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German Pages 306 [340] Year 1982
B E I H E F T E ZUR Z E I T S C H R I F T FÜR R O M A N I S C H E P H I L O L O G I E B E G R Ü N D E T VON GUSTAV GRÖBER F O R T G E F Ü H R T VON WALTHER VON WARTBURG H E R A U S G E G E B E N VON KURT ΒALDINGF.R Band 185
JÜRGEN LANG
SPRACHE IM RAUM Zu den theoretischen Grundlagen der Mundartforschung. Unter Berücksichtigung des Rätoromanischen und Leonesischen
MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N 1982
Gedruckt
mit Unterstützung
der Deutschen
Forschungsgemeinschaft
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Lang, Jürgen: Sprache im Raum : zu d. theoret. Grundlagen d. Mundartforschung ; unter Berücks. d. Rätoroman. u. Leones. / Jürgen Lang. - Tübingen : Niemeyer, 1982. (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie ; Bd. 185) ISBN 3-484-52185-6 ISSN 0084-5396 N E : Zeitschrift für romanische Philologie / Beihefte ISBN 3-484-52185-6 ©
ISSN 0084-5396
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Vorwort
Die Arbeit, die ich vorlege, hat eine relativ lange Entstehungsgeschichte hinter sich, in deren Verlauf die theoretischen Fragen immer mehr in den Vordergrund getreten sind. Bei den Dialektologen selbst häufig zu beobachtende Unsicherheiten hinsichtlich des Gegenstandes und der genuinen Aufgaben der Dialektologie forderten dazu heraus, eine Klärung dieser Fragen zu versuchen. Methodisches habe ich nur insoweit mitbehandelt, als es sich unmittelbar aus dem Gegenstand und den Aufgaben der Dialektologie ergibt. Herrn Prof. Eugenio Coseriu, der die Arbeit betreut und durch seine Publikationen, Lehrveranstaltungen, Vorträge und persönliche Ratschläge insgesamt und im Detail stark beeinflußt hat, möchte ich an dieser Stelle für seine unermüdliche Hilfe danken. Mein Dank gilt ebenso Herrn Prof. Fritz Abel, ohne dessen großzügiges Entgegenkommen die Arbeit nicht hätte zu Ende geführt werden können: er hat seinem Assistenten die Möglichkeit gegeben, die in T ü bingen angefangene Dissertation dort abzuschließen. Die Neuphilologische Fakultät der Universität Tübingen hat sie am 12. 2. 1980 angenommen. Außer den beiden schon genannten haben sich auch die Professoren Hans Helmut Christmann, Reinhold Kontzi und Carlo de Simone der Mühe unterzogen, das Manuskript zu lesen. Ihnen allen verdanke ich wertvolle Hinweise, Anregungen und Ergänzungen. Herrn Prof. Reinhold Kontzi danke ich darüber hinaus für sein weit zurückreichendes Interesse an dieser Arbeit. Bei den mühseligen Korrekturarbeiten am Manuskript - für dessen Maschinenabschrift ich mich bei dieser Gelegenheit noch einmal bei einem hilfreichen Geist bedanken möchte - hat mir meine Frau beigestanden. Für sie gilt in übertragenem Sinn, was der Verfasser einer Monographie über den Dialekt des Pastales (Santander) von einer Anne sagt, der er sein Buch widmet: tambien subio las cuestas pasiegas. Herrn Prof. Kurt Baldinger und dem Max Niemeyer Verlag Tübingen danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe der 1.2.2 Von Joh. Andreas Schmeller bis Philipp Wegener 1.2.3 Der Streit um die Gliederung des Fränkischen 1.2.3.1 Wilhelm Braune 1.2.3.2 Friedrich Engels 1.2.3.3 Georg Wenker 1.2.3.4 Ergebnis 1.2.4 Sprachatlas und Krise des Dialektbegriffes 1.3 Ansätze zu einer Lösung
187 189 190 191 192 194 195 196 198
1.3.1 Hugo Schuchardt 1.3.2 Die Kontroverse Graziadio I. Ascoli - Paul Meyer 1.3.2.1 Meyers Kritik an Ascoli 1.3.2.2 Ascolis Replik 1.3.2.3 Ergebnis 1.3.2.4 Ascolis Einfluß 1.3.3 Adolf Horning 1.3.4 Louis Gauchat 1.4 Ergebnis: Klassifizierung
. . . .
und Abgrenzung
2 Das Rätoromanische ( R R ) 2.1 Die Epochen seiner Erforschung
198 199 199 200 201 203 204 206 207 210 210
XII
Inhaltsverzeichnis
2.2 Sprachliche Charakterisierungen des RR
212
2.3 D i e Palatalisierung von C, G vor A
214
2.3.1 Ihre geographische Verbreitung 2.3.2 Ihre kombinatorische Bedingtheit 2.3.3 Ihre geographische Herkunft 2.4 Abgrenzung
- Einordnung
- Einheit
214 216 217 -
Charakterisierung
E.Coseriu 2.5 Worüber geht der Streit um das RR? 3 Das Leonesische 3.0 Vorbemerkung 3.1 D i e Geschichte seiner Entdeckung 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5
Siglo de Oro 18. Jahrhundert 19. Jahrhundert Ramon Menendez Pidal und Erik Staaff Ergebnis
3.2 D i e Abgrenzung des Leonesischen 3.2.0 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7
Vorbemerkung Grenzen: Kriterien Grenzen: Anordnung Grenzen: tabellarische Zusammenstellung Grenzen: Kombinationskarte Das Gesamtbild Abgrenzung nach Westen Abgrenzung nach Osten
3.3 D i e Problematik des Leonesischen 3.3.1 Leonesische Innovationen? 3.3.2 Die sprachliche Zerrissenheit des Leonesischen 3.3.3 Ergebnis
nach 218 219 224 224 224 224 226 232 239 241 241 241 242 245 246 252 252 255 256 258 258 262 271
Literaturverzeichnis
273
Kartenanhang (mit Verzeichnis)
293
Auflösung bibliographischer Abkürzungen (Zeitschriften, Atlanten, Reihen, Monographien)
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Archivio per l'Alto Adige. Archivio Glottologico Italiano. Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz, Bd. I—VIII, Zofingen
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Auflösung der bibliographischen
XIV NRFH NS NTS Origenes RDyTP RF RFE RFIC RIL RLR RomPh RRLing Staaff TBL TCLP TDRL TLL Vazquez-Luz
Abkürzungen
Nueva Revista de Filologia Hispänica. Die Neueren Sprachen. Norsk Tidsskrift for Sprogvidenskap/Norwegian Journal of Linguistics (Oslo). R. Menendez Pidal, Origenes del espaüol (1926, 1950). Revista de Dialectologia y Tradiciones Populäres (Madrid). Romanische Forschungen. Revista de Filologia Espaüola. Revista di Filologia e di Istruzione Classica. Nuova Serie (Turin). Rendiconti dell'Istituto Lombardo di Scienze e Lettere, Classe di lettere e scienze morali e storiche (Mailand). Revue de Linguistique Romane. Romance Philology. Revue Roumaine de Linguistique (Bukarest). E. Staaff, Etude sur l'ancien dialecte leonais d'apres des chartes du X I I I ' siecle (1907). Tübinger Beiträge zur Linguistik. Travaux du Cercle linguistique de Prague. Trabajos sobre el dominio romänico leones, Bd. I-IV, Madrid 1957-1976. Travaux de Linguistique et de Litterature. Pilar Vazquez Cuesta + Ma. Albertina da Luz, Gramätica portuguesa, Bd. 1 + 2 (1971).
VR WZUJ ZDL ZMF ZRPh
Vox Romanica. Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität, Jena. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Zeitschrift für Mundartforschung. Zeitschrift für romanische Philologie.
Die im Text dieses Buches verwendete Zitierweise findet man in einer Vorbemerkung zum Literaturverzeichnis erläutert.
Einleitung
Dialekt ist ein relationeller Begriff. Wir gehen deshalb davon aus, daß wir es nur dort mit Dialektologie zu tun haben, wo Dialekte als s o l c h e , d.h. als Mitglieder einer Familie von Dialekten behandelt werden. Von einer Dialekt-Wissenschaft kann u.E. auch nur dann die Rede sein, wenn man sich nicht darauf beschränkt, Unterschiede zu registrieren, sondern dazu übergeht, diesen von mannigfachen Unterschieden nicht in Frage gestellten Familiencharakter selbst zu begründen. Dies kann nur historisch geschehen. Nachdem die Dialektologie in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts als historisch-vergleichende Disziplin auch in theoretischer Hinsicht eine gewisse Pilotrolle gespielt hatte, hat das Vergessen dieser Wahrheit und der Wunsch, am Prestige der synchronischen Sprachwissenschaft teilzuhaben in den folgenden Jahrzehnten zu einer Identitätskrise der Dialektologie geführt: nacheinander geriet sie in den Sog des Strukturalismus, der Soziolinguistik und der Transformationsgrammatik. Parallel zu ähnlichen Bemühungen von anderen Seiten möchten wir einen bescheidenen Beitrag dazu leisten, die Dialektologie ohne Preisgabe neuer Erkenntnisse aus gewissen Verstrickungen zu befreien (Teil I, 1, 2 und 5) und zu ihren eigentlichen Aufgaben zurückzuführen. Es liegt auf der Hand, daß bei dem oben angedeuteten Verständnis von Dialektologie die prinzipiellen Probleme dieser Disziplin zum Teil mit dem theoretischen Problem des Sprachwandels zusammenfallen. Bei unserem Lehrer Eugenio Coseriu haben wir eine umfassende Theorie des Sprachwandels kennengelernt (Teil I, 4). Ausgehend von ihr schien es uns möglich, gewisse dialektologische und speziell dialektgeographische Probleme einer Lösung näher zu bringen. Diese Theorie bildet den Rahmen für die kritische Auseinandersetzung mit Autoren und Schulen im zweiten Teil. Dieser Teil gibt nicht vor, ein Forschungsbericht oder gar eine Geschichte der Theorie der Dialektologie zu sein. Es geht vielmehr um eine kritische Diskussion exemplarisch vertretener und theoretisch begründeter Positionen mit dem Ziel einer Auswahl brauchbarer Gesichtspunkte und Verfahren. Gleichzeitig sollte daran erinnert bzw. im Falle des schwäbischen Dialektologen Karl Haag erst einem größeren Publikum bekannt gemacht werden, wieviel die Dialektologie zum Thema Sprachwandel beigetragen hat und wohl noch beitragen kann. Das komplexe und kontroverse Problem, das darin besteht, aufgrund der sich mannigfach überschneidenden Areale vieler Innovationen Dialekte, also Systeme von Isoglossen abzugrenzen, haben wir dem dritten Teil vorbehalten. In 111,1
2
Einleitung
versuchen wir, die Summe zu ziehen aus der um die Jahrhundertwende recht lebhaft geführten Diskussion dieser Problematik. III, 2 bringt keine neuen Erkenntnisse zum Rätoromanischen. Bei dem Versuch, die wissenschaftsgeschichtliche Frage zu beantworten «worum in der questione ladina gestritten wird>, soll sich zeigen, daß es angebracht ist, weitere methodische Schritte zu unterscheiden, die die Abgrenzung zwar voraussetzen, aber in ihr noch nicht enthalten sind. Dagegen möchte III, 3 mit der exemplarisch zu verstehenden Abgrenzung und Einordnung des Leonesischen sowie mit der nur noch angedeuteten Problematisierung seiner inneren Einheit auch einen Beitrag zur hispanischen Dialektologie leisten. Wie man sieht, sind wir davon ausgegangen, . Wenn nämlich die Sprecher selbst Dialekte unterscheiden, so kann es nur darum gehen, eine solche Intuition zu begründen, und nicht darum, festzustellen, daß sich die eine oder andere apriorische Dialektkonzeption in der Wirklichkeit nicht bestätigt. Es geht uns um die t h e o r e t i s c h e n Grundlagen der Dialektologie, wir wollen aber nicht . D.h. wir rekurrieren so oft als möglich auf Einzelfakten bzw. auf Beobachtungen, die die Dialektologen immer wieder gemacht haben, meinen diese Rekurse aber als Beispiele, in denen sich etwas Prinzipielles bestätigt. Das theoretische Interesse leitete uns auch bei der Auswahl der in Teil II zu besprechenden Autoren und Schulen. Viele Autoren, ja ganze Schulen (wie etwa die Autoren des AIS oder die Schule in Deutschland), deren Verdienste für die Methoden der Sprachgeographie außer Zweifel stehen, wurden so übergangen. Ohnehin haben wir der intensiven Auseinandersetzung mit einzelnen u.E. besonders fruchtbaren Beiträgen vor einer vielleicht unerreichbaren Vollständigkeit den Vorzug gegeben.
I. TEIL
Eingrenzungen und Grundlagen
1
1.0
Dialektologie und Soziolinguistik
Vorbemerkung
Angesichts der allgemein a n e r k a n n t e n «Gleichursprünglichkeit» v o n Sprache u n d Gesellschaft sowie ihrer wechselseitigen Bedingtheit 1 ist es eine Selbstverständlichkeit, daß es ein gemeinsames Feld f ü r sprachwissenschaftliche u n d soziologische F o r s c h u n g e n gibt. W i r wollen hier nicht diskutieren, o b d a d u r c h s c h o n eine in der M i t t e stehende Disziplin gerechtfertigt ist 2 o d e r o b diesem Z u s a m m e n h a n g nicht eher in einer vor d e n Einzelwissenschaften liegenden Gesellschaftswissenschaft R e c h n u n g z u tragen ist, die z u m Beispiel ü b e r eine T h e o r i e des (sprachlichen u n d nichtsprachlichen) H a n d e l n s u n d K o m m u n i z i e r e n s v e r f ü g e n m ü ß t e . W i r setzen uns in diesem Kapitel das bescheidenere Ziel, zwei terminologische A m b i g u i t ä t e n a u s z u r ä u m e n , die mit d e m A u f t r e ten der Soziolinguistik v e r b u n d e n sind u n d eine G e f a h r f ü r die Dialektologie b e d e u t e n . W i r m e i n e n die B e d e u t u n g der Begriffe «Sprachgemeinschaft) (engl, gew. speech community, tät> (variety).
m a n c h m a l aber auch language
community)
u n d x das Kastilische noch weiter vom Leonesischen entfernt, ohne dem Kastilischen selbst neue distinktive Möglichkeiten zu eröffnen oder alte zu beseitigen. Wie man sieht, betreffen diese Unterschiede nicht die modernen dialektalen Systeme (die Frage, ob das Leonesische heute auch ein 1- hat, bleibt unberücksichtigt), sondern die historische Individualität der einzelnen Sprachlaute bzw. Sprachlautkombinationen 4 .
2.2
Roman Jakobson
Es ist offenbar, daß R . Jakobsons Arbeiten zum Thema der Sprachbunde eng mit N . S . Trubetzkoys Ausführungen zusammenhängen (vgl. die Ubereinstimmung oben in I, 2.1.1 mit Anm. 2 ebenda). Die Unterscheidung zwischen den und Sprachfamilien
bei den Sprachgruppen
Sprachbun-
hatte Trubetzkoy 1928 auf dem
1. Linguistenkongreß in Den Haag vorgeschlagen'. Das Kriterium der Trennung waren damals jedoch eindeutig «gemeinsame Elementarwörter . . . Übereinstim3
So versteht H . Schmid die Erhaltung und den Ausbau des Vokativs im Rumänischen - im Gegensatz zu den anderen romanischen Sprachen - im Zusammenhang mit dem Vokativ der umgebenden slawischen Sprachen. Vgl. ders. Uber Randgebiete und Sprachgrenzen, I. Der Vokativ in den europäischen Sprachen, V o x Romanica 15,2 (1956), 1 5 - 2 9 mit Karte 1. Unter II. behandelt Schmid den Wandel sp st sk > sp st sk in romanischen und deutschen Mundarten (p. 3 0 - 5 3 , ebenda), den man, wie seine Karte 3 zeigt, ebenfalls im Zusammenhang sehen kann. Vgl. noch seine Karte 5, w o zu sehen ist, wie galloromanisches u > ü auf germanische Mundarten übergreift.
4
Anders gesagt: sie betreffen die Frage, ob eine Gruppe von Wörtern, die zu einem früheren Zeitpunkt einen bestimmten Lauttyp enthielt, noch heute durch einen gemeinsamen Fortsetzer dieses Typs zusammengehalten wird oder nicht.
1
Actes du Ier congres international de linguistes, L a H a y e 1928, pp. 17/18. - Vgl. auch ders., Zur phonologischen
Geographie
der "Welt (summary)
in: Proceedings of the third
international congress of phonetic sciences. Gent 1938, Gent 1939, dort p . 4 9 9 .
2.2 Roman
Jakobson
15
mungen im lautlichen Ausdruck morphologischer Kategorien ... und vor allem konstante Lautentsprechungen» bei den Familien und Fehlen dieser Ubereinstimmungen bei gleichzeitigen strukturellen Ähnlichkeiten und gemeinsamen Kulturwörtern innerhalb der Bunde. R. Jakobson hat die Sprachbundidee auf zwei Kongressen konkretisiert 2 . Er formuliert treffend die methodische Unabhängigkeit strukturell-vergleichender Studien gegenüber solchen historisch - vergleichender Art: «La similitude de structure n'est done pas opposee, mais superposee ä la parente originaire des langues. Ce fait rend necessaire la notion de l'affinite linguistique: l'affinite selon la definition juste du P. van Ginneken . . . , n'exclut pas la parente originaire mais en fait seulement abstraction» ( a f f i n i t e s phonologiques (1936, 1938), 50). Die typologischen Gemeinsamkeiten (similitudes de structure) verbinden nun nach R. Jakobson häufig geographisch zusammenhängende Sprachen 3 : «visiblement la typologie phonologique des langues n'est pas sans rapports avec leur repartition dans l'espace» ( a f f i n i t e s phonologiques (1936, 1938), 57). R. Jakobson lehnt es aber ab, die einen solchen geographisch zusammenhängenden Sprachbund (association) konstituierenden strukturellen Ähnlichkeiten 4 vorschnell mit Sprachverwandtschaft, Sprachmischung bzw. Ausdehnung von Sprechergemeinschaften zu erklären (ebenda). Zwar heißt es 1931 von dem durch die Mouillierungskorrelation bei den Konsonanten konstituierten eurasischen Sprachbund: «Das Problem erschöpft sich keinesfalls in der synchronischen Charakteristik. Der eurasische Sprachbund hat seine Geschichte bzw. seine historische Phonologie» (phonologische Sprachbünde, 239). Aber mit der gleichzeitigen Annahme einer «evolution parallele independante» (affinitesphonologiques (1936,1938), 52), die eine typologische Konvergenz ohne Imitation zustandebringen könne, wird der Sprachbund doch wieder ins Reich des Mysteriösen verbannt. Die Existenz typologischer Sprachbunde verlangt nach einer h i s t o r i s c h e n Erklärung. Diese fehlt in den hier genannten Arbeiten von R. Jakobson. Ein trügerischer Ausweg aus diesem Dilemma besteht nun darin, anzunehmen, die historische Familienzugehörigkeit von Sprachen bzw. Dialekten zeige sich in der Gegenwart gerade notwendigerweise in strukturellen Affinitäten (vgl. hier I, 2.3 und I, 2.4). 2
3
4
Cf. Uber die phonologischen Sprachbünde in T C L P 4 (1931), 234—240 und Sur la theorie des affinites phonologiques des langues in: Actes du IV' congres international de linguistes, Copenhague 1936, Kopenhagen 1938, p.48-59 (überarbeitet im Anhang zu N . S. Troubetzkoy, Principes de phonologie, ins Franz. übers, von J. Cantineau, Paris 1949, p. 351-365). Vgl. später seine Typological studies and their contribution to historical comparative linguistics in: Proceedings of the VIII th international congress of linguists, Oslo 1957, Oslo 1958, p. 17-25. Wie seine Bemerkung betr. die gemeinsamen Kulturwörter zeigt, dachte auch Trubetzkoy beim Sprachbund an geographisch benachbarte Sprachen. Bei den Ähnlichkeiten, die R. Jakobson feststellt, geht es um das Vorhandensein gewisser Korrelationen in phonologischen Systemen auch nicht verwandter Sprachen, wie z.B. die Mouillierungskorrelation in dem eurasischen Sprachhund od. die Tonkorrelationen in einem fernöstlichen, einem baltischen (im geographischen Sinne) und einem serbokroatisch-albanesischen Sprachbund.
16
/, 2 Dialektologie und Typologie
2.3
Uriel Weinreich
In den letzten Jahrzehnten wurden immer wieder Versuche unternommen, Dialekte anders als historisch aufeinander zu beziehen. Hier ist insbesondere U. Weinreichs interessanter Aufsatz Is a structural dialectology possible? (1954) zu nennen'. Dort wird neben einer diachronischen eine synchronische Dialektologie postuliert, [which] «compares systems that are partially different and analyzes the synchronic consequences of the differences within the similarities» (P-395). Ein solcher in Wahrheit gar nicht dialektologischer Vergleich liegt z.B. bei einem hypothetischen Beispiel Weinreichs vor, bei dem Ubereinstimmungen und Abweichungen zwischen den Vokalsystemen zweier Varietäten (1 und 2) in einem Diasystem folgender Art resümiert werden: i = — = a = ο = u // 2ε Wir erfahren so, 1. daß beide Varietäten ein symmetrisches, dreieckiges Vokalsystem mit drei Offnungsgraden haben (wie wir es z.B. im Spanischen antreffen) und 2. daß der mittlere vordere Vokal in Varietät 1 gew. geschlossener realisiert wird als in Varietät 22. Uber eventuelle Neutralisierungen und Beschränkungen in der Kombination mit anderen Phonemen in den beiden Varietäten erfahren wir dagegen nichts. i2//
Nach demselben Verfahren möchte Weinreich ein Diasystem für 3 Varietäten des Jiddischen in Osteuropa zeichnen (ebenda):
Hier ist nun nicht mehr einzusehen, was dazu berechtigen soll 2 / 1 / noch 3 / i / und nicht etwa 3 / e / gegenüberzustellen etc. Die Zusammenfassung zu Diaphonemen (was zwischen zwei « steht) ist willkürlich 3 . Die Teilsysteme der drei Varietäten sind nicht . Eine solche Darstellung schiene uns nur gerechtfertigt, wenn damit einer der beiden folgenden Sachverhalte zum Ausdruck gebracht würde: 1. Die normale Realisierung von 2 / I / liegt phonetisch näher bei der normalen Realisierung von 3 / i / als von 3 / e / usw. Damit wäre der Vergleich von der Ebene des Systems auf diejenige der N o r m (normalen Realisierungen) ausgedehnt (cf. infra I, 4.1.3). 1 2
3
Word 10, p. 388-400. Um diese zwei Aussagen besser zu unterscheiden, führt Weinreichs Gefolgsmann C. R. Cochrane (The Australian English vowels (1959), 72) die terminologische Unterscheidung zw. diaphonemic comparison und diaphonic comparison ein. Erstere darf von abweichenden Realisierungstypen abstrahieren. Dies wurde mehrfach bemerkt. Cf. E. Pulgram, Structural comparison (1964), 68 und G. R. Cochrane, The Australian English vowels (1959), 72-75.
2.3 Uriel
Weinreich
17
2. Alles was demselben Diaphonem zugeschlagen wurde, geht auf ein und dasselbe P h o n e m der gemeinsamen Vorstufe (hier des Mittelhochdeutschen) zurück. 1. wird von Weinreich nicht ausdrücklich behauptet, 2. ausdrücklich zurückgewiesen: von
3
/ o / erfahren wir, daß ihm in den Varietäten 1 und 2 oft ein / u /
entspreche. «Difference in distribution cannot be directly inferred from a c o m parison of the differences in inventory , . . » 4 D i a l e k t a l e Diasysteme des unter 2. angedeuteten Typs sind möglich. In graphisch anderer F o r m
sind sie in historisch-vergleichenden
Werken
der
Sprachwissenschaft schon lange üblich. Als «standard material» der vergleichenden Sprachwissenschaft interessieren sie Weinreich in diesem Aufsatz jedoch nicht. A u c h t y p o l o g i s c h e Diasysteme verschiedener A r t sind denkbar (für das erste Beispiel von U . Weinreich z.B. in der von ihm vorgeschlagenen Art) 5 . Hierbei werden aber nicht Dialekte als D i a l e k t e miteinander verglichen, sondern als Sprachen' (z.B. in funktioneller Hinsicht). Solche Diasysteme sind an sich noch kein Beitrag zur Dialektologie (vgl. aber hier II, 4.0).
*
5
6
«also the two ordinarily stand in a definite historical relationship» (p. 394). Mit distribution meint Weinreich das, was Trubetzkoy «die etymologische Verteilung der Phoneme in den Wörtern» nannte. Um dieser Verteilung Rechnung zu tragen, führt schon G. R. Cochrane (The Australian English vowels (1959), 77-79) 4 Indices in das Diasystem ein. Damit wird implizit das Recht der Diachronie anerkannt. Vielen erscheint ein Vergleich unterschiedlicher Systeme ou tout se tient problematisch. Dies ist ganz allgemein die Haltung der Anhänger der Transformationsgrammatik (cf. infra II, 6.1.2, Anm. 6). Man vergl. aber auch die Bedenken von U. Weinreich selbst in Is a structural dialectology possiblet (1954), 389, W. G. Moulton, Structural dialectology (1968), 458 und Η. Niebaum, Warum strukturelle Dialektologie? (1970), dort p. 86. Wir würden aber doch A. Avram nicht recht geben, wenn er sagt: « . . . doua sisteme date nu pot fi - din punctul de vedere al unui structuralism de nuanjä extremä - decit identice sau neidentice» (Despre dialectologia structuralä (1962), 620). Das strukturelle Modell der Sprache sieht gewisse Teilsysteme vor, und man beobachtet z.B. sehr oft Übereinstimmung in der Gestaltung des Vokalsystemes bei verschiedener Gestaltung des Konsonantensystemes etc. Außerdem stellt man sehr oft in verschiedenen Sprachsystemen gleich abgegrenzte Teilsysteme fest, ohne daß dies vom Modell her notwendig so sein müßte. Viele Sprachen unterscheiden z.B. zw. kurzen und langen Tonvokalen oder sie verfügen über ein Wortfeld der Tageszeiten, der Farbadjektiva etc. Auch in diesen Fällen kann die Gestaltung im einen Teilsystem dieselbe, in einem anderen eine andere sein. - Wir können den typologischen Vergleich nicht näher beschreiben, wollen ihn aber sauber vom dialektologischen trennen. Cf. E. Pulgram, Structural comparison (1964), 79/80: «Dialectology . . . serves Weinreich . . . for examining what phonemes in two systems fulfill equivalent functions [ = «occupy equivalent places . . . in the several systems», cf. p. 76 ebenda] regardless as to whether the resultant diasystem delivers any information on the degree of relationship among the dialects».
18 2.4
I, 2 Dialektologie und Typologie
Weinreichs Nachfolger
Die bei U. Weinreich beobachtete Verwischung der Grenze zwischen Dialektologie und Typologie wiederholt sich in einer Vielzahl von Arbeiten, die seinen Gedanken vom Diasystem aufnehmen. Wir können hier nur einen Teil derselben berühren: 2.4.1 E. Stankiewicz (On descreteness and continuity in structural dialectology (1957)) erkannte die Gefahren des eingeschlagenen Weges: «If it is not to dissolve into a typology which compares systems or sub-systems of most remote or highly differentiated languages simply in terms of difference or identity, dialectology has the task of stating the validity of the bounderies, which it sets up and of calibrating the degree of similarity between the different regional varieties» (p. 48). Er denkt beim Diasystem an «what is in the laymen's and in traditional terminology a (p. 47), ist aber nicht geneigt, die historische Verwandtschaft als Basis der Dialektologie anzuerkennen. Geographical proximity bleibt neben das einzige Kriterium für die Aufnahme in dasselbe Diasystem (ebenda). Stankiewicz ist wieder ganz bei Weinreich, wenn er schreibt: «On the phonemic level, dialects are recognized as different if their phonemic inventories differ from each other» (p. 51). 2.4.2 Auch R. P. Stockwell schließt 1959 mit seinem Aufsatz Structural dialectology: a proposal1, außer an G. L. Trager und Η. L. Smith, An outline of English structure2 an Weinreich an. Er unterscheidet 3 Arten von phonischen Inventaren für eine Sprachgemeinschaft mit mehreren Dialekten: 1. das phonetische Inventar (aller vorkommenden Realisierungstypen), 2. das kontrastive Inventar (s.u.) und 3. das phonologische (phonemic) Inventar (s.u.). Innerhalb des kontrastiven Inventars (2.) unterscheidet er weiter zwischen einem a) dialectal inventory (= die Kontraste, die allen Idiolekten eines Dialektes gemeinsam sind), einem b) diaphonemic inventory (= alle Kontraste, die in irgendeinem Dialekt vorkommen) und einem c) core inventory (= alle Kontraste, die allen Dialekten gemeinsam sind). Aufgrund von a) komme man zu Ideophonemen (= pre-Trager-Smith-phonemes), aufgrund von b) zu Diaphonemen, aufgrund von c) zu core phonemes (Hockett's common core). Das phonologische Inventar (3.) umfaßt nicht mehr die Gesamtheit der Dialekte, sondern nur diejenigen mit «maximum internal congruence and patterning», es ist das « o v e r - a l l p a t t e r n needed to account 1
2
Cf. vom selben Autor, An outline of an overall pattern in historical English phonology in: Reprints of papers for the 9th international congress of linguists, Cambridge Mass. 1962, 307-312. (Studies in linguistics. Occasional papers, no. 3), Washington 1957.
2.4 Weinreichs Nachfolger
19
for the oppositions within the dialect samples that are to be included without listing» (p. 262, Hervorhebung von Stockwell). Wir können nicht in eine Diskussion der hier zugrundeliegenden Phonemund Dialektkonzeption eintreten. Es ist jedenfalls deutlich, daß wir mit der Inventarisierung gemeinsamer unterscheidender Züge (2.a und 2.c) zu R. Jakobsons Sprachbünden zurückkehren. 2.4.3
P. Ivic diskutiert 1960 auf dem 1. internationalen Dialektologenkongreß
die Verwendung struktureller Züge für die Klassifizierung von Dialekten 3 . Hierbei erscheinen für die Aufklärung des Mißverständnisses ganz wesentliche Gesichtspunkte, ohne daß diese Aufklärung allerdings schon ganz gelingt. Ivic bemerkt zunächst, daß die strukturellen Übereinstimmungen und Unterschiede allein das Problem der Klassifizierung der Dialekte nicht lösen können. Im Rahmen einer historischen Sprache können sich die häufig diskontinuierlichen Areale solcher Züge 4 rasch verändern. Die historische Kontinuität mit älteren Klassifizierungen könne so nicht gewährleistet werden. Ivic sieht den Nutzen solcher typologischer Züge für die Aufstellung von Sprachbunden über die Grenzen der historischen Sprachfamilien hinweg: vergleiche man z.B. die Phoneminventare, so entdecke man bei gewissen slowakischen Mundarten eine größere Affinität zu benachbarten ungarischen Mundarten als zu dem Großteil der polnischen Mundarten (cf. Importance
(1960, 1963), 123-127). Deswegen gelte:
« . . . les , par ex. les reflexes de certains phonemes du slave commun, prossedent, malgre leur moindre importance pour le systeme, un grand avantage comme criteres du groupement» (ebenda, p. 127). P. Ivic fragt sich auch, warum die erwähnten slowakischen Mundarten den polnischen doch näherstehen als den ungarischen, denen sie strukturell so sehr ähneln, und er findet den Grund in der Ähnlichkeit respektive Identität des Materials selbst, aus dem die Sprache besteht, «c'est-ä-dire des morphemes concrete, grammaticaux et lexicaux, conjus en correlation de leurs cotes phonique et semantique» (ebenda, p. 128). Der Grad der Ähnlichkeit in dieser Hinsicht entspreche im übrigen recht gut dem Grad der gegenseitigen Verständlichkeit. Im Gegensatz zu den Unterschieden hinsichtlich der Organisation der Systeme spricht Ivic bei phonischen Unterschieden, die das gemeinsame betreffen von Unterschieden in der Substanz. Er illustriert den Unterschied anhand von Informantenaussagen: «Iis disent souvent par ex.: «Dans ce mot nous avons un e, et nos voisins un i> (difference de substance), mais aussi par ex.: v). Vgl. seine 2. Karte (Abfall von rom. -p, -t, -k in F O C U - , D R A P P U - etc.). Hier bleibt die Innovation auf das Tal beschränkt, während sie auf Karte 1 auch in den Alpen nach Süden vorrückt. - Analoge Beobachtungen formuliert in Deutschland z.B. Fr. Maurer 1938 in Sprachgeographie, p.297. Cf. Die obersächsischen Mundarten (1961), 23 und das Kärtchen 6 im Obersächsischen ebenda. In ZMF 18, 59-67.
3.3 Implikationen
für die
Dialektgeographie
37
Innovationen k ö n n e n also auch diskontinuierliche, ja sogar laterale Areale einnehmen, o h n e daß dadurch das fundamentale Prinzip tangiert würde, nachdem die Ü b e r n a h m e sprachlicher Innovationen sprachlichen K o n t a k t (Kontiguität) voraussetzt. M a n vergleiche hierzu Die Namen nischen
Sprachen7.
der Obstbäume
in den
roma-
D e r neuere, ursprünglich adjektivische T y p ( A R B O R ) P I R A -
R I A b z w . P I R A R I U S (cf. franz. le poirier)
k o n n t e sich im Galicisch-Port.,
Katalanischen, Galloromanischen, R ä t o r o m a n i s c h e n , Venezianischen, in Piem o n t und in Kalabrien durchsetzen, während der (Schöneweiss) P I R U S (mit U b e r g a n g vom F e m . zum Mask.) heute im Kastilischen' und im Z e n t r u m Italiens herrscht. Ihn allein findet man auch im Rumänischen, w o h i n der adjektivische T y p vielleicht nie gelangt war. 3.3.3
G r e n z e n der Dialektgeographie
Es m u ß aber zugegeben werden, daß die Dialektgeographie dort, w o sich die Verbreitung von Neuerungen vorwiegend in den beiden anderen D i m e n s i o n e n vollzieht, an die G r e n z e n ihrer Berechtigung stößt'. Ein Beispiel: in P . E h r h a r d s Aufsatz Die horstartige
Ausbreitung
von
Wörtern
und Formen10
geht es um das
Eindringen der hochsprachlichen F o r m e n in die französischen Mundarten. D a die H o c h s p r a c h e in dem hochentwickelten Frankreich heute über Massenmedien, Schule etc. überall anwesend ist, erfolgt diese Aufnahme oft an vielen P u n k t e n (meist städt. Mittelpunkten) mehr oder weniger gleichzeitig. Diese erscheinen bei Ehrhard als weiße Inseln auf schraffiertem Hintergrund (dialektale, lokale F o r m e n ) . So gleichen die meisten Karten der Schnittfläche eines Schweizerkäses und die knappen K o m m e n t a r e beschränken sich im wesentlichen darauf, die H o r s t e aufzuzählen und der Vermutung Ausdruck zu geben, daß die Inseln sich w o h l bald zu einem Festland vereinigen werden. Interessanter wäre in diesen Fällen die und der regionalen Z e n t r e n " . 7
8
9
10
"
Titel der Dissertation von H.G. Schöneweiss, Köln 1955, vgl. dort 2. Hauptteil I., p. 82-97 mit Karte 3 auf p.95. Dort zwar elperal, el tiogal, la noguera, la higuera, aber sonst el cerezo, el manzano, el naranjo, el avellano etc. Vgl. H. Mosers Aussage: «die sprachliche Schichtung ist heute für die Entwicklung von Sprachbewegungen und Sprachgrenzen schon ebenso wichtig wie die landschaftliche Gliederung» (cf. Sprachgrenzen (1954), 97). Dies ist natürlich nicht überall so. Mit Beispielkarten aus dem (1970). Den Begriff hat der Autor nach eigenen Worten von Fr. Debus übernommen. In der dt. Dialektologie benützt man diesen Begriff häufig auch für die ersten Sprachinseln im Kolonisationsland, die dann durch Germanisierung der slawischen Umgebung zusammenwuchsen. Vgl. W. Mitzka, Mundart und Verkehrsgeographie, ZMF 11 (1935), 1-6, dort p.5. In einem ganz anderen soziokulturellen Kontext gilt doch Analoges für die Dialektologie der Kanarischen Inseln. Diego Catalan Menendez-Pidal rät hier dem Studium der dialectalizaciön vertical gegenüber dem der sekundären; dialectalizaciön horizontal Priorität zu geben (El Espanol en Canarias in: Presente y futuro de la lengua espaüola, Bd. I Madrid 1964, p. 239-288, dort p.240).
