche Elemente und die dargestellte Welt ganz unverkennbar von der Autorin Müller geprägt, doch sie ist – nach eigener Aussage – gleichzeitig drin und draußen37, indem eine anonymisierte 36 Irene in Reisende auf einem Bein pflegt diese Weise der Weltaneignung: „Irene klebte die Photos auf einen Bogen Packpapier nebeneinander. Sie mußte lange suchen und vergleichen, bis zwei Photos zusammenfanden. Fanden sie einmal zusammen, so taten sie das von selbst. Die Verbindungen, die sich einstellten, waren Gegensätze. Sie machten aus allen Photos ein einziges fremdes Gebilde. So fremd war das Gebilde, daß es auf alles zutraf. Sich ständig bewegte.“ (R 47). 37 „Ich könnte nie ein Gedicht schreiben, mich hinsetzen, mit der Hand und dem Stift. Aber auf diese Art und Weise, wenn ich diese gedruckten Wörter ausgeschnitten auf dem Tisch liegen habe, fliegen sie zusammen und werden eine Geschichte. Sie lassen mich draußen und ich bin doch drin,
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Form der Kommunikation aufgegriffen und zugleich dem Zufall breiter Raum gelassen wird. Andererseits tritt die Welt dem Rezipienten, diesmal nicht über die Fiktion vermittelt, in scheinbar vertrauten Versatzstücken der Mediensprache gegenüber und rückt in dieser Neukombination und -präsentation auf hermeneutische Distanz. Die vertrauten Dinge der Alltagskommunikation in Zeitungen und Zeitschriften erhalten durch dieses Verfahren eine völlig neue, fremde Qualität. Sie sprechen eine Sprache, die erst in dem neu zusammengelegten Kontext und durch den herausfordernden, verlangsamten Rezeptionsvorgang wieder als Sprache erfahrbar wird. Jeder Bestandteil der Collagen bewahrt die Spuren seiner Herkunft, bleibt oberflächlich isoliert und geht doch mit seinem ganzen, demonstrativen Eigengewicht in einen Text ein, der als ästhetisches Phänomen seine Fremdheit in der Erscheinung ebensowohl wie in der sprachlichen Gestalt bewahrt. In dieser Hinsicht verweisen die Postkarten-Collagen sogar in selbstreferenzieller Wendung des künstlerischen Prozesses auf die Artifizialität jedes literarischen Textes, der stets aus dem vorliegenden sprachlichen Material zu einer neuen Kombination zusammengefügt wird. Dieser Fügungscharakter tritt in einem Großteil der Literatur allerdings hinter dem Anschein eines planvollen Textganzen zurück.38 Die Postkarten jedoch stellen über alle thematischen und stilistischen Kontinuitäten zum Werk Müllers dieses Gemachtsein und gleichzeitig Gewordensein aus. Die einzelnen Bestandteile der Collagen sind ihrer Herkunft nach fremd untereinander, bleiben in ihrem neuen Kontext fremd untereinander und vor allem bleiben sie in dem notwendig stockenden Rezeptionsprozess fremd gegenüber dem Rezipienten, selbst, wenn der reine Postkartentext als leichtfüßiges Gedicht daherkommt: „über mir der Herr Grabosch hat seit Jahren einen Frosch kommt sein Bruder zu Besuch frisst er ihm das Einstecktuch fährt Grabosch nach Bielefeld wird er in den Schrank gestellt dick die Zunge blau wie Flieder und kirschrote Augenlider in der atemengen Stille riecht er passiv nach Vanille wenn er durchs Hinterzimmer rennt hört man seinen Bergakzent“ (B 94) ich kann gar nicht erklären warum.“ Driver Eddy, Beverly: Die Schule der Angst. Gespräch mit Herta Müller, den 14. April 1998. In: The German Quarterly, Vol. 72, Nr. 4, 1999, S. 329–339, hier: S. 338. 38 „Nicht die Wiedergabe von Vorstellungen, sondern die nach Gesichtspunkten des Klangs, des Rhythmus und eines (nicht zuletzt dadurch) verwandelten Sinns erfolgende individuelle Anordnung von Worten ist das primäre Verfahren der Literatur. Dieses Erscheinen ist ihnen wesentlich; denn kraft ihres Erscheinens eröffnen sie oft ein weites Reich der Imagination, in dem etwas – Himmel oder Hölle, Ding oder Ereignis – in seinem Erscheinen vorgestellt werden kann.“ Martin Seel: Ästhetik des Erscheinens. Frankfurt a.M. 2003, S. 205.
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Wenn die Fremdheit in der fiktionalen Welt Müllers meist als Situation existenziellen Drucks und als beängstigend dargestellt wird – Isolation und Fremdheit im eigenen Dasein sind ja schon in den frühen Prosatexten ein Hauptthema –, so wird das Fremdeln der Sprache, vor allem durch die medialen Zusatzbedingungen, hier zum Ereignis der Freiheit, die auf das thematische Einreflektieren der negativen Aspekte nicht verzichtet und keine utopischen Fluchtpunkte entwirft, sondern dem im Spiel auch eigenartige Schönheiten abringt.
9 Die blassen Herren mit den Mokkatassen (94)
Zusammenfassung Herta Müllers Sprache ist durch Lyrik, Kurzprosa, Roman und Collage hindurchgegangen und hat dabei jeweils ihre Gestalt gewechselt, ohne jedoch ihre unverkennbare Charakteristik aufzugeben. Waren die Anfänge der Schülergedichte und SchreibzirkelTexte gewissermaßen vor dem Werk noch relativ unspezifisch in ihrer Gestaltung, so zeichnet sich in thematischer Hinsicht gegen Ende dieses Auftaktes eine zunehmende Sprachskepsis ab, die ein geschärftes Bewusstsein für Möglichkeiten und Beschränkungen im Bemühen um unmittelbaren Ausdruck erkennen lassen. Die Texte selbst erweisen sich als relativ karge und schmucklose Gebilde, die keinerlei Konzessionen an schönen Klang, Sprachwitz oder die älteren Konventionen der Lyrik machen. Sie stellen sich mit dieser Beschaffenheit von an Anfang an dezidiert in die Tradition der literarischen Moderne, aber durchaus abseits vom damaligen Paradigma der engagierten Dichtung, wie es von ihren Generationskollegen gepflegt wird. Mit dem Neubeginn Müllers nach einer Pause rückt die Kurzprosa in den Mittelpunkt des Interesses. In zahlreichen Texten experimentiert Müller mit einer erstaunlichen Vielfalt an Darstellungsverfahren, die von der intuitionistisch grundierten Bewusstseinspoesie über satirische, sprachkritische und artistische Ansätze reichen. In allen Texten der unmittelbaren und vermittelten Darstellung kommen vermehrt sprachliche Gestaltungsmittel zum Tragen, die in Müllers Lyrik erst spät und kaum Platz gefunden hatten: Parallelismen, Anaphern und auch einfache Wiederholungen. Sie verleihen den eher sparsam mit Metaphern ausgestatteten Texten eine Intensität und Geschlossenheit, die insbesondere zur Fiktion eines unmittelbar erlebenden Bewusstseins beitragen; auch die satirischen Texte profitieren von dieser Art der sprachlichen Überstrukturierung. Aus der Fülle der ausgebreiteten ästhetischen Möglichkeiten tritt jedoch der aus den lyrischen Anfängen transponierte Ansatz des Unmittelbarkeit fingierenden Schreibens dominant hervor. Die Vielfalt der Darstellungsverfahren reduziert sich ebenso, wie sich der eigentliche Stil Müllers verschlankt und stärker auf die Herstellung eines subjektiven Erlebnis- und Wertungshorizontes eingestimmt wird. Hier tritt zum Takt der ästhetischen Entwicklung, wie sie sich in Müllers Arbeit an der Sprache niederschlägt, auch die ethische Dimension des Begriffes Takt hinzu. Mit dem Beharren auf der engen Erlebnisperspektive des Einzelnen – eines Kindes, einer vom Dasein verstörten Frau, neuerdings eines ins Lager verschleppten homosexuellen Mannes – untergräbt Müller die Ansprüche, die Heilsversprechen in Form von Utopien, Ideologien oder lediglich die auktoriale Erzählmacht an diesen Einzelnen haben. Schon die Bevorzugung der Parataxe als Satzbautyp bedeutet einen Verzicht auf Wertung und Hierarchisierung des Wahrgenommenen. Der Verzicht auf logische Verknüpfungen in Form von Konjunktionen simuliert nicht allein die geringe Verfügungs- und Deutungsmacht des erlebenden Subjekts, sondern auch den bewussten Rückzug der Autorin auf das nur scheinbar wertungsfreie Konstatieren dessen, was ist.
258 Zusammenfassung Zugleich bildet sich in einer Sprache dieser Gestalt – einfacher, häufig paralleler Satzbau in Verbindung mit Anaphern und anderen lexikalischen Wiederholungen sowie der seltenen Verwendung von Synonymen – ein eigentümlicher Klang und Takt heraus, der mit seiner Wiederholungsstruktur das in der Darstellung zusammenhält, was in der dargestellten Welt über keinen Sinnzusammenhang mehr zusammengehalten wird. Die sinngebenden Wertsysteme sind allemal verdächtig geworden, weil sie den Anspruch des Einzelnen, die Wertigkeit des Konkreten und des Details und damit auch des einzelnen Subjektes, das ja sich und seine Welt immer nur konkret haben kann, ihren Ordnungen unterwerfen. Oder sie bleiben fremd und bestenfalls fern: „Vor dem Spiegel fiel mir ein, was in der Kirche auf dem höchsten Balken in der kalten Himmelswölbung steht: Komet ale zu mir die ihr mühselig und beladen seit ich will euch erquiken. […] Die Kirchentür stand offen. Die Schrift war hoch, der Schimmer reichte nicht zu mir herab.“ (Die kleine Utopie vom Tod. In: BF, S.35–43, hier: S.39) Die Wiederholungsstrukturen erlangen in zeichentheoretischer Hinsicht noch einmal eine neue Bedeutung und Funktion in längeren Erzähltexten. Während sie auch hier, wie in der Kurzprosa, zunächst für die Herausbildung einer ästhetischen Struktur und für die Kohäsion der Details der erzählten Welt sorgen, wird ihre leitmotivische Aufgabe, jeweils an den Ausgangskontext zu erinnern und Gleichheit oder Differenz zum aktuellen Kontext hervorzuheben, erweitert. Denn darüber hinaus wird in den Romanen mit den Wiederholungen auf die Unverlässlichkeit aller Zeichen – der sprachlichen und der Zeichen der fingierten Lebenswelt – hingewiesen. Jedes Zeichen kann mehrfache Bedeutung tragen, zuweilen genau entgegengesetzte, was durch die Überwachungs- und Verunsicherungsstrategien eines totalitären Systems forciert wird. Da das überwachte Subjekt auch seinen eigenen Wahrnehmungen nicht trauen kann, muss es jedes Zutrauen in seine Umgebung, seine Mitmenschen und sogar in sich selbst verlieren. Die Sprache wird von diesem Prozess angesteckt. Müller gibt trotz ihrer sprachskeptischen Grundhaltung ihr ästhetisches Territorium nicht an diesen Erosionsprozess preis. Sie treibt ihn voran und auf die Spitze, sie spielt ein Spiel damit. Mit den Collage-Gedichten in den Postkarten-Büchern nimmt sie sich die Freiheit, die Wörter, denen ja Bedeutung durch ihre Verwendung zugewiesen wird, aus diesen Verwendungszusammenhängen und damit von ihren ursprünglichen Bedeutungen ganz zu lösen und in einen neuen Kontext zu stellen. Der beim Schreiben und Sprechen eigentlich alltägliche, geradezu unbewusste Akt der Neukombination vorgefundenen Materials zu Texten wird dergestalt ins Bewusstsein gehoben, dass jede Selbstverständlichkeit des willkürlichen Sprachgebrauchs aufgekündigt scheint, zumal die Zufälligkeit in diesen Kombinationen immer mitschwingt. Was wie eine erzwungene Ausweichbewegung aufgefasst werden könnte, als Exil der Sprache, gewinnt zusehends Freiheiten zurück: die Freiheit im ästhetischen Spiel, die Freiheit, mit den usurpierten Sprachelementen, ohne deren Herkunft ganz abzustreifen, zu visuell und sprachlich schönen Gebilden zu kommen. Zwar findet in diesen Collagen wiederum eine subtile Art der Wiederholung statt. Der Ausgangskontext der Ausschnitte verblasst ja nicht, sondern wird im aktuellen Kontext in den Ausschnitträndern mitgeführt, das
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Sprachfragment dadurch konzeptuell verdoppelt. Ebenso wenig werden die thematischen Verbindungen zu den vorhergehenden Texten Müllers, die sich mit dem Dasein in der Diktatur, mit der Enge der minoritären Verhältnisse und mit den Zumutungen des Kulturwechsels im Exil befassen, ganz gekappt. Doch Müller erlaubt sich eine Reimund Assonanzfreudigkeit und ein Vergnügen an witzigen Kombinationen der Funde, wie sie ihren lyrischen Anfängen ganz abgingen. Die Welt wird auch in den schönen Sprachspielen Müllers nicht heil, der Schnitt bleibt präsent. Sein konkreter Takt bestimmt in den Collagen das Zusammenkommen eines neuen Textes, verhindert aber auch eine neue Ganzheit. Der Takt spielt in Herta Müllers Sprache auf vielen Ebenen eine Rolle. Mit Blick auf die Welt, von und in der sie schreibt, die sie erschreibt, kommt einem nicht zuletzt ein Aspekt dieses Begriffs in den Sinn: Angemessenheit.
Anhang Siglen und Abkürzungen AMG B BF D DT F KK KR N I N II Nie I Nie II NBZ NL R TS V VK W
Adam Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis Die blassen Herren mit den Mokkatassen. München 2005 Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987 Im Haarknoten wohnt eine Dame. Reinbek bei Hamburg 2000 Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984 Der Fuchs war damals schon der Jäger. Roman. Reinbek bei Hamburg 1992 Kulturpolitische Korrespondenz Karpatenrundschau Niederungen. Prosa. Bukarest 1982 Niederungen. Berlin 1984 Niederungen. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 5–78 Niederungen. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 17–94 Neue Banater Zeitung Neue Literatur Reisende auf einem Bein. Berlin 1989 Der Teufel sitzt im Spiegel. Wie Wahrnehmung sich erfindet. Berlin 1991 Vater telefoniert mit den Fliegen. München 2012 Volk und Kultur Der Wächter nimmt seinen Kamm. Vom Weggehen und Ausscheren. Reinbek bei Hamburg 1995
262 Anhang
Beispieltexte aus der rumäniendeutschen Literatur zum Brunnen-Motiv
Adolf Meschendörfer Siebenbürgische Elegie Anders rauschen die Brunnen, anders fließt hier die Zeit. Früh faßt den staunenden Knaben Schauder der Ewigkeit. Wohl vermauert in Grüften modert der Väter Gebein, Zögernd nur schlagen die Uhren, zögernd bröckelt der Stein. Siehst du das Wappen am Tore? Längst verwelkte die Hand. Völker kamen und gingen, selbst ihr Name entschwand. Aber der fromme Bauer sät in den Totenschrein, Schneidet aus ihm sein Korn, keltert aus ihm seinen Wein. Anders schmeckt hier der Märzwind, anders der Duft vom Heu, Anders klingt hier das Wort von Liebe und ewiger Treu. Roter Mond, vieler Nächte einziggeliebter Freund, Bleichte die Stirn dem Jüngling, die der Mittag gebräunt, Reifte ihn wie der gewaltige Tod mit betäubendem Ruch, Wie in grünlichem Dämmer Eichbaum mit weisem Spruch. Ehern wie die Gestirne zogen die Jahre herauf, Ach, schon ist es September. Langsam neigt sich ihr Lauf. (1927)
Dieter Schlesak Landschaftsversuch aus Traum Schief geht das Rad in der alternden Mühle, und es trocknete ein das Wasser und es schlief ein das Mehl; und es fielen aus vierzig Türmen auf die Straßen die sieben Siegel. Hier war immer Mittag! Wo aber am alternden Ufer liegt die schattengewundene Zahl, scharf, nahe am Herzen, die Bärenkralle, und der dürstende Mund voller Linden, doch fern von den Eimern. Trifft sie die Uhr, und die bunten Wochenpuppen
Beispieltexte 263 im rissigen Holz, das braun nach Vergangenem roch, huscht manchmal ein Zeiger zerschlagen von Zeit wasserfarben, wie die Bewußtlosigkeit in die Tiefe des Kirchturms zu ihr? Das Korn fuhr aus. Sie brennt vielleicht im Samen der Spreu wie ein Klirren uralter Krüge hinter dem Mittag. Es suchen die Speichen der Karren den Klopfstein. Das schlafende Mehl ist verstreut wie ein Schatten. Und drei Dörfer hinter Traum und Gedächtnis blitzt auf am verwitterten Grenzstein unzählige Nacht. Noch wächst in gotischen Träumen der Kirchen blau verdämmerndes Abendland und in der Rebe glüht staubig ein östlicher Sommer. Es decken sich Sonne und Mond wie die verirrten Ritter in Halbmond und Roßschweif. Und es zieht mein Gefühl im leichten Sommerwagen über die Römerstraßen. O seltsames Land, dein Geheimnis auf Wegen und Flüssen hat keine Zahl und die Jahre bleichen nur in den Uhren und in uns, und der Staub flieht über das weiße Haar mürbe von soviel Zeit: Schon längst war Mittag! Und es geschah! Es ging die Sonne zweifach unter und das Wasser schäumte schwarz. Zweifache Nacht ohne Ende, vor den Toren das Bündnis geschlossen: Aus Mörtel und Moder, aus Klee und Wein heben wir einen Becher Staub und trinken uns zu, den umschatteten Augen; am Kirchturm schlägts 25 Uhr. Anders rauschen die Brunnen, anders vernachten im Wein die skythischen Sommer, das Sinkende über den Flandererwäldern, wo, lange ist’s her, der Ur die Sage durchlief. Wir aber trinken die Rührung aus Staub und Gedenken, wir trinken, noch immer, wir trinken mit schmalen Lippen und lächelnd und leise spottend, wir trinken dürstend, noch klirren die leeren Eimer, wir trinken träumend, noch ist unser Mund voller Linden, wir trinken die ,Schwarze Milch’ nicht, die gaben wir andern, wir trinken das Schlafende Mehl nicht, das nahmen wir andern, wir trinken, den Blitz und die Schuld über uns, wir trinken tote Geschichte. (In: Dieter Schlesak: Grenzstreifen. Bukarest 1968, S. 24–26)
264 Anhang Grete Gross (d.i. Irene Mokka) Alle Brunnen Alle Brunnen liegen offen. Höhle ohne Arg die Hand. Leise, dir entgegenschwankend, wallt das Wasser Rand zu Rand. Suche nicht das unentwirrte, jener grünen Tiefe Bild. Schöpfe! Und im Schöpfen spürst du, wie der Durst dir wird gestillt. Nur ein Stein kann sinnlos sinken. Und der Spiegel flüchtig bricht. Heller, da du froh dich neigest, zeichnet er dein Angesicht. (In: NL 1/1965, S. 53)
Wolf Aichelburg SO LANGSAM SAMMELT SICH, WAS BRUNNEN WIRD, Da gehn die Sterne, sagt man, auch bei Tag. Wer hört der Erde ab den Herzensschlag? So langsam sammelt sich, was Brunnen wird. Es ist vielleicht im Saft und auch im Erz. Man kann es am Geschöpften nie begreifen. Vielleicht ist es auch stummes Rückwärtsgreifen. es ist vielleicht im Saft und auch im Erz. So langsam sammelt sich’s. Für keinen Trunk. Wenn Durst und Eifer mit der Nacht verwehn, Dann werden tags auch durch den Brunnen gehen Die Sterne, leise als Erinnerung. (In: NL 6/1968, S. 85)
Beispieltexte 265 Claus Stephani Abend in Batschendorf Der Berg hat einen runden guten Bauch, dran lehnen Häuschen schutzbedürftig, und bei der Tränke bellen Hirtenhunde wichtig, aus Schindeldächern steigt der Rauch. Vom alten Brunnen läutet Mädchenlachen heiß, und ist im Silberlicht noch nicht verklungen, aus offenen Fenstern duftet der gebackene Mais, die Jungen stehen lange noch am Brunnen. (In: NL 6/1964, S. 12)
Richard Wagner Bericht über Sisyphus Seine Aufgabe war: leerzuschöpfen die Brunnen der Zeit, So begann er mit der Arbeit und wurde Wasser. (In: Wortmeldungen, S. 56)
Raimund Binder Brunnen Es tanzt die Mücke, wie die Hitze tanzt, und summt den Durst in jenen alten Krug. Kein Brunnenrad ist nah genug,
266 Anhang kein Eimer schnell, kein Becher bei der Hand, und jenes Ungestillte stiert den Blick in alle Brunnen. Doch diese sind so still, so endlos tief und still, wenn sie dein Bild mit ihrer Seele füllen, dass du nun Willen tief und still zu sein in deinen Becher gießt. (In: Wortmeldungen, S. 59)
Franz Hodjak OSTERSPAZIERGANG der holunderduft am dorfrand das memento und in den burgruinen hausen illegal verfickte kater. die tage ähneln immer mehr gepackten koffern. der kettenhund streckt unruhig die ohren in den wind. die brunnen, die einst anders rauschten, sind ausgedorrt. man rückt auf den stühlen hin und her. wie feine bazillen verbreitet unausgesprochenes nachdenklichkeit. gott ist das, was von gott geblieben ist. die botschaften, die von allgemeinem interesse sind, stehn auf ansichtskarten und in briefen. (In: NL 1/1982, S. 12)
Beispieltexte 267 Anemone Latzina SIEBENBÜRGISCHE ELEGIE 1983* Anders rauschen die Brunnen, anders rinnt hier die Zeit. Früh faßt den staunenden Knaben Schauder der Ewigkeit. der freund: 8 münchen 50, linus-funke-weg 20 Wohlvermauert in Grüften modert der Väter Gebein, Zögernd nur schlagen die Uhren, zögernd bröckelt der Stein. die freundin: 8011 vaterstetten/ baldham, rotwandstraße 19 Siehst du das Wappen am Tore? Längst verwelkte die Hand. Völker kamen und gingen, selbst ihr Name entschwand. der vater: innerstädtischer friedhof, kronstadt Aber der fromme Bauer sät in den Totenschrein, Schneidet aus ihm sein Korn, keltert aus ihm seinen Wein. der bruder: 8192 geretsried, steiner ring 173 Anders schmeckt hier der Märzwind, anders der Duft vom Heu, Anders klingt hier das Wort von Liebe und ewiger Treu. der bruder: 7500 karlsruhe, nikolaus-lenau-straße 5 Roter Mond, vieler Nächte einziggeliebter Freund, Bleichte die Stirne dem Jüngling, die der Mittag gebräunt. die mutter: 7500 karlsruhe, lange straße 90 Reifte ihn wie der gewaltige Tod mit betäubendem Ruch, Wie in grünlichem Dämmer Eichbaum mit weisem Spruch. die mutter: 7500 karlsruhe, lange straße 90 Ehern wie die Gestirne zogen die Jahre herauf, Ach, schon ist es September. Langsam neigt sich der Lauf. die mutter: 7500 karlsruhe, lange straße 90 * Adolf Meschendörfers „Siebenbürgische Elegie“ wurde in der endgültigen Fassung vom 19. November 1927 (KSA, Adolf Meschendörfer, Kriterion Verlag, Bukarest 1978, S. 305) verwendet. (In: NL 6/1983, S. 13f.)
