Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen: Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert [Reprint 2012 ed.] 9783110932355, 3484810092, 9783484810099

The social substratum of Enlightenment in the ancien régime was constituted by the various Enlightenment societies. Lear

180 3 11MB

German Pages 360 [364] Year 1999

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Inhalt
Zur Einführung
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
I. Die Aufklärungsgesellschaften
II. Die mitteldeutsche Sozietätslandschaft
III. Die Mitgliederstrukturen der mitteldeutschen Sozietätslandschaft
IV. Resümee: Strukturen der Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert
V. Anhang
Dank
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Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen: Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert [Reprint 2012 ed.]
 9783110932355, 3484810092, 9783484810099

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Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

9

Holger Zaunstöck

Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert

Max Niemeyer Verlag Tübingen

Wissenschaftlicher Beirat: Karol Bai, Manfred Beetz, U d o Bermbach, Jörn Garber, Notker Hammerstein, Hans-Hermann Hartwich, Andreas Kleinert, Gabriela Lehmann-Carli, Klaus Luig, François Moureau, Monika Neugebauer-Wölk, Alberto Postigliola, Paul Raabe, Richard Saage, Gerhard Sauder, Jochen Schlobach, U d o Sträter, Heinz Thoma Redaktion: Sigrid Buthmann

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Zaunstöck Holger: Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen: die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert / Holger Zaunstöck. - Tübingen: Niemeyer, 1999 (Hallesche Beiträge zur europäischen Aufklärung; 9) ISBN 3-484-81009-2

ISSN 0948-6070

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. Druck: ΑΖ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Geiger, Ammerbuch

Inhalt

Zur Einführung Abkürzungsverzeichnis

VII XI

Einleitung

1

1. 2. 3.

1 3

4. 5.

Korporation, Sozietät, Verein Aufklärung und Sozietäten Mitgliederstrukturen aufgeklärter Organisiertheit als Forschungsgegenstand Das Forschungsdesign Quellen und Literatur zu aufgeklärten Sozietäten in Mitteldeutschland .

7 19 25

I.

Die Aufklärungsgesellschaften

34

1. Definition und Typologie 2. Probleme der Typologie 2.1. Gelehrte Gesellschaften 2.2. Akademische Logen und Studentenorden 2.3. Der Orden der Gold- und Rosenkreuzer 3. Gesellschaften an der Peripherie der aufgeklärtenSozietätsbewegung

34 59 59 64 79 82

Π. Die mitteldeutsche Sozietätslandschaft

91

1. Sozietätslandschaft und Untersuchungszeitraum 91 2. Die Sozietätsstrukturen Mitteldeutschlands im Vergleich zum Alten Reich 97 3. Die geographische Struktur der mitteldeutschen Sozietätslandschaft . 114 4. Die Genese der mitteldeutschen Sozietätslandschaft 125

ΙΠ. Die Mitgliederstrukturen der mitteldeutschen Sozietätslandschaft 1. Strukturelle Grunddaten der Mitgliederanalyse 2. Grundzüge der Sozial-und Berufsstruktur 2.1. Exkurs: Frauen in der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung . . . 3. Das Mitgliedernetz der mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften . .

139 139 161 188 200

V

4. Doppelmitgliedschaften und Sozietätskarrieren auf individueller Ebene 4.1. Exkurs: Der Orden der Gold- und Rosenkreuzer in Mitteldeutschland

226 251

IV. Resümee: Strukturen der Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert

272

V. Anhang

279

1. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften 2. Quellen- und Literaturverzeichnis 2.1. Archivalische Quellen 2.2. Gedruckte Quellen: Periodika, Sozietätspublikationen, Berichte und Abhandlungen 2.3. Nachschlagewerke und Bibliographien 2.4. Literatur 3. Abbildungs- und Kartenverzeichnis 4. Register

VI

279 303 303 307 313 315 342 344

Zur Einführung

Die Untersuchung von Holger Zaunstöck zu den Aufklärungsgesellschaften Mitteldeutschlands ist nicht eine unter vielen. Man könnte dies zunächst meinen, denn seit die Bemühungen um die Sozialgeschichte der Aufklärung sich vor allem auf die Sozietäten, also die Vorläufer des modernen Vereinswesens, ausgerichtet haben, sind zahlreiche wichtige, interessante und ertragreiche Studien auf diesem Felde erschienen. Und trotzdem erschließt diese Arbeit Neuland. Das bedarf der Begründung. Aufklärungsforschung war lange und traditionell eine Domäne derjenigen Geisteswissenschaften, die sich mit der Analyse von Literatur jeden Genres befassen. Dies entsprach dem Grundverständnis der Aufklärung als einer geistigen Umbruchbewegung an der Schnittstelle des alten und des modernen Europa, die ihren eigentlichen Ausdruck in der Entwicklung von Philosophie und literarischer Auseinandersetzung fand. Die Geschichtswissenschaft beteiligte sich an diesen Debatten mit eigenen Beiträgen zu vergleichbaren Fragestellungen, vor allem im Kontext der Naturrechtsdebatte, oder setzte eigene Akzente mit dem Blick auf die Rezeption der Aufklärung im Kontext frühneuzeitlicher Herrschaftsstrukturen, mit Studien zum Aufgeklärten Absolutismus. Als sich die Sozialgeschichte seit den siebziger Jahren dann als Zugriff modernen gesellschaftswissenschaftlichen Arbeitens nachhaltig durchsetzte, begann auch das Umdenken in der historischen Aufklärungsforschung. Sozialgeschichte der Aufklärung wurde gefordert und realisierte sich in Untersuchungen zum Spektrum der Gesellschaftsformen des 18. Jahrhunderts, zu Lesegesellschaften, Patriotischen Gesellschaften, zur Freimaurerei und vergleichbaren Organisationen (vgl. dazu die systematische Problematisierung dieses Spektrums in Kapitel I). Konsequenterweise übernahmen diese Forschungen Fragestellungen und Methodik der allgemeinen Sozialgeschichte: Man blickte auf die schichtspezifische Zuordnung. Welche Gruppen, Schichten, Klassen bzw. Stände, welche Segmente der Gesellschaftsstruktur allgemein fanden sich im Ausschnitt der organisierten Aufklärungsbewegung wieder? Welche Berufe waren besonders vertreten, welche Konfession dominierte? Diese Fragen lagen auf der Hand, sie zu beantworten stieß allerdings auf bedeutende Schwierigkeiten. Die Probleme ergaben sich daraus, daß Fragestellungen und Methoden der modernen Sozialgeschichte ja wesentlich an der Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts entwickelt worden waren. Hier hatte man es mit Material zu tun, das dem entstehenden oder bereits voll ausgebildeten statistischen Zeitalter zu verdan-

vn

ken war und das der Historiker zur Bearbeitung fertig vorfand. Das Jahrhundert der Aufklärung gehört dagegen noch zur vorstatistischen Zeit, und selbst diejenigen seriellen Quellen, die auch eine frühneuzeitliche Sozialgeschichte zur Verfügung hat - Steuerlisten, Kirchenbücher, städtische Einwohnerverzeichnisse und dergleichen mehr - führen hier nicht weiter, denn es geht ja nicht um Behördenhandeln, um frühmoderne staatliche Verwaltung, sondern um Organisationsformen der Privatgesellschaft, die Fürsten oder Räte zwar privilegierten und damit legalisierten, an deren Dokumentation jedoch kein Interesse bestand. Es fehlt also am Grundlagenmaterial; es gibt keine Reichs- oder Landesstatistik der Privatgesellschaften zwischen 1700 und 1800. Will der Historiker wissen, wieviel Bürgerliche, Adlige, wieviele Katholiken oder Protestanten, wieviele Pfarrer oder Handwerker sich an der Gesellschaft der Aufklärer beteiligten, so muß er sich dieses Zahlenmaterial selbst zusammenstellen. Die einzige Möglichkeit dazu ist der Zugriff auf die Mitgliederlisten, und die wurden natürlich nicht zentral gesammelt. So wurden (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, die allerdings einem jeweils erheblich verengteren Zugriff folgen - siehe dazu die Einleitung des Autors) nur Zufallsfunde ausgewertet, die Überlieferung besonders berühmter Gesellschaften oder zwei oder drei für einen städtischen Kontext wichtige Sozietäten. Ein Gesamtbild der Aufklärergesellschaft konnte sich auf diese Weise nicht ergeben - nirgendwo gelangte man zu flächendeckenden Ergebnissen. Generelle Aussagen über die Trägerschichten dieser gesellschaftlichen Formation bewegten sich grundsätzlich im Bereich der Spekulation. Holger Zaunstöck hat aus der vorgefundenen Forschungslage die Konsequenz gezogen, die hier einzig einen Durchbruch ermöglicht. Er hat versucht, die Vergesellschaftung in einem großen landschaftlichen Zusammenhang komplett zu erfassen, so komplett, wie es die Überlieferung eben erlaubt. Das Ergebnis war die Feststellung von insgesamt 301 Sozietäten, die in Mitteldeutschland zwischen 1700 und 1799 gegründet worden sind - zum Vergleich: Die bekannte und zu ihrer Zeit als Pionierarbeit zu betrachtende Liste Richard van Dülmens in seinem Standardwerk zur Gesellschaft der Aufklärer (1986) weist für das gesamte Reich (zuzüglich der Schweiz und anderer deutschsprachiger Gebiete außerhalb des Reiches) rund 850 Gründungen aus, also nicht einmal das Dreifache. Diese Gegenüberstellung macht schlagartig deutlich, daß nur die Kumulation derartiger intensiver regionalgeschichtlicher Untersuchungen zu realistischen Vorstellungen über den Dichtegrad des Sozietätennetzes im gesamten deutschsprachigen Raum führen kann. Schon jetzt ist evident, daß wir uns ganz andere Größenordnungen vorstellen müssen. Ein besonderer Extremfall sind dabei die Gelehrten Gesellschaften. Hier kann Zaunstöck alleine für Mitteldeutschland eine größere Fallzahl nachweisen, als bisher für das gesamte Reich angegeben wurde. Identifizierung und Katalogisierung der mitteldeutschen Sozietäten ist ein gewichtiger Teil der Arbeit, aber nicht ihr Ziel, vielmehr die Voraussetzung für die

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eigentlich beabsichtigte Analyse. Um sich die Grundlage dafür zu schaffen, hat Zaunstöck für die ermittelten Gesellschaften alle Mitgliederlisten zusammengetragen, die auf unsere Zeit überkommen sind und auffindbar waren. So schafft er sich die statistische Basis, die die Überlieferung als Ganzes nicht bietet, selbst. Quantifizierende Forschung in nicht-öffentlichen Bereichen der vorstatistischen Zeit kann nur so verfahren, daß sie sich aus allem überkommenen Material quasi Kunststatistiken aggregiert, die nur zum Zweck der wissenschaftlichen Auswertung erstellt werden. Zaunstöck ist in beeindruckender Weise fündig geworden: Auf der Basis von nahezu 300 Mitgliederlisten und zahlreichen Einzelangaben konnte er 9 014 Mitgliedschaften in seine Datenbank einspeisen und so eine Grundlage für eine Strukturuntersuchung der Gesellschaft der Aufklärer des 18. Jahrhunderts erarbeiten, die es bisher nicht gegeben hat. Mit diesem Material kann man nun vieles anfangen. Der Autor stellt zunächst die bekannten Fragen des sozialgeschichtlichen Zugriffs nach Ständeverteilung, Konfession, Berufen. Aber er kann sie natürlich nun gänzlich neu beantworten eben nicht mehr auf das Basis von Stichproben oder Einzelfällen, sondern auf der Grundlage eines breit erhobenen, dichten Materials. Schon mit diesem Resultat würde seine Arbeit Maßstäbe setzen. Die entscheidenden Ergebnisse liegen jedoch noch jenseits derartiger Fragestellungen. Wie die Geschichtswissenschaft ingesamt in ihrer Entwicklung von den siebziger zu den neunziger Jahren ihren Zugriff von den Standards der Sozialgeschichte zu neuen Fragen von Kultur-, Alltags- und Mikrogeschichte hin verschoben hat und so auch im Rahmen der Gesellschaftsentwicklung das Verhalten einzelner Gruppen und Personen gegenüber den großen kollektiven Strukturen stärker in den Blick kam, so richtet sich Zaunstöcks Ansatz letztlich auf Beobachtungen am personenbezogenen Material. Und dabei kommt ihm nun ein Strukturmerkmal seiner Datenbasis entgegen. Hat der quantifizierend an vormodernen Verhältnissen arbeitende Historiker einerseits das Problem, daß er sich seine Materialgrundlage erst selbst schaffen muß, so gewinnt er daraus andererseits seinen bedeutenden Vorteil. Die moderne amtliche Statistik erhebt ihr Material prinzipiell anonym, d.h. die individuellen Informationen, die in dieses Datenaggregat eingehen, verschwinden darin und sind vom Bearbeiter nicht mehr rückholbar. Hier entsteht dagegen eine gänzlich andere Situation: Das Datenmaterial setzt sich zusammen aus den Angaben zur Mitgliedschaft einzelner Personen, und diese Personen sind im Bearbeitungs- und Analysevorgang ständig wieder identifizierbar. Methodisch gefaßt, erlaubt ein solches Verfahren den prosopographischen Zugriff, der bekanntlich eine Zusammenführung von historisch-individueller, personenbezogener Analyse und sozialwissenschaftlich-generalisierender Vorgehensweise darstellt. Auf dieser Basis können nun Fragen gestellt und beantwortet werden, die weit über die Sozialgeschichte der Aufklärung älteren Typs hinausgehen.

IX

Wenn der Leser sich bis zu diesem Punkt vorarbeitet, wird seine Geduld belohnt, die er gegenüber der naturgemäß abstrakten und trockenen, typologisierend verfahrenden Darstellung bis dorthin aufgebracht hat. Denn im Schlußteil der Arbeit wird anschaulich, was eine prosopographisch verfahrende Gesellschaftsgeschichte der Aufklärung leisten kann: Sie kann den Weg des einzelnen Mitglieds durch zwei oder mehr verschiedene Sozietäten verfolgen, kann zeigen, welche Kombinationen von Mitgliedschaften präferiert werden, welches Netz von Zugehörigkeiten und Kontakten auf diese Weise entstand. Wie sah das Sozialprofil derjenigen aus, die sich an diesem Netzwerk beteiligten? Welche Standorte sind besonders miteinander verbunden? Wie oft kamen solche Vernetzungen vor? Schließlich werden einzelne Personen vorgestellt, die nicht nur Doppel-, sondern Mehrfachmitgliedschaften unterhielten, und dies in besonders intensivem Ausmaß. Deren individuelle Sozietätskarrieren werden ermittelt, verfolgt und beschrieben. Hier findet Gesellschaftsgeschichte der Aufklärung statt, die die Strukturgeschichte der Oberflächenformationen mit prosopographisch-individualisierender Tiefenschärfe verbindet. Zaunstöcks Arbeit ist in jeder Hinsicht eine Pilotstudie. Sie baut auf den bisherigen Ansätzen der historischen Aufklärungsforschung auf und geht in entscheidenden Schritten über sie hinaus. Das heißt nicht, daß nicht weitere Schritte möglich sind. Der Autor hat gleichsam ein Tor aufgestoßen, durch das andere hindurchgehen können, um neue Fragen zu stellen, z.B. solche nach den Motivationen für das analysierte Verhalten, nach dem Alltag und den Inhalten der Beziehungen und Kontakte. All dies wird in Zukunft aber aufbauen müssen auf den hier entwikkelten Verfahrensweisen. Diese Hallenser Dissertation setzt Maßstäbe, an denen zukünftige Arbeiten zu messen sind. Halle, im September 1998

X

Monika Neugebauer-Wölk

Abkürzungsverzeichnis

ADB DbA GStAPK HsAbt. StA ThHStA ThStA ThULB UA UB

Allgemeine Deutsche Biographie Deutsches biographisches Archiv Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (Dahlem) Handschriftenabteilung Stadtarchiv Thüringisches Hauptstaatsarchiv Thüringisches Staatsarchiv Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek Universitätsarchiv Universitätsbibliothek

In den Abbildungen verwendete Abkürzungen: Akad. L. Deutsche G. Freimaurerl. Geheimb. Gelehrte G. Jakobinerk. Leseg. Patriot. G.

Akademische Logen Deutsche und Literarische Gesellschaften (sofern letztere nicht gesondert als „Lit. G." ausgewiesen sind) Freimaurerlogen Geheimbünde Gelehrte Gesellschaften und Akademien (sofern letztere nicht gesondert als „Akademien" ausgewiesen sind) Jakobinerklubs Lesegesellschaften Patriotisch-gemeinnützige und Ökonomische Gesellschaften

XI

Einleitung

1. Korporation, Sozietät, Verein Der Terminus der .Sozietät' war ein authentischer Begriff im deutschen Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts zur Bezeichnung von sozialen Subsystemen. Die moderne Forschung, die das soziale Organisationsverhalten im 18. Jahrhundert untersucht, verwendet synonym ebenfalls den Begriff der .Gesellschaft' im engeren Sinne; auch er ist zeitgenössisch. Sozietät und Gesellschaft werden (zusammengefaßt) als .Assoziationen' bezeichnet - diese unterschieden sich in ihrer Struktur deutlich von den älteren frühneuzeitlichen Vereinigungen - den .Korporationen'. Die Mitgliedschaft in einer Korporation war durch Geburt und Stand bestimmt und bezog sich auf das ganze Leben mit statusrelevanten Rechtsfolgen. Im Gegensatz dazu präsentierten sich Sozietäten bzw. Gesellschaften als freier, nicht korporativ-ständischer Zusammenschluß einer Gruppe von Personen, in der zeitlich uneingeschränkt die Freiheit zum Eintritt und Austritt bzw. zur Auflösung der gesamten Vereinigung bestand. Mit dem Eintritt in eine Sozietät trat das Individuum aus seiner tradierten Lebenswelt, die durch Haus, Korporation und Herrschaft begrenzt war, heraus. Der neue Wirkungskreis war nun durch einen Individualismus der Mitglieder bestimmt, der sich beispielsweise in der Freundschaftspflege oder dem Streben nach Bildung äußerte. Im frühneuzeitlichen Reich existierte also ein Dualismus zwischen Korporation und Assoziation. Diese eindeutige Trennung ist allerdings ein idealtypisches Abbild; sie wird den Gegebenheiten des Alten Reiches zwar grundsätzlich, jedoch nicht in allen Einzelfällen gerecht. Tatsächlich gab es - wie Wolfgang Hardtwig eingehend gezeigt hat zwischen beiden Organisationsformen Schnittstellen und Entwicklungslinien. Dessen ungeachtet besitzt das Begriffspaar Assoziation/Korporation einen unbestrittenen heuristischen Erklärungswert.1 1

Wolfgang Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland. 2 Bde. München 1997, hier Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution, hier insb. die Einleitung S. 9ff., insb. S. 12, sowie zur - idealtypischen - Gegenüberstellung bzw. den ,,Mischlage[n]" (S. 68) von Korporation und Assoziation insb. S. 33f., 55ff. und S. 362ff.; außerdem: Richard van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften als Forschungsproblem, in: Francia 5 (1977), S. 251-275, S. 251f., wiederveröffentlicht in: ders., Geschichte der Frühen Neuzeit. Kulturelles Handeln und sozialer Prozeß. Wien/Köln/Weimar 1993, S. 331-360; ders., Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland. Frankfurt/M. 1986 [ 2 1996, unveränderte Neuauflage], S. 120f. sowie Thomas Nipperdey, Verein als soziale Struktur im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert. Göttingen 1972 (Veröffentli-

1

Die Entwicklung der Assoziationsformen begann im 16. Jahrhundert, setzte sich über die sogenannten Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts fort und erreichte im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt.2 Die Sozietäten und Gesellschaften unterschieden sich aber nicht nur von den Korporationen; sie sind auch vom Vereinswesen nach 1800 abzugrenzen, wobei der Begriff des .Vereins' auch nominell die modernen Organisationsformen des 19. Jahrhunderts von den Sozietäten der Frühen Neuzeit unterscheidet.3 Der neuen Wortwahl entsprach eine inhaltliche Veränderung: Gegenüber den oft universell angelegten Bestrebungen der Sozietäten der Vormoderne konzentrierten sich die Vereine zumeist auf spezifische und begrenzte Ansprüche und Ziele bzw. auf den Hauptzweck der Geselligkeit.4 Die typologische Trennung zwischen den Sozietäten und Gesellschaften des 18. Jahrhunderts auf der einen sowie den Vereinen des 19. Jahrhunderts auf der anderen Seite wurde auch aus der jeweiligen Namenwahl ersichtlich. Die Gründer der Zeit vor 1800 wählten fast ausschließlich eine Wortkombination aus dem zu betreibenden Zweck zuzüglich der Charakterisierung der neuen Gemeinschaft als Gesellschaft oder Sozietät. Diese Art und Weise der Namengebung kann man durch das gesamte 18. Jahrhundert verfolgen. Die von Gottsched geleitete Vereinigung zur Förderung der deutschen Sprache nannte sich dementsprechend ,Deutsche Gesellschaft', 5 und ebenso verfuhren die Gründer der jenaischen Gesellschaft zur Übung in der lateinischen Sprache, als sie ihr den Namen ,Societas Latina Jenensis' gaben.6 Auch am Ausgang des 18. Jahrhunderts läßt sich diese Praxis noch beobachten. Die 1796 in Jena gegründete wissenschaftliche Vereinigung zur Förderung der mineralogischen Wissenschaften nannte sich .Societät für

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chungen des Max-Planck-Instituts 1), S. 1-44, wiederveröffentlicht in: ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur Neueren Geschichte. Göttingen 1976, S. 174-205, S. 174 u. 179ff. Vgl. Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, insb. S. 197ff.; van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer, S. 17-28. Die kontinuierliche Entwicklung von Sozietäten in gelehrten Kreisen der Frühen Neuzeit wird in einer Gesamtschau deutlich: Klaus Garber/Heinz Wismann (Hg.), Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Friihrenaissance und Spätaufklärung. 2 Bde. Tübingen 1996. Vgl. u.a. Nipperdey, Verein als soziale Struktur, S. 174f„ hier insb. Anm. 1; van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 252 u. 275; Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 19f. u. 24 sowie Ulrich Im Hof, Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung. München 1982, S. 184. Wolfgang Hardtwig, Verein, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 6. Stuttgart 1990, S. 789-829, S. 801f„ zur Sozietät siehe S. 791. Nachricht von der erneuerten Deutschen Gesellschaft in Leipzig und ihrer jetzigen Verfassung. Herausgegeben durch die Mitglieder derselben. Auf Kosten der Gesellschaft. Leipzig 1727. Acta Societatis Latinae Ienensis edita ab eius directore Jo. Ern. Walchio. 5 Bde. Jena 1752— 1756.

die gesamte Mineralogie'. 7 Auch arkan organisierte Vereinigungen bedienten sich dieser Terminologie.8 Zwar hießen die lokalen Vereinigungen und Zusammenkünfte der Freimaurer ,Logen', aber bereits in den Andersonschen Konstitutionen von 1723 wurde die Loge, der Ort, an dem „die Maurer zusammenkommen und arbeiten", als „gehörig eingerichtete Gesellschaft von Maurern" bzw. - wie es im Original heißt - als „duly organiz'd Society of Masons" definiert.9 Nach demselben Prinzip wurden die Vereine im 19. Jahrhundert auch als solche bezeichnet. So nannte sich etwa die 1830 gegründete Interessengemeinschaft zur Erforschung der Geschichte der Oberpfalz .Historischer Verein der Oberpfalz und von Regensburg'. 10 Gleiches gilt für den .Thüringisch-Sächsischen Verein für Erforschung des vaterländischen Altertums und Erhaltung seiner Denkmale'. 11 Aufgrund der strukturellen Unterschiedlichkeit der Assoziationen (Sozietäten bzw. Gesellschaften) gegenüber den Korporationen in der Frühen Neuzeit einerseits sowie deren Abgrenzung von den Vereinen des 19. Jahrhunderts andererseits finden in der vorliegenden Arbeit die Begriffe Sozietät und Gesellschaft für einund denselben Sachverhalt Anwendung: den freiwilligen Zusammenschluß einer Gruppe von Menschen im 18. Jahrhundert.

2. Aufklärung und Sozietäten Ein großer Teil dieser Assoziationsformen im 18. Jahrhundert stand in Verbindung mit der Aufklärung, einer übernationalen, europaweiten Bewegung, die in den verschiedenen Ländern zeitversetzt unterschiedlich geprägte Entwicklungen durchlief."

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Statuten der Societätfür die gesamte Mineralogie zu Jena (von D. Joh. Geo. Lenz, der Philosophie Professor und der Societät der gesamten Mineralogie Direktor). Jena 1799. Die Funktion des Geheimnisses (Arkanum) in der Freimaurerei bzw. den geheimen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts ist ein eigenes Forschungsfeld. Siehe dazu einführend: Manfred Agethen, Die Geheimgesellschaften, in: Jürgen Ziechmann (Hg.), Panorama der Fridericianischen Zeit. Bremen 1985, S. 571-580 und ders., Geheimbund und Utopie. Illuminateli, Freimaurer und deutsche Spätaufklärung. München 2 1987 [ Ί 9 8 4 ] (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 11), S. 127ff. sowie Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 304ff. Die Alten Pflichten von 1723. In neuer Übersetzung herausgegeben von der Großloge A. F. u. A. M. v. D. Bonn 10 1994 [Ί966], S. 11 sowie Anhang, S. 10. N. Nestler, Hundert Jahre Historischer Verein der Oberpfalz und von Regensburg, in: Verhandlungen des Historischen Vereins der Oberpfalz 80 (1930), S. 3ff. Bernhard Weißenbom, Der Thüringisch-Sächsische Verein für Erforschung des vaterländischen Altertums und Erhaltung seiner Denkmale, in: Thüringisch-Sächsische Zeitschrift fir Geschichte und Kunst 26 (1938), S. 154-200. Siehe dazu u.a.: Ulrich Im Hof, Das Europa der Aufklärung. München 1993; Peter-André Alt, Aufklärung. Stuttgart/Weimar 1996 (Lehrbuch Germanistik), S. 7ff.; Rudolf Vierhaus, Aufklärung als Lernprozeß, in: ders., Deutschland im 18. Jahrhundert. Politische Verfassung - Soziales Gefüge - Geistige Bewegungen. Göttingen 1987, S. 84-95, hier S. 91; Werner Schnei-

3

Die Aufklärung verdichtete sich im 18. Jahrhundert und umschloß im ganzen einen Zeitraum vom späten 17. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert.13 Dabei meint Aufklärung eine Epoche und eine geistige Bewegung, über welche sich die Epoche definiert; diese Bewegung wird als Säkularisierungsprozeß, als Emanzipationsvorgang beschrieben.14 Grundlegend verändert wurden dabei alle menschlichen Lebensbereiche, wobei eine „Emanzipation des Menschen aus der Welt des geschichtlichen Herkommens", d.h. seine Befreiung von all dem, was „der kritischen Prüfung durch die autonome menschliche Vernunft" nicht standhielt, angestrebt wurde.15 Dies Schloß auch ein kritisches Verhältnis der Menschen zur Religion ein. Schließlich meint Aufklärung als geistige Bewegung auch einen dauernden Prozeß zur Vervollkommnung der Menschheit.16 Dem zugrunde lag die Überzeugung, daß „die Welt der Menschen gestaltbar ist und diese die Aufgabe haben, sie kraft vernünftiger Erkenntnis, moralischer Verantwortung und ästhetischer Sensibilität einzurichten".17 Zu dieser Welt zählte auch das Individuum: „Zentrum und Bezugspunkt dieses Denkens ist der Mensch."18 Der Mensch wurde für erziehbar gehalten. Die Aufklärer gingen von einer grundsätzlich möglichen Perfektibilität aus, wobei jedoch die Grenzen dieses Prozesses erkannt wurden: das Individuum galt auch dem aufgeklärten Denken als unvollkommen.19 Die aufklärerische Emanzipationsbewegung, die sich auf den Menschen und dessen Lebensbereiche erstreckte, war eine geistige und praktische Bewegung.20

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ders, Hoffnung auf Vernunft. Aufkläningsphilosophie in Deutschland. Hamburg 1990, S. 28ff. sowie jüngst die (west-)europäisch-amerikanische Zusammenschau der Aufklärung bei: ders., Das Zeitalter der Aufklärung. München 1997 (Reihe C. H. Beck Wissen). Siehe dazu beispielhaft: Horst Stuke, Aufklärung, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 1. Stuttgart 1972, S. 243-342, S. 245; Alt, Aufklärung, S. 3ff.; Schneiders, Hoffnung auf Vernunft, S. 34 sowie außerdem Horst Möller, Fürstenstaat oder Bürgernation. Deutschland 1763-1815. Berlin 1989 (Siedler Deutsche Geschichte), Abschnitt „Was ist Aufklärung?", S. 318-326. Siehe: Stuke, Aufklärung, S. 243; Im Hof, Das Europa der Aufklärung, S. 11-18 sowie Andreas Kraus, Was ist Aufklärung?, in: Dieter Albrecht/Karl Otmar Freiherr von Aretin/Winfried Schulze (Hg.), Europa im Umbruch 1750-1850. München 1995, S. 1-15, insb. S. 3. Stuke, Aufklärung, S. 245. Kraus, Was ist Aufklärung?, S. 2-5. Basierend auf Immanuel Kant legt Kraus drei Hauptstränge der Aufklärung frei: den kritischen Bezug zur Religion, die Aufklärung als Emanzipationsbewegung und Aufklärung als Prozeß der Vervollkommnung der Menschheit; siehe dazu beispielhaft außerdem: Alt, Aufklärung, S. 11-14; Schneiders, Hoffnung auf Vernunft, S. 19ff. sowie Norbert Hinske, Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung. Versuch einer Typologie, in: Raffaele Ciafardone, Die Philosophie der deutschen Aufklärung. Texte und Darstellung. Stuttgart 1990, S. 407-458. Rudolf Vierhaus, Was war Aufklärung? Wolfenbüttel 1995 (Kleine Schriften zur Aufklärung 7), S. 23. Ebd., S.7. Ebd., S. 8; dazu auch Hinske, Die Grundideen der deutschen Aufklärung, S. 424-426. Emst Walter Zeeden, Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung. Stuttgart 1981 (Studienbuch Geschichte. Darstellung und Quellen, Heft 6), S. 123.

Im 18. Jahrhundert entfaltete sich eine spezifische Form des Denkens, Argumentierens und Urteilens, die sich an den Prinzipien der Vernunft orientierte und praktisch ausgerichtet war.21 Die Aufklärung war demnach eine Denkbewegung, die alle Bereiche des Wissens und der Lebenspraxis erfaßte bzw. erfassen wollte.22 Als oberste Maxime galt dabei die Vernunft, die dem Menschen als Vermögen, jedoch nicht als vollendete Befindlichkeit gegeben war. Aus dieser Perspektive präsentiert sich Aufklärung als Prozeß, in dem alle denkbaren und erfahrbaren Positionen diskutiert wurden: „Aufklärung ist nicht, sondern wird."23 Der deutschen Aufklärung war eine stark literarisch-philosophische Komponente inhärent. Parallel dazu folgte sie aber auch pädagogisch-volksaufklärerischen sowie praktisch ausgerichteten Intentionen. Sie entwickelte eine praxisorientierte Philosophie und Staatstheorie, die auf Reformation bestehender Institutionen des Alten Reiches und der Staaten im Reich ebenso abzielte wie auf die Vermittlung praktischer Lebenshilfe: Die „Aufklärung begnügte sich niemals nur mit Theorie, sondern wollte immer auch die Praxis".24 Die Trägerschichten dieses Aufklärungsprozesses organisierten sich in Gesellschaften, in denen sie auf unterschiedliche Weise an dessen Umsetzung und Ausbreitung arbeiteten. Die heute als ,Aufklärungsgesellschaften ' charakterisierten Sozietäten durchsetzten die Gesellschaft des Heiligen Römischen Reiches jenseits politischer und konfessioneller Grenzen. Diese Sozietäten spiegelten die grundlegenden Charakterzüge der deutschen Aufklärung, d.h. ihre philosophische wie auch praktische Ausrichtung, in ihren Tätigkeitsfeldern wider, was sich zumeist in den Bezeichnungen der verschiedenen Sozietätstypen niederschlägt. Der Bogen der Aufklärangsgesellschaften spannte sich in chronologischer Folge ihrer Entstehung von den Akademien und Gelehrten Gesellschaften, den Deutschen und Literarischen Gesellschaften über die Freimaurerlogen sowie die Akademischen Logen, die Patriotisch-gemeinnützigen bzw. Ökonomischen Gesellschaften und die Lesegesellschaften bis hin zu den Geheimbünden und zu politischen Klubs des Revo-

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Vierhaus, Was war Aufklärung?, S. 6. Ebd., S. 7. Horst Möller, Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1986 (Neue Historische Bibliothek, edition suhrkamp, N.F. 269), S. 16. Möller, Vernunft und Kritik, S. 39f.; siehe dazu ebenfalls: Rudolf Vierhaus, Deutschland im Zeitalter des Absolutismus 1648-1763. Göttingen 1978 (Deutsche Geschichte 6), S. 112; ders., Aufklärung als Lemprozeß, insb. S. 91 ff.; Schneiders, Hoffnung auf Vernunft, S. 33f.; ders., Reformaufklärung in Deutschland, in: Paul Geyer (Hg.), Das 18. Jahrhundert. Aufklärung. Regensburg 1995 (Eichstätter Kolloquium 3), S. 23-42, hier S. 27; Holger Böning, Der .gemeine Mann' als Adressat aufklärerischen Gedankengutes. Ein Forschungsbericht zur Volksaufklärung, in: Das achtzehnte Jahrhundert. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 12 (1988), Heft 1, S. 52-80 sowie ders., Volksaufklärung, in: Helmut Reinalter (Hg.), Lexikon zu Demokratie und Uberalismus 17501848/49. Frankfurt/M. 1993, S. 321-324.

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lutionszeitalters. Dieses Spektrum bildet den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit.25 Das Gesamtsystem der aufgeklärten Sozietäten wird für die Zwecke dieser Arbeit begrifflich in zwei Gruppen unterteilt, die sich aus dem Charakter ihrer Organisationsform ergeben. Denn ein Teil der Gesellschaften unterschied sich von den übrigen durch die Arbeit im Verborgenen bzw. durch die tatsächliche oder angenommene Existenz eines Geheimnisses, welches nur den Mitgliedern zugänglich war.26 Zentrum dieser Assoziationsform waren die Logen der Freimaurer. Hinzuzurechnen sind die Geheimbünde sowie die Akademischen Logen. Dieser Ausschnitt der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung wird im folgenden als deren arkaner Teil verstanden, während alle anderen Sozietätsformen den nichtarkanen Teil der aufgeklärten Gesellschaften bilden. Dabei bilden die .Jakobinerklubs' einen Sonderfall: Bei diesen Gesellschaften muß beachtet werden, daß sie nicht freiwillig im Geheimen arbeiteten, sondern nur dort, wo sie politisch nicht akzeptiert waren.27 Die arkanen und nichtarkanen Sozietätsformen verkörperten in inhaltlich sehr unterschiedlicher Form und Intensität die Aufklärung, die sich als ein Erziehungsprogramm präsentierte, dessen Ziel „der vernünftig denkende und handelnde Mensch" war.28 Daraus ergibt sich die Frage, was im 18. Jahrhundert als .vernünftig' galt. Im allgemeinen ist die Forschung an einem modern verstandenen Vernunftbegriff orientiert - dies aber wird in den neuesten Arbeiten zu den arkanen Gesellschaftsformen kritisch reflektiert.29 Die vorliegende Arbeit greift aus ihrer ausschließlich organisationsgeschichtlichen Perspektive in diese Debatte nur am Rande ein, bezogen auf den ,Orden der Gold- und Rosenkreuzer' des 18. Jahrhunderts. Der Orden gilt in der einschlägigen Forschung als antiaufklärerische Geheimgesellschaft; er wurde bisher als eine masonische Fehlentwicklung verstanden, obwohl seine Existenz nicht zweifelsfrei von der allgemeinen, mit der Aufklärung identifizierten, Freimaurerei zu separieren ist.30 Erst jüngst hat Rudolf Schlögl anhand von naturphilosophisch-hermetischem Gedankengut eindrucksvoll gezeigt,

25

26 27

28 29

30

6

Zur typologischen Definition der einzelnen Gesellschaftsformen siehe das Kapitel I; dort auch ausführliche Literaturangaben. Siehe dazu: Möller, Vernunft und Kritik, S. 213-232. Siehe dazu exemplarisch: Monika Neugebauer-Wölk, Die Statuten des Stuttgarter Jakobinerklubs. Strukturen für Konstitutionsgesellschaften in Deutschland, in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. 5 Bde. Weimar/Köln/Wien 1997-99, hier Bd. 2: Frühmoderne (1997), S. 455-480. Vierhaus, Deutschland im Zeitalter des Absolutismus, S. 109f. Vgl. Monika Neugebauer-Wölk, Die Geheimnisse der Maurer. Plädoyer für die Akzeptanz des Esoterischen in der historischen Aufklärungsforschung, in: Das achtzehnte Jahrhundert. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 21 (1997), Heft 1, S. 15-32 sowie dies., Esoterische Bünde und Bürgerliche Gesellschaft. Entwicklungslinien zur modernen Welt im Geheimbundwesen des 18. Jahrhunderts. Wolfenbüttel 1995 (Kleine Schriften zur Aufklärung 8). Vgl. Neugebauer-Wölk, Die Geheimnisse der Maurer, S. 17.

daß Verbindungslinien zwischen Freimaurerei und Gold- und Rosenkreuzertum existierten.31 In unterschiedlicher Weise und Intensität waren naturphilosophische Wissensbestände und Traditionsbezüge in allen maurerischen Erscheinungsformen präsent. Obwohl sich die dreigradig aufgebauten Johannislogen davon abgrenzten, blieb diese Traditionslinie lebendig; ihre Aktivierung war bei einzelnen Freimaurern im Bedarfsfall möglich. In der Hochgradmaurerei fanden sich dann latent naturphilosophisch-hermetische Vorstellungen und Bezüge; der Orden der Gold- und Rosenkreuzer hatte sie verinnerlicht.32 Aufgrand dieser Überschneidungen findet der Geheimbund der Gold- und Rosenkreuzer Eingang in die folgende Strukturuntersuchung der aufgeklärten Sozietäten - nicht zuletzt um zu prüfen, ob Verbindungen zur aufgeklärten Gesellschaftsbewegung existierten. Dabei ist jedoch zu unterstreichen, daß der Orden zwar in die Untersuchung einbezogen wird, jedoch nicht unkritisch als Aufklärungsgesellschaft in den Kanon der oben genannten Sozietäten integriert wird, sondern als Korrektiv zur Überprüfung der Frage dient, wie weit die Kategorie der Aufklärungsgesellschaft reichen kann.

3. Mitgliederstrukturen aufgeklärter Organisiertheit als Forschungsgegenstand Seit der Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts nimmt die Erforschung aufgeklärter Sozietäten in der Geschichtswissenschaft zur Frühen Neuzeit einen festen Platz ein. Im Zentrum der literatur- und philosophiegeschichtlichen Aufklärungsforschung steht die sozialgeschichtliche Untersuchung des organisatorischen Niederschlags der Aufklärung im gesellschaftlichen Leben des Ancien Régime dagegen eher nicht. Dies wird an zwei jüngeren Beispielen deutlich. In dem 1995 erschienenen Lexikon der Aufklärung findet sich kein Artikel „Sozietäten" oder „Gesellschaften", der diesen Gegenstand zu systematisieren versuchte.33 Zum anderen publizierte die Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts etwa zur selben Zeit in ihrem Periodikum einen Forschungsüberblick zum Thema Aufklärungsforschung - Bilanzen und Perspektiven, in dem die Sozietätenforschung ebenfalls keine Rolle spielte.34 Nichtsdestoweniger ist der Komplex aus der heutigen Forschungslandschaft nicht mehr wegzudenken. Dies ist nicht zuletzt

31

32 33 34

Rudolf Schlögl, Die Moderne auf der Nachtseite der Aufklärung: Zum Verhältnis von Freimaurerei und Naturphilosophie, in: Das Achtzehnte Jahrhundert. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 21 (1997), Heft 1, S. 33-60. Ebd., siehe insb. S. 37, 44, 48 sowie die zusammenfassenden Schlußbetrachtungen S. 58-60. Werner Schneiders (Hg.), Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa. München 1995. 20 Jahre DGEJ. Aufklärungsforschung - Bilanzen und Perspektiven. Wolfenbüttel 1995 (Das Achtzehnte Jahrhundert. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 19, Heft 2).

