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German Pages 215 Year 1957
Wirtschaftswissenschaftliche Abhandlungen Heft 6
Die theoretischen Grundlagen David Ricardos im Lichte des Briefwechsels Von Eleonore Lipschitz
Duncker & Humblot · Berlin
ELEONORE
LIPSCHITZ
D i e theoretischen Grundlagen D a v i d Ricardos i m Lichte des Briefwechsels
Wirtschaftswissenschaftliche
Abhandlungen
Volks- u n d betriebswirtschaftliche Schriftenreihe der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der F r e i e n Universität B e r l i n herausgegeben von D i p l . - K f m . D r . phil. E r i c h
Kosiol
o. Prof. der Betriebswirtschaftslehre und
D r . phil. A n d r e a s
Paulsen
ο. Prof. der Volkswirtschaftslehre
Heft 6
Die theoretischen Grundlagen D a v i d Ricardos i m Lichte des Briefwechsels
Von
Dr. E l e o n o r e
D U N C K E R
&
Lipschitz
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1957 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1957 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin SW61 Printed i n Germany
Inhalt Seite Einleitung I.
Kapitel:
Die Entstehung der „Principles of Political Economy and T a x a t i o n " II.
7
9
Kapitel:
Die E n t w i c k l u n g der Werttheorie bei D a v i d Ricardo u n d die Diskussion zwischen Ricardo u n d seinen Freunden über dieses Thema
38
1. Das Tauschwertproblem als Ausgangspunkt der theoretischen Überlegungen Ricardos
38
2. Der Grundgedanke des Ricardianischen Systems
41
a) Voraussetzungen u n d methodisches Vorgehen
41
b) Die Tauschwertregel u n d ihre Modifikationen
49
c) Ausschaltung der Modifikationen
58
3. Der Wertmaßstab
64
4. Ricardos letzte Untersuchung des Wertproblems
70
5. Die K r i t i k von Malthus an der Wertlehre Ricardos
76
a> Die Wertbetrachtung von Malthus a) Das methodische Vorgehen von Malthus
76
β) Die Tauschwertlehre von Malthus
77
b) Das Wertproblem i m Briefwechsel zwischen Ricardo u n d Malthus III.
76
83
Kapitel:
Die Diskussion zwischen Ricardo u n d Malthus über das Problem einer allgemeinen Überproduktion 100 Schlußbemerkung
120
Anhang
123
Vorbemerkungen zu dem Aufsatz Ricardos: „Absoluter Wert u n d Tauschw e r t " (1823) u n d dem zur gleichen Zeit stattfindenden Briefwechsel Ricardos m i t Malthus, McCulloch u n d J. M i l l über dieses Thema 125 Absoluter Wert u n d Tauschwert. Erster E n t w u r f
127
Absoluter Wert u n d Tauschwert. Zweite, unvollendete Version
154
6
Inhalt
Briefe:
Seite
Ricardo an Malthus am 29. 4.1823
165
Ricardo an Malthus am 28. 5.1823
168
Ricardo an Malthus am 13. 7.1823
170
Malthus an Ricardo am 21. 7.1823
173
Ricardo an Malthus am
3. 8.1823
176
Malthus an Ricardo am 11.8.1823
181
McCulloch an Ricardo am 11. 8.1823
186
Ricardo an Malthus am 15. 8.1823
189
Ricardo an McCulloch am 15. 8.1823
195
Ricardo an McCulloch am 21. 8.1823
199
Malthus an Ricardo am 25. 8.1823
203
McCulloch an Ricardo am 24. 8.1823
206
Ricardo an Malthus am 31. 8.1823
208
Ricardo an M i l l am 5. 9.1823
210
Literaturverzeichnis
213
Einleitung Die vorliegende Arbeit fußt i m wesentlichen auf den i m Jahre 1951 erschienenen „Works and Correspondence of David Ricardo", herausgegeben von Piero Sraffa unter Mitarbeit von M. H. Dobb. Der Briefwechsel zwischen Ricardo und seinen Freunden, der allein vier von den neun Bänden füllt, enthält 555 Briefe, von denen über die Hälfte früher noch nicht veröffentlicht worden ist. Besonders die ausgedehnte Korrespondenz zwischen James M i l l und Ricardo, die die Entstehungsgeschichte der „Principles of Political Economy and Taxation" von Ricardo anschaulich beleuchtet, gibt Aufschluß über die vielfachen inneren Hemmungen, die Ricardo zu überwinden hatte, ehe die Principles i n der endgültigen Formulierung vorlagen. Das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit ist diesem Zeitabschnitt gewidmet. Ebenso wurden die lange verloren geglaubten Briefe von Malthus an Ricardo zum ersten M a l i n den „Works and Correspondence of David Ricardo" veröffentlicht; sie sind, soweit sie sich m i t den Problemen der Überproduktion, des Tauschwertes und des absoluten Wertes beschäftigen, i m zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit herangezogen worden. Der ebenfalls zum ersten M a l veröffentlichte Aufsatz Ricardos „Absoluter Wert und Tauschwert", an dem Ricardo i n den letzten Wochen seines Lebens gearbeitet hat, ist, zusammen m i t den Briefen, die Ricardo m i t zur Grundlage seiner Ausführungen machte, i n eigener Übersetzung als Anhang dieser Arbeit beigefügt worden.
I. K a p i t e l
D i e E n t s t e h u n g der "Principles of Political Economy and Taxation" Die „Principles of Political Economy and Taxation", die Aufsätze, Reden und Briefe zu nationalökonomischen Problemen, die uns Ricardo hinterlassen hat, haben einmal ihren Ursprung in dem außerordentlichen Interesse, das Ricardo diesem Wissensgebiet entgegenbrachte, und dem er fast alle seine Mußestunden widmete, zuerst angeregt durch Adam Smith' Buch „Natur und Ursachen des Volkswohlstandes", das er 1799 während einer Urlaubsreise las. Jedoch soll eine zweite Triebkraft seines Forschens nicht unerwähnt bleiben: Ricardos Intelligenz wollte sich auch außerhalb seiner erfolgreichen Berufstätigkeit beweisen. Er hatte seinem ehrgeizigen Streben zum Ziel gesetzt, trotz lückenhafter Bildung i n der Jugend den Beweis zu erbringen, daß er nicht nur denen gleich sei, die i n ihrer Kindheit weit mehr Gelegenheit hatten zu lernen als er, sondern daß er sie vielleicht auch auf seinem Forschungsgebiet an Schärfe des Geistes übertreffen könne. Immer wieder w i r d es i n Ricardos Briefen sichtbar, daß i h n geschäftlicher Erfolg kaum berührte i m Vergleich zu einem lobenden Wort über seine Schriften aus dem Munde eines gelehrten Zeitgenossen. Die Bemerkung Professor Stiglers 1 , daß Ricardo doch ein glücklicher Memsch gewesen sei, w e i l er i n einer Zeit gelebt habe, i n dem es noch dem unverbildeten Genie möglich gewesen ist, die nationalökonomische Theorie u m neue Gedanken zu bereichern oder sie gänzlich umzuformen, erfährt eine gewisse Einschränkung, wenn w i r von Ricardos Unsicherheit und den Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten i n seinen Briefen an seine Freunde lesen. Gewiß waren es für Ricardo glückliche Augenblicke, wenn er sich von Fachgelehrten seiner Zeit bestätigt sah, jedoch ist i h m oft die mangelnde allgemeine Wissengrundlage bitter zum Bewußtsein gekommen. Zwar stattete i h n sein Vater, als er i h n m i t 14 Jahren i n die Börse schickte, „ m i t Vollmachten aus, die selten Leuten zugestanden werden, die beträchtlich älter sind als er da1 George J. Stigler, Sraffas Ricardo. I n der Zeitschrift The A m e r i c a n Economic Review, Volume X L I I I , N u m m e r 4, T e i l i, September 1953, S. 58.