268 Anhang
Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976) in der Neuen Banater Zeitung, in Neue Literatur, Volk und Kultur und Wortmeldungen Nicht aufgenommen in diesen Überblick wurden folgende drei Veröffentlichungen, weil sie zum Bild der Autorin nicht substanziell beitragen: – Herta Müller: Unsere Namenecke. In: Neue Banater Zeitung, 05.12.1969, S. 6 (Schülerseite „Wir über uns“; Zehnerlei über das 10er Lyzeum) – Hertha Müller-Karl: Sensibilität und ethisches Bewusstsein. Zu dem Gedichtband „Flussgebet und Gräserspiel“ von Ilse Hehn. In: Neue Banater Zeitung, 14.12.1976 – Hertha Karl-Müller: „Ich halte mich für eine bejahende Natur.“ Gespräch einer Temeswarer Studentin mit dem Dichter Wolf Aichelburg in Sibiu. In: Neue Banater Zeitung, 01.07.1976, S. 2/3
Herta Müller Dämmerungseile Der Tag schenkt der Nacht den Ehering, und siebenmal kündet die Glocke ihre Trauung an. Die ersten Lampen tragen den lichten Wimpernkranz. Die Strasse rollt rückwärts in klanglosem Seufzer. Der Atem behaucht das Glas des Lebens, und meine Blicke schreiben darauf in allen Sprachen: „Wohin eilst du, Mensch?“ In: NBZ, 27.02.1970, S. 6 (Schülerseite „Zehnerlei aus dem 10er Lyzeum“)
Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976)
Herta Müller Abschied Stumm stehen zwei an der Strassenkreuzung. Die Ampel zeigt ihr stechendes Grün. Der Weg also: frei Doch die Fahrzeuge der Erinnerung Sperren mir alle Wege. Ich kann nicht überqueren und komme nie auf die rechte Seite. In: NBZ, 19.06.1970, S. 6 (Wir über uns; Schülerseite)
Hertha Müller Herbstlicher Vorschnee Buntes Blattwerk flicht kunstvoll seine Farben in den gelbgrünen Grund. An langen Fäden Altweibersommer hängen die toten Figuren des Herbstmosaiks. In: NBZ, 02.10.1970, S. 6 (Schülerseite „Zehnerlei über das 10er Lyzeum“)
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270 Anhang Herta Müller Am Schwengelbrunnen Die Zeit wächst in die Baumrinden Das Wasser fliesst mit Goldgelb glänzen Mais und Sonnenrosen Durch dein Haar Im Flüsterton wird der Tag geschwengelt Der Wind sucht Auf zertretenem Gras Unsere Sonnenuhr In: NBZ, 20.11.1970, S. 6 (Schülerseite)
Hertha Müller „Modern ist Zeitprodukt“ „Ich verstehe nichts davon“ – sagen viele, und sogar sehr gebildete Menschen. Das klingt so, also ob ein kleines Kind sagen würde: „Die Suppe schmeckt mir nicht“, ohne sie zu kosten. Die „moderne Lyrik“ ist eigentlich gar nicht so modern. Denn Gefühle bleiben Gefühle. Natürlich muss man auch guten Willen haben, um zu verstehen. Mit flüchtigem Durchlesen wird man Lyrik nie verstehen. Lyrik, und im allgemeinen alle Gedichte, muss man nicht nur durchlesen; das Hauptgewicht liegt auf dem Durchdenken. Allerdings braucht man dazu auch ein Stückchen Phantasie. Moderne Lyrik zu verstehen heisst, zwischen den Zeilen zu lesen. Jedes einzelne Wort muss durchdacht werden, denn es ist die Tür zu einem weiten Raum, mit unzählig vielen Zeitschritten gefüllt. Gerade darum ist moderne Lyrik so schön, weil man sich nicht direkt ausdrückt. Es gibt auch junge Lyriker, die wenig sagen. Deswegen hat aber niemand das Recht zu verallgemeinern. Und überhaupt: uns Anfänger dürfte man nicht gleich verurteilen. Kritisieren soll man, um zu helfen, und nicht, um einzuschüchtern. Aufklärung, Klassik, Romantik usw. wurden von der Zeit verlangt. So hat auch unsere Zeit das Recht, eine neue bzw. moderne Literatur zu verlangen. In: NBZ, 08.01.1971, S. 6
Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976)
Hertha Müller Deine Ankunft DIE LIPPEN vertonten schon am Abend deine Ankunft. Im Baum schliefen noch deine Augen als sich die Blätter teilten. Und als ein Sonnenkind mit den Zweigen spielte, da bist du erwacht.
GEDANKEN Chaotisch und Neid um das eigene Gelb; und Stämme und Wurzeln und Rinden legen dein Bild und die Zeit in die Unendlichkeit.
OHNE DICH wird in mir nichts keimen und an mir nichts erblühen. Die Stadt ist weit und hat ihre Legende: wo Feuchte ist – wächst Gras; wo Steine das Wasser lieben ist eine Brücke. Nur wenn ich aufgehe dann gehst du unter; und keiner von uns beiden weiss warum. In: NBZ, 19.02.1971, S. 8 (Schülerseite)
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272 Anhang „Ich quälte meine Füllfeder...“ Deutsche Bücher willkommener/Gespräch mit Preisträgern des Deutschwettbewerbs Wie ihr bereits erfahren habt, rühmt sich das Temeswarer 10er Lyzeum mit drei Preisträgern bei der Landesphase des Deutschwettbewerbs, der in Hermannstadt ausgetragen wurde: MAGDALENE BARTON und HERTHA MÜLLER erhielten den I. Preis des IV. bzw. III. Jahrgangs und GERLINDE BALLMANN einen Anerkennungspreis des II. Jahrgangs. Wir sind stolz auf sie – sie können’s freilich viel mehr sein. Über ihre Erlebnisse und Eindrücke soll folgendes Blitzinterview berichten: Es war am 5. April, dem zweiten Ferientag. Für euch ein aufregender Tag. In welcher Verfassung habt ihr das Thema erwartet? Hertha: Ich beobachtete die Teilnehmer, einige waren ruhig, andere nervös; ich quälte meine Füllfeder, studierte die Bank. Gerlinde: Ich war auch aufgeregt, und wurde es noch mehr, als das Thema mitgeteilt wurde. Magdi: Ich spürte gar nichts. Seltsam, aber wahr. Wart ihr auf das Thema „Die Liebe zum Vaterland und zum Volk, widergespiegelt in der studierten Literatur“ gefasst? Hertha: Ja. In den Vorbereitungswochen verfolgte ich die Presse mehr als sonst, las Berichte über die Versammlungen und Veranstaltungen zu Ehren des 50jährigen Bestehens der RKP, interpretierte Dichtungen auch ausserhalb des Unterrichts und wiederholte bereits Bekanntes. Eigentlich hätte ich aber ein freies Thema vorgezogen. Magdi: Auch ich hatte wohl an ein ähnliches Thema gedacht, doch mehr auf die Heimatlyrik bezogen. Gerlinde: Ich erwartete ein anderes Thema. Vielleicht nur aus dem Stoff unserer Klasse (II. Jahrgang). Falls ein Wunsch geäussert hätte werden können, was hättet ihr gewählt? Magdi: Moderne Lyrik zu interpretieren. Schöpferische Ausführung eines Themas, wobei man nicht so sehr an den Lehrstoff gebunden sein soll. Hertha: Ein modernes Gedicht, je abstrakter; jeder sollte es in seiner Weise auslegen. Gerlinde: Vielleicht wären die Schwierigkeiten beim Bewerten dann grösser gewesen. Durch ein solches Thema wären zweifellos die schriftstellerischen Talente begünstigt gewesen. Wie habt ihr darauf reagiert, als ihr eure Namen als Preisträger gehört habt? Gerlinde: Nachdem ich hörte, dass der I. und II. Preis nicht verliehen wurden, hatte ich meine Hoffnung verloren. Danach kam trotzdem die Überraschung, der Anerkennungspreis. Hertha: Ich dachte, ich träume. Magdi: Mir fiel der Füllhalter aus der Hand, als ich meinen Namen hörte. Habt ihr Euch über die Geschenke gefreut? Gerlinde: Ich bekam 6 rumänische Bücher, wobei ich bei einem Deutschwettbewerb wenigstens auf ein Buch eines zeitgenössischen deutschsprachigen Schriftstellers unseres Landes gehofft hatte. Hertha: Ich war froh mit der Armbanduhr, mit den Büchern und dem Kunstalbum. Magdi: Wir, die Schüler des IV. Jahrgangs, wurden ganz besonders beschenkt. Ich erhielt ausser Büchern eine Gemäldereproduktion, eine Beethovenplatte und eine schöne Armbanduhr. Wie war der allgemeine Eindruck von der Stadt, dem Aufenthalt, dem Empfang? Magdi: Der Empfang am Bahnhof war ziemlich kühl, in der Schule hingegen wurden wir sehr freundlich aufgenommen.
Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976)
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Hertha: Die Stadt? – Ein Stück Mittelalter. Hat mir sehr gut gefallen. Gerlinde: Vielleicht wäre es interessanter gewesen, etwas von der Tradition der Brukenthal-Schule zu erfahren. Die Initiative zur Stadtbesichtigung war im allgemeinen willkommen. An das Preisausschreiben der „Neuen Literatur“ habt ihr schon gedacht? Hertha: Ja. Gerlinde: Nein. Magdi: Bis zum August werde ich’s mir noch überlegen. Vorläufig beschäftigen mich die bevorstehenden Prüfungen. Wir beglückwünschen euch im Namen aller Mitschüler und danken euch zugleich für eure Leistung, die unserer Schule auch einen Sonderpreis des VKJ eingebracht hat. Christine Romak In: NBZ, 30.04.1971, S. 6 (Schülerseite)
Herta Müller SO SIND WIR DAS, WAS WIR SIND Das Meer gab die Feuchte, und das unedle Laub den sprachlosen Samen: – wir sind gekeimt. Nur die Stimme der Erde hat auf uns gewartet und uns getauft. Ein warmer Regen hat uns geweiht und uns den Flügelkeim gebrochen. Der Wind aber hat uns gehen gelehrt mit den Beinen und den Gedanken, durch Wiesen, und durch die Sinnlichkeit der eigenen Wunschallee, durch das verhüllte Zelt der Worte. So sind wir das, was wir sind. In: NL, 2/1971, S. 47 (Schüler-Sondernummer)
274 Anhang Hertha Müller Nikolaus-Lenau-Lyzeum Lass dich den Wimpern entlang an Zweigen hinab und frage nicht ob es Schwertlilien oder Kakteen sind denk nicht dran ob die Ankunft Quelle oder Wüste heisst es ist einerlei Schönheit in ungleicher Form komm aber nie in Versuchung die Blumen zu deuten In: NBZ, 14.01.1972, S. 6
Hertha Müller Der Duft des Waldes Auf der Bega treiben die ersten Kähne. Und die Schaufenster haben sich verändert. Keine dicken Winterstoffe. Blumen und Blätter keimen aus Seidenfäden. Die Leute sind aufgeregt, und die Weiden grün angehaucht. Da wird der Heimweg von der Schule zu einem langsamen Spaziergang. Bänke kommen wie gerufen. Alte Herren lesen Zeitungen, Mütter bestaunen ihre Sprösslinge. Die Schneeglöckchen an der Ecke tragen noch den Duft des Waldes und der Erde in sich. Die Frühjahrsmüdigkeit hat sich in den Katalog geschlichen. Und trotzdem – ist der Frühling so schön, so jung, die Welt in der Sonne so weit! So fern die Stubengelehrsamkeit von uns, unsere Herzen so offen! „Frühling! Ja du bist’s! Dich hab‘ ich vernommen!“
Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976)
Wenn ihr vergesst Wir tragen das Haar der Wälder und werden von Winden gekämmt. Wir lächeln der Nacktheit der Quellen und legen ihre feuchten Kleider in den Strauch. Wir schöpfen die Halme und meisseln die lösende Süsse der Frucht. Wir tragen euch beide, wenn ihr die Uhren vergesst, und wenn die Stauden geknickt nach euch trinken und manchmal in den Kieselsteinen verlorene Gesichter finden. In: NBZ, 16.03.1972, S. 6 (Schülerseite „Lenau-Schüler-Stimmen“)
Hertha Müller Schleier der Zeit Ich trage die schlafende Nacht zur Taufe des Mondes und lege die Knospen in den Schatten deiner Augen, damit sie erwachen In: NBZ, 27.04.1972, S. 5 (Schülerseite „Lenau-Schüler-Stimmen“)
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276 Anhang Hertha Müller Das Gras blieb stumm Das neue Gras verwehte deine Blicke und blieb stumm nur die Knospen wuchsen in die Stunden als die Zeit verblühte das neue Gras blieb stumm da suchte ich eine Träne und fand ein Lächeln In: NBZ, 15.06.1972
Hertha Müller „Gedämpft“ Bleiche den Abend. Er ist zu rot für sein Alter. Dein Kleid ist viel zu bunt und deine Worte auch. Tritt in den Schatten, wo Steine gedroschen werden. Biete der Sinnlosigkeit Nur sieben Finger. Die übrigen brauchst du Um dich zu verwöhnen.
Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976)
Gegen Vorurteile Gib mir eine Scheibe vom Laib deiner Gedanken. Warum sagst du im voraus, sie wären süss? Ich löse mich nicht auf! Mandelbittres Lächeln habe ich gekostet und an den Zucker spätrer Tage nie gedacht! In: NBZ, 12.10.1972, S. 5 (Schülerseite „Lenau-Schüler-Stimmen“)
Hertha Müller Besprechung Leg den Regenbogen ab! Was bunt ist, ist müde; was müd ist, ist alt. Lass den Wirbel veradern, denn immer wenn du lachst sieht man deine Zähne. Wir speisen wieder; im Tische singt der Holzwurm... wie lang noch knabbern wir an seinen Tönen? In: NBZ, 12.11.1972, S. 4/5 (Universitas; Seiten für Studenten)
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278 Anhang Hertha Müller Am Schwengelbrunnen Die Zeit wächst in die Baumrinden, das Wasser fliesst mit. Goldgelb glänzen Mais und Sonnenrosen durch dein Haar. Im Flüstern wird der Tag geschwengelt, und der Wind sucht dabei auf zertretenem Gras unsere Sonnenuhr.
Legende Die Stadt ist weit und hat ihre Legende: Wo Feuchte ist, wächst Gras, Wo Steine das Wasser lieben, ist eine Brücke. Nur wo ich aufgehe, da gehst du unter. Und keiner von uns beiden weiss warum. In: Wortmeldungen. Eine Anthologie junger Lyrik aus dem Banat. Hrsg. von Eduard Schneider. Temeswar 1972, S.53 und 89
Herta Müller Das gehört dazu Wenn man nicht nachdenkt, soll man die Stirn falten, dass ein Gedankenstrich entsteht. Wenn man spricht, soll man zur Erde blicken und die Hände in den Hosentaschen vergraben und rot werden und sagen, man schäme sich nichteinmal im Traum. Wenn man dann ein wichtiges Wort findet, soll man in die Luft schauen und sagen, die Luft sei so grau von so vielen Sachen und in jedes zehnte Schaufenster soll man blicken, aber nur im Vorübergehen. Man darf nie stehenbleiben, denn dass man sich eile,
Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976)
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muss man unbedingt hinzufügen, denn das gehört dazu und jeder muss es glauben, und wenn der damalige Freund lachend fragt, ob man noch lebe, soll man ihn überzeugen, dass man längst gestorben sei und dass man sich eile weiterzusterben, denn das gehört dazu. Wenn sich der damalige Freund ärgert, soll man ihn bitten, logisch mitzudenken und weitergehen und an diesem Tag soll man jeden Satz mit – bitte – beginnen und mit – danke – beenden und zeigen, dass man gut erzogen ist und das alles soll man ein Lebenlang tun, darauf muss man sich eine Lüge ausdenken, um nicht so unverhofft in den Himmel zu kommen, denn dort hätte man endlich seine Ruhe und würde aus Langweile wieder zur Welt kommen. In: NBZ, 25.11.1973 (Universitas; NBZ-Studentenseite)
Hertha Müller Brief von/an Doppelgänger I. Du bist ein Einzelgänger es ärgert mich dass ich mit dir vertauscht werde. II. Du bist kein Einzelgänger, es freut mich dass ich mit dir vertauscht werde.
Ich wäre nie daraufgekommen Jetzt bin ich ausgerutscht, dieses Glatteis! Ich hätte zu Hause bleiben sollen, hinterm Ofen. Aber das Brot, dieses Brot ist mir ausgegangen. Doch ich hätte zu Hause bleiben sollen. Jetzt kann ich kaum aufstehen. Warum bin ich überhaupt ausgegangen? Aber das Brot, dieses Brot ist mir doch gar nicht ausgegangen. Ich kaufe es nur so, täglich, denn man soll Brot im Haus haben, nie soll es ausgehen, das Brot, denn es ist warm, es wärmt und nährt. Und wer will nicht gewärmt sein. Man sagt, auch der Schnee wärme, die Saat, und die Saat ist das Brot. Man sagt aber nicht, der Schnee wärmt das Brot, und man denkt es auch nicht. Als hätte der Schnee es verboten, das zu denken. Aber der Schnee kann nichts verbieten, er kann sich die Wärme nicht verbieten, die er der Saat spendet, und das Brot kann sich die Wärme nicht verbieten, die er der Saat spendet. Und wenn der Schnee auch uns Menschen wärmen würde, müssten wir im Winter kein Brot essen. Ich wäre heute nicht ausgegangen, ich wäre heute nicht hingefallen. Ich hätte heute nicht gespürt, dass der Schnee mir seine Wärme verweigert. Ich hätte heute nicht darüber nachgedacht, ich hätte nie darüber nachgedacht, dass der Schnee nur das Brot wärmt. Ich hätte gelacht, wenn ein ande-
280 Anhang rer hingefallen wäre, und hätte mein Brot nachhause getragen, und ich hätte nachgedacht, und ich hätte mein Brot gegessen und hätte gespürt, dass es Wärme spendet, und ich hätte noch immer darüber nachgedacht, dass der Schnee nur die Saat wärmt, nur das Brot wärmt und dass er mir seine Wärme verweigert, weil ich kein Brot bin. Ich wäre nie daraufgekommen, dass das Brot Brot ist, weil der Schnee es wärmt und weil es diese Wärme weiterspendet. Ich hätte nie daran gedacht, dass auch ich die Wärme weiterspenden müsse, solchen, die lachten, weil ich hingefallen bin, denn sie lachen, weil sie kalt haben, weil sie noch nie dazugekommen sind, nachzudenken. In: NBZ, 20.01.1974, S. 4 (Universitas; NBZ-Studentenseiten)
Hertha Müller-Karl Woher Ich kann den Zweifel Doch nur Zweifel nennen. Und die Maske nur Maske. Hilflosigkeit ist unaussprechlich. Dennoch hat sie einen Namen. Kinder weinen seit Jahrtausenden Mit denselben Lauten. Ich kann die Gewalt Doch nur Gewalt nennen. Und den Schrei nur Schrei. Woher sollte ich die neuen Wörter nehmen?
Verhindert Denn als die Zeit da war, da hatten wir keine Zeit. Und als es dann endlich soweit war, da blieb es dennoch so weit. Und als dann nichtsmehr im Weg lag, da fanden wir nichtmehr den Weg.
Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976)
Niemals Lösch unser Feuer aus, wenn es brennt, finden uns die Wölfe gleich, bevor wir noch diesen Sand getrunken haben, der unsere Körper wärmt. Deine Augen sind wieder verletzt vom Unaussprechlichen. Lösch unser Feuer aus, wenn es brennt, finden uns die Menschen gleich, wir müssen doch noch die Farbe finden, in die wir das Vergessen tauchen, und das Gefäss, in dem es nicht ertrinkt. Meine Wärme ist nicht für dich. Vielleicht für einen Fremden. Lösch unser Feuer aus, unsere Worte schämen sich im selben Hemd wie gestern. Ich zeige dir meine nackten Brüste, doch lösch unser Feuer aus. Und dann Auch mein nacktes Gesicht. In: NBZ, 04.03.1976, S. 2/3 (NBZ-Kulturbote = Feuilleton)
Hertha Müller-Karl Täglich kommt ein Tag mich besuchen. Ich öffne ihm die Tür. Ich biete ihm einen Stuhl an. Er setzt sich nie. Er hilft mir meine Arbeit beenden. Er hilft mir mein Essen zubereiten. Er isst und trinkt mit mir. Wenn er abends nachhause geht, wenn ich mich niederlege, wenn ich nicht einschlafen kann, dann sagt mir ein leeres Zimmer, dass du dieser Tag bist.
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282 Anhang Und auch andere Ich gebe dir die Freiheit des Vergessens. Wenn du mit ihr davonkommst in einem regnerischen Sommer, dann weiss ich, dass auch du mich geliebt hast Und auch andere. Und das ist der einzige Grund, weshalb ich dich noch heute ertragen kann. Wenn du mir nie begegnet wärest. wärst du für mich so geblieben, wie du nicht bist. Doch was liegt schon daran, wenn ich dich jeden Tag neu erfinden muss? Und manchmal, wenn du lächeln willst, ähnelst du dir noch immer. Aus dem nicht so einfachen Grund, weil du es bist.
Allerweltpronomen Das Ich kann es nicht sagen, wer ich bin. Das Du erfasst nicht, wer du bist. Das Wir drückt ein Verhältnis aus für ich und du und löst das Rätsel nicht von mir und nicht von dir. Denn in den Nächten ist es mit der Syntax aus. Wenn du und ich und wir uns nicht durchschauen, so liegt das nicht zuletzt am Allerweltpronomen.
Frühe Veröffentlichungen von Herta Müller (1969–1976)
Woher Ich kann den Zweifel doch nur Zweifel nennen. Und die Maske nur Maske. Hilflosigkeit ist unaussprechlich. Dennoch hat sie einen Namen. Kinder weinen seit Jahrtausenden mit denselben Lauten. Ich kann die Gewalt doch nur Gewalt nennen Und den Schrei nur Schrei. Woher sollte ich die neuen Wörter nehmen?
Der Reihe nah [!] Und danach schien es mir so, als ob jener Mann ein Spiegel sei. Und es hätte mich so mancher lieben können, wenn ich nicht immer so viel von Glas gesprochen hätte. Denn er hatte öfters bleiche Augen – ich hätte eine Malve oder ein junges Tier sein wollen. Doch in meinem Schrank floß die Sanduhr, Zeit zu messen. und sie hatte nie das Gefühl Und ich konnte nicht mehr weinen, auch nicht für jenen Mann, der mein Glas nicht ertragen wollte. Und es schien mir so, als ob das Warten gestorben wäre, und die grünen Äpfel lagen bitterlich am Zaun. Doch überall war ein Stück von mir geblieben. In: Volk und Kultur, 8/1976, S. 39 (in der Rubrik: „Junge Talente“)
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Literaturverzeichnisse Primärliteratur Das Verzeichnis der Texte Herta Müllers ist nach folgenden Kriterien erstellt: – Es wurden alle Einzelveröffentlichungen aufgenommen, die in Zeitungen, Zeitschriften und Sammelbänden publiziert wurden, sowie alle Buchtitel. – Bei poetologischen oder essayistischen Texten wurden alle unter demselben Titel erschienenen Texte erfasst, da sie variieren. – Das heißt, es tauchen nicht auf: einzelne Texte aus den Erzählungsbänden, sofern sie ausschließlich dort publiziert wurden; Übersetzungen, auch wenn sie früher als der deutsche Text erschienen. Daraus ergeben sich unvermeidlich Verfälschungen, wenn beispielsweise ein Text erst Jahre nach dem ersten Erscheinen in einem Erzählungsband als Wiederabdruck an unmaßgeblicher Stelle sichtbar wird. – Daher folgt noch ein chronologisches Verzeichnis, in dem alle Texte, auch wiederholt, genannt werden. Abschied. In: Neue Banater Zeitung, 19.06.1970, S. 6 Abziehbild. In: Neue Literatur 5/1979, S. 16–18 Ahnungen sehen Tatsachen blind. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.12.1991, S. 2 Allerweltpronomen. In: Volk und Kultur, 8/1976, S. 39 Am Ende war es keiner gewesen. Vor zwanzig Jahren starb die Schriftstellerin Marieluise Fleißer. In: die tageszeitung, 02.02.1994 Am Rand der Pfütze springt jede Katze anders, In: Neue Zürcher Zeitung, 24.12.1999, S. 74 Am Schwengelbrunnen. In: Neue Banater Zeitung, 20.11.1970, S. 6 andere Zähne/ wenn ich gähne. In: Neue Zürcher Zeitung, 23.12.2000, S. 81 Angekommen wie nicht da. Lichtenfels 1994 Die andren Augen. In: Neue Banater Zeitung, 08.12.1982, S. 6 Arbeitstag. In: Neue Banater Zeitung, 16.10.1980, S. 2/3 Atemschaukel. Roman. München 2009 Auch das ist Schuld: das Hoffen ohne Grund. In: Die Zeit, 26.06.1987, S. 51 Aufgewühlte Erde. In: Neue Literatur 8/1983, S. 9–11 Avram. In: Neue Literatur, N.F. 1/1992, S. 62–71 Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987 Barfüßiger Februar. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 144 „bei der Wäsche im Schrank liegt altes Geld“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 110 Besprechung. In: Neue Banater Zeitung, 12.11.1972, S. 4/5 Die blassen Herren mit den Mokkatassen. München 2005 Bleiben zum Gehn. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 171 Der Blick der kleinen Bahnstationen. In: Horch und Guck, 18. Jg., H.64, 2/2009
286 Anhang Das Blockkomitee. In: Neue Literatur 6/1980, S. 15–18 Brief von/an Doppelgänger. In: Neue Banater Zeitung, 20.01.1974, S. 4 Cristina und ihre Attrappe oder Was (nicht) in den Akten der Securitate steht. Göttingen 2009 Damals im Mai. In: Neue Literatur 5/1979, S. 15–16 Dämmerungseile. In: Neue Banater Zeitung, 27.02.1970, S. 6 Dankrede. In: Neue Banater Zeitung, 07.06.1981, S. 2/3 „dann kam ein Hund“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 107 Deine Ankunft. In: Neue Banater Zeitung, 19.02.1971, S. 8 Der deutsche Scheitel und der deutsche Schnurrbart. In: Neue Literatur 6/1980, S. 5–6 „dicker Mond schneidet Zitrone nachts dort wo ich“. In: Neue Zürcher Zeitung, 05.10.2001, S. 65 Dorfchronik. In: Kulturpolitische Korrespondenz, 30.12.1986, S. 17–20 Dreihundertneunundneunzig Jahre In: Neue Banater Zeitung, 06.03.1983, S. 2/3 Drückender Tango. In: Neue Literatur 3/1983, S. 3–7 Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984 Drückender Tango. Erzählungen. Reinbek bei Hamburg 1996 Der Duft des Waldes. In: Neue Banater Zeitung, 16.03.1972 Eidechsen. In: Neue Literatur 8/1983, S. 13–14 Ein großes Haus. In: NL 11/1989, S. 16–17 [Auszug aus Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt] Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. In: Kursbuch, Dezember 1992, H.110. 1992, S. 25–34 Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. In: Literarisches aus erster Hand – 10 Jahre Paderborner Gast-Dozentur für Schriftsteller. Hg. v. Hartmut Steinecke. Paderborn 1994, S. 173–186 Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. In: Südostdeutsche Vierteljahresschrift 3/1997, 46. Jg., S. 212–221 „Eine Stille glänzt wie Lack Stadtnacht mit der“. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.07.2001, S. 57 Eine warme Kartoffel ist ein warmes Bett. Hamburg 1992 „einer macht eine Hochzeit auf“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 104 Einmal anfassen – zweimal loslassen. Eine Reise in die Vergangenheit. In: Neue Zürcher Zeitung, 16.09.2000, S. 83 „die Eisenbahn fährt im Kopf“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 108 Die Entfesselung der Perversion. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.05.1999, S. 51 Erleben verändert das Denken. Ein Rückblick auf die intellektuellen Debatten nach den Anschlägen. In: Die Welt, 07.09.2002 „erst schluckt der Bruder meinen Fingerhut“. In: Akzente, 4/1997, 44. J., H. 2, S. 104 Este sau nu este Ion. Collagen in rumänischer Sprache. Iaşi 2005 Faule Birnen. In: Neue Literatur 8/1983, S. 15–20 Das Fenster. In: Neue Literatur 3/1983, S. 8–10 Der Fernsehsprecher. In: Pflastersteine. Jahrbuch des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Nikolaus Berwanger, Eduard Schneider, Horst Samson. Temeswar 1982, S. 122–123 Der feste Platz. In: Karpatenrundschau, 26.02.1982, S. 4–5 Flucht – nur im Vergleich zur Vernichtung Glück. In: Momente in Jerusalem. Bd. I. Welchen Inhalt birgt das Wort – Erinnern in Israel. Hg. v. Hajo Jahn. Gerlingen 2002, S. 27–28
Literaturverzeichnisse 287 Der fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne. Göttingen 1999 Die Frösche. In: Neue Literatur 6/1980, S. 11–13 Der Fuchs war damals schon der Jäger. Reinbek bei Hamburg 1992 Der ganze Name und ein halber Satz. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 126–131 „Gedämpft“. In: Neue Banater Zeitung, 12.10.1972, S. 5 Gedanken. In: Neue Banater Zeitung, 19.02.1971, S. 8 Gegen Vorurteile. In: Neue Banater Zeitung, 12.10.1972, S. 5 Das gehört dazu. In: Neue Banater Zeitung, 25.11.1973 Gerda und Gerhard Greger. In: Neue Literatur 9/1981, S. 23–26 Die Geschichte vom Huhn. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.03.1998, S. 68 „Geschwindner war wie früher ein Kumpan.“ In: Neue Zürcher Zeitung, 27.09.2001, S. 65 Das Geweih. In: Die Woche, 07.09.1984, S. 5 Die Grabrede. In: Neue Literatur 6/1980, S. 6–9 Das Gras blieb stumm. In: Neue Banater Zeitung, 15.06.1972, S. 5 Grossmutters Schlaf. In: Neue Literatur 12/1979, S. 13–19 „Gürtel und Hals hat er benutzt“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 105 Der Hakenmann. In: Neue Literatur 6/1982, S. 45–46 Heide. (Zensierte Texte für NL 2/1984) In: Neue Literatur 1–2/1990, S. 137–138 Heimat oder der Betrug der Dinge. In: Dichtung und Heimat. Sieben Autoren unterlaufen ein Thema. Hg. v. Wilhelm Solms. Marburg 1990, S. 69–83 Heimat oder der Betrug der Dinge. Aus: Kein Land in Sicht. Heimat – weiblich? Hg. v. Gisela Ecker. München 1997, S. 213–219 Heini. In: Neue Literatur 12/1979, S. 10–13 Herbstlicher Vorschnee. In: Neue Banater Zeitung, 02.10.1970, S. 6 Herztier. Reinbek bei Hamburg 1994 „heut wäre ich mir lieber“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S.105 Heute wär ich mir lieber nicht begegnet. Reinbek bei Hamburg 1997 Holunder wie zum Einschließen. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 204–205 Hunger und Seide. Essays. Reinbek bei Hamburg 1995 „Ich habe großen Respekt vor dem Sonntag“. In: Literarisches aus erster Hand. 10 Jahre Paderborner Gast-Dozentur für Schriftsteller. Hg. v. Hartmut Steinecke. Paderborn 1994, S. 193 „Ich halte mich für eine bejahende Natur.“ Gespräch einer Temeswarer Studentin mit dem Dichter Wolf Aichelburg in Sibiu. In: Neue Banater Zeitung, 01.07.1976, S. 2/3 „ich könnte unterm Hemd verscharrt“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 108 „ich trink die vorgeschriebene Milch“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 107 Ich wäre nie daraufgekommen. In: Neue Banater Zeitung, 20.01.1974, S. 4 Im Dezember. In: Neue Banater Zeitung, 31.12.1978, S. 4/5 Im Haarknoten wohnt eine Dame. Reinbek bei Hamburg 2000 Im Sommer wächst das Holz. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 122–124
288 Anhang Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München 2011 In der Falle. Bonner Poetik-Vorlesungen, Bd. II. Göttingen 1996 In einem tiefen Sommer (I). In: Neue Literatur 6/1982, S. 48–52 Inge. In: Neue Literatur 9/1981, S. 26–30 Irene. Aus einem Roman. In: Jahresring 88–89. Jahrbuch für Kunst und Literatur. Stuttgart 1988, S. 153–155 Irrlicht im Schnee. In: Neue Banater Zeitung, 21.12.1978, S. 2/3 Die Katze im Bohnenfeld. In: Neue Banater Zeitung, 31.12.1980, S. 4/5 „das Kaufhaus hat automatische Türen“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 107 Kinder der Furcht. In: ZEIT.Magazin, Nr. 28, 06.07.1990 Die Klette am Knie. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 104–111 „komm laß das mit dem guten Draht“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 110 Das Land am Nebentisch. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 17–19 Lass dich. In: Neue Banater Zeitung, 14.01.1972, S. 6 Lebensangst und Liebesgier – An einen imaginären Freund. In: Theodor Kramer: Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan. Gedichte. Hg. und mit einem Nachwort v. Herta Müller. München 1999, S. 187–192 Die Lebenslinie (I). In: Neue Literatur 5/1979, S. 22–23 Der leichte Klang des Schweren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.07.1999, S. IV Das Licht, das aus den Bäumen fällt. In: Neue Literatur 6/1982, S. 52 „Lieber Oskar“. In: Die Horen. 47. Jg. Bd. 3, Ausgabe 207, 2002, S. 89 Das Lied vom Marschieren. In: Echinox, Nr. 1 – 2 – 3, 1981, S. 24 Die Lüge des Internationalismus. In: Frankfurter Rundschau, 06.07.1999, S. 8 Lügen haben kurze Beine – die Wahrheit hat keine. Das wahre Engagement in der Fälschung. In: Die Zeit, 20.07.1990, S. 39–40 „das Malheur mit dem alten Portier“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 111 Man darf sich wohlfühlen bis zum Tod. In: Wespennest 112 (1998), S. 94–103 Der Mann mit der Zündholzschachtel. In: Neue Literatur 5/1979, S. 19–20 Der Mann, der nicht gegessen hat. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 203 Maramuresch. In: ZEIT. Magazin, 28.03.1986, S. 39–52 Matthias. In: Neue Literatur 8/1985, S. 21–41 Die Mäuse. In: Neue Literatur 5/1979, S. 20–22 Mein Herz fliegt durch die Wange. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 141–143 Mein Schlagabtausch, mein Minderheitendeutsch. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 171–172 „Mein Vater liegt erschlagen“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 106 Meine Familie. In: Neue Banater Zeitung, 29.11.1979, S. 2/3 Die Meinung. In: Karpatenrundschau, 05.06.1981, S. 4–5
Literaturverzeichnisse 289 Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Berlin 1986 Möbelstücke. In: Neue Literatur 12/1981, S. 10–13 „Modern ist Zeitprodukt“. In: Neue Banater Zeitung, 08.01.1971, S. 6 Mutter, Vater und der Kleine. In: Karpatenrundschau, 26.10.1979, S. 4/5 „Mutter wurde eine Nessel“. In: Neue Zürcher Zeitung, 23.10.2001, S. 65 Die Nacht sie hat Pantoffeln an. Über Inge Müllers Gedichte. In: Über das Darstellbare. Hg. v. Martin Lüdke und D. Schmidt. Reinbek 1994, S. 14–18 „die Nächte haben um den“. In: Neue Zürcher Zeitung, 14.11.2001, S. 65 Nekrolog. In: Roland Kirsch: Der Traum der Mondkatze. Prosastücke. Hg. v. Richard Wagner. Berlin, München 1996, S. 97–98 Niederungen. Prosa. Bukarest 1982 Niederungen. Berlin 1984 Niemals. In: Neue Banater Zeitung, 04.03.1976, S. 2/3 Noch erschrickt mein Herz. In: „Berlin – tolerant und weltoffen“. 4. Gesprächsforum vom 17. April 1993 mit Herta Müller. Hg. von der Ausländerbeauftragten des Senats. Berlin 1993, S. 5–19 Noch erschrickt unser Herz. In: Über Deutschland. Schriftsteller geben Auskunft. Hg. v. Thomas Rietzschel. Leipzig 1993, S. 120–141 Notizen und Gedichte des iranischen Exilautors Said. Es möge deine letzte Trauer sein. In: Die Zeit, 11.08.1995 Ohne Dich. In: Neue Banater Zeitung, 19.02.1971, S. 8 Perestroika und Hosenträger. „Rotes, schönes Rußland“ in der Mode. In: die tageszeitung, 08.10.1987 Die Pfirsiche der Greise. In: Aus fremder Heimat. Zur Exil-Situation heutiger Literatur. Hg. v. Günter Kunert. München 1988, S. 81 Der Preis des Tötens. Rumänien – Massaker und Tribunale. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.12.1989, S. 23 Quere. In: Aus fremder Heimat. Zur Exil-Situation heutiger Literatur. Hg. v. Günter Kunert. München 1988, S. 82 Rausschmisse und Entlassungen. Der rumänische Boß mehrt sein rechtmäßig erworbenes Eigentum. In: die tageszeitung, 08.10.1987 [zusammen mit Ernest Wichner] Der Regen. In: Neue Literatur 6/1982, S. 47–52 Der Reihe nah. [!] In: Volk und Kultur, 8/1976, S. 39 Reisende auf einem Bein. Berlin 1989 Die rote Blume und der Stock. In: Literatur in der Diktatur. Schreiben im Nationalsozialismus und DDR-Sozialismus. Hg. v. Günther Rüther. Paderborn u.a. 1997, S. 53–58 Rote Milch. In: Neue Literatur 8/1983, S. 7–9 Samtpfoten und Ohrfeigen. Das Denken spricht doch mit sich selber völlig anders. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.04.2001, S. 77 Die Schachtel der Einsamkeit. In: Neue Literatur, 8/1983, S. 14–15 Schießt nicht! An die Armee! An die Polizei! An die SECURITATE! Aufruf rumäniendeutscher Exilschriftsteller. In: die tageszeitung, 20.12.1989 [zusammen mit: Gerhardt Csejka, Helmuth Frauendorfer, Klaus Hensel, Johann Lippet, Werner Söllner, William Totok, Richard Wagner, Ernest Wichner]
290 Anhang Schleier der Zeit. In: Neue Banater Zeitung, 27.04.1972, S. 5 Schmeckt das Rattengift? Von der Hinterhältigkeit der Güte zur Beweglichkeit des Hasses. Eine Momentaufnahme aus dem wiedervereinigten Deutschland. In: Frankfurter Rundschau, 31.10.1992 Schon hell das Nachtgewirr. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 198–199 Schulbankgesicht. In: Neue Literatur 12/1981, S. 9–10 Das schwäbische Bad. In: Neue Banater Zeitung, 24.05.1981, S. 2/3 Der schwarze Kutsche [!]. In: Neue Literatur 12/1979, S. 6–10 Schwarze Tücher. In: Neue Banater Zeitung, 09.09.1984, S. 2/3 Schwarzer Park. In: Neue Banater Zeitung, 28.02.1980, S. 2/3 Seitengassen. In: Neue Literatur 5/1979, S. 23–24 Sensibilität und ethisches Bewusstsein. Zu dem Gedichtband „Flussgebet und Gräserspiel“ von Ilse Hehn. In: Neue Banater Zeitung, 14.12.1976 „Sie bügelt ihr Kleid“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 106 So ein großer Körper und so ein kleiner Motor. Über eine Wahrheit, die schmerzt. In: Stuttgarter Zeitung, 28.11.2006 So sind wir das, was wir sind. In: Neue Literatur, 2/1971, S. 47 „Spätsommer des Heimwerkers“. In. Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 112 Staatskinder und Landeskinder. In: Frankfurter Rundschau, 22.05.1993, S. ZB 2 Der Staub ist blind – die Sonne ein Krüppel. Beleidigt, verfolgt und ins Elend gestoßen. Zur Lage der Zigeuner in Rumänien. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.05.1991 Die Strassenkehrer. In: Echinox, Nr. 8 – 9, 1978, S. 25 Die Stromuhr. In: Neue Literatur, 3/1983, S. 6–7 Die Tage werden weitergehen. Nur eine militärische Intervention könnte die serbische Aggression stoppen. In: die tageszeitung, 08.09.1992 Täglich. In: Volk und Kultur 8/1976, S. 39 Die Taschenuhr. In: Die Woche, 09.04.1982 Der Teufel sitzt im Spiegel. Wie Wahrnehmung sich erfindet. Berlin 1991 Das Ticken der Norm. In: Dem Erinnern eine Chance. Jenaer Poetik-Vorlesungen „Zur Beförderung der Humanität“ 1993/94. Hg. v. Edwin Kratschmer. Köln 1995, S. 107–115 Das Ticken der Norm. In: Poesie und Erinnerung. Internationale Jenaer Poetik-Vorlesungen „Zur Beförderung der Humanität“ 1993–1998/Collegium Europaeum Jenense. Hg. v. Edwin Kratschmer. Erlangen, Jena 1998, S. 42–50 Tierliebe und Gottesfurcht. In: Der Spiegel, Nr. 38 vom 17.09.1990, S. 261–65 Tod oder Knast oder Kinder. In: die tageszeitung, 15.08.1988 Die Tote vom Armenfriedhof. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 143 „über mir der Herr Grabosch hat seit“. In: Neue Zürcher Zeitung, 17.11.2001, S. 65 Der Überlandbus. In: Neue Literatur 6/1980, S. 13–15 Und auch andere. In: Volk und Kultur, 8/1976, S. 39 „und wir fuhren aus Angst“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 105