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auf die Tatsache zurückzuführen, daß in der deutschen Geschichtswissenschaft die Tradition der Sozietätsforschung bis weit in das 19. Jahrhundert zurückreicht. 3 5 D i e ersten Arbeiten zu Gesellschaften d e s 18. Jahrhunderts, die i m L a u f e des 19. Jahrhunderts entstanden, entsprangen zunächst d e m Interesse einzelner dieser Vereinigungen an ihrer eigenen Geschichte; dabei handelte es sich u m Selbstdarstellungen, stark ereignisgeschichtlich orientiert, aber quellenfundiert. 3 6 Überblickt man die Titel dieser Arbeiten, wird deutlich, daß die Untersuchungen zur Freimaurerei überwogen; den Höhepunkt dieser B e m ü h u n g e n bildete das i m Jahr 1 9 3 2 erstmals veröffentlichte Freimaurer-Lexikon

von Eugen L e n n h o f f und Oskar Pos-

ner. 37 D e r eingangs erwähnte fachwissenschaftliche A u f s c h w u n g der Forschung in den 70er Jahren, der nun auch zunehmend die anderen Sozietätstypen neben der Freimaurerei thematisierte, wurde vor allem von T h o m a s Nipperdeys A u f s a t z über den Verein als soziale Struktur b e i m Übergang v o m 18. z u m 19. Jahrhundert angestoßen. 3 8 Nipperdey arbeitete in dieser Studie die Bedeutung der aufgeklärten So35

36

37

38

8

Vgl. die Überblicksbibliographien bei: van Dülmen, Die Gesellschaft der Aufklärer, S. 180202 und Helmut Reinalter, Aufklärungsgesellschaften. Frankfurt/M. u.a. 1993 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850* 10), S. 113-126 (beide geben Hinweise zu allen Gesellschaftstypen). Vgl. u.a.: Gottlieb Birkner, Geschichte der Loge ,Zu den drei Pfeilen' im Orient Nürnberg während des ersten Jahrhunderts ihres Bestehens 1789-1889. Nürnberg 1889 und Wilhelm Dahl, Abriß der Geschichte der Loge Carl zur gekrönten Säule von 1744 bis 1894. Braunschweig 1894. Vgl. u.a.: Johann Christian Gaedicke, Freimaurer-Lexikon. Berlin 1818; Georg Schuster, Geheime Gesellschaften, Verbindungen und Orden. 2 Bde. Wiesbaden 3 1995 [Nachdruck von •1906] sowie Eugen Lennhoff/Oskar Posner, Internationales Freimaurer-Lexikon. München 1992 [unveränderter Nachdruck der Originalausgabe von Ί932], siehe hier die vorangestellte Bibliographie, S. 50-54. Ein bibliographischer Überblick kann an dieser Stelle nicht gegeben werden, siehe dazu die Bibliographien von: Georg Kloß, Bibliographie der Freimaurerei und der mit ihr in Verbindung stehenden geheimen Gesellschaften. Frankfurt/M. 1844 (Nachdruck Graz 1970); Reinhold Taute, Maurerische Bücherkunde. Ein Wegweiser durch die Literatur der Freimaurerei mit literarisch-kritischen Notizen und zugleich ein Supplement zu Kloß' Bibliographie. Leipzig 1866 [Nachdruck: Graz 1971] und August Wolfstieg, Bibliographie der freimaurerischen Literatur. Leipzig-Burg 1911-1913. 3 Bde. und 1 Ergänzungsband, bearbeitet von Bernhard Beyer. Leipzig 1926. Des weiteren sei auf die umfangreiche Bibliographie zur Freimaurerei in: Helmut Reinalter (Hg.), Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa. Frankfurt/Main 4 1993 [ Ί 9 8 3 ] (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 403), S. 365-404, hingewiesen. Nipperdey, Verein als soziale Struktur. Vgl. dazu weiterhin beispielsweise die Forschungsüberblicke: van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften und Ludwig Hammermayer, Zur Geschichte der europäischen Freimaurerei und der Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert. Genese - Historiographie - Forschungsprobleme, in: Eva H. Balázs u.a. (Hg.), Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs. Berlin 1979 (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 5), S. 9-68; siehe auch die in diesem Kontext von der Forschung umfangreich rezipierten Arbeiten von Reinhart Koselleck und Fritz Valjavec: Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt/M. 7 1992 [ Ί 9 5 7 ] (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 36); Fritz Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815. Kronberg im Taunus/Düsseldorf 1978 (Athenäum-Droste TB 7212) [unveränderter Nachdruck der Origi-

zietäten innerhalb der ständischen Gesellschaft d e s A n c i e n R é g i m e als V e r s a m m lungsort für an aufgeklärter Betätigung interessierte Personen heraus, die mit dies e m Organisationsverhalten die Grundlagen für die Herausbildung einer bürgerlichen Gesellschaft legten. Parallel zu Nipperdeys Aufsatz war eine Arbeit v o n Marlies Prüsener erschienen, die die Lesegesellschaften im Deutschland der A u f klärung untersuchte, w o b e i sie die außerordentlich extensive Ausbreitung d i e s e s Gesellschaftstyps am A u s g a n g des 18. Jahrhunderts z e i g e n konnte. 3 9 In der F o l g e entstanden in der deutschen Sozietätsforschung weitere Untersuchungen zu unterschiedlichen Sozietätstypen einerseits und einzelnen

Gesell-

schaften andererseits. 4 0 D a n e b e n wurde dann aber seit B e g i n n der 80er Jahre das Spektrum der aufgeklärten Sozietäten insgesamt in e i n e m integrierenden Ansatz z u m Gegenstand des Interesses. A l s erster hat eine s o l c h e Zusammenschau Ulrich Im H o f 1 9 8 2 mit seiner Monographie Das gesellige

Jahrhundert

vorgelegt; 1 9 8 6

erschien eine weitere den Aufklärungsgesellschaften g e w i d m e t e Gesamtdarstellung v o n Richard van D ü l m e n über die Gesellschaft

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41

der Aufklärer.*1

Mitte der 80er

nalausgabe 1 1951 ]. Außerdem konnte auf erste Vorarbeiten zu nichtarkanen Gesellschaften zurückgegriffen werden, siehe: Georg Mann, Die medizinischen Lesegesellschaften in Deutschland. Köln 1956; Hans Hubrig, Die patriotischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts. Weinheim 1957 und Helmut Siefert, Das naturwissenschaftliche und medizinische Vereinswesen im deutschen Sprachgebiet (1750-1850). Hannover 1969. Marlies Prüsener, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Lesergeschichte, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens XIII (1972), Sp. 369-594; vgl. auch: dies., Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe 28 (1972), S. 189-301. Prüsener konnte dabei auf eine Studie zurückgreifen, in der erstmals eine flächendeckende Erfassung von Lesegesellschaften angestrebt worden war: Irene Jentsch, Zur Geschichte des Zeitungslesens in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Diss. Leipzig 1937. Außerdem wurden die Lesegesellschaften in dieser frühen Phase untersucht von: Klaus Gerteis, Bildung und Revolution. Die deutschen Lesegesellschaften am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Archiv für Kulturgeschichte 53 (1971), S. 127-139 und Barney M. Milstein, Eight Eighteenth Century Reading Societies. A sociological Contribution to the History of German Literature. Bern/Frankfurt a.M. 1972. Siehe dazu: Peter-Christian Ludz (Hg.), Geheime Gesellschaften. Heidelberg 1979 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung V/I); Rudolf Vierhaus (Hg.), Deutsche patriotische und gemeinnützige Gesellschaften. München 1980 (Wolfenbütteler Forschungen 8); Otto Dann (Hg.), Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation. Ein europäischer Vergleich. München 1981; Reinalter, Freimaurer und Geheimbünde\ Ludwig Hammermayer, Muminaten in Bayern. Zu Geschichte, Fortwirken und Legende des Geheimbundes, in: Hubert Glaser (Hg.), Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat. Beiträge zur bayerischen Geschichte und Kunst 1799 bis 1825. München/Zürich 1980 (Wittelsbach und Bayern ΙΠ/1), S. 146-173; Hans-Dieter von Engelhardt/Hubertus Neuschäffer, Die livländische gemeinnützige und ökonomische Sozietät (1792-1939): ein Beitrag zur Agrargeschichte des Ostseeraumes. Köln u.a. 1983 und Ludwig Deike, Die Entstehung der Celler Landwirtschaftsgesellschaft. Ökonomische Sozietäten und die Anfange der modernen Agrarreform im 18. Jahrhundert, bearbeitet von Ilse Deikert und Carl-Hans Hauptmeyer. Hannover 1994. Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, zu den Sozietäten insb. S. 112-175 und van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer; siehe außerdem das ebenfalls 1986 publizierte Buch von Horst Möller, Vernunft und Kritik, hier S. 213-280. Diese Arbeiten werden in verschiedenen Passagen meiner Darlegungen eingehend zitiert bzw. diskutiert.

9

Jahre hatte die Erforschung der Aufklärungsgesellschaften „große Konjunktur". 42 Beiträge z u m neuesten Stand der Forschung über Sozietäten zur Zeit der Aufklärung bietet schließlich ein 1993 von Helmut Reinalter herausgegebener S a m m e l band.« M e t h o d i s c h blieben die Arbeiten zur Sozietätsgeschichte nicht auf ereignis-, personen-, ideen- und wirkungsgeschichtliche Fragestellungen beschränkt,

die

traditionell die Sozietätsforschung beherrscht hatten, da zunehmend ein sozialhistorischer A n a l y s e z u g a n g entwickelt wurde. D e n Impuls dafür gab Franklin Kopitzsch bereits 1976 mit seiner Arbeit über die Sozialgeschichte Aufklärung

als Forschungsaufgabe,44

der

deutschen

Es handelt sich dabei u m einen strukturell

verfahrenden Zugang, der gruppenspezifisch ausgerichtet ist, d.h. Berufsgruppen, Sozialgruppen (Stände), Konfessionsgruppen und ähnliches werden in ihrer R e präsentation in den Sozietäten untersucht. 45 Seither sind in nahezu allen Sozietätsuntersuchungen

adäquate

sozialgeschichtliche

Fragestellungen

berücksichtigt

worden; eine R e i h e von Untersuchungen zu einzelnen Gesellschaften b z w . Sozietätstypen belegt dies eindrucksvoll. 4 6

42

43 44

45

46

10

Helmut Reinalter, Freimaurerei und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert - Überlegungen zu einigen Neuerscheinungen, in: Aufklärung - Vormärz - Revolution. Jahrbuch der internationalen Forschungsstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 6 (1986), S. 78-87, S. 82; siehe außerdem Manfred Agethen, Aufklärungsgesellschaften, Freimaurer, Geheime Gesellschaften. Ein Forschungsbericht (1976-1986), in: Zeitschrift für Historische Forschung 14 (1987), S. 439-463, der konstatiert, daß den aufgeklärten Gesellschaften seit den siebziger Jahren ein „intensives Forschungsinteresse" entgegengebracht wurde (S. 439) und Etienne François (Hg.), Geselligkeit, Vereinswesen und Bürgerliche Gesellschaft in Frankreich, Deutschland und der Schweiz, 1750-1850. Paris 1986. Reinalter, Auflclärungsgesellschaften. Franklin Kopitzsch, Einleitung: Die Sozialgeschichte der deutschen Aufklärung als Forschungsaufgabe, in: ders. (Hg.), Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland. Münster 1976 (Nymphenburger Texte zur Wissenschaft. Modelluniversitat 24), S. 11-172; siehe auch: ders., Grundzüge einer Sozialgeschichte der Auflclärung in Hamburg und Altona. 2 Teile. Hamburg 1982. Zu den Hamburger Sozietäten siehe Teil 1, S. 260-452 und Teil 2, S. 522-596, sowie für Altona Teil 2, S. 738-786. Siehe dazu exemplarisch das Fazit bei Agethen, Aufklärungsgesellschaften, Freimaurer, Geheime Gesellschaften, insb. S. 461-463. Siehe dazu exemplarisch: Eva Huber, Zur Sozialstruktur der Wiener Freimaurerlogen im Josephinischen Jahrzehnt, in: Helmut Reinalter (Hg.), Außlärung und Geheimgesellschaften. Zur politischen Funktion und Sozialstruktur der Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert. München 1989 (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 16), S. 173-187 und Rolf Graber, Bürgerliche Öffentlichkeit und Spätabsolutistischer Staat. Sozietätenbewegung und Konfliktkonjunktur in Zürich 1746-1780. Zürich 1993, insb. S. 29-43. Die Sozialstruktur der Freimaurerei in Brandenburg-Preußen hat Karlheinz Gerlach eingehend untersucht: Karlheinz Gerlach, Die Freimaurer im mittleren Brandenburg-Preußen 1775-1806. Geschichte und Sozialstruktur, in: Fridericianische Miniaturen 3 (1996), S. 39-64; ders., Zur Sozialstruktur der Großen National-Mutterloge ,Zu den drei Weltkugeln' 1775-1805 in Berlin, in: Quatuor Coronati Jahrbuch 28 (1991), S. 105-125; ders., Die große Landesloge der Freimaurer in Deutschland 1769-1807 in Berlin. Zur Sozialgeschichte der Freimaurerei im 18. Jahrhundert, in: Quatuor Coronati Jahrbuch 30 (1993), S. 79-97; ders., Die Berliner Freimaurer 1740-1806. Zur Sozialgeschichte der Freimaurerei in Brandenburg-Preußen, in: Erich Donnert (Hg.), Europa in

V ö l l i g in den A n f ä n g e n befindet sich demgegenüber die prosopographische Analyse

der Aufklärungsgesellschaften. 4 7

Die

individualisierende

quantitative

Erfassung d e s Personals der aufgeklärten Sozietäten ist für das Alte Reich bislang nur sporadisch und ansatzweise erfolgt. Voraussetzung für e i n e tiefgreifende U n tersuchung v o n Mitgliedschaftsstrukturen der aufgeklärten G e s e l l s c h a f t s b e w e g u n g ist aber deren möglichst detaillierte quantitative Erhebung. Daher m ü s s e n zunächst „annähernd zuverlässige quantifizierende Aussagen" ermittelt werden, denn bislang sind „genaue und umfassende Zahlenangaben ein Desiderat". 4 8 Jüngst forderte Fred E. Schräder erneut die „ b r e i t e s t m ö g l i c h e [Hervorh. H. Z.] Sicherung, Erfassung und systematische

Auswertung der überlieferten

sozialhistorischen

Quellen". 4 9 Konkret sind in d i e s e m Kontext z w e i Arbeiten zu nennen. Z u m einen ist dies die Pionierarbeit Hermann Schüttlers, der 1991 die Mitgliederliste des .Illuminatenordens' publizierte. 5 0 Schüttler legte in dieser Arbeit die Größenordnung und personelle Zusammensetzung des Geheimordens o f f e n und schuf damit e i n e unverzichtbare Arbeitsgrundlage für die Erforschung v o n

Mitgliederstrukturen. 5 1

Z u m anderen kann auf eine bislang weit weniger rezipierte Arbeit verwiesen werden. Jürgen Kiefer hat (in Zusammenarbeit mit Horst Rudolf A b e ) 1993 und 1 9 9 4 das Mitgliederverzeichnis der .Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt' v o n 1 7 5 4 - 1 9 4 5 publiziert. 52 Kiefer hielt in seinem alphabetisch geordneten

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der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. 5 Bde. Weimar/Köln/Wien 1997-99, Bd. 4: Deutsche Aufklärung (1997), S. 433-453. Zur Prosopographie siehe die Ausführungen in Abschnitt 4 der Einleitung. Möller, Vernunft und Kritik, S. 221 (hier gefordert im Kontext der freimaurerischen Forschung) sowie S. 223; so auch im Kontext der Lesegesellschaften: Martin Welke, Gemeinsame Lektüre und frühe Formen von Gruppenbildung im 17. und 18. Jahrhundert: Zeitungslesen in Deutschland, in: Dann, Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation, S. 29-53, insb. S. 44f. Fred E. Schräder, Soziabilitätsgeschichte der Aufklärung. Zu einem europäischen Forschungsproblem, in: Francia 19/2 (1992), S. 177-194, S. 183. Hermann Schüttler, Die Mitglieder des Illuminatenordens 1776-1787/93. München 1991 (Deutsche Hochschuledition 18). Schüttlers Arbeit ist inzwischen durch zwei Untersuchungen von W. Daniel Wilson ergänzt und vervollständigt worden. Zunächst publizierte Wilson nahezu parallel zu Schüttler eine Liste der Mitglieder des Ordens in Weimar, Jena und Gotha; ders., Geheimräte gegen Geheimbünde. Ein unbekanntes Kapitel der klassisch-romantischen Geschichte Weimars. Stuttgart 1991, S. 357-362. Außerdem erarbeitete Wilson in einem Aufsatz Ergänzungen, Anmerkungen und Präzisierungen zu Schüttlers Muminatenliste: ders., Zur Politik und Sozialstruktur des Illuminatenordens. Anläßlich einer Neuerscheinung von Hermann SchütÜer, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 19/1 (1994), S. 141-175. Jürgen Kiefer (unter Mitarbeit von Horst-Rudolf Abe), Mitgliederverzeichnis der .Akademie gemeinnütziger Wissenschaften' 1754-1945, in: Beiträge zur Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte Erfurts 23 (1991-1994), S. 99-177 sowie Horst Rudolf Abe/Jürgen Kiefer, Mitgliederverzeichnis der Akademie nützlicher (gemeinnütziger) Wissenschaften zu Erfurt. Teil I (1754-1945). Erfurt 1993 (Sonderschriften der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Heft 18); siehe dazu ebenfalls: Paul Suhrow, Liste der Mitglieder der Erfurter Akademiefür gemeinnützige Wissenschaften von ihrer Gründung bis zur 2. Preußischen Zeit 1815 11

Verzeichnis die wichtigsten Basisdaten (u.a. Eintritt in die Gesellschaft und Wissenschaftsdisziplin des einzelnen) fest. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, daß bei der Analyse einzelner Sozietäten auch punktuell Mitgliederverzeichnisse publiziert wurden.53 Insgesamt betrachtet ist aber die Forschung weit von einem personellen Überblick über die aufgeklärte Gesellschaftsbewegung entfernt. Wolfgang Hardtwig forderte deshalb zu Recht 1993 die noch ausstehende „Gesamterhebung der Mitgliederstruktur der Sozietäten".54 Denn diese ist unerläßlich für die seit Ende der siebziger Jahre immer wieder geforderte Untersuchung der Vernetzung zwischen den Aufklärungsgesellschaften. Die Vermutung, es habe eine solche Vernetzung gegeben, basiert auf der schon von Kopitzsch geäußerten Annahme, „daß sich die Aufklärer meistens nicht nur in einer Organisationsform betätigten".55 Aber entsprechend der fehlenden Erfassung der individuellen Mitgliedschaft in Form einer seriellen Materialerhebung wurde in der Forschung bislang allenfalls punktuell, nicht aber flächendeckend nach Doppel· und Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Gesellschaft der Aufklärer geforscht. Hier ist auf die Arbeit von François de Capitani über die Mitgliederstruktur der .Helvetischen Gesellschaft' in der Schweiz hinzuweisen. Capitani untersuchte die Mitglieder der Sozietät anhand von Fragen etwa zur konfessionellen Zusammensetzung, der geographischen Verteilung von Gästen und Mitgliedern sowie zur Berufsstruktur.56 In diesem Kontext erstellte Capitani Kurzbiographien der Mitglieder, in denen er auch Mitgliedschaften in anderen Gesellschaften ver-

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auf Grund der Protokolle. Erfurt 1941, hand- und maschinenschriftliches Exemplar: Wissenschaftliche Allgemeinbibliothek Erfurt, C. E. 2° 1081. Vgl. u.a.: Harald Schieckel, Die Mitglieder der .Oldenburgischen Literarischen Gesellschaft von 1779' seit ihrer Gründung. Soziale Herkunft - Gesellschaftliche Stellung - Lebensdaten, in: Oldenburger Jahrbuch, 78/79 (1978/79), S. 1—17; Felicitas Marwinski,, Wahrlich das Unternehmen ist kühn ... ' Aus der Geschichte der Literarischen Gesellschaft der freien Männer von 1794/1799 zu Jena. Die Literarische Gesellschaft der freien Männer zu Jena und ihre Constitution von 1795. Jena/Erlangen 1992, S. 78f.; Sieglinde Graf, Aufklärung in der Provinz. Die sittlich-ökonomische Gesellschaft von Ötting-Burghausen 1765-1802. Göttingen 1993 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 106), S. 266-276 und Karlheinz Gerlach, Die Berliner Freimaurer 1783. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung, in: Helmut Reinalter/Karlheinz Gerlach (Hg.), Staat und Bürgertum im 18. Jahrhundert. Studien zu Frankreich, Deutschland und Österreich. Ingrid Mittenzwei zum 65. Geburtstag. Frankfurt/M. u.a. 1996 (Schriftenreihe der Internationalen .Forschungstelle Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 17), S. 191-245, insb. S. 207ff. Wolfgang Hardtwig, Wie deutsch war die deutsche Aufklärung?, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Aufbruch aus dem Ancien régime: Beiträge zur Geschichte des 18. Jahrhunderts. Köln/Weimar/Wien 1993, S. 157-184, hier S. 168f., Anm. 29, Zitat S. 169. Kopitzsch, Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona, Teil 1, S. 77; vgl. dazu auch im Kontext der Freimaurerei: Hammermayer, Zur Geschichte der europäischen Freimaurerei und der Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, S. 12 u. 32 sowie Helmut Reinalter, Einleitung. Zur Aufgabenstellung der gegenwärtigen Freimaurerforschung, in: ders., Freimaurerund Geheimbünde, S. 9-31, S. 15 u. 17. François de Capitani, Die Gesellschaft im Wandel. Mitglieder und Gäste der Helvetischen Gesellschaft. Frauenfeld/Stuttgart 1983 (Bd. 2 von: Ulrich Im Hof/François de Capitani, Die Helvetische Gesellschaft. Spätaufklärung und Vorrevolution in der Schweiz), S. 17-74.

merkte und somit auf die Vernetzung der schweizerischen Gesellschaftsbewegung hinwies.57 Darüber hinaus aber traten nur vereinzelt Ergebnisse zu Tage, die nicht aus gezielten Fragestellungen resultierten, sondern eher ein Nebenprodukt anderer Forschungsansätze waren.58 Als jedoch zunehmend deutlich wurde, daß es sich bei den Mehrfachmitgliedschaften nicht nur um Einzelfälle, sondern um ein weitverbreitetes Phänomen handelte, formte sich die Vermutung zur Gewißheit, daß die Thematisierung dieser Frage lohnenswerte Ergebnisse für die Sozietätsforschung im engeren und die Aufklärungsforschung im weiteren Sinn erbringen würde. So war es nur eine Frage der Zeit, bis diese Themenstellung aufgegriffen und formuliert wurde. Nun schien es möglich, der Struktur der organisierten Aufklärung sowie dem Grad ihrer Ausbreitung und quantitativen Dichte im Alten Reich auf die Spur zu kommen. 1986 faßte Horst Möller die grundlegenden Annahmen über die Struktur von Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften zusammen. Die Aufklärungsgesellschaften waren demnach durch häufige Mehrfachmitgliedschaften miteinander verknüpft, die „den Zusammenhang der Geheimgesellschaften mit den übrigen Aufklärungsgesellschaften bis hin zu den gelehrten Akademien" zeigen würden.59 Eine Grundlage für die Existenz von Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften sah Möller in der Kurzlebigkeit vieler Geheimgesellschaften und Logen. Aber weder die Beliebtheit geselliger Verbindungen in dieser Zeit noch die Kurzlebigkeit der Gesellschaften und die damit gegebenenfalls verbundenen Sozietätswechsel waren die ausschließlichen Gründe für Mehrfachmitgliedschaften. Neben einer „vertikalen sozialen Mobilität", d.h. dem möglichen sozialen Aufstieg durch eine Sozietätsmitgliedschaft, zählte außerdem die „horizontale Mobilität über nationale Grenzen hinweg" dazu.60 Auch Möller kam im Fazit zu der Feststellung, daß die Analyse

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Siehe dazu ebd., S. 13f. sowie S. 113ff. Die Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften werden unter „14. Andere Gesellschaften" beschrieben (S. 117f.). An dieser Stelle macht der Autor ausdrücklich deutlich, daß es um die Feststellung dieses Sachverhalts ging: „Um die Verflechtung der Personen im Labyrinth der Gesellschaftsbewegung des 18. Jahrhunderts feststellen zu können, wurde die Mitgliedschaft in den wichtigsten erfassbaren Gesellschaften aufgenommen." Vgl. dazu ausführlich Abschnitt 3.3. Beispielsweise wurde in der Literatur zu den Lesegesellschaften daraufhingewiesen, daß auch Kontakte zu anderen Sozietätsformen bestanden hätten; siehe Marlies Stützel-Prüsener, Lesegesellschaften, in: Reinalter, Aufklärungsgesellschaften, S. 39-59, hier S. 50; Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 128 sowie Felicitas Marwinski, Lesen und Geselligkeit. Jena 1991, S. 134-136. Auch bei der Analyse einzelner Sozietäten stießen die Autoren auf solche Verbindungen; siehe beispielhaft Norbert Schindler/Wolfgang Bonß, Praktische Aufklärung - Ökonomische Sozietäten in Süddeutschland und Österreich im 18. Jahrhundert, in: Vierhaus, Deutsche patriotische und gemeinnützige Gesellschaften, S. 255-353, hierinsb. S. 311, Anm. 31, Möller, Vernunft und Kritik, S. 223f.; das folgende S. 224. Ebd., S. 257. Möller führt dies am Beispiel der .Berliner Akademie der Wissenschaften' aus, weist aber zugleich ausdrücklich darauf hin, daß die „hier dargestellten Charakteristika der Berliner Akademie" sich „im wesentlichen" auch bei anderen vergleichbaren Akademien finden ließen. Als weiteres Beispiel nennt er die .Akademie der Wissenschaften in München'.

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dieser Gegebenheiten lohnenswert sei, da sie Grundlegendes über die sozialgeschichtliche Struktur der Aufklärung erkennen ließe: „Die Mehrfachmitgliedschaft ist ein Indiz verwandter aufgeklärter Zielsetzung".61 Diese Mobilitäten in Form von Mehrfachmitgliedschaften seien nicht nur auf der biographischen Ebene interessant, sondern man könne über deren Ausbreitung und Intensitätsgrad zu einer Klammer verschiedener Typen der aufgeklärten Sozietätsbewegung kommen. Diese Fakten hätten sich bislang in den Biographien verschiedener bekannter Persönlichkeiten gefunden, die „im Laufe ihres Lebens nacheinander verschiedenen, manchmal höchst unterschiedlichen Geheimgesellschaften angehörten".62 Über die Kenntnis mehrfacher Mitgliedschaften einzelner berühmter Personen des 18. Jahrhunderts schloß Möller auf ein weitverbreitetes Charakteristikum der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung, dessen Erforschung von großer Bedeutung sei: Um die „Verbindungen und Überlappungen der einzelnen Gesellschaften und ihre Wirkung angemessen erfassen zu können", sei eine „Analyse der gesamten Kommunikationsstruktur der Gelehrtenrepublik" notwendig.63 Die Bedeutung der Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften in der Gesellschaft der Aufklärer für deren überlokales Ineinandergreifen war umrissen worden. Die Erforschung dieser Strukturen in Hinsicht auf die quantitative Erfassung und personelle Vernetzung jedoch blieb weiterhin ein Desiderat. Das lag in erheblichem Maß daran, daß die einschlägige internationale Forschung nicht zur Kenntnis genommen wurde. Konkrete Forschungsarbeiten, die einen derart aufgebauten methodischen Ansatz zu verwirklichen versuchen, sind zwar auch hier bislang nur in Einzelfällen vorgelegt worden, sie gehen aber deutlich über den Stand der deutschsprachigen Forschungen hinaus. Hierbei ist vor allem die 1975 eingereichte Princetoner Dissertation von James E. McClellan zu nennen, aus der 1985 seine Monographie Science reorganized hervorging.64 In beiden Arbeiten beschreibt McClellan die Struktur der internationalen, d.h. im besonderen der europäischen, Wissenschaftsgemeinschaft im 18. Jahrhundert, wobei die Akademien und Gelehrten Gesellschaften eine entscheidende Rolle spielten. In diesem Kontext untersuchte er auch das Phänomen der „common members", durch welche die Formen gelehrter Organisation des 18. Jahrhunderts „interconnected" waren und die deren „inter-institutional relations" trugen.65 Aus der Perspektive des in der vorliegenden Arbeit verfolgten methodischen Zugangs sowie dessen historiographiegeschichtli61 62

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Ebd., S. 223. Ebd., S. 224, da auch das folgende Zitat. Siehe z.B. auch S. 258: „Der schon erwähnte Zusammenhang von Akademien und Geheimgesellschaften ist aber, vom Münchener Beispiel abgesehen, für den deutschen Bereich noch nicht hinreichend erforscht." Ebd., S. 224. James Edward McClellan ΠΙ., The international organization of science and learned societies in the eighteenth century. Diss, masch. Princeton 1975 und ders., Science reorganized. Scientific Societies in the Eighteenth Century. New York 1985. McClellan, The international organization of science and learned societies, insb. S. 327ff. (die Zitate S. 327f.) und ders., Science reorganized, insb. S. 178-182.

cher Entwicklung innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft sind zwei Dinge im Kontext beider Arbeiten - der Dissertation sowie der veränderten Druckfassung - hervorzuheben. Zum einen ist anzumerken, daß die Dissertation von McClellan zu einem Zeitpunkt fertiggestellt wurde (1975), zu dem in der deutschen Historiographie das Problem der Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Aufklärungsgesellschaften des 18. Jahrhunderts als Forschungsgegenstand überhaupt noch nicht erkannt war. Dieses nicht vorhandene Problembewußtsein ist sicher der Grund dafür, daß die Studie in die einschlägigen Untersuchungen zunächst keinen Eingang gefunden hat. Erst in jüngster Zeit ist die Monographie Science reorganized in den Aufsätzen von Jürgen Voss über Akademien und Gelehrte Gesellschaften (1993) sowie von Wilhelm Kreutz über die ,Kurpfälzische Akademie der Wissenschaften' (1996) rezipiert worden, ohne daß dabei jedoch die Thematik der mehrfachen Mitgliedschaften in den wissenschaftlichen Sozietäten des 18. Jahrhunderts methodisch reflektiert wurde.66 Andererseits ist es nicht minder überraschend, daß McClellan selbst in seiner Buchveröffentlichung dem Thema offensichtlich weniger Bedeutung zumaß als in der zehn Jahre zuvor abgeschlossenen Dissertation: Der Raum zur Behandlung der .common members' hat sich in Science reorganized spürbar verkleinert.67 Auf diese Weise wurde ein erster Ansatz zur Erforschung von Vernetzungen in den aufgeklärten Sozietäten des 18. Jahrhunderts nicht aufgenommen bzw. nicht ausgebaut. Dies hätte sich nicht nur methodisch angeboten, sondern wäre auch aus inhaltlichen Gründen interessant gewesen, denn McClellan beschränkte sich in seiner Analyse auf die weithin bekannte Spitze der Akademiebewegung. Er wertete die Mitgliederlisten von zehn Akademien und Gelehrten Gesellschaften aus (Berlin, London, Paris, St.

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Jürgen Voss, Akademien und Gelehrte Gesellschaften, in: Reinalter, Aufklärungsgesellschaften, S. 19-38, S. 19 (Anm. 1), 29 u.ö. sowie Wilhelm Kreutz, Die Kurpfälzische Akademie der Wissenschaften im Kontext der regionalen, nationalen und europaischen Aufklärungsprozesse, in: Hans Erich Bödeker/Etienne François (Hg.), Aufklârung/Lumières und Politik. Zur politischen Kultur der deutschen und französischen Aufklärung. Leipzig 1996 (Deutsch-Französische Kulturbibliothek 5), S. 275-299, hier: S. 275 (Anm. 2). Beide Autoren haben an anderer Stelle auf Mitgliedschaftsverbindungen hingewiesen: Wilhelm Kreutz, Die Illuminaten des Rheinisch-pfälzischen Raums und anderer außerbayerischer Territorien. Eine .wiederentdeckte' Quelle zur Ausbreitung des radikal aufklärerischen Geheimordens in den Jahren 1781 und 1782, in: Francia 18/2 (1991), S. 115-149, insb. S. 120ff. (Kreutz nennt hier für einen Teil der rheinisch-pfälzischen Illuminaten auch andere - besonders freimaurerische - Sozietätsmitgliedschaften); Jürgen Voss, Deutsche in französischen Akademien und Franzosen in deutschen Akademien 1700-1800, in: Jean Mondot/Jean-Marie Valentin/Jürgen Voss, Deutsche in Frankreich. Franzosen in Deutschland ¡715-1789. Sigmaringen 1992, S. 39-52, insb. S. 49 sowie in diesem Kontext auch Kai Torsten Kanz, Nationalismus und internationale Zusammenarbeit in den Naturwissenschaften. Die deutsch-französischen Wissenschaftsbeziehungen zwischen Revolution und Restauration, 1789-1832. Stuttgart 1997 (Boethius. Texte und Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften 39), S. 164-190. Vgl. insb. McClellan, The international organization of science and learned societies, S. 327-339 und ders., Science reorganized, S. 178-182.

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Petersburg, Stockholm, Turin, Bologna, Philadelphia, Göttingen und Edinburgh).68 Auf dieser prominenten, übernationalen und auf einen Sozietätstyp eingeschränkten Basis, die die gelehrte Elite des 18. Jahrhunderts thematisierte, konnte er „some seven hundred instances of common membership" nachweisen;69 davon ausgehend bezifferte er die Mitgliedschaftsverbindungen auf „thousands of instances of common membership in the learned scientific societies of the eighteenth century".70 Außerdem zeigte McClellan auf dieser Grundlage rein numerisch die Anhäufung mehrerer Mitgliedschaften bei „an elite group of scientific .superstars' who formed the heart of the international scientific community".71 Das wichtigste Ergebnis seiner Untersuchung dieser Ebene wissenschaftlichen Lebens im 18. Jahrhundert war der Nachweis eines „international network of membership".72 Dagegen berührt die neuere deutsche Sozietätsforschung das Feld der Doppelund Mehrfachmitgliedschaften noch immer nur am Rande.73 Im Hinblick auf zielgerichtete und quantitativ fundierte Mehrfachmitgliedschaftsanalysen ist einzig die Arbeit von Jens Riederer über die Sozietäten in Jena und Weimar zwischen 1730 und 1830 hervorzuheben.74 In seiner Arbeit untersuchte Riederer Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften im lokalen Sozietätsraum Jena; aber dies war nicht das Hauptanliegen seiner Studie.75 Das Interesse lag dabei auf der ,,interaktive[n] Beeinflussung", d.h. der „Dichte an personalen Beziehungen zwischen den verschiedenen akademisch-studentischen Assoziationen".76 Die Grundlage dafür bildete 68 69

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McClellan, The international organization of science and learned societies, S. 334. Ebd., S. 335; siehe auch S. 333, 336-339 sowie 513-517 (Appendix 4 „Institutional Common Members"). Ebd., S. 331; siehe auch ders., Science reorganized, S. 180. Ebd., S. 475-^77, Zitat S. 477. Ebd., S. 331. Vgl. dazu: Kreutz, Die Kurpfälzische Akademie der Wissenschaften, S. 287, 290f., 292f. sowie 297f., der die Verknüpfungen der Aufklärungsgesellschaften des rheinisch-pfälzischen Raumes mit der (westeuropäischen Aufklärung untersuchte, und dabei auch personelle Identitäten zwischen verschiedenen Sozietäten als eine Form aufklärerischer Interaktion in einem vielfaltigen Beziehungsgeflecht thematisierte, sowie seine Studie über das regionale Netzwerk der kurpfälzischen Aufklärung: ders., Von der höfischen Institution zur bürgerlichen Sozietät Das regionale Netzwerk der kurpfälzischen Aufklärung, in: Mannheimer Geschichtsblätter. N.F. 3 (1996), S. 235-254. Siehe außerdem: Gerlach, Die Berliner Freimaurer 1740-1806, S. 446-453, der an dieser Stelle die „Mitgliedschaft Berliner Freimaurer in aufklärerischen oder gegenaufklärerischen Gesellschaften" behandelt (S. 446) und Hermann Schüttler, Zwei freimaurerische Geheimgesellschaften des 18. Jahrhunderts im Vergleich: Strikte Observanz und Illuminatenorden, in: Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 4, S. 521-544, 533f. und 541, der hier auch personelle Identitäten zwischen beiden Gesellschaften anmerkte. Jens Riederer, Aufgeklärte Sozietäten und gesellige Vereine in Jena und Weimar zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit 1730-1830. Sozialstrukturelle Untersuchungen und ein Beitrag zur politischen Kultur eines Kleinstaates. Diss, masch. Jena 1994. Vgl. u.a. S. 47; seine Erkenntnisschwerpunkte lagen auf der sozialstrukturellen Zusammensetzung der Gesellschaften (ebd., S. 53-57) und dem Verhältnis von landesherrlicher Staatsführung einerseits und Sozietätsbewegung andererseits (ebd., S. 244-284 und 354-386). Ebd., S. 231.

eine Datenbank über die entsprechenden Sozietätsmitgliedschaften. Dabei konnte der Verfasser nachweisen, daß in Jena die einzelnen Gesellschaften keinesfalls voneinander isoliert existierten. Auf der personalen Ebene bestand ein Beziehungsgeflecht.77 Die Analyse der Aufklärergesellschaft und der sie prägenden Doppel- und Mehlfachmitgliedschaften ist ohne Frage auf der Grundlage dieses Forschungsstandes noch nicht umfassend für das gesamte Alte Reich zu leisten. Da aber mit diesem Ansatz gerade übergreifende Zusammenhänge analysiert werden sollen, scheint es auch wenig sinnvoll zu sein, den geographischen Bezugsrahmen zu sehr einzuengen. Im Kontext solcher Überlegungen hat Otto Dann mit der .Vereinslandschaft' einen entsprechenden Terminus geschaffen. 78 Es habe sich aufgrund der Einzelstudien gezeigt, so Dann, daß die Mitgliedschaften in verschiedenen Sozietäten oft über ein begrenztes Gebiet hinausreichten. Mit dem Untersuchungsansatz einer Vereinslandschaft sollten nicht nur „einzelne Vereine, sondern die gesamte Gesellschaftsbildung einer Bevölkerung in einem bestimmten Umkreis erfaßt und analysiert" werden.79 Dadurch könnten alle Dimensionen der Entstehung, Entfaltung und Ausdifferenzierung von „modernen Gesellschaften" bis in die Ebene der „konkreten personalen Zusammenhänge hinein" erfaßt und dargestellt werden. Danns Ziel lag deutlich auf der Hand: den Kanon aller Gesellschaften in einem überlokalen Raum zu erfassen, und dieses Spektrum an Sozietäten und Vereinen auf eine personelle Interaktion hin zu prüfen: Wie war die Struktur einer Vereinslandschaft beschaffen? 80 Die Arbeit seines Schülers Eberhard Iiiner über das Vereinswesen in Elberfeld zwischen 1775 und 1850 galt Dann als Prototyp, hier sei sowohl die Entfaltung wie auch Verzweigung einer „modernen bürgerlichen Gesellschaft konkret beob-

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Für die Städte Jena und Weimar im Zeitraum von 1730 bis 1830 - unter Einschließung des großen Potentials der Studentenorden - enthielt die Datenbank über 4400 Mitgliedschaften (ebd., S. 51); siehe außerdem seine Ergebnisse ebd., S. 231-238. Otto Dann, Zum Geleit, in: Eberhard Iiiner, Bürgerliche Organisierung in Elberfeld 17751850. Neustadt an der Aisch 1982, S. 1-2, hier S. 1. Ebd., S. 2. An dieser Stelle auch das folgende sowie die Zitate. 1990 hat Emst Hinrichs den Landschaftsbegriff im Kontext der Aufklärung genutzt. Hinrichs sprach von einer .Aufklärungslandschaft", wobei er alle Formen der Aufklärung darunter zusammenfaßte - auch die Aufklärungsgesellschaften; siehe: Ernst Hinrichs, Aufklärung in Niedersachsen. Zentren, Institutionen, Ausprägungen, in: Rudolf Vierhaus (Hg.), Kultur und Gesellschaft in Nordwestdeutschland zur Zeit der Aufklärung. Bd. 1 : Das Volk als Objekt obrigkeitlichen Handelns. Tübingen 1992, S. 5-30, S. 12 u. 18. Auch Jürgen Voss setzte den Landschaftsbegriff ein, indem er von einer „Landschaft gelehrter Vereinigungen im Aufklärungszeitalter" sprach: Voss, Akademien und Gelehrte Gesellschaften, S. 20; in diesem Kontext auch Wolfgang Hardtwig, der den Begriff der, Akademielandschaft" nutzte: Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 271. Außerdem hat den räumlichen Kontext Helmut Reinalter als einen der anstehenden Forschungsschwerpunkte hinsichtlich der Aufklärungsgesellschaften hervorgehoben: So seien „Untersuchungen zu Vereinslandschaften im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Prozesses der Vereinsbildung in einer bestimmten Region" anzustreben; Reinalter, Aufklärungsgesellschaften, Einleitung, S. 14.