10
Entstehung der "Principles of Political Economy and T a x a t i o n "
mais w a r " 2 , jedoch um den Preis „einer vernachlässigten Erziehung", wie er an M i l l i m Jahre 1817 schreibt, „und jetzt ist es zu spät, noch etwas zu reparieren" 3 . Ehe sich Ricardo der Nationalöknomie zuwandte, versuchte er während seiner Mußestunden, sich i n Mathematik, Chemie, Geologie und Mineralogie weiterzubilden, um dem empfundenen Mangel abzuhelfen. Er baute sich auch ein kleines Laboratorium auf und legte eine Gesteinssammlung an. Jedoch zeigte sich gerade bei den Arbeiten auf nationalökonomischem Gebiet, wie ihm oft mehr die Form als der Inhalt der Arbeiten Schwierigkeiten bereitete. Minderwertigkeitsgefühle und Zweifel an dem eigenen Können haben Ricardo deshalb oft bedrückt, die Umsetzung der eigenen Gedanken i n geschriebene Worte ist i h m nicht immer gelungen. Er hat das Ringen u m die Synthese von Form und Inhalt verloren, und mit tiefer Niedergeschlagenheit und Bitterkeit hat er diesen Mangel seiner Fähigkeiten beklagt. A m deutlichsten geht dies aus dem Briefwechsel zwischen Ricardo und seinem Freund James M i l l 4 während der Jahre 1815 bis 1818 hervor. Die Briefe von M i l l beleuchten sehr aufschlußreich die Rolle, die er bei Ricardos schriftstellerischer und politischer Karriere spielte. Man hat James M i l l den schottischen Impresario 5 Ricardos genannt, aber er war mehr als das, er war Ricardos gütiger, wenn auch strenger Lehrer, der m i t psychologischem Feingefühl seinen sehr begabten und ehrgeizigen, wenn auch widerspenstigen und mit sich selbst unzufriedenen Schüler zu leiten wußte. M i l l übte von allen Freunden den stärksten Einfluß auf Ricardo aus. Ricardo selbst schätzte i h n als eine der besten geistigen Kapazitäten seiner Zeit und „sein Urteil hatte für i h n größeres Gewicht als das aller anderen Menschen 6 ." M i l l war zutiefst davon überzeugt, daß Ricardo etwas Bedeutendes auf nationalökonomischem Gebiet leisten könne, und deshalb hat er mit Geduld 2 A Memoir of D a v i d Ricardo. Wahrscheinlich verfaßt v o n Moses Ricardo, einem Bruder D a v i d Ricardos. I n : Works of D a v i d Ricardo, Bd. 10 (erschienen 1955), S. 4. 3 Ricardo an M i l l am 12.9.1817, Works, Bd. 7, S. 190. Ricardos Bruder Moses sieht diese Tatsache jedoch i n einem anderen L i c h t : „ D a v i d Ricardo hatte keine „klassische Schulbildung", u n d ich zweifle, ob sie i h m genützt hätte, ob nicht sein Verstand i n jugendlichem A l t e r dann i n eine Richtung gedrängt worden wäre, die, abseits v o m eigenen tiefen Nachdenken, . . . n u r passiv die Ideen anderer Menschen nachempfinden läßt. »(Works, Bd. 10, S. 4). D a v i d Ricardo schickte seine Söhne Osman, D a v i d u n d M o r t i m e r auf die Universität Cambridge. 4 James M i l l (1773—1836) veröffentlichte i m Jahre 1808 eine Schrift: Commerce Defended, die er i n seinem späteren Leben mehr deshalb lobte, w e i l „sie i h m die Freundschaft m i t Ricardo vermittelte, die wertvollste u n d engste Freundschaft seines Lebens". (John Stuart M i l l i n „Principles of P o l i t i c a l Economy", Buch I I I , K a p i t e l X I X , § 4. Ashley's Edition, 1909, S. 563.) 5 Stigler, a. a. O., S. 5. 6 A Memoir of D a v i d Ricardo. Works, Bd. 10, S. 9.
Entstehung der "Principles of Political Economy and T a x a t i o n "
und immer wiederholtem Zuspruch ihn an seine Verpflichtung erinnert, seine Gedanken, die für die Menschheit Fortschritt und Glück bedeuten könnten, ohne Zögern zu Papier zu bringen. Ricardo veröffentlichte i m Jahre 1815 eine „Abhandlung über den Einfluß des niedrigen Kornpreises auf den Kapitalprofit 7 ", „obwohl ich keine schriftstellerischen Fähigkeiten habe 8 ", wie er an Say schreibt, und James M i l l hat ihn wissen lassen, daß viele, die den Essay on Profits gelesen hätten, i h n dahingehend kritisierten, daß er i n seiner Darstellung nicht ausführlich genug gewesen wäre und sie i h n daher einfach nicht verstanden hätten. M i l l schlug Ricardo vor, das Thema noch einmal zu behandeln, aber viel breiter und sorgfältiger i n der Beweisführung. „Aber", wendet Ricardo sofort ein, „ich fürchte, ein solches Unternehmen übersteigt meine Kräfte 9 ." I m Sommer 1814 hatte sich Ricardo ein Landgut 1 0 i n der Grafschaft Gloucestershire gekauft, nicht, u m sich ganz von der Börse zurückzuziehen, „sondern um einige Monate i m Jahr die Stille des Landlebens zu genießen" 11 . „ D u hast jetzt nun soviel Geld verdient, wie nur der Wohlfahrt Deiner Familie förderlich sein kann" 1 2 , kommentiert M i l l den Entschluß seines Freundes und ermahnt i h n zugleich, die Ruhe der ländlichen Umgebung zur Niederschrift seiner Gedanken auszunutzen. Er w i l l Ricardo den möglichen Ruhm, den er durch ein umfassendes nationalökonomisches Werk an seinen Namen heften kann, nicht als i n erster Linie erstrebenswertes Ziel vor Augen halten, sondern „ D u kannst zum Ausbau einer Wissenschaft beitragen, von deren Fortschritt das Glück der Menschen abhängt. I n der Tat kannst Du mehr zur Verbesserung dieser wichtigen Wissenschaft tun als irgendein anderer, der sich ihr seit, Gott weiß wieviel, Jahren widmet oder zu widmen scheint 7 A n Essay on the Influence of a L o w Price of Corn on the Profits of Stock (1815); i m folgenden T e x t kurz „Essay on Profits" genannt. 8 Ricardo an Say am 18. 8.1815. Ricardo bedankt sich i n diesem Brief f ü r die Übersendung von Says Buch „Catéchisme d'Economic politique". Works, Bd. 6, S. 249. 9 Ebenda, S. 249. 10 Gatcomb Park liegt i n der Nähe der Stadt Minchinhampton, etwa 145 k m westlich von London. 11 Ricardo an Sir John Sinclair (1754—1835). Sinclair w a r der erste Präsident des Board of Agriculture, er veröffentlichte Bücher über finanzwissenschaftliche Themen. Works, Bd. 6, S. 150. is M i l l an Ricardo am 23. 8.1815. Works, Bd. 6, S. 251. Das Vermögen Ricardos w i r d w i e folgt beziffert: Landbesitz £ 275.000 Hypothekenforderungen £ 200.000 Französische Anleihen £ 140.000 I n seinem Testament bestimmte Ricardo, daß seine F r a u aus den Erträgen seines Vermögens jährlich £ 4.000 bekommen sollte. Dieses Einkommen werde sie an die Schwelle des Armenhauses bringen, kommentierte Mrs. Ricardo diese Bestimmung. (Works, Bd. 10, S. 102).