Literaturverzeichnisse 291 „Unsere Namenecke“. In: Neue Banater Zeitung, 05.12.1969, S. 6 Unsere Stadt. In: Pflastersteine. Jahrbuch des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Nikolaus Berwanger, Eduard Schneider, Horst Samson. Temeswar 1982, S. 123–125 „Vater vergißt seine Leber beim Sterben“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 109 Verhindert. In: Neue Banater Zeitung, 04.03.1976, S. 2/3 Viele weiße Jahre. In: Der Bremer Literaturpreis 1954–1987. Reden der Preisträger und andere Texte. Eine Dokumentation der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung. Hg. v. Wolfgang Emmerich. Bremerhaven 1999, S. 328–329 „das vierte Kind war kränklich“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 106 Vom Hungerengel eins zwei drei. In: Die Horen 3/2005, S. 123–134 [gemeinsam mit Oskar Pastior] Von der gebrechlichen Einrichtung der Welt. Rede anläßlich der Entgegennahme des Kleist-Preises. In: Neue Zürcher Zeitung, 31.10.1994, S. 19 Wachheit danach. Warum wir aus Diktaturen nichts lernen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.05.1995, S. 35 Der Wächter nimmt seinen Kamm. Vom Weggehen und Ausscheren. Reinbek bei Hamburg 1995 War so leblos wie ein roter Schal. In: Aus fremder Heimat. Zur Exil-Situation heutiger Literatur. Hg. v. Günter Kunert. München 1988, S. 81–82 „Was liest ... Herta Müller“. In: Literaturen 11 [über M. Blecher: Aus der unmittelbaren Wirklichkeit [!]. Roman] 2002, S. 102 Was soll, will und kann Literatur? Antwort auf eine Frage, die ich mir nie stelle. In: Wozu Kultur? Zur Funktion von Sprache, Literatur und Unterricht. Hg. v. Gerhard Rupp. Frankfurt a.M. u.a. 1997, S .41–43 „was weiß ich“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 112 „wenn der Friseur Akkordeon spielt“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 109 Wenn ich den Fuß beweg. In: Neue Literatur 8/1983, S. 11–13 Wenn ich mich tragen könnte. In: Die Zeit, 2.-3. Januar 1986. S. 38 Wenn ihr vergesst. In: Neue Banater Zeitung, 16.03.1972 „wessen Tisch hat Schubladen und eine“. In: Neue Zürcher Zeitung, 15.08.2001, S. 56 Wer nur Luft berührt, macht keine Reise. In: Aus fremder Heimat. Hg. v. Günter Kunert. München, Wien 1988, S. 80 Wer seinen Teller nicht leer ißt. In: Neue Banater Zeitung, 31.12.1982 Wie Wahrnehmung sich erfindet. Paderborner Universitätsreden 20. Hg. v. Rektorat der Universität-GH Paderborn. Paderborn 1991 Wie Wahrnehmung sich erfindet. In: Tendenz Freisprache. Texte zu einer Poetik der achtziger Jahre. Hg. v. Ulrich Janetzki und Wolfgang Roth. Frankfurt a. M. 1992, S. 136–142 Wie Wahrnehmung sich erfindet. In: Frankfurter Rundschau, 11.05.1991, S. ZB 2 Woher. In: Neue Banater Zeitung, 04.03.1976, S. 2/3 „Die Ziege hat niemehr Hunger“. In: Akzente, 4/1997, 44. Jg., H. 2, S. 81 „die Zwillinge Matache“. In: Neue Zürcher Zeitung, 06.11.2001, S. 65 Zwischen den Häusern ist nichts. Paralipomena aus „Niederungen“. In: Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Hg. v. Wilhelm Solms. Marburg 1990, S. 67–76
292 Anhang
Herausgeberschaften Die Handtasche. Prosa, Lyrik, Szenen und Essays. Texte zum 11. Würth Literatupreis. Hg. v. Herta Müller. Künzelsau 2001 Theodor Kramer: Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan. Wien 1999 Wenn die Katze ein Pferd wäre, könnte man durch die Bäume reiten. Prosa. Texte zum 10. Würth Literaturpreis. Hg. v. Herta Müller, Yoko Tawada und Alissa Walser. Künzelsau 2001
Interviews Ackermann, Ulrike: Ich glaube, Sprache gibt es nicht. Die Dichterin Herta Müller über Heimat, Diktatur, Dazugehören und den fremden Blick. In: Die Welt, 23.06.2004 Adameşteanu, Gabriela: Limba română participă la limba germană în care scriu. Herta Müller în dialog cu Gabriela Adameşteanu. In: „22“. Săptămânal independent de analiză politică şi actualitate culturală. Nr. 711. 21.-27.10.2003, p. 8–10 Aguilera, Carlos A.: Mir war der rumänische Fasan immer näher als der deutsche Fasan. Ich will mit Utopien nichts mehr zu tun haben. In: Akzente 5/2008, S.401–411 Bary, Nicole und Herta Müller. In: Documents 3/1988, S. 107–112 Bunge, Sascha und Titus Faschina: „Wie in einem Schlund“. In: die tageszeitung, 14./15.03.1998, S. 13f. Dobler, Alexander: Der Wind spricht nicht, sondern die Menschen sprechen. Die Erzählerin Herta Müller über menschliches Verhalten, die Macht und die Sprache. In: Frankfurter Rundschau, 12.07.1995, S. 7 Driver Eddy, Beverly: Die Schule der Angst. Gespräch mit Herta Müller, den 14. April 1998. In: The German Quarterly, Vol. 72, Nr. 4, 1999, S. 329–339 „Ein Kanon deutscher Literatur...“. In: Die Zeit, 16.05.1997, S. 50 Furtado, Maria Teresa Dias: Interview mit Herta Müller. In: Runa 1993, H.1, S. 189–95 Greiner, Ulrich: „Ich hatte so viel Glück!“ Ein Gespräch mit Herta Müller. In: Die Zeit, 15.10.2009 Henke, Gebhard: Mir erscheint jede Umgebung lebensfeindlich. In: Süddeutsche Zeitung, 16.11.1984 Hensel, Klaus: Alles, was ich tat, das hieß jetzt: warten. In: Frankfurter Rundschau, 8.8.1987 „Ich quälte meine Füllfeder...“. In: Neue Banater Zeitung, 30.04.1971, S. 6 „Jetzt hoffen die Rumänen auf Gorbatschow“. Die Schriftsteller Herta Müller und Richard Wagner über die deutsche Minderheit im Ceauşescu-Staat. In: Spiegel, 04.05.1987, S. 154–163 Koelbl, Herlinde: Im Schreiben zu Haus. Knesebeck 1997, o.P. Kroeger-Groth, Elisabeth: „Der Brunnen ist kein Fenster und kein Spiegel“ oder: Wie Wahrnehmung sich erfindet – im Gespräch mit Herta Müller. In: Diskussion Deutsch 26/1995, H.143, S. 223–30 Lentz, Michael: „Lebensangst und Worthunger“. Im Gespräch mit Michael Lentz. Leipziger Poetikvorlesung. Berlin 2010 Müller-Wieferig, Matthias: Wir wollen dieses Land aus politischen Gründen verlassen. Gespräch mit der rumäniendeutschen Schriftstellerin Herta Müller in Temeswar. In: Kulturpolitische Korrespondenz. Berichte, Meinungen, Dokumente. 30.12.1986, S. 21–23
Literaturverzeichnisse 293 Reif, Adelbert: „Literatur entsteht immer aus Beschädigung.“ Herta Müller im Gespräch mit Adelbert Reif. In: Universitas. 53/1998, Nr.619, S. 84–95 Schmidtkunz, Renata: „Ich glaube nicht an die Sprache. Herta Müller im Gespräch mit Reanta Schmidtkunz. Klagenfurt 2009 Schoeller, Wilfried F.: Es wird alles erstickt. In: Süddeutsche Zeitung, 9.5.1987 Sienerth, Stefan: „Diese Bilder trugen mir die Tage zu“. Herta Müller im Gespräch mit Stefan Sienerth. In: Südostdeutsche Vierteljahresschrift 3/1997, 46. Jg., S. 205–211 „So eisig, kalt und widerlich“. Die Schriftstellerin Herta Müller über eine Aktion deutscher Autoren gegen den Fremdenhaß. Gespräch. In: Der Spiegel, Nr. 46 vom 9.11.1992, S.2 64–68 Soldt, Rüdiger: Nur ein Überleben. Ein Interview mit Herta Müller über antastbare Würde in Überfluß und Mangel, die rumänische Revolution und ihre Auflösung. In: die tageszeitung, 24.04.1991 Stolle, Uta: Es hätte so geschehen können. Der Anfang eines Inteviews mit Herta Müller über ihre Ausreise aus politischen Gründen, über das Banat-Schwäbische und das Autobiografische in ihrem ersten Buch „Niederungen“. In: die tageszeitung, 18.02.1989 te Heesen, Anke: Interview mit der Schriftstellerin Herta Müller über ihren literarischen Umgang mit Zeitungsschnipseln. In: Cut and paste um 1900. Der Zeitungsausschnitt in den Wissenschaften. Hg. v. Anke te Heesen. Berlin 2002, S. 171–180
Quellen mit Erscheinungsort Rumänien Zeitungen und Zeitschriften: Neue Banater Zeitung 1969–1987 Neue Literatur 1959–1990 Neuer Weg-Kalender 1970–1983 Volk und Kultur 1971–1985 Karpatenrundschau 1976–1985 Transilvania 1972–1987 Echinox 1973–1990 „Der Abschluß der Tätigkeit des Temeswarer Literaturkreises ‚Adam Müller-Guttenbrunn‘“. In: NL 7/1980, S. 118 „Der Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis der Temeswarer Schriftstellervereinigung“. In: NL 11/1985, S. 91 Aescht, Georg: Banater Lyrik in „neuer Konstellation“. In: Echinox 4/1973, S. 14 Aescht, Georg: Zum Formenregister rumäniendeutscher Kurzprosa (1962–1972). In: Echinox, 10–11–12/1981, S. 20 Aescht, Georg: Ein Jahrzehnt rumäniendeutscher Kurzprosa. Zur Entwicklung ihres Formenregisters 1962–1973. In: Transsylvanica 2. Studien zur deutschen Literatur aus Siebenbürgen. Hg. v. Michael Markel. Cluj-Napoca 1982, S. 148–175 Am Anfang war das Gespräch. Erstmalige Diskussion junger Autoren. Standpunkte und Standorte. In: NBZ, 02.04.1972, S. 4 Anger, Horst: Begegnung mit Gedichten. In: KR, 07.01.1977, S. 4–5
294 Anhang „Arbeitskreis ’74“. In: NL 3/1974, S. 124 „Beim Sitz der Temeswarer Schriftstellervereinigung“. In: NL 11/1977, S. 123–124 Berwanger, Nikolaus: Einleitung. In: NL 12/1980, S. 3–4 Berwanger, Nikolaus: Die banatdeutsche Literatur heute. Zusammenfassende Betrachtungen und einige Feststellungen. In: NL 12/1980, S. 5–8 Bi: Aus unseren Literaturkreisen. Poesie-Klub (Bukarest). In: Volk und Kultur 1/1984, S. 30 Bossert, Rolf: Mi und Mo und Balthasar. Bukarest 1980 Bossert, Rolf (Übersetzer): Victor Eftimiu: Märchen. Bukarest 1980 Bossert, Rolf: Über den Sinn der Geschichte. Bemerkungen zu Richard Wagners Kinderbuch „Anna und die Uhren“, Ion Creangă Verlag, Bukarest. In: NL 12/1981, S. 99–101 Bosser, Rolf: Gedichte für große und kleine Kinder. In: NL 6/1982, S. 30–32 Bossert, Rolf: Der Zirkus. Bukarest 1982 Bossert, Rolf (Übersetzer): Gellu Naum: Der Pingiun Apollodor. Bukarest 1982 Britz, Helmut: Bescheiden. Zu: Hans Peter Müller „Michel“, Kriterion Verlag, Bukarest 1985. In: NL 3/1986, S. 78–81 Britz, Helmut: Ein grauer Elefant. Zu: Horst Samson, „der blaue wasserjunge“, Facla Verlag, Timişoara 1978, „tiefflug“, Gedichte, Dacia Verlag, Cluj-Napoca 1981, „reibfläche“, Gedichte, Kriterion Verlag, Bukarest 1982. In: NL 5/1983, S. 65–72 Britz, Helmut: Gegenwelt Wort. Zu: Richard Wagner, Gegenlicht, Facla Verlag, Temeswar, 1983. In: NL 7/1984, S. 74–76 Britz, Helmut: „...entsetzliche Freude“. Zu William Totok: Freundliche Fremdheit, Facla Verlag, Temeswar 1984; Johann Lippet: so wars im mai so ist es, Kriterion Verlag, Bukarest 1984; Helmuth Frauendorfer: am rand einer hochzeit, Kriterion Verlag, Bukarest 1984. In: NL 3/1985, S. 74–76 Britz, Helmut: querschnittbelebt. Zu Franz Hodjak: das maß der köpfe. halbphantastische texte, Kriterion Verlag Bukarest 1978 (mit Bezugnahme auf Gerhard Ortinau, verteidigung des kugelblitzes und Joachim Wittstock, Blickvermerke). In: NL 4/1979, S. 97–100 Britz, Helmut: Reise ins Herz der Wunde. Marginalien zu Herta Müllers Prosaband „niederungen“. Kriterion Verlag, Bukarest 1982. In: Neue Literatur 8/1983, S. 76–79 Bücher in Vorbereitung. NL-Interview mit Hans Liebhardt, Dieter Schlesak und Claus Stephani. In: NL 5/1969, S. 111–116 Csejka, Gerhardt: Als ob es mit ALS OB zu Ende ginge. Neues in der rumäniendeutschen Lyrik. In: NL 12/1972, S. 61–67 Csejka, Gerhardt: Bedingtheiten der rumäniendeutschen Literatur. Versuch einer soziologisch-historischen Deutung. In: NL 8/1973, S. 25–31 Czekelius, M.: Im Brennpunkt stehn. Lesebuch mit Beiträgen der jungen und jüngsten Mitglieder des Temeswarer Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Landesfestival „Cîntarea României“. II. Ausgabe. In: NL 11/1979, S. 116–117 Eisenberger, Eduard: Ausblick und Auftrag. In: Neuer Weg- Kalender 1971, S. 26f. Eke, Norbert Otto: Die deutschsprachige Literatur Osteuropas und ihre Rezeption in der Bundesrepublik. Probleme und Chancen einer „kleinen Literatur“. In: NL 1990/91, H.5/6, S. 22–42
Literaturverzeichnisse 295 Engagement als Chance und Veränderung. Rundtischgespräch mit jungen Autoren in Temeswar. In: KR, 22.06.1973 ES: Eröffnung des Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises. Alle Interessenten sind zur Teilnahme eingeladen. In: NBZ, 07.11.1979, S. 1 ES: Problemdichte lyrische Texte. In: NBZ, 30.04.1983, S. 2 ES: „Versprachlichung der Realität“. In: NBZ, 12.02.1983, S. 1 und 2 Fabritius, Horst: Bedingte Reflexe. Zu: Emmerich Reichrath (Hg.): Reflexe. Kritische Beiträge zur rumäniendeutschen Gegenwartsliteratur. Bukarest 1977. In: NL 7/1977, S. 100 „Fechsung“. Lyrische Texte in banatschwäbischer Mundart. Hg. v. Ludwig Schwarz. Bukarest 1979 Fischer, Nina: Erlesene Harmonien in neubarocker Villa. Kulturbrief aus Temeswar. In: NL 4/1976, S. 101–102 „Die Förderpreise des Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises für die Saison 1981–1982“. In: NL 7/1982, S. 92 Frauendorfer, Helmuth: Inge. Briefe eines Mädchens. In: NL 12/1981, S. 36–44 und NL 10/1982, S. 12–27 Fromm, Walter: Interview mit Richard Wagner. In: NL 2/1979, S. 52–54 Fromm, Walter: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. In: Die Woche, 26.01.1979 (Sibiu) Fromm, Walter: Siebenbürgen, Land der Ewigkeit? Zu: Joachim Wittstock, Karussellpolka, Dacia Verlag, Cluj-Napoca, 1978. In: NL 6/1979, S. 103–105 „Fünf deutschsprachige Literaturkreise“. In: NL 4/1974, S. 124 Gärtner, Helene: „Ende der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre“. In: NL 11/1985, S. 96 Giesel, M.: Neuer Weg Kalender 1979, Bukarest. In: NL 4/1979, S. 118 „Gleich zwei Literaturpreise erhielt Herta Müller“. In: NL 1/1985, S. 93 Herbert, Rudolf: Die Einsamkeit der Sätze. Zu: Herta Müller, Niederungen, Prosa, Kriterion Verlag, Bukarest 1982. In: Neue Literatur 4/1983, S. 67–72 HM: Junge Autorin las Prosa. In: NBZ, 23.02.1980 Hodjak, Franz: Gruppenbild mit Wagner. Zu „Wortmeldungen. Eine Anthologie junger Lyrik aus dem Banat“, Facla Verlag, Temeswar 1972. In: NL 3/1973, S. 87–90 Hodjak, Franz: Die humoristischen Katzen. Kinderverse. Bukarest 1979 Hodjak, Franz: Der Hund Joho. Bukarest 1985 Hodjak, Franz: Fridolin schlüpft aus dem Ei. Bukarest 1986 „Im Brennpunkt stehn“. Lesebuch mit Beiträgen der jungen und jüngsten Mitglieder des Temeswarer Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Anton Palfi. Temeswar 1979 Interview mit Fanz Liebhard. In: NBZ, 22.01.1981, S. 2/3 Irre, Heidrun: „Obwohl ich die NL nur ab und zu lese“. In: NL 9/1985, S. 96 Jahresrückblick Kultur 1980. In: NBZ, 08.01.1981, S. 2/3 Junge Talente. Hertha Müller-Karl. In: Volk und Kultur 8/1976, S. 39 Kolf, Bernd: „Oh diese kindliche Unruhe“. In: Echinox 7–8/1973, S. 19 Kolf, Bernd: Unser Beitrag in dieser Runde. Recherchen zu unserer lyrischen Situation nach der Lektüre von Richard Wagner: Klartext. Ein Gedichtbuch. Albatros Verlag, Bukarest 1973. In: NL 1/1974, S. 95–103
296 Anhang Krucso, Horst: Postludien. Zu WORTMELDUNGEN, Facla Verlag, Temeswar, 1972. In: Echinox 4/1973, S. 14 Das Land ist ein Wesen. Prosaversuche. Eine Debütanthologie von Roland Kirsch, Jakob Mihăilescu, Uwe Hienz, Helmut Britz. Hg. v. Emmerich Reichrath. Bucureşti 1989 Latzina, Anemone: „Was man heute so dichten kann“. Cluj 1971 Latzina, Anemone: Tagebuchtage. Gedichte 1963 bis 1989. Hg. v. Gerhardt Csejka. Berlin 1992 Leonhard, Heinz: 20 Jahre NEUE LITERATUR. Deutsche Zeitschrift des Schriftstellerverbandes führt Traditionen weiter. In: Neuer Weg-Kalender 1970, S. 80–81 Liebhardt, Hans: Interview mit sich selbst. NL 7/1968, S. 98 Lippet, Johann: biographie. ein muster. In: NL 8/1978, S. 11–16 Lippet, Johann: Biographie. Ein Muster. Bukarest 1980 „Der Literaturkreis „Adam Müller-Guttenbrunn“ vergab seine Förderpreise für die Saison 1980–81”. In: NL 7/1981, S. 120 Löw, Adrian: Schmetterling spielt Vespe. In: Volk und Kultur, 3/1982, S. 32f. „Lyrik müsste jetzt wieder ein bisschen anders werden.“ Gespräch mit Richard Wagner anläßlich einer Lesung im Literaturkreis der Klausenburger Philologiefakultät. In: Echinox, Nr. 11–12/1980, S. 16 [geführt von Klaus F. Schneider] Martini, Peter: Bericht nach Saisonschluss. Deutsche Literaturkreise von Temeswar bis Jassy. In: NL 8/1974, S. 109–110 „Die Mitglieder des ‚Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises‘, Temeswar“. In: NL 7/1986, S. 90 Motzan, Peter: Überlegungen zu einer Geschichte der rumäniendeutschen Lyrik nach 1945. In: NL 3/1973, S. 73–86 Motzan, Peter: Rumäniendeutsche Lyrik-Reflexion (1944–1974). Forschungsbericht über den Stand der Sekundärliteratur zur deutschsprachigen Gegenwartslyrik. In: NL 8/1975, S.18–29 und NL 9/1975, S. 83–109 Motzan, Peter: Die rumäniendeutsche Literatur nach 1944. In: NL 2/1976, S. 92–104 und NL 3/1976, S. 59–71 Motzan, Peter: „...und hier wird schon noch geredet werden“. Vom Klartext (AlbatrosVerlag, Bukarest, 1973) zur Invasion der Uhren (Kriterion Verlag, Bukarest, 1977). In: NL 2/1978, S. 112–116 Motzan, Peter: Kontinuität und Wandel. Zu Werner Söllners Lyrikbänden „wetterberichte“, dacia verlag, cluj-napoca, 1975 und „Mitteilungen eines Privatmannes“, Dacia Verlag, Cluj-Napoca, 1978. Nebst einer längeren Vorrede. In: NL 11/1979, S. 98–103 Motzan Peter: Die rumäniendeutsche Lyrik nach 1944. Problemaufriss und historischer Überblick. Cluj-Napoca 1980 Motzan, Peter: „Und wo man etwas berührt, wird man verwundet.“ Zu Herta Müller: Niederungen. Prosa, Kriterion Verlag, Bukarest 1982. In: NL 3/1983, S. 67–72 Motzan, Peter (Hg.): Der Herbst stöbert in den Blättern. Deutschsprachige Lyrik aus Rumänien. Berlin [Ost] 1984 Neues auf dem Büchertisch. Herta Müller: Drückender Tango. Prosa. Kriterion. In: Volk und Kultur, 10/1984, S. 21 o.A.: Von unseren Verlagen – für Sie. „Niederungen“ ist ein Buch, das man gelesen haben muß. In: Volk und Kultur, 3/1982, S. 29