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achtet und in ihren Zusammenhängen verdeutlicht" worden. 81 An anderer Stelle wies er darauf hin, daß „die methodologischen Möglichkeiten eines solchen Ansatzes" noch keineswegs ausgeschöpft seien. 82 Nicht mehr nur die Erforschung von Vereinsgeschichten sei von Interesse, sondern „das gesamte Spektrum der Vereinsbildung in einem lokalen Bereich", wodurch die wissenschaftliche Fragestellung „auf das Netzwerk sozialer Organisierung und Kommunikation ausgerichtet" werde.« Seither sind einzelne Arbeiten anderer Autoren entstanden, die sich auf den Landschaftsansatz stützen. 84 So wählte beispielsweise Jens Riederer in der bereits genannten Arbeit zum Sozietätswesen in Jena und Weimar ausdrücklich als methodologischen Bezugsrahmen die Vereinslandschaft, welche „auf der Annahme vielfältiger Beziehungen, vor allem personeller, aber auch programmatischer und praktischer Art" zwischen den „Vereinen eines lokalen oder regionalen Raumes" beruht.85 Er arbeitete jedoch nicht flächendeckend, sondern ausschließlich „in städtischer Perspektive". 86 In ihrem breiten geographischen Zugriff, gekoppelt mit einer tiefgreifenden Erhebungsdichte, ist die Arbeit von Emil Erne zu den schweizerischen Sozietäten bis heute ohne Beispiel; für das Alte Reich fehlt eine solche Studie. 87 Erne setzte sich

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Dann, Zum Geleit, S. 2. Zur Untersuchung der Sozietätsstrukturen einer einzelnen Stadt siehe auch: Hans Erich Bödeker, Strukturen der Aufklärungsgesellschaft in der Residenzstadt Kassel, in: Ernst Hinrichs u.a. (Hg.), Mentalitäten und Lebensverhältnisse: Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag. Göttingen 1982, S. 55-76, hier S. 58-60,65-69 u. 72. Otto Dann (Hg.), Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland. München 1984 (Historische Zeitschrift: Beihefte N.F. 9), hier S. 5-9 (Vorwort des Herausgebers), Zitat S. 6. Otto Dann, Die bürgerliche Vereinsbildung in Deutschland und ihre Erforschung, in: François, Geselligkeit und Vereinswesen, S. 43-51, Zitat S. 49. Vgl. Franklin Kopitzsch, Organisationsformen der Aufklärung in Schleswig-Holstein, in: Hartmut Lehmann/Dieter Lohmeier (Hg.), Aufklärung und Pietismus im dänischen Gesamtstaat 1770-1820. Neumünster 1983 (Kieler Studien zur deutschen Literaturgeschichte 16), S. 5385, hier S. 56 sowie Jörg Meidenbauer, Aufklärung und Öffentlichkeit. Studien zu den Anfängen der Vereins- und Meinungsbildung in Hessen-Kassel 1770 bis 1806. Darmstadt und Marburg 1991 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 82), hier S. 14f. Siehe in diesem Kontext außerdem: Horst Langer, Gelehrte Sozietäten in Schwedisch-Pommern. Programmatik und Realität, in: Garber/Wismann (Hg.), Europäische Sozietätsbewegung, Bd. 2, S. 1550-1564 sowie Dieter Breuer, Aufgeklärte Sozietäten im katholischen Deutschland des 18. Jahrhunderts, in: Garber/Wismann (Hg.), Europäische Sozietätenbewegung, Bd. 2, S. 1615-1636, und Ludwig Hammermayer, Zur Genese und Entfaltung von Aufklärung und Akademiebewegung im katholischen Oberdeutschland und zum Anteil des bayerischen Augustinerchorherren-Stifts Polling (ca. 1717-1787), in Donnert, Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 2, S. 481-507. Riederer, Jena und Weimar, S. 46. Ebd., S. 49. Emil Erne, Die schweizerischen Sozietäten. Lexikalische Darstellung der Reformgesellschaften des 18. Jahrhunderts in der Schweiz. Zürich 1988; siehe daran anknüpfend jüngst: ders., Topographie der Schweizer Sozietäten 1629-1798, in Garber/Wismann (Hg.), Europäische Sozietätsbewegung, Bd. 2, S. 1506-1526.

„die Aufarbeitung der im näheren und weiteren Umfeld der Helvetischen Gesellschaft entstandenen [...] grösseren und kleineren Sozietäten" als Ziel.88 Um einen Überblick über die „Anzahl und Vielfalt der Sozietätsgriindungen in einem begrenzten Raum zu gewinnen", sollten „möglichst alle in Frage kommenden Gesellschaften aufgenommen werden"; den Ansatz zur Erhebung der Gesellschaften bildeten dabei die Doppelmitgliedschaften der Mitglieder der Helvetischen Gesellschaft.89 Sozietätstypologisch grenzte Eme allerdings die in der Forschung gängige Kategorisierung ein; so wurden die Logen der Freimaurer „weniger aus sachlichen Gründen als wegen des zusätzlichen Aufwandes" herausgenommen. Gleiches gilt für die „politischen Gesellschaften der 1790er Jahre".90 Die Arbeit von Erne ist trotzdem das bislang einzig vorliegende Beispiel für eine umfassende Erhebung - von unterschiedlichen nichtarkanen Sozietäten - in einem landschaftlich abgegrenzten Bezugsrahmen. In der neueren sozialhistorischen Aufklärungsforschung sind die voraufgehend umrissenen Erkenntnisziele, die zu einer detaillierten Erfassung der Strukturen aufgeklärter Organisation führen sollen, in einzelnen Fällen berücksichtigt worden; eine landschaftsbezogene Gesamtuntersuchung aber, in deren Mittelpunkt diese Fragen stehen, existiert bislang nicht. Die quantitativ fundierte Offenlegung von möglichen Netzwerken aufgeklärter Organisation in überlokalen Räumen befindet sich nach wie vor in den Anfängen.

4. Das Forschungsdesign Die vorliegende Arbeit nimmt die im Vorangegangenen beschriebenen Forschungsansätze auf und faßt sie zu einem Forschungsdesign zusammen: In einer Sozietätslandschaft des 18. Jahrhunderts sollen über die Erhebung der Mitgliederzusammensetzung der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung die Strukturen von Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften analysiert werden. Die Quellengrundlage der Untersuchung bilden dabei die Sozietäten des gesamten Spektrums der Aufklärungsgesellschaften und ihrer Mitglieder in einem Raum, der über die lokale Ebene hinausgeht. Dadurch wird der Begriff der Landschaft zum zentralen Bezugsrahmen, in dem geprüft wird, ob es individuelle Mitgliedschaftszusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Sozietäten gab, die sich in Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften ausdrückten: Forschungsobjekt sind die aufgeklärten Gesellschaften des 18. Jahrhunderts. Im Zentrum der Arbeit steht somit der organisierte

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Eme, Die schweizerischen Sozietäten, S. 16. An dieser Stelle auch die folgenden Zitate. Ebd. (Erne bezog sich dabei auf die bereits erwähnte Arbeit von François de Capitani über die Helvetische Gesellschaft: Capitani, Gesellschaft im Wandel.) Die Zitate ebd., S. 17-19. 19

Niederschlag der Aufklärung, der auf seinen Ausbreitungsgrad und die Intensität seiner personellen Vernetzung untersucht wird. In diesem Forschungsrahmen ist anhand des erhobenen Datenmaterials konkret danach zu fragen, wieviele Sozietäten welchen Typs zu welcher Zeit in der ausgewählten Landschaft gegründet wurden und wieviele Mitgliedschaften in diesen Sozietäten bzw. in den verschiedenen Gesellschaftstypen zu welcher Zeit bestanden haben. Dann wird analysiert, ob es Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften gegeben hat, und wenn ja, wie sich diese strukturierten. Hierbei besteht das weitestgehende Ziel in der Untersuchung der in diesem Rahmen nachweisbaren Sozietätskarrieren,91 d.h. der Mitgliedschaft einer Person in mehr als zwei Aufklärungsgesellschaften. Der Begriff der Karriere beschreibt in diesem Kontext ein persönliches Mobilitätsmuster, das den Weg des einzelnen durch verschiedene Sozietäten umfaßt. Karriere meint in diesen Mitgliedschaftszusammenhängen nicht das Emporsteigen in der Hierarchie innerhalb einer Sozietät oder eines Ordens vom einfachen Mitglied zum leitenden Funktionär, sondern die Bewegung des einzelnen durch verschiedene Filialen und Formen aufgeklärter Sozietäten im 18. Jahrhundert. Alle Fragestellungen münden schließlich in ein übergeordnetes Erkenntnisinteresse: Ist es möglich, aufgrund der erhobenen Daten zu modellhaften Aussagen über die Sozietätskarrieren in der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung zu gelangen? Als Analyseraum dieser Arbeit wurde die mitteldeutsche Landschaft gewählt, für die entlang zweier unterschiedlicher Zugriffsweisen die entwickelten Fragestellungen untersucht worden sind.92 Zum einen ging es zunächst in einem rein deskriptiven Verfahren darum, aus verschiedenen Quellen die im 18. Jahrhundert existierenden Sozietäten in Mitteldeutschland zu ermitteln. Dieses Material wurde in einer Kartei bei zuerst örtlicher Reihung und innerhalb dieser Anordnung nach sozietätstypologischer Sortierfolge geordnet. Die einzelnen Gesellschaften wurden zudem in eine Datenbank mit den Kategorien: Gründung, Sozietätstyp, Sozietäts-

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Vgl. in diesem Kontext die von Fred E. Schräder eingeführte .Soziabilitätskarriere'; Schräder, Soziabilitätsgeschichte, S. 188 u.ö. - zur Divergenz zwischen Sozietät und Soziabilität siehe Abschnitt ΠΙ.3. Für Frankreich existieren Ergebnisse über Muster von Soziabilitätskarrieren. Roger Chartier beispielsweise griff das Verlaufsmuster einer Karriere auf, das Maurice Agulhon für die Provence ermittelt hat. Dies zeigt, wie Advokaten ab den 1770er Jahren in Frankreich einen Organisationswechsel von den Bußbruderschaften hin zur Freimaurerei vollziehen. Chartier überprüfte diese Ergebnisse am Beispiel von Toulouse, wobei er zu gleichen Ergebnissen kam. Siehe: Roger Chartier, Kulturelle Ebenen und Verbreitung der Aufklärung im Frankreich des 18. Jahrhunderts: die cahiers de doléances von 1789, in: Hans Ulrich Gumbrecht/Rolf Reichardt/Thomas Schleich (Hg.), Sozialgeschichte der Aufklärung in Frankreich. 2 Teile. München/Wien 1981 (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 4), Teil 1: Synthese und Theorie. Trägerschichten. Teil 2: Medien. Wirkungen. Hier Teil 2, S. 171-199, insb. S. 178. Für die deutschen Verhältnisse existieren bislang keine vergleichbaren Ergebnisse, siehe: Schräder, Soziabilitätsgeschichte, S. 188.

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Siehe dazu die Ausführungen in Abschnitt II. 1. ; dort auch eine geographische Festlegung des Gebietes.

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name und Ort a u f g e n o m m e n . So war es möglich, das Sozietätsspektrum in Mitteldeutschland strukturell zu analysieren: etwa nach zeitlicher Verteilung und Entwicklung, nach geographischer D i c h t e oder nach den Gewichtungen der S o z i e tätstypen. Z u m anderen wurden dann die einzelnen

Sozietätsmitgliedschaften

s o w e i t als m ö g l i c h ermittelt und in eine Datenbank - basierend auf d e m prosopographischen Prinzip - aufgenommen; 9 3 diese Datenbank bildete die Grundlage für die Mitgliedschaftsanalyse der mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften. B e s o n ders i m Bereich der Alten Geschichte und der Mediävistik hat die Prosopographie zunehmend Bedeutung erlangt, w o b e i e i n e Debatte darüber geführt wurde, w a s Prosopographie als historische M e t h o d e eigentlich meint und w i e weit die Erkenntnismöglichkeiten eines entsprechenden Zugangs reichen. 9 4 Prinzipiell ist hierbei festzuhalten, daß es ,eine' B e g r i f f s b e s t i m m u n g b z w . ,die' prosopographische M e t h o d e nicht gibt. Neithard Bulst hat darum vorgeschlagen, an Stelle des Terminus der .Methode' im Kontext prosopographischer A n a l y s e n den Begriff des .Zugriffs' zu verwenden. 9 5 Dabei geht die D e f i n i t i o n des .prosopographischen Zugriffs' über ein eingeschränktes Verständnis hinaus, das sich auf die D e f i n i t i o n v o n Jürgen Petersohn bezieht, w o n a c h Prosopographie die „ S a m m lung und Verzeichnung aller Personen eines nach R a u m und Zeit abgesteckten Le-

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Zur Einführung in Aufhahmetechniken quantitativer Daten siehe: Wilhelm Heinz Schröder, Historische Sozialforschung: Identifikation, Organisation, Institution. Köln 1994 (Historical Social Research Supplement No. 6, 1994), S. 22-26. Vgl. exemplarisch: Prosopographie als Sozialgeschichte. Methoden personengeschichtlicher Erforschung des Mittelalters. Sektionsbeiträge zum 32. Deutschen Historikertag Hamburg 1978. München 1978; Neithard Bulst, Zum Gegenstand und zur Methode von Prosopographie, in: Medieval Lives and the Historian. Sadies in Medieval Prosopography. Kalamazoo/Michigan 1986, S. 1-16; ders., Die französischen Generalstände von 1468 und 1484. Prosopographische Untersuchungen zu den Delegierten. Sigmaringen 1992 (Beihefte der Francia 26); Werner Eck (Hg.), Prosopographie und Sozialgeschichte. Studien zur Methodik und Erkenntnismöglichkeit der kaiserzeitlichen Prosopographie. Köln/Wien/Weimar 1993; Bettina Schmidt-Czaia, Das Kollegiatstift St. Aegidii et Caroli Magnis zu Wiedenbrück (1250-1650). Osnabrück 1994 (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen 33); Michael Borgolte, Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Sigmaringen 1986 (Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland 2) und Dieter Veldtrup, Prosopographische Studien zur Geschichte Oppelns als herzoglicher Residenzstadt im Mittelalter. Berlin 1995 (Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien: Landeskundliche Reihe 7). Beispielhaft für frühneuzeitliche prosopographische Arbeiten siehe: Wolfgang Reinhard (Hg.), Augsburger Eliten des 16. Jahrhunderts: Prosopographie wirtschaftlicher und politischer Führungsgruppen 1500-1620. Bearb. von Mark Häberlein, Ulrich Klinkert, Katarina Sieh-Burens und Reinhardt Wendt. Berlin 1996; Johannes Freiherr von Boeselager, Die Osnabrücker Domherren des 18. Jahrhunderts. Osnabrück 1990 (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen 28) und John Gascoigne, The Eighteenth-Century Scientific Community: A Prosopographical Study, in: Social Studies of Science 25 (1995), S. 575-581. Bulst, Zum Gegenstand und zur Methode, S. 3ff.; zur Diskussion von .Methode' und .Zugriff' S.7f. 21

benskreises" ist.96 Von diesem rein Daten erhebenden Vorgang wird deshalb in der deutschen Fachwissenschaft die .historische Personenforschung', d.h. die „Auswertung prosopographischen Materials nach unterschiedlichen Gesichtspunkten historischer Interpretation", unterschieden.97 Die historische Personenforschung umfaßt also den auf das Sammeln des Materials folgenden Schritt der Analyse. In der vorliegenden Arbeit wird - Neithard Bulst folgend - Prosopographie als eine Zugriffsmöglichkeit verstanden, in die beide Arbeitsschritte, d.h. das Zusammentragen und das Auswerten von Daten, integriert sind. Dieses Begriffsverständnis erwächst aus dem Umstand, daß die prosopographische Erhebung des Datenmaterials immer definitorisch-eingrenzende Vorüberlegungen zum jeweiligen Forschungsgegenstand erfordert und die auf diese Weise spezifizierte Materialsammlung entsprechend nur bestimmte Auswertungen zuläßt.98 Dies bedeutet, daß prosopographisches Datensammeln „ein der Fragestellung entsprechendes standardisiertes Aufnahmeverfahren" erfordert.99 Auf diese Weise wird es möglich, die Strukturen, (Personen)Netze, Karrieren usw. innerhalb einer bestimmten Personengruppe zu ermitteln und zu analysieren.100 Ein solcher prosopographischer Zugriff vermag die Grenzen bereits bestehender Analysewege deutlich zu überschreiten.101 In der vorliegenden Untersuchung wird der prosopographische Forschungsansatz auf die Sozialgeschichte der Aufklärung, hier spezifiziert auf die personelle Zusammensetzung und Interaktion des Personals der Gesellschaft der Aufklärer, am Beispiel Mitteldeutschlands angewandt.102 Bei der sozialhistorischen Erforschung der Sozietäten wurden anhand von Falluntersuchungen, besonders zur Berufsstruktur und standesspezifischen Zusammensetzung einzelner Gesellschaften, Ergebnisse erzielt, aus denen allgemeine Aussagen über die Struktur der Gesellschaft der Aufklärer abgeleitet wurden. Dagegen bietet die Prosopographie wei-

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Jürgen Petersohn, Personenforschung im Spätmittelalter. Zur Forschungsgeschichte und Methode, in: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), S. 1-5, hier S. 1; vgl. außerdem: Bulst, Zum Gegenstand und zur Methode, S. 3 und Schmidt-Czaia, Das Kollegiatstift St. Aegidii, S. 5. 97 Petersohn, Personenforschung im Spätmittelalter, S. 1. 98 Siehe dazu Bulst, Zum Gegenstand und zur Methode, S. 3f. sowie ders., Die Französischen Generalstände, S. 21. 99 Ebd., S. 4. Zum Aufiiahmeverfahren der Daten für die vorliegende Arbeit siehe die Beschreibung der Datenmaske weiter unten in diesem Abschnitt. 100 Ygi dazu di e entsprechenden Äußerungen u.a. bei Herbert Müller, Die Franzosen, Frankreich und das Baseler Konzil (1431-1449). 2 Teile. Paderborn u.a. 1990 (Konziliengeschichte, Reihe B: Untersuchungen), hier Teil 1, S. 16, 19 und 24f.; Borgolte, Die Grafen Alemanniens, S. 9; Reinhard, Augsburger Eliten des 16. Jahrhunderts, Vorwort, S. VI-XI; Schmidt-Czaia, Das Kollegiatstift St. Aegidii, S. 6f. u. 15-17 sowie Bulst, Die Französischen Generalstände, S. 21, 25f. 101 Vgl. Bulst, Zum Gegenstand und zur Methode, S. 8. 102 In diesem Kontext hat François de Capitani im Kontext der Mitgliederuntersuchung der Helvetischen Gesellschaft Prosopographie als „die möglichst gleichmässige und vergleichbare biographische Erfassung einer definierten Gruppe" beschrieben; Capitani, Gesellschaft im Wandel, S. 13; zur Umsetzung der Methode siehe S. 15-17.

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tergehende Analysemöglichkeiten. Diese Verfahrensweise beinhaltet die Aufnahme differenzierter Kriterien (etwa zu Sozietätsmitgliedschaften, zu biographischen Daten und zur beruflichen Tätigkeit) bezüglich einer Person. Geographische, sozietätstypische wie auch persönliche Daten können dann einzeln bzw. miteinander kombiniert abgefragt und analysiert werden. Dadurch ist die Beantwortung von summarischen und differenzierten Fragen zur Zusammensetzung der Mitgliedschaften möglich. Nur mit Hilfe eines prosopographischen Verfahrens eröffnet sich die Möglichkeit, das Netzwerk der Aufklärer über Einzelbeispiele hinaus als Gesamtphänomen zu erfassen. Die Datensätze der Mitgliedschafts-Datenbank der vorliegenden Untersuchung enthalten demzufolge sowohl biographische als auch sozietätsspezifische Angaben der jeweils dokumentierten Mitgliedschaft. Die Datenmaske für die Aufnahme der Mitgliedschaften umfaßt folgende Kriterien: Name (mit einem Sonderzeichen wurden hier gesondert weibliche Mitgliedschaften vermerkt); Vorname; Stand; Titel (Adelstitel; akademische Titel wurden bei den Berufsangaben erfaßt); Wohnort; Konfession; Geburtsjahr; Beruf (die eruierbaren Berufe in chronologischer Folge); Erstberuf (der Beruf zum Zeitpunkt des Eintritts in die jeweilige Sozietät, wobei dies durch ein standardisiertes Verfahren mittels Buchstabenvariablen erfaßt wurde); Sozietätstyp; Sozietätsname; Eintrittsjahr; zwei Zeilen zur Differenzierung von freimaurerischen Mitgliedschaften (1. Mitgliedschaften in Logen der dreigradigen Johannismaurerei; 2. Mitgliedschaften in Hochgradlogen und Winkellogen);103 vier Zeilen zur Periodisierung;104 Ort (in welchem sich die Sozietät befand, in der das betreffende Mitglied organisiert war); Funktion (gegebenenfalls ausgeführte Funktionen innerhalb der Sozietät durch das Mitglied); Literatur (Literaturbzw. Quellenangaben) und Bemerkung (für zusätzliche Informationen).105

103

104 105

Winkellogen sind sogenannte „unregelmäßige Logen", die kein Patent einer Mutterloge besitzen, welche sie als Freimaurerloge anerkennt; nach Lennhoff/Posner, Freimaurer-Lexikon, Sp. 1712, Stichwort .Winkelmaurerei'. Zur Zäsurbestimmung dieser Perioden siehe Abschnitt Π.Ι. Vergleichbar sortierte Datenmasken nutzten bzw. erstellten für ihre Projekte Jens Riederer sowie Roland Möller und Frank Conrad (der das Projekt von Möller weiterführt); Riederer, Jena und Weimar, S. 51, der auf die Datenbank ,FADOR' von Joachim Bauer zurückgriff - zu dieser Datenbank siehe: Joachim Bauer, Datenbank zu Mitglieder- und Organisationsdaten (,FADOR'), in: Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft. Materialien zum VID. Historikerkongreß der DDR (Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentrum für gesellschaftswissenschaftliche Information). Berlin 1988, S. 74-80, die Datenmaske auf S. 77f.; Roland Möller, Nord westdeutsche Freimaurergesellschaften im 18. Jahrhundert. Entstehung und Entwicklung von Kopenhagen bis Kassel, in: Helmut Reinalter (Hg.), Aufklärung und Geheimgesellschaften. Freimaurer, Dluminaten und Rosenkreuzer: Ideologie, Struktur und Wirkungen. Internationale Tagung 22.123. Mai 1992 in Innsbruck. Bayreuth 1994, S. 151-159, hier S. 154 und Frank Conrad, Zur Sozialstruktur der Hildesheimer Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert: Ein Arbeitsbericht, in: Quatuor Coronati Jahrbuch 33 (1996), S. 237-244, hier S. 238. Siehe außerdem die auf prosopographischen Erhebungen basierenden Studien zur brandenburgischpreußischen Freimaurerei von Karlheinz Gerlach; vgl. die entsprechenden Angaben im Literaturverzeichnis.

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Basierend auf dieser kategorialen Erhebung können qualitative Aussagen über die Strukturen der Aufklärungsgesellschaften und ihrer Mitgliedschaften getroffen werden: Welcher Gesellschaftstyp dominierte wann die mitteldeutsche Sozietätslandschaft? Welche Sozietätsform war insgesamt die am meisten verbreitete? Gab es Gesellschaftszentren in der Sozietätslandschaft? Wieviele Mitgliedschaften sind für die Aufklärungsgesellschaften nachweisbar; wie stark waren die Sozietäten personell in Mitteldeutschland? Wie gestaltete sich die Entwicklung des Mitgliedschaftsbestands im Verlauf des 18. Jahrhunderts? Waren Frauen unter den Sozietätsmitgliedem? Existierten Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften, und wenn ja: war dies ein verbreitetes Phänomen? Zwischen welchen Sozietätstypen verliefen sie und von welchen Personen wurden sie getragen? Wie sehen die Verläufe der Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften anhand von charakteristischen Beispielen auf personaler Ebene aus? Gab es typische Verlaufsmuster dieser Doppelmitgliedschaften und Sozietätskarrieren? Anhand solcher Fragestellungen ist es möglich, die aufgeklärte Sozietätsbewegung in Mitteldeutschland in ihren Grundzügen zu rekonstruieren und darüber hinaus in einem Vergleich zu den bislang bekannten Zahlen für das gesamte Reich neue und genauere Schätzungen für die Gesellschaft der Aufklärer im Ancien Régime vorzulegen. Zudem erlaubt eine Analyse nach dem beschriebenen Muster erstmals auf systematischer Quellengrundlage basierende Aussagen über die Mitgliederstruktur der Aufklärungsgesellschaften. Diese Ergebnisse zur Binnenstruktur der Gesellschaften überschreiten den gegenwärtigen Forschungsstand, wie ihn jüngst Wolfgang Hardtwig zusammengefaßt hat. Nach Hardtwig war die Mitgliederschaft der Freimaurerlogen „weithin identisch mit der der sonstigen aufklärerischen Sozietäten, von den Lesegesellschaften über die patriotischen Gesellschaften bis zu den gelehrten Akademien".106 Ein prosopographischer Ansatz ermöglicht nicht nur Spezifizierungen dieser Feststellung, sondern ebenso - und dies ist das entscheidende Moment - die Überprüfung einer Vorstellung, die Hardtwigs Aussage suggeriert: War nur das soziale Rekrutierungsfeld der verschiedenen Aufklärungsgesellschaften allgemein identisch, oder auch die Mitgliedschaft auf personeller Ebene? Auf diese Weise können Behauptungen überprüft werden, wonach die „Mitglieder der Lesegesellschaften auch häufig zugleich den patriotischen Sozietäten" angehörten.107 Dieser Analysezugang zu Mitgliedschaftsstrukturen in der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung des 18. Jahrhunderts führt schließlich in das Zentrum einer Frage, für die bis heute keine gesicherten und ausreichend fundierten Ergebnisse existieren - zur Frage nach der Vernetzung der aufgeklärten Gesellschaftsbewe-

106

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Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 306. Siehe außerdem: ders., Wie deutsch war die deutsche Aufklärung?, S. 170, hier: die Lesegesellschaften hätten „praktisch denselben Personenkreis wie Sozietäten und Logen" umfaßt. Ebd., S. 297f.

gung: Gab es jenseits einer elitären Gelehrtenschicht108 innerhalb der alle Sozietätstypen umfassenden Gesellschaft der Aufklärer tatsächlich eine Vernetzung, die überregional strukturiert war und auf den einzelnen, lokal organisierten Sozietäten fußte? Verknüpfte also eine derartige Vernetzung auch einzelne Gesellschaften und Mitglieder miteinander, die weit davon entfernt waren, zu den „scientific .superstars' " des 18. Jahrhunderts zu gehören?109 Entspricht eine nach diesen Parametern definierte Netzvorstellung den Gegebenheiten des 18. Jahrhunderts oder ist sie ein Konstrukt der modernen Forschung?110

5. Quellen und Literatur zu aufgeklärten Sozietäten in Mitteldeutschland Die Quellen zur Geschichte der aufgeklärten Sozietäten in Mitteldeutschland bestehen aus drei differierenden Gruppen: erstens die überlieferten, zu größten Teilen handschriftlichen, Akten der Gesellschaften in Archiven verschiedenen Typs, zweitens die im 18. Jahrhundert von den (nichtarkanen) Sozietäten selbst veranlaßten und herausgegebenen Nachrichten und Mitteilungen und drittens die Berichte, Nachrichten, Ankündigungen und Anzeigen über Gesellschaften, die in Periodika unterschiedlicher Gattungen während des gesamten 18. Jahrhunderts erschienen sind. 1. Die Akten von und über Sozietäten in Mitteldeutschland sind weit verstreut. Zur möglichst flächendeckenden Erfassung dieser Aktenbestände wurde für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung eine systematische Befragung aller Archive im Untersuchungsgebiet durchgeführt. 184 Staatsarchive, bzw. deren Außenstellen, Kreisarchive, Stadtarchive, Universitätsarchive und Handschriftenabteilungen von Bibliotheken waren in die Recherche einbezogen. Auf die Anfragen gab es eine Reaktion aus 140 Institutionen. Von diesen 140 Rückantworten enthielten 24 direkte Hinweise auf Archivalien zu aufgeklärten Sozietäten. Dabei ist jedoch zu beachten, daß diese Anzahl nicht mit der absoluten Zahl an archivalisch nach-

108 Vgl. McClellan, The international organization of science and learned societies, S. 327ff. (hier insb. die Grafik S. 333) u.ö. sowie ders., Science reorganized, S. 153ff. 109 110

McClellan, The international organization of science and learned societies, S. 477. Zu entsprechenden Vemetzungsvorstellungen in der neueren Forschung siehe: Fred E. Schräder, Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft 1550-1850. Frankfurt/M. 1996 (Reihe Europäische Geschichte), S. 91; Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 22f., 51, 298 u. 330; Franklin Kopitzsch, Zur politischen Bedeutung patriotisch-gemeinnütziger Gesellschaften. Die Sozietäten in Hamburg und Lübeck als Beipiel, in: Bödeker/François, Aufklârung/Lumières und Politik, S. 300-317, hier S. 313, der an dieser Stelle von internationalen, nationalen, regionalen und lokalen Kommunikationsnetzen sprach, die aber eben noch weitgehend zu erforschen seien, sowie ders., .Freie Associationen', .thätiger Gemeingeist' und Aufklärung, in: Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 4, S. 661-678, hier S. 663 u. 668.

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weisbaren Gesellschaften identisch ist - o f t waren Unterlagen zu mehr als einer Gesellschaft vorhanden. 1 1 1 Zusätzlich zu den im Untersuchungsgebiet befindlichen Archiven wurden drei Institutionen, die wesentliches Material zur freimaurerischen B e w e g u n g besitzen, in die Recherche einbezogen. Z u m einen ist dies das G e h e i m e Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, w e l c h e s seit A n f a n g der neunziger Jahre die ehemals i m Zentralen Staatsarchiv

Merseburg befindliche Sammlung

freimaurerischer

Archivalien beherbergt. 1 1 2 D i e s e Konvolute waren eine wichtige Materialgrundlage bei der Erschließung der Mitgliederbestände mitteldeutscher Freimaurerlogen. In den Unterlagen finden sich gedruckte und handschriftliche Mitgliederverzeichnisse s o w i e Matrikel einzelner L o g e n und freimaurerischer Systeme. 1 1 3 Z u m z w e i t e n existieren ergiebige Quellenbestände i m

Freimaurer-Museum

Bayreuth. In der Bibliothek des M u s e u m s gibt es eine S a m m l u n g von Mitgliederverzeichnissen, die v o m 18. bis ins 20. Jahrhundert reicht. 1 1 4 In diesen Beständen befinden sich Verzeichnisse von Freimaurerlogen, die partiell die in Berlin vorhandenen Akten ergänzen. 1 1 5 U n d drittens konnten die Materialien durch kleinere Funde in der Biblioteká Masónica P o s e n komplettiert und gegengeprüft werden. 1 1 6

111

Beispielsweise sind in der Außenstelle Greiz des ThStA Rudolstadt in einem Aktenkonvolut u.a. vier mitteldeutsche Freimaurerlogen mit dazugehörigen Mitgliederlisten nachweisbar: ThStA Rudolstadt, Außenstelle Greiz, Sammlung Greiz, 23/3. 112 Renate Endler/Elisabeth Schwarze, Die Freimaurerbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz· Bd. 1 : Großlogen und Protektor. Freimaurerische Stiftungen und Vereinigungen. Frankfurt/M. u.a. 1994 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 13) sowie Bd. 2: Renate Endler/Elisabeth Schwarze-Neuß, Tochterlogen. Frankfurt/M. u.a. 1996 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 18); Renate Endler, Zum Schicksal der Papiere von Johann Joachim Christoph Bode, in: Quatuor Coronati Jahrbuch 27 (1990), S. 9-35 und dies.. Die Bearbeitung der Freimaurerbestände im ehemaligen Staatsarchiv, Abt. Merseburg, in: Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 4, S. 509-520. 113 Siehe exemplarisch jeweils GStAPK, 5.2. Ζ 4 Nr. 2, Die Mitglieder der Loge Friedrich zur Beständigkeit in Zerbst, 1793, 1796, 1798; 5.2. G 39 Nr. 25, Verzeichnis der Mitglieder der gerechten und vollkommenen Loge zum Compass Gotha, 1789 sowie 5.2. Β 113 Nr. 762, Verzeichnis sämmtlicher zu der Vllten Provinz gehörigen HosBr [vermutlich: hohe Ordensbrüder - Η. Z.] mit ihren weltlichen Namen, Charakter, O-Namen, Wappen, Devisen, Zeit der Aufnahme, und jetzigem Range, 1773. 114 Siehe dazu die Angaben in: Herbert Schneider, Deutsche Freimaurer Bibliothek. 2 Bde. Frankfurt/M. u.a. 1993 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 12), Bd. 1 : Register. Bd. 2: Katalog. 115 Siehe z.B. jeweils Freimaurer-Museum Bayreuth, 971, Mitgliederverzeichnisse der Loge Amalia in Weimar 1774, 1776, 1777 und 1781 (mit einer Einleitung von Helmut Keiler, Gießen 1993); 1142, Mitgliederverzeichnisse der Loge Zu den drei Kleeblättern Aschersleben, 1793, 1795, 1797, 1798 und 1799\ 1315, Mitgliederverzeichnisse der Loge Minerva zu den drei Palmen in Leipzig 1766, 1769, 1770 [?], 1774, 1776-1780, 1782, 1783, 1785, 1787, 1789, 1791, 1793, 1797 und 1799. 116 Z.B.: Biblioteká Masónica Poznan, 50285 Π/1786, Grund-Verzeichnis der sämmtlichen Mitglieder der gesetzmäßigen, gerechten und vollkommenen St. Johannisloge zur Linde in Leip-

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2. Die von den verschiedenen nichtarkanen Gesellschaften selbst herausgegebenen Nachrichten, Schriften, Mitteilungen, Anzeigen etc. sind in der Regel (soweit noch nachweisbar) in den Universitätsbibliotheken Halle, Jena und Leipzig sowie in der Herzogin Anna-Amalia-Bibliothek Weimar vorhanden.117 Diese Quellen sind in vielen Fällen ergiebiger und detaillierter als die noch vorhandenen Archivbestände der Gesellschaften. Sie bieten grundsätzliche und ergänzende Informationen zu Daten der jeweiligen Gesellschaftsgeschichte, zur Verfassung und zu Mitgliederbeständen der Sozietäten. In diese Quellengattung gehört eine ihr artverwandte Gruppe: die noch im 18. Jahrhundert verfaßten Gesellschaftsgeschichten. Diese historischen Abrisse sind aus unterschiedlichen Motivationen erstellt und publiziert worden. Dazu gehören u.a. historische Abhandlungen über einzelne Sozietäten, Berichte über Gesellschaften, die sich aufgelöst hatten und im nachhinein von ehemaligen Mitgliedern beschrieben wurden, sowie Enthüllungstexte von Mitgliedern über die (arkanen) Vereinigungen, denen sie einst angehörten." 8 3. Für die Periodika des 18. Jahrhunderts119 gilt generell, daß die Gelehrten Nachrichten bzw. Anzeigen und die Moralischen Wochenschriften Sozietätsthemen in unterschiedlicher Weise behandelten: In den verschiedenen gelehrt-literarischen Informationsschriften wurde erheblich mehr über aufgeklärte Gesellschaften als in den Moralischen Wochenschriften berichtet.120

117

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120

zig, den 9ten April 1786. Zu den Gesamtbeständen der Bibliothek siehe: Die Bestände der Biblioteká Masónica Poznan. Hildesheim 1993 (Mikrofiches). Siehe beispielhaft: Der Prüfenden Gesellschaft zu Halle fortgesetzte, zur Gelehrsamkeit gehörige, Bemühungen. Halle 1743; Carl Gotthelf Müller, Nachricht von der Deutschen Gesellschaft zu Jena und der jetzigen Verfassung derselben. Jena 1753; Anzeigen der Leipziger Ökonomischen Sozietät. Leipzig 1766ff. und Nachricht von der Gründung einer naturforschenden Gesellschaft zu Jena am 14ten Juli nebst den dabei gehaltenen Reden, den Statuten der Gesellschaft, und dem Verzeichnisse ihrer Mitglieder. Jena 1793. Siehe exemplarisch z.B.: Geschichte der Deutschen Gesellschaft zu Jena, in: Vermischte Abhandlungen und Berichte einer Gesellschaft auf den vier Obersächsischen Akademien auf das Jahr 1753. Leipzig 1753, S. 417-449; Joh. Laurentius Holderrieder, Historische Nachricht von der Weißenfelsischen Alethophilen Gesellschaft, [...]. Leipzig 1750 und Graf Guido von Taufkirchen oder Darstellung des zu Jena aufgehobenen Mosellaner- oder Amicistenordens in historischer, psychologischer und rechtlicher Hinsicht, zur Beherzigung für Staat und Ordensbrüder. Weißenfels/Leipzig 1799. Zu diesem Themenkomplex siehe u.a.: Felicitas Marwinski (Bearb.), Zeitungen und Wochenblätter. Weimar 1968; Index deutschsprachiger Zeitschriften 1750-1815. Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, erarbeitet durch eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Klaus Schmidt. Mikrofiche-Ed. Hildesheim 1990 (28 Mikrofiches und 2 Beihefte) und Doris Kühles, Deutsche literarische Zeitschriften von der Aufklärung bis zur Romantik. Bibliographie der kritischen Literatur von den Anfangen bis 1990. München 1994. Siehe exemplarisch u.a.: Neue Zeitungen von gelehrten Sachen. Leipzig 1715ff.; Deutsche Zeitung ßr die Jugend und ihre Freunde. Gotha 1784-1787 - Deutsche Zeitung. Gotha 1788-1795 - Nationalzeitung der Deutschen. Gotha 1796ff.; Reichsanzeiger. Gotha 1793ff. (Vorgänger: Der Anzeiger. Gotha 1791-1793); zu den Moralischen Wochenschriften siehe Wolfgang Martens, Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. Berlin 1968.

27

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß eine breitgefächerte Quellengrundlage zu den Aufklärungsgesellschaften des 18. Jahrhunderts im mitteldeutschen Raum existiert. Dabei ist die Dichte des Materials zu einzelnen Gesellschaften äußerst unterschiedlich. Sie reicht von der einfachen Erwähnung bis zur ergiebigen Überlieferung. Es ist zwar sicher nicht möglich, die Geschichte jeder einzelnen Sozietät zu rekonstruieren. Sehr wohl aber erlauben die Quellen in ihrer Gesamtheit eine Analyse des mitteldeutschen Sozietätsspektrums und der aufgeklärten Partizipation durch Mitgliedschaften, bei der übergreifende charakteristische Strukturen sichtbar werden. Eine vergleichbare Dichte der Forschungsliteratur über mitteldeutsche Aufklärungsgesellschaften gibt es dagegen nicht. Erste Ergebnisse der Sozietätsforschung für Mitteldeutschland brachten im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Anzahl Gesellschaftsgeschichten. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Logengeschichten, die von der jeweiligen Vereinigung selbst initiiert wurden.121 Außerdem sind Artikel zur Geschichte einzelner Freimaurerlogen veröffentlicht worden, ebenso wie über Akademische Logen und Studentenorden.122 Demgegenüber sind Arbeiten zu nichtarkanen Sozietäten aus dieser Periode in geringerer Anzahl publiziert worden.123 Ausnahmen von dieser Regel sind Gott121

122

123

28

Siehe dazu besonders: Philipp Lincke, Geschichte der Loge Ferdinand zur Glückseligkeit i. O. zu Magdeburg und chronologisch-geordnetes General-Verzeichnis aller Mitglieder derselben. o.O. [Magdeburg] 1824; Heinrich August Ottokar Reichard, Versuch einer Geschichte der gerechten und vollkommenen Loge Ernst zu Kompaß in Gotha. Gotha zum Jubelfest 1824. Gotha 1824; Friedrich August Eckstein, Geschichte der Freimaurerloge im Orient von Halle. Halle 1844; (die beiden folgenden) StA Halberstadt, Archivbibliothek 1606: Friedrich Schlemm, Geschichte der Freimaurerei in Halberstadt. Halberstadt 1846 und Archivbibliothek 2199: G. Miehe, Geschichte der Freimaurerei in Halberstadt 1746-1896. Halberstadt [1896]; Johann Friedrich Fuchs, Die Freimaurerloge Balduin zur Linde in Leipzig 17761876. Leipzig 1876; Richard Schröder, Geschichte der Freimaurerei im Orient Naumburg an der Saale. Naumburg 1896; Edmund Gerhard Dietrich, Geschichte der Loge Archimedes zu den drei Reißbretern in Altenburg 1742-1901. Altenburg 1901 ; Adolf Scholtz, Geschichte der gerechten und vollkommenen St. Johannisloge zu den drei Adlern im Orient zu Erfurt. Erfurt 1912 und Aemil Funk/Richard Granitz, Geschichte der Loge ,Ferdinand zur Glückseligkeit' im Orient Magdeburg im ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Fortgesetzt bis zum Tage des 150jährigen Jubiläums am 23. Februar 1911 von Br. R. Granitz. Magdeburg 1911. Siehe dazu exemplarisch: E. Harmening, Abriss der Geschichte der ersten zwei Logen im Orient Jena, in: Die Bauhütte 24 (1881), Nr. 48, S. 377-379 und Nr. 49, S. 388-390; Weimarer Freimaureranalekten. 14 Ausgaben 1809-1902. Weimar 1809ff. Zur Geschichte der Loge .Amalia' in Weimar siehe die Ausgaben 6, 11, 12, 13 und 14; Fritz König, Aus zwei Jahrhunderten. Geschichte der Studentenschaft und des studentischen Korporationswesens auf der Universität Halle. Halle an der Saale 1894, insb. S. 102-130 sowie Otto Götze, Die Jenaer akademischen Logen und Studentenorden des XVIII. Jahrhunderts. Jena 1932. Emst Schwabe, Die Fürstlich Jablonowskische Gesellschaft in Leipzig. Leipzig 1915; Walter Hecht, Die Fürstlich Anhaltische Deutsche Gesellschaft in Bernburg. Diss. Halle 1907; Die Frankenhäuser Lesegesellschaft 1795-1804, in: Frankenhäuser Intelligenzblatt 1885, S. 373f„ 377f„ 380f., 385f., 394 und 397f.; zu Deutschen Gesellschaften Gustav Waniek, Gottsched und die deutsche Literatur seiner Zeit. Leipzig 1897, S. 325f. und Eugen Reichel, Gottsched. 2 Bde. Berlin 1908 und 1912, hier Bd. 2, S. 137, Anm. 104 sowie Johann Daniel Schulze, Abriß der Geschichte der Leipziger Universität im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts nebst

scheds .Leipziger D e u t s c h e Gesellschaft', die in Aufsätzen oder Abhandlungen zu Gottsched als Person und Literat mitbehandelt wurde, und die .Erfurter A k a d e m i e gemeinnütziger Wissenschaften '. 124 Die

Erforschung

aufgeklärter

Sozietäten

spielte

innerhalb

der

DDR-Ge-

schichtswissenschaft eine untergeordnete Rolle, sie wurde zumeist .vor Ort', aus regional- und lokalgeschichtlicher Perspektive betrieben. D i e Publikation dieser Forschungen setzte hauptsächlich in den 70er Jahren ein. 1 2 5 Einen Schwerpunkt bilden die Arbeiten v o n Günter Mühlpfordt, der sich der Erforschung des durch den Hallenser T h e o l o g e n und späteren Wirtshausbesitzers Carl Friedrich Bahrdt gegründeten Geheimbundes .Deutsche U n i o n ' verschrieb. A u s diesen Forschungen ist eine Vielzahl von Aufsätzen hervorgegangen. 1 2 6

Rückblick auf die früheren Zeiten. Leipzig 1802, darin S. 177-275: „Gelehrte Gesellschaften in Leipzig im 18. Jahrhundert"; siehe dazu neuerdings auch Detlef Döring, Der junge Leibniz und Leipzig·. Ausstellung zum 350. Geburtstag von Gottfried Wilhelm Leibniz im Leipziger Alten Rathaus. Berlin 1996, S. 97-100. 124 Zur Deutschen Gesellschaft Leipzig siehe z.B.: Ernst Krocker, Zweihundert Jahre Deutscher Gesellschaft, in: Beiträge zur deutschen Bildungsgeschichte. Festschrift zur Zweihundertjahrfeier der Deutschen Gesellschaft in Leipzig 1727-1927. Leipzig 1927 (Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Vaterländischer Sprache und Altertümer in Leipzig 12), S. 7-27; Friedrich Neumann, Gottsched und die Leipziger Deutsche Gesellschaft, in: Archiv ßr Kulturgeschichte 18 (1928), S. 194-212 sowie Waniek, Gottsched, insb. S. 23-26 u. 8399. Zur Erfurter Akademie siehe z.B.: Denkschrift der königlichen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt. Erfurt 1854; Richard Thiele, Die Gründung der Akademie nützlicher (gemeinnütziger) Wissenschaften zu Erfurt und die Schicksale derselben bis zu ihrer Wiederbelebung durch Dalberg (1754-1776), in: Jahrbücher der königlichen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, N.F. 30 (1904), S. 1-138 und Georg Oergel, Die Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt von ihrer Wiederbelebung durch Dalberg bis zu ihrer endgültigen Anerkennung durch die Krone Preußens (1776-1816), in: ebd., S. 139-224. 125 Eine der wenigen Ausnahmen früherer Arbeiten ist: Wolfram Suchier, Die beiden Deutschen Gesellschaften in Wittenberg (1738/40 und 1756/84), in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ges.-Sprachw. VI./5 (1957), S. 829-844; außerdem Werner Rieck, Johann Christoph Gottsched. Eine kritische Würdigung seines Werkes. Berlin 1972, hier S. 90-93 zur Leipziger Deutschen Gesellschaft. 126 Siehe z.B.: Günter Mühlpfordt, Lesegesellschaften und bürgerliche Umgestaltung. Ein Organisationsversuch des deutschen Aufklärers Bahrdt vor der Französischen Revolution, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 28 (1980), S. 730-751; ders., Ein radikaler Geheimbund vor der Französischen Revolution. Die .Union' K. F. Bahrdts, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 5 (1981), S. 379-413; ders., Europarepublik im Duodezformat. Die internationale Geheimgesellschaft Union - ein radikalaufklärerischer Bund der Intelligenz (1786-1796), in: Reinalter, Freimaurer und Geheimbünde, S. 319-364 sowie ders., Radikale Aufklärung und nationale Leseorganisation. Die Deutsche Union von Karl Friedrich Bahrdt, in: Dann, Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation, S. 103-122. Zur Deutschen Union siehe außerdem: Agatha Kobuch, Die Deutsche Union. Radikale Spätaufklärung, Freimaurerei und Muminatismus am Vorabend der Französischen Revolution, in: Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung 10 (1977), S. 277-291 und Helmut Reinalter, Bahrdt und die geheimen Gesellschaften, in: Helmut Reinalter, Die Rolle der Freimaurerei und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, hg. v. Peter Anreiten Innsbruck 1995 (Scientia Bd. 39), S. 101113 (erstveröffentlicht in: Gerhard Sauder/Christoph Weiß (Hg.), Carl Friedrich Bahrdt (1740-1792). St. Ingbert 1992, S. 258-274).

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Seit d e m Ende der siebziger Jahre gesellten sich neben die Forschungen zur D e u t s c h e n U n i o n auch Arbeiten zu anderen Sozietäten, w o b e i die Studien zur A k a d e m i e gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt besonders

hervorzuheben

sind. 1 2 7 Etwa zur gleichen Zeit eröffnete Felicitas Marwinski ein zweites großes Forschungsfeld. Ähnlich w i e bei den Arbeiten zur Deutschen Union, die i m Kern durch die Person von Günter Mühlpfordt getragen wurden, waren in den 1980er Jahren die Forschungen zu Lesegesellschaften und Gelehrten Gesellschaften in Thüringen mit ihrem N a m e n verbunden. Marwinski stieß dabei auf eine große Zahl von Gesellschaften verschiedenster Art und Stärke. Dabei w i e s sie nach, daß die Formen gesellschaftlichen Lesens über ganz Thüringen ausgebreitet waren, d.h. in größeren Städten, die als gesellschaftliche Zentren bekannt waren, e b e n s o w i e in kleineren Städten und auf d e m Land. D i e s e Ergebnisse hat sie in ihrer Dissertation 1 9 8 2 vorgelegt. 1 2 8 N e b e n dieser Arbeit hat Marwinski eine R e i h e ergänzender und vertiefender Einzelstudien zu verschiedenen Lesegesellschaften in Thüringen publiziert. 1 2 9 In diesen Kontext gehört auch ihre Arbeit über Johann Andreas Fabrici-

127

Siehe dazu: Helga Eichler, Die Leipziger Ökonomische Sozietät im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 2 (1978), S. 357-386; Gerlinde Wappler, Die literarische Gesellschaft in Halberstadt, in: Horst Scholke/Karl-Otto Schulz/Gerlinde Wappler (Bearb.), Halberstadt vor 200 Jahren. Halberstadt 1987, S. 5-20 sowie Elisabeth Lea/Gerald Wiemers, Planung und Entstehung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 1704-1846. Zur Genesis einer gelehrten Gesellschaft. Göttingen 1996 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge 217). Zur Erfurter Akademie siehe u.a.: Horst Rudolf Abe, Grundzüge einer Geschichte der .Akademie nützlicher (gemeinnütziger) Wissenschaften' zu Erfurt und ihres Verhältnisses zur Erfurter Universität während der Jahre 1754-1802, in: Beiträge zur Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte Erfurts 23 (1991-1994), S. 85-98; Jürgen Kiefer, Übersicht über das Schriftgut der ehemaligen .Akademie nützlicher (gemeinnütziger) Wissenschaften' zu Erfurt (1754-1954), in: Beiträge zur Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte Erfurts 20 (19841986), S. 27-52; ders.. Zur Geschichte der Akademie nützlicher (gemeinnütziger) Wissenschaften zu Erfurt in den Jahren 1754-1991, in: Ulman Weiß (Hg.), Erfurt 742-1992. Stadtgeschichte/Universitätsgeschichte. Weimar 1992, S. 441-459 sowie die bibliographische und quellenbezogene Übersicht bei: Abe/Kiefer, Mitgliederverzeichnis der Akademie nützlicher (gemeinnütziger) Wissenschaften zu Erfurt, S. 1-11.

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Felicitas Marwinski, Von der ,Societas litteraria' zur Lesegesellschaft. Gesellschaftliches Lesen in Thüringen während des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts und sein Einfluß auf den Emanzipationsprozeß des Bürgertums. Diss, masch. Jena 1982; dazu außerdem: dies., Lesen in Gesellschaft. Gelehrte, literarische und Lesegesellschaften in Thüringen vom Anfang des 18. Jahrhunderts bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch ßr Regionalgeschichte 12 (1985), S. 116-140. Siehe exemplarisch: Felicitas Marwinski, Die Erfurter Lesegesellschaft im Tournier, in: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie 93 (1984) S. 57-84; dies., Die Literarische Gesellschaft zu Altenburg - ein Seitenstück zur Geschichte des Altenburger Bibliothekswesens, in: Zentralblatt ßr Bibliothekswesen 94 (1980), Heft 5, S. 209-219 und dies., Die Greizer Lesegesellschaften des Magisters Schindler 1786-1791, in: Jahrbuch des Museums Hohenleuben-Reichenfels 32 (1987) S. 41-46. Zu den Greizer Lesegesellschaften siehe auch: Georg Herz, Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels der Stadt Greiz bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Teil 2), in: Jahrbuch des Museums Hohenleuben-Reichenfels 25 (1977), S. 36-58 (zu Lesegesellschaften S. 46-48).

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us als Initiator und führendem Kopf v o n Gelehrten Gesellschaften in Jena in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 130 D i e Erforschung der mitteldeutschen Sozietäten zeichnete sich Ende der 80er Jahre durch einen differenzierten Kenntnisstand aus. A u f der einen Seite waren die D e u t s c h e Union, die Erfurter A k a d e m i e gemeinnütziger Wissenschaften s o w i e die Gelehrten Gesellschaften und vor allem die Lesegesellschaften in Thüringen, mit e i n e m Schwerpunkt auf der Universitätsstadt Jena, 131 gut untersucht. Andere Teile des Sozietätsspektrums im 18. Jahrhundert lagen dagegen weiter i m dunkeln. D a z u zählten vor allem die Freimaurerei und der Illuminatenorden, w i e dies W o l f g a n g Albrecht 1987 in seinem Forschungsbericht zur deutschen Spätaufklärung zutreffend bemerkte. 1 3 2 B i s dahin waren nur einzelne Arbeiten in der D D R - G e s c h i c h t s wissenschaft zur arkanen Gesellschaftsbewegung des 18. Jahrhunderts entstanden. 1 3 3 Arbeiten zur Freimaurerei in Mitteldeutschland wurden i m wesentlichen erst nach 1 9 8 9 publiziert, w o b e i diese nun auf den großen freimaurerischen Archivbeständen basieren konnten, die im Zentralen Staatsarchiv Merseburg lagen und zuvor gar nicht oder nur sehr bedingt zugänglich waren. 1 3 4 D i e s e Forschungen konzentrierten sich institutionell w i e thematisch hauptsächlich auf die Universität und Stadt Jena und die Residenzstadt Weimar, so etwa Jens Riederers Dissertation über Aufgeklärte

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Sozietäten

in Jena und Weimar zwischen

1730 und 1830.ns

Rie-

Felicitas Marwinski, Johann Andreas Fabricius und die Jenaer gelehrten Gesellschaften des 18. Jahrhunderts. Jena 1989; siehe in diesem Kontext auch Johanna Salomon, Die Sozietät für die gesamte Mineralogie zu Jena unter Goethe und Johann Georg Lenz. Köln/Weimar 1990 (Mitteldeutsche Forschungen 98). Siehe auch die Forschungen zur .Literarischen Gesellschaft der freien Männer in Jena': Marwinski, Societas litteraria, Teil 1, S. 70-95; dies., ,Wahrlich das Unternehmen ist kühn ...' sowie Astrid Kreibisch, Die Gesellschaft der freien Männer zu Jena, in: Joachim Bauer/Jens Riederer (Hg.), Zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit. Jenaer Freimaurerei und studentische Geheimgesellschaften. Jena/Erlangen 1991 (Schriften zur Stadt-, Universitäts- und Studentengeschichte Jenas 1), S. 249-284. Wolfgang Albrecht, Deutsche Spätaufldärung. Ein interdisziplinärer Forschungsbericht bis 1985. Halle 1987, zu Aufklärungsgesellschaften S. 57-70, zu arkanen Gesellschaften S. 6470. Z.B.: Gerhard Steiner, Freimaurer und Rosenkreuzer - Georg Forsters Weg durch Geheimbünde: neue Forschungsergebnisse auf Grund bisher unbekannter Archivalien. Berlin 1985. Siehe: Karlheinz Gerlach, Die Johannisloge .Ferdinand zur Glückseligkeit' in Magdeburg. 1778-1814, in: Bundesblatt 90 (1992), Heft 1, S. 12-18 und Heike Kriewald, Die Loge Ferdinand zur Glückseligkeit. Aus der Geschichte einer Magdeburger Freimaurerloge. Magdeburg 1992. Zu den (ehemals) Merseburger Archivbeständen vgl.: Endler/Schwarze, Die Freimaurerbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz· Bd. 1 : Großlogen und Protektor und Bd. 2: Tochterlogen·, Endler, Zum Schicksal der Papiere von Johann Joachim Christoph Bode; dies., Die Bearbeitung der Freimaurerbestände im ehemaligen Staatsarchiv, Abt. Merseburg. Zur .Schwedenkiste', d.h. dem Nachlaß von Johann Joachim Christoph Bode, siehe auch: Reichard, Loge Ernst zum Kompaß, S. 28f. Riederer, Jena und Weimar, S. 80ff., S. 285ff. u.ö.; Bauer/Riederer (Hg.), Zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit, darin z.B.: Joachim Bauer, Freimaurerei, Geheimgesellschaften und

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derer integrierte in seiner Arbeit erstmals Forschungen zu Lesegesellschaften und Gelehrten Gesellschaften sowie zu arkanen Sozietäten. Dabei zeichnet sich die Arbeit durch eine detaillierte und umfassende Sozial- und Berufsanalyse der verschiedenen Sozietätsformen auf einer breiten statistischen Grundlage aus.136 Außerdem thematisierte der Verfasser das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Sozietät, d.h. die Einflußnahme der politischen Führung im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach auf die verschiedenen Gesellschaften.137 Monika Neugebauer-Wölk legte 1994 einen Aufsatz vor, in dem sie die hallesche freimaurerische Szenerie im Verhältnis zur Universität der Saalestadt im 18. Jahrhundert behandelte.138 Die Autorin analysierte die Verbindungen zwischen Freimaurerei und Universitätsangehörigen, wobei die Rolle der Studenten als Initiatoren von Logen und die Funktion der Logen als Kommunikationszentren deutlich wurden.139 Einen anderen Ansatz verfolgte Siegfried Hoyer in seiner 1997 publizierten Studie zu den Leipziger Freimaurerlogen. Ihm ging es darum, die Bauhütten der Messestadt „unter sozialgeschichtlichen Aspekten" zu untersuchen.140 Trotz der schon aus der älteren Literatur bekannten Dichte aufgeklärter Sozietäten in Mitteldeutschland haben sich vor 1989/90 kaum Wissenschaftler dieser Materie angenommen, die nicht in der Region beheimatet waren.141 Erst mit dem Bekanntwerden der freimaurerischen Aktenbestände in Merseburg und den zögerlich eröffneten Nutzungsmöglichkeiten ab etwa Mitte der achtziger Jahre (seit Anfang der 90er Jahre im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz BerlinDahlem) änderte sich dies.142 Das exponierteste Ergebnis dieser Untersuchungen ist die Arbeit des amerikanischen Germanisten W. Daniel Wilson Geheimräte

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Studenten in Jena zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, S. 10-41 und Wolfgang Fuchs, Karl Leonhard Reinhold - Illuminât und Philosoph in Jena, S. 200-248. Siehe z.B. ebd., S. 100, 118f. u. 148. Den Forschungen über die mitteldeutschen Sozietäten war bereits zuvor partiell eine sozialhistorische Dimension inhärent. Dabei wurde nach der sozialen Zusammensetzung aufgeklärter Sozietäten gefragt. Beispielsweise hat Helga Eichler für die Leipziger Ökonomische Sozietät bereits 1978 den hohen Anteil staatstragender Schichten und deren Kontakte mit Vertretern des gehobenen Bürgertums nachweisen können; Eichler, Die Leipziger Ökonomische Sozietät, S. 363-365. Ebd., S. 244ff. u. 354ff. Riederer hat das zuletzt genannte Thema zudem gesondert diskutiert: Jens Riederer, Aufgeklärte Sozietäten und absolutistischer Staat im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Zur politischen Kultur eines Kleinstaates, in: Jürgen John (Hg.), Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert. Weimar/Köln/Wien 1994, S. 233-256. Monika Neugebauer-Wölk, Der Kampf um die Aufklärung. Die Universität Halle 1730-1806, in: Gunnar Berg/Hans-Hermann Hartwich (Hg.), Martin-Luther-Universität. Von der Gründung bis zur Neugestaltung nach zwei Diktaturen. Opladen 1994, S. 27-55. Ebd., S. 38-41 u. 45^t9. Siegfried Hoyer, Die Leipziger Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert unter sozialgeschichtlichen Aspekten, in: Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 4, S. 417-432. Eine der seltenen Ausnahmen ist die Studie von Hans-Joachim Braun: Die Sozietäten in Leipzig und Karlsruhe als Vermittler englischer ökonomisch-technischer Innovation, in: Vierhaus, Deutsche patriotische und gemeinnützige Gesellschaften, S. 241-254. Vgl. dazu z.B. Schüttler, Zwei freimaurerische Geheimgesellschaften, S. 523f., Anm. 9.

gegen Geheimbünde, die 1991 erschienen ist.143 Wilson behandelt in seinem Buch die Beziehungen des Weimarer Hofes zur freimaurerischen und geheimbündischen Szene im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Er entwickelte die These, daß die Führung des Fürstentums um Goethe und Herzog Karl August die freimaurerischilluminatischen Organisationen in Weimar und Jena sozusagen unterwandert habe, um diese besser kontrollieren zu können.144 Eine weitere Publikation, die das freimaurerisch-illuminatische Milieu im Fürstentum Sachsen-Weimar-Eisenach berührte, war das 1995 von Hermann Schüttler publizierte Tagebuch der FrankreichReise von Johann Joachim Christoph Bode aus dem Jahr 1787.145 Insgesamt läßt sich für die Forschung zu den mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften ein unterschiedlich gewichtetes Resümee ziehen: Während der lokal begrenzte Sozietätskosmos Jena-Weimar unter verschiedenen Blickwinkeln und Fragestellungen im arkanen wie auch nichtarkanen Bereich eingehend untersucht ist, kann dies, abgesehen von einzelnen Schwerpunkten (Lesegesellschaften in Thüringen, der Geheimbund Deutsche Union und die Erfurter Akademie gemeinnütziger Wissenschaften) für das verbleibende Gebiet nicht gesagt werden; hier klaffen weiterhin große Lücken. Die Region als Sozietätslandschaft ist eine terra incognita.

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Wilson, Geheimräte gegen Geheimbünde, S. 50-54. Ebd., S. 262f. Siehe auch das Abschlußkapitel seiner Darstellung („Schluß: Subjektfiktion und Machtverhältnisse"), S. 256-266. Diese These unterstrich er auch publizistisch: W. Daniel Wilson, Zum Dichten geboren, zum Spitzeln bestellt, in: Die Zeit 30. Dezember 1994, S. 28. Siehe außerdem: ders., Fürstenbund oder Überwachung? Noch einmal zu Goethes Beitritt in den Illuminatenorden. Eine Replik, in: Goethe-Jahrbuch 113 (1996), S. 233-251. Mit dieser These hat sich Jens Riederer kritisch auseinandergesetzt: Riederer, Politische Kultur. Er formulierte an dieser Stelle einen konträren Standpunkt, der besagt, daß das Verhalten der politischen Führung im Fürstentum und im besonderen Goethes gegenüber den arkanen Verbindungen als praktische Politik eines Kleinstaates anzusehen sei (ebd., insb. S. 254-256). Johann Joachim Christoph Bode, Journal von einer Reise von Weimar nach Frankreich. Im Jahr 1787, hg. v. Hermann Schüttler. München 1994; siehe außerdem in diesem Kontext: ders., Bode und die Freimaurerei in Weimar, in: Ettersburger Hefte 3 (1995), S. 7-29.

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I. Die Aufklärungsgesellschaften

1. Definition und Typologie Entstammen einerseits die Begriffe Sozietät und Gesellschaft dem zeitgenössischen Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts; so ist andererseits der Terminus der Aufklärungsgesellschaft ein Produkt der modernen Forschung. Der Begriff greift bestimmte Sozietäten und Gesellschaften des 18. Jahrhunderts aus einer größeren Palette heraus und faßt sie zu einer Gruppe zusammen. Die Zugehörigkeit verschiedener Typen von Sozietäten zu dieser Gruppe ist mithin nicht selbstverständlich; sie muß definiert und begründet werden. Das erste Kapitel der vorliegenden Studie versucht, Kriterien zu bilden, anhand derer das Gesamtcorpus derjenigen Gesellschaften zusammengestellt werden kann, das die empirische und soweit als möglich klar abgegrenzte Grundlage der folgenden Untersuchungen bildet. Zu diesem Zweck ist zunächst eine allgemeine Definition des Begriffs erforderlich, an die sich eine Einführung und Erläuterung des typologischen Rasters, das die Forschung bis heute entwickelt hat, anschließt. In einem zweiten Schritt wird dieses etablierte Modell zu kommentieren und zu ergänzen sein. Schließlich wird in einem dritten Schritt der schwierige Grenzbereich zwischen den Gesellschaften der Aufklärungsbewegung und den anderen Sozietäten des Jahrhunderts ausgeleuchtet. Die Aufklärungsgesellschaften sind ein Bestandteil der Sozietätsbewegung der Frühen Neuzeit. Dadurch leitet sich ihre organisatorische, formale Struktur vom allgemeinen Sozietätsbegriff ab.1 Diese Struktur wird von verschiedenen Faktoren bestimmt. Dabei ist das wichtigste Kriterium das Existieren eines Statuts oder von Gesellschaftsgesetzen, aufgrund derer das Gesellschaftsleben, die Organisation, die innere Struktur und die Ziele umrissen waren. Diese Festlegungen bilden eine organisatorische Grundlage für die Motivation zum Beitritt und das Verhalten des einzelnen gegenüber und innerhalb der Sozietät. Das Vorhandensein dieser grundlegenden organisatorischen Gegebenheiten grenzt die Gesellschaften des 18. Jahrhunderts von dem sehr viel allgemeineren und unspezifischeren Sozialverhalten aufklärerischer .Soziabilität' ab; dieses geht über die feste Organisationsstruktur

Vgl. dazu jüngst: Klaus Garber, Sozietät und Geistes-Adel: Von Dante zum Jakobiner-Club. Der frühneuzeitliche Diskurs de vera nobilitate und seine institutionelle Ausformung in der gelehrten Akademie, in: Garber/Wismann (Hg.), Europäische Sozietätsbewegung, Bd. 1, S. 1 39, hier S. 27-29.

von Sozietäten weit hinaus und umfaßt z.B. gesellige Formen wie die Kaffeehauskultur oder die Salons.2 Den Übergang zur spezifischeren Definition einer Aufklärungsgesellschaft bildeten die Kriterien der Freiwilligkeit des Beitritts und der grundsätzlichen sozialen Offenheit der Teilnahme. Die Entscheidung zur Mitgliedschaft einer Person in einer bestimmten aufgeklärten Sozietät erfolgte demnach immer aus freiwilligen Motiven, aus persönlichem Interesse. Die Gesellschaften strukturierten sich somit als „freie Vereinigung von Männern",3 deren Leben durch eine „gemeinschaftlich erstellte Satzung" geregelt war, wobei es gemeinschaftliche Überzeugung war, daß das gesellschaftliche Zusammenleben und soziale Handeln einer gesetzlichen Regelung bedarf.4 Die Gründung einer aufgeklärten Sozietät wird als „innovatorischer Anspruch von Privatleuten" erkennbar, die diesen Anspruch „in die Energie zur freiwilligen Vergesellschaftung umsetzten".5 Deren Grundlagen waren eine oft einfache Organisation, in der „alle Mitglieder gleiche Rechte" besaßen und die durch einen „klar umrissenen Zweckartikel" definiert war.6 Eng mit den organisatorischen Elementen einer Aufklärungsgesellschaft ist eine weitere Kategorie verbunden, welche die aufklärerischen Konzeptionen auf der gesellschaftlichen Ebene widerspiegelt. Diese Kategorie ist eine grundlegende, für alle Aufklärungssozietäten gleichermaßen zutreffende Bestimmungsgröße, nämlich die Schichten- und Altersheterogenität, die Absicht, zumindest dem Anspruch nach ein Egalitätskonzept zu verwirklichen, innerhalb des Sozietätsraumes nicht nach den Vorgaben der ständischen Gesellschaft zu agieren. Alle Mitglieder einer Aufklärungsgesellschaft haben „unabhängig von Konfession, Stand und Herkunft die gleiche Stellung".7 Die Struktur dieser Personengruppe verlief diametral „zur ständischen Schichtung und deren Legitimität".8 Auf diese Weise konnten sich im Freundschaftskreis einer Sozietät Personen aus verschiedenen Bereichen der Stän2

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Vgl. dazu exemplarisch Hans Erich Bödeker, Das Kaffeehaus als Institution aufklärerischer kommunikativer Geselligkeit, in: François, Geselligkeit und Vereinswesen, S. 65-80; Wolfgang Schivelbusch, Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genußmittel. Frankfurt/M. 1995 [ Ί 9 8 0 ] , hier insb. S. 59-81 und Verena von der HeydenRynsch, Europäische Salons. Höhepunkte einer versunkenen weiblichen Kultur. Hamburg 2 1995 [ Ί 9 9 2 ] . Zur .Soziabilität' siehe jüngst: Schräder, Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft, insb. S. 65, 74, 83f. u. 90-92. Vgl. außerdem die Ausführungen in Abschnitt ΙΠ.4. der vorliegenden Arbeit. Zur Beteiligung von Frauen an den aufgeklärten Sozietäten siehe den entsprechenden Exkurs in Kapitel m. Van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 272. Hardtwig, Verein, S. 792. Im Hof, Das Europa der Aufklärung, S. 96. Van Dülmen, Die Aufkläningsgesellschaften, S. 272f. u. 257 am Beispiel der Akademien und Gelehrten Gesellschaften; siehe auch: ders., Gesellschaft der Aufklärer, S. 121, 125 u. 130f. Zum egalitären, demokratischen Potential der Gesellschaften, in Sonderheit der Freimaurerlogen, siehe: Helmut Reinalter, Freimaurerei, Jakobinismus und Demokratie, in: ders., Die Französische Revolution und Mitteleuropa. Frankfurt/M. 1988, S. 162-184. Hardtwig, Verein, S. 793. Siehe auch: Reinalter, Aufklärungsgesellschaften, Einleitung, S. 8.

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degesellschaft treffen; „Hofbeamte und Landedelleute" begegneten „Pfarrern und bürgerlichen Unternehmern".9 Das soziale Milieu der aufgeklärten Gesellschaften zeichnete sich durch einen egalitären und protodemokratischen Habitus aus.10 Diese frühdemokratische Struktur förderte auch die persönlichen Beziehungen und Kontakte unter den Mitgliedern einer Sozietät; das Postulat der Freundschaft spielte in vielen Fällen eine mitbestimmende Rolle im Gesellschaftsleben.11 Hinter dem Freundschaftsbegriff verbarg sich aber auch ein über die individuelle Gefühlssphäre hinausgehender Anspruch, der über gemeinsame Interessen definiert wurde; Freundschaft konnte zum prägenden persönlichen Moment zwischen den Beteiligten werden.12 Thomas Nipperdey hat diese Faktoren des Sozietätsmilieus als „gemüthaften Zusammenhalt" charakterisiert.13 Auf dieser Basis ist entscheidend, daß sich die Geselligkeit in den Aufklärungssozietäten von der ständisch-höfischen Gesellschaft durch ein produktives Klima unterschied. Sie präsentierte sich als „diskursive" Geselligkeit.14 Sie war mehr als „Geselligkeit im konvivialen Sinne".15 Dies bedeutet, daß die Sozietäten Zwecke und Ziele verfolgten. Eine Gesellschaft war nach zeitgenössischem Verständnis eine „würckliche Vereinbarung der Kräffte vieler" mit dem Ziel der „Erlangung eines gemeinschafftlichen Zweckes".16 Im Kontext der Aufklärungsgesellschaften mußte die Motivation dafür aufklärerischen Grundsätzen, Gedanken und Konzepten verhaftet sein: „Alle Aufklärungsgesellschaften bekannten sich zum Universalanspruch der Aufklärung".17 Dabei konnte dieser Universalanspruch verschiedene Dimensionen enthalten, wodurch sich der Zweck in verschiedener Art und Weise ausdrückte. Ein wesentliches Motiv zur Gesellschaftsgründung kann als Arbeit am Menschen, d.h. als „Thematisierung des eigenen Selbst" bezeichnet werden.18 Dahinter stand der Anspruch, sich selbst zu bilden, was Fragen der moralischen wie der gei-

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Ulrich Im Hof, Zur Rolle der Sozietäten im 18. Jahrhundert zwischen Utopie, Aufklärung und Reform, in: Eme, Die schweizerischen Sozietäten, S. 11-14, hier S. 13. 10 Dazu (betont kritisch): Schräder, Soziabilitätsgeschichte, S. 190 (Schräder stützte sich auf Vorarbeiten von Helmut Reinalter, ebd., Anm. 61) sowie ders., Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft, S. 90. Dazu auch am Beispiel der Patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften Kopitzsch, Zur politischen Bedeutung patriotisch-gemeinnütziger Gesellschaften, S. 312f. 11 Im Hof, Das Europa der Aufklärung, S. 95. 12 Reinalter, Aufklärungsgesellschaften, Einleitung, S. 8 und van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 273; siehe dazu auch Schräder, Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft, S. 76-80. 13 Nipperdey, Verein als soziale Struktur, S. 177. 14 Van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 124; dazu auch Nipperdey, Verein als soziale Struktur, S. 177. 15 Schräder, Soziabilitätsgeschichte, S. 181. 16 Johann Heinrich Zedier, Grosses vollstaendiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Kuenste, Welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden, [...]. Halle/Leipzig 1732ff. Bd. 10 (1735), Sp. 1260. 17 Van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 253. '8 Ebd.

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stigen B i l d u n g d e s einzelnen umschloß. Dieser Individualitätsanspruch fungierte als A u s l ö s e r und Transformator für „Neugier und Interesse". 19 N e b e n d i e s e m individuellen, persönlichen Anspruch läßt sich die aufklärerische Diktion in den eher universell angelegten Zielen der Förderung, Vorantreibung und Verbreitung v o n W i s s e n und Wissenschaft verorten. Dabei verharrten die wissenschaftliche Forschung und der damit verbundene Diskurs nicht in der Theorie b z w . im geistigen Entwurf, sondern b e z o g e n sich immer auch auf die . j e w e i l i g e wissenschaftliche, gesellschaftliche und politische Realität". 20 D e s weiteren konnte das Existieren eines Nützlichkeitsanspruches, d.h. das Ziel, in einer beliebigen Form innerhalb der Gesellschaft des A n c i e n R é g i m e reformerisch wirksam zu sein, also Lücken zu schließen, die der Staat nicht zu füllen vermochte, e i n e aufklärerische Kategorie ausmachen, die zur Sozietätsgründung m o tivierte. D i e s e s A n l i e g e n hatte die R e f o r m „unbefriedigender Zustände" z u m Ziel, w o b e i sich die Sozietäten „systemkonform und nicht revolutionär" gaben. 2 1 D i e Reformabsichten erstreckten sich über ein weites Feld: v o m kulturellen über den sozialen bis z u m ö k o n o m i s c h e n Bereich. 2 2 N e b e n diese reformerische D i m e n s i o n trat z u m Ende des 18. Jahrhundert als drittes Kriterium das erklärte Ziel, die politischen Verhältnisse zu verändern. Speziell mit der Gründung des Illuminatenordens 1 7 7 6 wurde die Grenze z w i s c h e n R e f o r m der Gesellschaft und Veränderung von Herrschaft überschritten. 2 3 D i e s e

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Hardtwig, Verein, S. 797. Möller, Vernunft und Kritik, S. 212 und van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 121-123. Im Hof, Rolle der Sozietäten, S. 14; siehe auch: ders., Das gesellige Jahrhundert, S. 157 und ders., Das Europa der Aufklärung, S. 132. Im Hof, Das Europa der Aufklärung, S. 95 u. 132. Zum Illuminatenorden siehe insb.: Leopold Engel, Geschichte des Illuminatenordens. Ein Beitrag zur Geschichte Bayerns. Berlin 1906; Richard van Dülmen, Der Geheimbund der Illuminaten. Darstellung - Analyse - Dokumfcntation. Stuttgart-Bad Cannstatt 1975 [ 2 1977] (Neuzeit im Aufbau 1); Norbert Schindler, Der Geheimbund der Muminaten: Aufklärung, Geheimnis und Politik, in: Reinalter, Freimaurer und Geheimbünde, S. 284-318 (erstveröffentlicht in Ludz, Geheime Gesellschaften, S. 203-229); Agethen, Geheimbund und Utopie·, Eberhard Weis, Der Illuminatenorden (1776-1786). Unter besonderer Berücksichtigung der Fragen seiner sozialen Zusammensetzung, seiner politischen Ziele und seiner Fortexistenz nach 1786, in: Reinalter, Aufklärung und Geheimgesellschaften, S. 87-108 (auch als Separatdruck; = Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch historische Klasse, Sitzungsbericht 1987, Heft 4. München 1987); Schüttler, Die Mitglieder des Illuminatenordens·, ders., Zwei freimaurerische Geheimgesellschaften·, Wilson, Geheimräte gegen Geheimbünde·, Werner Troßbach, Der Schatten der Aufklärung. Bauern, Bürger und üluminaten in der Grafschaft Wied-Neuwied. Fulda 1991 (Deutschlands 18. Jahrhundert, Studien, 1); Monika Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung. Das Reichskammergericht im Netzwerk der Illuminaten. Wetzlar 1993 (Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Heft 14); dies., Esoterische Bünde und Bürgerliche Gesellschaft·, dies., Die utopische Struktur gesellschaftlicher Zielprojektionen im Dluminatenbund, in: Monika Neugebauer-Wölk/Richard Saage (Hg.), Die Politisierung des Utopischen im 18. Jahrhundert. Tübingen 1996 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 4), S. 169-197 und Helmut Reinalter (Hg.), Der Illuminatenorden (1776-1785/87). Frankfurt/M. u.a. 1997 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 24). 37

Wandlung, die Konfrontation moralischer Vorstellung mit der staatlichen Wirklichkeit, verlief bei den Illuminaten noch verdeckt durch die geheime Tätigkeit des Ordens. Erst als in der Folge der Französischen Revolution politische Klubs auch im Alten Reich heimisch wurden, trat der bis dahin verdeckte Veränderungswunsch offen und deutlich zutage.24 Für die Einstufung einer Gesellschaft als aufgeklärte Sozietät sind somit drei bestimmende Momente konstitutiv. Zum einen mußte die Gesellschaft eine feste organisatorische Form aufweisen, deren Mitgliederrekrutierung auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basierte. Dabei durften die Zugangsbedingungen nicht durch Alters- bzw. Standesgrenzen von vornherein eingeschränkt sein. Auf der Grundlage dieses organisatorischen wie sozialen Fundamentes galt es, sich einer aufklärerischen Zielen verhafteten Aufgabe zu widmen. Jene konnte in Wissenschaft und Bildung ebenso beheimatet sein, wie in gemeinnützigen Tätigkeiten oder reformatorischen Absichten, bzw. aus einem Bündel der genannten Bereiche bestehen. Aus den Bestimmungen aufklärerischer Zielsetzung der Gesellschaften hat die Forschung Sozietätsgruppen zusammengeführt, die ein typologisches Raster der Gesellschaft der Aufklärer bilden. Dieses Raster findet sich jeweils mit leichten Nuancen in allen einschlägigen Studien. Ulrich Im Hof hat es beschrieben, ebenso wie Horst Möller, Richard van Dülmen und Helmut Reinalter.25 Dieser Kanon von Gesellschaften, der gemeinhin als organisatorischer Niederschlag der Aufklärung angesehen wird, setzt sich aus folgenden Sozietätstypen zusammen: Akademien und Gelehrte Gesellschaften, Deutsche und Literarische Gesellschaften, Freimaurerlogen, Patriotisch-gemeinnützige Gesellschaften (worunter auch die Ökonomischen Gesellschaften zu zählen sind), Lesegesellschaften, Geheimbünde und die politischen Klubs des Revolutionszeitalters. Der Reihenfolge dieser Aufzählung liegt dabei die historische Abfolge der Entstehung jedes Einzeltyps zugrunde. Die Zuordnung einer konkreten Gesellschaft zu einem dieser Sozietätstypen basiert dabei auf einem abstrahierten Idealbild, das in der Realität des 18. Jahrhundert von Sozietät zu Sozietät unterschiedlich ausgeprägt war. Ist eine einzelne Ge-

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Hardtwig, Verein, S. 798f. Ulrich Im Hof, Der Sozietätsgedanke im 18. Jahrhundert, in: Pietismus und Neuzeit 7 (1981), S. 9-27; ders., Das gesellige Jahrhundert, S. 112-175; ders., Rolle der Sozietäten, S. 12f.; ders., German Associations and Politics in the Second Half of the Eighteenth Century, in: Eckhart Hellmuth (Hg.), The Transformation of Political Culture. England and Germany in the Late Eighteenth Century. Oxford 1990, S. 207-218 und ders., Das Europa der Aufklärung, S. 95-134; Möller, Kritik und Vernunft, S. 212ff.; van Dülmen, Die Aufkläningsgesellschaften; ders., Gesellschaft der Aufklärer, insb. S. 5f., 120 u. 125 und die Liste der „Sozietäten des 17. und 18. Jahrhunderts" S. 150-171; Reinalter, Aufklärungsgesellschaften, Einleitung, S. 8 11 und ders., Sozietäten und Geheimgesellschaften am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Ihre gesellschaftliche und politische Funktion, in: Erich Moll/Karl Pellens (Hg.), Bürgerliche Gesellschaften im 18. und 19. Jahrhundert. Sozietäten und frühe Parteien. Lochau 1986, S. 6-15, hier S. 6.

sellschaft Gegenstand der Untersuchung, wird man immer wieder auf A b w e i c h u n gen von d i e s e m idealtypischen Muster stoßen. U m aber einen u m f a s s e n d e n Rahm e n zu bilden, gelten die genannten Parameter als minimaler Konsens. A n dieser Stelle werden die vorgestellten Gesellschaftstypen durch immanente Charakteristika umrissen. D i e A k a d e m i e n und Gelehrten Gesellschaften waren die frühesten Formen aufgeklärter Sozietäten. Gründungen dieser Provenienz sind bereits zu B e g i n n des 18. Jahrhunderts nachweisbar. 2 6 Jürgen V o s s unterschied dabei Akademien, Gelehrte Gesellschaften und wissenschaftliche Vereine. 2 7 Dabei sind die für das 18. Jahrhundert spezifischen Formen die A k a d e m i e und die Gelehrte Gesellschaft. 2 8 B e i beiden Sozietätstypen stand ein wissenschaftlicher Gegenstand i m Mittelpunkt des Interesses. D i e Akademie 2 9 war die höchste wissenschaftliche Körperschaft eines Landes, in der die Wissenschaftsauffassung der Aufklärung „ihre charakteristische institutionelle Gestalt gewann". 3 0 S i e wurde von den Regierungen nicht nur geduldet und privilegiert, sondern zumeist auch finanziell unterstützt b z w . erhalten. 31 In den A k a d e m i e n versammelten sich Spezialisten, die in einer geregelten G e m e i n schaftsarbeit zumeist k o m p l e x e Aufgabenstellungen untersuchten, w e l c h e v o n Ein-

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Voss, Gelehrte Gesellschaften, S. 20f. Jürgen Voss, Akademien, Gelehrte Gesellschaften und wissenschaftliche Vereine in Deutschland. 1750-1850, in: François, Geselligkeit und Vereinswesen, S. 149-167, hier S. 151. Vgl. die Beispiele bei Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 116-123. Zu Akademien siehe: Fritz Hartmann/Rudolf Vierhaus (Hg.), Der Akademiegedanke im 17. und 18. Jahrhundert. Bremen/Wolfenbüttel 1977 (Wolfenbütteler Studien 3); Ludwig Hammermayer, Europäische Akademiebewegung und italienische Aufklärung, in: Historisches Jahrbuch 81 (1961), S. 247-263; ders., Akademiebewegung und Wissenschaftsorganisation während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Formen, Tendenzen, Wandel, in: Erik Amburger (Hg.), Wissenschaftspolitik in Mittel- und Osteuropa. Wissenschaftliche Gesellschaften, Akademien und Hochschulen im 18. Jahrhundert und beginnenden 19. Jahrhundert. Berlin 1976 (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 3), S. 1-84; ders., Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759-1807. 2 Bde. München 1983. Bd. 1: Gründungs- und Frühgeschichte 1759-1769. Bd. 2: Zwischen Stagnation, Aufschwung und Illuminatenkrise 1769-1786', Hans-Heinrich Müller, Akademie und Wirtschaft im 18. Jahrhundert. Agrarökonomische Preisaufgaben und Preisschriften der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Versuch, Tendenzen und Überblick). Berlin 1975 (Studien zur Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR 3); Harald Dickerhof, Gelehrte Gesellschaften, Akademien, Ordensstudien und Universitäten. Zur sogenannten Akademiebewegung im bayerischen Raum, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 45/1 (1982), S. 37-66; Jürgen Voss, Die Akademien als Organisationsträger der Wissenschaften im 18. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 231 (1980), S. 43-74; Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 1 Π Ι 23; Gerhard Kanthak, Der Akademiegedanke zwischen utopischem Entwurf und barocker Projektmacherei. Zur Geistesgeschichte der Akademiebewegung des 17. Jahrhunderts. Berlin 1987 (Historische Forschungen 34) und Helmut C. Jacobs, Organisation und Institutionalisierung der Künste und Wissenschaften. Die Akademiegründungen der spanischen Aufklärung in der Tradition der europäischen Akademiebewegung. Frankfurt/M. 1996 (Editionen der Iberoamericana, Serie A: Literaturgeschichte und -kritik 11). Voss, Wissenschaftliche Vereine, S. 151 und Möller, Vernunft und Kritik, S. 247 (hier das Zitat). Voss, Akademien und Gelehrte Gesellschaften, S. 19. 39

zelpersonen nicht zu lösen waren. 3 2 W i e s e n die Akademien einerseits einen „elitären Charakter" auf, war dies andererseits augenscheinlich weniger an standesgesellschaftlichen Vorgaben denn an wissenschaftlicher Qualifikation orientiert, der eine konfessionelle, nationale und soziale Offenheit inhärent war. 3 3 Im mitteldeutschen R a u m repräsentierte diesen Typ aufgeklärter Organisation die 1 7 5 4 in Erfurt gegründete A k a d e m i e gemeinnütziger Wissenschaften. 3 4 N e b e n den Akademien bildeten die Gelehrten Gesellschaften Mittelpunkte w i s senschaftlich-aufgeklärter Aktivitäten. 3 5 Im Gegensatz zu den A k a d e m i e n entstanden die Gelehrten Gesellschaften aus privater Initiative, waren also „private in origin and conception"; dennoch erhielten sie in zahlreichen Fällen eine Privilegierung durch den Landesherrn. 3 6 D i e Gesellschaften bildeten einen Z u s a m m e n s c h l u ß v o n Bürgerlichen, A d e l i g e n mit wissenschaftlichem Interesse s o w i e Gelehrten und Studenten. 3 7 In d i e s e m sozial weitgespannten Mitgliederkreis wurden

wissen-

schaftliche Fragen allgemeiner und spezieller Natur behandelt, w o b e i die Spezialisierung z u m E n d e des 18. Jahrhunderts zunahm. 3 8 Daraus resultierte eine Bandbreite von Gelehrten Sozietäten, die unterschiedliche Wissenschaftsgebiete thema-

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Ebd. An dieser Stelle auch das folgende Zitat. Vgl. Möller, Vernunft und Kritik, S. 255; siehe auch S. 256f. Die Geschichte der Akademie im 18. Jahrhundert sowie ihr Wirken darüber hinaus ist inzwischen gut erforscht; siehe dazu die Arbeiten von Jürgen Kiefer und Horst-Rudolf Abe sowie die älteren Studien von Richard Thiele und Georg Oergel (vgl. jeweils das Literaturverzeichnis). Aufgrund ihres heutigen Sitzes - Halle - wird der Leser an dieser Stelle außerdem die .Leopoldina' im mitteldeutschen Kontext der vorliegenden Arbeit vermissen. Diese, im 17. Jahrhundert gegründete, „lockere Gelehrtengemeinschaft" hatte ihren Sitz am jeweiligen Wohnort des Präsidenten, d.h. sie war eine überlokale, territorial nicht gebundene Sozietät und fällt damit aus dem Rahmen der Untersuchung heraus; vgl. exemplarisch Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 264f., Zitat S. 265 und Möller, Vernunft und Kritik, S. 248. Zu Gelehrten Gesellschaften siehe: Dickerhof, Gelehrte Gesellschaften; Amburger, Wissenschaftspolitik in Mittel- und Osteuropa·, Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 112-123; Voss, Wissenschaftliche Vereine; ders., Akademien und Gelehrte Gesellschaften; McClellan, The international organization of science and learned societies und ders., Science reorganized, Eme, Die schweizerischen Sozietäten·, Wissenschaftliche Gesellschaften und disziplinäre Erkenntnis in der Geschichte der Wissenschaft. Rostock 1986 (Rostocker Wissenschaftshistorische Manuskripte 14) sowie Henry E. Lowood, Patriotism, Profit and Promotion of Science in the German Enlightenment. The Economic and Scientific Societies 1760-1815. New York/ London 1991. Lowood, Patriotism, Profit and Promotion, S. 68; siehe auch: van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 29 und Im Hof, Rolle der Sozietäten, S. 12. Siehe dazu: Lowood, Patriotism, Profit and Promotion, S. 71-73 und Marwinski, Societas litteraria, Teil 1, S. 218. Voss, Wissenschaftliche Vereine, S. 154. Für eine zeitgenössische Beschreibung über den Zweck von Gelehrten Gesellschaften siehe die Ausführungen, die die .Prüfende Gesellschaft' in Halle (1736 gegründet) ihrer Gesellschaftsverfassung voranstellte: Der Prüfenden Gesellschaft zu Halle Herausgegebene Schriften. Halle 1741, darin: Der Prüfenden Gesellschaft zu Halle [...] /. Probe. Halle 2 1740, S. 3-24.

tísierten

und dies zumeist in ihren N a m e n g e b u n g e n deutlich machten, w i e natur-

forschende, mineralogische und mathematisch-physikalische Gesellschaften. 3 9 In Mitteldeutschland war im 18. Jahrhundert eine große Zahl gelehrter Sozietäten aktiv. Im Universitätsraum Halle-Leipzig traten sie in besonderer Häufigkeit auf. D a z u zählten in Halle die ,Naturforschende Gesellschaft' ( 1 7 7 9 ) s o w i e die .Societas Sydenhamiana' ( 1 7 9 7 ) und in Leipzig die .Philologische Societät' ( 1 7 8 4 ) und die .Linneische Privatgesellschaft' (1789). 4 0 D i e s e vier Sozietäten spiegeln in ihrer j e w e i l i g e n Ausrichtung unterschiedliche Formen gelehrter G e s e l l u n g wider. D i e Naturforschende Gesellschaft in Halle und die Linneische Privatgesellschaft in Leipzig, die auch als „ L u d w i g ' s e h e naturforschende PrivatGesellschaft" firmierte, hatten sich übergreifende Wissenschaftsgegenstände als Bearbeitungsfelder gewählt. 4 1 Ziel der Leipziger Naturforschenden Gesellschaft war es, „angehende" und „zur Zeit n o c h wirklich" Studierende in naturhistorischen Fragen zu bilden und ihnen „Anleitung und Richtung" für ihr Privatstudium zu geben. 4 2 G l e i c h w o h l engagierten sich auch v o n B e g i n n an neben den Studenten bereits im gesellschaftlichen Leben aktive „NaturGeschichtsForscher" und „Naturbeschreiber". 4 3 In der

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Zum Spektrum der Gelehrten Gesellschaften siehe insb.: Voss, Akademien und Gelehrte Gesellschaften, S. 21 und van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 25. Allgemein: Siefert, Das naturwissenschaftliche und medizinische Vereinswesen, S. 16f., 85, 87f.,127 u.ö. sowie Dickerhof, Gelehrte Gesellschaften, S. 47. Zu den beiden Halleschen Gesellschaften siehe weiterhin: Plan und Gesetze der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle, die unter dem Vorsitz des Kriegs- und Domainenraths wie auch der Weltweisheit Doctors, von Leyser im Monat Julius des 1779sten Jars ihren Anfang nahm. Halle 1779; UA Halle, Rep. 3 Nr. 207, Approbation der Naturforschenden Gesellschaft 1779\ Carl Christoph Schmieder, Geschichte der Entstehung und neuern Einrichtung der Naturforschenden Gesellschaft in Halle. Halle 1809 (Schriften der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle 1,1), S. 9-47; Reinhard Aulich, Die Anfänge der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle. Über die Gründung und das erste Jahrzehnt einer vergessenen .patriotischen Aufklärungsgesellschaft', in: Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 4, S. 155-165; Rundes Chronik der Stadt Halle 1750-1835, hg. v. Thüringisch-sächsischen Geschichtsverein, bearb. v. Bernhard Weißenborn. Halle 1933, S. 189f.; UA Halle, Rep. 3 Nr. 193, Anzeige des Prof. Curt Sprengel zur Errichtung einer medizinischen Gesellschaft 1797 und [Über die Societas Sydenhamiana in Halle], in: Allgemeine Literatur-Zeitung. Intelligenzblatt 1797, Nr. 21, Sp. 182. Zu den beiden Leipziger Sozietäten siehe: Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 253-266; Leipziger gelehrtes Tagebuch. Auf das Jahr 1794. Leipzig 1794, Vorrede, S. IV-VIII. Zitat bei Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 257. Stifter der Gesellschaft war der Leipziger Prof. Christian Friedrich Ludwig. Der Sozietätsname der .Linneischen Privatgesellschaft' basiert auf dem schwedischen Naturforscher und Arzt Carl von Linné (1707-1778, bis 1762 zunächst: Linnaeus). Linné regte die Gründung der Stockholmer Akademie der Wissenschaften an und wurde 1739 deren Präsident. Ebd. Siehe dazu auch Siefert, Das naturwissenschaftliche und medizinische Vereinswesen, S. 85. Vgl. bei Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 261 die Bestimmungen zur Mitgliedschaftsstruktur der Gesellschaft, die in zwei Gruppen eingeteilt war: a) „gegenwärtige" (Studenten und junge Künstler) und b) „Auswärtige" (ehemalige Studenten, d.h. „Alle vorherige gegenwärtige Mitglieder", junge ausländische Naturgeschichtsforscher und inländische Naturbeschreiber). Siehe dazu die Mitgliederangaben ebd., S. 261-265 sowie Leipziger gelehrtes Tagebuch 1791, S. VII f. 41

praktischen Arbeit der Sozietät schälten sich die „Beförderung der wissenschaftlichen Ausbildung" in Naturgeschichte (allgemein-methodologische Fragen des Fachgebiets) sowie die „Beförderung der naturhistorisch-geographischen Kenntniß" von Sachsen als Hauptgegenstände heraus.44 Außerdem wurden neue Schriften kritisch beurteilt sowie Abhandlungen vorgetragen und besprochen.45 In der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle von 1779 waren ordentliche und Ehrenmitglieder organisiert, die „aus allen Gegenden und Ständen" kommen durften.46 Die Gesellschaft verdankte ihre Entstehung studentischer Initiative, Schloß aber ihrerseits nur wenige Jahre nach der Gründung Studenten faktisch von der Mitgliedschaft aus, wenngleich dies wohl in der Gesellschaftspraxis nicht konsequent eingehalten wurde.47 Die Leitung des Gesellschaftslebens oblag einem Sekretär, der „durch die Mehrheit der Stimmen" der ordentlichen Mitglieder gewählt wurde.48 Ähnlich wie die Leipziger hatte sich auch die Hallesche Sozietät über ein spezifisches Teilgebiet hinaus übergreifende Betrachtungen und Forschungen zum Gegenstand ihrer Arbeit erwählt. In den Abhandlungen der einzelnen Mitglieder, die auf den Versammlungen der Gesellschaft vorgelesen und bewertet wurden (gegebenenfalls sollten sie zum Druck befördert werden), wurden Themen aus der Natur behandelt. Die Mitglieder sollten „zur besten Beförderung ihrer Kenntniß in der Natur" arbeiten, worunter auch gelegentliche Exkursionen fallen konnten.49 Zur Umsetzung dieses Ziels unterhielt die Gesellschaft z.B. ein Mineralienkabinett sowie eine Bibliothek.50 Im Sozietätsleben sollten, wie „in anderen Naturforschenden Gesellschaften", im Kontext dieser weitreichenden Zielstellung einzelne Fachgelehrte durch Mitteilung ihrer Kenntnisse ein „wechselseitiges Lehren und Lernen" bewirken.51 Das Konzept hatte Erfolg: Bis zur Jahrhundertwende wurden 179 Mitglieder aufgenommen.52 Gegenüber diesen weitläufigen Gesellschaftskonzepten arbeiteten andere Gelehrte Sozietäten auf enger umgrenzten Gebieten, die durch jeweils ein spezifisches Fachgebiet bestimmt waren. Die Philologische Gesellschaft des Leipziger Professors der alten Sprachen Christian Daniel Beck53 vereinigte unter seiner Lei44 45 46 47

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Ebd., S. 257. Vgl. dazu den Aufgabenkatalog der Gesellschaft, ebd., S. 257-260. Leipziger gelehrtes Tagebuch, 1791, S. VI. Plan der Naturforschenden Gesellschaft in Halle, S. 12f. Schmieder, Naturforschende Gesellschaft Halle, S. 9 und 12. Allerdings wurden weiterhin .Kandidaten', aufgenommen, siehe ebd., S. 38-45 sowie besonders Aulich, Anfange, S. 157ff., der die Initiatoren und Entstehungsbedingungen der Gesellschaft detailliert beschreibt. Plan der Naturforschenden Gesellschaft in Halle, S. 22; siehe auch: Schmieder, Naturforschende Gesellschaft Halle, S. 10. Ebd., S. 16-19, ZitatS. 18. Schmieder, Naturforschende Gesellschaft Halle, S. lOf. Plan der Naturforschenden Gesellschaft in Halle, S. 20. Schmieder, Naturforschende Gesellschaft Halle, S. 33-45. 1757-1832. Er wurde 1782 außerordentlicher und 1785 ordentlicher Professor „graecarum et latinarum litterarum"; ADB. Bd. 2, S. 210-212, hier auf S. 211 auch Nennung der Sozietät.

tung eine Anzahl von Studenten, die „über ein Stück aus einem alten Klassiker" Vorlesung hielten und im Anschluß über „Form und Materie" der Lesung diskutierten.54 Ihr Mitgliederkreis weitete sich nach kurzer Zeit bereits auf Nichtstudierende aus.55 Auch dieses Sozietätskonzept hatte Erfolg. Die 1784 gegründete Gesellschaft bestand über die Jahrhundertwende hinaus und brachte „mehrere geschickte Männer" hervor.56 Ähnlich spezifisch strukturiert war die Tätigkeit der 1797 in Halle gegründeten Sydenhamschen Gesellschaft.57 Unter dem Vorsitz von Professor Curt Sprengel58 verfaßten die Mitglieder Aufsätze zu medizinischen Themen, die auch ausgewertet wurden. Diese Gesellschaft angehender Ärzte arbeitete außerdem im praktischen Bereich mit Versuchen und Beobachtungen. Die fünfzehn aktiven Mitglieder, die zumeist ihre Studien bereits beendet hatten und praktizierten, hielten vor Ort und über die Halleschen Grenzen hinaus Kontakt mit anderen Ärzten. Dies hatte die Ernennung von vierzig Ärzten zu Ehrenmitgliedern zur Folge. Über die Form medizinisch-gelehrter Zusammenarbeit hatte die Sydenhamsche Sozietät auch Merkmale einer Lesegesellschaft. Die Mitglieder erhielten für einen jährlichen Beitrag die neuesten medizinischen Schriften.59 Eng mit diesen beiden Sozietätstypen - den Akademien und Gelehrten Gesellschaften - verbunden waren die Deutschen und Literarischen Gesellschaften. 60 Zwischen ihnen und den Gelehrten Gesellschaften gab es beachtliche Affinitäten (wissenschaftlicher Gegenstand, Wirkung nach außen; z.B. Publikation von Schrif-

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Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 253. Leipziger gelehrtes Tagebuch 1794, S. V f. (siehe dazu auch die Angaben S. VI-Vm). Vgl. außerdem die Mitgliederangaben bei Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 254-256. Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 254. UA Halle, Rep. 3, Nr. 193, Anzeige des Prof. Curt Sprengel über die Errichtung einer privaten medizinischen Gesellschaft, 1797 [Etablierung der Sydenhamschen Gesellschaft]; der Name der Sozietät bezieht sich auf den englischen Arzt Thomas Sydenham (1624-1689). 1766-1833. Er publizierte auf botanischem und medizinischem Gebiet, war als Übersetzer ebenso wie als Journalist tätig und praktizierte als Arzt. 1795 wurde Sprengel zum Ordinarius berufen; ADB. Bd. 35, S. 296-299. [Über die Societas Sydenhamiana in Halle]; siehe auch Rundes Chronik der Stadt Halle, S. 190. Vgl. z.B.: Marwinski, Societas litteraria, Teil 1, S. 218; van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 43f., der an dieser Stelle die Gesellschaften als „Gegenstück" bzw. „Ergänzung" (S. 43) zu den Gelehrten Gesellschaften bezeichnet, sowie Hardtwig, Wie deutsch war die deutsche Aufklärung?, S. 178-183 und insb. zuletzt: ders., Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 224-238 (hier vornehmlich am Beispiel der .Leipziger Deutschen Gesellschaft') sowie S. 239 (hier hebt Hardtwig hervor, daß die Deutschen Gesellschaften als eine „spezielle Ausformung des Akademiegedankens" zu verstehen sind). Eine moderne, umfassende Studie zu diesem Sozietätstyp fehlt; in Helmut Reinalters Sammelband zu Aufklärungsgesellschaften von 1993 beispielsweise ist diesen Sozietäten keine eigene Abhandlung gewidmet. Zu Literarischen Gesellschaften siehe Rolf Engelsing, Die literarischen Gesellschaften, in: Peter Pütz (Hg.), Die Erforschung der Deutschen Aufklärung. Königstein/Taunus 1980, S. 162-175, Engelsing konzentriert sich hier vornehmlich auf die Literarischen Gesellschaften in Bremen am Ende des 18. Jahrhunderts.

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ten o.a.). D i e Deutschen Gesellschaften setzten sich ihrem N a m e n entsprechend mit „einer großangelegten Sprachreform" auseinander. 6 1 In den Literarischen Gesellschaften trafen sich die Mitglieder regelmäßig zu Versammlungen, auf denen Vorträge gehalten wurden. 6 2 D i e D e u t s c h e n Gesellschaften hatten ihre Blüte ab ca. 1 7 3 0 bis z u m B e g i n n der z w e i t e n Jahrhunderthälfte. Eng mit dieser Blüte verbunden war das Wirken der Gottschedschen .Deutschen Gesellschaft' in Leipzig ( 1 7 2 7 , Vorläufer seit 1697). 6 3 D i e s e Sozietät lieferte für viele verwandte Gründungen das Vorbild. 6 4 A u c h in Jena wirkte seit 1728 eine Deutsche Gesellschaft. 6 5 N e b e n diesen beiden großen D e u t s c h e n Gesellschaften i m mitteldeutschen R a u m gab es weitere Gründungen, die j e d o c h nicht deren Format erreichten. In Halle etwa wurde (vermutlich) 1733 die erste D e u t s c h e Gesellschaft unter d e m N a m e n .Gesellschaft zur Beförderung der deutschen Sprache, P o e s i e und B e redsamkeit' gegründet, 6 6 in die der Dichter Jacob Immanuel Pyra 1735 eingetreten ist. 67 D i e Gesellschaft zeichnete sich durch einen privaten Charakter aus und scheint nur w e n i g strenge Statuten gehabt zu haben. In ihr übten sich die Mitglie-

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Van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 48 am Beispiel der Deutschen Gesellschaft in Leipzig unter Gottsched (wobei er aber auch auf die differierenden Interessen anderer Deutscher Gesellschaften durch deren Selbständigkeit aufmerksam machte). Johann Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Beginn der klassischen Literaturperiode bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1740-1804). Leipzig 1909 (Geschichte des Deutschen Buchhandels 3), S. 253. Eine neuere Arbeit zu dieser Gesellschaft fehlt. Zur Gesellschaftsgeschichte siehe insb.: Nachricht von der erneuerten Deutschen Gesellschaft in Leipzig·, Mittheilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Vaterländischer Sprache und Alterthiimer in Leipzig, Bd. 6 (1877), S. 3-27; Eugen Wolff, Die deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts, in: Nord und Süd 99 (1901), S. 225-241 u. 336-339, hier S. 226-236; Georg Witkowski, Die Deutsche Gesellschaft in Leipzig, in: Minerva-Zeitschrift 8 (3), 1927, S. 165-170 und Krocker, Zweihundert Jahre. Siehe z.B. Krocker, Zweihundert Jahre, S. 13; Rieck, Johann Christoph Gottsched, S. 92 sowie zuletzt Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 226. Beispielsweise bezog sich die ,Anhaltische Deutsche Gesellschaft' in Bernburg ausdrücklich in ihrem Selbstverständnis auf die ersten Deutschen Gesellschaften in der Nachfolge der .Leipziger Deutschen Gesellschaft' von 1727; siehe: Nachricht von der Einrichtung, dem Vorhaben, und den Satzungen der Fürstl. Anhaltischen Deutschen Gesellschaft. Bernburg 1762, S. 1 lf. Zur Gesellschaftsgeschichte siehe: Marwinski, Societas litteraria, Teil 1, S. 28-42; dies., Fabricius, S. 17-81 und Riederer, Jena und Weimar, S. 139-158. Waniek, Gottsched und die deutsche Literatur seiner Zeit, S. 326; ders., Immanuel Pyra und sein Einfluß auf die deutsche Literatur des achtzehnten Jahrhunderts. Leipzig 1882, S. 17f.; Reichel, Gottsched, Bd. 2, S. 137; Marwinski, Societas litteraria, 2. Teil, S. 17, Anm. 143; Der Prüfenden Gesellschaft zu Halle Herausgegebene Schriften, S. 15; Dickerhof, Gelehrte Gesellschaften, S. 44 (die beiden zuletzt Genannten geben 1736 als Gründungsjahr an) sowie die Studie von Ferdinand Josef Schneider über das geistige Leben in Halle während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Ferdinand Josef Schneider, Das geistige Leben von Halle im Zeichen des Endkampfes zwischen Pietismus und Rationalismus, in: Sachsen und Anhalt 14 (1938), S. 137-166, hierS. 156ff. 1715-1744. Pyra studierte 1734-1738 Theologie in Halle; siehe ADB, Bd. 26, S. 784-787. Zur Mitgliedschaft siehe Schneider, Das geistige Leben, S. 159f.

der in P o e s i e und kritischem Austausch. 6 8 D i e Sozietät wird auch die ,Erste Hallische Dichterschule' genannt. 6 9 Vermutlich hat sie sich 1747 aufgelöst. 7 0 Während dieser Zeit soll es in Halle außerdem zur Gründung einer .deutsch übenden Freymaurergesellschaft' g e k o m m e n sein (1738), deren A u f g a b e in der „Hebung der Literatur" bestanden habe. 7 1 Erst nach der Jahrhundertmitte wurden diese B e m ü h u n gen fortgesetzt. In den fünfziger Jahren wurde eine .Gesellschaft der Freunde der schönen W i s senschaften' von Gottlob Samuel Nicolai gegründet, 7 2 der gleichzeitig (seit 1 7 4 4 ) Freimaurer in der Halleschen L o g e ,Zu den drei goldenen Schlüsseln' war. D i e Gründung der Gesellschaft muß u m 1 7 5 0 erfolgt sein, da Gottlob Nicolai Halle 1753 verließ und die Gesellschaft bereits 1 7 5 2 e i n e Schriftensammlung herausgab. 7 3 N a c h N i c o l a i s W e g g a n g aus Halle führte Friedrich W i l h e l m Ellenberger, seit 1 7 5 4 außerordentlicher Professor in der philosophischen Fakultät, 74 die Gesellschaft weiter. A u c h er war Freimaurer; 1756 wurde er in der Halleschen L o g e .Philadelphia' eingeführt und schließlich 1763 aufgenommen; mit s e i n e m T o d 1768 erlosch vermutlich auch die dritte Deutsche Gesellschaft in Halle. 7 5 D a ß die

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Waniek, Immanuel Pyra und sein Einfluß auf die deutsche Literatur, S. 18. Vgl. Heinz Käthe, Geist und Macht im absolutistischen Preußen. Zur Geschichte der Universität Halle von 1740 bis 1806. Diss. Β masch. 2 Teile. Halle 1980, hier Teil 2, S. 133; siehe auch: Waldemar Kawerau, Aus Halles Literaturleben. Halle 1888, S. 81f.; Schneider, Das geistige Leben, S. 137; Martens, Die Botschaft der Tugend, S. 416 sowie Immanuel Jacob Pyra, Über das Erhabene. Mit einer Einleitung und einem Anhang mit Briefen Bodmers, Langes und Pyras hg. v. Carsten Zelle. Frankfurt/M. u.a. 1991 (Trouvaillen. Editionen zur Literaturund Kulturgeschichte 10), Einleitung S. 14. Waniek, Gottsched und die deutsche Literatur, S. 586. Ferdinand Josef Schneider nimmt dagegen an, daß die Gesellschaft bereits mit dem Weggang von Pyra aus Halle 1738 ihre Tätigkeiten eingestellt hat; Schneider, Das geistige Leben, S. 166. Waniek, Immanuel Pyra und sein Einfluß auf die deutsche Literatur, S. 15 (Waniek bezieht sich auf ein Schreiben der Gesellschaft an Gottsched vom Januar 1738); siehe außerdem Reichel, Gottsched, Bd. 2, S. 137 und van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 151. 1725-1765. Nicolai kam 1743 nach Halle, wurde 1749 Magister und 1752 außerordentlicher Professor der philosophischen Fakultät; siehe Eckstein, Geschichte der Freimaurerloge im Orient Halle, S. 29. Waniek, Gottsched und die deutsche Literatur, S. 586 und Sammlung einiger Schriften der Gesellschaft der Freunde der schönen Wissenschaften in Halle. Halle 1752. Zur freimaurerischen Mitgliedschaft siehe: Eckstein, Geschichte der Freimaurerloge im Orient Halle, S. 29. Siehe außerdem: Johann Friedrich Stiebritz, Diplomatisch-historische Beschreibung des SaalCreyses [...]. Halle 1773, 2. Teil [Dreyhaupt, Johann Christoph von, [...] diplomatisch-historische Beschreibung des Saal-Creyses und aller darin befindlichen Städte, Schlösser, Aemter, Rittergüther [...], in einen Auszug gebracht, verbessert, bis auf unsere Zeiten fortgesetzt, [...] von Johann Friedrich Stiebritz. Halle 1773], S. 194. Eckstein, Geschichte der Freimaurerloge im Orient Halle, S. 69f. und Käthe, Geist und Macht, Teil 2, S. 134. Käthe, Geist und Macht, Teil 2, S. 134; Stiebritz, Beschreibung des Saal-Creyses, S. 194 sowie Eckstein, Geschichte der Freimaurerloge im Orient Halle, S. 69f. Eckstein schreibt an dieser Stelle, daß Ellenberger die Gesellschaft 1759 gegründet habe; was offensichtlich nicht der Fall sein kann. Stiebritz schreibt falscherweise, es würde sich hier um „Ellenberger von Zinnendorf', d.h. Johann Wilhelm Ellenberger (1731-1782) handeln. Richtig ist, daß dieser 45

„Freunde der Wissenschaften" in den Jahren zuvor aber aktiv waren, belegt ein publizistischer Streit von 1762/63. 7 6 In d i e s e m Schlagabtausch wurde besonders Ellenberger heftig kritisiert, weniger die angeblich aus acht oder sechzig (z.T. abwesenden) Mitgliedern bestehende Gesellschaft, w o b e i die Mitgliederzahl als positives Argument für die von Ellenberger geleitete Gesellschaft

angeführt

wurde. 7 7 A u c h w e n n den Bestrebungen der Deutschen Gesellschaften in Halle keine Blüte w i e denen in Leipzig und Jena beschieden war, zeigen die Initiativen in der Saalestadt, die sich über drei Jahrzehnte erstreckten, die Attraktivität d i e s e s Sozietätstyps u m die Mitte des 18. Jahrhunderts. 78 Zeitlich ungefähr parallel begann sich (ab 1737) die Freimaurerei 79 - und damit verbunden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Hochgradsystem der .Strikten Observanz' s o w i e maurerische Orden w i e die .Asiatischen Brüder' und

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später berühmte Freimaurer - der jüngere Bruder von Friedrich Wilhelm Ellenberger war. Zinnendorf hatte Halle bereits 1757 verlassen (er war im gleichen Jahr Maurer in der Loge .Philadelphia' geworden); Eckstein, Geschichte der Freimaurerloge im Orient Halle, S. 61 u. 69f.; Ernst Friedrich Germar, Geschichte der Loge zu den drei Degen, in: Maurerhalle 3 (1844), S. 197-219, S. 205f. sowie Werner Piechocki, Die Anfange der Freimaurerei in Halle. Studenten- und Professorenlogen, in: Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 4, S. 479-486, hier: S. 483; zu Zinnendorf außerdem Lennhoff/Posner, Freimaurer-Lexikon, Sp. 1751-1753. In: Kritische und zuverläßige Nachrichten von den neuesten Schriften für die Liebhaber der Philosophie und schönen Wissenschaften 2 (1762/63); Auslöser war das „Schreiben an einen Freund, die teutsche Gesellschaft zu Halle betreffend"; ebd., Bd. 2, 1. Stück, S. 25-38. Ebd., S. 36 u. 3. Stück, S. 353. Auch in anderen Teilen des Alten Reiches wurden in diesem Zeitraum Deutsche Gesellschaften gegründet; siehe dazu die Zusammenstellungen bei: Wolfram Suchier, Die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft zu Göttingen von 1738 bis Anfang 1755. Hildesheim 1916, S. 6 - 9 und Reichel, Gottsched, Bd. 2, S. 137. Zur Freimaurerei siehe: Rudolf Vierhaus, Aufklärung und Freimaurerei in Deutschland, in: Reinalter, Freimaurer und Geheimbünde, S. 115-139 (erstveröffentlicht in: Rudolf von Thadden u.a. (Hg.), Das Vergangene und die Geschichte. Festschrift für Reinhart Wittram zum 70. Geburtstag. Göttingen 1973, S. 23-41); Dieter A. Binder, Die diskrete Gesellschaft. Geschichte und Symbolik der Freimaurer. Graz/Köln/Wien 1988; Hans Biedermann, Das verlorene Meisterwort. Wien/Köln/Graz 1986; Winfried Dotzauer, Freimaurergesellschaften am Rhein. Aufgeklärte Sozietäten auf dem linken Rheinufer am Ausgang des Ancien Régime bis zum Ende der napoleonischen Herrschaft. Wiesbaden 1977 (Geschichtliche Landeskunde 10); Ludwig Hammermayer, Der Wilhelmsbader Freimaurer-Konvent von 1782. Ein Höhe- und Wendepunkt in der Geschichte der deutschen und europäischen Geheimgesellschaften. Heidelberg 1980 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung V/2); Helmut Reinalter, Freimaurerei und Geheimgesellschaften, in: Reinalter, Aufklärungsgesellschaften, S. 83-96; Agethen, Geheimbund und Utopie·, Norbert Schindler, Freimaurerkultur im 18. Jahrhundert. Zur sozialen Funktion des Geheimnisses in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft, in: Robert M. Berdahl (Hg.), Klassen und Kultur. Sozialanthropologische Perspektiven in der Geschichtsschreibung. Frankfurt/M. 1982, S. 205-269 sowie Neugebauer-Wölk, Die Geheimnisse der Maurer. Zur Ausbreitung der Freimaurerlogen im Alten Reich siehe: Winfried Dotzauer, Zur Sozialstruktur der Freimaurerei in Deutschland, in: Reinalter, Aufklärung und Geheimgesellschaften, S. 109149, die Karten S. 116-127; van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, die Karten S. 174-179 und Schuster, Geheime Orden und Verbindungen, Bd. 2, S. 33-75.

die .Afrikanischen Bauherren' - 8 0 über das gesamte Alte Reich auszubreiten. Im Gegensatz zu den bislang beschriebenen Sozietätsformen organisierten sich hier Männer in unter e i n e m Arkanum stehenden Logen, die für Nichtmitglieder geschlossen waren. 8 1 D i e Freimaurer arbeiteten im Binnenraum der L o g e an der Veredlung d e s M e n s c h e n durch persönliche Weiterentwicklung. Ihre Arbeit in den L o g e n war durch humanistische, moralische und kosmopolitische Zielsetzungen geprägt. 8 2 Dabei verstanden sich die Maurer als einzelne Glieder einer Bruderkette, in die prinzipiell jeder eintreten konnte, der moralisch und gesellschaftlich akzeptabel erschien. D i e L o g e n wurden z u m Prototyp der die Egalität praktizierenden Aufklärungsgesellschaft, deren Funktion „Vereinigungsort Gleichgesinnter jenseits von Stand, K o n f e s s i o n und Staatsangehörigkeit" war. 8 3 A d e l i g e und Bürgerliche trafen sich bei konfessioneller Toleranz als Brüder in Logen, abseits der A u ß e n welt d e s A n c i e n R é g i m e und beteiligten sich gleichermaßen an protodemokratischen Formen der Entscheidungsfindung. 8 4

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Zur .Strikten Observanz' siehe: René Le Forestier, Die templerische und okkultistische Freimaurerei im 18. und 19. Jahrhundert. 4 Bde. Leimen 1987-1992, insb. Bd. 1: Die strikte Observanz (1987); Heimann Schüttler, Geschichte, Organisation und Ideologie der Strikten Observanz, in: Quatuor Coronati Jahrbuch 25 (1988), S. 159-175; ders., Zum Verhältnis von Ideologie, Organisation und Auswanderungsplänen im System der Strikten Observanz, in: Neugebauer-Wölk/Saage (Hg.), Die Politisierung des Utopischen im 18. Jahrhundert, S. 143— 168; ders., Zwei freimaurerische Geheimgesellschaften; Winfried Dotzauer, Quellen zur Geschichte der deutschen Freimaurerei im 18. Jahrhundert, unter besonderer Berücksichtigung der Strikten Observanz. Frankfurt/M. u.a. 1991 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 3) und Schlögl, Die Moderne auf der Nachtseite der Aufklärung, S. 44-52 u.ö. Zu den maurerischen Hochgradsystemen im 18. Jahrhundert siehe den Überblick bei: Karl R. H. Frick, Die Erleuchteten. Gnostisch-theosophische und alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Neuzeit. Graz 1973, S. 201ff. Zum .Orden der Asiatischen Brüder' siehe: Schuster, Geheime Verbindungen, Bd. 2, S. 235-241; Frick, Die Erleuchteten, S. 454ff. und Jacob Katz, Der Orden der Asiatischen Brüder, in: Reinalter, Freimaurerei und Geheimgesellschaften, S. 240-283. Zum .Orden der Afrikanischen Bauherren' siehe: Der entdeckte Orden der afrikanischen Bauherren=Loge, nebst Beweise, daß sie sich auf Kenntnisse der Alterthämer, besonders der Einweihungen legen. Constantinopel 1806 (hier insb. S. 20-24; der Autor berichtet aufgrund seiner Erfahrungen in einer Bautzener Loge über den Orden, im Gegensatz zur Strikten Observanz); Schuster, Geheime Gesellschaften, Bd. 2, S. 249-251 und Lennhoff/Posner, Freimaurer-Lexikon, Sp. 25f. Siehe z.B.: Möller, Vernunft und Kritik, S. 214-216 und Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 163f. Siehe z.B.: Möller, Vernunft und Kritik, S. 217; Reinalter, Sozietäten und Geheimgesellschaften, S. 9f.; ders., Freimaurerei und Geheimgesellschaften, S. 83f. und Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 165f. Vierhaus, Aufklärung und Freimaurerei, S. 125. Siehe dazu: Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 167; Möller, Vernunft und Kritik, S. 224229; van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 57-59 u. 64-66; Helmut Reinalter, Freimaurerei und Demokratie im 18. Jahrhundert, in: ders, Aufklärung und Geheimgesellschaften, S. 41-62; ders., Das demokratische Potential in der Freimaurerei der Spätaufklärung, in: Helmut Reinalter (Hg.), Die demokratischen Bewegungen in Mitteleuropa von der Spätaufklä47

Daß die Freimaurerei eine der verbreitetsten Gesellschaftsformen des 18. Jahrhunderts war, zeigen auch deren mitteldeutsche Filialen.85 In vielen Städten bestand während des 18. Jahrhunderts eine maurerische Tradition, die bis in die 1740er Jahre zurückverfolgt werden kann - bis 1745 wurden beispielsweise Logen in Leipzig, Altenburg und Halle gegründet.86 Daneben entstanden in vielen weiteren Städten masonische Gesellschaften über das gesamte Jahrhundert hinweg. Ein Beispiel für eine solche Gründung ist die Loge ,Zur gekrönten Unschuld' in Nordhausen. Eine Gruppe von Männern aus Nordhausen und Umgebung (etwa Ilfeld) hatte sich 1790 zur Gründung einer Loge zusammengefunden.87 Zunächst errichtete dieser Kreis im Februar 1790 einen „literarischen Klub", dessen Hauptzweck darin bestand, Nichtmaurer zur Aufnahme in den Bruderbund vorzubereiten.88 Auf den Versammlungen sprach man neben Gesellschaftsangelegenheiten über „maurerische literarische Gegenstände und Schriften". Die Gesellschaft war nach Instruktionen organisiert; sie wurde durch Beamte geführt, und man stimmte über neue Mitglieder nach Mehrheitsprinzip ab. Der erste Direktor war Friedrich Wilhelm Ehrhardt, ein Privatgelehrter in Nordhausen, der später auch den Meisterstuhl der Nordhäuser Loge inne hatte. Die Tätigkeit in diesem Klub war nicht identisch mit der Arbeit eines „echten Maurers", sie hatte den Charakter einer „Vorbereitungszeit".89 Wenig später, im Frühjahr/Sommer, wurde dann die Loge Zur gekrönten Unschuld errichtet. Erster Meister vom Stuhl und zugleich eine der auffallendsten und prägendsten Persönlichkeiten in der Frühzeit der Loge war Georg Friedrich Heinrich Plieth, Pastor in Salza bei Nordhausen.90 Sein Name ist nicht nur mit der Errichtung der Loge und den ersten maurerischen Arbeiten verbunden, sondern auch mit vielerlei - vor allem finanziellen - Schwierigkeiten.91 Erst mit dem anschließenden Vorsitz von Georg August Julius Leopold, Prediger in Steigerthal, ab 1797, scheint Kontinuität in die Arbeit der Loge Einzug gehalten zu haben. Ende des

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rung bis zur Revolution von 1848/49. Innsbruck 1988, S. 74-84 und ders., Freimaurerei und Geheimgesellschaften, S. 86-89. Vgl. exemplarisch van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 55. Vgl. dazu Hoyer, Die Leipziger Freimaurerlogen; Joachim Schlesinger, Die Freimaurer in der Stadt Leipzig. Versuch einer Annäherung. Leipzig 1993 (Werte - Wandel - Perspektiven; Der Leipziger Vereins-Anzeiger 3), insb. S. 23f.; Dietrich, Geschichte der Loge Archimedes zu den drei Reißbretern in Altenburg 1742-1901 sowie Eckstein, Geschichte der Freimaurerloge im Orient Halle; siehe dazu auch die Sozietätenliste im Anhang. Bürgel/Arnold, Festschrift zur Jubelfeier des lOOjähr. Bestehens der St. Johannis=Loge Zur gekrönten Unschuld in Nordhausen am Sonntag 1. Juni 1890. o.O. und o.J. [Nordhausen 1890], S. 5. Ebd., S. 3 Zitate ebd., S. 4. Zu Ehrhardt siehe: StA Nordhausen, II A 185; Julius Becker, Die Logenmeister der Johannisloge ,Zur gekrönten Unschuld', in Nordhausen. Den Brüdern und Freunden der Loge gewidmet. Nordhausen 1924, S. 12-15. Ebd., S. 3-6. Zu Plieth siehe Becker, Logenmeister, S. 8-12 u. 15-19. Ebd., S. 7f.; dazu auch Becker, Logenmeister, S. lOf.

Jahres informierte man die Tochterlogen der Großen Landesloge in Berlin, unter deren Konstitution die Nordhäuser L o g e stand, über die Neugestaltung der Nordhäuser Filiale, die jetzt als „Wahlloge" arbeitete. 92 D i e L o g e etablierte sich zunehm e n d auch im städtischen Leben und im geographischen U m f e l d . 9 3 Chronologisch nach den Freimaurerlogen, seit den 1750er Jahren und besonders z w i s c h e n 1761 und 1772, entstanden die Patriotisch-gemeinnützigen und Ö k o n o m i s c h e n Gesellschaften. 9 4 Unter dieser Sozietätsform sind diejenigen Vereinigungen zu verstehen, die „aus patriotischen oder auch moralischen Interessen g e m e i n nützig-praktisch tätig sein wollten", d.h. deren Hauptaugenmerk nicht auf die Produktion gelehrten, sondern auf die Verbreitung nützlichen W i s s e n s gerichtet war. 95 D i e Betonung lag dabei - im Gegensatz zur nach .innen' gerichteten Freimaurerei, die sich auf die moralische V e r v o l l k o m m n u n g d e s M e n s c h e n konzentrierte - eindeutig auf d e m nach .außen' gewandten gesellschaftlichen E n g a g e m e n t und d e m Einsatz für das G e m e i n w o h l , d.h. der praktischen Aufklärung. 9 6 D i e s wird

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auf den Patriotismus Auch

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Patriotisch-gemeinnützigen,

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Ebd., S. 8. Zu Leopold siehe Becker, Logenmeister, S. 19-24. Vgl. dazu den Mitgliedelbestand der Loge: StA Nordhausen, X 1102: Matrikelbuch für die St. Johannisloge ,zur gekrönten Unschuld' in Nordhausen von No. 1-368 in den Jahren 17901876, lfd. Nr. 1-44* und GStAPK, 5.2. Ν 27 Nr. 2, Verzeichniß der Mitglieder von der ehrwürdigen St. Joh. Loge, zur gekrönten Unschuld genannt, zu Nordhausen, 1797 und 1799, Bl. 121/121'u. 231/231'. Zu diesem Gesellschaftstyp siehe: Rudolf Schlögl, Die patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften. Organisation, Sozialstruktur, Tätigkeitsfelder, in: Reinalter, Außlärungsgesellschaften, S. 61-81, hier: S. 61f. sowie van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 67; siehe außerdem Rudolf Rübberdt, Die Ökonomischen Sozietäten. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Würzburg 1934; Hubrig, Die patriotischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts·, Focko Eulen, Vom Gewerbefleiß zur Industrie. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Berlin 1967; Vierhaus, Patriotische und gemeinnützige Gesellschaften; Gertrud Schroeder-Lembke, Oeconomische Gesellschaften im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 38 (1990), S. 15-23; Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 134-163; Kopitzsch, Zur politischen Bedeutung patriotisch-gemeinnütziger Gesellschaften sowie Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 288ff. Van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 67; dazu auch Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 134f. Siehe dazu van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 259; ders., Gesellschaft der Aufklärer, S. 55, 67 und 69; Schlögl, Die patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften, S. 75ff. sowie Reinalter, Sozietäten und Geheimgesellschaften, S. 8. Zur Begriffsbestimmung: Schlögl, Die patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften, S. 63-66 und Rudolf Vierhaus, .Patriotismus' - Begriff und Realität einer moralisch-politischen Haltung, in: ders., Patriotische und gemeinnützige Gesellschaften, S. 9-29. Zur Artverwandtheit von Ökonomischen und Patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften siehe: Schlögl, Die patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften, S. 62f.; van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 260 und Reinalter, Sozietäten und Geheimgesellschaften, S. 8. Ausführlich: Schlögl, Die patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften, S. 70-73 sowie auch van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 68; Reinalter, Sozietäten und Geheimgesellschaf-

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Eine der ältesten Patriotisch-gemeinnützigen/ökonomischen Gesellschaften im Alten Reich war die 1763 gegründete .Thüringische Landwirtschaft=Gesellschaft' in Weissensee,100 einem kleinen Städtchen nördlich von Erfurt.101 Da die Landwirtschaft „besonders in hiesiger Provinz die Hauptsächlichste, ja in den mehresten Gegenden die einzige Quelle alles Erwerbs und Nahrung ist", wollten die Gründer der Sozietät zur „Aufmunterung und Verbeßerung" derselben beitragen, in allen Arten der Landwirtschaft Erfahrungen sammeln und „zum gemeinen Nutzen" anwenden.102 Zur Umsetzung dieses Zieles erstellten sie Regeln zur Organisation der Gesellschaft. An der Spitze stand ein Präses, der jährlich gewählt werden sollte. Mitglied konnte , jeder vernünftige und das gemeine beste liebende Landwirth, selbst vom Bauernstande" werden. Auch die Ehrenmitgliedschaft für „fremde Hauswirthe" war vorgesehen. Der Sekretär der Gesellschaft war - neben anderem - für eine spezialisierte Bibliothek verantwortlich, in der alle neuen, das Thema betreffenden Studien gesammelt werden sollten. Hier konnten die Sozietätsmitglieder Bücher ausleihen und sich informieren. Den Gesellschaftsentwurf unterzeichneten größtenteils Adelige, die Gemeinnütziges auf dem Gebiet der Landwirtschaft bewirken wollten. Der organisatorische Rahmen dafür war im Wahlmodus geregelt, und man gab sich ausdrücklich sozial offen. Die eigentliche Tätigkeit der Sozietät liegt jedoch weitestgehend im dunkeln.103 Als Grund dafür wird angenommen, daß die Sozietät bereits kurz nach ihrer Errichtung in der .Leipziger Ökonomischen Sozietät' aufgegangen sei.104 Andererseits wird auch vermutet, daß die Weissenseer Gesellschaft die Gründung der Leipziger Gesellschaft angeregt habe.105 Ob die Thüringer Sozietät in die große Leipziger Ökonomische Sozietät tatsächlich integriert wurde, oder aber doch regional über 1764 hinaus gewirkt hat, muß auf der bisherigen Quellenbasis offen bleiben.

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ten, S. 8 und Kopitzsch, Zur politischen Bedeutung patriotisch-gemeinnütziger Gesellschaften, S. 302f. u. 308ff. [Entwurf einer Verbindung zum Aufnehmen der Landwirtschaft in Thüringen], in: Leipziger Intelligenz-Blatt, 1763, Beilage zum 7. Stück, o.S. Rübberdt, Die ökonomischen Sozietäten in Deutschland, S. 49f. und Eichler, Die Leipziger ökonomische Sozietät, S. 359. Siehe außerdem die Nennungen bei: Müller, Akademie und Wirtschaft im 18. Jahrhundert, S. 278; Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 260, van Dülmen, Gesellschaft der Aufklärer, S. 67 u. 152 sowie Schlögl, Die patriotisch-gemeinnützigen Gesellschaften, S. 67. [Entwurf einer Verbindung zum Aufnehmen der Landwirtschaft in Thüringen], O.S.; hier auch das folgende. 1769 erschien in Jena eine Sammlung von Abhandlungen aus den Jahren 1766-1769, die wahrscheinlich der Weissenseer Gesellschaft zuzuschreiben ist: Neue Beiträge zu der Carneral- und Haushaltungswissenschaft aus der Natur und Erfahrung bestärket von einer Societät in Thüringen. Jena 1769 (1. u. 2. Stück 1766, 3. Stück 1767 und 4. Stück 1769). Rübberdt, Die ökonomischen Sozietäten in Deutschland, S. 50; dazu auch [Entwurf einer Verbindung zum Aufnehmen der Landwirtschaft in Thüringen], o.S. (die Liste der Gründer) und entsprechend das Mitgliederverzeichnis der Leipziger Gesellschaft aus dem Jahr 1790; Schriften der Leipziger Ökonomischen Gesellschaft, 8. Teil 1790, hier S. 260, 262-264 u. 277. Eichler, Die Leipziger Ökonomische Sozietät, S. 359.

Wurde in Gesellschaften wie jener in Weissensee auch gelesen, um sich über fachspezifische Fragestellungen zu informieren, so bildeten sich parallel zu den Patriotisch-gemeinnützigen Sozietäten Gesellschaften, die das Lesen in das Zentrum ihrer Tätigkeit rückten: Seit dem Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte verbreiteten sich im Alten Reich die Lesegesellschaften. 106 In ihnen artikulierten die Mitglieder keine „praktischen Reformwünsche", sondern befriedigten vornehmlich ihr Informationsbedürfnis durch Lektüre und Diskussion: Die Lesegesellschaften wurden zum „Medium sozialer Kommunikation". 107 Ab 1770 war die flächendekkende Ausbreitung dieser Gesellschaften im ganzen Alten Reich zu beobachten, so daß die Lesegesellschaften der quantitativ bestimmende Sozietätstyp am Ende des 18. Jahrhunderts waren. 108 Der Sozietätstyp Lesegesellschaft ist in sich organisationsspezifisch differenziert, wodurch verschiedene Ausprägungen von Lesegesellschaften nach qualitativen Mustern unterschieden werden. 109 Zum einen gab es den

Zu Lesegesellschaften siehe: Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels, S. 251— 264; Jentsch, Geschichte des Zeitungslesens·, Gunter Mann, Die medizinischen Lesegesellschaften in Deutschland. Köln 1956 (Arbeiten aus dem Bibliothekar-Lehrinstitut des Landes Nordrhein-Westfalen 11); Gerteis, Bildung und Revolution; Prüsener, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert; Milstein, Eight Eighteenth Century Reading Societies', Ulrich Herrmann, Lesegesellschaften an der Wende des 18. Jahrhunderts, in: Archiv für Kulturgeschichte 57 (1975), S. 475-485; Herbert G. Göpfert, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert, in: Kopitzsch, Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum, S. 403-411; Otto Dann, Die Lesegesellschaften des 18. Jahrhunderts und der gesellschaftliche Aufbruch des Bürgertums, in: Herbert G. Göpfert (Hg.), Buch und Leser. Hamburg 1977, S. 160-193; Alberto Martino/Marlies Stützel-Prüsener, Publikumsschichten, literarische und Lesegesellschaften, Leihbibliotheken, in: RalphRainer Wuthenow (Hg.), Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Reinbeck bei Hamburg 1980. Bd. 4, S. 42-54; dies., Publikumsschichten, Lesegesellschaften und Leihbibliotheken, in: Horst Albert Glaser (Hg.), Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Reinbeck bei Hamburg 1980. Bd. 5, S. 45-57; Marlies Stützel-Priisener, Die deutschen Lesegesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, in: Dann, Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation, S. 7186; dies., Lesegesellschaften; Im Hof, Das Gesellige Jahrhundert, S. 123-134; Ulrich Herrmann (Hg.), Die Bildung des Bürgers. Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Weinheim/Basel 1982; Möller, Kritik und Vernunft, S. 261-268 sowie Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 293ff. 107 Möller, Vernunft und Kritik, S. 268 (hier das Zitat); sowie van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 266; Marwinski, Societas litteraria, Teil 1, S. 22; dies., Die Altenburger Literarische Gesellschaft, S. 209 und Stützel-Priisener, Lesegesellschaften, S. 54. 108 v a n Dülmen, Die Aufkläningsgesellschaften, S. 265 und Stützel-Priisener, Lesegesellschaften, S. 39f. u. 44. 109 Zum Komplex der Typologisiening von Lesegesellschaften siehe: Dann, Lesegesellschaften des 18. Jahrhunderts, S.164f. (Dann bezieht sich hier auf Jentsch, Geschichte des Zeitungslesens); ders., Die Lesegesellschaften und die Herausbildung einer modernen bürgerlichen Gesellschaft in Europa, in: ders., Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation, S. 9-29, hier: S. 17; Göpfert, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert, S. 403-405; Marwinski, Societas litteraria, Teil 1, S. X u. 219-222; Stützel-Prüsener, Lesegesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, S. 72f.; dies., Lesegesellschaften, S. 40-44; Martino/Stützel-Prüsener, Publikumsschichten, literarische und Lesegesellschaften, Leihbibliotheken, S. 42-54 und Thomas Sirges, Lesen in Marburg 1758-1848. Eine Studie zur Bedeutung von Lesegesellschaften und Leihbibliotheken. Marburg 1991, S. 18-21.

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Lesezirkel, auch Umlaufgesellschaft genannt. 1 1 0 Sein Hauptmotiv bestand in der preisgünstigen Bereitstellung von Lektüre durch die Teilnehmer eines solchen Zirkels. Einige Personen fanden sich in loser Verbindung zusammen, u m Zeitschriften, Zeitungen und Bücher g e m e i n s a m zu kaufen und diese dann untereinander zirkulieren zu lassen. 1 1 1 Eine weitere Form der Lesegesellschaft war die Lesebibliothek, in deren Zentrum eine Bibliothek stand, die von den Mitgliedern der Gesellschaft gemeinschaftlich genutzt wurde. 1 1 2 D i e Lesebibliothek hatte im Gegensatz zu den Lesezirkeln ein organisatorisch festes Gefüge. Man mußte Mitglied einer solchen Gesellschaft werden, u m an der Bibliothek zu partizipieren. Durch den organisatorischen Aufbau mit der Bibliothek als Gesellschaftsmittelpunkt kam es unter den Mitgliedern z u m gesellschaftlichen Kontakt und zur Diskussion. D e n Kontrast zu den Lesebibliotheken bildeten die Leihbibliotheken. 1 1 3 D i e s e wurden zumeist von Buchhändlern aus kommerziellen M o t i v e n gegründet und geführt. 1 1 4 Hier konnte der Interessierte g e g e n eine Gebühr Bücher seiner Wahl ausleihen. Für diese Form der Lektürevermittlung bedurfte es keiner gesellschaftlichen Organisation. Ihr Hauptzweck bestand in der kommerziellen Verbreitung von Lesestoff, nicht in e i n e m gesellschaftlichen Zusammenschluß v o n Privatpersonen zur Lektüre, Rezeption und D i s k u s s i o n von Literatur und Nachrichten. 1 1 5 110

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Zur zeitgenössischen Unterscheidung von Lesezirkel und Lesegesellschaft siehe: Marwinski, Die Erfurter Lesegesellschaft im Toumier, S. 70. Im thüringischen Ruhla beispielsweise bestand 1789 ein Kreis zur Lektüre der Werke Friedrichs Π.; Deutsche Zeitung 1789, 7. Stück, S. 61f. Zum Typ der Lesebibliothek siehe die Aussagen der verschiedenen Autoren in deren jeweiligen Typologisierungen zu Formen gesellschaftlichen Lesens, so z.B. die Lesebibliothek im Vergleich zur Leihbibliothek bei Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels, S. 255-264. Zu Leihbibliotheken siehe: Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels, S. 256264; Prüsener, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert, S. 264f.; Alberto Martino, Die deutsche Leihbibliothek und ihr Publikum, in: ders. (Hg.), Die Literatur in der sozialen Bewegung. Tübingen 1977, S. 1-26; ders./Stützel-Priisener, Publikumsschichten, literarische und Lesegesellschaften, Leihbibliotheken; dies., Publikumsschichten, Lesegesellschaften und Leihbibliotheken; Georg Jäger/Jörg Schönert (Hg.), Die Leihbibliothek als Institution des literarischen Lebens im 18. und 19. Jahrhundert. Hamburg 1980; Sirges, Lesen in Marburg, S. 19-21 u. 252316; ders., Die Bedeutung der Leihbibliothek für die Lesekultur in Hessen-Kassel 1753-1866. Tübingen 1994 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 42), S. 1-7; Marwinski, Lesen und Geselligkeit, S. 10 sowie Mark Lehmstedt, ,Da Lektüre einmal... zum Bedürftiiß des Publikums geworden ist'. Die Frühgeschichte der Leihbibliotheken in München (und Altbayem) zwischen 1772 und 1811, in: Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit, Bd. 4, S. 341-408. Den Gegensatz beschrieb Johann Goldfriedrich damit, daß die „Errichtung von Lese- und litterarischen Gesellschaften" nicht „vom Buchhändler, sondern vom Publikum" ausging; Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels, S. 251. Eine lokale Analyse (Jena/Weimar) von Lesegesellschaften, Lese- und Leihbibliotheken sowie Lesezirkeln bietet: Felicitas Marwinski, Lektüre zwischen Selbstbestimmung und Kommerz. Thüringer Lesegesellschaften und Leihbibliotheken um 1800, in: John, Kleinstaaten und Kultur in Thüringen 16- 20. Jahrhundert, S. 315-331. Auch in Erfurt spielten Leihbibliotheken in den 1790er Jahren eine große Rolle. Ihre Beliebtheit sowie ihre wirtschaftliche Attraktivität äußerte sich z.B. darin, daß die Buchhändler Beyer und Maring per Eingabe vom 8. Juni 1794

Diese Merkmale waren der inhaltliche Kern der Gesellschaftsform, die im Normalfall unter einer Lesegesellschaft verstanden wird: das Lesekabinett. Die Bezeichnung der Gesellschaften als Kabinett hatte durchaus eine räumliche Dimension.116 Für die Zwecke gemeinsamen Lesens und Kommunizierens stand eben ein .Kabinett', ein eigens dafür vorgesehener Raum, oder ein ganzes Haus zur Verfügung. Dieser Typ der Lesegesellschaft verbreitete sich vor allem im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts und gilt als Weiterentwicklung der anderen Formen gemeinschaftlichen Lesens. In diesem Kontext entstanden am Ende des 18. Jahrhunderts auch Mischformen aus Leihbibliothek (Gründung durch einen Buchhändler) und Leseinstitut, in dem besondere Räumlichkeiten zur Lektüre eingerichtet wurden.117 Daneben existierte im 18. Jahrhundert eine weitere Form der Lesegesellschaft, die kein eigenes Gesellschaftszimmer oder -haus eingerichtet hatte. In dieser Form ließen die Mitglieder unter gemeinsam erstellten bzw. anerkannten Statuten Bücher und Zeitschriften zirkulieren. Die Aufsicht hatte ein gewählter Direktor. In regelmäßigen Abständen traf sich die Gesellschaft bei einem Gesellschaftsbeamten oder einem einfachen Mitglied, um über alle vorliegenden Sachfragen gemeinsam zu beraten. Diese Form einer Lesegesellschaft hatte sich die ursprüngliche Idee gemeinschaftlichen Lesens - die Lektürezirkulation - wieder zu eigen gemacht. Allerdings unterschieden sich die Gesellschaften von den Lesezirkeln durch ein anhand von Statuten organisiertes Gesellschaftsleben.118 Mit Berücksichtigung der getroffenen Unterscheidung zwischen den vier genannten Formen zur Lektürevermittlung (Lesezirkel/Umlaufgesellschaft, Lesebibliothek, Leihbibliothek und Lesekabinett) werden im folgenden als Lesegesellschaft diejenigen Sozietäten erfaßt, die eine gesellschaftliche Organisation aufwiesen und sich durch den Kontakt der Mitglieder innerhalb der Sozietät auszeichneten bzw. als „MitgliedergesellschaftV präsentierten.119 Dazu zählen die Lesegesellschaften/Lesekabinette und z.T. die Lesebibliotheken. Auch in diesen Formen aufgeklärter Organisiertheit gab es selbstverständlich die soziale Offenheit, die

versuchten, die in Planung stehende „Leih- und Lesebibliothek" des bei dem Buchhändler Kaiser „in Condition stehende[n] Diener Kunz" zu verhindern; siehe: StA Erfurt, 1-1/XVI c5: Acta des Magistrats zu Erfurt betr. die Leihbibliotheken und ihre Beaufsichtigung, Bl. 14r15v, hier Bl. 14r. 116 Siehe z.B.: van Dülmen, Gesellschaft der Außlärer, S. 83f. 117 Siehe: Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels, S. 262-64, der dies an Beispielen aus den 1790er Jahren beschrieb, darunter das Museum des Buchhändlers Beygang in Leipzig und das Institut des Buchhändlers Arnold in Dresden; zum Typ des Museum siehe: Prüsener, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert, S. 263f. 118 Vgl. dazu die 1787 gegründete Schullehrerlesegesellschaft in Cabarz; Holger Zaunstöck, Schullehrerlesegesellschaften im mitteldeutschen Raum am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 3 (1996), S. 127-136, S. 128-133 sowie die im folgenden dargestellte .Joumalistengesellschaft' in Leipzig. 119 Dies geschieht in dem Bewußtsein, daß die Übergänge zwischen den differenten Typen durchaus fließend sein konnten: Dann, Die Lesegesellschaften und die Herausbildung, S. 17 (hier das Zitat), S. 26f., Anm. 18 und Marwinski, Societas litteraria, Teil 1, S. 26.

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Bürgerliche ebenso wie Adelige umschloß. Die Teilnehmer der aufgeklärt-reformerischen Lesegesellschaften trafen sich bei Gleichberechtigung aller Mitglieder in „einer demokratisch geregelten Geselligkeit".120 Ein Beispiel für eine solche Lesegesellschaft ist die 1768 gegründete Journalistengesellschaft' in Leipzig.121 Gestiftet wurde die Gesellschaft von vier Freunden.122 Diese vier Leipziger bildeten offenbar bis 1773 den Personalbestand der Gesellschaft, denn erst in diesem Jahr wurden weitere Mitglieder aufgenommen.123 Die Gesellschaftsmatrikel verzeichnete über siebzig Männer bis zur Jahrhundertwende, worunter sich sieben Adelige befanden.124 In Folge der ansteigenden Mitgliederzahl wurden augenscheinlich 1776 die Gesellschaftsgesetze überarbeitet.125 In der Gesellschaft wurden Bücher zum Lesen herumgereicht; jeder hatte „alle Monate ein Buch denen übrigen zum Lesen mitzutheilen".126 Zur Regelung der Angelegenheiten traf sich die Sozietät einmal im Monat bei dem jeweiligen Fiskal (ein wechselndes Amt),127 wobei die Erledigung von Strafsachen einen großen Raum einnahm.128 Auf diesen Versammlungen wurden auch die Aufnahmen neuer Mitglieder beschlossen, wobei ein neugewähltes Mitglied die Stelle eines abgegangenen ersetzte, d.h. erst bei Ausscheiden eines Mitgliedes konnte ein neues hinzutreten.129 1786 wurde die so eingeführte Höchstzahl der Mitglieder auf 17 festgesetzt. Über eine Neuaufnahme wurde durch Wahl mit Stimmzetteln nach dem Prinzip der Einstimmigkeit entschieden.130 Mit dem Konzept der preisgünstigen Bereitstellung von Literatur und Journalen innerhalb einer begrenzten Mitgliederzahl hatte die Gesellschaft ein tragbares und erfolgreiches Konzept entwickelt, das die Interessen und Intentionen der Mitglieder widerspiegelte. Davon zeugt die lange Existenz der Gesellschaft; sie bestand auch im 19. Jahrhundert. Etwa parallel mit der extensiven Ausbreitung der Lesegesellschaften in den 1770er und 1780er Jahren entstanden im Alten Reich die überregional agierenden Geheimbünde mit aufklärerischen Prinzipien: der die Freimaurerei instrumentali-

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Dann, Lesegesellschaften des 18. Jahrhunderts, S. 183; Stützel-Prüsener, Lesegesellschaften, S. 46 sowie van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 267 (hier das Zitat). StA Leipzig: Vereinigte Journalisten-Gesellschaft, Nr. 1, Bl. 16. Ebd., Bl. 1 u. 16. Ebd., Bl. 3 und HsAbt. der UB Leipzig, Rep. VI. 25z:2: Journal-Rechnung. I.B., 3 Bde., Bd. 1, O.S. („I."). StA Leipzig: Vereinigte Journalisten-Gesellschaft, Bl. 2-9 sowie HsAbt. der UB Leipzig: Journal-Rechnung, Bd. 1, O.S. (die Mitglieder bis 1778). StA Leipzig: Vereinigte Journalisten-Gesellschaft, Bl. 17. Die Gesetze wurden 1780 und 1786 weitere Male geändert (Bl. 26 u. 36). Ebd., Bl. 18-21; Caput I, hier „1)". Das für die Finanzen der Gesellschaft verantwortliche Mitglied. StA Leipzig: Vereinigte Journalisten-Gesellschaft, Bl. 22-24; Caput Π und ΙΠ. Ebd., Bl. 25, Caput IV, hier „20.)"; vgl. dazu auch Bl. 36-41; „Caput I." der Gesetze von 1786. Ebd., Bl. 45, ,,ΧΧΠΠ." und „XXV.".

sierende .Illuminatenorden' ( 1 7 7 6 bis nach 1790) 1 3 1 s o w i e die lesegesellschaftliche und

masonische

Organisationsformen

nutzende

.Deutsche

Union'

(1786/87-

1796). 1 3 2 Bereits mit diesen beiden Traditionslinien, an w e l c h e die z w e i G e h e i m b ü n d e organisatorisch w i e auch inhaltlich anknüpften, war eine Verbindung z u m Kanon der Aufklärungsgesellschaften g e z o g e n . 1 3 3 A u c h die soziale

Zusammensetzung

w i e s sie als aufgeklärte Sozietäten aus. In beiden geheimen Gesellschaften regierte das Prinzip der ständischen Egalität. 1 3 4 D a s Sozialprofil d e s Illuminatenordens unterschied sich „nicht wesentlich v o n d e m der Aufklärungsbewegung". 1 3 5 D i e Illuminaten und die Mitglieder der Deutschen U n i o n arbeiteten an der Erkenntnis der W e l t und ihrer eigenen Bildung. A b e r ihr Engagement ging über den privaten bzw. gesellschaftlich-reformerischen (patriotischen) Bereich hinaus. B e i d e B ü n d e formulierten Vorstellungen von der Reformierung und Veränderung des staatlichen Systems, ohne allerdings revolutionäre M e t h o d e n ins A u g e zu fassen. D i e Illuminaten orientierten auf die Errichtung eines Sittenregiments, mit d e s s e n H i l f e der aufgeklärten Vernunft z u m beherrschenden gesellschaftlichen

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Das Ende des Ordens ist in der Forschung umstritten und nicht präzis datiert. Gewöhnlich wird das Jahr 1785 (Verbot der Dluminaten in Bayern) genannt. Die Illuminaten arbeiteten aber in den thüringischen Kleinstaaten mit den Residenzen Weimar und Gotha als Zentren weit über dieses Jahr hinaus. Eberhard Weis führte an, daß die Bemühungen, eine Nachfolgeorganisation zu gründen „ab 1790 offenbar endgültig" gescheitert gewesen seien (Weis, Der Illuminatenorden, S. 107), und der Orden sei „seit spätestens 1790" wohl überall erloschen gewesen (ebd., S. 108). Ähnlich legt sich auch Daniel Wilson fest, der in Zusammenhang mit den Versuchen, den Orden wiederzubeleben, die Formulierung „bis in die 1790er Jahre" gebraucht (Wilson, Geheimräte gegen Geheimbünde, S. 19). Jens Riederer schließlich datierte mit fokussiertem Blick auf Weimar und Jena das Erlöschen auf „um 1793" (Riederer, Jena und Weimar, S. 347). Zur .Deutschen Union' siehe insb.: Mühlpfordt, Duodezformat; ders., Radikale Aufklärung und nationale Leseorganisation; ders., Ein radikaler Geheimbund vor der Französischen Revolution; ders., Lesegesellschaften und bürgerliche Umgestaltung; ders., Deutsche Union, Einheit Europas, Glück der Menschheit. Ideale und Illusionen des Aufklärers Karl Friedrich Bahrdt (1740-1792), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 40 (1992), Heft 12, S. 11381149, insb., S. 1146-1148; Kobuch, Deutsche Union und Helmut Reinalter, Bahrdt und die geheimen Gesellschaften. Das eigentliche Ende der Union ging mit der Festnahme Bahrdts 1789 einher. Einzelne lokale und regionale Organisationen des Bundes existierten bis ca. 1796 weiter; vgl. Muhlpfordt, Duodezformat, S. 319, 344f. u. 358; sowie außerdem Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels, S. 173-184 und Kurze Geschichte der Deutschen Union der Zwey und Zwanziger, in: Deutsche Zeitung 1789, 17. Stück, S. 141-147 u. 22. Stück, S. 184-187. Darauf macht auch Möller, Vernunft und Kritik, S. 220, aufmerksam. Zum .Illuminatenorden' siehe: Schindler, Geheimbund der Illuminaten, S. 286-288 und Weis, Illuminatenorden, S. 97-101. Siehe außerdem die Mitgliederliste von Schüttler, Die Mitglieder des Illuminatenordens. Zur .Deutschen Union' siehe besonders die detaillierten Ausführungen zur sozialen Zusammensetzung des Ordens bei: Mühlpfordt, Duodezformat, S. 348-351. Agethen, Geheimbund und Utopie, S. 296. 55

Prinzip verholfen werden sollte, 1 3 6 auch w e n n diese deutlich umrissene Zielvorstellung nur bis z u m siebten Grad (von insgesamt z w ö l f ) , d e m des großen Illuminaten, den Ordensmitgliedern vermittelt wurde. 1 3 7 Zur U m s e t z u n g dieser Pläne bediente sich der Orden der Strategie „der Machtergreifung durch B e s e t z u n g der wichtigsten Positionen im Staat". 138 Daß auf solchen Positionen dann durchaus konkret für die Ordensziele gearbeitet wurde, hat 1993 M o n i k a Neugebauer-Wölk gezeigt, indem sie die Verflechtungen, Aktivitäten und Einflußnahmen verschiedener Muminaten am Reichskammergericht in Wetzlar ermittelte und analysierte. 1 3 9 D e r Deutschen U n i o n ging es in der Hauptsache u m die Verwirklichung der radikal-aufklärerischen Ideen ihres spiritus rector Karl Friedrich Bahrdt. 1 4 0 D i e s sollte in einer Art organisatorischem Zwitter umgesetzt werden - nach außen durch einen Verbund v o n Lesegesellschaften, hinter deren Fassade sich die G e h e i m g e s e l l schaft konstituieren sollte. 1 4 1 D i e U n i o n arbeitete als Korrespondenzgesellschaft, die in europäischen D i m e n s i o n e n angelegt war. 1 4 2 Der Geheimbund sollte auf diese W e i s e g e g e n das Ausbreiten der „Begünstiger der Schwärmerei und des Aberglaubens" durch „den korporativen Zusammenschluß aller Aufklärer" antreten. 143

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Siehe dazu: Schindler, Geheimbund der Dluminaten, S. 299-302; Im Hof, Das gesellige Jahrhundert, S. 170f.; Weis, Dluminatenorden, S. 101-105 und Reinalter, Freimaurerei und Geheimgesellschaften, S. 93. Neugebauer-Wölk, Die utopische Struktur gesellschaftlicher Zielprojektionen im Illuminatenbund, S. 175ff. sowie insb. 185-189; das Konzept eines Sittenregiments wurde in den höchsten Graden des Ordens - den Mysterien - von einer ,,staatsfreie[n] Utopie", der „anarchischharmonische[n] Bürgergesellschaft", abgelöst (S. 187). Zum Gradsystem des Illuminatenordens siehe die Graphik in: dies., Esoterische Bünde und Bürgerliche Gesellschaft, S. 34. Weis, Illuminatenorden, S. 104; siehe dazu auch Agethen, Geheimbund und Utopie, S. 225242. Neuerdings dazu ausführlich: Neugebauer-Wölk, Die utopische Struktur gesellschaftlicher Zielprojektionen im Illuminatenbund. Neugebauer-Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung·, siehe außerdem: dies., Das Alte Reich und seine Institutionen im Zeichen der Aufklärung - ein Strukturvergleich am Beispiel von Reichskammergericht und Fränkischem Kreistag, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 58, (1998), S. 299-326. Günter Mühlpfordt/Helmut Reinalter, Deutsche Union, in: Helmut Reinalter (Hg.), Lexikon zu Demokratie und Uberalismus 1750-1848/49. Frankfurt/M. 1993, S. 72-75, hier: S. 72. Zur organisatorischen Konstruktion siehe: Carl Friedrich Bahrdt, Geschichte und Tagebuch meines Gefängnisses [...]. Berlin 1790, darin: „Geheimer Plan der Deutschen Union zur gemeinsamen Berathung für Diocesane und Vorsteher", S. 55-89 (zu den Lesegesellschaften: S. 69, 71-74) und „Geheimster Operationsplan", S. 175-192 (zum Verhältnis von Logen der Deutschen Union und den mit ihnen verbundenen Lesegesellschaften: S. 178-180); siehe dazu außerdem Mühlpfordt, Duodezformat, S. 335-337. Mühlpfordt, Duodezformat, S. 324 sowie die Beschreibung der räumlichen Ausbreitung der Union S. 343-348; siehe auch: ders., Sendschreiben und Geheimkonespondenz eines radikalen Aufklärers. Der Brief als Kommunikations-, Stil- und Kampfmittel bei Karl Friedrich Bahrdt, in: Wolfgang Kessler/Henryk Rietz/Gert Röbel (Hg.), Kulturbeziehungen in Mitteleuropa und Osteuropa im 18. und 19. Jahrhundert. Festschrift für Heinz Ischreyt zum 65. Geburtstag. Berlin 1982 (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 9), S. 107-128. So der Aufruf „An die Freunde der Vernunft" vom Spätsommer/Herbst 1787; zitiert nach: ebd., S. 319-322, hier S. 319 u. 321. Als Urheber dieses Sendschreibens am Beginn der Deut-

C h r o n o l o g i s c h s c h l o s s e n sich an d i e G e h e i m b i i n d e als letzter T y p aus d e m S p e k t r u m der aufgeklärten Sozietät in d e n 1 7 9 0 e r Jahren d i e v o r n e h m l i c h in d e n r h e i n i s c h e n und s ü d d e u t s c h e n Territorien verbreiteten Jakobinerklubs an. 1 4 4 D i e E i n b e z i e h u n g dieser R e v o l u t i o n s k l u b s i m A l t e n R e i c h in d i e S o z i e t ä t s b e w e g u n g d e s 18. Jahrhunderts w a r umstritten und ist a u c h heute n o c h n i c h t a l l g e m e i n anerkannt. A l s erster hat Richard v a n D ü l m e n d i e s e n V o r s c h l a g g e m a c h t , da d i e K l u b s auf d e n Erfahrungen der anderen S o z i e t ä t s t y p e n a u f b a u t e n u n d „ v i e l e ihrer E l e m e n t e " ü b e r n a h m e n . 1 4 5 G e g e n d i e s e t y p o l o g i s c h e V e r k n ü p f u n g hat s i c h dann M a n fred A g e t h e n mit d e m A r g u m e n t a u s g e s p r o c h e n , d a ß d i e Jakobinerklubs i m R e i c h „in E n t s t e h u n g u n d Z i e l s e t z u n g g a n z untypisch für d i e aufklärerische S o z i e t ä t s b e w e g u n g " g e w e s e n seien.146 M o n i k a N e u g e b a u e r - W ö l k hat s i c h j ü n g s t i m G e g e n s a t z z u A g e t h e n ausdrücklich für d i e Etablierung der Jakobinerklubs i m K a n o n der A u f k l ä r u n g s g e s e l l s c h a f ten als deren letzte S t u f e a u s g e s p r o c h e n . 1 4 7 S i e argumentierte anhand einer v e r g l e i c h e n d e n A n a l y s e d e u t s c h e r u n d f r a n z ö s i s c h e r Klubstatuten, d a ß d i e revolutionären G e s e l l s c h a f t e n auf d e n Erfahrungen und I d e e n der i h n e n v o r a n g e g a n g e n e n S o z i e täten aufbauten, sich allerdings durch e i n e prinzipiell d e m o k r a t i s c h e O r g a n i s a t i o n u n d d i e e x p l i z i t revolutionären Z i e l e v o n i h n e n unterschieden: S i e strebten n i c h t

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sehen Union gilt Karl Friedrich Bahrdt (ebd., S. 323); siehe auch Mühlpfordt/Reinalter, Deutsche Union, S. 72. Zu den Jakobinerklubs siehe exenplarisch: Heinrich Scheel (Hg.), Die Mainzer Republik. 3 Bde. Berlin 1975-1989, hier insb. Bd. I: Protokolle des Jakobinerklubs (1975); Walter Grab, Deutsche revolutionäre Demokraten, in: Helmut Reinaltert Jakobiner in Mitteleuropa. Innsbruck 1977, S. 47-75; Helmut Reinalter, Der Jakobinismus in Mitteleuropa. Eine Einführung. Stuttgart/Berlin/Köln/Graz 1981; ders., Jakobinerklubs; in: ders., Aufklärungsgesellschaften, S. 97-112; Helmut G. Haasis, Gebt der Freiheit Flügel. 2 Bde. Hamburg 1988, hier insb. Bd. 2: Die Zeit der deutschen Jakobiner 1789-1805, S. 681-710 („Klubs, Zirkel, Geheimorganisationen"); Monika Neugebauer-Wölk, Das Rote und das Schwarze Buch - zur politischen Symbolik der Mainzer Jakobiner, in: Die Publizistik der Mainzer Jakobiner und ihrer Gegner. Revolutionäre und gegenrevolutionäre Proklamationen und Flugschriften aus der Zeit der Mainzer Republik (1792/93). Zum 200. Jahrestag des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents und der Mainzer Republik. Katalog zur Ausstellung der Stadt Mainz. Mainz 1993, S. 52-68; dies., Jakobinerklubs in der Typologie der Sozietätsbewegung - Ein Versuch zur politischen Bewegung der Spätaufklärung im Alten Reich, in: Gerhard Ammerer/Hanns Haas (Hg.), Ambivalenzen der Aufklärung. Festschrift für Emst Wangermann. Wien/München 1997, S. 2 5 3 273 und dies., Die Statuten des Stuttgarter Jakobinerklubs. Die Klubs nannten sich selbst zumeist „Volksgesellschaft" oder „Gesellschaft der Konstitutionsfreunde"; vgl. van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 270 und Reinalter, Jakobinerklubs, S. 97. Van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 270f., Zitat S. 270; so auch Helmut Reinalter, der in seinem Sammelband über die Aufklärungsgesellschaften (1993) den Jakobinerklubs einen Aufsatz widmete, ohne jedoch die Klubs dabei explizit zu behandeln. Sein Interesse galt hauptsächlich dem Jakobinismus als politischer Bewegung; siehe Reinalter, Jakobinerklubs. Agethen, Aufklärungsgesellschaften, Freimaurerei, Geheime Gesellschaften, S. 445. Neugebauer-Wölk, Jakobinerklubs in der Typologie der Sozietätsbewegung, hier zum einschlägigen Forschungsstand S. 256f. sowie dies., Die Statuten des Stuttgarter Jakobinerklubs, S. 478; so auch im Kontext der gesamt-frühneuzeitlichen Sozietätsbewegung: Garber, Sozietät und Geistes-Adel, S. 31ff. 57

nach reformerischer, sondern revolutionärer Veränderung existenter Strukturen des Ancien Régime nach französischem Vorbild.148 Die Jakobinerklubs gehörten zu den Sozietätstypen, die „sich konkret in die Gesellschaft hineinwirkende Ziele" gesetzt hatten.149 Die Jakobinerklubs im Alten Reich bildeten also chronologisch den Abschluß einer langen Sozietätstradition im 18. Jahrhundert, in die sie sich sowohl quantitativ als auch qualitativ einfügten. Es ist mithin prinzipiell sinnvoll, sie in die vorliegende Analyse einzubeziehen. Für den mitteldeutschen Raum ist jedoch ein Jakobinerklub mit allen Merkmalen einer Aufklärungsgesellschaft - vor allem dem der sozietätsspezifischen Organisation - noch nicht nachgewiesen worden. Bislang sind lediglich zwei Gruppierungen bekannt, die zumindest eine gewisse Nähe zu den politischen Klubs des südwestdeutschen Raumes aufweisen. Zum einen handelt es sich um den erstmals von Fritz Valjavec erwähnten ,Klub', aus dem Jahr 1793 auf dem Weinberg bei Halle.150 Hauptquelle sind die Eintragungen des Studenten Ferdinand Christoph Beneke in sein Tagebuch.151 Darüber hinaus existiert jedoch kein originäres Quellenmaterial der Gesellschaft.152 Bei der .Gruppe von Symphatisanten der Französischen Revolution' von 1793 in Leipzig ist dagegen überhaupt fraglich, ob es sich dabei um eine dem Sozietätstyp Jakobinerklub im eigentlichen Verständnis ähnliche Gesellschaft handelte. Die Gruppe scheint eher ein Diskussionsforum für wenige Eingeweihte über die Ideen und politischen Ereignisse der Französischen Revolution gewesen zu sein, weniger ein Klub mit ausformulierten Zielen.153 Wenn also in der folgenden Analyse der mitteldeutschen Sozietätslandschaft Jakobinerklubs', erwähnt werden, beziehen sich die Ausführungen auf diese beiden Gesellschaften. Mit dieser letzten Variante des Spektrums der Aufklärungsgesellschaften des 18. Jahrhunderts befinden wir uns nun in den Problembereichen der Typologie, die in der Forschung bis heute kontrovers diskutiert werden bzw. für die sich das Pro148

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Siehe z.B. Neugebauer-Wölk, Die Statuten des Stuttgarter Jakobinerklubs, S. 478f.; siehe dazu auch van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften, S. 271. Neugebauer-Wölk, Jakobinerklubs in der Typologie der Sozietätsbewegung, S. 262. Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen, S. 423 u. 437-454; Günter Mühlpfordt, Karl Friedrich Bahrdt und die radikale Aufklärung, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv 5 (1976), S. 49-100, S. 62; ders., Deutsche Präjakobiner. Karl Friedrich Bahrdt und die beiden Forster, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 28 (1980), Heft 10, S. 970-989, hier S. 983-985; ders., Lesegesellschaften und bürgerliche Umgestaltung, S. 747; ders., Radikale Aufklärung und nationale Leseorganisation, S. 118; Haasis, Gebt der Freiheit Flügel, Bd. 2, S. 686 und Neugebauer-Wölk, Jakobinerklubs in der Typologie der Sozietätsbewegung, S. 257, hier Anm. 24 und 260 (das Tableau der Klubs). Vgl. Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen, insb. S. 440-444 sowie Mühlpfordt, Deutsche Präjakobiner, S. 985. Neben den Aufzeichnungen des Studenten Beneke sind als Quellen lediglich einzelne Spitzelberichte bekannt; vgl. dazu Mühlpfordt, Deutsche Präjakobiner, S. 983f. René-Marc Pille, Eine Gruppe Sympathisanten der Französischen Revolution in Leipzig, in: Helmut Reinalter (Hg.), Die Französische Revolution, Mitteleuropa und Italien. Frankfurt/M. u.a. 1992, S. 141-150.

blembewußtsein erst herauszubilden beginnt. Neben der Frage, ob die Jakobinerklubs am Ausgang des 18. Jahrhunderts innerhalb der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung standen oder nicht, sind auch für andere Sozietätsformen nach heutigem Forschungsstand die typologischen Grenzen nicht ausreichend trennscharf und prägnant ausformuliert. In diesem Kontext gilt es, auf drei weitere - bislang unzureichend diskutierte - Problemfelder hinzuweisen. So ist definitorisch nicht geklärt, welche Vereinigungen zum Sozietätstyp der Gelehrten Gesellschaft zu zählen sind: Beginnt dies z.B. bereits bei den an der universitären Ausbildung orientierten Übungsgesellschaften oder erst bei den gelehrten Privatgesellschaften? Des weiteren ist danach zu fragen, inwieweit die vornehmlich studentisch geprägten Vereinigungen der Akademischen Logen und Studentenorden in den Kanon der Aufklärungsgesellschaften einzuordnen sind; eine Frage, die in der einschlägigen Literatur lediglich ansatzweise aufgegriffen wurde. Außerdem ist nach den Beziehungen des Ordens der Gold- und Rosenkreuzer zu den aufgeklärten Sozietäten zu fragen: Gab es zwischen den in der Forschung traditionell als antiaufklärerisch charakterisierten Gold- und Rosenkreuzem und den Aufklärungsgesellschaften verwandte Merkmale? Im folgenden soll daher in drei Arbeitsschritten danach gefragt werden, welche Formen gelehrter Verbindungen zum Sozietätstyp der Gelehrten Gesellschaft zu rechnen sind und ob die Gesellschaftsformen Akademische Loge und Studentenorden in das Spektrum aufgeklärter Organisationen des 18. Jahrhunderts einzuordnen sind. Darüber hinaus wird der Kontext zwischen aufgeklärter Sozietätsbewegung und den Zirkeln der Gold- und Rosenkreuzer diskutiert. Wie zu zeigen sein wird, führt die Diskussion dieser Problemlagen in die Randbereiche des typologischen Spektrums der Aufklärungsgesellschaften. Diesen Randbereichen - der Peripherie aufgeklärter Organisation - ist dann ein abschließender Abschnitt gewidmet.

2.

Probleme der Typologie

2.1.

Gelehrte Gesellschaften

Die große Vielzahl gelehrter Vereinigungen im 18. Jahrhundert bildet ein Feld, das in der Forschung nur unzureichend aus typologischer Perspektive diskutiert ist: Wo sind die Grenzen für die Zuordnung einer gelehrten Assoziation zu den Gelehrten Sozietäten als Aufklärungsgesellschaften zu ziehen? Dieser Problembereich beinhaltet hauptsächlich die zahlreichen Gesellschaftsformen, die an Universitäten entstanden: Wo liegt der Grenzbereich zwischen spezifisch universitärem Zusammenschluß und aufgeklärter Sozietätsbewegung?

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Harald Dickerhof ordnete die Gruppe der spezifisch universitären Sozietäten ausdrücklich in die Gattung der Gelehrten Gesellschaften ein.154 Er zählte dazu studentisch initiierte Gesellschaften, die zumeist unter Führung eines Professors standen, Vereinigungen, die die Form moderner Seminare antizipierten, sowie Zusammenschlüsse von Professoren mit interessierten Absolventen.155 Die Bezeichnung dieser Zusammenschlüsse schwankte zwischen ,Collegium' und Gesellschaft' sowie in einigen Fällen auch ,Sozietät', wodurch sie nominell in die Nähe der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung gerückt wurden.156 Diese Zusammenschlüsse lassen sich für die Zwecke der vorliegenden Arbeit in drei unterschiedliche Gruppen zusammenfassen: die .Collegia', die .Übungsgesellschaften' sowie die ,Studien unterstützende und ergänzende Gesellschaften'. Die anschließenden typologischen Überlegungen zu diesen Gruppen dienen zum einen dem Zweck, für die hier angestrebte Strukturuntersuchung der mitteldeutschen Sozietätslandschaft Auswahlkriterien zu bestimmen, nach denen im Einzelfall entschieden werden kann, ob die jeweilige gelehrte Verbindung in die Analyse der Aufklärungsgesellschaften einbezogen wird. Zum anderen verfolgen die Ausführungen das Ziel, das Problembewußtsein für das organisatorisch stark differenzierte Spektrum gelehrter Assoziation im 18. Jahrhundert zu schärfen, d.h. eine erste Folie für weiterführende Überlegungen zu bieten. Die Gründung der ersten Collegia geht bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurück. Besonders an der Universität Leipzig gab es eine lange Tradition solcher Gesellschaften.157 Gleichzeitig sind diese leipziger Gelehrtengesellschaften das einzig untersuchte Fallbeispiel in der modernen Forschung:158 Beispielsweise entstanden 1641 das .Collegium Gellianum', 1655 das ,Collegium Anthologicum' 154 155 156

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Siehe dazu Dickerhof, Gelehrte Gesellschaften, S. 40-42 u.ö. Ebd., S. 49f. Vgl. Eme, Die schweizerischen Sozietäten, S. 17; außerdem Dickerhof, Gelehrte Gesellschaften, S. 40f. Mit den Begriffen .Sozietät' bzw. .Gesellschaft' sowie .Collegium' war am Beginn des 18. Jahrhunderts kein spezifischer Inhalt verbunden. Die Verfassung des .Collegii Philadelphia' in Leipzig bezeichnete beispielsweise den Zusammenschluß auch als „Societät", obwohl das Collegium weder eine universitäre Einrichtung noch eine Gelehrte Gesellschaft, sondern eine Art Sterbekasse war; siehe UA Leipzig: Rep. ÜI/V/12, Verfassung des Collegii Philadelphia, Wie solches mit Gott in Leipzig Oster=Messe, 1716. [...] aber, anderweit mit Zuziehung derer Herren Consulenten revidiret und zum öffentlichen Druck vorbereitet worden. Leipzig [1718], hier Bl. 5. Vgl. dazu die einzelnen Gesellschaften und Collegia bei: Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 177-237; sowie außerdem [Über Leipziger Collegia], in: Deutsche Acta Eruditorum 15 (1732), S. 863ff.; siehe in diesem Kontext auch die Zeitungskollegs: Welke, Gemeinsame Lektüre und frühe Formen von Gruppenbildung im 17. und 18. Jahrhundert, S. 35 (hier sind Leipzig und Halle genannt). Siehe dazu die Arbeiten von Detlef Döring: Samuel Pufendorf und die Leipziger Gelehrtengesellschaften in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Berlin 1989 (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse 129, Heft 2) und Pufendorf-Studien. Beiträge zur Biographie Samuel von Pufendorfs und zu seiner Entwicklung als Historiker und theologischer Schriftsteller. Berlin 1992 (Historische Forschungen 49), hier insb. S. 163ff. und ders., Der junge Leibniz und Leipzig, S. 40f. u. 97-100.

und 1664 das .Collegium Conferentium'; in Jena etablierte sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts eine solche Gesellschaft als Leipziger Ableger, die .Societas Quaerentium'. 159 Später wurden dann das Collegium Anthologicum und das .Collegium philobiblicum' (wieder)gegründet, die auch im 18. Jahrhundert weiterbestanden.160 In den Gründungen des 17. Jahrhunderts, wie im Collegium Gellianum und Collegium Anthologicum, stand nicht allein die Bearbeitung eines wissenschaftlichen Gegenstandes im Mittelpunkt, ebenso spielte in diesen Zusammenschlüssen die Geselligkeit, besonders die Pflege der Musik und des Gesangs eine wichtige Rolle.161 Die frühen Collegiagründungen unterschieden sich also durch ihr Gesellschaftsleben von den als Aufklärungsgesellschaften eingestuften Gelehrten Sozietäten des 18. Jahrhunderts, in denen die (musikalische) Geselligkeit nur eine marginale Bedeutung besaß. Des weiteren sind die unterschiedlichen Mitgliederstrukturen als Trennungskriterium zu betonen. Die Collegia bestanden aus Studenten und Magistern, waren also auf eine bestimmte, homogene Gruppe beschränkt.162 So nahm das ,Große Prediger-Collegium' bis 1797 ausschließlich Magister auf; ab 1797 mußte man zudem noch mindestens vier Jahre an einer Universität studiert haben.163 Ähnlich verhielt es sich mit dem Collegium philobiblicum, das sich als eine „Gesellschaft von Magistern" präsentierte.164 Neben diesen strukturellen Unterschieden ist außerdem auf ein chronologisches Problem hinzuweisen. Während die Übergänge der Gesellschaftsformen vom 18. zum 19. Jahrhundert bereits gut untersucht sind, kann dies in keinem Fall für die Entwicklungen von Sozietätsformen um 1700 gelten.165 Die Forschung ist zwar besonders in Hinsicht auf Akademien und Gelehrte Sozietäten dazu übergegangen, eine gesamt-frühneuzeitliche Sozietätsbewegung in den Blick zu nehmen, die sich

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Döring, Der junge Leibniz und Leipzig, S. 40f.; ders., Samuel Pufendoif und die Leipziger Gelehrtengesellschaften, S. 10-25; ders., Pufendorf-Studien, S. 163ff. sowie Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 177ff.; außerdem Johann Andreas Fabricius, Abriß einer allgemeinen Historie der Gelehrsamkeit. 3 Bde. Jena 1752-1754, hier Bd. 3, S. 781; Marwinski, Societas litteraria, Teil 2, S. 225 sowie dies., Fabricius, S. 11. In Jena wurden 1672 außerdem die .Societas Pythagorea' und die .Societas Disquirentium' gegründet; siehe Marwinski, Fabricius, S. 11-13; dies., Societas litteraria, Teil 2, S. 225 und [Über Leipziger Collegia]. 160 Vgl. dazu die Arbeiten von Detlef Döring; ders., Der junge Leibniz und Leipzig', ders., Samuel Pufendoif und die Leipziger Gelehrtengesellschaften sowie ders., Pufendorf-Studien·, siehe außerdem Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 178f.; Fabricius, Gelehrsamkeit, Bd. 3, S. 783f.; Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 216-237 sowie Heinrich August Ottokar Reichard, Guide des voyageurs en Europe. 2 Teile. Weimar 1793, Teil 1, S. 640. 161

Vgl. hierzu Döring, Samuel Pufendoif und die Leipziger Gelehrtengesellschaften, S. 13, 18f. u. 21; sowie auch: ders, Pufendorf-Studien, S. 163ff. 162 Ebd., S. 22 am Beispiel des .Collegium Anthologicum'; S. 25 außerdem am Beispiel Samuel Pufendorfs. 163 Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 197-206, hier S. 200. 164 Ebd., S. 222; siehe auch Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 178. 165 Vgl. dazu die Ausführungen in den Abschnitten 1.3. sowie II.l.

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durch Kontinuitäten in ihrer Entwicklung vom frühen 16. Jahrhundert bis zur Französischen Revolution auszeichnet.166 Dies bedeutet aber auch, daß auf die Ausarbeitung von Unterscheidungskriterien zwischen Gesellschaften des 17. Jahrhunderts und den aufgeklärten Sozietäten des 18. Jahrhunderts weitestgehend verzichtet wurde: Die „alteuropäische Sozietätsbewegung" sei bislang „viel zu nah an das Jahrhundert der Aufklärung" gerückt worden.167 Bis zur Herausarbeitung tragender Unterscheidungskriterien bzw. typologischer Gemeinsamkeiten - die wesentlich zur Beantwortung der Fragen beitragen würden, wie sich eine Aufklärungsgesellschaft gegenüber anderen Sozietätsformen abgrenzt und wann der Beginn der spezifisch aufgeklärten Sozietätsbewegung anzusetzen ist - 1 6 8 behält das kategorische Fazit Richard van Dülmens Gültigkeit, daß die Sozietätsgriindungen des 17. Jahrhunderts nicht zur eigentlichen Geschichte der Aufklärungsgesellschaften zu zählen sind.169 Aus dieser chronologischen Perspektive können also die Collegia als Organisationsform bereits des 17. Jahrhunderts nicht zu den Aufklärungsgesellschaften addiert werden. Außerdem bestanden strukturelle Unterschiede hinsichtlich der Mitgliederstruktur und des Gesellschaftslebens. Aufgrund dieser Verschiedenheiten werden die Collegia in der vorliegenden Studie nicht als aufgeklärte Sozietät eingestuft. Auch die zweite Gruppe spezifisch universitärer Gesellschaften wurde nicht in die Analyse aufgeklärter Gesellschaften einbezogen. Dies waren .Übungsgesellschaften', die durch besonders spezialisierte Voraussetzungen bestimmt waren, welche die Teilnahme an einer solchen Gesellschaft auf einen kleinen, beschränkten Personenkreis eingrenzten. Diese Gesellschaften konnten nur von Studenten besucht werden, die zudem zuvor eine bestimmte Vorlesung bei einem bestimmten

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Vgl. Garber, Sozietät und Geistes-Adel, insb. S. 29, 31ff. und 38f.; siehe außerdem McClellan, Science Reorganized, S. 41, 67 u.ö. Garber, Sozietät und Geistes-Adel, S. 39. Vgl. dazu Erne, Topographie der Schweizer Sozietäten, S. 1515f. sowie auch Dickerhof, Gelehrte Gesellschaften, S. 40ff., insb. S. 51. 168 vgl. z.B. den Ansatz bei Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 195f., im Kontext pietistischer und aufklärerischer Sozialformen (das Collegium bzw. die Sozietät). 169 Van Dülmen, Gesellschaft der Au/klärer, S. 29f.; sowie jüngst Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 22f. (hier am Beispiel der .Deutschen Gesellschaft Leipzig'), S. 197, 219f. u. 224 (hier am Beispiel der Unterschiedlichkeit der Sprachgesellschaften des 17. und der Deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts) sowie S. 232 und 236-238. Zu den Gesellschaften des 17. Jahrhunderts siehe exemplarisch: Jörg Jochen Berns, Zur Tradition der deutschen Sozietätsbewegung im 17. Jahrhundert, in: Martin Bircher/Ferdinand van Ingen (Hg.), Sprachgesellschaften - Sozietäten - Dichtergruppen. Arbeitsgespräch in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 28. bis 30. Juni 1977. Hamburg 1978, S. 53-73 und Kanthak, Der Akademiegedanke, S. 67-71; vgl. außerdem die Falluntersuchungen in: Bircher/van Ingen (Hg.), Sprachgesellschaften - Sozietäten - Dichtergruppen sowie besonders jüngst in Garber/ Wismann (Hg.), Europäische Sozietätsbewegung. In diesem Kontext ist außerdem darauf zu verweisen, daß eine vergleichende Untersuchung der Sozietätsformen des 17. Jahrhunderts noch aussteht, so Garber, Sozietät und Geistes-Adel, S. 18 sowie S. 26, Anm. 43. 167

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Dozenten gehört hatten.170 Beispiele für solche Zusammenschlüsse sind etwa Gottscheds „rednerische Uebungen" ab 1727 sowie eine von ihm später gegründete Rednergesellschaft, in die niemand aufgenommen wurde, der nicht zuvor seine Vorlesungen zur Theorie der Redekunst gehört hatte.171 Die dritte Gruppe spezifisch universitärer Gesellschaften, d.h. .Studien unterstützende und ergänzende Gesellschaften', ist im Gegensatz zu den zwei zuvor beschriebenen Gruppen in Struktur und Charakter der aufgeklärten Sozietätsbewegung zuzurechnen. Es handelt sich dabei um vornehmlich studentisch geprägte Sozietäten, die auf freiwilliger Basis gegründet wurden, um die Kenntnisse auf bestimmten Sachgebieten zu vertiefen. In ihnen arbeiteten Studenten und Professoren sowie gelegentlich Personen aus der außeruniversitären Welt zusammen.172 Zu diesem Typ gehörte z.B. die 1716 in Leipzig gegründete .Wendische Prediger Gesellschaft'. 173 An ihrer Entwicklung ist der Übergangscharakter von einer zunächst eher an den Collegia orientierten hin zu einer mehr den Gelehrten Gesellschaften der aufgeklärten Sozietätsbewegung verwandten Form zu beobachten. In der Wendischen Gesellschaft versammelten sich zunächst junge Theologiestudenten, die sich in der wendischen Sprache (Sorbisch) anhand von Predigten übten; das Ziel der Gesellschaft bestand in der Erhaltung und Verbesserung des Wendischen.174 Die Gesellschaft erhielt bereits 1717 Protektion aus Dresden.175 Der anfangliche Kreis weitete sich im Laufe des Jahrhunderts auf Studenten anderer Fakultäten aus und ergriff auch außeruniversitäre Personen. Die Sozietät richtete ab 1755 die Form der Ehrenmitgliedschaft für diejenigen (Studenten) ein, die nicht wendisch predigten, sich aber für die Sprache interessierten, was ab 1764 schließlich auch zur Erweiterung der Themenbreite und besonders ab 1795 auch zur Anwendung der deutschen Sprache führte. Daneben errichtete man seit 1763 eine Gesellschaftsbibliothek mit Werken in wendischer Sprache. 1766 erhielt die

170 Vgl. dazu Dickerhof, Gelehrte Gesellschaften, S. 40. 171

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Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 268; außerdem Vermischte Abhandlungen und Berichte einer Gesellschaft auf den vier Obersächsischen Akademien auf das Jahr 1753, S. 3 u. 7f. Übungen in der Redekunst nach gleichem Muster hatten bereits von 1715-1730 an der Universität Leipzig bestanden; siehe: Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 267. In diese Kategorie zählen vermutlich auch eine .Italienische' sowie eine .Französische' Übungsgesellschaft, die 1743 in Jena bestanden; siehe Marwinski, Societas litteraria, Teil 2, S. 225 und Fabricius, Gelehrsamkeit, Bd. 1, S. 783. Siehe dazu: Siefert, Das naturwissenschaftliche und medizinische Vereinswesen, S. 85f. Siehe: Johann Christian August Kazer, Kurtzgefaßte Nachricht von dem Anfange und Fortgange der [...] Wendischen Prediger Gesellschaft in Leipzig. Leipzig 1766; Carl August Jentsch (Hg.), Geschichte der Lausitzer Predigergesellschaft zu Leipzig und Verzeichniss aller ihrer Mitglieder vom Jahre 1716 bis 1866. Budissin 1867 sowie Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 206-211. Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 206f.; Jentsch, Lausitzer Predigergesellschaft, S. lf. sowie Kazer, Kurtzgefaßte Nachricht, S. 10. Jentsch, Lausitzer Predigergesellschaft, S. 2.

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Sozietät einen promovierten Präses (nochmals 1778).176 1782 schließlich begründete die Gesellschaft ein „Journalistikon".177 Die außerdem eingerichtete Form der auswärtigen Ehrenmitgliedschaft, die sich auf ehemalige studentische Mitglieder bezog, könnte auch bürgerliche Mitglieder umfaßt haben.178 Diese Veränderungen wandelten den Charakter der Gesellschaft; die Merkmale ihrer Gesellschaftsstruktur entsprachen nun im weiten Sinn denen einer aufgeklärten Gesellschaft. Auch an anderen Universitäten entstanden derlei auf Freiwilligkeit beruhende Gesellschaften. So z.B. an der Universität Halle 1789 die Juristische Gesellschaft', die sich 1797 „Märkische Juristische Gesellschaft" nannte.179 Ihr Ziel bestand in der „Vervollkommnung juristischer Kenntnisse" bei den in der Gesellschaft organisierten Studenten.180 Im universitären Bereich wird der Übergangscharakter verschiedener Sozietätsformen deutlich. Für die vorliegende Studie wurden die z.T. bereits im 17. Jahrhundert gegründeten, Wissenschaft übenden und (musikalische) Geselligkeit pflegenden Collegia sowie die spezifisch an die universitäre Lehre, zumeist an die Veranstaltungen eines bestimmten Dozenten gebundenen Übungsgesellschaften nicht in den Rahmen der Aufklärungsgesellschaften eingeordnet. Dagegen fanden die aus dem universitären Umfeld entstandenen, auf Freiwilligkeit beruhenden, die .Studien unterstützenden und ergänzenden Gesellschaften' Aufnahme in den Kanon aufgeklärter Sozietäten. 2.2.

Akademische Logen und Studentenorden

Mit den folgenden Überlegungen zu den Gesellschaftsformen Akademische Loge und Studentenorden begeben wir uns nun in die arkane Sphäre der Sozietäten. Das Verhältnis der Akademischen Logen der Mitte des 18. Jahrhunderts und der nach 1770 entstehenden Studentenorden zur aufgeklärten Gesellschaftsbewegung ist nur ansatzweise diskutiert.181 Um beantworten zu können, ob eine dieser beiden Formen arkaner Gesellschaften in den typologischen Kanon aufgeklärter Sozietäten einzureihen ist, soll im folgenden dieser Frage ausführlicher nachgegangen wer-

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Kazer, Kurtzgefaßte Nachricht, S. 10-12 und Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 208f. Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 210 sowie Jentsch, Lausitzer Predigergesellschaft, S. 6, 18 u. 22. Vgl. Schulze, Gelehrte Gesellschaften in Leipzig, S. 210. Die Gruppe umfaßte kurz nach 1800 41 Personen. An dieser Stelle sind einige dieser Mitglieder aufgelistet, wobei der Ursprung der Mitgliedschaften nicht immer klar wird. UA Halle, Rep. 3, Nr. 592: Die Juristische Gesellschaft Halle betr., 1789, 1797, Bl. 2-29 („Statuten der Juristischen Gesellschaft Halle") sowie Bl. 30-44 („Gesetze der Märkischen Juristischen Gesellschaft"). Ebd., Bl. 3. So z.B. Manfred Agethen, der 1987 konstatierte, daß die „Studentenorden und ihr Standort innerhalb der Sozietätsbewegung" ein „besonderes Desiderat" darstellen; ders., Aufklärungsgesellschaften, Freimaurerei, Geheime Gesellschaften, S. 463.

den.182 Beide Gesellschaftstypen waren durch Verbindungslinien zur Freimaurerei geprägt. Dies drückte sich z.B. in den Organisationsformen der Logen, rituellen Ähnlichkeiten oder bestimmten, der Freimaurerei verwandten Inhalten, aus. Akademische Logen und Studentenorden waren durch Statuten organisiert und folgten im weitesten Sinn aufklärerischen Postulaten; die Studentenorden zumindest theoretisch. Einzig aufgrund des festen organisatorischen Gefüges und der Nähe zur Freimaurerei kann jedoch nicht eindeutig geklärt werden, ob beide Organisationsformen den Aufklärungsgesellschaften zuzurechnen sind, zumal beide im Umfeld der Universitäten entstanden und somit in ihren Mitgliedschaften spezifisch studentisch geprägt waren.183 Deshalb soll im folgenden besonders der Frage nachgegangen werden, ob sich beide Sozietätstypen sozial offen gaben - eine Grundvoraussetzung für die Einstufung als Aufklärungsgesellschaft. Die typologische Unterscheidung zwischen Akademischen Logen und Studentenorden ist in der Forschung anhand der Jenaer Verhältnisse entwickelt worden, wobei dies mit der Entwicklung auch an anderen Universitäten in Einklang stand. Die Orden und Gesellschaften an der Universität Jena sind so gut durch Quellen und ältere Forschungsarbeiten dokumentiert, daß hier eine tiefgreifende Untersuchung möglich ist; ein Ausnahmefall, der auf den Überlieferungsstand für andere Universitäten in den meisten Fällen nicht zutrifft. So sind beispielsweise für die Universität Leipzig Studentenorden archivalisch erst in ihrer letzten Phase am Ende des 18. Jahrhunderts durch Verbotserlasse belegt, noch schlechter sind die Informationen diesbezüglich über die Wittenberger Universität.184 Besser sind da-

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Für einen Überblick zum studentischen Organisationswesen im 18. Jahrhundert siehe: Paul Ssymank/Friedrich Schulze, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart 1931. Schemfeld 1991 (Nachdruck von 4 1932), S. 159-181. 183 Zum Verhältnis von Akademischen Logen und besonders Studentenorden zur Freimaurerei siehe: Wolfgang Hardtwig, Studentenschaft und Aufklärung. Landsmannschaften und Studentenorden in Deutschland im 18. Jahrhundert, in: François, Geselligkeit und Vereinswesen, S. 239-259; Riederer, Jena und Weimar, S. 121-132 u. 166-170; ders., Die Jenaer Konstantisten und andere Studentenorden an der Universität Jena im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Eine statistische Untersuchung, in: Bauer/Riederer (Hg.), Zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit, S. 42-109, insb. S. 94-109 (hier zu den Konstitutionen); Bauer, Freimaurerei, Geheimgesellschaften und Studenten, S. 33-39 und Helmut Reinalter, Ausblick: Freimaurerei, studentische Orden und Burschenschaften, in: Reinalter, Die Rolle der Freimaurerei und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, S. 113-117 (erstveröffentlicht in: Helmut Asmus (Hg.), Studentische Burschenschaften und bürgerliche Umwälzung. Berlin 1992, S. 65-69). 184 Vgl. UA Leipzig Rep. MV/3: Acta, die Verordnung, die Handhabung der Disziplin namentlich dem Verbindungswesen gegenüber (1792-1811)·, Rep. II/XVI/I/2: Die Ordens-Verbindungen der Studiosorum betr. (1798-1801); Jur. Fak. IV/6: Verbot der Ordensverbindungen der Studierenden (1795), auf Bl. 2 sind vage Hinweise auf Studentenorden in Wittenberg verzeichnet. Zu knappen Informationen über Wittenberger Orden siehe: Max Flemming, Geschichte der Hallischen Burschenschaft von 1814-1860 mit einer Übersicht über die studentischen Verbindungen von der Gründung der Universität bis zum Entstehen der Burschenschaft, in: Paul Wentzcke (Hg.), Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung: Beihefte 1-6. Heidelberg 1990 [Neudruck von 1927-1936], S. 239-350, hier S. 258.

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gegen Materialien zu den Orden und Logen an der Universität Halle überliefert, da diese seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder in disziplinarische Untersuchungen gerieten.185 Typologisch unterschieden sich die Akademischen Logen durch drei Punkte von den Studentenorden. Zum einen gingen sie diesen chronologisch ab ca. Ende der 1740er Jahre bis etwa 1770 voraus. Des weiteren habe sich, so Jens Riederer, die Differenzierung zwischen beiden durch eine mehr „aufklärerisch-überakademisch denn studentisch geprägte Programmatik" der Akademischen Logen gezeigt.186 Zum dritten schließlich - und dies ist das entscheidende Merkmal - zeichneten sich die Akademischen Logen durch partiell nichtstudentische Mitgliedschaften aus, wohingegen die Studentenorden rein studentisch zusammengesetzt waren. Diese beiden Trennungskriterien sind für die Jenaer Logen und Orden nachweisbar: Die Mitgliedschaft von NichtStudenten in Akademischen Logen ist hier eindeutig belegt, und beide Formen lassen sich ereignisgeschichtlich klar voneinander unterscheiden; die Akademischen Logen wurden in Jena trennscharf durch die Studentenorden nach 1770 abgelöst.187 Diese Typologisierung war in der Forschung besonders zu Beginn unseres Jahrhunderts nicht unumstritten; sie setzte sich jedoch im Laufe der Zeit durch. In der jüngeren Forschung ist die Fragestellung partiell wieder aufgenommen worden. Akademische Logen und Studentenorden rückten zum einen in das Blickfeld corpsstudentischer Forschungen. Zum anderen wurde das Problemfeld spezifisch studentischer Organisation im Kontext der Analyse aufgeklärter Sozietäten thematisiert; es konnte sich jedoch in diesem Rahmen bislang nicht etablieren. Ansatzweise wurde die Frage gestellt, ob die Orden an den Universitäten in den Rahmen der Aufklärungsgesellschaften eingereiht werden sollten oder nicht, wobei allerdings zumeist die Differenzierung in Akademische Logen und Studentenorden ignoriert wurde. Die Forschungsdiskussion soll im folgenden unter dem Gesichtspunkt nichtstudentischer Mitgliedschaften nachgezeichnet werden, um herauszufiltern, ob die typologische Trennung aufrecht erhalten und welche der beiden Gesellschaftstypen dem Spektrum aufgeklärter Sozietäten zugeordnet werden kann. 185

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Siehe zu den Materialien im UA Halle weiter unten in diesem Abschnitt. Überblicke über das studentische Verbindungswesen an der Halleschen Universität bieten: König, Aus zwei Jahrhunderten, S. 102ff. und Flemming, Geschichte der Hallischen Burschenschaft, S. 243-258. Riederer, Jena und Weimar, S. 169f., Zitat S. 170. Vgl. dazu die Arbeiten von: Götze, Die Jenaer akademischen Logen und Studentenorden (S. 3 f. zur chronologischen und inhaltlichen Abgrenzung von Akademischen Logen und Studentenorden und S. 5-25 über „Akademische Logen oder Universitätsorden" sowie S. 217— 222 die Mitgliederlisten der Jenaer Akademischen Logen mit den Belegen für die Mitgliedschaft nichtstudentischer Personen); Bauer, Freimaurerei, Geheimgesellschaften und Studenten, insb. S. 33-41 und Riederer, Jena und Weimar, S. 106-132 (Akademische Logen) u. 164-175 (Studentenorden). Zu den Quellen für die verschiedenen Jenaer Akademischen Logen siehe die Belege bei Götze, Bauer und Riederer jeweils ebd., sowie: ThHStA Weimar, A 8380: Acta, die Untersuchung und Abschaffung der Nationalismi und der Ordensgesellschaften zu Jena betr., 1766/67.

Bereits 1891 hatte Wilhelm Fabricius in seiner Geschichte der Studentenorden des 18. Jahrhunderts daraufhingewiesen, „daß der Freimaurerorden notorisch akademische Logen unterhielt", welche Logen seien, die „Studenten, Professoren und Beamte umfaßten" und die „keine Studentenorden in unserem Sinn" waren.188 Auch unter Vernachlässigung der äußerst spekulativen Annahme, die Akademischen Logen seien reguläre Filialen des Freimaurerordens gewesen,189 wird an dieser Stelle von Fabricius bereits die grundlegende Trennung zwischen Akademischen Logen und Studentenorden vollzogen.190 Wilhelm Fabricius war einer der exponiertesten Verfechter der Trennungsthese. Sie zieht sich einem roten Faden gleich durch den Text: „Wir müssen unterscheiden zwischen akademischen Orden und Studentenorden."191 Anknüpfend an seine Arbeit über Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts betonte Fabricius in einem weiteren Buch nochmals die Unterschiede zwischen den Verbindungen vor und nach 1770,192 wobei er wieder anmerkte, daß die meisten Orden auf Universitäten bis 1771 nicht Studentenorden im eigentlichen Sinn gewesen seien, sondern „Zweige bürgerlicher Orden".193 Die typologische Trennung wurde durch Fallbeispiele gestützt. So hatten beispielsweise der Leipziger Loge .Harmonía' der .Brücknerschen Amicisten' (1768 gegründet) „nicht nur Studenten, sondern auch Offiziere, Beamte, Bürger und Kaufleute" angehört;194 derartig strukturierte Zusammenschlüsse unterschieden sich von den späteren Studentenorden.195 Auch die Jenaer Loge ,Zum rothen Stein' war keine „studentische, sondern eine akademische Harmonistenloge".196 An diesen Beispielen zeigte sich, daß die Akademischen Logen im Unterschied zu den studentischen Orden außer Professoren und Studenten auch Nichtangehörige der Universität (Offiziere, Advokaten, Ärzte, Buchhändler) aufgenommen hätten.197 188

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Wilhelm Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts und ihr Verhältnis zu den gleichzeitigen Landsmannschaften. Jena 1891, S. 29; siehe auch S. 30: Außerdem hätten „besondere akademische Logen, deren Mitglieder hauptsächlich Universitätsangehörige waren, aber nicht etwa nur Studenten, sondern auch viele Professoren", bestanden. Diese These wurde in dieser Zeit immer wieder offeriert; siehe exemplarisch: Ssymank/Schulze, Das deutsche Studententum, S. 165; zuverlässig belegen konnte sie jedoch keiner der Autoren. Siehe dazu am Beispiel der Jenaer Loge ,Zum rothen Stein' und des .Harmonistenordens': Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts, S. 72. Ebd., S. 33. Wilhelm Fabricius, Die deutschen Corps. Berlin 1896. Ebd., S. 33, siehe auch S. 91. Diese direkte Verbindung ist in ihrer Absolutheit überzogen, deutet aber die Unterschiede zu den Studentenorden an; siehe dazu den vorangegangenen Text. Wilhelm Bruchmüller, Der Leipziger Student. 1409-1909. Leipzig 1909, S. 106. Wilhelm Bruchmüller, Das deutsche Studentenleben. Von seinen Anfangen bis zur Gegenwart. Leipzig 1922, S. 68. Bruchmüller, Das deutsche Studentenleben, S. 69; zur Jenaer Loge siehe: Götze, Jenaer Akademische Logen und Studentenorden, S. 5-14; Bauer, Freimaurerei, Geheimgesellschaften und Studenten, S. 33f. und Riederer, Jena und Weimar, S. 106 u. 108f. Albert Dressel, Die Landsmannschaften und Studentenorden an der Universität Helmstädt, in: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 14 (1915 und 1916), S. 113-166, S. 116.

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Götz von Selle äußerte sich 1927 ähnlich in bezug auf die Göttinger Verhältnisse. Anhand des dort 1 7 6 5 aufgedeckten Ordens ,Concordia et Sinceritas' führt er aus, daß es sich bei d i e s e m nicht u m einen ausgesprochenen Studentenorden handelte, sondern daß er „auch Mitglieder aus nicht akademischen Kreisen" aufnahm. 1 9 8 Generalisierend betonte Seile am Beispiel des .Unzertrennlichen Concordienordens' 1 7 6 2 - 1 7 7 8 in Göttingen, daß es sich „damals auch gar nicht u m eigentliche Studentenorden" handelte, denn eine „Anzahl seiner Mitglieder" läßt sich „in der Universitätsmatrikel nicht nachweisen" - sie traten z u m Teil „erst nach den Studienjahren in den Orden, w i e Strieder, der Casseler Bibliothekar". 1 9 9 D i e typologische Trennung

zwischen

Akademischen

Logen

und

Studentenorden

schrieb

schließlich Otto G ö t z e in seiner Arbeit über die Jenaer L o g e n und Orden von 1 9 3 2 fest, auch w e n n dies weiterhin gelegentlich in Frage gestellt wurde. 2 0 0 Erst einige Jahrzehnte später wurde das Thema wieder aufgenommen, w o b e i zunächst widersprüchliche Äußerungen dominierten. A u s

studentenhistorischer

Sicht sprach sich e t w a Friedrich August Pietzsch gegen den Begriff der Akademischen L o g e mit d e m allerdings kaum überzeugenden Argument aus, daß der „Ausdruck" nach seiner Ansicht „unglücklich gewählt" sei, „da das Wort ,Loge', nicht die richtige Eigenschaft dieser Verbindungen" treffe, denn sie seien Orden g e w e s e n und „nannten sich auch so". 201

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Götz von Seile, Ein akademischer Orden in Göttingen um 1770. Göttingen 1927, S. 6f. Ebd., S. 19. Ähnlich auch über ein halbes Jahrhundert zuvor: Theodor Merzdorf, Der Concordienorden nach den bis jetzt unbekannten Originalacten, in: Latomia: freimaurerische Vierteljahresschrift 22 (1863), S. 297-316. Zu den hier interessierenden Zusammenhängen siehe S. 298f. u. 315f. Auf Seite 306 zitiert Metzdorf die „Fundamentalgesetze" des Ordens, wonach dieser „nach dem Beispiele der Freymaurer nicht nur Gelehrte und Studenten, sondern Leute aus allen Ständen" rezipieren würde, „wenn sie sonst nur gute Eigenschaften haben, und unsern Orden nicht verächtlich machen". Götze, Die Jenaer akademischen Logen und Studentenorden, insb. S. 3. Ähnlich äußerten sich auch: Ludwig Keller, Die Grossloge Indissolubilis und andere deutsche Grosslogen-Systeme des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Monatshefte der Comenius-Gesellschaft 16 (1907), Heft 3, S. 121-157, hier S. 128 u. 157f. sowie Friedrich Kneisner, Der Orden der Harmonie, in: Zirkelkorrespondenz der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland 58 (1929), S. 426-443, hier S. 427. Kritisch äußerte sich Otto Deneke, Göttinger Studenten=Orden. Göttingen 1938, S. 63f. Deneke widersprach sich in seiner Arbeit jedoch in hohem Maße. Zum einen konstatierte er am Beispiel der Jenaer Loge .l'Espérance', daß diese einen „stark fireimaurerischen und überständischen" (S. 46) Charakter gehabt habe (zur .Espérance-Loge' in Jena siehe: Götze, Jenaer akademische Logen und Studentenorden, S. 22-25; Bauer, Freimaurerei, Geheimgesellschaften und Studenten, S. 35-40; Riederer, Jena und Weimar, S. 106, 113-116). Zum anderen verwies er - wie schon 1927 Götz von Seile - auf die nichtstudentischen Mitgliedschaften des Ordens .Concordia et Sinceritas' (S. 51). Friedrich August Pietzsch, Das Verbindungswesen an der Universität Duisburg. Versuch einer Darstellung an Hand von Studentenstammbüchem Duisburger Studenten, in: Duisburger Forschungen. Schriftenreihe für Geschichte und Heimatkunde Duisburgs 4 (1961), S. 1-45, hier S. 11. An dieser Stelle auch die folgenden Zitate. Siehe außerdem: ders., Unklarheiten in der Studentengeschichte (Ordensverbindungen), in: Einst und Jetzt 14 (1969), S. 62-70. Ähnlich distanzierend äußerte sich Walter Richter, der der Ansicht widersprach, „daß der Concordienorden kein reiner Studentenorden'', sondern ein „akademisch-bürgerlicher Orden" war: Walter

In der neueren Geschichtswissenschaft hat Wolfgang Hardtwig die Frage nach den Studentenverbindungen im Kontext der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung aufgegriffen. Hardtwig thematisierte die Verquickung zwischen bürgerlicher Welt und Studenten bei der Entstehung von Freimaurerlogen sowie die Ausbildung eines eigenständigen, reformorientierten studentischen Ordenswesens.202 Dabei bezeichnete der Autor die seit den 1740er Jahren neu entstehenden studentischen Verbindungen prinzipiell als „Orden".203 Die in der älteren Forschung herausgearbeitete typologische Trennung zwischen Akademischen Logen und Studentenorden übernahm Hardtwig nur insoweit, als er zwischen „akademischen Orden" als Gesellschaften, denen sowohl Professoren als auch Studenten angehören konnten, ,,normale[n]" Freimaurerlogen, in die auch Studenten eintreten konnten, sowie Gesellschaften „rein studentischer Provenienz" unterschied.204 Diese studentischen Organisationen ordnete er umfassend in den Rahmen der aufgeklärten Sozietätsbewegung ein, deren Typen „in den letzten Jahren neu untersucht worden" seien, wohingegen „die studentischen Gesellschaften keine Beachtung gefunden" hätten, „obgleich sie in diese übergreifende Gesellschaftsbewegung hineingehören".205 In dieser Perspektive erfaßte Hardtwig die gesamte arkane, spezifisch studentische Organisationsbewegung des 18. Jahrhunderts und verortete sie im Spektrum der Aufklärungsgesellschaften. Dies hatte zur Folge, daß in der Literatur die Unterscheidung zwischen Akademischen Logen und Studentenorden nicht rezipiert wurde.206 Joachim Bauer und Jens Riederer haben sich mit dieser Frage anhand der Jenaer Logen und Orden auseinandergesetzt.207 Riederer behandelte in seinen Studien Richter, Concordienlogen im Orden der Unzertrennlichen. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärungszeit, in: Göttinger Jahrbuch 1974, S. 107-131, hier S. 127. Andererseits aber nutzte Richter den Begriff der Akademischen Loge. Er sprach von „bürgerlichen und akademischen Logen": ders., Der Orden der Harmoqie - Eine Leibniz=Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, in: Einst und Jetzt 18 (1973), S. 7-29, Zitat S. 10 sowie 16. 202 Hardtwig, Studentenschaft und Aufklärung, S. 242 f. u. 248-255; siehe dazu auch: ders., Die Burschenschaften zwischen aufklärerischer Sozietätsbewegung und Nationalismus. Bemerkungen zu einem Forschungsproblem, in: Aufklärung - Vormärz - Revolution. Jahrbuch der internationalen Forschungsstelle .Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850' 4 (1984), S. 46-53 sowie ders., Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 44-55, hier insb. S. 50-55. 203 Hardtwig, Studentenschaft und Aufklärung, S. 242 und ders., Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 50. 204 Hardtwig, Die Burschenschaften zwischen aufgeklärter Sozietätsbewegung und Nationalismus, S. 49; siehe dazu auch: ders., Studentenschaft und Aufklärung, S. 243 sowie ders., Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 50. 205 Ebd. 206 Siehe: Reinalter, Freimaurerei, studentische Orden und Burschenschaften, S. 113f.; Im Hof, German Associations, S. 215 und Agethen, Aufklärungsgesellschaften, Freimaurerei, Geheime Gesellschaften, S. 463. 207 vgl. Joachim Bauer: Freimaurerei, Geheimgesellschaften und Studenten, S. 33 und ders., Studentische Verbindungen zwischen Revolution und Restauration. Von den Landsmannschaften zur Burschenschaft, in: Friedrich Strack (Hg.), Evolution des Geistes: Jena um 1800. Natur

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zum Sozietätsspektrum in Jena und Weimar Akademische Logen und Studentenorden getrennt und stellte die Frage nach den Beziehungen beider Organisationsformen zur aufgeklärten Sozietätsbewegung. Dabei unterschied er „rein studentische, also altershomogene" gegenüber „altersheterogenen aus Studenten, Hochschullehrern und anderen Sozialgruppen" bestehende Sozietäten.208 Beide Typen ordnete der Autor als von der Aufklärung beeinflußte, studentische Gesellschaften in die aufgeklärte Gesellschaftsbewegung ein;209 in ihrer Mitgliederzusammensetzung unterschieden sie sich jedoch voneinander. Der „aufklärungsorientierte Erfahrungszuwachs der Studiosi" setzte sich nach 1770 „tendenziell in nunmehr rein studentischen Orden fort", nachdem sich zuvor „auf staatlichen Druck die Lehrkräfte aus den gemeinsamen geheimgesellschaftlichen" Verbindungen zurückgezogen hatten; „ein Rückzug mit dem der Organisationstyp .akademische Loge' gegen Ende der 60er Jahre auslief'. 210 Hierbei machte Riederer bezüglich der in Jena existenten Logen erstmals Zahlenangaben zu nichtstudentischen Mitgliedern und wies außerdem auf ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber den Studentenorden hin: die gemischtgeschlechtliche Zusammensetzung einiger Akademischer Logen.211 Im Gegensatz dazu unterschied er ausdrücklich die „in der Regel" rein studentisch zusammengesetzten Studentenorden nach 1770,212 die zudem aufgrund ihrer spezifisch studentischen Mitgliederrekrutierung keine weiblichen Mitglieder aufnahmen.213 Im Kontext der Übernahme dieses Modells, das sich ausschließlich auf die Jenaer Verhältnisse bezieht, muß die Frage gestellt werden, ob die Periodisierung auch außerhalb des Sozietätskosmos Jena mit der Zäsur um 1770 aufrecht erhalten werden kann.214 Dabei stellen sich drei Probleme. Zum einen ist dies die Frage und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte. Stuttgart 1994 (Deutscher Idealismus. Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien 17), S. 57-77, hier S. 65-67. 208 Jens Riederer, Entwurf zu einer akademisch-studentischen Reformbewegung. Das Beispiel Jena 1720-1820, in: Herbert Gottwald u.a. (Hg.), Universität im Aufbruch. Jena/Erlangen 1992, S. 185-198, hierS. 187. 209 vgl. ebd., S. 185; siehe außerdem ders., Die Jenaer Konstantisten, S. 46-48. 210 Ebd., S. 192. 211 Riederer, Jena und Weimar, S. 113-120; siehe dazu auch den Exkurs zu Frauen in der aufgeklärten Gesellschaftsbewegung in Kapitel ΠΙ. 212 Riederer, Jena und Weimar, S. 164. 213 Zumindest ist bislang kein weibliches Mitglied in einem Studentenorden nachgewiesen worden. 214 Die Zäsur entsteht aus zwei Fakten: erstens dem Verbot der Akademischen Logen in Jena und deren Auflösen nach 1767 - Bauer, Freimaurerei, Geheimgesellschaften und Studenten, S. 34f.; Riederer, Jena und Weimar, S. 106 ff. sowie ThHStA Weimar, A 8384: RegierungsActa die Abschaffung der bey der Universität Jena allzusehr überhand genommenen Ordensverbindungen [...] betr., 1767, 1788, 1789, Bl. 2 - und zweitens dem Auftauchen der Studentenorden in Jena ab 1770 - Riederer, Jena und Weimar, S. 164f. Siehe dazu auch allgemein: Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts, S. 33: „Ihr Auftreten [jenes der Akademischen Logen, H. Z.] auf Universitäten beginnt vor 1748. Als rein studentische Verbindungen finden sich die Orden von 1771 an." Siehe dazu auch ebd., S. 85f. u. 98. Zu anderen Uni-

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nach der Entwicklung von Studentenorden nach 1770 aus Akademischen Logen heraus, ein Prozeß, der eine organisatorische Kontinuität konstruiert, die vor allem in der älteren und corpsstudentischen Forschung verfochten wurde. Gleiches gilt für die Behauptung, auch die Studentenorden hätten sich zum Ende des Jahrhunderts NichtStudenten geöffnet. Außerdem ist zu fragen, ob alle studentischen Verbindungen vor 1770 als Akademische Logen anzusehen sind. Die These, daß sich Akademische Logen zu Studentenorden weiterentwickelt hätten, wurde in der älteren Forschung sowie von corpsstudentischer Seite an drei organisationsgeschichtlichen Beispielen demonstriert, wobei Jenaer Logen die Keimzellen gewesen sein sollen: von der Harmonistenloge Zum rothen Stein zum Orden der ,Litterärischen Harmonie', von der Concordienloge zum .Inseparabilistenorden' sowie von der ,Espéranceloge' zum ,Konstantistenorden'.215 Diesen „genetischen Zusammenhang" verneint Jens Riederer vehement - viel stichhaltiger sei dagegen, so Riederer, daß die Studentenorden sich aus den Landsmannschaften an den Universitäten entwickelt hätten.216 Dieser Sicht schließt sich die vorliegende Arbeit an. Die Linearität zwischen Akademischen Logen und Studentenorden ist konstruiert und verdeckt die wesentlichen typologischen Unterschiede; die Studentenorden wiesen nach 1770 eine eindeutig andere Charakteristik als die Akademischen Logen auf - besonders durch ihre rein studentische Zusammensetzung sowie den entsprechenden Habitus. Ist die organisatorische Kontinuität zwischen Akademischen Logen und Studentenorden also nicht anzunehmen, muß andererseits danach gefragt werden, ob zum Ende des Jahrhunderts auch nichtstudentische Mitglieder Eingang in die Studentenorden gefunden haben, wie es häufig der einschlägigen Literatur zu entnehmen ist. Das dabei im allgemeinen angeführte Beispiel ist der Orden der Harmonie, auch als .Literarische Harmonie' oder .Schwarze Brüder' bezeichnet.217 Als Beleg dafür werden vor allem entsprechende Stammbucheintragungen genannt, die in ihrem Quellenwert aber nicht mit Eintragungen in Matrikeln zu vergleichen sind.218

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versitäten vgl. Ernst Deuerlein, Studentengeschichtliches aus dem Archiv der Freimaurer-Loge .Libanon zu den drei Cedent' in Erlangen. Ein Beitrag zur Geschichte der Akademischen Logen und der Studentenorden in Erlangen, in: Archiv für Studenten- und Hochschulgeschichte 1934 (Heft 5 u. 6), S. 139-167, zu Erlangen und Altorf S. 142f. u. 149. Riederer, Jena und Weimar, S. 165f. Zu den organisationsgeschichtlichen Daten der genannten Logen und Orden siehe Götze, Die Jenaer akademischen Logen und Studentenorden. Ebd., Zitat S. 165; so auch Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 51. Die meistgenutzte Quelle zu diesem Studentenorden ist: Tyrtäus, Der geheime Bund der schwarzen Brüder. Mainz 1834, z.B. die „Kurze Geschichte des erlauchten Ordens der literarischen Harmonie", S. 10-19. Dressel, Helmstedt, S. 134, ein Leutnant sowie ein Arzt ohne exakte Datierung. Siehe auch: Richter, Orden der Harmonie, S. 22 aufgrund von Materialien aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv in Wolfenbüttel für eine Erlanger Harmonistenloge im Jahr 1792 und Emst Meyer-Camberg, Mitglieder des Jenenser Schwarzen Ordens 1793-1794, in: Einst und Jetzt 21 (1976), S. 76f. (er nennt als Mitglieder der Jenaer Loge einen Schauspieler und zwei Offiziere), sowie Deuerlein, Studentengeschichtliches, S. 156 u. 162. Zu Stammbüchern siehe:

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S o schreiben Schulze/Ssymank in ihrer Studentengeschichte, daß in diese Verbindung „auch Bürgerliche und Offiziere" a u f g e n o m m e n worden seien. 2 1 9 A u c h für den Konstantistenorden wurden ähnliche Vermutungen angestellt. 2 2 0 B e i all diesen A u s s a g e n m u ß j e d o c h berücksichtigt werden, daß diese bürgerlichen Mitgliedschaften sehr wahrscheinlich auf das studentische Lebensbundprinzip zurückgeführt werden können. D a s Lebensbundprinzip ist die Verpflichtung, auch nach d e m A b g a n g v o n der Universität den „Zusammenhalt zu wahren und sich beizustehen - und zwar nicht nur in privaten Belangen, sondern auch i m bürgerlich-öffentlichen Leben". 2 2 1 A u f diese Tatsache haben bereits

ausdrücklich

Schulze/Ssymank hingewiesen, o h n e dies im Kontext ihrer eigenen Ausführungen zu den nichtstudentischen Mitgliedern zu berücksichtigen; sie hoben am Beispiel der ,Amicistenloge' in Jena ( 1 7 9 1 ) und für den ,Unitistenorden' die Verpflichtung zu lebenslänglicher Freundschaft hervor. 2 2 2 A u c h W i l h e l m Fabricius hatte bereits 1891 auf diese Zusammenhänge hingewiesen. Er unterstrich, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit die „Männer in angesehenen Lebensstellungen" als Mitglieder genannt wurden, u m Nachforschungen der Behörden zu verhindern. 2 2 3 D i e s e s wurde dadurch realisiert, daß man „wohl den N a m e n ehemaliger Mitglieder die späteren

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Pietzsch, Das Ordenswesen an der Universität Duisburg, S. 3-6 und Horst Steinhilber, Von der Tugend zur Freiheit. Studentische Mentalitäten an deutschen Universitäten 1740-1800. Hildesheim/Zürich/New York 1995 (Historische Texte und Studien 14), S. 28-41. Zum Problem der Stammbücher als historische Quelle auch: Ernst Meyer-Camberg, Irrtümer in der Studentengeschichte infolge methodologischer Fehler. An Beispielen der frühen Erlanger Geschichte belegt, in: Einst und Jetzt 12 (1967), S. 158-168 und insb. Riederer, Jena und Weimar, S. 165-167. Ssymank/Schulze, Das deutsche Studententum, S. 170 (S. 168 u. 173 auch bezüglich des Amicistenordens in Jena) sowie außerdem Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts, S. 45. Im Konstantistenorden seien „Civil- und Militärpersonen" zwischen 1786 und 1798 Mitglied gewesen: Karl von Raumer, Geschichte der Pädagogik vom Wiederaußlühen klassischer Studien bis auf unsere Zeit. Bde. 1-5. Stuttgart 1843ff., hier Bd. 4: Die deutschen Universitäten ( 2 1854), S. 69. Außerdem Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts, S. 88 (für die Hallesche Loge des Ordens), der betont, daß die Konstantisten „sich den studentischen Charakter ihrer Verbindung mehr gewahrt" hätten als die anderen Orden. Hardtwig, Studentenschaft und Aufklärung, S. 251. Schulze/Ssymank, Das deutsche Studententum, S. 171f. Siehe an dieser Stelle und für viele Passagen der älteren Literatur als Quelle: Graf Guido von Taufkirchen oder Darstellung des zu Jena aufgehobenen Mosellaner- oder Amicistenordens, z.B. S. 116ff. Die .Amicisten' sollen 1770 nach Jena verpflanzt worden sein; vgl. Riederer, Jena und Weimar, S. 164f. Der ,Unitistenorden' wurde 1774 an der Universität Halle gegründet und breitete sich auf zahlreiche Universitäten im Alten Reich aus. Sein Wahlspruch war „Eintracht verbindet treue Freunde". In Halle löste er sich am 11. August 1801 auf. Vgl.: Schulze/Ssymank, Das deutsche Studententum, S. 168f.; Götze, Jenaer akademische Logen und Studentenorden, S. 91 ff.; Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts, S. 88f.; Riederer, Jena und Weimar, S. 165ff. sowie Flemming, Die Geschichte der Hallischen Burschenschaft, S. 250-252. Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts, S. 51.

Lebensstellungen" beifügte. 2 2 4 Schließlich stellt er die Tatsache heraus, daß das „Prinzip der Lebensverbindung" geradezu ein Merkmal für die Praxis der Studentenorden war. 2 2 5 S o kamen angeblich nichtstudentische Mitgliedschaften bei den Studentenorden zustande 2 2 6 - tatsächlich waren dies aber originär studentische Mitgliedschaften, da die betreffende Person als Student d e m Orden beigetreten war und über die Studienzeit hinaus Mitglied blieb. Außerdem deuten neuere Forschungen und Quellenfunde auf die rein studentische Struktur der Orden nach 1770.227 B e i den A k a d e m i s c h e n L o g e n war das Aufnahmeprinzip dagegen nach e i n e m anderen Muster strukturiert. Man konnte in diese Sozietäten augenscheinlich eintreten, o b w o h l man nicht oder nicht mehr Student war. 2 2 8 Im Gegensatz dazu verliefen Mitgliedschaften nach d e m Lebensbundprinzip ausschließlich in zeitlich vertikaler Perspektive. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die Verwandtschaft z w i schen A k a d e m i s c h e n

Logen

und Studentenorden

aufgrund

nichtstudentischer

Mitglieder nur äußerst schwer und unklar zu rekonstruieren ist; zu b e w e i s e n ist sie nicht. Es gilt also i m Einzelfall die j e w e i l i g e Mitgliederstruktur nachzuprüfen; generell deutet vieles auf eine unterschiedliche Mitgliederstruktur beider Gesellschaftstypen hin. Untermauert wird dies außerdem durch spezifisch studentische 224

Ebd. Auf den Seiten 74f. gab Fabricius ein mögliches Beispiel für eine solche Verfahrensweise. Hier werden in Zitaten für den Harmonistenorden in Jena und Heidelberg ein beliebter Privatdozent bzw. ein Dr. O. als Gewährspersonen von einem ehemaligen Mitglied zitiert. 225 Ebd., S. 98 im Kontrast zu den Landsmannschaften. 226 Für den ,Orden der Schwarzen Brüder' siehe beispielsweise: Tyrtäus, Der geheime Bund der schwarzen Brüder, S. 18. Von den beabsichtigten „bürgerlichen Logen" (siehe dazu insb. S. 150-156) ist wohl nur eine (in Nürnberg, S. 18 u. 150) zustande gekommen. Hier handelte es sich möglicherweise auch um ehemalige Studenten, die ihre Ordenszugehörigkeit reaktivieren wollten. 227 vgl. für den .Amicistenorden' in Jena eine Mitgliederliste von 1798 UA Leipzig, Rep. n/XVI/I/2: Die Ordens-Verbindungen der Studiosorum betr., Bl. 3, die Liste weist ausschließlich Studenten auf, siehe auch BI. 4-6; flies wird bestätigt durch: ThHStA Weimar, A 8579: Relegation der Mitglieder des sog. Amicistenordens an der Universität Jena, 1798, Bl. 13, alle in der Untersuchung namhaft gemachten Jenaer Mitglieder waren ausnahmslos Studenten, die mit dem „perpetuo exsilio" bestraft wurden. Für die Jenaer Loge des .Konstantistenordens' hat Jens Riederer die rein studentisch strukturierte Zusammensetzung der Mitglieder nachgewiesen: ders.. Die Jenaer Konstantisten, S. 50ff.; für die Jenaer Verhältnisse insgesamt siehe: ders., Jena und Weimar, S. 164 u. 169f. Auch ein Verzeichnis der Marburger Konstantisten aus dem Jahr 1795 verzeichnet 19 Studenten und einen Magister; Staatsarchiv Marburg Bestand 5 Nr. 4117 fol. 153 (Bericht der Universität Marburg an den Landgrafen) und Meidenbauer, Aufklärung und Öffentlichkeit, S. 390; gleiches gilt auch für eine (wahrscheinlich existente) Leipziger Loge 1798; vgl. UA Leipzig, Rep. II/XVI/I/2: Die Ordens-Verbindungen der Studiosorum betr., Bl. 44, an dieser Stelle werden vier Studenten als Mitglieder genannt. Gegensätzlich äußert sich Stefan Brüdermann, Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert. Göttingen 1987 (Göttinger Universitätsschriften: Serie A, Schriften; 15), darin S. 214-248 das Kapitel 11 über Landsmannschaften und Orden, der für den .Harmonistenorden' und .Unitistenorden' bürgerliche Mitglieder nennt (1794 ein Hofjunker, ein Forstmeister und zwei graduierte Akademiker), S. 238 u. 245; inwieweit diese Mitgliedschaften aus dem Lebensbundprinzip entstammten oder nicht, muß offen bleiben. 228 vgl. die einzelnen Beispiele bei Riederer, Jena und Weimar, S. 108ff. 73

Verhaltensweisen in den Studentenorden, die im Gegensatz zu den Akademischen Logen in ihren Ordenskonstitutionen „nahezu ausnahmslos" als „Verbindungen Studierender" erkennbar blieben.229 Nachdem im Vorangegangenen der Blick über die Zäsur von 1770 hinaus gerichtet wurde, ist schließlich danach zu fragen, ob alle studentischen Verbindungen vor 1770 als Akademische Logen betrachtet werden können. Jens Riederer hat in seiner Untersuchung des Jenaer Milieus darauf hingewiesen, daß es „Übergangsorden" gegeben habe,230 die eine Zwischenstellung eingenommen hätten; sie waren also weder Akademische Logen noch Studentenorden, wobei sie letzteren näherstanden. Er zeigte dies am Beispiel des ,Lilienordens', welcher von Halle aus 1766 nach Jena verpflanzt worden ist.231 Der auch „l'amitié sincère und la noble fortitude" heißende Orden besaß zum einen programmatisch das Niveau einer Akademischen Loge, zum anderen aber eine landsmannschaftlich-studentische Rekrutierung und zum dritten schließlich eine studententypische Praxis.232 Die Existenz von Übergangsorden wird durch andere Beispiele, etwa für Orden an der Universität Halle, bestätigt. Ein eindeutiger Fall ist der sogenannte ,Ιηνίοlable-Orden'. Um 1748 in Halle errichtet, bestand er an der Friedrichs-Universität mit Unterbrechungen durch Verbote und Untersuchungen bis 1774 (in Halle: ,Loge der Tugend'). 233 Der Orden blühte zur Zeit der Akademischen Logen, und dennoch gab er sich als Studentenorden zu erkennen. Zum einen war die Mitgliedschaft von Freimaurern im Orden ausdrücklich verboten.234 Außerdem scheint der InviolableOrden rein studentisch strukturiert gewesen zu sein, da in den Untersuchungsakten zum Orden der Universität Halle ausschließlich Verhöre und Befragungen studen-

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Ebd., S. 169; siehe dazu auch: ders., Die Jenaer Konstantisten, S. 46-50. ° Ebd., S. 170. Zum .Lilienorden' siehe ebd., S. 107f.; außerdem UA Jena, Bestand E Abt. I, No. 42: Schuldenakte des Studenten Nette', den Lilienorden betr., 1766. 232 Ebd. 233 Zum Inviolable-Orden: König, Aus zwei Jahrhunderten, S. 102-107; Gustav Ferdinand Hertzberg, Geschichte der Stadt Halle an der Saale von den Anfängen bis zur Neuzeit, 3 Bde. Halle 1889-1893, hier Bd. 3: Geschichte der Stadt Halle an der Saale während des 18. und 19. Jahrhunderts (1893), S. 287f.; Wilhelm Schräder, Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle. Halle 1894, S. 597f.; Hallisches Tageblatt 71 (1870), Nr. 67, S. 378 (Bericht über einen Vortrag von Prof. Moritz Heyne); Flemming, Geschichte der Hallischen Burschenschaft, S. 248 und Pietzsch, Das Verbindungswesen an der Universität Duisburg, S. 12, 14-16 u. 22 (in Duisburg bestand eine Tochterloge des Inviolable-Ordens, die von Halle aus gegründet wurde). 23

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König, Aus zwei Jahrhunderten, S. 104; Hertzberg, Halle, S. 288 und Pietzsch, Das Verbindungswesen an der Universität Duisburg, S. 12 u. 16; siehe auch Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland, S. 54, der diesen Umstand als typisches Merkmal der Studentenorden hervorhebt. Umgekehrt konnten in Halle beispielsweise Mitglieder des ,Unitistenordens' nicht Mitglied der Halleschen Freimaurerloge werden, vgl. Flemming, Geschichte der Hallischen Burschenschaft, S. 246 sowie Rudolf Maennel, Die Hallische Loge der Societät der ewigen Freundschaft und der Studenten-Orden vom Stern, in: Bundesblatt 2 (1888), Heft 13, S. 343-349, S. 348f.

tischer Mitglieder aufgezeichnet sind.235 Zum anderen stand neben der Freundschaft bis zum Tod - so der Eid des Ordens - das ausgesprochen studentische Ritual der Waffenbeherrschung und des Duells im Mittelpunkt.236 Daß die Mitglieder des Ordens auch Armenunterstützung nach innen und außen betrieben, relativierte die genuin studentischen Merkmale, hob sie aber nicht auf.237 Die Beispiele Lilienorden und Inviolable-Orden zeigen, daß vor 1770 nicht alle studentisch-arkanen Organisationen automatisch als Akademische Logen anzusehen sind. Deshalb ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob es sich um eine Akademische Loge, einen Studentenorden oder aber eine Übergangsform zwischen beiden gehandelt hat. Die arkan-studentische Organisierung im 18. Jahrhundert unterteilte sich in Akademische Logen und Studentenorden, wobei die Zeit um 1770 die Zäsur zwischen beiden Formen bildete. Aufgrund der Existenz von Übergangsformen sowie der oft lückenhaften Quellenlage bzw. dem Fehlen von modernen Fallstudien (mit Ausnahme der Arbeiten zu Jena) muß die Entscheidung über die typologische Zuordnung im Einzelfall getroffen werden. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Mitgliederzusammensetzung. Für eine Akademische Loge ist die gleichzeitige Mitgliedschaft von Studenten und NichtStudenten charakteristisch (zudem waren einzelne Logen gemischtgeschlechtlich organisiert), wobei diese Struktur nicht auf dem Lebensbundprinzip beruhte, wie dies offensichtlich bei den Studentenorden der Fall war. Im folgenden wird eine Loge auch dann als Akademische Loge eingestuft, wenn sie ein .Ableger' einer Loge war, die nachweislich als eine solche identifiziert werden konnte.238 Ein sehr frühes Beispiel für Akademische Logen sind die Logen der .Sozietät der ewigen Freundschaft'. An der geographischen Verbreitung dieser Gesellschaft wird ein weiterer Anhaltspunkt deutlich, der die überständische Zusammensetzung Akademischer Logen unterstreicht: Sie unterhielten auch Ableger in Orten, an denen keine Universität existierte.239 Als die Hallesche Loge im Juni 1751 in Untersuchung geriet, erwähnten mehrere Studenten in den Verhören den Umstand, daß es weitere Logen in anderen Städten geben würde, mit denen man Briefkontakt 235

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Vgl. die Akten im UA Halle, im besonderen die den Konvoluten vorgehefteten Verhörlisten: Rep. 5 Universitätsgericht, Nr. 26: Die Untersuchung des sogenannten Ordens Inviolable betr. 1766-, Rep. 5 Universitätsgericht, Nr. 27: Acta die Untersuchung des Ordens Inviolable ingleichen des Amicistenordens betr. 1768\ Rep. 5 Universitätsgericht, Nr. 29: Acta die Untersuchung des wieder neuerlich entstandenen Inviolable Ordens betr. 1774. UA Halle, Rep. 5 Universitätsgericht, Nr. 26: Die Untersuchung des sogenannten Ordens Inviolable betr. 1766, Bl. 1-B1. 2'; König, Aus zwei Jahrhunderten, S. 106 sowie Schräder, Geschichte der Friedrichs Universität, S. 598. König, Aus zwei Jahrhunderten, S. 105. Dieser KompromiB war nötig, da aufgrund der schlechten Quellenlage der Beweis in einem Teil der Fälle nicht direkt geführt werden konnte. Vgl. dazu exemplarisch die archivalisch belegte geographische Verteilung der Logen des Ordens ,l'Espérance' bei Riederer, Jena und Weimar, S. 116 sowie auch Gotthold Deile, Wieland als Freimaurer, sein Verhalten gegen die ,Akademische Loge Sincera Concordia' in Erfurt und sein Verhältnis zur Freimaurerloge .Amalia' in Weimar. Erfurt 1910, S. 10.

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hielt und sich etwa über neuaufgenommene Mitglieder gegenseitig informierte. Demzufolge waren neben der Hallenser Loge weitere Logen in Leipzig (bereits für 1749 belegt), Rinteln, Göttingen, Helmstedt, Braunschweig und im altmärkischen Tangermünde tätig;240 in der Literatur wird außerdem Dresden als Sozietätsstandort genannt.241 In diesen Logen seien „lauter vornehme auch zum Theil Standes=Personen" Mitglied.242 Auch wenn diese Behauptung den Anschein eines Entlastungsarguments aufweist, um sich einen vorzeigbaren Leumund zu verschaffen, zeigen doch die Logenstandorte, an denen keine Universität angesiedelt war, daß sich die Sozietät der ewigen Freundschaft auch auf nichtstudentische Kreise erstreckte. Zudem wohnte auch der angebliche Gründer der Sozietät von Stuttnitz in keiner Universitätsstadt (Braunschweig).243 Die bereits 1750 arbeitende Loge in Halle244 bestand aus 16 Studenten, die unter der Leitung eines Dr. Erpel stand; dieser fungierte als „Ober=Vorsteher".245 Offensichtlich waren die Mitglieder gut auf die Untersuchung vorbereitet. Es wurde ausgesagt, daß Dr. Erpel nun nicht mehr in Halle sei und die Einrichtung der Sozietät auf den Zusammenschluß einiger guter Freunde ziele, die sich um beständige Freundschaft und friedlichen Umgang miteinander unter dem Zeichen und Wahlspruch „V.L.I." (vive l'innocence) bemühten. Die Gesetze seien weder niedergeschrieben noch gedruckt, würden jedoch bei den Zusammenkünften verlesen, um

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Freimaurer-Museum Bayreuth, 10363: Untersuchungs Acta die errichtete Societas der ewigen Freundschaft betr., 1751, [Halle], Bl. 1, 1', 5, 8 u. 10. Der stud. jur. Johann Heinrich Carl Hetzer gab am 7. Juli 1751 zu Protokoll, bereits vor ungefähr zweieinhalb Jahren in Leipzig rezipiert worden zu sein. Siehe zur Sozietät auch: Maennel, Die Hallische Loge der Societät der ewigen Freundschaft, insb. S. 343-346, dem offensichtlich ebenso die Untersuchungsakten vorlagen. Siehe außerdem die kurzen Erwähnungen bei: Wilhelm Begemann, Der Orden der Unzertrennlichen des achtzehnten und die Fruchtbringende Gesellschaft des siebzehnten Jahrhunderts. Berlin 1911, S. 25; Hertzberg, Halle, S. 287f„ Anm. 2 und Flemming, Geschichte der Hallischen Burschenschaft, S. 246. Siehe: Richter, Concordienlogen im Orden der Unzertrennlichen, S. 107. Der an dieser Stelle nachzulesenden Behauptung, die Logen der Sozietät seien Bestandteile eines .Ordens der Unzertrennlichen' gewesen, muß mit großer Skepsis begegnet werden, da die Konstruktion einer entsprechenden Ordensgeschichte von ca. 1750 bis ca. Mitte der 1780er Jahre mit großen Zweifeln betrachtet werden muß. Vielmehr deutet in der studentenspezifischen Organisationsgeschichte des 18. Jahrhunderts einiges auf eine Vielzahl unterschiedlicher Gründungen hin, die sich z.T. in der Namensgebung ähnelten, sich aber ansonsten als eigenständige Einheiten präsentierten - so eben auch die .Sozietät der ewigen Freundschaft' um 1750; vgl. dazu auch Riederer, Jena und Weimar, S. 165f. Freimaurer-Museum Bayreuth, 10363: Untersuchungs Acta die errichtete Societas der ewigen Freundschaft betr., Bl. 5; siehe auch Maennel, Die Hallische Loge der Societät der ewigen Freundschaft, S. 344. Ebd., Bl. 14'; Maennel, Die Hallische Loge der Societät der ewigen Freundschaft, S. 344f. auch: „Studnitz". Ebd., Bl. 6'. Der stud. jur. Carl Wentzel von Scopp gab am 7. Juli 1751 zu Protokoll, daß er bereits seit einem Jahr in der Sozietät gewesen sei. Ebd., Bl. 1 u. 8; zu Erpel siehe die vagen Angaben bei Maennel, Die Hallische Loge der Societät der ewigen Freundschaft, S. 345.

darüber „zu deliberiren".246 Auch über den Tag der Zusammenkunft machten die Studenten zumeist identische Aussagen: es sei der Sonntag gewesen - um die Collegia während der Woche nicht zu versäumen - an dem man eine Tasse Kaffee getrunken und eine Pfeife geraucht habe; gespielt und viel getrunken werde nicht. Außerdem würden sie „nichts gefährliches wider den Staat" betreiben und hätten aus ihrer Kasse, deren Beiträge auf Freiwilligkeit beruhten, auch öfter einmal etwas an Arme gespendet, was nun nicht mehr geschehe, da man nicht den Eindruck erwecken wolle, es sei etwas Interessantes an der Sozietät. Lediglich in der Frage des Vorstehers waren sich die Logenbrüder uneinig: Zum einen gab man an, daß es zur Zeit keinen Vorsteher gebe, andererseits wurde berichtet, dies sei der Student Wessling.247 Die Taktik war eindeutig: man wollte möglichst wenig über Logeninterna preisgeben und zugleich selbst in gutem Licht erscheinen. Auf die Fragen der Untersuchungskommission nach den Gesetzen, dem Logenbuch, der Kasse sowie den Zeremonien erging man sich in Ausflüchten: Ein Logenbuch über Mitglieder und Korrespondenzen gebe es nicht, und über den Inhalt der Zeremonien, an denen nichts Gefährliches sei, müsse man laut Verpflichtung schweigen.248 Auf Drängen und unter Androhung von Karzerstrafen gaben zwei Mitglieder der Loge dann doch nach. Am 31. Juli übergaben sie das Gesetzbuch der Sozietät und versprachen zugleich, zwei weitere Bücher vorzulegen, in denen die Halleschen und die auswärtigen Mitglieder (wohl der anderen Logen) verzeichnet seien.249 An dieser Stelle brechen die Informationen ab. So kann die in den einzelnen Protokollen angedeutete überlokale Verbreitung der Sozietät ebenso wenig eingehender geprüft werden wie die Frage nach weiterer Beteiligung nichtstudentischer Mitglieder; immerhin behauptet Max Flemming in seiner Geschichte der Hallischen Burschenschaft, daß die Sozietät eine „Loge" gewesen sei, die „Studenten und Professoren zu Mitgliedern hatte".250 Auch die Frage, ob es sich tatsächlich bei der Loge um einen reinen Freundschaftsbund gehandelt hat, oder ob die Mitglieder möglicherweise auch freimaurerisch inspirierte oder andere - aufklärerische - Themen bearbeiteten, muß offen bleiben. Eine enge Verbindung zur Freimaurerei, wie es Hertzberg in seiner Halleschen Stadtgeschichte behauptete,251 scheint die Sozietät nicht gehabt zu haben: Es waren keine freimaurerischen Mitgliedschaften für die Brüder der Sozietät der ewigen Freund-

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