4
Sprachwandel
4.0
Vorbemerkung
Die Dialektologie und mit ihr die Dialektgeographie sind historische Disziplinen. Es ist daher für uns wichtig zu fragen, welche Vorstellung vom Sprachwandel die Sprachgeographen bei ihrer Arbeit jeweils zugrunde legen bzw. zu welchen Vorstellungen sie in dieser Hinsicht im Umgang mit den dialektgeographischen Materialien gelangen. Die Dialektgeographie braucht für ihre Karteninterpretationen eine vernünftige Theorie des Sprachwandels, sie hat aber auch selbst einen wichtigen Beitrag zu diesem Thema zu leisten.
4.1
Der Sprachwandel nach E. Coseriu
Wir sehen die Konzeption der einzelnen Autoren jeweils auf dem Hintergrund einer von uns angenommenen Theorie des Sprachwandels, wie sie von E. Coseriu vertreten wird. Da hier nur einige wichtige Punkte hervorgehoben werden können, sei nachdrücklich auf E. Coserius Buch Sincronia, diacronia e historia. Elproblema del cambio lingüistico hingewiesen 1 . In der zweiten Hälfte des Kapitels versuchen wir einige die Dialektgeographie interessierenden Schlüsse aus dieser Theorie abzuleiten.
4.1.1
Auflösung der des Sprachwandels
E. Coseriu geht von der F u n k t i o n a l i t ä t der Sprache aus und stellt fest, daß sich die angebliche Aporie des Sprachwandels (wie kann sich die Sprache wandeln, ohne dabei aufzuhören zu funktionieren?) auflöst, wenn man in der Sprache eine schöpferische Tätigkeit (Energeia) des Individuums erkennt. Als solche kann sie sich nie mit einer fertigen Sprache zufriedengeben, der Ausdruckswille befindet sich fortwährend in einer einmaligen Situation. Die Sprache m u ß sich daher kontinuierlich ändern, u m ihrer Ausdrucksfunktion gerecht zu werden. Die Vorstellung von Sprachzuständen, die durch Sprachwandel werden, 1
Erstmals Montevideo 1958, dann wieder 1973 in Madrid (Gredos). Wir zitieren aus der deutschen Ausgabe Synchronie, Diachronie und Geschichte. Das Problem des Sprachwandels übersetzt von Helga Söhre, München 1974.
4.1 Der Sprachwandel
nach Ε. Coseriu
39
geht somit am W e s e n der Sprache vorbei 2 . Diese zerfällt erst aufgrund der I m p e rative der Wissenschaft und in dieser in Sprachzustände (Synchronic) und Sprachwandel (Diachronie). D a s heißt zunächst, daß es für den Sprachwandel keine natürlichen G r ü n d e gibt, wie wir sie für die Veränderungen annehmen, die in der N a t u r v o r k o m m e n . F ü r das sprachschöpferische Individuum kann es nur B e d i n g u n g e n und M o t i v e geben. D a man für andere spricht, um verstanden zu werden, die Sprache also wesentlich dialogisch ist, müssen die Schöpfungen an eine gemeinsame T r a dition anknüpfen. E i n e solche tradierte T e c h n i k d e r R e d e steht dem Individuum als Sprachsystem zur Verfügung. Dieses System wird von ihm laufend aus den Redeakten der anderen Sprecher abstrahiert als Modell für weitere, eigene Redeakte. G e g e n ü b e r dieser laufend neu geschaffenen, konkreten Sprache des Individuums ist das Sprachsystem des Sprachwissenschaftlers eine Abstraktion, eine , in der von der Bewegung abgesehen wird, um das Systemhafte der Sprache studieren zu können.
4.1.2
Innovation
und
Adoption
Diese Überlegungen sind wichtig für die Frage nach dem O r t , an dem der Sprachwandel erfolgt. Dieser kann nicht die Rede sein und noch weniger die abstrakte Sprache des Sprachforschers, sondern nur die konkrete Sprache des Individuums. Alles was in der Rede v o m hergebrachten des Sprechens abweicht, ist I n n o v a t i o n . Als solche braucht sie jedoch gar keiner sprachverändernden Intention des Sprechers zu entsprechen, es kann sich - auch in den Augen des Sprechers selbst - um einen Fehler, eine Nachlässigkeit, einen gewollten V e r s t o ß etc. handeln. D i e Innovation ist daher noch nicht Sprachwandel. Dieser tritt erst ein, wenn etwas v o m Sprecher oder H ö r e r als Vorbild für künftiges Sprechen adoptiert wird. Sprachwandel ist intentioneile A d o p t i o n von Mustern für zukünftiges Sprechen. D e r Sprachwandel kann nicht in der abstrakten Sprache der Sprachwissenschaft vor sich gehen. D o r t , w o diese Abstraktionen wirklich gerechtfertigt sind, d.h. w o die konkreten Sprachen der Individuen weitgehend übereinstimmen, verdankt man dies der r e i h e n w e i s e n A d o p t i o n aufgetretener Neuerungen 5 . Es ist ein Widerspruch anzunehmen, ein Sprachwandel k ö n n e in einem ganzen
2
3
Auch im Lager der Generativisten fordert man inzwischen ein «konsequent diachronisches Kompetenzmodell», um sich von dieser zu befreien (cf. S. Kanngießer, Aspekte der synchronen und diachronen Linguistik, Tübingen 1972, p.70). Damit es dazu kommt, müssen viele Sprecher ähnliche Motive haben, diese Innovation zu adoptieren: «es preciso, por tanto, que la razön de ser del impulso innovador conserve su vitalidad durante todo ese largo periodo de tiempo para que esas nuevas adhesiones sean posibles» (Diego Catalan Menendez-Pidal, La escuela lingüistica espanola y su concepciön del lenguaje, Madrid 1955, p. 90). - Eine der Wurzeln von E. Coserius Theorie des Sprachwandels führt gerade zu dieser spanischen Schule>.
40
1,4
Sprachwandel
Dialekt zugleich erfolgen, wenn dieser Dialekt sich doch gar nicht anders als aufgrund der V e r b r e i t u n g v o n N e u e r u n g e n ausgliedert» bzw. abgrenzen läßt\ 4.1.3
Wandel in der Norm / im System
U m zu wissen, was die Individuen an ihrer Sprache ändern können, wird es nötig, deren Organisation näher zu betrachten. Nach Saussure gelangt man zur langue, indem man aus der parole das abstrahiert, was funktionell und sozial ist. E. Coseriu unterscheidet innerhalb der konkreten Sprache S y s t e m , N o r m und R e d e , indem er feststellt, daß es in ihr auch Übliches gibt, das nicht funktionell ist ( = Norm). So sind die Phoneme als solche durch die Oppositionen, in denen sie zu anderen Phonemen des Systems stehen, hinreichend identifiziert, / p / ist im Deutschen das plosive, stimmlose, labiale Konsonantenphonem. Trotzdem schöpfen die Realisierungen dieses / p / nicht den ganzen artikulatorischen Spielraum aus, der damit umschrieben ist. Die Sprecher respektieren zusätzlich eine Norm, nach der / p / in gewissen Kontexten mit, in anderen ohne Aspiration realisiert wird etc. Für die Inhaltsebene gilt dasselbe. Der durch die Oppositionen abgegrenzte Bedeutungsraum wird in der Rede (durch die Redebedeutungen) nicht voll ausgeschöpft. Wir können es uns an einer Anekdote klarmachen, die wir selbst erlebt haben. In einer Gesellschaft bietet ein Ausländer seiner Nachbarin Früchte an mit den Worten: «Darf ich Sie befruchten?» Er verstößt damit eigentlich nicht gegen das deutsche System, in dem die denominalen Verben auf be- soviel wie „mit χ versehen" heißen. Der Witz besteht gerade darin, daß die Äußerung gleichzeitig richtig (auf der Ebene des Systems) und falsch (auf der der Norm) ist. Tatsächlich ist wohl die Verwendung fast aller denominaler be-W erben in der N o r m eingeschränkt, so daß man z.B. vom Modehaus nur ausnahmsweise sagen wird, es bekleide seine Kunden, vom Wasserträger, er bewässere seine Kundschaft etc. Für den Sprachwandel heißt dies zunächst, daß wir auch hier mit zwei Typen rechnen können: Wandel, der auf der Ebene der Norm bleibt, und solcher, der die des Systems erreicht (indem Oppositionen aufgegeben, eingeführt, umgestaltet werden). Im ersten Fall erscheinen auf der Ebene des Ausdrucks neue Realisierungstypen 5 , auf der Ebene des Inhalts neue Redebedeutungen (bzw. es werden alte aufgegeben).
4
5
Vgl. f ü r die e x t e n s i v e A l l g e m e i n h e i t als Resultat einer V e r b r e i t u n g E. C o s e r i u , Syncbronie, Diachronie und Geschichte (1958, dt. 1974), III, 4.4.2-3. V o n ihr ist die i n t e n s i v e A l l g e m e i n h e i t des W a n d e l s (seine G e s e t z m ä ß i g k e i t ) zu t r e n n e n (vgl. e b e n d a III, 4.4.2 u n d 4.4.4-5.2), v o n d e r hier u n t e r I, 4.1.4 n o c h die R e d e sein w i r d . I n d e m z.B. die n o r m a l e p h o n i s c h e Realisierung eines P h o n e m s d u r c h eine andere b z w . d e r signifiant eines Zeichens d u r c h einen anderen - ev. sogar n u r hinsichtlich eines (.•in/igen P h o n e m s a b w e i c h e n d e n - ersetzt w i r d . Vgl. den v o n E. C o s e r i u in seiner Mi-ukturcll-diachronischen Semantik v e r w e n d e t e n Begriff des remplacement (cf. infra II, 5.1.1-3).
4.1 Der Sprachwandel nach Ε. Coseriu
4.1.4
41
Gesetzmäßigkeit des Wandels
Der Sprachwandel - und mit ihm der umstrittene Lautwandel - ist g e s e t z m ä ß i g , weil die Adoption nicht in der Rede, sondern für diese, d.h. in der systematischen Technik des Redens eines Individuums erfolgt. Sie betrifft folglich im Prinzip alle Redeakte, die aus dieser modifizierten Technik fließen. E. Coseriu benützt das Bild von der Schreibmaschine, K. Haag (Sprachwandel im Lichte der Mundartgrenzen (1929/30), 25) dasjenige vom , in dem eine Taste ersetzt, entfernt oder neu eingeführt wird'. Wenn demgegenüber in den historischen Sprachen diese Gesetzmäßigkeit durchbrochen erscheint, so rührt das daher, daß - wie wir sahen - die extensive Allgemeinheit nicht das Resultat einer, sondern vieler, ev. voneinander abweichender Adoptionen ist (vgl. unten I, 4.2), daß weiter ein neues Verfahren zunächst nur als Möglichkeit neben dem alten Verfahren adoptiert wird (vgl. unten I, 4.1.6) und daß schließlich im Rahmen einer historischen Sprache nachträglich Anleihen bei anderen Dialekten gemacht werden können, deren Sprecher die entsprechende Innovation nicht adoptiert haben.
4.1.5
Nichtgradualität des Lautwandels
Auch der Lautwandel kann nach einer solchen Konzeption n i c h t g r a d u e l l erfolgen. Er betrifft die mentalen, diskreten Einheiten und Klassen der konkreten Sprache und ist eine geistige Adoption, kein . Die Illusion der Gradualität entsteht insbesondere beim Lautwandel durch Interferenzen zwischen altem und neuem Modell in der Rede. Resultate solcher Interferenzen sind irgendwo in der Mitte liegende Realisierungen, die - in einer Reihe angeordnet - einen zu beschreiben scheinen. 4.1.6
Selektion
Die Interferenzen sind möglich, weil das alte Modell nicht sofort vergessen wird. Anders gesagt, das neue Modell wird zunächst als Möglichkeit adoptiert. Der Sprecher hat in Zukunft die Wahl, entweder die alte Sprache (nach dem alten Modell) oder die neue Sprache (nach dem neuen Modell) zu sprechen. Beide Modelle können beim Individuum - und erst recht in einer Sprachgemeinschaft - lange nebeneinander stehen 7 . Die Entscheidung f ü r oder gegen die Resultate 6
7
In ganz ähnlicher Weise wie E. Coseriu hat inzwischen J. Fourquet die Gesetzmäßigkeit des Lautwandels begründet (cf. Proceedings of the 9,h international congress of linguists, Cambridge Mass. 1962, Den Haag 1964, p. 638-644). Seinen Ausführungen ist u.E. nur hinzuzufügen, daß das, was Coseriu die Adoption einer Innovation nennt, zunächst nur der Intention nach ein fait social ist. Zum fait social im Sinne von Allgemeingut wird sie erst aufgrund fortgesetzter Adoptionen durch weitere Sprecher. Dieses Nebeneinander, den Aspekt der Wahl, sowie den intentioneilen Charakter unterstreicht für den Lautwandel auch F. Fonagy (Variation und Lautwandel, Ansätze zu einer dynamischen Phonetik in: Phonologie der Gegenwart, hrsg. von J. Hamm, Graz-Wien-Köln 1967, p. 100-123).
42
I, 4
Sprachwandel
des Wandels (die S e l e k t i o n ) erfolgt nicht generell, sondern von Fall zu Fall und nicht selten mit unterschiedlichem Ergebnis®. Sie ist im allgemeinen ein langwieriger Vorgang. E r s t mit ihrem A b s c h l u ß k o m m t auch der Wandel z u m E n d e . Häufig werden es die Resultate des Wandels sein, die beibehalten werden, weil die M o t i v e für die A d o p t i o n e n der Innovation durch immer mehr Sprecher auch die Selektion beeinflussen werden. Prinzipiell besteht aber auch die M ö g lichkeit der R ü c k k e h r , solange die Selektion und mit ihr der Wandel noch nicht abgeschlossen ist'.
4.2
Implikationen für die Dialektgeographie
4.2.1
W a s heißt ?
Zunächst ist ein Mißverständnis auszuräumen, das sich in gewissen Metaphern spiegelt, die in der Sprachgeographie geläufig sind: die Verbreitung von N e u e rungen wird mit einer Welle verglichen, die über den Sprachraum hinwegläuft, Neuerungen , , man unterscheidet zwischen . Dabei beschreibt er selbst treffend einen Sachverhalt, der besonders zur Illusion der Gradualität beiträgt. Wir meinen seine Beobachtung, dass eine Neuerung, sobald die Schranke überflutet wird, fast mit einem Schlag an allen Orten der dahinter liegenden, von einer anderen Schranke begrenzten Landschaft auftritt: erst unmerklich, dann immer tiefer gehend, bis die Neuerung völlig zur Herrschaft gelangt ist. Ein geschlossenes Vorwärtswallen von O r t zu O r t , . . . , würde die Ausnahme bilden (Baarmundarten (1898), 104).
Nun ist es sicherlich so, daß das sehr schnell erfolgen kann. Als Vorgang in der Zeit bleibt es dem Explorator und dem Leser einer Sprachkarte verborgen. Was beide beobachten, sind Kompromißlösungen zwischen altem und neuem (Haag) in der Rede, wenn immer die Selektion in der fraglichen Gegend noch nicht abgeschlossen ist (cf. supra 1,4.1.5-6). O b Grenzen heute noch fließen, kann nur die Zukunft lehren. Es wäre daher wohl besser, einfach scharfe Grenzen von unscharfen zu unterscheiden, die man dort beobachtet, wo die Selektion noch andauert. Nehmen wir noch die Unterscheidung zwischen Wandel, der nur den betrifft, und solchem, der auch die neu ordnet hinzu (indem er alte Gemeinschaften zerreißt oder/und neue stiftet) - wir kommen gleich noch auf diese Unterscheidung zurück
so können wir das Schema zur Typologie der Lautgrenzen von S. 85 in
seiner oberen Hälfte so präzisieren, wie es die Abbildung auf S. 92 zeigt. Auch für die kann die Selektion noch andauern oder schon abgeschlossen, die Grenze also unscharf oder scharf sein. In diesen Kritikpunkten bestätigt sich nur etwas Selbstverständliches: Haag gehört in eine Epoche der Sprachwissenschaft, die z.T. überwunden ist. Es geht heute aber darum, seine zukunftsweisende Originalität zu erkennen: Seine Kartierungstechnik ist unübertroffen. Mit seinen Abgrenzungen von Sprachlandschaften schwimmt er gegen den Strom der dt. und frz. Sprachgeographie (cf.
92
II, 1 Karl Haag (1860-1946) Selektion Λ
ch andauernd
nur den Lautwert
abgeschlossen
L W in der Norm
LW in der Norm
Gr. unscharf
Gr. scharf
betr. LW die Laut-
L W im System
LW im System
klassen
Gr. unscharf
Gr. scharf
betr.
infra 111,1.1+2). Mit seinen Lautklassen steht er auf dem damals modernsten Stand der Interpretation der lautlichen Seite der Sprache, und er bietet von hier aus die fortschrittlichste Theorie der lautlichen Veränderungen, die dem Verfasser aus jener Zeit bekannt ist. Entscheidend für uns ist nicht die - im übrigen sehr ausdrucksstarke - positivistische Terminologie, sondern die Tatsache, daß Haags Unterscheidungen fast immer Wesensunterschiede im Objekt der Sprachwissenschaft treffen. Sie bleiben, ob wir sie nun so oder so benennen. So sehen wir z.B. heute gerade in dem, was Haag das Absterben eines Lautwandels nennt, den Lautwandel par excellence, in dem lebendigen Lautwandel nur einen Wandel auf der Ebene der Realisierungsnorm. In der
Worwerdrän-
gung sehen wir einen Spezialfall der Formen Übernahme und somit (vom Prozeß her gesehen) keine Ldwtveränderung mehr etc. Es bleibt die Tatsache, daß Haag um 1900 die G r e n z e n zwischen Lautwandel auf der Ebene der N o r m und solchem auf der Ebene des Systems, zwischen Lautwandel und Formenübernahme klar gesehen hat. Ahnliches ließe sich für seine Veränderung in der Sprechmaschine> (1929/30 spricht er vom und seinen ) und der daraus resultierenden Regelmäßigkeit des Wandels bzw. vom Schwanken des Einzellautes in den durch den gesetzten Grenzen ausführen etc. Zu diesen für die Wesensbestimmung des Phänomens Sprache so grundlegenden Unterscheidungen hat den Weltbürger K. Haag die Beschäftigung mit den Mundarten seiner engsten Heimat geführt. Wir sehen deshalb in ihm einen H ö hepunkt der Dialektologie und zögern nicht, ihn mit Gillieron und Bartoli in eine Reihe zu stellen.
2
2.1
Jules Gillieron (1854-1926) 1
Gillierons Fragestellung
J . Gillierons Interessen berühren sich kaum mit denjenigen von K. Haag. Die sprachgeographischen Pläne des Schöpfers des Atlas linguistique
de la
France
( 1 9 0 2 - 1 9 1 0 , Autoren J . Gillieron und E . E d m o n t ) reiften in einem sprachwissenschaftlichen Milieu, in dem es für ausgemacht galt, daß jede Abgrenzung dialektaler Einheiten willkürlich 2 und sprachliche Homogenität nicht einmal im Kreise einer Familie anzutreffen sei3. Ihm geht es nicht um eine Geographie der Mundarten, sondern ausschließlich um eine solche der dialektalen Fakten. Hier galt für ihn, «que la repartition des faits du langage est elle-meme un fait qu'il faut expliquer et par elle-meme est generatrice d'explications» 4 . Die dialektalen Fakten sind auch andere als bei H a a g : der Lautwandel ist im allgemeinen nicht das Ziel, sondern ein Hebel für die Interpretationen Gillierons 5 . Ihm geht es um 1
2
5
4
5
Für das Werk J. Gillierons und seiner Mitarbeiter vergleiche man M. Roques, Bibliographie des travaux de J. Gillieron, Paris 1930, S. Pop + Rodica Doina Pop, Jules Gillieron, vie, enseignement, eleves, oeuvres, souvenirs, Löwen C.I.D.G. 1959, I. Iordan, Einführung (dt. 1962), 175-231 mit umfangreichen bibliographischen Angaben zur Rezeption des Werkes von J . Gillieron sowie die Dissertation von W. Hillen, Saineans und Gillierons Methode und die romanische Etymologie ( = Romanistische Versuche und Vorarbeiten 45), Bonn 1973. Bekannt sind die Äußerungen P. Meyers in seiner Rezension zu G. I. Ascolis Schizzi franco-provenzali: « II s'en suit que le dialecte est une espece bien plutöt artificielle que naturelle; » (Romania 4 (1875), 294). G. Paris hat in Les parlers de France (1888) ähnliche Gedanken geäußert. Auf diesen historischen Hintergrund des ALF kommen wir unter 111,1.1 ausführlicher zu sprechen. - Übrigens hat auch Gillieron gelegentlich zugegeben, daß die Grenzen lautlicher Erscheinungen öfter zusammenfallen, als es ihr «willkürlicher Charakter> erwarten lasse (cf. Romania 12 (1883), 396). Cf. abbe Rousselot, Les modifications phonetiques du langage etudiees dans le patois d'une famille de Cellefrouin (Charente), Paris 1891. Zusammen mit dem abbe Rousselot gab Gillieron seit 1887 die Revue des patois gallo-romans heraus. Aus der von L. Spitzer (Meisterwerke der romanischen Sprachwissenschaft I, München 1929, pp. 367/368) zitierten Einschätzung der Leistung Gillierons. So wird z.B. in Gillierons Genealogie des mots qui designent l'aheille d'apres l'Atlas linguistique de la France, Paris 1918 (hinfort als Aheille (1918) zitiert) das Areal nicht genau bestimmt, in dem D E ILLAS APES und D E A U C E L L O S lautgesetzlich zusammenfielen, obwohl diese Musterinterpretation der Karte 1 des ALF gerade von diesem Zusammenfall in (le vol) dezes ausgeht und obwohl das Auffinden der Lautgesetze in den Mundarten noch 1902 zu Gillierons erklärten Zielen gehörte (cf. ALF - Notice, p.4).
94
II, 2 Jules Gillieron
(1845-1925)
die Deutung der Verbreitung lexikalischer Typen. Dabei erfordert eigentlich jedes Atlasblatt seine eigene Fallstudie und das prinzipielle Interesse solcher Studien besteht im Aufsuchen der Gründe, .
2.2
Das Wesen der lexikalischen Karten
Es ist zunächst nötig, sich über die Informationen klar zu werden, die die Atlaskarten - und zwar nicht nur diejenigen des ALF, sondern prinzipiell jedes Sprachatlasses - hinsichtlich dieser lexikalischen Typen enthalten. 2.2.1
Onomasiologischer Charakter derselben
Man sagt gewöhnlich, die Karten seien onomasiologischer Natur, d.h. sie registrieren dialektale Bezeichnungen für Begriffe und Sachverhalte, die den örtlichen Informanten durch das Nennen französischer Wörter oder anhand von Minitexten vorgeführt worden sind (so enthalten sie z.B. die dialektalen Bezeichnungen für eine Tätigkeit Wetzen, in der jeweiligen Übersetzung von franz. queux, pierre a aiguiser, cf. ALF Karte 16)'. Unter den Autoren, die sich mit dem ALF auseinandergesetzt haben, hat K. v. Ettmayer die Implikationen dieses onomasiologischen Charakters besonders deutlich gesehen (Uber das Wesen der Dialektbildung (1924)). Im Gegensatz zu dem auch von ihm benützten Ausdruck Lautgrenzen, verwendet er für die grammatische bzw. lexikalische Formen trennenden Isoglossen die Bezeichnung Formen- und Wortgebrauchslinien. Tatsächlich können diese Formen und Wörter ja auch außerhalb ihres Kartenareals existieren, nur werden sie dort offenbar nicht für die Bezeichnung des im Fragebogen umschriebenen Sachverhaltes verwandt 2 .
1
2
O b die Einheit in der Bezeichnung beim ALF immer gewährleistet ist, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Der Fragebogen wurde nie veröffentlicht und die Überschriften der Karten sind mehr oder weniger ausführlich. Die Titel der Karten 6 und 7 ergeben z.B. den Text Je vais acheter deux chevaux ä lafoire et vendre les deux (chevaux) que j'ai achetes l'an dernier, wobei für jeden Punkt die Patoisübersetzung von acheter und achetes festgehalten werden. Dagegen finden wir bei den Karten 2 und 14 nur die Titel ahoyer und aiguille. In dieser Form wären die Fragen sicherlich nicht immer eindeutig genug gewesen. Man denke z.B. an die erwähnte Karte 16 aiguiser, die aus Karte 1121 queux, pierre α aiguiser abgeleitet ist. Wenn hier an Punkt 315 ganz isoliert neben affiler auch remoudre erscheint, so vielleicht einfach, weil sich der Informant nicht ganz sicher war, ob es um einen Wetzstein ging, den man mit aufs Feld nimmt, oder um einen drehbaren Schleifstein. Hi^r mußte alles von einer klärenden Geste, einer Zusatzfrage etc. abhängen. So erscheint z.B. der Typ mouche außer auf Karte 873 mouche noch auf den Karten 1 abeille, 482 essaim, 672 guepe, 877 moucheron etc.
2.2 Das Wesen der lexikalischen
2.2.2
Karten
95
Bedeutung und Bezeichnung
Diese Tatsache an sich ist kaum jemand entgangen. Am wenigsten J. Gillieron selbst, für den der Vergleich zwischen den Arealen etymologisch identischer Formen auf verschiedenen Karten oft der Schlüssel zur Interpretation ist. Aber Gillieron hat nicht wie von Ettmayer erkannt, daß dies zunächst nichts mit der Bedeutung der Formen zu tun haben muß. Denn: «Ein Wort besteht nicht bloß aus einer Lautreihe mit ihrer Bedeutung (oder ihren Bedeutungen), sondern enthält noch ein drittes Element, das jedem Zeichen notwendig zukommen muß und das man seinen oder seinen oder seine nennen kann» (Uber das Wesen (1924), 7). Zum Verständnis dieser Unterscheidung zitieren wir eine Bemerkung von Ettmayers über zwei Bezeichnungen für die sich auf Karte 389 des ALF (...sont alles DENICHER des nids d'oiseaux) findet: «Chercker des nids heißt nie detruire des nids, aber die beiden Bedeutungen gelten als gleich, d.h. sie haben den gleichen Sinn» (ebenda, 8). In der Terminologie von E. Coseriu lautet die Erkenntnis von Ettmayers: Zusammenfall in der B e z e i c h n u n g impliziert nicht Zusammenfall in der B e d e u t u n g 5 . Die Bedeutungen von chercher, denicher und detruire rechtfertigen die Bezeichnungsgleichheit in diesem Zusammenhang, aber die Situation determiniert nicht den Gebrauch der Bedeutung "chercher" oder "denicher" oder "detruire".
2.2.3
Normale Bezeichnung
Damit will von Ettmayer nicht sagen, die auf den Atlaskarten verzeichneten Typen stellten eine prinzipiell willkürliche Auswahl unter anderen, an denselben Punkten ebenfalls möglichen Bezeichnungen für denselben Sachverhalt dar4,
3
4
Ohne terminologische Absicht benützt übrigens auch von Ettmayer den Begriff Bezeichnung: anläßlich der Karte 732 joyeux wiederholt er die Feststellung, daß die hier auftretenden lexikalischen Typen joyeux, content, dru, gai, gracieux nicht bedeutungsgleich sind, und fährt fort: «Wohl aber gilt zur Bezeichnung speziell der «heiteren Gemütslage> in der einen Gegend das Wort content als das gebräuchlichere, in der anderen joyeux oder gai» (Uber das Wesen (1924), 8). Wie sich aus einer als weiteres Beispiel angeführten Opernanekdote ergibt, fällt übrigens nicht nur Coserius Bezeichnung, sondern auch sein Sinn bei von Ettmayer unter dem letzten Ausdruck zusammen. Für seine Trennung von Bedeutung und Sinn beruft sich von Ettmayer auf Martinaks und Meinongs Studien über Locke und Hume. Für Bedeutung und Bezeichnung bei E. Coseriu vgl. ders., Einführung in die strukturelle Betrachtung des Wortschatzes, hrsg. von G. Narr zus. mit E. Brauch und Gisela Köhler (= TBL 14), Tübingen 21973 dort p. 44-47. Obwohl das bei bestimmten Bezeichnungstypen schon der Fall sein kann, insbesondere dann, wenn der Kontext im Fragebogen nicht hinreichend war, um eine gedachte Redesituation ausreichend zu spezifizieren. Es dürfte wenig sinnvoll sein, die geographische Distribution von ils s'agenouilleraient und ils se mettraient a genoux auf Karte 10 oder die von dernier, -iere und passe, -e bzw. von Γan und l'annee auf Karte 39 zu interpretieren. Wo immer die Formen allzu bunt gestreut sind, ist Mißtrauen am Platz.
96
II, 2 Jules Gillieron (1845-1925)
denn - um wieder mit Karl von Ettmayer zu sprechen - in einer Gegend ist ein Wort (z.B. content), in einer anderen Gegend ein anderes (z.B. joyeux oder gai) f ü r die Bezeichnung eines bestimmten Sachverhaltes (z.B. ) das gebräuchlichere 5 . Die Atlaskarten verzeichnen also in der Regel die an den einzelnen Punkten n o r m a l e n (cf. supra I, 4.1.3) Bezeichnungen für den im Titel der Karte genannten Sachverhalt. Die normale Bezeichnung fällt ausnahmsweise mit der Bedeutung zusammen, wenn wir es mit Bereichen zu tun haben, f ü r die auch die Volkssprache über eine (populäre) Terminologie verfügt. Das gilt insbesondere für die der ländlichen Bevölkerung insgesamt namentlich (wenn auch unter sehr verschiedenen Namen) bekannte Pflanzen- und Tierwelt. Es ist daher kein Zufall, wenn sprachgeographische Monographien zum W o r t schatz immer wieder diese Bereiche bevorzugen'. Hier kann man deshalb auch am ehesten von (mehr oder weniger unerträglichen) H o m o n y m i e n sprechen, die zur Aufgabe bestimmter Wortformen führen.
2.3
Gillierons Interpretation der lexikalischen Karten
2.3.1
Raumargumente aus einer Karte
Mit gewissen Raumargumenten geht nun Gillieron daran, eine chronologische O r d n u n g in die Vielfalt der auf den Karten verzeichneten Bezeichnungstypen zu bringen 1 . Schon die Tatsache der geographischen Nachbarschaft gibt häufig Hinweise auf die historischen Beziehungen. Ein Typ kann sich deutlich als Weiterentwicklung (Derivation, Volksetymologie, Protestform) im Verhältnis zu einem benachbarten T y p zu erkennen geben: mouche "abeille" steht überall im geographischen Zusammenhang mit mouchette "abeille" und erweist sich dadurch als (die Biene ist nicht kleiner als die Fliege, cf. Abeille (1918), 127); mouchette "abeille" ist damit als ältere Schicht unter mouche "abeille" wahrscheinlich gemacht, wodurch sich neue Nachbarschaftsverhältnisse ergeben 2 .
5 6
1
2
Vgl. die vorletzte Anmerkung. Vgl. Titel wie J. Gillieron, Genealogie des mots qui designent l'abeille, Paris 1918, sowie Gillierons Arbeit zu Hahn und Katze in der Gascogne oder V. Bertoldi, Un ribelle nel regno de' fiori. I nomi romanzi del Colchicum Autumnale L. attraverso il tempo e lo spazio, Genf 1923 (= Biblioteca dell' Archivum Romanicum, serie 2, vol. 4). Diese Argumente sind von G. nirgends zusammengestellt worden, wir müssen sie in seinen Einzeluntersuchungen selbst aufsuchen. mouche "moucheron" erscheint an Punkt 190 wiederum in geographischer Kontinuität mit mouche "abeille" etc. K. Jaberg sieht in solcher solidarite g0ographique (neben der coincidence des aires de deux phenomenes linguistiques, cf. hier den folgenden Abschnitt) das zweite wichtige Raumargument in den Interpretationen Gillierons (cf. A propos de J. Gillieron (1920, 1965), 214/215).
2.3 Gillierons Interpretation
der lexikalischen
97
Karten
U n t e r b r o c h e n e Areale lassen sich oft als Reste eines untergegangenen K o n t i nents> verstehen 5 . Zwei zusätzliche Hinweise können die A n n a h m e des ursprünglichen Zusammenhangs weiter untermauern: 1. D i e fraglichenAreale befinden sich in Randlage,wie z.B.diejenigen desArtois, der Schweiz, des M e d o c und der Kanalinsel G u e r n s e y , die noch heute die Biene mit dem T y p A P I S bezeichnen 4 . 2. In der Z w i s c h e n z o n e finden sich Spuren der ehemaligen Präsenz dieses T y p s , so z . B . wenn ein T e x t aus dem 15. J h d t . von den Bienen spricht que appelle
eps en France
(cf. Abeille
l'on
(1918), 20) oder wenn der fragliche T y p
- z . B . S E R R A R E " s ä g e n " - in einer Ableitung da ist, mit der man die Säge oder das Sägmehl bezeichnet 5 . D i e Interpretation der Atlasblätter beginnt wegen dieses doppelten Indizes (Diskontinuität und Lateralität) eigentlich immer am R a n d e des franz. Sprachgebietes und bewegt sich von dort aufs Zentrum zu'.
2.3.2
Raumargumente durch Vergleich mehrerer Karten
Es geht Gillieron aber nicht nur darum, eine relative C h r o n o l o g i e für die auf einer Karte angetroffenen Bezeichnungstypen aufzustellen 7 , sondern er will die G r ü n d e finden, warum die alten T y p e n zum Teil untergegangen sind. D a z u müssen weitere Karten hinzugezogen werden: neben der Karte 1 abeille,
die
Karten 482 essaim, 672 guepe, 866 moineau, 876 mouche, 938 oiseau, 1174 ruche, rucher
etc., neben der K a r t e 1206 scier, diejenigen von faucher
(543), fermez
(554), sciure
(541),
schiedenen Karten ergibt Verhältnisse, die man mit den Begriffen Deckung,
3
4
5 6
7
8
Exklusion
faucille
(1207) etc. D e r Vergleich zwischen Arealen auf verInklusion,
umschreiben kann 8 .
Damit Polygenese wahrscheinlich ist, muß man zeigen können, daß die Neuerung im vorausgehenden Sprachzustand gewissermaßen war (cf. J. Gillieron und J. Mongin, Scier (1905), 5 und hier unten 11,2.5.2.5. Das Prinzip der Lateralität hat Gillieron - soweit wir sehen - nie als solches aufgestellt (vgl. unten 11,3.3.1 M. Bartolis Norm 2), aber oft benützt. Für die geographische Verteilung von APIS vgl. Abeille (1918), 19 und die Karte im Anhang ebenda. Vgl. die Karten I und II im Anhang zu Sder (1905). «Nous allons etudier successivement ..., les aires oü APIS s'est conserve, et, en en rayonnant, les aires secondaires, tertiaires, etc. qui recouvrent tous les territoires intermediates par ou, en Souterrain les formes de APIS se rejoignent ...» (Abeille (1918),22). Man spricht von bzw. von (cf. Scier (1905), 8 und K. Jaberg, A propos de J. Gillieron (1920, 1965), 205). Ziel J. Gillierons ist somit schon das, was P. Ivic als Aufgabe der strukturellen Dialektologie formuliert: «eclairer les rapports de conditionnement, d'implication et d'incompatibilite qui se manifestent dans le fait que le phenomene A ne parait pas lä oü il n'y a pas de phenomene B, ou bien que le phenomene C ne se trouve que lä ou le phenomene D est absent» (Importance (1960, 1963), 120/121).