Literaturverzeichnisse 297 „Der Poesieklub des Bukarester Kulturhauses ‚Friedrich Schiller‘“. In: NL 3/1983, S. 91 „Den Rauriser Literaturpreis“. In: NL 5/1985, S. 93 Redaktion: Von der Sauberkeit und vom Dünkel. In: NBZ, 21.06.1981, S. 2–3 Reflexe. Kritische Beiträge zur rumäniendeutschen Gegenwartsliteratur. Hg. v. Emmerich Reichrath. Bukarest 1977 Reflexe II. Aufsätze, Rezensionen und Interviews zur deutschen Literatur in Rumänien. Hg. v. Emmerich Reichrath. Cluj-Napoca 1984 Rehner, Gertrud: „Wenn egal wovon die Rede ist von Verlieren die Rede ist“. In: Echinox, Nr. 10–11– 12/1982, S. 19 Reichrath, Emmerich: Direktes Verhältnis zur Realität. Gespräch mit dem Schriftsteller Richard Wagner. In: Neuer Weg, 24.5.1977; zit. nach: Peter Motzan „...und hier wird schon noch geredet werden.“ Vom Klartext (Albatros Verlag, 1973) zur Invasion der Uhren (Kriterion Verlag, Bukarest, 1977). In: NL 2/1978, S. 112–116 Rill, Ute: „Geschmack von Müdigkeit und Langeweile“ oder vom Sich-Zurechtfinden im Alltäglichen. Zur Debütanthologie „Der zweite Horizont“, Dacia Verlag. Cluj Napoca, 1988. In: NL 5/1989, S. 73–76 Schlesak, Dieter: Grenzstreifen. Bukarest 1968 Schneider, Eduard: Purpurnes Schattenspiel. Ausgewählte Gedichte von Peter Barth, Kriterion Verlag, Bukarest 1971. In: NL 6/1972, S. 108–109 Schneider, Eduard: Richard Wagner: Der Anfang einer Geschichte. Prosa. Dacia Verlag, Cluj-Napoca, 1980. In: NL 12/1980, S. 107–108 Schnitzler, Edgar: Bilanz einer literarischen Saison. In: NL 8/1977, S. 107–108. Schnitzler, Edgar: Gegenwartsverbunden, die Tradition pflegend. Literaturkreis Adam MüllerGuttenbrunn zieht die Bilanz der Aktivitäten dieser Saison. In: NBZ, 17.06.1976, S. 2–3 Schnitzler, Edgar: Bilanz einer literarischen Saison. In: NL 8/1977, S. 107–108 Schnitzler, Edgar: Reicher Inhalt – vielfältige Formen. Der Temeswarer Literaturkreis „Adam MüllerGuttenbrunn“ in der Saison 1982/83. Zum vierten Mal Literaturpreise verliehen. In: Volk und Kultur, 8/1983, S. 24–26 Schule, Sprachunterricht, Sprachpflege. Gespräch am runden Tisch. In: NL 9–10/1966, S. 131–139 Schuller, Annemarie: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. Ein Versuch über die Entwicklung der neueren rumäniendeutschen Lyrik. In: Die Woche, 05.01.1979 Schuller, Annemarie: Ihre Mittel: arm und reich zugleich. Zur Prosa von Herta Müller. In: KR, 14.06.1985, S. 4–5 Seiler, Hellmut: Sachlich, aber phantasievoll. In: Karpatenrundschau, Nr. 45, 12.11.1982, S. 4–5 „Seinen Preis für literarisch-künstlerisches Schaffen für das Jahr 1982“. In: NL 7/1983, S. 92 Sienerth, Stefan: Rumäniendeutsche Literaturgeschichtsschreibung. Erkenntnisse der letzten zwanzig Jahre. In: NL 8/1986, S. 10–21 Söllner, Werner: Eine Entwöhnung. In: NL 1/1980, S. 20–26 Söllner, Werner: Eine Entwöhnung. Bukarest 1980 Söllner,Werner: Eine Entwöhnung. In: Kopfland. Passagen. Frankfurt am Main 1988 Stanescu, Heinz: Zum Begriff „Rumäniendeutsche Literatur“. In: Forschungen zur Volks- und Landeskunde. Bd.18/Nr.1. Bukarest 1975, S. 106–113
298 Anhang Stiehler, Heinrich: Deutschsprachige Dichtung Rumäniens. Zwischen Utopie und Idylle. In: Akzente. 21. Jg. 1/1974, S. 21–37 „Die Temeswarer Literaturkreise der Studenten“. In: NL 11/1974, S. 124 „Die Temeswarer Schriftstellerin Herta Müller war Gast der Frankfurter Buchmesse“. In: NL 11/1984, S. 93 Tontsch, Brigitte (Hg.): Interpretationen deutscher und rumäniendeutscher Lyrik. Klausenburg 1971 Totok, William: Auftakt mit Adam Müller-Guttenbrunn. Der „Adam-Müller-Guttenbrunn“Literaturkreis in der Saison 1977/78. In: NL 9/1978, S. 113–115 Totok, William: Textele „Grupului de acţiune“. In Echinox 3–4–5/1980, S. 3 und 18–19 Totok, William: Schwierig, die Wahrheit. Randbemerkungen zu Johann Lippets „biographie, ein muster“, Kriterion Verlag, 1980. In: NL 10/1981, S. 100–101 Totok, William: Entfremdung als Dauerzustand. Bemerkungen zu Herta Müllers Prosadebütband „Niederungen“, Kriterion Verlag Bukarest, 1982. In: NBZ, 09.05.1982, S. 2–3 Totok, William: Das Dorf irgendwo in der Heide. Bemerkungen zu Herta Müllers zweitem Prosaband: „Drückender Tango“, Kriterion Verlag, Bukarest, 1984. In: NBZ, 09.12.1984, S. 2–3 Transsylvanica 1. Studien zur deutschen Literatur aus Siebenbürgen. Hg. v. Michael Markel. Cluj 1971 Transsylvanica 2. Studien zur deutschen Literatur aus Siebenbürgen. Hg. v. Michael Markel. ClujNapoca 1982 Vom Beschreiben zum Urteilen – vom Urteil zur Wirkung. NL-Rundtischgespräch zu Fragen der Literaturkritik. In: NL 1–2/1968, S. 8–31 Von unseren Verlagen – für Sie. Herta Müller: Niederungen. Prosa. Kriterion. In: Volk und Kultur, 3/1982, S .29 W.P.: Neuer Weg Kalender 1977, Verlag Neuer Weg, Bukarest 1976. In: NL 2/1977, S. 119 Wagner, Richard: Der junge Berger. Ansätze zu einer Erzählung. In: NL 1/1979, S. 6- 25 und 2/1979, S. 34–51 Wagner, Richard: Von der Praxis der Literatur. Der Adam-Müller-Literaturkreis in der Saison 1978/79. In: KR, 06.07.1979, S. 1 und 4–5 Wagner, Richard: Der schwäbische Pendler. In: NL 3/1980, S. 10–13 Wagner, Richard: Lyrik und andere Verrenkungen. In: NL 7/1980, S. 82–86 Wagner, Richard: Der Anfang einer Geschichte. Cluj-Napoca 1980 Wagner, Richard: Anna und die Uhren. Geschichten für Kinder. Bukarest 1981 Wagner, Richard: Hotel California. Bukarest 1980 Wagner, Richard: Hotel California II. Bukarest 1981 Waitz, Balthasar: „1984“ in Temeswar, Rumänien. Seiten einer (durch die Revolution) geöffneten Akte. Der Protestbrief der sieben deutschen Autoren aus Temeswar. In: NL 1–2/1990, S. 174–178 Wittstock, Joachim: Siebenbürgische Geschichte im Spiegel erzählender Dichtung. In: Forschungen zur Volks- und Landeskunde 19/1976, H.1, S. 70–93 Worte unterm Regenbogen. Deutsche Erzähler in Rumänien. Hg. v. Hans Liebhardt. Bukarest 1973 Zum Internationalen Jahr der Jugend. Musterschüler oder Punks? Was tun junge Leute in ihrer Freizeit/ Eine Umfrage in den XII. Klassen des Kronstädter „Johannes Honterus“-Lyzeums. In: NL 5/1985, S. 3–9
Literaturverzeichnisse 299
Sekundärliteratur Zeitungsartikel/Rezensionen Apel, Friedmar: Kirschkern Wahrheit. Inmitten beschädigter Paradiese. Herta Müllers „Herztier“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.1994, S. L16 Auffermann, Verena: Wo bei anderen das Herz ist, ist bei denen ein Friedhof. In: Süddeutsche Zeitung, 30.09.1992 Bässmann, Joachim: Schreiben für die, die abhanden gekommen sind. Herta Müllers Weg aus den Niederungen des Securitate-Staates auf die Gipfel deutscher Literatur. In: Die Welt, 26.02.2000 Bauer, Michael: Der imaginäre Freund. In: Süddeutsche Zeitung, 22.04.1999 Britz, Helmut: Reise ins Herz der Wunde. Marginalien zu Herta Müllers Prosaband „niederungen“. Kriterion Verlag, Bukarest 1982. In: Neue Literatur 8/1983, S. 76–79 Cramer, Sibylle: Gegen den lexikalischen Sinn getauft. Die Angst des Kindes vor den Wortklumpen – Herta Müllers nicht mehr biographische Autobiographie. In: Frankfurter Rundschau, 20.03.2003 Detering, Heinrich: Himmel essen Seele auf. Der Irrlauf im Kopf. Herta Müller wendet sich erneut ihrer rumänischen Kindheit zu. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.10.2003 Henke, Gebhard: Poetischer Ausbruch aus dem engen Banat. In: Süddeutsche Zeitung, 12.04.1984 Herbert, Rudolf: Die Einsamkeit der Sätze. Zu: Herta Müller, Niederungen, Prosa, Kriterion Verlag, Bukarest 1982. In: Neue Literatur 4/1983, S. 67–72 Jenny-Ebeling, Charitas: Ortsgespräche. Herta Müller – ein Gesicht und ein Thema. In: Neue Zürcher Zeitung, 18.07.1995 Kebir, Sabine: So rot wie ein Beet Klatschmohn. In: die tageszeitung, 15.10.1997 (Literataz IX) Killert, Gabriele: Von Wolke zu Mensch. In: Die Zeit, 07.12.2000, S. 74 Köhler, Andrea: Das Weisse im Auge. Herta Müllers konkrete Poesie. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.04.2001 Laudenbach, Peter: Unter die Haut gewachsen. Kein Aufatmen nach Ceauşescu: Herta Müllers Roman „Der Fuchs war damals schon der Jäger“. In: die tageszeitung, 30.09.1992 Löw, Adrian: Schmetterling spielt Vespe. In: Volk und Kultur, 3/1982, S. 32f. Matt, Beatrice von: Gefangen im Verlorenen. In: Neue Zürcher Zeitung, 11.12.1987 Matt, Beatrice von: Im Körper das mitgebrachte Land. Herta Müllers Roman „Herztier“. In: Neue Zürcher Zeitung, 29.09.1994 Matt, Peter von: Diktatur und Dichtung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.09.1992 Mayer, Susanne: Ein Erdhauch über Gräbern. In: Die Zeit, 11.10.1991 Melzer, Gerhard: Die abgeschnittenen Finger. Herta Müller und ihr doppelt belichtetes Rumänien. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.03.1998 Michaelis, Rolf: Angst vor Freude. Herta Müllers fünfzehn Prosastücke „Niederungen“. In: Die Zeit, 24.8.1984 Michaelis, Rolf: In der Angst zu Haus. In: Die Zeit, 07.10.1994 MN: Schriftsteller stehen morgens auf, und dann schreiben sie bis zum Feierabend. In: Die Welt, 15.05.2004
300 Anhang Motzan, Peter: „Und wo man etwas berührt, wird man verwundet.“ Zu Herta Müller: Niederungen. Prosa, Kriterion Verlag, Bukarest 1982. In: Neue Literatur 3/1983, S. 67–72 Münkler, Marina: Utopie vom Tod. In: Die Zeit, 11.3.1988 Naumann, Michael: Mundhimmel. Herta Müller hat mit ihrem neuen Essayband eine Poetik über Dichtung in Diktaturen verfasst. In: Die Zeit, 05.02.2004, S. 41 o.A.: Von unseren Verlagen – für Sie. „Niederungen“ ist ein Buch, das man gelesen haben muß. In: Volk und Kultur, 3/1982, S. 29 Osterkamp, Ernst: Das verkehrte Glück. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.1997 Overath, Angelika: Lesezeichen. Unter dem Ticken der Norm. Herta Müllers Essays. In: Neue Zürcher Zeitung, 11.05.1995 Overath, Angelika: Die Bestellte. Herta Müllers neuer Roman. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.03.1998 Overath, Angelika: Kopf an Kopf gesetzt. Herta Müllers collagierte Gedichte. In: Neue Zürcher Zeitung, 16.09.2000 Raddatz, Fritz J.: Pinzetten-Prosa. In: Die Zeit, 28.08.1992 Raddatz, Fritz J.: Kaffka und Mussil. In: Die Zeit, 08.01.1998, S. 39 Rauch, Katja: Balanceakt im neuen Land. In: Neue Zürcher Zeitung, 23.11.1989 Rehner, Gertrud: „Wenn egal wovon die Rede ist von Verlieren die Rede ist“. In: Echinox, Nr. 10–11– 12/1982, S. 19 Reitze, Paul F.: Banater Gegenwart. In: Die Welt, 112, 16.05.1986, S. 2 Rüb, Matthias: Das fremde Heimatland. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.1989 Schirrmacher, Frank: In jedem Haus nur einen Augenblick bleiben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.8.1991 Schmidt, Mathias: Bukarester Jagdszenen. Vom Umgang mit Schriftstellern in Rumänien. In: Süddeutsche Zeitung, 15.02.1986, S. 3–4 Schnipsel aus dem Wörterkasten. Die deutsch-rumänische Autorin liest bei Moths. Süddeutsche Zeitung, 25.07.2000 Schuh, Franz: Die Tradition der Machtfeindschaft. In: Die Zeit, 07.04.1995 Schuller, Annemarie: Ihre Mittel: arm und reich zugleich. In: Karpatenrundschau, Nr. 24, 14.06.1985, S. 4–5 Schwenger, Hannes: „Ich leb’ verstört dahin“. Herta Müller entdeckt im Lyriker Theodor Kramer einen Wahlverwandten. In: Die Welt, 29.05.1999 Seiler, Hellmut: Sachlich, aber phantasievoll. In: Karpatenrundschau, Nr. 45, 12.11.1982, S. 4–5 Thuswaldner, Anton: Wörter sammeln und zusammensetzen. Salzburger Literaturhaus: Herta Müller und ihre „gemachten“ Gedichte. In: Salzburger Nachrichten, 28.04.01 Weinzierl, Ulrich: Schwarze Achse im Innern der Erde. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.02.1988 Wittstock, Uwe: „Hundert Beete voll Mohn im Gedächtnis“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.04.1984 Wolfram, Gernot: Ich verdächtigte Blumen. Wohnhaft in Berlin, zu Hause im Zwischenreich: Die Schriftstellerin Herta Müller. In: Die Welt, 17.05.2001
Literaturverzeichnisse 301
Zeitschriftenartikel Apel, Friedmar: Turbatverse. Ästhetik, Mystik und Politik bei Herta Müller. In: Akzente 4/1997, H.2, S. 113–135 Bary , Nicole: Grenze – Entgrenzung in Herta Müllers Prosaband „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“. In: Grenze und Entgrenzung. Études réunies par Nicole Bary u.a. Germanica 7/1990, S. 115–21 Bauer, Karin: Tabus der Wahrnehmung. Reflexion und Geschichte in Herta Müllers Prosa. In: German Studies Review 19/1996, H.2, S. 257–278 Bozzi, Paola: Langsame Heimkehr oder der Betrug der Dinge. Zu Affinitäten zwischen Herta Müller und Thomas Bernhard, Franz Innerhofer und Peter Handke. In: PhiNet 6/1998, S. 1–19 (URL: http://www.fu-berlin.de/phin/phin6/p6t1.htm.) Creutziger, Werner: Leidendes Land und politischer Weltschmerz. In: Neue Deutsche Literatur 4/1993, S. 139–142 Engler, Jürgen: Erfahrung leibhaft. In: Neue Deutsche Literatur 1/1995, S. 174–76 Eke, Norbert Otto: „Sein Leben machen/ ist nicht,/ sein Glück machen/ mein Herr“. Zum Verhältnis von Ästhetik und Politik in Herta Müllers Nachrichten aus Rumänien. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 41 (1997), S. 481–509 Focht, Matthias: Als wär es nie gewesen. In: Kulturpolitische Korrespondenz. Berichte, Meinungen, Dokumente. 30.12.1986, S. 16 Gargano, Antonella: Herta Müllers Poetik. In: Studi germanici 30/31 (1992/93), Nr. 86/91, S. 399–408 Hildebrandt, Walter: Leiden und Widerhall – die sarmatische Herausforderung Johannes Bobrowskis und Herta Müllers. In: Deutsche Studien 30/1993, H.119, S. 195–207 Hinck, Walter: Das mitgebrachte Land. Zur Verleihung des Kleist-Preises 1994 an Herta Müller. In: Sinn und Form 1/1995, S. 141–146 Janssen-Zimmermann, Antje: „Überall, wo man den Tod gesehen hat, ist man ein bißchen wie zuhaus.“ Schreiben nach Auschwitz. Zu einer Erzählung Herta Müllers. In: Literatur für Leser 4/1991, S. 237–249 Kuhnle, Till R.: La résistance des monades – „Herztier“ de Herta Müller. In: Germanica 17/1995, S. 25–38 Löw, Adrian: Schmetterling spielt Vespe. Herta Müllers „Niederungen“ – Kriterion 1982. In: Volk und Kultur, 3/1982, S. 32–33 Maier, Anja: Fremdelnde Dinge. Alltagsgegenstände in Herta Müllers „Der König verneigt sich und tötet“. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1/2007. Fremde Dinge. S. 53–60 Mohr, Peter: Barfüßiger Februar. In: Neue Deutsche Hefte 1/1988, S. 150–151 Motzan, Peter: Der lange Weg in die Bewährung. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 42/1990, H.2, S. 128–134 Neues auf dem Büchertisch. Herta Müller: Drückender Tango. Prosa. Kriterion. In: Volk und Kultur, 10/1984, S. 21 Schnetz, Wolf P.: Denkprosa bei H.M. In: Der Literat 33/1991, H. 10, S. 26–27 Von unseren Verlagen – für Sie. Herta Müller: Niederungen. Prosa. Kriterion. In: Volk und Kultur, 3/1982, S .29
302 Anhang Wichner, Ernest: Geschichte und Geschichten. Mit Herta Müller und Oskar Pastior auf RechercheReise in der Ukraine. In: Die Horen 3/2005, S. 135–138
Artikel in Sammelbänden/Sammelbände Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Herta Müller. Text + Kritik. Bd.155. München 2002 Bauer, Karin: Patterns of Consciousness and Cycles of Self-Destruction. Nation, Ethnicity, and Gender in Herta Müllers Prose. In: Gender and Germanness. Cultural Productions of Nation. Ed. by Patricia Herminghouse and Magda Mueller. Oxford 1997, S. 263–275 Bienek, Horst: Über Herta Müller und Richard Wagner. In: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 3/1989, S. 166–170 Eke, Norbert Otto (Hg.): Die erfundene Wahrnehmung. Annäherung an Herta Müller. Paderborn 1991 Götz, Dorothea: Vom Ende einer heilen Welt. In: Beiträge zur deutschen Literatur in Rumänien seit 1918. Hg. v. Anton Schwob. München 1985, S. 97–102 Günther, Petra: Kein Trost, nirgends. Zum Werk Herta Müllers. In: Baustelle Gegenwartsliteratur. Die neunziger Jahre. Hg. v. Andreas Erb. Opladen 1998, S. 154–166 Haberer, Brigitte: Herta Müller. In: Kindlers Neues Literaturlexikon. Hg. v. Walter Jens. Bd. 12: Mp-Pa. München 1991, S. 36f. Haines, Brigid (Ed.): Herta Müller. Cardiff 1998 Heinz, Franz: Kosmos und Banater Provinz. In: Beiträge zur deutschen Literatur in Rumänien seit 1918. Hg. v. Anton Schwob. München 1985, S. 103–112 Janz, Marlies: Doppeltes Sprachexil. Aus der Laudatio vom 26. Januar 1985. In: Der Bremer Literaturpreis 1954–1987. Reden der Preisträger und andere Texte. Eine Dokumentation der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung. Hg. v. Wolfgang Emmerich. Bremerhaven 1999, S. 327– 328 Kegelmann, René: „Der deutsche Frosch war der erste Diktator, den ich kannte.“ Vergangenheitsbewältigung, Nationalsozialismus und Totalitarismus im Werk Herta Müllers. In: Deutsche Literatur und das „Dritte Reich“. Vereinnahmung – Verstrickung – Ausgrenzung. Hg. v. Michael Markel und Peter Motzan. München 2003 Koehnen, Ralph (Hg.): Der Druck der Erfahrung treibt die Sprache in die Dichtung. Bildlichkeit in Texten Herta Müllers. Frankfurt a.M. 1997 Krauss, Hannes: Fremde Blicke. Zur Prosa von Herta Müller und Richard Wagner. In: Neue Generation – neues Erzählen. Hg. v. Walter Delabar u.a. Opladen 1993, S. 69–76 Lipiński, Krzysztof: Die Grenzlandschaft Banat bei Herta Müller. In: Literatur im Kulturgrenzraum. Bd. 3. Hg. v. Izabella Golec und Tadeusz Namowicz. Lublin 1997, S. 139–151 Melzer, Gerhard: Verkrallt in Aussichtslosigkeit. Eine rumänische Kindheit. Zu Herta Müller und ihrem Roman „Herztier“. In: Durch aubenteuer muess man wagen vil. Festschrift für Anton Schwob zum 60. Geburtstag. Hg. v. Wernfried Hofmeister und Bernd Steinbauer. Innsbruck 1997, S. 291–297 Ottmers, Clemens: Schreiben und Leben, „Der Teufel sitzt im Spiegel. Wie Wahrnehmung sich erfindet“ 1991. In: Poetik der Autoren. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt/M. 1994, S. 279–294
Literaturverzeichnisse 303 Pasewalck, Silke: Erinnerte Gewalt der Grenze – zu Herta Müllers Prosaband Barfüßiger Februar. In: Literatur Grenzen Erinnerungsräume. Erkundungen des deutsch-polnisch-baltischen Ostseeraums als einer Literaturlandschaft. Hg. v. Bernd Neumann, Dietmar Albrecht und Andrzej Talarczyk. Würzburg 2004, S. 357–368 Predoiu, Grazziella: Poetik des Schnittes. Zu einem Motivkomplex in den Texten Herta Müllers. In: Wer mag wohl die junge, schwarzäugige Dame seyn? Zuordnungsfragen, Darstellungsprinzipien, Bewertungskriterien der deutsch(sprachig)en Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa. Hg. v. Werner Biechele und András F. Balogh. Budapest 2002, S. 91–102 Reichrath, Emmerich (Hg.): Reflexe II. Aufsätze, Rezensionen und Interviews zur deutschen Literatur in Rumänien. Cluj-Napoca 1984 Solms, Wilhelm (Hg.): Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Zweites Marburger Literaturforum vom 8.-11.10.1989. Marburg 1990 Todorow, Almut: „Das Streunen der gelebten Zeit“. Emine Sevgi Özdamar, Herta Müller, Yoko Tawada. In: Migrationsliteratur. Schreibweisen einer interkulturellen Moderne. Hg. v. Klaus Schenk, Almut Todorow, MilanTvrdik. Tübingen 2004, S. 25–50 Willems, Gottfried: Herta Müller. In: Dem Erinnern eine Chance. Jenaer Poetik-Vorlesungen „Zur Beförderung der Humanität“ 1993/94. Hg. v. Edwin Kratschmer. Köln 1995, S. 105–106 Wittstock, Uwe: Herta Müller. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. v. Walther Killy. Bd.8. Gütersloh, München 1990, S. 272 Zierden, Josef: Herta Müller. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. Bd.6. München 1978ff.