12
Entstehung der "Principles of Political Economy and Taxation"
—• meine Freundschaft zu Dir, zur Menschheit und zur Wissenschaft drängt mich, D i r keine Ruhe zu lassen, bis Du völlig i n der Nationalökonomie aufgegangen bist 1 3 ." Ricardo glaubt, die Absichten seines Freundes zu durchschauen, denn er ist davon überzeugt, daß Mills etwas wegwerfende Bemerkung über den persönlichen Ruhm gerade seinen Ehrgeiz anstacheln soll. Es w i r d sich immer wieder zeigen, daß M i l l damit eine wesentliche Triebkraft für Ricardos Arbeiten auf nationalökonomischem Gebiet angesprochen hat. Ricardo hofft und wünscht, sich nicht nur bei seinen Freunden, sondern auch i n der Öffentlichkeit bestätigt zu finden. Alle Klagen über mangelndes Können werden von seinen Freunden mit glänzendem Lob seiner Fähigkeiten beantwortet, und es ist immer wieder zwischen den Zeilen der Briefe Ricardos zu lesen, daß er diese A n t w o r t auch erhofft. Wenn er zum Beispiel Mills Lob zurückweist: „Deine Meinung ist wirklich völlig irrig, (daß ich etwas auf nationalökonomischem Gebiet leisten könne); wenn D u nur beobachten könntest, welche geringen Fortschritte ich bei der Niederschrift meiner Gedanken über jenes Problem mache, das mich doch am meisten beschäftigt hat, so würdest D u von Deinem I r r t u m überzeugt sein und m i r als Freund empfehlen, unbekannt zu bleiben und nichts zu versuchen, was meine Kraft übersteigt 1 4 ", dann wäre es doch naheliegend gewesen, daß Ricardo nun die Feder zur Seite legte und sich einem anderen Interessengebiet zuwendete. Abgesehen davon, daß er schon „völlig i n der Nationalökonomie aufgegangen w a r 1 5 " , glaubte er eben doch i m Grunde seines Herzens, daß er die wichtige nationalökonomische Wissenschaft verbessern könne, wie es ihm M i l l 1 6 nahegelegt hatte, so daß er „das Experiment versuchen und soviel Zeit wie möglich dem Überdenken und der Niederschrift nationalökonomischer Themen widmen w i l l — ich w i l l m i r selbst eine Erfolgschance geben 17 ." Sogleich setzt Ricardo natürlich abschwächend hinzu: „ A u f jeden Fall w i r d für mich die Beschäftigung mit dem Thema instruktiv und unterhaltend sein, auch wenn nichts dabei herauskommt 1 8 ." Auch sein Freund Trower 1 9 bestürmt ihn, sich nicht etwa i n der neuen Umgebung m i t landwirtschaftlichen Problemen zu beschäftigen, das sei etwas für jene, die sonst keine anderen Ideen is M i l l an Ricardo am 23. 8.1815, Works, Bd. 6, S. 252. •(In den folgenden Anmerkungen w i r d i m m e r n u r auf die Bandzahl der „Works of D a v i d Ricardo" hingewiesen.) ι 4 Ricardo an M i l l , am 30. August 1815, Bd. 6, S. 262. Die Worte i n K l a m mern sind zur Vervollständigung des Satzes eingefügt, is M i l l an Ricardo, Bd. 6, S. 251. 16 Ebenda, Bd. 6, S. 251. u n d is Ricardo an M i l l , Bd. 6, S. 263. is Hutches Trower (1777—1833) w a r w i e Ricardo Börsenmakler. I h r e Freundschaft begann schon i n den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts, als sie sich täglich an der Börse trafen.
Entstehung der "Principles of Political Economy and T a x a t i o n "
produzieren könnten. Aber „nachdem Sie soviel Mußestunden Ihrem Lieblingsthema, der Nationalökonomie, gewidmet haben, wäre es unverzeihlich, wenn Sie jetzt, da Sie mehr Gelegenheit dazu haben, nicht die Substanz ihrer früheren Überlegungen sammeln, verdichten und ordnen wollten 2 0 ." Auch er tröstet Ricardo, der sich ebenfalls bei i h m über sein Unvermögen, überhaupt einen Stoff richtig gliedern zu können, beklagt hat, m i t dem Hinweis: „Das geht allen jungen Autoren so und kann nur durch Fleiß und praktische Übung überwunden werden 2 1 ." Für M i l l besteht kein Zweifel darüber, daß sich Ricardo fest an seine Aufgabe gebunden fühlt, und er verlangt kategorisch von ihm, „von den Fortschritten zu berichten, die inzwischen m i t dem Buch gemacht worden sind 2 2 ." Aber Ricardo ist zu dieser Zeit besonders mit sich unzufrieden, denn Malthus hat gerade nach Durchsicht einer von Ricardo noch nicht i n den Druck gegebenen Abhandlung über Währungsprobleme 23 zwar den Inhalt nicht ungünstig beurteilt, jedoch Stil und Gliederung für noch schlechter als i n den ersten beiden Schriften Ricardos 24 befunden. „Sie sehen also", schreibt er an Trower, „daß es für mich keine andere Ermutigung gibt, m i t meinen Studien fortzufahren, als meine Freude an der Sache selbst. Wie richtig meine A n sichten auch sein mögen, ich werde niemals das Glück haben, ein Buch schreiben zu können, das m i r Ehre und Ruhm einbringt. Ich b i n jedoch entschlossen, mich nicht durch allgemeine Schwierigkeiten entmutigen zu lassen, und werde gleich wieder anfangen, Stil und Gliederung dessen zu verbessern, was ich zuletzt geschrieben habe. Ich b i n zwar nicht ganz sicher, ob ich meine jetzige Arbeit veröffentlichen werde, aber sie gibt m i r wenigstens Gelegenheit, meine beschränkten Kräfte zu üben 2 5 ." M i l l drängt Ricardo i n j edlem seiner Briefe, seine Kräfte nicht zu verzetteln, sondern sich auf die Niederschrift eines umfassenden Buches über nationalökonomische Probleme zu konzentrieren. Ist sein Brief vom 10. Oktober 181526 noch eine freundliche Mahnung, über das bisher Geschriebene Bericht zu erstatten, so ist der Brief vom 9. November 18 1 5 2 7 schon i n strengem Schulmeisterton abgefaßt. Zwar w i l l 20 Trower an Ricardo, 21. September 1815, Bd. 6, S. 279. 21 Ebenda, Bd. 6, S. 279. 22 M i l l an Ricardo, 10. Oktober 1815, Bd. 6, S. 309. 23 Proposals of an Economical and Secure Currency; w i t h Observations on the Profits of the B a n k of England, as they regard the Public and the Proprietors of Bank Stock. 1. Auflage, 6. Februar 1816. 24 The H i g h Price of Bullion, a Proof of the Depreciation of B a n k Notes. 1. Auflage 1810. A n Essay on the Influence of a L o w Price of Corn on the Profits of Stock. 1. Auflage 1815. 25 Ricardo an Trower, 29. Oktober 1815, Bd. 6, S. 315. 26 M i l l an Ricardo, 10.10. 1815, Bd. 6, S. 306. 27 M i l l an Ricardo, 9. 11. 1815, Bd. 6, S. 320.
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Entstehung der "Principles of Political Economy and T a x a t i o n "
M i l l nicht zum Inhalt der Gedanken Ratschläge erteilen, „ich habe mich seit einigen Jahren nicht m i t der Nationalökonomie beschäftigt, außer wenn ich durch Deine instruktiven Gespräche oder Schriften angeregt wurde 2 8 ", aber er w i l l Ricardo Ratschläge für deren Formulierung geben und ist recht ärgerlich über Ricardos fortwährende Stoßseufzer, wie schwer es i h m fiele, ein Buch zu schreiben. „Es gibt ja kein anderes Hindernis für Dich als Dein mangelndes Selbstvertrauen. D u brauchst einige Übung i n der schriftlichen Formulierung Deiner Gedanken, in der A r t , Dich am leichtesten auch denen verständlich zu machen, die wenig Fachwissen haben. Das kann man ohne weiteres durch Übung erlernen. Da ich nun daran gewöhnt bin, Schulmeister zu sein 29 , . . . gebe ich Dir hiermit auf, von den beabsichtigten drei Hauptkapiteln — Rente, Profit, Löhne — das erste über die Rente sofort i n Angriff zu nehmen. Wenn Du die Durchsicht des Geschriebenen m i r anvertraust, kannst D u Dich darauf verlassen, daß ich Dich schon dazu bringen werde, es richtig zu machen 30 ." Auch Trower möchte Ricardo gern behilflich sein, nachdem er von ihm gehört hat 3 1 , daß er sich nun auf jene Probleme konzentrieren wolle, bei denen seine Ansichten von den Lehren der großen Autoritäten wie Adam Smith, Malthus, usw. abweichen. Trower empfiehlt 32 i h m ein Buch 3 3 , das über richtige Themengliederung und Satzkonstruktion Auskunft gibt. M i l l hat sich i n der Zwischenzeit überlegt, wie er Ricardo das Schreiben noch mehr erleichtern könnte. So enthält sein Brief vom 1. Dezember 1815 neben der schon oft angebrachten, aber von Ricardo leider doch letzten Endes nicht befolgten Mahnung, seine Ideen auch dem Nichtfachmann verständlich darzustellen, den Rat, auf den Rand jeder Seite i n kurzen Stichworten den Inhalt des dort Geschriebenen zu vermerken, „ D u hast dann sofort eine Übersicht. Das ist sehr nützlich, denn D u siehst dann leichter, wie sich der Inhalt der einzelnen Abschnitte zueinander verhält, ob ein Abschnitt lediglich dasselbe aussagt wie ein vorhergehender, ob ein Abschnitt besser an eine andere Stelle paßt, ob etwas zur Erklärung eines Punktes fehlt, . . . so mußt 28 Ebenda, S. 321. M i l l spielt hier auf die Erziehung seiner Kinder, insbesondere seines Sohnes John Stuart an. 30 M i l l an Ricardo, 9. 