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German Pages 318 [319] Year 1986
Einkommenstheorie Bearbeitet von Prof. Dr. W erner Hofmann
Sozialökonomische Studientexte Herausgegeben von Prof. Dr. W erner Hofmann
Band2
Einkommenstheorie Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart
Bearbeitet von
Dr. Werner Hofmann Professor für Nationalökonomie und Soziologie an der Universität G öttingen
DUNCKER
&
HUMBLOT · BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Hofmann, Werner: Einkommenstheorie: vom Merkantilismus bis zur Gegenwart I bearb. von Werner Hofmann. - 3. Aufl., unveränd. Nachdr.- Berlin: Duncker und Humblot, 1986. (Sozialökonomische Studientexte; Bd. 2) ISBN 3-428-01512-6 NE:GT
Dritte Auflage Unveränderter Nachdruck der ersten (1965) und zweiten (1971) erschienenen Auflage Alle Rechte vorbehalten & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Printed in Germany
© 1986 Duncker
ISBN 3-428-01512-6
Dem Andenken Adolf Webers 1876- 1963
Vorwort Die Aufnahme, welche der erste Band der "Sozialökonomischen Studientexte" (Wert- und Preislehre) gefunden hat, rechtfertigt den neuartigen Versuch, dem beflissenen Leser die Hauptetappen der nationalökonomischen Theorie durch kommentierte Auszüge aus den Werken bedeutender Nationalökonomen der Vergangenheit und Gegenwart nahezubringen. Vor allem dem studentischen Leser den kritischen Umgang mit den literarischen Quellen zu erleichtern und ihm hierbei zugleich das sekundäre Schrifttum in geordneter Form zu erschließen ist um so notwendiger geworden, als die fortgesetzte Inflationierung auch der Preise, die auf den Märkten des Geistes gefordert werden, der Beziehung des Studierenden zum Buche nicht förderlich ist. Auch in dem vorliegenden Textband werden Proben aus den Werken zahlreicher älterer und neuerer Autoren anderer Länder - W. Petty, D. North, J. Locke, J. Anderson, Th. Spence, J. F. Bray, J. B. Clark, F. Machlup, J. R. Hicks, A. C. Pigou - erstmals in deutscher Sprache wiedergegeben. Auch da, wo bereits deutsche Obersetzungen vorliegen, sind diese mit dem Original sorgsam verglichen und Fehler berichtigt worden. Besonders wichtige oder eine verschiedenartige Interpretation zulassende Begriffe sind im deutschen Text in der Originalsprache beigegeben worden. Einer Durchsicht von Partien der Schrift haben sich dankenswerter Weise unterzogen die Herren Prof. Dr. A. Hanau (Göttingen), Prof. Dr. G. Rittig (Göttingen), Dr. G. Stavenhagen (Göttingen) und Dipl.-Kaufmann J. Vasthoff. Die aus ihren eigenen Veröffentlichungen stammenden Texte haben geprüft Prof. Dr. E. Preiser (München) und Frau Prof. E. Liefmann-Keil (Saarbrücken). - Die Wiedergabe der Texte erfolgt im Einverständnis mit den Verlagen- soweit noch bestehendund mit den lebenden Autoren. -Für mancherlei Handreichung habe ich vor allem Herrn Dipl.-Volkswirt F . ButtZer zu danken. Der Registerarbeit hat sich Herr cand. rer. pol. R. Witt unterzogen. - Die AdolfWeber-Stiftung (Frankfurt/M.) hat das Entstehen auch dieses Bandes gefördert. Göttingen, Oktober 1965
Werner Hofmann
Inhalt Einleitung Erster Teil: Das Entstehen der Einkommenslehre
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Erster Abschnitt: Einkomm e n s b i 1 d u n g a 1 s Ergebnis der Märkte: Die Lehre der Merkanti 1 ist e n . . . . . . . . . . . . . .
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A. Die Grundrente: William Petty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Der gewerbliche Gewinn: James Steuart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Der Leihzins: Dudley North . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Wesen des Zinses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Höhe des Zinses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Für und Wider einer gesetzlichen Zinssetzung . . . . . . . . . . . . 4. Grenzen der öffentlichen Zinspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Der Arbeitslohn: Bernard Mandeville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Produktivität niedriger Löhne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgerungen für die merkantilistische Arbeitspolitik . . . . . . . . . .
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Zweiter Abschnitt: Die Einkommens b i I dun g a 1 s Ergebnis der Produktion; die Lehre der Physiokraten: T urg o t................... .. ............. ..... ................. .. . 1. Der produit net . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Landarbeit als einzige Quelle eines Mehrertrages . . . . . . b) Produktiv und unproduktiv arbeitende Klassen . . . . . . . . . . . . 2. Die Aneignung des produit net durch Nichtarbeitende . . . . . . . . 3. Die Umverteilung des produit net und die Bildung von Kapital a) Begriff des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Kapitalbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die kapitalbildende Klasse: Die Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . d) Arten des Kapitalgewinns: Handelsprofit und Leihzins . . . . . . e) Ausgleichstendenz zwischen den Gewinnspannen . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zweiter Teil: Die Entfaltung der Einkommenslehre: Die Klassik
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A. Der Arbeitslohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verhältnis der Lohnarbeit als Grundlage: Adam Smith . . . 2. "Natürlicher Preis" und "Marktpreis" der Arbeit: David Ricardo 3. Die Nachfrage nach Arbeitskräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Lohnfondstheorie: Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Tendenz des "Lohnfonds". Freisetzung von Arbeitern durch Maschinen: David Ricardo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt 4. Das Angebot an Arbeitskräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Arbeitsbevölkerung und Lohnhöhe: Adam Smith . . . . . . . . . . . 65 b) Die Not der Arbeitenden als Naturgesetz: Thomas Robert Maltbus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Der Kapitalgewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Das Verhältnis des Kapitalprofits zu Lohn und Grundrente:
Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Das tendenzielle Sinken der Profitrate: David Ricardo . . . . . . . . 75
C. Die Grundrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Zeitgeschichtliche Voraussetzungen der klassischen Grundrentenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Die Natur der Differentialrente: James Anderson . . . . . . . . . . . . . 79 3. Die Tendenz der Differentialrente: David Ricardo . . . . . . . . . . . . 81 a) Tauschwert und Rente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Das tendenzielle Steigen der Differentialrente . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Wirtschaftspolitische Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 d) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
D. Von der Drei -Klassen-Theorie zur Lehr e von den drei Produktionsfaktoren: Jean-Baptiste Say . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Nutzbarmachung der Dinge und die Produktionsagenten b) Die Gleichartigkeit der Einkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellung der Lehre in der Theoriegeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dritter Teil: Einkommenslehre und Sozialkritik
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Erster Abschnitt: Sozialreformerische Kritik . ..... . .... .. .
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A. Kritik der Grundrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Öffentliches Bodeneigentum als Grundlage der allgemeinen
Wohlfahrt: Thomas Spence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerung der Rente als Weg aus der Armut: Henry George a) Der Widerspruch von Fortschritt und Armut . . . . . . . . . . . . . . b) Die Grundrente als Abzug von Lohn und Gewinn . . . . . . . . . . c) Das Heilmittel: Entzug der Grundrente durch eine "einzige Steuer" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Brechung der "Bodensperre" durch ländliche Siedlung : Franz Oppenheimer . .. . ..... . ... . . .. .. . . .. . . ... . . . . . .. . . . . ..... . . ... a) Die Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Kri ti k d es Kapit algewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das "Recht auf den vollen Arbeitsertrag" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) John Francis Bray . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ferdinand Lassalle .. .. . . . ......... . .. . . . . . .. ... . ....... . . . 2. Das "Gesetz der sinkenden Lohnquote" und seine Überwindung durch staatliches Eingreifen: Carl Rodbertus ..... . . . .... .. . .. . a) Die "Rente" als Ergebnis der Aneignung fremden Produktwertes .. .. .... . . . .. . ..... . . . .. .. . . . . . .. .. .. .... .. ... .....
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Inhalt
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b) Sinkende Lohnquote und Handelsstockungen . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Die Gesellschaftsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 d) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Zweiter Abschnitt: Sozi a I ist i s c h e Kritik: Kar I M a r x . ..... 126 A. Kapitatverhättnis und Mehrwert ..... . .. .. . .. ............ .... . .. 1. Einfache und kapitalistische Warenproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Arbeitskraft als Quelle des Mehrwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Arbeitskraft als Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Wert der Arbeitskraft . .. .. . . . . . ... . . .... .... . . . . ... .. . c) Der Gebrauchswert der Arbeitskraft in der Produktion und der "Mehrwert" ...................... . ............. .... ... 3. Die Elemente des Warenwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) "Konstantes" und ,.variables" Kapital . ............. . . . . .. .. b) Masse und Rate des Mehrwerts ...... .. ..... . ...... . ... . . . . c) Der Arbeitslohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die gesetlschaftHche Verteitu.ng des Mehrwerts . .. . ... . .. ... ..... 1. Der Profit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Profit als Erscheinungsform des Mehrwerts . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Aufteilung des Profits zwischen produktivem und kommerziellem Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Leihlrapital und der Zins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Grundrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die absolute Rente .... . . ... . . . . . ......... . .. . . ..... . . . . . .. b) Die Differentialrente . . .. . .. . ..... .. ......... . .. . ...... . ... c) Die Renteneinkommen in der Entwicklung . . ........... . . ... d) Würdigung ........................................... .. .. .
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C. Das ,.aHgemeine Gesetz der kapitatistischen Akku.mu.tation" . . . . . . 1. Steigende Produktivität der Arbeit und Entwicklung des ,.relativen Mehrwerts" ... .................. .... . . . .. .. . ..... . .. .. 2. Die "Akkumulation des Elends" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Höhere "organische Zusammensetzung" des Kapitals und ,.industrielle Reservearmee" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Tendenz des Arbeitslohns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Pauperismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die entäußerte Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der dialektische Umschlag der Geschichte: die "Expropriation der Expropriateure" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vierter Teil: Einkommenslehre aus dem Geiste der Rechtfertigung 161 Erster Abschnitt: Subjektivistisch begründete Ein k o mm e n s I e h r e : d i e G r e n z n u t z e n t h e o r i e . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A. Die Lehre vom Arbeitslohn: William Stanley Jevons . . . . . . . . . . . . 1. Die ,.Grenzäquivalenz von Arbeit und Nutzen" . . . .. . ...... . .. . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lohnpolitische Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt B. Die Lehre vom Kapitalzins: die Zeitdifferenztheorie Böhm-Bawerks 1. Das "Wesen des Kapitals" ............ ... ............... .. .... 2. Die Minderschätzung künftiger Güter und der Kapitalzins .. .. 3. Die Zeitdifferenztheorie des Zinses in der weiteren Lehrgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Kritik der Lehre . .... . ......... . . . . ..... . ........ . . .. ....
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C. Die Lehre von der Rente: Friedril:h v. Wieser .......... . ... . . . ... 1. Die agrarische Rente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Stadtbodenrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verallgemeinerung des Rentenprinzips .. .. . .... .. . . .. . .. . .. . . . 4. Zur Weiterentwicklung der Rententheorie . . . . . ... .... . ..... ..
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Zweiter Abschnitt: 0 b je k t i v ist i s c h e Begründung der Einkommenslehre: Die Grenzproduktiv i tätst h e o r i e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
Johann Heinridt von Thünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Theorie der Rente und der agrarischen Bodennutzung . . . . . . . . . a) Die Methode der isolierenden Abstraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Agrarpreise und Umfang der landwirtschaftlichen Produktion ............ .... ............. ..... . .. . .. ....... . . ... .. c) Agrarpreise und Intensitätsgrad der landwirtschaftlichen Produktion ........ . ................. . ....... . ... . ... . . . . . . d) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der ,,natürliche Arbeitslohn" in seinem Verhältnis zu Rente, Zins und Unter nehmergewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Verhältnis von Lohn und Grundrente ..... .... .. . . . .... b) Das Verhältnis von Lohn und Zins . . . . .......... .. . . . . . .. . c) Das Verhältnis von Lohn und Unternehmergewinn .. ..... ... d) Die Übereinstimmung der gesellschaftlichen Interessen . . . . . . e) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
A. Grundlegung der Grenzproduktivitätstheorie:
189 189 189 191 193 195 197 198 199 202 204 205
B. Systematisierung der G r enzproduktivitätstheorie: John Bates Clark 206 1. Die statische tauschlese Wirtschaft ... ... . . ... . . . ........ ... ... 2. Die Tauschwirtschaft, statisch betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Grenzproduktivität als Einkommensbestimmungsgrund b) "Kapital" und "Arbeit" als "konkrete" und als "gesellschaftliche" Erscheinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleichgewichtseinkommen und Gleichgewichtspreise . . . ... .. d) Die Proportionierung von Kapital und Arbeit nach dem Grenzprinzip ....... . .. . ... . . . .. . ....... ... . .... ......... . . 3. Von der Statik zur Dynamik . . . ... .. ...... . ..... . . . . ........ .. 4. Folgerungen .. . . . ............. ... . . ............ .. . . . . ... .. ...
207 208 208 210 212 215 216 217
C. Das Grenzproduktivitätstheorem in der wei t eren Lehrgeschi chte:
Fortbildung und Kritik .. ................. ... ........... ..... .... 219 1. Allgemeiner Entwicklungsgang ... . ..... . ... ............ .. . .... 219
2. Überprüfung der Begriffe: Fritz Madtlup . . . . ... . .. .. ..... ... . . a) G eltungsbereich d es Grenzproduktivitätstheorems ... . . . .. .. b) Die Methodik der Grenzwertbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Frage der Verifizierbarkeit des Grenzproduktivitätstheorems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt 3. Von der Grenzproduktivitätstheorie zur Lehre von den Produktionsalternativen: Paul Anthony Samuelson .......... . .. ..... a) Die Regel der Minimalkostenkombination im Betrieb . . . . . . b) Maximierung des Gesamterfolges und Entscheidungsalternativen des Unternehmens ............ . . . ......... . ....... 4. Zur Würdigung der Grenzproduktivitätslehre ........... . . . . ... a) Anwendungsbereich ................ . . .. ........... . . ... . .. b) Der Begriff der Produktivität .... .. . .. . .. ........ . ...... . . . c) D ie Grenzproduktivitätslehre als Ideologie ....... . ... . .. .. . .
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Fünfter Teil: Macht oder ökonomisches Gesetz in der Einkommensverteilung
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A. Die Theorie des Lohnkampfes: John R. Hider, so geht auch Rodbertus davon aus, ., ... daß das gesamte Nationaleinkommen nichts als der Ertrag der nationalen Arbeit, gegenwärtiger wie früherer, ist." (3, S. 3; vgl. auch 1, I, S . 37, 104) Auch der Marktwert der Einzelware gravitiert zu dem durch den Arbeitsaufwand bestimmten .,Normalwert" hin. (1, I, S. 26 und passim.) Dieser
Normalwert würde ungeschmälert den Arbeitenden selbst zufallen, wenn nicht das Privateigentum zwischenträte und einen Teil des Arbeitsergebnisses als Rente - worunter für Rodbertus sowohl Grundrente als auch Kapitalgewinn fallen- für sich beanspruchte: "Rente ist ... alles Einkommen, was ohne eigene Arbeit, lediglich auf Grund eines Besitzes bezogen wird." (1, I, S. 50) Geschichtliche Voraussetzung hierfür ist 1. Mehrergiebigkeit der Arbeit über den notwendigen Bedarf der Arbeitenden hinaus, 2. das .,positive Recht" des Eigentums, das den Ertrag dieser Mehrergiebigkeit Nichtarbeitenden in die Hände gibt. (Vgl. 1, I, S. 50 f., 131 f.) .,Auch die Kapitalrente ist ein Abzug von dem Lohne, der, wenn das Kapital keinen Privateigentümer hätte, dem Arbeiter ganz zufallen würde. Lediglich das Privateigentum an Boden und Kapital, lediglich diese positive Rechtsinstitution, welche den Grund- und Kapitaleigentümern auch das Eigentum am Arbeitsprodukt verleiht und deshalb die Arbeiter zwingt, sich mit einem kleinen Teil ihres eigenen Produkts zu 7 Hier zitiert nach: Schriften von Dr. Carl Rodbertus-Jagetzow, Bd. I, Berlin 1899.
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1. Abschnitt: Sozialreformerische Kritik
begnügen, lediglich diese positive Rechtsinstitution ist es, die den Ertrag der nationalen Arbeit, gegenwärtiger wie früherer, in Arbeitslohn und Rente überhaupt teilt." (3, S. 4) Die so verstandene "Rente" ist kein Zuschlag zum Arbeitswert der Waren, sondern vielmehr ein Abzug von der Vergütung, die unter den Bedingungen einer "Staatswirtschaft ohne Grund- und Kapitaleigentum" ganz der Arbeit zukommen würde. (Vgl. 3, S. 13 ff.) "Heute, in einem Zustande mit Grund- und Kapitaleigentum und freier Konkurrenz für die Verwertung der Arbeit daneben, wird dies Gesetz der natürlichsten und einfachsten Gerechtigkeit durch und durch auf das Gröblichste verletzt." (3, S. 202) "In einer Gesellschaft, wie sie hier vorausgesetzt ist und wie sie heute noch wirklich besteht, sind die Anteile der Arbeiter, Grundbesitzer und Kapitalisten am Produkt nicht durch eine soziale Vorsicht, durch ein v e r n ü n f t i g e s gesellschaftliches Gesetz geregelt, sondern gleichfalls den Wirkungen des sich selbst überlassenen Tauschverkehrs, den sogenannten , n a t ü r l i c h e n ' gesellschaftlichen Gesetzen überlassen." (1, I, S. 71) Für die Arbeitenden bedeutet dies, daß ... " ... unter der Herrschaft der freien Konkurrenz ... der Lohn im allgemeinen und auf die Dauer auf dem Betrage des notwendigen Unterhalts, d. h. einem für ein bestimmtes Land und einen bestimmten Zeitraum ziemlich gleichen, bestimmten realen Produktquantum festgehalten wird". (1, I, S. 188 f.; vgl. auch 4, S. 213)
b) Sinkende Lohnquote und Handelsstockungen Das unbarmherzige Gesetz des Existenzlohns schließt die Arbeitenden auch von den Früchten ihrer wachsenden Produktivität aus: "Weil die Arbeit als Ware auf den Markt gebracht wird, weil derjenige Teil von ihrem eignen Produkt, den ihr ,Tauschwert' bestimmt, nach dem ,notwendigen Unterhalt' gravitiert, weil der notwendige Unterhalt ein bestimmtes Quantum realer Unterhaltsmittel ist, das sich nach den Bedürfnissen des Arbeiters und nicht nach der Fülle des Produkts seiner Arbeit richtet, wird die Arbeit, die durch das Grund- und Kapitaleigentum schon ihres vollen Produktwerts beraubt und auf den kleinsten Teil desselben herabgesetzt war, n u n a u c h n o c h v o n dem Mitgenuß ihrer steigenden Produktivität ausg es c h los s e n." (3, S. 202 f .) So kommt es, "d a ß b e i s t e i g e n d e r P r o d u k t i v i t ä t d e r gesellschaftlichen Arbeit der Lohn der arbeitenden Klassen ein immer kleinerer Teil des Nationalprodukts wird". (1, I, S. 37; vgl. auch S. 72, 81, li, S. 20; 5, S. 223, 225)
Kritik des Kapitalgewinns
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Sein ,.Gesetz der sinkenden Lohnquote" hat Rodbertus auch statistisch nachzuweisen gesucht. (Vgl. 1, 11, S. 86 f.) Dieses fatale Gesetz eines ökonomischen ,.Systems des freien Verkehrs" schlägt nun in Gestalt periodisch wiederkehrender Handelsstockungen auf die Kapitalverwerter selbst zurück. Solche Krisen sind - wie Rodbertus gegen v. Kirchmann geltend macht - nicht in erster Linie der mangelnden Vorausschau und Übersicht der Unternehmer geschuldet, auch nicht der absoluten Not der arbeitenden Schichten. Vielmehr ... " ... rührt hier die eintretende Not der arbeitenden Klassen lediglich aus der Absatzstockung selbst her und nicht etwa aus dem dürftigen Arbeitslohn, der bezahlt wurde. Allen unseren Handelskrisen ist in der Regel ein verhältnismäßig reichlicher Arbeitslohn vorausgegangen." (3, s. 50) Rodbertus weist, zu Recht, eine moralisierende Betrachtung der Handelskrisen ab: "Stellen Sie [der angeredete v. Kirchmann; W. H.] sich die Anteile der arbeitenden Klassen so groß vor, wie Sie wollen, lassen Sie sie aber unter der Zunahme der Produktivität zu einer immer kleineren Quote des Nationalprodukts herabsinken, so werden diese Anteile zwar bis dahin, daß sie auf ihre heutige Geringfügigkeit zurückgebracht sind, immer noch vor übergroßer Entbehrung schützen, denn ihr Produktinhalt wird noch immer bedeutend größer als heute sein, aber sie werden dennoch sofort, als sie zu sinken beginnen, jene zu unsern Handelskrisen sich steigernde Unbefriedigung nach sich ziehen, die ohne Verschulden der Kapitalisten, ja nur deshalb eintritt, weil die Kapitalisten den Umfang ihrer Produktion nach der gegebenen Größe der Anteile einrichteten." (3, S. 59) Gerade die Anpassung der Unternehmungen an die mangelnde Kaufkraft - eine Anpassung, die gelegentlich recht jäh geschieht - bringt die Krise hervor, die daher dem Wirtschaftssystem als solchen immanent ist. Denn, wie Rodbertus, allerdings im Gegensatz zu dem oben Wiedergegebenen, meint: "Die Armut der arbeitenden Klassen läßt niemals zu, daß ihr Einkommen ein Bett für die anschwellende Produktion abgebe." (1, II, S . 176) Von hier aus kommt Rodbertus zur gründlichen Kritik eines Zustandes, in welchem ,.überhaupt nicht für die Bedürfnisse der Arbeit, sondern nur für die Bedürfnisse des Besitzes produziert" werde (3, S. 193): "Welche Widersprüche ... auf dem wirtschaftlichen Gebiete insbesondere! Und welche Widersprüche auf dem gesellschaftlichen Gebiete überhaupt! Der gesellschaftliche Reichtum nimmt zu, und die Begleiterin dieser Zunahme ist die Zunahme der Armut. - Die Schöpfungskraft der Produktivmittel wird gesteigert, und deren Einstellung ist davon die Folge.- Der gesellschaftliche Zustand verlangt die Erhebung der mate-
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1. Abschnitt: Sozialreformerische Kritik
riellen Lage der arbeitenden Klassen zu gleichererHöhe mit ihrer politischen, und der wirtschaftliche Zustand antwortet mit deren tieferer Erniedrigung. - Die Gesellschaft bedarf des ungehinderten Aufschwungs ihres Reichtums, und die heutigen Leiter der Produktion müssen denselben hemmen, um nicht der Armut Vorschub zu leisten.- Nur Eines ist in Harmonie! Der Verkehrtheit der Zustände entspricht die Verkehrtheit des herrschenden Teils der Gesellschaft, die Verkehrtheit, den Grund dieser Übel da zu suchen, wo er nicht liegt." (1, II, S. 183 f.)
c) Die Gesellschaftsreform Ein Zustand läßt sich für eine ferne Zukunft denken, in dem Boden und Kapital "Gesamteigentum" sind und nur noch "Einkommenseigentum", d. h. Eigentum am "ganzen Wert des individuellen Arbeitsprodukts" besteht. (Vgl. 3, S. 115 f., 122 f., 212; 1, II, S. 209 ff.) Der Weg zu diesem Zustand wäre Rodbertus zufolge ziemlich einfach und würde in der öffentlichen Zwangsablösung der vorhandenen Rechtstitel bestehen, wie sie die Privatwirtschaft selbst gegenwärtig ohnehin schon betreibt. (Vgl. Th. Kozak, 1, S. 252.) In einem solchen idealen Zustande würde das Arbeitswertprinzip bei der Entgeltung der Arbeitenden konsequent durchgeführt werden. Freilich gilt, " . . . daß der Arbeiter in keinem Gesellschaftszustande sein ganzes Normalarbeitsprodukt erhalten, niemals in seinem Lohn die von ihm geleistete ganze Normalarbeit bescheinigt erhalten kann", ... da stets notwendige Abzüge zur Befriedigung von Gemeinschaftsbedürfnissen etc. zu machen sind. (6, S. 345; 3, S. 158.) Der Beschäftigte kann nicht seinen vollen "Zeitarbeitstag", sondern nur seinen "Werkarbeitstag" vergütet erhalten. (Vgl. 6.) Wenn also eine "kommunistische" Ordnung ohne Grund- und Kapitaleigentum als Zukunftsmöglichkeit durchaus nicht von der Hand zu weisen ist, so ist allerdings Rodbertus .. . " ... weit entfernt, eine solche Organisation schon der Gegenwart vorzuschlagen". (1, I, S. 329; H.) Er will sich vielmehr "auf solche Vorschläge beschränken, welche ... das grausame Gesetz eines sich selbst überlassenen Verkehrs, das Gesetz, daß der relative Lohn der Arbeit in dem Verhältnis sinkt, als sie selbst produktiver wird, - in sein Gegenteil umzukehren beabsichtigen." (1, I, S. 330) Rodbertus meint, "daß, wie die Geschichte von jeher ,nur in Kompromissen fortgeschritten ist', auch nur ein Kompromiß zwischen Arbeit und Grund- und Kapitaleigentum die nächste Aufgabe unserer Wissenschaft ist". (3, S. 228) Nicht die Eigentums- sondern die Verteilungsverhältnisse sollen geändert werden. Dazu verhilft weder die Produktivassoziation (7, S. 327 ff.; vgl. auch Kozak, 1, S. 201 f.) noch das allgemeine Wahlrecht (7, S. 333; 8, I, S. 139 f.), wie
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Rodbertus mit Wendung gegen Lassalles Bestrebungen ausführt. Vielmehr ist allein der Staat, als das Element des sozialen Zusammenhalts und der geschichtlichen Kontinuität im allgemeinen Wechsel, befugt und befähigt, " ... die GeseLlschaft aus unserer auf dem Grund- und Kapitaleigentum
beruhenden abgelebten Staatenordnung in die ihr geschichtlich folgende, schon in den meisten sozialen Verhältnissen wie zur Geburt sich regende und rührende h ö h e r e S t a a t e n o r d n u n g aLlmählich, au.f friedlichem Entwicklungswege ein zu f ü h r e n. Es fragt sich dann, in welcher Weise könnte dies vermittelst eines Lohnsystems geschehen,
welches sowohl die Funktionen des Grund- und Kapitaleigentums einstweilen noch als unumgänglich notwendig anerkennt, als auch dessen gegenwärtige Rentenbeträge nicht kürzt, wohl aber schon den arbeitenden Klassen diejenige Steigerung ihres Anteils am Nationaleinkommen zuwendet und sichert, welche die Steigerung der nationalen Produktivität zuläßt und dadurch die Gegenwart mit der Zukunft vermittelnd verbindet?" (Brief von Rodbertus an R. Meyer, 1873, zitiert nach Kozak, 1, S. 221) Dies kann geschehen, indem der Arbeitswert - gemessen am "Normalarbeitstag" -, der bisher Regulator des sich selbst überlassenen Produktenmarktes war, zum allgemeinen Ordnungsprinzip auch der planvollen gesellschaftlichen Verteilung gemacht wird: Das soziale Konfliktverhältnis läßt sich "mittelst Normalarbeit lösen, und zwar, ohne daß man dem Grund- und Kapitaleigentum von seinem
heutigen Grundrenten- und Gewinnbetrage etwas fortzunehmen braucht. Man braucht nämlich nur den Mehrlohn auf die Zukunft, auf die steigende nationale Produktivität anzuweisen, braucht nur zu verhindern, daß auch für alle Zukunft dies Plus einer steigenden Produktivität der Grundrente und dem Kapitalgew i n n a l l e i n z u w a c h s e. Die geschieht, wenn a) der Produktwert, wenigstens der Lohngüter, nach Normalarbeit k o n s t i t u i e r t wird;
b) der Lohn als Quote dieses nach Normalarbeit berechneten Produktwertes fixiert wird; c) Anstalten getroffen werden, welche die Real i sie r u n g dieses Lohnes nach dem ungewandten Maß in Lohngütern sichern." (6, S. 351; vgl. auch 3, S. 125ff., 137 ff.) Was das letztere angeht, so läßt sich schon die Erstlingsschrift von Rodbertus (Die Forderungen der arbeitenden Klassen, 1837) hierüber näher aus. Drei Maßregeln wären erforderlich:
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1. Abschnitt: Sozialreformerische Kritik
"Die erste wäre eine gesetzliche Wertbestimmung aller Güter nach Arbeit, die sich von Zeit zu Zeit mit der Veränderung der Produktivität auch verändern müßte, jedoch würde dieselbe lediglich in Bezug auf die Arbeiter vorgenommen; die zweite wäre die Kreierung eines an diese Wertbestimmung sich eng anschließenden Papiergeldes, eines eigentlichen Arbeitsgeldes, das 8 alle Bedingungen eines Geldes erfüllen würde, da es nie in sich eine Veränderung seines Wertes erfahren könnte, bestimmt, zur Löhnung der Arbeiter; die dritte wäre ein Magazinierungssystem, zu dem die Unternehmer gegen Aushändigung jenes Arbeitsgeldes gern die Vorräte liefern würden, bestimmt, zur Realisierung jenes Geldes." (4, S. 222) Der Gedanke einer Ausgabe von Arbeitszertifikaten durch den Staat sowie der öffentlichen Magazinierung der Waren kehrt bei Rodbertus auch später wieder. (Vgl. 1, I, S. 67; 3, S. 149 ff.; 6, S. 355 f.) Der Vorschlag einer Versorgung der Arbeiter-Konsumenten aus öffentlichen Magazinen, unter Ausschaltung des Handels, ist im übrigen alt und findet sich schon bei den französischen Aufklärungsphilosophen More!ly (1) und Mably (1) sowie bei G. Babeuf (s. bei Th. Ramm, 2, S. 8 ff.), bei E. Cabet (1) u. a. Gleichfalls gegen den Handel und den Preiswucher zielt der Gedanke einer Beseitigung des Geldes (Babeuf, W. Weitling, 1) und seiner Ersetzung durch Arbeitsscheine (bei Weitling: Einträge in persönliche "Kommerzbücher", 1, li, S. 10) - verbunden bei R. Owen und P. J. Proudhon (1) mit der Einrichtung von "Tauschbanken". Noch Marx hat das Konzept des Arbeitszertifikats als der Entgeltform der sozialistischen Gesellschaft übernommen: "Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstages, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, daß er soundsoviel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der anderen zurück." (3, S. 20) Der nach Rodbertus solcherart durch Intervention des Staates herbeigeführte Zustand würde ... " ... in jeder Beziehung der denkbar vollkommenste sein. Wenigstens könnte es kein nationalökonomischer Fehler mehr sein, der dann noch das stetige Fortschreiten der Gesellschaft in Reichtum und Bildung zu hemmen im Stande wäre. Die Nationalproduktion würde nicht bloß nur nach demjenigen Bedürfnisse allein abgemessen werden, das im Grunde auch nur allein zur Befriedigung berechtigt ist- demjenigen, das sich durch eigne Arbeit seine Befriedigung erkaufen will, -sondern auch niemals dies Nationalbedürfnis verfehlen, niemals, im Ganzen oder Einzelnen, hinter ihm zurückbleiben oder ihm vorauseilen. Niemals könnte der Fall eintreten, daß getane Arbeit ihren Tisch nicht gedeckt fände. Niemals könnte Unter- oder Überproduktion vorkommen. e Im Texte irrtümlich: daß.