Weitere Literatur Adorno, Theodor W.: Noten zur Literatur. 6. Aufl. Frankfurt a.M. 1989 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Hg. v. Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. 5. Aufl. Frankfurt a.M. 1995 Adorno, Theodor W. und Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. In: Gesammelte Schriften. Hg. v. Rolf Tiedemann. Unter Mitwirkung von Gretel Adorno. Bd. 3. Frankfurt a.M. 1997 Aescht, Georg: Kreation und Administration. Zur rumäniendeutschen Kurzprosa der Jahre 1962– 1973. In: Zeitschrift für siebenbürgische Landeskunde. H.2. 1989, S. 118–123 „Aktionsgruppe Banat“ – eine rumäniendeutsche Autorengruppe. In: Akzente 23. Jg. 6/1976, S. 534– 550 Apel, Friedmar: Deutscher Geist und deutsche Landschaft. Eine Topographie. München 1998 Aragon, Louis: Blanche oder Das Vergessen. Roman. Berlin 1972 Bachmann, Ingeborg: Werke. Hg. v. Christine Koschel, Inge von Weidenbaum und Clemens Münster. München/Zürich 51993 Balogh, András F.: Statt einer Einführung. Begriffsbildung zwischen zwei Nationalliteraturen. In: Wer mag wohl die junge, schwarzäugige Dame seyn? Zuordnungsfragen, Darstellungsprinzipien, Bewertungskriterien der deutsch(sprachig)en Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa. Hg. v. Werner Biechele und András F. Balogh. Budapest 2002, S. 9–13
304 Anhang Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2002 Behring, Eva: Rumänische Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Konstanz 1994 Bergel, Hans: Literaturgeschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Ein Überblick. 2. Aufl. Innsbruck 1988 Böhm, Johann: Die Deutschen in Rumänien und das Dritte Reich 1933–1940. Frankfurt a.M. 1999 Bosser, Rolf: Ich steh auf den Treppen des Winds. Gesammelte Gedichte. Hg. v. Gerhardt Csejka. Frankfurt a.M. 2006 Bozzi, Paola: Der fremde Blick. Zum Werk Herta Müllers. Würzburg 2005 Brautigan, Richard: Forellenfischen in Amerika. Roman. Berlin 1986 Celan, Paul: Gesammelte Werke in fünf Bänden. Bde.1–3. Frankfurt/M. 1986 Colin, Amy/Kittner, Alfred (Hg.): Versunkene Dichtung der Bukowina. Eine Anthologie deutschsprachiger Lyrik. München 1994 Compagne, Roxane: Fleischfressendes Leben. Von Fremdheit und Aussichtslosigkeit in Herta Müllers Barfüßiger Februar. Hamburg 2010 Csejka, Gerhardt: Der Weg zu den Rändern, der Weg der Minderheitenliteratur zu sich selbst. Siebenbürgisch-sächsische Vergangenheit und rumäniendeutsche Gegenwartsliteratur. In: Die siebenbürgisch-deutsche Literatur als Beispiel einer Regionalliteratur. Hg. v. Anton Schwob und Brigitte Tontsch. Köln u.a. 1993, S. 51–70 Deleuze, Gilles/Guattari, Felix: Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt a. M. 1976 Derrida, Jacques: Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits. Berlin 1987 Emmerich, Wolfgang: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig 1996 Emmerich, Wolfgang: Paul Celan. Reinbek b. Hamburg 1999 Engel, Walter: Schwerpunkte der Rezeption deutscher Literatur nach 1945 in Rumänien. In: Rumänisch-deutsche Interferenzen. Akten des Bukarester Kolloquiums über Literatur- und Geistesbeziehungen zwischen Rumänien und dem deutschen Sprachraum vom 13.-15.10.1983. Hg. v. Klaus Heitmann. Heidelberg 1986 Fassel, Horst: Die deutsche Literatur auf dem Gebiet des heutigen Rumänien. In: Deutschsprachige Literatur des Auslandes. Hg. v. Erwin Theodor Rosenthal. Bern, Frankfurt a. M., New York, Paris 1989, S. 137–170 Florstedt, Renate (Hg.): Wortreiche Landschaft. Deutsche Literatur aus Rumänien – Siebenbürgen, Banat, Bukowina. Ein Überblick vom 12. Jh. bis zur Gegenwart. Leipzig 1998 Freeman, Judi: Das Wort-Bild in Dada und Surrealismus. Mit einem Beitrag von John C. Welchman. München 1990 Fromm, Walter: Vom Gebrauchswert zur Besinnlichkeit. In: Die Woche. 26.01.1979 (Sibiu) Fromm, Walter: Die Entdeckung des Ichs. Rumäniendeutsche Gegenwartslyrik zwischen Engagement und Subjektivität. In: Kürbiskern. Nr.3/1983, S. 141–156 Gabanyi, Anneli Ute: Partei und Literatur in Rumänien seit 1945. München 1975 Goldschnigg, Dietmar (Hg.): Die Bukowina. Studien zu einer versunkenen Literaturlandschaft. 2. durchges. Aufl. Tübingen 1991 Grün, Sigrid: ‚Fremd in einzelnen Dingen‘. Fremdheit und Alterität bei Herta Müller. Stuttgart 2010 Haines, Brigid and Margaret Littler: Contemporary Women’s Writing in German: Changing the Subject. Oxford 2004
Literaturverzeichnisse 305 Hamacher, Werner (Hg.): Paul Celan. 3. Aufl. Frankfurt a.M. 1996 Haupt-Cucuiu, Herta: Eine Poesie der Sinne. Herta Müllers „Diskurs des Alleinseins“ und seine Wurzeln. Paderborn 1996 (Diss.) Haupt-Cucuiu, Herta: Mögliche oder Notwendige Erschließung deutschsprachiger Literatur(en) aus Ost- und Südosteuropa mit Hilfe sprachwissenschaftlicher Methoden. In: Wer mag wohl die junge, schwarzäugige Dame seyn? Zuordnungsfragen, Darstellungsprinzipien, Bewertungskriterien der deutsch(sprachig)en Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa. Hg. v. Werner Biechele und András F. Balogh. Budapest 2002, S. 47–52 Heitmann, Klaus: Das Rumänenbild im deutschen Sprachraum. 1775–1918. Eine imagologische Studie. Köln 1985 Helbig, Louis Ferdinand: Der ungeheure Verlust. Flucht und Vertreibung in der deutschsprachigen Belletristik der Nachkriegszeit. Dritte, erg. Aufl. Wiesbaden 1996 Herta Müller. Der kalte Schmuck des Lebens. Nr. 2/2010 der HEFTE zu Ausstellungen im Literaturhaus München. Hg. v. Reinhard G. Wittmann. Erarbeitet von Ernest Wichner und Lutz Dittrich. München 2010 Herzog, Andreas: ,Transkulturalität’ als Perspektive der Geschichtsschreibung deutschsprachiger Literatur. In: Wer mag wohl die junge, schwarzäugige Dame seyn? Zuordnungsfragen, Darstellungsprinzipien, Bewertungskriterien der deutsch(sprachig)en Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa. Hg. v. Werner Biechele und András F. Balogh. Budapest 2002, S. 23–35 Hofmannsthal, Hugo von: Blicke. Essays. Leipzig 1987 Innerhofer, Franz: Schöne Tage. Weimar 1977 Jandl, Ernst: Poetische Werke. München 1997 Jerofejew, Wenedikt: Die Reise nach Petuschki. Ein Poem. München 72000 Johannsen, Anja K.: Kisten, Krypten, Labyrinthe. Raumfigurationen in der Gegenwartsliteratur. W.G. Sebald, Anne Duden, Herta Müller. Bielefeld 2008 Kafka, Franz: Gesammelte Werke in acht Bänden. Hg. v. Max Brod. Frankfurt/M. 1994 Kegelmann, René: An den Grenzen des Nichts, dieser Sprache... Zur Situation rumäniendeutscher Literatur der 80er Jahre in der BRD. Bielefeld 1995 (Diss.) Kolar, Othmar: Rumänien und seine nationalen Minderheiten 1918 bis heute. Wien 1997 Krause, Thomas: „Die Fremde rast durchs Gehirn, das Nichts...“. Deutschlandbilder in den Texten der Banater Autorengruppe (1969–1991). Frankfurt a.M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1998 (Diss.) Krefeld, Thomas: Angewandte Lyrik. Schreiben zwischen den Vaterländern. Begegnungen mit einigen Autoren der rumäniendeutschen Gegenwartslyrik. In: das Nachtcafé. Zs. für Literatur, Kunst und Kritik. 7. Jg., Nr. 18, Sommer 1981, S. 43–48 Kunert, Günter: Deutsch-deutsches Exil. In: Aus fremder Heimat. Zur Exil-Situation heutiger Literatur. Hg. v. Günter Kunert. München 1988, S. 100–112 Kunze, Thomas: Nicolae Ceauşescu. Eine Biographie. Berlin 2000 Kunst und Postkarte. Sonderausstellung 25. Juni bis 20. September 1970 Altonaer Museum in Hamburg. (Katalogbearbeitung: Gerhard Kaufmann, Manfred Meinz) Hamburg 1970 Kurz, Gerhard: Metapher, Allegorie, Symbol. 3., bibliograph. erg. Aufl. Göttingen 1993
306 Anhang Lichtmann, Tamás (Hg.): Nicht (aus, in, über, von) Österreich. Zur österreichischen Literatur, zu Celan, Bachmann, Bernhard und anderen. Frankfurt a. M., Bern 1995 Lobsien, Eckhard: Wörtlichkeit und Wiederholung. Phänomenologie poetischer Sprache. München 1995 Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. München 31989 Lukács, Georg: Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Form der großen Epik. Frankfurt/M. 1991 Manthey, Jürgen: Wenn Blicke zeugen könnten. Eine psychohistorische Studie über das Sehen in Literatur und Philosophie. München/Wien 1984 Markel, Kurt: Das deutschsprachige literarische Leben im Rumänien der Nachkriegszeit (1944–1989). Ein essayistischer Arbeitsbericht. In: Wer mag wohl die junge, schwarzäugige Dame seyn? Zuordnungsfragen, Darstellungsprinzipien, Bewertungskriterien der deutsch(sprachig)en Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa. Hg. v. Werner Biechele und András F. Balogh. Budapest 2002, S. 61–67 Marquardt, Eva: Wortwörtlich. Formen der Wiederholung im Werk Thomas Bernhards. In: Dasselbe noch einmal: Die Ästhetik der Wiederholung. Hg. v. Carola Hilmes und Dietrich Mathy. Opladen, Wiesbaden 1998, S. 229–243 Marven, Lyn: Body and Narrative in Contemporary Literatures in German. Herta Müller, Libuše Moníková and Kerstin Hensel. Oxford 2005 Mergenthaler, Volker: Sehen schreiben – Schreiben sehen. Literarische und visuelle Wahrnehmung im Zusammenspiel. Tübingen 2002 Motzan, Peter (Hg.): Ein halbes Semester Sommer. Moderne rumäniendeutsche Prosa. Berlin 1981 Motzan, Peter: Spuren einer Schrittmacherin. Bockig unverblümt, versteinert verzweifelt: Anemone Latzina. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.03.1992 Motzan, Peter/Sienerth, Stefan (Hg.): Worte als Gefahr und Gefährdung. Fünf deutsche Schriftsteller vor Gericht. (15.09.1959- Kronstadt, Rumänien). Zusammenhänge und Hintergründe, Selbstzeugnisse und Dokumente. München 1993 Motzan, Peter/Sienerth, Stefan (Hg.): Die deutschen Regionalliteraturen in Rumänien (1918–1944). München 1997 Nadeau, Maurice: Geschichte des Surrealismus. Reinbek bei Hamburg 1992 Naumann, Dietrich: Semantisches Rauschen. Wiederholungen in Adalbert Stifters Roman „Witiko“. In: Dasselbe noch einmal: Die Ästhetik der Wiederholung. Hg. v. Carola Hilmes und Dietrich Mathy. Opladen, Wiesbaden 1998, S. 82–108 Niederkopf, Harald: Vor 20 Jahren. Prozeß gegen deutsche Schriftsteller in Rumänien. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 28/1979, H. 1, S. 71–75 Nubert, Roxana: Rumäniendeutsche Literatur in der Zeit der Diktatur. Mit besonderer Berücksichtigung der frühen siebziger Jahre. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. Nr. 13/ 2002 (URL: http://www.inst.at/trans/13Nr/nubert13.htm.) Oliveira, Claire de: La poésie allemande de Roumanie. Entre hétéronomie et dissidence (1944–1990). Bern, Berlin, Frankfurt a.M., New York, Paris, Wien 1995 Pastior, Oskar: Jalousien aufgemacht. Ein Lesebuch. Hg. v. Klaus Ramm. München 1987 Patrut, Iulia-Karin: Schwarze Schwester – Teufelsjunge. Ethnizität und Geschlecht bei Paul Celan und Herta Müller. Köln, Weimar, Wien 2006 (Diss.)