11.1815, Bd. 6, S. 321. si Ricardo an Trower am 29.10.1815, Bd. 6, S. 316. 32 Trower an Ricardo am 26.11.1815, Bd. 6, S. 326. 33 Lectures on Rhetoric and Belles Lettres, von H u g h Blair, Professor an der Universität von Edinburgh, 1783. A d a m S m i t h hatte über dasselbe Gebiet eine Vorlesung gehalten, u n d er u n d seine Freunde behaupteten, daß sich B l a i r ausgiebig seiner Ausführungen bedient hätte. (J. H i l l , Account of the L i f e and Writings of Blair. 1807, S. 55.) B l a i r hat auch zugegeben, daß er einiges aus dem M a n u s k r i p t übernommen hätte, das i h m S m i t h gezeigt hat. (Rae, Life of A d a m Smith, S. 33.) 29
Entstehung der "Principles of Political Economy and T a x a t i o n "
Du bei Deinem opus magnum verfahren. . . . Umreiße einen Gedanken erst in Stichworten, ehe D u m i t dem Schreiben beginnst 3 4 !" Alle Fehler, die i n Ricardos früheren Arbeiten sichtbar wurden, macht M i l l zum Gegenstand der Belehrung. Insbesondere die mangelnde Beweisführung, die bei allen Schriften kritisiert wurde, w i r d ausdrücklich von M i l l behandelt. „ D u darfst niemals eine Behauptung aufstellen, ohne sofort den Beweis anzufügen oder wenigstens einen Hinweis auf die Seite Deiner Ausführungen zu geben, auf der er zu finden ist, — die Beweisführung darfst D u doch niemals Deinem Leser überlassen! Das hast Du i n dem Essay on Profits getan, und deshalb ist der Inhalt nicht zu Unrecht als unverständlich bezeichnet worden 3 6 ." M i t diesem H i n weis begnügt sich aber M i l l nicht, sondern führt zur Illustration gleich ein Beispiel aus dem Essay on Profits 36 an und gibt Ricardo auf, für eine Behauptung eine vollständige Beweisführung niederzuschreiben. „ D u hast wiederholt die Behauptung aufgestellt, daß Verbesserungen i n der Landwirtschaft den Kapitalprofit ansteigen lassen, sonst jedoch keine unmittelbaren Wirkungen auslösen. Ich wette, daß D u nirgends einen Beweis dafür gegeben hast. Das bleibt Deinem Leser überlassen, er soll i h n selbst aus der Rententheorie ableiten! Denn: der zusätzliche Ertrag kann nicht zu Rente werden, w e i l diese durch andere Umstände begrenzt wird, er kann auch nicht den Löhnen zugeschlagen werden, weil sich auch diese nach anderen Gesetzen richten, daher muß der zusätzliche Ertrag zu Profit werden. . . J Ich ordne also an, daß Du über dieses Thema eine Arbeit schreibst, eine richtige Schularbeit; m i t anderen Worten, schreibe m i r darüber einen Brief 3 7 . . . . Du sollst Schritt für Schritt die Frage beantworten: Was kommt dann? Also, zuerst erfolgt eine Verbesserung i n der Landwirtschaft. Was kommt dann? Antwort: Ertragssteigerung. Was kommt dann? Der Kornpreis w i r d fallen. Was kommt dann? und so fort. Ich werde dann sehen, was ich Dir weiter vorschlagen kann3®." Und immer wieder flicht M i l l zur Stärkung des Freundes ein Lob ein: „ D u bist bereits der beste Denker auf nationalökonomischem Gebiet, und ich bin entschlossen zu erreichen, daß Du auch der beste Verfasser nationalökonomischer Schriften wirst. N u r geistige Fähigkeiten und Fleiß sind nötig, und i n Deinem Fall weiß ich, daß beides vorhanden ist 3 9 . Zur Erreichung eines so hoch gesteckten Zieles bedarf es auch persönlicher Opfer. M i l l weiß genau, wie gastfreundlich Ricardo ist, daß 34 M i l l an Ricardo, 1. Dezember 1815, Bd. 6, S. 329/330. 35 M i l l an Ricardo, 22.12. 1815, Bd. 6, S. 339. se Works, Bd. 6, S. 11, η u n d 19, n. 37 Ricardo verspricht auch i n seiner A n t w o r t , diese schriftliche Übung zu machen. Ricardo an M i l l , 30. 12.1815, Bd. 6, S. 348. 38 M i l l an Ricardo, 22. 12.1815, Bd. 6, S. 339/340. Ebenda, S. 340.
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Entstehung der "Principles of Political Economy and Taxation"
zu i h m viele Bekannte kommen, die seinen neuen Landsitz bewundern wollen, und daß Ricardo sie bereitwilligst überall umherführt. Daher ist es allein m i t vorsichtigem Tadel und anfeuerndem Lob nicht getan, u m Ricardo zur schnellen Niederschrift seiner Gedanken anzuspornen, er muß auch während der produktivsten Zeit des Tages, der Morgenund Vormittagsstunden, Muße haben, um sich auf seine Aufgabe konzentrieren zu können,. „Es ist notwendig, daß D u einige der wertlosesten gesellschaftlichen Verpflichtungen fallen läßt. . . . Früher hast D u es zum Beispiel niemals u m Deiner Freunde w i l l e n für notwendig erachtet, morgens der Börse fernzubleiben. So mußt Du es jetzt auch halten: widme Dich Deinen Freunden nach dem Mittagessen, . . . bis dahin gehört die Zeit Deinen Studien. . . . Sobald jeder weiß, daß dies Deine Gewohnheit ist, w i r d niemand darüber beleidigt sein. Du wirst i n ihrer Wertschätzung steigen, wenn sie wissen, daß D u etwas tust, wozu nur wenige Menschen fähig sind. Ebenso solltest D u Dich nicht bis zu später Stun,de bei jemandem aufhalten, und wenn es ein Bekannter bei Dir tut, so verschwinde zu bestimmter Stunde, ohne daß man es merkt. Geniere Dich nicht bei dem Gedanken, daß so etwas sonderbar w i r k e n kann, — nur dann ist Sonderbarkeit ein Zeichen der Schwäche, wenn sie sich auf eine bedeutungslose Sache bezieht, jedoch ist sie immer ein Zeichen der Stärke, wenn sie mit einem Vorhaben i m Zusammenhang steht, das wirklich wertvoll ist, und das ohne Zurückgezogenheit nicht ausgeführt werden kann 4 0 ." Ricardo beeilt sich, seinem Freund zu versichern, daß er die von ihm vorgeschlagene Zeiteinteilung schon selbst vorgenommen hat: „Ich habe schon, ehe Dein Brief eintraf, das Recht für mich i n Anspruch genommen, mich vormittags von den anderen abzusondern. Einige meiner Brüder waren hier, aber sie haben mich während der Vormittagsstunden selten zu Gesicht bekommen. Ich bin überzeugt, daß ich m i t keiner meiner Arbeiten vorankommen kann, wenn ich vormittags gestört werde. . . . Du findest i n m i r einen fügsamen, und, wie ich hoffe, auch fleißigen Schüler 41 ." Während der ersten Monate des Jahres 1816 türmen sich vor Ricardo bei der Darstellung des Tauschwertproblems derartige Schwierigkeiten auf, daß er, völlig mutlos geworden, für Monate die Niederschrift seiner Gedanken unterbricht. „Ich glaube nicht, daß ich je vorankommen werde 4 2 " und „seit zwei Monaten habe ich nichts getan 4 3 " schreibt er an seine Freunde, und noch i m August 1816 lesen w i r i n einem sehr deprimierten Brief an M i l l : „Ich bin oft versucht, meine Schrei40 41 42 43
M i l l an Ricardo Ricardo Ricardo
Ricardo, 22.12.1815, Bd. 6, S. 340. an M i l l , 30.12.1815, Bd. 6, S. 349. an Malthus, 24. A p r i l 1816, Bd. 7, S. 27. an Malthus, 28. M a i 1816, Bd. 7, S. 35.
Entstehung der "Principles of Political Economy and Taxation"
berei beiseite zu legen; es ist eine Aufgabe, die meine Kräfte übersteigt. Nur der Gedanke, daß ich ja nicht gezwungen bin, etwas zu veröffentlichen, läßt mich weiterarbeiten 4 4 ." Und M i l l beginnt nun wieder m i t großer Geduld zu ermuntern und zu ermahnen. Er weiß, daß Ricardo nicht nur Zuspruch, sondern auch Befehle braucht, u m m i t seiner Arbeit voranzukommen. I n klug abgewogener Reihenfolge verabreicht er ihm süße und bittere Medizin: „Warum sollte denn ein Mann, der ohne Scheu vor jedermann ein Thema erörtern kann, nun plötzlich Hemmungen haben, darüber zu schreiben? Denn Schreiben ist doch nichts anderes, als Gesprochenes zu Papier zu bringen! Du kannst nicht nur m i t Leuten diskutieren, deren Wissen auf nationalökonomischem Gebiet berühmt ist, D u kannst sogar mit ihnen streiten und scheust Dich nicht, Deiner Ansicht vor der ihren den Vorrang zu geben. . . . D u brauchst doch jetzt nur i n [gleicher Weise auf dem Papier zu verfahren! . . Aber D u w i l l s t ja von m i r nur Komplimente hören. . . . Der liebe Freund soll kommen und enthusiastisch rufen: Mein hochverehrter Herr, gestatten Sie mir, daß ich den einzigen Fehler korrigiere, den Sie jemals i n Ihrem Leben gemacht haben — Ihre Talente sind bewundernswert. . . . Schreiben Sie nur und setzen Sie die Welt i n Erstaunen! — Aber ich bin wenig i n der Kunst des Schmeicheins bewandert, darum sage ich D i r ganz das Gegenteil: man braucht nicht mehr Talent, als jeder andere auch besitzt; Deine Gedanken sind i n Deinem Kopf schon fertig formuliert, Du brauchst Sie nur noch niederzuschreiben. . . . Glaubst Du denn, daß jemals ein Mann ein gutes Buch allein durch Gottes Gnade . . . geschrieben hat? Rousseau hat erklärt, daß er niemals eine Schrift der Öffentlichkeit übergeben habe, die er nicht fünfmal umgeschrieben hätte 4 5 . Ich bin schon Dein Schulmeister . . . und daher befehle ich D i r feierlich,, sofort nach dem Plan weiterzuarbeiten, den D u D i r gemacht hast. . . . Denke nicht an Wiederholungen oder Stil, sondern bringe Deine Gedanken irgendwie zu Papier. . . . Mein zweiter Befehl: schicke m i r alles her, was Du bisher geschrieben hast, und was D i r entbehrlich ist, denn ich weiß doch, daß D u schon eine Menge fertig hast, . . . auch das, was Du m i r bereits i n London vorgelesen hast 46 . .. . D u könntest ja die Seiten, die zu einem Thema gehören, zusammenlegen. . . . Wenn nicht, macht es auch nichts, dann schicke sie nur so durcheinander, wie sie sind 4 7 ." 44
Ricardo an M i l l , 8. August 1816, Bd. 7, S. 53. 5 Mes manuscrits raturés, barbouillés, mèlés, indéchiffrables, attestent la peine qu'ils m'ont coùtée. I l n'y en a pas u n q u ' i l ne m'ait f a l l u transcrire quatre ou cinq fois avant de le donner à la presse" (Confession, L i v r e I I I ; Genève, 1782, Time I I , S. 121. 4 6 Ricardo k ü n d i g t M i l l i m B r i e f v o m 8. August 1816 an, daß er i h m etwas aus seinem M a n u s k r i p t vorlesen w i l l . Bd. 7, S. 54. 47 M i l l an Ricardo, 14. August 1816, Bd. 7, S. 65. 4
2 Lipschitz, D a v i d Ricardo
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Aber Schreiben ist eben doch etwas anderes als nur Gesprochenes zu Papier bringen, denn Ricardo hat schon die Beobachtung gemacht, daß der interessierte und fachkundige Gesprächspartner nicht so sehr daran interessiert ist, wie etwas vorgetragen wird, sondern was gesprochen wird. Oft deuten schon ein Blick, eine Bemerkung oder eine Geste den Punkt an, an dem die Meinungen auseinandergehen, und alles w i r d sich i m Gespräch i n der Folge auf diesen Punkt konzentrieren. Aber „ i n einem Buch muß man alles klar auseinandersetzen und beweisen und weiß dabei nicht, ob man nicht sehr unverständlich oder langweilig geworden ist. . . . Ich habe nicht so sorgfältig darauf geachtet, daß ich jeden Gedanken nur einmal bringe, schon w e i l es ja mein Fehler ist, oft zu kurz zu sein, und vielleicht ist es angebracht, eine Idee i n anderer Form zu wiederholen . . . 4 8 ." M i l l ist sicher nicht schlecht erstaunt gewesen, daß der „Schüler" sich die Belehrungen so zu Herzen genommen hat. Als Ricardo sogar bemerkt, er wolle jetzt alles noch einmal abschreiben und i h m dann erst das Manuskript schicken, erwidert M i l l , daß das doch wirklich Zeitverschwendung sei: „ D u hast doch das Geld, dafür jemanden anzustellen. Bei m i r ist das etwas anderes, ich kann es m i r nicht leisten 49 ." Der wahre Grund für die Verzögerung ist jedoch der Zweifel Ricardos, ob ihm die Lösung des Wert- und Preisproblems zufriedenstellend gelungen sei. Erst zwei Monate nach Mills Aufforderung, i h m das Manuskript zu schicken,, sendet er es ab. Ricardo kündigt i n einem Begleitbrief an, daß er sich nunmehr den Besteuerungsproblemen zuwende 50 . Dieser sehr umfangreiche erste Entwurf enthält die ersten sieben Kapitel der Principles, die Grundsätze der Volkswirtschaft. Ricardo schreibt dazu, er habe sich auf dem Wege von Gatcomb 5 1 nach London i n der Postkutsche alles noch einmal durchgelesen, aber „alle Gedanken sind so unzusammenhängend, so unvollkommen und so ausgesprochen schlecht i n der gegenwärtigen Form . . . Du wirst doch als Freund handeln und m i r offen Deine sicherlich abfällige Meinung über mein Manuskript sagen, — ich bin übrigens darauf vorbereitet 5 2 ." Es wäre nun vielleicht wünschenswert gewesen, wenn M i l l nach der Durchsicht von Ricardos Manuskript schärfere und eingehendere K r i t i k geübt hätte. Aber M i l l mußte j a darauf bedacht sein, den Freund nicht mutlos zu machen, i m Gegenteil, er mußte ihn zu neuer Arbeit anregen, da einige Kapitel nach seiner Meinung einer Überarbeitung bedurften. Mills K r i t i k ist so vorsichtig dosiert, daß Ricardo sie als „sehr ermuti48 40 so 5i 53
Ricardo an M i l l , 8. September 1816, Bd. 7, S. 65. M i l l an Ricardo, 6.10.1816, Bd. 7, S. 73. u n d 52 Ricardo an M i l l , 14.10.1816, Bd. 7, S. 82/83. Gatcomb ist das Landgut Ricardos i n der Grafschaft Gloucestershire. Ricardo an M i l l , 2.12.1816, Bd. 7, S. 100.
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gend" 5 3 empfindet und i n diesem Zusammenhang seinen, von M i l l schon längst erkannten Ehrgeiz offen ausspricht: „ D u läßt mich hoffen, daß mein innigster Wunsch erfüllt wird, etwas zu schaffen, das m i r das Recht gibt, als ein Mann dazustehen, der zum Fortschritt der Wissenschaft beigetragen hat. Ich w i l l mit verstärktem Bemühen mein Werk fortsetzen 54 ." Die K r i t i k Mills an dem Manuskript läßt einmal eine Rekonstruktion der ursprünglich von Ricardo vorgenommenen Ordnung der Themen zu, zum anderen w i r d der Umfang der Abänderungen sichtbar, die dann nachher vorgenommen worden sind. Vier Hauptpunkte hebt M i l l besonders hervor 5 5 : 1. „Die Erklärung des grundlegenden Prinzips, daß die Arbeitsmenge Ursache und Maß des Tauschwertes ist, m i t Ausnahme der von Dir angeführten Fälle, kann als klar und befriedigend bezeichnet werden 5 6 ." 2. „Das i m Gegensatz zu Adam Smith vorgebrachte Argument, daß Kapitalprofite dieses Gesetz nicht stören, ist einleuchtend, ebenso wie die Erklärung, daß auch die Rente kein Störungsfaktor sein kann 5 7 ." 3. I n jenem Abschnitt, i n dem die Ursachen der Lohnänderungen untersucht werden, „sind die Gedanken nicht mehr klar auseinandergehalten 58 ", denn es werden auch die Ursachen von Profitund Rentenänderungen behandelt. Dieses Kapitel muß nach Mills Ansicht gründlich überarbeitet werden. 4. Für das Kapitel über den Außenhandel, das M i l l wieder als „ausgezeichnet dargestellt" 5 9 empfindet, erwähnt er folgende Untergliederung: a) Der Außenhandel vermehrt nicht den Vermögenswert einer Nation. b) Die Theorie der komparativen Kosten. c) Die Redistribution der Edelmetalle, die der Änderung der Produktionsfähigkeit eines Landes folgt. Dieser Punkt macht über die Hälfte des Inhalts des späteren Kapitels „Über den auswärtigen Handel" aus, während das kritisierte Lohnkapitel kein genau entsprechendes Gegenstück i n den Principles hat, sondern von Ricardo gemäß Mills Empfehlung auf die verschiedenen Themen aufgeteilt wurde und nur die Lohnprobleme i n einem eigenen Kapitel zusammengefaßt worden sind. 54 55 56 57 58 2*
Ricardo an M i l l , 2.12.1816, Bd. 7, S. 100. M i l l an Ricardo am 18.11.1816, Bd. 7, S. 98. Ebenda, S. 98. Ebenda, S. 98. u n d 59 Ebenda, S. 99.
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Mills Lob für Ricardos Manuskript ist zuweilen fast überschwenglich, „auch der Stil ist wirklich ausgezeichnet" 60 , jedoch empfiehlt er, einige Ausdrücke zu ändern, aber erst, wenn alles fertig ist, „ u m das Werk zu vollenden, m i t dem D u unsterbliche Ehre erringen w i r s t " 6 1 . Ricardo hat niemals den Versuch unternommen, Mills Hilfe während dieser Zeit zu verkleinern oder gar zu verschweigen. Auch m i t den kleinen Problemen seiner schriftstellerischen Bemühungen wendet er sich an den Freund, und M i l l ist sofort m i t Rat und Tat zur Stelle: „Soll ich Say i n Englisch oder Französisch zitieren 6 2 ?" „ I n Englisch natürlich 6 3 ", antwortet M i l l , und es kann als sehr wahrscheinlich angenommen werden, daß er die Übersetzung besorgt hat. Ricardo hat dem Freund gerade nach dem Abschluß des ersten Teiles seines Manuskripts, der für i h n die schwierigsten Probleme barg, versichert: „Wenn jemals mein Unternehmen erfolgreich sein sollte, dann danke ich hauptsächlich D i r meinen Erfolg, denn ich glaube nicht, daß ich ohne Deine Ermutigung vorangekommen wäre, und an Dich wende ich mich um Hilfe, die m i r von so außerordentlicher Bedeutung ist, wenn ich nun die verschiedenen Abschnitte ordnen und kürzen muß, was überflüssig erscheint 64 ." Sraffa 65 meint, daß diese Bemerkung Ricardos oft mißverstanden worden sei. Dunbar 6 6 habe zuerst hier herausgelesen, daß Ricardio zunächst sein Buch nicht für die Öffentlichkeit geschrieben habe, und daß erst nachher M i l l auf Veröffentlichung gedrungen hätte. Ein ähnlicher Hinweis findet sich aber schon i n dem Nachruf auf Ricardo, von seinem Bruder Moses Ricardo verfaßt, der 1824 erschien 67 . David Ricardo habe das Risiko gescheut, so w i r d i n dem Nachruf ausgeführt, durch eine neuerliche Veröffentlichung seine bisherigen literarischen Erfolge möglicherweise zu zerstören. „Diese Erwägungen erklären sein Zögern, zunächst überhaupt m i t der Niederschrift der Principles zu beginnen und dann später, sie zu veröffentlichen 68 ." Marshall 6 9 griff die Bemerkung Dunbars auf, und so wurde sie zu einer geläufigen Version. Muß man nun zu der Schlußfolgerung kommen, daß es einzig 60 u n d 6i M i l l an Ricardo am 18.11.1816, Bd. 7, S. 99. 62 Ricardo an M i l l am 2. 12. 1816, Bd. 7, S. 100. 63 M i l l an Ricardo am 16.12. 1816, Bd. 7, S. 108. 64 Ricardo an M i l l am 2.12. 1816, Bd. 7, S. 100. 65 Works, Bd. 1, S. X X . 66 C. F. Dunbar, Ricardos Use of Facts. Quaterly Journal of Economics. J u l i 1887, Bd. 1, S. 475. 67 A Memoir of D a v i d Ricardo. Bd. 10, S. 14. 68 Works, Bd. 10, S. 10. 69 A l f r e d Marshall, Handbuch der Volkswirtschaftslehre. Deutsche Übersetzung, 1. Auflage 1905, S. 478: „ N u r schwer ließ er sich dazu bringen, es zu veröffentlichen, u n d w e n n er beim Niederschreiben überhaupt irgend Leser i m Auge hatte, so waren es hauptsächlich die Staatsmänner u n d Geschäftsleute, m i t denen er verkehrte."
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Mills Beharrlichkeit zu danken ist, daß Ricardo seine Ideen niederschrieb? Es w i l l scheinen, als ob dies ein wenig zu weit gegriffen wäre. Ricardo hat schon vor den Principles und ohne Mills Ermunterung zwei Abhandlungen geschrieben 70 , die veröffentlicht worden sind. Interesse am Thema, Ehrgeiz und genügend Muße zum Schreiben sind doch die wichtigsten Voraussetzungen für die Entstehung der Principles gewesen. Es sind j a auch nicht Denkschwierigkeiten, die Ricardo so oft zögern lassen, sondern die von i h m immer wieder erkannte und deshalb um so schwerer wiegende mangelnde Fähigkeit, Gedanken i n geschriebene Worte umzuformen. Wenn w i r den Stil der Principles m i t dem der vorangegangenen Schriften vergleichen, so hat Ricardo, trotz Mills Belehrungen, wenig Fortschritte auf diesem Gebiet gemacht. M i l l hat nur dazu beigetragen, daß Ricardo schneller den inneren Widerstand dagegen überwinden konnte, die Principles of Economy and Taxation zu schreiben. Man kann jedoch nicht zu der Aussage kommen, daß sie ohne M i l l überhaupt ungeschrieben geblieben wären. Der zweite Teil seines Buches geht Ricardo bedeutend schneller von der Hand. Schon einen Monat später, am 17. November 1816, übersendet er M i l l die Kapitel über die Besteuerung m i t der Bemerkung, daß er nur jene Steuerwirkungen behandelt habe, die Adam Smith nicht vollständig oder nicht richtig gesehen hätte. Die anderen Steuerwirkungen seien von i h m deshalb unerwähnt geblieben, w e i l die Sprache Adam Smith' „so klar ist und seine Erklärungen so gut sind, daß ich die Wirkung seiner Worte nicht abschwächen möchte . . . 7 1 ." M i l l w a r auch m i t diesem Abschnitt der Arbeit zufrieden, obwohl, wie er bemerkt, es für ihn nicht ganz leicht gewesen wäre, die schwierigen Gedankengänge zu verstehen. „ Z u m ersten M a l sind die Auswirkungen der Steuern erklärt worden, denn auf diesem Gebiet war Adam Smith ziemlich oberflächlich. . . . Aber D u mußt diesen Abschnitt überarbeiten, denn D u bist hier Deinem Gedankenflug gefolgt, ohne Dich viel u m die Ordnung des Stoffes zu kümmern, die dem Leser das Eindringen i n die Materie erleichtern würde 7 2 ." Nun blieb noch die Frage offen, die Ricardo eigentlich noch gar nicht bedacht hatte: sollte das Buch alle Gebiete der Nationalökonomie umfassen, oder sollte es sich nur auf die Gebiete der Theorie beschränken, für die Ricardo neue Gedanken formuliert hatte? M i l l stellt i h n vor die Alternative: „Willst D u nun i n Deinem Buch einen Überblick über die ganze Wissenschaft geben, so, als ob Du das Werk jemanden i n die Hand gibst, der über das Gebiet belehrt werden soll und bisher noch 70 A n Essay on the Influence of a L o w Price of Corn on the Profits of Stock. 1815. Proposals for an Economical and Secure Currency. 1816. 7 * Ricardo an M i l l a m 17.11.1816, Bd. 7, S. 87/88. M i l l an Ricardo am 16.12.1816, Bd. 7, S. 106.
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nichts davon weiß, wie zum Beispiel Miss Fanny (Ricardos Tochter) .... oder willst D u Dich auf jene Teilgebiete beschränken, zu denen D u etwas zu sagen hast? . . . Ich glaube fast, daß D u i n letzterem Falle mehr Anerkennung finden wirst 7 3 ." Ricardo w i l l sich die Aufgabe, ein vollständiges System der Theorie auszuarbeiten, für die Zukunft aufheben 74 . I n diesem Sinne schreibt er auch an Malthus, als er i h m die Fertigstellung seiner Arbeit ankündigt: „Ich habe mich mehr auf die Darstellung meiner eigenen Gedanken konzentriert . . . 7 5 ." Besonders kommt diese Absicht zum Ausdruck i n der Gruppe der kritischen Kapitel, die denen über die Besteuerung angeschlossen wurden. Ricardo las nämlich nach der Beendigung der Niederschrift der Besteuerungsprobleme noch einmal Adam Smith' Buch „Natur und Ursachen des Volkswohlstandes", Says „Traité d'Economie politique", Buchanas Kommentar zu Adam Smith' Buch und endlich Malthus' Schrift über Rente und Getreidepreise 76 . Seine kritischen Anmerkungen zu einigen Gedanken dieser Autoren erweiterte er zu einzelnen Kapiteln, i n denen er sich ebenfalls nur m i t jenen Themen aus der theoretischen Gesamtkonzeption der Verfasser auseinandersetzt, die ihn zum Widerspruch reizen. Jedoch beurteilt Ricardo die verschiedenen Autoren nicht nach der ihnen eigentlich zukommenden Bedeutung, sondern stellt sie alle als gleichwertig nebeneinander. A u f den schon zu seiner Zeit von den Fachleuten als nicht bedeutungsvoll angesehenen Buchanan legt er besonderen Wert, so daß ihm M i l l 7 7 und später auch McCulloch 7 8 empfehlen, doch die Bemerkungen zu den Gedanken dieses Autors wenigstens zu kürzen, da dessen Argumente offensichtlich falsch seien. M i l l hatte noch versprochen 79 , nach der endgültigen Fertigstellung des Manuskripts den Aufbau der Arbeit durchzusehen. „Wie willst Du n u n alles i n Kapitel und Abschnitte einteilen? Denke an die Kapitel und Abschnitte! Mache davon eine Aufstellung und schicke sie m i r 8 0 . " Ricardo antwortet darauf sehr niedergeschlagen: „Ich fürchte sehr, daß ich das nicht kann 8 1 ." Daher ist die Anordnung der Themen i m großen und ganzen wohl so geblieben, wie sie Ricardo ursprünglich niedergeschrieben hatte. Die Einteilung des Stoffes i n Kapitel wurde von Ricardo erst nach Fertigstellung der Arbeit vorgenommen, sogar 73 M i l l an Ricardo am 16.12.1816, Bd. 7, S. 107. 74 Ricardo an M i l l am 20.12.1816, Bd. 7, S. 112. 75 Ricardo an Malthus am 3.1.1817, Bd. 7, S. 114. 7β Malthus, A n I n q u i r y into the Nature and Progress of Rent. 1815. 77 M i l l an Ricardo am 16.12.1816, Bd. 7, S. 108. 78 John Ramsay McCulloch (1789—1864) an Ricardo am 6.12.1818, Bd. 7, S. 353. 79 M i l l an Ricardo am 16. 12.1816, Bd. 7, S. 109. so Ebenda, Bd. 7, S. 107. si Ricardo an M i l l am 20.12.1816, Bd. 7, S. 112.
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während des Druckes noch abgeändert, ohne daß M i l l wesentliche Hilfestellung geleistet hat. Denn er legte während dieser Zeit gerade letzte Hand an sein großes Geschichtswerk „History of British India", das 1817 veröffentlicht wurde. Jedoch muß man annehmen, daß das den Principles angefügte Schlagwortverzeichnis, das i n die deutsche Übersetzung von Ricardos W e r k 8 2 nicht m i t aufgenommen ist, aus Mills Feder stammt, da sich die kurzen Erklärungen zu den aufgeführten Begriffen i n ihrer klaren Formulierung von dem Text merklich unterscheiden 83 . Aber die späte Vornahme der Aufteilung des Stoffes zeitigte das verwirrende Ergebnis, daß i n der ersten Auflage Doppelnumerierungen von Kapiteln vorkamen, die nicht etwa das Resultat späterer Einfügung von Gedanken waren. Zunächst sind die Kapitel „On wages" und „On Profit" beide als Kapitel V bezeichnet, i m Inhaltsverzeichnis ist Kapitel V* „On Profits" m i t einem Stern versehen. Es ist anzunehmen, daß Kapitel I V i m Manuskript die Behandlung des natürlichen und des Marktpreises und das Lohnproblem umfaßt hat, während des Druckes jedoch aufgeteilt und als neues Kapitel V „On Wages" i m Inhaltsverzeichnis gesondert aufgeführt worden ist. Der enge Zusammenhang zwischen diesen beiden Kapiteln w i r d durch die Gleichheit der Argumente auffällig, denn das Kapitel „On Wages" w i r d auch m i t dem natürlichen und dem Marktpreis des Lohnes eingeleitet. Ebenso tragen die Kapitel „Taxes on Raw Produce" und „Taxes on Rent" beide die Nummer V I I I . Hier ist offensichtlich die Aufteilung noch nach der Korrektur der Druckfahnen vorgenommen worden, so daß die i n Frage kommenden Seiten noch einmal gedruckt werden mußten. Der Buchbinder hat dann i n jedem Buch der 750 Stück umfassenden Auflage die betreffenden Seiten herausgeschnitten und die nachgedruckten eingeklebt. Der Druck des Manuskripts begann Ende Februar 1817, und schon eine Woche später schreibt Ricardo an Malthus 8 4 , daß es ziemlich rasch voranginge; er hätte schon elf Druckfahnen korrigiert. „Aber gedruckt finde ich es noch fürchterlicher als vorher, und ich brauche dauernd Ermutigung . . . u m nur einen Funken Hoffnung zu haben, daß das Werk günstig aufgenommen wird. . . . A l l e meine Befürchtungen gelten dem Ausdruck und der Gliederung und dann hauptsächlich dem Um82
Deutsche Übersetzung der Principles v o n Waentig, 2. Auflage, 1921. Besonders folgende Begriffserklärungen des Schlagwortverzeichnisses fallen i m Vergleich zum T e x t auf: Population, increase of, no cause of the rise of rent; 410 Smith, strictures on his doctrine relative to labour being the sole u l t i m a t e standard of the exchangeable value of commodities, 16, 17, 416 Taxes on rent discourage cultivation, 173—175 (Angabe der Seitenzahl bezieht sich auf Works, Bd. 1). S4 Ricardo an Malthus am 9. 3.1817, Bd. 7, S. 139. 83
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stand, daß es m i r nicht gelungen sein könnte, meine Ansichten klar genug auseinandergesetzt zu haben . . . 8 5 ." Als Ricardo am 26. März 1817 den letzten Teil seines Manuskripts dem Drucker übergibt, beklagt er sich, daß „er nicht i m gleichen Tempo weiterarbeitet 8 6 ." Ricardo hatte Malthus jenen Teil seiner Ausführungen zugesandt, i n dem er sich kritisch zu einigen seiner Gedanken äußert. I n seiner A n t w o r t 8 7 bemerkt Malthus, daß Ricardo seine Rententheorie nicht richtig interpretiert habe, und Ricardo läßt diesen Einwand als Fußnote i n die Principles m i t aufnehmen 88 . Zunächst wurde Ricardo die Fertigstellung des Buches bis zum 7. A p r i l 1817 versprochen 89 , jedoch verzögert sich die Veröffentlichung bis zum 19. A p r i l 1817. Jetzt also mußte das Buch vor den kritischen Augen der Öffentlichkeit bestehen. Der erste Schlag fällt i n den Spalten der British Review 9 0 . Nicht weniger als Unwissenheit und Absurdität der Gedanken w i r d Ricardo vorgeworfen. Besonders seine Rententheorie sei obskur und unverständlich, und der Verfasser teilt auch gleich einen Seitenhieb auf Malthus aus, indem er dessen Rententheorie m i t i n das Verdammungsurteil einbezieht. „Dieser Schreiber hat mein Buch zwar gelesen, aber nicht durchgearbeitet. Er hat freundlicherweise die anfechtbaren Punkte meiner Theorie nicht angegriffen, sondern nur jene, die unbestreitbar sind. Und," so schreibt er schon halb belustigt an Trower weiter, „zu meinem Glück sind Stil und Gliederung unerwähnt geblieben 9 1 ". Zwar trösten i h n seine Freunde sofort: „Sie brauchen nicht zu befürchten, daß Ihr Gegner Ihnen geschadet hat. Seine Argumente sind zu heftig, und er kommt viel zu schnell zu Schlußfolgerungen, um durch seine Behauptungen Aufmerksamkeit zu erregen. Ich möchte sagen, daß es ein Glück für Sie ist, so kraftlos angegriffen worden zu sein . . . 9 2 ." M i l l kommentiert den A r t i k e l nicht selbst, sondern gibt das Urteil von Place 93 wieder: „Das ist ein elendes Machwerk. Der Verfasser (des Artikels) ist vollkommen unfähig zu urteilen, und, obwohl er selbst nicht mit Wissen belastet ist, gebraucht er Worte wie Unwissenheit, Unsinn und Torheit. — Habe ich D i r 8
5 Ebenda, S. 139. «β Ricardo an Malthus am 26. März 1817, Bd. 7, S. 145. 87 Ebenda, Bd. 7, S. 145. 88 I n der deutschen Ubersetzung der Principles v o n Waentig, 2. Auflage 1921 auf Seite 418. 80 Ricardo an Trower am 30. 3.1817, Bd. 7, S. 147. 90 B r i t i s h Review v o m November 1817, A r t . X V : Review of Ricardo's Principles and Say's Traité. 91 Ricardo an T r o w e r a m 10.12.1817, Bd. 7, S. 219. 92 Trower an Ricardo a m 28. 2.1818, Bd. 7, S. 256. 93 Francis Place (1771—1854) w a r ein Schüler von Jeremy B e n t h a m u n d m i t James M i l l befreundet. Er schrieb 1821 ein Buch über die Bevölkerungslehre von Malthus.
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eigentlich erzählt", fährt n u n M i l l fort, „daß sich Place nicht nur zu Deinen Ansichten bekehrt hat, sondern geradezu begeistert davon ist . . . D u bist einer seiner Helden 9 4 ." Doch die negative K r i t i k i n der British Review w i r d durch wohlwollende erheblich ausgeglichen. So findet sich i n Edinburgh ein begeisterter Anhänger von Ricardos Principles, McCulloch, der mehrere Male i n der Zeitung The Scotsman, zu deren Mitarbeitern er gehört, zu dem Buch Stellung n i m m t 9 5 und dabei auch die abfällige K r i t i k der British Review zu widerlegen sucht, obwohl „Smith hier (in Edinburgh) wie ein Halbgott verehrt w i r d und I h r Buch beinahe als Verrat betrachtet w i r d . . . 9 6 ." Seine ausführlichste Besprechung der Principles erscheint i m August 1818 i n der Edinburgh Review, zu der Malthus etwas boshaft bemerkt: „Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Erfolg i n der Edinburgh Review. Vielleicht hätte die Buchbesprechung noch mehr Eindruck gemacht, wenn der Verfasser sich n u r den A n schein gegeben hätte, mehr selbst zu denken. Aber wenn er wirklich mit Ihnen i n jedem Punkte übereinstimmt, wie es scheint, so mag das nicht einfach gewesen sein. A u f alle Fälle hat diese Rezension I h r Werk sehr bekannt gemacht und zur Ausweitung Ihres Ruhmes beigetragen 97 ." U m jeden Verdacht einer einseitigen Beeinflussung des Rezensenten abzuweisen, versichert Ricardo postwendend: „Ich b i n natürlich sehr über McCullochs Lob erfreut. Ich würde es nicht i n dem Maße sein, wenn Mr. M i l l den A r t i k e l geschrieben hätte, w e i l . . . dann viel seiner Freundschaft zu m i r und seiner guten Meinung von m i r zuzuschreiben wäre. — Das Lob McCullochs geht natürlich weit über meine Verdienste hinaus . . . 9 8 ." McCulloch w i r d seit dieser Zeit einer der treuesten Anhänger und Interpreten der Theorie Ricardos, und m i t Genugtuung schreibt Ricardo an Trower: „ I n der schottischen Zeitung The Scotsman ist ein A r t i k e l über mein Buch erschienen, i n dem meine Gedanken klarer formuliert sind als ich es getan habe 99 ." Jedoch hat McCulloch nicht so völlig bedingungslos Ricardos Theorie akzeptiert, wie es seine A r t i k e l zunächst vermuten lassen, und oft zu der Darstellung Anlaß gegeben haben, McCulloch sei nur ein serviler und unkritischer Schüler Ricardos gewesen. Gerade bei den Besteuerungs- und Währungsproblemen, für die er sich selbst sehr interessiert, hat er Einwände zu machen, die Ricardo i n der 2. Auflage der »4 M i l l an Ricardo am 27.12.1817, Bd. 7, S. 235. 95 I n der Zeitung The Scotsman erschienen A r t i k e l über Ricardos P r i n ciples am 3. 5.1817 u n d a m 15.11.1817; i n der E d i n b u r g h Review i m August 1818; der Verfasser w a r McCulloch. ββ McCulloch an Ricardo am 3. 9.1818; Bd. 7, S. 294. » 7 Malthus an Ricardo am 16. 8.1818; Bd. 7, S. 278. es Ricardo an Malthus am 20. 8.1818; Bd. 7, S. 282. 99 Ricardo an Trower am 10.12.1817; Bd. 7, S. 219/20.
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Entstehung der "Principles of Political Economy and T a x a t i o n "
Principles berücksichtigt, 100 ja sogar wörtlich übernimmt 1 0 1 . Er teilt Ricardo aber nur brieflich seine Bedenken m i t 1 0 2 . „Ich bedauere es, daß Sie dies nicht i n dem A r t i k e l mit angeführt haben 1 0 3 , bemerkt Ricardo eingedenk des Kommentars von Malthus zu McCullochs Rezension, als er sich bei i h m für die „schmeichelhafte K r i t i k " 1 0 4 bedankt. Außerdem werden Ricardo die sehr anerkennenden Worte übermittelt, die der ehemalige Premierminister Lord Grenville 1 0 5 für Ricardos Buch gefunden hatte. Diese Anerkennung erfüllt Ricardo m i t außerordentlichem Stolz und großer Genugtuung, hatte doch Grenville auch den Wunsch geäußert, Ricardo solle i h m vorgestellt werden. „Denn vor Lord Grenvilles Urteil über nationalökonomische Fragen habe ich von jeher den größten Respekt gehabt 1 0 6 ," und „. .. i n einem Gespräch, das ich kürzlich m i t Lord Grenville führte, bekam ich ein sehr schmeichelhaftes Lob über meine Bemühungen zu hören, auf dem Gebiet der Nationalökonomie zu neuen Erkenntnissen vorgedrungen zu sein. Ein Lob von Lord Grenville auf diesem Gebiet ist besonders erfreulich, weil er i n allen großen Parlamentsdebatten seine eingehende Kenntnis dieses Gebietes . . . bewiesen hat 1 0 7 ." War jetzt nicht sein Wunsch i n Erfüllung gegangen, „als ein Mann dazustehen, der zum Fortschritt der Wissenschaft beigetragen hat 1 0 8 ," ist es nicht ein Triumph für ihn, den Außenseiter? Aber auch die Stimmen seiner Freunde, und besonders der Fachleute unter ihnen, sind ihm wichtig. Als er kurz nach der Veröffentlichung der Principles eine Europareise antritt, bittet er Trower i n einem Brief aus Antwerpen: „Es wäre wirklich sehr nett von Ihnen, wenn Sie m i r alle Punkte mitteilen würden, die ich besser zu erklären hätte, weil sie entweder unverständlich oder falsch dargestellt sind. . . . M u r r a y 1 0 9 teilte m i r mit, daß eine zweite Auflage nötig sein wird, und Sie werden sicher verstehen, daß ich gern jede mögliche Verbesserung anbringen möchte — soweit ich es kann —; deshalb können Sie m i r keinen größeren Gefallen tun, als freimütig alles zu kritisieren 1 1 0 ." Erst acht 100 Ricardo an McCulloch am 24. 11. 1818; Bd. 7, S. 337/38. Es handelt sich u m den Schlußabsatz des Kapitels X V I „Lohnsteuern". ιοί McCulloch an Ricardo am 6.12.1818; Bd. 7, S. 351 ff. Siehe i n der Übersetzung der Principles von Waentig Kap. V I I I „Über Steuern", S. 146, Kap. X X V I I „Über Geldumlauf u n d Banken", S. 365. 102 McCulloch an Ricardo am 15. 7.1818 u n d 6.12.1818; Bd. 7, S. 280/81 u n d S. 351—354. 103 Ricardo an McCulloch am 22. 8.1818; Bd. 7, S. 286. 104 Ebenda, Bd. 7, S. 285. los W i l l i a m W y n d h a m Grenville, Baron Grenville (1759—1834), Premierminister von 1806 bis 1807. 106 Ricardo an Trower a m 10.12.1817, Bd. 7, S. 220. io? Ricardo an Trower am 22. 3.1818, Bd. 7, S. 259. los Ricardo an M i l l am 2.12.1816, Bd. 7, S. 100. 109 John M u r r a y