98
11,2 Jules Gillieron
(1845-1925)
So setzt z . B . die Präsenz eines von S E C T A R E abgeleiteten Wortes für "sciur e " im Okzitanischen die Präsenz von S E C T A R E "scier" selbst voraus. Umgekehrt kann - wie eben erwähnt - von dem Vorhandensein von Ableitungen zu anderen Verben auf die ehemalige Präsenz der entsprechenden Verben geschlossen werden usw. Dies hängt damit zusammen, daß mit jedem neuen Verbum für "scier" auch schon die systematische Möglichkeit für eine entsprechende Ableitung zur Bezeichnung des Sägmehls besteht. Eine zentrale Bedeutung kommt den Deckungs- und Exklusionsverhältnissen zu, deren idealtypische Form sich folgendermaßen schematisieren läßt: Areal A
Areal Β
Karte 1 Karte 2
wobei -
= ein Bezeichnungstyp χ
und
= ein anderer/andere Bezeichnungstyp(en).
Also z . B . ' ALF-Punkte 280, 281, 282, 295 Karte 680 " h a c h e "
ap
Karte 482 "essaim"
ALF-Punkt 294 oyo' • (le) op< ap -
Solche Beobachtungen werden von Gillieron gewöhnlich im Sinne eines ursächlichen Zusammenhangs interpretiert: χ fehlt auf Karte 1 in B , weil es sonst dort zweierlei Sachverhalte bezeichnen würde, die auseinandergehalten werden müssen (z.B. die Axt und den Bienenschwarm) 10 . Auch dieses Argument wird dann umgekehrt: die pure Tatsache des Verschwindens eines älteren Typs verlangt schon einen solchen pathologischen Zustand, als Erklärung: «L'absence de E S S A I M "essaim" s'explique uniquement par l'ancienne presence de E S S A I M "abeille" et l'absence de E S S A I M "abeille"
'
Cf. Abeille (1918), 3 2 / 3 3 . Eines der bekanntesten Beispiele für dieses Schema ist die Verteilung des Typs S E ( R ) R A R E auf den Karten 1206 "scier" und 554 "fermez" im S O Frankreichs (vgl. die Karten I und III im Anhang zu Scier (1905)).
10
Nicht jede H o m o n y m i e ruft eine Ersetzung hervor: « . . . e n c o r e faut-il qu'il y ait rencontre, et la rencontre ne se produit que pour des mots engages dans les memes chemins de la pensee» (J. Gillieron und Μ. Roques, Etudes de geographie linguistique (1912), 149). N a c h einer Mitteilung von I. Iordan (Einführung (1932, dt. 1962), 189 Anm. 1) hat Gillieron später M. Roques für diese Stelle verantwortlich gemacht. Aber auch in Abeille (1918) heißt es von der H o m o n y m i e «on n'essaye d'y remedier qu'apres experience d'une gene intolerable» (p. 58).
2.4 Gillierons Auffassung vom Sprachwandel
99
s'explique uniquement par l'ancienne presence de ESSAIM "essaim"» (Abeille (1918), 45). Dies führt wieder zur systematischen Suche nach indirekten Spuren dieser «anciennes presences».
2.4
Gillierons Auffassung vom Sprachwandel
2.4.1
Utilitaristische Auffassung
Welche Vorstellungen von Sprache und Sprachwandel gehören zu diesen Interpretationen Gillierons? Zu allererst ist es eine utilitaristische Konzeption von der Sprache als Werkzeug der Kommunikation 1 . Die Sprecher können nicht mehr Sachverhalte unterscheiden, als ihre Sprache Ausdrücke hat, weswegen eine Verknappung der signifiants durch materiellen Zusammenfall in der Regel zu pathologischen Zuständen in der Kommunikation führt. Zu einer solchen Verknappung kommt es aber doch immer wieder durch das Wirken zerstörerischer Kräfte>. Dazu gehört nicht nur der Lautwandel 2 , der z.B. in einem Teil der Galloromania DE A U C E L L O S mit DE ILLAS APES zusammenfallen läßt, sondern auch die Volksetymologie, die es-ep und mouche-ep "abeille" in essette und mouchette umwandelt und damit eine Kollision hervorruft, weil mouchette - realiter oder idealiter - auch die kleine Fliege bedeutet 5 . Auch die häufige Reduktion eines Ausdrucks mit Attribut auf letzteres (Typ champagne statt ν in de Champagne) führt zu solchen 4, so etwa wenn mouche d'essaim auf essaim reduziert wird 5 .
2.4.2
Sprachwandel als Pathologie und Therapie
Diesen destruktiven Kräften wirken andere, psychologische entgegen, «dont la nature therapeutique a ete generalement meconnue» (Abeille (1918), 14). Die Beseitigung eines pathologischen Zustandes (bissimantisme) geschieht durch Übernahme der einen oder beider gefährdeter Bedeutungen auf einen bzw. auf zwei andere signifiants (substitution unilaterale/bilaterale). Dabei kann es sich um signifiants handeln, 1. die in der Mundart schon existierten (moisson "moineau" übernimmt zusätzlich "oiseau") - was gewöhnlich zu weiteren Schwierigkeiten führt,
1
2
5 4
s
Gillieron selbst spricht von der «creation utilitaire qui cree la clarte, qui dissipe l'equivoque», die im lexikalischen Bereich vorherrsche (cf. Abeille (1918), 316). «...la phonetique physiologique qui ne tendait ä rien moins qu'a une destruction de tout l'organisme linguistique» (Abeille (1918), 15). Cf. Abeille (1918), Appendices Χ, XI, p.290-297 und Appendice V, p. 223-231. Cf. Marthe Philipp, Cartes structurales (1969), 306, die sich von der in der Sprachgeographie traditionellen Vorstellung von den distanziert. Cf. Abeille (1918), 44/45.
100
II, 2 Jules Gillieron
(1845-1925)
2. die neu aus dem System geschöpft werden (für "sägen" wird aus dem schon vorhandenen SECARE "mit der gezähnten Sichel schneiden" ein Typ RESECARE, eig. "hin- und herschneiden" gewonnen), 3. die aus der Nachbarmundart entlehnt werden (op, das am Punkt 294 eig. "die Bienen" und damit auch den Bienenschwarm bezeichnet, stammt aus Nachbarmundarten, wo sein Vorläufer ep, ap die Wespe bezeichnet), 4. die aus der Literatursprache übernommen werden (so mouche α miel "Biene" in Mundarten, die vorher ein zweideutiges mouchette hatten). Für die Literatursprache selbst bestehen neben den genannten bzw. den entsprechenden Möglichkeiten (z.B. abeille "Biene" aus dem Okzitanischen) noch zwei weitere Möglichkeiten: 5. Aufbesserung eines bedrohten signifiants durch Anlehnung an die Schrift (Gillieron illustriert das an der Bemerkung «nous ecrivons cela IE huiT marS mil neuF cent dix-sepT apres le ChriST ou Jesus-Christ», vgl. Abeille (1918), 204), 6. «reprise de contact avec le latin» (Abeille (1918), 14). Die Literatursprache zeigt sich somit als den patois gegenüber privilegiert. Uberhaupt hebt sie sich nach Gillieron durch ihre methodische Klarheit (cf. Abeille (1918), 59, 81, 85) von den natürlichen Kräften ausgelieferten (Scier (1905), 13), wortarmen und blind in den Tag hineinlebenden patois ab (cf. ebenda und Abeille (1918), 75, 81, 105, 106), die letztlich ihre Zuflucht zur Literatursprache nehmen müssen (ebenda, p. 158).
2.5
Würdigung
2.5.1
Schwierigkeit derselben
Gillieron macht es uns nicht leicht, seinen Atlasinterpretationen gerecht zu werden. Er war sich seiner Ausdrucksschwierigkeit bewußt und erkannte deshalb seinen eigenen Vorteil darin, die Autorschaft seiner Werke mit anderen zu teilen1. Wo er alleine schreibt, wird der Text schwer leserlich und der Ton polemisch2. Man hat zu Recht bemerkt, daß er die Junggrammatiker lautstark an1
2
In Verbindung mit J. Mongin veröffentlichte er 1905 in Paris die Monographie über "Scier" dans la Gaule romane du sud et de l'est und in den Jahren 1 9 0 6 / 1 9 0 7 in der Revue de philologie fran^aise et de litterature eine Reihe von Etudes de Geographie linguistique (I—VI, I X ) . M. Roques ist von 1906 bis 1910 in derselben Zeitschrift Mitautor der Mirages phonetiques sowie weiterer Etudes de geographie linguistique (VII, VIII, X - X I I I ) . - Man vergleiche wie I. Iordan, der Gillierons persönlicher Schüler war, in seiner Einführung (1932, dt. 1962), 185 A n m . 2 diese Zusammenarbeit mit anderen begründet. Sehr bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, was Gillieron in Abeille (1918) von der Redaktionsgeschichte dieser Monographie berichtet: «Persuade de notre impuissance ä exposer clairement au lecteur les resultats de notre enquete » (cf, p. 195).
2..5
Würdigung
101
greift, aber die Regelmäßigkeit des Lautwandels in seinen Interpretationen voraussetzt'. Die gleiche Inkonsequenz beobachtet man bei seinen Ausfällen gegen die «etymologies des etymologistes» 4 und die angebliche «fausse unite linguistique denommee patois» 5 . Man muß Gillieron gegen Gillieron in Schutz nehmen, indem man das Positive vor allem aus den Details der Einzeluntersuchungen herausdestilliert.
2.5.2
Verdienste
2.5.2.1
Ausbreitung von Bezeichnungstypen
Was sich bei seinen deutschen Vorgängern für die lautlichen Innovationen ergeben hatte, gilt auch für die lexikalischen Bezeichnungen: «II est clair que l'uniformite lexicale presente d'une aire comme RESECARE ou SECTARE est un aboutissant, qu'elle est non pas unite mais uniformation» (Scier (1905), 25). Die berühmte Monographie über die Biene, wo von ursprünglich einheitlichem APIS für ganz Gallien ausgegangen wird, sollte nicht vergessen machen, daß Gillieron schon im Zuge der Romanisierung Galliens mit Arealbildung rechnet: «Quelle conception intolerable que d'admettre dans la Gaule romane ä l'epoque de sa latinisation une receptivite egale ... Un mot latin pouvait ne prendre que sur un point qui seul avait la chose ou l'idee et c'est ce point qui l'a fourni aux autres quand ils ont eu la chose ou l'idee» (ebenda)6. 2.5.2.2
Problematisierung der Unterscheidung Erbgut - Lehngut
Obwohl man also mit J. Jud sagen kann, Gillieron habe gezeigt, daß die Wörter allgemein (und nicht nur die sog. Kulturwörter) wandern 7 , so hat der Schöpfer des ALF, indem er sich resolut auf den Standpunkt der Sprecher stellte, doch klarer als mancher seiner Nachfolger gesehen, daß hierbei nicht die Wörter selbst 3
4
5 6
7
Vgl. G. Bottiglioni, Linguistic geography, Word 10 (1954), 375-387, dort 380. E. Coseriu, La geografia lingüistica (1956, 1977), 144 und B. Malmberg, Les nouvelles tendances de la linguistique, Paris 1966, p.97. Vgl. J. Gillieron, Etude sur la defectivite des verbes. Lafaillite de l'etymologie phonetique (1919), Leurs etymologies (1921) und Les etymologies des etymologistes et Celles du peuple (1922). Dazu W. von Wartburg, Einführung in Problematik und Methodik der Sprachwissenschaft (1943, 1970), 125. Scier (1905), 27. Den kulturgeschichtlichen Aspekt, der in dieser frühen Arbeit eine bedeutende Rolle spielt, vermißt man in vielen anderen Arbeiten Gillierons. Cf. Sprachgeographische Untersuchungen zu franz. aune "Erle", ASNS 121 (1908) und 124 (1910), wieder in ders., Romanische Sprachgeschichte und Sprachgeographie, hrsg. von K. Huber und G. Ineichen, Zürich 1973, dort p.45. - Vgl. auch K. Jaberg, Sprachgeographie (1908), 6-13.
102
II, 2 Jules Gillieron
(1845-1925)
oder irgendwelche Mundarten, sondern nur die aufnehmenden Sprecher aktiv sind8. J . Gillieron und J . Mongin stellten mit diesen Erkenntnissen die Sprachwissenschaft vor die Notwendigkeit, ihre traditionelle Unterscheidung zwischen Erbgut und Lehngut neu zu überdenken: «Nulle part nous n'avons la certitude de saisir une tradition phonetique fidele: nous entrevoyons une serie de traditions phonetiques brisees ...» (Scier (1905), 26)'. Uberall in Frankreich übersteige die Anzahl der phonetisch angeglichenen Wörter diejenige der örtlich überlieferten (cf. J . Gillieron, Abeille (1918), 52, 101). Für die etymologische Forschung eröffnet sich damit eine neue Dimension: auf die Frage nach dem Woher kann nicht mehr einfach geantwortet werden: 0 und -LL-, - N N - > -1-, -n-, so wurde die Reduktion der Doppelkonsonanz im genannten Raum ursprünglich überall durch eine spezifische Artikulation der resultierenden 1 und η kompensiert. D. Catalan zeigt, daß diese Kompensation entweder in einer Steigerung der Dorsalität (—» Palatalisierung) oder der Apikalität (—» Kakuminalisierung) bestand. Die erste Lösung 1, η ist die üblichere, die zweite, deren moderne Resultate meist ts4 und η sind, findet sich in Teilen des Leonesischen, des Aragonesischen und im Gascognischen. Für sie gibt es außerdem auffallende Parallelen in Süditalien. Ein genaues Studium der geographischen Verbreitung der Areale in Aragon, vor allem aber im Leonesischen, ergibt: wo -LL- > -1- auch - N N - > -n-, wo -LL- > -tsauch - N N - > -n- (oder noch -nn-) «La coincidencia se comprueba hasta en detalles minimos» (Resultados (1954), 24, vgl. dort auch Kärtchen II). Die Ergebnisse dieses Aufsatzes betreffen vor allem die Hispanistik. Es ging aber auch um den sprachgeographischen Nachweis eines strukturalistischen Prinzips: «toda alteracion de un componente se halla, por lo general, relacionada con una tendencia a un nuevo equilibrio en el sistema» (ibidem, p. 1).
2
Concepto lingüistico del dialecto en una chinato-hablante, RDyTP 10 (1954), 10-28. Frau Gregoria Canelo de Paredes, um die es hier geht, ist aus Malpartida de Plasencia. Das ist durch eine auf der Pyrenäenhalbinsel einmalige Kombination von Eigenheiten charakterisiert: 1. ceceo, 2. Erhaltung der Opposition stimmhaft/ stimmlos im ceceo (/Θ/ /&/), 3. -s > -h, 4. -d- > -0-, 5. F- > χ- etc. Frau Canelo hatte schon Menendez Pidal als Informantin gedient und als erste versucht, diesen Dialekt zu schreiben. ' Resultados dpico - palatales y dorso - palatales de -LL-, -NN- y de LL- (< L-) NN- (< N-) (1954); El asturiano ocadental. Examen sincrönico y explicaciön diacrönica de sus fronteras fonologicas I (1956/57), II (1957/58); Dialectologiay estructuralismo diacronico (1958, 1962). 1 Wir benutzen schon hier das phonetische Zeichen, dem D . Catalan später den Vorzug gibt.
130
II, 4 Dialektologie und Strukturalismus:
Phonologie
4.1.3 Die Ergebnisse des eben besprochenen Beitrags gehen in D. Catalans umfangreichere Arbeit El asturiano occidental I (1956/1957), II (1957/1958) ein, in der alle wichtigen Entwicklungen im Konsonantismus in der leonesischen Grenzzone ztom Galicischen hin im Zusammenhang gesehen werden. Insbesondere interessiert hier der Zusammenhang der in Resultados (1954) behandelten Lösungen für L-, -LL- und N-, - N N - mit denjenigen für PL-, KL-, FL-, für -LY-, -K'L- und für -KT-, -"LT-, D. Catalan unterteilt das Westasturische in 4 Zonen 5 : 1. -LL- etc. > 2. PL- etc. >
nord-westl. Zone C ' ts '
nord-östl. Zone A 1 1
3. -LY- etc. > 4. -KT- etc. > 1. -LL- etc. >
ts
ts ts
2. PL- etc. > 3. -LY- etc. >
ts
4. -KT- etc. > süd-westl. Zone D
süd-östl. Zone Β
Wir haben die Ergebnisse des Autors in diesem Schema zusammengefaßt, das den Leser über Lösungen und Konsequenzen in den 4 Zonen informiert. Es zeichnet sich der für dieses Gebiet des Ubergangs zum Galicischen erwartete West-Ost-Gegensatz ab. Der Osten ist in zweierlei Hinsicht innovatorisch: 1. läßt er PL- etc. mit -LL-, L- zusammenfallen, unterscheidet also nicht mehr zwischen L A N A - und PLANA-, Dieser Zusammenfall charakterisiert das Leonesische gegenüber dem Galicisch-Portugiesischen (port, lä/chä) und dem Kastilischen (lana/llana), 2. er geht in bezug auf -KT- etc. weiter als der Westen (cf. port, muito / span. mucho).
An der von Nord nach Süd verlaufenden Grenze stoßen also ü b e r r e g i o n a l e Gegensätze aneinander. Die Nord-Süd-Gegensätze sind r e g i o n a l e r Natur: dem -y- ( < -LY- etc.) steht im Gebirge ein -c- gegenüber (muyer/mucer "Frau"), dem 1 ( < L-, -LL-, im Osten auch < PLetc.) ein ts (luna/tsuna "Mond" etc.)6. 5
'
Die Lösungen der Zone D finden sich auch in den hochgelegenen branas (etym. wohl VERANEAS "Sommerweiden") der Zone C. Die Hirtenbevölkerung der branas, die sog. vaqueiros, unterscheidet sich auch im Brauchtum von den Dörflern der tieferen Zonen (sog. xaldos). ts in C ist nach D. Catalan aus D dorthin exportiert worden (cf. El asturiano occidental II (1957/58), 150, vgl. die vorausgehende Anm.).
4.1 Diego Catalan
Menendez-Pidal
131
4.1.4 D. Catalans Hauptinteresse gilt aber der dorsalen Lösung ts für -KT- etc. in B7, die sich von dem apikalen ts ebenda klar unterscheidet. Er vergleicht O r t für O r t den Verlauf der Isoglosse ts/c für -KT- etc. mit dem der Isoglosse c/y für -LY- etc. und entdeckt «la perfecta coincidencia de ambos (coincidencia que he comprobado en sus mäs minimos detalles). Ello no puede ser casual...» (Dialectologia y estructuralismo diacrönico (1962), 73/74). Die Abhängigkeit des Typs ts von der Kopräsenz von c im System bestätigt sich in den westlichen Zonen: Lehnwörter aus dem Osten, die dort eine auf -KTzurückgehende Affrikate aufweisen, haben im Westen c, wo -LY- > y, aber ts, wo -LY- > c: «el empleo de ts en vez de ch [c] en los resultados de -KT-, - U LTy en las voces de importaciön estä condicionado por la existencia en el habla local de otra ch procedente de -LY-, -KL-». Nach D. Catalan handelt es sich um einen Fall von «resistencia del sistema a perder una oposicion fonologica...» (El asturia.no occidental II (1957/58), 141). Er stellt noch einen weiteren solchen Fall von Anpassung einer (über)regionalen Lösung an lokale Systeme fest: was seither einfach als ts umschrieben wurde (eine apikale Affrikate, deren Artikulationspunkt er als alveolar-palatal angibt), weist im Südosten kakuminale, im Süd-Westen quasi-okklusive Varianten auf. Offenbar ein Versuch, die marge de securite geg. ts (SO) bzw. c (SW) zu vergrößern (cf. El asturiano occidental II (1957/58), 143). 4.1.5 Diese und eine Reihe ähnlicher Beobachtungen veranlassen D. Catalan eine terminologische Unterscheidung zwischen supra-regionalen oder regionalen L ö s u n g e n (soludones) und V a r i a n t e n einer Lösung (variantes) vorzuschlagen'. So wäre ts in Β die Variante der überregionalen Lösung c ( < -KT- etc.). Andererseits hätte die regionale Lösung ts (< L-, -LL-) örtlich die oben genannten kakuminalen bzw. quasi-okklusiven Varianten. Wie man sieht, sind die Varianten gewöhnlich Beispiele für das, was wir in I, 4.2.2 als sprach- oder systembedingte Uminterpretation einer Innovation im Zuge ihrer Verbreitung besprochen haben'.
7 8
9
Z.B. trutsa, anuetse, cutsietso etc., vgl. span, trucha, anoche, cuchillo etc. Cf. El asturiano occidental II (1957/58), 146 und Dialectologiay estructuralismo diacrönico (1958, 1962), 74. Diese Unterscheidung ist von Anfang an in der Interpretation seiner Materialien angelegt, die er mit einer pragmatischen Entscheidung angeht: «el considerar como en cada habla local los resultados impuestos por esas grandes ondas lingüisticas» (El asturiano occidental II (1957/58), 137). Zweck der Variante ist im ersten Falle eine Desambiguierung, im zweiten eine Dissimilierung. Ein analoges Beispiel für Desambiguierung bringt L. Heilmann aus der Mundart von Moena im ital. Avisiotal bei. Lat. CL- erscheint dort nicht wie in den flußabwärts gelegenen Mundarten als c-, sondern als kj- (kjar "klar" etc.). So kommt es nicht zum Zusammenfall mit car "Karren", das Moena mit den nördl., ladinischen Mundarten gemeinsam hat (cf. La parlata di Moena nei suoi rapporti con Fiemme e con Fassa, E a U « . , I Q « „ Qd\
132 4.1.6
II, 4 Dialektologie und Strukturalismus:
Phonologie
Der Autor weist auf die Grenzen der strukturellen Interpretation hin:
1. c in Β erklärt ts ebenda, aber was erklärt dieses c selbst (gegenüber leonesischen y) und seine geographische Verbreitung (D, B)? {El astunano Occidental II (1957/58), 146). 2. Die strukturelle Analyse zeigt nicht die der Lösung ts gegenüber dem System. Das Areal von ts < -LL-, L- ignoriert Grenzen, wie die zwischen it/ts < -KT- etc., zwischen c/y < -LY- etc. und zwischen c/ts < PLetc. und stimmt zu keiner anderen, den Konsonantismus betreffenden Erscheinung (ebenda, p. 145/146). 3. Warum werden PL- etc. und -KT- etc. trotz ihrer komplementären Distribution überall getrennt gehalten, während L- und PL- etc. im Osten zusammenfallen? (ebenda, pp. 143/144 und Dialectologia y estructuralismo diacronico (1958, 1962), 79)'°. U m diese scheinbaren Ungereimtheiten zu verstehen, müssen wir uns wieder an die schon in Resultados (1954) erwähnten anderen historischen Faktoren erinnern, die einen ebenso großen oder noch größeren Einfluß auf den Wandel haben, als die phonologische Struktur selbst. Im Falle von 1. und 2. z.B. wird D . Catalan an die süditalienische Kolonisation gedacht haben, auch wenn das hier nicht ausdrücklich hervorgehoben wird".
4.2
Jean Fourquet
Auch der französische Germanist J. Fourquet gehört zu den ersten, die die Grundsätze der im Entstehen begriffenen diachronischen Phonologie für die Dialektologie nutzbar machen. Seine grundlegenden Aufsätze zum Thema dieses Kapitels stammen aus der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre 1 . Er arbeitet vor allem mit Beispielen aus den deutschsprachigen Gebieten Frankreichs, hat dabei 10
11
1
In diesem Zusammenhang kritisiert D. Catalan eine «esquemätica solucion estructural propugnada a partir de un conocimiento somero de las variedades lingiiisticas peninsulares». Gemeint ist A. Martinet (Economie (1955, 1970), § 11.33), der behauptet hatte, von den satzphonetischen Varianten 1- und 1- < L- habe sich 1- dort generalisiert, wo dies nicht zum Zusammenfall mit PL- etc. habe führen können. So z.B. auch im Leonesischen, für das Martinet fälschlicherweise von PL- > c- statt 1- ausgegangen war. Wir merken an, daß der Zusammenfall im Leonesischen andererseits kein Argument gegen die Annahme ist, das Motiv für die Generalisierung von 1- < L- im Kastilischen sei der Wunsch gewesen, den Zusammenfall mit 1- < PL- etc. zu verhindern. Schon 1954 war gleichzeitig mit den Resultados von D. Catalan von R. Menendez Pidal der Aufsatz Α propüsito de LL y L latinas. Colonization suditälica en Espana erschienen (in BRAE 34, p. 165-216). Linguistique structurale et dialectologie (1956); Phonologie und Dialektologie (1958); Classification dialectale et phonologie evolutive (1958); Phonologie und Dialektforschung am Elsässischen (1959); La dialectologie devant la notion de lot phonetique (1960, 1965).
4.2 Jean Fourquet
133
aber immer das Fernziel einer Geschichte der ganzen Teuthonia vor sich. Ausgangspunkt ist die synchronische Analyse der einzelnen Mundart. 4.2.1 Eine gedankliche Konstante in Fourquets Überlegungen ist die Trennung von Innovationen inneren und äußeren Ursprungs: «Nous ne savons encore rien sur la transformation en norme d'innovations d'origine interne. II faudrait d'abord pouvoir eliminer les innovations d'origine exterieure, selon les methodes elaborees par la geographie linguistique. Tel est le que je propose aux dialectologues, et que je voudrais moi-meme appliquer aux travaux sur l'alsacien que je dirige» {La dialectologie (1960, 1965), 38). Diese Unterscheidung ist für Fourquet um so wichtiger, als ihr seiner Meinung nach zwei Typen von Kausalität entsprechen: die
d nur dort, w o auch a >
b, dann vermutlich deshalb, weil a >
b die
Bedingung, wenn nicht gar der Anlaß für c > d war 2 . 4.4.2
W i r veranschaulichen M o u l t o n s Argumentationsweise an seiner Inter-
pretation der ost-schweizerischen Vokalspaltung (mhd. / o / > ostschw. / o / - h l ) . In seinem bekannten Beitrag The short
vowel
systems
of northern
Switzerland
( I 9 6 0 ) ' stellt er fest, daß die A s y m m e t r i e des mhd. Systems der kurzen T o n v o kale i
ü
u
e
ö
ο
e £
a
in seinem Untersuchungsgebiet mit nur unwesentlichen Ausnahmen überall beh o b e n worden ist. Dies geschah im Westen und Zentrum durch die Verringerung der Ö f f n u n g s s t u f e n bei den Vorderzungenvokalen (Zusammenfall von
und/as/),
im N o r d e n und O s t e n durch eine Vermehrung der Offnungsstufen bei den Hinterzungen vokalen (). Z w a r sind auch im N o r d e n /$/ und / l o l — h l wird überall von einer E n t w i c k l u n g / ö / > /öl—/oe/
begleitet).
In einem späteren Beitrag ( L a u t w a n d e l durch
innere
Kausalität
(1961)'')
k o m m t M o u l t o n noch einmal auf die Vokalspaltung zurück, um der Begründung ' 2
Cf. unsere Bibliographie im Anhang. Eine andere Art Raumargument verwendet Moulton in The short vowel systems (1960), 160. Er schließt dort aus der ganz unregelmäßigen Verteilung der Reflexe für mhd. lol (Karten Ofen und Hosen), im Nordwesten des Untersuchungsgebietes, daß [o] und [o] hier nicht in Opposition stehen.
3
Cf. dort die §§ 1, 2, 4 und 7. Eine kurze Zusammenfassung seiner Interpretation gibt er selbst wieder in Opportunities (1969, 1970), 150-152. Unser Referat muß von Details absehen.
4
Den Ausdruck übernimmt Moulton nach eigener Aussage (p.229, A n m . l ) von J. Fourquet.
4.4 William G.
Moulton
139
durch den «Sog des leeren Faches» noch diejenige des «strukturellen Drucks» 5 hinzuzufügen, «der sich aus dem Vorhandensein eines entsprechenden /p/ und /ö/ bei den langen Vokalen ergab» (p.242). Die Vokalspaltung ist demnach an 2 sprachgeographische Bedingungen geknüpft. Sie findet nur statt, wo 1. kurzes /e/ - /e/ und 2. langes /ö/ - /φ/ da sind (pp.240/241). 4.4.3 Das Studium der dialektalen Lautsysteme führt W. G. Moulton zu einer Reihe von interessanten Erkenntnissen, die sich in z.T. selbstgeprägten Begriffen niederschlagen. Den Aufsatz The short vowel systems (1960) z.B. beschließt er mit einer Reihe von Begriffsdefinitionen (vgl. dort § 9, p. 177-182): 1. Von geographical complementation spricht er, wenn Allophone eines Phonemes geographisch determiniert sind. So haben z.B. der Westen und das Zentrum seines Untersuchungsgebietes nur ein kurzes e-Phonem, das jed. im Westen normalerweise als [e] im Zentrum als [e] realisiert wird. 2. Mit allophonic range meint er den gesamten phonetischen Raum, innerhalb dessen ein Phonem realisiert wird, und das unabhängig davon, ob das Phonem nur über eine oder mehrere normale Realisierungstypen (Allophone) verfügt, von denen jeder sein eigenes champ de dispersion (A. Martinet) hat. 3. Phonetic interval ist nach Moultons eigener Aussage identisch mit dem, was A. Martinet marge de securite nennt. 4. Dem Begriff incidence (dt. Bestand) sind wir in anderem Zusammenhang schon begegnet (cf. supra I, 2.5 mit Anm. 1). 5. Für den Begriff alternating phoneme gibt Moulton folgendes Beispiel: im Kanton Zürich bleibt mhd. /ä/ im Seegebiet und wird /ö/ im Oberland. Wo sich beide Areale berühren, wird alternierend hüben und drüben [ä] bzw. [5] statt [5] gesprochen. Dies aber ausschließlich in solchen Wörtern, wie Jahr, Mond etc., die im Mhd. gerade /ä/ hatten. 6. und 7. Der bereits von A. Martinet eingeführte Begriff rendement fonctionnel (hier functional load) macht den neuen Terminus balance of an opposition nicht überflüssig. Wenn zwei häufig vorkommende Phoneme in fast komplementärer Distribution auftreten, so ist die Opposition gut ausbalanciert aber funktionell kaum belastet. Die Instabilität scheint dann am größten zu sein, wenn die Opposition weder stark belastet noch gut ausbalanciert ist. 8. Während an den Rändern des Untersuchungsgebietes klare Verhältnisse in bezug auf die hohen Kurztonvokale herrschen, sagt Moulton vom Zentrum, dort liege «a transitional area of p h o n e m i c i n d e t e r m i n a c y in which neither of these structures [/i,ü,u/ bzw. /i,ü,u/ + / ι , ϋ , υ / ] can be fully supported or fully denied» (p. 182, Hervorhebung von uns). Dies sind keineswegs die einzigen Beiträge Moultons zur Theorie der phonischen Seite der Sprache: Er zeigt z.B., daß Asymmetrie im Phonemsystem häu5
In Z a r Geschichte des deutschen Vokalsystems (1961/1962) übersetzt M o u l t o n die von A . Martinet gebrauchten A u s d r ü c k e (chaine de) propulsion u n d (chaine de) traction mit Schub u n d Sog (p. 19, A n m . 1).
140
II, 4 Dialektologie
und Strukturalismus:
Phonologie
fig ausgeglichen erscheint, sobald wir die Allophone mit berücksichtigen 6 oder daß es unzulässig ist, der Symmetrie halber ein viereckiges Vokalsystem für das Inventar /i,ü,u,e,ö,o,e,a/ aufzustellen, wenn die normale Realisierung von /ε/ wirklich [ε] und nicht etwa [as], die von /a/ wirklich [a] und nicht etwa [o] ist7. Schließlich meldet er Bedenken an gegen die Definition des Phonems als Bündel außereinzelsprachlich formulierter phonologischer Züge. Er arbeitet mit einer Konzeption nach der «phonemes might be said to in a multidimensional phonological space» (Opportunities (1969, 1970), 152). Sie erlaubt es ihm z.B. im Westen und im Zentrum seines Untersuchungsgebietes die geographisch komplementärem Realisierungstypen [e] und [e] als geographische Allophone anzusprechen, weil ihr phonological space hier und dort auf gleiche Weise durch /£/ und I x l abgegrenzt ist, bzw. mit historisch und/oder geographisch graduellen Ubergängen zu rechnen 8 . In diachronischer Hinsicht verdankt man Moulton ein lehrreiches Beispiel für Formenübernahme mit und ohne Lautwandel: die westlichen Formen [l^s(t), hed] "hast, hat" sind in das südwestliche Zentrum vorgedrungen, das den Realisierungstyp [ε] nur als Allophon des Phonems Itl vor Irl oder / χ / kannte. In diesen zentralen Mundarten wurde aus den beiden Formen teilweise [hes(t), hed] (reine Formenübernahme), zum Teil blieb aber die ε-Lautung erhalten. Wo dies der Fall ist, wurde der komplementären Verteilung von [e] und [ε] ein Ende bereitet: ein Unterschied wurde distinktiv, damit auch Wandel im phonologischen System'. Moulton insistiert weiterhin auf einer phonologischen Definition traditioneller Begriffe wie oder , da nur so diesen Phänomenen eine best, geographische Verbreitung zugeschrieben werden kann10.
So die Asymmetrie/Symmetrie zwischen kurzen und langen Vokalen in den meisten Mundarten des Kantons Zürich
[a [a u
u
ι
u
u
? 9 je a x ä (Cf. Opportunities in dialectology (1969, 1970) 149/150). Weitere Erkenntnisse Moultons, die wie diese nicht rational Notwendiges, sondern Übliches betreffen in ders., Contributions of dialectology to phonological theory (1967, 1970). Cf. The short vowel systems (1960), 174. Cf. Opportunities (1969, 1970), 152-154. Dort werden zwei weitere Beispiele besprochen. Moulton selbst spricht im ersten Fall von Phonemausbreitung, im zweiten von Phonausbreitung (spread of a phoneme/phone). Er nimmt damit - wie in der Sprachgeographie üblich - den Standpunkt der Mundarten ein (cf. hierzu oben 1,4.2.1). Nur wenn wir uns auf den Standpunkt der «nehmendem Sprecher stellen, können wir klarstellen, daß in beiden Fällen Wortformen, im zweiten Fall außerdem noch eine neue Kombination von in der Mundart schon vorhandenen Realisierungstypen übernommen wurden (Cf. The short vowel systems (1960), 163/164 und 177/178). Cf. Structural dialectology (1968), 454-456.
4.4
William G.
4.4.4
141
Moulton
T r o t z der gegen den Begriff der «(inneren) Kausalität zu erhebenden
Einwände (cf. supra 1,4.1.1) ist die Ausbeute für die phonischen Wissenschaften bei W . G . Moulton ungemein groß. Aufs Ganze gesehen, finden wir hier vor allem ein mächtiges, von der Praxis herkommendes Plädoyer für eine stärkere Berücksichtigung der phonischen Substanz der Sprachlaute und - damit verbunden, aber ohne daß der Begriff fällt - für die Anerkennung der von E. Coseriu angesetzten Ebene der N o r m (cf. supra 1,4.1.3)". Die von W . G . Moulton in der Entwicklung der schweizerdeutschen Vokalsysteme aufgedeckten Zusammenhänge zeigen, daß es ihm gelungen ist, strukturelle und sprachgeographische Argumentationsweise in fruchtbringender Weise zu verbinden 12 . Es scheint daher der Mühe wert, noch einen Augenblick bei der technischen Seite seines Vorgehens zu verweilen. 4.4.5
Seine Arbeitsweise ist von allem Anfang an zugleich historisch und
. Historisch, indem die Atlasblätter so ausgesucht werden, daß aus ihnen die modernen Reflexe einer kleinen Gruppe von Phonemen (z.B. /e/,/e/,/ä/) ersichtlich sind, die im Mittelhochdeutschen ein Teilinventar bildeten 13 . «Strukturelb, indem sofort von mehreren Phonemen ausgegangen wird unter der Fragestellung: hat die einzelne Mundart den vollzählig bewahrt, oder ist bzw. «Bereicherung) eingetreten (K. Haag). Ist letzteres der Fall, so wird anhand weiterer Karten untersucht, ob diese Realisierungstypen in komplementärer Distribution stehen. In diesem Fall wird zwar in der Folge für die Mundart nur ein Phonem angesetzt, aber die Existenz von Allophonen nicht aus dem Auge verloren, weil ein solches in einer progressiveren Nachbarmundart schon Phonem sein kann. So entsteht schließlich eine Karte (cf. hier Karte 6), die mittels sprechender Symbole einen ersten Entwurf für ein Teilinventar der einzelnen Mundarten nebst historischer Filiation festhält. Anschließend wird dasselbe Verfahren auf die korrespondierenden Hinterzungenvokale des Mhd. angewandt. Ein Vergleich der so entstandenen Karte (cf. hier Karte 7) mit Karte 6 ergibt erste verblüffende Ubereinstimmungen. Im weiteren Fortgang werden noch die Vokale minimalen Offnungsgrades, die Langvokale und ev. die Diphthonge hinzugenommen. Wortschatzteile ohne gesicherte Vorstufe im Mhd. "
Coserius Sprachtheorie bietet - wie bereits ausgeführt - auch Lösungsvorschläge für Punkte, die uns oder Moulton selbst an seinen Beiträgen etwas problematisch erscheinen. W i r denken an Begriffe wie alternating phoneme, phonemic indeterminacy (cf. hierzu Moulton selbst in Opportunities (1969, 1970), 3), an seine Vorstellung von der Gradualität des Wandels (ebenda, pp. 152, 157) und seine Äußerungen betr. das angebliche Dilemma des Wandels im Strukturalismus (ebenda, p. 154 und Structural dialectology (1968), 458).
12
«The time now seems ripe to
13
produce a three-dimensional approach to the study of
language: h i s t o r i c a l - g e o g r a p h i c a l - s t r u c t u r a l » ( T h e mapping (1968), 574, H e r vorhebungen von W . G . M . ) . dasjenige der kurzen Vorderzungenvokale mittlerer und maximaler Öffnung. Schlüsselwörter für die Entwicklung von mhd. Id sind z.B. Vetter, Bett, Beck, fest, gestern.
142
II, 4 Dialektologie
und Strukturalismus:
Phonologie
können zur Entdeckung zusätzlicher Kontraste in den Mundarten führen (cf. Moultons special words in The short vowel systems (1960), §6). Moulton baut also das komplizierte Gesamtbild der Areale dialektal identischer, d.h. in Inventar und übereinstimmender Systeme auf, indem er von den Reflexen einer geschickt ausgewählten mhd. Teilstruktur ausgeht. Dabei zeigt es sich, daß die relativ übersichtlichen kartographischen Zwischenbilanzen für die historische Interpretation (und vermutlich auch für die Abgrenzung von Dialekten) gew. mehr hergeben als die integrierten Gesamtdarstellungen' 4 .
4.5
Rudolf Grosse und Gotthard Lerchner
4.5;1
In einem kurzen, aber sehr dichten Beitrag hat R . Grosse zusammen mit
G . Lerchner versucht, die Ergebnisse der sog. II. Lautverschiebung im Altfränkischen als Folge einer historischen Interferenz zwischen einem altoberdeutschen und einem voraltfränkischen Konsonantensystem zu deuten 1 . Dabei gehen sie für die beiden interferierenden Systeme von einer gemeinsamen Vorstufe aus, die - wir beschränken uns hier auf den Dentalbereich - folgende Struktur aufweist: t7
d8 h
ttio
ddn M>12
Entsprechend dem von W . G . Moulton eingeführten Verfahren entwerfen die Autoren dann für die interferierenden Varianten Altoberdeutsch ( A O ) und Voraltfränkisch ( V A F ) unter Benützung der Indices im gemeinsamen Bezugssystem folgendes Diasystem (wiederum im Auszug): ^
II A O , V A F II
A O / d, /
Ä
V A F / d8,9 / _
A O / tz 7 .io /
VAF / - /
A O / tu /
Ä
V A F / t 7 , 8 , 9 , 10 ,n / s
AO / - /
V A F / th (th) 9 , 12 /
A O / ttn.2 / VAF/-/
^
A O / ζ (z)7 /
VAF / - /
_
//
//
14
Cf. immerhin die noch recht leserliche Map 2 in The mapping (1968), zwischen pp. 5 8 2 / 583 und Moultons Kommentar dazu, ebenda p. 5 8 6 - 5 9 1 .
1
Phonologische Folgen geographischer Systemüberlagerungen in: Melanges pour Jean Fourquet, hrsg. von P. Valentin und G. Zink, München - Paris 1969, dort p. 1 7 7 - 1 8 4 . Von R. Grosse war hier schon im Zusammenhang mit K. Haags Kartierungstechnik die Rede (cf. supra I, 6.5, Anm. 1). In I, 3.0 haben wir auf seinen Beitrag zum Begriff der Isoglosse hingewiesen (cf. dort Anm. 3), in II, 4.0, Anm. 6 auf seine Grundsatzkritik an W . Doroszewski.
4.5 Rudolf Grosse und Gotthard
Lerchner
143
4.5.2 Die Autoren fragen dann nach der möglichen «Wiedergabe des altoberdeutschen Inventars in altfränkischem Mund» (p. 180) und stellen fest, daß sich gerade im Dentalbereich Schwierigkeiten ergeben mußten, da die beiden Varianten nicht überall über sich materiell in etwa entsprechende Phoneme verfügten. AO/z/ hatte in VAF keinen Partner. Ersetzung durch das freie VAF/th/ kam aus phonetischen Gründen nicht in Frage. Die Verfasser lassen offen, ob VAF /s/ eingesetzt oder AO/z/ übernommen wurde. Für AO/tt/ konnte VAF/t/ eintreten (das ohnehin über ein Allophon [tt] verfügte). Dagegen konnte VAF/t/ nicht auch noch für AO/tz/ eintreten, da es «durch AO/t 8 / bereits interlationell gebunden war» (sie!, p. 182). Im labialen und velaren Bereich sehen die Autoren dagegen keine Schwierigkeiten für eine Ersetzung von AO/pf, kx/ durch VAF/p,k/. Dies wäre die Erklärung für das spezifisch altfränkische Resultat der Lautverschiebung: Verschiebung im Anlaut, nach Konsonant bzw. in der Doppelkonsonanz nur bei t(t), nicht bei p(p) und k(k). Die Interferenz setzt nach den beiden Autoren «konkreten Bilinguismus anstelle des zunächst völlig abstrakten Diasystems» voraus (p.180). Dabei gehen sie - ohne die umgekehrte Möglichkeit auszuschließen - davon aus, daß das (Vor)Altfränkische die Rolle des Primär-, das Altoberdeutsche die des Sekundärsystems gespielt hat. U m zu verstehen, wie das gemeint ist, muß man sich wieder an die «Wiedergabe des altoberdeutschen Inventars in altfränkischem Mund» halten, oder an Formulierungen wie «AO/b 2 , konnten also leicht mit AF/b 2 , g16/ wiedergegeben werden» oder «AO/tz 7 / mußte also . . . übernommen werden» (p. 182). Auf S. 180 lesen wir von der «Umgestaltung des altfränkischen Lautvorrats nach dem phonetischen Modell der II. Lautverschiebung» (von den Autoren hervorgehoben). 4.5.3 Diese Interpretation leidet darunter, daß sich die Autoren nicht eindeutig entscheiden, welche historische Situation sie ins Auge fassen wollen. Warum sollen die fränkischen Sprecher die oberdeutschen Laute «ersetzen, übernehmen» etc.? 1. U m oberdeutsche Formen aufzunehmen (auf p.180 ist in einem Zitat von Lehnwörtern die Rede) brauchen sie keine oderdeutschen Lautungen zu übernehmen. In die Phoneme ihrer eigenen Mundart zerfallen für sie «sämtliche Sprachlaute überhaupt, es sind für sie [die Mundart] Lautklassen, in die sie auch alle fremden Laute einreiht» (K. Haag, cf. supra 1,1.6.5). In diesem Falle kann man sagen, 1-?)>1- und L > 1-; in systematischer Hinsicht geht es für die beteiligten Mundarten wohl um die Aufgabe der Oppositionen P L - / L - , C L - / L - , F L - / L - und die Generalisierung von einer der beiden satzphonetischen Varianten 1- (nach Konsonant) und 1- (nach Vokal) des Archiphonems / L - / . So kommt es dazu, daß man von spricht (W. G. Moulton), wo in Wirklichkeit Wortformen übernommen werden, oder daß man gewissen Resultaten den Status von zuerkennt, denen gegenüber dann andere Resultate als erscheinen (D. Catalan).
5
Dialektologie und Strukturalismus: Semantik
5.0
Vorbemerkung
Die meisten Beiträge, die sich mit der inhaltlichen Struktur des mundartlichen Wortschatzes beschäftigen (auf den Wortschatz werden wir uns hier beschränken), bleiben entweder bei der funktionellen Analyse eines Wortfeldes in einer Mundart stehen, oder sie gehen von hier aus zu einem typologischen Vergleich der Strukturierung dieses Feldes in mehreren Mundarten über. In beiden Fällen handelt es sich noch nicht um Dialektologie, so wie sie hier verstanden wird. Solche Arbeiten sind aber in unserem Zusammenhang interessant, weil die Inhaltsanalyse wie gesagt auch Voraussetzung einer strukturell semantischen Dialektologie ist. Br. Staib hat in einer noch unveröffentlichten Tübinger Dissertation zu dem T h e m a Semantik tischen Analyse
und Sprachgeographie. des dialektalen
Untersuchungen
Wortschatzes
zur
strukturell-seman-
(1978) die einschlägige Literatur
ausführlich besprochen'. W i r referieren sinngemäß die Schlußfolgerungen, zu denen er gelangt':
Cf. dort Abschnitt 2.2.3. Hier in chronologischer Reihenfolge die von Staib besprochenen germanistischen und romanistischen Arbeiten: a) W. Marti, Wäärche - Schaffe. Ein Wortfeldkomplex in der Sprache des bernischen Seelandes, Bern 1967, cf. Staib 2.2.3.1. H. Rosenkranz, Wortfeld im Mundartraum. Das Wortfeld "schlafen" im Thüringischen, WZUJ 16 (1967), 653-669, cf. Staib 2.2.3.6. J. P. Ponten, "OBTURAMENTUM LAGENAE". Untersuchungen zum Begriffsfeld eines dialektalen Wortverbandes, Marburg 1969 ( = Marburger Beiträge zur Germanistik 26), cf. Staib 2.2.3.2. Marthe Philipp, Cartes structurales en Moselle germanophone in: Melanges pour Jean Fourquet, hrsg. von P. Valentin und G. Zink, München - Paris 1969, p.295-308, cf. Staib 2.2.3.4. J. Erben und H. Moser, Das Feld der alters- und geschlechtsdifferenzierenden Personennamen im Tirolischen in: Studien zur Namenkunde und Sprachgeographie. Festschrift für Karl Finsterwalder, hrsg. von W. Meid, M. Ölberg und H. Schmeja, Innsbruck 1971, p. 241-287, cf. Staib 2.2.3.7. Gisela Harras, Semantische Modelle diatopischer Teilsysteme. Zur Begriffs- und Bezeichnungsstruktur lexikalischer Teilparadigmen im Ostlothringischen, Marburg 1972 ( = Deutsche Dialektgeographie 75), cf. Staib 2.2.3.3. G. van der Eist, Zur Strukturierung eines verbalen Bedeutungsfeldes in dialektalen Teilsystemen GermL 3/1 (1972), 75-106, cf. Staib 2.2.3.5. b) G. Salvador, Estudio del campo semäntico "Arar" en Andalucia, Archivum (Oviedo) 15 (1965), 73-111, cf. Staib 2.2.3.8. J. Seguy, Structures semantiques des noms designant en gascon les categories d'animaux d'elevage, Via Domitia N.S. 3,6 (1967), 1-13,
148
II, 5 Dialektologie und Strukturalismus:
Semantik
1. Die inhaltlichen Strukturen (hier Wortfelder) können nur in einer funktionellen Sprache ermittelt werden, dabei ist zunächst von einer sozial und stilistisch invariant zu haltenden Ortsmundart (Staib: Lokolekt) auszugehen. 2. Die Hauptaufgabe besteht in der Zusammenstellung und inhaltlichen Analyse der das Wortfeld jeweils konstituierenden Lexeme. 3. Weder die Informationen in den Dialektwörterbüchern mit ihrer meist recht ungenauen Lokalisierung der aufgeführten Einheiten noch die nach onomasiologischem Verfahren gesammelten Sprachatlasmaterialien sind im allg. für diese Aufgabe ausreichend. Die Informationen müssen jeweils durch gezielte Befragungen bei den Sprechern eines sehr kleinen Untersuchungsgebietes selbst eingeholt werden. Dabei sollten f ü r alle Glieder des Wortfeldes mehrere Belege gesammelt werden. 4. Weder aufgrund einer Ausdrucks- noch einer Bezeichnungsidentität zwischen lexikalischen Einheiten verschiedener Lokolekte darf ohne weiteres auf eine Inhaltsidentität geschlossen werden. 5. Auch die Wortfeldgrenzen können in verschiedenen Lokolekten verschieden verlaufen 3 . 6. Die größeren regionalen Systeme sind von unten her, d.h. ausgehend von den Lokolekten aufzubauen, indem Lokolekte mit identischer Strukturierung eines Wortfeldes zusammengefaßt werden. 7. Eine gültige Dialekteinteilung darf sich nicht auf die einheitliche Strukturierung nur eines Wortfeldes stützen. Auch bei Ubereinstimmung in der Strukturierung mehrerer Wortfelder müßten von den so gewonnenen Einheiten zusätzlich noch Übereinstimmungen hinsichtlich der phonologischen und morphologischen Strukturen erwartet werden 4 . Staib plädiert wie wir f ü r eine klare Unterscheidung zwischen Beschreibung und Erklärung diatopischer Divergenzen. Aus technischen Gründen erachtet er allerdings die «Beschreibung der Strukturen einzelner Lokolekte in Verbindung mit der Beschreibung der diatopischen Diversität dieser Strukturen zum gegenwärti-
2 3
4
cf. Staib 2.2.3.9. A. Marguiron, Essai sur les structures semantique et lexicale des voies de communication dans les parlers lyonnais actuels, RLR 37 (1973), 23-87, cf. Staib 2.2.3.13. Μ. A. Borodina und V. G. Gak, Essai sur la structure d'un champ semantique (langue litteraire - dialecte), RLR 38 (1974), 40-46, cf. Staib 2.2.3.10. J.-Cl. Bouvier, Les denominations du "ruisseau" dans les parlers provengaux, RLR 38 (1974), 59-74, cf. Staib 2.2.3.11. Ders., Le soir et la nuit dans les parlers provenqaux et francoprovenfaux, RLR 40 (1976), 349-364, cf. Staib 2.2.3.12. Vgl. Br. Staib, Semantik und Sprachgeographie (1978), Abschnitt 2.2.4. Staib weist hier z.B. auf die in der ersten Anmerkung dieses Kapitels genannte Arbeit von J.-Cl. Bouvier zu den Bezeichnungen des Baches in den provenzalischen Mundarten hin, nach der im Nordprovenzalischen zwei Felder mit den archilexematischen Inhalten "Flußlauf" und "Graben" existieren, während man im Südprovenzalischen nur verschiedene Typen von "Talwegen" unterscheidet, die Wasser führen können oder auch nicht. Einmal mehr: eine gültige Dialekteinteilung darf sich u.E. auch nicht ausschließlich auf synchron-strukturelle Ubereinstimmungen stützen.
5.7 Die strukturelle
diacbrone Semantik
nach Ε. Coseriu
149
gen Zeitpunkt als das einzig sinnvolle und machbare Ziel einer strukturell diatopischen Semantik» (Semantik und Sprachgeographie (1978), 260). Man wird daher auch von uns in diesem Kapitel nur vorsichtige Andeutungen in Richtung auf eine strukturell semantische Dialektologie erwarten dürfen.
5.1
Die strukturelle diachrone Semantik nach E. Coseriu
Für die strukturell semantische Dialektgeographie muß wieder gelten: «Structural variety through space is of course a result of structural variety through time»1. Sie steht also in Abhängigkeit von einer strukturell diachronischen Semantik, zu der sie selbst einen Beitrag leisten kann. E. Coseriu hat 1963 in Vorträgen an den Universitäten von Straßburg, Uppsala und Bergen die Grundlagen für eine solche Semantik gelegt2. Wir referieren hier das für unseren Zusammenhang Wesentliche: 5.1.1
Ihr Gegenstand
Den Gegenstand der strukturell diachronischen Semantik bilden nach E. Coseriu «ausschließlich die strukturellen Veränderungen der » (p. 90) - von ihm auch Modifikationen genannt - und nicht etwa die «Ersetzung der im Laufe der Geschichte einer Sprache» (ebenda). Genauer gesagt geht es um «die historische Entwicklung der als lexikalische Inhaltsstrukturen betrachteten "Begriffsfelder"» (Hervorhebung vom Autor), d.h. insbesondere um «die Erhaltung, das Erscheinen, das Verschwinden und die Veränderung der distinktiven lexikalischen Oppositionen ...». Diese wird die strukturell diachronische Semantik «feststellen, untersuchen und, wenn möglich, erklären (motivieren) müssen» (alle drei Zitate aus 2.5, p. 122). 5.1.2
Traditionelle und strukturelle Dialektologie im lexikalischen Bereich:
Die Unterscheidung zwischen Ersetzung und Modifikation als eigentlich semantischer Veränderung zieht auch die Grenze zwischen der traditionellen, mit lexikalischen Fragen befaßten Sprachgeographie, wie sie Gillieron und seine Nachfolger betrieben haben, und der strukturell semantischen Dialektgeographie, um die es hier geht: erstere zählt entweder die Inhalte auf, die demselben 1
2
So A. Martinet in Structural variation in language (vgl. Proceedings of the 9 th international congress of linguists, Cambridge Mass. 1962, Den Haag 1964, p. 521-532, dort P.-522). Überarbeiteter Text unter dem Titel Pour une semantique diachronique structurale in: Travaux de linguistique et de litterature (TraLiLi), hrsg. vom Centre de philologie et de litteratures romanes de l'universite de Strasbourg II, 1 (1964), 139-186. Wir zitieren aus der deutschen Ubersetzung von Gisela Köhler in: Strukturelle Bedeutungslehre, hrsg. von H . Geckeier (Wiss. Buchgesellschaft Darmstadt, Wege der Forschung 426), Darmstadt 1978, dort p. 90-163.
150
11,5
Dialektologie
und Strukturalismus:
Semantik
Ausdruck (z.B. etymologischen Typ) in verschiedenen Dialekten entsprechen oder (noch häufiger) die Ausdrücke, die dort einen bestimmten Inhalt bezeichnen: A A' A2 A' A' A5 . . .
«Aber es handelt sich immer um eine mehrmalige einfache Beziehung (A-I) und nicht um eine multilaterale Beziehung (zwischen oder ) innerhalb eines sprachlichen Systems» (Hervorhebungen vom Autor, vgl. p. 130, dort auch die beiden Schemata)3. 5.1.3
Modifikation
und Ersetzung
Ersetzung und Modifikation stehen in einem inklusiven Verhältnis zueinander: Jede Modifikation bringt eine oder mehrere Ersetzungen mit sich. So impliziert ζ. B. die Modifikation des alten Inhalts "chef" auf dem Weg zum mod. Französisch chef chef —
tete
die Ersetzung des signifiant chef durch den signifiant tete für einen Teil des alten signifie "chef". Dagegen beinhaltet nicht jede Ersetzung eine Modifikation. Im Laufe der Entwicklung 1. Phase
cheval
ive
2. Phase
cheval
cavale
3. Phase
cheval
jument
hat sich an der Inhaltsbeziehung "Pferd"/"weibliches Pferd" nichts geändert. «Aus diesem Grund können die Ersetzungen von nützliche Indizien für die semantischen Modifikationen sein (es besteht die Möglichkeit, daß sie Modifikationen entsprechen), aber sie können kein Beweis dafür sein» (vgl. für die Beispiele Absatz 4.2.1, für das Zitat p. 142, Hervorhebung vom Autor). 5
Vgl. oben II, 4.0 Anm. 2 das Beispiel "gehen" auf der Pyrenäenhalbinsel und das Beispiel Korn im deutschen Sprachraum.
5.1 Die strukturelle diachrone Semantik nach Ε. Coseriu 5.1.4
151
T y p o l o g i e der Innovationen in der lexematischen Struktur.
D i e Modifikationen lassen sich in zwei Klassen unterteilen, je nachdem, o b sie auf der Inhaltsebene «das Auftreten oder Verschwinden eines unterscheidenden Zuges und damit einer O p p o s i t i o n » bedeuten (p. 145). Diese beiden Klassen von Modifikationen werden dann bei Coseriu in 4.3.3 näher beschrieben. M i t den dort unterschiedenen T y p e n von Bedeutungswandel haben wir auch schon eine T y p o l o g i e dialektaler Züge im Bereich der Struktur des Wortschatzes. D i e O p positionen werden von E . Coseriu dabei unterteilt in einfache
(d.h. zweigliedri-
ge) und komplexe
(d.h. mehrgliedrige); liegt ein Inklusionsverhältnis vor, dann
k ö n n e n markierte
und neutrale
Glieder unterschieden werden 4 . Es werden ins-
gesamt neun T y p e n genannt: I. B e i m Auftreten einer neuen O p p o s i t i o n wird «eine Unterscheidung im Inhalt eines bestehenden W o r t e s eingeführt» (p. 146). Zwei Möglichkeiten werden vorgestellt: a) Entstehung einer inklusiven O p p o s i t i o n durch Auftreten eines markierten Gliedes: lat.
span.
pajaro
C o s e r i u fügt hinzu: «Das markierte Glied kann jedoch nachträglich neutrales Glied der O p p o s i t i o n werden» (p. 146). b) Verwandlung einer inklusiven in eine exklusive O p p o s i t i o n . Das neutrale Glied wird ebenfalls markiertes G l i e d : lat.
franz.
bos
bceuf
vache
II. Auflösung einer O p p o s i t i o n . Sieben Möglichkeiten werden vorgestellt: a) das neutrale Glied einer einfachen O p p o s i t i o n verdrängt das markierte: lat.
albus
Typ lat.
albus
Candidus
| candidus|
alb
oder
homo
femina 1
"albus" und
"homo" sind die neutralen (extensiven) Glieder der Opposition, weil sie jeweils auch für die durch einen weiteren Inhaltszug markierten (intensiven) Glieder eintreten können ("Candidus" = "albus" + "Glanz"; "vir" = "homo" + "männlich"). Die Schematisierung des Beispieles ist von uns, vgl. aber E. Coseriu im selben Aufsatz p. 141 mit Anm. 45 und hier oben II, 3.2.2-3.
II, 5 Dialektologie und Strukturalismus:
152
Semantik
b) das markierte Glied einer einfachen Opposition verdrängt das neutrale: lat.
niger
franz.
c) ein markiertes Glied einer einfachen, nicht neutralisierbaren Opposition verdrängt das andere: patruus
lat.
avunculus
franz.
oncle
d) das neutrale Glied einer komplexen Opposition verdrängt eines der markierten Glieder: homo
homme fr.
lat. vir
femina
femme
e) das neutrale Glied einer komplexen Opposition verdrängt alle markierten Glieder:
lat.
franz.
consobrinus [(avunculi filius)
amitinus
patruelis
f) ein markiertes Glied einer komplexen Opposition verdrängt ein anderes: franz. repas diner
dejeuner
souper I repas
(petit)
dejeuner
6
Schematisierung von uns.
7
Schematisierung von uns.
diner
souper
5.2 Jean Seguy
153
g) ein markiertes Glied einer komplexen O p p o s i t i o n verdrängt alle anderen markierten Glieder:
stare
5.1.5
lat.
span.
esse
ser
iacere
estar
sedere
(de pie-echado-sentado)
Lexikalische Entlehnungen
M i t B l i c k auf die wechselseitige Beeinflussung der Mundarten interessieren uns auch die F o r d e r u n g e n , die E . Coseriu aus dieser strukturell diachronischen Semantik für das Studium lexikalischer Lehnbeziehungen ableitet. Es sei nähmlich jeweils zu fragen: 1. o b die E n t l e h n u n g sich auf ein für ein schon existierendes beschränkt (einfache Ersetzung) oder 2. o b mit Hilfe der Entlehnung eine neue O p p o s i t i o n in die betreffende Sprache eingeführt wird und o b es sich in diesem Falle a) u m eine O p p o s i t i o n handelt, die schon in der Sprache, aus der die Entlehnung stammt, vorhanden war ( . . . ) oder b ) u m eine O p p o s i t i o n , die in der Sprache, die die Entlehnung vornimmt, entsteht ( . . . ) . (Für eine strukturelle
diachrone
Semantik
(1964, dt. 1978), 160)
Beispiele für 2a) und 2 b ) werden wir unten in II, 5.2—4 sehen.
5.2
J e a n Seguy
U n t e r den 13 von Staib besprochenen Arbeiten greifen wir zwei heraus, die doch einen historischen Interpretationsversuch wagen. A n diesen beiden Beiträgen sowie an einem der 3 von Staib untersuchten Wortfelder versuchen wir zu zeigen, wie eine solche Interpretation aussehen kann. A u c h wir glauben, daß man hierbei vorläufig nicht zu sicheren Ergebnissen k o m m e n kann, so daß es hier nur u m die prinzipielle Möglichkeit solcher Interpretationen geht.
5.2.1
In Structures semantiques
d'animaux
d'elevage
des noms designant en gascon les categories
( 1 9 6 7 ) geht es J e a n Seguy, dem Herausgeber des
linguistique et ethnographique
Atlas
de la Gascogne (ALG, Toulouse-Paris, 1954 sq.),
darum, die verschiedenen Bedeutungen der Fortsetzer von lat. A V I A M E N in
154
II, 5 Dialektologie und Strukturalismus:
Semantik
der Gascogne zu beschreiben u n d z u e r k l ä r e n (cf. A L G IV, Karte 1195). D e r Verfasser bemerkt sogleich, daß diese Aufgabe nur gelöst werden kann, wenn das W o r t im Rahmen einer semantischen Struktur betrachtet wird. Sie ist im Titel seiner Arbeit benannt. Die örtlichen Feldstrukturen werden auf einer lose beiliegenden Karte abgekürzt wiedergegeben. Dabei stehen griechische Minuskeln z.B. für folgende signifies: β "betail" "gros betail" ξ "petit betail" 7 "grande quantite de" κ "betes ä cornes"
ζ π ρ χ ω
"juments et veaux" "poules" "preciput (reserve)" "basse-cour" "volaille"
ε steht f ü r die ( = Archilexem) des Feldes: "animaux d'elevage". Der am häufigsten vorkommende Typ ist ε symbolisiert. der Inhalt der erscheint ein Ausdruckstyp: A Β G Ρ
>w o b e i die K
i a m m e r Inklusion in
Da f ü r ε meistenorts kein signifiant da ist, wird gewöhnlich nur Klammer auf der Karte symbolisiert. Vor jedem Inhaltssymbol lat. Großbuchstabe als Abkürzung für den verwendeten z.B.
AVIAMEN bestiar Ableitung von G A L L I N A poralha < P U L L A L I A
A m Punkt 688 findet man dann z.B. das komplexe Symbol Α ω (Ρ π) Τβ was soviel heißt wie: die Mundart unterscheidet zwischen A V I A M E N "volaille" und bestiar "betail" und hat innerhalb von "volaille" noch ein spezielles Wort poralha f ü r "poules". Wir übergehen die Einwände, die eventuell gegen die Rekonstruktion einzelner mundartlicher Inhaltsstrukturen vorgebracht werden könnten', und kommen zu J. Seguys Versuch, eine Genealogie der wichtigsten A V I A M E N enthaltenden Strukturen zu entwerfen (cf. Stemma p. 8). Sie gehen seiner Meinung nach alle auf eine instabile Zwischenstufe —
1
(
T
y
p
3 im Stemma)
Problematisch scheint uns die Hereinnahme pejorativer Ausdrücke. Dieser Sinneffekt entsteht wohl vor allem bei metaphorischem Gebrauch von Zeichen aus anderen Bereichen des Wortschatzes bzw. durch Anleihen bei anderen Sprachschichten und/oder -Stilen in der Rede (vgl. die von Seguy auf S. 11 zitierten Informantenaussagen). Beide Fälle sind bei der strukturellen Analyse auszuscheiden.
5.2 Jean Seguy
155
zurück, wo «Α est en synonymie absolue avec P. La loi de decantation polymorp h i q u e . . . e s t responsable de la suite...» (p.10). Ausgelöst wurde dieser instabile Zustand durch das Auftreten von P U L L A L I A in der Bedeutung von "volaille" (cf. pp. 6/7). Aus diesem T y p 3 sind nach Seguy die Typen 4
.Α., Ρ ω Β β
5 , Α/Ρ ω Ν VB β )
6
Y Α χ (Ρω) Β β
7
Ρω Αβ(Βκ)
direkt hervorgegangen 2 . Zwei weitere Typen 8 und 9 leitet Seguy aus 7 ab:
A
8 Α (Ρ ω)
9
Der verschiedenartige remploi von A V I A M E N in der gesamten Entwicklung sei möglich gewesen, weil dieser signifiant schon früh den Anschluß an seine Wortfamilie verloren habe (cf. p. 6). 5.2.2 Sehen wir einmal von der Entwicklung 3 > 4 ab, so liegt tatsächlich in all den hier referierten, von T y p 3 ausgehenden Veränderungen eine Umstrukturierung auf der Inhaltsebene vor. Die Reduktion auf Coserius Modifikationstypen fällt schwer, weil die Inhalte hier nicht in distinktive Züge analysiert sind, sondern mit Inhalten der Literatursprache gleichgesetzt werden. Dennoch wird man annehmen können, daß z.B. 7 > 9 mit AVIAMEN
bestiar
|
AVIAMEN
dem T y p IIa entspricht etc. Zweifellos hat E. Seguy recht, wenn er in der Adoption von P U L L A L I A in der Bedeutung "volaille" das fundamentale Ereignis in dieser ganzen Entwicklung sieht. Wir sind allerdings nicht ganz sicher, daß A V I A M E N zuvor gerade diese Bedeutung hatte, es sich also um eine bloße Ersetzung gehandelt hätte (cf. supra II, 5.1.1-3). Die Tatsache, daß A V I A M E N in der ganzen Gascogne - ausgenommen das Departement Hautes-Pyrenees - weiterlebt und die Verbindung Ρ - ω dort f ü r fast alle mod. Mundarten konstant ist, scheint uns eher dagegen zu sprechen. Wichtiger ist ein anderer Punkt: wir halten den direkten Ubergang von 3 zu 7 für fast ausgeschlossen. Ein signifiant wird kaum unvermittelt vom Repräsentanten eines markierten Inhalts zum Repräsentanten eines ebenfalls markierten, Α bedeutet "pejorativ". Wir verzichten auf Typ 10, von dem auch nach Seguy nicht klar ist, ob er Α nicht mehr enthält oder nie enthalten hat (cf. p. 11).
II, 5 Dialektologie
156
und Strukturalismus:
Semantik
zu ihm in unmittelbarer Opposition stehenden Inhalt werden. Es gibt Ubergänge des Typs dejeuner
diner
souper 1 diner
dejeuner
souper
aber w i r k ö n n e n uns keinen unvermittelten des T y p s dejeuner
souper
diner I
dejeuner
souper
diner
vorstellen. Einen solchen anzunehmen, hieße u.E. Saussures arbitraire du signe linguistique im Sinne eines ad placitum falsch zu verstehen'. Dies wäre keine Modifizierung mehr, sondern eine Umbenennung. Unsere Annahme, daß 7 nicht direkt auf 3 zurückgeht, wird übrigens durch ein Raumargument gestützt: nordwestlich u n d südöstlich der Zone, in der AVIAMEN "betail" heißt, erscheint AVIAMEN auf Seguys Karte in der archilexematischen Bedeutung "animaux d'elevage". Der methodisch überaus interessante Aufsatz J. Seguys wirft vor allem die Frage auf, ob es möglich ist, wenigstens in bestimmten Fällen doch Sprachatlanten als Grundlage für strukturell semantische Untersuchungen zu benützen, vielleicht indem man zusätzlich gezielte punktuelle Einzelerhebungen durchführt. Wird dies ganz verneint, so muß man sich in der strukturell semantischen Dialektologie auf mikroskopische Untersuchungsgebiete beschränken und auf Raumargumente praktisch ganz verzichten.
3
Für die beiden Begriffe vergleiche man E. Coseriu, L'arbitraire du signe. Zur Spätgeschichte eines aristotelischen Begriffes, A S N S 204 (1967-1968), 8 1 - 1 1 2 . Was hier für die bedeutungstragenden Einheiten ausgeführt wurde, läßt sich auf die Phoneme übertragen. W i r rechnen nicht mit für Phoneme (im Inventar), deren Existenz u.a. für R. King keinem Zweifel unterliegt (Historische Linguistik und generative Grammatik (1969, dt. 1971), 143). - Dabei haben wir J. Fourquet auf unserer Seite, der einmal von zwei sich durch den Offnungsgrad unterscheidenden Langvokalen sagt: «une inversion de leurs positions est impossible, aussi impossible que l'inversion des positions de deux trains places sur une voie unique...» (Classification dialectale (1958), 58). Es können freilich Nebengeleise geschaffen werden.
ί.3 Jean-Claude
5.3
157
Bouvier
Jean-Claude Bouvier
Jean-Claude Bouvier, Mitautor des Atlas linguistique et ethnographique de la Provence, Paris 1975 sq., hat sich in zwei Aufsätzen mit Problemen der dialektalen Semantik im SO Frankreichs beschäftigt 1 . Während es im ersten Beitrag in theoretischer Hinsicht darum geht, die onomasiologisch vorgehende Dialektologie zu erneuern »en integrant la semasiologie» (Les denominations du «ruisseau» (1974), 60), will Bouvier mit der zweiten Studie den Nachweis erbringen, «que la geographie linguistique, sans rien renier de ses principes et methodes, a un role primordial ä jouer dans la recherche semantique moderne, et plus particulierement dans la semantique structurale» (Le *soir» et la «nuit» (1976), 364). Wir können uns daher auf diese zweite Arbeit beschränken, die nach einem synchronischen auch einen diachronischen Teil enthält (p. 360-364). 5.3.1 Bouvier zeichnet zunächst aufgrund der Materialien des ALP und des Atlas linguistique et ethnographique du Jura et des Alpes du Nord (Francoproνβηςαΐ Central) = ALJA, Paris 1971 sq., je eine onomasiologische Karte für die Begriffe "soir" und "nuit" zwischen Jura und Mittelmeer. Die Kombination der beiden ergibt eine dritte Karte Le soir et la nuit (p. 356), auf der drei Areale zu unterscheiden sind: im größten Teil des Frankoprovenzalischen sowie einem nördlichen Streifen des Provenzalischen wird derselbe signifiant für "soir" und "nuit" benützt. Nördlich und südlich dieses Gebietes wird unterschieden und zwar mittels der gleichen etymologischen Typen wie in der Hochsprache. Dem Inhalt "soir + nuit" entspricht im Zentrum weitgehend der signifiant ne < N O C T E , im nördlichen Provenzalischen (Drome) jedoch der Typ vepre. Zieht man kleinere Zonen des A L M C und des ALG zum Vergleich heran, die nicht zwischen "apres-midi" und "soir" unterscheiden, so ergeben sich für die moderne Galloromania drei verschiedene Weisen, den Tagesablauf zu gliedern, die Bouvier folgendermaßen resümiert (vgl. Le "soir" et la "nuit" (1976), 358/ 359): matin
—
apres-midi
—
soir
—
nuit
(fr. Hochsprache und der größte Teil der modernen Galloromania) (2)
matin
veprena
/
vepre
(Frankoprovenzalisch, mit einer «opposition fondamentale entre temps de travail et temps de non-travail») Les denominations du "ruisseau" dans lesparlers provenqaux und Le "soir" et la "nuit" dans les parlers provengaux et francoprovengaux, beide Beiträge in RLR, dort 38 (1974), 59-74 und 40 (1976), 349-364.
158
(3)
II, 5 matin
Dialektologie
/
vepre ν archilex. jour
'
(Massif Central und Landes, mit einer «opposition fondamentale entre temps d'eveil et temps de sommeil»)
Im historischen Teil seines Beitrages leitet Bouvier diese Gliederungstypen von einem proto-gallo-romanischen Gliederungstyp her, den er (unter Auslassung von matin) folgendermaßen symbolisiert (p.361):
A = "midi/ä/nuit" ( V E S P E R ) Β = "coucher du soleil" ( S E R O ) C = "nuit" ( N O C T E )
Diese Struktur war nach Meinung des Autors unstabil: V E S P E R etait doublement ambigu: outre son appartenance au vocabulaire religieux et au vocabulaire commun, il exprimait ä la fois la meme notion que S E R O et une notion qui la depassait largement (p. 362).
Daher der Übergang zu den drei heute angetroffenen Lösungen, bei denen wir uns wieder den matin jeweils dazudenken können (cf. supra):
(1)
c
(2)
C, = Β + C
(3)
Α, = Α + Β
159
5.4 Bruno Staib
5.3.2 T r o t z des onomasiologischen Ausgangspunktes ist hier eindeutig die Gestaltung der Inhaltsebene zum eigentlichen Gegenstand des Interesses geworden. vepre "soir + nuit" in (2) bzw. vepre "apres-midi+soir" in (3) werden nicht mehr wie in der traditionellen Sprachgeographie als Fälle von H o m o n y m i e angesprochen und somit zu degradiert 2 . Allerdings werden die Inhalte - mit Ausnahme der «oppositions fondamentales» - nicht durch distinktive Züge, sondern von der außersprachlichen Realität her abgegrenzt (durch die Zeitspanne, die sie normalerweise bezeichnen, daher die Überschneidungen der Zonen). Eine Folge davon ist, daß auch die diachronen Veränderungen nicht als «Auftreten oder Verschwinden eines unterscheidenden Zuges» (cf. supra II, 5.1.4), sondern als «glissements» (Le "soir" et la "nuit" (1976), 362) aufgefaßt werden.
5.4
Bruno Staib
5.4.1 Für das Wortfeld der Tageszeiten, dessen archilexematischen Inhalt Staib mit "Zeitraum (innerhalb) von 24 Stunden" umschreibt, ergeben sich für die sechs von ihm im Massif Central untersuchten Ortsmundarten 1 fünf verschiedene Gliederungstypen. Wir stellen sie zunächst ohne Angabe der sprachlichen Ausdrücke, die die jeweiligen Inhalte repräsentieren, in der von B. Staib gewählten Darstellungsweise (mit unwesentlichen Änderungen in der graphischen Form) untereinander (vgl. die Schemata auf pp. 312, 321, 327, 332 und 335 in seiner Dissertation), um sie anschließend näher zu erläutern: Feldstrukturen:
Untersuchungspunkte: P. 13 Landeyrat
P. 14 Menet 2
1
1h:
M. Philipp, Cartes structurales en Moselle germanophone in: Melanges pour Jean Fourquet, hrsg. von P. Valentin und G. Zink, Paris-München 1969, p. 295-308, dort p. 306. Sie liegen im östlichen Teil des Dep. Cantal, unmittelbar nördl. und südl. der tfa, tsa/ ka - Grenze zwischen dem Nord- und Südokzitanischen und dienten schon als Untersuchungspunkte für den von P. Nauton herausgegebenen Atlas linguistique et ethnographique du Massif Central (ALMC) I-IV, Paris 1957-63, dessen Nummerierung auch wir übernehmen (vgl. Staibs Kärtchen, Semantik und Sprachgeographie (1978), 292).
II, 5 Dialektologie und Strukturalismus:
160
Semantik
P. 17 Murat
P. 18 Villedieu
P. 41/43 St.-Jacques-desBlats und Paulhenc Wie man sieht, betreffen die diatopischen Unterschiede nur die Gliederung auf einer relativ niederen Ebene 2 . Der Rahmen
)orn
bleibt - auch was die etymologischen Typen jorn, nueit, matin betrifft - überall der gleiche. Durch ihn wird der archilexematische Inhalt zunächst durch den distinktiven Zug in einer inklusiven Opposition weiter unterteilt in die nueit und den nicht-dunklen Teil des jorn, für den wir abweichend von Staib eine gestrichelte Linie gewählt haben, um das inklusive Verhältnis deutlich hervortreten zu lassen. Der jorn
jorn I nueit |
im engeren Sinne wird nun weiter
unterteilt und zwar an den Punkten 13 und 18 durch den unterscheidenden Zug "vor/nach Mittag" in zwei, an den übrigen Punkten durch die Züge "1. Hälfte", "2. Hälfte", " E n d e " in drei Inhalte. Der "nach Mittag" an P. 18 und die "2. Hälfte" des Tages an P. 14 sind durch inklusive Oppositionen mit einem durch den Zug "früh" markierten Glied noch einmal unterteilt. Am Punkt 13 funktioniert innerhalb des "nach Mittags" eine exklusive Oppo$ition des Typs " + f r ü h / -früh".
2
Dies scheint häufig so zu sein; Staib ( S e m a n t i k und Sprachgeographie (1978), 254) hält dies als Ergebnis der von ihm besprochenen Arbeit von A . Marguiron über das W o r t feld der Verkehrswege im Frankoprovenzalischen (cf. supra II, 5.0, Anm. lb) fest.
5.4 Bruno Staib 5.4.2
161
T r o t z seiner eher pessimistischen Äußerungen hinsichtlich der M ö g l i c h -
keit des Studiums dialektaler Wortfelder unter strukturell-diachronischem G e sichtspunkt z u m heutigen Zeitpunkt (cf. hier oben I I , 5.0) begibt sich auch Staib gelegentlich auf das G e b i e t der Diachronie. Insbesondere in Kapitel 5.3 pischer
Vergleich
der Strukturen)
(Diato-
gibt er, ausgehend von der hier unter II, 5.3.1
vorgestellten proto-galloromanischen Struktur
MATUTINU
VESPER
SERO
Hinweise auf mögliche Filiationen der festgestellten dialektalen Feldstrukturen. 5.4.3
E i n e exakte R e k o n s t r u k t i o n ist sicher nicht möglich. Es haben offenbar
recht zahlreiche Innovationen stattgefunden. Ausreichende schriftliche Zeugnisse zu älteren Sprachzuständen an den einzelnen O r t e n sind w o h l kaum vorhanden. D i e D i m e n s i o n e n des Untersuchungsgebietes erlauben keine Anwendung von Raumargumenten. I m folgenden geht es deshalb nur noch um den theoretischen W e g , nicht u m die praktische Durchführbarkeit einer solchen R e k o n struktion. W i r vereinfachen das Beispiel in doppelter H i n s i c h t : 1. wir tun so, als o b matin
überall den gleichen Inhalt habe, o b w o h l es an den
Punkten 13 und 18 in einer zweigliedrigen (privativen), an den Punkten 14, 17, 41 und 43 in einer dreigliedrigen (graduellen) O p p o s i t i o n funktioniert, d.h. wir konzentrieren uns auf die Vorgänge im Leerraum des oben gezeichneten R a h mens, o h n e die Auswirkungen zu berücksichtigen, die diese Vorgänge für das Oppositionsverhältnis zu matin
haben.
2 . verzichten wir darauf, die offenbar recht komplizierte G e s c h i c h t e des Systems 18 mit der inklusiven O p p o s i t i o n
apres-miegjorn
vers-sera
in unser Stemma aufzunehmen. D i e w o h l einfachste Herleitung der Teilsysteme 13, 14, 17, 41 und 43 aus dem proto-galloromanischen Teilsystem
VESPER
SERO
läßt sich dann etwa wie folgt darstellen (die Buchstaben stehen für die verwendeten A u s d r u c k s t y p e n : V = V E S P E R , S = S E R O bzw. S E R A , dt =
am =
apres-miegjorn):
devers-tard,
162
II, 5 Dialektologie und Strukturalismus: Semantik
proto-gallo rom. Stufe:
Verbreitung des Typs apres-miegjorn:
1 am | y
S
leute:
Θ am
V
P. 14
V
Ξ S
P. 41 + 43
Die gestrichelten Linien deuten eine nach Staib (Semantik und Sprachgeographie (1978), 315) sich offenbar schon abzeichnende Weiterentwicklung an. Ausgangspunkt für die Erstellung dieses Stemmas war ein allen Mundarten gemeinsamer dialektaler Zug: die Verbreitung des nach nordfranzösischem Vorbild geschaffenen Typs apres-miegjorn für Zeitangaben zwischen Mittagessen und Dunkelheit 3 . Diese gemeinsame substantielle Innovation wäre entsprechend 3
Die nach E. Coseriu für lexikalisches Lehngut jeweils zu stellenden Fragen (cf. supra II, 5.1.5) wären hier folgendermaßen zu beantworten: In keiner der fünf Ortsmundarten bedeutet die Aufnahme von apres-miegjorn einfach eine Ersetzung. Für die Mund-
5.5
163
Ergebnis
den drei schon bestehenden Feldstrukturen P . 14 / P. 4 1 , P . 4 3 , P. 13 / P . 17 durch drei verschiedene strukturelle Innovationen in den Einzelmundarten ermöglicht worden (cf. supra I, 4.2.2 und I, 4.4). D i e m o d e r n e Verteilung der signifiants auf die signifies hat uns veranlaßt, ältere Restrukturierungen für die Derivationen von System 14 und 17 und jüngere für diejenigen von System 41, 43 und 17 sowie ein remplacement
auf dem W e g
zu System 13 anzusetzen. M a n k ö n n t e sich auch vorstellen, daß mehrere für eine Derivation angesetzte Innovationen zugleich vorgenommen wurden, daß also z . B . System 14 bei der Adoption von apres-miegjorn
im Zuge einer einzigen
U m s t r u k t u r i e r u n g aus dem P r o t o s y s t e m hervorgegangen wäre. Wichtig scheint aber dies: sähe man von den signifiants ganz ab, so ließen sich für die modernen Inhaltsstrukturen viel einfachere Derivationen denken. System 17 z . B . könnte einfach durch U m w a n d l u n g einer inklusiven O p p o s i t i o n im P r o t o s y s t e m in eine exklusive O p p o s i t i o n im heutigen System erklärt werden. D i e Mitberücksichtigung der signifiants scheint uns eine solche Interpretation auszuschließen: V E S P E R erscheint in 17 gerade dort, w o man unter diesen U m s t ä n d e n S E R O erwarten würde. W i r müßten bei einer solchen Interpretation außer mit der U m w a n d lung der O p p o s i t i o n noch mit einer doppelten Ersetzung rechnen ( S E R O würde durch V E S P E R ersetzt, altes V E S P E R durch apres-miegjorn).
V E S P E R würde
dabei unmittelbar z u m Repräsentanten eines Inhalts, zu dem sein seitheriger Inhalt in O p p o s i t i o n steht.
5.5
Ergebnis
Einer mit inhaltlichen Strukturen operierenden Dialektologie stellen sich erhebliche praktische Schwierigkeiten entgegen. F ü r stichfeste Inhaltsanalysen braucht man entweder für jede O r t s m u n d a r t ein ausgedehntes Korpus freier Rede oder man m u ß die Informanten um metasprachliche Auskünfte bitten, um auf direkterem, vielleicht auch gefährlicherem W e g schneller z u m Ziel zu k o m m e n 1 . J e denfalls ist es mit dem Abfragen eines kurzen Fragebogens zu dem entsprechenden W o r t f e l d nicht getan. D i e Informationen der Sprachatlanten reichen nicht aus, und o b man sie angesichts einer solchen Vielfalt von Strukturen, wie sie
1
arten 41, 43, 17, 13 bedeutet sie letztlich die Einführung einer Opposition, wie sie analog auch im Nordfranzösischen bestand. Am Punkt 14 entsteht durch die Aufnahme von apres-miegjorn eine Opposition neuen Typs. Beide Wege hat B. Staib behutsam beschritten. Sein Questionnaire von 250 Fragen bestand im allg. aus ganzen Sätzen. «Insgesamt dienten aber diese Ubersetzungen nur als Anlaß für weitere Präzisierungen von Seiten der Informanten». Staibs Interviews dauerten im Durchschnitt 3 Stunden. Trotzdem «war eine zweite Enquete erforderlich» (aus Kap. 4.3 von Staibs Dissertation). - Es ergibt sich hier übrigens eine schöne Parallele zu W.G. Moulton, der - an der phonologischen Seite der Mundarten interessiert - dazu auffordert, die Gewährsleute nicht nur als «talking machines» anzusehen (cf. Structural dialectology (1968), 4 6 3 ^ 6 5 ) .
164
II, 5 Dialektologie
und Strukturalismus:
Semantik
Staib schon auf kleinstem Raum beobachtet hat, durch Stichproben hinreichend ergänzen kann, bleibt fraglich. Schrumpfen die Untersuchungsgebiete aber unter ein gewisses Minimum, so sind die klassischen Raumargumente der Sprachgeographie nicht mehr anwendbar. Dagegen haben sich keine unüberwindlichen theoretischen Schwierigkeiten ergeben. Akzeptieren wir die von J . - C l . Bouvier vorgeschlagene Struktur des proto-galloromanischen
Wortfeldes
der
Tageszeiten
als
Vorstufe
der
6 Ortsmundarten im Departement Cantal, so lassen sich Derivationen für die modernen dialektalen Feldstrukturen denken, die mit den unter II, 5.1.4 referierten und ev. noch zu ergänzenden Typen von strukturell-semantischen Innovationen bei E. Coseriu beschrieben werden können 2 . Unser Anliegen war es, gleichzeitig noch einmal hervorzuheben, daß die tatsächliche Geschichte der dialektalen Inhaltsstrukturen sicher nicht ohne Rekurs auf die signifiants rekonstruiert werden kann 3 . Unsere Bemerkungen zur Ausschließung von Platztausch lassen sich wohl folgendermaßen verallgemeinern: bei jeder Innovation in der inhaltlichen Struktur muß es für die überlebenden signifiants ein Minimum an Kontinuität in der Bezeichnung geben.
2
In unserem Stemma gilt dies voll und ganz für die Derivationen für P. 14 (nacheinander T y p Ib und Ia) und P. 17 (nacheinander T y p IIa, Ia und Ib). Die Derivationen für P. 41, 43 und 13 sind dadurch charakterisiert, daß innerhalb einer inklusiven Opposition ein weiteres markiertes Glied auftritt (also T y p Ild in umgekehrter Richtung) und anschließend ein Archilexem ( V E S P E R ) aufgegeben wird (signifiant und signifie).
3
Das deutet auch E . Coseriu in seinem Beitrag an (cf. Pour une semantique diachronique structurale (1964), 142). E s ist auch in der Weise impliziert, wie dort die Innovationstypen formuliert werden: nicht ein Inhalt vereinigt sich mit einem anderen, sondern ein signifiant verdrängt einen anderen aus einem Inhaltsbereich, mit dem dieser andere seither assoziiert war.
6
6.0
Dialektologie und Transformationsgrammatik
Vorbemerkung
Auch die Generativisten haben sich in jüngster Zeit der historischen Sprachwissenschaft zugewandt 1 . Im Zusammenhang mit diesen Bemühungen ist eine transformationeile Dialektologie entstanden, die sich bislang vor allem mit dialektalen Unterschieden in der beschäftigt. Wir werden hier versuchen, die einschlägigen Beiträge im Zusammenhang zu würdigen 2 . Wir können uns dabei natürlich nicht mit der hinter dem generativen Modell stehenden Sprachtheorie insgesamt auseinandersetzen'; andererseits ist es un1
2
3
Für die historische Sprachwissenschaft ist vor allem auf R.D. King, Historical linguistics and generative grammar, Englewood Cliffs, New Jersey 1969 hinzuweisen. Wir zitieren die deutsche Übersetzung von St. Stelzer (Historische Linguistik und generative Grammatik, Frankfurt am M. 1971). Vgl. außerdem Linguistic change and generative theory, hrsg. von R. P. Stockwell und R. K.S. Macaulay, Bloomington - London, Indiana Univ. Press 1972. Auf dem 14. internat. Romanistenkongreß in Neapel hat sich eine tavola rotonda mit dem Thema Grammatica transformazionale e grammatica storica beschäftigt, vgl. XIV congresso internazionale di linguistica e filologia romanza, Napoli 1974, Atti - volume I, Neapel - Amsterdam 1978 mit Vorträgen von L. Heilmann, N. L. Corbett, Maria Manoliu-Manea und E. Coseriu. Wir berücksichtigen insbes. R.R. Butters, Dialect variants and linguistic deviance, Foundations of language 7 (1971), 239-254; ders., On the notion in dialectology in: Papers from the 7,h regional meeting of the Chicago Linguistic Society 1971, Chicago 1971, dort p.307-315; Gerda Gemmill, The derivation of underlying stops in Cologne dialect, ZDL 43 (1976), 129-141; W.A. O'Neil, Transformational dialectology: phonology and syntax in: Verhandlungen des zweiten internationalen Dialektologen-Kongresses, Marburg/L. 1965, Bd. II ( = ZMF, Beihefte N.F. 4, 1968), dort p.629-638; E.S. Klima, Relatedness between grammatical systems, Language 40 (1964), 1-20; Μ. Saltarelli, Romance dialectology and generative grammar, Orbis 15 (1966), 51-59; Sol Saporta, Ordered rules, dialect differences, and historical processes, Language 41 (1965), 218-224; E. Vasiliu, Towards a generative phonology of DacoRumanian dialects, J L 2 (1966), 79-98; M.S. Whitley, Toward a generative theory of dialectology, with reference to English, Scots, Spanish, and German dialect areas, Cornell University, Ph.D. 1974. Vgl. hierfür Ε. Coseriu, Einführung in die transformationeile Grammatik, Vorlesung gehalten im SS 1968 an der Universität Tübingen, autorisierte Nachschrift von G. Narr und R. Windisch, Stuttgart s.a. und ders., Leistungen und Grenzen der transformationellen Grammatik, hrsg. von G. Narr, Tübingen 1975 ( = TBL 45). E. Coseriu hat außerdem im SS 1976 an der Univ. Tübingen eine unveröffentlichte Vorlesung zum Thema Transformationelle Grammatik und Sprachgeschichte gehalten, aus der wir hier
166
II, 6 Dialektologie
und
Transformationsgrammatik
möglich, von generativer Dialektologie zu sprechen, o h n e die generative T h e o r i e des Sprachwandels mitzuberücksichtigen 4 . A u f traditionelle Probleme, die auch in der transformationellen Dialektologie wiederkehren, werden wir nicht noch einmal eingehen. Zunächst sollen wesentliche Ubereinstimmungen zwischen den Generativisten und den hier vertretenen Ansichten hervorgehoben werden (6.1.1). D a n n k o m m e n wir zu theoretischen Annahmen der T G , mit denen wir nicht übereinstimmen, die aber für die transformationelle Dialektologie von großer B e d e u tung sind (6.1.2). Anschließend wird eine Reihe angeblicher V o r z ü g e der generativen Dialektologie vorgestellt und anhand der von den A u t o r e n gegebenen B e i spiele k u r z diskutiert (6.2). Zuletzt versuchen wir zu einer differenzierenden Einschätzung von Möglichkeiten und G r e n z e n einer transformationeilen D i a l e k tologie zu k o m m e n (6.3 und 6.4).
6.1
Allgemeine A n n a h m e n btr. Sprachwandel und dialektale Differenzierung
6.1.1
Ubereinstimmungen
Das enge Verhältnis zwischen historischer Sprachwissenschaft und Dialektologie wird von der T G ausdrücklich anerkannt: «Dialekte bieten die direkteste E v i denz, die wir bei der Betrachtung des Wandels zur Verfügung haben» (King (1969, dt. 1971), 34). U n d das, «weil jeder Wandel - unser letztlicher G e g e n stand - seine tiefsten W u r z e l n in der Differenzierung von zwei Dialekten findet» (ebenda). D e r Sprachwandel wird in der T G als ein Wandel in der individuellen K o m p e t e n z der Sprecher definiert. Entsprechend ist dort auch der phonische W a n d e l - mit dem man sich bis jetzt hauptsächlich beschäftigt hat - kein physischer oder physiologischer, sondern ein mentaler Vorgang. des Wandels ist damit ausgeschlossen 1 . D i e N e u e r u n g bleibt in der Regel zunächst optional, «was sich in einer Variation der Performanz in der Redeweise der betreffenden
Personen widerspiegelt» 2 . D u r c h f ü h r u n g
und Verbreitung
des
Wandels sind streng zu trennen: «der A k t des phonologischen Wandels, seine D u r c h f ü h r u n g ist abrupt, aber die Verbreitung eines phonologischen Wandels ist abgestuft» 3 . M i t Abstufung ist hier die Uminterpretierung einer Innovation im
z.T. schöpfen. Die Arbeit von Br. Fräser Inadequades of transformational grammar to account for dialects. Paper read at the Colloquium on African and Afro-American linguistics, University of North Carolina at Chapel Hill 1971 konnten wir leider nicht einsehen. 4 Vgl. neben den unter der ersten Anm. zu diesem Abschnitt genannten Titeln vor allem noch M. Halle, Phonology in generative grammar, Word 18 (1962), 54—72, P. Kiparsky, Linguistic universah and linguistic change in: Universals in linguistic theory, hrsg. von E. Bach und R.T. Harms, New York 1968, dort p. 171-202 und P.M. Postal, Aspects of phonological theory, New York 1968, dort Part II. ' Cf. R.D. King, Historische Linguistik (1969, dt. 1971), 138-153. 2 Ib., p. 115. 3 Ib., p. 153.
6.1 Allgemeine Annahmen betr. Sprachwandel und dialektale Differenzierung
167
Zuge ihrer Verbreitung gemeint (cf. supra I, 4.2.2 + 3), für die T G ist es vornehmlich die Uminterpretierung einer Regel im Sinne einer Verallgemeinerung derselben*. Wie King sehen wir, sobald wir den Wandel im System ins Auge fassen, keinen prinzipiellen Unterschied zwischen spontaner Innovation und Entlehnung (cf. Historische
Linguistik
(1969, dt. 1971), p. 149), o b w o h l
natürlich die Frage nach der Herkunft einer Neuerung für den Gesichtspunkt der Dialektologie fundamental bleibt.
6.1.2
Diskrepanzen
Andere für die Dialektologie wichtige Aspekte dieser Theorie stimmen mit der hier vertretenen nicht überein: D i e Generativisten leugnen die A u t o n o m i e dessen, was A. Martinet die zweite Gliederungsebene der Sprache genannt hat5. D i e phonologische Komponente der Kompetenz besteht für sie nicht in einem Wissen um Oppositionen und Neutralisierungen etc., sondern - wie die Grammatik insgesamt - in einem Regelblock, der hier eine syntaktische Oberflächenstruktur mit phonemischen Repräsentationen für Lexikoneinheiten in eine phonetische Oberflächenstruktur überführt. D e r Sprachwandel betrifft - soweit phonischer Natur - diese Regeln und ihre Anordnung. Phonische Unterschiede zwischen Mundarten betreffen gleichfalls diese Regeln, sie entsprechen den Typen phonischen Wandels, mit denen die T G rechnet*. Diese Typen sind 7 : 1. Regelhinzufügung 2. Regelverlust 3. Regelumordnung 4
5
'
7
Vgl. hierzu R.D. King, Historische Linguistik (1969, dt. 1971), Kap. 4.4 und p. 150-152. Uns scheint allerdings nicht «a priori als unwahrscheinlich, daß eine Regel durch die Übertragung von einem Dialekt zum andern weniger allgemein wird» (ib., p. 117). Aus der Tatsache, daß der Abfall von lat. -S im nordfranzösisch-frankoprovenzalischen Ubergangsgebiet noch an gewisse Bedingungen geknüpft ist, schließen wir z.B. nicht, daß er sich von dort nach Norden ausgedehnt haben muß (cf. supra I, 4.1.6, Anm.8). Übrigens hält auch P. Kiparsky (Linguistic universals (1968), 189/190) zunächst noch gegen E. Bach am «narrowing down in the scope of rules» als einer beim Überwechseln einer Regel in einen anderen Dialekt üblichen Erscheinung fest. Und das, obwohl man seiner Meinung nach beim Wandel innerhalb eines Dialekts fast immer Vereinfachung einer Regel beobachtet (ebenda). Vgl. seine Grundzüge der allgemeinen Sprachwissenschaft (1960, dt. 1968), Abschnitt 1-8. und ff. und für die Leugnung dieser Autonomie insbes. P.M. Postal, Aspects (1968), passim. Die Generativisten sind der Meinung, daß die Dialekte erst aufgrund dieser Annahme wieder miteinander verglichen werden können, da de Saussure die Dialektologie vor die kaum lösbare Aufgabe gestellt habe, Unterschiede zwischen Systemen anzugeben, «oü tout se tient» (cf. z.B. R.D. King, Historische Linguistik (1969, dt. 1971), 34-39 und unsere Einwände in I, 2.3 Anm.5). Richtig ist, daß ein nur typologischer Vergleich den Dialektologen letztlich nicht befriedigen kann. Für die folgende Zusammenstellung vergl. man wieder R.D. King, Historische Linguistik (1969, dt. 1971), Kap. 3 und 4.
168
II, 6 Dialektologie und
Transformationsgrammatik
4. Simplifizierung (bei King = Generalisierung von Regeln) 5. Restrukturierung (der phonemischen Repräsentationen im Lexikon) 2., 3., 4. und 5. werden gewöhnlich unter einem weitergefaßten Begriff von Simplifizierung zusammengefaßt, und auch schließt bei manchen Autoren zumindest 3. und 4. mit ein8. Regelhinzufügung mehr oder weniger am Ende ihrer Grammatik ist die typische Weise, in der Erwachsene ihre Kompetenz verändern', während alle Arten der Simplifizierung und insbes. 5. von den die Sprache lernenden Kindern zustande gebracht werden10. «Für gewöhnlich differieren Dialekte durch die Generalität analoger Regeln ihrer Grammatiken» (King, Historische Linguistik (1969, dt. 1971), 72)" bzw. im Vorkommen/Fehlen einer Regel (ebenda, 73). Saporta schreibt: «the grammatical description of a given dialect may be converted into an adequate description of a related dialect by the addition, deletion, or reordering of a relatively small number of rules» (Ordered rules (1965), 219). P. Kiparsky konzediert ausdrücklich, daß Dialekte sich auch in den darunterliegenden Repräsentationen unterscheiden können (Linguistic universals (1968), 187)12. Stützt man sich auf eine ausreichend breite Bibliographie, so findet man also alle Typen von Unterschieden zwischen Grammatiken verschiedener Sprachzustände als Unterschiede zwischen Grammatiken verschiedener Dialekte wieder. Aber ebensowenig wie die Anordnung der Regeln einer synchronischen Grammatik einfach deren Geschichte zu rekapitulieren braucht 13 , sind Ubereinstimmungen zwischen dialektalen Grammatiken notwendigerweise historische Ubereinstimmungen. Dies liegt in beiden Fällen daran, «that the children of each generation in learning their language take a fresh look at the facts»14. Für sie ist beim Aufbau ihrer
8 9
10
"
12
13
14
So z.B. bei M. Halle, Phonology in generative grammar (1962), vgl. dort p.64. Als Beispiel für eine Regelhinzufügung nicht am Ende wird Lachmanns Gesetz im Lateinischen angeführt (cf. R . D . King, Historische Linguistik (1969, dt. 1971), 52-54). Cf. M. Halle, Phonology in generative grammar (1962), 64/65, P. Kiparsky, Linguistic universals (1968), 192-195 und R . D . King, Historische Linguistik (1969, dt. 1971), Kap. 3 und 4. Genauso z.B. auch Ch. N . Bailey in seinem Beitrag The integration of linguistic theory in: Linguistic change and generative theory, hrsg. von R. P. Stockwell und R. Κ. S. Macaulay, Bloomington - London, Indiana Univ. Press 1972, vgl. dort p.28. Noch weiter geht Μ. S. Whitley (Toward α generative theory of dialectology (1974), 9): «... it is possible to argue that no two idiolects have exactly the same underlying representation, ...». Demgegenüber leugnet W. A. O'Neil (cf. Transformational dialectology (1965, 1968), 630) Dialektunterschiede hinsichtlich der darunterliegenden Repräsentationen. J. M. Anderson (Structural aspects of language change, London 1973, p. 205) z.B. führt das i in der Präteritumsendung schwacher engl. Verben des Typs baited, faded durch eine Redundanzregel des Typs nul i/{t,d} + d ein. Historisch gesehen tritt dieser Vokal jedoch nicht hinzu: er bzw. sein jeweiliger Vorläufer ist bei den anderen schwachen Verben ausgefallen. P. Kiparsky, Linguistic universals (1968), 187.
6.2 Angebliche Vorzüge der transformationeilen
Dialektologie
169
Grammatik das Einfachheitskriterium alleine ausschlaggebend (Optimierung)' 5 . Gemeinsamkeiten zwischen dialektalen Grammatiken k ö n n e n aber im Einzelfall noch historische Gemeinsamkeiten spiegeln", und in der Praxis geht man häufig davon aus, daß dies der Fall sei.
6.2
Angebliche Vorzüge der transformationeilen Dialektologie
Hier und da werden in der generativ-dialektologischen Literatur angebliche Vorzüge dieses Ansatzes gegenüber dem traditionellen oder phonologisch-strukturellen genannt, mit denen wir uns unter Verwendung der angeführten Beispiele kurz auseinandersetzen wollen. So wird z.B. versichert: 1. Die generative Theorie könne begründen, warum gewisse Neuerungen kontinuierliche, andere diskontinuierliche Areale bilden. 2. Die generative Theorie könne den Oberflächencharakter gewisser Ubereinstimmungen (od. Divergenzen) enthüllen, denen in der Tiefe Divergenzen (oder Übereinstimmungen) entsprächen. 3. Die generative Interpretation dialektaler Unterschiede entspreche der Intuition der Sprecher besser. 4. Dialekte könnten vom Standpunkt der generativen Theorie aus besser klassifiziert werden. 5. Der Zusammenhang zwischen Synchronic und Diachronie - und damit auch zwischen den einzelnen Dialekten - komme in den generativen Dialektgrammatiken klarer zum Ausdruck.
6.2.1
Kontinuierliche und diskontinuierliche Areale
Kiparsky unternimmt den Versuch, die generative Theorie des Sprachwandels in Raumargumente umzumünzen. Im Zusammenhang mit der Gegenüberstellung von Sprachwandel bei den Erwachsenen und bei den Kindern bemerkt er: «An interesting consequence of this is that isoglosses formed by the spread of rules over a speech territory should form large, coherent dialect areas, whereas those formed by simplification should be characteristically discontinuous because of independent development of the same change in several speech communities. The historically interesting isoglosses, therefore, should be based on the presence versus absence of rules, and not on differences in the form and order of shared rules» (Linguistic universals (1968), 195). Kiparsky gibt für die Simplifizierung zwei Beispiele aus der Geschichte der deutschen Sprache: der Ubergang von gast - gest zu gast - gest in vielen deutschen Dialekten, und der Ubergang von bunt - bundes zu bund - bundes in schweizerdeutschen und jiddischen Mundarten. 15 16
M. Halle, Phonology in generative grammar (1962), 64. Sol Saporta, Ordered rules (1965), 220.
170
11,6
Dialektologie
und
Transformationsgrammatik
Der Unterschied bezüglich der Arealbildung besteht tatsächlich, und es ist ein Verdienst Kiparskys, wieder auf ihn hingewiesen zu haben. Es wäre aber ein Irrtum anzunehmen, nur die T G könne diesen Unterschied begründen' oder sie begründe ihn zumindest besser, und wir sind nicht ganz einverstanden, wenn er Isoglossen, die Gebiete mit und ohne solche Regularisierung trennen, als «useless patchwork of no historical significance» bezeichnet (Linguistic
universal
(1968), 195): Den beiden von Kiparsky angeführten Beispielen von Simplifizierung geht - vom Gesichtspunkt der T G aus - jeweils eine Komplizierung (Verlängerung) der Grammatik voraus. Die Kinder arbeiten ab, was die Erwachsenen komplizieren. Anders, wenn wir von den 2 Gliederungsebenen der Sprache ausgehen. Die kontextbedingten Ubergänge von a > e in gasti und d > t in bund (e und t repräsentieren hier jeweils ein Archiphonem) bedeuten auf der Ebene des phonologischen Systems, auf der der Wandel erfolgt, keine Komplizierung. Sie bringen aber auf der Ebene der grammatischen Paradigmata eine Einbuße an Systematizität im Vergleich zu anderen Paradigmata mit sich (vgl. z.B. für den zweiten Fall [bunt] - [buntes] mit [maw] - [mawes]). Es kann damit gerechnet werden, daß diese Asystematizität durch Neubildung der unregelmäßigen Formen wieder behoben wird. Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um einen phonischen Wandel, sondern um ein remplacement,
bei dem die neue Form aus
dem System selbst geschöpft wird 2 . Häufig dürfte der Verzicht auf die unregelmäßigen Formen übrigens schon im Zuge der Selektion erfolgen. Dann bleiben in den Paradigmata einfach die phonisch konservativen Formen stehen: das regelmäßige Resultat des Wandels wird in morphologisch-paradigmatisch begründeten Fällen zurückgewiesen. Der Sprachwandel ist demnach nicht dazu verurteilt, sich in Sequenzen von Komplizierung und Simplifizierung zu vollziehen. Analogischer Ausgleich gehört also zu denjenigen Innovationen, die eine ältere, hier phonische Innovation implizieren, deren Areal sie weiter untergliedern. Daß diese, in das phonische Areal eingeschriebenen, kleineren Areale diskontinuierlich sein können, ändert nichts daran, daß jedes von ihnen historisch gedeutet werden kann. Auch die Analogiebildung wird - wie jede Innovation - von einer größeren oder kleineren Gruppe als N o r m akzeptiert oder abgelehnt.
1
Diesen Vorwurf kann man Kiparsky nicht machen: «Simplification is a generalized and reinterpreted version of the traditional concept of analogy» (Linguistic universals (1968), 176). - W i r erinnern für analoge Vorgänge in der Wortbildung noch einmal an Gillierons fantömes lexicaux und den von ihm und J. Mongin gebrauchten Begriff der Imminenz (cf. supra II, 2.5.2.5).
2
Im Falle der Ersetzung von gest durch gest, wie sie in unserer eigenen Mundart eingetreten ist, wurde nicht eine Systematizität wiederhergestellt, wie sie vor dem sog. Primärumlaut bestanden hat (gast - "'gasti), sondern wie sie durch den sog. Sekundärumlauf entstanden war (gast - gest, wie ba% - be% "Bäche").
6.2 Angebliche Vorzüge der transformationeilen
6.2.2
Dialektologie
171
Übereinstimmungen an der Oberfläche / Diskrepanzen in der Tiefe und vice versa
M. Saltarelli stellt fest, daß den oberflächlich übereinstimmenden Ausdrücken carte poliziotto "Polizeihund" in der italienischen Standardsprache (PL canipoliziotto) und im römischen Dialekt (PI. cani poliziotti) verschiedene Tiefenstrukturen entsprechen müssen (Romance dialectology (1966), 57/58). Im ersten Fall wäre poliziotto dort eine präpositionale Ergänzung, im zweiten Fall ein mit Kopula angeschlossenes Prädikatsnomen. Akzeptiert man diese Herleitungen, so erweist sich der Unterschied eigentlich als relativ . Nach Saltarellis Aussage haben nämlich beide Varietäten dieselben Regelblöcke. Wenn man hier so, dort so sagt, so offenbar nicht, weil das Gegenteil nicht möglich wäre, sondern nur weil es nicht üblich, im Falle der Standardsprache vielleicht sogar nicht erlaubt ist3. Damit soll nicht etwa geleugnet werden, daß die T G tatsächlich über Möglichkeiten verfügt, die unterschiedliche Struktur materiell zusammenfallender Ausdrücke zu beschreiben. Aber die traditionelle Grammatik hat dies z.B. in dem von Saltarelli herausgegriffenen Beispiel ganz analog getan. Und auch die traditionelle Dialektologie hat auf ihre Weise hinter materiellen Ubereinstimmungen tieferliegende Divergenzen entdeckt*. 6.2.3
Ubereinstimmung mit der Intuition der Sprecher
Nach Sol Saportas Ansicht entspricht eine generative Interpretation des Sg.-Pl. Gegensatzes des Typs clase Sg. - class PI. "Klasse(n)" im uruguayischen Spanisch besser «the layman's view that speakers of this dialect their final /s/» {Ordered rules (1965), 223). Seine generative Interpretation basiert auf zwei Regeln, von denen die erste e in geschlossener Silbe öffnet und die zweite silbenschließendes -s tilgt. Die erste wäre dem Uruguayischen mit dem gemein, die zweite spezifisch uruguayisch. Nun ist es ganz einfach so, daß diese Interpretation nur mit der Intuition derjenigen Laien übereinstimmt, die 1. auch eine Form des Spanischen kennen, in der das -s erhalten ist, und 2. diese Form des Spanischen für irgendwie vorbildlich, ursprünglicher etc. halten. Zu solchen Laien gehört wohl auch ein großer Prozentsatz der uruguayos selbst, die das -s von der Schrift oder von höheren Sprachniveaus her kennen. Dagegen wird z.B. im Portugiesischen in vielen Dialekten das -E der lat. Infinitive noch als -' gesprochen (comer1, fazer1 etc.), und hier ist das Laiengefühl - die Dialektsprecher selbst eingeschlossen - . Es ist übrigens auch bekannt, daß der phonetische Gegensatz e - ε dort erheblich gesteigert wird, wo 5
Wozu etwas generiert wird und warum, wie in diesem Fall, offenbar nicht alles generiert wird, was theoretisch möglich wäre, erfahren wir in der Transformationsgrammatik nicht. * Wir denken z.B. an W. von Wartburgs Ausführungen btr. die unterschiedlichen Bedingungen der Diphthongierung von vulg. lat. ξ, φ in der westlichen Romania (vgl. Die Ausgliederung der romanischen Sprachräume, Bern 1950, Kap. IV, 2a).
172
II, 6 Dialektologie und
Transformationsgrammatik
diese Laute in der Deklination und K o n j u g a t i o n mit dem Ausfall von -s bedeutungsunterscheidende F u n k t i o n übernehmen 5 . Schon bei Sol Saporta fragen wir uns, o b ist hier das alte Vorurteil, die Dialekte seien Derivate der H o c h s p r a c h e . A u f die Problematik der Extensionen k o m m e n wir n o c h zu sprechen.
6.2.4
Klassifizierung der Mundarten
D i e Vorteile des generativen Ansatzes für die Klassifizierung von Dialekten hebt E . Vasiliu hervor 7 . N a c h seiner Ansicht ist der generativen Dialektologie mit der G e o r d n e t h e i t der phonologischen Regeln die Möglichkeit zur Hierarchisierung von Klassifizierungskriterien gegeben. K o n k r e t wirkt sich das bei seiner Klassifizierung der dakorumänischen Dialekte wie folgt aus: eine G r u p p e von Dialekten (bei Vasiliu ), die eine bestimmte Regel C 8 an einer relativ späten Stelle ihrer G r a m m a t i k e n aufweisen, wird zusammen mit solchen, die diese
5
'
7 8
Cf. Dämaso Alonso, A. Zamora, M. J. Canellada, Vocales andaluzas. Contribution al estudio de la fonologia peninsular, in Nueva Revista de Filologia Hispänica 4 (1950), 209-230. Mit den gleichen Argumenten will W. A. O'Neil (cf. Transformational dialectology: phonology and syntax (1965, 1968), 636-638) die Tatsache erklären, daß Einwohner der Far Ör-Inseln Isländer offenbar besser verstehen, als diese die Einwohner der Far Or. Wir können dieselbe opinio communis betreffend Portugiesen und Spanier hinzufügen, obwohl in diesem Fall eher noch das Spanische das Portugiesische (historisch gesehen) als umgekehrt. In all diesen Fällen sind weniger systematische als kulturelle Gründe dafür verantwortlich zu machen, daß sich Leute aus Pescasseroli, den Far Or und Portugal im allgemeinen mehr um das Italienische, Isländische bzw. Spanische bemühen, als umgekehrt. Cf. Towards α generative phonology of Daco-Rumanian dialects (1966), 97. Es handelt sich um eine Regel, die J' und 3' in sp. Uave etc.). Cf. seine beiden unter II, 6.0, Anm. 2 genannten Beiträge Dialect variants (1971) und On the notion (1971). Cf. On the notion (1971), 312. Butters akzeptiert also nicht, was Whitley (vgl. oben 11,6.3.1) später als «bold-faced heresy» bewußt in Kauf nimmt. Cf. ebenda, p. 313/314.
6.3 Zwei Arten transformationeller
Dialektologie
179
are based upon this one, simply because one system seems to be the one for most speakers, it being the one from which all others are felt to deviate (perhaps because it is the one which was learned first)»15. Butters nimmt an, daß die Sprecher in der Lage sind, zusätzlich zu den Regeln ihres core system gewisse Sequenzen optimaler Regeln zu lernen, mit deren Hilfe sie dann Sätze erzeugen können, die zu einem anderen Stil gehören". Diese Regeln ersetzen also nicht diejenigen des Normalstils. Sie folgen ihnen und 17. Für die Frage, welcher der Stile das eines Sprechers ist und welche sprachlichen Fakten jeweils welchem Stil zuzurechnen seien, will sich Butters auf die Intuition der Sprecher selbst verlassen. Butters' Hypothese ist unter den uns bekannt gewordenen Anwendungen des Extensionsgedankens die interessanteste. Wir glauben, daß gewisse Phänomene der Varianz in der Rede tatsächlich durch die Anwendung solcher Abweichregeln erklärt werden können. Dazu gehört u.E. das etc. im oben erläuterten Sinne, das sog. Pig-Latin, die Hyperkorrektion in der Rede, gewisse Kodierungen sprachlicher Nachrichten (Geheimdienst, Gaunersprache etc., vgl. oben I, 1.2) und - besonders kompliziert, da es sich hier vor allem um die Anwendung von universellen Weglaß- bzw. Vereinfachungsregeln handelt - die unter I, 5.4 erwähnten registers of simplified speech bei Ch. A. Ferguson. Diese Phänomene werden im Volksmund normalerweise als angesprochen und gerade in der T G gerne mit Dialekten verglichen18. Wir haben unter I, 5.5.1 das Pidgin (Ch. A. Ferguson: foreigner talk) als modifizierte Weise des Redens in einer Sprache beschrieben. Und um modifizierte Weisen der Rede in einer Sprache scheint es sich auch bei den übrigen eben genannten Phänomenen zu handeln. Die fraglichen Regeln wären demnach nicht S p r a c h - , sondern Sprechregeln (E. Coseriu spricht von Metaregeln). Sie bleiben außerhalb der Grammatik der Einzelsprache. Ihre Anwendung bedeutet nicht Sprachwandel, und der Sprachwandel tangiert sie nicht. Damit ist auch die Antwort auf die von Butters gestellte Frage gegeben, ab wann ein abweichender Stil nicht mehr durch Expansionsregeln, sondern durch eine eigene Grammatik zu beschreiben ist 1 ': sobald es sich nicht mehr um universelle oder konventionelle Sprechregeln, sondern um einzelsprachliche Sprachregeln handelt. Dies gilt nun gerade für die verschiedenen Stilniveaus, über die die Sprecher einer historischen Sprache verfügen. So sind z.B. jene liaison - Regeln, die im Französischen
15 16 17 18
"
Dialect variants and linguistic deviance (1971), 247. Vgl. ebenda, p. 246. Ebenda, p. 248, d.h. sie affizieren deren Resultate. Cf. für die Hyperkorrektion King, Historische Linguistik (1969, dt. 1971), 85-89, und Sol Saporta, Ordered rules (1965), 223/224 und für das Pig-Latin M. Halle, Phonology in generative grammar (1962), 62/63, 66. Dem Pig-Latin entspricht im Deutschen die sog. b-Sprache, vgl. für diese oben 1,5.5.1 mit den Anm. 1 und 2. Hier Butters' eigene Antwort: «Where the complexity of an extension system exceeds the complexity of two individual grammars, the use of extension rules does not seem the right approach» (Dialect variants (1971), 250).
180
II, 6 Dialektologie und
Transformationsgrammatik
auf höheren Stilebenen zum Einsatz kommen, weder konventionell gesetzt noch auf andere Sprachen übertragbar. Es sind historische Regeln der franz. Sprache.
6.4
Ergebnis
Wir versuchen zusammenzufassen: Die theoretischen Annahmen der T G hinsichtlich des Sprachwandels erlauben keine vergleichende Rekonstruktion der historischen Differenzierung der Dialekte. Sie hat damit auch keine Möglichkeit, das eigentlich dialektale Verhältnis zwischen zwei oder mehr Grammatiken eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Dagegen kann sie Dialekte klassifizieren, indem sie sie nach der größeren oder geringeren Ähnlichkeit zwischen den E x tensionen anordnet, die - an die Grammatik eines konventionell herausgegriffenen Dialekts angehängt - ihre Sätze generieren. Sucht man nach einer nicht mehr nur praktischen, sondern wissenschaftlichen, d.h. auf das Wesen des Gegenstandes selbst abzielenden Verwendbarkeit des Extensionsgedankens, so wird man sie u.E. eher im Bereich derjenigen Phänomene finden, die wir versuchsweise mit dem Begriff der modifizierten Rede in einer Sprache umschreiben.
III. Teil Die Abgrenzung dialektaler Einheiten
0
Vorbemerkung
Mit der Überschrift des dritten Teils dieser Arbeit ist ein besonders komplexes und kontroverses, aber auch sehr dringendes Problem der Mundartforschung angesprochen. Die Frage der Abgrenzbarkeit dialektaler Einheiten stand im letzten Drittel des letzten Jahrhunderts im Zentrum des Interesses. Die Herstellung von Sprachatlanten und die damit ins Leben gerufene Sprachgeographie im engeren Sinne stellten z.T. den Versuch dar, gewisse Positionen in dieser Frage empirisch zu untermauern. Bestimmte unreflektierte Hoffnungen wurden durch die Atlanten enttäuscht, andere pessimistische Positionen scheinbar bestätigt. Hauptergebnis: die Abgrenzung als theoretisches Problem verschwand vorübergehend fast ganz aus der Diskussion. Im 1. Kapitel des III. Teils versuchen wir eine Art Bilanz aus jenen Diskussionen um die Abgrenzbarkeit am Ende des vergangenen Jahrhunderts zu ziehen. Es geht darum, in Anlehnung an die fortschrittlichsten Gedanken jener Zeit eine theoretische Lösung zu finden, die den gewichtigen Argumenten beider Parteien Rechnung trägt. Unter den erst von der romanischen Sprachwissenschaft postulierten dialektalen Einheiten muß das Rätoromanische bis heute um seine Anerkennung kämpfen. Das politische Schicksal Südtirols ist dafür mitverantwortlich. Im 2. Kapitel des III. Teils versuchen wir zu präzisieren, worum in der questione ladina gestritten wird. Dazu verwenden wir eine Reihe von uns von E. Coseriu an die Hand gegebenen Begriffen, darunter auch der der Abgrenzung selbst. III, 3 bringt eine Anwendung des in Kapitel 1 und 2 herausgearbeiteten Begriffes der Abgrenzung auf das Leonesische im Nordwesten Spaniens. Wie im Falle des Rätoromanischen ändert die Abgrenzbarkeit auch hier nichts an der Tatsache, daß das Leonesische in anderer Hinsicht eine Einheit ist.
1
Stand der Problematik bei der Entstehung der Sprachgeographie
1.1
Frankreich
Zur Zeit der Entstehung der Sprachgeographie im engeren Sinne und der Institutionalisierung der Dialektologie an den Universitäten 1 herrschten in Frankreich und Deutschland weithin gegensätzliche Auffassungen hinsichtlich der Abgrenzbarkeit dialektaler Einheiten. Dies lag nicht nur an der unterschiedlichen Dialektsituation in beiden Ländern, sondern auch an der Existenz gewisser dialektgeographischer Vorarbeiten in Frankreich, die in Deutschland fehlten. Diese Vorarbeiten haben ihren Ursprung in der Französischen Revolution 2 . Um seine Vorschläge für die der Patois zu untermauern, die er am 28. 5. 1794 dem Nationalkonvent vortrug, verschickte der abbe Gregoire (1750-1831) schon 1790 einen Fragebogen mit Fragen btr. Existenz, geographische Verbreitung, wichtige Merkmale, Vitalität und Gebrauchssphären der Patois3. Unter Leitung von Ch.-E. Coquebert de Montbret (1755-1831) unternahm dann ab 1807 ein vom Innenministerium abhängiges Amt für Statistik eine Enquete, in deren Verlauf ca. 100 Patois-Ubersetzungen der Parabel vom verlorenen Sohn erhoben wurden (gew. eine pro Departement). Die Aktion wurde nach der Restauration im Rahmen der 5οαέίέ Royale des Antiquitaires de France
1
2 5
Die erste, ganz der Mundartforschung gewidmete Zeitschrift, Die deutschen Mundarten (hrsg. von J. A. Pangkofer, später von G. K. Fromman) erschien ab 1859 in Nürnberg, erreichte aber nur 7 Bände. 1873 eröffnete in Italtien G. I. Ascoli mit seinen Saggi ladini das Archivio glottologico italiano. 1881 erschien das erste Faszikel des von G. Wenker 1876 in Angriff genommenen Sprachatlas von Nord- und Mitteldeutschland mit 6 Karten in Straßburg. Das Unternehmen wurde damals schon staatlich subventioniert (ab 1887 verstärkt; Mitarbeiter C. Nörrenberg und F. Wrede). 1883 erhielt J. Gillieron seinen Lehrstuhl an der Ecole pratique des Hautes £tudes mit der Auflage, über galloromanische Dialektologie zu lesen. Von 1887 bis 1893 erschienen die Bände 1 bis 5 (einschl. Supplement) der von ihm zusammen mit dem abbe Rousselot herausgegebenen Revue des patois gallo-romans (vgl. im 1. Band die Introduction a I'etude des patois, p. 1-22 des abbe Rousselot). Ebenfalls 1887 erschien der l . B d . der von L. Cledat herausgeg. Revue des patois (ab 3 (1889) unter dem N a m e n Revue de philologie frangaise). Vgl. für das Folgende S. Pop, La Dialectologie I, (1950), 5ff. Cf. Lettres α Gregoire sur les Patois de France 1790-1794. Documents inedits , hrsg. von A. Gazier, l . A u s g . Paris 1880, Slatkine Reprint Genf 1969.
1.1
Frankreich
185
fortgeführt, in deren Memoires et dissertations 6 (1824), 4 3 2 - 5 4 5 ein größerer Teil der Patois-Versionen erstmals veröffentlicht wurde 4 . 1.1.1
D i e T h e s e v o m ü) fehlt im R R in Friaul und reicht andererseits über Piemont bis in die Emilia (cf. W . von Wartburg, Die Ausgliederung (1936, 1950), 45—48 mit Karte 5 im Anhang). - Weitere Innovationen, deren Grenze in etwa zu derjenigen der Palatalisierung stimmen würde, sind kaum beizubringen. Vgl. aber das schon 1883 von Th. Gartner genannte soliculu geg. S O L E "Sonne" (vgl. ders., Raetoromanische Grammatik, p . 3 sowie die Zusammenstellung der Varianten in seinem Handbuch (1910), 1 7 2 / 1 7 3 und das Blatt 3 6 0 si leva il sole im Bd. II des AIS).
2.5 Worüber geht der Streit um das RR?
221
4) nel dominio linguistico, piü ristretto, che mi permetterei di definite, la : e quanto dire, la massima parte dell'Italia settentrionale con qualche appendice transalpina (in origine piü ampia e poi sopraffatta dal germanesimo)4. H i e r erscheint das Ausgliederungsschema von W . von W a r t b u r g um einen P u n k t erweitert (4.). Bei W . von W a r t b u r g entspricht Punkt 3 vor der Germaneninvasion ein das keltische Substrat in besonders deutlicher Weise verratendes , «das Gallien bis z u m R h e i n , die Raetia Prima, die heutigen Provinzen P i e m o n t , Ligurien, L o m b a r d e i , Emilia umfasst; die Raetia Secunda gehört im wesentlichen auch dazu, ebenso, aber mit fühlbaren Abweichungen, Venezien» 5 . E i n e späte, von Nordgallien ausgehende Innovation - die Palatalisierung von C , G vor A - erreichte nur noch den N o r d e n dieses K e m g e b i e t e s , sie gegenüber den Mundarten der Poebene. W ä h r e n d es also auf der einen Seite nur negativ abgegrenzt erscheint, hätte das R R auf der jeweils gegenüberliegenden Seite an der positiven Abgegrenztheit jener umfassenderen Einheit (nördliche K e l t o r o m a n i a b z w . italienische Gallromania) teil. Schematisch: W . von W a r t b u r g
C . Battisti etc.
FRANZ.
FRANZ. Palatalisierung a Palata lsierung
F R . - P R O V.
RR
OBERITAL.
Cf. A proposito di e di (1967) in ders., Saggi sul ladino (1972), dort p.117. Cf. Die Ausgliederung (1936, 1950), 63. W. von Wartburg sagt für diese Zeit ausdrücklich, daß «westlich und östlich der Westalpen so ziemlich dasselbe Latein gesprochen wurde» (ebenda, p.64). Cf. Die Ausgliederung (1936, 1950), 71-74.
222
III, 2 Das Rätoromanische
(RR)
Selbst wenn man den Anhängern Battistis die historische Existenz einer spezifisch gallo-italienischen Palatalisierung auch in der Poebene zugestehen will, bleibt problematisch, daß sie das RR unserer Tage einer umfassenderen Einheit zuordnen, die in dieser Form allenfalls in der Vergangenheit bestanden hätte. 2.5.3 Wir müssen uns weiter fragen, ob auch um den Grad der inneren E i n h e i t (Uniformität) des RR gestritten wird. Dies scheint eigentlich nicht der Fall zu sein. Die Mehrdeutigkeit des Begriffes Einheit (unitä) "abgegrenzte Einheit"/ "Uniformität im Innern" hat jedoch dazu geführt, daß sich Battisti und seine Anhänger verpflichtet fühlten, eine Uniformität zu leugnen, die von der anderen Seite im allgemeinen nicht behauptet wurde 7 . Symptomatisch ist hier die Tatsache, daß auch diejenigen, die dem RR einen Platz unter den zu verstehen ist,
bleibt unentschieden. Wir dürfen aber sicher den alten, von Arabismen freien
3.1
Die Geschichte
seiner
231
Entdeckung
mit der laut Sarmiento noch zu seiner Zeit von Arabismen freien
c und für die Charakterisierung des Ostasturischen bzw. Ostleonesischen das jeweilige Pendant zu Munthes westl.-zentralen Erscheinungen 1 und 2 (cf. R. Menendez Pidal, El dialecto leones (1906, 1962), 28-33). Anales de la universidad de Santiago de Chile, S. de Ch. 1896, p. 753-807. - Vgl. vom selben Autor noch Los infinitivos leoneses del poema de Alexandre, Bulletin Hispanique 12 (1910), 135-139. Vgl. seine Esquisse d'une dialectologie portugaise, Diss. Paris 1901 (2° edigao, com aditamentos e correcgoes do Autor, preparada ... por Maria A. Valle Cintra, Lissabon 1970).
238
111,3 Das Leonesische
auf die Grenzmundarten zwischen Portugal und Spanien gerichtet. Die meisten der kleineren diesbezüglichen Arbeiten wurden in seinen Opusculos (Bd. IV Filologia, Parte ii, Coimbra 1929) noch einmal abgedruckt und vom Autor kommentiert. Die Beschäftigung mit den nicht zum Portugiesischen gehörenden sprachlichen Enklaven entlang der Grenze gegen Spanien und der Versuch, diese mit den spanischen Nachbarmundarten in Verbindung zu bringen, führten Leite de Vasconcellos zur Frage nach der dialektalen Gliederung des Spanischen. Schon 1892 (cf. Opusculos IV, ii, p. 811) schlug er das folgende Schema vor: I - asturischer Ko-Dialekt I I . - leonesischer Ko-Dialekt, mit der sayagesischen und salmantinischen Mundart sowie anderen Grenzmundarten I I I . - navarro-aragonesischer Ko-Dialekt I V . - Kastilisch als Nationalsprache mit folgenden Dialekten: a) Estremenisch-andalusisch und andere volkstümliche Mundarten auf der Halbinsel b) die amerikanisch-spanischen Mundarten (Montevideo, Bogota usw.) c) das Judenspanische d) die Kreolensprachen auf span. Basis (Curafäq Philippinen usw.) O s dois primeiros estabelecem transiiäo do dominio hespanhol para ο Iusitänico; ο terceiro estabelece transi^äo para ο dominio catalao.
Interessant ist zunächst die Gegenüberstellung von kastilischen Dialekten und Ko-Dialekten des Kastilischen, die an Gessners Differenzierung zwischen (Alt) Kastilisch und (Alt)Spanisch erinnert. Der Begriff Ko-Dialekt wird bei Leite de Vasconcellos - soweit wir sehen - nirgends eindeutig definiert. Seine Fruchtbarkeit ergibt sich aus seiner Verwendung: Ko-Dialekte sind bei ihm nie Derivate der Gemeinsprache, mit der zusammen sie derselben historischen Sprache zugerechnet werden. Eine wichtige indirekte Präzisierung erfährt der Begriff 1929, indem Vasconcellos jetzt zugibt, er habe das Mirandesische und die Mundarten von Riodonor und Guadramil im äußersten Nordosten Portugals 1882 und 1900/ 1901 fälschlicherweise als Ko-Dialekte des Portugiesischen angesprochen. Die politische Zugehörigkeit spielt damit keine Rolle mehr, der Begriff wird ein rein sprachwissenschaftlicher (cf. Opusculos IV, ii, p. 688)41. Schon 1901 faßte Leite de Vasconcellos in seinen Estudos de philologia mirandesa (Bd. 2, Lissabon, pp. 72, 75, 76 etc.) die Ko-Dialekte I und II des Schemas Für die Ko-Dialekte hat E. Coseriu in dem unter II, 4.0 genannten Kongreßbericht von 1958 den Begriff -p (z.B. lat. L U P U > gal. lobo).
- Cf. D L 54-56; AZV 111-113; Staaff § 26; Cintra III, ξ 4 C; Manual § 29,1; Origenes § 35, 2 + 3; Meier 46-48; Baldinger 88/89 mit Anm. 81; Väzquez-Luz I 113; Lapesa 134 + 310 + 330 + 337. Diese Literatur bezieht sich - abgesehen von Vazquez-Luz - nicht auf das galicische -o, sondern auf das leonesische -u, dem zum Teil das portugiesische -u und manchmal sogar ein örtlich belegtes galicisches -u an die Seite gestellt wird. - G. de Granda Gutierrez. Las vocales finales del dialecto leones, in T D R L II (1960), 27-117. Wir gehen im Folgenden davon aus, daß diese Interpretation die richtige ist. - ALPI 27 brazo.
3.2 Die Abgrenzung 1.2
des
247
Leonesischen
P L - , C L - , F L - > c- b z w . s- (z.B. lat. C L A V E , P L A N U > port, chave,
chao).
- C f . D L 71/72; A Z V 135-138; Staaff § 38; Cintra III § 8; Manual § 39,2; Origenes § 43; Meier 57-63; Baldinger passim (cf. Index); J u n g e m a n n VII 6 + 7; Alarcos § 151; V ä z q u e s - L u z I 108-221; Lapesa 129/130. 1.3
- N - , - L - > 0 (und - N N - , - L L - > -n-, -1-; z.B. lat. M A N U , M A L A > p o r t . mXo, mä). - Cf. A Z V 156-158; Cintra III §§ 9 - 1 1 ; Baldinger passim (cf. Index); J u n g e m a n n V I I I ; Alarcos § 151; V ä z q u e z - L u z I 275/276; Lapesa 136. - A L P I 29 caballo (cf. supra III, 3.2.1.2 A n m . 3 ) .
1.4
vlg.lat. C E R E S I A > port, cereja mit [3] b z w . gal. cereixa 111,3.2.1.2 A n m . 3 ) .
mit [s] (cf. supra
- A L P I 43 cereza. 1.5
teu, seu mask. Possessivpronomina in Analogie z u m mask. Possessivpronomen der 1. Person. - Cf. D L 95-97; A Z V 173/174; Staaff § 55; Cintra III § 26; Origenes § 67,1. Diese Literatur bezieht sich - abgesehen von Cintra - auf die Erhaltung e t y m o logischer F o r m e n weiter östlich (vgl. auch die monographische Literatur u n t e r 2.5).
1.6
castanheiro, madeira auf -eiro, -eira.
etc., d.h. weitgehende Generalisierung der O b s t b a u m n a m e n
- H . G . Schöneweiss, Die Namen der Obstbäume in den romanischen (1955), d o r t 1. Hauptteil IV b) 3. und 2. Hauptteil I d) und II d).
Sprachen
2.
Innovationen im Galicischen (Port.) u n d Leonesischen
2.1
-e nach l,n,r,s,z in der Konjugation (Ind. Präs., Perfekt, F u t u r u n d Imperf. des Konjunktivs) h ä u f i g > 0 (z.B. port, quer, quis, quiser, quisess(e), diz, disser, faz, fizer etc. u n d ast. val, vien, quier, tos, faz, diz, vinier, cantes, cornier etc. gegenüber kast. quiere, quise, quisiere (veralt.), dice, hace, hidese etc.). - Cf. D L 99; A Z V 178/179; Staaff § 62; Cintra III § 30 C ; Manual § 107,4; Lapesa passim (vgl. Index). - R. Lapesa, La apocope de la vocal en castellano a M e n e n d e z Pidal II (1951), 185-226.
2.2
antiguo
in: Estudios dedicados
G ' -, I-, D I - u n d -I-, - D I - , - G I - > 3 ( > s) (z.B. port, gelo, janeiro, juso, cujo, ajudar, fujo etc. u n d ast. selo sobre llovio, nieve fasta el sinoyo "Eis auf Regen, Schnee bis z u m Knie" gegenüber kast. hielo, enero, yuso, cuyo, ayudar, huyo etc.). - Cf. D L 69-71; A Z V 132-135; Staaff § 30; Cintra III § 6; Manual §§ 3 8 , 3 + 4 3 , 1 + 5 3 , 3 ; Origenes § 42; Baldinger 23-25; Alarcos §§ 149 + 155; Lapesa passim (cf. Index). - W . M e y e r - L ü b k e , Zur Geschichte ca 1 (1936), 1-31. E. Alarcos Llorach, Resultados 4 (1954), 330-342.
von G', G' und]
im Romanischen,
de G',' en la Peninsula,
Vox R o m a n i -
Archivum
(Oviedo)
V o n der Arbeit von Alarcos Llorach sind wir bei der Formulierung der Züge 2.2 u n d 5.6 ausgegangen. 2.3
- S C ' ' - > -s- (z.B. peise, feise, eisada, rosada im leonesischen R a u m geg., kast. pez, haz, azada, rodo).
248
III, 3 Das Leonesische - Cf. AZV 139 mit Anm. 57; Cintra III § 20; Manual § 47,2a); Origenes § 57; Baldinger 22; Lapesa 128 + 131/132. - (ALPI 22 azada verwenden wir nicht, da im N O z.T. andere lexikalische Typen auftreten).
2.4
Satzphonetische Assimilationen zwischen Präposition bzw. Infinitiv und Artikel bzw. Personalpronomen (z.B. port, no campo, na casa, pelo caminho, dize-lo etc. und ast. cola mano, (e)na casa, polos castaneos, pel camin alante, dicelo etc. gegenüber kast. en el campo, dearlo etc.). - Cf. D L 87/88,97; AZV 159/160; Staaff § 47; Cintra III § 24; Manual §§ 100,4 + 108; Origenes § 64,3; Lapesa 312. - ALPI 62 dearlo (die Assimilation ist allerdings auch im Süden und Westen des Kastilischen üblich).
2.5
Adj. Possessivpronomen: weitgehende Verallgemeinerung des Gebrauchs mit Artikel (z.B. ast. la mia casa). - Cf. D L 115; AZV 175 + 207; Manual § 95; Lapesa 190 + 308 + 310. - Fr. Hanssen, Das Possessivpronomen 1897, span. Santiago de Chile 1898;
in den altspanischen Dialekten,
Valparaiso
L. Rodriguez Castellano, El posesivo en el dialecto asturiano, Boletin del Instituto de Estudios Asturianos (Oviedo) 31, ano 11 (1957), 171-187; Lore Terracini, L'uso dell'articolo davanti al possessive nel Turin 1951 ( = Pubbl. della Fac. di Lettere e Filos. 111,5). Diese Arbeit haben wir nicht gesehen. 2.6
ES, EST, ERAT: Generalisierung von starktonig entwickelten (im leonesischen Raum daher diphthongierten) Formen (z.B. port, es, e, era, ast. yes, ye, yera gegenüber kast. es, era ohne Diphthong). Vgl. auch unter 5.14. - Cf. D L 42; AZV 96/97; Staaff § 12; Manual § 116,1; Origenes § 73,3; Lapesa 311; Cintra III, § 30 F.
Erst nach Abschluß unserer Arbeit wurden wir durch R. Penny, The northern transition area between Leonese and Castilian, RLR 42 (1978), 44—52 auf eine weitere Isoglosse dieses 2.Typs aufmerksam: klina, krina "Mähne" geg. kast. klin, krin "la crin" aus lat. C R I N I S m. "Haar, Schweif". Vgl. ALPI 53 crin. Bei der unten in 111,3.2.5.2 Anm. 18 vorgenommenen Gewichtung hätte diese Grenze nur einen der drei zur Verfügung stehenden Gewichtspunkte erhalten. 3. Innovationen im Leonesischen 3.1
L- > 1-, j-, ts- etc. (z.B. lat. L U P U > leon. llobu). - Cf. D L 64-67; AZV 122-130; Cintra III § 7; Origenes § 44; Meier 77/78; Baldinger passim (cf. Index); Jungemann VII; Alarcos § 151; Lapesa passim (cf. Index). - L. Rodriguez-Castellano, Palatalizaciön de la L- en la zona [de Asturias] de habla gallega, Β IE Α (Oviedo) 4 (1948), 113-134. ders., El sonido s (l-, -II-) del dialecto asturiano in: Estudios dedicados a Menendez Pidal, IV Madrid 1953, p.201-238. R. Menendez Pidal, Α propösito de L y LL latinas. Colonizacion Espana, BRAE 34 (1954), 165-216.
suditälica en
ders., Dos problemas iniciales relatives α los romances hispänicos (davon §§ 4 und 5) in: Enciclopedia Lingüistica Hispinica I, Madrid 1960, p. LXXXVII-CXXXVIII. D. Catalan Menendez-Pidal, Resultados äpico-palatales y dorso-palatales de -LL-, -NN- y de LL- (< L-), NN- (< N-), RFE 38 (1954), 1-44.
3.2 Die Abgrenzung des Leonesischen
249
G. Rohlfs, Vorrömische Lautsubstrate auf der Pyrenäenhalbinsel? 408-413.
ZRPh 71 (1955),
ders., Oskische Latinität in Spanien?, RLR 19 (1955), 221-226. 3.2
-c'l-, -lj- > -j- bzw. -c- (z.B. lat. MULIERE > leon. muyer,
mucer).
- Cf. DL 77-79; AZV 146-149; Staaff § 32; Cintra III § 12; Manual §§ 53,6+57,2; Origenes § 50; Meier 63-70; Baldinger 23; Alarcos § 156; Lapesa passim (cf. Index). - R. Menendez Pidal, Pasiegos y vaqueiros. Dos cuestiones de geografia Archivum (Oviedo) 4 (1954), 7-44.
lingüistica,
D. Catalan Menendez-Pidal, El asturiano occidental, Rom Ph 10 (1956/57), 71-92 und 11 (1957/58), 120-158. A. Galmes de Fuentes, Resultados de -LL- y -LY-, -C'L- en los dialectos bes, RLR 29 (1965), 60-97.
mozara-
T. Navarro Tomas, Geografia peninsular de la palabra in ders., Capitulos de geografia lingüistica de la Peninsula Iberica ( = Publ. del Instituto Caro y Cuervo XXXV), Bogota 1975, dort p. 103-127. - ALPI 12 aguja. 3.3
-b'Kons.-, -d'Kons.- > -1+Kons.- (z.B. lat. CUBITU, DEBITA, vlg.lat. RECAPITARE > leon. coldo, delda, recaldar). - Cf. DL 82-84; AZV 152/153; Staaff § 39; Cintra III § 18; Manual § 60; Lapesa 310. - F. Lazaro Carreter, Hidalgo, hijodalgo (fidaticum), RFE 31 (1947), 161-170.
3.4
-INU > -in, -ir) (z.B. vlg.lat. CAMMINU > astur, camin,
camig).
- Cf. DL 59; AZV 116/117, 162-164; Manual § 83,4; Lapesa 310. - D. Catalan Menendez-Pidal, Hacia un altas toponimico del diminutivo (-inu en la toponimia hispano-romänica), Boletim de Filologia (Lissabon) 17 (1958), 257-292. - ALPI 33 camino. 3.5
Leon, castanal, manzanal etc. d.h. weitgehende Generalisierung der Obstbaumnamen auf -al (-ar). - Cf. DL 91; AZV 164/165. - H . G . Schöneweiss, Die Namen der Obstbäume in den romanischen (1955), dort 1. Hauptteil IV b) 2 und 2. Hauptteil I d) und II d).
4. 4.1
Sprachen
Innovationen im Leonesischen und Kastilischen 9, ? > Diphtong (z. B. lat. BÖNU, BfiNE > span, bueno,
bien).
- Cf. DL 37-44; AZV 89-99; Staaff §§ 10, 11, 16, 17; Cintra III § 1; Manual § 10, 1 + 13,1; Origenes §§ 22-24, 26; Meier 1-22; Baldinger passim (cf. Index); Jungemann XIII; Alarcos §§ 144 + 145; Lapesa passim (cf. Index). - Fr. Schürr, La diptongaciön ibero-romanica, in RDyTP 7 (1951), 379-390. ders., La inflexion y la diptongaciön del espanol en comparaciön con las otras lenguas romänicas in: Presente y futuro de la lengua espanola II, Madrid 1964, p. 135-150. E. Alarcos Llorach, Quelques preasions sur la diphtongaison espagnole in: Omagiu lui I. Iordan, Bukarest 1958, p.1-4. L. Lopez Santos, La diptongadön 271-318.
en leones, Archivum (Oviedo) 10 (1960),
Α. M. Badia-Margarit, Nuevas precisiones sobre la diptongadön (1962), 1-12.
espanola, RLR 26
250
III, 3 Das Leonesische Damaso Alonso, Sobre el vocalismo portugues y castellano (con motivo de una teoria) in: Enciclopedia Lingüistica Hispänica I, Suplemento, Madrid 1962, pp.5-21, 23-45 und wieder in ders., Obras completas I, Madrid 1972, pp. 17-39, 41-71. - ALPI 70 diez, 19 avispa.
4.2
- N N - , -LL- > -ή-, -1- bzw. kompensatorische Artikulationsverstärkungen anderer Art. (Z.B. lat. A N N U , G A L L U > kast. ano, gallo). - Cf. AZV 126/7 + 153/4; Cintra III § 11; Manual § 46,3; Baldinger passim (cf. Index); Jungemann VII; Alarcos § 151; Lapesa passim (cf. Index). - Für die monographische Literatur vgl. 3.1. - ALPI 29 cab alio.
4.3
-CT-, -"LT- > -c- oder eine andere Affrikate (z.B. lat. N O C T E , M U L T U > kast. noche, mucho). - Cf. D L 80/81; AZV 150-152; Staaff §§ 33 + 35; Cintra III § 13; Manual § 47, 2c) und § 50,1; Origenes § 51; Meier 78-82; Baldinger passim (cf. Index); Jungemann IX; Lapesa passim (cf. Index). - (ALPI 64 derecho; in unserer Karte verzichten wir auf diese Isoglosse, da der ALPI für eine ganze Reihe von Ortspunkten im Grenzgebiet keine Angaben macht, ALPI 58 cuchillo weicht auch btr. des Suffixes in Asturien von der zu erwartenden Lösung ab).
4.4
Vlg.lat. CERESIA > cereza mit θ aus -sj-. - ALPI 43 cereza.
5.
Innovationen im Kastilischen
5.1
ό, e vor Jot > ό, e und damit keine Diphthongierung in dieser Stellung (z.B. lat. F O L I A , L E C T U > kast. hoja, lecho). - Cf. D L 39/40,41; AZV 93/94 + 97/98; Staaff §§13 + 19; Cintra III § 1,11; Manual §§ 8 bis + 10,3 + 13,3; Origenes §§ 25 + 28; Meier 22-26; Lapesa 92/93 + 128/129 + 132 + 3 1 1 + 3 1 7 . (Diese Literatur behandelt den hier interessierenden Kontrast - Typ leon. pueyo / kast. poyo < lat. P Ö D I U - gewöhnlich als «Diphthongierung vor Jot> im Leonesischen. Wenn aber, wie wir annehmen, die von Menendez Pidal im Manual, loc. dt. aufgestellte Hypothese von der Schließung von ό, f vor Jot richtig ist, so gehört die Erscheinung hierher. Sie verbindet das Kastilische mit dem Katalanischen, wo die beiden Tonvokale in dieser Stellung ebenfalls ein besonderes Schicksal erlitten haben). - Für die monographische Literatur vgl. 4.1.
5.2
Reduktion des Diphthongs ie zu i in gewissen Positionen (z.B. lat. VESPA, -ELLU > kast. avispa, -illo). - Cf. D L 43; AZV 99; Manual § 10,2; Origenes § 27; Baldinger 25; Lapesa 132/133 + 168 + 177. - Für die monographische Literatur vgl. 4.1. - ALPI 19 avispa (castillo und cuchillo erscheinen auf dem ALPI, Karten 37 und 58, in Asturien schon vielerorts mit reduziertem Diphthong).
5.3
-U > -o (z.B. lat. L U P U > kast. lobo). - Cf. Literaturangaben unter 1.1. - Für die monographische Literatur vgl. 1.1. - ALPI 27 brazo.
3.2 Die Abgrenzung des Leonesischen 5.4
251
-Ε > 0 im Imperativ der 2. Pers. Plural (z.B. lat. CANTATE > kast. cantad, gegenüber leon. cantade od. cantai). - Cf. DL 101/102; AZV 182/183; Manual § 107,2; Origenes § 73,7; Väzquez-Luz I 100; Lapesa 252 + 311; Cintra III, § 4, A. - Fr. Hanssen, Estudios sobre la conjugation leonesa, Anales de la Univ. de Santiago de Chile 1896, p. 753-807.
5.5
F- > h-, χ- (z.B. lat. FABA, FÜRNU > xaba, χο-mu in Santander) bzw. 5.5' > 0 (z.B. kast. haba, homo). - Cf. DL 61-64; AZV 117-121; Manual § 38,2; Origenes § 41; Meier 72-76; Baldinger passim (cf. Index); Jungemann XVI; Alarcos § 153; Lapesa passim (cf. Index). - Μ. A. Espinosa (hijo) + L.Rodriguez-Castellano, La aspiraciön de la en el sur y oeste de Espana, RFE 23 (1936), 225-254, 337-378. L. Rodriguez-Castellano, La aspiraciön de la en el Oriente de Asturias, Inst, de Estudios Astur. C.S.I.C., Oviedo 1946. ders., Estado actual de la aspirada en la provincia de Santander, Archivum (Oviedo) 4 (1954), 435-457. T. Navarro Tomas, The old aspirated Η in Spain and the Spanish of America, Word 5 (1949), 166-169. - ALPI 13 ahogarse.
5.6
G " - und -I-, -DI-, -Gl- nach Palatalvokal > 0 (z.B. kast. helar, mear, veo, pestanear, correa gegenüber port, gelar, vejo, pestanejar und ast. selar, mesar etc.). - Cf. für die Literaturangaben unter 2.2. - Für die monographische Literatur vgl. unter 2.2.
5.7
-c'l-, -lj- > 3 (und später > s > χ; z.B. lat. OCULU, MULIERE > kast. ojo, mujer). - Cf. Staaff § 32; Cintra III § 12; Manual §§ 53,6 + 57,2; Origenes § 50; Meier 63-70; Baldinger 23; Alarcos § 156; Lapesa passim (cf. Index). - Für die monographische Literatur vgl. 3.2. - ALPI 12 aguja.
5.8
Älteres s > χ (z.B. älteres desar, baso, muser, sente > mod. kast. dejar, bajo, mujer, gente). - Cf. DL § 10; AZV 139; Meier 69/70; Alarcos § 160; Lapesa 247/248 + 300 + 336. - A. Martinet, The unvoidng of old Spanish sibilants, Rom Ph 5 (1951-52), 133-156. Überarbeitet als Structures en contact; le devoisement des sifflantes en espagnol, in ders., Economie des changements phonetiques (1955, '1970), dort p. 297-325, bes. § 12.33. - ALPI 50 cojo.
5.9
-SC'·'- > -θ- (z.B. lat. PISCE, FASCE, CRESCIT > kast. pez, haz, crece). - Cf. AZV 139 mit Anm. 57; Manual § 47, 2 a); Origenes § 57; Baldinger 22; Lapesa 132. - (Btr. ALPI 22 azada vgl. 2.3).
5.10
- MB - > -m- (z.B. lt. LUMBU, vlg. lat. PALUMBA > kast. lomo, gegenüber leon. tsombu, palumba etc.).
paloma
- Cf. DL 79/80; AZV 149/150; Staaff § 37; Cintra III § 14; Manual § 47,2 a); Origenes § 52; Meier 70/71; Baldinger passim (cf. Index); Jungemann XI; Lapesa passim (cf. Index). - G. Rohlfs, Oskische Latinität in Spanien?, RLR 19 (1955), 221-226.
252
III, 3 Das Leonesische
5.11
- M ' N - > -mbr- (z.B. Iat. L U M I N E , H O M I N E > kast. lumbre, hombre gegenüber leon. Uume, ome etc.). - Cf. D L 84/85; AZV 154-156; Staaff § 40; Cintra III § 17; Manual § 59,1; Origenes § 58,1; Baldinger 13 mit Anm. 3 sowie 323; Lapesa 134.
5.12
Adj. Possessivpronomen: Verallgemeinerung des Gebrauches ohne Artikel (vgl. kast. mi casa). - Cf. Literaturangaben unter 2.5. - für die monographische Literatur vgl. unter 2.5.
5.13
Adj. Possessivpronomen: Generalisierung einer verkürzten fem. Form (kast. mi, tu, su m. + f.). - Cf. D L 95-97; AZV 173/174; Staaff § 55; Cintra III § 26; Manual § 96,2; Origenes § 67,1; Lapesa 190. (Diese Literatur bezieht sich vor allem auf die altertümlicheren Formen im Leonesischen und Altkastilischen). - für die monographische Literatur vgl. unter 2.5.
5.14
£RIS, EST, ERAT: Generalisierung von schwachtonig entwickelten Formen ohne Diphthong (kast. eres, es, era; es könnte sich auch um die Generalisierung postkonsonantischer Varianten zu *yeres, "'yes, *yera handeln. Eine solche Alternanz scheint im Leonesischen vereinzelt noch zu funktionieren; vgl. DL 42 und die Alternanz von e und y aus ET im Kastilischen). - Cf. die Literaturangaben unter 2.6.
5.15
kast. manzano, men auf -o.
castano etc., d.h. weitgehende Generalisierung der Obstbaumna-
- H . G. Schöneweiss, Die Namen der Obstbäume in den romanischen (1955), dort 1. Hauptteil III und 2. Hauptteil I d) und Ild). 3.2.4
3.2.5
Sprachen
Siehe Faltkarte
Das Gesamtbild15
3.2.5.1 Die vielen Grenzen des Leonesischen ergeben im Westen einen recht s c h a r f e n U b e r g a n g zum Galicischen hin. Selbstverständlich löst sich auch diese Linie bei näherem Zusehen in ein Band auf, das auf unserer Karte wegen des losen Punktnetzes und der Beschränkung auf je ein Wort als Repräsentant eines Zuges (Ausnahme 4.1) nicht deutlicher in Erscheinung treten kann. Detailinformation zu diesen Grenzen geben - von N o r d nach Süd gehend - folgende Autoren: D. Catalan Menendez-Pidal, El asturiano ocddental, RomPh 10 (1956-57), 71-92 und 11 (1957-58), 120-158 mit Karten zu 1.3, 3.1, 4.1, 4.3; L. Rodriguez-Castellano, Aspectos del bable Occidental, I.D.E.A. Oviedo 1954 mit (weni15
Übersichtskarten, auf denen das Leonesische in seiner ganzen Ausdehnung mit einzelnen Isoglossen abgegrenzt erscheint, enthalten: das Manual von Menendez Pidal (an leonesischen Grenzen erscheinen 3.1, 4.1, 5.5 und 5.5'), die Dialectologia espanola von AZV (Karte X El dialecto leones, mit genau den gleichen Isoglossen) und der Anhang von Carmen Bobes zu der 2. Auflage des D L (idem, aber ohne 5.5'; diese Karte hat einen größeren Maßstab, sie ist farbig und hebt unter den Binnengrenzen des Leonesischen nicht mehr nur diejenigen mit nordsüdlichem Verlauf hervor). Für die Grenzen des Leonesischen in Asturien (1.3, 4.2, 5.5) vgl. man den Kartenanhang in A.Ma. Cano Gonzalez et alii, Gramatica bable, Madrid 1976 sowie (speziell für 3.1) AZV Karte XIII.
3.2.4 Grenzen: Kombinationskarte Legende zur Kombinationskarte: 1.1 1.3 1.4 2.4 3.2 3.4 4.1 4.2 4.4 5.2 5.3 5.5 5.7 5.8
-o / -u in brazo 1 / 1, ts etc. in caballo s, z, s / θ in cereza (inlautend) -1- ] - rl - in decirlo 11], c etc. / χ in aguja mit einer Restinsel - P. 221, P. 345 - im Süden -ino /-ig, -in / - inu bzw. -ino in Camino, heute fast eine «asturische Isoglosse» e [ ie in diez (Beginn westl. von P. 302) und in avispa (Beginn östl. von P. 302) 1.3 1.4 ie [ i in avispa (nur bis P. 343 geführt) -u [ - o in brazo φ, f [ h, χ etc. in ahogarse 5.5' φ, f, h, χ [ 0 ebenda (ab P. 318 in 5.5) 1, c, j [ χ in aguja bis P. 337 in 3.2 und so noch einmal am westl. Rand der oben genannten Restinsel s[x in cojo · Isoglosse folgt ab hier der Staatsgrenze Staatsgrenze zwischen Portugal und Spanien
/Ζ7 1*3
1Ϊ&
h, χ bzw. > 0, 5.7 -c'l-, -lj> 3, 5.8 s > χ und 5.12 mi casa (ohne Artikel). Von diesen 5 Zügen sind die ersten vier auf unserer Kombinationskarte vertreten. Sie verteilen sich dort im wesentlichen auf zwei Schranken, von denen die westliche von 5.7 und 5.8 (zusammen mit 3.2 aguya und 3.4 camig), die östliche vor allem von 5.3 und 5.5'
3.2 Die Abgrenzung
des Leonesischen
25 7
(zusammen mit 2.4 decilo) gebildet wird". Zwischen beiden Schranken liegt ziemlich genau die moderne Provinz Santander, so daß die Frage also lautet: soll Santander leonesisch oder kastilisch sein? Auch hier ist u.E. Menendez Pidal zu folgen, der Santander dem Leonesischen zurechnet. Vor allem deswegen, weil ähnliche Schranken wie die asturisch-santanderinische das Leonesische bekanntlich auch noch weiter im Westen zerteilen. Kurz: Santander fügt sich gut in die abgestufte Ubergangslandschaft ein, als die das Leonesische insgesamt aufzufassen ist. Mit der Entscheidung für die Einbeziehung Santanders bleiben nur noch 5.3 - U > o , 5.5' F - > 0 und 5.12 mi casa (ohne Artikel) in der engeren Wahl. Die Entscheidung fällt hier schwerer als im Westen. Auf die Gefahr hin, daß reicheres, moderneres und dichter gestreutes sprachgeographisches Material in der Zukunft eine Korrektur nötig machen, möchten wir dennoch eine Abgrenzung mittels 5.3 vorschlagen. Aus folgenden Gründen: 1. betrifft diese Innovation ein gutes Drittel aller spanischen Nomina. Ihre Resultate erscheinen deshalb in der Rede noch ungleich h ä u f i g e r als diejenigen von 5.5' und 5.12. Außerdem ergibt sich wieder eine Parallele bei den palatalen Vokalen: kast. - U > o , - I > e (gegenüber nördl. Leon. - U und -I erhalten und südl. Leon, außerdem noch - 0 > u , - E > i , Typ llobu!llobus, fuenti/fuentis je Sing./PI.). 2. charakterisiert diese Innovation im Gegensatz zu F - > 0 , das den größten Teil Estremaduras und Andalusiens nicht erreicht, das Kastilische in s e i n e r G e s a m t h e i t (allerdings mehr gegenüber dem Leonesischen und Portugiesischen als geg. den östlichen Nachbarn: dort ist -U weitgehend ausgefallen, aber wo dies nicht der Fall ist, ist -U z.T. geblieben, z.T. zu -o übergegangen20). 3. kommt der V e r l a u f der Isoglosse unseren Wünschen entgegen (lediglich P.332, sonst eindeutig leonesisch, fällt mit seinem brazo aus der Reihe). Sie beläßt auch das im Süden - soweit noch eindeutig als solches erkennbar - beim Leonesischen. Für die Abgrenzung des Kastilischen nach Westen (und damit für die negative Abgrenzung des Leonesischen nach Osten) wählen wir also die Isoglosse 5.3 mit dem -o in ALPI 27 brazo. Das leonesische Sprachgebiet, abgegrenzt als dasjenige, das in D E C E - zu einem Diphthong übergegangen, aber in BRACCIÜ- bei
"
20
Wir gehen über die auf der Karte alleinstehenden Isoglossen 5.5 F- > h, χ und 5.2 aviespa > avispa etc. hinweg. Obwohl 5.5 uns vielleicht noch heute die antike Grenze zwischen Kantabrern und Asturern verrät (cf. die angegebene Literatur und insbes. Origenes § 41), stehen die neueren Isoglossen weiter östlich an der modernen Provinzgrenze. 5.2 gehört zu jenen seit den Anfängen dokumentierten Innovationen (Origenes § 27), für die der multisäkulare Selektionsprozeß im bäuerlichen Milieu gewisser Zonen Altkastiliens bis heute noch nicht zum Abschluß gekommen ist (cf. V. Garcia de Diego, Dialectalismos, RFE 3 (1916), 301-318, dort p.301/302). Vgl. für das Aragonesische AZV 219-221 und für das Katalanische A. Badia Margarit, Gramätica bistorica catalana, Barcelona 1951, § 64, p. 169-171.
258
III, 3 Das Leonesische
- U geblieben ist, ist auf der zweiten Fassung unserer Kombinationskarte (= Karte 10) unterbrochen schraffiert.
3.3
Die Problematik des Leonesischen
3.3.1
Leonesische Innovationen?
Der Abgrenzung des Leonesischen stellen sich somit keine unüberwindlichen Schwierigkeiten entgegen. Wir haben sogar eine Reihe wichtiger Innovationen, die das Leonesische zu beiden Nachbarn in Gegensatz bringen. Wie verträgt sich diese Tatsache mit der negativen Bestimmung und Abgrenzung des Leonesischen in den beiden vorausgehenden Abschnitten? 3.3.1.1 Innovationen, die das Leonesische gegenüber dem Galicisch-Portugiesischen und dem Kastilischen charakterisieren, sind nicht unbedingt 1 etc.) entspricht - vom Kastilischen und Aragonesischen abgesehen - überall demjenigen von -LL-. Die Lösung 1- herrscht weder im ganzen Leonesischen noch ausschließlich hier: der Nordwesten des leonesischen Sprachgebiets hat von der galicisch-leonesischen Sprachgrenze bis Salas und Belmonte, im Gebirge sogar bis einschließlich Aller, apikopalatale Lösungen des Typs ts', die freilich (im Kontrast zu der Erhaltung von L- im Galicisch-Portugiesischen und Kastilischen) mit 1 zu einem dialektalen Zug zusammengefaßt werden können. Außerhalb des Leonesischen gilt 1 aus Lim gesamten katalanischen Sprachgebiet sowie im nordöstlichen Aragonesi-
Für die Geographie dieses Typs vgl. die unter Zug 3.1 genannten monographischen Arbeiten von R. Menendez Pidal und D. Catalan mit den dort enthaltenen Kärtchen.
3.3 Die Problematik
des
Leonesischen
259
sehen 2 . N e h m e n wir die Hinweise für die Palatalisierung von L- im Mozarabischen hinzu (vgl. Origenes § 44), so können wir den durch die moderne dialektgeographische Distribution nahegelegten historischen Zusammenhang zwischen westlichem und östlichem 1 aus L- wohl für erwiesen halten. 3.3.1.3 Wie 1 aus L- herrscht auch j aus -c'l-, -lj- (vgl. unseren Zug 3.2) weder im ganzen Leonesischen noch ausschließlich hier: Im Kantabrischen Gebirge heißt es von Lena bis hin zu galicisch-leonesischen Grenze nicht muyer, sondern mucher und gleiches gilt f ü r die branas (cf. supra 11,4.1.3 Anm.5), die weiter nördlich zwischen Gebirge und Meer liegen3. An diese Grenze schmiegen sich außerdem in Asturien (cf. AZV 146) und in Leon (ALPI Punkte 337 und 338) schmale Streifen, in denen es weder abeya noch abecha, sondern abella [1] heißt*. Im Osten der Halbinsel erscheint j im Ostkatalanischen vom Llobregat bis z u m Fuß der Pyrenäen sowie auf den Balearen, während das literarische Katalanisch und Barcelona muller [1] sagen s . Ein direkter Zusammenhang zwischen den beiden j-Gebieten läßt sich nicht aufzeigen, weil (anders als im Falle von L->1) -c'l-, -lj- > j im Mozarabischen bislang nicht nachgewiesen ist. Zwar glaubt A. Galmes de Fuentes aus der Wiedergabe mozarabischer Wörter bei zwei arabischen Botanikern (der eine schreibt um 1100, der andere um 1250) eine Lautung d' bzw. d j erschließen zu können - womit wir fast bei j wären. Aber eben nur fast und außerdem überzeugt uns diese Rekonstruktion nicht völlig6. Der Zusammenhang ist aber sehr wahrscheinlich: Man darf ohne Zweifel f ü r den weitaus größten Teil der Halbinsel von der gemeinromanischen Vorstufe 1 (bwz. 11) aus -c'l-, -lj- ausgehen, wie sie ja noch heute im Galicisch-Portugiesischen, in leonesischen Randzonen, im Aragonesischen und im Westkatalanischen erhalten ist 7 ; und man wird sicherlich E. Alarcos Llorach recht geben, wenn er die Preisgabe dieser Lautung in den übrigen iberoromanischen Dialek2
3
* 5
6
7
Cf. A Z V 224—226 mit Kärtchen auf Seite 225. N a c h diesen A u s f ü h r u n g e n wäre f ü r das ältere Aragonesisch mit einer weiteren Verbreitung von 1 aus L- zu rechnen. Vgl. f ü r die A u s d e h n u n g dieser Erscheinung R. M e n e n d e z Pidal, Pasiegos y vaqueiros (1954), mit einem Kärtchen auf S. 28, aus dem hervorgeht, daß mucher innerhalb des Areals bleibt, in dem L- u n d - L L - > ts. A n den beiden A L P I - P u n k t e n fließen dadurch die Resultate von -c'l-, -lj- u n d - L L - in 1 z u s a m m e n , vgl. die Karten 6 abeja u n d 29 caballo. F ü r die A u s d e h n u n g der Erscheinung im katalanischen Sprachgebiet vergleiche man A. Badia Margarit, Gramätica histörica catalana, Barcelona 1951, § 87 IV A, p. 206-210 mit einem Kärtchen p.207. Vgl. seinen wichtigen, unter Zug 3.2 zitierten Aufsatz Resultados de -LL- y -LY-, -C'L- en los dialectos mozärabes (1965), d o r t p. 79. W i r fragen uns, o b es nicht möglich ist, die arabischen Schreibungen zu n e h m e n , vgl. hier A n m . 9. Mit d e m U b e r g a n g von -lj- zu 1 rechnet E. Bourciez, Elements de linguistique romane, Paris s 1967, p . 5 0 in der Spätantike. - Einiges spricht dafür, daß zumindest regional zunächst ein 11 entstand: Z.B., daß auch - d j - , -gj- u n d -j- vermutlich zunächst eine Geminate jj ergaben (cf. E. Alarcos Llorach, Resultados de G en la Peninsula (1954), 332 mit der d o r t angegebenen Literatur); weiterhin die alten Schreibungen des T y p s
260
III, 3 Das Leonesische
ten mit d e r R e d u k t i o n der D o p p e l k o n s o n a n z - L L - in V e r b i n d u n g bringt 8 . Es ist ja b e z e i c h n e n d , daß d o r t , w o 1 aus -c'l-, -Ij- erhalten geblieben ist, - L L - e n t w e d e r o h n e k o m p e n s a t o r i s c h e A r t i k u l a t i o n s v e r s t ä r k u n g (gew. Palatalisierung) red u z i e r t w u r d e (Gal.-Port.) o d e r tatsächlich m i t -c'l-, -lj- zusammengefallen ist (so im westlichsten Leonesisch sowie in Teilen des Aragonesischen u n d Katalanischen). So gesehen k ö n n e n alle W e i t e r e n t w i c k l u n g e n v o n 1(1) aus -c'l-, -lj- als Varianten eines dialektalen Zugs aufgefaßt w e r d e n , dessen gemeinsamer N e n n e r die Delateralisierung w ä r e ' : > j (j) im Leonesischen u n d O s t k a t a l a n i s c h e n erhalten im
> 3 (3) in Teilen des Leonesischen (noch h e u t e in Sisterna, ansonsten später > c )
Gal.-Port., Westleon., Aragon, und
> 3 (3) im Kastilischen (später D e s o n o r i s i e r u n g > s u n d > x)
Westkat.
W e n n gerade das Kastilische im Gegensatz zu seinen N a c h b a r n im W e s t e n u n d O s t e n z u einer einheitlichen L ö s u n g g e f u n d e n hat, so w i r d m a n das - w i e d e r u m in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit Alarcos Llorach 1 0 - damit in Z u s a m m e n h a n g bringen d ü r f e n , daß hier - d j - , -gj- u n d -j- nicht wie überall sonst zu 3, s o n d e r n z u j geworden waren. obellgas, conceillo (Rioja), taggare, Nogga (Kastilien), malliolo, filijos (Sahagün) etc., die R. Menendez Pidal in seinen Origenes § 50 anführt; die Tatsache, daß große Teile des Westkatalanischen für einzelne Wörter wie APICULA und OVICULA (vgl. für ersteres die Punkte 712, 716-721, 736 und 741 auf Karte 6 abeja des ALPI) bei 11 geblieben sind und schließlich die arabischen Schreibungen mozarabischer Wörter des Typs [ura33a] < AURICULA, [aqu&illa] < A C U C U L A + ELLA, [qardä^u] < C A R D I C U L U etc. mit doppeltem gim (cf. A. Galmes de Fuentes, Resultados (1965), 79-81). 8 9
10
Cf. Fonologia espanola (1950, 1971), § 156. Das folgende Schema ist von den Sprachen der Reconquista-Staaten und dem modernen sprachgeographischen Befund her konstruiert. Von ihm ausgehend scheint es jedoch auch möglich, die arabischen Schreibungen mozarabischer Wörter, die Galmes de Fuentes vorstellt, ganz (im Sinne des klassischen Arabisch) zu interpretieren: für -LL- erscheint üblicherweise [11], sporadisch auch [lj], für -c'l-, -lj- üblicherweise [lj] nicht selten auch [33] oder [3] (in z.T. ausdrücklich als vulgär gekennzeichneten Formen) und sporadisch [11]. Die beiden fraglichen Nexus -c'l-, -lj- und -LLwären demnach unter den Mozarabern in gepflegter Sprache konservativ in der Form 1(1) ~ 11, in vulgärer Sprache innovatorisch in der Form 3 (3) — 1 unterschieden worden. Die konservative Form der Unterscheidung könnte man auch für gewisse Texte des älteren Katalanisch annehmen, in denen für die Etymologie -c'l-, -lj- die Schreibungen 1, yl und ly vorkommen, während -LL- nur mit 1 oder 11 wiedergegeben wird. Cf. A. Badia Margarit, Gramätica histörica catalana (1951), 206 und J. Corominas, Lleures i converses d'un filöleg, Barcelona 1971, p.289-291 (die beiden katalanischen Autoren rechnen mit zwei verschiedenen palatalisierten Laterallauten). Fonologia espanola, loc. cit.
3.3 Die Problematik
des
Leonesischen
261
3.3.1.4 Die Bevorzugung von - I N U bei der Bildung von Diminutiven (cf. Zug 3.4) verbindet den größten Teil des Leonesischen mit dem Galicisch-Portugiesischen. Hier bestünde eventuell die Möglichkeit, einen weiteren Zug des Typs 2 zu gewinnen. Mit unserem Zug 3.4 meinen wir nicht diese Bevorzugung, sondern die Apokopierung im Mask. Sg., die nicht auf die Diminutivbildungen beschränkt ist (vgl. ast. camin, vectn etc.), obwohl diese unter den betroffenen Formen natürlich das größte Kontingent stellen (vgl. ast. satin, "ternerillo", guapin, pequenin etc.). Welches heute die Grenzen dieser Erscheinung sind, ist umstritten". Mit Sicherheit ergäben nicht alle in Frage kommenden Lexeme so eindeutig Isoglossen (sog. mit Einschluß sprachlich galicischer Teile der Provinz) wie unser Beispiel camin bzw. camig. Aber nur in Asturien scheint es sich historisch gesehen wirklich um eine Apokope zu handeln, denn während man in Leon (und offenbar auch in Santander) ebenso wie in den in die spanische Gemeinsprache eingedrungenen Beispielen chiquitin, pequenin, bailarin etc. den Plural des Maskulinums nach dem Muster der übrigen, auf Konsonant auslautenden Nomina bildet (also cbiquitines, pequenines, bailarines), heißt es im Asturischen satinos, guapinos, pequeninos etc.12. Außerhalb Asturiens wurde demnach als Deklinationswechsel aufgefaßt, was in Asturien selbst Resultat eines Lautwandels war13. Dieser Lautwandel (-U nach I N > 0) kann als eingeschränkte Variante des generalisierten Abfalls von -U aufgefaßt werden, wie man ihn heute im ganzen Katalanisch beobachtet und wie er im Mozarabischen - neben der Erhaltung - reich dokumentiert ist14. Aber auch in den Bergen von Aragon, wo der Abfall von -U keineswegs generell ist, finden wir unter den bekannten Beispielen gerade wieder gorrin, tocin, cochinxi. 3.3.1.5 Im Falle der drei eben behandelten Züge erwies sich die leonesische Einheit bei näherem Zusehen als durchaus relativ. Wichtiger noch: es scheint sich hier nicht um leonesische, sondern um Innovationen zu handeln, die erst durch die Expansion des Kastilischen im Leonesischen eingeschlossen wurden. Ob dies auch auf die zwei verbleibenden Züge des 3. Typs (3.3 mayoralgo etc. und 3.5 castanal etc.) zutrifft, muß offen bleiben1'. 11
12
13
14
15
"
Nach A Z V 162 gilt -in heute «en el noroeste del dominio leones y en Asturias . . . Fuera de la zona noroeste, el sufijo tiene la forma plena - i n o » . Nach D . Catalan (Hacia un atlas toponimico (1958), 282/283 mit Anm. 24 und 25 und p.290) lebt in den Provinzen Leon, Zamora und im nördlichen Teil von Salamanca heute nur die apokopierte Form. Vgl. hierfür D . Catalan, Hacia un atlas toponimico (1958), p.282 Anm. 24 und p.286 A n m . 37. Dieser Befund erinnert an die Regularisierung der Deklination (Typ llobu/llobus;fuenti/ fuentis) südlich des Gebirges gegenüber llobu/llobos etc. in Asturien. Cf. Origenes § 36, 4 + 5 mit den Beispielen milän, Zebelin, sangin, abrekän "oregano", escribän, latrien "ladierno", forn für - U > 0 nach Ν (p. 177) und A Z V 30-33. Cf. A Z V 219/220 und A L P I 33 Camino mit alleinstehendem kamin am Punkt 608 in den arag. Bergen. Für 3.3 ist darauf hinzuweisen, daß synkopierte Formen auch im Galicisch-Portugiesi-
262
III, J Das
Leonesische
F ü r die Innovationen des 2. und 4. Typs wäre im einzelnen zu zeigen, daß sie entweder schon in westgotischer Zeit in Galicien und Asturien bzw. in Asturien und Kantabrien zu Hause waren oder später von Galicien oder Kastilien ausgehend ins Leonesische gekommen sind, keinesfalls aber von L e o n nach Galicien oder Kastilien. Innovationen, die von den politischen Zentren des Königreiches ausgegangen wären und wenn schon nicht im ganzen Reich so doch wenigstens in seinem zentralen, Teil insgesamt aufgegriffen worden wären, scheint es kaum zu geben: ..., en el dialecto leones de los siglos posteriores observamos, con la escasez de rasgos peculiares, cierta abundancia de otros muy extendidos por Esparia y comunes tambien a los demäs grandes centros de la Romania, . . . (Origenes § 94,5 p.450).
3.3.2
Die sprachliche Zerrissenheit des Leonesischen
3.3.2.1
Menendez Pidal bringt diesen Mangel an sprachlicher Initiative mit
dem geschichtlichen Selbstverständnis der leonesischen Könige in Zusammenhang, die sich als Nachfolger der westgotischen Herrscher fühlten. Mit ihrem Königstitel - seit der Proklamation eines Königreiches Navarra (a. 905) ließen sie sich sogar als Imperatoren ansprechen - brachten sie diesen gesamthispanischen Machtanspruch zum Ausdruck. Ihr vielfach bezeugtes Festhalten an westgotischen Traditionen erstreckte sich auch auf das sprachliche Erbe jener Zeit, das allein als sprachlicher Generalnenner für die auseinanderstrebenden christlichen Herrschaften im N o r d e n der Halbinsel in Frage kam 17 . Menendez Pidal vermutet daher hinter jener sprachlichen Unausgesprochenheit des Leonesischen ein Prinzip der
(Origenes
§ 94, 5 p . 4 5 0 ) .
sehen das 1 aufweisen (vgl. J . Corominas D C E C , sub voce nalga). - Bei einer genaueren Untersuchung von 3.5 müßten folgende Tatsachen berücksichtig: werden: 1. in den lateinischen Urkunden des Mittelalters bezeichnen die -al (-ar) Bildungen offenbar auf der ganzen Halbinsel Obstbäume und Obstbaumpflanzungen (cf. die Zitate bei H. G. Schöneweiß, Die Namen der Obstbäume (1955), 45-49 und ebenda den Abschnitt Semantische Probleme, p. 53-59); 2. diese Bildungen sind heute in der ganzen Iberoromania zur Bezeichnung von Obstbaumhainen üblich: cf. kast. avellanal, -ar, cerezal, castanal, naranjal etc., port. cerejal, laranjal etc., kat. avellanar, cirerar etc.; 3. die Obstbaumnamen dieses Typs sind im Leonesischen bald fem., bald mask.; nördlich des Gebirges herrscht das Fem. in Asturien zumindest bis Cabranes, in Santander - Tudanca und Pastal - dagegen das Mask. (vgl. R. Penny (1969) und (1978)); südl. des Gebirges ist die Situation äußerst verworren; 4. auch außerhalb des Leonesischen kommen heute gelegentlich Obstbaumnamen auf -al vor: vgl. neben kast. peral und nogal (neben noguera) noch arag. negral und andal. verdial (cf. Schöneweiß, Die Namen der Obstbäume (1955), 12). Den sprachlichen Traditionalismus des asturisch-leonesischen Hofes belegt Menendez Pidal in seinen Origenes u.a. mit der Existenz eines latin popular leones (cf. § 95), das zwischen dem romance corriente und dem latin escolästico steht, die man auch sonst überall antrifft. Diese für Leon typische mittlere Sprache bewahrte zahllose Reste der
3.3 Die Problematik
des
Leonesischen
263
Obwohl nun in den ersten Jahrhunderten nach der Katastrophe von 711 die militärische und politische Initiative im christlichen Teil der Halbinsel eindeutig bei den Königen von Oviedo und Leon lag, hat sich dies in der Folge geändert. Während die leonesischen Herrscher mit ihren panhispanischen Ansprüchen auf die Dauer über ihre Verhältnisse lebten, erwiesen sich die regionalen Initiativen inner- und außerhalb des Königreiches in den ständigen Auseinandersetzungen mit dem arabischen Spanien als effektiver: a. 1037 wurde die leonesische Dynastie von der navarresischen entthront. In diesen Regionen vollzog sich auch der sprachliche Ausgleich und Fortschritt. Demgegenüber bietet das Gebiet des ehemaligen Königreichs Leon ein Bild sprachlicher Zerrissenheit. Dies gilt ganz besonders für den zentralen Teil, also für das Leonesische selbst! Zwei Gegensätze, die hier in leonesischer Zeit noch zu den bereits bestehenden hinzukamen, verdienen es, besonders hervorgehoben zu werden: 3.3.2.2 Im ursprünglichen Zentrum des Königreiches (Asturien, Oviedo) trafen im 8. Jahrhundert zwei Bevölkerungselemente aufeinander, die sicherlich auch sprachlich stark voneinander abwichen: E i n g e s e s s e n e - selbst in eine Vielzahl kleiner Gruppen gespalten - und Z u g e w a n d e r t e aus dem Süden, die vor den Arabern zurückwichen. Wir wissen wenig von den Konflikten, die aus diesem Gegensatz erwuchsen. Daß es sie gegeben hat, darf angesichts des traditionellen Widerstandes der kantabrischen Küste gegen Römer- und Westgotenherrschaft als sicher gelten. Das sprachliche Nebeneinander, das aus diesem Zusammentreffen resultierte, düfrte z.T. ein soziales, z.T. ein regionales gewesen sein. Was das letztere betrifft, so neigen wir dazu, moderne dialektale Züge, die im Osten und Westen der kantabrischen Küste eine Fortsetzung haben, der lokalen Tradition zuzuweisen. In Zügen, die aus der kantabrischen Küste heraus auf andere Regionen der Halbinsel weisen, vermuten wir Reste der sprachlichen Traditionen der Zugewanderten. Die Ablehnung oder Annahme eines Sprachgebrauches durch Oviedo kann eventuell als Argument für bzw. gegen seinen autochthonen Charakter angesehen werden: in der Hauptstadt des die westgotische Tradition fortsetzenden Reiches dürften die Sprachgebräuche der Zugewanderten zur Herrschaft gelangt sein. Je ein Beispiel soll veranschaulichen, wie das hier angedeutete Prinzip zu verstehen ist: Als typisch asturisch gelten einerseits Ausdrücke wie les cases blanques, cantes "kast. cantas", canten "kast. cantan", cantabes, cantaben, dectes, decien etc., andererseits Formen wie guetu bzw. gotu "kast. gato", puircu "kast. puerco",
lateinischen Konjugation (cingidur "cingitur"), der Deklination (posteridas), der lat. Präpositionen (abut, subra) etc., aber in vulgärer Phonetik. Menendez Pidal sieht in ihr eine . . . preciosa supervivencia del latin hablado en la mas aha Edad Media, alia en los siglos V ο VI, cuando empezaban a formarse los romances (p. 457) u n d vermutet, daß sich vor allem mozarabische Schreiber am H o f u n d hochgestellte Laien bei feierlichen Anlässen seiner bedienten.
264
III, J Das
Leonesische
pirru "kast. perro" und Ausdrücke wie la yerba ta secu "kast. la hierba estä seca"18, esta mantega ta ranciu "kast. esta manteca estä rancia", cuando la manzana se port maduru, da gustu velo "kast. cuando la manzana se pone madura, da gusto verla", jmira la llene secu! - julo? "kast. jmira la lena seca! - jdonde?" etc. 3.3.2.3 Beginnen wir mit den Endungen, die e statt etymologischem Α aufweisen. Wie so vieles kehrt auch diese Erscheinung im Katalanischen wieder". Sie erscheint außerdem isoliert in San Cipriän (westl. Zamora) und El Payo (südl. Salamanca). Ob es sich in diesen beiden Fällen um asturische Siedlermundarten aus der Zeit der reconquista und repoblaciön oder um Relikte einer älteren, örtlichen Tradition handelt, ist bis heute ungeklärt20. Gewisse Analogien zwischen der geographischen Verbreitung von -AS, -AN > -es, -en und derjenigen von Erscheinungen wie L- > 1; -c'l-, -lj- > j; - I N U > -in sind jedenfalls nicht zu übersehen. Fast noch aufschlußreicher ist die Geographie von -es in Asturien selbst, wo dieser Zug ein zentrales Areal einnimmt. Seine östliche Grenze verläuft zwischen den Concejos von Ribadesella und Cangas de Onis (mit -es) und denjenigen von Llanes und Onis (mit -as), seine westliche Grenze zwischen den Concejos von Aviles, Las Regueras, Oviedo und Riosa (mit -es) und denjenigen von Castrillon, Candamo, Grau und Quiros (mit -as)2'. Interessanterweise bleibt auch südlich dieses Areals noch ein schmaler asturischer Streifen frei von -es: die südl. Hälfte der Concejos von Lena und Aller. Von Oviedo selbst berichtet A. Zamora Vicente: «El cambio, hoy tan vivo, - invade hasta la conversacion medio culta de la capital - , . . .» (AZV 113, Anm. 35). Menendez Pidal, Rodriguez-Castellano und andere haben anhand von Ortsnamen gezeigt, daß -es früher weit nach Santander hineingereicht haben muß22,
18
Dieses sowie die folgenden Beispiele entnehmen wir J . Neira Martinez, La oposicion l en las hablas asturianas in: Estudios ofrecidos a Emilio Alarcos Llorach . . . , B d . I I I , Oviedo 1978, p . 2 5 5 - 2 7 9 .
"
Für die Ausdehnung von katalanischem -es, das die aragonesisch-katalanische Grenze nach Westen hin zum Teil überschreitet, z.T. hinter ihr zurückbleibt, vgl. man A . Badia Margarit, Gramätica historica catalana (1951), § 63, II mit Anm. 7 und Lapesa 318 sowie die Karten 41 cejas und 67 deudas des A L P I .
20
Vgl. hierzu hier oben III, 3.2.1.5 mit Anm. 12. Im Umkreis von El Payo war -es nach Auskunft von Menendez Pidal (Dos problemas (1960), X L I X ) und A Z V 114 ursprünglich weiter verbreitet. F ü r San Cipriän vergleiche man F r . Krüger, El dialecto de San Cipriän de Sanabria, Monografia leonesa ( = Anejo 4 der R F E ) , Madrid 1923, dort § 41.
21
Die östliche Grenze wurde von L . Rodriguez-Castellano ermittelt ( L a f r o n t e r a oriental de la terminaciön -es (< -as) del dialecto asturiano, B I E A 14 (1960), 1 0 6 - 1 1 8 mit Karte auf Seite 112), die westliche - sie fällt weitgehend mit der ςμ, ej /ό, e Grenze zusammen - von D. Catalän (El asturiano occidental I (1956/57), 8 9 - 9 2 ) . Das Gesamtareal zeigen A Z V Karte X I I und A . Ma. Cano Gonzälez et alii, Gramätica bable, Madrid 1976, Karte auf S. 107.
22
Cf. D L § 7,2 und L. Rodrigez-Castellano, La frontera oriental (1960) mit Karte auf S. 115. Karte X I I bei A Z V verzeichnet außer dem modernen -es Areal einen guten Teil
3.3 Die Problematik
des
Leonesischen
265
und Alarcos L l o r a c h hat -es in westasturischen Quellen des Mittelalters nachgewiesen 2 3 . Dagegen ist unseres Wissens seither noch nicht hervorgehoben worden, daß es nicht nur O r t s n a m e n auf -es gibt, w o die Mundart -as sagt, sondern auch nicht wenige auf -as, w o die Mundart -es sagt. Beispiele sind Penas Ambas
( C a r r e n o ) , Las Regueras
greu), Murias Sorribas
( L . R . ) , Las Caldas
(San Martin del R . Α . ) , Rozadas
(Pilona), Venta
de las Ranas
(Gozon),
(Oviedo), Las Piezas
(Bimenes), Arenas,
(Villaviciosa), Cangas
(Llan-
Cuerrias
de Onis
und
und Las
Rozas (C. de O.), Arriondas und Soto de Duehas (Parres), Carangas und Priescas (Ponga). Sicherlich lassen sich nicht all diese N a m e n als Kastilisierungen erklären. Das eben charakterisierte Verhältnis der O r t s n a m e n zu den lebenden M u n d arten stimmt nicht ganz zu der gängigen A n n a h m e , das -es-Areal
sei ursprüng-
lich größer gewesen und nach dem Erlöschen Oviedos als überragendem sprachlichem Z e n t r u m (Verlagerung der Hauptstadt nach L e o n ) . Es deutet eher auf den U b e r g a n g von einem ehemals diastratischen Nebeneinander von les cases und las casas in ein diatopisches: D i e hispano-gotischen Flüchtlinge aus dem Süden machten in Asturien -es neben -as heimisch. I m Zentrum ihres neuen Reiches wurde ihre Sprechweise nach und nach von der alteingesessenen Bevölkerung adoptiert, in den R a n d z o n e n Asturiens k o n n t e sich der eingesessene M o d u s gegen den importierten durchsetzen. D i e von mehreren Autoren beigebrachten Fem.Sing, des T y p s puerte,
llene,
sidre, pene24
- gerade auch in G e g e n -
den, die las casas sagen - zeugen offenbar noch von diesen Auseinandersetzungen. N e h m e n wir die katalanische Parallele wieder hinzu, so gilt auch für diese Interpretation des Wandels - A S , - A N > -es,
-en:
Nos obliga a colocar este fenomeno entre los varios otros que hoy nos ofrecen su ärea rota, fragmentada en la Espana oriental y en la occidental, y que indudablemente en tiempos primitivos ocupaban mucha mayor extension, tambien por el centro de la Peninsula, . . . (R. Menendez Pidal, Dos problemas (1960), XLIX). 3.3.2.4
N a c h der Darstellung der geographischen Verbreitung des T y p s
les
cases interessiert jetzt diejenige des Umlautes ( g u e t u " g a t o " etc.) und der O p p o sition " k o n t i n u i e r l i c h " / " d i s k o n t i n u i e r l i c h " beim N o m e n (yerba una yerba
2J
24 25
seco b z w .
secu/
seca etc.) 2 5 .
der außerhalb desselben liegenden Ortsnamen auf -es in Ostasturien und Santander (Linnes, Pendueles etc.). Sobre el area medieval del plural asturiano -as, -es, Archivum 1 (1951), 167-169. Auch nach Westen hin liegen Ortsnamen auf -es, wo es in der Mundart las casas heißt. Außer den vier Llaneces in Tineo und Allande, auf die Menendez Pidal schon 1906 hinwies (DL, p. 58 Anm. 78), z.B. Barres (Castropol), Müdes (El Franco), Tamallanes und Borres (Allande). Cf. DL, p. 58 mit der von Carmen Bobes hinzugefügten Anm. 81* und AZV 116. J. Neira Martinez, La oposicion (1978), 261 sq. hebt mit Recht hervor, daß es sich n i c h t um ein drittes Genus handelt, wie man traditionell angenommen hat. Vielmehr scheint hier eine eigene Nominalkategorie zu funktionieren, die derjenigen des Numerus vorgeordnet ist. Wie Singular und Plural, aber anders als Maskulinum und Femi-
266
III, 3 Das
Leonesische
Keine der beiden Erscheinungen setzt die andere voraus, aber beide konnten nur entstehen, solange zwischen - U und - O unterschieden wurde. Tatsächlich herrscht noch heute von Zentralasturien bis Santander der Deklinationstyp cu bzw. puircu/puercos
puer-
aus lat. P Ö R C Ü / P Ö R C Ö S . Mit Dämaso Alonso und
gegen Jesüs Neira Martinez sind wir davon überzeugt, daß es sich wirklich um eine
Konservation
handelt 26 .
Im
Galicischen
und
Portugiesischen
weisen
Umlauterscheinungen auf ein spätes Schwinden des Unterschiedes 2 7 . D e r ganze Nordwesten der Halbinsel blieb offenbar zunächst abseits, als man im größten Teil der Westromania - Ü mit - O (und ebenso -I mit - E ) zusammenfallen ließ. Schon hier zeigt sich, daß die fragliche Opposition und der Umlaut gut in den sprachlichen Rahmen des spanischen Nordwestens hineinpassen und sicherlich nicht erst im Gefolge des Arabereinfalls dort heimisch wurden. Die Geographie der beiden Erscheinungen in Asturien und Santander wird uns das bestätigen. J . Neira Martinez, in Lena geboren und aufgewachsen, w o der Umlaut noch heute üblich ist, sagt von dieser Erscheinung, sie verliere seit Jahrhunderten an Boden und sehe sich heute auf zerstreute Areale reduziert. Auch dort sei ihre Vitalität im Schwinden:
ninum haften die Spezifizierungen "kontinuierlich" bzw. "diskontinuierlich" nicht den substantivischen Lexemen im Lexikon an. Sie werden vom Sprecher je nach Redeintention ausgewählt (cf. B. Pottier, Introduction a I'etude linguistique de l'espagnol, Paris 1972, p. 109). Dem widerspricht nicht die Tatsache, daß gewisse Substantive - vgl. wieder Singular und Plural - vorwiegend oder ausschließlich mit einer der beiden Spezifizierungen verwendet werden. Entscheidet sich der Sprecher für eine Auffassung eines Begriffes als "nicht zählbar", so entfällt die Numerusopposition, im anderen Fall geht seine Entscheidung mit einer solchen für Singular oder Plural einher. Vgl. zu diesem Thema außerdem Dämaso Alonso, Metafonia, neutro de materia y colonizaciön suditaliana en la Peninsula Hispänica, letzte Fassung in ders., Obras completas I, Madrid 1972, p. 147-213, dessen diachronische Erklärung der neuen Kategorie (ausgehend von lat. Neutra des Typs O L E U M , L I G N U M , VINUM, LAC, F E R R U M etc.) wir derjenigen von Neira vorziehen. Die ältere Literatur findet man bei J . Neira und D. Alonso referiert. 26
27
Neben R. Menendez Pidal (Origenes § 35, pp. 171/172) und Dämaso Alonso ( M e t a f o nia (1972), 172/173) vertritt diese Ansicht vor allem G. de Granda Gutierrez, Las vocales finales del dialecto leones in: T D R L II, Madrid 1960, p. 27-117. In Westasturien hat sich nach dem gleichen Gewährsmann der Kontrast z.T. in der vom Vulgärlatein her zu erwartenden Form perr" - perros erhalten. In größeren Zentren sei dort - vermutlich in Anlehnung an das Galicische - Ausgleich zugunsten von -o(s) eingetreten. Südlich des Gebirges hat sich im Leonesischen -o(s) überall an -u angeglichen. Für das Areal von -u laut ALPI 27 brazo vgl. man die Isoglossen 1.1 und 5.3 unserer Karte, hier III, 3.2.3. Das Schicksal von -I scheint demjenigen von -U überall analog gewesen zu sein. Nach R. Carballo Calero, Gramätica elemental delgallego comün, Vigo 4 1974, pp. 109/ 110 ist das (offene) e bzw. ο in gal. mantelo "Schurz", rodo, porto, horto, posto und sogro geschlossener als dasjenige in mantela, roda, porta, horta, posta und sogra. Die portugiesischen Vokalalternanzen geschlossen/offen in jogo/jogos, osso/ossos, porco/porcos, novo/novos etc. sind bekannt.
J.J Die Problematik
des
267
Leonesischen
Incluso los que habitualmente realizan la /u/ final (negoctu, perru, obreru) rechazan neguciu, pirru, obriru. , dicen. Lo sienten como muy dialectal, excesivamente alejado de la norma intermedia castellano-bable. (La oposiaon (1978), 266). A u f m e r k s a m wurde man auf diese Erscheinung zuallererst in archaischen R a n d zonen Asturiens. So vor allem in Lena und Aller, w o , wie wir sahen, der T y p les cases die O b e r l ä u f e der Flüsse nicht m e h r erreicht. V o n hier aus erstreckt sich ihr Areal nordwärts über die C o n c e j o s von Riosa, M o r c i n , Mieres, Llangreu ( O r t s name Las Piezas),
San Martin del R . A . ( O r t s n a m e Murias),
Llaviana, Bimenes
sowie über Teile von S o b r e s c o b i o und Siero. Es ist dies ein G e b i e t , dessen demographische Schwäche und wirtschaftliche Rückständigkeit im D . J a h r h u n dert eine königliche Siedlungspolitik auf den Plan rief, die sich in der G r ü n d u n g von Polas konkretisierte (Pola de Lena, Pola de Siero)2'.
Pola del Pino, La Pola, Pola de
Llaviana,
N a c h einer geographischen U n t e r b r e c h u n g taucht der U m l a u t
ganz im N o r d e n am C a b o de Penas ( O r t s n a m e n Peiias und Ambas)
noch einmal
auf. G i j o n , O v i e d o und Aviles bilden mit ihrer weiteren U m g e b u n g die Schneise, die dieses nördliche Umlautgebiet vom südlichen trennt 2 '. I m Süden von Santander stieß M e n e n d e z Pidal auf ein weiteres Umlautgebiet im Pastal 30 . D a man auch in Ostasturien vereinzelt Umlauterscheinungen festgestellt hat ( R i b a desella, Cabrales etc.), ist seine Ansicht, es handle sich in Santander um zentralasturische K o l o n i e n , mit R e c h t in Zweifel gezogen w o r d e n " . D ä m a s o A l o n s o hält es für möglich, daß in der Zukunft noch weitere Fälle von Metaphonie zwischen Santander und Zentralasturien entdeckt werden 3 2 . D i e Unterscheidung zwischen einer Auffassung substantivischer Begriffe als massnouns
28
2
'
30
31
32
b z w . als countnouns
( R . J . Penny) zeigt in Asturien eine größere
Vgl. unseren Beitrag PUEBLA - PUEBLO: Aportaciön a la historia de un toponimo y de un apelativo, RFE 57 (1974/75), 211-230, dort bes. pp. 219/220. Für die geographische Verbreitung des Umlauts in Zentralasturien vergl. man A. Galmes de Fuentes, Mas datos sobre la inflexion metafonetica en el centro-sur de Asturias in: TDRL II, Madrid 1960, p. 11-25 mit einer Karte auf S. 15. Galmes de Fuentes referiert auch die ältere Literatur zu diesem Thema. Cf. Pasiegos y vaqueiros. Dos cuestiones de geografia lingüistica, Archivum (Oviedo) 4 (1954), 7-44. Ausführlich beschrieben und interpretiert wurde der Umlaut im Pastal dann von R. J. Penny. Zuerst in seiner großen Monographie El habla pasiega: Ensayo de dialectologia montanesa, London 1969, und dann in seinem Aufsatz Massnouns and metaphony in the dialects of northwestern Spain, ArchL 1 (1970), 21-30. Vgl. Dämaso Alonso, Metafonia (1972), 161/162. Für Ribadesella (Linares) wurde der Umlaut schon 1906 von Menendez Pidal selbst dokumentiert (cf. DL § 5), für Cabrales und Bimenes vergleiche man die Beiträge von Fr. Garvens und Ma. T. Cristina Garcia Alvarez in BIEA 14 (1960), 241-244 und 471-^87. Metafonia (1972), 162. Bis jetzt sind in Asturien vornehmlich Fälle mit phonologischem Umlaut registriert worden. Ein nur allophoner und daher weniger auffälliger Umlaut mag der Aufmerksamkeit seither entgangen sein (vgl. für diese Unterscheidung E. Alarcos Llorach, Remarques sur la metaphonie asturienne, CLing 3 (1958) Supliment p. 19-30.
III, 3 Das
268
Leonesische
Vitalität als der Umlaut 3 3 . In scheinbar unterlassenen Angleichungen des Typs el agua friu,
la yerba
seen findet diese Kategorie z.T. auch noch dort einen Aus-
druck, w o die Opposition - u / - o und der Umlaut fehlen bzw. aufgegeben w u r den. A u c h diese Erscheinung weist ein zerrissenes Areal auf, seine größeren Teile erscheinen in der uns schon vertrauten Randlage: Lena, Aller, Sobrescobio, C a b o de Penas, Ribadesella, Llanes, Cabrales sowie in Santander das Tal des Pas. In der asturischen Zwischenzone wurde sie vereinzelt in den Concejos von Colunga, Cabranes, Bimenes, Pravia und sogar Oviedo dokumentiert 3 4 . 3.3.2.5
Unsere Vermutung geht also dahin, daß die Verbreitung und Vitalität
der eben besprochenen Erscheinungen Hinweise geben auf das relative Gewicht und den relativen Einfluß der Alteingesessenen ( g u e t u ~ g o t u , la yerba etc.) und Zugewanderten (les cases, cantaben
ta seco
etc.), die sich in der asturischen
Zeit des Königreiches nördlich des kantabrischen Gebirges miteinander arrangieren mußten: la afluencia de godos rodriguistas, huidos de la invasion musulmana, no pudo, naturalmente, ser bastante numerosa para cambiar en mucho las corrientes lingüisticas indigenas, {Origenes § 94,4 p.449). Als zu Beginn des 10. Jahrhunderts die Hauptstadt von Oviedo nach L e o n verlegt wurde, ging die sprachliche Ausstrahlungskraft Oviedos zurück. Die Täler Asturiens blieben wieder sich selbst überlassen. In der neuen Hauptstadt im Süden behielt las casas gegenüber les cases die Oberhand. 3.3.2.6
Einen weiteren innerleonesischen Gegensatz hebt Menendez
selbst 1926 in seinen Origenes
Pidal
de espanol hervor 3 5 ; denjenigen zwischen dem
asturischen A l t l a n d und den K o l o n i s a t i o n s g e b i e t e n im Süden 36 :
33 34
35
36
Cf. J . Neira Martinez, La oposiciön (1978), 275. Man vgl. die Karte, die A. Ma. Cano Gonzalez et alii, Gramätica bable, Oviedo 1976, p. 110 geben. Auf ihr sind alle asturischen Concejos schraffiert, in denen die Opposition "kontinuierlich'V'diskontinuierlich" bislang angetroffen worden ist. Ganz allgemein kann man sagen, daß Menendez Pidal nach 1906 kaum mehr auf die relativa unidad des Leonesischen, aber sehr ausführlich auf die Relativität dieser Einheit zu sprechen gekommen ist. 1926 beschäftigen ihn in den Origenes § 94 vor allem die aus der mittelalterlichen Geschichte selbst zu erklärenden innerleonesischen Gegensätze. Später sind es diejenigen, die er mit süditalischer Kolonisation (cf. Pasiegos y vaqueiros (1954), A propositi) de L y LL latinas (1954)) bzw. mit dem Uberleben sprachlicher Traditionen in den wieder neu besiedelten Gebieten des Duerobeckens in Verbindung bringt (vgl. die folgende Anmerkung). Es ist daher sehr bedauerlich - vielleicht aber auch signifikativ - , daß eine schon 1906 (DL, p. 14) und zum zweiten Mal 1954 in Pasiegos y vaqueiros (1954), 7 angekündete Überarbeitung von El dialecto leones durch den Autor nicht mehr erschienen ist. Die von CI. Sanchez - Albornoz aufgestellte These von der Entvölkerung des Duerobeckens war damals noch ganz jung (cf. Origenes 441, Anm. 2). Menendez Pidal hat sich ihr zunächst angeschlossen. Später kam es zu einer Kontroverse zwischen ihm und seinem Schüler. Menendez Pidal wollte despoblaciön jetzt vor allem als Auflösung der
3.3 Die Problematik des Leonesischen
269
la repoblacion de la reconquista produjo el efecto de uniformar en gran parte la lengua de las regiones repobladas, a diferencia de las regiones del Norte, mäs ricas en variedades dialectales. (Origenes § 92,4 p.445)
Unter 111,3.2.1.5 haben wir die Ansicht vertreten, daß es in den nach 1037 (1. Annexion Leons durch Kastilien) neubesiedelten Gebieten zu einer solchen Vereinheitlichung nicht mehr gekommen ist. Genauer gesagt: diese bestand dort gerade in der Kastilisierung. Dagegen dürften zwischen der ersten Wiederbesiedlung Leons (a. 856) und Zamoras (a.893) und a. 1037 historische Bedingungen bestanden haben, die eine gewisse Vereinheitlichung der Siedlermundarten auf dem Boden der heutigen Provinzen Leon und Zamora unter dem Einfluß der neuen Hauptstadt begünstigten. Die Siedler dieser Zone stammten freilich nur zum Teil, vielleicht sog. zum geringeren Teil aus Asturien: Ortsnamen verweisen außer auf Asturianos und Navianos (vom Naviafluß an der galicisch-leonesischen Sprachgrenze) auf Toldanos (aus Toledo), Madridanos (aus Madrid), Coreses (aus Coria), Castellanos, Meneses (vom Menafluß nördl. Burgos) und insbes. auch auf Gallegos Es ist nun interessant zu beobachten, welche Rolle z.B. die in den vorhergehenden Abschnitten besprochenen asturischen Erscheinungen nach dem Zeugnis der modernen Mundarten bei dieser Vereinheitlichung gespielt haben: Die Phänomene des Typs les cases, la Yerba ta seen, guetu ~ gotu, die auch in Asturien nur regional gelten, hatten offenbar keine Chance sich durchzusetzen. Dagegen treffen wir auch südlich des Kantabrischen Gebirges dort, wo der Dialekt erhalten ist, auf gatu (geg. galicisch und kast. gato) und (sicherlich nicht so durchgehend) auf pequenin, die in ganz Asturien zu Hause sind. Was sich durchsetzt ist freilich die materielle Form, nicht der etymologisch gerechtfertigte Deklinationstyp gatu/gatos bzw. pequenin/pequeninos. An seiner Stelle finden wir gatu/ gatus58 und pequenin/pequemnes (entsprechend pan/panes etc.)3'. Es hat eine Uminterpretierung der asturischen Formen im Munde neuer Sprecher stattgefunden.
37
38
39
administrativen Strukturen verstanden wissen (cf. Dos problemas iniciales (1960), 1. Repoblacion y tradieiön en la cuenca del Duero). Sanchez - Albornoz trieb in seiner zusammenfassenden Darstellung Despoblaciön y repoblacion en el valle del Duero, Buenos Aires 1966, seine These von der physischen Entvölkerung auf die Spitze. Cf. Origenes § 92, 1 und 2. Einige dieser Ortsnamen kommen mehrmals vor. Menendez Pidal erwähnt Gallegos, Villagallegos und Galleguillos (de Campos) in Leon. In Zamora fanden wir Gallegos del Campo, ~ del Rio und ~ del Pan. Auch die zahlreichen Bercianos (aus El Bierzo im N W der Provinz Leon) dürften zu einem guten Teil Galicisch gesprochen haben (vgl. Bercianos del Paramo und ~ del Real Camino in Leon sowie Bercianos de Valverde, ~ de Aliste und ~ de Vidriales in Zamora). Der ALPI (Blatt 72 los domingos) gibt außerhalb Asturiens an den Punkten 326, 327, 329, 337, 338 und 347 sowie an allen auf portugiesischem Staatsgebiet liegenden Punkten unserer Kombinationskarte domingus. Dieses Wort ist vielleicht nicht geeignet, ein genaues Bild von der Verbreitung dieser Erscheinung zu vermitteln. 61 cunados entfällt aus anderen Gründen (cuhaus ist auch im volkstümlichen Kastilisch weit verbreitet). Cf. supra III, 3.3.1.4 mit Anm. 13.
270
III, 3 Das Leonesische O b diese modifizierten Erscheinungen asturischer Provenienz jemals inte-
grierende Bestandteile eines ephemären mit der Hauptstadt Leon als Zentrum gewesen sind, bleibt zweifelhaft 40 . In den von Menendez Pidal untersuchten lateinischen* Dokumenten des 10. und 11. Jhs. aus dem leonesischen Raum dominiert jedenfalls -o/-os". Dies gilt auch für die von E. Staaff untersuchten romanischen Urkunden aus dem 12. und 13. J h . Insofern hier -u bzw. -us häufiger auftreten, geschieht dies in Urkunden aus Gegenden, die -u bis heute bewahrt haben 42 . 3.3.2.7
Sehr viel knapper und ohne Nennen sprachlicher Beispiele weisen wir
noch auf eine Reihe anderer Tatsachen hin, die aus der mittelalterlichen Geschichte der Halbinsel bekannt sind und geeignet scheinen, die geringe sprachliche Integrationskraft des leonesischen Königreiches mitzuerklären: Von allem Anfang an umfaßte die Monarchie Gebiete, die sich sprachlich schon weit auseinanderentwickelt hatten: das alte Gebiet der callaeci einerseits - in dem sich später die Sueben etablierten - , dasjenige der Asturer und Kantabrer andererseits. Dieser Gegensatz hat sich in leonesischer Zeit eher noch vertieft: das politische Zentrum des Königreiches lag zwar immer in der zentralen Zone des Reiches (Cangas de Onis, Pravia, Oviedo, Leon), kulturell dominierte aber Galicien, spätestens seitdem - nach der Entdeckung des Apostelgrabes zu Beginn des 9. Jahrhunderts - die Wallfahrten nach Santiago de Compostela einsetzten. Es ist bekannt, welche Rolle das Galicische als Sprache der Poesie noch unter kastilischer Herrschaft gespielt hat. Diese Stellung des Galicischen mußte um so schwerer wiegen, als man für alles Geschriebene noch lange beim Gebrauch des Latein bzw. eines latin vulgar leones (cf. supra III, 3.3.2.1 mit Anm. 17) blieb. Der definitive Ubergang zum Romanischen vollzog sich in der
40
N a c h einer Auskunft von Prof. E. Bustos Tovar (Salamanca) soll E . Alarcos Llorach
gelegentlich vom Leonesischen als einem proyecto de lengua fracasado gesprochen haben. 41
«En los diplomas leoneses y aragoneses, aunque domina -o, se hallan mas ejemplos de -u que en los castellanos, y parece que la proclisis los favorece» (Ortgenes, p. 171). U n d den PI. betreffend: «.. .en regiones donde el singular de los sustantivos en -u debia ser abundante, hallamos el plural influido p o r ese singular:...» (ebenda, p. 169). Die zahlreichsten Beispiele ergibt eine Urkunde aus Leon (a. 1061) mit: Barrelus, esitus,
42
Gemeint sind die Dok. I X (Piasca, Santander, a. 1229) und X C I I (Ponferrada?, Leon, a. 1264) seiner Sammlung. In I X zählen wir 21 Fälle von durchgehend etymologischem
ortus, meus, mallollu, centu neben molinos und vielen Singularen auf -o.
-u (maiuelu, annu, oficiu plenu etc.). Auch -o erscheint, Eigennamen ausgenommen, mit wenigen Ausnahmen entsprechend der Etymologie (z.B. alle 1. Pers. Sing, der
Konjugation u. Regnando, me scriuio), so daß man in trigo, centeno und que cunplan aquesto wohl das -o vor sich hat. Dok. X C I I verstößt (entsprechend seiner vermuteten geographischen Herkunft) mehrmals gegen die Etymologie: por todos
tiampus, recibu de uos, ffuse malditu & descomungado, entio enffemu dannado, robro & conffirmu, de Cubielus. Übrigens auch mit -i: la carta permanezca & ffirmi. Nur ganz sporadisch erscheint - « in den Dokumenten X I I , X X X V I I , X L I I , L X V I , L X X X I V , C .
3.3 Die Problematik des Leonesischen
271
juristischen Gebrauchsprosa in jener Zeit, in der Leon endgültig in Kastilien aufging (a. 1230). Fremder Einfluß machte sich im zentralen Teil des Königreiches nicht nur durch die erwähnte Beteiligung von Galiciern, Mozarabern, Kastiliern, später auch Navarresen und Portugiesen an der leonesischen repoblacion geltend. Seit dem Beginn des 10. Jahrhunderts (Alfons III.) und zunächst bis 985 übte Navarra einen zunehmenden Einfluß auf Leon und das sich allmählich verselbständigende Kastilien aus. Die Christen in den Pyrenäen profitierten damals vom Handel des Kalifats mit Zentraleuropa. Asturien-Leon lag wirtschaftlich abseits. Im 10. Jhdt. hält sich fast kein König auf dem leonesischen Thron, der nicht sowohl eine Navarresin zur Mutter hat als auch mit einer Prinzessin aus diesem Hause verheiratet ist. Nach einer kurzen Periode der Auflehnung gegen diese Vormundschaft, während der die Vorherrschaft Navarras über die übrigen christlichen Gebiete der Halbinsel einschließlich Kastilien mit Sancho el Mayor ihren Höhepunkt erreicht, tritt mit Ferdinand I. die navarresische Dynastie auch in Leon die Herrschaft an (a. 1037). Leon wird kastilische Sekundogenitur. Seine neuerliche Unabhängigkeit von Kastilien zwischen 1157 und 1230 ist von vornherein bedroht. Uber Navarra und den Camino de Santiago verstärkte sich auch der französische Einfluß auf Leon.
3.3.3
Ergebnis
Im Nordwesten der Pyrenäenhalbinsel läßt sich zwischen dem Galicisch-Portugiesischen und Kastilischen eine weitere iberoromanische Einheit abgrenzen. Der Name , den ihr Menendez Pidal und Erik Staaff gegeben haben, scheint zunächst mehr zu versprechen, als er halten kann: zu keiner Zeit hat es eine auch nur annähernde Übereinstimmung zwischen den Grenzen des leonesischen Königreiches und denjenigen des leonesischen Dialekts gegeben". Die Innovationen, die das Leonesische in seiner Gesamtheit gegenüber beiden Nachbarn charakterisieren, gehören (alle?) nach Ursprung und Verbreitung in eine ältere Zeit. Sie wurden erst durch die Reconquista im Leonesischen eingeschlossen. Genauer besehen scheint sich aber auch hier Nebrijas Formel que siempre la lenguafue
companera del imperio zu bewahrheiten: die leonesische Macht zielte
politisch und sprachlich weniger auf Innovationen als auf Restauration. Sowie ihr politisches Programm nicht ausreichte, um die Emanzipation der Flügel zu verhindern, so war auch dieser sprachliche Konservativismus nicht geeignet, den schon bestehenden Gegensatz zum Galicischen rückgängig zu machen bzw. die sprachliche Emanzipation Kastiliens zu verhindern. Nicht einmal die Mundarten
43
Das alte Königreich umfaßte noch Galicien und die Grafschaften Portugal und Kastilien. Die beiden letzteren waren schon selbständig, als Leon 1157 noch einmal politisch erstand. Galicien gehörte auch jetzt wieder dazu, im Osten, in Santander dagegen allenfalls noch Liebana (cf. D L 14—21).
272
III, 3 Das Leonesische
des Teils des Reiches weisen mit Sicherheit auf den unifizierenden E i n f l u ß einer leonesischen Reichssprache hin. Es ist kein Zufall, wenn die Sprecher dieser Mundarten selbst keine Erinnerung an eine spezifisch leonesische Sprachgemeinschaft tradieren. A m Leonesischen interessiert in erster Linie, daß es n o c h heute einen Ausblick auf einen älteren sprachlichen Zustand der H a l b i n sel ermöglicht.
Literaturverzeichnis
Die folgenden Listen enthalten nur b e n ü t z t e Literatur. Nicht benützte Titel wurden auch dann nicht aufgeführt, wenn sie in der Arbeit im Rahmen bibliographischer Hinweise erwähnt und hinreichend bibliographisch gekennzeichnet wurden (vgl. insbesondere I, 5.0 Anm. 2; II, 3.0 Anm. 2; II, 4.0 Anm. 6; II, 5.0 Anm. 1; II, 6.0 Anm. l ^ t ; III, 3.2.3 und III, 3.2.5.1). A b k ü r z u n g e n (soweit es sich um Zeitschriften handelt, sind es diejenigen der Bibliographie linguistique) sind im Verzeichnis pp. XIII/XIV aufgelöst. Beim Z i t i e r e n geben wir nach dem Verfasser zunächst einen gekürzten Titel. Die folgende runde Klammer enthält auf jeden Fall die Jahreszahl der benützten Ausgabe, die auch für die Anordnung der Werke eines Verfassers im Literaturverzeichnis ausschlaggebend ist. Vor dieser Jahreszahl erscheint in derselben Klammer - soweit bekannt und in diesem Zusammenhang von Interesse - die Jahreszahl des ersten Vortrags bzw. des ersten Erscheinens. Nach der Klammer folgt die Seitenangabe. Das Literaturverzeichnis gliedert sich in vier a l p h a b e t i s c h e L i s t e n mit den Überschriften A. Allgemeine Literatur B. Sprachliche Differenziertheit: Mundartforschung, Sprachsoziologie, Sprachtypologie, Kreolistik C. Rätoromanisch D. Leonesisch A. Allgemeine
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Karte 1
K. Haag: Die schwäbisch-alemannische Sprachgrenze in Württemberg, Westhälfte. Von Haag vereinfachte Version der 12farbigen Baarmundartenkarte von 1898, aus dem Anhang von ders.: Sprachwandel im Lichte der Mundartgrenzen (1929/30).
Karte 2
K. Haag: Die schwäbisch-fränkische Sprachgrenze in Württemberg, östliche Hälfte: von Backnang bis Dinkelsbühl. Aus dem Anhang zu dem gleichnamigen Beitrag Haags von 1927.
Karte 3
K. Haag: Die Sprachlandschaften Oberitaliens· Nach Bd. I des AIS, aus dem gleichnamigen Beitrag Haags von 1930, dort zw. p. 464 und p. 465.
Karte 4
R. Grosse: Kombinationskarte des Meißnischen. Aus ders.: Die obersächsischen Mundarten und die deutsche Schriftsprache (1961), dort zw. p. 22 und p. 23.
Karte 5
W. G. Moulton: Bezugskarte für die palatalen Kurzvokale (ohne i) im Norden der Schweiz. Aus ders.: The short vowel systems of northern Switzerland (1960), 157.
Karte 6
W. G. Moulton: Bezugskarte für die velaren Kurzvokale (ohne u) im Norden der Schweiz. Aus ders.: The short vowel systems . . . (1960), 160.
Karte 7
W. G. Moulton: Struktur der Phoneme /e έ H im Norden der Schweiz. Aus ders.: Phonologie und Dialekteinteilung (1963), 79. Über J. Goossens: Strukturelle Sprachgeographie (1969), 123.
Karte 8
J. Goossens: Isoglossen-Bezugskarte der ungerundeten palatalen Längen im Norden der Schweiz. = Karte 8, unter dem Gesichtspunkt besserer Lesbarkeit überarbeitet. Aus J. Goossens: Strukturelle Sprachgeographie (1969), 124.
Karte 9
J. Lang: Das Leonesische im NW Spaniens, abgegrenzt nach den unter III, 3.2.7 (Ende) genannten Kriterien.
Karte 10
Karte 1
Die Sprachgrenzen des oberen Neckar- und Donaulands nach dem numerischen Stärkegrad dargestellt (K. Haag)
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Das Leonesische im NW Spaniens, abgegrenzt nach den unter III, 3.2.7 (Ende) genannten Kriterien Gal.-Port.
Leonesisch
Kastilisch