Literaturverzeichnisse 307 Patzer, Georg: Richard Brautigan. In: Kritisches Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. München 1983 ff. Petri, Anton Peter: Biographisches Lexikon des Banater Deutschtums. Marquartstein 1992 Predoiu, Grazziella: Faszination und Provokation bei Herta Müller. Eine thematische und motivische Auseinandersetzung. Frankfurt a. M. 2001 Rüb, Matthias: Königin der Insel. Lyrikerin Anemone Latzina gestorben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.11.1993 Rumäniendeutsche Gedichte und Prosa. Herta Müller, Gerhardt Csejka, Helmuth Frauendorfer, Klaus Hensel, Johann Lippert, Werner Söllner, William Totok, Richard Wagner. Jahrbuch der HenningKaufmann-Stiftung zur Pflege der Reinheit der Deutschen Sprache 1989. Marburg 1994 Saussure, Ferdinand de: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin 21967 Schau, Astrid: Leben ohne Grund. Konstruktion kultureller Identität bei Werner Söllner, Rolf Bossert und Herta Müller. Bielefeld 2003 (Diss.) Scherer, Anton: Die nicht sterben wollten. Donauschwäbische Literatur von Lenau bis zur Gegenwart. Ein Buch vom Leben der Deutschen und ihrer Nachbarn in Südosteuropa. 2. Aufl. Graz 1985 (Fotomechanischer Nachdruck der ersten in Freilassing in Bayern 1959 erschienenen Auflage) Scherg, Georg: Zum Verständnis und Selbstverständnis des zeitgenössischen rumäniendeutschen Romans. In: Forschungen zur Volks- und Landeskunde 22/1979, S. 107–114 Schlesak, Dieter: Sprachwaage, Wortwaage, Heimatwaage Exil. Chancen des Verlustes auf rumäniendeutsch. In: Die Horen 32/1987, H.3, S. 183–195 Schmidt, Thomas: Kalender und Gedächtnis. Erinnern im Rhythmus der Zeit. Göttingen 2000 Schmitz-Emans, Monika: Die Sprache der modernen Dichtung. München 1997 Schneider, Wilhelm: Die auslanddeutsche Dichtung unserer Zeit. Berlin 1936 Schnell, Ralf: Die Literatur der Bundesrepublik. Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb. Stuttgart 1986 Schuster, Diana: Selbstdarstellung und ästhetisches Programm der „Aktionsgruppe Banat“ von 1968 bis 1987. In: Wer mag wohl die junge, schwarzäugige Dame seyn? Zuordnungsfragen, Darstellungsprinzipien, Bewertungskriterien der deutsch(sprachig)en Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa. Hg. v. Werner Biechele und András F. Balogh. Budapest 2002, S. 79–90 Schwob, Anton (Hg.): Die deutsche Literaturgeschichte Ostmittel- und Südosteuropas von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute. Forschungsschwerpunkte und Defizite. München 1992 Schwob, Anton (Hg.): Methodologische und literarhistorische Studien zur deutschen Literatur Ostmittel- und Südosteuropas. München 1994 Schwob, Anton/Tontsch, Brigitte (Hg.): Die siebenbürgisch-deutsche Literatur als Beispiel einer Regionalliteratur. Köln, Weimar , Wien 1993 Seel, Martin: Ästhetik des Erscheinens. Frankfurt a.M. 2003 Senz, Ingomar: Die Donauschwaben. Bd. 5 der Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat. München 1994 750 rumänische Sprichwörter. Ins Deutsche übertragen von Jona Gruber. Bukarest 1973 Sienerth, Stefan: Zweisprachigkeit als Randphänomen. Siebenbürgisch-deutsche Autoren im Umgang mit dem Rumänischen. In: Neue Literatur, Neue Folge (1995), H.3/4, S. 171–186
308 Anhang Sill, Oliver: Gehen. Herta Müller: „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“. (1986); „Dornröschen“ in der Fassung der Brüder Grimm. In: Oliver Sill: Der Kreis des Lesens. Eine Wanderung durch die europäische Moderne. Bielefeld 2001, S. 133–165. Solms, Wilhelm: Vorwort. In: Dichtung und Heimat. Sieben Autoren unterlaufen ein Thema. Hg. v. Wilhelm Solms. Marburg 1990, S. 9–20 Spiridon, Olivia: Untersuchungen zur rumäniendeutschen Erzählliteratur der Nachkriegszeit. Oldenburg 2002 (Diss.) Spiridon, Olivia: Die Wandlung des Autorenselbstverständnisses in der rumäniendeutschen Erzählliteratur der Nachkriegszeit. In: Wer mag wohl die junge, schwarzäugige Dame seyn? Zuordnungsfragen, Darstellungsprinzipien, Bewertungskriterien der deutsch(sprachig)en Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa. Hg. v. Werner Biechele und András F. Balogh. Budapest 2002, S. 68–78 Stiehler, Heinrich: Deutschsprachige Dichtung Rumäniens. Zwischen Utopie und Idylle. In: Akzente. 21.Jg. 1/1974, S. 21–37 Stiehler, Heinrich: Paul Celan, Oscar Walter Cisek und die deutschsprachige Gegenwartsliteratur Rumäniens. Ansätze zu einer vergleichenden Literatursoziologie. Frankfurt a. M., Bern 1979 (Diss.) Totok, William: Die Zwänge der Erinnerung. Aufzeichnungen aus Rumänien. Hamburg 1988 Totok, William: Keine Chance für kritische Literatur. Latenter Konflikt zwischen nonkonformistischen Autoren und dem rumänischen Regime. In: die tageszeitung, 26.05.1987 Tudorică, Cristina: Rumäniendeutsche Literatur 1970–1990. Die letzte Epoche einer Minderheitenliteratur. Tübingen 1997 (Diss.) Wagner, Richard: Ausreiseantrag. Eine Erzählung. Darmstadt 1988 Wagner, Richard: Begrüßungsgeld. Eine Erzählung. Darmstadt 1989 Waldman, Diane: Collage und Objektkunst vom Kubismus bis heute. Köln 1993 Waitz, Balthasar: „1984“ in Temeswar, Rumänien. Seiten einer (durch die Revolution) geöffneten Akte. Der Protestbrief der sieben deutschen Autoren in Temeswar. In: Neue Literatur 41/1990, H. 1/2, S. 174–178 Warner, Ann-Kathrin: Die Stirnlocke sieht. Bilder einer totalitären Gesellschaft im Werk von Herta Müller. München 2011 Wichner, Ernest (Hg.): Das Wohnen ist kein Ort. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat – und den Gegenden versuchter Ankunft. In memoriam Rolf Bossert. Die Horen 32/1987, H.3. Bremen 1987 Wichner, Ernest (Hg.): Ein Pronomen ist verhaftet worden. Die frühen Jahre in Rumänien. Texte der Aktionsgruppe Banat. Frankfurt a. M. 1991 Wichner, Ernest (Hg.): Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Leipzig 1993 Willems, Gottfried: Großstadt- und Bewußtseinspoesie. Über Realismus in der modernen Lyrik, insbesondere im lyrischen Spätwerk Gottfried Benns und in der deutschen Lyrik seit 1965. Tübingen 1981 Willems, Gottfried: Anschaulichkeit. Zu Theorie und Geschichte der Wort-Bild-Beziehungen und des literarischen Darstellungsstils. Tübingen 1989 Wittstock, Joachim: Die Neue Schuldlosigkeit. Bemerkungen zur rumäniendeutschen Literatur unserer Zeit. In: Unerkannt und (un)bekannt. Deutsche Literatur in Mittel- und Osteuropa. Hg. v. Carola L. Gottzmann. Tübingen 1991, S. 261–280
Literaturverzeichnisse 309
Chronologisches Verzeichnis der Publikationen Herta Müllers 1969 Unsere Namenecke. In: Neue Banater Zeitung, 05.12.1969, S. 6 1970 Dämmerungseile. In: Neue Banater Zeitung, 27.02.1970, S. 6 Abschied. In: Neue Banater Zeitung, 19.06.1970, S. 6 Herbstlicher Vorschnee. In: Neue Banater Zeitung, 02.10.1970 Am Schwengelbrunnen. In: Neue Banater Zeitung, 20.11.1970, S. 6 1971 „Modern ist Zeitprodukt“. In: Neue Banater Zeitung, 08.01.1971 Deine Ankunft. In: Neue Banater Zeitung, 19.02.1971, S. 8 GEDANKEN. In: Neue Banater Zeitung, 19.02.1971, S. 8 OHNE DICH. In: Neue Banater Zeitung, 19.02.1971, S. 8 So sind wir das, was wir sind. In: Neue Literatur, 2/1971, S. 47 „Ich quälte meine Füllfeder...“. In: Neue Banater Zeitung, 30.04.1971, S. 6 1972 Lass dich. In: Neue Banater Zeitung, 14.01.1972, S. 6 Der Duft des Waldes. In: Neue Banater Zeitung, 16.03.1972 Wenn ihr vergesst. In: Neue Banater Zeitung, 16.03.1972 Schleier der Zeit. In: Neue Banater Zeitung, 27.04.1972, S. 5 Das Gras blieb stumm. In: Neue Banater Zeitung, 15.06.1972, S. 5 „Gedämpft“. In: Neue Banater Zeitung, 12.10.1972, S. 5 Gegen Vorurteile. In: Neue Banater Zeitung, 12.10.1972, S. 5 Besprechung. In: Neue Banater Zeitung, 12.11.1972, S. 4/5 Am Schwengelbrunnen. In: Wortmeldungen. Eine Anthologie junger Lyrik aus dem Banat. Hg. v. Eduard Schneider. Temeswar 1972, S. 53 Legende. In: Wortmeldungen. Eine Anthologie junger Lyrik aus dem Banat. Hg. v. Eduard Schneider. Temeswar 1972, S. 89 1973 Das gehört dazu. In: Neue Banater Zeitung, 25.11.1973 1974 Brief von/an Doppelgänger. In: Neue Banater Zeitung, 20.01.1974, S. 4 Ich wäre nie daraufgekommen. In: Neue Banater Zeitung, 20.01.1974, S. 4 1976 Woher. In: Neue Banater Zeitung, 04.03.1976, S. 2/3 (als Hertha Müller-Karl) Verhindert. In: Neue Banater Zeitung, 04.03.1976, S. 2/3 (als Hertha Müller-Karl)
310 Anhang Niemals. In: Neue Banater Zeitung, 04.03.1976, S. 2/3 (als Hertha Müller-Karl) „Ich halte mich für eine bejahende Natur.“ Gespräch einer Temeswarer Studentin mit dem Dichter Wolf Aichelburg in Sibiu. In: Neue Banater Zeitung, 01.07.1976, S. 2/3 (als Hertha Karl-Müller) Täglich. In: Volk und Kultur, 8/1976, S. 39 Und auch andere. In: Volk und Kultur, 8/1976, S. 39 Allerweltpronomen. In: Volk und Kultur, 8/1976, S. 39 Woher. In: Volk und Kultur, 8/1976, S. 39 Der Reihe nah [!]. In: Volk und Kultur, 8/1976, S. 39 Sensibilität und ethisches Bewusstsein. Zu dem Gedichtband „Flussgebet und Gräserspiel“ von Ilse Hehn. In: Neue Banater Zeitung, 14.12.1976 (als Herta Müller-Karl) 1978 Die Strassenkehrer. In: Echinox, Nr. 8 – 9/1978, S. 25 (als Hertha Karl) Irrlicht im Schnee. In: Neue Banater Zeitung, 21.12.1978, S. 2/3 Im Dezember. In: Neue Banater Zeitung, 31.12.1978, S. 4/5 1979 Damals im Mai. In: Neue Literatur, 5/1979, S. 15–16 Abziehbild. In: Neue Literatur, 5/1979, S. 16–18 Der Mann mit der Zündholzschachtel. In: Neue Literatur, 5/1979, S. 19–20 Die Mäuse. In: Neue Literatur, 5/1979, S. 20–22 Die Lebenslinie (I). In: Neue Literatur, 5/1979, S. 22–23 Seitengassen. In: Neue Literatur, 5/1979, S. 23–24 Die Strassenkehrer. In: Neue Literatur, 5/1979, S. 24–25 Mutter, Vater und der Kleine. In: Karpatenrundschau, 26.10.1979, S. 4/5 Meine Familie. In: Neue Banater Zeitung, 29.11.1979, S. 2/3 Der schwarze Kutsche [!]. In: Neue Literatur, 12/1979, S. 6–10 Heini. In: Neue Literatur, 12/1979, S. 10–13 Grossmutters Schlaf. In: Neue Literatur, 12/1979, S. 13–19 Irrlicht im Schnee. In: Im Brennpunkt stehn. Lesebuch mit Beiträgen der jungen und jüngsten Mitglieder des Temeswarer Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Temeswar 1979, S. 94–97 1980 Schwarzer Park. In: Neue Banater Zeitung, 28.02.1980, S. 2/3 Der deutsche Scheitel und der deutsche Schnurrbart. In: Neue Literatur, 6/1980, S. 5–6 Die Grabrede. In: Neue Literatur, 6/1980, S. 6–9 Meine Familie. In: Neue Literatur, 6/1980, S. 10–11 Die Frösche. In: Neue Literatur, 6/1980, S. 11–13 Der Überlandbus. In: Neue Literatur, 6/1980, S. 13–15 Das Blockkomitee. In: Neue Literatur, 6/1980, S. 15–18 Comitetul de bloc. In: Transilvania, 7/1980, S. 29–30
Literaturverzeichnisse 311 Arbeitstag. In: Neue Banater Zeitung, 16.10.1980, S. 2/3 Die Katze im Bohnenfeld. In: Neue Banater Zeitung, 31.12.1980, S. 4/5 Dorfchronik. In: Neue Literatur, 12/ 1980, S. 20–27 1981 Das Lied vom Marschieren. In: Echinox, Nr. 1 – 2 – 3/ 1981, S. 24 Das schwäbische Bad. In: Neue Banater Zeitung, 24.05.1981, S. 2/3 Die Meinung. In: Karpatenrundschau, 05.06.1981, S. 4/5 Dankrede. In: Neue Banater Zeitung, 07.06.1981, S. 2/3 Părerea. In: Transilvania, 7/1981, S. 32–33 Dorfchronik. In: Das Nachtcafé. Zs. für Literatur, Kunst und Kritik. 7. Jg., Nr. 18, Sommer 1981, S. 69–73 Gerda und Gerhard Greger. In: Neue Literatur, 9/1981, S. 23–26 Inge. In: Neue Literatur, 9/1981, S. 26–30 Schulbankgesicht. In: Neue Literatur, 12/1981, S. 9–10 Möbelstücke. In: Neue Literatur, 12/1981, S. 10–13 1982 Der feste Platz. In: Karpatenrundschau, 26.02.1982, S. 4/5 Schwarzer Park. In: Volk und Kultur, 3/1982, S. 32 Die Taschenuhr. In: Die Woche, 09.04.1982, S. 5 Der Hakenmann. In: Neue Literatur, 6/1982, S. 45–46 Die Taschenuhr. In: Neue Literatur, 6/1982, S. 46 Der Regen. In: Neue Literatur, 6/1982, S. 47 In einem tiefen Sommer (I). In: Neue Literatur, 6/1982, S. 48–52 Das Licht, das aus den Bäumen fällt. In: Neue Literatur, 6/ 1982, S. 52 Die andren Augen. In: Neue Banater Zeitung, 08.12.1982 Wer seinen Teller nicht leer isst. In: Neue Banater Zeitung, 31.12.1982 Niederungen. Prosa. Bukarest 1982 Niederungen. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 5–78 Der Mann mit der Zündholzschachtel. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 79–81 Die Grabrede. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 82–85 Der deutsche Scheitel und der deutsche Schnurrbart. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 86–87 Das schwäbische Bad. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 88 Meine Familie. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 89–90 Dorfchronik. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 91–99 Der Überlandbus. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 100–103 Die Straßenkehrer. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 104 Die Meinung. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 105–107 Mutter, Vater und der Kleine. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 108–110 Damals im Mai. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 111–113 Schwarzer Park. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 114–115
312 Anhang Inge. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 116–120 Herr Wultschmann. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 121 Arbeitstag. In: Niederungen. Prosa. Bukarest 1982, S. 125 Schulbankgesicht. In: Pflastersteine. Jahrbuch des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Nikolaus Berwanger, Eduard Schneider, Horst Samson. Temeswar 1982, S. 117–119 Möbelstücke. In: Pflastersteine. Jahrbuch des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Nikolaus Berwanger, Eduard Schneider, Horst Samson. Temeswar 1982, S. 119–122 Der Fernsehsprecher. In: Pflastersteine. Jahrbuch des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Nikolaus Berwanger, Eduard Schneider, Horst Samson. Temeswar 1982, S. 122–123 Unsere Stadt. In: Pflastersteine. Jahrbuch des Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“. Hg. v. Nikolaus Berwanger, Eduard Schneider, Horst Samson. Temeswar 1982, S. 123–125 1983 Dreihundertneunundneunzig Jahre. In: Neue Banater Zeitung, 06.03.1983, S. 2/3 Drückender Tango. In: Neue Literatur, 3/1983, S. 3–6 Die Stromuhr. In: Neue Literatur, 3/1983, S. 6–7 Wer seinen Teller nicht leer ißt. In: Neue Literatur, 3/1983, S. 7–8 Das Fenster. In: Neue Literatur, 3/1983, S. 8–10 Dreihundertneunundneunzig Jahre. In: Neue Literatur, 3/1983, S. 10–12 Cine nu-şi goleşte farfuria. In: Transilvania, 7/1983, S. 29 În ziua aceea. In: Transilvania, 7/1983, S. 29–30 Coarnele de cerb. In: Transilvania, 7/1983, S. 30 Rote Milch. In: Neue Literatur, 8/1983, S. 7–9 Aufgewühlte Erde. In: Neue Literatur, 8/1983, S. 9–11 Wenn ich den Fuß beweg. In: Neue Literatur, 8/1983, S. 11–13 Eidechsen. In: Neue Literatur, 8/1983, S. 13–14 Die Schachtel der Einsamkeit. In: Neue Literatur, 8/1983, S. 14–15 Faule Birnen. In: Neue Literatur, 8/1983, S. 15–20 [Fehldruck] 1984 Schwarzer Park. In: Die Woche, 06.01.1984, S. 5 Pferdeköpfe. In: Neue Literatur, 2/1984, S. 3–4 Drosselnacht. In: Neue Literatur, 2/1984, S.4–8 Die kleine Utopie vom Tod. In: Neue Literatur, 2/1984, S. 8–14 Der Wolf im Berg. In: Neue Literatur, 2/1984, S. 14–15 Die große schwarze Achse. Erzählung. In: Neue Literatur, 9/1984, S. 3–13 Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984 Heide. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 5–6 Pferdeköpfe. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 6–8 Aufgewühlte Erde. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 8–11 Schwarze Tücher. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 11 Drosselnacht. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 12–16
Literaturverzeichnisse 313 Der Wolf im Berg. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 16–17 Faule Birnen. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 17–23 Die Schachtel der Einsamkeit. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 23–24 Die Stromuhr. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 24–26 Malven über leeren Straßen. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest, 1984, S. 26–27 Das Fenster. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 27–29 Rote Milch. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 29–32 Wer seinen Teller nicht leer ißt. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 32–33 Die andren Augen. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 33–34 Die kleine Utopie vom Tod. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 34–41 Der Hakenmann. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 41–43 Die Lebenslinie (II). In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 43–44 Die Taschenuhr. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 44–45 Dreihundertneunundneunzig Jahre. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 45–48 Das Lied vom Marschieren. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. S. 48–49 Drückender Tango. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 49–53 Wenn ich den Fuß beweg. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 53–55 Es ist Sonntag. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 55–56 Schulbankgesicht. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 56–58 Der Regen. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 58–59 Möbelstücke. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 59–62 An diesem Tag. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 62–63 Eine Arbeit. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 63–64 Sie. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 64–66 Meine Finger. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 67–68 Das Licht, das aus den Bäumen fällt. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 68–69 Herr Eugen. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 69–70 Der feste Platz. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 70–71 In einem tiefen Sommer (II). In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 71 Das Geweih. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 71–73 Haar. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 73–74 Das kalte Lied. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 74–78 Eidechsen. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 78–79 Bleiben zum Gehen. In: Drückender Tango. Prosa. Bukarest 1984, S. 79 Niederungen. Berlin 1984 Die Grabrede. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 7–12 Das schwäbische Bad. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 13–14 Meine Familie. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 15–16 Niederungen. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 17–94 Faule Birnen. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 95–103 Drückender Tango. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 104–108 Das Fenster. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 109–112
314 Anhang Der Mann mit der Zündholzschachtel. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 113–115 Dorfchronik. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 116–128 Der deutsche Scheitel und der deutsche Schnurrbart. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 129–131 Der Überlandbus. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 132–134 Mutter, Vater und der Kleine. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 135–137 Die Straßenkehrer. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 138–139 Schwarzer Park. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 140–141 Arbeitstag. In: Niederungen. Berlin 1984, S. 142 Das Geweih. In: Die Woche, 07.09.1984, S. 5 Schwarze Tücher. In: Neue Banater Zeitung, 09.09.1984, S. 2/3 1985 Matthias. In: Neue Literatur, 8/1985, S. 21–41 Die Grabrede. In: Tintenfisch 24. Jb. für Literatur. Hg. v. Michael Krüger und Klaus Wagenbach. 1985, S. 27–30 1986 Wenn ich mich tragen könnte. In: Die Zeit, 2.-3. Januar 1986, S. 38 Maramuresch. In: ZEIT. Magazin, 28.03.1986, S. 39–52 Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt. Roman. Berlin 1986 Dorfchronik. In: Kulturpolitische Korrespondenz, 30.12.1986, S. 17–20 1987 Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987 Barfüßiger Februar. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 5 Die große schwarze Achse. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 6–23 Über den Kopf der Weinreben. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 24–25 Drosselnacht. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 26–32 An diesem Tag. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 33–34 Die kleine Utopie vom Tod. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 35–43 Diktator oder Hund. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 44 Das Lied vom Marschieren. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 45–47 Wenn ich mich tragen könnte. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 48–49 Viele Räume sind unter der Haut. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 50–74 Der Tau auf den Depots. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 75–76 Meine Finger. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 77–79 Damit du nie ins Herz der Welt gerissen wirst. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 80–81 Wenn ich den Fuß beweg. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 82–84 Das Geweih. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 85–87 Der kalte Schmuck des Lebens. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 88–89 Fressender Schuh. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 90 Die Taschenuhr. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 91