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Die produktiven Mittel der Nation würden immer in ihrem ganzen Umfange und ihrer vollen Wirksamkeit tätig werden können und deshalb das Nationalprodukt stets das möglich größte sein. Niemals würde Arbeit keine Arbeit finden. Niemals könnte Kapital mangeln oder lahm liegen. Die Verteilung des Nationaleinkommens würde nach den Grundsätzen der vollendeten Rechtsidee, der strengsten Vergeltung, erfolgen. Niemals würde jemand Einkommen beziehen, das nicht der Gegenwert seines Produktwerts wäre. Niemals würde jemand in diesem Einkommen von den Früchten der zunehmenden Produktivität ausgeschlossen sein." (3, S. 159 f.)
d) Würdigung Die Gedanken von Rodbertus gehen über die naiven Vorstellungen der meisten älteren Sozialkritiker hinaus; sie übertreffen auch das Niveau der zeitgenössischen deutschen Nationalökonomie. Rodbertus verbindet seine Deutung des Systems der "Verkehrswirtschaft" mit einer unspekulativen Sicht des geschichtlichen Entwicklungsganges der Gesellschaftsformationen; und er sucht in der bestehenden Ordnung die Ansätze für eine planvoll weiterzuführende Entwicklung. Seine Konzeption der "Rente" als einer einheitlichen Kategorie, die alle "arbeitslosen" Einkommen umfaßt und die zunächst in ihrem Wesen zu bestimmen ist, bevor ihre einzelnen Formen untersucht werden, sein Bemühen, die Tatsache von Kapitalgewinn und Grundrente in Übereinstimmung mit der Theorie des Arbeitswertes als des Bestimmungsgrundes der Preisbildung zu bringen und damit den bisher unbewältigten Widerspruch von Einkommens- und Werttheorie zu lösen, gehen über die Klassik hinaus und führen weiter zu Marx. Zu Recht lehnt Rodbertus auch einen moralisch begründeten Anspruch der Arbeitenden auf "ihr" Produkt ab. Freilich liegt das Verdienst von Rodbertus mehr in der Fragestellung als in der Lösung selbst. Auch auf ihn trifft das Urteil E. Thiers über die allgemeinen Auffassungen der "Staatssozialisten" zu : "Es liegt ihnen zugrunde eine Theorie der menschlichen Wirtschaft überhaupt, aus dieser erwächst ihre Kritik des Kapitalismus als einer Entartung und Verfälschung der wahren Wirtschaft. Weil der Kapitalismus ihnen nicht als ein eigenstrukturiertes Gebilde, sondern als eine, zwar schlechte und verfälschte, Abwandlung eines Allgemeinen erscheint, sehen sie dieses Allgemeine auch überall durch die äußeren Formen der kapitalistischen Wirtschaft durchscheinen." (1 , S. 119.) So hat denn auch nach der Auffassung von Rodbertus die moderne Erwerbswirtschaft die Aneignung von "Rente" durch Nichtarbeitende mit vorausgegangenen Wirtschaftsformationen gemein. Ihre besondere Eigenart: die Kapitalakkumulation, wird vernachlässigt. - Dies entspricht einer irrigen Theorie des Volkseinkommens, das als Summe der Verzehrseinkommen allein angesehen wird, so wie auch das (Netto-)Sozialprodukt sich für Rodbertus nur aus Konsumgütern, nicht auch aus Rohprodukten, Maschinen etc. zusammensetzt. (Vgl. dazu R. Luxemburg, 1, S. 189 ff.) Daher erscheint die Neubildung von Kapital, soweit sie überhaupt in Betracht gezogen wird, gebunden an eine Steigerung der Arbeitsproduktivität; die Möglichkeit einer einfachen Ausdehnung der Produktion von Erzeugungsmitteln wird verkannt.
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1. Abschnitt: Sozialreformerische Kritik
Die Ableitung der Wirtschaftskrisen aus einer sinkenden Tendenz der Lohnquote geht über die recht grobe ältere Unterkonsumtions-(besser: Unternachfrage-)Theorie der Krise (Laude1·dale, R. Owen, J. Gray, v. Kirchmann)
hinaus. Ein Gesetz der sinkenden Lohnquote - mit dem Rodbertus zum eigentlichen Begründer der Lehre von der "relativen Verelendung" geworden ist - kann allerdings weder für das 19. noch für das 20. Jahrhundert als dauernde Tendenz nachgewiesen werden. Selbst wenn im übrigen die Arbeitenden, wie Rodbertus voraussetzt, nur den Existenzlohn erhalten, so dürfte von zweierlei nicht abgesehen werden: 1. Mit steigender Arbeitsproduktivität und entsprechender Veränderung der Arbeitsbedingungen steigt in der Tendenz auch der "notwendig"!" Unterhalt. 2. Die volkswirtschaftliche Lohnsumme, die ins Verhältnis zu der Summe der Kapital- und Renteneinkommen gesetzt wird, wächst auch, wenn infolge vermehrter Kapitalbildung - die Rodbertus vernachlässigt hat - die Zahl der Arbeiter zunimmt. Durch beides würde einem Sinken der Lohnquote (selbst unter der Voraussetzung eines Existenzlohns) zumindest entgegengewirkt. - Absatzschwierigke.i ten, die Rodbertus zufolge aus ungenügender Nachfrage der arbeitenden Massen entspringen, müßten eigentlich mehr oder minder permanent auftreten und zu ständiger Anpassung der Preise führen. Tatsächlich pflegt jedoch- was Rodbertus selbst vermerkt hat - den Krisen eine rege Geschäftstätigkeit vorauszugehen. (S. auch W. Lexis, 1, S. 473 f.) Ferner könnten die Unternehmungen sich auf entsprechend vermehrte Produktion von Erzeugnissen für die Bezieher jener "Renten"-Einkommen umstellen, deren Anteil am Nationaleinkommen nach Rodbertus ständig steigt. (Vgl. W. Lexis, 1, S. 474; R. Luxemburg, 1, S. 189.) Wenn ihnen eine solche Anpassung etwa nicht möglich ist, so würde die Erklärung der Krise sich wiederum auf jene "Anarchie der Volkswirtschaft" (H. Bahr, 1, S. 29) zurückbeziehen, die Rodbertus selbst als unzureichende Erklärung der Wirtschaftskrisen angesehen hat. Es wirkt sich hier wieder aus, daß Rodbertus die Rolle der Produktionsgütererzeugung vernachlässigt und daher die Störungen, die auch im Zwischenunternehmerischen Bereich der vorgeordneten Produktionsstufen und Märkte auftreten, ignoriert hat- vielleicht aus der Sicht des pommerschen Gutsbesitzers, der sein eigenes "Rohprodukt" erzeugt; wie dieses denn auch in der Landwirtschaft Rodbertus zufolge überhaupt keine Kostenposition darstellt. Zum "Normalarbeitstag" als Lohngrundlage: Eine "Konstituierung des Produktwertes" - und sei es auch nur der "Lohngüter" - nach "Normalarbeit" (vgl. oben, S. 121) würde nicht nur jede private, sondern auch jede staatliche Preispolitik unmöglich machen. Auch bei "bewußter Anwendung des Wertgesetzes", wie sie in der Sowjetunion und in anderen Ländern der Gemeinwirtschaft gegenwärtig unternommen wird, kann offenbar auf die Mittel der Preispolitik nicht verzichtet werden. (Vgl. Bd. I der "Texte", S. 319 ff.) Dasselbe würde gelten für die Festsetzung der Lohnproportionen, die .>ich von der Dringlichkeit des Bedarfs an Arbeitskräften bestimmter Art und Qualifikation nicht gänzlich entfernen kann. Im übrigen würde es kaum ausbleiben, daß bei der Festsetzung des "normalen Werkarbeitstages" ein neuer, arbeitsmarkt-ähnlicher Streit aufbrechen würde. (Vgl. H. Dietzel, 1, II, S. 116) Mit der Forderung, daß der Lohnsatz sich ,.nach Maßgabe der Steigerung der Produktivität der Arbeit ebenfalls erhöhen" müsse (6, S. 339), ist Rodbertus zu einem ersten Vertreter der "produktivitätskonformen Lohnpolitik" geworden. Freilich will er hierdurch die kümmerlichen Löhne seiner Zeit erhöhen, nicht ihren Anstieg begrenzen. Was schließlich das Arbeitsgeld angeht, so bleibt die Schwierigkeit, ihm ein richtig zusammengesetztes Warenäquivalent ohne Rückgriff auf korri-
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gierende Preisänderungen stets zur Seite zu stellen: "Es wäre ... nicht möglich, den Besitzern des Arbeitsgeldes die freie Wahl hinsichtlich der Qualität und Art der Konsumtionsgüter zu lassen, was Rodbertus ausdrücklich annimmt, sondern es müßte auch die individuelle Konsumtion, die private Haushaltung ebenso wie die qualitative Verteilung der Produktion durch die ,gesellschaftliche Zentralbehörde' geregelt werden." (W. Lexis, 1, S. 475) Es bleibt das Verdienst von Rodbertus, die soziale Frage seiner Zeit auf ihren ökonomischen Inhalt näher bestimmt zu haben als irgendein neutscher Ökonom vor ihm. Von Marx- durch den sich Rodbertus "geplündert" wähnte - trennt ihn dabei die mangelhaft entwickelte Werttheorie, die Auffassung der "Rente" als eines Abzugs von dem, was den unmittelbar Produzierenden unter anderen Umständen zufallen würde, seine - hier nicht erörterte - im Grunde an vorindustriellen Verhältnissen orientierte Theorie der Grundrente (ausführlich kritisiert u. a. durch K. Marx, 2, II, S . 7 ff., 139 ff.; L. v. Bortkiewicz, 2, S. 1 ff.; ferner durch W. Lexis, 1, S. 469 ff.); seine Erklärung der Handelskrisen aus einem Gesetz der "sinkenden Lohnquote", seine Vorstellungen von Gesellschaftsreform, seine konservative Staatsauffassung. Rodbertus ist Reformer gewesen, nicht Sozialist, und vollends nicht - wie G. Adler gemeint hat; 2 - "Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus".
Zweiter Abschnitt
Sozialistische Kritik: Karl Marx Über die Vorstellungen der Sozialreformer ist Kar! Marx (1818-1883), der Stifter des "wissenschaftlichen Sozialismus" - zusammen mit Friedrich Engels (1820-1895)- weit hinausgegangen: Marx zielt nicht auf Einzelseiten der bestehenden Gesellschaft, sondern auf diese als ganze, in allen ihren Lebensäußerungen. Seine Gesellschaftskritik hat geschichtsphilosophische Dimensionen; sie geschieht aus dem Geiste einer neuen Weitsicht, die später als die des "historischen" und "dialektischen Materialismus" bezeichnet werden wird9 • - Nehmen die Sozialreformer an einer ungerechten Verteilung Anstoß, so beschäftigt Marx das in der Produktion angelegte Grundverhältnis der ausgebeuteten Arbeit. Sprachen die Sozialreformer ein moralisches Urteil aus, so fragt Marx nach den immanenten Gesetzen, die in der Produktionsweise selbst begründet sind. Was für jene ein heilbarer Mißstand der Gesellschaft, ist für Marx ihr eigentlicher Zustand. Wollen die Reformer Einrichtungen der Gesellschaft ändern, so Marx die Gesellschaft als ganze. Appellieren jene an den guten Willen und die Einsicht aller, so Marx an die revolutionäre Entschlossenheit einer Klasse, welcher der Umsturz der Gesellschaft sich als ihre eigene Lebensfrage mit elementarer Gewalt aufdringe. Auch Marx ist hierbei, wie die meisten Sozialreformer des 19. Jahrhunderts, von den ökonomischen Lehren der englischen Hochklassik ausgegangen. Aber er hat vor allem in folgender Hinsicht die Klassik hinter sich gelassen: 1. Marx klärt das Verhältnis zwischen Wert- und Einkommenslehre, indem er die Theorie des Arbeitswertes selbst vertieft und sie zur Lehre vom .,Mehrwert" fortführt. Das unbewältigte Problem der Klassik, wie unter der Voraussetzung der Wertbildung durch die Arbeit und des allgemeinen Äquivalententausches Gewinn und Grundrente als "arbeitslose" Einkommen entstehen können, wird nun aufgelöst. 2. Mit der Kategorie des ,.Mehrwerts" greift Marx hinter das Nebeneinrmder der von der Klassik noch als selbständig behandelten Einkommensarten zurück. Indem er den Mehrwert zum gemeinsamen Substrat von Profit und Grundrente erklärt und beide nur als spezifische Formen der Aneignung von Mehrarbeit versteht, schreitet er vom Drei-Klassen-Schema der englischen Klassik zum Konzept einer polaren Zwei-Klassen-Gesellschaft fort. Die Marxsche Einkommenstheorie ist damit zugleich ökonomisch fundierte Gesellschaftslehre. Ihr letztes Wort ist der Aufruf zur politischen Tat. ' Materialismus und Dialektik erscheinen zum ersten Mal als Grundprinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus ausdrücklich bezeichnet in einem Aufsatz von F . Engels in dem Londoner Emigrantenblatt ,.Das Volk" vom 6. und 20. August 1859, worin das Erscheinen von Kar! Marx' Werk "Zur Kritik der politischen Ökonomie" angezeigt wird. (Weiteres bei W. Hofmann, 2, s. 90.)
Kapitalverhältnis und Mehrwert
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A. Kapitalverhältnis und Mehrwert 1. Einfache und kapitalistische Warenproduktion In der vorkapitalistischen ,.einfachen Warenproduktion" geben die Tauschpartner Gebrauchswerte hin, um andere Gebrauchswerte zu erlangen. Das Geld vermittelt nur den Tausch von Ware gegen Ware: W-G-W. Anders dagegen in der kapitalistischen Wirtschaftt0 : "Die unmittelbare Form der Warenzirkulation ist W-G-W, Verwandlung von Ware in Geld und Rückverwandlung von Geld in Ware, verkaufen, um zu kaufen. Neben dieser Form finden wir aber eine zweite, spezifisch unterschiedene vor, die Form G-W-G, Verwandlung von Geld in Ware und Rückverwandlung von Ware in Geld, kaufen, um zu verkaufen. Geld, das in seiner Bewegung diese letztere Zirkulation beschreibt, verwandelt sich in Kapital, wird Kapital und ist schon seiner Bestimmung nach Kapital." (I/4, S. 162 [IV, S . 140]) Im zweiten Falle ist Geld Ausgangs- und Endpunkt des Kreislaufs: "Der Prozeß G-W-G schuldet seinen Inhalt daher keinem qualitativen Unterschied seiner Extreme, denn sie sind beide Geld, sondern nur ihrer quantitativen Verschiedenheit. Schließlich wird der Zirkulation mehr Geld entzogen, als anfangs hineingeworfen ward. Die zu 100 Pfd.St. gekaufte Baumwolle wird z. B. wieder verkauft zu 100+10 Pfd.St. oder 110 Pfd.St. Die vollständige Form dieses Prozesses ist daher G-W-G', wo G'=G+L.G, d. h. gleich der ursprünglich vorgeschossenen Geldsumme plus einem Inkrement. Dieses Inkrement oder den Überschuß über den ursprünglichen Wert nenne ich- Mehrwert (surplus value). Der ursprünglich vorgeschossene Wert erhält sich daher nicht nur in der Zirkulation, sondern in ihr verändert er seine Wertgröße, setzt einen Mehrwert zu, oder verwertet sich. Und diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital." (I/4, S. 165 [IV, S. 144 f.]) Der Unterschied des Tauschzwecks ist ein wesentlicher: "Die einfache Warenzirkulation - der Verkauf für den Kauf dient zum Mittel für einen außerhalb der Zirkulation liegenden Endzweck, die Aneignung von Gebrauchswerten, die Befriedigung von Be10 Die folgenden Partien aus dem ökonomischen Hauptwerk von Marx, "Das Kapital", werden, wie auch die Textproben aus anderen Schriften von Marx und Engels, zitiert nach der neuen Ausgabe der "Werke" von Marx und Engels (Berlin, 1957 ff.). Außerdem wird auf die von Hans-Joachim Lieber herausgebrachte Studienausgabe der Werke von Marx (Stuttgart 1960 ff.) zurückgegriffen. Bei Zitaten aus dem "Kapital" bezeichnet die römische Ziffer die Bandzahl, die folgende arabische Ziffer die Nummer des Kapitels. Die Seitenzahl der Berliner Ausgabe wird in runder Klammer, die Band- und Seitenzahl der Stuttgarter Ausgabe in eckiger Klammer angegeben. Hervorhebungen nach der Stuttgarter Ausgabe.
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Kar! Marx
dürfnissen. Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos." (1/4, S. 167 [IV, S. 146]) "Der Wert wird also prozessierender Wert, prozessierendes Geld und als solches Kapital." (1/4, S. 170 I, S. 150) G-W -G bezeichnet "die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Zirkulationssphäre erscheint". (I/4, S. 170 [IV, S . 150]) Offenbar kann aber nicht die Zirkulation selbst aus einem Ausgangswerte G einen größeren Wert G' machen, ohne daß das allgemeine Prinzip der Äquivalenz im Tausch (vgl. Band I der ,.Texte", S. 83 ff.) verletzt, das Wertgesetz also aufgehoben wäre: "Werden Äquivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwert, und werden Nicht-Äquivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehrwert. Die Zirkulation oder der Warenaustausch schafft keinen Wert." (I/4, S. 177 f. [IV, S. 160]) Um den Ursprung des "Mehrwerts" zu erklären, muß man von den Märkten auf die Produktion zurückgehen.
2. D i e A r b e i t s k r a f t als Quelle des Mehrwerts Geld kann nicht durch sich selbst zu mehr Geld werden. Ebensowenig können die Waren nach dem Wertgesetz im Verkauf mehr Wert erlangen, als sie schon besaßen: Aus der "bloßen Addition vorhandener Werte kann nun und nimmermehr ein Mehrwert entspringen." (I/5, S. 205 [I, S. 195]) Nur die menschliche Arbeitskraft vermag nach der allgemeinen Theorie des Arbeitswertes im Produktionsprozeß Wert und damit Mehrwert zu schaffen. Unter kapitalistischen Bedingungen selbst zur Ware geworden betätigt sie in der Produktion ihre besondere Gebrauchseigenschaft, um derentwillen sie angeworben wurde: nämlich mehr Wert zu schaffen, als sie selbst besitzt: "Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehn, müßte unser Geldbesitzer so glücklich sein, innerhalb der Zirkulationssphäre, auf dem Markt, eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Wertschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor - das Arbeitsvermögen oder die Arbeits-
kraft.
Unter Arbeitskraft oder Arbitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der
Kapitalverhältnis und Mehrwert
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lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert." (I/4, S. 181 [IV, S. 164 f.])
a) Die Arbeitskraft als Ware Das menschliche Arbeitsvermögen ist aber nur dann ein Posten in der einheitlichen Kapitalrechnung, wenn es als Ware angeboten wird: "Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Ware auf dem Markt vorfinde, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Der Warenaustausch schließt an und für sich keine anderen Abhängigkeitsverhältnisse ein als die aus seiner eignen Natur entspringenden. Unter dieser Voraussetzung kann die Arbeitskraft als Ware nur auf dem Markt erscheinen, sofern und weil sie von ihrem eignen Besitzer, der Person, deren Arbeitskraft sie ist, als Ware feilgeboten oder verkauft wird. Damit ihr Besitzer sie als Ware verkaufe, muß er über sie verfügen können, also freier Eigentümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein." (I/4, S. 181 f. (IV, S. 165]) "Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem Markt als Ware vorfinde, ist die, daß ihr Besitzer, statt Waren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in seiner lebendigen Leiblichkeit existiert, als Ware feilbieten muß." (S. 181 [166]) "Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen." (S. 183 [S. 167]) Im gleichen Sinne bezeichnet später Max Weber als eine der Voraussetzungen des modernen Kapitalismus: "Freie Arbeit, d. h. daß Personen vorhanden sind, die nicht nur rechtlich in der Lage, sondern auch wirtschaftlich genötigt sind, ihre Arbeitskraft frei auf dem Markt zu verkaufen. Im Widerspruch zum Wesen des Kapitalismus steht es, und seine Entfaltung ist unmöglich, wenn eine solche besitzlose und daher zum Verkauf ihrer Arbeitsleistung genötigte Schicht fehlt, ebenso, wenn nur unfreie Arbeit besteht."
(1,
s. 240)
Die Ausbildung einer im doppelten Sinne "freien" Lohnarbeiterschaft ist nach Marx ein geschichtlich einmaliger Vorgang der neueren Zeit:
"Die Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld- oder Warenbesitzer und auf der andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Dies Verhältnis ist kein naturgeschichtliches und ebensowenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangenen historischen Entwick9 Einkommenstheorie
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Karl Marx
lung, das Produkt vieler ökonomischer Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion." (S. 183 [S. 167]) Im 24. Kapitel des I. Bandes des "Kapital" ist Marx dem geschichtlichen Prozess der "Scheidung zwischen den Arbeitern und dem Eigentum an den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit" (S. 742) nachgegangen: "Die sog. ursprüngliche Akkumulation [des Kapitals; W. H .] ist ... nichts als der historische Scheidungsprozeß von Produzent und Produktionsmittel." (I/24, S. 742 [IV, S. 866]) Sie ist "Expropriation der unmittelbaren Produzenten" (S. 789) und damit "Verwandlung der feudalen in kapitalistische Exploitation" (S. 743; vgl. auch II/1, S. 38). "Die Geschichte dieser ihrer Expropriation ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer." (S. 743; vgl. auch F. Oppenheimer, oben, S. 106 f .)
b) Der Wert der Arbeitskraft Für die "Ware" Arbeitskraft gilt das allgemeine Prinzip des Warenwerts: "Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit. . .. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner eignen Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel." (I/4, S. 184 f. [IV, S. 169]) Ganz wie der "natürliche Lohn" bei den Klassikern, schließt auch bei Marx der Wert der Arbeitskraft den Wert der Subsistenzmittel "der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so daß sich diese Race eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt." (S. 186) Der Wert der Arbeitskraft wechselt mit dem Werte der Unterhaltsmittel. (S. 186)
c) Der Gebrauchswert der Arbeitskraft in der Produktion und der "Mehrwert" Wie jede andere Ware hat auch die Arbeitskraft nach Marx nicht nur Wert, sondern auch Gebrauchswert. Ihr besonderer Gebrauchswert aber ist, mehr Wert hervorzubringen, als sie selbst besitzt: "Die vergangne Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann, ihre täglichen Erhaltungskosten
Kapitalverhältnis und Mehrwert
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und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei ganz verschiedne Größen. Die erstere bestimmt ihren Tauschwert, die andre bildet ihren Gebrauchswert. Daß ein halber Arbeitstag nötig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs, einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozeß sind also zwei verschiedne Größen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte.... Was ... entschied, war der spezifische Gebrauchswert dieser Ware, Quelle von Wert zu sein und von mehr Wert als sie selbst hat. Dies ist der spezifisc-he Dienst, den der Kapitalist von ihr erwartet. Und er verfährt dabei den ewigen Gesetzen des Warenaustausches gemäß. In der Tat, der Verkäufer der Arbeitskraft, wie der Verkäufer jeder andren Ware, realisiert ihren Tauschwert und veräußert ihren Gebrauchswert . ... Der Geldbesitzer hat den Tageswert der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der Umstand, daß die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, daß daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tages schafft, doppelt so groß ist als ihr eigner Tageswert, ist ein besondres Giück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer." (I/5, S. 207 f. [IV, S. 198 f.]) Diese Ableitung des Mehrwerts unterscheidet sich (trotz der terminologischen Verwandtschaft etwa zu W. Thompson's surplus value und S. de Sismondis mieux-value) wesentlich von allen bis dahin aufgetretenen Theorien der Lohnarbeit und des Gewinns, von denen der Klassik ebensc wie von denen der Sozialreformer: 1. Im Gegensatz zur Klassik unterscheidet Marx strikt zwischen dem "Wert der Arbeit"(= Wert des Arbeitsproduktes) und dem "Wert der Arbeitskraft". Gerade die Differenz zwischen diesen (von den Klassikern immer wieder verwechselten) Größen bezeichnet bei Marx den "Mehrwert". (Vgl. auch Marx, I/17, S. 557 ff.) Nur in äußerlicher Beziehung hierzu steht die Unterscheidung von "Zeitarbeitstag" und "Werkarbeitstag" bei Rodbertus sowie die Unterscheidung von "Leistt.:ngswert" und "Marktwert der Arbeit" bei W. Lexis (1, S. 467), der im übrigen eine Aufschlagstheorie des Gewinns vertreten hat. 2. So gelingt es Marx, das, was er den Mehrwert nennt (und was die Klassiker unter den Titeln des Profits und der Rente abhandeln) gerade aus dem allgemeinen Prinzip des Aquivalententausches, auf der Grundlage des Arbeitswertes, und nicht aus einer Verletzung desselben, zu erklären : "Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des Warenaustausches in keiner Weise verletzt. Äquivalent wurde gegen Äquivalent ausgetauscht." (S. 209 [S. 199]) Damit ist nun erst der elementare Gegensatz zwischen Wert- und Einkommenstheorie geschlichtet, den die Klassik unbewältigt hinterlassen hatte (vgl. Band I der "Texte", S. 73 und passim) und die Lehre von der gesellschaftlichen Wertverteilung der Theorie der Wertschöpfung widerspruchsfrei eingeordnet.
2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Kar! Marx
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3. Da der Mehrwert und daher auc.l1 der Unternehmensgewinn nach Marx weder vorenthaltenen Lohn noch einen Aufschlag auf den "eigentlichen" Wert äer Ware darstellt, da er ohne Verletzung des sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch auf dem Produktenmarkt geltenden Äquivalenzprinzips entsteht, so ist über ihn nicht zu moralisieren. Weder den Arbeitern noch den Käufern geschieht Unrecht. - Gerade hierdurch aber vertieft sich die Kritik: Nicht eine Verletzung des ökonomischen Gesetzes, sondern vielmehr dieses selbst, nicht ein Unrecht, sondern vielmehr das Recht des Marktes und der Verwertung, nicht die Höhe des Arbeitslohnes, sondern das Grundverhältnis der Lohnarbeit wird zum Anathema. "Mehrwert" bezeichnet also nicht ein Mehr über den Wert des Produkts, sondern ein Mehr über den Wert der _4.rbeitskraft, die den Neuwert des Produktes schafft. Die vollständige Formel des Kapitalkreislaufs - als "Einheit von Zirkulation und Produktion" verstanden (vgl. !1/1, S. 64) - lautet nun:
Geldkapital
wird in Produktivkapital verwandelt, indem Arbeitskraft (Pm) aller Art in Dienst genommen werden. Im Akte der Produktion (P) bringt die menschliche Arbeitskraft neuen Warenwert, unter Einschluß eines Mehrwerts, hervor (W"), der sich im Verkaufe der Waren "realisiert": Durch die Rü~erwandlung von Warenkapital (W") in die Form des Geldkapitals (G") werden die Ausgangsbedingungen erweiterter Reproduktion des Kapitals hergestellt, und der Kapitalprozeß kann erneut vonstatten gehen. (Vgl. hierzu 11/1-4; siehe auch Band III der "Texte".) (G)
(Ak) und Produktionsmittel
3. D i e E l e m e n t e d es W a r e n w e r t e s "Wie die Ware selbst Einheit von Gebrauchswert und Wert, muß ihr Produktionsprozeß Einheit von Arbeitsprozeß und Wertbildungsprozeß sein." (I/5, S. 201 [1, S. 189]) "Der Verwertungsprozeß" ist hierbei "nichts als ein über einen gewissen Punkt hinaus verlängerter Wertbildungsprozeß". (S. 209 [200]) Nach ihrer Stellung im Wertbildungsprozeß lassen sich nun verschiedene Bestandteile des Warenwertes unterscheiden.
a) "Konstantes" und "variables" Kapital "Die verschiedneo Faktoren des Arbeitsprozesses nehmen verschiedenen Anteil an der Bildung des Produktenwerts. Der Arbeiter setzt dem Arbeitsgegenstand neuen Wert zu durch Zusatz eines bestimmten Quantums von Arbeit ... Der Wert der Produktionsmittel wird also erhalten durch seine Obertragung auf das Produkt. Dies Obertragen geschieht während der Verwandlung der Produktionsmittel in Produkt, im Arbeitsprozeß. Es ist vermittelt durch die Arbeit." (I/6, S. 214 [IV, S. 205])
Kapitalverhältnis und Mehrwert
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"Der Teil des Kapitals also, der sich in Produktionsmittel, d. h. in Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel umsetzt, verändert seine Wertgröße nicht im Produktionsprozeß. Ich nenne ihn daher konstanten Kapitalteil, oder kürzer: konstantes Kapital. [Symbol: c] Der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals verändert dagegen seinen Wert im Produktionsprozeß. Er reproduziert sein eignes Äquivalent und einen Überschuß darüber, Mehrwert, der selbst wechseln,
größer oder kleiner sein kann. Aus einer konstanten Größe verwandelt sich dieser Teil des Kapitals fortwährend in eine variable. Ich nenne ihn daher variablen Kapital teil, oder kürzer: variables Kapital [Symbol: v]." (I/6, S. 223 f. [IV, S. 217]) "Damit das variable Kapital funkt'ioniere, muß konstantes Kapital in entsprechenden Proportionen, je nach dem bestimmten technischen Charakter des Arbeitsprozesses, vorgeschossen werden." (I/7, S . 229 [IV, s. 223]) Die Wahl der Ausdrücke ist nicht sehr glücklich. Gemeint sind Lohn- und Sachkapital (wobei die Werte der längerlebigen Anlagegegenstände natürlich nur anteilsmäßig in den Wert der Produkte einer Periode eingehen). Lohn- wie Sachkapital stellen sich gleicherweise als Kosten des Produkts dar. Die Kapitalrechnung zeigt daher nach Marx nicht an, daß nur die Arbeitskraft im Produktionsprozess Neuwert schafft, während der Wert des "konstanten" Kapitals hierbei auf das Produkt nur übertragen wird. (Vgl. I, S. 408; IH, S. 42, 55) Daher scheint auch der Mehrwert gleichermaßen dem konstanten wie dem variablen Kapital zu entspringen - eine Meinung, die etwa auch der russische "Revisionist" M. Tugan-Baranowskij gehegt hat. (Vgl. 1, S. 167 und passim)
b) Masse und Rate des Mehrwerts Der "Mehrwert bildet den Oberschuß des Produktenwerts über den Wert der verzehrten Produktionsbildner, d. h. der Produktionsmittel und der Arbeitskraft" (S. 223 [217]), also den "Oberschuß des Werts des Produkts über die Wertsumme seiner Produktionselemente". (S. 226) Die Größe c+v+m bildet demnach den "Produktenwert". Von ihm ist das "Wertprodukt" (v+m), der eigentliche Neuwert, den die Arbeitskraft hervor-
gebracht hat, zu unterscheiden. (S. 227) - Dies entspricht der modernen Theorie der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und des Volkseinkommens als der Summe der Arbeits- und Gewinneinkommen einer Wirtschaftsgesellschaft. Die Masse des Mehrwerts, ins Verhältnis gesetzt zum Aufwand an Lohnkapital, bezeichnet die Mehrwertrate:
"Das Verhältnis, worin das variable Kapital sich verwertet hat, ist offenbar bestimmt durch das Verhältnis des Mehrwerts zum variablen
Kapital, oder ist ausgedrückt in
vm ... Diese verhältnismäßige Verwer-
134
2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Karl Marx
tung des variablen Kapitals, oder die verhältnismäßige Größe des Mehrwerts, nenne ich Rate des Mehrwerts." (I/7, S . 230 [IV, S. 224]) "Der Mehrwert verhält sich zum variablen Kapital, wie die Mehrarbeit zur notwendigen, oder die Rate des Mehrwerts m
v
Notwendige Arbeit Mehrarbeit
... Die Rate des Mehrweris ist daher der exakte Ausdruck für den Exploitationsgrad der Arbeitskraft durch das Kapital oder des Arbeiters durch den Kapitalisten." (I/7, S. 231 f. [IV, S. 226 f.]) Der Anteil von "notwendiger" und "Mehrarbeit" läßt sich auc."l in Zeiteinheiten ausdrücken. Der geschichtliche Kampf um die Länge des Arbeitstages, den Marx verfolgt, ist daher auch als Kampf um die Größe der Mehrarbeit zu verstehen. (Vgl. I/8)
c) Der Arbeitslohn Der Arbeitslohn ist der jeweilige Marktpreis der Arbeitskraft; er steht zum Werte der Arbeitskraft in demselben Verhältnis wie der Produktenpreis, als der "Geldausdruck des Wertes", zum Produktenwert Da mit dem Arbeitslohn jede Stunde des Arbeitstages gleichmäßig entgolten wird, verbirgt wiederum die Form der Entlohnung, daß die Arbeitskraft während der Zeit ihrer Anwendung mehr als ihre eigene Vergütung erbringt: "Die Form des Arbeitslohns löscht also jede Spur der Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der Fronarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich, die Arbeit des Fröners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des Arbeitstags, worin der Sklave nur den Wert seiner eignen Lebensmittel ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Meister. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit. Bei der Lohna1·beit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigentumsverhältnis das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältnis das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters. ... Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie." (I/17, S. 562 [IV, S. 636 f.]) Die allgemeine Lehre von der Trübung des Bewußtseins der Marktbeteiligten durch die Form, welche ihr Verhältnis annimmt (vgl. zum ,.Warenjetischismus" Band I der ,.Texte", S. 88 ff.) findet hier ihre Fortführung.
Kapitalverhältnis und Mehrwert
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4. W ü r d i g u n g Im Vergleich zu der Marxschen Werttheorie ist die Mehrwertlehre von der Kritik sehr vernachlässigt worden. Man beruhigte sich damit, daß der Nachweis, die Wertlehre sei ungeeignet, die (Einzel-)Preisbildung zu erklären, auch die Mehrwertlehre (die freilich auf der Wertschöpfungstheorie von Marx aufbaut) erledige. (Vgl. etwa die bei H. Bartoli aufgeführten Autoren, 1, S. 152 ff.) Im übrigen schien es, da auch die Verelendungstheorie sich offenbar nicht bewahrheitet hatte, jedenfalls mit der "Ausbeutung" nicht so "schlimm" zu stehen. - Soweit die Mehrwertlehre selbst zum Gegenstand der Kritik gemacht wurde, ist sie zumeist einem dreifachen Mißverständnis begegnet: 1. Die Anhänger der Marxschen Ausbeutungstheorie "behaupten das Gesetz, daß der Wert aller Waren auf der in ihnen verkörperten Arbeitszeit beruht, um im nächsten Augenblicke alle Wertbildungen, die mit diesem ,Gesetze' nicht harmonieren, z. B. die Wertdifferenzen, die als Mehrwert dem Kapitalisten zufallen, als ,gesetzwidrig', ,unnatürlich', ,ungerecht' anzugreifen und zur Ausrottung zu empfehlen". (E. v. Böhm-Bawerk, 1, Bd. I, S. 529) Ein Vergleich mit dem auf S. 130 f. wiedergegebenen Zitat zeigt, daß Marx die Entstehung des Mehrwerts weder als einen Verstoß gegen das Wertgesetz noch als ein "Unrecht" gegenüber den Produzenten betrachtet hat. Daher ist es auch unzutreffend, daß im Sinne von Marx "der Begriff der Ausbeutung eine ethische Schätzung voraussetzt" (J. Einarsen, 1, S. 541), und daß Marx allen Profit für "unrechtmäßig" erklärt habe (K. E. Boulding, 1, S. 516). 2. Im Zusammenhang hiermit wird Marx die Lehre vom "Recht auf den vollen Arbeitsertrag" imputiert: Wie schon F. Kleinwächter (1, S. 65, 68), Th. Masaryk (1, S. 310), G. Cassel (1 , S. 330 f., 4), ja selbst der Marx-Anhänger C. Schmidt (1, S. 43) und viele andere, hat neuerdings auch E. Arndt gemeint: "Mit der Mehrwertlehre wollte Marx den Nachweis einer falschen ,Zurechnung' erbringen, einer Zurechnung, die den Arbeiter nicht in den Genuß des ,vollen Arbeitsertrages· kommen ließ." (1, S. 8 f.; im selben Sinne R. Fricke, 1, S. 90 f.) Daß Marx sich ausdrücklich gegen das von den Anhängern F. Lassalles ins Gothaer Programm der "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" von 1875 eingebrachte "Recht auf den vollen Arbeitsertrag" gewandt hat (vgl. 3, S. 18 ff., sowie oben, S. 116), hilft ihm bei den heutigen MarxKennern nicht. 3. Ebensowenig ist es zutreffend, daß nach Marx "der Arbeiter keinesfalls emporsteigen könne, vielmehr unrettbar an das Lebensminimum gefesselt sei", daß "eine fortschreitende Verbesserung seiner Lage, insbesondere Lohnsteigerungen, unmöglich seien". (G. Schulze-Gävernitz, 1, S. 13, 16) Es gibt für Marx kein "ehernes Lohngesetz", wie neben vielen anderen J. Wolf gemeint hat. (1, S. 125,. 131; ebenso später A. Gray, 1, S. 311; P . A. Samuelson, 1, S. 573; siehe hierzu auch unten, S. 136) So hat Marx auch die Arbeiterkoalitionen zum aktiven Kampf um den Lohn aufgerufen. (Vgl. unten, S. 154) Soweit die Kritik schließlich geltend gemacht hat, nicht nur die Arbeit, sondern auch die Naturkräfte sowie die sachlichen Produktionsmittel seien "produktiv" (und daher gewinnbildend), ist sie auf eine Beweisführung zurückgegangen, die Marx selbst schon abgefertigt hat. Von dessen Gründen scheint die Kritik noch nicht Notiz genommen zu haben. Denkt man sich in die Marxsche Mehrwertlehre in redlichem Bemühen ein, so kommt man etwa zu folgendem Ergebnis: 1. Die Existenz eines gesellschaftlichen Wertüberschusses (bei Marx "Mehrwert"), aus dem die fortlaufende Kapitalakkumulation gespeist wird, ist
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Karl Marx
zweifelsfrei. Der Wertüberschuß fällt als Gewinn (und als davon abgeleitete Einkommen in Gestalt von Zins, Mietgewinnen, Pachten, Steuern, etc.) privaten (sowie öffentlichen) Einkommensträgern zu. Dem entspricht es, daß auch die Statistik das Volkseinkommen als Summe der Lohn- und Gewinneinkommen aller Art (bei Marx v+m, = das "Wertprodukt") betrachtet. 2. Es ist zutreffend, daß der gesellschaftliche Wertüberschuß in der Sphäre aller Wertschöpfung, in der Produktion (im weitesten Sinne, unter Einschluß des Transportgewerbes sowie produktiver Endverrichtungen des Handels) entsteht. Nur so erklärt es sich, daß der gesellschaftliche Wertüberschuß (wie alle Wertbildung überhaupt) sowohl in Form von Waren als auch von kaufkräftigen Einkommen vorliegt. 3. Die Analogie zwischen dem (Produktions-)Wert von Erzeugnissen und dem (Reproduktions-)Wert der Ware Arbeitskraft bleibt unbefriedigend: Im Unterschiede zu den Produktionskosten der Erzeugnisse sind die "notwendigen" "Reproduktions"-Kosten der Arbeitskraft nicht eindeutig bestimmt. Sie umfassen auch Marx zufolge nicht nur die unabdingbaren physiologischen, sondern darüber hinaus auch gewisse gesellschaftlich-kulturelle, gewohnheitsmäßige Bedürfnisse. Innerhalb der Bandbreite dieses elastischen Bedarfes kann der Lohn nach Marx höher oder niedriger stehen, ohne sich hierdurch vom "Werte" der Arbeitskraft zu entfernen. (Vgl. 1, I/4, S. 185 f.; 7, S. 147 f.) - Konnte man freilich zur Zeit von Marx die Befriedigung allgemein-zivilisatorischer Bedürfnisse der Arbeitenden noch als akzessorisches Element ihres Lohnes betrachten, so sind diese heute - wie etwa die Budgets moderner Arbeiterhaushaltungen zeigen - zu einem Hauptposten der Einkommensverwendung geworden. Und auch der physiologisch unabweisbare Bedarf wird in der Regel in verfeinerter Form befriedigt. Was daher heute die "notwendigen" Erhaltungskosten und somit der "Wert" der Arbeitskraft sei, ist weithin unbestimmt geworden. Daher sollte auch die ganze Frage des "Existenzminimum" als unlösbar in den Orkus verwiesen werden.
B. Die gesellschaftliche Verteilung des Mehrwerts Es entspricht der dialektischen Methode von Marx, wenn dieser zunächst den "Mehrwert" analytisch als die der modernen Gesellschaft wesentliche Kategorie in ihrer Einheit bestimmt, als Ergebnis privat angeeigneter Mehrarbeit (auf der Grundlage der allgemeinen Warenproduktion), bevor er sich den "konkreten Formen" zuwendet, "welche aus dem Bewegungsprozeß des Kapitals, als ganzes betrachtet, hervorwachsen". (1, III/1, S. 33) Die .,Gestaltungen des Kapitals" wie sie erst im III. Bande des "Kapital" entwickelt werden, "nähern sich schrittweise der Form, worin sie auf der Oberfläche der Gesellschaft, in der Aktion der verschiedenen Kapitale aufeinander, der Konkurrenz, und im gewöhnlichen Bewußtsein der Produktionsagenten selbst auftreten". (Ebd.; vgl. auch Brief von Marx an F . Engels vom 24. 8. 1867.) Zunächst ist nach der Entstehung des Mehrwerts gefragt worden, bevor die Formen seiner Verteilung untersucht werden. Das ist von großer Bedeutung auch für die Marxsche Klassensoziologie: Alle, die (unter welchem Titel immer) Einkommen aus Mehrwert beziehen, werden nach diesem objektiven Kriterium den Nutznießern der bestehenden Ordnung zugerechnet; von ihnen wird angenommen, daß sie letztlich gemeinsame Klasseninteressen haben, bei allem Widerstreit im einzelnen. Der Mehrwert teilt sich nun zunächst in gewerblichen Profit und Grundrente.
Die gesellschaftliche Verteilung des Mehrwerts
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1. Der Profit
a) Profit als Erscheinungsform des Mehrwerts Dem Kapital, das in den Produktionsprozeß eingebracht wird, ist nicht anzusehen, welches seiner Elemente Neuwert und daher auch Mehrwert hervorbringt. Alle Partikel des Einsatzkapitals stellen sich für die Unternehmungen gleichermaßen als Kostenpositionen dar, und daher beziehen die Unternehmungen - was in der Tat selbstverständlich ist - ihren Gewinn rechnerisch auf das vorgesc..'10ssene Kapital als ganzes: "Als solcher vorgestellter Abkömmling des vorgeschoßnen Gesamtkapitals erhält der Mehrwert die verwandelte Form des Profits . ... Der Profit, wie wir ihn hier zunächst vor uns haben, ist also dasselbe, was der Mehrwert ist, nur in einer mystifizierten Form, die jedoch mit Notwendigkeit aus der kapitalistischen Produktionsweise herauswächst. Weil in der scheinbaren Bildung des Kostpreises [d. h. des Wertes von c+v; W. H.] kein Unterschied zwischen konstantem und variablem Kapital zu erkennen ist, muß der Ursprung der Wertveränderung, die während des Produktionsprozesses sich ereignet, von dem variablen Kapitalteil in das Gesamtkapital verlegt werden. Weil auf dem einen Pol der Preis der Arbeitskraft in der verwandelten Form von Arbeitslohn, erscheint auf dem Gegenpol der Mehrwert in der verwandelten Form von Profit." (III/1, S. 46 [V, S. 622 f.J) "Obgleich nur der variable Teil des Kapitals Mehrwert schafft, so schafft er ihn nur unter der Bedingung, daß auch die andren Teile vorgeschossen werden, die Produktionsbedingungen der Arbeit. Da der Kapitalist die Arbeit nur exploitieren kann durch Vorschuß des konstanten Kapitals, da er das konstante Kapital nur verwerten kann durch Vorschuß des variablen, so fallen ihm diese in der Vorstellung alle gleichmäßig zusammen, und dies um so mehr, als der wirkliche Grad seines Gewinns bestimmt ist nicht durch das Verhältnis zum variablen Kapital, sondern zum Gesamtkapital, nicht durch die Rate des Mehrwerts, sondern durch die Rate des Profits ..." (III/2, S. 52 [V, S. 629]) Hinzu kommt, "daß der Kostpreis der Ware der Kaufpreis ist, den der Kapitalist selbst für ihre Produktion gezahlt hat, also der durch ihren Produktionsprozeß selbst bestimmte Kaufpreis. Der beim Verkauf der Ware realisierte Wertüberschuß oder Mehrwert erscheint dem Kapitalisten daher als Überschuß ihres Verkaufspreises über ihren Wert, statt als Überschuß ihres Werts über ihren Kostpreis, so daß der in der Ware steckende Mehrwert sich nicht durch ihren Verkauf realisiert, sondern [in den Augen der Beteiligten; W. H.] aus dem Verkauf selbst entspringt." (III/1, S. 48 [V, S. 624 f.]) "Obgleich der Überschuß des Werts der Ware über ihren Kostpreis im unmittelbaren Produktionsprozeß entsteht, wird er erst realisiert im
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Karl Marx
Zirkulationsprozeß, und erhält um so leichter den Schein, aus dem Zirkulationsprozeß zu entspringen, als es in der Wirklichkeit, innerhalb der Konkurrenz, auf dem wirklichen Markt, von Marktverhältnissen abhängt, ob oder nicht, und zu welchem Grad, dieser Überschuß realisiert wird." (III/2, S. 53 [V, S. 630 f.]) Da im übrigen nach dem Gesetze des Profitratenausgleichs (vgl. Bd. I der "Texte", S. 95 ff.) auf gleich großes Kapital der Tendenz nach gleich großer Profit entfällt, unabhängig von der Höhe der Masse und Rate des MehrwertS", die das Einzelkapital den Beschäftigten abgewinnt, so erscheint die Beziehung zwischen Produktion und Aneignung des Mehrwerts für die Beteiligten vollends verdunkelt: "Je weiter wir den Verwertungsprozeß des Kapitals verfolgen, um so mehr wird sich das Kapitalverhältnis mystifizieren, und um so weniger das Geheimnis seines inneren Organismus bloßlegen." (III/ 2, S. 58 [V, S. 637]) Für Marx bleibt freilich der Mehrwert ... " . . . das Unsichtbare und das zu erforschende Wesentliche, während Profitrate und daher die Form des Mehrwerts als Profit sich auf der Oberfläche der Erscheinung zeigen." (III/2, S. 53 [V, S. 630)) Es war daher ein "verkehrter Versuch" der Schule Ricardos, "die Gesetze der Profitrate unmittelbar als Gesetze äer Mehrwertsrate oder umgekehrt darstellen zu wollen". (S. 55; vgl. auch 2, S. 181 f.) Für Marx ist der Profit also der auf den Wert des Einsatzkapitals bezogene Mehrwert. Der Profit ist freilich noch nicht der Gewinn, die Differenz reiner Marktpreisgrößen, wie er den Unternehmungen tatsächlich zufällt. Die Formulierung des III. Bandes des "Kapital" (der aus dem Manuskript posthum
herausgegeben wurde) ist in dieser Hinsicht oft irreführend: Marx bestimmt wiederholt den "Kostpreis" als die Wertgröße des aufgewandten Kapitals, so daß "Warenwert = Kostpreis + Mehrwert" (Ill/1, S. 34; vgl. auch S. 44, 46; Kap. 9, S. 173, 180; Kap. 12, S. 216) Daneben aber heißt es gelegentlich, der Kostpreis der Ware sei der "Kaufpreis, den der Kapitalist selbst für ihre Produktion gezahit hat" (III/1, S. 48; vgl. oben S. 137); oder gar: "Dieser Wertteil der Ware, der den Preis der verzehrten Produktionsmittel und den Preis der angewandten Arbeitskraft ersetzt, ersetzt nur, was die Ware dem Kapitalisten selbst kostet, und bildet daher für ihn den Kostpreis der Ware." (S. 34; Hervorhebungen durch mich; W. H.) Sicherlich meint Marx bei alledem mit Profit die Differenz von Wertgrößen. Dann ist der Profit allerdings noch immer nicht das, was die Geschäftswelt selbst realisiert, und zwischen "Profit" und "Gewinn" ist wiederum zu unterscheiden. b) Die Aufteilung des Profits zwischen produktivem und kommerziellem Kapital
Obwohl nur in der Produktion Mehrwert (Profit) erzeugt wird, so wird er doch nicht nur vom "produktiven", sondern auch vom "kaufmännischen Kapital" angeeignet, das sich durch Ausgliederung von Teilfunktionen des
Die gesellschaftliche Verteilung des Mehrwerts
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Kapitalumschlags gegenüber dem produktiven Kapital verselbständigt hat. (Vgl. 111/17, S. 303; II/1, S. 61) Sieht man von produktiven Teilverrichtungen, die etwa in der Zirkulationssphäre geschehen, ab, so gilt: "Das Warenhandlungskapital ... schafft weder Wert noch Mehrwert, sondern vermittelt nur ihre Realisation ... Dennoch, da die Zirkulationsphase des industriellen Kapitals ebensosehr eine Phase des Reproduktionsprozesses bildet wie die Produktion, muß das im Zirkulationsprozen selbständig fungierende Kapital ebensosehr den jährlichen Durchschnittsprofit abwerfen wie das in den verschiedenen Zweigen der Produktion fungierende Kapital." (III/17, S. 293 [VI, S. 21]) "Das Kaufmannskapital geht also ein in die Ausgleichung des Mehrwerts zum Durchschnittsprofit, obgleich nicht in die Produktion dieses Mehrwerts. Daher enthält die allgemeine Profitrate bereits den Abzug vom Mehrwert, der dem Kaufmannskapital zukommt, also einen Abzug vom Profit des industriellen Kapitals." (III/17, S. 297 [VI, S . 27]) Durch diese Verteilung des Mehrwerts wird seine Herkunft aus der Produktion Marx zufolge wiederum verdunkelt. c) Das Leihkapital und der Zins
Der Zins ist eine Beteiligung des Darlehensgebers an den Früchten des produktiven Kapitals: "Es ist in der Tat nur die Trennung der Kapitalisten in Geldkapitalisten und industrielle Kapitalisten, die einen Teil des Profits in Zins verwandelt, die überhaupt die Kategorie des Zinses schafft; und es ist nur die Konkurrenz zwischen diesen beiden Sorten Kapitalisten, die den Zinsfuß schafft." (III/23, S. 383 [VI, S. 130)) Gegen diese Ableitung des Zinses aus dem Mehrwert hat später G. Cassel grimmigen Einspruch erhoben: "Der zentrale Satz der sozialistischen Wertlehre war, daß der Wert einer Ware gleich der Arbeitsmenge ist, die ihre Herstellung unter normalen Verhäitnissen kostet. Dieser ganz willkürliche und der Wirklichkeit schroff widerstreitende Satz schließt natürlich von vornherein nicht nur den Zins selbst sondern auch jede vernünftige Zinstheorie aus.. .. Eine Zinstheorie, auf einen solchen Satz gegründet, ist ... von vornherein als Unsinn zu erklären, hat überhaupt keinen Anspruch, als wissenschaftliche Leistung betrachtet zu werde!l. Eine Wissenschaft, die auf diesem Gebiete der Scholastik eines Marx Einräumungen macht, weiß nicht, was sie sich selbst schuldig ist." (1, S. 169 f.) Da sich beim Darlehensgeschäft nach Marx nicht Lohnarbeiter und Kapitalist, sondern das "Kapital als Eigentum" und das "Kapital als Funktion" (vgl. S. 392) gegenüberstehen, so scheint jede Beziehung des Zinses zur Produktion getilgt: "Die wirkliche Bewegung des ausgeliehenen Geldes als Kapital ist eine Operation, die jenseits der Transaktionen zwischen Verleihern und
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Karl Marx
Anleihern liegt. In diesen selbst ist diese Vermittlung ausgelöscht, nicht sichtbar, nicht unmittelbar einbegriffen.... Wir sehn nur Weggabe und Rückzahlung. Alles was dazwischen vorgeht, ist ausgelöscht." (III/21, S. 361 f. [VI, S. 103 f.]) "Im zinstragenden Kapital erreicht das Kapitalverhältnis seine äußerlichste und fetischartigste Form. Wir haben hier G- G', Geld, das mehr Geld erzeugt, sich selbst verwertenden ·wert, ohne den Prozeß, der die beiden Extreme vermittelt." (III/24, S. 404 [VI, S . 156]) "Das Kapital erschE:int als mysteriöse und selbstschöpferische Quelle des Zinses, seiner eignen Vermehrung. Das Ding (Geld, Ware, Wert) ist nun als bloßes Ding schon Kapital, und das Kapital erscheint als bloßes Ding . ... Das Geld hat jetzt Lieb' im Leibe." (S. 405 f. [S.157 ff.]) Als vom Profit abgeleitete Größe wird der Zins, alle anderen Umstände gleichgesetzt, mit der Höhe des Profits selbst steigen oder fallen. (III/22, S. 371) Der Zinsfuß unterliegt auch den Schwankungen der Konjunkturzyklen. Marx beobachtet hier schon die charakteristische Verzögerung der konjunkturellen Bewegung des Zinssatzes gegenüber derjenigen der Preise: "Der Zinsfuß erreicht seine äußerste Höhe während der Krisen, wo geborgt werden muß, u::n zu zahlen, was es auch koste." (S. 373 [S. 118]) Wie bei der Klassik, so geht auch nach Marx der Leihzins nicht in den Ausgleich der Profitraten ein, da der Kredit nur eine ergänzende unc! im Umfang wechselnde Quelle der Finanzierung von Kapitalprozessen darstellt. 2. D i e G r u n d r e n t e Während innerhalb der gewerblichen Wirtschaft die Profitraten sich auszugleichen neigen (vgl. auch Bd. I der "Texte", S. 95 ff.), genießt die Landwirtschaft einen Vorzugsgewinn ("Surplusprofit " ), der sich in Rente verwandeh 11 • Die Bedeutung der Marxschen (auch in der marxistischen Literatur sehr vernachlässigten) Grundrententheorie ist vor allem in Folgendem zu sehen : 1. Marx leitet analytisch die Rente als einen "Surplusprofit" aus dem Mehrwert ab. Er bestimmt sie also mit den Mitteln seiner Werttheorie, und nicht etwa als "Monopolgewinn" aus einer Überteuerung der Erzeugnisse der Landwirtschaft. 2. Er läßt die kapitalistische Grundrente sich historisch aus der vorindustriellen Rente (als einer Form feudaler Aneignung noch nicht von "Mehrwert", sondern v ielmehr von einfachem "Mehrprodukt") über die Stufen der .,Arbeits-", "Produkten-" und schließlich "Geldrente" herausspinncn. (Vgl. III/47)
Wie Ricardo hat auch Marx die durch kapitalistische Pächter rationell betriebene Großlandwirtschaft vor Augen, wie sie in England vorgebildet war 11 Es bleibt daher unerfindlich, wie W. Krelle behaupten kann: "Marx faßt im Gegensatz zu den Klassikern vor ihm Grund- und Kapitalbesitzer zu einer einzigen Klasse zusammen, die er Kapitalisten nennt. Ihr Einkommen ist der Profit. Seine Verteilungstheorie kennt daher nur die Zweiteilung des Sozialprodukts zwischen Lohn und Profit." (1, S. 29.)
Die gesellschaftliche Verteilung des Mehrwerts
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und wie sie Marx selbst als typisch für die Unterordnung der Landarbeit unter das Kapital betrachtet hat. Er vernachlässigt die Eigenwirtschaft sowohl von Gutsherren (wie im zeitgenössischen Preußen, in Rußland etc.) als auch von Bauern, welch letzteren Marx die Prognose des sicheren Untergangs gestellt hat. Nur unter den von Marx vorausgesetzten Bedingungen entsteht, wie er selbst zum Ausdruck bringt, ein "Surplusprofit" in Gestalt von Grundrente.
a) Die absolute Rente Die absolute Rente hat bei Marx zwei Voraussetzungen: Die eine ist in der kapitalistischen Ordnung als solcher, die andere in der spezifischen Agrarverfassung (Trennung von Grundeigentum und agrarischem Unternehmer) begründet: 1. Die im Gewerbe wie die in der Landwirtschaft (die uns im weiteren als repräsentativ für die Urproduktion überhaupt steht) angelegten Kapitalien weisen die g!eiche Mehrwertrate m auf. Infolge des geringeren Entwicltv lungsgrades der Landwirtschaft (der Urproduktion) ist hier aber die "organische Zusammensetzung des Kapitals" (das technische und wertmäßige Verhältnis von konstantem und variablem Kapital) eine niedrigere als in den Gewerben. Bei gleichen Mehrwertraten ist infolgedessen die Mehrwertmasse in der Landwirtschaft größer, und infolgedessen auch der Marktwert (der Durchschnittswert) der Erzeugnisse dieses Wirtschaftszweiges höher als die Produktionspreise der Erzeugnisse anderer Wirtschaftszweige, die nur den durchschnittlichen Normalprofit enthalten. (Vgl. Bd. I der "Texte", S. 92 ff.) "Es ist möglich ... , daß gewisse Produktionssphären unter Umständen arbeiten, die sich der Reduktion ihrer Werte auf Durchschnittspreise ... widersetzen, die der Konkurrenz [der Kapitalien, welche zu einer Durchschnittsprofitrate führt; W. H.] diesen Sieg nicht gestatten!" (2, Bd. II, s. 22) 2. Der höhere Mehrwert der Landwirtschaft wird zum Durchschnittsprofit
nicht eingeebnet, wenn (und soweit) es den Grundeigentümern möglich ist,
kraft ihres Eigentums die Mehrwert-Differenz aus der Tasche der Agrarkapitalisten in ihre eigene zu überführen:
"Es ist ganz einfach das Privateigentum bestimmter Personen an Grund und Boden, Minen, Wasser usw., das sie befähigt, den in den Waren dieser besondren Produktionssphäre, dieser besondren Kapitalanlagen enthaltnen Oberschuß des Mehrwerts über den Profit (Durchschnittsprofit, durch die allgemeine Rate des Profits bestimmte Profitrate) aufzufangen, abzufangen, einzufangen und zu verhindern, einzugehn in den allgemeinen Prozeß, wodurch die allgemeine Profitrate gebildet wird." (2, Bd. 11, S . 29) Das Grundeigentum ist "ein Mittel, das den Eigentümer der Produktionsbedingung befähigt, in der Produktionssphäre, worin der Gegenstand seines Eigentums als Produktionsbedingung eingeht, den Teil der
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Karl Marx
vom Kapitalisten erpreßten unbezahlten Arbeit sich anzueignen, der sonst als Überschuß über den gewöhnlichen Profit in die Kapitalkasse geworfen würde. Dies Eigentum ist ein Mittel, diesen Prozeß, der in den übrigen kapitalistischen Produktionssphären stattfindet, zu verhindern und den in dieser besondren Produktionssphäre erzeugten Mehrwert in ihr selbst festzuhalten, so daß er sich jetzt teilt zwischen dem Kapitalisten und dem Grundeigentümer. Dadurch wird Grundeigentum eine Anweisung auf unbezahlte Arbeit, Gratisarbeit, wie Kapital es ist." (S. 34; vgl. auch 1, III/37, S. 628) Die beiden oben genannten Voraussetzungen (niedrigere organische Zusammensetzung des Agrarkapitals und Bodenmonopol) müssen zusammentreffen: Die absolute Rente entfällt, wenn etwa die Landwirtschaft eine gleiche Zusammensetzung des Kapitals und daher eine gleic.~e Profitrate aufweist wie das Gewerbe (vgl. 2, II, S. 30, 94, 390, 391), oder wenn Grundeigentum und Bodenbewirtschaftung in einer Hand vereinigt sind (wie beim selbständigen Bauern, beim Gutsbetrieb etc.), oder wenn schließlich der Boden noch frei apropriierbar ist (wie im Falle der amerikanischen Siedlungskolonien; vgl. 2, Bd. II, S. 30). - Die beiden Voraussetzungen werden noch zu prüfen sein. (Siehe unten, S. 145 f.) "Das Wesen der absoluten Rente besteht also darin: gleich große Kapitale in verschiednen Produktionssphären produzieren, je nach ihrer verschiednen Durchschnittszusammensetzung, bei gleicher Rate des Mehrwerts oder gleicher Exploitation der Arbeit, verschiedne Massen von Mehrwert. In der Industrie gleichen sich diese verschiednen Massen von Mehrwert zum Durchschnittsprofit aus und verteilen sich auf die einzelnen Kapitale gleichmäßig als auf aliquote Teile des Gesellschaftskapitals. Das Grundeigentum, sobald die Produktion Grund und Boden braucht, sei es zur Agrikultur, sei es zur Extraktion von Rohstoffen, hindert diese Ausgleichung für die im Boden angelegten Kapitale und fängt einen Teil des Mehrwerts ab, der sonst in die Ausgleichung zur allgemeinen Profitrate eingehn würde. Die Rente bildet dann einen Teil des Werts, spezieller des Mehrwerts der Waren, der nun statt der Kapitalistenklasse, die ihn aus den Arbeitern extrahiert hat, den Grundeigentümern zufällt, die ihn aus den Kapitalisten extrahieren. Es ist hierbei vorausgesetzt, daß das agrikole Kapital mehr Arbeit in Bewegung setzt, als ein gleich großer Teil des nicht agrikolen Kapitals." (111/45, S. 779 f. [VI, S. 611 f.]) "Da ... der Wert der vom agrikolen Kapital produzierten Waren der Voraussetzung nach über ihrem Produktionspreis steht, bildet diese Rente ... den Überschuß des Werts über den Produktionspreis oder einen Teil davon. . . . Ob diese absolute Rente aber gleich dem ganzen Überschuß des Werts über den Produktionspreis oder nur gleich einem Teil desselben, die Agrikulturprodukte würden immer zu einem Monopolpreis verkauft, nicht weil ihr Preis über ihrem Wert, sondern weil
Die gesellschaftliche Verteilung des Mehrwerts
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er gleich ihrem Wert, oder weil er unter ihrem Wert, aber über ihrem Produktionspreis stände. Ihr Monopol bestände darin, nicht wie andre Industrieprodukte, deren Wert über dem allgemeinen Produktionspreis steht, zum Produktionspreis nivelliert zu werden." (S. 770 f. [S. 600]) Anders als ein Übergewinn, der aus einem monopolistisch über den Wert der Waren erhöhten Marktpreise entspringt, verletzt also die Grundrente nach Marx nicht das Wertgesetz: Hier entsteht ein "Surplusprofit" (der als Grundrente von Bodeneigentümern in Anspruch genommen wird), weit die Erzeugnisse der Landwirtschaft zu ihrem (Markt-)Wert verkauft werden, ihren hier erzeugten höheren Mehrwert noch realisieren können. (Vgl. 2, Bd. II, S. 27 f .) In der Wirklichkeit wird natürlich die Bemessung und Zahlung der vereinbarten Rente, die ja auf der Grundlage der laufenden Marktpreise der Produkte vorgenommen wird, von den reinen Bedingungen der Theorie abweichen. (Vgl. 2, Bd. II, S. 86 ff.)
b) Die Differentialrente
Auch die Differentialrente - die Marx in ihren Formen als Fruchtbarkeitsrente ("Differentialrente I") und als Intensitätsrente ("Differentialrente II") betrachtet- wird mit Hilfe des Wertgesetzes erklärt: "Die Bildung von Surplusprofiten kann auf verschiednen Wegen erfolgen. Einerseits auf der Basis der Differentialrente I, d. h. auf Basis der Anlage des gesamten Agrikulturkapitals auf einer Bodenfläche, welche aus Bodenarten verschiedner Fruchtbarkeit besteht. Ferner als Differentialrente II, auf Basis der verschiednen Differentialproduktivität sukzessiver Kapitalanlagen auf demselben Boden, d. h. hier größrer Produktivität, 7.. B. in Quarters Weizen, als mit derselben Kapitalanlage auf dem geringsten, rentelosen, aber den Produktionspreis regulierenden Boden bewirkt wird. Wie diese Surplusprofite aber auch entstehn mögen, ihre Verwandlung in Rente, also ihre Übertragung vom Pächter auf den Grundeigentümer, setzt als vorausgehende Bedingung stets voraus, daß die verschiednen wirklichen individuellen Produktionspreise (d. h. unabhängig von dem allgemeinen, den Markt regulierenden Produktionspreis), welche die Teilprodukte der einzelnen sukzessiven Kapitalanlagen besitzen, vorher zu einem individuellen Durchschnittsproduktionspreis ausgeglichen werden. Der Überschuß des allgemeinen, regulierenden Produktionspreises des Produkts eines Acre über diesen seinen individuellen Durchschnittsproduktionspreis bildet und mißt die Renteper Acre." (III/43, S. 736 f. [VI, S. 558 f.]) Beruht also die absolute Rente auf der niedrigeren Produktivität der Landwirtschaft (Urproduktion) als ganzer gegenüber dem Gewerbe, so die Differentialrente auf der höheren Produktivität einzelner landwirtschaftlicher Betriebe gegenüber anderen. (Vgl. 2, Bd. II, S. 90, 91) Also:
144
2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Kar! Marx Marktwert -
indiv. Wert - (indiv.) Produktionspreis .....____... .....____...
Differentialrente
Absolute Rente
(Vgl. 2, li, S. 262) 12 Auch die Differentialrente wird vom Bodeneigentümer auf Grund seines Eigentumsrechtes in Anspruch genommen: "Denn ohne dasselbe würde der Surplusprofit sich nicht in Grundrente verwandeln, und nicht dem Grundeigentümer statt dem Pächter zufallen." (III/45, S. 759 [VI, S. 585]) "Das bloße juristische Eigentum am Boden schafft dem Eigentümer keine Grundrente. Wohl aber gibt es ihm die Macht, seinen Boden solange der Exploitation zu entziehn, bis die ökonomisc..lJ.en Verhältnisse eine Verwertung desselben erlauben, die ihm einen Überschuß abwirft. ... Er kann die absolute Quantität dieses Beschäftigungsfeldes nicht vermehren oder vermindern, wohl aber seine auf dem Markt befindliche Quantität. Es ist daher, wie schon Fourier bemerkt hat, eine charakteristische Tatsache, daß in allen zivilisierten Ländern ein verhältnismäßig bedeutender Teil des Bodens stets der Kultur entzogen bleibt." (S. 765 [S. 593 f.]) "Das Grundeigentum ist hier die Barriere, die keine neue Kapitalanlage auf bisher unbebautem oder unverpachtetem Boden erlaubt, ohne Zoll zu erheben, d. h. ohne eine Rente zu verlangen ... " (S. 770 [S. 599]) Hieraus entspringt der Konflikt zwischen dem agrarisdten und dem gewerblichen Eigentum, den Marx in der kapitalistischen Gesellschaft angelegt findet: "Die Rechtfertigung des Grundeigentums, wie die aller andren Eigentumsformen einer bestimmten Produktionsweise, ist die, daß die Produktionsweise selbst historische transitorische Notwendigkeit besitzt, also auch die Produktions- und Austauschverhältnisse, die aus ihr entspringen. Allerdings ... unterscheidet sich das Grundeigentum von den übrigen Arten des Eigentums dadurch, daß auf einer gewissen Entwicklungshöhe, selbst vom Standpunkt der kapitalistischen Produktionsweise aus, es als überflüssig und schädlich erscheint." (111/37, S. 635 f. (S. 440]; siehe auch 2, Bd. II S. 36)
c) Die Renteneinkommen in der Entwicklung Die Tendenz der Grundrente ist nach Marx durch folgendes bezeichnet:
1. Wie die Profitrate überhaupt (vgl. hierzu auch Bd. III der "Texte"), so neigt rr Marx verwendet bei der Darstellung der Grundrente nicht immer einheitliche Begriffe. In den "Theorien über den Mehrwert" wird der (individuelle) Produktionspreis auch als "Kostenpreis" bezeichnet, während der "Kostenpreis" im "Kapital" wiederum in einem anderen Sinne erscheint. Ungenau zitiert A. Benary, 1, S. 39.
Die gesellschaftliche Verteilung des Mehrwerts
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auch die Grundrente, als Teil der allgemeinen Profitmasse, zu sinken. 2. Allerdings sinkt die "Rentrate" - sit venia verbo- weniger als die Profitrate der Gewerbe. 3. Infolgedessen absorbieren die Grundrenteneinkommen eine wachsende Quote des (agrarischen) Mehrwerts. Im Unterschiede zu Ricardo, der ein Sinken der Profitrate nur für den gewerblichen Gewinn, unter Einschluß des Zinses, annahm, meint Marx: "Auch die Rate der Grundrente hat fallende Tendenz, obgleich ihre absolute Masse wächst, und sie auch proportionell wachsen mag gegen den industriellen Profit." (III/15, S. 252 [V, S. 877]) "In demselben Maß, wie sich mit der kapitalistischen Produktion die Warenproduktion entwickelt, und daher die Produktion von Wert, entwickelt sich die Produktion von Mehrwert und Mehrprodukt Aber in demselben Maß, wie letztere sich entwickelt, entwickelt sich die Fähigkeit des Grundeigentums, einen wachsenden Teil dieses Mehrwerts, vermittelst seines Monopols an der Erde, abzufangen, daher den Wert seiner Rente zu steigern, und den Preis des Bodens selbst." (III/37, S. 651 [S. 459]) In den "Theorien über den Mehrwert" begründet Marx dieses verzögerte Sinken der Grundrente damit, " . . . daß die Agrikultur relativ unproduktiver wird, also verhältnismäßig zum Industrieprodukt der Wert des Agrikulturprodukts steigt und damit die Grundrente." (2, Bd. li, S. 10) d) Würdigung
Mit seiner Grundrententheorie ist Marx vor allem in zweifacher Hinsicht über den bis dahin erreichten Stand der Lehre hinausgegangen: 1. Der historische Unterschied zwischen vorkapitalistischer und kapitalistischer Rente wird geklärt. 2. Die Rente wird auf der Grundlage des allgemeinen Gesetzes vom Arbeitswert, nicht als Verstoß gegen dieses, bestimmt. Dennoch müssen ernste Bedenken gegen die Marxsche Theorie erhoben werden; nicht gegen seine Differentialrentenlehre, die nicht wesentlich von der seit Anderson und Ricardo allgemein anerkannten (und späterhin kaum fortentwickelten) abweicht, wohl aber gegen die Theorie der absoluten Rente. Prüft man zunächst die Voraussetzungen der Theorie, so fällt a) die "große Begrenztheit ihres Geltungsgebietes" auf (vgl. K. Diehl, dessen Auseinandersetzung mit der Marxschen Grundrententheorie übrigens nicht in allen Punkten einwandfrei ist, 3, S. 450; ferner auch L. v. Bortkiewicz, 2, S. 411): Wie Marx selbst sagt, kann eine absolute Rente nur da auftreten, wo Bodeneigentum und (kapitalistische) Bodennutzung getrennt sind. (Hiervon sieht das sowjetische Lehrbuch "Politische OkQnomie", um die Lehre von der absoluten Rente zu retten, großzügig ab; vgl. 1, S. 192 f.) Für Marx sind, wie für Ricardo, die Verhältnisse der englischen Landwirtschaft typisch für die Einbeziehung des flachen Landes in den kapitalistischen Prozeß. Für Länder mit vorherrschend bäuerlicher oder auch gutsherrlicher Eigenwirtschaft kommt 10 Einkommenstheori"e
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik : Karl Marx
im Sinne von Marx eine absolute Rente von vornherein nicht in Betracht; sie spielt also in vielen Ländern keine oder eine nur untergeordnete Rolle (falls es sie überhaupt gibt oder gegeben hat). b) Was die Annahme einer unterdurchschnittlicl1en "organischen Zusammensetzung" des agrarischen gegenüber dem gewerblichen Kapital angeht, so hat schon K. Kautsky es zu seiner Zeit als "fraglich" betrachtet, "ob heute noch eine intensive Landwirtschaft eine unter dem Durchschnitt stehende organische Zusammensetzung des Kapitals aufweist". (1, S. 76) c) Eine gleiche Mehrwertrate beim agrarischen wie beim gewerblichen Kapital läßt sich schwerlich nachweisen. (Auch begegnet der von Marx angenommene Ausgleich der Profitraten selbst innerhalb der kapitalistisch betriebenen Landwirtschaft größeren Hindernissen als in den Gewerben.) Es ließe sich denken, daß die "Mehrwertrate" unter der Voraussetzung von Marx in der Landwirtschaft höher ist (oder war), infolge der längeren Arbeitszeit und der niedrigeren "Reproduktionskosten" des Landarbeiters (vgl. Marx, 2, Bd. II, S. 9), so daß schon hierdurch eine Rente über den "Durchschnittsprofit" des kapitalistischen Pächters gezahlt werden könnte. Zu berücksichtigen ist andererseits, daß das landwirtschaftliche Kapital verhältnismäßig langsam umschlägt. d) Voraussetzung der Realisierung eines Zusatzgewinnes ist unter allen Umständen (und auch nach Marx), daß das Angebot an landwirtschaftlichen Produkten - und damit an Boden, auf dem diese erzeugt werden - in Monopolsituation steht. Dies ist aber in der neueren Agrargeschichte nur gelegentlich der Fall gewesen. Angesichts der ständig wachsenden Weltmarktkonkurrenz (vgl. schon Diehl, 3, S . 467) sowie der heutigentags fast chronisch drohenden Oberproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse gerade in industriell fortgeschrittenen Ländern kann von einer Vorzugsstellung selbst des agrarkapitalistischen Pachtherrn- den allein ja Marx betrachtet- schwerlich die Rede sein. (So neuerdings auch der polnische Ökonom M. Mieszczankowski, 1, S. 110 ff.) - Wohl aber gibt es die absolute Rente auf Grund des Privateigentums am Boden in den dicht besiedelten Ländern der Erwerbswirtschaft beim städtischen Bauboden, wo sie heute oft eine exorbitante Höhe erreicht. Sicher wird unter den von Marx allein untersuchten Umständen (Trennung von Grundeigentümer und kapitalistischem Pächter) im Pachtzins Rente bezahlt. Aber diese kann (auch im Sinne des Marxschen Wertgesetzes) anders erklärt werden denn als Differenz von Marktwert und Produktionspreis: etwa aus einer höheren "Mehrwertrate" der Landwirtschaft, oder aus echten Monopolpreisen, welche landwirtschaftliche Produkte gelegentlich erzielen mögen. (Als Monopolpreistheorie hat Kautsky die Grundrentenlehre von Marx selbst mißverstanden; 1, S. 77, 79.) Die Marxsche Hypothese ist weder bewiesen noch ist sie die einzig mögliche. Eine absolute Grundrente ist, wenn sie überhaupt in der Landwirtschaft für irgendeine Zeit nachweisbar ist, an Umstände der Agrarverfassung sowie der wechselnden Marktlage gebunden, und damit jedenfalls keine stehende Kategorie der modernen Erwerbsgesellschaft. Bedenkt man schließlich, daß jedenfalls die bäuerliche Eigenwirtschaft sich heute überall in einem Einkommensrückstand hinter den gewerblichen Schichten befindet - "Preis"- und Einkommens-"Schere" zwischen Stadt und Land -, und daß sie in allen wichtigen Industrieländern zum Nutznießer umfangreicher öffentlicher Einkommensbeihilfen geworden ist, so wird man heute eher von einer (steigenden) "Sozialrente" der (allerdings bäuerlichen) Landwirtschaft als von einer absoluten Grundrente zu sprechen haben.
Das "allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation"
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Die Marxsche Lehre von der absoluten Rente bleibt damit in ihren Voraussetzungen wie in ihren unbewiesenen Hypothesen unbefriedigend. (Vgl. auch das Urteil eines um das Verständnis von Marx so sehr bemühten Ökonomen wie L. v. Bortkiewicz, 2, S. 425, 433 f.) - Auch die Rente auf den Stadtboden kann übrigens als einfacher Monopolgewinn verstanden werden. Die Schwäche der Grundrententheorie von Marx und seinen Anhängern, die verfehlte industrielle Analogie (die bäuerliche Eigenwirtschaft unterliegt derselben Verdrängung durch den kapitalistischen Großbetrieb wie das gewerbliche Kleingeschäft; auch die Bauern werden, wie die übrigen gesellschaftlichen Zwischenschichten, aufgerieben und stürzen ins Proletariat hinab), ihre Unterschätzung der Zählebigkeit des bäuerlichen Betriebs (selbst bei kümmerlichen Einkommen) hat später zu einer gewissen Verlegenheit in der Agrarprogrammatik der auf Marx sich stützenden sozialistischen Parteien (jedenfalls in den industriell entwickelten Ländern) geführt. Bei der Landwirtschaftsfrage hat denn auch der "Revisionismus" besonders früh angesetzt; hier hat er besonders leichtes Spiel gehabt. Für die frühe deutsche Sozialdemokratie ist dabei besonders E. David (1863-1930) bedeutungsvoll geworden. (Sozialismus und Landwirtschaft, 1903, 1. - Zur Fortentwicklung der auf Marx sich stützenden Agrartheorie und Agrarprogrammatik vgl. vor allem W. I. Lenin, 1, 2, 3, 4 und viele andere Publikationen desselben. Ferner K. Kautsky, 1, 2; 0. Bauer, 1; N. Bucharin, 1; neuerdings A. Benary, 1; ferner D. Mitrany, 1.)
C. Das "allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation" So wie das erwerbswirtschaftliche System in der Zeit seiner Ausbildung (und später wiederum im kolonialen Expansionsraum, wenn auch hier unvollständig) die vorindustriellen, traditionalen Formen des gesellschaftlichen Zusammenwirkensaufgelöst hat, so unterliegt es selbst einer immanenten Entwicklungsgesetzlichkeit, die schließlich, wie Marx dartut, über die kapitalistische Ordnung hinausweist. (Vgl. dazu auch Bd. III der "Texte".) Uns beschäftigen hier die von Marx gesichteten Tendenzen des Mehrwerts auf der einen Seite, des Arbeitslohns und, darüber hinaus der allgemeinen " Lage" der Arbeitenden auf der anderen.
1. Steigende Produktivität der Arbeit u n d E n tw i c k 1 u n g d e s " r e 1 a t i v e n M e h r w e r t s " Das Verhältnis der Konkurrenz läßt die Kapitalverwerter stets danach trachten, die Wirksamkeit der Arbeit und damit die Mehrwertrate zu erhöhen. Bei gegebenen Produktionsbedingungen ist dies nur möglich vermittels einer Ausdehnung der Arbeitszeit und damit der "Mehrarbeit". Die Produktionsbedingungen selbst aber können geändert werden: Sinken infolge einer Steigerung der Arbeitsproduktivität die Werte und Preise derjenigen Erzeugnisse, die in den Bedarf der Arbeitenden eingehen, so sinken mit den "notwendigen" Aufwendungen auch die "Reproduktionskosten" (und damit der Wert) der Arbeitskraft. Hierdurch kürzt sich die "notwendige" Arbeitszeit, während der en die Beschäftigten den Gegenwert ihres eigenen Lohnes erarbeiten, und steigt der Anteil der Mehrarbeitszeit, ohne daß die Gesamtarbeitszeit ausgedehnt wird: to•
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Karl Marx
"Durch Verlängrung des Arbeitstags produzierten Mehrwert nenne ich absoluten Mehrwert; den Mehrwert dagegen, der aus Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit und entsprechender Verändrung im Größenverhältnis der beiden Bestandteile des Arbeitstags entspringt, relativen Mehrwert." (1/10, S. 334 [IV, S. 353 f.] "Um die Mehrarbeit zu verlängern, wird die notwendige Arbeit verkürzt durch Methoden, vermittelst deren das Äquivalent des Arbeitslohns in weniger Zeit produziert wird." (1/14, S. 532 [IV, S. 598 f.]) "Insofern die größre Produktivität der Arbeit den relativen Mehrwert schafft, vermehrt sie nicht den Gesamtwert des Produkts, wohl aber den Teil dieses Gesamtwerts, der Mehrwert, i. e. unbezahlte Arbeit vorstellt." (2, II, S. 258) Im historischen Sinne ist natürlich auch der absolute Mehrwert ein "relativer": "Die Arbeit muß produktiv genug sein, damit der Arbeiter nicht seine ganze Zeit braucht, um sich selbst am Leben zu erhalten." (2, Bd. 11, S. 8; vgl. auch 1, Bd. I, S. 533 f .) Dennoch bildet die "Produktion des absoluten Mehrwerts" die "allgemeine Grundlage des kapitalistischen Systems und den Ausgangspunkt der Produktion des relativen Mehrwerts". (1, Bd. I, S. 532) "Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muß die Steigerung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheitsmäßigen Lebensmittel angehören oder sie ersetzen können. Der Wert einer Ware ist aber nicht nur bestimmt durch das Quantum der Arbeit, welche ihr die letzte Form gibt, sondern ebensowohl durch die in ihren Produktionsmitteln enthaltne Arbeitsmasse. Z. B. der Wert eines Stiefels nicht nur durch die Schusterarbeit, sondern auch durch den Wert von Leder, Pech, Draht usw. Steigerung der Produktivkraft und entsprechende Verwohlfeilerung der Waren in den Industrien, welche die stofflichen Elemente des konstanten Kapitals, die Arbeitsmittel und das Arbeitsmaterial zur Erzeugung der notwendigen Lebensmittel liefern, senken also ebenfalls den Wert der Arbeitskraft. In Produktionszweigen dagegen, dle weder notwendige Lebensmittel liefern, noch Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, läßt die erhöhte Produktivkraft den Wert der Arbeitskraft unberührt." (1/10, S . 334 [IV, S . 354]) Die Erhöhung der Mehrwertrate im Einzelunternehmen ist also auch das Ergebnis der Produktivitätsentwicklung in anderen Wirtschaftszweigen. Der Zusammenhang der kapitalistischen Sphären, das gesamtgesellschaftliche Verhältnis der Lohnarbeit und des Mehrwerts tritt wiederum hervor.- Diese Umstände schließen "Surplusprofite" infolge niedrigerer Kosten einzelner Unternehmungen (im Sinne von industriellen Differentialrenten) nicht aus. (S. 335 f.) Doch unterliegen solche Produktivitätsgewinne immer wieder der Nivellierung durch die Konkurrenz.- Es gilt also: "Der Wert der Waren steht in umgekehrtem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Ebnso, weil durch Warenwerte bestimmt, der
Das "allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation"
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Wert der Arbeitskraft. Dagegen steht der relative Mehrwert in direktem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und
fällt mit fallender Produktivkraft. Ein gesellschaftlicher Durchschnittsarbeitstag von 12 Stunden, Geldwert als gleichbleibend vorausgesetzt, produziert stets dasselbe Wertprodukt von 6 Schilling, wie diese Wertsumme sich immer verteile zwischen Äquivalent für den Wert der Arbeitskraft und Mehrwert. Fällt aber infolge gesteigerter Produktivkraft der Wert der täglichen Lebensmittel und daher der Tageswert der Arbeitskraft von 5 Schilling auf 3 Schilling, so wächst der Mehrwert von 1 Schilling auf 3 Schilling. Um den Wert der Arbeitskraft zu reproduzieren, waren 10 und sind jetzt nur noch 6 Arbeitsstunden nötig. Vier Arbeitsstunden sind frei geworden und können der Domäne der Mehrarbeit annexiert werden. Es ist daher der immanente Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern, um die Ware und durch die Verwohlfeilerung der Ware den Arbeiter selbst zu verwohlfeilern." (I/1 0, S. 338 [I, S . 359]) Das Mittel einer beständigen Steigerung der Arbeitsproduktivität ist die seit der Manufakturperiode fortschreitt!nde Arbeitskooperation. (Vgl. Bd. I, Kap. 11-13) Hier ist ... " . . . die spezifische Produktivkraft des kombinierten Arbeitstags gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit. ... Im planmäßigen Zusammenwirken mit andern
streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen." (I/11, S. 349 [IV, S. 371 f.]) Bemerkungen: Nach der Arbeitswerttheorie produziert Arbeit von gleicher Art in einer Arbeitsperiode von gleicher Länge die gleiche Wertmasse. Eine Steigerung der Arbeitsproduktivität vergrößert die Menge der Gebrauchswerteinheiten, auf die sich die Wertmasse verteilt; es sinkt also der Wert der einzelnen Einheit. Der in der Arbeitsperiode produzierte Gesamtwert aber ändert sich nicht, soweit die Arbeit selbst von gleicher Art (d. h. von gleicher Intensität und gleichen Qualifikationsanforderungen) geblieben ist. Es ist daher folgerichtig, daß für Marx eine Vergrößerung der Mehrwertrate nur dann eintritt, wenn die Steigerung der Arbeitsproduktivität den Wert der Erzeugnisse des Arbeiterbedarfes senkt (nicht etwa den auf die Erzeugnisse übertragenen Wert der Produktionsmittel, was nach Marx die Mehrwertrate nicht berührt). Sein "relativer Mehrwert" ist also nicht mit unserem Begriff des Produktivitätsgewinns identisch (der in der Regel die Form der Differentialrente annimmt). Allerdings wird zu bedenken sein: Die Steigerung der Arbeitsproduktivität ändert mit den technischen Bedingungen der Produktion auch die Anforderungen an die Arbeitenden. (Zumeist: steigende Qualifikation, zunehmende Intensität der Arbeit. Letzteres hat Marx berücksichtigt, vgl. 1, Bd. I, S. 431 ff. Dagegen hat er gemeint, daß die Maschinen immer geringere Arbeitsqualifikation erfordern, was sich in der späteren Entwicklung im allgemeinen nicht bestätigt hat.) Es vergrößert sich damit die Regenerationsbedürftigkeit der Arbeitskraft, und damit deren "Wert". Wie groß der "relative Mehrwert" unter diesen Umständen ist, würde (bei freier Konkurrenz und tendenziell
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Karl Marx
sinkenden Preisen) abhängen vom Verhältnis zwischen Entwertung der "notwendigen" Bedarfsgüter und gleichzeitiger Vergrößerung und Verfeinerung dieses Bedarfes selbst. Im übrigen ist immer zu berücksichtigen, daß unter den Bedingungen des Monopolismus und der schleichenden Inflation unserer Epoche von einer Preisentwicklung, die auf ein "Wertgesetz" hinwiese, wie es Marx für seine Zeit der verhältnismäßig ungehinderten Konkurrenz annahm, keine Rede sein kann. (Vgl. Bd. I der "Texte", S. 110 f.) 2. D i e " A k k u m u I a t i o n d es E I e n d s " Welche Aussichten läßt die kapitalistische Wirtschaftsweise den Arbeitenden? Ihre eigene "Lage" bleibt den Tendenzen der Kapitalakkumulation unterworfen; und von diesen leitet sich jene Lehre ab, die- erst seit E. Bernstein - den Namen "Verelendungstheorie" erhalten hat.
a) Höhere "organische Zusammensetzung" des Kapitals und "industrielle Reservearmee" "Die Zusammensetzung des Kapitals ist in zweifachem Sinn zu fassen. Nach der Seite des Werts bestimmt sie sich durch das Verhältnis, worin es sich teilt in konstantes Kapital oder Wert der Produktionsmittel und variables Kapital oder Wert der Arbeitskraft, Gesamtsumme der Arbeitslöhne. Nach der Seite des Stoffs, wie er im Produktionsprozeß fungiert, teilt sich jedes Kapital in Produktionsmittel und lebendige Arbeitskraft ... Ich nenne die erstere die Wertzusammensetzung, die zweite die technische Zusammensetzung des Kapitals. Zwischen beiden besteht enge Wechselbeziehung. Um diese auszudrücken, nenne ich die Wertzusammensetzung des Kapitals, insofern sie durch seine technische Zusammensetzung bestimmt wird und deren Änderung widerspiegelt: die organische Zusammensetzung des Kapitals." (I/23, S. 640 [IV, S. 732 f.]; vgl. auch III/3, S. 154; III/45, S. 774) Die fortgesetzte Steigerung der Arbeitsproduktivität im Verlaufe der Kapitalakkumulation, die nach Marx auch den "relativen Mehrwert" entstehen läßt (soweit sie die Produkte des Arbeiterbedarfs umfaßt), ist begleitet von einer ständigen Zunahme des Anteils des konstanten gegenüber dem Anteil des variablen Elementsam aufgewandten Gesamtkapital: "Abgesehn von Naturbedingungen ... drückt sich der gesellschaftliche Produktivgrad der Arbeit aus im relativen Größenumfang der Produktivmittel, welche ein Arbeiter, während gegebner Zeit, mit der-
selben Anspannung von Arbeitskraft, in Produkt verwandelt. Die Masse der Produktionsmittel, womit er funktioniert, wächst mit der Produktivität seiner Arbeit." (I/23, S. 650 [IV, S. 745]) Zwar entwertet das Fortschreiten der Arbeitsproduktivität auch die Komponenten des konstanten Kapitals (S. 651 f.); dennoch steigt die "organische
Das "allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation"
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Zusammensetzung" des Kapitals infolge der - durch den Zwang der kapitalistischen Konkurrenz bewirkten - physischen Ersetzung von menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen. So bleibt das Wachsen des zur Lohnzahlung aufgewandten variablen Kapitals Marx zufolge hinter dem Zuwachs der Arbeitsbevölkerung in der Tendenz (bei mancherlei Gegenwirkungen und temporär möglicher Umkehrung des Sachverhaltes) zurück: "Einerseits attrahiert ... das im Fortgang der Akkumulation gebildete Zuschußkapital, verhältnismäßig zu seiner Größe, weniger und weniger Arbeiter. Andrerseits repelliert das periodisch in neuer Zusammensetzung reproduzierte alte Kapital mehr und mehr früher von ihm beschäftigte Arbeiter.... Die Nachfrage nach Arbeit ... fällt ... progressiv mit dem Wachstum des Gesamtkapitals ... Sie fällt relativ zur Größe des Gesamtkapitals und in beschleunigter Progression mit dem Wachstum dieser Größe. Mit dem Wachstum des Gesamtkapitals wächst zwar auch sein variabler Bestandteil, oder die ihm einverleibte Arbeitskraft, aber in beständig abnehmender Proportion . ... Die kapitalistische Akkumulation produziert ... beständig eine relative, d. h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuß-Arbeiterbevölkerung." (I/23, S. 657 f. [IV, S. 757 ff.]) "Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Vberzähligmachung." (S. 660 [I, S. 760]) "Die industrielle Reservearmee drückt während der Perioden der Stagnation und mittleren Prosperität auf die aktive Arbeiterarmee und hält ihre Ansprüche während der Periode der Überproduktion und des Paroxysmus im Zaum." (S. 668 [S. 771])
"Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats u.nd die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt, wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. (S. 673 f. [S. 777]) Würdigung: Die Tendenz zur "höheren organischen Zusammensetzung" des Kapitals- d. h. zu wachsender "Anlageintensität" der Produktion- darf als zweifelsfrei betrachtet werden. Eine entsprechende progressive Freisetzung von Suplusbevölkerung aber kann weder als geradlinige geschichtliche Tendenz nachgewiesen werden, noch ist sie theoretisch zwingend. In welchem
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik: Karl Marx
Maße Freisetzung und Resorption von Beschäftigten erfolgt, hängt ab a) vom Verhältnis der Kapitalakkumulation im ganzen zur gleichzeitigen Entwicklung der Arbeitsbevölkerung; b) vom Verhältnis zwischen arbeitssparenden Rationalisierungsinvestitionen und arbeitsbindenden Erweiterungsinvestitionen. (Vgl. dazu oben, S. 63 f.; sowie Marx selbst, Bd. I, S. 461 ff. Ferner E. Gothein, 1, besonders S. 6 ff.; W. Hofmann, 2, S. 143 f.) Daher ist auch die der Marxschen entgegengesetzte These F. Oppenheimers, in der Tendenz übersteige die von der Kapitalakkumulation ausgehende Nachfrage nach Arbeitskräften den Zuwachs der Arbeitsbevölkerung (vgl. 3, vor allem S. 34 ff.), in ihrer Allgemeinheit nicht zu halten. Unter den Bedingungen des Monopolismus ist anhaltende Massenarbeitslosigkeit für bestimmte Zeiten - man denke an die Jahre vor und während der Weitwirtschaftskrise, an die Verhältnisse in den USA seit etwa 1957 - empirisch nachweisbar und erklärbar, wenngleich sie kein ökonomisches Fatum darstellt. (Vgl. dazu W. Hofmann, 1; 4, s. 20 ff.)
b) Die Tendenz des Arbeitslohns Den im zyklischen Verlauf der Konjunktur wechselnden Umfang der "industriellen Reservearmee" sieht Marx als ein Regulativ des Arbeitslohnes an: "Im großen und ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Arbeitslohns ausschließlich reguliert durch die Expansion und Kontraktion der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Zyklus entsprechen." (1/23, S . 666 [I, S . 768]) In den frühen ökonomischen Schriften von Marx erscheint die wachsende Konkurrenz unter den Arbeitern als ein Hebel von ("absoluter" und "relativer") Lohnverelendung: "Je mehr das produktive Kapital wächst, desto mehr dehnt sich die Teilung der Arbeit und die Anwendung der Maschinerie aus. Je mehr sich die Teilung der Arbeit und die Anwendung der Maschinerie ausdehnt, um so m ehr dehnt sich die Konkurrenz unter den Arbeitern aus, je mehr zieht sich ihr Salair zusammen. [Bis hierhin H.; W. H.] . .. So wird der Wald der in die Höhe gestreckten und nach Arbeit verlangenden Arme immer dichter, und die Arme selbst werden immer magerer." (Lohnarbeit und Kapital, 1849, 4, S. 422; vgl. auch S . 420; ferner 5, S. 540 f .; sowie F . Engels, 2, S. 306 ff.) Aber auch wenn - vorübergehend - der Arbeitslohn steigt, so wächst doch noch mehr der Profit ("relative" Verelendung): "Ist das Kapital rasch anwachsend, so mag d er Arbeitslohn steigen; unverhältnismäßig schneller steigt der Profit des Kapitals. Die ~ate rielle Lage des Arbeiters hat sich verbessert, aber auf Kosten seiner gesellschaftlichen Lage. Die gesellschaftliche Kluft, die ihn vom Kapitalisten trennt, hat sich erweitert." (4, S. 416) "Relative" und "absolute" Lohnverelendung verbinden sich miteinander:
Das "allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation"
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"Im Laufe der Entwicklung fällt also der Arbeitslohn doppelt: Erstens: relativ im Verhältnis zur Entwicklung des allgemeinen Reichtums. Zweitens: absolut, indem die Quantität Waren, die der Arbeiter im Austausch erhält, immer geringer wird." (Arbeitslohn, wahrscheinlich 1847, 5, s. 544) So kommt es zum Fanfarenstoß des "Manifests der Kommunistischen Partei" von 1848: "Alle bisherige Gesellschaft beruhte ... auf dem Gegensatz unterdrückender und unterdrückter Klassen. Um aber eine Klasse unterdrücken zu können, müssen ihr Bedingungen gesichert sein, innerhalb derer sie wenigstens ihre knechtische Existenz fristen kann. Der Leibeigene hat sich zum Mitglied der Kommune in der Leibeigenschaft herangearbeitet, wie der Kleinbürger zum Bourgeois unter dem Joch des feudalistischen Absolutismus. Der moderne Arbeiter dagegen, statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben, sinkt immer tiefer unter die Bedingungen seiner eigenen Klasse herab. Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt sich noch rascher als Bevölkerung und Reichtum. Es tritt hiermit offen hervor, daß die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben und die Lebensbedingungen ihrer Klasse der Gesellschaft als regelndes Gesetz aufzuzwingen. Sie ist unfähig zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muß, statt von ihm ernährt zu werden." (6, S. 473) Eine eigentliche Lohnverelendung kennt indessen nur der junge Marx, der zu den werttheoretischen Grundlagen seiner Ausbeutungslehre noch nicht gefunden hat. (Vgl. hierzu auch Th. Sowell, 1, S. 113 f.) In seinem reifen Hauptwerke "Das Kapital" hingegen betrachtet Marx den Lohn, als Preis der Arbeitskraft, im Verhältnis zur gleichzeitigen Entwicklung des Wertes der Arbeitskraft: Verbilligt sich die Erzeugung - und damit der Wert und Preis - der Produkte des Arbeiterbedarfs, so kann mit den "Reproduktionskosten" der Arbeitskraft auch der Geldlohn sinken, ohne daß hierdurch der Reallohn geschmälert wird. Umgekehrt "kann eine Lohnsteigerung notwendig werden, schon um den alten Normalwert der Arbeit aufrechtzuerhalten. Durch Erhöhung der Intensität der Arbeit mag ein Mann dazu gebracht werden, in einer Stunde soviel Lebenskraft zu verausgaben wie früher in zwei". (Lohn, Preis und Profit, 1865, 7, S. 145.) Auch eine Erhöhung des Reallohns würde also für sich allein noch nichts gegen die These vom Existenzlohn besagen, wenn der "Wert" der Arbeitskraft infolge von Intensivierung der Arbeit und- wie aus der Sicht von heute hinzuzufügen wäre - infolge einer notwendig gewordenen höheren Qualifikation der Arbeitenden selbst gestiegen ist. (Vgl. hierzu auch H. Grossmann, 1, S. 590 ff.) Im übrigen ist für den späteren Marx - an den man sich auch in dieser Frage zu halten haben wird -der Lohn allein kein ausreichendes Indiz der allgemeinen "Lage" der Arbeitenden. Und auch wenn Marx gelegentlich
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik : Karl Marx
äußert, daß es die "allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktion" sei, innerhalb jener oben (S. 136) erwähnten Bandbreite der gesellschaftlichen Bedürfnisse des Arbeitenden, die in die "Reproduktionskosten" der Arbeitskraft eingehen, den Wert der Arbeitskraft "mehr oder weniger bis zu seiner Minimalgrenze zu drücken" (7, S. 151), so ist damit nichts über die allgemeine Entwicklung dieses Wertes selbst gesagt. Aus der Lohnthecrie des reifen Marx folgt seine Gewerkschaftstheorie: Da es für Marx kein "ehernes Lohngesetz" des Existenzminimum gibt und da die "Reproduktionskosten" der Arbeitskraft selbst einen elastischen Spielraum für Lohnerhöhung aufweisen, ermuntert Marx die "Arbeiterkoalitionen" zu einer agressiven Lohnpolitik. (Vgl. schon Das Elend der Philosophie, 1847, 8, S. 175 ff.) Eine solche ist ihm dadurch gerechtfertigt, " ... daß die Schüssel, woraus die Arbeiter essen, mit dem ganzen Produkt der nationalen Arbeit gefüllt ist und daß, wenn irgend etwas die Arbeiter hindert, mehr aus der Schüssel herauszuholen, es weder die Enge der Schüssel noch die Dürftigkeit ihres Inhalts ist, sondern einzig und allein die Kleinheit ihrer Löffel" . (7, S. 106) So feiert Marx auch in der (von ihm verfaßten) "Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation" von 1864 die gesetzliche Einführung des
Zehn-Stunden-Tages in England (im Jahre 1847) als einen Sieg jenes Gedankens der "Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht, welche die politische Ökonomie der Arbeiterklasse bildet", über die politische Ökonomie der bürgerlichen "Mittelklasse". (9, S. 11) Eine Theorie der "absoluten" und "relativen" Lohnverelendung fehlt also in den Lehren des späteren Marx. (Nur noch als ein hypothetisch denkbarer Fall neben anderen erscheint im "Kapital" beiläufig die Möglichkeit eines "relativen" Zurückbleibens des "Wertes der Arbeitskraft" gegenüber der Entwicklung des "Mehrwerts"; vgl. Bd. I, S. 546.- Übrigens bringt auch die 1964 im Deutschen erschienene sowjetische "Chrestomathie zur politischen Oekonomie" [1, S. 125 ff.] zum Gegenstand der "relativen und absoluten Verschlechterung der Lage des Proletariats" nur Textproben von Lenin und späteren marxistischen Autoren, nicht von Marx selbst oder von Engels.) Sicher hat bei alledem Marx die Möglichkeit einer Reallohnsteiger•mg nicht vorausgesehen, wie sie in einer Zeit sich eröffnete, die für Marx schon jenseits der kapitalistischen Epoche gelegen haben dürfte. Auch trifft in unserer Zeit der stark differenzierten Arbeitsmärkte, der "befestigten Gewerkschaft" (G. Briefs) und der schleichenden Preisinflation nicht mehr zu, daß die Höhe der Arbeitslöhne vom Ausmaß einer (in sich noch als undifferenziert betrachteten) stehenden Arbeitslosenarmee abhängt. In origineller Weise hat sich zur Frage der Lohnverelendung neuerdings der polnische Marxist 0. Lange geäußert: Die "relative" Verelendung scheint ihm auch heute hinlänglich dadurch erwiesen, daß trotz wachsenden Anteils der Unselbständigen an der Erwerbsbevölkerung die Quote der Lohneinkommen am Volkseinkommen nahezu konstant bleibe. Problematisch dagegen ist ihm die Lehre von der "absoluten" Verelendung. Lange meint, "daß die kapitalistische Akkumulation tatsächlich die Tendenz zur absoluten Verelendung der Arbeiterklasse, zur Festsetzung des Arbeitslohns auf einem Niveau, das nicht einmal die einfache Reproduktion der Arbeitskraft sichert, enthält. Diese Tendenz trat jedoch nur in den Anfangsphasen des Kapitalismus voll in Erscheinung, später wurde sie kompensiert und überkompensiert:
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durch die Festigung der organisatorischen und politischen Kraft der Arbeiterklasse, in einem gewissen Maße durch die staatlichen Eingriffe in den führenden kapitalistischen Ländern, durch Nutzung der noch immer bestehenden Möglichkeiten des imperialistischen Systems, durch den weltweiten Einfluß des sozialistischen Systems auf die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowohl in den Ländern des hochentwickelten Kapitalismus als auch in den unterentwickelten Ländern .... So also ist die Theorie der wachsenden absoluten Verelendung der Arbeiterklasse als Prognose und Verallgemeinerung falsch, richtig ist sie dagegen als Feststellung einer der kapitalistischen Produktionsweise innewohnenden Tendenz, die sich aus den ökonomischen Gesetzen dieser Produktionsweise ergibt und überall dort wirkt, wo sich keine ihr zuwiderhandelnden gesellschaftlichen Kräfte geltend machen." (3, S. 119 f.) Lange vernachlässigt allerdings immanente Tendenzen der modernen Wirtschaftsweise selbst, die eine "absolute" Verelendung heute schlechthin ausschließen. Ganz abgesehen davon, daß eine solche Verelendung nicht zwei Jahrhunderte hindurch ad infinitum weitergehen könnte. Man würde allerdings die Gesellschaftskritik von Marx verkennen, wenn man Marx auf eine enge Theorie der Lohnverelendung festlegen wollte. Für ihn ist nicht (wie für die meisten Sozialreformer) die Höhe des Arbeitslohns, sondern das Grundverhältnis der Lohnarbeit Mittelpunkt der Kritik. Und auch sein Begriff vom Pauperismus der arbeitenden Massen ist zu einem allgemein materiellen und darüber hinaus zu einem geistigen und kulturellen geweitet; er vollendet sich in der Lehre von der "entfremdeten Arbeit". c) Der Pauperismus
Die ergreifende Darstellung des zeitgenössischen Arbeiterlends durch Marx läßt nicht immer klar erkennen, ob der gegebene Zustand als Resultat der bisherigen Entwicklung verstanden oder ob die bis dahin verfolgte Tendenz auch prognostisch in die Zukunft verlängert wird. Das physiologische Elend der Arbeitenden sieht Marx in der "Verschwendung am Leben und der Gesundheit des Arbeiters" (III/5, S. 96), in der Verlängerung des Arbeitstages (I/13, S. 425 ff.) oder auch in der Intensivierung der Arbeit (S. 431 ff.); im "Raub aller normalen Arbeits- und Lebensbedingungen" (S. 494); in der "Brutalität der Über- und Nachtarbeit" (ebd.); im "Mißbrauch weiblicher und unreifer Arbeitskräfte" (ebd.), der zu einer "ungeheuren Sterblichkeit von Arbeiterkindern in ihren ersten Lebensjahren" geführt hat (S. 419); im "physischen Verderb der Kinder und jungen Personen" (ebd.), der sie daran hindert, etwas zu erlernen, wodurch sie später ihr Brot besser verdienen könnten, und der sie zu "Rekruten des Verbrechens" · macht. (S. 509) Dazu kommt, seit Einführung der Maschinenarbeit und der nun systematisch betriebenen Arbeitszerlegung, die geistige "Verkrüppelung des individuellen Arbeiters" (I/12, S. 386), seine "intellektuelle Verödung" (I/13, S. 421), die "Verwandlung des Arbeiters in den selbstbewußten Zubehör einer Teilmaschine" (S. 508). Die Manufaktur "verkrüppelt den Arbeiter in eine Abnormität, indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert, durch Unterdrückung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen". (I/12, S. 381; im selben Sinn etwa S. de Sismondi, 1, Bd. I, S. 296.) So bedeutet die moderne Produktionsweise ein "ununterbrochenes Opferfest der Arbeiterklasse". (I/13, S. 511) Die "Martyrologie der Produzenten" (S. 528) resümiert sich im folgenden:
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik : Karl Marx
"Innerhalb des kapitalistischen Systems vollziehn sich alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit auf Kosten des individuellen Arbeiters; alle Mittel zur Entwicklung der Produktion schlagen um in Beherrschungs- und Exploitationsmittel des Produzenten, verstümmeln den Arbeiter in einen Teilmenschen, entwürdigen ihn zum Anhängsel der Maschine, vernichten mit der Qual seiner Arbeit ihren Inhalt, entfremden ihm die geistigen Potenzen des Arbeitsprozesses ... ; sie verunstalten die Bedingungen, innerhalb deren er arbeitet, unterwerfen ihn während des Arbeitsprozesses der kleinliehst gehässigen Despotie, verwandeln seine Lebenszeit in Arbeitszeit, schleudern sein Weib und Kind unter das Juggernaut-Rad des Kapitals. Aber alle Methoden zur Produktion des Mehrwerts sind zugleich Methoden der Akkumulation, und jede Ausdehnung der Akkumulation wird umgekehrt Mittel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher, daß im Maße wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß. Das Gesetz endlich, welches die relative Obervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumuiation von Reichtum entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d. h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert." (I/23, S. 674 f. [IV, S. 779]) Marx meint hier offenbar a) Verelendung der Arbeitenden trotz steigender Reallöhne; b) nicht gleichmäßige Verelendung aller Arbeiter (die sehr rasch auf natürliche Grenzen stoßen müßte), sondern vielmehr das Hinabgleiten eines wachsenden Teils der Arbeitenden in die "Lazarusschicht" des Pauperismus. (Vgl. hierzu auch K. Kühne, 1, Heft 2, S. 64; Th. Sowell, 1, S. 117.Zur allgemeinen Geschichte der Elendstheorie vom 18. bis zum 20. Jahrhundert vgl. R. Michels, 1.) Die Marxsche Lehre von der geistig-kulturellen Verkümmerung der Arbeitenden in der kapitalistischen Maschinenwelt mündet aus in die Lehre von der entfremdeten Arbeit. d) Die entäußerte Arbeit
Hat schon G. W. F. Hege! geäußert, die bürgerliche Gesellschaft könne auf der Grundlage ihres eigenen Prinzips, der Arbeit, nicht der "Erzeugung des Pöbels" steuern (1, § 245, S. 201); und hatte er das "unglückliche Bewußtsein" darin gefunden, daß es nur "begehrend und arbeitend" sei, also in der "Entzweiung", in der "gebrochenen Gewißheit seiner selbst", im "Extrem der Einzelheit" existiere (2, S . 165, 167), so schreibt der junge Marx :
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"Der Arbeiter wird um so ärmer, je mehr Reichtum er produziert, je mehr seine Produktion an Macht und Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine um so wohlfeilere Ware, je mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu .... Dieses Faktum drückt weiter nichts aus als: Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber. Das Produkt der Arbeit ist die Arbeit, die sich in einem Gegenstand fixiert, sachlich gemacht hat, es ist die Vergegenständlichung der Arbeit. Die Verwirklichung der Arbeit ist ihre Vergegenständlichung. Diese Verwirklichung der Arbeit erscheint in dem nationalökonomischen Zustand als Entwirklichung des Arbeiters, die Vergegenständlichung als Verlust und Knechtschaft des Gegenstandes, die Aneignung als Entfremdung, als Entäußerung." (Zur Kritik der Nationalökonomie. Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844, 10, S. 561) "Die Entäußerung des Arbeiters in seinem Produkt hat die Bedeutung, nicht nur, daß seine Arbeit zu einem Gegenstand, zu einer äußeren Existenz wird, sondern daß sie außer ihm, unabhängig, fremd von ihm existiert und eine selbständige Macht ihm gegenüber wird, daß das Leben, was er dem Gegenstand verliehen hat, ihm feindlich und fremd gegenübertritt." (1 0, S . 562) Die Entäußerung der Arbeit ist unter anderem darin zu finden, " ... daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d. h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Hause. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird. Die äußerliche Arbeit, die Arbeit, in welcher der Mensch sich entäußert, ist eine Arbeit der Selbstaufopferung, der Kasteiung." (S. 564) In der Entfremdungstheorie des jungen Marx, die von großer Bedeutung für die spätere Soziologie geworden ist (näheres hierüber bei W. Hofmann, 2, S. 148 ff.), findet man den letzten philosophischen und humanitären Kern der Marxschen Gesellschaftskritik. Die Theorie des Elends ist bei Marx weit weniger ,.materialistisch", als seine Gegner vermeint haben.
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2. Abschnitt: Sozialistische Kritik : Karl Marx
3. D e r d i a 1 e k t i s c h e U m s c h 1 a g d e r G e s c h i c h t e : die "Expropriation der Expropriateure" Aus der Lehre von einer notwendigerweise im Umfang immer allgemeineren Verelendung der arbeitenden Klasse entspringt direkt die Erwartung der sozialistischen Umwälzung. Es gibt bei Marx keine Theorie eines mechanischen "Zusammenbruchs" der kapitalistischen Wirtschaftsweise; die Änderung der Gesellschaftsordnung ist für ihn die Sache bewußt handelnder Menschen. Den Arbeitenden aber dringt sich nach der Erwartung von Marx ein solches Handeln als unmittelbar existenzielles Gebot im Fortgang der Kapitalakkumulation selbst auf. Das Proletariat wird damit zum Vollstrecker der immanenten Tendenz jener Produktivkräfte, welche die kapitalistische Produktionsweise freigesetzt hat und deren Entwicklung schließlich über diese selbst hinausweist: "Die Verwandlung der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte, daher des zwerghaften Eigentums vieler in das massenhafte Eigentum weniger, daher die Expropriation der großen Volksmasse von Grund und Boden und Lebensmitteln und Arbeitsinstrumenten, diese furchtbare und schwierige Expropriation der Volksmasse bildet die Vorgeschichte des Kapitals." (I/24, S. 789 f. [IV, S. 925]) "Sobald dieser Umwandlungsprozeß nach Tiefe und Umfang die alte Gesellschaft hinreichend zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische Produktionsweise auf eignen Füßen steht, gewinnt ... die weitere Expropriation der Privateigentümer ... eine neue Form. Was jetzt zu expropriieren, ist nicht länger der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist." (I/24, S. 790 [IV, S. 926]) Es vollzieht sich die "Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige": "Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert." (I/24, S. 790 f. [IV, S. 926 f ]) Mit seinen eigenen Daseinsbedingungen aber hebt das arbeitende Volk nach der Erwartung von Marx jegliche Klassenordnung auf:
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Das Proletariat kann sich ,.nicht selbst befreien, ohne seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben. Es kann seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben." (Die heilige Familie, 1845, 11, S . 38) Die verallgemeinerte Arbeit kann nicht länger ausgebeutete Arbeit sein. Damit aber schließt für Marx die ,.Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft" (12, S. 9), die in Klassenkämpfen verlaufen ist, ab.
Vierter Teil
Einkommenslehre aus dem Geiste der Rechtfertigung Der ganzen älteren Einkommenstheorie, von den Merkantilisten bis zu den Sozialkritikern, ist die Auffassung von einer fundamentalen Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Einkommen eigen gewesen. Mit dieser Sichtweise nun hat die neuere Lehre, die mit der Grenznutzentheorie anhebt, gründlich gebrochen. Ihre Absage an die ältere Werttheorie (vgl. Band I der "Texte", S. 113 ff.), hat auch Folgen für die Verteilungstheorie gehabt. Die reine Preislehre, ohne werttheoretische Umschweife, bemächtigt sich der Einkommenstheorie, indem sie die Preisbildung für die "Produktionsfaktoren" zu einem einfachen Unterfall der allgemeinen Preislehre erklärt. Die allgemeinen Regeln von Kauf und Verkauf werden dabei auf alle Arten von Einkommen übertragen und diese hierdurch auch untereinander vergleichbar gemacht. Beispielhaft für diesen Sinneswandel ist die Einkommenslehre von L.
Walras (1834-1910), dem Bedründer der neueren subjektivistischen Preis-
theorie im französischen Sprachraum: Walras rückt entschieden von der- Verteilungstheorie der englischen Klassiker ab (1, S. 399 ff.) - was abermals bezeugt, wie wenig die sogenannten "Neoklassiker" in Wahrheit mit der Klassik gemein haben - und greift auf J .-B. Says Drei-Faktoren-Theorie zurück, die er zum Ausgangspunkt seiner Auffassung von der letztliehen Übereinstimmung der gesellschaftlichen Interessen macht. Sein allgemeines Gleichgewichtskonzept umfaßt ebenso die Preisbildung auf den Märkten der Produkte wie die auf den Märkten der produktiven "Dienste" (services): Hier bilden sich Grundrente, Lohn und Zins als Preise der "Bodenkapitalien", der "persönlichen Kapitalien" und der "beweglichen Kapitalien" (capitaux fonciers, personnels et mobiliers; S. 426 f.). Die Verkaufspreise der Produkte selbst lösen sich in die Preise der mitwirkenden produktiven Dienste auf. (S. 212) Die Einkommenslehre ist damit der Preislehre integriert. Noch entschiedener als Walras hat später R. Liefman (1874-1941), der die ökonomische Wissenschaft aus "ihrer völligen Verstrickung in die materialistische Auffassung" zu lösen sich vornahm (vgl. 1, II, S. 534), alle Einkommen auf die bloße "Preisbildung im Tauschverkehr" zurückgeführt. (2, S. 6; ferner 1, II, 9. Teil, passim.) Die Umdeutung, die damit eingeleitet worden ist, berührt vor allem die Gewinneinkommen. Die Auffassung von Walras wird in der Folgezeit zur allgemeinen: "Im Gleichgewichtszustand der Produktion machen die Unternehmer weder Gewinn noch Verlust." (1, S. 195) Der Gewinn, der seiner Natur nach ein "Residualeinkommen" ist, wird in so viele marktbedungene Elemente aufgelöst, die den Lohneinkommen als Leistungsentgelte sowie als Kostenpositionen in der Unternehmensrechnung gleichgesetzt werden, daß ein nicht als Preis anzusehendes "Rest"-Einkommen im Normalfall nicht mehr übrig 11 Einkommenstheorie
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Einkommenslehre aus dem Geiste der Rechtfertigung
bleibt. (Vgl. dazu etwa J. A. Schumpeter, 2, S. 44; E. Preiser, 3, S. 134) Die Deutung des Kapitalprofits verschiebt sich damit. Als erklärungsbedürftig erscheint vor allem der .,Zins". Die Wende in der Einkommenstheorie tritt zunächst mit der Grenznutzenlehre ein. Freilich hat diese sich von Anfang an schwer getan, den Einkommensprozeß mit ihrem allgemeinen Konzept von der letztliehen Bestimmung aller Märkte durch die subjektiven Wünsche der Endverbraucher zu vereinen. Sie hat daher beizeiten bei der objektivistischen Begründung der Einkommensbildung durch die Grenzproduktivitätstheorie Anlehnung gesucht. Zu dieser steht sie von Anfang an nicht so sehr im Verhältnis des Gegensatzes als vielmehr der Ergänzung.
Erster Abschnitt
Subjektivistisch begründete Einkommenslehre: die Grenznutzentheorie Die Grenznutzenlehre ist seit Beginn der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts in ihren charakteristischen drei Varianten - Österreichische Schule: C. Menger, E. v. Böhm-Bawerk, F. v. Wieser; angelsächsische Richtung: W. St. Jevons, F. Y. Edgeworth; "Lausanner" Richtung: !... Walras, M. Pantaleonihervorgetreten. Mit ihr vollzieht sich die Wendung von der gesellschaftlichhistorischen zur naturwissenschaftlich-anthropologischen Sicht des Wirtschaftslebens, von der Untersuchung sozialökonomischer Tendenzen zur Formulierung allgemeingültiger "Gesetze", von der ·D eutung der Umstände des wirtschaftlichen Handeins zu dessen (subjektiver) Motivierung; ein Wandel der Auffassung, der schon im Zusammenhang mit der subjektivistischen Preistheorie näher charakterisiert worden ist (vgl. Band I der "Texte", S. 118 ff.) und der für das neuere ökonomische Denken von großer Bedeutung geblieben ist. In der Einkommenslehre setzt die Grenznutzentheorie der älteren "Ausbeutungs"-Lehre die Auffassung von der letztliehen Einheit des Einkommensprinzips entgegen. Sie kommt hierzu auf zwei Wegen: 1. Das kaufmännische Prinzip von Aufwand und Ertrag, das die moderne Erwerbswirtschaft mit ihrem Geist der allgemeinen "Rechenhaftigkeit" (M. Weber) kennzeichnet, wird zu einer urtümlichen Verhaltensnorm jeder Wirtschaft gedehnt. Der Vergleich von Aufwand und Erfolg beschränkt sich der Grenzwertlehre zufolge nicht auf Verhältnisse der kommerziellen Geldwirtschaft; er ist als unmittelbare Abschätzung von Mühe und Nutzen auch der einfachen Haushaltswirtschaft eigen und bestimmt daher auch das Verhalten der nichtkapitalistischen Schichten. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß etwa gleichzeitig mit der Grenznutzenlehre der Österreichische Philosoph E. Mach (1838-1916) sowie der Begründer des "Empiriokritizismus", R. Avenarius (1843-1896), das Prinzip der "Ökonomie" zur allgemeinen Grundlage des menschlichen Empfindungslebens und Denkens erklärt haben: Mit dem geringsten "Kraft"-Aufwand soll ein möglichst hohes Maß an Apperzeption bzw. an Einsicht gewonnen werden (vgl. E. Mach, 1, 1872; R. Avenarius, 1, 1876). Wie überhaupt die Grenznutzenschule (vor allem in Österreich) sowohl zu dem empiriokritizistischen Subjektivismus wie auch zu dem (mit diesem nahe verwandten) zeitgenössischen physiologischen Materialismus (E. H. Weber, 1795-1878; G. Tb. Fechner, 1801-1887; H. v. Helmholtz, 1821-1894; W. Ostwald, 1853-1932) in enger Beziehung steht. (Vgl. dazu etwa E. v. Böhm-Bawerk, 4, S. 48 f.) Indem nun die Kategorien von "Aufwand" und "Ertrag" von der betrieblichen Kapitalrechnung auf alle Wirtschaftsbeteiligten übertragen werden, erscheinen diese allesamt als miteinander vergleichbar. Die ideologische "Integration" der Gesellschaft vollzieht sich durch Verallgemeinerung des Unter-
u•
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1. Abschnitt: Subjektivistisch begründete Einkommenslehre
nehmerbitdes. Der Mensch der Grenznutzenlehre w ird zum .,kontinuierlichen ,Betriebsleiter'". (M. Weber, 3, S. 394) Auch den Verbraucherhaushaltungen wird ein kaufmännischer Kalkül unterstellt: .,Das wirtschaftlid1e Prinzip verfol gt in der Produktion dasselbe Ziel wie im Haushalt, das Ziel des höchsten Nutzens, der unter den gegebenen beschränkten Verhältnissen überhaupt gewonnen werden kann." (F. v. Wieser, 2, S. 160) Dem entspricht die Lehre von den "Grenzkonsumerträgen" (R. Liefmann, 3, S. 131 und passim), vom .,Ertrag des Konsumenten" (L. Illy, 1, S. 51 f.), von der " Präjerenzenmaximi eruna" Pareto, Hicks), von der "Konsumentenrente" (Dupuit, Gossen, Marshall, Pantaleoni, Barone). Auch der Unterschied der Stellung von Kapitalverwertern und Unselbständigen verwischt sich: Die Beschäftigten werden in ihren Markte::wägungen durchwegs wie Selbständige betrachtet. 2. In der gleichen Richtung wirkt die Unterordnung der Einkommensb i ldung unter die allgemeinen Gesetze des Marktpreises. Indem die Lehre von der Marktpreisbildung auf die .,Preise der Produktionsfaktoren" - der .,produldverwandten Güter", wie sie Böhrn-Bawerk genannt hat; 2, S. 327 - ausgedehnt wird, erscheint jeder Träger eines .,Faktors" als sein eigener Kaufmann, der Ware zu Markte bringt. So betrachtet die Grenznutzenlehre die Wirtschaftsgesellschaft als eine ,.Gemeinschaft von Besitzenden" (H. Peter, 1, S. 29). Die "soziale Frage" erledigt sich damit von selbst, da es kein gesellschaftli::hes Gegenüber m ehr gibt. Hatten die älteren (vorsozialistischen) "Ausbeutungs"-Theorien in der Kategorie des Gewinns einen "Abzug" vom Arbeitsertrag, also eine Verletzung des Äquivalententausches gesehen, so stellt die Umformulierung des Äquivalenzprinzips selbst (jeder erhält, was seine Ware .,wert" ist) wieder das gute soziale Gewissen her.
A. Die Lehre vom Arbeitslohn: William Stanley Jevons Mit William Stanley Jevons (1835-1882) findet der Gedanke eines allgemeinen Lust-Unlust-Kalküls, der in der englischen hedonistisch-utilitaristisch geprägten Philosophie und Gesellschaftslehre tief verwurzelt ist und letztlich auf die Erkenntnisauffassung des Sensualismus zurückgeht, seine konsequente Anwendung auf die Einkommenslehre. Die Lohntheorie, von der Grenznutzenlehre im allgemeinen vernachlässigt, zeigt in der freilich auch bei Jevons recht kursorischen Darstellung immerhin die entschiedene Wendung gegenüber der Klassik wie gegenüber den "Ri cardi an Socialists" an.
1. Die "Grenzäquivalenz von Arbeit und Nutzen"
Das Hauptwerk von Jevons, betitelt "The Theory of Political Economy"
(1871), das mit einer auf J . Bentham (1748-1832) sich stützenden "Lehre von
den Lust- und Unlustgefühlen" (theory of pleasure and pain) anhebt, entwickelt folgenden Gedankengang zur "Theorie der Arbeit" (Kapitel 5) 1 :
Arbeit "ist jede unangene hme (painful) Anstrengung des Geistes oder Körpers, d e r wir uns t eilweise oder gänzlich im Hinblick auf ein künftiges Gut unterziehen." (S. 159 [183]; H.) 1 Übersetzung durch mich nach der 2. Auflage von 1879, der Ausgabe letzter Hand. Seitenangaben in runder Klammer verweisen auf die deutsche Ausgabe .,Die Theorie der politischen Ökonomie", Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister, Band 23, Jena 1923, Seitenangaben in eckiger Klammer auf die angeführte englische Ausgabe.
William Stanley Jevons
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Solange dem Arbeitenden die aufgewandte Mühe, die als "negativer Nutzen" aufzufassen ist, kleiner zu sein scheint als das hierdurch zu erlangende Gut, fällt ihm ein "Nettoprofit" (net profit) an Gutseinheiten zu. (Vgl. S. 160 [184])
Nun gilt, daß mit zunehmender Arbeitslänge - jedenfalls bei kontinuierlicher Tätigkeit- der Arbeitende die Mühe als immer drückender empfindet, während er den dafür erlangten Gütern nach dem Gesetze des sinkenden Grenznutzens immer geringeren Wert beimißt: "Wenn die Arbeit selbst ein größeres Übel ist als das, vor dem ihn die Arbeit bewahrt, so kann es keinen Anlaß zu weiterer Anstrengung mehr geben, und er [de r Arbeitende; W . H.] b eendet sie. Er wird also gerade an dem Punkt seine Arbeit abbrechen, wo die Mühe der hierdurch gewonnenen Annehmlichkeit gleich ist." (S. 167 [191]) "Solange er gewinnt, arbeitet er, und wenn er aufhört zu gewinnen, hört er auf zu arbeiten." (S. 167 [192]) Mathematisch ausgedrückt: Bedeutet t die Dauer der Arbeit, l den Aufwand an Arbeitsmühe, x die Menge des erzeugten Produkts, u den gesamten Nutzen dieses Produkts, so ist das, was man als "Grenzleid der Arbeit"
dl
dt
bezeichnen kann - Jevons selbst bedient sich des Begriffes nicht -, auszudrücken als das ... " . . . Produkt des Verhältnisses des erzeugten Gutes zur Zeit, multipliziert mit dem Verhältnis des Nutzens zur Produktmenge". (S. 167 [191]) Also:
"dl dx du " = -- · - · dt dt dx
(S. 167 [191]).
Es ist dies die Formel für die "Grenzäquivalen:= von Arbeit und Nutzen" (final equivalence of labour and utility; S. 167 [192]), und damit für den Arbeitslohn. In einfachen Fällen gleichmäßiger Maschinenarbeit kann
man das Zeitmoment vernachlässigen. Hier . . .
" ... bestimmt sich die Gre n ze zwischen Arbeit und Untätigkeit durch die Gleichheit von 6.u und 6.l, und als Grenzwert haben wir die Gleichung: du dx
dl dx
..
(S. 168 [192])
Das Prinzip der "Grenzäquivalenz von Arbeit und Nutzen" oder, wie es J. A. Schumpeter schlicht bezeichnet hat, der Gedanke: "Grenzopfer = Lohngrenznutzen" (2, S. 38 f.), wird von der subjektivistischen Schule allgemein geieilt. Schon H. H. Gossen schrieb, "daß wir durch Arbeit die Summe unseres Lebensgenusses solange zu erhöhen imstande sind, als der Genuß des durch Arbeit Geschaffenen höher zu schätzen ist, als die durch die Arbeit verursachte Beschwerde". (1, S. 38; H.) - Ebenso nimmt E. v. Böhm-Bawerk an, "daß man die Arbeit, deren Mühsal bekanntlich mit zunehmender Dauer
166
1. Abschnitt: Subjektivistisch begründete Einkommenslehre
immerfort anwächst, gerade bis zu jenem Punkte ausdehnt, an dem die Mühsal des letzten Arbeitsteilchens, z. B. der letzten Viertelstunde, eben ins Gleichgewicht tritt mit dem (Grenz-)Nutzen des Produkts jenes letzten Arbeitsteilchens". (3, S. 422) Ferner 0. Engländer: "Das Entgelt für eine letzte Arbeitsstunde muß mindestens so hoch sein wie der Preis von so viel Gütern, daß deren wachsender Genuß die Vermeidung der Unlust der letzten Arbeitsstunde überwiegt." (1, S. 24; vgl. auch K. E. Boulding, 1, hier 2. Auflage von 1948, s. 742) Das Prinzip des Ausgleichs von Grenzleid der Arbeit und Grenznutzen des Produkts bestimmt nach Jevons auch die Aufteilung der Arbeit auf ver-
schiedenartige Produkte:
"Nehmen wir an, daß eine Person zwei Arten von Gütern zu erzeugen imstande sei. Natürlich ist es ihr einziges Ziel, das größte Nutzenquantum zu erzeugen. Dies wird nun zum Teil von den vergleichsweisen Nutzengraden der Güter abhängen und zum Teil von der relativen Leichtigkeit, sie zu erzeugen .... Wir wollen annehmen, daß jemand im Begriffe steht, mehr Arbeit einzusetzen: auf welches Gut soll er den nächsten Arbeitszuwachs verwenden? Offenbar auf dasjenige, das ihm den größten Nutzen erbringen wird.... Die Verteilung der Arbeit wird am Ende so sein, daß der Zuwachs des Nutzens in den verschiedenen Tätigkeiten ein gleicher ist ... " (S. 174 f. [199 f.]; vgl. das "2. Gossensehe Gesetz", Band I der "Texte", S . 125 f.) 2. Kritik 1. Der Arbeiter wird als Selbständiger betrachtet, das bestehende Arbeitsrechtsverhältnis also ignoriert. Tatsächlich kann der moderne Betrieb es nicht in das Belieben des einzelnen stellen, wie lange er arbeiten will und wie er etwa seine Arbeit auf verschieäene Tätigkeiten verteilt. (Vgl. BöhmBawerk, 1, II, S. 226; M. Dobb, 1, S. 161; A. Salz, 2, S. 56) Die Anwendung des kaufmännisc.l-}en Aufwands- und Ertragskalküls auf die Unselbständigen geht fehl: Im Unterschiede zu den Unternehmern können die Beschäftigten über ihren Arbeitserfolg keine Bilanz mit Gewinn- oder Verlustrechnung aufmac.hen. (Vgl. A. Amonn, 1, S. 265) Die Unvergleichbarkeit von "Arbeitsmarkt" und Produktenmarkt zeigt auch die bekannte "Anomalie der Lohnkurve" an. (Vgl. dazu J. R. Hicks, 1, S. 37 ff.; E. Arndt, 2, S. 70)
2. Der Arbeitslohn wird mit dem individueilen Arbeitsprodukt einfac.l-t gleichgesetzt und damit das ganze Problem der richtigen "Zurechnung" des Erzeugnisses der kooperativen, verbundenen Arbeit auf den einzelnen als gelöst unterstellt. 3. Dem "Arbeitsleid" steht nicht der (abnehmende) Nutzen eines Gutes und schon gar nicht der des erzeugten Produkts, nach dem der Arbeitende oft keinerlei Verlangen trägt -, sondern vielmehr der "Nutzen" aller Güter gegenüber, gegen die sidt sein Geldlohn einwechselt. Der Arbeiter ist kein auf Selbstversorgung eingestellter Robinson. Es könnte also nur ein sinkender Grenznutzen des Geldlohnes behauptet werden (vgl. die Einkommenstheorie des Geldwertes: F. v. Wieser, 4, 5), was bei der Größe des Bedarfs, der jeweils ungedeckt bleibt, einigermaßen unbegründet ist.
William Stanley Jevons
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4. Der Begriff der "Arbeitsmühe" (Arbeitsintensität) ist offenbar schwer zu fassen. Jevons betrachtet die Arbeitsmühe noch als unmittelbar korreliert mit dem physischen Kraftaufwand. Allerdings kann - wie Jevons hinzufügt- nur das Unlustgefühl, das den Kraftaufwand begleitet, mit der Befriedigung verglichen werden, welche die erworbenen Güter verschaffen. (Vgl. S. 192 [221].) Die moderne Arbeitsphysiologie und Arbeitspsychologie ist über diesen rohen Begriff von Kraftverzehr mittlerweile hinausgekommen. Der Wahn von der Meßbarkeit des Arbeits-"Unnutzens" ist hierbei freilich ebenso verflogen wie der von der Meßbarkeit des Guts-"Nutzens". (Vgl. dazu Band I der "Texte", S. 183 und passim.) - Offenbar in dem Gefühl, daß die Theorie des "Arbeitsleides" keine ausreichende Erklärung der Lohnbildung liefert, hat denn auch Jevons schon ergänzend auf den Gedanken der Grenzproduktivität zurückgegriffen. 5. Das Sinken des Grenznutzens der Güter und das Steigen des Grenzleides der Arbeit vollzieht sich in der Zeit. Verbrauch und Arbeit aber sind zeitlich voneinander getrennt, und sie unterliegen verschiedenen. zeitlichen Rhythmen, die nicht synchronisiert werden können. Im Zeitpunkt der Arbeit kann der Beschäftigte höchstens darüber urteilen, ob ihm der künftige erwartete Genuß die gegenwärtige Anstrengung verlohnt. Wendet man auch hier das "Gesetz der Minderschätzung künftiger Genüsse" an (vgl. unten, S. 172 ff.), so müßte man annehmen, daß der Beschäftigte scl10n vor der Zeit das Interesse an einer Fortsetzung seiner Arbeit verliert. 6. Selbst wenn das Theorem von der "Grenzäquivalenz von Arbeit und Nutzen" brauchbar wäre, würde es nur die Beziehung zwischen dem Lohn und dem Angebot an Arbeitskraft bezeichnen. Es bleibt unvoHständi.g, soweit nicht auch die Nachfrage der Unternehmungen nach Arbeitskräften berücksichtigt wird. Diese aber gilt - wie besonders die Österreicher hervorgehoben haben; vgl. etwa C. Menger, 1, S. 144 f.; Böhm-Bawerk, 4, S. 88; F. v. Wieser, 3, S. 149- als abgeleitet von der Schätzung des Nutzens der respektiven Waren durch die Endkäufer, also durch ganz andere Personen als die einzelbeteiligten Arbeiter selbst. So gesehen erklärt das Prinzip der Grenzäquivalenz von Arbeits-"Unnutzen" und Lohn-"Nutzen" nicht die Höhe des Lohnes, sondern vielmehr bestenfalls die vermutliche Reaktion des einzelnen Arbeitenden a:.xf eine schon gegebene Lohnhöhe. 7. Die Formel von der "Grenzäquivaler.z von Arbeit und Nutzen" ist nicht nur konstruiert, sie bleibt auch inhaltsleer. J cder Lohn, auch der reine Existenzlohn, ist durch sie gedeckt: Denn je niedriger das Arbeitsentgelt, desto höher natürlich die Grenzwertung der hierdurch vermittelten Waren; desto größer also die Bereitschaft der Arbeitenden, ihre Wirkungszeit auszudehnen und ein höheres "Grenzleid" der Arbeit auf sich zu nehmen. So wird der Arbeitslohn nicht erklärt, sondern vielmehr in seiner jeweiligen Höhe gerechtfertigt und die Bildung des Lohnes aus dem gesellschaftiichen Raum hinaus in eine Welt geradezu physiologisch wirkender Gesetze verlegt. Die Wirklichkeit dagegen ist: "Für jeden einzelnen Unternehmer sind die Arbeitskräfte und Arbeitsleistungen, die er verwendet, so viel und nur so viel wert, als sie tatsächlich oder kalkulierbar zum Gewinn des Unternehmens beitragen. Der Gewinn ... ist der letzte Maßstab für den Wert der Arbeitskräfte in der verkehrswirtschaftlichen Marktproduktion. Arbeitslöhne sind vom Standpunkt der Unternehmer aus unvermeidliche Vorauslagen auf künftig zu realisierenden Gewinn, die in den erzielten Produktionspreisen ... refundiert werden müssen." (A. Salz, 2, S. 68) Der Arbeitslohn selbst hängt dabei von der Wirtschaftskonjunktur ab. (Vgl. S. 56.) Von der gegebenen
168
1. Abschnitt: Subjektivistisch begründete Einkommenslehre
Antinomie der Einkommensinteressen kann nicht abgesehen werden: "Jede Arbeitslohntheorie, die von dem Bestehen des sozialen Gegensatzes zwischen Arbeit und Kapital in der modernen Gesellschaft abstrahiert und sich so stellt, als gebe es diesen nicht ... ist irreal und erfahrungswidrig." (S. 49; vgl. auch Salz, 3.) 3. L o h n p o I i t i s c h e F o 1 g e r u n g e n 1. Für Jevons, wie für die anderen Grenznutzentheoretike r, ist es eine ausgemachte Sache : Bei freier Konkurrenz erhält ein jeder, auch der Arbeiter, das seine. Mit Böhm-Bawerk zu sprechen: "Wert des Produkts = Wert der Arbeit = Grenznutzen = Arbeitsleid." (3, S. 425; vgl. auch C. MengeT, 1, S. 186 f.) Der einzige Weg zur Erhöhung der Einkommen für alle ist daher Steigerung der Arbeitsleistung. (Jevons, 2, S. 93 f.) Ertrotzen die Beschäftigten dagegen höhere Löhne ohne Steigerung ihrer Produktivität, so büßen dies in Gestalt höherer Preise die Verbraucher, und daher wiederum andere Arbeiter als Verbraucher. (2, S. 98, 104; 3, S. 111) 2. Dem entspricht die Haltung von Jevons gegenüber den Gewerkschaften:
"Alles, was jemanden daran hindern kann, das ihm mögliche Höchstmaß an Arbeitsfähigkeit zu betätigen, widerspricht von Anfang an den Interessen des Gemeinwesens." (2, S. 99) Gewerkschaften sind daher zwar nützlich, soweit sie Verkürzung der Arbeitszeit, bessere Arbeitsbedingungen usw. erstreben. (Vgl. 3, S. 105 ff.) Doch sollen sie nicht, vollends durch Streik, höhere Löhne erzwingen: "Es soll ganz unmißverständlich gesagt werden: Wer seine eigenen Löhne zu erhöhen sucht, indem er andere Leute an der Arbeit hindert und hierdurch seine eigene Arbeit knapp macht, unternimmt es, von anderen einen Tribut zu erheben. Es ist dies einfach ein Fall privater Besteuerung." (2, S. 103)
"Unionism, then, is simply pTotection." (3, S. 113) Dabei können zwar einzelne Gewerkschaften ihre Mitglieder zu Lasten anderer Arbeiter bereichern, aber allesamt können sie die Löhne durch solches Vorgehen nicht heben. (2, S. 106) Ein Verbot der Gewerkschaften, wie es manche befürworten, würde allerdings "weder wünschenswert noch durchführbar" sein. (4, S. 123; vgl. auch 2, S. 109 ff.) Vielmehr sollten die Gewerkschaften auf den friedlichen Weg geführt werden (2, S. 126 f.), wobei freiwillige Schlichtung und Lohnarbitrage gute Dienste tun könnten (2, S. 148 ff., 163; 3, S. 120.) 3. Dem gewerkschaftlichen Lohnkampf setzt Jevons den Gedanken einer künftigen Partnerschaft entgegen: "Nach der gegenwärtigen Lehre sind die Interessen des Arbeiters mit denen der anderen Arbeiter verknüpft und die des Unternehmers mit denen der anderen Unternehmer. Am Ende wird man vielleicht einsehen, daß die Trennlinie innerhalb der Industrie nicht in der Horizontalen, sondern in der Vertikalen verlaufen sollte. Die Interessen des
Böhm-Bawerk
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Arbeiters sollten mit denen seines Beschäftigers verbunden und in redlicher Konkurrenz gegenüber denen anderer Arbeiter und Unternehmer abgegrenzt werden. Dann würde es keine willkürlichen Lohnsätze, keine organisierten Streiks, keine langen Unterhandlungen geben, welche das Geschäft unsicher und riskant machen .... Das Streben, möglichst gute, billige und reichliche Güter hervorzubringen, würde an die Stelle des Strebens nach obstruktiven Organisationen treten. Der gutwillige Arbeiter würde nicht nur einen Anteil an den zusätzlichen Profiten erhalten, die ein solcher Eifer hervorbringt, er würde auch Eigner eines kleinen Anteils am Unternehmen werden und an den Versicherungs- und Invaliditätsleistungen teilhaben, welche das Unternehmen bei einiger Gewißheit seiner Zahlungsfähigkeit ihm einräumen könnte." (2, s. 145) Die moderne Strategie der gesellschaftlichen Interessenintegration ist also, samt ihren Mitteln: Gewinnbeteiligung und Investivlohn, betrieblichen Sozialleistungen und Arbeitersparen, Schlichtung und Lohnarbitrage, bei Jevons schon fertig vorgebildet. (Vgl. hierzu auch 3, S. 119 f.; 4, S. 125 ff., 144 ff.) Es geht darum, den Arbeitenden den Unternehmerischen Sinn für das Haben einzupflanzen. Darum sollte auch die Gründung von kooperativen Unternehmungen durch die Beschäftigten selbst, wo immer der erforderte Kapitalaufwand gering und das Vorhaben daher durchführbar ist, begrüßt werden:
"Fast unmerklich wird der Arbeiter zum Kleinkapitalisten; und wird die Bilanz einmal sichtbar zu wachsen begonnen haben, so wäre es sonderbar, wenn die Neigung zum Akkumulieren (the love of accumulation) nicht schließlich erwachte." (2, S . 140)
B. Die Lehre vom Kapitalzins: die Zeitdifferenztheorie Böhm-Bawerks Alle Theorie des Kapitalgewinns hat zweierlei zu erklären: 1. Wie kommt es zu jenem volkswirtschaftlichen Wertzuwachs, der nicht nur in Form von neuen Geldeinkommen, sondern auch in Form von neuen Waren vorliegt und der es möglich macht, daß die Gewinneinkommen auf den Märkten das vorfinden, wogegen sie sich eintauschen sollen? 2. Wie kommt es dazu, daß dieser volkswirtschaftliche Wertzuwachs Privaten zufällt und damit überhaupt erst die Form von Gewinneinkommen annimmt? Auf die erste Frage anwortet die Theorie der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung, auf die zweite die Lehre vom Wirtsc.'J.aftseigentum. - Beides bedeutet, daß der Kapitalgewinn zunächst als einheitliche Kategorie zu betrachten ist, bevor die Bestandteile untersucht werden, in welche der Gewinn im Prozeß seiner gesellschaftlichen Verteilung zerfällt. So war die Klassik und, ihr folgend, die vorsozialistische und sozialistische Theorie vorgegangen. Mit der Grenznutzenlehre verschiebt sich nun die Sichtweise gründlich:
170
1. Abschnitt: Subjektivistisch begründete Einkommenslehre
1. Die verschiedenen Gewinnarten werden gegeneinander verselbständigt. Es vollendet ~ich hier ein Vorgang, der sich seit langer Hand vorbereitet hat, wobei aus einer feineren Unterteilung der ursprünglich einheitlichen Kategorie des Gewinneinkommens schließlich eine Sonderung der Gewinnformen geworden ist. So hat J.-B. Say unterschieden zwischen den "Arbeitseinkommen" (revenus industriels), worunter die "Löhne" der Gelehrten, der Handarbeiter und der Unternehmer fallen, und den "Kapitaleinkommen" (revenus des capitaux), d. h. Unternehmensgewinn und Leihzins. (1, 1803, li, 7, 8; vgl. auch oben, S. 89) In Deutschland hat beizeiten G. Hufeland die Trennung von Unternehmergewinn und Kapitalzins vollzogen und daneben einen "Arbeitsgewinn" (über den notwendigen Lohn hinaus) sowie eine "Rente von Talenten und Eigenschaften" auch den Beziehern von Leistungseinkommen zugesprochen. (1, Bd. I, 1807, S. 278 ff.) J. R. McCuHoch kennt Unternehmerlohn, Risikoprämie (beide als Kostenelemente) und Reingewinn sowie Zins (2, 1825), J. St. Mill "Enthaltsamkeits"-Prämie (d. h. Zins), Risikoprämie, Aufsichtslohn und Reingewinn. 1, 1848, II-15, §I; ebenso J. H. v. Thünen, 1, II-1, 1850, § 7; H. v. Mangoldt, 2, 1855, S. 34 ff.) Diese Einteilung ist in den dauernden Bestand der weiteren Einkommenslehre eingegangen. Da Zins (auch der kalkulatorische Eigenkapitalzins), Risikoprämie und Unternehmerlohn zu den Kosten der Einzelunternehmungen gerechnet werden, erscheint der eigentliche Unternehmensgewinn auf Gelegenheits-, Differential- oder Monopolgewinne beschränkt. Damit übernimmt die volkswirtschaftliche Theorie des Kapitalgewinns die Sicht des Einzelwirts, für den das, was er von seinem Rohgewinn absetzt, überhaupt aus der Kategorie des Profits herausfällt. 2. Aufgrund dieser Scheidung der einzelnen Gewinnarten voneinander wird es seit den Tagen der Grenznutzenlehre möglich, den Zins als selbständige Kategorie zu erklären. Die allgemeine Auffassung der älteren Ökonomie ist gewesen: "Der Profit, den das ausgeliehene Kapital bringt, stellt eine bloße Übertragung (transfer) dessen, was bereits existiert, von dem einen auf einen
physische Grenzprodukt von B Preis von B - --· '
erhält man aus jeder zusätzlichen Geldeinheit, die man für A ausgibt, mehr als aus jeder, die man für B bezahlt. Folglich kann man seine Kosten senken, wenn man B durch A ersetzt. Tut man dies, wird nach dem Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs das physische Grenzprodukt von A zurückgehen und das physische Grenzprodukt von B steigen - bis das gewünschte Minimalkostengleichgewicht erreicht ist und sich eine Fortsetzung dieses Substitutionsprozesses nicht mehr lohnt." (II, 193 f. [575 f.])
230
2. Abschnitt: Objektivistische Begründung der Einkommenslehre
Für die Unternehmungen zählt nun freilich nicht das physische Grenzprodukt, sondern der Wert dieses Grenzprodukts: "Unter dem ,Wert des Grenzprodukts' versteht man den in Geld ausgedrückten zusätzlichen Umsatzerlös, der bei Verkauf des physischen Faktorgrenzprodukts erzielt wird. Der Wert des Faktorgrenzprodukts entspricht daher stets dem rechnerischen Produkt aus physischem Grenzprodukt und Grenzumsatz." (II, S. 196 [578].) Damit ändert sich die Proportionalitätsregel für die Verbindung der Einsatzelemente: Galt vorher, daß das Kostenminimum dann erreicht ist, wenn das physische Grenzprodukt eines jeden "Faktors" zum Preise dieses Faktors überall im gleichen Verhättnis steht, so ist die Bedingung nun, daß der Wert des Grenzprodukts dem Preis des zugehörigen "Faktors" gleich ist: "Wir wissen nunmehr genau, wovon die Faktornachfrage abhängt. Jedes Unternehmen wird, um seinen Gewinn zu maximieren, seine Faktoren so einsetzen, daß sich die Werte ihrer Grenzprodukte proportional zu ihren Preisen verhalten. An diesem Punkt erreicht das Unternehmen sein Optimum, das heißt es maximiert seinen Gewinn. Dies läßt sich wie folgt zusammenfassen. Bedingungen optimalen Faktoreinsatzes, der die Gewinne maximiert: 1. Jeder Faktor wird bis zu dem Punkt eingesetzt, bei dem der Wert seines Grenzprodukts dem herrschenden Marktpreis [des Faktors] entspricht. Im Unternehmensgleichgewicht, dem Gewinnmaximum, herrscht demnach folgende Konstellation:
Wert des Grenzprodukts von A = Preis von A Wert des Grenzprodukts von B Preis von B Wert des Grenzprodukts von C Preis von C
Wert des Grenzprodukts von Z = Preis von Z 2. Erhöht sich ein Faktorpreis, so geht die Nachfrage nach dem betreffenden Faktor so lange zurück - das heißt der teure Faktor wird durch billigere Faktoren substituiert oder aber steigende Kosten vermindern so lange die Produktion - , bis das Gleichgewicht wiederhergestellt ist. Beide Wirkungen sind wichtig: die Faktorsubstitution wie auch die Produktionseinschränkung." (II, S. 197 f. [579 f.J) Das gilt nach Samuelson, wenn man von zwei Einschränkungen absieht: 1. Ein Unternehmen tritt auf einem oder mehreren "Faktor"-Märkten als Nachfrage-Monopolist auf. 2. Die Einsatzelemente sind gegeneinander nicht substituierbar; ihr Einsatzverhältnis ist technisch eindeutig bestimmt. Wie Samuelson meint, bildet ein solches Iimitationales Einsatzverhältnis eine seltene Ausnahme.
Fortbildung und Kritik
231
b) Maximierung des Gesamterfolges und Entscheidungsalternativen des Unternehmens
Was Samuelson zur eigentlichen Einkommensverteilung zu sagen hat, beruht auf einem unoriginellen Synkretismus der verschiedenen neueren Lehren, bis zurück zur Abzinsungstheorie Böhm-Bawerks. In der Tat liefert das Grenzproduktivitätstt.eorem als solches keine originäre Erklärung der Einkommensbildung. Es sagt nur, wie bei gegebenen Preisen der sachlichen Kapitalelemente und bei gegebenen Löhnen die Unternehmungen ihr Produktivkapital am wirtschaftlichsten für bestimmte Zwecke verwenden oder auch diese Zwecke selbst ändern. Die Grenzproduktivitätstheorie ist also eigentlich keine Theorie der Einkommensverteilung, sondern eine Theorie der Produktion. In dieser Richtung hat sie Samuelson nutzbar gemacht. Lehrgeschichtlich läßt sich die marginalistische Theorie der Produktion über H. v. Stackelberg und V. Pareto bis zu A. A. Cournot und, wie gezeigt, zu H. v. Thünen zurückverfolgen. Auch hierbei fällt die Übereinstimmung in der neueren Entwicklung des Grenzproduktivitäts- und des Grenznutzentheorems auf: Wie die Grenznutzentheorie weiter entwickelt worden ist zur Lehre von der Präferenz und Indifferenz der Verbraucher (Pareto, Hicks), so ist die Grenzproduktivitätstheorie ausgemündet in der Lehre von der Präferenz und Indifferenz der Unternehmungen bei der Auswahl ihrer Einsatzelemente und ihrer Produktionsmengen. Die Isokosten- und Isoquantenkurven, die für die Unternehmungen konstruiert werden, entsprechen den Indifferenzkurven der Konsumenten. Auch den Verbraucherhaushalten wird jenes Arbeiten mit ,.Grenzraten der Substitution" unterstellt, das seinen legitimen Ort in der Welt der Unternehmungen hat. (Alles Weitere gehört in die Theorie der Produktion. Siehe il;n übrigen auch Bd. I der ,.Texte", S. 198 ff. und passim.) Der Grenzproduktivitätsgedanke läuft hier aus in eine empirisch orientierte "Modelltheorie" der zweckmäßigsten Auswahl und Proportionierung mannigfaltiger komplementärer Einsatzelemente und mannigfaltiger teils miteinander verbundener, teils zur Wahl stehender Produktions-, Bezugs-, Absatz-, Investitionsmöglichkeiten im Zeitablauf. Diese Lehre, die den vielfältigen Entscheidungsalternativen Rechnung trägt, vor denen die modernen Großunternehmungen mit ihrer Vielzahl von Erzeugnissen stehen, ist - angeregt auch durch die ,.Theorie der Spiele" - zunächst in den Vereinigten Staaten unter dem Namen des ,.Linear Programming" aufgetreten und hat sich unter Verarbeitung auch von nichtlinearen Bedingungen- rasch zur ,.Operations Research" als einem selbständigen Zweig moderner Unternehmensforschung geweitet. (Vgl. dazu in den USA J. v. Neumann und 0. Morgenstern, 1, 1944; S. Vajda, 1, 1956; R. Dorfman, P. A. Samuelson, R. M. Solow, 1, 1958; G. B. Dantzig, 1, 1963; in Westdeutschland W. Kromphardt, R. Henn und K. Förstner, 1, 1962; Ad. Angermann, 1, 1963. Siehe auch B. B. Seligman, 1, s. 771 ff.) Hält man nach dem Vorausgegangenen Überschau über die Richtungen, in denen das Grenzproduktivitätstheorem weiterentwickelt worden ist, so findet man vor allem zwei Tendenzen: Die Welfare Economics sucht das Grenzproduktivitätsprinzip für die Lehre von der gesamtwirtschaftlich ,.richtigen" Proportionierung der Produktivkräfte (optimal allocation of resources) und gleichzeitig der Einkommen zu bestimmen. Für die Einzelwirtschaftslehre wird das Grenzproduktivitätsprinzip zum Ausgangspunkt der Frage nach dem optimalen Einsatz der Kapitalelemente für gegebene Zwecke sowie nach der
232
2. Abschnitt: Objektivistische Begründung der Einkommenslehre
Wahl der Zwecke selbst entsprechend den gegebenen - und den erwarteten - Produktions- und Marktbedingungen (Operations Research). 4. Zur Würdigung der Grenzproduktivitätslehre Der Anspruch des Grenzproduktivitätstheorems ist, wie gezeigt, ein weitgespannter; er bezieht sich auf das Einzelunternehmen wie auf die Gesamtwirtschaft. Wie weit ist der Anspruch gerechtfertigt? a) Anwendungsbereich 1. Was das Grenzproduktivitätstheorem besagen kann, ist eigentlich eine produktionstechnische Regel der optimalen Verbindung von Elementen des Produktivkapitals. Soweit hieraus einkommenstheoretische Schlußfolgerungen abgeleitet werden, wird die Verteilung selbst "völlig aus technischen Gegebenheiten, nämlich der Produktionsfunktion, erklärt; alle sonstigen sozialen, politischen und ökonomischen Gegebenheiten spielen keine Rolle. . .. Die Grenzproduktivitätstheorie übertreibt und verabsolutiert eine Seite der Verteilungsproblematik, die produktionstechnische; alle übrigen Einflüsse verschwinden." (W. Krelle - dessen Urteil über das Grenzproduktivitätstheorem übrigens schwankend ist -, 1, S. 68.) 2. Voraussetzung des Grenzproduktivitätstheorems ist das Gesetz des sinkenden Ertragszuwachses. Dieses Gesetz trifft nur da zu, wo seine experimentelle Bedingung gegeben ist: nämlich die Möglichkeit, einen Faktor zu variieren, während alle anderen konstant gehalten werden. Wo die Einsatzproportionen zwischen den Kapitalelementen von vornherein technisch fixiert sind (limitationales Verhältnis), bedeutet die einseitige Vermehrung eines Faktors nicht, daß der Ertrag verlangsamt wächst, sondern daß ein Mehrertrag überhaupt nicht eintritt. Dieser Fall ist, wie E. Gutenberg gezeigt hat (1; 2; vgl. auch Bd. I der "Texte", S. 246 ff.), die Regel und nicht die Ausnahme, wie die Verfechter des Grenzproduktivitätstheorems meinen. Selbst in dem immer wieder angeführten Beispiel, wonach auf eine unveränderte Ackerfläche eine kontinuierlich vermehrte Zahl von Beschäftigten eingesetzt wird, können diese Arbeitskräfte nicht ganz ohne Hilfsmittel, mit den bloßen Händen sich nützlich machen. Mindestens muß man einen jeden mit einem Spaten oder einer Sichel ausstatten. Damit ist aber schon die Voraussetzung verlassen, daß nur ein Faktor variiert wird. Das (physische) Grenzprodukt läßt sich dann ebenso gut dem "Grenzspaten" oder der "Grenzsichel" zuweisen wie dem "Grenzarbeiter"; das Verhältnis der Zurechnung bleibt offen. Daß erst die erforderliche Vermehrung notwendiger komplementärer Elemente einem anderen Faktor überhaupt Wirkung verleiht, hat schon der im Zusammenhang mit dem Ertragsgesetz immer wieder angeführte J. v. Liebig (1803-1873) für die Agrikultur nachgewiesen: Man kann die Versorgung von Kulturpflanzen mit Kohlenstoff dadurch erhöhen, daß man ihnen Materien wie gebrannten Kalk, Asche und Mergel zuführt, die selbst keinen Kohlenstoff abgeben können, wohl aber den Pflanzen das Vermögen geben, in vermehrtem Umfang Kohlenstoff aufzunehmen: "In den mineralischen Nahrungsstoffen gibt die Kunst des Ackerbaues den Pflanzen dieses Mittel, um den Kohlenstoff aus einer Quelle sich anzueignen, deren Zufluß unerschöpflich ist; beim Mangel an diesen Bodenbestandteilen würde auch die reich-
Fortbildung und Kritik
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lichste Zufuhr an Kohlensäure oder an verwesenden Pflanzenstoffen den Ertrag des Feldes nicht erhöht haben." (1, S. 255.) Dies ist ein Beispiel dafür, wie die Steigerung eines Faktors auch die anderen Faktoren zur Wirksamkeit bringt. (Zu dem später so benannten "Wirkungsgesetz der Wachstumsfaktoren" vgl. E. A. Mitschertich, 1; sowie E. v. Boguslawski, 1.} - Übrigens weist Kunstdünger selbst schon eine Verbindung rnehrer "Faktoren" auf, die gemeinsam zur Wirkung kommen. Bei einer Düngung mit Kalium z. B. sind je nach der Art des verwendeten Kali"Jrnsalzes die chemischen Bestandteile K+, Cl- sowie S0 42- in unterschiedlichem Maße beteiligt. Dies zeigt abermals, daß erst in ihrer Verbindung die Einzelelemente zu einer (physisch betrachteten) Wirkkraft gelangen, über die keines von ihnen für sich genommen verfügt. So stellen auch die verbundenen Kapitalelemente eine selbständige Produktivkraft dar. "Man kann die Arbeit nur in ganz wenigen, mühsam zu konstruierenden Fällen und gar nicht das Kapital allein am Werke sehen." (J. A. Schumpeter, 4, S. 330.) Auch wenn man "Kapital und Arbeit als selbständige Produktivkräfte auffaßt, welche, jede für sich, ein physisches Produkt hervorbringen, ergibt sich doch, daß dieses Produkt unä also auch die Produktivkraft immer auch von dem anderen Produktionsfaktor abhängig ist." (S. 331. Im selben Sinne A. Amonn, 2, S. 130 f.; V. Zarnowitz, 1, S. 67.) Die Grenzproduktivitätstheorie hebt einseitig die Substituierbarkeit mancher Kapitalelernente hervor, wie sie im Zeitablauf natürlich die Fortentwicklung der Technik mit sich bringt; sie vernachlässigt die jeweils in aller Regel fest gegebene Komplementarität der Kapitalelernente. "Es gibt nicht so etwas wie das besondere Grenzprodukt eines isoliert betrachteten Faktors: Die Produktionselernente sind wesentlich komplementär; und die Grenzproduktivität eines Faktors entspringt der Grenzproduktivität des anderen und umgekehrt." (M. Blaug, 1, S. 406. Die Unteilbarkeit jeder Kapitalinvestition betont auch B. S. Keirstead, 1, S. 77. Siehe ferner W. G. Waffenschmidt, 1, S. 156 ff.; A. Stobbe, 1, S. 55 f.) Auch von betriebswirtschaftlicher Seite ist hervorgehoben worden, "daß der Mehrertrag bei einer Änderung der Faktoreinsatzmengen n"Jr der Gesamtheit dieser zusätzlichen Faktoreinsatzmengen zugerechnet werden kann. Da diese Mengen aber nicht frei variierbar sind, können für die einzelnen Produktivfaktoren bzw. Verbrauchsgüter keine partiellen Grenzproduktivitäten ermittelt werden. Mit dieser Möglichkeit aber steht und fällt das Ertragsgesetz und mit ihm das Proportionsgesetz, das die Minirnalkostenkornbination enthält." (E. Gutenberg, 1, Bd. I, hier nach der 6. Auflage von 1961, S. 215; ebenso M. R. Lehmann, 1, S. 324.) - So hat denn auch schon J. B. Clark zu Red1.t vermerkt, eine Vergrößerung des "Kapitals" erhöhe zugleich die Nachfrage nach dem komplementären Faktor "Arbeit". Die beste Gewähr für dauerhafte Lohnerhöhung ist daher Clark zufolge die verrnehrte Bildung von kapital. (Vergleiche 3, S. 52 ff.) Daß hier die Voraussetzungen des Ertragsgesetzes verlassen und für die Entwicklung gerade ein Steigen der Effizienz des richtig proportionierten Gesamtkapitals angenommen wird, ist offenkundig. 3. Eine bestimmte optimale- oder auch: eine für den jeweiligen Produktionszweck einzig sinnvolle - Verbindung der Kapitalelernente gilt immer nur bei gegebener Technik. In die Dimension der Zeit versetzt, auf unsere wirklic.~e, fortschreitende Wirtschaft bezogen, gilt nicht ein Gesetz des sinkenden, sondern vielmehr eine Tendenz des zunehmenden Ertrags. (Vgl. J. A. Schumpeter, 5, S. 611 ff.) Die Voraussetzung des Grenzproduktivitätstheorems ist daher von durchaus statischer Art. Freilich: "In einer modernen Theorie
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2. Abschnitt: Objektivistische Begründung der Einkommenslehre
der Einkommensverteilung kann am technischen Fortschritt nicht vorbeigegangen werden." (E. Scheele, 1, S. 338.) 4. Das Grenzproduktivitätstheorem ist mit alledem auch elementar einzelwirtschaftlich orientiert. Nur im Einzelunternehmen sind die technischen EiDsatzverhältnisse jeweils gegeben. Für die Volkswirtschaft als ganze, die nur als fortschreitende, akkumulierende, rationalisierende - und das heißt: die technischen Einsatzproportionen ändernde - verstanden werden kann, gibt es kein Gesetz des sinkenden Ertragszuwachses. Noch aus einem anderen Grunde ist die gesamtwirtschaftliche Fassung der Grenzproduktivitätslehre mißleitend, wofern, wie üblich, die volkswirtschaftliche Grenzproduktkurve einfach als Addition der einzelwirtschaftlichen Grenzproduktkurven betrachtet wird. Während nämlich das Einzelunternehmen mit bestimmten Größen als seinen Daten arbeiten kann, die durch sein eigenes Verhalten nicht - oder nur geringfügig - beeinflußt werden, gilt dies für die Gesamtheit der Beteiligten nicht. So "kann ein Unternehmer allein zu gegebenem Lohnsatz seine Beschäftigung erhöhen, alle Unternehmer zusammen treiben den Lohnsatz hoch .... Das gleiche gilt für die Bestimmung der Produktionsmenge. Wenn ein einzelner Unternehmer seinen Output variiert, kann er eine Menge finden, bei der sein Gewinn maximal ist, weil die Erlösfunktion für ihn ein Datum ist. Wenn dagegen alle Unternehmen ihren Output (in derselben Richtung) variieren, verschiebt sich die Erlösfunktion im partialanalytischen (mikroökonomischen) Sinne, und es gibt kein Gewinnmaximum für alle Unternehmer zusammen." So zeigt sich, "daß Größen, die für ein einzelnes Wirtschaftssubjekt ein Datum sind, bei gemeinsamem Handeln für alle Einzelnen zu Variablen werden." (E. Scheele, 1, S. 223.) "Man muß also zum Ergebnis kommen, daß die gesamtwirtschaftliche Grenzproduktivitätstheorie an recht erheblichen Mängeln leidet. Sie erreicht ihre Einfachheit, indem sie schwere Fehler macht.... Direkt, unter Ausschaltung der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge, führt kein Weg von den einzelwirtschaftlichen Grenzproduktivitätssätzen zur gesamtwirtschaftlichen Verteilungstheorie." (W. Krelle, 1, S. 70. Vergleiche auch V. Zarnowitz, 1, S. 102 ff.) 5. Schließlich: Die Grenzproduktivitätstheorie erklärt- was immer wieder vernachlässigt wird - überhaupt nicht, wie es zu bestimmten Einkommenssätzen kommt. Sie besagt nur, in welchem Maße die Unternehmungen bei gegebenen "Faktorenpreisen" die verschiedenen Einsatzelemente für einen gleichfalls gegebenen - Produktionszweck in Anspruch nehmen werden. "Wenn die Fachleute des Betriebes die Preise der einzelnen Produktionsfaktoren kennen, sind sie auch stets in der Lage, zu entscheiden, welche und wieviele der einzelnen Faktoren zweckmäßigerweise eingestellt werden sollten." (P. A. Samuelson, 1, hier nach der 2. deutschen Ausgabe, S. 516.)- Lohn und Grundrente "erscheinen für den einzelnen Unternehmer eher als Kostengrößen und daher als eine Ursache der Grenzproduktivität denn als ein Ergebnis derselben. Für den einzelnen Unternehmer sind in der Tat Lohn und Bodenrente vorgegebene feste Größen. Er findet sie auf dem Markte fertig vor. Sie haben sich vor seinem Erscheinen gebildet und sind für ihn Daten. Dagegen ist die Grenzproduktivität eine bewegliche Größe, die er diesen Kosten angleichen kann.... Statt daher zu sagen, daß er den Arbeiter nach seinem Produkt bezahlt, sollte man vielmehr sagen, daß jeder Unternehmer sich so einrichten wird, daß der Arbeiter mindestens soviel erbringt, wie er kostet." (A. Aftalion, 1, S. 172.) Nur soweit die Nachfrage der Unternehmungen nach bestimmten Einsatzelementen- allerdings stets im Verein mit den Kräften des Angebots - die Märkte mitbestimmt, wirkt sie auf die Preisbildung bei den "Produktionsfaktoren" zurück. Man kann allerdings - was
Fortbildung und Kritik
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etwa P. H. Douglas auch bei J. B. Clark gerügt hat- "Kapital" und "Arbeit" nicht als rein "passive Faktoren" betrachten. Tatsächlich sind auch die Grenzproduktivitäten "verschieden unter verschiedenen Bedingungen des Angebots". (P. H. Douglas, 5, S. 75; vgl. auch E. Preiser, 1, S. 267.) Man sollte daher, wie V. Zarnowitz vorgeschlagen hat, überhaupt nicht von einer Grenzproduktivitätstheorie des Lohnes, des Zinses etc., sondern vielmehr von einer bloßen "Grenzproduktivitätstheorie des Beschäftigungsgrades" bei den einzelnen Kapitalelementen sprechen. (1, S. 128; vgl. auch G. Cassel, 1, S. 161 f.; H. Peter, 2, S. 185.) Alles in allem: ,.Die Grenzproduktivitätstheorie konnte nicht erklären, wie die Einkommensanteile sich gestalten. Sie konnte nur zeigen, in welchem Umfang ein Unternehmen Einsatzfaktoren anwerben dürfte, wenn deren Preise bekannt sind. Da sie in Wahrheit eine Theorie der Faktornachfrage war, und hierbei einzig auf der Ebene des Unternehmens, so hatte sie wenig im makroökonomischen Sinne zu sagen. Das Problem war hier nicht länger, Aufwandsmengen von Boden, Arbeit oder Kapital hin- und herzuschieben, sondern vielmehr, einen hochdifferenzierten Verteilungsprozen darzustellen, der einer recht starren strukturellen Organisation unterliegt und in dem eine Änderung beinahe immer diskontinuierlich geschieht. Die Auskunft, daß bei langfristiger Sicht alles dem Wechsel unterliege, konnte kaum befriedigen, denn bei langfristiger Sicht brach die Marginalanalyse zusammen. Im ganzen wuchs der Verdacht, daß dieser Ansatz uns in Wahrheit nicht viel über die ökonomischen Entscheidungsvorgänge aussage." (B. B. Seligman, 1, S. 363 f.; vgl. auch E. James, 1, S. 439.)
b) Der Begriff der Produktivität 1. Die Grenzproduktivitätstheorie beruht auf einem fundamentalen Irrtum, den sie von der Drei-Faktoren-Lehre entlehnt hat - wobei es gleichgültig ist, wieweit heute von einer Dreizahl oder von einer beliebig großen Zahl von "Faktoren" ausgegangen wird - : Es ist dies die Verwechslung von Güterproduktivität und Wertproduktivität Nur der arbeitende Mensch produziert, nur er bringt Güter als Waren, als Werte hervor; und er bedient sich dabei jener sachlichen Hilfsmittel, die durch die Drei-Faktoren-Lehre dem Menschen als dem einzigen "Subjekt der Wirtschaft" fälschlicherweise als gleichartig zur Seite gestellt werden. (Vgl. hierzu besonders 0 . Conrad, 1, S. 4 ff.; sowie oben, S. 92 ff.) Aus der Verwechslung von Wertproduktivität und Güterproduktivität entspringt auch die Verkennung des wesentlichen Unterschiedes zwischen dem einzig produzierenden menschlichen "Faktor" und seinen Hilfsmitteln. 2. Die Frage der Wertproduktion stellt sich der Grenzproduktivitätslehre \'On vornherein als bloße Frage nach der Bewertung der nutzbaren Dinge, der "Güter". Hier schafft die Anlehnung an die subjektivistische Preistheorie bequeme Auskunft: Wert ist nach dieser einfach der Geldausdruck des Nutzens, den die Nachfrager - letztlich: die Endverbraucher - den Erzeugnissen auf den Märkten zuweisen. (Vgl. dazu etwa J. B. Clark, 1, S. 301 f.) Selbst in dieser Form aber zeigt das Grenzproduktivitätstheorem an, daß der Produktionserfolg (größter Mengenertrag bei geringstem Aufwand an Einsatzfaktoren) nicht Selbstzweck der Unternehmungen ist, sondern Mittel zum eigentlichen Zweck: dem Markterfolg (Maximierung des Gewinns, d. h. der Differenz zwischen Gesamterlösen und Gesamtkosten einer Periode). Wird der Erwerbszweck des Unternehmens etwa von den Märkten her gefährdet, so wird die Produktion selbst in aller Regel eingeschränkt. Der Optimalpunkt der Produktion aber, der sich vom Gewinn herleitet, ist durchwegs verschie-
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2. Abschnitt: Objektivistische Begründung der Einkommenslehre
den von demjenigen, den die technischen Bedingungen allein setzen würden; und jenen Punkt bestimmt nicht der Ingenieur, sondern der Kaufmann. Auch die Grenzproduktivitätslehre hat anerkennen müssen, daß die Produkti.on nur eine der Durchlaufsphären des umschlagenden Unternehmenskapitalr> ist. -Das bedeutet: a) In den Begriff der zunächst technisch gemeinten Produktivität und Grenzproduktivität schieben sich - unter der Hand oder auch anerkanntermaßen - die verschiedensten Marktbedingungen mit ein, denen die Unternehmungen auf der Seite ihres Absatzes sowie ihrer eigenen Käufe ausgesetzt sind. "Die Arbeitseffizienz ist nur eine Komponente, die in die Nachfrage nach Arbeit eingeht und damit den Marktwert der Arbeit bestimmt." (E. Arndt, 2, S. 64; vgl. auch P. H. Douglas, 5, S. 75 ff.) Das sind nun aber Umstände, auf welche die Träger der einzelnen Produktionsfaktoren, und besonders die unselbständig Beschäftigten, keine Einwirkung haben, und die doch darüber mit entsclteiden, wer etwa als "Grenzarbeiter" noch im Spiele bleibt und wer aufs Pflaster fliegt. Gerade in Krisenzeiten pflegt übrigens die physische Produktivität der Beschäftigten infolge der Entlassung weniger leistungsfähiger Arbeitskräfte, auch infolge der Stillegung weniger vorteilhafter Maschinerie etc., zu steigen, während die Verwertung des Gesamtkapitals - und damit auch die Lohnzahlungskraft der Unternehmungen - sinkt. b) Kann von den Marktbedingungen der Kapitalverwertung nicht abgesehen werden, so geht auch die Marktmacht, welche die Unternehmungen in die Waagschale werfen können, in die Bestimmung des "Grenzprodukts" der Einzelfaktoren ein. (Vgl. hierzu besonders E. Preiser, 1, S. 282 ff.; 2.) Die Aussage, daß jeder "Faktor" nach seinem Grenzbeitrag entgolten werde, hat deshalb u. a . E. Chamberlin auf die Verhältnisse der "reinen Konkurrenz" beschränken wollen ; unter den modernen Bedingungen der "monopolistischen Konkurrenz" werde dagegen jeder Faktor (auch das "Kapital") unter seinem Grenzbeitrag entgolten. (Vgl. 1, S. 179 ff.; sowie, teilweise wörtlich übereinstimmend, 2. Hingegen F. Machlup, oben, S. 224. Siehe ferner Bd. I der "Texte", S. 310.) Man kann allerdings das Grenzproduktivitätstheorem ohne Mühe auch auf Monopolverhältnisse aller Art anwenden: Denn wie schon nach der Grenznutzenlehre die Verknappung des Angebots etwa eines Konsumprodukts dessen Grenznutzen erhöht, so steigert die Verknappung des Angebots irgendeines "Faktors" auch dessen "Grenzproduktivität". Und da eine Verkürzung des Angebots an Produkten zugleich die Verwendung des "Faktors Kapital" herabsetzt und dessen "Grenzproduktivität" entsprechend erhöht, so liefert die Grenzproduktivitätstheorie die bequeme Formel auch für monopolistische Steigerung des Kapitalgewinns. Es zeigt sich auch hier: Die Redensart, es sei die Grenzproduktivität irgendeines "Faktors" gestiegen oder gesunken, ist nur eine gelehrte Umschreibung des banalen Sachverhalts, daß die "Preise" dieses oder jenes "Faktors" herauf- oder herabgegangen, daß etwa bestimmte Kapitalgewinne oder bestimmte Löhne gestiegen oder gefallen seien. Zur Erklärung dieses Sachverhaltes trägt die inhaltsleere Redewendung nichts bei. 3. Der falsche, dinghaftfixierte Produktivitätsbegriff, den das Grenzproduktivitätstheorem von der alten Drei-Faktoren-Lehre übernommen hat, wird sinnfällig, wenn die "Grenzproduktivität des Kapitals" bestimmt werden soll. Schon H. v . Mangoldt sah, daß dem Kapital - von Mangoldt im Sinne von Hilfsmitteln der Produktion verstanden - keine eigene Produktivität zuzuschreiben sei, "indem es nicht dieses, sondern immer nur die Arbeit ist, welche mit Zuhilfenahme des Kapitals produziert ... " (1, S. 432.) Versucht man dagegen, dem "Kapital" eine besondere Grenzproduktivität zuzuweisen, so
Fortbildung und Kritik
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entsteht die Schwierigkeit, die vor mehr als einem halben Jahrhundert schon A. Aftalion aufgewiesen hat: "Der Zins bezeichnet ein Verhältnis von Wert zu Wert, und nicht, wie Lohn und Grundrente, das Verhältnis eines Wertes zu einer physischen Einheit, dem Arbeiter oder einem Hektar Boden." (1, S. 156. Im selben Sinne K. WickseH, 4, Bd. I, S. 212 f.) Auch könne nur der Bruttowert, den bestimmte Kapitalobjekte - in nur sehr selten eindeutig zu bestimmender Weise - hervorbringen, zugrundegelegt werden. Von diesem Bruttowert aber komme man nicht auf die Nettogröße des Zinses: "Um eines der seltenen Beispiele zu wählen, in denen die physische Nettoproduktivität sich leicht ermitteln läßt, weil Kapital und Produkt von gleicher Natur sind: Wenn die Verwendung von 100 letzten Litern Getreide als Saatgut einen Ertrag von 110 Litern erbringt, und wenn der Liter Getreide 1 franc wert ist, so ist nicht einzusehen, warwn 100 Liter, die 110 francs in der Zukunft erbringen werden, nicht schon jetzt 110 francs wert sein sollen." Für einen Zins bleibt da kein Raum. (Aftalion, S., S. 176. Ahnlieh F. v. Wieser, 1, S. 132 f. Vgl. auch M. Dobb, 2, S. 115.) - Im übrigen könnte die "Grenzproduktivität des Kapitals", auf physische Einheiten von Kapitalgütern bezogen, nur den Preis dieser Objekte erklären, ebenso wie die Grenzproduktivität des Bodens dessen Preis und die Grenzproduktivität der Arbeit den Lohn, nicht aber den Gewinn ("Zins") als eine Differenzgröße. (Vgl. hierzu W. Leontiej, 1, S. 154.) Die "Produktivität" des Kapitals ist einmal nur als Rentabilität des Gesamtkapitals zu fassen. Diese aber bleibt Gegenstand einer volkswirtschaftlichen Theorie der Wertschöpfung sowie der Wertrealisierung: "Hohe Monopolprofite oder günstige Marktlagengewinne haben nichts mit einer besonderen Leistung der in den betreffenden Unternehmungen gerade eingesetzten Maschinen zu tun." (G. Bombach, 1, S. 98 f.) Ferner gilt, was schon gegen die Drei-Faktoren-Lehre einzuwenden ist : Selbst wenn den eingesetzten Sachmitteln ("Kapital", "Boden") eine selbständige Ertragskraft zukäme, so bliebe unerklärt, wieso das "funktionelle" Einkommen auf "Kapital" oder "Boden" dem Eigentümer eines Kapitals oder eines Bodenstücks zufällt. "Denn bei der Ertragsbildung hat zwar der Boden eine Funktion, nicht aber der Bodenbesitzer." (E. Preiser, 1, S. 282.) Entsprechendes gilt für "das Kapital": ., The productivity of capital ... is not the productivity of the capitaHst". (Bronfenberger; vgl. auch 0 . Conrad, 1, S. 7 und passim.) Auch M. Tugan-Baranowskij hat als einen "fundamentale!! Fehler" angesehen "die Verwecl1slung des Kapitals, als eines Produktionsfaktors, mit dem Kapitalisten - dem Besitzer d ieses Produktionsfaktors, die Verwechslung der Kategorien der Technik mit den Kategorien der sozialen Ordnung. Der Profit ist eine Kategorie der Verteilung, also eine Kategorie der sozialen Ordnung, und darum muß jeder Versuch, den Profit und Kapitalzins außerhalb des sozialen Gebildes zu begründen, notwendigerweise mißlingen." (2, S. 227.) 4. Bisher wurde nur an die materielle Produktion gedacht. Wie aber steht es mit der "Grenzproduktivität" der vielen anderen in Wirtschaftsunternehmungen unselbständig Beschäftigten: der technischen Zeichner, der Buchhalter, der Bankangestellten; oder mit der .,Grenzproduktivität" von Angehörigen der Dienstleistungsberufe: der Kellner, der Rechtsanwälte, der Zauberkünstler? Was ist schließlich die "Grenzproduktivität" der öffentlich Bediensteten: der Parkaufseher, der Feldwebel, der Verfassungshüter, der Hochschullehrer? Wonach soll sich also das Entgelt all jener richten, die in dem wachsenden Sektor der "tertiären" Berufe tätig sind?- Hinzu kommt die Frage, wie etwa Mischeinkommen, die funktionell zu scheiden wären, zerlegt werden sollten: etwa die Einkommen von selbständigen Kleingewerbetreibenden, von Land-
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2. Abschnitt: Objektivistische Begründung der Einkommenslehre
wirten, Handwerkern, Einzelhändlern, welche Gewinn- und Arbeitseinkommen in nicht näher auszumachendem Verhältnis beziehen. Man sieht: Wie bei der Verteilungslehre der Grenznutzenschule, so droht auch hier die ganze heillose Frage der "Zurechnung" spezieller Grenzprodukte an spezielle "Produktionsfaktoren" wieder aufzubrechen. Und dies, nachdem der Begriff der "Produktivität" und "Grenzproduktivität" durch Hereinnahme von Marktumständen so sehr gedehnt worden ist, daß sein ursprünglicher Sinn- und auch das Postulat der systemimmanenten "gerechten" Verteilung - dahingehen mußte.
c) Die Grenzproduktivitätslehre als Ideologie Für die ältere (klassische und nachklassische) Verteilungstheorie gab es nur eine Quelte des Volkseinkommens: die menschliche Arbeit. Das Unterpfand einer Teilhabe der verschiedenen Gesellschaftsklassen dagegen war nach dieser Lehre ein verschiedenartiges, nämlich die Verfügung über Boden, Kapital oder Arbeitskraft. Die neuere Theorie (seit der Grenznutzenschule) hingegen postuliert die wesentliche GLeichartigkeit des Einkommensanspruchs und die Verschiedenartigkeit der EinkommensqueHe: Nicht nur der Arbeit, sondern ebenso ihren dinglichen Hilfsmitteln, dem Boden und den "Kapitalgütern", wird nun eine selbständige wertbildende Kraft zugewiesen. Und andererseits erscheint ein jeder "Faktorträger" mit dem spezifischen Element, das er in den Produktionsprozen einbringt, als anteilsberechtigt am Ertrag; er verfügt gewissermaßen über eine "Aktie" (v. Wieser) auf das Produkt. Die neuere Lehre, insbesondere auch die Grenzproduktivitätstheorie, verneint damit entschieden, daß die gesellschaftlichen Einkommensgruppen in einem objektiven Gegensatz zueinander stehen. Hierdurch allerdings "neigt die Grenzproduktivitätstheorie zur Apologie", wie es E. Preiser formuliert hat: Sie erscheint ihm besonders geeignet, die auf der klassischen Verteilungstheorie fußende Ausbeutungslehre von K. Marx auszustechen. (1, S. 266.) Gerade in ihren gesellschaftlichen Konsequenzen hat in der Tat L. Mises das besondere Verdienst der neueren Einkommenstheorie erblickt (wobei er deren subjektivistische und objektivistische Variante in einem Atem nennt): "Die subjektivistische Verteilungslehre bietet uns nicht den geringsten Anhaltspunkt zur Stützung der Lehre vom unversöhnlichen Klassengegensatz. Wenn man die Bedeutung der Grenzproduktivität für die Einkommensbildung erkannt hat, kann man nicht länger an der Vorstellung des unüberbrückbaren Klassengegensatzes festhalten." (2, S. 281.) Insbesondere für die Lohntheorie ist das Grenzproduktivitätsprinzip von Bedeutung geworden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sich die Ökonomen- unter dem Eindruck der Lehren von Longe, Leslie, Jenkin, Thornton- von der lange gehegten klassischen Lohnfondstheorie endgültig losgesagt, welche die Möglichkeit einer dauernden Hebung der Löhne durch die koalierten Beschäftigten verneint hatte. Die Grenzproduktivitätslehre nun war so recht geeignet, dem Lohnbegehren der Unselbständigen wiederum die Aussicht auf nachhaltigen Erfolg abzusprechen: An die Stelle des "ehernen Lohngesetzes" von einst trat ein ehernes Produktionsgesetz des Lohnes: Die Arbeitenden können nicht mehr erhalten und beanspruchen, als was "ihrem" Beitrag zum Produkt entspricht. Der einzige Weg zu höheren Löhnen ist daher: Steigerung der (Grenz-)Produktivität der Arbeit. (Vgl. dazu auch P . Maurice, 1, S. 171 ff.; W. B. Catlin, 1, S. 464.)
Fortbildung und Kritik
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Verstehen wir als Ideologie den Irrtum mit gesellschaftlicher Tendenz, so werden wir nach allem Vorausgegangenen die Grenzproduktivitätslehre als Ideologie zu werten haben- unbeschadet der Gutgläubigkeit vieler ihrer Anhänger. "Man sucht nach einer Theorie, die den Zins und die Bodenrente nicht nur erklärt, sondern auch sozialethisch rechtfertigt. Dazu bedarf es des Nachweises, daß dem Einkommensbezug eine Gegenleistung des Einkommensempfängers entspricht. Und dies setzt wieder voraus, daß ein Produktionsfaktor da ist, der diese Gegenleistung verrichtet. Denn nur ein Produktionsfaktor kann, wie schon der Name sagt ... Leistungen verrichten." (0. Conrad, 1, S. 10.) Damit wird "erreicht, daß der Anspruch der Arbeitenden auf jenes Stück Sozialprodukt welches heute die Kapitalisten und die Grundbesitzer erhalten, zurückgewiesen werden kann. Das tut denn auch Clark, indem er erklärt, daß man von einer Ausbeutung des Bodens und des Kapitals sprechen müßte, wenn nicht auch sie ,ihr Produkt' erhalten würden". (S. 11) So wird in der Grenzproduktivitätstheorie auch offenbar, daß schon "die Lehre von den drei Produktionsfaktoren dem Interesse der Besitzenden dient, und daß daher auch die Nationalökonomie, solange sie sich zu dieser Lehre bekennt, als Hüterin persönlicher Interessen auftritt." (S. 11) Mit der Grenzproduktivitätslehre ist die Verteilungstheorie "als selbständiges Lehrstück verschwunden" (E. Preiser, 1, S. 265) ; sie ist der Produktionsder Preis- und zum Teil der .. Wachstums"-Theorie integriert worden. In der Tat ist die "reine" Theorie der Einkommensverteilung, entworfen zunächst auf die Verhältnisse der ungeregelten Konkurrenz, in ihrer ursprünglichen Substanz nicht mehr zu halten. Sie hat sich allzuweit von einer Wirklichkeit entfernt, in welcher gerade auf dem Felde der Einkommensverteilung die Macht organisierter gesellschaftlicher Großgruppen das letzte Wort spricht.
Fünfter Teil
Macht oder ökonomisches Gesetz in der Einkommensverteilung Um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert war unverkennbar geworden, daß die moderne Erwerbswirtschaft in allen industriell entwickelten Ländern in ein neues Stadium getreten war: Mit der unaufhaltsamen Konzentration der Kapitalverfügungsmacht, mit dem Vordringen von Kartellen, Konzernen und Riesenunternehmungen wich das Verhältnis des relativ ungehinderten Wettbewerbs dem der zunehmend Oligopolistischen Konkurrenz. - Die Entwick:lung des "organisierten Kapitalismus" (R. Hilferding) hat die Wirtschaftstheorie nicht unberührt gelassen. Die Preislehre findet in den Bedingungen der Monopol- und Oligopolpreisbildung ein weites neues Forschungsfeld. (Vgl. Bd. I der "Texte", S. 289 ff.) Auch die Fragestellung der Einkommenslehre wandelt sich: Die Theorie des Monopolpreises ist ja zugleich die Theorie des Monopolgewinns. Vollends der Lohntheorie ist es zugefallen, zu prüfen, wie einerseits die neue Nachfragemacht überlegener Unternehmungen und Unternehmensverbände und andererseits die Gegenmacht der sich entfaltenden Massengewerkschaften, der Übergang zum kollektiven Tarifvertrag!, auch das Eingreifen des Staates in die Lohnbildung die Arbeitsmärkte verändert. (Zum Einfluß der neueren gesellschaftlichen Entwicklung auf die Lohntheorie vgl. vor allem N. A. Tolles, 1.) Hier sind nun zwei Richtungen zunächst auseinandergetreten, die sich später in mannigfacher Weise miteinander verbunden haben. - In seinem bekannten Aufsatz "Macht oder ökonomisches Gesetz?" von 1914 hat E. v. BöhmBawerk der Überzeugung Ausdruck verliehen: Wenn auch das Wirken von Marktmacht sicher im Bereich der personellen Einkommensverteilung einiges auszurichten vermag, so kann doch an den großen Gesetzen der funktionellen Verteilung weder das Wirken monopolistischer Unternehmungen noch das Bemühen der Arbeiterkoalitionen rütteln." (5, S. 299.) "Auch das gebieterischste Machtdiktat . . . kann nicht gegen, sondern nur innerhalb der ökonomischen Wert-, Preis- und Verteilungsgesetze wirken, sie nicht aufhebend, sondern bestätigend und erfüllend." (S. 295.) Im strikten Gegensatz hierzu hat der russische sozialreformerisch eingestellte Ökonom Michael I. Tugan-Baranowskij (1865-1919) etwa gleichzeitig mit Böhm-Bawerk geltend gemacht: Es ist überhaupt "methodologisch ganz falsch, die Verteilungstheorie in die Werttheorie einzuschließen". (3, 1913, S. 11.) Hiermit wendet sich Tugan ebenso gegen die "neoklassische" Auffassung wie gegen die Marxsche Wert- und Mehrwertlehre. Im Unterschiede zur Preistheorie, die von der sozialen Gleichheit der Teilnehmer des Tauschaktes ausgeht, darf die Verteilungstheorie nach Tugan-Baranowskij keinen Augenblick von den Bedingungen der sozialen Über- und Unterordnung ab1 1891 gebraucht Beatrice Webb [Potter] erstmals den im englischen Sprachraum seitdem eingebürgerten Begriff des "collective bargaining"; 1, S. 217.
16 Einkommenstheorie
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Macht oder ÖKonomisches Gesetz in der Einkommensverteilung
sehen, wie sie im Verhältnis der unselbständig Beschäftigten zum Ausdruck kommen: "Der Prozeß der Verteilung des sozialen Produktes zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Klassen, die im Prozesse der kapitalistischen Wirtschaft innerlich verbunden sind, ist . . . kein einfacher Tauschprozeß, sondern ein kompliziertes Ergebnis des Kampfes der sozialen Klassen um den größten Teil des gesellschaftlichen Produkts, eines Kampfes, in dem die Mächte der kämpfenden Klassen höchst ungleich sind." (S. 42) Die durchschnittliche Lohnhöhe bestimmt sich dabei a) "durch die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit", und b) "durch die soziale Macht der arbeitenden Klasse". (S. 43; beides H.) Die oberste denkbare Grenze des Lohnes bildet die Arbeitsproduktivität, d. h. der Punkt, wo der Profit versr.hwinden und das Gesamteinkommen zu Lohn werden würde; die unterste denkbare Grenze bezeichnet das physiologische Existenzminimum der Arbeitenden. Zwischen diesen beiden weiten Extremen bildet sich der tatsächliche Lohn nach Maßgabe der "sozialen Macht der Arbeiterklasse", d. h. durch Kampf. (S. 44 f.) Das Verlangen der Unternehmungen nach Arbeitskräften ist hierbei von der Lohnhöhe weithin unabhängig. (S. 36 ff.) Da die Lohnbildung nicht einem "ehernen" Preisgesetz, sondern vielmehr dem offenen Verhältnis des sozialen Kampfes unterliegt, so ist sie auch ein legitimer Gegenstand der machtmäßigen Einwirkung staatlicher Sozialpolitik. (S. 81 f.) In welchem Verhältnis Macht und Gesetzmäßigkeit in der Einkommensverteilung zueinander stehen, bewegt die neuere Wirtschaftstheorie bis auf den heutigen Tag. Zu Recht hat hierbei schon Carl Landauer die Frage aufgeworfen, "ob es getrennte Herrschaftssphären von Macht und von ökonomischer Gesetzmäßigkeit gibt". (1, S. 33.) Im übrigen ist nach Landauer zwischen ökonomischer und außerökonomischer Macht zu scheiden: Nach außen zeigt sich eine "relative Widerstandsfähigkeit der wirtschaftlichen Machtverhältnisse gegen unmittelbare Eingriffe außerökonomischer Gewalt". (Ebd.) Im Innenverhältnis aber ist der Erwerbs- und Interessengesellschaft das Verhältnis der Macht von vornherein inhärent. In der Tat entspringt - wie man hinzufügen darf - jeder einfache Tauschakt einem Gegenüber von Macht und (mehr oder minder gleichwertiger) Gegenmacht. Im Verhältnis der Oligopolistischen Konkurrenz vollends ist die Macht selbst zum ökonomischen Gesetz geworden.
A. Die Theorie des Lohnkampfes: John R. Hicks 1. Vorgeschichte Schon Francis Ysidro Edgeworth (1845-1926) hat in seinen "Mathematical Psychics" dargetan: Wenn auf Seiten der Unternehmungen und der Beschäf-
tigten organisierte Großgebilde auf die Märkte wirken, so wird die Preis- und Lohnbildung weithin unbestimmt. Die Entwicklung drängt dann dahin, an die Stelle des freien Marktes die öffentliche Regulierung, das "principle of arbitration" zu setzen. (1, 1881, S. 50 ff.; vgl. auch 2, S. 55 ff.) Ihm hat W. St. Jevons sekundiert: Ein kollektives Aushandeln der Löhne macht das Ergebnis ungewiß. (2, 1882, S. 154. Im selben Sinne J . Davidson, 1, 1898, S. 119, 126, 142 und passim.) Zu gleicher Zeit hat der englische Philosoph und Ökonom Henry Sidgwick (1838-1900) der Meinung der "Neoklassiker" widersprochen, die Gewerkschaften seien nicht in der Lage, die Löhne nachhaltig zu erhöhen. (1, 1883, II/10, besonders S. 349 ff.) Offensichtlich gelang es damals in der Tat den koalierten Beschäftigten in allen führenden Industrieländern, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen (vor allem Verkürzung der Arbeitszeit) zu erstreiten.
J ohn R. Hicks
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Unter diesen Umständen suchten diejenigen, welche der immanenten Selbststeuerung der Wirtschaftsgesellschaf t weiter vertrauten, das Wirken der Verteilungsgesetzlichk eit auch auf empirischem Wege nachzuweisen : Die oben erwähnten Arbeiten von H . L. Moore (1, 1911) und später von P . H . Dougtas (3, 1934), die der statistischen Verifizierung der Grenzproduktivitätstheorie gewidmet waren, sind in diesem lehrgeschichtlichen Zusammenhang zu sehen; ebenso wie das von V. Pareto - auf Grund der methodisch allerdings sehr anfechtbaren Ergebnisse der Steuerstatistik - formulierte Gesetz, wonach die Quoten der großen gesellschaftlichen E inkommen am Sozialprodukt langfristig konstant bleiben. (1, Bd. II, 1897, S. 363 ff. Kritisch dazu u.a. L. v. Bortkiewicz, 4, S. 1209; A. C. Pigou, 1, S. 647 ff.) Der Auffassung de r "Neoklassiker", das Wirken der Gewerkschaften habe die Löhne nicht über dasjenige Maß hinaus erhöht, das den Beschäftigten entsprechend ihrer steigenden Produktivität ohnehin zugefallen wäre, hat J . T. Duntop entgegengehalten : Wenn auch die Produktivität langfristig die Lohnhöhe mitbestimme, so könne hieraus nicht gefolgert werden, daß die Entwicklung der Produktivität zur Grundlage von Tarifverhandlungen in bestimmten Wirtschaftszweigen zu machen sei. (2, S. 361. Im selben Sinne CL Ker r, 1; P. 0. Steiner, 1.) Die Beschäftigten selbst richten sich übrigens bei ihren Lohnforderungen nicht nach der Produktionslcistung, sondern nach ihren Lebenshaltungskosten ; dies haben schon beizeiten Sidney und Beatrice Webb (1859-1947 bzw. 1858-1943) in England in ihrem großen Werke "Industria! Democracy" hervorgehoben. (1, S. 693 ff. und passim.) Der Machttheorie des Arbeitslohns zufolge gibt es nicht mehr einen dem Gedanken nach eindeutig zu bestimmenden Punkt der Lohnbildung, sondern nur noch eine mehr oder minder breite "Kontraktzone". Diese Kontraktzone und die Kräfte, die auf sie einwirken, immerhin näher zu bestimmen hat ein Großteil der neueren Lohntheoretiker sich angelegen sein lassen. Vorangegangen ist hier wiederum F. Y. Edgeworth, der die Bedingungen des ganzen modernen Arbeitsmarktes aus dem Verhältnis von Robinson Crusoe und seinem Gehilfen Freitag herausgesponnen hat. Die "Kontraktkurve", bei der sich beide Seiten im Gleichgewicht befinden, leitet Edgeworth mit Hilfe der gleichfalls von ihm entwickelten Indifferenzkurven-Me thode ab. (1, V/10. Siehe hierzu auch J . Pen, 1, S. 61 ff.; W. Fellner, 1. Über das "lndifferenzkurven"Verfahren vergleiche Bd. I der "Texte", S. 190 ff.) - Wie die Lohnbildung überhaupt von der neueren Theorie allgemein als ein Unterfall der Preisbildung angesehen wird. so fügt sich ihr das Verhältnis des kollektiven Tarifvertrages in die Bedingungen des zweiseitigen Monopols ein. So haben eine Reihe von Autoren, welche die Lehre vom Monopol- und Oligopolpreis weitergeführt haben, zugleich die Theorie der Machtlohnbildung ausgebaut. (Vgl. neben Edgeworth etwa A. L. Bowley, 1, 1924; 2, 1928; F. S. Zeuthen, 1, 1930; H. Denis, 1, 1943.) Auch die Verfahrensweise hat viel von den neueren Konzepten der Preisstrategie auf den Produktenmärkten entlehnt: Die "Theorie der Spiele" (vgl. 0. Morgenstern und J. v. Neumann, 1, 1944), die Indifferenzkurven-Methode, Begriffe wie derjenige der "Kontrakt"- und "Konflikt-Ophelimität" (vgl. etwa J. Pen, 1, S. 47 ff. und passim), der "propensity to fight" (Pen) bezeichnen eine Haltung des Kalküls, die ebenso den Käufern und Verkäufern auf den Produktenmärkten wie den Arbeitsmarktparteien zugewiesen wird. Dunlops "wage membership function", der die Gewerkschaften folgen (Beziehung zwischen erreichtem Lohn und Mitgliederzahl der Gewerkschaften; vgl. 1, S. 33) ähnelt der Produktionsfunktion der Unternehmungen (Verhältnis von Leistungsaufwand und Ertrag). So prägt das Konzept des unternehmerischen Vergleichs von Vorteil und Nachteil auch die neuere Auffas16'
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sung vom Verhalten der beiden Lohnparteien auf beiderseits organisierten Arbeitsmärkten. 2. D i e S t r a t e g i e d e r A r b e i t s m a r k t p a r t e i e n Das bekannteste Modell des Arbeitskampf-Kalküls hat John R. Hicks (geb. 1904, an der Universität Oxford lehrend) mit seinem damals vielbeachteten Buch "The Theory of Wages" (3, 1932) geboten2 • Er konnte sich hierbei auf Überlegungen stützen, wie sie vor ihm J. Davidson (1, 1898, besonders Kap. 4 sowie S. 277 ff.), A. C. Pigou (10, 1905, Appendix A; vgl. auch denselben, 1, III/1-6, bes. S. 452 ff.) , A. L. Bowley (2, 1928), F. S. Zeuthen (1, 1930) angestellt hatten. (Man vergleiche Davidson's "balance sheet of a strike", Pigou's "range of setttement rates".) Auch bei E. v. Böhm-Bawerk finden sich schon Erwägungen über die Kampf- und Konzessionsbereitschaft der beiden Parteien des Arbeitsmarktes. (Vgl. 5, S. 258 ff.) Allgemein ist für Hicks ... ., ... die Theorie der Lohnbestimmung auf einem freien Markt einfach ein besonderer Anwendungsfall der allgemeinen Werttheorie. Der Lohn ist der Preis der Arbeit; er ist daher, bei fehlender Einwirkung auf ihn, wie jeder andere Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt." (S. 1) Allerdings weisen Angebot und Nachfrage hier einige Besonderheiten auf, die eine spezielle Theorie des Lohnes rechtfertigen. Auch für diese aber steht obenan die Frage nach dem Markt-"Gleichgewicht" von Leistung und Gegenleistung. Der Gleichgewichtslohn ist derjenige, der dem Wert des Grenzprodukts der Arbeit gleichkommt. (S. 8) Er ist zugleich der sozial "faire" Lohn, wie Hicks ganz im Sinne der überkommenen Grenzproduktivitätslehre ausführt. (S. 81) Das "Gleichgewicht" auf den Arbeitsmärkten ist freilich eine theoretische Abstraktion. In Wirklichkeit gibt es weder "vollständige Plastizität" der Löhne (d. h . sofortige Anpassung der Löhne an eine veränderte Wertproduktivität der Arbeit) noch vollständige Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten. Die gewerkschaftlich zusammengeschlossenen Beschäftigten können durch Streikdrohung höhere Löhne erzwingen. Merkwürdigerweise betrachtet Hicks hierbei nur das vereinte Handeln einer Art von Betriebsgewerkschaft gegenüber einem einzelnen Unternehmen, und nicht den Fall beidersei ts kollektiv auftretender Arbeitsmarktparteien. Der Gedankengang ist der folgende: "Wenn eine Gewerkschaft eine Erhöhung der Löhne fordert oder sich einer Senkung der Löhne widersetzt, so stellt sie den Beschäftiger vor eine Alternative: Entweder muß er höhere Löhne zahlen, als er aus eigenem Antrieb geboten hätte (und das bedeutet im allgemeinen eine nachhaltige Verringerung seines Profits) oder er muß auf der anderen Seite den unmittelbaren Verlust auf sich nehmen, der aller Wahrscheinlichkeit nach die Folge einer Niederlegung der Arbeit sein wird. Auf jeden Fall ist er schlechter daran, als wenn seine Leute sich nicht zusam! Unverändert neu herausgegeben und durch weitere Aufsätze ergänzt London 1964. Die Seitenzahlen der "Theory of Wages" stimmen in beiden Ausgaben miteinander überein. Übersetzung durch mich; W. H.
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mengetan hätten. Doch wird eine der beiden Alternativen ihm in der Regel einen geringeren Verlust eintragen als die andere. Wenn eine Weigerung als weniger kostspielig erscheint als ein Lohnzugeständnis, so wird er sich weigern; wenn ein Zugeständnis billiger zu sein scheint, so wird er den Wünschen der Gewerkschaft entsprechen." (S. 140 f.) Welche Umstände gehen dabei in die Überlegung des Unternehmers ein? "Allem voran: Es ist offenkundig, daß die Kosten eines Zugeständnisses umso größer sein werden, je höher der geforderte Lohn ist; und umso geneigter wird er sein, abzulehnen. Andererseits: Je länger seiner Vermutung nach der drohende Streik dauern wird, desto eher wird er bereit sein, einzulenken. Lassen wir nun für unseren Zweck alle übrigen Bedingungen beiseite, von denen der Entschluß des Beschäftigers tatsächlich abhängen wird; betrachten wir alle übrigen Umstände als gleichbleibend und konzentrieren wir uns auf die genannten beiden. Dann können wir eine Tabelle der Löhne und der verschiedenen Dauer eines Streiks aufmachen, wobei wir jeder Periode einer Arbeitsniederlegung den höchsten Lohn zur Seite stellen, den ein Beschäftiger zu zahlen bereit sein wird, um eine Arbeitsunterbrechung von bestimmter Dauer zu vermeiden. Zu diesem Lohnsatz gleichen sich die erwarteten Kosten der Arbeitsniederlegung und die erwarteten Kosten des Zugeständnisses (zum bestehenden Zinssatz kapitalisiert) gerade aus. Bei jedem niedrigeren Lohnsatz wird der Unternehmer es vorziehen, nachzugeben; bei jedem höheren Lohn wird er eine Arbeitsunterbrechung in Kauf nehmen. Diese Tabelle können wir die ,Tabelle der Unternehmerischen Zugeständnisse' nennen. Wir können sie auch graphisch mit einer ,Kurve der Unternehmerischen Zugeständnisse' ( employer's concession curve) darstellen. Sie wird die y-Achse am Punkte Z verlassen, wobei OZ den Lohn bezeichnet, den der Unternehmer ohne gewerkschaftlichen Druck gezahlt haben würde .... Die Kurve kann nicht über eine bestimmte Obergrenze hinausgehen, da es offensichtlich einen Lohn gibt, den zu überschreiten keine Gewerkschaft einen Unternehmer zwingen kann. Wenn die Löhne die Gewinne vollständig zu verschlingen drohen, so wird er es vorziehen, sein Unternehmen zu schließen und seinen Wirtschaftszweig zu verlassen. Genau so nun wie die erwartete Zeit des Arbeitsausfalls den Lohn bestimmen wird, den ein Unternehmer zu zahlen bereit ist, um einen Streik zu vermeiden, so wird der gebotene Lohn darüber bestimmen, wie lange die Beschäftigten zum Ausstand bereit sein werden. Diese treffen ihrerseits eine Wahl zwischen gegenwärtigen und künftigen Übeln, nämlich gegenwärtiger Nichtbeschäftigung und künftig niedrigerem Lohn. Auf diese Weise wird die Zeit, für die sie in Ausstand zu treten gewillt sind, mit der Erfolgsaussicht eines solchen Verhaltens
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variieren. Da hierbei die Einbuße, welche eine Ermäßigung des Lohnes von 65 auf 60 Shillings je Woche mit sich bringt, größer ist als die Einbuße einer Lohnsenkung von 70 auf 65 Shillings, so dürfte im ersteren Falle eine längere Zeit der Arbeitsniederlegung ertragen werden, als man im zweiten Falle auf sich nehmen würde .... So kann man auch für die Beschäftigten eine Tabelle entwickeln, eine ,Tabelle des Widerstands', welche die Dauer der Zeit angibt, für die sie einem Ausstand im Vergleich zu einer Senkung ihres Entgeltes unter den entsprechenden Lohnsatz den Vorzug geben werden. Und diese Tabelle kann in einer ,Kurve des Widerstandes' (resistance curve) ausgedrückt werden. An ihrem unteren Ende muß die Widerstandskurve die Linie ZZ' an einem bestimmten Punkte treffen, denn es muß eine bestimmte Maximalzeit geben, über die hinaus die Gewerkschaft nicht durchhalten kann, gleichgültig welche Bedingungen geboten werden. Ihr oberes Ende wird gewöhnlich auf der y-Achse liegen, da . . . es gewöhnlich, wenn auch nicht immer, einen Lohn geben wird, über den die Gewerkschaft nicht hinauszugehen gewillt ist, auch wenn er noch so leicht - in Einheiten von Streikzeit gemessen - erreicht werden kann. Sehr häufig wird die Widerstandskurve beträchtlich lange nahezu horizontal verlaufen; denn es gibt ein Lohnniveau, das die Leute als gerechtfertigt betrachten. Um diesen Stand zu halten, werden sie einen langen Streik auf sich nehmen; doch werden sie keine große Neigung zeigen, die Löhne über ihn hinauszuheben. Die Kurve der Zugeständnisse des Unternehmers und die Kurve des Widerstandes der Gewerkschaft werden sich am Punkte P schneiden, und der Lohn OA, der diesem Punkte entspricht, ist der höchste Lohn, den eine geschickte Verhandlungsführung dem Unternehmer abgewinnen kann. Wenn die Vertreter der Gewerkschaft einen höheren Lohn verlangen, so wird der Unternehmer ihn ablehnen, da er sich sagt, daß ein Streik um eines so hohen Lohnes willen nicht lange genug dauern wird, als daß er nachgeben müßte; ein Streik ist dann das kleinere Übel. Wenn die Gewerkschaft einen Lohn unterhalb von OA verlangt, so wird dem Begehren ohne große Schwierigkeit stattgegeben werden, doch werden die Verhandlungsführer ihrer Seite schlecht gedient haben." (S. 141 ff.; Abb. 1.) An den Punkt P tasten sich beide Seiten wie Käufer und Verkäufer auf Produktenmärkten heran. Natürlich bleibt im Einzelfall, wie Hicks vermerkt, vieles für die beiden Seiten im Ungewissen; sie können sich irren. Im übrigen sind weitere Qualifikationen vorzunehmen; auch gehen in die Überlegung der beiden Parteien nicht nur die genannten zwei Momente ein, sondern viele andere mehr (Konjunkturlage, Elastizität der Nachfrage nach den Unternehmenserzeugnissen, technische Verbesserungen und Substituierbarkeit von menschlicher Arbeit, Differenzierbarkeit der Löhne, ferner außerökonomische Umstände; S. 144 ff., 153 ff.)
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