Literaturverzeichnisse 315 Die Tote vom Armenfriedhof. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 92 Mein Herz fliegt durch die Wange. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 93–94 Eidechsen. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 95 Im Sommer wächst das Holz. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 96–98 Kalte Bügeleisen. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 99 In einem tiefen Sommer (II). In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 100 Überall wo man den Tod gesehen hat. Eine Sommerreise in die Maramuresch. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 101–121 Bleiben zum Gehn. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 122 Mein Schlagabtausch, mein Minderheitendeutsch. In: Barfüßiger Februar. Prosa. Berlin 1987, S. 123–124 Auch das ist Schuld: das Hoffen ohne Grund. In: Die Zeit, 26.06.1987, S. 51 Perestroika und Hosenträger. „Rotes, schönes Rußland“ in der Mode. In: die tageszeitung, 08.10.1987 Rausschmisse und Entlassungen. Der rumänische Boß mehrt sein rechtmäßig erworbenes Eigentum [zusammen mit Ernest Wichner]. In: die tageszeitung, 08.10.1987 1988 Wer nur Luft berührt, macht keine Reise. In: Aus fremder Heimat. Zur Exil-Situation heutiger Literatur. Hg. v. Günter Kunert. München 1988, S. 80 Pfirsiche der Greise. In: Aus fremder Heimat. Zur Exil-Situation heutiger Literatur. Hg. v. Günter Kunert. München 1988, S. 81 War so leblos wie ein roter Schal. In: Aus fremder Heimat. Zur Exil-Situation heutiger Literatur. Hg. v. Günter Kunert. München 1988, S. 81–82 Quere. In: Aus fremder Heimat. Zur Exil-Situation heutiger Literatur. Hg. v. Günter Kunert. München 1988, S. 82 Irene. Aus einem Roman. In: Jahresring. 88–89. Jahrbuch für Kunst und Literatur. (Stuttgart) 1988, S. 153–155 Tod oder Knast oder Kinder. In: die tageszeitung, 15.08.1988 1989 Reisende auf einem Bein. Berlin 1989 Schießt nicht! An die Armee! An die Polizei! An die SECURITATE! Aufruf rumäniendeutscher Exilschriftsteller [zus. m. G. Csejka, H. Frauendorfer, K. Hensel, J. Lippet, W. Söllner, W. Totok, R. Wagner, E. Wichner]. In: die tageszeitung, 20.12.1989 Der Preis des Tötens. Rumänien – Massaker und Tribunale. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.12.1989, S. 23 1990 Heide. (Zensierte Texte für NL 2/1984). In: Neue Literatur, 1–2/1990, S. 137–138 Zwischen den Häusern ist nichts. Paralipomena aus „Niederungen“. In: Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Hg. v. Wilhelm Solms. Marburg 1990, S. 67–76 Lügen haben kurze Beine – die Wahrheit hat keine. Das wahre Engagement in der Fälschung. In: Die Zeit, 20.07.1990, S. 39–40
316 Anhang Kinder der Furcht. In: ZEIT.Magazin, Nr. 28, 06.07.1990 Tierliebe und Gottesfurcht. In: Der Spiegel, Nr.38 vom 17.09.1990, S. 261–265 Heimat oder der Betrug der Dinge. In: Dichtung und Heimat. Sieben Autoren unterlaufen ein Thema. Hg. v. Wilhelm Solms. Marburg 1990, S. 69–83 1991 Der Staub ist blind – die Sonne ein Krüppel. Beleidigt, verfolgt und ins Elend gestoßen. Zur Lage der Zigeuner in Rumänien. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.05.1991 Der Teufel sitzt im Spiegel. Wie Wahrnehmung sich erfindet. Berlin 1991 Wie Wahrnehmung sich erfindet. Paderborner Universitätsreden 20. Hg. v. Rektorat der Universität-GH Paderborn. Paderborn 1991 Wie Wahrnehmung sich erfindet. Poetische Überlegungen zum Prozeß des Schreibens. In: Frankfurter Rundschau, 11.05.1991, S. ZB 2 1992 Ahnungen sehen Tatsachen blind. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.12.1991, S. 2 Avram. In: Neue Literatur, N.F. 1/1992, S. 62–71 Eine warme Kartoffel ist ein warmes Bett. Hamburg 1992 Der Fuchs war damals schon der Jäger. Roman. Reinbek bei Hamburg 1992 Schmeckt das Rattengift? Von der Hinterhältigkeit der Güte zur Beweglichkeit des Hasses. Eine Momentaufnahme aus dem wiedervereinigten Deutschland. In: Frankfurter Rundschau, 31.10.1992 Wie Wahrnehmung sich erfindet. In: Tendenz Freisprache. Texte zu einer Poetik der achtziger Jahre. Hg. v. Ulrich Janetzki und Wolfgang Roth. Frankfurt a.M. 1992, S. 136–142 Die Tage werden weitergehen. Nur eine militärische Intervention könnte die serbische Aggression stoppen. In: die tageszeitung, 08.09.1992 Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. In: Kursbuch, Dezember 1992, H.110. 1992, S. 25–34 1993 Noch erschrickt mein Herz. In: „Berlin – tolerant und weltoffen“. 4. Gesprächsforum vom 17. April 1993 mit Herta Müller. Hg. von der Ausländerbeauftragten des Senats. Berlin 1993, S. 5–19 Noch erschrickt unser Herz. In: Über Deutschland. Schriftsteller geben Auskunft. Hg. v. Thomas Rietzschel. Leipzig 1993, S. 120–141 Staatskinder und Landeskinder. In: Frankfurter Rundschau, 22.05.1993, S. ZB 2 Das Land am Nebentisch. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 17–19 Die Grabrede. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 68–72 Die Straßenkehrer. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 114–115 Im Sommer wächst das Holz. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 122–124
Literaturverzeichnisse 317 Der ganze Name und ein halber Satz. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 126–131 Mein Herz fliegt durch die Wange. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 141–143 Die Tote vom Armenfriedhof. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 143 Barfüßiger Februar. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S.144 Wer nur Luft berührt, macht keine Reise. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 144–145 Bleiben zum Gehn. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 171 Mein Schlagabtausch, mein Minderheitendeutsch. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 171–172 Schon hell das Nachtgewirr. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 198–199 Der Mann, der nicht gegessen hat. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 203 Holunder wie zum Einschließen. In: Das Land am Nebentisch. Texte und Zeichen aus Siebenbürgen, dem Banat und den Orten versuchter Ankunft. Hg. v. Ernest Wichner. Leipzig 1993, S. 204–205 1994 Angekommen wie nicht da. Lichtenfels 1994 Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. In: Literarisches aus erster Hand – 10 Jahre Paderborner Gast-Dozentur für Schriftsteller. Hg. v. Hartmut Steinecke. Paderborn 1994, S. 173–186 „Ich habe großen Respekt vor dem Sonntag“. In: Literarisches aus erster Hand – 10 Jahre Paderborner Gast-Dozentur für Schriftsteller. Hg. v. Hartmut Steinecke. Paderborn 1994, S. 193 Barfüßiger Februar. In: Henning-Kaufmann-Stiftung. Jahrbuch 1989. Rumäniendeutsche Gedichte und Prosa. Marburg 1994, S. 33 Mein Schlagabtausch, mein Minderheitendeutsch. In: Henning-Kaufmann-Stiftung. Jahrbuch 1989. Rumäniendeutsche Gedichte und Prosa. Marburg 1994, S. 34–35 Die Grabrede. [erw. Variante]. In: Henning-Kaufmann-Stiftung. Jahrbuch 1989. Rumäniendeutsche Gedichte und Prosa. Marburg 1994, S. 35–41 Die Nacht sie hat Pantoffeln an. Über Inge Müllers Gedichte. In: Über das Darstellbare. Hg. v. Martin Lüdke und D. Schmidt. Reinbek 1994, S. 14–18 Herztier. Roman. Reinbek bei Hamburg 1994 Am Ende war es keiner gewesen. Vor zwanzig Jahren starb die Schriftstellerin Marieluise Fleißer. In: die tageszeitung, 02.02.1994 Von der gebrechlichen Einrichtung der Welt. Rede anläßlich der Entgegennahme des Kleist-Preises. In: Neue Zürcher Zeitung, 31.10.1994, S. 19
318 Anhang 1995 Hunger und Seide. Essays. Reinbek bei Hamburg 1995 Das Ticken der Norm. In: Dem Erinnern eine Chance. Jenaer Poetik-Vorlesungen „Zur Beförderung der Humanität“ 1993/94. Hg. v. Edwin Kratschmer. Köln 1995, S. 107–115 Der Wächter nimmt seinen Kamm. Vom Weggehen und Ausscheren. Reinbek bei Hamburg 1995 Wachheit danach. Warum wir aus Diktaturen nichts lernen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.05.1995, S. 35 Notizen und Gedichte des iranischen Exilautors Said. Es möge deine letzte Trauer sein. In: Die Zeit, 11.08.1995 1996 In der Falle. Bonner Poetik-Vorlesungen, Bd. II. Göttingen 1996 Nekrolog. In: Roland Kirsch: Der Traum der Mondkatze. Prosastücke. Hg. v. Richard Wagner. Berlin/ München 1996, S. 97–98 Drückender Tango. Erzählungen. Reinbek bei Hamburg [aus N II u. BF] 1996 Faule Birnen. In: Drückender Tango. Erzählungen. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 7–19 Dorfchronik. In: Drückender Tango. Erzählungen. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 28–47 Die große schwarze Achse. In: Drückender Tango. Erzählungen. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 48–75 Drosselnacht. In: Drückender Tango. Erzählungen. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 76–85 Viele Räume sind unter der Haut. In: Drückender Tango. Erzählungen. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 86–123 1997 Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. In: Südostdeutsche Vierteljahresschrift 3. 46. Jg. 1997, S. 212–221 Heute wär ich mir lieber nicht begegnet. Roman. Reinbek bei Hamburg 1997 Die Klette am Knie. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 104–111 „einer macht eine Hochzeit auf“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 104 „erst schluckt der Bruder meinen Fingerhut“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 104 „heut wäre ich mir lieber“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 105 „und wir fuhren aus Angst“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 105 „Gürtel und Hals hat er benutzt“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 105 „das vierte Kind war kränklich“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 106 „Mein Vater liegt erschlagen“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 106 „Sie bügelt ihr Kleid“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 106 „das Kaufhaus hat automatische Türen“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 107 „dann kam ein Hund“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 107 „ich trink die vorgeschriebene Milch“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 107 „ich könnte unterm Hemd verscharrt“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 108 „die Eisenbahn fährt im Kopf“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 108 „wenn der Friseur Akkordeon spielt“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 109 „Vater vergißt seine Leber beim Sterben“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 109 „komm laß das mit dem guten Draht“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 110
Literaturverzeichnisse 319 „bei der Wäsche im Schrank liegt altes Geld“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 110 „das Malheur mit dem alten Portier“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 111 „Die Ziege hat niemehr Hunger“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 111 „was weiß ich“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 112 „Spätsommer des Heimwerkers“. In: Akzente 4/1997, 44. Jg., H. 2. 1997, S. 112 Die rote Blume und der Stock. In: Literatur in der Diktatur. Schreiben im Nationalsozialismus und DDR-Sozialismus. Hg. v. Günther Rüther. Paderborn u.a. 1997, S. 53–58 Heimat oder der Betrug der Dinge. In: Kein Land in Sicht. Heimat – weiblich? Hg. v. Gisela Ecker. München 1997, S. 213–219 Was soll, will und kann Literatur? Antwort auf eine Frage, die ich mir nie stelle. In: Wozu Kultur? Zur Funktion von Sprache, Literatur und Unterricht. Hg. v. Gerhard Rupp. Frankfurt a. M. u.a. 1997, S. 41–43 1998 Die Geschichte vom Huhn. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.03.1998, S. 68 Man darf sich wohlfühlen bis zum Tod. In: Wespennest 112. 1998, S. 94–103 Das Ticken der Norm. In: Poesie und Erinnerung. Internationale Jenaer Poetik-Vorlesungen „Zur Beförderung der Humanität“ 1993–1998/ Collegium Europaeum Jenense. Hg. v. Edwin Kratschmer. Erlangen, Jena 1998, S. 42–50 1999 Am Rand der Pfütze springt jede Katze anders. In: Neue Zürcher Zeitung, 24.12.1999, S. 74 Die Entfesselung der Perversion. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.05.1999, S. 51 Der fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne. Göttingen 1999 Der leichte Klang des Schweren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.07.1999, S. IV Die Lüge des Internationalismus. In: Frankfurter Rundschau, 06.07.1999, S. 8 Lebensangst und Liebesgier – An einen imaginären Freund. In: Theodor Kramer: Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan. Gedichte. Hg. u. mit e. Nachwort v. Herta Müller. München 1999, S. 87–192 Das schwäbische Bad. In: Der Bremer Literaturpreis 1954–1987. Reden der Preisträger und andere Texte. Eine Dokumentation der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung. Hg. v. Wolfgang Emmerich. Bremerhaven 1999, S. 329 Viele weiße Jahre. In: Der Bremer Literaturpreis 1954–1987. Reden der Preisträger und andere Texte. Eine Dokumentation der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung. Hg. v. Wolfgang Emmerich. Bremerhaven 1999, S. 328–329 2000 „andere Zähne/ wenn ich gähne“. In: Neue Zürcher Zeitung, 23.12.2000, S. 81 Einmal anfassen – zweimal loslassen. Eine Reise in die Vergangenheit. In: Neue Zürcher Zeitung, 16.09.2000, S. 83 Im Haarknoten wohnt eine Dame. Reinbek bei Hamburg 2000
320 Anhang 2001 Samtpfoten und Ohrfeigen. Das Denken spricht doch mit sich selber völlig anders. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.04.2001, S. 77 „Eine Stille glänzt wie Lack Stadtnacht mit der“. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.07.2001, S. 57 „wessen Tisch hat Schubladen und eine“. In: Neue Zürcher Zeitung, 15.08.2001, S.77, S. 56 „Geschwindner war wie früher ein Kumpan“. In: Neue Zürcher Zeitung, 27.09.2001, S. 65 „dicker Mond schneidet Zitrone nachts dort wo ich“. In: Neue Zürcher Zeitung, 05.10.2001, S. 65 „Mutter wurde eine Nessel“. In: Neue Zürcher Zeitung, 23.10.2001, S. 65 „die Zwillinge Matache“. In: Neue Zürcher Zeitung, 06.11.2001, S. 65 „die Nächte haben um den“. In: Neue Zürcher Zeitung, 14.11.2001, S. 65 „über mir der Herr Grabosch hat seit“. In: Neue Zürcher Zeitung, 17.11.2001, S. 65 2002 Erleben verändert das Denken. Ein Rückblick auf die intellektuellen Debatten nach den Anschlägen. In: Die Welt, 07.09.2002 „Lieber Oskar“. In: Die Horen. 47. Jg. Bd. 3, Ausgabe 207. 2002, S. 89 „Was liest ... Herta Müller“. In: Literaturen 11, [über: M.Blecher: Aus der unmittelbaren Wirklichkeit [!]. Roman]. 2002, S. 102 Flucht – nur im Vergleich zur Vernichtung Glück. In: Momente in Jerusalem. Bd. I. Welchen Inhalt birgt das Wort – Erinnern in Israel. Hg. v. Hajo Jahn. Gerlingen. 2002, S. 27–28 2003 Der König verneigt sich und tötet. München 2003 2004 Insula e înăuntru – graniţa în afară. [dt. in: Der König verneigt sich und tötet]. In: „22”. Săptămânal independent de analiză politică şi actualitate culturală. Nr. 730. 02.-08.03.2004, p. 12–14 2005 Die blassen Herren mit den Mokkatassen. München 2005 Este sau nu este Ion. Collagen in rumänischer Sprache. Iaşi 2005 Vom Hungerengel eins zwei drei. (gemeinsam mit Oskar Pastior). In: Die Horen 3/2005, S. 123–134 2006 So ein großer Körper und so ein kleiner Motor. Über eine Wahrheit, die schmerzt. In: Stuttgarter Zeitung, 28.11.2006 2009 Atemschaukel. Roman. München 2009 Cristina und ihre Attrappe oder Was (nicht) in den Akten der Securitate steht. Göttingen 2009 Der Blick der kleinen Bahnstationen. In: Horch und Guck, 18. Jg., H.64, 2/2009
Literaturverzeichnisse 321 2011 Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. München 2011 2012 Vater telefoniert mit den Fliegen. München 2012
Personenregister A Adorno, Theodor W. 147, 148, 239 Aescht, Georg 93, 95, 98, 99 Aichelburg, Wolf von 43, 264, 268 Amsel, Veronika 36 Andree, Hedwig 36 Apel, Friedmar 251, 253 Aragon, Louis 168, 169 B Balzer, Nikolaus 36 Barth, Peter 26 Benjamin, Walter 138, 212 Benn, Gottfried 116 Berkeley, George 9 Bernhard, Thomas 43, 92 Berwanger, Nikolaus 43, 102 Binder, Raimund 38, 265 Blaga, Lucian 30, 31, 249 Bohn, Albert 20, 91 Bohn, Alfred 36 Bossert, Rolf 20, 80, 85, 86, 87, 128 Brautigan, Richard 106 Brecht, Bertolt 20, 21, 30, 42, 81, 82 Britz, Helmut 88 C Ceauşescu, Nicolae 17, 28, 83, 88, 183, 186, 187, 188, 190, 200 Celan, Paul 38, 157, 158, 237, 239 Charms, Daniil 112 Cotton, Jerry 19 Csejka, Gerhardt 99 D Deleuze, Gilles 14 E Eke, Norbert Otto 15, 16, 21, 22, 55 Engelmann, Uwe Erwin 36
F Fabry, Christa Karin 36 Färber, Walter 36 Frauendorfer, Helmuth 69, 73, 88 Friedrich, Hugo 92 Fromm, Walter 78, 79, 81 G Gabanyi, Anneli Ute 63 Gabriel, Irmgard 32, 33, 34, 38 Ganghofer, Ludwig 19 Graß, Franz 36 Groß, Grete. Siehe Mokka, Irene Grün, Gertrud 36 Guattari, Felix 14 Gündisch, Karin 87 H Haupt, Nikolaus 67, 68, 69, 71 Hauser, Arnold 93 Hehn, Ilse 31, 33, 34, 268 Heinz, Franz 93 Hellebrand, Adelheid 36 Hendrix, Jimi 20 Hensel, Klaus 79 Hermann, Claus 36 Hesse, Hermann 30 Hodjak, Franz 65, 72, 80, 85, 95, 96, 266 Hofmannsthal, Hugo von 13, 49 Hölderlin, Friedrich 246, 247 I Innerhofer, Franz 92 J Joplin, Janis 20 Just, Helga 36 K Kafka, Franz 19, 136
324 Anhang Kehrer, Hans 103 Kirsch, Roland 69 Krause, Thomas 73, 101 Kremling, Helen 36 Kremm, Werner 20, 69 Kyri, Harald 36 L Latzina, Anemone 24, 30, 78, 80, 182, 267 Liebhard, Franz 66 Liebhardt, Hans 93, 95 Liliencron, Detlev von 103 Linster, Edda 36 Lippet, Hans 36 Lippet, Johann 20, 27, 80, 83, 88, 96 M Margul-Sperber, Alfred 25 Marx, Karl 20 Matye, Hans 36 Meschendörfer, Adolf 37, 38, 262, 267 Mihăilescu, Jakob 69, 71 Mokka, Irene, auch Grete Groß 24, 25, 38,
264
Rilke, Rainer Maria 30 Roch, Heilmar 36 Roth, Dieter 93 Rutschky, Michael 84 S Samson, Horst 88 Schlesak, Dieter 24, 25, 38, 262, 263 Schneider, Eduard 26, 35, 103, 278 Schuller, Annemarie 78, 79, 81, 89, 121, 122,
166 Schwarz, Gerhard 36 Schwarz, Ludwig 95 Söllner, Werner 36, 65, 69, 75, 79, 83 Stephani, Claus 38, 93, 265 Sterbling, Anton 20, 36, 69, 91 Storch, Franz 93, 95 T Totok, William 20, 36, 63, 64, 69, 73, 80, 106, 111 V Vaka, Maria Solveig 36
Motzan, Peter 23, 25, 31, 66, 72, 79, 81 O Ortinau, Gerhard 20, 36, 69, 80, 91 P Pastior, Oskar 12, 24, 25, 212 Portscher, Hedwig 36 Predoiu, Grazziella 94, 98 R Reichrath, Emmerich 88, 95, 98 Reiter, Cornel 36 Richter, Elfriede 36
W Wagner, Hertha 36 Wagner, Richard 19, 20, 27, 32, 33, 34, 35, 36, 38, 62, 64, 69, 70, 71, 73, 80, 81, 82, 85, 88, 89, 91, 96, 103, 106, 121, 142, 143, 265 Waitz, Balthasar 95, 96 Wichner, Ernest 20, 69 Willems, Gottfried 116 Wittstock, Joachim 95, 96 Z Zöllner, Anni 36
SPR ACHE IM TECHNISCHEN ZEITALTER HERAUSGEGEBEN VON JOACHIM SARTORIUS UND NORBERT MILLER
Mit der „Sprache im technischen Zeitalter“ erscheint eine der bedeutendsten und traditionsreichsten deutschsprachigen Literaturzeitschriften seit diesem Jahr im Böhlau Verlag. Seit Walter Höllerer sie 1961 ins Leben rief, ist „SpritZ“ ein „Zentralort der Selbstverständigung zeitgenössischer Literatur“ ( J. Kalka). Viermal jährlich vermittelt sie mit literarischen Texten und Essays und anspruchsvollen Fotografien einen Überblick über das literarische und kulturelle Geschehen der Gegenwart. HEFT 207, JG. 51, 3 (2013)
ERSCHEINUNGSWEISE:
2013. 123 S. 9 S/W-ABB. BR.
VIERTELJÄHRLICH
ISBN 978-3-412-22190-4
ISSN 0038-8475 EINZELHEFT: € 14,00 [D] | € 14,40 [A]
HEFT 206, JG. 51, 2 (2013)
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2013. 147 S. 15 S/W-ABB. BR.
STUDIERENDE: € 32,00 [D] | € 32,90 [A]
ISBN 978-3-412-22189-8 ERSCHEINT SEIT: 1961 HEFT 205, JG. 51, 1 (2013) 2013. 125 S. 13 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-412-21092-2
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MIRJANA STANČIĆ
VERSCHÜTTETE LITERATUR DIE DEUTSCHSPRACHIGE DICHTUNG AUF DEM GEBIET DES EHEMALIGEN JUGOSLAWIEN VON 1800 BIS 1945 (LITERATURGESCHICHTE IN STUDIEN UND QUELLEN, BAND 22)
Vom 18. bis zu den Katastrophen des 20. Jahrhunderts war die deutsche Sprache in Krain, im späteren Slowenien, in Kroatien mit Dalmatien und Slawonien, an der sogenannten Militärgrenze und bis nach Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Serbien ein befruchtendes Element kultureller Dynamik. Aus diesen Landschaften, die zugleich Lebenswelten einer bürgerlich-aristokratischen, christlich-jüdischen, deutsch-binnensprachlichen Multikulturalität bezeichnen, stammen Anastasius Grün (Graf von Auersperg) und Roda Roda als die vielleicht namhaftesten Repräsentanten. Aber daneben steht ein buntes Kaleidoskop literarischer Produktivität. Ihren besonderen Reiz gewinnt diese Literatur aus ihrer multiethnischen Offenheit und kulturellen Diversifi kation, wobei Wien als polarisches Faszinosum für viele inspirierend war. 2013. 335 S. BR. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-79460-8
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Liter atur und Leben Neue Folge Eine Auswahl
Bd. 79 | Dietmar Scharmitzer Anastasius Grün (1806–1876)
Bd. 73 | Thomas Goetz
Leben und Werk
Poetik des Nachrufs
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Zur Kultur der Nekrologie
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und zur Nachrufszene auf dem Theater
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Der junge Hebbel Eine Mentalitätsgeschichte
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Das ist alles viel komplizierter,
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Herr Sektionschef! Bürokratie – literarische
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Reflexionen aus Österreich
Thomas Bernhard
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Gesellschaftliche und politische
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Bedeutung der Literatur 2012. 453 S. Gb. | ISBN 978-3-205-78811-9
Bd. 76 | Karl Müller, Hans Wagener (Hg.)
Bd. 82 | Alexander Löck,
Österreich 1918 und die Folgen
Dirk Oschmann (Hg.)
Geschichte, Literatur, Theater
Literatur & Lebenswelt
und Film. Austria 1918 and the
2012. 242 S. 8 s/w-Abb. Gb.
Aftermath. History, Literature,
ISBN 978-3-412-20950-6
Theater, and Film 2009. 206 S. 15 s/w-Abb. Br.
Bd. 83 | Christopher Dietz
ISBN 978-3-205-78244-5
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böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar