Sozialisten und Krieg: ein Beitrag zur Ideengeschichte des Sozialismus von den Hussiten bis zum Völkerbund [1 ed.]


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German Pages 702 [782] Year 1937

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorwort V
ERSTER ABSCHNITT: Die Sozialisten im Zeitalter der Revolutionskriege 1
. 1. Kommunistische Krieger und Pazifisten der Reformationszeit . . 1
a) Einleitung 1
b) Tschechische und deutsche Kommunisten in der Reformationszeit 3
c) Die Kommunisten der englischen Revolution 9
d) Die Quäker 11
e) John Bellers -15
f) Der englische Pazifismus 17
g) Die ersten Utopisten, More und Campanella 20
h) Jean Meslier 25
2. Die Zeit der Aufklärung 27
a) Die bürgerlichen Aufklärer . . . . 27
b) Der Rückgang sozialistischen Denkens im 18. Jahrhundert ... 32
3. Die Sozialisten des 19. Jahrhunderts bis 1848 37
a). Verschiedene Richtungen im Sozialismus . ... . . . 37
b) Babeuf 42
c) Blanqui und Louis Blanc 43
d) St. Simon 47
e) Fourier 55
f) Considerant 59
g) Proudhon 64
4. Die Revolution von 1848 in Frankreich 72
a) Die Revolution und der Krieg 72
b) Wirkungen der Erhebungen in Italien und Polen 77
c) Der 15. Mai 81
d) Die römische Intervention 86
5. Die Revolution von 1848 in Deutschland 90
a) Der Kommunistenbund und die deutsche Republik 90
b) Der Krieg als Motor der deutschen Revolution 95
c) „Neue Rheinische Zeitung" und Krieg 98
d) Die geistigen Verwüstungen durch den Krieg 107
e) Die Nationalitätenfrage 110
ZWEITER ABSCHNITT: Die Sozialisten im Zeitalter der Nationalkriege 118
1. Allgemeines 118
2. Der Krimkrieg 122
a) Marx und Lassalle 122
b) Revolutionäre Erwartungen 124
c) Stellung zu Rußland 128
d) Stellung zu Österreich 133
e) Die Tschechen 135
3. Der italienische Krieg 1859 136
a) Die Kompliziertheit der Lage 136
b) Engels 138
c) Lassalle 140
d) Marx 145
4. Der deutsche Krieg von 1866 148
a) Polen 148
b) Schleswig-Holstein 152
c) I. B. v. Schweitzer 157
d) Bebel und Liebknecht 162
e) Engels über die Situation nach dem Kriege 168
5. Die erste Arbeiterinternationale bis zum deutsch-französischen Krieg 170
a) Die Begründung der Internationale 170
b) Die Internationale und die bürgerliche Friedensbewegung . . 174
c) Abrüstung und Miliz 176
d) Der Brüßler Kongreß 180
6. Der deutsch-französische Krieg 185
a) Krieg dem Kriege 185
b) Gegensätze innerhalb der deutschen Sozialdemokratie . . . 188
c) Marx und Engels 193
d) Die Einheitsfront der deutschen Sozialisten nach Sedan . . . 197
e) Die französischen Sozialisten im Kriege 206
7. Der russisch-türkische Krieg 214
a) Das südslawische Problem 214'
b) Bakunin 219
c) Wilhelm Liebknecht 229
d) Marx 234
e) Engels 240
DRITTER ABSCHNITT: Die Sozialisten im Zeitalter des Imperialismus 250
1. Engels gegen den Krieg 250
a) Die Verwüstungen des Krieges 250
b) Die Teilnahme der Sozialdemokratie am Krieg 251
c) Die Ursachen des Wachstums der Kriegsschrecken .... 254
d) Abrüstung und Miliz 259
e) Der Bürgerkrieg 265
f) Die Gewinnung der Wehrmacht 273
2. Neue Auffassungen über den Krieg in der Zeit der zweiten Internationale 280
a) Die Methoden des Kriegs gegen den Krieg 280
b) Der Imperialismus 287
c) Der imperialistische Krieg 292
3. Die Kongresse der zweiten Internationale vor der russischen Revolution von 1905 295
a) Der Gründungskongreß 1889 295
b) Der Brüßler Kongreß von 1891 300
c) Der Zürcher Kongreß 1893 304
d) Der Londoner Kongreß 18% 310
e) Der Pariser Kongreß 1900 312
f) Der Amsterdamer Kongreß 1904 318
4. Die Kongresse der zweiten Internationale nach der russischen Revolution von 1905 325
a) Die erste russische Revolution 325
b) Der Stuttgarter Kongreß 1907 336
c) Lensch, Herve und Schippel 341
d) Der Kopenhagener Kongreß 1910 346
e) Der Balkankrieg von 1912 349
f) Der Basler Kongreß von 1912 361
g) Das Attentat von Sarajevo 365
h) Die Brüßler Tagung 28. und 29. Juli 1914 370
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VIERTER ABSCHNITT: Die Sozialisten im Weltkrieg 375
1. Die Schuldfrage 375
2. Die tieferen Ursachen des Weltkriegs 379
a) Der preußische Militarismus bis 1870 379
b) Der deutsche Militarismus seit 1871 387
c) Das Wettrüsten mit England 392
3. Die Veranlassung des Weltkriegs 402
a) Von Sarajevo bis zum österreichischen Ultimatum .... 402
b) Vom Ultimatum bis zu den Mobilisierungen 410
c) Mobilisierungen 421
d) Kriegserklärungen 426
4. Die Sozialisten im Deutschen Reich 436
a) Die deutsche Sozialdemokratie vor dem Kriegsausbruch . . . 436
b) Der Stimmungsumschwung nach dem Kriegsausbruch . . . 438
c) Mein Vorschlag 446
d) Erörterung meines Vorschlags 451
e) Die Begründung der Zustimmung zu den Kriegskrediten . . . 458
f) Die automatische Verpflichtung zur Landesverteidigung . . . 461
g) Die automatische Verpflichtung zur Opposition und Revolution . 464
h) Die Bewahrung der Parteieinheit im Kriege 468
i) Die Spalter an der Arbeit 476
5. Die Sozialisten anderer am Krieg beteiligten Staaten 480
a) Die Sozialdemokratie in Österreich 480
b) Die Sozialdemokratischen Parteien des Ostens 487
c) Die Sozialisten Frankreichs und Belgiens 494
d) Die britische Arbeiterpartei 502
e) Die Sozialisten Italiens 517
6. Internationale Zusammenkünfte von Sozialisten 527
a) Aufgaben der Internationale im (Kriege 527
b) Der Weg nach Zimmerwald 533
c) Zimmerwald 543
d) Kiental 550
e) Stockholm 556
f) Zimmerwalds Ende 567
7. Der Ausgang des Weltkriegs 577
a) Der demokratische Friede 577
b) Die Mittelmächte und der demokratische Friede 582
c) Stockholms dreizehn Punkte 591
d) Wilsons vierzehn Punkte 598
e) Brest-Litowsk 603
f) Die Weltrevolution 615
g) Die Herbeiführung der Friedensschlüsse von 1919 619
h) Der Völkerbund 630
8. Rückblicke und Ausblicke 640
a) Aufgaben des Völkerbundes 640
b) Dynastische Kriege 643
c) Nationalismus und Imperialismus 648
d) Der Rückzug des Imperialimus 653
e) Demokratie und Eroberung 663
f) Demokratie und Diktatur 668
Namensregister 675
Sachregister 682
Inhaltsverzeichnis 699
Druckfehlerverzeichnis 702
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Sozialisten und Krieg: ein Beitrag zur Ideengeschichte des Sozialismus von den Hussiten bis zum Völkerbund [1 ed.]

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Vorrede

Es sind gerade zehn Jahre her, daß ich mit den Arbeiten begann, aus denen das vorliegende Buch hervorgegangen ist. Über den Anlaß zu diesen Arbeiten berichte ich in dem 1. Band meines Werkes über „ Krieg und Demokratie". Angeregt durch eine, 1927 veröffentlichte Untersuchung der Haltung der sogenannten Zimmerwalder Sozialisten im Weltkrieg, fühlte ich mich immer mehr gedrängt, zu zeigen, wie irrig jene Meinung ist, die erklärt, die Stellung der Sozialisten zu einem Krieg müsse stets die gleiche sein, werde unter allen Umständen von vornherein gegeben, sie sei eine wahrhafte Selbstverständlichkeit. Ich hielt es für notwendig, darzulegen, wie verschieden die verschiedenen Kriege bisher gewesen seien, wie verschieden die Haltung der Sozialisten ihnen gegenüber; wie diese sogar während des gleichen Krieges für die Sozialisten verschiedener Länder eine verschiedene sein konnte, ja sein mußte. Um das darzutun, hatte ich eine Darstellung der verschiedenen Kriege zu geben, die auf das sozialistische Denken bisher Einfluß geübt haben. Natürlich eine Darstellung ihres politischen Charakters, nicht ihrer rein militärischen Vorkommnisse. Diese Darstellung nahm unerwartete Dimensionen an. Den ersten Band der Arbeit, den ich ,,Krieg und Demokratie" nannte, konnte ich anfangs 1932 in Berlin erscheinen lassen. Der zweite Band war damals auch schon abgeschlossen, er sollte im Herbst 1932 erscheinen. Doch der Verleger hielt es für opportun, die Publikation etwas zu verzögern. Im Frühjahr 1933 sollte der Band herauskommen. Er war zum größten Teil schon gesetzt, da brach die braune Sintflut herein. Der Verlag ,,Vorwärts" wurde beschlagnahmt und damit das Erscheinen des 2. Bandes unmöglich gemacht. Als Kuriosum sei mitgeteilt, daß die nazistischen Verwalter der Druckerei, in

VI der mein Buch gesetzt worden war, mir persönlich eine Rechnung der aufgelaufenen Satzkosten schickten. Nach ihrer Auffassung hätte ich diese Kosten veranlaßt und sei verpflichtet, sie zu begleichen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß sie ihre Forderung eingetrieben hätten, wenn ich 1933 noch innerhalb der Grenzpfähle des Reichs zu finden gewesen wäre. Die Aussichten auf ein baldiges Erscheinen der weiteren Bände meines Werkes waren nun recht trübe geworden. Nichtsdestoweniger trachtete ich danach, es wenigstens im Manuskript zu einem Abschluß zu bringen. Was ich als vierten Band meines Werkes geplant und im Vorwort zum 1. Band von ,,Krieg und Demokratie" als eine Geschichte der Anschauungen vom Krieg im modernen Sozialismus angezeigt hatte, daraus machte ich nun ein selbständiges Buch. Ende 1935 war das Manuskript im wesentlichen abgeschlossen, doch die Aussichten auf seine Veröffentlichung gering. Es hat fast zwei Jahre gedauert, bis es gelang, die Arbeit gedruckt dem Publikum vorzulegen. Sie beginnt mit den Hussitenkriegen und geht bis zu den Friedensschlüssen von 1918 und deren Auswirkungen. Mancher Leser wird bemängeln, daß ich das Buch nicht bis zur Gegenwart fortgesetzt und deren Probleme nicht eingehend erörtert habe. Das hätte jedoch den bereits sehr großen Umfang des Werkes ungemein erweitert. Und noch ein anderer, viel wichtigerer Umstand sprach dagegen. Seit dem Weltkrieg ist die Welt aus denFugen, sie bewegt sich in Extremen und Abnormitäten, die jeden Tag neue Überraschungen zeitigen. Sicher ist auch diese Entwicklung wie alles Weltgeschehen von Gesetzmäßigkeiten beherrscht. Indes stehen wir ihr noch zu nahe und sie beruht zu sehr auf ganz unerhörten Bedingungen, als daß wir viel mehr von der Gegenwart zu erkennen vermöchten, als ihren ganz chaotischen Charakter. Soweit unser heutiges soziales und politisches Denken auf wissenschaftlichen Grundlagen, auf der Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten beruht, sind sie durch Beobachtung der gesellschaftlichen Vorgänge gewonnen worden, die vor dem Weltkrieg vor sich gingen. Mit Hilfe dieser von der Vorkriegszeit überlieferten Wissenschaft kann man wohl bis zu einem gewissen Grade die Probleme der heutigen Zeit erkennen und lösen, aber man läuft dabei stets Gefahr, daß während

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man daran arbeitet, das Problem verschwindet und durch ein anderes ersetzt wird, ehe man dahin kommt, es zu lösen. Als ich an meine vorliegende Arbeit ging, 1927, herrschte noch die Demokratie in der Welt und deshalb stand der Völkerbund auf der Höhe seiner Macht. Als ich das Buch abschloß, 1935, hatten Demokratie und Völkerbund viele schmerzliche Niederlagen erlitten und gar manche wichtige Position verloren. Seitdem sind aber noch gewaltige neue Probleme aufgetaucht, namentlich durch den abessinischen Krieg und den Bürgerkrieg in Spanien. Als ich meine Arbeit begann, erschien der Weltfriede gesichert. Als ich zu ihrem Abschluß kam, drohte ein neuer Weltkrieg, und noch ist diese Gefahr nicht gebannt. Unter solchen Umständen in einem Buche, das Jahre zu seiner Fertigstellung braucht, aktuelle Probleme zu erörtern, ist ganz unmöglich. Diese dürften noch für geraume Zeit zweckmäßig nur in Artikeln und Broschüren zu behandeln sein, die rasch fertig zu stellen sind. Damit soll nicht gesagt sein, daß mir mein Buch heute nicht aktuell erscheint. Im Gegenteil, ich halte es gerade jetzt für höchst aktuell, viel aktueller als in dem Zeitpunkt, in dem ich es begann. Damals meinte ich nur eine akademische Geschichte sozialistischer Ideen zu geben. Ich wollte der jetzigen Generation eine wichtige Seite des sozialistischen Geisteslebens der Vorkriegszeit erschließen, von dem die Jugend, die seit dem Kriege aufwuchs, so wenig weiß. Das ist auch heute noch wichtig. Aber viel wichtiger für die Sozialisten und Demokraten aller Länder ist jetzt die Frage, welche Haltung sie einnehmen werden, wenn es zum Krieg kommt, trotz unseres Widerstrebens. Eine bestimmte Antwort für jeden möglichen Fall läßt sich wohl nicht im Vorhinein geben, ehe nicht der Krieg da ist und wir deutlich sehen, wer ihn herbeigeführt hat, zu welchen Zwecken er geführt wird. Aber die Methode, der wir in der Kriegsfrage zu folgen haben, läßt sich schon vor dem Kriege feststellen. Ich glaube, sie geht aus meinem Buche deutlich hervor. Es bildet eine Mahnung an die Internationale, sich stets der Grenzen ihrerMacht bewußt zu bleiben, nicht Leistungen erwarten zu lassen oder zu versuchen, die über ihre Kraft gehen. Es bildet aber auch eine Mahnung

VIII zur Einigkeit. Eine der Hauptaufgaben in einem möglichen Kriege wird für die Sozialisten in der Erhaltung ihrer Einigkeit bestehen, damit die sozialistischen Parteien aus ihm geschlossen hervorgehen und in der Lage sind, seine Früchte dort einzuheimsen, wo er zum Zusammenbruch eines volksfeindlichen Regimes führt. Im Jahre 1914 ging diese Einigkeit verloren. Daran leiden wir bis heute. Aber diesmal liegen die Dinge bisher wenigstens einfacher, klarer, als damals, der Gegensatz zwischen demokratischen und antidemokratischen Staaten ist viel schärfer ausgeprägt. Da dürfen wir erwarten, daß, wenn es wirklich nochmals zu dem entsetzlichen Unheil eines Weltkrieges kommen sollte, die Sozialisten alle auf der gleichen Seite stehen werden, auf der der Demokratie. Diese Einheitlichkeit zu fördern, ist die wichtigste Aufgabe, die ich meinem Buche gesetzt habe. Ich werde hochbeglückt sein, wenn es ihm gelingen sollte, in diesem Sinne zu wirken.

Wien, Juni 1937.

K. Kautský.

Erster Abschnitt.

Die Sozialisten im Zeitalter der Revolutionskriege . 1. Kommunistische Krieger und Pazifisten der Reformationszeit.

a) Einleitung. Die Teilung der Gesellschaft in arbeitende Klassen, die von ihrer eigenen Arbeit, und ausbeutende Klassen , die von fremder Arbeit leben, tritt erst spät in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit auf. Dennoch ist sie weit älter als die geschriebene Geschichte. Eng damit verbunden ist die Umwandlung der ursprünglich auf allgemeiner Freiheit und Gleichheit beruhenden Gemeinwesen in Staaten mit herrschenden und beherrschten Klassen. Aus Kriegen sind die Staaten hervorgegangen, auf kriegerischer Macht beruhen sie bis zum Aufkommen und Erstarken der modernen Demokratie, die den Staaten einen ganz neuen Charakter gibt. Aber bis heute läßt sich kriegerische Macht aus dem Wesen des Staates nicht wegdenken. Es ist klar, daß über die entsetzlichen Opfer, die jeder Krieg erheischt und über die Vorteile, die sein siegreicher Ausgang bringen kann, die Beherrschten stets anders dachten als die Herrschenden. Jedoch waren auch die Beherrschten unter sich keineswegs stets einig in ihren Auffassungen bestimmten Kriegen gegenüber. Die Beherrschten zerfielen in verschiedene Klassen , von denen jede ihre besonderen Interessen hatte und über besondere Mittel verfügte, sich im Staat Geltung zu verschaffen. Aber nicht einmal innerhalb einer einzelnen dieser Klassen bestand immer volle Einmütigkeit in der Kriegsfrage. Das gilt nicht zum wenigsten von der untersten der arbeitenden Klassen, den besitzlosen Arbeitern, den Proletariern. Ja, in ihren Reihen machen sich sogar oft besonders starke Gegensätze in der Kriegsfrage bemerkbar. Gerade die Besitzlosigkeit befreit den Proletarier von manchen Hemmungen, die dem Bauern oder Handwerker sein Besitz auferlegt. Die Proletarier neigen daher mehr zu Radikalismus, zu Rücksichtslosigkeit und Unbeugsamkeit, als Kleinbürger und Bauern. Das gilt auch von ihrer Stellung dem Kriege gegenüber. Wo sie an einem Kriege aus eigenem Antrieb teilnehmen, gehören sie zu den kühnsten, hingebendsten, zähesten Streitern,

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Einleitung

die vor keinem Opfer zurückscheuen . Trotzdem neigen sie von Haus aus mehr als jede andere Klasse zu einem weitgehenden Pazifismus. Während der Ausbeutende daran gewöhnt ist, die arbeitende Masse bloß als Mittel zu seinen Zwecken zu betrachten , widerstrebt diese Auffassung naturgemäß dem Arbeiter. Ihm ist der Mensch heilig , seine Freiheit wie sein Leben. Daraus entspringt eine heiße Menschenliebe , ein entrüsteter Abscheu vor jeder Gewalttat, eine stete Neigung zu pazifistischem Denken und Fühlen. Nur außergewöhnliche Umstände vermögen diese pazifistischen Neigungen durch das Verlangen nach kriegerischer Gewalttat zu überwinden. Oft ist ein jäher Übergang von absolutem Pazifismus zu blutigster Kriegspsychose schon bei einzelnen Individuen innerhalb weniger Jahre zu beobachten, so z . B. bei Robespierre in der französischen Revolution . Aber die Wandlung, die sich bei ihm vollzog , war nicht auf ihn beschränkt. Sie erstreckte sich auf große Massen . Über Krieg und Frieden , Kampf der Waffen und Gewaltlosigkeit haben sich, wie in den arbeitenden Klassen überhaupt, so innerhalb des Proletariats und der Sozialisten, der Verfechter seiner Befreiung, seit jeher in bestimmten Situationen große Differenzen gebildet, die seine Entwicklung stark beeinflußten, sehr oft hemmten. Es gibt im Völkerleben kein Ereignis, das die Leidenschaften so sehr aufpeitscht wie ein Krieg. Dementsprechend wurden auch im Falle eines solchen die kriegerischen wie die pazifistischen Tendenzen in den Reihen der Sozialisten aufs höchste gesteigert, ihr Gegensatz aufs leidenschaftlichste ausgefochten. Dieser Gegensatz , der jüngst im Weltkrieg so schroffe Formen annahm, ließ sich schon vor einem halben Jahrtausend beobachten. In diesem ganzen langen Zeitraum bildet der Krieg eines der wichtigsten Objekte des Nachdenkens für die Sozialisten , aber auch eine Ursache der lebhaftesten Kämpfe unter ihnen, selbst unter Gesinnungsgenossen , die sonst nicht nur im Ziel , sondern auch in den Methoden zu seiner Erreichung völlig übereinstimmten . Der Weltkrieg hat, wie so vieles andere, auch die sozialistische Tradition arg zerstört. Die jetzige Jugend weiß wenig mehr von dem , was die besten Köpfe des Sozialismus in mühevoller Arbeit ehedem erforscht hatten . Kein Zweifel, manches davon ist überholt, veraltet. Aber nicht so sehr, wie viele wähnen, die keine Ahnung von den Geistesschätzen der Vergangenheit haben . Wer diese durchforscht, wird immer überrascht davon, was unsere Vorgänger schon alles wußten und erkannt hatten. Gar mancher, der sich mit einem Problem mühsam abplagt, ohne vom Fleck zu kommen, würde rasch damit fertig werden , wenn er wüßte , was große Geister schon vor ihm darüber gedacht und gefunden hatten. Jede Erscheinung läßt sich vollständig nur erkennen , wenn man weiß, wie sie geworden ist. Schon das gibt der Erforschung der Entwicklung der Welt einen ungeheuren wissenschaftlichen

Reformation

3

Wert der Geschichte der Naturerkenntnis und Technik, der Produktionsweisen, Staaten , Klassen , Parteien sowie ihrer Ideen . Solche Geschichtsschreibung darf nicht bloß als eine akademische Liebhaberei betrachtet werden. Sie hat eine enorme wissenschaftliche, aber auch praktische Bedeutung, sie gestattet es dem Leser der geschichtlichen Darstellung, in wenigen Jahren mühelos den ganzen Weg des Erkennens zurückzulegen, zu dem die Menschheit viele Jahrtausende brauchte. Die Geschichte wirkt dadurch höchst ökonomisch, sie erspart eine Menge unnützer Arbeit . Nur dadurch kommt das Menschengeschlecht vorwärts , daß jede Generation auf den Schultern ihrer Vorgänger ruht, von ihnen rasch lernt, was sie sich mühsam erarbeitet haben . Das gilt auch von der Geschichte der Anschauungen der Sozialisten über den Krieg. Diese Anschauungen der Vorzeit sind nicht etwa historische Kuriositäten. Wir ersehen aus ihrer Betrachtung, daß mit Naturnotwendigkeit trotz aller Wandlungen der politischen Situationen und der sozialen Verhältnisse, in der proletarischen Bewegung und unter den Sozialisten immer wieder übereinstimmende Ideen auftauchen , immer klarer und bestimmter. Vieles , was mancher heute als neueste Entdeckung betrachtet, ist uraltes Erbgut. Vieles, was man in unseren Tagen als höchste Weisheit preist , stellt sich im Lichte der Geschichte als längst widerlegte Phantasterei heraus. Im Weltkrieg haben verschiedene Richtungen des Sozialismus einander Verrat an den heiligsten Ideen vorgeworfen. Aber Vorgänger der Auffassungen einzelner dieser Richtungen finden wir schon bei den frühesten Vorkämpfern des Sozialismus . Wer nicht der heute weitverbreiteten Meinung ist, daß Erkenntnis der Welt ein überflüssiges Hemmnis des Handelns, daß Wissen Blei sei und nur die geballte Faust Gold, wie sich jüngst ein hervorragender Nationalsozialist äußerte , der wird in den Kämpfen unserer Zeit um Frieden und Freiheit weit sicherer seinen Weg verfolgen und wird sich viel unnützes Kopfzerbrechen ersparen, wenn er erfährt, wie die Sozialisten früherer Zeiten darüber gedacht und was sie erkannt haben. b) Tschechische und deutsche Kommunisten in der Reformationszeit. Wollen wir erfahren , wie die Vorläufer der heutigen Sozialisten über den Krieg gedacht haben, dann müssen wir bis in die Reformationszeit zurückgreifen, denn in dieser zeigen sich bereits Tendenzen, die verwandt sind mit denen unserer Zeit, wenn sie auch noch in religiösem Gewand auftreten . Die Kirchenreformation , die die Geschichte der neueren Zeit einleitet, war nicht eine bloße Reformbewegung, wenn sie auch in ihren Anfängen nur einige Mißstände der katholischen Kirche reformieren wollte. Sie wurde zu einer gewaltigen Revolution , zu 1*

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Hussiten

einem Aufruhr vieler Völker gegen ihre Beherrschung und Ausbeutung durch das Papsttum. Die Monarchien Europas waren zum Teil solche, die sich stark genug fühlten, den Papst von sich abhängig zu machen, wie die Frankreichs sowie die Habsburger in Spanien und Österreich . Diese verteidigten die päpstliche Führung der Kirche. Andere waren zu schwach dazu , es auch nur zu versuchen, den Papst zu beherrschen. Sie trachteten danach, sich von ihm loszumachen in Deutschland auch, sich vom Kaiser loszumachen, der mit dem Papst verbunden war. Diese Rebellion der Fürsten ermunterte auch die Rebellion anderer Elemente im Staat gegen herrschende Gewalten, wie die von städtischen Bürgern und Großgrundbesitzern . Aber auch die Bauern rührten sich und neben ihnen besitzlose Arbeiter mancher Art, wie Bergarbeiter und Weber. Kommunistische Tendenzen hatten sich in diesen Schichten frühzeitig gezeigt ; sie konnten aber nur geheim propagiert werden, in kleinen , wenig zahlreichen Konventikeln . In der Zeit des Aufruhrs gegen die päpstliche Kirche kamen sie ans Tageslicht, gewannen sie propagandistische Kraft. Dabei aber tauchte eine große Schwierigkeit auf, die die früheren Kommunisten- Sekten nicht gekannt hatten : Rebellion bedeutete bewaffnete Rebellion . Sollten die Kommunisten zu den Waffen greifen, um die Sache der Besitzlosen zu führen, diesen Freiheit und Wohlstand zu erkämpfen, oder war solches Tun aussichtslos und bloß imstande , die gute Sache zu gefährden ? Darüber wurde lebhaft gestritten, in den Formen religiösen Denkens. Also nicht darüber diskutierte man, ob unter den gegebenen Bedingungen der Gesellschaft und des Staates für die Proletarier ein Appell an die Waffen zweckmäßig sei, Erfolg verspreche oder nicht, sondern ob er dem Worte Gottes entspreche, ob er Gottes Gebot oder ob er sündhaft sei . Zeitweise kam unter den Kommunisten die kriegerische Richtung obenauf und sie konnte große Kraft entfalten, schließlich aber mußte sie bei den gegebenen Machtverhältnissen doch unterliegen . Die pazifistische Richtung überdauerte stets die kriegerische. In den kommunistischen Sekten der Reformationszeit und ihren Nachfolgern erhält sich für längere Zeit nur das absolut pazifistische Denken . Dieses wird eines ihrer Hauptkennzeichen . Das zeigte sich bei der ersten der Reformationsbewegungen Europas, die groß und stark genug war, sich längere Zeit hindurch siegreich gegen den Papst und seine Werkzeuge zu behaupten . Der Schauplatz dieser Bewegung war Böhmen, ihr erster Wortführer der Prager Professor Johannes Hus , der wegen seiner Ketzereien 1414 vor die Konstanzer Kirchenversammlung geladen und von ihr zum Feuertod verurteilt wurde ( 1415 ) . Der Scheiterhaufen, der Hussens Körper verzehrte, entflammte eine allgemeine Rebellion seiner Anhänger, die ihm zahlreich aus

Hussiten

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allen Klassen der tschechischen Bevölkerung Böhmens zugeströmt waren. Es war eine Rebellion gegen die päpstliche Kirche, aber auch gegen das Deutsche Reich, zu dem Böhmen gehörte — und gegen die Deutschen in Böhmen , die dort eine privilegierte Stellung im Staate und in der Kirche einnahmen . Deutsche Heere wurden vom Reich entsandt, die aufständischen Tschechen niederzuwerfen, aber jedes dieser Heere wurde besiegt, die tschechischen Armeen zeigten sich im Felde so sehr überlegen , daß sie zeitweise sogar die Offensive ergreifen, in benachbarte deutsche Lande einbrechen konnten. Die kraftvollste, begeistertste und unbeugsamste unter den Kriegscharen der Tschechen wurde aber jene, die sich aus den . Kommunisten rekrutierte. Ein Teil von ihnen überwand seine pazifistischen Anschauungen, griff zu den Waffen, und diese überboten bald alle andern Hussiten an kriegerischem Eifer. Ihr Zentrum fanden sie in der Stadt Tabor, nach der sie Taboriten genannt wurden. Ihre kriegerische Kraft brachte ihnen großen Einfluß in Böhmen, aber auch zahlreiche Feinde in den besitzenden Klassen, besonders, seitdem kein Heer mehr es wagte, gegen die Hussiten zu ziehen, und Papst und Reich darauf verzichteten , die Tschechen mit Gewalt niederzuwerfen. Wie die deutschen Fürsten wurden auch die besitzenden Klassen der Tschechen des Krieges müde. Hüben wie drüben erstrebte man einen Kompromiß. Nur die Taboriten zeigten sich unversöhnlich , solange es nicht gelang, die Ausbeutung in der Gesellschaft völlig aufzuheben. Gleichzeitig wurde aber ihre Moral durch den ständigen Kriegsdienst und ihr Kriegsglück untergraben. Zahlreiche Abenteurer aus aller Herren Länder strömten ihnen zu , denen der Kommunismus gleichgültig war, die nur nach Kriegsbeute verlangten. Das minderte die kriegerische Moral der Taboriten , die dabei den Bürgern der Städte wie dem Adel immer verhaßter wurden. Die großen Herren zogen schließlich gegen die Taboriten zu Felde und besiegten sie ( 1434) . Das bedeutete noch nicht das Ende des kommunistischen Gemeinwesens in Tabor, aber kraftlos siechte es seitdem dahin . Schon 1452 verlor es seine Selbständigkeit. Damit war jedoch die kommunistische Bewegung unter den Tschechen nicht erledigt, sie nahm nur andere Formen an. Die kommunistischen Sektierer in der Zeit der Geheimbündlerei waren, ihrer Ohnmacht bewußt, stets friedliebend gewesen, wie anderswo, auch in Böhmen. Die Erregung der hussitischen Revolution hatte viele von ihnen ihren ursprünglichen Pazifismus vergessen lassen, sie zu wilden Kriegern gemacht. Aber nicht alle. Gar mancher war dem Pazifismus treu geblieben. Nach der Niederlage von 1434 erhielt jetzt diese Richtung die Oberhand . Unter ihnen ist am bedeutendsten die der Böhmischen Brüder geworden , deren Anhängerschaft sich rasch vermehrte, trotz gelegentlicher

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Böhmische Brüder

Verfolgungen, die sie zu erleiden hatte . Sie blieben Feinde der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung, suchten sie aber nicht mit Waffengewalt zu beseitigen, sondern nur dadurch, daß sie sich von den Herrschaftsmitteln fernhielten . Kein böhmischer Bruder durfte Kriegsdienst leisten , keiner als Polizist oder als Richter amtieren , ja er durfte nicht einmal einen Richter oder Polizisten zu seinem Schutze anrufen. Im Laufe der Zeit wurde von vielen der Brüder selbst dieses Fernhalten von allen Organen der Gewalt als lästig empfunden . Es bildete sich eine mildere Richtung, die an der alten Ablehnung des Staates und seiner Gewaltmittel zwar formell festhielt, aber im Notfall es doch erlaubte, Richter oder Polizisten anzurufen , ja selbst die Waffen zur Abwehr eines Angriffs zu ergreifen . Die Sekte der böhmischen Brüder blühte und gedieh, bis die Habsburger, die 1526 durch Heirat zu Herren Böhmens geworden waren, sich stark genug fühlten , der Selbständigkeit des Landes ein Ende zu machen. Es gelang ihnen 1620 in der Schlacht am Weißen Berge bei Prag, die Streitkräfte des Protestantismus niederzuwerfen und die Alleinherrschaft der katholischen Kirche in Böhmen von neuem aufzurichten . Damit fand nun auch die öffentliche Tätigkeit der friedlichen Richtung der tschechischen religiösen Kommunisten ein Ende. Ähnlich, wie den tschechischen Kommunisten erging es den deutschen, die sich , ein Jahrhundert später als diese es unternommen, an das Licht der Öffentlichkeit wagten , sobald in den deutschen Landen die Reformationsbewegung übermächtig geworden war, für die Luther dasselbe wurde , was für die Tschechen Hus gewesen. Die Auflehnung gegen Papst und Kaiser, die in Böhmen . zuerst einen nationalen Charakter angenommen hatte, zu einem Kampf von Tschechen gegen Deutsche geworden war, erhielt im Deutschen Reich den Charakter eines Kriegs von Deutschen gegen Deutsche, eines Bürgerkriegs. Dieser erweckte mit allen Klassen der Gesellschaft auch ihre untersten und gebücktesten zu offener Vertretung ihrer Interessen. Wiedertäufer nannten sich jetzt die Kommunisten , ihr Anhang wuchs rapid in den Anfängen der deutschen Reformation . Dabei machte sich aber auch sofort der Gegensatz geltend zwischen jenen, die der Überzeugung waren, die Herrschaft der großen Ausbeuter, die sich auf das Schwert stützten, sei nur mit der Schärfe des Schwertes zu überwinden, und jenen, die sich sagten , die untersten Klassen seien viel zu schwach, sich gewaltsam durchzusetzen und die daher jede Gewalttat verpönten . Die friedliche Richtung der Wiedertäufer überwog von ihren Anfängen an in der Schweiz , die gewalttätige fand ihre meisten und kühnsten Verfechter in Mitteldeutschland, unter ihnen besonders hervorragend der Geistliche Thomas Münzer ( 1490 bis 1525 ) , der in Thüringen wirkte. Als nach dem ersten Auftreten

Wiedertäufer

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Luthers ganz Deutschland in Bewegung kam, rief Münzer die Armen und Elenden zu gewaltsamer Erhebung auf, namentlich Bauern und Lohnarbeiter. Vergebens mahnten ihn die Schweizer Wiedertäufer, davon abzulassen . In seiner Chronik aus dem Jahr 1531 berichtet über deren pazifistische Richtung Sebastian Frank, daß sie lehren, man solle Gewalt leiden, Genommenes nicht fordern . Ein Christ solle kein Amt bekleiden, keine Leibeigenen noch sonstige Knechte haben , auch niemals Krieg führen und die Faust zücken, Gott räche sich selbst . ( Zitiert in meinem Buch II , S. 149 über die ,,Vorläufer des neueren Sozialismus“, in dem ich ausführlich von den Wiedertäufern handle. ) Ebenso wie die friedlichen setzten die kriegerischen ihre Zuversicht in Gott . Die Pazifisten vermeinten, Gottes Hilfe mache die Gewalttat überflüssig. Die kriegerischen Kommunisten wieder rechneten darauf, daß Gottes Hilfe die Gewalttat unwiderstehlich machen und den so schwachen Scharen der Aufständischen den Sieg bringen werde. In Wirklichkeit mußten , sobald sie öffentlich auftraten und Propaganda trieben, sowohl die friedlichen wie die kriegerischen Kommunisten bei den damals gegebenen Machtverhältnissen früher oder später scheitern. Ihr Gottvertrauen schützte weder die einen noch die andern. Die Erhebung der Bauern in Süd- und Mitteldeutschland 1525 endete mit einer zerschmetternden Niederlage der Bauern sowohl wie der kriegerischen Richtung der Wiedertäufer. Davon hat sie sich im südlichen und mittleren Deutschland nicht wieder erholt. Doch bestand sie noch fort in den Niederlanden , die Anfangs des 16. Jahrhunderts noch zum Deutschen Reich gehörten . Im Jahre 1477 hatte sie der Kaiser Max durch Heirat für seine Familie, die Habsburger gewonnen , sein Sohn Philipp erwarb dazu durch Heirat Spanien. Unter dem Enkel des Kaisers Max, dem Kaiser Karl V. , begann schon eine starke Auflehnung der Niederländer, zunächst gegen die Spanier, dann gegen den Papst und schließlich gegen den Kaiser, gegen die Habsburger und ihren fanatischen Katholizismus, der die Anhänger der Kirchenreform grausam verfolgte. Das ergab einen fruchtbaren Boden für die Wiedertäuferbewegung, förderte aber auch innerhalb dieser Bewegung die Tendenz , der Gewalt durch Gewalt zu begegnen. Wie im eigentlichen Deutschland erstand auch in den Niederlanden aus der ursprünglich sehr friedlichen Bewegung der Wiedertäufer, die jede Gewaltanwendung verwarf, eine kriegerische, die an das Schwert als Mittel der Befreiung der Ausgebeuteten und Geknechteten appellierte . Diese Richtung wurde in der Holland benachbarten westfälischen Stadt Münster siegreich, als diese , die Hauptstadt des gleichnamigen Bistums, 1533 in Konflikt mit ihrem Bischof geriet, wobei die Handwerkerzünfte und die besitzlose Menge obenauf kamen. Zahlreiche kriegerische Wiedertäufer zogen nun hin und die De-

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Wiedertäufer

mokraten und Kommunisten wurden gezwungen, zu ihrer Verteidigung zum Schwert zu greifen, als der Bischof verräterisch die Stadt angriff, Februar 1534, mit der er Frieden geschlossen . Selbst die kriegerischen Elemente unter den Wiedertäufern griffen in Münster nur zur Abwehr von Gewalt zu den Waffen. Als es aber zum Kriege gegen den Angreifer kam, erwiesen sie sich als die energischsten, hingebendsten aber auch umsichtigsten unter den Streitern . Sie wurden zu Herren der Stadt, die sie lange erfolgreich behaupteten, obwohl schließlich auf dem Reichstag von Worms April 1535 das ganze Deutsche Reich gegen sie aufgeboten wurde. Belagert und ausgehungert, wehrten sie sich verzweifelt gegen eine ungeheure Übermacht ( 1500 gegen 8000 Belagerer) . Selbst als die Zahl ihrer wehrhaften Männer in der Stadt auf wenige hundert zusammengeschmolzen war, der Vorrat an Schießpulver zu Ende ging und sie sich vor Hunger kaum noch rühren konnten, wagten die Belagerer noch keinen Sturm. Erst als ein Verräter aus der Stadt zu ihnen schlich und ihnen eine unbewachte Stelle der Stadtmauer zeigte, entschlossen sich die Belagerer zu einem nächtlichen Überfall ( 25. Juni 1535 ) , der gelang und die Reste der streitbaren Kommunisten in furchtbarer Schlächterei vertilgte. Die Kommunisten hatten sich im Kampfe für ihre Ideale den Landsknechten der Fürsten militärisch weit überlegen gezeigt. Wenn die Rebellen trotzdem unterlagen, rührte das daher, daß sie nur ein kleines Häuflein bildeten . Nach dem Untergang der Münsterschen Erhebung ließ das Ende der kriegerischen Richtung der Wiedertäufer nicht lange auf sich warten. Unter den Kommunisten schwand jede Zuversicht auf einen Erfolg mit bewaffneter Hand . Die friedliche Richtung bestand weiter, aber auch sie wurde auf das grausamste verfolgt und vielfach ausgerottet. Nur an den äußersten Grenzen des Reichs blieben ihnen einige Zufluchtsstätten offen , in Mähren, wo sie dank der religiösen Toleranz , die seit den Hussitenkriegen dort bestand, unter dem Schutz einiger ökonomisch vernünftiger Grundherrn gediehen. Diese wußten sehr wohl , welchen Nutzen ihnen die fleißigen, stillen, wohlunterrichteten Sektierer brachten. Gleich den Einrichtungen der Böhmischen Brüder in Böhmen erhielten sich die kommunistischen Kolonien (Haushaben ) der Wiedertäufer in Mähren bis zum Sieg des habsburgischen Katholizismus und Jesuitismus in den böhmischen Landen 1620. Wie im äußersten Osten, fanden die friedlichen Wiedertäufer seit dem 16. Jahrhundert auch im äußersten Westen des Deutschen Reichs einige Zufluchtstätten, und zwar in den Niederlanden. Diese waren 1558 , nach dem Tode des deutschen Kaisers Karl von diesem der spanischen Linie des Hauses Habsburg überantwortet und damit tatsächlich aus dem Deutschen Reiche ausgeschieden worden. Es dauerte nicht lange, so erhoben sich die Niederlande

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Mennoniten

gegen die Herrschaft Spaniens und der von dessen Königen geschützten und benützten katholischen Inquisition . In einem Krieg von fast 80 Jahren ( 1567-1648) vermochte sich der nördliche Teil der Niederlande die völlige Unabhängigkeit zu erkämpfen . Mit der Freiheit erstand nun hier, ebenso wie einige Jahrhunderte vorher in den böhmischen Landen, eine gewisse religiöse Toleranz . Waren unter deren Schutz in Böhmen und Mähren die Böhmischen Brüder und die friedlichen Wiedertäufer gediehen , so trat dasselbe in den Niederlanden seit dem 17. Jahrhundert ein für die dortigen Nachfahren der friedlichen Wiedertäufer, die sich erhalten hatten. Menno Simons ( 1492-1559) hatte schon vor 1534 zur friedlichen Richtung der Wiedertäufer gehört und das kriegerische Unternehmen von Münster verurteilt. Nach dessen Untergang sahen in ihm die meisten der Wiedertäufer ihren Führer. Seine Richtung wurde die der Mennoniten genannt . Ihre friedliche Rechtlichkeit gewann ihnen das Wohlwollen vieler bürgerlichen Kreise. In Voltaires ,,Candide" gibt es nur einen anständigen Menschen : einen Wiedertäufer. Sie erhielten sich in den Niederlanden, wo sie 1626 offiziell die Glaubensfreiheit gewannen . Aber nicht bald danach sollten noch einmal Bedingungen erstehen, durch die die kriegerische Richtung der religiösen Kommunisten der Reformationszeit erneut ins Leben gerufen wurde. Das geschah jedoch nicht in den Niederlanden , sondern in England. c)

Die

Kommunisten der englischen Revolution.

Die Taboriten und Wiedertäufer haben in den Kämpfen der Kirchenreformation die gewaltigste Wirkung geübt, aber von ihrer Denkweise finden sich in den arbeitenden Klassen und Sozialisten unserer Zeit keine Spuren, obwohl die Ideen, die sie bewegten, in der Kriegsfrage wie in andern Fragen, auch heute noch unwissenden, primitiven Sozialisten naheliegen. Nur die Gegner des Sozialismus und der Arbeiterbewegung liebten es im 19. Jahrhundert noch mit Vorliebe auf Münzer und die Vorgänge im wiedertäuferschen Münster hinzuweisen, um aus dem Zerrbild, das sie von ihnen entwarfen, die Verwerflichkeit der sozialistischen Ideen darzutun . Wie dabei Geschichte gefälscht wurde, habe ich in meinem Buch über die „ Vorläufer des neueren Sozialismus" ausführlich dargetan . Weit tiefere Wirkungen als die revolutionären Erhebungen der arbeitenden Klassen des 15. und 16. Jahrhunderts übten jene, die sich in der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts vollzogen. Bis heute wird durch viele ihrer Denkweisen das Denken englischer Demokraten , Arbeiter, Sozialisten bestimmt. Die englische, ja die gesamte angelsächsische Arbeiterbewegung unserer Tage und nicht zum wenigsten ihre Stellung zum Kriege ist kaum

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Levellers

verständlich ohne Erkenntnis der Revolution des 17. Jahrhunderts. Die kriegerischen und pazifistischen Tendenzen unter den englischen Kommunisten jener Zeit verdienen daher unsere größte Aufmerksamkeit. Aus den Niederlanden waren die Ideen der Wiedertäufer nach England gedrungen. Sie kamen dort an die Oberfläche in der Erhebung, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts durch die Versuche des Königs Karl I. hervorgerufen wurde, eine absolute Macht des Königtums aufzurichten, das sich dort durch das Parlament stark beschränkt sah . Diese Erhebung stellt neben dem Unabhängigkeitskrieg der Niederländer die Einleitung zu den demokratischen Staatsumwälzungen der Neuzeit dar. Sie vollzieht sich aber noch in den Denkformen des Zeitalters der Kirchenreformation und bildet deren Nachklang. Alle Parteien, die in der englischen Revolution für oder gegen Karl I. eintreten , bedienen sich noch der Argumente der Reformationszeit : auf Seite des Königs stehen Katholiken und Anhänger der anglikanischen Staatskirche. Auf Seite der Revolution finden wir Calvinisten und Wiedertäufer oder doch Anhänger verwandter Ideengänge. Aber dabei besteht ein großer Unterschied gegenüber den kommunistischen Sekten der früheren Jahrhunderte. Diese hatten im besten Falle bei einer günstigen Gelegenheit vorübergehend Kraft erhalten, sich in einer einzelnen Stadt oder Landgemeinde bemerkbar zu machen . Jetzt dagegen gewannen sie Bedeutung für einen ganzen Staat , denn die kommunistischen Sekten Englands erstarkten durch das siegreiche Fortschreiten der Armeen des Parlaments, der ihre wehrhaften Elemente nun zuströmten, wobei sie ihre pazifistischen Grundsätze beiseite schoben . In dieser Armee, die den englischen Staat beherrschte, wurden sie, die sogenannten Levellers, zu einer gefürchteten Macht (vgl . darüber den 1. Band meines Buchs ,, Krieg und Demokratie", 3. Abschn . 3. Kapitel) . Die Kommunisten sahen wieder einmal die Möglichkeit erstehen , sich durch kriegerisches Tun zu behaupten und durchzusetzen . Damit schwand unter ihnen rasch die pazifistische Stimmung, obwohl sie zu einem Gebot ihrer Religion geworden war. Die Praxis war wieder einmal stärker als die Theorie, und diese Praxis des Bürgerkrieges bewirkte , daß unter den englischen Kommunisten die kriegerische Richtung obenauf kam, ihr Leben und Streben solange die Revolution sich siegreich behauptete. beherrschte Ja, man kann sagen, daß die Proletarier, die nichts zu verlieren und eine Welt zu gewinnen hatten, in der Parlamentsarmee den kriegerischsten Teil bildeten , der am energischsten jeden Gedanken von Frieden und Verständigung mit den Gegnern zurückwies. Sie lehnten die Beendigung des Bürgerkrieges ab, solange es nicht gelungen sei , auch den untersten Klassen eine befriedigende Stellung zu schaffen . Eine solche war aber unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen und Machtverhältnissen nur für einzelne

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Quäker

Personen aus der Arbeiterschaft, nicht für die Gesamtheit der arbeitenden Klassen erreichbar. Indessen kamen schon auf dem Höhepunkt der Macht der Parlamentsarmee einzelne Kommunisten zu der Überzeugung, daß der Kommunismus nicht mit Gewalt, sondern nur auf friedlichem Wege durch Propaganda zu erreichen sei. Erwiesen sich doch alle Opfer, alle Erfolge der kriegerischen Kommunisten im Bürgerkrieg als vergeblich. Sie hatten nicht vermocht, die Lage der Arbeiter zu bessern. Die Parlamentsarmee mochte noch so viele Siege erfechten, das Elend der unteren Klassen milderte sich nicht. Nicht nur Zweifel an der Wirksamkeit der Gewalt, sondern der Politik überhaupt kamen in kommunistischen Kreisen auf. Nur eine direkte Aktion, ein sofortiger Übergang zu kommunistischer Praxis ohne jede Politik, aber auch ohne jede Gewalttat, also völliges Absehen von Staat und Krieg, schien einen Fortschritt für die Besitzlosen bringen zu können. Aus dieser Anschauung ging die Sekte der ,,Diggers" ( Gräber ) hervor . Sie machten sich daran, ,,eine eigene Landwirtschaft ze begründen , indem sie unbebauten Gemeindeboden besetzten, umgruben und bepflanzten . Dabei wurden sie natürlich bald gestört , nicht bloß durch die Behörden , sondern auch durch die benachbarten Bauern". ( Kautsky,,,Krieg und Demokratie", I. S. 110.) Diese Mißerfolge der „,Diggers" zeigten sofort, daß eine ernsthafte kommunistische Praxis in einem von besitzenden Elementen beherrschten Staat nicht durchführbar sei . Die friedliche Methode erwies sich unter solchen Bedingungen als gangbar bloß in der Weise, daß man den Kommunismus stark verwässerte , wie es schon die Urchristen getan , deren ursprüngliche Gütergemeinschaft bald nur auf die Organisierung von Almosen an die Bedürftigen hinausgelaufen war. Gegenseitige Unterstützung und Hilfeleistung der Brüder und Schwestern der kommunistischen Gemeinschaft untereinander, dies war das einzige , was als Rest des ursprünglichen radikalen Kommunismus damals praktisch möglich und ohne Gewinnung der Staatsgewalt, bei völliger Ignorierung ihrer Organe und Machtmittel, durchführbar war.

d) Die Quäker. Die absolute Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung, die im 16. Jahrhundert in Deutschland durch die Pazifisten unter den Wiedertäufern und ihre Fortsetzer, die Mennoniten gelehrt worden, hatte keinen großen Anhang zur Zeit Cromwells unter den Kommunisten Englands gefunden , solange diese noch hatten erwarten dürfen, durch die Armee ihre Ziele erreichen zu können. Das änderte sich jedoch gründlich , als die Herrschaft der revolutionären Armee unter dem Mißbehagen der ganzen Nation zusammengebrochen war. Jegliche Wiederaufrichtung des Militarismus schien nun aus-

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Quäker

geschlossen, schon der Gedanke daran erregte allgemeinen Abscheu in der Bevölkerung und die Staatsgewalt schien für die unteren . Klassen unerreichbar und unüberwindlich, einerlei, ob ein absoluter Monarch oder ein selbstherrliches Parlament sie handhabte. Nur allmählich, in dem Maße, als der revolutionäre Militarismus an Popularität verlor, kam nun die antimilitaristische Richtung des Kommunismus auf. Ihre hervorragendste Form fand sie in der ,, christlichen Gesellschaft der Freunde", die sich auch ,, Söhne des Lichts" nannten . Besser bekannt wurden sie unter dem Spitznamen, den ihre Gegner ihnen gaben, dem der „ Quäker“ ( Zitterer) . Unter den Begründern des Quäkertums der bedeutendste wurde der Schuhmacher George Fox (1624-1691 ) . Er und seine Genossen, zu denen manche der Digger gehörten , schwankten jahrelang unsicher zwischen militaristischem und antimilitaristischem Denken hin und her. Das geben die Geschichtschreiber des Quäkertums selbst zu . So berichtet z. B. John W. Graham in seinem Buche ,, Der Glaube eines Quäkers", Deutsche Ausgabe Leipzig 1926 im Quäkerverlag erschienen : „ Es vergingen einige Jahre, ehe die Gesellschaft ( der Freunde, K.) als ein ganzes der strittigen Sache ( des Krieges, K. ) nahetrat . Obwohl nach der volkstümlichen Auffassung das Quäkertum sich mehr für den Frieden als für irgend eine andere Sache eingesetzt hat, so war der Friede doch nicht der Kernpunkt der Quäkerbotschaft." (S. 320. Vgl. darüber auch Edward Grebb, „ Das Wesen des Quäkertums", Deutsche Ausgabe, Jena 1923, S. 121 ff.) George Fox begann schon 1650 mit seiner Hinneigung zu jenen Gedankengängen, die das Quäkertum kennzeichnen, dessen erste Gemeinden er 1652 organisierte. Er lehnte es wohl damals bereits ab, in die Armee der Republik einzutreten , doch fuhr er fort, dieser Armee Erfolg und Sieg zu wünschen . Graham zitiert eine Kundgebung, in der Fox Oliver Cromwell tadelt, daß dieser den Krieg gegen die Holländer ( 1652—1654 ) nicht energischer geführt, sie nicht zerschmettert habe. Und noch 1659 schrieb der feurige Quäker Edward Burrough an die Garnison der englischen Republik in Dünkirchen , sie solle ihre ,, Fahnen auf den Toren von Rom aufpflanzen“ und „, das während der ganzen Herrschaft des Papsttums unschuldig vergossene Blut rächen". Das heißt , die Armee solle den Krieg gegen die katholischen Spanier energisch führen . Doch das republikanische Heer zersetzte sich zusehends seit dem Tode Cromwells ( 1658 ) . Damit gewann der Friedensgedanke immer weiteren Boden in der ,, Gesellschaft der Freunde". Als die Armee gänzlich zerfallen war und das englische Volk, der Militärdiktatur müde, sich fast einmütig zur Erbmonarchie bekannte, so daß der Stuart Karl II. wieder den englischen Thron besteigen konnte, da wurde der Abscheu vor jedem Gebrauch der Waffen zu einem absoluten Glaubensbekenntnis der Quäker. Sie überreichten

Quäker

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am 21. November 1660 dem König Karl eine „ Erklärung der harmlosen und unschuldigen Kinder Gottes, genannt Quäker", in der es hieß : „Wir lehnen jeden Krieg, jedes Gefecht, jedes Kämpfen mit äußeren Waffen unter allen Umständen aufs Entschiedenste ab." Natürlich wurden sich die Quäker nicht bewußt, daß ihre geistige Wandlung aus gesellschaftlichen Veränderungen hervorging. Ihre Anschauungen waren für sie das Ergebnis einer göttlichen Erleuchtung, eines ,,inneren Lichtes". Von 1660 an war unter den kommunistischen Richtungen die absolut friedliche, aber auch verdünnte Form, die das Quäkertum darstellte, die einzige, die sich im angelsächsischen Volksleben behauptete und zeitweise größeren Einfluß gewann . Anfänglich waren sich die Quäker ihrer Abstammung von den Wiedertäufern wohl bewußt. Doch suchten sie bald diese Abstammung zu verschleiern, denn im Laufe ihrer Entwicklung wurde ihr kommunistischer wie ihr proletarischer Ursprung stark verdunkelt . Sie machten sich nicht mehr, wie früher die Wiedertäufer in Mähren getan , daran, kommunistisch produzierende Gemeinwesen aufzurichten . Jeder von ihnen sollte innerhalb eines stark kapitalistischen Staates vereinzelt seinem besonderen Geschäft als Handwerker oder Landwirt oder Krämer oder Lastträger etc. nachgehen . Was sie zusammenhielt, war die gegenseitige Unterstützung, die, dem Denken des 17. Jahrhunderts entsprechend, noch als göttliches Gebot mit religiösen Argumenten begründet wurde. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß sie dabei derselben Entwicklung unterlagen wie schon die Urchristen . Aber die Gesellschaft des 17. Jahrhunderts war eine andere als die der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, und ihr Proletariat war ein anderes. Die Proletarier der Zeit des Urchristentums waren zumeist Lumpenproletarier. Diese verlangten von den Reichen als Bettler erhalten zu werden. Die Proletarier der neueren Zeit waren dagegen freie Arbeiter, die Arbeitsgelegenheit brauchten. Die Hilfeleistung der wohlhabenderen Glaubensbrüder an ärmere hatte unter diesen Umständen nicht in Almosen zu bestehen , die am sozialen Zustand des Bettlers nichts änderten, sondern in der Gewährung von Hilfsmitteln , die es dem Unterstützten ermöglichen sollten, sich als selbständiger freier Arbeiter, Handwerker, Bauer, Krämer etc. mit Erfolg behaupten zu können . Nicht Bettelpfennige erhielt der bedürftige Quäker von seinen besser situierten Genossen, sondern Kredit und Kundschaft. Dabei waren die Quäker durch ihren proletarischen Radikalismus dem Luxus besonders feind, den die großen Ausbeuter zur Schau trugen und den die unselbständig denkenden Teile der unteren Klassen bewunderten, ja mitunter sogar nachäfften , meist in ganz lächerlicher Art.

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Die Gegner des alten Regimes eines liederlichen und müßigen Adels legten alle den höchsten Wert auf fleißige Arbeit und Ablehnung jeglichen Genußlebens. Unter diesen „ Puritanern " zeigten sich aber die Quäker als die strengsten und auch die fleißigsten. Dabei waren sie, ebenso wie schon die früheren kommunistischen Sekten, sehr um eine gute Volksbildung bemüht, allerdings weniger um theoretische, als praktische. Alles das bewirkte, daß sie ökonomisch gut gediehen, und daß die Triebkräfte der gegenseitigen Hilfe, die aus den Resten ihrer kommunistischen Vorzeit noch in ihnen nachwirken , die Wirkung hatten, viele von ihnen aus proletarischen in kapitalistische Lebensund Arbeitsbedingungen aufsteigen zu lassen . Aus verzweifelten Proletariern wurden die Quäker behäbige, wohlhabende , ja reiche Bourgeois. Doch ihre Bereitwilligkeit, den Armen zu helfen, ihre Philanthropie, haben sie sich bis in unsere Tage bewahrt. Und ebensosehr ihren Pazifismus, ihre unbedingte Ablehnung jeglichen Kriegsdienstes . Sie ist sogar das hervorragendste Merkmal des Quäkertums geworden und geblieben. Propagandistische Kraft konnten die Quäker nicht entfalten. Sie suchten das Proletariat nicht dadurch zu befreien , daß sie den Aufstieg der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu einer höheren Form anstrebten, sondern dadurch, daß sie einzelnen Proletariern , die ihrer Vereinigung angehörten , den Aufstieg in die Kapitalistenklasse erleichterten . Je mehr ihnen das gelang, desto mehr ihrer Mitglieder mußten ihnen untreu werden, denn die meisten der neuen Kapitalisten verloren, sobald sie wohlhabend geworden waren, jedes Interesse an der ,, Gesellschaft der Freunde". Diejenigen, die ihr treu blieben, waren freilich kreuzbrave Leute, sie erschienen jedoch ihrer Umgebung als bloße Sonderlinge. Trotzdem darf man die Bedeutung des Quäkertums nicht unterschätzen. Bernstein schreibt darüber in seinem trefflichen Buch : ,,Sozialismus und Demokratie in der großen englischen Revolution" (Stuttgart, 1895 ) , das eine sehr instruktive Darstellung des Quäkertums bietet : ,,In allen großen Reformbewegungen des 18. Jahrhunderts sehen wir Quäker hervorragend tätig . Sie sind in England und Amerika die ersten und unermüdlichen Bekämpfer der Negersklaverei, sie stehen an der Spitze der Bewegungen für die Reform der Strafgesetze und für die des Gefängniswesens. Sie liefern hervorragende Förderer und Vertreter der Wissenschaft und des Erziehungswesens und später auch der politischen Reform. Wir begegnen Quäkern in der Chartistenbewegung, wo sie allerdings, wie der bekannte Sturge, ihrer Doktrin entsprechend zur gemäßigten Richtung gehören, aber doch zähe für die Sache wirken, und wir finden Quäker bei den Oweniten." „ Auch heute zählt die sozialdemokratische Bewegung Englands verschiedene , Freunde' in ihren Reihen ." ,,Als Robert Owen 1809 in Gefahr stand, seine arbeiterfreundlichen Einrichtungen in New Lanark aufgeben zu müssen, weil seine bisherigen Kompagnons dies im Interesse des Profits verlangten, waren es außer

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dem , Philosophen des Egoismus ', Bentham, nur Quäker und Söhne von Quäkern, die sich ihm zur Fortsetzung seiner Reformen mit Kapital beigesellten." (S. 684. )

e) John Bellers. Nicht wenige bedeutende Männer sind aus den Reihen der Quäker hervorgegangen. Unter ihnen für die Geschichte des Sozialismus der bedeutendste John Bellers, geboren 1654 , gestorben 1725.¹) Bellers war ein Tuchhändler, heiratete die Tochter eines Großgrundbesitzers , gehörte also bereits zu den wohlhabenden Quäkern , sah aber in seinem Reichtum bloß eine Grundlage, die ihm erlaubte, ein Gutteil seiner ganzen Zeit Studien und Unternehmungen zum Besten seiner Mitmenschen zu widmen. Marx schätzte ihn ungemein hoch, nannte ihn ,, ein wahres Wunder in der Geschichte der politischen Ökonomie ". Das „, Handwörterbuch der Staatswissenschaften" nimmt allerdings von ihm ebensowenig Notiz , wie etwa von Tschernischewsky. Sein Hauptwerk führt den Titel : „ Vorschläge zur Errichtung eines Arbeitskollegiums “ ( 1696) .2) Es ist die erste moderne sozialistische Utopie, die nicht ein bloßer Staatsroman ist, sondern ein praktischer Vorschlag, der sofort verwirklicht werden soll . In der Tat fordert Bellers in der Einleitung seine Leser auf, Beiträge für die Errichtung eines Arbeitskollegiums zu spenden . Er meinte mit 18.000 Pfund auskommen zu können und pries das Kollegium als lukrative Kapitalsanlage an. John Bellers ist der direkte Vorgänger Robert Owens und Fouriers, das ,,Arbeitskollegium " der Vorgänger der Owenschen ,, Kolonien" und der Fourierschen ,, Phalansterien". Allerdings kamen der eine wie der andere dieser Utopisten unabhängig von Bellers zu ihren Lösungen. Ihre Übereinstimmung rührte daher, daß sie mit übereinstimmendem logischen Vermögen und übereinstimmender Sympathie übereinstimmende ökonomi¹) Die ausführlichste Darstellung seines Wirkens in deutscher Sprache ist meines Wissens in dem Werke Eduard Bernsteins über „ Sozialismus und Demokratie in der großen englischen Revolution " enthalten. Seine wichtigsten Schriften, von denen manche fast ganz verschollen gewesen, hat kürzlich Ruth Fry herausgegeben, mit einer biographischen Einleitung (A. Ruth Fry, John Bellers, Quaker, Economist and Social Reformer, London 1936 ) . ") ,,Colledge of Industry." Unter einem Collegium versteht man in England nicht bloß eine Vereinigung von Berufsgenossen , sondern auch das Gebäude, in dem eine Anzahl Menschen zu gemeinsamer Arbeit vereint wohnt. Meist eine höhere Schule. Bellers sagt, er wolle den Namen „Arbeitshaus“ vermeiden, der zu sehr nach Knechtschaft der darin Arbeitenden und nach dem Zuchthaus schmecke. Außerdem aber sollte sein ,,Colledge" nicht nur der Arbeit der Erwachsenen dienen, sondern auch der Erziehung der Arbeiterjugend.

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Bellers

sche Tatsachen beobachteten. Doch lernte Owen die Schrift John Bellers noch kennen.¹) So wichtig die Bellerssche Utopie für die Geschichte des Sozialismus und die Kennzeichnung des Quäkertums ist, es sind mehr zwei andere seiner Schriften , die uns hier interessieren . Sie kennzeichnen den Pazifismus der Quäker und ihren Abscheu vor jeder Gewalttat, jeder Verletzung menschlichen Lebens. In einem Essay, betitelt : ,,Einige Gründe gegen die Hinrichtung von Verbrechern" ( 1699) wendet sich Bellers gegen die Todesstrafe. Diese Schrift ist leider auch heute noch von größter Aktualität. Sie war eine kühne Tat im Beginn des 18. Jahrhunderts , ein halbes Jahrhundert vor Beccaria ( 1738-1794) , dessen epochemachendes Buch gegen die Todesstrafe ( 1764 anonym erschienen) Bellers vorwegnahm . Die andere Schrift, die für uns hier besonders wichtig ist, erschien 1710 und führt den Titel : ,,Einige Gründe für die Errichtung eines Europäischen Staates durch das Mittel einer allgemeinen gegenseitigen Bürgschaft und eines jährlichen Kongresses, Senats, Landtags oder Parlaments zur Schlichtung aller etwaigen zukünftigen Streitigkeiten über die Landesgrenzen und die Rechte der Fürsten und Staaten. Mit einem Abriß eines über den gleichen Gegenstand entworfenen Planes König Heinrich IV. von Frankreich.“ König Heinrich IV. , auf dessen Plan sich Bellers beruft, lebte ein Jahrhundert vor diesem . Er regierte Frankreich von 1589 bis 1610. In dem ihm fälschlicherweise zugeschriebenen Plan forderte er die Fürsten von fünfzehn christlichen Staaten Europas auf, sich zu einem Bund zusammenzutun. Nebenbei sei bemerkt, daß Heinrich zu diesen fünfzehn selbständigen Staaten Böhmen und Ungarn zählte. Es hätte wundergenommen, wenn der kriegerische Heinrich ein Verehrer des ewigen Friedens geworden wäre. In der Tat hätte der Plan, den Sully ihm zuschreibt, nur einen Bund zur Bekriegung der Türken und der Moskowiter herbeigeführt. Der von Heinrich angeblich vorgeschlagene Fürstenbund hieß : ,,Christliches Gemeinwesen." Seine oberste Behörde sollte ein Senat bilden, bestehend aus 60 Personen, vier Delegierten aus jedem der Bundesstaaten. Der Plan des Quäkers war ganz anderer Art. Der Bund sollte nicht bloß eine Reihe christlicher Staaten Europas umfassen, sondern alle Staaten dieses Erdteils, auch die Moskowiter und die Türken. Nur ein solcher könne ein wahrhafter Friedensbund sein. ,,Die Moskowiter sind Christen und die Mohammedaner sind Menschen wie wir ... Ihnen die Köpfe einschlagen zu wollen, um ihnen Vernunft einzuflößen , wäre zu verkehrt und würde Europa ¹) Owen spricht davon in seiner Selbstbiographie (The Life of Robert Owen, written by himself, London 1857, 1. Band, S. 240).

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den Frieden nicht bringen. Je weiter die Vereinigung (der Staaten) ausgedehnt wird, desto größer wird der Frieden auf Erden sein." (S. 103 in der Ausgabe Fry.) Neben dem Heinrich IV . zugeschriebenen Vorschlag sieht Bellers die Vorbilder seines Friedensbundes namentlich in den Vereinigten Staaten der Niederlande und der Schweizer Eidgenossenschaft. Also in zwei Föderationen von Republiken . Doch erwartet Bellers, daß auch die absoluten Fürsten sich ihm anschließen werden . Europa soll in hundert gleich große Kantone oder Provinzen geteilt werden, und jeder dieser Kantone soll einen Abgeordneten in den gemeinsamen Senat entsenden. Außerdem hat jeder Kanton Männer auszurüsten , eine bestimmte Anzahl etwa tausend die hinter seinem Abgeordneten stehen . So wird die Mehrheit des Senats stets über eine Kriegsmacht verfügen, die seinen Beschlüssen Achtung verschafft. Auf diese Weise werden alle Konflikte zwischen Fürsten und Staaten beigelegt und Kriege verhindert werden. (,,Some Reasons for an European State", Ausgabe Fry, S. 93.) Die Truppenzahl, die jeder Staat halten darf, wird vom Bund festgesetzt, denn ohne solche allgemeine Beschränkung der Kriegsheere wird der Friede nie mehr sein als ein Waffenstillstand, und der bewaffnete Friede wird ökonomisch ebenso ruinös sein wie der Krieg. In allen diesen Gedankengängen hat Bellers bereits moderne Ideen vorweggenommen. Nur eine große Illusion hegte er : Er nahm an, die Vorteile eines ständigen Friedens seien so ungeheuer groß, daß um ihrer teilhaftig zu werden, auch absolute Fürsten gern so viel von ihrer Souveränität aufgeben würden , als zur Durchführung des Völkerbundes nötig sei . Darin irrte er. Nur eine Demokratie ist zu diesem Opfer im Interesse des Friedens fähig . Nur auf der Grundlage einer allgemeinen Demokratie kann ein wahrer machtvoller Völkerbund aufgebaut werden. Um das zu ermöglichen, dazu mußte zuerst die Souveränität der Landesfürsten in den entscheidenden Staaten gebrochen und eine weitgehende Demokratie in ihnen nicht bloß auf den Papieren der Staatsverfassungen verzeichnet, sondern auch durch weitgehende Selbständigkeit und große politische Kraft ihrer arbeitenden Klassen verwirklicht sein. Noch ein Jahrhundert nach John Bellers , noch zu Kants Zeit waren Völkerbund und ewiger Friede unmöglich . f) Der englische Pazifismus. So klein die Sekte der Quäker war, sie blieb in England und seinen Kolonien nicht allein in ihrer Verurteilung des Kriegs und jeglicher Gewalttat. Besonders aber war der Abscheu vor einem stehenden Heere in England nach der Revolution weit verbreitet. Das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch ist das englische Parla-

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ment erfüllt von dem Kampfe gegen das stehende Heer, das militärtechnisch eine Notwendigkeit geworden war, aber mit dem größten Mißtrauen betrachtet wurde. Seit den Zeiten Cromwells fürchten alle Klassen Englands den Militärdespotismus . Nur langsam und gegen starke Widerstände gelang es in England , das stehende Heer zu vergrößern und einer harten Disziplin zu unterwerfen. Lecky bezeichnet ,,als letztes Merkmal der Abneigung gegen ein stehendes Heer das hartnäckige Widerstreben des Parlaments gegen die Unterbringung der Truppen in Kasernen." (Geschichte Englands im 18. Jahrhundert, deutsch von Löwe, Leipzig 1879, I. S. 551. ) Lange Zeit wurden die Soldaten in Wirtshäusern oder bei Privaten einquartiert . Sie sollten nicht vom Volk abgesondert leben , sondern fortfahren, von ihm beeinflußt zu werden. Die Einquartierung war für die Zivilbevölkerung wohl lästig, aber gerade darin sahen viele Politiker Englands einen politischen Vorteil, weil dadurch die Abneigung gegen den Militarismus wach bleibe. Noch zur Zeit der französischen Revolution stieß ein Antrag, die ganze Armee Englands in Kasernen unterzubringen , auf lebhafte Opposition im Lande und im Parlament. ,,Fox und Grey, als Führer der Whigs , sprachen zu Anfang 1793 heftig dagegen, indem sie wie Pelham, Pulteney und Blackstone behaupteten, daß die Errichtung von Kasernen gefährlich und verfassungswidrig sei und daß die Gefahren eines stehenden Heeres nur abgewandt werden könnten, wenn die Soldaten mit dem niederen Volke in enger Gemeinschaft lebten." ( Lecky, „ Geschichte Englands " I. S. 553. ) Eine bürgerliche Revolution vollzieht sich stets in so dramatischen, gewaltsamen Formen, sie bringt so ungeheure plötzliche Umwälzungen, Explosionen , Aufstiege früher höchst verachteter Schichten zur Herrschaft , und Zusammenbrüche früher höchst mächtiger, anscheinend unangreifbarer Herren im Staate, daß sie den Gemütern ganzer Nationen für Jahrhunderte hinaus ihren Stempel aufdrückt und den Formen der Bestrebungen der verschiedenen Klassen noch lange ihren Charakter verleiht, nachdem sich der Inhalt dieser Bestrebungen durch neuauftauchende Bedingungen schon sehr verändert hat. So stehen auch das französische wie das englische Volk heute noch unter den Einwirkungen ihrer großen Revolutionen . Das zeigt sich in England namentlich an zwei Erscheinungen : an dem großen Einfluß der christlichen vor bald zweitausend Jahren gebildeten Denkformen, mit denen selbst ganz moderne Probleme untersucht, ganz moderne Lösungen verteidigt oder bekämpft werden ; und an der tiefgehenden Abneigung gegen ein starkes stehendes Heer, was vielfach auch zu einer absoluten Brandmarkung jedes Krieges führt, selbst eines Verteidigungskriegs . Die französische Revolution vollzog sich fast anderthalb Jahrhunderte nach der englischen, in einem Lande , dessen Absolutismus stark genug geworden war, nicht nur die katholische Kirche zu

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seinem gefügigen Werkzeug herabzudrücken , sondern auch jede andere Form christlicher Gemeinschaft fast völlig auszurotten. Da wurde der Kampf gegen den Absolutismus und für die Demokratie notwendigerweise auch ein Kampf freien Denkens gegen die Kirche überhaupt. Die englische Revolution war dagegen vor sich gegangen, ehe noch der Absolutismus stark genug geworden war, jedes christliche Bekenntnis außer der Staatskirche auszurotten. Die Opposition der demokratischen Schichten nahm da nicht die Form einer Auflehnung weltlichen, unchristlichen Denkens gegen das Christentum überhaupt an, sondern sie wurde zur Empörung eines angeblich reineren, wahreren Christentums gegen ein verfälschtes und entartetes. Nicht an die Vernunft, an die Bibel appellierten die Revolutionäre des 16. und 17. Jahrhunderts. Das machte so tiefen Eindruck, daß in England die Bibel bis heute noch nicht nur bei Konservativen, sondern auch bei Liberalen und ebenso, ja vielfach noch mehr, bei Sozialisten eine entscheidende Autorität geblieben ist . Wohl werden die Fortschritte der Naturwissenschaften und der historischen Wissenschaften, namentlich der Bibelkritik, in England ebenso akzeptiert wie in jedem andern Land, aber das zwingt mehr zu talmudistischen Spitzfindigkeiten, um moderne Wissenschaft und alten Glauben miteinander zu vereinbaren , als zu konsequenter Ablehnung der Bestimmung unseres Handelns durch die Bibel. Nicht minder tief, als die Auskämpfung der geistigen Gegensätze des großen Bürgerkrieges mit theologischen Argumenten wirkte aber die Tatsache, daß dieser Krieg einen Militärdespotismus erzeugt hatte, der schließlich allen Klassen ein Abscheu geworden war, auch den untern , denen er hatte helfen wollen , denen er aber schließlich nur erhöhte Lasten und Unfreiheit gebracht hatte. Diese standen in schroffem Widerspruch zu den Verheißungen und Erwartungen, für deren Verwirklichung das Heer der Revolutionäre ausgezogen war. Es hatte Verwüstung und Blutvergießen über das Land gebracht. Der Pazifismus, soweit er als Nachwirkung der Enttäuschungen der Revolution in weiten Kreisen Englands fortbesteht , ist ebensowenig eine moderne Erscheinung wie der christliche Enthusiasmus in verschiedenen Parteien Englands, selbst bei Liberalen und Sozialisten. Indes haben wir schon gesehen , daß bei manchen unter den Quäkern, wie bei John Bellers und den Freunden Owens, ihre traditionelle Denkweise es erleichtern kann, manche moderne Idee zu entwickeln oder aufzunehmen, die aus Betrachtung neuerer Tatsachen hervorgeht . So hat auch die aus der Zeit des Zusammenbruchs der Revolution überkommene Abneigung gegen Militarismus und Krieg weite Kreise der demokratischen Schichten Englands empfänglich ge2*

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macht für Friedenstendenzen, die aus moderneren Verhältnissen hervorgehen und die nicht auf England beschränkt, sondern überall zu finden sind, wo es eine höher entwickelte Industrie und ein höher entwickeltes Proletariat gibt oder wo doch die aus solchen Bedingungen entsprießenden Anschauungen in einem Teil der Bevölkerung, namentlich den Sozialisten, Eingang gefunden haben. In allen Ländern europäischer Kultur bestehen heute diese Friedenstendenzen. Aber nicht überall sind sie gleich stark. Wenn wir sie in der angelsächsischen Welt besonders weit verbreitet finden, ist das nicht zum wenigsten dem zuzuschreiben , daß dort auf diesem Gebiete Erinnerungen an die Vergangenheit und Forderungen der Gegenwart in gleicher Richtung wirken.

g) Die ersten Utopisten , More und Campanella. Die großen Volksbewegungen und Bürgerkriege der Reformationszeit hatten zeitweise auch die untersten Volksschichten zu selbständigem Denken und Handeln geführt , das seinen weitestgehenden Ausdruck in den kommunistischen Sekten fand . Sie waren alle von religiösem Geist erfüllt. Aber gleichzeitig war eine geistige Macht von neuem wiedererstanden, die ganz unabhängig von jeder Religion war, ja im Grunde ihr widerstrebte : die auf tatsächlicher Erfahrung beruhende Wissenschaft. Der Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft zeigt sich weniger in ihren Lehrsätzen als in ihren Denkmethoden. Die Religion beruht auf kollektivem, die Wissenschaft auf individuellem Denken . Wie das kollektive produzierte auch das individuelle Denken im Zeitalter der Religion sozialistische Gedanken. Es schuf sie ganz unabhängig von dem religiösen Sozialismus der kommunistischen Sekten. Die Wissenschaft des klassischen Altertums war im sinkenden Römerreich fast völlig verdrängt worden von der in ihm aufstrebenden christlichen Kirche. Doch schon im 12. Jahrhundert begannen im europäischen Abendlande Erkenntnisse zu erwachsen, die über den Gedankeninhalt des Christentums hinausgingen , schließlich sogar mit ihm unvereinbar wurden. Dieses neue Wissen, aus klassischer Literatur sowie aus Weltverkehr und erhöhter Technik hervorgegangen , förderte wieder deren weitere Entwicklung. In schroffem Gegensatz zu dem Aufschwung der Wissenschaft und der Technik stand im gleichen Zeitalter die Lage der Bauern , der Proletarier, ja selbst vieler Handwerker. Diese verzweifelte Lage der Volksmassen hat viel zu den Bewegungen beigetragen, von denen wir bisher hier gesprochen ; sie war der Nährboden der kommunistischen Sekten, die sich auf Grund urchristlicher Ideologie bildeten.

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Aber daneben erstanden seit dem 16. Jahrhundert einzelne Anwälte der Armen und Elenden , die mit einer höheren , als der christlichen Bildung bewaffnet waren. Sie suchten zu der Lösung der Probleme ihrer Zeit nicht durch das Studium der Heiligen Schrift zu gelangen, sondern teils durch das Studium des heidnischen Altertums, teils durch das der neueren Zeit . Nicht auf eine Offenbarung der Gottheit wollten sie sich stützen , sondern auf die sinnlichen Erfahrungen der Menschen . Es waren nur wenige , äußerst wenige Denker, die damals nicht bloß lebhaftes Mitgefühl mit den Parias ihrer Zeit empfanden, sondern gleichzeitig zu tiefster Einsicht in die gegebenen ökanomischen Bedingungen gelangten und auf Grund dieser Einsicht das Bild einer Gesellschaft entwarfen, die frei wäre von all dem Schmutz und dem Elend der bestehenden Gesellschaft. Sie verbanden dabei höchste Kühnheit mit umfassendem Weitblick. Die bedeutendsten unter ihnen sind der englische Rechtsanwalt und Staatsmann Thomas More ( 1479-1535 ) mit seiner berühmten ,,Utopia", nach der die ganze Reihe sozialistischer Denker dieser Art als „,Utopisten" bezeichnet wurde. Ihm folgte der italienische Dominikanermönch Thomas Campanella ( 1568-1639) , der Verfasser des ,,Sonnenstaat". Weiter der schon erwähnte Quäker John Bellers ( 1654-1725) . Als Quäker gehört John Bellers in die Reihe der religiösen Kommunisten. Als solchen haben wir ihn auch oben behandelt. Aber durch seine Methode und Beweisführung gehört er zu den ersten Utopisten, die nicht aus einer religiösen Bewegung hervorgingen, sondern durch wissenschaftliche Erforschung der ökonomischen Verhältnisse ihrer Zeit zu ihren sozialistischen Folgerungen und Forderungen getrieben wurden . Er nimmt eine Zwischenstellung ein zwischen den einer Volksbewegung entstammenden religiösen Kommunisten und den durch individuelle soziale Forschung zum Sozialismus kommenden Utopisten. Endlich kommt hier für uns noch in Betracht ein Zeitgenosse Bellers, der französische Pfarrer Jean Meslier, geboren 1664. Sein Todesjahr wird von einigen auf 1729, von andern auf 1733 angesetzt. Sein Werk, das er selbst als sein ,,Testament" bezeichnete (,,Le Testament" , ouvrage inédit, Amsterdam 1864) , brachte er nicht selbst an die Öffentlichkeit. Er hinterließ nur drei handschriftliche Kopien, die bald heimlich in Abschriften weiterverbreitet wurden. Voltaire veröffentlichte 1762 in Holland einen kurzen, von allem Sozialismus und Atheismus gereinigten Auszug, vollständig aber erschien das umfangreiche Werk (drei Bände ) erst 1864. Diese vier großen Denker gehören drei Jahrhunderten , drei Nationen an die beiden Thomasse More und Campanella dem 16., die beiden Johannes , Bellers und Meslier dem Ende des 17., dem Anfang des 18. More und Bellers sind Engländer, Campanella

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Süditaliener, Meslier Nordfranzose , ein Sohn der Champagne. More und Campanella waren gute, wenn auch nicht orthodoxe Katholiken, Bellers ein ebenso frommer Quäker, Meslier ein absoluter Gegner jeder Religion. Ebenso verschieden war ihr Sozialismus. More und Campanella entwarfen Bilder sozialistischer Staaten , Bellers dagegen wollte seinen Kommunismus innerhalb des bestehenden Staates durch Begründung einzelner kleiner Genossenschaften mit je 300-3000 Mitgliedern durchführen , Meslier forderte die Auflösung des Staates in Gemeinden , deren jede sich kommunistisch organisieren sollte. Es liegt außerhalb des Bereichs der vorliegenden Arbeit, nachzuforschen, inwieweit diese Unterschiede in den Verschiedenheiten der allgemeinen historischen Situation und in Verschiedenheiten der persönlichen Schicksale dieser vier Sozialisten begründet sind . Hier hat uns nur die Frage zu beschäftigen, wie sie zum Kriege standen. Da finden wir, daß sie auch in diesem Punkte weitgehende Differenzen aufweisen. Und dabei ist die Stellung jedes einzelnen von ihnen zum Krieg keine einheitliche. Thomas Mores Utopier hassen den Krieg , wissen aber kein Mittel, ohne ihn auszukommen, da sie ja nicht allein auf der Welt sind , von nicht kommunistischen Staaten umringt werden. Sie üben sich sehr eifrig im Kriegswesen, und zwar nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen. Und sie führen Krieg nicht nur, um einen Angriff auf das eigene Gebiet oder das einer befreundeten Nation abzuwehren , sondern auch ,,um ein von Tyrannei bedrücktes Volk, dessen sie sich erbarmen, vom Joche des Tyrannen und von der Sklaverei zu befreien, was sie aus reiner Menschenliebe unternehmen."

Also sie führen nicht bloß Verteidigungs- sondern auch Propagandakriege . Trotzdem widerstrebt More im Grunde seines Herzens dem Blutvergießen, als wahrhafter Sozialist, also Menschenfreund . Nicht jeder Menschenfreund ist Sozialist, aber jeder Sozialist Menschenfreund. Die Humanität ist der Ausgangspunkt jedes sozialistischen Denkens . Daher sagt denn auch More von den Utopiern : ,,Sie verabscheuen aufs tiefste den Krieg als etwas ganz Bestialisches , obwohl keine Art von Bestien ihm so sehr ergeben ist, wie der Mensch. Und in Gegensatz zu den Anschauungen fast aller Völker halten sie nichts für so unrühmlich als das Streben nach Kriegsruhm." Der Krieg ist also ein Übel , leider jedoch ein unvermeidliches. Die Utopier können Kriege nicht vermeiden, müssen im Kriege natürlich nach dem Siege trachten. Um dabei die bedrohte Humanität zu retten , bemühen sie sich wenigstens , seine Übel einigermaßen zu mildern . Sie ziehen es vor, ihn durch fremde Söldner ausfechten zu lassen . Diese seien zumeist wertlose Leute , deren Untergang die Menschheit nicht schädige. Soweit die Söldner nicht reichten und eigene Bürger ins Feld ziehen müßten , nehme man , wenn

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der Krieg außerhalb der eigenen Grenzen geführt werde , nur Freiwillige. Als solche jedoch nicht bloß Männer, sondern auch Frauen. Nachdem der Feind geschlagen, schwelgen sie nicht in Blutvergießen bei der Verfolgung. Sie nehmen die Fliehenden lieber gefangen, als daß sie sie töten. Das feindliche Land verwüsten sie nicht. Weit kriegerischer als More dachte Campanella . Der Krieg ist für die Bürger seines Sonnenstaates nicht ein Übel, sondern etwas Vortreffliches . Campanella betrachtet ihn bereits gelegentlich als ,, Stahlbad", wenn er auch diesen Ausdruck nicht gebraucht. Er meint : ,,Selbst wenn gar kein Krieg in Aussicht ist ( et si numquam bella contigerent) fahren die Bürger des Sonnenstaates doch fort, sich in der Kriegskunst und den Waffen zu üben und der Jagd zu obliegen, damit sie nicht etwa weichlich erschlaffen." Im Sonnenstaat werden schon die zwölfjährigen Jungen in den Waffen geübt. Und wenn die Sonnenstaatler in den Krieg ziehen , führen sie Scharen von Knaben bewaffnet und auf Pferden mit sich, damit diese den Krieg lernen und sich nach der Art der Jungen von Wölfen und Löwen an den Anblick vergossenen Bluts gewöhnen. Alle Bürger des Sonnenstaates werden vom Kindesalter an zum Krieg erzogen, sind Soldaten , Frauen wie Männer. In der Kriegsfrage steht Campanella in größtem Gegensatze zum neueren pazifistischen Sozialismus, der sogar das Soldatenspielen der Kinder verpönt. Und doch gibt es auch in der Frage der auswärtigen Konflikte einen sehr wichtigen Punkt, in dem Campanella mit dem neueren Sozialismus übereinstimmt. Er war, wie übrigens auch More, Internationalist , Gegner der politischen Absonderung der Nationen von einander. Das war wohl der entscheidende Grund dafür, daß beide Denker zu Verteidigern des Papsttums wurden , zu Gegnern der Reformation . Der Papst, der über den einzelnen Staatshäuptern stand, war für sie das Band, das die einzelnen Nationen der Christenheit zusammenhielt. Deshalb traten sie für die Obergewalt des Papstes über die Fürsten ein, aus politischen, nicht aus theologischen Gründen . Den katholischen Dogmen standen sie höchst kritisch gegenüber. Ein wahrhafter Völkerbund ist nur möglich zwischen Republiken, zu denen auch Monarchien zu zählen sind, deren Oberhaupt machtlos ist gegenüber einer Volksvertretung. Wirkliche Monarchien können zu einer interstaatlichen Gemeinschaft nur in der Weise zusammen gefaßt werden , daß die einzelnen Staaten und ihre Fürsten einem gemeinsamen Oberherrn unterworfen werden, dessen Vasallen sie sind . More und Campanella fanden für den Völkerbund der christlichen Staaten , den sie anstrebten , keinen andern Oberherrn als den Papst . Es war Mores Verhängnis, daß er dem Papsttum die Kraft

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zutraute, über den Separatismus der einzelnen Nationen und ihrer Fürsten zu obsiegen, und die Christenheit als „ Völkerbund“ zusammenzuhalten. Campanella, der nicht in der Zeit des Beginnes der Reformation , sondern in der Zeit der Gegenreformation lebte, dachte etwas nüchterner in dieser Beziehung. Er traute dem Papsttum allein nicht mehr die nötige Kraft zur Herstellung des Völkerbundes zu , wußte aber doch keinen andern Faktor, der den internationalen Zusammenhalt herstellen konnte. Er suchte nach einer Macht, die dem Papst helfen sollte und glaubte sie in der Dynastie der Habsburger zu finden. Campanella erwartete, daß das Reich der Habsburger, in dem die Sonne nicht unterging, schließlich das ganze Weltall unter seinem Szepter vereinigen werde. Und die Habsburger waren gerade die Dynastie, die sich dem Papst am ergebensten erwies. Nur dem Papsttum unterwürfige Habsburger hatte Campanella für seinen Weltstaat im Auge. Er war Bürger des von Spanien unterworfenen Unteritalien und als solcher nahm er teil an der Vorbereitung eines Aufstandes gegen die Spanier, der verraten wurde ( 1599 ) . Die spanische Regierung kerkerte Campanella für 27 Jahre ein. In seiner Gefangenschaft schrieb er neben dem ,,Sonnenstaat" das Buch von der ,,spanischen Monarchie" ( 1605 ) , in dem er den eben dargelegten Gedanken entwickelte . Er stand dabei nicht in Widerspruch zu seinem italienischen Patriotismus. In einem vom Papst geleiteten spanischen Weltreich durften die Süditaliener leichter erwarten , zu ihrem Recht zu kommen , als unter einer spanischen Monarchie, die sich auf Festhaltung ihres gegebenen Besitzes beschränkte . Auf Anregung des Papstes Paul V. ( 1605-1621 ) , mit dem Campanella während seiner Haft in steter Verbindung blieb, entwickelte dieser seinen Gedanken eines Völkerbundes unter päpstlicher Leitung von neuem in der Schrift ,,Quod reminiscentur" etc. Sie wurde verfaßt 1618 , in demselben Jahre, in dem der Dreißigjährige Krieg ausbrach. Ausführlich berichtet über sie J. Kvačala in seinem Buch ,,Thomas Campanella" (Berlin 1909 , S. 110 ff. ) . Diesem Bericht folge ich hier. Campanella untersuchte die Mittel, wie man die ganze Welt katholisieren könne . Vor allem müßten die Katholiken zu einem einheitlichen politischen Körper zusammengefaßt werden . Alle Staaten sollten vom Papst abhängig sein, in Rom sei ein Kollegium zu begründen, dem dieser präsidiere und das alle Streitigkeiten zwischen den Staaten entscheide. Die Fürsten müßten sich eidlich verpflichten, die Urteile dieses Gerichts anzuerkennen . Unter den katholischen Fürsten der mächtigste sei der von Spanien. Ihm erwachse die hohe Aufgabe, ein Beherrscher der Welt unter der Leitung des Messias, das heißt des Papstes, zu werden. Doch die hohe internationale Stellung, die Campanella der spanischen Monarchie zudachte, nützte ihm nichts. Der König von

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Spanien blieb dem rebellischen Dominikaner feindlich gesinnt , auch als es dem Papst Urban VIII. gelungen war, seine Auslieferung an die römische Regierung zu erreichen , die ihn sofort freiließ . Campanella war in Rom seines Lebens nicht sicherer, der Papst selbst riet ihm , zu fliehen . Er begab sich zu Spaniens Feinden, zu den Franzosen. Richelieu und Ludwig XIII . nahmen ihn gern auf. In Frankreich ist Campanella gestorben, 1639, 71 Jahre alt. Seine alte Lieblingsidee der Vereinigung aller Nationen unter einer gemeinsamen Leitung beschäftigte ihn noch in Frankreich. Auch jetzt noch wies er dem Papst diese Leitung zu, Spaniens gedachte er dabei allerdings nicht mehr. Davon handelte er 1636 in einer Schrift : ,,Vom Reiche Gottes." Dieses Reich, von einem Messias begründet, solle alle Nationen und Regierungsformen in sich vereinigen . Kvačala ( Campanella, S. 106 ff.) berichtet darüber : ,,Nach der Bekehrung aller Völker wird so ein Reich aufgerichtet, in Rom ein Senat von Fürsten zu seiner Leitung, die Fürsten sind zugleich Kardinäle, an der Spitze der Papst. Alle Ungläubigen und Ungehorsamen werden, auch mit Gewalt überwunden. " ( S. 107. ) Dieses Universalreich werde die Einheit der Menschheit herbeiführen . „ Eine solche Einheit fordert sowohl Gott als die Natur, nur in der Einheit ruhen beide und versprechen Frieden. Erst dann werden die Übel der Welt weichen, Krieg, Hunger, Pest." So kommt auch Campanella schließlich dazu, den Krieg als eines der schlimmsten Übel der Welt zu betrachten, obwohl er das Waffenhandwerk in seinem „,Sonnenstaat" preist, weil es unentbehrlich sei, die Welt vor Verweichlichung zu bewahren.

h) Jean Meslier. Ganz anderer Art als der Sozialismus der beiden katholischen Denker More und Campanella war der des Quäkers Bellers, sowie der des atheistischen Pfarrers Meslier, die beide zwei Jahrhunderte nach More, fast ein Jahrhundert nach Campanella schrieben . Beide waren viel entschiedenere Gegner des Kriegs . Von Bellers haben wir schon gehandelt . Nicht minder als John Bellers verurteilt sein Zeitgenosse Jean Meslier den Krieg. Er lebte allerdings unter einem der kriegerischsten Fürsten , Ludwig XIV. , der durch eine lange Reihe von Eroberungskriegen Frankreich groß , aber auch elend gemacht hatte. Von ihm sagt Meslier : „ Ludwig XIV. wird der Große genannt , nicht wegen großer und löblicher Handlungen, denn er hat keine vollführt, die würdig wären, so bezeichnet zu werden , sondern vielmehr wegen seiner großen Ungerechtigkeiten, seiner großen Räubereien, seiner großen Usurpationen, seiner großen Verwüstungen, seiner großen Verheerungen und Blutbäder, die er allenthalben anrichtete , zur See und auf dem Lande. " ( II . S. 247. ) Doch nicht dem vierzehnten Ludwig allein gilt sein Haß, son-

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dern den Königen im allgemeinen und besonders wegen der Kriege, die sie führen : ,,Das geschieht immer auf Kosten von Gut und Blut des armen Volkes." Es muß ihnen Mannschaften liefern , soviel sie wollen, muß ihnen Geld und Lebensmittel abgeben, wird den Insulten und Gewalttätigkeiten der Soldateska ausgesetzt , sowohl der des eigenen Staates, wie der des Feindes, wenn er ins Land eindringt. Ganze Provinzen werden durch die Grausamkeit der Könige dem Verderben überliefert. Besonders wettert Meslier gegen die Kriegspolitik der französischen Könige . Sein Patriotismus gilt nur dem armen , arbeitenden Volk, nicht seinen Ausbeutern und Knechtern. Macht man deren Regime ein Ende und dem der Religion , auf der sie fußen, dann scheint es Meslier selbstverständlich, daß ohne weiters allgemeiner Friedenszustand auf der Erde eintritt. Über die Herbeiführung dieses Zustands spricht er kaum , noch weniger als über die Aufhebung des Privateigentums, die er fordert . Die drei Bände seines Werkes gelten fast ausschließlich dem Kampf gegen die Religion und den Gottesglauben , und dem Kampf gegen Könige, Adlige, Pfaffen und Reiche . Dagegen sind nur wenige Seiten dem Kommunismus und nur wenige Zeilen dem Weltfrieden gewidmet. Meslier löst den Staat in seine Gemeinden auf, von denen jede im Überfluß von der Arbeit ihrer Mitglieder lebt und keine das Bedürfnis hat , eine andere zu bekriegen oder zu berauben : ,,Alle Städte und andere Gemeinden , die einander benachbart sind, bemühen sich eifrig, sich untereinander zu verbünden und unverbrüchlich den Frieden und das gute Einvernehmen untereinander zu erhalten, um sich gegenseitig, wenn es nötig wird, zu helfen und zu unterstützen. Denn ohne das kann das öffentliche Wohl nicht gedeihen und muß die Mehrzahl der Menschen elend und unglücklich sein." ( ,, Testament " II . S. 211. ) Wie aber zu diesem Zustand, zum Kommunismus überhaupt gelangen ? Thomas More und Campanella mochten hoffen , ein ebenso weiser wie gütiger Fürst oder Papst werde seine Macht benützen, den von ihm beherrschten Staat nach dem Vorbild einzurichten, das der Staatsphilosoph aufgerichtet hatte. Bellers wieder rechnete auf den Geschäftssinn weiter blickender und wohlwollender Kapitalisten. Meslier dachte anders. Er erhoffte das Heil nur von einer Rebellion der Ausgebeuteten und Bedrückten . Eine derartige Idee war außerordentlich kühn zu Beginn des 18. Jahrhunderts, in dem der fürstliche Absolutismus fast überall jegliche Schranke niedergeworfen hatte, die bis dahin seiner Allmacht noch entgegen gestanden war. Meslier ruft am Schlusse seines Werkes : ,,Vereinigt Euch, Ihr Völker! Vereinigt Euch, wenn Ihr einsichtsvoll seid. Alle sollen sich zusammentun, die genügend tapfer sind, Euch alle von Eurem gemeinsamen Elend zu erlösen . Einer ermutige den andern bei einem so edlen, so hochherzigen und so wichtigen Unternehmen. Beginnt damit, Euch geheim über Eure Gedanken und Wünsche Mitteilung zu machen. Verbreitet mit größtmöglicher Geschicklichkeit Werke, wie das vorliegende, die alle Welt die Nichtigkeit der Irrtümer und aber-

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gläubischen Vorstellungen der Religion erkennen lassen und allenthalben die Tyrannei der Fürsten und Könige der Erde verhaßt machen. Unterstützt einander in dieser so gerechten und notwendigen Sache, bei der es sich um das gemeinsame Interesse aller Völker handelt." ( III . S. 382. ) Dieser Aufruf an alle Völker, sich zu vereinigen zum Kampfe gegen das ihnen allen gemeinsame Elend, erinnert schon an das kommunistische Manifest und seinen Schlußsatz : ,, Proletarier aller Länder, vereinigt Euch." Und doch bestand in diesem Punkte ein großer Unterschied zwischen Meslier einerseits und Marx und Engels anderseits. Diese waren in der Lage, ihren Schlachtruf offen aller Welt zu verkünden. Meslier schrieb ihn geheim nieder in einem Werk, das er selbst nicht zu veröffentlichen wagte, und das vollständig mit allen seinen revolutionären Partien erst 1864 herauskam, 130 Jahre nach dem Tode des Autors, in demselben Jahre , in dem die erste proletarische Internationale gegründet wurde. Als Rebell war Campanella praktisch weitergegangen als die andern Denker des weltlichen , nicht urchristlich begründeten Kommunismus der Zeit vor der französischen Revolution. Er hatte an einer wirklichen Verschwörung zum Sturze einer Monarchie teilgenommen. Doch war es eine nationale Verschwörung gegen eine Fremdherrschaft gewesen . An eine internationale Weltrevolution und überhaupt an eine Erhebung der unteren Klassen zur Herbeiführung des Kommunismus dachte er nicht. Bei allen Verschiedenheiten unter den hier betrachteten Denkern ist ihnen doch allen ein lebhaftes internationales Interesse gemein. Sie haben - vielleicht ausgenommen John Bellers - starke Anregungen von Plato erhalten, von seiner ,,Politica ", dem Buch vom Staate. Aber in zwei Punkten unterscheiden sie sich ebenso wie der ganze moderne Sozialismus von dem griechischen Philosophen. Dieser war Aristokrat, forderte den Kommunismus bloß für die Aristokraten , für das gemeine Volk war ihm das Privateigentum gut genug. Und diese Aristokratie sollte ein Kriegsadel sein, nach dem Muster des spartanischen. Die Kriegerkaste ist für Plato die Grundlage des kommunistischen Staates . Der platonische Kommunismus ist im wesentlichen kriegerischer Natur. Dagegen ersehnen die Denker des neueren Sozialismus stets einen internationalen Friedenszustand.

2. Die Zeit der Aufklärung. a) Die bürgerlichen Aufklärer. Die erste englische Revolution war der letzte große politische Umsturz in Europa, der sich unter der Herrschaft des religiösen Denkens vollzog. Die zweite der Revolutionen Englands, die von 1688, fand bereits die Anfänge einer andern Denkweise vor. Das

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neuere Wissen , das sich unabhängig von jeder kirchlichen Organisation entwickelte, begann das überlieferte kirchliche Wissen zu überflügeln. Doch hatten beide Arten des Denkens noch eines gemein den absoluten Charakter ihrer sozialen Forderungen. Wer religiös denkt, für den sind diese Forderungen nicht von Menschen geschaffen , die sie formulieren, um ihre sozialen Bedürfnisse zu befriedigen , sondern sie sind ihnen von einer Gottheit geoffenbart. Die Religion gilt als ewig und unveränderlich, und so sind es daher auch ihre Forderungen. Sie gelten nicht bloß für bestimmte soziale Bedingungen, aus denen sie hervorgehen , sondern unbedingt, unter allen Umständen . Aber die Männer der Aufklärung, die im 18. Jahrhundert das religiöse Denken durch den Kultus der Vernunft zurückdrängten, dachten ebenso absolut . Noch verfügten sie über zu wenig Material und Mittel der Erkenntnis, um eine Entwicklung von niederen zu höheren Formen in Natur und Gesellschaft deutlich erkennen zu können, wenn auch mancher ihrer Denker eine solche ahnte . Allgemein bestand die Meinung, die Menschen seien stets und seit jeher dieselben , unter allen Umständen müßten daher dieselben Einrichtungen für sie gut sein . Die Menschen unterschieden sich von einander nur durch das Ausmaß ihres Wissens, und die Zunahme des Wissens war die einzige Entwicklung, die man im Menschengeschlecht anerkannte. Je größer das Wissen, je höher die Vernunft, desto besser müßten die Menschen das erkennen , was für sie gut sei, desto vollkommener werde die Menschheit. Dieses Gute war für die materialistischen Denker des 18. Jahrhunderts ebenso wie für ihre religiösen Vorgänger ein absoluter Begriff, der nicht wechselte. Das absolut Gute zu erkennen und durchzusetzen, war damals die Aufgabe aller Denker, denen das Schicksal der Menschheit am Herzen lag. Es war die Denkweise nicht nur der bürgerlichen Aufklärer, sondern auch der Sozialisten, so lange , bis der Begriff der Entwicklung von Natur und Gesellschaft zur Herrschaft kam, und erkannt wurde , daß es keine absolute Wahrheit gibt, daß jede Wahrheit bloß relativ ist , nur für einen bestimmten Zustand unseres Erkenntnisvermögens und der Gesellschaft gilt. Aber für diesen Zustand gilt sie allerdings. Die Anerkennung des relativen Charakters der Wahrheit bedeutet keineswegs Skeptizismus , das Leugnen der Möglichkeit jeder Erkenntnis, sondern nur das Bekenntnis, daß es bloß einen endlosen Prozeß des Erkennens gibt, keine abschließende Wahrheit. Wir dürfen uns bei keiner Erkenntnis beruhigen, müssen jedoch unser jeweiliges Handeln stets nach dem jeweiligen Stand der Erkenntnis einrichten. Der Standpunkt des Skeptizismus erhebt nicht unser Handeln auf eine höhere Stufe. Er lähmt es vielmehr völlig. Die Skepsis ist eine bequeme Philosophie von Rentnern oder Besitzern von Sinekuren , die für sich keine Hand zu rühren brauchen .

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Wie die Forderungen der Reformation gingen auch die der Aufklärer aus bestimmten Bedingungen ihres Erkenntnisvermögens und der sozialen Lage hervor, sie wurden aber als ebenso absolut betrachtet, als Forderungen, kategorische Imperative einer absoluten Vernunft, wie die Forderungen, die vorher als Offenbarungen Gottes erschienen. Zu diesen Forderungen der Aufklärer gehörte die Verwerfung des Krieges. Sie tritt schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts zutage, als Reaktion gegen einen beständigen Kriegszustand . Der spanische Erbfolgekrieg, den Frankreich gegen das mit England und Holland verbündete Österreich führte, verheerte von 1701-1714 das westliche und südliche Europa. Noch länger dauerte der gleichzeitige nordische Krieg Schwedens gegen seine Nachbarn , namentlich gegen Rußland von 1700 bis 1721 . Die entsetzliche Kriegsära, die ganz Europa aufs äußerste erschöpfte, ließ allgemeine Friedenssehnsucht erstehen und nach Mitteln ausschauen, Kriege zu vermeiden . Damals ( 1710) schrieb der Quäker John Bellers seine bereits erwähnte Schrift, in der er die Begründung eines Völkerbundes forderte. Wenig später und sicher ohne jede Kenntnis des Bellersschen Vorschlages verfaßte der französische Abbé de Saint Pierre ( 1658 bis 1743 ) sein „ Projekt des ewigen Friedens", das er zwischen 1712 1716 in drei Bänden und 1728 in einem Auszug herausgab. Der Abbé nahm eine angesehene Stellung beim französischen Hof ein, sein Buch wurde weit mehr beachtet, als das des einfachen Quäkers. Alle Denker Frankreichs beschäftigten sich mit seinem Vorschlag, die Staaten Europas sollten sich in einem ewigen Friedensbund vereinigen . Das Ziel, das sich Saint Pierre setzte, wurde allgemein als erstrebenswert anerkannt. Nur hielt man dem Neuerer entgegen, er wende sich an die falsche Adresse, an die absoluten Monarchen . Die würden nie einen solchen Bund begründen. Für die Herstellung eines ständigen Friedenszustands begeisterten sich die mehr oder weniger materialistischen, unchristlichen Philosophen des 18. Jahrhunderts ebenso sehr, wie die noch von dem religiösen Denken der Reformationszeit erfüllten Quäker, deren Ideen dem 17. Jahrhundert entstammten . Eine gute kurze Charakteristik des Friedensstrebens der Aufklärer, der Männer der „,Vernunft", gibt Karl Vorländer in der Abhandlung über die geschichtliche Entwicklung des Friedensgedankens", die er als Einleitung seiner Ausgabe der Schrift Kants ,,Zum ewigen Frieden" ( Leipzig 1914, erschienen unmittelbar vor Ausbruch des Weltkrieges ) vorausschickte. Es heißt dort ( S. XV) : ,,Fast sämtliche Vertreter der Aufklärung sind energisch für den Friedensgedanken eingetreten. (Von Voltaires und Rousseaus sympathischer Stellung zum Werke Saint Pierres spricht Vorländer schon früher und zitiert unter anderem Voltaires Wort, daß selbst im glücklichsten Krieg nur eine Handvoll Generale und Minister zu gewinnen hat [ S. XII ] K. )

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Während in England vor allem Swift und Hume, beide bei Kant besonders beliebt, den Krieg mit beißender Satire angriffen, bekämpften ihn in Frankreich namentlich die Enzyklopädisten und ihre Freunde. So, um nur wenige zu nennen, ihr Führer Diderot, so der Physiokrat und Reformminister Turgot, so, mit besonders kräftigen Worten der geborene Deutsche von Holbach, der ihn die schrecklichste Geißel des Menschengeschlechts nennt, die Habsucht der Monarchen als die Veranlassung der kriegerischen Angriffe betrachtet und auch den glücklichsten Krieg als unheilvoll bezeichnet. In einer Sonderschrift, La Paix de l'Europe ( ,Der Frieden Europas ') forderte nach Beginn des Siebenjährigen Krieges 1757 der Nationalökonom Goudart als Vorbedingung eines dauernden Friedens einen zwanzigjährigen Waffenstillstand zwischen den Völkern Europas. Um die Mitte der sechziger Jahre ( des 18. Jahrhunderts, K. ) setzte die Academie française sogar einen Preis für die beste Schrift aus, die den , Nationen zeigt, wie sie sich zur Sicherung des allgemeinen Friedens vereinigen können' ; er wurde 1767 zwei Gelehrten, dem Geschichtsschreiber Gaillard und dem Literaturhistoriker La Harpe verliehen." ,,In Deutschland dachte man im allgemeinen nüchterner und pessimistischer. Hier verurteilten zwar auch meist die Aufgeklärten den Krieg in der Theorie, aber man hielt jeden Widerstand dagegen für aussichtslos. Immerhin erschienen auch in Deutschland einige Friedensschriften." Die Verwerfung des Krieges durch die Aufklärer hatte zwei Wurzeln . Im Zeitalter des monarchischen Absolutismus war jeder Krieg ein bloß dynastischer und als solcher für die Masse der Bevölkerung zwecklos . Er brachte ihr nichts als Lasten und Verheerungen. Nicht bloß die einflußlosen arbeitenden Massen, sondern sehr einflußreiche Gesellschaftsschichten wendeten sich gegen Kriege, die nur noch aus Streitigkeiten regierender Familien um ihren Besitz hervorgingen. In seinem ,,Candide" sagt Voltaire ( 1759, zur Zeit des siebenjährigen Krieges) : „ Eine Million Mörder,¹) in Regimenter eingeteilt, durchzieht Europa von einem Ende zum andern , sie üben Raub und Mord mit Disziplin, um ihr Brot zu verdienen , denn ihr Handwerk gilt als das ehrenhafteste." (20. Kapitel. ) Dabei war Voltaire der Freund sehr kriegerischer Monarchen , Friedrichs II . und Katharinas II. Die Kriege jener Zeit waren sinnlos nicht nur für die arbeitenden Klassen, sondern auch für die Bourgeoisie . Nicht minder als dieser Umstand führte die fortschreitende Milderung der Sitten unter den Intellektuellen jener Zeit zur Ablehnung jeder Gewalttat. Sie verwarfen daher die Todesstrafe und ebenso den Krieg. Es waren besondere Verhältnisse , die in den Intellektuellen des 18. und dann auch des 19. Jahrhunderts diese Milde zum Durchbruch brachten. Wir haben allen Grund anzunehmen, daß sie dem Menschen von Natur aus gegeben ist. Ich habe darüber schon 1919 gehandelt in meinem Buch über ,,Terrorismus und Kommunismus“ (S. 85 ff. ) und meine Anschauungen später noch wiederholt, so auch in ,,Krieg und Demokratie" (I. Beginn des 1. Abschnitts) , ¹ ) Assassins , die verächtlichste Art von Mördern . K.

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sowie in meiner Polemik gegen Steinmetz , Sigmund Freud , Oswald Spengler über ,,Die Naturnotwendigkeit des Krieges", Festschrift f. J. Wolf, 1932, S. 132 ff. Ich darf mir also hier die nähere Beweisführung sparen . Erst die technische Entwicklung, das Aufkommen der Waffe, veranlaßt den Menschen zu Arten der Lebensmittelbeschaffung und zu einer Lebensweise, die raubtierhafter Natur wird und Raubtierinstinkte in ihm wachruft. Mit der Vervollkommnung seiner Waffen erwächst leicht Blutdurst und Grausamkeit im Menschen, wenn seine sozialen Lebensbedingungen das begünstigen. Doch unter Umständen überwiegt die ursprüngliche milde Natur des Menschen doch wieder. Das traf vielfach bei den arbeitenden Klassen zu, auch bei den Wiedertäufern und ihren Nachfolgern , wie wir eben gesehen . Es galt mitunter für die Intellektuellen. Nur mitunter, keineswegs allgemein. Es galt nicht für die kirchlich organisierten Intellektuellen der Reformationszeit, die Geistlichen, die in den Bürgerkriegen oft die Führung erlangten . Sie gehörten zu den blutdürstigsten, hartherzigsten Kämpfern und Verfolgern, Luther und Calvin ebenso wie die Inquisitoren der katholischen Kirche. Aber auch unter den nichtgeistlichen Intellektuellen der ,,heidnischen " Renaissance finden wir höchst skrupellose und grausame Gesellen dort, wo sie sich nicht auf die Studierstube beschränken, sondern in Kämpfe um die Staatsmacht eintreten . Und heute wieder gibt es Massen Intellektueller, Studenten , Professoren, Richter etc., die mit den unerbittlichsten Militaristen und grausamsten Schlächtergesellen mit Erfolg um den Rekord der Bestialität ringen. Im 18. und 19. Jahrhundert dagegen förderte höhere Bildung eine Milderung der Sitten . Es war im 18. Jahrhundert die Zeit des befestigten Absolutismus, in dem es keine Bürgerkriege gab, aber auch keine auswärtigen Kriege , die einen andern , als dynastischen Sinn hatten. Dabei finden wir, daß sich die Intellektuellen von jeder Beschäftigung mit den Waffen völlig fernhalten . Nach dem Zwischenspiel der französischen Revolution gab es fast keine Kriege mehr in Europa bis 1848. Zahlreiche Kriege finden wir dann in der Zeit bis 1878, doch waren sie zumeist sehr kurz und vermochten die Tendenz zu fortschreitender Milderung der Sitten bei Arbeitern und Intellektuellen nicht zu durchbrechen . Erst das Zeitalter des Imperialismus, der Kolonialpolitik, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat wieder Bedingungen für eine fortschreitende Verrohung der Sitten in vielen Kreisen geschaffen . Im 18. Jahrhundert , in der Zeit des befestigten Absolutismus , waren die Männer der Aufklärung einhellig Gegner des Krieges. Doch kannten sie diesen nur in der Form des dynastischen, für das Volk zwecklosen Krieges. Sie dachten an keine demokratische Revolution und dachten daher auch nicht an einen Revolutionskrieg.

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Da kam der Unabhängigkeitskrieg in Amerika ( 1775-1783 ) und gleich darauf ( 1789) der Umsturz in Frankreich, der 1792 eine Ära gewaltigster Kriege in ganz Europa für fast ein Vierteljahrhundert entfesselte, Kriege nicht um gleichgültige Interessen einiger Herrscherfamilien , sondern um die Rettung der Selbstbestimmung eines ganzen Volkes. Nun erstand in den bis dahin so friedlichen Aufklärern kriegerischer Enthusiasmus, soweit sie zu tatkräftigen Revolutionären und Demokraten wurden. Es erfolgte ein ähnlicher Umschlag von mildem Pazifismus zu wildem Kriegertum, wie wir ihn schon bei den Wiedertäufern in Zeiten revolutionären Kampfes beobachten konnten . Als Kinder der Aufklärung blieben die französischen Revolutionäre Gegner des Krieges, doch auch diesmal erlag die Theorie der Praxis, als es 1792 zum Kriege der Revolution gegen die verbündeten Monarchen Europas kam. Das Kriegsfieber erfaßte von da an immer mehr die Verfechter der revolutionären Grundsätze. Der Widerspruch zwischen pazifistischen Grundsätzen und kriegerischem Wesen unter den radikalen Republikanern Frankreichs überdauert die Revolution, sowie das Kaiserreich und die folgenden Regierungen . Wie stand es aber in dieser Beziehung mit den Sozialisten ?

b) Der Rückgang sozialistischen Denkens im 18. Jahrhundert. Von Sozialisten ist im 18. Jahrhundert wenig mehr die Rede . Im Laufe des 17. Jahrhunderts nehmen die religiösen Volksbewegungen kommunistischer Art fast völlig ein Ende , die, anknüpfend an die Ideologie des Urchristentums, einen Teil der groBen sozialen Kämpfe des Zeitalters der Reformation bildeten . Erst recht wenig Einfluß auf das gesellschaftliche Geistesleben übten die Denker, die nicht auf Grund urchristlicher Tradition, sondern eigener wissenschaftlicher Forschung zu der Forderung der Aufhebung des Privateigentums und des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft kamen, in der jegliches Elend ausgeschlossen sein sollte . Manche ihrer Schriften mochten noch mit Interesse gelesen werden, ohne jedoch eine sozialistische Bewegung hervorzurufen . Sie erzeugten eine solche nicht im unwissenden Volke, an das sie sich gar nicht wendeten , auch der revolutionäre Meslier nicht, der wohl das Volk zur Erhebung aufrief, jedoch den Aufruf sorgfältig geheimhielt aus guten Gründen . Der Appell war aussichtslos . Doch auch auf die Gebildeten übten die Ideen der Sozialisten damals keinen Einfluß . Nicht die der schon genannten Utopisten und ebensowenig die Staatsromane, die im 17. und 18. Jahrhundert erschienen und deren Verfasser zumeist

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nur literarische Wirkungen erzielen, nicht das soziale Denken befruchten wollten. Das ganze 18. Jahrhundert hindurch bis in die französische Revolution hinein spielt das sozialistische Denken eine weit geringere Rolle, als in den beiden vorhergehenden. Und doch erlangt im 18. Jahrhundert die kapitalistische Produktionsweise eine weit größere Bedeutung, als sie bis dahin gehabt. Widerspricht das nicht der Marxschen Theorie ? So könnte es auf den ersten Blick scheinen . Doch nur für denjenigen, der die verschiedenen Arten Sozialismus nicht voneinander zu scheiden weiß. Eine eingehende Darlegung und Erklärung dieser Unterschiede würde uns zu weit abführen von dem Gegenstand dieses Buchs . Ich hoffe, noch Gelegenheit zu finden, an anderer Stelle darüber ausführlich zu sprechen. Hier seien nur wenige Andeutungen gemacht. Die Sozialisten, die Anwälte der Armen, die Verfechter des Gemeineigentums, pflegten nicht ins Blaue hinein ihre Vorschläge zu entwickeln. Sie hatten stets bereits bestehende Einrichtungen im Auge, die sie weiterbilden und ihren Zwecken anpassen wollten. Bis zum 18. Jahrhundert war ihr Ausgangspunkt die Familie. Im 19. Jahrhundert wird dazu die Fabrik. Das 18. Jahrhundert bildet die Scheide zwischen diesen beiden Arten Sozialismus. Nur als eine große Familie konnten sich die ersten Sozialisten das kommunistische Gemeinwesen vorstellen, das sie anstrebten. Urwüchsige Großfamilien, Hausgenossenschaften, die mehr als 100 Mitglieder zählten, gab es sogar in Europa noch bis ins 19. Jahrhundert hinein, z. B. in Serbien die Zadrugas . Doch die Warenproduktion entwickelt die Persönlichkeit, den ,,Individualismus", läßt den erwachsenen Menschen der Neuzeit immer schwerer die Bevormundung seiner ganzen Lebensführung ertragen, die mit der Großfamilie verbunden war. Diese wird aufgelöst, an ihre Stelle tritt die Haushaltung der Zwergfamilie, die nur aus einem Ehepaar und seinen unmündigen Kindern besteht. Je mehr diese Entwicklung, die lange auf die herrschenden Klassen beschränkt war, die arbeitenden Klassen ergriff, desto mehr verlor das kommunistische Ideal an Anziehungskraft in Arbeiterkreisen. Während der Großbetrieb in der Familie verfiel, kam er in der Industrie auf. Wohl hatte es schon im Altertum Großbetriebe gegeben, z. B. Bergwerke oder Plantagen, aber diese waren nur mit Zwangsarbeitern betrieben worden, blieben daher technisch rückständig. Sie waren ein Abscheu für jeden die Freiheit liebenden Mann. Erst in der neueren Zeit bilden sich Großbetriebe auf der Grundlage der Arbeit freier Menschen . Sie entwickeln eine höhere Technik, erhöhen ungemein die Produktivkraft der Arbeit. Diesen

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Großbetrieben gehört die Zukunft. Sie erst ermöglichen die Anteilnahme der Volksmassen an einer höheren Kultur. Sobald die Arbeiter das erkannt haben, gehen sie nicht mehr darauf aus, die Großbetriebe in Kleinbetriebe aufzulösen, auch nicht darauf, die Fabriken unmöglich zu machen, die Maschinen zu zertrümmern , sondern darauf, die neuen Großbetriebe aus Privateigentum , das sie in ihren Anfängen sind, in Gemeineigentum zu verwandeln . Nicht die kommunistische Familie , sondern die kommunistische Fabrik wird von nun an das Ziel des sozialistischen Strebens. Die ersten Utopisten der neueren Zeit wollen allerdings mit ihren Phalansteres und Kolonien im Grund auch noch nur kommunistische Familien begründen, aber das war nun eine ihrer Schwächen. Ihre propagandistische Kraft erhielten sie durch jenen Teil ihres Wirkens, der kommunistische Produktion in Großbetrieben anstrebte. Dieses neue Ziel liegt in der Richtung der sozialen Entwicklung, während die kommunistische Großfamilie heute der Vergangenheit angehört, unvereinbar ist mit modernem Denken, nicht nur der Bourgeois, sondern auch der Arbeiter. Die Sozialisierung der privaten kapitalistischen Fabriken ist aber eine Aufgabe weit gewaltigerer Art, als die der Vereinigung einiger Zwergfamilien in eine Großfamilie. Diese letztere Aufgabe konnte lösbar erscheinen auch ohne eine Änderung des Charakters des Staates, sie erheischte auf keinen Fall sein helfendes Eingreifen . Genug, wenn er die Bildung von Großfamilien nicht hinderte . Dagegen der Übergang des kapitalistischen Eigentums in Gemeineigentum erheischt nicht bloß die Duldung, sondern das energische Eingreifen des Staates . Wie diese zu erlangen vom Staate, der eine Herrschaftsorganisation der großen Ausbeuter war? Das erschien bis ins 18. Jahrhundert hinein völlig unmöglich . Noch Jean Meslier hat denn auch nicht das Eingreifen des Staates für die Sozialisierung der Produktion verlangt, sondern seine Auflösung in Gemeinden . Da kam die große französische Revolution, kam ihr Krieg gegen die verbündeten Monarchen Europas. Wie schon in früheren demokratischen Rebellionen und Kriegen erwiesen sich auch diesmal die besitzlosen Arbeiter als die radikalsten , als die streitbarsten. Aber was ihnen in früheren Bewegungen, auch in der englischen Revolution in der Mitte des 17. Jahrhunderts , noch nicht gelungen war, das gelang ihnen jetzt, zu Ende des 18. Jahrhunderts . Die Bergpartei , die die Interessen der Armen vertrat, erlangte die Staatsgewalt. Damit wurde der Staat zum erstenmal aus einem Mittel, die Herrschaft der Ausbeuter zu befestigen , zu einem Mittel, diese Herrschaft aufzuheben, die Arbeit zu befreien . Noch waren die Proletarier zu schwach , zu unwissend, ohne jedes Klassenbewußtsein , um diese Situation für sich ausnützen zu können. Auch war die Situation eine zu abnorme , in der die den

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arbeitenden Klassen (nicht bloß Proletariern, sondern auch Kleinbürgern und Bauern , vielen Intellektuellen ) dienende Regierung obenauf kam — im Kriege kam sie auf, nur durch ein Regiment des Schreckens konnte sie sich behaupten : nicht lange, von 1792 bis 1794. Aber so kurz dieses dauerte, die Erscheinung einer Herrschaft der arbeitenden Klassen im Staate war doch eine zu gewaltige, als daß sie nicht den tiefsten Eindruck auf die Freunde der Arbeiter allerorten und fortdauernd gemacht hätte . Allerdings hat das Nachwirken dieses Eindrucks gar viele Fehlschläge sozialistischer Bestrebungen hervorgerufen, deren Teilnehmer vielfach die abnorme Situation vergaßen , die in den Revolutionskriegen zeitweise zur Herrschaft der arbeitenden Klassen geführt hatte. Sie versuchten immer wieder vorzeitig, mitten im Frieden durch künstliche Erhebungen, Putsche, zu erreichen, was 1793 ein furchtbarer Krieg im Gefolge einer ungeheuren Revolution auch nur vorübergehend möglich gemacht hatte. Erst Marx und Engels erkannten die Gesetze der sozialen Entwicklung, die naturnotwendig das Proletariat immer zahlreicher und stärker machen müssen , so daß schließlich überall, ohne Krieg, ohne Terror dauernd das erreichbar wird, was vor bald anderthalb Jahrhunderten nur vorübergehend, in einem einzelnen Staat unter außergewöhnlichen Verhältnissen möglich war. Das Aufkommen des modernen , kapitalistischen Großbetriebs und die Verwandlung der Herrschaftsorganisation des Staates zum Schutze der Ausbeutung in eine Befreiungsorganisation der Ausgebeuteten durch die moderne Demokratie, das sind die zwei groBen Merkmale, die den modernen Sozialismus vom primitiven unterscheiden. An Stelle der Familienwirtschaft tritt nun als Ziel eine Gemeinwirtschaft auf, die zum großen Teil Staatswirtschaft ist, aber nicht Staatswirtschaft schlechthin . Staatswirtschaft gab es schon im grauen Altertum, aber sie war, wie jeder Großbetrieb damals, auf der Unfreiheit der Arbeiter begründet. Was der moderne Sozialismus anstrebt, ist die Wirtschaft freier Männer im freien Staat, ist, soweit sie Staatswirtschaft ist, Wirtschaft des Arbeiterstaates, in dem vollste Bewegungsfreiheit für alle Arbeitenden besteht und wer gehört in einem solchen Staate nicht zu den Arbeitenden ! Dieser moderne Sozialismus trat nicht gleich, wie Pallas Athene aus dem Kopf des Göttervaters, mit allem Rüstzeug zu siegreichem Kampf angetan in die Welt. Er war nicht von vornherein eine fertige, völlig durchdachte Theorie . Aber bei allen seinen weiteren Wandlungen stellte er gegenüber dem früheren Sozialismus etwas völlig Neues, von ihm grundverschiedenes dar. Das 18. Jahrhundert bildet die Grenze der beiden Arten von Sozialismus, des primitiven und des modernen . Gerade für die revolutionären Schichten der Arbeiter und ihre Freunde , also die-

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jenigen Elemente, die am ehesten zu sozialistischem Denken hätten gelangen können, war die Loslösung der einzelnen Persönlichkeit von gesellschaftlichen „, autoritären “ Bindungen , war das Bedürfnis nach freier Betätigung des einzelnen in der Gesellschaft zu stark geworden , als daß sie nicht der alte Sozialismus hätte abstoßen müssen, der den einzelnen auch außerhalb des Produktionsprozesses , bei Spiel und Tanz und Liebeswahl etc. aufs genaueste überwachte und in bestimmte Regeln einengte, wie das alle die Sekten des religiösen Kommunismus taten. Für einen bloß auf den Produktionsprozeß aufgebauten Sozialismus fehlten aber im 18. Jahrhundert noch fast alle Vorbedingungen. Selbst in England und noch mehr in den andern Staaten Europas war der Großbetrieb noch wenig entwickelt, zu wenig, um das soziale Denken selbst scharfsinniger Beobachter in so entscheidendem Maße zu bestimmen, daß sie versucht hätten , auf die neue Produktionsweise eine ganz neue Gesellschaft aufzubauen. Im 18. Jahrhundert waren die Bedingungen des primitiven Familiensozialismus nicht mehr vorhanden, wenigstens nicht bei jenen Volksschichten, die für soziale Neuerungen in Betracht kamen. Aber es fehlten noch die Bedingungen des modernen Industriesozialismus. Daher die Lücke in der Entwicklungsgeschichte des sozialistischen Denkens, die im 18. Jahrhundert zutage tritt. Dieses Jahrhundert ebensosehr wie das vorhergehende und das ihm folgende gebiert zahlreiche Menschenfreunde, die durch das massenhafte Vorkommen von Elend und Knechtschaft in ihrer Zeit erschreckt und empört werden. Gerade das 18. Jahrhundert erzeugte eine besonders große Fülle von Gräßlichkeiten , sowohl des verkommenden Feudalismus wie der Tyrannei des fürstlichen Absolutismus, seiner weltlichen und geistlichen Bureaukratie, die noch verstärkt wurden durch ein üppig in die Halme schießendes Geldkapital, das als Wucherkapital jede Notlage der einzelnen sowie die der Staaten dazu ausnützte, sie in seine Schuldknechtschaft zu verstricken und sich dadurch zu bereichern . Dabei kannte das 18. Jahrhundert eine besondere Form der Ausbeutung durch das Geldkapital . Das Geldbedürfnis des fürstlichen Absolutismus wuchs schneller als die Leistungsfähigkeit des bureaukratischen Apparats, über den er verfügte. Zur Einhebung der Geldsteuern , die die Landesherren brauchten und die sie bis zur Unerträglichkeit steigerten , bedienten sie sich daher lange Zeit hindurch gern einzelner großer Geldmänner, die als Steuerpächter dem Staat gewisse Summen zahlten, um sich an den Steuerzahlern dafür in einem Maße schadlos zu halten, das diese ruinierte, den Steuerpächtern aber reichen Gewinn brachte.

An allen diesen Mißständen wurde von den selbständigen Denkern des 18. Jahrhunderts schärfste Kritik in einem Maße geübt,

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das vielfach zu einem Panegyrikus der sozialen Gleichheit , zu einer Verwerfung des Privateigentums führte. ,,Das Eigentum ist Diebstahl !" rief Proudhon 1840. Doch schon zwei Menschenalter vor ihm, 1780, prägte Brissot de Warville ( 1754-1793 ) den gleichen Satz . Und doch war Brissot kein Kommunist - ebensowenig wie Proudhon . Brissot wurde in der Revolution einer der hervorragendsten Führer der gut bürgerlichen Girondisten und fiel als solcher der Guillotine zum Opfer. Wenn die Verfechter der Freiheit, Gleichheit , Brüderlichkeit gegen das Eigentum wetterten, meinten sie das feudale oder kirchliche Eigentum sowie das Wucherkapital. Sie zogen nicht gegen das private Eigentum an Produktionsmitteln zu Felde. Waren doch die Betriebe in der Landwirtschaft und Industrie noch überwiegend Kleinbetriebe . Diese Betriebe verlangten jedoch nach dem Privateigentum , dem vollen und unbeschränkten Eigentum an ihren Betriebsmitteln. Auch die meisten derjenigen , die vor und in der französischen Revolution gegen das Eigentum loszogen, wollten nicht eine sozialistische Produktion herbeiführen , sondern nur die Privatproduktion von den Fesseln der feudalen Lasten, des Zunftzwangs , der bureaukratischen Bevormundung und von der Ausbeutung durch Wucherer und Steuerpächter befreien . Nur wenige der Staatsphilosophen jener Zeit befürworteten eine kommunistische Gesellschaft, wie z . B. Morelly, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts schrieb. Aber es erging ihnen wie vorher schon Meslier, soweit sie überhaupt Beachtung fanden. Man ließ ihren Kommunismus links liegen. Sie wirkten nur durch ihre scharfe Kritik des Bestehenden . Im Kampf gegen den Krieg konnten sie die bürgerlichen Aufklärer auf keinen Fall überbieten.

3. Die Sozialisten des 19. Jahrhunderts bis 1848. a) Verschiedene Richtungen im Sozialismus. Wir haben gesehen, daß die Sozialisten der Reformationszeit in zwei Gruppen zerfallen : auf der einen Seite finden wir eine religiöse Bewegung in den unteren Klassen, die ihre Ideologie aus den urchristlichen Überlieferungen schöpft, und anderseits den Aufbau sozialistischer Systeme durch die Gedankenarbeit einzelner wissenschaftlich hervorragender Mitglieder der herrschenden Klassen, die ihr Wissen teils aus der klassischen Literatur, teils aus der Beobachtung der sie umgebenden Welt schöpfen . Diese Zweiteilung der sozialistischen Bewegung findet vielleicht ihren. ausgeprägtesten Ausdruck in den beiden Sozialisten , die im Beginn

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der Reformationszeit hervortreten : dem deutschen Rebellen Thomas Münzer und dem englischen Lordkanzler Thomas More. Eine ähnliche Zweiteilung der sozialen Reformbewegung das Wort im weitesten Sinne genommen, finden wir in der Zeit der Anfänge des neueren Sozialismus, die mit der großen französischen Revolution anhebt : auf der einen Seite die Utopisten, auf der andern Seite die Arbeiterbewegung. Wie die Utopisten des 16. und 17. Jahrhunderts sind auch die des 19. wissenschaftlich hervorragende Mitglieder der herrschenden Klassen, doch fußen sie weit weniger als ihre Vorgänger auf der klassischen Literatur des Altertums, sondern fast ausschließlich auf der Beobachtung der sie umgebenden Welt. In der Arbeiterbewegung aber tritt ein Element bestimmend auf, das vorher auf den Charakter der Gesellschaft nur wenig Einfluß gehabt hatte : die Lohnarbeiter als bewußte Klasse, nicht als bloßes Übergangsstadium wie die Gesellen des Handwerks. Erst mit dem industriellen Kapital treten die industriellen Lohnarbeiter als besondere Klasse auf, mit besonderen Klasseninteressen innerhalb der Gesamtheit der arbeitenden Klassen, zu denen die Bauern ebenso gehören wie die Handwerker. Sie werden zu einer bestimmenden Erscheinung in der Gesellschaft erst mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, obwohl sie in manchen Produktionszweigen, etwa Bergbau und Weberei, schon früher eine Rolle spielen . Die Lohnarbeiter als Klasse, als ,,Proletariat", sind in der Gesellschaft eine ganz neue Erscheinung ohne jegliche Tradition. Dabei stellen sie in ihren Anfängen den ökonomisch wie intellektuell tiefststehenden Teil der arbeitenden Klassen dar. Ohne Tradition, sind sie zunächst auch nicht imstande, selbst aus sich heraus ein höheres Denken zu entwickeln , sich ein neues, soziales Ziel zu setzen. Die neuere Arbeiterbewegung ist daher zunächst ideallos. Nur das nächstliegende beschäftigt die Lohnarbeiter, Fragen des Lohns, der Arbeitszeit, der Wohngelegenheit, die für sie oft nur eine Schlafstelle ist. Denken sie darüber hinaus, so erweckt das zumeist nur einen wilden Zorn gegen ihre Ausbeuter und deren Reichtum , den Durst nach Rache, nicht den Entschluß , eine bessere Neuordnung der Dinge anzustreben. Diese neuere Arbeiterbewegung ist in ihren Anfängen ebenso roh und materialistisch (das Wort ethisch, nicht philosophisch genommen) , wie die kommunistischen Volksbewegungen der Reformationszeit überschwenglich idealistisch waren. Damals waren die Kommunisten geistig und ethisch hochstehende Mitglieder der arbeitenden Klassen ihrer Zeit gewesen . Die Bewegungen des industriellen Proletariats des 19. Jahrhunderts bildeten dagegen in seinen Anfängen nichts als ebenso verzweifelte, wie vergebliche Versuche , sich durch vereinzelte Gewaltakte für die wachsende Verelendung zu rächen , die die Maschine, Verlängerung der Ar-

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beitszeit, Frauenarbeit, Kinderarbeit, Sinken der Löhne , Krisen und Arbeitslosigkeit über sie verhängten . Doch galt das nur für die Arbeiter der industriellen Großbetriebe. Je mehr deren Zahl wuchs , desto größer wurde der Einfluß ihrer Existenzbedingungen auch auf die ihnen benachbarten Lohnarbeiter kleinerer Betriebe. Diese Arbeiterschichten zeigten sich in den Anfängen der Arbeiterbewegung widerstandsfähiger als die eigentlichen Fabrikarbeiter, waren auch vielfach eher in der Lage, sich höher zu bilden . So namentlich die Buchdrucker. Dabei sahen sie aber in den elenden Verhältnissen der Fabrikarbeiter das Los, das ihnen bevorstand, wenn der Kapitalismus nicht überwunden oder zumindestens eingeschränkt wurde . Sie entwickelten eine Arbeiterbewegung mit höheren, sozialen Zielen , die zumeist den Utopisten ihrer Zeit entnommen wurden. Auf diese Weise wurde eine Vereinigung von Sozialismus und Arbeiterbewegung angebahnt, die vollständig allerdings erst Marx und Engels vollzogen. Der Unterschied zwischen Sozialismus und Arbeiterbewegung

im 19. Jahrhundert findet in der Reformationszeit seinen Vorläufer in den Utopisten einerseits und urchristlichen Kommunisten anderseits . Aber innerhalb des neueren Sozialismus sowohl wie innerhalb der Arbeiterbewegung selbst findet noch eine Zweiteilung anderer Art statt, die keinen Vorläufer hat, weil sie bedingt wird durch eine ganz neue Erscheinung, die Herrschaft der unteren Klassen in der großen französischen Revolution. In den Reihen der dem Bürgertum entstammenden Menschenfreunde und Sozialisten, wie in denen der nach sozialer Besserstellung ringenden Arbeiter bildeten sich zwei große Gruppen : die einen sahen in der Revolution, die so viel versprochen, einen Anfang, der fortzuführen sei . Die andern sahen nur den Mißerfolg der Revolution . Sie erklärten den Weg der Revolution für einen Irrweg, lehnten sie ab, wollten nichts von ihr wissen. Bisher ist noch jede Revolution anscheinend gescheitert, mit den Augen ihrer Zeitgenossen gesehen. In keiner haben sich die Revolutionäre als solche dauernd behauptet. Entweder wurden sie früher oder später niedergeschlagen oder sie wandelten sich. Das hat verschiedene Ursachen . Keine der bisherigen Revolutionen war das Werk einer einzigen Klasse. Eine Revolution ist bisher stets nur unter Umständen möglich gewesen, unter denen sich die verschiedensten Klassen gegen eine Regierung zusammenfanden, so daß diese keinen Boden mehr im Volke hatte . Ist das alte Regime gestürzt, dann beginnen die Gegensätze der Klassen hervorzutreten . die an der Revolution teilgenommen haben . Außerdem war die Notlage, die durch das alte Regime geschaffen worden , viel zu tiefgehend, als daß sie mit einem Schlage hätte beseitigt werden können. So nützt sich jede revolutionäre Regierung mit der Zeit, oft sehr rasch ab, ein Teil der Revolutionäre sieht sich enttäuscht , entzieht ihr das Vertrauen, sucht ein Kompromiß mit den gegen-

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revolutionären Faktoren oder wendet verbittert allen Bestrebungen nach sozialer Verbesserung den Rücken. Zu alledem gesellt sich drittens noch die Tatsache , daß das Tun der Menschen , auch wenn sie dadurch Ziele erreichen , die sie sich gesetzt haben , doch auch sehr oft andere Wirkungen zeitigt, die sie nicht erwartet haben und durch die sie oft unangenehm überrascht werden. In der französischen Revolution seit 1789 spielte neben den beiden ersten Faktoren auch dieser dritte eine große Rolle . Sie beseitigte alle Schranken , durch die der Feudalismus und die Bureaukratie des Absolutismus die Warenproduktion einengten. Man hoffte, damit ein Reich freier und gleicher Warenproduzenten zu begründen, die gleiche Werte miteinander austauschten, so daß jeder ebensoviel empfing als er hingab. Eine Gesellschaft der Freiheit, Gleichheit , Brüderlichkeit sollte beginnen . Man sah nicht, daß unter den gegebenen Umständen die Warenproduktion um so rascher zu kapitalistischer Produktion werden. mußte, je schneller und intensiver sie sich entwickelte. Die Revolutionäre standen alle auf b ürgerlichem Boden, auf dem des Privateigentums an Produktionsmitteln , jedoch keineswegs auf kapitalistischem Boden. Die meisten dachten kleinbürgerlich, hielten den Kleinbetrieb für die normale Form der Produktion. Vielen war das große Kapital, namentlich das Geldkapital der Wucherer und Steuerpächter, direkt verhaßt. Trotzdem bereiteten sie mit den Freiheiten, die sie eroberten, dem Kapital den Weg. Sie beseitigten das feudale Elend bloß, um das Elend des Kapitalismus groß werden zu lassen, verschuldete Bauern, vom Großbetrieb bedrohte Handwerker, und vor allem ausgebeutete Lohnarbeiter. Und noch eine andere Folge zog die Revolution nach sich, die von den Revolutionären weder gewünscht noch vorauszusehen war : eine zwanzigjährige Ära steten Krieges, der in seinen ersten Jahren dem Lande der Revolution besonders viel Elend brachte . Alles das bewirkte, daß die Revolution anscheinend scheiterte, das heißt, daß die Revolutionäre das nicht erreichten , was sie anstrebten, teilweise sogar blutig niedergeschlagen wurden. In dieser Situation begannen viele Menschenfreunde, aber auch viele Angehörige der unteren Klassen an der Revolution und an den Lehren der Aufklärer zu zweifeln , von denen die Revolutionäre beseelt waren. Der Kampf gegen das Elend, für Freiheit, Gleichheit , Brüderlichkeit ging weiter. Aber neben der Herrschaft des Großgrundbesitzes , der Wucherer und des Königtums erschien nun immer mehr der industrielle Kapitalismus als der Feind, den die unteren Klassen zu bekämpfen hatten . Damit waren die Bedingungen für das Erstehen des modernen Sozialismus gegeben. Daß die große französische Revolution gescheitert sei , darin waren die Sozialisten nach ihr alle einig. Jedoch nicht einig zeig-

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ten sie sich in den Schlußfolgerungen, die sie daraus zogen. Die einen meinten, der Erfolg zeige, daß die Revolution als Methode, das Elend aufzuheben , überhaupt nichts tauge. Sie bringe nur einen Wechsel in den Personen der Ausbeuter. Die Ausbeutung selbst könne nur beseitigt werden durch eine ganz neue gesellschaftliche Organisation, durch ein System gesellschaftlichen Eigentums und seiner gesellschaftlichen Bewirtschaftung. Ein solches Wirtschaftssystem bringe aber Vorteile für jedermann , für die Besitzenden, wie die Besitzlosen. Es werde sich daher von selbst Bahn brechen , sobald seine Überlegenheit über die bestehende Wirtschaft praktisch erwiesen sei. Diesen praktischen Beweis durch soziale Experimente zu erbringen, schien ihnen das wichtigste zu sein . Zu solchen Experimenten brauchte man Ruhe, brauchte man auch das Wohlwollen und die Unterstützung aus den Reihen der Reichen und der Herrschenden . Das bettelarme, unwissende, verkommene Proletariat erschien ganz unfähig dazu , auf eigene Faust solche Experimente anzustellen und zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Eine proletarische Erhebung gegen die Besitzenden und Herrschenden, und wäre es nur um die Demokratie zu erobern , erschien von diesem Standpunkte aus als das verkehrteste, was geschehen konnte. Die Sozialisten dieser Art waren daher entschieden Gegner jeder Revolution, ja jedes Klassenkampfes, im Grunde sogar jeder Politik überhaupt , die die Freunde der Gerechtigkeit in den oberen Klassen abschrecken und damit die Befreiung des Proletariats verzögern konnte. So dachten jedoch keineswegs alle Sozialisten . Alle stimmten darin überein, daß die große Revolution ein Fehlschlag gewesen sei. Aber während die einen daraus schlossen , jedes revolutionäre Tun sei zu vermeiden, meinten andere, die Revolutionäre hätten nur darin gefehlt, daß sie nicht die richtige Taktik einschlugen . Sie hätten noch radikaler vorgehen müssen. Die Sozialisten der ersterwähnten Art, die unpolitischen Sozialisten, wollten die Bourgeoisie für die Idee des Sozialismus gewinnen und alles vermeiden, was sie erschrecken konnte . Die der zweiten Art, die politischen Sozialisten, gingen dagegen darauf aus, die Staatsmacht zu erobern mit Methoden und zu Zwecken , die die Bourgeoisie aufs äußerste erschrecken mußten. So gewaltlos die einen, so gewalttätig dachten die andern . Aber weder die einen noch die andern erwogen, daß es vor allem galt, das Proletariat aus seiner Verkommenheit zu erheben , es reif dazu zu machen, seine Sache selbst zu führen . Die Utopisten wie die politisch denkenden Sozialisten fühlten sich als Vormünder des Proletariats, das ihnen blindlings zu folgen habe. Das scheinen olle Kamellen zu sein. Aber sie sind seit dem Weltkrieg wieder sehr aktuell geworden. Aus ihm ist eine junge Generation hervorgegangen , die nichts gelernt hat, aber sehr taten-

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lustig ist und vor die größten Probleme gestellt wird. Sie geht an sie heran, völlig unwissend und naiv und reproduziert so die primitivsten Vorstellungen der Sozialisten vor einem Jahrhundert. Dabei wähnen sie ganz neue und dem bisherigen Denken weit überlegene Wahrheiten zu entdecken . Das haben wir hier nicht weiter zu verfolgen. Uns interessiert nur die Tatsache, daß der schon dargelegten Zweiteilung der Sozialisten in politische Revolutionäre und unpolitische Utopisten auch eine Zweiteilung in der Kriegsfrage entsprach . Jene waren ebenso kriegerisch, wie diese friedfertig. Wohl verwarfen die Sozialisten alle ebenso wie vor ihnen die Männer der Aufklärung prinzipiell den Krieg. Aber die Revolutionäre, die von den Ideen der Aufklärung getragen wurden, hatten sich trotzdem in Frankreich 1792 zum Krieg gegen das sie bedrohende monarchische Europa verstehen müssen. Und gerade der Krieg hatte die Revolution immer mehr radikalisiert -- allerdings nur sehr vorübergehend. Jene Sozialisten, die glaubten, die Wiedererweckung und Fortführung der großen Revolution sei der gegebene Weg zum Sozialismus, wurden daher von vornherein dazu getrieben , trotz ihrer theoretischen Kriegsfeindlichkeit praktisch den Krieg als notwendig zu propagieren, nicht nur den Bürgerkrieg im eigenen Lande, sondern mitunter auch den Krieg des eigenen revolutionären Landes gegen die reaktionären Nachbarstaaten . Ihre Friedenssehnsucht äußerte sich nur in der Überzeugung, daß sie Krieg führen wollten zur Durchsetzung eines sozialen Zustands, der ewigen Frieden bringe. Diesen kriegerischen Umweg zum Frieden glaubten die unpolitischen Utopisten nicht nötig zu haben . Sie hofften direkt durch ihre gesellschaftlichen Neugründungen die neue Gesellschaft des ewigen Friedens erreichen zu können , ohne Krieg und Bürgerkrieg. Wieder, wie in der Reformationszeit finden wir die Trennung der Sozialisten in der Kriegsfrage. Allerdings diesmal nicht ganz aus denselben Gründen , wie damals .

b) Babeuf. Den Weg der kriegerischen Richtung der Sozialisten nach der Revolution bahnte Babeuf. Ich habe ihn bereits in meinem Buch über „ Krieg und Demokratie" (I. S. 313 ff. ) charakterisiert. Hier sei das dort Gesagte noch ergänzt durch einige Bemerkungen über seine Stellung zum Krieg. Über Babeufs Verschwörung von 1796 berichtet sein Genosse Buonarroti, der ihren Zusammenbruch erlebte. In seinem Buch , betitelt ,,Die Verschwörung für die Gleichheit", 1828 (verdeutscht von Blos, 1909) teilt Buonarroti mit, daß in der Staatsordnung , die Babeuf und seine Freunde einzuführen trachteten , die ,,Ver-



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teidigung des Vaterlandes" einen sehr ,,wesentlichen" Teil bildete (S. 205) . „ Bis die Vernunft und die Freiheit neue Fortschritte gemacht hätten, würde es nötig sein, die französische Jugend beständig in den Lagern oder an den Grenzen der Republik versammelt zu halten." (S. 206.) Babeuf fordert : Die Nationalarmee soll aus allen waffenfähigen Franzosen bestehen, von Kindheit an werden sie mit den Tätigkeiten des Krieges vertraut gemacht werden. Die Disziplin und die Entbehrungen des Lagers werden als Mittel betrachtet, die jungen Leute für das soziale Leben tauglich zu machen. Auch die reifen Bürger sollen sich unermüdlich durch häufige Übungen ,, auf die Strapazen und Manöver des Krieges vorbereiten ." „ Im Frieden füllen die militärischen Funktionen angenehm einen Teil der Leere aus, die im menschlichen Leben die notwendigen Beschäftigungen zurücklassen, deren Einteilung oder Harmonie durch die militärischen Übungen nicht gestört wird. Aber wenn der Krieg kommt, erheben sich die militärischen Funktionen zum Rang der wichtigsten Arbeiten zur Erhaltung der Gesellschaft, deren Bedürfnisse dann beträchtlich vermehrt sind.“ ( S. 208.) Natürlich wäre Babeuf kein Sozialist, ja nicht einmal ein Demokrat gewesen, wenn er am Krieg Gefallen gefunden hätte. Er will, daß man ihn vermeide wo man kann, ohne die Sache der Freiheit und Gleichheit zu gefährden. Das soziale Endziel, das er anstrebt, ist ein Zustand ständigen Friedens zwischen freien und gleichen Nationen. Buonarroti sagt von den Verschwornen : ,,Sie wünschten, daß das französische Volk sich als ein Glied der groBen menschlichen Gesellschaft ansah, daß es durch seine Weisheit und sein Beispiel dazu beitrug, den allgemeinen Frieden zu sichern und überall die Gesetze zur Beachtung zu bringen, welche die Natur allen Menschen gewährt hat." ( S. 214.)

c) Blanqui und Louis Blanc. So primitiv und roh Babeufs Sozialismus auch in vielen Punkten war, wurde er doch richtunggebend für diejenigen unter den Sozialisten Frankreichs, die dort nach der Überwindung der bourbonischen Reaktion durch die Julirevolution von 1830 erstanden und im Sozialismus das Vermächtnis der großen Revolution und namentlich der Herrschaft der Pariser Kleinbürger und Proletarier in der Zeit von 1792 bis 1794 erblickten. Sie gingen darauf aus, diese Herrschaft zu erneuern und zu ihren äußersten Konsequenzen fortzuführen. Damit übernahmen sie auch den kriegerischen Geist, der die Kleinbürger und Proletarier jener Zeit beseelt hatte. Sie berührten sich politisch stark mit dem radikalen Teil der bürgerlichen Republikaner, der wie jene Sozialisten an die Traditionen der Jakobiner anknüpfte, sie jedoch nicht sozialistisch auslegte . Die revolutionären Sozialisten dieser Art zerfielen wieder in zwei Richtungen, die diktatorische und die demokratische. Unter den Vertretern der ersten wurde der hervorragendste Auguste Blan-

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qui ( 1805-1881 ) , unter denen der demokratischen Methode Louis Blanc ( 1811-1882) . Auf ihre sehr erheblichen Verschiedenheiten brauchen wir nicht weit einzugehen . In dem Punkte , auf den es uns hier ankommt, stimmten sie überein : in ihrem kriegerischen Denken gegenüber dem monarchischen Europa . Gleich den bürgerlichen Republikanern , die ebenso dachten, übten sie in dieser Hinsicht - natürlich auch in andern Punkten scharfe Kritik an der friedlichen Politik des Bürgerkönigstums . Namentlich der Journalist und Geschichtschreiber Louis Blanc hatte oft Gelegenheit , das zu bekunden. In seiner ,,Geschichte der zehn Jahre 1830-1840" (Ausg. 1841 bis 1844) warf er gleich in der Einleitung der Bourgeoisie Frankreichs vor, daß sie 1814 den Krieg gegen die Feinde Napoleons nicht genügend unterstützt habe. Später berichtet er über die Mogelei Karl X. von Frankreich mit dem Zaren Nikolaus. Karl hoffte seinen wankenden Thron durch eine Verschwörung mit dem Zaren zu sichern . Diesem sollte gestattet werden, sich Konstantinopels zu bemächtigen, dafür wollte Frankreich den Preußen die Rheinprovinz abnehmen . Ferner plante man, den Engländern das ihnen damals gehörende Hannover wegzunehmen und es zum Teil an Preußen zu geben, dem auch ein Teil des Königreichs Sachsen zufallen sollte. Den Österreichern wurde Serbien zugedacht . Der Plan war zu phantastisch kühn, als daß ein bankrottes Regime ihn hätte durchführen können, wie es das Karls X. war. Was aber hatte Louis Blanc dagegen einzuwenden ? Er bemängelte streng, daß es zu wenig sei , wenn Frankreich bloß die Rheingrenze bekäme und dafür Rußland den ganzen Orient preisgebe : „ Wenn man Rußland nach Konstantinopel läßt, ist es dafür eine genügende Entschädigung, daß Frankreich an den Rhein gelangt?" ,,Mußte man der französischen Tatkraft die Bahn verschließen , welche ihr die ungeheure Lücke zu eröffnen schien, die sich im Orient aufgetan ? Wäre ein solches Feld der Betätigung etwa zuviel gewesen für diese Kraft der Ausdehnung, die sich unter der Republik in unsterblichen Katastrophen und unter dem Kaiserreich in wundervollen Eroberungen Luft gemacht hatte?" ( Histoire de dix ans , 1830-1840, Paris 1841. I. S. 151. ) Konnte man die Eroberungspolitik Napoleons maßloser zum Vorbild erheben ? Es kam nicht zu dem Versuch , das russisch-französische Projekt zu verwirklichen. Karl X. wurde vielmehr 1830 in der Julirevolution gestürzt . Daran schloß sich die Erhebung der Belgier gegen das ihnen seit 1815 auferlegte holländische Königtum . Louis Blanc berichtet darüber : ,,Es gab damals in Frankreich zwei Regierungen, die Louis Philipps und die der Klubs (der Revolutionäre , K. ) , die erste berechnend und zurückhaltend, die zweite tätig, leidenschaftlich, lärmend und auf Überraschungen ausgehend . Diese Partei sprach in Paris von Propaganda, sie verlangte, man solle Frankreich bis an den Rhein führen und die Hand auch nach Belgien ausstrecken . Sie bestand im allgemeinen aus jungen Männern, die den Geschäften fremd, nicht sonderlich mit Glücksgütern

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gesegnet waren und folglich in einer dem Krämergeiste geneigten Gesellschaft keinen festen Boden unter den Füßen hatten. Gleichwohl wurde diese Partei von ihrem Ungestüm besser beraten, als die Gegenpartei von ihrer Ängstlichkeit. Dank der Verlegenheit Europas bestand diesmal die Klugheit darin, alles aufs Spiel zu setzen, die scheinbar Verwegensten waren in Wirklichkeit die Besonnensten , denn den Frieden wollte im Grunde jedes der beiden Systeme. Nur nötigte ihn Frankreich ganz Europa auf, wenn es die Verträge von 1815 abschüttelte, während es durch ihre Anerkennung genötigt wurde, um Frieden zu flehen. Und wenn es den Frieden auferlegte so diktierte es seine Bedingungen. Wenn es um Frieden flehte, so erniedrigte es sich zur Unterwerfung unter fremdes Diktat. “ ( II . S. 86, 87.) Es war ein sehr kriegerischer Friede, den Louis Blanc da im Einvernehmen mit den ,,Klubs", den Republikanern, propagierte. Einen Frieden auferlegen , seine Bedingungen diktieren, heißt , den Krieg heraufbeschwören . Dieser drohte hereinzubrechen , wenn man eine Eroberungspolitik forderte, die nach früheren Besitzungen der französischen Republik, nach Belgien und dem Rheinland, die Hand ausstreckte . Aber diese Gebiete, die vorübergehend wirklich französischer Besitz gewesen waren und deren Bewohner zum Teil noch lebhafte französische Sympathien hegten, genügten dem Mann nicht, der in den Fußstapfen der Jakobiner zu wandeln gedachte . Da aus dem phantastischen Plan der Neuaufteilung Europas nichts werden wollte , hatte Karl X. im letzten Jahr seiner Herrschaft noch ein anderes Mittel versucht, die wachsende Unzufriedenheit der Franzosen mit seinem Regime nach außen abzulenken . Der Beherrscher des Seeräuberstaats Algier hatte dem französischen Konsul an seinem Hof wegen einer frechen Bemerkung, die sich dieser erlaubte, einen Schlag mit seinem Fächer versetzt. Das gab der Regierung Frankreichs einen Vorwand, eine große Expedition auszurüsten und Algier zu besetzen , nicht bloß zu dem löblichen Zwecke, den Seeräubereien ein Ende zu bereiten, sondern auch zu dem minder löblichen , im Lande mit Waffengewalt eine brutale Fremdherrschaft aufzurichten, die jahrzehntelang nur durch ewigen Krieg gegen die Eingebornen des Landes zu behaupten war. Louis Blanc brachte es fertig, sich auch dafür zu erklären , dank der Illusion, Algier könne zu einer Stätte sozialistischer Experimente gemacht werden : ,, Das Mittelmeer französisch zu machen, einen fruchtbaren Boden auszubeuten, die Handelsverbindungen Südalgeriens mit Marokko und Tunis zu kräftigen und auszudehnen, sowie endlich einen Abzugskanal für die steigende proletarische Flut (marée des pauvres ) zu eröffnen, die der europäischen Gesellschaft mit baldiger und tödlicher Überschwemmung droht - Idas waren die Aufgaben, die das Glück 1830 uns stellte ..." ,,Es genügte bei weitem nicht, in dem eroberten Algier einen Herd der Seeräuber zerstört zu haben und sich an der Küste Afrikas festzusetzen, um das Befahren des Mittelmeeres gefahrlos zu machen . Die Würde Frankreichs mußte mehr fordern und wagen. Es hatte das Land ausfindig zu machen, das die Zivilisation des Ostens mit der des Westens vereinen kann." ,,Von diesem Standpunkte aus betrachtet, zu welch gewaltiger Höhe

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wuchs da unsere Eroberung an, welche Aussichten eröffnete sie nicht ?! Die Ideen, die seit Beginn des Jahrhunderts im Geiste großherziger Denker keimen und die der Instinkt des Volkes schon von der Ferne begrüßt, konnten ein weites Feld ihrer Anwendung finden. Afrika wurde der kostbare Boden, auf dem ohne Gefahr jene Vorschläge sozialer Erneuerung erprobt werden konnten, die dem alten Europa wegen seiner Gewohnheiten, seiner Vorurteile, seiner politischen und industriellen Konflikte bedrohlich erscheinen. Das bewaffnete Frankreich bereitete den Frieden der Zukunft vor, den eines Tages die Lehre der Brüderlichkeit unter den Menschen herbeiführen wird. Unsere kriegerischen Eroberungen wurden nur noch Eroberungen des menschlichen Geistes . “ ( V. S. 149, 150. ) Mit Schmerz konstatiert Louis Blanc freilich, daß das Bürgerkönigtum diese schöne Aufgabe nicht begriff. Aber immerhin , konnte man begeisterter das Aufrichten einer Seeherrschaft und koloniale Eroberungspolitik als Mittel der Erlösung der Menschheit durch Sozialismus und Weltfrieden anpreisen ? In gleichem Sinn äußerte sich Louis Blanc auch in den historischen Schlußfolgerungen, die er an das Ende seines Werkes setzt . Er verurteilt die Bourgeoisie , weil sie ihre Friedensliebe zu offen bekunde und dadurch den Gegnern Frankreichs Mut mache, es zu demütigen und anzugreifen . „ Die Bourgeoisie wollte leidenschaftlich den Frieden und war unbesonnen genug, das nicht zu verbergen. Sie hat sich in wahnsinniger Übertriebenheit gedemütigt. Deshalb haben sich für sie die Anlässe zum Krieg übermäßig vervielfältigt ..." „Wer dem Krieg durch Mannhaftigkeit (vertu ) und Rechtlichkeit Trotz bietet (affronte) , der erspart es sich, den Frieden erkaufen zu müssen und sichert ihn ..." ,,Man braucht bei uns nicht den Geist der Eroberung zu wecken. Frankreich will nicht die andern Völker zu Untertanen machen . Es liegt im Wesen seines Geistes und ebenso in dem der Mächte, die ihn annehmen, die Welt zu erlösen, nicht zu knechten. Wo die Engländer sich aufdrängen, da säen wir unsere Gedanken. In seiner glorreichen Unfähigkeit, sich zu beschränken (fixer) , gleicht Frankreich dem Nil. Das Gebiet, das es überschwemmt, befruchtet es und dann zieht es sich zurück. Um so mehr Grund hat es, auf seine Kraft bedacht zu sein, denn die Völker, die der Freiheit entgegenmarschieren, würden unter unserer Schwächung leiden und die Zivilisation würde durch unsere Niederlagen beeinträchtigt." ,,Aus seinem wahren Geist geht auch für Frankreich die Pflicht hervor, sich auszudehnen . Mehr noch durch sein Temperament als durch seine geographische Lage ist Frankreich eine Seemacht. Seine mitteilsame Natur, seine kosmopolitischen Leidenschaften verlangen Felder der Betätigung ..." ,,Zehn Jahre des Friedens haben uns mehr geschwächt (brisés ), als es ein halbes Jahrhundert von Kriegen bewirkt hätte. Und wir bemerken es gar nicht ! " (V. S. 502-505. ) Welche Klage eines Sozialisten über die fluchwürdige Friedensliebe der Bourgeoisie ! Eugen Fournière in seiner ,, Geschichte der Regierung Louis Philipps" nennt derartige Äußerungen radikaler Revolutionäre unter dem Bürgerkönigtum ,,bloße Kindereien, die zeigten, wie wenig die französischen Republikaner von 1830-1840 von dem Fieber kuriert waren , in das sie das System Napoleons versetzt hatte.“ (,,Le Règne de Louis Philippe“, S. 223.).

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Aber dieses Fieber hatte schon vor Napoleon in der ersten Republik begonnen, zur Zeit ihrer Propagandakriege, als das Wort geprägt wurde : „ Krieg den Königen und Friede den Völkern." (Vgl. mein „ Krieg und Demokratie“, I. S. 167 und S. 205 ff. ) In ihren Revolutionskriegen fühlten sich die Franzosen als das auserwählte Volk der Revolution. Es sei für diese weit besser veranlagt als die andern Völker. Es habe ihnen die Freiheit und Gleichheit auf der Spitze französischer Bajonette zu bringen. Von diesem Standpunkte aus erschien jeder französische Schlachtensieg als ein Erfolg der Zivilisation, jede französische Eroberung als ein Akt der Befreiung . Diese Auffassung war sehr verbreitet unter den revolutionären Sozialisten sowie unter den bürgerlichen Revolutionären Frankreichs, die noch an den jakobinischen Traditionen hingen. Sie erhielt sich bis ins letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts . Natürlich gab es Unterschiede in dem kriegerischen Denken der revolutionären Sozialisten Frankreich . Diese Unterschiede waren zum Teil individueller Art. Der Chauvinismus konnte besonders stark werden bei einem Sozialisten , der sich in das Studium der französischen Revolutionskriege vertiefte. Die Unterschiede konnten aber auch in Verschiedenheiten der historischen Situation liegen. Das kriegerische Denken trat am intensivsten zutage in Zeiten, in denen die Revolutionäre glaubten, Frankreichs Interessen oder seine Freiheit würden durch fremde Monarchen bedroht. Es waren aber auch nicht alle Sozialisten Anhänger der politischen Revolution.

d) St. Simon. Zwischen dem Tode Babeufs ( 1797) und dem Auftreten Blanquis ( 1830) besteht ein großer Zwischenraum. Es war die Zeit der Gegenrevolution, zuerst des Kaiserreichs, dann des Königtums der Bourbonen, die jede Volksbewegung, damit auch jede Regung revolutionärer Sozialisten unmöglich machte. Eher konnte in diesem Zeitraum die friedliche Spielart des Sozialismus gedeihen . Wir handeln hier nur vom französischen Sozialismus , der Europa mehr beeinflußt hat als der englische , der gleichzeitig aufkam , am glänzendsten vertreten durch Robert Owen (1771-1858) . Der diesem vorausgehende Godwin ( 1750-1830 ) war Anarchist. Die Reihe der utopistischen Sozialisten in Frankreich nach der großen Revolution eröffnet St. Simon. Allerdings, streng genommen, gehört er nicht zu den Utopisten. Ja, man hat sogar bestritten, daß er zu den Sozialisten überhaupt gehört. Er ist eine ganz eigenartige Erscheinung, doch hat er so vieles mit den Sozialisten und namentlich den utopistischen gemein, er hat das sozialistische Denken, besonders das mancher Utopisten, so sehr beeinflußt, daß man ihn als den Ausgangspunkt des sozialistischen

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Utopismus betrachten darf. (Vgl. darüber mein „,Krieg und Demokratie", I. S. 318 ff.) Er ist allerdings nicht unpolitisch, wie die richtigen Utopisten. Er spricht sich für ein parlamentarisches Regime aus. Doch interessiert ihn die Politik wenig. Das entscheidende Moment im gesellschaftlichen Leben ist ihm das ökonomische, ist ihm die Industrie, von deren Entwicklung erwartet er alles. Dabei entdeckt er bereits, daß der Klassenkampf die Triebkraft der Klassengesellschaft ist. Er wird dadurch der Vorläufer von Karl Marx. Jedoch treibt ihn seine Anerkennung der Bedeutung des ökonomischen Faktors nicht dazu , den Gesetzen des ökonomischen Lebens nachzuspüren . Gleich den Utopisten vermeint er, es sei nach den Geboten einer abstrakten Vernunft zu regeln, und er kennt noch nicht das Proletariat, die Lohnarbeiterschaft, als besondere Klasse mit besonderen Klasseninteressen und historischen Aufgaben. Wohl gab es in England zu seiner Zeit schon eine Großindustrie, ein großindustrielles Kapital, das im Gegensatz war zu seinen Arbeitern . Frankreich stand in dieser Beziehung noch weit hinter England zurück. St. Simon hielt es wohl für notwendig, daß die arbeitenden Klassen den Staat einrichten und regieren. Aber zu den arbeitenden Klassen rechnete er, ebenso wie Lohnarbeiter, selbständige Handwerker und Bauern , auch die industriellen Unternehmer sowie Gelehrte und Künstler im Gegensatz zu den „,müßigen " Reichen, z. B. den Großgrundbesitzern . Und die besitzlosen Arbeiter standen zu St. Simons Zeit viel zu tief, als daß er hätte annehmen können, sie vermöchten sich selbst zu befreien das glaubte lange Zeit hindurch keiner der Sozialisten. Sondern die Unternehmer und Intellektuellen sollten die Führer auf dem Wege zu einer neuen höheren Gesellschaftsform werden, die allem Elend ein Ende mache. Die Intellektuellen hätten den Weg zu weisen, die Unternehmer die Mittel und Kräfte zur Erreichung des Ziels herbeizuschaffen. Von dieser Auffassung führte keine Brücke zu Marx, dagegen bildete sie die Verbindung zum Utopismus. War St. Simon auch nicht so unpolitisch wie die eigentlichen Utopisten, so teilte er mit ihnen doch die Abneigung gegen die Revolution . Namentlich die Schreckensherrschaft von 1793 kritisierte er scharf. Sie schien ihm zu beweisen, daß die Herrschaft der Besitzlosen nur Unheil und Elend bringen könne. In seinen „,Briefen eines Bewohners von Genf“, 1803 , ruft er den Besitzlosen zu : ,,Seht hin, was in Frankreich eintrat, als Eure Kameraden dort an der Macht waren, sie führten die Hungersnot herbei ." ( Oeuvres de St. Simon, Paris 1868, I. S. 41 , 42. ) Und weiter : „ Die Anwendung des Prinzips der Gleichheit hat zu furchtbaren Grausamkeiten geführt als natürliche Folge davon, daß sie die Macht in die

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Hände der Unwissenden legte. Und sie erzeugte eine ganz unhaltbare Form der Regierung. " (Oeuvres, I. S. 46, 47.) Im Jahre 1817 gab St. Simon ein Werk heraus, im Verein mit einigen seiner Schüler, namentlich A. Thierry. Es war betitelt : ,,Industrie." Er kam dort auf die französische Revolution zu sprechen und meinte, sie hätte kurz und unblutig verlaufen können, wenn Frankreich eine Insel war wie England . Die Liberalen wären dann die Führer der Revolution geblieben . Aber unglücklicherweise geriet Frankreich in Krieg mit benachbarten Monarchen. Dabei siegten wohl die Liberalen über die Monarchen und die pri-

vilegierten Klassen . ,,Doch die Liberalen unterlagen den unwissenden Proletariern , die sie bewaffnet hatten und die sich der Regierung bemächtigten. Die Liberalen bekamen damals gleich zu spüren , daß etwas eintreten konnte, das noch tausendmal schlimmer war, als das ancien regime. Die Erfahrung zeigte ihnen, daß die Regierung der unwissenden Masse die schädlichste von allen ist. Glücklicherweise kann die Staatsmacht nicht lange in solchen Händen bleiben." ( St. Simon, Oeuvres 1868, II . 177, 178.) Mit dieser Furcht vor der Revolution der Besitzlosen ging aber Hand in Hand der Haß gegen den Krieg. Und darin entsprach St. Simon ebenso der Denkart der Großindustriellen seiner Zeit, wie der der Arbeiterfreunde . Sein Wesen barg in gleicher Weise die Keime eines hochstehenden Liberalismus wie die eines fruchtbaren, konstruktiven Sozialismus in sich. Die eine wie die andere Seite dieses Wesens verlangten nach Frieden. Ich habe in meinem „ Krieg und Demokratie" wiederholt darauf hingewiesen , daß das industrielle Kapital bis zu den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts ausgesprochen friedensfreundlich war . Wir haben eben das Buch über die ,,Industrie" zitiert. Es war ein Sammelwerk, verfaßt von St. Simon und einigen seiner Schüler. Sein Untertitel lautete : ,,Politische, moralische und philosophische Diskussionen im Interesse aller mit nützlichen und selbständigen Arbeiten beschäftigten Menschen." Es trug das Motto : ,,Alles durch die Industrie und für die Industrie." Es heißt dort unter anderem : ,,Ein Volk, das sich der Industrie widmet, ist aufs höchste an der Erhaltung des Friedens interessiert, denn der Krieg verhindert das Produzieren und das Kaufen, er unterbricht jeden Verkehr und verschließt alle Wege des Austauschs . In zweiter Linie ist es daran interessiert, daß auch seine Nachbarn untereinander Frieden halten, damit sie jederzeit imstande sind, ihre Verpflichtungen zu erfüllen." ,,Den Interessen eines Industrievolks entspricht also am besten eine Politik, die den eigenen Frieden ebenso wie den der Nachbarn bewahrt.“ ,,Aber auch für ein Volk, das frei sein will, gibt es keine größere GeiBel, als den Krieg. Jede militärische Organisation in einer Nation lastet auf dem Volk ebenso schwer wie auf den Nachbarn. Jeder rekrutierte Mann ist ein Werkzeug in der Hand der Regierung. Und in Kriegszeiten werden alle Gesetze aufgehoben, auf denen die Freiheit beruht und der Mißbrauch der absoluten Gewalt wächst ..." ,,Wie die Industrie kann auch die Freiheit bei den modernen Völkern bloß im Frieden gedeihen."

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,,Und wie es für ein Industrievolk keine nützlichere Einwirkung auf andere Völker gibt, als dort seine Industrie zu verbreiten ( propager) , so gibt es auch für ein freies Volk gegenüber andern Völkern bloß eine der Freiheit nützliche Art des Handelns : sie bei ihnen zu fördern." ,,Eine freie Nation kann eine Stütze nur in andern Nationen finden, die ebenso frei sind, wie sie . " ( Oeuvres, II. S. 54-56 .) St. Simon und seine Schüler verurteilten aufs kräftigste den Krieg. Aber dabei blieb der Denker einer höheren Gesellschaft nicht stehen . Er ersann und propagierte auch das Mittel , Kriege überflüssig, ja unmöglich zu machen . Das Mittel wurde durch die Natur der Sache gegeben , es war nicht schwer zu ersinnen, doch gehörte in einem Zeitalter kriegerischer Militärmonarchien große Kühnheit dazu , es zu verkünden. Es war dasselbe Mittel, das schon Campanella ersehnt und dann der Quäker John Bellers herausgefunden und empfohlen hatte : ein allgemeiner Staaten- oder Völkerbund . Die Zeit des Wiener Kongresses erschien St. Simon als der geeignete Moment, davon in einer Schrift zu handeln , auch diesmal in Verein mit einem Schüler, seinem Sekretär, dem jungen Augustin Thierry, dem er mehrfach die Ausführung seiner Ideen überließ . Thierry zögerte anfangs, sich als Mitverfasser zu nennen und dadurch zu kompromittieren . Das Buch ist vom Oktober 1814 datiert und trägt den langatmigen Titel : „ Von der Reorganisation der Europäischen Gesellschaft oder von der Notwendigkeit und den Mitteln , die Völker Europas in einem einzigen politischen Körper zu vereinigen und doch jedem Volk seine nationale Unabhängigkeit zu erhalten, verfaßt von dem Herrn Grafen ( M. le comte) von Saint Simon und von A. Thierry, seinem Schüler." ) In dem Buche forderte St. Simon die Verwandlung Europas in einen Völkerbund . Das sei das einzige Mittel, den Frieden zu sichern. Dabei aber erkannte er bereits, daß die oberste Behörde dieses Bundes wenig erreichen würde, wenn sie eine Versammlung von Delegierten der Regierungen darstelle . Und schon gar nicht ließen sich absolute Monarchien zu einem allgemeinen Bund unter eine zentrale Behörde vereinigen : ,,Europa wird die bestmögliche Organisation besitzen, wenn jede der Nationen, die es umschließt, von einem Parlament regiert wird und sie alle die Oberhoheit ( suprématie ) eines allgemeinen Parlaments anerkennen , das allen nationalen Regierungen übergeordnet und mit der Macht begabt ist, ihre Streitigkeiten zu entscheiden. “ ( II . Buch, 1. Kap .) Aber St. Simon ging noch weiter. Das Völkerparlament würde nicht viel leisten können , wenn seine Mitglieder nur von nationalen Gesichtspunkten geleitet würden , wenn sie nicht das empfänden , was man „ europäischen Patriotismus nennen kann. “ Um diesen zu erreichen , sollen die Abgeordneten zu diesem Parlament weder ¹ ) Es mag auffallen, daß der Sozialist, der Gegner des müßigen Feudaladels, der zu beseitigen sei, auf seinen Grafentitel solchen Wert legte. Aber tatsächlich gelang es ihm nie, den Adelsstolz los zu werden , was sich mitunter in sehr komischer Weise äußerte. So betonte er oft, daß er von Karl dem Großen abstamme.

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von der Regierung noch vom Parlament ihres Staates erwählt werden, sondern direkt von der Bevölkerung. Das ist ein großer und äußerst fruchtbarer Gedanke. So wäre auch das Deutsche Reich nicht eine Einheit geworden, wenn die Abgeordneten zu seinem Reichstag von den Landtagen, statt direkt vom Volke gewählt worden wären. Dieser Gedanke ist heute wichtiger als je. Solange er nicht verwirklicht ist, wird der Völkerbund seine Mission höchst unvollkommen erfüllen können. St. Simons Vorschlag blickt weit über seine Zeit hinaus . Trotzdem trägt er ihre Spuren . Bei dem damaligen Zustand der Volksmasse fürchtet er, ihr politische Macht zu verleihen . Auch glaubt er, sie gehe in lokalen Interessen auf, sei einer internationalen Politik nicht fähig. Und damit hatte er für seine Zeit wohl recht , nicht bloß für Bauern und Kleinbürger, sondern auch für Lohnarbeiter der Industrie . Internationales Verständnis und Interesse suchte St. Simon nur bei Gelehrten, Künstlern , Beamten und Kapitalisten. Heute gilt bekanntlich das Umgekehrte . Die Internationalität findet ihre festeste Stütze im Proletariat. Dagegen wurzeln lokale und nationale Beschränktheit bei Kapitalisten und vielen Intellektuellen ebenso tief wie bei Bauern und Kleinbürgern. Aus seiner Auffassung zieht St. Simon die Konsequenz , den Massen nur das aktive Wahlrecht zum Völkerparlament zu geben, und zwar nur dem unterrichteten Teil der Massen. Das passive Wahlrecht nur den oben genannten Gebildeten : „In Europa soll eine Million Männer (hommes, jedenfalls wurden von St. Simon hier die Frauen nicht mit inbegriffen , K. ) , die lesen und schreiben können, zum Unterhaus des europäischen Parlaments einen Geschäftsmann (négociant ) , einen Gelehrten, einen Verwaltungsbeamten (administrateur) und einen Richter (magistrat ) erwählen. Nehmen wir an, daß es in Europa 60 Millionen Männer gibt , die lesen und schreiben können, würde die Kammer aus 240 Mitgliedern bestehen." Jeder der Gewählten soll über einen Grundbesitz verfügen, der mindestens 25.000 Francs Rente abwirft . ( II . Buch , 2. Kap .) Neben dem Parlament soll Europa auch einen gemeinsamen zuerst gewählten, dann erblichen König und ein Oberhaus mit zuerst vom König ernannten , dann erblichen Mitgliedern bekommen , ganz nach englischem Muster. Vergessen wir nicht, St. Simon fürchtete die Massen und die Revolution. Und die demokratische Republik schien nach den Erfahrungen von 1792 und 1793 untrennbar verbunden zu sein mit proletarischer Schreckensherrschaft. Trotz dieser Konzessionen an die Verhältnisse , in denen er lebte, erhob sich St. Simon in der Frage des Völkerbundes noch in einem sehr wesentlichen Punkte über die Beschränktheit seiner Zeitgenossen . Er stellte nicht bloß die Forderung des Völkerbundes auf, er suchte auch nach einem praktischen Mittel , ihn herbeizuführen und überragte dadurch die Philosophie des kategorischen Imperativs,

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die den ewigen Frieden nur als fernes, kaum erreichbares Ziel hinstellte, nach dem man seufzen, für das man nichts tun könne. Die zwei stärksten , aber auch liberalsten und ökonomisch höchststehenden Staaten Europas, sagte St. Simon, seien England und Frankreich. Wenn England und Frankreich sich verbündeten, könnten sie für ganz Europa den Frieden sichern . Dies Bündnis. müssen wir anstreben, dann vermögen wir heute schon mit der Organisation Europas zu beginnen. Frankreich und England , bereits mit parlamentarischen Institutionen begabt, sollen sich vereinigen unter einem gemeinsamen Parlament. Sie sollen bei den andern Staaten den Übergang zum Parlamentarismus fördern und jedes Land, das eine Repräsentativverfassung erlangt, soll veranlaßt werden, sich dem Bund anzuschließen und Abgeordnete in das gemeinsame Parlament schicken. ,,So wird sich die Organisation Europas unmerklich vollziehen, ohne Kriege, ohne Katastrophen, ohne politische Revolutionen. " ( III . Buch, 1. Kap.) England und Frankreich hätten triftige Gründe, sich zu vereinigen, denn beide seien von Revolutionen bedroht . England stehe vor dem Staatsbankerott wegen der ungeheuren Staatsschuld, die der Krieg mit sich gebracht, in Frankreich sei die Monarchie der zurückgeführten Bourbonen gar nicht fest begründet . So wie in England die in seiner ersten Revolution abgesetzten Stuarts nach ihrer Rückkehr durch eine zweite Revolution verjagt wurden, drohe ein gleiches Geschick den Bourbonen - so sah St. Simon 1814 bereits die Julirevolution von 1830 voraus. Allerdings erschien sie ihm nicht unvermeidlich . Doch fand er nur ein Mittel, dem drohenden Umsturz hier wie dort zu entgehen den Bund beider Länder unter einem gemeinsamen Parlament. Der würde dem ökonomischen Leben in England wie in Frankreich einen gewaltigen Antrieb verleihen. Die Vorteile des Bundes wären um so größer, je allgemeiner er würde. Als Land, welches nächst England und Frankreich am meisten Grund hätte, ihn anzustreben, käme Deutschland in Betracht. Es gehe einer Revolution entgegen, denn es stehe geistig ebenso hoch wie jene Staaten, bleibe aber in seiner politischen Verfassung hinter ihnen zurück. Die deutsche Revolution werde noch tiefergehend sein als die englische und französische, da sie nicht bloß die Aufgabe habe, die Herrschaft des Feudaladels und des Absolutismus zu überwinden, sondern auch die, aus einem Konglomerat kleinerer Staaten einen Einheitsstaat zu bilden . Gelinge das, dann werde Deutschland die erste Rolle in Europa spielen . ,,Die erste Aufgabe des anglo -französischen Parlaments wird es sein , die Reorganisation Deutschlands zu beschleunigen, indem es (jenes Parlament) dahin wirkt, die deutsche Revolution zu verkürzen und weniger schrecklich zu gestalten ..." „ Ist die Zeit gekommen, in der der englisch -französische Bund durch die Vereinigung mit Deutschland vergrößert und ein gemeinsames Parla-

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ment für die drei Nationen eingerichtet ist , dann wird die Reorganisation des Restes Europas erleichtert und beschleunigt.“ ( III . Buch , 12. Kap . ) Welch kühner Gedanke im Jahre 1814 !

Schon Friedrich Engels imponierte die Vorurteilslosigkeit, Kühnheit und geistige Größe, die aus diesem Vorschlag St. Simons sprach. Er sagt von ihm : „ Mit gleicher Überlegenheit über seine Zeitgenossen proklamierte er 1814, unmittelbar nach dem Einzug der Verbündeten in Paris und noch 1815, während des Kriegs der 100 Tage, die Allianz Frankreichs mit England und in zweiter Linie beider Länder mit Deutschland als einzige Gewähr für die gedeihliche Entwicklung und den Frieden Europas. Allianz den Franzosen von 1815 predigen mit den Siegern von Waterloo , dazu gehörte allerdings mehr Mut, als den deutschen Professoren einen Klatschkrieg zu erklären. “ ( „ Herrn Eugen Dührings Umwälzung d. Wissenschaft“, S. 277.) Auch heute noch ist die Idee , den Völkerbund ausgehen zu lassen von einer engen Verbindung der Großmächte untereinander, von praktischer Bedeutung. Die Wirksamkeit des Völkerbundes setzt auch heute noch eine Verständigung der entscheidenden Großmächte über die wichtigsten internationalen Fragen voraus. Nur gehören dazu heute nicht mehr bloß Frankreich mit England und Deutschland, sondern vor allem die Vereinigten Staaten und Rußland. St. Simon ging aber in seinem internationalen Eifer nicht bloß so weit, gleich nach dem Kriege eine so enge Verbindung zwischen den bis dahin Kriegführenden zu fordern, daß sie ein gemeinsames Parlament für gemeinsame Angelegenheiten möglich machte. Er wollte sogar dem damaligen ,, Erbfeind" der Franzosen in dem anglo-französischen Parlament das Übergewicht zugestehen : ,,In England sollen auf je eine Million Männer, die schreiben und lesen können, zwei Abgeordnete kommen, in Frankreich nur einer." ,,Diese Anordnung ist aus zwei Gründen wichtig : einmal, weil die Franzosen noch wenig Geschick in der parlamentarischen Politik haben und daher die Vormundschaft der Engländer brauchen, die eine längere Erfahrung hinter sich haben. Dann deshalb, weil England durch die Zustimmung zur Verbindung mit Frankreich ein Opfer bringt, dieses dagegen aus ihr nur Vorteile zieht. “ ( III . Buch , 2. Kap . ) Dieser Vorschlag bezeugt eine außerordentliche Freiheit von jedem Chauvinismus und ist insofern hoch anzurechnen . Trotzdem ist er, gerade vom Standpunkte der Internationalität, sehr unzweckmäßig. Diese kann nur gedeihen auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung der Nationen. Jede Hinaushebung der einen über die andere, wie immer sie begründet werden mag, macht jede wirkliche Internationalität unmöglich . Auch die größten Verdienste einer Nation, etwa um die soziale Wissenschaft oder die soziale Revolution, dürfen ihr keinen Vorrang vor den andern in einer Organisation verleihen, die eine internationale sein will. Die starke internationale Note, die St. Simon anschlug, wurde fortgesetzt von seinen Schülern . Viele von ihnen legten seine Leh-

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ren immer mehr in rein sozialistischem Sinne aus, begründeten die Schule des St. Simonismus. Die Internationalität und der Pazifismus des Meisters, aber allerdings auch seine Gegnerschaft gegen die Revolution , wurden bei den Schülern nicht gemindert. Nur ein Beispiel : In seinem Buch über die „ Nationalökonomie des St. Simonismus" (Verdeutscht von R. Villaret, Leipzig 1905 , das Original führt den Titel : „ Economie politique et Politique", Paris 1832) schreibt Prosper Enfantin : 99Wen sehen wir seit 1789 auf der politischen Bühne ? Advokaten, Militärs und Müßiggänger. Und was tut man in der Kammer? Man streitet hin und her und prügelt sich." ,,Zunächst regieren die Rechtsgelehrten, und in kurzer Zeit ist die oberste Gewalt nur noch ein Geschworenengericht, ein Revolutionstribunal." ,,Bonaparte kommt, er setzt diese Schwätzer im Amtskleid und diese Henker im Barett vor die Türe. In seinem Haß gegen die Ideologen ersetzt er sie durch die Statisten ; den gerichtlichen Hinrichtungen folgen die militärischen, dem Schaffot das Schlachtfeld, den Todesurteilen die Kriegserklärungen, dem Friedenskleid das Schwert." (Dtsch. Ausg. S. 95.) „ Wir wollen von jetzt ab vielmehr nur Verständnis und Liebe erwekken für die neue Ordnung der Dinge, auf die die Menschheit zuschreitet, die allgemeine Genossenschaft aller Völker, in der Müßiggang, Rechtsverdrehung und Krieg nicht mehr herrschen werden. Sie werden ihren Platz abtreten der Industrie, der Wissenschaft und allen Tugenden des Friedens." ""Während die Verteidiger der Vergangenheit Frankreich mit schrecklichen Katastrophen bedrohen, während die gegenwärtigen Politiker, Doktrinäre oder Liberale, zu glauben scheinen, daß sie nur noch zu entscheiden haben, ob Gewehr und Kanone gegen das Volk in Anwendung zu bringen sei, künden wir Kinder St. Simons, angesichts dieser Voraussagen von Blut und Tränen eine Zukunft des Friedens und der Liebe an, weil wir wissen, die Menschheit begeht keinen Selbstmord.“ ( S. 100. ) In der Praxis ihrer pazifistischen Politik zeigten sich die St. Simonisten nicht immer konsequent. Im Jahre 1831 empfehlen sie einen Bund Frankreichs mit England und Preußen --— nach dem Vorgang ihres Meisters. Sie meinten, er werde genügen , Rußland von Europa fern zu halten und den Frieden zu bewahren. Rußland werde seine Truppen nach dem Osten schicken. ,,Dessen Zivilisierung überlassen wir dem Zaren." (Zitiert bei E. Fournière ,,,Louis Philippe", S. 122. ) Im Interesse des Friedens in Europa förderte man den Krieg gegen China . Wie der leidenschaftliche Pazifismus der Quäker aus der Periode der inneren und äußeren Kriege der ersten englischen Revolution herauswuchs, so der nicht minder leidenschaftliche, doch nicht mehr religiös begründete Pazifismus St. Simons und seiner Schüler aus der Periode der Revolutionskriege und ihrer Fortsetzungen von 1792-1815.

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e) Fourier. Unter den großen sozialistischen Denkern , die aus der französischen Revolution hervorgingen, ist neben St. Simon Charles Fourier als der bedeutendste zu nennen . Trotzdem können wir seine Haltung in der Kriegsfrage etwas rascher erledigen als die St. Simons. Nicht, weil er weniger dem Krieg abhold gewesen war, sondern weil ihn diese Frage weniger beschäftigte. Fourier war der richtige, typische Utopist und als solcher völlig unpolitisch, viel mehr als St. Simon, der wohl das Primat der Ökonomie vor der Politik betonte, aber doch lebhaftes Interesse und Verständnis für diese bezeugte. Und auch die Revolution suchte St. Simon zu begreifen, so unsympathisch sie ihm war, namentlich die Revolution der arbeitenden Massen. Fourier dagegen hat für Politik und Revolution nur Geringschätzung übrig. In ihrem Buch über ,,Die Lehre Fouriers" (Jena 1914) sagt Käthe Asch darüber (S. 23) : ,,Wie Fourier die Politik als Ganzes ablehnt, soweit sie als eine abstrakte Wissenschaft auftreten will , weist er entsprechend die politischen Parteien zurück, teils wegen ihrer inhaltslosen Forderungen, teils wegen ihrer selbstischen Interessen . In den Revolutionären, welche das Agrargesetz (die Aufteilung des Grundbesitzes, K. ) und andere demagogische Theorien vertraten, sah er lediglich Zerstörer, die das Volk gewissenlos zu blutigen Aufständen verleiten. Ihre Politik führe in der Praxis zu dem Ergebnis : Die Großen berauben, um die Intriganten zu bereichern . ' ( Publication des manuscrits, III . p . 291 zit. bei Bourgin, S. 167) . Und alle die angeblichen neuen Theorien, die sie bringen, seien nur alte Hirngespinste' unter der Maske der Neuheit. “ ( III . p. 57. ) ,,Die Liberalen hält Fourier zwar nicht für im gleichen Sinne gefährlich, wie die Revolutionäre, aber ihre politische Unfruchtbarkeit erscheint ihm nicht minder groß." Wie St. Simon , wie alle Sozialisten seiner Zeit war auch Fourier überzeugt, das Proletariat sei ganz und gar unfähig, sich selbst zu befreien. Gleich St. Simon wendete sich Fourier an die Mächtigen und Reichen , um ihnen zu beweisen , daß ihr wohlverstandenes Interesse mit dem der Armen und Elenden übereinstimme , daß sie also alle Ursache hätten, diesen zu helfen . Doch St. Simon richtete seinen Appell an ganze Klassen, an breite Schichten, an die Klasse der Unternehmer, an die Gelehrten und Künstler insgesamt, und schließlich, da in der Reaktionszeit diese machtlos geworden waren, an das wiederhergestellte Königtum . Fourier dagegen wendete sich nur an einzelne vermögende Personen. Die sollten ihm die Mittel geben, den Aufbau der neuen Gesellschaft zu beginnen . Daher mußte dieser Beginn auf die bescheidensten Dimensionen herabgedrückt werden. Während St. Simon den ganzen Staat für seine riesenhaften Projekte in Anspruch zu nehmen gedachte , wollte Fourier mit einem ganz kleinen Gemeinwesen anfangen, einem Phalanstere , das zunächst nur 200 Mitglieder zu haben brauchte , einer so unscheinbaren Gründung, daß sie keinem Staatenlenker Furcht einflößen konnte und

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zur Not mit den Mitteln eines einzelnen Reichen zu errichten war. Es ist bekannt, daß Fourier stets auf den Millionär wartete , der ihm das Geld zum Aufbau eines Phalansteres vorstrecken sollte. Doch beschränkte er sich nicht darauf, den Besuch des Millionärs in seiner Stube abzuwarten. Leute, von denen er hoffte , die nötigen Mittel zu erhalten , forderte er direkt auf, ihm solche zu geben . Er verhieß ihnen, die Ausgabe würde sich reichlich bezahlt machen , denn das Phalanstere müßte ein glänzendes Geschäft werden und allenthalben zur Nachahmung reizen. Erheiternd ist folgendes Detail, das Fournier erzählt, in seinem Buch über Louis Philippe (S. 314) : „ Fourier lädt direkt Rothschild ein , von dem man damals sagte, er habe die Absicht, die jüdische Nation zu emanzipieren und wiederherzustellen. Er (Fourier) bietet diesem Vorläufer des Zionismus die Mittel an, den Traum zu verwirklichen, , in Jerusalem einen jüdischen Monarchen einzusetzen, der seine Flagge, seine Konsuln, seinen diplomatischen Rang haben sollte."" Ja, so reiche Erträge erwartete Fourier von seinen Phalansteres, daß sie Rothschild, wenn dieser sich an ihrer Gründung beteiligte, sogar die Kraft geben würden , „ nicht nur König von Judäa, sondern auch Kaiser von Chaldäa zu werden, der das Königtum des Libanon oder Judäas einem seiner Brüder übergeben könnte. " Dieser Appell an den jüdischen Patriotismus ist um so komischer, wenn man sich erinnert, daß Fourier ein ausgesprochener Antisemit war. Einer der schlimmsten Vorwürfe , die er den Männern der französischen Revolution machte, war der, den Juden das Bürgerrecht verliehen zu haben, Leute, von denen keiner Ackerbau treibe , die dagegen alle dem Handel ergeben seien. Handel und Händler haßte Fourier aufs gründlichste. Bei seiner unpolitischen, ja antipolitischen Denkweise mußte Fourier der Krieg von vornherein abscheulich erscheinen. Ist doch der Krieg nur die Fortsetzung der Politik. Wohl ist eine Politik möglich, die jeden Krieg zu vermeiden sucht, dagegen gibt es keinen Krieg , der nicht aus einer bestimmten Politik hervorgeht . Nur für deren Verfechter erhält ein Krieg, der ihr dient, einen Sinn. Für jeden andern ist er eine infame Schlächterei. Eine Zeitlang interessierte Fourier allerdings das Kriegswesen sehr. Er wurde 1793 zur Armee eingezogen, er gehörte ihr bis 1797 an, nicht mit Widerwillen, sondern mit Interesse, denn er beschäftigte sich gern mit Fragen militärischer Organisation . Er hatte das Kriegswesen verbessern wollen, ehe er daran gegangen war, die Gesellschaft zu verbessern . Zuerst erwartete er das Kommen des Weltfriedens auf sonderbare Art. Im Jahre 1803 veröffentlichte er in einer Lyoner Zeitung einen Artikel, betitelt : ,,Das kontinentale Triumvirat und der ewige Friede in dreißig Jahren." Fourier führte dort aus, daß von den vier Großmächten des

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europäischen Festlandes zuerst Preußen verschwinden müsse. Es sei aufzuteilen zwischen Österreich und Rußland . Dann aber würde Rußland mit Frankreich vereint über Österreich herfallen und dieses vernichten. Schließlich werde ein Endkampf zwischen Frankreich und Rußland über die Beherrschung des europäischen Festlandes entbrennen und eine dieser Mächte zur Herrin nicht nur dieses Gebietes , sondern auch Englands und der ganzen Welt machen. Auf solche Weise würden wir zum dauernden Frieden kommen . Diese Annahme entsprach ganz dem Charakter der Kriege der Revolution und Napoleons. Nach 1815 erschien diese Methode, den Weltfrieden zu erreichen und zu sichern, nicht mehr zeitgemäß. Und vorher schon hatte Fourier seine soziale Utopie im wesentlichen fertig ausgearbeitet. Da sich Fourier seitdem nicht mehr viel mit Politik abgab, sprach er auch selten mehr von Krieg. Aber wenn er es tat, brandmarkte er ihn aufs schärfste . In seiner ,,Theorie de l'Unité Universelle“ zuerst 1822 erschienen , handelt er davon , daß im Zustand der Zivilisation zwei Drittel der Mitglieder der Gesellschaft unproduktiv seien, wahre Parasiten. ( III. S. 173-179. ) Zu den sozialen Parasiten zählt er unter anderen die Militärs : „ Die Landarmeen und Kriegsflotten entziehen der Arbeit den kräftigsten Teil der Jugend, den größten Teil der Steuereingänge. Dadurch wird diese Jugend der Verderbtheit zugeführt, da sie gezwungen ist, einer parasitischen Funktion die Jahre zu opfern, die sie dazu benutzen sollte, sich für die Arbeit zu bilden, für die man im Militärstand jeden Geschmack verliert." ,,Der ganze Aufwand an Menschen und Geräten, den man Armee nennt, wird nur dazu verwendet, nichts zu produzieren . Er harrt seiner Verwendung zum Zerstören. Davon werden wir später handeln. Hier betrachten wir die Armee nur als Ursache gesellschaftlicher Stockung." Später heißt es: „ Die Männer ( agents ) der positiven Zerstörung sind jene, die Hungersnot und Pest organisieren oder dem Krieg dienen. Die Ordnung der Zivilisation läßt ihren hohen Schutz den Förderern der Hungersnot und Pest angedeihen . Sie hält Spekulanten und Türken in Ehren , sie ermuntert zu jeder Art von Erfindungen, die den Verwüstungen des Krieges dienen, wie Congreve-Raketen oder Lamberti-Kanonen." Früher schon, im 1. Band des genannten Werkes, untersucht er, was hinter den Prahlereien vom Fortschritt der Zivilisation stecke und zählt die Leiden auf, die die ,, Philosophie", eigentlich die Revolution, im Laufe des letzten Menschenalters , also seit dem Beginn der Umwälzung Frankreichs gebracht habe . Neben : den Schäden des Kapitalismus nennt er hauptsächlich die Intensivierung der Kriege und ihrer Schäden . Als solche nennt er : ,,Eine auf rascheste Zerstörung gerichtete Taktik, die die Verwüstungen des Krieges vervielfacht , die Gewohnheiten der Barbaren wieder wachruft, die Vendées, Guerillas, die allgemeine Wehrpflicht (levées en masse) Sogar Frauen und Kinder werden in den Krieg hineingezogen." (Unité Universelle I. S. 167 ff.)

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Dieser Brandmarkung des Krieges entspricht es, daß Fourier, ebenso wie Campanella, Bellers und St. Simon , an einen Völkerbund dachte. Die unterste Einheit der von ihm entworfenen Organisation der Menschheit sollte das Phalanstere bilden, mit etwa 1600 Einwohnern. Fourier erwartete natürlich , angesichts der märchenhaften Vorteile, die er von seinen Organisationen erhoffte, die Erde werde bald ganz mit Phalansteren überdeckt sein. Es werde mehr als zwei Millionen Phalangen geben. Diese suchte er in einer Weltorganisation zusammenzufassen, die sich in keiner Weise an die jetzigen Staatsgrenzen halten sollte . Sprache, Münze, Maß und Gewicht sollten für alle die gleichen sein. Diese Weltorganisation will Fourier merkwürdigerweise monarchisch eingerichtet sehen, doch haben die Monarchen in ihr nichts zu sagen. Bebel sagt darüber in seinem Buch über ,,Fourier", Stuttgart 1907, 3. Auflage : ,,Ist die ganze Erde einmal mit Phalangen bedeckt, so wird sich auch die Notwendigkeit einer allgemeinen Einteilung in Reiche verschiedener Grade ergeben, die, wie alles bei ihm, geometrisch abgemessen sind.“ ,,Der oberste Leiter des Erdballs ist der Omniarch, der in Konstantinopel, der Hauptstadt der Welt, seinen Sitz hat , dann folgen 3 Auguste, 12 Cäsarinnen, ungefähr 48 Kaiserinnen , 144 Kalifen, 576 Sultane, 1721 Königinnen, 6912 Kaziken usw. Man fragt sich freilich vergeblich, was alle die Fürsten und hohen männlichen und weiblichen Würdenträger in dieser sozialen Organisation für einen Zweck und eine Bedeutung haben, inwiefern ihre Funktionen für das Gedeihen dieser phalansteren Gesellschaft notwendig sind. Darüber gibt auch Fourier keine Auskunft. Sie gehören eben in sein System, das bemüht ist, den Trieben und Neigungen, wir pflegen auch zu sagen, den Schwächen der Menschen nach Titeln und Auszeichnungen, Rechnung zu tragen . Auch hofft er, daß sein System in um so höherem Grade die Unterstützung der höheren Klassen finden werde, als er ihnen besondere Aussichten für die Erlangung von Titeln und Würden eröffnete." (S. 120, 121. ) Nicht nur das System monarchistischer Titel und Würden , mit denen Fouriers Weltreich so überreichlich gesegnet ist, sondern auch dieses selbst ist für den großen sozialen Denker nur eine Gedankenspielerei . Sein ganzes Interesse, sein ganzer Scharfsinn gilt dem Aufbau seines Phalansteres, das im wesentlichen autark sein, die übrige Welt nicht brauchen soll . Dadurch unterscheidet sich Fouriers Weltreich sehr von St. Simons Völkerbund, der für seinen gesellschaftlichen Neubau eine sehr wesentliche Einrichtung ist, wohlbegründet durch bestimmte gesellschaftliche Bedingungen und Bedürfnisse . Käthe Asch übertreibt meines Erachtens die Bedeutung von

Fouriers Weltreich für die Entwicklung des Gedankens der Internationalität in der sozialistischen Bewegung . Sie sagt : ,,Da in diesem Universalreich alle Gewalt, alle Klassenvorrechte, alle nationalen und ethischen Unterschiede aufgehoben sein sollten und ein einziges Friedensgesetz herrschend aus der ihm innewohnenden Überzeugungskraft, so kann man Fourier im extremsten und an das Unwirkliche

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grenzenden Sinn des Wortes einen Vorläufer des kosmopolitisch internationalen Sozialismus nennen .“ ( S. 158. ) Der internationale Sozialismus geht nicht auf Beseitigung ,,aller nationalen und ethischen Unterschiede" aus, sondern vielmehr auf Zusammenfassung aller Nationen zu gemeinsamem Wirken, was etwas ganz anderes ist . Derartiges gemeinsames Wirken suchen wir vergebens bei Fourier, daher finden wir auch bei ihm kein Band, das die Nationen zusammenhalten könnte. Weit mehr als in Fourier, haben wir in St. Simon den Begründer des Gedankens der Internationalität im modernen Sozialismus anzuerkennen.

f) Considérant . Wir haben zu Zwecken der Kennzeichnung die zwei Richtungen des revolutionären und utopischen Sozialismus voneinander geschieden. Doch nicht alle Sozialisten gehörten streng der einen oder der andern Richtung an . Und je länger die sozialistische Bewegung dauerte, desto mehr beeinflußte jede der beiden Richtungen die andere. Seit der Julirevolution erstarkte rasch das Proletariat Frankreichs, namentlich in Paris, und es begann sich immer mehr vom Kleinbürgertum loszulösen , ein eigenes Klassenbewußtsein zu entwickeln. In demselben Maße zwang es auch die demokratischen Revolutionäre immer mehr, sich mit seiner ökonomischen Lage, seinen ökonomischen Bedürfnissen zu beschäftigen, sowie mit den Mitteln, diese zu befriedigen . Darüber aber fand man die tiefsten und kühnsten Gedanken bei den Utopisten. So kamen die revolutionären Sozialisten immer mehr dazu, von den Utopisten zu lernen. Gleichzeitig erfüllte sich jedoch das Proletariat bei steigendem Klassenbewußtsein immer mehr mit politisch-revolutionärem Denken im Sinne der demokratischen Republik. Das konnte nicht ohne Rückwirkung auf die Freunde des Proletariats bleiben . Die politische Indifferenz vieler Utopisten wich immer mehr politischem Radikalismus. Aus stillen , friedlichen Organisatoren kleiner Produktionsstätten wurden kühne, nach politischen Taten drängende Kämpfer. So ging der schon erwähnte Louis Blanc von der Verherrlichung der französischen Revolution und namentlich des Konvents und der Bergpartei aus, doch bald erfüllte er sich mit st .- simonistischen und fourieristischen Ideen, wußte sie aber mit seiner Hochhaltung der Revolution und des allgemeinen Wahlrechts zu vereinbaren. Ein anderer sozialistischer Denker, der seine Tätigkeit als Kämpfer für die revolutionäre Demokratie begann, war der Advokat Cabet ( 1788-1856) . Er machte eine ähnliche Entwicklung durch, vom Revolutionär zum Utopisten. Er wurde ein solcher in

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einem Maße , daß ihm schließlich jedes Interesse und Verständnis für die Revolution verloren ging. Das brachte ihn , den die Pariser Arbeiter eine Zeitlang vergöttert hatten , 1848 mit einem Mal um allen Einfluß. Die Wendung vom Politiker zum friedlichen Utopisten , der politischen Kampf mied, blieb etwas Seltenes . Häufiger vollzog sich der umgekehrte Weg vom Utopisten zum Politiker. Er wurde um so häufiger beschritten , je mehr das Proletariat erstarkte , ein selbständiges Klassenbewußtsein erhielt und in Klassenkämpfe eintrat, die notwendigerweise politischen Charakter annahmen , sobald sie aufhörten , auf engbegrenzte Lokalitäten oder Berufe beschränkt zu bleiben und Bedeutung für das ganze Staatswesen bekamen. Ein Beispiel für diesen Entwicklungsgang bietet uns Victor Considérant ( 1808-1893 ) , der bedeutendste Schüler der Fouriers. Gleich Fourier hatte Considérant für Demokratie und Revolution anfangs wenig übrig. Doch konnte er sich der allgemeinen Zeitströmung nicht entziehen und sein Interesse für die Demokratie wuchs. Das wurde sehr dadurch gefördert, daß Considérant ein Mann der Tat war, der sich nicht in seine Studierstube vergrub und auf Millionäre wartete, sondern sich in das Gewühl des Marktes stürzte und dort die Lehren seines Meisters zu verbreiten suchte. Seiner lebhaften Propaganda war vor allem das Wachstum der fourieristischen Schule zu danken, die 1843 bereits so weit kam, ihr in Paris erscheinendes Organ,,,La Phalange", in eine Tageszeitung zu verwandeln , die den Titel erhielt : Die friedliche Demokratie ( La Démocratie pacifique ) . Considérant wurde der leitende Redakteur, der frühere Offizier zum Anwalt friedlicher Methoden . Er verfaßte den Programmartikel, betitelt ,,politisches und soziales Manifest der friedlichen Demokratie". Der Artikel wurde 1847 neu herausgegeben unter dem Titel : „ Prinzipien des Sozialismus, Manifest der Demokratie des 19. Jahrhunderts ."¹) Considérant wendete sich in seinem Manifest gegen Revolution und Kommunismus, und pries die zivilisatorische Arbeit der Zaren in Rußland . Für uns hier sind am bemerkenswertesten in dem Manifest die Ausführungen über den Krieg. Es sagt über die auswärtige Politik der Fourieristen : ,,Der Krieg ist in unseren Augen nichts als ein Überrest der Barbarei, eine erbärmliche Erbschaft. Sie wird sich nicht lange behaupten können im Schoße des gesitteten, wissenschaftlich hochstehenden industriellen und christlichen Europa, angesichts der Zunahme und der Regelung der wissenschaftlichen, industriellen und kommerziellen Beziehungen der Völker, der Raschheit und Ausdehnung der Verkehrsmittel, der Fortschritte des gemeinen Rechts und des religiösen Empfindens." „ Die Völker beginnen zu begreifen, daß sie bei den Kriegen nichts ¹ ) ,,Principes du Socialisme, Manifeste de la Démocratie du XIXe Siècle", Paris, Librairie Phalansterienne , 1847.

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gewinnen. Mit Blut beflecken diese die Welt, ihr gemeinsames Vaterland." „ Der Krieg wird nicht endgültig ausgerottet sein, solange nicht die Mächte das gegenwärtige diplomatische Verfahren der großen Konferenzen und Kongresse weiter entwickeln und das System des europäischen Zusammenwirkens ( concert ) regeln , indem sie aus dem Kongreß der Mächte eine dauernde Einrichtung machen , die bestimmt ist, das gemeine Recht festzulegen, alle allgemeinen Beziehungen zu regeln, die Vergesellschaftung (association ) der großen internationalen und interkontinentalen Interessen herbeizuführen sowie Gegensätze auszugleichen , die ehedem Kriege entzündet hätten." ,,Diese souveräne Einrichtung wird die Schöpfung des 19. Jahrhunderts sein. Sie besteht bereits, es handelt sich nur darum, sie zu regeln. Für sie spricht die herrschende Strömung der Interessen und der Ideen.“ ( S. 66, 67.) Der Utopist sah hier ganz richtig den kommenden Völkerbund voraus. Aber als Utopist ohne politischen Sinn vergaß er zu fragen, welches die politischen Bedingungen für das Gelingen des Völkerbundes seien. Von den absoluten Regierungen, die vor 1848 Europa beherrschten, erwartete er, was nur demokratische Republiken (oder Staaten mit bloßen Scheinmonarchien) hervorbringen können und auch die nur, wenn die ehrlich demokratischen Parteien in ihnen maßgebend sind. Das setzt heute eine große Kraft der Sozialdemokratie voraus, die immer mehr die einzige zuverlässige Stütze der Demokratie wird. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen weist Considérant darauf hin , daß das so hochentwickelte Frankreich die Aufgabe habe ,,die Initiative bei dem Werk der Organisierung des Weltfriedens zu ergreifen". Das Manifest Considérants bezeugt deutlich, daß er 1847 noch hartnäckig an dem ganzen Ideengehalt des Fourierismus festhielt. Und doch bereitete sich in ihm eine Wandlung vor, durch das Erstarken des Proletariats, aber auch durch das des Fourierismus . Wir haben schon bemerkt, daß die Fourieristen 1843 bereits imstande waren, eine tägliche Zeitung herauszugeben . Eine solche kann nicht reine Theorie treiben, sie muß zu allen Tagesereignissen Stellung nehmen . Die „ Démocratie Pacifique" fand sich oft vor die Frage gestellt : entweder mit dem Proletariat kämpfen oder es im Stiche lassen. Das letztere lag durchaus nicht im Sinne Considérants. Seine Geringschätzung der Demokratie und der Revolution wurde ihm gründlich ausgetrieben, als im Februar 1848 die Revolution ausbrach und das Proletariat für einige Tage Paris und durch Paris Frankreich beherrschte. Die ungemessensten Hoffnungen erwachten, und selbst die friedlichsten Utopisten wurden von trotzigem Kampfeseifer für die Sache des Proletariats in der Revolution beseelt . Selbst Cabet unterbrach die utopistische Weltflucht, der er verfallen war, für einige Tage gleich nach dem Sieg der Revolution. Bei Considérant und vielen andern Fourieristen dauerte die Teilnahme am revolutionären Sturm länger an, obwohl sie viel mehr im Gegensatz zu ihrer ganzen Vergangenheit stand als bei Cabet .

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Eine Reihe von Fourieristen kandidierte zur Nationalversammlung, unter ihnen vor allem ihr geistiges Haupt, Considérant. Er wurde gewählt und nahm seinen Platz auf der äußersten Linken , wo er sich als unerschrockener und energischer Verteidiger der demokratischen Republik und der Rechte des Proletariats bewährte. Die Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze, die Notwendigkeit des Klassenkampfes begriff er allerdings auch jetzt noch nicht. Stets trat er für die Armen und Elenden in der Nationalversammlung ein, doch suchte er immer wieder nach einer Versöhnung mit den Gegnern . Die Entwicklung der Republik nach dem Sieg vom Februar trieb immer mehr der furchtbaren Auseinandersetzung der Junischlacht entgegen, in der das Proletariat blutig niedergeschlagen wurde. Darüber schrieb Considérants Freundin , Frau Coignet : „Angesichts einer derartigen Katastrophe fiel Considérant aus allen Wolken. Das Departement Loiret hatte ihn in die Konstituante entsandt, wo er bei der Bergpartei seinen Sitz nahm . Verzweifelt über den blutigen Kampf wirft er sich zwischen die kämpfenden Parteien, beschwört die einen , die Waffen niederzulegen , die andern , ihre Befürchtungen zu beschwichtigen und Hoffnungen zu geben." (Madame C. Coignet, „ Victor Considérant, sa vie, son œuvre ", Paris 1895, S. 42.) Wie gegen den Bürgerkrieg und für den friedlichen Ausgleich der Klassengegensätze trat Considérant auch für die Verbrüderung der Völker und die Verhinderung von Kriegen ein. Seine eben zitierte Freundin, Frau Coignet, beschreibt die äußere Politik, die er 1848 in vollem Einklang mit seinem Manifest von 1843 in seinem Organ „ Démocratie Pacifique" forderte : ,,Das Ziel , das wir uns zu setzen haben, ist nicht der Wohlstand, die Kraft, das Ansehen eines einzelnen Volkes ; es ist der Bund aller Völker, die einheitliche Verwaltung des Erdkreises durch einen ständigen Kongreß, der seinen Sitz in Konstantinopel hat. Konflikte sind durch Schiedsgerichte zu überwinden . Frankreich , das Volk der Initiative, soll den Weg in dieser Richtung eröffnen , indem es die egoistische und unehrliche Diplomatie durch eine hochherzige und loyale Diplomatie ersetzt und einen Zollverein mit den Völkern abschließt, die seinen Tendenzen am nächsten stehen, den Schweizern , Belgiern, Deutschen, Italienern. Der Zollverein soll schließlich alle europäische Nationen umfassen. Die barbarischen Länder werde man neutralisieren und in verständnisvoller Zusammenarbeit eine soziale ( sociétaire ) Kolonialpolitik betreiben mit dem doppelten Zweck, wüstes Land zu kultivieren und die Völker zu heben und zu entwickeln, die noch im Stadium der Kindheit stehen . “ ( Coignet, „ Considérant “ S. 43 , 44.) Sein Streben nach brüderlichem Ausgleich der Gegensätze hatte in der äußeren Politik nicht mehr Erfolg, als in der inneren. Nicht besser ging es ihm bei seinem Bestreben , die verschiedenen sozialistischen Schulen miteinander zu versöhnen. Er wird zurückgewiesen von Louis Blanc und gerät in eine Polemik mit Proudhon. In einem Punkte zeigt sich Considérant als entschlossener Kämpfer ; in seiner Feindschaft gegen Louis Napoleon . Sie verschärft sich in demselben Grade, in dem dieser als Präsident immer höher steigt .

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Die „ Démocratie Pacifique" wurde ein energisches Kampforgan gegen Napoleon . Sie bildete das Zentrum des Widerstandes gegen ihn, als es am 13. Juni 1849 zu einer großen sozialdemokratischen Manifestation gegen den reaktionären Kurs kam, die mißglückte. Die ,,Démocratie Pacifique" wurde nun verboten, Considérant selbst des Hochverrats angeklagt, weil er einen Aufruf zumWiderstand gegen die Diktaturgelüste Napoleons ausgearbeitet hatte. Considérant entzog sich der Haft durch die Flucht nach Brüssel. Damals hatte die Revolution in Frankreich sowie die Hinneigung der fourieristischen Schule zur Politik ihr Ende erreicht. Die prinzipiell revolutionären Sozialisten wurden durch die Reaktion nicht entmutigt, wenn auch vorübergehend zur Untätigkeit verurteilt. Die prinzipiell jede gewaltsame Revolution ablehnenden Sozialisten dagegen hatten nur durch den Sturm der Revolution in den Kampf der Revolutionäre hineingerissen werden können. Sobald der Sturm abflaute , hörten sie wieder auf, Revolutionäre und Politiker zu sein . Das bedeutete nicht eine feige Desertion , sondern nur das Aufgeben einer Position , in die sie nach ihrem Wesen nicht hineinpaßten. Wie dem Sozialismus blieb Considérant dem Pazifismus treu. Kaum ins Exil getrieben und der Beschäftigung mit der inneren Politik seines Landes entzogen, machte sich Considérant daran, für seinen Pazifismus in der äußeren Politik Propaganda zu machen. Er widmete eine eigene Schrift ganz den pazifistischen Gedanken. Sie erschien 1850 in Brüssel, als der Niedergang der Revolution bereits unverkennbar zutage lag, indes gleichzeitig auch das Aufkommen eines bonapartistischen Regimes in Frankreich die Gefahr neuer Weltkriege mit sich brachte . Tatsächlich begann mit dem Krimkrieg 1854 wieder eine Kriegsära, die bis 1878 dauerte. An ihrem Beginn steht Considérants mahnende Schrift : „ Der letzte Krieg und der definitive Friede in Europa ." Es war mir nicht möglich, das Büchlein aufzutreiben , obwohl es in den verschiedensten öffentlichen Bibliotheken Österreichs und Deutschlands gesucht wurde . Aber wir haben keine Ursache, anzunehmen, daß es in einem andern Sinn gehalten war als der ganzen fourieristisch-pazifistischen Auffassung Considérants entsprach . Er blieb seinen Idealen treu, doch war er nicht imstande, im Laufe der vielen Jahre, die er noch lebte, sich zu einer neueren höheren Auffassung fortzuentwickeln . Er verfolgte die neueren sozialistischen Auffassungen mit großem Interesse, empfand aber schmerzlich, daß sie sich von den seinigen zu sehr entfernten , als daß er hätte für sie eintreten können ( Coignet,,, Considérant" , S. 95) . Wenn auch nicht als aktiver, so ist er doch als überzeugter Fourierist gestorben, wie er gelebt ( 1893) . Der Fourierismus hatte

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schon vor ihm seine Lebenskraft verloren. Doch der Pazifismus sollte ihn überleben und immer größere Kraft erlangen . g) Proudhon.

Eine ganz eigenartige Stellung unter den Sozialisten nimmt der 1809 geborene Buchdrucker Peter Josef Proudhon ein. Mit den Utopisten teilte er die Geringschätzung der Politik und der politischen Revolution, das einseitige Interesse für ökonomische Neubildungen : Indes unterschied er sich von ihnen - und dadurch daß er die Befreiung des Prolekam er dem Marxismus nahe tariats nicht von dem Wohlwollen der Bourgeoisie , allerdings auch nicht von der Diktatur einer kleinen „ Vorhut ", sondern nur von der Tätigkeit der Masse des arbeitenden Volkes selbst erwartete. Doch im Gegensatz zu Marx und darin ganz in Übereinstimmung mit den Utopisten, aber auch den Putschisten, zweifelte er an den politischen Fähigkeiten des Proletariats, an der Möglichkeit, es könne durch Ausnützung demokratischer Rechte die Staatsmacht erobern und sie dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft dienstbar machen. Er meinte , die Beteiligung an der Politik müsse es notwendigerweise korrumpieren oder verwirren und zum bloßen Stimmvieh der herrschenden Klassen degradieren . Das heißt, er zweifelte an der Befähigung des Proletariats für die Staatspolitik. Die geistigen Kräfte der Arbeiter schienen ihm nur auszureichen für die beschränkte Kommunalpolitik. Dementsprechend setzte er dem Proletariat nur eng begrenzte Ziele, wie Arbeiterbanken und Versicherungskassen. Diesen kleinen Zielen verlieh Proudhon jedoch anscheinende Größe durch die Kühnheit seines Denkens, und vor allem seiner Sprache, die vor keiner hervorragenden Persönlichkeit haltmachte, jede schonungslos kritisierte, mochte sie im bürgerlichen Lager stehen oder im sozialistischen . Sein ,,System der ökonomischen Widersprüche oder Philosophie des Elends" ( ,, Système des contradictions économiques ou Philosophie de la misère") das 1846 erschien , veranlaßte bekanntlich Marx zu seiner berühmten Streitschrift gegen Proudhon ,,Das Elend der Philosophie". Von der Proudhonschen Schrift sagt mit Recht E. Fournière in seinem Buch über ,,Louis Philippe" , S. 553 : Mit gleicher Wut zertrümmert er dort den Saint Simonismus, den Fourierismus, den Kommunismus Cabets und der Revolutionäre sowie den Staatsreformismus Louis Blancs, und zu gleicher Zeit weist er die empörenden Schlußfolgerungen der liberalen Ökonomen zurück, die finden, es stehe alles gut in der besten aller Gesellschaftsformen. “ Diese Wut, mit der sich Proudhon unterschiedslos gegen alle Sozialisten und Ökonomen ohne Ausnahme wandte, erklärt die Schärfe, mit der Marx ihn zurückwies. Sie erklärt aber auch, daß er so manchem Gegner des Bestehenden imponierte und ihn fesselte. Worte wie das vom Eigentum ,

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das Diebstahl sei, fanden ein lautes Echo und wirkten aufrüttelnd , namentlich wenn man das zahme Denken übersah, das sich hinter dem kecken Ausdruck verbarg. Es fiel Proudhon nicht ein , das Eigentum abschaffen zu wollen und ebensowenig forderte er dazu auf, den Staat zu zertrümmern , auch wenn er dessen Schäden noch so sehr geißelte und die Anarchie pries. Diese Geißelung erweckte einen revolutionären Schein, befriedigte die Gegner des bestehenden Staatswesens, aber ohne dieses zu gefährden. Denn nicht zur Revolution rief Proudhon auf, sondern nur dazu , den Staat mit stiller Verachtung zu strafen, ihn zu ignorieren . Mitunter ließ er gar von den Repräsentanten der Staatsgewalt erwarten, sie würden von selbst auf ihre Macht verzichten , den Staat auflösen. Er setzt in dieser Beziehung zeitweise größtes Vertrauen in Napoleon III. Völlig blind stand dem Mann des Staatsstreichs der scharfsichtige Kritiker gegenüber, der wähnte, allen Sozialisten und Demokraten turmhoch überlegen zu sein. Die Ablehnung aktiver Teilnahme an der Staatspolitik, die er mit den Utopisten gemein hatte, führte ihn ebenso wie diese zur Ablehnung nicht nur gewaltsamer Insurrektionen und Revolutionen, sondern auch der Kriege zwischen den Staaten. Wo er Gelegenheit hatte, vom Krieg zu sprechen, wendete er sich gegen ihn. So kam er Juli 1852 in seinem Buch über „ Die soziale Revolution und der Staatstreich" auf die Tatsache zu sprechen, daß es in Frankreich drei Klassen gebe , aber sechs Parteien . Als die eine unter ihnen nennt er die bonapartistische, die er keineswegs mit Louis Napoleon, damals noch Präsident, identifiziert. ,,Die bonapartistische Partei trachtet das Begehren des Proletariats durch den Krieg zu befriedigen oder zu täuschen.“ ( S. 207.) Merkwürdig, daß er meinte, das Proletariat sei eher der Kriegsbegeisterung fähig, als Bourgeoisie und Kleinbürgertum. Proudhon weist darauf hin, daß der erste Napoleon versucht habe, sich durch den Krieg zu behaupten, dieses „,abscheuliche Hilfsmittel". (S. 208. ) Es habe schließlich gegen ihn entschieden. ,,Und nun, welchen Krieg wird Louis Napoleon machen ? Zu welchem Zweck? Gegen wen ? Mit wem? Ich stelle diese Fragen, ohne auf ihre Beantwortung zu dringen. Ich möchte nichts sagen, das auch nur den Anschein einer Herausforderung oder Ironie hätte.“ Proudhon kommt zu dem Schlusse, es sei ebenso unmöglich geworden, mit den Parteien , wie ohne sie oder gegen sie zu regieren. ,,Sie durch Polizeimittel zum Schweigen zu bringen oder sie von ihrer Bahn durch den Krieg und Abenteuer abzulenken : unmöglich .' Nur eines erschien ihm möglich : daß irgend jemand die Kraft erhält, alle Parteien zu absorbieren . Er sagte vom 2. Dezember, 1851 dem Tag des Staatstreichs , der Napoleons III . Despotismus begründete : „Was ich für die augenblickliche Regierung sage, gilt auch für die ihr folgenden: Der 2. Dezember muß sich entschieden auf die Grundlage stel5

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len, die allein ihm seine Existenzberechtigung gibt, und sich ohne Rückhalt , ohne Zweideutigkeit zur sozialen Revolution bekennen.“ (S. 209.) Natürlich fand es Louis Napoleon weit sicherer, bei der Polizei und in Kriegen seine Zuflucht zu suchen als bei der sozialen Revolution, die Proudhon naiv genug war, dem Henker der Republik suggerieren zu wollen . Der zweite der Kriege des zweiten Napoleon, der italienische von 1859, veranlaßte Proudhon , ein eigenes, zwei Bände umfassendes Werk über die Frage des Kriegs zu schreiben ,,,Krieg und Frieden" (La guerre et la Paix, Paris 1861 ) . Er bekundet darin wieder seinen pazifistischen Standpunkt , aber wie bei allem, was er schrieb, in einer verblüffenden, paradoxen Weise. Die erste Hälfte seines Werkes enthält eine Verherrlichung des Krieges, wie sie der begeistertste Militarist sich nicht besser wünschen kann. Der Krieg sagt er, ist in der Menschennatur tief begründet, ein Appell an das Recht der Gewalt, das ursprünglichste, elementarste aller Rechte ; er ist die erste Offenbarung des Rechts, das alle andern Rechte erst möglich machte, auf dem die ganze Gesellschaft und die ganze Zivilisation beruht. Der Krieg war bisher der einzige Motor der Zivilisation . Der Krieg ist gerecht, ja geradezu heilig. Er ist das Moment, das den Menschen über das Tier erhebt, denn da sieht Proudhon richtig nur Menschen führen Krieg miteinander, nicht Raubtiere : „ Die Wölfe und Löwen bekriegen einander ebensowenig, wie Schafe und Biber . Schon seit langem hat man aus dieser Beobachtung eine Satire auf das Menschengeschlecht gemacht. Doch im Gegenteil zeigt sie uns unsere Größe. Hätte, was unmöglich, die Natur aus dem Menschen ein ausschließlich produzierendes ( industrieux ) und soziales und keineswegs kriegerisches Tier gemacht, er wäre vom ersten Tag seines Bestehens an auf das Niveau der Tiere herabgesunken , deren ganze Bestimmung in ihrer gesellschaftlichen Vereinigung aufgeht ...“ ,,Philanthropen, ihr sprecht davon, den Krieg abzuschaffen . Hütet euch davor, das Menschengeschlecht zu degradieren . " ( I. S. 33. ) Als ein abschreckendes Beispiel dafür, wie tief ein Staatswesen durch beständigen Frieden sinken kann, führt er die Vereinigten Staaten an. Die Amerikaner verständen es ausgezeichnet zu produzieren und Geld zu machen, aber sie hätten keine Ideen , keine Poesie, keine Religion, keine sozialen Ziele. An alledem soll die Tatsache schuld sein, daß sie seit dem Unabhängigkeitskrieg fast in stetem Frieden lebten. Die Amerikaner selbst sollen das schmerzlich empfinden und sich nach einem Kriege sehnen . Sie werden ihn bekommen : ,,Gott möge es denn bewirken , daß der Krieg sie rettet , wenn es nicht schon zu spät für sie ist, sich durch den Krieg einen Glauben, ein Gesetz, eine Verfassung, ein Ideal, einen Charakter zu geben. “ ( I. S. 55. ) Noch mehr. Der Krieg setzt das Recht des Stärkeren durch, das ,,im Grunde einzig rationelle, das einzig ehrenhafte, das einzig legitime." (S. 284. )

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Das stärkere Volk ist stets auch das bessere . Der Krieg also ein Gottesurteil. Darum sprach sich auch Proudhon gegen die Wiederherstellung Polens aus , das bereits ausreichend durch den Krieg definitiv zum Tod verurteilt worden sei . ( II . S. 324. ) Während des polnischen Aufstands veröffentlichte er eine Schrift gegen ihn. Er meinte, die Polen gediehen am besten unter russischer Herrschaft. Das alles hört sich für das sozialistische Denken ganz schrecklich an. Doch ist es nicht so böse gemeint, wie es aussieht . Im zweiten Band seines Werkes trennt Proudhon das Gewebe wieder auf, das er im ersten Bande mit einem Aufwand von viel Mühe und Geist hergestellt hat. Im zweiten Bande zeigt er, daß der Krieg zwei Seiten hat, eine schöne, erhabene und eine häßliche und gemeine, er habe ein doppeltes Gesicht , das eines Engels und das eines Teufels . Und wir erfahren auch gleich, daß das Engelsgesicht der Idee des Krieges innewohnt, und die Teufelsfratze der Anwendung des Krieges, also seiner Wirklichkeit. (II. S. 84.) Daß der Krieg in der Idee, die sich Proudhon von ihm macht, etwas unaussprechlich Herrliches bedeutet, wollen wir ihm gern zugeben. Uns beschäftigt nur der Krieg, wie er wirklich ist. Und er gebraucht ausdessen Bestialität bezweifelt Proudhon nicht drücklich dieses Wort, obwohl es eigentlich falsch ist, denn Proudhon hat selbst und mit Recht darauf hingewiesen, daß der Krieg etwas ist, das die Menschen von den Bestien unterscheidet und über sie erhebt , wie er meint. Woher kommt es, daß der Krieg, der in der Idee so schön ist, in Wirklichkeit so entsetzliche Formen annimmt? Das rührt daher, sagt Proudhon, daß an Stelle der politischen Motive ökonomische Ursachen des Krieges treten. Der aus politischen Ursachen hervorgehende Krieg ist der herrliche Krieg , der ökonomisch motivierte ist der gemeine. Der Krieg der Idee nach, als Mittel, das Recht des Stärkeren durchzusetzen , entspringt politischen Motiven. Der stärkere Stamm oder Staat zwingt schwächere Stämme oder Staaten, sich ihm anzuschließen. Dadurch kommen die weniger begabten und weniger leistungsfähigen Völker unter die Leitung der höherstehenden. So wird der Krieg ein Mittel der sozialen Höherentwicklung, wird er selbst geadelt, denn eine hohe Leidenschaft, der Patriotismus, beseelt die Kämpfenden . Aber leider gibt es auch andere Kriege, die nicht aus politischen, sondern aus ökonomischen Gründen hervorgehen , aus dem , was Proudhon eine Störung des ökonomischen Gleichgewichts in einem Volke nennt. Hier entwickelt Proudhon eine sonderbare ökonomische Theorie. Er unterscheidet zwischen pauvreté und pauperisme. Die pauvreté ist eine anständige Armut, die über nichts Überflüssiges 5*

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verfügt, jedoch auch nicht darbt. Es ist die luxuslose Einfachheit des zufriedenen Kleinbürgers. Der Pauperismus dagegen ist das schmutzige Elend des Proletariats. Allgemeine kleinbürgerliche Armut ist der wünschenswerteste Zustand der Gesellschaft, derjenige Zustand, den Gott will ( II . S. 104) . Die Arbeit vermag nicht mehr zu schaffen, als der Mensch notwendig braucht , nicht mehr als ihm gestattet, im Zustand der anständigen Armut zu leben. Das ist der Zustand des ökonomischen Gleichgewichts , der Zustand allgemeinen Glücks. Mehr vermöchte auch die sozialistische Gesellschaft nicht zu leisten. Aber leider begnügen sich die Menschen nicht damit. Sie verlangen nach Wohlstand, nach Reichtum , nach Luxus. Der ist aber nur zu erreichen durch Aufhebung des ökonomischen Gleichgewichts, durch Beraubung der Masse der anständig Armen , die dadurch zu Elenden werden, zu Paupers. Nun kommt die Habgier über die Menschen, der Drang, der Not abzuhelfen : einer der Wege dazu ist die Plünderung der Nachbarn . So gewinnt jetzt der Krieg einen andern Charakter. Aus einem politischen wird er ein ökonomischer, aus einem Mittel, die begabteren Völker zu den Leitern der übrigen zu machen, wird er zu einem Mittel bloßen Beutemachens. An Stelle der Methoden und Ziele der Ritterlichkeit treten jetzt die des Räubers und Mordbrenners. In Wirklichkeit freilich verhielt sichs ganz anders. Ich habe darüber schon in den ersten Kapiteln des 1. Bandes von ,, Krieg und Demokratie" gehandelt. Die Ursachen der Kriege waren in letzter Linie immer ökonomischer Natur. Gerade zuerst, im Urzustand allgemeiner Gleichheit , des ökonomischen Gleichgewichts , waren es nur Notstände, die zeitweise manchen Stamm zwangen , sich des Gebiets des Nachbarn, oft auch seiner Habe zu bemächtigen . Später treten Arbeitsteilung und Verschiedenheiten der Lebenslage zwischen den Stämmen auf, so daß die einen arm sind, andere reich ; die einen kriegerisch und andere friedlich . Nun bekriegen die Armen und Kriegerischen die Friedlichen und Wohlhabenden, um sie zu unterjochen und auszubeuten . Jetzt kommt der Eroberungskrieg auf, der politische Krieg, wie Proudhon ihn nennt . Diejenigen , die ihn führen, werden zu großen Ausbeutern . Sie machen den Krieg zu einer ständigen Einrichtung. Nicht die Notlage des Pauperismus treibt sie, sondern das Streben nach Ausdehnung des Ausbeutungsgebiets, d . h. des von ihnen beherrschten Staates. Dieses Streben findet keine Grenzen , es ist maẞlos . Der Eroberungskrieg, der politische Krieg, ist im Grunde ebenso ein ökonomischer Krieg wie der einfache Plünderungskrieg von Barbaren. Daß er nicht einem Notstand der Massen, sondern der Habgier einer Herrenklasse entspringt, macht ihn nicht sympathischer. Die ,, edlen" patriotischen Gefühle, die dem Krieg seine hohen moralischen Funktionen

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verleihen sollen, sind aber in den primitiven ökonomischen Kriegen der urkommunistisch-demokratischen Stämme weit eher zu finden als bei den späteren „,politischen" Kriegen von Aristokratien und Monarchien. Erst das Aufkommen der modernen Demokratie mit ihren Revolutionskriegen und Nationalkriegen schafft wieder Raum für erhebende patriotische Gefühle im Kriege , aber auch jetzt noch mit sehr fragwürdigen Resultaten . Und gerade diese Kriege sind Proudhon sehr unsympathisch. Schon deswegen, weil sie Kriege der Massen sind. ,,Wäre der Krieg ein Duell zwischen Diplomaten und Generalen, dann könnte man ihn wohl reformieren. Aber er ist ein Kampf der Massen und diese haben nichts Ritterliches an sich. Die Ehre ist die Seele des Rittertums : die Plünderung ist die Seele des Krieges , gerade das macht ihn populär . ,, Der König erobert, ... die Masse plündert ..." ( II . S. 197, 198.) Bei Proudhon kommen in bezug auf den Krieg die Könige und Ritter besser weg als das Volk. Die Massen und ihre ökonomischen Motive beherrschen nach seiner Auffassung in den letzten drei Jahrhunderten immer mehr die Kriege und darum werden diese immer weniger ritterlich in ihren Methoden und immer scheußlicher in ihren Wirkungen . Wir seien nahe daran, daß ein Krieg zwischen zwei Großmächten den. Sieger dazu bringt, dem Besiegten die verderblichsten Bedingungen aufzuerlegen. Gleichzeitig ruiniert das Wettrüsten im Frieden immer mehr die Staaten. Es lasse sich auf die Dauer nicht fortführen. Aber auch die weitere Steigerung der Kriegsmethoden sei unmöglich geworden . Die Entwicklung des Kriegs müsse eine neue Richtung einschlagen, im Gegensatz zu der bisherigen. Diese Umkehr erwartet Proudhon von der Wiederherstellung des ökonomischen Gleichgewichts , von der Abschaffung des Pauperismus. Gelingt das, dann wird es möglich, den Frieden zu organisieren. ,,Der Friede erzwungen mit der Spitze des Schwertes, ist nie mehr als ein Waffenstillstand ; der Friede, der in einem Winkelkonzil von Nationalökonomen und Quäkern ausgearbeitet wird, wirkt ebenso lächerlich wie der bekannte Kuß des Lamourette.' ) Nur die arbeitende Menschheit ist imstande, dem Krieg ein Ende zu setzen, indem sie das ökonomische Gleichgewicht wieder herstellt, was eine radikale Revolution der Ideen und Sitten voraussetzt ." ( II. S. 300. ) ¹ ) Einer der Abgeordneten der französischen gesetzgebenden Versammlung der großen Revolution, Lamourette , forderte nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Frankreich und den verbündeten Monarchen, in einer bewegten Rede (7. Juli 1792 ) , angesichts der Gefahr des Vaterlandes solle es keine Parteien mehr geben, nur noch Brüder. Begeistert umarmten und küßten sich die Deputierten , der König wurde geholt , um an dem Überschwang der Versöhnung teilzunehmen . Natürlich verflog diese Stimmung schon in den nächsten Tagen . Wenige Wochen später kam es zum Sturm auf die Tuilerien, zu der Verhaftung des Königs , den Septembermorden. K.

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An eine andere Revolution , an eine Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen den Klassen, dachte Proudhon nicht. Er spöttelte über die Friedenskongresse der Manchestermänner und Quäker die Kongresse der Arbeiterinternationale sollte er nicht mehr erleben. Sie wurde 1864 begründet, kurz vor seinem Tode , der 1865 eintrat. Ein Jahr darauf, 1866, fand ihr erster Kongreß statt. Außer einer vagen Aussicht auf eine ,, Revolution der Ideen und Sitten" weiß Proudhon nichts über die Faktoren zu sagen, die den allgemeinen Friedenszustand herbeiführen sollen . Ist aber ein solcher Zustand überhaupt erwünscht ? Hat nicht Proudhon darauf hingewiesen, daß der Krieg aus der Natur des Menschen hervorgeht, daß ohne ihn das Element verschwindet, das den Menschen über das Tier erhebt? In der Tat, das vergiẞt Proudhon keineswegs . Immer wiederholt er, es könne sich nicht darum handeln , den Krieg einfach abzuschaffen. Er sei vielmehr zu ändern . ,,Diese Änderung nenne ich den Frieden." ( II . S. 289.) Er kommt zu dem Ergebnis : ,,Der Gegensatz, den wir als Gesetz der Menschheit und der Natur akzeptieren, muß für den Menschen nicht notwendig die Form eines Faustkampfes, eines Kampfes der Leiber annehmen. Er kann ebensogut ein Kampf der Industrie und des Fortschritts sein : das kommt im Geiste des Kriegs und für die Ziele der hohen Zivilisation, die er anstrebt , in letzter Linie auf dasselbe hinaus. “ ( II. S. 294. ) An Kühnheit fehlt es diesem logischen Saltomortale sicher nicht eine Tätigkeit des Zerstörens wird einer Tätigkeit des Produzierens gleichgesetzt . Beide sollen schließlich ,,auf dasselbe hinaus" kommen, da die eine wie die andere einen Kampf gegen einen Gegensatz bedeutet. Trotz dieser Kühnheit hätte selbst der in solchen Dingen höchst unerschrockene Proudhon den Saltomortale nicht gewagt, wenn er nicht die produzierende Arbeit vom Standpunkt der Warenproduktion betrachtet hätte, die für ihn die Form der Produktion überhaupt ist. In der Warenproduktion aber schaffen die Produzenten als Konkurrenten , also gegeneinander in einer Art Kriegszustand. Er übersah, daß selbst bei der Warenproduktion das nur die eine Seite des Produktionsprozesses ist. Man produziert als Konkurrent, im Gegensatz zu den andern Produzenten der gleichen Branche . Die Produzenten anderer Produktionszweige sind aber nicht Konkurrenten, sondern Kunden . Die Warenproduktion ist eine Form gesellschaftlicher Produktion der Menschen für einander. Und sie ist nicht die einzige mögliche Form der Produktion. Bis vor wenigen Jahrhunderten überwog auf dem Erdball die Form direkt gesellschaftlicher Arbeit in den primitiven Gemeinwesen und schon machen sich Vorboten einer neuen Form solcher Arbeit geltend , bei denen jeder Anschein einer Konkurrenz zwischen den Produzenten ausgeschlossen ist . Was die menschliche Produktion von ihrem Anbeginn bis

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heute unter allen Formen kennzeichnet, ist ihr Charakter als Kampf der vergesellschafteten Menschen gegen die Natur. Das, und nicht einen Kampf von Mensch gegen Mensch, stellt die Produktion unter allen Umständen dar. Und darum ist die Industrie nicht eine bloße ,,Transmutation", Umwandlung des Krieges, wie Proudhon sie nennt, sondern sein gerades Gegenteil . Dieser Kampf gegen die umgebende Natur, nicht der Kampf gegen seinesgleichen, ist so alt wie das Menschengeschlecht. Alles das Große, Erhebende, Zivilisatorische, das Proudhon vom Krieg zwischen Gemeinwesen rühmt, rührt in Wirklichkeit in besonders hohem Grade und lange vor jeglichem Krieg zwischen Menschen vom Krieg des Menschen gegen die ihn umgebende Natur mit den Mitteln der Technik her. Das hat Proudhon nicht begriffen, weil er in seinem Denken über die Schranken des Kleinbürgers und Warenproduzenten seiner Zeit nicht hinausgelangte. Darum hat er uns auch über das Wesen des Krieges keine neuen Erkenntnisse verschafft, trotz mancher glänzenden Geistesblitze, die in dem Buch über „, Krieg und Frieden" wie fast in jedem Werke Proudhons zu finden sind . Und auch seine Friedensidee, die er zum Schlusse präsentiert , ist so verschwommen, so ungenügend begründet , daß sie keine merkliche Wirkung geübt hat. Von einer Organisierung durch einen Völkerbund will er nichts wissen : ,, Das Bundessystem ist nur für kleine Staaten anwendbar, die sich zur Abwehr der großen zusammenschließen ... Das politische System der Menschheit ist ein allgemeines Gleichgewicht der Staaten, von denen einer den andern anreizt und zurückhält und in dem Freiheit und Leben ununterbrochen aus ihrer Wechselwirkung hervorgeht, ich möchte fast sagen, aus ihrer gegenseitigen Bedrohung." ( II . S. 314.) Im Grunde kam Proudhon von seinem Ideal der Anarchie für das Verhältnis zwischen den Staaten ebensowenig los wie für das Verhältnis der Menschen untereinander. Mit der Betrachtung des Proudhonschen Buches über den Krieg sind wir dem Zeitraum weit vorausgeeilt, von dem wir in diesem Abschnitt handeln. Wir sind schon hier auf das Buch zu sprechen gekommen, weil Proudhon seine Bedeutung als sozialistischer Denker schon vor der Revolution von 1848 erhielt und

wir im folgenden Abschnitt keine Gelegenheit mehr haben, auf ihn zurückzukommen. Nun müssen wir unsern Blick wieder rückwärts wenden , zum Jahre 1848.

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Revolution und Krieg 4. Die Revolution von 1848 in Frankreich. a) Die Revolution und der Krieg.

Gar mancher Sozialist , gar mancher Republikaner hatte schon einige Jahre vor 1848 die Revolution erwartet , die dann auch wirklich ausbrach. Marx und Engels hatten sie bereits im kommunistischen Manifest verkündet. Diese Prophezeiung traf ein, nicht aber die damit verbundene Annahme, die kommende bürgerliche Revolution könne in Deutschland ,, nur das unmittelbare Vorspiel einer proletarischen Revolution sein." Im Gegenteil, in Deutschland wie in Frankreich geriet 1848 die Revolution schon nach den ersten Wochen ins Stocken . Sie sah sich bald in die Defensive gedrängt. Woher das rührte, davon habe ich schon im 1. Band meines Buchs über „,Krieg und Demokratie", S. 339 ff. , ausführlich gehandelt. Das Pariser Proletariat hatte in den Tagen des Februar die Monarchie gestürzt , die Republik erobert, war aber nicht imstande gewesen, seinen Sieg auszunutzen . Es verfügte weder über eine Massenorganisation noch über ein festes Programm. Ein großer Teil der Pariser Arbeiter war noch politisch wie ökonomisch recht unwissend und ließ sich bloß von seinen Instinkten und augenblicklichen Bedürfnissen treiben . Ein anderer Teil der Arbeiter war freilich schon über dieses Stadium hinausgelangt, hatte viel über politische und soziale Fragen gehört, gelesen, nachgedacht. Aber gerade dieser geistig hochstehende Teil wurde durch dasselbe Mittel, das seine Intelligenz hob, für die Aktion geschwächt. Denn das soziale Denken wurde dem Proletariat gebracht durch eine Reihe von Ideologen, die die verschiedensten Methoden anwandten , zu den gegensätzlichsten Ergebnissen kamen und einander vor der Masse aufs wütendste bekämpfen. Die proletarische Elite war durch inneren Zwist erheblich geschwächt. Daher hatte das Proletariat schon bei der ersten Handlung der siegreichen Revolution versagt, der Einsetzung der provisorischen Regierung. Es war dabei übertölpelt worden , besaß in ihr keinen Einfluß. Wollte es , daß die Regierung in seinem Sinne tätig sei , mußte es immer wieder von neuem auf die Straße steigen , um durch Massendemonstrationen zu erpressen, was es brauchte. Dadurch bewirkte aber der sozialistische Teil der Arbeiter nur seine wachsende Isolierung in Paris selbst , dessen Bevölkerung in überwiegendem Maße kleinbürgerlich oder doch in kleinbürgerlichem Denken befangen war. Die Kleinbürger hatten in den Tagen vom 22.- 24 . Februar mitgefochten und dadurch den Sieg erringen helfen . Die Wirtschaftskrise, die seit 1847 wütete und so viel zum Ausbruch der Revolution beigetragen hatte, empfanden sie ebenso schmerzlich wie die Arbeiter. Aber sie suchten ihr anders

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zu begegnen, als diese . Die Arbeiter verlangten zunächst das Recht auf Arbeit oder Arbeitslosenunterstützung, die Kleinbürger ersehnten besseren Geschäftsgang, auch für die Luxusindustrien. Die steten Demonstrationen störten das Geschäft , vertrieben die Fremden, und die Unterstützung der Arbeitslosen kostete Geld, bedeutete höhere Steuern . So entstand bald eine Abkühlung, ja ein Gegensatz der Kleinbürger gegen die Lohnarbeiter. Und außerhalb der Hauptstadt fanden diese erst recht wenig Freunde . Sie wurden in der Bevölkerung isoliert, ohne durch Massenorganisationen ihre Spaltung zu überwinden und sich zu kräftigen . Das, was das Proletariat 1848 von der Revolution erwartete , konnte sie ihm also auf keinen Fall bringen . Die Machtverhältnisse der Klassen und ihre eigene Kulturhöhe waren ihm viel zu ungünstig. Keine Art von Politik hätte etwas daran ändern können, weder eine mehr diplomatische, sanfte, noch eine mehr gewalttätige. Nichts leichter, als an dem Handeln jedes der damaligen sozialistischen Politiker Kritik zu üben . Dagegen wäre es ganz unmöglich, eine Taktik ausfindig zu machen, die sie hätte zu dem Ziele führen können, das sie sich setzten : die sofortige Beseitigung des Notstandes und die dauernde Beherrschung der Staatsgewalt durch das Proletariat. Das war bei dessen relativ - im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung des Staates und selbst der Hauptstadt - geringen Zahl, seiner unzureichenden Schulung und Organisation ganz ausgeschlossen . Das wußten aber seine Verfechter nicht, die damals in der Öffentlichkeit wirkten . Und da die Revolution, die im Februar so herrlich begonnen hatte, im April und Mai schon wieder zu versanden drohte, erwogen die Revolutionäre die verschiedensten Mittel, sie ,,vorwärtszutreiben". Gar viele dieser Revolutionäre lebten mit ihrem Denken weniger in der, ach so widerwärtigen Gegenwart, als in der Vergangenheit, die in der Überlieferung noch großartiger erschien als sie in Wirklichkeit gewesen, nämlich der Überlieferung von 1793. Woher war es aber gekommen, daß damals die Pariser Proletarier die Hauptstadt und durch sie den ganzen Staat beherrscht und allen Ausbeutern und Unterdrückern nicht bloß in Frankreich, sondern in ganz Europa Schrecken eingeflößt hatten ? Es war der Krieg der Republik gegen die vereinigten Monarchen , der dem Proletariat zu jener Machtposition verholfen und die Republik radikalisiert hatte. Man bedachte nicht, daß dies unter ganz ausnahmsweisen Umständen geschehen war, daß die Machtstellung der Pariser Proletarier nicht als eine Folge des Kriegs überhaupt , sondern der furchtbaren Niederlagen im Krieg eintrat ; daß die siegreiche Wendung des Kriegs dieser Machtstellung mit einem Schlage ein Ende machte und nicht die Herrschaft des Proletariats , sondern die der Armee und ihres Führers herbeiführte . Anderseits

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wäre ohne die siegreiche Wendung des Krieges die Machtstellung des Pariser Proletariats erst recht zertrümmert worden. Gar mancher radikale Politiker von 1848 sah nur die ,,glorreichen“ Erinnerungen von 1793 und seufzte nach einem Kriege, der die versumpfende Revolution wieder aufwirbeln und zu einem fortreißenden Strom gestalten werde. Doch schon in den ersten Tagen der Revolution, als sich die hemmenden Einflüsse noch nicht bemerkbar machten , veranlaßten die Erinnerungen an die Großtaten der Zeit des Konvents nicht wenige radikale Republikaner oder revolutionäre Sozialisten zu einer weit kriegerischeren Haltung, als die friedliebende Julimonarchie eingenommen hatte. Eine der ersten Äußerungen der am 24. Februar eingesetzten provisorischen Regierung bestand in dem Erlaß eines ,, Manifests an Europa", das die Außenpolitik der neuen Republik darlegen sollte . Zwei Richtungen standen sich in der provisorischen Regierung gegenüber. Die eine war zahm, wollte keinen Anstoß bei den monarchischen Mächten erregen. Sie bildete die Mehrheit. Die Minderheit wollte eine entschlossene Sprache, selbst auf die Gefahr eines Krieges hin. Zu dieser Minderheit gehörte der Sozialist Louis Blanc , der Geschichtschreiber der großen Revolution , den die Arbeiter als ihren Vertreter der Regierung aufgezwungen hatten . Die Beratungen über das Manifest schildert er ausführlich in seiner ,,Geschichte der Revolution von 1848". Er berichtet, daß es im Ministerrat zu keiner Diskussion über die Frage kam , ob die neu aufgerichtete Republik den Wunsch nach Erhaltung des Friedens auszusprechen habe. Wohl aber stritten die Minister über die Frage, ob man die Friedensverträge von 1815 für nichtig erklären solle. Diese Verträge hatten Frankreich in Europa den Umfang gegeben, den es bis 1871 hatte und heute wieder hat und nicht auszudehnen wünscht. Im Jahre 1848 waren aber noch die Erinnerungen an die große Revolution und das Kaiserreich lebendig , da empfanden viele, namentlich revolutionäre Franzosen, die Begrenzung, die ihr Vaterland auf dem Wiener Kongreß erfahren hatte , als eine Schmach und ein schweres Unrecht. Nicht wenige hatten es der Regierung Louis Philipps zum bittern Vorwurf gemacht, daß sie 1830 den belgischen Aufstand nicht dazu benutzte, Belgien mit Frankreich zu vereinigen, was dem Wunsche eines großen Teils der belgischen Bevölkerung entsprochen hätte . Sollte jetzt die Republik die Verträge von 1815 für nichtig erklären ? Und in welcher Form sollte das geschehen ? Darüber wurde diskutiert. Louis Blanc berichtet : ,,In bezug auf die Verträge von 1815 war der Vorschlag, der der provisorischen Regierung unterbreitet wurde, weit davon entfernt, bestimmt zu sein. Herr de Lamartine fürchtete offenbar, sein Manifest könne auf Europa wie ein Posaunenstoß wirken. Ich protestierte gegen dieses Übermaß von Vorsicht und zeigte , wie gefährlich es sei, eine so wichtige Frage

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wie die der Verträge von 1815 im unklaren zu lassen . Es ist nicht übertrieben wenn man sagt, daß bei der Erinnerung an diese Verträge jede Fiber Frankreichs erzittert. Sie wurden uns durch die Sieger aufgezwungen, sie wurden in unserem Namen von einer Regierung unterzeichnet, die wir ablehnten ; sie wurden abgeschlossen, ehe der Feind unser Territorium verlassen hatte, unter Umständen , die uns erröten machen, und mit der laut verkündeten Absicht, Frankreich so tief als möglich herabzudrücken.“ (S. 234, I. Bd. ) Louis Blanc fuhr in seinem Bericht fort: ,,Ich zögerte nicht, vorzuschlagen, man solle kühn die Verträge als nicht bestehend (non avenus ) erklären. Dieses Gefühl, ich muß es sagen, teilten alle Mitglieder des Ministeriums . Nur zeigte sich die Minderheit, zu der ich gehörte, weniger von der Furcht erfüllt, die auswärtigen Regierungen vor den Kopf zu stoßen und dadurch den Frieden zu gefährden." Man einigte sich schließlich auf eine Kompromißformel . Man wiederrief feierlich die verbindende Kraft der Verträge von 1815 , akzeptierte aber die bestehenden Grenzen , jedoch nur als Grundlage und Ausgangspunkt für spätere Abänderungen durch friedliche Verständigung . Über eine wichtige Frage noch hatte das Manifest zu sprechen, das am 2. März 1848 diskutiert und am 5. März veröffentlicht wurde das Recht der Republik, zugunsten gefährdeter demokratischer Bewegungen in andern Staaten zu intervenieren . In diesem Punkte gab es keine Meinungsverschiedenheit . Und doch ist die Frage nicht ohne weiters in einem bestimmten Sinne zu beantworten . Es gibt nicht wenige Demokraten und Sozialisten, die jede Intervention des Auslands in einem Staate für eine unzulässige Einmischung in dessen innere Angelegenheiten , für eine Verletzung der Selbstbestimmung der Nationen erklären und daher ablehnen . In Wirklichkeit bildet kein Staat ein sich selbst genügendes Gemeinwesen. DerWeltverkehr bringt jeden von ihnen immer mehr in enge Verbindung mit anderen, und gar viele tiefer gehende Veränderungen in dem einen Staate beeinflussen auch die Zustände anderer Staaten in günstigem oder ungünstigem Sinn . Und die Selbstbestimmung einer Nation kann durch das Eingreifen einer auswärtigen Macht nur dann verletzt werden , wenn es ihr gewaltsam aufgedrängt, nicht dann, wenn es von ihr als Hilfeleistung ersehnt wird . Kompliziert wird diese einfache Sachlage dadurch, daß in der Klassengesellschaft die Nationen keinen einheitlichen Willen haben. Sie sind gespalten in Klassen und Parteien mit sehr gegensätzlichen Interessen und Bestrebungen . Darf die Regierung eines Staates, die stets eine Parteiregierung ist, sich in die Parteienkämpfe anderer Staaten einmischen ? Im allgemeinen wird man davon abraten müssen. Eine Partei , die über andere nur mit Hilfe des Auslands siegt, wird wenig Halt im eigenen Lande haben . Gerade die Einmischung Fremder zugunsten

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Interventionskrieg

einer Partei kann deren Halt im eigenen Volke untergraben . Demokratische Parteien, die sich nicht auf brutale Gewalt, sondern auf die Zustimmung der Massen stützen , werden aus den Interventionen fremder Regierungen zu ihren Gunsten selten Nutzen ziehen. Etwas anderes ist natürlich das internationale Zusammenwirken von Anhängern der gleichen Ideen und Parteien verschiedener Staaten . Gerade für demokratische Parteien wird ein solches Zusammenwirken immer notwendiger. Doch auch das Eingreifen einer fremden Regierung kann gerechtfertigt, ja geboten sein, wenn es nicht darauf ausgeht, einer Partei in einem Staate mehr Macht zu verleihen, als sie aus dem eigenen Volke zu ziehen vermöchte, sondern darauf, die Brutalisierung einer wehrlosen Bevölkerung zu verhindern . Regierungs-Interventionen dieser Art sind mit der Demokratie sehr wohl vereinbar. Doch blieben sie bisher ganz vereinzelt, aus dem einfachen Grunde , weil aufrichtig demokratische Regierungen bisher sehr selten waren . Viel öfter kamen Interventionen reaktionärer Regierungen zur Unterdrückung demokratischer Bewegungen vor. Sie waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Februar- Revolution sehr häufig gewesen. Und gerade in den ersten Wochen des Jahres 1848 schienen wieder derartige Interventionen zu drohen . In der Schweiz war es im November 1847 zum Aufstand der reaktionären Kantone im Sonderbund gekommen. Den demokratisch-fortschrittlichen Kantonen war es gelungen, die Erhebung niederzuwerfen . Bald darauf, im Januar 1848, erhob sich die Bevölkerung der beiden Königreiche Neapel und Sizilien gegen den König und zwang ihm eine liberale Verfassung ab. Gleichzeitig siegten liberale Bewegungen in Piemont, Toskana , Modena, Parma. Unter diesen Umständen schien in Italien wie in der Schweiz eine Intervention der Mächte der ,,heiligen Allianz" zugunsten der Reaktion bevorzustehen , als die Februarrevolution in Paris ausbrach. Da waren alle Richtungen der provisorischen Regierung der Überzeugung, die französische Republik dürfe eine solche Einmischung der reaktionären Mächte nicht dulden, sie müsse sich schützend vor die Bedrohten stellen , selbst auf die Gefahr eines Krieges hin. Das Manifest erklärte : ,,Wenn die Schweiz, unser treuer Verbündeter seit Franz I. ( 1494 bis 1547 K. ) gewaltsam behindert oder bedroht würde, weil sie sich im Interesse des Fortschritts betätigte, um dem Bund demokratischer Gemeinwesen eine neue Kraft zuzuführen ; wenn die unabhängigen Staaten Italiens angegriffen würden ; wenn man ihren inneren Umwandlungen Schranken oder Hindernisse auferlegen wollte ; wenn man ihnen mit bewaffneter Macht das Recht bestreiten würde, sich untereinander zu verbünden, um ein italienisches Vaterland zu begründen , dann würde sich die französische Republik berechtigt fühlen, selbst zu den Waffen zu greifen, um jene legitime Bewegung des Fortschritts oder der nationalen Zusammenfassung der Völker zu schützen." Das war eine kühnere Sprache, als sie je das Bürgerkönigtum geführt hatte. Um so kühner, als die Regierung der Revolution von

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Weitertreiben der Revolution

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1848 wußte, dieses Königtum habe die Armee völlig verfallen lassen, sie sei durchaus nicht schlagfertig. Alle Generale, die man befragte, bestätigten das . Mehr als 100.000 Mann seien im Moment nicht aufzubringen . Damit könne man die verbündeten Monarchen Europas nicht bekriegen. (Louis Blanc, Revolution de 1848, I. S. 240, 241. ) Angesichts dieses Zustands der Armee zitterte die Mehrheit der provisorischen Regierung tatsächlich für den Frieden . Ihre kriegerischen Töne waren nur Schein, nur darauf berechnet, den Revolutionären zu imponieren, nicht den Krieg zu entzünden. Im ersten Moment zeigten sich die Herren der heiligen Allianz recht kriegslustig gegen die neugebackene Republik. Doch bald bekamen diese Monarchen ganz andere Sorgen als die der Bekriegung Frankreichs. Am 5. März erschien das Manifest der französischen Republik an Europa. Es dauerte keine zwei Wochen, und in Wien wie in Berlin sowie den übrigen Hauptstädten Deutschlands siegte die Revolution. Und gleichzeitig trat dasselbe im österreichischen Teil Italiens ein, in Mailand und Venedig. In Rom beugte sich der Papst vor der Revolution. Damit wurde das französische Manifest vom 5. März gegenstandslos und die Kriegsgefahr schwand, die es in sich hätte bergen können, wenn es ernst gemeint war. Doch noch einmal schien eine solche Gefahr aufzutauchen . Wieder war es eine Interventionsforderung, aus der sie hervorging. Diesmal aber bildete ihren innersten Grund nicht mehr das Kraftgefühl der Revolutionäre, sondern die Sorge, ohne äußeren Krieg sei die Revolution verloren .

b) Wirkungen der Erhebungen in Italien und Polen. Im März 1848 fühlte sich das Pariser Proletariat noch als Herr der Situation . Doch im April wendete sich bereits das Blatt . Am 5. April erwählte in Paris die Nationalgarde ihre Offiziere. Obwohl auch Arbeiter in die Garde eingereiht waren , wurden doch überwiegend Gegner der Arbeitersache zu Offizieren erwählt. Die Mehrheit der Nationalgarde stand von da an dem Proletariat feindlich gegenüber . Die Antwort sollte am 16. April eine Massendemonstration der Arbeiter bilden, um innerhalb der provisorischen Regierung den Einfluß des arbeiterfreundlichen Flügels unter Louis Blanc zu verstärken oder gar die Regierung von ihren nicht auf Seite der Arbeiter stehenden Mitgliedern zu säubern . Die Demonstration kam zustande, aber die Regierung hatte sich rechtzeitig gewappnet, die Nationalgarde aufgerufen und diese gewährte ihr ausreichenden Schutz . Die Demonstration endete ergebnislos. Das

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Beginn der Reaktion in Frankreich

bedeutete bereits eine Niederlage des Pariser Proletariats und des Sozialismus. Noch Schlimmeres zeitigten die Wahlen zur Nationalversammlung, die für den 23. April angesetzt waren . Sie ergaben wohl eine Mehrheit für die Republik, enttäuschten jedoch sehr alle jene, die gewähnt hatten, das allgemeine Wahlrecht werde den Vertrauensmännern der Pariser Arbeiter die Mehrheit in der Versammlung bringen. Selbst in Paris wurden nur wenige Sozialisten gewählt. Die Nationalversammlung, die am 4. Mai zusammentrat, hatte nichts Eiligeres zu tun, als an Stelle der provisorischen Regierung eine Vollziehungskommission zu ernennen , in der die beiden Sozialisten Louis Blanc und Albert fehlten , die der provisorischen Regierung angehört hatten . Die „, Sozialisierungskommission " im Luxemburgpalast , die am 28. Februar eingesetzt worden war, um die Arbeiter zu beruhigen, wurde aufgelöst. Je stärker sich die Pariser Proletarier seit den Februartagen gefühlt hatten, desto wilder jetzt ihre Entrüstung. Doch hatten nicht ihre Vorväter den Konvent gezwungen, in ihrem Sinne zu wirken, wenn er zauderte oder gar sich gegen sie ablehnend verhielt ? Freilich , das war im Kriege geschehen. Aber bot sich jetzt nicht wieder eine Gelegenheit zum Krieg ? Die Revolutionäre von 1848 vergaßen einen Umstand . Im Jahre 1792 befürchtete Frankreich von den verbündeten Monarchen der Nachbarstaaten angegriffen zu werden, die rüsteten und die drohendste Sprache führten. Das erregte die ganze französische Nation . Die gesetzgebende Versammlung brauchte zur Kriegserklärung nicht durch eine Insurrektion der Pariser Arbeiter und Kleinbürger gedrängt zu werden. Sie beschloß sie aus freien Stücken , fast einstimmig, nur 7 Abgeordnete stimmten dagegen ( 20. April 1792) . Jetzt dagegen, im Mai 1848, gab es weit und breit keine Macht, die Frankreich bedrohte, keine , die dadurch in der Volksmasse einen Enthusiasmus der Abwehr entzündet hätte, von solcher Kraft, daß er das Volk geneigt machen konnte , die furchtbaren Gefahren und Opfer eines Krieges auf sich zu nehmen . Diejenigen , die den Krieg herbeiwünschten, um die Revolution vorwärts zu treiben, sahen keinen andern Anlaß , den sie dazu benutzen konnten, als eine Politik der Intervention im Ausland, des Angriffs auf reaktionäre Regierungen, um die bedrohten Revolutionen anderer Nationen zu retten. Diese Nationen waren die Italiener und Polen . In Italien hatte die Revolution wohl die Österreicher aus Mailand und Venedig im März vertrieben, doch auch dort kam, wie in Frankreich , im April die Bewegung zu einem Stillstand , der es den Österreichern unter Radetzky erlaubte, sich zu rüsten und im Mai mit vermehrter Kraft in der Lombardei wieder vorzudringen . Die Revolution wurde so in Italien arg bedroht. Noch schlimmer stand es damals mit den Polen . In Rußland waren sie noch ge-

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schwächt durch die Niederlage ihres Aufstands von 1830/1831 . Und der russische Staat versammelte auf dem ihm gehörenden polnischen Gebiet eine so gewaltige Truppenmacht, daß jeder Erhebungsversuch von vornherein aussichtslos erschien. RussischPolen blieb 1848 ruhig. In dem benachbarten Krakau, das ein Freistaat gewesen, war

1846 eine nationale Bewegung von den Österreichern niedergeworfen worden, die den Freistaat annektierten . Gleichzeitig lösten die Krakauer Unruhen eine Art Bauernkrieg gegen den polnischen Adel aus , der diesem schwere Wunden beibrachte. Seitdem war dessen kriegerische Kraft gebrochen. Im österreichischen Teil Polens (Galizien) kam es 1848 nur zu einem ,,kleinen insurrektionellen Flämmchen“ ( Kautsky, „ Krieg und Demokratie", I. S. 410) , das leicht erstickt wurde, allerdings nicht ohne Blutvergießen . Ernsthafter wurde die polnische Bewegung 1848 nur in PreuBisch-Polen, in Posen, das wohl zu Preußen, aber nicht zum Deutschen Bunde gehörte. Der Sieg der Revolution in Berlin am 18. März belebte nicht nur bei den Deutschen, sondern auch bei den Polen den nationalen Gedanken. Die Polen auf preußischem Gebiet hofften, jetzt nahe die Stunde der nationalen Einigung nicht nur für die Deutschen, sondern auch für die Polen. Das Frankfurter Vorparlament ( 31. März bis 3. April) sprach sich in der Tat für die Wiederherstellung Polens aus. Doch in Posen wohnten Deutsche und Polen nebeneinander, die nationale Bewegung der einen kam bald in Konflikt mit der der andern. Die preußische Staatsgewalt stellte sich dabei auf die Seite der Deutschen, die „ liberale“ preußische Regierung, ein Kind der Revolution , bot die Armee gegen die unruhigen Polen auf, dieselbe Armee, durch deren Versagen gegenüber den Barrikaden von Berlin eben erst die Liberalen ans Ruder gekommen waren. Sie benutzten diese Armee jetzt zur Niederwerfung einer andern revolutionären Bewegung. Das sollte sich an ihnen selbst noch bitter rächen. Im Mai kam es allerdings noch nicht zu dieser Rückwirkung auf die Deutschen in Preußen. Damals wurden nur die Polen in Posen blutig niedergeschlagen. Ende April hatten sie sich im Aufstand erhoben, am 12. Mai fand der Endkampf statt. Diese Vorgänge erregten alle aufrichtigen Revolutionäre in ganz Europa, nicht zum wenigsten die in Paris. Hatten doch die Polen schon zur Zeit der großen Revolution 1794 gegen dieselben Monarchien die Waffen ergriffen, die der französischen Republik den Untergang geschworen hatten, Preußen, Österreich, Rußland . Polen hatten dann in französischen Heeren bis zu Napoleons Niederbruch gekämpft. Als sich im November 1830 die Polen nach dem Vorgang der Pariser vom Juli des gleichen Jahres gegen das sie bedrückende Regime erhoben und besiegt wurden, empfanden das die französischen Revolutionäre als eine ihnen selbst zugefügte Niederlage .

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Polen und die Revolution

Louis Blanc berichtet über die Stimmung, die in Paris herrschte, als am 15. September 1831 die Nachricht vom Fall Warschaus (6. September) bekannt wurde : „ Ein einziger Gedanke erfüllte die Gemüter : Polen ! Ein einziges Wort kam aus aller Mund : Polen ! Die Geschäfte wurden eingestellt, abends die Theater geschlossen. Die Bevölkerung, und dies wird in den kommenden Jahrhunderten unserem Lande zu ewiger Ehre gereichen, ging bestürzt durch die Straßen, schweigend und niedergedrückt von der Last einer nimmer wieder gutzumachenden Demütigung . Wir hatten alle aufgehört, über unser eigenes Unglück zu seufzen, indem wir an dieses Volk tapferer Männer dachten, das 400 Meilen von hier unterging, und wir waren entsetzt über diesen unerhörten Ingrimm des Schicksals, das noch nach der Revolution von 1830 und ihren wundervollen Heldentaten Frankreich ein zweites Waterloo bescherte." ,,Am folgenden Tage hatte sich die Niedergeschlagenheit in Raserei . verwandelt . An allen Punkten in Paris bildeten sich Gruppen, die der allgemeinen Wut in Verwünschungen und Drohungen Ausdruck gaben. Die Plünderung von Waffenläden, Versuche der Errichtung von Barrikaden gaben der Hauptstadt mehrere Tage hindurch das Aussehen einer Stadt, in der die Revolution ausgebrochen ist.“ ( Dix ans, II . S. 472, 473, deutsche Ausgabe II . S. 499, 500. ) Doch diese rebellische Stimmung war weder intensiv noch anhaltend genug gewesen, um zu einem erneuten revolutionären Ausbruch zu führen, der die Revolution des Juli 1830 hätte weiter treiben können. Eine wahrhafte Revolution vermag nur zustande zu kommen, wenn sie einen ganz außerordentlich kräftigen Ausbruch der Wut eines ganzen Volkes darstellt. Ein solcher Ausbruch kann nur das Ergebnis von Vorkommnissen und Verhältnissen sein, die die Volksmasse direkt aufs äußerste bedrücken und bedrohen. Ereignisse in fremden Ländern, die im eigenen Lande nur durch die Zeitungen bekannt werden, mögen mitunter sehr lebhafte Sympathien oder Antipathien auslösen , nicht aber revolutionäre Bewegungen. Trotzdem glaubten die radikalen Republikaner und revolutionären Sozialisten im Mai 1848 die Erregung, die in Paris durch die Bedrängung der italienischen und polnischen Erhebungen ausgelöst wurde , zur Entfesselung eines Kriegs und damit zum Weitertreiben der stockenden Revolution ausnützen zu können . Und doch lagen die Verhältnisse dafür diesmal noch ungünstiger als 1831. Allerdings, die Kraft und Selbständigkeit des Pariser Proletariats war seitdem sehr gewachsen . Und im benachbarten Italien hatten die Erhebungen 1848 einen weit größeren Umfang angenommen als 1830. Aber gerade deshalb hatte sich an die Spitze der Bewegung in Norditalien ein Monarch gedrängt, der König Karl Albert von Piemont- Sardinien. Es war ihm nur die Wahl geblieben, den revolutionären Erhebungen gegen die Österreicher mit seiner Armee zu Hilfe zu eilen , oder selbst durch die Republikaner im eigenen Lande abgesetzt zu werden . In Italien hätte es sich also darum gehandelt, daß die franzö-

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sische Republik einen italienischen König unterstützen solle . Das wollte dieser selbst nicht, er fürchtete die Republikaner des Nachbarn im eigenen Lande zu sehr und lehnte deren Hilfe ab. Am 23. März 1848 verkündete Karl Albert : L'Italia farà da se Italien wird allein fertig werden . Das enthusiasmierte gerade nicht die französischen Republikaner zu einer revolutionären Intervention in Italien. Anders stand es mit den Polen. Die ersehnten eine solche Intervention, und sie waren in Paris weit populärer als die Italiener. Aber wie ganz anders gestaltete sich ihr Freiheitskampf 1848 als 1830/31 . Damals hatte er vor allem dem Hort der europäischen Reaktion, dem russischen Zaren gegolten . Und mit solcher Energie war er ausgefochten worden, so weite Kreise des polnischen Volkes hatte er erfaßt, daß er das Gefüge des russischen Reiches erschütterte, und dessen ganze Streitmacht erforderte, um niedergeworfen zu werden, was fast ein ganzes Jahr in Anspruch nahm , vom November 1830 bis Oktober 1831 . Diesmal war es nur in Preußisch- Polen , in Posen , zu ernsthafteren Feindseligkeiten gekommen, die Insurgenten verfügten dort aber über so geringe Hilfsmittel und über so wenige Kämpfer, daß die ganze Erhebung nur zwei Wochen dauerte und ihren letzten Erfolg am 30. April erfocht, wo Mieroslawski 6000 Preußen besiegte. Am 12. Mai war der Aufstand zu Ende. Und dabei bedeutete die Posener Insurrektion nicht einen Aufstand gegen den fürstlichen Absolutismus. Der war in PreuBen schon am 18. März besiegt worden. Die Insurrektion war ein Aufstand gegen die damals in Berlin eingesetzte liberale Regierung, die allerdings die Ewartungen nicht erfüllte, die die deutsche Revolution in den Polen wachgerufen hatte. Ein so kurzlebiger und wenig umfangreicher Aufstand konnte unmöglich dieselbe Begeisterung hervorrufen , wie 1831 der zähe Verzweiflungskampf der Polen in Rußland. Aber immerhin. Die Polenbegeisterung flammte anfangs Mai in Paris wieder auf. Viele sozialistische Revolutionäre stellten ihr die Aufgabe, die Revolution weiterzutreiben .

c) Der 15. Mai. Schon am 10. Mai erhob sich in der Nationalversammlung der Abgeordnete Wolowski , um sie aufzufordern , die polnische Sache zu unterstützen und eine Proklamation zugunsten Polens zu erlassen. Wolowski war in Polen geboren, hatte dort 1830 am Aufstand teilgenommen, worauf er nach Frankreich flüchtete , dessen Staatszugehörigkeit er erlangte . Jetzt war er in die Nationalversammlung gewählt worden . Ein sehr konservativer Herr, aber vor allem polnischer Patriot, was ihn nun zu einem „ Advokaten des Jakobinismus, einem Redner der Insurrektion" machte, wie ihn в

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Proudhon höhnt (Les Confessions d'un Revolutionnaire , Paris 1849, S. 30) . Die Beratung des Antrags Wolowski wurde auf den 15. Mai vertagt . Das gab den Pariser Revolutionären einen willkommenen Anlaß, für den gleichen Tag eine riesenhafte Kundgebung vorzubereiten, einen Massenzug, der vor die Nationalversammlung marschieren und auf sie einen Druck im Sinne der Polen üben sollte. Man wollte die Versammlung zu Beschlüssen fortreißen, die einen Krieg entfesseln mußten. Gar mancher der Demonstranten erwartete zwar, daß die so unsozialistische Nationalversammlung Widerstand leisten und darob in Trümmer gehen werde . Und das hätten nicht wenige Revolutionäre noch lieber gesehen, als einen Beschluß der Versammlung zugunsten der Polen. Der Zug langte gerade vor der Nationalversammlung an, als dort die Diskussion der polnischen Frage begann und Wolowski die Rednertribüne bestieg . Wolowski führte aus, wie eng Polen mit Frankreich verbunden sei und erklärte weiter : ,,Die einzige Frage, die zu erörtern sein dürfte, besteht darin, welche Mittel anzuwenden sind, um schleunigst das herbeizuführen, was wir alle wollen: die Wiederherstellung Polens. Frankreich mit seiner Armee von 500.000 Mann und seiner Nationalgarde, die das ganze waffenfähige Volk umfaßt, fürchtet nicht den Krieg.“ Er kam nicht viel weiter, denn nun drangen die Demonstranten in den Sitzungssaal ein. Sie forderten, eine Petition , die sie mitgebracht, solle verlesen werden. Viele Abgeordnete protestierten dagegen, andere waren dafür, so besonders Louis Blanc . Schließlich hörte jeder Widerstand der Versammlung auf und die Petition wurde verlesen. Sie war ein Aufruf zugunsten Polens und schloß mit den Worten : ,,Die Wiederherstellung der polnischen Nationalität soll entweder auf gütlichem Wege oder mit den Waffen in der Hand erlangt werden. Eine Abteilung unserer tapferen Armee soll sich bereit halten , um das durchzusetzen, was durch Unterhandlungen nicht zu erreichen ist. Dies wird gerecht sein und Gott wird unsere Waffen segnen . Es lebe Polen !" Nach dieser Verlesung verlangte unter tobendem Lärm der Eingedrungenen Blanqui das Wort, obwohl er nicht Abgeordneter war, und es gelang ihm auch, sich Gehör zu verschaffen . Er wendete sich an die Nationalversammlung mit den Worten : „ Bürger, Abgeordnete, das Volk fordert die Wiederherstellung Polens in den Grenzen von 1772 ; es verlangt, daß die Nationalversammlung sofort beschließt, Frankreich solle nicht eher sein Schwert in die Scheide stecken, ehe nicht Polen in den alten Grenzen von 1772 hergestellt ist und von neuem als eine große und unabhängige Nation in der Sonne Europas erglänzt." „Das Volk verlangt, daß keine Verzögerung herbeigeführt werde, die das Kommen des Tags hinausschieben könnte, an dem das ganze Polen von neuem an der Grenze Europas wiederhergestellt ist, der natürliche Verbündete und Schild Frankreichs ." ,,Das Volk kennt die Hindernisse , die sich den Armeen Frankreichs entgegenstellen werden ; aber es rechnet darauf, daß die Nationalversamm-

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lung des Ruhmes ihrer Vorgängerin eingedenk sein wird, daß sie das Übelwollen Europas nicht scheuen wird. Sie weiß , daß vor ihrem bloßen Willen, den sie mit Festigkeit kundgibt, wobei sie sich auf eine französische Armee am Rhein stützt, alle Hindernisse von selbst fallen, die von der Diplomatie gegen sie aufgerichtet werden könnten. Das alte Polen, das Polen von 1772 ist in seinen Grenzen aufzurichten, vom Strande der Warthe bis zum Dnjepr, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer !" Der Schluß der Rede ging in wachsendem Lärm unter, der sich immer mehr steigerte. Ein Bürger mit dem echt französischen Namen Huber, ein alter Revolutionär, dröhnte folgende Worte in den Sitzungssaal : ,,Im Namen des Volkes erkläre ich : die Nationalversammlung ist aufgelöst." Bald darauf wurden auch von mehreren Listen die Namen einer neuen Regierung vorgelesen nicht immer die gleichen Namen. Es überwogen die Namen Blanqui, Louis Blanc, Cabet, Pierre Leroux, Albert. Also sollte es ein sozialistisches Ministerium sein. Nachdem dies geschehen, glaubten aber die Demonstranten genug getan zu haben, wenn sie sich in stundenlangem Tosen heiser geschrieen hatten . Sie verliefen sich , gingen nach Hause oder ins Stadthaus, um dort den ersten Handlungen der neuen Regierung beizuwohnen . Inzwischen hatten sich in der Nationalversammlung Truppen eingefunden, die ihr ergeben waren, Nationalgarden und Mobilgarden. Diese letzteren waren eine neue Organisation , die die Regierung zu ihrem Schutze eingerichtet hatte. Es ist heute, im Zeitalter des Nationalsozialismus sehr interessant, sich der Worte zu erinnern, die Marx 1850 über diesen Versuch äußerte,,, einen Teil des Proletariats dem andern entgegenzustellen." Er sagte (neu abgedruckt in die „ Klassenkämpfe in Frankreich", 1848-1850 ) : „ Zu diesem Zwecke bildete die provisorische Regierung 24 Bataillone Mobilgarden, jedes zu 1000 Mann , aus jungen Leuten von 15-20 Jahren. Sie gehörten größtenteils dem Lumpenproletariat an, das in allen großen Städten eine vom industriellen Proletariat genau unterschiedene Masse bildet, einen Rekrutierplatz für Diebe und Verbrecher aller Art, von den Abfällen der Gesellschaft lebend, Leute ohne bestimmten Arbeitszweig, Herumtreiber, gens sans feu et sans aveu ( Leute ohne Heim und Beruf) , verschieden nach dem Bildungsgrade der Nation, der sie angehören, nie den Lazzaronicharakter verleugnend, in dem jugendlichen Alter, worin die provisorische Regierung sie rekrutierte, durchaus bestimmbar, der größten Heldentaten und der exaltiertesten Aufopferung fähig, wie der gemeinsten Banditenstreiche und der schmutzigsten Bestechlichkeit.“ (S. 33, 34.) Wer denkt bei dieser Schilderung nicht an die Nazis von heute ? Nur hat diese der Weltkrieg mit seinen Folgen unerhört aufgebläht , ihnen massenhaft akademisch gebildete Elemente sowie Spießbürger zugeführt, die sich mit dem Lumpenproletariat verbrüdert und es zur stärksten Partei des Volkes der Dichter und Denker gemacht haben. Als Mobilgarden und Nationalgarden am 15. Mai zur Natio6*

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Ausgang des 15. Mai

nalversammlung eilten, um diese gegen die Demonstranten zu schützen, trafen sie fast niemand mehr an , der zu verjagen gewesen wäre. Mehr Leute waren im Stadthaus zu finden , doch auch diese flohen, ohne Widerstand zu leisten , als Nationalgarden und Mobilgarden nahten. Der Tag, der so drohend begonnen, der Krieg und neuen Umsturz verheißen hatte, er endete ohne jedes Blutvergießen , in wirrem Auseinanderlaufen der revolutionären Proletarier. Diese hatten die Bourgeoisie erschreckt und herausgefordert, ohne ihr einen lähmenden Schlag zu versetzen. Es ist immer schlimm , an ein Wespennest zu rühren, ohne es vollständig zu zerstören. Das zeigte sich auch diesmal. Der Tag vom 15. Mai brachte weder die Rettung der Polen noch die Sprengung der Nationalversammlung, sondern bewirkte bloß , wie Marx sich äußerte, daß das Proletariat ,,seine energischsten Führer der Bourgeoisie auslieferte." Proudhon sagte darüber in seinen ,, Bekenntnissen eines Revolutionärs", die ,,der Geschichte der Februarrevolution" dienen sollten : „ Mit dem 15. Mai beginnt für die Februarrevolution die Ära der politischen Rache. Die provisorische Regierung hatte den Versuch vom 17. März und auch den vom 16. April verziehen. Die Nationalversammlung verzieh den 15. Mai nicht, trotz der Mahnungen Flocons . " ( S. 32.) Unter den Opfern der Rache für den 15. Mai nennt Proudhon Blanqui, Barbés, sowie als unglücklichsten unter ihnen den schon erwähnten Huber, der schon unter dem Bürgerkönigtum 14 Jahre im Kerker gewesen war. Durch die Revolution des Februar befreit, sah er sich nun von neuem zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Am 15. Mai war die Niederlage der revolutionären Bewegung der Pariser Arbeiter des Jahres 1848 bereits entschieden. Es hatte sich damals schon die politische und militärische Überlegenheit der Bourgeoisie gezeigt, hinter der dem Proletariat gegenüber fast ganz Frankreich stand, mit Ausnahme der Arbeiterviertel von Paris . Die Junischlacht bekräftigte wenige Wochen später in blutiger Weise, was der Tag vom 15. Mai bereits unblutig hatte erkennen lassen. Die Aussichten für das Gelingen der Demonstration vom 15 . Mai waren von vornherein schlecht gewesen. Nicht nur Barbés und Louis Blanc hatten von ihr abgeraten, auch Blanqui hatte beantragt, die Demonstration zu verschieben , da man nicht genügend vorbereitet sei . Doch die revolutionären Klubs beschlossen trotzdem zu marschieren , und da hielt es Blanqui für seine Pflicht , mitzugehen . Nicht nur ihm , auch Barbés und Louis Blanc lag der Zweck der Demonstration am Herzen. Doch zweifelten sie am Erfolg. Es gab jedoch auch Sozialisten, die mit voller Entschiedenheit gegen die Demonstration aus dem Grunde auftraten , weil sie einen

Ausgang des 15. Mai

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Krieg entzünden wollte . Nicht in den Reihen der politisch-revolutionären, sondern denen der unpolitischen Sozialisten waren sie zu finden. Wie sich Considérant am 15. Mai verhielt, darüber habe ich Angaben nicht finden können. Cabet veranlaßte seinen Klub, der Demonstration fern zu bleiben. Am entschiedensten gegen sie wendete sich Proudhon. Er fürchtete nicht nur ihren Mißerfolg, sondern mehr noch ihren Erfolg, der kein anderer sein konnte als ein Krieg. In seinem Blatt ,,Le Représentant du Peuple" bekämpfte er den Gedanken der Straßendemonstration für Polen und für den Krieg mit aller Macht. Ein Jahr später kennzeichnete er in seinen ,, Bekenntnissen" die Kriegspolitik der radikalen Republikaner (die revolutionären Sozialisten inbegriffen ) . Diese Radikalen hätten der Regierung gesagt : ,,Seit drei Monaten habt Ihr nichts für die Revolution getan , nichts für die Organisation der Arbeit und die Freiheit der Völker, zwei Dinge, die absolut identisch sind. Zweimal habt Ihr die Initiative zurückgewiesen , die Euch zukommt und Ihr wißt nun nicht, was mit allen den Proletariern anfangen, die bald von Euch Brot oder Blei fordern werden. Macht aus diesen Männern eine Armee der Propaganda, solange Ihr aus ihnen nicht eine Industriearmee machen könnt. Sichert durch den Krieg die Herrschaft der Demokratie in Europa, solange Ihr nicht die Ökonomie der Gesellschaft umzubilden vermögt. Ihr erklärt, Politiker zu sein, Ihr wollt nicht Sozialisten sein : ergreift eine politische Initiative, wenn Ihr nicht wagt , eine soziale Initiative zu ergreifen." Diese Politik, sagt abschließend Proudhon , laufe auf folgendes hinaus : ,,Mit einem Wort, der Krieg als Mittel der Frage der Arbeit vorübergehend auszuweichen : das war am 15. Mai die Politik der radikalen Fraktion der republikanischen Partei. “ ( „, Confessions “, S. 29. ) Proudhon war gegen den Krieg, weil er fürchtete, durch ihn werde die Durchführung des Sozialismus , wie er ihn verstand, zurückgeschoben werden . Proudhon vermeinte aber , daß diese sofortige Durchführung leicht sei, wenn man nur wolle. Er war gegen den Krieg auch, weil Frankreich nicht gerüstet und innerlich gespalten sei. Mache man sich an die sofortige Durchführung des Sozialismus, dann werde man ganz Europa für Frankreich gewinnen. Entfeßle man den Krieg, werde man ganz Europa gegen Frankreich vereinen : „ Ich war von der Überflüssigkeit noch mehr als von der Unzulänglichkeit unserer Waffen für den Erfolg der Revolution überzeugt. Ich zögerte daher nicht, mich im „ Représentant du Peuple" gegen die Demonstration vom 15. Mai auszusprechen. Ich sah Frankreich belastet von der verhängnisvollen Frage des Proletariats, die keinen Aufschub erdulden konnte, wollte, durfte. Ich glaubte nicht, daß Frankreich in der Lage sei, der Lösung der Proletarierfrage auszuweichen und den Krieg nach außen zu führen, wo immer es sei. Mir erschienen überdies die Mittel der ökonomischen Aktion , wenn wir sie nur anzuwenden verstanden, weit wirksamer gegenüber dem Ausland als alle Armeen des Konvents und des Kaiser-

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Die Bauern 1848

reichs. Dagegen hätte eine bewaffnete Intervention unserer Armee, kompliziert durch Sozialismus, gegen uns die Bourgeois wie die Bauern ganz Europas aufgereizt . “ ( „ Confessions “. S. 32.) Unter den französischen Sozialisten von 1848 war es Proudhon, der der pazifistischen Seite des Sozialismus am lautesten und entschiedensten Ausdruck verlieh . Allerdings trug und trog ihn die Illusion, daß durch seine Tauschbank die Herbeiführung einer sozialistischen Gesellschaft und die Eroberung ganz Europas sofort auf friedlichstem Wege vollzogen werden könnte . d) Die römische Intervention.

Gegenüber der Interventionsidee hatte Proudhon recht behalten. Der 15. Mai wurde für sie verhängnisvoll. Und doch tauchte der Gedanke einer Intervention in fremdem Land noch einmal in jenen Tagen auf, und diesmal erfolgreich. Jedoch verkehrte sich dabei sein Sinn in das Gegenteil dessen, was er am 15. Mai bedeutet hatte. Die Wahlen zur Nationalversammlung zeigten, daß in einem Lande mit überwiegender Bauernschaft durch das allgemeine , gleiche Wahlrecht nicht das städtische Proletariat, sondern der Bauer zum entscheidenden politischen Faktor an der Wahlurne erhoben werde . Der Bauer wurde jetzt der Souverän , dem alle jene Parteien schmeichelten, die sich vor dem Proletariat fürchteten. Das waren nach dem proletarischen Aufstand vom 23.-27. Juni alle Parteien der Bourgeoisie . Die geistige Macht, die den Bauern lenkte , war aber die Kirche . Sie zu gewinnen , wurde seit der Junischlacht ein Hauptstreben der Bourgeoisie, auch der freidenkerischen . Die Republik schlug nach dem Juniaufstand einen klerikalen Kurs ein. Der wurde noch verstärkt , als am 10. Dezember 1848 der Neffe des ersten Kaisers der Franzosen , Ludwig Napoleon , zum Präsidenten der Republik erwählt wurde, mit 5½ von 72 Millionen Stimmen. Das waren auch überwiegend Bauernstimmen gewesen . Marx sagt darüber in seinen klassischen Darlegungen der „ Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850": ,,Der 10. Dezember 1848 war der Tag der Bauern - Insurrektion Napoleon (der Erste , K. ) war der einzige Mann , der die Interessen und die Phantasie der 1789 neugeschaffenen Bauernklasse erschöpfend vertreten hatte. Indem sie seinen Namen auf das Frontispiz der Republik schrieb, erklärte sie nach außen den Krieg, nach innen die Geltendmachung ihres Klasseninteresses. Napoleon , das war für die Bauern keine Person, sondern ein Programm. " ( S. 50, 51. ) Durch die Bauern in die Höhe gekommen , mußte Louis Napoleon, um oben zu bleiben , noch mehr wie sein Onkel den Bauern dienen. Daß mit dem Bonapartismus eine Kriegsära eingeleitet werde, das sah Marx 1850 schon . Der kriegerische Charakter des neuen Regimes sollte noch verstärkt werden durch den Staatsstreich Napoleons vom 2. Dezember 1851. Die Armee, die in der

Napoleon für den Papst

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Junischlacht zu einem entscheidenden politischen Faktor geworden war, machte Napoleon nun zum kaiserlichen Herrn Frankreichs. Das bedeutete noch mehr als es die Bauernstimmen am 10. Dezember 1848 getan,,,nach außen den Krieg“ . Diese Bauernstimmen machten aber auch in besonders hohem Maße Napoleon abhängig von der katholischen Kirche. Kirche und Armee wurden nun seine beiden Stützen, doch auch seine Herren , die ihn oft zu einer Politik drängten, an der er kein Interesse hatte , die er nicht wünschte, ja mitunter sogar für verderblich ansah. Das neue Bündnis des Weihwedels mit dem Säbel vollzog seine erste Tat noch unter der Republik durch eine kriegerische Intervention zugunsten des Papstes. In Italien war die Revolution Ende 1848 noch einmal aufgeflammt . Aus Rom hatte sich der Papst am 24. November 1848 vor der Machtentfaltung der demokratischen Volksmassen geflüchtet, die dort (Februar 1849) eine Republik aufrichteten , deren politische Leitung Mazzini zufiel , indes Garibaldi das Kommando über die Freischaren übernahm , die zum Schutz der römischen Republik zusammenströmten . Ohne weiteres taten sich die katholischen Mächte zusammen, ihnen bereitete die um zugunsten des Papstes zu intervenieren Intervention in einem andern Lande nie Skrupel, wenn es gegen eine Revolution ging. Österreich , Neapel, Spanien entsandten Truppen zum Einmarsch in den Kirchenstaat. Da durfte Frankreich nicht fehlen, das zwar noch Republik war, aber doch auch ein katholischer Staat. Indessen fühlte sich der neue klerikale Kurs dort zunächst noch nicht ganz sicher. Die Demokraten in der Nationalversammlung forderten im April 1849 das Eingreifen der französischen Republik in Italien zum Schutz der italienischen Freiheit, die durch das Vordringen der Österreicher immer ernster bedroht wurde. Die Regierung lehnte solches Eingreifen ab, gab aber zu , daß es notwendig werden könne, im Interesse Frankreichs vorübergehend einen Teil Italiens zu besetzen. Sie verlangte zu diesem Zwecke sogar einen Militärkredit zur Ausrüstung eines ,,Expeditionskorps ". Doch weigerte sie sich, Auskünfte über die Ziele zu geben, die sie mit diesem Korps erreichen wolle. Man wußte nicht, beabsichtigte sie die römische Freiheit gegen die Österreicher zu schützen oder diesen bei der Vernichtung der römischen Republik zu helfen . Schon am 25. April erschien die französische Truppenmacht unter dem General Oudinot vor Civita Vecchia, einem Hafen in der Nähe Roms. Doch versicherte er, die Franzosen kämen als Freunde, sie dächten nicht daran, die Unabhängigkeit des römischen Volkes anzutasten. Dank diesen Versicherungen legten die Republikaner Roms der Ausschiffung der Franzosen kein Hindernis in den Weg. Kaum aber waren diese gelandet , ließ Herr Oudinot die republikanischen Politiker verhaften, die er in Civita Vec-

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Gegenrevolution und Wortbruch

chia fand , denen er eben seine freundschaftlichen Absichten beteuert hatte . Er verhängte den Belagerungszustand und marschierte gegen Rom , um dort in gleicher Weise zu hausen. Der Wortbruch gehörte seit jeher zu den Mitteln der Gegenrevolution, während demokratische Revolutionäre sich stets durch Treu und Glauben gebunden fühlten , Lüge und Verrat von sich wiesen. Es gibt heutzutage Revolutionäre, denen die Bindung durch Treu und Glauben als ein ,,bürgerliches Vorurteil" erscheint. In Wirklichkeit gehört der Verzicht auf solche Bindung , gehört der Macchiavellismus zu den ältesten Mitteln staatlicher Politik, sie sind so alt wie der Staat selbst , gehören zum Rüstzeug jeder Regierung, jeder Organisation in Staatsleben , die die Volksmasse bloß als Werkzeug für ihre Pläne betrachtet , als bloßes Kanonenfutter. Dagegen sind Treu und Glauben unerläßlich für eine Partei, die die Volksmassen befreien und zu selbständigem Denken und Handeln befähigen will. Das ist mit den Mitteln der Lüge und des Betrugs nicht zu erreichen , welche Augenblicksvorteile immer dadurch gewonnen werden mögen. Die Pariser Regierung des Frühjahrs 1849 und der von ihr abgesandte General handelten dem Charakter der Gegenrevolution ganz entsprechend, wenn sie mit Täuschung, Wortbruch und Verrat überall dort arbeiteten, wo sie sich ihres Erfolgs nicht von vornherein sicher fühlten . Unbedenklich hatte Louis Napoleon nach seiner Erwählung zum Präsidenten die Verfassung beschworen, mit der Absicht , sie bei der ersten Gelegenheit zu zerbrechen . Im April 1849 warf jedoch Herr Oudinot vorzeitig die Maske ab. Er wähnte, die Besetzung Roms sei eine Kleinigkeit, wenn er einmal in Civita Vecchia sei , 70 Kilometer von Rom entfernt . Doch bei seinem Marsch dahin stieß er am 30. April auf Garibaldis Freischaren, die seine Armee zurückwarfen. Darob große Aufregung in Paris , sowohl bei den Demokraten , die der Regierung Wortbruch vorwarfen, wie anderseits bei den Militaristen, die gegen die Verletzung der militärischen Ehre Frankreichs tobten. Napoleon pfiff auf die Demokraten und veranlaßte die Absendung von Verstärkungen an Oudinot. Doch wagte er noch nicht, offen mit der Nationalversammlung zu brechen, die ihr Unbehagen über die Vorgänge im Kirchenstaat nicht verhehlte. Ferdinand v. Lesseps , der spätere Schöpfer des Suezkanals , wurde nach Rom geschickt, um eine gütliche Vermittlung zu versuchen . Bald darauf ( 13. Mai 1849) fanden in Frankreich Neuwahlen für eine gesetzgebende Nationalversammlung statt, die an Stelle der konstituierenden trat. In diesen Wahlen wurden die Parteien der bürgerlichen Demokratie aufgerieben . Es wurden überwiegend Reaktionäre gewählt ( 500 ) und neben ihnen ,, Sozialdemokraten" (180) . Diese waren nicht alle Sozialdemokraten im heutigen Sinne , aber alle entschiedene Arbeiterfreunde. Daneben 70 reine Republi-

Die Demonstration vom 13. Juni 1849

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kaner. Die Gegner der Demokratie besaßen die große Mehrheit, die Gegensätze zwischen Rechts und Links aber hatten sich verschärft, die Mittelparteien waren zur Nichtigkeit verurteilt . Was den ,,Sozialdemokraten ", einer Koalition von revolutionären Sozialisten und radikalen Republikanern an Macht in der Nationalversammlung fehlte , suchten sie durch außerparlamentarische Mittel zu ersetzen. Es war eine Situation , ähnlich der vor dem 15. Mai des Vorjahrs . Und auch der Anlaß wieder eine Intervention im Ausland. Nur war es diesmal eine gegenrevolutionäre Intervention , um die es sich handelte , nicht eine revolutionäre . Und sie sollte verhindert, nicht veranlaßt werden . Napoleon, der sich nach den Neuwahlen vom 13. Mai 1849 viel sicherer fühlte, berief Lesseps von Rom ab und befahl Oudinot nach Rom vorzurücken ( 1. Juni ) , diesmal mit solcher Überzahl, daß sein Sieg gesichert war. Er verfügte über 30.000 Mann. Dies zu hindern , gab es nur noch eine Möglichkeit : den Sturz der Pariser Regierung durch die Straße . Für den 13. Juni wurde eine Straßendemonstration in Paris organisiert, die das bewirken sollte. Dafür wären diesmal die Bedingungen insofern günstiger gewesen als am 15. Mai des Vorjahres, weil die Einigkeit der Führer eine größere war, das Ziel ein greifbareres und ein viel dringenderes. Denn es war nicht nur um die römische, sondern auch um die französische Freiheit geschehen, wenn man der Armee Frankreichs gestattete, ohne ausdrücklichen Beschluß der Nationalversammlung kriegerische Aktionen vorzunehmen und demokratische Regierungen niederzuwerfen . Nichtsdestoweniger hatten sich die Bedingungen des Erfolgs gegenüber dem 15. Mai 1848 sehr verschlechtert, die schon damals sehr ungünstig gewesen waren . Die bewaffnete Macht des Staates war jetzt in Paris übermächtig und fest in den Händen eines rücksichtslosen Präsidenten. Auf der andern Seite hatten die Verfolgungen nach dem 15. Mai und weit mehr noch die Schlächtereien der Junitage und deren Konsequenzen das französische Proletariat seiner energischsten Kämpfer beraubt. So kam es, daß die Protestdemonstration vom 13. Juni 1849 in keinem Moment den drohenden Charakter annahm, den die des 15. Mai wenigstens für einige Stunden erreicht hatte. Die Massen fanden sich mehr als Zuschauer ein, wie als aktive Teilnehmer, alle Ansammlungen wurden leicht auseinandergejagt . Es entschied sich am 13. Juni nicht nur das Schicksal der römischen Republik, die am 3. Juli den Truppen Oudinots erliegen sollte, sondern auch das der französischen Republik, die dann am 2. Dezember 1851 gemeuchelt wurde. Wenn der Mißerfolg des 15. Mai 1848 den Weg gebahnt hatte für die Junischlächterei, so legte ein Jahr später der des 13. Juni den Weg frei für den Sieg des Kaiserreichs . Wenn die Männer des 15. Mai einen neuen Revo-

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Der Kommunistenbund in der Revolution

lutionskrieg ersehnt hatten, so erstand jetzt vielmehr aus dem Zusammenbruch der Revolution eine neue Ära von Kriegen , die von Dynastien zu dynastischen Zwecken entfesselt wurden. Doch bewirkten das nur Dynastien, die kühn genug waren, die revolutionäre und demokratisch nationale Idee in ihren Dienst zu nehmen und so ihren Kriegen den Charakter von Nationalkriegen zu verleihen .

5. Die Revolution von 1848 in Deutschland.

a) Der Kommunistenbund und die deutsche Republik. In Paris war die Februarrevolution von 1848 von einem starken industriellen Proletariat durchgekämpft worden, das sich für die nächsten Wochen als Sieger betrachten durfte. Zahlreiche sozialistische Bewegungen und Schulen beherrschten in Frankreich. das Denken nicht nur des Proletariats, sondern auch vieler Intellektuellen der Hauptstadt und wirkten durch sie auf das ganze Land . Nichts derartiges gab es in Deutschland, das infolge seiner Zersplitterung ökonomisch und noch mehr politisch weit hinter Frankreich hatte zurückbleiben müssen. Was von Sozialismus dort merkbar wurde , war nur ein schwacher Reflex französischer Erscheinungen. Es gab unter den Deutschen wohl nicht wenige Sozialisten, aber keine richtige, bodenständige proletarisch- sozialistische Bewegung. Wohl hatten schon Marx und Engels ihre grundlegenden Theorien einer ganz neuen Art sozialistischen Denkens entwickelt, und 1847 den Bund der Kommunisten für sich gewonnen, nachdem sie sowohl Weitling wie Proudhon gegenüber ihre besondere Auffassung dargelegt hatten . Aber dieser Bund stellte bloß eine Gesellschaft politischer Flüchtlinge dar, die wohl Beziehungen zu einzelnen Sozialisten , nicht aber zu irgendeiner sozialistischen Organisation auf deutschem Boden hatten . Als im März 1848 die Revolution in Deutschland ausbrach, erschloß sie sozialistischen Kämpfern die Möglichkeit, öffentlich dort zu wirken und sich zu organisieren . Die deutschen Mitglieder des Kommunistenbundes beeilten sich nun, aus Paris , Brüssel , London, wo sie tätig gewesen, nach Deutschland zu gehen. Aber sie kamen nicht als geschlossene Organisation , sondern Marx und Engels empfahlen ihnen, ,, einzeln nach der Heimat zurückzukehren und dort für die Bewegung zu wirken." (Engels, „ Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten". So betitelt er seine Einleitung zu Marx : ,,Enthüllungen über den Kommunistenprozeß zu Köln." Zürich 1885 , S. 12.)

Marx für die demokratische Republik

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Dieses Auftreten als Einzelpersonen war sehr am Platze, aber es bewies , daß die Bedingungen für eine ganz Deutschland umfassende kommunistische Partei noch nicht bestanden . Und es gab in den deutschen Landen auch kein Zentrum, wie Paris, von dem aus eine Bewegung auf die ganze Nation hätte ausstrahlen können. ,,Jeder ( der Kommunisten , K. ) fing in seiner Lokalität eine kleine Separatbewegung auf eigene Rechnung an .“ ( Engels , „ Geschichte des Bundes der Kommunisten", S. 13.) Bloß zwei Gebiete in Deutschland gab es, in denen Bundesmitglieder eine mehr als lokale Wirksamkeit entfalteten. Das Rheinland und Berlin . In jedem dieser Gebiete waren sie in anderer Weise tätig . Die marxistische Geschichtsauffassung weist ihren sozialistischen Anhängern nicht bloß die Aufgabe zu, den Sozialismus zu verwirklichen, wie die andern Sozialisten alle wollten, sondern auch den proletarischen Klassenkampf innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zu führen , das Proletariat zu organisieren , zu bilden, ihm bessere Lebensbedingungen zu bringen, um es fähig zu machen, die politische Macht im Staate zu erringen und in einer Weise auszuüben, die zur Überwindung der kapitalistischen durch eine sozialistische Produktionsweise führt. Die französischen Sozialisten forderten im Februar 1848 von der provisorischen Regierung die sofortige Abschaffung des proletarischen Elends und gaben dazu nur drei Monate Zeit. Das war auch für Frankreich recht verfrüht. Marx sagt über die Republik, die in den Februartagen in Paris erkämpft wurde : ,,Von dem Proletariat , die Waffen in der Hand, ertrotzt , prägte es ihr seinen Stempel auf und proklamierte es die soziale Republik. So wurde der allgemeine Inhalt der modernen Revolution angedeutet, der in sonderbarstem Widerspruch stand zu allem, was mit dem vorliegenden Material, mit der erreichten Bildungsstufe der Massen, unter den gegebenen Umständen und Verhältnissen zunächst unmittelbar ins Werk gesetzt werden konnte. “ ( „ Der achtzehnte Brumaire", Hamburg 1864, S. 7.) In Deutschland war man noch nicht einmal so weit wie in Frankreich . Marx und Engels selbst erklärten im November 1847 , Deutschland stehe am Vorabend einer bürgerlichen Revolution, und die kommunistische Partei kämpfe dort gemeinsam mit der Bourgeoisie, wo diese revolutionär auftrete , gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei . Unter diesem Umständen konnten die Kommunisten Deutschlands nirgends so wie die französischen Sozialisten an einen Kampf für sofortige Verwirklichung des Sozialismus auch nur de nken. Sie beschränkten sich auf einen Kampf für die Gewinnung seiner Vorbedingunge n, einerseits für die Demokratie und anderseits für ökonomische Reformen. Das Ringen für die Verwirklichung der einen wie der andern dieser Forderungen ist mit dem Wesen des proletarischen Klassen-

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Berliner Kommunisten für Sozialpolitik

kampfes untrennbar verbunden . Doch kann der einzelne Teilnehmer an diesem Kampf sein Interesse mehr der einen oder der andern Seite zuwenden, je nach seiner besonderen persönlichen Begabung, aber auch je nach seiner besonderen Auffassung der jeweiligen Situation, die einmal den politischen und ein andermal wieder den ökonomischen Kampf wichtiger oder aussichtsreicher macht. In der deutschen Revolution von 1848 wurde von kommunistischer Seite in Berlin mehr die ökonomische, im Rheinland mehr die politische Seite betont. In Berlin wirkte auf die Arbeiter der Schriftsetzer Born, der in Paris und Brüssel dem Bunde der Kommunisten angehört hatte . Er wies die Arbeiter vor allem auf die Notwendigkeit hin, die eben errungene Freiheit zum Aufbau ökonomischer Organisationen und zur Gewinnung ökonomischer Reformen zu benutzen. Born beteiligte sich an der Begründung eines Zentralkomitees , dessen Leiter er wurde. Es sollte die Schaffung proletarischer Organisationen fördern und ihre Tätigkeit planmäßig zusammenfassen. Es organisierte Streiks, betrieb die Begründung von Gewerkschaften, Produktivgenossenschaften, Unterstützungskassen für Fälle der Not, etwa Krankheit und Arbeitslosigkeit, stellte aber auch politische Forderungen auf, trat für Schutzzölle ein , jedoch gleichzeitig für die Abschaffung von Lebensmittelsteuern ; für staatliche Unterstützung von Arbeitergenossenschaften in dem Sinne, wie es schon vorher Buchez und Louis Blanc in Frankreich getan und später Lassalle in Deutschland tun sollte, für eine progressive Einkommensteuer, staatliche Arbeitslosenversicherung und Verkürzung der Arbeitszeit. Ein Arbeiterkongreß am 23. August 1848 in Berlin begründete einen Verein , die „ Arbeiterverbrüderung", der bestimmt war, zu einer Organisation der Arbeiter ganz Deutschlands zu werden . Ganz anders gestaltete sich die Tätigkeit, die von den Mitgliedern des Kommunistenbundes im Rheinland entfaltet wurde, unter der Führung von Marx und Engels. Auch ihnen waren ökonomische Organisationen des Proletariats und soziale Reformen von äußerster Wichtigkeit. Marx war der erste Sozialist des europäischen Festlandes , der die Bedeutung der Gewerkschaften erkannte und betonte, der zum Kampf für Arbeiterschutzgesetze aufrief. Doch alle diese so notwendigen Einrichtungen hingen in der Luft, wenn die Demokratie fehlte , die allein den proletarischen Organisationen Freiheit und Sicherheit bot , allein den proletarischen Errungenschaften ihre Dauer gewährleistete. Die politische Umwandlung des Staates im Sinne vollster Demokratie war für Marx und Engels die unentbehrliche Voraussetzung wachsender Kraft und Reife des Proletariats, die Vorbedingung erfolgreichen Klassenkampfes . Das bischen Demokratie, das in den deutschen Staaten im

Versumpfung der deutschen Revolution

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Laufe des März 1848 errungen worden , erschien Marx und Engels völlig ungenügend und vor allem ungesichert. In allen deutschen Staaten waren die Monarchen geblieben . Aber nicht nur das . Die französische Revolution hatte 1789 den Bestand der Monarchie zunächst auch nicht angetastet, doch deren Herrschaftsapparat hatte sie aufgelöst. An Stelle bureaukratischer Zentralisation hatte die Revolution Selbstverwaltung der Gemeinden und Departements gesetzt, und das stehende Heer hatte durch seine Disziplinlosigkeit jede Gefährlichkeit für die Volksrechte verloren. Ganz anders gestalteten sich die Dinge 1848 in jedem der deutschen Staaten . Deren hochgetriebener bureaukratischer Zentralismus erfuhr durch die Revolution keine Minderung, und die Armee kam , wenigstens in den großen Staaten des Bundes, nach kurzem Schwanken bald wieder völlig in die Gewalt des Offizierkorps und des ,,obersten Kriegsherrn". Dabei war Frankreich 1789 bereits ein Einheitsstaat, Deutschland dagegen 1848 noch zerrissen in 34 Monarchien und 4 freie Städte . Die Volksbewegung hatte dort nicht einen, sondern 34 Monarchen zu bekämpfen, fand keinen Mittelpunkt, wie Paris einer war, in dem die Entscheidungskämpfe für das ganze Reich ausgefochten wurden. In Deutschland kam zu den Aufgaben der Brechung des feudalbureaukratischen Absolutismus noch die der Einigung der Nation hinzu , eine Aufgabe, die dem Widerstand nicht nur der herrschenden Klassen, sondern auch partikularistischer Beschränktheit breiterer Massen in drei Dutzend Staaten und Stätchen begegnete . Alles das brachte die revolutionäre Bewegung der Deutschen schon in den ersten Wochen nach ihrem Ausbruch zu arger Versumpfung , die zur Gegenrevolution führen mußte, wenn es nicht gelang, die Revolution weiterzutreiben, und zwar nicht bloß im Sinne der Demokratie , sondern auch der nationalen Einigung . Schon im März 1848, als die Mitglieder der Zentralbehörde des Kommunistenbundes noch in Paris weilten, vor ihrer Abreise nach Deutschland , veröffentlichten sie ,, Forderungen der kommunistischen Partei in Deutschland" ,,im Interesse des deutschen Proletariats, des kleinen Bürger- und Bauernstandes." Von den 17 Punkten dieses Revolutionsprogramms sind nicht. wenige später bereits erfüllt worden. Andere der 17 Forderungen hätten 1848 ohne weiters sofort verwirklicht werden können . Nur die Machtverhältnisse verhinderten es. Als ersten Punkt dieses Programms finden wir die Forderung : ,Ganz Deutschland wird zu einer einzigen unteilbaren Republik erklärt." Dieser Punkt wurde mit Recht an die Spitze gestellt . Ohne seine Durchsetzung stand die Revolution auf höchst unsicheren Füßen. Und nur in einer Republik war die ganze deutsche Nation, die Deutschösterreicher inbegriffen, zu einem lebens- und wir

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Deutsche Republikaner

kungsfähigen staatlichen Organismus zusammenzufassen . Das blieb unmöglich, solange Habsburger und Hohenzollern nebeneinander deutsche Gebiete beherrschten . Trotzdem wollte, wie in fast ganz Europa damals, so auch im Deutschen Bund die Bourgeoisie von der Republik nichts wissen. Diese hatte einen zu proletarischen Beigeschmack, obwohl schon das Beispiel der Vereinigten Staaten und der Schweiz hätte zeigen können , daß die demokratische Republik mit der Herrschaft der Bourgeoisie sehr wohl dort vereinbar sei, wo die sozialen Bedingungen das mit sich brachten. Und das traf 1848 in Deutschland , ja auch in dem ökonomisch weiter vorgeschrittenen Frankreich noch in hohem Maße zu , bei dem Überwiegen von Kleinbürgertum und Bauernschaft in der Bevölkerung. Aber in Frankreich war die erste Republik 1792 unter dem stärksten Druck der arbeitenden Klassen zustande gekommen und sie hatte zu einer Herrschaft der Pariser Arbeiter und Kleinbürger über ganz Frankreich geführt. Daß dies nur kurze Zeit dauerte, nur eine Folge des Krieges, und zwar einer unglücklichen Kriegführung war, beachtete man nicht . Man nahm an, die demokratische Republik bedrohe schon durch ihr bloßes Bestehen die besitzenden Klassen, bedeute die Herrschaft der Besitzlosen. So kam der Gedanke der Republik bei der Bourgeoisie in Mißkredit . Das änderte sich nicht, als im Februar 1848 in Paris die Republik zum zweitenmal für Frankreich herbeigeführt wurde. Diesmal waren es nicht die arbeitenden Klassen im allgemeinen , sondern vor allem die Proletarier, die die Republik eroberten. Die Sieger selbst betrachteten sie als gleichbedeutend mit der sozialen Republik, der roten Republik. In demselben Sinne erschien sie den besitzenden Klassen , sie standen ihr zuerst mit angstvollem Mißtrauen und dann mit stetig wachsender Erbitterung gegenüber, bis die Insurrektion des Juni das Maß voll machte. Die Deutschen besaßen kein Paris, kein Pariser Proletariat , aber der rote Schein, der über den Rhein herüberleuchtete, genügte, sie gegen die Idee der Republik einzunehmen , obwohl einzig unter dieser Staatsform die von allen modernen Klassen der Nation ersehnte deutsche Einigung vollkommen erreichbar war. Außerhalb der kleinen Kreise selbständig denkender Arbeiter gewann der republikanische Gedanke nur wenig Anhang im Deutschland von 1848, mit Ausnahme der Gebiete , die an die Schweiz grenzten . Dort gab es auch in bürgerlichen Kreisen zahlreiche Republikaner. Das Beispiel der Schweiz zeigte, daß in der Republik ganz gut bürgerliche Interessen wahrgenommen werden könnten, wenn die besitzenden Klassen sozial die nötige Kraft besaßen. Doch war die Schweiz kein Einheitsstaat, sondern ein Bund fast selbständiger Kantone . Sie war eine Republik, aufgebaut auf einen weitgehenden Partikularismus . Und mit der großen Republik jenseits des Weltmeers stand es nicht viel besser in dieser

Marx und Blanqui

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Beziehung. Auch die süddeutschen Republikaner waren zumeist stark partikularistisch gesinnt. Die Einheitsrepublik, wie Marx sie wollte, fand nur wenige Befürworter. Und doch war sie unerläßlich, sollte die deutsche Revolution sich behaupten und die gesamte Nation einigen . Das Weitertreiben der deutschen Revolution zur gesamtdeutschen demokratischen Republik, das wurde der Hauptinhalt des Ringens für Marx in den Jahren 1848 und 1849. Als er sein Organ schuf,,, Neue Rheinische Zeitung (seit Juni 1848) , nannte er es nicht Organ des Kommunistenbundes , sondern Organ der Demokratie. Zuerst mußte die demokratische Republik erobert und gesichert sein, ehe der proletarische Klassenkampf Dimensionen und Formen annehmen konnte, die das Proletariat befähigten, erfolgreich für den Kommunismus zu arbeiten.

b) Der Krieg als Motor der deutschen Revolution. Wenn Revolutionäre finden, daß die Revolution, für die sie und in der sie tätig sind , nicht zu den Zielen führt, die sie ersehnen, und daß sie frühzeitig zu erlahmen droht, dann erwächst in ihnen das Bedürfnis, die Revolution ,,weiterzutreiben". Sie finden die Bedingungen dafür aber nicht in jeweilig gegebenen Machtverhältnissen der Klassen, denn soweit diese Verhältnisse den Fortgang der Revolution begünstigen, tun sie es ohnehin und bedürfen nicht erst eines besonderen Antriebs. Dieser soll nun ersetzt werden durch einen Faktor, der außerhalb der bestehenden sozialen Machtverhälnisse steht. Wir haben gesehen , daß als solcher Faktor in Frankreich die revolutionären Sozialisten sowie die Nachfahren der Jakobiner den Krieg betrachteten. Die einen wie die andern standen noch ganz unter dem Einfluß der Traditionen der großen französischen Revolution. Auch Marx wurde 1848 noch stark von ihnen bestimmt und besonders von der sozialistischen Spielart des Jakobinismus, die ihren vornehmsten Vertreter in Blanqui fand . Wohl war Marx ein zu großer, selbständiger Denker, er hatte bereits zu sehr die ökonomische und politische Eigenart der Gegenwart erfaßt ; endlich war sein kritisches Vermögen zu hoch entwickelt, als daß er unbesehen die Geschichte der Revolutionen von 1789 und 1793 als Leitstern für die Revolution von 1848 hätte annehmen können . Er selbst wendete sich gegen diejenigen unter den Kämpfern von 1848 , die sich als Revolutionäre der Vergangenheit drapierten, um die Revolution der Gegenwart auszufechten . Er führte das aus in dem Beginn seiner 1852 verfaßten Schrift über den ,,Achtzehnten Brumaire des Louis Napoleon".

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Krieg mit Rußland

,,Die Revolution von 1848 wußte nichts Besseres zu tun, als hier 1789, dort die revolutionäre Überlieferung von 1793–1795 zu parodieren." Anderseits stand Marx auch dem Blanquismus und seinen Verschwörermethoden kritisch gegenüber. Als er sich dem „, Bund der Gerechten" 1847 anschloß , der sich von da an Bund der Kommunisten nannte, wirkte er vor allem dahin, ihm alle ,, Konspirationsgelüste" auszutreiben, die ein wesentliches Element des Blanquismus bildeten. Aber trotz alledem war im Jahre 1848 in Europa die Nachwirkung der ersten französischen Revolution noch zu gewaltig , als daß sich selbst ein Marx ihr damals schon vollständig hätte entziehen können . Das jakobinische Denken flammte zeitweise in ihm auf, namentlich nach der Junischlacht, als sie ihn zu der „,kühnen revolutionären Kampfparole“ antrieb : ,,Sturz der Bourgeoisie ! Diktatur der Arbeiterklasse!" („ Klassenkämpfe in Frankreich ", S. 40. ) Dieser Satz wurde Ende 1848 niedergeschrieben. Marx hat leider weder damals, noch 1875 in seinem Gothaer Programmbrief, wo er den gleichen Ausdruck gebraucht, erklärt, was er unter dieser Diktatur versteht . Der Ausdruck gehört noch dem geistigen Rüstzeug des Jakobinismus an . Seinen jakobinischen Sympathien entspricht es auch, wenn Marx trotz allem kritischen Verhältnis zu Blanqui diesen doch 1852 als den ,,wirklichen Führer der proletarischen Partei" bezeichnete : ,,Der 15. Mai hatte bekanntlich kein anderes Resultat, als Blanqui und Genossen, d. h. die wirklichen Führer der proletarischen Partei, für die ganze Dauer des Zyklus, den wir betrachten, vom öffentlichen Schauplatz zu entfernen ." ( 18. Brumaire, S. 8. ) Da ist es nicht verwunderlich, wenn Marx - und mancher andere radikale Revolutionär in Deutschland mit ihm - 1848 bald zu dem gleichen Ergebnis kam wie ,, Blanqui und Genossen", zu der Überzeugung, nur ein auswärtiger Krieg biete noch die Möglichkeit, die Revolution in gleicher Weise weiterzutreiben, wie es der Krieg 1792 und 1793 in Frankreich getan . Der Krieg hatte aber 1848 für das revolutionäre Deutschland einen weit besseren Sinn, als gleichzeitig für Frankreich. Die französische Revolution war damals von keinem äußeren Feind bedroht. Sie konnte zu einem Kriege nur kommen auf dem Wege eines Angriffs auf einen andern Staat, der Hilfeleistung für die Freiheitskämpfe anderer Nationen. Ganz anders gestaltete sich die Kriegsfrage in Deutschland. Dieses grenzte an das Land des Zaren , des erbittertsten Feindes jeglicher Freiheit, namentlich seit dem Aufstand zuerst der Dekabristen ( 1825 ) und dann dem seiner Polen ( 1830 ) . Man durfte 1848 mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, Rußland werde zur Niederschlagung der deutschen Revolution in Deutschland einmarschieren, vielleicht gerufen von den Hohenzollern und Habsburgern. Die Notwendigkeit der Abwehr des feindlichen Einbruchs

Deutsche Einigung durch Krieg

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hätte dann tatsächlich eine Situation ergeben, die der Frankreichs von 1792 und 1793 sehr ähnelte und auch gleiche Resultate mit sich bringen konnte , die sich nicht so leicht wieder verwischen ließen. Traten im Falle eines Krieges mit Rußland 1848 die deutschen Dynastien ebenso in verräterische Verbindung mit dem Landesfeind, wie 1792 Ludwig XVI. in Frankreich, dann mußte das diesmal ebenso die Republik bringen wie damals. Und erwies sich der kleinstaatliche Partikularismus als Hemmnis erfolgreicher Landesverteidigung, dann mußte ihn die Kriegsglut in Deutschland 1848 ebenso wie ein halbes Jahrhundert vorher in Frankreich zu einem einheitlichen Nationalbewußtsein umschmelzen . Wurde also die deutsche Revolution in einen Krieg verwickelt, dann hätte er sie ganz gewiß weitergetrieben. Natürlich nicht im Sinne des Sozialismus. Für den bestanden damals in Deutschland noch weniger die Vorbedingungen als in Frankreich. In Deutschland wurde 1848 an ein sozialistisches Gemeinwesen nicht einmal von der Masse der Lohnarbeiter gedacht - diese stellten sich in der Mehrheit noch anfangs der sechziger Jahre Lassalle ablehnend gegenüber. Doch das Weitertreiben der Revolution zum Sozialismus wurde in Deutschland von Marx auch gar nicht als die Aufgabe der Revolution betrachtet, sondern die Umwandlung Deutschlands in eine einheitliche Republik. Und das war ein Ziel, das damals schon als erreichbar gelten konnte. Zwei Jahrzehnte später kam Bismarck in bezug auf den Weg zur Einigung Deutschlands zu einer ähnlichen Auffassung, wie 1848 Marx. Natürlich war das Reich, das er anstrebte, sehr verschieden von dem Marxschen Ideal . Nicht die ganze deutsche Nation wollte er einigen , sondern nur einen Teil dieser Nation unter der Fuchtel der Hohenzollern zusammenfassen. Aber so sehr das kaiserliche Großpreußen, das der preußische Junker schuf, verschieden war von der gesamtdeutschen Republik, beide, Marx und Bismarck, hatten das gemein , daß sie unter Umständen keinen andern Weg zum Ziel sahen, als einen Krieg. Bismarck allerdings wollte einen Krieg gegen Frankreich, die Mutter der Revolutionen auf dem Festland Europas, Marx einen Krieg mit Rußland , der Hochburg des Despotismus . Beide stimmten auch darin überein , daß sie erkannten , nur ein Verteidigungskrieg könne in den deutschen Stämmen jene Begeisterung erwecken, die notwendig war, sie zu einer höheren Einheit zusammenzuschweißen . Bismarck wurde von den Verhältnissen so begünstigt, daß es ihm gelang, den französischen Kaiser in eine Situation hineinzumanövrieren , aus der dieser keinen Ausweg sah, als die Kriegserklärung an den König von Preußen . Den Deutschen erschien 1870 ihr Krieg gegen Frankreich als ein Krieg der Abwehr eines frivolen Angriffs . Darin war Bismarck glücklicher als die deutsche Revolution.

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Marx für Krieg

Im Jahre 1848 blieb jeder Angriff Rußlands auf die deutsche Revolution aus, damals in Europa des einzigen Staates von Belang, der selbst gegen keine Volksbewegung in seinem Innern zu kämpfen hatte und Deutschland bedrohen konnte. Am ehesten hätte eine Proklamierung der Wiederherstellung Polens durch eine der maßgebenden Volksvertretungen der Deutschen den Zaren zu einem Angriff provozieren können . Doch in der deutschen Revolution kam es nicht nur nicht zu einer derartigen Proklamierung, die Polen gerieten sogar in Zwist mit deutschen Revolutionären und wurden von deutschen Armeen niedergeschlagen. Damit entfiel für den Zaren jeder Anlaß , in Deutschland einzuschreiten und den furor teutonicus gegen sich zu entzünden. Obwohl 1848 für Deutschland die Idee, die Revolution durch einen Krieg weiterzutreiben, weit mehr in den Verhältnissen begründet und viel rationeller war als in Frankreich, kam es auch in Deutschland nicht dazu , die Probe auf das Exempel zu machen , ob die Idee wirklich das halten könne , was sie verspreche.

c) „ Neue Rheinische Zeitung“ und Krieg. Das Marxsche Sprachrohr während der Revolution war die seit 1. Juni 1848 in Köln erscheinende ,, Neue Rheinische Zeitung“. In ihr kann man am besten verfolgen , wie sich Marx und seine Freunde in den verschiedensten Situationen zum Revolutionskrieg stellten. Schon am 6. Juni kritisierte die Redaktion das Ziel der „, Linken" und der „ radikal-demokratischen Partei", in der Frankfurter Nationalversammlung, es jedem deutschen Einzelstaat anheimzugeben, welche Verfassung er haben wolle, ob eine monarchische oder eine republikanische. Nur die Zentralgewalt solle von vornherein eine republikanische sein. Demgegenüber forderte die ,,N. Rh. Z.“ die Aufstellung der deutschen Einheitsrepublik als Ziel , und sie sprach damals schon von einem Krieg als Mittel, Deutschland diesem Ziel entgegenzutreiben. Es hieß in dem Artikel : „ Wir stellen nicht das utopistische Verlangen, daß a priori eine einige unteilbare deutsche Republik proklamiert werde, aber wir verlangen von der sogenannten radikal -demokratischen Partei, den Ausgangspunkt des Kampfes und der revolutionären Bewegung nicht mit ihrem Zielpunkt zu verwechseln. Die deutsche Einheit , wie die deutsche Verfassung, können nur als Resultat aus einer Bewegung hervorgehen, worin ebenso sehr die inneren Konflikte, als der Krieg mit dem Osten zur Entscheidung treiben werden ..." ,,Nichts konfuser als der Einfall des Redakteurs des demokratischen Manifestes ... an dem nordamerikanischen Föderativstaate sich das Maß der deutschen Verfassung nehmen zu wollen. " ,,Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, abgesehen davon , daß sie alle gleichartig konstitutiert sind, erstrecken sich über eine Fläche so groß, wie das zivilisierte Europa. Nur in einer europäischen Föderation könnten

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Marx für deutsche Einheitsrepublik

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sie eine Analogie finden . Und damit Deutschland sich mit andern Ländern föderiert, muß es vor allem Ein Land werden." ,,In Deutschland ist der Kampf der Zentralisation mit dem Föderativwesen ein Kampf zwischen der modernen Kultur und dem Feudalismus. Deutschland verfiel in ein verbürgerlichtes Feudalwesen in demselben Augenblick, wo sich die großen Monarchien des Westens bildeten, aber es wurde auch von dem Weltmarkt ausgeschlossen in demselben Augenblick, wo dieser sich dem westlichen Europa eröffnete. Es verarmte, während sie sich bereicherten. Es verbauerte, während sie großstädtisch wurden. Klopfte nicht Rußland an die Pforten Deutschlands an , die nationalökonomischen Verhältnisse allein würden es zu straffester Zentralisation zwingen. Selbst nur vom bürgerlichen Standpunkt betrachtet, ist die widerspruchslose Einheit Deutschlands die erste Bedingung, um es aus der bisherigen Misere zu erretten und den Nationalreichtum zu erschaffen. Und wie nun gar die modernen sozialen Aufgaben lösen auf einem in 39 Ländchen zersplitterten Terrain ?" Diese Ausführungen sind leider auch heute noch von aktueller Bedeutung. In Frankreich stellte die Revolution von 1848 das Problem nicht nur der Demokratie und sozialen Reform , sondern auch das des Föderalismus auf. Sein bureaukratischer Zentralismus hatte bereits eine unerträgliche Ausdehnung erreicht . Der Kampf dagegen bildete den gesunden Kern des Proudhonschen Anarchismus. Auch Marx wendete sich gegen diesen französischen Zentralismus , z. B. in seinem „, 18. Brumaire", den er 1852 verfaßte . Für Deutschland bezeichnete er dagegen die Zurückdrängung des noch aus der Feudalzeit überkommenen Föderalismus als eine der dringendsten Aufgaben der Revolution . Während Frankreich an Zentralismus zu viel aufwies, besaß Deutschland zu wenig davon. Und das ist, trotz aller Fortschritte und Umwälzungen, seitdem nur wenig anders geworden . Die Aufgabe ist hier wie dort in dieser Beziehung im wesentlichen heute noch dieselbe wie 1848. Sah Marx die politische Aufgabe der deutschen Revolution nicht bloß in der Gewinnung der Demokratie, sondern auch in der eines ziemlich zentralisierten Einheitsstaates , so sah er ihre ökonomische Aufgabe nicht bloß in der „ Lösung der modernen sozialen Aufgaben", sondern auch in der „ Erschaffung des Nationalreichtums ", also nicht bloß in der Hebung der arbeitenden Klassen, sondern auch in der Förderung des gesamten Produktionsprozesses , der damals noch, und für lange hinaus, ein kapitalistischer war. Nicht vom Stocken der kapitalistischen Wirtschaft, sondern von dem Erstarken des Proletariats, von ,,der Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten , vereinten und organisierten Arbeiterklasse" erwartete er das Kommen des Sozialismus . So bemerkenswert diese Feststellungen sind, so interessiert uns hier vor allem in den oben zitierten Marxschen Ausführungen der Satz , in dem er am 6. Juni 1848 auf den ,,Krieg mit dem Osten" als ein Mittel hinweist, die Bewegung für die deutsche Einheit ,,zur Entscheidung zu treiben". 7*

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Marx für Revolutionskrieg

Dieser ,,Krieg mit dem Osten" schien heranzuziehen. In ihrer Nummer vom 25. Juni schrieb die ,, N. Rh. Z." in ihrem Leitartikel : ,,Arm in Arm mit den braven Pommern werden die Russen nach Sodoma und Gomorrha ziehen und das ,Ansehen ' Preußens, d . h. der preußischen Dynastie , des absoluten Königtums wieder herstellen ...") ,,Wenn die Russen der preußischen Dynastie von Osten , werden die Franzosen dem deutschen Volke von Westen her zu Hilfe eilen ... Wenn die Preußen mit den Russen, werden die Deutschen sich mit den Franzosen alliieren und mit ihnen vereint den Krieg des Westens gegen den Osten, der Zivilisation gegen die Barbarei, der Republik gegen die Autokratie führen." ,,Wir wollen Deutschlands Einheit. Aber nur aus der Zersplitterung der großen deutschen Monarchien können sich die Elemente zu dieser Einheit ausscheiden. Nur im Kriegs- und Revolutionssturm können sie zusammengeschmiedet werden. " Nicht jeden Krieg hieß Marx willkommen, sondern nur den Revolutionskrieg. In der Nummer der „, N. Rh. Z. “ vom 12. Juli hieß es : ,,Trotz des patriotischen Geheuls und Getrommels fast der ganzen deutschen Presse hat die ,,N. Rh . Z.“ vom ersten Augenblick an in Posen für die Polen, in Italien für die Italiener, in Böhmen für die Tschechen Partei ergriffen. Vom ersten Moment an durchschauten wir die machiavellistische Politik, welche im Innern Deutschlands in den Grundfesten erschwankend ( sic ) die demokratische Energie zu lähmen , die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, der revolutionären Glutlava einen Abzugskanal zu graben, die Waffe der inneren Unterdrückung zu schmieden suchte, indem sie einen engherzigen, dem kosmopolitischen Charakter des Deutschen widerstrebenden Stammha B heraufbeschwor und in Stammkriegen von unerhörtem Greuel, von namenloser Barbarei eine Soldateska heranbildete, wie der Dreißigjährige Krieg sie kaum aufzuweisen hat. In demselben Augenblick, wo die Deutschen um die innere Freiheit mit ihren Regierungen ringen, sie unter dem Kommando derselben Regierungen einen Kreuzzug gegen die Freiheit Polens, Böhmens, Italiens unternehmen lassen, welche Tiefe der Kombination ! Welch geschichtliches Paradoxon ! In revolutionärer Gärung begriffen, macht sich Deutschland nach Außen Luft in einem Krieg der Restauration, in einem Krieg für die Befestigung der alten Macht, gegen die es eben revolutioniert. Nur der Krieg mit Rußland ist ein Krieg des revolutionären Deutschland,*) ein Krieg, worin es die Sünden der Vergangenheit abwaschen, worin es sich ermannen, worin es seine eigenen Autokraten besiegen kann, worin es, wie einem die Ketten langer, träger Sklaverei abschüttelnden Volke geziemt, die Propaganda der Zivilisation mit dem Opfer seiner Söhne erkauft und sich nach Innen frei macht, indem es sich nach Außen befreit." (Mehringsche Ausgabe, S. 114. ) Aber dieser Krieg, dieser ersehnte Krieg, er wollte nicht kommen . Und doch schien er nahe zu sein, angesichts der Rüstungen Rußlands an der preußischen Grenze. Indes so große Lust der Zar verspürte, die deutsche Revolution niederzuschlagen , die Sache erschien ihm doch nicht recht geheuer. ¹ ) Mehring druckte den Artikel im 3. Band seiner „ Gesammelten Schriften von Marx und Engels" ab ( S. 111 ff. ) , ließ aber merkwürdigerweise den hier oben zitierten Passus weg. K. 2) Die Unterstreichung der Worte findet sich schon im Original. In der Mehringschen Ausgabe ist sie beseitigt. K.

Deutscher Krieg gegen Dänemark

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An Stelle des großen Krieges gegen das gewaltige Rußland bekamen die Deutschen nur einen kleinen Krieg gegen das schwache Dänemark - ebenfalls eine Art Revolutionskrieg, einen Befreiungskrieg zur Abschüttlung der dänischen Fremdherrschaft, die Schleswig- Holstein bedrückte. Auch diesen Krieg begrüßte die ,,Neue Rheinische Zeitung" freudig. Wir haben einen ihrer Artikel darüber den bezeichnendsten schon im 1. Band von „ Krieg und Demokratie" veröffentlicht , wo wir eingehender von dem deutsch-dänischen Krieg, seinen Ursachen, aber auch seinem Mißerfolg handelten. Er war nicht geeignet, die Revolution weiterzutreiben zur Beseitigung der deutschen Souveräne, zur Einigung Deutschlands. Vielmehr bemächtigte sich das deutsche Königtum der Führung des Kriegs, um ihn mit einem Verrat an der Sache der Elbherzogtümer abzuschließen und diese wieder an Dänemark auszuliefern, im Waffenstillstand von Malmö (26. August 1848) . Die Frankfurter Nationalversammlung wurde vor die Wahl gestellt, den Waffenstillstand zu verwerfen, das heißt, dem König von Preußen, aber auch Rußland und England , den Freunden Dänemarks, den Krieg zu erklären, oder aber den Vertrag zu akzeptieren, damit aber die Ohnmacht der Revolution zu bekunden und zu besiegeln. Die erstere Alternative hätte geheißen , den kleinen Lokalkrieg zu einem riesenhaften Weltkrieg ausdehnen. Die andere bedeutete die Bankerotterklärung der Revolution. Ob der aufrüttelnde Antrieb eines Krieges um die nationale Existenz 1848 schon ausreichend gewesen wäre, alle Kräfte des deutschen Volkes zu einem solchen Ausmaß zu entflammen, daß es imstande war , gleichzeitig Krieg gegen die eigenen Monarchen und gegen zwei der stärksten Großmächte des Auslands zu führen, kann mit Sicherheit natürlich weder bestritten noch behauptet werden . Es hätte auf jeden Fall Dantonscher Kühnheit und des revolutionären Selbstbewußtseins der Bevölkerung einer riesenhaften Reichshauptstadt bedurft, um eine so entschlossene Politik herbeizuführen. Dazu fehlten in Frankfurt alle Bedingungen. Die Nationalversammlung nahm den Waffenstillstand an, und als die Frankfurter Revolutionäre sich dagegen im Aufstand erhoben, 18. September, wurden sie von österreichischen und preußischen Truppen niedergeworfen . Damit war die Möglichkeit, die deutsche Revolution durch . einen Krieg der deutschen Nation weiterzutreiben , endgültig aufgehoben. Es gab wohl im Mai und Juni 1849 noch bewaffnete Erhebungen in der Pfalz , in Baden, in Sachsen , aber das blieben lokale Bewegungen . Schon zu Ende des Jahres 1848, nachdem Wien im Oktober der Soldateska eines Windischgrätz erlegen war und Berlin im November sich vor einem Wrangel gedemütigt hatte , lag es klar zutage, daß die Triebkräfte der deutschen Revolution erschöpft

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Krieg gegen England

waren. Dennoch verzweifelte Marx nicht. Doch einen neuen Aufschwung erwartete er nicht mehr von der Einigungsbewegung Deutschlands, sondern nur noch von einer Erhebung des französischen Proletariats. Noch hatte es sich nicht unverkennbar gezeigt, wie vernichtend die Pariser Arbeiter durch die Junischlacht getroffen worden waren. Noch mochte man meinen , diese Schlacht habe nur den Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat aufs äußerste verschärft, so daß eine neue Erhebung in der französischen Hauptstadt sich weit mehr als die des Februar 1848 direkt gegen das Kapital richten und es bedrohen, damit aber auch die soziale Republik in der ganzen zivilisierten Welt zum Ziel der nächsten Revolution machen werde. Auch für Deutschland konstatierte die ,, N . Rh . Z." in einem Leitartikel vom 29. Dezember, daß die Geschichte der Ereignisse von März bis Dezember 1848 bezeuge, es sei fortan ,,nur die feudale absolutistische Konterrevolution möglich oder die sozial- republikanische Revolution." Doch auch diese Revolution schien ebenso wie die der nationalen Einigung zu ihrer Vollendung eines Weltkriegs zu bedürfen . Nur suchte man den Feind jetzt nicht im Osten, sondern im Westen : das kapitalistische England. In der Neujahrsnummer 1849 bringt die ,,N. Rh . Z." einen Artikel, datiert vom 31. Dezember 1848, in dem es unter anderem heißt : „ Die Niederlage der Arbeiterklasse in Frankreich , der Sieg der französischen Bourgeoisie war gleichzeitig die neue Knebelung der Nationalitäten, die das Krähen des gallischen Hahnes mit heroischen Emanzipationsversuchen beantwortet hatten. Polen, Italien und Irland wurden noch einmal von preußischen , österreichischen und englischen Sbirren gebrandschatzt, geschändet, gemeuchelmordet. Die Niederlage der Arbeiterklasse in Frankreich, der Sieg der französischen Bourgeoisie war gleichzeitig die Niederlage der Mittelklassen in allen europäischen Ländern, wo die Mittelklassen einen Augenblick mit dem Volke vereint, das Krähen des gallischen Hahns mit blutiger Schilderhebung gegen den Feudalismus beantwortet hatten. Neapel, Wien, Berlin ! Die Niederlage der Arbeiterklasse in Frankreich, der Sieg der französischen Bourgeoisie war gleichzeitig ein Sieg des Ostens über den Westen, die Niederlage der Zivilisation unter der Barbarei. In der Wallachei begann die Unterdrückung der Romanen durch die Russen und ihre Werkzeuge, die Türken ; in Wien erwürgten Kroaten, Panduren, Tschechen , Sereschaner und ähnliches Lumpengesindel die germanische Freiheit, und in diesem Augenblick ist der Zar allgegenwärtig in Europa. Der Sturz der Bourgeoisie in Frankreich, der Triumph der französischen Arbeiterklasse, die Emanzipation der Arbeiterklasse überhaupt , ist also das Losungswort der europäischen Befreiung." ,,Das Land aber, das ganze Nationen in seine Proletarier verwandelt, das mit seinen Riesenarmen die ganze Welt umspannt hält, das mit seinem Geld schon einmal die Kosten der europäischen Restauration bestritten hat, in dessen eigenem Schoße sich die Klassengegensätze zur ausgeprägtesten, schamlosesten Form fortgetrieben haben - England scheint der Fels, an dem die Revolutionswogen scheitern, das die neue Gesellschaft schon im Mutterschoße aushungert. England beherrscht den

Die Gegenrevolution 1849

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Weltmarkt. Eine Umwälzung der nationalökonomischen Verhältnisse in jedem Lande des europäischen Kontinents, auf dem gesamten europäischen Kontinente ohne England, ist der Sturm in einem Glase Wasser. Die Verhältnisse der Industrie und des Handels innerhalb jeder Nation sind beherrscht durch ihren Verkehr mit andern Nationen, sind bedingt durch ihr Verhältnis zum Weltmarkt. England aber beherrscht den Weltmarkt, und die Bourgeoisie beherrscht England.“ ,,Die Befreiung Europas, sei es die Erhebung der unterdrückten Nationalitäten zur Unabhängigkeit, sei es der Sturz des feudalen Absolutismus, sind also bedingt durch die siegreiche Erhebung der französischen Arbeiterklasse. Aber jede französisch- soziale Umwälzung scheitert notwendig an der englischen Bourgeoisie, an der industriellen und kommerziellen Weltherrschaft Großbritanniens. Jede partielle soziale Reform in Frankreich und auf dem europäischen Kontinent überhaupt ist und bleibt, soweit sie definitiv sein soll, ein hohler, frommer Wunsch. Und das alte England wird nur gestürzt durch einen Weltkrieg, der allein der Chartistenpartei, der organisierten englischen Arbeiterpartei die Bedingungen zu einer erfolgreichen Erhebung gegen ihre riesenhaften Unterdrücker bieten kann. Die Chartisten an der Spitze der englischen Regierung - erst mit diesem Augenblick tritt die soziale Revolution aus dem Reiche der Utopie in das Reich der Wirklichkeit. Jeder europäische Krieg aber, worin England verwickelt wird, ist ein Weltkrieg. Er wird geführt in Kanada wie in Italien, in Ostindien wie in Preußen, in Afrika wie an der Donau. Und der europäische Krieg ist die erste Folge der siegreichen Arbeiterrevolution in Frankreich. England wird wie zu Napoleons Zeit an der Spitze der konterrevolutionären Bewegung stehen, aber durch den Krieg selbst an die Spitze der revolutionären Bewegung geworfen werden und seine Schuld gegen die Revolution des 18. Jahrhunderts einlösen." ,,Revolutionäre Erhebung der französischen Arbeiterklasse, Weltkrieg' ) - das ist die Inhaltsanzeige des Jahres 1849." ( Mehringsche Ausgabe, S. 230 ff. ) Mancher dieser Sätze ist hochbedeutend. So namentlich der : ,,Die Chartisten (also die Arbeiterpartei ) an der Spitze der englischen Regierung erst mit diesem Augenblick tritt die soziale Revolution aus dem Reiche der Utopie in das der Wirklichkeit." Aber im Allgemeinen entsprach leider der wirkliche Inhalt des Jahres 1849 in keiner Weise dieser Anzeige in der Neujahrsnummer der ,,N. Rh. Z.". Deren Erwartungen beruhten auf einer grausamen Selbsttäuschung. Der Inhalt des Jahres 1849 gestaltete sich ganz anders , als Marx erwartete. Die revolutionäre Erhebung der französischen Arbeiterklasse blieb aus. Sie hätte , wenn sie gekommen wäre, nur in einer neuen Niederlage enden können . Paris hatte seine revolutionäre Führerschaft für Frankreich und erst recht für die Welt bereits völlig verloren. Es hatte sie erlangt in der ersten großen Revolution , als die arbeitenden Massen in Paris, Proletarier und Kleinbürger die Interessen auch der Bauernschaft, die Interessen des arbeitenden Volkes von ganz Frankreich verfochten. Im Jahre 1848 trennten sich bereits in Paris selbst die Interessen der Lohnarbeiter von denen der Kleinbürger. Sie waren vollends verschieden von denen der besitzenden Bauern , die keine neue Revolution mehr wünsch¹) Diese gesperrten Worte sind im Original fett gedruckt . K.

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Erhebung der Ungarn

das war ten. Die Proletarier von Paris gegen ganz Frankreich eine zu ungleiche Partie. Und außerhalb Frankreichs bedeuteten die industriellen Lohnarbeiter erst recht wenig im übrigen Europa, abgesehen von England. Marx hatte ganz recht : „ Die Emanzipation der Arbeiterklasse überhaupt ist das Losungswort der europäischen Befreiung" , das heißt der vollständigen Befreiung aller Nationalitäten Europas. Aber für diese Emanzipation waren 1848 noch nirgends die Bedingungen gegeben . Sie reiften seitdem erst langsam heran. Die Revolution von 1848 war dabei nicht vergeblich gewesen. Sie hat den Reifungsprozeß erheblich beschleunigt. Doch erst jetzt nahen wir dem Abschluß dieses Prozesses. Seitdem hat sich die Welt gewaltig verändert, England beherrscht nicht mehr den Weltmarkt, der in Europa „ allgegenwärtige" Zar ist verschwunden , und neben die Arbeiter Englands und Frankreichs sind noch die anderer Länder als ebenbürtige Mitkämpfer um die Emanzipation der Arbeiterklasse getreten . Weit entfernt, ein neues Aufflammen der Revolution und einen Weltkrieg zu bringen , sah das Jahr 1849 nur die letzten ver . zweifelten Versuche, die steigende Flut der Reaktion abzuwehren . Sie wurden alle niedergeschlagen . Bloß die Erhebung der Ungarn errang eine Zeitlang solche Erfolge, daß es scheinen konnte , sie werde sich behaupten. Der neue Kaiser von Österreich Franz Josef, der im Dezember 1848 an Stelle Ferdinands trat, wurde mit den Ungarn in der Tat nur dadurch fertig , daß er den Zaren bewog , ihm gegen die Rebellen zu helfen und mit 140.000 Mann in Ungarn einzumarschieren , Juni 1849. Ein Jahr vorher hatte Marx einen solchen Krieg der Russen gegen die Revolution ersehnt als ein Mittel, diese vorwärtszutreiben. Jetzt kam dieser Krieg , aber unter gänzlich veränderten Bedingungen. Er belebte nicht die Revolution , sondern versetzte ihr den Gnadenstoß . Es ist leicht begreiflich, daß Kämpfernaturen wie Marx und Engels über den vollständigen Zusammenbruch der Revolution außer sich gerieten, auf die sie so hochgespannte Erwartungen gesetzt hatten. Ihre letzte Hoffnung, der Aufstand der Ungarn , den die Wiener bei seinem Ausbruch unterstützt hatten , war nicht zum wenigsten gescheitert an der Hilfe, die so viele österreichische Slawen dem Hause Habsburg damals leisteten, weil sie sich von der Wiener Zentralregierung und dem Adel Ungarns bedrückt fühlten und wähnten, in der herrschenden Dynastie einen Bundesgenossen zu finden . Gegen diese Slawen gossen nun Marx und Engels die ganze Schale leidenschaftlichen Zornes aus , die der Untergang der Revolution bei ihnen zum Überlaufen gefüllt hatte. Nicht nur gegen

Kampf gegen die Slawen

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die Kroaten wendeten sie sich, sondern auch gegen die Tschechen, denen sie zu Beginn der Revolution die stärksten Sympathien entgegengebracht hatten.¹ ) Und nicht bloß den Kampf gegen diese Nationen forderten sie, nein, ihre völlige Vernichtung. Wir haben schon im Neujahrsartikel von 1849 gesehen, wie dort von ,, Kroaten , Panduren, Tschechen , Sereschanern und ähnlichem Lumpengesindel" gesprochen wird.²) Im Januar 1849 schlug die „, N. Rh . Z." noch weit schärfere Töne gegen die Slawen an. In ihrer Nummer vom 13. Januar veröffentlicht sie einen sehr ausgedehnten , wohl von Engels herrührenden, Leitartikel über den Aufstand der Ungarn und seine Aussichten : „ Die Übermacht ist furchtbar. Ganz Österreich 66 , voran 16 Millionen fanatisierte Slawen gegen 4 Millionen Magyaren ..." ,,Das Jahr 1848 brachte zuerst die furchtbarste Verwirrung nach Österreich, indem es alle die verschiedenen , bisher durch Metternich einander knechtenden Stämme einen Moment frei ließ ... Die Streitenden teilten sich in zwei große Heerlager ; auf der einen Seite der Revolution die Deutschen, Polen und Magyaren ; auf der Seite der Konterrevolution die übrigen, die sämtlichen Slawen mit Ausnahme der Polen, die Romanen und die siebenbürgischen Sachsen ...“ „ Unter allen den Nationen und Natiönchen Österreichs sind nur drei, die die Träger des Fortschritts waren , die aktiv in die Geschichte eingegriffen haben, die noch jetzt lebensfähig sind - - die Deutschen, die Polen, die Magyaren. Daher sind sie jetzt revolutionär.“ „ Alle andern großen und kleinen Stämme und Völker haben zunächst die Mission, im revolutionären Weltsturm unterzugehen. Daher sind sie jetzt konterrevolutionär." ,,Die Magyaren sind noch nicht besiegt. Fallen sie aber, so fallen sie rühmlich als die letzten Helden der Revolution von 1848, und nur auf kurze Zeit. Dann wird einen Augenblick die slawische Konterrevolution mit ihrer ganzen Barbarei die österreichische Monarchie überfluten und die Kamarilla wird sehen, was sie an ihrem Bundesgenossen hat . Aber bei dem ersten siegreichen Aufstand des französischen Proletariats, den Louis Napoleon mit aller Macht heraufzubeschwören bemüht ist , werden die österreichischen Deutschen und Magyaren frei werden und an den slawischen Barbaren furchtbare Rache nehmen. Der allgemeine Krieg, der dann ausbricht, wird diesen slawischen Sonderbund zersprengen und alle diese kleinen stierköpfigen Nationen bis auf ihren Namen vernichten. “ ,,Der nächste Weltkrieg wird nicht nur reaktionäre Klassen und Dynastien, er wird auch ganze reaktionäre Völker vom Erdboden verschwinden machen. Und das ist auch ein Fortschritt. " ( Mehringsche Ausgabe , S. 232-245.) In der Nummer vom 15. Februar 1849 der ,,N. Rh. Ztg. " finden wir wieder einen Leitartikel, der denselben Faden weiterspinnt. Er beginnt mit einem Angriff auf das Streben , alle Völker ohne Ausnahme zu verbrüdern : ,,Wir haben oft genug darauf hingewiesen , wie die sanften Träume, die nach den Revolutionen des Februar und März auftauchten , wie die ¹) Mehr darüber in meinem „,,Krieg und Demokratie ", I. S. 412 ff. ") Panduren und Sereschaner waren nicht besondere Nationalitäten, sondern besondere Abteilungen des österreichischen Heeres, die aus Südslawen rekrutiert wurden. K.

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Mißachtung der Slawen

Schwärmerei von allgemeiner Völkerbrüderung, europäischer Föderativrepublik und ewigem Weltfrieden im Grunde nichts waren als Verhüllungen der grenzenlosen Ratlosigkeit und Tatlosigkeit der damaligen Wortführer ..." ,,Man hat es durch schmerzliche Erfahrung gelernt, daß die europäische Völkerverbrüderung nicht durch bloße Phrasen und fromme Wünsche zustande kommt, sondern nur durch gründliche Reformen und blutige Kämpfe ; daß es sich nicht um eine Verbrüderung aller europäischen Völker unter einer republikanischen Fahne, sondern um die Allianz der revolutionären Völker gegen die konterrevolutionären handelt, eine Allianz, die nicht auf dem Papier, sondern auf dem Schlachtfeld zustande kommt." Veranlaßt wurden diese Ausführungen durch einen „ Aufruf an die Slawen", in dem Bakunin die „ Unabhängigkeit aller Slawen ohne Unterschied forderte".¹ ) Dagegen wendete sich die „ N. Rh. Ztg." mit der Begründung, die Slawen Österreichs seien nicht lebensfähig, mit Ausnahme der Polen. Es geschehe ihnen recht, wenn sie von Deutschen und Magyaren unterdrückt würden , sie seien von Haus aus Gegner der Revolution . Nur einige Belege für diese erstaunlichen Auffassungen . Die ,,N. Rh. Z." schreibt in dem schon zitierten Artikel vom 15. Februar 1849 : ,,Außer den Polen, den Russen und höchstens den Slawen der Türkei hat kein slawisches Volk eine Zukunft, aus dem einfachen Grunde, weil allen übrigen Slawen die ersten historischen, geographischen, politischen und industriellen Bedingungen der Selbständigkeit und Lebensfähigkeit fehlen." ,,Völker, die nie eine eigene Geschichte gehabt haben , die von dem Augenblicke an, wo sie die erste, roheste Zivilisationsstufe ersteigen, schon unter fremde Botmäßigkeit kommen, oder die erst durch ein fremdes Joch in die erste Stufe der Zivilisation hineingezwungen werden, haben keine Lebensfähigkeit , werden nie zu irgend einer Selbständigkeit kommen können." (Mehringsche Ausgabe , S. 251. ) ,,Die Stellung der Deutschen und Magyaren würde äußerst angenehm sein, wenn den österreichischen Slawen zu ihrem sogenannten , Rechte' verholfen würde ! Zwischen Schlesien und Österreich ein unabhängiger böhmisch-mährischer Staat eingekeilt, Österreich und Steiermark durch die ,südslawische Republik' von seinem natürlichen Debouchée, dem adriatischen und Mittelmeer abgeschnitten, der Osten Deutschlands zerfetzt wie ein von Ratten angenagtes Brot ... Und das alles zum Dank dafür, daß die Deutschen sich die Mühe gegeben haben, die eigensinnigen Tschechen und Slowenen zu zivilisieren , Handel und Industrie , erträglichen Ackerbau und Bildung bei ihnen einzuführen ! “ ( S. 253 , 254. ) ,,Wenn die acht Millionen ( in Ungarn lebenden , K. ) Slawen sich während acht Jahrhunderten gefallen lassen mußten, daß die vier Millionen Magyaren ihnen das Joch auferlegten , so beweist das allein hinlänglich , wer lebensfähiger und energischer war, die vielen Slawen oder die wenigen Magyaren." (S. 255. ) ,, Es stellt sich heraus, daß diese Verbrechen' ( die Unterdrückungs¹) Darüber handelte kürzlich ausführlich ein Artikel B. Nikolajewskys in der in Leyden ( Holland ) erscheinenden ,, International Review for Social History" Die Abhandlung ist betitelt ,, M. A. Bakunin in der ‚ Dresdner Zeitung', 1848/49“. ( 1936 , 1. Bd. S. 121 u . ff. ) Sie zeigt Bakunins damaliges Wirken in sehr sympathischem Lichte. Von den slawischen Völkern und ihren demokratischen Parteien und Bestrebungen verstand Bakunin damals sicher mehr als Marx und Engels.

Gegen die Demokraten unter den Slawen

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politik, K. ) der Deutschen und Magyaren gegen die fraglichen Slawen zu den besten und anerkennenswertesten Taten gehören , deren sich unser und das magyarische Volk in der Geschichte rühmen kann.“ ,,Was übrigens die Magyaren angeht, so ist hier speziell noch zu bemerken, daß sie seit der Revolution viel zu nachgiebig und zu schwach gegen die aufgeblasenen Kroaten verfahren sind. Es ist notorisch, daß Kossuth ihnen alles Mögliche zugab, nur nicht, daß ihre Deputierten auf dem Reichstag kroatisch sprechen durften. Und diese Nachgiebigkeit gegen eine von Natur konterrevolutionäre Nation ist das Einzige, was man den Magyaren vorwerfen kann. “ ( S. 256.) Der Artikel wird fortgesetzt und abgeschlossen in der Nummer vom 16. Februar. Dort wird darauf hingewiesen , daß die demokratischen Parteien der Slawen Österreichs dieselbe Verdammnis treffe, wie diese Völker selbst : ,,Die sogenannten Demokraten unter den österreichischen Slawen sind entweder Schurken oder Phantasten." (S. 259.) Natürlich mit Ausnahme der Polen : „ Weil die Befreiung Polens von der Revolution unzertrennlich, weil Polen und Revolutionär identische Worte geworden sind , daher ist den Polen auch die Sympathie von ganz Europa und die Wiederherstellung ihrer Nationalität ebenso sicher, wie den Tschechen, Kroaten und Russen der Haß von ganz Europa und der blutigste Revolutionskrieg des ganzen Westens gegen sie." ( S. 261. ) ,,Wir (Deutschen, K. ) und die Magyaren sollen den österreichischen Slawen ihre Selbständigkeit garantieren so verlangt Bakunin ... Wir denken nicht daran. Auf die sentimentalen Brüderschaftsphrasen , die uns hier im Namen der konterrevolutionärsten Nationen Europas dargeboten werden, antworten wir : daß der Russenhaß die erste revolutionäre Leidenschaft bei den Deutschen war und noch ist , daß seit der Revolution der Tschechen- und Kroatenhaß hinzugekommen ist, und daß wir in Gemeinschaft mit Polen und Magyaren nur durch den entschiedensten Terrorismus gegen diese slawischen Völker die Revolution sicher stellen können. Wir wissen jetzt , wo die Feinde der Revolution konzentriert sind : in Rußland und den österreichischen Slawenländern ; und keine Phrasen, keine Anweisungen auf eine unbestimmte demokratische Zukunft dieser Länder werden uns abhalten , unsere Feinde als unsere Feinde zu behandeln.“ ( S. 263, 264.) Der Artikel schließt mit der Erklärung, wenn Bakunins ,,revolutionärer Panslawismus" ernst gemeint sei, der die Befreiung aller Slawen fordere : ,,Dann Kampf, unerbittlicher Kampf auf Leben und Tod mit dem revolutionsverräterischen Slawentum ; Vernichtungskampf und rücksichtslosen Terrorismus, nicht im Interesse Deutschlands, sondern im Interesse der Revolution !" d) Die geistigen Verwüstungen durch den Krieg.

Mit höchstem Befremden , ja mit wahrem Entsetzen muß man die eben zitierten Ausführungen lesen. Sie zeigen in vielem nicht bloß eine völlige verkehrte Anschauung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern auch , was noch bedenklicher, eine Preisgabe von Grundsätzen, auf die nicht bloß internationaler Sozialismus , sondern auch im besonderen marxistisches Denken aufgebaut ist .

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Marx' Slawenhaß

Es wurde verkündet, die Slawen seien alle , außer den Polen, von Natur aus konterrevolutionär, daher müßten sie nicht bloß in der gegenwärtigen Situation bekämpft werden, die sie in das Lager der Konterrevolution geraten ließ . Nein , sein müßten ausgerottet werden. Mit ihnen sei eine Verbrüderung ausgeschlossen , ihnen gegenüber gebe es nur einen Kampf bis zu ihrer Vernichtung. Das wurde nicht viel mehr als ein Jahr nach der Abfassung des kommunistischen Manifests verkündet, das mit den Worten schloß : Proletarier aller Länder, vereinigt Euch. Wären die hier zitierten Sätze kennzeichnend für das Wesen . des Marxismus , sie würden jede internationale Organisation auf seinem Boden unmöglich machen . Und doch ist Marx einer der Begründer und der beste Leiter der ersten Internationale geworden und eine internationale Organisation des Proletariats kann keine zuverlässigere wissenschaftliche Grundlage gewinnen als den Marxismus. In der Tat haben Marx und Engels nur ganz kurze Zeit jenen entsetzlichen Slawenhaß an den Tag gelegt, den wir hier konstatieren mußten. Wir haben schon oben bemerkt (S. 100) , daß sie noch in den ersten Monaten des Jahres 1848 die wärmsten Sympathien für die Tschechen bekundeten . Sie priesen deren revolutionären Geist gegenüber dem der Deutschen in Böhmen. Erst seit dem Niedergang der Revolution kam bei Marx und Engels der Slawenhaß auf. Er milderte sich mit der Zeit wieder, als nach der endgültigen Besiegung der Revolution die Leidenschaften des revolutionären Kampfes sich beruhigten. Nie hatten Marx und Engels den Slawenhaß gepredigt aus nationalen Gründen . Sie haben oft genug im Jahre 1848 ebenso wie früher und später die Interessen nichtdeutscher Nationen gegenüber den Deutschen aufs energischste vertreten . Mit Recht erklärte die ,,N . Rh. Ztg." am Schlusse der hier zitierten Artikelreihe, daß sie den ,,Vernichtungskampf gegen das Slawentum" nur fordere, soweit dieses ,,revolutionsverräterisch“ sei ,,,nicht im Interesse Deutschlands, sondern im Interesse der Revolution". Wenn trotzdem Marx und Engels sich 1849 in ihrer Slawenpolitik zu so bedenklichen Äußerungen hinreißen ließen, ist daran weder die Revolution schuld, noch eine besondere ,,marxistische" Denkweise, sondern der Kri e g. Der Krieg hat diese Widersprüche zu den eigenen Grundsätzen verursacht, der Revolutionskrieg der Ungarn . Mit dem Krieg haben auch die Widersprüche aufgehört . Der Frieden allein ist der normale Zustand der Gesellschaft . Nur im Frieden kann sie leben und gedeihen als Ganzes genommen. Allerdings vermögen einzelne Klassen und selbst einzelne Völker in dauerndem Krieg zu leben und vorwärtszukommen ein Beweis das Römische Reich des Altertums. Aber nur die Ari-

Krieg und geistige Verwirrung

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stokraten der Stadt Rom gewannen dabei . Die Gesamtbevölkerung des Reiches litt unendlich unter den ewigen Kriegen. Nur dort, wo Friede besteht , kann produziert werden und ohne Produktion gibt es keine Existenzmöglichkeit für die Gesellschaft als Ganzes. Daher ist der Friedenszustand der normale Zustand der Gesellschaft, und das aus diesem Zustand hervorgehende Denken das normale Denken , dasjenige, das mit den gegebenen Mitteln der Erkenntnis am ehesten die Wirklichkeit erkennen läßt. Im Frieden kann der Mensch Interesse nicht nur für das nächstliegende Dasein gewinnen , sondern auch für solche Teile der Wirklichkeit, die nicht unsere greifbaren Augenblicksinteressen berühren. Das ändert der Krieg . Er bedroht die Kriegführenden mit unmittelbarer Vernichtung, wenn sie nicht zu siegen verstehen . Außer diesem Interesse gibt es für die am Kriege direkt oder indirekt Beteiligten kein anderes mehr. Alles , was man weiß oder erfährt, wird diesem einzigen Interesse untergeordnet und nur ihm dienstbar gemacht. Die wildesten Leidenschaften werden aufgewühlt , ruhiges , uninteressiertes Denken wird ganz unmöglich. Und alle Rücksichten auf den Nebenmenschen hören auf, die im Frieden so sehr unser Tun bestimmen. Am schlimmsten äußern sich diese Wirkungen in dem Lager derjenigen, die sich im Kriege als die Schwächeren , als mit der Vernichtung Bedrohte fühlen . Sich die Wirklichkeit eingestehen , hieße Selbstmord verüben. Solange nicht alle Kampfkraft gebrochen ist, wird der Intellekt angestrengt, Aussichten und Möglichkeiten weiteren Widerstands herauszufinden und den Gegner herabzusetzen. Die Denkweise und die Gesittung, die man im Frieden erworben hat, können so durch den Krieg in ihr volles Gegenteil verzerrt, oft ganz scheußlich verzerrt werden . Schiller klagt in seinem ,,Siegesfest" : „Ja der Krieg verschlingt die Besten." ,,Ach, der Zorn verderbt die Besten." Er dachte dabei nur an die physische Vernichtung der Besten. Aber noch schlimmer ist die seelische Verderbnis, die der Krieg bei denen anrichtet , die er nicht tötet. Nur zu leicht verdirbt er auch da die Besten. Die Verwüstungen, die er in den Gehirnen anrichtet , sind unsäglich. Revolutionskriege machen davon keine Ausnahme. Ja, sie wirken mitunter besonders verderblich . Kriege zwischen Fürsten , mit Söldnern um bloße dynastische Interessen geführt, erregen wenig die ,,Besten", die Arbeiter und Denker im Lande. Dagegen ein Revolutionskrieg, ein Krieg, der um die Freiheit des Arbeitens und Denkens geht, um den Aufstieg der Arbeiter und der Denker oder ihren Untergang, der erregt gerade diese ,,Besten" aufs äußerste . Er kann, wenigstens zeitweise, die erhebenden Wirkungen eines

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Krieg und geistige Verwirrung

2 Kampfes völlig lahmlegen , die das Einsetzen der eigenen Person für Freiheit und Wohlstand ganzer Völker mit sich trägt. Der Krieg wirkt verwirrend namentlich dann, wenn die Volkssache aufs äußerste bedroht ist. Unter solchen Umständen kam es zu den Septembermorden, verstiegen sich theoretische Gegner der Todesstrafe zu blutigem Terrorismus. Aus einer solchen Situation entsprang auch der Slawenhaß, den Marx und Engels 1849 bekundeten . Nichts verkehrter, als daraus Schlüsse auf das Wesen des Marxismus zu ziehen, der die Gleichberechtigung der Völker und die Solidarität der Proletarier aller Länder stets auf das entschiedenste vertrat. Wohl aber haben wir eines daraus zu lernen : Wir dürfen Äußerungen von Parteien oder einzelnen , die während eines Krieges fallen, an dem sie beteiligt sind , nicht auf die Goldwaage legen . Entscheidend für ihre Beurteilung wird das Verhalten der Parteien und der einzelnen im Frieden. Natürlich ist es dringend notwendig auch im Kriege nicht aus dem seelischen Gleichgewicht zu kommen, das man im Frieden erworben hat. Aber derjenige, dem dies gelingt, der braucht nicht pharisäerhaft auf andere herabzusehen , die im Wirbel der Ereignisse den Boden unter den Füßen verlieren . Die Slawenpolitik der „ N. Rh . Ztg." aus dem Jahre 1849 bezeugt, daß selbst so scharfe und kritische Denker wie Marx und Engels dagegen nicht immer gefeit waren . Nichts Schlimmeres als der Krieg. Seine geistigen Verwüstungen können noch ärger werden als seine materiellen, die mitunter leichter überwunden werden als jene. Bürgerkriege und Revolutionskriege sind oft unvermeidlich gewesen. Sie waren vielfach das einzige Mittel , an Stelle einer brutalen Gewaltherrschaft eine friedliche Demokratie zu setzen oder diese gegen eine Vergewaltigung zu verteidigen . Aber wir dürfen nie vergessen, daß jeder Krieg ein Übel ist, auch der um die Freiheit. Wir mußten ihn bisher mitunter um der Freiheit willen in Kauf nehmen, wir haben aber gar keinen Grund , einen neuen Krieg zu ersehnen oder gar herbeizuführen , in der Erwartung, dadurch das Kommen der Freiheit zu beschleunigen.

e) Die Nationalitätenfrage. So kraß wie 1849 haben sich Marx und Engels über die Slawen Österreichs, abgesehen von den Polen , nie wieder ausgesprochen. Aber eine gewisse Unterschätzung dieser Nationalitäten , die mit Mißtrauen , ja mitunter mit Abneigung gemischt war, wurden sie auch später in ruhigeren Zeiten schwer los. Es hing dies zusammen mit ihrer eigenartigen Auffassung des Nationalitätenproblems. Sie wird nicht durch die Zitierung der Aufforderung des kommunistischen Manifests erschöpft : ,, Proletarier aller Länder, vereinigt Euch !" Sie bedarf in einem Punkte näherer Erläuterung ;

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Lebensfähige und nicht lebensfähige Nationen

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das ist notwendig, nicht nur um die internationale Politik unserer Meister völlig begreifen zu können , sondern auch um die nationalen Probleme unserer Zeit richtig zu erfassen, die für die internationale Politik und die Gefahr kriegerischer Zusammenstöße in unserer Zeit viel mehr bestimmend werden als die immer wieder hervorgehobenen imperialistischen Tendenzen. So sehr Marx und Engels die Solidarität der Proletarier aller Länder betonten, so machten sie doch eine Unterscheidung zwischen den Nationen. Neben lebensfähigen sahen sie solche , die, wenn auch nicht von Natur aus, so doch durch die Situation, in der sie sich befanden, zum Untergang bestimmt waren. Derartige Unterscheidungen , nicht bloß für amerikanische Indianer, sondern auch für europäische Völker, waren früher selbst bei Sozialisten nichts Seltenes. In ähnlicher Weise wie Marx und Engels unterschied z . B. Lassalle zwischen den Völkern Europas. Sehr richtig erklärte er, die Selbständigkeit der Nationen sei mit der Demokratie unlöslich verbunden. Im Jahre 1859 veröffentlichte er eine Schrift, betitelt : „ Der italienische Krieg und die Aufgabe Preußens . " Dort führte er aus , daß Demokratie sicherlich nichts anders bedeute als ,,Autonomie, Selbstgesetzgebung des Volkes nach Innen". ,,Woher aber sollte dieses Recht auf Autonomie nach Innen kommen, wie sollte es nur gedacht werden können , wenn ihm nicht zuvor das Recht auf Autonomie nach Außen, auf freie, vom Ausland unabhängige Selbstgestaltung eines Volkslebens vorausginge ! Das Prinzip der freien, unabhängigen Nationalitäten ist also die Basis und Quelle, die Mutter und Wurzel des Begriffs der Demokratie überhaupt . Die Demokratie kann nicht das Prinzip der Nationalitäten mit Füßen treten , ... ohne sich grundsätzlich und von Grund aus zu verraten." Trotzdem erklärt derselbe Lassalle wenig später in einem Brief an Rodbertus (8. Mai 1863) : ,,Nationalitätsprinzipler bin ich nicht ... Das Recht der Nationalität spreche ich nur den großen Kultur- Nationen zu ." Die Erklärung dieses anscheinenden Widerspruchs gibt Lassalle schon in seiner Schrift über den italienischen Krieg, indem er kurz nach dem oben wiedergegebenen Zitat das Recht der Nationalität nicht als eines auf Autonomie, auf Selbstbestimmung, sondern als ein Recht auf ,, eigene geschichtliche Entwicklung und Selbstverwirklichung" bezeichnet. Nun gebe es Völker, die es zu einem eigenen geschichtlichen Dasein nicht gebracht hätten oder dabei zum Stillstand gekommen seien. Diese hemmten die Gesamtentwicklung und müßten von andern Völkern, die weiter fortgeschritten seien, an sich gerissen . und erobert werden. „ Das Recht der Volksgeister auf eigene Existenz ist eben daran gebunden, daß ein in eigener Weise sich entwickelnder und mit dem Kulturprozeß des Ganzen Schritt haltender Volksgeist da sei. Andernfalls wird die Eroberung ein Recht und zwar entweder von vornherein , oder sie wird hinterher als ein solches erwiesen. Die Probe für dieses Recht ist bei der Eroberung eines Volkes verschiedener Rasse mehr das Aus-

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Aussterbende Nationen

sterben, bei der Eroberung eines Volkes derselben Rasse mehr die Assimilierung desselben , die Hinüberhebung in den eigenen und höheren Kulturkreis."

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Mit diesem Argument könnte man jede Eroberungspolitik eines hochkapitalistischen Staates gegenüber rückständigen Völkern, den sogenannten ,, Imperialismus" begründen. Leider haben Marx und Engels 1848 und 1849 ähnliche Gedankengänge entwickelt. Mit Recht unterscheidet Lassalle die Prozesse des Aussterbens und der Assimilation als Folgen der Knechtung durch fremde Herren. Nur der zweite dieser Prozesse hat uns hier zu beschäftigen. Über das Aussterben sei nur so viel gesagt, daß es nicht aus Verschiedenheiten der herrschenden und der beherrschten R asse hervorgeht, sondern aus der Eigenart bestimmter Produktionsweisen. Nomadische Jäger oder Hirten vertragen keine Bedrückung. Wo man sie fesselt, sterben sie aus. Dagegen seẞhafte Bauern entwickeln Charakterzüge , die es ihnen ermöglichen, sich Knechtschaftsverhältnissen anzupassen, ohne ihre Fruchtbarkeit einzubüßen. Geknechtete Bauern vermehren sich oft sehr rasch . Daß die Rasse damit nichts zu tun hat, bezeugen die Indianer Amerikas . Diese sterben dort aus, wo sie Jäger sind. Diejenigen Stämme in Zentral- und Südamerika, die vor dem Eindringen der Weißen bereits seßhafte Bauern geworden waren, gehen dagegen nicht unter, sie sind zahlreich ,,wie der Sand am Meer" und nehmen immer noch an Zahl zu . Sie haben sich in gewissem Sinne ,, assimiliert". Worin besteht aber die Assimilierung ? Sicher nicht in dem Aufgeben der „ Rasse “. Trotz vielfacher Kreuzungen der Ureinwohner mit den Eindringlingen sind die Indianer Indianer geblieben. Aber die seẞhaften unter ihnen haben etwas von der Kultur der Weißen angenommen, namentlich ihre Religion, die sie allerdings vielleicht noch mehr ihren früheren Anschauungen und Gewohnheiten anpaßten, als daß sie diese im Sinne der fremden Neuerungen umwandelten . Dabei nahmen sie die Sprache der Fremden an. Darin vor allem bestand ihre Assimilierung.

Und darin besteht auch vornehmlich die Assimilierung, die Lassalle im Auge hat, die Assimilierung manches unterdrückten Volkes an seine Herren . Er denkt dabei sicher in erster Linie an manches Bauernvolk Europas und seine aristokratischen Herren , die es knechteten, und die eine andere Sprache redeten . Die Bauern starben nicht aus , sie zeigten sich oft weit fruchtbarer als ihre Herren, so die Slawen Ostelbiens oder die Irländer. Aber die Unterworfenen nahmen die Sprache der Eroberer an. Doch nicht immer findet diese Art ,,Assimilation" statt. Sehr häufig begnügen sich die Herren mit der Ausbeutung der Unter-

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Aussterbende Sprachen

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worfenen, diese bleiben bei ihrer urwüchsigen Sprache. Namentlich in den Zeiten des feudalen Partikularismus ist das die Regel . Anders wird es erst, wenn die moderne kapitalistische Industrie mit ihrem Verkehrswesen und der modern bureaukratischzentralisierte Staat aufkommt. Dieser Staat gedeiht um so besser, wird um so leichter verwaltet, sein Heer um so eher straff organisiert, je mehr alle seine Bewohner die gleiche Sprache sprechen. Ein Staat, in dem das von vornherein der Fall ist, erweist sich einem andern unter sonst gleichen Umständen überlegen . Jede Verwaltung eines derartigen Staats, die mit einer Bevölkerung zu tun hat, in der verschiedene Sprachen gesprochen werden , sucht eine von diesen zur alleinherrschenden zu machen — es ist die Sprache des Hofs , der Armee, der Bureaukratie. Die kapitalistische Produktionsweise wirkt durch die Intensität des Verkehrs , die mit ihr verbunden ist, in derselben Richtung. Dieser Verkehr vollzieht sich unter Menschen , die die gleiche Sprache sprechen, leichter als unter solchen, die einen Dolmetsch brauchen. Spricht die Kapitalistenklasse dieselbe Sprache wie die Aristokraten, die Männer der Armee und der Staatsverwaltung, dann fördert das sehr die Verbreitung der Staatssprache im Lande. Die andern im Staate gesprochenen Sprachen treten zurück und kommen schließlich ganz außer Gebrauch . Das ist der allgemeine Lauf der staatlichen Entwicklung Europas im 18. und noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Da verschwindet bis auf dürftige Überbleibsel das Gälische in Schottland und Irland , das Slawische (Wendische) aus dem nordöstlichen Deutschland, das Bretonische geht zurück in Frankreich, ebenso das Baskische im nördlichen Spanien und im Süden Frankreichs . Sollte nicht dasselbe Schicksal manchem der kleineren slawischen Stämme und Völkersplitter blühen, die sich auf dem Boden Österreichs und der Türkei erhalten hatten ? Die so dachten, sahen nicht und konnten im vorigen Jahrhundert schwer sehen daß das Fortschreiten und die Ausdehnung der kapitalistischen Industrie und des kapitalistischen Verkehrs in allen davon berührten Gebieten zu einer neuen Situation dadurch führt, daß sie dem Analphabetentum der Volksmassen entgegenwirkt und damit die Grundlage schafft, auf der eine jede Volkssprache zu einer den Massen zugänglichen Schriftsprache wird. Die Schrift ist ein konservierendes Mittel. Was mündlich mitgeteilt wird, vergeht mit den Sprechenden und Hörenden. Was schriftlich niedergelegt ist, das kann sie überdauern , oft durch Jahrtausende . Eine Schriftsprache wird dadurch weit widerstandsfähiger als die urwüchsige Volkssprache. Ein Kind des wachsenden Verkehrs, wird die Schriftsprache auch ein Mittel, verschiedene Nationalitäten mit ähnlichen , doch nicht genau übereinstim8

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Schriftsprache festigt Nationen

menden Sprachen, Dialekten zu einer Spracheinheit zusammenzufassen, zu einer Nationalität . Auch das vermehrt die Widerstandsfähigkeit der Schriftsprache. Diese Widerstandsfähigkeit erreicht ihren Höhepunkt, wenn die Schriftsprache nicht auf eine dünne Schicht höhergebildeter Elemente beschränkt bleibt, sondern die Massen ergreift. Das tritt aber unvermeidlich in den Ländern ein, in denen sich moderne Industrie und moderner Verkehr geltend macht, da kommen auch die Handwerker und Lohnarbeiter der Städte sowie die Landbewohner mit den Mitteln mündlicher Mitteilung nicht mehr aus, da werden sie gezwungen, Lesen und Schreiben zu erlernen, Zeitungen zu lesen, ja sogar Bücher, mögen es anfangs auch nur Kalender sein. Diese Entwicklung wird dadurch gefördert, daß zu gleicher Zeit aus denselben Bedingungen die moderne Demokratie entsteht, die will, daß das Interesse der Massen sich nicht auf das Bereich der Gemeinde beschränkt, sondern für das Staatsleben bestimmend wird. Ohne die Kenntnis des Lesens ist aber das Wissen nicht zu erwerben, das zur wirksamen Teilnahme an der Politik eines modernen Staates erforderlich ist. Je mehr diese Entwicklung fortschreitet, desto mehr bekommen auch Völker eine Schriftsprache, die es bisher aus sich heraus zu „ einem geschichtlichen Dasein“ nicht zu bringen vermochten , um mit Lassalle zu reden, die ,,geschichtslosen Völker", wie Otto Bauer sie nennt . Desto widerstandsfähiger werden aber auch diese neuemporkommenden Nationalitäten . Die Staaten Westeuropas waren erstanden , ehe diese neue Erscheinung im Völkerleben auftrat , die mit dem Fortschreiten der kapitalistischen Produktionsweise Hand in Hand ging. In den Staaten Westeuropas, namentlich seinen Großstaaten , entwickelten daher viele Bevölkerungsteile , die andere Sprachen redeten als die der herrschenden Klasse , nicht eigene Schriftsprachen . Diese Sprachen der Analphabeten wurden von der Staatssprache, das heißt der Schriftsprache der den Staat beherrschenden Bevölkerung zurückgedrängt, auf den Lokalverkehr, auf Familie und Kneipe beschränkt, um schließlich ganz zu verschwinden . Marx wie Lassalle und ebenso viele, vielleicht alle ihrer Zeitgenossen, soweit sie darüber nachdachten , meinten noch, es werde in Osteuropa auch so gehen. Aber dort setzt die Entwicklung zum modernen Staat viel später ein, unter den eben dargelegten Bedingungen. Hier gewinnen selbst die Sprachen der zurückgebliebensten und kleinsten Nationalitäten eine steigende Widerstandskraft . Früher bemühten sich die intelligenten und tatkräftigen Mitglieder der rückständigen Nationen in einem Nationalitätenstaat, vor allem die Sprache der Herren zu erlernen , um deren überlegener Kultur teilhaftig zu werden . Sie vernachlässigten darob die eigene. Seit dem Aufkommen der modernen Demokratie legen die intelligenten und gebildeten Elemente der rückständigen Nationalitäten immer

Bretonen und Slawen

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Wert darauf, daß die Jugend in der Sprache des eigenen Volkes unterrichtet und diese Sprache in einer Weise ausgebildet werde , die sie für Zwecke höherer Bildung geeignet macht. Endlich erstreben sie die Schaffung einer eigenen Literatur. Das und nicht fortschreitende Assimilierung der „ geschichtlosen" Bauernvölker an die großen Kulturnationen wird jetzt der Gang der nationalen Entwicklung. Damit nimmt das nationale Problem ganz eigenartige Formen an . Für Marx, Engels, Lassalle lagen sie noch nicht zutage. Erst seit einem halben Jahrhundert werden sie merkbar. Aber auch da noch von vielen übersehen . Und doch ist ohne ihre Erkenntnis das Nationalitätenproblem unserer Zeit nicht zu begreifen. Noch zu Beginn des Weltkrieges wendete sich ein so völkerkundiger Mann wie Heinrich Cunow in einer Schrift über „,Parteizusammenbruch" (Berlin 1915) gegen einen Satz der Erklärung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion vom 4. August 1914, in dem es hieß , daß ,,jedes Volk das Recht auf nationale Selbständigkeit" habe . Dieses Recht wollte Cunow keineswegs jeder Nation zugestehen . Er berief sich dabei auf Marx, auf den Marx von 1849, und zitiert einen Absatz aus einem von uns schon oben erwähnten Artikel der „ Neuen Rheinischen Zeitung" vom Januar 1849. Es heißt dort : ,,Es ist kein Land in Europa, das nicht in irgend einem Winkel eine oder mehrere Völkerruinen besitzt , Überbleibsel einer früheren Bewohnerschaft, zurückgedrängt und unterjocht von der Nation, welche später Trägerin der geschichtlichen Entwicklung wurde. Diese Reste einer vom Gang der Geschichte, wie Hegel sagt, unbarmherzig zertretenen Nation, diese Völkerabfälle werden jedesmal und bleiben bis zu ihrer gänzlichen Vertilgung und Entnationalisierung die fanatischen Träger der Konterrevolution, wie ihre ganze Existenz überhaupt schon ein Protest gegen eine große, geschichtliche Revolution ist." ,,So in Schottland die Gälen , die Stützen der Stuarts von 1640 bis 1745." ,,So in Frankreich die Bretonen, die Stützen der Bourbonen von 1792 bis 1800." ,,So in Spanien die Basken, die Stützen des Don Carlos." ,,So in Österreich die panslawistischen Südslawen, die weiter nichts sind, als der Völkerabfall einer höchst verworrenen tausendjährigen Entwicklung." Das wurde 1849 geschrieben. Damals mochte es scheinen , daß die Südslawen Österreichs in gleicher Weise wie Gälen und Bretonen bloße „ Völkerruinen“ seien , ein „,höchst verworrener Völkerabfall", der „ gänzlicher Vertilgung oder Entnationalisierung“ entgegengehe. Doch 1915 lagen die Dinge für Osteuropa bereits ganz anders. Cunow sah in den Nationen Europas nur Amalgamierungs- , nicht Differenzierungsprozesse . Darauf entgegnete ich ihm schon 1915 , daß die historische Entwicklung beides meldet, und zwar nicht bloß im südöstlichen Europa . Man denke an die ,,Differenzierung" 8*

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Erwachen der geschichtslosen Nationen

zwischen Flämen und Wallonen in Belgien, an das Erstarken der Letten, an die ,,Differenzierung zwischen Schweden und Norwegern". Seitdem hat der Differenzierungsprozeß der kleinen Nationen noch weitere große Fortschritte gemacht, nicht aber ihre „ Verschmelzung zu großen Kulturstaaten" - wir erinnern an die Begründung der baltischen Staaten, an die Unabhängigkeit Irlands , an den tschechoslowakischen Staat. Diese Bewegung wird noch weiter fortschreiten in Rußland , sobald dort die Sowjetdiktatur durch die Demokratie ersetzt ist, was unvermeidlich kommen wird . Nicht immer muß die Autonomie der Nationen die Form staatlicher Selbständigkeit annehmen. Das ist eine Frage für sich , auf die wir später eingehen werden. Aber überall führt die geschichtliche Entwicklung zum Erwachen der bisher rückständigen ,,,geschichtslosen" Nationen und zum Erringen ihrer Autonomie, nicht zu ihrem Aufgehen in einer der „,großen Kulturnationen". Im Gegensatz zu dem Gang der Entwicklung in Westeuropa während des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist dies der Weg vieler kleinen „,geschichtslosen" Nationen im 20. Jahrhundert, und zwar nicht bloß in Südosteuropa. Noch 1859 ( in seiner Schrift „ Po und Rhein “, hier zitiert nach dem Abdruck von 1915 ) machte Engels, darin mit Lassalle übereinstimmend, den Unterschied zwischen großen, lebenskräftigen Nationen, die einen Anspruch auf einen Nationalstaat hätten, und kleineren, die auf selbständige nationale Existenz verzichten müßten .

Er sagte (S. 51 ) : ,,Daß die Karte von Europa definitiv festgestellt sei, wird kein Mensch behaupten. Alle Veränderungen, sofern sie Dauer haben, müssen aber im ganzen und großen darauf hinausgehen, den großen und lebensfähigen europäischen Nationen mehr und mehr ihre wirklichen natürlichen Grenzen zu geben, die durch Sprache und Sympathien bestimmt werden ; während gleichzeitig die Völkertrümmer, die sich hier und da noch finden und die einer nationalen Existenz nicht mehr fähig sind, den größeren Nationen einverleibt bleiben und entweder in ihnen aufgehen oder sich nur als ethnographische Denkmäler ohne politische Bedeutung erhalten. Militärische Erwägungen können nur in zweiter Linie gelten." Diese Darlegungen sind gewiß jetzt noch beachtenswert . Doch in zwei Punkten bedürfen die Engelsschen Grundsätze heute einer Revision . Es ist die Zeit gekommen, wo man endlich daran gehen kann, den Krieg als Mittel der Ausfechtung der politischen Konflikte zwischen Staaten vollständig zu beseitigen. Da dürfen ,,militärische Erwägungen“ für die Ziehung von Grenzen überhaupt nicht, auch nicht in zweiter Linie in Betracht kommen, sondern nur Erwägungen ,,der Sprache und der Sympathie", also mit andern Worten, Erwägungen der Demokratie. Grenzveränderungen dürfen nur vorgenommen werden , wenn die betreffende Bevölkerung sie wünscht. Nicht minder wichtig ist der andere Punkt, der einer Revision

Nationale Selbstbestimmung

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bedarf : die Unterscheidung der großen und kleinen Nationen . Gewiß gibt es Völkersplitter, die keiner selbständigen staatlichen Existenz mehr fähig sind, wie etwa die Wenden in Deutschland . Aber zwischen diesen Trümmern und den großen Nationen bestehen zahlreiche kleine Nationen , die zu selbständigem staatlichem Leben erwachen und es in Anspruch nehmen . Allerdings nicht in den Staaten alter kapitalistischer Zivilisation , wohl aber in Osteuropa und im Orient. Der Aufstieg zu kapitalistischer oder schon sozialistischer Produktion und zum modernen Staat geht dort unter andern historischen Bedingungen vor sich, als er in Westeuropa im 18. und 19. Jahrhundert vor sich gegangen ist . In Osteuropa und im Orient haben sich noch zahllose kleine Nationen erhalten, die jetzt in das Stadium moderner staatlicher Demokratie aufsteigen, die sich nicht mehr mit lokaler und kommunaler Demokratie begnügen, sondern nach Selbstbestimmung der Nationalität verlangen . Die internationale moderne Demokratie muß dieser Art Bestrebungen nach nationaler Selbstbestimmung ebenso Verständnis und Sympathie entgegenbringen, wie sie anderseits immer mehr trachten muß , die Scheidungen zwischen den Staaten immer mehr aufzuheben oder doch leichter überschreitbar zu gestalten , internationalen Verkehr und internationale Solidarität immer intensiver zu gestalten. Letzteres wird um so eher gelingen , je mehr die nationale Selbstbestimmung verwirklicht wird. Auf dieser Grundlage ist dauernder Völkerfriede aufzubauen .

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Primitive und moderne Demokratie

Zweiter Abschnitt.

Die Sozialisten im Zeitalter der Nationalkriege. 1. Allgemeines. Das Zeitalter der Revolutionskriege beginnt mit dem Auftauchen der modernen Demokratie, die man in der Regel unterschiedslos der Demokratie überhaupt gleichsetzt . Und doch ist sie von der primitiven Demokratie sehr verschieden. Bisher hat meines Wissens noch niemand außer mir auf diesen Unterschied aufmerksam gemacht oder ihn auch nur beachtet. Die ersten menschlichen Gemeinwesen sind alle demokratisch, alle auf dem Boden der Gleichheit aufgebaut. In dieser Weise gehört die Demokratie zum Wesen der Menschen . Jeder strebt nach Demokratie, jeder fordert Gleichberechtigung, jedoch nur innerhalb des Kreises, in dem er lebt und wirkt . Dieser Kreis war bis zum Aufkommen des Staates gleichbedeutend mit dem des Gemeinwesens. Über den Staat , seine Entstehung, sein Wesen habe ich ausführlich gehandelt im 2. Band meines Werkes über die materialistische Geschichtsauffassung. Hier darüber nur soviel : Der Staat ist aufgebaut auf Klassen , herrschenden und geknechteten, ausbeutenden und ausgebeuteten. Im Gegensatz zu den vorstaatlichen Gemeinwesen gibt es im Staat lange Zeit hindurch keine Demokratie . Es gibt eine solche nur innerhalb der einzelnen Klassen, bis schließlich auch diese Demokratie aufhört , sobald bezahlte Staatsbeamte und Söldner eine autokratische Staatsmacht schaffen, die meist die Form eines absoluten Fürstentums annimmt. Erst der industrielle Kapitalismus mit seinem Verkehrswesen schafft die Bedingungen für eine neue Demokratie, die den ganzen Staat zu erfassen sucht. Das gelingt ihr nur dadurch , daß sie den Staatsapparat, seine Bureaukratie, sein Heer entweder auflöst oder sich unterwirft, was in der Regel nur auf gewaltsamem Wege möglich war, auf dem Wege des Bürgerkriegs . Wo ein Staat auf diesem Wege ein demokratischer wurde, begegnete er leicht der Feindseligkeit benachbarter monarchischer oder aristokratischer Staaten, die er auch nur mit Gewalt abzuwehren vermochte.

Revolutionskriege

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Revolutionskriege sowohl Bürgerkriege wie auswärtige Kriegekennzeichnen dieses Zeitalter. Es beginnt im Anschluß an die Bewegungen der Kirchenreform im 16. Jahrhundert mit dem Aufstand der Niederländer. Es endet in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Kriegerische Erhebungen in Deutschland , in Italien, in Ungarn schließen das Zeitalter der Revolutionskriege 1849 ab , wenigstens für Europa. Die Bedingungen für solche Kriege haben aufgehört . Eine der demokratischen Klassen , die Bourgeoisie, hat Angst vor der Revolution bekommen wegen des Erstarkens der Lohnarbeiterschaft. Diese selbst wieder ist nun ökonomisch so stark geworden, daß sie in vorgeschrittenen Staaten andere Wege findet als den des Aufstands der Massen, um das durchzusetzen, was sie an Demokratie braucht . Ihr demokratisches Streben vereinigt sich seit jeher mit dem der Kleinbürger und auch Bauern, die ebenso wie das Proletariat der Demokratie bedürfen . Doch haben sie nicht viel andere Interessen noch mit diesem gemein. In dem Maße, wie das Proletariat anfängt, selbständig zu denken und zu handeln , tritt es in steigenden Gegensatz zu den andern Klassen, mit denen es bis dahin in der demokratischen Bewegung vereint war. Es wird isoliert. Damit verliert die Bewegung des demokratischen Umsturzes ihre Kraft, die sie aus der Vereinigung der vier hier genannten Klassen zog, die die ungeheure Mehrheit der Nationen ausmachten. Das Proletariat wuchs und erstarkte, es machte schließlich in hochindustriellen Ländern die große Mehrheit der Nation aus . Vorher schon aber hatte die liberale Bourgeoisie in vielen Staaten so viel Freiheit der Bewegung, der Organisation , der Aufklärung geschaffen, daß dort andere Methoden im Kampfe für den Aufstieg und die Emanzipation der arbeitenden Klassen möglich wurden, als die des gewaltsamen Umsturzes. Und die Demokratie erfaßte immer mehr alle Länder Europas (Amerika inbegriffen) . Die Staaten des monarchischen Absolutismus wurden immer weniger. Sie konnten nicht daran denken, die Demokratie ihrer Nachbarn gewaltsam auszurotten. Alles das bewirkte, daß es in Europa von der Mitte des voridie gen Jahrhunderts an keine gewaltsamen Staatsumwälzungen Pariser Kommune ließ den Staat unerschüttert und keine Revolutionskriege mehr gab - bis zum Weltkrieg, der einen Teil Europas in die Barbarei zurückschleuderte , gleichzeitig aber Asien aufs tiefste umwälzte und damit die Bedingungen neuer Revolutionen und Revolutionskriege schuf. Hören 1849 die Revolutionskriege für Europa auf, so bedeutet das jedoch keineswegs ein Aufhören aller Kriege. Im Gegenteil. Das Menschenalter, das der Revolution von 1848 folgt, ist weit kriegerischer als das ihr vorhergehende . Es ist das Zeitalter der Bildung von Nationalstaaten im mittleren und östlichen Europa,

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Nationalkriege

des Königreichs Italien , des Deutschen Reichs, des rumänischen , serbischen, bulgarischen Staates . Diese Bildungen wurden vollzogen durch eine Reihe großer, blutiger Kriege. Daher bezeichne ich dieses Zeitalter als eines von Nationalkriegen , von Kriegen zur Befreiung und Einigung von Nationen . Damit soll nicht gesagt werden, daß es früher keine Nationalkriege gegeben habe. Von seinen Anfängen in grauer Vorzeit an, von der keine Aufzeichnungen melden , war der Staat auf der Eroberung begründet, auf der Unterjochung freier Völker durch ein übermächtiges Siegervolk. Zu den ersten Bewegungen im Leben der Staaten gehören daher Empörungen geknechteter Nationen. gegen ihre Unterdrücker. Insofern sind die Nationalkriege uralt, älter als die geschriebene Geschichte. Doch gingen sie vornehmlich darauf aus, bestehende Staaten zu zerstören, zu früheren Formen von Gemeinwesen zurückzukehren. Ganz anderer Art sind, wie schon wiederholt dargelegt, die dem Streben nach moderner Demokratie entspringenden Freiheitsbewegungen. Sie wollen nicht die Rückkehr zu Gestaltungen der Vergangenheit , sondern den Fortschritt zu neuen , höheren Formen des staatlichen Lebens. Auch wenn das nicht von vornherein bewußt erkannt wird, wie im Unabhängigkeitskrieg der Niederlande gegen die Spanier, ist die Bildung einer solchen Form das notwendige Ergebnis des Kampfes . Vom Beginn der modernen Demokratie an gehört das Streben nach Abschüttelung jeder Fremdherrschaft und nach dem Zusammenschluß der getrennten Stücke einer Nation notwendigerweise zum Inhalt der demokratischen Bewegung eines jeden Volkes, das nicht schon vor dem Aufkommen der demokratischen Bewegung zu einer selbständigen geschlossenen Existenz in einem Einheitsstaat gelangt ist . Bereits die erste der Erhebungen der modernen Demokratie, die der Niederländer, könnte man ebensogut als Nationalkrieg, wie als Revolutionskrieg bezeichnen . Aber in erster Linie war die Erhebung doch ein Revolutionskrieg . Und das gilt auch für die ihm folgenden Nationalkriege bis 1849. Ganz anderer Art sind die Nationalkriege des Zeitalters von 1850 bis 1880. Man darf sie in der Regel nicht als Revolutionskriege betrachten . Sie werden nicht mehr von revolutionären Klassen oder Parteien geführt, sondern von einzelnen Dynastien , die den nationalen Gedanken benützen , um den bestehenden politischen Zustand Europas zugunsten ihrer engen dynastischen Interessen umzustürzen . Diese Eigenart der Nationalkriege nach 1849 bedingt es, daß die revolutionären Sozialisten sie ganz anders beurteilen als die vorhergehenden Revolutionskriege. Die unpolitischen, utopistischen Sozialisten standen jedem Krieg von vornherein ablehnend gegenüber, auch dem Revolutionskrieg. Die revolutionären Sozialisten dagegen begrüßten einen sol-

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Nationale und dynastische Kriege

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chen mit Freuden , ersehnten ihn als Mittel , die Revolution nicht nur zu schützen, sondern auch weiterzutreiben. Nicht so einfach stand es mit den Nationalkriegen in der Zeit zwischen 1850 bis 1880. Sie alle dienten zum Teil dem Ziel der nationalen Befreiung oder Einigung einer unterdrückten oder zerstückelten Nation . Insofern lagen sie im Sinne der Demokratie , mußten ihre Urheber die Sympathie jedes revolutionären Sozialisten finden. Jedoch nur zum Teil war dies das Ziel der Nationalkriege dieses Zeitalters . Zum andern Teil entsprangen sie dem Streben nach Machterweiterung einer Dynastie, einer revolutionsfeindlichen Dynastie, die sich des nationalen Gedankens bloß bediente, um ihre besonderen Zwecke auf Kosten des Volkes zu fördern. Diejenigen, die einen nationalen Krieg dieser Art entfesselten , verfolgten dabei mitunter Ziele, deren Erreichung den politischen und sozialen Fortschritt fördern konnte , nicht selten jedoch Ziele , die ihn zu hemmen drohten . Angesichts dieses komplizierten Charakters der neueren Nationalkriege war die Stellung der revolutionären Sozialisten zu ihnen keineswegs von vornherein gegeben. Es waren im einzelnen sehr verschiedene Ansichten darüber möglich, ob unter den Kriegführenden, die für die nationale Befreiung oder Einigung kämpften, die reaktionären oder die fortschrittlichen Elemente überwogen, und ebenso konnten sich die Erwartungen sehr verschieden gestalten, die man an den Sieg der einen oder andern Seite knüpfte . Je nach der größeren oder geringeren Einsicht in die Natur der kämpfenden Elemente hüben wie drüben und in die allgemeine Weltlage, in der der Krieg vor sich ging, konnten verschiedene Sozialisten gleicher Richtung in demselben Kriege zu sehr verschiedener Stellungnahme gegenüber den kämpfenden Parteien kommen. Der Krieg konnte in einem solchen Falle ein Mittel werden, Sozialisten zu entzweien, die theoretisch und in der inneren Politik auf dem gleichen Boden standen . Diskussionen darüber spielen zur Zeit der Nationalkriege im geistigen Leben der Sozialisten eine große Rolle. Doch wie immer die Sozialisten sich dabei den einzelnen kriegführenden Regierungen gegenüber stellen mögen, eine so glühende Kriegsbegeisterung , wie sie vorher die Idee des Revolutionskrieges entzündete, vermögen die Nationalkriege unter ihnen nicht hervorzurufen , obwohl solche Kriege mitunter noch als Mittel aufgefaßt werden , neue revolutionäre Bewegungen auszulösen. Im allgemeinen überwiegt seit dem Niedergang der Revolution von 1849 das Unbehagen über jeden Krieg, das aber nur sporadisch zu dem Wunsch führt, einen Krieg zu verhindern . Dazu fühlen sich die Sozialisten dieses Zeitalters noch nicht stark genug , von einigen Illusionären abgesehen . Erst das den Nationalkriegen folgende Zeitalter des Imperialismus macht dies Streben zur wichtigsten Aufgabe, die sich die Sozialisten in der Kriegsfrage stellen .

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Marx und Lassalle

Welcher Art die Diskussionen waren , die durch die einzelnen Nationalkriege unter den Sozialisten entfesselt wurden, soll im folgenden illustriert werden durch Hinweise auf die beiden bedeutendsten Denker, die seitdem für die Welt des Sozialismus im Vordergrund stehen , auf Marx und Engels. Wie immer in diesem Buche, ist auch hier stets Engels mit zu verstehn, wenn der Einfachheit halber nur von Marx gesprochen wird . Sie stimmten in der Regel überein. In einzelnen Fällen gingen allerdings auch Marx und Engels auseinander - fast nur in Kriegsfragen. Wenn sich einmal in der Beurteilung eines Krieges Gegensätze auftun, etwa innerhalb einer Partei, können sie eine furchtbar entzweiende Kraft erlangen wegen des so leidenschaftlich erregenden Wesens kriegerischer Handlungen. Wegen dieser Entzweiung kann eine sozialistische Partei durch einen Krieg ebenso schwer getroffen werden, wie wegen der Trübung klaren , weitblickenden Denkens, die er hervorzurufen vermag. Spaltung und Verblendung durch wilde Leidenschaften , das sind die giftigen Gaben , die von nun an ein Krieg der sozialistischen Bewegung zu bringen droht.

2. Der Krimkrieg . a) Marx und Lassalle. Kriegsfragen waren es, die zuerst Meinungsverschiedenheiten zwischen Marx und dem begabtesten seiner Schüler, Lassalle , aufkeimen ließen. Diese Gegensätze entsprangen nicht grundsätzlichen Differenzen. Wohl gab es solche seit jeher zwischen ihnen , doch in der Stellung zu den Kriegen ihrer Zeit machten sie sich nicht geltend . In dieser Beziehung kam es zu Verschiedenheiten der Auffassungen zwischen ihnen nur wegen der Verschiedenheiten des Ortes , von dem aus sie die Welt zu betrachten hatten . Lassalle wurde in Breslau geboren , im äußersten Osten PreuBens, bereits in der Nähe der russischen Grenze. Marx dagegen in Trier, im äußersten Westen Preußens, in einem Gebiet , das an Frankreich grenzte , eine Zeitlang sogar französisch gewesen war. Das ergab für Marx ganz andere Jugendeindrücke, als für Lassalle . Ihr späteres Leben hat diese Verschiedenheiten nicht gemindert, sondern verstärkt. Lassalle blieb sein Leben lang in Preußen . Dort war stets der Sitz seiner Tätigkeit . Wohl unternahm er nicht wenige größere Reisen ins Ausland , doch tat er das fast nur , um sich zu vergnügen oder zu erholen oder Freunde zu besuchen , nicht zu Zwecken wissenschaftlicher oder politischer Arbeit. Marx dagegen mußte Deutschland schon mit 25 Jahren verlassen . Dreißig Jahre alt, betrat er es wieder ( 1848 ) , doch nur für ein Jahr. Dann

Marx und Lassalle

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vertrieb ihn die Reaktion von neuem . Mit Ausnahme dieses einen Jahres lebte und arbeitete Marx von 1843 bis an sein Lebensende , vierzig Jahre lang, außerhalb seines Heimatlandes, in Paris , Brüssel, schließlich in London. Die Verschiedenheit der Schicksale ergab für Marx einen viel weiteren politischen Horizont, ein viel größeres Verständnis für internationale Zusammenhänge, als für Lassalle. Diese Tatsache wird oft ganz falsch ausgedrückt in der Weise, daß man sagt, Marx habe jedes nationale Empfinden gefehlt , bei Lassalle dagegen sei es stark entwickelt gewesen. Marx war nie international in einem Sinne , der nationales Denken, Interesse für das Gedeihen der Nation , der man angehört, ausgeschlossen hätte. Nur bornierte Nationalisten fassen das internationale Denken in dieser Weise auf, da sie ihm völlig verständnislos gegenüberstehen . Marx war für das Interesse der deutschen Nation stets aufs wärmste besorgt. Die Geschichte des Jahres 1848 zeigt, wie leidenschaftlich er damals die Einigung Deutschlands verfocht . Wir werden weitere Belege dafür im Verlauf unserer Untersuchung noch kennenlernen . Die Internationalität zeigte sich bei ihm wie bei jedem internationalen Sozialisten einmal darin , daß er nicht die eigene Nation als ein auserwähltes Volk über die andern erhob, sondern die Gleichheit und Gleichberechtigung aller Völker betonte ; dann zeigte sich seine Internationalität darin , daß ihm das Gedeihen der eigenen Nation nur durch das friedliche Zusammenwirken mit den andern Nationen erreichbar und gesichert schien , nicht durch das feindselige Verhalten der eigenen Nation gegenüber den andern . In diesem Sinne war Marx ebenso national wie international. Man täte aber Lassalle unrecht, wenn man annähme, dieser habe anders gedacht . Lassalle hat nie die deutsche Nation über die andern Nationen erhoben, stets betont, daß das deutsche Volk, die deutsche Demokratie nur im Verein mit den demokratischen Elementen der übrigen Nationen zu ihrem Recht kommen könnten. Insbesondere war er ein warmer Freund Frankreichs , nie ein Franzosenfresser. Lassalle unterschied sich von Marx nicht durch geringeres internationales Interesse , sondern nur durch geringeres internationales Verständnis. Diese Verschiedenheit erklärt sich ausreichend durch die Verschiedenheit ihrer Schicksale. Lassalles Gesichtskreis wurde durch sie beengt. Aber dafür stand er den Dingen in Deutschland und namentlich in Preußen weit näher als Marx. Er konnte vieles erfahren, was diesem fremd blieb, und auch die Volksstimmung in Preußen konnte er zutreffender beurteilen, wenigstens so lange, als er sich nicht in die verhängnisvolle Politik der Verständigung mit Bismarck und der preußischen Monarchie hineingeritten hatte, die ihn im letzten

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Revolutionäre im Krimkrieg

Jahre seines Lebens förmlich zwang, die Dinge anders zu sehen , als sie waren . Im allgemeinen hat Marx dort recht behalten, wo er an Lassalle Kritik übte, doch in manchen Einzelheiten der preußischen Politik sah dieser schärfer und richtiger.

b) Revolutionäre Erwartungen. Der erste Krieg, der die Grabesstille Europas nach dem Untergang der Revolution von 1848 unterbrach, war der Orientkrieg, den Napoleon im Bunde mit England für die Türkei gegen Rußland 1854 und 1855 führte. Dieser Krieg rief noch keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Marx und Lasalle hervor . Wohl handelte es sich um einen Kampf zwischen zwei Henkern der Revolution , von denen jeder ein erbitterter Feind der Demokratie war. Doch der Zar schien immerhin noch weit gefährlicher zu sein, als Louis Napoleon . Die Autokratie an der Newa war noch völlig unerschüttert, die an der Seine stand auf weit weniger festen Füßen. Die Bekriegung Rußlands durch die beiden Großmächte des Westens schien, wenn auch in recht unvollkommener Weise, doch eine Art Ersatz werden zu wollen für einen Krieg des demokratischen Westens gegen den autokratischen Osten , dessen Kommen Marx und Engels noch 1849 mit flammenden Worten angekündigt hatten. Die Revolutionäre Europas waren so ziemlich alle der gleichen Meinung. Nur in England gab es proletarische Elemente, die ihr widerstrebten. Aber es waren teils religiöse Sektierer nach Art der Quäker, teils Arbeiter, die der Führung der Manchestermänner folgten das eine schloß das andere nicht aus. Gegen diese absoluten Pazifisten wendeten sich die Reste der Chartistenbewegung . Bezeichnend ist ein Bericht, den Marx am 12. Juli 1853 an die ,,New York Tribune" sandte , zu einer Zeit, wo noch nicht der Krieg ausgebrochen war, noch zwischen den Mächten verhandelt wurde . Marx knüpft an ein Rundschreiben an, das Graf Nesselrode , damals russischer Reichskanzler, an die Mächte zur Begründung der russischen Ansprüche versandt hatte : „ Ein höhnischeres Schriftstück ist wohl bis zum heutigen Tage noch nie den Westmächten vom Osten ins Gesicht geschleudert worden. Sein Verfasser ist eben Nesselrode, dessen Namen nicht uinsonst zugleich Nessel und Zuchtrute bedeutet. Fürwahr, es ist ein Dokument dafür, daß Europa sich unter der Zuchtrute der Konterrevolution beugt. Die Revolutionäre können dem Zaren zu diesem Meisterwerk gratulieren . Europas Niederlage ist nicht nur ein einfacher Rückzug , nein , es muß sich auch unter das kaudinische Joch beugen. Aber während die englische Königin in diesem Augenblick russische Fürstinnen feiert, während die aufgeklärte englische Bourgeoisie und Aristokratie demütig zu Füßen des barbarischen Autokraten liegt, protestiert allein das englische Proletariat gegen die Unfähigkeit und die Degradation der herrschenden Klassen .

Revolutionäre im Krimkrieg

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Am 7. Juli hielt die Manchesterschule eine große Friedensversammlung in der Old Fellows Hall in Halifax ab. Grossley, der Abgeordnete von Halifax, und alle die andern , großen Männer' der Schule waren speziell zu dieser Versammlung aus der Stadt' (London, K. ) herbeigeeilt. Der Saal war überfüllt und viele tausende konnten keinen Einlaß finden. Ernest Jones ( dessen Agitation in den Fabrikbezirken prächtige Fortschritte macht, wie man aus der großen Anzahl der chartistischen Petitionen im Parlament und aus den Angriffen der provinzialen Mittelstandsprozesse entnehmen kann) , war gerade in Durham, Die Chartisten von Halifax, wo er schon zweimal vorgeschlagen und durch Händeaufheben zum Kandidaten fürs Unterhaus ernannt worden ist, riefen ihn telegraphisch herbei, und er erschien gerade noch rechtzeitig in der Versammlung. Die Herren von der Manchesterschule glaubten sich schon ihres Sieges sicher und hofften, eine Resolution durchzubringen, die ihrem guten Aberdeen' ) die Unterstützung der Fabrikbezirke sichern sollte, als Ernest Jones sich erhob und eine Resolution einbrachte, die das Volk zum Krieg aufrief und in der er erklärte, der Friede sei ein Verbrechen, solange er nicht mit der Freiheit Hand in Hand ginge. Eine heftige Diskussion fand statt, aber die Resolution von Ernest Jones siegte mit ungeheurer Mehrheit." (Marx und Engels, Gesammelte Schriften 1852-1862, herausgegeben v. Rjasanov, Deutsch v. Luise Kautsky, Stuttgart 1917. I. S. 192, 193.) Der von Marx ersehnte Krieg kam bald darauf wirklich , jedoch nicht infolge einer Bewegung des englischen Proletariats. Was Marx noch als ein stürmisches Auflodern des englischen Proletariats betrachtete, war das letzte Aufflackern des Chartismus vor völligem Erlöschen . Gerade vom Jahr 1853 schreibt M. Beer über „,das kleine Häuflein der der Fahne des Chartismus treu gebliebenen Männer". (,, Geschichte des Sozialismus in England", S. 415.) Der Krieg entsprang aus den Gegensätzen zwischen den reaktionären Regierungen der Großmächte, nicht aus revolutionären Regungen der Proletarier des Westens gegen die Hochburg des Absolutismus im Osten . Immerhin, er war ein Krieg des Westens gegen den Osten . Allerdings wurde er geführt zur Erhaltung der Türkei, die ein hoffnungsloseres orientalisches Staatswesen darstellte als das autokratische Rußland . Aber die Revolutionäre Europas durften wieder einmal erwarten , der Krieg werde einen Antrieb zur Revolution liefern. Darin stimmten trotz der Verschiedenheit ihres Standortes Marx und Lassalle überein . Schon im Leitartikel der „,New York Tribune" vom 2. Februar 1854 schrieb Marx über den bevorstehenden Krieg : ,,Solange sich der Krieg auf die westlichen Mächte und die Türkei auf der einen Seite und Rußland auf der andern beschränkt, wird kein europäischer Krieg daraus, wie wir ihn 1792 sahen ... Doch wir dürfen nicht vergessen, daß in Europa noch eine sechste Macht existiert, die in bestimmten Augenblicken ihre Herrschaft über die gesamten fünf sogenannten , Großmächte' behauptet und jede von ihnen erzittern läßt . Diese Macht ist die Revolution. Nachdem sie sich lange still und zurückgezogen verhielt, wird sie jetzt durch die Krisis und die Hungersnot wieder auf den ¹) George Gordon , Graf v. Aberdeen , war damals Ministerpräsident. K.

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Revolutionäre im Krimkrieg

Kampfplatz gerufen . Von Manchester bis Rom, von Paris bis Warschau und Budapest ist sie allgegenwärtig, erhebt ihr Haupt und erwacht vom Schlummer. Mannigfach sind die Symptome des wiederkehrenden Lebens ; überall sind sie erkennbar in der Unruhe und Aufregung, die die proletarische Klasse ergriffen hat. Eines Signals nur bedarf es und die sechste und größte europäische Macht tritt hervor in glänzender Rüstung, das Schwert in der Hand, wie Minerva aus dem Haupt des Olympiers . Dieses Signal wird der drohende europäische Krieg geben, und dann werden alle Berechnungen über das Gleichgewicht der Mächte durch das Hinzutreten eines neuen Elements über den Haufen geworfen werden , das in seiner Schwungkraft und Jugendlichkeit alle Pläne der alten europäischen Mächte und ihrer Generale ebenso vereiteln wird, wie in den Jahren 1792-1800 . “ ( Marx und Engels, Gesammelte Schriften 1852-1862, herausgegeben v. Rjasanov, I. S. 327, 328. ) Nichts leichter, als heute nachzuweisen , daß die Marxsche Erwartung in keiner Weise eintraf. Woher rührte aber der Fehler? Marx sah sehr richtig die ,, Symptome" des wiederkehrenden Lebens ", die „ Unruhe und Aufregung" der Massen in verschiedenen Gebieten Europas. Die Erstarrung der Reaktionszeit begann zu weichen. Allerdings noch nicht in so hohem Maße, wie Marx meinte. Doch sein hauptsächlicher Irrtum lag anderswo. Auch das gewaltigste Genie kann sich die Zukunft kaum in andern Formen vorstellen , als solchen , die uns durch die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt werden . Was noch nicht da war, ist nicht gut vorstellbar. So erwarten auch die Revolutionäre regelmäßig, die nächste Revolution , auf die sie rechnen , werde ebenso aussehn wie die vorhergegangene. Nur die Revolutionäre würden diesmal klüger sein. Doch jede kommende Revolution nimmt andere Formen an als ihre Vorgängerinnen ; sie nimmt um so mehr andere Formen an, je gewaltigere Wirkungen die frühere Revolution übte, je mehr sie damit neue Bedingungen des Kampfes, neue Bedürfnisse , neue Machtmittel und Machtverhältnisse schuf. So stehn die Revolutionäre bei jeder neuen Revolution vor ganz neuen Formen des Kampfes und die Erfahrungen früherer Revolutionen können für die späteren Revolutionäre statt tieferer Erkenntnis nur zu leicht haltlose Illusionen bringen, wenn sich nicht mit jenen Erfahrungen der Vergangenheit eine gründliche Erkenntnis der Gegenwart verbindet . Es bedarf ausgiebiger neuer Erfahrungen , um den oft trügerischen Kompaß der revolutionären Tradition stets richtigstellen zu können . Solche neue Erfahrungen seit 1848 lagen 1854 noch nicht vor, daher war es für Marx unmöglich, schon zu sehen , daß die Unruhe, die er bemerkte, nicht ein Zeitalter neuer Revolutionen, sondern ein Zeitalter von Nationalkriegen einleitete , die von einzelnen Monarchien ausgefochten wurden , und daß dies die Form wurde, das nationale Programm der Revolution zu verwirklichen, das 1849 undurchgeführt blieb. Lassalle dachte über die wahrscheinlichen revolutionären Fol-

Lassalle und Orientkrise

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gen des Orientkriegs fast ebenso wie Marx. Am 7. März 1854 schrieb er diesem einen Brief, in dem es unter anderem heißt : ,,Die jämmerlichen Halbheiten und Schwächen, der fabelhafte Blödsinn aller Gouvernements mit Ausnahme Rußlands, die widerspruchsvolle Stellung Österreichs, Preußens und Frankreichs, die bisher in der Geschichte noch ohne Präzedenz bestehende trostlose Halbheit der englischen Regierung dienen geradezu wie Blasebälge für den Weltbrand, der jetzt nicht länger vertagt werden kann. Daß die Türkei dabei weit mehr noch durch Englands und Frankreichs Hilfe, als durch Rußlands Angriff untergeht, ist unbestreitbar und wird von der alttürkischen Partei wohl herausgefühlt. Aber es ist äußerst bedeutungsvoll. Mit der Türkei bricht zugleich jede Möglichkeit des Fortbestehens eines österreichischen Staates zusammen. Es ist unmöglich, daß man heute die Türkei lappenmäßig an die bestehenden Staaten verteilt, wie man es im vorigen Jahrhundert mit Polen getan. Es ist wirklich tief providentiell, daß unsere Revolutionsära mit dem Ausbruch dieser orientalischen Krise debutiert, deren Gespenst seit 1828 unsere blöden Politiker schreckt. Bricht mit der Türkei die Möglichkeit Österreichs zusammen, so bricht schon hiermit in rein politisch-nationaler Hinsicht die Konstituierung Deutschlands als einer einigen Republik an. An einem unerbittlichen, auf Leben und Tod geführten Kriege mit Rußland und zugleich an einer Umbildung und Neubefruchtung der europäischtürkischen Länder hat die deutsche Revolution in auswärtiger Beziehung den gewaltigen Beruf, der sie weckt, die gewaltige Arbeit, die sie stählt und großzieht, und die gewaltige Expansion, die ihr die Mittel gibt, auch im Innern Aufgabe und Arbeit zu vollbringen. Die größere Arbeit erzeugt die größere Kraft. Von den sozialökonomischen Folgen, die ungeheuer sein müssen, noch gar nicht zu reden. " ( Briefwechsel Lassalle- Marx, Ausg. G. Mayer, S. 77. Mehringsche Ausgabe, S. 84, 85.) Merkwürdig, daß Lassalle nun für Deutschland ebenso wie ein Jahrzehnt vor ihm Louis Blanc für Frankreich eine Politik der ,,Expansion" auf mohammedanischem Boden fordert, um die Mittel für die Durchführung des Sozialismus zu gewinnen . Diese Idee beschäftigte ihn noch ein Jahrzehnt später. Rodbertus bemerkte damals in einem Brief von 4. Mai 1863 an Lassalle : ,,Und ich hoffe noch die Zeit zu erleben, wo die türkische Erbschaft an Deutschland gefallen sein wird und deutsche Soldaten oder Arbeiterregimenter am Bosporus stehen." Darauf schrieb ihm Lassalle ( 8. Mai 1863) : „ Es hat mich zu eigentümlich berührt, als ich in Ihrem letzten Schreiben diese Worte las. Denn wie oft habe ich nicht gerade diese Ansicht meinen besten Freunden gegenüber vergeblich vertreten und mich dafür von ihnen einen ‚Träumer' nennen lassen müssen ! Die ganze Verschiebung der seit 1839 so oft in Angriff genommenen orientalischen Frage hat für mich immer nur den vernünftigen Sinn und Zusammenhang gehabt, daß die Frage so lange hinausgeschoben werden muß, bis der naturgemäße Anwärter, die deutsche Revolution , sie löst. " ( Briefe v. Lassalle an Rodbertus, Ausgabe Adolf Wagner, Berlin 1878, S. 56. ) ( Ausg. G. Mayer 1925. S. 338. ) Wie 1854 sah Lassalle auch 1863 einen Zusammenhang zwischen Orientfrage und Revolution . Doch zur Zeit des Krimkrieges. erwartete Lassalle nicht, daß die deutsche Revolution den Anstoß zur Lösung der Orientfrage geben werde . Umgekehrt sollte aus der kriegerischen Lösung der Orientfrage die deutsche Revolution hervorgehen .

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Marx und Lassalle über Rußland

Am 27. Januar 1855 sandte Lassalle an Marx eine Darstellung der Lage Deutschlands und schloß sie mit den Worten : ,,Meine Schilderung unserer Zustände faßt sich hienach in das eine Wort zusammen : Deutschland gleicht jetzt einer durch die Tropensonne Afrikas ausgedörrten Wüste, wo ein Funke hinreicht, um Quadratmeilen in Brand zu setzen ! Aber dieser Funke ist bei alledem nötig und aus unserem eigenen Innern wird er nicht herausspringen. Ein Krieg dagegen vermag ihn zu entfesseln." ( Briefwechsel Lassalle- Marx, Ausg. Mehring, S 102, Ausg. Mayer, S. 98.) Die Revolutionäre in Preußen wie die Emigranten in England rechneten mit dem Kommen einer neuen ,,Revolutionsära", die durch den Orientkrieg entfesselt werden sollte. Aber die Revolution kam nicht, trotz der „,tief providentiellen " Fügung, die Lassalle in dieser Wendung sah.

c) Stellung zu Rußland . Marx und Lassalle stimmten anscheinend in ihrer Beurteilung des Krimkrieges völlig überein . Er veranlaßte keine Kontroverse zwischen ihnen . Und doch bestand bereits eine bedeutende Verschiedenheit der Auffassungen zwischen ihnen, die allerdings erst durch den nächsten Krieg, den von 1859, ans Tageslicht gebracht wurde . Die Stellung der beiden zu Rußland wie zu Österreich war nicht die gleiche . Wohl sahen Lassalle wie Marx im Zaren den Todfeind aller Freiheit, aller höheren Entwicklung. Doch für einen richtigen Preußen gab es noch einen ärgeren Gegner als Rußland , das war Österreich . Nicht wenige Preußen suchten die Freundschaft mit Rußland. Das waren allerdings Reaktionäre. Doch in der Feindschaft gegen Österreich stimmten Reaktionäre und Demokraten in Preußen überein . Österreich aber stand im Krimkrieg auf der Seite der Gegner Rußlands, es plante sogar eine Zeitlang den Eintritt in den Krieg und hätte sich dazu wohl entschlossen, wenn es nicht von PreuBen daran gehindert worden wäre. Diese Haltung Österreichs milderte selbst bei einem so entschiedenen Revolutionär wie Lassalle etwas die Schärfe seines Gegensatzes zu Rußland. Allerdings, bei Beginn des Krimkrieges hatte er den Kampf gegen die russische Macht begrüßt, weil er ebenso wie Marx hoffte, der Konflikt werde die europäische Revolution entfesseln. Als aber diese ausblieb, fühlte sich Lassalle sehr ernüchtert. Er hörte nach dem Frieden von 1856 nicht nur auf, die baldige Herbeiführung eines neuen Kriegs gegen Rußland zu wünschen. Sie erschien ihm jetzt sogar gefährlich . Das geht aus einer Korrespondenz hervor, die er mit Marx wohl erst 1860 führte , die wir aber jetzt schon erwähnen, weil sie sich auf Rußland bezieht.

Urquhart

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Am 24. Mai 1860 warnte Lassalle Marx vor einem Assessor Fischel : ,,Er ist eines der unwissendsten, unfähigsten und gedankenlosesten , vor allem aber reaktionärsten Subjekte, die mir je vorgekommen.“ Marx hatte sich mit Fischel eingelassen , der in Berlin den Standpunkt Urquharts vertrat, eines romantisch-reaktionären Politikers Englands, mit dem Marx, angezogen durch dessen unversöhnliche Russenfeindschaft , in Beziehung getreten war. In seiner Antwort an Lassalle kennzeichnet Marx zunächst Urquhart : „ Er ist allerdings subjektiv reaktionär ( romantisch zwar nicht im Sinn einer wirklichen reaktionären Partei, sondern metaphysisch sozusagen) ; dies verhindert die Bewegung in der auswärtigen Politik, die er leitet, durchaus nicht objektiv - revolutionär zu sein. " (Ausgabe Mayer, S. 311.) Daß Fischel mit der auswärtigen Politik Urquharts auch dessen ,,angelsächsische Marotten" adoptiert habe, sei Marx gleichgültig,,,so gleichgültig, wie es dir sein würde, in einem Krieg gegen Rußland z. B. , ob dein Nebenmann auf die Russen schießt aus schwarz-rot-goldenen oder revolutionären Motiven “. ( Briefwechsel Lassalle- Marx, Ausg. Mayer, S. 311.) ,,In dem Krieg, den wir zusammen mit den Urquhartiten gegen Rußland, Palmerston und Bonaparte führen und worin Personen aller Parteien und Stände' ) in allen Hauptstädten Europas bis Konstantinopel teilnehmen, ist also auch Fischel ein Glied ... Daß übrigens in auswärtiger Politik mit solchen Phrasen wie ,reaktionär und ,revolutionär nichts gedient ist, versteht sich von selbst." (S. 312.) Im gleichen Sinne schrieb schon am 31. Mai 1860 Engels an Marx, ebenfalls wegen des Falls Lassalle-Fischel : ,,Der Berliner Privatkrakeel zwischen Lassalle und Fischel kann uns nichts angehn und Fischel hat sich zu gut benommen , als daß wir ihn irgendwie fallen lassen dürften , dem Lassalle zuliebe. Es wird freilich nicht anders gehn, dem dunklen Herakleitos (Lassalle, K.) einige mysteriöse Andeutungen darüber zu geben, daß in auswärtiger Politik mit , Reaktionär nichts gemacht ist und daß auf diesem Felde noch weit größere ,Esel' als Fischel brauchbar sind, wenn sie wissen, wo Barthel den Most holt. Was würde unser weitgreifender Revolutionsdenker und praktischer königlich preußischer Hofdemokrat sich erst entsetzen, wenn er hört, daß Urquhart die Macht der Krone vergrößern will ?" ,,Übrigens ist ja auf diesem Separatgebiet der auswärtigen Politik eine so hübsche spekulative Trennung von der innern Politik möglich, daß Du Dir gewiß den Spaß machen wirst, das Subjektiv- Reaktionäre als das in auswärtiger Politik diesmal Objektiv-Revolutionäre ihm klarzumachen, worauf der Mann Ruhe haben wird." Marx und Engels erklärten hier also für die äußere Politik eine Taktik für unbedenklich, die Lassalle nur wenig später in der inneren Politik zur Anwendung brachte : das Zusammenwirken mit Reaktionären zu einem bestimmten politischen Zweck. Allerdings wurde die Gefährlichkeit dieser Taktik gemindert ¹) Von Marx selbst unterstrichen. K.

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Außen- und Innenpolitik

durch die Unterscheidung zwischen Subjektiv- Reaktionären und Objektiv- Reaktionären. Mit Objektiv-Reaktionären hätten Marx und Engels auch in der äußeren Politik nicht zusammenarbeiten können. Wohl aber erlaubten sie ein Zusammenwirken mit Leuten , die sich reaktionäre Ziele setzten , tatsächlich aber revolutionär wirkten . Diese Unterscheidung ist natürlich sehr wichtig, ebenso wie die von Subjektiv- und von Objektiv -Revolutionären . Es gibt Leute , die vorgeben und sich einbilden, unermeßlich revolutionär zu sein und doch äußerst reaktionär wirken, indem sie etwa eine bestehende Demokratie zertrümmern, um für ihre eigene Diktatur Platz zu machen . Trotz ihres revolutionären Wortschatzes muß man sie als Reaktionäre behandeln. Daß Urquhart ein Subjektiv - Reaktionärer blieb, nicht objektiv reaktionär wurde, lag allerdings bloß daran, daß er nicht über die Staatsmacht verfügte. Ja nicht einmal eine wirklich reaktionäre Partei stand hinter ihm. Seine Politik erwies sich als ,,sozusagen metaphysisch". Urquhart war nie etwas anderes als ein vereinzelter Frondeur, der die bestehenden Regierungen leidenschaftlich kritisierte. Als solcher leitete er Wasser auf die Marxsche antirussische Mühle . Lassalle dagegen ließ sich später ( 1863) mit dem Haupt der preußischen Regierung ein, das die Macht hatte, seine reaktionäre Politik im Militärkonflikt nicht nur subjektiv zu bekunden , sondern auch objektiv durchzusetzen . Das war sicher ein gewaltiger Unterschied . Zu bedauern ist , daß Marx die Abhandlung über die ,,spekulative Trennung" der auswärtigen ,,von der inneren Politik" nicht abgefaßt hat, zu der Engels ihn ermunterte. Sie hätte ein sehr wichtiges und vielumstrittenes Gebiet geklärt . Natürlich bilden die auswärtige und die innere Politik einer Regierung oder einer Partei nur Teile eines geschlossenen Ganzen , der Gesamtpolitik des Staates. Es ist dieselbe Regierung, dieselbe Partei, die die innere und die äußere Politik bestimmt . Insofern stellen beide Arten der Politik nur zwei Seiten einer untrennbaren Einheit dar. Sie dienen beide denselben Interessen und Zielen bestimmter Klassen und Parteien . Sie sind nur zu verstehen, wenn wir diese Interessen begreifen und die beiden Arten Politik lassen sich dabei spekulativ nicht trennen. Indeß wenn auch beide von denselben Parteien und Regierungen, oft sogar von denselben Personen betrieben werden, so unterscheiden sich diese Arten der Politik doch durch das Gebiet, auf dem sie angewandt werden . In der inneren Politik machen sich vor allem die Gegensätze der Klassen geltend . Die Gegensätze von Staaten sind dagegen zumeist nicht solche von Klassen oder Parteien . Absolute und feudale Monarchien sind stets landhungrig. Aber im Innern trachten

Außen- und Innenpolitik

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die Herren solcher Staaten das Gebiet oder den Betrag ihrer Ausbeutung auf Kosten etwa von Bauern oder von Städtern zu vergrößern. In der äußeren Politik streben sie diese Vergrößerung an durch Beraubung von Klassengenossen. Und in fremden Ländern sehen oft nicht bloß Monarchen und Adlige, sehen auch Kapitalisten keineswegs in den Arbeitern, sondern in deren Ausbeutern ihre gefährlichsten Gegner. Marx und Engels bekämpften schon für die innere Politik die Auffassung, als bildeten alle besitzenden Klassen und alle bürgerlichen Parteien dem Proletariat gegenüber eine reaktionäre Masse . Diese Auffassung erschien ihnen als höchst gefährlich, weil sie politische Dummheit und Unwissenheit in den proletarischen Reihen begünstigte, sie von dem Studium der bürgerlichen Welt und der Gegensätze in ihrem Innern ablenkte. Es ist politisches Analphabetentum , sich die heutige Gesellschaft so vereinfacht vorzustellen, als zerfiele sie bloß in zwei Lager, in eine geschlossene reaktionäre , bürgerliche und eine ebenso geschlossene revolutionäre proletarische Masse. Gilt das nicht für die Innenpolitik, so noch weit weniger für die Außenpolitik. Das bedeutet aber, daß in der Außenpolitik unter verschiedenen Politikern derselben Partei sich noch leichter taktische Gegensätze bilden können als in der innern. Auch zwischen Marx und Lassalle zeigte sich ihr taktischer Gegensatz früher in der äußeren Politik als in der innern. Für Marx trat neben der Verpflichtung, Rußland bis zum äußersten zu bekämpfen , jede andere Verpflichtung in den Hintergrund. Die Urquhart und Fischel mochten in der inneren Politik subjektiv Reaktionäre sein. Als unversöhnliche Gegner Rußlands mußten sie objektiv revolutionär wirken . Lassalle sah die Urquhart- Fischel kritischer an , denn ihm lag der Krieg gegen Rußland 1860 weniger am Herzen als Marx. Das betont Lassalle in einem Brief vom 11. September 1860 an Marx, in dem er dessen Ausführungen über Urquhart beantwortete . Lassalle erklärt dort : ,,Ich denke über Rußland ganz so wie Du , aber ich finde, daß ihr Euch dort wirklich bis zur Russomanie anglisiert und die deutschen Verhältnisse quelque peu (ein wenig, K. ) aus den Augen zu verlieren scheint." Urquharts Tätigkeit in England sei sehr nützlich, denn einerseits bedürfe die öffentliche Meinung dort der Aufstachelung gegen Rußland und anderseits könne in dem Lande des Parlamentarismus diese Aufstachelung auch praktische Folgen in der Politik nach sich ziehen. Ganz anders lägen die Dinge in Deutschland : ,,Bei uns in Deutschland dagegen ist, solange unsere Dynastien bestehen, schon ganz unmöglich, eine derartige tatsächliche Einwirkung auf die Politik unserer Regierungen zu haben . Dies ist ein Tra u m. Was aber die theoretische Propaganda betrifft, so heißt es in Deutschland geradezu Eulen nach Athen und Wasser ins Meer tragen, unserem Volk erst noch Erbitterung gegen Rußland beibringen zu wollen. 9*

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Krieg gegen Rußland

Dies ist ganz unmöglich¹ ) und jede solche Tätigkeit bei uns daher ein überflüssiges acta agere. ) Der „ Krieg gegen Rußland" wäre das populärste, alles hinreißende Feldgeschrei, das jemals in Deutschland erhoben worden. Haben wir einst eine wirkliche Revolution, so werden wir sofort den Krieg gegen Rußland haben. Bis dahin glaube ich nicht, weil unsere Dynastien sich schwerlich dazu verstehen werden. Geschähe dies aber, so wäre dies ein großes Malheur. Denn die Regierung, die den Krieg gegen Rußland beginnen wird, wird auf lange das Schoßkind der Nation sein. Laß den Prinzen³) diesen Krieg anfangen, und er wird der Liebling des Volkes und kann ihm in jeder andern Hinsicht ein X für ein U machen . Laß ihn diesen Krieg anfangen und vielleicht auf zwanzig Jahre hat unsere Monarchie ihre Popularität wieder erobert und ist aufs neue mit dem Herzen des Volks verwachsen. Aus diesen Gründen wünsche ich keineswegs, daß der Prinz einen Krieg mit Rußland beginnt. Im Gegenteil, ich betrachte den Krieg mit Rußland, sowohl aus diesem als aus sehr vielen in den realen Verhältnissen wurzelnden Gründen, die Dir keineswegs entgehen werden, als unser bestes und notwendiges Erbteil . Es ist, ich möchte sagen , das providentielle Erbteil der deutschen Revolution , wie der italienische Krieg das Erbteil der französischen Revolution von 1848 war, das Herr v. Lamartine' ) den Blödsinn hatte, Napoleon als Erbteil zu hinterlassen . Dieser Krieg wird uns helfen, unsere ganze Revolution durchzumachen, wird ihre Verlegenheiten verringern, wird uns befähigen, wahrhafte Resultate zu erlangen. Wenn es von Lamartine ungeschickt war, das Erbteil der Revolution an Napoleon zu hinterlassen - welcher Teufel reitet Dich dann, unser bestes Erbteil im voraus vergeudet, mindestens zur Hälfte vergeudet sehen zu wünschen?" (Ausg. Mayer, S. 324, 325. Ausg. Mehring, S. 276, 277.) Marx beantwortete diese Ausführungen sehr kurz ( 15. September) : ,,Über unsere Rußlandbeziehungen glaube ich, daß Du Dich täuschst. Die Ansicht, die ich und Engels sich gebildet haben, ist ganz selbständig und ich kann sagen , mühsam durch vieljähriges Studium der russischen Diplomatie erzeugt. Man haßt Rußland allerdings in Deutschland, und wir haben schon in der ersten Nummer der ,,Neuen Rheinischen Zeitung" den Krieg gegen die Russen als Revolutionsmission Deutschlands hingestellt. Aber hassen und verstehen sind zwei ganz verschiedene Dinge. " (Ausg. Mayer, S. 330. ) Mit dem letzten Satz hat Marx ganz recht . Im politischen Kampf kann es nichts Schlimmeres geben, als verständnisloses Hassen. Man muß den Gegner zu begreifen suchen , nicht um ihm sein ganzes Tun zu verzeihen , sondern um genau zu wissen, warum er hassenswert ist, aber auch , um zu erkennen , in welchen Punkten er unrecht hat , auf welche Weise man ihm am besten beikommt. Lassalle antwortet Marx ( 17. September) nicht sehr glücklich : ,,Du sagst : Rußland würde von unserem Volke zwar genug gehaßt, aber nicht genug verstanden. Letzteres ist mir ungeheuer einerlei. Mit ¹) So steht in der Mehringschen , wie in der Mayerschen Ausgabe. Es ist also kaum ein Druckfehler. Doch gibt es keinen Sinn . Lassalle hat sich hier offenbar verschrieben. Es muß heißen : ,,unnötig“. K. 2) Eine erledigte Sache noch weiter verhandeln, leeres Stroh dreschen . K. ') Wilhelm, Prinz v. Preußen, vom 8. Oktober 1858 bis 2. Januar 1861 Prinzregent, dann König von Preußen. K. *) Minister des Auswärtigen in der provisorischen Regierung von 1848 in Frankreich , K.

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aller Anstrengung von der Welt können wir doch unmöglich unser Volk zu diplomatischen Forschern umwandeln. Haß in der Menge reicht zu allem hin, wenn nur fünf Leute im Land sind, die auch verstehen. (Ausg. Mayer, S. 337.) Hier treten Lassalles diktatorische Neigungen zutage. Wenn nur er versteht, die Masse braucht nicht zu verstehen . Alles für das Volk, nichts durch das Volk. Ganz anders dachte damals Marx. Wenige Jahre später ( 1864) prägte er in den Statuten der Internationale den Satz,,,daß die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muß“, und in der Inauguraladresse der Internationale verkündete er ,,die Pflicht der Arbeiterklasse, sich der Geheimnisse der internationalen Politik zu bemächtigen ." Doch eines hat Marx in seiner Antwort auf Lassalle nicht entkräftet : den Hinweis auf die bedenklichen Folgen, die es in Deutschland hätte, wenn dessen Dynastien Krieg gegen Rußland führten. Wie Kaiser Wilhelm 1870 durch den Krieg gegen Napoleon ungeheure Sympathien gewann und die Dynastie der Hohenzollern für Jahrzehnte höchst populär in Deutschland machte, so hätte er die gleiche Wirkung erzielt durch einen Krieg gegen Rußland. Selbst ein Bebel hat unter dem hohenzollernschen Kaiserreich wiederholt (noch 1907) seine Bereitwilligkeit erklärt , die Flinte auf den Buckel zu nehmen, wenn es gegen Rußland gehe. Und die gleiche Erwägung war entscheidend für die Haltung vieler deutscher Sozialdemokraten im August 1914. Lassalles Befürchtungen waren also wohl berechtigt . Es ist schade, daß sie Marx nicht veranlaßten , sich darüber zu äußern . Indes auch Lassalle hielt den Krieg Deutschlands gegen Rußland für notwendig . Doch erschien ihm 1860 die Revolution so nahe, daß er den moralischen und politischen Gewinn, den er von diesem Krieg erhoffte, nicht der Hohenzollernmonarchie gönnen, sondern ihren Erben vorbehalten wollte. Er sah in dem Krieg gegen Rußland das beste Stück des revolutionären Erbes. So sehr Lassalle und Marx Rußland gegenüber in der Zeit nach der Revolution von 1848 auseinandergingen, so zeigten sich doch beide immer noch durch die Erinnerung an die Verhältnisse von 1848 befangen . Auch hier müssen wir wieder konstatieren : Es ist die Kriegsideologie, die den Scharfblick selbst unserer tiefsten Denker in manchen Punkten trübt und hin und wieder zu einer Verkennung der Methoden und Aussichten der Gegenwart führt.

d) Stellung zu Österreich. Rußland war der eine Punkt , in dem Marx und Lassalle zur Zeit des Krimkrieges und mehr noch einige Jahre danach auseinandergingen. Der andere war Österreich. Darüber diskutierten sie damals allerdings nicht, erst später, zur Zeit des italienischen Krie-

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ges. Doch die Verschiedenheit der Anschauungen bestand bereits 1854. Im Grunde waren gegenüber Österreich ebenso wie gegenüber Rußland Marx und Lassalle ganz einig. Hier wie dort war es eine Frage der Zeit, die sie trennte. Rußland gegenüber ersehnten beide den Krieg, nur wollte Marx, wenn es nicht anders ginge, schon die Dynastien Deutschlands, also im wesentlichen Preußen mit Österreich vereint zu einem solchen bringen. Lassalle wollte mit dem Krieg bis zur Revolution warten. So waren auch Lassalle und Marx einig in der Überzeugung, daß Österreich ein lebensunfähiger Staat, ein Hindernis der Einigung Deutschlands, der Entwicklung Osteuropas sei . Aber wann dieser unmögliche Staat verschwinden müsse, darüber dachten sie verschieden . Wie Marx wollte Lassalle ebenfalls von Kleindeutschland nichts wissen, das heißt, von der Einigung Deutschlands unter preußischer Spitze, bei Hinauswurf der Deutschösterreicher aus dem Bunde. An Rodbertus schrieb Lassalle sehr scharf ( 2. Mai 1863) : ,,Wenn ich etwas in meinem Leben gehaßt habe, ist es die kleindeutsche Partei ... Wir müssen alle wollen : Großdeutschland moins les dynasties ( ohne die Dynastien, K.) . Ich habe in meinem Leben kein Wort geschrieben , das der kleindeutschen Partei zugute käme, betrachte sie als das Produkt der bloßen Furcht vor Ernst, Krieg, Revolution , Republik und als ein gutes Stück nationaler Verrat . “ ( Briefe an Rodbertus, Ausgabe G. Mayer, 1925 , S. 335. Ausgabe Ad. Wagner, 1878 , S. 53, 54. ) Das war das schnurgerade Gegenteil nicht nur der Politik der meisten deutschen Liberalen , sondern auch Bismarcks . Trotzdem trat in dem gleichen Monat , an dem der eben zitierte Brief datiert ist, Lassalle in Beziehungen zu Bismarck. Lassalle wollte ebenso wie Marx Gesamtdeutschland einigen , nicht bloß Kleindeutschland. Aber gerade dazu mußte man die deutschen Gebiete Österreichs aus dem habsburgischen Staatsverband herauslösen. Nicht Ausschluß der Deutschösterreicher aus Deutschland, sonder Zertrümmerung Österreichs war in dieser Beziehung das nationale Ziel Lassalles. Lassalle faßte daher schon 1854 das nahe Ende Österreichs ins Auge. In seinem bereits zitierten Brief an Marx vom 7. März 1854 wies er auf den unvermeidlichen Untergang der Türkei hin und bemerkte dazu : „ Mit der Türkei bricht zugleich jede Möglichkeit eines Fortbestehens eines österreichischen Staates zusammen." Marx erwiderte nichts darauf . Und doch hätte er nicht so leichten Herzens, wie Lassalle, auf das Fortbestehen des österreichischen Staates verzichtet , obwohl er dessen Mängel genau kannte. Aber im Gegensatz zu der Russenfreundlichkeit der Hohenzollern war das Haus Habsburg mit der Zeit immer mehr zu einer Hem-

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mung des Vordringens Rußlands auf türkischem Boden geworden. Diese Hemmung erschien Marx für lange hinaus unentbehrlich . In seinem ,,Herr Vogt “ ( London 1860 ) sagt er darüber : ,,Der einzige Umstand der die staatliche Existenz Österreichs seit Mitte des 18. Jahrhunderts rechtfertigt, sein Widerstand gegen die Fortschritte Rußlands im Osten Europas ein Widerstand hilflos, inkonsequent, feig, aber zähe.“ ( S. 77. ) Nach 1882 vertrat Engels diese Überzeugung, daß Österreichs Funktion darin bestehe, einen Damm gegen Rußland zu bilden . Am 22. Februar 1882 schrieb er an Bernstein : ,,Ein ,Damm gegen Rußland' ist überflüssig von dem Augenblick , wo die Revolution in Rußland ausbricht, d. h. wo irgendwelche repräsentative Versammlung zusammentritt. Von dem Tage an ist Rußland im Innern beschäftigt, der Panslavismus klappt zusammen in sein Nichts, der Beginn des Reichszerfalls tritt ein. Der Panslavismus ist nur ein Kunstprodukt der ,gebildeten Stände', der Städte und Universitäten, Armee und Beamten. Das Land weiß nichts davon , und selbst der Landadel ist so sehr in der Klemme, daß er jeden Krieg verflucht. Österreich war von 1815 bis 1859 in der Tat ein Damm gegen Rußland, so feig und dumm seine Politik auch blieb. Jetzt am Vorabend der Revolution in Rußland ihm nochmals Gelegenheit geben, sich als Damm aufzuspielen, hieße ja , Österreich eine neue Lebensfrist, eine neue historische Existenzberechtigung geben, den Zerfall aufschieben, der ihm sicher bevorsteht." ( Engels, „ Briefe an Bernstein", S. 55, 56. ) Engels hielt also 1882 die Aufgabe Österreichs , einen Damm gegen Rußland zu bilden , und damit die Existenzberechtigung der Habsburgermonarchie, nahezu für erledigt , aber nur aus dem Grunde, weil er die russische Revolution vor der Türe sah . In Wirklichkeit sollte dieses Ereignis erst viel später eintreten. Der große Fortschritt, den man von 1860-1882 gemacht hatte, bestand darin, daß Marx 1860 von der Möglichkeit einer Revolution in Rußland noch nicht sprach, während 1882 alle Welt diese Revolution erwartete . e) Die Tschechen. Aber nicht nur für die Erhaltung Österreichs setzte sich Marx ein. Er war auch für die Konservierung der Grenzen des Deutschen Bundes im Osten , außer den Polen gegenüber. Böhmen und Mähren mußten seiner Ansicht nach im Deutschen Bund bleiben. Denn für Marx war es selbstverständlich, daß ein außerhalb des Deutschen Bundes stehendes Böhmen russisch werden müsse , wenn Österreich sich auflöste. Nicht aus nationalen Gründen, sondern wegen der Bekämpfung des russischen Despotismus verlangte er das Verbleiben Böhmens im Deutschen Bund. In seinem „, Herr Vogt" heißt es darüber : ,,Böhmen russisch ! Aber Böhmen liegt mitten in Deutschland ..... So erhält Rußland ein Stück deutsches Bundesgebiet von 50 deutschen Meilen Länge und 25-35 Meilen Breite. Es schiebt seine Westgrenze um volle 65 deutsche Meilen nach Westen vor. Da nun von Eger bis Lauterburg im Elsaß in gerader Linie nur 45 deutsche Meilen sind, so wäre Norddeutschland durch den französischen Teil einerseits und noch weit mehr

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den russischen anderseits von Süddeutschland vollständig getrennt und die Teilung Deutschlands wäre fertig. Der direkte Weg vonWien nach Berlin ginge durch Rußland , ja selbst der direkte Weg von München nach Berlin. Dresden, Nürnberg, Regensburg, Linz wären unsere Grenzstädte gegen Rußland ; unsere Stellung gegenüber den Slawen wäre im Süden wenigstens dieselbe, wie vor Karl dem Großen ... und wir könnten tausend Jahre aus unserer Geschichte ausstreichen. Wozu Polen gedient hat , dazu kann Böhmen noch besser dienen. Prag in ein verschanztes Lager verwandelt und Nebenfestungen am Einfluß der Moldau in die Elbe- und die russische Armee in Böhmen kann die schon von vornherein geteilt ankommende deutsche Armee aus Bayern, aus Österreich, aus Brandenburg ruhig abwarten, die stärkeren an den Festungen anlaufen lassen und die schwächeren im Detail schlagen ... Unter solchen Umständen könnten Deutsch-Österreich, Süddeutschland und Norddeutschland niemals zusammenhandeln, es sei denn - und dazu würde es notwendig kommen — unter russischer Führung." (S. 81, 82. ) Als das Ende dieser Entwicklung bezeichnet Marx das „ Vergehn (sic) der deutschen Nationalität im — Russentum.“ ( S. 83.) Mangel an Interesse für die eigene Nation wird man diesen merkwürdigen Ausführungen des ,,undeutschen Juden Marx" sicher nicht vorwerfen können . Sie beruhen auf der Voraussetzung, daß Böhmen russisch wird, wenn Österreich zerfällt und Böhmen nicht beim Deutschen Bund bleibt. Dies betrachtet Marx als selbstverständlich. Und doch wird dabei gänzlich von der tschechischen Nation abgesehen. Wie die darüber denkt, wird nicht gefragt, sondern nur, wer die Herren Böhmens sein sollen, Deutsche oder Russen .

3. Der italienische Krieg 1859. a) Die Kompliziertheit der Lage. Die Meinungsverschiedenheiten in der Kriegsfrage zwischen Marx und Lassalle, die bereits während des Krimkrieges latent bestanden hatten , traten scharf zutage, als wenige Jahre später der Krieg zwischen Frankreich und Österreich ausbrach . Zu dieser Zeit war das politische Leben in Europa wieder reger geworden ; der Druck der Gegenrevolution hatte sich gemindert, namentlich in Deutschland, abgesehen von Österreich. Wie die innere wurde auch die äußere Politik dort lebhaft in der Öffentlichkeit diskutiert. Auch Marx, Engels, Lassalle beschränkten sich nicht mehr auf brieflichen Meinungsaustausch, sondern griffen mit Broschüren in die Diskussion ein. Engels veröffentlichte die seinen allerdings zunächst noch anonym. Das war der Fall mit der Schrift, mit der er zuerst auf den Plan trat : ,, Po und Rhein ." Er ließ sie in Berlin erscheinen . Das gleiche tat Lassalle mit seiner Arbeit über den ,,italienischen Krieg und die Aufgabe Preußens", deren erste Auflage ebenfalls anonym

Kompliziertheit des Krieges 1859

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erschien, wenige Wochen nach der Engelsschen Broschüre . Im Anschluß an den Krieg veröffentlichte Engels 1860 eine Schrift, betitelt ,,Savoyen, Nizza und der Rhein", und Marx seinen ,,Herr Vogt". Die Engelssche Arbeit erschien wieder anonym in Berlin. Die Marxsche dagegen in London mit Nennung des Verfassers. Die Möglichkeiten öffentlicher Diskussion waren für Revolutionäre und Demokraten gewachsen, aber auch die Veranlassungen zum Diskutieren hatten zugenommen. Jeder Krieg entflammt die Leidenschaften, drängt alle am politischen Leben Interessierten zu einer entschiedenen Stellungnahme, am meisten natürlich in den kriegführenden Staaten selbst. Doch hat nicht jeglicher Krieg die gleiche intensive Wirkung . Der Krimkrieg, ein Krieg um der Türkei willen , erregte die Deutschen weit weniger als der italienische Krieg, der gegen Österreich geführt wurde, das noch zum Deutschen Bund gehörte, noch als ein deutscher Staat betrachtet wurde. Mit der Leidenschaftlichkeit der Stellungnahme wuchs 1859 auch die Leidenschaftlichkeit der Diskussionen, sogar unter sonst ganz übereinstimmenden Demokraten und Revolutionären, da die tatsächlichen Verhältnisse sehr verschiedene Auffassungen zulieBen. Die Kriegsfrage war 1859 weit komplizierter als 1854. Verschiedene Sozialisten und Demokraten konnten auf dem gleichen prinzipiellen Boden stehen und doch 1859 zu sehr gegensätzlichen Anschauungen kommen. Marx hielt es für notwendig, in seinem vom 17. November 1860 datierten Vorwort zu seinem „ Herr Vogt", ausdrücklich darauf hinzuweisen : ,,Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse bemerke ich nur das eine : von Männern , die schon 1848 miteinander darin übereinstimmten, die Unabhängigkeit Polens, Ungarns , Italiens nicht nur als ein Recht dieser Länder, sondern als ein Interesse Deutschlands und Europas zu vertreten, wurden ganz entgegengesetzte Ansichten aufgestellt über die Taktik , die Deutschland bei Gelegenheit des italienischen Kriegs von 1859 Louis Bonaparte gegenüber auszuführen habe. Dieser Gegensatz der Ansichten entsprang aus gegensätzlichen Urteilen über tatsächliche Voraussetzungen, über die zu entscheiden einer späteren Zeit vorbehalten bleibt." Marx schienen also noch Ende 1860 die ,,tatsächlichen Voraussetzungen" in der Kriegsfrage so kompliziert zu sein, daß er nicht glaubte, ein zwingender Beweis in der einen oder andern Richtung sei damals schon zu erbringen . Er behielt die Entscheidung darüber einer späteren Zeit vor. Doch im Kriege kann man nicht, wie bei wissenschaftlicher Forschung, mit der Stellungnahme zu einer strittigen Frage so lange warten, bis alle in Betracht kommenden Tatsachen völlig eindeutig erkannt sind . Man muß sofort Stellung nehmen. Das haben auch Marx, Engels, Lassalle getan.

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b) Engels. Marx und Engels sahen ebenso wie Lassalle das Streben der Italiener nach Gewinnung eines Einheitsstaates als berechtigt an. Aber jene bezweifelten, daß Louis Napoleon der richtige Mann sei, dies Streben zur Geltung zu bringen. Engels sagte darüber ( „ Po und Rhein", Neudruck 1915 , S. 49, 50) : ,,Die französische Politik ist gegenüber Italien immer borniert, engherzig, ausbeutend gewesen, so daß die Italiener bei irgend einer loyalen Behandlung von unserer (der deutschen, K. ) Seite unbedingt mehr zu uns gehalten hätten, als zu Frankreich. Wie sie von 1796 bis 1814 von Napoleon und seinen Statthaltern und Generalen ausgesogen worden sind, ist bekannt genug. 1814 kamen die Österreicher als , Befreier' und wurden als Befreier aufgenommen. Wie sie Italien befreit haben, davon zeugt der Haß, den heut jeder Italiener gegen die , Tedeschi ( Deutschen, K. ) hat. Soviel über die Praxis der französischen Politik in Italien ; über die Theorie brauchen wir bloß zu sagen, daß sie nur einen Grundsatz kennt : Frankreich kann nie ein einheitliches und unabhängiges Italien dulden. Bis auf Louis Napoleon hinab steht dieser Grundsatz fest, und damit allen Mißverständnissen vorgebeugt werde, muß Laguerronière ihn jetzt abermals als ewige Wahrheit proklamieren." Laguerronière war ein Schriftsteller, dessen Feder Napoleon zur Verfügung stand, der sie gern benutzte. Kurz vor dem Kriege von 1859 verfaßte Laguerronière im Auftrag des Kaisers eine Broschüre : ,,Napoleon III . und Italien ", die das sagte, was Napoleon damals gesagt haben wollte. Ganz anders, fährt Engels fort , sei das Verhältnis zwischen Italien und Deutschland. Der Schwerpunkt der Engelsschen Broschüre ,,Po und Rhein" liegt auf dem Nachweis, daß ,, Deutschland kein Stück von Italien zu seiner Verteidigung braucht", und daß es im Interesse des deutschen Volkes läge, wenn Österreich auf seine italienischen Besitzungen verzichtete. In „ Savoyen , Nizza und der Rhein" sagt Engels noch weiter : ,,An dem Bestand der päpstlichen und neapolitanischen Herrschaft haben wir ebenfalls kein Interesse, wohl aber an der Herstellung eines starken und einigen Italiens, das eine eigene Politik haben kann . Unter gegebenen Umständen können wir also Italien mehr bieten, als der Bonapartismus ; es treten vielleicht bald Zeitumstände ein , wo es wichtig wird, dies im Gedächtnis zu haben.“ ( S. 37, vgl. S. 4. ) So sehr Engels daher mit der italienischen Einheitsbewegung sympathisierte, so wehrte er sich doch entschieden dagegen , daß sie sich des nach dem Krimkrieg mit dem Zaren verbündeten Dezembermannes bediente, um ihre Ziele durch Zertrümmerung Österreichs und Machtvermehrung des französischen und russischen Despotismus zu erreichen. Diese Machtvermehrung bedrohe nicht bloß die europäische Demokratie im allgemeinen, sondern das deutsche Volk im besonderen. Denn wenn die französisch-russische Allianz siege, dann sei das Ergebnis die Aneignung des linken deutschen Rheinufers an Frankreich,

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,,Zweimal in diesem Jahrhundert hat sich Rußland mit Frankreich verbündet und jedesmal hatte die Allianz die Teilung Deutschlands zum Zweck oder zur Basis." (,, Savoyen etc.", S. 39.) Das erstemal wars beim Friedensschluß von Tilsit ( 1807) , das zweitemal 1829 bei dem Vertrag Karl X. mit dem Zaren , wonach Frankreich das linke Rheinufer und Rußland Konstantinopel bekommen sollte. Wenn der Krieg von 1859 zu einer Ausdehnung Rußlands in der Türkei führen würde , werde Frankreich wieder nach dem Rheinufer greifen : ,,Die einzige Kompensation, die Rußland Frankreich bieten kann, ist das linke Rheinufer. " ( S. 42. ) Das entspreche der ,,natürlichen wie der traditionellen Politik

Rußlands gegenüber Frankreich". Und Napoleon sei in einer Position, die ihn zwinge, den Zwecken Rußlands zu dienen . Denn er herrsche durch die Armee, brauche daher Kriege und Kriegsruhm , dazu aber eine Allianz, für die er allein auf Rußland angewiesen sei. Die Erfolge, die Napoleon 1859 erfocht, waren zu mager und Rußlands Militärkraft war seit dem Krimkrieg noch zu erschöpft, als daß sich das Programm der russisch-bonapartistischen Verschwörung hätte durchsetzen lassen, an dessen Bestehen Engels nicht zweifelte. In seiner Schrift ,,Savoyen etc. ", die 1860 erschien, rechnete er noch mit diesem Programm : ,,Die weiteren Pläne werden momentan vertagt, nicht aufgegeben ." (S. 44.) Soll Deutschland sich immer so bedrohen lassen , ohne sich dagegen zu erheben ? Engels rekapituliert, was alles Rußland den. Deutschen seit 1807 angetan , „ und was wir Deutschen hoffentlich nie vergessen werden ." Er fährt fort : ,,In diesem Augenblick noch droht uns die russisch- französische Allianz. Frankreich selbst kann uns nur in einzelnen Momenten gefährlich werden und auch dann nur durch die Allianz mit Rußland, Aber Rußland bedroht und insultiert uns stets, und wenn Deutschland sich dagegen erhebt, dann setzt es den französischen Gendarmen in Bewegung durch die Aussicht auf das linke Rheinufer. Sollen wir es uns noch länger gefallen lassen, daß dies Spiel mit uns getrieben wird? Sollen wir 45 Millionen es noch länger dulden, daß eine unserer schönsten, reichsten und industriellsten Provinzen fortwährend zum Köder dient, den Rußland der Prätorianerherrschaft in Frankreich vorhält ? Hat das Rheinland keinen andern Zweck, als von Krieg überzogen zu werden, damit Rußland freie Hand an der Donau und Weichsel bekommt ? Das ist die Frage. Wir hoffen, daß Deutschland sie bald mit dem Schwert in der Hand beantwortet. Halten wir zusammen, dann werden wir den französischen Prätorianern und den russischen Kapuschtschiks heimleuchten." ( S. 46, 47. ) Hier haben wir wieder die Kriegstrompete gegen Rußland, so dröhnend wie 1848 und 1849. Allerdings mit einigen Unterschieden . Damals erwartete man den Kriegszug des gesamten revolutionären Westens gegen das isolierte Rußland. Diesmal sollte Deutschland allein in einen Zweifrontenkrieg gegen die Despoten Frankreichs und Rußlands ziehen .

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Und damals galt es der Rettung der europäischen Revolution , diesmal der Erhaltung des Rheinlandes für Deutschland. Die hier zitierten Stellen allein genügen zu zeigen, wie lächerlich es ist, den Gegensatz zwischen Lassalle und unsern Altmeistern darin zu suchen, daß jener national gedacht habe, diesen beiden dagegen jedes Interesse für die deutsche Nation gefehlt habe. Noch ein Unterschied besteht zwischen den marxistischen Kriegsproklamationen von 1848/49 und denen von 1859/60 . Im Gefolge des Krimkrieges war in Rußland eine neue Erscheinung aufgetreten, die für die Politik der europäischen Revolutionäre gegenüber diesem Land von umwälzender Bedeutung werden mußte : das Aufkommen einer Volksbewegung, die zunächst zur Aufhebung der Leibeigenschaft führen sollte. Marx schätzt diese Bewegung bereits 1859 sehr hoch ein. Am 13. Dezember dieses Jahres schrieb er an Engels : ,, In Rußland geht die Bewegung mehr voran, als in dem ganzen übrigen Europa. Einerseits die konstitutionelle des Adels gegen den Kaiser und der Bauern gegen den Adel ... Bei der nächsten Revolution revolutioniert Rußland gefälligst mit." Engels schließt seine Broschüre von 1860 mit einem Hinweis auf diese Bewegung, die das ganze System der russischen auswärtigen Politik untergrabe : ,,Nur solange Rußland keine innere politische Entwicklung hatte, war dies System möglich. Aber diese Zeit ist vorbei. Die von der Regierung und dem Adel in jeder Weise gehobene industrielle und agrikole Entwicklung ist auf einen Grad gediehen, der die bestehenden sozialen Zustände nicht mehr erträgt. Ihre Aufhebung ist eine Notwendigkeit einerseits, eine Unmöglichkeit ohne gewaltsame Veränderung anderseits. Mit dem Rußland, das von Peter dem Großen bis Nikolaus bestand, fällt auch die auswärtige Politik dieses Rußlands." Also wohl auch die Gefährdung des Rheinlandes durch sie . Doch Engels sieht in der russischen Volksbewegung einen neuen Grund zur Bekriegung des russischen Staates : Der Krieg gegen Rußland solle dort die Revolution entfesseln . Er schließt mit den Worten : ,,Wie es den Anschein hat , ist es Deutschland vorbehalten, diese Tatsachen den Russen nicht nur mit der Feder, sondern auch mit dem Schwert klar zu machen."

c) Lassalle. Wenige Wochen nach Engels ,,Po und Rhein" veröffentlichte Lassalle seine Schrift über den italienischen Krieg. Dessen Probleme erschienen hier in ganz anderem Licht als bei Engels und Marx, die beide miteinander völlig übereinstimmten . Für sie bildete den Ausgangspunkt ihrer Betrachtung das Machtstreben Napoleons und des Zaren, das in dem Kriege gegen Österreich zum Ausdruck kam. Dieses Streben bedrohte Deutschland selbst , nämlich sein Rheinland . Italien kam für sie erst in zweiter Linie in Betracht.

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Lassalle dagegen stellte Italien in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Da erschien es ihm selbstverständlich, daß man sich vom demokratischen Standpunkte für die Italiener und ihren kaiserlichen Verbündeten und gegen Österreich zu entscheiden hatte : „ Wie konnte nur einen Augenblick zweifelhaft sein, auf welche Seite sich die Sympathien der deutschen Demokratie zu richten haben ? Italien kämpft den gerechtesten und heiligsten Krieg, den je eine Nation kämpfen kann, es kämpft für seine nationale Unabhängigkeit und Existenz." (,,Der ital. Krieg", in Bernsteins Ausgabe von Lassalles Reden und Schriften, I. S. 301.) Das sei kein Kabinettskrieg. Das italienische Volk erhebe sich gegen seine Bedrücker. In Mittelitalien habe es bereits die ,, Großherzoge und Herzoginnen — diese österreichischen Statthalterschaften - in wilde Flucht" geworfen. ,,Und so ein mütig war die Erhebung, so grenzenlos national diese Aufstände, daß fast bei keinem derselben auch nur ein Tropfen Blutes floß, auch nur ein Schuß getan wurde. “ ( S. 310. ) Wie könnte ein Revolutionär sich dagegen wenden ? ,,Was wir schlechterdings behaupten müssen, ist , daß man vom demokratischen Standpunkt aus nicht ohne einen gewollten oder ungewollten Verrat an seinen Prinzipien zu begehn, jetzt den Krieg gegen Italien und Frankreich predigen kann .“ ( S. 303.) Allerdings werde die Sache der Italiener durch Louis Napoleon vertreten, den man glühend hassen müsse , denn ,, Ströme Blutes liegen zwischen ihm und der Demokratie". Aber, wenn eine Sache ,,gerecht und heiligt ist, wird sie es w eniger, weil ein schlechter Mann sie in die Hand nimmt?" (S. 302. ) Und sei der Gegner Napoleons , Österreich, nicht noch weit hassenswerter und für die Sache der Demokratie gefährlicher ? ,,Italien kämpft diesen Krieg in begeisterter Erhebung gegen den übermächtigsten Gegner, gegen den kulturfeindlichsten Staatsbegriff, den Europa aufzuweisen hat, gegen den Zwangsstaat Österreich . Was ist einfacher und legitimer, als daß es sich in diesem ungleichen Kampfe der Hilfe der französischen Nation bedient, wenn es dieselbe erlangen konnte ?“ (S. 301 , 302.) „ Österreich ist ein reaktionäres Prinzip , in sich selbst fest und konsequent. Darum ist es seit seiner Existenz der gefährlichste Feind aller Freiheitsideen gewesen. Louis Bonaparte ist persönlich ein Despot , ein Tyrann. Aber die Prinzipien, auf die er sein Regiment stützen, die er immer und immer wieder proklamieren muß, sind demokratische, sind der Wille des Volkes, das allgemeine Stimmrecht, die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen." ( S. 316. ) Gewiß sei ein auf solcher Grundlage aufgebauter Despotismus eine ,,einzige, ungeheure, hassenswerte Lüge. " Aber eben deswegen könne dies Regime nur ,,kurz vorübergehende Existenz haben" und insofern für die Demokratie nie so gefährlich werden, wie ein Regierungssystem, das „, ein geschlossenes , reaktionäres Prinzip vertritt". Für die italienische Freiheit sei Napoleons Sieg unerläßlich. Aber auch für die deutsche werde er vorteilhaft sein, wenn er zur Zertrümmerung Österreichs führe. Denn woran scheiterte bisher die Einigung Deutschlands ? An dem Dualismus zwischen Preußen

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und Österreich, die einander die Waage hielten . Österreich mit seinen nichtdeutschen Provinzen sei das größte Hindernis für jeden Zusammenschluß Deutschlands : „ Österreich muß zerfetzt, zerstückt, vernichtet , zermalmt - wir sprechen natürlich hier immer nur vom Staatsbegriff Österreich seine Asche muß in alle vier Winde zerstreut werden ... Dies ist ... der einzige Weg zur deutschen Einheit . Die selbständige Weltstellung, welche Österreich, gestützt auf seine außerdeutschen Besitzungen, einnimmt - das ist die notwendige , die durch keine Palliativ-Mittel zu beseitigende Ursache des deutschen Dualismus und der Unmöglichkeit der deutschen Einheit. Mit der Zerstückelung von Österreich fällt das besondere Preußen von selbst , wie der Satz mit seinem Gegensatz verschwindet . Österreich vernichtet und Preußen und Deutschland decken sich ! An dem Tage, wo Österreich seine außerdeutschen Provinzen, Italien wie Ungar n') entrissen werden, an dem Tage, wo Österreich auf seine zum Bund gehörigen 12,900.000 Einwohner (und hierin ist schon Böhmen inbegriffen) reduziert und hiedurch in eine Stellung hinuntergedrückt wird, in der es mit Preußen weder durch Bevölkerung, Intelligenz , Ansehn usw. konkurrieren kann, wo Österreich einfach in eine deutsche Provinz verwandelt wird, - an diesem Tage sind nicht nur 12,900.000 Einwohner, die sich dann erst als Deutsche fühlen können , Deutschland wiedergegeben, an diesem Tage ist der Dualismus aufgehoben und die deutsche Einheit erst durch die reale Machtstellung der Staaten realiter möglich gemacht und damit unvermeidlich geworden. An dem Tage, wo der Sonderstaat Österreich vernichtet ist , erblassen zugleich die Farben auf den Schlagbäumen Bayerns, Württembergs usw. An diesem Tage ist Deutschland konstituiert.“²) ( S. 325. ) Man sieht , der Preuße Lassalle konnte Österreich ebensogut hassen wie der Preuße Bismarck. Doch dachte jener nationaler als dieser. Der Vorkämpfer der Hohenzollern verzichtete gern auf die Deutschen Österreichs, die er 1866 aus Deutschland ausschloß und dazu verurteilte, mit einer nichtdeutschen Mehrheit zusammenleben zu müssen. Der Demokrat Lassalle dagegen wollte auf die Deutschösterreicher in keiner Weise verzichten, er wollte die deutsche Nation wahrhaft einigen, während der von den deutschen Patrioten so verehrte Schöpfer des Deutschen Reichs die Nation in einer Weise spaltete , die heute noch nicht überwunden ist. Marx und Engels wollten das deutsche Volk in derselben Weise einigen wie Lassalle, sie wollten auch die Unabhängigkeit der Italiener und der Ungarn, die Wiederherstellung Polens . Was dabei von Österreich übrig blieb, sollte auch weiterhin zum Deutschen Reiche gehören - die nationalen Bestrebungen der Tschechen und Slovenen machten Marx und Engels ebensowenig Sorge wie Lassalle . Aber jene beiden wehrten sich gegen eine Zertrümmerung Österreichs durch französischen und russischen Despotismus. Österreich sollte freilich nicht bleiben bis ans Ende der Welt, ¹ ) Lassalle vergaß Galizien . Böhmen gehörte noch zum Deutschen Bund. K. 2) Die Unterstreichungen ( gesperrter Satz ) in diesem Absatz ebenso in den Zitaten der nächsten Seiten rühren sämtlich von Lassalle her.

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aber doch bis zur Zeit der europäischen Revolution . Nur als Republik, nicht als hohenzollernsches Kaisertum sollte Deutschland geeinigt werden. Das war auch Lassalles Meinung. Doch dachte er in diesem Punkte weniger streng. Er sagt in seiner Schrift, die Frage der Form der deutschen Einheit könne zur Zeit offen bleiben,,,ob man sie sich denke als deutsche Republik, als deutsches Kaisertum , oder endlich selbst als eine straffe Föderation unabhängiger Staaten". ( S. 326.) Die Hauptsache sei jetzt, die unerläßliche Vorarbeit der Einigung zu leisten . Die besorgt Napoleon , er ,,vollzieht eine wesentlich deutsche Aufgabe", die ,,Zerstückelung" Österreichs. Bei der Betrachtung dieser Sätze ist zu erwägen, daß 1859 republikanische Propaganda in Preußen offen nicht betrieben werden konnte, daß es schon kühn war, die Republik als Möglichkeit neben dem Kaisertum zu nennen.

Aber 1859 stand in Preußen die Republik praktisch auch gar nicht in Frage. Wer die sofortige Vernichtung Österreichs zur Einigung Deutschlands verlangte, mußte damit rechnen, daß diese Zertrümmerung der Habsburger- Monarchie ein Werk der ihr feindlichen Dynastien sein werde . Wer während eines Krieges zwischen Frankreich und Österreich die Vernichtung des Staates der Habsburger forderte , konnte natürlich nicht die Deutschen zum Krieg gegen die Franzosen aufrufen . Einen solchen Krieg lehnte auch Lassalle entschieden ab. Was er 1859 darüber sagte, hat heute noch vollste Aktualität. Er untersuchte die Folgen, die ein deutsch-französischer Krieg nach sich ziehen müßte : ,,Diese Folgen wären die traurigsten, die jemals ein Krieg für die europäische Entwicklung gehabt hat, und nur die gänzliche Blindheit gegen dieselben erklärt das Kriegsgeschrei im Mund derer, die es ausstoßen. Wir sprechen nicht von dem Blutvergießen, der Verarmung, den Verheerungen, welche das Gefolge eines jeden Krieges bilden, und welche eben deshalb in keine besondere Berücksichtigung genommen werden können, wenn die Notwendigkeit behauptet wird , sich zu schlagen. Aber dieser Krieg wäre in einem ganz anderen Sinne ein kulturhistorisches Unglück ! Wie ist es nur möglich, von demokratischer Seite her nicht zu sehen, daß dieser Krieg das kulturfeindlichste Ereignis wäre, das gedacht werden kann ?! Das gute Einverständnis I niemals war es mehr an der Zeit dies zu verkünden für jeden , der nur in etwas den Gang der europäischen Kulturgeschichte zu übersehen vermag, als in dem jetzigen Augenblick wieder auflebender Franzosenfresserei - das gute Einverständnis zwischen den beiden großen Kulturvö lkern, Deutschen und Franzosen das ist der Punkt, von welchem alle politische Freiheit, aller zivilisatorischer Fortschritt in Europa, alle Vermehrung und Verwirk lichung der geistigen Ideenmasse , kurz , alle demokratische Entwicklung und somit alle Kulturentwicklung überhaupt unwiderruflich abhängt!

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An diesem Punkte hängt nicht nur das Schicksal einer bestimmten Nationer ist die Lebensfrage der gesamten europäischen Demokratie.“ (S. 349. ) So äußerte sich über das notwendige Verhältnis zwischen dem deutschen und dem französischen Volk jener Sozialist, dessen nationale Denkweise so gern von deutschen nationalistischen Politikern und Gelehrten der internationalen , ja angeblichen antinationalen Denkweise des Marxismus rühmend entgegengehalten wird. Sei aber nicht zu befürchten, daß Frankreich nach dem linken Rheinufer greifen werde ? Lassalle wendet sich gegen diese Ansicht. Das französische Volk denke gar nicht daran. Im Jahre 1848 herrschte unter den französischen Republikanern eine kriegerische Stimmung, aber nur wegen der Polen und Italiener. Niemand sprach von der Eroberung der Rheingrenze . Was aber Napoleon betreffe, so zeigt Lassalle, er sei in einer solchen Lage,,, daß ein Krieg mit Deutschland nicht einmal in seinen Absichten liegen kann“. Ein angegriffenes Deutschland würde eine enorme Kraft entwickeln . ,,Ist es zu glauben, daß man bei dieser Situation Napoleons an die Zeiten von Jena und Auerstädt erinnert und eine Eroberung Deutschlands , eine Eroberung der Rheinufer zu fürchten sich nicht schämt ?" ( S. 342. ) ,,Wo ist denn also die große Gefahr ? Die Ursache, sich so unanständig zu fürchten ? Rußland? Wir glauben nicht, daß Rußland so leicht Bonaparte in einem Angriffs- und Eroberungskrieg gegen Deutschland unterstützen würde und zu unterstützen Ursache hat. Und wenn selbst, so gestehen wir, die russischen Offensivkräfte keineswegs zu fürchten. Überdies wäre die russische Offensivkraft mit einem Schlage zu brechen, mit der Kopie und Proklamation der napoleonisch- italienischen Manifeste - - in Polen!" ( S. 344. ) Lassalle war also entschieden dagegen, daß Preußen die schwarz -gelbe Monarchie unterstütze und zu ihrer Rettung das Schwert gegen Frankreich ziehe . Trotzdem lehnte er nicht jeden Krieg gegen das französische Kaiserreich ab. Er forderte : „ Krieg gegen Napoleon, wenn er die den Österreichern abgejagte Beute für sich behalten will. Krieg, wenn er seinem Vetter (dem Prinzen Napoleon, K. ) mittelitalienische Throne errichten will; Krieg also in beiden Fällen nur im Bunde mit dem italienischen Volk und mit den demokratischen Instinkten der französischen Nation.“ ( S. 357.) Also Friede mit Frankreich , solange keine der beiden Eventualitäten eintrat. Doch mit dieser, wenn auch nicht absoluten , so doch bedingten Friedenspolitik wollte Lassalle sich nicht begnügen. Er forderte, daß Preußen nicht tatenlos zusehe, wie der Krieg in Italien vor sich gehe, sondern sehr aktiv auftrete. ,,Diejenigen, welche uns jetzt in einen Krieg gegen Frankreich hineintreiben wollen, drängen die Kräfte der Nation auf einen unglückseligen und verhängnisvollen Weg hin und verfehlen eben deswegen zugleich die wahrhaft ruhmvolle und nationale Aufgabe, die in diesem Moment vor uns liegt. “ ( S. 356, 357. )

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Die Deutschen wären in der Lage : ,,anderwärts einen ruhm- und resultatvollen nationalen Krieg zu führen. Und das ist die positive Seite der Medaille. Die einzige würdige und große, ebenso sehr in den Interessen der deutschen Nation, als in denen PreuBens gelegene Haltung wäre folgende Sprache PreuBens : Revidiert Napoleon die europäische Karte nach dem Prinzip der Nationalitäten im Süden, gut, so tun wir dasselbe im Norden. Befreit Napolen Italien, gut, so nehmen wir Schleswig - Holstein. Und mit dieser Proklamation unsere Heere gegen Dänemark gesendet!" (S. 359, 360.) „Jetzt wäre der Moment, während die Demolierung Österreichs sich von selbst vollzieht, für die Erhöhung Preußens in der deutschen Achtung zu sorgen ... Möge die preußische Regierung sich davon durchdringen, die Sterne winken günstig ! Die Stunde gehört ihr. “ ( S. 361.) Also nicht als Pazifist wendete sich Lassalle gegen den Krieg mit Frankreich. In gleichem Atem forderte er selbst einen Angriffsund Eroberungskrieg, für den die Sterne ,,günstig winken“. Wie weit ist doch in der grundsätzlichen Stellung zum Krieg das Denken der damaligen Sozialisten, soweit sie nicht unpolitische Utopisten waren, von dem der heutigen entfernt ! Auf keinem andern Gebiet haben sich seit dem Zeitalter der Nationalkriege die sozialistischen Anschauungen so fundamental gewandelt, wie auf dem des Krieges . d) Marx. Lassalles Auffassung des italienischen Krieges und seiner Konsequenzen stand in vollstem Widerspruch zu der, die Engels einnahm . Marx stimmte vollständig mit diesem überein. Er nannte in einem Brief an Engels vom 18. Mai 1859 die Lassallesche Schrift einen „ ungeheuren Mißgriff“ (enormous blunder) , was sicher kein zutreffendes Urteil war angesichts der sehr bedeutenden Momente, die jene Schrift aufwies. Aber Marx und Engels liebten nun einmal in ihrer Korrespondenz die stärksten Ausdrücke. Dabei erkannte jedoch Marx an, daß die Kompliziertheit der Situation es 1859 ungeheuer erschwerte, selbst bei grundsätzlicher Übereinstimmung zu einer einheitlichen Auffassung auch nur der Sozialisten, geschweige denn aller Demokraten zu kommen ... In demselben Brief vom 18. Mai , in dem er so wegwerfend von Lassalles Broschüre spricht, schildert er die damalige Konfusion unter den deutschen demokratischen Kreisen sehr anschaulich. Er schreibt : ,,Die Position der revolutionären Partei in Deutschland ist allerdings in diesem Moment schwierig, indes doch bei einiger kritischen Analyse der Umstände klar. "" Was die Regierungen' angeht, so muß offenbar, von allen Standpunkten aus, schon im Interesse der Existenz Deutschlands die Forderung an sie gestellt werden, nicht neutral zu bleiben, sondern, wie Du 10

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richtig sagst, patriotisch zu sein. Die revolutionäre Pointe aber ist der Sache einfach dadurch zu geben, daß der Gegensatz gegen Rußland noch stärker betont wird als der gegen Boustrapa ( Napoleon , K. ) . Das hätte Lassalle gegen das antifranzösische Geschrei der ‚Neuen PreuBischen Zeitung ' tun sollen. Es ist auch dieser Punkt, der in der Praxis im Fortgang des Krieges die deutschen Regierungen in Reichsverrat hineinreiten wird, und wo man sie am Kragen fassen wird ... Die Konfusion in den Köpfen hat eine sonderbare Höhe erreicht. Da ist zunächst der reichsverräterliche Reichsregent',') der bares Geld von Paris erhalten hat. Herr Meyen im Hamburger ,Freischütz' belobt Vogts Schrift. ) Einer Sorte Vulgärdemokraten ( einige ehrliche darunter denken, daß Niederlage Österreichs, durch Revolution in Ungarn plus Galizien ergänzt, Revolution in Deutschland hervorbringen würde. Die Ochsen vergessen, daß Revolution in Deutschland (Desorganisation seiner Armeen ) nicht den Revolutionären, sondern Rußland und Boustrapa zugute kommen würde) ist es natürlich ein Gaudium, mit den dezembrisierenden (bonapartistisch gesinnten, K. ) Ungarn ( lauter Bangyas ) ' ) und Polen ( Herr Czieskovski in der preußischen Kammer nannte vor ein paar Tagen Nikolaus der Polen ,großen slawonischen Alliierten ' ) und Italienern in ein Horn tuten zu können : Eine andere Bande wie Blind, die Patriotismus und Demokratie verbinden will, blamiert sich ( auch der alte Uhland darunter ) , indem sie Krieg mit Österreich gegen Boustrapa und zugleich Reichsparlament verlangt. Diese Esel sehen vor allem nicht, daß alle Bedingungen zur Erfüllung dieses eselhaften') Wunsches fehlen. Zweitens aber kümmern sie sich so wenig um die wirklichen Vorgänge, daß ihnen ganz unbekannt , daß in dem einzigen Teil Deutschlands, der zu entscheiden hat, in Preußen, die Bourgeois stolz auf ihre Kammern sind , deren Macht wachsen muß mit den Verlegenheiten der Regierung ; daß diese Bourgeois mit Recht (wie die letzten Kammerverhandlungen zeigen ) nicht geneigt sind, von Badensern und Württembergern und der Firma , Parlament' diktiert zu werden, so wenig wie die preußische Regierung die Herrschaft Österreichs unter der Firma , Bundestag ' will ; daß diese Bourgeois von 1848 her wissen, daß ein Parlament neben ihren Kammern die Macht der letzteren bricht, während das erstere eine bloße Phantasmagorie bleibt. In der Tat ist viel mehr revolutionärer Anhalt an den preußischen Kammern , die Budgets zu bewilligen haben und hinter denen in gewissen Eventualitäten ein Teil der Armee und der Berliner Mob steht, als in einem Debattierklub unter der Firma , Reichsparlament' . Daß Badenser, Württemberger und other small deer" ) ihrer eigenen Wichtigkeit wegen umgekehrter Ansicht sind, versteht sich von selbst. Unter unsern eigenen Parteifreunden und anderen ehrlichen Revolutionären herrscht wirkliche Furcht, daß ein Krieg gegen Boustrapa zu 1813 bis 1815 zurückführt. Endlich die Vertreter des Credit mobilier in Deutschland ( Kölnische ¹) Karl Vogt. Dieser war 1849 von der Frankfurter Nationalversammlung in die Reichsregentschaft gewählt worden. K. ') ,,Studien zur gegenwärtigen Lage Europas ", erschienen in Genf März 1859. Die Schrift war ganz im Sinne Napoleons gehalten . K. ') Ein ungarischer Flüchtling, später Spion der verschiedensten Regierungen, der sich bei Marx eingeschlichen und ihn betrogen hatte. K. ') So in der Bernsteinschen Ausgabe der Briefe . In der Rjasanovschen steht : „ ekelhaften". Mir erscheint die Bernsteinsche Lesart die richtige. Das Original des Briefes habe ich nicht zur Hand . ) ,,Anderes kleines Wild." Nicht immer im Sinne von Wild zu nehmen. In Shakespeares König Lear singt Edgar von „ Mäusen und Ratten und ähnlichem kleinen Wild"“ ( „ mice and rats and other small deer" ) . In diesem Sinn gebraucht wohl auch Marx das Wort hier . K.

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Zeitung, Fould-Oppenheim etc. ) schließen sich natürlich den demokratischen Bedenken an und spekulieren auf die traditionelle kurzsichtige preuBische dynastische Perfidie ( Basler Frieden usw. ) Andernteils ein Teil der demokratischen und revolutionären Partei glaubt aus Patriotismus in JahnArndtschen Ton fallen zu müssen. Unter allen diesen Konfusionen und da nach meiner Ansicht Deutschlands Schicksal in der Waage schwebt , halte ich es für nötig, daß wir beide ein Parteimanifest erlassen. Ordnet sich die Wiener Sache, müßtest Du dazu Pfingsten herkommen." Zur Abfassung dieses Manifests kam es nicht. Die Ereignisse marschierten zu schnell . Der Marxsche Brief wurde am 18. Mai geschrieben, der Pfingstsonntag, an dem die beiden das Manifest besprechen wollten , fiel 1859 auf den 12. Juni . Der Krieg war von Österreich an Sardinien am 29. April erklärt worden, am 4. Juni wurde die Schlacht von Magenta geschlagen, am 24. Juni die von Solferino, und damit war der Krieg tatsächlich zu Ende . Es begannen die Verhandlungen zwischen Napoleon und Franz Josef, die am 8. Juli zum Abschluß des Waffenstillstands führten, dem bereits am 11. Juli der Vorfriede folgte. Diesem raschen Ablauf der Ereignisse ist es wohl zuzuschreiben, daß es nicht zur Abfassung des von Marx vorgeschlagenen Kriegsmanifestes kam . Am 14. Juli schrieb Marx an Engels über den Friedensschluß, der den Österreichern bloß die Lombardei nahm und ihnen Venetien ließ : ,,Der Friede Napoleons übertrifft alle meine Erwartungen. Gestern jubelte die ganze französische Revolutionsbande in London , Louis Blanc lief wie toll umher, aber die Italiener knirschen , selbst Mazzini, obwohl er das Resultat sechs Wochen vor Ausgang des Krieges vorhergesagt, hatte sich doch später der Illusion hingegeben, daß Bonaparte wenigstens die Österreicher aus Italien werfen würde." Marx bezieht sich dann auf den Brief eines Irländers mit Pariser Beziehungen, der mitteilt, im Friedensvertrag gebe es geheime Artikel , die Österreich zwei türkische Provinzen zubilligten und festsetzten, die preußische Rheinprovinz sei mit Belgien zu einem katholischen Staat zu verbinden, den Napoleon später schlukken könnte . Es ist aus dem Brief nicht zu ersehen, ob diese ,,Enthüllung" des ungenannten Irländers von Marx ernst genommen wurde . Jedenfalls sah er das Rheinland nun mehr bedroht als je . Daher konnte er seinen Brief schließen mit den Worten : ,,Die preußische Klugscheißerei, von Lassalle etc. unterstützt, hat Deutschland (und Preußen ) in eine Patsche gebracht, aus der keine Rettung ist, außer durch eine wütende Revolution. " Am selben Tage schrieb Engels an Marx : ,,Außer der Fortsetzung des Kriegs konnte uns nichts Erwünschteres kommen, als dieser Frieden. Preußen blamiert, Österreich blamiert, Bonaparte blamiert, Sardinien und der vulgäre italienische Liberalismus blamiert, England blamiert, Kossuth ruiniert, Vogt & Co. blamiert, niemand gewinnt, außer den Russen und den Revolutionären, was Jüdel Braun ( Lassalle, K. ) eine , revolutionäre Situation ' nennen würde. Exzellenz Ephraim Gescheit ( Lassalle, K. ) aber ist erst recht blamiert.“ 10*

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Ergebnis des Krieges 1859

Gar so schlimm war Lassalles ,,Blamage" doch nicht. Sein Appell an Preußen, die Gelegenheit zur Eroberung Schleswig- Holsteins zu benutzen, verhallte wohl ungehört. Aber daß Preußen Österreich im Stiche ließ, führte doch nicht zu einer Gefährdung des linken Rheinufers, wie Marx und Engels befürchtet hatten. Der Gegensatz der Anschauungen dieser beiden zu denen Lassalles in der Kriegsfrage wurde, wie so manches andere in der Politik und auch auf andere Gebiete, nicht in der Weise entschieden , daß die eine Seite Recht behielt und die andere ins Unrecht kam, sondern dadurch, daß die ganze Diskussion gegenstandslos wurde durch völlig unerwartete Wendungen. Das Ausbleiben der preußischen Hilfe führte nicht zu einer Zerreibung Österreichs zwischen Rußland und Frankreich , wie Lassalle hoffte und Marx und Engels fürchteten. Österreich verlor nur eine Provinz, deren Besitz es geschwächt hatte. Es hätte an Kraft nur gewonnen, wenn es neben der Lombardei auch damals schon Venetien abtrat, statt nochmals in einem Kriege darum ringen zu müssen . Eine weitere Kräftigung erhielt es dadurch, daß ihm die Niederlage liberale Konzessionen aufdrängte, die , so unbedeutend sie waren, doch den Staat vorübergehend etwas hoben und sein Ansehen in Deutschland erhöhten . Napoleon aber verlor sein Ansehen in Italien. Dessen wirkliche Befreiung wurde durch ihn 1859 nur angebahnt, aber erst 1860 durch Garibaldis kühne Insurrektionen fast ganz vollendet in einer Weise, die in vollem Gegensatz zu Napoleons Wünschen stand. Die italienische Revolution siegte nun in Italien , sie besiegte auch den Kaiser in Frankreich .

4. Der deutsche Krieg von 1866.

a) Polen . So groß 1859 der Gegensatz zwischen Lassalle und Marx in der Kriegsfrage gewesen war, er führte zu keinem ernsthaften Konflikt. Weder der eine noch der andere der beiden verfügte damals über eine wirkliche Aktionsmöglichkeit. Die Verschiedenheit der Auffassungen führte zu bloß akademischen Diskussionen . Das änderte sich rasch nach dem Kriege, nicht am wenigsten durch diesen selbst, aber auch durch das Beispiel der italienischen Revolution . Von ihr angeregt, durchpulste reges politisches Leben das deutsche Volk, und nun wurde auch eine deutsche Arbeiterbewegung möglich, die 1848 noch nicht über die ersten Versuche hinausgekommen war. Lassalle ebenso wie Marx und Engels hatten das heißeste Verlangen, die Anfänge dieser Bewegung zu fördern, ihr durch ihre Erfahrungen und Kentnisse das schwere Lehrgeld zu ersparen, das der unwissende Anfänger sonst stets zu entrichten hat.

Marx über Lassalle

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Lassalle, der in Deutschland weilte, nicht im Exil, konnte dabei eine stärkere Wirkung üben als Marx. So gewaltige Konsequenzen Lassalles Eingreifen schließlich nach sich zog, es hätte sich in den Anfängen der Bewegung noch fruchtbarer gezeigt, wenn Marx und Lassalle übereinstimmten. Das war aber leider in keiner Weise der Fall. Vielmehr verschärfte sich immer mehr der Gegensatz zwischen ihnen, da er jetzt auf die Praxis übergriff. Dadurch führte er zum Bruch, wenn auch nicht zu offenem Konflikt. Marx ist nie öffentlich gegen Lassalles Agitation aufgetreten, trotz der schweren Bedenken, die er gegen sie hegte. Was er an dem Auftreten Lassalles zu rügen fand , hat er wenige Jahre nach Lassalles Tode in einem Brief an dessen Nachfolger I. B. v. Schweitzer ( 13. Oktober 1860) dargelegt. Eduard Bernstein hat das Schreiben in der ,,Neuen Zeit“, 1897 (XV , 1. S. 7-10) , veröffentlicht. Es heißt dort : ,,Nach fünfzehnjährigem Schlummer rief Lassalle - und dies bleibt sein unsterbliches Verdienst die Arbeiterbewegung wieder wach in Deutschland. Aber er beging große Fehler. Er ließ sich zu sehr durch die unmittelbaren Zeitumstände beherrschen . Er machte den kleinen Ausgangspunkt seinen Gegensatz gegen einen Zwerg, wie Schulze-Delitzsch — zum Zentralpunkt seiner Agitation - Staatshilfe gegen Selbsthilfe. Er nahm damit nur die Parole wieder auf, die Buchez, der Chef des französischen katholischen Sozialismus 1843 ff. gegen die wirkliche Arbeiterbewegung in Frankreich ausgegeben hatte. Viel zu intelligent, um diese Parole für etwas anderes als einen transitorischen pis aller (vorübergehenden Notbehelf, K. ) zu halten, konnte er sie nur durch ihre unmittelbare ( angebliche ! ) practicability (Ausführbarkeit, K.) rechtfertigen. Zu diesem Behufe mußte er ihre Ausführbarkeit für die nächste Zukunft behaupten. Der Staat" verwandelte sich daher in den preußischen Staat. So wurde er zu Konzessionen an das preußische Königtum, die preußische Reaktion (Feudalpartei ) und selbst die Klerikalen gezwungen." ,,Mit der Buchezschen Staatshilfe für Assoziationen verband er den Chartistenruf für das allgemeine Wahlrecht. Er übersah , daß die Bedingungen in Deutschland und England verschieden waren. Er übersah die Lektionen des bas empire ( des verfallenden zweiten Kaiserreichs in Frankreich, K. ) über das allgemeine Wahlrecht. Er gab ferner von vornherein — wie jeder Mann, der behauptet, eine Panacee ( Allheilmittel, K. ) für die Leiden der Masse in der Tasche zu haben seiner Agitation einen religiösen Sektencharakter. In der Tat, jede Sekte ist religiös . Er verleugnete ferner, eben weil Sektenstifter, allen natürlichen Zusammenhang mit der früheren Bewegung. Er fiel in den Fehler Proudhons, die reelle Basis seiner Agitation nicht aus den wirklichen Elementen der Klassenbewegung zu suchen, sondern letzterer nach einem gewissen doktrinären Rezept ihren Verlauf vorschreiben zu wollen." 99Was ich hier post festum sage, habe ich großenteils dem Lassalle vorhergesagt, als er 1862 nach London kam und mich aufforderte, mich mit ihm an die Spitze der neuen Bewegung zu stellen ...“ ,,Die Sekte sucht ihre raison d'être (Daseinsberechtigung, K. ) in ihrem point d'honneur ( Ehrenpunkt, K.) ; nicht in dem, was sie mit der Klassenbewegung ge mein hat, sondern in dem besonderen Schiboleth (Losungswort, K. ) was sie von ihr unterscheidet." Ich habe diese Partien des Briefes hier ganz abgedruckt , da sie heute wieder besondere Aktualität erlangt haben durch den Sektencharakter der kommunistischen Partei. Hermann Oncken bemängelt in seinem Buch über Lassalle

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Gegensatz Marx -- Lassalle

(4. Aufl. S. 360) an der Marxschen Formulierung der „ eigentümlichen Gleisrichtung der Lassalleschen Agitation “ nur das eine, daß diese Formulierung nicht tief genug gehe , da sie nicht auf den grundlegenden Gegensatz hinweise, daß Marx über Hegel hinaus zur materialistischen Geschichtsauffassung gelangt war, während Lassalle immer Althegelianer blieb. Daher auch seine Hochschätzung des Staates, aber nicht nur des Staates im allgemeinen, sondern auch des preußischen Staates im besonderen , ebenso wie es Hegel getan. So sei Lassalle dahin gekommen, gerade im preußischen Staat das unentbehrliche Mittel zu sehen, Deutschland zu einigen, zu demokratisieren, mit sozialem Geist zu erfüllen . Kein Zweifel, daß diese Denkweise sich mit der Hegelschen sehr gut verträgt, in ihr eine Stütze findet . Doch kam man am ehesten zu ihr, wenn man die stärksten Eindrücke seines Lebens im preußischen Staate, namentlich in Ostelbien , empfangen hatte und von dem geistigen Leben Berlins zu einer Zeit befruchtet wurde, wo es nur die Hauptstadt Preußens, noch nicht die des Deutschen Reichs war. Außerhalb Preußens ist denn auch die Lassallesche Taktik nie verstanden worden. Sie fand ihren energischsten Gegner im Hessen Liebknecht , sowie in dem am Rhein geborenen , in Wetzlar aufgewachsenen und später in Sachsen tätigen Bebel. Die beiden Rheinländer Marx und Engels lebten schon seit 1844 vorwiegend im Exil, außerhalb Deutschlands . Dagegen haben sich merkwürdigerweise unter den aus Ostelbien stammenden Sozialisten bis ins 20. Jahrhundert hinein starke Sympathien für die Lassallesche Taktik erhalten , auch bei solchen , die keineswegs Althegelianer waren . Der bedeutendste unter ihnen war der Pommer Franz Mehring, der noch kurz vor dem Weltkrieg gegen mich polemisierte, um Lassalle gegen Marx herauszustreichen. Der Gegensatz zwischen Lassalle und Marx in der inneren Politik hat uns hier nicht weiter zu beschäftigen . Der Gegensatz in der äußeren , der sich vorher schon gezeigt hatte, trat gegenüber der Innenpolitik seit 1862 zurück . Nur hin und wieder deutet er sich an. Im Jahr 1864 kam eine Gelegenheit , die ihn auffallend ans Tageslicht gebracht hätte. Jedoch da starb Lassalle. Vorher, 1863 , war es der Aufstand der Polen in Rußland, der eine Differenz in der Außenpolitik zwischen Lassalle und Marx schuf, die jedoch nur bei sehr scharfem Zusehen merkbar wurde . Dieser Aufstand erregte die Demokraten der ganzen zivilisierten Welt, also natürlich auch die Arbeiter, aufs höchste. Selbst die Regierungen der Westmächte sahen sich gezwungen, für die Aufständischen bei dem Zaren einzutreten , allerdings nur mit diplomatischen Mitteln, die versagten . Sogar Österreich lehnte es damals ab, mit Rußland gemeinsame Sache zu machen. Nur die Regierung Preußens, das heißt Bismarck, trat leidenschaftlich gegen die Polen auf, und auch die Liberalen Preußens

Marx über Polen 1863

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zeigten sich 1863 in der polnischen Frage ebenso unzuverlässig wie 1848. Es war selbstverständlich, daß Marx und Engels auf Seite der Polen standen. Marx schrieb am 24. März 1863 an Engels über die polnische Frage : „ Die politische Pointe, zu der ich gelangt bin , ist die : daß Vincke und Bismarck in der Tat das preußische Staatsprinzip richtig vertreten ; daß der ,,Staat" Preußen ( eine von Deutschland sehr verschiedene Kreatur) nicht ohne das bisherige Rußland und nicht mit einem selbständigen Polen existieren kann. Die ganze preußische Geschichte führt zu dieser Konklusion, welche die Herren Hohenzollern ( Friedrich II . eingeschlossen) längst gezogen haben. Dies landesväterliche Bewußtsein ist wenig überlegen dem beschränkten Untertanenverstand der preußischen Liberalen. Da also die Existenz Polens für Deutschland nötig und neben Staat Preußen unmöglich ist, muß dieser Staat Preußen wegrasiert werden. Oder die polnische Frage ist nur ein neuer Anlaß , zu beweisen, daß es unmöglich ist, deutsche Interessen durchzusetzen, solange der Hohenzollernsche Leibstaat existiert. Nieder mit der russischen Hegemonie über Deutschland ist gleichbedeutend mit „ Weg mit Schaden mit der Brut des alten Sodomiters"." Um dieselbe Zeit ( Frühjahr 1863 ) nahm der Londoner Arbeiterbildungsverein eine Resolution an , deren Gedankengang sich in auffallender Weise mit dem im Marxschen Brief niedergelegten deckt. Es heißt dort : ,,Die polnische Frage ist die deutsche Frage. Ohne ein unabhängiges Polen kein unabhängiges und einiges Deutschland ; keine Emanzipation Deutschlands von der russischen Oberherrschaft, die mit der ersten Teilung Polens begann . Die deutsche Aristokratie hat schon längst den Zaren als geheimen Oberlandesvater anerkannt. Die deutsche Bourgeoisie sieht stumm, tatlos und gleichgiltig dem Abschlachten des Heldenvolkes zu, das Deutschland allein noch vor der moskovitischen Sündfluth beschützt." ,,Heutzutage findet Polen seine eifrigsten Widersacher, Rußland also seine nützlichsten Werkzeuge unter den liberalen Koryphäen des sogenannten Nationalvereins." ,,Jeder mag für sich selbst entscheiden, wie weit dieses liberale Russentum zusammenhängt mit der preußischen Spitze. " (Abgedruckt in Bernhard Beckers' Geschichte der Arbeiter-Assoziation Ferdinand Lassalles', Braunschweig 1874, S. 122.) Ungefähr zur Zeit der Abfassung dieser Resolution gründete Lassalle seinen ,,Allgemeinen deutschen Arbeiterverein" ( 23. Mai 1863 ) . Natürlich erstand auch in vielen Mitgliedern dieses Vereins das Bedürfnis , die neue Organisation solle zum polnischen Aufstand Stellung nehmen . Sie drängten Lassalle zu einer öffentlichen Äußerung, doch entschloß er sich erst im Herbst dazu , dem Allgemeinen deutschen Arbeiterverein eine Resolution über die polnische Frage vorzulegen. Das geschah zu einer Zeit, als die Niederlage der Polen bereits entschieden war, und eine Sympathiekundgebung für sie Bismarck nicht mehr stören konnte. Und auch da sprach Lassalle sich noch sehr zurückhaltend aus , und im Gegensatz zu dem Marxschen Protest gegen die Polenpolitik der preußischen Spitzen" verstieg er sich zu einem Loblied auf diese Politik.

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Lassalle über Polen 1863

Er mußte wohl den Heroismus der polnischen Insurgenten in Rußland preisen, machte aber einen entschiedenen Vorbehalt in bezug auf die Polen in Preußen. Er sagt darüber in seiner Resolution : ,,Der Besitztitel Rußlands auf polnische Länder und der Besitztitel Deutschlands auf polnische Provinzen hat zwar dieselbe ursprüngliche Entstehung s ursache - die Eroberung - aber darum gegenwärtig nicht mehr notwendig dieselbe Beschaffenheit. Rußland hat nur mit Waffengewalt zu Boden zu halten gesucht, Deutschland hat vielfach ursprünglich gewaltsam eroberte Provinzen zu germanisieren und in Eroberungen deutscher Kultur zu verwandeln gewußt. Für welche Territorialgrenzen dies gilt oder nicht, ist eine von speziellen Untersuchungen abhängige faktische Frage." ,,Mit der oben gedachten Einschränkung ist die Wiederherstellung eines selbständigen Polens unter dem Schutz Deutschland dessen glorreichste und legitimste auswärtige Aufgabe. Der Krieg zu diesem Zweck ist das direkteste Interesse Deutschlands, die einzige Sühnung des von ihm durch die Teilung Polens mitbegangenen Unrechts und zugleich seine wahrhafte Emanzipation von dem von Osten wie von Westen her auf ihm lastenden Druck." Auffallend ist bei der Verklausulierung, mit der Lassalle hier seine Politik darlegt, der schrille Kriegsruf, auf den sie hinausläuft. Das ist um so auffallender, als wenige Jahre vorher Lassalle einen Krieg gegen Rußland unter der Führung des preußischen Königtums entschieden abgelehnt hatte. Das war damals, wo man Deutschland von Rußland bedroht glaubte . Und jetzt sollte König Wilhelm dem teuren Onkel an der Newa den Krieg wegen der Polen erklären ? Es wäre schon viel gewesen , wenn es gelang, die preußische Regierung dahin zu bringen , daß sie von der direkten Unterstützung des Zaren in seinem Kampf gegen den polnischen Aufstand Abstand nahm. Das konnte und mußte gefordert werden. Statt dessen den Ruf nach dem Krieg auszustoßen, hieß, von der Regierung etwas fordern , was sie nicht gewähren konnte und was gar nicht in Frage stand, und es sich dadurch ersparen, von ihr etwas zu verlangen, was sie wohl hätte geben können , und es vermeiden, sie in Verlegenheit zu setzen . Welches immer die diplomatischen Untergründe waren, die Lassalle veranlaßten , im Herbst 1863 den Krieg Preußens gegen Rußland zu verlangen , auf jeden Fall ist es für das damalige sozialistische Denken in der Kriegsfrage charakteristisch, daß Lassalle den Krieg so ohne weiteres fordern konnte und daß keiner seiner Genossen daran Anstand nahm .

b) Schleswig - Holstein. Irgend welche Diskussionen über die Lassallesche Resolution in der polnischen Frage sind nicht zum Vorschein gekommen. Sie hat die deutschen Sozialisten und Demokraten nicht zum Widerspruch herausgefordert. Dagegen wäre es sicher zu einem argen Konflikt gekommen ,

Lassalle 1864 in Sackgasse

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wenn Lassalle es vermocht hätte, den Plan auszuführen, den er in bezug auf Schleswig- Holstein ein Jahr nach Abfassung seiner polnischen Resolution faßte. Der Krieg, den Preußen und Österreich gegen Dänemark um Schleswig-Holsteins willen vom Januar bis zum Juli 1864 führten, wurde durch einen Frieden beendet, in dem Dänemark alle seine Rechte auf die beiden „ Elbherzogtümer" zugunsten Österreichs und Preußens aufgab. Damit war nicht das geringste gesagt, was nun mit den „ befreiten" Gebieten geschehen sollte. Vom demokratischen Standpunkt wäre das einzig zweckmäßige gewesen, sie selbst über ihre Zukunft entscheiden zu lassen. Aber gerade dieser Weg kam nicht in Frage. Preußens Regierung verlangte danach , die Herzogtümer zu annektieren, Österreich hatte sich am Kriege hauptsächlich zu dem Zweck beteiligt, diese Annexion zu vereiteln . Zu den bisherigen tiefgehenden Differenzen zwischen Preußen und Österreich gesellte sich nun ein neuer Zankapfel, der den lange schon sich vorbereitenden kriegerischen Konflikt zwischen ihnen zum Ausbruch bringen sollte. In dieser Situation fühlte sich Lassalle bemüßigt, zugunsten

Bismarcks, das heißt der preußischen Annexion, in der Arbeiterschaft Preußens aufzutreten . Er hatte 1863 den ,,Allgemeinen deutschen Arbeiterverein" gegründet, und damit den Anstoß zum Erstehen einer selbständigen Arbeiterpartei gegeben . Doch hatte er sie auf einen Weg gewiesen , der in eine Sackgasse führte . Bald fürchtete er, vor seinem politischen Bankerott zu stehen. Er hatte den Arbeiterverein nicht als die Organisation des Proletariats zu einem langwierigen Klassenkampf aufgebaut, sondern als eine Organisation zur Erzielung sofortiger überraschender Erfolge. Im Arbeiterverein errichtete er seine persönliche Diktatur. Er sah ab vom Koalitionsrecht und von Gewerkschaften, die notwendigerweise demokratisch organisiert sein müssen, wenn sie etwas leisten sollen und ohne die jeder proletarische Klassenkampf aussichtslos ist. Er konzentrierte seine Agitation auf zwei Forderungen, von denen er glaubte, sie seien bei Bismarck sofort durchzusetzen, und ihre Gewährung würde ohne weiteres der proletarischen Sache einen ungeheuren Erfolg bringen : das allgemeine Wahlrecht und die Unterstützung von Produktivgenossenschaften durch die bestehende Staatsgewalt. Die eine wie die andere dieser Einrichtungen hätte ihn sehr enttäuscht, wenn er ihre Verwirklichung erlebt hätte. Das allgemeine Wahlrecht ist unerläßlich für das Proletariat als Waffe, ohne die es nicht kämpfen kann, und die ihm s chließlich die Macht bringt. Aber diese Waffe wird es in seinen Anfängen stets enttäuschen, wenn es sie als Mittel betrachtet, das ihm sofort politische Macht verschaffen soll. Und die staatliche Unterstützung von

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Lassalles letzte Pläne

Produktivgenossenschaften konnte in einer starken Monarchie nichts anderes werden , als ein Mittel, einen Teil des Proletariats zu kaufen, zu korrumpieren und als Söldlinge der Regierung dem andern Teil des Proletariats entgegenzustellen . Denn für das gesamte industrielle Proletariat war dieser Weg ungangbar. Die Monarchie hätte sich nie dazu hergegeben, auch nur einen erheblichen Teil der kapitalistischen Unternehmungen in Produktivgenossenschaften zu verwandeln . Alles das fühlten von Anfang an die Arbeiter, wenn sie es auch nicht immer klar erkannten. Ihr Mißtrauen gegen Bismarck, den Reaktionär, den Militaristen, den Verfassungsbrecher, wirkte stärker als Lassalles feurige Aufrufe . Sie blieben seinem Arbeiterverein fern . Damit wurde aber auch die andere Säule brüchig, auf die Lassalle neben der sofortigen begeisterten Zustimmung der Arbeiter gebaut hatte : Die Unterstützung Bismarcks, der ihn das allgemeine Wahlrecht ― nach Napoleons Muster und staatliche Unterstützung einiger Produktivgenossenschaften hatte erwarten lassen . Lassalle mußte zeigen, daß die Massen ihm folgten, bedenkenlos seiner Person folgten, sollte er imstande sein, mit dem preußischen Minister als Macht zu Macht zu verhandeln . Je weniger die Gestaltung der Wirklichkeit den Plänen und politischen Bedürfnissen Lassalles entsprach, desto mehr fühlte sich dieser gedrängt , der einen wie der andern Seite , den Arbeitern wie Bismarck, Erfolge vorzutäuschen , die er nicht erzielt hatte. In der Rede, die Lassalle am 22. Mai 1864 zu Ronsdorf hielt, bauschte er bereits unerhebliche oder fragwürdige Vorkommnisse zu unerhörten Errungenschaften auf. Die Rede wurde vor Arbeitern gehalten , war aber ebenso für Bismarck bestimmt, dem Lassalle einen Abdruck übersandte . Derlei Mittelchen haben kurze Beine , das fühlte Lassalle selbst . Er begann der ganzen Agitation überdrüssig zu werden, die ihn in eine Sackgasse geführt hatte, aus der er kaum einen Ausweg sah. Er begann bereits mit dem Gedanken zu spielen, der Politik ganz zu entsagen . Aber dennoch sträubte sich seine Kampfnatur dagegen, zu desertieren . Noch einen letzten, verzweifelten Versuch wollte er machen, um den verfahrenen Karren wieder aus dem Schlamm zu ziehen. Aus der Schweiz , wo er zu seiner Erholung weilte, schrieb er der Gräfin Hatzfeldt am 27. Juli 1864 über seine Pläne : ,,Ich muß noch vorher ( Ende September, K. ) in Hamburg sein, wo ich einem großen, sehr großen, vielleicht tatsächlich wichtigen Coup schlagen will." (Von Lassalle selbst unterstrichen, K.) Doch war er keineswegs felsenfest von dem Erfolg dieses „,tat-

Lassalle für Annexion der Elbherzogtümer

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sächlich wichtigen Coups" überzeugt . Schon am nächsten Tag schrieb er der Gräfin, er wünsche nichts ,,sehnlicher, als die ganze Politik los zu werden“ und sich „,in Wissenschaft, Freundschaft und Natur zurückzuziehen “. Er sagt weiter : „ Politik heißt aktuelle, momentane Wirksamkeit. " Diese Auffassung der Politik, die ein zähes , vieljähriges, unermüdliches Ringen um ein fernes Ziel ausschloß, war der Grundfehler und das Unglück seiner Arbeiteragitation. Er meinte weiter : ,,Die Ereignisse werden sich, fürchte ist, langsam , langsam entwickeln und meine glühende Seele hat an diesen Kinderkrankheiten und chronischen Prozessen keinen Spaß." Es gibt nicht wenige ,, glühende Seelen" in der sozialistischen Bewegung auch heute noch, die so denken , die da sagen, ich will entweder sofortige Erfolge sehen oder mich schlafen legen . Bleibt solcher Erfolg aus, was die Regel, denn der proletarische Klassenkampf entwickelt sich ,,langsam , langsam", mit nicht wenigen ⚫ schmerzlichen Rückschlägen , dann sucht die verzweifelnde „ glühende Seele" das Glück zu zwingen oder zu erlisten , durch einen Putsch oder ein diplomatisches Taschenspielerkunststück, was dann in der Regel fehlschlägt. Auch Lassalle schwante derartiges. Er schrieb in seinem Brief vom 28. Juli : ,,Ich werde versuchen, in Hamburg einen Druck auf die Ereignisse das kann ich nicht verspreauszuüben. Aber wie weit das wirken wird chen und verspreche mir selbst nicht viel davon.“ Das klang bereits erheblich skeptischer als die Ankündigung vom Tag zuvor. Und zu dieser Skepsis war aller Grund vorhanden. Lassalles ,,großer Coup" war nämlich in folgender Weise geplant : Am 25. September sollte in Hamburg eine Volksversammlung stattfinden. Ihr wollte er eine Resolution vorlegen, die sie zu beschließen hätte, des Inhalts, Bismarck sei verpflichtet, Schleswig-Holstein an Preußen zu annektieren , gegen den Willen Österreichs und der übrigen deutschen Staaten . Dieser Appell scheint ganz im Einklang zu stehen mit dem, den Lassalle 1859 an die preußische Regierung richtete, sich der Elbherzogtümer zu bemächtigen. Aber in Wirklichkeit war das, was Lassalle nunmehr plante, etwas ganz anderes .

Damals waren die Herzogtümer dänisch gewesen. Es hatte gegolten, sie von der Fremdherrschaft zu befreien . Das war nunmehr, 1864, bereits geschehen. Die Herzogtümer waren deutsch geworden, es handelte sich nur noch um die Frage, in welcher Form sie dem Deutschen Bund einverleibt werden sollten . Eine der Möglichkeiten dazu bot die Annexion an Preußen. Bismarck betrieb sie, stand aber damit in Deutschland ganz isoliert da. Die große Mehrheit des deutschen Volkes wollte davon nichts wissen. Die Bewohner Schleswig- Holsteins selbst lehnten es ab, unter die Fuchtel der preußischen Regierung zu kommen.

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Marx über Lassalles Annexionsplan

Andererseits wehrte sich Österreich entschieden gegen eine derartige einseitige Machtvergrößerung Preußens. Der Gegensatz der beiden deutschen Großmächte in der Frage der Elbherzogtümer drohte den Krieg zwischen ihnen zu entzünden, was er 1866 ja auch bewirkt hat, einen Krieg, der von der Masse der Deutschen als Bruderkrieg betrachtet, gefürchtet und leidenschaftlich abgelehnt wurde. Lassalles ,,großer Coup" wäre eine offene Parteinahme für den damals in Deutschland meistgehaßten Mann, für Bismarck, und eine Aufforderung zur Entfeßlung des deutschen Bruderkrieges gewesen. Gelang Lassalles Coup, dann erwies er wohl Bismarck einen großen Gefallen , brachte aber gerade dadurch dem Lassalleschen Arbeiterverein den Haß aller deutschen Demokraten , nicht nur der bürgerlichen, sondern auch der proletarischen. Es kann aber keine Frage sein, daß für die junge sozialdemokratische Partei der Verlust des Vertrauens der Arbeiter in keiner Weise aufgewogen werden konnte durch die Unterstützung, die ihr der militaristisch-absolutistische Junker Bismarck zukommen lassen konnte. Im übrigen war zu erwarten, daß der große Coup gar nicht gelang und die Volksversammlung in erregter Zwietracht endete. Lassalles Plan hat denn auch bei seinen Freunden die herbste Ablehnung gefunden. Marx urteilt in einem Brief vom 23. Februar 1865 an seinen Freund Kugelmann sehr scharf über die letzte Phase der Lassalleschen Agitation : - daß „ Es zeigte sich bald — die Beweise kamen in unsere Hände — Lassalle in der Tat die Partei verraten hatte. Er hatte einen förmlichen Kontrakt mit Bismarck eingegangen (wobei natürlich Garantien keinerlei Art in seiner Hand ) . Ende September 1864 sollte er nach Hamburg und dort zusammen mit dem verrückten Schramm und dem preußischen Polizeispion Marr Bismarck zur Inkorporation von SchleswigHolstein zwingen, d. h . solche im Namen der ,,Arbeiter" proklamieren usw. Wogegen Bismarck allgemeines Wahlrecht und einige sozialistische Scharlatanerien versprochen . Es ist schade, daß Lassalle diese Komödie nicht ausspielen konnte ! Sie hätte ihn verdammt lächerlich und gefoppt erscheinen lassen. Und allen Versuchen solcher Art für immer ein Ende gemacht."¹) ¹ ) Als ich 1902 in der ,,Neuen Zeit" die mir von Kugelmann hinterlassenen Marxbriefe herausgab , trug ich Bedenken , den hier zitierten Brief auch schon zu veröffentlichen. Wer Privatbriefe verstorbener Freunde herausgibt, hat sich dabei nicht nur von dem Verlangen nach Vollständigkeit leiten zu lassen, sondern auch von seinem Taktgefühl . Marx hatte sich öffentlich nie hart über Lassalle geäußert. Ich bezweifle, daß er die Veröffentlichung eines so schroffen Urteils gebilligt hätte, solange es die deutschen Arbeiter verletzen mußte. Was sachlich gegen Lassalle zu sagen war, hatten Engels und andere schon längst gesagt. Nachdem dann die Aufnahme des Marx- Engelsschen Briefwechsels 1913 gezeigt hatte, daß der jüngeren Generation der deutschen Arbeiter Lassalle nur noch eine historische Figur sei und die Veröffentlichung harter Urteile über ihn kein Gefühl der Pietät

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I. B. von Schweitzer

Ob Lassalle sich wirklich dazu verstanden hätte, die ,,Komödie" der Aufforderung zur Annexion der Elbherzogtümer ,,auszuspielen", wenn er die Gelegenheit dazu bekam, wird für immer eine unbeantwortbare Frage bleiben . Seine Entschlossenheit zu diesem Schritt war nicht sehr groß . Kurz ehe er dazu kam, ihn zu wagen, ließ er sich in einen Liebeshandel ein, der ihn nach seinem eigenen Erwarten wenigstens vorübergehend aus der aktuellen Politik loslösen konnte, rechnete er doch mit ,,Entführung, Trauung in Italien, Flucht nach Ägypten “. Doch der Liebeshandel löste ihn von der Politik in ganz anderer Weise los , als er erwartete. Der Roman führte zu dem Duell , in dem Lassalle fiel (28. August 1864) . Auch dieses Ende bezeugt, wie weit sich die Ansichten der Sozialisten über den Gebrauch tödlicher Waffen gegen Menschen heute von denen vor zwei Menschenaltern unterscheiden. Daß ein Sozialdemokrat, noch dazu ein führender, sich auf ein Duell einläßt, ist in unseren Tagen wohl ausgeschlossen . Und wenn es geschähe, es würde ihm die bittersten Vorwürfe seiner Freunde eintragen, ihn nicht in der Gloriole eines „ Achilles“ erscheinen lassen , wie Marx Lassalle in seinem Beileidschreiben an die Gräfin Hatzfeldt nannte.

c) I. B. v. Schweitzer. So unhaltbar Lassalles taktische Position als Diktator des deutschen Sozialismus geworden war, die Idee, auf die er den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein aufgerichtet hatte, bewahrte ihre volle Lebenskraft, da sie aus den tatsächlichen Verhältnissen herauswuchs : die Idee der politischen Loslösung des deutschen Proletariats von der bürgerlichen Demokratie und seine Organisierung als besondere Partei der proletarischen , der sozialen Demokratie. Was Marx und Engels schon 1847 im Kommunistischen Manifest gefordert hatten, es wurde 1863 von Lassalle unternommen . Die Begründung der deutschen Sozialdemokratie, das ist das unsterbliche Lebenswerk, das Lassalle überdauerte. Aber allerdings schlug die Partei nach seinem Tode in wichtigen Punkten andere Wege ein als die von ihrem Begründer gewiesenen. Unter den ,,Diadochen “, die Lassalles Nachfolge beanspruchmehr verletze, glaubte ich, die Zeit sei gekommen, auch den 1902 noch zurückgehaltenen Brief zu veröffentlichen . Ich benutzte dazu das Datum des hundertsten Geburtstages von Marx, 1918. Mehring ebenso wie Lassalles Biograph Oncken, also zwei Historiker des Sozialismus, haben mir diese Veröffentlichung sehr verübelt, die ihres Erachtens noch viel zu früh erfolgte. Der Kommunist Hermann Duncker dagegen, der die von mir veröffentlichten Kugelmannschen Briefe neu herausgab, beschimpfte mich, ich hätte das Schreiben vom 23. Februar 1865, „, einfach unterschlagen". K.

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Schweitzer für Bismarck

ten, setzte sich schließlich I. B. v. Schweitzer durch , ein nicht sehr charakterfester Abenteurer, der schon in den verschiedensten Lagern gedient hatte, jedoch ein energischer, kenntnisreicher und kluger Mann, dessen hohe Intelligenz auch von Marx anerkannt wurde . Unter den in Deutschland Ende der sechziger Jahre wirkenden Sozialisten ist kaum einer zu so großem Verständnis des Marxschen ,,Kapital" gelangt, wie Schweitzer. Dies Werk erschien erst 1867. Lassalle hatte seine Veröffentlichung nicht mehr erlebt. Schweitzer handelte auch ganz in marxistischem Sinne, wenn er, darin sehr verschieden von Lassalle, die Bedeutung der Gewerkschaften anerkannte und sich für gesetzlichen Arbeiterschutz einsetzte. Die Forderung von Staatssubventionen für Produktivgenossenschaften ließ er nicht fallen, wie er überhaupt theoretisch die Lehre des Meisters für unantastbar erklärte. Doch praktisch . verlor diese Forderung jede Bedeutung für die Politik. Der Allgemeine deutsche Arbeiterverein gab unter Schweitzer immer mehr die staatssozialistischen Merkmale auf, die ihm Lassalle verliehen , und nahm mehr die des Klassenkampfes an. Hatte Lassalle den agrarisch-konservativen Rodbertus als Helfer gesucht, so trachtete Schweitzer, Marx und Engels als Mitarbeiter zu gewinnen. Jedoch in zwei Punkten blieb er auf dem Wege, den Lassalle eingeschlagen. Jeder dieser Punkte sollte ihm trotz seiner hervorragenden Fähigkeiten schließlich verderblich werden. Das war das Festhalten an der diktatorischen Führung des Vereins sowie das Beharren bei der Unterstützung Bismarcks in seinem Kampfe mit der Demokratie. Gegen das eine wie das andere sprach sich Marx aus . Wegen der Stellung zu Bismarck kam es schon bald nach Lassalles Tod ( Februar 1865 ) zum Bruch zwischen Marx, Engels, Liebknecht einerseits und Schweitzer anderseits , anläßlich der Haltung des von diesem redigierten Organs,,,Der Sozialdemokrat", der unter anderem gegen den Parlamentarismus auftrat und für den „, Cäsarismus" heute würde man sagen : die Diktatur Propaganda machte. Der Gegensatz äußerte sich in der inneren, aber auch in der äußeren Politik, besonders stark in der Kriegszeit von 1866. Als 1866 das Kriegsgewitter heraufzog, saß Schweitzer im Gefängnis . Wegen verschiedener Pressevergehen, einer Majestätsbeleidigung und ähnlicher Verbrechen , war er am 24. November 1865 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden , wozu ein weiterer Prozeß im Januar noch vier Monate hinzugesellte. Auch Lassalle hatte schon manche Gefängnisstrafe und Anklage über sich ergehen lassen müssen, trotz seiner Beziehungen zum Ministerpräsidenten . Lassalle und Schweitzer waren eben leidenschaftliche Kämpfer, die ihre Worte nicht auf die Goldwaage legten . Und Staatsanwalt und Richter wurden nicht in die Schleichwege der Politik ihres Herrn eingeweiht.

Schweitzer unterstützt durch Bismarck

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Gerade als 1866 der Ausbruch des Krieges nahte, war Bismarck die Haft des sozialdemokratischen Führers äußerst unbequem . Die Opposition im Lande gegen die Kriegstreibereien des Hauptes der preußischen Regierung wuchs zu einer bedrohlichen Höhe an. Bismarck mußte alle Verteidiger aufbieten, die er noch hatte, damit sie trachteten, eine ihm günstige Stimmung zu schaffen . Daher veranlaßte er, daß Schweitzer am 9. Mai 1866 aus der Haft entlassen wurde ein deutliches Zeichen dafür, daß Bismarck wußte, er könne auf ihn bauen . Gustav Mayer kommt in seinem Werk über ,,I. B. v. Schweitzer und die Sozialdemokratie" (Jena 1909) zu dem Ergebnis : ,,Gewichtige Gründe sprechen dafür, daß Schweitzer selbst durch irgend einen Kanal, vielleicht durch Hermann Wagener, Bismarck die Vorteile nahegelegt habe, die der Sache Preußens aus seiner Freilassung erwachsen würden. Völlig unmöglich wäre es sogar nicht, wenn es auch nicht entfernt als erwiesen behauptet werden soll, daß die Regierung ihm zu Gunsten seiner Agitation für das allgemeine Stimmrecht eine mäßige Summe zur Verfügung stellte. Tatsächliche Anhaltspunkte für diese Annahme haben sich in den zugänglichen Quellen nicht auffinden lassen." Wohl aber wurden, und auch bei späteren Gelegenheiten, erhebliche Verdachtsmomente beigebracht, die dafür sprachen , daß Schweitzer direkt oder indirekt von der preußischen Regierung oder einzelnen ihrer Anhänger Geld bekommen oder genommen habe. Mehring lehnte leidenschaftlich den Gedanken ab, daß Schweitzer Geld genommen haben sollte . So sehr Mehrings Haltung gegenüber Marx oder Bebel zeitweise wechselte, für Lassalle und Schweitzer hatte er stets viel übrig. Mehring war bereits tot, da bekam Gustav Mayer auch den urkundlichen Beweis in die Hand , daß Bismarck tatsächlich zwar nicht direkt Schweitzer, wohl aber seinem Stellvertreter in der Redaktion seines Organs , des ,,Sozialdemokrat", Hofstetten ein ,,unverzinsliches Darlehen" von 2500 Thalern ( 7500 Mark) für das Blatt zukommen ließ , und zwar am 6. April 1866, kurz ehe Schweitzer aus seiner Haft entlassen wurde (9. Mai ) . ( G. Mayer, „ Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein und die Krisis 1866", Artikel im ,,Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ , Februar 1927. S. 171. ) Gustav Mayer bemerkt dazu : ,,Es hätte äußerst wenig Wahrscheinlichkeit für sich, wollte jemand die Behauptung aufstellen, daß Schweitzer von dem Darlehen, das sein Gefährte und Geldgeber im Frühjahr 1866 von Bismarck erhielt , nichts gewußt hätte. Ebensowenig würde es uns sehr überraschen, falls eines Tages doch noch der aktenmäßige Beweis dafür erbracht würde, daß die preußische Regierung seine Aktion im Juni dieses Jahres, die ihr sehr gelegen kam, durch Hergabe einer kleinen Summe ermöglicht hätte.“ ( S. 175. ) Daß dies der Fall war, dafür spricht auch ein dienstlicher Bericht des Berliner Polizeipräsidenten vom 9. Dezember 1866, in dem es als „,auffallend bezeichnet wird, daß Schweitzer sich jetzt wieder an den Herrn Ministerpräsidenten herandrängen wolle"

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Schweitzer unterstützt durch Bismarck

(G. Mayer, Schweitzer, S. 186) , entweder um die Finanzen des ,,Sozialdemokrat" aufzubessern , oder zu politischen Zwecken. Die Verdachtsgründe für die Annahme, daß Schweitzer Geld von Bismarck bekam, sind also sehr groß . Daß er indirekt für Förderung seiner Agitation Geld bekam, ist erwiesen. Aber wie immer die Unterstützung Schweitzers durch Bismarck beschaffen sein mochte, man darf sich ihren Einfluß auf die Politik des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins nicht übertrieben groß vorstellen. Auch wenn Schweitzer von der preußischen Regierung Geld nahm , konnte das nicht als Bestechung, sondern nur als Subvention bezeichnet werden. Er bekam das Geld wegen der Richtung, die seine Politik eingeschlagen hatte, er schlug diese Richtung nicht ein wegen des Geldes, das er bekam. Und er wurde keiner jener Soldschreiber, die auf Kommando schreiben . Er hatte seine Politik gegenüber Bismarck von Lassalle übernommen und verfochten zu einer Zeit, wo er noch viel zu wenig Einfluß unter den Arbeitern besaß, als daß es sich gelohnt hätte, ihn zu kaufen . Und seine Politik war die der großen Mehrheit der Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins, die trotz der diktatorischen Statuten nicht gedankenlose Schafe waren, sondern mitunter eine für die Parteileitung recht unbequeme Opposition machten . Gerade zur Zeit der Gewährung des ,, Darlehens" an die Redaktion des ,,Sozialdemokrat" hatte Bismarck, um seine politische Position zu verbessern , den kühnen Streich gewagt ( 9. April) , beim Deutschen Bundestag die Einberufung einer deutschen Nationalversammlung zu verlangen , die, nach allgemeinem und direktem Stimmrecht gewählt, die Reform der deutschen Bundesverfassung in die Hand nehmen sollte. Immerhin war Bismarcks Streben , den Krieg Preußens gegen das übrige Deutschland zu entzünden und die Deutschen Österreichs vom Körper der deutschen Nation abzutrennen, so unpopulär, daß Schweitzer es damals nicht wagte, direkt für Bismarck einzutreten. Vielleicht störten ihn auch noch Erinnerungen an seine Vergangenheit. Noch 1859 hatte er es als Pflicht Deutschlands erklärt, Österreich beizustehen . Als der Ausgang des italienischen Kriegs sein Zutrauen zur schwarzgelben Monarchie erschütterte, war er zur Überzeugung gekommen, nur die revolutionäre Energie des Volkes könne Deutschland einigen . Von den Fürsten sei nichts zu erwarten. Preußen wie Österreich müßten zertrümmert werden . Merkwürdig, zur selben Zeit , als er sich dann Lassalle anschloß ( 1863) , verlor er sein Zutrauen zur revolutionären Energie des Volkes und kam zu der von ihm früher leidenschaftlich bekämpften Meinung, nur unter Preußens Führung könne Deutschland geeinigt werden. Die beste Kennzeichnung seiner Haltung im Kriegsjahr 1866 bietet das Referat, das Schweitzer in Leipzig vor der Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins am 16. Juni

I. B. v. Schweitzer 1866

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dieses Jahres hielt, dem Tage des Kriegsausbruchs. Er besprach dort ,,die gegenwärtige Aufgabe der sozialdemokratischen Partei". (Abgedruckt in Mehrings Ausgabe ,,politischer Aufsätze und Reden von I. B. v. Schweitzer", S. 141 ff. ) Die Frage, um die es sich augenblicklich handle , führte er aus, sei nur die, ob Preußen oder ob Österreich in Deutschland herrschen solle. Der revolutionäre Weg zur Einigung Deutschlands sei augenblicklich nicht gangbar, da die Bourgeoisie vollständig versage. ,,Dies gerade ist ja das unendlich traurige, der namenlose Fluch, den wir unserer Bourgeoisie zu danken haben, daß ein Drittes in Deutschland in diesem Augenblick und bis auf weiteres nicht mehr möglich ist. “ ( S. 144. ) Wie solle man sich also entscheiden : für Preußen oder für Österreich ? ,,Der Minister, der vorzugsweise die preußischen Geschicke lenkt, der Graf von Bismarck, hat richtig erkannt, daß er gegen den österreichischen Kaiserstaat nicht nur mit preußischen Armeen, daß er auch mit den Ideen der Zeit gegen Österreich kämpfen muß . Er hat ein deutsches Parlament nach allgemeinem Wahlrecht, neuestens nach dem Wahlgesetz von 1849, beantragt und wir freuen uns dessen , denn es ist eine Konzession , die ihm abgenötigt wurde durch die Schwere der politischen Lage ; eine Konzession nicht an die liberale Bourgeoisie, eine Konzession, meine Herren, an uns." (S. 148.) Österreich dagegen, das ,,konkordatliche Verdummungsösterreich", sei der Hort der Reaktion im eigenen Land und in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten ; ein Hort der Vielstaaterei , der Zersplitterung Deutschlands. Von dort habe die Arbeiterschaft nichts zu erwarten. Deren Aufgabe bestehe darin, die Gelegenheit zur Förderung der eigenen Sache zu benützen. ,,Als das Notwendigste haben wir von jeher erkannt und daher als erstes in unser Programm gesetzt : Die Erringung des allgemeinen Wahlrechts. Der Augenblick in Preußen ist günstig : wir müssen eine Agitation von entscheidender Kraft zur Erlangung des allgemeinen Stimmrechts ins Land hineinwerfen ..." „ Und wenn Sie mich nun schließlich fragen, ob wir, wenn dann in Preußen sich Aussicht zeigt, daß wir unsere Sache fördern können, nicht doch Partei zu ergreifen hätten ( zwischen Preußen und Österreich , K. ) ... so antwortete ich Ihnen : „ Noch nicht !" ,,Wenn es uns aber gelingt, die preußische Regierung weiter zu treiben auf dem Wege der Konzessionen an uns wenn die Dinge sich so gestalten, daß in Preußen allein unsere Operationsbasis sein kann, während in Österreich uns wie bisher die Hände gebunden bleiben , dann meine Herren, ja dann werden wir Partei ergreifen, nicht wie Lügner und einfältige Schwätzer sagen, gegen das Recht und die Freiheit der Nation, wohl aber gegen die österreichische Regierung und die Bundeswirtschaft ; dann werden wir hoffen und wünschen, dann werden wir, so viel wir können, das Unsere tun, daß der Sieg nicht bei den Fahnen Österreichs, sodern bei den Fahnen Preußens, nicht bei den Fahnen Benedeks , sondern bei den Fahnen Bismarcks und Garibaldis sei ." ( S. 154, 155. Die Unterstreichungen rühren von mir her, K. ) So führte Schweitzer im deutschen Bruderkrieg den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein mit fliegenden Fahnen ins Lager Bis11

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Engels 1866

marcks. Wie er wähnte , im Gegensatz zur liberalen Bourgeoisie . Er ahnte nicht, daß nach Königgrätz diese Bourgeoisie mit Begeisterung in das gleiche Lager strömen werde. d) Bebel und Liebknecht.

Die Politik, die Schweitzer 1866 betrieb, gehörte zu jener Art, die man später mit dem Wort bezeichnete : Kanonen gegen Volksrechte. Sie war die richtige Realpolitik, wie Marx einmal eine Politik nannte, die nur das Nächstliegende sieht, nur den Augenblickserfolg anstrebt. In der damaligen Situation , die einen völligen Umsturz des Deutschen Bundes erwarten ließ , konzentrierte Schweitzer seine und seiner Anhänger Aufmerksamkeit ausschließlich auf das allgemeine Wahlrecht, das in Aussicht stand. Doch auch für Sozialisten, die von einer höheren Warte aus. urteilten, war es damals nicht so einfach, in der Kriegsfrage zu einer bestimmten Stellungnahme zu kommen . Die Dinge lagen 1866 womöglich noch komplizierter als 1859. Wieder war das an sich so klare und eindeutige, jedem Demokraten teure Streben nach nationaler Einigung verquickt mit dynastischen Interessen , die jeden Demokraten abstoßen mußten. Indessen überwog unter den deutschen Sozialisten außerhalb des Schweitzerschen Kreises ebenso wie im ganzen deutschen Volk die Bismarck feindliche Stimmung. Schon am 2. April 1866 schrieb Engels an Marx : ,,Was sagst Du zu Bismarck? Es hat jetzt fast den Anschein, daß er es zum Krieg treibt und dadurch dem Louis Bonaparte die schönste Gelegenheit bietet, sich ohne Mühe ein Stück linkes Rheinufer zu erwerben, und damit (sic) sich lebenslänglich festzusetzen. Wenn nun auch jeder, der an diesem Krieg - wenn es dazu kommt — mit Schuld ist, gehangen zu werden verdient, und ich mit gleicher Unparteilichkeit dies auf die Österreicher auch ausgedehnt wünsche, so ist doch mein Hauptwunsch, daß die Preußen heillose Prügel besehen mögen . Dann gibt es zwei Chancen : 1. Die Österreicher diktieren den Frieden in vierzehn Tagen in Berlin und damit wird die direkte Einmischung des Auslandes vermieden, gleichzeitig aber das jetzige Regime in Berlin unmöglich gemacht, und es kommt eine andere Bewegung, die von vornherein das spezifische Preußentum verleugnet ; oder 2. es gibt einen Umschwung in Berlin, ehe die Österreicher hinkommen, und dann kommt die Bewegung auch in Zug." Engels erwartete, die Österreicher würden schließlich siegen . Allerdings rechnete er damals noch nicht mit einem Bündnis zwischen Preußen und Italien. Dieses Bündnis wurde sechs Tage nach Abfassung des Briefes , am 8. April , unterzeichnet. Ähnlich wie Engels dachte auch Liebknecht, der als süddeutscher Rebell 1849 gegen die Preußen gefochten hatte und stark von den Gedankengängen der süddeutschen Republikaner beeinflußt wurde. Aber im Londoner Exil seit 1850 war er in engere Beziehung zu Marx gekommen und hatte die englische Arbeiterbewegung auf sich wirken lassen. Er war kein theoretischer Marxist ge-

Liebknecht 1866

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worden, doch hatte er sich taktisch auf den Boden gestellt, den Marx in der Arbeiterbewegung einnahm . Der ehemalige rote Republikaner Braß hatte Liebknecht 1862, nach der Amnestie, nach Berlin berufen, damit er in der Redaktion der von Braẞ redigierten ,,Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" tätig sei. Er entdeckte, daß sich Braß von Bismarck hatte kaufen lassen, und verließ darauf mit Schweichel, der auch in dem Blatte tätig war, die Redaktion , was ihm Lassalle ein Jahr später zum Vorwurf machte, wie Liebknecht in einem ,,offenen Antwortschreiben an die Frau Gräfin von Hatzfeld " mitteilte (im ,,Demokratischen Wochenblatt", 17. Oktober 1868 ) . Liebknecht gehörte eben zu den wütendsten Gegnern Bismarcks . Dieser ließ ihn auch 1865 aus Preußen ausweisen. Er ging nach Leipzig, wo er den vierzehn Jahre jüngeren Bebel kennenlernte, dessen Lehrer und Freund er wurde. Machtvoll regte sich damals bereits in ganz Deutschland die Arbeiterbewegung. Lassalle gab ihr das Ziel der Loslösung von der bürgerlichen Demokratie . Aber er geriet dabei , wie wir gesehen , in Beziehungen zu Bismarck. Das stieß viele Arbeiter und Sozialisten ab. Das heißt , taktisch und organisatorisch . Theoretisch wurden Lassalles Schriften immer mehr die erste Quelle sozialistischer Erkenntnis für alle damaligen Sozialisten Deutschlands, auch jene , die seine Taktik und Organisationsform ablehnten . Zu diesen gehörten Liebknecht und Bebel. Sie wurden die Führer des nichtlassalleanischen Flügels der Arbeiterbewegung, der bis 1868 nicht dazu kam, sich entschieden von dem radikalen Flügel der bürgerlichen Demokratie loszulösen . Wie allen Demokraten Deutschlands graute auch Bebel und Liebknecht 1866 vor dem drohenden Bruderkrieg. Ihn zu verhüten durch eine machtvolle Volksbewegung, war ihr ernstes Streben. Dabei aber wendeten sie sich mehr gegen Preußen , das heißt, gegen Bismarck, der den Krieg wollte, als gegen Österreich . Ihre Parole blieb die alte der deutschen Republikaner : die Einigung Deutschlands in einer Republik, unter Beseitigung der Habsburger wie der Hohenzollern und der andern Dynastien. Doch so offen heraus konnte man das in Deutschland nicht sagen ; damals nicht, und auch nicht später, bis zum November 1918. Sein Wirken in den Tagen vor der Kriegserklärung hat Bebel selbst in seinem Buch ,,Aus meinem Leben" geschildert. Die Tätigkeit Liebknechts in jener Zeit finden wir übersichtlich dargelegt in dem schon zitierten Buche Gustav Mayers über Schweitzer. In welchem Sinne Liebknecht und Bebel und die Demokratie überhaupt außerhalb Preußens damals arbeiteten , gelegentlich sogar unter Mitwirkung sächsischer (nicht preußischer) Lassalleaner, zeigen uns Mitteilungen Bebels in seinen Erinnerungen . Er weist dort darauf hin, daß beim Auftauchen der Möglichkeit eines Krieges zwischen Österreich und Preußen die Liberalen der Mittel- und Kleinstaaten bestrebt waren, das Eintreten dieser

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Liebknecht 1866

Staaten für Österreich zu verhindern , entweder durch Erklärung ihrer Neutralität oder gar durch Anschluß an Preußen . Letzteres verlangten am 5. Mai 1866 auch die städtischen Behörden Leipzigs , der Stadt, in der Liebknecht und Bebel wohnten. Gegen diese Preußenfreundlichkeit erhoben sich viele Bewohner Leipzigs. Sogar eine, wie Bebel mitteilt, von 5000 Personen besuchte Volksversammlung, die gegen den Stadtrat in einer von Professor Wuttke vorgelegten Resolution protestierte . Bebel berichtet weiter : ,,Diese Resolution war uns zu schwächlich. Ich nahm also das Wort und begründete folgende zwischen Liebknecht und mir vereinbarte Resolution : 1. Die gegenwärtige drohende Lage Deutschlands ist durch die Haltung und das Vorgehen der preußischen Regierung in der schleswig-holsteinschen Frage provoziert, zugleich aber auch die natürliche Konsequenz der Politik des Nationalvereins und der Gothaer für die preußische Spitze. 2. Eine direkte oder indirekte Unterstützung dieser undeutschen Politik betrachten wir als eine Schädigung der Interessen des deutschen Volkes . 3. Dieses Interesse kann nur gewahrt werden durch ein aus allgemeinen gleichen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervorgegangenes Parlament, unterstützt durch allgemeine Volkswehr. 4. Wir erwarten, daß das deutsche Volk nur solche Männer zu seinen Vertretern erwählt, die jede erbliche Zentralgewalt verwerfen. 5. Wir erwarten, daß im Falle eines deutschen Bruderkrieges, der nur dazu dienen kann, deutsches Gebiet dem Ausland in die Hände zu spielen , das deutsche Volk wie ein Mann sich erhebt, um mit den Waffen in der Hand sein Eigentum und seine Ehre zu vertreten." (,,Aus meinem Leben", B. I. S. 146.) Nach Bebel sprachen noch Liebknecht und der Lassalleaner Fritzsche im gleichen Sinn . Wuttkes Resolution wurde gegen eine Minderheit, der Antrag Bebels und Liebknechts dann einstimmig angenommen . Er wendete sich scharf gegen die Politik Bismarcks. Die Anhänger Bebels und Liebknechts ließen sich nicht betören durch die Aussicht auf das allgemeine, gleiche Wahlrecht, das er versprach. Sie verlangten es in einem Sinn , in dem Bismarck es nie gewährt hätte, zusammen mit einer Volkswehr und als das Recht zur Erwählung eines kraftvollen , der Regierung überlegenen Parlaments, nicht einer gehorsamen Jasagemaschine. Sie wendeten sich gegen eine ,, erbliche Zentralgewalt", das heißt, sie traten für die Republik ein, und endlich forderten sie so deutlich, als in einem monarchischen Polizeistaat möglich war, das Volk auf, wenn die Kabinettspolitik den Bruderkrieg unvermeidlich mache, ihn durch eine bewaffnete Erhebung, durch die Revolution, zu verhindern . Nur zu bald sollte sich zeigen , daß diese nicht möglich sei , so unpopulär auch der Krieg war. Eine absolutistische Regierung mit einem stehenden, stramm disziplinierten Heer verfügt über so ungeheure Machtmittel, daß es bisher noch nie gelungen ist, einen Krieg, zu dem sie sich entschloß, durch eine gegen sie gerichtete bewaffnete Erhebung unmöglich zu machen. Und wäre Bismarck der Disziplin des stehenden Heeres nicht versichert gewesen, dann hätte er seine Kriegspolitik gar nicht gewagt.

Unlust zum Krieg 1866

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Es kam zum Krieg. Aber noch gaben unsere Vorkämpfer in Sachsen die Partie nicht verloren . Gustav Mayer berichtet darüber : ,Wohl hatte Liebknecht mittlerweile eingesehen, daß von den Massen des Volkes, unorganisiert, wie sie waren , eine planmäßige Verhinderung des drohenden Bürgerkriegs nicht mehr zu gewärtigen war. Wohl hatte er erkannt, daß die paar Protestversammlungen und Landwehrkrawalle , die er zuerst als Anfänge einer ernsthaften Friedensbewegung ausposaunt hatte, nicht einmal von ferne ausreichten, um einen moralischen Druck auf die Regierung auszuüben ! Aber sogar als der Krieg schon ausgebrochen war, setzte er noch Hoffnungen auf die Volksleidenschaft im außerpreußischen Deutschland. Ihn faszinierten die alten demokratischen Zauberworte von Volksbewaffnung und Volkskrieg und selbst nach der Besetzung Sachsens durch die preußischen Truppen erwartete er noch von dieser Seite her eine Rettung der Situation . Süd- und Mitteldeutschland mit ihrer Bevölkerung von zehn Millionen würden „ ohne übermäßige Kraftanstrengung“ eine Million Krieger auf die Beine stellen und erhalten können. Wenn erst dieses Volksheer mit den regulären Truppen der Südstaaten und Österreichs zusammenwirkte , müßte der von Preußen gegen Deutschland begonnene Krieg mit der Vernichtung Preußens enden. “ ( „ Schweitzer“, S. 166, 167.) Diese Erwartung war sicher eine Fata Morgana, wie Mayer sie bezeichnet. Doch soll damit nicht gesagt sein, daß die Erwartung ganz gegenstandslos war, der Krieg werde eine Revolution hervorrufen. Selbst unsere Meister in London rechneten mit dieser Möglichkeit. Die Bewegung gegen den Krieg in Preußen wurde von den Zeitgenossen nicht geringschätzig als ein „, paar Protestversammlungen" bezeichnet, sondern als tiefgehende Bewegung fast aller Klassen aufgefaßt . Die Einberufung der Landwehr in Preußen führte an verschiedenen Stellen zu Krawallen, die für Bismarck bedenklich aussahen . Engels schrieb darüber am 25. Mai 1866 an Marx : ,,Wenn die Österreicher gescheidt genug sind, nicht anzugreifen, so bricht der Tanz in der preußischen Armee sicher los. So rebellisch, wie die Kerle bei dieser Mobilmachung sind, waren sie nie. Leider erfährt man nur den allergeringsten Teil von dem, was vorgeht, aber das ist schon genug, um zu beweisen, daß mit dieser Armee ein Angriffskrieg unmöglich ist. Wenn nun diese Burschen erst in Massen konzentriert sind, anfangen, sich zu zählen und zu finden , daß drei Viertel der Armee eines Sinnes sind, wenn sie dann während des Kongresses ( den Napoleon damals vorschlug, K. ) drei bis vier Wochen untätig unterm Gewehr stehen müssen , so kann dies nicht anders als zu einer Krisis kommen und eines schönen Morgens wird der Gehorsam verweigert werden. Dazu findet sich schon ein Anlaß ; und bei einer solchen Armee, wenn ein Bataillon anfängt, geht das wie ein Lauffeuer." Engels behauptete nicht, so werde und müsse es kommen . Aber er rechnete ernsthaft mit der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit , daß es so kommen könne. Von ,,Volksbewaffnung und Volkskrieg" ohne Vorbereitung hielt Engels nicht viel, wie wir noch sehen werden. Doch dürfen. wir diese ,,alten demokratischen Zauberworte" nicht unterschätzen. Wenige Jahre nach 1866, im deutsch -französischen Krieg, haben ,,Volksbewaffnung und Volkskrieg“ der französischen Repu-

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Volkskriegs-Illusionen 1866

blik den deutschen Heeren weit mehr zu schaffen gemacht als die Berufsarmeen des zweiten Kaiserreichs . Allerdings , wer unter diesen Worten Zauberworte versteht , die unter allen Umständen den Sieg sichern, der wird sich oft betrogen sehen. Jede Methode , jede Einrichtung hat nur relativen Wert, nur unter bestimmten Umständen . Wer es versäumt, vor der Anwendung einer solchen Methode oder Einrichtung zu prüfen, ob ihre Vorbedingungen vorhanden sind, geht leicht ins Verderben. In Frankreich waren 1870 viele Bedingungen dem Volkskrieg günstig ein zentralisiertes Land , in dem alle Gebiete, alle Klassen einmütig sich dem eindringenden Eroberer in wilder Verzweiflung entgegenwarfen. Ganz anders standen die Dinge 1866 in Süddeutschland : Ein Gewirr kleiner und kleinster Staaten ohne einheitlichen Willen . Der Gegner nicht ein volksfremder Eroberer, sondern eine Regierung von Volksgenossen. Diese Regierung wurde von einem großen Teil der Süddeutschen, und zwar gerade den geistig hervorragendsten unter ihnen, von den Liberalen nicht bekämpft, sondern ihr Sieg herbeigesehnt. Und die Gegner Preußens in Süddeutschland waren selbst nicht einig, sondern zerfielen in zwei sehr gegensätzliche Gruppen : auf der einen Seite demokratische Republikaner, eine kleine Minderheit , und anderseits konservative Partikularisten, die Bismarck gegenüber damals die geistloseste Reaktion darstellten und die jeden Versuch einer Volksbewaffnung oder eines Volkskriegs mit Empörung zurückgewiesen hätten . Unter solchen Umständen eine gewaltige bewaffnete Volkserhebung in Süddeutschland gegen Preußen und gar ihr Zusammenwirken mit den regulären Truppen der Habsburger und der mit diesen verbündeten Monarchen zu erwarten, war allerdings illusionär. Doch in anderer Weise konnte der Krieg eine Revolution entfesseln, nämlich dann, wenn er zunächst zu einer Zurückwerfung der preußischen Armeen führte, oder wenn er ein langes , zähes Ringen zwischen den Kämpfenden wurde. Unter diesen Umständen, wenn König Wilhelm und sein Minister große Opfer von ihrem Volke verlangten wegen eines Unternehmens, das es von vornherein verurteilt hatte, konnte es sehr wohl zu einer Auflehnung gegen die preußische Regierung kommen . Wilhelm wie Bismarck rechneten auch mit dieser Eventualität, wenn ihre Waffen nicht sofort glänzende Siege erfochten . Die Abdankung Wilhelms, die Absetzung Bismarcks wurden dann schwer vermeidlich. Das konnte aber der Ausgangspunkt werden zu einer Revolutionierung ganz Deutschlands . Noch mehr mußte diese gefördert werden, wenn Napoleon eingriff, um etwa das linke Rheinufer zu gewinnen. Auch dieser rechnete mit der Wahrscheinlichkeit, daß der Krieg lang dauern und beide Teile erschöpfen würde. Er hoffte dann

Überraschender Sieg der Preußen

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als Schiedsrichter in deutschen Angelegenheiten auftreten und dabei ein Stück deutschen Bodens für Frankreich einheimsen zu können. Solches befürchtete man damals ganz allgemein in Deutschland und diese Befürchtung wurde zu einer der lebhaftesten Anklagen der Gegner Bismarcks gegen dessen Kriegspolitik . Man wußte, daß er mit Napoleon verhandelt hatte, man wußte auch , daß er mehr Preußen- und Hohenzollerndiener war als Deutscher, und man hielt ihn für fähig, deutsches Gebiet preiszugeben, wenn es im Interesse Preußens und der Hohenzollern wünschenswert wurde. In der Tat hatte er Napoleon derartiges erwarten lassen . Führte der deutsche Krieg zu einem Eingreifen Napoleons und zu einer Gefährdung des deutschen Volkes , so mußte das den Sturz Wilhelms und Bismarcks beschleunigen und katastrophal gestalten. Es mußte aber auch zu einem Aufflammen des furor teutonicus aller deutschen Stämme gegen den französischen Despoten führen . Was der Kampf gegen die preußische Spitze nicht hervorgerufen hätte, wurde bei der Abwehr ,,fremder Eroberungsgelüste" möglich ein wahrhafter Volkskrieg. Dieses ,,Zauberwort" konnte unter solchen Umständen tatsächlich Wunder wirken , nicht nur zur Zurückweisung Frankreichs , sondern auch zu einer Zusammenfassung ganz Deutschlands in einem Einheitsstaat führen , in ganz anderer Weise, als es dann 1870 wirklich geschah . Nicht unter der Führung der Hohenzollern , sondern gegen sie, in einer demokratischen Republik. Nicht unter Ausschluß der Deutschösterreicher, sondern mit ihrer Einbeziehung. Der deutsche Volkskrieg hätte auch Napoleon gestürzt, neben der deutschen eine französische Republik geschaffen. Und die deutschen Demokraten hätten nicht jene Vergewaltigung der Elsässer verlangt , die 1870 eine Forderung vor allem der preußischen Militärs war. Unter diesen Umständen hätte der Krieg mit Friede und Freundschaft zwischen den beiden großen Republiken enden können. Dieses Ergebnis und das Verbleiben der Deutschösterreicher in dem Deutschen Reich war 1866 möglich. Aber nur unter einer Voraussetzung : daß der Krieg zwischen Hohenzollern und Habsburg länger währte ohne entschiedenen Sieg der preußischen Armeen. Diese Voraussetzung blieb aus. Im Gegenteil, der Sieg der Preußen trat rascher ein, wurde glänzender und zerschmetternder, als selbst die größten Optimisten auf der Seite Bismarcks und Moltkes erwartet hatten. Damit war für lange Zeit jede Aussicht auf eine deutsche Revolution, aber auch auf eine Einigung des ganzen deutschen Volkes verschüttet. Gustav Mayer schließt seine Darlegung der oben zitierten Ausführungen Liebknechts mit den Worten : ,,An dem gleichen Abend, da diese Fata Morgana die Presse des ,, Ober-

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Folgen von Königgrätz

rheinischen Couriers“ verließ, flatterte Preußens schwarzer Adler siegreich auf dem blutgetränkten Gefilde von Königgrätz !" Das hatte Liebknecht allerdings nicht vorausgesehen. Aber diese Voraussicht fehlte auch anderen sehr hervorragenden Politikern und Kriegsmännern der ganzen Welt, selbst den tüchtigsten unter ihnen. Die Hinterlader und Moltkes Genie hatten gegen Liebknecht und Bebel , gegen die deutsche Revolution und großdeutsche Einigung entschieden , für Bismarck und Kleindeutschland und für Bismarcks Verehrer Schweitzer. Doch dieser selbst wurde dadurch für den Führer Preußens überflüssig.

e) Engels über die Situation nach dem Kriege.

Der Sieg von Königgrätz verschüttete für mehr als ein halbes Jahrhundert die Möglichkeiten einer neuen deutschen Revolution sowie einer Einigung Gesamtdeutschlands. Nicht alle deutschen Republikaner erkannten das sofort, um so mehr, da der Norddeutsche Bund, den Bismarck nach seinem Siege 1867 aufrichtete , offenbar nicht lebensfähig war. Er konnte nur ein Provisorium sein. Gar mancher deutsche Politiker rechnete immer noch mit dem Zusammenbruch dieses Bundes , sah in ihm nicht die Vorstufe zum deutschen Kaiserreich. Zu diesen gehörte auch Wilhelm Liebknecht, der sich in den Sieg des von ihm so glühend gehaßten Bismarck nicht hineinfinden konnte . Er vermochte nicht die Wirkungsmöglichkeiten zu erkennen , die sich für die Sozialdemokratie aus der neuen Situation ergaben , und war geneigt, die Gegner Bismarcks, auch seine reaktionärsten , im besten Lichte zu sehen und zu überschätzen. Das beutete sein Antipode Schweitzer weidlich für sich aus. Er beschuldigte Liebknecht sowie Bebel, sie seien Agenten des Königs von Hannover, den Bismarck entthront hatte . Dafür wurde Schweitzer wieder von den beiden als feiles Subjekt gebrandmarkt, das von der preußischen Regierung gekauft sei . Doch diese war siegreich , nicht nur den Österreichern, sondern auch dem eigenen Volk gegenüber, dessen Sympathien sie über Nacht eroberte. Hatte Liebknecht sich die Seite Catos erwählt, der der besiegten Sache treu blieb, so Schweitzer die Seite der Götter, denen die siegreiche Sache gefiel. Doch auch er konnte sich des Erfolges des von ihm so gepriesenen deutschen Heros nicht lange freuen . Denn dieser Erfolg machte Bismarck unabhängig von den Arbeitern , trieb ihn zu enger Gemeinschaft mit der nationalliberalen Bourgeoisie. Schweitzer fühlte sich gedrängt, in der einmal eingeschlagenen Richtung fortzufahren, doch wurde seine Politik dabei immer widerspruchsvoller. Sie wollte ja doch die Politik einer selbständigen Arbeiterpartei sein und mußte es bleiben. Und auf der Stärke dieser Partei allein beruhte Schweitzers politische Bedeutung auch Bismarck gegenüber.

Engels nach Königgrätz

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So brachte der Sieg von Königgrätz einige Verwirrung nicht bloß in manche Regierung in Wien, München, Stuttgart, Paris usw., sondern auch in die deutsche Arbeiterbewegung. Zuerst waren es unsere Meister in London , die die neue Situation und ihre Aufgabe begriffen . Sie bedingte eine Politik, die zwischen Liebknecht und Schweitzer die Mitte hielt. Schon am 25. Juli 1866 schrieb Engels darüber an Marx — drei Wochen nach Königgrätz, einen Tag, ehe der Vorfriede von Nikolsburg geschlossen wurde, dem später die Waffenstillstandsverträge mit den süddeutschen Staaten folgten. Noch war also das Ergebnis des Krieges nicht endgültig festgelegt. Dennoch vermochte Engels bereits es zu übersehen und daraus die nötigen Folgerungen zu ziehen . Er führte aus : „ Die Geschichte in Deutschland scheint mit jetzt ziemlich einfach . Von dem Augenblick an, wo Bismarck den kleindeutschen Bourgeoisplan mit der preußischen Armee und mit so kolossalem Erfolg durchführte, hat die Entwicklung in Deutschland diese Richtung so entschieden genommen, daß wir ebensogut wie Andere die vollzogene Tatsache anerkennen müssen, sie mag uns gefallen oder nicht. Was die nationale Seite der Sache angeht, so wird Bismarck jedenfalls das kleindeutsche Kaisertum in dem von den Bourgeois beabsichtigten Umfang, d. h. inclusive Süddeutschland, herstellen, denn die Redensarten von der Mainlinie und der Freistellung der Bildung eines besonderen süddeutschen Bundes sind jedenfalls für die Franzosen berechnet, und inzwischen marschieren die Preußen auf Stuttgart. Die Deutsch-österreichischen Provinzen werden diesem Reich übrigens in nicht langer Zeit auch zufallen, sintemal Österreich jetzt ungarisch werden muß und die Deutschen die dritte Nation im Reich werden Inoch unter den Slawen." ,,Politisch wird Bismarck genötigt sein, sich auf die Bourgeoisie zu stützen, die er gegen die Reichsfürsten braucht. Vielleicht nicht in diesem Augenblick, da jetzt noch das Prestige und die Armee hinreichen. Aber schon um sich vom Parlament die nötigen Bedingnisse für die Zentralgewalt zu sichern, muß er den Bürgern etwas geben, und der natürliche Verlauf der Dinge wird ihn oder seine Nachfolger immer zwingen, wieder an die Bürger zu appellieren : so daß wenn Bismarck auch möglicher Weise jetzt den Bürgern nicht mehr gibt, als er eben m u ß, er doch in das Bürgerliche mehr und mehr hineingetrieben wird .“ ,,Die Sache hat das Gute, daß sie die Situation vereinfacht, eine Revolution dadurch erleichtert und die Entwicklung jedenfalls beschleunigt. Am Ende ist doch ein deutsches Parlament ein ganz anderes Ding als eine preußische Kammer. Die ganze Kleinstaaterei wird in die Bewegung hineingerissen, die schlimmsten lokalisierenden Einflüsse hören auf, und die Parteien werden endlich wirklich nationale statt bloß lokale." „ Der Hauptnachteil ist die unvermeidliche Überflutung Deutschlands durch das Preußentum, und das ist ein sehr großer. Dann die momentane Abtrennung Deutsch-Österreichs, die ein sofortiges Vorschreiten des Slawischen in Böhmen, Mähren, Kärnten zur Folge haben wird. Gegen Beides ist leider nichts zu machen." „Wir können also meiner Ansicht nach gar nichts Anderes tun, als das Faktum einfach akzeptieren, ohne es zu billigen , und die sich jetzt darbieten müssenden größeren Erleichterungen zur nationalen Organisation und Vereinigung des deutschen Proletariats benutzen, soweit wir können." ,,Daß Bruder Liebknecht sich in eine fanatische Österreichierei hineinreiten würde, braucht mir Stumpf nicht zu schreiben, das konnte gar nicht

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Die Sozialdemokratie nach Königgrätz

anders sein. Er hatte übrigens in der ,,Neuen Frankfurter Zeitung" ganz unverkennbare Wutkorrespondenzen aus Leipzig. Diese fürschtenmörderische Blindsche Neue Frankfurter Zeitung' war so weit gekommen, daß sie den Preußen ihre schändliche Behandlung des „ ehrwürdigen Kurfürsten von Hessen" vorwarf und für den armen blinden Welfen schwärmte." Schon am 27. Juli erwiderte Marx : ,,Ich bin ganz Deiner Ansicht, daß man den Dreck nehmen muß, wie er ist ... für die Arbeiter ist natürlich alles günstig, was die Bourgeoisie zentralisiert." Die Engelssche Auffassung der neuen Situation , zu der er schon kam als noch der Kriegslärm die Welt erfüllte, war sicher eine höchst geniale . Wohl sah er manches zu nahe , so die deutsche Revolution und die Wiedervereinigung der Deutsch-Österreicher mit der Masse der deutschen Nation . Aber es waren auch erst die 1866 noch nicht vorauszusehenden Ereignisse von 1870, die beides weit hinausschoben. Nach dem deutsch-französischen Krieg wurde die Auffassung, die Marx und Engels schon im Juli 1866 gewonnen hatten, immer mehr die Auffassung aller deutschen Sozialdemokraten, der Lassalleaner ebenso wie der Anhänger Liebknechts, die sich 1869 als besondere Fraktion, die ,, Eisenacher" , organisierten . Nicht programmatisch, wohl aber taktisch stellten sich beide Richtungen immer mehr auf den marxistischen Boden, was ihre Vereinigung 1875 ermöglichte. Merkwürdigerweise wurde diese Vereinigung gleichzeitig dadurch erleichtert, daß programmatisch beide Richtungen auf dem gleichen Lassalleanischen Boden standen , den Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms so streng kritisierte. Derjenige unter den Führern der deutschen Sozialdemokratie, der neben Marx und Engels am ehesten und besten die neue Situation begriff und die Taktik der Partei ihr anpaßte, war August Bebel . In der richtigen Mitte zwischen Schweitzer und Liebknecht stehend, in bestem Einklang mit Marx und Engels, war es Bebel, der die marxistische Praxis der deutschen Sozialdemokratie begründete.

5. Die erste Arbeiterinternationale bis zum deutschfranzösischen Krieg.

a) Die Begründung der Internationale. Fast gleichzeitig, nur wenig später als der „,Allgemeine deutsche Arbeiterverein", erstand die ,,Internationale Arbeiter-Association", die ihren Mittelpunkt in London erhielt. Die eine wie die andere dieser beiden Organisationen war nicht die Schöpfung eines einzelnen Mannes , sondern das Ergebnis des Aufhörens allgemeiner Niedergeschlagenheit , die dem Mißerfolg der Revolution

Ursprung der Internationale

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von 1848 gefolgt war. Diese Niedergeschlagenheit wich zu Ende der fünfziger Jahre , was eine gleichzeitige allgemeine Belebung der Arbeiterbewegung in allen kapitalistischen Ländern bedeutete. Es war ein starkes ökonomisches Motiv, das anfangs der sechziger Jahre die englischen Gewerkschaften trieb, eine Verständigung mit den Arbeitern des europäischen Festlandes zu suchen. Die Belebung der Arbeiterbewegung in England führte zu zahlreichen Forderungen der Arbeiter an die Unternehmer, denen diese die Drohung entgegenhielten, genügsame, unorganisierte Arbeiter einzuführen, die in Frankreich, Belgien, Deutschland usw. noch massenhaft zu finden waren . Damals stand das liberale Denken auf seinem Höhepunkt in Europa. Eine Beschränkung der internationalen Freizügigkeit kam für ein zivilisiertes Gemeinwesen nicht in Frage. Nur die eine rationelle Methode gab es für die englischen Arbeiter, sich die auswärtigen Lohndrücker vom Halse zu halten : diesen zu helfen, sich im eigenen Lande zu organisieren und bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Aus diesem Streben erstand die erste proletarische Internationale. Den Anstoß zu ihrer Begründung gaben jedoch nicht Lohnkonflikte, sondern ein Krieg, der Befreiungskrieg, den 1863 die Polen des russischen Reichs gegen dieses führten . Wie 1830 und 1848 wurde auch diesmal die Sache der Polen als die Sache der Demokraten aller Länder betrachtet. Auf Arbeiterversammlungen, die im Juli 1863 in London stattfanden, erschienen Delegierte französischer Arbeiter, um sich mit ihren englischen Brüdern zusammenzutun zu gemeinsamem Eintreten für die Polen. Schon 1862 waren zur Londoner Weltausstellung französische und deutsche Arbeiterdelegierte erschienen . Sie hatten bloß technische Neuerungen studieren sollen, waren aber auch in Verbindung mit englischen Arbeitern gelangt . Diese persönlichen Verbindungen wurden jetzt durch die Agitation zugunsten der Polen enger gestaltet und erhielten einen politischen Charakter. Die Polen wurden niedergeschlagen , die Beziehungen zwischen englischen und französischen Arbeitern hörten aber damit nicht auf. Die einen wie die andern fanden, es gebe noch einen andern internationalen Feind, der sie bedrohe und bedränge , als den Zaren im fernen Petersburg. Das waren die Kapitalisten im eigenen Lande, mit denen sie tagtäglich die heftigsten Kämpfe auszufechten hatten. So kam es zu einer Versammlung in London am 28. September 1864, an der neben englischen Gewerkschaftern auch Abgesandte von Arbeitern anderer Länder teilnahmen, vielfach Emigranten, die in England lebten, Franzosen , Deutsche ( unter ihnen Marx) , Italiener. Die Versammlung beschloß , eine Internationale Arbeitergesellschaft zu begründen. Diese sollte die Aufgabe haben , die Vereinigungen der Arbeiter in England, Frankreich, Deutschland , Ita-

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Aufgaben der Internationale

lien usw. zu fördern und miteinander in Beziehung zu bringen . Es war wieder eine höchst kriegerische Situation, in der die Gründung vor sich ging. Noch war der Friede nicht unterzeichnet , der den deutsch-dänischen Krieg des Jahres beenden sollte. Noch tobte in Amerika der Krieg zwischen den Nordstaaten und Südstaaten der Union . Und in Mexiko führte Napoleon Krieg gegen die Republik. Gleichzeitig gab es Reibungen des Nordens der Vereinigten Staaten mit England und Frankreich, die zeitweise einen bedrohlichen Charakter annahmen. Es wäre vielleicht zum Krieg zwischen England und Amerika gekommen, wenn sich nicht die Arbeiter Englands mit Wucht gegen die kriegerischen Tendenzen der eigenen Regierung erhoben hätten. Der Friedensvertrag, der zwischen Dänemark auf der einen Seite und Preußen und Österreich auf der andern am 30. Oktober 1864 abgeschlossen wurde , trug bereits den Krieg zwischen diesen beiden Großmächten in seinem Schoße, wie der deutsche Krieg von 1866 wieder den Deutschlands mit Frankreich nach sich zog. Diese Konsequenzen traten nicht überraschend ein, wurden vielmehr allenthalben vorausgesehen und lebhaft diskutiert. Da durfte man erwarten , daß die erste Aufgabe, die sich die neubegründete Internationale setzte, darin bestehen werde , die drohenden Kriege zu verhindern . Das war jedoch keineswegs der Fall. Sie war aus dem Bedürfnis der englischen Arbeiter entsprungen, die ökonomische Widerstandskraft der Proletarier des Kontinents zu heben. Dem galten auch vor allem ihre praktischen Bestrebungen und die Diskussionen ihrer Kongresse. Wenn man die Tätigkeit in Betracht zieht, die von der Internationale und von Marx in ihr bis zum deutsch-französischen Kriege, ja bis zum Ausbruch der Pariser Kommune von 1871 verfolgt wurde, so war sie ausschließlich eine solche, die mancher heute als reformistisch geringschätzig abtut . Die Blanquisten wollten denn auch mit der Internationale bis zur Kommune nichts zu tun haben. Sie beschuldigten die Internationalisten Frankreichs, diese seien von Napoleon gekauft. Auf den Kongressen der ersten Internationale wird lange nur über Gewerkschaften gesprochen, über Genossenschaften , über gesetzlichen Arbeiterschutz , über Schulwesen u . dgl . , nicht aber über die Entfesselung der Revolution . Und ebensowenig in ihren ersten Jahren über revolutionäre Methoden zur Verhinderung von Kriegen. Allerdings fehlte es schon frühzeitig nicht an Äußerungen einzelner Sektionen der Internationale, die den Krieg brandmarkten . Namentlich das Jahr 1866 produzierte solche . Der „,Vorbote", das deutsche Organ der Internationale, veröffentlichte in seiner Nummer vom Juli 1866 einen Aufruf des Wehrausschusses des Zentralkomitees der Internationale in Genf, der die Propaganda für die Volksbewaffnung in allen Ländern empfahl, zum Schutz des Va-

Internationale und Krieg 1866

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terlandes und des Friedens. Das Schriftstück schloß mit dem Ruf : 99 Friede den Völkern und Krieg ihren Feinden.“ Die gleiche Nummer veröffentlichte einen Aufruf, den Pariser Studenten am 15. Mai an die Studenten Deutschlands und Italiens gerichtet hatten. Der Aufruf entrüstete sich nicht nur über den Wahnsinn des Krieges, sondern wendete sich auch gegen die Ideen des Vaterlandes , der Nationalität, der Rassenverschiedenheit , des europäischen Gleichgewichts . Alles das seien „, mörderische Vorurteile". Es gebe nur ein Vaterland, die Menschheit. Die Völker brauchten Frieden, hätten nur einen Krieg noch zu führen , den gegen Knechtschaft, Unwissenheit, Elend . Diese Kundgebung aus Paris wurde beantwortet von führenden Köpfen der Internationale in London, die den Aufruf mit Freuden begrüßten, sich mit ihm solidarisch erklärten . Unter den Unterzeichnern dieser Antwort finden wir Eccarius und Leẞner. Nicht aber Marx. Wie er über die Pariser Adresse dachte, ersehen wir aus dem Brief, den er am 7. Juni 1866 an Engels richtete : „ Der Krieg ist also doch da, wenn kein Wunder geschieht. Die PreuBen werden die Renommage büßen und unter allen Umständen ist die Idylle in Deutschland vorbei. Die Proudhonclique unter den Studenten in Paris (,,Courrier Français ") predigt Frieden, erklärt Krieg für veraltet, Nationalitäten für Unsinn, attackiert Bismarck und Garibaldi usw." ,,Als Polemik gegen den Chauvinismus ist ihr Treiben nützlich und erklärlich . Aber als Proudhongläubige ( meine hiesigen sehr guten Freunde Lafargue und Longuet gehören auch dazu ) , die meinen , ganz Europa müsse und werde still auf dem Arsch sitzen, bis die Herren in Frankreich ,,das Elend und die Unwissenheit" abgeschafft ... sind sie grotesk." In einem weiteren Brief vom 20. Juni berichtet Marx an Engels über eine Sitzung des Londoner Generalrats und wendet sich gegen die dort entwickelten Auffassungen einiger französischer Intellektueller : „Übrigens rückten die ( Nichtarbeiter ) des jungen Frankreich ' damit heraus, daß alle Nationalität und Nationen selbst ,,veraltete Vorurteile" sind. Proudhonisierter Stirnerianismus . Alles aufzulösen in kleinen Gruppen' oder ,Kommunen ', die wieder einen Verein ' bilden, aber keinen Staat. Und zwar soll diese , Individualisierung und der entsprechende Mutualismus vor sich gehen, indem die Geschichte in allen anderen Ländern aufhört und die ganze Welt wartet, bis die Franzosen reif sind, eine soziale Revolution zu machen. Dann werden sie uns das Experiment vormachen und die übrige Welt wird, durch die Kraft ihres Beispiels überwältigt, dasselbige tun." Am 17. Juli äußerte sich der Generalrat der Internationale als solcher über den deutschen Krieg. Er sagte : ,,Der Zentralrat der Internationalen Arbeiterassociation betrachtet den gegenwärtigen Krieg auf dem Kontinent als einen Krieg zwischen Regierungen. Er rät den Arbeitern, neutral zu bleiben und sich untereinander zu dem Zweck zu vereinigen, durch ihren Zusammenschluß Kraft zu erwerben und diese so erworbene Kraft dazu zu benützen, um ihre soziale und politische Befreiung zu erringen." Das klang erheblich nüchterner als die Kundgebungen der Studenten und ihrer Freunde. Man sieht, in der Frage von Krieg und Frieden waren die Mit-

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Friedensliga

glieder der Internationale untereinander keineswegs einig, trotz einmütiger Ablehnung von Chauvinismus und Kriegslust. b) Die Internationale und die bürgerliche Friedensbewegung. Die Arbeiterinternationale war auf dem Gedanken der internationalen Solidarität der Proletarier aufgebaut . Mehr als jede andere Klasse der Gesellschaft bäumten sich die Arbeiter dagegen auf, als Kanonenfutter in Kabinettskriegen für die Verfechtung von Interessen ihrer Ausbeuter und Bedrücker auf das Schlachtfeld geschleppt zu werden. Trotzdem verhielt sich die Arbeiterinternationale sehr zurückhaltend gegenüber der bürgerlichen Friedensbewegung, die gleichzeitig mit ihr emporkam . Anfänglich allerdings sympathisierten mit dieser nicht wenige proletarische und sozialistische Elemente. Ich spreche an einer andern Stelle - dem schon niedergeschriebenen, doch leider noch nicht gedruckten dritten Band meines Werkes über ,, Krieg und Demokratie" von der bürgerlichen Friedensbewegung. Hier nur so viel darüber : Im Jahre 1867 bildeten sich zwei Friedensligen, eine überwiegend liberale großbürgerliche und eine sehr radikal demokratische , die sich ,,Friedens- und Freiheitsliga" nannte. Diese wollte nicht bloß für den Frieden kämpfen , sondern auch für die Demokratie. Sie blieb nicht ohne Anziehungskraft für manches bedeutende Mitglied der Arbeiterinternationale. Der ,,Vorbote", das Zentralorgan der proletarischen Internationale in deutscher Sprache, veröffentlichte im Juli 1867 gleichzeitig die Einladungen zum zweiten Kongreß der Internationalen Arbeiterassociation, der vom 2. bis 8. September in Lausanne tagen , und zum Internationalen Friedenskongreß , der die Friedensund Freiheitsliga begründen sollte . Dieser trat unmittelbar nach dem Kongreß der Internationale, am 9. September, in Genf zusammen. Die Redaktion bemerkte zu der Einladung ( ,,Vorbote", Jahr 1867) : ,,Wir sehn darin, daß die seit länger als dreißig Jahren gepflegte Idee der Völkerverbrüderung , nachdem sie von der Arbeiterklasse durch Gründung ihrer Internationalen Association zuerst im Großen ins Praktische übersetzt wurde, nun endlich auch von der bürgerlichen, d . h. einseitig politisch agierenden Demokratie ernstlich aufgegriffen wird. Wir dürfen diese Erscheinung um so freudiger begrüßen , als zum Teil eine laute Anerkennung unserer Bestrebungen und eine innere Genugtuung für uns darin gelegen ist. Freilich mußten dem Bürgertum zuerst die Schrecknisse des Krieges der Seele' vorübergeführt und ihm erst durch die internationale Friedensdemonstrationen der Arbeiter der Anstoß gegeben werden, sich zu einer gemeinsamen Aktion zu erheben. Dies endliche Beginnen wurde noch wesentlich erleichtert, da unter dem sanften und elastischen Friedensschilde auch die Zaghafteren der Befürchtungen enthoben sind, sich in ihren etwaigen Stellungen und Geschäftsinteressen zu kompromittieren und zu beeinträchtigen.“

Friedensliga und Marx

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,,Der Kongreß wird für die Bourgeoisie ein Probierstein sein, vielleicht der letzte, den die Geschichte ihr anlegt. Wir wollen nicht vorurteilen, sondern abwarten, wie man sich in diesen Kreisen bei der Beratung über die Mittel zum Zwecke, die nicht so samtener und seidener Natur sein können, halten wird und ob man nicht nur schön redet, viel beschließt, sondern auch energisch an die Ausführung geht. Die Friedensbestrebungen bieten der Arbeiterklasse und der freisinnigen Bourgeoisie einen Sammelpunkt, da sich in dieser Angelegenheit die Interessen beider in Übereinstimmung befinden. Der Arbeiterklasse ist Gelegenheit geboten, ihren Standpunkt in feierlicher Weise zur Geltung zu bringen, und die Bourgeoisie ist in die Lage gebracht, wenn ihre Friedensbestrebungen von irgend einem Erfolg begleitet sein sollen, ihn (den Standpunkt der Arbeiterklasse, K. ) fernerhin nicht mehr ignorieren zu dürfen. Wir werden sehn !" Als die Friedens- und Freiheitsliga gegründet wurde, trat ihr der Verfasser dieser Ausführungen bei, Jean Philipp Becker, der Redakteur des ,,Vorboten " und der hervorragendste Vertreter der internationalen Arbeiterassociation außerhalb Englands . Auch Marx' Freund Borkheim interessierte sich für sie . Ebenso Bakunin , der von der Liga noch weit mehr erwartete als Becker. „ Bakunin schlug der Internationale das Projekt eines Bündnisses mit der Liga unter der Bedingung vor, die Arbeiter sollten sich verpflichten, die Bourgeoisie bei der Erkämpfung politischer Freiheit zu unterstützen, die Bourgeoisie aber solle sich verpflichten, den Arbeitern bei der ökonomischen Befreiung des Proletariats behilflich zu sein . " ( Dragomanovs biographische Einleitung zu ,,Michael Bakunins sozialpolitischem Briefwechsel ", herausgegeben von B. Minzes , Stuttgart 1895. S. Xc.) Die Unterstützung der Bourgeoisie dort, wo sie für politische Freiheit kämpft, hatte schon das Kommunistische Manifest für notwendig erklärt. Welch ein Wirrkopf mußte man aber sein, um die Mithilfe der Bourgeoisie bei der ökonomischen Befreiung des Proletariats zu erwarten ! Daß die Liga dafür nicht zu gewinnen war, mußten Bakunin und die andern ihrer sozialistischen Mitglieder bald selbst einsehen . Nach dem Septemberkongreß von 1868 traten sie aus ihr aus. Marx stand dem Anschluß der Arbeiterinternationale an die Liga von Anfang an ablehnend gegenüber. Sowohl aus Mißtrauen gegen die bürgerlichen Demokraten, als auch von der Überzeugung getrieben, die Demokratie Europas dürfe dem Zaren gegenüber nicht abrüsten. Am 4. September 1867 schrieb er an Engels : ,,Du weißt, daß ich im Generalrat gegen den Anschluß an die Friedenswindbeutel sprach. Meine Rede dauerte ungefähr eine halbe Stunde . Eccarius als Protokollschreiber gab einen Bericht im Beehive, worin er nur ein paar Sätze von mir brachte. Der Wiederabdruck im Courrier läßt selbst wieder die Sätze über die Notwendigkeit der Armeen vis-à-vis Rußland und über die Feig heit der Kerls weg . Nichtsdestoweniger hat die Geschichte viel Lärm gemacht. Die Esel von dem Friedenskongreß ... änderten ganz ihr ursprüngliches Programm und schmuggelten in dem neuen , das viel demokratischer ist, selbst die Worte ein : ‚Die Versöhnung wirtschaftlicher Interessen mit der Freiheit' (Marx gibt die englische Fassung : the harmonizing of economic interests with liberty, K. ) , eine weitschichtige Phrase, die auch bloßen Freihandel meinen kann ..." ,,Die Hauptsache ist, daß diese großen Herren vom Friedenskongreß , Victor Hugo, Garibaldi, L. Blanc etc. unsere Internationale Association mit

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Friedensliga und Marx

der äußersten Vornehmheit ignoriert haben. Ich habe sie jetzt gezwungen, uns als eine Macht anzuerkennen. “ Später nannte er die Liga „ eine totgeborene Gesellschaft von Bourgeois-Republikanern“. ( „ Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiter-Association", deutsch von Kokosky. Braunschweig 1874. S. 4. Das französische Original verfaßte Marx schon 1873 , es erschien unter dem Titel : ,,L'Alliance de la Démocratie Socialiste et l'Association Internationale des Travailleurs", London .) Marx sagte dort weiter : ,,.. Er ( Bakunin ) überzeugte sich bald, daß die Liga eine unbedeutende Gesellschaft blieb und daß die Liberalen, aus denen sie bestand, in ihren Kongressen nur ein Mittel sahen , eine Vergnügungsreise zugleich mit großsprecherischen Reden zu verbinden , während im Gegenteil die Internationale von Tag zu Tag wuchs." Marx schrieb dies nach dem Haager Kongreß von 1872. Damals hatte die Friedens- und Freiheitsliga bereits jede Bedeutung verloren, wenn sie auch bis 1879 weiter vegetierte . Welche Lebenskraft immer sie vor dem deutsch-französischen Kriege besessen haben mochte, sie war jedenfalls weit geringer gewesen als die der Internationalen Arbeiter-Association, und selbst diese siechte seit dem Kriege von 1870 dahin . Indes blieb in den Arbeitern doch das Bewußtsein der internationalen Solidarität lebendig. In der Bourgeoisie wurde aber nicht nur die internationale Organisation, sondern auch das internationale Empfinden und Denken durch den deutsch-französischen Krieg tödlich getroffen , wenigstens bei den Deutschen und Franzosen . Und diese beiden Nationen beherrschten das geistige Leben des ganzen festländischen Europa. Jener Krieg riß eine tiefe Kluft zwischen der deutschen und der französischen Bourgeoisie auf, die für Jahrzehnte hinaus jede Annäherung zwischen ihnen unmöglich machte .

c) Abrüstung und Miliz. Das Friedensstreben der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nahm nicht überall die gleichen Formen an. Für die angelsächsische Welt trat in den Vordergrund die Forderung, alle internationalen Konflikte durch Schiedsgerichte entscheiden zu lassen . Diese Forderung blieb nicht eine rein akademische. Sie fand damals schon eine praktische Durchführung in einem Streitfall, der zwischen England und Amerika während des Sezessionskriegs aufgetaucht war. Die englische Regierung, die mit den Sklavenhaltern der Südstaaten sympathisierte, hatte diesen gestattet, in England Kaperschiffe bauen zu lassen, die den Handel der Nordstaaten sehr schädigten. Eines dieser Schiffe hieß Alabama. Danach erhielt der ganze Konflikt seinen Namen . Die Nordstaaten protestierten , forderten von England Entschädigung für den Neutralitätsbruch, den es begangen. Fast kam es darob zum Krieg. Es war hauptsächlich der Widerstand der englischen Arbeiter, der ihn verhinderte. Im

Internationale und Schiedsgerichte

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Jahr 1869 einigten sich die Regierungen Englands und der Vereinigten Staaten dahin , den Alabamastreit durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen. Doch erst 1871 war man so weit, ein solches einzusetzen, das dann im September 1872 seinen Spruch fällte. Dieser fiel für England ungünstig aus. Es mußte den Vereinigten Staaten 152 Millionen Dollars Schadenersatz zahlen . Aber wieviel mehr hätte ein Krieg gekostet ! Weniger als die Idee der Schiedsgerichte interessierten die Angelsachsen zwei andere Forderungen, die für die Demokraten und Pazifisten des europäischen Festlands in den Vordergrund traten, Abrüstung und Milizsystem bei allgemeiner Wehrpflicht. Ein Wettrüsten zur See, das nur eines gegenüber dem das Meer beherrschenden England sein konnte, kam zu jener Zeit kaum in Frage ; das bildete aber damals die einzige Form des Wettrüstens, die für die Engländer und Amerikaner beschwerlich und gefährlich werden konnte. Sie waren für die Militärstaaten Europas nur zur See erreichbar. Die Frage der Abrüstung zu Lande interessierte sie natürlich erst recht nicht. Die allgemeine Wehrpflicht wieder war den Engländern seit jeher verhaßt, und sie ist es bis heute. Nur im äußersten Notfall greifen sie zu ihr. Das stehende Heer rekrutieren sie durch die Werbung von Söldnern. Daneben hatten sie verschiedene Milizformationen, die aber auch auf dem System der freiwilligen Meldung beruhten. Zwangsweise Aushebung, außer wenn es dem Lande an den Kragen geht , kennen sie nicht. Und ihr stehendes Heer ist so klein , nur für den kolonialen Dienst berechnet , daß es für die Freiheit des Landes keine Gefahr bildet. Auch kann mit ihm kein großer Landkrieg geführt werden . Anders stand es bei den großen Militärmächten des europäischen Festlandes. Seit den napoleonischen Kriegen verfügte jede von ihnen über ein stehendes Massenheer, das für den Ersatz der Mannschaften ausschließlich auf zwangsweise Aushebung angewiesen war. Unter diesen Mächten herrschte ein steter Wettbewerb, die Armeen zu vermehren, sie mit besseren, kostspieligeren Waffen, mit besseren Verkehrsmitteln usw. auszurüsten. Das bloße Bestehen dieser Armeen bedeutete nicht bloß eine wachsende Belastung der Zivilbevölkerung, sondern auch eine stete Bedrohung des Friedens und der Freiheit der Völker. Zum Programm der Demokratie Europas außerhalb Englands gehörten daher Abrüstung und Ersetzung des stehenden Heeres durch Volksbewaffnung und eine Miliz. An diesen Forderungen konnte auch die Arbeiterinternationale nicht vorbeigehen . Doch beriet sie nicht über die Forderung der Schiedsgerichte, die den despotischen Staaten des damaligen Europa gegenüber wenig Zweck hatte. Auch der Abrüstung standen unter den damaligen Verhältnissen viele Mitglieder der Inter12

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Internationale und Volksbewaffnung

nationale ablehnend gegenüber. Wir haben bereits gesehen , daß Marx 1867 von dem Eintreten für diese Forderung eine Schwächung der mehr demokratischen Staaten gegenüber Rußland befürchtete . Ein Jahr später äußerte sich in gleichem Sinne Wilhelm Liebknecht auf dem fünften Vereinstag der deutschen Arbeitervereine , der im September 1868 in Nürnberg tagte. An Stelle des verhinderten Bebel referierte dort Liebknecht über die Wehrfrage. Er sprach sich gegen das stehende Heer und für die Volksbewaffnung aus. In der Diskussion setzte sich Ladendorf für die Abrüstung ein. Ihm widersprach Liebknecht in seinem Schlußwort . Er führte aus : „ Einer der Vorredner hat für die allgemeine Entwaffnung gesprochen. Auch ich bin dafür. Aber sie kann erst eintreten, wenn alle Feinde der Völker unschädlich gemacht sind. Und das wird noch lange dauern . Für Deutschland und Frankreich scheint mir die Stunde der Befreiung nicht sehr fern. Doch mit unserer Befreiung sind wir noch nicht am Ziele, es bleibt uns noch eine blutige Arbeit zu verrichten und eine heilige Pflicht zu erfüllen, die Zertrümmerung Rußlands, die Wiederherstellung Polens. Ist dem russischen Doppelaar das nach Westen gekehrte Haupt abgeschlagen, haben wir an Polen die Verbrechen unserer Fürsten gesühnt, ist der Despotismus aus seinem letzten Schlupfwinkel vertrieben, dann, aber auch erst dann können die Völker entwaffnen . Bis dahin müssen wir festhalten an unserer Forderung der allgemeinen Volksbewaffnung ! Jeder Bürger Soldat, jeder Soldat Bürger!" Liebknechts Resolution, die sich dafür aussprach, fand einstimmige Annahme. Liebknecht fürchtete damals noch die allgemeine Abrüstung, ebenso wie Marx. Dagegen waren sie in der Frage der Miliz nicht ganz der gleichen Meinung. Auf dem ersten Kongreß der Internationale in Genf, September 1866, hatte der Generalrat eine Resolution über die Frage der ,,stehenden Heere" vorgeschlagen. Sie lautete : ,,Den verderblichen Einfluß von großen stehenden Heeren auf die Produktion haben Bourgeoiskongresse mit den verschiedensten Bezeichnungen, Friedenskongresse, ökonomische Kongresse, statistische Kongresse, philanthropische Kongresse, soziologische Kongresse, hinreichend erläutert. Wir halten es daher für überflüssig, über diesen Punkt weitläufig zu werden. Wir schlagen allgemeine Volksbewaffnung und allgemeinen Unterricht im Waffengebrauch vor. Wir nehmen, als eine vorübergehende Notwendigkeit, kleine stehende Heere an, die als Schulen für Offiziere des bewaffneten Volkes dienen. Jeder waffenfähige Mann soll auf kurze Zeit in diesen Armeen dienen." Diese Resolution wurde einstimmig angenommen mit einem Zusatzantrag des Genfer Delegierten Heidt, in allen Sektionen der Internationale sollten Wehrabteilungen eingeführt werden . Dieser Zusatz war in den Militärmonarchien undurchführbar. Er entsprang einer lokalen Liebhaberei der deutschen Sektion der Internationale Genfs , die eine Wehrabteilung eingerichtet hatte . Das sahen die Antragsteller auch ein , sie fügten daher hinzu : ,,Wo der Polizeistaat Wehrabteilungen unmöglich mache, sollten wenigstens regelmäßige Turnübungen veranstaltet werden." Die Resolution machte dem Prinzip des stehenden Heeres eine

Engels über Miliz

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Konzession. Ohne ein stehendes Heer als Kern des Volksheeres erschien den Verfassern der Resolution die militärische Ausbildung des Soldaten zur Zeit nicht erreichbar. Diesen Gedanken verfocht besonders stark Friedrich Engels, im Gegensatz zu der allgemeinen Auffassung der Demokraten seiner Zeit. In seinem Büchlein über die „, Preußische Militärfrage" schrieb er 1865, ein Jahr vor dem Genfer Kongreß : „ Wir sind sogar der Meinung, daß ein Staat wie Preußen den größten Bock begehen würde sei an der Regierung welche Partei da wolle wenn er die augenblickliche Dienstzeit noch mehr (unter zwei Jahre, K.) verkürzte. Solange man die französische Armee auf der einen, die russische auf der andern Seite hat, und die Möglichkeit eines kombinierten Angriffs Beider zu gleicher Zeit , braucht man Truppen, die die ersten Elemente der Kriegsschule nicht erst vor dem Feind zu lernen haben. Wir nehmen da. her keinerlei Rücksicht auf die Phantasien von einem Milizheer mit sozusagen gar keiner Dienstzeit ; wie man sich die Sache vorstellt, ist sie heute für ein Land von 18 Millionen Einwohnern und sehr exponierten Grenzen (Preußen, K.) unmöglich und selbst für andere Verhältnisse nicht in dieser Weise möglich. “ (S. 21.) Also nicht unter allen Umständen lehnte Engels das Milizsystem ab, sondern für besondere Situationen, etwa ein Land mit ,,sehr exponierten Grenzen". Für jeden Fall aber lehnte er ein Milizsystem ,,mit sozusagen gar keiner Dienstzeit" ab. Die Resolution des Generalrats der Internationale von 1866 ist wohl von ihm inspiriert : Miliz mit einem „,kleinen , stehenden Heer als Schule für die Offiziere des bewaffneten Volkes". Also eine Miliz mit Kaders , die nicht stark genug waren , die Volksfreiheit zu gefährden, aber ausreichend, tüchtige Offiziere und Unteroffiziere zu schaffen und das Gesamtheer sofort bei Kriegsausbruch schlagfertig zu machen . Das Schweizer Milizsystem verwarf Engels, und noch entschiedener das amerikanische . Er schrieb darüber in einem Brief an Marx vom 16. Januar 1868. Veranlassung gaben ihm Vorschläge, die kurz vorher der französische Offizier Cluseret ( 1823-1900) gemacht hatte. Dieser war 1858 aus der Armee Napoleons ausgeschieden, um sich der Sache der Revolution anzuschließen. Er kämpfte 1860 unter Garibaldi in Süditalien und ging nach dem Ausbruch der Rebellion der Südstaaten der amerikanischen Union über das Weltmeer, um den Krieg gegen die Sklaverei mitzumachen. Er wurde dort General. Nach dem Sieg der Nordstaaten ( 1865) begab er sich zurück nach Europa, beteiligte sich an einer Verschwörung revolutionärer Irländer (Fenier) gegen England, wurde von der englischen Polizei verhaftet, floh aber und gelangte wieder in seine Heimat ( 1867) , wo er für revolutionäre Blätter arbeitete und auch seine Milizideen entwickelte. Später, unter der Pariser Kommune, sollte er vorübergehend ihr Kriegsminister werden. Seine Vorschläge zugunsten der Miliz waren also nicht die eines Laien. Trotzdem lehnte sie Engels energisch ab. Er schrieb : 12*

Brüßler Kongreß

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,,Der Cluseret ( der ja auch in London den Fenier gespielt hat ) ist mit seinem Milizplan noch toller als die Deutschen . Der amerikanische Krieg Miliz auf beiden Seiten beweist nichts, als daß das Milizsystem ganz unerhörte Opfer an Geld und Menschen kostet, weil eben die Organisation nur auf dem Papier besteht. Wie wäre es den Yankees gegangen, wenn sie statt der südlichen Milizen ein festes Heer von ein paar 100.000 Mann sich gegenüber gehabt hätten ? Ehe der Norden sich organisierte, wären diese in New York und Boston gewesen und hätten mit Hilfe der Demokraten den Frieden diktiert, wo dann der Westen hätte Sezession spielen können. Der Kerl ist gut , wenn er sagt, die Hauptsache seien gute Offiziere und das Vertrauen der Mannschaften in die Offiziere, was Beides beim Milizsystem ja gar nicht zu erschwingen ist ! Was den Leuten beim Milizwesen überall imponiert, ist die große Masse der Leute, die man auf Einmal bekommt, und die verhältnismäßige Leichtigkeit, die Leute auszubilden, besonders vor dem Feind. Das letztere ist aber nichts Neues, der alte Napoleon konnte auch 3- Monatsrekruten in Regimenter formiert vor den Feind führen ; dazu gehören aber gute Cadres und dazu eben wieder etwas Anderes als das schweizerisch-amerikanische Milizsystem. Die Yankees hatten am Ende des Kriegs noch sehr mangelhafte Cadres . Seit Einführung der Hinterlader ist es mit der puren Miliz erst recht am Ende . Womit nicht gesagt ist, daß nicht jede rationelle Militärorganisation irgendwie zwischen der preußischen und schweizerischen in der Mitte liegt wo ? das hängt von den jedesmaligen Umständen ab. Erst eine kommunistisch eingerichtete und erzogene Gesellschaft kann sich dem Milizsystem sehr nähern und auch da noch asymptotisch ( sich immer mehr nähernd, ohne es je völlig zu erreichen, K. ) ."

d) Der Brüßler Kongreß. Eine neue Note des Denkens der Internationale über die Kriegsfrage wurde hörbar auf dem Kongreß, den sie 1868 in Brüssel abhielt . Es war ihr erster Kongreß in einem monarchischen Lande - allerdings in einem, das sich ebenso liberal zeigte wie die britische Monarchie. Die Furcht vor dem drohenden Krieg zwischen Deutschland und Frankreich beschäftigte damals schon die Gemüter. So ist es nicht zu verwundern , daß auf die Tagesordnung des Kongresses die Frage kam : ,,Wie hat sich die Arbeiterklasse im Falle eines zwischen zwei oder mehr Großmächten ausgebrochenen Krieges und namentlich gegen dessen Urheber zu verhalten?" Die Antwort darauf gab eine Resolution , die einstimmige Annahme fand. In ihrem Eingang zählt die Resolution eine Reihe von Gründen auf, die den Krieg verwerflich machen , dann fährt sie fort : ,,In Erwägung, daß, wenn wirklich der Krieg zum vornehmsten Grund den Mangel eines ökonomischen Gleichgewichts hat und er demzufolge nur durch die soziale Reform beseitigt werden kann , doch ein weiterer Grund in der Willkür liegt, die aus der Zentralisation und dem Despotismus hervorgeht; daß also die Völker die Zahl der Kriege vermindern können, indem sie sich denjenigen widersetzen , die sie erklären und führen ; daß dieses Recht besonders den dem Militärdienst fast ausschließlich

Streik gegen Krieg

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unterworfenen arbeitenden Klassen zusteht und sie allein es begründen können ; daß es dazu ein wirksames, gesetzmäßiges und sofort durchführbares Mittel gibt; daß die Gesellschaft nicht zu existieren vermöchte, wenn die Produktion eine Zeitlang stillsteht ; daß es also genügt, um die Unternehmungen des persönlichen und despotischen Regiments unmöglich zu machen, wenn die arbeitende Bevölkerung die Arbeit einstellt ; erhebt der Kongreß mit aller ihm zustehenden Energie einen Protest gegen den Krieg. Er ersucht alle Sektionen der Association, sowie alle Arbeitergesellschaften und Verbindungen, welcher Art sie auch seien , in ihren Ländern mit Tatkraft darauf hinzuarbeiten, den Krieg zwischen Volk und Volk zu hindern, der nur als ein Bürgerkrieg, nur als ein Kampf zwischen Brüdern und Genossen betrachtet werden kann. Besonders empfiehlt der Kongreß den Arbeitern die Einstellung jeder Arbeit für den Fall, daß in ihren Ländern ein Krieg zum Ausbruch gelangen sollte. Indem der Kongreß auf den Geist der Solidarität unter den Arbeitern aller Länder zählt, hofft er, daß ihre Unterstützung nicht ausbleiben wird in diesem Streik der Völker gegen den Krieg." ( So veröffentlicht im Genfer „ Vorboten “, November 1868. ) Damals wurde zum ersten Male empfohlen, einen Krieg durch einen Streik der arbeitenden Massen unmöglich zu machen. Marx war von dieser Resolution keineswegs sehr erbaut , wie überhaupt nicht von dem Kongreß. Noch am 24. Februar 1868, also während der Tagung des Kongresses, schrieb Marx an Engels : ,, Man muß stets mit Angst einer Blamage entgegensehen , da die Belgier die enorme Majorität bilden." Von den 96 Delegierten waren 55 Belgier und 18 Franzosen , dagegen nur 5 Deutsche. Aus England kamen 11 , davon 6 Mitglieder des Generalrats. Die Belgier und Franzosen aber waren Proudhonisten. In ihnen sah er die Veranlasser der Resolution gegen den Krieg. Am 16. September 1868 beschwerte er sich in einem Brief an Engels über die Berichterstattung über den Kongreß durch Eccarius. Unter anderem wirft er ihm vor : , Dagegen legt er den Deutschen und den Engländern den belgischen Blödsinn unter, gegen den Krieg zu streiken. “ Deutlicher kann man sich wohl nicht ausdrücken. So unsinnig erschien Marx der Vorschlag, daß er es für überflüssig hielt, auch nur ein weiteres Wort darüber zu verlieren . Doch tat Marx den Belgiern unrecht, durch die liederliche Berichterstattung von Eccarius irregeführt, die er selbst rügt. Rjasonov hat schon 1915 darauf hingewiesen in einem Artikel über „ Die Kriegsfrage auf dem Brüßler Kongreß “. ( „ Neue Zeit “, XXXIII, 2 , S. 509 ff.) Er zeigte, daß die proudhonistischen Reden auf dem Kongreß und auch eine dort von den Proudhonisten vorgeschlagene Resolution, ganz im Sinne ihres Meisters, nur auf die Kraft der öffentlichen Meinung als eines Mittels zur Verhütung eines Kriegs verwie-

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Verhandlungen über Krieg

sen hätten. Und in der Tat, wenn man diese Macht nicht hinter sich hat, ist es ganz aussichtslos, einen Krieg verhüten zu wollen. Nicht die Proudhonisten brachten die Idee, den Krieg durch einen Streik zu verhindern, aufs Tapet, sondern die deutsche Emigration in der Schweiz, geführt von Jean Philipp Becker, einem prächtigen Kämpfer, aber nicht immer sehr klarem Kopf. Der Generalrat der Internationale hatte sich mit der Kriegsfrage vor dem Kongreß nicht beschäftigt. Ganz unerwartet wurde sie in Brüssel auf die Tagesordnung gesetzt. Im Namen der deutschen Sektionen der Internationale in der Schweiz legte Becker, der alte Freischärler, eine von ihm selbst verfaßte Resolution vor, die jeden Versuch eines Krieges im Keime ersticken wollte. Dort hieß es nach einer Darlegung der Verderblichkeit von Kriegen : ,,Der Kongreß beschließt : 1. durch alle konstitutionellen Organe der Internationalen Arbeiterassociation dahin zu wirken, daß die Arbeiter jedes Landes sich nicht nur laut und entschieden gegen jeden Völkerkrieg aussprechen, sondern mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln gemeinsam gegen ihn einschreiten, den Dienst zu Menschenmord und Güterzerstörung, wie alle Arbeit zur Versorgung von Kriegsheeren verweigern. 2. Die Herausgabe von Flugschriften zu veranstalten, um besonders jedem Arbeiter, der in eine stehende Armee eintreten muß, seine Menschenpflichten klarzumachen und ihm für den Kriegsfall in offizieller Weise bestimmte Verhaltungsmaßregeln vorzuschreiben. “ Diese Resolution forderte also nicht bloß den Zivilstreik, sondern auch den Militärstreik. Die Urheber der Resolution, die in der Schweiz saßen, erwogen nicht, welche Folgen deren Annahme für die Internationalisten, ja für alle Arbeiterorganisationen in den Militärmonarchien , in Frankreich, Preußen, Österreich, schon im Frieden nach sich ziehen konnte . Aber ganz abgesehen davon : war die Propagierung und Vorbereitung eines Militärstreiks in einer solchen Monarchie überhaupt möglich ? Die Beckersche Resolution stieß bei den Proudhonisten auf starken Widerspruch. Sie brachten im Gegensatz zu ihr jene zahme Resolution ein, von der wir schon gesprochen haben. Schließlich wurden beide Vorschläge , der zahme und der wilde, einer Kommission überwiesen , die einen Text fertigbrachte, der dem Beckerschen Entwurf seine gefährlichsten Giftzähne auszog, aber doch weiterging als der proudhonistische , der nur die Kraft der öffentlichen Meinung gegen den Krieg mobil machen wollte. Man glaubte, die mittlere Linie in der Weise gefunden zu haben, daß man auf den Militärstreik verzichtete, dagegen den Zivilstreik empfahl, der doch eine gesetzlich erlaubte Sache sei. Der Berichterstatter des ,,Demokratischen Wochenblattes", das Liebknecht in Leipzig herausgab, berichtete in der Nr. 38 vom 19. September 1868 über die Kongreßverhandlungen in der Kriegsfrage : ,,Man wollte nicht eine bloße Erklärung abgeben, aber auch nichts

Wirksamkeit des Streiks

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Unausführbares beschließen, wie z. B. die Verweigerung des Militärdienstes. Der Streik, hieß es, ist selbst in Frankreich nicht ungesetzlich und alle Welt kann sich dabei beteiligen. Es ist der passive Widerstand des Proletariats." Streng genommen lag die Empfehlung des Streiks nicht im Sinne Proudhons . Dieser wollte von Streiks nichts wissen. Doch nach seinem Tode dachten seine Anhänger anders. Ganz in seinem Sinn ist in der Kongreßresolution bloß der Hinweis darauf, daß die Kriege aus dem ,,Mangel an ökonomischem Gleichgewicht" hervorgehen, also nur durch eine Umwandlung der Gesellschaft beseitigt werden können . Dazu scheint schlecht die darauf folgende Erklärung zu stimmen, daß die Arbeiter doch über ein Mittel verfügen , das ,, sofort durchführbar" ist und dessen Anwendung ,,genügt, um die Unternehmungen des persönlichen und despotischen Regiments unmöglich zu machen“ ; dies Mittel sei die Arbeitseinstellung. Das war, wie schon gesagt , nicht im Sinne Proudhons gedacht. Aber es war im Sinne vieler Proudhonisten, die durch ihre Teilnahme an der Arbeiterbewegung in den letzten Jahren vor dem Brüsseler Kongreß praktisch dazu gezwungen wurden, aus ihren Unterstützungskassen Widerstandskassen zu machen, und die immer öfter Konflikte von Arbeitern mit Unternehmern auszufechten bekamen, bei denen sie in der damaligen Situation den überraschten Kapitalisten gegenüber oft Sieger blieben . Das veranlaßte die Proudhonisten jetzt mit aller Macht für Gewerkschaften und Streiks einzutreten, trotz der Verurteilung, die ihr Meister ausgesprochen hatte. Mit Befriedigung konstatiert Marx in dem eben zitierten Brief vom 12. September 1868 : „ Ein großer Fortschritt ist es, daß die proudhonistischen ,wackeren (braves) Belgier' und Franzosen, die zu Genf ( 1866) und Lausanne ( 1867) dogmatisch gegen Gewerkschaften etc. deklamierten, jetzt am fanatischsten dafür sind." Sicher ein großer Fortschritt , der aber auch eine ernsthafte Gefahr bedeutete . Denn die plötzliche Wandlung beruhte nicht auf einer tieferen Erforschung der ökonomischen Zusammenhänge, sondern auf einigen Augenblickserfahrungen , die zu sehr generalisiert und übertrieben wurden. Statt nicht bloß die Bedeutung, sondern auch die Grenzen der Leistungsfähigkeit von Gewerkschaften und Streiks zu erkennen und von ihnen nur das zu erwarten, was sie tatsächlich erreichen konnten, verstieg man sich zu maßlosen Illusionen über Gewerkschaften und Streiks . Wir haben gesehen, wie die Brüßler Resolution erklärte : ,,Es genügt, um die Unternehmungen des persönlichen und despotischen Regiments unmöglich zu machen, wenn die arbeitende Bevölkerung die Arbeit einstellt." Damit wurden die Grundlagen zur Denkweise des Syndikalismus, der direkten Aktion , gelegt, zur Umwandlung des Proudho-

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Wirksamkeit des Streiks

nismus aus einer friedlichen in eine rebellische antiparlamentarische Bewegung. Die Illusionen dieser Denkweise beruhen auf dem Satz, den wir schon in der Resolution von 1868 finden : „ Die Gesellschaft vermag nicht zu existieren, wenn die Produktion eine Zeitlang stille steht." Dieser Satz ist unleugbar richtig, doch die Syndikalisten, die ihn anwenden, gehen von der sonderbaren Anschauung aus, daß die Arbeiter außerhalb der Gesellschaft leben . Diese besteht demnach nur aus Kapitalisten und die werden ausgehungert, wenn die Arbeit stillsteht. Leider liegen die Dinge ganz anders. Die Arbeiter gehören ebenso wie die Kapitalisten zur Gesellschaft. Wird diese ausgehungert, so trifft das die Arbeiter ebensogut wie die Kapitalisten , ja noch eher, da ja die Arbeiter von der Hand in den Mund leben, über keine Vorräte verfügen und kein Geld haben , um Lebensmittel zu kaufen, deren Preise bei einem Ausbleiben der Zufuhr rasch steigen. Bei Streiks haben bisher stets nur die Arbeiter gehungert , nicht die Kapitalisten. Man könnte auch sagen : bei einem Streik handelt es sich darum, welcher Hunger stärker ist, der Lebensmittelhunger der Arbeiter oder der Hunger der Kapitalisten nach Augenblicksprofiten. Sehr oft ist jener stärker, als dieser, und dann unterliegen die Arbeiter. Der Streik ist nicht eine unter allen Umständen unwiderstehliche Waffe . Nur unter bestimmten Bedingungen führt er zum Sieg. In seinem Buch über die ,, Lage der arbeitenden Klasse in England" sprach Engels 1845 von den Koalitionen , den Verbindungen von Arbeitern zur Arbeitseinstellung und kam zu dem Schlusse : ,,Die Geschichte dieser Verbindungen ist eine lange Reihe von Niederlagen der Arbeiter, unterbrochen von wenigen einzelnen Siegen. “ Das galt damals, das gilt heute nicht mehr, wenigstens nicht dort, wo die Arbeiter in dauernden Verbindungen , Gewerkschaften , vereinigt sind, deren Lenker die Kriegführung mit dem Kapital auf Grund langer Erfahrungen genau studiert haben und daher in der Regel sehr gut wissen, wann die Bedingungen für einen Streik günstig sind, wann nicht. Die bürgerliche Phantasie liebt es, die Gewerkschaftsführer als bloße ,,Hetzer" hinzustellen . Unzufriedenen Arbeitern erscheinen sie dagegen leicht als bloße ,,Bremser". Sie sind weder das eine noch das andere. Sie stellen sich die Aufgabe, die Arbeiter zu Siegen zu führen . Dazu gehört aber auch die Aufgabe, sie von solchen Kämpfen abzuhalten , die nur in einer Niederlage enden können . Noch größer, als für den rein ökonomischen Streik einzelner Betriebe, sind die Schwierigkeiten , denen ein politischer Streik begegnet. Und noch verderblicher die Folgen, wenn er mißlingt . Doch daran dachte man nicht. Man stellte sich vielmehr die Sache recht harmlos und einfach vor. Man hielt sie für klargelegt,

Die Brüßler Resolution

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wenn man konstatierte, daß der Streik gesetzlich erlaubt sei , daß daher jedermann sich an einem solchen beteiligen könne ( nicht werde) . Genau ist nicht mehr festzustellen, was an dem Ergebnis der Kommission, die über die beiden Resolutionen beriet, auf den Anteil der deutschen Emigration in der Schweiz, was auf proudhonistische Einwirkungen zurückzuführen ist. Über die Verhandlungen der Kommission ist kein Bericht erhalten. Die Kompromiẞresolution wurde von Charles Longuet in der letzten Sitzung des Kongresses vorgelegt und ohne Diskussion angenommen . Auf jeden Fall war es falsch, wenn Marx, durch die Eccariussche Berichterstattung veranlaßt, die Resolution als „,belgischen Blödsinn" verurteilte . Wenn man das harte Wort Blödsinn wiederholen will, enthielt sie ebensoviel deutsch- schweizerischen Emigranten-,,Blödsinn “ wie echt proudhonistischen und syndikalistischen. Vielleicht waren auch blanquistische Einflüsse an ihrer Abfassung beteiligt. Am 25. September 1868 schreibt Marx an Engels : ,,Blanqui war während des Brüßler Kongresses fortwährend zugegen." In der Öffentlichkeit wurde die Resolution von sozialistischer Seite kaum angegriffen. Ihre schärfste Kritik erhielt sie durch die Logik der Tatsachen. Im entscheidenden Moment blieb sie ein toter Buchstabe. Als es zwei Jahre nach dem Brüßler Kongreß tatsächlich zu dem so viel gefürchteten Krieg zwischen Frankreich und Deutschland kam , dachte niemand daran , daß die Arbeiter nichts andres zu tun hätten, als ihre Arme über die Brust zu kreuzen, um dieses ,,Unternehmen des Despotismus“ zu vereiteln. Es sollte mehr als zwei Jahrzehnte dauern, bis diese Idee wieder ans Tageslicht kam und internationale Sozialistenkongresse beschäftigte. Inzwischen hatten sich die Verhältnisse gründlich geändert. Doch ist auch seitdem bis heute kein Krieg durch einen Streik verhindert worden.

6. Der deutsch-französische Krieg. a) Krieg dem Kriege. Seit 1866 rechnete alle Welt mit einem Krieg zwischen Frankreich und Preußen. Und doch kam er völlig überraschend, als er wirklich ausbrach, in einem Moment, wo der Friede mehr gesichert schien, als seit Jahren . Urplötzlich tauchte die Kandidatur des Hohenzollernprinzen Leopold für den spanischen Thron auf. Sie sollte geheimgehalten werden , wurde aber am 3. Juli 1870 in Paris bekannt und dort als ein feindseliger Akt aufgefaßt, was am 6. Juli der französische Minister des Äußern Herzog von Gramont auch öffentlich in der Kammer erklärte. Von da an überstürzten sich die Er-

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Plötzlicher Ausbruch des Kriegs 1870

eignisse, am 13. Juli kam es zur Emser Depesche des Königs Wilhelm an Bismarck, die von diesem vor ihrer Veröffentlichung derart redigiert wurde, daß Paris sie als tödliche Beleidigung empfand . Napoleon fürchtete das Schlimmste für sein Regime , wenn er nicht den Schimpf mit einer Kriegserklärung beantwortete. Auf diese reagierte die ganze deutsche Nation mit einem Aufschrei wildester Entrüstung, wußte man doch , daß Napoleon die Einigung der Deutschen nicht gern sah und fürchtete man von ihm , er strebe nach dem deutschen Rheinland. Der Leipziger ,,Volksstaat", redigiert von Wilhelm Liebknecht , schrieb in seiner Nummer vom 13. Juli : ,,Vor acht Tagen war kein Wölkchen am politischen Horizont zu entdecken und wer gesagt hätte : ehe die Sonne dreimal niedergeht, stehen wir auf der Schwelle eines europäischen Krieges, wäre für einen Tollhäusler gehalten worden." ,,Und heute?" So überraschend wurde die Kriegsfrage gestellt, daß nicht einmal in den politischen Zentren die arbeitenden Massen die Möglichkeit hatten, sich zu besinnen , geschweige denn an Mittel zur Verhütung des Krieges zu denken . Niemand sprach auch nur von der Möglichkeit eines Streiks gegen den Krieg. Es war schon sehr viel , daß es zu lebhaften Protestbewegungen gegen den Krieg kam, sowohl diesseits wie jenseits des Rheins . Die Franzosen machten den Anfang mit einer Erklärung, von der wir noch eingehender handeln werden. Begeistert antworteten im gleichen Sinn die Sozialdemokraten Deutschlands, vor allem jene, die sich der Internationale angeschlossen hatten . Besonders pathetisch sprachen sich die Berliner Internationalisten aus in einem Aufruf an die Arbeiter Frankreichs : ,,Auch wir wollen Frieden, Arbeit und Freiheit ! Darum schließen wir uns aus ganzem Herzen Eurem Proteste an, getrieben von hoher Begeisterung gegen alle Hemmnisse, die man unserer friedlichen Entwicklung in den Weg legt und hauptsächlich gegen den brutalen Krieg ... feierlich versprechen wir Euch, daß weder Trommellärm noch Kanonendonner, weder Sieg noch Niederlage uns abwendig machen sollen von dem Wirken für die Vereinigung der Proletarier aller Länder !" ,,Auch wir erkennen keine Grenzen mehr an , weil wir wissen, daß an beiden Ufern des Rheines , daß im alten Europa wie im jungen Amerika unsere Brüder leben, mit denen wir bereit sind , in Kampf und Tod zu gehen für die Erreichung unseres großen Ziels : die soziale Republik.“ Die Sozialdemokraten Deutschlands waren einig in ihrem Protest gegen den Krieg. Und doch sollte in ihren Reihen bald ein arger Zwist ausbrechen , wegen der Haltung, die sie im Krieg einzunehmen hätten. Das Mittel des Kriegs wurde von ihnen allen verurteilt, aber nicht in der Weise , wie es ehedem die unter allen Umständen friedlichen Elemente der Sozialisten der Reformationszeit und aus ihnen hervorgehend die Quäker getan hatten. Das religiöse Denken glaubt stets, im Besitze ewiger, absoluter Wahrheiten zu sein. Es stellt auch für das Handeln der Menschen gern absolute Grundsätze auf, die unter keinen Umständen verlassen werden dürfen .

Bedingter Pazifismus

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Ganz anders das moderne Denken , wenigstens soweit es nicht idealistischer Art ist (die nur eine Modernisierung des religiösen Denkens darstellt) , sondern dialektisch materialistischer Art . Für uns ist jede Erkenntnis nur relativ und damit auch jeder Grundsatz unseres Handelns . Das bedeutet nicht Grundsatzlosigkeit, sondern nur die Notwendigkeit, unsere Grundsätze, die wir aus der Beobachtung der Wirklichkeit schöpfen, an ihr immer wieder zu prüfen, sobald unsere Erkenntnis der Wirklichkeit durch neue Erfahrungen umgestaltet wird. Das gilt auch von unserer Haltung zum Krieg. Es gibt Pazifisten, die es grundsätzlich ablehnen , der Gewalt Gewalt entgegenzusetzen. Ihr Denken ist auch heute noch im wesentlichen religiöser Natur. Sie sind Nachfahren des Urchristentums oder des Buddhismus. Wir würden in denselben Fehler verfallen wie sie, nur von der entgegengesetzten Richtung her, wenn wir jegliche Gewaltanwendung unter allen Umständen verwerfen würden. Die gewaltlose Abwehr der Gewalt kann unter Umständen große Wirkungen erzielen und viel mehr am Platz sein, als der Appell an die Waffen , namentlich dort, wo Unbewaffnete in einer ungeheuren Überzahl geschlossen einer winzigen Minderheit Bewaffneter gegenüberstehen und in der Lage sind , diese durch passive Resistenz lahmzulegen. Darauf beruht auch die Wirkung des politischen Massenstreiks gegenüber einer Regierung, die in der Bevölkerung keinen Halt mehr hat. Aber ganz anders steht die Sache dort, wo zwei an Zahl und Machtmitteln ungefähr gleich starke Volksmassen einander gegenüberstehen. Will da die eine Masse die andere mit bewaffneter Hand vergewaltigen, dann kann der grundsätzliche Verzicht auf jegliche gewaltsame Abwehr die Freiheit und den Wohlstand des vergewaltigten Teils schwer schädigen. Die Sozialdemokratie als die energischeste Verfechterin der Freiheit und des Wohlstands der Massen aller Nationen kann daher eine Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit unter allen Umständen, zu widerstandsloser Unterwerfung unter jeden Angriff einer bewaffneten Macht , sei es einer eigenen oder einer fremden Regierung, nicht anerkennen . Wo die bewaffnete Abwehr eines Unterdrückers oder Eroberers Erfolg verspricht, kann sie vom Standpunkt der Sozialdemokratie nicht nur erlaubt , sondern geboten sein. Das war 1870 ebenso die einstimmige Ansicht der Internationale, wie ihr Protest gegen den Krieg. Sie hätte ihn natürlich verhindert, wenn sie es vermocht hätte. Da sie viel zu schwach dazu war, so erstand für sie nun die andere Frage : wer hat den Krieg verschuldet , wer ist der Angreifer ? Diese Frage spielte in den vorhergehenden Kriegen keine große Rolle für die Sozialisten . Bei dem Konflikt zwischen dem Zaren und Napoleon 1854 , dann zwischen diesem und Franz Josef 1859 , endlich bei dem zwischen Habsburg und Hohenzollern 1866 konnte

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Kriegsschuldfrage in Deutschland

es für die Sozialdemokratie ziemlich gleichgültig sein, wer der Angreifer war. Da kam nur ein Gesichtspunkt in Betracht : wessen Sieg für die Sache der Demokratie die meisten Vorteile versprach. Nur darüber wurde zwischen den Sozialisten diskutiert. Ganz anders standen die Dinge 1870. War der Krieg nunmehr ein Krieg bloß zwischen dem Kaiser von Frankreich und dem König von Preußen ? Oder war er ein Krieg des französischen Despoten gegen das deutsche Volk, um diesem, wie es meinte, einen Teil seines Bodens zu rauben und seine Zerstücklung zu verewigen ? War es ein Krieg zweier Dynastien um dynastischer Vorteile willen oder der Krieg eines Eroberers zur Vergewaltigung eines friedlichen Volkes ? War er von französischer Seite ein Angriffskrieg, von deutscher ein Abwehrkrieg, in dem das ganze Volk zusammenstehen mußte ? Das wurde jetzt die große Frage.

b) Gegensätze innerhalb der deutschen Sozialdemokratie. Als die Kriegsgefahr auftauchte, vertrat Liebknecht im ,,Volksstaat" die Meinung, Napoleon sei der Kriegstreiber. Er brauche und wolle den Krieg . So dachte im Juli 1870 nicht bloß Liebknecht, sondern fast die ganze Welt, auch fast die gesamte Sozialdemokratie . Doch gab es damals schon einige, die anderer Meinung waren, unter ihnen eine so bedeutende Persönlichkeit wie Bebel. Er berichtet selbst darüber im 2. Bande seines Buchs ,, Aus meinem Leben“, S. 176 ff. Bebel kam zu der Überzeugung, Bismarck sei derjenige, der auf den Krieg hinarbeitete. Er habe Napoleon eine Falle gestellt, und der sei hineingetappt. Die beiden, Liebknecht und Bebel, hatten darüber heftige Auseinandersetzungen . Es wurde später eine Ironie der Weltgeschichte , daß Liebknecht derjenige werden sollte, der die Fälschung der Emser Depesche herausfand und verkündete. Damit gab er eine der wirksamsten Begründungen der Anschauung, die er eine Zeitlang selbst, im Gegensatz zu Bebel , so energisch bekämpft hatte . Allerdings hatte er sich von Bebel bald insoweit überzeugen lassen, daß er zugab , beide Teile , Bismarck wie Napoleon, seien am Krieg schuld, dieser werde hüben wie drüben nur im dynastischen Interesse geführt . Sobald er diese Überzeugung gewonnen, wollte Liebknecht gegen Bismarck als Schuldigen sogar noch weitergehen als Bebel. Am 19. Juli hatte Napoleon den Krieg erklärt . Für den gleichen Tag war der Norddeutsche Reichstag zusammenberufen worden . Die Regierung des Bundes forderte von ihm die Bewilligung einer Kriegsanleihe. Liebknecht war dafür, die Forderung glatt abzulehnen. Doch machte ihn Bebel darauf aufmerksam, daß man diese Ablehnung nicht bloß als ein Votum gegen Bismarck und König

Liebknecht - Bebel 21. Juli 1870

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Wilhelm , sondern auch als eines zu Gunsten Napoleons auffassen könnte. Dieser Möglichkeit dürfe sich die Sozialdemokratie auf keinen Fall aussetzen . Liebknecht ließ sich auch in diesem Falle überzeugen. Er und Bebel enthielten sich am 21. Juli der Abstimmung über die Kriegskredite, mit folgender Motivierung : ,,Der gegenwärtige Krieg ist ein dynastischer Krieg, unternommen im Interesse der Dynastie Bonaparte, wie der Krieg von 1866 im Interesse der Dynastie Hohenzollern. Die zur Führung des Krieges dem Reichstag abverlangten Geldmittel können wir nicht bewilligen, weil dies ein Vertrauensvotum für die preußische Regierung wäre, die durch ihr Vorgehen im Jahre 1866 den gegenwärtigen Krieg vorbereitet hat. Ebensowenig können wir die geforderten Geldmittel verweigern, denn es könnte dies als eine Billigung der frevelhaften und verbrecherischen Politik Bonapartes aufgefaßt werden. Als prinzipielle Gegner jedes dynastischen Krieges, als Sozialrepublikaner und Mitglieder der Internationalen Arbeiter-Association, die ohne Unterschied der Nationalität alle Unterdrücker bekämpft, alle Unterdrückten zu einem großen Bruderbund zu vereinigen sucht, können wir uns weder direkt noch indirekt für den gegenwärtigen Krieg erklären und enthalten uns daher der Abstimmung, indem wir die zuversichtliche Hoffnung aussprechen, daß die Völker Europas, durch die jetzigen unheilvollen Ereignisse belehrt, alles aufbieten werden, um sich ihr Selbstbestimmungsrecht zu erobern und die heutige Säbel- und Klassenherrschaft, die Ursache aller staatlichen und gesellschaftlichen Übel, zu beseitigen." Diese Erklärung ist bekannt. Trotzdem gebe ich sie hier vollständig wieder wegen der ungeheueren historischen Bedeutung, die sie erlangt hat. Von ihr an kann man die führende Rolle in der internationalen Arbeiterbewegung datieren , die der deutschen Sozialdemokratie seit dem Kriege von 1870 bis zum Weltkrieg zufiel. Im Moment der Abgabe der Erklärung Bebels und Liebknechts fand sie jedoch keineswegs den einmütigen Beifall der Parteigenossen. Viele von ihnen wendeten sich in heftigste Weise gegen die Abstimmung und ihre Begründung . Nicht nur die Lassalleaner äußerten sich in diesem Sinne, sondern auch viele der engeren Genossen unserer beiden Vorkämpfer, die Mehrheit der Eisenacher. Der großen Mehrheit der deutschen Arbeiter erschien eben der Krieg als ein frevelhafter Angriffskrieg Napoleons . Sie meinten, nur auf französischer Seite sei der Krieg ein dynastischer, zur Stützung des wankenden Throns unternommen. Er richte sich nicht bloß gegen den König von Preußen, sondern gegen das deutsche Volk, gegen seine Unversehrtheit , seine Einheit, seine Selbstbestimmung. Wenn man den Krieg so auffaßte, widersprach es weder den Grundsätzen der Demokratie, noch denen der internationalen Solidarität der Völker, wenn sich alle Elemente des deutschen Volkes zur Abwehr der versuchten Vergewaltigung zusammentaten. Die Mehrheit der Parteigenossen stellte sich auf diesen Standpunkt. Er wurde auch eingenommen vom Parteivorstand ( Parteiausschuß) in Braunschweig.

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Parteivorstand für Abwehrkrieg

Schon für den 16. Juli berief dieser eine Volksversammlung ein, der er folgende Erklärung vorlegte : ,,Die Versammlung erklärt, daß sie Gegnerin aller Kriege, ganz insbesondere der dynastischen Kriege ist . Deshalb haben die Pariser Arbeiter, die sich so energisch gegen den jetzt angezettelten Krieg ausgesprochen, ihre volle Sympathie und hofft die Versammlung, daß die Pariser Arbeiter ihre Gesinnung mit der nötigen Energie bekräftigen und so Europa noch in zwölfter Stunde vor dem unglückseligsten aller Kriege bewahren werden. Die Versammlung würde, sobald die Provokation von Deutschen gegen Frankreich oder jede andere Nation ausgegangen wäre, gegen die deutschen Friedensstörer in gleichem Sinne gesprochen und gehandelt haben . Die Versammlung erklärt ferner, daß sie keinen Haß hegt gegen die französische Nation und daß sie es lebhaft bedauern würde, wenn dieser Krieg einen gegenseitigen Haß entflammte. Sie kann jedoch nicht umhin, auf einen gewichtigen Unterschied in der augenblicklichen Lage des französischen und des deutschen Volkes hinzuweisen. Napoleon und die Majorität der sogenannten Vertreter des französischen Volkes sind die frivolen Friedensbrecher und Ruhestörer Europas ; ihnen entgegenzutreten, ist die erste Pflicht. Die deutsche Nation dagegen ist die beschimpfte, die angegriffene. Daher muß, wenn auch mit Bedauern, die Versammlung den Verteidigungskrieg als notwendiges Übel anerkennen, fordert jedoch das gesamte Volk auf, mit allen Mitteln dahin zu wirken, daß die Wiederkehr eines solchen sozialen Übels für alle Zeiten dadurch unmöglich gemacht werde, daß dem Volk selbst die Entscheidung über Krieg und Frieden, wie überhaupt die vollste Selbstbestimmung wird. Und so möge es der französischen Nation gelingen, sich in einer großen Tat des Tyrannen und seiner Helfershelfer zu entledigen. Und möge auch für die deutsche Nation bald der Augenblick kommen, wo sie im wahren Volksstaat freiheitlich geeinigt, den Bruderbund mit der französischen besiegeln kann." Ich gebe auch diese Erklärung vollständig wieder, damit der Leser selbst beurteilen kann , ob die Vorwürfe nationalistischer Gesinnung berechtigt sind, die man wegen seiner damaligen Haltung gegen den Parteivorstand erhob. In der Versammlung vom 16. Juli sprach unter anderem der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Fritzsche. Er wies darauf hin, daß er bisher gegen jede Heeresforderung gestimmt habe, jetzt aber werde er die Kredite ,,zur Führung des Verteidigungskriegs gegen Napoleon" bewilligen, was er am 21. auch tat, im Gegensatz zu Bebel und Liebknecht. Doch der Satz der Resolution, in dem der deutsche ,,Verteidigungskrieg als notwendiges Übel anerkannt" wird, fand in der Versammlung auch Widerspruch . Ein Genosse Lüdecke äußerte sein gesundes Mißtrauen gegen die ,,geheimen Beziehungen und diplomatischen Kniffe " überhaupt und gegen die preußische Regierung insbesondere und meinte, es sei noch nicht klar, daß der Krieg für die Deutschen ein Verteidigungskrieg sei. Die Differenz entsprang also aus einer verschiedenen Auffassung der Situation, nicht aus einer Verschiedenheit der Grundsätze. Daß man in einem Verteidigungskrieg politisch die Regierung des eigenen Landes stützen müsse , solange sie ihre Schuldigkeit tue, bezweifelte niemand . Nur darüber stritt man, ob ein Ver-

Parteidifferenzen wegen Krieg

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teidigungskrieg vorliege oder ob nicht die preußische Regierung zum mindesten mitgeholfen habe , den Krieg zu entfesseln. Der erste Absatz der Erklärung wurde einstimmig, der zweite mit dem von Lüdecke beanstandeten Satz gegen wenige Stimmen angenommen. Neben den in der Braunschweiger Erklärung dargelegten Erwägungen gab es noch ein Moment, das für die Haltung des Parteivorstands bestimmend war : die Stimmung in den arbeitenden Massen. Sie waren entflammt für das, was ihnen als die Sache der Nation, ihrer Selbständigkeit und Einheit erschien. Darüber schrieb Bracke, eines der Mitglieder des Braunschweiger Parteiausschusses, an Geib, den Vorsitzenden der Kontrollkommission in Hamburg am 29. Juli 1870 : „ Ich dächte, wenn unsere Partei Einfluß behalten und gewinnen will, hätte sie sich niemals in den Schmollwinkel zurückzuziehen , sondern stets jede Tagesfrage in ihrem Sinne zu behandeln und in die Hand zu nehmen. Kein Augenblick war günstiger, als der jetzige. Mit unserer ganzen Eigentümlichkeit ( ? K. ) die nationale Seite des Krieges aufgegriffen, hätte uns die Herzen erobert, die Herzen des Volkes. Bebel und Liebknecht haben sie uns entfremdet. Fährt Liebknecht in dieser Weise fort, so haben wir am Ende des Krieges noch ein Dutzend eingefleischter Sozialrepublikaner und eine Anzahl Sachsen, die ihres Partikularismus wegen die internationale, fern liegende Idee weit lieber haben als die naheliegende, ihnen aber von 1866 her ihres schwarz-weißen Gewandes wegen widerlich gewordene nationale." ( Abgedruckt in Brackes ,, Der Braunschweiger Ausschuß ... vor dem Gericht." Braunschweig 1872. S. 5.) Welche Erwartungen bei den Braunschweiger leitenden Genossen vor allem andern entscheidend waren, darüber schreibt Bracke in seiner eben zitierten Schrift aus dem Jahr 1872 : ,,Bei Ausbruch des Krieges hatten wir nur zwei Gesichtspunkte im Auge : 1. daß die französische Demokratie freieren Spielraum bekommen müßte, wenn der Krieg, von deutscher Seite mit aller Energie geführt, zum Sturze des französischen Kaiserthrones führte ; 2. daß bei dem ungeheuren Aufschwung, den der nationale Gedanke in Deutschland bei Gelegenheit dieses Krieges nehmen müßte, eine Einigung Deutschlands, vielleicht unter Mitwirkung des Volkes und unter dem Einflusse der sozialdemokratischen Arbeiter zustande kommen und danach die „ nationale Frage" nicht mehr störend und hemmend auf die große freiheitliche, sozialdemokratische Bewegung einwirken würde. Von diesem Gedanken erfüllt , hielten wir die Erklärung unserer Parteifreunde ( Bebel und Liebknecht, K. ) für einen Fehler, und dies umsomehr, als die nationale Bewegung eine außerordentliche Kraft und Tiefe entfaltete und wir Grund hatten, zu fürchten, die sozialdemokratische Bewegung könne, wenn sie sich der nationalen entgegenstemmte, vorübergehend von derselben verschlungen werden . “ ( „ Der Braunschweiger Ausschuß ", S. 2.) In gleichem Sinne war der Aufruf an die Parteigenossen gefaßt, den der Ausschuß am 24. Juli fertigstellte und im „ Volksstaat" vom 30. Juli veröffentlichte . Es hieß darin unter anderem : ,,Haben sich die Deutschen bei der augenblicklichen gemeinsamen Gefahr wie Ein Mann zusammengeschaart, so wird der gemeinsame Kampf das Band fester und fester schließen und vielleicht ersteht aus den großen Wirren von heute zu unser Aller Freude in nächster Zukunft der deutsche Staat."

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Parteidifferenzen wegen Krieg

,,Unsere Aufgabe ist es, bei der Geburt dieses, so hoffen wir, gan z Deutschland umfassenden Staates bestimmend mitzuwirken, damit, wenn es möglich ist, nicht der dynastische Staat, sondern der sozialdemokratische Volksstaat ins Dasein tritt ; unsere Aufgabe ist es - mag der gewordene Staat bei der Geburt noch dynastische Färbung tragen, ihm in ernstem, schwerem Kampfe den Stempel unserer Ideen aufzudrücken." ( Die Unterstreichungen finden sich bereits im Original, K. ) Der Parteivorstand hatte sicher recht, wenn er die Erwartung aussprach, aus den ,,großen Wirren" werde ein deutsches Reich hervorgehen. Doch täuschte er sich, wenn er es für möglich hielt, aus einem Krieg, den die preußische Militärmonarchie siegreich führe, könne ein Reich hervorgehen, das ganz Deutschland umfasse" oder gar ein ,,sozialdemokratischer Volksstaat". Der Aufruf des Parteiausschusses stand in vollem Gegensatz zu der Haltung Bebels und Liebknechts. Der Ausschuß erklärte auch am Schlusse : ,,Ist die Partei mit uns nicht einverstanden, so bitten wir, mit derselben Entschiedenheit gegen uns vorzugehn, mit welcher wir diesem unserem Leitstern folgen werden." In einem Kriege, der die ganze Bevölkerung fieberhaft erregt, werden Meinungsverschiedenheiten, die praktische Konsequenzen nach sich ziehen, mit äußerster Erbitterung ausgekämpft . Das galt auch von dem Zwiespalt zwischen Bebel und Liebknecht auf der einen Seite und dem Parteivorstand auf der andern. Überall wurden Versammlungen von Parteigenossen zur Kriegsfrage abgehalten, die sich teils in dem einen, teils in dem andern Sinne aussprachen . Eine tiefe Zerklüftung ging durch die Partei . Am 26. Juli schrieb Liebknecht an Bracke : ,,Ich nehme Euch Euren patriotischen Eifer nicht allzu übel. Aber seid auch Eurerseits tolerant. Wenn Ihr mit Bebels und meinem Verhalten im Reichstag nicht einverstanden seid, so muß dieser Zwist jetzt um jeden Preis beigelegt oder doch ein offener Ausbruch vermieden werden. Es darf in einem Moment, wie dem jetzigen, in der Partei nichts vorkommen, was wie Uneinigkeit aussähe und ich beschwöre Euch, alles zu unterlassen, was die Differenzen verschärfen könnte. " ( Abgedruckt im „ Leipziger Hochverratsprozeß ", Berlin 1894. S. 197. ) Das war sicher gut gemeint, aber leider nicht durchführbar. In einem Kriege , wo es um Tod und Leben des Volkes selbst geht, kann kein Politiker, am allerwenigsten ein demokratischer, zurückhaltendes Schweigen beobachten . Er muß laut seine Überzeugung bekennen, auch wenn sie nicht die seiner Freunde ist. Die Gegensätze wurden immer schärfer. Am 29. Juli schrieb Bracke in dem bereits zitierten Brief an Geib : ,,Wahrlich Geib, es sieht schlimm aus mit der Partei ... Liebknecht haben wir geschrieben, daß falls er nicht in unserem Sinne künftig das Blatt weredigiert, auch die Kontrollkommission ihn nicht dazu zwingt, wir nigstens Spier und ich unsere Ämter niederlegen, da wir an dem Untergang der Partei nicht mit schuld sein wollen. " Bebel wieder schrieb am 13. August an die Braunschweiger : ,,Wenn der Ausschuß gegen Liebknecht vorgeht, verzichten wir auf jede weitere Mitarbeit am , Volksstaat'. Nach Eurem Brief scheint Ihr in eine Art von nationalem Paroxysmus verfallen zu sein, scheint Ihr den

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Marx über Krieg 1870

Skandal und den Bruch in der Partei um jeden Preis zu wollen. “ ( „ Leipziger Hochverratsprozeß", S. 312. ) Liebknecht erwog gar die Auswanderung nach Amerika. Am 1. September schrieb er an Bracke : ,,Nicht aus Furcht vor den Strebern habe ich Lust, wegzugehen, sondern aus Furcht vor dem patriotischen Dusel. Diese Krankheit muß ihren Verlauf nehmen, und während derselben bin ich hier sehr überflüssig, kann aber anderwärts sehr nützlich sein, zum Beispiel in Amerika . Doch es wird nicht so schlimm kommen und ich werde nicht zu gehen brauchen.“ In der Tat, als dies geschrieben wurde, am Tage der Schlacht von Sedan, bereitete sich bereits die ,,Wendung durch Gottes Fügung" vor, die es ermöglichte, die Zerklüftung der Partei zu beenden, oder vielmehr, die Zerklüftung der Eisenacher. Die Lassalleaner waren von Kriegsbeginn an durchwegs einmütig geblieben, und ihre Abgeordneten hatten die Kriegskredite bewilligt, aus ähnlichen. Erwägungen wie der Braunschweiger Ausschuß. Bemerkenswert ist es , daß Mehring in seiner „ Geschichte der deutschen Sozialdemokratie" (2. Aufl. , 1904 , IV . S. 5 , 6) , diese Haltung der Lassalleaner für gerechtfertigt erklärte, die Bebels und Liebknechts für eine „,demonstrative Kundgebung" ohne praktische Bedeutung. Und doch lag zu der Zeit , als Mehring dies schrieb ( 1897) , bereits klar zutage, welche ungeheure historische Bedeutung für die ganze internationale Arbeiterbewegung der Abstimmung Bebels und Liebknechts vom 21. Juli 1870 innewohnte. Zur Zeit dieser Abstimmung freilich ahnte das noch niemand .

c) Marx und Engels. In seinem Brief vom 13. August 1870 an den Braunschweiger Ausschuß schrieb Bebel zum Schluß : ,,Marx hat sich auch für uns erklärt ." Das traf nur bedingt zu. Marx hatte sich allerdings nicht auf die Seite des Ausschusses gestellt. Er nahm einen vermittelnden Standpunkt ein. Schon am 20. Juli schrieb Marx an Engels : ,,Die Franzosen brauchen Prügel." Er begründet dies vor allem mit dem proletarischen Interesse : ,, Siegen die Preußen, so wird die Zentralisation der Staatsgewalt nützlich der Zentralisation der deutschen Arbeiterklasse. Das deutsche Übergewicht würde ferner den Schwerpunkt der westeuropäischen Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland verlegen, und man hat bloß die Bewegung von 1866 bis jetzt in beiden Ländern zu vergleichen, um zu sehn, daß die deutsche Arbeiterklasse theoretisch und organisatorisch der französischen überlegen ist." Um dieselbe Zeit verfaßte Marx die erste Adresse des Generalrats der Internationale über den deutsch-französischen Krieg. Sie ist datiert vom 23. Juli. Dort weist Marx darauf hin , daß der Krieg von deutscher Seite ein Verteidigungskrieg ist". Doch fügt er hinzu : ,,Aber wer brachte Deutschland in den Zwang, sich verteidigen zu müssen? Wer ermöglichte Louis Bonaparte, den Krieg gegen Deutschland 13

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Engels über Krieg 1870

zu führen ? Preußen ! Bismarck war es, der mit demselben Louis Bonaparte konspirierte, um eine volkstümliche Opposition zu Hause niederzuschlagen und Deutschland an die Hohenzollerndynastie zu annexieren ... Das bonapartistische Regime, das bisher nur auf einer Seite des Rheins blühte, hatte damit auf der andern sein Gegenstück erhalten . Und standen die Dinge so, was anders konnte daraus folgen, als der Krieg ?" ,,Erlaubt die deutsche Arbeiterklasse dem gegenwärtigen Krieg seinen streng defensiven Charakter aufzugeben und in einen Krieg gegen das französische Volk auszuarten, so wird Sieg oder Niederlage gleich unheilvoll." Also Marx stand von Anfang an der Bismarckschen Politik anklagend und mißtrauisch gegenüber. Darin berührte er sich mit Bebel und Liebknecht. Aber einstweilen erkannte er für Deutschland den „ Zwang , sich verteidigen zu müssen“, als gegeben an , und damit kam er dem Braunschweiger Ausschuß nahe. Die von Marx selbst verfaßte Adresse des Generalrats spricht denn auch zustimmend von dem Beschluß der Braunschweiger Versammlung vom 16. Juli , und zitiert daraus unter anderem den Satz : ,,Mit tiefem Kummer und Schmerz sehn wir uns hineingenötigt in einen Verteidigungskrieg als ein unvermeidliches Übel. " Das war gerade einer der Sätze , die bei Bebel und Liebknecht sowie ihrem Anhang so großen Anstoß erregten. Trotz der großen Gegensätze zwischen diesen beiden und dem Braunschweiger Ausschuß vermochte Marx seine Korrespondenz mit der einen wie mit der andern Seite ohne Konflikt fortzuführen. Engels dagegen übte an Liebknecht scharfe Kritik, allerdings nicht öffentlich, wohl aber Marx gegenüber. Am 15. August schrieb er an diesen : ,,Inwieweit der sicher sehr schwache Bracke sich persönlich in nationale Begeisterung hat fortreißen lassen, weiß ich nicht und da ich in 14 Tagen höchstens eine Nummer vom ,Volksstaat' erhalte, kann ich auch den Ausschuß in dieser Beziehung nicht beurteilen , außer nach Bonhorsts Brief an Wilhelm ( Liebknecht , K. ) , der im ganzen cool ' ) ist, aber theoretische Unsicherheit verrät. [ Dagegen sticht Liebknechts bornierte Sicherheit der Prinzipienreiterei allerdings in bekannter Weise vorteilhaft ab. ]" ) ,,Mir scheint der Kasus so zu liegen ; Deutschland ist durch Badinguet (Spitzname Napoleons , K. ) in einen Krieg um seine nationale Existenz hineingeritten . Unterliegt es gegen Badinguet , so ist der Bonapartismus auf Jahre befestigt und Deutschland auf Jahre, vielleicht auf Generationen, kaputt. Von einer selbständigen deutschen Arbeiterbewegung ist dann auch keine Rede mehr, der Kampf um Herstellung der nationalen Existenz absorbiert dann Alles, und besten Falls geraten die deutschen Arbeiter ins Schlepptau der französischen. Siegt Deutschland, so ist der französische Bonapartismus jedenfalls kaputt, der ewige Krakehl wegen Herstellung der deutschen Einheit endlich beseitigt, die deutschen Arbeiter können sich auf ganz anders nationalem Maßstab als bisher organisieren, und die französischen, was auch für eine Regierung dort folgen mag, werden sicher ein freieres Feld haben, als unter dem Bonapartismus. Die ganze Masse des deutschen Volkes aller Klassen hat eingesehen , daß es sich eben um die ¹) Wohl hier am besten mit „ nüchtern“ zu übersetzen. K. *) Die hier und in späteren Zitaten aus Marx- Engelsschen Briefen in eckige Klammern gestellten Sätze fehlen in der Bernsteinschen Ausgabe der Briefwechsels . K.

Marx- Engels über Liebknecht

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nationale Existenz in erster Linie handelt, und ist darum sofort eingesprungen. Daß eine deutsche politische Partei unter diesen Umständen à la Wilhelm (Liebknecht, K. ) die totale Obstruktion predigen und allerhand Nebenrücksichten über die Hauptrücksichten setzen kann, scheint mir unmöglich." Diese Auffassung deckte sich im wesentlichen mit der Marxschen. Wie 1866 erkannten Marx und Engels auch 1870 bereits im Kriege dessen voraussichtliche Konsequenzen. Wenn Marx es für notwendig hielt , daß die Franzosen Prügel kriegen im Interesse der sozialen Entwicklung Frankreichs wie Deutschlands , so trat Engels hier aus denselben Gründen für den Sieg der deutschen Waffen mit vollster Entschiedenheit ein. Mit gleicher Entschiedenheit wendet er sich gegen die „,totale Obstruktion à la Wilhelm “, d . h . Liebknecht. Er geht in dessen Verurteilung noch weiter, als Marx, dem gegenüber er unmutig in einer Nachschrift zum Brief bemerkt : ,,[Du siehst übrigens, wie der elende Wilhelm ( Liebknecht , K. ) fortwährend mit den reaktionären Partikularisten Wulster, Obermüller usw. mogelt und die Partei hineinreitet."] ,Wilhelm hat offenbar auf Sieg des Bonaparte gerechnet, bloß damit sein Bismarck dabei draufgeht. Du erinnerst Dich, wie er ihm immer mit den Franzosen drohte. Du bist natürlich auch auf Wilhelms Seite !" Marx antwortete darauf keineswegs mit einer Entschuldigung oder Rechtfertigung Liebknechts. Er schrieb am 17. August an Engels : „ Der Wilhelm schließt seine Übereinstimmung mit mir 1. aus der Adresse der Internationalen [ die er sich natürlich ins Wilhelmsche übersetzt hat ] , 2. aus dem Umstand, daß ich seine und Bebels Erklärung im Reichstag gebilligt habe. Das war ein „ Moment", wo die Prinzipienreiterei eine mutige Tat war, woraus aber keineswegs folgt, daß dieser Moment fortdauert, und noch viel weniger, daß die Stellung des deutschen Proletariats in einem Krieg, der national geworden ist, sich in Wilhelms Antipathie gegen die Preußen zusammenfaßt. Es wäre gerade so, als wenn wir, weil wir im passenden Moment unsere Stimme gegen die „ bonapartistische“ Befreiung Italiens erhoben - die relative Unabhängigkeit, die Italien in Folge dieses Krieges erhalten hat, redressieren wollten.“ Noch am 2. September wendet sich Marx in einem Brief an Engels auf das schärfste gegen die Identifizierung seiner Politik mit der Liebknechtschen : ,,In meinem ausführlichen Antwortschreiben') an das Braunschweiger Komitee habe ich die widerliche³ ) , Identität ' , worin unser Wilhelm sich, sobald es seinen Zwecken dient, mit mir andern vorlügt,' ) ein für allemal beseitigt. Es ist gut, daß er [ durch seine Initiative ] mir die Gelegenheit gab, mich einmal offiziell über das von ihm [absichtlich und mit bösem Gewissen] unterhaltene Mißverständnis zu erklären.“ “) 1) Es ist leider nicht aufzufinden. Doch berichtet über seinen Inhalt Bracke. Darüber später mehr. K. 2) In der Bernsteinschen Ausgabe steht „ schöne “. K. ) ,,vorstellt" heißt es in der Bernsteinschen Ausgabe. K. ') Bernstein zog später aus diesen und andern Sätzen den Schluß , Marx und Engels hätten im Anfang des Kriegs eine „, etwas andere Haltung" eingenommen, als Bebel und Liebknecht (,, Karl Marx und Friedrich Engels 13*

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Marx und Engels einig Noch in der zweiten Adresse des Generalrats der Internatio-

nale über den Krieg, datiert vom 9. September 1870, schrieb Marx : ,,Die deutsche Arbeiterklasse hat den Krieg, den zu hindern nicht in ihrer Macht stand, energisch unterstützt, als einen Krieg für Deutschlands Unabhängigkeit und für die Befreiung Deutschlands und Europas von dem erdrückenden Alp des zweiten Kaiserreichs." Welchen Wert Marx auf die Feststellung legte, daß der Krieg für Deutschland ein Abwehrkrieg sei, zeigt folgendes : Eine Reihe deutscher und französischer Demokraten in London entwarfen und unterzeichneten Ende Juli 1870 eine gemeinsame Kundgebung über den Krieg. Marx wurde aufgefordert, ebenfalls zu unterzeichnen . Nach langem Sträuben gab er nach, da seine Ablehnung als Franzosenfeindschaft hätte ausgelegt werden können. Doch gab er seine Zustimmung nur unter der Bedingung, ,,daß ein Satz, der den defensiven Charakter des Kriegs auf seiten der Deutschen, wenn auch in der bescheidensten und diplomatischsten Weise andeutet, hineingesetzt wird." (Brief an Engels 3. August.) In der Sache waren Marx und Engels völlig einig. In seinem schon zitierten Brief vom 15. August entwirft Engels ein Aktionsprogramm, von dem Marx am 17. August sagt : ,,Dein Brief stimmt ganz mit dem Plan der Antwort überein, die ich mir im Kopf bereits zurecht gemacht habe." Die Darlegung des Programms wird in dem Engelschen Brief vom 15. August wieder mit einigen Ausfällen gegen Liebknecht eingeleitet : „ Überhaupt, à la Liebknecht, die ganze Geschichte seit 1866 rückgängig machen zu wollen , weil sie ihm nicht gefällt, ist Blödsinn. Aber wir in der zweiten Phase des Krieges 1870/71 ." „ Neue Zeit", XXXIII , 1 , S. 76 ff. ) Das wollte Rjasanov nicht gelten lassen. Er bestritt die Bernsteinschen Schlußfolgerungen in einem Artikel : „ Zur Stellungnahme von Marx und Engels während des deutsch -französischen Kriegs. “ ( „,Neue Zeit“, XXXIII , 2, S. 161 ff. ) Rjasanov wäre zu seinem Widerspruch gegen Bernstein in diesem Falle kaum gekommen, wenn er damals schon den MarxEngelsschen Briefwechsel in jener Vollständigkeit gekannt hätte, in der er selbst ihn später herausgab. Laura Lafargue , Marx ' Tochter und letzte Erbin seines Nachlasses , hatte gewünscht, aus dem Briefwechsel sollten alle Stellen wegbleiben , durch die das Andenken lieber Freunde des Vaters in verletzender Weise herabgesetzt werden konnte. Auf diesen Wunsch sind offenbar in der Bernstein- Mehringschen Ausgabe des Briefwechsels viele Weglassungen von Sätzen zurückzuführen die sich erbittert oder wegwerfend über Wilhelm Liebknecht äußern . Auf keinen Fall aber verfolgten die Auslassungen die von Rajsanov den Herausgebern unterschobene Absicht , die Urteile von Marx und Engels opportunistisch abzuschwächen oder gar zu fälschen. Die Weglassungen in den hier zitierten Briefen konnten nur bewirken, daß der Gegensatz von Marx und Engels gegen Liebknechts ,bornierte Prinzipienreiterei weniger schroff zutage trat, als in Wirklichkeit der Fall war. Die von Bernstein weggelassenen Stellen sprechen alle für Bernsteins und gegen Rjasanovs Auffassung.

Einheit der Partei hergestellt

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kennen ja unsere Mustersüddeutschen. [ Mit dem¹ ) Narren ist nichts aufzustellen. ]" ,,Ich meine, die Leute können : 1. sich der nationalen Bewegung anschließen ...." ) soweit und solang sie sich auf Verteidigung Deutschlands beschränkt (was die Offensive unter Umständen bis zum Frieden nicht ausschließt ) , 2. den Unterschied zwischen den deutsch-nationalen Interessen und den dynastisch- preußischen dabei betonen, 3. jeder Annexion von Elsaß und Lothringen entgegenwirken. Bismarck läßt jetzt die Absicht durchblicken, diese an Baiern und Baden zu annektieren, 4. sobald in Paris eine republikanische, nicht chauvinistische Regierung am Ruder, auf ehrenvollen Frieden mit ihr hinwirken, 5. die Einheit der Interessen der deutschen und französischen Arbeiter, die den Krieg nicht gebilligt und die sich auch nicht bekriegen, fortwährend hervorheben . 6. Rußland, wie in der internationalen Adresse. " In diesem Sinne auf die Sozialisten Deutschlands zu wirken, bekam Marx bald Gelegenheit . Denn so wenig war er ein Gegensatz zu den Braunschweigern geraten , daß diese ihn baten, als eine Art Schiedsrichter sein Urteil im Parteistreit abzugeben . Während des Leipziger Hochverratsprozesses ( März 1872 ) sagte Bracke darüber als Zeuge aus : Einmal haben wir an Marx in Sachen der Partei geschrieben . Die Leipziger hatten über den letzten Krieg, den wir fälschlich als Verteidigungskrieg auffaßten , eine andere Meinung. Dies veranlaßte einen Konflikt, und um diesen beizulegen, glaubten wir eine Berechtigung zur Anrufung des Urteils einer Person zu haben, die von uns allen hochgeschätzt wurde. Diese Person war Marx. Sein Antwortsbrief kam kurz vor Sedan und überzeugte mich vollständig." Damit war der Konflikt beigelegt und die Einheit der Partei wieder hergestellt. Allerdings wohl weniger durch den Marxschen Brief, als durch den Gang der Ereignisse , der den Braunschweigern dartat, sie hätten ,,fälschlich" den Krieg als einen Verteidigungskrieg aufgefaßt . d) Die Einheitsfront der deutschen Sozialisten nach Seda n.

Durch die Klärung der Situation wurden nicht bloß die Eisenacher geeinigt. Auch unter jenen Arbeitern , die Schweitzer folgten , erstarkte jetzt immer mehr wieder der internationale Gedanke. Schon am 1. September schrieb Bracke an Geib einen Brief, in dem er sich noch sehr scharf über Bebel und Liebknecht äußerte, aber doch zugab : „ Ein Gutes hat indessen auch ihr Auftreten , nämlich daß die Schweitzerianer dem Wüten ihres Meisters gegenüber „ pour le roi de Prusse“ (für den König von Preußen , K. ) auf unserer Seite die Prinzipientreue sehen." (Abgedruckt in Brackes „ Der Braunschweiger Ausschuß etc. vor Gericht ", S. 142.) ¹) Sollte es nicht heißen : „ den “ ? K. 2) Von mir unterstrichen , K.

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Einheit der Partei nach Sedan

Schweitzer suchte den Regierungskurs solange als möglich auch nach dem 2. September zu verfechten . Aber, wollte er nicht allen Einfluß auf seine Parteigenossen verlieren, mußte er schließlich dieselbe Richtung einschlagen, wie Liebknecht und Bebel . Er wurde dazu gedrängt durch den ,,ehrlich denkenden Teil seiner Anhänger", wie der „,Volksstaat" vom 3. Dezember sagte. Am 24. November 1870 wurde der norddeutsche Reichstag einberufen und ihm mitgeteilt, der Krieg werde fortgeführt zur Eroberung Elsaß- Lothringens. Dagegen brachten Bebel und Liebknecht einen Antrag ein, der darauf hinweis, daß der Krieg jetzt ein unverhüllter Eroberungskrieg werde. Daher sei die ,,verlangte Geldbewilligung für die Kriegführung abzulehnen". Der Bundeskanzler wurde aufgefordert,,,unter Verzicht auf jede Annexion französischen Gebiets mit der französischen Republik schleunigst Frieden zu schließen". Dafür stimmten außer den beiden Antragstellern auch die lassalleanischen Abgeordneten Schweitzer und Hasenclever. In der Debatte redeten allerdings nur Bebel und Liebknecht. Man sieht, wie sehr die klare Situation im Kriege nicht bloß jene Gegensätze innerhalb der Sozialdemokratie aufhob, die aus Unklarheiten der politischen Lage hervorgegangen waren, sondern sogar fraktionelle Gegensätze überbrückte, die sich schon vor dem Kriege aus taktischen und organisatorischen Gründen gebildet hatten . Daß der Umschwung so schnell vor sich ging, dazu trug wohl auch der Umstand viel bei , daß die beiden sozialdemokratischen Parteien noch klein waren. Bei den Wahlen zum ersten deutschen Reichstag, 3. März 1871 , erhielten die Lassalleaner etwas über 60.000 , die Eisenacher nicht ganz 40.000 Stimmen ! Wohl standen damals viele Parteigenossen unter den Waffen , konnten am Wahlakt nicht teilnehmen. Immerhin bezeugt die Zahl , daß unsere Parteien nur erst ein kleines Häufchen darstellten, allerdings eine Schar auserlesener Kämpfer. Es war eine geistig hochstehende Elite, die rascher als der Durchschnitt neue Situationen begriff. Und je kleiner eine Masse , desto geringer ihr Beharrungsvermögen. Das erleichterte die rasche Überwindung der 1870 innerhalb der deutschen Sozialdemokratie durch den Krieg hervorgerufenen Konflikte, doch wäre die Übereinstimmung dennoch schwer herbeizuführen gewesen, wenn der Krieg lange und unentschieden fortgedauert hätte . Dann hätte sich die Spaltung im Lager der Eisenacher kaum vermeiden lassen . Kam es zur Spaltung, dann mußte entweder der eine der streitenden Teile in Konflikt mit der ganzen Internationale geraten oder diese spaltete sich ebenfalls . Wir hätten dann 1870 dasselbe Schauspiel gehabt, das die internationale Sozialdemokratie im Weltkriege bot. Nur der Gunst der Umstände, nicht einer festeren Organisation oder höherer theoretischer Klarheit und größerer Grundsatztreue haben wir es

Partei für Frieden

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zu danken, daß die erste Internationale im großen Krieg von 1870/71 einig blieb. Wir haben gesehen, daß der Braunschweiger Ausschuß sich Mitte August wegen der Stellung zum Krieg an Marx als Schiedsrichter wandte. Dieser antwortete am Ende des Monats . Noch war die Schlacht bei Sedan nicht geschlagen, aber bereits die Gefahr verschwunden, daß Deutschland vom Franzosenkaiser vergewaltigt werde. Dafür hatte sich eine andere Gefahr gezeigt : daß die deutschen Regierungen zu einer Politik der Eroberung übergingen und dadurch stete Feindschaft zwischen dem deutschen und dem französischen Volk setzten sowie den russischen Zaren zum Schiedsrichter Europas machten. Diese Gefahr sah Marx damals bereits voraus. Er wies auf sie in seinem Brief an die Braunschweiger hin, von dem schon oben ( S. 195 ) die Rede war . Das Schreiben , „ eine ausführliche Auseinandersetzung über die politische Lage", traf ,,wenige Tage vor den großen Ereignissen von Sedan und Paris" ein. ( Bracke,,,Der Braunschweiger Ausschuß vor Gericht", S. 7.) Diese ,,Auseinandersetzung gab den eigentlichen Impuls zu dem zeitweilig so ,berüchtigt gewesenen Manifest", das der Braunschweiger Ausschuß am 5. September abfaßte, am 6. veröffentlichte. Die Wirkung des Manifests war enorm . ,,Mit einem Schlage war jetzt der Zwiespalt mit unseren Leipziger Freunden gehoben. " ( Bracke, S. 10. ) Das Manifest ging aus von dem Zusammenbruch des französischen Kaiserreichs, der Ausrufung der Republik in Paris. Es fährt fort : ,,Mit dieser Wendung der Dinge ist, so hoffen wir, das Ende des Krieges gewiß. So lange die napoleonischen Armeen Deutschland bedrohten, war es unsere Pflicht, als Deutsche den Verteidigungskrieg, den Krieg um die Unabhängigkeit Deutschlands' zu führen ... Aber mehr als je ist es jetzt, in dem Bewußtsein des ruhmvollen Sieges , unsere Pflicht, uns nicht zu berauschen in dem wilden Siegestaumel, der so leicht des Menschen Geist berückt', sondern kühl und besonnen uns zu fragen nach dem , was wir jetzt zu tun haben. Doppelt ist dies unsere Pflicht der neuen Wendung der Dinge gegenüber. Die neue Volksregierung ( Frankreichs , K. ) muß und wird den Frieden mit Deutschland zu erreichen suchen, sie muß und wird die Kriegserklärung des Napoleoniden zurückziehn ... Die heutige Volksregierung wird sich dessen bewußt sein, daß das französische und das deutsche Volk zwei Brudervölker sind, die beide dieselben Interessen, die beide die heilige Pflicht haben, im Geiste der Neuzeit zusammenzugehen und in den Künsten des Friedens zu wetteifern. Die heutige Volksregierung wird Frankreich von dem , Feinde zu befreien suchen durch den Frieden. Aber dieser Frieden muß für diese Regierung möglich sein, das heißt, es muß ihr ein ehrenvoller Frieden gestattet werden ..." Das Manifest kommt dann auf das Gerede zu sprechen,,,es sei zum mindesten notwendig, daß Frankreich Elsaß und Lothringen genommen werde ". Hier beruft sich der Ausschuß auf Marx und druckt einen großen Teil der Auseindersetzungen aus seinem obenerwähnten Brief ab :

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Marx gegen Eroberungen

,,Die Militärkamarilla, Professorschaft, Bürgerschaft und Wirtshauspolitik so schreibt uns einer unserer ältesten und verdientesten Genossen in London - gibt vor, dies sei das Mittel, Deutschland auf ewig vor Krieg mit Frankreich zu schützen . Es ist umgekehrt das probateste Mittel, diesen Krieg in eine europäische Institution zu verwandeln . Es ist in der Tat das sicherste Mittel, den Militärdespotismus in dem verjüngten Deutschland zu verewigen als eine Notwendigkeit zur Behauptung eines westlichen Polens des Elsaß und Lothringens. Es ist das unfehlbarste Mittel, den kommenden Frieden in bloßen Waffenstillstand zu verwandeln , bis Frankreich so weit erholt ist, um das verlorene Terrain heraus zu verlangen. Es ist das unfehlbarste Mittel, Deutschland und Frankreich durch wechselseitige Selbstzerfleischung zu ruinieren. Die Sch ... e') und Narren, welche diese Gedanken für den ewigen Frieden entdeckt haben, sollten doch aus der preußischen Geschichte wissen, aus Napoleons Pferdekur im Tilsiter Frieden, wie solche Gewaltmaßregeln zur Stillmachung eines lebensfähigen Volkes gerade das Gegenteil des beabsichtigten Zweckes bewirken . Und was ist Frankreich, selbst nach Verlust von Elsaß und Lothringen, verglichen mit Preußen nach dem Tilsiter Frieden ! Wenn der französische Chauvinismus, solange die altstaatlichen Verhältnisse dauern , eine gewisse materielle Rechtfertigung hatte in der Tatsache, daß seit 1815 die Hauptstadt Paris und damit Frankreich nach wenigen verlorenen Schlachten preisgegeben war, welche neue Nahrung wird er nicht erst saugen, sobald die Grenze östlich an den Vogesen und nördlich an Metz liegt. Daß die Lothringer und Elsässer die Segnungen deutscher Regierung wünschen, wagt selbst der ......... Teutone nicht zu behaupten . Es ist das Prinzip des Pangermanismus und sicherer' Grenzen, das proklamiert wird und das von östlicher Seite zu schönen Resultaten für Deutschland und Europa führen würde. Es hängt ganz vom jetzigen Verhalten der deutschen Sieger ab, ob dieser Krieg nützlich oder schädlich . Nehmen sie Elsaß und Lothringen, so wird Frankreich mit Rußland Deutschland bekriegen. Es ist überflüssig , die unheilvollen Folgen zu deuten. Schließen sie einen ehrenvollen Frieden mit Frankreich, so wird jener Krieg Europa von der moskowitischen Diktatur emanzipieren, Preußen in Deutschland aufgehn machen, dem westlichen Kontinent friedliche Entwicklung erlauben, endlich der russischen sozialen Revolution, deren Elemente nur eines solchen Stoßes von außen zu ihrer Entwicklung bedürfen , zum Durchbruch helfen, also auch dem russischen Volke zu Gute kommen . Aber ich fürchte, die Sch ... e und Narren werden ihr tolles Spiel ungehindert treiben, wenn die deutsche Arbeiterklasse nicht en masse ihre Stimme erhebt."

Wenn sich die Braunschweiger diese Ausführungen ohne jeden Vorbehalt zu eigen machten, bewiesen sie schon dadurch , wie wenig ihr ,,Sozialpatriotismus“ mit ,,nationalem Paroxysmus“ zu tun hatte , wie sehr er mit marxistischem internationalem Denken vereinbar war. Noch ein Absatz aus dem Marxschen Brief ist bemerkenswert, den das Manifest zitiert . Er handelt von Deutschland : ¹) Die Ersetzung der Buchstaben durch Punkte fand sich natürlich nicht im Original ; so zimperlich war Marx nicht . Sie entsprang der Rücksicht auf den deutschen Staatsanwalt bei der Veröffentlichung. Das gilt auch von den folgenden Punktreihen. K.

Verlegung des Schwerpunktes der Arbeiterbewegung

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,,Der jetzige Krieg eröffnet dadurch eine neue, weltgeschichtliche Epoche, daß Deutschland bewiesen hat, daß es selbst mit Ausschluß von Deutsch-Österreich fähig ist, unabhängig vom Auslande, seine eigenen Wege zu gehn. Daß es zunächst seine Einheit in der preußischen Spitze findet, ist eine Strafe, die es reichlich verdient hat. Aber ein Resultat ist selbst so unmittelbar gewonnen. Die kleinen Lumpereien, wie z. B. der Konflikt zwischen nationalliberalen Norddeutschen und volksparteilichen Süddeutschen, werden nicht länger nutzlos im Wege stehn. Die Verhältnisse werden sich auf großem Maßstabe entwickeln und vereinfachen. Wenn die deutsche Arbeiterklasse dann nicht die ihr zukommende Rolle spielt, ist es ihre Schuld. Dieser Krieg hat den Schwerpunkt der kontinentalen Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland verlegt. Damit haftet gröBere Verantwortlichkeit auf der deutschen Arbeiterklasse." An diesem Manifest des deutschen Parteivorstandes bemängelte Marx nur eines : nicht den Gedankengang, sondern die Art und Weise, wie es von seinem Brief Gebrauch machte. Er schrieb darüber sehr geärgert an Engels am 10. September : ,,Du weißt, daß ich nach Braunschweig Instruktionen schrieb . Man unterstellt dabei (mit Unrecht ) , daß man nicht mit [ flegelhaften ] Babies zu tun hat, sondern mit gebildeten Leuten, die wissen müssen, daß die brutale Sprache von Briefen nicht ,für den Druck ' berechnet ist und daß ferner in Instruktionen [ geheime ] Winke gegeben werden müssen, die nicht unter Trommelschall zu verraten' ) sind . Nun, diese Esel ' ) drucken nicht nur ,wörtlich aus meinem Brief ab. Sie zeigen auf mich mit der Heugabel als den Briefschreiber. Sie drukk en dazu Sätze wie den über , die Verlegung des Schwerpunktes der kontinentalen Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland' usw., die ihnen zur Anfeuerung dienen sollten, aber unter keinen Umständen jetzt zu publizieren waren." Bemerkenswert ist in diesen Sätzen der Hinweis auf die ,,brutale Sprache von Briefen", die nicht für den Druck berechnet seien . Man sieht, Marx wäre der letzte gewesen , der sich darüber entrüstet hätte, wenn man die brutale Sprache seiner Briefe „,für den Druck" etwas milderte. Das gilt wenigstens für so lange, als diese Briefe noch nicht bloße historische Dokumente, sondern scharfe Waffen für die Kämpfe der Gegenwart waren . So lange durfte man an ihre Herausgabe nicht bloß mit den Augen des Philologen herangehn. Im übrigen hat sich Marx wohl unnötig über die Publikation seiner Worte im Braunschweiger Manifest geärgert. Wir müssen diesem Manifest vielmehr dafür Dank wissen, daß es uns die Marxschen Sätze überlieferte. Doch ist es begreiflich , daß ihn damals die Veröffentlichung seines Hinweises auf die Verlegung des Schwerpunktes der Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland sehr erregte. Marx hatte die heikle Aufgabe, über den nationalen Gegensätzen der Kämpfenden zu stehn und Empfindlichkeiten zu schonen , die unter dem Einfluß der Kriegspsychose selbst bei international denkenden Elementen , namentlich in den 1 ) In der Bernsteinschen Ausgabe gemildert in ,,auszuposaunen“ . K. 2) In Bernsteins Ausgabe „ Leute". K.

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Verlegung des Schwerpunktes der Arbeiterbewegung

Reihen der bedrängten Franzosen , einen überaus hohen Grad erreicht hatte. Unter diesen Umständen mußte er befürchten, daß sein Hinweis auf die Verlegung des Schwerpunktes der Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland bei den französischen Arbeitern als deutschnationale Überhebung angesehn würde . Den Gedanken selbst hatte er schon am 20. Juli in einem Brief an Engels ausgesprochen (zitiert S. 193) . Der Gedanke der Überlegenheit einer Nation über eine andere ist selbst in Friedenszeiten mit internationaler Zusammenarbeit nicht vereinbar, geschweige in Zeiten eines Kriegs zwischen den zwei Nationen ! Es wäre auch durchaus nicht im Sinne von Marx gewesen,

wenn die deutschen Arbeiter aus seinen Worten den Schluß gezogen hätten, sie seien aus besserem Stoff gebaut als ihre französischen Kameraden , die Überlegenheit der deutschen über die französische Arbeiterbewegung sei anderen , als vorübergehenden historischen Umständen zuzuschreiben. Marx wie Engels hielten es für sehr bedenklich, wenn sich eine besondere Nation in der Internationale die Führerrolle zusprach. Der deutschen Sozialdemokratie ist es auch nie eingefallen , eine führende Rolle in der Internationale zu beanspruchen. Sie wurde in der zweiten Internationale zum Muster der anderen sozialistischen Parteien durch ihre Leistungen, nicht ihre Ansprüche . Immerhin , trotz aller Zurückhaltung der Deutschen hätte die Wiedergabe der Marxschen Äußerung über die Verlegung des Schwerpunkts der kontinentalen Arbeiterbewegung Europas von Frankreich nach Deutschland bei manchen französischen Sozialisten um so eher böses Blut machen können , als sie sich bewußt waren, eben an dem Sturz des französischen Kaiserreichs mitgewirkt zu haben , während die deutschen Arbeiter nicht imstande waren, die Errichtung eines neuen deutschen Kaiserreichs aufzuhalten . Allerdings stürzte der französische Kaiser erst, als seine Armeen durch deutsche Heere vernichtet waren. Doch die Marxsche Bemerkung, wenn sie im Wirbel der Kriegsereignisse überhaupt in Frankreich bekannt wurde, trat völlig in den Hintergrund gegenüber der allgemeinen Wirkung, die das Manifest auslöste . Am 5. September war es veröffentlicht worden. Der Leipziger ,,Volksstaat" druckte es in seiner Nummer vom 11. September ab. Doch schon am 9. September wurden die Mitglieder des Braunschweiger Parteiausschusses, die das Manifest unterschrieben hatten, verhaftet und in Ketten nach der Festung Lötzen ( Ostpreußen) gebracht. Welche Ironie des Schicksals ! Die Braunschweiger, die wegen ihres ,,Sozialpatriotismus" in so schweren Konflikt mit den Leipzigern gekommen waren , wurden jetzt früher noch als diese wegen Hoch- und Landesverrats eingekerkert ! Doch blieben sie nicht lange allein . Andere Verhaftungen folg-

Deutsche Hochverratsprozesse

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ten, schließlich am 17. Dezember die der beiden Reichstagsabgeordneten, deren Haltung bei den deutschen Patrioten solchen Anstoß erregt hatte, Bebels und Liebknechts. Die beiden Letztgenannten kamen dann schlechter weg, als die Braunschweiger. Gegen diese mußte der Staatsanwalt das Verfahren wegen Hoch- und Landesverrats einstellen, allerdings erst am 19. März 1871 , nachdem sie 200 Tage in Untersuchungshaft gesessen ! Es wurde ihnen bloß der Prozeß wegen ,,Vergehens gegen die öffentliche Ordnung“ gemacht (23.-25 . November 1871 in Braunschweig) . Immerhin erhielten Bracke und Bonhorst eine Gefängnisstrafe von 16 Monaten, Spier von 14 Monaten, Kühn von 5 Monaten zugeteilt. Aber in der Berufungsinstanz wurden die Angeklagten von sämtlichen Vergehen , deren sie beschuldigt waren, freigesprochen und nur wegen Beteiligung an einem Verein mit gesetzwidrigen Zwecken (der in Eisenach 1869 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei) Bracke und Bonhorst zu drei Monaten , Spier zu zwei Monaten, Kühn zu sechs Wochen Haft verurteilt. Weniger gut ging es Bebel und Liebknecht . Der Staatsanwalt zog gegen sie die Anklage wegen Hochverrats nicht zurück. Der Prozeß darüber fand in Leipzig statt ( 11.- 26. März 1872 ) . Die Geschworenen erklärten Bebel und Liebknecht für schuldig. Jedem der beiden wurde eine Festungshaft von zwei Jahren auferlegt. Natürlich bewirkten diese enormen ,, Strafen" nur das eine : sie unterstrichen noch die kühne Tat, die Bebel und Liebknecht beim Ausbruch des Kriegs gewagt, ihre Ablehnung des Stimmens für die Kriegskredite, eine Haltung, die nach Sedan von der ganzen Partei gutgeheißen wurde. Wegen dieser unerschrockenen Bekundung internationaler Solidarität rückte nun die deutsche Sozialdemokratie bereits in jene Stellung innerhalb der internationalen Arbeiterbewegung ein, die Marx ihr schon im Juli 1870 prophezeit hatte. Dieser selbst verfaßte unmittelbar nach dem Braunschweiger Manifest die zweite Adresse des Generalrats der Internationale über den deutsch -französischen Krieg . Sie war datiert vom 9. September. Ihr Gedankengang ist im wesentlichen derselbe wie der des Marxschen Briefs an den Braunschweiger Ausschuß. Nur wird dieser Gedankengang jetzt ausführlicher begründet. Die Adresse wendet sich vor allem gegen die Bestrebungen Militärkamarilla" und der ,,liberalen deutschen ,,preußischen der Mittelklasse mit ihren Professoren, ihren Kapitalisten , ihren Stadtverordneten, ihren Zeitungsmännern ", dem Krieg den defensiven Charakter zu nehmen , den er bis dahin für Deutschland gehabt. ,,Die deutschen Patrioten verlangen Elsaß und Deutsch-Lothringen als eine „ materielle Garantie" gegen französische Überfälle." Marx nennt das einen ,,verächtlichen Vorwand", der aber

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Marx gegen Eroberungen

,,viele schwachsinnige Leute verwirrt gemacht hat". Daher geht er näher auf dieses Argument ein und beweist seine Nichtigkeit . Die Deutschen begründeten damals ihre Forderungen Frankreich gegenüber mit Erwägungen, die sich in manchen Punkten mit der Motivierung begegnen, mit der 1919 die Franzosen ihre Forderungen Deutschland gegenüber begründeten : Mit dem Bedürfnis nach Sicherung durch militärische Beschränkung des Gegners. Diese Forderung nennt Marx ,, eine Ungerechtigkeit und einen Anachronismus“. ,,Es ist mit Nationen wie mit Einzelnen . Um ihnen die Möglichkeit des Angriffs zu entziehn , muß man sie aller Verteidigungsmittel berauben . Man muß sie nicht nur an der Kehle fassen, sondern auch töten.“ Das sei die einzig denkbare Form, einen Angriff des Gegners wirksam auszuschließen. Sie sei denkbar, aber nicht möglich . Das Streben nach einer militärischen Sicherung, die jede Idee eines Angriffs des Nachbarn ausschließe, bedeute nur, daß man diesen Nachbarn ständig an der Kehle hält , ihm alle Lebensmöglichkeiten raubt , --ihn zum wildesten Haß entflammt, der die erste Möglichkeit etwa die Gewinnung eines Bundesgenossen benützt , um den eisernen Griff des Drängers abzuschütteln . Kurz , das Streben nach einer Sicherung dieser Art trage in sich den „, Keim neuer Kriege ". Nicht mit militärischen Mitteln sei die Sicherung der Nationen anzustreben, sondern mit politischen ; mit einer Politik des Friedens und der Freundschaft. Wie im Interesse des Friedens wendet sich Marx auch im Interesse der Demokratie gegen die geplante Annexion eines Volkes , das sich mit aller Entschiedenheit dagegen auflehnt . Er nannte es ein Verbrechen , ,,daß man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Politik der Eroberungen aufs neue ins Leben gerufen hat . “ Endlich wies Marx auf die Stellung in Europa hin, in die Deutschland gerate , wenn es Frankreich zerstückle . „ Wenn das Glück der Waffen , der Übermut des Erfolges und dynastische Intrigen Deutschland zu einem Raub an französischem Gebiet verleiten, bleiben ihm nur zwei Wege offen . Entweder muß es, was auch immer daraus folgt, der offenkundige Knecht russischer Vergrößerung werden, oder aber es muß sich nach kurzer Rast für einen neuen „, defensiven" Krieg rüsten, nicht einen jener neugebackenen lokalisierten ' Kriege, sondern zu einem Rassenkrieg gegen die verbündeten Rassen der Slawen und Romanen." Das Wort Rasse wurde 1870 noch nicht im Sinne der Rassentheoretiker unserer Zeit gebraucht. Es bedeutet hier eine Sprachgemeinschaft. Im übrigen ist die Marxsche Prophezeiung nur zu sehr in Erfüllung gegangen, obwohl die deutsche Reichsregierung seit dem Frankfurter Frieden von 1871 beiden Eventualitäten Rechnung trug : Sie kroch vor Rußland und rüstete für den Zweifrontenkrieg. Hätten die Beherrscher Deutschlands 1870 auf Marx gehört , wie viel Unheil hätten sie ihrem Vaterlande später erspart ! Marx

Marx über Wert der Republik

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selbst erwartete nicht, daß es den Verfechtern der Internationale gelingen werde, die Forderungen der Vernunft und des wohlverstandenen nationalen Interesses zum Durchbruch zu bringen : ,,Konnten die französischen Arbeiter mitten im Frieden den Angreifer nicht zum Stehn bringen, haben da die deutschen Arbeiter mehr Aussicht, den Sieger aufzuhalten mitten im Waffenlärm ?" Verfolgt die Adresse im wesentlichen den gleichen Gedankengang wie die Stellen des Marxschen Briefs, die ins Braunschweiger Manifest aufgenommen wurden, so fehlt in der Adresse doch jener Passus, dessen Veröffentlichung Marx so sehr erregte, der Hinweis auf die Verlegung des Schwergewichts der internationalen Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland . Eine derartige Hervorhebung einer Nation auf Kosten einer andern durfte der Generalrat der Internationale nicht vornehmen. Seine Adresse beschäftigt sich ausführlich mit der neuen Situation, die der Krieg und der Zusammenbruch des Kaiserreiches für das Proletariat geschaffen habe. Doch erörtert sie nur die Aufgaben, die den Arbeitern daraus erwuchsen : ,,Die französische Arbeiterklasse findet sich in äußerst schwierige Umstände versetzt. Jeder Versuch, die neue Regierung zu stürzen, wo der Feind fast schon an die Tore von Paris pocht, wäre eine verzweifelte Torheit. Die französischen Arbeiter müssen ihre Pflicht als Bürger tun, aber sie dürfen sich nicht beherrschen lassen durch die nationalen Erinnerungen von 1792 , wie die französischen Bauern sich trügen ließen durch die nationalen Erinnerungen des ersten Kaiserreichs. Sie haben nicht die Vergangenheit zu wiederholen, sondern die Zukunft aufzubauen . Mögen sie ruhig und entschlossen die Mittel ausnutzen, die ihnen die republikanische Freiheit gibt, um die Organisation ihrer eigenen Klasse gründlich durchzuführen. Das wird ihnen neue, herkulische Kräfte geben für die Wiedergeburt Frankreichs und für unsere gemeinsame Aufgabe die Befreiung des Proletariats . Von ihrer Kraft und Weisheit hängt ab das Schicksal der Republik." Marx sprach nach Sedan zu den französischen Arbeitern nicht von der Verlegung des Schwerpunkts der europäischen Arbeiterbewegung nach Deutschland . Aber dennoch ermahnte er die Proletarier Frankreichs, sich nicht bestimmen zu lassen durch die Erinnerungen an 1792, nicht durch die Erinnerungen an die Zeit, in der die französischen Revolutionäre Krieg gegen die Monarchen Europas führten, in der Erwartung, dadurch aus der Revolution Frankreichs die der Welt zu machen. Nicht zur Weltrevolution rief Marx die Proletarier Frankreichs nach dem Sturz des Kaisers auf, sondern dazu ,,,ruhig und entschlossen die Mittel auszunützen , die ihnen die republikanische Freiheit gibt, um die Organisation ihrer eigenen Klasse gründlich durchzuführen". Davon und nur davon erwartete Marx ,,herkulische Kräfte für die Befreiung des Proletariats". Obwohl die Regierung der neugebackenen Republik eine ganz bürgerliche war, und noch dazu eine halborleanistische - also weit weniger sozialistisch, als etwa 1917 in Rußland die Kerenskis —, erklärte Marx doch jeden Versuch ,,die neue Regierung zu stürzen, wo der Feind fast schon

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Französische Sozialisten 1870

an die Tore von Paris pocht“, für „ eine verzweifelte Torheit“. Und er rief die französischen Arbeiter auf, ihre Pflicht als Bürger zu tun". Diese Warnungen waren an die eigenen Genossen in Frankreich gerichtet. Am 6. September schrieb Marx an Engels , die französischen Emigranten in London, die Mitglieder der Internationale seien, schickten sich an, nach Paris aufzubrechen , ,,um dort Dummheiten im Namen der Internationale zu machen. Sie wollen die provisorische Regierung stürzen , Commune von Paris etablieren, Pyat zum französischen Gesandten in London ernennen etc.“ Also Marx wendete sich damals entschieden gegen alles, was wie ein ,,Weitertreiben der Revolution" vom 4. September aussehen konnte .

e) Die französischen Sozialisten im Kriege. Theoretisch waren die französischen Sozialisten 1870 viel weniger einig als die deutschen. So weitgehende Gegensätze, wie zwischen Blanquisten und Proudhonisten gab es in Deutschland nicht . Trotzdem brachte der Krieg in Frankreich keinen so bitteren Zwist in den sozialistischen Reihen, wie bei den Deutschen. Die Unterschiede zwischen Blanquisten und Proudhonisten äußerten sich wohl, aber nur in Gestalt zweier verschiedener Strömungen , die nebeneinander herliefen, nicht in Gestalt von Gegensätzen, die einander bekämpften . Zu solchen inneren Kämpfen kam es erst innerhalb der Pariser Kommune, seit dem März 1871. Da war der Krieg gegen den Landesfeind schon vorüber. Die größere Einheitlichkeit der französischen Sozialisten im Krieg rührt nicht von einer theoretischen oder moralischen Überlegenheit her, sondern einfach von der Tatsache, daß die Lage des französischen Volkes beim Kriegsausbruch und auch später eine einfachere, weniger komplizierte war, als die des deutschen. Als in jenem Juli 1870 urplötzlich die Kandidatur eines Hohenzollernprinzen für den erledigten Thron Spaniens aufgetaucht war, hatte das die Franzosen sehr verletzt und befremdet, die darin einen Versuch sahen, Frankreich von verschiedenen Seiten durch preußische Machtpositionen zu umklammern. Das Verlangen, diese Kandidatur rückgängig zu machen, war in Frankreich allgemein gewesen, aber man hatte gewünscht, dies auf friedlichem Wege, vor allem durch Beeinflussung der Spanier, zu erreichen , und als am 12. Juli der Hohenzollernprinz seine Kandidatur zurückzog, atmete das ganze französische Volk auf. Es hielt nun den Frieden für gesichert . Die weiteren Verhandlungen in Ems zwischen dem König von Preußen und dem französischen Gesandten sollten dann freilich anscheinend nach der von Bismarck in seiner Depesche gefälschten Darstellung zu einer groben Beleidigung des Vertreters Frank-

Opposition in Frankreich 1870

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reichs durch den preußischen Herrscher geführt haben. Das war ein Umstand, der vor allem das Prestige des französischen Kaiserreichs berührte. Dieses Kaiserreich war bei seinem eigenen Volke verhaßt als die Herrschaftsorganisation eines skrupellosen Abenteurers, der die Bevölkerung knechtete und den Ertrag ihrer Arbeit verschleuderte, soweit der Staat sich seiner bemächtigte. Während in Deutschland die Zahl der Republikaner außerhalb der Sozialdemokratie äußerst dünn gesät, die Monarchie der Hohenzollern seit 1866 in vielen Kreisen populär oder doch angesehen geworden war, hatte in Frankreich der Haß und die Verachtung breiter Volksmassen gegen die kaiserliche Dynastie in derselben Zeit enorm zugenommen. Nicht nur die Sozialisten waren dort Republikaner, sondern zahlreiche bürgerliche Elemente. Und neben ihnen gab es Monarchisten, die nicht minder Gegner der Bonapartes waren, sowohl Legitimisten wie Orleanisten . Alle Welt rechnete bereits mit dem nahenden Sturz des Kaiserreichs. Und da sollte sich um des Prestiges dieses morschen und unheilvollen Regimes willen das französische Volk in einen Kampf auf Leben und Tod mit einem furchtbaren Gegner stürzen ? Die Bonapartisten mochten noch so sehr die angebliche Beleidigung ihres kaiserlichen Herrn als Beleidigung des französischen Volks ausposaunen, um dessen Empörung gegen den „, Landesfeind" aufzupeitschen , die Mehrheit der Bevölkerung tat nicht mit, sah angstvoll dem Heraufziehen des Kriegsgewitters entgegen, während gleichzeitig in Deutschland, das sich durch Napoleon angegriffen wähnte, heller Kriegsenthusiasmus emporloderte , der sogar einen Teil der sozialdemokratischen Arbeiterschaft erfaßte . In Frankreich machte sich trotz des beginnenden Kriegslärms nicht nur in proletarischen, sondern auch in bürgerlichen Kreisen eine starke Opposition bemerkbar, sogar in der Kammer, die doch unter starkem behördlichen Druck gewählt worden war, so daß die Opposition dort zahlenmäßig weit schwächer erschien, als ihrer Verbreitung im Volk entsprach . Im Norddeutschen Reichstag wurden die geforderten Kriegskredite einstimmig bewilligt (21. Juli ) . Niemand stimmte gegen sie. Nur zwei sozialdemokratische Abgeordnete enthielten sich der Abstimmung, allerdings unter Abgabe einer protestierenden Erklärung . Im französischen ,,gesetzgebenden Körper" verlangte die Regierung am 15. Juli die Bewilligung von Kriegskrediten. Da enthielten sich fünf Abgeordnete der Stimme und zehn stimmten direkt gegen die Kredite. Der Leipziger ,,Volksstaat" vom 20. Juli 1870 bringt eine Korrespondenz aus Paris, vom 15. Juli, es heißt dort : ,,Nicht nur die Internationale, die ganze Demokratie spricht sich hier gegen den Krieg aus." Die Berichte der Präfekten über die Stimmung in den 87 De-

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Pariser Internationalisten 1870

partements Frankreichs konnten dem Kaiser nur aus 16 mitteilen , sie sei kriegerisch . Unter diesen Umständen wurde die kriegsgegnerische Haltung der französischen Sozialisten eine Selbstverständlichkeit. Schon bei Beginn des Konflikts entwarf die Pariser Sektion der Internationale ein Manifest, das bald Tausende von Unterschriften fand und am 12. Juli im Pariser radikal-demokratischen ,,Reveil" veröffentlicht wurde, einen Aufruf, der sich in erster Linie ebenso an die deutschen Arbeiter richtete, wie an die französischen . Er erklärte : ,,Wieder einmal bedroht politischer Ehrgeiz den Frieden der Welt unter dem Vorwand des europäischen Gleichgewichts, der nationalen Ehre. Französische, deutsche und spanische Arbeiter, vereinigen wir unsere Stimme zu einem Ruf des Abscheus vor dem Krieg ... Krieg wegen einer Frage des Übergewichts oder wegen dynastischer Interessen kann in den Augen von Arbeitern nichts sein, als eine verbrecherische Narrheit. Gegenüber den kriegerischen Aufrufen derjenigen, die sich von der Blutsteuer loskaufen¹) und im öffentlichen Unglück nur eine Quelle neuer Spekulationen sehn , protestieren wir laut, die wir den Frieden, die Arbeit, die Freiheit wollen ... Deutsche Brüder ! Im Namen des Friedens, hört nicht die Stimme der bezahlten oder servilen Federn , die Euch über den wahren Geist Frankreichs zu täuschen suchen. Bleibt taub bei den unsinnigen Provokationen, denn Krieg zwischen uns würde Bruderkrieg sein ... Unsere Spaltung würde nur auf beiden Seiten des Rheins den Triumph des Despotismus fördern ... Arbeiter aller Länder ! Was auch für den Augenblick das Ergebnis unserer gemeinsamen Anstrengungen sein möge, wir, die Mitglieder der Internationalen Arbeiter-Association , für die es keine Grenzen gibt, wir schicken Euch als Pfand unauflöslicher Solidarität, die guten Wünsche und Grüße der Arbeiter Frankreichs." Die Pariser Mitglieder der Internationale hatten nur zu sehr recht, es dahingestellt sein zu lassen, welches ,,auch für den Augenblick das Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen“ sein werde . Es war leider gleich Null . Und doch, wenn es möglich wäre , eine Militärmonarchie durch Proteste an einem Krieg zu hindern , hätte das damals eintreten müssen. Die Regierung hielt sich nur noch mit Mühe aufrecht, der drohende Krieg war unpopulär nicht nur im Proletariat, sondern auch in den besitzenden Klassen , abgesehen von der Dezemberbande der Abenteurer, die von der Ausbeutung des Kaiserreichs lebten . Dem Kaiser selbst bangte vor dem Krieg, da er den schlechten Zustand seiner Armee, wenn auch nicht in vollem Umfang, so doch einigermaßen kannte. Und doch kam es damals nicht zu einer Aktion , die stark genug gewesen wäre, sich dem drohenden Unheil entgegenzustemmen . Das soll kein Vorwurf für die französischen Sozialisten sein . Wie groß auch der Abscheu vor dem Krieg sein kann, er zeigt sich vor allem in der Furcht vor feindlicher Invasion . Diese fernzuhalten, dazu scheint vielen vor allem eine starke Armee, eine starke Regierung notwendig zu sein. Der Krieg, schon die Kriegsdrohung ¹ ) In Frankreich war noch der Loskauf von der Wehrpflicht gestattet. K.

Franzosen über Kriegskredite

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erzeugt das Bedürfnis nach dem Aufhören aller inneren Streitigkeiten, nach dem „, Burgfrieden“. Selbst entschiedene Oppositionelle wagen unter diesen Umständen oft nicht, ihren grundsätzlichen Widerstand gegen die Staatsgewalt so energisch zu betonen, daß er diese schwächen könnte . Trotz leidenschaftlicher Verurteilung der kaiserlichen Kriegspolitik stimmten nicht alle Männer der Opposition in der französischen Kammer am 15. Juli gegen die Kriegskredite, die Napoleon verlangte . So entschiedene Gegner des Kaisers, wie Thiers und Gambetta, glaubten , die Kredite bewilligen zu müssen im Gegensatz allerdings zu ihren Gesinnungsgenossen . Man mag über diese Haltung denken wie man will, man mag sie charakterlos oder feige schelten. Trotzdem kommt kein ernsthafter Politiker um die Notwendigkeit herum , sie in Rechnung zu ziehen. Das besagt nicht, daß man selbst verpflichtet sei, in gleicher Weise zu denken und zu handeln . Das ist eine Frage für sich . Aber gerade Politiker, die in schärfster Opposition zu einer Militärmonarchie stehen und ihr gegenüber sich auf die Volksmassen stützen, dürfen sich keinen Illusionen über die Stimmung hingeben, die sich beim Ausbruch eines Krieges der ganzen Bevölkerung, der großen Mehrheit aller ihrer Klassen bemächtigt. Bereits zu Beginn des Jahres 1870 hatte es geschienen , als stehe Paris vor der Revolution. Am 10. Januar erschoß Prinz Peter Napoleon den oppositionellen Journalisten Victor Noir. Die Bestattung des Ermordeten wurde zu einer gewaltigen Demonstration. Ungeheure Proletariermassen voll verbissener Wut marschierten am 12. Januar im Leichenzug. Damals bereits befürchteten die Anhänger der „, Ordnung" eine Umsturzbewegung . Das Kaiserreich war aufs tiefste erschüttert. Als jetzt die Kriegsgefahr kam, die aus der kaiserlichen Politik hervorging, hätte man erwarten dürfen , die Opposition werde noch wildere Formen annehmen. Da es an Kriegsenthusiasmus fehlte , suchte die französische Regierung einen solchen vorzutäuschen . Sie verkleidete Geheimpolizisten und gedungenes Gesindel als Arbeiter mit weißen Blusen und ließ sie in den Straßen von Paris los, ,,um dort durch indianische Kriegstänze das Kriegsfieber zu schüren", wie die erste Adresse des Generalrats der Internationale vom 23. Juli berichtete . Die Arbeiter der Vorstädte setzten diesen Schreiern so kräftig zu , daß der Polizeipräfekt von Paris , Pietri , es fürs klügste hielt, jede Straßenkundgebung zu verbieten . Und dieses Verbot wirkte. Die Opposition gegen den Krieg war in der Bevölkerung nicht so stark, daß sie es durchbrochen hätte. Nicht nur die kriegerischen Demonstrationen hörten in Paris auf, sondern auch die pazifistischen. Trotz aller eigenen Bedenken entschloß sich Napoleon zum Krieg aus Furcht vor der Revolution . Er hatte nur noch die Wahl zwischen dem Krieg und einem Prestigeverlust, der seine ganze 14

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Sturz Napoleons

Schwäche enthüllte und ihn den Thron kosten konnte. Das Kaiserreich erklärte am 19. Juli den Krieg an Preußen. Paris blieb ruhig, als sich Napoleon zu den Truppen ins Feld begab. Aber trotzdem wußte er, daß er in Paris die lauernde Revolution zurückließ . Er durfte nur noch als Sieger zurückkehren oder gar nicht. Nach den ersten Niederlagen meldeten sich bereits die Vorboten der Revolution . Wir berichten über diese Vorkommnisse ausführlicher in einem Werk, dem schon erwähnten, noch nicht publizierten 3. Bande von ,, Krieg und Demokratie ". Wir brauchen hier nur kurz darauf hinzuweisen . Es waren die Blanquisten , die zuerst auf die Niederlagen reagierten , in einem Aufstandsversuch vom 16. August . Dieser verlief noch kläglich . Als Blanquisten, als Erben der Traditionen vom glorreichen Revolutionskrieg von 1792 wollten sie die kaiserliche Regierung stürzen, nicht um den Frieden zu erlangen, sondern um eine kraftvollere Regierung einzusetzen, die es besser verstünde , Krieg zu führen und das ganze Volk bewaffnen sollte, um den eingedrungenen Landesfeind über die Grenzen zurückzutreiben. Nicht nach Frieden riefen die Aufständischen, sondern nach Waffen. Und gleichzeitig ließen sie den Ruf erschallen : Nieder mit den Preußen ! Was am 16. August völlig mißglückt war, vollzog sich am 4. September von selbst, nach der Schlacht bei Sedan : Die Verjagung der kaiserlichen Regierung, die Proklamierung der Republik. Jetzt meldeten sich auch wieder die Pariser Mitglieder der „, Internationale". Sie erließen sofort ein Manifest ,,an das deutsche Volk, an die Sozialdemokraten Deutschlands". Unter den Unterzeichnern finden wir die heute noch allen Sozialisten wohlbekannten Namen Charles Longuet und Vaillant. Es waren Proudhonisten oder ihnen nahestehende Männer, die das Manifest erließen . Proudhon hatte den Krieg der Vergangenheit verherrlicht, aber den der Gegenwart für überflüssig und schädlich erklärt und überdies die Idee der nationalen Selbständigkeit bekämpft. Wollte er doch den Staat in eine Reihe souveräner Gemeinden auflösen, was sollte da der Nationalstaat !? Trotzdem schlug das Manifest kriegerische Töne an. Der Gedanke, daß feindliche Heere im Lande stünden, war selbst den friedlichen Proudhonisten unerträglich. Und merkwürdigerweise sahen sie kein anderes Mittel, um die Invasion loszuwerden, als deren militärische Überwindung . Die Traditionen von 1793 waren auch in ihnen zu stark, dieselben Traditionen , deren Überwindung gleichzeitig Marx von der französischen Arbeiterklasse forderte. Der Appell der Pariser Internationalisten an das deutsche Volk lautet : ,,Eure Regierung hat wiederholt gesagt, daß Ihr nur Krieg führt gegen den Kaiser, nicht gegen die französische Nation. Der Mensch, der diesen brudermörderischen Krieg erklärt, der es

Pariser Internationalisten 1871

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nicht verstanden hat, zu sterben, und der in Euren Händen ist, existiert für uns nicht mehr. Das republikanische Frankreich fordert Euch im Namen der Gerechtigkeit auf, Eure Armeen zurückzuziehen ; wo nicht, werden wir bis auf den letzten Mann kämpfen und Euer wie unser Blut in Strömen vergießen müssen. Durch den Mund von 38 Millionen Menschen, die von denselben patriotischen und revolutionären Gefühlen beseelt sind, wiederholen wir, was wir dem koalierten Europa im Jahr 1793 erklärten : Das französische Volk ist Freund und Bundesgenosse aller freien Völker. Es mischt sich nicht in die Regierung der andern Nationen ein, es duldet nicht, daß sich die andern Nationen in die seine mischen. Geht über den Rhein zurück! Über die beiden Gestade des streitigen Flusses reichen wir - Deutschland und Frankreich — uns die Hand ! Laßt uns die Kriegsverbrechen vergessen, welche die Despoten uns gegeneinander vollbringen lassen ! Proklamieren wir die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit aller Völker ! Laßt uns durch unser Bündnis die Vereinigten Staaten von Europa gründen ! Es lebe die allgemeine Republik ! Sozialdemokraten Deutschlands, die Ihr vor der Kriegserklärung gleich uns zugunsten des Friedens protestiert habt ! Die Sozialdemokraten Frankreichs sind sicher, daß Ihr mit ihnen an der Ausrottung des nationalen Hasses arbeitet, an der allgemeinen Entwaffnung und der allgemeinen Harmonie." Diese Ausführungen waren sicher sehr gut gemeint, aber nicht geeignet, das Ende des Kriegs zu beschleunigen. Marx und Engels nahmen das Manifest mit großem Unmut auf. Am 7. September schrieb Engels an Marx : 99,Wenn die Pariser internationale Proklamation einigermaßen getreu hertelegraphiert, so beweist sie allerdings, daß die Leute noch vollständig unter der Herrschaft der Phrase stehen. Diese Menschen die den Badinguet (Napoleon , K. ) 20 Jahre geduldet , die noch vor 6 Monaten nicht verhindern konnten, daß er 6 Millionen Stimmen gegen 1½ erhielt und daß er sie ohne Grund und Vorwand auf Deutschland hetzte, diese Leute verlangen jetzt, weil die deutschen Siege ihnen eine Republik - und was für eine! geschenkt haben, die Deutschen sollen sofort den heiligen Boden Frankreichs verlassen , sonst : Krieg aufs Äußerste ! Es ist ganz die alte Einbildung von der Überlegenheit Frankreichs, von dem durch 1793 geheiligten Boden, den keine späteren französischen Schweinereien entheiligen können, von der Heiligkeit der Phrase Republik ... Ich will hoffen, die Leute besinnen sich, sobald sie über den ersten Rausch hinaus sind, denn sonst würde es verdammt schwer werden, mit ihnen international zu verkehren." In demselben Sinne, aber weit kürzer, schrieb Marx an Engels , 10. September : „ Die Narren in Paris ! Sie schicken mir Massen von ihrem lächerlichen chauvinistischen Manifest, das hier unter den englischen Arbeitern Gelächter und Entrüstung hervorrief, die ich mit Mühe abhielt, zu öffentlichem Ausdruck zu kommen." War das Manifest der Pariser Internationalen für Marx und Engels eine Verlegenheit, so für den mit der preußischen Regierung sympathisierenden Lassalleaner Schweitzer ein willkommener Vorwand . Seit Sedan forderten ebenso wie die Eisenacher auch die Mehrheit der Lassalleaner von der preußischen Regierung die sofortige Gewährung eines ehrenvollen Friedens. Schweitzer 14*

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Blanquisten patriotisch

mußte dieser Stimmung Rechnung tragen , entschloß sich aber ungern dazu, Bismarck Opposition zu machen. Da kam ihm das Manifest sehr gelegen , um den deutschen Arbeitern sagen zu können , daß die Franzosen in der Republik ebenso wie im Kaiserreich die Friedensstörer seien . Wo die friedfertigen Proudhonisten , die Internationalisten der Macht der Traditionen von 1793 erlagen, konnten die Blanquisten nicht zurückstehen . Gleich nach dem Sturz des Kaiserreichs gründete Blanqui ein Blatt,,,La Patrie en Danger" (Das Vaterland in Gefahr ) . An der Spitze der ersten Nummer vom 6. September stand folgender Aufruf: ,,Im Angesicht des Feindes darf es keine Parteien geben, keine Richtungen (nuances ) . Mit einer Staatsmacht, die das Volk verriet, war ein Zusammenwirken nicht möglich. Die Regierung, die aus der großen Volksbewegung des 4. September hervorgegangen ist, repräsentiert den Volksgeist und die Nationalverteidigung . Das genügt . Jede Opposition , jeder Widerspruch muß gegenüber den allgemeinen Interessen verschwinden. Es gibt nur noch einen Feind, den Preußen und seinen Mitschuldigen (complice ) , den Häuptling der gestürzten Dynastie, der jetzt in Paris Ordnung machen möchte mit Hilfe preußischer Bajonette. Verflucht sei jeder, der in der Stunde höchster Bedrängnis, in der wir uns befinden, noch ein persönliches Interesse oder irgend welchen Hintergedanken zu hegen vermöchte. Die Unterzeichneten, die alle Sonderansichten beiseite setzen, bieten der provisorischen Regierung ihre energischste und ganz unbedingte Unterstützung an, ohne irgend welche Vorbehalte, in der Erwartung, daß sie die Republik unter allen Umständen hochhalten und sich lieber mit uns unter den Ruinen von Paris begraben als ein Dokument der Entehrung und Zerstücklung Frankreichs unterzeichnen wird.“ Unter dem Aufruf standen die Namen Blanquis und der bedeutendsten seiner Anhänger, die eben noch , am 16. August, vergeblich in den Straßen von Paris zum Aufruhr aufgerufen hatten . In dem Manifest der Internationalen reichten französische Arbeiter den deutschen die Hand zum Friedensschluß . Der Aufruf der Blanquisten dagegen erklärt, es gebe nur noch einen Feind, den ,,Preußen". Unter diesen Umständen schien die Aufgabe der Leiter der Internationale eine sehr dornenvolle und eine einheitliche Politik in ihren Reihen kaum möglich zu sein . Doch glücklicherweise dauerte diese Schwierigkeit nur einen Moment lang. Die kriegerische Stimmung, der Proudhonisten und Blanquisten Ausdruck gaben , war die der Proletarier und Kleinbürger von Paris , unter denen die Erinnerungen an die stolze Rolle , die sie 1793 gespielt hatten, noch fortlebten. Ganz anders dachte die Provinz .

Internationale geeint seit 16. September

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Sie wollte Frieden . Die Kapitalisten von Paris selbst waren nicht sehr kampfgierig . Die Blanquisten wußten sehr gut, daß die Provinz damals nicht hinter Paris stand. Am 28. September sprach sich Blanquis „, Patrie en Danger" gegen Neuwahlen zu einer Nationalversammlung aus. Es hieß dort : ,,Finden die Wahlen statt, so ist der Sieg der Reaktionäre unausbleiblich. Die Versammlungen von Abgeordneten sind eine überholte , verurteilte, schlechte Mode, nicht bloß in Zeiten der Krisis, des Kriegs, sondern zu allen Zeiten." Dieser Ausspruch ist aus demselben Geiste geboren , der den Blanquismus wenige Monate später in der Pariser Kommune beseelte und nicht wenig zu ihrer Katastrophe beitrug. Das Land verlangte nach sofortigem Friedensschluß. Es wäre glücklich gewesen , mit der Bezahlung einer Kriegsentschädigung davon zu kommen. Aber gegen eines sträubte sich auch der friedfertigste Franzose : Bismarck verlangte unter dem Vorwand der ,,Sicherung" Deutschlands die Abtretung des Elsaß und eines Teils Lothringens trotz des leidenschaftlichsten Protestes der Bevölkerung dieser Gebiete . Sie ohne weiteren Kampf aufzugeben , erschien als ein Verrat an den Mitbürgern. Dazu konnte sich niemand entschließen. Nachdem Bismarck am 16. September öffentlich verkündigt hatte, Deutschland werde nicht Frieden machen , solange Frankreich nicht Elsaß-Lothringen abgetreten , war damit nicht nur entschieden, daß der Krieg weitergehe , sondern auch , daß er von nun an auf Seite der Franzosen zur Abwehr eines Eroberers geführt werde , als Volkskrieg , in dem die Sympathien eines jeden wahrhaften Demokraten , auch jedes deutschen , den nicht Siegesrausch verblendet hatte, auf Seite Frankreichs stehen mußten. Vom 16. September 1870 an war die letzte Unklarheit über den Charakter des Krieges geschwunden und damit die völlige Einheit der Internationale gesichert. So ging sie 1871 aus dem Kriege ganz anders hervor, als ihre Nachfolgerin , die zweite Internationale aus dem Weltkrieg. Nicht weil jene in irgendeiner Weise höher stand als diese , sondern weil die Verhältnisse 1870 einfacher lagen. Leider dauerten Kraft und Einheit der ersten Internationale nicht lange . Sie hatte sich während des Kriegs durch günstige Umstände behauptet. Aber ihnen folgten sofort ungünstige, die sie zuerst spalteten, dann zerstörten. Der Abstieg begann mit dem Fall der Pariser Kommune , die eine Nachwirkung des Krieges war.¹) Von da an wurde die Internationale in ganz Europa ver¹) Von der Pariser Kommune handle ich ausführlich in meinem Buche ,,Terrorismus und Kommunismus“ (2. Aufl . , Berlin 1925 ) . Es würde das vorliegende Werk zu sehr anschwellen, wollte ich das dort Ausgeführte wiederholen.

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Nationale Bestrebungen

fehmt. Dazu kam die Hinwendung der englischen Arbeiter zum Sozialliberalismus. Aus Rücksicht auf die Bourgeois wollten sie nun von der beim Bürgertum geächteten Internationale nichts mehr wissen. Auf der andern Seite verloren viele Arbeiter der romanischen Länder seit dem Falle der Pariser Kommune das Vertrauen zur Internationale. Den einen war sie nicht putschistisch genug. Sie wandten sich den Bakunisten zu . Und die es nicht taten, waren seit der Kommune enttäuscht, mutlos, müde. So zerfiel und erstarb die erste Internationale bald nach dem Kriege von 1870/71 . Nicht durch ihn, aber durch seine Folgen. Doch trotz ihrer kurzen Laufbahn von kaum zehn Jahren hinterließ sie große Wirkungen über die Zeit ihres Bestehens hinaus. Wohl die gewaltigste und stolzeste war ihre Bekundung internationaler Solidarität mitten im wilden, betäubenden Lärm des deutsch-französischen Kriegs .

7. Der russisch-türkische Krieg.

a) Das südslawische Problem. Seit 1871 gab es keinen Krieg mehr zwischen europäischen Großstaaten bis zum Weltkrieg wenn wir die Türkei nicht zu Europa rechnen. Aber auch zwischen Rußland und der Türkei gab es von 1871 bis 1914 nur den einen Krieg von 1877. Dieser schließt das Zeitalter der Nationalkriege ab, das die drei Jahrzehnte von 1850 bis 1880 umfaßt. Den wesentlichen Inhalt dieses Zeitalters und seiner Kriege bildete die Herstellung der staatlichen Zusammenfassung und der Unabhängigkeit des italienischen und des deutschen Volkes. Aus Ursachen, die ich im 1. Buche von ,,Krieg und Demokratie" dargelegt, waren diese beiden großen Kulturvölker im Gegensatz zu den Engländern , Franzosen , Spaniern bis zum 19. Jahrhundert nicht zu einem geschlossenen nationalen Staat gelangt. Bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts blieben Deutschland und Italien in zahlreiche kleine Fürstentümer zerstückelt und abhängig vom Ausland. Die moderne Demokratie, die mit dem industriellen Kapital emporkommt und erstarkt, wurde besonders angestachelt durch die große französische Revolution. Bei allen Völkern moderner Kultur, die noch nicht zu einem staatlichen Leben in Form eines Nationalstaates - oder eines Föderativstaates ohne starke Zentralgewalt, wie der Schweiz - gelangt waren , finden wir seit der Revolution von 1789 ein stetes Drängen nach Selbstbestimmung der Nation, nach ihrer Konstituierung in einem Nationalstaat. Die Revolution Frankreichs erweckte solches Streben bei den beiden Nachbarvölkern, den Italienern und den Deutschen, die am

Friedenszustand nach 1871

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meisten unter allen großen Nationen Westeuropas unter Zersplitterung und Vergewaltigung durch das Ausland litten. Doch hat die französische Revolution nichts getan, die Befriedigung des nationalen Bedürfnisses ihrer Nachbarn zu erleichtern, obwohl die Franzosen wenigstens in Italien einige Anläufe dazu herbeiführten. Nach dem Zusammenbruch der Revolution und ihres Erben Napoleon herrschten in Europa die absoluten Monarchen der Großmächte. Sie taten erst recht nichts, ein nationales Sehnen zu befriedigen, das mit dem demokratischen so eng zusammenhing. Der Wiener Kongreß von 1814/15 wollte die Zersplitterung Deutschlands und Italiens verewigen . Die demokratische Revolution von 1848 setzte die Einigung und Befreiung dieser beiden Nationen auf die Tagesordnung. Es gelang den Revolutionären nicht, ihr Programm durchzusetzen, auch nicht seinen nationalen Teil, aber eine Reihe von Dynastien , deren historisch gewordene Lage sie dazu drängte, vollbrachte, was die Revolutionäre gewollt, in einer Reihe von Kriegen, die ebensowohl nationale wie dynastische waren. Das Jahr 1870 schloß die Reihe dieser Kriege für Deutschland und Italien ab. Es gab den Italienern Rom, den Deutschen einen Kaiser. Allerdings war hier wie dort die Art der Lösung, da mit dynastischen Interessen verknüpft, eine unzulängliche. So warf sie aus Deutschland die Deutschösterreicher heraus, dafür vermehrte sie das deutsche Reich um eine beträchtliche Anzahl Mußpreußen , Dänen, Polen, sowie Elsässer, die das Reich haßten. Und den Italienern wieder fehlten nach 1870 immer noch einige italienische Gebiete, die unter österreichischer Herrschaft standen. Das schuf, namentlich in Welschtirol einerseits und in ElsaßLothringen anderseits, immer wieder Anlässe zu Reibungen mit den Nachbarn. Deutschland mußte stets darauf gefaßt sein, wenn es in einen kriegerischen Konflikt geriet, dabei Frankreich auf der Gegenseite zu sehn. Ebenso hatte Österreich dasselbe von seiten Italiens zu erwarten. Doch waren diese Objekte nicht bedeutend genug, um ihretwillen einen Krieg zu entzünden, der furchtbar zu werden drohte, namentlich für den Besiegten . Solange nicht andere Konfliktstoffe auftauchten, wurde der Friedenszustand Europas nicht gebrochen . Doch blieben die beiden Konfliktstoffe stets so ernsthaft, daß das Mißtrauen zwischen den Großmächten Europas nicht wich, ewige Kriegsbereitschaft, emsigstes Wettrüsten unerläßlich schien. Der Friede blieb erhalten, jedoch nur als bewaffneter Friede, als Waffenstillstand, der jeden Moment enden konnte. Immerhin, so drückend und oft beängstigend dieser Friede war, er war doch ein Zustand des Friedens. Und ein Zustand fast völliger Freiheit des Weltverkehrs, auch der Forschungsfreiheit und weitgehender politischer Freiheit - allerdings wurde letzterer in den beiden Militärgroßmächten Mitteleuropas zeitweise empfind-

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Friedenszustand nach 1871

lich durchbrochen. Rußland kam in dieser Beziehung überhaupt noch nicht in Betracht. Die Zeitgenossen unserer jammervollen Ära , die der Weltkrieg einleitete , denken sehnsüchtig an die ,,gute alte Zeit “ zurück, eben die Zeit von 1871 bis 1914. Sie meinen vielfach , es seien die Hohenzollern oder Habsburger gewesen, die der Welt diese schöne Zeit gebracht. Aber es war der dauernde Friede, verbunden mit der Freiheit des Wortes , des Verkehrs , der Forschung, der ökonomisches Gedeihen in dem Zeitalter nach den Nationalkriegen , namentlich seit 1890 mit sich brachte. Der lange Friedenszustand nach 1871 ist hauptsächlich dem Umstand zuzuschreiben , daß nach der Einigung Deutschlands und Italiens für die Mächte des eigentlichen Europa kein Konflikt mehr auftauchte, der gewaltig genug gewesen wäre , einen Krieg herbeizuführen . Denn bereits hatte die Demokratie ausreichende Kraft erlangt, den Ausbruch eines Kriegs zwar nicht absolut unter allen Umständen, aber doch dann hemmen zu können , wenn die Stimmung der großen Mehrheit des Volkes ihm widerstrebte , die bei allgemeiner Wehrpflicht auch das Heer beherrscht. Schon die moderne Kriegführung erschwert es, einen gerüsteten , entschlossenen Gegner mit einem widerwilligen Heer zu besiegen, da sie an die Ausdauer und Entschlußkraft jedes einzelnen Soldaten die höchsten Anforderungen stellt. Anderseits hat bei den hochgespannten ökonomischen und politischen Gegensätzen innerhalb eines modernen Staates jede Regierung, die den Krieg verliert, ihren Sturz zu gewärtigen. Das bedeutet in einer demokratischen Republik bloß einen Wechsel der regierenden Partei . In einer Monarchie kann es die Wegfegung der Dynastie bedeuten. Diese Gründe , Frieden zu halten, wenn nicht ein dringendes Lebensinteresse wenigstens der herrschenden Klasse den Krieg gebot, bestanden nach 1871 für alle Staaten Europas, mit Ausnahme Rußlands und der Türkei. In dieser hatte der industrielle Kapitalismus noch gar nicht, in Rußland nur sehr dürftig Wurzel gefaßt , hier wie dort gab es noch keine große , in dauernden Massenparteien organisierte Volksbewegung, keine demokratischen Freiheiten . Wohl fand man bei den Russen liberale, mitunter sogar radikale Regungen unter den Offizieren, wie bei adeligen Grundbesitzern, Intellektuellen , namentlich Studenten. Die Niederlagen im Krimkrieg hatten auch eine Reformära herbeigeführt . Doch fühlte sich der Zarismus durch deren Ergebnisse nicht geschwächt, sondern vielmehr verjüngt. Namentlich sein Heer hielt er für gekräftigt . Die oppositionellen Strömungen der Reformära hatten nicht die Kraft erlangt, den Zarismus einzuschüchtern , und es war bis in die siebziger Jahre hinein gelungen, sie immer wieder zu unterdrücken, wenn sie anfingen, dem Absolutismus unbequem zu werden .

Rußland wird im Orient aggressiv

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Gleichzeitig hatte sich die auswärtige Situation zugunsten des Zarismus geändert . Von den Mächten , die ihm 1854 und 1855 so sehr zugesetzt hatten , waren Österreich und Frankreich in blutigen Kriegen 1866 und 1870 niedergeworfen worden. Der Sieger über beide Mächte war Preußen, der einzige Staat, der im Krimkrieg zu Rußland gehalten hatte. Des weißen Zaren treuester Verbündeter, der König von PreuBen, war seit 1871 Kaiser des Deutschen Reichs . Aus dem Beherrscher der kleinsten unter den Großmächten war er der oberste Herr der machtvollsten unter ihnen geworden . Mit Deutschland an der Seite durfte die russische Regierung nach 1871 alles wagen. Um so mehr, als in England die Vertreter des Friedens um jeden Preis sehr zahlreich waren und sein noch immer auf Werbung beruhendes Landheer völlig veraltet und unzulänglich. Schon 1870, während des deutsch -französischen Krieges , hatte Rußland erklärt, daß es sich an einige Bestimmungen des Friedensvertrages von 1856 , die ihm lästig waren, nicht mehr zu halten gedenke, und die andern Großmächte hatten dies eigenmächtige Vorgehen geduldet . Seitdem schwoll den Machtpolitikern Rußlands der Kamm. Es schien ihnen nun die Zeit gekommen zu sein , das erneut anzustreben, woran sie zwei Jahrzehnte vorher durch Frankreich , England , Österreich verhindert worden waren . Sie wendeten um so mehr wieder ihr Interesse dem Balkan zu , als die Zersetzung der Türkei seit dem Krimkrieg immer weitere Fortschritte gemacht hatte, trotz der Reformen , die von der ,,Hohen Pforte" im Friedensvertrag von 1856 versprochen worden waren . Sie hatte eben nicht das geringste getan, sie zu verwirklichen . Wohl waren die zwei Jahrzehnte seitdem nicht spurlos an der Türkei vorbeigegangen . Aber sie hatten die sozialen und politischen Gegensätze in ihrem Innern nur verschärft, ohne ausreichende Maßregeln zu ihrer Überwindung mit sich zu bringen . Der technische Fortschritt des Kapitalismus hatte keine Industrie in der Türkei hervorgerufen, wohl aber die Anforderungen vermehrt, die an die Bewaffnung der Armee gestellt wurden . Und mit zunehmender Geldwirtschaft wuchs die Korruption im türkischen Staatsapparat, der keiner Kontrolle der Öffentlichkeit unterlag. So mehrten sich die Staatsausgaben, ohne daß das ökonomische Leben sich entwickelte. Die Bevölkerung blieb arm , aber die Steuern nahmen zu . Trotzdem blieben diese unzureichend , die Geldbedürfnisse des Staats zu decken . Die Staatsschulden wuchsen enorm , was aber wieder ein weiteres Steigen der Staatsausgaben zur Deckung der rasch zunehmenden Schuldenzinsen heibeiführte . Die ganze Bevölkerung des türkischen Staatswesens litt , mit Ausnahme der herrschenden Kaste von Großgrundbesitzern, Offizieren, höheren Beamten. Am schlimmsten aber ging es dem nicht

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Südslawen in der Türkei

mohammedanischen Teil der Bevölkerung. Er war völlig rechtlos und aller Willkür der mohammedanischen Herren ausgeliefert. Auch die mohammedanischen Bauern , Kleinbürger und Proletarier wurden durch den ebenso brutalen wie unwissenden Despotismus der Herrenklasse in hohem Maße bedrängt. Trotzdem gaben sie sich dazu her, eine willige Schutztruppe ihrer Despoten zu bilden, da sie doch gegenüber den Christen im Staate privilegierte Klassen bildeten , nicht ganz so rechtlos waren wie diese. Die Lage der Christen gestaltete sich ganz unerträglich dort, wo sie direkt dem Sultan unterstanden. Aber neben den unmittel-

baren Besitzungen beherrschte die Türkei mehrere Schutzstaaten , darunter auch christliche. In diesen und ebenso in angrenzenden Gebieten Österreichs hatte sich die Lage der Christen in den zwei Jahrzehnten seit dem Krimkrieg erheblich gebessert . In den österreichischen Provinzen Dalmatien und Kroatien war seit 1866 doch, trotz aller nationaler Unterdrückung, ein etwas liberales Regime in Anwendung gekommen , ebenso in Rumänien . Namentlich aber in Serbien mit seiner bäuerlichen Demokratie gedieh die Volksmasse. Um so bitterer empfanden die Christen , die noch direkt unter dem Absolutismus des Padischah standen , ihre klägliche Lage. Für sich allein fühlten sie sich zu schwach zur Erhebung gegen die unmenschliche Bedrückung durch ihre Herren . Aber sie waren stets bereit zum Aufstand , wenn sich ihnen Aussicht bot, daß eine starke Macht von außen ihnen zu Hilfe kam. Die geringste Aussicht auf Unterstützung war geeignet, sie zur Empörung zu treiben, sowohl in Bosnien und der Herzegowina , wie in Bulgarien und Mazedonien. Als eine solche starke, hilfreiche Macht kam aber für sie bloß Rußland in Frage. Dem übrigen Europa war es zum Teil gleichgültig, was in der Türkei geschah, oder es wünschte die Erhaltung der Türkei , nur zu dem Zweck, um Rußland von Konstantinopel fernzuhalten. Keiner der europäischen Staatsmänner dachte daran , daß der einzig rationelle Weg zu diesem Ziel die Gründung eines großen südslawischen Reiches sei, dessen Kraft und Selbständigkeit eine weit stärkere Schranke gegen die Gelüste des russischen Zaren biete, als die zerfallende lebensunfähige Türkei. Für Österreich kam noch ein besonderer Grund dazu, die Südslawen im Stiche zu lassen . Seit 1867 gab für seine Politik, namentlich die auswärtige, der ungarische Adel den Ton an, der zum großen Teil aus der Knechtung von Südslawen seine Einnahmen zog und in einer Kräftigung des Südslawentums seine größte Gefährdung sah. Also nur vom Väterchen an der Newa hatten die Südslawen der Türkei Hilfe zu erwarten. Dieses Väterchen brauchte aber bloß ermutigend zu nicken, und sofort brachen südslawische Aufstände los. Sie waren nicht bloß russische Mache, sondern hatten ihre tie-

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Südslawische Aufstände

fen Ursachen . Sie waren sozial wie politisch revolutionärer Natur, wollten die Ausbeutung der Bauern durch ihre Grundherren abschütteln und eine bäuerliche Demokratie an Stelle des Absolutismus setzen. Im Jahre 1875 gab es in Bosnien einen Aufstand . Das Programm der Insurgenten forderte die Verteilung des Grundbesitzes der Grundherren unter die Gemeinden und Hausgenossenschaften, forderte ferner eine Nationalversammlung, erwählt nach allgemeinem Wahlrecht, weitgehende Autonomie der Gemeinden, unbeschränkte Freiheit der Presse , der Versammlungen und Vereine. Außerdem Volksbewaffnung und Trennung von Schule und Kirche. Niemand wird glauben , es seien Agenten des Zaren gewesen, die solche Anschauungen verbreiteten. Sie entstammten sicher dem damals in Serbien so starken halbsozialistischen Radikalismus. Aber trotzdem darf man annehmen , daß die Bosnier es nicht gewagt hätten, sich zu erheben, wenn sie nicht erwarteten, Rußland werde ihnen beistehen. Nicht lange nach dem deutsch-französischen Krieg hatten russische Slawenvereine schon begonnen , Agenten in die südslawischen Länder zu schicken , um die Brüder dort zu versichern, daß sie nicht allein ständen. Die Regierung Rußlands tat nichts , diese Agitation zu hemmen, ihre Organe in der Türkei förderten sie nach Kräften. Da fehlte nur noch der Funke , der das Pulverfaß zur Explosion brachte. Er wurde von der türkischen Regierung 1875 geschleudert, als sie die Steuerschraube besonders hart anzog und dadurch die Bauernschaft zur Verzweiflung brachte. Allerdings war es würgende Geldnot, die sie zu solchem Vorgehn drängte, aber es erwies sich doch als höchst unsinnig, denn es trieb die verzweifelten Bauern in Bosnien zum Aufstand. Die Geldnot wurde dadurch nicht vermindert. Wenige Monate , nachdem die Erhebung ausgebrochen war, mußte die türkische Regierung sich doch bankrott erklären, die Zahlung der Schuldenzinsen einstellen. Des Aufstandes aber wurde sie nicht Herr. Er zog immer weitere Kreise, brachte der Türkei den Krieg zuerst ( 1876) mit Serbien und Montenegro, und als es der Türkei gelungen war, Serbien niederzuschlagen, den Krieg mit Rußland ( 1877/78) . Ich habe darüber hier nicht zu handeln , ich tue es ausführlich in dem schon erwähnten Buche von „ Krieg und Demokratie“. Ich hebe hier nur jene Momente nochmals hervor , die für die Diskussionen in Betracht kommen, die sich in sozialistischen Kreisen über den Krieg entspannen . b) Bakunin. Die Situation ähnelte 1875/76 der von 1859. Damals wie nun gab es den Freiheitskampf eines durch einen brutalen Absolutismus gemarterten Volkes. Damals wie jetzt fand es seinen Helfer

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Bakunismus

in einem für ganz Europa gefährlichen Despoten. Damals wie jetzt erstand für die internationale Demokratie, bürgerliche wie proletarische, die Frage , was höher zu stellen sei , der Freiheitskampf der Unterjochten oder der Freiheitskampf gegen ihren Bundesgenossen ? Das ergab, wie wir gesehn, 1859 argen Zwiespalt in den Reihen der Demokraten und Sozialisten . Marx betonte vor allem die Pflicht, gegen Napoleon Front zu machen. Lassalle dagegen fand , die Sozialisten müßten jede Freiheitsbewegung rückhaltlos unterstützen, auch wenn sie unangenehme Helfer finde. So fragte es sich auch jetzt wieder, ob man es die Südslawen entgelten lassen solle, daß derjenige , der in ihrem Interesse dem Sultan entgegentrete, der russische Zar sei . Jetzt wie damals war unter den Sozialisten der Gegensatz der Meinungen in der Kriegsfrage so schroff, daß er die Einheit der Internationale ernstlich bedroht hätte , wenn sie zur Zeit dieser Kriege noch vorhanden gewesen wäre. Aber 1859 war sie noch nicht gegründet gewesen und 1875 schon wieder entschlafen . Der neue russisch - türkische Krieg war in seinem Wesen wieder ebenso kompliziert wie der von 1859 , dabei aber dauerte diesmal die kriegerische Situation drei Jahre , ohne daß sie sich im Fortgang der Ereignisse geklärt hätte . Bei gleicher Dauer und Unklarheit des Kriegsverlaufs wäre die erste Internationale vielleicht schon 1870 ebenso zerfallen , wie die zweite im Herbst 1914 . Nicht an Gegensätzen in der Kriegsfrage starb die erste Internationale, sondern nach dem Krieg von 1870 am Bakunismus . Wir haben schon bemerkt , daß er eine Synthese der beiden wichtigsten Spielarten des französischen Sozialismus unter dem zweiten Kaiserreich darstellte, des Proudhonismus und des Blanquismus. Er bildete aber auch eine Synthese westeuropäischen und russischen Revolutionarismus. Rebellische Anwandlungen unerfahrener Gewerkschafter und garibaldische Reminiszenzen mengte er mit revolutionären Bestrebungen Rußlands, wo es lange Zeit keine Arbeiterbewegung gab, nur eine Bewegung von Studenten , von denen manche zu Berufsrevolutionären wurden. Diese konnten in ihrem Lande nicht öffentlich wirken , nur in geheimen Verschwörungen . In der Öffentlichkeit äußerte sich die russische revolutionäre Bewegung damals außer in politischen Prozessen und vereinzelten Attentaten nur außerhalb Rußlands. Die Emigranten, die in Westeuropa lebten, wurden von dessen Ideen beeinflußt , die sie allerdings oft sehr sonderbar verarbeiteten . Dabei schickte sich die Emigration an, ihrerseits auf die proletarischen Bewegungen des Westens Einfluß zu nehmen. Denn die Berufsrevolutionäre des Zarenreichs fühlten sich den Sozialisten der freieren Länder weit überlegen. Diese gingen ja nicht ausschließlich im Gedanken der Revolution auf, sondern hatten sich in der Regel im Kampfe für Reformen zu betätigen .

Engels gegen Bakunin 1870

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Schon 1870 wies Engels auf die Gefahr hin , die Revolutionäre Rußlands könnten versuchen, die ganze sozialistische Bewegung Europas nach ihren Auffassungen zu modeln. Am 5. März 1870 druckte der Leipziger „ Vorwärts“ eine Proklamation Bakunins an die Jugend ab. Sie entwickelte bereits das bakunistische Programm : ,,Abschaffung , nicht Eroberung des Staates, Befreiung des russischen Volkes auf dem Wege, den ihm vor gerade 200 Jahren sein Held Stenka Rasin vorgezeichnet hat . " Dieser Held war ein gefürchteter Räuberhauptmann gewesen. Die Studenten sollten nach dem Vorbild Stenka Rasins das Volk, also die Bauern zum Kampf für den Umsturz führen. Im ,,Volkstaat" am 16. und 20. April 1870 stand dann ein Brief Bakunins über die ,,revolutionäre Bewegung in Rußland", der diese weit stärker erscheinen ließ , als der Wirklichkeit entsprach. Es hieß dort, die russischen Studenten seien revolutionär wegen ihrer ungünstigen materiellen Lage. ,,In einer Rede, die ich vor beinahe anderthalb Jahren auf dem Kon greß der Friedens- und Freiheitsliga in Bern gehalten habe, sagte ich, daß dieselbe (die studierende Jugend Rußlands ) mehr denn 40.000 junge, vollständig enterbte ( declassés ) Leute zähle, die , um ihrem gegenwärtigen Elend zu entgehn, keinen andern Ausweg finden können, als den der Revolution.“ Der Hinweis auf die 40.000 Revolutionäre in Rußland vor 1870 erschien Engels doch als zu starker Tabak. Noch bedenklicher stimmte ihn jedoch die Aussicht , die diese Studenten, wenn es auch viel weniger wären, für Westeuropa bildeten . Sie wüßten keinen Ausweg aus ihrer persönlichen Misere, als sofortige Revolution. Bleibe die aus, dann wären sie gezwungen nach dem Westen zu flüchten, um dort die Arbeiterbewegung zu beeinflussen . Engels schrieb darüber an Marx, am 29. April 1870 : ,,Der Brief des Bakunin ist wirklich sehr naiv. Welch ein Pech für die Welt, wenn es nicht greulich gelogen wäre, daß in Rußland 40.000 revolutionäre Studenten wären, ohne ein Proletariat oder auch nur ein revolutionäres Bauerntum hinter sich, und ohne eine andere Karriere vor sich als das Dilemma : Sibirien oder Auswanderung nach Westeuropa . Wenn irgend etwas die westeuropäische Bewegung ruinieren könnte, so wäre es die Importation dieser 40.000 mehr oder weniger gebildeten, ambitiösen, hungrigen russischen Nihilisten ; lauter Offiziersaspiranten ohne Armee, die wir stellen sollen, eine kostbare Zumutung, daß , um Einheit ins europäische Proletariat zu bringen, es russisch kommandiert werden muß." ,, Bei alledem, so stark der Bakunin auch übertreibt, ist es doch sonnenklar, daß die Gefahr da ist . Das heilige Rußland wird jährlich eine gewisse Anzahl dieser ,karrierelosen' Russen ausspeien, und unter dem Vorwand des internationalen Prinzips werden sie sich überall bei den Arbeitern einschleichen, sich Führerrollen erschleichen , ihren, bei den Russen unvermeidlichen Privatintrigenkrakeel in die Sektionen tragen und dann wird der Generalrat ( der Internationale, K. ) Arbeit genug haben.“ Zum Glück, da Bakunin übertrieb, sah auch Engels zu schwarz, trotz seiner kritischen Reserven. Aber in seiner Befürchtung steckte ein Körnchen Wahrheit, die galt, solange es nicht hinter den revo-

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Bakunismus und Marxismus

lutionären Studenten Rußlands ein kraftvolles Proletariat gab, dessen Aufklärung und Organisierung sie ganz in Anspruch nahm, so daß sie keine Veranlassung mehr hatten, sich einen Wirkungskreis für ihre russischen Methoden außerhalb Rußlands zu suchen. Diese , dem damaligen Zustand des russischen Volkes und Staates entspringenden Methoden liefen darauf hinaus, die Demokratie zu verpönen , in der Arbeiterbewegung wie im Staat, und sie durch eine seltsame Vereinigung von Diktatur und Anarchie zu ersetzen. Auf der einen Seite sollte nicht nur der Staat aufgelöst werden, sondern auch jede Organisation der Volksmassen. Aber gleichzeitig sollte eine kleine auserwählte Minderheit sich in einer Verschwörung zusammentun , unter einem Führer, dem alle Mitglieder zu blindem Gehorsam verpflichtet waren. Die Desorganisation der Massen sollte der Boden werden, dem deren unbeschränkte Beherrschung durch eine straff zentralisierte Verschwörung entsproß . Die Demokratie bedeutet die Selbstbetätigung der Massen dort, wo diese organisiert sind. Die Anarchie dagegen endet nur zu leicht in einer Diktatur. Bakunin kam nicht so weit, einen Staat desorganisieren zu können. Seine Predigt der Anarchie führte nur zur Desorganisation der in Westeuropa organisierten Arbeiter, die er seiner Diktatur unterwerfen wollte . Bei diesem Bestreben stieß er auf die entschiedene Gegnerschaft seines früheren Freundes Marx. Darob ging die Internationale zugrunde, die schon geschwächt war durch die Niederlage der Pariser Kommune und das gleichzeitige Abschwenken der englischen Gewerkschaften ins liberale Lager. Die bakunistische Gefahr hatte, wie wir eben gezeigt, Engels schon 1870 erkannt. Er hatte in manchem zu schwarz gesehn, aber im ganzen doch noch zu rosig. Er nahm bloß an, der Bakunismus werde dem Generalrat der Internationale ,,Arbeit genug" geben. In Wirklichkeit brachte der Bakunismus die Internationale zu völliger Auflösung . Aber allerdings, die russischen Emigranten mit dem in jeder Emigration , nicht bloß der russischen, unvermeidlichen „ Privatintrigenkrakeel" verursachten dem Generalrat nur hie und da einige Arbeit . Sie waren es nicht, die die Internationale sprengten. Das geschah durch den Einfluß, den die Bakuninsche Revolutions- und Räuberromantik mit ihrer Ablehnung jeder parlamentarischen Betätigung in den romanischen Ländern fand, die bis dahin der Blanquismus und der Proudhonismus beherrscht hatten. Zur Charakterisierung des Verhältnisses zwischen Bakunismus und Marxismus sei hier auf Ausführungen verwiesen , die heute deshalb besonderes Interesse erhalten, weil sie prophetischer Natur sind. Wir finden sie in dem Fragment eines langen Briefes, den Bakunin nach dem Haager Kongreß der Internationale ( Septem-

Bakunin gegen Marx

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ber 1872) an ein Brüßler Blatt, die „, Liberté" richtete, um gegen seinen Ausschluß aus der Internationale zu protestieren . (Abgedruckt in der Ausgabe seiner „, Oeuvres", Paris 1910, 4. Band . ) Er weist in seiner Darlegung darauf hin, daß die ganze Verwerflichkeit des Marxismus schon im „ Kommunistischen Manifest" dargetan sei. Denn Marx und Engels verlangten dort die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse . Die Staatsmacht bedeute aber auch unter demokratischen Formen eine Unterjochung des Arbeiters. Und nicht nur darin irre das Kommunistische Manifest : „ Es gibt in diesem Programm noch einen Ausdruck, der uns revolutionäre Anarchisten , die offen die völlige Befreiung des Volkes anstreben, aufs äußerste abstößt : das ist die Bezeichnung des Proletariats, der Arbeiterschaft, als Klasse, nicht als Masse. Wißt Ihr, was das bedeutet ? Nichts mehr und nichts weniger, als daß eine neue Aristokratie geschaffen wird, eine Aristokratie der Arbeiter der Fabriken und der Städte, unter Ausschluß der Millionen, die das ländliche Proletariat bilden. Nach den Erwartungen der Herren Sozialdemokraten Deutschlands sollen die Landproletarier zu richtigen Untertanen in ihrem großen sogenannten Volksstaat werden. Klasse, Macht, Staat, das sind drei unzertrennliche Begriffe, deren jeder notwendigerweise die beiden andern voraussetzt und die sich zusammen in die Worte zusammenfassen lassen : Politische Unterjochung und ökonomische Ausbeutung der Massen. “ ( S. 373 , 374.) Das ist in der Tat eine geniale Voraussage . Was Bakunin 1872 befürchtete, ist in unseren Tagen unter einem Regime, das sich marxistisch nennt, wirklich eingetroffen. Beweist das nicht, daß Bakunin recht hatte und Marx unrecht ? Nein. Es beweist bloß , daß man , um Bakunin zu verstehn, das russische Volk kennen muß, in dem er aufwuchs, auf das er zu wirken versuchte. Bakunin hatte ganz recht : wollte man in einem überwiegend agrarischen Lande, mit geringem industriellem Proletariat, ohne Volksbildung, ohne freie Massenorganisationen politischer und ökonomischer Natur aufs rascheste eine sozialistische Gesellschaft dadurch herbeiführen , daß die Industriearbeiter die politische Macht eroberten, dann war zu befürchten, daß die industriellen Arbeiter als eine Art Aristokraten über die Bauern erhoben und die einen wie die andern einem staatlichen Despotismus ausgeliefert wurden, der die Massen ,,politisch unterjocht und ökonomisch ausbeutet". Diese Tatsache spricht aber nicht gegen den Marxismus überhaupt, sondern nur gegen jene Marxisten, die eine Diktatur des industriellen Proletariats in Rußland errichten wollten , einem Staat mit 80 Prozent primitiver Bauern und einer kleinen Minderheit von Industriearbeitern, die nie freie politische oder ökonomische Massenorganisation gekannt hatten. Unter diesen Bedingungen sollte die kleine Minderheit ohne weiteres eine sozialistische Gesellschaft aufbauen. Sofortige Durchführung sozialistischer Produktion in Rußland, schon zur Zeit der ersten Internationale, das wollte Bakunin.

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Eroberung des Staates

So schrieb er 1869 in einem Artikel für das Genfer Organ der Internationale ,,, L'Egalité" (28. August ) , über die Politik der Internationale" (Oeuvres, V. S. 191 ) : „ Jede politische Bewegung ist eine Bourgeoisbewegung und als solche von der Internationale auszuschließen , die sich nicht die Aufgabe stellt, sofort und direkt , endgültig und vollständig die ökonomische Befreiung der Arbeiter herbeizuführen." Was Marx dagegen forderte , war nicht die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat unter allen Umständen und sofort . Er wies darauf hin, daß diese Eroberung ihre Vorbedingungen habe, die allerdings durch die kapitalistische Produktionsweise und die mit ihr empor kommenden politischen Formen überall mit der Zeit geschaffen würden. Marx unterschied mit Recht zwischen Arbeiterklasse und Masse. Die industriellen Proletarier bilden in vielen ökonomisch rückständigen Staaten eine Minderheit. Trotzdem forderte Marx , daß das Proletariat die politische Macht anstrebe. Doch sollte das nicht im Gegensatz zur Volksmasse geschehen. Die Zeit für die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat sei nur dort gegeben, wo es so zahlreich und stark geworden ist , daß es die Mehrheit der Nation bildet und die nicht proletarischen Arbeiter ihm Vertrauen schenken , in ihm ihren Retter sehn. Unter diesen Umständen wird die Arbeiterklasse identisch mit der Masse , bildet die Demokratie, das heißt die Herrschaft der Mehrheit, den Boden, auf dem das Proletariat die politische Macht gewinnt und zu seiner ökonomischen Befreiung benutzt , durch Freiheit und Gleichheit aller, nicht durch aristokratische Überhebung einiger Proletarier über die andern Arbeiter, und nicht durch einen staatlichen Despotismus. Das haben die russischen Sozialisten , die anfangs der achtziger Jahre zum Marxismus kamen , geführt von Plechanov und Axelrod , sehr wohl begriffen . Auch Lenin wußte das, bis eine abnorme Situation ihm Ende 1917 die Möglichkeit eröffnete , sofort die politische Macht zu erobern . Damit war der Fall gegeben, den Bakunin 1869 als notwendige Folge der Eroberung der politischen Macht durch eine proletarische Minderheit in Rußland prophezeit hatte . Die Prophezeiung war ganz richtig, Sie traf deshalb zu , weil Lenin wie Bakunin Gewächse des russischen Bodens waren, dessen Einflüsse stärker auf sie wirkten, als die der Industriestaaten des Westens. Dort hat der Bakunismus nie Bedeutung gewonnen . Dagegen gewann er Kraft in manchen Agrarländern , in denen Gewohnheiten der Revolte und des Räubertums in der Bauernschaft zusammenfielen mit tiefer Unzufriedenheit zahlreicher stellenloser Intellektueller, wie das in Italien und Spanien der Fall war. Deren Ungeduld, die persönlichen Motiven entsprang, lehnte die marxistische Verweisung auf den Gang der ökonomischen Entwicklung ab,

Deutschenhaß bei Slawen

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die den Boden für die soziale Umwälzung vorbereite. Sie griffen , nachdem Proudhonismus und Blanquismus ihren Zauber verloren hatten, zum Bakunismus, der ihnen sofortige Befriedigung ihrer Wünsche verhieß. Bakunismus und Marxismus wurden unversöhnliche Gegensätze . Die erste Internationale starb daran, nicht zum wenigsten deshalb, weil sie so rasche Verbreitung gefunden hatte, weil die Zahl der ökonomisch rückständigen Länder wuchs, in denen sich . Gruppen von Arbeitern und Revolutionären ihr anschlossen . Sie erlag dem Gegensatz des demokratischen Marxismus und des anarchisch-diktatorischen Charakters des Bakunismus. Hätte sie einige Jahre länger gelebt, dann wäre es ein anderes Kennzeichen des Bakunismus gewesen, das sie sprengte : sein Panslawi smus. In manchen slawischen Völkern finden wir starken Deutschenhaß . Er ist nicht angeborener „ Rassenhaß “. Ein solcher ist nur eine willkürliche Erklärung für den Haß , den mitunter besondere historische Bedingungen zwischen verschiedenen Nationen hervorrufen. Mit diesen Bedingungen schwindet der Haß. Es ist auch nicht einzusehen, warum verschiedene Rassen einander von Natur aus hassen sollen . Der Haß zwischen manchen Slawen und Deutschen ist vielmehr eine Art Klassenhaß, dessen Wurzeln noch in die Zeiten des Mittelalters zurückreichen . Die slawischen Völker lernten damals den Deutschen nur kennen als einen Eroberer, der in ihre Wohnsitze eindrang, sie unterjochte und als feudaler Grundherr, später auch als Kapitalist ausbeutete. Das spürten natürlich am meisten die den Deutschen direkt benachbarten Stämme, Tschechen, Slowenen , Polen . Aber die Furcht vor den Deutschen drang über diese Gebiete hinaus . Ein besonderer Grund in Rußland , die Deutschen scheel anzusehn, entstand dort , als die Monarchen ihren Absolutismus aufrichteten und durch Neuerungen zu stützen suchten . Sie fanden im eingeborenen Adel nur wenige gebildete Elemente , die sie für ihre Zwecke benützen konnten. Sie mußten für die Durchführung technischer, ökonomischer, kultureller Verbesserungen Fremde heranziehn. Natürlich vor allem die am nächsten liegenden Deutschen . Diese wurden den Adeligen als Konkurrenten um fette Posten zuwider, der konservativen Masse als Bringer, ja Aufzwinger von Neuerungen. Die Sache wurde nicht verbessert durch jene Deutschen, die Untertanen des Zaren waren , nämlich die baltischen Junker, die sich ebenso servil nach oben, wie brutal nach unten zeigten und dadurch den deutschen Namen in Rußland sehr verhaßt machten. Den fortschrittlichen Elementen Rußlands endlich wurden seit der französischen Revolution die Deutschen unsympathisch, weil diese keine Revolution machten und stets dabei waren , dem revolutionären Frankreich zu Leibe zu gehn. Wohl gab es gebildete und namentlich international gesinnte Elemente Rußlands, die sich

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Bakunins Deutschenhaß

vom Deutschenhaß freizuhalten wußten. Aber selbst manche von ihnen wurden unwillkürlich durch die allgemeine Strömung beeinflußt. Aus solchen und noch anderen Gründen finden wir lange Zeit bei dem russischen Volk wie bei andern slawischen Stämmen eine starke Tendenz zur Deutschenfeindschaft. Ein Beispiel dafür bietet uns Bakunin. Er kannte Deutschland ziemlich genau, fand gute Freunde unter den Deutschen, kämpfte 1849 in der deutschen Revolution aber manchmal wurde trotz alledem eine gute Dosis von Deutschenhaẞ in ihm lebendig. Und im Grunde seines Herzens blieb er stets ein Slawophile, ein Panslawist . Sein Biograph G. Stekloff schreibt darüber (,,Michael Bakunin", Stutgart 1913) : ,,Er war von vielen typischen Zügen des Slawophilentums nicht frei. Einer von diesen Zügen war die Andichtung unerhörter Vorzüge, die dem Slawentum eigen seien, die Idealisierung seiner primitiven Verhältnisse, die Lobpreisung seiner freiheitlichen, staatsfeindlichen Bestrebungen, usw.; ein anderer, der mit dem ersteren eng zusammenhängt und gleichsam seine Kehrseite bildet, der organische Widerwille gegen die Deutschen , denen alle negativen Seiten des russischen, offiziellen Staatstums in die Schuhe geschoben wurden. Bekanntlich wiederholte Herzen (Bakunins Freund, K.) beständig, der Despotismus der Petersburger Periode sei keine russische, sondern eine deutsche Politik ; Bakunin blieb in dieser Hinsicht nicht hinter ihm zurück. Er behauptete ebenfalls, daß der russische Staat seinem Geiste nach gar nicht ein russischer, sondern ein tatarisch-deutscher sei, daß die russische Regierung noch mehr deutsch als tatarisch sei und die drei berühmten Säulen des russisch-offiziellen Staates ( Orthodoxie, Autokratie, Nationalismus) nichts anderes als eine Ausgeburt der ungeheurlichen Vereinigung tatarischer Barbarei mit der deutschen politischen Wissenschaft' darstellen." (S. 106, 107.) Diese Quellen des Deutschenhasses bei so vielen Russen sind seit dem Sturz des Zarismus vollständig vertrocknet. Sie hörten schon lange vorher auf, die russischen Sozialisten zu beeinflussen , aber auf Bakunin wirkten sie noch stark ein. Besonders lebendig wurde der Deutschenhaß in ihm, als er in Konflikt mit dem Deutschen Marx geriet. Das zeigt deutlich der von uns bereits oben zitierte Brief ( es ist in Wirklichkeit eine Abhandlung von 60 Druckseiten) an die Brüßler ,,Liberté", derselbe , in dem er sich über das Kommunistische Manifest entrüstet . Er weist in dem Brief ( S. 370) auf den Satz hin , in dem Marx im August 1870 seiner Ansicht Ausdruck gab, daß der deutschfranzösische Krieg ,,den Schwerpunkt der kontinentalen Arbeiterbewegung nach Deutschland verlegt". Wir haben gesehn, daß Marx über die Veröffentlichung dieses Satzes durch den Braunschweiger Ausschuß sehr ungehalten war. Seine Worte konnten leicht dahin mißverstanden werden , als beanspruche Marx eine Vormachtstellung der deutschen Sozialdemokratie in der Internationale. Bakunin beeilte sich, als er mit Marx in Konflikt geriet, den Satz in diesem Sinne zu deuten . Er zitierte die Marxschen Worte und rief im Anschluß an sie :

Bakunin gegen Marx als Deutschen

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,,In diesen Worten finden wir das ganze Denken, alle Hoffnungen, alle Ansprüche (ambitions ) der Marxisten ... Frankreich und alle lateinischen Völker sind gewesen , die Slawen sind noch nichts, und außerdem sind sie zu barbarisch, um etwas durch sich selbst zu werden, ohne Hilfe Deutschlands. Deutschland allein ist heutzutage." Den lateinischen Völkern gegenüber empfänden die Deutschen dabei eine mitleidige Nachsicht. ,,Den Slawen gegenüber legen sie Geringschätzung an den Tag, aber in diese Geringschätzung mischt sich viel Furcht ; ihr wirkliches Empfinden für sie ist der Haß, der Haß, den der Unterdrücker für den empfindet, den er unterdrückt und dessen schreckliche Empörung er fürchtet.“ Von sich selbst dächten die Deutschen sehr selbstgefällig und überheblich. ,,Was Herr Bismarck in der Politik und für die Bourgeoisie macht, will Marx heute für die sozialistische Welt innerhalb des europäischen Proletariats bewirken : die französische Führung durch die Führung und Herrschaft der Deutschen ersetzen." Denselben Gedankengang spann Bakunin fort in den Ausführungen, die als Fortsetzung seines Buchs über das ,,Knuto- germanische Kaiserreich" im November 1872 begonnen wurden, jedoch nicht zum Abschluß gelangten. Er wirft dort Marx vor, dieser wolle ebenso wie Bismarck, wenn auch mit andern Mitteln die Errichtung eines großen deutschen Staates, zum ,,Ruhm des deutschen Volkes und zur Beglükkung und Zivilisierung, der freiwilligen oder erzwungenen , der Welt." (Oeuvres , IV. S. 466. ) Diesem Ziele stellten sich drei Hindernisse entgegen : 1. Die Rivalität zwischen Österreich und Preußen, 2. die Macht Frankreichs. ,,3. die drohende Macht des allrussischen Kaiserreichs, die als Schützer der slawischen Völker gegen die deutsche Zivilisation auftritt ." Die beiden ersten Hindernisse habe Bismarck 1866 und 1870 beseitigt, das dritte stehe noch ungebrochen da. Für Bismarck wie für Marx sei ein Kampf auf Leben und Tod Deutschlands mit dem russischen Zaren unvermeidlich . Nur suche Bismarck den Kampf hinauszuschieben, Marx ihn herbeizuführen. „ Die Politik des Herrn v. Bismarck ist die der Gegenwart ; die des Herrn Marx ist die der Zukunft. Er betrachtet sich zum mindesten (à tout le moins ) als sein Nachfolger und Fortsetzer." (S. 470. ) ,,Als deutscher Patriot will Marx die Größe und die Macht, das heißt die Herrschaft Deutschlands ; aber als Sozialist der Internationale muß er die Befreiung aller Völker der Welt wollen. Wie diesen Widerspruch auflösen? Dazu hat er nur ein Mittel : zu verkünden, natürlich , nachdem er sich selbst dazu überredet hat, daß die Größe und die Macht Deutschlands als Staat die wichtigste ( suprême) Vorbedingung der Befreiung der Welt darstellt, daß der nationale und politische Triumph Deutschlands den Triumph der Menschheit bedeutet, und daß jeder ein Feind der Menschheit ist , der sich dem Aufstieg dieser neuen, alles verschluckenden Großmacht entgegenstellt." ( S. 479.) Ungefähr um dieselbe Zeit, in der diese Ausführungen entstanden ( nach dem Haager Kongreß ) , verfaßte Marx die Schrift über die „ Alliance de la démocratie socialiste" ( London 1873 , deutsch 15*

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Bakunins Panslawismus

unter dem Titel : „ Ein Komplott gegen die Internationale ArbeiterAssociation", Braunschweig 1874) . Dort wurde gegen Bakunin unter anderem auch die Anklage vorgebracht, er sei Panslawist. ,,Der Panslawismus ist eine Erfindung des Petersburger Kabinetts und hat keinen andern Zweck, als den, die europäischen Grenzen Rußlands nach Westen und Süden vorzuschieben . Da man aber nicht wagt, den österreichischen, preußischen und türkischen Slawen ihren Beruf anzukündigen, im großen russischen Reich aufzugehn , stellt man ihnen Rußland als die Macht dar, welche sie vom fremden Joche befreien und in einer großen, freien Föderation vereinigen wird. Der Panslawismus ist demnach verschiedener Schattierungen fähig, vom Panslawismus des Kaisers Nikolaus bis zu dem Bakunins ; aber alle laufen sie auf dieselbe Tendenz hinaus und stehen im Grunde in inniger Harmonie." Bakunin beschuldigte Marx, er wollte das Werk Bismarcks fortsetzen, und dieses bedeute die Weltherrschaft der deutschen Nation. Marx beschuldigte Bakunin , dieser arbeite im Grunde für die Ausdehnung der Herrschaft des russischen Zaren. Als einer der Beweise für diese letzte Beschuldigung beruft sich die Marxsche Schrift auf eine Bakuninsche Schrift aus dem Jahre 1862 , in der der Zar aufgefordert wurde, sich an die Spitze der russischen Revolution zu stellen und ,,kühn das panslawistische Banner zu erheben“. Täte er das, ,, er würde der Heiland der slawischen Welt. Ja , in der Tat, der Krieg gegen die Deutschen ist für die Slawen ein gutes und unerläßliches Werk ... Eine Notwendigkeit und heilige Pflicht für das befreite russische Volk wird es sein, sich zu Befreiung der Slawen vom türkischen und deutschen Joche zu erheben." Man sieht, welch tiefe Gegensätze sich innerhalb der ersten Internationale gebildet hatten , nicht nur in der Frage der Anarchie , Diktatur, Demokratie, sondern auch in der der Nationalitäten. Marx und Bakunin waren die schärfsten Vertreter dieses Gegensatzes , aber er war kein persönlicher, sondern umfaßte breitere Massen der Internationale. Nicht nur an die Slawen , sondern auch an die lateinischen Völker, namentlich die Italiener, wendete sich Bakunin mit seiner Predigt der Notwendigkeit, sich gegen das deutsche Joch zu erheben . Trotzdem führte der russisch-türkische Konflikt von 1876 und 1877 zu keinem großen Kampf zwischen Marxisten und Bakunisten, denn vorher schon war der Meister der letzteren verstummt. Bakunin, soeben noch höchst kampflustig, zog sich plötzlich 1874 von der Bewegung zurück, enttäuscht, müde, krank. Am 1. Juli 1876 starb er. Er hatte noch das Scheitern aller seiner Hoffnungen erleben müssen . Die französische Arbeiterschaft war seit dem Zusammenbruch der Pariser Kommune gelähmt und geknebelt . In Spanien war es zu einer großen Volkserhebung gekommen, die im Februar 1873 die Republik eroberte. Die Bakunisten operierten dort so wahnwitzig, daß sie binnen wenigen Monaten einen völligen Bankerott der Arbeiterbewegung herbeiführten und den Bestand der Republik unterminierten . Gleichzeitig scheiterten Versuche revolutionärer Erhebungen in Italien, die nichts anderes er-

Liebknecht für die Türkei

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zielten als eine Verschärfung der Verfolgungen aller Elemente, die als revolutionäre erkannt oder als solche betrachtet wurden. Unter solchen Umständen war das Interesse der Arbeiter in den romanischen Ländern für die Vorgänge in der Türkei nicht intensiv genug, sie zu leidenschaftlicher Parteinahme zu treiben. c) Wilhelm Liebknecht. In der Zeit des Niedergangs und des Verschwindens der ersten Internationale gab es nur ein Land , in dem die Sozialdemokratie rasch anwuchs und erstarkte : das Deutsche Reich. Aber auch dort erweckten die Erhebungen der Südslawen und der russisch-türkische Konflikt nur lebhafte Erörterungen , nicht leidenschaftliche Debatten. In Rußland auf der einen Seite, auf der andern in Österreich und England wurde die Bevölkerung durch die Vorgänge auf der Balkanhalbinsel aufs tiefste erregt . Den Deutschen im Reich dagegen konnte Bismarck geringschätzig von „,dem bißchen Herzegowina" sprechen, das nicht der Rede wert sei. Und im Dezember 1876 erklärte er, in dem ganzen Streit stehe für Deutschland kein Interesse in Frage, ,,das auch nur die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert wäre“. Das Deutsche Reich wurde in keiner Weise direkt von dem Orientproblem bedroht. Auf der andern Seite war in der deutschen Bevölkerung die Kenntnis der Verhältnisse auf dem Balkan gering, Verständnis und Sympathie für die Südslawen nur wenig vorhanden . Nur einzelne Politiker gab es in Deutschland, die an dem Kampfe gegen und für die türkische Regierung leidenschaftlichen Anteil nahmen. Jedoch nicht als Deutsch e, sondern als Revolutionäre . Nicht ein deutsches Interesse stand in der Türkei in Frage, sondern ein revolutionäres oder vielmehr zwei revolutionäre Interessen , und das war das Unglück. Es waren zwei einander gegensätzliche Interessen der Revolution, die in Frage kamen : das Interesse der Revolution in der Türkei und das der Revolution in Rußland . Diese beiden Revolutionen gerieten in Widerspruch miteinander. Wer dem Zaren den Krieg erklärte, wurde der Bundesgenosse des Sultans in Konstantinopel. Wer dem Sultan den Krieg erklärte , geriet in das Lager des russischen Zaren . Unter den deutschen Revolutionären jener Tage war Wilhelm Liebknecht derjenige, der am intensivsten den Widerstand gegen den russischen Zaren forderte. Oder zumindest die Unterstützung jener europäischen Großmächte, die für die Türkei gegen Rußland auftraten . Liebknecht hatte an den revolutionären Kämpfen von 1848/49 aktiv teilgenommen . Wir haben gesehn , wie sehr damals von einem Kriege gegen den Zaren die Rettung der Revolution erhofft wurde ,

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Liebknecht und Urquhart

und wie viel die Intervention des Zaren zum Zusammenbruch der Revolution beitrug. Der grimmigste Haß geegn den Zaren war ein heiliges Vermächtnis aus den Kämpfen von 1848/49 für jeden, der dem Gedanken der Revolution treu blieb. Im Exil in England hatte sich dieser Zarenhaß bei Liebknecht noch vertieft und eine eigene Färbung angenommen durch Anregungen, die dort von andern Hassern des Zaren ausgingen ; diese bekämpften im russischen Despoten nicht den Feind der Revolution, sondern den Bedroher der englischen Herrschaft in Ostindien. Den deutschen revolutionären Gegnern des Zarismus wurden so vielfach die konservativen kriegerischen Russenfeinde in England sympathischer als deren Gegenpartei, die manchesterlichen, pazifistischen Liberalen, die mit aller Welt, also auch mit Rußland Freundschaft zu halten suchten, zur größten Entrüstung der Revolutionäre. Am sympathischsten wurde diesen der schottische Sonderling und Romantiker, von dem wir schon gesprochen, David Urquhart. Er gewann großen Einfluß auf viele revolutionäre Elemente der deutschen Emigration in England . Darunter auch auf Liebknecht. Urquhart beschäftigte und interessierte auch Marx und Engels, obwohl diese seine Schwächen früh erkannten . Schon im März 1853 schrieb Engels über ihn an Marx : „ Ich habe jetzt den Urquhart zu Hause, den verrückten M. P. ( Parlamentsmitglied, K. ) , der den Palmerston für von Rußland bezahlt angibt. Die Sache erklärt sich einfach : der Kerl ist ein keltischer Schotte mit sächsisch-schottischer Bildung, der Tendenz nach Romantiker, der Bildung nach Freihändler. Dieser Kerl ging als Griechenfreund nach Griechenland, und nachdem er sich drei Jahre mit den Türken herumgeschlagen , ging er in die Türkei und begeisterte sich für ebendieselben Türken. Er schwärmt für den Islam und sein Prinzip ist : wenn ich nicht Kalvinist wäre, so könnte ich nur Mohammedaner sein . Die Türken, die der Blütezeit des Osmanischen Reiches ganz besonders, sind die vollkommenste Nation der Erde, in allem ohne Ausnahme. Die türkische Sprache ist die vollkommenste und wohlklingendste der Welt . All das alberne Gerede von Barbarei, Grausamkeit, lächerlichem Barbarenhochmut rührt bloß von der Unwissenheit der Europäer in Bezug auf die Türkei und von den interessierten Verleumdungen der griechischen Dragomans (Dolmetscher, K. ) her“ u. s. w. Immerhin war Urquhart ein Kenner der Türkei und vor allem ein unversöhnlicher Gegner des russischen Zaren . Als solcher kam er in Verbindung mit Marx. Es bildete sich zwischen den beiden eine Art Waffenbrüderschaft gegen den Zaren und gegen Palmerston, den sie als Helfer des Zaren bekämpften . Marx blieb dabei Urquhart gegenüber stets kritisch, kam mitunter in Konflikt mit ihm, doch überbrückte der gemeinsame Haß gegen den Zaren immer wieder die Gegensätze . Dagegen gehörte Kritik gegenüber Erscheinungen, deren Tendenz ihm sympathisch war, nicht zu Liebknechts starken Seiten . Er akzeptierte die Orientpolitik des Zarenfeinds Urquhart ohne

Für und gegen die Südslawen

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jeglichen Vorbehalt . Als er aus England wieder nach Deutschland zurückkehrte, blieb er noch immer Urquhartit. Das erklärt die Haltung seines Organs, des Leipziger ,,Vorwärts" (Nachfolger des ,,Volksstaat" seit 1876) während der Balkankrise von 1876 bis 1878. Er fand in der Partei nur geringen Widerspruch, und nur bei jungen unbekannten Leuten . In Österreich wagte ich damals meine erste Polemik über auswärtige Politik. Sie richtete sich gegen Liebknechts Standpunkt. Weit mehr beachtet wurde die eines Berliner Parteigenossen, der 1877 von London aus, wo er vorübergehend weilte, Briefe ,,Aus Heuchelland" für den Leipziger ,,Vorwärts“ schrieb. Der Verfasser nannte sich bloß H. L. Er war ein Bankbeamter, namens Levy , ein sehr kluger, witziger Kopf, und begeisterter Sozialist . Viele begrüßten in ihm damals eine Hoffnung unserer Partei. Leider sollte ihn das Sozialistengesetz bald zum Verstummen bringen . Seine Briefe ,,aus Heuchelland " fanden in der Partei vielen Beifall, obwohl sie England in verschiedenen Punkten etwas gar zu hart behandelten . Aber den meisten Lesern des „ Vorwärts" erschienen nicht die Ausführungen dieser Art anstößig. Wohl aber geriet jeder Anhänger Liebknechts in Entrüstung, als Levy seit dem Oktober 1877 auf die Orientfrage zu sprechen kam und für die Befreiung der Südslawen eintrat , für die in England ( bei den Liberalen) warme Sympathien zutage getreten seien. Gegen diese Auffassung wendete sich Liebknecht aufs energischste. Eine Artikelserie Levys über die Orientfrage, die durch vier Nummern ging, versah er mit nicht weniger als 79 Fußnoten , die dem Verfasser widersprachen . Als der Korrespondent ,,Aus Heuchelland" am 18. Januar 1878 in einem Artikel auf jene Bemerkungen der Redaktion erwiderte , versah Liebknecht Levys Entgegnungen mit einer fast ebenso langen ,,Generalnote", in der er seinem Mitarbeiter unter anderem versicherte, er möge „ ein vorzüglicher Gefühls- und Zukunftspolitiker sein, von der orientalischen Frage und überhaupt von der Realpolitik verstehe er aber nichts". Die Parole ,,die Balkanländer für die Balkanvölker" sei „, russisches Reptilprodukt". Um dieselbe Zeit veröffentlichte Liebknecht eine Broschüre, ein ,,Mahnwort an das deutsche Volk" mit dem Titel „ Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden ?". Levy schrieb dem „ Vorwärts " zwei Entgegnungen auf die Liebknechtschen Bemerkungen . Die Redaktion des „ Vorwärts" lehnte die Aufnahme ab, weil sie zu umfangreich seien. So veröffentlichte sie Levy als besondere Broschüre unter dem Titel „ Zur orientalischen Frage oder Soll die sozialistische Arbeiterpartei türkisch werden ?". Die Schrift war 85 Seiten stark, also für einen Zeitungsartikel sicher zu lang.

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Liebknecht gegen Levy

Liebknechts Ausführungen lesen sich wie reiner Urquhart. Er nennt in seiner Broschüre Urquhart ,,den besten Kenner der Türken und Russen" (S. 8, auch S. 17) . Dementsprechend behauptete Liebknecht denn auch in der 34. seiner 79 Fußnoten zu den Levyschen Artikeln : ,,Bis dato ist der Durchschnittstürke dem Durchschnittsrussen unzweifelhaft in der Kultur überlegen." Und in der ,, Generalnote" zu dem Artikel Levys im ,,Vorwärts" vom 18. Januar 1878 heißt es von den Türken, daß sie ,, den ,freiheitsdurstigen Südslawen' an , Kultur und Adel der Gesinnung entschieden voranstehen ." Aber nicht nur für den türkischen Bauern begeistert sich Liebknecht, der ja wirklich auch von unbefangenen Beobachtern als tüchtig und sympathisch geschildert wird — allerdings der russische und südslawische nicht minder - Liebknecht begeistert sich auch für den türkischen Sta a t. In der 38. Spezialnote schreibt er : ,,Es gilt, die verschiedensten Rassen (der Türkei ) auf dem Boden der Gleichberechtigung friedlich nebeneinander wohnen zu lassen. Das war und ist das Ziel aller türkischen Reformbestrebungen." ,,Diese einzige Lösung erstrebt die Türkei", heißt es in der Generalnote, und in der 26. Spezialnote : "" Tatsache ist, daß die Türkei seit 50 Jahren durchgreifendere Reformen bewerkstelligt hat, als irgendein anderer europäischer Staat." Seit fünfzig Jahren, das heißt, seit 1828, sollte also die Türkei der fortschrittlichste Staat Europas sein! Dementsprechend erklärt auch Liebknecht in seiner Broschüre : ,,Die Unzufriedenheit der türkischen Christen ist zu 99/100 russisches Fabrikat ... Sind doch die Christen in der heidnischen Türkei tausendmal freier, als die Christen in dem christlichen Rußland .“ Kein Wunder, daß er den Serben ihre Niederlage gönnte , als sie den Insurgenten in der Türkei zu Hilfe eilten , und es bedauerte , daß nachher ( Herbst 1876) die Großmächte der Türkei in den Arm fielen, die den serbischen Staat ganz zu vernichten drohte . Dadurch sei Serbien ,,vor einer gründlichen und wohlverdienten Züchtigung bewahrt" worden ( S. 43) . Diesen Ausführungen gegenüber betonte Levy auf das entschiedenste, daß es sich bei ,,der südslawischen Bewegung um eine soziale Revolution, den Sturz des letzten Feudal- und Sklavenstaats in Europa handelt." ( S. 18. ) Levy bedauerte es , daß diese Revolution den Schutz des Zaren fand , dessen Eintreten für die Insurgenten seinen Einfluß auf dem Balkan steigere . Nicht minder als Liebknecht wünschte er das zu verhindern . Doch sah er nur einen Weg dazu , der mit unseren Anschauungen vereinbar sei . Nicht die Unterstützung des Sultans zur Niederwerfung der südslawischen Revolution , sondern die Unterstützung dieser Revolution durch ganz Europa. Die Insurgenten hätten keine Ursache, sich für den Zaren besonders zu begeistern. Nur der Umstand treibe sie in seine Arme : daß er der einzige Machtfaktor in Europa sei , der sich ihrer annehme. Levy warf

Liebknecht verkennt Bismarcks Politik

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Liebknecht auch vor, daß er zum Krieg gegen Rußland treibe. Dieser hatte das bestritten. Aber wie konnte man seine Haltung anders als kriegerisch deuten, wenn er z . B. zu dem Schluß kam : ,,Die Westmächte nebst Österreich sind in die Alternative versetzt, entweder als Großmächte abzudanken oder Rußland mit gezücktem Schwert Halt! zuzurufen." Und Liebknecht hielt es für eine Beleidigung der Engländer , zu behaupten, es gebe unter ihnen eine starke Friedensbewegung. In seiner Generalnote sagte er : „Wir müssen das englische Volk gegen die Anklage in Schutz nehmen, es sei mit der ‚Friedensbewegung' des russischen Agenten Gladstone und der vaterlandslosen englischen Bourgeoisie zu identifizieren. Daß die englischen Tories der russischen Eroberungspolitik mit dem Schwert in der Hand Halt zu gebieten wünschen, ist doch sicherlich kein Grund für uns, jedes aktive Vorgehen für Rußland zu verurteilen." In einer Beziehung allerdings war Liebknecht gegen den Krieg. Er fürchtete, Bismarck habe sich mit Rußland so tief eingelassen, daß er Deutschland als dessen Verbündeten in einen Krieg gegen England und Österreich führen könnte, wenn diese Mächte sich mit der Türkei zur Bekämpfung Rußlands vereinten . Bismarck an der kriegerischen Unterstützung Rußlands zu hindern, erklärte Liebknecht für die heilige Pflicht der deutschen Arbeiter. Er warf der Bismarckschen Politik vor : ,,Sie kennt keine Interessen Deutschlands im Orient , sie überläßt Österreich ruhig der Überflutung, der Wegflutung durch das Slawentum ... kurz, in Deutschland gibt es jetzt keine deutsche Politik Deutschland treibt russische Politik und kann vorläufig nur als russisches Anhängsel betrachtet werden." In Österreich machten damals die ungarischen Grafen die auswärtige Politik. Liebknecht forderte, Bismarck solle deren slawenfeindliche Politik auf dem Balkan unterstützen, um der Schwächung Rußlands willen . Das war gerade die Politik, die Deutschland 1914 in den Weltkrieg hineinführen sollte, allerdings unter ganz anderen Bedingungen als denen von 1878. Damals stand England auf Seite Österreichs , gegen Rußland . Indes verhielten sich auch 1878 die Dinge ganz anders , als Liebknecht annahm . Er sprach so, weil er die Situation vollkommen verkannte. Es fiel Bismarck gar nicht ein, wie Liebknecht befürchtete, mit Österreich um Rußlands willen brechen zu wollen . Dazu verspürte Bismarck nicht die mindeste Neigung. Er versuchte den Frieden zwischen diesen beiden Mächten zu erhalten, trat als Neutraler, als „, ehrlicher Makler“ zwischen ihnen auf, jedoch mehr auf Österreichs als auf Rußlands Vorteil bedacht. Kurz vorher, 1875 , hatte in einer peinlichen Situation, die Bismarck durch eine drohende Haltung gegenüber Frankreich heraufbeschworen , Rußland sich als weit unbequemerer Freund erwiesen , als Österreich . Es kam 1878 nicht zu einem Krieg, sondern zu einem Kongreß der Großmächte, und auf diesem setzte sich Bismarck für die Forderungen Österreichs , nicht Rußlands ein . Der Kongreß legte

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Liebknecht bleibt turkophil

den Keim zu jener Entfremdung zwischen Deutschland und Rußland um Österreichs , um des Balkans willen , die ein Menschenalter später so unheilvoll wirken sollte. Da der Friede 1878 erhalten blieb, entzweite der Gegensatz der Anschauungen, den Liebknecht und Levy verkörperten, nicht die deutsche Sozialdemokratie . Gerade 1878 wurde unsere Partei bald von viel näherliegenden Sorgen gequält. Das Vorwort zu Levys Schrift über die orientalische Frage ist vom Anfang April datiert, das Nachwort von Mitte Mai. Am 11 . Mai aber knallte der unglückselige Klempnergeselle Hödel seine Pistole gegen den Kaiser Wilhelm los . Im Juni folgte Nobilings Schuß. Nun waren im Deutschen Reich alle Teufel gegen die Sozialdemokratie entfesselt, obwohl sie mit den Attentaten gar nichts zu tun hatte. Das Sozialistengesetz kam. Da schwand unter den deutschen Sozialisten jegliches Interesse für die Orientfrage um so mehr, da sie gleichzeitig aufhörte, Europa mit einem Krieg zu bedrohen . Wie wenig die Diskussion Liebknecht- Levy 1878 die Gemüter der deutschen Sozialdemokratie erhitzte, bezeugt die Tatsache, daß Mehring in seiner Parteigeschichte der Kontroverse nur wenige Zeilen nebenher widmet. Liebknecht blieb jedoch seiner Türkenverherrlichung treu . In den Jahren 1895-1897 beschäftigte die Türkei wieder einmal ganz Europa, sowohl wegen der Erhebungen auf Kreta, die schließlich zu einem Krieg zwischen der Türkei und Griechenland führten , als auch wegen der stürmischen Auflehnung der Armenier gegen ihr entsetzliches Los . Diese Auflehnung führte 1896 zu furchtbaren Armeniermetzeleien. Abermals verteidigte Liebknecht den türkischen Despotismus. Doch stieß er diesmal auf stärkere Opposition in seiner Partei . Sowohl Bernstein wie Rosa Luxemburg und ich traten ihm damals entgegen, in der ,,Neuen Zeit", der ,,Sächsischen Arbeiterzeitung" und im Berliner ,,Vorwärts".

d) Marx. Seiner Schrift über die orientalische Frage gab Liebknecht einen Anhang bei, ,,zwei Briefe eines Freundes, der die orientalische Frage studiert hat , wie kaum ein Zweiter. Das scharfe Urteil, der sichere Blick, die umfassenden Kenntnisse verraten den Meister. Ex ungue leonem." (An der Klaue erkennt man den Löwen. K. ) Warum Liebknecht den ,, Löwen" nicht nannte, sondern es dem Leser überließ, ihn an der ,,Tatze" zu erkennen, sagt er nicht. Wahrscheinlich veröffentlichte er die beiden Schreiben, ohne deren Verfasser befragt zu haben . Zu bezweifeln ist es nicht , daß dieser Verfasser Karl Marx war, obwohl uns mancher Satz der Briefe sehr in Verwunderung setzt. Der erste ist vom 4. Februar 1878 datiert . Es heißt dort :

Marx für die Türken

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„, ... Wir nahmen die entschiedenste Partei für die Türken, aus zwei Gründen : 1. weil wir den türkischen Bauer also die türkische Volksmasse studiert und ihn daher als unbedingt einen der tüchtigsten und sittlichsten Repräsentanten des Bauerntums in Europa kennen gelernt haben . 2. Weil die Niederlage der Russen die soziale Umwälzung in Rußland, deren Elemente massenhaft vorhanden, sehr beschleunigt haben würde und damit den Umschwung in ganz Europa. Die Sachen sind anders gegangen. Warum ? In Folge des Verrats von England und Österreich." Marx beschuldigt die englische Regierung, sie habe das geschlagene Serbien gerettet, den Türken falsche Vorspiegelungen über die Bereitschaft Rußlands zum Frieden gemacht, Österreich sei den Türken um Montenegros willen in den Arm gefallen usw. „ Endlich und das ist ein Hauptgrund ihrer schließlichen Niederlage die Türken versäumten eine Revolution in Konstantinopel zu machen Mahmud so blieb die Inkarnation des alten Serailregiments Damat - der Schwager des Sultans, der eigentliche Lenker des Krieges. Das war absolut dasselbe , als ob das russische Kabinett direkt den Krieg gegen sich selbst dirigiert hätte. Die systematische Paralysierung und Kompromittierung¹ ) der türkischen Armee durch diesen Burschen kann bis ins kleinste Detail nachgewiesen werden. Übrigens ist es allbekannt in Konstantinopel und erhöht die historische Schuld der Türken. Ein Volk welches in solchen Momenten der höchsten Krise nicht revolutionär dreinzufahren weiß, ist verloren.“ U. s. w. Da den Russen die Niederwerfung der Türken gelungen, erwartete Marx in seinem Brief vom 4. Februar 1878 die Auflösung nicht nur der Türkei, sondern auch Österreichs , damit aber den Zusammenbruch der ganzen ,,alten europäischen Staatenordnung, die 1815 wieder zurechtgeflickt wurde", eine Reihe von Kriegen, in denen ,,die soziale Krisis und mit ihr der Untergang aller dieser säbelrasselnden Shampowers ( Scheinmächte ) 2) beschleunigt wird." Diese Erwartung traf bekanntlich nicht ein . Rußland war durch den Krieg so geschwächt, daß es im Präliminarfrieden vom 3. März 1878 schon einiges Wasser in seinen Wein goß . Dieser wurde noch unendlich verdünnt auf dem Berliner Kongreß . Das konnte Marx natürlich am 4. Februar noch nicht wissen . Der zweite Brief, den Liebknecht abdruckt, ist vom 11. Februar datiert. Er wendete sich in seinem ersten Teil mit Erbitterung gegen die intensive Agitation zur Erhaltung des Friedens, die unter den Arbeitern Englands vor sich ging : „ Die englische Arbeiterklasse war nach und nach durch die Korruptionsperiode seit 1848 tiefer und tiefer demoralisiert worden und endlich so weit gekommen, nur noch den Schwanz der großen liberalen Partei, d. h. ihrer Knechter, der Kapitalisten zu bilden. Ihre Lenkung war ganz übergegangen in die Hände der verkäuflichen Trade-Unionsführer und Agitatoren von Handwerk. Diese Burschen schrien und heulten in majorem gloriam des völkerbefreienden Zar, hinter den Gladstone, Bright, Mundella, ¹) Im Französischen und Englischen bedeutet das Wort Kompromittieren nicht bloß, wie im Deutschen : ,.bloßstellen, den guten Ruf gefährden", sondern auch „ aufs Spiel setzen, den Erfolg gefährden“, K. 2) Die Verdeutschung in der Klammer rührt hier von Liebknecht her. K.

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Marx gegen englische Pazifisten

Morley, dem Fabrikantenpack etc. , während sie keinen Finger rührten für ihre eigenen, in Sud-Wales von den Grubenbesitzern zum Hungertod verurteilten Brüder. Die Elenden ! Und das Ganze wurde würdig gekrönt bei den letzten Abstimmungen des Hauses der Gemeinen am 7. und 8. Februar, wo die meisten Großwürdenträger der großen liberalen Partei' — die Forster, Lowe , Harcourt , Goschen, Hartington und sogar am 7. Februar der große John Bright selbst - ihre Armee im Stiche ließen und bei der Abstimmung durchbrannten, um sich durch ein Votum nicht gar zu sehr zu kompromittieren.') Die einzigen Arbeitervertreter im Haus der Gemeinen und zwar, horribile dictu , direkte Vertreter der Minenarbeiter und selbst Minenarbeiter von Haus aus, Burt und der erbärmliche MacDonald haben mit dem für den Zar schwärmenden Rumpf der großen liberalen Partei' gestimmt. Aber die rasche Entfaltung der russischen Pläne hat plötzlich den Zauber gebrochen , die ,mechanische Agitation ' ( Fünfpfundnoten die Haupttriebfeder des Mechanismus ) gesprengt ; in diesem Augenblick wäre es ,leibesgefährlich ' für die Mothershead, Howell , John Hales, Shipton , Osborne und das ganze Pack, ihre Stimme in einem öffentlichen Arbeitermeeting hören zu lassen ; sogar „,ihre Corner- und Ticketmeetings ' (Winkelversammlungen nur gegen Eintrittskarte ) ') werden von der Volksmasse gewaltsam aufgelöst und auseinandergejagt." Also Marx entrüstete sich über die Friedensagitation der englischen Arbeiter, und über die Ablehnung der von dem konservativen Ministerium geforderten Kriegskredite durch Arbeitervertreter. Und er verzeichnet mit Genugtuung die Tatsache, daß der Vormarsch der russischen Armeen gegen Konstantinopel in den englischen Arbeitern die frühere Friedensstimmung durch eine energische Kriegsstimmung verdrängt. Allerdings täuschte sich Marx über die Intensität dieser Kriegsstimmung. Er sagt in seinem Brief: ,,Ein Gutes haben die Russen erreicht ; sie haben die große liberale Partei' Englands gesprengt und für lange regierungsunfähig gemacht." Noch stärker drückte sich Liebknecht in seiner Broschüre aus . Er meinte, Gladstone habe sich ,,aller Wahrscheinlichkeit nach für den Rest seines Lebens politisch unmöglich gemacht." Die nächsten Wahlen zum Parlament zeigten das Gegenteil. Im Jahr 1874 waren nur 250 Liberale gewählt worden gegen 348 Konservative . Dagegen im Frühjahr 1880 errangen die Liberalen 353 Sitze , die Konservativen nur 238. Sie hatten 110 Sitze verloren , die Liberalen 103 gewonnen . 7 Mandate mehr waren den irischen Nationalisten ( Home Ruler ) zugefallen , einer Partei, die sich 1870 gebildet hatte , 1874 bereits 54 Sitze erlangte , 1880 61 . Man darf die Friedensliebe der Arbeiter des damaligen England nicht zu hoch einschätzen . Sie entsprang weder irgendwelcher tiefen politischen Auffassung noch auch selbständigem politischen Denken. Wir haben schon im 1. Abschnitt gezeigt , daß seit dem ¹) Es handelt sich um eine Abstimmung über 6 Millionen Pfund Sterling, die das konservative Ministerium Disraeli ( Beaconsfield ) für Kriegsrüstungen forderte. Sie wurden mit 328 gegen 124 Stimmen bewilligt. Die Hälfte der Liberalen fehlte bei der Abstimmung . K. *) Übersetzung von Liebknecht, K.

Marx für die Türken

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Ende des 17. Jahrhunderts in weiten , namentlich industriellen Kreisen Englands ein religiöser Abscheu vor jeder Gewaltanwendung herrschte, sogar solcher, die der Abwehr der Gewalt diente . Diese Gesinnung finden wir am vollkommensten im Quäkertum verkörpert. Sie wirkt bis heute unter vielen Arbeitern und Demokraten Englands nach. Sie ist religiöser, nicht politischer Art. Auf dem Festland Europas dagegen werden durch die große Revolution Kriege entfesselt, die zeitweise die Macht und vielleicht noch mehr das Machtbewußtsein der unteren Klassen von Paris gewaltig steigern . Seitdem galt lange Zeit hindurch für viele Revolutionäre nicht nur der Bürgerkrieg, sondern auch manche Form des äußeren Kriegs als ein Mittel, die Sache der proletarischen Befreiung zu fördern . Der Pazifismus ist daher zeitweise unter den arbeitenden Klassen Englands weit stärker als unter denen des Festlandes . Er ist vielfach ein absoluter, unpolitischer, entspringt nicht einem selbständigen politischen Denken. Unter Umständen konnte er aber doch durch ein solches mächtig verstärkt werden . Wir haben ein Beispiel davon in der Haltung der englischen Arbeiter während des amerikanischen Sezessionskrieges kennengelernt ( S. 176) . Anders lag die Sache während des russisch-türkischen Kriegs. Osteuropa lag den englischen Arbeitern ferner, als Nordamerika . Für die Orientfrage und gegenüber Rußland überließen sie sich der liberalen Führung. Und darüber vor allem entrüstete sich Marx. Aber freilich, von den beiden Punkten, die er als Grund dafür angibt, warum die Arbeiter Westeuropas für die Türken eintreten sollten, erregt der eine unser Kopfschütteln . Er gemahnt zu sehr an Urquhart . Marx sagt, er nehme deshalb die entschiedenste Partei für die Türken, weil er den türkischen Bauern als ,,unbedingt einen der tüchtigsten Repräsentanten des Bauerntums in Europa kennen gelernt habe." Ähnlich, allerdings noch schärfer, hatte sich Liebknecht geäußert. (Siehe oben S. 232.) Aber nicht gegen den Bauern der Türkei erhoben sich 1875 und 1876 die südslawischen Bauern, sondern gegen den Sultan , seine Generale und Bureaukraten , seine Paschas und Beys und gegen die mohammedanischen Grundherrn. Davon , von der südslawischen Insurrektion , von der sozialen Revolution , die sie bedeutete , spricht Marx auffallenderweise nicht, wenigstens nicht in den beiden von Liebknecht veröffentlichten Briefen. Und doch gab er selbst zu, daß das verrottete türkische Regierungssystem die Wurzel des Übels sei. Er selbst erklärte, eine Revolution gegen das ,,alte Serailregiment" in Konstantinopel sei unerläßlich . Nur forderte er im Interesse der Türkei, daß die Türken selbst diese Revolution vollzögen, und nicht etwa die südslawischen Bauern . Marx

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Niederlage des Zaren bringt Revolution

erklärt es für die ,,historische Schuld" der Türken, daß sie es versäumten,,,im Moment der höchsten Krise revolutionär dreinzufahren". Das ist aber nur ein besonderer Ausdruck für die Konstatierung der Tatsache, daß es die Türken zu keiner Klasse gebracht hatten, die imstande gewesen wäre, in der Hauptstadt, in Konstantinopel, eine Revolution hervorzurufen . Sie hatten keine industriellen Kapitalisten und Arbeiter einer Großindustrie, keine revolutionären Kleinbürger. Daran ging der türkische Staat zugrunde, darum war es ein vergebliches Bemühen, ihn aufrechtzuerhalten . Die türkischen Bauern, zumeist im asiatischen Teil des Reiches lebend, ohne städtische Führung im Freiheitskampf waren nicht einmal imstande , für sich das Willkürregiment der Herren in Konstantinopel abzuschütteln . Sie waren gar nicht gewillt und natürlich auch nicht imstande, diese Revolution für die christlichen Bauern in dem europäischen Gebiete herbeizuführen . Die Berufung auf die Tüchtigkeit des türkischen Bauern war also recht wenig ein Grund dafür, daß die Sozialdemokratie in der Orientkrise von 1875-78 auf das ,,entschiedenste" die Partei der Türken zu nehmen habe. Doch Marx hatte dafür noch einen zweiten Grund, und der war allerdings höchst wichtig : Die Niederlage der Russen mußte die Revolution in ihrem Reiche beschleunigen und ,, damit den Umschwung in ganz Europa“. Schon im Sommer 1877 erwog Marx diese Aussicht. Am 18. Juli dieses Jahres schrieb er an Engels : ,,Daß Niederlagen der Russen in der europäischen Türkei direkt zur Revolution in Rußland führen, ist jetzt selbst für Lawrov und Lopatin bewiesen durch die von keiner Zensur niederzuhaltenden Ausbrüche der russischen Presse aus Anlaß der Fehlschläge in Armenien." Marx' russische Freunde hatten also bis dahin nicht mit der russischen Revolution gerechnet. Die Revolution in Rußland, das war für die Entwicklung der Welt sicher von ganz anderer Bedeutung als die Revolution auf dem Balkan, besonders wenn letztere eine Revolution war, die vom Väterchen an der Newa gegängelt wurde und wenn deren Erfolg ihn gekräftigt hätte. Dieser Grund hatte durchschlagende Kraft. Er rechtfertigte vollauf den Wunsch, die Türken möchten sich gegen Rußland militärisch behaupten. Doch brauchte das uns keineswegs zu veranlassen, dem Säbelrasseln Disraelis und Andrassys, der Minister Englands und Österreichs, unsere Sympathien zu schenken. Die revolutionäre Stimmung, die sich in Rußland im Laufe des Krieges bildete , rührte daher, daß es den Armeen des großen russischen Reichs lange nicht gelang, mit denen des verkommenen Osmanenstaates fertig zu werden. Der Krieg gegen den verachteten Türken kostete die Russen unerhörte Opfer, sowohl wegen un-

Krieg und Revolution in Rußland

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fähiger Führung als auch wegen der mangelnden Organisation des Transportwesens , das gegenüber den Bedürfnissen der ungeheuren russischen Armee völlig versagte . Daß der Zwerg dem Riesen so lange Widerstand leistete , das erschütterte aufs tiefste das Prestige des russischen Absolutismus und erbitterte den ganzen politisch denkenden Teil der Bevölkerung Rußlands gegen ihn. Völlig entgegengesetzt wäre die Wirkung des türkischen Widerstandes gewesen , wenn die Türkei nicht allein blieb , sondern die Unterstützung Österreichs und des reichen England fand, dessen Armee wohl klein war, dessen Geldmittel aber unermeßlich , so daß mit ihrer Hilfe die Türkei weit größere Truppenmassen auf die Beine zu bringen vermochte, als tatsächlich der Fall war. Die Türkei allein, bloß auf ihre eigenen Geldmittel angewiesen , wäre niemals imstande gewesen, einen strategischen Angriffskrieg zu unternehmen, den Krieg ins Gebiet des Feindes zu tragen. Im Jahre 1877/78 ( und dasselbe galt ein Menschenalter später , 1904/05 , während des Krieges mit Japan ) fühlte sich die russische Bevölkerung nie von einem Eindringen des Landesfeindes bedroht , sie sah nie die Notwendigkeit, sich gegen ihn zusammenzuschließen, um den eigenen Boden zu schützen . Wenn der Krieg große Opfer kostete, wendete sich da der patriotische Elan viel eher gegen die eigene Regierung, deren Unfähigkeit solche Opfer notwendig machte, als gegen den Landesfeind. Ganz anders hätte sich die Situation gestaltet, wenn das Reich von einer fremden Heeresmacht angegriffen wurde, die so stark war, daß es sich von einer Invasion bedroht sah. Eine solche erscheint stets als der schrecklichste der Schrekken, sie abzuwehren , tun sich alle Klassen, alle Parteien zusammen . Sie erweckt auch die Gedankenträgsten. Deren erster Gedanke ist die Unterstützung der Regierung, die den Krieg führt und die Armeen leitet. Solange sie sich energisch zeigt, hat sie wenig Kritik zu befürchten . Hätte Ludwig XVI . 1792 nicht Landesverrat geübt, sondern den Krieg gegen die in Frankreich eindringenden Österreicher und Preußen mit aller Macht betrieben, es wäre ihm wohl gelungen, nicht nur sein Leben , sondern auch sein Königtum zu retten . Die für die Regierung günstige patriotische Stimmung zur Bekämpfung des Landesfeindes mußte noch wachsen , wenn dessen Abwehr gelang . Und das wäre 1878 selbst dann möglich gewesen, wenn England und Österreich vereint Rußland angriffen . Die russische Kriegführung wird stets bestimmt durch die ungeheuren Dimensionen des Reichs. Diese erschweren ihr den Angriffskrieg über die Grenzen des eigenen Landes hinaus. Sie gereichen ihr zum Vorteil, hemmen den Gegner, wenn dieser im russischen Reich eindringt. Das verspürte Napoleon bekanntlich 1812 , bei seinem Zug nach

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Türkischer Sieg bringt Revolution

Moskau. Damals zeigte sich aber auch, wie eine feindliche Invasion die Volksmassen kriegerisch erregt. Das Eindringen Napoleons bewirkte nicht den Sturz oder auch nur eine Verringerung des Prestiges Alexanders I., sondern einen gewaltigen patriotischen Aufschwung, einen Volkskrieg, der Napoleons Streitkraft vielleicht mehr zermürbte, als es die regulären Truppen des Zaren zu tun vermochten. Also die russische Revolution mußte wohl gefördert werden ,

wenn es den Türken für sich allein gelang, sich der Heere Rußlands zu erwehren. Wurden dagegen die Türken durch Österreicher und Engländer so sehr verstärkt, daß die Verbündeten in die Lage kamen, den Krieg nach Rußland zu tragen, so brauchte dies keineswegs den Ausbruch der Revolution in Petersburg und Moskau nach sich zu ziehen. Ein derartiger Krieg mochte, wenn er lange dauerte, große Opfer auf beiden Seiten erheischte, eine panslawistische Hochflut entfesseln, die für das Regime der Habsburger vielleicht noch bedrohlicher wurde wie für das der Romanovs. Natürlich kann niemand mit Bestimmtheit sagen, wie sich im Falle eines solchen Kriegs die Dinge tatsächlich gestaltet hätten. Aber jedenfalls war es nichts weniger als ausgemacht, daß er die russische Revolution in seinem Schoße trage. Dagegen erwies es sich gewiß als eine geniale Voraussicht , wenn 1877 Marx bereits voraussah, daß eine Niederlage der Russen durch die isolierten Türken eine eminente revolutionäre Stimmung in Rußland hervorrufen müsse . Diese Stimmung trat tatsächlich ein und verstärkte sich so sehr, daß sie 1881 fast die Gewährung einer Repräsentativ-Verfassung erzwungen hätte . Können wir auch nicht allen Punkten der Marxschen Argumentation zustimmen , im wesentlichen müssen wir seine Haltung während des russisch -türkischen Kriegs als richtig anerkennen .

e) Engels. Zum Krieg Österreichs und Englands gegen Rußland um der Türkei willen kam es 1878 nicht. Es gelang, ihn abzuwenden durch den Berliner Kongreß, der behauptete, im Namen ganz Europas zu sprechen und dadurch Rußland die furchtbare Alternative ersparte, sich entweder vor England und Österreich zu beugen oder mit ihnen in einen Krieg einzulassen . Jede dieser beiden Möglichkeiten drohte dem Zaren gleich verhängnisvoll zu werden . Dagegen litt sein Prestige weniger, wenn es ganz Europa war, das die Bestimmungen des Friedens festsetzte . Der Berliner Kongreß hätte Europa einen großen Dienst erwiesen, wenn die politischen Leiter der Großmächte die Dinge, über die sie entschieden , ausreichend gekannt hätten und wenn es ihnen darum zu tun gewesen wäre , den Bedürfnissen der Völker

Berliner Kongreß

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der europäischen Türkei ausreichend Rechnung zu tragen und dadurch eine Lösung zu schaffen , die einen dauernden Friedenszustand auf dem Balkan herbeiführte, den gefährlichen Brandherd dort für immer beseitigte. Aber in Männer der sterien und Staaten des der Völker. unterrichtet des eigenen

jeder der beteiligten Regierungen kümmerten sich die auswärtigen Politik nur um die Intrigen in den Minium den Zustand der Armeen in den verschiedenen Auslands, nicht um den Zustand und die Bedürfnisse Über diese sind die Regierungen meist mangelhaft wissen sie ja oft nicht einmal, wie es um die Lage Volkes bestellt ist !

Und keine der Regierungen der Großmächte dachte an eine Lösung, die für ganz Europa befriedigend gewesen wäre . Sie sprachen im Namen Europas, aber das war bloß eine Redensart . Deutschland ausgenommen trachtete jede der Großmächte bloß, jetzt, wo über die Zukunft der Türkei entschieden wurde, nicht nur, Rußland so wenig als möglich zu geben , sondern auch selbst einen tüchtigen Brocken Gebiets der Türkei von ihr abzureißen und für sich zu gewinnen . Rußland, der Feind der Türkei, der sie in opfervollem Kriege niedergerungen hatte, bekam in der europäischen Türkei nur die öde Dobrudscha, 15.000 Quadratkilometer mit etwa 200.000 Einwohnern , die es mit Rumänien gegen Bessarabien tauschte. Von den beiden energischsten Verfechtern der Integrität der Türkei dagegen nahm sich der eine, Österreich, das fruchtbare Bosnien und die Herzegowina , über 50.000 Quadratkilometer mit mehr als 1 Million Einwohnern , der andere, England, annektierte die Insel Cypern . Frankreich besetzte bald darauf (1881 ) den türkischen Vasallenstaat Tunis. Der einzige Weg, zu einem dauernden Friedenszustand auf dem Balkan zu gelangen, bestand in der Schaffung eines großen südslawischen Reiches, das stark genug war, sich ohne fremde Hilfe behaupten , seine Selbständigkeit jedem Bevormunder gegenüber wahren zu können . Gerade diese Lösung wurde verhindert. Es wurde ein Zustand geschaffen , ähnlich dem, den der Wiener Kongreß 1815 für Deutschland und Italien festgesetzt hatte : Über einen Teil der Südslawen wurde Kleinstaaterei verhängt, ein anderer Teil wurde einer Fremdherrschaft unterworfen . Für Mazedonien und -einen Teil des südlichen Bulgarien ( Rumelien) blieb die türkische Fremdherrschaft bestehen. Dazu wurde jetzt eine Fremdherrschaft hinzugesellt durch die österreichische Besetzung Bosniens und der Herzegowina. Dieser Zustand stand in vollstem Widerspruch zu den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung der Balkanhalbinsel . Er wurde um so quälender und unhaltbarer, je mehr moderne Produktion, moderner Verkehr, moderne Ideen dort Eingang fanden. Was die Kongreßbeschlüsse von 1815 aus Deutschland und Italien bis 16

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Gegensatz zwischen Deutschland und Rußland

1870 gemacht hatten, das war für das ganze 19. Jahrhundert die Balkanhalbinsel : ein ewiger Krisenherd .

Die Weisheit des Berliner Kongresses beseitigte ihn nicht, sondern gab ihm nur eine Form, die zu neuen bewaffneten Abenteuern dort und zur Teilnahme der einen oder der andern Großmacht an ihnen förmlich herausforderte, was den Weltfrieden immer wieder von neuem bedrohte. Wie der Frankfurter Friede von 1871 , der Elsaß- Lothringen von Frankreich losriß , trug auch der Friede , der vom Berliner Kongreß 1878 beschlossen wurde , den Keim eines künftigen Weltkriegs in seinem Schoße. Erstaunlich ist es nicht, daß dieser dann wirklich kam , sondern daß er erst 1914 ausbrach. Die Verzögerung war nicht von Segen. Es hatte sich seit 1878 so viel neues Konfliktsmaterial aufgehäuft und die Technik der Zerstörung so furchtbar entwickelt, daß der Krieg 1914 noch weit grauenhafter und ausgedehnter wurde , als er 1878 oder bald danach gewesen wäre. Dabei schuf der Berliner Kongreß eine neue Gruppierung der Großmächte. Von 1807 an bis 1875 waren Preußen und Rußland innig vereint gewesen. Diese Freundschaft nahm 1878 ein Ende , nachdem sie schon 1875 eine leichte Trübung erfahren hatte, als der Zar sein Wort zugunsten des durch Bismarcksche Kriegsdrohungen erschreckten Frankreich eingelegt hatte. Doch hatte das damals nur zu einen tiefen Groll Bismarcks gegen den russischen Reichskanzler Gortschakov geführt. Weit bedenklicher wirkte es, als auf dem Berliner Kongreß Bismarck zwar zwischen Rußland und Österreich zu vermitteln suchte, dabei aber nicht umhin konnte, in wichtigen Fragen , wo der Gegensatz nicht zu überbrücken war, für Österreich einzutreten . Damit wurde eine Entfremdung zwischen der russischen und der deutschen Regierung herbeigeführt , die nie mehr wieder einem wahrhaft freundschaftlichen Verhältnis Platz machte, und es wurde eine Annäherung Rußlands an Frankreich angebahnt , die schließlich ( 1894 ) zu einem förmlichen Bündnis der beiden Mächte führte. Von einem solchen wurde aber schon viel früher gesprochen . Gleich nach dem Berliner Kongreß nahm die Spannung zwischen Deutschland und Rußland so arge Formen an , daß ein Krieg beider Mächte als bevorstehend galt. Damals, Oktober 1879, schloß Bismarck das Bündnis mit Österreich zur Abwehr eines russischen

Angriffs. Dabei wurde bereits der Fall erwogen , daß Rußland die Unterstützung einer andern Macht fände ( Frankreich ) . Die Situation war jetzt eine ganz andere als jene, die vor 1878 bestanden, und namentlich eine ganz andere, als sie bis dahin z. B. Liebknecht vorgeschwebt hatte . Wenn dieser einen Krieg Deutschlands im Verein mit Rußland gegen Österreich gefürchtet hatte, so tauchte jetzt die Möglichkeit des Krieges eines mit Österreich verbündeten Deutschland gegen Rußland und Frankreich auf.

Krieg gegen Frankreich unheilvoll

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Ein solcher Krieg mußte die furchtbarsten Konsequenzen nach sich ziehen, welche Seite immer siegen mochte. Einen Krieg gegen Rußland hatten unsere Meister bis dahin stets nur als Krieg gegen den Zaren , nicht als einen gegen das russische Volk betrachtet. Dieses mochte über die Niederlage seines Despoten sogar Befriedigung empfinden . Ganz anders stand es bei einem Krieg zwischen Deutschland und Frankreich . In beiden Ländern war die Teilnahme der Massen am Staatsleben bereits so hoch entwickelt, daß ein solcher Krieg nur noch als Volkskrieg möglich schien. Dieser Krieg mußte nicht nur ungeheure Verwüstungen an Gütern und Menschenleben herbeiführen, sondern darüber hinaus auch die entsetzlichsten Verwüstungen der Gehirne anrichten. Der kaum noch gebändigte Chauvinismus und Nationalismus hüben wie drüben drohte furchtbare Dimensionen anzunehmen und das ganze soziale und politische Leben zu vergiften, die Position der internationalen, völkerversöhnenden Sozialdemokratie in den kriegführenden Staaten und vielleicht in anderen, vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Gebieten, zeitweise zu einer unhaltbaren zu gestalten, das ganze Denken Europas in einem Kultus brutaler Gewalt untergehn zu lassen. Vor dieser Möglichkeit graute unseren Meistern . Wohl mochte der Krieg für den unterliegenden Teil die Revolution bringen. Doch drohte er sie unter Bedingungen zu entfesseln , die es unmöglich machten, sie zu einer fruchtbringenden zu gestalten . Marx und Engels gehörten nicht zu jenen geistlosen Revolutionären, die mit der Revolution Götzendienst treiben und meinen, jede Revolution sei unter allen Umständen ein segensreicher Vorgang. Die Hauptsache sei, das Bestehende umzuschmeißen . Was an dessen Stelle trete , brauche uns nicht viel zu kümmern . Anders dachten Marx und Engels. Die neue internationale Gruppierung Europas seit 1878 erfüllte sie mit lebhafter Besorgnis und veranlaßte sie zu einer Revidierung mancher ihrer Ansichten in der Kriegsfrage. Das kann deutlich verfolgt werden bei Engels. Marx war bereits schwer erkrankt und er starb, ehe die neue Konstellation ihre Wirkung ausgiebig üben konnte. Engels lebte lange genug, sie vollständig zu erkennen und durchzudenken . Wir werden darüber im späteren Verlauf dieses Werkes noch klassische Äußerungen zu zitieren haben . Aber schon bei Marxens Lebzeiten begann Engels, und sicher auch sein Freund, Erwägungen über die sozialen Folgen eines Kriegs anzustellen, den Deutschland gegen ein mit Frankreich verbündetes Rußland zu führen hätte. Am 9. September 1879 schrieb Engels an Marx : ,,Seitdem die russische Diplomatie sich ihre Ziele durch innere russische Ereignisse muß vorschreiben lassen , geht ihr alles schief. In demselben Augenblick, wo ihre Nihilisten und Panslavisten die deutsche Allianz so in Stücke brechen , daß sie höchstens noch auf kurze Zeit scheinbar geflickt 16*

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Engels fürchtet Krieg

werden kann, in demselben Augenblick treiben ihre afghanischen Agenten England, für den Kriegsfall mit Deutschland, in Bismarcks Arme. ') Ich bin sicher, Bismarck arbeitet mit Händen und Füßen, um den Krieg mit Rußland zustande zu bringen . Mit Österreich und England vereint kann ers schon wagen. England sichert ihm die Neutralität Dänemarks , wahrscheinlich die Italiens, vielleicht selbst Frankreichs. Es wäre aber besser, die Sache in Rußland ginge rasch zur Krisis voran und beseitigte die Kriegsaussichten durch inneren Umsturz. Die Lage wird zu günstig für Bismarck. Ein gleichzeitiger Krieg gegen Rußland und Frankreich würde ein Kampf um die nationale Existenz und in dem dabei entflammten Chauvinismus ginge unsere Bewegung auf Jahre zu Grunde.“ Wie ganz anders lautet diese Sprache , als die von 1877 und noch Anfang 1878. Damals wurde der Krieg noch als ein Mittel betrachtet, das in Rußland die Revolution entfesseln konnte. Jetzt wird die Revolution in Rußland herbeigewünscht als Mittel, den Krieg zu verhindern . Diese Wandlung bezeugt den enormen Aufschwung, den die revolutionäre Stimmung in Rußland während der letzten zwei Jahre genommen, bezeugt aber auch, wie sehr sich die Frage eines russisch-deutschen Kriegs durch das Auftauchen der Möglichkeit einer Teilnahme Frankreichs wandelte. Dieser Absatz des Engelsschen Briefes verkündete, so kurz er ist, den Beginn einer neuen Kriegspolitik der Sozialdemokratie . So sehr das Proletariat jedem Krieg widerstrebt, der gegen Rußland , gegen die Hochburg des Absolutismus, galt lange als heiliger Krieg. Dieser Charakter wurde ihm genommen, durch das russisch-französische Bündnis, denn ein Volkskrieg zwischen zwei Kulturvölkern muß für die Sozialdemokratie stets ein unheiliger, ein verderblicher Krieg sein. Das heißt, jeder gilt als Feind arbeitenden Volkes, der Demokratie , der Menschheit, der einen chen Krieg verursacht. Die Abwehr der Gewalt durch walt ist von der Sozialdemokratie nie verurteilt worden. Die

des solGeAb-

wehr des Angriffs wird von ihr dort, wo sie Erfolg verspricht, sogar gefordert. Die bereits 1879 zutage tretende Engelssche Abneigung gegen einen Krieg, auch einen solchen gegen Rußland , verstärkte sich immer mehr, je höher dort die Wogen revolutionärer Erregung gingen und je enger die Beziehungen des Zarenreichs zur französischen Republik wurden. Das wird bezeugt durch ein Schreiben, das Engels Anfang 1882 an Bernstein richtete. Es wurde durch neue Unruhen veranlaßt , die im Anschluß an die Besetzung Bosniens durch die Österreicher dort, sowie im südlichsten Dalmatien, der Kriwoschije , 1881 ausgebrochen waren .

Österreich hatte 1878 feierlich versprochen, die Souveränitätsrechte des Sultans in den ,,zeitweilig" okkupierten Provinzen Bos1) Im August 1897 hatten sich afghanische Truppen gegen den englischen Gesandten in Kabul erhoben, der dort wohl zu sehr den Herrn spielte . Sie bedrohten ihn und ermordeten ihn am 9. September. Die Folge war ein Krieg Englands gegen Afghanistan. K.

Engels gegen Südslawen

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nien und Herzegowina zu achten . Doch ging es schon im Herbst 1881 daran, dort die allgemeine Wehrpflicht zu verkünden , um die Söhne des nominell noch türkischen Gebiets in die österreichische Armee zu stecken. Im Zusammenhang damit sollte die Dienstpflicht auch in der Kriwoschije durchgeführt werden , deren Bewohner sie 1869 noch erfolgreich abgewehrt hatten. Diese Versuche der österreichischen Regierung erzeugten in allen den genannten Gebieten lebhafte Aufstände. Bernstein und ich waren damals in Zürich für den ,, Sozialdemokrat" tätig, er als sein Redakteur, ich als Mitarbeiter. Wir beide sympathisierten mit den Aufständischen und waren der Ansicht, es sei falsch, wenn die westeuropäische Demokratie nicht für sie eintrete. Gerade das treibe sie dem Zaren in die Arme , wenn dieser allein sie unterstütze . Nicht so dachte Friedrich Engels , mit dem wir korrespondierten . Am 22. Februar 1882 richtete er an Bernstein den oben erwähnten langen Brief, vollständig abgedruckt in ,, Die Briefe von F. Engels an E. Bernstein", herausgegeben von letzterem ( Berlin 1925 , S. 54 ff. ) . Da schrieb Engels unter anderem : ,,Daß mein Brief Sie nicht bekehrt, da Sie schon Sympathie hatten für die unterdrückten' Südslawen, ist sehr begreiflich ... Sie sagen, sobald die slawischen Völker (immer die Polen auszunehmen) nicht mehr Grund haben, in Rußland ihren einzigen Befreier zu sehn, ist der Panslawismus schachmatt. Das ist leicht gesagt und klingt plausibel. Aber erstens liegt die Gefahr des Panslawismus, soweit sie besteht, nicht in der Peripherie, sondern im Zentrum, nicht am Balkan, sondern in den 80 Millionen Slawen, aus denen der Zarismus seine Armee und Finanzen holt. Da also ist der Hebel anzusetzen und er i s t ja angesetzt. Soll ein Krieg ihn wieder absetzen? Zweitens will ich nicht untersuchen, wieso es kam, daß die kleinen slawischen Völker im Zar ihren einzigen Befreier sehn. Genug, sie tun es, sie können es nicht ändern und es bleibt so, bis der Zarismus gebrochen ; gibt's Krieg, so gehn alle diese interessanten Natiönchen auf Seiten des Zarismus, des Feindes des ganzen bürgerlichen entwickelten Westens . Solange dies der Fall, kann ich mich für Ihre unmittelbare, sofortige Befreiung nicht interessieren, sie bleiben unsere direkten Feinde , ebensosehr wie ihr Bundesgenosse und Schutzherr, der Zar. Wir haben an der Befreiung des westeuropäischen Proletariats mitzuarbeiten und diesem Ziel alles andere unterzuordnen. Und wären die Balkanslawen usw. noch so interessant, sobald ihr Befreiungsdrang mit dem Interesse des Proletariats kollidiert, so können sie mir gestohlen werden ... Der Sieg des Proletariats befreit sie wirklich und mit Notwendigkeit , nicht scheinbar und temporär, wie der Zar. Darum sollen sie, die für Europa und seine Entwicklung bisher nicht nur nichts geleistet haben, sondern ein Hemmschuh an ihr sind, mindestens so viel Geduld haben , wie unser Proletariat. Um der paar Herzegowzen willen einen Weltkrieg entflammen, der tausendmal mehr Menschen kostet , als in der ganzen Herzegowina wohnen das ist nicht meine Ansicht von der Politik des Proletariats ... Wenn aus dem Aufstand dieser Burschen ein Weltkrieg zu entbrennen droht , der unsere ganze revolutionäre Situation verdirbt, so müssen sie und ihr Recht auf Viehraub den Interessen des europäischen Proletariats ohne Gnade geopfert werden ...

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Engels gegen Krieg

Was den Krieg angeht, so scheinen Sie mir doch le cœur un peu trop leger¹) zu haben. Kommt es zum Krieg, so bringt Bismarck es mit Leichtigkeit dahin, daß Rußland als der Angreifer erscheint : er kann warten, die russischen Panslawisten nicht. Ist aber Deutschland und Österreich einmal im Osten engagiert, so muß man die Franzosen und besonders die Pariser schlecht kennen , um nicht vorauszusehn , daß sofort ein chauvinistisches Revanchegeschrei entsteht , vor dem die sicher friedliche Majorität des Volkes verstummen muß , und das es dahin bringt, daß auch hier Frankreich als Angreifer dasteht, und daß der dann herrschende Chauvinismus sehr bald das linke Rheinufer fordern wird. Daß dabei Deutschland in einen Kampf um die Existenz gerät, und damit auch dort der patriotische Chauvinismus wieder vollständig Oberwasser bekommt, scheint mir evident. Soweit also alle Aussichten gegen uns. Ist der Krieg aber einmal im Gang, so wird der Ausgang eines solchen europäischen Kampfes , des ersten seit 1813/15 ganz unberechenbar, und ich möchte ihn um keinen Preis herbeiwünschen. Kommt er, dann ist es eben nicht zu ändern. Nun aber die andere Seite. Wir haben in Deutschland eine Situation, die mit steigender Geschwindigkeit der Revolution zutreibt und in kurzem unsere Partei in den Vordergrund drängen muß . Wir selbst brauchen dazu gar nichts zu tun , nur unsere Gegner für uns arbeiten lassen. Dabei eine bevorstehende neue Ära mit einem neuen, liberalisierenden, höchst unentschlossenen und schwankenden Kaiser, der ganz zum Ludwig XVI . gemacht ist. Was uns fehlt, ist einzig ein rechtzeitiger Anstoß von außen. Diesen bietet die Lage in Rußland, wo der Beginn der Revolution nur noch Frage von Monaten ist . Unsere Leute in Rußland haben den Zar so gut wie gefangengenommen, die Regierung desorganisiert, die Volkstradition erschüttert. Auch ohne einen neuen großen Schlag muß der Zusammenbruch in nächster Zeit erfolgen , er wird sich jahrelang fortsetzen , wie 1789 bis 1794, er gibt also volle Zeit, um auf den Westen und besonders Deutschland zurückzuwirken, so daß die Bewegung eine allmählich ansteigende wird, nicht wie 1848, wo die Reaktion schon am 20. März in ganz Europa wieder in vollem Gang war. Kurz, es ist eine so prachtvolle revolutionäre Situation, wie noch nie. Eins kann sie verderben. Skobeleff hat es in Paris selbst gesagt, nur ein auswärtiger Krieg könne Rußland herausreißen aus dem Morast, in dem es versinke.') Dieser Krieg soll alles gutmachen was unsere Leute mit Aufopferung ihres Lebens dem Zarismus angetan haben. Er würde jedenfalls genügen, die Gefangenschaft des Zaren zu brechen, die Sozialrevolutionäre der allgemeinen Volkswut auszusetzen, ihnen die Unterstützung der Liberalen entziehn, die sie jetzt besitzen , und alle Opfer wä¹) Ein zu leichtes Herz. K. 2) Der General Skobeleff war Anfang 1882 in Paris, um für eine französisch-russische Allianz Stimmung zu machen. Die französischen Republikaner mißtrauten damals noch dem Zaren. Bernhard v. Bülow berichtete 1886 als Geschäftsträger in Petersburg an Bismarck, was er in Paris darüber erfahren : ,, Gambetta (vom 14. November 1881 bis 26. Januar 1882 Ministerpräsident, K. ) und Gallifet hätten sich wiederholt und gegenüber vielen fremden Diplomaten gerühmt, die ihnen von dem (Juli 1882, K. ) verstorbenen General Skobeleff angebotene russische Allianz zurückgewiesen zu haben. Als im Jahre 1882 (Januar- Februar, K. ) Skobeleff in Paris gewesen wäre, habe er im Café Anglais mit Gambetta und Gallifet zu dritt diniert. Bald nachher wären die beiden Franzosen zum Fürsten Hohenlohe ( 1874-1885 deutscher Botschafter in Paris , K. ) gekommen. Beide hätten ihm anvertraut, daß Skobeleff sich umsonst bemüht hätte, sie für eine russisch-französische Allianz zu gewinnen ... Dabei wäre Skobeleff der Überzeugung gewesen, daß er sowohl Gallifet als Gambetta in der Tasche habe und ganz Frankreich dazu . " ( Die große Politik d. Europ. Mächte, 6. Bd. S. 107. ) K.

Friede bringt Revolution

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ren umsonst gebracht ; alles müßte unter ungünstigeren Verhältnissen von vorne wieder angefangen werden ; aber ein solches Stück spielt schwerlich zweimal, und auch in Deutschland können Sie darauf bauen, daß unsere Leute entweder ins patriotische Geheul mit einstimmen oder einen Wutausbruch gegen sich hervorrufen müssen , gegen den der nach den Attentaten ein Kinderspiel ist ; dann würde Bismarck auf die letzten Wahlen ganz anders antworten, als damals mit dem Sozialistengesetz. Bleibt Friede, dann sind die russischen Panslawisten geprellt und müssen bald abtreten. Dann kann der ( russische , K. ) Kaiser höchstens noch einen letzten Versuch machen mit den alten bankerotten Bureaukraten und Generalen , die bereits Schiffbruch gelitten. Das kann höchstens ein paar Monate dauern und dann bleibt kein Ausweg als die Liberalen zu berufen, d. h. eine Nationalversammlung irgend welcher Art, und das, wie ich Rußland kenne , ist Revolution à la 1789. Und da soll ich Krieg wünschen ? Sicher nicht, und wenn 200 edle Räubervölker dabei kaputt gingen." Das war sicher ein höchst bemerkenswerter Brief. Glänzend war die Voraussicht des Charakters und der Konsequenzen eines Weltkrieges, der aus einem Konflikt zwischen Rußland und Österreich wegen Bosniens und Serbiens notwendigerweise hervorgehn müßte. Allerdings rechnete Engels dabei noch mit der überlegenen Staatskunst eines Bismarck. Er sah nicht eine so dumme Politik der deutschen Regierung voraus , daß sie Deutschland als Angreifer sowohl gegen Rußland wie gegen Frankreich auftreten lassen und überdies ihm neben diesen beiden Staaten noch England, Italien , ja schließlich sogar Amerika als Gegner auf den Hals bringen würde. Engels hatte ganz recht, bereits vor einem Krieg Deutschlands mit Rußland und Frankreich zu warnen und die stärkste Dämpfung des Befreiungsdranges der Südslawen zu wünschen , wenn dieser drohte, solche furchtbaren Konsequenzen nach sich zu ziehen. Und ebenso hatte er recht, wenn er von einem Krieg Deutschlands gegen Rußland zunächst nicht eine Stärkung der dortigen Revolutionäre , sondern des Zarismus erwartete . Es fiel denn auch Bernstein und mir gar nicht ein , einen Krieg zu wünschen oder auch nur ihm mit ,,leichtem Herzen", wie sich im Juli 1870 Ollivier ausdrückte, entgegenzusehen . Bernstein vermochte nicht mehr festzustellen , wie der Passus seines Briefes lautete, der Engels veranlaßte, uns in der Kriegsfrage ein zu leichtes Herz zuzuschreiben . Ich nehme an, die Deutung war eine irrige. Was meinen damaligen Standpunkt anbelangt, so teilte ich ihn nicht nur mit den andern Sozialdemokraten Österreichs, sondern sogar mit vielen dortigen Liberalen, soweit sie nicht durch höfische Rücksichten verblendet waren . Auch sie verurteilten vielfach das bosnische Abenteuer, den Einmarsch österreichischer Truppen in Bosnien. Bernstein und ich sahen einem Krieg Österreich- Deutschlands gegen Rußland nicht mit leichtem Herzen entgegen, suchten aber die Kriegsgefahr nicht bei dem Freiheitsstreben der Südslawen, sondern bei der Ländergier nicht bloß des Zaren , sondern auch des Habsburgers .

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Weder Revolution noch Weltkrieg

Indes wurde der Gegensatz zwischen Engels und uns in dieser Frage bald gegenstandslos , denn leider irrte Engels im Februar 1882 sehr, wenn er meinte , der Ausbruch der Revolution in Rußland sei nur noch eine Frage von Monaten . Ein Jahr vorher lagen dort die Verhältnisse tatsächlich so , daß sie eine derartige Vorhersage gerechtfertigt hätten . Aber als Alexander II . am 13. März 1881 einem nihilistischen Attentat erlag, sahen sich die revolutionären Terroristen vor eine Aufgabe gestellt, die ihre Kräfte überstieg. Sie mußten damals entweder eine machtvolle Volksbewegung entfesseln, die den Herrschaftsapparat des Zarismus niederwarf, oder untergehen. Das erstere vermochten sie nicht , denn die Tötung des Zaren bildete nicht das Signal zu einer stürmischen Freiheitsbewegung der Volksmassen und der Intellektuellen . Sie blieben stumm, waren entsetzt , nicht aufgerüttelt. Damit war das Schicksal der Terroristen entschieden . Sie sahen sich dem Wüten des Polizeiapparates ausgeliefert. Wem es nicht gelang, zu flüchten , der verfiel dem Henker. Die russische revolutionäre Bewegung war bereits zusammengebrochen , als sie dem auswärtigen Beobachter noch unwiderstehlich erschien . Es brauchte mehr als ein Jahrzehnt, bis der industrielle Aufschwung des Reichs die Grundlagen einer starken Arbeiterbewegung und damit einer neuen revolutionären Tätigkeit legte. Deren Aktionen waren zunächst weit weniger blendend als die der früheren Terroristen, aber die neuen Aktionen waren nicht die kleiner Gruppen, sondern die von Massen . Deren Vorwärtsschreiten ging langsamer vor sich, aber sicherer. Ebensowenig wie zur erhofften Revolution kam es in den nächsten Jahren nach 1882 zu dem befürchteten Weltkrieg. Das haben wir nicht etwa dem Umstand zuzuschreiben, daß die Konfliktstoffe, die durch die beiden Friedensschlüsse von 1871 und 1878 geschaffen wurden, aufhörten zu wirken. Die elsässische Frage verlor nicht an Schärfe und der Gegensatz Österreichs zu den Südslawen, den es durch die Besetzung Bosniens schuf, vertiefte sich in dem Maße, in dem der Haß der ungarischen Grafen, die Österreich lenkten, gegen die Südslawen wuchs und diese immer selbständiger wurden , immer mehr nach ihrer nationalen Einheit und Freiheit verlangten . Aber diese Gegensätze führten deshalb lange nicht zu einer kriegerischen Auseinandersetzung, weil neben ihnen neue Konfliktstoffe aufkamen durch den ,, Imperialismus“, das heißt die Kolonialpolitik, die seit 1880 für die Mächte Westeuropas immer wichtiger wird. So sonderbar es klingt : Das Hinzufügen neuer Gegensätze zu den alten verstärkte zunächst nicht die Kriegsgefahr, sondern schob sie zurück. Das ist wohl zwei Ursachen zuzuschreiben. Einmal bringt die Kolonialpolitik ganz andere Interessen in den Vordergrund und bewirkt damit teilweise eine andere Gruppierung der

Imperialismus und Krieg

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Mächte als die aus dem Frankfurter und dem Berliner Frieden hervorgegangene. Namentlich der Gegensatz Frankreichs zu Italien und England wurde zeitweise sehr verschärft . Anderseits aber bedeuteten die aus Kolonialfragen hervorgehenden Konflikte keine Bedrohung der Lebensinteressen der Volksmassen, namentlich nicht der Lohnarbeiter in Europa . Und diese Massen erhielten seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ein so erhebliches politisches Gewicht, daß ohne ihre begeisterte Zustimmung ein erfolgreicher Krieg nicht geführt werden konnte. Alles das bewirkte, daß gerade im Zeitalter, das den Nationalkriegen folgt und das von imperialistischen Bestrebungen erfüllt ist, zwar die Zahl der Konfliktstoffe zwischen vielen Staaten wächst, aber trotzdem der Weltfriede bewahrt bleibt . Jedoch nicht dauernd, sondern nur für so lange, bis jene Gruppierung der Mächte, die aus imperialistischen Ursachen hervorging, aufhörte, jener Gruppierung zu widersprechen, die durch die Gegensätze wegen Elsaß- Lothringens und des Balkans früher schon geschaffen worden war, das heißt also, bis England mit Frankreich und Rußland in einer Linie stand gegen Deutschland und Österreich . Die schließliche Gruppierung der Mächte vor dem Weltkrieg bildet nicht eine bloße Wiederholung derjenigen, die sich nach den Friedensschlüssen von 1871 und 1878 anbahnte. Eine große Änderung trat ein : England stand nicht mehr auf seiten Österreichs . Und dieses war 1914 viel mehr zersetzt, als ein Menschenalter vorher.

Engels hatte 1877 ganz richtig gesagt, Deutschland und Österreich könnten vereint mit England wohl den Kampf mit Rußland und Frankreich aufnehmen. Es wäre ihm toll erschienen, wenn Deutschland sich in einen Kampf gegen die ganze Welt einließ , bloß auf das zerfallende Österreich und die zerfallende Türkei gestützt. Engels irrte in seinen Briefen von 1877 und 1882 insofern, als er die russische Revolution, aber auch die Kriegsgefahr vor der Türe sah. Aber darin hatte er recht, und das wurde entscheidend, daß von da an jeder Krieg eine Bedrohung der sozialen und politischen Entwicklung bedeutet . Im Zeitalter der Revolutionskriege und der Nationalkriege waren noch Kriege möglich, die den Völkern mehr Vorteile als Nachteile brachten, wenn sie zu einem Zusammenbruch morscher Regierungssysteme führten . Diese möglichen Vorteile werden jetzt, im Zeitalter des Imperialismus , durch die gräßlichsten materiellen und geistigen Verwüstungen eines jeden Krieges mehr als wettgemacht. Daher ersteht jetzt absolute Gegnerschaft der Sozialdemokratie gegen jede Regierung, die einen Krieg hervorruft, die der Angreifer ist was, wie schon gesagt, nicht widerstandslose Unterwerfung unter jedes Gewaltregime bedeutet.

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Kriegsschrecken

Dritter Abschnitt.

Die Sozialisten im Zeitalter des Imperialismus . 1. Engels gegen den Krieg. a) Die Verwüstungen des Krieges. Im letzten Kapitel des vorigen Abschnittes haben wir bemerkt, daß bereits 1879 Engels über den Krieg mit Rußland ganz anders zu denken beginnt, als er und Marx von 1848 bis 1878 gedacht hatten. Bis dahin verlangten sie nach einem solchen, wenigstens gegen Rußland . Seit 1879 äußert Engels Bedenken gegen jeden Krieg. Er schrieb 1882 an Bernstein , „ um keinen Preis" möchte er einen solchen herbeiwünschen. Diese Ablehnung des Krieges nahm bei Engels von Jahr zu Jahr zu . Das zeigte deutlich die Vorrede, die er zu einer Neuausgabe des Schriftchens seines Freundes Sigismund Borkheim ,, Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten 1806-1807" verfaßte . Borkheim, ein Revolutionär von 1848, hatte im ,,Volksstaat“ kurz nach dem deutsch -französischen Krieg (Juli bis September 1871 ) in Fortsetzungen diese Abhandlung veröffentlicht. Sie stellte den Zusammenbruch der preußischen Armee dar, der nach der Schlacht von Jena ( 1806) eingetreten war. Die Artikelserie sollte ,, ein höchst wirksames Gegengift gegen den überpatriotischen Siegesrausch" sein,,,worin das offizielle und bürgerliche Deutschland schwelgte und noch schwelgt". So schrieb Engels, der nach Borkheims Tod (1885 ) die Schrift neu herausgab ( 1887) ,,, weil der deutsche Spießbürger womöglich noch aufgeblasener und frecher geworden ist als damals". In seiner Einleitung warnte Engels die deutschen Politiker davor, einen neuen Krieg zu entfesseln. ,,Kein anderer Krieg ist für Preußen- Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahl fressen , wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des dreißigjährigen Krieges zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet ; Hungersnot , Seuchen , allgemeine durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen ; rettungslose Verwirrung unseres künstlichen Getriebes in Handel, Industrie und Kredit, endend in allgemeinem Bankrott ; Zusammenbruch der alten Staaten und

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ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt ; absolute Unmöglichkeit vorherzusehen, wo das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird. Nur ein Resultat absolut sicher : Die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Sieges der Arbeiterklasse." Schon oft ist diese Prophezeiung abgedruckt worden. Trotzdem sei sie hier nochmals vollinhaltlich wiedergegeben, weil die jüngere seit dem Krieg herangewachsene Generation sie nicht kennt.

Noch nie hat sich eine ,,marxistische Prophezeiung" so sehr erfüllt wie diese . Leider !

b) Die Teilnahme der Sozialdemokratie am Krieg.

In den Jahren, nachdem Engels diese Prophezeiung geäußert hatte, wuchs die Gefahr eines Krieges zwischen Deutschland einerseits und nicht nur Frankreich, sondern auch Rußland andererseits . Diese beiden Staaten näherten sich einander immer mehr. Ein Krieg der beiden Mächte mit Deutschland schien vor der Tür zu stehen. Nicht wenige französische Sozialisten sahen dieser Möglichkeit mit frohen Erwartungen entgegen. Noch waren sie die Traditionen der großen Revolution nicht los geworden und erwarteten, ebenso wie ihre Vorgänger 1848, von dem Krieg einen starken Anstoß zur Revolution, in Frankreich wie in Deutschland. Da hielt es Engels für seine Pflicht, gegen diese Auffassung seine warnende Stimme ertönen zu lassen. Für den Kalender der Arbeiterpartei Frankreichs von 1892 (Almanach du Parti Ouvrier pour 1892) schrieb er einen Artikel über den ,,Sozialismus in Deutschland". In deutscher Fassung veröffentlichte ihn Engels selbst in der ,,Neuen Zeit“ X. I. , S. 580 ff . ) , im Jänner 1892. Engels wies in dem Artikel auf das stete Anwachsen der Sozialdemokratie in Deutschland hin. Ihre Stimmen hatten sich von 1871 bis 1890 von 100.000 auf 1½ Millionen vermehrt. Sie würden bis 1900 auf 3½ bis 4 Millionen wachsen. (In der Tat erreichte die deutsche Sozialdemokratie bei der Wahl von 1903 3 Millionen Stimmen) . Der Triumph der Sozialdemokratie sei unausbleiblich, wenn der Frieden erhalten werde. Aber daß dies gelinge, sei keineswegs gewiß. „ Ein Krieg würde das alles ändern. Und der Krieg kann von heute auf morgen losbrechen." Er müßte ungeheures Unheil bringen , nicht nur materielle Verwüstungen, sondern auch geistige . Vor allem dadurch, daß er die deutschen Sozialdemokraten drängen würde , sich mit Begeisterung

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dem Kampf des Reiches gegen den russischen Zaren und seinen Verbündeten anzuschließen. ,,Sollte die französische Republik sich in den Dienst Seiner Majestät des Zaren und Selbstherrschers aller Russen stellen , so würden die deutschen Sozialdemokraten sie mit Leidwesen bekämpfen, aber bekämpfen würden sie sie." ( S. 586. ) Engels fährt fort : ,,Ein Krieg, wo Russen und Franzosen in Deutschland einbrächen, wäre für dieses ein Kampf auf Tod und Leben, worin es seine Existenz nur sichern könnte durch Anwendung der revolutionärsten Maßregeln. Die jetzige Regierung, falls sie nicht gezwungen ist, entfesselt die Revolution sicher nicht. Aber wir haben eine starke Partei, die sie dazu zwingen oder im Notfall sie ersetzen kann, die sozialdemokratische Partei. Und wir haben das großartige Beispiel nicht vergessen, das Frankreich uns 1793 gab. Das hundertjährige Jubiläum von 1793 naht heran. Sollte der Eroberungsdurst des Zaren und die chauvinistische Ungeduld der französischen Bourgeoisie den siegreichen, aber friedlichen Vormarsch der deutschen Sozialisten aufhalten , so sind diese verlaßt Euch darauf - bereit, der Welt zu beweisen, daß die deutschen Proletarier von heute der französischen Sansculotten vor hundert Jahren nicht unwürdig sind.“ Diese Betrachtungen schloß Engels mit den Worten : ,, Kurz und gut : Der Friede sichert den Sieg der deutschen sozialdemokratischen Partei in ungefähr 10 Jahren. Der Krieg bringt ihr entweder den Sieg in zwei bis drei Jahren , oder vollständigen Ruin, wenigstens auf 15 bis 20 Jahre. Dem gegenüber müßten die deutschen Sozialisten toll sein, wünschten sie den Krieg , bei dem sie alles auf eine Karte setzten, statt den sicheren Triumph des Friedens abzuwarten. Noch mehr. Kein Sozialist, von welcher Nationalität immer kann den kriegerischen Triumph weder der heutigen deutschen Regierung wünschen, noch den der französischen bürgerlichen Republik, am allerwenigsten den des Zaren , der eins wäre mit der Unterjochung Europas. Und deshalb sind die Sozialisten in allen Ländern für den Frieden . Kommt aber dennoch der Krieg, wo 15 bis 20 Millionen Bewaffneter sich untereinander abschlachten und ganz Europa verwüsten würden wie nie vorher, dieser Krieg muß entweder den sofortigen Sieg des Sozialismus bringen, oder aber die alte Ordnung der Dinge derart von Kopf zu Fuß umstürzen und einen solchen Trümmerhaufen hinterlassen, daß die alte kapitalistische Gesellschaft unmöglicher würde als je, und daß die soziale Revolution zwar um 10 oder 15 Jahre hinausgeschoben würde, dann aber auch siegen müßte nach umso rascherem und gründlicherem Verlauf." Die Prophezeiung, die Engels hier äußerte , kam nicht dazu , auf ihre Richtigkeit erprobt zu werden. Denn der Weltkrieg, den Engels befürchtete, brach nicht sofort aus, sondern erst mehr als zwei Jahrzehnte später unter gänzlich veränderten Verhältnissen. Diese Veränderungen, namentlich das Eintreten Englands in den Krieg, machten ihn allerdings noch fürchterlicher, als Engels verkündet hatte. Doch ebensowenig wie der Krieg, kam im Frieden der Sieg der Sozialdemokratie so rasch, wie Engels 1892 erwartete, binnen 10 Jahren, also um die Jahrhundertwende. Es ist die alte Geschichte, wie bei so mancher anderen marxistischen Prophezeiung : Die Richtung der Entwicklung zeigte sie mit untrüglicher Sicherheit an. Doch über ihr T e m po gab sie sich großer Täuschung hin. Noch 1914 hatte die deutsche Sozialdemokratie lange nicht die

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Mehrheit des deutschen Volkes hinter sich. Daher konnte es damals zum Krieg kommen. Aber ganz klar sah Engels die Verwüstungen , die der Krieg bringen mußte, die alle Vorteile aufwogen, die aus dem eventuellen Zusammenbruch der Monarchie und des Kapitalismus im Krieg hervorgehen konnten . Es ist bezeichnend , daß Engels wohl erwartet , der Krieg werde ,,einen solchen Trümmerhaufen hinterlassen, daß die alte kapitalistische Gesellschaft unmöglicher würde als je “. Daraus schließt er jedoch nicht, daß das Kommen der sozialistischen Gesellschaft dadurch beschleunigt, sondern umgekehrt ,,um 10 oder 15 Jahre hinausgeschoben würde". Engels dachte eben ökonomisch und wußte, ein ,,Trümmerhaufen“ sei nicht der geeignete Boden, um auf ihm eine höhere sozialistische Produktionsordnung aufzubauen, die Freiheit und Wohlstand für alle zu bringen hat. Nicht aus dem Zusammenbruch des Kapitalismus , sondern aus dem Sieg eines starken intelligenten Proletariats allein kann die sozialistische Produktionsweise hervorgehen . Darin sah Engels sehr klar. Nicht minder klar sah er voraus, die deutsche Sozialdemokratie werde sich in einem Krieg gegen Rußland und seine Verbündeten mit voller Kraft gegen den Zaren wenden. Jedoch verknüpfte er diesen Gedanken mit einem anderen, der sich ganz und gar nicht bewahrheitete . Engels meinte, Deutschland werde in diesem Krieg nur siegen können ,, durch Anwendung der revolutionärsten Maßregeln", wie sie einzig und allein die Sozialdemokratie erzwingen könne . Als Vorbild schwebten Engels die französischen Sansculotten von 1793 vor. Hier lag eine große Schwäche seiner Argumentation . Das Entwerfen des Bildes einer kommenden Revolution nach den Traditionen der Vergangenheit ist ein so widerspruchsvoller Vorgang, daß er selbst einen so scharfsinnigen, so kritischen, so tief die Gegenwart erkennenden Geist , wie den Engelsschen , mißleiten konnte. Im Jahre 1793 lag die Situation ganz anders als in dem Weltkrieg, dessen Umrisse Engels bereits 1891 voraussah. In der Zeit der französischen Revolution hatte das republikanische Frankreich die Monarchien ganz Europas abzuwehren , die mit den gegenrevolutionären Elementen in der Republik verbündet waren, dem Königtum , dem Adel, dem Klerus. Da konnten sich die Revolutionäre nur behaupten durch die Anwendung von Maßregeln , die den Gegenrevolutionären im eigenen Lande mit den schärfsten Mitteln. aufgezwungen werden mußten . Engels erwartete , ähnlich werde sich die Situation im kom-

menden Weltkrieg gestalten : das gegenrevolutionäre Rußland im Kampfe gegen ein Deutschland, in dem die revolutionäre deutsche Sozialdemokratie bereits ein entscheidender Faktor geworden sei. Aber das war sie noch nicht einmal 1914 in ausreichendem Maße . Und inzwischen hatte Rußland sich sehr gewandelt, dank seiner

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Revolution nur bei Besiegten

ersten Revolution , die 1905 eintrat, zehn Jahre nach Engels' Tod. Seitdem unterschied sich der Zarismus lange nicht mehr so stark von dem Kaisertum der Hohenzollern und Habsburger, als es vordem der Fall war. Und unter den Gegnern dieser beiden Kaisertümer fanden sich 1914 nicht nur das republikanische Frankreich, sondern auch das demokratische England ; das eine wie das andere mit einer starken, rasch anwachsenden Arbeiterpartei. Da stand nicht mehr auf der einen Seite die Revolution, auf der andern die Gegenrevolution. Jede der bestehenden Regierungen entwickelte von sich aus schon die rücksichtsloseste Aufbietung aller Volkskräfte, ohne dazu von rebellischen Arbeitermassen erst gezwungen werden zu müssen . Anderseits glaubten hüben wie drüben die Arbeitermassen, alles aufbieten zu sollen, um Invasion und Niederlage von der eigenen Nation fernzuhalten . In dieser Beziehung tat sich kein Gegensatz zwischen einer bürgerlichen Regierung und einem sozialistischen Proletariat auf. Und nirgends brauchten die Regierungen von einer revolutionären Sozialdemokratie zur „,Anwendung der revolutionärsten Maßregeln" gezwungen zu werden. Jede der Regierungen schritt von selbst zu solchen Zwangseingriffen in die Wirtschaft, was bei manchem Beobachter den Eindruck erzeugte, die sozialistischen Ziele würden im Kriege durch die militärischen Notwendigkeiten verwirklicht. Nicht sansculottische Auflehnung, sondern Burgfriede zwischen den Sozialisten und den jeweiligen Regierungen, das war in allen kriegführenden Ländern das Resultat des Kriegsausbruchs 1914. Erst bei Kriegsende kam es zu Revolutionen . Es kam dazu nur dort , wo der militärische Zusammenbruch und die Auflösung der Armee vorausgegangen war und das in der Kriegszeit herrschende Regime nicht in einer demokratischen Verfassung mit demokratisch geschulten Massen eine starke Stütze fand , die es auch ohne militärische Gewalt aufrechthielt. In dieser Beziehung ging es im Weltkrieg ganz anders , als Engels erwartet hatte. Aber entscheidend war, daß er 1891 sagte : die Sozialisten müßten toll sein, wenn sie den Krieg wünschten . In dieser Überzeugung hatte er die ganze, neuerstandene Internationale hinter sich. Und dieser Überzeugung ist sie treu geblieben, auch als sich später zeigte, daß unter geänderten Verhältnissen manches der Engelsschen Argumente hinfällig wurde.

c) Die Ursachen des Wachstums der Krieg sschrecke n.

Wenn unsere Meister ihre Stellung zum Kriege in der Zeit nach dem Berliner Kongreß erheblich „,revidierten “, so daß sie jeden Krieg verabscheuten, auch den gegen Rußland, so ist dies nicht zum wenigsten wohl der erschreckenden Zunahme der zerstörenden Kraft zuzuschreiben, die den modernen Kriegsmitteln inne-

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wohnt. Diese Zunahme ist ihrerseits wieder im Wesen des industriellen Kapitalismus begründet. Wie keine andere Produktionsweise vor ihm förderte dieser in steter Wechselwirkung die Naturwissenschaft und deren Anwendung in der Technik, die wieder den Kapitalismus weiter entwickelt. Mit stetig steigender Rapidität wachsen die Produktivkräfte der modernen Industrie. Dieser Kräfte bemächtigte sich schließlich auch der Militarismus, namentlich seit dem kriegerischen Zeitalter zwischen dem Krimkrieg ( 1854 bis 1856) bis zum russisch-türkischen Krieg von 1877/78, in welches Zeitalter nicht bloß die mitteleuropäischen Kriege von 1859 , 1864, 1866, 1870/71 fallen , sondern auch der große Sezessionskrieg in Amerika ( 1861-1865) , der der Entwicklung der Kriegstechnik ungemein viel Anstöße gab. In demselben Maße wie die Produktivkräfte der Industrie entwickelten sich die Zerstörungskräfte der Armeen . Die eine wie die andere Entwicklung nimmt ein immer rapideres, schließlich ein geradezu schwindelerregendes Tempo an. Dies durch Details zu illustrieren, ist überflüssig. Jedermann kennt heute diesen Gang der Dinge. Ich vermöchte dem Allgemeinbekannten nichts Neues hinzuzufügen . Mit dem industriellen Kapitalismus ist wie das Wachstum der Produktivkraft so auch das der Verkehrsmittel eng verbunden. Auch hier findet stete Wechselwirkung statt. Die kapitalistische Industrie ist von Haus aus Massenindustrie , die der Massenzufuhr von Rohmaterialien und eines Massenabsatzes ihrer Produkte bedarf, soll sie gedeihen . Je wirksamer die Verkehrsmittel , die die kapitalistischen Produktionsstätten mit den Lieferanten der Rohmaterialien einerseits und den Konsumenten der Fertigfabrikate anderseits verbinden , und je ausgedehnter dadurch der Markt, desto besser gedeiht die Industrie , desto gewaltiger kann die Größe und Leistungsfähigkeit ihrer Unternehmungen zunehmen. Gute Verkehrsmittel fördern das industrielle Kapital, aber eben deswegen fördert wieder dieses Kapital die Ausdehnung und Vervollkommnung der Verkehrsmittel. Auch dieser Seite des industriellen Kapitalismus bemächtigen sich die modernen Militärs und machen sie sich dienstbar, sowohl um die Mobilisierung der Armee bei Kriegsausbruch zu beschleunigen, als um die Zahl der Truppen auszudehnen , die sie ins Feld schicken, ernähren, mit Kriegsmaterial versorgen . Dabei macht sich, ebenso wie bei der Entwicklung der Produktiv- und Zerstörungskräfte , noch eine andere als die schon erwähnte Wechselwirkung zwischen Naturwissenschaft und Kapitalismus geltend, eine Wechselwirkung zwischen Kapitalismus und Militarismus. Wohl ist die Klasse der industriellen Kapitalisten im allgemeinen von Haus aus pazifistisch gesinnt, was am deutlichsten bei der kapitalistischen Partei im Britischen Reich zutage trat, die man als die „,manchesterliche" bezeichnete . Sie erstand vor hundert

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Jahren und hat das ökonomische Denken Englands bis zum Anfang unseres Jahrhunderts beherrscht. Aber es ist kennzeichnend , daß diese Partei ihren Namen nach der Stadt Manchester erhielt, dem Zentrum der Textilindustrie Englands. Deren Fabrikanten begründeten und leiteten den freihändlerischen „ Manchester"-Liberalismus. Die Textilindustrie verliert im Laufe der kapitalistischen Entwicklung immer mehr an Bedeutung gegenüber der Schwerindustrie, infolge der zunehmenden Erbauung von Eisenbahnen, eisernen Schiffen, Maschinen. Früh erkannten die Herrn der Schwerindustrie den Vorteil, den sie aus den Kriegsrüstungen ziehen konnten . Sie begannen immer mehr das Kriegswesen und den kriegerischen Geist zu fördern. Dabei werden Schwerindustrie und moderne Verkehrsmittel so wichtig für den modernen Militarismus, daß auch industriell zurückgebliebene Länder, wenn sie Wert auf ein starkes Heerwesen legen, danach trachten, Eisenbahnen zu bauen und eine eigene Kriegsindustrie erstehen zu lassen. Hier wird der Militarismus zum Bahnbrecher des industriellen Kapitalismus. Das war z. B. der Fall in Rußland . Die Verbesserung der Verkehrsmittel bewirkte, daß die Ausdehnung der Armeen , die die Militärstaaten ins Feld stellen konnten , immer mehr zunahm . Nicht nur wurde die allgemeine Wehrpflicht seit dem deutsch-französischen Kriege in jedem Militärstaat eingeführt, der es nicht schon früher getan . Diese Wehrpflicht wurde nun auch immer strenger durchgeführt. Man vergrößerte die Armeen nicht nur dort, wo die Bevölkerung zunahm, wie in Rußland, Österreich, Deutschland , sondern auch dort, wo sie sich . gleich blieb, wie in Frankreich . Es wuchsen also nicht bloß die Zerstörungsmittel, über die die Soldaten verfügten , es wuchs auch die Zahl der Soldaten , die diese Mittel anwandten, sich gegenseitig abschlachteten und jegliche Art der Verwüstung so weit trugen, als sie vermochten. In gleicher Richtung wirkte noch ein anderer Umstand . Seit den Napoleonischen Kriegen hatte es keinen großen Koalitionskrieg mehr in Europa gegeben . Jeder der Kriege des Zeitalters von 1854 bis 1878 war auf wenige Staaten beschränkt gewesen, hatte den Weltverkehr und die Weltproduktion kaum beeinträchtigt. Im Krimkrieg kämpften wohl England , Frankreich und die Türkei vereint gegen Rußland , doch ging der Krieg außerhalb des eigentlichen Europa vor sich und reduzierte sich im wesentlichen auf die Belagerung einer einzigen Festung : Sebastopol. Im Krieg von 1859 kämpfte Österreich allein gegen Frankreich und das kleine Königreich Sardinien . Der Krieg dauerte nur wenige Wochen . Dann 1866 kämpften auch wieder nur Österreicher mit Preußen und Italienern , der Krieg war noch kürzer. Endlich 1870/71 , gab es nur Krieg zwischen Deutschen und Franzosen , 1877/78 Krieg bloß zwischen Russen und Türken.

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Die Zeit dieser „ lokalisierten " Kriege ging aber nach den letzten der hier genannten für Europa vorbei. Die Friedensschlüsse von 1871 und 1878 hinterließen eine unheilschwangere Atmosphäre, die jeden der Großstaaten Europas drängte , sich nach einem Verbündeten umzusehen, wollte er in dem erwarteten großen europäischen Konflikt nicht unter die Räder geraten . Immer mehr teilte sich seitdem Europa in zwei große Heerlager , von denen jedes bereit war, über das andere herzufallen oder vielmehr in steter Furcht lebte, vom andern Lager überfallen zu werden, was noch schlimmer war. Furcht führt kriegerische Konflikte vielleicht noch leichter herbei, als Übermut und Ländergier. Nicht umsonst lebte Bismarck in steter Angst vor Koalitionen, einer Angst, die sehr begründet, aber die Konsequenz seiner eigenen Eroberungspolitik von 1871 war. Mit Mühe und Not vermochte er ein Bündnis zwischen Frankreich und Rußland zu hindern . Es kam erst , nach dem er von Wilhelm entlassen worden. Den schlimmsten Unsinn der deutschen Außenpolitik erlebte jedoch weder Bismarck (gestorben 1898) , noch Engels (gestorben 1895) . Es war die neue Flottenpolitik des Deutschen Reichs, die sich wohl schon 1897 ankündigte, aber erst 1900 in Schwung kam. Sie trieb England in die Arme der Feinde Deutschlands . Der kommende Krieg, den schon Engels als Weltkrieg bezeichnet hatte, sollte Dimensionen annehmen, wie kein Krieg vor ihm . Im Jahre 1887 hatte Engels erwartet, in dem befürchteten Weltkrieg würden 8-10 Millionen Soldaten ,, einander abwürgen". Vier Jahre später sprach er bereits von 15-20 Millionen . Als es aber 1914 tatsächlich zum Weltkrieg kam , traten in ihn schließlich über 60 Millionen Bewaffnete ein . Sollte es neuerdings zu einem Kriege kommen, so verspricht er noch grauenhaftere Resultate zu ergeben. Merkwürdigerweise hat der Kapitalismus der letzten Jahrzehnte, seitdem er sich militaristischem Denken ergeben, nicht nur vermöge der ungeheuren Wirkung seiner zerstörenden, sondern auch durch das rasende Anwachsen seiner produzierenden Kräfte unendliches Unheil über die Menschheit gebracht : zu den materiellen und geistigen Verwüstungen des Kriegs und des Wettrüstens gesellen sich jetzt paradoxer Weise noch die einer ungeheuren Überproduktion. Hier wie dort wird die Erfindertätigkeit heute zu einem Fluch, solange nicht die Gesellschaft die Produktionsmittel in Besitz bekommt und ihre Anwendung planmäßig regelt. Karl Marx hat in seinem Kapital schon vor zwei Menschenaltern gezeigt, daß Arbeitslosigkeit und zeitweise Überproduktion die notwendigen Folgen des technischen Fortschritts dort sind, wo die Produktionsmittel nicht der Gesellschaft oder der Gesamtheit der Arbeitenden oder der Konsumenten gehören, sondern einzelnen Nichtarbeitern, die ihren Antrieb zur Produktion nicht durch die Höhe des Bedarfs der Gesellschaft , sondern durch die Höhe des zu 17

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Kriegsfolgen

erwartenden Profits erhalten. Die bürgerliche Wissenschaft hat das nicht anerkennen wollen und sich dahinter verschanzt, daß mitunter Gegentendenzen auftauchten, die jene Schäden mildern. Nun aber hat der Weltkrieg mit seinen Folgen hochgradige Arbeitslosigkeit und die verschiedensten Formen von Krisen , Geldkrisen, Handelskrisen, Industriekrisen , endlich allgemeine Unsicherheit aller bestehenden Verhältnisse zum Dauerzustand der Gesellschaft gemacht und damit eine Gesundung des ökonomischen Lebens fast ausgeschlossen, solange es von Kapitalisten und Militaristen bestimmt wird. Ehedem waren die Absatzkrisen überwunden worden durch allgemeines Sinken der Preise und der Profitraten , durch Ausdehnung des Marktes, das heißt, Ausdehnung des internationalen Verkehrs und der internationalen Arbeitsteilung. Ein weiteres Mittel, der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken , wäre noch eine weitgehende internationale Verkürzung der Arbeitszeit des einzelnen Arbeiters. Aber die Kapitalisten und die von ihnen beherrschten Regierungen trachten danach, Preise und Profite künstlich hoch . zu halten durch private Monopole sowie Zollerhöhungen und andere Erschwerungen des Verkehrs . Und die Militaristen verlangen nicht nach internationaler Arbeitsteilung, sondern nach möglichster Autarkie des einzelnen Staates, damit er alles selbst produzieren kann, was er im Kriege braucht. Das bedeutet wieder zunehmende Unterbindung des internationalen Verkehrs. Alles das läßt sich nur durchsetzen durch vermehrte Gewaltsamkeit jeder Regierung, sowohl gegen die andern Staaten, wie gegen die eigene Bevölkerung, vor allem gegen die Lohnarbeiter. Daraus geht wieder hartnäckiges Widerstreben gegen jede einschneidende allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit hervor, die in ihren Wirkungen ganz verschieden ist von der Kurzarbeit einzelner Fabriken. Das alles, verschärft noch durch äußere und innere politische Unsicherheit, sowie Inflationen und sonstige Währungsschwindeleien macht es fast unmöglich, daß es wieder zu einer Ära der Prosperität kommt , solange nicht ökonomisch gut geschulte Arbeiter oder Arbeitervertreter an Stelle der Verfechter des militaristisch infizierten Kapitalismus die Geschichte der entscheidenden Staaten bestimmen.

Solange dies nicht der Fall ist, zieht jeder große Krieg außer den materiellen und geistigen Verwüstungen, die er unter allen Umständen mit sich bringt, auch noch die wahnsinnigste ökonomische Verwirrung nach sich, die den Frieden fast ebenso qualvoll macht wie den Krieg. Welchen Umfang diese Folgen annehmen würden, vermochte Engels bei dem damaligen Stande der Dinge nicht vollständig zu erkennen. Doch sah er 1885 schon klar genug, um verkünden zu können, der von ihm befürchtete Weltkrieg werde nicht nur „ Verwilderung der Volksmassen", sondern auch ,,rettungslose Verwir-

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Engels über Miliz

rung" unseres künstlichen Getriebes in Handel, Industrie und Kredit nach sich ziehen . d) Abrüstung und Miliz. Eine der schlimmsten Gefährdungen des Friedens bildete das Wettrüsten zwischen den Großmächten, das seit den beiden Kriegen von 1870/71 und 1877/78 immer rapider vor sich ging, die Völker immer mehr belastete und das gegenseitige Mißtrauen zwischen ihnen immer mehr vergrößerte. Daraus entsprang die Gefahr, daß eines Tages derjenige Staat, dessen Heereslast für seine Bevölkerung besonders unerträglich geworden war und der sich gerade dem Nachbarn überlegen fühlte, gegen ihn losschlug, um ihn niederzuwerfen und zur Entwaffnung zu zwingen. Die Abrüstung wurde daher schon im Interesse der Erhaltung des Friedens , ganz abgesehen von ökonomischen Erwägungen, dringend notwendig. Sie erheischte zunächst die Aufhebung der stehenden Heere, solange das Wettrüsten weniger die Form der Vergrößerung des technischen Apparats als die der Vermehrung der Zahl der Mannschaften annahm , die dauernd unter Waffen standen. Die Aufhebung des stehenden Heeres bedeutete aber, solange nicht völlige Entwaffnung möglich war, seine Ersetzung durch eine Miliz mit kurzer Ausbildungszeit. Der wachsende Abscheu vor dem Kriege drängte Engels , sich für Abrüstung und Miliz auszusprechen . Das wurde ihm erleichtert durch die Änderung der Verhältnisse seit den sechziger Jahren. Auch in dieser Beziehung zeigt der Marxismus wieder einmal , daß er an keinem ,,Dogmenfanatismus“ hängt, vielmehr es versteht, ursprüngliche Auffassungen zu revidieren , wo solches am Platz . Erinnern wir uns der Erbitterung, mit der Marx zur Zeit der ersten Internationale die Idee der Abrüstung bekämpfte, die nichts anderes darstelle, als eine Entwaffnung der Westmächte gegenüber dem Despotismus Rußlands. Und ungefähr um dieselbe Zeit sprach sich Engels allerdings bedingt gegen die Miliz aus, in seiner Schrift über die ,,preußische Militärfrage" 1865. Seitdem hatten sich freilich die technischen und sozialen Bedingungen, wie auch sonst, so für das Armeewesen sehr erheblich geändert. Vor 1866 waren die Wirkungen des Hinterladers noch nicht auffallend in Erscheinung getreten. Und vor 1877 nicht die des Magazingewehrs. Diese Verbesserungen der Feuertechnik allein machten schon eine neue Taktik nötig, die auf den Angriff in geschlossenen Formationen verzichtet, dafür an die Initiative und Entschlossenheit jedes einzelnen Mannes die größten Anforderungen stellt . Der Drill wurde immer überflüssiger, der ehedem so viel Zeit der Vorbereitung der Mannschaften für den Krieg erheischt hatte. Um so notwendiger intelligente , findige, begeisterte Truppen . Sie bedürfen einer neuen Disziplin . Nicht mehr, wie ehedem soll sie 17*

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Modernes Heer kein Bauernheer

die Angst vor dem Vorgesetzten und seiner Strafgewalt beherrschen, die ihnen furchtbarer erscheint, als der Feind. Auf diese Weise produziert man heute keine der neuen Taktik entsprechenden Soldaten . Sie erheischt eine Disziplin , die hervorgeht aus einem starken Gefühl der Pflicht, der Hingabe für eine gemeinsame Sache, für die das Heer eingesetzt wird, und ebenso erheischt sie Vertrauen zu den Kameraden und zum Führer. In derselben Zeit , in der die Anforderungen der neuen Taktik an die Mannschaften diese Form annahmen, wuchs auch die Zahl der Angehörigen des Heeres, die diesen Anforderungen am ehesten entsprachen. Das wurde bewirkt durch denselben Kapitalismus, dieselbe Großindustrie, die die technischen Bedingungen der neuen Taktik schufen. Relativ nimmt jetzt die Landbevölkerung ab, die städtische zu. In der Zeit, in der Engels seine Schrift über die Militärfrage verfaßte, lebten in Preußen auf dem flachen Lande noch mehr als zwei Drittel der Bevölkerung . Drei Jahrzehnte später, als Engels die Artikel über die Miliz schrieb, hielten sich dort bereits städtische und ländliche Bevölkerung die Waage . Heute lebt in Deutschland nur noch ein Drittel auf dem Lande . Dabei aber dienten ehedem weit mehr Bauern im Heere, als ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprach, weil sie im allgemeinen weit kräftiger waren, als die Städter. Das hat sich jetzt sehr geändert . Die Assanierung der Städte, auch eine Folge moderner Technik und Naturerkenntnis, hat deren Gesundheitsverhältnisse ungeheuer verbessert. In gleichem Sinne wirkten die Fortschritte des Einflusses der Arbeiterschaft, des Arbeiterschutzes. Die Verkürzung der Arbeitszeit hebt die mörderischen Wirkungen der unbeschränkten Industrie auf, sie gibt den Arbeitern aber auch die Gelegenheit zu Sport und Spiel in frischer Luft . Je mehr diese Entwicklung fortschreitet, um so mehr schwindet die physische Überlegenheit der Bauernschaft über den Städter. Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sind es immer weniger die Bauern , die das Gros der Heere der kapitalistischen Staaten bei allgemeiner Wehrpflicht ausmachen . Vor allem war es, abgesehen von politischen Rücksichten, die Psyche der Bauern gewesen, die die Militärs zu Anhängern einer möglichst langen Dienstzeit machte. Dort, wo der Bauer vom Weltverkehr abgeschnitten , von moderner Technik unberührt ist, fehlt ihm die geistige Regsamkeit, die Findigkeit, die geistige Selbständigkeit, deren die moderne Taktik bedarf. Nur blinder Gehorsam gegenüber dem Führer läßt ihn die in jedem Moment der Schlacht notwendigen Bewegungen verrichten . Diesen Gehorsam bringt ihm nur langjähriger Drill bei . Die Eigenart der Arbeit des Bauern flößt ihm keineswegs ein Gefühl der Disziplin innerhalb eines groBen sozialen Organismus ein. Das Gleiche gilt vom Handwerker. Man sagt vom Kapital, daß es die Gesellschaft atomisiere. Nichts irriger, als das . Es ist die einfache Warenproduktion der Bauern

Disziplin des modernen Heeres

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und Handwerker, die derartig wirkt, da unter ihr jeder einzelne Produzent für sich arbeitet, ohne Zusammenhang während des Produktionsprozesses mit den andern . Jeder der Produzenten kann diesen Prozeß nach seinem Belieben einrichten. Die Großindustrie dagegen vereinigt die Arbeiter in Großbetrieben, gewöhnt sie an pünktliches, genaues Zusammenarbeiten im Gegensatz zu kleinbürgerlicher Schlamperei . Zu der Vereinigung in Großbetrieben fügt sie noch die Erleichterungen des Massenverkehrs . Das eine wie das andere ermöglicht es unter demokratischen Bedingungen, daß die Arbeiter sich zu ökonomischen und politischen Zwecken in Massenorganisationen vereinigen . Auch dies führt vor allem die Lohnarbeiter der Städte zusammen ; später kommt es allerdings auch Bauern und Kleinmeistern zugute. Aus diesen Massenorganisationen und deren Kämpfen geht eine Disziplin hervor , die gerade jene ist, deren auch die moderne Kriegstechnik bedarf. Die Industriearbeiter überwiegen in den Heeren der allgemeinen Wehrpflicht immer mehr nicht nur an Zahl. Sie bringen auch am ehesten für den Kriegsdienst die nötige Geistesverfassung mit sich, die nur kurzer Vorbereitung bedarf, um für den Ernstfall geeignet zu sein aber freilich, nur dann , wenn der Kriegszweck den Anschauungen der Arbeiter entspricht. Alles das bewirkt, daß die Miliz schon heute in einem demokratischen kapitalistischen Staat die vollkommenste Form der Heeresverfassung werden kann, nicht erst in einer sozialistischen Gesellschaft wie Engels noch 1868 annahm - in dem S. 180 zitierten Brief an Marx . Gleichzeitig hatte das Wettrüsten seit der verhängnisvollen Annexion Elsaß-Lothringens und dann nach der für alle Beteiligten unbefriedigenden Lösung des Balkanproblems durch den Berliner Kongreß eine internationale Situation geschaffen , die in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch nicht vorauszusehen war. Die Abrüstung in der Form der Miliz erschien jetzt leichter möglich und weniger gefährlich, gleichzeitig aber viel notwendiger, als dreißig Jahre vorher. Unter diesen Umständen schrieb Engels anläßlich der Einbringung einer neuen Militärvorlage im deutschen Reichstag für den „ Vorwärts", März 1893 , eine Reihe von Artikeln, die dann zusammengefaßt zu einer Broschüre unten dem Titel erschienen : „,Kann Europa abrüsten ?“ Im Vorwort faßt Engels seinen Gedankengang folgendermaßen zusammen : ,,Ich gehe von der Voraussetzung aus, die sich mehr und immer mehr allgemeine Anerkennung erobert, daß das System der stehenden Heere in ganz Europa auf die Spitze getrieben ist in einem Grade, wo es entweder die Völker durch die Militärlast ökonomisch ruinieren oder in einen allgemeinen Verwüstungskrieg ausarten muß, es sei denn , die stehenden Heere werden rechtzeitig umgewandelt in eine auf allgemeiner Volksbewaffnung beruhenden Miliz ... Ich suche festzustellen, daß vom rein militärischen Standpunkt der allmäligen Abschaffung der stehenden Heere absolut nichts

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Militärische Jugenderziehung

im Wege steht ; und daß, wenn trotzdem diese Heere aufrecht erhalten werden, dies nicht aus militärischen , sondern aus politischen Gründen geschieht, daß also mit einem Wort die Armeen schützen sollen nicht so sehr gegen den äußeren wie gegen den inneren Feind." Nur gegen das stehende Heer und dessen stete Ausdehnung wendete sich Engels. Das Wettrüsten in der Form der fortschreitenden Vergrößerung und Vervollkommnung des kriegstechnischen Apparates hatte 1893 wohl auch schon ein bedeutendes Ausmaß erreicht, indes noch nicht so beängstigende Formen angenommen, wie in dem Zeitalter seither. Noch hatten die Feldgeschütze nicht die Reichweite und das Kaliber der heutigen Zeit erreicht, noch spielte das Automobil im Krieg keine Rolle, gab es keine motorisierten Geschütze , keine Tanks, keine Flugzeuge, keine Gasbomben. Noch war das Unterseeboot so wenig entwickelt , daß die deutschen Admiräle es gar nicht beachteten usw. Da hatte die Frage der technischen Abrüstung lange nicht jene Bedeutung, die sie seitdem erreicht hat. Die Form, in der das Wettrüsten am offenkundigsten zutage trat, war die ständige Vermehrung der Bataillone des stehenden Heeres. Das galt auch für die Militärvorlage von 1893, die den Anlaß zu den Engelsschen Artikeln gab. Damals wurde die Zahl der Mannschaften des stehenden Heeres des Deutschen Reiches von 511.000 auf 585.000 erhöht . Und das ging so immer weiter. Zwanzig Jahre später umfaßte dieses Heer beerits 800.000 Mann im Frieden. Mit seiner Befürwortung der Miliz revidierte Engels seinen Standpunkt von 1865. Doch fuhr er fort, das Schweizer Milizssytem abzulehnen. Er sagte in dem Vorwort zu seiner Broschüre von 1893 ausdrücklich : „ Indem ich die gymnastische und militärische Ausbildung der gesamten männlichen Jugend zu einer wesentlichen Bedingung des Übergangs zum neuen System mache, schließe ich die Verwechslung des hier vorgeschlagenen Milizsystems mit irgendwelcher jetzt bestehenden Miliz, z. B. der schweizerischen , ausdrücklich aus." Man darf dabei annehmen , daß ihm Kadres und ein ausgebildetes Offizierscorps nach wie vor unentbehrlisch erschienen . Und später sagt er : ,,Bei dem heutigen komplizierten Stand des Kriegswesens ist ohne militärische Vorbildung der Jugend an einen Übergang zum Milizsystem gar nicht zu denken. “ ( S. 14. ) Was Engels 1893 forderte , ist seit dem Weltkrieg in hohem Maße erreicht worden : das Maximum der militärischen Dienstzeit wurde in den Ländern der allgemeinen Wehrpflicht auf zwei Jahre herabgedrückt, vielfach darüber hinaus verkürzt . Erst kürzlich zeigt sich wieder die Tendenz, sie zu verlängern . Die militärische Ausbildung der Jugend aber hat in manchen Staaten ein Ausmaß erreicht, das uns stutzig machen muß, denn es sind gerade die Diktaturen, die nicht früh genug die gesamte wehrfähige , mitunter nicht bloß männliche , sondern auch weibliche Jugend militärisch

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zu erfassen suchen , so zuerst Sowjetrußland , dann das faschistische Italien, jüngst Hitlerdeutschland. In Italien werden jetzt schon die Kinder vom sechsten Lebensjahr an der militärischen „ Ausbildung“ überantwortet. Das gibt zu denken. In so zarter Jugend ist doch eine militärisch wertvolle Ausbildung nicht zu erwarten, außer in einem Punkte : in der Erziehung zum Kada vergehorsam. Der Kadavergehorsam, der ist für viele Militaristen und militaristisch gerichtete Staatsmänner seit langem auch heute noch die Hauptsache bei der Armee . Diejenige Volksschicht, der man Waffen in die Hand gibt, soll jedes selbständigen Denkens und Wollens entbehren, soll eine willenlose Marionette in den Händen der Machthaber sein . Diesem Zwecke diente die lange Dienstzeit im stehenden Heer. Im Milizheer und auch im stehenden Heer bei einer Dienstzeit unter zwei Jahren ist dieser Kadavergehorsam nicht zu erreichen . Dadurch wird die Miliz zu einer der festesten Stützen der Demokratie. Ein so großes stehendes Heer, wie es die allgemeine Wehrpflicht gestattet, ist aus ökonomischen Gründen nur bei kurzer Dienstzeit möglich . Wie vermag in dieser Situation eine Diktatur ihre Position militärisch zu untermauern ? Aus der Verlegenheit soll ihr die militärische Jugenderziehung helfen. Sie soll die Bildung eines Kadavergehorsams in die Zeit der leicht beeinflußbaren Kindheit verlegen , in die Zeit lange vor dem Eintritt der körperlichen Reife , der Kriegstüchtigkeit. Nun sollen die Kinder zu sklavischer Unterwürfigkeit nach oben, zur Überhebung und Roheit nach unten und gegen alle wehrlosen Elemente ihrer Umgebung erzogen werden . Hat man in ihnen diese Gesinnung zur zweiten Natur gemacht, dann darf der „ Führer" ihnen ruhig für den Krieg brauchbare Waffen in die Hand geben , sie werden sie nur für ihn , nach seinem Kommando anwenden. Das sind Gedankengänge , die eine sehr bedenkliche Seite der militärischen Jugenderziehung enthüllen . Dieser Seite ist es zuzuschreiben, daß die Engelssche Forderung am energischsten und weitestgehenden bisher in den Ländern der Diktatur zur Durchführung gelangte, während die Demokratien hinter ihnen zurückblieben. Die Erziehung der gesamten Jugend von Kindesbeinen an zu militärischem Kadavergehorsam - diese mögliche Folge der militärischen Ausbildung der Jugend zog Engels nicht in Betracht . Die Gefahr würde auch in einem Staat mit tief eingewurzelter Demokratie, wie in England oder der Schweiz, nicht bestehen. Engels erwartete für Deutschland, die Jugend werde die Kraft entwickeln, ihren militärischen Erziehern demokratische Sitten beizubringen . Er meinte, zu der militärischen Ausbildung der Jugend könnte man im preußischen Staat am besten ausgediente Unteroffiziere verwenden.

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Militärische Jugenderziehung

,,Schulmeister sollen sie werden, aber nicht Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern Turnen und Exerzieren sollen sie lehren , das wird ihnen und den Jungen gut tun. Und wenn die Unteroffiziere erst aus der Heimlichkeit der Kaserne und Militärgerichtsbarkeit ans Tageslicht des Schulhofs und des bürgerlichen Strafprozesses versetzt sind, dann, wette ich, bringt unsere rebellische Schuljugend auch dem ärgsten ehemaligen Soldatenschinder Mores bei. “ ( S. 15.) Wer wird bei der militärischen Ausbildung der Kinder siegen , die ,,rebellische Schuljugend" oder jene Unteroffiziersgesinnung, die die Servilität des Strebers mit der Roheit des zu einer gewissen Macht gelangten Emporkömmlings vereinigt ? Das Ergebnis wird je nach der sozialen Struktur und den sozialen Gewohnheiten der Bevölkerung ein sehr verschiedenes sein . Nur vor dem Optimismus ist zu warnen, als werde bei militärischer Jugenderziehung auf jeden Fall die Schuljugend unbotmäßig und stark genug sein, den über sie gebietenden Militärs Respekt vor den Menschen- und Kinderrechten beizubringen. Doch auch der entgegengesetzte Pessimismus wäre schlecht angebracht, der in der militärischen Erziehung der Jugend ein nie versagendes Mittel sieht, die ganze Bevölkerung zu gedanken- und willenloser Ergebung unter den jeweiligen Oberstkommandierenden des Staatswesens zu bringen , sie in eine Hammelherde zu verwandeln, dieses Ideal des nordischen Edelmenschen . Wenn es je eine Macht gegeben hat, die es verstand und ebenso systematisch wie eifrig betrieb , die gesamte Bevölkerung schon vom Säuglingsalter an zu vollster geistiger Unterwürfigkeit zu erziehen, so war es die katholische Kirche, namentlich in der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhundert , der Zeit der Gegenreformation, der Inquisition und des Aufstrebens des Jesuitenordens , der sich ausdrücklich auf den ,,unbedingten Gehorsam gegen den Papst" verpflichtete. Es war Loyola, in seiner Jugend ein Kriegsmann, der den Katholizismus militarisierte und das Wort vom ,,Kadavergehorsam " gegenüber den von Gott bestellten Führern prägte. Doch nicht überall gelang es, in der Zeit der Gegenreformation die Diktatur des päpstlichen „, Führers" wieder aufzurichten. Wie sich heute die Kulturwelt teilt in eine diktatorisch beherrschte und eine demokratisch eingerichtete Hälfte, so spaltete sich in der Zeit der Gegenreformation die christliche Welt in eine vom Papsttum beherrschte katholische und eine von ihm unabhängige, ihm feindliche , protestierende, protestantische Hälfte. Doch im 18. und 19. Jahrhundert hat auch in den katholisch gebliebenen Gebieten die systematische Erziehung der Jugend zu Willenlosigkeit und Unselbständigkeit, wie sie namentlich der Jesuitenorden am energischsten betrieb, nichts geholfen . Das katholische Frankreich hat im 18. Jahrhundert die geistige Führung der philosophischen Aufklärer und dann die politische Führung der empörten Demokratien siegreich erlangt. Dennoch blieb die päpstliche Diktatur nicht ohne Folgen. Die-

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jenigen Staaten, in denen sie sich am restlosesten durchsetzte , so Spanien und seine Kolonien oder Italien , namentlich der Kirchenstaat und Süditalien , verkamen ökonomisch furchtbar, allerdings in steter Wechselwirkung : je mehr ein Staat ökonomisch verkam , desto weniger war seine Bevölkerung imstande , sich der Diktatur zu erwehren. Dagegen strebten ökonomisch, intellektuell, politisch am machtvollsten jene Völker auf, die sich nicht nur der päpstlichen, sondern jeder Art landesväterlich-kirchlicher Diktatur entzogen und zu weitgehender kirchlicher Toleranz gelangten , die Holländer und die Angelsachsen - auch hier in steter Wechselwirkung zwischen Freiheit und ökonomischem Aufschwung. Aus diesen Ländern kamen freiere Anschauungen nach dem übrigen Europa. Das brauchte damals viele Jahrzehnte . Heute ist die Welt unruhiger, veränderlicher, der Weltverkehr ein weit regerer, heute wird der erneute Aufschwung der Demokratie in der diktatorischen Hälfte der Kulturwelt kürzere Zeit brauchen . Doch mag auch in unseren Tagen die Diktatur in manchen Staaten lange genug dauern, um sie in ähnliche Verkommenheit zu versetzen, zu der der Kirchenstaat im 18. und 19. Jahrhundert herabgesunken war. Die geistige und ökonomische Inferiorität wird um so bedenklicher werden, je mehr es der Diktatur gelingt, durch weitgehende Militarisierung der Erziehung dem heranwachsenden Geschlecht sklavischen Kadavergehorsam einzuimpfen und es damit zu kühnem Forschen und selbständigem Wagen untauglich zu machen. Dies schließt einen starken Heroismus auf Kommando nicht aus. Die militärische Erziehung der Jugend weist also bedenkliche Seiten auf, die Engels noch nicht kannte. In demokratischen Staaten mit starken demokratischen Gewohnheiten und Instinkten der Bevölkerung ist sie jedoch für deren sozialen und politischen Aufstieg ungefährlich . Und diese Art Erziehung kann dort direkt notwendig werden um den Militärkräften der diktatorischen Staaten eine wirksame Abwehrmacht entgegenstellen zu können. Die zweckmäßigste Funktion einer Miliz , die auf eine pädagogisch einwandfreie militärische Erziehung der Jugend aufgebaut würde, bestünde allerdings weniger in der kriegerischen Abwehr diktatorischer Angriffe als in der Erhaltung des Friedens dadurch , daß sie jeden derartigen Angriff zu gefährlich macht.

e) Der Bürgerkrieg. Nicht nur in bezug auf die revolutionären Wirkungen , die ein Krieg gegen Rußland bringen könnte, sowie auf Miliz und Abrüstung revidierte Engels die Auffassungen , die er und Marx früher gehegt hatten, sondern auch in bezug auf den Bürgerkrieg. Und das ist vielleicht das bemerkenswerteste in der Geschichte der Stellung der Sozialdemokratie zum Krieg.

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Widersprüche ins Marxismus

Diese Bereitwilligkeit unserer Meister, ihre Anschauungen zu ändern, wenn neue Tatsachen, neue Erkenntnisse dies erheischten , ist bezeichnend für sie und ihren Durst nach Wahrheit, der alle Rücksichten überwand. Wenn sie trotzdem die materialistische Methode, zu der sie sich frühzeitig durchgerungen hatten , nie in irgendeinem Punkte aufgaben , sondern vielmehr immer höher entwickelten und fester begründeten , so bezeugt das die Überlegenheit dieser über alle andern Methoden , die sie vorfanden. Schon die bloße Untersuchung der Anschauungen von Marx und Engels über den Krieg läßt uns erkennen , daß ihre Lehre nicht ein für allemal fest abgeschlossenes Gedankengebäude war, sondern entsprechend ihrer Philosophie ein stets fortschreitender Prozeß des Erkennens. Die Theologen , die sich auf unfehlbare, unwandelbare Offenbarungen einer Gottheit stützten , kamen in große Verlegenheit , wenn diese Offenbarungen Schriftstücke aus sehr verschiedenen Zeiten darstellten . Es zeigten sich dann immer wieder Widersprüche zwischen den einzelnen Äußerungen, und oft waren ältere Dokumente ganz unvereinbar mit den Lehren , die aus späteren Zuständen hervorgingen . Um trotzdem den Charakter der Offenbarungen als absolute Wahrheiten zu retten, blieb den Schriftgelehrten nichts übrig , als ihren ganzen Witz in der Auslegung der heiligen Worte zu erschöpfen, um sie miteinander vereinbar zu machen. Alles Forschen, aller Scharfsinn wurde bloßer Silbenstecherei zugewendet . Das zeigen uns sowohl die jüdischen Talmudisten wie die christlichen Scholastiker. Die Beobachtung der Außenwelt, die allein weitere Erkenntnisse bringen konnte, wurde dabei vernachlässigt . Sozialisten, die sich von der Größe des Marxismus gefangen nehmen lassen, ohne die Tatsachen zu kennen , auf die er aufgebaut wurde, kommen leicht dazu , ebenfalls an Stelle der Erforschung der Wirklichkeit eine Auslegung Marxscher Aussprüche zu setzen, die mitunter viel Fanatismus erzeugt, stets aber wenig tatsächliche Erkenntnis bringt. Wer die Entwicklung der Begründer des Marxismus verfolgt, stößt dabei auf Widersprüche zwischen früheren und späteren Anschauungen. Wo solche Widersprüche auftreten, haben wir sie nicht hinweg zu interpretieren . Wir werden sie stets aus Veränderungen der Verhältnisse erklären können . Offenbar haben wir bei unseren Vergleichungen die späteren Auffassungen als die reiferen und den Verhältnissen unserer Zeit näherstehenden, demnach als die beachtenswerteren zu betrachten. Dabei ist folgendes zu erwägen . Der Weltkrieg mit seinen Folgen hat vielfach einen Rückfall in barbarische Zustände herbeigeführt allerdings ist die Barbarei unserer Tage sehr sonderbarer Art. Sie erwächst auf einer enormen Höhe der Naturwissenschaft und der Technik, jedoch unter Umständen , die dieses Wis-

Engels über Bürgerkrieg

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sen und seine technische Anwendung aufs rücksichtsloseste den Zwecken des Kapitals und des Militarismus dienstbar machen. Im größten Teil des 19. Jahrhunderts waren noch Wissenschaft und industrielles Kapital dem Militarismus feindlich gegenübergestanden . Um die Zeit der Jahrhundertwende haben sich diese drei Faktoren in sehr hervorragenden Vertretern zu einem Verderben bringenden Kleeblatt vereinigt. Aus dieser Vereinigung ging die Barbarei unserer Tage hervor. Das ist ein Zustand , den Marx und Engels noch nicht ausgeprägt beobachten konnten . Daher sind ihre Auffassungen nicht immer ohne weiteres auf die Gegenwart anwendbar. Aber es ist ein Unding, wegen des Rückschlags unserer Zeit in die Barbarei die anfänglichen Anschauungen eines Marx vor seinen späteren deshalb zu bevorzugen, weil die früheren sich in einem Zustand der Gegenrevolution bildeten , der mit den Verhältnissen der Jetztzeit manche Ähnlichkeit hat . Wohl aber wird durch den Rückschlag unserer Zeit in die Barbarei die Tatsache erklärlich , daß nicht wenige Sozialisten dort , wo Widersprüche im Marxismus bestehen, den Auffassungen des Früh-Marxismus den Vorzug vor seinen reiferen Gedanken geben, ja daß sogar die früheren Auffassungen überdies gar nicht einmal im Sinne des Marxismus überhaupt, sondern in dem eines vormarxistischen Sozialismus , etwa des Blanquismus gedeutet werden. Daher sind in unseren Tagen bei vielen Marxisten die Ergebnisse vergessen worden, zu denen Engels in der letzten Zeit seines Lebens bei seinen Forschungen über den Bürgerkrieg gelangte. Wie alle Revolutionäre der Zeit um 1848 herum war auch Friedrich Engels damals überzeugt davon , Demokratie und Proletarierherrschaft könnten nur durch bewaffnete Erhebungen errungen werden. Im badischen Aufstand, Mai bis Juli 1849, hatte er mitgekämpft, dabei aber die militärische Unzulänglichkeit der Aufständischen kennengelernt . Das veranlaßte ihn später, militärische Studien zu treiben. Am 15. Juni 1851 schrieb er von Manchester aus , wohin er sich im englischen Exil begeben , an seinen Freund Josef Weidemeyer, ehemaligen preußischen Artillerieleutnant, er möge ihm eine Anleitung zum Studium der Kriegswissenschaft geben. Er begründete dieses Ansuchen folgendermaßen : „ Ich habe, seit ich hier in Manchester bin, angefangen, Militaria zu ochsen. Die enorme Wichtigkeit, die die partie militaire bei der nächsten Bewegung bekommen muß , eine alte Inklination , meine ungarischen Kriegsartikel in der ‚ Neuen Rheinischen Zeitung ' , schließlich meine glorreichen Abenteuer in Baden , alles das hat mich darauf geworfen." (Veröffentlicht v. Mehring in der ,, Neuen Zeit “, XXV, 2, S. 55.) Damals war also Engels fest davon überzeugt, daß in der ,,nächsten Bewegung" kriegerische Auseinandersetzungen eine ,,enorme Wichtigkeit" gewinnen würden . Und für diesen Fall wollte er gewappnet sein. Er unternahm das militärische Studium mit

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Bürgerkrieg

glänzendem Erfolg. Das bewies er schlagend in seinen Artikeln über den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 , die ihm bei seinen Freunden den Spitznamen des ,, Generals" einbrachten. So erfolgreich war sein Studium, daß es ihm die Anerkennung nicht nur von Freunden , sondern auch von politischen Gagnern einbrachte. Darüber berichtet Hellmut v. Gerlach in seinen Erinnerungen (,,Von Rechts nach Links ", Zürich 1937) . Gerlach teilte 1894 seinen Freunden mit, er gedenke nach London zu reisen : „ Da erklärte Major Wachs aus dem großen Generalstab, damals die strategisch-literarische Autorität für die ganze Rechtspresse : ,Wenn Sie nach London kommen, müssen Sie unbedingt meinen Freund Friedrich Engels besuchen' ... Als militärpolitischer Schriftsteller müsse er sagen, daß er keinen seiner Kollegen wegen seiner Kenntnisse, seiner Sachlichkeit und seines klaren Urteils höher schätze als Engels. Er stehe deshalb in freundschaftlicher Korrespondenz mit ihm .“ ( S. 138. ) Das sachliche Interesse und die berufliche Hochschätzung überwogen den politischen Gegensatz. Eines der ersten Ergebnisse den kriegswissenschaftlichen Arbeiten unseres Engels war sein Mißtrauen gegen die Miliz, die Volksbewaffnung in der Art, wie sie von den Demokraten gewöhnlich aufgefaßt wurde . Später hat sich , wie wir eben gesehen, sein Mißtrauen gegen die Miliz allmählich wieder verloren. Wenn aber Engels durch seine Studien von der militärischen Inferiorität der Miliz gegenüber dem stehenden Heer überzeugt wurde, mußte er erst recht dem Volksaufstand nur geringe Erfolgsaussichten einräumen . Im Jahre 1852 erwartete er noch, die soziale Revolution werde und müsse die Form eines Bürgerkriegs bewaffneter Formationen annehmen. Und Marx sah 1850 in kommenden Bürgerkriegen eines der großen Erziehungsmittel des Proletariats. Im September 1850 rief er den Arbeitern zu : ,,Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkriege und Völkerkämpfe durchzumachen, nicht nur um die Verhältnisse zu ändern , sondern um Euch selbst zu ändern und zur politischen Herrschaft zu befähigen.“ Indes warnten Marx und Engels schon damals davor, leichtfertig einen Aufstand zu entfesseln . In einem Artikel vom August 1852 schrieb Engels (veröffentlicht als von Marx herrührend, in ,,Revolution und Konterrevolution in Deutschland") : ,,Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Wert sich jeden Tag ändern kann. Die Streitkräfte, gegen die man zu kämpfen hat, haben den Vorteil der Organisation, Disziplin und der herkömmlichen Autorität ganz auf ihrer Seite. Kann man nicht große Gegenmächte dagegen aufbringen, so wird man geschlagen und vernichtet. Ist der Aufstand einmal begonnen, dann handle man mit der größten Entschiedenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jeder bewaffneten Erhebung. Diese ist verloren, ehe sie sich noch mit dem Feinde zu messen hat." Man müsse gegen den Gegner losgehen, solange seine Truppen zerstreut seien, sie an der Vereinigung hindern . Das ist sicher richtig. Aber leider zeigte die Erfahrung, daß seit einem Jahrhundert bewaffnete Erhebungen der unteren Klassen fast nie zu einer

Offensive im Bürgerkrieg

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Offensive gelangen können , das heißt, zu einer Ausdehnung des Kampfgebiets. Wie wenig die bewaffneten Erhebungen der neueren Zeit fähig zu einer Offensive sind , zeigte sich z . B. im Oktober 1848 in Wien. Es gelang am 6. Oktober den Aufrührern, die dort befindlichen kaiserlichen Truppen derart zu demoralisieren, daß diese rasch aus der Stadt gezogen wurden . Die verjagten Truppen zu zerstreuen , wäre wohl gelungen, wenn man sie sofort verfolgte . Aber nichts derartiges geschah . Die Rebellen blieben in Wien und ließen der Regierung Zeit, eine überlegene Truppenzahl zusammenzuziehen, mit der sie am 20. Oktober zur Offensive gegen Wien vorging, um den Aufstand zu erwürgen . Ganz das gleiche vollzog sich am 18. März 1871 in Paris, auch da verfolgten die Pariser Arbeiter nicht die von ihnen verjagten Truppen und gestatteten der nach Versailles geflüchteten Regierung, ein Heer aufzustellen, das im April schon den Parisern überlegen war. Ich habe auf die Übereinstimmung zwischen dem Oktober 1848 in Wien und dem März 1871 in Paris schon hingewiesen in meinem ,,Krieg und Demokratie ", I. S. 440. Aber leider beschränkte sich die Übereinstimmung nicht auf diese beiden Fälle . Bald nach der Pariser Kommune wurde in Spanien die Republik proklamiert. Die Armee zeigte sich so sehr desorganisiert , die Regierung so schwach, daß in manchen Orten die Arbeiter imstande waren, sich der politischen Macht zu bemächtigen ( Sommer 1873 ) . Nur wußten sie leider nichts damit anzufangen, bei ihrem Mangel an Wissen und Organisation , der sie zu einer leichten Beute der Bakunisten machte. Engels spricht im ,,Volksstaat" (31. Oktober, 2. und 5. November 1873) darüber in einer Artikelserie unter dem Titel „ Die Bakunisten an der Arbeit“. Da sagt er unter anderem, nachdem er berichtet, wie die Revolutionäre Barcelonas wegen der Taktik der Bakunisten versagten : ,,Trotzdem hatte der, wenn auch hirnlos eingeleitete Aufstand immer noch große Aussicht auf Erfolg,' ) wäre er nur mit Verstand geleitet worden, selbst nur nach der Weise der spanischen Militärrevolten, wo die Garnison einer Stadt sich erhebt, zur nächsten zieht, die schon vorher bearbeitete Garnison dieser Stadt mit sich fortreißt und lawinenartig anschwellend gegen die Hauptstadt vordringt, bis ein glückliches Gefecht oder der Übertritt der gegen sie gesandten Truppen den Sieg entscheidet . Diese Methode war diesmal besonders anwendbar. Die Insurgenten waren überall seit längerer Zeit in freiwilligen Bataillonen organisiert, deren Disziplin zwar erbärmlich war, aber sicher nicht erbärmlicher als die der Reste der alten, größtenteils auseinandergegangenen spanischen Armee. Die einzig ¹) Engels meint hier wohl nur militärischen Erfolg. Denn er sagt selbst im ersten seiner Artikel, daß bei der industriellen Rückständigkeit Spaniens dieses Land „ noch verschiedene Vorstufen der Entwicklung durchzumachen hat" und daher ,,von einer sofortigen vollständigen Emanzipation der Arbeiterklasse dort noch gar nicht die Rede sein kann“. K.

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Offensive im Bürgerkrieg

zuverlässigen Truppen der Regierung waren die Gensdarmen ( guardias civiles ) und diese waren über das ganze Land zerstreut. Es kam vor allem darauf an, die Zusammenziehung der Gensdarmen zu verhindern und dies konnte nur geschehen , indem man angriffsweise verfuhr und sich aufs offene Feld wagte ; viel Gefahr war nicht dabei, da die Regierung den Freiwilligen nur ebenso undisziplinierte Truppen entgegenstellen konnte, wie sie selbst waren. Und wollte man siegen, so gab es kein anderes Mittel." Aber dieses Mittel kam nicht zur Anwendung. Die Insurgenten jeder Gemeinde beschränkten sich auf deren Bereich, trachteten nicht darüber hinaus. Es scheint, daß es im spanischen Aufstand des Oktober 1934 auch nicht viel anders zuging . Und kurz vorher, im Februar des gleichen Jahres hatten die Aufständischen Österreichs sich ebenfalls ganz defensiv verhalten, was ein Kritiker auf das Konto einer besonderen ,, Ideologie“ schrieb . In Wirklichkeit kennzeichnet das defensive Verhalten der Aufständischen fast alle bewaffneten Insurrektionen des 19. und des bisherigen ersten Drittels des zwanzigsten Jahrhunderts . Wenn Engels 1852 die Offensive empfahl, dachte er offenbar zuerst an den Aufstand in Baden sowie an den in Ungarn. Dort gab es aber richtige Feldzüge, bei denen reguläre Soldaten mitwirkten. Man wird vielleicht auf die Oktoberrevolution von 1917 in Petrograd (heute Leningrad) und Moskau hinweisen , in der die Bolschewiks sehr offensiv vorgingen . Aber damals gab es keine Kämpfe zwischen dem Zivil und der Armee. Diese war durch den Krieg völlig aufgelöst. Wer von den Soldaten noch Waffen trug und in die inneren Kämpfe eingriff, gesellte sich nach Belieben der oder jener Bande zu , die entweder für die eine oder die andere Partei kämpfte . Unter diesen Umständen wurde es für eine Verschwörergesellschaft mit straff zentralisierter Leitung möglich, einen Staatsstreich vorzubereiten und mit Waffengewalt erfolgreich durchzuführen . Der spanische Aufstand des Sommers 1936 wieder war eine vorbereitete Erhebung eines Teils des Militärs gegen die Regierung, auf deren Seite revolutionäre Zivilisten vereint mit regulären Truppen gegen die Aufständischen kämpften . Ganz anders stand es mit den sonstigen Aufständen, von denen hier gesprochen wird. Sie brachen überraschend los, ein Ergebnis spontaner Auflehnung der Bevölkerung. Durch den Ausbruch wurde nicht bloß die Regierung überrascht, sondern auch die Revolutionäre selbst . Manchmal hat die Regierung, wenn sie sich stark fühlte, den Ausbruch geradezu provoziert. Dann waren es nur die Revolutionäre, die überrascht wurden. Diesen mangelte daher jede wirksame zentrale Leitung. Das galt selbst für den Schutzbund in Österreich . Unter derartigen Umständen eine Offensive zu ergreifen, war nicht gut möglich, von welcher Ideologie immer die Insurgenten beseelt sein mochten . Doch nicht nur die notwendige Beschränkung der Aufständischen auf die Defensive kennzeichnet die bewaffneten Erhebungen

Aussichten im Bürgerkrieg

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der Zivilbevölkerung unserer Zeit, im Gegensatz zu denen der ersten englischen und der großen französischen Revolution . Engels nennt in dem obenzitierten Satz aus dem Buch über „, Revolution und Konterrevolution in Deutschland" als Ursache der Überlegenheit der staatlichen Heere über Aufständische ,,den Vorteil der Organisation, Disziplin und der herkömmlichen Autorität". Er nennt nicht den Vorteil der besseren Bewaffnung. Dieser Vorteil bestand tatsächlich schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Doch war das Übergewicht der Feuerwaffen des Heeres etwa über Jagdgewehre nicht allzu groß, namentlich . in den engen, winkligen Gassen der Proletarierquartiere, die eine Anwendung von Artillerie nicht gestatteten. Das änderte sich rapid in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nicht nur wurden die engen Gäßchen der Vorstädte durch breite, gradlinige Straßenzüge durchbrochen, es änderte sich auch gleichzeitig die Reichweite und die Feuergeschwindigkeit der Armeewaffen. Und hatte früher jeder Schütze zur Not sich seine. Munition selbst bereiten können, so erheischten die Hinterlader Patronen, die nur fabriksmäßig hergestellt werden konnten . Die Feuergeschwindigkeit wuchs so rapid, daß immer größere Mengen Munition für jedes Gefecht erforderlich wurden. Alles das und noch so mancher andere Umstand reduzierte bald immer mehr, welche Taktik immer man wählen mochte, die Aussichten einer bewaffneten Erhebung der Zivilbevölkerung auf Null überall dort , wo ihr eine an Zahl nicht auffallend schwächere, gut disziplinierte Streitmacht des Staates entgegentrat . Das zeigten Engels seine militärischen Studien bald . Im Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts , als die damalige Wirtschaftskrise auf ihrem Höhepunkt stand, wurde in unseren Reihen die Frage der kommenden Revolution aufs lebhafteste diskutiert, auch zwischen Engels und Bebel . Am 18. November 1884 schrieb Engels an diesen : ,,Keine Partei hat je das Recht auf bewaffneten Widerstand unter gewissen Umständen verleugnet, ohne zu lügen. Keine hat auf dies äußerste Recht jemals verzichten können.“ Es sei daher eine bloße Heuchelei, wenn die bürgerlichen Parteien von uns verlangten , wir,,, wir allein , sollten erklären , daß wir unter keinen Umständen zur Gewalt greifen, uns jedem Druck, jeder Gewalttat unterwerfen wollen". Von uns eine solche Erklärung abzuverlangen sei ,,rein widersinnig". Aber das Recht auf bewaffneten Widerstand gegen Gewaltanwendung bedeutet keineswegs die Pflicht, sich unter allen Umständen bewaffnet zu widersetzen. Das soll man offenbar nur dort tun, wo ein Erfolg in Aussicht steht. Und so fügt Engels hinzu :

Aussichten im Bürgerkrieg

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,,Übrigens können die Herrn ruhig sein. Wie die militärischen Verhältnisse jetzt liegen, schlagen wir nicht los, solange noch eine bewaffnete Macht gegen uns ist.') Wir können warten,64 bis die bewaffnete Macht selbst aufhört, eine Macht gegen uns zu sein .' Kurz darauf am 11. Dezember 1884 drückte sich Engels Bebel gegenüber noch drastischer aus. Er untersuchte die Frage, ob in der kommenden Revolution die Herrschaft der bürgerlichen Demokratie der der Sozialdemokratie vorangehen werde. Er meinte, nachdem er auf 1848 in Frankreich hingewiesen : ,,Nun kann die Sache in Deutschland allerdings anders verlaufen, und zwar aus militärischen Gründen . Anstoß von außen kann , wie die Sachen jetzt liegen , kaum anders als von Rußland kommen. Kommt er nicht, geht der Anstoß von Deutschland aus , so kann die Revolution nur von der Armee ausgehen . ) Ein unbewaffnetes Volk gegen eine heutige Armee ist militärisch eine rein verschwindende Größe.“ Für Engels' Freunde war es also keine Überraschung, daß er 1895 in seinem ,,politischen Testament", seiner berühmten Vorrede zu der Marxschen Schrift über die ,,Klassenkämpfe in Frankreich" sich sehr entschieden gegen den bewaffneten Aufstand aussprach. Das war nicht etwa ein Ergebnis einer durch schwere Krankheit hervorgerufenen Schwachmütigkeit . Engels hatte schon 1884 ebenso gedacht, noch in voller Gesundheit und Kraft und Revolutionslust . Die Gründe , die er gegen den Aufstand vorbringt, sind dieselben, die wir schon dargelegt. Engels führt sie in der erwähnten Vorrede eingehender aus . Jedem ist zu raten, sie nachzulesen. Er kommt zu dem Schlusse : ,,Versteht der Leser nun, weshalb die herrschenden Klassen uns platterdings dahin bringen wollen , wo die Flinte schießt und der Säbel haut ? Warum man uns heute ( 1895 ) der Feigheit zeiht, weil wir uns nicht ohne weiteres auf die Straße begeben, wo wir der Niederlage im Voraus gewiß sind? Warum man uns so inständig anfleht, wir möchten doch endlich einmal Kanonenfutter spielen? Die Herren verschwenden ihre Bittgesuche wie ihre Herausforderungen für nichts und wieder nichts. So dumm sind wir nicht. “ ( S. 15. ) So schrieb Engels vor vierzig Jahren . Heute hat man aber in der Sozialdemokratie überall die größte Mühe, sich jener Auffassung zu erwehren , die unser Altmeister damals als „, so dumm" bezeichnete. Gewiß hat sich seitdem vieles geändert. Jedoch nichts, was die Engelssche Überzeugung von der Aussichtslosigkeit einer Erhebung des Zivils gegen eine Regierung in einem Straßenkampf irgendwie erschüttern könnte. Im Gegenteil . Jeder Fortschritt der Kriegstechnik bekräftigt sie seitdem immer mehr. Engels schien in den letzten Jahrzehnten seines Lebens bereits die Waffentechnik der Herren seiner Zeit eine überwältigende zu sein. Was hätte er erst gesagt zu Flugzeugen und Gasbomben ! ¹) Von mir unterstrichen. K. 2) Von mir unterstrichen. K.

Der bewaffnete Aufstand

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f) Die Gewinnung der Wehrmacht. Engels war zu der Überzeugung von der Aussichtslosigkeit bewaffneter Erhebungen gekommen. Dennoch glaubte er nicht, wir stünden vor dem Dilemma : entweder kapitulieren oder Leonidas nachahmen - Engels sagte allerdings nicht ,, Leonidas", sondern ,,Kanonenfutter". Sicherlich gab Engels nie seine früh gewonnene Überzeugung auf, daß alle politischen Fragen Machtfragen sind, daß jede Partei nur so weit respektiert wird, als sie eine Macht ist, und er wußte sehr wohl, daß die Gewalt der Waffen, wenn auch nicht das einzige, so doch ein sehr entscheidendes Machtmittel ist. Trotz alledem raubte alle Entwicklung der Waffentechnik Engels den Mut nicht, obwohl sie den bewaffneten Aufstand für das Zivil von Tag zu Tag aussichtsloser machte. Im Gegenteil, Engels zeigte sich in seiner letzten politischen Kundgebung, der eben zitierten Vorrede zu den Marxschen ,,Klassenkämpfen", so siegesgewiß wie je. Je weniger er auf die Überlegenheit der proletarischen Kämpfer in bewaffneten Aufständen rechnete , desto mehr erwartete er von der geistigen Überlegenheit jener, die die proletarische Sache verfochten. Und vor allem vertraute er auf die Kraft der ökonomischen Entwicklung und auf die Kraft jener, die diese erkannten und mit ihr rechneten . Wohl macht die technische Entwicklung die Waffen der Staatsgewalt dem ,,Plebs" gegenüber unüberwindlich , jedoch gleichzeitig vermehrt die ökonomische Entwicklung die Zahl jener Träger staatlicher Waffen, die der Arbeitersache geneigt sind. Und auf diese Träger kommt es in letzter Linie an , nicht auf die Waffe selbst. Auch die vollkommenste unter ihnen ist ein unbrauchbares Metallstück, sonst nichts, ohne den Menschen , der sie führt und sie zu handhaben versteht. Jede Kriegshandlung ist von dem Bestreben geleitet, die Waffenträger der Gegenseite zu vernichten oder ihre Willenskraft durch furchtbare Vernichtungsakte zu brechen. Aber es heißt, beschränkt militaristisch denken, wenn man annimmt, dies sei die einzige Methode, die Waffenträger der Gegenseite unschädlich zu machen , und wer auf diese Methode verzichte, der kapituliere vor dem Gegner. Engels wollte weder kapitulieren noch sinnlos mit dem Kopf durch die Wand rennen. Er konnte sich das eine wie das andere ersparen, da ihm die Beobachtung der Wirklichkeit eine dritte. Möglichkeit zeigte sich durchzusetzen : die, die Truppen des Gegners für die eigene Sache zu gewinnen. Diese Möglichkeit spielt in Kriegen zwischen Staaten kaum eine Rolle, außer dort, wo sie bloß von charakterlosen Söldnern ausgefochten werden . Dagegen ist sie schon oft von Bedeutung geworden bei großen Konflikten innerhalb eines Staates . Darauf

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Allgemeine Wehrpflicht

beruhte Engels Zuversicht, trotz der Aussichtslosigkeit von StraBenkämpfen . In seinem schon oben zitierten Artikel des französischen Parteikalenders für 1892 über den ,,Sozialismus in Deutschland“ sagte er : „ Die Hauptstärke der deutschen Sozialdemokratie liegt keineswegs in der Zahl ihrer Wähler. Bei uns wird man Wähler erst mit 25 Jahren, aber schon mit 20 Soldat . Und da gerade die junge Generation es ist, die unserer Partei ihre zahlreichsten Rekruten liefert , so folgt daraus, daß die deutsche Armee mehr und mehr von Sozialismus angesteckt wird . Heute haben wir einen Soldaten auf fünf, in wenigen Jahren werden wir einen auf drei haben, und gegen 1900 wird die Armee, früher das preußischste Element des Landes, in ihrer Majorität sozialistisch sein . Das rückt heran , unaufhaltsam, wie ein Schicksalsschluß . Die Berliner Regierung sieht es kommen, ebenso gut wie wir , aber sie ist ohnmächtig. Die Armee entschlüpft ihr.“ In gleichem Sinne sprach sich Engels dann 1895 in seiner bereits zitierten Vorrede aus. Er beschloß sie mit einem Hinweis auf die große Christenverfolgung Diokletians im Jahre 303. Sie sei furchtbar grausam gewesen. Aber trotzdem erfolglos : ,,Sie war so wirksam, daß siebzehn Jahre später die Armee überwiegend aus Christen bestand , und der nächst folgende Selbstherrscher des gesamten Römerreichs , Konstantin , von den Pfaffen genannt der Große, das Christentum proklamierte als Staatsreligion." So schnell, wie Engels es erwartete , vollzog sich der Fortschritt nicht. Aber dessen Richtung hatte er ganz richtig gesehen . Seine Ausführungen gelten für jedes kapitalistische Land , in dem das Proletariat beständig wächst, an Klassenbewußtsein zunimmt und gleichzeitig die Entwicklung der Waffen- und Verkehrstechnik immer mehr zu einer Verallgemeinerung der Wehrpflicht, gleichzeitig aber auch zu einer Verkürzung der Dienstzeit führt. Wohl gibt es Staaten , in denen wir nicht allgemeine Wehrpflicht haben. England verfügte bis zum Weltkrieg nur über ein kleines Söldnerheer. Deutschland wurde ein solches durch den Frieden von 1919 aufgezwungen . Anderseits hat die Entwicklung seit dem Weltkrieg in manchem Staat das Aufkommen von Privatoder Parteiarmeen begünstigt . Aber das alles sind nur vorübergehende Erscheinungen, die auf die Dauer überwunden werden . Die Notwendigkeit des Kriegs zwang England die allgemeine Wehrpflicht auf und der Drang nach Weltgeltung läßt die Nationalsozialisten Deutschlands eine Richtung einschlagen, die schließlich auf eine Verallgemeinerung der Wehrpflicht hinauslaufen muß. (Das wurde 1934 geschrieben , ist seitdem verwirklicht worden .) Natürlich bedeutet die allgemeine Wehrpflicht nicht schon eine Durchdringung der Armee mit sozialistischen oder demokratischen Ideen. Das hängt in jedem Staat in hohem Grade von der geistigen Beschaffenheit seiner Volksmassen ab , vor allem von der Zahl der Intelligenz , der Rührigkeit und Selbständigkeit seiner Proletarier.

Die Gewinnung der Truppen

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Engels sprach ausdrücklich nur von Deutschland . Es fiel ihm nicht ein, etwa in dem russischen oder italienischen oder österreichischen Staat seiner Zeit von der allgemeinen Wehrpflicht baldigst. dieselbe ,,Sozialisierung" der Armee zu erwarten. Der Weltkrieg hat dann in die soziale Entwicklung so viele störende Elemente hineingebracht, daß sie scheinbar eine völlig willkürliche geworden ist. Aber ist auch ihre Gesetzmäßigkeit heute schwerer erkennbar, so bricht sie doch immer wieder durch, wenn auch mühsam, nach vielen Abweichungen . Die praktische Politik wird dadurch sehr erschwert, sie kann sich immer weniger von der Erkenntnis des Gesetzmäßigen , von der Theorie, allein leiten lassen. Sie muß die jeweiligen Störungen der sozialen Gesetze genau erkennen und in Rechnung stellen. Doch darf dies nicht so weit gehen, daß sie über Augenblickserscheinungen das vergißt, was wir theoretisch auf Grundlage der Erforschung der Wirtschaft und der Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte als dauernde Tendenz erkannt haben . Nach wie vor bleibt richtig, was Engels in den letzten Jahren seines Lebens konstatierte : bewaffnete Aufstände der Bevölkerung gegen die Armeen des Staates sind überall dort aussichtslos, wo nicht zu erwarten ist, daß diese Armee, wenigstens zum großen Teil, mit den Aufständischen sympathisiert und gegen sie nicht zu verwenden ist.

Wie aber die Armee gewinnen ? Bei der Erörterung dieser Frage muß man sich vor der Gefahr hüten, die nüchterne Erkenntnis der Dinge durch Ungeduld trüben zu lassen . Diese Ungeduld ist sehr wohl begreiflich bei Emigranten, bei Arbeitslosen , bei tatendurstigen Elementen überhaupt, deren Bewegungsfreiheit eingeengt ist . Aber sie ist eine Fehlerquelle, die zu schweren Mißgriffen führen kann und die bei unseren Erwägungen nach Möglichkeit ausgeschaltet werden muß. Die Wichtigkeit der Gewinnung der Wehrmacht ist sehr frühzeitig erkannt worden. Doch wußte man dafür zunächst kein anderes Mittel, als revolutionäre Propaganda in den Kasernen . Ungeduldige Revolutionäre haben das immer wieder versucht. Früher taten es bakunistische Anarchisten und in unseren Tagen Kommunisten. Sie drückten einzelnen Soldaten Flugblätter in die Hand, suchten dann, sich persönlich mit ihnen anzufreunden , sie für eine Verschwörung zu gewinnen . Wenn man damit Erfolg hatte, ging man sogar so weit, eine Meuterei anzustiften. Alle derartigen Versuche haben seit jeher bis heute kläglich geendet und mußten kläglich enden. Der alte schon vor zwei Menschenaltern abgetane Blanquismus wird nicht aussichtsreicher dadurch , daß man sein Wirkungsfeld dorthin verlegt, wo er auf die größten äußerlichen und innerlichen Schwierigkeiten stößt : in die Kaserne . Die Verschwörungen der Soldaten wurden regelmäßig entdeckt, ihre Meutereien rasch unterdrückt . Das Ergebnis war nur, daß prächtige , tapfere, 18*

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Gewinnung der Truppen

hingebende Menschen nutzlos geopfert wurden , die sonst noch viel Tüchtiges für unsere Sache hätten leisten können . Daß man sie hinterdrein als Helden pries, entschädigte keineswegs für solche schwere Verluste . Die Sozialdemokratie lehnte die Kasernenpropaganda stets ab, und sie hat keine Ursache, heute davon abzugehen. Das versteht sich eigentlich von selbst , ich erwähne es nur, weil jemand , der die marxistische Literatur nicht kennt, versucht sein könnte, meinen Satz von der Gewinnung der Armee im Sinne eine Propagierung von Meutereien in Kasernen zu deuten . Zum Glück gibt es noch eine andere Art Propaganda, und die hatte Engels im Auge, wenn er meinte, die deutsche Armee fülle sich immer mehr mit Sozialisten. Es ist eine Propaganda nicht durch Worte, sondern durch die Sprache der Tatsachen, eine Propaganda, die sich nicht verhindern oder verbieten läßt , wenn die Tatsachen weit verbreitet und auffallend genug sind , um gesehen und begriffen zu werden . Natürlich kann die Sprache der Tatsachen sehr unterstützt werden durch die Sprache der Menschen , wenn diese auf jene hinweisen und sie auslegen . Auch davor kann man die Soldaten nicht bewahren. Obwohl sie in Kasernen leben , stammen sie doch aus der Zivilbevölkerung, haben in ihr Angehörige , mit denen sie in Verbindung bleiben. Sie kommen schon mit bestimmten Überzeugungen zur Wehrmacht und bleiben ihnen um so leichter treu , je kürzer die Dienstzeit ist . Da gibt es keine große , die Massen ergreifende Bewegung, die nicht ihren Widerhall in den Kasernen fände . Je mehr eine Partei das Volk gewinnt, desto größer auch ihr Anhang im Militär. Allerdings gilt dies zunächst nur für Länder mit allgemeiner Wehrpflicht, kurzer Dienstzeit und einer geistig regsamen Bevölkerung, die gewöhnt ist , selbständig zu denken und zu handeln . Anders steht es dort, wo die Wehrmacht eine kleine Armee von Landsknechten darstellt, die sorgfältig gesiebt sind und zur Zivilbevölkerung in einem scharfen Gegensatz dadurch stehen , daß man ihnen eine privilegierte Stellung einräumt. Doch auch dieses Hindernis einer demokratischen Politik ist nicht unübersteigbar. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß schon das Wettrüsten in schwierigen internationalen Lagen dazu drängt, die Armeen immer zahlreicher zu machen . Anderseits aber haben sich auch Söldner nicht immer als eine zuverlässige Stütze einer Regierung erwiesen, am allerwenigsten einer solchen, die sich in Geldnot befindet. Endlich aber ist darauf hinzuweisen, daß zeitweise in jeder Nation geistige Strömungen von einer Macht auftauchen , daß sie alles mit sich reißen. Sie sind nicht aus bloßen Klassengegensätzen zu erklären. Es war eine große wissenschaftliche Leistung von Marx und Engels , daß sie die Rolle der Klassenkämpfe in der Ge-

Klassenkampf und Revolution

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schichte darlegten. Aber es ist durchaus nicht marxistisch gedacht, wenn man meint, es genüge, das Wort ,,Klassenkampf" auswendig zu lernen und es nach Papageienart immer wieder in die Welt zu schreien, um alle Probleme des Erkennens der Vergangenheit und der Gestaltung der Gegenwart zu lösen . Es gibt zeitweise geistige Strömungen, die nicht auf einzelne Klassen beschränkt sind , sondern eine ganze Nation oder doch fast ihre Gesamtheit mit sich fortreißen, durch Verhältnisse bestimmt, die auf alle Klassen wirken, sie alle in bestimmtem Sinne erregend . Meist sind es Ausbrüche allgemeiner Verzweiflung, allgemeiner Furcht vor einer Gefahr oder allgemeiner Flucht zu einem Retter, bei dem allein man sein Heil sucht. Derartige geistige Ausbrüche erweisen sich als unwiderstehlich , lähmen jene , die sich ihnen zu widersetzen suchen. Riesenhafte Ausbrüche allgemeiner Erregung in einer bestimmten Richtung finden wir fast stets bei Beginn eines Kriegs, aber auch mitunter bei tiefgehenden Notständen, wenn irgendein Anlaß in einer gequälten Bevölkerung eine Bewegung auslöst, die eine Änderung des bestehenden Zustands fordert. Bewegungen solcher Art können zu Revolutionen werden, die spontan entstehen und deren Wucht unwiderstehlich wirkt . Jede Revolution ging bisher von einer Vielheit von Klassen aus , keine von einer einzigen. Mitunter kann freilich eine derartige Aufwühlung der Geister freiheitsmörderisch wirken , wenn sie gerade unter einem freiheitlichen Regime ausbricht, in dem irgendein allgemeiner Notstand die gesamte Bevölkerung außer Rand und Band bringt. Dieser Art war die ,,Revolution" des Nationalsozialismus des Jahres 1933. Nicht durch einen Sieg der Waffen wurde sie herbeigeführt, sondern durch eine plötzlich einsetzende Erschütterung breiter Massen, die zeitweise geradezu die Wucht eines Bergsturzes annahm. Verwundert sah man , daß die deutschen Arbeiter Sozialdemokraten wie Kommunisten, ganz abgesehen von den Arbeitern des Zentrums nicht an kraftvollen Widerstand dachten. Aber wer die Gewalt solcher Strömungen einmal kennengelernt hat, der weiß, wie es ganz unmöglich wird , sie eindämmen zu wollen . Zu viele Schichten, an die sich die Verfechter des Bestehenden sonst wenden könnten, werden bei einem derartigen Zustand der Geister schwankend und unsicher, wenn sie nicht direkt zum Feind übergehen . Zum Glück sind freiheitsmörderische Revolutionen dieser Art selten. In der Regel ist es gerade der Mangel an Freiheit, der unter bestimmten Umständen derartige unwiderstehliche geistige ,, Bergstürze" hervorruft. Alle großen Revolutionen der neueren Zeit für die Demokratie sind in dieser Weise zum Ausbruch gelangt. Keine von ihnen war gemacht, jede ging aus Verhältnissen hervor, die sich weder ver-

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Klassenkampf und Revolution

bieten noch totschlagen ließen . Jede wirkte gerade dadurch lähmend auf die Verteidiger des Bestehenden, die schließlich völlig den Kopf verloren oder sogar willenlos das Unwiderstehliche über sich ergehen ließen . Das gilt von allen großen Revolutionen, von 1789 in Frankreich an bis zum Umsturz des März 1917 in Rußland , und den Umsturzbewegungen des Oktober und November 1918 in Deutschland und im damaligen Österreich . Derartige alles mit sich fortreißende Volksströmungen treten mit Naturnotwendigkeit früher oder später in einer Bevölkerung ein, die an der Staatspolitik interessiert, dabei ökonomisch bedrängt und politisch eingeschnürt ist. Willkürlich lassen sie sich nicht hervorrufen . Das besagt jedoch keineswegs, daß die Freunde der Freiheit tatlos warten sollen , bis der befreiende Moment von selbst eintritt. Jede Partei , die für die arbeitenden Massen und auf sie wirken will, hat alle Ursache, sich und die Massen für den kommenden Umsturz vorzubereiten, damit er nicht sinnlos bloß zerstört, sondern zweckmäßige Formen annimmt. Die Sozialdemokraten haben die Aufgabe, sich selbst und die Massen , die ihnen zugänglich sind , aufzuklären über die Wirklichkeit, die in den Ländern der Diktatur dem Volke von der Regierung und ihrer Presse, neben der eine andere nicht bestehen darf, verlogen und verzerrt dargestellt wird. Die Sozialdemokraten haben auch die Aufgabe, den geistigen Zusammenhang unter sich und mit neuzugewinnenden Gesinnungsgenossen zu erhalten, damit sie imstande sind, jederzeit gleichmäßig und vereint vorzugehen, sobald die Verhältnisse es erlauben . Vereinzelt sind sie unter allen Umständen ohnmächtig. Endlich müssen sie trachten , das Vertrauen der arbeitenden Massen zu gewinnen sowohl durch ihr Programm wie durch ihre Praxis, als Sachwalter aller Bedrängten, soweit ein Tun solcher Art möglich ist. Unsere Praxis muß natürlich unter einer Diktatur andere Formen annehmen , als in einer Demokratie. Grundsätzlich ist sie aber hier wie dort der gleichen Art , nur unter der Diktatur weit schwieriger und opfervoller. Entschieden abzulehnen ist aber jeder Versuch, diese Tätigkeit noch dadurch zu erweitern , daß man zu ihr die geheime Vorbereitung bewaffneter Erhebungen hinzufügt . Die ,,Voluntaristen" und ,,Aktivisten" unserer Tage werden sich entschieden gegen diese Auffassung wenden, die sie als unwürdige Kapitulation brandmarken. Sie meinen, mit spontanen Ausbrüchen zu rechnen , heiße, auf den Zufall bauen. Nichts irriger als das . Wenn wir spontane Revolutionen erwarten, so bauen wir dabei auf Verhältnisse , deren Entwicklungsrichtung wir genau kennen . Nur über das Tempo der Entwicklung können wir nichts sagen . In dieser Beziehung ist es ebenso verfehlt, Pessimist zu sein und zu erwarten, wir müßten mit der Andauer der heutigen Diktaturen für ein Menschenalter rechnen , wie Optimist zu sein, zu verkün-

Volkserhebungen

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den, morgen gehe es schon wieder los. Wir müssen nach dem bekannten Worte auf das Schlimmste gefaßt sein und das Beste erhoffen. Es ist hier nicht der Ort, noch ausführlicher davon zu sprechen. Hier erörtern wir nur die Ansichten von Engels über den Bürgerkrieg. Und da haben wir zu bemerken , daß diejenigen, die heute bewaffnete Erhebungen vorbereiten und zum Ausbruch bringen wollen, kein Recht haben, sich dabei auf Engels oder Marx zu berufen . Marx und Engels haben stets behauptet, Revolutionen ließen sich nicht machen, sie müßten aus den Verhältnissen entspringen . Schon vor bald neunzig Jahren, im Kommunistenbund , forderten sie vor allem , daß er aufhöre , eine Verschwörung zur Vorbereitung bewaffneter Erhebungen zu sein . Sie sind dieser Überzeugung ihr Leben lang treu geblieben , später hat sie Engels nur insofern abgeändert, als er nun auch einer spontan ausbrechenden bewaffneten Erhebung ein düsteres Prognostikon stellte, wenn sie nicht Ausdruck eines so allgemeinen, überwältigenden Volkszorns war, daß selbst die bewaffnete Macht sich vor dem Aufstand beugte, wenn sie sich ihm nicht gar direkt anschloß . Der Gang der Ereignisse hat seine Erwartungen bestätigt. Schon die Pariser Erhebung vom 18. März 1871 gelang nur dadurch, daß sich erhebliche, vom Staat bewaffnete Truppenteile, an ihr beteiligten, nicht nur Nationalgarden, sondern auch Linieninfanterie. Von da an gab es in den kapitalistischen Ländern keine Volkserhebung, die glückte, bis 1905 in Rußland . Auch bei ihr spielte meuterndes oder doch passives, widerwilliges Militär eine Rolle. Noch mehr bei dem Umsturz im März 1917 in Petersburg. Die sogenannte ,, Oktoberrevolution " des gleichen Jahres der Bolschewisten wurde geradezu durch Truppen durchgesetzt, die sich dem bolschewistischen Kommando unterstellten. Und im Herbst 1918 waren es auch Teile der staatlichen Armee, von denen die Initiative zum Umsturz ausging, in Österreich wie in Deutschland . Nirgends mehr war ein Sieg der Revolution im Sinne der bewaffneten Insurrektion das Ergebnis eines erfolgreichen Kampfes der Zivilbevölkerung gegen das staatliche Militär.

Wo ein solcher versucht wurde, ist das Zivil stets unterlegen. Das empfinden die Massen denn auch instinktiv allerorten. Nicht weil sie feiger oder geduldiger geworden sind als die Kämpfer von 1789 bis 1848, sondern weil ihnen die Unwiderstehlichkeit der Waffentechnik staatlich ausgerüsteter Armeen wenigstens in Ländern ausgedehnter Wehrpflicht praktisch demonstriert wird. Nur fanatisierte Schwärmer, die sich an den Revolutionsgeschichten der Vorzeit kritiklos berauschen und dadurch blind geworden sind für die Gegenwart mit ihrer so ungeheuer veränderten Technik, können heute noch von bewaffneten Insurrektionen einer Zivil-

Unsinn des Krieges

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bevölkerung gegen staatliches Militär träumen, oder gar, was noch viel schlimmer, praktisch auf solche Insurrektionen hinarbeiten . Wo es ihnen gelang, Gläubige zu finden , haben derartige Schwärmer nie etwas anderes herbeigeführt als zwecklose Hinopferung junger, ethisch hochstehender und sehr wertvoller Menschen, zerschmetternde Niederlagen proletarischer Organisationen und die Stärkung der Reaktion .

2. Neue Auffassungen über den Krieg in der Zeit der zweiten Internationale. a) Die Methoden des Kriegs gegen den Krieg. Marx erlebte nicht die Neubegründung der Arbeiterinternationale. Sie fand 1889 in Paris statt . Engels dagegen sah noch die Anfänge der zweiten Internationale und es mußte ihn mit Befriedigung erfüllen , daß sie ein gut Stück über die erste hinausgewachsen war. Wie Engels in seinen letzten Jahren, wurde auch die zweite Internationale von ihren Anfängen an durch die Weltlage dazu gedrängt, sich mit der Frage des Krieges zu beschäftigen . Dabei kam es in ihr kaum zu Meinungsverschiedenheiten in all den Fragen, die Engels damals behandelte. Die Internationale war sich einig darüber, daß unter den gegebenen Verhältnissen ein Weltkrieg ein weit größeres Unheil bringe, als er im besten Falle aus dem Wege schaffen könne . Der Krieg sei ein ganz unsinniges Mittel geworden , politische oder ökonomische Streitfragen lösen zu wollen. Die sozialistische Partei jedes Landes und die gesamte Internationale habe die heilige Pflicht, jeglicher Kriegsgefahr entgegenzuwirken, wo immer sie auftauchen möge. Damals erwuchs aber auch die Notwendigkeit, für Einrichtungen einzutreten , die eine friedliche Austragung internationaler Konflikte ermöglichten , für Schiedsgerichte und einen Völkerbund , wenn sie in vertrauenswürdiger Weise eingerichtet waren . Damit verband sich notwendigerweise die Verpflichtung , auf allgemeine Abrüstung hinzuwirken . Alle diese Punkte gaben höchstens in einzelnen Detailfragen Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten. So etwa die Stellung zu bürgerlichen Pazifisten. Auch das Friedensmanifest des russischen Zaren 1898 erregte in vielen sozialistischen Kreisen das höchste Mißtrauen. Es forderte die Einrichtung eines Schiedsgerichts im Haag zur Beilegung internationaler Streitigkeiten. Der Gedanke mußte sicher jedem Sozialisten sympathisch sein, aber in der Befürwortung durch den Zaren witterte man eine Falle. Natürlich konnte das zur Vorsicht mahnen, es durfte jedoch kein Grund sein,

Haltung im Kriege

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die Anregung von vornherein abzulehnen oder ihre Durchführung zu sabotieren. Das brachte einzig Wilhelm II . auf der Friedenskonferenz von 1899 fertig, ebenso wie auf der ihr folgenden von 1907. Auf beiden Konferenzen erwies sich der deutsche Kaiser mit seiner Regierung als der entschiedenste Gegner jeglicher Abrüstung und Schiedsgerichtlichkeit . Diese Haltung kam das deutsche Volk teuer zu stehen , denn bei Kriegsbeginn 1914 sahen alle Nationen der Welt außer den Deutschen und etwa den Ungarn und Türken im Deutschen Reich den Friedensstörer. Wie gesagt, abgesehen von Details, war in allen hier erwähnten Fragen die Arbeiterinternationale völlig einig und fest geschlossen. Dennoch wurde auf ihren Kongressen und auch in der sozialistischen Presse aller Länder die Kriegsfrage eifrig und leidenschaftlich diskutiert, wobei sich tiefgehende Meinungsverschiedenheiten kundgaben . Aber sie alle bezogen sich nicht auf die Frage, ob nicht jeder Krieg verwerflich, ob nicht alle Kraft aufzubieten sei, um den Ausbruch eines Krieges zu verhindern . Sie betrafen die Frage : Was tun, wenn trotz unseres Widerstandes der Krieg ausbrechen sollte ? Darüber hatte man schon zur Zeit der ersten Internationale zu diskutieren begonnen --- und man diskutiert noch heute darüber. Lange Zeit hindurch befürwortete die Mehrheit der Internationale für den Fall eines Krieges eine Haltung, die früher Marx und Engels und überhaupt praktisch die meisten Sozialisten eingenommen hatten. Sie verzichteten auf jeden Versuch, in die Kriegshandlungen störend einzugreifen und beschäftigten sich um so eifriger mit der Frage, auf welche Seite in einem Kriege sich die Sozialisten, die Internationalisten zu stellen hätten. Man kam zum Schluß, in solchem Falle müßten wir uns gegen jene Regierung wenden, die das Unheil des Kriegs herbeigeführt habe . Man solle sich aber auch fragen, welches Gemeinwesen durch seinen Sieg am meisten den politischen und sozialen Fortschritt der Welt gefährde, welches ihn am ehesten fördere. Dieser Auffassung trat aber schon bei Beginn der zweiten Internationale eine andere entgegen, die bereits 1868 in Brüssel die Mehrheit erlangt hatte und die Marx als ,,belgischen Blödsinn" bezeichnete. Es war die Auffassung, die Arbeiter hätten die Pflicht , einen einmal ausgebrochenen Krieg hüben wie drüben durch einen Streik ( oder eine Insurrektion ) unmöglich zu machen . Später gesellte sich noch zu dieser Auffassung die Erklärung hinzu , es gebe nur noch Kriege, in denen beide Teile Angreifer, beide in gleichem Maße Hindernisse der gesellschaftlichen Entwicklung seien . Jedes Nachdenken über die Kriegsursachen und die möglichen Kriegsfolgen sei überflüssig, ja geradezu ein Verrat am Sozialismus , weil es die Energie in der Sabotierung der Kriegshandlungen lähme .

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Streik gegen Krieg

Betrachten wir zunächst die Verhinderung des Kriegs durch einen Streik. In den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts machte die parlamentarische Demokratie in Europa rasche Fortschritte . Überall gewannen die Arbeiter früher oder später das Wahlrecht und Zutritt zu dem Parlament ihres Landes. Es mehrten sich ihre Presse, ihre Organisationen , ihre Vertretungen in Gemeinden und Staat. Die Macht der Arbeiter nahm zu , aber nicht so schnell, wie jeder Sozialist wünschte. Die Ungeduldigsten unter ihnen suchten nach künstlichen Stimulationen des Fortschritts , nach Mitteln , den Gang der Entwicklung zu beschleunigen. Ihren Wünschen kamen . die Auffassungen gewalttätiger Nachfahren des ursprünglich so friedfertigen Proudhonismus und des streitbaren Blanquismus entgegen, die der Syndikalisten und Bakunisten. Durch die englischen Gewerkschafter in der ersten Internationale hatten die Arbeiter in der Zeit der ersten Internationale allenthalben die Kraft des Streiks erkennen gelernt . Aber über die Grenzen dieser Kraft wurden sie sich oft nicht klar. Die Syndikalisten hielten ihn für ein Machtmittel der Arbeiterklasse , dem niemand widerstehen könne, wenn es umfassend genug angewendet werde. Was der bewaffneten Insurrektion und der Demokratie nicht gelinge , das vermöge der Generalstreik. Was von diesem zu halten , haben wir bereits bei der Besprechung des Beschlusses des Brüßler Kongresses gezeigt. Heute noch ist es vielen Sozialisten nicht klargeworden, daß die Proletarier die Kraft zu einer erfolgreichen revolutionären Aktion, sei es Insurrektion oder Massenstreik, nur dann gewinnen können, wenn die Bewegung von einer stürmischen Erregung und Empörung fast der Gesamtmasse des Volkes, der verschiedensten Klassen, nicht bloß von Arbeitern , sondern auch Intellektuellen, Kleinbürgern, Bauern , getragen wird. Das bildet einen sehr wesentlichen Unterschied zu Aktionen , die auf dem Boden einer parlamentarischen Demokratie unternommen werden . Diese bedürfen zu ihrem Gelingen bloß einer einfachen Mehrheit. Die Vorbedingungen für das Gelingen von Insurrektionen oder Generalstreiks ( zu revolutionären , nicht bloß gewerkschaftlichen Zwecken ) treten daher viel seltener und unter viel schwierigeren Umständen ein, als die Vorbedingungen für demokratische Aktionen dort, wo die Masse über demokratische Rechte verfügt . Insurrektion oder Massenstreik können als letztes Mittel dort in Frage kommen , wo demokratische Rechte nicht vorhanden oder geraubt sind, dagegen ist es unsinnig , sie für eine proletarische Partei als Mittel zu betrachten , unter einer demokratischen Verfassung die Gewinnung der Mehrheit der Bevölkerung überflüssig zu machen und es den Sozialisten zu ermöglichen, die politische Macht zu erringen, ehe sie die Mehrheit des Volkes für sich ha-

Unterschätzung der Demokratie

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ben. Im Gegenteil . Für das Gelingen einer Insurrektion oder eines Massenstreiks ist eine weit größere Mehrheit erforderlich, als für einen Erfolg in einem demokratischen Parlament. Und die Niederlage bei dem Mißglücken einer Insurrektion oder eines Generalstreiks ist viel niederdrückender, als bei einem erfolglosen Ausgang eines Wahlfeldzuges oder einer parlamentarischen Aktion. Das wurde und wird noch bis heute vielfach übersehen . Es gibt selbst unter den Sozialdemokraten Leute, die die Demokratie geringschätzen. Sie lehnen die Demokratie nicht ab, betrachten sie aber als bloße theoretische Liebhaberei einiger unpraktischen alten Stubengelehrten , als eine Liebhaberei , die der Prüfung an der Hand der tatsächlichen Erfahrungen einer reiferen Jugend nicht standhalte . Oder als das Produkt geistiger Unselbständigkeit und Schwächlichkeit , die sich ängstlich an die Legalität klammere und jede Illegalität verurteile , auch dann, wo diese allein uns vorwärts bringe . Manche endlich sehen das Proletariat in der Rolle eines überlegenen Pädagogen, der die unartigen Jungen der Bourgeoisie zu besseren Manieren zu erziehen hat. Aus Nachsicht begnügt er sich zunächst mit den milden demokratischen Zuchtmitteln. Aber wenn diese nicht ausreichen , dann droht der Schulmeister, zur scharfen Zuchtrute der Insurrektion oder des Generalstreiks zu greifen. In der Zeit der zweiten Internationale gab es so kuriose Sozialdemokraten noch nicht. Die Miẞachtung der Demokratie fand man nur bei Anarchisten. Das heißt, diese forderten erst recht die größte Freiheit, aber unter Ablehnung aller politischen Tätigkeit im Staate, unter Ablehnung des Parlaments, der Teilnahme an Parlamentswahlen. Der Gegensatz zwischen anarchistischer und sozialdemokratischer Auffassung der Politik machte sich, wie auf anderen Gebietẹn, so auch auf dem der Kriegsfrage geltend . Die Sozialdemokraten sahen es überall für ihre Pflicht an, bei drohender Kriegsgefahr alle Kraft, über die sie bei dem bestehenden politischen Zustand ihres Staates verfügten , für den Kampf gegen diese Gefahr aufzubieten. Aber sie wußten darüber hinaus kein Mittel zu diesem Zwecke . Anders die Anarchisten und die anarchistelnden Sozialdemokraten. Krieg sei ein solches Unglück , daß, wenn die gewöhnlichen Mittel des politischen Kampfes gegen ihn versagten, schärfere Mittel zur Anwendung gelangen sollten . Versagten die Mittel des Parlamentarismus , die Regierung zu stürzen, dann müsse das Proletariat seine technische Unentbehrlichkeit dazu benützen , jede Kriegshandlung unmöglich zu machen , am besten durch einen allgemeinen Streik. Doch schienen manchem auch schon Streiks einzelner für den Krieg besonders wichtiger Arbeiterkategorien ausreichend zu sein, etwa die der Eisenbahner oder der Arbeiter in den Munitionsfabriken .

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Stimmung bei Kriegsausbruch

Ein Krieg erheischt heute so sehr die Anspannung aller Willenskraft und der Aufopferungsfähigkeit der großen Mehrheit der Nation, daß sich in keinem Staat mit kraftvollem, selbständigem Proletariat eine Regierung freiwillig auf einen großen Krieg einlassen wird, wenn die Mehrheit des Volkes nicht mittut. Was die Anarchisten von den Arbeitern verlangten , war also von vornherein eine Aktion nicht bloß gegen die Regierung , sondern gegen die Volksmehrheit. Aktionen dieser Art, in denen eine Minderheit die Mehrheit des Volkes zu einem ihr widerstrebenden Handeln zwingen will, sind, wenn von einer proletarischen Partei unternommen, stets von vornherein zum Scheitern verurteilt . Nur die herrschenden Klassen verfügen über Machtmittel, die es ihnen ermöglichen, unter Umständen als Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufzuzwingen. Der Glaube an die Allmacht des Massenstreiks oder gar des bloßen Streiks lebenswichtiger Betriebe gegenüber der Mehrheit des Volkes ist ein Aberglaube. Nun meinten freilich gar viele Befürworter der Lahmlegung der Kriegführung durch einen Streik, daß schon der bloße Ausbruch eines Krieges in der Bevölkerung jene Strömung erzeuge, die nötig sei, solle die gegen ihn gerichtete Aktion gelingen. Dieser Ausbruch werde einen Sturm im Volke gegen die Regierung entfesseln , der diese ohnmächtig mache, eine jener riesenhaften Volksbewegungen, die revolutionäre Dimensionen annehmen können. Die Sozialdemokratie brauche sich nur an ihre Spitze zu stellen und ihr die gebotene Richtung geben. Einen gewaltigen Sturm im Volke entfesselt in der Tat jeder Kriegsausbruch . Wer den Beginn des Weltkriegs erlebt hat, wird sich dieses Sturmes sehr wohl entsinnen. Doch in einem Punkte hatten jene Sozialisten geirrt, die meinten , den Krieg durch eine Arbeitsverweigerung hindern zu können : der Sturm richtete sich nicht gegen die eigene Regierung, die in den Krieg eintrat, sondern gegen den Landesfeind . Wohl fürchtet die Masse den Krieg, aber noch mehr die feindliche Invasion sowie die Niederlage . Ist der Krieg einmal ausgebrochen, dann ist die größte Sorge der Bevölkerung vor allem die, alle Kraft aufzubieten, den Feind am Eindringen in das eigene Land zu hindern und ihm die Möglichkeit zu nehmen, dem Volk unerträgliche Bedingungen aufzuerlegen, etwa einzelne seiner Teile einer Fremdherrschaft zu unterwerfen. Diese Befürchtungen sind oft phantastisch übertrieben . Die Panik bei Ausbruch eines Kriegs fördert das Aufkommen der sinnlosesten Vorstellungen über die schwarzen Absichten des Landesfeindes. Je größer die Panik, je rasender der Sturm, der bei Kriegsbeginn die Massen aufwühlt, desto mehr geschieht das in einer Weise, die Haß und Wut gegen den Landesfeind aufpeitscht und die hingebendste Förderung, nicht Störung der Landesverteidigung als heiligste Pflicht jedes Nationsgenossen erscheinen läßt.

Landesverteidigung

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Bei Ausbruch eines Krieges wirkt nicht nur die Strenge des Kriegsrechts, sondern auch die Volksstimmung derart, daß eine kriegführende Regierung nie stärker ist als in einem solchen Moment. Nie ist es schwieriger, ihr entgegenzutreten, nie weniger möglich, sie wirksam zu hemmen. Nun entgegnen die Befürworter der Verhinderung des Kriegs durch Lahmlegung der Armeen, daß diese ja nicht bloß einseitig eintreten solle, sondern auf der Gegenseite ebenso wie im eigenen Lande. Kein Zweifel , wenn jene Kriegsgegner das verlangten, wollten sie durchaus nicht Landesverräter sein , nicht dem Feind den Weg ins Land öffnen , sondern jede Kriegshandlung drüben ebenso unmöglich machen wie hüben . Aber selbst wenn man sich daran machen würde , ernsthaft durch Sabotierung der Kraftentfaltung der Heere den Krieg unmöglich zu machen , könnte doch auf jeder Seite das Volk zunächst bloß die Versuche solcher Sabotage im eigenen Lande merken, die um so mehr den Landesfeind zu begünstigen drohten , je erfolgreicher sie wären. Von den Versuchen auf der Gegenseite würde man nach der Sachlage zunächst gar nichts erfahren- und bei Kriegsausbruch geht es um Tage, ja um Stunden . Wer könnte garantieren, daß beim Landesfeind überhaupt irgend jemand es unternähme, seinen kriegerischen Aufmarsch zu stören ? Das sind die Momente, denen ich es zuschreibe, warum jeglicher Versuch, einen einmal ausgebrochenen Krieg durch einen Streik der Arbeiter oder gar der Soldaten zu stören, völlig aussichtslos ist. Es ist denn noch nirgends auch nur zu einem solchen Versuch gekommen . Doch von den Kritikern dieser revolutionären Illusionäre in der zweiten Internationale wurde auch nicht immer ganz klar gedacht. Man wußte nicht immer zwischen Kriegs politik und Kriegstechnik zu unterscheiden, zwischen Landes politik und Landes verteidigung. Gar mancher Gegner des Kriegsstreiks vermeinte, zur Verteidigung des Landes sei es geboten , sich unter allen Umständen auch hinter die Politik der Regierung zu stellen . Das war eine verhängnisvolle Täuschung. Die Dauer und die Art der Beendigung eines Krieges hängt nicht bloß von den Erfolgen der Armeen ab, sondern auch von der Politik, den Kriegszielen der Regierung. Die Sozialdemokratie muß nicht unter allen Umständen einer bürgerlichen Regierung in einem Kriege feindlich gegenüberstehen. Sie kann und darf sie aber nur unterstützen, wenn die Kriegsziele der Regierung vereinbar sind mit den Grundsätzen der internationalen Sozialdemokratie und wenn sie geeignet sind, einen dauerhaften Friedenszustand, einen ,,demokratischen" Frieden her. beizuführen, der keines der beteiligten Völker bedrückt und demütigt. Verfolgt die Regierung andere Kriegsziele, dann hat die Sozialdemokratie nicht nur das Recht, sondern die Pflicht , sie zu

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Allgemeine Wehrpflicht

beruhte Engels Zuversicht , trotz der Aussichtslosigkeit von StraBenkämpfen. In seinem schon oben zitierten Artikel des französischen Parteikalenders für 1892 über den ,, Sozialismus in Deutschland" sagte er : „ Die Hauptstärke der deutschen Sozialdemokratie liegt keineswegs in der Zahl ihrer Wähler. Bei uns wird man Wähler erst mit 25 Jahren, aber schon mit 20 Soldat . Und da gerade die junge Generation es ist , die unserer Partei ihre zahlreichsten Rekruten liefert , so folgt daraus, daß die deutsche Armee mehr und mehr von Sozialismus angesteckt wird. Heute haben wir einen Soldaten auf fünf, in wenigen Jahren werden wir einen auf drei haben, und gegen 1900 wird die Armee, früher das preußischste Element des Landes, in ihrer Majorität sozialistisch sein. Das rückt heran, unaufhaltsam, wie ein Schicksalsschluß . Die Berliner Regierung sieht es kommen, ebenso gut wie wir, aber sie ist ohnmächtig. Die Armee entschlüpft ihr.“ In gleichem Sinne sprach sich Engels dann 1895 in seiner bereits zitierten Vorrede aus . Er beschloß sie mit einem Hinweis auf die große Christenverfolgung Diokletians im Jahre 303. Sie sei furchtbar grausam gewesen . Aber trotzdem erfolglos : ,,Sie war so wirksam , daß siebzehn Jahre später die Armee überwiegend aus Christen bestand, und der nächstfolgende Selbstherrscher des gesamten Römerreichs, Konstantin, von den Pfaffen genannt der Große, das Christentum proklamierte als Staatsreligion. “ So schnell, wie Engels es erwartete, vollzog sich der Fortschritt nicht . Aber dessen Richtung hatte er ganz richtig gesehen. Seine Ausführungen gelten für jedes kapitalistische Land, in dem das Proletariat beständig wächst, an Klassenbewußtsein zunimmt und gleichzeitig die Entwicklung der Waffen- und Verkehrstechnik immer mehr zu einer Verallgemeinerung der Wehrpflicht, gleichzeitig aber auch zu einer Verkürzung der Dienstzeit führt. Wohl gibt es Staaten, in denen wir nicht allgemeine Wehrpflicht haben. England verfügte bis zum Weltkrieg nur über ein kleines Söldnerheer. Deutschland wurde ein solches durch den Frieden von 1919 aufgezwungen . Anderseits hat die Entwicklung seit dem Weltkrieg in manchem Staat das Aufkommen von Privatoder Parteiarmeen begünstigt. Aber das alles sind nur vorübergehende Erscheinungen, die auf die Dauer überwunden werden . Die Notwendigkeit des Kriegs zwang England die allgemeine Wehrpflicht auf und der Drang nach Weltgeltung läßt die Nationalsozialisten Deutschlands eine Richtung einschlagen , die schließlich auf eine Verallgemeinerung der Wehrpflicht hinauslaufen muß. (Das wurde 1934 geschrieben, ist seitdem verwirklicht worden . ) Natürlich bedeutet die allgemeine Wehrpflicht nicht schon eine Durchdringung der Armee mit sozialistischen oder demokratischen Ideen. Das hängt in jedem Staat in hohem Grade von der geistigen Beschaffenheit seiner Volksmassen ab, vor allem von der Zahl der Intelligenz, der Rührigkeit und Selbständigkeit seiner Proletarier.

Die Gewinnung der Truppen

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Engels sprach ausdrücklich nur von Deutschland . Es fiel ihm nicht ein, etwa in dem russischen oder italienischen oder österreichischen Staat seiner Zeit von der allgemeinen Wehrpflicht baldigst dieselbe ,,Sozialisierung" der Armee zu erwarten. Der Weltkrieg hat dann in die soziale Entwicklung so viele störende Elemente hineingebracht, daß sie scheinbar eine völlig willkürliche geworden ist. Aber ist auch ihre Gesetzmäßigkeit heute schwerer erkennbar, so bricht sie doch immer wieder durch , wenn auch mühsam, nach vielen Abweichungen. Die praktische Politik wird dadurch sehr erschwert, sie kann sich immer weniger von der Erkenntnis des Gesetzmäßigen, von der Theorie, allein leiten lassen. Sie muß die jeweiligen Störungen der sozialen Gesetze genau erkennen und in Rechnung stellen. Doch darf dies nicht so weit gehen, daß sie über Augenblickserscheinungen das vergißt, was wir theoretisch auf Grundlage der Erforschung der Wirtschaft und der Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte als dauernde Tendenz erkannt haben. Nach wie vor bleibt richtig, was Engels in den letzten Jahren seines Lebens konstatierte : bewaffnete Aufstände der Bevölkerung gegen die Armeen des Staates sind überall dort aussichtslos , wo nicht zu erwarten ist, daß diese Armee , wenigstens zum großen Teil, mit den Aufständischen sympathisiert und gegen sie nicht zu verwenden ist. Wie aber die Armee gewinnen? Bei der Erörterung dieser Frage muß man sich vor der Gefahr hüten, die nüchterne Erkenntnis der Dinge durch Ungeduld trüben zu lassen. Diese Ungeduld ist sehr wohl begreiflich bei Emigranten, bei Arbeitslosen , bei tatendurstigen Elementen überhaupt, deren Bewegungsfreiheit eingeengt ist . Aber sie ist eine Fehlerquelle, die zu schweren Mißgriffen führen kann und die bei unseren Erwägungen nach Möglichkeit ausgeschaltet werden muß. Die Wichtigkeit der Gewinnung der Wehrmacht ist sehr frühzeitig erkannt worden . Doch wußte man dafür zunächst kein anderes Mittel, als revolutionäre Propaganda in den Kasernen. Ungeduldige Revolutionäre haben das immer wieder versucht . Früher taten es bakunistische Anarchisten und in unseren Tagen Kommunisten. Sie drückten einzelnen Soldaten Flugblätter in die Hand , suchten dann, sich persönlich mit ihnen anzufreunden , sie für eine Verschwörung zu gewinnen . Wenn man damit Erfolg hatte, ging man sogar so weit, eine Meuterei anzustiften . Alle derartigen Versuche haben seit jeher bis heute kläglich geendet und mußten kläglich enden. Der alte schon vor zwei Menschenaltern abgetane Blanquismus wird nicht aussichtsreicher dadurch, daß man sein Wirkungsfeld dorthin verlegt , wo er auf die größten äußerlichen und innerlichen Schwierigkeiten stößt : in die Kaserne . Die Verschwörungen der Soldaten wurden regelmäßig entdeckt, ihre Meutereien rasch unterdrückt . Das Ergebnis war nur, daß prächtige , tapfere, 18*

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Bürgerkrieg

glänzendem Erfolg. Das bewies er schlagend in seinen Artikeln über den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 , die ihm bei seinen Freunden den Spitznamen des ,,Generals" einbrachten . So erfolgreich war sein Studium, daß es ihm die Anerkennung nicht nur von Freunden , sondern auch von politischen Gagnern einbrachte. Darüber berichtet Hellmut v. Gerlach in seinen Erinnerungen ( ,,Von Rechts nach Links", Zürich 1937) . Gerlach teilte 1894 seinen Freunden mit, er gedenke nach London zu reisen : ,,Da erklärte Major Wachs aus dem großen Generalstab, damals die strategisch -literarische Autorität für die ganze Rechtspresse : Wenn Sie nach London kommen, müssen Sie unbedingt meinen Freund Friedrich Engels besuchen ... Als militärpolitischer Schriftsteller müsse er sagen, daß er keinen seiner Kollegen wegen seiner Kenntnisse, seiner Sachlichkeit und seines klaren Urteils höher schätze als Engels. Er stehe deshalb in freundschaftlicher Korrespondenz mit ihm." (S. 138. ) Das sachliche Interesse und die berufliche Hochschätzung überwogen den politischen Gegensatz. Eines der ersten Ergebnisse den kriegswissenschaftlichen Arbeiten unseres Engels war sein Mißtrauen gegen die Miliz , die Volksbewaffnung in der Art, wie sie von den Demokraten gewöhnlich aufgefaßt wurde . Später hat sich , wie wir eben gesehen, sein Mißtrauen gegen die Miliz allmählich wieder verloren. Wenn aber Engels durch seine Studien von der militärischen Inferiorität der Miliz gegenüber dem stehenden Heer überzeugt wurde, mußte er erst recht dem Volksaufstand nur geringe Erfolgsaussichten einräumen . Im Jahre 1852 erwartete er noch, die soziale Revolution werde und müsse die Form eines Bürgerkriegs bewaffneter Formationen annehmen. Und Marx sah 1850 in kommenden Bürgerkriegen eines der großen Erziehungsmittel des Proletariats. Im September 1850 rief er den Arbeitern zu : ,,Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkriege und Völkerkämpfe durchzumachen, nicht nur um die Verhältnisse zu ändern , sondern um Euch selbst zu ändern und zur politischen Herrschaft zu befähigen." Indes warnten Marx und Engels schon damals davor, leichtfertig einen Aufstand zu entfesseln . In einem Artikel vom August 1852 schrieb Engels (veröffentlicht als von Marx herrührend, in ,,Revolution und Konterrevolution in Deutschland") : „Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Wert sich jeden Tag ändern kann . Die Streitkräfte, gegen die man zu kämpfen hat, haben den Vorteil der Organisation, Disziplin und der herkömmlichen Autorität ganz auf ihrer Seite. Kann man nicht große Gegenmächte dagegen aufbringen, so wird man geschlagen und vernichtet. Ist der Aufstand einmal begonnen , dann handle man mit der größten Entschiedenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jeder bewaffneten Erhebung . Diese ist verloren , ehe sie sich noch mit dem Feinde zu messen hat." Man müsse gegen den Gegner losgehen , solange seine Truppen zerstreut seien, sie an der Vereinigung hindern . Das ist sicher richtig. Aber leider zeigte die Erfahrung, daß seit einem Jahrhundert bewaffnete Erhebungen der unteren Klassen fast nie zu einer

Offensive im Bürgerkrieg

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Offensive gelangen können , das heißt, zu einer Ausdehnung des Kampfgebiets . Wie wenig die bewaffneten Erhebungen der neueren Zeit fähig zu einer Offensive sind, zeigte sich z . B. im Oktober 1848 in Wien. Es gelang am 6. Oktober den Aufrührern , die dort befindlichen kaiserlichen Truppen derart zu demoralisieren , daß diese rasch aus der Stadt gezogen wurden. Die verjagten Truppen zu zerstreuen, wäre wohl gelungen, wenn man sie sofort verfolgte. Aber nichts derartiges geschah . Die Rebellen blieben in Wien und ließen der Regierung Zeit, eine überlegene Truppenzahl zusammenzuziehen , mit der sie am 20. Oktober zur Offensive gegen Wien vorging, um den Aufstand zu erwürgen. Ganz das gleiche vollzog sich am 18. März 1871 in Paris, auch da verfolgten die Pariser Arbeiter nicht die von ihnen verjagten Truppen und gestatteten der nach Versailles geflüchteten Regierung, ein Heer aufzustellen , das im April schon den Parisern überlegen war. Ich habe auf die Übereinstimmung zwischen dem Oktober 1848 in Wien und dem März 1871 in Paris schon hingewiesen in meinem ,,Krieg und Demokratie ", I. S. 440. Aber leider beschränkte sich die Übereinstimmung nicht auf diese beiden Fälle . Bald nach der Pariser Kommune wurde in Spanien die Republik proklamiert. Die Armee zeigte sich so sehr desorganisiert , die Regierung so schwach, daß in manchen Orten die Arbeiter imstande waren, sich der politischen Macht zu bemächtigen ( Sommer 1873) . Nur wußten sie leider nichts damit anzufangen , bei ihrem Mangel an Wissen und Organisation , der sie zu einer leichten Beute der Bakunisten machte. Engels spricht im ,,Volksstaat" (31. Oktober, 2. und 5. November 1873 ) darüber in einer Artikelserie unter dem Titel ,,Die Bakunisten an der Arbeit". Da sagt er unter anderem , nachdem er berichtet, wie die Revolutionäre Barcelonas wegen der Taktik der Bakunisten versagten : ,,Trotzdem hatte der, wenn auch hirnlos eingeleitete Aufstand immer noch große Aussicht auf Erfolg, ' ) wäre er nur mit Verstand geleitet worden, selbst nur nach der Weise der spanischen Militärrevolten, wo die Garnison einer Stadt sich erhebt, zur nächsten zieht , die schon vorher bearbeitete Garnison dieser Stadt mit sich fortreißt und lawinenartig anschwellend gegen die Hauptstadt vordringt, bis ein glückliches Gefecht oder der Übertritt der gegen sie gesandten Truppen den Sieg entscheidet. Diese Methode war diesmal besonders anwendbar. Die Insurgenten waren überall seit längerer Zeit in freiwilligen Bataillonen organisiert, deren Disziplin zwar erbärmlich war, aber sicher nicht erbärmlicher als die der Reste der alten, größtenteils auseinandergegangenen spanischen Armee. Die einzig ¹) Engels meint hier wohl nur militärischen Erfolg. Denn er sagt selbst im ersten seiner Artikel, daß bei der industriellen Rückständigkeit Spaniens dieses Land „ noch verschiedene Vorstufen der Entwicklung durchzumachen hat" und daher „ von einer sofortigen vollständigen Emanzipation der Arbeiterklasse dort noch gar nicht die Rede sein kann“. K.

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Offensive im Bürgerkrieg

zuverlässigen Truppen der Regierung waren die Gensdarmen ( guardias civiles ) und diese waren über das ganze Land zerstreut. Es kam vor allem darauf an , die Zusammenziehung der Gensdarmen zu verhindern und dies konnte nur geschehen , indem man angriffsweise verfuhr und sich aufs offene Feld wagte ; viel Gefahr war nicht dabei, da die Regierung den Freiwilligen nur ebenso undisziplinierte Truppen entgegenstellen konnte, wie sie selbst waren. Und wollte man siegen , so gab es kein anderes Mittel." Aber dieses Mittel kam nicht zur Anwendung . Die Insurgenten jeder Gemeinde beschränkten sich auf deren Bereich, trachteten nicht darüber hinaus . Es scheint, daß es im spanischen Aufstand des Oktober 1934 auch nicht viel anders zuging. Und kurz vorher, im Februar des gleichen Jahres hatten die Aufständischen Österreichs sich ebenfalls ganz defensiv verhalten, was ein Kritiker auf das Konto einer besonderen ,,Ideologie" schrieb. In Wirklichkeit kennzeichnet das defensive Verhalten der Aufständischen fast alle bewaffneten Insurrektionen des 19. und des bisherigen ersten Drittels des zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn Engels 1852 die Offensive empfahl, dachte er offenbar zuerst an den Aufstand in Baden sowie an den in Ungarn. Dort gab es aber richtige Feldzüge, bei denen reguläre Soldaten mitwirkten. Man wird vielleicht auf die Oktoberrevolution von 1917 in Petrograd (heute Leningrad) und Moskau hinweisen , in der die Bolschewiks sehr offensiv vorgingen. Aber damals gab es keine Kämpfe zwischen dem Zivil und der Armee. Diese war durch den Krieg völlig aufgelöst . Wer von den Soldaten noch Waffen trug und in die inneren Kämpfe eingriff, gesellte sich nach Belieben der oder jener Bande zu , die entweder für die eine oder die andere Partei kämpfte. Unter diesen Umständen wurde es für eine Verschwörergesellschaft mit straff zentralisierter Leitung möglich, einen Staatsstreich vorzubereiten und mit Waffengewalt erfolgreich durchzuführen. Der spanische Aufstand des Sommers 1936 wieder war eine vorbereitete Erhebung eines Teils des Militärs gegen die Regierung, auf deren Seite revolutionäre Zivilisten vereint mit regulären Truppen gegen die Aufständischen kämpften . Ganz anders stand es mit den sonstigen Aufständen, von denen hier gesprochen wird. Sie brachen überraschend los, ein Ergebnis spontaner Auflehnung der Bevölkerung. Durch den Ausbruch wurde nicht bloß die Regierung überrascht, sondern auch die Revolutionäre selbst . Manchmal hat die Regierung, wenn sie sich stark fühlte, den Ausbruch geradezu provoziert. Dann waren es nur die Revolutionäre, die überrascht wurden. Diesen mangelte daher jede wirksame zentrale Leitung. Das galt selbst für den Schutzbund in Österreich. Unter derartigen Umständen eine Offensive zu ergreifen, war nicht gut möglich, von welcher Ideologie immer die Insurgenten beseelt sein mochten. Doch nicht nur die notwendige Beschränkung der Aufständischen auf die Defensive kennzeichnet die bewaffneten Erhebungen

Aussichten im Bürgerkrieg

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der Zivilbevölkerung unserer Zeit, im Gegensatz zu denen der ersten englischen und der großen französischen Revolution. Engels nennt in dem obenzitierten Satz aus dem Buch über „ Revolution und Konterrevolution in Deutschland " als Ursache der Überlegenheit der staatlichen Heere über Aufständische ,,den Vorteil der Organisation , Disziplin und der herkömmlichen Autorität". Er nennt nicht den Vorteil der besseren Bewaffnung . Dieser Vorteil bestand tatsächlich schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Doch war das Übergewicht der Feuerwaffen des Heeres etwa über Jagdgewehre nicht allzu groß, namentlich in den engen, winkligen Gassen der Proletarierquartiere , die eine Anwendung von Artillerie nicht gestatteten . Das änderte sich rapid in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nicht nur wurden die engen Gäßchen der Vorstädte durch breite, gradlinige Straßenzüge durchbrochen , es änderte sich auch gleichzeitig die Reichweite und die Feuergeschwindigkeit der Armeewaffen. Und hatte früher jeder Schütze zur Not sich seine Munition selbst bereiten können, so erheischten die Hinterlader Patronen, die nur fabriksmäßig hergestellt werden konnten . Die Feuergeschwindigkeit wuchs so rapid, daß immer größere Mengen Munition für jedes Gefecht erforderlich wurden . Alles das und noch so mancher andere Umstand reduzierte bald immer mehr, welche Taktik immer man wählen mochte, die Aussichten einer bewaffneten Erhebung der Zivilbevölkerung auf Null überall dort, wo ihr eine an Zahl nicht auffallend schwächere, gut disziplinierte Streitmacht des Staates entgegentrat . Das zeigten Engels seine militärischen Studien bald. Im Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als die damalige Wirtschaftskrise auf ihrem Höhepunkt stand , wurde in unseren Reihen die Frage der kommenden Revolution aufs lebhafteste diskutiert, auch zwischen Engels und Bebel . Am 18. November 1884 schrieb Engels an diesen : ,,Keine Partei hat je das Recht auf bewaffneten Widerstand unter gewissen Umständen verleugnet, ohne zu lügen. Keine hat auf dies äußerste Recht jemals verzichten können." Es sei daher eine bloße Heuchelei, wenn die bürgerlichen Parteien von uns verlangten, wir,,,wir allein, sollten erklären, daß wir unter keinen Umständen zur Gewalt greifen, uns jedem Druck, jeder Gewalttat unterwerfen wollen". Von uns eine solche Erklärung abzuverlangen sei ,,rein widersinnig". Aber das Recht auf bewaffneten Widerstand gegen Gewaltanwendung bedeutet keineswegs die Pflicht, sich unter allen Umständen bewaffnet zu widersetzen. Das soll man offenbar nur dort tun, wo ein Erfolg in Aussicht steht. Und so fügt Engels hinzu :

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Aussichten im Bürgerkrieg

,,Übrigens können die Herrn ruhig sein. Wie die militärischen Verhältnisse jetzt liegen, schlagen wir nicht los , solange noch eine bewaffnete Macht gegen uns ist.' ) Wir können warten,66 bis die bewaffnete Macht selbst aufhört, eine Macht gegen uns zu sein." Kurz darauf am 11. Dezember 1884 drückte sich Engels Bebel gegenüber noch drastischer aus. Er untersuchte die Frage, ob in der kommenden Revolution die Herrschaft der bürgerlichen Demokratie der der Sozialdemokratie vorangehen werde. Er meinte , nachdem er auf 1848 in Frankreich hingewiesen : ,,Nun kann die Sache in Deutschland allerdings anders verlaufen, und zwar aus militärischen Gründen. Anstoß von außen kann, wie die Sachen jetzt liegen, kaum anders als von Rußland kommen. Kommt er nicht, geht der Anstoß von Deutschland aus, so kann die Revolution nur von der Armee ausgehen. ) Ein unbewaffnetes Volk gegen eine heutige Armee ist militärisch eine rein verschwindende Größe." Für Engels' Freunde war es also keine Überraschung, daß er 1895 in seinem ,,politischen Testament", seiner berühmten Vorrede zu der Marxschen Schrift über die „ Klassenkämpfe in Frankreich" sich sehr entschieden gegen den bewaffneten Aufstand aussprach. Das war nicht etwa ein Ergebnis einer durch schwere Krankheit hervorgerufenen Schwachmütigkeit. Engels hatte schon 1884 ebenso gedacht, noch in voller Gesundheit und Kraft und Revolutionslust . Die Gründe , die er gegen den Aufstand vorbringt, sind dieselben, die wir schon dargelegt. Engels führt sie in der erwähnten Vorrede eingehender aus. Jedem ist zu raten, sie nachzulesen. Er kommt zu dem Schlusse : ,,Versteht der Leser nun, weshalb die herrschenden Klassen uns platterdings dahin bringen wollen, wo die Flinte schießt und der Säbel haut ? Warum man uns heute ( 1895 ) der Feigheit zeiht, weil wir uns nicht ohne weiteres auf die Straße begeben, wo wir der Niederlage im Voraus gewiß sind? Warum man uns so inständig anfleht , wir möchten doch endlich einmal Kanonenfutter spielen ? Die Herren verschwenden ihre Bittgesuche wie ihre Herausforderungen für nichts und wieder nichts. So dumm sind wir nicht.“ ( S. 15. ) So schrieb Engels vor vierzig Jahren. Heute hat man aber in der Sozialdemokratie überall die größte Mühe, sich jener Auffassung zu erwehren , die unser Altmeister damals als ,,so dumm“ bezeichnete . Gewiß hat sich seitdem vieles geändert. Jedoch nichts, was die Engelssche Überzeugung von der Aussichtslosigkeit einer Erhebung des Zivils gegen eine Regierung in einem Straßenkampf irgendwie erschüttern könnte. Im Gegenteil. Jeder Fortschritt der Kriegstechnik bekräftigt sie seitdem immer mehr. Engels schien in den letzten Jahrzehnten seines Lebens bereits die Waffentechnik der Herren seiner Zeit eine überwältigende zu sein. Was hätte er erst gesagt zu Flugzeugen und Gasbomben ! ¹) Von mir unterstrichen. K. 1) Von mir unterstrichen . K.

Der bewaffnete Aufstand

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f) Die Gewinnung der Wehrmacht. Engels war zu der Überzeugung von der Aussichtslosigkeit bewaffneter Erhebungen gekommen . Dennoch glaubte er nicht , wir stünden vor dem Dilemma : entweder kapitulieren oder Leonidas nachahmen - Engels sagte allerdings nicht ,,Leonidas", sondern ,,Kanonenfutter". Sicherlich gab Engels nie seine früh gewonnene Überzeugung auf, daß alle politischen Fragen Machtfragen sind, daß jede Partei nur so weit respektiert wird, als sie eine Macht ist, und er wußte sehr wohl , daß die Gewalt der Waffen , wenn auch nicht das einzige , so doch ein sehr entscheidendes Machtmittel ist. Trotz alledem raubte alle Entwicklung der Waffentechnik Engels den Mut nicht, obwohl sie den bewaffneten Aufstand für das Zivil von Tag zu Tag aussichtsloser machte. Im Gegenteil, Engels zeigte sich in seiner letzten politischen Kundgebung, der eben zitierten Vorrede zu den Marxschen „ Klassenkämpfen“, so siegesgewiß wie je. Je weniger er auf die Überlegenheit der proletarischen Kämpfer in bewaffneten Aufständen rechnete , desto mehr erwartete er von der geistigen Überlegenheit jener, die die proletarische Sache verfochten. Und vor allem vertraute er auf die Kraft der ökonomischen Entwicklung und auf die Kraft jener, die diese erkannten und mit ihr rechneten . Wohl macht die technische Entwicklung die Waffen der Staatsgewalt dem „, Plebs" gegenüber unüberwindlich, jedoch gleichzeitig vermehrt die ökonomische Entwicklung die Zahl jener Träger staatlicher Waffen, die der Arbeitersache geneigt sind. Und auf diese Träger kommt es in letzter Linie an, nicht auf die Waffe selbst. Auch die vollkommenste unter ihnen ist ein unbrauchbares Metallstück, sonst nichts, ohne den Menschen, der sie führt und sie zu handhaben versteht. Jede Kriegshandlung ist von dem Bestreben geleitet, die Waffenträger der Gegenseite zu vernichten oder ihre Willenskraft durch furchtbare Vernichtungsakte zu brechen. Aber es heißt, beschränkt militaristisch denken, wenn man annimmt, dies sei die einzige Methode, die Waffenträger der Gegenseite unschädlich zu machen, und wer auf diese Methode verzichte, der kapituliere vor dem Gegner. Engels wollte weder kapitulieren noch sinnlos mit dem Kopf durch die Wand rennen. Er konnte sich das eine wie das andere ersparen, da ihm die Beobachtung der Wirklichkeit eine dritte Möglichkeit zeigte sich durchzusetzen : die , die Truppen des Gegners für die eigene Sache zu gewinnen. Diese Möglichkeit spielt in Kriegen zwischen Staaten kaum eine Rolle, außer dort, wo sie bloß von charakterlosen Söldnern ausgefochten werden . Dagegen ist sie schon oft von Bedeutung geworden bei großen Konflikten innerhalb eines Staates . Darauf 18

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Allgemeine Wehrpflicht

beruhte Engels Zuversicht, trotz der Aussichtslosigkeit von StraBenkämpfen. In seinem schon oben zitierten Artikel des französischen Parteikalenders für 1892 über den „, Sozialismus in Deutschland“ sagte er : ,,Die Hauptstärke der deutschen Sozialdemokratie liegt keineswegs in der Zahl ihrer Wähler. Bei uns wird man Wähler erst mit 25 Jahren, aber schon mit 20 Soldat. Und da gerade die junge Generation es ist, die unserer Partei ihre zahlreichsten Rekruten liefert , so folgt daraus, daß die deutsche Armee mehr und mehr von Sozialismus angesteckt wird. Heute haben wir einen Soldaten auf fünf, in wenigen Jahren werden wir einen auf drei haben, und gegen 1900 wird die Armee, früher das preußischste Element des Landes, in ihrer Majorität sozialistisch sein. Das rückt heran, unaufhaltsam, wie ein Schicksalsschluß. Die Berliner Regierung sieht es kommen, ebenso gut wie wir, aber sie ist ohnmächtig. Die Armee entschlüpft ihr." In gleichem Sinne sprach sich Engels dann 1895 in seiner bereits zitierten Vorrede aus. Er beschloß sie mit einem Hinweis auf die große Christenverfolgung Diokletians im Jahre 303. Sie sei furchtbar grausam gewesen . Aber trotzdem erfolglos : „ Sie war so wirksam, daß siebzehn Jahre später die Armee überwiegend aus Christen bestand, und der nächstfolgende Selbstherrscher des gesamten Römerreichs, Konstantin, von den Pfaffen genannt der Große, das Christentum proklamierte als Staatsreligion ." So schnell, wie Engels es erwartete, vollzog sich der Fortschritt nicht. Aber dessen Richtung hatte er ganz richtig gesehen. Seine Ausführungen gelten für jedes kapitalistische Land, in dem das Proletariat beständig wächst, an Klassenbewußtsein zunimmt und gleichzeitig die Entwicklung der Waffen- und Verkehrstechnik immer mehr zu einer Verallgemeinerung der Wehrpflicht, gleichzeitig aber auch zu einer Verkürzung der Dienstzeit führt. Wohl gibt es Staaten, in denen wir nicht allgemeine Wehrpflicht haben. England verfügte bis zum Weltkrieg nur über ein kleines Söldnerheer. Deutschland wurde ein solches durch den Frieden von 1919 aufgezwungen. Anderseits hat die Entwicklung seit dem Weltkrieg in manchem Staat das Aufkommen von Privatoder Parteiarmeen begünstigt. Aber das alles sind nur vorübergehende Erscheinungen, die auf die Dauer überwunden werden . Die Notwendigkeit des Kriegs zwang England die allgemeine Wehrpflicht auf und der Drang nach Weltgeltung läßt die Nationalsozialisten Deutschlands eine Richtung einschlagen, die schließlich auf eine Verallgemeinerung der Wehrpflicht hinauslaufen muß. (Das wurde 1934 geschrieben, ist seitdem verwirklicht worden. ) Natürlich bedeutet die allgemeine Wehrpflicht nicht schon eine Durchdringung der Armee mit sozialistischen oder demokratischen Ideen. Das hängt in jedem Staat in hohem Grade von der geistigen Beschaffenheit seiner Volksmassen ab , vor allem von der Zahl der Intelligenz , der Rührigkeit und Selbständigkeit seiner Proletarier.

Die Gewinnung der Truppen

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Engels sprach ausdrücklich nur von Deutschland . Es fiel ihm nicht ein, etwa in dem russischen oder italienischen oder österreichischen Staat seiner Zeit von der allgemeinen Wehrpflicht baldigst dieselbe ,,Sozialisierung" der Armee zu erwarten . Der Weltkrieg hat dann in die soziale Entwicklung so viele störende Elemente hineingebracht, daß sie scheinbar eine völlig willkürliche geworden ist. Aber ist auch ihre Gesetzmäßigkeit heute schwerer erkennbar, so bricht sie doch immer wieder durch, wenn auch mühsam , nach vielen Abweichungen . Die praktische Politik wird dadurch sehr erschwert, sie kann sich immer weniger von der Erkenntnis des Gesetzmäßigen, von der Theorie, allein leiten lassen. Sie muß die jeweiligen Störungen der sozialen Gesetze genau erkennen und in Rechnung stellen. Doch darf dies nicht so weit gehen, daß sie über Augenblickserscheinungen das vergißt, was wir theoretisch auf Grundlage der Erforschung der Wirtschaft und der Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte als dauernde Tendenz erkannt haben. Nach wie vor bleibt richtig, was Engels in den letzten Jahren seines Lebens konstatierte : bewaffnete Aufstände der Bevölkerung gegen die Armeen des Staates sind überall dort aussichtslos, wo nicht zu erwarten ist, daß diese Armee, wenigstens zum großen Teil, mit den Aufständischen sympathisiert und gegen sie nicht zu verwenden ist. Wie aber die Armee gewinnen? Bei der Erörterung dieser Frage muß man sich vor der Gefahr hüten, die nüchterne Erkenntnis der Dinge durch Ungeduld trüben zu lassen. Diese Ungeduld ist sehr wohl begreiflich bei Emigranten, bei Arbeitslosen, bei tatendurstigen Elementen überhaupt, deren Bewegungsfreiheit eingeengt ist. Aber sie ist eine Fehlerquelle, die zu schweren Mißgriffen führen kann und die bei unseren Erwägungen nach Möglichkeit ausgeschaltet werden muß. Die Wichtigkeit der Gewinnung der Wehrmacht ist sehr frühzeitig erkannt worden . Doch wußte man dafür zunächst kein anderes Mittel, als revolutionäre Propaganda in den Kasernen. Ungeduldige Revolutionäre haben das immer wieder versucht . Früher taten es bakunistische Anarchisten und in unseren Tagen Kommunisten. Sie drückten einzelnen Soldaten Flugblätter in die Hand , suchten dann, sich persönlich mit ihnen anzufreunden , sie für eine Verschwörung zu gewinnen. Wenn man damit Erfolg hatte , ging man sogar so weit, eine Meuterei anzustiften. Alle derartigen Versuche haben seit jeher bis heute kläglich geendet und mußten kläglich enden. Der alte schon vor zwei Menschenaltern abgetane Blanquismus wird nicht aussichtsreicher dadurch, daß man sein Wirkungsfeld dorthin verlegt , wo er auf die größten äußerlichen und innerlichen Schwierigkeiten stößt : in die Kaserne . Die Verschwörungen der Soldaten wurden regelmäßig entdeckt, ihre Meutereien rasch unterdrückt. Das Ergebnis war nur, daß prächtige , tapfere, 18*

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Gewinnung der Truppen

hingebende Menschen nutzlos geopfert wurden, die sonst noch viel Tüchtiges für unsere Sache hätten leisten können. Daß man sie hinterdrein als Helden pries, entschädigte keineswegs für solche schwere Verluste. Die Sozialdemokratie lehnte die Kasernenpropaganda stets ab, und sie hat keine Ursache, heute davon abzugehen . Das versteht sich eigentlich von selbst, ich erwähne es nur, weil jemand , der die marxistische Literatur nicht kennt, versucht sein könnte, meinen Satz von der Gewinnung der Armee im Sinne eine Propagierung von Meutereien in Kasernen zu deuten . Zum Glück gibt es noch eine andere Art Propaganda, und die hatte Engels im Auge, wenn er meinte , die deutsche Armee fülle sich immer mehr mit Sozialisten . Es ist eine Propaganda nicht durch Worte, sondern durch die Sprache der Tatsachen, eine Propaganda, die sich nicht verhindern oder verbieten läßt, wenn die Tatsachen weit verbreitet und auffallend genug sind , um gesehen und begriffen zu werden. Natürlich kann die Sprache der Tatsachen sehr unterstützt werden durch die Sprache der Menschen , wenn diese auf jene hinweisen und sie auslegen . Auch davor kann man die Soldaten nicht bewahren. Obwohl sie in Kasernen leben, stammen sie doch aus der Zivilbevölkerung, haben in ihr Angehörige, mit denen sie in Verbindung bleiben. Sie kommen schon mit bestimmten Überzeugungen zur Wehrmacht und bleiben ihnen um so leichter treu, je kürzer die Dienstzeit ist. Da gibt es keine große, die Massen ergreifende Bewegung, die nicht ihren Widerhall in den Kasernen fände . Je mehr eine Partei das Volk gewinnt, desto größer auch ihr Anhang im Militär. Allerdings gilt dies zunächst nur für Länder mit allgemeiner Wehrpflicht, kurzer Dienstzeit und einer geistig regsamen Bevölkerung, die gewöhnt ist, selbständig zu denken und zu handeln . Anders steht es dort, wo die Wehrmacht eine kleine Armee von Landsknechten darstellt, die sorgfältig gesiebt sind und zur Zivilbevölkerung in einem scharfen Gegensatz dadurch stehen , daß man ihnen eine privilegierte Stellung einräumt. Doch auch dieses Hindernis einer demokratischen Politik ist nicht unübersteigbar. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß schon das Wettrüsten in schwierigen internationalen Lagen dazu drängt , die Armeen immer zahlreicher zu machen. Anderseits aber haben sich auch Söldner nicht immer als eine zuverlässige Stütze einer Regierung erwiesen, am allerwenigsten einer solchen, die sich in Geldnot befindet. Endlich aber ist darauf hinzuweisen, daß zeitweise in jeder Nation geistige Strömungen von einer Macht auftauchen, daß sie alles mit sich reißen. Sie sind nicht aus bloßen Klassengegensätzen zu erklären . Es war eine große wissenschaftliche Leistung von Marx und Engels, daß sie die Rolle der Klassenkämpfe in der Ge-

Klassenkampf und Revolution

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schichte darlegten. Aber es ist durchaus nicht marxistisch gedacht, wenn man meint, es genüge , das Wort ,, Klassenkampf“ auswendig zu lernen und es nach Papageienart immer wieder in die Welt zu schreien, um alle Probleme des Erkennens der Vergangenheit und der Gestaltung der Gegenwart zu lösen . Es gibt zeitweise geistige Strömungen , die nicht auf einzelne Klassen beschränkt sind , sondern eine ganze Nation oder doch fast ihre Gesamtheit mit sich fortreißen , durch Verhältnisse bestimmt, die auf alle Klassen wirken, sie alle in bestimmtem Sinne erregend. Meist sind es Ausbrüche allgemeiner Verzweiflung, allgemeiner Furcht vor einer Gefahr oder allgemeiner Flucht zu einem Retter, bei dem allein man sein Heil sucht. Derartige geistige Ausbrüche erweisen sich als unwiderstehlich , lähmen jene , die sich ihnen zu widersetzen suchen. Riesenhafte Ausbrüche allgemeiner Erregung in einer bestimmten Richtung finden wir fast stets bei Beginn eines Kriegs , aber auch mitunter bei tiefgehenden Notständen , wenn irgendein Anlaß in einer gequälten Bevölkerung eine Bewegung auslöst, die eine Änderung des bestehenden Zustands fordert. Bewegungen solcher Art können zu Revolutionen werden, die spontan entstehen und deren Wucht unwiderstehlich wirkt . Jede Revolution ging bisher von einer Vielheit von Klassen aus , keine von einer einzigen. Mitunter kann freilich eine derartige Aufwühlung der Geister freiheitsmörderisch wirken, wenn sie gerade unter einem freiheitlichen Regime ausbricht, in dem irgendein allgemeiner Notstand die gesamte Bevölkerung außer Rand und Band bringt. Dieser Art war die ,,Revolution" des Nationalsozialismus des Jahres 1933. Nicht durch einen Sieg der Waffen wurde sie herbeigeführt, sondern durch eine plötzlich einsetzende Erschütterung breiter Massen, die zeitweise geradezu die Wucht eines Bergsturzes annahm . Verwundert sah man , daß die deutschen Arbeiter Sozialdemokraten wie Kommunisten , ganz abgesehen von den Arbeitern des Zentrums nicht an kraftvollen Widerstand dachten. Aber wer die Gewalt solcher Strömungen einmal kennengelernt hat, der weiß , wie es ganz unmöglich wird , sie eindämmen zu wollen . Zu viele Schichten, an die sich die Verfechter des Bestehenden sonst wenden könnten, werden bei einem derartigen Zustand der Geister schwankend und unsicher, wenn sie nicht direkt zum Feind übergehen. Zum Glück sind freiheitsmörderische Revolutionen dieser Art selten. In der Regel ist es gerade der Mangel an Freiheit, der unter bestimmten Umständen derartige unwiderstehliche geistige ,,Bergstürze" hervorruft. Alle großen Revolutionen der neueren Zeit für die Demokratie sind in dieser Weise zum Ausbruch gelangt. Keine von ihnen war gemacht, jede ging aus Verhältnissen hervor, die sich weder ver-

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Klassenkampf und Revolution

bieten noch totschlagen ließen . Jede wirkte gerade dadurch lähmend auf die Verteidiger des Bestehenden , die schließlich völlig den Kopf verloren oder sogar willenlos das Unwiderstehliche über sich ergehen ließen . Das gilt von allen großen Revolutionen, von 1789 in Frankreich an bis zum Umsturz des März 1917 in Rußland, und den Umsturzbewegungen des Oktober und November 1918 in Deutschland und im damaligen Österreich. Derartige alles mit sich fortreißende Volksströmungen treten mit Naturnotwendigkeit früher oder später in einer Bevölkerung ein, die an der Staatspolitik interessiert, dabei ökonomisch bedrängt und politisch eingeschnürt ist. Willkürlich lassen sie sich nicht hervorrufen. Das besagt jedoch keineswegs, daß die Freunde der Freiheit tatlos warten sollen , bis der befreiende Moment von selbst eintritt. Jede Partei, die für die arbeitenden Massen und auf sie wirken will, hat alle Ursache, sich und die Massen für den kommenden Umsturz vorzubereiten, damit er nicht sinnlos bloß zerstört, sondern zweckmäßige Formen annimmt. Die Sozialdemokraten haben die Aufgabe , sich selbst und die Massen , die ihnen zugänglich sind , aufzuklären über die Wirklichkeit, die in den Ländern der Diktatur dem Volke von der Regierung und ihrer Presse, neben der eine andere nicht bestehen darf, verlogen und verzerrt dargestellt wird. Die Sozialdemokraten haben auch die Aufgabe, den geistigen Zusammenhang unter sich und mit neuzugewinnenden Gesinnungsgenossen zu erhalten , damit sie imstande sind, jederzeit gleichmäßig und vereint vorzugehen , sobald die Verhältnisse es erlauben. Vereinzelt sind sie unter allen Umständen ohnmächtig. Endlich müssen sie trachten, das Vertrauen der arbeitenden Massen zu gewinnen sowohl durch ihr Programm wie durch ihre Praxis , als Sachwalter aller Bedrängten, soweit ein Tun solcher Art möglich ist. Unsere Praxis muß natürlich unter einer Diktatur andere Formen annehmen, als in einer Demokratie. Grundsätzlich ist sie aber hier wie dort der gleichen Art , nur unter der Diktatur weit schwieriger und opfervoller. Entschieden abzulehnen ist aber jeder Versuch, diese Tätigkeit noch dadurch zu erweitern , daß man zu ihr die geheime Vorbereitung bewaffneter Erhebungen hinzufügt . Die ,,Voluntaristen “ und „,Aktivisten " unserer Tage werden sich entschieden gegen diese Auffassung wenden , die sie als unwürdige Kapitulation brandmarken . Sie meinen, mit spontanen Ausbrüchen zu rechnen , heiße, auf den Zufall bauen . Nichts irriger als das . Wenn wir spontane Revolutionen erwarten, so bauen wir dabei auf Verhältnisse , deren Entwicklungsrichtung wir genau kennen . Nur über das Tempo der Entwicklung können wir nichts sagen . In dieser Beziehung ist es ebenso verfehlt, Pessimist zu sein und zu erwarten, wir müßten mit der Andauer der heutigen Diktaturen für ein Menschenalter rechnen, wie Optimist zu sein, zu verkün-

Volkserhebungen

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den, morgen gehe es schon wieder los. Wir müssen nach dem bekannten Worte auf das Schlimmste gefaßt sein und das Beste erhoffen. Es ist hier nicht der Ort, noch ausführlicher davon zu sprechen. Hier erörtern wir nur die Ansichten von Engels über den Bürgerkrieg. Und da haben wir zu bemerken , daß diejenigen, die heute bewaffnete Erhebungen vorbereiten und zum Ausbruch bringen wollen, kein Recht haben , sich dabei auf Engels oder Marx zu berufen . Marx und Engels haben stets behauptet, Revolutionen ließen sich nicht machen, sie müßten aus den Verhältnissen entspringen. Schon vor bald neunzig Jahren, im Kommunistenbund , forderten sie vor allem , daß er aufhöre , eine Verschwörung zur Vorbereitung bewaffneter Erhebungen zu sein. Sie sind dieser Überzeugung ihr Leben lang treu geblieben , später hat sie Engels nur insofern abgeändert , als er nun auch einer spontan ausbrechenden bewaffneten Erhebung ein düsteres Prognostikon stellte , wenn sie nicht Ausdruck eines so allgemeinen , überwältigenden Volkszorns war, daß selbst die bewaffnete Macht sich vor dem Aufstand beugte, wenn sie sich ihm nicht gar direkt anschloß . Der Gang der Ereignisse hat seine Erwartungen bestätigt. Schon die Pariser Erhebung vom 18. März 1871 gelang nur dadurch, daß sich erhebliche, vom Staat bewaffnete Truppenteile, an ihr beteiligten, nicht nur Nationalgarden , sondern auch Linieninfanterie. Von da an gab es in den kapitalistischen Ländern keine Volkserhebung, die glückte , bis 1905 in Rußland . Auch bei ihr spielte meuterndes oder doch passives , widerwilliges Militär eine Rolle. Noch mehr bei dem Umsturz im März 1917 in Petersburg. Die sogenannte „ Oktoberrevolution" des gleichen Jahres der Bolschewisten wurde geradezu durch Truppen durchgesetzt, die sich dem bolschewistischen Kommando unterstellten. Und im Herbst 1918 waren es auch Teile der staatlichen Armee, von denen die Initiative zum Umsturz ausging, in Österreich wie in Deutschland . Nirgends mehr war ein Sieg der Revolution im Sinne der bewaffneten Insurrektion das Ergebnis eines erfolgreichen Kampfes der Zivilbevölkerung gegen das staatliche Militär. Wo ein solcher versucht wurde, ist das Zivil stets unterlegen . Das empfinden die Massen denn auch instinktiv allerorten . Nicht weil sie feiger oder geduldiger geworden sind als die Kämpfer von 1789 bis 1848, sondern weil ihnen die Unwiderstehlichkeit der Waffentechnik staatlich ausgerüsteter Armeen wenigstens in Ländern ausgedehnter Wehrpflicht praktisch demonstriert wird. Nur fanatisierte Schwärmer, die sich an den Revolutionsgeschichten der Vorzeit kritiklos berauschen und dadurch blind geworden sind für die Gegenwart mit ihrer so ungeheuer veränderten Technik, können heute noch von bewaffneten Insurrektionen einer Zivil-

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Unsinn des Krieges

bevölkerung gegen staatliches Militär träumen, oder gar, was noch viel schlimmer, praktisch auf solche Insurrektionen hinarbeiten. Wo es ihnen gelang, Gläubige zu finden, haben derartige Schwärmer nie etwas anderes herbeigeführt als zwecklose Hinopferung junger, ethisch hochstehender und sehr wertvoller Menschen, zerschmetternde Niederlagen proletarischer Organisationen und die Stärkung der Reaktion .

2. Neue Auffassungen über den Krieg in der Zeit der zweiten Internationale. a) Die Methoden des Kriegs gegen den Krieg. Marx erlebte nicht die Neubegründung der Arbeiterinternationale. Sie fand 1889 in Paris statt. Engels dagegen sah noch die Anfänge der zweiten Internationale und es mußte ihn mit Befriedigung erfüllen , daß sie ein gut Stück über die erste hinausgewachsen war. Wie Engels in seinen letzten Jahren, wurde auch die zweite Internationale von ihren Anfängen an durch die Weltlage dazu gedrängt, sich mit der Frage des Krieges zu beschäftigen. Dabei kam es in ihr kaum zu Meinungsverschiedenheiten in all den Fragen, die Engels damals behandelte. Die Internationale war sich . einig darüber, daß unter den gegebenen Verhältnissen ein Weltkrieg ein weit größeres Unheil bringe, als er im besten Falle aus dem Wege schaffen könne. Der Krieg sei ein ganz unsinniges Mittel geworden, politische oder ökonomische Streitfragen lösen zu wollen. Die sozialistische Partei jedes Landes und die gesamte Internationale habe die heilige Pflicht, jeglicher Kriegsgefahr entgegenzuwirken, wo immer sie auftauchen möge. Damals erwuchs aber auch die Notwendigkeit, für Einrichtungen einzutreten , die eine friedliche Austragung internationaler Konflikte ermöglichten , für Schiedsgerichte und einen Völkerbund , wenn sie in vertrauenswürdiger Weise eingerichtet waren. Damit verband sich notwendigerweise die Verpflichtung, auf allgemeine Abrüstung hinzuwirken . Alle diese Punkte gaben höchstens in einzelnen Detailfragen Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten . So etwa die Stellung zu bürgerlichen Pazifisten . Auch das Friedensmanifest des russischen Zaren 1898 erregte in vielen sozialistischen Kreisen das höchste Mißtrauen. Es forderte die Einrichtung eines Schiedsgerichts im Haag zur Beilegung internationaler Streitigkeiten. Der Gedanke mußte sicher jedem Sozialisten sympathisch sein, aber in der Befürwortung durch den Zaren witterte man eine Falle. Natürlich konnte das zur Vorsicht mahnen , es durfte jedoch kein Grund sein,

Haltung im Kriege

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die Anregung von vornherein abzulehnen oder ihre Durchführung zu sabotieren. Das brachte einzig Wilhelm II . auf der Friedenskonferenz von 1899 fertig, ebenso wie auf der ihr folgenden von 1907. Auf beiden Konferenzen erwies sich der deutsche Kaiser mit seiner Regierung als der entschiedenste Gegner jeglicher Abrüstung und Schiedsgerichtlichkeit . Diese Haltung kam das deutsche Volk teuer zu stehen, denn bei Kriegsbeginn 1914 sahen alle Nationen der Welt außer den Deutschen und etwa den Ungarn und Türken — im Deutschen Reich den Friedensstörer . Wie gesagt, abgesehen von Details, war in allen hier erwähnten Fragen die Arbeiterinternationale völlig einig und fest geschlossen . Dennoch wurde auf ihren Kongressen und auch in der sozialistischen Presse aller Länder die Kriegsfrage eifrig und leidenschaftlich diskutiert , wobei sich tiefgehende Meinungsverschiedenheiten kundgaben. Aber sie alle bezogen sich nicht auf die Frage, ob nicht jeder Krieg verwerflich, ob nicht alle Kraft aufzubieten sei, um den Ausbruch eines Krieges zu verhindern. Sie betrafen die Frage : Was tun , wenn trotz unseres Widerstandes der Krieg ausbrechen sollte ? Darüber hatte man schon zur Zeit der ersten Internationale zu diskutieren begonnen- und man diskutiert noch heute darüber. Lange Zeit hindurch befürwortete die Mehrheit der Internationale für den Fall eines Krieges eine Haltung, die früher Marx und Engels und überhaupt praktisch die meisten Sozialisten eingenommen hatten. Sie verzichteten auf jeden Versuch, in die Kriegshandlungen störend einzugreifen und beschäftigten sich um so eifriger mit der Frage , auf welche Seite in einem Kriege sich die Sozialisten, die Internationalisten zu stellen hätten . Man kam zum Schluß, in solchem Falle müßten wir uns gegen jene Regierung wenden, die das Unheil des Kriegs herbeigeführt habe . Man solle sich aber auch fragen, welches Gemeinwesen durch seinen Sieg am meisten den politischen und sozialen Fortschritt der Welt gefährde, welches ihn am ehesten fördere. Dieser Auffassung trat aber schon bei Beginn der zweiten Internationale eine andere entgegen, die bereits 1868 in Brüssel die Mehrheit erlangt hatte und die Marx als ,,belgischen Blödsinn“ bezeichnete. Es war die Auffassung, die Arbeiter hätten die Pflicht, einen einmal ausgebrochenen Krieg hüben wie drüben durch einen Streik (oder eine Insurrektion ) unmöglich zu machen. Später gesellte sich noch zu dieser Auffassung die Erklärung hinzu, es gebe nur noch Kriege, in denen beide Teile Angreifer, beide in gleichem Maße Hindernisse der gesellschaftlichen Entwicklung seien . Jedes Nachdenken über die Kriegsursachen und die möglichen Kriegsfolgen sei überflüssig, ja geradezu ein Verrat am Sozialismus, weil es die Energie in der Sabotierung der Kriegshandlungen lähme .

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Streik gegen Krieg

Betrachten wir zunächst die Verhinderung des Kriegs durch einen Streik. In den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts machte die parlamentarische Demokratie in Europa rasche Fortschritte. Überall gewannen die Arbeiter früher oder später das Wahlrecht und Zutritt zu dem Parlament ihres Landes. Es mehrten sich ihre Presse, ihre Organisationen , ihre Vertretungen in Gemeinden und Staat. Die Macht der Arbeiter nahm zu , aber nicht so schnell, wie jeder Sozialist wünschte . Die Ungeduldigsten unter ihnen suchten nach künstlichen Stimulationen des Fortschritts, nach Mitteln , den Gang der Entwicklung zu beschleunigen . Ihren Wünschen kamen. die Auffassungen gewalttätiger Nachfahren des ursprünglich so friedfertigen Proudhonismus und des streitbaren Blanquismus entgegen, die der Syndikalisten und Bakunisten. Durch die englischen Gewerkschafter in der ersten Internationale hatten die Arbeiter in der Zeit der ersten Internationale allenthalben die Kraft des Streiks erkennen gelernt . Aber über die Grenzen dieser Kraft wurden sie sich oft nicht klar. Die Syndikalisten hielten ihn für ein Machtmittel der Arbeiterklasse , dem niemand widerstehen könne, wenn es umfassend genug angewendet werde. Was der bewaffneten Insurrektion und der Demokratie nicht gelinge, das vermöge der Generalstreik. Was von diesem zu halten, haben wir bereits bei der Besprechung des Beschlusses des Brüßler Kongresses gezeigt. Heute noch ist es vielen Sozialisten nicht klargeworden , daß die Proletarier die Kraft zu einer erfolgreichen revolutionären Aktion, sei es Insurrektion oder Massenstreik, nur dann gewinnen können, wenn die Bewegung von einer stürmischen Erregung und Empörung fast der Gesamtmasse des Volkes , der verschiedensten Klassen , nicht bloß von Arbeitern , sondern auch Intellektuellen , Kleinbürgern , Bauern , getragen wird. Das bildet einen sehr wesentlichen Unterschied zu Aktionen , die auf dem Boden einer parlamentarischen Demokratie unternommen werden . Diese bedürfen zu ihrem Gelingen bloß einer einfachen Mehrheit. Die Vorbedingungen für das Gelingen von Insurrektionen oder Generalstreiks (zu revolutionären , nicht bloß gewerkschaftlichen Zwecken) treten daher viel seltener und unter viel schwierigeren Umständen ein , als die Vorbedingungen für demokratische Aktionen dort, wo die Masse über demokratische Rechte verfügt . Insurrektion oder Massenstreik können als letztes Mittel dort in Frage kommen , wo demokratische Rechte nicht vorhanden oder geraubt sind, dagegen ist es unsinnig, sie für eine proletarische Partei als Mittel zu betrachten, unter einer demokratischen Verfassung die Gewinnung der Mehrheit der Bevölkerung überflüssig zu machen und es den Sozialisten zu ermöglichen , die politische Macht zu erringen , ehe sie die Mehrheit des Volkes für sich ha-

Unterschätzung der Demokratie

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ben. Im Gegenteil . Für das Gelingen einer Insurrektion oder eines Massenstreiks ist eine weit größere Mehrheit erforderlich, als für einen Erfolg in einem demokratischen Parlament. Und die Niederlage bei dem Mißglücken einer Insurrektion oder eines Generalstreiks ist viel niederdrückender, als bei einem erfolglosen Ausgang eines Wahlfeldzuges oder einer parlamentarischen Aktion. Das wurde und wird noch bis heute vielfach übersehen. Es gibt selbst unter den Sozialdemokraten Leute, die die Demokratie geringschätzen. Sie lehnen die Demokratie nicht ab, betrachten sie aber als bloße theoretische Liebhaberei einiger unpraktischen alten Stubengelehrten , als eine Liebhaberei , die der Prüfung an der Hand der tatsächlichen Erfahrungen einer reiferen Jugend nicht standhalte. Oder als das Produkt geistiger Unselbständigkeit und Schwächlichkeit, die sich ängstlich an die Legalität klammere und jede Illegalität verurteile, auch dann , wo diese allein uns vorwärts bringe. Manche endlich sehen das Proletariat in der Rolle eines überlegenen Pädagogen , der die unartigen Jungen der Bourgeoisie zu besseren Manieren zu erziehen hat. Aus Nachsicht begnügt er sich zunächst mit den milden demokratischen Zuchtmitteln . Aber wenn diese nicht ausreichen , dann droht der Schulmeister, zur scharfen Zuchtrute der Insurrektion oder des Generalstreiks zu greifen . In der Zeit der zweiten Internationale gab es so kuriose Sozialdemokraten noch nicht . Die Miẞachtung der Demokratie fand man nur bei Anarchisten. Das heißt, diese forderten erst recht die größte Freiheit, aber unter Ablehnung aller politischen Tätigkeit im Staate, unter Ablehnung des Parlaments , der Teilnahme an Parlamentswahlen. Der Gegensatz zwischen anarchistischer und sozialdemokratischer Auffassung der Politik machte sich, wie auf anderen Gebietẹn, so auch auf dem der Kriegsfrage geltend . Die Sozialdemokraten sahen es überall für ihre Pflicht an , bei drohender Kriegsgefahr alle Kraft, über die sie bei dem bestehenden politischen Zustand ihres Staates verfügten, für den Kampf gegen diese Gefahr aufzubieten. Aber sie wußten darüber hinaus kein Mittel zu diesem Zwecke . Anders die Anarchisten und die anarchistelnden Sozialdemokraten. Krieg sei ein solches Unglück, daß , wenn die gewöhnlichen Mittel des politischen Kampfes gegen ihn versagten, schärfere Mittel zur Anwendung gelangen sollten. Versagten die Mittel des Parlamentarismus, die Regierung zu stürzen , dann müsse das Proletariat seine technische Unentbehrlichkeit dazu benützen , jede Kriegshandlung unmöglich zu machen, am besten durch einen allgemeinen Streik. Doch schienen manchem auch schon Streiks einzelner für den Krieg besonders wichtiger Arbeiterkategorien ausreichend zu sein, etwa die der Eisenbahner oder der Arbeiter in den Munitionsfabriken.

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Stimmung bei Kriegsausbruch

Ein Krieg erheischt heute so sehr die Anspannung aller Willenskraft und der Aufopferungsfähigkeit der großen Mehrheit der Nation, daß sich in keinem Staat mit kraftvollem, selbständigem Proletariat eine Regierung freiwillig auf einen großen Krieg einlassen wird, wenn die Mehrheit des Volkes nicht mittut. Was die Anarchisten von den Arbeitern verlangten , war also von vornherein eine Aktion nicht bloß gegen die Regierung, sondern gegen die Volksmehrheit. Aktionen dieser Art, in denen eine Minderheit die Mehrheit des Volkes zu einem ihr widerstrebenden Handeln zwingen will, sind, wenn von einer proletarischen Partei unternommen, stets von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nur die herrschenden Klassen verfügen über Machtmittel, die es ihnen ermöglichen, unter Umständen als Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufzuzwingen. Der Glaube an die Allmacht des Massenstreiks oder gar des bloßen Streiks lebenswichtiger Betriebe gegenüber der Mehrheit des Volkes ist ein Aberglaube. Nun meinten freilich gar viele Befürworter der Lahmlegung der Kriegführung durch einen Streik, daß schon der bloße Ausbruch eines Krieges in der Bevölkerung jene Strömung erzeuge, die nötig sei , solle die gegen ihn gerichtete Aktion gelingen. Dieser Ausbruch werde einen Sturm im Volke gegen die Regierung entfesseln, der diese ohnmächtig mache, eine jener riesenhaften Volksbewegungen, die revolutionäre Dimensionen annehmen können. Die Sozialdemokratie brauche sich nur an ihre Spitze zu stellen und ihr die gebotene Richtung geben. Einen gewaltigen Sturm im Volke entfesselt in der Tat jeder Kriegsausbruch . Wer den Beginn des Weltkriegs erlebt hat, wird sich dieses Sturmes sehr wohl entsinnen . Doch in einem Punkte hatten jene Sozialisten geirrt, die meinten, den Krieg durch eine Arbeitsverweigerung hindern zu können : der Sturm richtete sich nicht gegen die eigene Regierung, die in den Krieg eintrat, sondern gegen den Landesfeind. Wohl fürchtet die Masse den Krieg, aber noch mehr die feindliche Invasion sowie die Niederlage. Ist der Krieg einmal ausgebrochen, dann ist die größte Sorge der Bevölkerung vor allem die , alle Kraft aufzubieten, den Feind am Eindringen in das eigene Land zu hindern und ihm die Möglichkeit zu nehmen, dem Volk unerträgliche Bedingungen aufzuerlegen, etwa einzelne seiner Teile einer Fremdherrschaft zu unterwerfen . Diese Befürchtungen sind oft phantastisch übertrieben. Die Panik bei Ausbruch eines Kriegs fördert das Aufkommen der sinnlosesten Vorstellungen über die schwarzen Absichten des Landesfeindes. Je größer die Panik, je rasender der Sturm, der bei Kriegsbeginn die Massen aufwühlt, desto mehr geschieht das in einer Weise , die Haß und Wut gegen den Landesfeind aufpeitscht und die hingebendste Förderung, nicht Störung der Landesverteidigung als heiligste Pflicht jedes Nationsgenossen erscheinen läßt .

Landesverteidigung

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Bei Ausbruch eines Krieges wirkt nicht nur die Strenge des Kriegsrechts, sondern auch die Volksstimmung derart, daß eine kriegführende Regierung nie stärker ist als in einem solchen Moment. Nie ist es schwieriger, ihr entgegenzutreten, nie weniger möglich, sie wirksam zu hemmen . Nun entgegnen die Befürworter der Verhinderung des Kriegs durch Lahmlegung der Armeen , daß diese ja nicht bloß einseitig eintreten solle, sondern auf der Gegenseite ebenso wie im eigenen Lande. Kein Zweifel , wenn jene Kriegsgegner das verlangten, wollten sie durchaus nicht Landesverräter sein, nicht dem Feind den Weg ins Land öffnen , sondern jede Kriegshandlung drüben ebenso unmöglich machen wie hüben . Aber selbst wenn man sich daran machen würde , ernsthaft durch Sabotierung der Kraftentfaltung der Heere den Krieg unmöglich zu machen , könnte doch auf jeder Seite das Volk zunächst bloß die Versuche solcher Sabotage im eigenen Lande merken, die um so mehr den Landesfeind zu begünstigen drohten, je erfolgreicher sie wären. Von den Versuchen auf der Gegenseite würde man nach der Sachlage zunächst gar nichts erfahren — und bei Kriegsausbruch geht es um Tage, ja um Stunden. Wer könnte garantieren, daß beim Landesfeind überhaupt irgend jemand es unternähme, seinen kriegerischen Aufmarsch zu stören ? Das sind die Momente, denen ich es zuschreibe, warum jeglicher Versuch, einen einmal ausgebrochenen Krieg durch einen Streik der Arbeiter oder gar der Soldaten zu stören, völlig aussichtslos ist. Es ist denn noch nirgends auch nur zu einem solchen Versuch gekommen . Doch von den Kritikern dieser revolutionären Illusionäre in der zweiten Internationale wurde auch nicht immer ganz klar gedacht. Man wußte nicht immer zwischen Kriegs politik und Kriegstechnik zu unterscheiden, zwischen Landes politik und Landes verteidigung. Gar mancher Gegner des Kriegsstreiks vermeinte, zur Verteidigung des Landes sei es geboten, sich unter allen Umständen auch hinter die Politik der Regierung zu stellen . Das war eine verhängnisvolle Täuschung. Die Dauer und die Art der Beendigung eines Krieges hängt nicht bloß von den Erfolgen der Armeen ab, sondern auch von der Politik, den Kriegszielen der Regierung. Die Sozialdemokratie muß nicht unter allen Umständen einer bürgerlichen Regierung in einem Kriege feindlich gegenüberstehen. Sie kann und darf sie aber nur unterstützen , wenn die Kriegsziele der Regierung vereinbar sind mit den Grundsätzen der internationalen Sozialdemokratie und wenn sie geeignet sind, einen dauerhaften Friedenszustand, einen ,,demokratischen" Frieden her. beizuführen, der keines der beteiligten Völker bedrückt und demütigt. Verfolgt die Regierung andere Kriegsziele, dann hat die Sozialdemokratie nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sie zu

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Krieg dem Kriege

bekämpfen, entschieden zu bekämpfen, schon im Interesse des eigenen Volkes, das auch unbesiegt nur bei einem solchen Frieden gedeihen kann. Das Volk hat kein Interesse daran, für die Ausbeuter- und Machtgelüste seiner Herrenklassen zu bluten oder gar zu verbluten. Die Ansicht, als erheische das Interesse der Landesverteidigung stets eine Politik des „ Burgfriedens", der bedingungslosen Unterstützung der jeweiligen Regierung durch die Sozialdemokratie, ist ein verhängnisvoller Irrtum . Doch nicht minder verhängnisvoll der Irrtum , die Sozialdemokratie habe von vornherein schon die Pflicht, jede bürgerliche Regierung während eines Krieges politisch rücksichtslos zu bekämpfen, welches auch sein Charakter sei. Wie immer eine Partei sich in einem Kriege stellen mag, stets wird die entscheidende Frage die sein : wie verhalte ich mich zu der eigenen Regierung und zu der des feindlichen Staates ? Das ist die Frage , die zu beantworten ist. Sie wird nicht dadurch erledigt, daß wir rufen : Krieg dem Kriege. Das Wort ,, Krieg dem Kriege" bekommt nur dann einen Sinn , es heißt : Bekämpfung jeder Regierung, die durch ihre aggressive Politik einen Krieg herbeiführt oder verlängert - jeder Regierung sowie natürlich jener Elemente, die hinter ihr stehen , mag es eine Dynastie sein, eine Koterie von Militärs , oder eine Partei etc. Welches die zweckmäßigsten Methoden der Friedensfreunde in einem bestimmten Falle sein mögen, einer aggressiven Regierung entgegenzutreten, darüber können die Meinungen auseinandergehen. Sie werden auch für verschiedene Situationen sehr verschieden sein müssen . „, Prinzipiell“ für alle Fälle von vornherein eine bestimmte Methode vorschreiben, sieht sehr schön aus, führt aber in der Regel zu nichts . Denn gerade bei einem Kriegsausbruch wird sehr oft nicht bloß das Unzulängliche, sondern auch das Unerwartete zum Ereignis, für das das ,,Prinzip" keine Vorsorge getroffen hat. Aber wie immer sich Formen gestalten mögen, die in einem bestimmten Fall am zweckmäßigsten den Krieg gegen den Krieg zu führen gestatten, zu einer historisch bewegenden Kraft kann eine solche Kriegsgegnerschaft nur dort werden, wo sie den Kampf gegen eine bestimmte Regierung (oder mehrere ) darstellt , die einen Krieg plant, herbeiführt oder verlängert. Gänzlich belanglos bleibt bloße unpolitische ethische Entrüstung über den Krieg an sich, über das Völkermorden , wenn diese Entrüstung davon absieht, die Rolle der einzelnen Regierungen in einem internationalen Konflikt zu untersuchen und sich mit der Feststellung der Tatsache begnügt, die offen zutage liegt, daß im Krieg Gräßliches geschieht, und die nicht fragt, warum es geschieht. Wie bei allem gesellschaftlichen Tun, so wird auch, und besonders im

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Imperialismus

Kriege mit dem bloßen Gefühl nichts erreicht . Sicher ist das ethische Empfinden der Ausgangspunkt alles gesellschaftlichen Tuns. Aber es zeigt uns nur die Aufgaben, die zu lösen sind, sagt nichts über den Weg, auf dem wir zur Lösung kommen. Zu dem gelangen wir nur durch klare soziale Erkenntnis.

b) Der Imperialismus. War ein Krieg ausgebrochen, dann fragten sich Marx und Engels, wie wohl alle Politiker ihrer Zeit und die meisten aller Zeiten : Wer hat den Krieg herbeigeführt ? Vor allem aber : Welche Folgen dürfte der Sieg der einen oder der andern Partei nach sich ziehen ? Für Sozialisten mußte die Frage lauten : wie wird der Sieg auf die Entwicklung der Demokratie und des arbeitenden Volkes in der Welt einwirken ? Auf welche Seite solle man sich stellen ? Die Beantwortung dieser Frage war nicht einfach in jedem der Kriege, die im Zeitalter der Nationalkriege von 1850-1880 ausbrachen. Wir haben gesehen, wie zwischen den leitenden Geistern des Sozialismus jener Tage oft sehr große, mitunter leidenschaftlich ausgefochtene Differenzen darob ausbrachen. Im Laufe der Entwicklung der zweiten Internationale bildete sich dagegen in ihr eine Richtung, die behauptete , solche Differenzen wegen eines Krieges könne es künftighin nicht mehr geben, wenigstens nicht unter den konsequenten , festen Anhängern sozialistischer Grundsätze , denn nur noch eine Art Krieg sei mehr möglich der imperialistische Krieg, das heißt, der Krieg zwischen zwei kapitalistischen Staaten um ein Kolonialland. In einem solchen Krieg liege das Unrecht von vornherein stets auf beiden Seiten, und es sei für das Proletariat und den Sozialismus in jedem Falle gleichgültig, welche Seite siege. Am besten sei es , die Regierungen hüben wie drüben zur Strecke zu bringen , den Krieg in eine Revolution hinüberzuleiten , die jede der beteiligten Regierungen hinwegfege und durch ein revolutionäres Regime ersetze. Daß bei dem bereits erreichten Ausmaß an Selbständigkeit der Massen der Krieg zwischen modernen Großstaaten die Tendenz habe, in jedem der besiegten Staaten eine Revolution nach sich zu ziehen, damit hatten die Revolutionäre schon im Zeitalter der Nationalkriege gerechnet. Daneben kam jetzt eine andere Erwartung auf. Die Revolution solle nicht bloß das Ergebnis militärischer Niederlage sein, sondern schon der Krieg an sich solle jedem der Kriegführenden , ob Sieger oder Besiegten , die Revolution bringen. Auch das sollte aus der Tatsache hervorgehen , daß der nächste Krieg nur noch ein imperialistischer sein könne . Was hatte man unter Imperialismus zu verstehen? Das Wort kam während der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf als Bezeichnung der modernen kolonialen Erobe-

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Imperialismus

rungspolitik, die durch Gewinnung und Zusammenfassung von Kolonien mit dem Mutterland dieses zu einem Weltreich, einem ,,Imperium" (englisch ,, Empire ") zu erweitern suchte . Das Wort Imperialismus in dieser Bedeutung ist englischen Ursprungs. Vorher hatte man es in Frankreich zur Bezeichnung bonapartistischer, kaiserlicher Politik gebraucht. Damit hat das, was man heute Imperialismus nennt, absolut nichts zu tun . Der Imperialismus , von dem wir hier handeln , ist etwas ganz Modernes, er besteht seit nicht viel mehr als einem halben Jahrhundert. Die koloniale Eroberungspolitik ist freilich weit älter. Nur selten wird sie veranlaßt durch Übervölkerung des eigenen Landes . Das ist in der Regel nur ein Vorwand, um diese Politik den arbeitenden Klassen des erobernden Landes schmackhaft zu machen , die sonst kein Interesse an ihr hätten. Die neuere Kolonialpolitik wir sehen vom Altertum ab - wird von dem Bedürfnis einer Ausbeuterklasse nach Vergrößerung ihres Ausbeutungsbereichs getragen. Dies Bedürfnis wird am leichtesten durch die Gewinnung von Land befriedigt. Grenzen zwei Staaten oder Staatsgebiete ungefähr gleicher Kultur aneinander, dann wird die Annexion des einen durch den andern zu einer bloßen Erweiterung des erobernden Staates, dessen Gefüge zumeist homogen bleibt, wobei die eroberte Bevölkerung gleiche Rechte - oder Rechtlosigkeit - mit der erobernden erwirbt. Anders gestaltet sich die Annexion dort, wo ein kulturell höher stehender Staat sich ein Gebiet aneignet, das von ihm geographisch so weit abgelegen ist , daß dessen Bevölkerung eine von der des erobernden Staates völlig verschiedene Kultur aufweist. Ein solches Volk erlangt durch die Angliederung an den Erobererstaat nicht gleiche Rechte mit dessen Bevölkerung, es wird den Eroberern völlig rechtlos ausgeliefert. Dieser Zustand macht das eroberte Gebiet zu einer Ausbeutungskolonie. Nur von solchen handeln wir hier, nicht von Siedlungskolonien, die ganz anderer Art sind . Sie bleiben ohne Belang für die imperialistischen Konflikte unserer Zeit. Viele Ausbeuterschichten erfüllt ununterbrochen ein Streben nach Ausdehnung ihres Ausbeutungsgebiets. Doch nur unter bestimmten Bedingungen nimmt es die Formen der Kolonialpolitik an. Zu dieser greifen die Ausbeuter, wenn die Ausdehnung ihres Staates auf benachbarte Gebiete mit einer der seinigen nahestehenden Kultur erschwert und gleichzeitig die Gewinnung ferner Gebiete mit fremder Kultur erheblich erleichtert wird . Dazu gehört, namentlich für Staaten, die an einem Weltmeer liegen , eine bestimmte Höhe der Schiffahrtstechnik sowie der Überlegenheit des eigenen Kriegswesens . Solche Bedingungen bildeten sich seit dem 15. Jahrhundert in Europa, als das Vordringen der Türken in Osteuropa eine weitere Ausdehnung der europäischen Mächte nach der Levante ver-

Kolonialpolitik

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hinderte und die Segelschiffahrt der Westeuropäer eine Höhe erreichte , wie nie zuvor. Aus dieser Situation entsprang die Kolonialpolitik seit dem 15 . Jahrhundert, die den Schwerpunkt der europäischen Kultur vom Mittelmeer an die Küsten des Atlantischen Ozeans verschob, zur Umschiffung Afrikas, zum Auffinden des Seewegs nach Ostindien und dann zur Entdeckung Amerikas führte. Interessiert waren dabei die herrschenden Dynastien des erobernden Landes, die ihr Herrschaftsgebiet erweiterten ; war der Feudaladel, der für seine jüngeren Söhne neuen Grundbesitz gewann, waren Militärs und Bureaukraten , denen neue lukrative Posten winkten. Aber auch das Handelskapital verlangte nach Kolonien, um den Handel mit ihnen monopolisieren zu können , und nicht minder das Geldkapital. Denn die kolonialen Eroberungen kosteten zunächst Geld, viel Geld , weil sie Kriegsrüstungen und Kriege mit sich brachten. Der Geldbedarf der Fürsten, der Aristokraten, der Kaufleute , das ist aber eine der wichtigsten Ursachen des Gedeihens der großen Geldbesitzer, der Wucherer und Bankiers. Trotzdem ist es falsch, schlechtweg zu sagen , die Kolonialpolitik sei ein Ergebnis des Kapitals . Wir haben eben gesehen , daß dynastische, feudale, militaristische, bureaukratische Interessen an ihr ebenso beteiligt waren, als kapitalistische. Wir müssen aber noch mehr hinzufügen : das industrielle Kapital, das sehr zu unterscheiden ist vom kommerziellen und Geldkapital, verliert von einer gewissen Höhe der Entwicklung an jedes Interesse an der Politik kolonialer Eroberungen. Wohl verlangt das Industriekapital, ebenso wie die andern Arten der Ausbeutung, beständige Vermehrung und Ausdehnung seiner Ausbeutungsstätten , aber es bedarf dazu nicht der Vergrößerung des Staatsgebiets . Wohl ist es auch auf ständige Erweiterung seines Marktes angewiesen, aber es vermeint bei geeigneter Höhe seines technischen Apparats und seiner Arbeiterbevölkerung diese Erweiterung am ehesten durch Verbesserung der Verkehrsmittel und wachsende Verbilligung seiner Produkte zu erreichen, wenn allseitiger Freihandel besteht. Das industrielle Kapital empfand, sobald es stark geworden , die Kolonialpolitik immer mehr als lästige Störung und Hemmung seiner Entwicklung. Die Kriege, die sie mit sich bringt, rauben ihm Arbeitskräfte, nach denen es verlangt. Anderseits hat die Kolonialpolitik die Tendenz, in den Kolonien freie, wohlhabende Bauern in verelendete Zwangsarbeiter zu verwandeln . Das heißt, sie vernichtet den Markt für die Industrie in jenen Gebieten, die sie erobert. Das industrielle Kapital gedeiht am besten, wenn es überall freie , wohlhabende Bauern findet, keine Sklaven. Die kapitalistischen Industriellen, die im eigenen Lande Frauen und Kinder in die Fabriken trieben und zu unmenschlich langer Arbeitszeit verurteilten, bekämpften energisch überall in der Welt den Sklaven-

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Monopolistischer Kapitalismus

handel und die Sklaverei sowie die Leibeigenschaft. Sie wurden auch zu Gegnern der Kolonialpolitik. Diese hört in den Industriestaaten Europas immer mehr auf in dem Maße, als das industrielle Kapital erstarkt und bestimmend wird für das Denken der Bevölkerung sowie die Praxis der Regierungen. Die große Ära der Kriege, die im Gefolge der französischen Revolution von 1792 bis 1815 hereinbrach , war für viele Jahrzehnte hinaus die letzte Ära großer, kolonialer Eroberungen . Allerdings hatte nur England damals viel gewonnen . Von 1815 an besaß es für lange Zeit genug Kolonialland . Es gewann aber in seinen Kriegen gegen die französische Revolution und Napoleon auch eine Seeherschaft, die niemand anzutasten wagte. Diese Verhältnisse wirkten nicht minder eindringlich als die theoretischen Erwägungen der Nationalökonomen und die Berechnungen der industriellen Kapitalisten auf das Denken des Volks in England . Die ökonomischen Theorien der Engländer wieder beherrschten im 19. Jahrhundert lange Zeit das ökonomische Denken der Welt. Daher finden wir seit dem Wiener Kongreß 1814 zwei Menschenalter lang keine koloniale Eroberungspolitik mehr von Belang. Da beginnt, seit dem großen Krach von 1873 , jene Weltkrisis , in der das industrielle Kapital völlig revolutioniert wird. Dessen Unternehmungen nehmen gerade von da an immer riesenhaftere Formen an. Das erleichtert den Zusammenschluß der Unternehmungen gleicher Art in Organisationen , Kartellen , die den Markt beherrschen, ihn monopolisieren . Aus einem Anhänger der freien Konkurrenz wird der industrielle Kapitalist immer mehr zu einem Schwärmer für Monopole . Jetzt denkt dieser Kapitalist ähnlich wie der Geldkapitalist. Übergang der Riesenbetriebe in Aktienbesitz und das fortschreitende Überwiegen geborgten Kapitals im Produktionsprozeß wirkt dahin , das Geldkapital und industrielles Kapital immer mehr miteinander verschmelzen zum sogenannten Finanzkapital . Dazu kommt, daß in demselben Masse, wie die kapitalistische Produktion fortschreitet , das Proletariat immer stärker und selbständiger wird. Es erscheint den industriellen Kapitalisten immer bedrohlicher. Sie sehen sich nach Bundesgenossen um. Die Zeiten sind vorbei, wo die liberalen Industriellen gegen militaristische absolute Monarchien , Bureaukratie und Großgrundbesitz kämpften und dabei auf die Hilfe der Arbeiter rechneten . Sie verbünden sich mit den Grundbesitzern , Bureaukraten , Militaristen gegen die Arbeiter, um diese mit Gewalt niederzuhalten. Mit Gewalt suchen sie nun auch auswärtige Märkte zu monopolisieren, deren stete Erweiterung für das industrielle Kapital eine Lebensfrage ist . Früher war ihr Ziel die freie Konkurrenz auf dem Weltmarkt - das war das Ziel selbst der weitersehenden Schutzzöllner. Zölle bildeten ihrer Ansicht nach nur ein Mittel , die Industrie für den Freihandel auf dem Weltmarkt reif zu machen .

Kriegerischer Kapitalismus

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Jetzt kommt eine neue Zollpolitik auf, die Zölle sollen nicht als Erziehungszölle wirken , zum Schutz rückständiger Industrie, sondern als Begünstigungszölle für die höchst entwickelten Industrien, um diese der Notwendigkeit zu entheben, die Preise ihrer Produkte der entwickelten Technik entsprechend zu senken und um ihnen über den normalen Profit hinaus noch einen Extraprofit zu verschaffen . Dem gleichen Zweck soll nun die Erwerbung von Kolonien dienen . Man erwartet, daß sie der Industrie Absatzmärkte und Lieferanten von billigen Rohmaterialien sichern sowie niedere Löhne und Sicherheit für die Kapitalsinvestitionen in den Kolonialländern , die dort durch Eisenbahnen, Bergwerke etc. in den Kolonien immer nötiger werden. Mit alledem dringt ein neuer Geist in die Kreise der industriellen Kapitalisten ein. Aus einem freihändlerischen, pazifistischen, liberalen , aus einem dem Grundadel, dem Militarismus und Bureaukratismus feindlichen Element verwandelt sich der industrielle Kapitalist seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in das gerade Gegenteil . Da ändert sich auch seine Stellung zur Kolonialpolitik. Zu den früheren Faktoren , die auf eine solche Politik hindrängten, gesellt sich nun auch das Industriekapital. Bauern und Kleinbürger sind politisch stets unselbständig und unzuverlässig , schwanken zwischen Kapital und Lohnarbeit hin und her. Sie fühlen sich besonders unsicher in der äußeren Politik, da sie vom Ausland ganz unbestimmte Vorstellungen haben und sich darüber leicht betören lassen . Sie bildeten keine feste Schranke gegen das Vordringen der Kolonialpolitik. So blieb nur das Proletariat als einziger Faktor übrig, der sich ihr entschieden widersetzte. Doch reichte es allein bisher noch nirgends aus , einen unübersteiglichen Damm gegen die Politik der besitzenden Klassen. zu bilden. Daher sehen wir im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts immer mächtiger in den Regierungen und der öffentlichen Meinung der Großstaaten und auch manches kleineren Gemeinwesens Europas eine Welle wahrhafter Begeisterung für die Kolonialpolitik ansteigen . Ihre frühere Zuversicht zu den liberalen Idealen hatte die Bourgeoisie verloren, von dem sozialistischen Ideale wollte sie nichts wissen, der bestehende soziale Zustand erschien aber auch ihr unerträglich, so haschte sie gierig nach dem Ideal des Aufbaus eines gewaltigen Kolonialreichs als einem Mittel, einer trostlosen Gegenwart zu entgehen und eine freundlichere Zukunft anzubahnen. Eingeleitet wurde die neue Politik durch den Zerfall der Türkei, aus der sich bald die eine , bald die andere Macht ein Stück herausschnitt. Dem russisch-türkischen Krieg von 1877 folgte der Berliner Kongreß von 1878 , der Rußland um seine Kriegsbeute betrog. Aber die damaligen Freunde der Türken nahmen ihr selbst ansehnliche Gebiete ab . So Österreich Bosnien, England Cypern . 19*

Kolonialbegeisterung

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Bald darauf suchte England sich in Marokko festzusetzen ( 1881 ) , woran es durch Frankreich gehindert wurde , das dabei Deutschlands Unterstützung fand . Bismarck ermutigte die Franzosen auch, als sie 1881 Tunis besetzten, zum großen Ärger der Italiener. Dafür ging 1882 England , von demselben Bismarck unterstützt, nach Ägypten, zur großen Entrüstung der Franzosen. Im gleichen Jahr wird die deutsche Kolonialgesellschaft gegründet . Zwei Jahre später hiẞte das Deutsche Reich seine Flagge auf verschiedenen Punkten an der Ostküste Afrikas sowie auf einem Landstrich in NeuGuinea. Alle diese deutschen Erwerbungen brachten dem Reich nur unkultivierte Gebiete . Ungefähr gleichzeitig war auch Italien in die Reihe der Eroberer eines Kolonialreichs eingerückt durch Besetzung einiger Fieberlöcher in Afrika am Ausgang des Roten Meeres. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, zu zeigen , wie diese plötzliche Kolonialbegeisterung seit dem Berliner Kongreß immer mehr anschwoll und zu fortschreitender Aufteilung der noch nicht von europäischen Mächten besetzten Landstriche in Afrika, Asien , Polynesien unter sie führte, teils in der offenen Form von Annexionen, teils in der versteckten von Protektoraten und „ Einflußsphären". Genug, sie wuchs immer mehr. Mit ihr erstand aber auch wieder eine neue Quelle von Kriegsgefahren, Kriegsrüstungen und Kriegen, die vom 15. Jahrhundert bis 1815 sehr reichlich geflossen , dann aber bis zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts fast völlig versiegt war. b)

Der imperialistische

Krieg.

Es sind zwei Arten von Kriegen , die mit der imperialistischen Politik verknüpft sind . Von Seite jenes Staates, der diese Politik betreibt, den man merkwürdigerweise als Mutterland bezeichnet er wäre im besten Falle ein Stiefmutterland zu nennen - bedeutet sie stets die Aneignung eines fernen Gebiets, das außerhalb des Kreises der Kultur der Eindringlinge liegt, dessen Bevölkerung daher nicht gleichen Rechtes mit ihnen wird. Eine derartige Aneignung stößt unter allen Umständen auf den Widerstand der Eingeborenen, bedeutet einen Eroberungs- und Unterjochungskrieg gegen sie, mag er mit noch so schönen Redensarten bemäntelt werden. Zur Zeit der früheren Kolonialpolitik behaupteten die aus einem europäischen Staate stammenden Eroberer gern, sie drängen in das fremde Gebiet ein, um ihm den Segen der alleinseligmachenden Kirche zu bringen . In der neueren Kolonialpolitik zieht man es vor, von den Segnungen der höheren Kultur Europas zu sprechen. In dem einen wie dem andern Fall waren die Träger dieser schönen Mission vielfach der Abschaum der Gesellschaft und ihr Ergebnis die Plünderung und Versklavung, mitunter sogar die völlige Ausrottung der eingeborenen Bevölkerung. Niemals ihre kulturelle Hebung.

Kolonialkriege

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Daß sich die Eingeborenen gegen dieses Schicksal nach Möglichkeit wehrten, ist klar. Damit wurde schon die Kolonialpolitik notwendigerweise eine Kriegspolitik, wobei das ,,Mutterland" stets den Angreifer bildete. Niemals hätte es einem der Völker im Kolonialland einfallen können , das „ Mutterland" anzugreifen . Wohl kam es mitunter, nachdem die Kolonien annektiert worden, dahin, daß die Unterworfenen eine günstige Gelegenheit benutzten, sich gegen die fremden Eindringlinge zu erheben. Oder ein Volksstamm, der sich von einem Angriff der Eroberer bedroht sah, suchte sich ihrer durch einen unvermuteten Überfall zu erwehren, da ein solcher die einzige Möglichkeit bot, mit ihnen fertig zu werden. Aber auch in einem solchen Falle war, wenn auch nicht militärisch so doch politisch, das Land, das Kolonialpolitik trieb, stets der wirkliche Angreifer. Der Angriffskrieg namentlich, wenn er zu dem Zwecke geschieht, ein Volk zu vergewaltigen und seiner Selbstbestimmung zu berauben, wird immer auf die Mißbilligung und je nach den gegebenen Möglichkeiten auf den schärfsten Widerstand der klassenbewußten Proletarier und der Sozialisten stoßen. Darüber bedarf es, sollte man meinen , gar keiner besonderen Untersuchung in jedem einzelnen Falle. Dennoch liegen auch für diese Art von Kolonialkriegen die Dinge nicht so einfach, daß für den Sozialdemokraten in jedem Fall eine Entscheidung von vornherein ohne nähere Erforschung der Sachlage am Platze wäre. Denn nicht immer bedeutet ein Kolonialkrieg den Angriff eines Eroberers auf ein freies Volk. Oft ist eine ehedem freie Bevölkerung vorher schon von einem andern Eroberer überwunden und geknechtet worden , ehe die europäische Kolonialmacht dort eindrang . Der Krieg ist in solchem Falle nicht einer zwischen Freiheit und Despotismus , sondern ein Krieg zwischen zwei Zwingherrn . Müssen wir auch da unter allen Umständen, soweit wir es vermögen , dem europäischen Zwingherrn in die Arme fallen, ohne vorher zu untersuchen, wie die Dinge liegen? Allerdings wird auch ein Kolonialkrieg dieser Art stets ein Annexionskrieg sein . Er wird nie geführt werden, um das Volk der Kolonie zu befreien, sondern nur, um ihm einen andern Herrn zu geben. Für einen solchen Krieg werden wir uns nie begeistern können. Die Kolonialpolitik führte mit Notwendigkeit zu Kriegen gegen die Bevölkerung der Kolonialländer. Sie brachte jedoch auch eine neue, weit größere Gefahr mit sich ; die Gefahr, daß das Streben nach Kolonialbesitz die europäischen Mächte untereinander entzweite. Diese Gefahr wuchs um so mehr, je kleiner von Tag zu Tag die Ausdehnung der Gebiete wurde , die noch der Besetzung durch eine der Kolonialmächte offenstanden. Ein Krieg dieser Art mußte aber viel ernsthafter werden, als einer mit einem Kolonialvolk. Als Objekt der Kolonialpolitik wählte man stets nur eine Bevölkerung, die man für schwach hielt, für

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Kolonialkriege

unfähig, ernsthaften Widerstand zu leisten. Kriege dieser Art kosteten zumeist relativ geringe Opfer an Geld und auch an Menschenleben der erobernden Armee und kümmerten daher den Durchschnitt der Bevölkerung des Mutterlandes nur wenig. Fast ununterbrochen gab es solche Kriege seit dem Beginn der neuen Kolonialära, ohne daß sie lebhafte politische Bewegungen in Europa hervorriefen. Mitunter allerdings unterschätzte man den Feind. Die Eroberungsarmee ließ sich von ihm überrumpeln oder sie geriet in klimatische Bedingungen, die sie dezimierten . Dann entflammte im Lande der Eroberer leicht die sittliche Entrüstung wenigstens der arbeitenden Klassen gegen die Regierung, die den Krieg so leichtfertig unternommen . So hatten die Italiener 1885 zur Erweiterung ihres afrikanischen Besitzes Abessinien angegriffen , waren aber geschlagen worden und hatten außerdem viele Menschen wegen unerhörter Strapazen verloren. Der erfolglose Krieg führte 1887 zum Sturz der italienischen Regierung, doch endete er erst 1889 in einem Frieden , der dem Vordringen der Italiener ein Ende machte. Durch solche Erfahrungen nicht gewitzigt, begann Crispi, der 1887 Ministerpräsident geworden, 1894 von neuem Abessinien zu beunruhigen . In dem Kriege, der sich darob entspann , erlitten die Italiener schwere Niederlagen, durch die sie gezwungen wurden , auf ihre Ansprüche zu verzichten . Der schmähliche Mißerfolg führte in Italien zu einem Ausbruch furchtbaren Volkszorns , der das Ministerium Crispi hinwegfegte. Schon vorher hatten in Frankreich die gleiche Wirkung die Niederlagen, die seine Truppen in Tonking 1885 erlitten , wo sie seit 1883 gegen die einheimische Bevölkerung Krieg führten . Die militärischen Mißerfolge brachten den Sturz des Kabinetts Ferry. Aber so schmerzlich solche Zwischenfälle für das Land des Angreifers sein mochten, sie gefährdeten es nicht. Ganz anders mußte sich dagegen die Lage gestalten, wenn es wegen eines angestrebten kolonialen Besitzes zu einem Krieg zwischen zwei einander ebenbürtigen Großmächten moderner Kultur, das heißt, moderner Kriegsrüstung, kam. Ein solcher Krieg droht zur völligen Erschöpfung der beiden Mächte zu führen, zu den grauenhaftesten materiellen und moralischen Verwüstungen nicht nur ,,weit hinten in der Türkei", sondern inmitten der europäischen Kultur. Die Gefahr eines derartigen Krieges wurde durch die Kolonialpolitik in drohende Nähe gerückt . Hatte es doch schon in der früheren Kolonialepoche vom 16. bis zum 18. Jahrhundert an Kolonialkriegen zwischen europäischen Mächten nicht gefehlt. Jeder Staat, der Kolonien erwarb, war darauf gefaßt, sie gegen einen konkurrierenden Staat mit Gewalt verteidigen zu müssen und bereitete sich durch entsprechende Rüstungen dazu vor. In den An-

Gründung der 2. Internationale

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fängen der zweiten Internationale spielte die Gefahr des Kolonialkriegs, des ,,imperialistischen Kriegs" noch keine Rolle . Doch seit der Jahrhundertwende rückte sie immer mehr in den Vordergrund . Wenn man vom ,,imperialistischen Krieg" sprach, so dachte man dabei nicht so sehr an den Krieg eines modernen Staates gegen die Bevölkerung eines kulturell rückständigen überseeischen Gebietes , sondern an den Krieg zwischen modernen Staaten, Großstaaten, um eine Kolonie. Das waren gegenüber der ersten Internationale die neuen Seiten, die die Kriegsfrage für das Proletariat in der zweiten Internationale aufwies : einmal die Frage der gewaltsamen Verhinderung eines ausgebrochenen Krieges und dann die Frage des imperialistischen Krieges .

3. Die Kongresse der zweiten Internationale vor der russischen Revolution von 1905.

a) Der Gründungskongreß 1889. Die Begründung der zweiten Internationale ging nicht so einfach vor sich, wie die der ersten. Im Jahre 1864 hatten nur zwei Nationen eine Arbeiterbewegung von Belang aufzuweisen, England und Frankreich. Die englischen Gewerkschafter verständigten sich leicht mit den Proudhonisten Frankreichs, die dort allein für die Internationale Interesse zeigten. Ganz anders gestaltete sich die Lage 1889, als die Zeit reif geworden war für die Begründung einer neuen Internationale . In dem Vierteljahrhundert seit der Errichtung der ersten hatte die Arbeiterbewegung in ganz Europa einen gewaltigen Aufschwung genommen. Fast allenthalben hatten sich Arbeiterparteien gebildet, in manchem Staat waren sie schon sehr stark geworden. Sie stellten nicht mehr reine Propagandagesellschaften dar, sondern erreichten bereits hie und da Vertretungen in Parlamenten und Gemeindehäusern, übten politischen Einfluß aus. Doch nicht in diesem Wachstum der Ausdehnung und der Mannigfaltigkeit der Arbeiterbewegung lag die Schwierigkeit internationaler Vereinigung der verschiedenen Organisationen , sondern in einer gewissen Abnormität. Die Arbeiterbewegungen in England und Frankreich überragten 1889 nicht mehr in so hohem Grade die Arbeiterbewegungen der übrigen Länder, wie 1864, doch bildeten sie neben der deutschen, die inzwischen stark herangewachsen war, immerhin noch die bedeutendsten der Welt. Aber gerade diese beiden, ehedem vorbildlichen Bewegungen unterschieden sich nun zu ihrem Nachteil von den meisten derjenigen der

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Anarchisten

andern Länder durch ihre Zersplitterung. In England bestand ein starker Gegensatz zwischen den zumeist liberalen , sozialistenfeindlichen Gewerkschaften und den 1883 aufkommenden Sozialisten . Und diese selbst traten nicht in einer einzigen Organisation vereinigt auf, sondern zerfielen in mehrere Gruppen . Und ebenso gespalten waren die Sozialisten Frankreichs. Von den verschiedensten Arbeiterorganisationen in England und Frankreich wurden für das Jahr 1889 - hundert Jahre nach Ausbruch der großen Revolution — internationale Kongresse geplant, die in Paris stattfinden sollten. Die deutsche Sozialdemokratie suchte eine Versöhnung der streitenden Brüder herbeizuführen, um die Konkurrenz mehrere Kongresse zu vermeiden. Das gelang ihr nicht. Im Juli 1889 tagten nebeneinander zwei internationale Kongresse , doch gewann nur derjenige Bedeutung, dem die deutschen Sozialdemokraten beitraten . In seiner Mehrheit war er marxistisch und wirklich international . Von den 395 seiner Delegierten kamen allerdings 221 aus Frankreich, immerhin aber 174 aus andern Ländern . Auf dem nicht marxistischen Gegenkongreß der ,, Possibilisten" zählte man dagegen 524 französische Delegierte und nur 82 auswärtige. Dazu kam , daß sich in die neue internationale Organisation schon bei ihrer Geburt dasselbe Element einzudrängen versuchte , das den Tod der ersten Internationale herbeigeführt hatte : der Anarchismus. Für die Arbeiter ökonomisch rückständiger Staaten bedeutet der Marxismus in gewissem Sinne sicher eine Entsagung. Nicht kraftvollem Tun brauchen sie zu entsagen, wohl aber müssen sie der Erwartung entsagen, ihre volle Befreiung in dem gleichen Tempo zu erreichen, wie ihre Brüder in höher entwickelten Ländern. Es ist daher schwer, daß der Marxismus in ökonomisch rückständigen Ländern ebenso populär wird, wie in ökonomisch entwickelten, es sei denn, daß man ihn blanquistisch -bakunistisch verdreht, wie es die Bolschewisten taten und tun . Rußland , Italien , Spanien waren Hochburgen antimarxistischer Revolutionsauffassungen gewesen schon unter der ersten Internationale. Sie blieben es auch noch eine Zeitlang in der Epoche der zweiten Internationale . Die Revolutionäre jener Länder fanden in den ökonomischen Bedingungen und den Kampfbedingungen ihrer Massen nichts , was sie deren baldige Befreiung hätte erwarten lassen. Und doch waren diese Bedingungen so entsetzlicher Art, daß sie das stärkste Bedürfnis nach raschester Befreiung der unteren Klassen hervorriefen. Gerade dieses Bedürfnis war es, das sie trieb, jede vom Marxismus geforderte Rücksichtnahme auf die gegebenen, ökonomisch bedingten Machtverhältnisse bei Seite zu schieben und alles von der Kraft eines Wollens zu erwarten, das sich von ökonomischen Bedingungen unabhängig fühlte. Und zwar des Wollens einzelner

Anarchisten

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hervorragender Individuen , denn proletarische Massenorganisationen zu schaffen und zu dauernden Kämpfen zusammenzuhalten , war unter den Verhältnissen der rückständigen Länder zunächst kaum möglich. Nur von kleinen Verschwörungen unter diktatorischer Führung, oder, wo auch solche unmöglich waren , von einzelnen Individuen mit gewaltiger, unbeugsamer Willenskraft erwarteten jene Revolutionäre die Herbeiführung von Zuständen, die sie als eine Befreiung des Volks auffaßten . Dieses sollte schließlich an dem Befreiungskampf mitwirken . Doch werde das erst in dem Moment eintreten, in dem die Massen durch überraschende und verblüffende Gewalttaten einzelner Heroen aufgerüttelt und zu einem revolutionären Ansturm fortgerissen würden , bei dem sie den Führern blind zu folgen hätten ohne eigenes, klares Bewußtsein, in völliger Hingabe an die Wunder wirkenden Verschwörer und Attentäter. Als die einzige Vorbedingung des Erfolgs erschien hier ein ausreichend starker Wille einiger Vorkämpfer. Wo dieser vorhanden war, meinten sie, das Höchste erreichen zu können . Auf die jeweilig gegebenen Verhältnisse und Zustände der Massen Rücksicht zu nehmen, erschien als bängliches Schwanken, verächtliche Feigheit. In der Tat nahmen derartige Revolutionäre stets an, bei solchem Tun setzten sie nichts aufs Spiel als ihr eigenes Leben. Waren sie gewillt, es zu opfern , dürfe niemand sie hindern . Leider forderten sie das auch in Ländern entwickelter proletarischer Bewegung . Daß dort im Falle eines Mißerfolges große Organisationen zertrümmert, wertvolle Errungenschaften gefährdet, bisher erfolgreiche Bewegungen für Jahrzehnte gelähmt werden konnten , kümmerte sie nicht. Aus ihren Reihen sind Helden hervorgegangen , aber ihre kühnen Taten haben in entwickelten Ländern den Befreiungskampf des Proletariats oft aufs tiefste geschädigt. Leute dieser Art mochten die selbstlosesten Idealisten und die hingebendsten Verfechter proletarischer Interessen sein. Doch war es ausgeschlossen, daß sie mit Sozialdemokraten gedeihlich zusammenwirkten. Dennoch fanden sich immer wieder sentimentale Sozialisten, die sich durch Heroenkultus und die Gemeinsamkeit mancher Kampfparolen verführen ließen, eine ,, Einheitsfront" mit den Anarchisten anzustreben. Tatsächlich wurde eine solche schon dadurch unmöglich gemacht, daß die Anarchisten einen Abscheu vor Massenorganisationen hatten und jede Unterwerfung unter Mehrheitsbeschlüsse als unerträgliche Einengung ihrer Handlungsfreiheit verwarfen. Sah doch jeder von ihnen in einem von keinerlei Rücksichten . behinderten Austoben seines persönlichen Ingrimms das kräftigste Element der sozialen Revolution. In der Zwischenzeit zwischen der ersten und der zweiten Internationale ( 1872-1889) war der Anarchismus über die Gebiete

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Anarchisten

noch hinausgewachsen , die er zu Ende der ersten beherrscht hatte. Zwei große historische Erscheinungen förderten ihn : die Erfolge der Terroristen in Rußland seit dem russisch-türkischen Krieg ( 1878) und das Sozialistengesetz in Deutschland ( 1878-1890) . Die terroristischen Attentate am Ende der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre in Rußland waren wohl nicht anarchistischer Natur. Sie wollten vielmehr die Gewährung einer demokratischen Staatsverfassung durchsetzen. Aber im Verein mit der vorübergehenden Lähmung der deutschen Sozialdemokratie durch das Sozialistengesetz , die gleichzeitig eintrat , schufen sie in manchen Arbeiterschichten einen günstigen Boden für die Aufnahme anarchistisch-terroristischer Auffassungen in Ländern, die sich ihnen 1872 noch verschlossen hatten , in Deutschland und England, namentlich aber in Österreich und Amerika . Wo sie stark wurden , haben sie die bürgerliche Reaktion enorm gefördert und die Arbeiterbewegung geschwächt. Um das Jahr 1889 waren die Bewegungen dieser Art bereits wieder in Rückgang begriffen , nicht zum wenigsten dank dem Aufschwung der deutschen Sozialdemokratie . Wenn die Anarchisten sich damals daran gemacht hätten, für sich eine eigene Internationale aufzurichten, wäre sie zu unbedeutend ausgefallen . Daher bemühten sie sich nach Kräften, in die weit größere sozialdemokratische Internationale schon gleich bei ihrer Aufrichtung einzudringen. Diese wurde von der Welt beachtet. Kamen sie in ihr zum Wort, so hatten sie auf einen weit größeren Hörerkreis zu rechnen, als wenn sie sich auf ihre anarchistischen Gruppen beschränkten. Natürlich kamen sie nicht, um die Arbeiten der ,,Marxisten" zu fördern , sondern um sie zu stören . Sie nahmen kaum teil an den sachlichen Debatten, wohl aber suchten sie nach Gelegenheiten, jede Diskussion durch sinnlosen Lärm unmöglich zu machen. Alles das bewirkte, daß die Konstituierung der zweiten Internationale sehr mühsam vor sich ging. Neben der Arbeit für die Konstituierung blieb ihrem ersten Kongreß nicht viel Zeit für andere Aufgaben übrig . Ganz abgesehen von dem gleichzeitigen Kongreß der Possibilisten, der wirkungslos blieb. Trotzdem beschäftigte sich auch schon jener erste Kongreß (Paris, 14.- 20. Juli 1889 ) nicht bloß mit der Frage des Arbeiterschutzes, sondern auch mit der des Kriegs. Außerdem beschloß er die Abhaltung einer internationalen Demonstration am 1. Mai , die dem Achtstundentag gelten sollte. Aber durch ihren internationalen Charakter wurde sie von selbst auch eine Kundgebung für den Weltfrieden . Der Kongreß nahm eine Resolution über die Abschaffung der stehenden Heere und die Volksbewaffnung an. Sie ist zu lang geraten, als daß sie hier vollständig abzudrucken wäre. Sie wendet sich gegen die stehenden Heere , weil sie die Demokratie aufs ärgste gefährdeten und eine unaufhörliche Ursache von Angriffskriegen würden , ohne imstande zu sein , ein Land ausreichend

Pariser Kongreß 1889

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gegen die Übermacht einer Koalition zu sichern . Das könne viel besser durch die Volksbewaffnung erreicht werden, die ein Land ,,einem feindlichen Einfall gegenüber unwiderstehlich" mache . Die Resolution klagte dann die stehenden Heere an, Arbeit, Kunst, Wissenschaft in ihrem Aufschwung zu hindern und durch die Lasten, die sie den Volksmassen auferlegen , Elend und Ruin zu verursachen. In Erwägung dieser Umstände. weist der Kongreß mit Entrüstung die Kriegsabsichten von Regierungen zurück, die in ihrem Bestand bedroht sind." ,,Betrachtet er den Frieden als die erste und unerläßliche Bedingung jeder Arbeiter- Emanzipation." ,,Und fordert ebenso die Abschaffung der stehenden Heere wie die allgemeine Volksbewaffnung.“ Die Grundsätze dieser Bewaffnung werden dargelegt sie laufen auf eine Art Schweizer Miliz hinaus. Dann schließt die Resolution mit den Worten : „ Der Kongreß erklärt weiter, daß der Krieg, das unheilvolle Produkt der gegenwärtigen ökonomischen Verhältnisse , erst verschwinden wird, wenn die kapitalistische Produktionsweise der Emanzipation der Arbeit und dem internationalen Triumph des Sozialismus Platz gemacht hat." Die Resolution wurde ohne Diskussion in der Schlußsitzung des Kongresses angenommen. Allgemeine Ermüdung verbot eine längere Debatte. Und doch war die Fassung des Wortlauts nicht sehr glücklich, wohl eine Folge davon , daß die von Vaillant eingebrachte Resolution in einer Kommissionsberatung durch deutsche und französische Vorschläge mannigfach abgeändert wurde, worunter die Einheitlichkeit ihres Gedankengangs litt . So wurden als die Ursache der Kriegsgefahr einmal die stehenden Heere bezeichnet, dann die Kriegspläne mancher Regierungen und schließlich die ,,gegenwärtigen ökonomischen Verhältnisse". Die Resolution kommt zum Schluß, daß ohne die Beseitigung dieser ökonomischen Verhältnisse und den Triumph des Sozialismus der Krieg nicht verschwinden werde . Man beachtete nicht, daß , wenn das zutrifft , die Abschaffung der stehenden Heere und die Vereitlung der Kriegspläne der Regierungen wenig helfen würde . Der Gedanke, auf den die Resolution hinausläuft, enthält einen sehr richtigen Kern : ist der ,,internationale Triumph des Sozialismus" erreicht, herrscht in allen entscheidenden Staaten das sozialistisch gesinnte Proletariat , dann verschwindet jede Kriegsgefahr, alle tiefgehenden Gegensätze zwischen den Nationen hören auf. Aber die Resolution gibt diesem Gedanken einen sehr unzutreffenden Ausdruck, wenn sie sagt, daß der Krieg nicht verschwinden könne, solange der Sozialismus nicht überall durchgesetzt sei , daß so lange also jede Tätigkeit gegen den Krieg erfolglos bleiben müsse . Das ist ein Radikalismus, der sich nahe mit jenem berührt, der sagt , erst im Sozialismus sei wahre Demokratie möglich, vorher sei alle Demokratie reiner Schwindel. In Wirklichkeit wird bei allen derartigen Erörterungen der

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Brüßler Kongreß 1891

Begriff des Sozialismus zu simplistisch gefaßt, zu sehr in der Art der Utopisten, die unter dem Sozialismus ein im Kopf fertiggestelltes Gesellschaftsgebäude verstehen , das ohne weiteres sofort nach dem Siege des Proletariats aufzurichten ist. In Wirklichkeit bedeutet der Sozialismus nicht einen fertigen Gesellschaftsbau , sondern eine bestimmte Richtung gesellschaftlicher Entwicklung, die vom Proletariat, von seinen Bedürfnissen , seiner Macht, seinen Hilfsmitteln bestimmt wird . Manche Einrichtungen, die in der Richtung dieser Entwicklung liegen , können bei gleichen Machtverhältnissen der Klassen früher erreicht werden, als andere. Es gibt manche Ziele für das Proletariat, an denen es allein großes Interesse hat, und wieder andere , deren Erreichung auch für andere Klassen unerläßlich ist. Zu diesen letzteren gehört die Demokratie, gehört aber auch die Erhaltung des Weltfriedens. Die Proletarier können und müssen oft für diese Ziele früher schon kämpfen und können sie früher erreichen , ehe sie imstande sind, ihre engeren Klassenziele völlig durchzusetzen. Ganz anders, als die Resolution der Internationale von 1889 äußerte sich wenig später Friedrich Engels : Er sagte, die Proletarier haben die Pflicht, alles aufzubieten, um es zu keinem Kriegsausbruch kommen zu lassen, solange bis in den entscheidenden Großmächten das Proletariat gesiegt habe. Dann regelten sich alle Streitpunkte ohne Krieg. Das war die richtige Form für unsere Stellung zum Krieg . Hier wurde unser Widerstreben gegen den Krieg schon in der heutigen Gesellschaft keineswegs als hoffnungslos bezeichnet. b) Der Brüßler Kongreß von 1891. Gegenüber den beiden rivalisierenden internationalen Kongressen von 1889 hatten die belgischen Sozialisten eine neutrale. Stellung eingenommen. Ihnen wurde die Einberufung des nächsten internationalen Kongresses übertragen . Sie luden die Gruppen beider Richtungen dazu ein, und „ Alle , Alle kamen“. Der Zustand von 1889 war zu unerquicklich gewesen. Auf dem Brüßler Kongreß 1891 fanden sich die bisherigen Gegner zusammen . Leider erschienen auch Anarchisten wieder, die nicht kamen, um an den Arbeiten teilzunehmen , sondern sie zu stören. Doch machte sich dies nun wenig mehr bemerkbar, angesichts der großen Einmütigkeit der Masse der Delegierten . Nur in einem Punkte kam es zu einem stürmischen Zusammenstoß, sonderbarerweise gerade bei jenem Punkte , der zwei Jahre vorher in Paris gar keine Diskussion im Plenum hervorgerufen hatte. Das war die Frage des Kriegs . Und nicht zwischen Anarchisten und Sozialdemokraten entspann sich der Streit, sondern zwischen deutschen und holländischen Sozialdemokraten. Deren Führer waren allerdings im Begriffe, ins anarchistische Lager abzu-

Nieuwenhuis

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schwenken. Den größten Einfluß besaß unter ihnen der ehemalige lutherische Pfarrer Domela Nieuwenhuis, der sich 1879 der eben begründeten sozialistischen Bewegung angeschlossen hatte und sie lange ganz in sozialdemokratischem Sinne leitete. Da gelang es ihm 1888 ein Mandat zur zweiten Kammer des Parlaments zu gewinnen, trotz eines sehr ungünstigen Zensuswahlrechts. Die Erfahrungen, die er bei seiner parlamentarischen Tätigkeit machte, wirkten auf ihn höchst abstoßend . Entweder hatte er von der Zensuskammer zu viel erwartet, oder er wußte seine Position in ihr nicht propagandistisch auszunützen . Auf jeden Fall begann er nun zum Antiparlamentarier zu werden. Seine Erfahrungen bewogen ihn nicht, zu untersuchen, unter welchen Bedingungen und zu welchen Zwecken die Teilnahme von Sozialisten an der parlamentarischen Tätigkeit angezeigt sei, sondern er verwarf diese ohne weiteres in Bausch und Bogen . Damit betrat er eine Bahn , die ihn logisch ins Lager der Anarchisten führte . Diese gehören zu jenen Sozialisten , die das Proletariat sofort überall befreien wollen, ohne die jeweils gegebenen Bedingungen und Machtverhältnisse zu beachten . Sie suchen nach Mitteln , die auch schwache sozialistische Kräfte zum Siege über eine gewaltige Übermacht führen können. Ein solches ist der Parlamentarismus sicher nicht. Leider ist auch sonst nicht ein Zaubermittel zu finden , das ohne weiteres die Schwäche in Übermacht verwandelt. Wer verkündet, er verfüge über einen derartigen Stein der Weisen, wird im besten Falle durch seine Illusionen genarrt, etwa durch eine Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse , der Machtmittel der Gegner, der Stimmung der Massen oder durch den Köhlerglauben an die Allmacht des bloßen, unbedingten Wollens einzelner Helden , deren kühnes Vorbild die Massen magisch und unwiderstehlich anfeuere . Ähnlich dachte auch Nieuwenhuis trotz des Marxismus , zu dem er sich lange bekannte. Das trat deutlich zutage bei der Beratung des dritten Punktes der Tagesordnung des Brüßler Kongresses : ,,Stellung 66 und Pflichten der Arbeiterklasse dem Militarismus gegenüber." Die Kommission , die den Punkt beriet, ernannte zwei Referenten, einen Deutschen und einen Franzosen, Liebknecht und Vaillant. Liebknecht hielt das Hauptreferat , er konnte konstatieren, daß er und sein Mitreferent in ihren Gedanken über den Gegenstand vollständig übereinstimmten. Es gebe außenpolitisch keinen Gegensatz zwischen Deutschen und Franzosen, auch nicht in der elsässischen Frage. Liebknecht fuhr fort: ,,Innerhalb der Kommission wurde auch die Frage angeregt, ob man nicht die Vorschläge und Maßregeln besprechen soll, die seitens des Proletariats im Falle eines Krieges ergriffen werden sollen, wie z. B. Streik der unter die Fahnen Berufenen, Erhebung des Proletariats bei Ausbruch eines

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Liebknecht

Krieges etc. Von den Vertretern aber gerade der Nationen, die unter dem Drucke des Militarismus in erster Linie zu leiden haben, wurden sofort und einstimmig alle diese und ähnliche Vorschläge für unmöglich erklärt." Natürlich sei der Krieg ein furchtbares Unglück, namentlich ein Weltkrieg . ,,Das Proletariat, das die Fahne der Kultur vorausträgt, hat dafür zu sorgen, daß dies (der Krieg , K. ) verhindert, daß dem entgegengewirkt wird, ehe die gemeinsame Kultur in einer großen Katastrophe begraben wird ... Aber alle Bestrebungen sind zur Hoffnungslosigkeit verurteilt, so lange wir den Klassenkampf nicht beseitigt haben , den Klassenkampf, der die Grundlage des Militarismus bildet .' ) ... In dem Siege des Sozialismus liegt die einzige Bürgschaft, den Militarismus zu vernichten und so dem Kriegszustand zwischen den Völkern ein Ende zu machen.“ Von diesem Gedankengang war auch die Resolution getragen, die im Namen der Kommission Liebknecht dem Kongreß vorlegte . Es wurde in ihr der Schlußpassus der Kriegsresolution des Pariser Kongresses näher ausgeführt und unterstrichen . Was dagegen zu sagen ist, haben wir bereits bei der Behandlung jener Resolution dargelegt. Wir brauchen es nicht zu wiederholen . So wie in Paris fand auch in Brüssel gerade dieser Gedankengang einstimmige Annahme . Trotzdem wendete sich Domela Nieuwenhuis gegen die Resolution , um ihr eine eigene entgegenzustellen. Doch waren seine Bedenken gegen die Liebknechtsche Resolution anderer Art, als die von mir oben vorgebrachten. Nieuwenhuis' Resolution lautete : ,, In Erwägung, daß die nationalen Verschiedenheiten nie im Interesse des Proletariats , sondern im Interesse seiner Unterdrücker liegen , In Erwägung, daß alle modernen Kriege ausschließlich hervorgerufen werden durch die Kapitalistenklasse in ihrem Interesse, ein Mittel in ihren Händen sind , um die Kraft der revolutionären Bewegung abzulenken und die Oberherrschaft der Bourgeoisie zu konsolidieren durch die Befestigung der schändlichsten Ausbeutung , In Erwägung, daß keine einzige Regierung sich entschuldigen kann , sie sei provoziert worden, weil der Krieg das Resultat des internationalen Willens des Kapitalismus ist, Beschließt der internationale sozialistische Kongreß von Brüssel, daß die Sozialisten aller Länder eine etwaige Kriegserklärung beantworten werden mit einem Aufruf des Volkes zur allgemeinen Arbeitseinstellung. " Diese Resolution ist nicht die einzige in ihrer Art geblieben. Mit geringen Abänderungen ist sie bis in unsere Tage noch oft wiederholt worden. Und doch beruht sie auf furchtbar primitivem simplistischem Denken. Auf einem , das verwandt ist jenem, aus dem die Vorstellung hervorging, alle Klassen außer dem Proletariat bildeten eine einzige reaktionäre Masse. Nicht nur werden alle. Unterschiede zwischen den Kriegen verneint , die zwischen dynastischen Kriegen , Revolutionskriegen , Nationalkriegen , imperialistischen Kriegen, sowie zwischen Angriffs- und Verteidigungskriegen. Wir bekommen dazu noch die groteske Vorstellung, daß jeder ¹) Das Protokoll ist da wohl ungenau . Liebknecht sprach offenbar von der Aufhebung der Klassen durch den Sozialismus. Der Militarismus sei ein Produkt der Klassengegensätze. K.

Nieuwenhuis

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Krieg ,,das Resultat des internationalen Willens des Kapitalismus ist". Wenn zwei kapitalistische Nationen sich bekriegen, so geschieht es also in Ausführung eines geheimnisvollen ,,internationalen Willens des Kapitalismus". Doch nicht diese Begründung der Nieuwenhuisschen Resolution erweckte Widerspruch auf dem Kongreß, sondern der Schluß , zu dem sie kam : die Aufforderung, eine Kriegserklärung ,,mit einem Aufruf des Volkes zu einer allgemeinen Arbeitseinstellung" zu beantworten. Es war nicht gesagt , an welches Volk dieser Aufruf zu richten sei, ob bloß an jenes, dessen Regierung den Krieg erklärte, oder auch an das andere, dem der Krieg erklärt wurde. Aber der ganze Gedankengang der Resolution weist darauf hin, daß beide Völker gemeint waren . In seiner Begründung beschwert sich Nieuwenhuis über den Chauvinismus, der bei den Sozialisten mancher großen Nationen noch stark sei . „ Das gilt besonders von den Deutschen. " Der Chauvinismus töte das internationale Gefühl . Aber Nieuwenhuis behauptete noch mehr : ,,Der Chauvinismus führt zu Unterscheidungen zwischen Angriffsund Verteidigungskriegen. Ich verwerfe diese Unterscheidung. Es ist bekannt, daß die Diplomaten die Kunst verstehn, jeden Krieg als offensiven oder defensiven hinzustellen, wie sie es brauchen . " ( Deutsches Protokoll, Berlin 1893 , S. 28.) Marx legte 1870 sehr großen Wert auf die Feststellung , ob im Krieg gegen die Franzosen die Deutschen die Angreifer oder die Angegriffenen seien. Tat er das auch aus „ Chauvinismus“? Nieuwenhuis erklärte dann, gegen den Krieg helfe nur passiver Widerstand. Dieser sei keineswegs undurchführbar. ,,Er erinnere an eine holländische Sekte, die Pelzbaeker, die sogar dem großen Napoleon mit Erfolg den Waffendienst verweigerte." ( S. 28. ) Daß diese Sekte ,,mit Erfolg" einen der Kriege Napoleons verhindert hätte , ist nicht bekannt geworden . Schließlich führt Nieuwenhuis aus : ,,Wenn die Regierungen den Krieg erklären, so ist das eine Revolution. Und darauf haben wir das Recht unsererseits mit einer Revolution zu antworten, mit der Aufforderung an das Volk, die Waffen nicht zu ergreifen." Kein Zweifel. Das moralische Recht dazu haben alle Gegner des Kriegs . Die Frage ist bloß die : was wird bei dieser Aufforderung herauskommen ? Mit dem moralischen Recht allein könnte das Proletariat nicht viel anfangen . Wenn es vor dem Ausbruch des Kriegs nicht die Kraft zur Revolution hatte, um dessen Ausbruch zu hindern ; woher sollte ihm die früher fehlende Kraft plötzlich unter dem Druck des Kriegsrechts und der Kriegspsychose der Bevölkerung kommen, die in diesem Moment nichts mehr fürchtet, als das Eindringen des Landesfeindes ? Und überhaupt : der Ausbruch einer Revolution hängt von Um-

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Zürcher Kongreß 1893

ständen ab, die niemand voraussehen kann. Es ist ein Unding für eine Partei , sich von vornherein auf Jahre hinaus verpflichten zu wollen, bei einer bestimmten Gelegenheit eine Revolution zu machen. Kein Wunder, daß die Nieuwenhuissche Resolution fast einmütig abgelehnt wurde. Die Belgier nahmen auch diesmal eine vermittelnde Stellung ein, wie sie es 1889 in Paris gegenüber den zwei rivalisierenden Kongressen getan hatten. Ihr Redner Volders wies darauf hin, daß die Resolution der Kommission (Liebknecht-Vaillant) es jedem Lande frei stelle, im Falle eines Krieges so zu handeln, wie es den betreffenden Umständen entspreche. Das verbiete den Holländern nicht, den Generalstreik zu machen, wenn sie ihn für notwendig und ersprießlich fänden . Bei der Abstimmung sprachen sich von den 16 vertretenen Nationen bloß 3 für den Antrag Nieuwenhuis aus. Daß neben den Holländern auch die Mehrheit der Engländer dafür stimmte , ist nicht verwunderlich. Überraschend war es jedoch, daß auch die Mehrheit der Franzosen (32 von 55 Delegierten) für Nieuwenhuis stimmte. Ihnen gefiel wohl besonders der revolutionäre Nimbus , der dessen Resolution umgab. c) Der Zürcher Kongreß

1893 .

Nieuwenhuis beruhigte sich nicht bei der Abstimmung des Brüßler Kongresses . Er versuchte einen neuen Vorstoß auf dem nächsten internationalen Kongreß, der 1893 in Zürich stattfand . Auf der Tagesordnung stand wieder die Stellung der Sozialdemokratie im Kriegsfalle. Domela schlug von neuem seine Brüßler Resolution vor, aber mit einer Verschärfung ihres Schlußsatzes . Sie lautete jetzt : ,,Der Kongreß beschließt, die internationale Arbeiterpartei einzuladen, sich bereit zu halten , um unverzüglich auf eine Kriegserklärung durch die Regierung mit einer allgemeinen Arbeitseinstellung zu antworten, überall dort, wo die Arbeiter einen Einfluß auf den Krieg ausüben können, und in den fraglichen Ländern die Kriegserklärung zu beantworten mit einer militärischen Dienstverweigerung." Diese Dienstverweigerung hatte die Brüßler Resolution Domelas noch nicht enthalten . Allerdings in seiner Rede hatte er hauptsächlich davon gesprochen. Im Laufe der Diskussion auf dem Kongreß formulierte er die von ihm vorgeschlagene Resolution etwas anders. Ihr letzter Passus sollte nun lauten : ,,Der Kongreß ... erklärt, daß die sozialistischen Arbeiter der in Betracht kommenden Länder eine Kriegserklärung seitens der Regierung mit der Dienstverweigerung der Militärpflichtigen der Reserve ( Militärstreik) , durch einen allgemeinen Streik, besonders in all den Industriezweigen, die auf den Krieg Bezug haben, und durch einen Appell an die Frauen, ihre Männer und Söhne zurückzuhalten, beantworten sollen. “

Victor Adler

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Da sich weder im sozialistischen Denken noch in den tatsächlichen Verhältnissen seit 1891 irgend etwas geändert hatte, wurde natürlich der Nieuwenhuissche Antrag diesmal ebenso abgelehnt, wie zwei Jahre vorher. Die mit diesem Punkte betraute Kommission stellte dem holländischen einen anderen Antrag entgegen , dessen Fassung von der deutschen Delegation ausging. Er lautete : ,,Die Stellung der Arbeiter zum Kriege ist durch den Beschluß des Brüsseler Kongresses über den Militarismus scharf bezeichnet. Die internationale revolutionäre Sozialdemokratie hat in allen Ländern mit Aufgebot aller Kräfte den chauvinistischen Gelüsten der herrschenden Klasse entgegenzutreten, das Band der Solidarität um die Arbeiter aller Länder immer fester zu schlingen und unablässig auf die Beseitigung des Kapitalismus hinzuwirken, der die Menschheit in zwei feindliche Heerlager teilt und die Völker gegeneinander hetzt . Mit der Aufhebung der Klassenherrschaft verschwindet auch der Krieg. Der Sturz des Kapitalismus ist auch der Weltfriede." Diese Fassung bedeutet im Grunde nur eine Bekräftigung des Brüßler Beschlusses . Doch gibt sie ihm in manchem eine glücklichere Form . Allerdings bleibt es unklar, wieso der Kapitalismus die Menschheit in zwei feindliche Heerlager teilt. Doch ist es ein Fortschritt, wenn sie nur noch davon spricht , daß mit dem Sturz der Klassenherrschaft der Krieg verschwindet, aber nichts mehr davon sagt, daß vor diesem Sturz jedes Wirken gegen den Krieg aussichtslos sein müsse. Allerdings hätte man noch mehr sagen können . Volders ( Belgien) bemängelte mit Recht, daß die deutsche Resolution annehmen lasse, es genüge für die Propaganda gegen den Krieg, wenn man für den Sozialismus agitiere . Neben der sozialistischen sei aber noch eine besondere Propaganda gegen den Krieg nötig. Anderer Art war der Einwand, den Nieuwenhuis gegen den deutschen Antrag erhob : die holländische Resolution zeige ein Mittel, den Krieg zu verhindern . Die deutsche zeige keines . Das war sicher ein großer Fehler, wenn es ein solches Mittel gab. Aber gerade, ob das der Fall sei , darüber stritt man ja. Dies betonte am meisten Victor Adler in seiner Rede gegen den holländischen Antrag : ,,Im Namen der österreichischen Delegation habe ich zu erklären, daß wir für den Antrag der Deutschen stimmen werden. Wir sind Gegner des Militarismus ebensogut wie die Holländer, wir sind Revolutionäre ebenso wie die Holländer, und ebenso wie die Holländer haben wir den Wunsch, daß die herrschenden Klassen und die Regierungen wissen, daß hier eine Armee versammelt ist zur Befreiung der Welt von der Herrschaft des Kapitalismus. Aber wir überschätzen nicht unsere Kraft und wir unterschätzen nicht die Intelligenz unserer Gegner. Domela Nieuwenhuis meinte, die Regierungen würden zittern, wenn wir den Antrag der Holländer annähmen. Nicht zittern würden sie, sondern uns auslachen ( lebhafter Beifall ) . Wie Greulich am Fest des Eröffnungstages sagte : Unsere Sache ist unüberwindlich, solange wir den festen Boden der Tatsachen nicht verlieren." Dringend warnte Adler davor, Beschlüsse zu fassen , die un20

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Plechanov

durchführbar seien. Als ihm im weiteren Verlauf seiner Rede Nieuwenhuis zurief : ,,Er spricht wie Caprivi," entgegnete Adler fröhlich : ,, Es freut mich, wenn Caprivi so spricht." Unter den zahlreichen anderen Rednern , die sich gegen die holländische Resolution wandten, weil sie Undurchführbares fordere, interessiert uns heute vielleicht am meisten der bulgarische Delegierte Rakowsky, der spätere Gesinnungsgenosse Trotzkis in Sowjetrußland. Er sagte : ,,Wir verwerfen den Militärstreik, weil er unmöglich ist und weil er der Reaktion eine neue Waffe gegen uns gewähren würde : er würde, wenn er mißlänge, den Sozialismus für lange Zeit hinaus zu Boden schmettern . Aber wir sind auch gegen den Generalstreik der Arbeiter, weil er eine Illusion ist und wie jede Illusion zum Unheil der Arbeiter ausfallen würde." Doch die Verhandlungen des Kongresses von 1893 brachten nicht bloß eine intensivere Wiederholung der Argumente gegen Generalstreik und Dienstverweigerung. Sie brachten auch ein neues Argument, das bis dahin nicht beachtet worden. Plechanov, der diesmal den Bericht über die Arbeiten der Kriegskommission erstattete, brachte dieses neue Argument vor . Er wies darauf hin , daß ein Militärstreik nur dann in der Lage wäre, einen Krieg zu verhindern, wenn er a u fbeiden Seiten in gleichem Maße gelänge. Gelinge er bei Kriegsausbruch nur bei dem einen der beiden Gegner und bei dem andern nicht, dann verhindere er den Krieg nicht, er bewirke vielmehr, daß in dem Lande, in dem der Militärstreik kraftvoll auftritt, die Schrecknisse des Krieges noch vergrößert werden durch die der feindlichen Invasion und der Niederlage. Und das werde gerade jenes Land sein , in dem die Arbeiterklasse höher entwickelt und stärker sei. Plechanov führte das nicht so abstrakt aus , sondern sehr konkret im Hinblick auf den Staat, dem er selbst angehörte : ,,Der Militärstreik würde gerade in erster Linie die Kulturvölker entwaffnen und würde Westeuropa den russischen Kosaken preisgeben. Der russische Despotismus würde unsere ganze Kultur wegschwemmen und anstatt der Freiheit des Proletariats, für die der Militärstreik ein glänzendes Zeichen sein sollte, würde die russische Knute herrschen. So würde der anscheinend so revolutionäre Antrag Hollands in sein reaktionäres Gegenteil umschlagen." Nieuwenhuis erwiderte der Kritik an seiner Resolution in langer Rede, an der jedoch nur einige Sätze bemerkenswert waren . Daß die Verweigerung des Militärdienstes möglich sei, suchte er in folgender Weise zu begründen : ,,Man stelle sich die Sache vor : jedes Dorf hat 5 bis 10 Reservisten, wenn diese sich weigern, wer soll sie verfolgen?" In der Tat, ist es nicht kinderleicht, sich vorzustellen, daß in jedem Dorf a 11e Reservisten sich weigern einzurücken ? Nur kommt es leider auf das bloße ,,Vorstellen" nicht an. Nieuwenhuis hatte in seiner Resolution selbst sich mit der Forderung des Militärstreiks bloß an die Lohnarbeiter gewendet. Und jetzt

Bebel

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erfahren wir plötzlich , daß das Gelingen des Militärstreiks unbestreitbar feststehe, wenn ihn jedes Dorf einmütig durchführe ! Nun aber das Argument, das Plechanov besonders betonte. Dem erwiderte Nieuwenhuis : ,,Das Bangemachen mit Rußland, dem auch Plechanov Ausdruck gab, sei, wie wenn man kleine Kinder mit dem Wauwau schreckt ... Als Plechanov gesprochen, habe er einen Augenblick das Gefühl gehabt, als ob Bismarck zu unserem Kongreß spräche. Wenn in Deutschland Flugblätter verbreitet werden, daß die Kosaken kommen, so müsse er fragen, ob denn diese Invasion am Ende ein so großes Unglück wäre. Griechenland, Rom seien durch Invasionen der Barbaren zerstört worden, die Kultur sei aber nicht vernichtet worden." In dem Hinweis auf die Gefährlichkeit Rußlands sah Nieuwenhuis bloß einen Ausfluß ,, chauvinistischer Gelüste". ,,Bestehen diese etwa nicht ? Ich habe nicht vergessen, wie man in Deutschland den Krieg gegen den , Erbfeind' Rußland gepredigt hat, wie Bebel selbst alle Missetaten der Bourgeoisie mit einem Schwamm wegwischte, wenn es den Erbfeind galt." In der Tat hatte auf dem Erfurter Parteitag 1891 Bebel erklärt : ,,Greift Rußland, der Hort der Grausamkeit und Barbarei, der Feind aller menschlichen Kultur, Deutschland an, um es zu zerstückeln und zu vernichten, und nur das kann der Zweck eines solchen Krieges sein, so sind wir so gut und mehr interessiert, wie diejenigen , die an der Spitze Deutschlands stehen und werden dem entgegentreten." Bebel fügte hinzu , wir würden dann mit unseren heutigen Gegnern in Deutschland zusammenkämpfen, nicht um Monarchie und Kapital, sondern um ,,uns selbst zu retten und unseren Boden von einem Barbaren zu befreien , welcher der größte Feind unserer Bestrebungen ist, und dessen Sieg unsere Niederlage als Sozialdemokraten bedeutet." Diese Erklärung war nicht Neues. Im gleichen Sinn hat Bebel zu wiederholten Malen gesprochen. Die erste derartige Äußerung, die sein Biograph Franz Klühs verzeichnet , stammte aus dem Jahr 1880, also aus der Zeit des Sozialistengesetzes, als die Sozialdemokratie in Deutschland entrechtet war. Die letzte öffentliche Äußerung dieser Art aus Bebels Munde fiel, soviel wir wissen , im Jahre 1907, wo er bekanntlich erklärte, bei einem Krieg gegen Rußland, ,,den Feind aller Unterdrückten und aller Kultur" sei er ,,als alter Knabe noch bereit , die Flinte auf den Buckel zu nehmen". (Klühs , August Bebel , Berlin, 1923 , S. 68-78.) Wir haben oben schon gesehen, daß unmittelbar vor dem Zürcher Kongreß Engels ebenfalls erklärt hatte, wenn Deutschland von Rußland und Frankreich vereint angegriffen werde, müßten die deutschen Sozialisten nicht bloß ihre Dienstpflicht erfüllen — deren Verweigerung erwog Engels nicht einen Moment sondern auch auf die energischste Führung des Krieges hindrängen . Merkwürdigerweise bezog sich in Zürich niemand auf den Engelsschen Artikel. Nur Nieuwenhuis sah in den Bebelschen Ausführungen den Ausfluß eines deutschen Chauvinismus. Gegen diese Auffassung 20*

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Krieg gegen Rußland

wendete sich entschieden ebenso der Pole Mendelssohn wie auch der Russe Plechanov in seinem Schlußwort. Dieser erklärte , daß Nieuwenhuis , wenn er den deutschen Sozialdemokraten Chauvinismus vorwerfe, nur nationalen Haß zwischen Franzosen und Deutschen säe. ,,Was hat denn Bebel gesagt? Welchen Nationalhaß hat er denn gepredigt? Nun wohl, Bürger, er hat gegen das offizielle Rußland gesprochen, er hat den Zaren gebrandmarkt, er hat ihn an den Schandpfahl der Geschichte gestellt. Ja, in bezug auf diesen sind wir in voller Übereinstimmung mit unserem Freund Bebel. Es ist hohe Zeit, mit dem russischen Zarismus ein Ende zu machen ... Ginge die holländische Resolution durch, so würde nur der Zar unterstützt werden, der Mann, der die Freiheit unterdrückt, das Volk ausgesaugt hat, der Mann, der fallen muß mit seinem ganzen System, wenn das russische Volk, wenn die Freiheit siegen soll. Wenn die deutsche Armee über unsere Grenzen einziehn würde , so käme sie als Befreier, wie die Franzosen des Nationalkonvents vor hundert Jahren nach Deutschland kamen, um als Sieger über die Fürsten dem Volke die Freiheit zu bringen ... Wie kann Frankreich seine alte revolutionäre Vergangenheit so sehr vergessen, daß es sich durch Annahme der holländischen Resolution zum Helfershelfer des Zarismus machen will ? ( Lärm bei den Franzosen. ) " Hier haben wir wieder, wie bei Engels, das Zurückgreifen auf die Ideologie der Kriege der französischen Revolution . Auch hier, wie bei Engels die ausdrückliche Bezugnahme auf sie. Wir können nur wiederholen , daß diese Bezugnahme wenig angebracht war. Selbst bei den wirklichen Revolutionskriegen, haben, worauf ich im ersten Band von ,,Krieg und Demokratie" schon hingewiesen, die der Demokratie ungünstigen Tendenzen eines jeden Krieges bald das Übergewicht über die demokratischen Tendenzen der Revolution erlangt. Dann aber konnte das Deutschland Bismarcks doch nicht als revolutionärer Faktor dem Frankreich von 1792 und 1793 gleichgesetzt werden. Wegen der Völkerfreiheit, der Demokratie, wäre es zwischen dem deutschen Kaiser und dem russischen Zaren sicher nie zum Krieg gekommen. Direkt gab es im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts überhaupt keinen Gegensatz zwischen Rußland und Deutschland. Was sie entzweite , war das Verhältnis zu Österreich ; ein Verhältnis , dessen Probleme in das Bereich der Nationalkriege, nicht der Revolutionskriege fielen. Und in bezug auf nationale Fragen gab es im vorigen Jahrhundert keine Macht, die konservativer war als Österreich. Diesem gegenüber wirkte Rußland für die Südslawen revolutionär. Nicht zur Sicherung der deutschen Freiheit, sondern zur Konservierung der südslawischen Unfreiheit drohte Deutschland als Verbündeter Österreichs in Konflikt mit Rußland zu geraten. Immerhin, wenn auch die deutschen Armeen am Ende des vorigen Jahrhunderts im Falle eines Krieges nicht zum Zwecke der Befreiung des russischen Volkes nach Rußland marschiert wären, so mußte doch eine militärische Niederlage des Zarismus diesen tief erschüttern. Sein Sieg dagegen, wenn er auch nicht Deutsch-

Krieg gegen Rußland

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lands Existenz oder Freiheit bedroht hätte, wie Engels, Bebel, Plechanov meinten, mußte doch den Absolutismus in Rußland stärken . Er konnte auch Österreich zertrümmern und im Südosten Europas den russischen Einfluß enorm ausdehnen . Stimmte also die historische Parallele nicht, so war doch Plechanovs und Bebels Stellung Rußland gegenüber mit den Grundsätzen des Sozialismus ebenso vereinbar und begreiflich, wie die von Engels . Ein großer Fortschritt gegenüber der Ideologie des Revolutionskrieges , die noch 1848 eine solche Rolle spielte, war in der Internationale seit 1889 gemacht : Niemand forderte mehr den Krieg gegen Rußland. Man rechnete mit einem solchen Krieg bloß deshalb, weil man einen Angriff Rußlands erwartete, das anfangs der neunziger Jahre in immer stärkeren Gegensatz zu Österreich und zu einem immer engeren Bündnis mit Frankreich kam. Die Gunst von Paris, die Heinrich IV . eine Messe wert gewesen, wurde dem Zaren das Anhören der Marseillaise wert. Doch sollte das russischfranzösische Bündnis nicht einen Angriff auf Deutschland vorbereiten, sondern nur einen von dort gefürchteten abwehren . Anderseits aber dachte auch die deutsche Regierung nicht an einen Angriffskrieg. Jede der beiden Seiten fürchtete jedoch einen solchen, traute der anderen Seite die schlimmsten Absichten zu . Dieses tiefgehende Mißtrauen, das mit den wachsenden Rüstungen stieg, bildete die größte Kriegsgefahr. Es wurde schließlich der Urgrund des Weltkriegs . Aus ihm wurde auch die Haltung von Engels, Bebel, Plechanov anfangs der neunziger Jahre geboren. Die alten Argumente von der Undurchführbarkeit des Militärstreiks und Generalstreiks bei Kriegsausbruch erwiesen sich 1893 als ebenso wirksam wie 1891. Neu hinzu waren gekommen die Argumente Plechanovs, daß die Verpflichtung der Arbeiter eines jeden kriegführenden Staates zu einem solchen Streik ein demokratisches Gemeinwesen einem absolutistischen gegenüber wehrlos machen und diesem ausliefern würde. Da ist es kein Wunder, daß die Minderheit, die sich Nieuwenhuis anschloß , 1893 noch bedeutungsloser war als 1891. Diesmal stimmten die Engländer gegen ihn. Allerdings der Vertreter Australiens und der Norwegens gaben ihre Stimme für den holländischen Antrag ab- beides Länder ohne Militarismus. Und mit ihnen stimmte wie 1891 die Mehrheit der Franzosen. Das war jedoch hauptsächlich einem unglücklichen Zusammentreffen zuzuschreiben. Der internationale Kongreß trat am 6. August zusammen , für den 20. desselben Monats waren aber Neuwahlen für die französische Kammer ausgeschrieben. Sie wurden als äußerst wichtig für den französischen Sozialismus angesehen. Und sie waren es auch. Die Zahl der sozialistischen Stimmen stieg bei diesen Wahlen gegenüber den vorhergegangenen von 1889 von 176.000 auf 590.000, um 234 Prozent. Die Wahlagitation wurde von den Sozialisten Frankreichs natürlich aufs inten-

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Londoner Kongreß 1896

sivste betrieben. Niemand durfte sich ihr entziehen. Daher fiel die Vertretung der sozialdemokratischen Organisationen Frankreichs auf dem Kongreß sehr spärlich aus . Dagegen fanden sich sehr zahlreich als Gewerkschaftsvertreter antiparlamentarische Elemente ein, denen der Wahlkampf höchst gleichgültig war. Diese schlossen sich stürmisch Nieuwenhuis an . Trotzdem wurde dessen Resolution von 14 Nationen gegen 4 abgelehnt, dagegen die deutsche akzeptiert mit dem von den Belgiern beantragten Zusatz : ,,Die Vertreter der Arbeiter im Parlamente sind verpflichtet, alle Militärkredite abzulehnen, sie müssen stets gegen die stehenden Heere protestieren und für allgemeine Entwaffnung eintreten. Jede sozialistische Partei muß alle Vereinigungen ( associations ) unterstützen, die den allgemeinen Frieden anstreben." Dieser letzte Satz fehlt in dem deutschen Protokoll des Kongresses. Er findet sich in der offiziellen Ausgabe der Resolutionen der internationalen Kongresse , 1902 herausgegeben von dem in Brüssel sitzenden internationalen Bureau, S. 79. d) Der Londoner Kongreß 1896. Der vierte Kongreß der zweiten Internationale trat am 27. Juli 1896 in London zusammen . Auf ihm wurden die Anarchisten endgültig ausgeschlossen. Schon der Zürcher Kongreß hatte bestimmt, daß nur solche sozialistische Parteien und Gewerkschaften zugelassen werden sollten , die die Notwendigkeit der politischen Aktion anerkennen, das heißt, die trachten, politische Rechte zu erobern, wo sie ihnen fehlen, und die diese politischen Rechte , die sie gewonnen haben, nach Kräften benützen im Interesse des Proletariats und zur Eroberung der politischen Macht. Der Londoner Kongreß bestätigte den Beschluß nach hartem Kampfe.¹ ) Seit dem Londoner Kongreß störten die Anarchisten nicht mehr die Arbeiten der Internationale. Auch Nieuwenhuis blieb ihr fortan fern . Damit hörte zunächst die Frage der Verhinderung eines ausgebrochenen Kriegs durch Generalstreik oder Militärstreik auf, eine Rolle auf den internationalen Kongressen zu spielen . Die Frage des Krieges selbst beschäftigte sie aber auch weiterhin ununterbrochen, um so intensiver, je mehr die Gefahr eines Weltkriegs drohte . Wie 1891 in Brüssel war auch in London der Berichterstatter der Kommission über die Kriegsfrage ein Deutscher, Emanuel Wurm . Er meinte , die Kriegskommission hätte eigentlich Friedens1) Von 18 vertretenen Nationen stimmten 16 für den Ausschluß der Anarchisten, nur 2 dagegen, darunter Holland mit 9 gegen 5 Stimmen und Frankreich mit 57 gegen 56. Die eine Stimme, die zugunsten der Anarchisten in der Delegation Frankreichs entschied, war die des in London wohnenden Italieners Malatesta , eines prominenten Anarchisten , den eine französische Zwerggewerkschaft entsendet hatte .

Generalstreik

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kommission heißen müssen, so friedlich sei es in ihr zugegangen (nachdem es keine Anarchisten mehr darin gab) . Die Kommission habe die Resolution , die er vorlege, einstimmig angenommen. ,,Zurückgewiesen wurde dagegen die von zwei französischen Delegierten vertretene Forderung des Generalstreiks, ebenso der Vorschlag, als letztes Mittel zur Erhaltung des Friedens die Anwendung revolutionärer Mittel zu empfehlen." Auch die Diskussion im Plenum über die Kriegsfrage drehte sich nicht um den Generalstreik. Dennoch kam dieser aufs Tapet und zwar bei der Erörterung jenes Punktes, der nach der Kriegsfrage auf der Tagesordnung stand : die Wirtschaftspolitik der Arbeiterklasse. In der ungemein langen Resolution darüber handelte ein Absatz von dem Mittel der Arbeitseinstellungen . Die Resolution sagte darüber : „ Der Kongreß hält Strike und Boycott für notwendige Mittel zur Erfüllung der Aufgaben der Gewerkschaften, sieht aber die Möglichkeit eines internationalen Generalstreiks nicht für gegeben.“ Die Resolution behandelte ausschließlich wirtschaftliche Fragen, sprach mit keinem Wort von Krieg. Aber indirekt lehnte der eben zitierte Satz die Idee ab, einen Krieg durch einen internationalen Generalstreik zu verhindern . Die Resolution über die Wirtschaftspolitik wurde fast einstimmig angenommen . Nur ein Teil der Franzosen stimmte dagegen, die antiparlamentarischen Syndikalisten. Sie forderten eingehendes Studium der Frage des Generalstreiks . In der Diskussion über die Kriegsfrage wurde hauptsächlich die Frage internationaler Schiedsgerichte und der Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk erörtert. Beide Forderungen wurden in der Resolution von 1896 erhoben, darin bestand das Neue, das sie den Kriegsresolutionen der früheren Kongresse hinzufügte. Auch ihr Protest gegen den Abschluß geheimer Staatsverträge war eine Neuerung und Verbesserung. Prinzipiell bewegte sich die Resolution im gleichen Geleise wie ihre Vorgänger. Wie diese machte auch sie vorwiegend den Kapitalismus für die Kriege unserer Zeit verantwortlich, doch wurde sie in diesem Punkte deutlicher, indem sie das Streben der Kapitalisten, neue Absatzgebiete zu erobern, als vornehmste Kriegsursache nannte. Das machte die Resolution zeitgemäß. Denn zur Zeit des Londoner Kongresses war die Bourgeoisie der verschiedensten Länder bereits sehr stark vom Kolonialfieber erfaßt, während bis dahin die industriellen Kapitalisten nur wenig Interesse für Kolonien gezeigt hatten. Doch weder der Referent noch die Teilnehmer an der Diskussion über die Kriegsresolution wiesen auf die Kolonialpolitik als Kriegsursache hin. Indes wurde die Kolonialfrage auch schon 1896 auf dem Kon-

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Pariser Kongreß 1900

greß erwähnt, jedoch nicht im Zusammenhange mit der Kriegsfrage. Einen der Punkte der Tagesordnung bildete die Frage der politischen Aktionen . Die Resolution darüber forderte „ alle Formen des organisierten Kampfes zur Eroberung der politischen Macht und die Ausnutzung der Gesetzgebungs- und Verwaltungseinrichtungen in Staat und Gemeinde durch die Arbeiterklasse zum Zwecke ihrer Befreiung ." Daneben verlangte die Resolution ,,volles Selbstbestimmungsrecht aller Nationen“, und im letzten Absatz hieß es : „ Der Kongreß erklärt : welcher Art immer die religiösen oder zivilisatorischen Vorwände der Kolonialpolitik sein mögen , sie hat stets nur die Erweiterung des Gebiets der kapitalistischen Ausbeutung im ausschließlichen Interesse der Kapitalisten zum Zweck. “ Als mögliche Kriegsursache wurde die Kolonialpolitik nicht genannt. Auch diese Resolution fand einstimmige Annahme. In der Diskussion hatte sich allerdings kein Redner mit der Kolonialfrage beschäftigt. Umkämpft wurde in der Resolution nur der Satz , die Arbeiter sollten für ihre politischen Forderungen eintreten „ unabhängig von allen bürgerlichen Parteien ." Das brauchte natürlich nur zu bedeuten, die Arbeiter sollten sich als besondere politische Partei organisieren, getrennt von jeder bürgerlichen Partei . Es schloß keineswegs aus, daß die selbständige Arbeiterpartei gelegentlich zu bestimmten politischen oder sozialen Zwecken mit der einen oder anderen bürgerlichen Partei zusammenarbeite. Über diesen Satz bestand bei den Delegierten des europäischen Festlandes - mit Ausnahme eines Pariser Anarchisten keine Meinungsverschiedenheit. Es waren bloß einige englische Delegierte , die an der Forderung der Unabhängigkeit von allen bürgerlichen Parteien Anstoß nahmen . Sie beantragten Streichung des Satzes, fanden aber im übrigen Kongreß keine Gegenliebe. Unter den Engländern selbst stießen sie auf starken Widerspruch. Es nahte die Zeit , in der England reif wurde für die Zusammenfassung der Gewerkschaften in einer großen, selbständigen Arbeiterpartei, der Organisierung der Arbeiter in einer selbständigen politischen Partei. e) Der Pariser Kongreß 1900. Der Londoner Kongreß hatte auf Antrag der Deutschen hin beschlossen, die nächste Zusammenkunft der Internationale 1899 in Deutschland stattfinden zu lassen. Das wurde durch die politischen Verhältnisse dort vereitelt. Daher einigte man sich darauf, den nächsten Kongreß nach Paris einzuberufen, wo er 1900 vom 23. bis zum 27. September tagte. In der Zeit zwischen den beiden Kongressen (1896-1900)

Imperialistische Kriege

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hatte die Saat des Imperialismus bereits blutige Früchte getragen und noch blutigere drohten zu reifen. Frankreich, das sich schon 1881 wegen Tunis mit Italien entzweit hatte, geriet in noch schärferen Gegensatz zu England, als dieses 1882 Ägypten besetzte. Zunächst hatte es dort schwer mit den Mahdisten im Sudan zu kämpfen. Erst 1898 gelang es , sie niederzuwerfen . Im gleichen Jahr aber machten die Franzosen von Westafrika aus einen Vorstoß nach dem Sudan. Darob wäre es fast zum Krieg zwischen England und Frankreich gekommen, doch gelang es noch im letzten Moment, eine Verständigung zu erreichen. Um dieselbe Zeit geriet England in Südafrika in einen schweren Konflikt mit den dortigen Burenrepubliken . Es fanden sich dort reiche Goldlager, die in den neunziger Jahren zur Ausbeute kamen. Das machte große Finanzkönige Englands lüstern nach dem Land. Darob kam es 1899 zu dem opfervollen Burenkrieg, der bis 1902 dauerte. Um dieselbe Zeit boten in Kuba sowie auf Manila Aufstände der Eingeborenen gegen die spanische Herrschaft den Vereinigten Staaten den Anlaß oder Vorwand , zugunsten der Aufständischen zu intervenieren, was zu einem Krieg der Union mit Spanien führte, 1898 . Alle diese Kriege entsprangen dem Kolonialhunger des Finanzkapitals, also dem Imperialismus. Doch neben den ökonomisch höchst entwickelten Großmächten gab es auch ökonomisch sehr rückständige . Diese empfanden ebenfalls einen Ausdehnungsdrang , doch entsprang er bei ihnen nicht einem Kapitalsüberfluß . Monarchie und Grundadel haben , wenn sie stark genug sind, stets in jedem Staat das Bedürfnis, ihr Ausbeutungsgebiet mit Waffengewalt auszudehnen. Dieses Bedürfnis des Absolutismus und Feudalismus hat im 18. Jahrhundert die meisten europäischen Kriege verursacht. Es beseelte am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die herrschenden Klassen in Rußland wie in Japan. Es ist ein Unding, deren damaliges Ausdehnungsstreben als ein imperialistisches zu bezeichnen . Dadurch nimmt man dem Wort seine wissenschaftliche Bedeutung und macht es zu einer gedankenlosen Redensart. Die Kriege der beiden Mächte damals waren nicht imperialistische, sondern dynastisch-feudale . Sie wurden nicht vom Finanzkapital hervorgerufen . Aber sie gingen in einer imperialistischen Atmosphäre der Weltpolitik vor sich und trugen dazu bei , die gleichzeitigen imperialistischen Konflikte zu komplizieren und zu verschärfen . Ein großes Gebiet gab es damals, auf welches sich die großen Raubmächte stürzten, sei es aus imperialistischen, sei es aus dynastisch-feudalen Motiven . Das war China, dieses riesige Land alter Kultur mit rund vierhundert Millionen Einwohnern, das seit Jahr-

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Aufteilung Chinas

hunderten in Frieden gelebt hatte und jeder Wehrmacht von Belang entbehrte. Seit den achtziger Jahren wurde es durch europäische Großmächte immer mehr zerstückelt. Die Franzosen besetzten schon 1882 Tongking, wodurch sie in Krieg mit China gerieten , unter dessen Oberherrschaft das Land stand . Bis 1886 dauerten die Kämpfe um Tongking. Den Franzosen folgten in der Plünderung Chinas die Japaner, die Korea für sich forderten . China setzte sich zur Wehr, 1894, doch wurde es gänzlich geschlagen . Die schweren Friedensbedingungen , die der Sieger 1895 stellte, wurden nur wenig gemildert dadurch, daß andere Mächte, die nach chinesischer Beute gierig waren, den Japanern in den Arm fielen . Das waren Rußland, Frankreich und Deutschland . England dagegen unterstützte die japanischen Sieger. Deutschland schützte China, um sich selbst ein Stück davon anzueignen, Kiautschou , 1897. Dasselbe tat Rußland , das den Hafen Port Arthur „ erwarb“ und die Mandschurei besetzte . Die allgemeine Aufteilung Chinas schien bevorzustehen . Dagegen empörte sich die chinesische Bevölkerung, was 1900 zu einer Einigung der Raubmächte gegenüber dem Opfer führte , dem ,,glorreichen" Feldzug gegen die chinesischen Aufständischen , die ,, Boxer". An diesem Feldzug nahmen Russen , Deutsche , Franzosen ebenso teil wie Japaner, Engländer, Amerikaner. Unmittelbar vor dem Zusammentritt des internationalen Sozialisten-Kongresses in Paris, im August 1900, marschierte diese ,, Internationale" der Militaristen in Peking ein. Doch dauerte deren internationale Solidarität nicht lange. Schon während des Feldzugs gab es Reibungen zwischen den einzelnen Nationen, die an ihm teilnahmen. Bald nach diesem Feldzug sollte es zu einem blutigen Kampf um einen Teil der Beute , die Mandschurei und Korea kommen , zwischen Japan und Rußland . Das internationale Einschreiten im Boxerkrieg von 1900-1901 bildete nur die Einleitung zum russisch-japanischen Krieg, der dann im Februar 1904 ausbrach . Unter dem Eindruck dieser Verhältnisse , die schon eingetreten waren oder sich vorbereiteten, tagte der fünfte Kongreß der zweiten Internationale. Kein Wunder, daß ihn abermals die Frage des Kriegs beschäftigte, diesmal in direktem Zusammenhang mit der Kolonialpolitik, doch stand dabei die Kriegsfrage nicht an erster Stelle. Nicht, weil sie weniger wichtig erschien, sondern weil in bezug auf sie der Kongreß wieder ein „, Friedenskongreß“ war, da volle Einmütigkeit in diesem Punkte bestand . Dagegen waren die Gemüter sehr erregt und die Meinungen sehr gespalten durch den Eintritt Millerands in das bürgerliche Kabinet Waldeck-Rousseau . Er fand die verschiedenartigste Beurteilung nicht nur in Frankreich selbst , wo sich darob die sozialistische Partei spaltete , sondern auch in den sozialistischen Kreisen außerhalb Frankreichs . Das Problem selbst bildete nur eine Teilerscheinung des Kampfes um

Koalitionsregierungen

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die Revision des Marxismus, die nach Engels Tode, von Bernstein angeregt, in allen Parteien der zweiten Internationale lebhaft umstritten wurde . Auf die Frage des Eintritts sozialistischer Minister in ein Koalitionskabinett habe ich hier nicht einzugehen. Es sei nur bemerkt, daß über die Frage eine von mir ausgearbeitete Resolution vom Kongreß angenommen wurde, die die Beteiligung von Sozialisten an einer Koalitionsregierung als einen gefährlichen , mitunter jedoch unabweisbaren Schritt bezeichnete . In einer Pressepolemik, die sich später über die Pariser Resolution entspann, erklärte ich in der ,,Neuen Zeit“ ( Oktober 1900 ) , daß unter Umständen in einem Kriege, zur Verteidigung gegen einen übermächtigen Feind, der die Lebensinteressen der arbeitenden Klassen oder der Nation bedrohe , der Eintritt von Sozialisten in ein Koalitionsministerium wohl angezeigt sein könne . Ein solcher Fall sei in Frankreich 1870 nach dem Sturz des Kaiserreichs eingetreten. Dort war damals der als Sozialist geltende Rochefort in die provisorische Regierung der Nationalverteidigung aufgenommen worden. Ich nahm an , die alte Internationale hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, noch wußte ich nicht, daß Marx tatsächlich an Engels am 6. September 1870 über Rochefort geschrieben hatte , er bedaure diesen , daß er als Mitglied dieser Regierung mit so zweifelhaften Elementen zusammen sei. ,,Doch konnte er nicht gut abschlagen, als Mitglied des Verteidigungsausschusses zu wirken .“ Ich führte in meinem Artikel von 1900 weiter aus, wenn deutsche Armeen von zaristischen besiegt würden und ,,die Gefahr einträte, daß das Knutenregiment in Europa allmächtig werde, dann würde die deutsche Sozialdemokratie wohl keinen Moment zögern, ihre Vertreter in ein Ministerium zu entsenden, das die Aufgabe hätte, den Volkskrieg zu organisieren, selbst wenn sie in diesem Ministerium mit Liberalen und linksstehenden Zentrumsleuten zusammenwirken müßten." (,,Neue Zeit ", XXI. , 2. , S. 39. ) So schrieb ich vierzehn Jahre vor Ausbruch des Weltkriegs . Weder Lenin noch Rosa Luxemburg haben dagegen protestiert . Die Auseinandersetzungen über die sozialistische Teilnahme an einer Koalitionsregierung nahmen die Aufmerksamkeit und Zeit des Pariser Kongresses fast völlig in Anspruch. Die andern Punkte seiner Tagesordnung wurden rasch, ohne viel Diskussionen erledigt. Eine der Kommissionen des Kongresses hatte sich mit der Frage der Kolonialpolitik zu beschäftigen. In ihrem Namen legte der Holländer Van Kol dem Kongreß eine Resolution vor, die er mit wenigen Worten begründete . Sie atmete denselben Geist wie der Punkt 5 der Londoner Resolution über die politische Tätigkeit, der von der Kolonialpolitik handelte . Auch jetzt wurde gefordert, ,,daß das organisierte Proletariat alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel anwendet, um die koloniale Ausdehnung des Kapitals zu bekämpfen, die Kolonialpolitik der Bourgeoisie zu brandmarken und unter allen Um-

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Aufteilung Chinas

hunderten in Frieden gelebt hatte und jeder Wehrmacht von Belang entbehrte. Seit den achtziger Jahren wurde es durch europäische Großmächte immer mehr zerstückelt . Die Franzosen besetzten schon 1882 Tongking, wodurch sie in Krieg mit China gerieten , unter dessen Oberherrschaft das Land stand . Bis 1886 dauerten die Kämpfe um Tongking. Den Franzosen folgten in der Plünderung Chinas die Japaner, die Korea für sich forderten. China setzte sich zur Wehr, 1894, doch wurde es gänzlich geschlagen . Die schweren Friedensbedingungen, die der Sieger 1895 stellte , wurden nur wenig gemildert dadurch , daß andere Mächte, die nach chinesischer Beute gierig waren, den Japanern in den Arm fielen . Das waren Rußland , Frankreich und Deutschland . England dagegen unterstützte die japanischen Sieger. Deutschland schützte China, um sich selbst ein Stück davon anzueignen, Kiautschou , 1897. Dasselbe tat Rußland , das den Hafen Port Arthur „, erwarb“ und die Mandschurei besetzte . Die allgemeine Aufteilung Chinas schien bevorzustehen. Dagegen empörte sich die chinesische Bevölkerung, was 1900 zu einer Einigung der Raubmächte gegenüber dem Opfer führte , dem „,glorreichen“ Feldzug gegen die chinesischen Aufständischen, die ,,Boxer". An diesem Feldzug nahmen Russen , Deutsche, Franzosen ebenso teil wie Japaner, Engländer, Amerikaner. Unmittelbar vor dem Zusammentritt des internationalen Sozialisten-Kongresses in Paris , im August 1900, marschierte diese ,, Internationale" der Militaristen in Peking ein. Doch dauerte deren internationale Solidarität nicht lange. Schon während des Feldzugs gab es Reibungen zwischen den einzelnen Nationen , die an ihm teilnahmen . Bald nach diesem Feldzug sollte es zu einem blutigen Kampf um einen Teil der Beute, die Mandschurei und Korea kommen, zwischen Japan und Rußland . Das internationale Einschreiten im Boxerkrieg von 1900-1901 bildete nur die Einleitung zum russisch-japanischen Krieg, der dann im Februar 1904 ausbrach. Unter dem Eindruck dieser Verhältnisse, die schon eingetreten waren oder sich vorbereiteten, tagte der fünfte Kongreß der zweiten Internationale . Kein Wunder, daß ihn abermals die Frage des Kriegs beschäftigte , diesmal in direktem Zusammenhang mit der Kolonialpolitik, doch stand dabei die Kriegsfrage nicht an erster Stelle . Nicht, weil sie weniger wichtig erschien , sondern weil in bezug auf sie der Kongreß wieder ein ,, Friedenskongreß“ war, da volle Einmütigkeit in diesem Punkte bestand. Dagegen waren die Gemüter sehr erregt und die Meinungen sehr gespalten durch den Eintritt Millerands in das bürgerliche Kabinet Waldeck-Rousseau . Er fand die verschiedenartigste Beurteilung nicht nur in Frankreich selbst, wo sich darob die sozialistische Partei spaltete , sondern auch in den sozialistischen Kreisen außerhalb Frankreichs . Das Problem selbst bildete nur eine Teilerscheinung des Kampfes um

Koalitionsregierungen

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die Revision des Marxismus, die nach Engels Tode, von Bernstein angeregt, in allen Parteien der zweiten Internationale lebhaft umstritten wurde. Auf die Frage des Eintritts sozialistischer Minister in ein Koalitionskabinett habe ich hier nicht einzugehen. Es sei nur bemerkt, daß über die Frage eine von mir ausgearbeitete Resolution vom Kongreß angenommen wurde, die die Beteiligung von Sozialisten an einer Koalitionsregierung als einen gefährlichen , mitunter jedoch unabweisbaren Schritt bezeichnete. In einer Pressepolemik, die sich später über die Pariser Resolution entspann , erklärte ich in der „,Neuen Zeit“ ( Oktober 1900 ) , daß unter Umständen in einem Kriege, zur Verteidigung gegen einen übermächtigen Feind, der die Lebensinteressen der arbeitenden Klassen oder der Nation bedrohe, der Eintritt von Sozialisten in ein Koalitionsministerium wohl angezeigt sein könne. Ein solcher Fall sei in Frankreich 1870 nach dem Sturz des Kaiserreichs eingetreten. Dort war damals der als Sozialist geltende Rochefort in die provisorische Regierung der Nationalverteidigung aufgenommen worden. Ich nahm an, die alte Internationale hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, noch wußte ich nicht, daß Marx tatsächlich an Engels am 6. September 1870 über Rochefort geschrieben hatte , er bedaure diesen , daß er als Mitglied dieser Regierung mit so zweifelhaften Elementen zusammen sei . „, Doch konnte er nicht gut abschlagen, als Mitglied des Verteidigungsausschusses zu wirken ." Ich führte in meinem Artikel von 1900 weiter aus, wenn deutsche Armeen von zaristischen besiegt würden und ,,die Gefahr einträte, daß das Knutenregiment in Europa allmächtig werde, dann würde die deutsche Sozialdemokratie wohl keinen Moment zögern, ihre Vertreter in ein Ministerium zu entsenden , das die Aufgabe hätte, den Volkskrieg zu organisieren, selbst wenn sie in diesem Ministerium mit Liberalen und linksstehenden Zentrumsleuten zusammenwirken müßten." (,,Neue Zeit “, XXI ., 2. , S. 39. ) So schrieb ich vierzehn Jahre vor Ausbruch des Weltkriegs. Weder Lenin noch Rosa Luxemburg haben dagegen protestiert. Die Auseinandersetzungen über die sozialistische Teilnahme an einer Koalitionsregierung nahmen die Aufmerksamkeit und Zeit des Pariser Kongresses fast völlig in Anspruch. Die andern Punkte seiner Tagesordnung wurden rasch, ohne viel Diskussionen erledigt. Eine der Kommissionen des Kongresses hatte sich mit der Frage der Kolonialpolitik zu beschäftigen. In ihrem Namen legte der Holländer Van Kol dem Kongreß eine Resolution vor, die er mit wenigen Worten begründete . Sie atmete denselben Geist wie der Punkt 5 der Londoner Resolution über die politische Tätigkeit, der von der Kolonialpolitik handelte. Auch jetzt wurde gefordert, ,,daß das organisierte Proletariat alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel anwendet , um die koloniale Ausdehnung des Kapitals zu bekämpfen, die Kolonialpolitik der Bourgeoisie zu brandmarken und unter allen Um-

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Rosa Luxemburg

ständen und mit aller Kraft die zahllosen Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten zu geißeln, denen notwendigerweise die Eingeborenen in allen ,Kolonien' ausgesetzt sind, die mit Waffengewalt erobert werden." In ihrem Eingang aber wies die Resolution auf die Kolonialpolitik als Kriegsursache hin. Sie erklärte : „ Die Entwicklung des Kapitalismus führt unvermeidlich zur kolonialen Ausdehnung, dieser Ursache von Konflikten zwischen den Regierungen. Der daraus hervorgehende Imperialismus fördert den Chauvinismus in allen Ländern und zwingt zu steigenden Ausgaben für den Militarismus." Hier wird also der Imperialismus in Zusammenhang mit der Kolonialpolitik gebracht. Das ist ganz korrekt , wurde aber später leider vielfach vergessen . Die Resolution, die Van Kol vorlegte , fand ohne große Diskussion einstimmige Annahme. Gar nicht diskutiert und ebenfalls einstimmig angenommen wurde die Resolution über den ,,Völkerfrieden , den Militarismus und die stehenden Heere", die Rosa Luxemburg vorlegte und eingehend begründete. Das Referat wie die Resolution betonten besonders den engen Zusammenhang des neuesten Erstarkens des Militarismus und der Kriegsgefahr mit der Kolonialpolitik. Rosa Luxemburg berichtete : ,,Beide Kommissionen (die über die Kolonialfrage und die über den Militarismus ) haben von Anfang an zusammengetagt, weil der Militarismus und die Kolonialpolitik gegenwärtig nur zwei verschiedene Seiten der einen Erscheinung Weltpolitik sind." Der Protest gegen den Militarismus auf internationalen Kongressen sei nichts Neues, jetzt gelte es aber Neues zu schaffen gegenüber der neuen Erscheinung der Weltpolitik. Die Kolonialpolitik habe in den letzten sechs Jahren schon vier blutige Kriege herbeigeführt. Dieser Kriegsgefahr gegenüber könne das Proletariat nicht untätig bleiben. Es müsse sich international enger zusammenschließen. ,,Allein nicht nur vom Standpunkt des alltäglichen Kampfes gegen den Militarismus erscheint jetzt eine internationale Annäherung der Arbeiterparteien aneinander dringend geboten, sondern auch aus Rücksicht auf unser sozialistisches Endziel. Immer mehr wird es wahrscheinlich , daß der Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung nicht durch eine ökonomische, sondern durch eine politische, durch die Weltpolitik herbeigeführte Krise erfolgen wird. Vielleicht wird die Herrschaft der kapitalistischen Ordnung noch lange dauern ..." Aber einmal , fuhr sie fort, werde doch die Stunde der Befreiung schlagen und der großen Rolle, die dann dem Proletariat zufällt , solle es gewachsen sein. Das erreiche es am besten durch ,,gemeinsamen, alltäglichen Kampf gegen die militaristische , die weltpolitische Reaktion". Bemerkenswert in diesen Ausführungen ist die Überzeugung, der kapitalistische Zusammenbruch werde nicht einem ökonomischen Versagen des kapitalistischen Produktionsprozesses, sondern einem Weltkrieg entspringen.

Generalstreik

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Ebenso bemerkenswert sind die Vorschläge zur Bekämpfung des Militarismus und zur Erhaltung des Friedens, die in der von Rosa Luxemburg vorgelegten Resolution zu finden sind . Sie empfiehlt die Erziehung und Organisierung der Jugend zur Bekämpfung des Militarismus sowie die Ablehnung jeglicher Staatsausgaben für Zwecke des Heeres, der Marine oder kolonialer Expeditionen und schließlich die Einsetzung einer permanenten internationalen sozialistischen Kommission , die in wichtigen Fällen einheitliche internationale Protestaktionen gegen den Militarismus herbeizuführen habe. Das alles soll geschehen, um der ,,weltpolitischen Allianz der Bourgeoisie und der Regierungen zur Verewigung des Kriegs durch eine Allianz der Proletarier aller Länder zur Verewigung des Friedens" zu antworten . In der französischen Fassung der Resolution sind die Worte ,,zur Verewigung des Kriegs" hier und ,,zur Verewigung des Friedens " dort weggelassen . Dadurch wurde wohl eine geistreiche, scharfe Antithese zerstört, aber auch der Widersinn beseitigt, der hinter dem Satz verborgen ist, als verbänden sich alle bürgerlichen Regierungen aller kapitalistischen Länder miteinander zu dem Zweck,,,den Krieg zu verewigen". Die Kriegsgefahr rührt doch daher, daß die Regierungen zu keiner allumfassenden Verständigung kommen. Abgesehen von diesem Schönheitsfehler der Fassung ist die Resolution sehr bemerkenswert, namentlich dadurch, daß sie bloß Mittel der Propaganda und der Organisation gegen Militarismus und Kriegsgefahr empfiehlt . Der Generalstreik oder gar der Militärstreik als Mittel zur Verhütung eines Krieges wurde weder in der Resolution noch im Bericht der Referentin irgendwie erwähnt. Als letzter Punkt der Tagesordnung wurde der Generalstreik diskutiert, wegen Zeitmangels ganz kurz , obwohl hier große Gegensätze bestanden . Für die eine Seite sprach Legien, der die ,,Möglichkeit für einen internationalen Generalstreik“ nicht gegeben sah. Ihm entgegnete Briand . Er erklärte den Generalstreik für „ die revolutionäre Aktionsform ", die den Kampfbedingungen des Proletariats in der kapitalistischen Gesellschaft am besten entspreche . Eine unter anderm auch von Jaurès unterzeichnete Resolution , die Briand vorlegte, forderte ,,die Arbeiter der ganzen Welt auf, sich für den Generalstreik zu organisieren ", entweder um soziale Reformen zu erkämpfen oder die ,,soziale Revolution“ herbeizuführen . Briand rief : „ Für mich ist der Generalstreik ein Mittel zur Revolution, aber einer Revolution, die mehr Garantien gibt, als jene der Vergangenheit !" Bei der Abstimmung siegte Legien über Briand mit 27 gegen 7 Stimmen. Doch weder Legien noch Briand sprachen damals vom

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Internationales Sekretariat

Generalstreik als einem Mittel zur Verhinderung des Kriegs . Diese Idee war ganz in den Hintergrund getreten. Dagegen machte die ,,Allianz der Proletarier aller Länder" auf dem Pariser Kongreß von 1900 einen bedeutenden Schritt vorwärts . Es wurde die Begründung eines permanenten internationalen Ausschusses mit einem besoldeten Sekretär einstimmig beschlossen und ebenso einstimmig Brüssel als Sitz des internationalen Sekretariats bestimmt . Damit erst wurde die zweite Internatio-

nale ein lebender, wirkungsfähiger Körper auch in der Zwischenzeit zwischen den Kongressen. Eines konnte bei dieser Einrichtung allerdings nicht gesichert werden : daß im Falle eines Krieges das internationale Sekretariat seinen Sitz in einem neutralen Land habe, das imstande sei, mit den beiden kriegführenden Teilen Beziehungen aufrechtzuerhalten. Die erste Internationale hatte das Glück gehabt, daß ihr Generalrat in England saß , das in keinen Krieg in der Zeit ihres Bestehens verwickelt wurde. Man durfte ähnliches für das internationale Sekretariat der zweiten Internationale erwarten. War nicht Belgiens Neutralität von den entscheidenden Großmächten ausdrücklich garantiert ? Daß diese Garantie bei Beginn des Weltkriegs vor den stürmenden deutschen Bataillonen zusammenbrach, wurde nicht die geringste der Ursachen, die es bewirkten, daß die zweite Internationale 1914 aufhören sollte zu funktionieren . f) Der Amsterdamer Kongreß 1904. Der sechste Kongreß der zweiten Internationale fand in einer noch kriegerischeren Weltlage statt als der vorhergehende . Im Jahre 1900 hatte es bloß den Krieg einiger geringer Truppenaufgebote europäischer Mächte gegen Aufständische in China gegeben. Die Deutschen hatten damals 22.000 Mann gesandt, die Detachements der anderen Mächte waren noch kleiner. Im Jahre 1904 dagegen kam es zu einem furchtbaren Ringen zweier Großmächte , die ungeheure Massenheere gegeneinander entsandten Rußland und Japan . In diesem Krieg wurde weder hüben noch drüben um den Bestand oder auch nur um Lebensbedingungen der Nation gefochten. Wer immer siegte, weder das russische noch das japanische Volk hatte von dem Siege des Gegners etwas zu fürchten. Wohl aber ging es in Rußland — noch nicht in Japan — um den Bestand der Dynastie und die herrschende Stellung des Adels. Im russischen Reich war die revolutionäre Strömung bereits so stark, daß ein Mißerfolg im Krieg den Absolutismus ernsthaft bedrohte. Der Zar und die russische Herrenschicht überhaupt hatten die Möglichkeit einer militärischen Niederlage nicht in Betracht gezogen , als sie sich um Koreas und der Mandschurei willen in einen

Amsterdamer Kongreß 1904

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bewaffneten Konflikt mit Japan einließen. Seit den Türkenkriegen des 17. Jahrhunderts war es nicht wieder vorgekommen , daß eine asiatische Kriegsmacht über eine europäische gesiegt hätte. ,,Daß der Krieg ein ,kleiner' und ein unbedingt , siegreicher' sein würde, daran zweifelten die Reaktionäre keinen Augenblick. Wie sollte auch so ein Ländchen' wie Japan es mit dem russischen Koloß aufnehmen können? Im Sommer 1903 schrieb die Nowoje Wremja', daß der Krieg für Japan einen Selbstmord bedeutet ." (M. Pokrowski, Geschichte Rußlands, Deutsch von A. Ramm, Leipzig, 1929, S. 334. ) Und nun geschah das völlig Unerwartete, für viele völlig Unfaßbare : Die russischen Armeen wurden von den japanischen Heeren geschlagen, russische Festungen erobert , die russische Flotte vernichtet von Asiaten, auf die man bisher mit Geringschätzung herabgeblickt hatte. Die siegreiche Erhebung Asiens gegen Europa und ein Verzweiflungskampf des Zarismus um seine Existenz : das war die Signatur der Situation , in der der Amsterdamer Kongreß zusammentrat. Trotzdem stand gerade auf seiner Tagesordnung nicht die Frage des Krieges. Diese Frage schien von den früheren Kongressen bereits genügend erledigt zu sein. Der Amsterdamer Kongreß hielt es nicht mehr für nötig, über den Krieg zu diskutieren, er wollte nur noch gegen ihn de monstrieren. Bei der Eröffnungssitzung saßen neben dem Vorsitzenden Van Kol auf der einen Seite der Vertreter Rußlands, Plechanov , auf der anderen Seite der Delegierte Japans, Katayama. Van Kol wendete sich nach einigen Eröffnungsworten an beide : „ Einen besonderen Gruß entbiete ich den Vertretern der japanischen und russischen Sozialdemokratie, die den Mut gehabt haben , das Bekenntnis internationaler Friedensliebe und internationaler Solidarität der Arbeiter aller Länder in einem Augenblick abzulegen , wo die entfesselte Kriegsfurie die beiden Länder verwüstet “. Das Protokoll berichtet : ,,Plechanov und Katayama erheben sich und reichen sich am Bureau die Hände. Der Kongreß bricht in minutenlangen , brausenden Beifall aus. “ Es sprachen dann Katayama und Plechanov und dieser wies auf die Niederlagen Rußlands hin, die das wohlverdiente Ende des Despotismus dort erwarten ließen . Das war ein erhebender Moment. Es schien , als sei damit das Vorbild für die Haltung der Internationale in jedem kommenden Krieg gegeben. Leider war das nur Schein, der darauf beruhte , daß man die Unterschiede zwischen den verschiedenen Kriegen nicht beachtete, glaubte, was für den einen Krieg gelte, müsse sich für jeden weiteren Krieg wiederholen. Man sah nicht die Eigenart dieses Krieges : Hüben wie drüben stand eine Regierung, auf deren Handeln die Volksmasse nicht den geringsten Einfluß hatte. Und der Gegenstand des Streites , der Anteil an der chinesischen Beute, berührte weder hüben noch drüben irgendein Lebensinteresse der Nation vom Proletariat gar nicht

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Russisch-japanischer Krieg

zu reden. Auch den Bauern, den Kleinbürgern, dem größten Teil der Bourgeoisie konnte in Rußland wie in Japan die Frage recht gleichgültig sein , wer sich Koreas und der Mandschurei bemächtigen sollte. Nicht einmal eine vorübergehende Invasion des Landesfeindes in einem lebenswichtigen Teil des eigenen Landes war im Falle seines Sieges zu befürchten. Die Frage der „ Landesverteidigung" spielte da gar keine Rolle. Unter diesen Umständen machte es keine Schwierigkeiten und begegnete es keinem Protest innerhalb der Internationale , daß sich Plechanov und Katayama vor dem Kongreß die Bruderhand reichten. Das soll jedoch keineswegs heißen, daß die Bevölkerung der kriegführenden Staaten den Ereignissen gleichgültig zusah . Jeder Krieg ist ein so furchtbares Ereignis, daß es selbst die Beobachter in neutralen Ländern aufs tiefste erregt, geschweige denn die Bevölkerung im kriegführenden Lande selbst, namentlich wenn dort die allgemeine Wehrpflicht besteht und daher das Leben so vieler Landeskinder geopfert wird. Der Glanz herrlicher Siege mag diese Hekatomben erträglich erscheinen lassen , die Niederlage macht sie ganz unerträglich. Namentlich muß derartig eine schimpfliche oder leichtfertige Niederlage wirken, eine Niederlage in einem Krieg, der sich vermeiden ließ, oder eine Niederlage gegen einen Feind, den man geringschätzte. Da erzeugt die Niederlage helle Wut in der Bevölkerung, Wut nicht gegen den Landesfeind, sondern gegen die eigene Regierung, die den Krieg verschuldet und schmählich führt. Diese Wut trat zur Zeit des Amsterdamer Kongresses ( 14.- 20 . August 1904) in Rußland bereits deutlich zutage , obwohl die schlimmsten Mißerfolge der Russen erst später eintraten . Der Krieg hatte im Februar 1904 begonnen. Die erste erhebliche Niederlage erlitten die Russen am 1. Mai am Flusse Yalu . Am 26. Mai wurden sie bei Kintschau besiegt, am 15. Juni bei Wafangkou. Aber ihre großen Heere wurden erst in der Zeit vom 24. August bis 5. September geschlagen , bei Laojang. Im Oktober siegten die Japaner wieder am Schaho . Am 2. Januar 1905 fiel die von ihnen seit Kriegsbeginn belagerte Festung Port Arthur. Dem folgte ein japanischer Sieg in der Riesenschlacht bei Mukden, 21. Februar bis 11. März 1905, endlich die Vernichtung der russischen Flotte durch die Japaner bei den Tsusimainseln , 27. Mai . Zur Zeit des Internationalen Kongresses ( 14.-20. August 1904) konnte also die Situation, die durch den Krieg geschaffen wurde, noch nicht deutlich übersehen werden. Die russischen Armeen waren zurückgedrängt, damit der Respekt vor dem Zaren und seinen Generalen sehr gemindert, aber noch war der Riese Rußland nicht zu Boden geworfen , noch standen ihm ungeheure Mittel zur Verfügung. Und die Disziplin der russischen Armee war ungebrochen. Wohl erwartete Plechanov in der Mitte des

Kolonialpolitik

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August bereits das Ende des Despotismus , doch nicht mit voller Sicherheit. Er sagte : ,,Sollte Rußland als Sieger aus diesem Kampfe hervorgehn, dann wird nicht Japan als Besiegter am Boden liegen, sondern das russische Volk, das die schwersten Leiden, die drückendsten Lasten zu tragen haben wird." Bemerkenswert ist noch folgendes : Weder der Streitgegenstand noch die geographische Lage des Kriegsschauplatzes waren derart, daß sie den russischen Patriotismus besonders zu entzünden brauchten . Der Krieg hätte schon bei seinem Ausbruch leidenschaftlichen Widerspruch der Bevölkerung auslösen können. Von einem solchen finden wir jedoch in den ersten Monaten des Krieges keine Spur. Der Krieg stachelte die proletarischen Massen zunächst nicht zu stärkerer oppositioneller Bewegung an. Der schon oben zitierte Pokrowski verzeichnet in seiner Übersicht der russischen Ereignisse von 1904 : ,,Verhältnismäßige Ruhe in der Arbeiterbewegung, bedingt durch den Krieg. Die Gesamtzahl der Streikenden betrug nach den offiziellen Angaben 1902 37.000 1903 87.000 1904 25.000 Die Zahl für 1904 ist die kleinste Zahl des Jahrzehnts." (Geschichte Rußlands, S. 620.) Erst gegen das Ende des Jahres wurde das anders. Wie so viele andere Tatsachen sprechen auch diese Erscheinungen nicht dafür, daß der Beginn eines Krieges die günstigste Zeit dafür ist, eine revolutionäre Bewegung gegen den Krieg zu entzünden .

Die beiden einzigen Punkte der Tagesordnung des Kongresses, die mit der Frage des Krieges hätten zusammenhängen können, betrafen die Kolonialpolitik und den Generalstreik. Doch auch sie wurden in einer Weise behandelt, die keinen Bezug auf die Kriegsfrage nahm . Die Kolonialpolitik bot für die sozialistische Untersuchung zwei verschiedene Seiten, von denen jede gleich wichtig war. Auf der einen Seite bedeutet sie eine Politik der Eroberung, der Unterjochung bisher selbständiger Völker durch eine kapitalistische Macht. Daß eine internationale Demokratie, die für jedes Volk die Selbstbestimmung verlangt, nicht bloß für das eigene, und erst recht die internationale antikapitalistische Sozialdemokratie diese Eroberungspolitik entschieden verwirft und bekämpft, ist selbstverständlich. Darüber herrschte auf den internationalen Kongressen bei der Behandlung dieser Frage Einmütigkeit. Das ist jedoch nur die eine Seite der Frage. Für die Kolonialpolitik kommen nicht bloß die Kolonien in Betracht, die erst gewonnen werden sollen , sondern auch jene , die schon , zum Teil seit mehr als einem Jahrhundert, in europäischem Besitz sind . Auch ihnen gegenüber müssen wir jede Fremdherrschaft ablehnen. Doch 21

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Kolonialpolitik

kann diese in der Regel nicht ohne weiters in der Weise aufgehoben werden, daß die fremden Herrn weggehen und die Kolonien sich selbst überlassen. Der moderne Imperialismus beruht nicht, wie die alte Kolonialpolitik des 16. und 17. und auch noch die des 18. Jahrhunderts, auf bloßer Plünderung der Kolonie. Er geht vom Finanzkapital aus, das über eine Überfülle von Kapital verfügt, von dem es stets große Teile in die Kolonien exportiert, um dort kapitalistische Einrichtungen des Verkehrs und der Produktion aufzurichten. Alle diese Einrichtungen sind bedroht, wenn die Kolonialmacht die Kolonie sich selbst überläßt : Eisenbahnen, Bergwerke , Plantagen, Fabriken. Nicht nur deren kapitalistische Besitzer können geschädigt werden, sondern auch deren Arbeitskräfte. Ja die ganze Weltwirtschaft kann Schaden leiden, wenn etwa die Produktionsstätten wichtiger Roh- oder Betriebsmaterialien aufhören zu funktionieren. In den Kolonien sind auch oft eine große Zahl kleiner Gemeinwesen zu einem großen staatlichen Organismus vereinigt. Die eingeborene Bevölkerung besitzt wohl die Fähigkeit, sich im Rahmen ihrer primitiven Gemeinwesen selbst zu verwalten, nicht aber im Rahmen eines größeren Staatswesens. Dazu gehören Vorbedingungen, wie allgemeine Volksbildung, Zeitungswesen usw., die dort erst zu entwickeln sind . Das gilt für Kolonien , deren Einwohnerschaft auf einer primitiven Kulturstufe steht. Davon sind genau zu unterscheiden die Kolonien europäischer Auswanderer, die stets zu politischer Selbständigkeit reif sind . Kolonien, die nicht ohne Gefahr für ihre Bevölkerung ohne weiteres aufgegeben werden können, stellen dem internationalen Sozialismus eigenartige Probleme. Die Fremdherrscher wollen die eingeborene Bevölkerung dauernd unterdrücken, ihr Aufsteigen zu höheren Lebensformen und Fähigkeiten hemmen. Die Internationale Sozialdemokratie muß dagegen diesen Aufstieg ebenso fördern wie den des europäischen Proletariats , zu dem Zwecke , um die völlige Emanzipation der Eingeborenen in den Kolonien ebenso herbeizuführen wie die der Proletarier in den alten kapitalistischen Ländern . Wie die Demokratie in Europa wird auch die Selbständigkeit der Kolonien vielfach früher zu erreichen sein, als die vollständige Befreiung des Proletariats durch den Sozialismus . Diese Seite der Kolonialpolitik wurde auf dem Kongreß von Amsterdam untersucht, vornehmlich in dem Referat Van Kols. Die Diskussion war geringfügig, der Gegenstand lag wohl den meisten Europäern noch zu fern und war auch zu kompliziert. Außerdem nimmt das Problem der Verwaltung des kolonialen Besitzes und der Eingeborenenpolitik in jeder Kolonie besondere Formen an, so daß allgemeine Regeln dafür schwer zu finden sind. Im allgemeinen traten in Amsterdam über diesen Punkt keine

Generalstreik

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Meinungsverschiedenheiten zutage. Die Resolution der Kommission wurde einstimmig angenommen. Sie wiederholte in ihrem ersten Absatz die Ablehnung jeder Eroberungspolitik, forderte dann Bekämpfung der Monopole der Kapitalisten und Grundbesitzer, Schutzmaßregeln für die Eingeborenen , Schulen , sowie „ das Maß von Freiheit und Selbständigkeit, das ihre Entwicklung vertragen kann, unter dem Gesichtspunkt, daß die vollständige Emanzipation der Kolonien das erstrebte Ziel ist". Endlich verlangte die Resolution als 6. Punkt die Unterstellung der äußeren Politik unter parlamentarische Kontrolle , da sonst der geheime Einfluß plutokratischer Cliquen auf die Außenpolitik immer mehr steige. Nur dieser letzte sowie der erste Absatz der Resolution bezogen sich auf den Einfluß, den das Finanzkapital , der Imperialismus, auf die äußere Politik der Staaten übt , wodurch er die Kriegsgefahr herbeiführt. Der Hauptinhalt der Resolution betraf die innere Verwaltung der kolonialen Besitzungen. Deren Greuel mochten noch so sehr zum Himmel schreien, den Weltfrieden gefährdeten sie nicht Das geschah nur durch die Gier der Finanzkapitalisten nach neuem Länderbesitz. Eingehender als die Kolonialfrage wurde in Amsterdam der Generalstreik erörtert. Die Idee hatte in den letzten Jahren sichtlich an Boden gewonnen, namentlich von Belgien aus gefördert, einem Boden, auf dem sich frühzeitig proudhonistisch-syndikalistische und sozialdemokratische Ideen begegnet und gemengt hatten. Die ursprünglich syndikalistische Idee des Generalstreiks wurde dort in den Dienst des sozialdemokratischen Kampfes ums allgemeine Wahlrecht gestellt. Die ersten Massenstreiks zu politischen Zwecken fanden in Belgien statt . Der erste , von 1893, hatte Erfolg, seine bloße Androhung brachte die Gewährung des allgemeinen , indes nicht die des gleichen Stimmrechts . Daher ging die Wahlrechtsbewegung weiter. Eine neue Anstrengung wollte 1902 das gleiche Stimmrecht erobern. Es gab einen Massenstreik von 350.000 Streikenden. Aber er miẞlang. Die Niederlage war groß, doch ging die Partei ungeschwächt aus ihr hervor. In voller Disziplin wurde der Streik abgebrochen. Trotz des Mißerfolgs hatte er tiefen Eindruck auf das gesamte internationale Proletariat gemacht, der Idee des Generalstreiks in sozialdemokratischen Kreisen neue Anhänger zugeführt. Es ist unter diesen Umständen nicht verwunderlich, daß 1904 wieder der Generalstreik auf die Tagesordnung des Kongresses gesetzt wurde. Die Haltung der Mehrheit gegenüber der Anwendung des Massenstreiks zu politischen Zwecken war nun weit weniger ablehnend als bis dahin, jedoch immerhin noch vorsichtiger als den syndikalistisch-revolutionär gesinnten Sozialisten nach der Art Briands gefiel . Die Auffassung der Mehrheit fand eine vortreffliche Begründung durch die holländische Delegierte Henriette Roland

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Zünftige Arbeiterbewegungen

Holst. Diese wurde die Berichterstatterin der Kommission über den Generalstreik. Sie erklärte , der absolute Generalstreik in dem Sinne, daß alle Arbeit niedergelegt würde , sei unausführbar ,,,weil er jede Existenz, also auch die des Proletariats unmöglich macht“. Möglich seien Streiks größerer Massen, „ als äußerstes Mittel, um bedeutende gesellschaftliche Veränderungen durchzusetzen oder sich reaktionären Anschlägen auf die Rechte der Arbeiter zu widersetzen". Doch nur unter günstigen Bedingungen könne ein solcher Streik siegen . ,,Die notwendige Voraussetzung für den Erfolg eines Massenstreiks ist eine starke Organisation und die freiwillige Disziplin der Arbeiterschaft." Das war ganz richtig auf Grund der damaligen Erfahrungen . Aber nur ein Jahr sollte vergehen und gewaltige neue Erfahrungen mit dem politischen Massenstreik lagen vor in Rußland. Davon bald mehr. Vom Massenstreik als Mittel der Verhinderung eines Krieges war in Amsterdam ebensowenig die Rede , wie auf den vorhergehenden Kongressen des letzten Jahrzehnts . Ein Punkt der Tagesordnung ist noch zu erwähnen . Er hatte mit dem Kriege und der Kriegsgefahr nichts zu tun , aber er brachte eine für alle Freunde der internationalen Solidarität der Arbeiter unangenehme Überraschung. Er enthüllte uns, daß es nicht bloß in den besitzenden Klassen, sondern auch bei den Proletariern nationale Gegensätze geben kann. Sie zeigten sich bei dem 7. Punkt der Tagesordnung, der von der Einwanderung und Auswanderung handelte . Die Amerikaner und Australier sonderbarerweise auch die Holländer forderten die Beschränkung der Einwanderung mancher fremden Arbeiter in ihre Länder. Ja, ein hervorragender amerikanischer Sozialist sprach sich - wenn das Protokoll genau ist für die Fernhaltung farbiger Arbeiter von den Gewerkschaften der Weißen aus. Diese Erscheinungen mahnen uns, nicht jede Forderung unbesehen bloß deshalb zu akzeptieren, weil sie mit dem Arbeiterinteresse begründet wird. Die Arbeiterbewegung kann zweierlei Formen annehmen : zünftige und sozialistische . Die sozialistische geht auf die Hebung der gesamten arbeitenden Menschheit aller Nationen und Rassen aus. Jeder Bedrängte und Gequälte ist ihr gleich teuer. Anders denkt die zünftige , die ursprünglichere Arbeiterschaft, die ihre Wurzeln im mittelalterlichen Handwerk findet. Deren Bewegung geht aus von Arbeitern einzelner Berufe , denen es gelungen ist, eine bessere Stellung zu erringen als die andern Arbeiter . Diese privilegierte Stellung suchen sie zu behaupten im Kampfe nicht nur gegenüber den Unternehmern und sonstigen Ausbeu-

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tern, sondern auch im Kampfe gegen schlechter gestellte Arbeiter, deren Konkurrenz sie fürchten. Wie jede privilegierte Klasse suchen auch diese Aristokraten der Arbeit sich dadurch zu schützen, daß sie den Zustrom aus minderbegünstigten Kreisen in ihre Reihen absperren . Diese Tendenz finden wir im alten zünftigen Handwerk, in Gewerben mit einer höhergestellten Arbeiterschaft, wir finden sie in neuerer Zeit in Ländern mit ausnehmend starken Gewerkschaften. Die Schriftsetzer schließen bis heute die Frauenarbeit aus, manche amerikanische Gewerkschaften verbieten die Aufnahme von Chinesen, Japanern, Negern. Ähnliches finden wir in Südafrika. Das Interesse der englischen Gewerkschafter an der ersten Internationale beruhte nicht zum wenigsten auf der Furcht vor der Einwanderung billiger Arbeitskräfte. Aber mit Recht dachten die Männer der ersten Internationale nicht an Einwanderungsverbote, sondern sie wollten sich dadurch schützen, daß sie die Arbeiterbewegung im Ausland förderten. Zur Zeit der ersten Internationale beherrschte der Liberalismus zu sehr das allgemeine Denken, als daß englische Gewerkschafter auf die Idee gekommen wären, die internationale Freizügigkeit einzuschränken . Anders lagen die Dinge zur Zeit der zweiten Internationale, der Zeit des Imperialismus. Der Liberalismus verlor rapid an Boden, die krasseste Schutzzöllnerei schoß in die Halme , ebenso kapitalistische Monopole Kartelle . Da bildete sich auch der Boden für das Streben nach Monopolisierung günstiger Lohngelegenheiten für die Arbeiter in höher entwickelten Ländern. Dies Streben ist in starken Interessen begründet, allerdings nur denen einer beschränkten Zahl für eine beschränkte Zeit . Es sind Arbeiterinteressen, aber keine sozialistischen Interessen . Nur die sozialistische Arbeiterbewegung beruht notwendigerweise auf internationaler Solidarität. Z ünftige Arbeiterbewegungen neigen zu nationaler Beschränktheit und können zu nationalen Gegensätzen führen . Eine zünftlerische Arbeiterbewegung ist nicht gefeit dagegen , von einer kriegerischen Regierung in eine Kriegsstimmung versetzt zu werden . Sie ist keine zuverlässige Garantie des Weltfriedens.

4. Die Kongresse der zweiten Internationale nach der russischen Revolution von 1905. a) Die erste russische Revolution. Als der Amsterdamer Kongreß zusammentrat , tobte schon seit einem halben Jahr das Kriegsgewitter in Ostasien. Trotzdem übte es keinen merklichen Einfluß auf die Kongreßverhandlungen . Wir haben schon darauf hingewiesen, daß die schwersten Schläge

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das russische Heer erst in den Monaten nach dem Kongreß trafen. Es dauerte bis zum Beginn des Jahres 1905 , fast ein Jahr seit dem Ausbruch des Krieges , daß dieser politisch fühlbare Rückwirkungen unzufriedener Massen in Rußland hervorbrachte. Im Januar 1905 beginnen Demonstrationen und Streiks in den Städten ; ihnen folgen bald Unruhen in den Dörfern. Doch erst im Sommer kommt es zu einer weitgehenden Auflösung der Disziplin in der Armee, dem einzigen Machtmittel , das den Staat des Zaren zusammenhält und die kaiserliche Gewalt stützt. Nun wird die revolutionäre Bewegung unwiderstehlich . Wohl ist sie nur imstande, den Zaren vorübergehend auf die Knie zu zwingen, ihm liberale Konzessionen abzunötigen (die Bewilligung eines Parlaments, einer ,,Duma“ ) . Sie vermag noch nicht, die kaiserliche Gewalt gänzlich zu stürzen. Diese behauptet sich, wie sich 1848 die Monarchien in Deutschland behaupteten als Ansatzpunkte der kommenden Gegenrevolution. Trotzdem war Ungeheures gewonnen . Seit einem Menschenalter, ja, man kann sagen, seit dem Bestehen der Sozialdemokratie, gab es kein Ereignis, das in der gesamten sozialistischen Welt einen so tiefgehenden Eindruck hervorgerufen hätte wie die russische Revolution von 1905. Sie war die erste große Revolution in Europa seit 1848. Die Pariser Kommune von 1871 hatte sich auf eine einzige Stadt beschränkt, die allerdings damals als das „ Herz der Welt" galt. Die Kommune erhielt ihre Bedeutung dadurch, daß in ihr zum erstenmal in der Geschichte das moderne Proletariat zu politischer Herrschaft in einem Gemeinwesen kam . Das war ein ungeheures Ereignis für das Denken und Fühlen sowohl der Proletarier wie der besitzenden Klassen der Welt ; ein weithin leuchtendes Menetekel. Trotzdem vermochte die Kommune nicht das Staatswesen, in dem sie aufkam, in ihrem Sinne zu beeinflussen. Und eine Insurrektion in Frankreich war seit 1789 nichts Unerhörtes mehr. Jetzt dagegen kam es zum Umsturz des ausgedehntesten Staatswesens Europas ( damals mit rund 140 Millionen Einwohnern) , in der Hochburg eines Despotismus, der bis dahin als der einzige im Bereich der europäischen Kultur unerschütterliche erschienen war und immer wieder die Demokratien des Westens bedroht hatte. Was alle unsere Vorkämpfer im vorigen Jahrhundert mit aller Macht ersehnt, wofür so viele edle Märtyrer und Helden ihr Leben anscheinend erfolglos geopfert hatten : Nun war es erreicht , und erreicht vor allem durch das Auftreten eines modernen, industriellen Proletariats.

Während an allen revolutionären Erhebungen in Westeuropa , selbst noch 1871 in der der Pariser Kommune, das Kleinbürgertum

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stark beteiligt war - wenigstens bei ihrem Beginn - spielte dieses in der russischen Revolution eine geringfügige Rolle. In den Städten des Orients hat das Kleinbürgertum andern historischen Ursprung und anderen Charakter, als in den Städten des Mittelalters in Europa. Im Orient ist es unfähig, eine selbständige Politik zu treiben und für sie zu kämpfen. Und Rußland gehört in dieser Beziehung zum Orient . Dabei hatte es in den letzten Jahrzehnten vor dem Krieg eine starke moderne Großindustrie entwickelt. Deren Proletariern fielen jetzt nicht bloß die Aufgaben des proletarischen Klassenkampfes zu wie in Westeuropa, sondern auch manche Aufgabe, die dort das Kleinbürgertum übernommen hatte. Das verlieh schon in der ersten russischen Revolution dem Proletariat die politische Führung, obwohl ihr Ergebnis bei der ökonomischen und kulturellen Rückständigkeit des Staates im besten Fall nur eine bürgerliche Demokratie sein konnte . Dieser Widerspruch erfüllt das ganze soziale und politische Leben Rußlands seitdem . Das Proletariat beherrschte die erste russische Revolution wenigstens in der Zeit ihres Höhepunktes. Allerdings siegte es erst, nachdem die Bajonette und Kanonen und Panzerschiffe der Japaner die bisherige Grundlage des Staates, die Armee, in hohem Maße funktionsunfähig, ja rebellisch gemacht hatten. Der Krieg brachte tatsächlich die Revolution . Daß alle Sozialisten der Welt in größter Verehrung zum russischen Proletariat emporblickten, ist selbstverständlich . Nicht wenige ließen sich dabei von ihrem Enthusiasmus zu Überschwenglichkeiten hinreißen . Mancher wies dem russischen Sozialismus die Führung des gesamten Weltproletariats zu. Zunächst waren es mehr Nichtrussen als Russen, die diesen eine führende Rolle in der Internationale zuweisen wollten. Und die Marxisten blieben sich innerhalb wie außerhalb Rußlands des Marxschen Satzes bewußt,,,daß eine Gesellschaft naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren kann" und daß es das ,,industriell entwickeltere Land ist , das dem minderentwickelten das Bild der eigenen Zukunft zeigt", nicht umgekehrt . Natürlich bedeutete diese Anschauung für Marx nicht eine Schablone, nach der die Entwicklung aller Staaten vor sich zu gehen habe. Er wußte, daß dieselbe Entwicklungsrichtung in verschiedenen Ländern verschiedene Gestalten annehmen kann, je nach der Eigenart ihrer geographischen Lage, der Bodengestaltung und Bodenschätze sowie der daraus sich ergebenden Eigenart ihrer Geschichte. Er wußte auch, daß ein Land eine bestimmte Entwicklungsphase wenn auch nicht überspringen , so doch erheblich durch künstliche Eingriffe abkürzen kann, aber nur dann , wenn die natürliche Entwicklung schon anderswo höhere soziale und

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ökonomische Formen geschaffen hat, die als Vorbilder dienen können.¹) In diesem Sinn hielt es Marx auch für möglich, daß sich aus dem russischen Dorfkommunismus direkt eine höhere sozialistische Produktionsweise entwickle, aber nur unter der Voraussetzung, daß diese sozialistische Produktion vorher schon in Westeuropa zur Durchführung gekommen sei. Immer bleibt für ihn das ökonomisch höher entwickelte Land dasjenige, das den andern den Weg zu höheren Produktionsformen zu zeigen hat . Bei dieser Auffassung war es ausgeschlossen, daß er dem Sozialismus eines ökonomisch so zurückgebliebenen Landes, wie Rußland, eine führende Rolle in der sozialistischen Bewegung der Welt zugewiesen hätte. Aber wenn auch nicht als Führer zum Sozialismus, so erschien doch vielen Sozialisten, selbst vielen Marxisten das russische Proletariat in einem Punkte als Lehrmeister des westeuropäischen. Nämlich in bezug auf die Methoden des Klassenkampfes , für den es vorbildlich geworden sei durch die Art, wie es in den Bewegungen des Jahres 1905 die Waffe des Massenstreiks handhabte. Die politischen Streiks in Rußland im Jahre 1905 widersprachen allem , was man bisher über solche Streiks angenommen hatte. Die allgemeine Auffassung war bis 1905 dahin gegangen, daß ein Massenstreik nur gelingen könne, wenn das industrielle Proletariat einen überwiegenden Teil der Bevölkerung darstelle und wenn es wohl organisiert und diszipliniert sei . Und nun zeigte Rußland das Gegenteil : ein Proletariat, das an Zahl erst einen sehr geringfügigen Bruchteil der Bevölkerung ausmachte und das jeglicher Organisation entbehrte. Und doch setzte es sich wochenlang sieghaft durch und vollbrachte Ungeheures. Wie wurde das möglich ? Um die richtige Antwort zu finden , dazu genügten die bloßen Erfahrungen des einen Jahres 1905 nicht. Seitdem sind fast drei Jahrzehnte vergangen mit zahlreichen politischen Massenstreiks, erfolgreichen und gescheiterten. Da können wir klarer sehen als früher. Wir können heute feststellen , daß dem Massenstreik in unseren Tagen ähnliche Funktionen zufallen , wie ehedem der bewaffneten Insurrektion und dem Barrikadenkampf, die durch die Entwicklung der Waffentechnik gegenüber modern ausgerüsteten Truppen aussichtslos geworden sind. Aber nicht nur die Aufgaben des Massenstreiks und des Barrikadenkampfes stimmen miteinander überein, sondern auch in hohem Maße die Bedingungen ihres Gelingens. ¹) Eine interessante Auseinandersetzung darüber gibt Kurt Mandelbaum in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Briefe von Marx und Engels an Danielson ( Nikolai - on ) . ( Leipzig 1929.)

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Wie die Barrikade war auch der Massenstreik bisher nur einer Regierung gegenüber erfolgreich, die in der Bevölkerung keinen sicheren Boden hatte und sich selbst auf den Staatsapparat nicht verlassen konnte . Der Streik hier, die Barrikade dort, gaben ihr den letzten Stoß, der sie stürzte. Auf der andern Seite aber muß diese isolierte , schwankende Regierung die große Mehrheit der Bevölkerung gegen sich haben , wenigstens die große Mehrheit der politisch interessierten Bevölkerung. Eine Minderheit, rekrutiert aus den besitzlosen Klassen, die über keine anderen Machtmittel verfügen, mag noch so gewalttätig gesinnt sein, sie kann sich mit Gewaltmitteln im Staate gegen eine funktionierende Regierung nicht durchsetzen, wenn hinter dieser die Mehrheit der Bevölkerung steht. Das bedeutet aber, daß bisher ein Massenstreik nicht siegen konnte, wenn er bloß vom sozialistisch denkenden Teil des Proletariats getragen wurde. Denn dieser bildete bisher noch nirgends die Mehrheit der Bevölkerung. Nichts irriger, als die Erwartung, der Massenstreik könne sich der Demokratie dadurch überlegen erweisen, daß er dem sozialistischen Proletariat die politische Macht erobert, ehe es noch über die Mehrheit verfügt. Der Massenstreik kann ein wichtiges Mittel werden, die Demokratie zu gewinnen oder zu verteidigen, nie aber eines, sie zu vergewaltigen . Wer ihn dazu verwenden will, der wird stets scheitern. Worauf beruhten aber dann bisher die großen Erfolge, die manche Massenstreiks erzielten, obwohl das Proletariat, das an ihnen teilnahm , nur eine Minderheit der Bevölkerung ausmachte ? Diese Erfolge bleiben unerklärlich, wenn man den Klassenkampf so simplistisch auffaßt, wie es manche Marxisten tun : auf der einen Seite steht das Proletariat als eine einheitliche, geschlossene Masse, auf der andern Seite die übrige Bevölkerung als eine ebenso geschlossene Masse . Diese beiden Lager bekämpfen einander ununterbrochen bis aufs Messer. Dabei muß man sich allerdings wundern, daß das Proletariat, solange es die Minderheit bildet, überhaupt irgendeinen Erfolg zu erzielen, einen Fortschritt zu erreichen vermag. In Wirklichkeit zerfällt der nichtproletarische Teil der Bevölkerung in sehr verschiedene Klassen und Schichten mit mannigfachen, oft sehr gegensätzlichen Interessen , von denen manche mit den proletarischen übereinstimmen. Der proletarische Klassenkampf besteht nicht in einem allgemeinen und unterschiedslosen Kampf gegen alles, was nicht proletarisch ist. In seinen Anfängen und für lange Zeit gehört zu seinen wichtigsten Mitteln des Aufstiegs das Zusammenwirken mit manchen Klassen, Schichten und Parteien der nichtproletarischen Welt. Herauszufinden , mit welchen Schichten oder Parteien man zusammenzuwirken hat, wann und in welcher Weise , das wird

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eine der unerläßlichsten , aber freilich auch schwierigsten Aufgaben der Führer proletarischer Massen und Parteien. Je größer die Aufgaben, die zu lösen waren, desto weniger konnten sie bei den bisherigen Machtverhältnissen der Klassen und Parteien gelöst werden durch die Taktik des Alles oder Nichts , des Ablehnens jedes Zusammenwirkens mit andern Klassen oder Parteien. Durch reine Klassenaktionen des Proletariats konnten manche kleinere Teilreformen durchgesetzt werden , kein gewaltiger Umsturz des Staates. Gerade die reine Klassenpolitik konnte bisher praktisch bloß reformistisch sein. Jede wirkliche Revolution entsprang aus dem Zusammenwirken verschiedener Klassen gegen einen gemeinsamen Feind an der Spitze des Staates. Es hat bisher noch keinen sieghaften Barrikadenkampf gegeben, bei dem Proletarier allein gefochten hätten . Stets kämpften auch Kleinbürger und Intellektuelle mit oder unterstützten die Kämpfenden durch lebhafte Sympathie. Das Gleiche gilt auch vom Massenstreik. Allerdings scheint er seiner Natur nach eine spezifisch proletarische Waffe zu sein. Aber noch kein politischer Massenstreik hat gesiegt, wenn sich nicht breite Schichten der nichtproletarischen Bevölkerung, Kleinbürger und Intellektuelle , auf die Seite der Streikenden stellten, ihnen das Bewußtsein beibrachten , daß die ganze Volksmasse hinter ihnen stehe und sie dadurch anfeuerten , indes dasselbe Bewußtsein bei den Regierungsleuten und ihren Organen deren Energie lähmte . Die russischen Massenstreiks 1905 waren siegreich , solange die Forderungen, die sie stellten, von der bürgerlichen Opposition ebenfalls verfochten wurden. Als diese glaubte, die vom Zaren gewährten Konzessionen genügten , und ein Ende des Streiks wünschte, verlor die Arbeitseinstellung ihre politische Kraft. Auch in Westeuropa haben Massenstreiks Gewaltiges geleistet, wenn die große Mehrheit der Bevölkerung hinter ihnen stand. So beim Kapp-Putsch 1920. Dagegen scheiterte selbst im hochindustriellen England 1926 der Generalstreik der Gewerkschafter, weil er nicht die öffentliche Meinung der Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatte . Aus dem gleichen Grunde scheiterten die Massenstreiks in der Schweiz am Ende des Weltkriegs . Alle diese Erfahrungen hatte man 1905 noch nicht gemacht. Die Lehren, die man damals aus dem Massenstreik zog, waren ganz anderer Art als die eben dargelegten. Woher kam es , daß das schwache, unorganisierte Proletariat Rußlands eine revolutionäre Kraft entwickelte, wie sie damals kein anderes Proletariat an den Tag legte ? Was unterschied die Proletarier Rußlands von den Proletariern anderer Länder ? Sicher ihr überschäumender revolutionärer Enthusiasmus. Woher rührte der? Man leitete ihn ab nicht von der besonderen revolutionären

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Situation Rußlands , sondern von einer angeblichen revolutionären Überlegenheit des russischen Proletariats. Gar mancher führte diese Überlegenheit darauf zurück, daß die russischen Arbeiter noch nicht in Massenorganisationen großer sozialdemokratischer Parteien und Gewerkschaften eingepfercht seien . Diese Organisationen des Westens sollten ein Hemmnis revolutionären Denkens geworden sein. Zeigten das nicht die englischen Gewerkschaften deutlich genug ? Standen in Deutschland nicht die Gewerkschafter fast alle auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie ? Die Organisationsleiter, die ,,Bonzen" erschienen als die Schuldigen, deren Feigheit immer wieder die Kampfeslust der Arbeitermassen in Westeuropa bremste. Davon waren die russischen Arbeiter frei, darum hatten die Arbeiter des Westens von ihnen zu lernen . Und noch in einem anderen Punkte betrachteten manche Revolutionäre die Praxis der russischen Arbeiter als vorbildlich . Der Streik einer organisierten Masse wird zu einem bestimmten Zweck unternommen. Entweder gelingt es ihm, die ausgesprochene Forderung durchzusetzen, oder die Kraft der Streikenden reicht dazu nicht aus. In letzterem Falle muß er erfolglos abgebrochen werden . Endlich, und das ist in der Regel der Fall, ist es möglich, daß der Streik mit einem Kompromiß endet, bei dem jede der beiden Seiten etwas nachgibt. Aber wie immer ein organisierter Streik enden mag, er bildet eine Kraftprobe, die nicht so leicht wiederholt wird. Am meisten gilt dies von einer so ungeheuren Kraftprobe wie einem politischen Massenstreik. Er ist ein äußerst seltenes Ereignis. Die meisten derartigen Streiks hatte in Westeuropa Belgien aufzuweisen. Und auch dort gab es ihrer bis zur ersten russischen Revolution nur zwei , bis zum Weltkrieg nur drei, ungefähr jedes Jahrzehnt einen : 1893, 1902, 1913. Ganz anderer Art waren die unorganisierten , spontanen politischen Streiks in Rußland 1905. Politisch und ökonomisch unwissende Arbeitermassen sehen plötzlich den Druck nachlassen , durch den Polizei und Militär sie bis dahin niedergehalten haben. Wild erheben sie sich, etwas besseres, etwas anderes zu fordern , als sie bisher gekannt, ohne immer genau zu wissen, was sie wollen . Bald da, bald dort flackert das Streikfeuer auf, die verschiedensten Forderungen werden erhoben, politische wie ökonomische , ohne immer festgehalten zu werden . Ebenso rasch, wie sie ausbrechen , hören die einzelnen Streiks auf, um sich bald wieder von neuem zu zeigen. Es ist eine ewige chaotische Unruhe der unorganisierten Massen, die als Revolution in Permanenz erscheint . Wie spießbürgerlich -friedlich erschienen dem gegenüber die Gewerkschafter etwa Deutschlands und Englands ! Am scharfsinnigsten und beredtesten wenigstens für Leser des Westens wurde der vorbildliche Charakter der russischen

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Rosa Luxemburg

Massenstreiks von 1905 verfochten von Rosa Luxemburg . Auf dem Mannheimer Parteitag 1906 erklärte sie, daß „ die großartige russische Revolution auf Jahrzehnte hinaus die Lehrmeisterin der revolutionären Bewegungen des Proletariats sein wird.“ Das legte sie dar in einer Schrift ,,Massenstreik, Partei und Gewerkschaften" ( Hamburg 1906) . Sie betrachtete dort die Revolution von 1905 bloß als das Ergebnis proletarischer Erhebungen. Die aufwühlende Einwirkung der Niederlagen im Krieg und der Zersetzung der Armee wurde von Rosa Luxemburg ebensowenig hervorgehoben, wie die regierungsfeindlichen Bewegungen bürgerlicher Elemente , die so viel zum Erfolg der Bewegung in ihren Anfängen beitrugen . Da aber die russischen Arbeiter ihre Revolution als unorganisierte Masse gewannen , setzte Rosa Luxemburg auch für Westeuropa alle ihre Erwartungen auf die rückständigsten Elemente dort, die unorganisierten : ,,Wird es in Deutschland zu Massenstreiks kommen, so werden fast sicher nicht die bestorganisierten gewiß nicht die Buchdrucker - sondern die schlechter oder gar nicht organisierten, die Bergarbeiter, die Textilarbeiter, vielleicht gar die Landarbeiter die größte Aktionsfähigkeit entwickeln." (S. 45. ) Also, je schlechter die Organisation , desto näher die Revolution. Dieser Auffassung entspricht der Hohn, mit dem Rosa Luxemburg die westeuropäischen Streikleiter überschüttet, weil für diese bei einem Massenstreik die Frage der ,,Verproviantierung" höchst wichtig ist. Für einen wirklichen Massenstreik komme eine solche gar nicht in Betracht. Die ungeheuren Massen, die dabei in Frage kämen, zu versorgen, sei von vornherein nicht möglich . Aber das sei auch nicht nötig : „ Die Lösung, die eine revolutionäre Periode dieser scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeit gibt, besteht darin, daß sie zugleich eine so gewaltige Summe von Massenidealismus auslöst, bei der die Masse gegen die schärfsten Leiden unempfindlich wird. “ ( S. 35.) Das ist sehr richtig . Aber die überschwenglichste Begeisterung enthebt die Menschen nicht der Notwendigkeit, sich zu ernähren, um Leib und Seele zusammenzuhalten . Nur für kurze Zeit vermag der Enthusiasmus über den Mangel an allem Notwendigen hinwegzuhelfen. Daraus folgt, daß ein wahrhafter Streik der Gesamtmasse des Proletariats sich nur dann durchzusetzen vermag, wenn das Regime, gegen das er kämpft, schon nach den ersten Stößen zusammenbricht. Wenn das nicht gelingt, dann ist der Massenstreik verloren wegen Mangel an Proviant. Lange kann man ihn nicht hinziehen. Das verkannten die Verfechter des russischen Vorbildes . Rosa Luxemburg schrieb : ,,Der Massenstreik ist die Bezeichnung, der Sammelbegriff einer ganzen, jahrelangen, vielleicht jahrzehntelangen Periode des Klassenkampfes."

Rosa Luxemburg

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Und früher schon ( S. 28 ) heißt es : ,,Dabei hört die Streikaktion fast keinen Augenblick auf.“ Also jahrzehntelang sollten die Kämpfer der Revolution nur von Enthusiasmus, nicht von realer Nahrung leben und dabei noch als rüstige Kämpfer unermüdlich auf dem Kampfplatz ihr Äußerstes einsetzen ! Die Unmöglichkeit einer länger dauernden Massenstreikperiode konnte in Rußland deshalb eher verborgen bleiben, als in Westeuropa, weil die Zahl der Industrieproletarier gegenüber der der Bauern ungemein gering und die Verbundenheit vieler städtischer Arbeiter mit dem Dorfe noch groß war. Da konnte sich die Verproviantierung dieser Arbeiter während des Stillstands der Fabriken durch Verwandte und Freunde im Dorf oft längere Zeit hindurch vollziehen. Dabei ist der russische Arbeiter weit unkultivierter, bedürfnisloser als der westeuropäische, was es ihm ebenfalls erleichtert, ohne Einkommen aus der Arbeit eine Zeitlang zu leben. Indes allzuviel Entbehrung kann man auch ihm nicht auferlegen, ohne seine Widerstandskraft und Kampffähigkeit zu brechen. Unsere Freundin Luxemburg hatte 1905 nur Gelegenheit , den wirklich erhebenden revolutionären Enthusiasmus in Rußland mit zu empfinden. Sie war nicht mehr dort , als nach einigen Monaten des Hungerns die revolutionären Arbeiter kraftlos zu Boden sanken. Wir haben schon darauf hingewiesen , daß die Gegenrevolution in Rußland von dem Augenblick an erstarkte, als die Bourgeoisie sich vom Proletariat trennte. Dazu kam als zweites entscheidendes Moment, das die Gegenrevolution kräftigte , die völlige Erschöpfung der revolutionären Arbeiter. Diese trat schon im Dezember 1905 zutage, als es galt, sich gegen die Verhaftung des Petersburger Arbeiter-Sowjets zu erheben. Die Petersburger Proletarier blieben still . In Moskau kam es zum Versuch einer bewaffneten Erhebung, die niedergeworfen wurde. Als im Juli 1906 der Zar die ihm unbequem gewordene Duma auflöste, rief das Zentralkomitee der russischen Sozialdemokratie die Arbeiter auf, die Duma durch einen Massenstreik zu schützen. Dieser Streik mißlang. Rosa Luxemburg führte das auf „,die entschiedene Abneigung des geschulten Proletariats gegen schwächliche Halbaktionen und bloße Demonstrationen" zurück. (S. 30. ) Aber es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, bis es wieder zu einer "", Ganzaktion “ in Rußland kam und auch da erst, nachdem wieder einmal Niederlagen im Krieg die Armee aufgelöst hatten. Bis dahin vermochte auch der grandiose revolutionäre Enthusiasmus des russischen Proletariats für sich allein nicht die Revolution zu entfesseln . Es ging also nicht an, Aktionen , die aus der besonderen histo-

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Russische Methoden

rischen Situation eines Jahres und der besonderen sozialen Eigenart eines noch halb asiatischen Landes hervorgegangen waren, zum Vorbild für die Proletarier und Sozialisten Europas unter allen Umständen zu erheben . Daß Rosa Luxemburg versuchte, in den preußischen Wahlrechtskampf die Methoden der unorganisierten russischen Massenstreiks einzuführen, brachte mich in Gegensatz zu ihr, mit der ich bis dahin in der Zeit der Diskussionen um den Revisionismus gute Waffenkameradschaft gehalten hatte. Aber wenn auch die russischen Methoden von 1905 in Westeuropa nicht einfach nachzumachen waren, so durfte man sie doch nicht als belanglos bei Seite schieben. Sie übten einen gewaltigen, belebenden Einfluß auf die Arbeiter von ganz Europa, namentlich in manchen Rußland benachbarten Gebieten, in denen noch um wichtige demokratische Forderungen zu kämpfen war. In Österreich kam unter dem Eindruck der russischen Ereignisse der Kampf ums allgemeine, gleiche Wahlrecht zu einem siegreichen Abschluß. (Januar 1907. ) Nicht so erfolgreich war die Sozialdemokratie in Preußen bei ihrem Ansturm gegen das Dreiklassenwahlrecht. Aber dieser Ansturm nahm seit 1905 gewaltige Dimensionen an und erzielte, wenn auch nicht den Fall des Wahlunrechts , so doch die Erwählung einer Reihe sozialistischer Abgeordneter in den Landtag trotz dieses Unrechts. Anders war die Wirkung in Frankreich. Dort gab es keinen Kampf ums allgemeine Wahlrecht mehr, schon gar nicht einen Kampf um eine Duma, ein Parlament. Im Gegenteil. Der Mißerfolg des allgemeinen Wahlrechts 1848 und dessen Ausbeutung durch das Kaiserreich hatten bei vielen französischen Arbeitern ein tiefes Mißtrauen gegen das Wahlrecht und die parlamentarische Tätigkeit hinterlassen . Das hatte den friedlichen, antiparlamentarischen Proudhonismus begünstigt, solange die Arbeiter nach der Junischlacht zu energischer Aktion nicht fähig waren. Als später ihre Energie wiederkehrte, wuchs bei den Antiparlamentariern das Interesse an bewaffneten Insurrektionen , zeitweise auch an Akten des individuellen Terrors . Der antiparlamentarische Teil der Massen erwärmte sich aber vor allem nur für die Waffe des Streiks. Ein Straßenkampf war in der Regel aussichtslos, von einem Wahlkampf wollten die Antiparlamentarier nichts wissen, aber der Streik, das wurde nun ihr auserwähltes Machtmittel, um sich in Staat und Gesellschaft durchzusetzen. Nicht eines der Machtmittel des Proletariats neben Wahlkämpfen und anderen, sondern das Machtmittel. Diese Beschränkung der Arbeiterbewegung auf die gewerkschaftlichen Methoden näherte die französischen Antiparlamentarier, die ,,Syndikalisten “, den englischen Trade Unions, die Revolutionäre den Reformisten. Doch in einem Punkte unterschieden sich beide Teile sehr. Die englischen Gewerkschafter legten das höchste

Marxismus und Syndikalismus

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Gewicht auf die Stärke der Organisation und auf volle Kassen. Die französischen Arbeiter liebten es lange Zeit , sich auf ihren spontanen Elan zu verlassen, sie konnten sich nicht daran gewöhnen, regelmäßige Beiträge zu ihren Organisationen zu zahlen . Und da sie, ohne starke Organisationen und Kassen, nicht viel zu verlieren hatten, erschien ihnen auch jede Bedachtnahme auf die gegebenen Machtverhältnisse im politischen und ökonomischen Leben als nebensächlich. Die Hauptsache war ihnen der nötige Enthusiasmus. Fanden sie den bei den Arbeitern ihres Bezirks, dann mußte er ebenso wie der Glaube, Berge versetzen . Das war eine Denkweise , die der der russischen Revolutionäre von 1905 sehr nahe kam . Hier wie dort die gleiche Verachtung für die ,,Verproviantierung“ der Kämpfenden, die nur einen Spießbürger interessieren könne. So hat der französische Syndikalismus durch die russische Revolution einen starken Anstoß erfahren. Bei seiner Feindseligkeit gegen die Sozialdemokratie wurde diese in Frankreich ernsthaft von ihm bedroht. Zwei Methoden boten sich für die Sozialdemokratie , der Gefahr zu entgehen : Einmal verstärkte Propaganda der sozialdemokratischen , man darf wohl sagen, marxistischen Auffassung der Arbeiterbewegung, um die Arbeiter, die noch im Banne des Syndikalismus standen, von ihm zu befreien. Diese Methode wurde von dem Begründer der marxistischen Arbeiterpartei in Frankreich verfochten, Jules Guesde. Die zweite Methode bestand darin, den Syndikalisten entgegenzukommen, soviel als möglich von ihren Forderungen zu akzeptieren, um auf diese Weise ein engeres Zusammenwirken von Partei und Gewerkschaft zu erreichen. Dahin strebten Vaillant und Jaurès, die beide nicht über Marx, sondern über die Gedankengänge der großen französischen Revolution zur Sozialdemokratie gelangt waren. Das Zusammenwirken von Partei und Gewerkschaft war innig zu wünschen, dringend notwendig. Aber nur im Handeln darf man Kompromisse schließen, da sind sie oft wünschenswert , ja unvermeidlich. Kompromisse dagegen im Denken oder in der Propagierung von Gedanken verfehlen stets ihr Ziel . Sie können nur verwirrend wirken, sie schwächen dagegen nicht den Einfluß der Gedanken, die man als verfehlt betrachtet und denen man entgegenarbeiten will. Die Gedankengänge des Syndikalismus erlitten durch das Entgegenkommen der Vaillant und Jaurès keinerlei Abschwächung. Wohl aber unterlagen die Gedankengänge mancher unserer näheren Freunde in Frankreich unter dem Eindruck der russischen Revolution syndikalistischen Anwandlungen - das heißt nur jener unserer Freunde, die außerhalb des ,,orthodoxen " Marxismus standen. Das zeigte sich namentlich in der Kriegsfrage.

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Stuttgarter Kongreß 1907 b) Der Stuttgarter Kongreß 1907.

Die geistige Rückwirkung der russischen Revolution äußerte sich auf dem internationalen Kongreß, der kurz nach ihr, 1907, in Stuttgart zusammentrat, der erste, der auf deutschem Boden tagte. Sein Hauptthema bildete die Kriegsfrage. Die deutsche Sozialdemokratie verfocht dort den gleichen Standpunkt , den sie stets vertreten, so 1891 und 1893. Dagegen stellte ihrem Vorschlag diesmal die Mehrheit der französischen Genossen eine besondere Resolution entgegen. Der deutsche Vorschlag (Bebel ) wollte die Arbeiter und ihre parlamentarischen Vertreter einem Kriege gegenüber bloß verpflichten ,,alles aufzubieten, um durch Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern , oder falls ein solcher dennoch ausbrechen sollte, für seine rasche Beendigung einzutreten." Das genügte nicht der Mehrheit der Franzosen, geführt von Vaillant und Jaurès . Sie wollten, der Kongreß solle erklären : ,,Die Verhütung und Verhinderung des Krieges ist durch nationale und internationale sozialistische Aktionen der Arbeiterklasse mit allen Mitteln, von der parlamentarischen Intervention, der öffentlichen Agitation bis zum Massenstreik und zum Aufstand zu bewirken." Jaurès und Vaillant wollten sich nicht mit der Resolution Bebel begnügen. Und doch war diese so gefaßt, daß sie Massenstreik und Aufstand nicht ausschloß. Sie sprach nur von ,,den am wirksamsten erscheinenden Mitteln" ohne diese besonders zu bezeichnen. Wer wollte, der durfte auch Massenstreik und Aufstand dazu rechnen . Aber die Richtung Vaillant-Jaurès wollte, daß diese beiden . Verfahren besonders genannt, also ausdrücklich für den Fall eines Kriegsausbruchs in Aussicht gestellt würden . Dagegen sprachen nicht nur die Gründe , die Plechanov und Wilhelm Liebknecht im Verein mit Vaillant schon 1893 ausgesprochen hatten, sondern noch ein weiterer Grund . Diesen formulierte eine Resolution , die von der Minderheit (Jules Guesde ) der französischen Delegation der ihrer Mehrheit entgegengestellt wurde : ,,Die vom Antimilitarismus angepriesenen Mittel von der Desertion und dem Militärstreik bis zur Insurrektion , sind nur geeignet, die Propaganda und Werbung für den Sozialismus zu erschweren und zu komplizieren. Sie schieben dadurch den Moment hinaus, wo das Proletariat hinreichend organisiert und stark genug sein wird, um durch die soziale Revolution allem Militarismus und jeglichem Krieg ein Ende zu machen.“ In der Tat war sicher für viele Gegner der Vaillant-Jaurès'schen Resolution der Gedanke von bestimmendem Einfluß, wie sehr die Propagierung des Militärstreiks und des Aufstandes unsere Agitation und Organisation erschweren, ja in manchen militaristischen Ländern einfach unmöglich machen müsse. Eine Rücksicht

Lenin als Vermittler

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auf diese Erwägung brauchte Mitglieder einer kleineren Verschwörung nicht zu beunruhigen, sie mußte aber von Gewicht sein für jeden, der sich dessen bewußt war, daß nur durch Massenparteien das Ziel der proletarischen Befreiung erreichbar sei. Dieser Gedanke allein hätte freilich nicht entscheidend werden müssen, er vermehrte aber erheblich den Widerstand derjenigen, die Massenstreik und Insurrektion im Falle eines Kriegsausbruchs für sehr unwahrscheinlich hielten, deren bloßer Versuch schon höchst verderblich wirken konnte. Und um der Proklamierung eines so zweifelhaften Mittels willen sollte man die kraftvollsten Organisationen des Proletariats schon im Frieden der Zertrümmerung aussetzen? So standen sich in Stuttgart zwei scharfe Gegensätze in der Kriegsfrage gegenüber. Durfte der Kongreß auseinandergehen , ohne daß diese Gegensätze überbrückt waren ? Das hätte besagt, daß der befürchtete Krieg die Internationale schon im Frieden zu spalten drohte. Da erstanden rettende Engel aus einer östlichen Delegation . Wohl war aus der russischen Revolution jener Anstoß gekommen, der Massenstreik und Insurrektion dem westlichen Denken wieder näher brachte . Insofern mußte den Russen die Resolution VaillantJaurès sehr sympathisch sein. Der Vertreter der Sozialrevolutionäre Rußlands, Rubanowitsch, sprach denn auch gegen den Antrag Bebel und erklärte , sie hätten auf ihrem letzten Kongreß eine Resolution beschlossen , die sich mit der Vaillant-Jaurès'schen decke. Die russischen Marxisten folgten jedoch nicht den Sozialrevolutionären. Das marxistische Denken war in ihnen zu stark, als daß sie sich ohne weiteres für einen Gedankengang hätten einsetzen können, der sie in die Gefolgschaft des französischen Syndikalismus und in Gegensatz zu den eigentlichen Marxisten in Frankreich wie in Deutschland brachte ; in einen Gegensatz zu Jules Guesde ebenso wie zu Bebel, und zu mir, der ich in der Frage ganz auf Seiten Bebels stand . Ich konnte das allerdings in Stuttgart nicht zum Ausdruck bringen, denn man hatte mich dort in die Gewerkschaftskommission , nicht in die Kriegskommission gewählt . Es fiel mir in der Gewerkschaftskommission ebenfalls die Aufgabe zu, gegen eine von den Franzosen eingebrachte Resolution deshalb zu sprechen , weil sie dem Syndikalismus zu große Konzessionen machte. Mit mir wirkte in der gleichen Kommission Plechanov . Daher war auch er in Stuttgart verhindert, sich zur Kriegsfrage zu äußern. Zwei Delegierte der russischen Sozialdemokratie in der Kriegskommission, Lenin und Martov sowie die polnische Delegierte Rosa Luxemburg traten in Stuttgart als Vermittler auf. Das war eine Funktion , die Lenin wie Rosa Luxemburg nur selten auf sich nahmen. 22

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Die Stuttgarter Resolution

Als Ausgangspunkt ihrer Vorschläge wählten sie die Bebel'sche Resolution. Zu ihr brachten sie eine Reihe von Zusatzanträgen ein. Ihrem letzten Absatz , der bereits zitiert worden ist, sollte folgende Fassung gegeben werden : ,,Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind in den beteiligten Ländern die Arbeiter und ihre parlamentarischen Vertreter verpflichtet, alles aufzubieten, um den Ausbruch des Krieges durch Anwendung aller ihnen zweckmäßig erscheinenden Mittel zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klassenkampfes und der allgemeinen politischen Situation naturgemäß ändern und steigern. Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, sind sie verpflichtet, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, um die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur politischen Aufrüttelung der weitesten Volksschichten und zur Beschleunigung des Sturzes der kapitalistischen Klassenherrschaft auszunutzen." Dieses Amendement wurde mit geringfügigen Änderungen in den definitiven Text der Resolution aufgenommen. Dazu kam eine lange Einschiebung, die Jaurès vorschlug, eine Darstellung der Tätigkeit zur Erhaltung des Friedens , die die zweite Internationale bisher geübt. Einige unwesentliche Änderungen wurden noch von der Redaktionskommission vorgenommen (Vandervelde, Adler, Jaurès ) . So geformt fand die Resolution dann in der Kommission und im Plenum einstimmige enthusiastische Annahme. Hervé, von dem wir gleich noch reden werden, suchte seine Zustimmung besonders demonstrativ zu bekunden. Zu diesem Zwecke bestieg er bei der Abstimmung einen Tisch und hob beide Hände hoch. Vorher aber hatte er darauf hingewiesen, daß die Resolution in ihrer schließlichen Form allem widerspreche, was die deutschen Vertreter in der Kommission , Bebel und Vollmar, ausgeführt hatten . In Wirklichkeit war die Resolution so gehalten, daß jede Seite sie in einem ihr günstigen Sinne auslegen durfte . Auch das war man bei einer Luxemburgschen oder Leninschen Resolution nicht gewohnt gewesen, mich dünkt jedoch, daß sie, genau betrachtet, eher im Sinne der deutschen Sozialdemokratie als in dem der französischen Mehrheit oder der russischen Revolutionäre sprach. Die Resolution übernahm aus dem Bebelschen Vorschlag die Verpflichtung, im Falle des Ausbruchs eines Krieges für seine rasche Beendigung einzutreten. Was Luxemburg und Lenin hinzufügten , war die Verpflichtung, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes zu benutzen, um dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen. Die Aufrüttelung des Volkes ist eine Tätigkeit , die wir nicht bloß im Kriege zu entfalten haben , sondern auch im Frieden, unter allen Umständen . Die Verpflichtungen im Kriege werden hier von denen im Frieden nur insofern unterschieden, als an-

Die Stuttgarter Resolution

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genommen wird, daß der Krieg die Aufrüttelung des Volkes besonders begünstigt, da er eine wirtschaftliche und politische Krise hervorruft. An welche Methoden zur Verhinderung eines Krieges man dachte, sehen wir aus einem von Jaurès beantragten Absatz , der in die Resolution in ihrer schließlichen Fassung überging. Er wies auf die bisherigen Aktionen sozialistischer Arbeiter seit dem Brüßler Kongreß zur Wahrung oder Herbeiführung des Friedens hin. Die verschiedensten Mittel, heißt es dort, seien zu diesem Zweck angewandt worden , sowie dazu , die Aufrüttelung aller sozialen Schichten durch den Krieg für die Befreiung der Arbeiterklasse auszunützen . Als Beispiele dafür zählt die Resolution auf : ,,Die Verständigung der englischen mit den französischen Gewerkschaften nach der Faschodakrise zur Sicherung des Friedens und zur Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen England und Frankreich ; das Vorgehen der sozialistischen Parteien in den Parlamenten Deutschlands und Frankreichs anläßlich der Marokkokrise ; die Massendemonstrationen, die damals von deutschen und französischen Sozialisten veranstaltet wurden ; die gemeinsame Aktion der Sozialisten Österreichs und Italiens, die sich in Triest versammelten, um einem Konflikt der beiden Staaten vorzubeugen ; weiter das kraftvolle Eingreifen der sozialistischen Arbeiterschaft Schwedens zur Verhinderung eines Angriffs auf Norwegen ; endlich die heroischen Opfer und Kämpfe der sozialistischen Massen, der Arbeiter und Bauern Rußlands und Polens, um sich dem vom Zarismus entfesselten Krieg zu widersetzen und um zu bewirken, daß aus der Krise die Freiheit der Völker Rußlands und des Proletariats hervorgeht. Alle diese Bemühungen bezeugen die wachsende Macht des Proletariats und sein wachsendes Streben, den Frieden durch energische Eingriffe zu erhalten." Keiner dieser Hinweise besagte , wenigstens für nüchterne Denker, irgend etwas zugunsten der Forderung , einen ausbrechenden Krieg durch einen Generalstreik oder eine Insurrektion unmöglich zu machen. Auch das russische Beispiel sprach keineswegs dafür, nicht die geringste Volksbewegung hatte sich in Rußland im Februar 1904 gegen den Ausbruch des Krieges geregt. Wohl gab es dort Generalstreiks und Insurrektionen , jedoch erst nach längerer Dauer des Krieges. Erst die völlige Auflösung der militärischen Disziplin infolge einer ununterbrochenen Reihe schmählicher Niederlagen hatte es ermöglicht , daß seit dem blutigen 22. Januar 1905 , fast ein Jahr nach Ausbruch des Kriegs, die steigende Erregung der Massen Rußlands über den militärischen Zusammenbruch nicht mehr niederzuhalten war und der Zarismus schließlich im Herbst 1905 eine Duma und einige Volksfreiheiten gewähren mußte. Gegen eine derartige Ausnutzung der durch den Krieg geschaffenen Krise hatte natürlich niemand etwas einzuwenden. Aber es war himmelweit verschieden von einem Generalstreik oder Aufruhr bei Ausbruch des Krieges, um diesen unmöglich zu machen.

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Bebel und Jaurès

Der Gegensatz zwischen der Mehrheit der französischen und der deutschen Sozialdemokratie in der Kriegsfrage wurde durch die Vermittlung von Lenin und Rosa Luxemburg natürlich nicht aufgehoben. Gegensätze im Denken können nie durch vermittelnde Resolutionen überwunden werden. Dennoch vermögen solche Resolutionen großen Wert zu erlangen dadurch , daß sie offene Feindseligkeiten verhindern, wenigstens dann , wenn der Gegensatz im Denken nicht auf die Praxis übergreift. So wurde durch die Vieldeutigkeit der Resolution von 1907 die Internationale tatsächlich vor einer schweren Krise bewahrt , die gerade in einer Zeit drohender Kriegsgefahr besonders verhängnisvoll hätte wirken können . Die Einigkeit wurde allerdings auch dadurch erleichtert, daß im wesentlichen Jaurès und Vaillant doch auf dem Boden blieben , den 1893 fast die ganze Internationale (mit Vaillant) eingenommen hatte . Domela Nieuwenhuis hatte damals verlangt, daß in jedem Lande bei Kriegsausbruch die Arbeiter den Militärdienst verweigern und die Arbeit einstellen. Die Frage der Bekämpfung des Krieges war für ihn nicht eine Frage der Politik, sondern der Kriegstechnik. Zwei technische Mittel, Kriegshandlungen unmöglich zu machen, wurden genannt, die automatisch ohne politische Prüfung in Kraft treten sollten. So weit gingen Vaillant und Jaurès nicht. Sie akzeptierten allerdings Generalstreik und Aufstand als Mittel, einen ausgebrochenen Krieg unmöglich zu machen. Aber sie begaben sich dabei doch nicht der Pflicht, den Krieg als politisches Mittel zu betrachten und unsere Haltung ihm gegenüber mit der Politik in Beziehung zu bringen, der er dienstbar gemacht wurde. Jaurès wollte 1907 ebenso wie Bebel unsere Haltung im Kriege von der jeweiligen Haltung der Regierung abhängig machen . Der Prüfstein , den Jaurès angewendet sehen wollte, war die Zulassung eines Schiedsgerichtes. Er forderte, das Proletariat solle jeder Regierung seine Unterstützung versagen, solle jeder Regierung mit den schärfsten Mitteln, dem Generalstreik und der Insurrektion entgegentreten, wenn diese es ablehne, ihren Konflikt mit einer anderen Regierung vor ein Schiedsgericht zu bringen. Dagegen sei sie energisch zu unterstützen, wenn sie trotz ihrer Bereitwilligkeit, ein Schiedsgericht zu akzeptieren, vom Gegner angegriffen werde .

Darin, daß sich hinter eine von einer fremden Macht angegriffene Regierung dem Angreifer gegenüber, die ganze Nation, also auch das Proletariat zu stellen habe , darin stimmten Bebel und Jaurès-Vaillant überein , wenn sie auch in der Frage der taktischen Hilfsmittel, die sie für anwendbar hielten , auseinandergingen . Auch Guesde verfocht aufs energischeste die Pflicht der bewaffneten Abwehr eines Angreifers .

Der Parteitag von Essen

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c) Lensch, Hervé und Schippel. Neben den erwähnten traten auch Anschauungen auf, die sich mit der des Anarchisten Nieuwenhuis in der Kriegsfrage deckten. Was dieser schon 1893 erklärt hatte, das wiederholten sie jetzt, 1907, nach der russischen Revolution : Es gebe keinen Unterschied mehr in der Gefährlichkeit der einzelnen Staaten für das Proletariat. Dieses brauche sich im Kriegsfall nicht lange zu besinnen, es müsse jeder Regierung von vornherein seine Unterstützung verweigern. Unter den Deutschen kamen dieser Ansicht zeitweise sehr nahe Lensch und Ledebour. Sie trat zutage auf dem Essener Parteitag, der kurz nach dem Stuttgarter Kongreß stattfand . Eine Rede, die Noske im Reichstag über die voraussichtliche Haltung der Sozialdemokratie im Kriegsfall gehalten hatte, wurde auf jenem Parteitag Gegenstand lebhafter Kritik, aber auch energischer Verteidigung, namentlich durch Bebel. Noske hatte erklärt, in der Beurteilung von Angriffskriegen stimme er mit dem Kriegsminister überein . Werde Deutschland angegriffen, würden die Sozialdemokraten mit den bürgerlichen Parteien zusammenwirken . Dem stimmte Bebel zu , wenn er auch nicht jedes Wort Noskes unterschreiben wollte . Er polemisierte gegen mich einer der wenigen Fälle , in denen es zu einer derartigen Auseindersetzung zwischen uns kam. Ich hatte es durchaus nicht abgelehnt, daß die deutsche Sozialdemokratie mittue, wenn Deutschland angegriffen werde. Natürlich handelte es sich um die politische Unterstützung der Regierung, nicht etwa um die Ableistung der Militärpflicht. Die war nicht in Frage gestellt. Was ich bemängelt hatte , war, daß man die Partei zu dieser Unterstützung von vornherein in dem Falle verpflichten wollte, daß die Regierung erkläre, sie sei vom Ausland angegriffen . Ich wies darauf hin , daß es oft unmöglich sei, bei Ausbruch eines Krieges festzustellen , wer der Angreifer sei. ,,Die deutsche Regierung könnte eines Tages den deutschen Proletariern weismachen, daß sie die Angegriffenen seien, die französische Regierung könnte das gleiche den Franzosen weismachen und wir hätten dann einen Krieg, in dem deutsche und französische Proletarier mit gleicher Begeisterung ihren Regierungen nachgehen und sich gegenseitig morden und die Hälse abschneiden . Das kann verhütet werden, wenn wir nicht das Kriterium des Angriffskrieges anlegen, sondern das der proletarischen Interessen, die gleichzeitig internationale Interessen sind." Wir müßten uns in einem Kriege auf jene Seite stellen, zu der uns das proletarische, das internationale Interesse dränge . Darauf entgegnete Bebel : ,,Mein Freund Kautsky hat heute sehr unglücklich gegen mich polemisiert. (Heiterkeit.) Sein sonst so gewohnter Scharfsinn hat ihn vollständig verlassen. ( Erneute Heiterkeit ! ) " Bebel meinte dann weiter, wir hätten schon in früheren Kriegen herausgefunden, wer der Angreifer sei .

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Polemik Bebel - Kautsky

,,Da wir inzwischen älter und gescheiter geworden sind, werden wir hoffentlich in Zukunft noch größeren Scharfsinn entwickeln. ( Heiterkeit.) Wenn ich noch einmal solch ein Schauspiel erleben sollte — und Kautsky würde dann gewiß auch noch leben, er ist ja jünger als ich dann rechne ich darauf, daß wenn ich in einem solchen Falle den richtigen Weg nicht finden kann, mir sein Scharfsinn dazu verhilft. (Große Heiterkeit und lebhafter Beifall. ) " Bebel hatte damals die Lacher auf seiner Seite. Leider haben sich die Befürchtungen, die ich 1907 äußerte, sieben Jahre später in einer Weise bestätigt, daß jedem Sozialisten für lange Jahre hinaus alles Lachen verging. So scharf der Gegensatz zwischen Bebel und mir 1907 erschien, darin waren wir beide einig, daß wir anerkannten, unsere Gegnerschaft gegen den Krieg sei nicht von vornherein gleichbedeutend mit einer Bekämpfung der eigenen Regierung, z. B. durch Ablehnung der Kriegskredite. Eine Entscheidung darüber könne in jedem besonderen Kriegsfall nur das Ergebnis der Feststellung des besonderen Charakters des betreffenden Krieges sein. Und darin stimmten fast alle Redner in der Diskussion auf dem Essener Parteitag überein , so hitzig sie sich auch befehden mochten. Für die Mehrheit war wohl das Kriterium des Angriffskrieges das entscheidende. Es ist auch das konkretere, leichter faßbare. Marx und Engels selbst haben es stark betont. Vielleicht das richtigste Wort sprach damals Eisner aus, der darauf hinwies, das Bedauerliche an Noskes Rede sei nicht ihr Gedankengang, der nichts enthalte, was nicht schon hundertmal vorher gesagt worden, sondern der Zeitpunkt , in dem er ihn äußerte, der Zeitpunkt einer starken internationalen Spannung — es war die Zeit der Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich wegen Marokkos. „Wenn in jenem Augenblick, da man versuchte, den nationalen Furor zu entfesseln, Noske die patriotischen Gefühle in den Vordergrund gestellt hat, so milderte das nicht die internationale Spannung, sondern verschärfte es sie ... Wenn die Bourgeoisie dem Ausland gegenüber sagen kann : Auch das Proletariat ist auf unserer Seite, so liegt darin eine Kriegsgefahr." Das ist in der Tat eine wichtige Erwägung. Der Unterschied zwischen den einseitig nationalen und den internationalen Sozialdemokraten liegt weniger in den ökonomischen Zielen, die für beide die gleichen sein können, als in dem geistigen Horizont. Der eine beschränkt sich mit seinem Wissen und Denken auf die eigene Nation, erwägt bei seinen Worten und Handlungen bloß deren Rückwirkung auf das eigene Volk. Das Ausland kümmert ihn wenig, er kennt es daher auch nicht genügend. Wie seine Worte und Handlungen dort wirken, vermag er nicht zu ermessen . Proletarische Politiker dieser Art waren schon im Frieden eine Gefahr für die internationale Einheit des Proletariats . In einem Kriege droht ihre Tätigkeit in dieser Hinsicht vollends verderblich zu werden. Das internationale Moment wurde von den einzelnen Rednern auf dem Essener Parteitag mehr oder weniger stark betont, fast

Lensch und Hervé

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alle aber stimmten darin überein, wir könnten unsere Stellung in einem künftigen Kriege nicht von vornherein festlegen, sondern müßten sie von einer vorherigen Prüfung der jeweiligen Verhältnisse abhängig machen. Das betonte auch Clara Zetkin : „ Wir können nicht so blindlings als selbstverständlich die Versicherung abgeben, daß wir für den bürgerlichen Nationalstaat, für die Interessen der ausbeutenden Klassen die Flinte auf den Buckel nehmen, und was wir im Falle eines Krieges unternehmen werden (sic) . Was wir tun und lassen, wird von den vorliegenden geschichtlichen Verhältnissen abhängen." Dem stimmte wohl jeder zu . Selbst Noske hatte nicht „ blindlings" die „ Versicherung abgegeben“, unter allen Umständen die Flinte für den bürgerlichen Nationalstaat auf den Buckel zu nehmen. Seine Versicherung galt bloß für den Fall eines Angriffs auf Deutschland.

Nur einen Redner gab es, der glaubte, bereits ,,blindlings" eine Versicherung für den Fall eines künftigen Krieges abgeben . zu können. Allerdings nicht die Versicherung einer unbedingten Unterstützung der Regierung, sondern des Gegenteils : unbedingter Opposition. Er meinte : ,,In der jetzigen Situation ist ein Krieg nicht denkbar, dem die Sozialdemokratie zustimmen könnte ; da war die Erklärung Noskes ebenso überflüssig wie schädlich." Der so sprach, war Paul Lensch. Ledebour, der nach ihm zu Wort kam, erklärte , er verzichte, sich über den Fall Noske auszulassen. Er stimmte im wesentlichen mit dem überein, was Lensch ausgeführt. Weit schroffer noch hatte sich auf dem Stuttgarter Kongreß bereits der Franzose Gustave Hervé mit südlichem Elan geäußert . Er verhöhnte damals die Idee des Vaterlandes, erklärte, den Arbeitern könne es gleich sein, welcher Nation die Kapitalisten angehörten, von denen sie ausgebeutet würden. Dem Krieg hätten sie den Bürgerkrieg entgegenzusetzen . In seinem Buche ,,Leur patrie“ (erschienen 1906) verherrlichte er Domela Nieuwenhuis, bekannte sich als Verfechter seiner Forderung und legte Wert darauf : ,,den anarchistischen Genossen seinen Dank dafür auszusprechen, daß sie die reine Lehre des revolutionären Sozialismus in bezug auf Internationalität unbefleckt erhalten hätten." (S. 201. ) ¹) ¹) Als Motto setzte Hervé auf den Titel des Buches die Verse : ",,Nous tissons sur nos métiers Ton linceul, ô vieille patrie ! Avec nos filles et nos garçons C'est ton linceul que nous tissons! C'est ton linceul C'est ton linceul Que nous tissons !" Erklärend setzte Hervé hinzu, das sei die Übersetzung eines Weberlieds, das von Gerhart Hauptmann herrühre. Dessen Weberlied in den

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Hervé

Auf dem Stuttgarter Kongreß beantragte Hervé zur Kriegsfrage folgende Resolution : „ In der Erwägung, daß es für das Proletariat gleichgültig ist, unter welcher National- und Regierungsmarke die Kapitalisten es ausbeuten; daß das Interesse der Arbeiter es gebietet, ohne irgend welche Ablenkung ausschließlich den Kampf gegen das internationale Kapital zu führen : verwirft der Kongreß den Patriotismus der Bourgeois und der Regierungen, der das Bestehen einer Interessengemeinschaft zwischen allen Bewohnern eines Landes vorlügt. Der Kongreß erklärt, daß es die Pflicht der Sozialisten aller Länder ist, nur zu dem Zweck Waffen anzuwenden ( se battre ), um das kollektivistische oder kommunistische System durchzusetzen und es zu verteidigen, nachdem seine Aufrichtung gelungen. Angesichts der diplomatischen Zettelungen , die von den verschiedensten Seiten den Frieden Europas bedrohen, fordert er alle Staatsbürger ( citoyens ) auf, jede Kriegserklärung, von welcher Seite sie auch kommen möge, mit dem Militärstreik und dem Aufstand zu beantworten." Diese Resolution fand nur wenige Befürworter. In der Kriegskommission wurde sie fast einmütig abgelehnt, auch von Rakowsky und der Genossin Roland-Holst. Nur ein Vertreter Italiens mit dem nicht sehr italienischen Namen Weiß trat für sie ein, im Gegensatz zu Costa, der im Namen der Mehrheit der sozialistischen Partei und des Gewerkschaftsbundes Italiens sprach. Später sollte allerdings Hervés Gedankengang zahlreiche Anhänger gewinnen sonderbarerweise die meisten zu einer Zeit, als Hervé selbst ihm untreu geworden war - in dieser wie in sonstiger Beziehung das Seitenstück zu Lensch. Aus anderen Gründen als in Frankreich gab es in England nicht wenige Sozialisten , die eine allgemeine Dienstverweigerung im Falle eines Krieges forderten. Nicht aus Antipatriotismus, sondern aus religiöser Verwerfung jedes Waffengebrauchs. Neben diesen verschiedenen Auffassungen über die Haltung der Sozialisten nach Ausbruch eines Krieges erstand noch eine weitere in Leuten, die Marx als ,,Realpolitiker" gekennzeichnet hätte , als Politiker, die nicht über ihre Nase hinwegsehen, räumlich wie zeitlich . Sie haben Interesse nur für den Bezirk, in dem sie wirken, und nur für die Gegenwart . Internationale Zusammenhänge und eine weitere Zukunft interessieren sie nicht. Leben sie in einem starken Staat, dann finden sie , sein Proletariat gedeihe am besten dann, wenn dieser Staat fremde Völker ausbeutet und unterdrückt und dadurch den Reichtum im eigenen Lande mehrt, ,,Webern" verfolgt jedoch einen ganz andern Gedankengang. Hervé verwechselte offenbar G. Hauptmann mit H. Heine, in dessen Gedicht „ Die Weber" heißt es : ,,Im düstern Auge keine Thräne, Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne : ,Deutschland, wir weben dein Leichentuch, Wir weben hinein den dreifachen Fluch Wir weben, wir weben ! ... Ein Fluch dem falschen Vaterlande, Wo nur gedeihen Schmach und Schande ... Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch ...““ usw.

Gegen Schippel und Pannekoek

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die Möglichkeit, höhere Löhne zu zahlen und mehr Arbeiter zu beschäftigen, vergrößert. Hat doch schon Marx anerkannt, daß innerhalb des Kapitalismus das Proletariat um so günstiger dasteht, je rascher die Akkumulation des Kapitals vor sich geht. Diese realpolitischen Sozialisten sehen daher ihre Hauptaufgabe darin, im Interesse des eigenen Proletariats die Akkumulation des eigenen Kapitals auf Kosten des Auslands zu fördern . Sie treten ein für Erhöhung der Zollschranken , für koloniale Eroberungen, für Militarismus und Wettrüsten zu Land und zu Wasser, predigen Haß gegen fremde Völker, die der heimischen Industrie als Konkurrenten unangenehm wären . Viele ihrer Gedankengänge leben heute fort im Nationalsozialismus. Offen wagten sie sich selten heraus, da wären sie zu sehr auf entschiedenen Widerspruch in der Partei gestoßen . Sie suchten sich mehr hinterrücks bemerkbar zu machen und wirkten durch Schlauheit und Zähigkeit , nicht durch Offenheit. In der deutschen Sozialdemokratie war der kenntnisreichste und gewandteste unter ihnen Max Schippel. So herrschten in der Internationale bereits vor dem Ausbruch des Weltkriegs die mannigfachsten Auffassungen in der Frage ihrer Haltung im Kriegsfall. Der Schreiber dieser Zeilen bekam dies sehr nachdrücklich zu verkosten, denn er mußte mit den Extremisten von links wie mit denen von rechts ausführliche Polemiken ausfechten , in der von ihm redigierten „ Neuen Zeit“. Auf der einen Seite mußte er Schippels Eintreten für Agrarzölle, für das stehende Heer und das Wettrüsten, sowie für Kolonialpolitik abwehren, auf der anderen Seite Illusionen zerstören, die über die Haltung der Bevölkerung im Kriegsfall von Anhängern der äußersten Linken in der Sozialdemokratie gehegt wurden. So beschäftigte ich mich z. B. 1911 in einem Artikel der ,,Neuen Zeit“ zur Maifeier ( ,, Krieg und Frieden, Betrachtungen zur Maifeier", XXIX . 2. S. 97 ff.) mit der Frage, ob der Generalstreik ein aussichtsreiches Mittel sei , einen Krieg zu verhindern . Ich meinte, ein solcher Erfolg sei keineswegs dort ausgeschlossen, wo eine Regierung ihr Volk wider seinen Willen zu einem Krieg drängen wolle und der Staat von keiner feindlichen Invasion bedroht werde . Ich dachte dabei z. B. an den Krieg, den Spanien seit 1909 gegen die Rifkabylen in Marokko führte, sowie an den Krieg der Engländer gegen die Buren zu Beginn des jetzigen Jahrhunderts. Dann fuhr ich fort : ,,Ganz anders steht die Sache dort, wo die Bevölkerung sich vom Nachbarn, ob mit Recht oder Unrecht, bedroht fühlt, wo sie in ihm und nicht in der eigenen Regierung die Kriegsursache erblickt, und wo der Nachbar nicht ungefährlich ist, ... sondern die Gefahr seines Eindringens ins Land droht. Nichts fürchtet ein Volk mehr als eine feindliche Invasion. Die Schrecken des heutigen Krieges sind grauenvoll ... doppelt und dreifach grauenvoll für den Schwächeren ... Ist es einmal so weit gekommen, daß die Bevölkerung nicht in der eigenen Regierung, sondern in der Böswilligkeit der Nachbarn die Kriegs-

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Der Kopenhagener Kongreß 1910

ursache erblickt, und welche Regierung versuchte es nicht, mit Hilfe ihrer Presse, ihrer Parlamentarier, ihrer Diplomaten der Masse der Bevölkerung diese Anschauung beizubringen? Kommt es unter solchen Umständen zum Kriege, dann entbrennt in der ganzen Bevölkerung das heiße Bedürfnis nach Sicherung der Grenze vor dem böswilligen Feinde ... Da werden zunächst alle zu Patrioten, auch die international Gesinnten, und wenn einzelne den übermenschlichen Mut haben sollten, sich dagegen aufzulehnen und hindern zu wollen , daß das Militär zur Grenze eilt und aufs reichlichste mit Kriegsmaterial versehen wird, so brauchte die Regierung keinen Finger zu rühren, sie unschädlich zu machen. Die wütende Menge würde sie selbst erschlagen." („ Neue Zeit“, XXIX. 2. S. 193, 194. ) Diese Auffassung fand lebhaften Widerspruch in der äußerIsten Linken der Sozialdemokratie. Ausführlich wurde mir entgegnet von Pannekoek in einer Artikelserie der ,,Neuen Zeit" (XXX , 2., Heft 41 , 42, 43) , wo er betrübt erklärte, er könne kaum glauben, daß die eben zitierten Sätze von mir stammten. Um sie niederzuschreiben, müsse man alles vergessen haben, was wir über die Kapitalsinteressen als Ursachen des Krieges und über die Klassengegensätze innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft wüßten : ,,Die sozialdemokratischen Arbeiter, die in den Großstädten die Mehrheit der Bevölkerung bilden, sind zu einer ‚Menge' geworden, die wütend diejenigen erschlägt, die sich dem Kriege zu widersetzen wagen ! Es ist überflüssig, nachzuweisen, daß die ganze Darstellung mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat." (S. 611. ) Drei Jahre später bekamen wir Gelegenheit, zu prüfen , ob meine Darstellung mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatte. Wie hätte ich gewünscht, Pannekoek hätte recht behalten ! d) Der Kopenhagener Kongreß 1910 . Der nächste Kongreß der zweiten Internationale, der vom 28. August bis 3. September 1910 in Kopenhagen tagte, war ihr achter und der letzte ihrer ordentlichen Kongresse. Auch er hatte sich mit der Frage des Widerstandes gegen den Krieg zu beschäftigen. Zwei Punkte der Tagesordnung galten dieser Frage, der dritte über internationale Schiedsgerichte zur Verhinderung von Kriegen und allgemeine Abrüstung und der sechste über ein Verfahren zur Sicherung der schnellen Ausführung der Beschlüsse der internationalen Kongresse zur Sicherung des Friedens . Da beide Punkte dem gleichen Zwecke der Bekämpfung des Krieges dienten, wurden sie einer Kommission überwiesen, die sie vereint behandeln sollte . Diese kam zur Einigung über eine Resolution, die zu ausführlich ausfiel, als daß sie hier im Wortlaut wiedergegeben werden könnte. Sie verurteilte das Wettrüsten , das die Volksmassen ökonomisch belaste und den Frieden gefährde. Die Bekämpfung der Rüstungen, die Ablehnung der Mittel dafür wurde jeder sozialistischen Vertretung in einem Parlament zur Pflicht gemacht. Außerdem sollten diese Vertretungen immer wieder in jedem Konflikt zwischen Staaten die Entscheidung durch internationale

Antrag Vaillant - Keir Hardie

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Schiedsgerichte fordern. Sie sollten überall allgemeine Anträge auf Abrüstung, Abschaffung der Geheimdiplomatie und der geheimen Verträge zwischen den Regierungen stellen . Endlich wird den parlamentarischen Vertretungen überall zur Pflicht gemacht ,,das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und deren Verteidigung gegen kriegerischen Angriff und gewaltsame Unterdrückung." Über diese Forderungen waren in der Kommission alle ihre Mitglieder einig. Trotzdem äußerte sich in Kopenhagen derselbe Gegensatz, der schon in Stuttgart drei Jahre vorher zutage getreten war. Ja er äußerte sich noch schärfer. Diesmal gelang es nicht, eine versöhnende Formel zu finden. Der Gegensatz trat zutage in einem Zusatz , der der allgemein gebilligten Resolution hinzugefügt werden sollte. Er wurde eingebracht von Vaillant im Namen der Franzosen und von Keir Hardie im Namen der Engländer. Ihr Antrag lautete : „Unter den Mitteln, die angewendet werden sollen, um einem Krieg vorzubeugen oder ihn zu verhindern , empfiehlt der Kongreß als besonders zweckmäßig den allgemeinen Streik, hauptsächlich in den Industrien, die für den Krieg die Materialien liefern (Waffen, Munition, Transport usw. ) , eine aktive Agitation im Volk und zwar mit den äußersten Mitteln.“ Dieser Antrag wurde von den Deutschen entschieden abgelehnt, und zwar ohne Unterschied der Richtung. Ihr Wortführer zu diesem Punkte war in Kopenhagen der Vertreter der äußersten Linken Georg Ledebour. Die große Mehrheit der Kommission stellte sich auf die Seite der Deutschen ( 119 gegen 58 Stimmen) , trotzdem lehnten Keir Hardie und Vaillant jede vermittelnde Fassung ab. Der Gegensatz kam vor dem Plenum zur Erörterung. Er war im Grunde einer, der heute noch die sozialistischen Reihen durchzieht. Er beruhte auf dem Mißtrauen zum Parlamentarismus, auf dem Glauben, wenn die Sozialdemokratie bei den Wahlen auch bei freiestem Wahlrecht und im Parlament nicht die Mehrheit gewinne, dann stünden ihr stärkere Mittel zur Verfügung, sich durchzusetzen, der politische Streik, die Insurrektion . Daß diese, um sich durchzusetzen, eine weit größere Mehrheit auf Seiten der Rebellen erheischen als die parlamentarische Demokratie, vergiẞt man in der Regel. Man wähnt, durch Gewaltsamkeit den Mangel an Anhang wettmachen zu können , sieht nicht, daß gerade auf dem Gebiet der Gewaltmittel die herrschenden Klassen den Arbeitern in besonders hohem Maße überlegen sind. Nicht durch die Wucht von Gewaltmitteln, sondern nur durch die Wucht der großen Überzahl kann sich eine Partei des arbeitenden Volkes durchsetzen. Das erkennt sogar mancher von denen an, die an Stelle parlamentarischen Kampfes den Appell an die Straße setzen wollen. Aber sie wähnen, durch den Aufruf zur Gewalt mache man leichter die Massen mobil, als es in einem Wahlkampf möglich sei. Daher könne sich dadurch auch eine Partei durchsetzen, die im

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Keir Hardies Pazifismus

Parlament (selbst bei allgemeinem Wahlreicht und bei voller Freiheit der Propaganda und der Abstimmung) eine ausgesprochene Minderheit darstelle , wie das 1910 noch für die englische Labour Party und die französische Sozialdemokratie zutraf. Sowohl Keir Hardie wie Vaillant kamen in der Diskussion immer wieder darauf zurück, daß zur Verhinderung eines Krieges parlamentarische Mittel nicht genügten . Anderseits gingen sie aber so weit, daß sie meinten, die proletarische Gegenaktion gegen den Krieg außerhalb des Parlaments sei schon dann unwiderstehlich, wenn sie bloß in den Kriegsindustrien einsetze . Hardie erklärte als Korreferent im Plenum : „ Wir wollen keinen Generalstreik, uns genügt der Streik der Arbeiter, die Kriegsmaterial herstellen ... Bereits das Streiken jener Industrie, zu der ich selbst gehört habe, würde genügen, um den Krieg zu verhindern, ich meine die Kohlengräber." So sehr hatten die Vertreter dieser Richtung das Bewußtsein dafür verloren, daß keine Frage so hochpolitisch sei , alle Mitglieder des Gemeinwesens so erfasse und errege , wie die eines Krieges : sie betrachteten sie als eine rein technische Frage, in der die Arbeiter der Kohlengruben, des Transportwesens, der Rüstungsindustrien imstande seien, der Gesamtmasse der Nation ihren Willen aufzuzwingen. Und solches Aufzwingen kommt in Frage in einem Lande, wo parlamentarische Demokratie herrscht. In einem solchen wird ein Krieg, den die Mehrheit der Nation nicht will, bereits von ihrem Parlament verhütet werden . Aus der Auffassung Vaillant-Keir Hardie sprach eine syndikalistische Überschätzung der Macht gewerkschaftlicher Methoden . Bei Keir Hardie kam dazu noch eine so viele sozialistische Engländer charakterisierende quäkerhafte Ablehnung jedes gewaltsamen Widerstandes gegen Gewalt . In seinem Korreferat sprach Keir Hardie nicht bloß für die allgemeine Abrüstung, sondern pries auch schon die einseitige Abrüstung : ,,Die Geschichte der Menschheit wird ein neues Ruhmesblatt aufschlagen, wenn das erste Volk vollständig abrüstet, alle Waffen wegwirft. Dann wird kein Staat , selbst Rußland nicht, wagen, ein solches waffenloses Land anzugreifen und durch den Überfall eines Volkes , das die Waffen bei Seite gelegt hat, das Gerechtigkeitsgefühl und den Freiheitsdrang der ganzen Welt herauszufordern." Hardies Vertrauen zum Gerechtigkeitsgefühl und zum Freiheitsdrang der Regierungen der ganzen Welt und zum Respekt der Despoten der großen Militärmächte vor dem Verlangen nach Gerechtigkeit und Freiheit vermochte nicht, die Mehrheit des Kongresses mit sich zu reißen . Sollte man aber den Gegensatz der Methoden der Kriegsbekämpfung, der in der sozialistischen Internationale herrschte, offenbar werden lassen, indem man eine Abstimmung darüber vornehmen ließ, nachdem es unmöglich gewesen , eine vermittelnde Formulierung zu finden ? Das hätte alle jene zu sehr enttäuscht, die von der sozialistischen Internationale erwarteten, sie sei schon

Verschiebung der Kriegsresolution

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stark genug, der Menschheit die Schrecken eines Krieges zu ersparen. Allerdings kam 1914 die Enttäuschung doch und die Führer der Internationale wurden für die mangelnde Kraft der Internationale auf jeden Fall verantwortlich gemacht. Da eine Verständigung nicht möglich war, suchte man wenigstens die unangenehme Entscheidung hinauszuschieben Namentlich die Belgier, die schon so oft vermittelnd gewirkt, betätigten sich auch in Kopenhagen in diesem Sinne . In der Kommission erklärte der Belgier Debunne, die Belgier seien im Prinzip für das Amendement Vaillant-Keir Hardie, würden aber dagegen stimmen, weil der Vertreter Deutschlands es für unannehmbar erkläre. Im Plenum teilte dann Vandervelde mit, die belgische Delegation werde sich bei der Abstimmung über den Antrag VaillantHardie der Stimme enthalten. Sie könnten nicht dagegen stimmen , der Antrag wäre aber zwecklos , wenn er nicht einstimmige Annahme fände. Daher seien die Belgier dafür, die Frage solle noch gründlich studiert und dem nächsten internationalen Kongresse zur Entscheidung zugewiesen werden . Der Antrag, den er einbrachte, wurde unterzeichnet außer von Vandervelde selbst von Hillquit, Wibaut, Rosa Luxemburg , Victor Adler und Ebert. Keir Hardie selbst schloß sich an, der Antrag fand einstimmige Annahme. Dieses Ergebnis wurde mit ,,stürmischem Beifall " aufgenommen und doch bedeutete es nicht eine Überwindung des Gegensatzes , sondern nur eine Verschiebung der Entscheidung. Sie sollte auf dem nächsten Kongreß fallen , der für das Jahr 1913 nach Wien einberufen wurde. Doch früher schon mußte die Internationale zu einem außerordentlichen Kongreß zusammentreten, der 1912 durch den Balkankrieg notwendig wurde. e) Der Balkankrieg von 1912. In der Internationale gab es sehr verschiedenartige Anschauungen über die Möglichkeit und die Mittel, das Führen eines Kriegs zu verhindern, wenn die Sozialisten zu schwach seien , die Regierung zu stürzen, die ihn entfesselte . Dagegen zeigte sich die Internationale völlig einmütig dort, wo es galt, angesichts eines drohenden internationalen Konflikts ein gemeinsames Programm internationaler Friedenspolitik festzusetzen, auf das sich alle Parteien der Internationale verpflichteten. Die Frage der Verhinderung eines Krieges war im Grunde eine bloße Machtfrage . Die Gegensätze in unseren Reihen , die sie zeitigte, gingen aus Verschiedenheiten der Einschätzung der politischen Kraft hervor, die das Proletariat bereits erlangt habe . Es waren Gegensätze zwischen nüchterner und überschwenglicher Betrachtung der Wirklichkeit, nicht prinzipieller Auffassungen .

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Balkankrieg von 1912

Die Frage eines Programms internationaler Friedenspolitik dagegen war eine Frage sozialistischer Prinzipien und ihrer Anwendung in der Wirklichkeit. Gelang es der Internationale, sich darüber zu einigen , so bezeugte das eine weitgehende prinzipielle Übereinstimmung und Geschlossenheit, die erwarten ließ, die Internationale werde in einem kommenden Kriege stets einig bleiben, welche Formen immer ihre Haltung gegenüber den Kriegshandlungen annehmen sollte. Die Notwendigkeit der Aufstellung eines solchen Programms trat 1912 ein, als der Balkankrieg ausbrach und ein Weltkrieg bereits vor der Türe zu stehen schien - nicht wegen eines Kolonialkriegs, eines ,,imperialistischen" Kriegs, sondern wegen eines Nationalkriegs. Eines Kriegs von Balkanstaaten für nationale Einigung. Der russische Zar hatte 1878 zähneknirschend erkennen müssen, daß es ihm unmöglich sei , gegen den Willen fast ganz Europas die europäische Türkei dem russischen Reich anzugliedern. Um so mehr fühlte er sich gedrängt, das nationale Streben zu unterstützen, das sich unter den Balkanvölkern geltend machte. Wenn nicht als Gebieter, so doch als Schutzherr wollte er sich die Südslawen dienstbar machen . Was für den ersten Napoleon der Rheinbund gewesen, sollten für den Zaren die Staaten und Stätchen des Balkans werden. Vom Standpunkte der Demokratie wäre die Ersetzung des türkischen Jochs durch die Begründung eines großen südslawischen Staates das zweckmäßigste gewesen. Das wollte das absolutistische Rußland nicht. Seinen Zwecken entsprach am besten die Kleinstaaterei auf dem Balkan, so wie den Zwecken sowohl des französischen wie des österreichischen Absolutismus ehedem die Kleinstaaterei in Deutschland und Italien gedient hatte. Die andern Mächte hätten am liebsten in der Türkei alles so gelassen, wie es war. Das ging aber auf die Dauer nicht. Die nationale Bewegung der Südslawen wurde immer mächtiger, indes der türkische Staat immer mehr unter seinem ,,autoritären" Regime verfiel. Die Befreiung der Südslawen konnten auch die antirussischen Großmächte auf die Dauer nicht verhindern . Aber statt den Befreiungskampf der Südslawen zu fördern und ihm das Ziel eines großen, selbständigen Südslawenreichs zu geben, spielten die Großmächte - unbewußt, wider Willen - das Spiel Rußlands und förderten die staatliche Zersplitterung auf dem Balkan , die auf dem Berliner Kongreß von 1878 festgesetzt wurde. Besonders widersinnig war die Okkupation Bosniens durch Österreich 1878. Wie die Türkei wurde auch Österreich durch den Drang seiner verschiedenen Nationalitäten nach Selbständigkeit immer mehr geschwächt und in seinem Bestand bedroht. Jede größere Erschütterung konnte zu seinem Zerfall führen . Eine weitersehende Politik hätte trachten müssen , die Zahl der nationalen Reibungsflächen

Österreich in Bosnien

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möglichst zu vermindern durch freiwilliges Aufgeben von Außenwerken, die unhaltbar waren . Allerdings hat noch kein Nationalitätenstaat je eine so vernünftige Politik getrieben, er wartete stets, bis er dazu gezwungen wurde. Aber die Regierungen Österreichs zeigten sich in der Beziehung stets besonders verbohrt. So war Franz Josef 1866 schon vor dem Kriege bereit gewesen, Venetien an Italien abzutreten. Er hätte damit erreicht , daß dieser Staat Preußen im Stich ließ , Österreichs ganze militärische Kraft gegen den Feind im Norden konzentriert werden konnte. Aber das militärische Prestige duldete nicht, daß man das Vernünftige freiwillig tat, ohne sich deshalb auf dem Schlachtfeld mit dem Gegner gemessen zu haben. Ebenso 1878. Hätte damals Österreich den Anspruch der Serben auf Bosnien und die Herzegowina unterstützt und ihnen außer dem noch Dalmatien abgetreten, das für die Monarchie ganz wertlos war, so gewann es nicht nur die Dankbarkeit der Serben . Die Dankbarkeit ist in der Politik eine sehr zerbrechliche Ware. Aber Serbien wäre dadurch darauf angewiesen worden , Österreichs Freundschaft und Unterstützung zu suchen, um sich gegen Italien zu behaupten, das aus dem adriatischen Meer ein italienisches zu machen trachtete . Statt dessen besetzte Österreich Bosnien, erregte dadurch die bitterste Feindschaft des serbischen Volkes, dessen staatliche Zersplitterung nun für solange verewigt wurde, als Österreich bestand. Und daß man Bosnien einsteckte , ohne Italien eine „, Kompensation“ zu geben, vergrößerte gleichzeitig den Haß der Italiener gegen Österreich. Damals bildete sich die Italia Irredenta. So gewann der Habsburgerstaat 1878 durch die Okkupation Bosniens gleich zwei Feinde auf einmal ohne nennenswerten Gewinn. Denn ökonomisch bedeutete Bosnien sehr wenig, keines der Völker Österreichs verlangte danach . Niemand wünschte die Okkupation außer dem Kaiser selbst, der nach so vielen Niederlagen und Verlusten doch auch einmal wieder als „, Mehrer des Reichs" dastehen wollte. Wie der Kaiser dachten auch seine Militärs, die in Bosnien ein wichtiges Ausfallstor für einen künftigen Krieg nach dem Süden sahen. Die Militärs bekamen aber in der Monarchie um so mehr Einfluß auf die Politik, je mehr die Armee die einzige Klammer wurde , die noch den Staat zusammenhielt. Außer diesen Faktoren setzten sich für die Okkupation nur noch jene Politiker Österreichs ein, die wähnten, Servilität sei das wirksamste Mittel, Vorteile herauszuschlagen, sei es für ihre Person, sei es für ihre Partei. Und doch hätten gerade diese Elemente sich am meisten der Okkupation widersetzen müssen. Denn um den Bestand Österreichs für längere Zeit zu sichern, gab es nur zwei Arten der Politik : entweder mußte man den Gesamtstaat in dem Sinne umgestalten, daß er alle jene Grenzgebiete freiwillig abgab, die für den

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Franz Ferdinand

Bestand des Staates nicht notwendig waren und ihn durch ihre intensive Feindseligkeit schwächten . Die im alten Reich verbleibenden Völker mußte man dann mit ihm durch Gewährung größter Freiheit versöhnen. Oder aber, wenn der Regierung die Kraft und der Weitblick für eine solche gewiß kühne Politik fehlte , dann mußte sie wenigstens ängstlich sich an den Status quo klammern , jeder Grenzveränderung aus dem Wege gehen, die große Bewegungen im Innern des Staates oder bei seinen Nachbarn auslösen konnte. Das wäre wohl nur eine Fortsetzung der geistlosen, feigen Politik gewesen, die Österreich vom Wiener Kongreß bis 1859 betrieben hatte . Der fortschreitende Verfall und Zerfall der Monarchie konnte dadurch nicht beschworen werden. Aber bei konsequenter Befolgung des Grundsatzes : Quieta non movere, brauchte die Regierung Österreichs wenigstens nicht selbst für das bereits so morsche Staatsgebäude Erschütterungen herbeizuführen, denen es nicht mehr gewachsen war. Das dämmerte mitunter sogar dem so tatenlustigen Thronfolger Franz Ferdinand auf. Im Jahre 1908 schickte sich Österreichs Regierung an, die 1878 vollzogene Okkupation Bosniens in eine regelrechte Annexion umzuwandeln , das heißt, sie definitiv - eine arge Provokation sowohl der Türkei wie Serzu machen — biens. Damals schrieb Franz Ferdinand an den Minister des Äußeren Aehrenthal am 6. August 1908 einen Brief, in dem es unter anderm hieß : ,,Im allgemeinen bin ich überhaupt bei unseren desolaten inneren Verhältnissen gegen alle solche Kraftstückeln. Meiner Ansicht nach kann sich solche Sachen nur ein konsolidierter, kräftiger Staat erlauben." (Zitiert bei L. v. Chlumecky, „,Erzherzog Franz Ferdinands Wirken und Wollen", Berlin, 1929, S. 98.) Die Okkupation hatte dreißig Jahre früher stattgefunden, als der österreichische Staat noch nicht so unterhöhlt war. Indes auch damals schon bedeutete dieser Schritt, der für Österreichs Bestand ganz überflüssig war, eine arge Kurzsichtigkeit. Die Regierung Franz Josefs gliederte damals dem Reich im Süden einen Herd innerer und äußerer Komplikationen und Gefahren an. Doch nicht Bosnien allein, der ganze Balkan war seitdem ein Gebiet steter Unruhe geblieben, die Folge des fortschreitenden moralischen Zerfalls Österreichs, und des noch weit rapideren nicht bloß moralischen, sondern auch ökonomischen und militärischen Verfalls der Türkei. Seit 1878 war die Lotterwirtschaft des sultanschen Despotismus uneingeengt weitergegangen, von Zeit zu Zeit durch irgend einen Aufstand christlicher Untertanen unterbrochen . Selbst die Armee verkam immer mehr ; diese aber war das Lebenszentrum des türkischen Staates . Ohne eine starke Armee konnte er nicht einmal äußerlich mehr zusammenhalten. Das begriffen sogar die trägen, unwissenden Sultane und die

Schmarotzer ihrer Umgebung, die den Staat regierten, das heißt

Annexion Bosniens 1908

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ausbeuteten. Die Armee zu modernisieren, hielten sie für ihre Pflicht. Dazu wurden nicht nur Waffen von den Industriestaaten Europas bezogen, sondern auch Offiziere zum Studium der Kriegskunst nach dem Westen, namentlich nach Frankreich entsandt. Es waren vielfach die intelligentesten Offiziere, die man dazu auswählte, sie lernten nicht nur das Kriegswesen, sondern auch die Ökonomie und Politik des Auslands kennen und erfüllten sich immer mehr mit der Überzeugung, daß zur Rettung des Vaterlandes die Gewährung wenigstens einiger Stücke europäischer Freiheit unerläßlich sei. Unter ähnlichen sozialen Bedingungen hatten in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Rußland die Offiziere die Vorhut einer liberalen und revolutionären Bewegung des Absolutismus gebildet. Unter den türkischen Offizieren fand das revolutionäre ,,Komité für Einheit und Fortschritt" die meisten und die energischsten Anhänger. Im Juli 1908 schritten diese zur Tat , als es schien, der Zerfall der Türkei stehe bereits unmittelbar bevor. Sie erzwangen die Gewährung einer parlamentarischen Verfassung und verteidigten sie mit Erfolg gegen Versuche der Gegenrevolution. So erfreulich und vielverheißend das war, damit wurde eine Bewegung entfesselt, die schließlich im Weltkrieg mündete . Eine Reihe von Mächten, die nach türkischem Gebiet verlangten, fühlten sich jetzt gedrängt, einzugreifen , ehe die erwartete Regenerierung der Türkei Früchte trug und ihr erhöhte Widerstandskraft verlieh. Zuerst meldete sich Österreich , das schon im Oktober 1908 die Okkupation Bosniens in eine Annexion umwandelte. Wohl hatte es im April 1879 in einem Vertrag mit der Türkei die Souveränitätsrechte des Sultans über Bosnien und die Herzegowina ausdrücklich anerkannt, die Okkupation bloß als Provisorium bezeichnet, nichts zwang die Österreicher, diesen Vertrag nun als wertlosen Wisch zu betrachten . Sie zogen sich damit nicht nur den Vorwurf der Treulosigkeit zu , sondern erregten auch ebenso die türkischen Patrioten wie deren Widersacher, die Patrioten der Serben und ihren Schutzherrn , den Zaren . Wenn dieses Verfahren der österreichischen Regierung - damals Freiherr von Aehrenthal - nicht bereits einen Krieg ent- . fesselte, so lag das wahrlich nicht an der Besonnenheit der Staatsmänner Österreichs. Doch blieben sie nicht allein . Italien, namentlich sein nach Posten hungriger Überschuß an Intellektuellen, verlangte schon seit langem nach einem Stück des afrikanischen Besitzes der Türkei im Mittelmeer. Frankreich hatte ihm 1881 Tunis weggeschnappt . England saß seit 1882 in Ägypten. Als letztes, von der Türkei abhängiges Gebiet in Nordafrika, blieb noch Tripolis übrig. Dorthin ging jetzt Italien 1911. Es war dabei weniger glücklich als Frankreich und England vor ihm. Damals, 1881 und 1882 , hatte das träge 23

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Italiens Kriegszug nach Tripolis

Sultansregiment die Räuber ruhig gewähren lassen. Die revolutionären Offiziere , die jetzt den türkischen Staat beherrschten , betrieben dagegen eine energische Abwehr. Natürlich war die italienische Kriegsmacht der türkischen überlegen . Aber der Krieg zwischen Italien und der Türkei dauerte über ein Jahr (29. September 1911 bis 10. Oktober 1912) und kostete das italienische Volk erhebliche Opfer an Gut und Blut. Der Krieg war ein ausgesprochener Angriffskrieg Italiens, das freche Überfallen eines friedlichen Bürgers durch einen bis an die Zähne bewaffneten Räuber - von ,, Banditenpolitik" sprach ich in einem Artikel der „ Neuen Zeit" (30. September 1911 ) über den Raubkrieg. Und es war ein ausgesprochen imperialistischer Krieg . Kein Volksinteresse wurde gefährdet, wenn die Mobilisierung der Truppen des eigenen Landes gehindert wurde. Im Gegenteil , dem Volk konnte dadurch nur eine Fülle von Leid erspart werden. Tatsächlich erhob sich auch das italienische Proletariat einmütig gegen die Kriegspolitik seiner Regierung, obwohl es in hohem Maße zerklüftet und gespalten war . Alle seine Gruppen und Richtungen fanden sich trotz aller Gegensätze zwischen ihnen in gemeinsamer Entrüstung über die Niedertracht der eigenen Regierung außer einigen Parlamentariern und Literaten, die sich von imperialistischen Redensarten ködern ließen . Wenn je, so war diesmal die Situation für die Anwendung der Methode zur Verhinderung des Krieges gegeben , die von Keir Hardie-Vaillant-Jaurès propagiert wurde. Und doch zeigte sich gleich die Unmöglichkeit, sie auch nur ernsthaft zu versuchen . Es war schon sehr viel, daß die Gewerkschaften ( die ,, Konföderation der Arbeit") im Einverständnis mit der sozialistischen Parlamentsfraktion eine Protest- Demonstration beschlossen , einen vierundzwanzigstündigen Generalstreik, einen „,würdigen Protest der gekreuzten Arme, der sich von jeder Gewalttat fern hält", wie es in ihrem Aufruf heißt. Und überall , „,wo die Partei stark ist, da war auch der Proteststreik stark, einmütig und imponierend", konstatierte Oda Olberg in einem bemerkenswerten Bericht über „,die italienische Parteiaktion vor dem tripolitanischen Kriegszug" (veröffentlicht in der ,,Neuen Zeit" 13. Oktober 1911 , S. 36) . Aber zu mehr kam es nicht . Ein Aufruf der Syndikalisten, den Generalstreik so auszudehnen, daß er die kriegerische Aktion hemmte, fand nicht das mindeste Echo . Bemerkenswert ist es, daß in Venedig,,,wo der Ausstand weit hinter den Erwartungen zurückblieb, die Tatsache daran schuld sein kann, daß dort das Gros der Proletarier aus Arsenalarbeitern besteht" ( Oda Olberg im genannten Artikel , S. 37) . Dieser Ausgang der Aktion war kein Grund , die Proletarier und Sozialisten Italiens wegen ungenügender Abwehr des Kriegs zu beschimpfen, wohl aber ein Grund für die Sozialisten aller Länder, nachzudenken über die Grenzen ihrer Macht bei solcher Ab-

Balkanstaaten gegen die Türkei

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wehr und sie davor zu warnen , den Massen etwas Unmögliches zuzumuten . Die Sozialisten Italiens haben damals schon viel dadurch geleistet, daß sie dem Kriege gegenüber einmütig blieben, sich nicht spalteten und dadurch ihre Kraft intakt erhielten für den Zeitpunkt, wo der Abscheu gegen die Kriegspolitik der eigenen Regierung allgemein wurde. Dann mochte die Sozialdemokratie die Führung der Nation im Kampfe gegen diese Politik und für den Frieden übernehmen. Das, und nicht die Verhinderung des Kriegs durch einen Streik, war die wirkliche Aufgabe der Sozialisten im Falle des Ausbruchs eine Angriffskriegs. Diese Aufgabe haben die Sozialisten Italiens 1911 insofern gelöst , als sie einig blieben. Daß sie die Früchte ihrer Politik nicht ernten konnten , rührte daher, daß der italienischen Regierung unerwartete Hilfe kam. Sie war in Tripolitanien nach einem Jahre energischer Kriegsführung noch nicht über die Küste hinausgekommen und auf die Dauer wäre die Nation des ebenso ruhmlosen wie unfruchtbaren Kriegs müde geworden , der gegen einen Feind geführt wurde, der das arbeitende Volk Italiens nicht auch nur im geringsten bedrohte. Da erstand aber plötzlich der Türkei ein neuer Feind . Der Berliner Kongreß von 1878 hatte die europäische Türkei in keiner Weise liquidiert , zahlreiche Gebiete mit christlicher Bevölkerung unter türkischer Herrschaft gelassen. Diese neigten stets zu Aufständen. Der ökonomische Verfall machte neben ihnen auch viele muselmanische Gebiete rebellisch . Mazedonien und Albanien waren stete Aufruhrherde. Die Unruhe , die nach dem Umsturz in Konstantinopel die Annexion Bosniens durch die Österreicher auf dem ganzen Balkan hervorrief, wurde durch die Bedrängnis gesteigert, in die der türkische Staat im Krieg mit Italien geriet . Daß sich da die christlichen Balkanstaaten zusammentaten , um der Herrschaft der Türkei in Europa ein Ende zu bereiten, ist nicht verwunderlich. Eher darf man sich darüber wundern, daß es solange brauchte, bis es gelang, die verschiedenen Regierungen des Balkans unter einen Hut zu bringen. Erst anfangs Oktober 1912 fühlten sie sich stark genug, der Türkei den Krieg zu erklären. Am 6. Oktober forderte die bulgarische Regierung in der Sobranje die Bewilligung von Kriegskrediten, am 7. Oktober folgte ihr die serbische Regierung in der Skupschtina. Später wendete sich die griechische Regierung an das Parlament. Ihr antwortete einmütige Kriegsbegeisterung. Das wäre auch in Serbien und Bulgarien der Fall gewesen , wenn dort nicht die Sozialdemokratie Vertreter im Parlament gehabt hätte , einen in Bulgarien , zwei in Serbien . Diese sprachen sich gegen den Krieg aus, was stürmische Empörung der andern Deputierten hervorrief.

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Militärischer Zusammenbruch der Türkei

Am 8. Oktober erklärte Montenegro den Krieg an die Türkei , am 13. sandten Serbien, Bulgarien, Griechenland Ultimaten nach Konstantinopel , denen die Kriegserklärung folgte. Nach zwei Fronten den Krieg zu führen, war die Türkei zu schwach. Die Abwehr jenes Feindes , der die Hauptstadt bedrohte, erschien ihr wichtiger, als die Behauptung eines stets sehr zweifelhaften Besitzes in Afrika. Sie machte sofort Frieden mit Italien , das nun durch die Balkanstaaten zu Tripolis kam, wie 1859 durch Frankreich zur Lombardei , 1866 durch Preußen zu Venetien. Den Serben und Griechen traute man keine große militärische Tüchtigkeit zu . Sie waren zu oft von den Türken geschlagen worden. Und war es der Hohen Pforte nicht gelungen , hervorragende Offiziere der deutschen Armee zur Reorganisierung des eigenen Heerwesens zu gewinnen ? Von ihnen ist besonders zu nennen der Freiherr v. d . Goltz , der von 1883 bis 1895 und von 1909 bis 1911 in der türkischen Armee an leitender Stelle tätig war — im Weltkrieg sollte er dann wieder eine türkische Armee kommandieren. Die Erwartungen, die man in die türkische Armee setzte, wurden gar sehr enttäuscht. Unglaublich rasch brachen 1912 die Streitkräfte der Türkei vor denen der Balkanstaaten zusammen . Schon im November dieses Jahres standen deren Truppen vor Konstantinopel, an der Tschataldschalinie. Alle Welt war überrascht. Nicht am wenigsten aber die leitenden Staatsmänner Deutschlands und Österreichs . Fürst Bülow schrieb damals : „ Die Haltung Österreichs vor dem Balkankrieg beruhte auf der nicht zutreffenden Voraussetzung, die Türkei werde ihre Gegner mit Leichtigkeit niederrennen.“ ( „ Denkwürdigkeiten", Berlin 1931 , III . S. 112. ) In dieser irrigen Ansicht habe man damals ,,die Pforte in ihrer Angriffslust eher bestärkt". Um so größer, und zwar nicht bloß in Wien und Pest, sondern auch in Berlin war nachher die Enttäuschung, die sich in Wien und Budapest bald in ,,wachsende Sorge und Nervosität verwandelte“. Das ist für die damalige Stimmung unter den leitenden Staatsmännern Österreichs noch eine milde Bezeichnung. Tatsächlich waren sie sinnlos vor Wut über die serbischen Erfolge. Serbien, das war für sie der gefährlichste Feind des Kaiserstaats geworden. Dies kleine Land mit etwa 3 Millionen Einwohnern erschien als die größte Gefahr für den Bestand der Monarchie mit ihren über 50 Millionen Bewohnern ! Und das nicht einmal ganz mit Unrecht . Allerdings nicht wegen der Kraft des serbischen, sondern wegen der Schwäche des österreichischen Staatswesens. Nicht in seiner nördlichen, sondern seiner südlichen Hälfte war dieses jetzt am meisten gefährdet. Wohl haßten die Tschechen den österreichischen Staat, wie er war. Aber sein Zerfall drohte ihre Lage bedeutend zu verschlechtern , wenn sich dabei die Deut-

Österreich im Süden bedroht

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schen Österreichs dem Deutschen Reich anschlossen. Das tschechische Gebiet wurde dann von drei Seiten von deutschem Land umklammert. Es drohte den Tschechen die Gefahr, daß ihr Land bei einer Zertrümmerung des Staats der Habsburger mit dem Deutschen Reich verbunden werde - hatte es doch von altersher bis 1866 zu Deutschland gehört, noch 1848 Abgeordnete zur deutschen Nationalversammlung in Frankfurt entsendet . Anderseits sehnten sich die Polen nach der Wiederherstellung Polens. Aber solange Preußen und Rußland intakt waren, bedeutete eine Auflösung Österreichs für seine Polen nicht die Gewinnung der nationalen Selbstbestimmung, sondern die Unterwerfung unter russisches Joch. Ähnliches galt für die Ukrainer Österreichs , die dort Ruthenen genannt wurden . Ganz anders stand es im Süden der Monarchie mit ihren Italienern, Rumänen, Südslaven . Deren Gebiete grenzten an Nationalstaaten der eigenen Nationalität, liberale Staaten, deren Anziehungskraft groß war, schon durch ihr bloßes Bestehen , auch dann , wenn die betreffenden Regierungen keine besondere nationalistische Propaganda entfalteten. Diese drei Staaten, Italien , Rumänien und Serbien wurden um so mehr von den österreichischen Patrioten als Feinde empfunden, je mehr der nationale Gedanke im Süden Österreichs an Kraft gewann und je mehr die staatliche Zentralregierung dort dadurch an Boden verlor. Gegenüber Italien und Rumänien wurde dieser Gegensatz etwas gemildert durch die Einwirkung der deutschen Politik. PreuBen hatte seit 1866 mit Italien gute Beziehungen gehabt ; sie hatten sich noch verstärkt seit 1881 , als Frankreich Tunis nahm und Italien sich, darüber verärgert, enger an Deutschland anschloß, das jeden Bundesgenossen gegen Frankreich willkommen hieß. Und in Rumänien wieder herrschte seit 1866 ein Hohenzoller. Als sich Österreich enger an Deutschland anschloß , bewirkte dieses, daß bei den Diplomaten Italiens wie Österreichs der Gegensatz der Staaten soweit überwunden wurde , daß es zu einem Bündnis Italiens nicht nur mit Deutschland sondern auch mit Österreich kam , dem Dreibund, 1882. Dieser wurde 1888 durch Beitritt Rumäniens zum Vierbund erweitert . Doch fand dies Bündnis der Diplomaten keine Stütze in der Gesinnung der Völker. Es wurde immer wieder durchkreuzt durch das Erstarken italienischen nationalen Strebens in Südtirol sowie in Görz und Istrien , und rumänischen Nationalismus in Siebenbürgen. Das Verhältnis zwischen Italien und Österreich wurde noch verschlechtert , als beide Staaten anfingen ,,imperialistische" Politik zu treiben. Jeder der beiden suchte Fuß in Albanien zu fassen, das, wenn es italienischer Besitz war, den Zugang zum adriatischen Meer von Italien abhängig machte. Schon vor dem Balkankrieg war das Verhältnis zwischen

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Österreich und Serbien

Österreich und Italien ein sehr gespanntes. Dieser Krieg brachte das Verhältnis dem Zerreißen nahe. Der oben zitierte L. v. Chlumecky gibt in seinem Buch über Franz Ferdinand Mitteilungen wieder, die ihm Conrad von Hötzendorf im September 1912 über Gespräche mit Franz Josef machte. Sie wurden während des tripolitanischen Kriegs geführt. Conrad empfahl damals dringend dem Kaiser, gegen Italien sofort loszuschlagen. Der Krieg mit Italien sei unvermeidlich, und während des tripolitanischen Kriegs der für Österreich günstige Moment dazu . Franz Josef gab zu, der Krieg mit Italien müsse kommen, aber er selbst wolle keinen Krieg mehr führen . Der Thronfolger lehnte ebenfalls den Krieg ab , obwohl auch er Italien nicht traute. Doch wollte er keinen Krieg mit Italien, solange nicht Österreich an dessen Stelle einen andern Bundesgenossen gefunden habe . Der sollte Rußland sein ! So stand es damals um den Bund Österreichs mit Italien . Man mußte so blind sein, wie Wilhelm II . und seine Umgebung, um fest auf die Bundestreue Italiens zu bauen . Und die Freundschaft Rumäniens , die Wilhelm ebenfalls für sicher galt, stand auf gleich zuverlässiger Grundlage. Indes wurde durch den Bundesvertrag doch der Gegensatz Österreichs zu diesen Nachbarn etwas überdeckt und auch gemildert . Um so ungehemmter tobte er sich Serbien gegenüber aus . Das war von den drei Nachbarn der bestgehaßte, obwohl der kleinste. Zur Zeit der Balkankriege zählte das Königreich Italien fast 35 Millionen Einwohner, Rumänien 6 Millionen , Serbien nicht ganze 3 Millionen. Dafür lebten aber in Österreich damals nur 800.000 Italiener, etwas über 3 Millionen Rumänen, dagegen rund 7 Millionen Südslawen, davon 2 Millionen in Cisleithanien, 3 Millionen in Transleithanien (Ungarn ) und 2 Millionen in Bosnien und der Herzegowina. Das war eine gewaltige Masse , die den Gesamtstaat ernsthaft bedrohte, wenn sie auf Abfall von ihm sann . Nicht die Streitkräfte des serbischen Königreichs machten es gefährlich , sondern die Unzufriedenheit der Südslawen mit der Rolle, die ihnen die Habsburger als Dank für sehr treue, viel zu treue Ergebenheit früherer Jahrzehnte zuwiesen . Sie wurden jetzt als lästig gewordene alte Diener behandelt. Das Königreich Serbien konnte nur gefährlich werden als Anziehungspunkt, in dem sich die wachsende Unzufriedenheit , ja Verzweiflung der Südslawen Österreichs vereinigte und in dem sie lauten und ungehemmten Ausdruck fand . Die Unzufriedenheit wurde namentlich in Kroatien sowie in Bosnien ungeheuer gesteigert durch das Regime ungarischer Aristokraten und österreichischer Militärs. Diese übten dort immer mehr eine zügellose Diktatur, die gewaltsamen Widerstand herausforderte - zunächst allerdings nur individuelle Gewalttaten, Atten-

Friedjung- Prozeß

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tate, zu denen sich energische Männer der Opposition um so leichter bereit fanden, als in jenen Gebieten die Gewohnheiten der Blutrache noch nicht lange überwunden waren. Das österreichische Regime machte sich um so verhaßter, als es sich mit Brutalität nicht begnügte, sondern dazu auch noch Lüge und Fälschung gesellte als Mittel, die Opposition zu bekämpfen . Das trat am auffallendsten zutage , als der deutschnationale Wiener Professor Friedjung, gestützt auf Dokumente, die ihm das Wiener Auswärtige Amt übergab, kroatische Abgeordnete wegen hochverräterischer großserbischer Propaganda in Zeitungsartikeln denunzierte. Es wirkte schon abstoßend, daß Friedjung, ein Deutschnationaler, der 1882 mit Schönerer die Auflösung Österreichs, den Anschluß der Deutschösterreicher an das Deutsche Reich betrieben hatte, 1909 in der Rolle des Denunzianten gegen Politiker deshalb auftrat , weil sie unter den Südslawen Österreichs die gleichen nationalen Tendenzen verfochten, deren Sprachrohr ihr Ankläger unter den Deutschen Österreichs gewesen war. Aber der ganze Fall führte zu einem wahrhaft moralischen Zusammenbruch, als sich bei dem Prozeß , den die Denunziation zur Folge hatte, herausstellte , daß die Dokumente, auf die sich der österreichische Professor stützte, gefälscht worden waren und zwar in der österreichischen Gesandtschaft in Belgrad. ,, Gefälscht unter der Ägide desselben (ungarischen ) Grafen Forgach, der 1914 am Ultimatum an Serbien und damit an der Entfesselung des Weltkriegs verhängnisvoll beteiligt sein sollte." ( Kautsky,,,Wie der Weltkrieg entstand ", Berlin 1919, S. 30. ) Friedjung mußte selbst zugeben , er sei durch das auswärtige Amt in Wien gröblich getäuscht worden. Auch manche andere der Regierungen, namentlich der östlichen, hat in ihrer Politik mitunter zu dem Mittel der Fälschung und Lüge gegriffen. Aber kaum eine machte das so auffallend, so plump. Die Herren, denen die auswärtige Politik Österreichs anvertraut war, zeigten sich ebenso ungeschickt und dumm wie gewissenlos. Ihre Methoden der Bekämpfung des Gegners schüchterten diesen nicht ein, machten aber das ganze Regierungssystem , dem sie dienten, nicht nur im eigenen Lande, sondern im ganzen Ausland verächtlich . In Österreich selbst gab es nur zwei Elemente , die das nicht merkten. Das eine waren die Wiener Spießbürger, die damals bereits aus dem demokratischen in das antisemitische Lager übergegangen waren. Diese Elemente glaubten, in ihrer Existenz bedroht zu werden, wenn Österreich zerfalle und dadurch Wien aus der Hauptstadt eines Reichs mit 50 Millionen Einwohnern zur Hauptstadt eines Kleinstaats oder einer Provinz mit nur einem Zehntel dieser Bevölkerung degradiert werde . Da sie die größte

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Ungarn gegen Serbien

Gefahr für den Zerfall Österreichs in den Serben sahen, entwickelten sie einen wüsten Serbenhaß. Nicht minder groß war dieser bei den ungarischen Aristokraten, die schon seit 1848 in dem Erstarken der Südslawen die größte Gefährdung ihrer Beherrschung nicht magyarischer Nationalitäten - Slowenen, Rumänen, Kroaten, Serben erblickt hatten. Von den beiden erstgenannten Nationalitäten hatten sie zunächst nicht viel zu befürchten, wohl aber von den letztgenannten , die eine starke Stütze im benachbarten Königreich Serbien fanden. Dazu gesellte sich aber bei den ungarischen Agrariern noch ein erbitterter Konkurrenzneid. Serbien war ein rein agrarisches Land, sein ökonomisches Gedeihen hing von dem Ausmaß der Ausfuhr seines agrarischen Überschusses auf den Weltmarkt ab. Es sendete auf diesen aber dieselben Produkte , an denen auch Ungarn einen Überschuß erzeugte . Das Königreich Serbien vom Weltmarkt abzuschließen, wurde eine der Hauptsorgen der auswärtigen Politik Österreichs, die seit 1871 immer mehr in die Hände des ungarischen Adels geraten war. Diese Abschließung wurde nicht schwer bei der geographischen Lage Serbiens, dessen Wege zum Weltmarkt alle über österreichisches Gebiet gingen . Die landwirtschaftliche Ausfuhr der Serben zu erdrosseln durch alle möglichen Schikanen und Hemmnisse , das bildete im neuen Jahrhundert eine der wichtigsten Beschäftigungen der österreichisch-ungarischen Politik. Man erreichte damit freilich nicht ganz den ökonomischen Ruin Serbiens, wohl aber eine solche Notlage seiner Bauern, daß auch sie von vollstem Haß gegen das Habsburgerreich erfüllt wurden . Diese Art der Bekämpfung Serbiens diente ebenfalls nicht dazu , Österreich in der Welt Sympathien zu erwerben . In Italien und Rußland war es stets verhaßt gewesen. Aber in Frankreich und England hatte es nach 1866 viele Sympathien gewonnen. Es verlor diese nun zusehends und ebenso die der Demokraten und Liberalen der übrigen zivilisierten Staaten in demselben Maße, in dem seine inneren Schwierigkeiten sich mehrten . Das machte die Staatsmänner Österreichs nicht klüger, sondern war für sie nur noch ein weiterer Grund, mit wachsender Angst, aber auch Erbitterung auf Serbien zu blicken . Schon 1909, als Serbien gegen die Annexion Bosniens protestierte , gedachten sie, ihm den Krieg zu erklären . Mit Mühe hielten ihre Bundesgenossen sie davon ab. Seit dem Ausbruch des Balkankriegs gebärdeten sie sich erst recht rasend. Am liebsten hätten sie jede Vergrößerung Serbiens und Montenegros gewaltsam verhindert. Auf keinen Fall durfte Serbien einen Hafen am adriatischen Meer gewinnen, der ihm den Zugang zum Weltmarkt unabhängig von Österreich gestattet hätte. Ein solcher Hafen wurde als eine zum Himmel schreiende Verletzung österreichischer Lebensnotwendigkeit erklärt. Eher sollte die Welt in einem allgemeinen Krieg

Basler Kongreß 1912

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zugrunde gehen, als daß ein solches Unrecht ruhig hingenommen würde. Mit allen Mitteln suchte die österreichische Regierung damals die Volksstimmung, namentlich in Wien , gegen Serbien zu erregen. Auch dabei benützte sie wieder Lügen und Falschmeldungen. Am auffallendsten wurde die in ihrer Presse im November 1912 verbreitete Meldung, serbische Soldaten hätten den österreichischen Konsul Prochaska in Prisrend (südliches Serbien) schwer miẞhandelt, ja kastriert. Am 16. Dezember mußte sie dann selbst offiziell mitteilen, daß an allen diesen Meldungen kein wahres Wort sei. Wie der Fall Friedjung erregte auch der Fall Prochaska internationales Aufsehen, diesmal wieder nur in einer dem Ansehen. Österreichs abträglichen Weise. Daneben arbeitete die Regierung des Kaiserstaats unausgesetzt mit den schärfsten Drohungen und Ultimaten . Da erschien der Weltfriede aufs äußerste gefährdet. f) Der Basler Kongreß von 1912. Der internationale Kongreß von Kopenhagen, 1910, hatte das internationale Bureau beauftragt,,,bei drohender Kriegsgefahr sofort die nötigen Schritte einzuleiten , um zwischen den Arbeiterparteien der betroffenen Länder das Einvernehmen über ein einheitliches Vorgehen zur Verhütung des Krieges herbeizuführen “. In Erfüllung dieses Auftrages berief nach dem Ausbruch des Balkankrieges, als ein Weltkrieg drohte, das Brüßler internationale Bureau einen außerordentlichen Kongreß der Internationale nach Basel für den 24. und 25. November 1912 ein. Er wurde zu einem großen Erfolg, wenn auch nicht gerade in dem Sinne, in dem mancher von uns seine Aufgabe auffaßte. Als einziger Punkt seiner Tagesordnung wurde bezeichnet „ Die internationale Lage und die gemeinsame Aktion gegen den Krieg". In der Eröffnungssitzung sprach Anseele im Namen des Internationalen Bureaus. Auch er bezeichnete es als Aufgabe des Kongresses,,, eine Einheit der Taktik für den Kampf gegen den Krieg herbeizuführen“. Die Regierungen Europas aber, von denen eine Kriegsgefahr drohte, herrschte er an, Frieden zu halten : ,,Die Internationale ist stark genug dazu, in diesem Tone des Befehls zu den Machthabern zu sprechen (stürmischer Beifall) und nötigenfalls ihren Worten die Tat folgen zu lassen." Dieses Kraftbewußtsein war leider arg übertrieben und doch sehr verbreitet in unseren Reihen. Es hat nicht wenig dazu beigetragen, das Zutagetreten des wirklichen Kraftverhältnisses zwei Jahre später vielen als einen schmählichen Verrat erscheinen zu lassen. Indessen war auch bereits 1912 und früher die Ahnung der wirklichen Kraftverhältnisse namentlich unter den deutschen Sozialdemokraten sehr weit verbreitet und eine der Ursachen ihres

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Grenzen der Macht der Internationale

Widerstandes gegen die Resolution Vaillant- Keir Hardie gewesen. So sagte denn auch der Basler Regierungsrat Wullschleger, der den Kongreß eröffnete , in seiner Begrüßungsrede : ,,Gewiß, die Internationale der Arbeit ist noch weit davon entfernt, allmächtig zu sein. Und sie selbst ist sich am besten der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bewußt. Aber sie ist eine große reelle und ideelle Macht, die gehört zu werden verdient und die sich auch Gehör zu verschaffen weiß." Daß die Internationale einerseits weit davon entfernt sei, allmächtig zu sein und doch stark genug, um im Tone des Befehls zu den Machthabern zu sprechen, scheint einen argen Widerspruch zu enthalten, und man durfte fürchten, daß in Basel derselbe Gegensatz wie in Stuttgart und Kopenhagen zutage treten werde , der die Einigkeit der Internationale in der Kriegsfrage so sehr gefährdete. Diese Furcht war zum Glück unbegründet . Diesmal zeigte sich die Internationale vollkommen einig. Sie war gespalten, solange sie nur den Krieg an sich, einen abstrakten Krieg vor sich sah, den man sich verschieden vorstellen konnte. Ihm gegenüber mochte man sich allmächtig fühlen . Sobald man dagegen mit einem bestimmten, konkreten Krieg zu tun bekam , gelang es, zu voller Einmütigkeit zu gelangen — allerdings nur dann , wenn die internationale Situation in diesem Krieg eine leicht zu durchschauende war, so daß Meinungsverschiedenheiten bei übereinstimmender prinzipieller Grundlage nicht auftauchen konnten . Bezeichnend ist es aber auch, daß einem konkreten, nicht abstrakten Krieg gegenüber kein ernsthafter Politiker in der Internationale mehr daran dachte, ihn durch irgendeine direkte Aktion verhindern zu wollen, wenn die Mittel der parlamentarischen Aktion nicht ausreichten , die Politik jener Regierungen zu durchkreuzen, die Europa mit dem Kriege bedrohten. Von Aktionen dieser Art, über die man sich in Stuttgart und Kopenhagen so sehr erhitzt hatte, wurde in Basel kein Wort geredet. Ich darf hier wohl bemerken, daß ich bereits 1909 darauf hinwies, was allein die Aufgabe der Internationale gegenüber einem Weltkrieg sein könne. Als Serbien gegen die Annexion Bosniens durch Österreich protestierte und damit die Gefahr auftauchte , daß der Kaiserstaat Serbien bekriege , erörterte ich die Situation in der ,,Neuen Zeit“ ( XXVII ., 26. März 1909 ) in einem Artikel über ,,Österreich und die Mächte". Ich führte aus , wenn Österreich allein bliebe, brauchte sein Krieg gegen Serbien, auch wenn dieses Hilfe fände , doch die Menschheit nicht zurückzuwerfen , wenn er auch selbstverständlich weit entsetzlicher und verwüstender würde, als etwa das Erdbeben von Messina.¹ ) 1) Das Erdbeben von Messina hatte kurz vor der Niederschrift des Artikels stattgefunden . 28. Dezember 1908. Es kostete 84.000 Menschen das Leben.

Einigkeit der Internationale

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,,Der Krieg könnte im Gegenteil manchem überlebten Staatsgebilde den Garaus machen, der Entwicklung neue Bahnen eröffnen. So ist zum Beispiel Serbien in seiner jetzigen Gestalt kaum lebensfähig. Ob es von Österreich annektiert wird oder ob es ihm gelingt, durch fremde Hilfe mit Bosnien, Dalmatien und Montenegro zusammen ein selbständiges Großserbien zu begründen, in jedem dieser Fälle würde sein Gebiet damit einer rascheren ökonomischen Entwicklung erschlossen. Im zweiten Fall noch mehr als im ersten ..." „ Aber die Sache bekommt ein anderes Gesicht , wenn an Österreichs Seite sein Verbündeter tritt, das Deutsche Reich. Damit wird auch Frankreich auf den Plan gerufen , als Verbündeter Rußlands , damit wird, dank der deutschen Flottenpolitik, der Krieg auch zum Seekrieg mit England und zum Weltkrieg." Wie habe sich in dieser Lage das Proletariat zu verhalten ? „ Erinnern wir uns, wie sehr die Sozialdemokratie Österreichs ihre gebietende Stellung dem Umstand verdankt, daß sie das schwierige Kunststück fertig gebracht hat, inmitten einer national gespaltenen Bevölkerung eine international geschlossene Macht zu bilden . So muß sich auch die Stellung der Sozialdemokratie Europas gewaltig erhöhen, wenn es ihr gelingt , in den zu erwartenden Kriegen der Nationen Europas die internationale Solidarität der Proletarier aller Länder aufrechtzuerhalten. Noch sind wir nicht so weit, Kriege nach Belieben verhindern zu können. Aber überall sollten wir so weit sein , die proletarischen Massen vor nationaler Verhetzung zu bewahren , ihre internationale Geschlossenheit auch im wildesten Kriegsfieber aufrechtzuerhalten. Gelingt das, und es muß gelingen, dann mag der drohende Weltkrieg wohl entsetzliche Leiden über Europas Völker verhängen, ihren ökonomischen Aufstieg für lange lähmen . Doch kann er nicht enden ohne gewaltigen Machtzuwachs des internationalen Proletariats. So Furchtbares er in seinem Schoße bergen mag, so sehr wir ihm widerstreben müssen mit aller Macht, wir brauchen ihn nicht zu fürchten, solange wir die Kraft haben, das internationale sozialistische Empfinden des Proletariats ungebrochen und ungeschwächt inmitten allen kriegerischen Furors in voller Wirksamkeit zu bewahren." Das und nicht Versuche, den Krieg durch syndikalistische Experimente zu verhindern , die notwendigerweise scheitern mußten, erschien mir als die wirkliche Aufgabe der Internationale im Kriege. Und sie schien lösbar. Dafür sprach in glücklichster Weise der Basler Kongreß. Denn es gelang ihm , die sozialistischen Parteien aller Länder ohne große Mühe auf ein umfassendes Friedensprogramm zu einigen , das den Weg zu gewaltloser Lösung jener Konflikte wies, die damals den Weltfrieden bedrohten. Ein ganzes System der internationalen Politik zur Erhaltung des Weltfriedens wurde in Basel ausgearbeitet. Jaurès brachte es zum Vortrag. Es erhielt die Gestalt eines Manifestes . An Jaurès glänzende Ausführungen schloß sich Victor Adler an, der das von dem Internationalen Sozialistischen Bureau vorgeschlagene Manifest deutsch vorlas und kommentierte. Er endete mit den Worten : „ In diesem Moment der größten Verwirrung ( der Diplomaten, der Fürsten und Mächtigen) , die zugleich die größte Gefahr für den Frieden bedeutet, legen wir Ihnen eine kraftvolle, und, wie ich glaube , und worin Sie zustimmen werden, ergebnisvolle Zusammenfassung der proletarischen äußeren Politik vor ( Lebhafte Zustimmung ) . Zum ersten Male, und das

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Das Basler Manifest

wird die geschichtliche Bedeutung dieses Kongresses sein, zum ersten Male geben wir nicht nur einen Ausdruck der Verdammung, nicht nur einen Aufruf zur Energie, sondern sagen mit klaren Worten in bestimmten Sätzen, welche Richtungslinie die proletarische Politik aller Länder einzuschlagen hat, und was das Wichtigste ist, wir sind darüber einig. (Stürmischer Beifall. ) " Das Basler Manifest ist zu umfangreich, es vollständig abzudrucken. Eine kurze Inhaltsangabe genüge. Die Internationale forderte die Sozialisten des Balkans auf, für eine demokratische Föderation der Balkanvölker einzutreten . Die Sozialdemokraten Österreich-Ungarns sollten alle Kraft aufbieten , ,,einen Angriff der Donaumonarchie auf Serbien abzuwehren“. Von den Proletariern Rußlands und Polens wurde erwartet, daß es ihnen gelinge, die russischen Intrigen auf dem Balkan zu durchkreuzen , und daß sie sich jedem kriegerischen Abenteuer des Zarismus widersetzen, jeden seiner Anschläge, sei es auf Armenien, sei es auf Konstantinopel , bekämpfen“. Das Manifest fuhr fort : ,,Die wichtigste Aufgabe innerhalb der Aktion der Internationale fällt aber der Arbeiterklasse Deutschlands, Frankreichs und Englands zu. Im Augenblick ist es die Aufgabe der Arbeiter dieser Länder, von ihren Regierungen zu verlangen , daß sie sowohl Österreich-Ungarn als auch Rußland jede Unterstützung verweigern und daß sie sich jeder Einmischung in die Balkanwirren enthalten und unbedingte Neutralität bewahren. Ein Krieg zwischen den drei großen, führenden Kulturvölkern wegen des serbischÖsterreichischen Hafenstreits wäre verbrecherischer Wahnsinn ...“ ,,Als die größte Gefahr für den Frieden Europas betrachtet der Kongreß die künstlich genährte Gegnerschaft zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich. Der Kongreß begrüßt daher die Bemühungen der Arbeiterklasse der beiden Länder, diesen Gegensatz zu überbrücken. Er betrachtet als das beste Mittel zu diesem Zwecke die Abschließung eines Übereinkommens zwischen Deutschland und England über die Einstellung der Flottenrüstungen und über die Abschaffung des Seebeuterechts . Der Kongreß fordert die Sozialisten Englands und Deutschlands auf, ihre Agitation für ein solches Übereinkommen fortzusetzen. Die Überwindung des Gegensatzes zwischen Deutschland auf der einen , Frankreich und England auf der anderen Seite würde die größte Gefahr für den Weltfrieden beseitigen , die Machtstellung des Zarismus erschüttern, der diesen Gegensatz ausbeutet, einen Überfall Österreich -Ungarns auf Serbien unmöglich machen und der Welt den Frieden sichern . Auf dieses Ziel vor allem sind die Bemühungen der Internationale zu richten. Der Kongreß stellt fest, daß die ganze sozialistische Internationale über diese Grundsätze der auswärtigen Politik einig ist.“ Das war ein kluges , wohldurchdachtes Manifest . Es zeigte eindringlich, daß die sozialistischen Proletarier aller Länder sich nicht nur für abstrakte Grundsätze internationaler Solidarität begeistern , sondern auch ohne Schwierigkeit durch ihr demokratisches und sozialistisches Denken zu einer Verständigung über alle konkreten Streitfragen der Weltpolitik zu gelangen vermögen, Kolonialfragen und andere. Mit Recht wies, wie wir gesehen , Victor Adler in seiner Rede auf diese Bedeutung des Manifestes hin, das einmütige, stürmische Zustimmung fand ohne den geringsten Widerspruch.

Bebels letzte Rede

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Diese Einmütigkeit der sozialistischen Internationale gegenüber allen konkreten Streitfragen der internationalen Politik erfüllte uns alle mit stolzer Zuversicht. August Bebel , zweiundsiebzig Jahre alt und schon schwer krank, ließ sich nicht abhalten, begeistert von dem Ergebnis des Kongresses, das Schlußwort zu halten es war das letzte Wort , das er zur Öffentlichkeit sprach. Er pries tief bewegt die Tagung als eine , die in den Annalen der Internationale ,,mit goldenen Lettern eingetragen wird", die unvergeßlich sein werde allen, die an ihr teilnehmen durften,,,unvergeßlich auch jenen, die uns hierhergesandt haben". ,,Ich hoffe, Sie insbesondere werden die Bedeutung dieser Tagung einzuschätzen wissen und bedenken, daß während sich die bürgerliche Welt in geteilten Lagern in Drei- und Vierbünden gegenübersteht, der Einbund der Arbeiter der Welt, die große, allgemeine Internationale, sich rüstet, den Kampf mit allen Feinden aufzunehmen ... So werden wir uns mit der besten , fröhlichsten , dankbarsten Erinnerung von Basel verabschieden." Das durften wir in der Tat . War dort auch kein Wort gespro-

chen worden, das uns zu einem Versuch ermuntert hätte, den drohenden Krieg gewaltsam zu verhindern, so hatten uns die Basler Verhandlungen mit der stolzen, beglückenden Zuversicht erfüllt, wenn es trotz alledem zum Weltkriege kommen sollte, werde die sozialistische Internationale es vermögen, die Vereinigung der Proletarier und Sozialisten aller Länder zu gemeinsamem Streben im Kriege aufrechtzuerhalten und damit eine Vermehrung der Macht des Proletariats und der Sozialdemokratie aller Länder nach dem Kriege vorzubereiten. Und wenn das gelang, war bereits Großes, Ungeheures vollbracht. Es dauerte nicht lange, und unsere Zuversicht wurde auf eine schwere Probe gestellt.

g ) Das Attentat von Sarajevo . Der Weltkrieg, den man schon 1909 nach der Annexion Bosniens und dann 1912 nach dem Ausbruch des Balkankriegs erwartet hatte, kam damals nicht, obwohl dem ersten dieser Kriege im Jahre 1913 noch ein zweiter folgte, diesmal ein Streit um die Beute, in dem Bulgarien gegen Serbien , Griechenland , Rumänien kämpfte. Abermals stand Serbien auf der siegreichen Seite, abermals gebärdeten sich die leitenden Staatsmänner Österreichs wie toll . Trotzdem blieb die Welt noch von einem österreichischserbischen Krieg verschont, dank dem Umstand , daß die Verbündeten der Habsburgermonarchie sie vor übereilten Schritten zurückhielten und anderseits Rußland eine unglaubliche Langmut gegenüber den gröbsten Provokationen an den Tag legte. Noch steckte ihm die Niederlage im Kriege gegen Japan von 1905 in

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Serbiens Wachstum

den Knochen, noch hatte es nicht die Wiederherstellung seiner Streitkräfte vollendet. Der bereits erwähnte L. v. Chlumecky nennt in seiner Biographie Franz Ferdinands Aehrenthals bosnische Politik einen ,,Faustschlag in Rußlands Antlitz " (S. 102) . Franz Ferdinand sei damit nicht einverstanden gewesen. ..Er sah hierin (der Annexion Bosniens) eine Maßnahme, die das Balkanproblem in seiner ganzen Schwere just in dem Augenblick aufgerollt hatte, wo die Monarchie innerlich zerklüftet und daher nicht in der Lage war, nach außenhin mit allem Ernst kraftvoll aufzutreten. Hader zwischen Österreich und Ungarn, Hader zwischen den Nationalitäten Österreichs, dazu eine die nicht magyarischen Völker Ungarns fast gewaltsam in die Hände des Irredentismus treibende Politik ... Bei Bestand derartiger Verhältnisse fast ganz Europa gegenüber den , starken Mann' spielen zu wollen, dies erschien dem Erzherzog nicht gerade als Beweis großer Staatsklugheit." (S. 182. ) So dachte er Aehrenthal gegenüber. Als aber dieser starb ( 1912) , trat an seine Stelle „ über des Erzherzogs ausdrücklichen Wunsch" und als „, eminenter Vertrauensmann des Thronerben“ (Chlumecky, S. 124) der Graf Berchtold, der die Politik der „ Faustschläge in Rußlands Antlitz" mit größter Intensität fortsetzte, im Vertrauen darauf, daß dessen kriegerische Ohnmacht ewig dauern werde . Indessen, so sehr auch Berchtold Serbien 1913 bedrängte , so viele Früchte seiner Siege er ihm entriß , er konnte nicht verhindern, daß Serbien durch diese Siege doch vergrößert wurde. Dabei mag den Serben geholfen haben, daß sie im zweiten wie im ersten Balkankrieg einer Koalition angehörten , an der Mitglieder des Hohenzollernhauses beteiligt waren. König Konstantin von Griechenland hatte eine Schwester Wilhelm II. , Sophie, geheiratet, und der König Karl von Rumänien entstammte einer Nebenlinie der Hohenzollern. Das dynastische Gefühl war stets sehr stark in Wilhelm . Er fühlte sich verpflichtet, den ihm verwandten Fürstenhäusern in Griechenland und Rumänien nach ihrem Siege eine tüchtige Beute zuzuschanzen . Da konnte man Serbien nicht gut ganz leer ausgehen lassen. Trotz allen österreichischen Polterns und Drohens und Mobilisierens zählte das Königreich Serbien, das 1912 nicht ganz 3 Millionen Einwohner umfaßt hatte , seit dem Bukarester Frieden (August 1913) über 1,600.000 Einwohner mehr. Das war für die Machthaber Österreichs schlimm. Weit schlimmer freilich der Fortgang der Auflösung des Reiches. Nur mit dem Belagerungszustand glaubten dessen Regenten in Kroatien und Bosnien die Auflehnung der Bevölkerung niederhalten zu können. Die Folge war eine Reihe von Attentaten auf die Spitzen der Behörden dort. In WestÖsterreich (Cisleithanien) glaubte dessen Ministerpräsident Graf Stürgkh, den Staat nur noch dadurch retten zu können , daß er ohne Parlament regierte ( seit März 1914) , also die den Staat zusammen-

Sarajevo

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haltende Kraft der Volksvertretung ausschaltete, so daß als dessen Basis allein noch Armee und Bureaukratie übrig blieben . Wie alle Politiker, die sich in Unwissenheit über die wirklichen Antriebe im Völkerleben befinden , glaubten auch die Herrn Österreichs , das Erstarken des demokratischen Empfindens, das den Staat der Habsburger zu sprengen drohte, sei nur auf einzelne ,,Hetzer" zurückzuführen . Stopfe man denen das Maul, dann sei alles in Ordnung. Wenn die zentrifugalen Tendenzen im Süden des österreichischen Staates immer mächtiger wurden, sei dies bloß eine Wirkung der großserbischen Agitation im Königreich Serbien . Je schlimmer die Situation für die schwarzgelbe Monarchie, desto größer die Wut ihrer Regenten über das serbische Staatswesen. Sie wollten es zur Ohnmacht verurteilen, um jeden Preis. Doch sahen die Militärs und militaristisch denkenden Lenker des Reichs kein anderes Mittel , dies Ziel zu erreichen , als einen Krieg, den Krieg als solchen, ohne daß sie sich darüber klar geworden wären, welches Ziel sie dem Kriege setzen sollten . Indessen hatten sich die österreichischen Regierungen schon früher durch ihre serbische , ebenso gewalttätige wie verlogene Politik in der ganzen Welt unbeliebt gemacht. Und der serbische Krieg drohte zum Weltkrieg anzuschwellen, für dessen Verursachung man allenthalben der österreichischen Regierung die Schuld beigemessen hätte. Das suchten die Staatsmänner Österreichs doch zu vermeiden. Bei allem Verlangen , loszuschlagen durfte man also ohne einen einigermaßen triftigen Vorwand Serbien nicht den Krieg erklären. Da ereignete sich das Attentat in Sarajevo auf den Thronfolger Franz Ferdinand , am 28. Juni 1914. Auch vom Grafen Berchtold konnte man damals sagen : ,,Graf ! Dieser Mortimer starb Euch sehr gelegen." Es kommt in der Geschichte der Staaten mitunter vor, daß sich eine Regierung von einer aufkommenden Macht bedroht oder in ihrem Fortschreiten gehemmt fühlt, etwa von einer Partei, einer Klasse, einem Staat , der sie nicht anders glaubt beikommen zu können, als durch das Verursachen oder Ausnützen einer plötzlichen Katastrophe, die in den weitesten Kreisen maßlosen Schrecken erzeugt, die Gegner lähmt, die eigenen Anhänger zu einem wilden Wutausbruch gegen jene anstachelt . Ein Ereignis dieser Art waren die Schüsse , die zuerst Hödel (im Mai) , dann Nobiling ( im Juni ) 1878 auf den Kaiser Wilhelm abfeuerten. Es waren ganz sinnlose Akte geistig nicht normaler Menschen, wurden aber durch die amtlichen Berichterstatter so dargestellt, daß sie als Produkte sozialdemokratischer Tätigkeit erschienen und die Mehrheit des deutschen Volks in einen solchen Zustand der Panik versetzten, daß es Bismarck gelang, das Sozialistengesetz durchzudrücken, nach dem er schon längst verlangte und das er ohne diese beiden Schüsse nie durchgesetzt hätte.

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In gleicher Weise sollte im Februar 1933 der Berliner Reichstagsbrand wirken, der sofort von Hitler und seinen Leuten den . ,,Marxisten" in die Schuhe geschoben wurde und tatsächlich in groBen Massen des deutschen Volkes einen Wahnsinnanfall erzeugte, der es Hitler ermöglichte, sich vollends in den Sattel zu schwingen , die gefährlichsten seiner Gegner matt zu setzen und seine uneingeschränkte Diktatur aufzurichten . Ähnlich, wie die Attentate von 1878 von Bismarck ausgenützt worden waren und dann die Brandstiftung von 1933 von Hitler ausgenützt werden sollte, hofften die leitenden Staatsmänner Österreichs das Sarajevoer Attentat vom 28. Juni 1914 ausnützen zu können. Allerdings kann man ihnen nicht vorwerfen, sie hätten das Attentat herbeigeführt . Wohl aber darf man sagen, daß es die verantwortlichen Stellen in der österreichischen Verwaltung an geradezu gewissenloser Fahrlässigkeit nicht fehlen ließen, um das Attentat möglich zu machen. Schon die Idee, den Thronfolger an den Manövern in Bosnien teilnehmen zu lassen, bildete eine leichtfertige Provokation , war doch die serbische Bevölkerung in jenem Lande gegen das österreichische Militär aufs höchste erbittert. Und das Niederschießen des Gegners lag für energische Fanatiker dort sehr nahe, wo, wie schon bemerkt, die Blutrache noch nicht lange beseitigt worden war. Wir haben noch jüngst ( Oktober 1934) die Erschießung des serbischen Königs Alexander in Marseille durch Jugoslaven erlebt und früher schon ( 1928 ) im serbischen Parlament die Erschießung eines AbRaditsch durch einen Kollegen. geordneten In ein derartiges Milieu ohne Not , bloß als Demonstration , den Thronfolger zu entsenden, war von vornherein ein frivoles Wagnis. Dessen Gefährlichkeit wurde noch vergrößert dadurch, daß der Erzherzog in Sarajevo gerade am Vidovdan eintraf, dem St. Veitstag, dem 28. Juni , der ein für jeden patriotischen Serben besonders schmerzliches und erregendes Datum bedeutet : den Tag der Schlacht am Amselfeld ( serbisch Kosovo polje) , an dem 1389 ein serbisches Heer von einem türkischen besiegt und damit dem selbständigen Serbien ein Ende gemacht worden war. Die Gefahr, der sich der Erzherzog durch seine Reise nach Bosnien gerade zu diesem Zeitpunkt aussetzte, lag so offen zutage, daß Franz Ferdinand von den verschiedensten Seiten Warnungen erhielt, die schließlich Eindruck auf ihn machten. Der zumeist sehr gut unterrichtete Graf Carlo Sforza verbürgt sich für die Wahrheit des Folgenden : Der Erzherzog begab sich kurz vor den angesetzten Manövern zum Kaiser, seinem Onkel und erklärte ihm : ,,Es riecht da unten nach organisiertem Mord. Worauf der Kaiser erwiderte : Jetzt ist es zu spät , Du kannst schwerlich wegbleiben. Er ging. Gegenüber diesem alten Mann, gegen den er eine tiefe Ab-

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neigung hegte, siegte sein Stolz über seine Vorsicht." (,, Gestalten und Gestalter des heutigen Europa “, Berlin 1931 , S. 58. ) Trifft diese Mitteilung zu , dann hat Franz Josef den Thronfolger tatsächlich in den Tod geschickt. Wenn man aber glaubte, um den Serben Trotz zu bieten, den Erzherzog der größten Gefahr aussetzen zu müssen, dann hätten die Behörden doch die Pflicht gehabt, wenigstens für seinen ausreichenden Schutz zu sorgen . Indessen war dafür nichts , gar nichts geschehen. Der in Sarajevo kommandierende General Appel schrieb darüber gleich nach dem Attentat an den Obersten Brosch : ,,Am 28. Juni, einem Sonntag , an dem alle Geschäfte und Betriebe ruhn, daher alles frei ist und bei der zuströmenden Menge eine Kontrolle schwer wird, fiel diesmal auch der serbische Nationaltrauertag , der Vidovdan ( Niederlage am Kosovopolje 1389 ) , also ohnehin eine Erinnerung für Fanatiker, und in der Stadt lagen : zwei schwache Kompanien Nr . 92, zusammen keine 100 Mann, am Kastell ; zwei schwache Kompanien Nr. 12, zusammen 150 Mann als Bereitschaft in der Franz Josef- Kaserne ; eine schwache Kompanie Nr. 12 im Lager. Alle andern Truppen im Anmarsch vom Manöverfelde dürften erst am 29. in Sarajevo eintreffen. Diese Anordnungen waren vom Inspektorat getroffen, ohne uns auch nur zu fragen . Die Stadt ist so ziemlich soldatenleer. " ( Zitiert von L. v. Chlumecky in seinem Buch über Franz Ferdinand, S. 363. ) Also man wartete nicht einmal ab, bis die Manövertruppen in der Stadt waren , sondern ließ den Thronfolger die Straßen passieren, als sie noch ganz von Soldaten entblößt waren . Die dafür verantwortlichen behördlichen Stellen hatten durch Kopflosigkeit und Schlamperei den kommenden Kaiser direkt dem Tod preisgegeben. Die Art und Weise , wie die Leiter des Staates in Wien das furchtbare Vorkommnis ausnutzten, stand auf der gleichen Höhe mit der Leichtfertigkeit und provozierenden Dummheit, die es herbeigeführt hatte. Diese Herrn in Wien sahen damals nur eines : jetzt endlich hatten sie den Vorwand , das von ihnen so gefürchtete und gehaßte Serbien mit Krieg zu überziehen. Daß dadurch die ganze Welt in Brand gesetzt werden könne , bedachten sie nicht . Sie glaubten sogar, das Attentat werde ganz Europa so sehr mit Schreck und Abscheu über die Untat erfüllen, daß es wie gelähmt das österreichische Treiben gewähren lassen werde. Der Kaiser von Rußland und die Könige von England und Italien konnten sich doch unmöglich Mörder, die zwar für die Mörder eines Thronfolgers einsetzen österreichische Untertanen (Bosnier) waren, jedoch, wie von Wien aus sofort berichtet wurde, mit Wissen, ja mit Unterstützung der serbischen Regierung gehandelt haben sollten . Ohne Wissen Italiens und ohne von Deutschland gehindert zu werden, wagte die österreichische Regierung, der serbischen am 23. Juli ein Ultimatum zu stellen, das den Krieg tatsächlich unvermeidlich machte . Darüber mehr im nächsten Abschnitt .

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Brüßler Tagung 1914 h) Die Brüßler Tagung 28. und 29. Juli 1914.

In dieser Situation wurde es Pflicht der Internationale, sich hören zu lassen. Wohl war schon 1910 in Kopenhagen beschlossen worden, der nächste internationale Kongreß solle in Wien zusammentreten und zwar 1913. Da 1912 der Kongreß in Basel notwendig wurde , verschob man den Wiener Kongreß für den 23. August 1914. Aber durfte man nach den Schüssen von Sarajevo bis Ende August warten ? Jeder Tag konnte das Unheil des Kriegs bringen . So wurde wenigstens das internationale sozialistische Bureau schon vorher einberufen, der Extrakt eines Kongresses mit nur drei , höchstens vier Delegierten für jedes Land. Das Bureau trat am 28. Juli zusammen und tagte noch am 29. und 30. Juli. Der Wiener Kongreß hatte von vornherein die Kriegsfrage wieder behandeln sollen. Und es war ihm die Aufgabe gestellt worden, die Entscheidung über den Antrag Vaillant-Keir Hardie zu bringen, die 1910 in Kopenhagen für den nächsten Kongreß verschoben worden war. Noch unmittelbar vor dem Zusammentritt des internationalen Bureaus wurde dieser Antrag verhandelt und befürwortet auf dem außerordentlichen Kongreß der französischen sozialistischen Partei , der vom 14. bis 16. Juli 1914 in Paris tagte. Seine Beratungen galten fast ausschließlich dem Antrag Vaillant-Keir Hardie. Compère Morel warnte davor, etwas zu beschließen, was man nicht durchführen könne . Dagegen setzten sich für den Antrag Vaillant und Jaurès ein. Dieser erklärte : ,,Die Aktion ist möglich , aber nicht nach Ausbruch des Krieges , denn dann ist die Welt allen Höllenmächten preisgegeben und wie Shakespeare sagt : Niemand ruft den Leviathan mehr ans Ufer zurück. Aber in der Periode der Kriegsvorbereitung, der Preßhetze, kann der Generalstreik in den beiden Ländern ausbrechen, die in Konflikt miteinander geraten sind und die Internationale kann erklären : Wir gestatten die Einstellung des Streiks in jenem Lande, das dem andern ein Schiedsgericht anbietet." Weiter gibt das Protokoll eine Rede Sembats mit den Worten wieder : „ Sembat ist für den Generalstreik vor Ausbruch des Krieges, sofern man der Aktion auch auf der andern Seite sicher sein könne (Guesde : Eben darum wird Deutschland ablehnen ) . Ich liebe keine Übertreibungen, aber ich bin überzeugt, daß, wenn ein Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland akut würde, der Streik von selbst käme. ( Lebhafter Widerspruch Guesdes. )" Als letzter Redner, nach vielen andern, sprach Guesde. Er führte aus : ,,Der Generalstreik sei eine wahre Gefahr für die im Sozialismus fortgeschrittenen Länder. Das stärker organisierte Land würde zerschmettert werden." Das waren also im wesentlichen noch dieselben Gedankengänge und Gegensätze wie 1907. Nur eine schwache Mehrheit sprach sich diesmal in Paris für den ,, gleichzeitigen und internatio-

Deutsche Friedenspropaganda

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nal organisierten Generalstreik" aus. (Vgl . Zévaès, Le Socialisme en France depuis 1904. Paris 1934. S. 54. ) Als aber nur einige wenige Tages später in Brüssel das Internationale Bureau zusammentrat, in der Zeit der ,,Kriegsvorbereitung, der Pressehetze“, da kam der Generalstreik nicht nur nicht von selbst, es sprach überhaupt niemand mehr von ihm, weder Jaurès, noch Vaillant, noch Sembat, auch keiner jener Genossen unter den dort Anwesenden, die später im Kriege die sogenannte Zimmerwalder Bewegung hervorriefen, deren bedeutendste Vertreterin wohl Rosa Luxemburg war, die an den Brüßler Verhandlungen teilnahm und dort sprach. Keiner von ihnen wies auch nur mit einem Worte auf den Generalstreik oder gar die Dienstverweigerung oder Insurrektion als Mittel hin, die Kriegsgefahr zu bannen . Die Tatsachen zeigten zu deutlich die Unmöglichkeit solcher Methoden im gegebenen Moment. Alle Redner in Brüssel waren einig in der Verurteilung Österreichs, sowie in ihrem Mißtrauen gegen Rußland , aber auch gegen Deutschland , das, wie Jaurès sagte, den Frieden durch seine Unterstützung Österreichs gefährde. Darin wurde ihm ebensowenig widersprochen, wie seiner Erklärung, daß die französische und die englische Regierung aufrichtig bestrebt seien, den Frieden zu erhalten. Aus einem einzigen Lande wurde eine starke Agitation in den Massen gegen den Krieg, wenn auch kein Generalstreik, verzeichnet : aus Deutschland . Geradezu erhebend wirkten auf die Versammlung die Mitteilungen, die Hugo Haase über die Friedenspropaganda und Friedensdemonstrationen der deutschen Sozialdemokratie machte. Am 25. Juli, unmittelbar nach dem Bekanntwerden des österreichischen Ultimatums an Serbien hatte der deutsche Parteivorstand einen Aufruf erlassen, in dem es hieß : ,,Verurteilen wir auch das Treiben der großserbischen Nationalisten, so fordert doch die frivole Kriegsprovokation der österreichisch-ungarischen Regierung den schärfsten Protest heraus. Sind doch die Forderungen dieser Regierung so brutal, wie sie in der Weltgeschichte noch nie an einen selbständigen Staat gestellt worden sind, und können sie doch nur darauf berechnet sein, den Krieg geradezu zu provozieren . Das klassenbewußte Proletariat Deutschlands erhebt im Namen der Menschlichkeit und der Kultur flammenden Protest gegen dieses verbrecherische Treiben der Kriegshetzer. Es fordert gebieterisch von der deutschen Regierung, daß sie ihren Einfluß auf die österreichische Regierung zur Aufrechterhaltung des Friedens ausübe und, falls der schändliche Krieg nicht zu verhindern sein sollte, sich jeder kriegerischen Einmischung enthalte. Kein Tropfen Blut eines deutschen Soldaten darf dem Machtkitzel der österreichischen Gewalthaber, den imperialistischen Profitinteressen geopfert werden. Parteigenossen, wir fordern Euch auf, sofort in Massenversammlungen den unerschütterlichen Friedenswillen des klassenbewußten Proletariats zum Ausdruck zu bringen. Eine ernste Stunde ist gekommen, ernster 24*

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Kriegshetze in Österreich

als irgend eine der letzten Jahrzehnte. Gefahr ist im Verzug ! Der Weltkrieg droht ! Die herrschenden Klassen, die Euch im Frieden knebeln, verachten , ausnutzen, wollen Euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Gewalthabern in die Ohren klingen : Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Krieg! Hoch die internationale Völkerverbrüderung !" Das war ebenso richtig gesehen, wie mannhaft gesprochen . Reicher Beifall wurde Haase zuteil, als er in Brüssel in gleichem Sinne sprach und über die Friedensdemonstrationen berichtete, die unsere Genossen in Deutschland den beginnenden Kriegsdemonstrationen fanatisierter Massen entgegenzusetzen suchten. Leider begannen auch in Deutschland in dem Zeitpunkt, an dem Haase in Brüssel sprach, bereits die Friedensdemonstrationen von lärmenden Massen eines kriegstrunkenen Mobs erstickt zu werden. Doch davon wußte man in Brüssel noch nichts. Deprimierend wirkten dagegen auf der Brüßler Tagung die Mitteilungen aus dem eigentlichen Krisenherd, aus Österreich, die Victor Adler und Němec, dieser im Namen der tschechischen Sozialdemokratie, vorbrachten . Wohl taten auch dort unsere Genossen ihr Möglichstes in der Presse und durch Aufrufe , um der Kriegsstimmung entgegenzuwirken , aber die beiden Berichterstatter mußten konstatieren, daß die Kriegshetze völlig das Feld beherrschte. Sie konnte das um so leichter, als die Regierung das Wiener Parlament vollständig ausgeschaltet hatte, reaktionärer und autokratischer als der Zar, der eine Duma neben sich tagen ließ. Vielleicht noch schlimmer als der behördliche Druck war damals in Österreich der der „, öffentlichen Meinung". Ein erheblicher Teil der Kleinbürger und der Intellektuellen, wenigstens Wiens, verlangte stürmisch nach dem Krieg, ließ keine Besinnung aufkommen. Ganz anders war freilich die Stimmung in der Provinz , namentlich in den slawischen Gebieten , die einem Krieg gegen Serbien und die serbische nationale Bewegung ebenso wie einem gegen Rußland mit entschiedener Abneigung gegenüberstanden. Doch verblieben sie damals nur in angstvollem Schweigen .

Und in Rußland wieder, wo kurz vorher (in Petersburg) der Aufruhr gegen die Regierung getobt hatte, nahm er plötzlich ein Ende, als Österreich sein Ultimatum erließ, das in Rußland wie eine Herausforderung Rußlands zum Kriege wirkte . An Stelle rebellischer traten mit einem Schlage patriotische Demonstrationen. in den Straßen Petersburgs . Alles das bestätigte deutlich von neuem die alte Erfahrung, daß eine Regierung nie stärker ist , als bei Ausbruch eines Krieges, und daß dies der ungünstigste Zeitpunkt , nicht der günstigste, für eine Umsturzbewegung ist. Und noch eines zeigten diese Tatsachen : wie wenig in den drei großen Militärmonarchien der Einfluß des sozialistischen Proletariats ausreichte, einen kriegerischen Paroxysmus in der Bevölkerung einzudämmen.

Frankreich will Frieden

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Wie stand es aber in Frankreich ? Dort, erklärte Jaurès, sei ein Appell an die Massen, sich zur Erhaltung des Friedens zu erheben, ganz überflüssig, denn die Regierung tue alles, ihn zu erhalten . In Brüssel führte Jaurès im Laufe einer hinreißenden Rede aus : ,,Und Deutschland? Wenn es die österreichisch-ungarische Note ( das Ultimatum an Serbien , K. ) kannte, dann war es unverzeihlich , daß es ein derartiges Vorgehen gestattete. Sollte aber Deutschland die österreichische Note nicht gekannt haben , welches ist dann die Weisheit seiner Regierung? Was? Ihr habt einen Vertrag, der Euch bindet und der Euch in den Krieg zieht, und Ihr wißt nicht, was da vorgeht und Euch hineinzieht ? Ich frage, welches Volk hat ein Beispiel einer derartigen Anarchie gegeben ? ( Beifall. ) Immerhin. Die Regierungen zaudern noch . Benutzen wir das , um uns zu organisieren. Für uns französische Sozialisten ist unsere Aufgabe sehr einfach . Wir brauchen unserer Regierung nicht eine Friedenspolitik aufzuzwingen. Sie betätigt sie bereits. Ich habe nie gezaudert, auf mein Haupt den Haß unserer Chauvinisten herabzuziehen durch meine hartnäckige Forderung einer französisch-deutschen Annäherung, der ich nie untreu sein werde. Um so mehr habe ich das Recht, zu versichern , daß die französische Regierung den Frieden will. ( Stürmischer Beifall . ) “ Die Anschauungen, die Jaurès hier darlegte, teilte die ganze Konferenz. Allgemein war die Überzeugung, Österreich sei jene Macht, die den Frieden gefährde - daneben sei die Haltung Deutschlands und Rußlands bedenklich, Frankreich und England dagegen wollten unzweifelhaft den Frieden. Wie die Idee, den Krieg durch Generalstreik oder Insurrektion zu verhindern, in Brüssel von niemand vertreten wurde , so auch nicht die, im Falle eines Krieges seien alle Regierungen gleich schuldig. Dabei blieb aber das Bureau der Internationale in seiner Auffassung der Situation völlig einig. Noch glaubten unsere Genossen Zeit zu haben , ihre Agitation gegen den Krieg fortzusetzen . Wohl erkannte man, daß der internationale Kongreß, der für den 23. August nach Wien einberufen war, nicht mehr dort stattfinden könne, da Österreich bereits an Serbien den Krieg erklärt hatte (28. Juli, am Tages des Zusammentritts des internationalen Bureaus) . Doch glaubte man, es werde möglich sein , den Kongreß in Paris abzuhalten, am 9. August. Verschiedene englische Delegierte meinten sogar, es sei noch Zeit , am alten Datum (23. August) festzuhalten und sie wünschten es, weil sonst die australischen Delegierten nicht rechtzeitig eintreffen würden ! So wenig ahnten sie , daß das Verderben schon dicht vor der Tür stand .

Das Bureau erließ folgende Mitteilung : ,,Das Internationale sozialistische Bureau hat in seiner Sitzung vom 29. Juli von den Vertretern aller durch den Weltkrieg bedrohten Nationen Erklärungen über die politische Lage in ihren Ländern entgegengenommen. Durch einen einstimmig gefaßten Beschluß fordert es die Proletarier aller beteiligten Länder auf, die Kundgebungen gegen den Krieg und für den Frieden sowie für die schiedsgerichtliche Erledigung des österreichischserbischen Konflikts nicht nur fortzusetzen, sondern zu verstärken." ,,Das deutsche und das französische Proletariat werden kraftvoller als je auf ihre Regierungen in dem Sinne einwirken , daß Deutschland auf

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Schluß der Brüßler Tagung

Österreich einen mäßigenden Einfluß ausübt und daß Frankreich bei Rußland bewirkt, daß es sich nicht in den Konflikt einmengt. Die Proletarier Großbritanniens und Italiens werden diese Bestrebungen ihrerseits aufs energischste unterstützen." „ Der dringlich nach Paris einberufene Kongreß wird den entschlossenen Friedenswillen des gesamten Proletariats der Welt zum entschiedenen Ausdruck bringen." In vollster Harmonie und, wenn auch bedrückt, so doch nicht völlig am Frieden verzweifelnd , gingen die Delegierten auseinander. Da kam über Nacht das Unheil . Deutschland erklärte am 1. August den Krieg an Rußland , am 3. August an Frankreich. Die Arbeiter und Sozialisten aller Länder waren einig gewesen, solange es möglich schien , den Krieg zu vermeiden . Als er da war, zerbrach sofort die Internationale . Um das zu verstehen , muß man die Eigenart des Weltkriegs erkannt haben. Eine schwierige Aufgabe, die uns in besonderer Darstellung beschäftigen soll .

Der Zerfall der Internationale

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Vierter Abschnitt.

Die Sozialisten im Weltkrieg.

1. Die Schuldfrage. Die Haltung der sozialdemokratischen Parteien im Weltkrieg und der sofort nach seinem Ausbruch einsetzende Zerfall der sozialistischen Internationale ist nicht leicht zu verstehen. So einfach liegen die Dinge nicht, wie viele radikale Linkssozialisten meinen , namentlich Bolschewiki und bolschewisierende Sozialdemokraten : Es hätten eben alle Führer der sozialdemokratischen Parteien nichts getaugt, sie hätten alle bei Kriegsausbruch die Sache der internationalen Solidarität verraten, um ins bürgerliche Lager überzulaufen. Wäre das richtig, würde das kaum dahin führen , über jenen radikalen Herrn und Damen, die so sprechen, die Aureole besonderer Gesinnungstüchtigkeit erstrahlen, sondern eher dahin, die Sache des Sozialismus als völlig hoffnungslos erscheinen zu lassen. Man bedenke, fast alle die großen Männer des Sozialismus, die bei Kriegsausbruch lebten, unter ihnen solche, die seit einem Menschenalter erprobt waren, sollten beim ersten Ertönen der Kriegstrompete ihre ganze ruhmvolle Vergangenheit geschändet haben ! Und fast die gesamte Masse sozialdemokratischer Proletarier sei ihnen blindlings auf dem Wege zum offenbaren Verrat aller sozialistischen Grundsätze gefolgt ! Wäre das richtig, dann müßte man alles Zutrauen zum Proletariat und zu seinen Vorkämpfern verlieren. Zum Glück lagen die Dinge ganz anders . Die Haltung der Sozialisten und der Proletarier der verschiedenen Länder wird erklärlich durch den eigenartigen Charakter des Weltkriegs. Nicht nur für die Diplomaten und Geschichtschreiber, sondern auch für die Sozialisten ist die Frage der Kriegsschuld" von äußerster Wichtigkeit. Von der Art, wie sie beantwortet wird, hängt unser Urteil über die sozialistischen Parteien und ihrer Führer im Weltkrieg ab. Leider haben sich die Sozialisten der Welt bis heute noch nicht über die Frage der Kriegsschuld geeinigt. So müssen wir sie hier nochmals erörtern . Bismarck bemerkte einmal, niemals werde mehr gelogen, als vor einer Wahl , während eines Krieges und nach einer Jagd. Aber

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Das deutsche Schuldgeständnis

vom Weltkrieg kann man sagen, daß besonders viel gelogen wurde nicht nur während seiner Dauer, sondern schon lange vorher und auch noch lange nachher. Dabei war keiner der Kriege so kompliziert, wie dieser, an dem fast alle Staaten des Erdballs teilnahmen. Jeder aus besonderen Gründen. Nicht wenig wird wohl die Aufdeckung des wirklichen Charakters des Weltkrieges dadurch erschwert , daß die Sieger glaubten, bei der Feststellung der Friedensbedingungen im Lichte einer besonders erhabenen Gesinnung dastehen zu müssen. Bisher hatten bei einem Friedensvertrag die Sieger stets einfach das Recht des Stärkeren proklamiert. Aber diesmal sollte der Friedensschluß eine neue Ära in den Beziehungen der Völker einleiten . Nicht mehr auf roher Gewalt sollten sie beruhen, sondern auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit. Es sollten nicht die Besiegten dem Sieger eine tüchtige Beute an Land und Güter abgeben, sondern die Verbrecher, die den Krieg verschuldet, sollten ihre Untat sühnen . Das Wort ,,Gerechtigkeit " spielte eine große Rolle in der Einleitung zum Friedensvertrag von Versailles zwischen den Siegermächten und Deutschland. Im Artikel 227 des Vertrags hieß es denn auch , daß die ,, alliierten und associierten Mächte Wilhelm II. von Hohenzollern, früheren Kaiser von Deutschland, wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der geheiligten Macht der Verträge unter öffentliche Anklage" stellten . Ein besonderer Gerichtshof sollte ihn richten.

Aber dazu kam es nie, die Schwierigkeiten für ein derartiges. Gerichtsverfahren waren zu groß . Damit war von vornherein die Möglichkeit verschüttet, die Kriegsschuldfrage in kontradiktorischem Verfahren zwischen Anklägern, Angeklagten und Zeugen zu klären . Freilich glaubte man schließlich dessen nicht zu bedürfen , da ja ein Geständnis des Angeklagten vorliege. Im Artikel 231 des Vertrags hieß es : ,,Die alliierten und associierten Regierungen erklären und Deutschlander kennt an , daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und associierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges erlitten haben, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde." Daher sei Deutschland verpflichtet, die angerichteten Schäden nach Möglichkeit wieder gutzumachen . Hier tritt an Stelle Wilhelm II . plötzlich ganz Deutschland . Gegen Wilhelm II . wurde nie ein Gerichtsverfahren eingeleitet, er hat auch nie seine Schuld gestanden . Hat aber Deutschland sie anerkannt ? Wohl hat eine deutsche Regierung den Vertrag unterschrieben, jedoch nicht freiwillig, sondern mit Widerstreben, erst nachdem die Sieger durch ein Ultimatum vom 16. Juni 1919 das ausgehungerte, erschöpfte Reich aufs schwerste bedroht hatten.

Geschichtsphilosophie

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Die Unterzeichnung des Friedensvertrags durch eine deutsche Regierung bedeutet also keineswegs eine freiwillige Anerkennung der deutschen Kriegsschuld durch Deutschland . Allerdings ist es ebenso abgeschmackt, wenn deutsche Patrioten bloß auf Grund dieser Tatsache schon von einer „ Kriegsschuld 1 ü ge“ sprechen. Ehe man über die Kriegsschuld einzelner Personen , Regierungen, Parteien oder ganzer Völker urteilen darf, muß einwandfrei festgestellt sein, wie der Krieg entstand . Statt über Personen . zu richten und aus dem Urteil weitgehende ökonomische oder politische Forderungen abzuleiten, müssen wir vor allem so objektiv wie möglich die kausalen Zusammenhänge klarlegen, aus denen. der Weltkrieg entsprang. Dabei wäre es allerdings verkehrt, von den an seinem Ausbruch beteiligten Personen vollständig abzusehen. Gar mancher glaubt eine tiefe Weisheit zu äußern, wenn er sagt , am Weltkrieg sei niemand schuld, er sei ein Ergebnis des Kapitalismus . Daß es Menschen sind, die die Geschichte machen , darin stimmen wohl alle Historiker überein, die nicht mystisch gerichtet. sind, etwa in der Geschichte das Werk einer Vorsehung sehen. Aber keineswegs einig sind die realistischen Historiker darüber , welche Menschen die Geschichte machen. Die eine Richtung unter ihnen , und zu denen gehören vor allem die Marxisten, sind der Überzeugung, daß an dem Fortgang der Geschichte alle Menschen mitarbeiten, die in den Gebieten des geschichtlichen Geschehens leben und tätig sind, jeder in seiner Art, nach seinen Kräften . Die Geschichte ist die Resultante des Zusammenwirkens aller Menschen . So verschieden die einzelnen Individuen voneinander sind, so gleichen sich die Unterschiede untereinander aus, wenn man eine größere Zahl von Individuen ins Auge faßt. Betrachtet man die Geschichte als das Ergebnis des Tuns aller Menschen, dann treten die Unterschiede der Individuen zurück gegenüber den Unterschieden und Gegensätzen zwischen ihren Gruppen, Parteien , Klassen . Diese werden in letzter Linie bedingt durch besondere Funktionen und Interessen , die aus dem Produktionsprozeß hervorgehen . Und bei Massenerscheinungen setzen sich große, gesellschaftliche Gesetze durch. Große Massenbewegungen mit dauernden Wirkungen werden nicht durch Zufälligkeiten bestimmt. Die marxistischen Historiker dieser Art gehen von dem gesellschaftlichen Leben aus, das sie studieren . Das vermögen sie zunächst nur gegenüber dem Leben der Gegenwart, in dem sie darin stehen und tätig sind. Auf Grundlage der Erkenntnisse, die sie dadurch gewonnen haben, prüfen sie die Zeugnisse der Vergangenheit, um die geschichtliche Entwicklung zu begreifen . Anders gehen die meisten Geschichtsforscher vor. Sie sind nur zu oft verständnislos für die Gegenwart, es interessiert sie vor allem die Vergangenheit, das heißt , die schriftlichen Mitteilungen

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Geschichtsphilosophie

darüber, die erhalten sind . Auch für sie, wie für die Bureaukraten , gilt der Satz : Was nicht in den Akten steht , existiert in Wirklichkeit nicht. Nur diejenigen Menschen haben für sie Geschichte gemacht, deren Tun von früheren Geschichtschreibern aufgezeichnet wurde. Das waren natürlich in erster Linie politisch hervorragende Personen, Leiter der Staaten und der Armeen. Diese allein werden als die Menschen betrachtet, die die Geschichte machen. Die übrigen Menschen erscheinen als eine tote Masse ohne Vernunft und Willen, die von ein paar ,, großen Männern“ erst in Bewegung gesetzt und nach deren Belieben bewegt und gelenkt wird . Die Geschichte wird von diesem Standpunkt aus ein unverständliches Chaos von Zufälligkeiten. So sieht die bisherige geschriebene Geschichte auch tatsächlich aus. Und so muß jede Geschichtsdarstellung aussehen, die nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Gesamtzusammenhang der gesellschaftlichen Entwicklung umfaßt. Immer ragen einzelne Individuen über die Menge hinaus , entweder durch die Macht , die ihnen aus gesellschaftlichen Einrichtungen zufließt, etwa aus dem Erbrecht für Monarchen oder für Kapitalisten aus ihrem Geld. Andere Individuen überragen den Durchschnitt durch Besonderheiten der Begabung, des Wissens, Weitblicks, der Kühnheit, organisatorischen Fähigkeit, Selbstlosigkeit etc. Solche Individuen werden immer in der Gesellschaft, in der sie wirken, Hervorragendes leisten und die Augen der Beobachter des geschichtlichen Prozesses auf sich lenken . Sie werden auch dessen Eigenart bis zu einem gewissen Grade bestimmen . Wohl können sie der Geschichte ,, ehernes Muẞ " nicht aufheben , das aus den Gesetzen länger dauernder Massenbewegungen hervorgeht, aber innerhalb eines beschränkten Gebiets und Zeitraums können sie die Art , in der sich das historische Muß durchsetzt, in hohem Grade beeinflussen. Sie können je nach dem Grade ihrer persönlichen Einsicht und Macht das Tempo des gesellschaftlichen Fortschritts verlangsamen oder beschleunigen, die Opfer, die er mit sich bringt, steigern oder vermindern. Das bedeutet wenig für den Historiker, der den Gesamtzusammenhang der Menschengeschichte zu erkennen sucht . Es bedeutet ungemein viel für diejenigen, die innerhalb eines beschränkten Gebiets und Zeitraums zu leben und zu wirken haben . Und in den Aufzeichnungen des politischen und sozialen Geschehens einer Generation und eines Landes werden die Handlungen seiner „ führenden" Persönlichkeiten stets im Vordergrunde stehen. Manche Historiker glauben, ihre ganze Aufgabe beschränke sich darauf, diese Persönlichkeiten einzuschätzen, entweder zu preisen oder zu verurteilen . Die Weltgeschichte soll ja bekanntlich das Weltgericht sein. Eine sehr unfruchtbare Aufgabe gegenüber Menschen, die schon längst vermodert sind. In Wirklichkeit hat die Geschichte als reine Wissenschaft der gesellschaftlichen Entwicklung stets nur die Wirklichkeit möglichst getreu zu erkennen und

Geschichtsdarstellungen

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zu begreifen. Als angewandte Wissenschaft, als Politik, hat sie allerdings historische Vorgänge auch zu beurteilen, jedoch muß sie dabei stets die Geschichte als reine Wissenschaft zu ihrer Basis nehmen. Der historische Stoff wird dem Historiker stets in den beiden hier dargelegten Formen zufließen : in der gesellschaftlicher Massenerscheinungen und in der des Wirkens einzelner hervorragender Persönlichkeiten . Je nach der Aufgabe, die der Geschichtsforscher sich setzt, vor allem je nach der Weite des Geschehens , das er erforschen will, muß das eine oder das andere Moment bei ihm mehr hervortreten . Dabei wird er sich aber immer dessen bewußt bleiben müssen, daß es Menschen und nicht Abstraktionen sind , die die menschliche Geschichte machen. Um die Eigenart des Weltkriegs erkennen zu lassen, müssen wir beide hier erörterten Darstellungsarten zur Anwendung bringen : zuerst den Weltkrieg in seinem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung untersuchen, dann aber den beschränkten Ausschnitt der wenigen Wochen betrachten , in denen der Weltkrieg zum Ausbruch kam und die wenigen führenden Personen, die dafür entscheidend wurden . Also zuerst die tieferen Ursachen und dann die Veranlassungen des Weltkriegs .

2. Die tieferen Ursachen des Weltkriegs. a) Der preußische Militarismus bis 1870. Früh hat man erkannt, daß es nicht genügt, um den Weltkrieg zu begreifen, die Geschichte der Wochen vor seinem Ausbruch zu kennen. Mehrere der am Kriege beteiligten Staaten sind dazu übergegangen, Dokumente ihrer Außenministerien zu veröffentlichen, die ihre internationale Politik für viele Jahre vor dem Weltkrieg kennzeichnen . Am weitesten zurück gingen die Regierungen der deutschen und der französischen Republik. Ihre Dokumentensammlungen beginnen mit dem Friedensschluß zwischen Frankreich und Deutschland von 1871 , sowohl ,,die große Politik der europäischen Kontinente von 1871-1914, Sammlung der diplomatischen Akten des auswärtigen Amts", Berlin 1922-1927 , als auch die ,,Documents diplomatiques français relatifs aux origines de la guerre de 1914" ( 1871-1914) , Paris 1929. Diese Sammlung ist zur Zeit ( 1935 ) noch nicht zum Abschluß gelangt. Die Herausgabe der deutschen Dokumente wurde zuerst nur einem einzigen Mann übergeben, dem Professor Albrecht Mendelssohn-Bartholdy. Später wurden ihm noch Friedrich Thimme und J. Lepsius beigesellt. Die Kommission zur Herausgabe der französischen Akten umfaßt 36 Historiker und Akademiker, darunter den 1928 verstorbenen Au-

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Der preußische Militarismus

lard, den Präsidenten der Liga für Menschenrechte Buisson, und Levy Brühl, den Freund Jaurès', sowie 17 Diplomaten und gewesene Minister. Der Friedensvertrag von Frankfurt sowie die Begründung des Deutschen Reichs bilden sicher eine historische Epoche, namentlich für die europäische Politik. Doch glauben wir, daß es notwendig ist, um den Weltkrieg begreiflich zu machen, noch weiter zurückgehen zu müssen, bis zum Aufkommen des Militarismus in der Hohenzollernmonarchie, der sich schon im 18. Jahrhundert bildet, aber die Geschichte Europas besonders stark beeinflußt seit der Begründung des Deutschen Reichs. Wir huldigen natürlich nicht den Rassenvorstellungen von Analphabeten ; Vorstellungen, die mit der Wissenschaft nichts zu tun haben. Der preußische Militarismus ersteht nicht aus irgend einer besonders gearteten Erbmasse der preußischen „ Rasse“, die selbst ein starkes Gemisch der verschiedensten Rassen darstellt. Der preußische Militarismus ist vielmehr das Ergebnis besonderer historisch gewordener politischer und sonstiger sozialer Verhältnisse. Das Kurfürstentum Brandenburg, seit 1415 im Besitz der Hohenzollern, war namentlich auf Kosten Polens ( Preußen) und Schwedens so sehr gewachsen, daß der Staat, zu Beginn des 18. Jahrhunderts als der bedeutendste unter den deutschen Reichsstaaten dastand. Abgesehen natürlich von dem Besitz der Habsburger, der jeden von ihnen weit überragte . Die Habsburger beherrschten damals etwa 20 Millionen Untertanen, die brandenburgischen Hohenzollern mehr als 2 Millionen , während von den beiden nächstgrößten deutschen Staaten Bayern und Sachsen keiner die zwei Millionen erreichte. Die Hohenzollern verfügten über die stärkste Kriegsmacht im Reich, nach der kaiserlichen . Um sich die Hilfe dieser Macht gegen die Franzosen zu sichern, gewährte im spanischen Erbfolgekrieg der deutsche Kaiser Leopold I. dem Kurfürsten von Brandenburg Friedrich III . die Erfüllung seines Sehnens. Er gestattete ihm , sich die Königskrone aufzusetzen , als König von ,,Preußen" ( 1701 ) . Die Hohenzollern waren die einzigen Könige im alten Deutschen Reich, abgesehen von Böhmen , dessen Königtum in den Besitz der Habsburger gelangt war. Die Beherrscher Bayerns und Sachsens sowie Württembergs wurden erst ein Jahrhundert später zu Königen, von des korsischen Advokatensohnes Napoleon Gnaden . Hannover wieder erlangte das Königtum erst nach dem Sturz Napoleons auf dem Wiener Kongreß. Preußen war der umfangreichste, keineswegs aber reichste unter den deutschen Mittelstaaten geworden, mit sehr schlechter Grenze. Wollte es sich unter ihnen und auch dem Kaiser gegenüber behaupten, mußte es trachten, eine größere Armee aufzustellen, als seiner Bevölkerungszahl entsprach. Das strebte bereits König Friedrich Wilhelm I. an , der 1713 zur Regierung kam und 1740

Der preußische Militarismus

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seinem Sohn Friedrich ein Heer von 83.000 Mann hinterließ , bei einer Bevölkerung des Staates von 2,240.000 Einwohnern. Diesem Verhältnis entsprechend hätte das stehende Heer vor dem Weltkrieg in Deutschland 2,600.000 Köpfe stark sein müssen, bemerkt Sombart ( ,,Krieg und Kapitalismus“, München 1913 , S. 42) . Die preußische Armee stellte damals schon eine gewaltige Heeresmacht dar. Sie setzte Friedrich II. in Stand , gegen das so viel größere Österreich aufzutreten, sogar es zu besiegen, im ersten schlesischen Krieg ( 1742) , allerdings mit Hilfe Frankreichs. Damals gewann er Schlesien . Dreißig Jahre später verbündete er sich mit Österreich und Rußland , um Polen aufzuteilen . Auf diese Weise vergrößerte Friedrich II. , der Große zubenannt, den preußischen Staat so sehr, daß dieser zur Zeit seines Todes ( 1786) 52 Millionen Menschen umfaßte. In gleichem Maße, wie das Staatsgebiet vergrößerte er seine Armee, die schließlich 200.000 Mann zählte. Sie war stärker, als die Frankreichs, dessen Bevölkerung nach Neckers Schätzung 1784 25 Millionen Menschen betrug. Sein Heer umfaßte damals (vergleiche Sombarts eben zitierte Schrift) nur 180.000 Mann . Erst recht überragte die preußische Armee die Spaniens mit seinen 85.000 Mann ( Bevölkerung 1787 102 Millionen) und die Großbritanniens mit gar nur 21.000 ( bei 16 Millionen Einwohnern) . Von den damaligen Großmächten besaßen nur Österreich ein größeres , Rußland ein gleich großes Heer . Aber um wie viel schlechter waren diese ! Preußen war damit in die Reihe der Großmächte eingetreten , jedoch nur auf der Grundlage seines Heeres, nicht etwa seiner ökonomischen oder intellektuellen Bedeutung. Daß diese Grundlage allein unzureichend sei für die Behauptung des Ranges einer Großmacht, darauf wies mit überlegener Selbstironie bereits Friedrich II. selbst hin : ,,Friedrich hatte die innere Freiheit, seinen Tischgenossen einmal (1781 ) für die verschiedenen Staaten neue Ordensinsignien vorzuschlagen : für das Haus Österreich ( Kaiser Josef) den donnernden Jupiter, für England den Piraten Merkur, für Frankreich den Stern der Venus und für Preußen den Affen , ‚ denn wir äffen die Großmächte nach, ohne eine zu sein ." (H. Delbrück, Weltgeschichte, Berlin 1931 , 2. Auflage, III . S. 675. ) Österreich zählte viermal so viel Menschen, Frankreich fast fünfmal so viel, wie das Preußen Friedrichs . Wollte dieses trotzdem Großmacht spielen und eine Armee aufstellen, die einer der andern Großmächte gewachsen war, dann konnte es dies nur dadurch erreichen, daß es die ganzen Staatsfinanzen fast ausschließlich auf diesen einzigen Punkt konzentrierte . Die Armee wurde in Preußen nicht nur ein unentbehrliches Werkzeug für die Regierung, wie in jedem andern Staate und als solches geschätzt, sondern sie wurde im Grunde der einzige Staatszweck. In den andern Staaten des 18. Jahrhunderts ergaben sich die absoluten Herrscher sinnloser Verschwendung für prunkhafte Hofhaltungen, Luxusbauten u . dgl . In Preußen befliß man sich auf diesen Gebieten

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Junker und Militarismus

zumeist größter Sparsamkeit , nur um Geld genug für den ungeheuren Heeresapparat ausgeben zu können. Auch den Untertanen wurde die Notwendigkeit dieses Apparats immer wieder eingehämmert, ihr Interesse auf die Größe und den Glanz der Armee hingelenkt. Den meisten Erfolg hatte diese Propaganda beim Adel . Das ganze 18. Jahrhundert wird gekennzeichnet durch den Verfall der Feudalwirtschaft . Immer weniger sind die Feudalherren, der Grundadel imstande, vom Ertrag ihrer Güter zu leben ; in dem so armen Preußen nahm diese Not der Adeligen besonders große Dimensionen an. Überall sahen sich damals die Aristokraten in steigendem Maße genötigt, an die Staatshilfe zu appellieren . Aber anderswo fanden viele ein Unterkommen bei Hofe und im Dienst der Kirche und der Staatsverwaltung, wo ihnen eine Fülle reichlicher Sinekuren winkte. Diese Gebiete boten in dem armen Preußen nur geringe Aussichten. Fast die einzige Rettung fanden die erwerbslosen Junker in der Armee . Mehr noch als anderswo interessierte sie den Adel. Nirgends wurden die Offiziersstellen so sehr vom Adel monopolisiert, wurde die ganze Erziehung des adligen Nachwuchses so sehr auf den militärischen Beruf zugeschnitten , wie in Preußen . Dabei war das Verhältnis des preußischen Junkers zu seinen Hintersassen ein solches, bei dem besonders stark die Eigenschaften des Kommandanten entwickelt wurden , des Drillens, der rücksichtslosen Anspannung der Kräfte der Mannschaften bis zur Erschöpfung, sowie Härte und Überheblichkeit gegenüber dem Untergebenen, den man in zitternder Furcht vor dem Vorgesetzten erhielt. Der ostelbische Adel Preußens war zu seinem Besitz gekommen als Eroberer des vor seinem Einbruch slawischen Landes. Durch Kriegsrecht hatte er sein Gut errungen, seinen Bauern stand er lange nicht viel anders gegenüber, als ein spanischer Conquistador in Amerika den Indianern . Die Eigenschaften , die aus diesem sozialen Verhältnis hervorgingen, hatte wohl Bismarck im Auge, als er bemerkte : ,,Wir züchteten schon damals das Offiziersmaterial bis zum Regimentskommandeur in einer Vollkommenheit, wie kein anderer Staat.“ („, Gedanken und Erinnerungen ", Volksausgabe, 1905, I. S. 23.) Ökonomisch befand sich in ähnlicher ökonomischer Lage wie der ostelbische Adel derjenige Polens und Ungarns . Auch dort gab es einen zahlreichen Kleinadel, dessen Landwirtschaft verkam, der nach Staatshilfe seufzte . Aber diese Gebiete waren von einem Fremdherrscher erobert, der den Junkern keine zahlreichen Geldhilfen und Staatsstellen bot. Dort wurde der Kleinadel und in erheblichem Grade auch der höhere Adel daher ein sehr rebellisches Element. In Preußen dagegen wurde er die stärkste Stütze des Monarchen , des ,, obersten Kriegsherrn". Das machte zeitweise den Absolutismus in Preußen stärker

Militarismus in Preußen

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als in Österreich oder Rußland, solange in diesen Staaten der polnische oder ungarische Widerstand nicht aufgehoben war. Aber freilich wurde auf den Preußenkönig der Spottvers gemünzt : ,,Und der König absolut Wenn er unsern Willen tut." Je mehr Adel und Offizierskorps in Preußen identisch wurden und je mehr das Königtum von der Armee abhing, desto mehr wurde die Staatspolitik von militärischen Gesichtspunkten aus betrachtet. Dieser Einfluß des Militärs auf die Politik kennzeichnet das, was man als Militarismus bezeichnen kann. Dieser wird nicht bloß durch die Größe des Heeres bedingt. Ein Milizheer wird viel zahlreicher sein als ein stehendes Heer, aber eine Beherrschung der Politik durch das Offizierskorps wird es nicht aufkommen lassen . Für das militaristische Denken geht die erste Aufgabe der Staatspolitik wenigstens eines Großstaates dahin , das eigene Heer jedem andern überlegen zu machen. Man braucht dabei die Gewinnung von Freunden nicht zu vernachlässigen . Aber hat der Militarist zu wählen zwischen der Gewinnung oder Erhaltung eines Bundesgenossen und der Vergrößerung der eigenen Armee, dann wird er den Bundesgenossen aufgeben. Dabei wird es für einen Staat um so schwerer, Freunde zu erwerben , je überlegener sein Heer, je größer die Furcht, die es einflößt . Das Motto eines kriegsstarken Staates lautet : Oderint dum metuant. Sie mögen mich hassen , wenn sie mich nur fürchten. So denkt der Militarist allen Völkern gegenüber, dem eigenen, wie fremden. Dies Lieblingswort des römischen Kaisers Caligula war ihm allerdings sehr verhängnisvoll geworden . Bereits nach vier Jahren seiner Regierung hatte er eine solche Fülle von Haß gegen sich erregt, daß sie die Furcht weit überwog. Er wurde von den Offizieren seiner Leibgarde erschlagen. Bessere Erfolge hatte der preußische Militarismus . Derselbe Faktor das Mißverhältnis zwischen den Aufgaben eines Großstaats und den Mitteln eines Kleinstaats - der dem Militarismus in Preußen zu besonderer Geltung verhalf, hinderte dessen Regenten doch lange Zeit daran , ihre Politik auf das Heer allein zu stützen. Bundesgenossen zu gewinnen erschien ihnen ebenfalls wichtig. Das milderte zeitweise die Außenpolitik Preußens, verminderte aber nicht den Einfluß des Militarismus auf seine Regierung. Und man muß gestehen, daß er lange Zeit hindurch höchst erfolgreich war. Von 1740, der Thronbesteigung Friedrich II . an bis 1870 , dem deutsch-französischen Krieg, sehen wir einen stolzen Aufstieg der Hohenzollern , die 1740 nicht ganze 2½ Millionen und 1871 41 Millionen beherrschten . Allerdings war dieser Aufstieg kein stetiger. Wenige Jahre nach Friedrich II . Tode brach die französische Revolution aus und

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Preußen nach Jena

in ihrem Gefolge der Krieg Frankreichs gegen die Monarchen Europas. Daraus ging eine neue Taktik hervor , ganz anderer Art als die Lineartaktik, die Friedrich noch angewandt hatte. Die preußischen Militärs klebten noch zäh an der so glänzenden Tradition Friedrichs, bis sie in der Schlacht bei Jena, 1806, vernichtend geschlagen wurden. Infolge davon wurde Preußen wieder auf das Niveau eines Kleinstaats reduziert . Es war, namentlich durch die letzte Teilung Polens ( 1795 ) so sehr angewachsen, daß es eine Bevölkerung von rund 9 Millionen umfaßte , fast doppelt so viel, wie es bei Friedrich II . Ableben gezählt hatte . Nun wurden ihm von Napoleon etwa 5 Millionen genommen . Das preußische Gebiet war seit dem Tilsiter Frieden ( 1807) kleiner, als bei Friedrichs Ende, umfaßte nicht ganz 5 Millionen Einwohner. Aber der alte Drang, eine Großmacht darzustellen , blieb , jetzt noch verstärkt durch die Erinnerung an die Bedeutung, die der Staat bereits erlangt hatte. Das Mißverhältnis zwischen den Aufgaben und den Mitteln des Staates, jetzt besonders kraß geworden, erzwang Reformen auf allen Gebieten , Anpassung an die Einrichtungen des revolutionären Frankreich . Auch das Militär wurde reformiert, radikaler, als in den andern Staaten mit legitimen Monarchien. Preußen war unter diesen Monarchien die erste , die zur allgemeinen Wehrpflicht überging und neben dem stehenden Heer eine Miliz ( Landwehr) schuf. Die andern Monarchien folgten erst fünfzig Jahre später. Als Napoleons große Armee 1812 in Rußland mehr dem Klima als den Waffen des Feindes erlag, erhoben sich wieder die von ihm besiegten Mächte, neben Rußland stand aber da in erster Linie das so kleine Preußen. Erst viel später wagte es Österreich, sich ihm anzuschließen. Trotz seiner Kleinheit wurde Preußens Armee der furchtbarste Gegner Napoleons . Von den Truppen der gegen Napoleon 1813 Verbündeten, eine halbe Million , waren die Hälfte Preußen. Und auf dem Wiener Kongreß , der nach der Zerschmetterung des französischen Kaisertums Europa neu organisieren sollte, zeigte sich Preußen wieder als eine seiner fünf Großmächte , allerdings noch immer die kleinste unter ihnen mit den 10½ Millionen Einwohnern , die es nun zählte .

Den Militarismus hatten die Reformen des preußischen Staates nicht geschwächt, er bestand unvermindert weiter. Doch die Zeit dauernden Friedens von 1815 bis zur Revolution von 1848 zeigt sich der Kraft und Schlagfertigkeit seines Heeres nicht günstig. Die ganze Tätigkeit der Offiziere in diesem Zeitraum beschränkte sich auf monotonen Rekrutendrill . Erst die Revolution von 1848 brachte der preußischen Armee neue Aufgaben. Noch größere erstanden in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Revolution . Schon die Revolution hatte die Idee eines Kleindeutschland unter

Philosophie und Kriegskunst

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einem Hohenzollernkaiser aufkommen lassen, eines Deutschen Reichs, aus dem die Deutschen Österreichs ausgeschlossen sein sollten. Die Idee blieb nach der Niederlage der Revolution lebendig, stachelte den alten Gegensatz zwischen Preußen und Österreich immer mehr an und drängte die preußische Regierung, die eine Zeitlang vernachlässigte Armee wieder zu vergrößern und schlagfertiger zu gestalten . Aber auch ohne Zutun der preußischen Regierung und ihrer Militärs war seit den Napoleonischen Kriegen im deutschen Wesen eine Veränderung vorgegangen, durch die Preußens Kriegskunst besonders hoch gehoben wurde. Die gesellschaftliche Umwandlung durch den industriellen - Kapitalismus hatte reges geistiges Leben in allen Ländern erweckt , die nicht, wie Spanien durch seine Inquisition, durch tödliche Gleichschaltung eingeschnürt und dem Untergang überliefert wurden. In England und Frankreich nahm der geistige Aufschwung des aufstrebenden Kapitalismus gleich sehr praktische Formen an , in Ökonomie und parlamentarischer Politik . Auf diese Gebiete konzentrierten sich die besten Geister der Nation , die sich in der Zeit der Revolutionskriege auch auf das Kriegswesen geworfen hatten . Die Industriellen und Politiker der beiden Westmächte erreichten Großes, aber vorwiegend als Praktiker, als Empiriker. Die Fülle praktischer Aufgaben verhinderte ruhiges, uninteressiertes , bloß auf höheres Erkennen und dessen universalen Zusammenhang gerichtetes philosophisches Denken. Um so mehr war dieses seit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Deutschland gediehen, nachdem es die Schäden der Religionskriege überwunden hatte . Deutschland wurde damals das Land der Dichter und Denker. Im Fortgang des 19. Jahrhunderts erstarkte aber auch im deutschen Volke die kapitalistische Produktionsweise und in ihrem Gefolge kamen liberale und demokratische Bestrebungen auf. Dieselben praktischen Aufgaben, wie in Westeuropa erstanden nun in Deutschland, aber sie fanden dort bessere wissenschaftliche Schulung als in den Staaten des Westens . Die neue politische und ökonomische Praxis wurde in Deutschland daher besonders stark mit einer hochstehenden Theorie verbunden . Das verlieh der deutschen Großindustrie schließlich ein Übergewicht über die englische, dem Sozialismus und der Arbeiterbewegung Deutschlands ein Übergewicht über die früheren Formen dieser Erscheinungen in England und Frankreich. Es hob auch die deutsche Kriegskunst über die der andern Staaten hinaus. Napoleon hatte als bloßer Empiriker allerdings ein höchst genialer - die den Bedingungen der neuen Zeit angepaßte Taktik und Strategie auf den Gipfel der Vollkommenheit gebracht. Der Theoretiker der napoleonischen Kriegskunst erstand aber nicht in Frankreich, sondern in Deutschland, in dem preußischen General Clausewitz , der 1831 starb . Nach seinem Tode erschien sein grundlegendes Werk über den Krieg , 25

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Militarismus und Intellektuelle

das nicht nur die Regeln napoleonischer Kriegsführung theoretisch begründete und in einen inneren Zusammenhang brachte, sondern auch die Möglichkeit zeigte, sie weiteren sozialen und technischen Wandlungen anzupassen, zu verhindern , daß sie zur geistlosen Schablone wurden, wie es die friderizianischen Regeln in Preußen geworden waren . Diese geistige Überlegenheit steht in Widerspruch zu der Tatsache , daß das preußische Offizierskorps sich hauptsächlich aus dem ostelbischen Junkertum rekrutierte, einem der unwissendsten und beschränktesten Teile der deutschen Nation . Aber der ausgeprägte theoretische Sinn wurde hauptsächlich verlangt von der höheren Führung des Heeres, den Offizieren des Generalstabs , die relativ nur gering an Zahl sind . Jedoch auch zur Ausfüllung dieser Zahl reichten die Kräfte nicht aus , die Preußen allein lieferte. Es kam ihm zugute, daß alle geistig höher entwickelten Offiziere in Deutschland mit Vorliebe nach Preußen strebten. Es gab im deutschen Bund nur zwei Staaten mit großen Armeen, die einem Offizier höhere Aufgaben bieten konnten , die österreichische und die preußische. Aber Österreich sperrte sich ängstlich gegen jedes geistige freiere Lüftchen aus dem Westen ab. So blieb die preußische Armee als einziger Zufluchtsort für militärische Talente, die nicht im Gamaschendienst verkommen wollten . Wie viel die preußische Armee diesem „ Zuzug von Außen“ verdankt, hat Bismarck selbst anerkannt, in der schon angeführten Stelle . Wir haben oben von ihr nur den einen Satz zitiert, in dem es heißt, Preußen züchtet das Offiziersmaterial in einer Vollkommenheit , wie kein anderer Staat", aber nur ,,bis zum Regimentskommandeur". Bismarck fährt fort : ,,Darüber hinaus war das eingeborene preußische Blut nicht mehr fruchtbar an Begabungen , wie zur Zeit Friedrichs des Großen selbst. Unsere erfolgreichsten Feldherren Blücher, Gneisenau, Moltke, Goeben waren keine preußischen Urprodukte.“ Die engere Verbindung von Intelligenz und Offizierskorps hob dieses auf eine höhere Stufe und vergrößerte ungemein die Leistungsfähigkeit der Armee . Es machte sie jedem andern Heer überlegen, seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts . Aber in enger Wechselbeziehung wirkte auch wieder das Offizierskorps auf die nicht militärischen Kreise der Intelligenz zurück, was sehr gefördert wurde durch die allgemeine Wehrpflicht und die Einführung des Reserveoffiziers . Das hatte die Folge , daß nirgends in den Kreisen der Intellektuellen militärisches Denken und Fühlen so vorherrschend geworden ist, wie in Preußen . Das militärische Denken und Fühlen wurde besonders angestachelt durch die glänzenden Siege von 1866 und 1870/71 , durch die anscheinend die Armee dem deutschen Volke jene langersehnte Einheit brachte, die von den Revolutionären von 1848 vergeblich angestrebt worden war. Der Militarismus,

Moralische Eroberungen

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das Überwiegen des militärischen Denkens , das bis dahin Preußen gekennzeichnet hatte, wurde nun zu einem Kennzeichen des deutschen Reichs.

b) Der deutsche Militarismus seit 1871 . Der Widerspruch zwischen der Kleinheit und Armut des preußischen Staates und der Größe seiner Aufgaben als werdende. Großmacht hat die Kraft und Eigenart des preußischen Militarismus erzeugt. Der gleiche Widerspruch aber zwang die Staatsmänner Preußens wenigstens ihre intelligenten sich auf die Kraft des Kriegsheers nicht allein zu stützen , sondern auch auf „ Imponderabilien", wie Bismarck sich ausdrückte , durch die man moralische Eroberungen macht und sich Freunde gewinnt. Auf diese legte er noch hohen Wert, als Preußen 1866 den entscheidenden Waffengang mit dem so viel größeren Österreich begann. Wohl zählte Preußen 1866 bereits 19½ Millionen Einwohner, doch standen ihnen 35 Millionen Österreicher gegenüber, sowie 18 Millionen in deutschen Kleinstaaten , die fast alle zu Österreich hielten. Da wagte Bismarck den Krieg nicht ohne das Bündnis mit dem 1861 neuerstandenen Königreich Italien . Außerdem aber suchte er moralische Eroberungen unter den deutschen Bourgeois wie den deutschen Proletariern zu machen . Für diese verlangte er das allgemeine Wahlrecht, jenen stellte er die Gewinnung eines einigen wenn auch verkleinerten Deutschland in Aussicht. Als Preußen 1866 gesiegt hatte, wurden seine Militaristen übermütig. Sie verlangten restlose Ausnutzung des Sieges, Verkleinerung Österreichs, Annektierung österreichischen Gebiets. Bismarck aber blieb sich dessen noch bewußt, welchen Wert für einen Staat mit Grenzen, wie sie Preußen hatte, die Gewinnung freundschaftlicher Beziehungen zu den Nachbarn erlangt . Österreichs Freundschaft erschien ihm ungemein wichtig, aber nur erreichbar, wenn es geschont wurde . Das gelang ihm auch, indes erst nach hartem Kampfe mit den Generalen und dem König, der auf ihre Seite trat. Bismarck selbst teilt in seinen ,, Gedanken und Erinnerungen" die Gründe mit, die er damals vorbrachte ( II. S. 64) : „ Österreich schwer zu verwunden, dauernde Bitterkeit und Revanchebedürfnis mehr als nötig zu hinterlassen, mußten wir vermeiden, vielmehr uns die Möglichkeit wahren, uns mit dem heutigen Gegner wieder zu befreunden, und jedenfalls den österreichischen Staat als einen Stein im europäischen Schachbrett und die Erneuerung guter Beziehungen zu demselben als einen für uns offen zu haltenden Schachzug ansehen . Wenn Österreich schwer geschädigt würde, so würde es der Bundesgenosse Frankreichs und jedes Gegners werden ; es würde selbst seine antirussischen Interessen der Revanche gegen Preußen opfern.“ Das waren sehr nüchterne Erwägungen, von keinerlei Art Idealismus getragen , aber dem siegestrunkenen Militarismus Preu25

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Militaristischer Übermut

Bens gegenüber durch ihren Weitblick gewaltig überlegen. In diesen Erwägungen zeigt sich meines Erachtens Bismarcks Größe am vollkommensten . Er hat später noch viel größere Erfolge erzielt, aber den geistigen Höhepunkt von 1866 nicht beibehalten . Er glitt rasch bergab, seit 1870. Nach der Besiegung Napoleons stand Bismarck vor einer ähnlichen Situation, wie nach der Schlacht von Königgrätz . Wie damals Österreich, bot jetzt Frankreich sofortigen Frieden, mit einer Kriegsentschädigung aber ohne Gebietsabtretung. Dieselben Gründe, die 1866 für die Gewährung eines solchen Friedens an Österreich gesprochen hatten, bestanden 1870 Frankreich gegenüber. Doch 1870 waren es nur die deutschen Sozialdemokraten, beraten von Marx, geführt von Bebel und Liebknecht, die in Deutschland leidenschaftlich für einen solchen Frieden eintraten. Es gelang ihnen nicht , sich durchzusetzen . Damit wurde der Keim zu jener Politik gelegt, die ein halbes Jahrhundert später im Weltkrieg und Zusammenbruch des deutschen Reichs endete. Was hatte sich in der Zeit von 1866-1870 geändert ? Aus dem kleinsten war Preußen nun zum größten der Großstaaten Europas geworden - abgesehen von Rußland, aber dieses halbasiatische Reich blieb ein Fall für sich . Preußen war nach 1866 nicht nur um neue Gebiete mit fast 5 Millionen Einwohnern vergrößert worden , es hatte auch die Führung eines geschlossenen deutschen Gebiets , mit rund 40 Millionen erreicht. Frankreich zählte vor dem Kriege von 1870 38 Millionen , Österreich 36 Millionen, Großbritannien mit Irland 32, Italien 26 Millionen . Rußland allerdings über 80 Millionen, aber ohne jegliche Großindustrie, die für einen modernen Krieg so wichtig ist . Dieser plötzliche Kräftezuwachs, der noch dazu in einem so glänzenden Sieg über Napoleons verlottertes Heer zutage trat , beseitigte die Hindernisse, die bis dahin in Preußen das militaristische Denken zur Vorsicht gemahnt hatten . Dieses Denken , obwohl es aus der Kleinheit des Staates hervorgegangen war , wuchs nun durch dessen Übermacht zur Schrankenlosigkeit. Dem ist es zuzuschreiben , daß die deutschen Regierungen, geführt von der preußischen, der sie seit Januar 1871 im damals gegründeten Reich unterstanden, das französische Friedensangebot zurückwiesen und die Abtretung des Elsaß und eines Teils Lothringens verlangten. Man glaube nicht, daß diese Forderung ein Ergebnis der nationalen Idee war, die seit der französischen Revolution im europäischen Völkerleben so wichtig geworden ist. Die nationale Idee war eine Äußerung des demokratischen Geistes, der damals die Köpfe beherrschte. Sie forderte die Befreiung aller Nationen und Nationsteile, die einer Fremdherrschaft unterworfen waren , gegen die sie sich auflehnten, nicht aber die zwangsweise Eingliederung aller Gebiete, in denen die gleiche Sprache gesprochen wurde , in das-

Annexion des Elsaß

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selbe Staatswesen, wenn sie ihm widerstrebten. Das aber taten die Elsässer und Lothringer. Einmütig lehnten sie die Annexion an Deutschland ab. Und darum durfte sie die französische und die internationale Demokratie nicht im Stiche lassen , wenn die deutsche Regierung sie vergewaltigen wollte. Bismarck und seine Leute haben denn auch die Annexion Elsaß-Lothringens nicht aus nationalen, sondern aus militärischen Gründen gefordert. Nur solche Gründe ließen sich für die Angliederung eines Teils Lothringens ins Feld führen, in dem unzweifelhaft nur französisch gesprochen wurde. Als dem deutschen Reichstag am 2. Mai 1871 der Gesetzentwurf über die Vereinigung Elsaß-Lothringens mit dem deutschen. Reiche zuging, führte Bismarck zur Rechtfertigung des Gesetzes weder das Nationalitätsprinzip noch etwa das historische Recht oder das Anrecht auf ,,natürliche Grenzen" an, sondern ausschließlich militärische Gesichtspunkte. Er kam zu dem Ergebnis : ,,Es blieb nichts anderes übrig, als diese Landesfläche mit ihren starken Festungen vollständig in deutsche Gewalt zu bringen, um sie selbst als ein starkes Glacis Deutschlands gegen Frankreich zu verteidigen." Wie diese Verteidigung auszusehen habe , offenbarte der vorsichtige Bismarck nicht , wohl aber taten das deutsche Ideologen , deren Denken der Militarismus infiziert hatte. Treitschke verfaßte 1870 unmittelbar nach der Niederwerfung der bonapartistischen Armee eine Schrift ,,Was fordern wir von Frankreich", in der er ausführte , die französische Nation sei der ,,Feind, nicht Bonaparte. Diese Nation muß so geschwächt werden, daß sie nicht mehr wagen darf, uns anzugreifen." ,,Wir schulden dem Weltteil eine dauerhafte Sicherung des Völkerfriedens, und wir werden sie, soweit Menschenkräfte reichen, nur dann erlangen, wenn von den befestigten Pässen der Vogesen deutsche Feuerschlünde in das welsche Land herniederschauen und unsere Heere in wenigen Märschen in die Ebenen der Champagne herabsteigen können.“ Noch offener erklärte gleichzeitig ein Dr. G. Lenz zur Begründung der Annexion : „Wir sind nur dann imstande, uns und der Welt den Frieden zu sichern, wenn wir unsere Verteidigung in der Weise führen können , daß wir auf dem kürzesten Weg zum Angriff vorgehen ... Unser Vorstoß ginge dann direkt auf die Haupt- und auf die zweite Stadt Frankreichs ( Lyon ) . "¹) Der deutsche Militarismus wollte den Weltfrieden also in der Weise erhalten, daß er der deutschen Westgrenze eine Gestalt gab, ¹ ) Diese und andere Äußerungen gleicher Art brachte ich in meiner Schrift über ,, Elsaß -Lothringen “ vor, die ich 1917, mitten im Kriege verfaßte, um den Standpunkt der internationalen Sozialdemokratie gegenüber diesem Problem zu entwickeln. Ich kam zu dem Ergebnis, für uns könne die Frage nicht lauten, welcher Staat ein Anrecht auf den Boden dieser Provinzen habe, sondern : ,,Wie können wir der Bevölkerung Elsaß-Lothringens zur Selbstbestimmung verhelfen ?" Dies inmitten des Tobens des Kriegs und der Kriegszensur im deutschen Reich zu entwickeln, war nicht leicht. Dennoch gelang es mir, alle Gesichtspunkte darzulegen, die das elsässische Problem bot.

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Annexion des Elsaß

die eine ständige Bedrohung Frankreichs und seiner Hauptstadt darstellte. Brutale Verletzung der Demokratie des Elsaß und ganz Frankreichs und stete Bedrohung dieses Landes mit feindlichem Einfall : das sollten die Mittel werden, nicht bloß Deutschland zu sichern, sondern auch den Weltfrieden zu erhalten ! Daß Frankreichs Freundschaft 1870 für Deutschland sofort zu haben war, wenn Deutschland auf die Vergewaltigung der Elsässer und Lothringer verzichtete , und daß dies den Weltfrieden und auch Deutschland selbst in ganz anderer Weise gesichert hätte, überlegten, wie Marx sich im September 1870 in einem Briefe an den deutschen Parteivorstand ausdrückte, jene ,, Schurken und Narren" nicht, die dafür eintraten , daß Elsaß und Lothringen Frankreich genommen werden : ,,Es ist das unfehlbarste Mittel, den kommenden Frieden in bloßen Waffenstillstand zu verwandeln ... es ist das unfehlbarste Mittel, Deutschland und Frankreich durch wechselseitige Selbstzerfleischung zu ruinieren.“ Es gelang mir 1917, diese Marxsche Prophezeiung in meiner Arbeit über Elsaß- Lothringen vorzubringen . Vielleicht ahnte damals bereits mancher deutsche Militarist selbst, wie arg sich die Vernachlässigung der Marxschen Warnung am deutschen Volke rächen sollte . Allerdings erfüllte sich die Marxsche Voraussage nicht sofort . Es sollte mehr als vier Jahrzehnte dauern , bis es zur befürchteten ,,wechselseitigen Selbstzerfleischung" kam. Um so ausgiebiger wurde sie dann . Wäre 1870 der Friede ohne Annexion geschlossen worden , dann hätte sich die Erbitterung, die der Krieg erzeugt, um so mehr beruhigt, je mehr Gras über den schmerzlichen Ereignissen wuchs . Das beweist z. B. die rasche Versöhnung Österreichs mit Preußen nach 1866 und später die rasche Aussöhnung der Buren mit den Engländern nach dem erbitterten Kriege zwischen ihnen , der von 1899-1902 dauerte . Eine Politik des Entgegenkommens, die auf großmütigem Vertrauen zu einem freien Volke beruhte, brachte eine so rasche Annäherung zwischen den früheren Feinden hervor, . daß sich die Buren im Weltkrieg nicht nur nicht auf die Seite Deutschlands stellten, sondern sogar im Bunde mit englischen Truppen die deutschen Kolonien in Südafrika bekriegten und eroberten . Der Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland , den der Friedensschluß von 1871 begründet hatte, milderte sich dagegen in keiner Weise im Laufe der Jahre . Den Schmerz über den Verlust Elsaß - Lothringen hätten ja die Demokraten verwinden müssen, wenn es der Regierung des deutschen Reichs gelungen wäre, die Gemüter der Elsässer und Lothringer zu gewinnen . Derartiges wurde auch versucht, jedoch mit den zu diesem Zweck untauglichen Mitteln des preußischen Militarismus, der fremde

Deutsch-französischer Gegensatz

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Völker wohl niederzuwerfen , nicht aber zu begreifen oder zu gewinnen versteht . Bis zum Weltkrieg fühlten sich die Elsässer als eine unterjochte Bevölkerung Wenige Monate vor dem Beginn des Weltkriegs , im November 1913 , kam es noch zu jener unerhörten Affäre von Zabern (im Elsaß) , wo deutsche Offiziere mit einer Gewalttätigkeit gegen die Zivilbevölkerung verfuhren , als stünden sie mitten im Krieg im Feindesland. Da blieb das Verlangen der Elsässer und Lothringer nach Wiedervereinigung mit der französischen Republik immer gleich lebendig, ebenso aber auch das der Franzosen nach Befreiung der unterjochten Brüder. Nicht nur Militaristen und Revancheschreier hegten dies Verlangen, sondern ebenso lebhaft auch die friedlichsten unter den Demokraten und Sozialisten . Nur lehnten diese den Krieg als Mittel der Befreiung ab . In meiner schon erwähnten Arbeit über Elsaß-Lothringen erwähne ich Jaurès' ,,Rede für den Frieden" (gehalten 1903 ) , der die Lösung der Frage vom allgemeinen Sieg der Demokratie erwartete : ,,Die einzige Lösung ist die Sicherung des allgemeinen Friedens und der Demokratie. Dadurch werden alle menschlichen Gruppen von Finnland bis Irland, von Polen bis zum Elsaß Kraft genug erhalten, um sich ihren historischen und moralischen Verwandtschaften wieder anschließen zu können." Die konservativen und reaktionären Bourgeois Frankreichs hatten nicht dieses Zutrauen zur Demokratie und zur Sicherung des Weltfriedens . Sie erwarteten die Rückgewinnung des Elsaß nur von einem siegreichen Kriege . Aber um ihre Siegeszuversicht war es recht schlecht bestellt. Ihr Gegensatz zu Deutschland, der unvermindert fortdauerte, entsprang vielmehr aus ihrer Furcht vor diesem gewaltigen Gegner. Im Elsaß hatte er sich ein Aufmarschterrain geschaffen , von dem aus er mit Leichtigkeit über Frankreich herfallen konnte, und Deutschlands Übermacht wuchs von Tag zu Tag, sowohl das Übergewicht seiner Industrie, wie die Überzahl seiner Bevölkerung. Wir haben gesehen , daß bei Ausbruch des Kriegs 1870 die Bevölkerung hüben wie drüben ungefähr gleich groß war - Frankreich an 38 Millionen , Deutschland etwas über 39. Die Annexion des Elsaß änderte zunächst das Kräfteverhältnis nicht erheblich --Französische Republik etwas über 36 Millionen , das Deutsche Reich 41 Millionen. Aber seitdem nahm die Bevölkerung Frankreichs sehr langsam zu , die des Reichs rapid . Kurz vor dem Krieg zählte man in Frankreich ( 1911 ) 39½ Millionen , im Reich ( 1910 ) 65 Millionen Einwohner. Dabei verfügte dieses über die stärkste Großindustrie in Europa, über das gewaltigste Kriegsheer der Welt . Keinem ernsthaften Politiker konnte es in Frankreich einfallen , mit dieser Macht leichtfertig anzubinden . Aber je furchtbarer sie erschien, je mehr man sie zu fürchten hatte, desto mehr haßte man sie .

Frankreichs Isolierung

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Für sich allein war Frankreich bei einem Konflikt mit Deutschland verloren . Wohl begann es nach dem Kriege den Wettlauf mit Deutschland im Aufrüsten . Noch kurz vor dem Ausbruch des Weltkriegs, 1913 , brachten die französische wie die deutsche Regierung neue Militärvorlagen ein. Die deutsche Regierung wollte das Reichsheer um 132.000 Mann und 4000 Offiziere vergrößern. Die Frankreichs antwortete darauf mit der Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit. Dadurch konnte es das stehende Heer vergröBern, nicht aber die Wehrmacht im Kriege . Deutschland verfügte über das größere Menschenreservoir, Frankreich mußte bei fortgesetztem Wettrüsten schließlich der Atem ausgehen . Seine Lage konnte verzweifelt werden, wenn es so isoliert blieb, wie es im Kriege von 1870 gewesen war. Es in der Isolierung zu erhalten, wurde seitdem Bismarcks eifrigstes Streben . Doch gelang ihm das nicht auf die Dauer. Die Annexion Elsaß-Lothringens war der erste Nagel zum Sarge des Weltfriedens seit 1870. Die Entsendung der Österreicher nach Bosnien der zweite. Trotzdem begann mit dem Berliner Kongreß eine Periode dauernden Friedens in Europa , der über ein Menschenalter lang währte. Daß die so fehlerhaften Friedensschlüsse im Westen von 1871 und im Osten von 1878 nicht früher die blutige Saat reifen ließen, die sie gesät , verdankt die Welt merkwürdigerweise dem Umstand , daß gerade nach 1878 eine neue Ursache internationaler Konflikte erstand . Die neue Konfliktsursache beschäftige die Völker und Staatslenker so sehr, daß dadurch die üblen Nachwirkungen des Zeitalters der Nationalkriege etwas gedämpft wurden, die daraus entstanden, daß in einer Zeit, in der die demokratisch-nationale Idee allenthalben siegreich zum Durchbruch drängte , diese Idee den Franzosen wie den Serben gegenüber schnöde vergewaltigt worden war. c)

Das Wettrüsten

mit England.

Der Faktor, der neue Konfliktstoffe in der Weltpolitik schuf, war der Imperialismus, das Streben nach Kolonien, das ein Ausfluß der besonderen Formung des Kapitalismus war, die im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts begann , des Finanzkapitals. Bis dahin hatte der industrielle Kapitalismus versucht , sich die Welt zu erschließen durch Freihandel und Verbesserungen des Transportwesens. Jetzt suchten die Kapitalisten der verschiedenen Industriestaaten den Rest der Welt aufzuteilen , der noch nicht aufgeteilt war in Afrika , Asien, Polynesien. Dabei kamen sich die verschiedenen Mächte arg in die Haare . Sehr oft sah es aus , als stünde man vor einem Krieg zwischen den Großmächten . Doch nur einmal brach ein solcher aus, nicht in Europa, sondern in Asien, zwischen zwei Staaten , von denen keiner seinen Volks-

Wettrüsten zur See

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massen eine Einwirkung auf die Politik gestattete , Japan und Rußland . Und selbst dort büßte die besiegte Regierung ihre Niederlage mit einer Revolution . So rasch sich im Zeitalter der Nationalkriege von 1850-1880 manche europäische Regierungen zum Kriege entschlossen , so sehr zögerten sie damit in den folgenden Jahrzehnten . In den Nationalkriegen hatte es sich um Interessen gehandelt , die von den Volksmassen auf das stärkste mitempfunden wurden . Da durfte ihnen eine „ nationale" Regierung das Opfer eines Krieges zumuten . In den bloßen Kolonialkonflikten aber handelte es sich um keinerlei Interesse großer Massen, sondern nur um Interessen kleinerer Kreise von Kapitalisten und Militaristen. Es wäre kaum gelungen , dafür die große Mehrheit der arbeitenden Klassen zu begeistern . Ohne deren energische Teilnahme war es aber, wenigsten im westlichen Europa schwer geworden , Krieg zu führen . So brachte das Zeitalter des Imperialismus wohl zahlreiche internationale Konflikte und Kriegsgefahren, aber doch nicht einen Krieg in Europa. Diese Konflikte waren aber einer Art, daß sie zunächst Deutschland entlasteten. Frankreich, der ,, Erbfeind" seit 1871 , wurde einer der ersten Staaten, die das Kolonialfieber erfaßte . Wir haben schon in einem andern Zusammenhang gezeigt, wie es dadurch in Gegensatz geriet zu England und Italien , ehe es noch die russische Freundschaft gewonnen hatte. Aus Kolonialhunger spielte es das Spiel Bismarcks , es isolierte sich in Europa. Solange dies der Fall war, durfte Deutschland ruhig schlafen. Aber die deutsche Politik selbst sorgte dafür, daß dieser Zustand aufhörte, als sie daran ging, eine Kriegsflotte in einem Ausmaß zu bauen, daß England diese als eine Bedrohung empfand. Dazu kam es allerdings nicht unter Bismarck, sondern erst unter Bernhard v. Bülow, der 1897 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes wurde. Kurz vor ihm war Tirpitz Herr des Reichsmarineamts geworden. Ihre erste Großtat war die Besetzung der chinesischen Provinz Kiau-tschou und das Einbringen einer großen Flottenvorlage im Reichstag. Beides geschah unter lärmendem Beifall des ganzen ,,patriotischen " Teils der Bevölkerung Deutschlands . Damit betrat es die Bahn des Wettrüstens zur See mit England , die es ins Verderben führen sollte. In den Kriegen gegen die französische Revolution und dem gegen Napoleon war England zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Beherrscherin der Weltmeere geworden . Niemand machte seitdem mehr den Versuch, ihm diesen Anspruch zu bestreiten. Das war auch nicht notwendig, da England zum Vorkämpfer der Idee des Freihandels wurde, keinen Versuch machte, dem Handel anderer Länder Hindernisse entgegen zu stellen. Die Überlegenheit zur See über alle andern Nationen war anfangs nur ein Faktor gewesen , Macht und Reichtum der herrschenden Klassen Englands zu erhöhen . Sie wurde aber schließlich eine

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Englands Seeherrschaft

Lebensnotwendigkeit für das englische Volk selbst . Je mehr sich Englands Industrie entwickelte, desto mehr bedurfte sie der Zufuhr von Rohmaterialien, bedurfte das Volk der Zufuhr von Lebensmitteln von außen . Als Insel aber konnte England diese Zufuhren nur auf dem Seeweg beziehen . Leichter und rascher als jeder andere Industriestaat war England in einem Kriege auszuhungern und auf die Knie zu zwingen , wenn seine Flotte nicht ausreichte, den britischen Seehandel zu sichern . Außerdem aber hatte England im Vertrauen auf seine Flotte im 19. Jahrhundert seine Landarmee völlig verfallen lassen . Sie war nur auf die Bedürfnisse eines Kolonialkrieges zugeschnitten , bedeutete nichts im Vergleich zu den Armeen der Großmächte , die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts riesenhaft anwuchsen . Gelang es einer dieser Mächte , sich einen Seeweg für ihr Heer nach England zu eröffnen, dann war dieses widerstandsunfähig. Die Gefahr wurde besonders groß, wenn diese Großmacht England benachbart war, von ihm nur durch ein schmales Meer getrennt. Versuchte eine dieser Mächte, eine Flotte zu bauen, die der englischen die Spitze bieten konnte, so genügte das, um die Engländer in größte Besorgnis zu versetzen , in hellste Wut gegen jenen gefahrdrohenden Nachbarn . Die Zeiten sind längst vorbei, wo eine spanische Armada die Küsten Englands bedrohen konnte. Dagegen durfte Frankreich in Zeiten, in denen es kriegsgewaltig dastand, einen Einfall in England planen. Das war nicht der geringste der Gründe, die so lange den Franzosenhaß zu einer Volksleidenschaft der Engländer machten. Der dritte Napoleon verzichtete darauf, in dieser Beziehung die Politik seines großen Onkels nachzuahmen und eine der englischen ebenbürtige , französische Kriegsflotte aufbauen zu wollen. Damit und mit Anerkennung der Grundsätze des Freihandels gewann er die englische Freundschaft. Das bildete eine der klügsten Seiten seiner Politik. Von Belgien und den Niederlanden hatte England nichts zu fürchten, lange Zeit aber auch nichts von dem kleinen Preußen, das vor 1866 über bedeutende Häfen nur an der Ostsee verfügte . Wilhelmshaven, das es 1853 von Oldenburg erwarb , blieb lange ganz unbedeutend . Der Hafen erhielt seinen jetzigen Namen erst 1869. Damals zählte das Städtchen noch nicht 4000 Einwohner. Mit der Begründung des Deutschen Reichs erstand dann freilich dicht vor den Toren Englands eine gewaltige Seemacht , die namentlich dann gefährlich werden konnte, wenn sie die 1831 von den Großmächten vereinbarte und garantierte Neutralität Belgiens verletzte . Doch in seinen Anfängen wurde das Reich zu sehr durch den Aufbau seiner Machtmittel gegenüber seinen Nachbarn auf dem Festlande beschäftigt , als daß es daran gedacht hätte , eine Flotte zu bauen, die England als Gefahr betrachten konnte . Das

Deutsche Flottenrüstungen

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änderte sich erst , als das Zeitalter des Imperialismus , der Kolonialpolitik, aufkam . Zu einem Kolonialreich gehört eine Flotte. Das hätte auch England eingesehen . Aber dazu gehörte nicht notwendigerweise eine Flotte, die so stark war, daß sie Englands Sicherheit bedrohte. Holland besaß weit mehr Kolonien als Deutschland . Und wie klein war seine Kriegsflotte ! Sie zählte 1873 5000 Seeleute, gegen 60.000 der englischen Kriegsschiffe jener Zeit . Nicht als Kolonialschutz, sondern als Bedrohung Englands erschienen die Neubauten der deutschen Flotte . Wir wollen uns nicht mit der Erörterung der abgeschmackten Frage aufhalten, ob nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung Deutschland mit seinen 60 Millionen Einwohnern nicht moralisch das Recht hatte , ebensoviele , ja noch mehr Kriegsschiffe zu bauen , wie England mit seinen 40 Millionen . Wie immer es mit diesem Recht stehen mochte, Tatsache war, daß das Deutsche Reich dadurch den Feinden , die ihm seine Politik schon 1871 und 1878 geschaffen, seit 1897 einen neuen Feind hinzugesellte. Noch 1898 gab es einen heftigen Konflikt zwischen Frankreich und England wegen des Sudan, der fast zum Krieg geführt hätte. Auch wenige Jahre später, im Burenkriege , zeigte sich noch bitterste Feindschaft zwischen den beiden Staaten. Aber das änderte sich in dem Maße, in dem die deutschen Flottenrüstungen fortschritten . Vergebens versuchte England immer wieder, darüber eine Verständigung mit der deutschen Regierung herbeizuführen . Alle Versuche in dieser Richtung wurden von den Staatsmännern des Reichs zurückgewiesen. Das Ergebnis war eine wachsende Hinneigung Englands zu Frankreich, damit aber auch zu Rußland . Diese beiden Staaten hatten lange als die Erbfeinde der britischen Nation gegolten . Nun wurden sie immer mehr deren beste Freunde . Mit der Zeit gesellte sich zu ihnen noch Italien, dessen Politik in wachsenden Gegensatz zu der Österreichs geriet, das seinen Einfluß auf der Westseite der Balkanhalbinsel auszubreiten und den konkurrierenden Einfluß nicht bloß der Serben , sondern auch der Italiener, zurückzudrängen suchte . Seitdem die Franzosen sich der italienischen Kolonialpolitik nicht mehr widersetzten , versöhnte sich Italien mit ihnen. Es blieb äußerlich in dem Dreibund, den es mit Deutschland und Österreich 1882 abgeschlossen hatte, doch schon 1902 setzte es ihn tatsächlich außer Kraft durch ein Geheimabkommen mit Frankreich, das unter englischer Vermittlung zustande kam. Die Liebe der Partner des Dreibunds zueinander beleuchtet der Vorschlag des Feldmarschalls Conrad von Hötzendorf 1909 , Österreich solle Italien den Krieg erklären . So war Deutschland völlig isoliert , hatte nur noch das wankende, morsche Österreich zum Bundesgenossen . Welche Wendung seit 1871 ! Auch diesmal durch Gottes Fügung ? Diejenigen, die von den Ursachen des Weltkriegs sprechen , nennen als solche den Imperialismus oder gar den Kapitalismus.

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Deutsche Militärmacht

Aber weder dieser noch jener trug die Schuld an der Isolierung Deutschlands. Im Gegenteil, wir haben gesehen, daß der Imperialismus lange die späteren Gegner Deutschlands untereinander entzweite. Allerdings die Grundursache von Deutschlands Isolierung, sein Wettrüsten zur See gegen England , ist indirekt wohl das Ergebnis des Imperialismus. Aber diese Art des Wettrüstens war ein besonderes, auf das Deutsche Reich beschränkte Ergebnis. Es ist nicht das Ergebnis des Imperialismus als solchen, sondern des Erwachsens der besonderen imperialistischen Tendenzen des Deutschen Reichs auf dem eigenartigen Boden des preußisch -deutschen Militarismus. Dieser hatte durch seine glänzenden Siege von 1866 und 1870 eine seiner Grundlagen verloren, das Mißverhältnis zwischen der Aufgabe, die sich die preußische Monarchie setzte, und den Machtmitteln, über die ihr Staat verfügte . Seit 1870 beherrschten die Hohenzollern den, mit Ausnahme Rußlands am stärksten bevölkerten und den reichsten Staat Europas . Aber es war gerade der Militarismus, der das erreicht, und der überdies noch das nationale Sehnen der Deutschen außerhalb Österreichs überraschend befriedigt hatte. Er beherrschte seitdem das Denken wenigstens der ,, Besitzenden und Gebildeten" in der deutschen Nation. Die Offizierskorps der andern großen Militärmächte Europas hatten im gleichen Zeitraum nur Mißerfolge aufzuweisen gehabt , in Frankreich wie in Österreich. Der russischen Armee gereichten ihre Leistungen im Kriege gegen die Türken auch nicht zum Ruhme. In diesen Staaten wurde zeitweise der Offizier für Bourgeois wie für Arbeiter ein Gegenstand der Geringschätzung. In Deutschland dagegen umfloß sein Haupt eine Aureole, die ihn als Halbgott erscheinen ließ. So trugen die so sehr veränderten neuen Bedingungen dazu bei, den überlieferten Militarismus in Preußen zu befestigen und zu verstärken, ihn auf die anderen Reichsteile zu übertragen und große Volksschichten mit ihm zu infizieren , die ihm . ehedem noch widerstanden hatten . Dabei bedeutete aber die Reichsgründung auch die Unterwerfung fast des ganzen deutschen Volkes unter die Oberherrschaft des ostelbischen Junkertums, das seinen Anspruch auf alle lukrativen Staatsämter nicht nur weiter aufrecht erhielt, sondern unter dem Glanz der Siege noch verstärkte , von Preußen auf das ganze Reich übertrug. Auch diese Wurzel des preußischen Militarismus blieb nicht nur bestehen, sondern erfaßte neben dem alten noch neues Erdreich . Solange Preußen klein gewesen, hatte sein Militarismus die

Welt außerhalb Deutschlands in der Jetzt, wo dieser Militarismus zum Europas geworden war, begann man England blieb solange davon frei, als für das Landheer interessierte .

Regel nicht sehr beunruhigt. Herrn des stärksten Reichs. ihn überall zu fürchten. Nur sich die deutsche Politik bloß

Deutsche Flottenbegeisterung

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Das änderte sich , als der Imperialismus aufkam und das Deutsche Reich anfing, ein Kolonialreich aufzubauen, das im Vergleich zu dem der alten Kolonialmächte wohl herzlich unbedeutend war, das man aber rasch zu erweitern gedachte. Nun bemächtigte sich die imperialistische Idee auch der militaristischen Kreise Deutschlands . Wir haben gesehen, daß militaristisches Denken wähnt , nicht das freundschaftliche Einverständnis mit den Nachbarn , sondern ein scharf geschliffenes Schwert sei die beste Bürgschaft des Gedeihens in der Staatenwelt. Gerate man in Gefahr, durch das Schleifen des Schwertes einen alten Freund zu verletzen oder gar in einen Feind zu verwandeln , müsse man dies hinnehmen . Die Politik wird der Kriegstechnik untergeordnet, statt umgekehrt. So kamen die deutsche Regierung und alle Befürworter der deutschen Kolonialpolitik auf den verhängnisvollen Gedanken, den keiner der imperialistischen Regenten und Politiker anderer Staaten faßte , eine Flotte aufzubauen, vor der alle Welt zittern müßte, England inbegriffen. Der energischste Vertreter dieses Plans wurde in der deutschen Regierung ein Ostelbier, der Herr v. Tirpitz . Aber das Wettrüsten zur See mit England wurde in Deutschland populär nicht bloß in den Kreisen des eigentlichen Militarismus. Viele Konservative empfanden eine Abneigung gegen diese neue Waffe. Auch Bismarck selbst hätte nie die englische Freundschaft wegen der Erbauung einiger Kriegsschiffe aufs Spiel gesetzt . Dagegen die Männer des Finanzkapitals und die von ihnen beeinflußten Professoren , Studenten, Journalisten begeisterten sich für das Wettrüsten zur See. Und sogar in die Kreise der Sozialdemokraten und namentlich der Gewerkschaften, vermochte sich diese Begeisterung einzudrängen. Ihr begabtester Vertreter wurde der schon einmal erwähnte Max Schippel, der auch für Agrarzölle und das stehende Heer eintrat . Ihr Organ fanden sie in einer Monatsschrift, den ,, Sozialistischen Monatsheften" . Allerdings, die große Mehrheit der Sozialdemokratie bekämpfte das Wettrüsten aufs energischste. Und ihr Anhang in Deutschland wuchs von Wahl zu Wahl. Jedoch die Volksmehrheit ließ sich von den Flottenschwärmern fortreißen. Das Flottenrüsten , das Begeisterung in Deutschland hervorrief, erzeugte eine wahre Panik in England . Was konnte Deutschland mit seinen Schiffsbauten anders beabsichtigen, als einen Überfall auf England ? Die ungeheuren Kosten der Rüstungen und die Verwandlung eines Freundes in einen Gegner nahm man doch nicht auf sich, bloß um der Idee der ,, Gleichberechtigung" willen ? Nirgends hatten die pazifistischen Ideen festeren Fuß gefaßt , als in England . Der Pazifismus der Quäker und ähnlicher Sekten war modernisiert worden durch den der Manchestermänner. Seitdem es einen Imperialismus, aber auch eine sozialistische Bewegung in England gab, war wohl der Pazifismus vieler Industriellen abgeschwächt , dafür aber der überkommene religiöse und frei-

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Hyndman für Flotte

händlerische Pazifismus in Arbeiterkreisen noch verstärkt worden durch den Gedanken der internationalen Solidarität, den der moderne Sozialismus verkündet. Das deutsche Flottenrüsten hemmte diese Entwicklung in England. Es brachte es fertig, daß die wachsende Angst vor den deutschen Schiffen und Landungstruppen selbst sehr ausgesprochene Gegner des Militarismus und Imperialismus in England dazu führte , vermehrte Schiffsbauten und eine Vergrößerung der Landarmee durch allgemeine Wehrpflicht und das Milizsystem zu fordern. Das taten z . B. der Vater des britischen Marxismus Hyndman und seine Freunde , auch der namhafte Theoretiker unter ihnen , Belfort Bax. Im Burenkrieg hatten sie den britischen Imperialismus noch heftig bekämpft. Bald darauf agitierten sie für vermehrte Kriegsrüstungen , ohne ihre prinzipielle Auffassung im geringsten zu ändern . Den Angriffskrieg gegen die Buren hatten sie verurteilt, die Abwehr einer deutschen Invasion erschien ihnen dagegen dringend geboten . Man hat in den Kreisen der internationalen Sozialdemokratie Hyndman diese Haltung sehr übel genommen , sie als chauvinistisch verurteilt. Der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich eines Gesprächs, das er bei einer Sitzung des internationalen Bureaus, etwa um 1906 mit Hyndman hatte. Natürlich kamen wir auf die deutschen Flottenrüstungen zu sprechen . Ich legte ihm dar, daß wir Sozialdemokraten in Deutschland diese Rüstungen auf das lebhafteste bekämpfen, daß uns dies aber sehr erschwert werde durch die Propaganda für britische Rüstungen , die Hyndman und seine Freunde betrieben . Hyndman fragte mich, ob ich ihm garantieren könne , daß die deutsche Sozialdemokratie eine Invasion deutscher Truppen in England verhindern werde . Ich mußte ihm erwidern , daß es leichtfertig wäre, ein solches Versprechen abzugeben . Wir würden alles aufbieten, um einen Kriegsausbruch zu verhindern . Ob uns das gelingen werde, hänge von Umständen ab, die sich nicht voraussehen ließen. Gut, erwiderte Hyndman , sobald Ihr deutsche Sozialdemokraten stark genug seid , die Flottenrüstungen oder gar einen Krieg gegen uns zu verhindern , werden wir in England jede Aufrüstung bekämpfen. Solange wir aber in diesem Punkte nicht auf Euch bauen können, müssen wir uns auf andere Faktoren verlassen, die uns näher liegen. Darauf ließ sich leider nicht viel erwidern , wenigstens nicht von meinem Standpunkt aus, der ich die Illusionen von der Kriegsverhinderung durch Streiks nicht teilte , von denen sich Keir Hardie leiten ließ , der große Antagonist Hyndmans . Durch seine Flottenrüstungen gewann Deutschland einen neuen Feind. Und im Kriege sollte sichs zeigen , daß dies der einzige Erfolg seiner Rüstungen war, denn die Flotte, um derentwil-

Beschränkung des Wettrüstens

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len es sich diesen Feind zugezogen hatte , wagte man dann im Kriege nicht einzusetzen. Das sind die Früchte einer Politik, die das Offizierskorps aus einem Werkzeug zum Herrn der Staatsgewalt werden läßt . Dank dieser Politik verfügte das Deutsche Reich wohl über das furchtbarste Kriegsheer der Welt und eine Flotte , die dem seegewaltigen England Besorgnisse einflößte , aber es verfügte über keinen andern Freund, als über die zerfallende Monarchie der Habsburger, deren Freundschaft ihm nur neue Feindschaften eintrug, und es in Konflikte verwickelte , in die es bei der Verfolgung der eigenen Interessen allein nie geraten wäre . Diese Politik bewirkte auch eine seltsame Wandlung des Zeitalters des Imperialismus. Es begann damit , einen Kampf aller Mächte gegen alle heraufzubeschwören , und es lief darauf hinaus, sie alle zu vereinigen gegen einen gemeinsamen Feind : Deutschland mit seinem Anhängsel Österreich . Die Feindseligkeit aller Welt gegen das Deutsche Reich wurde noch gesteigert dadurch, daß es dasjenige Hindernis wurde , an dem alle Versuche scheiterten , das Wettrüsten und die Kriegsgefahr einzuschränken. Von England aus wurden wiederholt Versuche gemacht, mit Deutschland zu einem Flottenabkommen zu gelangen. Noch 1912 kam zu diesem Zweck der englische Staatsmann Haldane nach Berlin. Er scheiterte jedoch, denn Wilhelm und Tirpitz fanden, daß ein solches Abkommen einer ,,Unterwerfung" unter Englands Willen gleichkomme, das Deutsche Reich zu einem britischen Vasallen herabwürdige, wie sich Tirpitz ausdrückte, der noch 1919 sein damaliges Verhalten für richtig fand (vgl . seine „ Erinnerungen“, Berlin 1919 , S. 193 ) . Doch nicht nur eine besondere Verständigung Deutschlands. mit England wegen der Flotte sabotierte Wilhelm II . Regierung, beraten vom Fürsten Bülow, sondern auch eine allgemeine Abrüstung. Zweimal wurde vor dem Weltkrieg ein solches Abkommen angeregt, 1898 und 1907. Es gereichte der Idee nicht zum Vorteil, daß die Anregung beide Male vom Zaren ausging. Das machte die eifrigsten Verfechter der Abrüstung und des Weltfriedens, die Sozialisten mißtrauisch und minderte ihren Eifer für den Vorschlag . Doch haben wir nicht zu bezweifeln, daß er ernsthaft gemeint war. Die finanzielle Last der Rüstungen erdrückte einfach den ökonomisch so rückständigen russischen Staat. Ohne stete Anleihen hätte er das Wettrüsten nicht fortsetzen können . Frankreich stand ökonomisch viel besser da, dafür aber mangelten ihm immer mehr die Mannschaften, um den Wettlauf mit Deutschland lange aushalten zu können . Deutschland war Rußland technisch und ökonomisch weit überlegen, ebenso überragte es an Menschenmaterial immer mehr Frankreich. Das machte den Vorschlag des Zaren begreiflich. Aber dieselben Beweggründe , die den Vorschlag des

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Deutschland sabotiert Abrüstung

Zaren veranlaßten, wurden für die deutsche Regierung maßgebend, sich ihm zu widersetzen . Sowohl 1899 wie 1907 fanden im Haag auf die russische Anregung hin Friedenskonferenzen der europäischen Staaten statt, an denen auch die Vereinigten Staaten , Mexiko, China, Japan teilnahmen . Beidemale war es der Widerstand des Deutschen Reichs, der nicht nur jeden Versuch im Keime erstickte , zu einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung zu kommen, sondern auch dem internationalen Schiedswesen, das damals eingerichtet wurde, jede Kraft und Bedeutung nahm . Wilhelm widersetzte sich dieser Institution wohl hauptsächlich aus überspanntem Herrscherdünkel, der jede Beschränkung seiner Souveränität entrüstet zurückwies. Aber allgemein erregte seine Haltung bei diesen Gelegenheiten den Verdacht, er arbeite auf einen Krieg hin . Dieser Verdacht wurde genährt durch seine Tiraden von der gepanzerten Faust und dem scharf geschliffenen Schwert, viele wußten nicht, daß das bloße Schauspielerphrasen waren , sondern hielten sie für ernsthafte Drohungen . Im Grunde wurde die Haltung der Regierungen hüben wie drüben durch die Situation ihrer Staaten bestimmt, nicht durch die persönliche Eigenart ihrer Staatsoberhäupter. Nikolaus als deutscher Kaiser hätte den russischen Antrag sicher sabotiert und Wilhelm als Zar ihn gefördert. Allerdings wäre Wilhelm in Petersburg ebenso ein bombastischer Schwätzer gewesen , wie in Berlin, und Nikolaus hätte an der Spree dieselbe Scheu vor der Öffentlichkeit, dieselbe Haltlosigkeit und Ungeschicklichkeit an den Tag gelegt, wie an der Newa. Die historische Situation , in die das Deutsche Reich durch die soziale Eigenart seiner herrschenden Klassen und seiner Geschichte geriet, war derart, daß es sich bei den Regierungen anderer Staaten ebenso unbeliebt machte, wie bei deren Völkern . Jene wie diese wurden erbittert durch sein Wettrüsten, die Demokraten aller Länder außerdem durch seine brutale Mißachtung und Unterdrückung aller populären Regungen und Bewegungen . Diese Politik der Vergewaltigung, die schon 1871 mit der Annexion ElsaßLothringens begonnen hatte, setzte sich fort im Kulturkampf, dem Sozialistengesetz , und wurde später immer wieder erneuert durch Mißhandlungen von Elsässern und Polen , sowie schließlich durch die blutrünstigen Hunnenreden der obersten Majestät. Alle Welt schloß sich gegen das Deutsche Reich zusammen , ,,kreiste" es ,, ein". Derartiges ist in der Weltgeschichte schon öfter dagewesen. Frankreich befand sich zweimal in der gleichen Lage, um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert unter Ludwig XIV., und hundert Jahre später unter Napoleon . Aber damals waren wirkliche Kriege, wirkliche Eroberungen, wirkliche Unbill die Ursachen gewesen, die die Regierungen gegen Frankreichs Übermacht vereinten . Das Deutsche Reich lebte dagegen seit seiner Begründung über vier Jahrzehnte im vollen Frieden mit seinen Nach-

Kriegsfurcht

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barn. Es erregte diese nicht durch Kriege, die es tatsächlich führte , nicht durch Eroberungen , die es wirklich m a c h te , sondern durch die Kriege und Eroberungen , die man von ihm befürchtete. Sein rastloses Wettrüsten zu Wasser und zu Lande, sein stetes Bestreben, hier wie dort stärker zu sein als jede andere Macht, in Verbindung mit dem Charakter und den Äußerungen seiner herrschenden Klassen erregten wachsendes Mißtrauen und steigende Furcht in der ganzen Welt . Das Deutsche Reich erschien ihr als eine furchtbare Lawine, die drohend über ihr hing, jeden Tag auf sie herabzustürzen drohte und deren Umfang und Gewicht von Tag zu Tag in emsiger Arbeit noch vermehrt wurde . Die Sozialdemokratie hatte dem Wettrüsten stets die Erwägung entgegengehalten, daß es nicht die Sicherheit des Staates im Falle eines Krieges vermehre, wohl aber die Wahrscheinlichkeit eines Kriegsausbruchs steigere . Es erzeuge eine Nervosität, die schließlich dahin führen werde , daß ohne triftigen Grund bei geringem Anlaß ,,die Gewehre von selbst losgingen". Die Furcht vor einer Gefahr, die nicht da ist, die erst droht, läßt diese leicht größer erscheinen , als sie in Wirklichkeit ist . Ungreifbare Gespenster fürchtet man leicht mehr, als einen greifbaren Menschen. Und wozu sollte der furchtbare und stets zunehmende Kraftaufwand des Wettrüstens dienen , wenn nicht, um furchtbare Ziele zu erreichen ? Diese Erwägung galt hüben wie drüben . Je mehr sich Europa in zwei große Lager teilte, je mehr diese rüsteten, destomehr befürchtete das eine von dem andern . Jede neue Rüstung, die der eine aus Furcht vor dem andern unternahm , wurde von diesen als Drohung empfunden. Gerade zur Zeit unmittelbar vor dem Weltkrieg gab es keinen ernsthaften Konflikt zwischen den Mächten . Und doch brütete über ihnen Haß und Mißtrauen . Jedes der beiden Lager traute dem andern Böses zu . Keine der europäischen Regierungen hegte 1914 irgend welche aggressive Absichten , jede hatte nur Angst vor den aggressiven Absichten der andern . Das kann man in gewissem Sinne sogar von Österreich sagen, das sich von Serbien bedroht und angegriffen fühlte . Allerdings sahen die Herrn auf dem Wiener Ballplatz nicht, daß die wirkliche Gefahr für die Monarchie in ihrem Innern lauerte , nicht an ihren Grenzen . Als dann der Krieg zwischen den Großmächten wirklich ausbrach, entbrannte er nicht wegen eines bestimmten Kriegsziels, einer bestimmten Forderung, wie wir noch sehen werden . Um so mehr glaubte jeder der Kämpfenden, ihm stehe das furchtbarste bevor, wenn er nicht siege . Jeder vermeinte, es gehe auf Tod und Leben, gerade deswegen, weil keiner wußte, worum es eigentlich gehe. Aber zu welchem andern Zwecke hätte man so Furchtbares heraufbeschwören können ? Nicht den Gegner zu Konzessionen zu veranlassen, sondern ihn unschädlich zu machen für immer, das war der Sinn des Kriegs, den Österreich im Juli 1914 gegen Serbien 26

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Sinnlosigkeit des Weltkriegs

begann, das wurde der Sinn des Weltkriegs. Aber dieser Sinn war ein Unsinn , denn als die wirkliche Gefahr, die zu beseitigen war, wurde schon die bloße Existenz des Gegners empfunden, und den konnte man doch nicht gut aus der Welt schaffen. Der Weltkrieg ist der ungeheuerste und ungeheuerlichste aller Kriege geworden , die die Geschichte der Menschheit bisher gesehen hat . Ungeheuer durch die Zahl der Staaten , die an ihm teilnahmen, durch die Zahl der Kämpfenden , die jeder stellte , durch die vernichtende Kraft der Zerstörungsmittel, die zur Anwendung kamen. Aber er war gleichzeitig auch der sinnloseste aller Kriege . Diese Sinnlosigkeit wurde eine der Hauptursachen dafür, daß das gräßliche Morden nicht in einem Frieden der Verständigung endete, sondern erst dann ein Ende nahm, als die eine Seite kampfunfähig zu Boden lag und jedes Diktat über sich ergehen lassen . mußte. Die gleiche Sinnlosigkeit wirkte aber auch so verwirrend auf viele , die nach einem tieferen Sinn im Wahnsinn suchten , daß die mannigfachsten und gegensätzlichsten Anschauungen über ihn erstehen konnten , auch in den Reihen der sozialistischen Parteien . Im Toben des Kriegs, das ruhiges Denken nicht aufkommen ließ und das schon äußerlich jedes Zusammenkommen zwischen Sozialisten der kämpfenden Staaten fast unmöglich machte , gelang es der sozialistischen Internationale nicht, zu einer Vereinbarung der so entstehenden Gegensätze zu gelangen . Sie zerfiel . Nicht durch Verrat, sondern durch Verwirrung.

3. Die Veranlassung des Weltkriegs. a) Von Sarajevo bis zum österreichischen Ultimatum. Wir haben gesehen, wie eine Reihe von Umständen, von der Annexion Elsaß-Lothringens bis zum Wettrüsten mit England und der Sabotierung des Abrüstungs- und Schiedsgerichtsgedankens das Deutsche Reich in der ganzen Welt unbeliebt , ja mitunter geradezu verhaßt machten, in allen Staaten, bei allen Parteien, bei Demokraten wie bei Antidemokraten . Diese Stimmung wurde nicht gemildert, sondern zur Siedehitze gesteigert durch das Verhalten der leitenden Persönlichkeiten der Zentralmächte in den Wochen, die dem Ausbruch des Weltkriegs vorausgingen. Ich habe darüber schon 1919 in einem Buche gehandelt, betitelt : ,,Wie der Weltkrieg entstand" , das auf Grund der Akten des deutschen Auswärtigen Amtes hergestellt wurde, von denen ich nach der deutschen Novemberrevolution 1919 als beigeordneter Staatssekretär Kenntnis bekam . Sie wurden veröffentlicht unter dem Titel : „ Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914, vollständige

Publikationen über den Weltkrieg

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Sammlung der von Karl Kautsky zusammengestellten amtlichen Aktenstücke, im Auftrage des Auswärtigen Amtes nach gemeinsamer Durchsicht mit Karl Kautsky, herausgegeben von Graf M. Montgelas und Prof. W. Schücking", Berlin . Seitdem ist eine unglaubliche Fülle von Publikationen, offiziellen und privaten, aus den verschiedensten Staaten und Kreisen über den Gegenstand in die Welt gegangen . Was ich davon zu Gesicht bekam und zu prüfen vermochte, bestätigte alles meine damaligen Ausführungen, von denen ich heute nichts Wesentliches zurückzunehmen, sondern höchstens hie und da einige Sätze zu mildern oder schärfer zuzuspitzen habe. Abgesehen von einigen Einzelheiten und von Verschiedenheiten im Ton, kommen die neuesten Bearbeiter des Gegenstandes zu genau den gleichen Ergebnissen , wie ich vor 17 Jahren. So etwa Fürst Bülow in seinen ,,Denkwürdigkeiten" ( 3. Band, 1931 ) oder Theodor Wolff in seinem Buch über den ,,Krieg des Pontius Pilatus" (1934) . Die großen Umrisse des Gangs der Dinge in jenem verhängnisvollen Monat kennt wohl so ziemlich jeder meiner Leser. Dennoch sei hier nochmals eine kurze Übersicht der Vorkommnisse gegeben unter Hervorhebung jener Punkte, die das Urteil der Welt im allgemeinen und das der Sozialisten im besonderen entscheidend beeinflußten. Wir waren im vorigen Abschnitt bei unserer Darstellung des Balkankonflikts bis zur Tötung Franz Ferdinands gekommen und hatten gesehen, wie die Leiter der österreichischen Politik befriedigt aufatmeten : Nun endlich war die heißersehnte Gelegenheit gekommen, sich gegen die verhaßten Serben zu wenden , sie mit Waffengewalt niederzuschlagen . Aber allein wagte man doch nicht vorzugehen. Eine Rückendeckung mußte man haben. Noch bestand der Dreibund mit dem Deutschen Reich und Italien . Krieg mit Serbien brachte die Gefahr einer allgemeinen Konflagration mit sich . Da erforderte es nicht nur der Anstand , sondern auch die Klugheit, zuerst mit den Bundesgenossen zu konferieren und sich ihrer Zustimmung zu versichern, ehe man sich in ein so gefährliches Abenteuer einließ . Jedoch wußten die Herrn vom Ballplatz genau , daß Italien , wenn man es fragte, nicht mittun, sondern abraten werde, weil es den Krieg für ungerechtfertigt halte. War doch die Behauptung der Österreicher nicht im mindesten erwiesen , daß die serbische Regierung um das Attentat gewußt, oder gar es gefördert habe. Eine ablehnende Haltung Italiens erwarteten die Österreicher von vornherein, sie wurde ihnen bald mitgeteilt , schon am 20. Juli . Das hätte für die schwarzgelben Staatsmänner eine Warnung sein und ihnen zeigen müssen, welche Widerstände sie zu erwarten hätten, wenn sie zu scharf vorgingen . Aber diese Herrn sahen dummpfiffig nur das Nächste . Sie wollten den Krieg mit Serbien auf jeden Fall,

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Kaiser Wilhelm gegen Serbien

sahen in der Haltung Italiens also nicht eine Warnung, sondern nur eine Aufforderung, es hinters Licht zu führen . Dem italienischen Bundesgenossen, auf dessen Hilfe man im Kriegsfall rechnete , wurde die Absicht, gegen Serbien gewaltsam vorzugehen, verschwiegen. Er wurde ebenso wie die ganze übrige Welt getäuscht, indem man vorgab , man plane nichts Ernstliches gegen Serbien. So wollte man Europa einschläfern, um es plötzlich vor eine vollendete Situation zu stellen . Mit der würde es sich schon abfinden. Man werde Serbien niederschlagen können , ohne daß es zum Weltkrieg komme . Das war die erste falsche Kalkulation der Herrn in Wien . Richtig urteilten sie dagegen, wenn sie erwarteten , sie würden in Berlin eher Verständnis finden , als in Rom . Am 4. Juli 1914 kam der österreichische Legationsrat Graf Hoyos mit einem Handschreiben des Kaisers Franz Josef an Kaiser Wilhelm nach Berlin . Franz Josef führte darin aus, es sei nach dem Attentat dringend notwendig geworden, energisch dahin zu wirken, daß ,, der Herd verbrecherischer Agitation in Belgrad nicht ungestraft fortlebt." Wilhelm war sogleich Feuer und Flamme dafür, die „ Verbrecher" gebührend zu bestrafen. In Wien war man davon angenehm überrascht. In den Jahren 1909 bis 1913 hatte der deutsche Kaiser zeitweise die Österreicher Serbien gegenüber zurückgehalten . Davon war jetzt keine Rede. Im Gegenteil . Er fand die Österreicher zu langmütig und langsam. Wie ist das zu erklären ? Einmal dadurch, daß Wilhelm und Bethmann ebenso wie die Berchtolds etc. irregeführt wurden durch das Verhalten Rußlands nach der Annexion Bosniens und während der Balkankriege . Damals hatte es die ärgsten Schläge ins Antlitz , die ihm Österreich versetzte , schweigend hingenommen. Das , meinte man , werde auch diesmal der Fall sein . Rußland sei nach dem Zusammenbruch von 1905 noch lange nicht genug gerüstet . Man vergaß bei diesem Gedankengang zweierlei : So arg auch die Schläge ins Antlitz Rußlands 1909 bis 1913 ausfielen, eine so klatschende Ohrfeige, wie einen Krieg gegen Serbien , Rußlands Freund, stellten sie doch nicht dar. Und wenn auch Rußland 1914 noch nicht so weit gerüstet hatte, daß es hätte kriegslüstern sein können, so stand es doch mit seinen Rüstungen nicht mehr so weit zurück, daß es gezwungen gewesen wäre , jede Provokation ruhig hinzunehmen, ohne mit der Wimper zu zucken. Das war der zweite Irrtum in der politischen Rechnung der Lenker der Zentralmächte. Neben dem Vertrauen in die militärische Ohnmacht Rußlands spielte aber für Wilhelm eine große Rolle das dynastische Bewußtsein. Daß vorher hohe Beamte und Offiziere in Bosnien und Kroatien Attentaten zum Opfer fielen, hatte ihn nicht gerührt . Aber ein Attentat auf das Mitglied einer regierenden Dynastie, auf einen Thronfolger, auf seinen persönlichen Freund , das erregte ihn aufs

Wilhelm gegen Serben

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höchste. Seine Phantasie malte ihm Belgrad als die Zuflucht einer Verschwörerbande , die alle regierenden Fürsten Europas mit ihrer Propaganda der Tat bedrohe. Diese Stimmung wurde von Serbenfeinden bei ihm geflissentlich genährt . Am 1. Juli schrieb der deutsche Generalkonsul in Sarajevo an das Auswärtige Amt, er rate dem deutschen Kaiser entschieden von seinem geplanten Kondolenzbesuch in Wien ab, wo er von ,,russisch-serbischen Gewalttätern" gefährdet sei . Am 3. Juli ließ Berchtold dem deutschen Kaiser durch den deutschen Gesandten in Wien , Tschirschky, mitteilen : ,,Die heutige Semliner Meldung , wonach zwölf Mordbuben unterwegs seien, mit der Absicht, ein Attentat auf Kaiser Wilhelm auszuüben (sic ! ) , werde doch vielleicht in Berlin die Augen öffnen über die Gefahr, die von Belgrad aus droht." ( ,,Diplomatische Aktenstücke zur Vorgeschichte des Krieges. Ergänzungen zum österreichischen Rothbuch", Wien 1919 , I. S. 18.) Kein Wunder, daß Wilhelm die Reise nach Wien aufgab , die er geplant . Auf seine Absage antwortete Franz Josef in seinem Handschreiben, für dieses war der deutsche Kaiser jetzt richtig präpariert. Er und seine Leute, ebenso wie die Österreicher irrten. aber, wenn sie vermeinten , das Attentat werde auf alle Monarchen ebenso wirken, wie auf ihn , und eine Solidarität aller gekrönten Häupter gegen Serbien herstellen . Noch am 25. Juli wähnte Berchtold, es werde in Petersburg Eindruck machen, wenn er dahin schrieb : ,,Die subversive Bewegung, die in Serbien gegen die Monarchie genährt wird, hat inzwischen so exzessive Formen angenommen, daß das monarchische und dynastische Interesse durch die Wühlarbeit bedroht erscheint. Wir müssen annehmen, daß das konservative, kaisertreue Rußland ein energisches Vorgehen unserseits gegen die Bedrohung aller staatlichen Ordnung begreiflich und sogar notwendig finden wird." (Diplomatische Aktenstücke, öst. Rothbuch, II . S. 40. ) Man war seit den Fällen Friedjung und Prochaska gegen die Behauptungen österreichischer Staatsmänner skeptisch geworden . Für die Annahme einer Mitschuld der serbischen Regierung am Sarajevoer Attentat lag nicht der geringste Anhaltspunkt vor . Offenkundig aber entsprang es nicht antimonarchischen, sondern antiösterreichischen Motiven. Es war geradezu sinnlos , den König von Serbien zum Mitschuldigen an einem antimonarchischen Attentat machen zu wollen . Der Appell an die Solidarität der Monarchen fiel also flach zu Boden. Mit dem Attentat war daher nicht jenes politische Geschäft zu machen, das Berchtold anstrebte. Die internationale Stimmung stand 1914 einem kriegerischen Einmarsch Österreichs in Serbien nicht günstiger gegenüber, als etwa 1909 oder 1913. Um so mehr muß man staunen , daß diesmal Wilhelm und Bethmann ganz anders als früher, Berchtold völlig freie Hand für sein Vorgehen gegen Serbien gaben und nicht einmal fragten, worin dieses Vorgehen bestehen solle . Sie wollten ausdrücklich

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Bethmann läßt Österreich freie Hand

darüber nicht informiert sein. Der Bundesgenosse ließ sich in ein Abenteuer ein, bei dem es auf Tod und Leben der Beteiligten ging. Deutschland sollte mittun , seine Haut zu Markte tragen und nicht einmal wissen dürfen, was der Alliierte eigentlich vorhabe. Bethmann hat versucht, sein erstaunliches, geradezu unbegreifliches Verhalten zu rechtfertigen, in seinen „ Betrachtungen zum Weltkriege", Berlin 1919. Da führt er zuerst an : „ ... Daß uns das Wiener Kabinett in der Vorzeit ( d . J. 1909 bis 1913 , K.) wiederholt und namentlich im Verlauf der Balkankriege hatte fühlen lassen, wir hätten durch unser mäßigendes Dazwischentreten die österreichische Politik geschädigt . Unter nahe auf einander angewiesenen Bundesgenossen sind solche Erscheinungen unerwünscht." (S. 137, 138.) Herr Bethmann unterließ es, sich zu fragen, ob die deutsche Regierung nicht recht daran getan hatte, den Bundesgenossen zu mäßigen, ob sie nicht ihm und sich selbst damit einen Dienst erwiesen hatte . Gerade, weil der Bundesgenosse es bereits einige Male notwendig gemacht hatte,,,mäßigend dazwischen zu treten", war es doch um so unverantwortlicher, ihm diesmal freie Hand zu geben und ihm bedingungslose Unterstützung seines Tuns zu zusichern. Aber freilich, der Bundesgenosse konnte verschnupft werden , wenn man ihn mäßigte. Das wollte man vermeiden . Die deutschen Regierungspolitiker fühlten sich bereits ziemlich abhängig von Österreich, ihrem letzten Bundesgenossen . Wenn auch der sie im Stiche ließ , was dann ? Sie erwogen nicht, daß Österreich in viel höherem Maße auf Deutschland angewiesen war, als Deutschland auf Österreich. Dieses befand sich in einer Lage, in der es gar keinen andern Bundesgenossen zu finden vermochte, als den deutschen Bruder. Deutschland brauchte dagegen bloß auf das Wettrüsten mit England zu verzichten und seine Isolierung und Einkreisung hatte ein Ende. Es zog vor, dies Wettrüsten fortzusetzen und sich zum stummen Diener von Österreichs unmöglicher Politik zu machen. Doch Bethmann hat noch ein Argument, das ihm besonders entscheidend erscheint : ,,Wir hätten den österreichisch- serbischen Konflikt von vornherein internationalisiert, wenn wir aus der österreichischen Aktion eine deutschösterreichische gemacht hätten. Jede Möglichkeit, den Streit zu lokalisieren und wenn das nicht ging, international zu vermitteln , hätten wir damit selbst aus der Hand gegeben. Denn von Inhalt und Form eines einmal ausdrücklich gebilligten Ultimatums hätten wir uns nicht wieder loslösen, wir hätten dann die ganze Vermittlerarbeit nicht verrichten können, die wir tatsächlich verrichtet haben." Was diese Vermittlerarbeit tatsächlich zustande brachte, werden wir noch sehen . Aber ist es nicht wahnwitzig, wenn man einem Bundesgenossen freie Hand gibt , einen Konflikt zu entfesseln und bis zu einem Krieg zu steigern, bloß um sich die Möglichkeit vorzubehalten, vermittelnd einzugreifen, wenn es der Genosse zu toll treibt ? Kein Mensch hielt es für möglich, daß Österreich sich auf

Österreich kein klares Kriegsziel

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eine Kriegspolitik einließ, ohne Zustimmung Deutschlands. Tatsächlich übernahm dieses doch die Verantwortung für das Gebaren des Bundesgenossen, einerlei , ob es über dessen Absichten informiert war, oder nicht. Man wollte unwissend bleiben, bis es dem Genossen gelungen sei , ein fait accompli zu schaffen . Wie konnte man wissen, ob, nachdem dies eingetreten , eine Vermittlertätigkeit überhaupt noch etwas retten könne ? Die deutsche Reichsregierung ließ sich von der österreichischen mit verbundenen Augen dem Abgrund zuführen, der sie beide verschlingen sollte. Sie fürchtete, wenn sie früher den eingeschlagenen Weg zu Gesicht bekäme , würde sie umkehren wollen und der Führer sich von ihr losreißen. Sie wollte ihm erst dann Vorstellungen machen, wenn sie beide am Rande des Abgrunds stünden. Sie hoffte , dann werde er eher mit sich reden lassen . Und darum nur unentwegt dem Abgrund zu ! Es will mich jedoch bedünken, als wären diese Argumente erst hinterdrein erfunden worden, um die ganz unbegreifliche Scheu der Reichsregierung zu rechtfertigen , über das Vorgehen des Bundesgenossen informiert zu werden. Man schämte sich, den wirklichen Grund dieser Scheu anzugeben, die einfach aus Gedankenträgheit und Unwissenheit hervorging. Die österreichische Regierung weigerte sich, ihr Kriegsziel im Konflikt mit Serbien mitzuteilen, weil sie selbst darüber unklar war. Mitunter verspürte die deutsche Reichsregierung trotz der Gründe, die Bethmann anführt, doch das Bedürfnis , zu erfahren , was man in Wien eigentlich wolle . Am 5. Juli hatten Wilhelm und Bethmann dem Grafen Berchtold freie Hand gegeben , zu verfahren , wie es ihm beliebe . Am 17. aber telegraphierte Jagow an Tschirschky, er möge versuchen, eine Aufklärung über die österreichischen Kriegsziele zu erfahren . ,,Es wäre uns nur von Wert, einigermaßen darüber orientiert zu sein, wohin der Weg führen soll." Wie bescheiden von der deutschen Regierung , „ einigermaßen“ darüber aufgeklärt zu werden , was in dieser furchtbaren Krise der Genosse zu tun beabsichtige , mit dem man auf Gedeih und Verderb verbunden war. Schon 1919 schrieb ich in meinem Buch über den Weltkrieg : ,,Eine ganz klare Antwort hat Berlin darüber von Wien nie bekommen, aus dem einfachen Grunde, weil man dort selbst nicht wußte,,wohin der Weg führen sollte'. Die beiden Zentralmächte haben den furchtbarsten aller Kriege entfesselt, ohne über Zweck und Ziel auch nur seines Ausgangspunktes klar zu sein." Wenn die österreichischen Staatsmänner vom Krieg gegen Serbien sprachen , so begnügten sie sich meist damit, zu erklären , das Mördergesindel müsse ,,gezüchtigt", Rache für Sarajevo genommen, das Serbenvolk ,,unschädlich " gemacht werden . Aber wie das geschehen solle, darüber waren sich nicht einmal die österreichischen Herrn untereinander einig. Der ungarische Ministerpräsident Tisza verwahrte sich dagegen , daß durch eine Eroberung

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Kaiser Wilhelm gegen Serbien

sahen in der Haltung Italiens also nicht eine Warnung, sondern nur eine Aufforderung, es hinters Licht zu führen. Dem italienischen Bundesgenossen, auf dessen Hilfe man im Kriegsfall rechnete, wurde die Absicht, gegen Serbien gewaltsam vorzugehen , verschwiegen. Er wurde ebenso wie die ganze übrige Welt getäuscht, indem man vorgab, man plane nichts Ernstliches gegen Serbien. So wollte man Europa einschläfern, um es plötzlich vor eine vollendete Situation zu stellen . Mit der würde es sich schon abfinden. Man werde Serbien niederschlagen können , ohne daß es zum Weltkrieg komme. Das war die erste falsche Kalkulation der Herrn in Wien . Richtig urteilten sie dagegen, wenn sie erwarteten, sie würden in Berlin eher Verständnis finden, als in Rom. Am 4. Juli 1914 kam der österreichische Legationsrat Graf Hoyos mit einem Handschreiben des Kaisers Franz Josef an Kaiser Wilhelm nach Berlin . Franz Josef führte darin aus, es sei nach dem Attentat dringend notwendig geworden, energisch dahin zu wirken, daß ,,der Herd verbrecherischer Agitation in Belgrad nicht ungestraft fortlebt." Wilhelm war sogleich Feuer und Flamme dafür, die „,Verbrecher" gebührend zu bestrafen . In Wien war man davon angenehm überrascht . In den Jahren 1909 bis 1913 hatte der deutsche Kaiser zeitweise die Österreicher Serbien gegenüber zurückgehalten. Davon war jetzt keine Rede . Im Gegenteil. Er fand die Österreicher zu langmütig und langsam . Wie ist das zu erklären ? Einmal dadurch, daß Wilhelm und Bethmann ebenso wie die Berchtolds etc. irregeführt wurden durch das Verhalten Rußlands nach der Annexion Bosniens und während der Balkankriege. Damals hatte es die ärgsten Schläge ins Antlitz , die ihm Österreich versetzte, schweigend hingenommen. Das , meinte man, werde auch diesmal der Fall sein . Rußland sei nach dem Zusammenbruch von 1905 noch lange nicht genug gerüstet. Man vergaß bei diesem Gedankengang zweierlei : So arg auch die Schläge ins Antlitz Rußlands 1909 bis 1913 ausfielen, eine so klatschende Ohrfeige, wie einen Krieg gegen Serbien, Rußlands Freund, stellten sie doch nicht dar. Und wenn auch Rußland 1914 noch nicht so weit gerüstet hatte , daß es hätte kriegslüstern sein können, so stand es doch mit seinen Rüstungen nicht mehr so weit zurück, daß es gezwungen gewesen wäre, jede Provokation ruhig hinzunehmen, ohne mit der Wimper zu zucken. Das war der zweite Irrtum in der politischen Rechnung der Lenker der Zentralmächte. Neben dem Vertrauen in die militärische Ohnmacht Rußlands spielte aber für Wilhelm eine große Rolle das dynastische Bewußtsein. Daß vorher hohe Beamte und Offiziere in Bosnien und Kroatien Attentaten zum Opfer fielen , hatte ihn nicht gerührt. Aber ein Attentat auf das Mitglied einer regierenden Dynastie, auf einen Thronfolger, auf seinen persönlichen Freund , das erregte ihn aufs

Wilhelm gegen Serben

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höchste. Seine Phantasie malte ihm Belgrad als die Zuflucht einer Verschwörerbande, die alle regierenden Fürsten Europas mit ihrer Propaganda der Tat bedrohe. Diese Stimmung wurde von Serbenfeinden bei ihm geflissentlich genährt. Am 1. Juli schrieb der deutsche Generalkonsul in Sarajevo an das Auswärtige Amt , er rate dem deutschen Kaiser entschieden von seinem geplanten Kondolenzbesuch in Wien ab, wo er von „, russisch-serbischen Gewalttätern" gefährdet sei . Am 3. Juli ließ Berchtold dem deutschen Kaiser durch den deutschen Gesandten in Wien, Tschirschky, mitteilen : „ Die heutige Semliner Meldung, wonach zwölf Mordbuben unterwegs seien, mit der Absicht , ein Attentat auf Kaiser Wilhelm auszuüben ( sic ! ) , werde doch vielleicht in Berlin die Augen öffnen über die Gefahr, die von Belgrad aus droht. “ ( „ Diplomatische Aktenstücke zur Vorgeschichte des Krieges . Ergänzungen zum österreichischen Rothbuch“, Wien 1919, I. S. 18.) Kein Wunder, daß Wilhelm die Reise nach Wien aufgab, die er geplant . Auf seine Absage antwortete Franz Josef in seinem Handschreiben, für dieses war der deutsche Kaiser jetzt richtig präpariert. Er und seine Leute, ebenso wie die Österreicher irrten aber, wenn sie vermeinten, das Attentat werde auf alle Monarchen ebenso wirken, wie auf ihn, und eine Solidarität aller gekrönten Häupter gegen Serbien herstellen. Noch am 25. Juli wähnte Berchtold, es werde in Petersburg Eindruck machen, wenn er dahin schrieb : ,,Die subversive Bewegung , die in Serbien gegen die Monarchie genährt wird, hat inzwischen so exzessive Formen angenommen, daß das monarchische und dynastische Interesse durch die Wühlarbeit bedroht erscheint. Wir müssen annehmen, daß das konservative, kaisertreue Rußland ein energisches Vorgehen unserseits gegen die Bedrohung aller staatlichen Ordnung begreiflich und sogar notwendig finden wird ." ( Diplomatische Aktenstücke, öst. Rothbuch, II . S. 40. ) Man war seit den Fällen Friedjung und Prochaska gegen die Behauptungen österreichischer Staatsmänner skeptisch geworden . Für die Annahme einer Mitschuld der serbischen Regierung am Sarajevoer Attentat lag nicht der geringste Anhaltspunkt vor. Offenkundig aber entsprang es nicht antimonarchischen, sondern antiösterreichischen Motiven . Es war geradezu sinnlos, den König von Serbien zum Mitschuldigen an einem antimonarchischen Attentat machen zu wollen . Der Appell an die Solidarität der Monarchen fiel also flach zu Boden. Mit dem Attentat war daher nicht jenes politische Geschäft zu machen, das Berchtold anstrebte . Die internationale Stimmung stand 1914 einem kriegerischen Einmarsch Österreichs in Serbien nicht günstiger gegenüber, als etwa 1909 oder 1913. Um so mehr muß man staunen, daß diesmal Wilhelm und Bethmann ganz anders als früher, Berchtold völlig freie Hand für sein Vorgehen gegen Serbien gaben und nicht einmal fragten , worin dieses Vorgehen bestehen solle. Sie wollten ausdrücklich

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Bethmann läßt Österreich freie Hand

darüber nicht informiert sein. Der Bundesgenosse ließ sich in ein Abenteuer ein, bei dem es auf Tod und Leben der Beteiligten ging. Deutschland sollte mittun , seine Haut zu Markte tragen und nicht einmal wissen dürfen, was der Alliierte eigentlich vorhabe. Bethmann hat versucht, sein erstaunliches, geradezu unbegreifliches Verhalten zu rechtfertigen, in seinen „, Betrachtungen zum Weltkriege", Berlin 1919. Da führt er zuerst an: „,... Daß uns das Wiener Kabinett in der Vorzeit ( d. J. 1909 bis 1913 , K. ) wiederholt und namentlich im Verlauf der Balkankriege hatte fühlen lassen, wir hätten durch unser mäßigendes Dazwischentreten die österreichische Politik geschädigt. Unter nahe auf einander angewiesenen Bundesgenossen sind solche Erscheinungen unerwünscht .“ ( S. 137, 138.) Herr Bethmann unterließ es, sich zu fragen, ob die deutsche Regierung nicht recht daran getan hatte, den Bundesgenossen zu mäßigen, ob sie nicht ihm und sich selbst damit einen Dienst erwiesen hatte . Gerade , weil der Bundesgenosse es bereits einige Male notwendig gemacht hatte , „ mäßigend dazwischen zu treten“, war es doch um so unverantwortlicher, ihm diesmal freie Hand zu geben und ihm bedingungslose Unterstützung seines Tuns zu zusichern. Aber freilich, der Bundesgenosse konnte verschnupft werden , wenn man ihn mäßigte. Das wollte man vermeiden . Die deutschen Regierungspolitiker fühlten sich bereits ziemlich abhängig von Österreich, ihrem letzten Bundesgenossen . Wenn auch der sie im Stiche ließ, was dann ? Sie erwogen nicht, daß Österreich in viel höherem Maße auf Deutschland angewiesen war, als Deutschland auf Österreich. Dieses befand sich in einer Lage, in der es gar keinen andern Bundesgenossen zu finden vermochte, als den deutschen Bruder. Deutschland brauchte dagegen bloß auf das Wettrüsten mit England zu verzichten und seine Isolierung und Einkreisung hatte ein Ende. Es zog vor, dies Wettrüsten fortzusetzen und sich zum stummen Diener von Österreichs unmöglicher Politik zu machen . Doch Bethmann hat noch ein Argument , das ihm besonders entscheidend erscheint : ,,Wir hätten den österreichisch- serbischen Konflikt von vornherein internationalisiert, wenn wir aus der österreichischen Aktion eine deutschösterreichische gemacht hätten. Jede Möglichkeit, den Streit zu lokalisieren und wenn das nicht ging, international zu vermitteln, hätten wir damit selbst aus der Hand gegeben. Denn von Inhalt und Form eines einmal ausdrücklich gebilligten Ultimatums hätten wir uns nicht wieder loslösen, wir hätten dann die ganze Vermittlerarbeit nicht verrichten können, die wir tatsächlich verrichtet haben." Was diese Vermittlerarbeit tatsächlich zustande brachte, werden wir noch sehen . Aber ist es nicht wahnwitzig, wenn man einem

Bundesgenossen freie Hand gibt, einen Konflikt zu entfesseln und bis zu einem Krieg zu steigern , bloß um sich die Möglichkeit vorzubehalten, vermittelnd einzugreifen, wenn es der Genosse zu toll treibt ? Kein Mensch hielt es für möglich, daß Österreich sich auf

Österreich kein klares Kriegsziel

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eine Kriegspolitik einließ, ohne Zustimmung Deutschlands . Tatsächlich übernahm dieses doch die Verantwortung für das Gebaren des Bundesgenossen , einerlei , ob es über dessen Absichten informiert war, oder nicht. Man wollte unwissend bleiben , bis es dem Genossen gelungen sei , ein fait accompli zu schaffen . Wie konnte man wissen, ob, nachdem dies eingetreten , eine Vermittlertätigkeit überhaupt noch etwas retten könne ? Die deutsche Reichsregierung ließ sich von der österreichischen mit verbundenen Augen dem Abgrund zuführen, der sie beide verschlingen sollte. Sie fürchtete, wenn sie früher den eingeschlagenen Weg zu Gesicht bekäme, würde sie umkehren wollen und der Führer sich von ihr losreißen. Sie wollte ihm erst dann Vorstellungen machen, wenn sie beide am Rande des Abgrunds stünden . Sie hoffte, dann werde er eher mit sich reden lassen. Und darum nur unentwegt dem Abgrund zu ! Es will mich jedoch bedünken, als wären diese Argumente erst hinterdrein erfunden worden, um die ganz unbegreifliche Scheu der Reichsregierung zu rechtfertigen, über das Vorgehen des Bundesgenossen informiert zu werden. Man schämte sich, den wirklichen Grund dieser Scheu anzugeben, die einfach aus Gedankenträgheit und Unwissenheit hervorging . Die österreichische Regierung weigerte sich, ihr Kriegsziel im Konflikt mit Serbien mitzuteilen, weil sie selbst darüber unklar war. Mitunter verspürte die deutsche Reichsregierung trotz der Gründe, die Bethmann anführt, doch das Bedürfnis, zu erfahren , was man in Wien eigentlich wolle. Am 5. Juli hatten Wilhelm und Bethmann dem Grafen Berchtold freie Hand gegeben, zu verfahren , wie es ihm beliebe. Am 17. aber telegraphierte Jagow an Tschirschky, er möge versuchen, eine Aufklärung über die österreichischen Kriegsziele zu erfahren. ,,Es wäre uns nur von Wert, einigermaßen darüber orientiert zu sein, wohin der Weg führen soll." Wie bescheiden von der deutschen Regierung ,,, einigermaßen“ darüber aufgeklärt zu werden, was in dieser furchtbaren Krise der Genosse zu tun beabsichtige, mit dem man auf Gedeih und Verderb verbunden war. Schon 1919 schrieb ich in meinem Buch über den Weltkrieg : ,,Eine ganz klare Antwort hat Berlin darüber von Wien nie bekommen, aus dem einfachen Grunde, weil man dort selbst nicht wußte,,wohin der Weg führen sollte' . Die beiden Zentralmächte haben den furchtbarsten aller Kriege entfesselt, ohne über Zweck und Ziel auch nur seines Ausgangspunktes klar zu sein." Wenn die österreichischen Staatsmänner vom Krieg gegen

Serbien sprachen, so begnügten sie sich meist damit, zu erklären , das Mördergesindel müsse ,,gezüchtigt", Rache für Sarajevo genommen, das Serbenvolk ,,unschädlich" gemacht werden . Aber wie das geschehen solle, darüber waren sich nicht einmal die österreichischen Herrn untereinander einig. Der ungarische Ministerpräsident Tisza verwahrte sich dagegen, daß durch eine Eroberung

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Österreichische Täuschungen

die Zahl der Serben im österreichischen Staat noch vermehrt werde, indes Berchtold dem sehr fein mit der Wendung widersprach, es sei möglich,,,daß es uns am Ende des Krieges nicht mehr möglich sein wird, nichts zu annektieren . “ Serbien sollte verkleinert werden , etwa durch Vergrößerung

Albaniens. Aber ging nicht um Albanien ein zäher Kampf Österreichs mit Italien ? Vor allem aber, durfte man erwarten , daß ein verkleinertes Serbien ,,unschädlich" werde ? Es machte nichts aus, ob es 4 oder 5 Millionen Einwohner zählte . Es bedrohte den 50 Millionenstaat nicht durch seine Größe. Die Gefahr für Österreich kam von den Südslawen innerhalb seiner Grenzen. Diese wurden weder geschwächt noch beruhigt dadurch , daß die Brüder im Nachbarstaat massakriert wurden . Darum wußten die Leiter Österreichs selbst nicht recht , welche Ziele sie ihrem Krieg gegen Serbien setzen sollten . Wozu hätten unter diesen Umständen die Führer des Deutschen Reichs sich den Kopf zerbrechen sollen , über ein österreichisches Problem, über das die Österreicher selbst nicht Bescheid wußten ? Da war es besser, diesen zu sagen,,,macht Euch Euren Dreck alleene". Aber leider hatte das Deutsche Reich den Dreck auszulöffeln , den zu machen man den Österreichern ,,alleene“ überlassen hatte . In allem und jedem liefen damals die Staatsmänner des Deutschen Reichs wie gut dressierte Hündchen hinter den führenden Lenkern Österreichs einher. Diese hielten es für angezeigt, den dritten Bundesgenossen, Italien, über ihre Absichten, Serbien gegenüber zu täuschen. Deutschland machte diese Politik der Treulosigkeit unbedenklich mit . Ein sonderbares Gebilde, der Dreibund jener Tage. Zwei Bundesgenossen einigen sich darüber, den dritten auf eine falsche Fährte zu locken. Und von jenen Beiden befürchtet der eine, den andern zu kränken, wenn er fordert , über die Politik unterrichtet zu werden, zu deren Unterstützung er sich verpflichtet hat. Natürlich wurde erst recht die übrige Welt über die Absichten getäuscht, die Österreich verfolgte . Und auch dabei half die deutsche Diplomatie unbedenklich mit . Das österreichische Vorgehen bewegte sich in einem Widerspruch . Auf der einen Seite wollte man die Entrüstung der Welt über das Attentat auf Franz Ferdinand dazu ausnutzen , ihre Zustimmung zu einem gewaltsamen Vorgehen gegen Serbien zu gewinnen . Auf der andern Seite hoffte man, die Welt werde sich mit solchem Vorgehen am ehesten dann abfinden, wenn es überraschend komme ; wenn man die Serben vorher einschläfere, so daß sie keine Maßregeln moralischer und militärischer Abwehr träfen, weder Widerlegungen von Anklagen publizierten, noch ihre Streitkräfte mobilisierten . Urplötzlich wollte man mit den schwersten Anklagen und den schwersten Geschützen die Serben überfallen , so daß sie sich nicht wehren könnten . Solange

Österreichs Täuschungsmanöver

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aber die Waffen des Angriffs auf Serbien nicht parat waren, wollte man sich friedlich stellen . Jedes der beiden Verfahren war geeignet, die Wirkung des andern zu lähmen . Wollte man die allgemeine Entrüstung über das Attentat ausnutzen, dann mußte man ohne Zögern vorgehen, solange sie noch frisch war. Das war auch Kaiser Wilhelms Standpunkt, dessen Haltung selbst durch diese Entrüstung bestimmt wurde. Er drängte darauf, daß mit der Aktion gegen Serbien nicht gewartet werde. Österreich aber ließ sich Zeit, und seine Diplomaten versicherten überall , es sei friedlich gesinnt und werde Serbien nicht wehe tun. Damit machte es aber selbst die moralische Entrüstung über das Attentat zu nichte, auf die es baute. Als dann Österreich losschlug, merkte jedermann, daß nicht Abscheu über eine Untat , sondern diplomatische Berechnung die Aktion veranlasse . Unauffällig verstärkte Österreich seine Garnisonen an der serbischen und russischen Grenze . Aber gerade weil das unauffällig geschehen sollte, geschah es langsam . Eine weitere Ursache des Zögerns lag in der Uneinigkeit innerhalb der österreichischen Regierung. Am liebsten hätte Herr Berchtold die Serben ohne vorherige Ankündigung überfallen . Dagegen erhob sich Tisza . Man müsse ihnen ein Ultimatum stellen. Erst wenn sie es ablehnten, solle man ihnen den Krieg erklären . Diesem Vorschlag wurde zugestimmt, aber mit dem ausdrücklichen Vorbehalt , das Ultimatum müsse so gefaßt sein, daß die Serben es nicht akzeptieren könnten. Das beschloß ein Ministerrat bereits am 7. Juli. Es wurde der deutschen Regierung mitgeteilt , die damit einverstanden war. Als aber diese Regierung vorschlug,,,schon jetzt die öffentliche Meinung im Inland im Wege der Presse gegen Serbien zu stimmen", äußerte Berchtold am 10. seine Bedenken, da man nicht Serbien vorzeitig alarmieren" dürfe . Außerdem teilte er mit , daß gerade jetzt der Kriegsminister absichtlich auf Urlaub gehe und der Generalstabschef Conrad v. Hötzendorf Wien verlasse , um eine friedliche Stimmung solange vorzutäuschen, bis man zum Losschlagen fertig sei. Auf die Dauer ließen sich aber die kriegerischen Pläne des Ballplatzes nicht verheimlichen. Am 19. erklärte der Kriegsminister, für die Mobilmachung sei alles bereit, anderseits begann Italien Lunte zu riechen. Nun wollte Berchtold schließlich mit seinem Ultimatum herauskommen. Man rechnete auf den Wirrwarr unter den Mächten , den es hervorrufen würde. Es sollte ihnen nicht die Zeit gegeben werden, sich unter einander zu verständigen. Daher wollte man von Serbien verlangen, daß es binnen 48 Stunden seine Antwort gebe. In dieser Zeit, nahm man an, sei Serbien nicht imstande, sich mit Rußland und Frankreich zu verständigen . Diese könnten nicht intervenieren. Lehnte Serbien aber das unannehm-

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Das Ultimatum an Serbien

bare Ultimatum ab, dann hatte man den ,,gerechten" Grund zum Krieg, den man solange ersehnt . Wie die Mächte sich nachher verhalten würden, das kümmerte die Schlauköpfe des Wiener Ballplatzes wenig. Wenn es nur gelang, die Großmächte mit dem Ultimatum zu überraschen ! Weiter ging das Denken der Lenker der österreichischen Politik nicht. Schon waren sie bereit , das Ultimatum abzusenden , da stellte sich noch ein Umstand ein, der die gewünschte Übertölpelung zu vereiteln drohte : Poincaré, Präsident der Französischen Republik, machte gerade einen Besuch in Petersburg. Solange der dort war, durfte das Ultimatum nicht überreicht werden, da könnte der Franzose dem Russen den Rücken steif machen. Habe Poincaré Petersburg wieder verlassen , dann werde der Zar eher zusammenknicken und die neue Ohrfeige, die stärkste unter allen, die Österreich ihm seit 1909 versetzt, ebenso schweigend einstecken , wie die vorherigen. Daher beschloß man , das Ultimatum solle erst überreicht werden an dem Tage, an dem Poincaré Petersburg wieder verließ, am 23. Juli . Im letzten Moment fand noch eine kleine Verschiebung statt. Jagow hatte aus Petersburg am 21. Juli erfahren , Poincaré werde von Kronstadt um 10 Uhr abends abfahren. Daraufhin wurde der österreichische Gesandte in Belgrad angewiesen , das Ultimatum am gleichen Tag um 5 Uhr abends zu übergeben . Am 22. Juli aber erfuhr Jagow, daß Poincaré erst um 11 Uhr abreise . Da könnte das Ultimatum , wenn um 5 Uhr übergeben, noch während Poincarés Anwesenheit in Petersburg bekannt werden. Daher wurde der Belgrader Gesandte angewiesen , die Note erst um 6 Uhr zu übergeben . Ich gehe auf diese Details ein , weil sie bezeugen, wie kleinlich und beschränkt die Köpfe waren, die damals in Österreich wie in Deutschland die Geschicke der Staaten und Völker bestimmten. Kein einziger großer Gesichtspunkt tritt zutage, wenn man die Erörterungen und Untersuchungen der damaligen leitenden Staatsmänner an sich vorüberziehen läßt. Sie glaubten, das Vaterland zu retten , wenn sie den Gegner für einige Stunden hinters Licht führten .

b) Vom Ultimatum bis zu den Mobilisierungen. Fast einen Monat seit dem Bluttag von Sarajevo hatten die Wiener Diplomaten gebraucht , bis ihre sittliche Entrüstung darüber in einem Ultimatum an die serbische Regierung überschäumte. Nun aber hatten sie es plötzlich furchtbar eilig, um die Welt nicht zur Besinnung kommen zu lassen. Am 23. Juli um 6 Uhr abends wurde das Ultimatum in Belgrad überreicht. Es war so gefaßt, daß seine Ablehnung unausbleiblich schien. Durch seine Annahme wäre Serbien in ein Gebiet verwandelt worden, das dem ständigen Belagerungszustand unter öster-

Die serbische Antwort

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reichischer Fuchtel ebenso unterworfen war, wie etwa Bosnien und Kroatien. Schon 48 Stunden später sollte das umfangreiche Dokument beantwortet sein. Ein Ersuchen Rußlands und Englands , die Frist zu verlängern , wurde in Wien abgewiesen . Es gelang den Serben, sie einzuhalten . Am 25. Juli , 2 Minuten vor 6 Uhr war die serbische Antwort in der Hand des österreichischen Gesandten in Belgrad. Serbien akzeptierte wider Erwarten so ziemlich alle Forderungen Österreichs. Trotzdem verließ schon eine halbe Stunde später der Herr Gesandte mit seinem Personal die serbische Hauptstadt und brach die diplomatischen Beziehungen seines Staates zu Serbien ab. Er konnte kaum die Zeit gefunden haben, das serbische Schriftstück zu lesen, das in der von mir herausgegebenen Sammlung der ,,Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch" fünf Druckseiten umfaßt . Es war ganz unmöglich, daß die Wiener Regierung in diesem Zeitraum von der serbischen Antwort Kenntnis nahm und darüber beriet . Offenbar hatte der Herr Gesandte Giesl von vornherein den Auftrag gehabt, auf jeden Fall den Bruch mit Serbien zu vollziehen . In sonderbarem Gegensatz zu dieser Hast steht das Zaudern der österreichischen Regierung, die serbische Antwort bekannt zu geben. Am 25. Juli war sie ihr zugegangen, doch erst am 28. wurde sie publiziert. Das Berliner Auswärtige Amt erfuhr sie selbst erst am Nachmittag des 27. , und zwar durch die serbische Gesandtschaft. Jagow war kurz vor dieser Mitteilung am gleichen Tage des langen Harrens müde geworden und hatte die österreichische Regierung ersucht , ihm den Text der serbischen Note zukommen zu lassen, der sich seit zwei Tagen in ihren Händen befand . Die Österreicher erwiderten, die serbische Note sei so umfangreich , daß das überbürdete Wiener Ministerium noch nicht eine Kopie herzustellen vermochte. Das war dieselbe Note, die Herr Giesl nur dreißig Minuten in seinen Händen gehabt hatte, um auf sie hin den Bruch zu vollziehen, der den Weltkrieg fast unvermeidlich machte . Der deutsche Botschafter in Wien , Tschirschky, hatte es übrigens mit der Übersendung der ihm in Wien endlich übermittelten serbischen Antwort auch nicht eilig. Er meldete am 27. um einhalb zwölf Uhr nachts , eben gehe ihm diese Antwort zu. ,, Mit Rücksicht auf deren Umfang - fast sechs Druckseiten -- habe ich von deren telegraphischer Übermittlung absehen zu müssen geglaubt ." Der Herr Botschafter legte so wenig Wert auf die rasche Informierung seiner Regierung, daß er sich damit begnügte, am nächsten Tag die Note per Post nach Berlin zu senden, wo sie am 29. nachmittags eintraf! Derselbe Botschafter meldete aber schon am 27. nachmittags drei Uhr telegraphisch : ,,Man hat hier beschlossen , morgen, spätestens übermorgen, offizielle Kriegserklärung zu erlassen, hauptsächlich um jedem Interventionsversuch den Boden zu entziehen."

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Kriegserklärung an Serbien

Tatsächlich wurde am 28. die Kriegserklärung an Serbien abgesandt, tags darauf Belgrad durch die österreichische Artillerie beschossen. An diesem Tage erst hätte die Reichsregierung den Wortlaut der serbischen Antwort erfahren , wenn sie nur von ihrem Verbündeten und ihrem eigenen Botschafter und nicht früher schon von der serbischen Regierung unterrichtet worden wäre. Die Österreicher hofften durch derartige Manipulationen jede Intervention unmöglich zu machen, das heißt, jeden Versuch , den bübischen Narren am Ballplatz in die Arme zu fallen , als sie sich anschickten, eine brennende Lunte in das Pulverfaß zu werfen , das Europa damals darstellte . Diese Narren bildeten sich ein, wenn das Pulverfaß explodiere, werde Österreich dadurch gesund . Welchen hohen Stand der ärztlichen Wissenschaft repräsentierte doch der Doktor Eisenbarth in Vergleich zu diesen Medizinmännern am Krankenlager Österreichs ! Wilhelm und Bethmann aber, die dieses Verfahren sanktionierten, ohne darüber unterrichtet zu sein, merkten gar nicht, daß sie sich damit selbst die Möglichkeit jeder ,,Intervention", jeder ,,Vermittlung" abschnitten , die sie sich vorbehalten hatten . Und doch mußten sie schließlich selbst merken , daß ihre Intervention in Wien dringend nötig sei , sollte der drohende Sturz in den Abgrund verhütet werden . Bis zur Überreichung des österreichischen Ultimatums an Serbien waren die Wirkungen des Sarajevoer Attentats auf die öffentliche Meinung der Welt für Österreich nicht ungünstig gewesen . Man hätte es verstanden und gebilligt, wenn die Monarchie verlangte, die serbische Regierung solle auf ihrem Boden Verschwörungen gegen das Leben österreichischer Regenten entgegentreten und gebührend bestrafen, wenn sie der Verschwörer habhaft wurde. Aber das Ultimatum forderte weit mehr. Es verlangte nicht nur, daß die serbische Regierung sich demütige, sondern sogar, daß Organe der österreichischen Regierung polizeiliche und richterliche Befugnisse im Königreich Serbien erhielten , und zwar Befugnisse , die nach der Verfassung Serbiens nicht einmal den einheimischen Behörden zustanden . Über diese Zumutungen war man allgemein entsetzt und entrüstet. Der englische Minister, Sir E. Grey, erklärte dem deutschen Botschafter Lichnowsky sofort, 24. Juli, die österreichische Note. übertreffe alles, was er in dieser Art bisher gesehen habe . „ Ein Staat, der so etwas annehme, höre doch auf, als selbständiger Staat zu zählen.“ ,,Was Sir E. Grey am meisten beklagte," berichtet Lichnowsky weiter, ,,neben dem Ton der Note ist die kurze Befristung, die den Krieg unvermeidlich macht. " (,, Deutsche Dokumente" etc. I. S. 154/155. ) Und tags darauf muß Lichnowsky über die Wirkung der Note gestehen ,,Gesamteindruck hier geradezu vernichtend. " (I. S. 162. ) Selbst den Herren Bethmann und Jagow erschien das Ultima-

Serbien demütigt sich

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tum übermäßig gepfeffert. In seinem Buch über „ Ursachen und Ausbruch des Weltkriegs" ( Berlin 1919) erzählt Jagow, der deutsche Staatssekretär darüber : es war, soweit ich mich erinnere, ,,Am 22. Juli in den Abendstunden kam Graf Szögyeny zu mir, um mir das bekannte zwischen 7 und 8 Uhr Ultimatum zu überreichen. Nach Kenntnisnahme des langen Textes sprach ich dem Botschafter sofort meine Ansicht aus, daß der Inhalt mir als reichlich scharf und über den Zweck hinausgehend erscheine. Der Reichskanzler war der gleichen Meinung. Graf Szögyeny erwiderte, es sei nichts mehr zu machen, denn das Ultimatum sei nach Belgrad gesandt und solle am nächsten Morgen übergeben und gleichzeitig durch den amtlichen Wiener Telegraphen veröffentlicht werden. " ( S. 109, 110. ) Hier hatte der edle Graf wieder einmal die Unwahrheit gesagt. Das Ultimatum wurde erst am 23. abends 6 Uhr überreicht . Übrigens selbst wenn die Angabe des österreichischen Botschafters richtig gewesen wäre, hätte Berlin trotzdem noch 12 Stunden Zeit gehabt, auf Wien zu wirken. Aber den Herrn im deutschen auswärtigen Amt war noch nicht klar geworden, welchen ,,vernichtenden Eindruck" von der deutschen Politik und welche Gefahren dieses Ultimatum in sich barg. So ließen sie sich in ihrer Abendruhe nicht stören und taten nichts gegen die Übersendung des Ultimatums . Sie begnügten sich damit, sich auf die völlig Unwissenden. hinauszuspielen. Noch am 24. Juli wurde von der österreichischen Botschaft in Rom der italienischen Regierung nur die Tatsache des Ultimatums, nicht dessen Text mitgeteilt . Darüber beschwerte sich der italienische Minister bei dem deutschen Botschafter in Rom . Dieser berichtet : ,, Er findet es gegen den Geist des Dreibundes, in solche Aktion einzutreten, ohne die Verbündeten vorher zu befragen." Darauf erwiderte Jagow,,,daß auch wir über die österreichische Note nicht näher informiert worden sind. " (,,Deutsche Dokumente", I. S. 139, 145.) Wir haben schon gesehen, daß am 25. Juli die serbische Antwort eintraf, deren Bekanntmachung die Österreicher solange als möglich sabotierten. Sie setzte sie sehr in Verlegenheit, denn es war geradezu unmöglich, sie als Anlaß zu einer Kriegserklärung zu benutzen . Serbien nahm alle Forderungen Österreichs an, bis auf zwei , die im Widerspruch mit der serbischen Verfassung standen . Doch versprach die Regierung, dahinzuwirken, daß die Verfassung in einer Weise geändert werde, die es möglich mache, Publikationen zu unterdrücken , die gegen Österreich gerichtet seien. Zum Schlusse ihrer Antwort erklärte die serbische Regierung : ,,Sie ist, falls sich die k. u. k. Regierung durch diese Antwort nicht für befriedigt erachten sollte, wie immer bereit, eine friedliche Lösung anzunehmen, sei es durch Übertragung der Entscheidung dieser Frage an das Haager Schiedsgericht, oder durch Überlassung der Entscheidung an die Großmächte." Wenn die österreichischen Diplomaten noch einen Funken Verstand hatten, mußten sie mit dieser Antwort zufrieden sein , die tatsächlich einer Kapitulation gleichkam und alles erfüllte, was

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Wilhelm gegen Krieg

Österreich nur fordern konnte. Daß Serbien, beraten von Rußland und Frankreich, sich so demütigte, war für alle diese Staaten eine Niederlage, für die Habsburgermonarchie ein gewaltiger Triumph. Hätte sie sich damit begnügt, welches Unheil wäre der Welt erspart worden. Aber die schwarzgelben Diplomaten und Militärs wollten ihren Krieg haben , um jeden Preis. So wurde die Anrufung des Haager Schiedsgerichts als Herausforderung zum Krieg betrachtet , und dieser sogleich begonnen . Selbst Wilhelm stiegen darob Bedenken auf. Seit dem Sarajevoer Attentat war fast ein Monat verflossen. Er hatte Zeit gehabt, sich zu beruhigen . Keine seiner Stimmungen dauerte lange. Und zeitweise war er sehr richtiger Erwägungen fähig. Dank der tückischen Verzögerung durch den treuen Verbündeten bekam Wilhelm die serbische Antwort erst am 28. zu lesen, an demselben Tage , an dem Österreich Serbien den Krieg erklärte. Davon wußte er offenbar noch nichts, als er, gleich nach der Durchlesung der serbischen Note an Bethmann Hollweg schrieb : ,,Nach Durchlesung der serbischen Antwort, die ich heute morgen erhielt, bin ich der Überzeugung, daß im Großen und Ganzen die Wünsche der Donaumonarchie erfüllt sind. Die paar Reserven, welche Serbien zu einzelnen Punkten macht, können m. E. durch Verhandlungen wohl geklärt werden. Aber die Kapitulation ( demütigster Art ) liegt darin urbi et orbi verkündet und durch sie entfällt jeder Grund zum Krieg." (Abgedruckt in meinem ,,Weltkrieg ", S. 91. ) Weiter erklärte er, er sei bereit, in Österreich für den Frieden vermittelnd einzutreten. Aber ,,das werde ich tun auf meine Manier“. „ Dagegenlaufende Vorschläge und Proteste anderer Staaten würde ich unbedingt zurückweisen ." Die Wilhelminische Manier, den Frieden zu erhalten , wurde indes von der Überzeugung getragen , es sei ,,notwendig, der zum drittenmal (seit der Serbenkrise 1909, K. ) umsonst mobilisierten Armee (Österreichs, K. ) eine äußere satisfaction d'honneur zu geben , den Schein eines Erfolges dem Ausland gegenüber und das Bewußtsein, auf fremdem Boden gestanden zu haben." Zu diesem Zwecke sollten österreichische Streitkräfte in Serbien einmarschieren ! Das heißt, die Friedensvermittlung sollte eine Form annehmen , die den Herrn Offizieren den so lang ersehnten Spaß mit dem Kriege nicht verdarb ! Das war eine Art der Vermittlung, die erst recht den Krieg herbeiführen mußte. Noch stärker, als der deutsche Kaiser empfanden allenthalben Regierungen und Völker, daß nach der Annahme der Note Österreichs durch Serbien dessen Bekriegung gänzlich ungerechtfertigt sei. Schon am 27. Juli erklärte Sir E. Grey dem Fürsten Lichnowsky, er sei erstaunt über die Nachgiebigkeit Serbiens, die ,,lediglich auf einen Druck von Petersburg zurückzuführen sei ." Serbien habe so gut wie alles bewilligt, was von ihm verlangt wurde. ,,Begnüge sich Österreich nicht mit dieser Antwort ... so sei es klar,

Deutschland erscheint als Kriegstreiber

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daß Österreich nur nach einem Vorwand suche, um Serbien zu erdrücken . In Serbien solle aber alsdann Rußland getroffen werden ... Es sei klar, daß Rußland dem nicht gleichgültig zusehen könne und es als eine direkte Herausforderung auffassen müsse. Daraus würde der fürchterlichste Krieg entstehen, den Europa je gesehen habe.“ Bisher habe er in Petersburg mäßigend gewirkt, nun bitte er die deutsche Regierung, in Wien mäßigend aufzutreten. Es liege in ihrer Hand ,,,durch entsprechende Vorstellungen die Sache zu erledigen". So sprach nicht bloß der englische Minister, so sprach alle Welt. Wie immer man bis dahin über Sarajevo gedacht haben mochte, jetzt war jeder überzeugt , das Attentat bilde bloß einen Vorwand für Österreich, Serbien mit Krieg zu überziehen. Deutschland aber sei imstande, diesen zu verhindern. Geschehe das nicht, so treffe das Deutsche Reich die Verantwortung ebenso wie Österreich. Von da an wandte sich die öffentliche Meinung der ganzen Welt , so weit sie nicht von österreichischen oder deutschen Regierungsstellen beeinflußt war, gegen die beiden Zentralmächte , wurde nicht nur Österreich als frivoler Kriegstreiber gebrandmarkt, sondern auch Deutschland mit dessen Politik identifiziert . Die deutsche Regierung tat gar nichts, um diesen Verdacht zu entkräften, dank ihrer famosen Methode , zu ,,vermitteln", die es verbot, den Krieg in Serbien zum Einhalt zu bringen. Aber, so fragen Verteidiger der deutschen Regierung, wer gebot es den Russen, sich der Serben anzunehmen ? Die österreichische Regierung verlangte nichts als ,, Lokalisierung" ihres Konflikts mit Serbien. Hätte sie das erreicht, dann wäre der Weltfriede gewahrt worden . Also nicht Österreich, sondern Rußland hat den Weltkrieg entzündet. Wer so spricht, der vergißt, daß trotz ihrer anscheinenden Souveränität doch die einzelnen Staaten in einer historisch gewordenen Verbundenheit von einander leben, die niemand miẞachten darf, ohne schwere Erschütterungen im Völkerleben hervorzurufen . Die Methode der ,,Lokalisierung" gibt jedem Großstaat das Recht, nach Belieben über seine kleinen Nachbarn herzufallen, etwa Italien über die Südschweiz, Frankreich über die Westschweiz und Belgien, Deutschland über Holland und Dänemark. Damit proklamiert man das Faustrecht und ewigen Krieg, auch zwischen den Großmächten, deren jede an einem der kleinen Staaten interessiert ist . Wer sich mit russischen Dingen im besonderen beschäftigte , mußte wissen, daß das Verhältnis zwischen Rußland und Serbien. sich derart gestaltet hatte, daß der Zar diesen seinen Schützling nicht im Stiche lassen durfte, ohne sich selbst zu gefährden . In den letzten Jahren vor dem Weltkrieg hatte sich die Stellung des Zaren in seinem Reiche immer prekärer gestaltet. Das Proletariat pochte immer ungestümer an die Tore der Staatsmacht, indes die herrschenden Klassen sich ebenso ungestüm gegen jede Demütigung

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Wilhelms Manier, den Frieden zu erhalten

des Reiches auflehnten . Und das, was Österreich tat, bedeutete die schlimmste Demütigung. Die österreichische Politik hatte es glücklich dahin gebracht, daß der Zar nur noch die Wahl hatte, zu kriegerischer Abwehr zu greifen oder der Revolution zu erliegen . Geriet aber Rußland in Krieg gegen Österreich und Deutschland gleichzeitig, dann wurde es unvermeidlich, daß Frankreich sich an die Seite der Russen stellte, so sehr es den Frieden wollte . Nicht Rachgier trieb es dahin, auch nicht die Kraft diplomatischer Verträge, sondern einfache Angst vor dem übermächtigen Nachbarn . Frankreich durfte nicht ruhig zusehen, wie Rußland niedergeworfen wurde, denn nach dessen Besiegung wäre es allein der ungeheuren Übermacht des deutschen Heeres gegenübergestanden. Dieselbe Erwägung trieb aber wieder das britische Reich, eine Niederwerfung der Franzosen nicht zuzulassen, denn sie hätte die Deutschen nach Calais geführt, von wo ihre Kanonen den Übergang nach England beherrschten. So mußte die Angst Aller den allgemeinen Weltbrand entzünden, wenn der Krieg in Serbien weiterging. Das sah in den Tagen nach dem österreichischen Ultimatum jeder Mensch, und schließlich erkannten auch die deutschen Minister, wenn schon nicht die österreichischen, daß das Rasseln mit dem Säbel die Gegenseite nicht einschüchterte, sondern vielmehr gerade durch die Angst, die es hervorrief, zur Abwehr aufrief. Aber leider hatte sichs Wilhelm in den Kopf gesetzt, den Frieden nach seiner Manier zu erhalten , jeden andern vermittelnden Vorschlag zurückzuweisen. Dabei wußte er selbst nichts richtiges vorzuschlagen, in seiner Besorgnis, das Offizierskorps der Bundesgenossen durch Hemmung des Krieges gegen Serbien zu verschnupfen. So wurde von seinem damaligen Tun nichts praktisch wirksam , als seine Ablehnung jedes Friedensvorschlags anderer Mächte. Der Zar selbst richtete damals, vom 29. Juli bis 1. August eine Reihe von Telegrammen an den deutschen Kaiser, in denen dieser in wahrhaft ,, demütiger" Weise , wie Lichnowsky sich ausdrückt, angefleht wird, seinen ,,Bundesgenossen davon abzuhalten , zu weit zu gehen". Am 3. August legte die deutsche Reichsregierung dem Reichstag eine Denkschrift vor. Darin veröffentlichte sie die Depeschen, die zwischen den Regierungen Rußlands und Deutschlands in den Tagen vor Kriegsausbruch gewechselt worden waren. Aus ihnen sollte die russische Schuld am Kriegsausbruch hervorgehen. Da hatte man merkwürdigerweise ,,vergessen“, eine Depesche des Zaren abzudrucken , die zweite, die er am 29. Juli an Wilhelm gesandt. Sie enthielt den Vorschlag ,, das österreichisch- serbische Problem der Haager Konferenz vorzulegen." Der Vorschlag hatte Wilhelm bloß ein höhnisches : ,,Nanu" in einer Randnote entlockt . Schon am Tag vorher war durch einen

Wilhelm lehnt Schiedsgericht ab

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Vertrauensmann des Zaren, Fürst Trubetzkoj , der gleiche Vorschlag nach Berlin gesandt worden. Da hatte Wilhelm kurz dazu bemerkt : ,,Blödsinn." Aber nicht nur Rußland, auch Serbien hatte bereits in seiner Antwort auf das österreichische Ultimatum die Anrufung des Haager Schiedsgerichts empfohlen. Trotzdem kam dem Reichskanzler nicht der Gedanke , daß diese Anrufung einen Ausweg aus der verfahrenen Situation bilde und den bedrohten Weltfrieden retten könne. Noch am 29. Juli telegraphierte er nach Petersburg : ,,Der Gedanke der Haager Konferenz wird natürlich in diesem Falle ausgeschlossen sein.“ Das ist auffallend genug. Noch auffallender, daß die Depeschen, in denen von dem Haager Schiedsgericht die Rede war, in der Denkschrift vom 3. August fehlten. Und doch mußte z. B. für die Entscheidungen der deutschen Sozialdemokratie die Kenntnis dieser Depeschen sehr wichtig sein . Freilich reimten sie sich schlecht mit der Behauptung zusammen , Rußland habe den Weltkrieg entfesselt. War die Weglassung beabsichtigt, dann bezeugte das kurzsichtige Dummheit, denn die Russen waren natürlich in der Lage, das Fehlen des Zarentelegramms zu konstatieren . Wie Theodor Wolff mitteilt ( ,,Der Krieg des Pontius Pilatus" , S. 354, 355 ) , sei die Denkschrift überhastet in einer Nacht hergestellt worden und das betreffende Telegramm gerade nicht zur Hand gewesen. Das war sicher ein Pech, doch konnte man leider auch feststellen, daß aus einer andern Depesche, die von Berlin nach Paris gesandt worden ( 31. Juli) , in der Denkschrift eine wichtige Stelle unterschlagen worden, wie wir noch sehen werden. Die eine wie die andere Weglassung wurde später festgestellt. Das trug nicht dazu bei , das Vertrauen in die Friedens- und Wahrheitsliebe der deutschen Regierung in der Welt zu stärken . Einen andern Vorschlag, den Frieden zu retten, machte der englische Außenminister Grey. Schon am 24. Juli, gleich nach Bekanntmachung des österreichischen Ultimatums, regte er an, die vier nicht unmittelbar an dem Konflikt beteiligten Großmächte, England, Deutschland , Frankreich , Italien , sollten zwischen Österreich und Rußland vermitteln . Auch dagegen war Wilhelm . In einer Randbemerkung zu dem Vorschlag, der ihm am 26. Juli zuging, sagte er : „ Ich tue nicht mit, nur wenn Österreich mich ausdrücklich darum bittet, was nicht wahrscheinlich . In Ehren- und vitalen Fragen konsultiert man andere nicht." Der gute Hohenzoller hatte immer noch nicht begriffen , wie sehr man sich isoliert, wenn man es ablehnt, mit andern zusammen zu beraten.

Rußland, Frankreich, Italien nahmen den Greyschen Vorschlag gern an, Bethmann lehnte ihn ab. Indessen war ihm dabei nicht wohl zu mute. Noch am 28. Juli schrieb er an Tschirschky in Wien : 27

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Bethmann fürchtet Kriegsschuld

,,Die kaiserliche Regierung kommt in die außerordentlich schwierige Lage, daß sie den Vermittlungs- und Konferenzvorschlägen der andern Kabinette ausgesetzt bleibt, und wenn sie weiter an ihrer bisherigen Zurückhaltung solchen Vorschlägen gegenüber festhält, das Odium, einen Weltkrieg verschuldet zu haben , schließlich auch in den Augen des deutschen Volkes auf sie zurückfällt. Auf einer solchen Basis aber läßt sich ein erfolgreicher Krieg nach drei Fronten nicht einleiten. Es ist eine gebieterische Pflicht , daß die Verantwortung für das eventuelle Übergreifen des Konflikts auf die nicht unmittelbar Beteiligten unter allen Umständen Rußland trifft." Das war damals schon die Hauptsorge Bethmanns. Nicht die Wegräumung des Konflikts , sondern das Überwälzen der Schuld daran auf Rußland . Und doch wäre es damals noch ganz gut möglich gewesen, den Frieden zu retten, wenn Deutschland den Konferenzgedanken aufgriff und Österreich zwang, ihn anzunehmen. Bethmann tat auch, als wolle er in Österreich vermitteln und zur Mäßigung raten. Schon am 27. schrieb er an Tschirschky : ,,Durch eine Ablehnung jeder Vermittlungsaktion würden wir vor der ganzen Welt für die Konflagration verantwortlich gemacht und als die eigentlichen Treiber zum Kriege hingestellt werden. Das würde auch unsere eigene Stellung im Lande unmöglich machen, wo wir als die zum Kriege Gezwungenen dastehen müssen." Hier sah er die Konsequenzen seiner eigenen Politik klar voraus, das Aufkommen der sogenannten „, Kriegsschuldlüge". Aber dies enge, schwerfällige Gehirn ließ sich dadurch nicht zu einer energischen und deutlichen Veränderung seiner bisherigen Politik veranlassen, sondern nur zu demagogischen Tricks, um die „,eigene Stellung im Lande" zu behaupten. Den Frieden hielt er bereits für verloren, er suchte nur nach einer möglichst vorteilhaften Position für den Krieg. Dazu gehörte die Erhaltung der Neutralität Englands und der Bundestreue Italiens. Letzteres wurde ihm vereitelt durch den dummen Eigensinn der Wiener, denen es förmlich Spaß machte, die verhaßten Italiener zu ärgern. Und auch da fand Bethmann kein Machtwort , die widerhaarigen Österreicher zur Vernunft zu bringen. Trotzdem rechnete er noch am 30. August auf die italienische Bundeshilfe. Wie wenig der weltfremde Reichskanzler die Engländer verstand, offenbarte er in folgendem : Am 29. Juli machte er den Engländern den Vorschlag, sie sollten im kommenden Kriege neutral bleiben. Dafür versprach er ihnen nicht etwa Konzessionen in der Flottenfrage. Er hatte solche ursprünglich beabsichtigt, konnte sich aber selbst in der damaligen Krisis dazu nicht entschließen . Er bot nur an, daß Deutschland nach Besiegung Frankreichs diesem bloß Kolonien wegnehmen werde . Die Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen ließ er bereits voraussehen, doch versprach er,,,nach Beendigung des Krieges würde Belgiens Integrität respektiert werden, wenn es nicht gegen Deutschland Partei ergriffen hätte . " Also nicht einmal unbedingte Wiederherstellung Belgiens versprach er. Durch so verlockende Anerbieten hoffte

Bethmann drückt auf Wien

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Bethmann England zu veranlassen, daß es ruhig zusehe, wie Deutschland Frankreich zu Boden werfe ! Wie der Bethmannsche Vorschlag auf Grey wirkte , beschrieb dieser selbst in seinen Memoiren (,,Fünfundzwanzig Jahre Politik, 1892-1916", Deutsche Ausgabe, München 1926) : ,,Wußte Bethmann Hollweg nicht, konnte er nicht begreifen, daß er uns ein Angebot machte, dessen Annahme uns Schande brächte? Was für ein Mann war er, wenn er das nicht sah? Oder dachte er so schlecht von uns, daß er meinte, wir empfänden das nicht ? Dieses Telegramm konnte wirklich zur Verzweiflung treiben. " ( I. S. 309. ) Der Bethmannsche Vorschlag wurde von Grey abgelehnt . Mit diesem Vorschlag hatte sich aber bereits eine Warnung gekreuzt , die der britische Minister dem deutschen zukommen ließ und die es als möglich hinstellte, daß England aktiv gegen Deutschland eingreife, wenn dieses Frankreich bekriege. Nun erst wurde dem Kaiser und seinem Kanzler der ganze Ernst der Situation klar, nachdem bereits die serbische Antwort sie etwas schwankend gemacht hatte . Da entschlossen sie sich , entschiedener auf die Österreicher im Sinne eines Einlenkens einzuwirken . Am 30. Juli telegraphierte Wilhelm an den Kaiser Franz Josef selbst und teilte diesem mit, der Zar habe ihn , Wilhelm , ersucht, „ einen Vermittlungsversuch zur Abwendung eines Weltbrandes und zur Erhaltung des Weltfriedens" zu unternehmen . Er könne das nicht ablehnen , und lasse der österreichischen Regierung Vorschläge unterbreiten . Er bitte um baldige Entscheidung darüber. Noch entschiedener sprach Bethmann zu der Wiener Regierung. Er teilte dem Botschafter in Wien am 30. Juli Greys Warnung mit, zeigte wie gefährlich die Situation namentlich für Deutschland geworden sei und erklärte schließlich : „ Unter diesen Umständen müssen wir der Erwägung des Wiener Kabinetts dringend und nachdrücklich anheimstellen , die Vermittlung zu den angegebenen ehrenvollen Bedingungen anzunehmen .“ Wenige Minuten nach diesem Telegramm sandte Bethmann noch ein anderes an Tschirschky, um abermals Österreich zum Einlenken aufzufordern. Zum Schluß hieß es : „ Wir sind zwar bereit, unsere Bündnispflicht zu erfüllen , müssen es aber ablehnen, uns von Wien leichtfertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand hineinziehen zu lassen. Auch in italienischer Frage scheint Wien unsere Ratschläge zu mißachten. Bitte sich gegen Graf Berchtold sofort mit allem Nachdruck und groBem Ernst auszusprechen." Trotz dieses Nachdrucks und Ernsts fuhr Berchtold fort, auf die Berliner Ratschläge zu pfeifen und Deutschland ,,leichtfertig in den Weltbrand hinein zu ziehen", da dieses töricht genug war, sich durch seine Bündnispflicht gegenüber einem ebenso frivolen und verständnislosen wie eigenmächtigen und eigensinnigen Verbündeten gebunden zu fühlen. Die eben zitierten Telegramme waren in den ersten Morgenstunden, um 2 und 3 Uhr des 30. Juli aufgegeben worden . In einem Telegramm an Tschirschky von 9 Uhr abends desselben 27*

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Franz Josef nicht ganz im Klaren

Tages klagt Bethmann darüber, daß zufolge eines telephonischen Gesprächs zwischen Berlin und Wien dieses ,,jedes Einlenken , insbesondere den letzten Greyschen Vorschlag ablehnt". Und am 31 . Juli sandte Franz Josef an Wilhelm ein Telegramm, in dem er mitteilte, er habe die Mobilisierung seiner ganzen Armee angeordnet und weiterhin sagte : ,,Eine neuerliche Rettung Serbiens durch Rußlands Intervention müßte die ernstesten Folgen für meine Länder nach sich ziehen und ich kann daher eine solche Intervention unmöglich zugeben." Nachdem sich Franz Josef so jede Einmischung in den serbischen Krieg verbeten hatte, schloß er mit den Worten : ,,Ich bin mir der Tragweite meiner Entschlüsse bewußt und habe dieselben im Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit gefaßt mit der Sicherheit, daß Deine Wehrmacht in unwandelbarer Bundestreue für mein Reich und für den Dreibund einstehen wird." Ob Franz Josef sich der Tragweite seiner Entschlüsse bewußt war, darf man schon nach der Zuversicht bezweifeln, mit der er noch von dem Dreibund spricht. Man darf annehmen , daß der damals 84 Jahre zählende Greis die Sachlage nicht mehr klar erkannte. Die beiden für den Krieg gegen Serbien entscheidenden Sitzungen des ,,Ministerrats für gemeinsame Angelegenheiten" der österreichisch-ungarischen Monarchie fanden am 7. und 19. Juli statt. Am Fuße des Protokolls der Sitzung vom 7. Juli finden wir vermerkt : ,,Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen . Franz Josef. Wien, am 16. August 1914." Da muß man sich eigentlich wundern , daß er das spätere Protokoll vom 19. Juli schon am 5. August zur Kenntnis genommen hatte. Von beiden Protokollen erfuhr er also erst, nachdem der Weltkrieg schon ausgebrochen war. Aber für die Welt und auch für Wilhelm galten die Äußerungen des österreichischen Kaisers als die eines Mannes, der sich der Tragweite seiner Entschlüsse voll bewußt sei. Und daß die Lenker der österreichischen Monarchie unbeirrt ihren Gang weitergingen, obwohl Bethmann diesen eben als einen ,,leichtfertigen" gekennzeichnet hatte, imponierte Wilhelm und seinem Kanzler aufs höchste . Statt Franz Josef aufs energischste darauf hinzuweisen, welche Gefahren der drohende Weltenbrand mit sich bringe und statt es abzulehnen , seine Bündnistreue zu solchen verderblichen Zwecken mißbrauchen zu lassen, klappte der deutsche Kaiser vor der eisernen Ruhe der österreichischen Majestät zusammen. Am 31. Juli sollte Wilhelm nach einem Entwurf des auswärtigen Amtes dem Kaiser Österreichs antworten : ,,Ich danke Dir von Herzen für die vertrauensvollen und tapferen Worte, die Du an mich gerichtet hast ... Ich hoffe zu Gott, daß er noch in letzter Stunde den Zaren erleuchten und das furchtbare Unglück abwenden möge, das das Vorgehen Rußlands der Welt zu bringen droht." Österreichs Leichtfertigkeit als Ursache des ,,Weltenbrandes" war völlig vergessen. Doch wurde das Telegramm nicht abgesandt,

Beginn der Mobilisierungen

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da die Ereignisse es gegenstandslos machten . Wilhelm antwortete vielmehr am 31. Juli , 4 Uhr nachmittags : ,,Der heute von mir angeordneten einleitenden Mobilmachung meines gesamten Heeres und meiner Marine wird die definitive Mobilmachung in kürzester Frist folgen. Ich rechne mit dem 2. August als erstem Mobilmachungstag und bin bereit, in Erfüllung meiner Bündnispflichten sofort den Krieg gegen Rußland und Frankreich zu beginnen." So endete Wilhelms Vermittlungsaktion .

c) Mobilisierungen. Am 5. Juli hatte die Berliner Regierung in unbegreiflicher Sorglosigkeit den Wienern zur Bekriegung Serbiens freie Hand gegeben ; ja, aus Entrüstung über das Mordgesindel, das vor Fürsten nicht Halt machte, dabei noch zur Eile angetrieben. Dann , nach dem Ultimatum und der serbischen Antwort sowie der österreichischen Kriegserklärung an Serbien , waren den Berlinern Bedenken aufgestiegen, schließlich, nach der englischen Warnung, erkannten sie die ganze Gefährlichkeit der Situation und suchten nun das österreichische Rasen in den Abgrund zu bremsen . Inzwischen aber hatte das unverzeihliche Vorgehen der Wiener und das unbegreifliche der Berliner die übrigen Mächte mit Besorgnis und Mißtrauen erfüllt. Der Weltkrieg schien unvermeidlich zu sein und vor der Tür zu stehen. Jeder begann nun , sich darauf vorzubereiten, seine Streitkräfte zu mobilisieren . Mit der Mobilisierung steht es wie mit dem Rüsten überhaupt. Es kann dem bloßen Bedürfnis entspringen, sich zu sichern, doch wird es leicht auch als eine Drohung empfunden. Eine erhöhte Rüstung kann wohl ein dauernder Zustand im vollsten Frieden sein, dagegen muß eine Mobilisation entweder zu einem Kriege führen oder zu einer raschen Verständigung , die eine sofortige Demobilisierung gestattet. Lange können zwei mobilisierte Armeen einander nicht tatlos gegenüberstehen. Mit den Mobilisierungen der Großmächte , die am 31. Juli begannen, kam also der Zeitpunkt, wo es unerläßlich wurde , daß die Verhandlungen sofort zu einem friedlichen Abschluß kamen, da sich sonst der Ausbruch des Kriegs nicht mehr aufhalten ließ . Die Mobilisierungen hätten bewirken müssen, daß Berlin weit entschiedener als bisher auf Wien drückte und dieses zum sofortigen Nachgeben veranlaßte. Leider war die tatsächliche Wirkung eine ganz andere . An Stelle der früheren Sorglosigkeit Wilhelms und Bethmanns trat bei ihnen nun völlige Kopflosigkeit, die noch dadurch vermehrt wurde, daß ein neuer Faktor in das politische Geschehen eingriff, die Generäle, die allerdings in Wien schon vorher bestimmend aufgetreten waren. Außer in Österreich gab es im Juli 1914 in keinem Lande, in keiner Regierung eine ernsthafte Kriegspartei , eine Partei , die den

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Mobilisierung Rußlands

Krieg wollte. Jeder verantwortliche Politiker wußte, wieviel in einem Kriege auf dem Spiel stand. Als die Situation immer drohender wurde, mehrten sich allerdings in verschiedenen Staaten , die sich bedroht fühlten , die Stimmen , namentlich von Militärs , die nach schleunigster Mobilisierung drängten . Denn im Kriege ist rasches Handeln unerläßlich , jede Zeitversäumnis kann eine Katastrophe bringen. In dieser Beziehung ist aber die Mobilisierung dem eigentlichen Kriege gleichzusetzen . Wer mit der Mobilisierung zu spät beginnt, hat das oft schwer zu büßen, wenn es wirklich zum Kriege kommt. Das Drängen zur Mobilisierung bedeutete noch keine Kriegstreiberei. Es mobilisierten damals nicht bloß die Großmächte, sondern auch die Schweiz, Belgien , Holland, Schweden, die sicherlich nicht beabsichtigten , einen Nachbarn zu überfallen. Apologeten der deutschen Politik vor dem Weltkrieg sind in größter Verlegenheit, etwas zu deren Entschuldigung zu sagen, bis zum 31. Juli . Da endlich vermeinen sie, eine Tatsache zu entdecken, von der sie annehmen , sie könne als Beweis dafür vorgebracht werden, daß Rußland den Krieg begann. Diese Tatsache soll darin bestehen, daß Rußland zuerst mobilisiert habe. Als wenn das bezeugen müßte, daß Rußland besonders auf den Krieg erpicht war ! Es ließe sich ganz einfach daraus erklären, daß Rußland bei seiner Ausdehnung und seinem miserablen Eisenbahnwesen weit mehr Zeit zu seiner Mobilisierung brauchte, als jeder andere Staat. Es konnte also, wenn Krieg in Sicht war, nicht früh genug mit der Mobilisierung anfangen. Dabei hat aber Rußland nicht einmal zuerst mobilisiert. Sondern fast gleichzeitig verfügte Österreich seine Gesamtmobilisierung, nachdem es gegen die Serben schon am 25. mobil gemacht hatte. Professor Delbrück, der 1919 eine Schrift herausgab, betitelt : ,,Kautsky und Harden", warf mir dort vor, ich hätte in meinem Kriegsbuche sehr ungenau davon gesprochen , daß die beiden Mobilisierungen ,,fast gleichzeitig" angeordnet worden seien . Ich habe das Nötige dagegen bereits 1920 in einer Gegenschrift gesagt : ,,Delbrück und Wilhelm II. " In der Tat, bureaukratisch hatte Delbrück recht. Die russische Mobilisierung war in Petersburg am 31. früh verkündet worden, die österreichische erst an demselben Tage mittags. Aber diese wurde nicht durch jene veranlaßt. Schon am 30. Juli verlangte der deutsche Generalstabschef Moltke von der österreichischen Regierung dringend die Gesamtmobilisierung , und am 31. teilte daraufhin der österreichische General Conrad seinem deutschen Kollegen um 8 Uhr morgens mit , die österreichische Gesamtmobilisierung werde bereits verfügt. Von der russischen Mobilisierung wußten damals weder der Österreicher noch der Deutsche. Es ist also ganz falsch, daß die russische Mobilisierung den Anstoß zu den andern Mobilisierungen gegeben habe. Sie entspran-

Mobilmachung ist Krieg

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gen mit Notwendigkeit aus der allgemeinen Situation . Wir haben gesehen, daß am 31. Juli auch Wilhelm II . die ,, einleitende Mobilmachung" seines ,,gesamten Heeres" anordnete . Mit den Mobilmachungen wurde natürlich die allgemeine Nervosität und die Kriegsgefahr aufs höchste gesteigert. Doch mußte der Friede noch nicht unrettbar verloren sein, wenn alle Beteiligten ruhig Blut bewahrten. Daran fehlte es leider vollständig bei Wilhelm, wie man aus den Ausbrüchen der Wut und Verzweiflung schließen kann, die er schriftlich in seinen Randglossen überlieferte . Schon am 30. Juli erklärte er in Bemerkungen zu einem Bericht des deutschen Botschafters in Petersburg : „ Aus dem Dilemma der Bündnistreue gegen den ehrwürdigen alten Kaiser wird uns die Situation geschaffen, die England den erwünschten Vorwand gibt, uns zu vernichten ... Unsere Konsuln in Türkei und Indien, Agenten etc. müssen die ganze mohammedanische Welt gegen dieses verhaßte, verlogene, gewissenlose Krämervolk zum wilden Aufstand entflammen ; denn wenn wir uns verbluten sollen, dann soll England wenigstens Indien verlieren." Man sieht, Wilhelm hatte völlig die Fähigkeit klaren Denkens verloren. Statt noch einen Versuch zu machen , den Frieden zu retten, sah er sich am 30. Juli auf die bloße Warnung Englands hin bereits mit der Entente in Krieg verstrickt . Wohl kam es zunächst nur zu den verschiedenen Mobilmachungen . Aber für die deutschen Militärs galt der Grundsatz : Mobilmachung ist gleichbedeutend mit Kriegserklärung . Keine andere Macht huldigte diesem Grundsatz . Nicht einmal der österreichische Bundesgenosse . Wir haben bereits gesehen , daß Österreich zweimal in der Zeit der Balkankrise nach 1909 mobilisiert hatte, ohne daß es zum Krieg gekommen war. Auch 1914 war seine Mobilisierung nicht gleichbedeutend mit der Kriegserklärung . Es verfügte am 31. Juli die Mobilisierung, als aber am 1. August Wilhelm den Russen den Krieg erklärte , beeilte es sich gar nicht, dies Beispiel nachzuahmen. Das mußte natürlich die Berliner Regierung befremden . Es sollte wohl begütigend wirken, wenn Tschirschky aus Wien am 3. August berichtete : Wie Euer Exzellenz bekannt, hat man hier Kriegserklärung an Rußland bisher nur aufgeschoben, um im Aufmarsch in Galizien möglichst lange ungestört zu bleiben. Man möchte hier vermeiden, durch spontane Kriegserklärung an Rußland das Odium des Angriffs auf sich zu nehmen.“ Unter den vielen grotesken Leistungen der damaligen österreichischen Regierung ist das wohl eine der groteskesten. Am 1. August erklärt Deutschland an Rußland den Krieg , ausschließlich um Österreichs willen, denn ein anderer Streitgegenstand bestand zwischen den beiden Staaten nicht. Und am 5. August zögert noch Österreich, sich dem Bundesgenossen anzuschließen, aus zimperlicher Verschämtheit, um nicht das „,Odium des Angriffs auf sich zu nehmen". Bei der Überreichung des Ultimatums und der Kriegs-

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Verzögerung der Kriegserklärung Österreichs

erklärung an Serbien hatte man sonderbarerweise an dieses Odium . nicht gedacht . Unwirsch antwortete Bethmann am 4. August : ,,Wir sind durch Österreichs Vorgehen gezwungen, den Krieg zu führen und können erwarten , daß Österreich diese Tatsache nicht zu verdunkeln sucht." Allerdings tat vor der europäischen Öffentlichkeit Bethmann selbst das Möglichste,,,diese Tatsache zu verdunkeln", indem er beteuerte, durch Rußlands, nicht durch Österreichs Vorgehen zum Kriege gezwungen zu sein . Endlich, am 5. August abends, entschlossen sich die Österreicher, Rußland den Krieg zu erklären ; Tirpitz berichtet : ,,Noch am 5. August Vormittag hat das Kriegsmarineamt wegen unserer Mittelmeerschiffe schriftlich gedrängt, endlich die Kriegserklärung Österreichs zu erwirken. Moltke sagte mir zu meinem Entsetzen, wenn die Österreicher zurückzuckten, hätten wir einen Frieden um jeden Preis schlieBen müssen." ( Erinnerungen, S. 243 Note. ) Mit diesem erhebenden Mißtrauen zum Bundesgenossen be-

gann der Krieg. Die Verzögerung der Kriegserklärung zeigt deutlich, wie wenig die Österreicher der Ansicht waren, daß die Mobilisierung gleichbedeutend sei mit der Kriegserklärung. Am wunderbarsten war die Haltung des österreichischen Botschafters in Paris, der natürlich auch ein ungarischer Graf war (Szecsen) , ebenso wie die Botschafter in Berlin, Petersburg und Rom . Obwohl Deutschland an Frankreich schon am 3. August den Krieg erklärte, amtierte oder amüsierte sich der Österreicher in Paris weiter und bestritt auf das lebhafteste die Behauptungen der Franzosen , daß Österreicher gegen sie kämpften . Auch die Wiener Regierung selbst protestierte gegen diese Behauptung. Der Graf Szecsen blieb solange in Paris, bis ihn die französische Regierung ersuchte, abzureisen , 10. August . An demselben Tage forderte sie ihren Vertreter in Wien auf, seine Pässe zu fordern. Doch erst am 18. August erklärte die französische Regierung der österreichischen, sie betrachte die österreichischen Kriegshandlungen als gegen Frankreich gerichtet. (Vgl . XI . Band [ 24. Juli -4. August 1914 ] der ,,Documents Diplomatiques Français", 3. Serie , Paris 1936, S. 581 , 588. Als dieser Band erschien, war das Manuscript des vorliegenden Werkes schon abgeschlossen . Die wichtigen und interessanten Tatsachen, die er mitteilt, bekräftigen meine Auffassung.) Auch England gegenüber zögerte Österreich mit einer Kriegserklärung vorzugehen. Dort wartete es ebenfalls , bis die Engländer den Österreichern wegen der Teilnahme ihrer Truppen an den Kämpfen gegen Frankreich den Krieg erklärten ( 12. August) . Die Österreicher hätten sich am liebsten auf den Krieg mit Rußland beschränkt. Sie wollten alle Vorteile der Allianz mit

Für Deutschland ist Mobilisierung gleich Krieg

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Deutschland genießen, ohne einen ihrer Nachteile auf sich zu nehmen. Das ging natürlich auf die Dauer nicht. Aber daß die eigene Mobilisierung nicht bereits gleichbedeutend sein müsse mit der Kriegserklärung, haben sie sogar Rußland gegenüber bewiesen . Nun befand sich die deutsche Armee allerdings in einer besonderen Lage , die sie von allen andern unterschied . Sie war nicht nur der stärkste, sondern auch der am vollkommensten , raschest arbeitende Kriegsapparat der Welt. Brauchte unter den großen Militärstaaten Rußland am längsten zu seiner Mobilisierung, so wurde Deutschland am schnellsten damit fertig. Wenn die deutsche Armee nach vollendeter Mobilisierung nicht sofort losschlug, so verzichtete sie auf den Vorsprung, den sie vor dem Gegner hatte. Und dieser Vorsprung konnte für den Krieg entscheidend werden. Insoferne sah sich also das Deutsche Reich förmlich gezwungen, wenn einmal die Notwendigkeit der Mobilisierung gegeben war, ihr auch sofort die Kriegserklärung folgen zu lassen. Aber es ist klar, daß das nur für den Zeitpunkt der vollzogenen, nicht schon für den der angeordneten Mobilisierung galt. Es war sogar unsinnig, schon in dem ersteren Zeitpunkt den Krieg zu erklären, wenn noch die Möglichkeit bestand, mit der Gegenseite zu einer Verständigung zu kommen. Und sollte es nicht gelingen, den Frieden zu retten, so war es doch wichtig, wie die Österreicher so schön sagten , „ zu vermeiden , durch spontane Kriegserklärung das Odium des Angriffs auf sich zu nehmen". Jede Hinausschiebung der Erklärung konnte eine Möglichkeit bieten, dieses Odium dem Gegner zuzuschieben. Das hätten sogar die leitenden Staatsmänner Deutschlands begreifen müssen, wenn sie noch bei Besinnung waren . Wenn sie die Mobilisierung anordneten , konnte ihnen das niemand verübeln. Sie taten nur, was jede Macht in Europa damals tat. Aber die kurze Zeit, bis die Mobilisierung weit genug vorgeschritten war, um die Kriegserklärung militärisch wünschbar zu machen, mußten sie dazu verwenden, alles aufzubieten, den Frieden zu retten, oder , wenn dies nicht gelang , eine Situation zu schaffen , in der sie als die zum Krieg gezwungenen dastanden. Aber Wilhelm und Bethmann hatten so sehr die Nerven verloren, daß sie, nachdem sie sich gedrängt gefühlt, die Mobilisierung anzuordnen, damit auch schon den Krieg für ausgebrochen hielten . Da dachten sie fast nur noch darüber nach, wie sie die Kriegserklärung am besten beschönigen konnten. Und doch graute ihnen selbst vor dem Krieg. Aber die Zügel waren ihnen entglitten und bereits ging die wirkliche Führung des Staates von ihnen an die Herren Generäle über. Am 31. Juli setzte sich Bethmann in Wien noch für den englischen Vermittlungsvorschlag ein. Am selben Tage aber telegraphierte Moltke nach Wien : ,,Deutschland wird mobilisieren ." Und

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Deutsche Ultimata

er ließ die Österreicher auffordern, sie sollten den englischen Vorschlag ablehnen . Das zeigte schon eine bedenkliche Anarchie in der deutschen Reichsregierung. Am gleichen Tage wurde in Wien und Petersburg die Mobilmachung angeordnet, in Berlin die Einleitung dazu, die „ drohende Kriegsgefahr" verkündet. Gleichzeitig sendete Bethmann Hollweg eine Depesche nach Petersburg, in der er darauf hinwies , der russischen Mobilisierung müsse unvermeidlich die deutsche folgen, wenn Rußland nicht binnen zwölf Stunden jede Kriegsmaßnahme „ gegen uns und Österreich-Ungarn einstelle". Bethmann forderte die sofortige Einstellung der Mobilmachung nur in Rußland, nicht aber in Österreich . Noch drohender klang eine zur selben Stunde aus Berlin nach Paris abgesandte Note. Sie teilte nicht nur den Inhalt der eben erwähnten Forderung mit, sondern fügte noch hinzu : „ Die Mobilmachung bedeutet unvermeidlich Krieg". Damit wurde die Note zu einem Ultimatum gestempelt, was der nach Petersburg gesandte Text noch nicht erkennen ließ. Daran schloß sich die Anfrage, ob die französische Regierung in einem deutsch-russischen Krieg neutral bleiben wolle. So wurden die Dinge auf die Spitze getrieben und der Krieg fast unvermeidlich gemacht, noch ehe die deutsche Mobilmachung ausgesprochen war.

d) Kriegserklärungen. Am 31. Juli forderte Bethmann Hollweg, Rußland solle sofort seine Mobilmachung einstellen. Als am 1. August die russische Antwort auf diese Forderung nicht pünktlich zur Stelle war - die gestellte Frist lief um 12 Uhr mittags ab sandte Deutschland ohne weiteres seine Kriegserklärung nach Rußland ab, um 1 Uhr. Und um 5 Uhr ordnete es die Mobilmachung an. Warum diese Eile, die sehr an die der Österreicher in Belgrad Juli erinnert ? Sie erinnert an diese, entsprang aber kaum 25. am den gleichen Motiven . Berchtold und seine Leute wollten den Krieg mit Serbien, suchten ihn . Wilhelm und Bethmann wollten dagegen den Krieg mit Rußland nicht, nur hielten sie ihn für unvermeidlich und glaubten durch ihre Eile ihre Position zu verbessern . Aber welche Position ? Die moralische ? Die Militärs hatten zur Mobilisierung gedrängt , sie hielten den Krieg für geboten, sobald die Mobilisierung vollzogen sei . Dagegen gab es nicht den leisesten Grund für sie, den Krieg vorher schon zu erklären . Zwischen der angeordneten und der vollzogenen Mobilisierung liegen aber notwendigerweise einige Tage. Es ist bemerkenswert, daß gerade jene militärischen Elemente, die damals mit der Reichsregierung zu tun hatten, sich gegen die vorzeitige Kriegserklärung aussprachen, die nur schaden konnte.

Militärs gegen Kriegserklärungen

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Bethmann teilt mit, der Kriegsminister General v. Falkenhayn habe die Kriegserklärung an Rußland für einen Fehler gehalten (Betrachtungen, I. S. 156) , Tirpitz berichtet, daß er ebenso wie Moltke am 1. und 2. August ,, erregte Aussprachen" mit Bethmann im Beisein des Kaisers wegen der Kriegserklärungen hatten. Triftige Gründe konnte Bethmann nicht vorbringen . Tirpitz erklärt in seinen ,,Erinnerungen" : ,,Das Rätsel, weshalb wir zuerst den Krieg erklärten, bleibt für mich ungelöst." (S. 241. ) „ Der Eindruck von der Kopflosigkeit unserer politischen Leitung wurde immer beunruhigender ... Seit der russischen Mobilmachung machte der Kanzler den Eindruck eines Ertrinkenden. " (S. 242.) Bülow, der bestätigt, daß Moltke den Bruch mit Rußland gern hinausgezögert hätte, sieht den Grund für die ,,überstürzte Hast" der Kriegserklärung an Rußland in den „,innerpolitischen Ängsten des Kanzlers" (Denkwürdigkeiten , III . S. 167) . Ballin fragte Bethmann am Vormittag des 1. August, warum er mit der Kriegserklärung an Rußland so ,,enorme Eile" habe, worauf ihm dieser antwortete : ,,Sonst kriege ich die Sozialdemokraten nicht mit. " Diese sollten offenbar den Eindruck bekommen, es gehe hauptsächlich gegen den Zaren . Wie sich das Ansehen und die ganze Situation Deutschlands in der Welt gestaltete, kümmerte den Reichskanzler weit weniger als die kommende Abstimmung im Reichstag. Dieser kleinlichen Demagogie wurde damals der Friede geopfert. Noch wäre es möglich gewesen, ihn zu erhalten, trotz der russischen Mobilisierung, wenn nur Wilhelm und Bethmann die Nerven nicht verloren und ein bischen Energie Österreich gegenüber aufbrachten. Aber selbst, wer durchaus nicht mit allen Fasern am Frieden hing, selbst Kriegsleute, wie Tirpitz und Moltke fürchteten das „,Odium des Angreifers" angesichts der Welt mehr, als die Kritik im Reichstag. Und zu dieser Kritik wäre es natürlich gar nicht gekommen , wenn es gelang den Frieden zu erhalten. Erbärmlich, kleinlich und verworren waren die Motive, die Bethmann veranlaßten , den entscheidenden Schritt zu tun, der den Weltkrieg unvermeidlich machte. Aber auch Wilhelm handelte damals wie ein Irrsinniger. Allerdings das Weißbuch , das die deutsche Regierung dem Reichstag am 3. August vorlegte, ließ nichts derartiges vermuten. Es erzählt, am 1. August um 2 Uhr sei ein Telegramm des Zaren an den Kaiser Wilhelm gekommen . Es hieß darin, Nikolaus begreife, daß Wilhelm mobilisieren müsse , aber er beschwöre den Kaiser, dieses solle nicht Krieg bedeuten, sondern es solle weiter verhandelt werden zur Sicherung des Friedens. Die deutsche Denkschrift erzählte weiter,,,hierauf" habe der Kaiser geantwortet, er sehe sich gezwungen zu mobilisieren : ,,Eine sofortige klare und unmißverständliche Antwort ( auf das Ultimatum wegen sofortiger Demobilisierung Rußlands ) ist der einzige Weg, ein endloses Elend zu vermeiden ... Ich muß auf das ernsteste von Dir verlangen, daß Du unverzüglich Deinen Truppen den Befehl gibst, unter kei-

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Anarchie in deutscher Regierung

nen Umständen auch nur die leiseste Verletzung unserer Grenzen zu begehen." Dieser Wunsch, sagt die Regierung, sei schnöde verletzt worden : ,,Schon am Nachmittag des 1. August, also desselben Nachmittags, an dem das eben erwähnte Telegramm des Zaren abgesandt war, überschritten russische Truppen unsere Grenze und rückten auf deutschem Gebiet vor. Hiemit hat Rußland den Krieg gegen uns begonnen." So berichtet das deutsche Weißbuch vom 3. August 1914. Was hatte sich aber in Wirklichkeit ereignet ? Um 1 Uhr schon hatte die Reichsregierung die Kriegserklärung an Rußland abgesandt, also noch vor irgend einem der eben berichteten Vorkommnisse. Um 2 Uhr kam das Telegramm des noch völlig ahnungslosen Zaren. Um 5 Uhr wurde die deutsche Mobilmachung angeordnet. Und nachher erst , lange danach, um 9.45 abends legte Bethmann dem Kaiser eine Antwort auf das Telegramm des Zaren vor, das um 2 Uhr eingetroffen war. In diesem Telegramm wird noch verlangt, die russischen Truppen sollten sich jeder Grenzverletzung enthalten und die russische Regierung solle sofort das Ultimatum beantworten, sonst sei endloses Elend unvermeidlich. Der Kaiser und sein Kanzler scheinen also gegen 10 Uhr abends ganz vergessen zu haben, daß sie bereits um 1 Uhr mittags die Kriegserklärung nach Petersburg gesandt hatten, die dort um 5 Uhr zu überreichen war und überreicht wurde. In der Tat erregte jenes Telegramm, das Wilhelm an den Zaren spät abends sandte, in den leitenden Stellen Rußlands das größte Befremden. Der deutsche Botschafter dort war eben im Begriffe, abzureisen , nachdem er die Kriegserklärung seiner Regierung abgegeben , da rief ihn der russische Minister Sasonov telephonisch an und fragte, was es zu bedeuten habe, daß man um 5 Uhr den Krieg erkläre und um 10.45 noch von weiteren Verhandlungen spreche und verlange, die Grenzen zu respektieren . Der deutsche Botschafter wußte sich nicht anders zu helfen, als die Vermutung auszusprechen , das Telegramm sei nicht am 1. August , sondern am Tage vorher um 10.45 abends abgesandt worden und verspätet angekommen. Aber das stimmte nicht. Auch das deutsche Weißbuch gab an , das Telegramm sei am 1. August abgesandt worden, nur verschwieg es verschämt die Stunde der Absendung. Es berichtet nur, nachdem das Zarentelegramm eingetroffen , sei Wilhelms Depesche ,,hierauf" entsendet worden. Bei den Akten selbst aber fanden sich die genauen Zeitangaben vom 1. August : ,,Entwurf lag 9.45 nachmittag dem Kaiser vor und gelangte 10.00 nachmittag an den Kanzler zurück ... am Haupttelegraphenamt um 10.45 nachm. abgefertigt." Deutlicher als durch die Geschichte dieses Telegramms kann die grenzenlose Anarchie im Denken und Handeln der deutschen Reichsgrößen am Tage der Kriegserklärung nicht bekundet wer-

Kriegserklärung an Rußland

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den. Ihre Verteidiger dürfen auf Freisprechung plädieren, jedoch nur wegen totaler Unzurechnungsfähigkeit. Allerdings ließ die Motivierung der Kriegserklärung selbst auch schon auf derartiges schließen. Bülow schildert nach Ballins Mitteilung, wie der Geheimrat Kriege, der mit der Abfassung der Kriegserklärung betraut war, mit ihr nicht fertig werden konnte, offenbar weil er keinen plausiblen Vorwand für eine Kriegserklärung zu finden wußte. Bethmann verging darob vor Ungeduld . Schließlich brachten sie eine Erklärung zustande, die darauf hinwies, daß Rußland mobilisiere, ohne durch irgend eine militärische Maßnahme Deutschlands dazu veranlaßt zu sein. Die deutsche Regierung sei daher gezwungen gewesen, an die russische mit der dringenden Forderung heranzutreten , die Mobilisierung einzustellen. ,,Da Rußland sich geweigert hat, dieser Forderung zu entsprechen und durch diese Weigerung bekundet hat, daß seine Aktion gegen Deutschland gerichtet ist, habe ich die Ehre, im Auftrage meiner Regierung Eure Exzellenz wissen zu lassen, wie folgt : Seine Majestät, mein erhabener Gebieter, nimmt im Namen des Reichs die Herausforderung an und betrachtet sich als im Kriegszustand mit Rußland befindlich." Die Fassung des letzten Passus war nicht leicht gefallen . Zuerst hatte Bethmann vorgeschlagen, zu sagen : Der Kaiser erklärt, den Krieg anzunehmen, der ihm aufgezwungen ist. Aber den nötigen Mut zu einer solchen Verdrehung der Wahrheit hatte man doch nicht, und so kam man zu der lahmeren Fassung, daß der Kaiser sich zum Kriege nicht gezwungen", sondern ,,herausgefordert" sieht. Und er nimmt nicht die Herausforderung an, sondern betrachtet sich als im „ Kriegszustand befindlich “.

Hinterdrein, als schon die Kriegserklärung abgegangen war, erschien sie doch zu kläglich begründet. Das Telegramm Wilhelms an ,,Nicky", den Zaren, um 10 Uhr abends ist wohl nur erklärlich als Ausbruch der Reue und als verzweifelter Versuch, den verfahrenen Karren doch noch aus dem Dreck zu ziehen. Als man aber am nächsten Tag die Lächerlichkeit dieses Verfahrens erkannte, da verfiel man auf die Idee, anzugeben, am ,,Nachmittag" des 1. August hätten russische Truppen die deutsche Grenze überschritten und damit den Krieg begonnen, ehe noch die deutsche Kriegserklärung übergeben war. Merkwürdigerweise fehlen alle Angaben darüber, welche Truppen, zu welcher Stunde, an welchem Ort die Grenze überschritten. In Wirklichkeit wurde die erste Überschreitung dieser Grenze ( bei Johannisburg) durch russische Truppen ( zwei Schwadronen Kosaken) am Morgen des zweiten August gemeldet, nicht am Nachmittag des ersten August. Der Generalstab fügte zu der Meldung hinzu : „ Dadurch tatsächlicher Kriegszustand ." ( Bericht des Reichs-

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Kriegserklärung an Frankreich

kanzlers an den Kaiser, 2. August, vormittag,,, Deutsche Dokumente", III. S. 106.) Jetzt erst trat der Kriegszustand also ein. Mit der Kriegserklärung an Rußland war es nicht abgetan. Man wußte in Berlin ganz genau , daß sich Frankreich nicht nur durch Vertrag, sondern noch mehr durch sein Lebensinteresse verpflichtet fühle, den russischen Partner nicht im Stiche zu lassen , wenn er angegriffen werde. Über Frankreich schleunigst herzufallen, entsprach dem deutschen Kriegsplan , der dahin ging, Rußland gegenüber den Krieg zunächst hinhaltend zu führen , die Hauptlast der Abwehr von den Österreichern tragen zu lassen, dagegen sich sofort mit voller Macht auf Frankreich zu stürzen, dieses niederzuwerfen und dann sich nach Osten zu wenden. Vom Standpunkt dieses Plans aus war für die deutsche Armee die schleunigste Herbeiführung des Kriegszustands mit Frankreich dringend geboten. Aber auch da bestand keine Notwendigkeit, der bloßen Anordnung der Mobilisierung bereits die Kriegserklärung folgen zu lassen. Auch da bezeugte der „ Zivilkanzler" Bethmann , wie Wilhelm ihn verächtlich nannte , eine größere Ungeduld als die Militärs. Natürlich hätte er es am liebsten gesehen , wenn die Franzosen den Krieg erklärten . Doch sie taten ihm nicht den Gefallen. Bethmann hatte, wie wir gesehen , gleichzeitig mit der Aufforderung an Rußland, zu demobilisieren, ein Ultimatum an Frankreich gestellt : sofort zu erklären , ob es im Falle eines deutsch-russischen Krieges neutral bleiben wolle . Habe es diese Absicht, dann fordere Deutschland als Pfand die Überlassung der Festungen Toul und Verdun. Daß auch die friedfertigste Regierung dieser Forderung nicht entsprechen konnte, liegt auf der Hand. Diese Festungen bildeten den Schlüssel zum Eingang nach Frankreich. Um Verdun wurde dann den ganzen Weltkrieg hindurch auf das erbittertste gekämpft. Was die deutschen Heere mit den größten Blutopfern im Laufe von mehr als vier Jahren nicht zu erreichen vermochten , es wäre ihnen freiwillig überliefert worden, wenn die deutsche Forderung des 31. Juli 1914 bewilligt wurde . Daß diese Forderung nichts anderes bewirken wollte, als Frankreich zum Krieg zu zwingen, war klar. Die Franzosen entgingen der Falle, denn auf die Frage, ob Frankreich neutral bleiben wolle , erklärte der französische Ministerpräsident Viviani, Frankreich werde das tun, was ihm seine Interessen gebieten. Der deutsche Botschafter bekam also keine Gelegenheit, mit der Forderung der Auslieferung der zwei Grenzfestungen herauszurücken. Der deutsche Botschafter Schön war sehr froh darüber, die Forderung war ihm sehr unanständig vorgekommen. Bethmann selbst scheint nicht viel anders gedacht zu haben, denn in dem Weißbuch vom 3. August, das die Depesche vom 31. Juli abdruckt, ist deren Schluß mit dem Ansinnen der Auslieferung der beiden Festungen weggelassen worden . Bethmann hoffte,

Deutsche Greuelmärchen

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die Welt werde nichts davon erfahren . Er ahnte nicht , daß die Franzosen den Schlüssel zur Enträtselung der deutschen Chiffrenschrift gewinnen und daher in die Lage kommen sollten, den Schlußpassus des Ultimatums ebensogut zu lesen , wie es die Herrn vom Auswärtigen Amt in Berlin getan hatten . Daß dieser Passus ebensosehr ein Bedürfnis bloßlegte, den Krieg zu erzwingen, wie die Weglassung des Passus im Weißbuch ein Bedürfnis, die Welt irrezuführen , ist klar. Wie aber nun die Kriegserklärung gegen Frankreich begründen, die man dringend brauchte ? Bethmann fiel in diesem Moment nichts Klügeres ein, als sich auf ein paar „,Greuelmärchen“ zu stützen, die ihm gerade zugingen und die von vornherein den Stempel von Tatarennachrichten und von Ausgeburten von Kriegshysterie trugen. Wer es sich herausnehmen wollte, auf ein paar Mitteilungen von Übergriffen einzelner Patrouillen und Individuen hin , einen so fürchterlichen Krieg zu entzünden , der mußte diese Mitteilungen zum mindesten gewissenhaft prüfen, ehe er sie verwendete. Nichts dergleichen geschah. Am 3. August wies Bethmann seinen Botschafter in Paris an, die Kriegserklärung zu überreichen, mit der einzigen Begründung, französische Flieger hätten bei Wesel, sowie bei Karlsruhe und Nürnberg Bomben abgeworfen. Alles das waren bloße Erfindungen. Jagow hat später entschuldigend bemerkt, die Meldungen seien dem Auswärtigen Amt vom Generalstab gemacht worden und fügt hinzu : „ Die Aufregung, die alle Gemüter ergriffen hatte, hat manche Halluzination gezeitigt, manches Gespenst erscheinen lassen." Ein Generalstab, der bei Kriegsausbruch die Nerven so sehr verlöre, daß er seine Maßregeln durch Halluzinationen bestimmen ließe, wäre ein famoses Kriegsinstrument. In Wirklichkeit deutet nichts darauf hin, daß die deutschen Generäle angesichts des Krieges den Kopf verloren hätten. Von Wilhelm und Bethmann sowie ihrem Anhang haben wir dagegen dies schon mehrfach konstatieren können. Und Bethmann dachte bei seinen Mitteilungen stets weniger an das Ausland , als an die deutschen Wähler. Und denen gegenüber hatte er tatsächlich Erfolg. Auf die Deutschen verfehlten die Erklärungen über die französischen Flieger etc. , die Bethmann noch am 4. August vor dem Reichstag pathetisch wiederholte , nicht die gewünschte Wirkung, daß sich das deutsche Volk von den Franzosen überfallen fühlte. Auf das Ausland , auch das neutrale aber wirkten diese Mitteilungen anders. Es erkannte jedes Wort der Kriegserklärung als Lüge. Und nun kam zu alledem noch Belgien. Tirpitz erzählt in seinen „ Erinnerungen “ : ,,In der Nacht vom 1. zum 2. August wiederholte sich beim Reichskanzler der Disput über unsere Kriegserklärung, diesmal hinsichtlich Frankreichs. Der Kanzler meinte, wir müßten Frankreich den Krieg erklären,

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Der Schlieffensche Plan

weil wir durch Belgien marschieren wollten ... Ich erklärte, dann müßte unsererseits mit dem sofortigen Krieg gegen England gerechnet werden. Jeder Tag wäre ein Gewinn für die Mobilmachung der Marine. Deshalb müßte die Mitteilung (des beabsichtigten Durchmarsches, K. ) an Belgien so spät wie möglich erfolgen.“ ( S. 212. ) Gegen den Bruch der belgischen Neutralität hatte Tirpitz also nichts einzuwenden, wohl aber gegen dessen vorzeitige Mitteilung. Auch hier war es der Zivilkanzler, der am ungeduldigsten zum Losschlagen drängte. Allerdings aus sehr triftigen Gründen : Die deutschen Militärs brauchten die sofortige Kriegserklärung an Frankreich, weil sie sofort in Belgien einmarschieren wollten. Und zu welchem Zwecke wollten sie in Belgien einmarschieren ? Um Krieg mit Frankreich zu führen ! Wenn die Erklärung des Kriegs an Frankreich noch einige Tage Zeit gehabt hätte, so mußte das gleiche auch für den Einbruch in Belgien gelten . Eine Note , die Moltke am 26. Juli verfaßt hatte, war am 29. vom Auswärtigen Amt akzeptiert und dem deutschen Gesandten in Brüssel geschickt worden mit dem Auftrage, sie aufzubewahren und später der belgischen Regierung als eben eingetroffen zu übergeben, sobald die Weisung von Berlin komme, was am 2. August geschah . Da wurde mitgeteilt, die deutsche Regierung habe zuverlässige Nachrichten" darüber, daß die Franzosen den Einbruch in Belgien planten. Um dem zuvorkommen, müsse den deutschen Truppen gestattet werden, selbst in Belgien einzumarschieren . Dabei war in aller Welt lange der vom deutschen Generalstab akzeptierte Schlieffensche Plan bekannt, der schon 1905 darauf hinauslief, den kommenden Krieg mit Frankreich mit einem Durchmarsch durch Belgien zu eröffnen. Dieser Plan bedeutete eine Bankerotterklärung der deutschen Kriegspolitik von 1871. Damals hatte Deutschland aus militärischen, nicht nationalen Erwägungen Elsaß- Lothringen annektiert und damit eine ständige Feindschaft mit Frankreich gesetzt, aber allerdings ein Aufmarschgelände gewonnen, von dem aus Paris jederzeit mit Leichtigkeit binnen wenigen Tagen erreicht werden konnte. Man hatte dabei nicht mit der modernen Technik gerechnet, mit deren Hilfe die Franzosen es verstanden, längs der neuen Grenze von Verdun bis Belfort einen Festungsgürtel aufzubauen , der jedes rasche Eindringen in Frankreich verbot . Dadurch verlor Deutschland alle militärischen Vorteile, die ihm aus dem Besitz Elsaß -Lothringens erstanden waren. Der politische Nachteil der ewigen Feindschaft mit einem starken Nachbarn blieb. Natürlich dachten die deutschen Militaristen 1914 nicht daran , ihren Fehler von 1871 wieder gut zu machen und der deutschen Reichsregierung zu gestatten, ein freundschaftliches Verhältnis mit Frankreich durch eine Verständigung herbeizuführen , die der Bevölkerung des Elsaß ihre Selbstbestimmung gab. Das wäre gegen die nationale ,, Ehre" gewesen. Nicht gegen die nationale Ehre verstieß es aber, wenn man nun , um den Mißerfolg des militaristi-

Der Einbruch in Belgien

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schen Denkens von 1871 wieder gut zu machen, einen neuen militaristischen Gewaltstreich plante, obwohl aus ihm neue bittere Feindseligkeit eines starken Nachbarn hervorgehen mußte . Das wußte jeder europäische Politiker, der nur einigermaßen Augen im Kopfe hatte, daß der deutsche Einbruch in Belgien wohl den Vormarsch gegen Frankreich erleichterte, gleichzeitig aber den Krieg mit England hervorrief. Dem war schon vorgearbeitet worden durch die weitere Glanzleistung des deutschen Militarismus , das Wettrüsten mit England. Die Flottenpolitik der gewaltigen Kriegsmacht des Deutschen Reichs hatte schon seit einem Jahrzehnt vor dem Weltkrieg die Engländer von Jahr zu Jahr immer besorgter und nervöser gemacht. Trotzdem war die Friedensliebe unter ihnen so gewaltig, daß Sir Edward Grey im Juli 1914 nicht wagte, den Franzosen die Hilfe seines Landes bestimmt in Aussicht zu stellen. Er war nicht sicher, daß das Parlament oder auch nur die Regierung ihm folgen würde , wenn er forderte , man solle zur Rettung Frankreichs dem Deutschen Reich den Krieg erklären . Oder vielmehr, er wußte , daß die Mehrheit im Parlament und der Regierung gegen den Krieg sei. Da kam der deutsche Einbruch in Belgien, den Bethmann in seiner Reichstagsrede durch nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen wußte, als durch das Sprüchlein : ,,Not kennt kein Gebot." Das stimmte aber nur insofern, als er aus der Notlage, die seine eigene Politik geschaffen hatte, keinen andern Ausweg mehr wußte, als den Bruch der von Preußen selbst garantierten belgischen Neutralität. Jeder Mensch mit gesunden Sinnen wußte damals , daß dieser Bruch eine noch größere Notlage für das Reich schaffen würde, den sofortigen Eintritt Englands in den Krieg. Im ganzen englischen Volk, also auch im Parlament und der Regierung wirkte der Einbruch in Belgien wie ein Peitschenhieb. Wohl gab es noch ein paar Pazifisten um jeden Preis , die ruhig zusehen wollten, was weiter geschehe, aber von denen abgesehen, erhob sich nach dem . deutschen Einbruch in Belgien das ganze britische Volk, alle Klassen, alle Parteien , einmütig zur Abwehr der deutschen Gefahr. Sah man doch die deutsche Invasion vor den Toren, sobald es den Truppen des Reichs gelungen war, Calais zu besetzen . Und wie nahe lag dieser Hafen für den Eroberer Belgiens ! Die Deutschen von dort fernzuhalten, dazu mußte nach englischem Empfinden jeder Nerv aufs äußerste angespannt werden. Die Verletzung der belgischen Neutralität war leider nicht der letzte Bärendienst, den der deutsche Militarismus dem deutschen Volk zu seinem schlimmsten Schaden erwiesen hat. Wilhelm und Bethmann war es gelungen , seit dem 5. Juli 1914 Deutschland in eine Situation hineinzumanövrieren, wie sie ungünstiger nicht gedacht werden konnte. In den ersten Augusttagen wurde diese Situation auf den Gipfel getrieben, beginnend mit der Kriegserklärung an Rußland bis zum Überfall Belgiens. Dank ihrer 28

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Wilhelms Kopflosigkeit

Politik erschien das Vorgehen Wilhelms und Bethmanns noch in weit schlimmerem Lichte, als es tatsächlich verdient. Die Welt überschätzte ihre Intelligenz , nahm an, ihr Tun sei das Ergebnis eines wohl erwogenen Planes. Man sah darin den Ausfluß teuflischer Bosheit. So urteilten nicht nur die Kriegsgegner Deutschlands, sondern auch deutsche Pazifisten , unter denen der Advokat Richard Grelling den meisten Eindruck machte mit seinen wohlfundierten Werken ,,J'accuse" ( 1915) und ,,Das Verbrechen" ( 1917) , die natürlich nicht in Deutschland erscheinen konnten . Zu einer ähnlichen Überzeugung wie Grelling war auch ich mit meinen engeren politischen Freunden gekommen. Wir hatten uns getäuscht. Das wurde mir sofort klar, als ich nach dem November 1918 Gelegenheit bekam, die Akten des Auswärtigen Amts aus den Monaten Juli und August 1914 einzusehen. Ich schrieb darüber in meiner Streitschrift ,,Delbrück und Wilhelm II . Ein Nachwort zu meinem Kriegsbuch" (Berlin 1920) , folgendes : „ Ich kann hier das Geständnis machen , daß es eine Zeit gab, in der ich der deutschen Regierung unrecht tat. Wohl besaß ich nicht das felsenfeste Vertrauen Delbrücks in die Klarheit und Wohlüberlegtheit ihres Programms, immerhin nahm ich an, daß sie sich der sinnenfälligsten Konsequenzen ihres Vorgehens klar bewußt war, als sie sich zur Unterstützung Österreichs entschloß. Dann aber konnte man auf Grund der bekannten Tatsachen nur zu dem Ergebnis kommen, daß Deutschland den Weltkrieg 1914 gewollt hatte, ihn planmäßig herbeiführte. Zu erklären war dieser Krieg nur als Präventivkrieg. Ich war sehr überrascht, als ich Einsicht in die Akten bekam. Meine ursprüngliche Auffassung erwies sich als unhaltbar. Deutschland hat auf den Weltkrieg nicht planmäßig hingearbeitet. Es hat ihn schließlich zu vermeiden gesucht. Delbrück findet denn auch, daß ,für den aufmerksamen Leser Kautsky nicht der Ankläger, sondern der Verteidiger der deutschen Regierungʻ ist. “ ( S. 37.) Wie sehr ich das bin, hat der Leser aus der eben gegebenen Darstellung ersehen . Ich bin es in demselben Maße, wie etwa Fürst B. Bülow ein Lobredner Wilhelms und Bethmanns ist . Bülow zitiert in seinen „ Denkwürdigkeiten" ein Wort seines italienischen Freundes A. Pansa. Dieser sagte ihm im Mai 1915 : ,,Herr Bethmann und seine Mitarbeiter waren viel weniger bösartig, verbrecherisch, blutdürstig, kriegerisch als die Feinde Deutschlands behaupten. Aber ihre Regierung war im letzten Juli hundertmal dümmer, als irgend eine Phantasie sich vorzustellen vermag. Ohne den Krieg zu wollen, haben sie durch ihre Ungeschicklichkeit, auf sich selbst und auf Ihr unglückliches Land das ganze Odium dieser entsetzlichen Katastrophe geschoben." Bülow fügte hinzu : ,,Diese Worte eines alten erfahrenen Diplomaten treffen den Nagel auf den Kopf. " ( III. S. 151. ) Es gibt naive Leute, die in dieser Auffassung eine Ehrenrettung Wilhelms und Bethmanns erblicken. Sie stimmen nicht mit den Mohren in Schillers Fiesco überein , der erklärt :

Deutschlands bedenkliche Lage

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,,Herr, einen Schurken könnt ihr mich schimpfen, aber einen Dummkopf verbitt' ich." Der Gedanke erscheint ihnen sehr tröstlich und erhebend , das deutsche Volk sei nicht von der Schurkerei , sondern von der Dummheit seiner Lenker in den Abgrund gerissen worden. Bülow hat in seinen „,Denkwürdigkeiten" sehr gut die endlose Reihe von Fehlern aufgedeckt, durch die Wilhelm und Bethmann vom 5. Juli an den Weltkrieg nicht nur herbeiführten, ohne ihn zu wollen, sondern überdies ihn herbeiführten in einer Weise, die Deutschlands Lage zu einer so gut wie hoffnungslosen machte. Bülow zeigt diese Fehler sehr gut auf. Damit soll nicht gesagt sein, daß er als Kanzler es besser gemacht hätte. Sein großer Widersacher Graf Monts weist bereits darauf hin, daß sich Bülow schon vor Bethmann ,,unbedingt ins Schlepptau Wiens" hatte nehmen lassen . „ Im Verhältnis zu Österreich lastete auf unserer Diplomatie eine schwere Hypothek Bülowscher Torheit. " ( Monts „ Erinnerungen und Gedanken ", S. 250. ) Auch das so unheilvolle Wettrüsten mit England ging auf Bülow zurück. Ob mehr oder weniger weltklug und gerieben, die leitenden Staatsmänner des deutschen Kaiserreichs waren im Grunde alle Kinder der gleichen geschichtlichen Entwicklung, der gleichen sozialen Bedingungen. Damit soll nicht der abgeschmackte Gemeinplatz wiederholt werden , der Weltkrieg sei ein Produkt des Kapitalismus oder „, Imperialismus“. Was am Weltkrieg das bemerkenswerte war, die Isolierung Deutschlands, der Haß aller Völker gegen das Reich, die Vereinigung so gut wie aller Nationen moderner Kultur gegen das deutsche Volk, es läßt sich nicht durch die Konkurrenz auf dem Weltmarkt oder durch das Verlangen nach Kolonien erklären. Aber auch nicht durch die angeborene Natur des deutschen Volks , als stoße es alle andern Völker von sich ab. Wir sehen ganz von der Frage ab, wie weit angeborene geistige Rassenmerkmale durch die Bedingungen der Umwelt modifiziert werden, diese Merkmale gehören zu den wandelbarsten und anpassungsfähigsten. Aber abgesehen davon sind die Völker Europas alle so sehr ein Gemisch der verschiedensten Rassen , und jede einzelne Rasse hat an so vielen verschiedenen Nationalitäten Anteil, daß es barer Unsinn ist, wenn die unwissenden Rasseschwätzer unserer Zeit von dem besondern , unveränderlichen Rassencharakter jeder Nation sprechen . Die Völker Europas stehen ihren angeborenen geistigen Anlagen nach alle ungefähr auf der gleichen Höhe des Intellekts und der Moral . Bloß besondere historisch gewordene, namentlich ökonomische Bedingungen bringen geistige Verschiedenheiten zwischen den Nationen, aber auch bei einzelnen Gruppen innerhalb der Nationen hervor, Verschiedenheiten , die mit den Bedingungen ihrer Umwelt wechseln. Aus solchen Verschiedenheiten geht auch die große Abneigung

der Völker der Welt gegen das deutsche hervor. Sie besteht erst 28*

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Haß gegen Deutschland

seit dem deutsch-französischen Krieg von 1870. Wir haben deren Ursachen bereits kennen gelernt : Es ist der preußische Militarismus, aber auch die große intellektuelle und ökonomische Kraft des deutschen Volkes, die es zu einem gefährlichen Gegner macht. Der preußische Militarismus war ein Kind der besonderen Lage der Hohenzollernmonarchie im 18. Jahrhundert, aber für die andern Völker Europas wurde er zu einer Gefahr erst seit der wenigstens teilweisen Einigung der deutschen Nation und ihrer Zusammenfassung unter der Herrschaft der preußischen Junkerkaste. Das deutsche Volk ist nicht besser, aber auch nicht schlechter als die anderen modernen Völker. Es gilt, die Feindseligkeit der andern Nationen gegen die deutsche zu überwinden. Das kann wirksam und dauernd und ohne Katastrophen nur geschehen durch das Absterben des preußischen Militärgeistes im deutschen Volke . Das wurde durch die Weimarer Republik eingeleitet. Der Oberösterreicher Hitler will den alten Militärgeist der Preußenmonarchie in den deutschen Seelen wieder lebendig machen, aber der Nationalsozialismus läßt ihn erstehen in rohen und primitiven Formen, denen gegenüber das Regime Wilhelms und Bethmanns noch als ein hochkultiviertes erscheint. Das ist nicht der Weg, die Freundschaft und das Vertrauen der andern Völker zu gewinnen. Doch verdient das deutsche Volk darob nicht Haß, sondern Mitleid.

4. Die Sozialisten im Deutschen Reich . a) Die deutsche Sozialdemokratie vor dem Kriegsausbruch. Die Frage der deutschen Kriegsschuld ist nur dann einwandfrei zu lösen, wenn sie herausgehoben wird aus dem Gewirr der mächtigen Interessengegensätze, mit dem sie bisher verquickt war ; wenn man an sie herantritt nicht als Ankläger oder Verteidiger, um mit advokatorischen Kunststücken ein von vornherein erstrebtes Urteil zu erreichen, sondern als unbefangener Forscher, dem es nur darauf ankommt, die kausalen Zusammenhänge bloßzulegen, die zu der furchtbaren Völkertragödie führten . Die entscheidende Frage, die uns vor allem bei dieser Untersuchung zu beschäftigen hat, ist nicht die nach den moralischen Qualitäten etwa der Wilhelm, Bethmann , Berchtold etc. auf der einen Seite , oder der Nikolaus, Sasonov , Izwolsky, Poincaré, Grey etc. auf der andern . Entscheidend ist die Frage : woher kam die moralische und politische ,,Einkreisung" Deutschlands zur Zeit des Kriegsausbruchs, woher die Tatsache, daß es in den Weltkrieg hin-

Die deutsche Sozialdemokratie

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einging, von aller Welt gehaßt, sogar von der Mehrheit der Völker des mit ihm verbündeten Österreich ?¹) Dieser Haß galt nur dem Regierungssystem des preußischdeutschen Kaiserreichs, nicht dem deutschen Volk. Fast das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch, namentlich aber seit 1848, hatte sich der grimmigste Haß aller Demokraten der Welt auf den Absolutismus Rußlands konzentriert. Noch für Friedrich Engels war dies bis zu seinem Tod ( 1895) der Angelpunkt seiner ganzen auswärtigen Politik. Diese Haltung der Demokraten begann sich zu ändern, seitdem sich der russische Zar mit der französischen Republik verband, Deutschland seine Flottenrüstungen begann, die in England nicht nur kriegslüsterne Elemente, sondern auch Demokraten, Sozialisten , Pazifisten erbitterten . Die dadurch angebahnte Wandlung des demokratischen Empfindens wurde vollendet , als der russische Absolutismus im russisch-japanischen Krieg 1905 zusammenbrach und gezwungen war, ein Reichsparlament, die Duma, zu bewilligen. Von da an schien den Demokraten der Welt immer mehr das deutsche Kaiserreich und nicht der russische Zar die größte Gefahr für Freiheit und Frieden auf dem Erdball zu sein . Doch wurde die Abneigung gegen die Deutschen sehr gemildert durch einen Umstand, der aller Welt höchste Achtung vor ihnen einflößte : durch die energische Opposition, die der deutsche Militarismus innerhalb des Reichs selbst fand. Den Kern dieser Opposition bildete die deutsche Sozialdemokratie. Die deutsche bürgerliche Demokratie war stets schwächlich und sie verlor seit den Siegen der Hohenzollern in den Jahren 1866 und 1870 von Jahr zu Jahr an Boden. Die Opposition der katholischen Minderheit entbehrte großer Gesichtspunkte, war lokal und konfessionell beschränkt und dehnte sich nicht aus. Nur die Sozialdemokratie hatte in Deutschland noch große Ziele , war unerbittlich demokratisch und antimilitaristisch und gewann von Jahr zu Jahr mehr an Ausdehnung . Wenn das Deutsche Reich unter den Staaten Europas die leistungsfähigste Industrie und das gewaltigste Kriegsheer aufwies , so auch die stärkste Sozialdemokratie. Alle sozialistischen Parteien der Welt sahen in ihr das Vorbild, dem sie nacheiferten . Sie gewann die Liebe der arbeitenden Klassen aller Völker immer mehr in demselben Maße, in dem das deutsche Regierungssystem deren erbitterte Feindschaft einheimste . Als im Juli 1914 Österreich den serbischen Konflikt und damit die Weltkrise hervorrief, da richteten sich die Blicke der Politiker aller Länder viel mehr nach Deutschland als nach Österreich . Bei den Deutschen lag die Entscheidung. Das bedeutete aber auch, daß man sich immer mehr nicht nur fragte : wie wird die deutsche Re-

¹) Bei Kriegsausbruch zählte man in Österreich bei einer Gesamtbevölkerung von fast 52 Millionen Einwohnern nur 12 Millionen Deutsche und 10 Millionen Ungarn, von denen nicht wenige Zwangs- Ungarn .

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Deutsche Sozialdemokratie gegen Krieg

gierung, sondern auch : wie wird die deutsche Sozialdemokratie vorgehen ? Die Haltung der deutschen Sozialisten fand noch die einmütige Zustimmung auf der internationalen Konferenz in Brüssel am 28. und 29. Juli, wie wir am Ende des vorigen Abschnitts gezeigt haben. Noch im Oktober 1914 berichtete Vandervelde in Amerika über diese Konferenz . Er sagte dabei : ,,Von ganzem Herzen stellen wir unseren deutschen Genossen das Zeugnis aus, daß sie in ihren Bemühungen zur Aufrechterhaltung des Friedens, ihre volle Pflicht und mehr als ihre Pflicht taten." Bereits am 25. Juli 1914 gleich nach dem Bekanntwerden des österreichischen Ultimatums an Serbien , hatte der sozialdemokratische Parteivorstand in Berlin einen flammenden Protest gegen die ,,frivole Kriegsprovokation" der österreichischen Regierung veröffentlicht ( oben abgedruckt in unserem Bericht über die Brüsseler Tagung vom 29. Juli) . Die Parteigenossen wurden aufgefordert, in Massenversammlungen ihrem ,, unerschütterlichen Friedenswillen" Ausdruck zu geben. Solche Kundgebungen fanden denn auch in Berlin und andern Städten des Reichs statt, bis zum 31. Juli . Da erklärte die Reichsregierung den Kriegszustand und verbot damit alle Versammlungen, überhaupt alle öffentlichen Äußerungen, die den Kriegswillen beeinträchtigen konnten. Doch galt es in unseren Reihen allgemein als selbstverständlich, daß unsere Abgeordneten jeden Kriegskredit ablehnen müßten, wenn es wirklich zum Kriege kommen sollte . Noch am 31. Juli erschien in einer für die Parteipresse bestimmten Korrespondenz ein Artikel Eduard Davids, unter dem Titel : „ Die Grenze unserer Bündnispflicht", in dem Österreich als Kriegstreiber gebrandmarkt und betont wurde, daß für Deutschland der Bündnisfall nicht gegeben sei, denn der Bund mit der Donaumonarchie dürfe auf keinen Fall zur Rückendeckung ihrer eigenen aggressiven Absichten dienen. Er berief sich auf Bismarck, der ,,nicht daran dachte , den Wiener Diplomaten als willenloser Vasall bei einer aggressiven Politik gegen Rußland Gefolgschaft zu leisten." Die Verhängung des Kriegszustandes verhinderte die Veröffentlichung dieses Artikels .

b) Der Stimmungsumschwung nach dem Kriegsausbruch . Es war ganz merkwürdig, wie diese Stimmung plötzlich umschlug, als der Krieg zur Wirklichkeit geworden war, in den Tagen vom 1. zum 3. August. Und zwar schlug die Stimmung fast in allen Kreisen der Sozialdemokratie um . Man warf mit Unrecht den

Stimmungsumschwung

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„ Führern" der deutschen Sozialdemokratie vor, sie hätten die Massen „ verraten“, wie z. B. Rosa Luxemburg damals empört ausrief. Der Stimmungsumschwung trat vielmehr bei den Massen noch früher und noch intensiver ein, als bei den Führern . Er beruhte auch nicht auf einem ,,Verrat", auf einem Aufgeben des früher eingenommenen Standpunktes, sondern auf dem plötzlichen totalen Umschwung der Lage. Die Sozialdemokraten waren leidenschaftlich gegen den Krieg gewesen, weil sie seine schrecklichen Folgen für die Massen fürchteten. Jetzt aber war der Krieg da, wider ihren Willen und nicht mehr aufzuhalten. Jetzt handelte es sich praktisch nicht mehr um die Frage : Krieg oder Frieden, sondern darum, ob Niederlage oder nicht. So entsetzliche Leiden der Krieg auf alle Fälle brachte, so mußte doch eine Niederlage im Krieg die schlimmsten aller Gräuel bringen, den Einbruch der Feinde ins eigene Land, dessen Verwüstung und Vergewaltigung, den völligen Ruin der Nation . Den Feind abzuwehren, das erschien jetzt als die erste und höchste Pflicht. Ich persönlich wurde von diesem Stimmungswechsel nicht überrascht, ich hatte derartiges in meinen Polemiken mit Pannekoek und seinen Freunden vorausgesagt. Das wurde von diesen freilich nicht als Ergebnis der Erkenntnis der Volksseele , sondern als Beeinflussung dieser Seele aufgefaßt. In seiner Schrift ,,der Imperialismus, der Weltkrieg und die Sozialdemokratie", die Hermann Gorter 1915 in Amsterdam herausgab, sind die Gedankengänge der sogenannten ,, Spartakusgruppe" sehr gut zusammengefaßt, die sich in Deutschland bei Kriegsausbruch bildete und deren fähigste Verfechterin Rosa Luxemburg war. Gorter wirft mir in seinem Büchlein vor, das Eintreffen meiner Voraussage sei eben dieser Voraussage zuzuschreiben . Sie habe die Arbeiter entmutigt. Eine seltsame Überschätzung der Wirkung, die ein paar Artikel, gelesen von einigen tausend Menschen, auf ein Volk von über sechzig Millionen üben können. Der allgemeine Stimmungsumschwung war wohl vor allem in der Panik und der Hysterie begründet, die der Krieg hervorrief. Doch hatte dieser Umschwung auch andere Ursachen. Nicht wenig trug zu ihm bei die Informierung des Volkes durch die deutsche Regierung und ihre Organe seit dem 31. Juli, als der Kriegszustand der Pressefreiheit ein Ende machte. Was an Lügen damals geleistet wurde, ohne die Möglichkeit, sie aufzudecken , davon haben wir im vorhergehenden Kapitel bereits einige Pröbchen kennen gelernt. Diese Unwahrhaftigkeit verbesserte nicht die Position der deutschen Regierung im Auslande, wo sie dadurch besonders verächtlich erschien. Im Inland jedoch erweckte die Regierung mit ihren Mitteilungen die Überzeugung, das Deutsche Reich sei überfallen worden von Russen und Franzosen nach dem 4. August zählte man dazu auch die Engländer, ja sogar die Belgier, die im Einver-

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Deutsche fühlen sich angegriffen

nehmen mit Franzosen und Engländern den Krieg gegen die Deutschen vorbereitet hätten . Das Reich werde angegriffen von den Engländern aus Konkurrenzneid, von den Franzosen aus Revanchegelüsten, von den Russen aus einer geheimnisvollen Anlage der Slawen, alles deutsche zu hassen. Das deutsche Volk sei dem Untergang geweiht, wenn es ihm nicht gelinge, den Ansturm abzuwehren. Diese Vorspiegelung gelang um so leichter, als von keiner Seite ein greifbares Kriegsziel vorlag. Das Deutsche Reich hatte seine Kriegserklärungen nicht mit einer politischen Forderung begründet, sondern nur mit der Mobilisierung des russischen Heeres, der es einen bedrohlichen Charakter beimaß, und mit Kriegshandlungen der Franzosen, die nur auf dem Monde vorgekommen waren. Je weniger diese Gründe genügten, die Entfeßlung eines Weltbrandes zu rechtfertigen, um so mehr regten sie an , hinter dem angeblichen Überfall der Gegner die finstersten Absichten zu wittern . Dies wurde um so leichter geglaubt, je intensiver und bitterer sich schon seit Jahren , seit dem Fortschreiten der Isolierung, der „ Einkreisung" Deutschland , die Polemiken der deutschen bürgerlichen, nationalen Presse mit der des Auslands gestaltet hatten. Allgemein nahm man in Deutschland an, der Weltkrieg sei ein Präventivkrieg, den seine Gegner herbeigeführt hätten , um dem deutschen Volk jede Lebensmöglichkeit zu rauben . Der österreichisch-serbische Konflikt, der den ersten Anstoß zu der Katastrophe gegeben hatte, wurde entweder nicht mehr beachtet oder als bloßer Vorwand , ja als Falle betrachtet, die die Gegner aufgestellt hätten, um Deutschland hineinzulocken. Damit wurde allerdings der Intelligenz der deutschen Regierung kein glänzendes Zeugnis ausgestellt, die die Falle nicht gemerkt habe, offenbar aus zu groBem Biedersinn . Die deutsche Regierung erklärte, sie habe alles getan, den Frieden zu erhalten, habe Österreich dazu gebracht, mit Rußland aussichtsreiche Verhandlungen zu eröffnen. Da habe dieses ganz grundlos mobilisiert und Truppen über die deutsche Grenze vorstoßen lassen. Frankreich habe sogar durch Flieger Bomben über deutschen Städten abwerfen lassen, ohne vorhergehende Kriegserklärung. Was sei da anderes übrig geblieben, als zur Abwehr der Unbill die Waffen zu ergreifen ? Wer alles das glaubte , verletzte als sozialdemokratischer Abgeordneter durchaus nicht die Grundsätze des internationalen Sozialismus, wenn er der deutschen Regierung die Kredite bewilligte, die sie zur Führung des Krieges brauchte. Diese Grundsätze haben es nie einem Angegriffenen verboten , sich zu wehren. Neben dem Kriterium, ob angegriffen oder angreifend, war bisher in einem Kriege stets noch ein anderes für die Stellungnahme der Sozialdemokratie in Betracht gekommen : wie der Sieg der einen kriegführenden Regierung oder der des Gegners die Bedingungen für den Aufstieg des Proletariats und der Demokratie gestalten

Bethmann und Sozialdemokraten

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würde , ob er sie zu verbessern verspreche oder zu verschlechtern drohe. Das war ein Punkt, den Bethmann geradezu meisterhaft zu seinen Gunsten zu gestalten wußte. So unwissend und ungeschickt er sich in der äußeren Politik zeigte, so geschickt demagogisch ging der anscheinend so weltfremde ,, Philosoph von Hohenfinow" in der inneren Politik vor. Frühzeitig hatte er entdeckt, welche Bedeutung im Falle eines Krieges der Haltung der deutschen Sozialdemokratie zukomme. Ohne die moralische Unterstützung des deutschen Proletariats lasse sich erfolgreich nicht Krieg führen. Je mehr er fürchtete , der Krieg lasse sich nicht vermeiden, desto mehr war er darauf bedacht, seiner Politik einen Anstrich zu geben , der sie der Sozialdemokratie mundgerecht machte. Das erschien ihm schließlich viel wichtiger, als den Frieden zu retten , woran er verzweifelte . Um mit der Sozialdemokratie auf gutem Fuß zu stehen, dazu war es natürlich vor allem wichtig, jede Verfolgung gegen sie zu meiden. Wilhelm dachte anders. Am 29. Juli bemerkte er in einer Randnote zu einem Zarentelegramm : ,,Die Sozen machen antimilitaristische Umtriebe in den Straßen, das darf nicht geduldet werden, jetzt auf keinen Fall ; im Wiederholungsfall werde ich Belagerungszustand proklamieren und die Führer samt und sonders, tutti quanti einsperren lassen. " Als die Verhängung des Kriegszustandes kam, erwartete der Parteivorstand in der Tat ein derartiges Vorgehen . Damit wenigstens einige seiner Mitglieder aktionsfähig blieben, sandte er am 30. Juli Ebert und Otto Braun in die Schweiz, aus der Ebert erst am 6. August , Braun erst am 10. zurückkehrte. Auch ich war auf Verfolgungen gefaßt, wenigstens für uns Redakteure der radikalen Parteipresse. Zu meinem Erstaunen blieben wir ganz unbehelligt , sogar Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Wie Bethmann die Sozialdemokraten zu ködern suchte, das verraten unter anderem einige Äußerungen, die zu den Akten des auswärtigen Amts gekommen sind. Er suchte die deutschen Kriegserklärungen als einen Akt der Abwehr des grausamen , ländergierigen russischen Despotismus hinzustellen . Bethmann wußte, daß die Unterstützung eines derartigen Kriegs zu den Traditionen der deutschen Sozialdemokratie gehörte. Wir erinnern an die oben mitgeteilten Äußerungen, die Engels 1891 machte. Noch 1907 hatte Bebel erklärt, wenn es gegen Rußland gehe , nehme er selbst trotz seines Alters die Flinte auf den Buckel. Engels wie Bebel hatten es nicht bloß nicht grundsätzlich abgelehnt, daß die deutsche Sozialdemokratie an einem Krieg gegen Rußland teilnimmt, sie hatten sogar eine leidenschaftliche Teilnahme an einem solchen Krieg für geboten erachtet. Man konnte sicher der Meinung sein , die Verhältnisse lägen 1914 ganz anders , als 1891 und selbst als 1907. Aber um zu dieser

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Kampf um Kreditbewilligung

Auffassung zu gelangen, mußte man eine Untersuchung der Unterschiede zwischen 1891 oder 1907 und 1914 vornehmen. Die bloße Berufung auf die sozialistischen Prinzipien half da gar nichts . Ich war nie der Ansicht, die z. B. Ledebour in der ,,Weltbühne“ aussprach ( 15. November 1927) : „ Der Fraktionsbeschluß vom 4. August 1914 ( die Bewilligung der Kriegskredite, K. ) verleugnete die Grundsätze des internationalen Sozialismus." So einfach lag die Sache nicht. Und darum zerfiel die deutsche Sozialdemokratie beim Ausbruch des Krieges in verschiedene Gruppen, die sich voneinander teils durch die Untersuchungsmethode unterschieden, die sie bei ihrer Stellungnahme anwandten, teils durch die Ergebnisse , zu denen sie gelangten. Zwei Gruppen gab es , die ohne jede weitere Überlegung, bloß durch ihre Grundsätze, wie sie meinten, zu ihrer Haltung kamen. Die eine dieser Gruppen umfaßte die Nationalisten in der Partei, die dem Grundsatz huldigten : right or wrong, my country, Mein Land mag recht tun oder unrecht, ich stehe stets zu ihm . Man kann nicht sagen, daß Leute dieser Art keine Sozialisten sein könnten. Sie wollten den proletarischen Klassenkampf getreulich mitkämpfen bis zu seinem Siege und diesen ebenso ausnützen wie die internationalen Sozialisten, zur Depossedierung der Kapitalistenklasse und zur Befreiung des Proletariats. Aber ihr Horizont war dabei national beschränkt. Was jenseits der Nation lag, interessierte sie nicht, verstanden sie auch nicht. Sie lehnten die internationale Solidarität nicht ab, doch war sie ihnen ein leeres Wort. Sobald der eigene Staat mit einem fremden in Konflikt geriet , standen sie stets auf der Seite des ,,Vaterlands" , welcher Art immer die Kriegsursache und die eigene Regierung sein mochte. Sie im Kriege zu unterstützen, hielten sie für ihre heilige Pflicht . Ohne zu zaudern, mit wahrem Fanatismus erklärten sie, es sei unbedingt erforderlich, die Kriegskredite zu bewilligen. Die andere der beiden Gruppen , die schnell fertig waren mit ihrem Wort, wurde von den unbedingten Gegnern jeglicher nicht sozialistischer Regierung gebildet. Sie wandten das Wort von der reaktionären Masse auf die Regierungen an. Sie seien alle gleich imperialistisch, jede von ihnen sei gleich niederträchtig. Die Sozialisten eines jeden Landes hätten im Kriege unter allen Umständen die Aufgabe, die eigene Regierung aufs schärfste zu bekämpfen, im Namen der sozialen Revolution und der internationalen Solidarität der Proletarier aller Länder gegenüber den Regierungen aller Länder. Fühlte sich die eine Gruppe von vornherein, ohne jegliche Prüfung verpflichtet , die Kriegskredite zu bewilligen, so die andere ebenso verpflichtet , sie zu verweigern. Jede dieser beiden Gruppen war jedoch in der Partei sehr klein ; die der Nationalisten erreichte in der Reichstagsfraktion kaum ein Dutzend Mitglieder. Unter ihnen die hervorragendsten Ed . David

Deutsche Sozialdemokratie prinzipiell einig

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und Wolfgang Heine sowie Südekum . Die der absoluten Gegner jeder Kreditbewilligung unter allen Umständen wurde in der Fraktion wohl nur durch Karl Liebknecht vertreten . Außerhalb des Parlaments fand sie ihre fähigste Vorkämpferin in Rosa Luxemburg, durch deren ,,Spartakusbriefe" die Gruppe den Namen der Spartakisten erhielt. Ihr schloß sich Mehring an, obwohl er noch 1904 in seiner Geschichte der deutschen Sozialdemokratie die Bewilligung der Kriegskredite durch deutsche Sozialdemokraten 1870 gebilligt hatte . Diesen beiden Extremen gegenüber gebrauchte die ungeheure Mehrheit der Partei und der Fraktion die alte Methode, die schon Marx und Engels angewendet hatten, deren sich auch Bebel bediente und ebenso, noch unmittelbar vor Ausbruch des Weltkriegs Jaurès. Sie überwog in der ganzen Internationale. Sie verpflichtete sich weder zur Unterstützung noch zur Bekämpfung der eigenen Regierung im Kriegsfall unter allen Umständen , sondern sie untersuchte die Politik, die zum Kriege geführt hatte und die mit den Mitteln des Krieges verfochten wurde. Fand man, die eigene Regierung habe den Krieg hervorgerufen und sie verfolge im Kriege Zwecke, die mit unseren Zielen unvereinbar seien, dann mußten wir ihr jegliche politische Unterstützung, also auch die Kriegskredite verweigern. Umgekehrt aber war man nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die eigene Regierung zu unterstützen, wenn sie den Krieg nicht gewollt hatte, der Angegriffene war, oder wenn nicht ihr Sieg, wohl aber der des Gegners den allgemeinen Fortschritt der Demokratie sowie des Proletariats gefährdete . In der Anwendung dieser Methode war fast die ganze deutsche Sozialdemokratie bei Kriegsausbruch völlig einig. Keineswegs einig aber in der Auffassung des Wesens des Kriegs , zu der die Einzelnen unter uns gelangten. Allerdings, solange die österreichische Regierung nur im Krieg mit Serbien stand , stimmten wir alle darin überein , sie als frevelhaften Schuldigen anzuklagen und das Deutsche Reich aufzufordern, sie in ihrem Gebaren nicht zu unterstützen , sondern zu hemmen. Als aber das Reich selbst im Kriege stand , gestaltete sich die Sachlage weit weniger klar und einfach : war die deutsche Regierung der Angreifer oder der Angegriffene ? Und wodurch wurde. die Freiheit und Kultur Europas mehr bedroht ? Durch den Sieg des russischen oder durch den des verbündeten deutsch-österreichischen Regierungssystems ? Durch die Nagaika , die Peitsche des Kosaken oder durch den deutschen Kürassierstiefel ? Darüber ohne weiteres zu entscheiden, war für viele und gerade die gewissenhaftesten unter uns nicht möglich . Die Tage vom 31. Juli bis zum 4. August wurden für manchen ganz klaren und aufrechten Sozialdemokraten Tage der größten Unschlüssigkeit, ja wahrer Seelenqual. Der „ prinzipientreue“, das heißt, schablonenhafte Nationalist oder Revolutionär lachte über diese ,, charakter-

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Gruppenbildung in der Sozialdemokratie

losen Schwächlinge". Er hatte sein Urteil stets fertig in der Tasche, ohne Studium, ohne Nachdenken . Aber es hing ganz vom Zufall ab, ob der statt von Wissen oder Überlegung nur von dunklen Instinkten getriebene ,,Prinzipienmensch" mit seiner Entscheidung gerade das traf, was die Situation erforderte. In der Methode des Denkens war die große Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie völlig einig. Ebenso in der theoretischen Grundlage, von der sie ausging , wie in dem Ziele, das sie anstrebte. Und doch stellte sich gleich bei Kriegsausbruch ein tiefgehender Zwiespalt in ihren Reihen heraus. Das beruhte darauf, daß sich in jenen Tagen die Situation innerhalb Deutschlands völlig unübersichtlich gestaltet hatte. So kamen die einen von uns dahin, Deutschland als den am Krieg Schuldigen anzusehen und daher der deutschen Regierung die Kredite zu verweigern , indes die andern vermeinten, es sei angegriffen und kämpfe um seine Existenz . Die einen wie die andern waren methodisch untereinander einig und anderseits methodisch scharf geschieden ebenso von den Nationalisten wie von den Verfechtern des Kampfes gegen die reaktionäre Masse. Aber die Übereinstimmung in der praktischen Haltung, zuerst in der Frage der Kriegskredite, führte dazu , daß alle Kreditbewilliger, ob Nationalisten oder Internationalisten, sich einander näherten und ebenso alle Ablehner der Kriegskredite, ob Spartakisten oder „,marxistisches Zentrum". Dadurch wurden die Gegensätze in der Denkweise nicht überwunden , die die einzelnen Gruppen voneinander trennten . Wohl aber gelangten durch die taktische Annäherung im Kriegsgetümmel die extremen Elemente rechts und links zu einem größeren Einfluß auf die ihnen näher stehenden Teile der großen Parteimasse, als sonst der Fall gewesen wäre. Wie so vieles im Kriege , vollzog sich auch diese Gruppierung aufs rapideste, binnen wenigen Tagen. Zunächst ohne große Kämpfe zwischen den Gruppen , die sich ja erst bildeten , aber unter großen inneren Kämpfen in der Seele so manches gerade der Besten unter uns. Wie viele habe ich damals getroffen , die nach einer klaren Erkenntnis der Sachlage ausspähten und mit sich rangen, um die richtige Haltung zu finden! Aber jeder Tag unter den neuen Bedingungen des Krieges und bei den dem deutschen Volke durch seine Regierung zugehenden Informationen vermehrte die Zahl derjenigen in der deutschen Sozialdemokratie, die zur Überzeugung kamen, Deutschland sei angegriffen und von der Zerstörung seiner Kultur bedroht, die Regierung sei daher kraftvoll zu unterstützen. Am 31. Juli galt es bei allen Parteigenossen , die ich sprach, noch als selbstverständlich , daß wir die Kriegskredite ablehnen müßten. Am 3. August war die Zahl jener bereits sehr dünn gesät, die so dachten. Der plötzliche Umschlag der Stimmung in den wenigen Stunden vom 1. zum 3. August fand eine auffallende Illustra-

Müllers Mission in Paris

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tion in der Mission Hermann Müllers , des späteren Reichskanzlers . Über den Ursprung dieser Mission berichtete Ledebour (Januar 1916) in einem Vortrag in Kiel . Der Bericht der ,,SchleswigHolsteinischen Volkszeitung" darüber ist abgedruckt in der von Professor Grünberg veranstalteten Sammlung von sozialistischen Publikationen und Kundgebungen im Weltkrieg, betitelt „ Die Internationale und der Weltkrieg". ( Leipzig 1916. 1. Abteilung, S. 290 ff. ) In der Mitteilung des Blattes heißt es : „ Die Fraktion und der Parteivorstand hielten am 30. Juli ( 1914 ) eine kombinierte Sitzung ab. In dieser Sitzung herrschte einmütig die Ansicht vor, daß den Kriegskrediten , wie sie die Regierung verlangen würde, nicht zugestimmt werden könne. Um den Krieg zu verhindern, wurde in dieser Sitzung beschlossen , eine gleichlautende internationale Kundgebung in den verschiedenen Parlamenten durch die sozialistischen Abgeordneten verlesen zu lassen. Das war ein Vorschlag des Genossen Ledebour. Vom Genossen Haase wurde dazu ein Zusatzantrag gestellt, der dahinging, sofort ein Mitglied des Parteivorstandes nach Paris zu entsenden. Dem wurde zugestimmt und der Genosse Müller reiste über Brüssel nach Paris, von Brüssel aus begleiteten ihn die Genossen Huysmans und De Man." Müller kam am 1. August nach Paris. Südekum hat später berichtet, der Abgesandte der deutschen Sozialdemokratie sei von den französischen Genossen feindselig, in ,,unerhörter Weise" empfangen worden. Wie falsch diese Mitteilung war, zeigte schon der Bericht, den Müller am 4. November 1914 im „ Vorwärts" erstattete. Er betonte, alle französischen Genossen, mit denen er am 1. August zusammenkam, seien ihm ,,in der gleichen herzlichen Weise entgegengekommen, wie in früheren Jahren". Das geschah trotz der furchtbaren Situation, die Müller in Paris vorfand : Eben war Jaurès von einem nationalistischen Fanatiker ermordet worden (31. Juli) . De Man berichtete , Müller sei mit einer ungewöhnlichen Herzlichkeit empfangen worden , die durch die tragischen Umstände des Augenblicks besonders ergreifend wirkte". (Der Bericht ist abgedruckt in der Grünbergschen Sammlung, S. 40 ff.) Müller erklärte in Paris, daß weder Parteivorstand noch Fraktion über die Frage der Kriegskredite einen Beschluß gefaßt hätten. Ihre Haltung werde sehr dadurch bestimmt werden, was die französischen Genossen zu tun gedächten . Doch gebe es im Parteivorstand und in der Fraktion nur zwei Anschauungen von Belang. Die einen forderten die Ablehnung der Kriegskredite, die andern Stimmenthaltung. Ausdrücklich betonte Müller : ,,Daß man für die Kriegskredite stimmt, halte ich für ausgeschlossen." Das traf vollständig zu für die Stimmung der Genossen zu der Zeit, als sie Müller nach Paris entsandten. Nun aber trat eine Schwierigkeit auf. Im Gegensatz zu vielen deutschen Sozialisten, die ihrer Regierung mißtrauten oder ihre Haltung direkt verurteilten, waren die französischen fest davon überzeugt, daß ihre Regierung aufrichtig den Frieden wolle. Wenn trotzdem der Krieg ausbräche, könnten die Sozialisten Frankreichs

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Bewilligung der Kriegskredite in Deutschland

nur zwischen zwei Alternativen wählen : Bewilligung der Kriegskredite oder Stimmenthaltung. Auf keinen Fall Ablehnung . Eine gleichmäßige Haltung hüben wie drüben wäre also nur durch Stimmenthaltung zu erreichen gewesen. ,,Müller schloß sich schließlich der Meinung an, die durch den Präsidenten der Sitzung zum Ausdruck gebracht wurde, daß die Stimmenthaltung das einzige Mittel sein würde, um die Einheitlichkeit der Aktion der sozialistischen Parteien von Frankreich und Deutschland zu sichern." ( S. 41. ) Doch wurde von beiden Seiten erkannt, daß eine feste Vereinbarung darüber nicht möglich sei , da niemand den Gang der nächsten Ereignisse voraussehen könne. Diese brachten sofort die deutsche Kriegserklärung an Rußland und gleich darauf an Frankreich . Das gab bei den französischen Sozialisten den Ausschlag für die einmütige Annahme der Kriegskredite . Gleichzeitig aber schlug in Deutschland durch falsche Informierung der Bevölkerung die Stimmung in Parteikreisen so jäh um, daß am 3. August die am 30. Juli noch selbstverständliche Ablehnung der Kriegskredite nur noch von einer winzigen Minderheit vertreten wurde. In der Fraktionssitzung des Reichstags vom 3. August von 14 Abgeordneten gegen 78. Der Rest 18 Abgeordnete fehlte oder enthielt sich der Stimme. Diese Situation fand Hermann Müller vor, als er am 3. August wieder in Berlin eintraf. Wie verschieden von der, die er am 30. Juli verlassen hatte ! Die Zustimmung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten am 4. August wirkte wie ein Keulenschlag auf alle Parteien der Internationale, abgesehen von den deutschen und polnischen Sozialisten in Österreich . Allenthalben sah man in der Abstimmung eine Kapitulation der bisher so vorbildlichen, stolzen Sozialdemokratie Deutschlands vor dem Militarismus des Reichs, die Identifizierung mit ihm . Nicht nur jene unentwegten Revolutionäre verurteilten die deutsche Sozialdemokratie, die prinzipiell forderten , jeder bürgerlichen Regierung unter allen Umständen die Kriegskredite zu verweigern, sondern auch jene viel zahlreicheren Sozialisten, die es als Pflicht eines Sozialisten betrachteten , jeder Regierung entgegenzutreten, die einen Angriffskrieg führe. Nicht nur die deutsche Regierung, sondern auch das deutsche Volk, die deutsche Sozialdemokratie standen von da an völlig isoliert da in der furchtbarsten Krise, die das Reich seit seinem Bestehen durchmachte. Isoliert nicht bloß militärisch, sondern auch moralisch . c) Mein Vorschlag. Im Laufe der Diskussionen über die Frage der Bewilligung der Kriegskredite kam ich dahin , ein Vorgehen zu ersinnen und vorzuschlagen, das damals abgelehnt wurde, nicht zur Anwendung kam und das meines Erachtens dennoch auch in unseren Tagen

Unklarheit über Kriegscharakter

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noch nützlich, ja unter Umständen sogar notwendig werden kann. Darüber muß ich mich ausführlicher verbreiten.

Der im letzten Kapitel dargestellte Stimmungsumschwung in unserer Partei blieb nicht ohne Wirkung auf mich. Eifrig diskutierte ich damals, namentlich mit dem mir so nahestehenden Hugo Haase die Frage, ob die Umstände , unter denen der Krieg ausgebrochen sei und ob die voraussichtlichen Konsequenzen des Sieges der einen oder der andern Partei es so selbstverständlich machten, die von der deutschen Regierung geforderten Kriegskredite abzulehnen , wie es uns vor kurzem noch erschienen war. Wohl blieb mein Urteil über das Vorgehen der österreichischen und der deutschen Regierung seit dem Attentat von Sarajevo bis zum Vorabend des Kriegsausbruchs unerschüttert. Indeß, war es nicht doch möglich, daß die offizielle Darstellung zutraf, Österreich habe im letzten Moment eingelenkt und sich zu Erfolg verheißenden Verhandlungen bereit erklärt , und gerade in diesem Moment seien es die Russen und Franzosen gewesen, die jede friedliche Lösung unmöglich machten, indem sie vor jeder Kriegserklärung in deutsches Gebiet einbrachen ? Allerdings war es, rein militärisch gedacht, nicht recht verständlich, warum die Russen und Franzosen gerade den damaligen Zeitpunkt als den günstigsten für einen Angriff auf Deutschland betrachten sollten. In militärischen Kreisen war 1914 die Ansicht allgemein verbreitet, und sie traf zu, Deutschland sei im Moment weit besser gerüstet als seine Nachbarn , diese aber arbeiteten emsig daran, ihre Rüstung zu verbessern . Vielfach rechnete man damit, diese Rüstung der möglichen Gegner Deutschlands werde 1916 sehr vervollkommt sein. Nach Kriegsausbruch erschien es deutschen Militärs daher als eine rettende Fügung des Himmels, daß der Krieg zwischen Deutschland und seinen Gegnern schon 1914 ausbrach und nicht erst zwei Jahre später. Vom rein militärischen Standpunkte aus wäre ein Präventivangriff von deutscher Seite 1914 eher verständlich gewesen , als von russischer oder französischer. Aber auch vom politischen Standpunkt aus wäre ein Angriff der Russen und Franzosen auf Deutschland ganz verkehrt gewesen, denn er hätte nur Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn England mittat. In England, nicht nur bei den Arbeitern , sondern auch in der Bourgeoisie, in der zum Teil quäkerhafte, zum Teil manchesterliche Reminiszenzen nachwirkten , waren jedoch die pazifistischen Elemente weit stärker, als in einem andern Lande Europas. Kam es dadurch zu einem Kriege zwischen dem russisch-französischen Zweibund und den Zentralmächten, daß jener diese überfiel und zum Kriege zwang, dann durfte er auf englische Unterstützung nicht rechnen. In der Tat waren Russen wie Franzosen 1914 bis zum 4. August nicht sicher, ob England ihnen beistehen werde und

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Unklarheit über Kriegscharakter

diese Unsicherheit machte sie furchtsam und kriegsunlustig. Denn ohne England waren sie dem Gegner nicht gewachsen . Also die diplomatische Situation und die Stimmung in England warnten 1914 ebensosehr wie der Stand seiner Streitkräfte den Zweibund davor, angriffsweise gegen Deutschland vorzugehen . Wie vom militärischen bestand auch vom diplomatischen Standpunkt aus kein vernünftiger Grund für Rußland oder Frankreich, die Einleitung friedensfördernder Verhandlungen durch einen militärischen Überfall zu stören. Alle Beteiligten mußten solche Verhandlungen freudig als eine Erlösung begrüßen . Doch gab es eine Ursache, die es der russischen Regierung rätlich erscheinen lassen mochte, die damaligen Wirrnisse zu benutzen, um einen Krieg vom Zaune zu brechen , eine Ursache innenpolitischer Natur : Gerade unmittelbar vor Kriegsausbruch äußerte sich in Rußland wilde, revolutionäre Gährung. In einer solchen Situation wird eine Regierung leicht nervös, wenn sie ihr Prestige bedroht fühlt. Napoleon III. hat sich 1870 durch die Furcht vor der ansteigenden revolutionären Flut zur Kriegserklärung treiben lassen, wider Willen, Verzweiflung im Herzen, denn er wußte , sein Heer sei minderwertig. Sollte nicht die revolutionäre Erregung im Innern des russischen Reichs im Juli 1914 den Zaren getrieben haben, den Krieg zu entfesseln, den militärische wie diplomatische Erwägungen widerrieten ? Sollte er nicht den Krieg gesucht haben, um die revolutionäre Stimmung des Volkes in andere Kanäle abzulenken ? Das war in den letzten Tagen des Juli , den ersten des August 1914 nicht klar zu ersehen, wenigstens nicht für uns in Deutschland auf Grund der uns vorliegenden Nachrichten . Es stand also damals am 3. August nicht mehr so ganz fest, wie noch wenige Tage vorher, wen die Schuld am Kriege treffe, ob Österreich und in seinem Gefolge Deutschland oder Rußland und in seinem Gefolge Frankreich. Das Kriterium der Entscheidung für den Angegriffenen, gegen den Angreifer, versagte daher in diesem Moment für uns Sozialisten in Deutschland . Nicht minder aber auch das andere, das ich Bebel 1907 in Essen entgegengehalten : die Erwägung der möglichen sozialen und politischen Wirkungen des Sieges der einen oder der andern Seite im Krieg. Da mußte ich daran denken , was Engels 1891 darüber geschrieben. Gewiß , die Verhältnisse lagen 1914 erheblich anders, als ein Vierteljahrhundert vorher. Unbedingt mich auf die Seite der deutschen Regierung zu stellen, wie mit Berufung auf Engels mancher von uns damals forderte , wäre mir doch nicht möglich gewesen. Der Sieg Deutschlands bedeutete die Allmacht des deutschen Generalstabs nicht nur im Reich, sondern in Europa . Anderseits war Rußland nicht mehr das despotische Land, wie es noch 1891 gewesen. Nirgends rührte sich die Revolution mehr als dort. Aber

Stimmenthaltung

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freilich, der Sieg Rußlands konnte gleichbedeutend sein mit einem Erstarken der Macht des Zaren seinem Volke gegenüber, er konnte, wenigstens für die nächste Zukunft, eine Lähmung der russischen revolutionären Bewegung mit sich bringen. Also der Sieg hier wie der dort bedrohte Europa und den Aufstieg seiner Demokratie und seines Proletariats mit den größten Gefahren. Daß keine dieser Gefahren zur Wirklichkeit wurde, verdanken wir dem bizarren Umstand, den 1914 niemand voraussehen konnte, daß beide Seiten besiegt wurden, die Regierung des Zaren drüben ebenso wie die des Habsburgers und die des Hohenzollern hüben. Unter diesen Umständen die Kriegskredite einfach zu bewilligen, erschien mir unmöglich. Nicht minder aber, sie von vornherein abzulehnen. Ich fand, die Situation sei ganz dieselbe , wie die bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870. Über seine damaligen Unterredungen mit Liebknecht wegen der Bewilligung der Kriegskredite berichtet Bebel : ,,Liebknecht war der Ansicht, wir müßten die Geldforderung strikte ablehnen, da beide Teile am Kriege schuld seien und wir für keinen Teil Partei ergreifen dürfen. Ich erklärte dieses für einen Fehler. Nach Lage der Sache könnten wir allerdings für keinen der streitenden Teile Partei ergreifen. Dieser Eindruck würde aber gerade dann , und zwar zu Gunsten Napoleons hervorgerufen, wenn wir gegen die Anleihe stimmten . Es bliebe uns kein anderer Weg, als uns der Abstimmung zu enthalten." Nachdem Bebel eine Erklärung zur Motivierung der Stimmenthaltung ausgearbeitet, erklärte sich Liebknecht damit einverstanden. (Bebel,,,Aus meinem Leben", II . S. 178. ) Genau so faßte ich die Sachlage im August 1914 auf und kam daher zu dem Ergebnis, Stimmenthaltung sei das beste. Neben dieser tauchte aber bald noch eine weitere Alternative vor mir auf, von der ich gleich reden werde. Im Laufe des 3. August wurde ich aufgefordert, zu der Sitzung der sozialdemokratischen Fraktion zu kommen, die eben die Kriegskredite beriet, und an der Diskussion teilzunehmen. Ich eilte sofort in den Reichstag mit der Absicht für Stimmenthaltung zu plädieren. Dort wurde mir aber bedeutet, diese Frage sei schon erledigt. Allgemein sei die Fraktion der Meinung, ein Vorgehen, das für die zwei Abgeordneten Bebel und Liebknecht passend war, könne für die stärkste Partei des Reiches nicht mehr in Frage kommen. Das Argument mit der Parteistärke überzeugte mich nicht, die Argumentation Bebels war nicht aus der Schwäche der sozialdemokratischen Fraktion , sondern aus der Unübersichtlichkeit der Situation geboren . Dieses Argument darf sich jede Partei aneignen, die nicht in der Regierung sitzt und nicht in der Lage ist, deren Informationen zu kontrollieren. Das gilt namentlich bei Ausbruch eines Krieges, wenn alle Informationen einseitig sind und diejenigen, die von der Gegenseite stammen, im eigenen Land in hohem Maße ausgeschlossen werden.

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Mein Vorschlag

Die Idee der Stimmenthaltung wäre vielleicht auf weniger Ablehnung gestoßen, wenn man in Deutschland damals hätte voraussehen können , welche Haltung unsere russischen Genossen in der Duma einnehmen würden. In der Sitzung vom 8. August bei der Abstimmung über die Kriegskredite übten sie Stimmenthaltung. Deren Haltung erschien mir als höchst zweckmäßig. Aber am 3. August war sie noch nicht vorauszusehen und in der Frage der Stimmenthaltung stand ich in der Fraktionssitzung vor einer erledigten Sache. Angesichts dessen wäre meine Beteiligung an der Diskussion eigentlich zwecklos gewesen . Jedoch hatte ich vorher schon die Möglichkeit ins Auge gefaßt gehabt , daß die Stimmenthaltung abgelehnt werde . Erschien sie mir auch sachlich geboten , so konnte sie doch den Anschein der Unsicherheit und der Unentschlossenheit hervorrufen, und diesem Verdacht setzt sich eine große Partei nicht gern aus . Blieb aber dann wirklich nichts anderes übrig, als die Forderungen der Regierung unbedingt zu bewilligen oder abzulehnen? Das eine wie das andere schien mir damals für die deutsche Sozialdemokratie gleich verfehlt . Bei dem Nachdenken über die verschiedenen Wege, die unserer Partei offen blieben , um die Pflichten gegenüber der internationalen Solidarität mit denen gegenüber dem eigenen Proletariat und dem eigenen Volk zu vereinbaren, war in mir ein Gedanke aufgetaucht, der meines Wissens bisher noch nie geäußert worden war und mir geeignet erschien, uns aus der Verlegenheit zu reißen : Die Partei solle auf keinen Fall bedingungslos für oder gegen die Kriegskredite stimmen, sondern die Entscheidung darüber von der Erfüllung bestimmter Bedingungen abhängig machen, die sie der Regierung stellte . Diese sollte sich auf Kriegsziele festlegen, die mit den Grundsätzen des internationalen Sozialismus vereinbar seien. Ich erinnerte mich eines Marxschen Satzes in der ersten Adresse des Generalrats der Internationale über den deutsch-franzö sischen Krieg. Sie wurde an demselben Tage verfaßt, an dem Bebel -und Liebknecht ihre Erklärung im Reichstag abgaben 21. Juli 1870. Marx sagte : „ Von deutscher Seite ist der Krieg ein Verteidigungskrieg ... Erlaubt die deutsche Arbeiterklasse dem gegenwärtigen Krieg seinen streng defensiven Charakter aufzugeben und in einem Krieg gegen das französische Volk auszuarten, so wird Sieg oder Niederlage gleich unheilvoll. " Jetzt , 1914, waren wir nicht so sehr davon überzeugt wie 1870 Marx, daß der Krieg von deutscher Seite ein Verteidigungskrieg sei . Aber die deutsche Regierung behauptete es, die Masse der Deutschen, auch der Proletarier, glaubte es und es waren uns keine Tatsachen bekannt, die das Gegenteil bewiesen . Die Möglichkeit bestand, daß er wirklich ein Verteidigungskrieg sei . Um so mehr

Bedingte Bewilligung

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war es jetzt Aufgabe der deutschen Arbeiterklasse, nicht zu erlauben, daß der Krieg den „, streng defensiven Charakter" verliere, den er angeblich habe. Wir mußten von der deutschen Regierung verlangen, daß sie sofort und ohne Umschweife die Kriegsziele bekenne, die sie verfolge, und daß diese Ziele über das der Abwehr jeder Vergewaltigung des deutschen Volkes nicht hinausgingen . Die deutsche Sozialdemokratie konnte kein Kriegsziel anerkennen, durch das ein fremdes Volk vergewaltigt wurde. Die russischen Menschewisten haben das Kriegsziel der internationalen Sozialdemokratie mit den Worten formuliert, die später von den Zimmerwaldern akzeptiert wurden : ,,Frieden ohne Annexionen und ohne Kriegsentschädigungen auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung der Völker. " Sie fügten hinzu : ,,Weder Sieger noch Besiegte" - natürlich im politischen , nicht im militärischen Sinne. Auf dieses Ziel in letzterem Sinne die Regierung festlegen zu wollen wäre abgeschmackt gewesen . Bei den ganzen Debatten über unsere Haltung im Kriege konnte es sich nicht um die Bestimmung militärischer, sondern politischer Aktionen handeln . Allerdings gibt es viele Kriegshandlungen, die sehr stark politischen Charakter haben. Das war z . B. der Fall mit dem Einbruch in das neutrale Belgien. Er war politisch entschieden zu verurteilen , doch war er uns am 3. August noch nicht bekannt und spielte bei den Verhandlungen der Fraktion an jenem Tag also keine Rolle . Das Kriegsziel, wie es später die Zimmerwalder formulierten , schwebte mir, wie wohl allen internationalen Sozialisten, schon bei Kriegsbeginn vor. An diesem Ziel hatten wir die Kriegsziele der Regierung zu messen. Erwiesen sie sich als unvereinbar mit denen der Sozialdemokratie oder weigerte sich die Regierung, ihre Ziele genau zu formulieren , dann mußten wir die geforderte politische Unterstützung ablehnen. Gab die Regierung in bezug auf die Kriegsziele Versicherungen, die unser sozialistisches Gewissen beruhigten, dann durften wir die Kredite bewilligen, ohne unseren internationalen Pflichten untreu zu werden. Dies mein Vorschlag.

d) Erörterung meines Vorschlags. Karl Liebknecht, der nach mir sprach, wendete ein , die Regierung werde alles versprechen, was wir forderten, aber auf ihre Versprechungen pfeifen, wenn sie den militärischen Sieg errungen habe. Kein Zweifel, in der Geschichte der Staaten ist der Weg zu manchem Sieg in der äußeren wie der inneren Politik mit Lügen und Meineiden der Regierungen, nicht zum wenigsten auch mit gebrochenen Königsworten gepflastert. Aber es fragt sich stets, wem das Wort verpfändet wird . Die Sozialdemokratie war bereits die größte Partei des Reiches, ohne deren Zustimmung der Krieg, 29*

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Kriegsziele und Kriegsdauer

diesmal der Ausdehnung nach ein wahrer Volkskrieg, nicht gut zu führen war. Ein rascher, leichter, glänzender Sieg hätte wohl der Regierung eine Machtstellung verleihen können, die es ihr gestatten mochte, ihr Wort zu brechen . Aber ein solcher Sieg war bei den gegebenen Kräfteverhältnissen nicht zu erwarten . Je schwerer und opfervoller der Krieg wurde, desto mehr mußte das Gewicht der Sozialdemokratie wachsen, wenn deren Kriegsziele am ehesten einen raschen und erträglichen Frieden ermöglichten. Desto mehr mußte die Regierung die Gefangene ihrer eigenen Versicherungen werden, mochten sie auch von ihr ganz unehrlich, nur zu Täuschungszwecken abgegeben sein. Die Dauer und Schwere eines Krieges hängt vor allem von der Art der Kriegsziele ab. Um einer Geringfügigkeit willen lassen sich heute, wenigstens im westlichen Europa, die Völker nicht lange von ihren Regierungen auf die Schlachtbank führen . Nur die größte Angst vor furchtbaren Folgen der Niederlage kann sie dazu veranlassen . Der Weltkrieg erhielt seine gräßliche, unheilvolle Dauer vor allem dadurch, daß keine der beiden Seiten bestimmte Kriegsziele aufstellte und tatsächlich auch keine besaß . Das ewige Wettrüsten hatte eine so hochgradige Spannung erzeugt, daß der kleine Anlaß des serbischen Krieges genügte, einen Krieg zu entzünden , in dem jede der Großmächte Europas sich in eine andere verbiß aus bloßer Angst vor deren finsteren Plänen, bloß mit dem Bedürfnis , die andere unschädlich, das heißt, gänzlich ohnmächtig zu machen. Diese Unbestimmtheit der Kriegsziele verlieh ihnen in den Augen der Kämpfenden einen so furchtbaren Charakter, daß es hüben wie drüben möglich wurde, den Krieg bis zur völligen Erschöpfung wenigstens der einen Seite fortzuführen. Die Unbestimmtheit der Kriegsziele machte es auch fast unmöglich, vor solcher Erschöpfung Friedensverhandlungen mit Erfolg zu beginnen. Denn wenn die Friedensbedingungen nicht von bestimmten , von vornherein klar ausgesprochenen Grundsätzen, sondern von der jeweiligen Kriegslage abhängig waren, mußte jedes Aussprechen des Friedenswillens als Eingeständnis der Schwäche erscheinen. Da kam es dahin , daß man Friedensverhandlungen nicht beginnen wollte, wenn man sich militärisch in der Klemme befand , denn man wollte nicht schwach erscheinen. Fühlte man sich dagegen als Sieger, so verschloß man sich dem Gedanken an einen Frieden,,,ohne Annexionen und Kontributionen auf der Grundlage der Selbstbestimmung der Nationen". So ging das gräßliche Morden und Vernichten ins Endlose. Ganz anders wäre es geworden, wenn auch nur ein Teil gleich bei Beginn des Krieges unzweideutig Kriegsziele ausgesprochen hätte, die mit denen vereinbar waren, die wir als die Zimmerwalder bezeichnen können . Dies hätte nicht verfehlt, ein Echo auf der Gegenseite zu finden, sicher bei deren Sozialisten , wahrscheinlich aber

Wortbruch der Regierung nicht zu befürchten

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auch bei andern Schichten der Bevölkerung , um so mehr, je stärker sie unter dem Krieg litten. Die Sozialdemokratie hätte hüben wie drüben eine feste Grundlage für ihre nächste und wichtigste Aufgabe im Kriege erhalten, für die Agitation zu baldiger Beendigung des Krieges ; eine Grundlage, wie sie ersprießlicher nicht denkbar war. Die späteren Zimmerwalder und Kienthaler Konferenzen konnten diese Grundlage nicht bieten, denn hinter ihnen standen in den meisten Ländern nur geringfügige Splitter von Parteien, daneben Emigranten oder gar nur Eigenbrödler. Wie ganz anders hätte es gewirkt, wenn es einer großen sozialdemokratischen Partei gelang, gleich zu Anfang des Krieges eine Regierung, so machtvoll, wie die deutsche zu einer Anerkennung der Kriegsziele zu veranlassen , die später als die Zimmerwalder bezeichnet wurden . Kein besseres Mittel zu baldiger Beendigung des Krieges war denkbar. Und wie sehr mußte in aller Welt dabei das Ansehen der deutschen Nation und in ihr das der Sozialdemokratie steigen ! Es wäre die wirksamste Art gewesen, den Beschluß des Stuttgarter Kongresses in Kraft zu setzen, der forderte , in einem Krieg sei für seine rasche Beendigung einzutreten und die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen. Gelang es uns also, die deutsche Regierung zu dem Versprechen zu bewegen, daß sie sich unter keinen Umständen andere Kriegsziele setzen werde , als solche wie sie unseren Grundsätzen entsprachen und später in Zimmerwald formuliert wurden, so wäre das ein gewaltiger Gewinn für den Sozialismus, für das deutsche Volk und die Sache des Weltfriedens gewesen. Es wäre der Regierung schwer gefallen , nachdem sie das Versprechen einmal einer so starken Partei, wie der deutschen Sozialdemokratie gegeben, es durch eine Verräterei später wieder zu annulieren . Nicht Wortbruch der Regierung erwartete ich, wenn die Fraktion meinen Vorschlag annahm, sondern etwas ganz anderes : Die Regierung würde es verweigern , sich die Hände zu binden und ein Versprechen, wie mein Vorschlag es forderte, abzugeben. Eben erst hatte Wilhelm II . bezeugt, welche Empfindlichkeit er für sein und seiner Kollegen Gottesgnadentum hegte. Er hatte zur Bestrafung der Serben nicht zum wenigsten deshalb gedrängt, weil er sie für Mitschuldige an einem Königsmord hielt. Er hatte für Österreich und sich jedes Schiedsgericht abgelehnt, um die geheiligten Souveränitätsrechte zweier Kaiser nicht antasten zu lassen. Er war darob in den Krieg ,,hineingeschliddert“ , und nun sollte der oberste Kriegsherr sich von diesen verfluchten Republikanern in der Bestimmung der Kriegsziele die Hände binden lassen? Und wenn er sich so weit vergäße , würde seine Umgebung es zulassen, die Junker, die Magnaten der Finanz und der Schwerindustrie, die Offiziere , die nach Sieg und Beute lechzten ? Und auch ernstere

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Vorteile meines Vorschlags

Staatsmänner mußten für die Zukunft der Dynastie besorgt werden, wenn der Krieg ohne eine Mehrung des Reiches endete. Eine Monarchie, die dem Volk ohne Not alle die Opfer eines Krieges auflastete , hatte von vornherein die Demokratie gegen sich. Sie mußte auf den energischsten Widerstand auch der herrschenden Klassen stoßen, wenn sie diesen nicht eine anscheinende Entschädigung in der Form von ,,Annexionen und Kontributionen" brachte. Sie mußte gerade bei ihren getreuesten Anhängern die schwerste Verurteilung erfahren. Es war also nicht zu erwarten, daß Bethmann Hollweg die geforderten Zusicherungen geben werde. Dann aber stand unsere Partei nach meinem Vorschlag vor der Notwendigkeit, die Kriegskredite zu verweigern. Das wendete mir auch Eduard Bernstein ein, allerdings nicht in der Debatte, sondern in einem vertrauten Gespräch nach Schluß der Diskussion . Mein Vorschlag sei nur ein Umweg zur Ablehnung der Kredite . Er hielt damals aber die Bewilligung für geboten später wurde er anderer Meinung , — darum hätte er mir nicht zustimmen können, obwohl sich grundsätzlich gegen meine Auffassung nichts einwenden lasse. Daß mein Vorschlag schließlich unsere Fraktion zur Verwerfung der Regierungsforderung führen mußte, war auch meine Meinung. Nur sah ich darin kein Unglück. Aber warum den Umweg? Weil er mir unerläßlich erschien, um eine zweifelhafte Situation zu klären . Auch mußte er die Ablehnung der Kredite vielen Genossen weniger abstoßend erscheinen lassen, die um die Unversehrtheit des deutschen Volkes ängstlich besorgt waren . Wir hätten ihnen gesagt : Wir wollen das Volk nicht wehrlos machen, wir verlangen auch nicht bedingungslose Unterwerfung, nicht einen Frieden um jeden Preis. Wir sind bereit, die Kriegskredite einer Regierung zu bewilligen, die ihre Kriegsziele offen bekennt und sie in einem Maße einschränkt, daß sie für kein Volk eine Gefahr bilden und einen ebenso nahen wie dauernden Friedenszustand erwarten lassen. Bekennt sich die Regierung zu solchen Zielen und veranlassen diese den Gegner nicht zu friedfertigem Entgegenkommen , dann werden wir uns politisch für die Kriegszeit hinter die Regierung stellen . Wir verweigern die Kriegskredite nicht dem deutschen Volk, sondern einer Regierung, die ihm vielleicht durch Ungeschicklichkeit oder gar durch bösen Willen diesen Krieg zugezogen hat , die auf jeden Fall durch ihre Unklarheit über die Kriegsziele eine Politik betreibt, durch die das Elend und die Gefahren des Krieges für das deutsche Volk aufs höchste gesteigert und grauenvoll verlängert werden. Ich zweifle nicht daran , daß die Lage jener Abgeordneten, die die Kriegskredite ablehnten, vor der Masse ihrer Wähler eine erheblich günstigere werden mußte, wenn ihre Ablehnung nicht eine

Kriegsziele wichtiger als Kriegsschuld

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unbedingte, sondern an bestimmte Bedingungen geknüpft war, die ebenso von unseren Grundsätzen wie vom Interesse der Nation geboten wurden. Auf jeden Fall, mochten wir bedingt ablehnen oder bedingt bewilligen, mußten wir durch unsere Bedingungen erreichen , daß das allgemeine Interesse auf sie gelenkt wurde , daß nicht die Frage der Kriegsschuld oder der Krieg führung, sondern die Feststellung der Kriegsziele von Anfang an in den Mittelpunkt des politischen Interesses nicht nur Deutschlands, sondern des Bereichs der europäischen Zivilisation gerückt wurde. Wie umstritten auch die Fragen der Kriegsschuld oder der Kriegführung in den sozialistischen Kreisen der verschiedenen Länder sein mochten , über die Kriegsziele konnten sie sich am ehesten einigen. Gerade diese Ziele bestimmen aber die historische Bedeutung eines Krieges viel mehr als die Art des Ausbruchs des Krieges oder die der Kriegstechnik, die in ihm zur Anwendung kommt. Die Kriegsziele entscheiden vor allem über die Dauer des Krieges, über die Erbitterung der Kämpfenden, über die Art des Friedensschlusses, ob er ein Friede der Verständigung oder des Diktats wird, ob er einen bloßen Waffenstillstand darstellt oder eine Ära dauernden freundschaftlichen Verkehrs zwischen den sich bis dahin bekriegenden Völkern einleitet. Wenn die deutsche Sozialdemokratie am 4. August 1914 die Reichsregierung zwang oder doch zu zwingen versuchte, sich zu dem Kriegsziel eines demokratischen Friedens zu bekennen, dann arbeitete sie erfolgreich für rasche Beendigung des Krieges, dann behauptete sie die geistige Führung der Internationale und ermöglicht deren weiteres Funktionieren. Aber leider stieß mein Vorschlag in der Fraktion auf allgemeine Ablehnung. Nur eine Stimme erhob sich für ihn , die des Genossen Dittmann . Daß meine Idee akzeptiert werde, hatte ich selbst nicht erwartet. War sie mir doch erst wenige Stunden vor der Fraktionssitzung gekommen. Ich hatte sie noch gar nicht nach allen Seiten und allen möglichen Konsequenzen ausgiebig durchdenken können. Und ich hatte sie binnen wenigen Minuten einem Publikum vorzutragen, vor dem sie als etwas ganz Neues, Unerwartetes auftauchte, auf das die Zuhörer in keiner Weise vorbereitet waren . Und das in einem Zeitpunkt fieberhaftester Erregung, die zu allem eher Anlaß bot als zu beschaulichem Versenken in neue überraschende Gedankengänge. Überdies gehört die Rednergabe nicht zu meinen stärksten Seiten und ich hatte völlig improvisiert zu sprechen. Ich werde es also nicht sehr eindrucksvoll getan haben. In der Tat wurde ich vielfach miẞverstanden . So hat gar mancher der anwesenden Abgeordneten später mitgeteilt, ich hätte gefordert, die Bewilligung der Kredite zu einem Tauschgeschäft zu gestalten . Sie sollte an die

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Mißverstehen meines Vorschlags

Gewährung innerpolitischer Konzessionen, z . B. in der preußischen Wahlrechtsfrage, geknüpft werden . Also ,, Kanonen gegen Volksrechte". Das erzählte noch am 10. Dezember 1915 W. Blos in der ,,Schwäbischen Tagwacht". Ich berichtigte am 15. Dezember im ,,Berliner Tagblatt", etwas derartiges sei mir nie eingefallen . ,,Was ich forderte, waren nicht Zugeständnisse, sondern Klarheit. Was ich ablehnte, war blindes Vertrauen." Auch Ledebour hat mich nicht verstanden. In dem schon erwähnten Artikel der ,,Weltbühne“ schreibt er über mein Auftreten in der Fraktionssitzung : ,,Kautsky hielt ein merkwürdiges Plädoyer für die Bewilligung mit Vorbehalten, wie der Verwerfung jedweder Eroberungstaktik. Diese Halbheiten fanden aber auf keiner Seite Anklang." Ledebour hatte also nicht gemerkt, daß ich nicht Vorbehalte gefordert hatte, sondern Bedingungen und daß diese die Ablehnung der Kredite durch uns wahrscheinlicher machten als ihre Bewilligung . Wie mangelhaft ich auch am 3. August gesprochen haben mag, gar so unverständlich redete ich doch nicht, daß ich von Niemand zu begreifen war. Das bezeugt unter anderem ein Artikel, den Ed. David in der „ Neuen Zeit “ ( 1915 , XXXIII , 2 ) gegen mich richtete unter dem Titel : ,,Kritisches zu Kautskys Kritik. " Da berichtete er: ,,Als Kautsky in der Fraktionssitzung erschien, zu der man ihn als historisch-theoretische Autorität geladen, war er, wie er selbst bestätigt, für Stimmenthaltung. Als er damit keinen Anklang fand, befürwortete er die Zustimmung unter Bedingungen (von David selbst unterstrichen, K. ) . Aber auch damit fand er auf keiner Seite Anklang, weil offenbar auch seine Freunde ganz anderer Meinung waren wie er über die machtsteigernde Wirkung einer solchen Pressionspolitik in einer solchen Situation . " ( S. 532 , 533.) Darüber bin ich heute noch anderer Meinung , als meine damaligen Freunde und Feinde, aber darin stimme ich mit David überein, daß das Wort Pressionspolitik meinen Gedankengang richtiger bezeichnet, als die Bewilligung mit Vorbehal ten. Ob dadurch ohne weiteres die Macht der sozialdemokratischen Partei zu steigern war, danach fragte ich nicht, sondern ob es der beste Weg war, in einer so unklaren Situation unseren Grundsätzen Geltung zu verschaffen und das bedrohte Wohl des Volks zu wahren ohne Verletzung irgend eines vom sozialistischen Standpunkt aus berechtigten Interesses . Auf die Dauer allerdings erwartete ich von der Durchführung meines Vorschlags auch eine machtsteigernde Wirkung für unsere Partei . Daß die Mehrheit der Fraktion sich am 3. August für mich aussprechen werde, hatte ich nicht erwartet. Allerdings aber rechnete ich mit der Möglichkeit, daß die Befürworter der unbedingten Ablehnung, wenn ihr Antrag gefallen sei, meinen Vorschlag als Eventualantrag aufnehmen könnten. Er hätte wohl, außer den 14 Stimmen, die sich für die Ablehnung ausgesprochen , noch die manches schwankenden Genossen auf sich vereinigt, der sich nicht mit der Verantwortung belasten .

Erneuerung meines Vorschlags

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wollte, in der unklaren Situation die Kredite abzulehnen, sich aber doch nur mit schwerem Herzen zur Bewilligung entschloß . Indes, selbst wenn mein Vorschlag als Eventualantrag der Minderheit mehr als deren 14 Stimmen auf sich vereinigt hätte, so wäre er bei der damaligen Stimmung doch auf jeden Fall abgelehnt worden. Der Krieg drängt nach klaren Entscheidungen, da gilt nur ein Hüben und Drüben nicht bloß auf den Schlachtfeldern, sondern auch in den Parlamenten , ja innerhalb der einzelnen Parteien. Ohne gehörige Vorbereitung mußte mein Vorschlag als das erscheinen , als was Ledebour ihn bezeichnete : eine Halbheit, die niemand befriedigte. Der Fortgang des Krieges peitschte die Leidenschaften immer mehr auf, beseitigte immer mehr die psychologischen Vorbedingungen für das unbefangene Studium irgendwelcher vermittelnden Lösungsversuche. Diese wurden auch gegenstandslos, nachdem einmal die beiden Seiten innerhalb der deutschen Sozialdemokratie sich auf bedingungslose Bewilligung oder Ablehnung festgelegt hatten. Dennoch kam der Gedanke, der meinem Vorschlag zugrunde lag, wieder zur Geltung als Kriegsmüdigkeit und Hoffnungslosigkeit in den Reihen der deutschen Sozialdemokratie überhand nahmen. Scheidemann gibt in seinen ,, Memoiren eines Sozialdemokraten", Dresden 1928, II . S. 27) eine Stelle aus seinem Tagebuch vom 27. Juni 1917 wieder, in der die Stimmung geschildert war, die damals den Parteiausschuß beseelte : „ Das war der Tenor aller Ausführungen : Die bevorstehende Kreditvorlage muß abgelehnt werden, wenn der Reichskanzler nicht klipp und klar seine Kriegsziele angibt und feste Versprechungen über die innere Neuordnung macht. " Löbe brachte in diesem Sinne eine Resolution ein. Gegen einen solchen Versuch, die Regierung zu einer vernünftigen Politik zu zwingen, sprachen sich Gradnauer und David sowie Scheidemann entschieden aus. Ebert gelang es schließlich , Löbe zu veranlassen , seinen Antrag zurückzuziehen. Dazu wäre es vielleicht nicht gekommen, wenn nicht ein großer Teil der oppositionell gesinnten Parteigenossen kurz vorher (April 1917) aus der Partei ausgeschieden wäre. Ohne die Parteispaltung hätte mein am 3. August 1914 begrabener Vorschlag im Juni 1917 eine siegreiche Auferstehung feiern können. Dazu kam es im Weltkrieg nicht mehr. Aber heute , im Frieden , scheinen mir die Vorbedingungen für die Prüfung meines Vorschlags günstiger zu sein . Ich vermochte ihn seitdem reichlich zu erwägen. Dabei ist mir kein Bedenken aufgestoßen, das sich nicht hätte wiederlegen lassen . Höchstens könnte die Bildung des Völkerbundes nach dem Weltkrieg unter Umständen seine Abänderung erheischen. Aber trotz des Völkerbundes kann wieder ein Moment kommen, der dem vom 3. August 1914 ähnelt. Dann erst meinen Vorschlag zu erörtern und zu prüfen, wäre sicher zu spät . Ich

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Bewilligung mit Vorbehalten

unterbreite ihn daher jetzt von Neuem der Untersuchung und Kritik der Öffentlichkeit .

e ) Die Begründung der Zustimmung zu den Kriegskrediten. Mein Vorschlag hatte keinen Anklang gefunden, die bedingungslose Kreditbewilligung war mit großer Mehrheit angenommen. Aber damit war meine damalige Tätigkeit in der Reichstagsfraktion nicht erledigt. Es erstand die Frage, ob man ohne jede Begründung bewilligen solle oder nicht . Die Mehrheit fand es doch für notwendig, die Zustimmung zu den Krediten zu motivieren . Das bot immerhin die Möglichkeit, einige Vorbehalte zu äußern , die als, freilich wenig genügender Ersatz der von mir gewünschten Bedingungen, dienen mochten . Als daher eine Kommission zur Ausarbeitung der Begründung gewählt wurde, lehnte ich es nicht ab, ihr zugesellt zu werden. Wohl war ich dort in der Minderheit , aber mit Hilfe eines andern Mitglieds der Kommission - Gustav Hoch - gelang es mir, trotz des energischen Widerstrebens Eduard Davids in den Entwurf einige Verschärfungen hineinzubringen. Ich konnte wohl zufrieden damit sein, daß die Erklärung die Schuld am Kriege dem Wettrüsten zuschrieb : ,,Die Verantwortung dafür fällt den Trägern dieser Politik zu, wir lehnen sie ab . Die Sozialdemokratie hat diese verhängnisvolle Politik mit allen Mitteln bekämpft und noch bis in die letzten Stunden hinein hat sie durch machtvolle Kundgebungen in allen Ländern, namentlich im innigen Einvernehmen mit den französischen Brüdern für die Aufrechterhaltung des Friedens gewirkt. Ihre Anstrengungen sind vergeblich gewesen. Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Kriegs." Die Erklärung schilderte dann die Verheerungen des Kriegs , die abzuwehren seien, die Gefahren „,für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft", für die ,,viel, wenn nicht alles auf dem Spiel steht , wenn der ,,russische Despotismus siegt, der sich mit dem Blut der Besten des eigenen Volkes befleckt hat“. Die Erklärung fuhr fort : ,,Wir fühlen uns im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen.“ „ Wir fordern, daß dem Kriege, sobald das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht. Wir fordern dies nicht nur im Interesse der von uns stets verfochtenen internationalen Solidarität, sondern auch im Interesse des deutschen Volkes." Das alles mochte ganz leidlich scheinen . Nur verlor es seine überzeugende Wirkung auf das Ausland vielfach durch das, wovon die Erklärung nicht sprach . Sie entrüstete sich über das Wettrüsten als Kriegsursache, schwieg aber davon, daß sie jetzt einer Regierung, die Schuld an diesem Wettrüsten trug, Milliarden bewilligte.

Mein Vorbehalt

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Sie sah den Krieg gegen das despotische Rußland und schwieg von dem Krieg gegen das demokratische Frankreich. Sie war blind für die Gefahren, die der „,freiheitlichen Zukunft" Europas bei einem Siege des deutschen Militarismus drohten. Falsch erschien mir auch die Behauptung : ,,Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel." Nicht bloß um die Aufbringung der Mittel handelte es sich , sondern darum, in wessen Hände sie zu legen wären . Ob sie der bestehenden Regierung anvertraut werden sollten , wenn die Möglichkeit bestand, daß deren Politik das Unheil des Kriegs herbeigeführt habe und vielleicht verlängere. Und ebenso unangebracht erschien mir der Satz : ,Wir machen wahr, was wir immer betont, wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich." Nicht um das Vaterland allein handelte es sich , sondern auch um die Regierung , darum, ob das Interesse des Vaterlandes bei ihr am besten aufgehoben sei . Indem Vaterland und Regierung einander gleichgesetzt wurden , solidarisierte sich die deutsche Sozialdemokratie vor aller Welt mit der bestehenden Reichsregierung. Das waren ernste Bedenken. Es gelang mir nicht, diese Stellen auszumerzen, die uns zum ,,Burgfrieden" mit der Regierung für die Dauer der „ Gefahr des Vaterlandes“ , das heißt , des Krieges verpflichteten. Doch gelang es mir, einen Satz in die Erklärung hineinzubringen, der die Verpflichtung zum Burgfrieden wieder aufhob . Ich habe seinen Wortlaut nicht mehr vor mir, das Manuskript der Erklärung ließ sich später im Sekretariat der Reichstagsfraktion nicht mehr finden. Nach meiner Erinnerung lautete er : ,,Sollte die Regierung gestatten, daß der Krieg von deutscher Seite den Charakter eines Eroberungskrieges annimmt, dann werden wir uns gegen sie auf das energischste wenden." Dieser Satz schien mir als Drohung für später einigermaßen das anzudeuten, was ich mit meinem Vorschlag von vornherein der Regierung hatte ,, erpressen" wollen. Dieser Gewinn erschien mir wichtig genug, daß ich der Erklärung schließlich zustimmte, wenn sie en bloc, also mit dem oben erwähnten Satz angenommen werde, was auch in der Sitzung der Fraktion am Morgen des 4. August geschah. Nach Schluß dieser Fraktionssitzung verließ ich den Reichstag. Der Verhandlung im Plenum wohnte ich nicht bei . Erst am nächsten Morgen las ich in den Zeitungen den Bericht über die Plenarsitzung. Da war ich entsetzt über den Bruch der belgischen Neutralität, den Bethmann Hollweg ankündigte. Hätte ich das am Tag vorher gewußt, ich hätte mich jenen angeschlossen, die bedingungslos für die Ablehnung der Kriegskredite eintraten. Erstaunt aber war ich, als ich den Wortlaut der Erklärung nachlas,

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Unbedingte Ablehnung der Kriegskredite

die Haase im Reichstag im Namen der Fraktion abgegeben hatte : der Satz, auf den ich den meisten Wert gelegt hatte, um dessen Willen ich mich mit der Erklärung abgefunden hatte, er stand in dem verlesenen Text nicht darin. Ich war außer mir. Sofort eilte ich in den Reichstag und fragte Haase, warum er diesen Satz weggelassen habe . Er teilte mir mit , das sei auf den Wunsch des Reichskanzlers geschehen . Dieser habe gefragt, ob man ihm nicht Einsicht in die Erklärung gewähren wolle, mit der die Fraktion ihre Kreditbewilligung begründen werde. Es lag kein Grund vor, diesem Ansuchen nicht statt zu geben. Bethmann hatte auch gegen die Erklärung nichts einzuwenden, was sehr begreiflich war. Bloß der von mir hineingebrachte Satz verursachte ihm Bedenken. Er sagte, im Augenblick stehe das Verhältnis zu England auf dem Spiel . Der Satz äußere Mißtrauen gegen die Regierung , er traue ihr die Absicht zu , den Krieg zu einem aggressiven, einem Eroberungskrieg ausarten zu lassen. Dies Mißtrauen einer deutschen Partei könne für die Engländer in der augenblicklichen Situation entscheidend dafür werden, daß sie Deutschland den Krieg erklärten. Es könne zum mindesten ein Vorwand dafür werden, und die deutsche Sozialdemokratie trüge dafür vor dem eigenen Volke die Verantwortung . So wenig plausibel dieser Gedankengang war, er machte auf Fraktion oder Fraktionsvorstand - ich weiß nicht mehr, wer mit der Sache zu tun bekam - so tiefen Eindruck, daß sie sich dazu bereit fanden, den beanstandeten Passus wegzulassen . Scheidemann teilt in seinen ,,Memoiren eines Sozialisten" aus dem Protokoll der Sitzung des Parteiausschusses vom 27. September 1914 folgende Äußerung Haases mit : ,,An der Erklärung ( der Fraktion , K. ) wurde am Tage der Reichstagssitzung (4. August , K. ) formell noch ein Satz geändert, damit man in England aus dieser Erklärung nicht falsche Schlüsse zöge." (I. S. 300.) Leider war die Änderung keineswegs bloß formeller Natur. Damit war der letzte Ausläufer meines Vorschlags erledigt. Anfangs Dezember 1914 verlangte die Regierung vom Reichstag abermals die Bewilligung eines Kredits von fünf Milliarden Mark. Seit dem 4. August hatten sich zahlreiche Gelegenheiten geboten, uns über den Charakter des Krieges zu informieren . Von neuem wurde ich eingeladen, an den Beratungen der Fraktionssitzung teilzunehmen. Aber diesmal sah ich mich nicht mehr veranlaßt , meinen Vorschlag zu wiederholen . Die Situation lag für mich nun klar zutage , ich fühlte mich jetzt berechtigt, ja verpflichtet, die unbedingte Ablehnung der Kriegskredite zu empfehlen . Wenig später folgte auch Bernstein diesem Beispiel, ebenfalls auf Grund seiner Forschungen über Ausbruch und Wesen des Krieges. Hugo Haase hatte von Anfang an die Kredite abgelehnt. Nun kam jeder von uns dreien in das gleiche Fahrwasser.

Landesverteidigung

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f) Die automatische Verpflichtung zur Landesverteidigung. Bei den Erörterungen über Bewilligung oder Ablehnung der Kriegskredite hatten im allgemeinen noch dieselben Erwägungen vorgeherrscht, die in früheren Zeiten nicht nur für Bebel und Liebknecht, sondern auch für Marx und Engels maßgebend gewesen waren : Erwägungen darüber, wer den Krieg provoziert habe, wer in ihm als Angreifer auftrete , und wie der Sieg der einen oder der andern Seite wirken müsse. Aber neben dieser Art, die Frage eines Kriegs zu betrachten, waren, wie wir schon gesehen, zwei andere in den letzten Jahren vor dem Kriege emporgekommen, zwei extreme Standpunkte . Die eine Richtung proklamierte die Pflicht der Sozialdemokratie, sich in jedem Krieg, da er eine Gefahr für das Land bedeute, ohne weiteres hinter die eigene Regierung zu stellen. Die andere proklamierte die ebenso absolute Verpflichtung, den Krieg dadurch abzulehnen , daß man zur Regierung in die schärfste Opposition trat. Und dabei bildete sich jede der beiden Richtungen ein, ihre Anschauungen hätten von jeher in der sozialistischen Internationale gegolten und ein Abweichen von ihnen bedeute einen Verrat an unseren heiligsten Prinzipien. In Wirklichkeit ist nichts derartiges in der Geschichte der Internationale zu finden , weder in der ersten noch der zweiten ; wenigstens nicht als ausgesprochene Willensäußerung ihrer großen Mehrheit. Und mit Recht. Die eine dieser Auffassungen führt uns , konsequent verfolgt, in das Lager des bürgerlichen Patriotismus, dem die eigene Nation höher steht als die Menschheit. Die andere dieser Auffassungen dagegen führt uns in das Lager des Neubakunismus , dem jeder Staat unter allen Umständen gleich hassenswert ist und der, solange es Staaten überhaupt gibt, es für gleichgültig erklärt, in wessen Händen der Staat ist, ob seine Herren der eigenen oder einer fremden Nation angehören . Das eine Extrem proklamiert im Kriege die absolute Pflicht der „ Landesverteidigung". Schon durch diese Bezeichnung gibt es zu erkennen, daß ihm im Kriege das militärische Moment allein maßgebend ist und das politische seine Bedeutung verliert. In jedem Krieg, welches immer sein Charakter, ist das Vaterland in Gefahr ; es wird gefährdet durch die Kriegshandlungen des auswärtigen Feindes. Solange dieser Zustand dauert, sagen die Verfechter der Landesverteidigung, müssen alle Klassen der Nation sich zu einem geheiligten Bund vereinigen, muß Burgfriede zwischen ihnen herrschen . Diese Auffassung vergißt ganz, daß der Krieg nur ein Glied in einer Kette fortlaufender Politik ist , daß die Politik im Kriege nicht abreißt. Ist der Krieg selbst nur die Folge einer bestimmten Politik, so wird sein Fortgang und sein Abschluß nicht minder

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Burgfriede

durch die Politik der Regierung bestimmt wie durch die Erfolge im Felde. Die tapfersten Soldaten , die geschicktesten Feldherrn können ihre Erfolge zunichte gemacht sehen durch die verfehlte Politik einer unfähigen oder leichtfertigen Regierung . Was nützen einem Lande alle Siege, wenn ihm gleichzeitig die Politik seiner Regierung immer mehr neue Feinde schafft ! Wer gegen eine Koalition kämpft, wird sich ihrer am ehesten dann erwehren , wenn es ihm gelingt, sie durch eine kluge Politik zu sprengen. Die deutsche Regierung jedoch betrieb wie vor dem Krieg, so auch während seines Verlaufs eine Politik, die Deutschland noch mehr isolierte als früher schon geschehen , und die ganze zivilisierte Welt in die Reihen seiner Gegner trieb. Dafür gewann sie ihm allerdings die Hilfe der Türkei ! Die Sache wurde nicht besser dadurch, daß die deutsche Regierung diese Politik oft gegen ihre bessere Überzeugung unter dem Druck der Militärkaste oder der Junker und der Schwerindustrie betrieb. Aber gerade die Militärkaste wird durch die einseitige militaristische Auffassung der ,, Landesverteidigung“ zum Herrn der Politik gemacht. Durch die Parole der Landesverteidigung werden die Parlamentarier ganz in ihren eigentlichen Funktionen gelähmt, die nicht darin bestehen , das Kriegswesen technisch zu organisieren , sondern darin , die Staatspolitik zu bestimmen. Natürlich schließt jene Auffassung der Kriegsfrage, die bis zum Weltkrieg in der sozialistischen Internationale vorherrschte, nicht aus, daß eine sozialistische Partei die Regierung des eigenen Landes im Kriege unterstützt und alle Klassenkämpfe für seine Dauer einstellt. Aber das kann nur geschehen nach eingehender Prüfung der Verhältnisse, aus denen der Krieg hervorgegangen ist und unter denen er sich abspielt. Die Sozialdemokratie bleibt dabei unabhängig von der Regierung, auch dann , wenn sie einige Minister in sie entsendet. Sie behält stets die Freiheit, ihre Politik zu ändern, in die Opposition einzutreten , sobald sie zur Überzeugung kommt , das Vorgehen der Regierung sei verfehlt, es verlängere den Krieg , vermehre unnütz seine Opfer , erstrebe Ziele , die unvereinbar seien mit unseren Grundsätzen. Ganz anders gestaltet sich die Situation der Sozialdemokratie, wenn sie aus der bloßen Tatsache des Krieges und der Gefährdung des Staates durch den Landesfeind schon die Pflicht zur Landesverteidigung ableitet, die nicht nur die allgemeine Dienstpflicht mit sich bringen soll , sondern auch die Bewilligung aller Forderungen der Regierung und den Verzicht auf alle Kritik. Da verliert unsere Partei notwendigerweise ihre Selbständigkeit für die ganze Dauer des Krieges und alles politische Denken wird in ihr verkümmert. Ja, durch die politische Kampfgemeinschaft, die sie mit der Regierung eingeht , wird sie verführt, nicht nur auf jede öffentliche

Landesverteidigung und Internationale

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Kritik an ihr zu verzichten, auch wenn solche in engerem , verschwiegenem Kreise noch so eifrig geübt wird, sondern zur Verteidigung der Regierungspolitik auf dem Schlachtfelde auch noch deren Verteidigung im Parlament und der Presse zu gesellen. Die Parole der mit dem Kriege automatisch eintretenden absoluten Verpflichtung zur Landesverteidigung im Sinne des Burgfriedens und der bedingungslosen Unterstützung der Regierung bringt von vornherein eine Verkümmerung des politischen Denkens, seine Verdrängung durch militärische Erwägungen mit sich. Bei sehr intensiver Wirkung führt die Parole der Landesverteidigung leicht dazu , das politische Denken sogar zu korrumpieren. Und dabei zerreißt sie mit Notwendigkeit jedes internationale Band. Allerdings können auch dort, wo die Haltung im Kriege von der Erkenntnis seiner Ursachen und seiner voraussichtlichen Folgen abhängig gemacht wird, Differenzen zwischen einzelnen sozialistischen Parteien, ja auch innerhalb der gleichen Partei , sogar zwischen sehr innigen Geistesverwandten auftreten. Aber solche Differenzen müssen sich nicht notwendigerweise bilden, sie sind ausgeschlossen dort, wo die Situation klar ist. Der Krieg von 1870 bis 1871 bezeugt das deutlich . Die Parole der Landesverteidigung muß dagegen not wendigerweise die Internationale zerreißen, da sie für jedes der im Krieg befindlichen Länder in gleichem Maße gilt, also die Sozialisten hüben wie drüben nicht nur auf das Schlachtfeld schickt , sondern ihnen auch die Pflicht auferlegt, die Sache der eigenen Regierung nach Kräften politisch zu verteidigen, alle Schuld dem Gegner zuzuschieben, Haß gegen ihn zu säen . Wie wenig das Gebot der Landesverteidigung unter allen Umständen in der deutschen Sozialdemokratie vor dem Kriege heimisch war, beweist der Umstand, daß noch wenige Tage vor dessen Ausbruch für die große Mehrheit der Reichstagsfraktion die Ablehnung der Kriegskredite als eine Selbstverständlichkeit galt . Was sie in wenigen Tagen zu einer andern Meinung brachte, waren bestimmte Mitteilungen über die Vorgänge, die zum Kriege geführt hatten, nicht die bloße Tatsache, daß er ausgebrochen und damit schon die Pflicht zur Landesverteidigung gegeben sei . Aber ein furchtbares Ringen auf Leben und Tod kann nicht längere Zeit vor sich gehen, ohne extreme Ansichten zu einer Kraft zu bringen, die sie im Friedenszustand nicht erreichen könnten . So hat im Kriege in der Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie und ebenso in jeder der andern an ihm beteiligten sozialistischen Parteien die Parole der Landesverteidigung eine beherrschende Stellung gewonnen . Indes doch nicht in dem Grade, daß sie allgemeine Geltung in ihnen erlangt hätte. Gerade je mehr die militärische Not und damit anscheinend die Pflicht zur Landesverteidigung wuchs, desto mehr nahm auch in den Reihen der Mehrheitssozialdemokratie die Opposition gegen die Regierung zu.

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Verpflichtung zur Revolution

g) Die automatische Verpflichtung zur Opposition und Revolution. Das gerade Gegenteil der absoluten Verpflichtung zur Unterstützung der eigenen Regierung im Kriegsfall ist die absolute Verpflichtung, ihr entschieden Opposition zu machen, mit allen Mitteln, die Erfolg versprechen, von der Verweigerung der Kriegskredite bis zum Generalstreik und der Insurrektion. Sie stützte sich auf den Passus der Kriegsresolution des Stuttgarter Kongresses, der verlangte,,,die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttlung des Volkes zu benützen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen". Wie man zu diesem Zwecke vorgehen solle, der eigentlich unser Zweck unter allen Umständen schon im Frieden ist, darüber sagte der Beschluß kein Wort. Auch im Kriege, wie stets, muß sich unser jeweiliges Handeln nach den Umständen richten . Es war ganz willkürlich , wenn Lenin die Resolution in dem Sinne auslegte, als gäbe es im Kriege nur eine Aufgabe für uns : in jedem Lande die bestehende Regierung zu stürzen , eine Revolution gegen sie zu entfesseln. Diese Auffassung war im Grunde nur eine Fortbildung des Neubakunismus, den die zweite Internationale auf ihren Kongressen stets mit großer Mehrheit verworfen hatte. Jetzt sollte ein Abweichen vom Neubakunismus ein Aufgeben aller Grundsätze bedeuten, die die Internationale seit jeher anerkannt habe. Bestimmte politische Aktionen, die über den Charakter von Demonstrationen hinausgehen , werden schwerlich jemals gleichzeitig in allen Ländern in gleicher Weise zur Durchführung gelangen können. Internationales Handeln in diesem Sinne ist schwer möglich. Nur die Tendenzen, die Ziele unseres Handelns können international bestimmt werden . Dieses selbst muß sich, wie schon gesagt, nach den jeweiligen Umständen richten, die in jedem Lande ganz besonderer Art sind. Das bezeugen schon die verschiedenen Staatsverfassungen , die hier die unumschränkteste Diktatur festsetzen, dort die weitestgehende Demokratie. Zwischen diesen beiden Extremen bestehen die mannigfachsten Zwischenstufen. Und wie verschieden dabei noch Art und Grad der Volksbildung, der Religion , der sozialen Schichtung etc. Die Kriegstechnik ist wohl in allen Ländern so ziemlich die gleiche . Daher sind überall die Verwüstungen und Leiden des Krieges im wesentlichen dieselben. Aber die Politik der Regierungen, der Parteien , der Massen ist in jedem Lande eine andere, im Kriege ebenso wie im Frieden. Die absolute Verpflichtung zur Opposition oder gar Revolution im Kriege bedeutet ebenso wie die absolute Verpflichtung zur Unterstützung der Regierung einen Verzicht auf politisches Den-

Schablonenhafte Opposition

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ken und Forschen in einer der schwierigsten und folgenreichsten Situationen, die es für einen Sozialdemokraten geben kann. Die bloße Tatsache, daß Kriegshandlungen vorkommen, soll uns automatisch unser Handeln vorschreiben , entweder im Sinne der einen oder der andern Auffassung. Jede dieser Parolen, absolut genommen, kann gleich verhängnisvoll wirken . Die Parole absoluter Landesverteidigung zerreißt notwendigerweise die Internationale . Die der absoluten Opposition gegen jede kriegführende Regierung dagegen beruht allerdings auf der stärksten Betonung der internationalen Solidarität . Aber dieser Vorteil wird erkauft mit völliger Abwendung von der Wirklichkeit. Denn die absolute Verpflichtung zur Opposition unter allen Umständen setzt alle Staaten einander gleich , sieht von allen ihren Unterschieden ab. Sie bleibt blind dafür, daß die Kriegführung in einem despotischen Lande , dessen Bevölkerung sich von der Regierung geknechtet fühlt, etwas ganz anderes bedeutet, als in einem demokratischen Lande, in dem die Massen, ob mit Recht oder Unrecht, die von ihnen direkt oder indirekt gewählte Regierung als ihre Vertretung betrachten , der sie sich in Treue verbunden fühlen. Dieser Unterschied bewirkte es, daß der lange erfolglose Krieg schließlich wohl zum Zusammenbruch des Zarismus, dann der Habsburger und der Hohenzollern führte , dagegen nicht zu einem Umsturz in Frankreich oder England . Der Ausgang des Weltkrieges bezeugt nicht zum wenigsten die Überlegenheit der modernen Demokratie über den Despotismus auch im Kriege. Davon hatten die meisten Verfechter der absoluten Verpflichtung zur Ablehnung der Kriegskredite keine Ahnung. Er war dieselbe Ahnungslosigkeit, die sie am Ende des Krieges allenthalben die Weltrevolution erwarten ließ , und zwar in jedem Lande nach russischem Muster. Eine derartige Schablonenhaftigkeit ist notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. Dabei sind die absoluten Gegner jeder Unterstützung einer Regierung in einem Kriege, auch dann , wenn er ihr aufgezwungen sein mochte, und wenn sie demokratische Kriegsziele verfolgte, nicht einmal untereinander einig. Die einen sind pazifistisch-quäkerisch-tolstoianische Gegner jeder Gewaltanwendung selbst dort, wo sie bloß der Abwehr einer zugedachten Vergewaltigung dient. Niemand wird behaupten wollen , daß eine derartige Auffassung zu den seit jeher anerkannten Grundsätzen der internationalen Sozialdemokratie gehöre. Auf der andern Seite aber wurde die absolute Verpflichtung zu entschiedenster Opposition gegen jede im Kriege befindliche Regierung am energischsten gerade von einer Richtung betont, die in einem fanatischen Kultus der Gewalt schwelgt und vermeint , durch sie alles bewirken und erreichen zu können . Der russische Sozialdemokrat Dan berichtet über die Stellung 30

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Lenin gegen Frieden

Lenins zu dem Kampf der russischen Sozialdemokraten, für rascheste Herbeiführung eines Friedens ohne Annexionen und Kontributionen : „ Lenin erklärte jeden Kampf um den Frieden als eine‚Pfaffenparole '. Er bezeichnete es als die Aufgabe des Proletariats, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zu verwandeln , und verkündete von diesem Standpunkt aus, daß für die Arbeiter eines jeden Landes die Niederlage ihrer eigenen Regierung das kleinste Übel darstelle." (Martov-Dan, Geschichte der russischen Sozialdemokratie , S. 276, 277.) Lenin übersah dabei eine Kleinigkeit : die Idee der Niederlage eines jeden Landes ist ein kompletter Unsinn . Die Niederlage der Einen ist der Sieg der Andern. Eine Politik, die nur dann einen Sinn bekommt, wenn alle an einem Krieg Beteiligten besiegt werden, ist gerade nicht als ein sicheres Mittel zu betrachten, unseren Ideen zum Druchbruch zu verhelfen . Lenin wollte freilich den Krieg durch den Bürgerkrieg töten, dabei übersah er jedoch wieder, daß der Bürgerkrieg, den er ersehnte , die militärische Niederlage voraussetzte , also auf die besiegten Staaten beschränkt bleiben mußte. Wohl trat im Weltkrieg der paradoxe Fall ein , daß es infolge der militärischen Niederlagen zuerst bei den Russen und dann bei ihren Gegnern , den Zentralmächten , zum Umsturz kam ; es wäre jedoch lächerlich, daraus zu schließen , es könne der Fall eintreten , in dem alle am Krieg Beteiligten besiegt werden ; und noch lächerlicher, die ganze Politik der eigenen Partei und Klasse einzig auf das Eintreten dieses Falles einzurichten. Wohl hat ein eigenartiges Zusammentreffen von Umständen Lenin und seine Leute in Rußland an die Stelle des gestürzten Zaren gesetzt. Aber nicht durch Lenins Politik wurde der Weltkrieg beendet, und außerhalb des Bereichs der russischen Autokratie und ihrer Machtmittel hat seine Taktik keine praktischen Erfolge aufzuweisen. Die Haltung Lenins im Weltkrieg wurde dadurch bestimmt, daß er die Erfahrungen des japanisch-russischen Kriegs von 1904 unzulässig generalisierte und auf alle Zeiten und Staaten ausdehnte. Damals fühlte sich das russische Volk in seiner Unversehrtheit und Selbständigkeit in keiner Weise bedroht, auch wenn die Japaner noch so sehr siegten. Im Gegenteil, die Niederlage der eigenen, despotischen Regierung mußte die Sache der Befreiung des russischen Volkes ungemein fördern. Daher erzeugte damals der Krieg nicht Kriegsenthusiasmus und Patriotismus im russischen Volke, sondern eine förmliche Genugtuung wegen der eigenen Niederlagen . Die Begeisterung, die er weckte, war nicht patriotischer, sondern revolutionärer Art. Aber Lenin irrte sehr, wenn er meinte, daß das, was für den Krieg von 1904 galt, nun hinfort für alle Kriege gelte . Sein Grundfehler war der einer schablonenhaften Propaganda , die von allen Unterschieden in Zeit und Raum absah . Allerdings, sein Handeln

Grundsätzliche Politik

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in Rußland selbst war nicht schablonenhaft, sondern vielmehr höchst opportunistisch , zwischen Anarchismus und Despotismus schwankend . Die Männer der Schablone nennen gern ihre Politik eine grundsätzliche Politik und im Gegensatz dazu eine die jeweiligen konkreten Dinge studierende eine opportunistische Politik. In Wirklichkeit gibt es zwei Arten grundsätzlicher Politik. Die eine schöpft ihre Grundsätze aus dem Erforschen der konkreten Umwelt. Sie unterscheidet sich von der charakterlosen, opportunistischen ,,Realpolitik" nicht dadurch, daß diese die konkreten Dinge beachtet, jene nicht, sondern nur durch den Umkreis der Dinge, die sie untersucht . Für den opportunistischen Realpolitiker besteht die ,,Realität“ bloß in den Dingen , an die seine Nase stößt . Für den grundsätzlichen realistischen Politiker dagegen kann der Umkreis der Dinge , die er erforscht und ebenso die Weite der Ziele, die er aus dieser Forschung ableitet, nicht groß genug sein. Neben dem grundsätzlichen realistischen Handeln gibt es noch eine andere Art grundsätzlicher Politik. Sie übernimmt irgendwelche Formeln, die ihr sympathisch sind und die sie bei irgendeinem Denker oder auch nur Phraseur fertig vorfindet, als Grundsätze , die alles Untersuchen der Wirklichkeit ersparen sollen. Nichts bequemer, als diese Politik einiger Formeln oder ,, Thesen", die leicht zu merken sind und die ihrem Besitzer den Glauben verleihen, er verfüge durch sie über die Kraft, die Umwelt zu meistern . Seit uralten Zeiten sind bei allen Völkern solche Formeln im Schwange, an denen der Mensch um so zäher hängt, je größer seine Unwissenheit und je intensiver sein Bedürfnis nach Errettung aus Gefahren oder unerträglichen Zuständen. Die Zauberformeln wechseln und ebenso die Quellen , aus denen sie geschöpft werden, wie die Namen, die man ihnen gibt. Stets aber beruhen sie, auch wenn sie noch so materialistisch aussehen , auf blindem Glauben an eine höhere Macht oder Persönlichkeit. Stets verleiht dieser Glaube vermehrtes Kraftgefühl, stets aber hat er dabei die Tendenz , daß sich der von ihm Erfüllte zu unüberlegten Kraftproben hinreißen läßt , sich an Aufgaben wagt, denen er nicht gewachsen ist. Unter den Formeln, die historische Kraft erlangten, waren manche das Produkt tiefgründiger wissenschaftlicher Forschung, die Quintessenz des höchsten Wissens ihrer Zeit. Aber derjenige drückt sie auf das Niveau primitiver Zauberformeln herab, der sie fertig übernimmt , ohne selbst die Dinge begriffen zu haben, auf deren Kenntnis sie aufgebaut wurden , und der sie nicht als Zusammenfassung bestimmten Wissens betrachtet, ohne dessen Erwerbung sie nichts taugen, sondern als Ersatz für alles Wissen ; als Mittel, sich die Erkenntnis der Umwelt zu ersparen, die es zu meistern gilt . Eine ,,grundsätzliche" Politik dieser Art erhebt uns nicht über das Niveau der charakterlosen, opportunistischen Realpolitiker, 30*

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Gegensätze innerhalb der Sozialdemokratie

sondern drückt uns darunter herab. Denn diese studieren wenigstens ihre unmittelbare Umgebung, obwohl sie blind sind für alles. darüber hinaus Liegende. Am schlimmsten wird es, wenn ein lokal oder zeitlich beschränkter Realpolitiker mit Zauberformeln zu hantieren beginnt . h) Die Bewahrung der Parteieinheit im Kriege.

Als der Weltkrieg ausbrach, bestanden im Schoße der sozialdemokratischen Parteien die mannigfachsten Auffassungen über die durch unsere Grundsätze gebotene Haltung. Die Meinungsverschiedenheiten wurden gefördert dadurch, daß keine der in den Krieg eintretenden Regierungen ein greifbares positives Kriegsziel angab. Im Grunde wurde jede nur bewegt durch die Angst vor dem einem oder dem andern der Nachbarn. Den Feind niederschlagen, um ihn unschädlich zu machen, das war das ganze Kriegsprogramm der Leiter des österreichischen wie des Deutschen Reichs und nicht minder das ihrer Gegner. Wohl verhießen die Westmächte , nach ihrem Siege Einrichtungen zu schaffen , die den jetzigen Krieg zum letzten machten , aber wie diese Einrichtungen beschaffen sein sollten , das blieb im Dunkeln. Dabei überließ man es der Phantasie jeder der kämpfenden Nationen, sich die Kriegsziele des Gegners so schwarz wie möglich vorzustellen. Und sie erschienen um so schwärzer, je mehr seit vielen Jahren in der Zeit des Wettrüstens die leitenden Staatsmänner und noch mehr ihre Presse und Parlamentarier hüben wie drüben, schon um ihre Rüstungen plausibel zu machen, den im Rüsten konkurrierenden Mächten die bösartigsten Absichten zugeschrieben hatten . Auch dabei kam Deutschland am schlechtesten weg, schon durch die bramarbasierende Redekunst seines Kaisers und sein ewiges Säbelrasseln, das den militaristischen Traditionen der deutschen Monarchie viel mehr entsprach als ihren augenblicklichen Bedürfnissen . Zu der Verschiedenheit der theoretischen Auffassungen sowie der Unbestimmtheit der Kriegsziele gesellten sich noch Verschiedenheiten, die daraus hervorgingen , daß auf beiden Seiten der Krieg ein Koalitionskrieg war, mit sehr heterogenen Partnern innerhalb jeder Koalition. Alles das wirkte dahin , daß in den meisten der kriegführenden Staaten innerhalb jeder der sozialdemokratischen Parteien große Meinungsverschiedenheiten über die Haltung im Kriege auftauchten, um so eher auftauchten, je umfangreicher die Partei, je mehr sie nicht eine kleine Sekte darstellte, sondern eine Organisation großer Massen ; je größer die Macht dieser Partei, je fühlbarer die praktische Rückwirkung ihrer Politik auf das Gemeinwesen und je unklarer der Ursprung des Kriegs und die Konsequenzen eines Siegs oder einer Niederlage in ihm erschienen . Das waren schlechte Bedingungen für die Erhaltung der Ein-

Notwendigkeit der Parteieinheit

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heit der Partei . Vielleicht nirgends so schlecht, wie im Deutschen Reich. Und doch wurde es dringend notwendig, ihre organisatorische Einheit im Kriege zu erhalten, selbst dann, wenn es nicht gelang, die tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten über die Haltung der Partei zur Regierung im Kriege zu überwinden . Wie immer der Krieg enden mochte, eines war klar. Eine jede derartige Katastrophe räumt viele Überbleibsel weg, die schon längst ihre Lebenskraft verloren haben und als totes Gestrüpp den Weg des Fortschritts einengen. Vor allem das morsche Österreich mußte durch den Krieg aufs tiefste erschüttert werden, selbst wenn es seinen und den deutschen Armeen gelingen sollte , sich siegreich zu behaupten , was bei der Überzahl der Gegner und der allgemeinen Feindseligkeit der Welt gegen die beiden Zentralmächte von vornherein nicht zu erwarten war. Auf jeden Fall mußte der Krieg auch, je länger er dauerte, um so größere Anforderungen an die Opferfreudigkeit der Bevölkerung stellen. Da kamen die Regierungen nicht um die Notwendigkeit herum, den unteren Klassen politische und soziale Konzessionen zu machen. Man durfte freilich nicht am Schluß des Kriegs eine allgemeine Weltrevolution erwarten, wohl aber einen Umsturz in einzelnen Staaten und allenthalben eine erhebliche Vermehrung der Macht des Proletariats, was in manchen Gemeinwesen sogar dazu führen konnte, daß sie die Regierungsgewalt erlangten . War der Krieg nicht zu verhindern gewesen, so mußte die Sozialdemokratie doch in jedem Lande trachten , nicht nur dessen Regierung zur Setzung eines Kriegsziels zu bewegen, das einen baldigen Friedensschluß ohne Vergewaltigung einer Nation erlaubte . Sie hatte auch darüber hinaus noch die Aufgabe, ihre eigene organisatorische Einheit im Kriege zu bewahren, und damit die Möglichkeit des Zusammenarbeitens der verschiedenen Richtungen innerhalb der Partei für die Zeit nach dem Kriege zu erhalten, wenn die trennenden Momente des Kriegs aufhörten, zu wirken und die sozialen und politischen Aufgaben der Friedenspolitik dringend der vollsten Einigkeit der Sozialisten bedurften. Sonst drohte innerer Zwiespalt die Sozialdemokratie gerade in dem Moment zu lähmen, da ihr gewaltige Aufgaben erwuchsen, die den höchsten Kraftaufwand erheischten und deren Lösung eine Lebensfrage für den Sozialismus wurde. Die unerläßliche Einigkeit konnte nach Kriegsende auf jeden Fall wieder kommen, wenn Mehrheit und Minderheit sich bloß durch die Frage der Kriegspolitik geschieden hatten, in ihrer Friedenspolitik von gleichen Überzeugungen getragen wurden . Doch war es notwendig, daß die Einigkeit in der Partei gleich unmittelbar nach dem Kriege wieder bestand , da es dann hieß , rasch und energisch handeln , um die günstige Konjunktur auszunutzen . Das setzte voraus, daß die Partei organisatorisch geschlossen aus dem Kriege herausging. Hatte sie sich im Kriege gespalten, waren ihre

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Einheit der deutschen Sozialdemokratie

einzelnen Teile von Mißtrauen, Haß, Erbitterung gegeneinander erfüllt, so sehr, daß die einen es ablehnten, sich auch nur an denselben Tisch mit den andern zu setzen , dann mußte kostbare Zeit vergehen, ehe es wieder zur nötigen Einigung kam, und es drohte die Gefahr, daß die Sozialdemokratie sich in sinnloser Selbstzerfleischung ohnmächtig machte in einer Zeit , in der das Proletariat seine vollste konzentrierte Kraft brauchte. Aus dieser Erkenntnis heraus legte sich die Minderheit in der deutschen Sozialdemokratie die strengste Selbstbeschränkung auf. Obwohl sie die Bewilligung der Kriegskredite für einen schweren Fehler hielt , ja mancher der Minderheitler sogar für eine Verletzung wichtiger Parteigrundsätze, stimmte doch am 4. August 1914 im Interesse der Einheit kein Mitglied der Frak tion gegen die Kriegskredite. Nicht einmal Karl Liebknecht verstand sich dazu. Einzig Fritz Kunert konnte es nicht über sich bringen , die Kredite zu bewilligen. Doch auch er stimmte nicht offen gegen sie , sondern verließ den Sitzungssaal vor der Abstimmung. Am 2. Dezember 1914 wiederholte sich dasselbe Bild. Nur stimmte diesmal Karl Liebknecht offen im Plenum des Reichstags gegen die eigene Fraktion , im Gegensatz zu seinen Gesinnungsgenossen aus der Minderheit . Sie alle , auch die rebellischsten unter ihnen, wie Ledebour, fügten sich der Fraktionsdisziplin. Hugo Haase trieb die Selbstentäußerung im Interesse der Parteieinheit so weit, daß er schon am 4. August als Fraktionsvorsitzender die Erklärung verlas, mit der die Zustimmung zu den Kriegskrediten begründet wurde, die er soeben innerhalb der Fraktion aufs heftigste bekämpft hatte. Allerdings bedurfte es des dringendsten Zuredens auch von seiten seiner engeren Freunde, ihn dazu zu bewegen . Er sträubte sich lange dagegen , diese ihm yerhaßte Funktion zu übernehmen . Aber das Interesse an der Erhaltung der Parteieinheit überwog . Doch war es unmöglich, daß dieOpposition dauernd darauf verzichtete, ihren Standpunkt öffentlich kund zu geben. Im März 1915 kam wieder eine neue Forderung von zehn Milliarden für den Krieg vor den Reichstag . Diesmal blieb die Opposition nicht stumm . Schon am 10. März hielt Haase eine Rede im Plenum des Reichstags , in der die Einleitung von Friedensverhandlungen gefordert wurde. So groß war noch das Einigkeitsbedürfnis in der Partei, daß er für diese Rede die Zustimmung der Mehrheit der Fraktion einholte. Allerdings der rechte Flügel der Mehrheit, der immer mehr in ein nationalistisches Fahrwasser geriet, meinte, man schädige das deutsche Volk, wenn man den Friedenswillen bekunde, ehe es den Sieg errungen habe. Aber ihr linker Flügel im Verein mit den Ablehnern der Kriegskredite war in der Fraktion 57 Stimmen stark, verfügte über die Mehrheit, allerdings nur über eine schwache. In der Sitzung vom 20. März sprachen

Wachsender Gegensatz in der Sozialdemokratie

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dann ebenfalls im Auftrag der Fraktion noch Stadthagen und Ledebour gegen Belagerungszustand und Ausnahmegesetze und deren Handhabung. Ledebour entfesselte im Reichstag einen Sturm der Entrüstung, als er die Brutalität Hindenburgs brandmarkte , der die Drohung ausgesprochen hatte, für jedes von russischen Truppen verbrannte deutsche Dorf werde er drei russische in Flammen aufgehen lassen. Die Wut der bürgerlichen Parteien über diese Kritik fand ein Echo in dem nationalistischen Flügel der Mehrheit unserer Fraktion . Heine erklärte in einem Zwischenruf, Ledebour spreche nicht im Namen der Fraktion. Natürlich wurden abermals die Kriegskredite bewilligt. Die Erklärung der Fraktion dazu wurde jedoch diesmal nicht mehr von Haase , wie bisher verlesen, sondern von Scheidemann . Wer gehofft hatte, der linke Flügel der Mehrheit werde sich mit den Kreditverweigerern zu einer gemeinsamen Front zusammenfinden , der sah sich arg enttäuscht. Der Zwiespalt zwischen Mehrheit und Minderheit klaffte ärger als je. Trotzdem blieben beide Teile von dem Bedürfnis nach Erhaltung der Einigkeit beseelt. Zu Liebknecht gesellte sich diesmal wohl noch Rühle in der offenen Ablehnung der Kriegskredite . Aber die übrigen Mitglieder der Minderheit folgten ihnen nicht. Immerhin stimmten sie nicht mit der Mehrheit , sondern entfernten sich vor der Abstimmung aus dem Sitzungssaal. Es waren ihrer 30 Mann von 110 . Bei der Stimmenthaltung durfte es nicht bleiben. Um so mehr, da alle bürgerlichen Parteien nun annexionistische Kriegsziele forderten und die Regierung solche nicht ablehnte. Am 28. Mai hielt Bethmann- Hollweg im Reichstag eine Rede , in der er ausdrücklich sagte : ,,Wir müssen ausharren, bis wir uns alle nur möglichen realen Garantien und Sicherheiten dafür geschaffen und erkämpft haben, daß keiner unserer Feinde nicht vereinzelt, nicht vereint — wieder einen Waffengang mehr wagen wird. “ Das heißt , Deutschland müsse den Gegnern Friedensbedingungen auferlegen, die es stärker machten als sie alle zusammengenommen. In der Debatte legte der Konservative Westarp die Worte des Reichskanzlers dahin aus, wir dürften vor ,, Gebietserwerbungen nicht zurückschrecken, die für die dauernde Sicherheit des Landes notwendig sind". Und der Nationalliberale Schiffer führte aus, daß wir wohl ,,keinen Eroberungskrieg führen“, wenn aber ,,militärische Notwendigkeiten es erforderlich erscheinen lassen, unsere Grenzen anders zu gestalten ... so halten wir es für eine tiefsittliche Pflicht, darauf zu dringen, daß eine solche Grenzerweiterung erfolgt". Der Ethiker Bethmann-Hollweg hatte gegen diese ,,tiefsittliche" Auslegung des Wortes, daß wir ,,keinen Eroberungskrieg führen", nichts einzuwenden . Um so dringender notwendig erschien es der Minderheit in der Sozialdemokratie, gegen diese Hal-

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Gebot der Stunde

tung der Regierung öffentlich zu protestieren . Das war der Sinn des Aufrufs, den am 19. Juni 1915 Bernstein , Haase und ich in der ,,Leipziger Volkszeitung" unter dem Titel : ,,Das Gebot der Stunde“ veröffentlichten . Nicht an die Minderheit der Partei allein wendeten wir uns, sondern an die Gesamtpartei . An ihr liege es jetzt mehr als je, die Bahn zum Friedensschluß frei zu machen, einem Frieden der Verständigung unter Zurückweisung aller Eroberungspläne . Einmütig sollten Mehrheit und Minderheit der Partei sich zur Verfechtung dieser Politik zusammentun. Daß dazu die Verweigerung der Kriegskredite von nun an gehöre , wurde angedeutet , aber nicht offen ausgesprochen , wegen der Kriegszensur. Indes half alle Vorsicht nichts. Die ,,Leipziger Volkszeitung", die den Aufruf gebracht, wurde für eine Woche verboten. Damit war jede andere Zeitung gewarnt, ihn abzudrucken. Und diese Warnung hatte Erfolg. Doch nicht nur der Kriegszensur mißfiel der Aufruf. Die Vorstände der Partei und der Fraktion wendeten sich ebenfalls gegen ihn. Sie konnten den Inhalt nicht sachlich mißbilligen, aber, meinte der Parteivorstand in einer „ Klarstellung“ vom 30. Juni , es habe kein Anlaß zu dem Aufruf vorgelegen, da wir schon am 4. August jeden Eroberungskrieg verurteilt hätten. Allerdings, Bernstein und mir konnte man nicht gut verbieten , unsere Überzeugung offen auszusprechen, aber Haase, als Vorsitzender der Partei und der Reichstagsfraktion wurde wegen der Veröffentlichung gerügt, die die Parteieinheit schwer gefährde. Gröber als der Vorstand ging wegen unserer ,,Angriffe auf die Parteieinheit" ein Teil der Mehrheitspresse gegen uns vor. Dabei waren wir wegen der Zensur in der Presse so gut wie mundtot . Trotzdem konnte sich, im Interesse der Parteieinheit, die Minderheit lange nicht entschließen , die einzige Tribüne zu benützen , die ihr noch offen stand , die des Reichstags. Unsere Differenzen vor den Gegnern im Reichstag auszutragen, hatte unsere Partei seit jeher ängstlich vermieden und mit Recht . Ihnen hatten wir eine geschlossene Front zu zeigen. Das ging solange, als die Demokratie in der Partei bestand, die es ermöglichte, daß freieste Diskussion in ihren Reihen möglich war. Diese Diskussion war jetzt durch den Kriegszustand unterbunden , der das freie Wort knebelte , jedes offene Aussprechen der Ansichten der Minderheit unmöglich machte. Da blieb schließlich nichts anders übrig, wollte sie sich nicht zur Rolle ,,stummer Hunde" degradieren lassen , als die Fraktionsdisziplin zu brechen. Damit allerdings wurde die Parteieinheit gefährdet. Lange haben die Abgeordneten der Minderheit gezögert, in dieser Weise vorzugehen. Aber schließlich glaubten sie, nicht länger schweigen zu dürfen. Der Krieg zog sich zu endlos hin . Viele Politiker, ja selbst gewiegte Militärs, hatten erwartet, der Krieg werde kurz sein . Ich muß gestehen, daß ich diesen Irrtum teilte, weil ich mit dem Bewegungskrieg rechnete, den Stellungs-

Opposition im Reichstag

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krieg nicht voraussah . Das passierte übrigens auch den Fachleuten . Dauerte der Krieg nur einige Monate , dann wäre es wohl möglich gewesen, die Einheit der Partei zu erhalten . Aber je länger er sich hinzog, je furchtbarer die Opfer und Entbehrungen, die er mit sich brachte, desto intensiver empfand jeder der beiden Flügel der Partei die Politik des andern Flügels als eine, die zur Verlängerung des Kriegs und zur Niederlage oder zum Verlassen unserer Grundsätze führe . Immer schärfer spitzten sich die Gegensätze zu . Immer weniger dachte man daran , daß man nach dem Kriege wieder zusammenarbeiten müsse, immer zahlreicher wurden jene , die den Zusammenhalt mit dem gegnerischen Flügel in einer gemeinsamen Organisation als unerträgliche Fessel empfanden . Trotzdem überwogen in der Minderheit der deutschen Sozialdemokratie lange noch jene , die sich gegen die organisatorische Spaltung wehrten. Wir hofften, sie verhindern zu können , wenn die Mehrheit der Fraktion unseren Vertretern im Reichstag freiwillig das Recht gab , die einzige Tribüne zu benützen , die uns der Kriegszustand übrig ließ . In diesem Sinne veröffentlichte ich in der ,,Neuen Zeit“ vom Oktober bis Dezember 1915 vier Artikel über Parteidisziplin und Freiheit der Meinungsäußerung. Ich führte dort aus (im Heft vom 5. November) , daß die Gegensätze über die Haltung im Krieg in unseren Reihen eine Schärfe erlangt hätten ,,,die am 4. August 1914 noch niemand für möglich gehalten hätte". Es sei unvermeidlich , daß sie schließlich im Reichstag zum Ausdruck kämen. „ Kein Zweifel , die Minderheit hat dabei auch selbst gezaudert und sich bisher noch nicht entschlossen, die Tribüne des Reichstags zu benützen, um ihren Standpunkt frei zu verkünden und zu begründen. Sollte sie jedoch dazu übergehen, so würde sie in der Notlage des Kriegszustandes eine ausreichende Rechtfertigung finden." Das brauche nicht eine Zerreißung der Partei herbeizuführen. ,,Was die Einheit der Partei gefährdet , ist nicht das Aussprechen, sondern das Bestehn des Gegensatzes ." Sein Aussprechen ermögliche es am ehesten, ihn in erträglichen Grenzen zu halten. Das Mundtotmachen der einen Seite mache den Gegensatz unerträglich und fördere hüben wie drüben das Aufkommen der extremsten Elemente , die den Gegensatz auf die Spitze trieben. Diese Auffassung war die vorherrschende in der Minderheit. Sie ging dazu über , offen im Reichstag ihre Anschauung kund zu tun, doch zunächst nur in schüchterner Form . Im Dezember 1915 forderte die Regierung wieder neue Kriegskredite ( 10 Milliarden ) . Ebert verkündete im Reichstag die Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion dazu . Da erhob sich (in der Sitzung vom 29. Dezember) Fritz Geyer und verlas im Namen von zwanzig Mitgliedern der Fraktion eine Erklärung, die sich dagegen wandte, daß sämtliche bürgerlichen Parteien sich für

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Fraktionsspaltung

Gebietserweiterung aussprächen und der Reichskanzler ihnen Vorschub leiste. Damit verhindere man erfolgreiche Friedensverhandlungen. Der Reichskanzler lehne es schroff ab, den Gegnern ein Friedensangebot zu machen . ,,Unseren Friedenswillen und unsere Gegnerschaft gegen Eroberungspläne können wir nicht vereinbaren mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten. Wir lehnen sie ab." Die zwanzig Unterzeichner der Erklärung stimmten dem entsprechend gegen die Kredite. In seiner ,, Geschichte der U. S. P. D. , Entstehung und Entwicklung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands" ( Berlin 1922) , nannte Eugen Prager das „ Gebot der Stunde“ vom 19. Juni 1915 „ die erste Kampfansage der Opposition an die Mehrheit der Parteiinstanzen" (S. 72) . Die von Geyer verlesene Erklärung vom 29. Dezember 1915 kann man als das erste Auftreten der Opposition im Reichstag, ja, vor der Weltöffentlichkeit betrachten. Doch kam es zunächst nicht zu einer Spaltung der Fraktion. Das Vorgehen der zwanzig wurde vom Parteiausschuß, der am 7. Januar 1916 zusammentrat, nur miẞbilligt . Schärfer ging die Fraktion gegen Liebknecht wegen einer anderen Angelegenheit vor. Er wurde aus der Fraktion ausgeschlossen. Davon später mehr. Aber die Minderheit konnte nicht beim Verlesen einer Erklärung bleiben. Im März 1916 trat der Reichstag wieder zusammen , um einen Notetat zu verabschieden. Die Mehrheit der Fraktion beschloß , ihn anzunehmen . Die Minderheit fühlte sich aber gedrängt, ihn nicht bloß abzulehnen, sondern das auch in einer ausführlichen Rede zu begründen . Diese Aufgabe fiel Haase zu . Geyers Erklärung vom 29. Dezember war ruhig angehört worden. Haases Darlegungen über die Sinnlosigkeit der Fortsetzung des Kriegs , über die Notwendigkeit und Möglichkeit , ihn bald zu beenden, erregten einen Sturm von Entrüstung, wie ihn der Reichstag bis dahin kaum noch erlebt, bis schließlich der Präsident Kämpf an das Haus die Frage richtete , ob es Haase noch weiter anhören wolle . ,,Nicht nur die Rechte und beide Parteien der Mitte , sondern auch vie Sozialdemokraten stimmten dafür, Haase das Wort zu entziehen. “ ( Eduard Bernstein,,,Die Spaltung der Reichstagsfraktion “, „ Neue Zeit “, XXXIV, 2. S. 2. ) Nach diesen Vorgängen war die Einheit der Fraktion nicht mehr aufrecht zu halten, Haase und jene Fraktionsmitglieder, die sich mit ihm solidarisch erklärten, wurden aus der Fraktion ausgeschlossen. Dieser folgenschwere Beschluß wurde mit keiner überwältigenden Mehrheit gefaßt, mit 58 gegen 33 Stimmen, bei 4 Stimmenthaltungen ( Haase und drei Genossen) . Der Ausschluß richtete sich gegen 17 Angehörige der Minderheit. Sie bildeten sofort eine eigene Fraktion , wobei sich ihnen Bernstein anschloß. Sie nannte sich ,, Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft". Das bedeutete noch nicht die Spaltung der Partei. An der

Parteispaltung

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Reichskonferenz der Partei im September 1916 nahm die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft ebenso teil , wie die alte Fraktion. Über die Politik der Partei hielt Ebert das Referat , Haase das Korreferat. Die Opposition gegen die Mehrheit war sehr ansehnlich, wie eine namentliche Abstimmung über einen Antrag Haase-Ledebour zeigte , die als Kraftprobe gelten konnte . Für den Antrag wurden 169 Stimmen abgegeben, dagegen 276. Aber zu einer Abschwächung der Gegensätze führte die Konferenz nicht . Sie verschärften sich vielmehr immer mehr. So kam es schließlich doch zur Spaltung. Allerdings noch im Januar 1917 wurde eine solche bei einer Konferenz aller Richtungen der Opposition abgelehnt. Aber der Kampf zwischen der Opposition und der Mehrheit der Partei nahm immer schroffere Formen an. Schließlich im April 1917 kam es zu einem entscheidenden Beschluß auf einer Konferenz der vereinigten Opposition in Gotha. Dort wurde beantragt, die Opposition solle sich als „ Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands" (U. S. P. D. ) organisieren. Ein Teil der Teilnehmer an der Tagung lehnte das ab, wollte der Opposition eine Gestalt und einen Namen geben , die es ermöglichten, im Rahmen der Gesamtpartei zu bleiben. Das wurde abgelehnt mit 77 gegen 42 Stimmen. Rechnet man die Vertreter der Spartakusgruppe von den 77 ab, dann dürfte es sich herausstellen, daß unter den eigentlichen Unabhängigen die von der Gesamtpartei losstrebenden Elemente kaum die Mehrheit bildeten. Die Spaltung ließ sich nun nicht aufhalten . Viele der „ Unabhängigen" bedauerten das sehr. In der Tat, Bernstein, Wurm und ich überlegten damals lange, ob wir uns der neuen Organisation anschließen sollten oder nicht. Der Kampf um den Frieden , gegen die Kriegspolitik der Regierung erschien uns jedoch wichtiger noch als die Einheit der Partei . Daher gesellten wir uns zu den ,,Unabhängigen“, aber wir zählten nicht zu jenen, die in deren Konstituierung, in der organisatorischen Loslösung von der Mehrheit eine befreiende Tat sahen . In Wirklichkeit wurde das Wachstum der Opposition dadurch erheblich gehemmt. Viele, die deren Gedankengängen folgten , machten die Loslösung von der Gesamtpartei nicht mit. Je länger der Krieg fortging, je entsetzlicher seine Verheerungen, je provozierender und unsinniger sich die Eroberungsgelüste der bürgerlichen Parteien gestalteten, je mehr dadurch die Herbeiführung des Friedens erschwert wurde, desto mehr wuchs die Gegnerschaft in der sozialdemokratischen Partei gegen das Zusammengehen mit der Regierung und die Bewilligung weiterer Kriegskredite. Es stimmten in der Fraktion gegen die erste Kreditvorlage (4. August 1914) 14 Abgeordnete, gegen die zweite (2. Dezember 1914) 17, gegen die dritte ( 20. März 1915 ) 22, und gegen die vierte (20. August 1915 ) 36, endlich gegen die fünfte ( 29. Dezember 1915 ) 43

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Folgen der Spaltung

Abgeordnete. Man konnte den Tag kommen sehen, an dem die Minderheit in der Fraktion zur Mehrheit wurde , der Fraktionszwang die Kreditbewilligung ausschloß. Da kam im März 1916 die Bildung der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft. Damit wurde die Entwicklung gehemmt und dann schließlich vollends abgeschnitten durch die Organisierung der Unabhängigen Sozialdemokratie. Die Opposition wurde fortan in zwei Teile gespalten, einen Teil, dem die Einigkeit über alles ging. Er blieb in der alten Partei und sah sich dort zur Nichtigkeit verurteilt . Die Unabhängigen aber sahen auch ihre Werbekraft gehemmt dadurch, daß die Zugehörigkeit zu ihnen Teilnahme an der Parteispaltung bedeutete . Und dazu kam noch die Zerklüftung der Unabhängigen durch die Spartakisten , von denen noch besonders zu handeln ist. Die Sache, der die Unabhängigen dienten , hätten sie im Rahmen der Gesamtpartei viel erfolgreicher vertreten können , als in der Spaltung . Bei der allgemeinen Stimmung des letzten Kriegsjahres im deutschen Proletariat wäre den Unabhängigen sicher schließlich die Mehrheit der Fraktion zugefallen . Aber nicht nur das Sonderinteresse der Unabhängigen ließ uns die Spaltung bedauern, sondern weit mehr noch das Gesamtinteresse des Proletariats. Wie ganz anders hätte dieses zu Ende des Jahres 1918 , in der Revolution, auftreten können, wenn es geschlossen in sie einging, einmütig die damalige Situation gegen Bureaukratie, Militarismus, Kapitalismus ausnutzen konnte ; eine Situation , die tatsächlich eine Diktatur des Proletariats, nicht als Staatsform, wohl aber als Zustand bedeutet hätte , wenn nicht die Proletarier sich gegeneinander gewendet hätten , einander würgend und zerfleischend . Von den vielen furchtbaren Schädigungen, die der Krieg dem deutschen Proletariat hinterließ, war seine Zersplitterung und Zerklüftung vielleicht die schlimmste .

k) Die Spalter an der Arbeit. Nicht die gesamte Opposition gegen die Kreditbewilliger in der deutschen Sozialdemokratie war ängstlich für die Erhaltung der Parteieinheit besorgt. Ein allerdings geringer Teil betrachtete diese vielmehr als eine Fessel , die man abwerfen müsse , um ungehemmt den Kampf gegen die Regierung gegen den Krieg, wie man sagte mit voller Kraft führen zu können . Die hervorragendste Vertreterin dieser spaltenden Richtung war Rosa Luxemburg . Ihre Bedeutung verdankte sie ihrer persönlichen Begabung, ihrer Verbindung theoretischen Sinnes und groBen Wissens mit kühnem Mut und lodernder revolutionärer Leidenschaft. Ihre Neigung zur Parteispaltung aber hatte sie dem revolutionären Milieu im russischen Reich entnommen , aus dem sie hervorging. Und dessen Vorbild wirkte seit 1905 besonders stark bestimmend auf sie

wie auf viele andere ungeduldige Hitzköpfe

Rosa Luxemburg

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außerhalb Rußlands , die den Unterschied zwischen diesem Staat und Westeuropa verkannten . Aber nicht nur revolutionäre Leidenschaft hatten ihr die russischen Zustände eingeflößt, sondern auch Geringschätzung der Massenorganisation— die russischen Generalstreiks von 1905 waren alle von unorganisierten Massen gewonnen worden. Dabei begünstigten die sozialen Bedingungen in Rußland das Sektierertum und die Parteispaltungen in der sozialistischen Bewegung. Sie wirkten so selbst bei manchen Marxisten . Sie alle kamen in Rußland theoretisch zu dem Standpunkt der Klassenpartei, im Gegensatz zur Sekte. Aber die sozialen Bedingungen werden leicht stärker, als theoretische Erwägungen . Auch unter den Marxisten erstand eine Gruppe , die einseitigen Sektenfanatismus entwickelte , aus der Arbeiterpartei jeden hinausweisen wollte , der nicht bedingungslos auf die Autorität des Sektenhäuptlings, Lenin, schwor. Diese Sekte vereinbarte ihre Engherzigkeit mit dem Marxismus dadurch, daß sie einfach erklärte : in meinem Lager ist die Arbeiterklasse . Wer nicht auf den Häuptling schwört , ist ein Klassenfeind, noch ein schlimmerer Klassenfeind, als etwa Kapitalisten. Er ist ein Lakai des Klassengegners , ein Verräter der eigenen Klasse. Über diese sektiererische Beschränktheit war Rosa Luxemburg im allgemeinen erhaben . Aber ihre russischen Erfahrungen von 1905 brachten sie zu einer Geringschätzung der Massenorganisation. Nimmt man dazu ihre gleichzeitig erworbene Überzeugung, die Proletarier seien überall bereit, loszuschlagen, wenn einige kühne Menschen die Initiative ergriffen, die allerdings straff organisiert sein müßten, dann erstand daraus leicht ein Bedürfnis nach Loslösung von der großen Parteiorganisation , wenn deren Führung sie enttäuschte. Das trat bei Rosa Luxemburg ein, im August 1914 , nachdem sie früher schon mit dem Parteivorstand (auch mit mir, der bis dahin einmütig mit ihr vorgegangen war) , wegen der Taktik im preußischen Wahlrechtskampf 1910 in einen schweren Konflikt geraten war, da sie in diesen die russische Methode von 1905 einführen wollte. Sie gehörte zu jenen revolutionär gesinnten Sozialdemokraten , die erwarteten, in jedem Lande, in dem es zu einem Krieg käme, werde dessen Ausbruch mit einer Erhebung der Arbeiter gegen die Regierung beantwortet werden . Wie ich vorausgesehen, trat das Gegenteil ein. Wütend darüber, kamen jene Revolutionäre nicht zur Erkenntnis , daß sie falsch gerechnet, sondern daß wir mit unserer Voraussicht das Proletariat entnervt hätten . Besondere Schuld wurde den Führern der Partei , namentlich dem Vorstand und der Reichstagsfraktion beigemessen, die statt das Signal zum Aufstand zu geben, sogar der Regierung die Kredite bewilligten. Rosa Luxemburg und ihre Anhänger waren blind dafür, daß da-

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Spartakisten

mals die Massen genau so dachten , wie die Führer, daß diese nur aussprachen, was jene empfanden. Rosa Luxemburg und ihre Freunde sahen im Verhalten der Mehrheit von Fraktion und Parteivorstand nicht den Ausdruck einer überwältigenden Volksstimmung, aber auch nicht etwa bloß das Ergebnis einer falschen Auffassung der Ursachen und der voraussichtlichen Wirkungen der Kriegspolitik der deutschen Regierung. Sie sahen in diesem Verhalten offenbaren Prinzipienverrat , als ob irgend ein Kongreß der Partei oder der Internationale je beschlossen hätte, daß ohne weitere Prüfung bei Kriegsausbruch jede sozialdemokratische Partei durch ihre Grundsätze verpflichtet sei, der Regierung ihres Landes den Krieg zu erklären . Doch nicht bloß gegen die Mehrheitler richtete sich der Zorn Rosa Luxemburgs und ihrer Anhänger, der „ Spartakisten". Fast noch wegwerfender wurden jene Sozialdemokraten von ihnen behandelt, die zwar der Meinung waren, die Politik der deutschen Regierung sei derart, daß man ihr die Kredite verweigern müsse, die aber an der Einheit der Partei festhielten, solange es nur ging. Das Hochhalten der Parteieinheit erschien den Spartakisten, die später, 1919 , den Namen Kommunisten annahmen , als verwerfliche Schwäche und Feigheit. Die Spartakisten wurden die Verfechter der Parteispaltung. Damit hatten sie jedoch lange wenig Glück. Dem deutschen Proletarier war im Laufe des halben Jahrhunderts sozialdemokratischer Bewegung das Bewußtsein zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen , daß seine Kraft von der Einheit der Partei abhänge . Die Erfahrungen der Parteispaltung von 1869 bis 1875 und die Erfolge der Einigkeit seitdem sprachen eine zu laute Sprache. Selbst Karl Liebknecht, der von Anfang an zu Rosa Luxemburg hielt, bewilligte, wie schon bemerkt, am 4. August 1914 im Plenum die Kriegskredite . Nur innerhalb der Fraktion stimmte er gegen sie. Erst bei der zweiten Bewilligung am 2. Dezember, entschloß er sich, sich im Plenum von der Fraktion offen zu trennen und seine Stimme gegen die Kredite abzugeben. In der dritten Session vom 20. März 1915 stimmte dann auch Rühle mit Liebknecht im Plenum gegen die Kriegskredite. Dabei aber blieb es auch. Kein weiterer Abgeordneter gesellte sich ihnen zu . So sehr auch Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Rühle zur Spaltung drängten, sie begegneten lange einmütiger Abweisung in der Masse der Kreditablehner. Organisatorisch blieben die Spalter ein kleines Häuflein. Doch je länger der Krieg dauerte, je entsetzlicher seine Wirkungen, je größer die Erbitterung in der Partei zwischen Mehrheit und Minder. heit, desto mehr Einfluß gewannen die Spartakisten mit ihrer spalterischen Agitation bei einem Teil der früher an der Parteieinheit hängendenOpposition , den Ledebour, Eichhorn, Rosenfeld usw. Am entschiedensten widerstrebten ihnen Bernstein, Wurm

Spartakisten

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und ich. Haase nahm eine vermittelnde Stellung ein - obwohl er von Spartakisten und später von Kommunisten aufs gröblichste beschimpft wurde, nach dem Grundsatze : Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich. Dieses Vermitteln war der einzige Punkt, der mich mitunter in einen Gegensatz zu Haase brachte, dessen hohe geistige Fähigkeiten, dessen lauteren Charakter, dessen tiefes Wissen und klares Verständnis des Marxismus ich stets anerkannt hatte und mit dem ich sonst freudig Hand in Hand ging. Haase fand sich damit ab, daß die Spartakisten, die sich außerhalb der Partei gestellt hatten, zu den Beratungen der Parteiopposition über ihre Stellung zur Gesamtpartei zugezogen wurden. Dem schreibe ich es zu, daß es in Gotha Ostern 1917 zur Spaltung kam. Wohl wäre sie kaum zu vermeiden gewesen, wenn nicht bald der Friede kam. Sie hätte aber andere Formen angenommen und andere Wirkungen gehabt, wenn die Initiative zur Spaltung vom Parteivorstand ausging und wenn Bedacht darauf genommen worden wäre, daß die Spaltung in einer Weise vor sich ging, die es der Gesamtheit der Opposition — abgesehen von den Spartakisten — ermöglichte, beisammen zu bleiben. Statt dessen wurde die Spaltung der Gesamtpartei vor allem zu einer Spaltung und daher Schwächung der Opposition in ihr. Ein Teil und zwar ein sehr erheblicher, blieb in der alten Partei. Und der aus der Partei ausgeschiedene Teil der Opposition selbst zerfiel nach wie vor in Unabhängige und Spartakisten . Innerhalb der Unabhängigen selbst gab es drei Richtungen : eine Linke, die sehr stark von Spartakus beeinflußt wurde , eine Rechte , die der Spartakustaktik entschieden widerstrebte und ein vermittelndes Zentrum . Später, seit dem bolschewistischen Staatsstreich vom November 1917 in Rußland hat der Kommunismus in den verschiedensten Ländern Europas große Kraft gewonnen, meistens allerdings nur vorübergehend, aber lange genug, um im Frieden seine Tätigkeit der Spaltung sozialdemokratischer Parteien und damit der Schwächung des proletarischen Klassenkampfes erfolgreich fortsetzen zu können, die er im Kriege begonnen. Einen andern Erfolg hat er außerhalb Rußlands nicht erzielt. Wie seine Erfolge in Rußland selbst aussehen, habe ich hier nicht zu erörtern . Ich habe das an anderen Stellen ausreichend getan. Rosa Luxemburg selbst hat die spaltende Kraft des Bolschewismus erkannt und ihr zeitweise nach Kräften entgegengewirkt. Die Spaltung der russischen Sozialdemokratie in Bolschewiki und Menschewiki seit 1903 hatte die russische Sozialdemokratie aufs tiefste geschädigt. Das Internationale Bureau wurde aufgefordert, die Einigung der streitenden Brüder herbeizuführen - unmittelbar vor Ausbruch des Kriegs , dessen Nähe noch kein Mensch ahnte.

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Sozialdemokratie in Österreich

Kurz vor dem Zeitpunkt , in dem in Sarajevo die verhängnisvollen Schüsse fielen, begab sich Vandervelde nach Petersburg und verhandelte dort mit den streitenden Parteien. Vom 16. bis 18. Juli 1914 fand dann in Brüssel unter Leitung des Internationalen Bureaus eine Einigungskonferenz der russischen Sozialisten statt, zu der auch ich geladen wurde , wie ich annehme, auf Veranlassung Rosa Luxemburgs, die mich drängte , hinzugehen, um im Verein mit ihr für die Einigung tätig zu sein. Diese erschien ihr dringend notwendig, und alle beteiligten Gruppen sprachen sich in gleichem Sinne aus. Nur die Vertreter der Bolschewiks in Brüssel wollten von Einigung nichts wissen, im Verein mit einigen Letten und Radek, dem erbitterten Widersacher Rosa Luxemburgs . Diese Elemente pfiffen auf die Einigungsbeschlüsse . Wenige Wochen nach der Brüssler Einigungskonferenz wurde die deutsche Sozialdemokratie in eine Situation versetzt , die Rosa Luxemburg förmlich drängte, nun selbst eine spaltende Funktion in der Sozialdemokratie auszuüben.

5. Die Sozialisten anderer am Krieg beteiligten Staaten . a) Die Sozialdemokratie in Österreich. Ich habe die Haltung der deutschen Sozialdemokratie bei Ausbruch des Weltkrieges ausführlicher behandelt, als ich die der übrigen sozialistischen Parteien zu behandeln gedenke. Ich tat es einmal wegen der besonderen Bedeutung für die sozialistische Internationale, die die deutsche Partei damals besaß, dann aber auch deswegen, weil ich die Entwicklung im Deutschen Reich selbst mitmachte, aus eigener Anschauung davon reden kann. Die Wirkung des Kriegs auf die sozialdemokratischen Parteien der anderen an ihm teilnehmenden Staaten konnte ich nur von der Ferne betrachten. Ich gebe darüber nur Andeutungen . Sie genügen, zu zeigen, wie verschieden die einzelnen sozialistischen Parteien auf den Krieg reagierten, in jedem Staate anders , entsprechend der Besonderheit eines jeden von ihnen. Es ist schon im Frieden ganz verkehrt, von allen Parteien der Internationale zu verlangen, sie sollten alle in einem gegebenen Moment dieselbe große, entscheidende Aktion vollziehen . Selbst für bloße Demonstrationen ist eine gemeinsame internationale Aktion in einem gegebenen Moment schwer zu erreichen . Das bezeugt z. B. das Schicksal der Maifeier, die für verschiedene Länder sehr verschiedene Bedeutung erhielt. In Österreich und namentlich in Wien wurde die erste Maifeier unter den damaligen Bedingungen zu einem gewaltigen , überwältigenden Ereignis. Für die Engländer waren Demonstration dieser Art etwas Gewöhnliches , keine Kraftprobe, die die Massen aufrüttelte und den Herrschenden

Keine internationale Kriegsparole

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Furcht einflößte. Man gelangte nie dahin, daß die englischen Arbeiter für die Maifeier eine besondere Anstrengung machten. Zumeist wurde sie gar nicht am 1. Mai , sondern an dem ihm folgenden Sonntag abgehalten. Und da hatten vor 1914 so viele gehofft, in einem Kriege , der den internationalen Verkehr unterband, die internationalen Beziehungen zerriß, in dem es schien, als gehe es auf Tod und Leben der Nationen , würden die von ihm betroffenen Parteien der Internationale bei seinem Ausbruch alle die gleiche Haltung einnehmen, etwa alle zumindest die Kriegskredite ablehnen, wenn schon nicht in einem revolutionären Ausbruch ihre Regierungen stürzen und so den Krieg unmöglich machen. Gar mancher meinte, wenn dies 1914 nicht geschah, rührte es einfach daher , daß die Internationale nicht bei Zeiten für den Fall des Krieges die nötige Parole ausgegeben hatte. Zu denen gehörte z . B. Belfort Bax . In seinen „ Erinnerungen und Gedanken" ( ,,Reminiscences and Reflexions of a Mid- and Late Victorian", verfaßt 1916, veröffentlicht 1918) bedauert er, daß man den ,,internationalen Kongreß, der ursprünglich für 1913 beschlossen war, bis zum August 1914 verschoben hatte". ,,Die große Weltkatastrophe verhinderte seine Abhaltung. Das ist sehr zu bedauern, denn hätte man ihn 1913 abgehalten, wie das internationale Bureau auf dem Kongreß von Kopenhagen ( 1910) beschlossen hatte, dann ist es sehr wahrscheinlich, daß er wenigstens die allgemeinen Fragen des Kriegs und die der Haltung der verschiedenen sozialistischen Parteien für den Fall seines Ausbruchs geklärt hätte. " ( S. 154. ) Auch Bax gehörte zu jenen , die von der Internationale mehr erwarteten, als sie zu leisten vermochte. Ein Jahr vor dem Krieg allen sozialistischen Parteien der einzelnen Länder das gleiche Handeln im Kriegsfalle vorschreiben , hieß sich auf einige vieldeutige Allgemeinheiten beschränken . Denn den besonderen Charakter des kommenden Kriegs konnte 1913 niemand voraussehen , trotz allen Geredes von Imperialismus. Noch wenige Tage vor Kriegsausbruch, am 29. Juli, war wie schon dargestellt, das Internationale Bureau zusammengetreten , und auch da war es noch nicht möglich, zu erkennen, welchen Charakter der befürchtete Krieg annehmen werde. Vor allem konnte auch damals noch niemand das Verhalten der deutschen Sphinx, der Reichsregierung, voraussagen. Daß über das Vorgehen der deutschen Regierung die verschiedensten Auffassungen auch noch nach Kriegsausbruch möglich waren, daran zerbrach die Einheit der deutschen Sozialdemokratie und die der Internationale . Wie hätte man das 1913 verhüten können ! Für oder gegen die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie - so gruppierte sich damals die Internationale. Nicht nur die Regierungen des Deutschen Reichs und Österreichs waren damals eng verbunden , sondern ebenso die deutschen

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Viktor Adler

Sozialdemokraten in der Habsburgermonarchie und die im Reich. Es ist nach dem Kriege in manchen Kreisen der österreichischen Sozialdemokratie Mode geworden, auf die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie verächtlich herabzusehen . Und zwar geschieht das von Kreisen, die Victor Adlers Verdienste nicht hoch genug preisen können. Da muß doch konstatiert werden , daß Victor Adler bei Kriegsausbruch und noch 1917 vollständig, wenigstens in allen wesentlichen Punkten, auf Seite Eberts und Scheidemanns stand . Namentlich Ebert schätzte er stets sehr hoch. Mit dieser Feststellung soll nicht Victor Adler verkleinert werden, dessen Genie ich stets freudig anerkannt habe, auch zu Zeiten, wo, wie während des Krieges, unsere Wege auseinandergingen . Auch an seiner untadelhaften sozialistischen Gesinnung habe ich nie gezweifelt. Nur darf man diejenigen mahnen, die Victor Adlers Persönlichkeit und Wirken preisen, mit Recht preisen, sie möchten wegwerfende Bemerkungen über Adlers Weggenossen im Kriege unterlassen . Die Bewilligung der Kriegskredite durch die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie fand begeisterte Zustimmung in der Wiener Parteipresse. Die ,,Arbeiterzeitung" veröffentlichte am 5. August einen Artikel über die Kreditbewilligung im deutschen Reichstag, betitelt, „ Der Tag der deutschen Nation" , der mit den Worten begann : „ Diesen Tag des 4. August werden wir nicht vergessen." Der Tag der Kreditbewilligung wurde gefeiert als „ ein Tag der stolzesten und gewaltigsten Erhebung des deutschen Geistes". Allerdings fand diese Haltung wie im Reiche, so auch in Österreich unter den Sozialdemokraten , deutschen , wie nicht deutschen , manchen Widerspruch. In einer Wiener sozialdemokratischen Wochenschrift , der ,,Volkstribune", entspann sich eine Diskussion über den Krieg , die vom 17. März bis zum 8. September 1915 ging , eröffnet von Robert Danneberg mit fünf Artikeln ,,kritischer Betrachtungen", die ziemlich dem Standpunkt der ,,Unabhängigen" in Deutschland entsprachen. Ihm entgegneten Austerlitz , Pernerstorfer, Ellenbogen, Leuthner, Adelheid Popp. Dagegen schlossen sich Danneberg an Fritz Adler, Therese Schlesinger, Josefina Joksch. Einige andere nahmen einen vermittelnden Standpunkt ein , unter ihnen vor allem Victor Adler. Das heißt, in der Sache lehnte er Danneberg ab, doch suchte er der Diskussion einen Charakter zu wahren , der ein harmonisches Zusammenarbeiten nicht ausschloß . Hinter Victor Adler stand die große Mehrheit der deutschen Sozialdemokraten Österreichs . Ähnlich wie sie , aber doch zurückhaltender, als die Heißsporne unter ihnen, äußerten sich die Sozialisten Ungarns. Immerhin fand ihre Leitung schon am 30. Juli in einem Aufruf an die organisierten Arbeiter, man müsse jetzt der freien Kritik entsagen :

Die Polen im Krieg

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,,Entsagen nicht nur deshalb, weil das Gesetz es so befiehlt, sondern weil wir in dieser Zeit der schweren Not selbst durch die gerechteste Kritik die Arbeit der leitenden Faktoren nicht erschweren dürfen.“ Eine Veranlassung, die ,,leitenden Faktoren" durch eine Kreditbewilligung zu unterstützen , fanden weder die ungarischen, noch die deutschen Sozialdemokraten Österreichs. Die ungarischen nicht, weil ihr Parlament im Gegensatz zu dem Österreichs zwar tagte, sie aber dank dem famosen Wahlrecht dort nicht vertreten waren ; die deutschen nicht, weil der Ministerpräsident Stürgkh es nicht für nötig fand, das Parlament einzuberufen. Österreich wurde damals absolutistischer regiert, als Rußland . Und das ungarische Wahlrecht benachteiligte die Arbeiterschaft mehr noch als das russische, das den Arbeitern gestattete, eine Reihe Sozialisten in die Duma zu entsenden. Viel weiter noch in der Unterstützung der österreichischen Regierung im Kriege , als ungarische und deutsche Sozialdemokraten gingen die polnischen . Sie waren in der ganzen Internationale die einzigen, die den Krieg freudig begrüßten, weil es gegen das verhaßte Rußland ging. Sie hätten der österreichischen Regierung nicht nur Kriegskredite bewilligt, wenn man sie darum befragt hätte ; sie proklamierten nicht bloß den Burgfrieden mit ihr. Im Verein mit den bürgerlichen Parteien organisierten sie polnische Legionen. Diese Legionen revolutionärer Polen wurden von der österreichischen Regierung ausgerüstet und bewaffnet ; im Einvernehmen mit dieser wurde ihr Oberkommandierender gewählt ein Sozialdemokrat, derselbe Pilsudski, der später eine so eigenartige Rolle in der polnischen Republik spielen sollte . Sie wurden der obersten Leitung der österreichisch-ungarischen Armee unterstellt . Und als ihr Ziel wurde nicht etwa die Herstellung einer polnischen Republik bestimmt, sondern die Vereinigung der Polen unter dem Szepter Habsburgs. Über diese ,,austropolnische Lösung" sagte Daszynski später, in einer Rede am 20. Februar 1918 im österreichischen Reichsrat : „Diese Lösung war dynastisch gedacht ... sie war gedacht als eine Expansion Österreichs nach dem Kriege ... zu dieser austropolnischen Lösung war eine Vorbedingung notwendig ... es war dies das Vertrauen des polnischen Volkes, daß die österreichische Dynastie es nicht betrügen werde ... Es war ein kostbarer Schatz in Millionen Herzen der Polen, welche sich damals sagen mußten : wir vertrauen uns und unsere Sache und unsere Zukunft einer einzigen Dynastie an." Ich bin weit entfernt davon, dieses Vertrauen zu Habsburg der polnischen Sozialdemokratie als ein Verbrechen anzurechnen . Wir haben schon gesehen, welche sonderbare Verirrungen selbst bei einem Marx und Engels heiße Leidenschaft im Kriege ( 1848 und 1849) hervorrufen konnte. Aus solchen Sonderbarkeiten haben wir vor allem eines zu lernen : Toleranz im Kriege gegenüber abweichenden Meinungen von Genossen, mit denen wir im Frieden zusammenkämpften und nach dem Kriege wieder zusammenzukämpfen haben . Man soll nicht gleich bei der Hand damit sein , 31*

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Österreichische Italiener

jede solche Abweichung als Verrat an unseren Grundsätzen sittlich zu verurteilen. Das soll eine Warnung davor sein, Anschauungen von Genossen im Kriege , denen man nicht zustimmt , mit ethischer Entrüstung zu brandmarken . Keineswegs eine Aufforderung, im Kriege das kritische Gewissen nicht walten zu lassen. Im Gegenteil. Je größer die Gefahr, daß der Krieg unsere Partei auf Abwege treibt, desto schärfer muß man zusehen , solche zu entdecken und desto entschiedener muß man vor ihnen warnen . Die austropolnische Losung der österreichischen Polen war eine sehr bedenkliche Erscheinung. Am bedenklichsten , daß die Polen Österreichs drei Jahre lang an ihr festhielten, ohne zu merken, daß sie dadurch in eine unmögliche Situation gerieten. Denn um alle Polen unter den Fahnen Habsburgs zu einigen , mußten nicht bloß die Rußlands, sondern auch die Preußens von dem Staate losgelöst werden, dem sie angehörten . Ein Sieg Preußens konnte nie die Einigung Polens bringen , weder eine solche als Teil Österreichs , noch eine als selbständiger Staat. Sollte nicht das polnische Volk sich selbst befreien , dann konnte ihm die Freiheit bloß aus der Niederlage beider Gegner erblühen , nicht nur der Russen , sondern auch der Preußen . Wenn das eintrat, dann war aber eine polnische Republik leichter zu erreichen, als eine Vergrößerung der Habsburgermonarchie durch die Hinzufügung der polnischen Gebiete Rußlands und des Deutschen Reichs. Ganz gegenteiliger Art, als die Stellung der deutschen, ungarischen, polnischen Sozialdemokraten zum Krieg war die der Sozialisten der andern Nationalitäten Österreichs. Fast einmütig bekannten sie sich zur Parole : nicht Unterstützung, sondern Bekämpfung der Regierung. Ja fast alle gelangten früher oder später manche sofort - zur Erkenntnis : Nur ein Zerfall der Monarchie bringt das Heil . Natürlich konnte sich diese Tendenz nicht offen äußern. Bei manchen der oppositionellen Nationalitäten , namentlich Tschechen und Italienern , zeigte sie sich in dem Bestreben der eingezogenen Soldaten an der Front, zum Gegner überzulaufen . Die Überläufer und Kriegsgefangenen ermöglichten es, in Rußland und Italien ganze Legionen von Tschechen zu bilden, im Gegensatz zu den polnischen Legionen , die für Habsburg kämpften. Die Führer der österreichischen Italiener riefen aufs leidenschaftlichste das Königreich Italien auf, Österreich den Krieg zu erklären, unter ihnen vor allem der sozialdemokratische Abgeordnete für Trient , Cesare Battisti. Er verließ Österreich und trat, als Italien den Krieg erklärte, als Freiwilliger der italienischen Armee bei . Gefangen genommen, wurde er ohne weiteres gehängt. Das mag nach dem strengen Kriegsrecht zu rechtfertigen gewesen sein. Daß man aber den Gehängten auf dem Galgen mit einer Umgebung vergnügter österreichischer Offiziere photographierte und die Photographie verbreitete, war eine besondere Rohheit. Und überdies eine der

Tschechen im Krieg

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zahlreichen Dummheiten, die damals gemacht wurden. Kein österreichischer Italiener wurde dadurch für Österreich gewonnen , vielmehr das Gefühl des Hasses gegen die schwarzgelben Landvögte und die Verehrung für den Märtyrer der italienischen Freiheit, Battisti, unter ihnen gewaltig gesteigert. Und auch in der übrigen außer bei einigen österreichischen Offizieren — hat diese Welt Photographie nur Ekel und Verachtung für das altösterreichische Regime erweckt. Dieses zeigte sich immer sehr schlau in der Art, wie es seine Propaganda betrieb. Battisti war der bekannteste, nicht aber der einzige Italiener, den die Österreicher im Kriege hängen ließen . Die 1917 unter dem Titel ,,Stockholm" veröffentlichte Sammlung von Denkschriften der sozialistischen Parteien, die der zweiten Internationale angeschlossen waren, nannte noch Filzi ( Rovereto) , Chiesa ( Trient) , Sauro (Istrien ) , Rismondo (Dalmatien) . ,,Sie bezeugen," sagt der aus Österreich stammende italienische Berichterstatter des Sammelwerkes,,, daß selbst unsere Beherrscher wissen, sie können uns nur mit brutaler Gewalt festhalten. " ( S. 357. ) Nächst den Italienern waren es die Tschechen, die den Widerstand gegen das habsburgische Regime am kräftigsten entfalteten . Über die revolutionäre Stimmung unter ihnen schreibt Masaryk in seinem Buche ,,Die Weltrevolution , Erinnerungen und Betrachtungen, 1914-1918" ( Berlin 1925) : ,,An der Revolution beteiligte sich unser Volk nicht nur durch die Legionen und den ausländischen Nationalrat,¹ ) sondern es beteiligte sich auch in der Heimat an ihr, das bezeugen die Todesstrafen an Zivilisten, die Todesurteile für die führenden Politiker, die Konfiskationen , Einkerkerungen und alle die Strafen, mit denen Wien unsere Nation verfolgte. Daheim lebte derselbe kämpferische Geist wie draußen . Die Revolution draußen war dadurch möglich, daß man ihr daheim von Anbeginn an und während der ganzen Dauer des Krieges zustimmte. Ich darf sagen : allgemein zustimmte ... Eine bewaffnete Revolution in der Heimat war bis ans Ende des Krieges im Programm der führenden Parteien nicht enthalten, sie konnte es nicht sein und brauchte es nicht zu sein. Aber die ganze Nation stand gegen Österreich und bewährte ihren reifen Sinn und ihre Entschlossenheit zur passiven Resistenz, ja im geeigneten Augenblick auch zum aktiven Widerstand ... Die Stimmung war zeitweise gedrückt ( das erlebte ich in den ersten vier Monaten des Krieges ) , einzelne Menschen und vielleicht auch Gruppen wurden kleinmütig , aber diese Stimmung entsprang mehr der Unsicherheit als der Angst." ( S. 390, 391.) Alle Klassen, alle Parteien des tschechischen Volkes wurden . von dem gleichen Drang erfaßt : Los von Österreich . In dieser Weise schuf der Krieg auch hier eine Art Burgfrieden zwischen den Sozialdemokraten und den bürgerlichen Parteien — aber einen revolutionären Burgfrieden . Nur vereinzelte tschechische Sozialdemokraten setzten damals auf das falsche Pferd , auf den Sieg Österreichs . Der bedeu¹) So hieß die Zentralstelle, die den Kampf der tschechischen Emigration gegen Habsburg leitete. Der ,,ausländische Nationalrat" wurde 1916 gegründet, sein Vorsitzender war Masaryk, sein Generalsekretär Beneš. K.

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Die Südslawen Österreichs

tendste unter ihnen war Dr. Bohumir Šmeral, welcher Verrina später nicht von Fiesco zu Doria, sondern von Franz Josef zu Lenin überging . Vielleicht am schlimmsten tobte im Kriege der Kampf zwischen der Staatsverwaltung und der Bevölkerung in dem Gebiete , von dem der Anstoß zur Katastrophe ausgegangen war. In dem Sammelbuch ,,Stockholm" berichten darüber 1917 die sozialistischen Parteien Kroatiens und Bosniens in einer gemeinsamen Denkschrift an das Stockholmer internationale Komitee : ,,Kein Land hat so sehr wie Österreich -Ungarn gegen das kleine, zerstückelte Volk der Südslawen gesündigt, sowohl innerhalb wie außerhalb der Donaumonarchie." ( S. 171. ) „ Die ganze Politik der Südslawen Österreich-Ungarns beschränkte sich ausschließlich auf den Kampf gegen die Unterdrückung durch die Donaumonarchie." ( S. 173. ) Die Denkschrift weist darauf hin, daß Justizmorde und sonstige Verfolgungen schon vor dem Krieg unter den Südslawen eine gewitterschwangere Atmosphäre der Verzweiflung schufen, die sich in zahlreichen Attentaten entlud. ,,Als der Krieg ausbrach, geriet der bis dahin schon unerträgliche Absolutismus völlig außer Rand und Band. Unzählige politische Prozesse wurden gegen die Südslawen herbeigeführt, die mit Todesstrafen und der Verhängung von Kerkerhaft für Hunderte von Jahren endeten ... Die Öffentlichkeit hat nie etwas von den Tausenden von Justizmorden erfahren , die damals die Kriegsgerichte gegenüber dem Zivil verübten , denn die Zeitungen hatten zu schweigen. “ ( S. 175 , 176. ) ,,Es ist bemerkenswert, daß die Südslawen ( Bosniens, der Herzegowina, Kroatiens und Slavoniens ) sogar von der großen Amnestie ausgenommen wurden , die kürzlich allen Nationen Österreich-Ungarns zuteil wurde." ( S. 177.) Gemeint ist offenbar die Amnestie, die der junge Kaiser Karl am 2. Juli 1917 erließ , einer seiner Versuche, die rebellischen Nationen mit der Habsburgermonarchie zu versöhnen. Selbst davon . nahm man die Südslawen aus , die 1848 noch die treueste Stütze der Dynastie gewesen waren. Die Sozialdemokraten Bosniens und Kroatiens nahmen nun leidenschaftlich Anteil an dem Kampf gegen Österreich. In der eben zitierten Denkschrift forderten sie für die Südslawen das Recht, sich als selbständigen Staat zu konstituieren, der einen Teil einer Föderativrepublik der Balkanvölker bilden sollte. National zerfiel im Kriege Österreich, zerfiel die Gesamtparteiorganisation der österreichischen Sozialdemokraten , die im Frieden so gut zusammengehalten und gewirkt hatten. Gar mancher Splitterrichter entrüstet sich heute über die theoretische und organisatorische Unzulänglichkeit der zweiten Internationale , die ganz anders hätte aufgebaut, belehrt und geführt sein müssen um im Kriege zusammenwohl von dem Splitterrichter selbst zuhalten und sich zu bewähren . Aber wie hätte eine Organisation fest zusammenhalten und einheitlich wirken können , die eine große Reihe von Staaten mit den verschiedensten Verfassungen und Re-

Die Sozialdemokraten Österreichs

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gierungen umfaßte, wenn es nicht einmal gelang, das Auseinanderstreben der sozialdemokratischen Parteien der verschiedenen Nationen Österreichs in gegeneinander tätige Gruppen zu verhindern , die doch alle unter der gleichen Verfassung, der gleichen Regierung standen ! National zerfiel die Sozialdemokratie Österreichs. Doch innerhalb jeder der sozialdemokratischen Parteien der einzelnen Nationen in der österreichischen Monarchie wirkte der Krieg mehr vereinigend als trennend. In diesem Punkte unterschied sich auch die deutsche Sozialdemokratie der Habsburger Monarchie von ihrer Schwesterpartei im Reich. Glücklicher als diese vermochte sie den Krieg geschlossen zu überdauern , ungespalten in die Revolutionsära einzugehen, die dem Zusammenbruch von Habsburgs Armeen im Herbst 1918 folgte. Und doch traten in ihr dieselben Gegensätze auf, wie in der reichsdeutschen Sozialdemokratie, tragischerweise schließlich verkörpert in einem Zwist zwischen Vater und Sohn Victor und Fritz Adler. Aber so schroff dieser Gegensatz zeitweise wurde, er nahm nie die Formen gegenseitiger Mißachtung und Wegwerfung an, der die Kämpfe in der reichsdeutschen Partei so sehr vergiftete und ihre Spaltung schließlich unvermeidlich machte. Achtung des Gegners innerhalb der Partei und das Bewußtsein, daß er eben so heiß nach den großen Zielen verlangt , wie wir selbst , das ermöglichte es, lange Zeit hindurch gelegentliche trennende Momente zu überwinden, wie stark sie auch werden mochten. Überheblichkeit dem Gegner in der Partei gegenüber , kann selbst unbedeutende Meinungsverschiedenheiten zum Anlaß einer Spaltung machen . Überdies war die Zahl der oppositionellen Elemente in der deutschen Sozialdemokratie Österreichs lange Zeit hindurch höchst unbedeutend und Spartakus fehlte dort gänzlich . Endlich wurde die Einheit der sozialdemokratischen Parteien in Österreich , nicht bloß der deutschen , dadurch begünstigt , daß , wie schon bemerkt, der Minister Stürgkh das Parlament nicht einberief. Da kam die große Streitfrage nicht auf, ob die Partei die Kriegskredite bewilligen solle oder nicht. Daher bot am Ende des Kriegs die deutsche Sozialdemokratie in Österreich ein weit erfreulicheres Bild, als im Deutschen Reich.

b) Die sozialdemokratischen des Ostens.

Parteien

Das Programm der Bolschewiki ging dahin , den Ausbruch des Kriegs zu beantworten mit der Entfesselung der Revolution, den Krieg fortzutreiben zur Revolution . Dies Programm entsprang russischen Bedingungen und schien in Rußland die besten Voraussetzungen seiner Durchführung zu finden. War es doch der letzte

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Rußland im August 1914

Großstaat in Europa, der noch eine bürgerliche, eine demokratische Revolution brauchte, nachdem die erste von 1905 so unzulängliche Errungenschaften gebracht hatte ! Trotzdem verhielten sich die arbeitenden Massen in Rußland im August 1914 auch nicht anders, als in den übrigen Staaten , die vom Kriege heimgesucht wurden . Auch in dem Lande, das uns schwächlichen Sozialdemokraten des Westens als revolutionäres Muster vorgehalten wurde , antworteten die Proletarier auf den Krieg so, wie ich es in meinen Polemiken mit meinen revolutionären Freunden Pannekoek und Luxemburg erwartet hatte : mit einer Explosion von glühendem Patriotismus. Das war um so auffallender , als unmittelbar vor Kriegsausbruch über Petersburg eine Streikwelle gegangen war , die bereits begonnen hatte , revolutionäre Formen anzunehmen. Das hörte mit dem Kriege plötzlich auf. In seiner Fortsetzung der Martovschen ,, Geschichte der russischen Sozialdemokratie" (Berlin 1926) , schreibt Theodor Dan : „ Die gesamte politische Atmosphäre war um diese Zeit ( in den Monaten vor dem Kriegsausbruch, K. ) voll Gährung und Unruhe. Man spürte, wie das herrschende Regime in seinen Fugen zu krachen anfing. Revolutionäre Stimmungen wurden wieder lebendig. Auch die Vertreter des bürgerlichen Liberalismus schlugen in der Duma einen oppositionellen Ton an. Die Sozialdemokraten hielten von der Dumatribüne revolutionäre Reden, wurden wie beispielsweise Tschchenkeli , für die Dauer von 10 bis 15 Sitzungen ausgeschlossen oder aber, wie Tschcheidse und Skobelev (alles Menschewiki, K. ) wegen ,Verherrlichung der republikanischen Ordnung' unter Verletzung der Immunität unter Anklage gestellt. Die Gewitterstimmung breitete sich aus. Ein Streik jagte den andern, griff von der Hauptstadt auf die Provinz über und dehnte sich, wie beispielsweise im Juni 1914 in Baku auf ganze Industriezweige aus. Es schien, daß eine entscheidende revolutionäre Krise unmittelbar bevorstand ... Der Besuch der französischen Eskadre, mit der Poincaré nach Petersburg gekommen war (20. -22 . Juli 1914, K. ) , wurde von der Regierung des Zaren als Anlaß genommen, um zu einem entscheidenden Schlage gegen die Sozialdemokratie auszuholen . An einem Tage wurden sämtliche Arbeiterblätter verboten, Hunderte von Sozialdemokraten verhaftet, zahlreiche Arbeiterorganisationen zerstört. Die Petersburger Arbeiterschaft beantwortete diesen Überfall mit einem neuen, gewaltigen Proteststreik, der hier und da zu bewaffneten Zusammenstößen mit der Polizei und zu Versuchen führte, Barrikaden in den Straßen zu bauen. “ ( S. 272.) Da kam das österreichische Ultimatum an Serbien, kam die drohende Kriegsgefahr und schließlich Deutschlands Erklärung des Kriegs an Rußland . Nun schlug die Stimmung rapid um. „ Am Tage nach der Kriegserklärung hatte sich die gesamte politische Situation mit einem Schlage gewandelt. Die Straßen, die gestern noch von auf und abwogenden Massen der Streikenden erfüllt waren, wurden heute von den Patrioten ' beherrscht . Eine Manifestation nach der andern zog zum Winterpalast und sank auf die Knie vor dem Zaren, der auf dem Balkon stand." Dieser Stimmungswechsel verschonte keineswegs revolutionäre Kreise. Selbst bei Bolschewiks muß Trotzki einen solchen

Revolutionäre werden Patrioten

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konstatieren. So schreibt er in seiner Autobiographie ,,Mein Leben" (Berlin 1930, S. 422, 423) : „ In der offiziellen Biographie Voroschilovs zeigen die Jahre 1914–1917 eine gähnende Lücke, was übrigens für die meisten der heutigen Führer kennzeichnend ist. Das Geheimnis dieser Lücke besteht darin, daß diese Menschen während des Krieges in der Mehrzahl Patrioten waren und jegliche revolutionäre Arbeit eingestellt hatten." Trotzki spricht hier nur von den Führern , nach dem Zusammenhang offenbar denen des Bolschewismus. Aber von den Massen gilt genau dasselbe, eher noch in erhöhtem Grade. An einer andern . Stelle seines Buchs hat er nochmals Gelegenheit , die Kraft des Patriotismus in Gebieten des ehemaligen Rußland bei ukrainischen wie polnischen Massen, auch revolutionären , festzustellen . Er spricht (S. 439 ff. ) von dem Eroberungskrieg, den 1920 das im November 1918 neugeschaffene Polen unter Pilsudskis Führung gegen Rußland begann , das , von langem Bürgerkrieg erschöpft, eine leichte Beute zu sein schien . In der Tat gelang es den Polen rasch, bis Kiew zu kommen, das sie am 2. Mai besetzten. ,,Die Besetzung Kiews durch die Polen , die an sich jedes militärischen Sinnes entbehrte, erwies uns einen großen Dienst : das Land wurde aufgerüttelt." ( Trotzki, S. 440. ) Wozu wurde das Land aufgerüttelt ? Zu flammendem Patriotismus. Dieser wurde erzeugt durch die Invasion der Polen , die als Eroberer, als Unterdrücker kamen. Der Patriotismus der Ukrainer verstärkte so sehr die bolschewistischen Heere, daß diese nun ihrerseits die Kraft erlangten , nicht bloß die Polen zurückzuwerfen, sondern sogar in deren Land einzudringen . Damit änderte sich jedoch abermals die Situation, denn diese Invasion rief nun den polnischen Patriotismus wach : damit hatten die Bolschewiks nicht gerechnet. Trotzki sagt darüber : „ Auch auf unserer Seite zeigte sich nach den ersten großen Siegen eine Überschätzung der sich uns eröffnenden Möglichkeiten. Es entstand und festigte sich eine Stimmung, den Krieg , den wir als einen Verteidigungskrieg begonnen hatten, in einen revolutionären Angriffskrieg zu verwandeln ... Es gab die heiße Hoffnung auf einen revolutionären Aufstand der polnischen Arbeiter. Jedenfalls entstand in Lenin der feste Plan : die Sache bis ans Ende durchzuführen, das heißt , in Warschau einzumarschieren , um den polnischen Arbeitern zu helfen, Pilsudski zu stürzen und die Macht zu ergreifen .“ (S. 440. ) Doch es kam ganz anders. Gegen den eindringenden Landesfeind erhoben sich alle Klassen der polnischen Bevölkerung mit gleicher patriotischer Begeisterung. Die revolutionären polnischen Arbeiter sahen in den russischen Armeen nicht die Revolutionäre , sondern die Russen, von denen sie mit neuer Fremdherrschaft bedroht wurden. In der Tat bezeugte wenige Monate später der russische Einbruch in Georgien, daß der ,,revolutionäre" Angriffskrieg der Bolschewiks für das unterliegende Volk dieselben Gefahren mit sich bringe, wie ein „,imperialistischer" Angriffskrieg. Lenin wurde durch die revolutionären Arbeiter Polens , aus deren Mitte Rosa Luxemburg hervorgegangen war, 1920 schwer

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Revolutionäre werden Patrioten

enttäuscht. Es gelang den Polen, die bolschewistischen Armeen zu verjagen. Lenin mußte sich zu einem kläglichen Frieden verstehen. Der Ausgang des Kriegs versetzte , wie Trotzki sich ausdrückt ,,,der polnischen Revolution einen grausamen Schlag“, und er schnitt ,, die Sowjetrepublik von Deutschland ab “. ( S. 443. ) Der Patriotismus der Ukrainer von 1920, der die Bolschewiks so sehr entzückte , der Patriotismus der Polen im gleichen Jahre, der die Bolschewicks so sehr enttäuschte , endlich der Patriotismus der Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie im August 1914, der die Bolschewiks mit solcher Verachtung erfüllte, entsprang den gleichen Quellen , wie der Patriotismus der Russen im August 1914 , die unmittelbar vorher noch so revolutionär aufgebraust waren. Der plötzliche Umschwung vom Revolutionarismus zum zarenergebenen Patriotismus war nicht das Ergebnis politischer Erwägungen, sondern primitiver Panik, die aus der Furcht vor dem großen Unbekannten hervorging, vor der Invasion der deutschen Barbaren, die man fürchtete, wie die Hölle , und deren Abwehr man von der Armee des Zaren erhoffte . Diese patriotische Welle war kein rasch vorbeiflutender Zustand . Sie dauerte mehr als zwei Jahre lang, immer von neuem verstärkt durch den Ingrimm, den der Kampf erzeugte . Und sie erfaßte beide Säulen der russischen Revolution , riß beide mit sich, die Arbeiter und die Studenten . Erst im dritten Jahre begann diese kriegerische Stimmung abzuflauen , auch jetzt nicht infolge politischen Denkens , sondern infolge auftretender Kriegsmüdigkeit und schwindenden Vertrauens zur politischen und militärischen Führung des Zarismus , die einen Mißerfolg nach dem andern einheimste . Die geschulten Sozialdemokraten hatten sich von dem ,, Patriotismus" der Massen nicht hinreißen lassen . Im zaristischen Rußland gab es keine dauernden Massenorganisationen der Arbeiter, es gab nur kleinere Zirkel denkender und lernender Sozialdemokraten und daneben die unorganisierte Masse , die von bloßen Impulsen bewegt wurde. Diese trieben sie einmal ins Lager der Revolution und dann wieder in das des Zaren. Die Sozialdemokraten übten nicht einen regelmäßigen, bestimmten Einfluß auf sie aus , aber dafür unterlagen auch die Sozialdemokraten weniger dem Einfluß der Massen, als in Ländern , in denen Führer und Masse eine ständige, enge Einheit bildeten . Zweckmäßiger, als die parlamentarische Vertretung der deutschen Sozialdemokratie in jenen Tagen antwortete die der russischen Genossen in der Duma auf den Kriegsausbruch . Sie entschlossen sich zu demselben Verhalten , das 1870 Bebel und Liebknecht in gleicher Lage eingenommen hatten : zur Stimmenthaltung in der Frage der Kriegskredite. Nicht aus Unsicherheit oder Schwächlichkeit , sondern weil sie durch die Bewilligung der Kredite den einheimischen Absolutismus, durch deren Ablehnung aber

Russische Stimmenthaltung

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den deutschen Militarismus gestärkt hätten . Der eine erschien. ihnen ebenso gefahrvoll wie der andere. Es ist bemerkenswert, daß Menschewiks wie Bolschewiks, die einander sonst wie Hund und Katze gegenüberstanden , diesmal sich zusammenfanden . Die Erklärung, die der Abgeordnete Chaustoff am 8. August 1914 in der Duma zur Begründung der Stimmenthaltung verlas, wurde im Namen beider Fraktionen abgegeben, der Menschewiki und der Bolschewiki . Die arbeiterfreundlichen Demokraten, die Trudowiki, schlossen sich ihnen an. Der Krieg, der in Deutschland auf die Sozialdemokratie spaltend wirkte, führte hier zur Einigung. Allerdings hielt diese Einigung nicht lange an. Die Verhältnisse waren zu kompliziert . Sogar innerhalb der beiden Fraktionen, der Bolschewiks wie der Menschewiks machten sich in bezug auf die Haltung im Kriege bald starke Gegensätze bemerkbar . Am schroffsten spitzten sie sich zu in der Emigration , da sich hier die Wucht der Massenstimmung nicht geltend machte, der sich die Politiker im Lande selbst nicht entziehen konnten , wenn sie mit den Massen Fühlung hatten . Mochten sie noch so selbständig bleiben und Kritik an der Stimmung der Masse üben , sie mußten doch mit ihr rechnen. Das fiel in der Emigration fort, da wurden alle Kämpfe bloß in der Vorstellung ausgefochten, von einzelnen starken Persönlichkeiten. Der Zufall wollte, daß gerade bei Kriegsausbruch fast alle bedeutenden Köpfe der russischen Sozialdemokratie, abgesehen von Potressov, außerhalb Rußland weilten, Lenin wie Trotzki, Plechanov wie Martov, Axelrod wie Rjasanov usw. Da nahmen die Gegensätze sehr schroffe Formen an . Auf der einen Seite forderte Lenin , man solle dem auswärtigen Krieg nicht den Kampf um den Frieden entgegensetzen , sondern das Streben nach dem Bürgerkrieg, und zwar in jedem Lande . Überall sei also für jeden Sozialisten die wichtigste Pflicht der Kampf gegen die eigene Regierung. Deren Niederlage bilde überall das ,,kleinste Übel". In schärfstem Gegensatz zu Lenins Hinarbeiten auf die Niederlage des eigenen Staates stand Plechanov. Von ihm sagt Dan in der schon zitierten ,,Geschichte der russischen Sozialdemokratie": ,,Unter den russischen sozialistischen Emigranten im Ausland, besonders in den Ententeländern , stand die große Mehrheit unter dem Einfluß der Ideologie der ‚ Vaterlandsverteidigungʻ . Hunderte sozialistischer Emigranten, Menschewisten wie Bolschewisten, traten als Freiwillige in die französische Armee ein, da sie bei einem Sieg Deutschlands den Untergang der europäischen Demokratie befürchteten. Der bedeutendste Führer in dieser Richtung war Plechanov. Neben ihm wirkten in derselben Richtung auch die Bolschewisten Alexinski, Sauer ( Ljubinov ) und andere. Ausgehend von der Notwendigkeit der unbedingten Verteidigung der europäischen Demokratie, unterordnete diese Stimmung sehr bald auch ihre gesamte innerrussische Politik der Notwendigkeit eines Sieges der Ententeländer." (S. 275.)

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Plechanov

Wenn man darin den ,, Einfluß der Ideologie der Vaterlandsverteidigung“ sieht, so bezeugt das nur, wie wenig dies Wort geeignet ist, zu klaren Begriffen in der Kriegsfrage zu führen . Nicht durch irgend ein nationales Russentum kam Plechanov zu seiner Auffassung, sondern , wie Dan sehr richtig sagt , durch seine Anschauungen von der ,,Notwendigkeit der unbedingten Verteidigung der europäischen Demokratie", also durch einen ganz internationalen Gedanken . Er kam zu seiner Auffassung nicht durch sein Russentum , sondern trotz seines Russentums . Als russischer Sozialdemokrat mochte er, wie 1905 , vor allem den Sturz des Zarismus anstreben, also dessen Niederlage , wie es Lenin tat . Als internationaler Demokrat unterordnete er für den Krieg von 1914 diese Aufgabe der Notwendigkeit, die europäische Demokratie zu retten , die er durch den deutschen Militarismus mehr bedroht sah als durch den russischen Absolutismus. Seine Auffassung mochte irrig sein, aber sie stellte nicht einen Verrat an den internationalen Grundsätzen der Sozialdemokratie dar. Die große Mehrzahl der führenden Geister der russischen Sozialdemokratie folgte weder Lenin noch Plechanov , sie strebte weder eine Niederlage des eigenen Staates an, noch dessen Sieg, sondern einen Druck auf die kriegführenden Regierungen zur raschesten Herbeiführung eines Friedens der Verständigung. Wohl war die Idee unsinnig, es sollte nach dem Kriege nur besiegte Regierungen geben , keineswegs unsinnig war aber die, es solle weder Sieger noch Besiegte geben. Derartiges ist schon öfter in der Geschichte dagewesen. So endeten z . B. der Dreißigjährige Krieg ( 1618-1648 ) und ebenso der siebenjährige ( 1756–1763 ) in dieser Weise . Doch kam es zu einem solchen Frieden bisher in der Regel erst dann, wenn beide Teile maßlos erschöpft waren. Sollte das diesmal auch das Ende vom Lied sein ? Diese früheren Kriege hatten absolutistische Regierungen geführt. Jetzt waren die Völker erwacht. Selbst im deutschen und im russischen Kaiserreich hielten es die Regierungen für notwendig, sich die Kriegskredite von einem Parlament bewilligen zu lassen . Da brauchte die Erwartung nicht als hohle Seifenblase zu erscheinen, es sei möglich , überall durch die Sozialisten und eventuell noch durch andere demokratische Parteien die Regierungen dahin zu bringen, rasch einen Verständigungsfrieden zu schließen in einer Weise , die keines der beteiligten Völker vergewaltige , durch einen Frieden ,,ohne Annexionen und Kontributionen". So wie die Haltung der russischen Sozialdemokraten in der Petersburger Duma bei Kriegsausbruch war auch das Programm , das die meisten von ihnen im Kriege vertraten, höchst rationell. Unter den Parteien der Internationale war es wohl die russische, der die Sozialdemokratie Serbiens geistig am nächsten stand . Aber im Unterschied zu den Russen in der Heimat und in der Emigration zeigten die Serben keine so großen Differenzen in

Serbische Sozialisten

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ihren Reihen beim Kriegsausbruch . Serbien war ökonomisch noch weit rückständiger als Rußland , das doch in manchen großen Städten, vor allem in Petersburg und Moskau , ein zahlreiches modernes Proletariat aufwies, dessen Stimmungen stark genug werden konnten, die Vertreter des Sozialismus zu beeinflussen. In Serbien waren moderne Proletarier und Sozialdemokraten noch dünn gesät ; das bewirkte , daß diese von der allgemeinen Volksstimmung viel unabhängiger waren, als anderswo . Und unsere Genossen in Serbien neigten zu jener ,,grundsätzlichen" Auffassung des Klassenkampfes und der Internationalität, die sie verpflichtete , unter allen Umständen jeder nicht rein sozialistischen Regierung oppositionell entgegenzutreten und im Interesse des Friedens alle Mittel zum Kriege zu verweigern . Unter allen sozialistischen Parteien jener Länder, die in den Weltkrieg hineingezogen wurden, waren die Serben (nach der Haltung ihrer Vertreter in der Skupschtina ) die einzigen , die ihrer Regierung geschlossen entgegentraten. Die sozialistischen Abgeordneten Kazlerovitsch und Laptschevitsch wendeten sich in der Skuptschtina am 31. Juli bei der Debatte über die Thronrede gegen diese im Gegensatz zu allen anderen Abgeordneten , auch denen der bürgerlichen Opposition. Und doch war gerade Serbien dasjenige Land , das neben Belgien am zweifellosesten einen Verteidigungskrieg führte, zu dem es durch den großen Nachbarn gezwungen wurde . Alle Welt hatte das österreichische Ultimatum verurteilt. Trotzdem war die serbische Regierung so weit gegangen , sich zu demütigen und die Forderungen Wiens im wesentlichen anzunehmen, um den Krieg :zu vermeiden. Die Sozialisten Serbiens wären also vom Standpunkt des internationalen Sozialismus aus am ehesten berechtigt gewesen, am 1. August für ihre Regierung zu stimmen . Trotzdem wirkte die Haltung unserer serbischen Genossen damals sehr erhebend, denn es gehörte nicht wenig Tapferkeit dazu, sich den Leidenschaften der patriotisch aufgepeitschten und durch die Angst vor der feindlichen Invasion zum Wahnsinn getriebenen Volksmassen entgegenzustellen , um den eigenen Grundsätzen treu zu bleiben. Es galt von ihnen dasselbe, was Marx über Bebel und Liebknecht bei Ausbruch des Kriegs 1870 sagte ; er schrieb über diese an Engels am 17. August 1870 : „ Das war ein Moment, wo die Prinzipienreiterei un acte de courage war, eine mannhafte Tat." Die serbischen Sozialdemokraten waren die ersten , die in ihrem Parlament Gelegenheit bekamen, zum Krieg Stellung zu nehmen . Keine der anderen sozialistischen Parteien ist ihrem Beispiele einmütig gefolgt. Gar mancher Friedensfreund rief damals verzweifelnd , die größten und ältesten Parteien der Sozialdemokratie hätten die Sache der internationalen Solidarität verraten . Einzig und

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Einigkeit der Sozialisten Frankreichs

allein die Serben wären den Grundsätzen des Sozialismus treu geblieben. Es stünde schlecht um die Sache des Sozialismus und der Menschheit, wenn das zuträfe, wenn nur die rückständigsten Staaten eine prinzipientreue Sozialdemokratie aufzuweisen hätten . Zum Glück war das nicht der Fall.

c) Die

Sozialisten Frankreichs und Belgiens.

Einen ganz andern Anblick, als die russische, aber auch als die serbische Sozialdemokratie bot die französische bei Kriegsausbruch. Wies die russische in Anbetracht der Emigration die größten Gegensätze in ihren Reihen auf, so zeigte sich die französische völlig einmütig und geschlossen. Aber nicht so, wie die serbische, in energischer Unterstreichung ihres Gegensatzes zur Regierung, sondern in deren Unterstützung. Der französische Sozialismus war bereits stark geworden in einer Zeit, in der die sozialistische Bewegung noch ganz im Utopismus und der Sektiererei und der damit zusammenhängenden Neigung zu Spaltungen befangen war. Diese Neigung hatte sich als starke Tradition noch in die Zeit hinübererhalten , in der der proletarische Klassenkampf zur Grundlage der sozialistischen Bewegung geworden war. Die Marxisten selbst hatten sich nicht davon frei halten können . Paul Lafargue war noch merklich damit behaftet, zum zeitweisen großen Mißvergnügen Jules Guesdes und Friedrich Engels' . Seit 1905 waren die verschiedenen Gruppen des französischen Sozialismus wohl organisatorisch geeinigt, aber noch bestanden starke Gegensätze innerhalb der geeigneten Partei in der Form von Richtungsgegensätzen . Gerade in der Kriegsfrage hatten sich z. B. auf dem internationalen Kongreß von Stuttgart 1907 drei bedeutende Gegensätze in der französischen Delegation aufgetan zwischen Guesde auf der einen Seite, Hervé auf der andern und Jaurès-Vaillant zwischen ihnen. Da kam die Kriegsgefahr und dann der Krieg und mit einem Male waren alle Gegensätze weggewischt. Der Standpunkt, den Guesde 1907 eingenommen hatte, wurde jetzt der der ganzen französischen Sozialdemokratie . Guesde galt als der unversöhnlichste der Marxisten , derjenige, der am zähesten an seinen Grundsätzen festhielt. Schon das läßt die Behauptung lächerlich erscheinen, unsere französischen Genossen hätten 1914 die Grundsätze der internationalen Sozialdemokratie verraten. Das, was sie 1914 taten, ließ sich sehr wohl mit der Haltung vereinbaren , die Marx und Engels 1870 im deutsch-französischen Krieg einnahmen . Oder verstanden die auch nichts vom internationalen Sozialismus ?

Unmittelbar vor Kriegsausbruch wurde Jean Jaurès ermordet, am 31. Juli , von einem fanatisierten Idioten, der wähnte, der

"

Kriegsfurcht in Frankreich

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große Sozialist wolle Frankreich an Deutschland verraten . Niemand kann natürlich mit Sicherheit behaupten , welche Haltung Jaurès im Kriege eingenommen hätte . Die phantastischsten Annahmen sind laut geworden ; deutsche Politiker meinten , er hätte sich, wenn es zum Krieg kam , auf Deutschlands Seite gestellt , andere wieder, er hätte den Frieden gerettet. Wie ihm das gelungen wäre , wird freilich nicht verraten . Er gehörte offenbar zu jenen großen Männern, die Wunder zu bewirken vermögen. Bis zum 31. Juli war ihm die Rettung nicht gelungen, was sich seitdem ereignete, war die deutsche Kriegserklärung an Rußland, die Forderung Deutschlands an Frankreich, wenn es neutral bleiben wolle, die Festungen Toul und Verdun auszuliefern , die Einmarschtore nach Frankreich ; dann kam die Kriegserklärung an Frankreich, der deutsche Einbruch in Belgien. Hätte Jaurès in Frankreich alle diese deutschen Schritte zu verhindern vermocht ? Schon die verlogene Motivierung der deutschen Kriegserklärung an Frankreich mußte alle Parteien Frankreichs ohne Unterschied gegen Deutschland empören . Noch stärker aber, als die Empörung war die Angst vor der ungeheuren Kriegsmaschine des Deutschen Reichs . Die Erinnerungen an die furchtbaren Leiden der Invasion von 1870 zitterten noch nach. Aus ihnen ging weit weniger Revanchelust hervor, als Furcht vor der deutschen Übermacht, die seit 1870 gewaltig gewachsen war. Nichts lächerlicher, als die Annahme, die bei manchen deutschen Patrioten zur Behauptung wird, die Franzosen hätten 1914 im Verein mit den Russen heimtückisch den Krieg herbeigeführt. In Wirklichkeit kam er selbst jenen Politikern dieser Nationen , die den Krieg mit Deutschland für unvermeidlich hielten oder ihn sogar wünschten, damals sehr ungelegen, weil beide Staaten ungenügend gerüstet waren. Die Bevölkerung Frankreichs wurde. von heller Angst ergriffen, als die deutsche Kriegserklärung kam. Das bezeugen alle objektiven Beobachter. Die Angst wich erst , als die Nachricht eintraf, daß England helfend eingreife, was bis zum 4. August abends keineswegs feststand. Belfort Bax gibt in seiner Autobiographie, die während des Krieges erschien , ,,Reminiscences and Reflexions", Mitteilungen eines Bewohners von Reims wieder, der ihm seine Beobachtungen aus den ersten Tagen des Kriegs erzählte. Er beschrieb den Ausmarsch zweier Bataillone nach der deutschen Kriegserklärung. Das eine der Bataillone zog aus, ehe die englische Kriegserklärung bekannt war. ,,Es gab keinen Enthusiasmus, kaum einen Zuseher. Sie marschierten dahin, in düsterem Schweigen.“ Da kam die Nachricht von Englands Hilfe . Sofort wechselte zauberhaft die Stimmung. ,,Die Wirkung war magisch. Düstere Ahnungen wichen froher Zuversicht. Der Abmarsch des zweiten Bataillons erweckte stürmische Begeisterung. Die Soldaten wurden mit Blumen überschüttet. Ihr Tritt war martia-

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Deutsche Offensive

lisch. Kühnheit und Entschlossenheit schienen aus ihren Reihen auszustrahlen. Der Gegensatz zwischen diesen zwei Szenen machte einen tiefen Eindruck auf mich. “ ( S. 240. ) Nicht Eroberungssucht, nicht der Drang nach Vergewaltigung des Nachbarn , sondern der Drang nach Abwehr, direkte Angst war unter den kriegerischen Impulsen jener Tage wohl der mächtigste , in Frankreich wie in Deutschland , und auch in England. In Frankreich wurde diese Angst noch gewaltig gefördert durch die Art der deutschen Kriegführung . Sie war ebenso wie die französische auf die Offensive gerichtet , auf das Eindringen in Feindesland . Aber den Deutschen gelang dies Eindringen im Anfang , den Franzosen nicht . Das war für Deutschland militärisch ein großer Vorteil, aber politisch ein sehr bedenklicher Nachteil. Die deutsche Offensive in Frankreich hat ihre Kritiker in Deutschland selbst gefunden. Der Graf Monts weist in seinen „ Erinnerungen“ ( Berlin 1922 ) daraufhin , daß der große Moltke den Rhein mit seinem ausgedehnten Festungs- und Bahnsystem für eine der stärksten Verteidigungslinien der Welt erklärte , die auf denkbar lange Zeit mit einer Minderzahl zu halten wäre . Es lag also absolut keine Notwendigkeit zu dem politischen und militärischen Vabanquespiel vor“. ( S. 260.) Monts meint, es wäre viel zweckmäßiger gewesen , die Hälfte der deutschen Armee zusammen mit der österreichischen sofort gegen die Russen zu werfen , und deren Heeresmacht zu zertrümmern. Das sei der Kriegsplan ebenso des älteren Moltke wie nach ihm des Grafen Waldersee gewesen. Erst Schlieffen habe dann um die Jahrhundertwende diesen Plan durch den des Einbruchs in Belgien und der sofortigen Vernichtung der Franzosen ersetzt . Der jüngere Moltke habe an Schlieffens Anordnungen festgehalten, nur sie etwas verwässert. Ich kann nicht beurteilen, welcher der beiden Pläne militärisch besseren Erfolg versprach, sicher ist allerdings, daß der ältere Moltke ein größeres Kriegsgenie war als sein Neffe, den man gleich jenem Helmut getauft hatte. Und nicht minder sicher ist es , daß der Plan des älteren Moltke politisch die größten Vorteile bot, der Schlieffensche dagegen schwere politische Nachteile mit sich brachte, die jeden möglichen militärischen Vorteil weit überwogen, der aus ihm hervorgehen mochte. Hegte Deutschland die Absicht, Frankreich gegenüber zunächst defensiv zu bleiben , dann hätte es Anfang August keinen Grund gehabt, sich mit der Kriegserklärung zu übereilen . Es konnte diese ruhig den Franzosen zuschieben und auf den Einbruch in Belgien verzichten. Das hätte in England den Krieg gegen Deutschland lange verhindert wir werden gleich davon handeln . Es hätte aber auch innerhalb Frankreichs starke Tendenzen gegen dessen Eintritt in den Krieg ausgelöst . Wir haben gesehen, daß die Franzosen ihm nicht mit Siegeszuversicht entgegengingen . Aber

Alle Franzosen gegen Deutschland

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freilich, wenn Deutschland ihnen den Krieg erklärte, blieb ihnen keine Wahl . Die Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Frankreich erbitterte die ganze Welt gegen die Deutschen. Das wurde noch verstärkt durch die weitere Folge des Schlieffenschen Plans , den Einbruch in Belgien. Dieser brachte nicht bloß den für Deutschlands Ansehen in der Welt schweren Nachteil mit sich , daß er als schnöder Rechtsbruch galt. Er löste auch den erbittertsten Widerstand eines großen Teils der belgischen Bevölkerung aus, den die deutschen Streitkräfte als Freischarenkrieg einer Zivilbevölkerung mit Brutalitäten beantworteten. Von den Greueltaten, die damals von Deutschen wie von Belgiern berichtet wurden, haben sich hinterdrein die schlimmsten als bloße Produkte einer erregten Phantasie herausgestellt , aber es blieben genug unwiderlegt, die annehmen ließen , die deutsche Kriegführung sei ausnehmend barbarisch. Natürlich waren die wirklich vorgekommenen Barbareien solche, die jeglicher Kriegführung eigen sind . Sie kennzeichneten die Scheußlichkeit des Krieges, bewiesen nicht eine angeborene Grausamkeit dieser oder jener Nation . Wären die Franzosen als Feinde in Belgien eingedrungen, dann hätten sie dort wahrscheinlich ebenso gehaust, wie die deutschen Truppen, wie jede Truppe in Feindesland haust. Aber so objektiv denkt man im Kriege nicht . Die deutschen Greueltaten in Belgien und Nordfrankreich wurden nicht als unvermeidliche Begleiterscheinungen jeglicher Kriegführung in Feindesland angesehen . Sie trugen dazu bei, den Schrecken vor der deutschen Invasion und die Wut gegen den eindringenden Feind unter Belgiern und Franzosen auf das wildeste zu entfachen . Bei den einen wie bei den andern gab es keinen Politiker, der nicht die Notwendigkeit betont hätte, sich um die Regierung zur Abwehr des Landesfeindes zu scharen . Von Jules Guesde bis Hervé waren alle Sozialisten darin einig. Mit den parlamentarischen Sozialdemokraten gingen die antiparlamentarischen Syndikalisten , sogar ausgesprochene Anarchisten schlossen sich ihnen an, Charles Albert , Jean Grave, Cornelissen . Rein politische Erwägungen hatten verschiedene Strömungen unter ihnen erzeugt und sie getrennt. Die gemeinsame Furcht vor dem Feinde, vor der Invasion sollte sie alle zusammenkitten. Einstimmig bewilligte in Frankreich die sozialistische Fraktion am 4. August sämtliche der Kammer vorgelegten Kriegsgesetze. Nicht nur das, sie entsandte auch zwei der ihrigen in das Kabinett, am 27. August . Die Ironie des Schicksals wollte, daß gerade diese zwei sich ehedem gegen jeden Eintritt eines Sozialisten in eine bürgerliche Regierung auf das lebhafteste ausgesprochen hatten. Auf dem Pariser internationalen Kongreß 1900 hatten Blanquisten und Guesdisten gegen die Resolution gestimmt, die ich dort vorgelegt. Ich war wohl gegen den Eintritt Millerands in die Regierung gewesen, hatte aber doch nicht absolut, unter allen Um32

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Französische Kriegsziele

ständen jegliche Koalitionsregierung verurteilen können . Jetzt traten Guesde und der Blanquist Sembat in die Regierung ein. Das bezeugt nicht etwa Wetterwendigkeit dieser Abgeordneten , die sich stets durch ihre Prinzipientreue ausgezeichnet hatten ; es bezeugt bloß, wie sehr durch einen Krieg abnorme Verhältnisse geschaffen werden . Die Entsendung von Parteigenossen in das Ministerium bedeutete eine noch stärkere Bindung der Regierung an die Kriegsziele der Sozialdemokratie als die Bedingungen, an die nach meinem Vorschlag vom 3. August in Deutschland die Zustimmung zu den Kriegskrediten geknüpft werden sollte. Als Kriegsziel bezeichneten die französischen Sozialisten : keine Annexionen , aber die Freiheit für die Elsässer und Lothringer, über ihre Staatszugehörigkeit zu entscheiden . Dann aber Unschädlichmachung des deutschen Militarismus durch internationale Entwaffnung. Dieser Krieg sollte der letzte sein. Am 2. August 1914, als Deutschland bereits den Krieg an Rußland erklärt hatte und der mit Frankreich unvermeidlich schien , fand in Paris eine sozialistische Versammlung statt, in der außer Sembat Dubreuilh sprach, sowie Vaillant, Longuet, Cachin, Compère-Morel. Alle äußerten sich in dem eben erwähnten Sinn. Einen verspätet eingetroffenen Bericht darüber finden wir in der ,,sozialdemokratischen Parteikorrespondenz " vom 8. Mai 1915. Sembat führte aus, wenn es zum Kriege käme, würden sich die Sozialisten Frankreichs schlagen als Sozialisten , ohne Revanchegedanken, ohne den Wunsch, irgendein fremdes Recht zu verletzen. „Wir wollen nicht die deutsche Kultur vernichten. Wenn das siegreiche Rußland im Bunde mit uns Deutschland zerstückeln oder unter den Hufen der kosakischen Pferde dessen ruhmvolle Universitäten niedertreten wollte, würden wir das nicht gestatten. Als Sieger werden wir zu Elsaß-Lothringen sagen, was die Deutschen nicht gesagt haben. Wir würden sagen : Ihr Brüder von Elsaß- Lothringen, jetzt habt Ihr das Wort , jetzt entscheidet über Euch ! Was wollt Ihr? Ihr seid frei . Wollt Ihr wieder volle Mitglieder Frankreichs werden oder Eure Autonomie erhalten ? ... Wir wollen, daß dieser Krieg, wenn wir schon zu ihm verurteilt werden, zum mindesten der letzte sei. Wir werden kämpfen wie die Freiwilligen von 1793, nicht für die Rechte der Franzosen , sondern für die Menschenrechte ! Für das Recht der Nationen." (S. 38. ) Ganz in demselben Sinne äußerte sich das Weihnachtsmanifest der französischen sozialistischen Partei , veröffentlicht in der ,,Humanité" vom 25. Dezember 1914. Darüber, wie bewirkt werden sollte , daß dieser grausame Krieg der letzte sei", hieß es dort : „Wir kämpfen, wie wir gekämpft haben, alle zusammen seit Jahren und unablässig, damit der Friede, nicht der lügnerische Friede der Rüstungen, sondern der sanfte Friede der befreiten Völker über Europa und die Welt herrsche . Wir kämpfen endlich , damit die Proletarier, die besonders

Durchhalten bis zum Sieg

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die ungeheure Last der Rüstungen zu tragen haben , frei auftreten und ihren Befreiungskampf fortsetzen können. “ (Wiedergegeben in der Parteikorrespondenz" v. 31. Dezember 1914, S. 394. ) Dies Kriegsziel müsse um jeden Preis erreicht werden , denn nur dann dürfte man erwarten, daß dieser Krieg der letzte sei . Würde man vorher Frieden schließen , dann bedeute das nur eine kurze Atempause, in der Deutschland von neuem rüste, um mit vermehrter Kraft über seine Nachbarn herzufallen . In diesem Falle wären alle die Opfer in dem jetzigen Kriege umsonst gebracht . Zur Abrüstung und Selbstbestimmung der Nationen vor allem der Elsässer und Lothringer, werde sich aber der deutsche Militarismus nie verstehen , so lang er nicht zerschmettert am Boden liege. Also kein Friede der Verständigung, sondern Durchhalten bis zum Sieg, das war die Parole nicht nur der bürgerlichen Elemente , sondern auch der Sozialisten Frankreichs . Man hat vielfach gemeint, der Sozialpatriotismus“ sei ein Kennzeichen des ,,Reformismus", das heißt, jener Art Sozialisten, die, wie man sagte , mit dem bestehenden Regime Frieden schließen . möchten. In Deutschland waren es allerdings vornehmlich Männer der milderen Tonart, die für die Kreditbewilligung und den Burgfrieden eintraten nicht ausschließlich solche . Unter ihnen waren auch ein Lensch und Hänisch zu finden. Aber die entschiedenen Revolutionäre standen zumeist im Lager der Verweigerer aller Kriegskredite und der Ablehnung des Burgfriedens. In Frankreich dagegen waren gerade die früheren Gegner des Jaurèsismus und Millerandismus, also die unversöhnlichsten ,,Revolutionäre" diejenigen, die seit 1914 am lautesten den Krieg bis ans Messer forderten, jeden Frieden der Verständigung als unheilvoll verwarfen . So erklärte zum Beispiel Jules Guesde in einer Parteikonferenz in Paris am 7. Februar 1915 : ,,Wir (die Sozialisten der Entente) haben am nächsten Sonntag eine Konferenz in London . Was werden wir dort machen ? Es handelt sich vor allem um die Erklärung, daß von Frieden keine Rede sein kann, solange der deutsche Imperialismus nicht vernichtet ist . Die Pflicht, die sich für die Sozialisten und für alle, die die Menschheit künftig vor blutigen Überfällen bewahren wollen, ist die Fortsetzung des Kampfes bis zum Ende. Wir haben alle Einflüsterungen abzuweisen, die auf ein Nachgeben abzielen .“ Allerdings fügte Guesde hinzu : „ Andererseits ist es notwendig zu sagen , daß uns dieser Krieg aufgezwungen wurde, daß wir ihn nicht suchten, nie gesucht haben und daß wir ihn nicht gegen das deutsche Volk führen . Wir sind bereit, dem deutschen Volk die Hand zu reichen , sobald es mit seinem Kaiser und dem deutschen Imperialismus gebrochen hat, dessen Opfer das deutsche Volk nicht minder ist, als das französische. Endlich haben wir zu erklären, daß nach Erlangung des Sieges auf ein freies Europa hingearbeitet werden muß.“ Doch dies war nur Zukunftsmusik. Was damals in der Gegenwart bestand, sie beherrschte, das war der Wille zum Durchhalten bis zum Sieg. Und diese Auffassung fand lange Zeit in den Reihen der französischen Sozialisten so gut wie gar keine Opposition . Vom 25. bis zum 29. Dezember 1915 tagte in Paris der 12. 32*

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Durchhalten bis zum Sieg

Jahreskongreß der französischen Sozialistischen Partei . Der Parteivorstand legte dem Kongreß ein Manifest vor, das ganz in dem Sinne der bereits zitierten Äußerungen der Guesde , Sembat usw. gehalten war. Eine Gegenkundgebung wurde von Bourderon eingebracht, die die Haltung des Vorstands und der Fraktion miẞbilligte. Es wurde über beide Anträge abgestimmt, nicht nach Delegierten, sondern nach der Zahl der Mandate , die sie besaßen . Jeder einzelne Delegierte konnte zahlreiche Mandate erhalten . Der Kongreß war von 280 Delegierten beschickt, die 2954 Mandate vertraten. Von denen entfielen 2759 auf die Resolution des Vorstands und der Fraktion und ganze 72 auf den Antrag Bourderon . Man darf also sagen , die Masse der Partei stand geschlossen hinter ihrer Leitung und Vertretung. Auf der andern Seite forderte die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie, wie schon ihre Erklärung vom 4. August 1914 besagte , dem Krieg solle nicht eher ein Ende gemacht werden, als bis ,,das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind". Das „ Ziel der Sicherung" konnte man verschieden deuten, aber je länger der Krieg dauerte , desto mehr nahm dies Ziel militärische Formen an, die Forderung verbesserter strategischer Grenzen sowie eine derartige Zerschmetterung der feindlichen Kräfte, daß sie einen neuen Angriff nicht wieder wagen konnten. Das war ebenfalls nur zu erreichen durch Durchhalten bis zum Sieg. Auf Grund dieser Parole auf beiden Seiten war eine Einigung in der Internationale natürlich ausgeschlossen. Es wäre eine lächerliche Erwartung gewesen , anzunehmen , daß die Deutschen und die Franzosen gleichzeitig siegten . Mit der Leninschen Formel der Niederlage auf allen Seiten hätte sich dagegen eine internationale Vereinbarung leicht erreichen lassen. Doch war sie ebenso absurd wie die des allseitigen Sieges . Die einzige rationelle Formel für ein Wiedererwecken der internationalen Zusammenarbeit wurde die eines Friedens der Verständigung, ohne Sieger und Besiegte. Aber diese Formel wurde in den meisten kriegführenden Ländern zunächst nur von Minoritäten vertreten . Eine tragische Situation für die Internationale. Jedoch keine tragische Schuld einzelner Persönlichkeiten , ohne deren ,,Versagen" alles ganz anders gegangen wäre . Wie sehr die ganze Entwicklung auf unlenkbaren, spontanen Massenbewegungen beruhte, bezeugte deutlich die Arbeiterbewegung Englands. Ehe wir von dieser reden , nur noch einige Worte über Belgien. Dort lag die Situation ganz klar und eindeutig zutage : das Land war mitten im Frieden von einem Nachbarn , mit dem es keinen Streit hatte, widerrechtlich überfallen worden . Hier kam nur die Abwehr eines Angreifers in Betracht. Darüber war in der belgischen Sozialdemokratie gar kein Streit möglich. Man durfte sich

Belgische Sozialisten

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nicht verwundern , daß Vandervelde gleich nach Kriegsbeginn in die belgische Regierung eintrat. Er nahm dort den gleichen unversöhnlichen Standpunkt ein, wie seine französischen Kollegen . So einfach das für ihn als Belgier erschien , so komplizierte sich dadurch sehr seine Stellung als Vorsitzender des internationalen Bureaus. Schon das bedeutete eine Hemmung des Wirkens der zweiten Internationale im Kriege, von der während des deutsch- französischen Kriegs 1870/71 die erste Internationale verschont geblieben war. Damals saß der Generalrat im neutralen England, jetzt das Zentralbureau in dem vom Feinde besetzten Belgien. Trotzdem wollten die Belgier auf das Ehrenamt nicht verzichten, das ihnen die Internationale verliehen. Doch sah sich der internationale Sekretär, Camille Huysmans, schließlich veranlaßt, das Bureau nach dem neutralen Holland zu verlegen und ihm Delegierte der holländischen Sozialdemokratie als Beisitzer anzuschließen . Von Amsterdam aus unternahm Huysmans immer wieder Versuche, die Parteien der Internationale zu einer gemeinsamen Konferenz zusammenzubringen . Doch scheiterten alle diese Versuche, in letzter Linie an der Unversöhnlichkeit der Franzosen und der Mehrheit der Belgier selbst, die erklärten, sie könnten sich mit den deutschen Sozialdemokraten nicht an einen Tisch setzen, solange diese dem deutschen Kaiser, dem Urheber des Mordens und des frevelhaften Einbruchs in Belgien , die Kredite bewilligten . Es kam darob zu einem ausgesprochenen Gegensatz zwischen Huysmans und der großen Mehrheit seiner Parteigenossen . Vielleicht mehr noch als gegen die deutschen Militaristen und die übrigen herrschenden Klassen Deutschlands, richtete sich die Erbitterung der belgischen Genossen gegen die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie, die man für verpflichtet hielt , sich dem Belgien angetanen Unrecht mit aller Macht zu widersetzen. So tief wurzelte dieser Haß in den belgischen Gemütern , daß er bei nicht wenigen noch einige Monate den Krieg überdauerte. Die erste internationale Sozialistenkonferenz nach dem Kriege, die in Bern am 3. Februar 1919 zusammentrat , wurde nicht von allen Staaten beschickt. So fehlten z . B. die Schweizer. Deren Mehrheit wurde damals noch stark von den Bolschewiks beeinflußt, die eine eigene Internationale gründen wollten. Zu ihnen gesellte sich ein Teil der Italiener, als Zimmerwalder. Doch entsandten sie Morgari als „ Beobachter" . Die Belgier wieder erschienen nicht trotz des Widerspruchs von Vandervelde und Anseele , weil zu der Konferenz auch die deutschen Mehrheitler eingeladen waren, die ,,Mitschuldigen der Henker unseres Landes". (Vgl. Pierre Renaudel, L'Internationale à Berne, Paris 1919, S. 11. ) Erst als im April 1919 in Amsterdam die ,,permanente Kommission" zusammentrat, die von der Konferenz vom Februar ein-

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Britischer Pazifismus

gesetzt worden, entsandte Belgien Delegierte dorthin. Damit nahm es seine Tätigkeit in der sozialistischen Internationale wieder auf.

d) Die britische Arbeiterpartei. Wir haben schon mehrfach gesehen , wie verbreitet in England der religiöse , absolute Pazifismus war und ist. Dazu gesellte sich seit dem Ende der napoleonischen Kriege und der Begründung der Übermacht Englands zur See große Gleichgültigkeit zahlreicher Volkskreise für die Vorgänge auf dem europäischen Festland, für die man um so mehr Interesse und Verständnis verlor, je wichtiger das ,,Empire", das ungeheure Kolonialreich in allen Weltteilen außerhalb Europas, sowie Freihandel und Friede mit aller Welt. für das Gedeihen der Bevölkerung Großbritanniens zu sein schien. Alles das bedeutete wachsende Unlust für die Massen des englischen Volks, sich in kriegerische Konflikte der andern Großmächte Europas hineinziehen zu lassen . Die Streitigkeiten um neue koloniale Erwerbungen , die in den letzten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts aufkamen , waren nicht stark genug, diese Stimmung in eine kriegerische zu verwandeln. Wohl konnten viele Schichten der englischen Nation in wildem Chauvinismus - in — England Jingoismus genannt aufflammen , wenn sie in irgendeiner Kolonie ihre Landsleute durch Eingeborene vergewaltigt und bedroht glaubten . Je größer die kriegerische Kraft der Eingeborenenob Farbige oder Weiße - desto kriegerischer der britische Jingoismus, das zeigte der Krieg gegen die Buren in Südafrika ( 1899-1902 ) , die dort den Engländern die Gewährung des Bürgerrechts verweigerten. Der darob in England hoch auflodernde Jingoismus entbrannte aber hauptsächlich so heiß wegen der schmählichen Niederlagen der eigenen Truppen. Der Unabhängigkeitskrieg der nordamerikanischen Kolonien ( 1776-1783) ist bisher der letzte Krieg, den die Engländer verloren haben - und da geschah es gegen eine Bevölkerung von Engländern . Seitdem hatte England keinen der Kriege, in die es sich einließ, abgeschlossen, ohne gesiegt zu haben. Das zeigte sich am deutlichsten in den Kriegen gegen Napoleon . Der Friede von Amiens zwischen Frankreich und England (März 1802) war nur ein Waffenstillstand, dauerte nur ein Jahr. In dem Burenkriege entsprang jedoch der ebenso zähe wie wilde Jingoismus der Engländer keineswegs dem Verlangen , die Buren zu vergewaltigen . Wohl wurden die Burenrepubliken dem englischen Reich angegliedert, aber mit so vielen Freiheiten und Vorteilen , daß sie sich mit dem neuen Zustande nicht nur rasch aussöhnten, sondern sich sogar für ihn begeisterten . Im Weltkrieg stellten die Buren zahlreiche Streitkräfte für die englische Armee auf. Von Burengeneralen befehligt, kämpften diese erfolgreich in Südafrika gegen die deutschen Truppen.

Einkreisung Deutschlands

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So sehr der Burenkrieg die Engländer erregte, so war diese Erregung doch nicht stark genug, das ganze Volk mit sich fortzureißen. Im Gegenteil, eine starke Gegenströmung nicht nur von Sozialisten, sondern auch von Liberalen protestierte mit aller Macht gegen den Krieg. Die kriegsfeindlichen Liberalen , geführt von Campbell Bannerman, waren nicht stark genug, den Krieg zu verhindern, der unter einem konservativen Ministerium ausbrach. Aber die dem Krieg folgende Wahl brachte, obwohl er siegreich beendet worden, den Liberalen eine große Mehrheit und diese waren es, die unter dem Ministerium Campbell Bannerman ( 1905-1908) den Buren die Autonomie verliehen und dadurch deren Anhänglichkeit an das Reich gewannen. Nach Campbell Bannermans Rücktritt setzte das Ministeriums Asquith ( 1908 bis 1915) dessen liberale, friedensfreundliche Politik fort , die den Wünschen der Mehrheit des englischen Volkes entsprach. Doch konnte diese nicht mehr eine Politik der Gleichgültigkeit für die Gegensätze der Staaten des europäischen Festlandes sein ; nicht mehr eine Politik der ,,glänzenden Isolierung" ( splendid isolation) , in die England geraten war. Das wurde unmöglich gemacht durch das Flottenrüsten des Deutschen Reichs, das seit der Jahrhundertwende England immer mehr beängstigte, gleichzeitig aber auch die andern Großmächte Europas immer mehr beunruhigte . Welche Absichten immer die deutschen Staatsmänner hegen mochten, ihre Praxis steuerte darauf hin, Deutschland, das schon zur weitaus stärksten Landmacht geworden war, auch noch zur stärksten Seemacht zu machen und so die Übermacht über alle anderen Staatswesen zu gewinnen. Dem war nur dadurch zu begegnen, daß sich alle andern gegen den übergewaltigen Koloß zusammentaten. Sie alle, außer Österreich , vereinigten sich gegen das gefahrdrohende Deutschland . An Stelle der ,,splendid isolation" Englands trat die ,,Einkreisung" Deutschlands. Diese entsprang nicht etwa einer teuflischen Intrigue des Königs Eduard VII . , der 1902 seiner Mutter Victoria auf dem Thron folgte . Deutschlands Isolierung war vielmehr eine Folge der deutschen Flottenpolitik. Aber an der Einkreisung war allerdings England beteiligt. Immer mehr kamen die Politiker Englands, nicht nur Konservative, sondern auch Liberale, ja sogar Sozialisten , zu der Überzeugung, England würde aufs schwerste gefährdet , wenn es bei einem Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland ruhig zusähe, wie jenes von diesem niedergeworfen und zerstückelt werde . Daher die „ Entente cordiale", das herzliche Einverständnis zwischen den beiden Staaten. Aber das bedeutete noch kein Bündnis, kein festes Abkommen, einander im Falle der Not beizustehen. Gegen ein solches Abkommen bestanden zu starke Bedenken in England. Gar viele der Engländer konnten ihre Abneigung gegen einen großen Krieg nicht überwinden , trotz der Erbitterung und

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Umschlagen der Friedensstimmung

Besorgnis, die durch die Flottenbauten des Deutschen Reichs in England immer mehr hervorgerufen wurden. Man hat die Politik des Sir Edward Grey, des Außenministers der Kabinette Campbell Bannerman und Asquith, vielfach verurteilt, weil sie weder die Franzosen noch die Deutschen klar erkennen ließ, welche Haltung England in einem Krieg zwischen den beiden Mächten einnehmen werde. Hätte er von Anfang deutlich erklärt, England werde sich in einem solchen Krieg aktiv auf Frankreichs Seite stellen , dann wäre das Unheil vermieden worden. Deutschland hätte sich dann gehütet, es zum Kriege kommen zu lassen. Grey sei also am Kriege schuld . Sehr sonderbar ist es, wenn solche Vorwürfe von deutscher Seite, zur Entlastung Deutschlands von der Kriegsschuld vorgebracht werden. Sie würden ja beweisen, daß der Ausbruch des Kriegs von Deutschland abhing und dieses ihn entfesselte , weil es Englands Bereitschaft, Frankreich zu helfen , falsch einschätzte . Wer Grey Unschlüssigkeit oder gar Tücke vorwirft, vergißt die Stellung, die ein Minister in einem parlamentarisch regierten Staate einnimmt. Das englische Volk und auch sein Parlament war friedliebend und hätte sich nur schwer zum Kriege entschlossen. Weiterschauende Politiker Englands wußten wohl , daß England aufs äußerste gefährdet sei, wenn Frankreich niedergeworfen werde, aber sie konnten nicht mit Bestimmtheit sagen, ob bei einem ausbrechenden Kriege zwischen Frankreich und Deutschland das englische Volk ihrem Aufruf folgen werde , die Waffen zur Rettung Frankreichs zu ergreifen. Als die Kriegsgefahr auftauchte, waren, nach John Morley, zehn Mitglieder von sechzehn des Kabinetts, dem er angehörte , dagegen, daß sich England in den Krieg hineinzerren lasse . Da kamen Deutschlands Kriegserklärungen an Rußland und Frankreich, . kam sein Einbruch in Belgien, der verhieß , daß deutsche Truppen baldigst an der Küste des Kanals La Manche, vielleicht in Calais sein würden, wo die deutschen großen Geschütze eine Landung deutscher Truppen in England decken könnten. Diese Tatsache wirkte, wie die Furcht vor der Invasion der Russen in Deutschland , wie die Furcht vor der deutschen Invasion in Frankreich : Die gesamte Volksmasse wurde über Nacht von wildester Kriegsstimmung zur Abwehr des Feindes ergriffen . Nicht aus politischer Berechnung, nicht aus geheimer Diplomatie und verräterischen Verträgen, sondern aus einer plötzlichen Wandlung der Volksstimmung, die unwiderstehlich wurde, ging die englische Kriegserklärung an Deutschland hervor. Dieser plötzliche Umschlag der Stimmung vom friedlichen ins kriegerische wurde sehr gut beschrieben in einer Darstellung der von der Unabhängigen Arbeiterpartei ( Independent Labour Party, I. L. P.) herausgegebenen ,, Socialist Review". ( Ich zitiere nach der

Umschlag der Stimmung

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Wiedergabe in der ,,Sozialdemokratischen Parteikorrespondenz “ , 22. Mai 1915, S. 67. ) Es hieß dort : ,,Bis zu dem Augenblick, als die Regierung den Krieg erklärte, war die sozialistische Arbeiterbewegung dieses Landes genau wie in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern, einig und geschlossen in ihrem Widerstand gegen Militarismus und Krieg und in ihrer Agitation dagegen, daß die Regierung in den Kampf eingreife. Genau wie in Frankreich, Deutschland und anderen kriegführenden Ländern vollzog die ganze Bewegung eine völlige Umdrehung, mit Ausnahme der I. L. P. und einiger weniger Einzelpersonen und Sektionen anderer Gruppen , sobald nur unsere Regierung das Kriegswort gesprochen. Sie verließ die pazifistischen Grundsätze und erklärte, daß der Krieg unvermeidlich geworden sei. Sie hieß die Politik der Regierung gut, am Kriege teilzunehmen und rief die Arbeiter auf, die Waffen zu ergreifen zur , Verteidigung des Vaterlands '. Wie plötzlich und vollständig der Wechsel in der Richtung der Bewegung bei dem Schlagen der Kriegstrommel an den Toren des eigenen Landes war, wird augenscheinlich, wenn wir daran erinnern, wie sehr die Bewegung gegen den Krieg noch in der letzten Stunde fest und entschieden auftrat." Der Artikel erinnert daran, daß in der britischen Sektion des internationalen Bureaus, in der alle Richtungen der britischen Arbeiterbewegung vertreten waren, am 31. Juli 1914 ein von Hyndman entworfenes Manifest angenommen wurde, das die Briten nicht vor dem preußischen Militarismus warnte, sondern vor dem russischen Despotismus. Am 1. und 2. August wurden von der Arbeiterpartei ( Labour Party, L. P. , nicht zu verwechseln mit der ,,Unabhängigen Arbeiterpartei", Independent Labour Party, I. L. P.) in vielen Städten, in London auf dem Trafalgar Square , Versammlungen gegen den Krieg abgehalten . In London sprach Henderson für den Frieden, Will Thorne und andere erklärten , England dürfte sich nicht durch etwaige Abmachungen verpflichtet fühlen, Frankreich und Rußland zu unterstützen . ,,Das war die Haltung der geeinten sozialistischen Arbeiterkräfte bis zu der Stunde, als Großbritannien in den Krieg eintrat.“ Wir sehen, in England fand derselbe Umschlag der Stimmung statt, wie wir ihn schon für Frankreich, Rußland und für Deutschland konstatiert haben. Nichts lächerlicher, als darin den Verrat einiger feiger oder charakterloser „ Bonzen" zu sehen. Auch wer dieses Umschlagen aufs schmerzlichste empfand , mußte darin eine Massenerscheinung sehen, die aus tiefbegründeten Gesetzen der Massenpsychologie hervorging. Wer sie in der praktischen Politik nicht in Betracht zog, sondern glaubte, sie mit einer verächtlichen Gebärde bei Seite schieben zu können , nahm sich die Fähigkeit , ihre Ursachen zu erkennen, die erste Vorbedingung dafür, mit ihr fertig zu werden. Die Leute von der I. L. P. waren dazu ebensowenig imstande, als etwa die Spartakisten und die Leute um Lenin. Ihnen erschien es daher, als habe in England die Regierung selbst den Anstoß zu der Kriegsstimmung gegeben, die erst aufgekommen sei , als der Krieg erklärt wurde . In Wirklichkeit verhielt sichs umgekehrt . Erst

Marxisten kriegerisch das Umschlagen der Stimmung ließ in der Regierung die Verfechter der tatkräftigen Unterstützung Frankreichs zur Mehrheit werden und dieses Umschlagen verlieh ihr die Sicherheit und den Mut, Deutschland den Krieg zu erklären. Das Ereignis, wodurch dies bewirkt wurde, war der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien. Wenn die Furcht vor der drohenden Invasion in jedem am Krieg beteiligten Staate dieselbe Massenstimmung hervorrief, so nahm doch die Rückwirkung auf die Sozialisten nicht überall die gleichen Formen an. In Deutschland war es der rechte Flügel der Sozialdemokratie , der sich am kriegerischsten gebärdete. In England standen dagegen die meisten Kriegsgegner auf dem rechten Flügel der Arbeiterbewegung. Die revolutionären Marxisten wieder gehörten in England ebenso wie in Frankreich zu den lautesten Rufern im Streite. An ihrer Spitze standen in Frankreich wie in England die Begründer des dortigen Marxismus — hier Jules Guesde, dort H. M. Hyndman. Wir haben bereits gesehen , daß Hyndman schon im Frieden , wegen des Anwachsens der deutschen Flotte, die Regierung seines Landes zu vermehrtem Flottenbau drängte . Er feuerte im Kriege nicht nur die Sozialisten Englands, sondern auch Frankreichs an, ihr äußerstes zum Siege beizutragen . Und er richtete auch eindringliche Aufforderungen an die Sozialisten Italiens , für den Eintritt ihres Landes in den Krieg zu wirken, um ihn zu verkürzen und zu einem Siege der Demokratie zu gestalten . Der Philosoph des englischen Marxismus war Belfort Bax, allerdings einer, der der Philosophie und der Geschichtsauffassung von Marx und Engels ablehnend und verständnislos gegenüberstand. Aber er war ein kluger , kenntnisreicher und forschender Kopf. Engels , der mit Hyndman nie zusammenkam , hatte dagegen mit Bax gern und viel verkehrt. Auch dieser Marxist predigte den Krieg und die Niederwerfung der Zentralmächte. Weder von Bax noch von Hyndman konnte man sagen , sie seien „, Sozialpazifisten “. Sie waren aber auch nicht ,, Sozialpatrioten". Im Burenkriege hatten sich beide energisch und tapfer dem imperialistischen Strome entgegengestemmt. Bax' Biograph Robert Arch schreibt über ihn : ,,All seine alte revolutionäre Wut erhob sich damals ( seit 1914, K. ) gegen die Militärmonarchien Zentraleuropas , die den Kriegsbrand entflammt hatten (who had let loose Armageddon ) . Hatte er früher den Angriff des eigenen Landes auf die Burenrepublik gebrandmarkt , so brandmarkte er jetzt mit größter Vehemenz den Angriffskrieg Deutschlands und Österreichs und er lehnte jede Gemeinschaft mit jenen britischen Sozialisten ab, die aus bloßem ,antipatriotischem Trieb' (bias ) , wie er es nannte, dahin kamen, Frieden um jeden Preis mit dem preußischen Despotismus zu verlangen. Das bedeutete jedoch keineswegs eine Milderung seiner Ablehnung des britischen Imperialismus. Nach seiner Meinung handelten im Weltkrieg die Mächte der Entente einfach als internationale Polizei zur Bestrafung von Verbrechen und Vergewaltigungen, und er forderte alle ,Freunde des Fortschritts und des Friedens' auf, darauf zu achten, daß die

Bax' Kriegsziele

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Demokratie Europas nicht durch irgendein geheimes Abkommen unter den herrschenden Klassen betrogen würde, das Preußen gestattet hätte, nach dem Kriege als eine selbständige Militärmacht weiter zu bestehen.“ (,,Ernest Belfort Bax, Thinker and Pioneer ", London , p. 20. ) Anschauungen dieser Art wurden von vielen deutschen Sozialisten dahin gedeutet , als wollten die Sozialisten der Ententeländer das Deutsche Reich zertrümmern und wehrlos allen Feinden ausliefern. So waren jedoch die Baxschen und ähnlichen Äußerungen nicht gemeint. In seiner Autobiographie erläutert Bax seine Auffassung in folgender Weise : ,,Ich kann bemerken , daß ich mit meinem Freunde Jules Guesde darin übereinstimme, daß ich wie er jede weitgehende Verkleinerung des deutschen Gebiets ablehne, jedoch fest daran halte, daß die Militärmacht der zentralen Monarchie ein für allemal gründlich vernichtet werden muß . Ich glaube, das künftige Deutschland sollte die Form einer losen Föderation der verschiedenen deutschen Staaten annehmen, ohne die Hegemonie eines von ihnen und ohne eine andere Heeresmacht als die einer lokalen Miliz, im allgemeinen ähnlich der Schweiz, aber ohne eine zentrale oder nationale oberste Leitung oder Kommandogewalt." ( ,,Reminiscences and Reflexions", S. 255 , 256.) Die Verwandlung des stehenden Heeres in eine Miliz war eine alte Forderung der Sozialdemokratie, die zu einer internationalen Forderung nur deshalb nicht wurde, weil die Engländer von der allgemeinen Wehrpflicht überhaupt nichts wissen wollten . Die Verwandlung Deutschlands in eine Föderativrepublik unter Aufhebung der Hegemonie Preußens gehörte auch zu den programmatischen Forderungen der deutschen Sozialdemokratie. Schon 1891 schrieb Engels darüber. Allerdings eine ,,föderalistische Verschweizerung" lehnte er ab. Er forderte die einheitliche Republik, aber nach dem Muster der französischen Revolutionszeit : ,,Von 1792 bis 1798 besaß jedes französische Departement, jede Gemeinde vollständige Selbstverwaltung und das müssen wir auch haben." Weiter sagte er : ,,Anderseits muß Preußen aufhören zu existieren, muß in selbstverwaltende Provinzen aufgelöst werden, damit das spezifische Preußentum aufhört, auf Deutschland zu lasten. “ ( ,,Zur Kritik des sozialdemokratischen Parteiprogramms ", „, Neue Zeit", XX. 1. S. 11 , 12. ) Mit der Auflösung Preußens mußten aber auch die nichtdeutschen Gebiete frei werden , die das preußische Königtum vor 1870 annektiert und dann dem Deutschen Reich als Fremdkörper einverleibt hatte, so das dänische Nordschleswig und die polnischen Teile des östlichen Preußen. Endlich gegen die Annexion ElsaßLothringens hatte der deutsche Sozialismus bereits damals protestiert, als sie geplant und vorgenommen wurde . Allen diesen Gebieten die Selbstbestimmung zu geben, entsprach vollständig den Prinzipien der Sozialdemokratie. Und mehr wollte auch Bax nicht, da er jede ,,weitgehende" Verkleinerung des deutschen Gebiets ablehnte. Die Kriegsziele, die Belfort Bax 1916 aufstellte , entsprachen also im Grunde den Zielen der auswärtigen Politik, die die deutsche Sozialdemokratie schon im Frieden seit jeher verfolgt hatte , mit einigen Modifikationen, etwa der Aufhebung jeder Oberleitung der

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Bax' Kriegsziele

deutschen Wehrmacht. Bax wollte doch die Schweizer Miliz, die kommt aber ohne Oberleitung nicht aus. Deren Ablehnung ist absurd für jedes Heerwesen, wie demokratisch es auch sein mag. Auf einem internationalen sozialistischen Kongreß hätte sich in normalen Zeiten eine gemeinsame Fassung für die Ziele der deutschen und der britischen Sozialdemokraten unschwer finden lassen. Während des Krieges aber schloß der Brite Bax jedes Verhandeln mit den deutschen Sozialdemokraten aus : ,,Natürlich muß jeder Sozialist aufgebracht sein gegen den Verrat an den grundlegenden Prinzipien des Sozialismus ebenso wie an der internationalen Verbindung der sozialistischen Parteien, den die sozialdemokratischen Mitglieder des deutschen Reichstags begangen haben. “ ( S. 250.) Bax erörtert dann, daß es unmöglich sei, festzustellen, wie viele Parteimitglieder hinter der Mehrheit der deutschen Reichstagsfraktion ständen und fährt fort : „Eines ist sicher : außerhalb Deutschlands sollte niemand, der sich Sozialist nennt, sich dazu hergeben , auf einem Kongreß oder bei einer sonstigen Veranlassung mit Leuten zusammenzutreffen und zu verkehren , direkt oder indirekt, von denen die Grundsätze des Sozialismus, der internationalen Organisation sozialistischer Parteien und der Menschlichkeit verraten würden. Dessen macht sich die heutige Vertretung der deutschen Sozialdemokratie im Reichstag schuldig. “ ( S. 251. ) Diese Auffassung ließ die Aussichten für das erneute Funktionieren der Internationale sehr trübe erscheinen . Dabei aber gab es in England selbst nicht wenige Sozialisten , die gegen Bax und Hyndman und deren Anhänger dieselbe Anklage des Prinzipienverrats erhoben, wie diese gegen die deutsche Sozialdemokratie. War es nicht Prinzipienverrat, überhaupt zum Menschenmorden anzustacheln? Und taten das nicht alle jene Sozialisten in England und Frankreich , die erklärten , der Krieg müsse fortgesetzt werden bis zur Niederwerfung des preußischen Militarismus ? Es waren in England nicht viele Teilnehmer an der Arbeiterbewegung, die ihre eigenen Genossen im Lande des Prinzipienverrats beschuldigten, aber unter ihnen fand man die Mehrzahl der ausgesprochenen Sozialisten . Der Organisation der „ Unabhängigen Arbeiterpartei " (I. L. P.) war die Führung der Sozialisten innerhalb der großen Arbeiterpartei zugefallen. Und gerade diese Partei focht auf das leidenschaftlichste gegen die Teilnahme Englands am Krieg , unter ihnen die angesehensten Führer der Arbeiterklasse, ein Keir Hardie, ein Snowden, ein MacDonald.¹) Seit 1911 war MacDonald Führer der großen Arbeiterpartei ¹ ) Keir Hardie erlebte allerdings nicht das Ende des Krieges, er starb im August 1915, nur 59 Jahre alt, wie MacDonald sagte, an gebrochenem Herzen, aus Verzweiflung über das Kriegsunheil. Kurz darauf, im Dezember, ging Vaillant dahin , 70 Jahre alt . Eng verbunden hatten die beiden im Gegensatz zur deutschen Sozialdemokratie die Idee verfochten, einen kommenden Krieg durch Massenaktionen zu verhindern. Als aber der Krieg wirklich kam, gingen ihre Wege auseinander, Vaillant forderte ebenso eifrig den Krieg gegen den preußischen Militarismus, wie Keir Hardie den Krieg verurteilte.

MacDonald im Krieg

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im Parlament. Aber so großes Ansehen er auch genoß, die Welle des Kriegsenthusiasmus schwemmte ihn hinweg. Am 5. August 1914 mußte er die Führung der Arbeiterpartei an Arthur Henderson abgeben. Die I. L. P. und ihre Führer ließen sich durch den Sturm patriotischer Begeisterung nicht einschüchtern . Furchtlos blieben sie ihrer pazifistischen Einstellung treu. Doch stand ihre politische Klarheit nicht auf derselben Höhe, wie ihre Gesinnungstreue . Sie waren einig darin, daß sie den Krieg verabscheuten und die Regierung verurteilten, die ihn erklärt hatte. Aber darüber hinaus gab es die mannigfachsten Schattierungen unter ihnen, von ausgesprochener Deutschfreundlichkeit bis zu schroffster Verurteilung der Deutschen . MacDonald stand an der Spitze der Pazifisten und doch sprach er sich dafür aus, daß , nachdem die Fehler der britischen Regierung England einmal in den Krieg gezogen hätten, es diesen gewinnen müsse im Interesse der Demokratie der Welt. Sein Biograph, H. Hessell Tiltman veröffentlicht einen Brief, den MacDonald in der Kriegszeit an den Mayor von Leicester schrieb. Leider gibt Tiltman nicht das genaue Datum des Briefes an, wahrscheinlich fiel er in den Winter 1914-1915. MacDonald entschuldigte sich, daß er an einer Versammlung nicht teilnehmen könne, die der Rekrutierungspropaganda dienen sollte. Das sollte nicht bedeuten, daß er dem Zweck der Versammlung ablehnend gegenüberstehe. Er beschuldige allerdings die Politik der Regierung, England in den Krieg verwickelt zu haben : ,,Aber wir sind einmal im Krieg darin. Er muß sich nun bis zu seinem Ende austoben. Überlegenheit der Kraft und des Geistes wird ihn gewinnen und unberechenbare politische und soziale Konsequenzen werden aus dem Siege hervorgehen. Der Sieg muß daher auf unserer Seite sein. Englands Rolle ist noch nicht ausgespielt. Es hat noch eine Mission zu erfüllen. Es kann, wenn es will, den Ehrenplatz unter den Demokratien der Welt einnehmen, und wenn der Friede mit heilender Versöhnung auf seinen Flügeln kommen soll, müssen die Demokratien Europas seine Hüter sein. Darüber sollte kein Zweifel bestehen. Nun, wir können nicht mehr zurück, wir können nicht nach rechts oder links ausweichen. Wir müssen geradeaus vorwärts gehen. Die Geschichte wird schließlich entscheiden, wer zu preisen , wer zu tadeln ist, aber augenblicklich liegt es an den jungen Männern unseres Landes, die unmittelbare Entscheidung des Sieges herbeizuführen." Darum hält MacDonald es für notwendig, die Rekrutierung von Freiwilligen mit aller Macht zu fördern . ( Hessell -Tiltman „,James Ramsay MacDonald, Labour Man of Destiny", London 1929, S. '6.) Sehr entschieden drückte sich MacDonald in einem Briefe an Jean Longuet vom 1. Mai 1916 aus : ,,Man hat mich als Deutschenfreund hingestellt, während in Wirklichkeit niemand in Europa so antipreußisch sein kann wie ich. Ich habe in der Tat seit Jahren die deutsche Staatsverfassung als absolut entgegengesetzt

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MacDonalds Kriegsziele

jeder Freiheit betrachtet und vor allem den mechanischen Charakter der deutschen Erziehungsmethoden verworfen. Mir liegt sehr daran , daß die Laster Deutschlands sich nicht über ganz Europa verbreiten . “ ( Entnommen der „ Sozialdemokratischen Parteikorrespondenz “, 1916. S. 362. ) Sehr deutschfreundlich klingt das sicher nicht. Bald darauf, am 24. Mai 1916 erklärte MacDonald im Unterhaus : „ Unser Land war von der Gerechtigkeit seiner Sache immer voll überzeugt ... Ich wünsche mit aller Bestimmtheit, klar zu machen , daß unser Land, wenn es sich ein Fünkchen Ehre erhalten will, keinen Frieden annehmen kann, der die Preisgabe der Souveränität Belgiens oder eines seiner Teile bedeutet. Dasselbe gilt für die besetzten Gebiete Frankreichs . Wenn Deutschland sich einbildet, daß sich die Sache anders verhält , so um so besser, je eher es dazu gebracht wird, seinen Irrtum zu erkennen. Zweitens muß dem Mißstand der unter Fremdherrschaft seufzenden Nationalitäten in Europa ein Ende bereitet werden." Das ging allerdings nicht bloß auf Deutschland und Österreich , sondern auch auf Rußland und Italien , die mit Ansprüchen auf Gebiete fremder Nationalitäten ,,Tauschhandel" trieben , wie MacDonald sich ausdrückte. Er hoffte,,,daß weder Deutschland noch wir diesen Krieg solange fortsetzen werden, bis die nationalen Streitigkeiten erledigt sind". Auf jeden Fall aber müsse der Krieg ,,mit der Vernichtung des europäischen Militarismus enden ... Wir sind bereit, zu dessen Abschaffung unsern Beitrag zu leisten . Doch müssen wir verlangen , daß auch Deutschland seinen Beitrag leiste". (Entnommen der Soz. P. Korr. 1916. S. 315 , 316.) Das waren Kriegsziele, die sich wohl hören ließen , die aber nicht nach einem Frieden um jeden Preis aussahen, wie ihn die extremen Pazifisten der I. L. P. wollten . Am 23. und 24. April 1916 fand in Newcastle on Tyne der Jahreskongreß der Unabhängigen Arbeiterpartei Englands statt. Dort brachte ein Dr. Salter folgende Resolution ein : „ Die Konferenz ist der Meinung, daß die Sozialisten aller Länder übereinkommen sollen, daß die sozialistischen Parteien künftig jeder Regierung die Unterstützung jedes Krieges verweigern, was immer auch der sichtbare Zweck des Krieges sein mag, und selbst wenn der Krieg dem Namen nach defensiven Charakter hat.“ Diese Resolution wurde nach einem Bericht des Berliner ,,Vorwärts" mit 235 Stimmen ohne eine Gegenstimme angenommen. Jede politische Unterscheidung des Krieges war hier ausgeschaltet. Zur Abwehr eines Eroberers oder zum Schutz einer sozialistischen oder auch nur demokratischen Verfassung gegen reaktionäre Intervention sollte es verboten sein, die Waffen zu ergreifen ! Wie stimmten aber dazu MacDonalds Reden ? Und wie die Abstimmungen im Unterhaus über die Kriegskredite ? Am 21. Februar 1916 wurden im Unterhaus die angeforderten Kriegskredite e instimmig angenommen . Auch die sechs Mitglieder der I. L. P. stimmten dafür - nicht etwa, wie Haase und seine Freunde 1914 im Plenum aus Parteidisziplin . Diese Abstimmung wurde in den Reihen der I. L. P. lebhaft kritisiert. Jowett, Vorsitzender der I. L. P., einer

Kriegsziele der S. D. F.

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der sechs Abgeordneten , die für die Kredite gestimmt hatten , rechtfertigte in einer Versammlung seine Haltung : ,,Ich persönlich bin nicht bereit, gegen die Kredite zu stimmen, die zur Fortführung des Krieges nötig sind. Die richtige Methode, die Politik der Regierung zu bekämpfen , ist die Einbringung eines Mißtrauensvotums. Für dieses zu stimmen, bin ich zu jeder Zeit bereit." Also auch dieser hervorragende Parlamentarier hatte keine Ahnung davon, daß der Krieg und seine Fortführung in enger Verbindung mit der Politik der Regierung stehe. Auch er meinte , ebenso wie die deutschen Mehrheitler, die Kriegskredite bewillige man dem Vaterlande , nicht der Regierung, man müsse sie also jeder Regierung bewilligen. Den Kern der Opposition gegen die Kriegspolitik der Arbeiterpartei bildete die I. L. P. Aber nicht sie allein war oppositionell gesinnt. Neben ihr bestand die ,,britische sozialistische Partei" (British Socialist Party) . Sie war aus der ältesten unter den neueren sozialistischen Parteien Englands hervorgegangen, der Social Democratic Federation. Diese, 1883 begründet von Hyndman mit Bax, Eleanor Marx, William Morris, H. Quelch und anderen , wollte die englischen Arbeiter unter der Flagge des Marxismus organisieren, betrieb dieses aber in einer Weise, die Engels entschieden ablehnte und die sich auch als unfruchtbar erwies. Statt die organisierten Arbeiter zu gewinnen , geriet sie in scharfen Gegensatz zu den Gewerkschaften. Sie blieb eine marxistische Sekte und wurde trotz eifrigster propagandistischer Arbeit überholt von der ein Jahrzehnt später durch Keir Hardie begründeten I. L. P. , die theoretisch viel tiefer stand , einem verschwommenen , stark religiösen Gefühlssozialismus huldigte, aber die Gewerkschaften besser zu pakken wußte. Aus der I. L. P. , nicht aus der S. D. F., ging die Arbeiterpartei hervor, die Labour Party (L. P.) im Jahre 1900. Auch mit dieser geriet die S. D. F. in Zwiespalt. Das Unvermögen, vorwärts zu kommen, veranlaßte die Führer der S. D. F., nach neuen Mitteln zu suchen , die Anziehungskraft der Partei zu verstärken . Natürlich gab es auch in der I. L. P. und der L. P. viele Unzufriedene , denen es zu langsam ging, die nach raschen Erfolgen strebten. Diese Mißvergnügten , Einzelpersonen und ganze Gruppen, suchte die S. D. F. an sich zu ziehen . Um

ihnen den Übergang zu erleichtern, änderte sie ihren Namen. Anstatt Social Democratic Federation nannte sie sich seit 1908 Social Democratic Party. Ihre Bestrebungen zur Zusammenfassung aller Sozialisten der britischen Arbeiterbewegung in einer gemeinsamen Partei wurden eifrig fortgesetzt und führten 1911 zu einem Kongreß , der die verschiedensten Richtungen der Sozialisten Englands umfaßte und der eine sozialistische Gesamtpartei zu gründen beschloß, die British Socialist Party (B. S. P. ) . Aber die I. L. P. tat nicht mit. Daher blieb die neue Partei im Grunde die alte S. D. F. ,

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Hyndmans Partei

nur vermehrt um eine Reihe sehr heterogener, mit der großen Arbeiterpartei unzufriedenen Elemente, vielfach Eigenbrötler. Das mochte nicht viel ausmachen, solange die herkömmlichen Verhältnisse fortdauerten und die alten Führer der S. D. F. das unbestrittene Übergewicht in der B. S. P. hatten . Ganz anders wurde die Situation, als der Krieg ausbrach. Die ganze alte Garde der S. D. F. , geführt von Hyndman , nahm die Haltung ein, die wir schon gekennzeichnet haben. In der Mitgliedschaft, namentlich aber unter den neu hinzugekommenen Elementen , erhob sich dagegen laute Rebellion . Sie waren der B. S. P. beigetreten, weil sie von ihr eine entschiedenere, revolutionäre Auflehnung gegen die Regierung erwarteten, nun sollten sie sich in dieser die Massen tief aufwühlenden Krisis hinter die Regierung stellen . Wenn es Patrioten gibt, die da sagen : mein Vaterland ( d . h . seine Regierung) mag recht oder unrecht haben, ich verfechte seine Politik, so gibt es Revolutionäre, die erklären, die Regierung mag recht haben oder unrecht, meine revolutionäre Pflicht geht dahin , sie und jede ihrer Tätigkeiten rücksichtslos zu bekämpfen . Diese zweite Richtung gewann bald die Oberhand in der B. S. P. Auf dem ersten Kongreß, den die Partei im Kriege abhalten konnte, Ostern 1916 zu Salford, trat dies augenfällig zutage. Hyndman und seine Freunde wurden heftig angegriffen . Als Hyndman antworten wollte, erhob sich gewaltiger Lärm und der Kongreß beschloß mit 56 gegen 39 Stimmen, daß er ihn nicht anhören wolle . Bei einer späteren Abstimmung sank die Zahl der Stimmen für Hyndman sogar auf 24 Stimmen gegen 76 Stimmen herab. Daraufhin verließen Hyndman und sein Anhang den Kongreß und gründeten die ,,Nationalsozialistische Partei" (National Socialist Party, N. S. P.) . Natürlich wurde keiner der beiden Teile durch die Spaltung gestärkt, da ihre Vereinigung bereits keine große Kraft dargestellt hatte. Die N. S. P. umfaßte die alte Garde der S. D. F., eine Reihe fähiger Köpfe, die in der Arbeiterbewegung einen guten Namen hatten. Drei von ihnen wurden gleich nach dem Krieg, Dezember 1918, ins Parlament gewählt : Dan Irving, William Thorne und I. Jones. Diejenigen, die in der B. S. P. zurückblieben, verfügten über ein starkes Temperament, aber über kein Wissen. Nach dem Austritt der Minderheit wurden sie ganz haltlos, unterwarfen sich leicht fremder Führung, wenn sie sich nur den radikalen Instinkten entsprechend äußerte . Sie fielen nach 1917 dem Kommunismus anheim und seiner Internationale . Hyndmans Partei sah sich jetzt auf den Umfang eines winzigen Splitters reduziert , und doch war es nun das erstemal seit der Begründung der S. D. F. , daß seine Anschauungen in der zur Zeit entscheidenden Frage mit denen der großen Masse der englischen Arbeiterschaft übereinstimmten. Die Arbeiterpartei nahm in ihrer erdrückenden Mehrheit, wie wir schon bemerkten, im Kriege denselben Standpunkt ein wie die sozialistische Partei Frankreichs. Sie

Kriegspolitik der Arbeiterpartei

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forderte ebenso wie diese das Durchhalten bis zum Siege, bis zur Niederwerfung und Unschädlichmachung des deutschen Militarismus, dieses gefährlichen Raubtiers, dem man Klauen und Zähne nehmen müsse. Gelinge das , dann könne der augenblickliche Weltkrieg der letzte seiner Art sein. Dazu bedürfe man nur noch eines Instruments zur friedlichen Beilegung aller internationalen Konflikte, eines Völkerbunds. In diesem Ziele waren die Massen der britischen Arbeiter einig. Selbst viele Leute der I. L. P., wie ein MacDonald , stimmten dem zu, nur stellten sie sich in scharfe Opposition zur Regierung, in die dagegen die Arbeiterpartei drei Mitglieder entsendete, als das Ministerium aus einem liberalen zu einem „ nationalen", alle groBen Parteien umfassenden Koalitionsministerium erweitert wurde. Arthur Henderson , der Führer der Partei im Unterhause, wurde Unterrichtsminister, der Bergarbeiter Brace Unterstaatssekretär im Ministerium des Innern und der Schriftsetzer G. H. Roberts erhielt den Posten eines ,,Junior Lord " (eines der fünf leitenden Kommissäre ) im Schatzamt. So groß auch die für eine entschlossene Kriegführung bis zum Sieg eintretende Mehrheit der englischen Arbeiterschaft war, so stieß sie doch auf eine zahlreichere Opposition, als die gleichen . Bestrebungen unter den französischen Sozialisten. Dafür wurde auch England durch einen Sieg Deutschlands nicht so unmittelbar bedroht, wie Frankreich, das ausgedehnte Landstriche vom Feinde besetzt sah . Bezeichnend sind unter anderm einige Abstimmungsverhältnisse vom Kongreß der britischen Arbeiterpartei , der in Bristol am 26. Januar 1916 zusammentrat . Tom Shaw beantragte : „ Der Kongreß bestätigt den Beschluß des Parteivorstands und der Fraktion der Arbeiterpartei, den drei Fraktionsmitgliedern Henderson, Brace und Roberts zu gestatten, in die Koalitionsregierung einzutreten." Dieser Antrag erhielt 1,674.000 gegen 269.000 Stimmen. Auf diesen englischen Kongressen wird bei einem Votum nicht die Zahl der abstimmenden Delegierten , sondern die der von ihnen vertretenen Organisationsmitglieder gezählt. Es wurde dann beantragt, die Arbeiterminister sollten auch weiterhin im Amte bleiben. Dieser Antrag stieß auf stärkeren Widerstand . Für ihn wurden 1,622.000 Stimmen abgegeben , gegen ihn 495.000. Noch mehr umstritten wurde ein anderer Punkt der Tagesordnung, die Einführung der allgemeinen militärischen Dienstpflicht. Großbritannien war bis dahin der einzige Großstaat Europas, der die allgemeine Wehrpflicht noch nicht eingeführt hatte. In England zeigte sich seit jeher ein starkes Widerstreben in der Lohnarbeiterschaft gegen die allgemeine Dienstpflicht. Als der Krieg 1914 ausbrach, versuchte man zunächst, die ganz unzurei33333

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Deutsche Offensive

lisch. Kühnheit und Entschlossenheit schienen aus ihren Reihen auszustrahlen. Der Gegensatz zwischen diesen zwei Szenen machte einen tiefen Eindruck auf mich.“ (S. 240. ) Nicht Eroberungssucht, nicht der Drang nach Vergewaltigung des Nachbarn, sondern der Drang nach Abwehr, direkte Angst war unter den kriegerischen Impulsen jener Tage wohl der mächtigste , in Frankreich wie in Deutschland , und auch in England. In Frankreich wurde diese Angst noch gewaltig gefördert durch die Art der deutschen Kriegführung. Sie war ebenso wie die französische auf die Offensive gerichtet, auf das Eindringen in Feindesland . Aber den Deutschen gelang dies Eindringen im Anfang, den Franzosen nicht. Das war für Deutschland militärisch ein großer Vorteil, aber politisch ein sehr bedenklicher Nachteil. Die deutsche Offensive in Frankreich hat ihre Kritiker in Deutschland selbst gefunden. Der Graf Monts weist in seinen ,,Erinnerungen“ ( Berlin 1922) daraufhin , daß der große Moltke den Rhein mit seinem ausgedehnten Festungs- und Bahnsystem für eine der stärksten Verteidigungslinien der Welt erklärte , die auf denkbar lange Zeit mit einer Minderzahl zu halten wäre . Es lag also absolut keine Notwendigkeit zu dem politischen und militärischen Vabanquespiel vor". (S. 260.) Monts meint, es wäre viel zweckmäßiger gewesen, die Hälfte der deutschen Armee zusammen mit der österreichischen sofort gegen die Russen zu werfen , und deren Heeresmacht zu zertrümmern. Das sei der Kriegsplan ebenso des älteren Moltke wie nach ihm des Grafen Waldersee gewesen. Erst Schlieffen habe dann um die Jahrhundertwende diesen Plan durch den des Einbruchs in Belgien und der sofortigen Vernichtung der Franzosen ersetzt. Der jüngere Moltke habe an Schlieffens Anordnungen festgehalten , nur sie etwas verwässert. Ich kann nicht beurteilen, welcher der beiden Pläne militärisch besseren Erfolg versprach, sicher ist allerdings, daß der ältere Moltke ein größeres Kriegsgenie war als sein Neffe, den man gleich jenem Helmut getauft hatte. Und nicht minder sicher ist es , daß der Plan des älteren Moltke politisch die größten Vorteile bot, der Schlieffensche dagegen schwere politische Nachteile mit sich brachte, die jeden möglichen militärischen Vorteil weit überwogen, der aus ihm hervorgehen mochte.

Hegte Deutschland die Absicht, Frankreich gegenüber zunächst defensiv zu bleiben, dann hätte es Anfang August keinen Grund gehabt, sich mit der Kriegserklärung zu übereilen . Es konnte diese ruhig den Franzosen zuschieben und auf den Einbruch in Belgien verzichten . Das hätte in England den Krieg gegen Deutschland lange verhindert wir werden gleich davon handeln . Es hätte aber auch innerhalb Frankreichs starke Tendenzen gegen dessen Eintritt in den Krieg ausgelöst . Wir haben gesehen, daß die Franzosen ihm nicht mit Siegeszuversicht entgegengingen . Aber

Alle Franzosen gegen Deutschland

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freilich, wenn Deutschland ihnen den Krieg erklärte, blieb ihnen keine Wahl. Die Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Frankreich erbitterte die ganze Welt gegen die Deutschen. Das wurde noch verstärkt durch die weitere Folge des Schlieffenschen Plans, den Einbruch in Belgien. Dieser brachte nicht bloß den für Deutschlands Ansehen in der Welt schweren Nachteil mit sich, daß er als schnöder Rechtsbruch galt. Er löste auch den erbittertsten Widerstand eines großen Teils der belgischen Bevölkerung aus, den die deutschen Streitkräfte als Freischarenkrieg einer Zivilbevölkerung mit Brutalitäten beantworteten. Von den Greueltaten , die damals von Deutschen wie von Belgiern berichtet wurden, haben sich hinterdrein die schlimmsten als bloße Produkte einer erregten Phantasie herausgestellt, aber es blieben genug unwiderlegt, die annehmen ließen , die deutsche Kriegführung sei ausnehmend barbarisch . Natürlich waren die wirklich vorgekommenen Barbareien solche, die jeglicher Kriegführung eigen sind . Sie kennzeichneten die Scheußlichkeit des Krieges, bewiesen nicht eine angeborene Grausamkeit dieser oder jener Nation . Wären die Franzosen als Feinde in Belgien eingedrungen, dann hätten sie dort wahrscheinlich ebenso gehaust, wie die deutschen Truppen, wie jede Truppe in Feindesland haust. Aber so objektiv denkt man im Kriege nicht. Die deutschen Greueltaten in Belgien und Nordfrankreich wurden nicht als unvermeidliche Begleiterscheinungen jeglicher Kriegführung in Feindesland angesehen . Sie trugen dazu bei, den Schrecken vor der deutschen Invasion und die Wut gegen den eindringenden Feind unter Belgiern und Franzosen auf das wildeste zu entfachen . Bei den einen wie bei den andern gab es keinen Politiker, der nicht die Notwendigkeit betont hätte, sich um die Regierung zur Abwehr des Landesfeindes zu scharen . Von Jules Guesde bis Hervé waren alle Sozialisten darin einig. Mit den parlamentarischen Sozialdemokraten gingen die antiparlamentarischen Syndikalisten, sogar ausgesprochene Anarchisten schlossen sich ihnen an, Charles Albert, Jean Grave, Cornelissen . Rein politische Erwägungen hatten verschiedene Strömungen unter ihnen erzeugt und sie getrennt. Die gemeinsame Furcht vor dem Feinde , vor der Invasion sollte sie alle zusammenkitten . Einstimmig bewilligte in Frankreich die sozialistische Fraktion am 4. August sämtliche der Kammer vorgelegten Kriegsgesetze. Nicht nur das, sie entsandte auch zwei der ihrigen in das Kabinett, am 27. August. Die Ironie des Schicksals wollte, daß gerade diese zwei sich ehedem gegen jeden Eintritt eines Sozialisten in eine bürgerliche Regierung auf das lebhafteste ausgesprochen hatten. Auf dem Pariser internationalen Kongreß 1900 hatten Blanquisten und Guesdisten gegen die Resolution gestimmt, die ich dort vorgelegt. Ich war wohl gegen den Eintritt Millerands in die Regierung gewesen , hatte aber doch nicht absolut, unter allen Um32

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Französische Kriegsziele

ständen jegliche Koalitionsregierung verurteilen können . Jetzt traten Guesde und der Blanquist Sembat in die Regierung ein. Das bezeugt nicht etwa Wetterwendigkeit dieser Abgeordneten , die sich stets durch ihre Prinzipientreue ausgezeichnet hatten ; es bezeugt bloß, wie sehr durch einen Krieg abnorme Verhältnisse geschaffen werden . Die Entsendung von Parteigenossen in das Ministerium bedeutete eine noch stärkere Bindung der Regierung an die Kriegsziele der Sozialdemokratie als die Bedingungen, an die nach meinem Vorschlag vom 3. August in Deutschland die Zustimmung zu den Kriegskrediten geknüpft werden sollte. Als Kriegsziel bezeichneten die französischen Sozialisten : keine Annexionen , aber die Freiheit für die Elsässer und Lothringer, über ihre Staatszugehörigkeit zu entscheiden. Dann aber Unschädlichmachung des deutschen Militarismus durch internationale Entwaffnung. Dieser Krieg sollte der letzte sein. Am 2. August 1914, als Deutschland bereits den Krieg an Rußland erklärt hatte und der mit Frankreich unvermeidlich schien , fand in Paris eine sozialistische Versammlung statt, in der außer Sembat Dubreuilh sprach, sowie Vaillant, Longuet, Cachin, Compère-Morel. Alle äußerten sich in dem eben erwähnten Sinn. Einen verspätet eingetroffenen Bericht darüber finden wir in der ,, sozialdemokratischen Parteikorrespondenz " vom 8. Mai 1915. Sembat führte aus, wenn es zum Kriege käme, würden sich die Sozialisten Frankreichs schlagen als Sozialisten , ohne Revanchegedanken, ohne den Wunsch, irgendein fremdes Recht zu verletzen. „ Wir wollen nicht die deutsche Kultur vernichten . Wenn das siegreiche Rußland im Bunde mit uns Deutschland zerstückeln oder unter den Hufen der kosakischen Pferde dessen ruhmvolle Universitäten niedertreten wollte, würden wir das nicht gestatten. Als Sieger werden wir zu Elsaß-Lothringen sagen , was die Deutschen nicht gesagt haben. Wir würden sagen : Ihr Brüder von Elsaß- Lothringen, jetzt habt Ihr das Wort , jetzt entscheidet über Euch! Was wollt Ihr? Ihr seid frei. Wollt Ihr wieder volle Mitglieder Frankreichs werden oder Eure Autonomie erhalten ? ... Wir wollen, daß dieser Krieg, wenn wir schon zu ihm verurteilt werden, zum mindesten der letzte sei. Wir werden kämpfen wie die Freiwilligen von 1793 , nicht für die Rechte der Franzosen , sondern für die Menschenrechte ! Für das Recht der Nationen." (S. 38. ) Ganz in demselben Sinne äußerte sich das Weihnachtsmanifest der französischen sozialistischen Partei , veröffentlicht in der ,,Humanité" vom 25. Dezember 1914. Darüber, wie bewirkt werden sollte, daß dieser grausame Krieg der letzte sei ", hieß es dort : ,,Wir kämpfen, wie wir gekämpft haben, alle zusammen seit Jahren und unablässig, damit der Friede, nicht der lügnerische Friede der Rüstungen, sondern der sanfte Friede der befreiten Völker über Europa und die Welt herrsche . Wir kämpfen endlich, damit die Proletarier, die besonders

Durchhalten bis zum Sieg

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die ungeheure Last der Rüstungen zu tragen haben, frei auftreten und ihren Befreiungskampf fortsetzen können. “ (Wiedergegeben in der „ Parteikorrespondenz" v. 31. Dezember 1914, S. 394. ) Dies Kriegsziel müsse um jeden Preis erreicht werden , denn nur dann dürfte man erwarten , daß dieser Krieg der letzte sei. Würde man vorher Frieden schließen , dann bedeute das nur eine kurze Atempause , in der Deutschland von neuem rüste, um mit vermehrter Kraft über seine Nachbarn herzufallen . In diesem Falle wären alle die Opfer in dem jetzigen Kriege umsonst gebracht. Zur Abrüstung und Selbstbestimmung der Nationen vor allem der Elsässer und Lothringer, werde sich aber der deutsche Militarismus nie verstehen , so lang er nicht zerschmettert am Boden liege. Also kein Friede der Verständigung, sondern Durchhalten bis zum Sieg, das war die Parole nicht nur der bürgerlichen Elemente , sondern auch der Sozialisten Frankreichs . Man hat vielfach gemeint, der „ Sozialpatriotismus“ sei ein Kennzeichen des „ Reformismus“, das heißt , jener Art Sozialisten , die, wie man sagte, mit dem bestehenden Regime Frieden schließen möchten. In Deutschland waren es allerdings vornehmlich Männer der milderen Tonart, die für die Kreditbewilligung und den Burgfrieden eintraten - nicht ausschließlich solche. Unter ihnen waren auch ein Lensch und Hänisch zu finden . Aber die entschiedenen Revolutionäre standen zumeist im Lager der Verweigerer aller Kriegskredite und der Ablehnung des Burgfriedens . In Frankreich dagegen waren gerade die früheren Gegner des Jaurèsismus und Millerandismus, also die unversöhnlichsten ,,Revolutionäre" diejenigen, die seit 1914 am lautesten den Krieg bis ans Messer forderten, jeden Frieden der Verständigung als unheilvoll verwarfen . So erklärte zum Beispiel Jules Guesde in einer Parteikonferenz in Paris am 7. Februar 1915 : „ Wir ( die Sozialisten der Entente ) haben am nächsten Sonntag eine Konferenz in London . Was werden wir dort machen ? Es handelt sich vor allem um die Erklärung, daß von Frieden keine Rede sein kann, solange der deutsche Imperialismus nicht vernichtet ist. Die Pflicht, die sich für die Sozialisten und für alle, die die Menschheit künftig vor blutigen Überfällen bewahren wollen, ist die Fortsetzung des Kampfes bis zum Ende. Wir haben alle Einflüsterungen abzuweisen, die auf ein Nachgeben abzielen." Allerdings fügte Guesde hinzu : ,,Andererseits ist es notwendig zu sagen, daß uns dieser Krieg aufgezwungen wurde, daß wir ihn nicht suchten , nie gesucht haben und daß wir ihn nicht gegen das deutsche Volk führen . Wir sind bereit, dem deutschen Volk die Hand zu reichen, sobald es mit seinem Kaiser und dem deutschen Imperialismus gebrochen hat , dessen Opfer das deutsche Volk nicht minder ist, als das französische. Endlich haben wir zu erklären , daß nach Erlangung des Sieges auf ein freies Europa hingearbeitet werden muß." Doch dies war nur Zukunftsmusik. Was damals in der Gegenwart bestand, sie beherrschte , das war der Wille zum Durchhalten bis zum Sieg. Und diese Auffassung fand lange Zeit in den Reihen der französischen Sozialisten so gut wie gar keine Opposition. Vom 25. bis zum 29. Dezember 1915 tagte in Paris der 12. 32*

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Durchhalten bis zum Sieg

Jahreskongreß der französischen Sozialistischen Partei . Der Parteivorstand legte dem Kongreß ein Manifest vor, das ganz in dem Sinne der bereits zitierten Äußerungen der Guesde , Sembat usw. gehalten war. Eine Gegenkundgebung wurde von Bourderon eingebracht, die die Haltung des Vorstands und der Fraktion mißbilligte. Es wurde über beide Anträge abgestimmt , nicht nach Delegierten, sondern nach der Zahl der Mandate , die sie besaßen. Jeder einzelne Delegierte konnte zahlreiche Mandate erhalten . Der Kongreß war von 280 Delegierten beschickt, die 2954 Mandate vertraten. Von denen entfielen 2759 auf die Resolution des Vorstands und der Fraktion und ganze 72 auf den Antrag Bourderon. Man darf also sagen, die Masse der Partei stand geschlossen hinter ihrer Leitung und Vertretung. Auf der andern Seite forderte die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie, wie schon ihre Erklärung vom 4. August 1914 besagte , dem Krieg solle nicht eher ein Ende gemacht werden , als bis ,,das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind ". Das „ Ziel der Sicherung" konnte man verschieden deuten, aber je länger der Krieg dauerte , desto mehr nahm dies Ziel militärische Formen an, die Forderung verbesserter strategischer Grenzen sowie eine derartige Zerschmetterung der feindlichen Kräfte , daß sie einen neuen Angriff nicht wieder wagen konnten. Das war ebenfalls nur zu erreichen durch Durchhalten bis zum Sieg. Auf Grund dieser Parole auf beiden Seiten war eine Einigung in der Internationale natürlich ausgeschlossen. Es wäre eine lächerliche Erwartung gewesen, anzunehmen, daß die Deutschen und die Franzosen gleichzeitig siegten . Mit der Leninschen Formel der Niederlage auf allen Seiten hätte sich dagegen eine internationale Vereinbarung leicht erreichen lassen . Doch war sie ebenso absurd wie die des allseitigen Sieges. Die einzige rationelle Formel für ein Wiedererwecken der internationalen Zusammenarbeit wurde die eines Friedens der Verständigung, ohne Sieger und Besiegte . Aber diese Formel wurde in den meisten kriegführenden Ländern zunächst nur von Minoritäten vertreten . Eine tragische Situation für die Internationale . Jedoch keine tragische Schuld einzelner Persönlichkeiten , ohne deren ,,Versagen" alles ganz anders gegangen wäre. Wie sehr die ganze Entwicklung auf unlenkbaren , spontanen Massenbewegungen beruhte, bezeugte deutlich die Arbeiterbewegung Englands . Ehe wir von dieser reden , nur noch einige Worte über Belgien. Dort lag die Situation ganz klar und eindeutig zutage : das Land war mitten im Frieden von einem Nachbarn , mit dem es keinen Streit hatte , widerrechtlich überfallen worden. Hier kam nur die Abwehr eines Angreifers in Betracht. Darüber war in der belgischen Sozialdemokratie gar kein Streit möglich. Man durfte sich

Belgische Sozialisten

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nicht verwundern , daß Vandervelde gleich nach Kriegsbeginn in die belgische Regierung eintrat . Er nahm dort den gleichen unversöhnlichen Standpunkt ein, wie seine französischen Kollegen . So einfach das für ihn als Belgier erschien , so komplizierte sich dadurch sehr seine Stellung als Vorsitzender des internationalen Bureaus. Schon das bedeutete eine Hemmung des Wirkens der zweiten Internationale im Kriege , von der während des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 die erste Internationale verschont geblieben war. Damals saß der Generalrat im neutralen England , jetzt das Zentralbureau in dem vom Feinde besetzten Belgien. Trotzdem wollten die Belgier auf das Ehrenamt nicht verzichten, das ihnen die Internationale verliehen . Doch sah sich der internationale Sekretär, Camille Huysmans, schließlich veranlaßt, das Bureau nach dem neutralen Holland zu verlegen und ihm Delegierte der holländischen Sozialdemokratie als Beisitzer anzuschließen. Von Amsterdam aus unternahm Huysmans immer wieder Versuche , die Parteien der Internationale zu einer gemeinsamen Konferenz zusammenzubringen . Doch scheiterten alle diese Versuche, in letzter Linie an der Unversöhnlichkeit der Franzosen und der Mehrheit der Belgier selbst, die erklärten , sie könnten sich mit den deutschen Sozialdemokraten nicht an einen Tisch setzen , solange diese dem deutschen Kaiser, dem Urheber des Mordens und des frevelhaften Einbruchs in Belgien , die Kredite bewilligten. Es kam darob zu einem ausgesprochenen Gegensatz zwischen Huysmans und der großen Mehrheit seiner Parteigenossen . Vielleicht mehr noch als gegen die deutschen Militaristen und die übrigen herrschenden Klassen Deutschlands , richtete sich die Erbitterung der belgischen Genossen gegen die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie, die man für verpflichtet hielt, sich dem Belgien angetanen Unrecht mit aller Macht zu widersetzen . So tief wurzelte dieser Haß in den belgischen Gemütern , daß er bei nicht wenigen noch einige Monate den Krieg überdauerte . Die erste internationale Sozialistenkonferenz nach dem Kriege, die in Bern am 3. Februar 1919 zusammentrat, wurde nicht von allen Staaten beschickt. So fehlten z. B. die Schweizer. Deren Mehrheit wurde damals noch stark von den Bolschewiks beeinflußt, die eine eigene Internationale gründen wollten . Zu ihnen gesellte sich ein Teil der Italiener, als Zimmerwalder. Doch entsandten sie Morgari als „ Beobachter". Die Belgier wieder erschienen nicht trotz des Widerspruchs von Vandervelde und Anseele , weil zu der Konferenz auch die deutschen Mehrheitler eingeladen waren, die ,,Mitschuldigen der Henker unseres Landes ". (Vgl . Pierre Renaudel, L'Internationale à Berne, Paris 1919, S. 11. )

Erst als im April 1919 in Amsterdam die ,,permanente Kommission“ zusammentrat, die von der Konferenz vom Februar ein-

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Britischer Pazifismus

gesetzt worden, entsandte Belgien Delegierte dorthin . Damit nahm es seine Tätigkeit in der sozialistischen Internationale wieder auf. d ) Die britische Arbeiterpartei. Wir haben schon mehrfach gesehen , wie verbreitet in England der religiöse, absolute Pazifismus war und ist. Dazu gesellte sich seit dem Ende der napoleonischen Kriege und der Begründung der Übermacht Englands zur See große Gleichgültigkeit zahlreicher Volkskreise für die Vorgänge auf dem europäischen Festland , für die man um so mehr Interesse und Verständnis verlor, je wichtiger das „,Empire ", das ungeheure Kolonialreich in allen Weltteilen außerhalb Europas, sowie Freihandel und Friede mit aller Welt für das Gedeihen der Bevölkerung Großbritanniens zu sein schien. Alles das bedeutete wachsende Uulust für die Massen des englischen Volks, sich in kriegerische Konflikte der andern Großmächte Europas hineinziehen zu lassen. Die Streitigkeiten um neue koloniale Erwerbungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts aufkamen , waren nicht stark genug, diese Stimmung in eine kriegerische zu verwandeln . Wohl konnten viele Schichten der englischen Nation in wildem Chauvinismus - in England Jingoismus genannt - aufflammen , wenn sie in irgendeiner Kolonie ihre Landsleute durch Eingeborene vergewaltigt und bedroht glaubten . Je größer die kriegerische Kraft der Eingeborenenob Farbige oder Weiße - desto kriegerischer der britische Jingoismus, das zeigte der Krieg gegen die Buren in Südafrika ( 1899-1902 ) , die dort den Engländern die Gewährung des Bürgerrechts verweigerten . Der darob in England hoch auflodernde Jingoismus entbrannte aber hauptsächlich so heiß wegen der schmählichen Niederlagen der eigenen Truppen . Der Unabhängigkeitskrieg der nordamerikanischen Kolonien ( 1776-1783 ) ist - und bisher der letzte Krieg, den die Engländer verloren haben . Seitdem da geschah es gegen eine Bevölkerung von Engländern hatte England keinen der Kriege, in die es sich einließ, abgeschlossen, ohne gesiegt zu haben . Das zeigte sich am deutlichsten in den Kriegen gegen Napoleon . Der Friede von Amiens zwischen Frankreich und England ( März 1802 ) war nur ein Waffenstillstand, dauerte nur ein Jahr. In dem Burenkriege entsprang jedoch der ebenso zähe wie wilde Jingoismus der Engländer keineswegs dem Verlangen , die Buren zu vergewaltigen . Wohl wurden die Burenrepubliken dem englischen Reich angegliedert, aber mit so vielen Freiheiten und Vorteilen, daß sie sich mit dem neuen Zustande nicht nur rasch aussöhnten, sondern sich sogar für ihn begeisterten. Im Weltkrieg stellten die Buren zahlreiche Streitkräfte für die englische Armee auf. Von Burengeneralen befehligt , kämpften diese erfolgreich in Südafrika gegen die deutschen Truppen.

Einkreisung Deutschlands

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So sehr der Burenkrieg die Engländer erregte, so war diese Erregung doch nicht stark genug, das ganze Volk mit sich fortzureißen. Im Gegenteil, eine starke Gegenströmung nicht nur von Sozialisten, sondern auch von Liberalen protestierte mit aller Macht gegen den Krieg. Die kriegsfeindlichen Liberalen, geführt von Campbell Bannerman , waren nicht stark genug, den Krieg zu verhindern , der unter einem konservativen Ministerium ausbrach. Aber die dem Krieg folgende Wahl brachte , obwohl er siegreich beendet worden, den Liberalen eine große Mehrheit und diese waren es, die unter dem Ministerium Campbell Bannerman ( 1905-1908) den Buren die Autonomie verliehen und dadurch deren Anhänglichkeit an das Reich gewannen . Nach Campbell Bannermans Rücktritt setzte das Ministeriums Asquith ( 1908 bis 1915 ) dessen liberale, friedensfreundliche Politik fort, die den Wünschen der Mehrheit des englischen Volkes entsprach. Doch konnte diese nicht mehr eine Politik der Gleichgültigkeit für die Gegensätze der Staaten des europäischen Festlandes sein ; nicht mehr eine Politik der ,,glänzenden Isolierung" (splendid isolation) , in die England geraten war. Das wurde unmöglich gemacht durch das Flottenrüsten des Deutschen Reichs , das seit der Jahrhundertwende England immer mehr beängstigte, gleichzeitig aber auch die andern Großmächte Europas immer mehr beunruhigte. Welche Absichten immer die deutschen Staatsmänner hegen mochten , ihre Praxis steuerte darauf hin, Deutschland , das schon zur weitaus stärksten Landmacht geworden war, auch noch zur stärksten Seemacht zu machen und so die Übermacht über alle anderen Staatswesen zu gewinnen. Dem war nur dadurch zu begegnen, daß sich alle andern gegen den übergewaltigen Koloß zusammentaten . Sie alle, außer Österreich, vereinigten sich gegen! das gefahrdrohende Deutschland . An Stelle der „,splendid isolation“ Englands trat die „ Einkreisung" Deutschlands. Diese entsprang nicht etwa einer teuflischen Intrigue des Königs Eduard VII ., der 1902 seiner Mutter Victoria auf dem Thron folgte. Deutschlands Isolierung war vielmehr eine Folge der deutschen Flottenpolitik. Aber an der Einkreisung war allerdings England beteiligt. Immer mehr kamen die Politiker Englands, nicht nur Konservative , sondern auch Liberale , ja sogar Sozialisten , zu der Überzeugung, England würde aufs schwerste gefährdet, wenn es bei einem Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland ruhig zusähe , wie jenes von diesem niedergeworfen und zerstückelt werde . Daher die „ Entente cordiale", das herzliche Einverständnis zwischen den beiden Staaten . Aber das bedeutete noch kein Bündnis, kein festes Abkommen, einander im Falle der Not beizustehen . Gegen ein solches Abkommen bestanden zu starke Bedenken in England . Gar viele der Engländer konnten ihre Abneigung gegen einen großen Krieg nicht überwinden, trotz der Erbitterung und

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Umschlagen der Friedensstimmung

Besorgnis, die durch die Flottenbauten des Deutschen Reichs in England immer mehr hervorgerufen wurden. Man hat die Politik des Sir Edward Grey, des Außenministers der Kabinette Campbell Bannerman und Asquith, vielfach verurteilt, weil sie weder die Franzosen noch die Deutschen klar erkennen ließ, welche Haltung England in einem Krieg zwischen den beiden Mächten einnehmen werde . Hätte er von Anfang deutlich erklärt, England werde sich in einem solchen Krieg aktiv auf Frankreichs Seite stellen , dann wäre das Unheil vermieden worden. Deutschland hätte sich dann gehütet , es zum Kriege kommen zu lassen. Grey sei also am Kriege schuld. Sehr sonderbar ist es , wenn solche Vorwürfe von deutscher Seite, zur Entlastung Deutschlands von der Kriegsschuld vorgebracht werden. Sie würden ja beweisen , daß der Ausbruch des Kriegs von Deutschland abhing und dieses ihn entfesselte , weil es Englands Bereitschaft, Frankreich zu helfen , falsch einschätzte . Wer Grey Unschlüssigkeit oder gar Tücke vorwirft, vergißt die Stellung, die ein Minister in einem parlamentarisch regierten Staate einnimmt. Das englische Volk und auch sein Parlament war friedliebend und hätte sich nur schwer zum Kriege entschlossen. Weiterschauende Politiker Englands wußten wohl , daß England aufs äußerste gefährdet sei, wenn Frankreich niedergeworfen werde, aber sie konnten nicht mit Bestimmtheit sagen , ob bei einem ausbrechenden Kriege zwischen Frankreich und Deutschland das englische Volk ihrem Aufruf folgen werde , die Waffen zur Rettung Frankreichs zu ergreifen . Als die Kriegsgefahr auftauchte, waren, nach John Morley, zehn Mitglieder von sechzehn des Kabinetts , dem er angehörte, dagegen, daß sich England in den Krieg hineinzerren lasse . Da kamen Deutschlands Kriegserklärungen an Rußland und Frankreich , kam sein Einbruch in Belgien , der verhieß, daß deutsche Truppen baldigst an der Küste des Kanals La Manche, vielleicht in Calais sein würden, wo die deutschen großen Geschütze eine Landung deutscher Truppen in England decken könnten . Diese Tatsache wirkte, wie die Furcht vor der Invasion der Russen in Deutschland , wie die Furcht vor der deutschen Invasion in Frankreich : Die gesamte Volksmasse wurde über Nacht von wildester Kriegsstimmung zur Abwehr des Feindes ergriffen . Nicht aus politischer Berechnung, nicht aus geheimer Diplomatie und verräterischen Verträgen, sondern aus einer plötzlichen Wandlung der Volksstimmung, die unwiderstehlich wurde, ging die englische Kriegserklärung an Deutschland hervor. Dieser plötzliche Umschlag der Stimmung vom friedlichen ins kriegerische wurde sehr gut beschrieben in einer Darstellung der von der Unabhängigen Arbeiterpartei ( Independent Labour Party, I. L. P. ) herausgegebenen ,, Socialist Review". (Ich zitiere nach der

Umschlag der Stimmung

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Wiedergabe in der ,, Sozialdemokratischen Parteikorrespondenz ", 22. Mai 1915 , S. 67. ) Es hieß dort : ,,Bis zu dem Augenblick, als die Regierung den Krieg erklärte, war die sozialistische Arbeiterbewegung dieses Landes genau wie in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern, einig und geschlossen in ihrem Widerstand gegen Militarismus und Krieg und in ihrer Agitation dagegen, daß die Regierung in den Kampf eingreife. Genau wie in Frankreich, Deutschland und anderen kriegführenden Ländern vollzog die ganze Bewegung eine völlige Umdrehung, mit Ausnahme der I. L. P. und einiger weniger Einzelpersonen und Sektionen anderer Gruppen, sobald nur unsere Regierung das Kriegswort gesprochen. Sie verließ die pazifistischen Grundsätze und erklärte, daß der Krieg unvermeidlich geworden sei. Sie hieß die Politik der Regierung gut, am Kriege teilzunehmen und rief die Arbeiter auf, die Waffen zu ergreifen zur , Verteidigung des Vaterlands '. Wie plötzlich und vollständig der Wechsel in der Richtung der Bewegung bei dem Schlagen der Kriegstrommel an den Toren des eigenen Landes war, wird augenscheinlich, wenn wir daran erinnern, wie sehr die Bewegung gegen den Krieg noch in der letzten Stunde fest und entschieden auftrat." Der Artikel erinnert daran, daß in der britischen Sektion des internationalen Bureaus, in der alle Richtungen der britischen Arbeiterbewegung vertreten waren , am 31. Juli 1914 ein von Hyndman entworfenes Manifest angenommen wurde, das die Briten nicht vor dem preußischen Militarismus warnte , sondern vor dem russischen Despotismus. Am 1. und 2. August wurden von der Arbeiterpartei (Labour Party, L. P. , nicht zu verwechseln mit der „ Unabhängigen Arbeiterpartei “ , Independent Labour Party, I. L. P.) in vielen Städten , in London auf dem Trafalgar Square, Versammlungen gegen den Krieg abgehalten. In London sprach Henderson für den Frieden , Will Thorne und andere erklärten , England dürfte sich nicht durch etwaige Abmachungen verpflichtet fühlen, Frankreich und Rußland zu unterstützen . ,,Das war die Haltung der geeinten sozialistischen Arbeiterkräfte bis zu der Stunde , als Großbritannien in den Krieg eintrat." Wir sehen , in England fand derselbe Umschlag der Stimmung statt, wie wir ihn schon für Frankreich, Rußland und für Deutschland konstatiert haben. Nichts lächerlicher, als darin den Verrat einiger feiger oder charakterloser ,, Bonzen" zu sehen . Auch wer dieses Umschlagen aufs schmerzlichste empfand , mußte darin eine Massenerscheinung sehen , die aus tiefbegründeten Gesetzen der Massenpsychologie hervorging. Wer sie in der praktischen Politik nicht in Betracht zog, sondern glaubte, sie mit einer verächtlichen Gebärde bei Seite schieben zu können, nahm sich die Fähigkeit, ihre Ursachen zu erkennen, die erste Vorbedingung dafür, mit ihr fertig zu werden . Die Leute von der I. L. P. waren dazu ebensowenig imstande, als etwa die Spartakisten und die Leute um Lenin. Ihnen erschien es daher, als habe in England die Regierung selbst den Anstoß zu der Kriegsstimmung gegeben, die erst aufgekommen sei , als der Krieg erklärt wurde. In Wirklichkeit verhielt sichs umgekehrt . Erst

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Marxisten kriegerisch

das Umschlagen der Stimmung ließ in der Regierung die Verfechter der tatkräftigen Unterstützung Frankreichs zur Mehrheit werden und dieses Umschlagen verlieh ihr die Sicherheit und den Mut, Deutschland den Krieg zu erklären. Das Ereignis, wodurch dies bewirkt wurde, war der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien. Wenn die Furcht vor der drohenden Invasion in jedem am Krieg beteiligten Staate dieselbe Massenstimmung hervorrief, so nahm doch die Rückwirkung auf die Sozialisten nicht überall die gleichen Formen an. In Deutschland war es der rechte Flügel der Sozialdemokratie, der sich am kriegerischsten gebärdete . In England standen dagegen die meisten Kriegsgegner auf dem rechten Flügel der Arbeiterbewegung . Die revolutionären Marxisten wieder gehörten in England ebenso wie in Frankreich zu den lautesten Rufern im Streite. An ihrer Spitze standen in Frankreich wie in England die Begründer des dortigen Marxismus - hier Jules Guesde, dort H. M. Hyndman . Wir haben bereits gesehen, daß Hyndman schon im Frieden, wegen des Anwachsens der deutschen Flotte, die Regierung seines Landes zu vermehrtem Flottenbau drängte . Er feuerte im Kriege nicht nur die Sozialisten Englands, sondern auch Frankreichs an, ihr äußerstes zum Siege beizutragen . Und er richtete auch eindringliche Aufforderungen an die Sozialisten Italiens , für den Eintritt ihres Landes in den Krieg zu wirken, um ihn zu verkürzen und zu einem Siege der Demokratie zu gestalten . Der Philosoph des englischen Marxismus war Belfort Bax, allerdings einer, der der Philosophie und der Geschichtsauffassung von Marx und Engels ablehnend und verständnislos gegenüberstand. Aber er war ein kluger, kenntnisreicher und forschender Kopf. Engels, der mit Hyndman nie zusammenkam, hatte dagegen mit Bax gern und viel verkehrt. Auch dieser Marxist predigte den Krieg und die Niederwerfung der Zentralmächte . Weder von Bax noch von Hyndman konnte man sagen, sie seien „, Sozialpazifisten “. Sie waren aber auch nicht ,, Sozialpatrioten". Im Burenkriege hatten sich beide energisch und tapfer dem imperialistischen Strome entgegengestemmt. Bax' Biograph Robert Arch schreibt über ihn : ,,All seine alte revolutionäre Wut erhob sich damals (seit 1914, K. ) gegen die Militärmonarchien Zentraleuropas, die den Kriegsbrand entflammt hatten (who had let loose Armageddon ) . Hatte er früher den Angriff des eigenen Landes auf die Burenrepublik gebrandmarkt, so brandmarkte er jetzt mit größter Vehemenz den Angriffskrieg Deutschlands und Österreichs und er lehnte jede Gemeinschaft mit jenen britischen Sozialisten ab, die aus bloßem ,antipatriotischem Trieb' (bias ) , wie er es nannte , dahin kamen, Frieden um jeden Preis mit dem preußischen Despotismus zu verlangen. Das bedeutete jedoch keineswegs eine Milderung seiner Ablehnung des britischen Imperialismus. Nach seiner Meinung handelten im Weltkrieg die Mächte der Entente einfach als internationale Polizei zur Bestrafung von Verbrechen und Vergewaltigungen, und er forderte alle ,Freunde des Fortschritts und des Friedens' auf, darauf zu achten, daß die

Bax' Kriegsziele

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Demokratie Europas nicht durch irgendein geheimes Abkommen unter den herrschenden Klassen betrogen würde, das Preußen gestattet hätte, nach dem Kriege als eine selbständige Militärmacht weiter zu bestehen." (,,Ernest Belfort Bax, Thinker and Pioneer", London , p. 20. ) Anschauungen dieser Art wurden von vielen deutschen Sozialisten dahin gedeutet, als wollten die Sozialisten der Ententeländer das Deutsche Reich zertrümmern und wehrlos allen Feinden ausliefern. So waren jedoch die Baxschen und ähnlichen Äußerungen nicht gemeint. In seiner Autobiographie erläutert Bax seine Auffassung in folgender Weise : Ich kann bemerken, daß ich mit meinem Freunde Jules Guesde darin übereinstimme, daß ich wie er jede weitgehende Verkleinerung des deutschen Gebiets ablehne, jedoch fest daran halte, daß die Militärmacht der zentralen Monarchie ein für allemal gründlich vernichtet werden muß . Ich glaube, das künftige Deutschland sollte die Form einer losen Föderation der verschiedenen deutschen Staaten annehmen, ohne die Hegemonie eines von ihnen und ohne eine andere Heeresmacht als die einer lokalen Miliz, im allgemeinen ähnlich der Schweiz, aber ohne eine zentrale oder nationale oberste Leitung oder Kommandogewalt." ( ,,Reminiscences and Reflexions ", S. 255, 256.) Die Verwandlung des stehenden Heeres in eine Miliz war eine alte Forderung der Sozialdemokratie, die zu einer internationalen Forderung nur deshalb nicht wurde, weil die Engländer von der allgemeinen Wehrpflicht überhaupt nichts wissen wollten. Die Verwandlung Deutschlands in eine Föderativrepublik unter Aufhebung der Hegemonie Preußens gehörte auch zu den programmatischen Forderungen der deutschen Sozialdemokratie . Schon 1891 schrieb Engels darüber. Allerdings eine ,,föderalistische Verschweizerung" lehnte er ab. Er forderte die einheitliche Republik, aber nach dem Muster der französischen Revolutionszeit : ,,Von 1792 bis 1798 besaß jedes französische Departement , jede Gemeinde vollständige Selbstverwaltung und das müssen wir auch haben .“ Weiter sagte er : ,,Anderseits muß Preußen aufhören zu existieren, muß in selbstverwaltende Provinzen aufgelöst werden , damit das spezifische Preußentum aufhört, auf Deutschland zu lasten. “ ( „, Zur Kritik des sozialdemokratischen Parteiprogramms “, „ Neue Zeit " , XX . 1. S. 11 , 12. ) Mit der Auflösung Preußens mußten aber auch die nichtdeutschen Gebiete frei werden, die das preußische Königtum vor 1870 annektiert und dann dem Deutschen Reich als Fremdkörper einverleibt hatte, so das dänische Nordschleswig und die polnischen Teile des östlichen Preußen . Endlich gegen die Annexion ElsaßLothringens hatte der deutsche Sozialismus bereits damals protestiert, als sie geplant und vorgenommen wurde . Allen diesen Gebieten die Selbstbestimmung zu geben, entsprach vollständig den Prinzipien der Sozialdemokratie. Und mehr wollte auch Bax nicht, da er jede ,,weitgehende“ Verkleinerung des deutschen Gebiets ablehnte . Die Kriegsziele , die Belfort Bax 1916 aufstellte, entsprachen also im Grunde den Zielen der auswärtigen Politik, die die deutsche Sozialdemokratie schon im Frieden seit jeher verfolgt hatte, mit einigen Modifikationen , etwa der Aufhebung jeder Oberleitung der

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Bax' Kriegsziele

deutschen Wehrmacht. Bax wollte doch die Schweizer Miliz, die kommt aber ohne Oberleitung nicht aus. Deren Ablehnung ist absurd für jedes Heerwesen, wie demokratisch es auch sein mag. Auf einem internationalen sozialistischen Kongreß hätte sich in normalen Zeiten eine gemeinsame Fassung für die Ziele der deutschen und der britischen Sozialdemokraten unschwer finden lassen. Während des Krieges aber schloß der Brite Bax jedes Verhandeln mit den deutschen Sozialdemokraten aus : ,,Natürlich muß jeder Sozialist aufgebracht sein gegen den Verrat an den grundlegenden Prinzipien des Sozialismus ebenso wie an der internationalen Verbindung der sozialistischen Parteien, den die sozialdemokratischen Mitglieder des deutschen Reichstags begangen haben." ( S. 250. ) Bax erörtert dann, daß es unmöglich sei, festzustellen , wie viele Parteimitglieder hinter der Mehrheit der deutschen Reichstagsfraktion ständen und fährt fort : „ Eines ist sicher : außerhalb Deutschlands sollte niemand, der sich Sozialist nennt, sich dazu hergeben, auf einem Kongreß oder bei einer sonstigen Veranlassung mit Leuten zusammenzutreffen und zu verkehren, direkt oder indirekt, von denen die Grundsätze des Sozialismus, der internationalen Organisation sozialistischer Parteien und der Menschlichkeit verraten würden. Dessen macht sich die heutige Vertretung der deutschen Sozialdemokratie im Reichstag schuldig.“ ( S. 251. ) Diese Auffassung ließ die Aussichten für das erneute Funktionieren der Internationale sehr trübe erscheinen . Dabei aber gab es in England selbst nicht wenige Sozialisten , die gegen Bax und Hyndman und deren Anhänger dieselbe Anklage des Prinzipienverrats erhoben, wie diese gegen die deutsche Sozialdemokratie . War es nicht Prinzipienverrat, überhaupt zum Menschenmorden anzustacheln ? Und taten das nicht alle jene Sozialisten in England und Frankreich, die erklärten , der Krieg müsse fortgesetzt werden bis zur Niederwerfung des preußischen Militarismus ? Es waren in England nicht viele Teilnehmer an der Arbeiterbewegung, die ihre eigenen Genossen im Lande des Prinzipienverrats beschuldigten, aber unter ihnen fand man die Mehrzahl der ausgesprochenen Sozialisten . Der Organisation der ,,Unabhängigen Arbeiterpartei" (I. L. P. ) war die Führung der Sozialisten innerhalb der großen Arbeiterpartei zugefallen . Und gerade diese Partei focht auf das leidenschaftlichste gegen die Teilnahme Englands am Krieg, unter ihnen die angesehensten Führer der Arbeiterklasse , ein Keir Hardie, ein Snowden, ein MacDonald.¹) Seit 1911 war MacDonald Führer der großen Arbeiterpartei ') Keir Hardie erlebte allerdings nicht das Ende des Krieges, er starb im August 1915 , nur 59 Jahre alt, wie MacDonald sagte, an gebrochenem Herzen, aus Verzweiflung über das Kriegsunheil. Kurz darauf, im Dezember, ging Vaillant dahin, 70 Jahre alt. Eng verbunden hatten die beiden im Gegensatz zur deutschen Sozialdemokratie die Idee verfochten, einen kommenden Krieg durch Massenaktionen zu verhindern. Als aber der Krieg wirklich kam , gingen ihre Wege auseinander, Vaillant forderte ebenso eifrig den Krieg gegen den preußischen Militarismus, wie Keir Hardie den Krieg verurteilte.

MacDonald im Krieg 509 im Parlament. Aber so großes Ansehen er auch genoß, die Welle des Kriegsenthusiasmus schwemmte ihn hinweg. Am 5. August 1914 mußte er die Führung der Arbeiterpartei an Arthur Henderson abgeben . Die I. L. P. und ihre Führer ließen sich durch den Sturm patriotischer Begeisterung nicht einschüchtern . Furchtlos blieben sie ihrer pazifistischen Einstellung treu . Doch stand ihre politische Klarheit nicht auf derselben Höhe , wie ihre Gesinnungstreue . Sie waren einig darin, daß sie den Krieg verabscheuten und die Regierung verurteilten , die ihn erklärt hatte . Aber darüber hinaus gab es die mannigfachsten Schattierungen unter ihnen, von ausgesprochener Deutschfreundlichkeit bis zu schroffster Verurteilung der Deutschen. MacDonald stand an der Spitze der Pazifisten und doch sprach er sich dafür aus , daß, nachdem die Fehler der britischen Regierung England einmal in den Krieg gezogen hätten , es diesen gewinnen müsse im Interesse der Demokratie der Welt. Sein Biograph, H. Hessell Tiltman veröffentlicht einen Brief, den MacDonald in der Kriegszeit an den Mayor von Leicester schrieb. Leider gibt Tiltman nicht das genaue Datum des Briefes an, wahrscheinlich fiel er in den Winter 1914-1915 . MacDonald entschuldigte sich, daß er an einer Versammlung nicht teilnehmen könne, die der Rekrutierungspropaganda dienen sollte. Das sollte nicht bedeuten , daß er dem Zweck der Versammlung ablehnend gegenüberstehe . Er beschuldige allerdings die Politik der Regierung , England in den Krieg verwickelt zu haben : ,,Aber wir sind einmal im Krieg darin. Er muß sich nun bis zu seinem Ende austoben. Überlegenheit der Kraft und des Geistes wird ihn gewinnen und unberechenbare politische und soziale Konsequenzen werden aus dem Siege hervorgehen . Der Sieg muß daher auf unserer Seite sein . Englands Rolle ist noch nicht ausgespielt . Es hat noch eine Mission zu erfüllen. Es kann, wenn es will, den Ehrenplatz unter den Demokratien der Welt einnehmen , und wenn der Friede mit heilender Versöhnung auf seinen Flügeln kommen soll, müssen die Demokratien Europas seine Hüter sein. Darüber sollte kein Zweifel bestehen. Nun, wir können nicht mehr zurück , wir können nicht nach rechts oder links ausweichen. Wir müssen geradeaus vorwärts gehen. Die Geschichte wird schließlich entscheiden , wer zu preisen , wer zu tadeln ist , aber augenblicklich liegt es an den jungen Männern unseres Landes , die unmittelbare Entscheidung des Sieges herbeizuführen ." 66 Darum hält MacDonald es für notwendig, die Rekrutierung von Freiwilligen mit aller Macht zu fördern . ( Hessell-Tiltman „ James Ramsay MacDonald , Labour Man of Destiny", London 1929, S. '6.) Sehr entschieden drückte sich MacDonald in einem Briefe an Jean Longuet vom 1. Mai 1916 aus: ,,Man hat mich als Deutschenfreund hingestellt, während in Wirklichkeit niemand in Europa so antipreußisch sein kann wie ich. Ich habe in der Tat seit Jahren die deutsche Staatsverfassung als absolut entgegengesetzt

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MacDonalds Kriegsziele

jeder Freiheit betrachtet und vor allem den mechanischen Charakter der deutschen Erziehungsmethoden verworfen. Mir liegt sehr daran , daß die Laster Deutschlands sich nicht über ganz Europa verbreiten. " ( Entnommen der Sozialdemokratischen Parteikorrespondenz “, 1916. S. 362. ) Sehr deutschfreundlich klingt das sicher nicht . Bald darauf, am 24. Mai 1916 erklärte MacDonald im Unterhaus : „ Unser Land war von der Gerechtigkeit seiner Sache immer voll überzeugt ... Ich wünsche mit aller Bestimmtheit, klar zu machen , daß unser Land, wenn es sich ein Fünkchen Ehre erhalten will, keinen Frieden annehmen kann, der die Preisgabe der Souveränität Belgiens oder eines seiner Teile bedeutet. Dasselbe gilt für die besetzten Gebiete Frankreichs . Wenn Deutschland sich einbildet, daß sich die Sache anders verhält , so um so besser, je eher es dazu gebracht wird, seinen Irrtum zu erkennen. Zweitens muß dem Mißstand der unter Fremdherrschaft seufzenden Nationalitäten in Europa ein Ende bereitet werden." Das ging allerdings nicht bloß auf Deutschland und Österreich, sondern auch auf Rußland und Italien , die mit Ansprüchen auf Gebiete fremder Nationalitäten ,,Tauschhandel" trieben, wie MacDonald sich ausdrückte. Er hoffte,,,daß weder Deutschland noch wir diesen Krieg solange fortsetzen werden, bis die nationalen Streitigkeiten erledigt sind". Auf jeden Fall aber müsse der Krieg ,,mit der Vernichtung des europäischen Militarismus enden ... Wir sind bereit, zu dessen Abschaffung unsern Beitrag zu leisten. Doch müssen wir verlangen, daß auch Deutschland seinen Beitrag leiste". (Entnommen der Soz. P. Korr. 1916. S. 315 , 316.) Das waren Kriegsziele , die sich wohl hören ließen, die aber nicht nach einem Frieden um jeden Preis aussahen, wie ihn die extremen Pazifisten der I. L. P. wollten . Am 23. und 24. April 1916 fand in Newcastle on Tyne der Jahreskongreß der Unabhängigen Arbeiterpartei Englands statt. Dort brachte ein Dr. Salter folgende Resolution ein : ,,Die Konferenz ist der Meinung, daß die Sozialisten aller Länder übereinkommen sollen , daß die sozialistischen Parteien künftig jeder Regierung die Unterstützung jedes Krieges verweigern , was immer auch der sichtbare Zweck des Krieges sein mag, und selbst wenn der Krieg dem Namen nach defensiven Charakter hat." Diese Resolution wurde nach einem Bericht des Berliner „ Vorwärts" mit 235 Stimmen ohne eine Gegenstimme angenommen. Jede politische Unterscheidung des Krieges war hier ausgeschaltet . Zur Abwehr eines Eroberers oder zum Schutz einer sozialistischen oder auch nur demokratischen Verfassung gegen reaktionäre Intervention sollte es verboten sein, die Waffen zu ergreifen ! Wie stimmten aber dazu MacDonalds Reden ? Und wie die Abstimmungen im Unterhaus über die Kriegskredite ? Am 21. Februar 1916 wurden im Unterhaus die angeforderten Kriegskredite e instimmig angenommen . Auch die sechs Mitglieder der I. L. P. stimmten dafür nicht etwa, wie Haase und seine Freunde 1914 im Plenum aus Parteidisziplin. Diese Abstimmung wurde in den Reihen der I. L. P. lebhaft kritisiert. Jowett, Vorsitzender der I. L. P., einer

Kriegsziele der S. D. F.

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der sechs Abgeordneten , die für die Kredite gestimmt hatten , rechtfertigte in einer Versammlung seine Haltung : Ich persönlich bin nicht bereit, gegen die Kredite zu stimmen, die zur Fortführung des Krieges nötig sind. Die richtige Methode, die Politik der Regierung zu bekämpfen , ist die Einbringung eines Mißtrauensvotums. Für dieses zu stimmen, bin ich zu jeder Zeit bereit." Also auch dieser hervorragende Parlamentarier hatte keine Ahnung davon, daß der Krieg und seine Fortführung in enger Verbindung mit der Politik der Regierung stehe . Auch er meinte , ebenso wie die deutschen Mehrheitler, die Kriegskredite bewillige man dem Vaterlande, nicht der Regierung, man müsse sie also jeder Regierung bewilligen. Den Kern der Opposition gegen die Kriegspolitik der Arbeiterpartei bildete die I. L. P. Aber nicht sie allein war oppositionell gesinnt. Neben ihr bestand die ,,britische sozialistische Partei" (British Socialist Party) . Sie war aus der ältesten unter den neueren sozialistischen Parteien Englands hervorgegangen, der Social Democratic Federation. Diese , 1883 begründet von Hyndman mit Bax, Eleanor Marx, William Morris, H. Quelch und anderen, wollte die englischen Arbeiter unter der Flagge des Marxismus organisieren, betrieb dieses aber in einer Weise, die Engels entschieden ablehnte und die sich auch als unfruchtbar erwies. Statt die organisierten Arbeiter zu gewinnen , geriet sie in scharfen Gegensatz zu den Gewerkschaften. Sie blieb eine marxistische Sekte und wurde trotz eifrigster propagandistischer Arbeit überholt von der ein Jahrzehnt später durch Keir Hardie begründeten I. L. P. , die theoretisch viel tiefer stand , einem verschwommenen, stark religiösen Gefühlssozialismus huldigte, aber die Gewerkschaften besser zu pakken wußte. Aus der I. L. P., nicht aus der S. D. F. , ging die Arbeiterpartei hervor, die Labour Party (L. P.) im Jahre 1900. Auch mit dieser geriet die S. D. F. in Zwiespalt. Das Unvermögen, vorwärts zu kommen, veranlaßte die Führer der S. D. F. , nach neuen Mitteln zu suchen, die Anziehungskraft der Partei zu verstärken. Natürlich gab es auch in der I. L. P. und der L. P. viele Unzufriedene , denen es zu langsam ging, die nach raschen Erfolgen strebten. Diese Mißvergnügten, Einzelpersonen und ganze Gruppen, suchte die S. D. F. an sich zu ziehen . Um ihnen den Übergang zu erleichtern, änderte sie ihren Namen. Anstatt Social Democratic Federation nannte sie sich seit 1908 Social

Democratic Party. Ihre Bestrebungen zur Zusammenfassung aller Sozialisten der britischen Arbeiterbewegung in einer gemeinsamen Partei wurden eifrig fortgesetzt und führten 1911 zu einem Kongreß, der die verschiedensten Richtungen der Sozialisten Englands umfaßte und der eine sozialistische Gesamtpartei zu gründen beschloß, die British Socialist Party ( B. S. P. ) . Aber die I. L. P. tat nicht mit. Daher blieb die neue Partei im Grunde die alte S. D. F. ,

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Hyndmans Partei

nur vermehrt um eine Reihe sehr heterogener, mit der großen Arbeiterpartei unzufriedenen Elemente, vielfach Eigenbrötler. Das mochte nicht viel ausmachen, solange die herkömmlichen Verhältnisse fortdauerten und die alten Führer der S. D. F. das unbestrittene Übergewicht in der B. S. P. hatten . Ganz anders wurde die Situation , als der Krieg ausbrach. Die ganze alte Garde der S. D. F. , geführt von Hyndman , nahm die Haltung ein , die wir schon gekennzeichnet haben. In der Mitgliedschaft, namentlich . aber unter den neu hinzugekommenen Elementen, erhob sich dagegen laute Rebellion. Sie waren der B. S. P. beigetreten, weil sie von ihr eine entschiedenere, revolutionäre Auflehnung gegen die Regierung erwarteten, nun sollten sie sich in dieser die Massen tief aufwühlenden Krisis hinter die Regierung stellen. Wenn es Patrioten gibt, die da sagen : mein Vaterland (d . h . seine Regierung) mag recht oder unrecht haben, ich verfechte seine Politik, so gibt es Revolutionäre, die erklären, die Regierung mag recht haben oder unrecht, meine revolutionäre Pflicht geht dahin, sie und jede ihrer Tätigkeiten rücksichtslos zu bekämpfen. Diese zweite Richtung gewann bald die Oberhand in der B. S. P. Auf dem ersten Kongreß, den die Partei im Kriege abhalten konnte, Ostern 1916 zu Salford , trat dies augenfällig zutage. Hyndman und seine Freunde wurden heftig angegriffen . Als Hyndman antworten wollte, erhob sich gewaltiger Lärm und der Kongreß beschloß mit 56 gegen 39 Stimmen, daß er ihn nicht anhören wolle . Bei einer späteren Abstimmung sank die Zahl der Stimmen für Hyndman sogar auf 24 Stimmen gegen 76 Stimmen herab. Daraufhin verließen Hyndman und sein Anhang den Kongreß und gründeten die ,, Nationalsozialistische Partei" (National Socialist Party, N. S. P. ) . Natürlich wurde keiner der beiden Teile durch die Spaltung gestärkt, da ihre Vereinigung bereits keine große Kraft dargestellt hatte. Die N. S. P. umfaßte die alte Garde der S. D. F. , eine Reihe fähiger Köpfe, die in der Arbeiterbewegung einen guten Namen hatten. Drei von ihnen wurden gleich nach dem Krieg, Dezember 1918, ins Parlament gewählt : Dan Irving, William Thorne und I. Jones. Diejenigen, die in der B. S. P. zurückblieben, verfügten über ein starkes Temperament, aber über kein Wissen . Nach dem Austritt der Minderheit wurden sie ganz haltlos , unterwarfen sich leicht fremder Führung, wenn sie sich nur den radikalen Instinkten entsprechend äußerte . Sie fielen nach 1917 dem Kommunismus anheim und seiner Internationale. Hyndmans Partei sah sich jetzt auf den Umfang eines winzigen Splitters reduziert, und doch war es nun das erstemal seit der Begründung der S. D. F. , daß seine Anschauungen in der zur Zeit entscheidenden Frage mit denen der großen Masse der englischen Arbeiterschaft übereinstimmten. Die Arbeiterpartei nahm in ihrer erdrückenden Mehrheit, wie wir schon bemerkten, im Kriege denselben Standpunkt ein wie die sozialistische Partei Frankreichs . Sie

Kriegspolitik der Arbeiterpartei

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forderte ebenso wie diese das Durchhalten bis zum Siege, bis zur Niederwerfung und Unschädlichmachung des deutschen Militarismus, dieses gefährlichen Raubtiers, dem man Klauen und Zähne nehmen müsse. Gelinge das, dann könne der augenblickliche Weltkrieg der letzte seiner Art sein . Dazu bedürfe man nur noch eines Instruments zur friedlichen Beilegung aller internationalen Konflikte, eines Völkerbunds. In diesem Ziele waren die Massen der britischen Arbeiter einig. Selbst viele Leute der I. L. P. , wie ein MacDonald , stimmten dem zu, nur stellten sie sich in scharfe Opposition zur Regierung, in die dagegen die Arbeiterpartei drei Mitglieder entsendete, als das Ministerium aus einem liberalen zu einem „ nationalen“, alle groBen Parteien umfassenden Koalitionsministerium erweitert wurde. Arthur Henderson, der Führer der Partei im Unterhause, wurde Unterrichtsminister, der Bergarbeiter Brace Unterstaatssekretär im Ministerium des Innern und der Schriftsetzer G. H. Roberts erhielt den Posten eines ,,Junior Lord" ( eines der fünf leitenden Kommissäre) im Schatzamt. So groß auch die für eine entschlossene Kriegführung bis zum Sieg eintretende Mehrheit der englischen Arbeiterschaft war, so stieß sie doch auf eine zahlreichere Opposition , als die gleichen Bestrebungen unter den französischen Sozialisten. Dafür wurde auch England durch einen Sieg Deutschlands nicht so unmittelbar bedroht, wie Frankreich, das ausgedehnte Landstriche vom Feinde besetzt sah . Bezeichnend sind unter anderm einige Abstimmungsverhältnisse vom Kongreß der britischen Arbeiterpartei, der in Bristol am 26. Januar 1916 zusammentrat. Tom Shaw beantragte : ,,Der Kongreß bestätigt den Beschluß des Parteivorstands und der Fraktion der Arbeiterpartei, den drei Fraktionsmitgliedern Henderson, Brace und Roberts zu gestatten, in die Koalitionsregierung einzutreten." Dieser Antrag erhielt 1,674.000 gegen 269.000 Stimmen. Auf diesen englischen Kongressen wird bei einem Votum nicht die Zahl der abstimmenden Delegierten , sondern die der von ihnen vertretenen Organisationsmitglieder gezählt. Es wurde dann beantragt, die Arbeiterminister sollten auch weiterhin im Amte bleiben . Dieser Antrag stieß auf stärkeren Widerstand . Für ihn wurden 1,622.000 Stimmen abgegeben, gegen ihn 495.000. Noch mehr umstritten wurde ein anderer Punkt der Tagesordnung, die Einführung der allgemeinen militärischen Dienstpflicht. Großbritannien war bis dahin der einzige Großstaat Europas, der die allgemeine Wehrpflicht noch nicht eingeführt hatte . In England zeigte sich seit jeher ein starkes Widerstreben in der Lohnarbeiterschaft gegen die allgemeine Dienstpflicht. Als der Krieg 1914 ausbrach, versuchte man zunächst, die ganz unzurei33

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Allgemeine Wehrpflicht

chende kleine Armee durch die Rekrutierung Freiwilliger aufzufüllen . Eine energische Werbekampagne begann, an der sich die Agitatoren und Organisatoren der Gewerkschaften lebhaft beteiligten. Eines ihrer beliebtesten und wirksamsten Argumente war neben der Notwendigkeit, dem Landesfeind genügend viel Truppen entgegenzustellen , auch die Notwendigkeit, die erforderliche Zahl Mannschaften durch Werbung Freiwilliger aufzubringen , weil sonst die allgemeine Wehrpflicht unvermeidlich werde, und die gelte es von England ebenso fernzuhalten, wie die deutschen Armeen. Zu den pazifistischen religiösen Traditionen aus dem 17. Jahrhundert und zu den pazifistischen ökonomischen Traditionen der Zeit des Manchestertums im 19. Jahrhundert gesellte sich der Unabhängigkeitssinn des englischen Arbeiters, sein Abscheu vor Kasernendrill und Militarismus in allen seinen Formen . Man wollte nicht den preußischen Militarismus dadurch bekämpfen, daß man seine Einrichtungen nach England verpflanzte. Aber alle Propaganda und aller patriotische Enthusiasmus reichten nicht aus, so viele Soldaten aufzubringen, als der Krieg erforderlich machte. Man stand schließlich vor der Wahl , den verhaßten Zwang einzuführen oder den Krieg zu verlieren. Die Koalitionsregierung plante die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht . Darüber beriet der Kongreß der britischen Arbeiterpartei in Bristol am Januar 1916. Dort beantragte ein Delegierter aus Leicester, Stadtrat Banton , folgende Resolution : Die Arbeiterpartei erhebt nachdrücklichen Einspruch gegen die Einführung des Militärzwanges in irgendwelcher Form, da eine derartige Maßregel gegen den Geist der britischen Demokratie verstößt und voll von Gefahren für die Freiheiten des Volkes ist." Der Antrag wurde von einer ungeheuren Mehrheit angenommen, 1,796.000 gegen 219.000 Stimmen . Noch entschiedener lehnten die Gewerkschaften Australiens die Wehrpflicht ab . Auf einer Konferenz vom 10. Mai 1916 in Melbourne wurden gegen sie 258.000 Stimmen abgegeben, für sie bloß 753.

Doch mit dem Beschluß des britischen Kongresses war die Sache nicht erledigt. Er sprach bloß ein allgemeines Prinzip aus. Wie sollte sich die Anwendung in der Praxis gestalten ? Die bürgerlichen Parteien Englands, Liberale wie Konservative, waren für die allgemeine Dienstpflicht und sie verfügten über die große Mehrheit im Parlament. Es stand außer Frage, daß der Gesetzentwurf zur Einführung des Militärzwanges angenommen wurde. Was dann ? Die Delegierte Marion Phillips stellte den Antrag : ,,Der Kongreß erklärt seine Opposition gegen den Gesetzentwurf über allgemeine Wehrpflicht und beschließt, wenn er zum Gesetz erhoben wird, für dessen Abschaffung zu agitieren.“

Das Wehrgesetz

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Gegen den zweiten Satz des Antrags erhob sich starker Widerspruch. Henderson sprach dagegen und ebenso Will Thorne, der zur alten Garde der S. D. F. gehörte . Thorne befürchtete, der Antrag Phillipps würde von vielen Arbeitern so aufgefaßt werden , als ob sie berechtigt wären, alle Mittel gegen die Durchführung des Gesetzes in Anwendung zu bringen . Und das wäre in der gegebenen Situation ein furchtbares Unglück. Der Antrag Phillips wurde in zwei Teile geteilt. Der erste , der sich allgemein gegen das Gesetz über die Wehrpflicht aussprach, erhielt 1,716.000 gegen 300.000 Stimmen. Der zweite Teil, der verlangte, man solle gegen das Gesetz auch weiterhin agitieren , wenn es angenommen sei, wurde jedoch mit 649.000 gegen 614.000 Stimmen bei 700.000 bis 800.000 Stimmenthaltungen (darunter die Bergarbeiter) abgelehnt. Also man stimmte gegen das Gesetz , um des pazifistischen und demokratischen Gewissens willen , und beschloß , es widerstandslos hinzunehmen, um das vaterländische Gewissen zu beruhigen . Im Unterhaus lehnten dann bei der zweiten Lesung nur 9 Mitglieder der Arbeiterpartei das Wehrgesetz ab, dagegen 26 Liberale, unter ihnen John Burns, Ponsonby, Trevelyan . Die Regierung kam den Bedenken gegen den Zwang möglichst weit entgegen. Sie fügte in das Gesetz eine Bestimmung ein, die es gestattete, vom Waffendienst ,,conscentious objectors" zu befreien, das heißt, Leute, die nachweisbar aus Gewissensbedenken es ablehnten, an dem Morden teilzunehmen . Und diese Bestimmung wurde in weitem Umfang in Anspruch genommen . In keinem andern Lande finden wir in der Arbeiterklasse so viele und so starke Meinungsverschiedenheiten über den Krieg, wie in England : von den wildesten Kriegshetzern , die nicht ruhen wollen, ehe der Feind völlig zerschmettert zu Boden liegt, bis zu Verteidigern der feindlichen Sache als der gerechten und bis zu Predigern und praktischen Vollziehern der Verweigerung des Kriegsdienstes. So weit gingen in Deutschland nicht einmal Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht oder in Rußland die Bolschewiki . Diese letzteren wollten allerdings die Waffen in den Händen der Arbeiter nur zu dem Zweck sehen, damit sie, sobald der geeignete Moment gekommen, sich ihrer gegen den inneren Feind bedienten. Die revolutionären Arbeiter hätten den Krieg insofern zu verlängern, als sie an den äußeren Krieg den Bürgerkrieg anschließen sollten. Weniger als eine andere der großen Arbeiterparteien Europas wurde die britische durch ein gemeinsames Programm und langjährige Traditionen zusammengehalten . Und weiter als in jeder andern gingen in ihr die mannigfachsten Tendenzen auseinander, die im Kriege den leidenschaftlichsten Charakter annahmen . Trotzdem überdauerte die britische Arbeiterpartei den Krieg als eine geschlossene Einheit . Die Spaltung, die nach dem Kriege die deutsche

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Die Einheit der britischen Arbeiterbewegung

Sozialdemokratie so sehr in ihren Aktionen hemmte , sie blieb unseren Genossen in England erspart . Das ist wohl zum Teil darauf zurückzuführen , daß bei den Engländern die Demokratie im Staate wie in der Partei besonders stark entwickelt war, dank dem hohen Unabhängigkeitsgefühl , das sich seit der ersten Revolution der Mitte des 17. Jahrhunderts in den arbeitenden Klassen Englands entwickelt hat. Jede Richtung besaß die Möglichkeit, ihren Standpunkt in der Partei, der Presse soweit sie dort vertreten war und im Parlament zum Ausdruck zu bringen . Die Parteidisziplin wurde nicht in einer Weise gehandhabt, die einschnürend wirkte. Dazu kam , daß die britische Arbeiterpartei in erster Linie auf den Gewerkschaften aufgebaut war. Die Gewerkschaften widerstehen in der Regel Spaltungsbestrebungen leichter als politische Parteien. Auch die deutschen Gewerkschaften haben sich im Kriege und nach dem Kriege trotz aller kommunistischen Versuche ungespalten zu erhalten gewußt. Auf ein anderes Moment weist M. Beer hin in der englischen Ausgabe seiner bekannten ,, Geschichte des modernen Sozialismus in England". Er führt dort aus : „ Wenn trotz aller Gegensätze die Reihen der britischen Arbeiterpartei nicht zerrissen wurden, so war das hauptsächlich der sozialreformerischen Tätigkeit des , Nationalen Arbeiterkomitees zur Bekämpfung des Kriegsnotstands' (War Emergency National Workers Committee) zuzuschreiben, das auf Veranlassung der Arbeiterpartei durch eine besondere Konferenz der verschiedenen Arbeiterorganisationen eingesetzt wurde , die am 5. August 1914 zusammentrat. Das Komitee verfolgte kritische und aufbauende Zwecke. Es formulierte und forderte von der Regierung und den Gemeinden sorgfältig erwogene Maßregeln zum Schutz der arbeitenden Bevölkerung gegen Lebensmittel- und Mietswucher, Austreibungen aus den Wohnungen, Arbeitslosigkeit, Unterernährung der Schulkinder, kurz, gegen alle die Wechselfälle und Notstände, die der Krieg mit sich bringen mochte und durch die die Lebensbedingungen der Besitzlosen arg verschlechtert wurden. Das Komitee trat zuerst mehreremale in einer Woche zusammen, dann jede Woche oder vierzehntätig. Es beschäftigte sich mit militärischen Unterstützungen und Pensionen, Weizeneinfuhr, Verteilung des Schiffsraums, Kriegsfinanzen und mit Arbeiterfragen nach dem Krieg . Im Komitee waren alle Richtungen der Arbeiterbewegung vertreten, gemäßigte Reformer ebenso wie Zugehörige zur äußersten Linken, Verfechter der Kriegspolitik und Pazifisten. Diskussionen über Kriegspolitik oder über rein gewerkschaftliche Fragen durften in seinem Rahmen nicht gehalten werden . Sein erster Vorsitzender war Arthur Henderson . Als dieser ins Koalitionsministerium eingetreten war, folgte ihm Robert Smillie. I. S. Middleton, zweiter Sekretär der Arbeiterpartei, versah den Posten eines Sekretärs im Komitee. Aber sein aufbauendes Gehirn war Sidney Webb, der damals zum erstenmal tatsächliche Fühlung mit dem inneren Gefüge der Arbeiterbewegung erhielt. Dank seinen Vorschlägen war das Komitee der Regierungspolitik stets weit voraus in allen sozialen Maßregeln, die das tägliche Leben der Zivilbevölkerung betrafen. Während der ganzen Kriegszeit befand sich das Komitee in direkter Verbindung mit den verschiedenen lokalen Körperschaften des Landes . Es wurde dadurch die zusammenhaltende Kraft, die das arbeitende Volk ver-

Italien vor dem Kriege

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hinderte, sich in gegensätzliche Richtungen aufzulösen, trotz der wachsenden Meinungsverschiedenheiten über Kriegspolitik, Munitionsgesetze , Friedensschluß etc. Die Folge war, daß 1918 die britische Arbeiterpartei , im Gegensatz zu den meisten sozialistischen Arbeiterparteien in Europa und Amerika, geschlossen und einig blieb und in der richtigen Geistesverfassung war, der Notwendigkeit zu entsprechen, sich als eine ausgesprochen sozialistische Arbeiterpartei zu organisieren. Diese richtete eine Sektion von Einzelmitgliedern ein ( neben den Gewerkschaften und sozialistischen Parteien, aus denen sie bis dahin bestand. Der Zugang unorganisierter Intellektueller zur Partei wurde dadurch erleichtert, das geistige Leben der Partei angeregt, K. ) , sie entwickelte die Frauenbewegung in der Partei und schließlich fiel der britischen Arbeiterpartei die Führung der sozialistischen Arbeiterinternationale zu." (A History of British Socialism, London 1929. II . S. 383, 384. )

e) Die Sozialisten Italiens. Die Kriegserklärungen zwischen den beiden Zentralmächten und den Staaten der Entente sowie Serbien hatten sich binnen wenigen Tagen abgespielt , zwischen dem 28. Juli und dem 4. August 1914. Der Eintritt Italiens in den Krieg ließ dagegen mehr Monate warten, als zwischen der Kriegserklärung an Serbien und dem englischen Ultimatum Tage lagen . Erst am 23. Mai 1915 erklärte Italien an Österreich den Krieg. Sonderbarerweise an Deutschland gar erst am 26. August 1916. Welcher Gegensatz zu der wahnsinnigen Hast, mit der die deutsche Regierung ihre für sie selbst politisch so unheilvollen , durch keinerlei militärische Notwendigkeit erzwungenen, ja, gegen den Rat militärischer Ratgeber erlassenen Kriegserklärungen an Rußland und Frankreich vollzogen hatte, 1. und 3. August 1914 ! Aber freilich, Italiens Lage unterschied sich sehr sowohl von der der Mittelmächte wie von der der Entente . Diese waren schließlich alle zu ihren Kriegserklärungen getrieben worden durch ein Gefühl der Angst. Der kluge Kenner der auswärtigen Politik der Staaten Europas, Graf Carlo Sforza , bemerkt sehr richtig einmal : ,,Die Stimmung , die allen Nationen in der Zeit von 1908 — dem Jahr, bis 1914 gemeinsam war in dem die Österreicher Bosnien annektierten und schließlich zum Kriegsausbruch führte, wirkte sich überall in gleicher Art aus in Paris wie in Berlin, in Wien wie in St. Petersburg. Jeder hatte Angst vor dem Kriege und jeder trug somit dazu bei, daß er wirklich kam." (Carlo Sforza ,, Gestalten und Gestalter des heutigen Europa" , Berlin 1931 , S. 160. ) Galt das für die ganze Zeit von 1908 bis 1914, so galt es in besonders hohem Grade für die letzten Tage vor dem Ausbruch des Krieges. In den vorhergehenden kriegerischen oder kriegsdrohenden Konflikten, etwa um des Sudan , um Südafrikas, um Koreas, Marokkos, des Kongo, Tripolis willen, hatte Ländergier die Kabinette getrieben. Diesmal war es Angst, was sie und die Völker vor allem bewegte. Ob die Völker überall die Entstehungsgründe des Weltkriegs richtig erkannten und die Mittel zur Abwehr richtig

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Österreich und Italien

wählten, ist eine andere Frage. Hier haben wir bloß die Ursachen der Stimmung der Bevölkerung bei Kriegsausbruch darzulegen . Ganz anders als in den genannten Staaten stand es mit Italien . Keinerlei Gefahr bedrohte es, keine Zwangslage, die es gedrängt hätte, um Schlimmeres zu verhüten , die Schrecken und Leiden eines Kriegs auf sich zu nehmen . Italien war bei Ausbruch des Weltkriegs in der angenehmen Lage, in voller Freiheit und Gemütsruhe überlegen zu können , welche Stellung es einnehmen solle . Im August 1914 war es noch Mitglied des Dreibunds. Aber es gehörte die ausnehmend große politische Naivität Wilhelms und Bethmann Hollwegs dazu , zu erwarten , Italien werde diesmal in den Krieg ziehen, um mit dem Blut seiner Söhne Österreichs Interesse zu verfechten. Wilhelm beauftragte seinen Flügeladjutanten von Kleist, Militärattaché bei der deutschen Botschaft in Rom , er solle vom König von Italien ,, sofortige Mobilmachung der Armee und Flotte sowie vertragsmäßig festgesetzte Bundeshilfe fordern". Das tat Herr von Kleist am 3. August.

Der König erwiderte , Österreich habe aufs ungeschickteste gehandelt und in Italien die öffentliche Meinung so sehr gegen sich aufgebracht, daß „ aktives Zusammengehen mit Österreich Sturm entfesseln würde". Einen Aufstand wolle das Ministerium nicht riskieren. In einem gleichzeitigen Handschreiben wies Victor Emanuel darauf hin, daß kein casus foederis vorliege, kein Fall, der die Bundeshilfe vorsehe. In der Tat verlangte Artikel 7 des Dreibundvertrags von Österreich wie von Italien , sie sollten einander stets über ihre Absichten aufklären , so oft der status quo auf dem Balkan vor einer Änderung stehe . Diesen Passus hatte Österreich gröblich miẞachtet, und Deutschland hatte es gewußt und geduldet. Jetzt zeterten beide über Treubruch. Wilhelm nannte in einer seiner Randglossen den italienischen Minister einen „,unerhörten Schuft" und seinen gekrönten Kollegen Victor Emanuel einen ,,Schurken ". Er bekräftigte damit nur die ungeheure Enttäuschung, die ihm das Vorgehen Italiens bereitete, das kein Vernünftiger anders erwartet hatte und das die verbohrte Feindseligkeit der österreichischen Staatsmänner und ihrer Vertreter in Rom gegen Italien noch besonders gefördert hatten . Fürst Bülow schreibt einmal über einen dieser Vertreter : ,,Der österreichisch-ungarische Botschafter in Rom, Herr v. Merey, empfahl dem Grafen Berchtold, die italienische Regierung mit der Aktion gegen Serbien zu , überrumpeln ' . Es war verhängnisvoll, daß sowohl Österreich-Ungarn wie Deutschland bei Beginn des Weltkrieges in Rom schlecht vertreten waren. Herr von Merey hatte sich durch sein kassantes (gereiztes, K. ) Wesen, seine kaum verhüllte Abneigung gegen das neue Italien, seine beständigen Quängeleien und Nadelstiche allgemein verhaßt gemacht. Sein persönliches Verhältnis zu dem weltmännischen, kulanten San Giuliano (italienischen Minister des Auswärtigen, K. ) war allmählich so gespannt geworden, daß beide sich kaum noch sahen und der italienische Minister erwog, ob er die gesellschaftlichen Beziehungen zu dem Vertreter der

Italien feilscht

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habsburgischen Monarchie nicht besser ganz einstellen solle. " (Denkwürdigkeiten, III. S. 187, 188. ) Selbst der Graf Monts, in jeder Beziehung Bülows Antipode, Verfechter der österreichischen Politik, nennt Merey einen ,,allerdings schwierigen" Herren. ( ,, Erinnerungen" etc. S. 225. ) Mereys Einstellung kennzeichnet der Rat, den er in einem Bericht aus Rom vom 26. Juli 1914 dem Grafen Berchtold erteilte : ,,Ich bin überzeugt, daß Italien an uns mit allerlei uns irgendwie bindenden Anträgen hinsichtlich Mediation oder Kompensation herantreten wird. Meines Erachtens sollten wir uns absolut able hnend verhalten, ja keinerlei Engagements eingehen und hiesige ( in Rom, K. ) Regierung und Presse schreien lassen. Je entschlossener und unerschütterlicher wir sind, desto mehr wird uns das in Italien nützen.“ (Österr. Rotbucli, 24.-28. Juli 1914. S. 113. ) Das waren die Methoden, mit denen die österreichische Diplomatie bei Ausbruch des Weltkrieges um die werktätige Hilfe des Bundesgenossen warb ! Allerdings hätte auch ein verständiger und geschickter Vertreter nicht viel geholfen . Schon die Unterdrükkungspolitik der österreichischen Regierung gegenüber ihren italienischen Untertanen verdarb alles. Victor Emanuel hatte ganz recht : der Haß gegen Österreich war in allen Klassen und Parteien Italiens so intensiv , daß eine Regierung, die es unternommen hätte, für Österreich in den Krieg zu ziehen, einen allgemeinen Aufstand gegen sich entfesseln mußte. Die Frage für die Italiener war nicht die für Österreich oder Neutralität, sondern nur die : Neutralität oder gegen Österreich, was natürlich auch hieß : gegen Deutschland. Die Entscheidung darüber schien Italien in voller Freiheit treffen zu können . Keine offenbare Zwangslage drängte es in die eine oder andere Richtung. Seine Regierung erwog in der Tat nur die Vorteile, die ihr der eine oder der andere Teil zu bieten hatte. Sie verkaufte sich dem, der den höheren Preis bot. Das entsprach der alten nationalen Tradition der Condottieri, der italienischen Söldnerführer des 14. und 15. Jahrhunderts. Die Mächte der Entente hatten mehr zu bieten, denn sie verschenkten das , was sie nicht hatten. Dafür mußte der Kaufpreis erst durch die Italiener selbst erobert werden . Österreich hätte den Kaufpreis mit eigenem Gebiet zahlen müssen, aber es konnte ihn sofort auf den Tisch legen. Doch nicht einmal diesen Vorteil wußten die Österreicher zu benutzen. Es dauerte lange, ehe sie sich entschlossen , Italien eine Gebietsabtretung überhaupt zu gewähren . Und auch da gingen sie nicht weiter, als sie zu versprechen , statt sich dazu zu verstehen, die Gebiete über deren Abtretung man sich geeinigt, sofort abzutreten. Am 3. Mai schrieb der italienische Minister des Äußern , Sonnino, an den Botschafter Italiens in Wien , Herzog von Avarna : ,,Alle Bemühungen der königlichen (italienischen, K. ) Regierung ( zu einem Abkommen zu gelangen, K. ) stießen auf den Widerstand der kaiserlichen und königlichen ( österreichisch-ungarischen, K. ) Regierung, die sich

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Italiens Eroberungskrieg

nach mehreren Monaten nur zur Anerkennung besonderer italienischer Interessen in Valona (in Albanien, K. ) und zum Versprechen einer nicht genügenden Gebietseinräumung im Trentino (italienisches Südtirol, K. ) entschlossen hat , einer Konzession, die durchaus nicht eine normale Regelung der Lage enthält, weder vom ethischen ( ! K. ) , noch vom politischen oder militärischen Standpunkt aus. Außerdem sollte diese Konzession erst in einem unbestimmten Zeitpunkt, nämlich erst am Ende des Krieges verwirklicht werden." Würde ein siegreiches Österreich noch bereit sein , diese ihm erpreßte Konzession einzulösen ? Die Entente vermochte Italien allerdings auch nur in Aussicht zu stellen, es solle einen Gewinn davon tragen . Aber wie gewaltig sah der aus ! Schon ehe Sonnino den eben zitierten Brief nach Wien geschrieben , hatte sich sein Vertreter auf der Londoner Konferenz vom 26. April 1915 mit den Vertretern Englands, Frankreichs und Rußlands geeinigt und versprochen , in den Krieg an Seite der Entente einzutreten. Dafür sollte es beim Friedensschluß nicht nur das Trentino erhalten, sondern das ganze Südtirol, auch das deutsche, bis zum Brenner. Ferner Görz und Gradiska, Triest, Istrien, sowie ein großes Stück Dalmatiens. Bis dahin waren alle die Mächte, die in den Krieg eintraten, nur von Angst vor einer Niederlage und ihren Konsequenzen getrieben worden, keine von Ländergier, nicht einmal Österreich, das wohl Serbien zertrümmern , aber nicht schlucken wollte , weil es schon mehr Serben in seinem Innern zählte, als es zu verdauen vermochte. Erst im Laufe des Krieges kamen, je nach der Kriegslage, in dem einen oder andern der kriegführenden Staaten Gelüste nach Landgewinn auf. Selbst das Verlangen der Franzosen nach dem Elsaß spielte für den Kriegsausbruch keine Rolle. Es wurde erst mächtig im Verlauf des Krieges. Bei Italien aber war Gebietsgewinn von vornherein Anlaß und Zweck des Krieges. Für die Italiener wurde ihr Krieg ausgesprochenermaßen ein Angriffs- und Eroberungskrieg, jene Sorte von Krieg, gegen die sich stets nicht bloß die proletarische, sondern auch die bürgerliche Demokratie entrüstet aufgelehnt hat. Und die Entente hatte, um Italien zu gewinnen, sich seiner Erpresserpolitik soweit gebeugt, daß sie ihm außer italienischem auch deutsches, ja, slawisches, sogar serbisches, das heißt von Serben bewohntes Gebiet zusprach, also nicht bloß das Prinzip der Selbstbestimmung der Nationen , sondern auch das der Bundesfreundschaft mit Serbien schnöde verletzte. Und doch behauptete sie, zur Rettung ebenso der Demokratie , wie der Serben ausgezogen zu sein !

Ähnlich wie Italien handelte im Weltkrieg Japan . Ohne Not, ohne sich von Deutschland bedroht zu fühlen , sicher auch nicht aus Interesse an der Demokratie und Abneigung gegen den Militarismus, erklärte es am 29. August 1914 den Krieg an Deutschland, bloß um Beute zu machen , den Deutschen ihren Besitz in China, Kiautschou, abzunehmen. Die Verlegenheit der Entente benutzte Japan

Italiens Sozialisten und Krieg

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dann dazu , diese zu zwingen, ein Anrecht Japans auf Kiautschou anzuerkennen, obwohl dadurch die chinesische Selbstbestimmung gröblich verletzt wurde. Es ist bemerkenswert, daß es kürzlich wieder gerade diese beiden Staaten waren, Italien wie Japan, die aus bloßer Beutepolitik den Weltfrieden bedrohten . Ihr Fall zeigt aber, wie sinnlos die „ revolutionäre" Schablonenpolitik war und ist, die alle Mächte mit bürgerlichen Regierungen im Weltkrieg und auch später über einen Kamm schor und sie alle für gleich verrucht erklärte als Verfechter einer ,,imperialistischen" Politik. Bei Italien konnte man 1914 und später wohl von einer Eroberungspolitik reden. Doch gab es dort nicht bloß Geschäftspolitiker und Streber sowie Armeelieferanten , die sich für den Krieg begeisterten, sondern auch selbstlose Idealisten. Erschien er doch als ein Kampf um die Befreiung unterdrückter Nationsgenossen und als eine Unterstützung der westeuropäischen Demokratie gegenüber den beiden furchtbaren Militärmonarchien Mitteleuropas . Daß es neben diesen noch einen russischen Militärdespotismus gab, störte sie nicht . Für Westeuropa war allerdings das deutsche Militärregime weit gefährlicher, gerade weil es moderne Formen angenommen hatte, wodurch es viel stärker wurde als der Zarismus. Und es war der Nachbar Frankreichs und Englands. Das Londoner Abkommen vom 26. April 1915 aber, das die Gebote der Demokratie und der Freundschaft mit Serbien so gröblich verletzte, wurde erst nach dem Ausbruch der russischen Revolution , März 1917, bekannt . Daher gab es viele Demokraten und auch Sozialdemokraten, die den Eintritt Italiens in den Weltkrieg gegen die Mittelmächte eifrig verlangten und schließlich freudig begrüßten . Anders freilich dachten die arbeitenden Massen. Dieselbe Furcht vor den Folgen einer Invasion oder Niederlage, die sie in den andern kriegführenden Staaten im August 1914 gedrängt hatte, sich für die ,,Landesverteidigung" , das heißt, für die Kriegführung zu begeistern, ließ sie in Italien auf das energischste dem Kriege widerstreben , da ja die Gefahren der Invasion oder der Niederlage nicht durch einen Landesfeind über das italienische Volk verhängt, sondern von dessen Regierung erst durch die Kriegserklärung, die sie am 23. Mai 1915 erließ, heraufbeschworen wurden. In der Tat kam es am 19. Mai 1915 in manchen Gebieten Norditaliens, namentlich in Turin zu Versuchen eines Generalstreiks und ernsthaften Unruhen als Protest gegen die Kriegserklärung Italiens an Österreich, die man damals bereits befürchtete und die wenige Tage später zur Wirklichkeit wurde. Ein arger Zwiespalt tat sich in Italien auf in den Reihen der politisch denkenden organisierten Massen und ihrer Führer, die nicht bloß durch Angst vor Invasion und Niederlage bewegt wurden, auch nicht vom ,, sacro egoismo", dem ,,heiligen Egoismus“

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Spaltung der Sozialisten

der Nation der für gar manchen kriegsbegeisterten Herrn oft nichts war, als Verhüllung eines sehr persönlichen Egoismus, der nach Avancement verlangte. Der Zwiespalt wegen des Kriegs fand eine bereits gespaltene sozialistische Bewegung vor. Wie in jeder Partei, die eine Massenorganisation darstellt, also mehr ist als eine Sekte, gab es auch in der italienischen Sozialdemokratie einen rechten und einen linken Flügel . Diese Scheidung beruht nur in geringem Maße auf einer Verschiedenheit der Temperamente, sie hängt eher zusammen mit einer Verschiedenheit der Funktionen im Parteileben. Es braucht Propagandisten und Organisatoren. So ziemlich jeder Parteigenosse muß etwas von einem Propagandisten und etwas von einem Organisator in sich haben. Doch sind die für die eine oder die andere Funktion erheischten Fähigkeiten und Neigungen nicht in jedem Individuum in gleichem Maße entwickelt. Diejenigen , in denen der Organisator überwiegt, streben danach, viele Individuen zum Zusammenwirken in praktischem Tun zu vereinigen. Sie sehen vor allem das Nächstliegende, bevorzugen die Kleinarbeiten , neigen zu dem, was man Reformismus nennt. Der Agitator dagegen will begeistern , er malt gern die letzten , höchsten Ziele , erhebt sich stets über die Kläglichkeit der Gegenwart, er neigt zu sogenanntem revolutionären Denken und Sprechen. Reformisten und Revolutionäre findet man in jeder sozialdemokratischen Partei unter allen Umständen nebeneinander. Ihr Zusammenwirken bildet die Parteitätigkeit, die je nach den jeweiligen historischen Bedingungen einmal mehr einen reformistischen , ein andermal mehr einen revolutionären Charakter annimmt. Es gab also natürlich auch in der sozialistischen Partei Italiens eine reformistische Rechte und eine revolutionäre Linke, die oft und intensiv miteinander stritten, dabei aber doch eng miteinander vereint blieben. Dieses Zusammenwirken wurde auf eine harte Probe schon 1911 gestellt, als plötzlich, mitten im Frieden , die italienische Regierung in Tripolis einbrach (September) , es besetzte und die Türkei bekriegte. Über ein Jahr lang, bis zum Oktober 1912, dauerte der Krieg, der ganz offenkundig den Stempel eines imperialistischen Eroberungskrieges trug, allerdings ebenso offenkundig zeigte , daß in einem imperialistischen Krieg keineswegs beide Seiten in gleicher Weise Angreifer und Vergewaltiger sein müssen . Die Tripolitaner und Türken waren es sicher nicht , nur die Italiener. Gegen diesen Krieg mußte sich, sollte man meinen, jeder wahrhaft demokratische, friedensfreundliche Sozialist empören. Das traf auch für die Masse der Sozialisten Italiens zu. Jedoch eine Anzahl von Genossen tat bei dem Widerstand gegen den tripolitanischen Raubzug nicht mit. Unter ihnen befanden sich sehr angesehene Genossen, wie Leonida Bissolati, einer der Begründer der sozialistischen Arbeiterpartei Italiens, ein lauterer Charakter, hochgebildet, von höchstem sozialistischem Enthusiasmus

Spaltung der Sozialisten

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erfüllt. Er ließ sich durch die Phrasen der Kolonialpolitiker gefangennehmen, die sich als Träger höherer Zivilisation gegenüber der Barbarei aufspielten, und billigte den Einfall in Tripolis. Und mit ihm ging eine Reihe von Genossen, alles ,,Reformisten". Das führte zu erregten Diskussionen mit der Mehrheit der Parteigenossen, und schließlich erreichte die gegenseitige Erbitterung einen solchen Grad, daß ein an sich wenig bedeutender Umstand , der direkt gar nicht mit dem Kriege zusammenhing, zur Ausschließung Bissolatis und seines Anhanges aus der Partei führte . Diesen Umstand bildete ein erfolgloses Attentat auf den italienischen König in März 1912, das eine Reihe Sozialisten, Bissolati, Cabrini, Bonomi, veranlaßte, sich an einer Kundgebung zur Beglückwünschung des Königs zu beteiligen. Das wurde die Ursache des Ausschlusses der kriegs- und dynastiefreundlichen Reformisten auf dem nächsten Parteikongreß in Reggio-Emilia, Juli 1912. Derjenige , der damals am lautesten gegen Kolonialpolitik, Krieg und Königtum tobte und am energischsten den Ausschluß der mit diesen drei Faktoren sympathisierenden Elemente forderte , war der noch junge und wenig bekannte Mussolini. Durch seine rücksichtslose Verfechtung des revolutionären Standpunktes rückte er mit einem Schlage in die ersten Reihen der Partei ein, in der der revolutionäre Flügel der Partei damals die Mehrheit erlangte. Die Leitung des Zentralorgans, des „,Avanti “, wurde Mussolini übertragen. Man würde jedoch irren, wenn man annehmen wollte, daß die Scheidung in der Weise vor sich ging, daß die Reformisten alle für den Krieg und die Duldung des Königtums waren und bloß die Revolutionäre dagegen . Die Mehrzahl der Reformisten , geführt von Männern wie Turati , Treves , Modigliani, stimmte vielmehr in diesen Punkten mit den Revolutionären überein . Auf dem Kongreß von Reggio- Emilia vertraten die Delegierten der ,, Rechtsreformisten", das heißt derjenigen , die dort ausgeschlossen wurden, 2072 Stimmen ; die der ,,Linksreformisten", die in der Partei blieben, 8883 , die Revolutionäre dagegen 12.556. ,,In den letzten zwei Jahren ( seit 1910 ) haben die Revolutionäre ihre Stimmenzahl verdoppelt, während die Reformisten aller Schattierungen von 12.991 auf 10.955 gesunken sind, wovon 2000 Stimmen ihnen durch den Ausschluß der Rechtsreformisten verloren gehen." ( Oda Olberg, Der Parteitag von Reggio- Emilia ,,,Neue Zeit “, XXX, 2. 606.) Durch die Abstimmung des Kongresses wurde der Parteifriede nicht hergestellt. Die Revolutionäre, geführt und angestachelt von Mussolini im „ Avanti“ , führten den Krieg gegen die in der Partei verbliebenen Reformisten weiter. Da brach der Weltkrieg aus und das hemmte etwas den Parteikrieg . Es lag nahe und wirkte nicht überraschend, daß sich die ausgeschlossenen Rechtsreformisten für die Erklärung des Kriegs an die Mittelmächte erwärmten. Wie würde sich aber die Hauptpartei verhalten? So fragte sich gar mancher inner- und außerhalb Italiens .

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Kriegshetzer und Kriegsgegner

Die italienische Regierung schien zu schwanken , da konnte viel von der Haltung der Arbeiter und ihrer Partei abhängen . Aus allen kriegführenden Ländern kamen Zuschriften und Sendboten der sozialistischen Parteien, um ihre Bruderpartei in Italien zu beeinflussen . Guesde und Vaillant, Cipriani und Hervé, sowie Sembat aus Frankreich, aus England vor allem Hyndman , beschworen die italienischen Sozialisten, für das Aufgeben der Neutralität einzutreten. Sie würden dadurch den Sieg des deutschen Militarismus über die westeuropäische Demokratie verhindern und den Krieg verkürzen . Doch die Sozialisten Italiens blieben fest . Das soll jedoch keineswegs besagen , daß ihre Neutralität eine Deutschland gegenüber wohlwollende war. Die Isolierung in der Weltmeinung, der die deutsche Regierung verfallen war, traf auch die sie unterstützende deutsche Sozialdemokratie. Ende August 1914 sandte der deutsche Parteivorstand Südekum - wohl wegen seiner Sprachkenntnisse - nach Italien, um die dortigen Genossen für den deutschen Standpunkt zu gewinnen. Er holte sich dabei eine gründliche Abfuhr. Der italienische Parteivorstand verhehlte , trotz seines Eintretens für die Neutralität, nicht seine Sympathien für Frankreich, das revolutionäre Frankreich . Wenn Südekum meinte, die deutschen Sozialdemokraten hätten ihr Vaterland gegen den Zarismus verteidigen müssen, so entgegnete ihm Della Seta aus dem italienischen Parteivorstand : ,,Die deutsche Vorherrschaft bedeutet für uns eine schlimmere Gefahr, als diejenige des Zarismus, weil der Zarismus verhindert, daß die deutsche Armee auf Paris marschiert , und weil er das französische Banner schützt, welches das revolutionärste ist , trotz seiner Fehler und Irrtümer. Der deutsche Wahlspruch ist heute : ‚ Deutschland über alles.' Und dem hat der deutsche Sozialismus nicht entgegengearbeitet. " ( Bericht in der „ Sozialdemokratischen Partei-Korrespondenz ", Dezember 1914, S. 413. ) Bei dieser Auffassung konnte man eigentlich auch dazu kommen, dem Krieg gegen Österreich und Deutschland zuzustimmen , wenn man kein anderes Mittel sah, den Sieg dieser beiden für die Freiheit Europas so gefährlichen Staaten zu verhindern. In der Tat gab es nicht bloß Reformisten , sondern auch Revolutionäre , die darauf drängten, Italien solle den Mittelmächten den Krieg erklären. So Giovanni Lerda , der anfangs 1915 im „,Interesse der Zivilisation und der Demokratie" wünschte, daß Italien seine Neutralität aufgebe , die im ,,Interesse der Barbarei und der Reaktion" liege. (Vgl . Soziald . Parteikorr. , 1915. S. 131.) Die gleiche Haltung nahm Arturo Labriola ein. Am energischsten, man kann geradezu sagen , mit barbarischer Wildheit hetzte zum Kriege der revolutionäre Mussolini , der 1912 noch der Hauptträger des Ansturms gegen Bissolati wegen dessen Sympathien für den Kriegszug nach Libyen gewesen war. Um seiner Kriegspolitik willen wurde Mussolini schon am 20. Oktober 1914 aus dem ,,Avanti" entfernt, dessen Chefredakteur er 1912 ge-

Mehrheit kriegsfeindlich

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worden war. Einen Monat später hatte Mussolinis Drängen zum Krieg bereits solche Formen angenommen , daß er aus der Partei ausgeschlossen wurde, am 24. November. Früher schon , 15. November, hatte er eine eigene Zeitung begründet, den „, Popolo d'Italia " (das Volk Italiens) . Gleichzeitig organisierte er besondere ,,Verbände der revolutionären Aktion ", in deren Satzungen es hieß : ,,Die Verbände bilden keine Partei. Sie sind freie Gruppierungen von Umstürzlern jeder politischen Richtung ... Insbesondere setzen sich die Verbände das Ziel, eine Lage zu schaffen , welche Italien zum unmittelbaren Eingreifen in den Krieg gegen die Zentralmächte hinreißt." Sie erwarten davon eine ,,Verneinung der ganzen dynastischen Politik des Hauses Savoyen durch den Volkswillen, die Abkürzung des Krieges und einen Stoß gegen den Militarismus, die Lösung der Nationalitätenprobleme". (Soz . Parteikorr. 1915. S. 127.) In diesen Verbänden oder Banden der ,,Umstürzler aller Richtungen" schuf Mussolini wohl schon die Keime seiner späteren ,,Fasci ". Die große Masse der Sozialisten und der Arbeiter ließ sich jedoch weder von den kriegerischen Fanfaren aus reformistischem . noch von denen aus revolutionärem Lager fortreißen . Die sozialisti sche Partei Italiens in ihrer großen Mehrheit, Reformisten wie Revolutionäre, blieb der Parole der Neutralität, der Kriegsgegnerschaft, den ganzen Krieg hindurch treu . Allerdings mitunter mit recht sonderbaren Begründungen , die sehr an die anarchistische Denkweise erinnern , die in Italien kurz vorher noch stark gewesen war. So wurde z. B. der Leipziger ,,Volkszeitung" (3. November 1914) aus Rom geschrieben : ,,Der Parteisekretär Lazzari vertrat im , Avanti' die Anschauung, daß selbst im Falle eines Angriffskriegs das italienische Proletariat sich nicht rühren soll, um den Feind von seinen Grenzen fernzuhalten, da der Begriff des Vaterlands ein rein bürgerlicher sei und das Proletariat in der heutigen Gesellschaft kein Vaterland habe.“ Lazzari wäre in arge Verlegenheit gekommen, wenn er hätte sagen sollen, auf welche Beschlüsse internationaler Kongresse er seine Auffassung stütze. Der italienische Parteivorstand und die Parlamentsfraktion selbst nahmen allerdings nicht diesen Standpunkt ein, argumentierten indes doch auch mitunter recht sonderbar. So hieß es in einem Aufruf dieser beiden Körperschaften ( Ende September 1914) : ,,Die sozialistische Partei betont den unüberwindlichen Gegensatz zwischen Krieg und Sozialismus, da der Krieg die äußerste , weil erzwungene Form der Zusammenarbeit der Klassen darstellt. Daher : keinerlei Zugeständnis an den Krieg, sondern unerbittlicher Widerstand gegen ihn !" Es gibt noch andere Plagen , die das Menschengeschlecht zeitweise bedrängen, z. B. Überschwemmungen, Feuersbrünste, Seuchen usw. Wir haben aber noch nie die Beteiligung an Rettungsaktionen in solchen Katastrophen deswegen abgelehnt, weil sie eine Zusammenarbeit der Klassen notwendig machen . Sollten wir in bezug auf die Abwehr eines frevelhaften Eroberers und Unterdrük-

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Mehrheit gegen Krieg

kers anders denken ? Der Fehler in der Argumentation des Parteivorstands liegt hier darin , daß er zwischen den Kriegen nicht unterscheidet, sie alle über einen Kamm schert, den Angriffskrieg und den Verteidigungskrieg, den Krieg eines demokratischen , ja eines sozialistischen Gemeinwesens zur Rettung seiner Freiheit und den Eroberungskrieg einer Militärdiktatur. Noch 1930 vertritt Nenni eine ähnliche Auffassung. Auch er unterscheidet nicht zwischen den Kriegen. In einer Fußnote in seinem Buch über den Klassenkampf in Italien sagt er ( La Lutte des Classes en Italie , Paris 1930) : ,,Der Mythus des revolutionären Krieges hat im Lager der Interventionisten der äußersten Linken ( denen auch Mussolini angehörte, K. ) eine große Rolle gespielt. Ich selbst teilte die Illusionen und die Verantwortlichkeiten jener Gruppen, die glaubten, die Sache der politischen Freiheit und der sozialen Revolution sei identisch mit der Sache Frankreichs ... Der Gang der Ereignisse hat später gezeigt, daß es insofern keinen revolutionären Krieg gibt, als der Krieg Imperialismen und Interessen einander entgegengesetzt, nicht Ideen." (S. 121. ) Die Tatsache, daß Frankreich im Weltkrieg nicht so revolutionär wirkte, wie Nenni 1914 erwartete, beweist doch keineswegs schon, daß es revolutionäre Kriege nicht gibt, das heißt, Kriege zur Verteidigung einer Revolution oder der Freiheit eines Volkes . Der Unterschied soll darin liegen, daß im Kriege Interessen gegen einander kämpfen, in der Revolution Ideen . Aber hinter diesen revolutionären Ideen stehen auch Interessen, allerdings nicht persönliche, sondern Klasseninteressen. Die Männer, die im April 1792 im Namen Frankreichs Österreich den Krieg erklärten, wurden dabei von denselben Ideen und Motiven bewegt, die am 14. Juli 1789 die Bastillestürmer antrieben.

Aber wie seltsam mitunter die Anschauungen über den Krieg sein mochten , von denen die Sozialisten Italiens erfüllt waren, sie hielten in ihrer großen Mehrheit geschlossen an der Ablehnung des Krieges fest, den ohne zwingende Gründe die Regierung Italiens im Mai 1915 dem österreichischen Nachbarn erklärte. In ihrer entschiedenen Ablehnung des Krieges und der Kriegskredite unterschied sich während des Weltkriegs die Sozialdemokratie Italiens in ihrer großen Mehrheit gar sehr von den sozialistischen Parteien der andern kriegführenden Länder, außer der Serbiens. Die Russen kamen ihr nahe, die Sozialisten gerade der höher entwickelten Länder standen dagegen in auffallendem Gegensatz zu ihr. Diese Haltung der Mehrheit der italienischen Sozialisten ging jedoch nicht aus einer Überlegenheit der Ethik oder der wissenschaftlichen Einsicht des italienischen Proletariats hervor, sondern aus der besonderen Stellung des italienischen Staates im Weltkrieg.

Zerreißung der Internationale

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6. Internationale Zusammenkünfte von Sozialisten.

a) Aufgaben der Internationale im Kriege. Wir haben gesehen, wie in der Internationale, ja innerhalb der einzelnen sozialdemokratischen Parteien der verschiedenen Länder, schon vor dem Weltkrieg die mannigfachsten , einander sehr widersprechenden Anschauungen über die erforderliche Haltung im Kriege bestanden. Diese Gegensätze erreichten die höchste Intensität im Kriege selbst, durch die wilden Leidenschaften , die er aufpeitschte, die Leiden, die er brachte , die furchtbaren Gefahren, mit denen eine Niederlage drohte. Und zu alledem gesellten sich die Verschiedenheiten der sozialen und politischen Zustände und der historischen Situation eines jeden der am Krieg beteiligten Staaten . Und deren Zahl war eine ungeheuer große . In der Zeit vom 28. Juli 1914 bis zum 12. September 1918 wurden 53 Kriegserklärungen erlassen, unter ihnen freilich gar manche ganz bedeutungslose, wie etwa die Liberias an das Deutsche Reich (4. August 1917) . Die den Charakter des Kriegs entscheidenden Kriegserklärungen fielen fast alle in den August 1914 : 1. August Deutschland an Rußland , 3. an Frankreich , 4. an Belgien, gleichzeitig England an das Deutsche Reich. Wichtig wurden später nur noch am 23. Mai 1915 die Erklärung Italiens an Österreich und am 6. April 1917 die der Vereinigten Staaten an Deutschland. Für jeden dieser Staaten bedeutete der Krieg etwas anderes, in jedem traf er die Bevölkerung in einer besonderen Situation, unter besonderen politischen und ökonomischen Bedingungen. In jedem der Staaten hatten das industrielle Proletariat und die sozialistische Partei eine besondere Stellung erlangt, wirkten sie unter besonderen Traditionen , Staatsverfassungen, besonderer Höhe der Volksbildung etc. Hier glaubten sie einen Verteidigungskrieg zu führen und stellten sich hinter ihre Regierung, dort beschuldigten sie die eigene Regierung, einen Angriffskrieg oder doch einen vermeidbaren Krieg zu führen, sie klagten sie an, verweigerten ihr die Gefolgschaft. Dazu gesellten sich noch die Unterbrechungen des Verkehrs zwischen den kriegführenden Ländern sowie der Umstand, daß sich der Sitz der Zentrale der sozialistischen Internationale, das Internationale Bureau, in Brüssel befand, in einem Staate, der nicht bloß zu den kriegführenden gehörte, sondern überdies während der ganzen Dauer des Krieges fast vollständig von feindlichen Truppen besetzt war. Daß unter diesen Umständen die Fäden rissen , die die einzelnen Parteien der Internationale im Frieden zusammengehalten hatten, und daß es schwer fiel, sie wieder zusammenzuknüpfen , war unvermeidlich. Die Zerreißung der Internationale ging aus dem Umfang und der Mannigfaltigkeit des Krieges hervor, dem

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Internationale und Krieg

gegenüber jeder der früheren Kriege der Weltgeschichte ein ganz einfaches Geschehen darstellte . Die Außenpolitik jeder sozialdemokratischen Partei ist sicher von internationalem Geist erfüllt und in allen Ländern von den gleichen Grundsätzen geleitet . Trotzdem nahm sie in einem so komplizierten Krieg wie dem Weltkrieg für jeden der einzelnen beteiligten Staaten einen besonderen Charakter an- ja mitunter sogar innerhalb manches dieser Staaten einen besonderen Charakter für jeden Landesteil : einen besondern in Österreich für das Trentino und einen andern für das nördlich davon gelegene Gebiet Tirols zwischen Bozen und dem Brenner ; einen besondern für die Wiener und einen andern für die Prager ; einen besondern für die Polen in Krakau und wieder einen andern für die Ruthenen in Lemberg usw. In der Theorie kann man das sozialistisch denkende Proletariat von der Masse der übrigen Mitglieder der arbeitenden Klassen trennen . In der Praxis leben sie mit ihnen, mit ihren Freuden und Leiden eng verbunden. Die ungeheuren Verschiedenheiten in der Auffassung des Krieges und der Stellung zu ihm bei den Massen wirkten in hohem Grade auf die Sozialisten zurück. Und auch diejenigen unter diesen, die sich von der Stimmung ihrer Umgebung völlig freizuhalten wußten, kamen in den verschiedenen Ländern bei der großen Kompliziertheit und Mannigfaltigkeit der Elemente, die für die Erkenntnis der Kriegsursachen der voraussichtlichen Kriegsfolgen in Betracht kamen, nur zu leicht zu sehr verschiedenen Ergebnissen. Unter diesen Umständen durfte man nicht von ihnen erwarten und verlangen, daß sie überall in gleicher Weise ,,dem" Kriege entgegenträten, etwa überall ohne weiteres die Verweigerung der Kriegskredite als selbstverständliche Pflicht betrachten und üben sollten. Wenn man von der Internationale forderte , sie sollte ein einheitliches Vorgehen in diesem Sinne herstellen , dann mußte sie gewiß scheitern, denn man verlangte von ihr ein Wunder, was unter den gegebenen Umständen nur ein Gott wirken konnte. Damit sei jedoch nicht gesagt, daß die Internationale für die Zeit eines jeden Krieges notwendigerweise in ihrem Funktionieren völlig aufgehoben sein müsse . Nicht jeder Krieg muß in seinen Ursachen und möglichen Folgen so kompliziert und undurchsichtig sein, wie es der Weltkrieg war. Und selbst, wenn sich der traurige Fall wiederholen sollte, daß die sozialistischen Parteien in den kriegführenden Staaten sich über eine gemeinsame Auffassung des Krieges nicht einigen und wenn jede abermals sich hinter die Regierung ihres Landes stellen sollte, braucht damit die Internationale nicht zur Unfruchtbarkeit verurteilt zu sein. Stets müßte in den einander entgegenstehenden sozialistischen Parteien das Bewußtsein wachbleiben , daß im Frieden, also im normalen Zustande der Gesellschaft, die Proletarier aller Länder

Internationalität und Nationalität

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ihre sozialen Ziele nur erreichen , ihre sozialen Interessen nur wahren können, wenn sie in engster Gemeinschaft miteinander denken und handeln. Auch wenn man es in einem besonderen Falle für eine Gewissenspflicht hält, im Interesse der Freiheit und des Gedeihens des eigenen Volkes einem andern Volk mit bewaffneter Hand entgegenzutreten, darf man als internationaler Sozialist nie vergessen , daß der Landesfeind von heute der Bruder von gestern war und wieder von morgen sein wird. Auch dort, wo die Internationale nicht imstande ist , einen Krieg zu verhindern , und wo sie nicht vermag, zu bewirken, daß die Sozialisten der verschiedenen kriegführenden Länder zu einer einheitlichen Auffassung dieses besonderen Krieges kommen ; auch dort darf man von jedem internationalen Sozialisten fordern , daß er auch im wildesten Kriegsgetümmel sich fern hält von nationalem Haß, nationaler Verachtung und daß er in diesem Sinne auf alle jene Kreise wirkt, mit denen er in Berührung kommt. Das wird freilich wenig Wirkung auf die Art der Auskämpfung des Krieges üben, es muß aber die Wiederbelebung der Internationale im Frieden sehr erleichtern . Das internationale Empfinden hat nicht in einem Drang nach Uniformierung, nach ,, Gleichschaltung", wie man heute sagt, sämtlicher sozialistischer Parteien unter derselben Schablone zu bestehen, sondern es hat sich nicht zum wenigsten im Streben zu äußern, die aus historischen und geographischen Bedingungen hervorgehende Eigenart, die Besonderheit jeder Nation, ihres Proletariats, ihrer sozialistischen Bewegung zu erforschen und zu begreifen. Nur auf dieser Grundlage läßt sich eine Internationale aufbauen, die für alle sozialistischen Parteien , die sie umfaßt , ein Mittel der Förderung des gemeinsamen Befreiungskampfes wird , keine von ihnen beengt oder gar unterdrückt . In jedem Land muß die Sozialdemokratie den Klassenkampf, den sie führt, seinen besonderen Bedingungen anpassen , will sie zu einer Massenpartei werden. Und je mehr sie zu einer solchen anwächst, desto mehr wird sie von der nationalen Eigenart beeinflußt, in der sie wirkt. Neben der Erkenntnis der internationalen Solidarität ist die der nationalen Eigenart , das heißt , das gegenseitige Begreifen der Eigenart der Völker die wichtigste Vorbedingung einer ersprießlichen Tätigkeit der Internationale . Nach solchem Begreifen zu streben, wird eine der wichtigsten Aufgaben für jeden internationalen Sozialisten. Mir persönlich hat Engels immer wieder diese Pflicht vorgehalten. Er meinte, wir deutschen Sozialisten liebten es, wenn wir nach England kamen - vor etwa einem halben Jahrhundert — auf die englischen Arbeiter herabzusehen, die über die gewerkschaftliche Organisation nicht hinauskämen und vom Sozialismus nichts wissen wollten . Er wies mich darauf hin , daß in diesem Fall mit bloßem Absprechen nichts getan sei. Es käme darauf an, den englischen Arbeiter zu begreifen , nicht um sich bei seiner augen-

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Wanderung und Emigration

blicklichen Haltung zu beruhigen, sondern um herauszufinden , woran sie liege, ob nicht Momente da seien , die eine Änderung versprächen und wo der Hebel anzusetzen sei, die Änderung herbeizuführen, was um so eher gelingen werde, je mehr man die englische Eigenart berücksichtige. Wenn man einen Mangel an der zweiten Internationale feststellen will, so dürfte er vor allem darin zu suchen sein, daß ihre Leiter in jedem Staat nicht genug die Eigenart der verschiedenen andern Nationen , ihrer Arbeiter und Sozialisten, kannten.

Aus Zeitungen, Briefen, gelegentlichen Besuchen allein lernt man die Eigenart eines Volkes wenig verstehen, selbst wenn es gelingt, einige Äußerlichkeiten seines Lebens zu bemerken. Am besten lernt man Menschen einer fremden Nation begreifen, wenn man mit ihnen zusammenarbeitet, namentlich dann, wenn man gleichzeitig die Geschichte dieser Nation und ihre Stellung in der Welt erforscht. Die deutschen Arbeiter waren in der Beziehung lange Zeit hindurch besonders begünstigt . Der deutsche Handwerksgeselle mußte wandern, er tat es oft weit über die Grenzen des deutschen Sprachgebietes hinaus, nach Frankreich, England . Er ging sogar nach Amerika, nicht immer als Auswanderer, um dort zu bleiben, sondern oft bloß, um einige Wanderjahre dort zu absolvieren und dann wieder heimzukehren. Weniger als das Wandern der Arbeiter wirkten für die Vermittlung internationalen Verständnisses die politischen Verfolgungen, die Emigranten ins Ausland trieben . Je zahlreicher sich diese an einem Punkte zusammenfanden, je mehr sie von dem Studium der Verhältnisse des verlassenen Heimatlandes absorbiert wurden, für die allein sie sich interessierten , um so weniger lernten sie das Land begreifen, in dem sie ihre Zuflucht suchten . Indes wurden doch nicht wenige der Emigranten durch die Not getrieben, eine Arbeit zu suchen. Das führte oft zu einem Zusammenarbeiten mit den Arbeitskräften des Gastlandes. In diesem Fall konnten sie es wohl verstehen lernen .

Diese beiden Elemente, Emigration und Wanderbewegung, traten zur Zeit der ersten Internationale noch in ausgedehntem Maße auf, wenigstens in dem relativ engen Kreise, den sie damals umfaßte. Das förderte sehr das internationale Verständnis . Die zweite Internationale stand in vielen Beziehungen hoch über der ersten, das Proletariat hatte in dem Zwischenraum zwischen den beiden Internationalen gewaltige Fortschritte gemacht. Aber gerade diese Fortschritte hoben die zwei Faktoren fast völlig auf, die zur Zeit der ersten das Zusammenarbeiten von Proletariern und Sozialisten verschiedener Nationen gefördert hatten. In der Zeit der zweiten Internationale gab es nur noch eine Emigration von Belang, die russische, und das Handwerk war gegenüber der Großindustrie so sehr zurückgetreten, daß die aus der Zunftzeit über-

Arbeit für den Frieden

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kommene Sitte des Wanderns der Arbeiter fast vollständig aufgehört hatte. Und gleichzeitig waren die sozialistischen Parteien und Gewerkschaften in jedem Lande so sehr gewachsen, daß ihre Aufgaben die Kräfte ihrer Funktionäre vollauf in Anspruch nahmen. Dazu kam, daß je mehr eine Partei oder Gewerkschaft an Kraft und Ausdehnung zunahm, desto mehr für ihr Wirken die besonderen Bedingungen des Staates, in dem sie wirkte, bestimmend wurden . Das Bewußtsein, der internationalen Zusammengehörigkeit aller Teile der Arbeiterbewegung der verschiedenen Länder wuchs trotzdem , da die ökonomischen Bedingungen sie immer mehr in enge Beziehung mit einander brachten und zum Zusammenwirken drängten. Aber nicht in gleichem Maße mit der Gemeinsamkeit der Faktoren des Klassenkampfes, die für alle Länder dieselben waren , wuchs das Verständnis der nationalen Eigenart der verschiedenen Länder. Das machte nicht viel im Frieden aus , wo die Probleme des Klassenkampfes die dringendsten waren , aber es änderte sich im Krieg, als der Klassenkampf gegenüber dem Kampf um die Existenz der Nation tatsächlich oder doch im Bewußtsein der vom Krieg betroffenen Proletarier und Sozialisten zurücktrat. Jetzt machte sich Mangel an Verständnis für den Gegner oft sehr schmerzlich fühlbar. Nicht zum wenigsten dadurch zerriẞ die Internationale. Den geistigen Horizont der Sozialisten eines jeden Landes über dessen Bereich hinaus zu erweitern , das Bewußtsein der ökonomischen, politischen, kulturellen Verbundenheit der verschiedenen Nationen, aber auch das Verständnis ihrer Eigenart zu pflegen, war natürlich stets eine wichtige Aufgabe der Internationale . Ein Krieg mag die Organisation der Internationale zerstören oder lähmen, diese ihre Aufgabe bleibt auch während seiner Dauer bestehen, sie wird dringender als je und in ihren Dienst hat sich jeder zu stellen, der international denkt und internationales Wissen erworben hat, ganz gleich , wie es mit der internationalen Organisation stehen mag. Doch neben dieser ideellen Aufgabe ersteht für die Internationale, für alle international Denkenden im Kriege noch eine weitere, allerdings schwierigere, aber auch, wenn ihre Lösung gelingt, praktisch viel bedeutungsvollere Aufgabe : Die Arbeit für die Herbeiführung des Friedens. Vom militärischen Standpunkt aus gesehen, besteht die richtige Methode, raschest den Frieden herbeizuführen, in der vollständigen Zertrümmerung der feindlichen Heeresmacht . Aber nicht immer bringt das gleich den Frieden . Das zeigt schon der Hinblick auf das Jahr 1870. Die Armeen Napoleons III . erlagen binnen wenigen Wochen den deutschen Truppen. Nach Sedan stand der 34

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Friede und Kriegsziele

Friede vor der Tür, er war sofort möglich, wenn das siegreiche Deutschland sich mit dem Angebot der französischen Republik begnügte : einige Milliarden Kriegskosten zu zahlen. Aber seine herrschenden Klassen forderten mehr : die Abtretung des Elsaß und eines Teils Lothringens, deren Bewohner den Anschluß an das Deutsche Reich auf das entschiedenste ablehnten . Dieser Forderung widersetzte sich das französische Volk auf das leidenschaftlichste. Zu ihrer Abwehr führte es den Krieg fort, bis zum Februar 1871. Um fünf Monate , grauenhafte Monate des Mordens , des Hungers, der Seuchen wurde dadurch der Krieg verlängert . Die politische Methode, den Krieg abzukürzen, besteht darin, die Friedensbedingungen, die von den Regierungen gefordert werden, so zu gestalten , daß keines der beteiligten Völker dadurch vergewaltigt wird , so daß den arbeitenden Massen die Fortsetzung des Krieges überall als überflüssig, ja als ein Verbrechen erscheint. Jede sozialistische Partei hat die Pflicht, schon bei Kriegsausbruch von der Regierung ihres Landes die Bekanntgabe ihrer Kriegsziele zu fordern und in entschiedene Opposition zu ihr zu treten, wenn sie ihre Kriegsziele geheim hält oder so gestaltet, daß sie mit den Grundsätzen der Selbstbestimmung der Nationen unvereinbar sind und den Krieg verlängern. Die Aufgabe, so vorzugehen , fällt jeder einzelnen sozialdemokratischen Partei an sich zu , sie bedarf zu diesem Zweck nicht der Mitwirkung der sozialistischen Parteien anderer Länder. Aber natürlich wird eine Festsetzung von Friedensbedingungen, die zur Abkürzung des Krieges dienen kann, um so mehr auf die Öffentlichkeit und auf alle beteiligten Völker wirken, wenn sie nicht von der Partei eines Landes allein vorgenommen wird, sondern wenn die Parteien aller beteiligten Staaten sich darüber einigen . Anderseits freilich würde es den internationalen Gedanken gerade nicht fördern und den Friedensschluß bedenklich hinausschieben, wenn der Versuch mißlänge, die feindlichen Brüder zu einigen, wenn die sozialistischen Parteien hüben und drüben nicht zur Verständigung über eine gemeinsame Friedensformel zu gelangen vermöchten. Man mußte vollstes Zutrauen zur Solidarität der Proletarier aller Länder haben , um den Versuch zu wagen, Vertreter von Sozialisten aller kriegführenden Länder an einen gemeinsamen Verhandlungstisch zu bringen, mitten im Kriege, trotz aller Leidenschaften, die er entzündet, alles nationalen Hasses, den er hüben wie drüben aufgewühlt, trotz der Angst vor den finsteren Absichten der Gegner, von denen man das Schlimmste für das eigene Volk befürchtete. Der Versuch wurde gemacht. Er brachte die ersten Regungen der wieder zu sich kommenden Internationale nach der völligen Lähmung, in die sie der Krieg versetzt hatte.

Vernichtung des Militarismus

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b) Der Weg nach Zimmerwald. Als der Weltkrieg ausbrach , wähnte gar mancher, er müsse kurz sein, schon wegen der furchtbaren Verwüstungen und Opfer, die er mit sich bringe und die bald ganz unerträglich würden. Ich muß gestehen, auch ich hegte diese Erwartung. Wie völlig falsch sie war, zeigte sich schon nach wenigen Monaten. Damit erstand für jeden Sozialdemokraten die Pflicht, die schon der Stuttgarter Kongreß festgesetzt hatte , auf die rasche Herbeiführung des Friedens hinzuwirken . Doch mit der Anerkennung dieser Pflicht war noch wenig getan. Es fragte sich, wie der Frieden aussehen solle und mit welchen Mitteln er zu erringen sei. Darüber waren auch von einem bestimmten sozialdemokratischen Standpunkt die verschiedensten Meinungen möglich . Natürlich bestand völlige Einigkeit wenigstens unter der großen Mehrheit der Genossen in der Ablehnung jeglicher Eroberungen, das heißt, jeglicher Grenzveränderungen gegen den Willen der dadurch betroffenen Bevölkerung. Aber ebenso allgemein war der Wunsch, der Friede solle derart beschaffen sein, daß er eine Wiederkehr des Kriegsunglücks ausschließe . Je grauenhafter der Krieg sich gestaltete , desto stärker dies Verlangen. Die Art, wie man dieser Forderung zu entsprechen suchte, hing ganz von dem Bilde ab, das man sich von den Kriegsursachen, der ,,Schuld" am Kriege entwarf. In Ländern , die Deutschland bekriegten , nahm der pazifistische Ruf : „ Nie wieder Krieg" oft die Form an : kein Friede , ehe wir nicht Deutschlands Militarismus so weit zertrümmert haben, daß er nie wieder Krieg führen wird. Schon in ihrem Weihnachtsmanifest 1914 erklärte die Parlamentsfraktion der französischen sozialistischen Partei einmütig : ,,Sozialisten, wir kämpfen auch (außer für das Recht der Völker, frei über sich zu verfügen, K. ) , damit dieser Krieg, dieser grausame Krieg, der letzte sei ... Das ist es, wofür wir Sozialisten kämpfen. Das ist es, wes halb wir einmütig, mehr als irgend jemand zum Siege entschlossen sind." An die Arbeiter Deutschlands wendete sich im April 1915 Compère Morel in der Pariser „, Humanité", wo er ausführte , die französischen Sozialisten seien alle für den Frieden, ,,aber unter einer Bedingung : daß er aufgerichtet werde auf dem Grab des preußischen Militarismus, niedergerungen durch Euch oder besiegt durch uns, ganz wie Ihr wollt ... Wenn Ihr deutschen Proletarier unfähig seid, eine republikanische Freiheitsbewegung durchzuführen, die Euer kaiserliches , militarisiertes und kriegerisches Deutschland verwandeln könnte ...so wird es Aufgabe der Waffen der Alliierten sein, der Waffen , die in den Dienst der gerechtesten, der größten und der vornehmsten Sache unserer Zeit gestellt sind, Euch einen dauernden und vollständigen Frieden aufzuzwingen." So sprach damals die ganze französische Sozialdemokratie und ebenso die Gewerkschafter Frankreichs, fast ohne Ausnahme. Longuet z. B. schrieb in der ,, Humanité" vom 20. November 1914 :

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Der deutsche Militarismus

,,Die Sozialisten und Demokraten Westeuropas können nicht ernsthaft an den Frieden denken , solange der preußische Militarismus, der Feind der Freiheit Europas, nicht zerschmettert oder wenigstens sein abscheulicher Stolz nicht gebrochen wurde, da leider das deutsche Volk sich bis heute unfähig zeigte, ihn zu stürzen.“ Das sei, fügt Longuet hinzu, der einheitliche Gedanke der Sozialisten nicht nur Frankreichs und seiner Verbündeten, sondern auch fast aller neutraler Nationen . ( Sozialdem. Partei- Korresp. , 1915. S. 56. ) Diese Auffassung wurde von der Mehrheit der deutschen So-

zialdemokraten gründlich mißverstanden. Das Ziel der Vernichtung des deutschen Militarismus wurde aufgefaßt nicht als ein politisches Ziel, die Vernichtung eines politischen Systems, der Beherrschung der Staatspolitik durch die Militärkaste, sondern als Vernichtung des deutschen Heeres, ja des deutschen Volkes . So sagte z. B. Scheidemann im deutschen Reichstag am 9. Dezember 1915 : ,,Unsere Gegner verstehen unter dem Militarismus , den sie zerschmettern wollen, etwas anderes als wir. Sie wollen unsere Heere vernichten, in denen unsere Söhne und Brüder stehen. Was wir als Militarismus bekämpfen, ist eine Angelegenheit, über die innerhalb unserer Landesgrenzen zu entscheiden ist, so wie über den französischen Militarismus und den englischen Marinismus jenseits der Vogesen und des Kanals zu bestimmen sein wird." Zu dieser Gleichsetzung des Militarismus mit den „ Söhnen und Brüdern" im Heere gesellte sich noch die Überzeugung, Deutschland sei von seinen Nachbarn , Russen, Franzosen und Engländern aus Eifersucht und Haß überfallen worden. Auch die Deutschen wollten, daß dieser Krieg sich nicht wiederhole. Auch sie wollten den Krieg fortsetzen bis zur Sicherung des Reiches . Wie aber diese Sicherung herbeiführen ? Darüber hegten wenigstens die bürgerlichen Parteien Deutschlands Ansichten, die denen analog waren, mit denen Bismarck 1870/71 die Annexion Elsaß-Lothringens begründete . Er hatte damals diese Gebiete verlangt, weil sie militärische Vorteile für den nächsten Krieg gegen Frankreich versprachen. Bethmann-Hollweg drückte sich vorsichtiger aus , er widerstrebte auch gar zu offenkundigen Annexionisten, dennoch aber sagte er in der gleichen Sitzung, in der Scheidemann seine eben . erwähnte Rede hielt , über die deutschen Kriegsziele : ,,Weder im Osten noch im Westen dürfen unsere Feinde von heute über Einfallstore verfügen, durch die sie uns von morgen ab aufs neue und schärfer als bisher bedrohen . Es ist ja bekannt, daß Frankreich seine Anleihe an Rußland nur unter der ausdrücklichen Bedingung gegeben hat, daß Rußland die polnischen Festungen und Eisenbahnen gegen uns ausbaute. Und ebenso ist es bekannt, daß England und Frankreich Belgien als ihr Aufmarschgebiet gegen uns betrachteten.“ Das durfte man wohl als Ankündigung einer Annexion Russisch-Polens und Belgiens in irgendeiner Form betrachten . Und Bethmann fügte drohend hinzu ;

Das Ziel der Sicherung

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„ Je länger und je erbitterter unsere Feinde den Krieg gegen uns führen, um so mehr wachsen die Garantien, die für uns notwendig sind." Trotzdem erklärte sich der dem Reichskanzler folgende Redner der Sozialdemokratie, Landsberg, mit Bethmann vollständig einverstanden. Er meinte : ,,Der Herr Reichskanzler hat eine Sicherung gegen frivole Angriffe für die Zukunft verlangt. Meine Herren , wenn es eine solche Sicherung gibt, dann wollen wir sie alle haben. Die Generation , der wir angehören, ist um den Anspruch auf Glück betrogen ... Wir wollen nicht, daß es anderen Generationen ebenso geht. Wir wollen sie bewahren davor, daß auch sie hinaus müssen auf die Schlachtfelder und in die Schützengräben .“ Das war also ins Deutsche übersetzt im Grunde das gleiche Ziel, das sich die Compère Morel und Jouhaux, die Longuet, Vaillant, Guesde etc. in Frankreich stellten . Landsberg fügte auch hinzu , daß die „ Unterjochung eines Volks " keine Sicherung wäre, und er deutete Bethmanns Worte dahin , daß auch er nicht Annexionen wolle . Die bürgerlichen Parteien freilich forderten in der gleichen Sitzung ausdrücklich ,, Gebietserwerbungen". Bethmann wies sie nicht zurück und es war auch schwer einzusehen, wie sonst die von ihm geforderten ,, Garantien" herzustellen wären . Annexionen forderte hüben wie drüben kein Sozialist - oder sagen wir genau : fast kein Sozialist . Denn es gab auch solche. Aber die Forderung von ,, Sicherungen" gegen jeden weiteren Angriff von außen drohte den bereits ausgebrochenen Krieg bis zur völligen Erschöpfung der Beteiligten auszudehnen . Und doch konnte man nicht einfach erklären, jedes Streben nach Sicherung sei unvereinbar mit dem Grundsatz der internationalen Solidarität der Völker. Man kann sagen, daß es bloß taktische Differenzen waren , die die sozialistischen Parteien der Internationale trennten und gegen einander abschlossen, nicht grundsätzliche Gegensätze oder gar Verrat an Grundsätzen. Das machte die Zukunft der Internationale und der sozialistischen Bewegung hoffnungsvoller . Aber für die Gegenwart und ihr wichtigstes Problem, das Streben nach Verkürzung des Krieges, für rascheste Herbeiführung des Friedens, wurden die Schwierigkeiten der Verständigung nicht dadurch geringer, daß sie bloß taktischer, nicht prinzipieller Natur waren. Das war allerdings nicht die allgemeine Auffassung in unseren Reihen. Um die Jahreswende ( 1914-15 ) veröffentlichte der ,,Labour Leader", das Organ der Unabhängigen Arbeiterpartei Englands , eine Reihe von Zuschriften führender deutscher Sozialdemokraten. Es kam dort zu Wort Hermann Müller, der im Namen des Parteivorstandes sprach, daneben aber äußerten sich Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Klara Zetkin, Franz Mehring und ich über den Krieg. Müller drückte einfach den Wunsch aus, der Krieg möge bald ein Ende nehmen. Ausführlicher schrieben die. vier Leiter jener Gruppe, die als Spartakusgruppe bekannt werden

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Mein Friedensprogramm

sollte. Liebknecht forderte eine neue Internationale , die der alten an ,,revolutionärem Gehalt, an Klarheit der Erkenntnis und Bereitschaft für die ihr aus der Geheimdiplomatie, aus dem Absolutismus und den kapitalistischen Verschwörungen gegen den Frieden entstehenden Gefahren" überlegen sei. Rosa Luxemburg war ganz außer sich, daß ,,unter den mörderischen Schlägen der imperialistischen Gruppen die ArbeiterInternationale , der Stolz und die Hoffnung früherer Tage schmählich zusammengebrochen sei , am schmählichsten allerdings ihre deutsche Sektion". In gleichem Tone äußerten sich Mehring und Klara Zetkin, die erklärte, „,, die Sozialisten haben das Ideal der internationalen Brüderlichkeit der Arbeiter der Welt auf dem Altar kapitalistischer Profite ihrer eigenen Länder geopfert." In ganz anderem Sinne äußerte ich mich. Während die anderen Zuschriften des ,,Labour Leader" nur von „, dem" Krieg im allgemeinen handelten, als ob jeder Krieg gleicher Art wäre , untersuchte ich zunächst die Besonderheit des augenblicklichen Krieges und fuhr fort : ,,Ein solcher Krieg ist in der Geschichte unerhört. Er stellt die schwerste Prüfung für die Arbeiter- Internationale dar, und es wäre nutzlos , uns verhehlen zu wollen, daß sie schwer gelitten hat. Aber sicher nicht in so hohem Maße, wie es auf den ersten Blick erscheint. Das internationale Handeln ist durch die Macht der Umstände sehr schwer geworden, aber das internationale Denken und Fühlen hat bei den Sozialisten deshalb doch nicht aufgehört, nicht einmal bei den Sozialisten der kriegführenden Nationen . In keinem dieser Länder hat ein irgendwie ernst zu nehmender Sozialist sich so weit vergessen, die Unterdrückung und Beraubung irgendeines andern Volkes durch sein eigenes zu wünschen . Wenn die Sozialisten der verschiedenen Nationen gegeneinander stehen, so kommt das nur daher, daß jeder seine eigene Nation durch die andere bedroht glaubt. Jeder will nur für die Unabhängigkeit und Integrität seines eigenen Volkes kämpfen, und in der Tat, wie man auch über die Ursachen und die Ausgangspunkte des Krieges denken mag, hat er einen solchen Lauf genommen, daß jede Nation, die in ihm unterliegt, mit den größten Übeln bedroht wird. Kein Sozialist kämpft zu dem Zweck, andern ein Unrecht zuzufügen. Jeder Sozialist kämpft nur darum, damit seine Nation nicht unter dem drohenden Unheil leide. Wie können wir nun der jämmerlichen Situation entrinnen, in die die Macht der Umstände alle jene Mitglieder der Internationale gebracht hat, die gegen ihren Willen in den Krieg verwickelt wurden? Wenn es sich nur darum handelte , zu einer Verständigung über die in allen sozialistischen Parteiprogrammen enthaltenen Friedensgrundsätze zu gelangen, dann wäre die Sache nicht so schwierig. Wenn ein internationaler Kongreß der sozialistischen Parteien zustandegebracht werden könnte, der bloß diesen Punkt verhandeln und alle gegenseitigen Vorwürfe vermeiden würde, dann kann man überzeugt sein, daß es leicht wäre, auf Grundlage der Vorschläge, die von den Genossen der I. L. P. bereits gemacht wurden, zu einem einstimmigen Ergebnis zu gelangen. Keine Annexionen und eine weitgehende Abrüstung, das können sehr wohl die beiden Pole der gegenwärtigen Friedenspolitik der Internationale sein. Keine Annexionen - das heißt : Keine Änderung der Staatsgrenzen auf Grund des Eroberungsrechts . Aber das Recht, durch die freie Selbst-

Mein Friedensprogramm

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bestimmung der Nationen Änderungen vorzunehmen , darf nicht beeinträchtigt werden ; der Grundsatz - keine Annexionen, darf keiner unterdrückten Nation den Weg zur Befreiung versperren. Und Abrüstung, das heißt, eine gegenseitig vereinbarte allgemeine Einschränkung der Heeres- und Flottenbudgets. Eine solche Maßregel müßte den Wunsch nach neuen Kriegen erheblich einschränken und würde auch ein Mittel sein, die Nationen wenigstens einigermaßen für die ihnen durch den Krieg auferlegten enormen Opfer zu entschädigen und ihnen nach seinem Abschluß eine rasche wirtschaftliche Erholung zu ermöglichen. Weit schwerer als eine Verständigung über die Ziele, die unser Friedensprogramm enthalten soll , wird der Friedensschluß selbst sein. Wer soll zuerst die Initiative ergreifen ? Die Sozialdemokraten stehen überall auf dem Boden der Resolution des Stuttgarter Internationalen Kongresses von 1907, die die sozialistischen Parteien verpflichtet, im Falle des Ausbruchs eines Kriegs , für seine rasche Beendigung einzutreten'. Sie sind sicherlich alle von demselben starken Friedenswunsche beseelt. Nichtsdestoweniger sehen wir, daß in jedem der kriegführenden Staaten dessen sozialistische Partei Bedenken hegt, von ihrer Regierung zu fordern, sie solle mit den Friedensverhandlungen beginnen . Dieses Zögern kann sehr wohl durch die Furcht erklärt werden, daß nicht Humanität und Internationalismus , sondern ein Gefühl der Schwäche des eigenen Staates als Grund für die Friedensinitiative betrachtet werden könnte. Eine solche Friedensinitiative, so fürchtet man, könnte eher zu einer Verlängerung als zu einer Verkürzung des Krieges führen und dadurch die Lage des Volkes verschlechtern , was natürlich keiner will." Unter diesen Umständen, fuhr ich fort, drohe die Gefahr, die Menschenschlächterei werde fortgesetzt werden bis zur völligen Erschöpfung der beteiligten Nationen . Um aus dieser furchtbaren Sackgasse herauszukommen, sei die Intervention der am Krieg nicht direkt beteiligten Staaten erforderlich . Auf jeden Fall müßten wir Sozialisten ,,schon jetzt einander die Bruderhand entgegenstrecken und wenn das Morden fortgesetzt werden sollte, dann müssen wir beweisen, daß unsere Partei jetzt wie früher die Partei des Friedens , der Freiheit und der Unabhängigkeit aller Nationen ist. Der Nationalhaß, der die bürgerlichen Klassen ergriffen hat, berührt uns nicht." Ich mag noch mehr gesagt haben, das die Kriegszensur nicht passieren ließ. Wie dem sein möge, ein souveränes Mittel , den Krieg abzukürzen , wußte auch ich nicht . Ich durfte mich damit trösten, daß Engels in seiner so genialen Voraussage über den kommenden Krieg nie auch nur einen Moment daran gedacht hatte , ein solches Mittel ausfindig zu machen. Ja, er hatte damit gerechnet, daß die Proletarier in Frankreich wie in Deutschland im Kriege ohne Widerrede gegen einander losgehen würden und hatte sogar die Möglichkeit eines vorübergehenden Rückgangs der Sozialdemokratie infolge des durch den Krieg entfachten Nationalhasses in Betracht gezogen und doch den schließlichen Triumph unserer Sache als sicher erwartet. Die Hauptsache war, daß wir selbst vom Nationalhaß unberührt blieben. Dann konnte die Internationale sofort wieder zu funktionieren beginnen, sobald die Umstände es erlaubten.

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Friedensschritte des internationalen Bureaus

Sah ich aber nicht zu optimistisch, wenn ich annahm , die grundsätzliche Einheit der Internationale sei nicht durchbrochen und eine Verständigung über die Friedensgrundsätze zwischen den sozialistischen Parteien der kriegführenden Länder nicht schwierig? Es sollten glücklicherweise Tatsachen eintreten , die für mich sprachen . Camille Huysmans, der Sekretär des Bureaus der sozialistischen Internationale, äußerte sich auf dem holländischen Parteitag Januar 1916 in Arnheim über die Schwierigkeiten der Einberufung des internationalen Bureaus. Er berichtete dort, daß er nach der Besetzung Brüssels das Bureau nach dem Haag in Holland verlegt habe und von dort aus in steter Beziehung mit den sozialistischen Parteien aller Länder geblieben sei . ,,Von allen Seiten tauchten Forderungen nach einer Einberufung des Bureaus auf. Wir sind nicht darauf eingegangen ……. Wir wußten, daß manche Parteien nicht kommen würden ... Unsere Pflicht ist, eine Bureausitzung mit Zustimmung der verantwortlichen Parteien der kriegführenden Länder zu veranstalten. Ist eine Sitzung ohne Frankreich, Deutschland oder England möglich ? Unsere Antwort lautet : Nein." Doch das internationale Sekretariat wollte nicht untätig bleiben. Es faßte den Plan, die sozialdemokratischen Parteien einmal der neutralen Länder, dann die der Ententestaaten und endlich der Mittelmächte nacheinander zu gesonderten Verhandlungen über die vier Punkte zu bringen,,,die die Grundlage aller Friedensresolutionen sind".

Huysmans fuhr fort : ,, Es versammelten sich die neutralen Sozialisten zu Kopenhagen am 17. und 18. Januar 1915, die der Entente in London am 14. Februar 1915, die der Mittelmächte in Wien am 20. April 1915. Es wurden dort Resolutionen angenommen, die sicher nicht in allen Punkten übereinstimmten. Aber in Kopenhagen haben ebenso wie in London und Wien die Sozialdemokraten das Recht der Völker gefordert, über sich selbst bestimmen zu dürfen . In Kopenhagen, in London und Wien haben die Sozialdemokraten die Demokratisierung der Diplomatie und die Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle über sie verlangt. In Kopenhagen, London und Wien haben sich die Sozialdemokraten für Schiedsgerichte ausgesprochen, die in allen internationalen Konflikten obligatorisch sein sollen. Die Bekräftigung dieser vier Punkte , die die Grundlagen der Resolutionen der internationalen Kongresse von Stuttgart, Kopenhagen und Basel bilden, war sicher ein erster Schritt." Dieser Konstatierung hat kein Kritiker der Huysmansschen Rede widersprochen . Brouckère entgegnete auf die Rede in einem Brief an Renaudel, abgedruckt in der ,,Humanité" vom 6. Februar 1916. Er gab dort zu, daß die Sozialisten der kriegführenden Länder sich sehr wohl über „ abstrakte Prinzipien" einigen konnten . Aber auf deren praktische Anwendung in der Wirklichkeit komme es an. Und da seien die Gegensätze unüberwindlich. ,,Von Anfang an haben die Arbeiter der Weststaaten ihre Pflicht getan. Sie haben sich dem Eroberungs- und Unterdrückungskriege mit dem

Deutsch-französische Aussprache

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ganzen Enthusiasmus widersetzt, der ihnen durch fast 75 Jahre sozialistischen Denkens eingeflößt wurde. Haben aber die Proletarier der Mittelmächte dasselbe getan? Haben sie sich den Herrschergelüsten des Kaisers , der Junker und des Raubkapitalismus entgegengestellt ?" Der Gegensatz zwischen den Sozialisten der Mittelmächte und denen der Entente erschien in diesem Briefe als ein prinzipieller. Und doch war er nur ein taktischer. Er rührte nicht von einer Verschiedenheit der Grundsätze her, sondern von einer Verschiedenheit der Auffassungen über den besonderen Charakter des Krieges , den allerdings hüben wie drüben unsere Genossen nur als „,den" Krieg in abstracto betrachteten . Die Hauptgegnerschaft gegen den Zusammentritt der Internationale bestand bei unsern französischen Genossen sowie den belgischen (abgesehen von Huysmans) , die keinem Frieden trauten, solange der preußische Militarismus nicht völlig niedergeworfen sei , und die es ablehnten, sich mit den deutschen Sozialdemokraten (Mehrheitler) an einen Tisch zu setzen, solange diese dem Kaiser die Kriegskredite bewilligten. War es ganz unmöglich, diese Starrheit zu besiegen ? Bernstein und ich unternahmen es, gleich nachdem wir mit Haase das ,,Gebot der Stunde" veröffentlicht hatten (Juni 1915 ) , nach der Schweiz zu gehen, wo wir durch Vermittlung S. Grumbachs , der damals in Bern lebte, mit einigen französischen Genossen zusammenkommen wollten, um uns auszusprechen und zu informieren . Irgendeinen Auftrag hatten wir nicht, brauchten wir auch nicht, da wir ja nur das Terrain rekognoszieren, keinerlei Verhandlungen führen wollten. Wir zwei waren damals, ausgenommen Hugo Haase, so ziemlich die einzigen in der Internationale bekannten deutschen Sozialisten, mit denen sich französische freundschaftlich auseinandersetzen konnten . Mit den Mehrheitlern war das ausgeschlossen, die Spartakisten wieder wie Karl Liebknecht oder Rosa Luxemburg oder Klara Zetkin und die ihnen nahestehenden Genossen sahen auf die französischen Sozialisten ebenso verachtungsvoll herab, wie auf die deutschen Mehrheitler. Das traf auf Bernstein und mich nicht zu. Grumbach, ein Elsässer, damals noch Angehöriger des Deutschen Reichs, aber in seinem Herzen Franzose , Mitarbeiter der Pariser ,,Humanité", fiel es nicht schwer, einige führende Genossen der französischen Sozialdemokratie zu veranlassen, mit Bernstein und mir zusammenzukommen. Von den drei , die angesagt waren, trafen leider nur zwei ein, Renaudel und Jouhaux. Longuet sah sich im letzten Moment verhindert, die Reise zu unternehmen. Wir trafen uns im Hause des Rechtsanwalts Brüstlein , ohne Steifheit und Verlegenheit, sehr herzlich, wie alte Freunde. Aber das galt nur für das persönliche Verhältnis. In der Sache kamen. wir uns nicht näher. Das Streben nach einem baldigen Verständigungsfrieden erschien ihnen als eine Gefahr für die Demokratie.

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Axelrod regt Zimmerwald an

Ungläubig schüttelten Renaudel und Jouhaux ihre Köpfe, wenn wir darlegten, daß ein Verständigungsfrieden unter Verzicht auf jeglichen Gewinn bereits eine große moralische Niederlage für den Militarismus in den Augen des deutschen Volkes darstellen und die Machtpositionen des Kaisers und seiner Generale gar sehr erschüttern müsse. Unsere französischen Genossen schieden von uns ohne Groll, in herzlichster Weise, aber ohne jegliche Aussicht auf Annäherung unserer Standpunkte. Eine Zusammenkunft des Internationalen Bureaus, zu der die Parteiorganisationen der Franzosen und der Deutschen hätten Delegierte senden können, war bis auf weiteres ausgeschlossen. Aber sollten nicht wenigstens jene Elemente der verschiedenen sozialistischen Organisationen zusammenkommen , die durch keinerlei taktische oder, wie sie meinten , grundsätzliche Bedenken auseinandergehalten wurden ? Diese Frage warf, noch ehe Bernstein und ich nach Bern kamen , in Zürich unser Freund Paul Axelrod auf. Die Schrift , in der er davon handelte,,, die Krise und die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie" ( Zürich) , wurde wohl erst im August 1915 abgeschlossen, jedoch schon im April begonnen und früher bereits hatte Axelrod in ihrem Sinne in der Schweiz gewirkt . Er befürchtete die Spaltung aller großen sozialistischen Parteien der kriegführenden Länder, wenn die Internationale nicht bald wieder funktionsfähig werde. Dies herbeizuführen, sei die Aufgabe der Sozialisten der neutralen Länder. ,,Der erste wichtige Schritt der Parteivorstände der neutralen Länder müßte die Bildung einer internationalen Kommission sein, in der auch die oppositionellen Elemente in den kriegführenden Ländern vertreten sein sollten." ( S. 27.) Diese Kommission sollte propagandistisch und informatorisch im Sinne der Internationale wirken. Aber noch mehr : ,,Der Zentralpunkt und der unmittelbare Zweck der agitatorischen und organisatorischen Tätigkeit der Kommission wäre natürlich die Einberufung einer internationalen Konferenz oder eines Kongresses unter dem Druck der internationalen öffentlichen Meinung und eindringlicher Forderungen breiter Parteikreise verschiedener und vor allem der kriegführenden Länder. Und würde sich die Exekutive des Internationalen Sozialistischen Bureaus trotz des Drängens ansehnlicher Teile des sozialistischen Proletariats aller Länder mit einer hochentwickelten Arbeiterbewegung gegen die schleunige Einberufung der Konferenz sträuben , so müßte die Kommission von sich aus eine Art Vorkonferenz und zwar nach dem Haag, dem gegenwärtigen Sitze unserer sozialistischen Exekutive, einberufen. Selbstverständlich müßten sowohl die offiziellen Parteiorgane als die leitenden oppositionellen Kreise zur Teilnahme an dieser Konferenz eingeladen werden. Wie und was sie zu tun hätten , würde sich vor allem aus dem weiteren Verhalten der Exekutive des Internationalen Sozialistischen Bureaus und der nationalen Parteizentren ergeben. Unterstützt von der internationalen öffentlichen Meinung des sozialistischen Proletariats und von dessen international einheitlich handelnder oppositioneller Avantgarde, wäre die auf diese Weise zustande gekommene internationale Körperschaft

Die Italiener und Zimmerwald

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wohl in der Lage, die Parteiinstanzen zu veranlassen, dem allseitigen Drängen nach einer internationalen Verständigung nachzugeben oder widrigenfalls sich selbst als eine legitime provisorische zentrale Vertretung der internationalen Sozialdemokratie zu konstituieren und die offizielle Leitung einer internationalen Friedensbewegung zu übernehmen. “ ( S. 27, 28 ) So Axelrod. Ich halte es für notwendig, auf sein Schriftchen besonders aufmerksam zu machen, da es wichtig ist für die Geschichte der Zimmerwalder Bewegung, jedoch von ihren Geschichtsschreibern - wenigstens jenen , deren Veröffentlichungen in meine Hände gelangten - nicht beachtet wird , weder von R. Grimm in seiner Schrift ,, Zimmerwald und Kiental" (Bern 1917) noch von Angelika Balabanov. Sie erwähnt Axelrod nicht in ihrer Sammlung von Dokumenten über die Zimmerwalder Bewegung, die zuerst in Grünbergs ,,Archiv für Sozialismus“ ( 1926) und dann als besonderer Band unter dem Titel ,,Die Internationale und der Weltkrieg" ( Leipzig 1928) erschien und auch nicht in ihren ,,Erinnerungen und Erlebnissen" (Berlin 1927) , die sich zum größten Teil mit Zimmerwald und seinen Ausläufern beschäftigen . Allerdings war Axelrod bei den Bolschewiks und ihren Freunden nichts weniger als beliebt. Und Zimmerwald ist ja auch nicht das geworden, was er wollte. Er forderte den Versuch, alle sozialistischen Parteien, und zwar die Mehrheitler wie die Opposition einer jeden, zu einer Konferenz zusammenzubringen . Nur sollte man deren Zusammentritt nicht davon abhängig machen, ob sie auch alle kommen wollten. Auf einer andern Grundlage erhob sich die Zimmerwalder Zusammenkunft, die von der italienischen Sozialdemokratie angeregt wurde. Unmittelbar vor der italienischen Kriegserklärung, am 13. Mai 1915, beschloß der Parteivorstand der italienischen sozialistischen Partei, die Initiative zu einer internationalen Sozialistenkonferenz zu ergreifen. Daraufhin fand in Bern im Juli eine Zusammenkunft von Delegierten der italienischen Partei mit Schweizern und in der Schweiz befindlichen Vertretern anderer sozialistischen Parteien statt. Der offizielle Bericht der Zimmerwalder sagt darüber: ,,In dieser Vorbesprechung wurden die Richtlinien der geplanten Konferenz festgesetzt. Man einigte sich darauf, daß die einzuberufende Konferenz keineswegs der Bildung einer neuen Internationale zu dienen habe. Aufgabe der Konferenz sei es vielmehr, das Proletariat zu einer gemeinsamen Friedensaktion aufzurufen, ein Aktionszentrum für diesen Zweck zu schaffen." Das entsprach ganz dem, was auch Axelrod anstrebte. Aber man entfernte sich von ihm, indem man zu der Konferenz nicht alle bisherigen Mitglieder der Internationale einladen wollte , sondern eine Auswahl unter ihnen zu treffen gedachte. Nur jene sollten aufgefordert werden, zu kommen , die gewillt seien ,,, den Kampf gegen den Krieg aufzunehmen". Man begründete diese Einschränkung damit, daß die andern Sozialisten doch nicht kommen würden. An ihrer Weigerung sei

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Zimmerwald wirkt spaltend

ja bisher jeder Versuch des Internationalen Sekretariats gescheitert . Das stimmte nicht. Seine Bestrebungen waren daran gescheitert, weil es der Überzeugung war, eine internationale Zusammenkunft sei zwecklos, an der nicht alle großen sozialistischen Parteien teilnähmen. Nun wollten die Italiener und ihre Freunde , mit denen sie sich zusammentaten , das nicht gelten lassen und mit Recht. Aber wenn eine internationale Zusammenkunft eine Bedeutung gewinnen sollte, mußten zu ihr doch alle Mitglieder der Internationale eingeladen werden. Über das internationale Sekretariat konnte man insofern hinausgehen, daß man die Tagung der Konferenz nicht davon abhängig machte, ob alle Eingeladenen erschienen. Dagegen erhielt diese von vornherein einen unliebsamen Charakter dann, wenn man nicht alle einlud , sondern eine Auswahl traf, so daß nur jene eingeladen wurden, von denen man annahm, daß sie auf dem Boden der Grundsätze und Beschlüsse der Internationale verblieben seien . Also die Einladenden nahmen sich heraus, zu prüfen, welche von den Parteien der Internationale noch an den ,,alten Grundsätzen" festhielten und welche sich als charakterlose Opportunisten und Verräter enthüllten. Das hieß, man sollte die Internationale, um sie wiederzubeleben , in zwei Gruppen zerreißen , die mit einander nichts gemein hätten. Wohl lehnte man in Worten die Bildung einer neuen Internationale ab, aber in der Tat legte man den Grundstein zu einer solchen. Das war schlimm genug. Es wurde nicht besser dadurch, daß die Einberufer bei ihren Einladungen sehr willkürlich verfuhren. Das gestand der Zimmerwalder Ernst Meyer selbst in seinem Bericht an die ,,Neue Zeit" über die ,, Zimmerwalder Konferenz“ (29. Oktober 1915 , der Artikel war gezeichnet E. M. ) . Er bemerkte : ,,Ob dieser Maßstab, zumal bei der Einladung der Parteien neutraler Staaten, streng einheitlich angelegt worden ist, mag von diesem oder jenem bezweifelt werden." Grund dazu, das zu bezweifeln , hatten nicht bloß die Parteien neutraler Staaten . Die ganze Richtung der deutschen Parteiminderheit, zu der die Verfasser des ,,Gebots der Stunde“ gehörten, wurde nicht eingeladen . Bernstein und ich so viel ich mich erinnere , erfuhren von der Zimmerwalder Konferenz erst, auch Haase als sie vorüber war. Man hatte aus Deutschland bloß die Spartakisten und die ihnen nahestehenden Genossen , wie Ledebour , eingeladen. Man begreift das, denn die sogenannte ,,Zimmerwalder Linke" (hauptsächlich Bolschewiks ) wollte der geplanten Konferenz eine Resolution vorlegen, in der ein Satz lauten sollte : „Der Sozialpatriotismus, auf dessen Standpunkt in Deutschland sowohl die offen patriotische Mehrheit wie auch das oppositionell sich gebärdende Zentrum der Partei um Kautsky steht ... ist für das Proletariat ein gefährlicherer Feind, als die bürgerlichen Apostel des Imperialismus“ etc.

Zimmerwald schwach beschickt

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Das Auftreten Lenins in der geplanten Konferenz fürchtete schon Axelrod. Er wies in der bereits zitierten Broschüre daraufhin : ,,Lenin hat in seinem Referat in Zürich fast alle bekannten und bewährten Führer der internationalen Sozialdemokratie unterschiedslos zu einfachen Verrätern und Überläufern ins bürgerliche Lager gestempelt, Genossen, deren internationales Empfinden und Bewußtsein über jeglichem Zweifel erhaben ist, als nationalliberale Chauvinisten, Philister, Verräter erklärt (Kautsky z. B. ) . Für Lenin , seine Anhänger und Nachtraber ist die alte Internationale schon ein Kadaver, der schleunigst fortgeschafft und begraben werden muß und jegliche Bestrebungen entgegengesetzter Natur seien verwerflich, da sie die wahren Internationalisten auf Abwege verleiteten." (S. 21. ) Axelrod warnte vor der Gefahr, die Wiederbelebung der Internationale in die Hände dieser Nachfahren Bakunins gelangen zu lassen. In Wirklichkeit beseelte der Geist des Neu-Bakunisten Lenin diejenigen, von denen die Einladungen zu der Konferenz ausgingen, die nach Bern einberufen , von dort aber, ,,um der Beratung einen streng konspirativen Charakter zu wahren und Veröffentlichungen in der Presse zu verhindern , von Grimm nach einem ziemlich entlegenen Ort, nach Zimmer wald, dirigiert wurde." (Angelica Balabanov „ Erinnerungen" etc. S. 110. ) Die Mehrzahl der Eingeladenen dachte allerdings, zunächst wenigstens, noch anders als die Einlader.

c) Zimmerwald. Die Konferenz in Zimmerwald tagte vom 5. bis zum 8. September 1915. Sie war nicht sehr zahlreich beschickt, was der Beschränkung der Einladungen entsprach . Außer aus Italien waren nur aus gerade aus Osteuropa ganze sozialistische Parteien vertreten den Ländern ohne entwickeltes Proletariat und starke Arbeiterbewegung. Es waren vornehmlich in der Schweiz lebende Emigranten, von denen diese Parteien vertreten wurden . Aus Westeuropa kamen nur Parteiensplitter, selbst aus den neutralen Ländern fanden sich nur einzelne Persönlichkeiten ein, die mit der sozialistischen Partei ihres Landes zerfallen oder gar aus ihr ausgetreten waren. Die sozialdemokratische Partei der Schweiz nahm auch nicht geschlossen an der Zusammenkunft teil . Sie stellte es ihren Mitgliedern frei, als Privatpersonen mitzuwirken . Angelika Balabanov selbst nannte die Zimmerwalder ,, ein kleines Häuflein von Verpönten und Verleumdeten, die die Fahne der proletarischen Solidarität den Händen der ehemals so starken Internationale entrissen". (,,Erinnerungen ", S. 105. ) Sie vergaß , hinzuzufügen, daß es die Einlader selbst waren, die trachteten , daß das ,,Häuflein von Verpönten und Verleumdeten" so klein wie möglich bleibe. Wie sie es in Deutschland in dieser Beziehung hielten , haben wir bereits gesehen. Nicht besser aber stand es mit Frankreich. Dort regte sich bald eine beträchtliche Opposition gegen die Unversöhn-

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Zimmerwald keinen Anhang in Frankreich

lichkeit der sozialistischen Partei , gegen das Durchhalten bis zum Sieg. Diese Richtung propagierte einen Frieden der Verständigung. Sie wurde bei wachsender Kriegsmüdigkeit immer stärker, umfaßte schließlich ( 1918 ) die Mehrheit der Partei . Ohne die Spaltung hätte es die Opposition in der deutschen Sozialdemokratie wohl ebensoweit gebracht . Der Wortführer der Verfechter der Verständigung wurde in Frankreich Jean Longuet . Mit ihm wirkten Pressemane, Mistral , Paul Faure etc. Von den richtigen Zimmerwaldern wurde die Richtung Longuet, die ,,Minorität ", ebenso verachtet, wie wir Angehörige des ,,marxistischen Zentrums" in Deutschland. Doch waren es in Frankreich stets nur ein paar in der Partei ganz einflußlose Eingänger vorwiegend Syndikalisten die sich zu Zimmerwald bekannten, vor allem Bourderon und Merrheim. Wir haben bereits gesehen, daß auf dem Pariser Parteikongreß, Dezember 1915 , die im Sinne Zimmerwalds gehaltene Resolution, die Bourderon dort vorlegte, mit erdrückender Mehrheit abgelehnt wurde . Aber Bourderon und Merrheim erwiesen sich nicht einmal als zuverlässige Zimmerwalder. In seiner ,,historischen Skizze" über die sozialistische und gewerkschaftliche Bewegung in Frankreich während des Kriegs mit einer Vorrede von Lenin ( ,, Le mouvement socialiste et syndicaliste français pendant la guerre, préface de N. Lenine", Petrograd 1919) , schreibt Henri Guilbeaux über den französischen Parteikongreß von Weihnachten 1916 : ,,Zu vermerken ist der Abfall Bourderons, der sich seit diesem Kongreß von den Zimmerwaldern trennte und den Truppen der Minoritäre anschloß." ,,Loriot wurde nun der wirkliche Führer der Fraktion der konsequenten Zimmerwalder." ( S. 24. ) Merrheim hielt es länger bei den Zimmerwaldern aus, doch im Frühjahr 1918 vollzog auch er seinen ,,Abfall", wie Guilbeaux sich ausdrückt (S. 44) . Wie wenig Boden die Zimmerwalder in der französischen Partei gewannen , zeigte die Sitzung des Nationalrats (Conseil National ) der Partei vom Juli 1918. Die Kriegsmüdigkeit war schon ungeheuer angewachsen, doch kam sie nur der Richtung Longuet zugute , nicht den Zimmerwaldern . Drei Resolutionen wurden der Ratssitzung vorgelegt . Der Antrag Longuet erhielt 1544 Stimmen, der Renaudels 1172 , der Loriots, des Zimmerwalders, nur 152. Bald darauf tagte ein Kongreß der französischen Partei in Paris, vom 6. bis 8. Oktober 1918. Auf diesem wichen die Zimmerwalder jeder Zählung ihrer Stärke aus. Es wurden dort vier Resolutionen eingebracht, von Renaudel, von Longuet, eine vermittelnde von Blum und eine Zimmerwaldsche. Doch über diese letztere wurde nicht abgestimmt . Die Zimmerwalderin Louise Saumoneau forderte ihre anwesenden Genossen auf, für Longuet zu stimmen. Und so geschah es auch . Sein Antrag erhielt 1528 Stimmen, Renaudel 1212, Blum 181 .

Gegensätze in Zimmerwald

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Nun wurde auch der Parteivorstand neu gewählt. Er setzte sich zusammen aus 13 Angehörigen der neuen Majorität und 10 der bisherigen Mehrheit. Zwei Zimmerwalder, Louise Saumoneau und sogar Loriot ließen sich hineinwählen, setzten sich zu Guilbeauxs Schmerz an einen Tisch mit jenen ,,Verrätern “, die er selbst einmal als ,,politische Krämer" bezeichnet, als ,,Sozialpatrioten der Mehrheit und der Minderheit", als „, Sozialimperialisten , Sozialpazifisten, Sozialkonfusionäre und Sozialidioten" (S. 38) . Es ist erstaunlich, welcher Verbindungen das Wörtchen Sozial fähig ist. Dabei sprach Guilbeaux nicht etwa von Nationalsozialisten . In Frankreich hatten die Zimmerwalder kein Glück. In Deutschland bekamen sie mehr Bedeutung, aber nur dadurch, daß die Partei sich zu ihrem Unheil spaltete und die Minderheit sich geschlossen zu Zimmerwald bekannte. Der Aufstieg der Zimmerwalder wurde dadurch gehemmt, daß die ganze Veranstaltung durch die Art der Einladungen einen sektenartigen Charakter erhielt . Doch lag dies keineswegs im Sinne aller Teilnehmenden . Von den beiden großen Parteien, die in Zimmerwald erschienen, der Italiens und der Rußlands , war ihre Rechte ebensogut vertreten , wie ihre Linke, Modigliani wie Lazzari , Axelrod wie Lenin. Die Angehörigen des rechten Flügels widerstrebten jeder Parteispaltung. Aber auch mancher andere schreckte vor solchem Unheil noch zurück. Ein offizieller Bericht über die Verhandlungen von Zimmerwald wurde nicht veröffentlicht . Mancher der Teilnehmer hatte ja schwere Strafe zu gewärtigen, wenn er heimkam und die Äußerungen, die er in der Schweiz getan , in der Heimat wiedergegeben wurden . Grimm, der den Verhandlungen beiwohnte, schreibt über sie in seinem Schriftchen über Zimmerwald : ,,Im Verlauf der Verhandlungen gaben sich zwei Hauptgruppen von Auffassungen kund ... Ein Teil der Delegierten vertrat die Ansicht, daß ein Friedensaufruf an das internationale Proletariat kaum Erfolg haben werde, wenn nicht eine grundsätzliche Stellungnahme zum Weltkrieg und zum Zusammenbruch der Internationale erfolge. Klarheit über die Voraussetzungen des Friedenskampfes sei die erste Bedingung, das Gebot der Stunde. Dieser Kampf müsse seinem Inhalt nach wie in seinen Mitteln ein revolutionärer sein und dürfe sich nicht bloß auf das Friedensziel beschränken. Die sozialistische Friedensaktion müsse zu einem Kampf um den Sozialismus werden, zu einem revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus. Dieser Auffassung wurde entgegengehalten, daß eine prinzipielle Erörterung, wie sie gewünscht wurde, über das Ziel der Konferenz hinausgehen und bei den vorhandenen Gegensätzen die Arbeit der Konferenz in Frage stellen würde. Man dürfe sich nicht den Anschein geben, als wolle man eine Spaltung der Parteien der Internationale herbeiführen . Die Konferenz solle auch nicht das Werkzeug einer bestimmten Richtung werden, sondern alle Kräfte zusammenfassen , die gewillt seien, auf dem Boden der sozialistischen Weltanschauung gegen den Burgfrieden, gegen die Durchhaltepolitik, gegen den Krieg zu kämpfen, unbekümmert um die ge35 35

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Zimmerwalder Beschlüsse

gebene militärische Lage. Notwendig sei fürs erste ein allgemeiner Aufruf, der ausspricht, was ist und die Arbeiterklasse zum entschlossenen Handeln aufruft." ( S. 18.) Schon diese Darstellung zeigt, daß unter den Zimmerwaldern große Gegensätze bestanden. Und doch läßt sie diese nicht klar genug erkennen. Sie traten zutage in der Diskussion über einen Antrag Lenins. Er formulierte eine Anklage gegen „,die Mehrheit der Arbeiterführer“ , die „ von Nationalismus befangen , vom Opportunismus angefressen , im Moment des Weltkrieges das Proletariat dem Imperialismus ausgeliefert, die Grundsätze des Sozialismus und damit den wirklichen Kampf um die täglichen Interessen des Proletariats preisgegeben haben". Diese ,,Sozialpatrioten" seien ,,für das Proletariat ein gefährlicherer Feind als die bürgerlichen Apostel des Imperialismus“. ,,Der rückichtslose Kampf gegen den Sozialimperialismus bildet die erste Vorbedingung zur revolutionären Mobilisierung des Proletariats und der Wiederaufrichtung der Internationale." Das heißt, die Wiederaufrichtung der Internationale sollte mit der Spaltung der sozialistischen Parteien beginnen. Dazu konnte sich die Mehrheit der Zimmerwalder nicht verstehen. Lenins Antrag wurde abgelehnt. Die Mehrheit betonte , daß sie nicht eine neue Internationale bilden wollte . Wohl wurde die Errichtung einer ,,Internationalen Sozialistischen Kommission" beschlossen, in die Morgari, Naine, Grimm und Angelica Balabanov gewählt wurden . Aber diese Körperschaft sollte nur provisorischen Charakter haben. Es wurde ausdrücklich festgestellt : ,,Dieses Sekretariat soll in keiner Weise das bisherige , Internationale Bureau' ersetzen , sondern aufgelöst werden , sobald dieses seiner Bestimmung gerecht zu werden vermag. “ ( Vgl. darüber Ernst Meyer über „ Zimmerwald“, „ Neue Zeit “, XXXIV, 1. S. 130. ) Außer durch die Einsetzung dieses Sekretariats wurde die Konferenz noch gekennzeichnet durch ein allgemeines Manifest und eine Erklärung, die zwischen der französischen und deutschen Delegation vereinbart worden war . Sie trug die Unterschriften Merrheims und Bourderons, Ledebours und Adolf Hoffmanns. Das Manifest war das Werk der Konferenz selbst und wurde einstimmig angenommen . Weder die Erklärung noch das Manifest kamen über allgemeine Ausführungen hinaus . Die Erklärung der Franzosen und Deutschen sprach sich gegen den Burgfrieden aus, gegen Annexionen, für den Klassenkampf, aber die einzige konkrete Forderung, die sie aufstellte, betraf weder Deutsche noch Franzosen , sondern Belgier : die Herstellung der Unabhängigkeit Belgiens. Vom Elsaß kein Wort. Das Manifest gipfelte in dem Aufruf, den Kampf um den Frieden aufzunehmen : ,,für einen Frieden ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen…… . keine Annexion , weder eine offene noch eine maskierte, auch keine zwangs-

Lenin für Weltrevolution

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weise wirtschaftliche Angliederung, die durch politische Entrechtung nur noch unerträglicher gemacht wird." Das war sehr richtig und notwendig. Aber diese allgemeinen Grundsätze waren es nicht, an denen das erneute Zusammentreten der bisherigen Internationale scheiterte . Wir haben gesehen, daß die Konferenzen von London , von Wien, von Kopenhagen diese Grundsätze bereits akzeptiert hatten. Was die verschiedenen Parteien der Internationale trennte, waren nicht die Grundsätze, sondern ihre Auslegung und Anwendung, war nicht das Ziel, sondern der Weg.

der

Die Mehrheiten der großen Parteien der kriegführenden Länaußer Italienern und Russen - konnten sich mit ihren

Minderheiten nicht verständigen, weil den ersteren allen, hüben und drüben, zur Herbeiführung eines dauernden, gesicherten Friedens das Durchhalten zum Siege unerläßlich schien . Dieses Durchhalten lehnten die Minderheiten ab, sie betrachteten es als Verzicht auf den Klassenkampf und als Aufgeben des Kampfes gegen den Krieg. Darin stimmten die Minderheiten überein . Aber als sie sich zusammentaten, mußten sie die Bemerkung machen , daß in ihren Reihen ebenfalls große Gegensätze bestanden . Nicht nur der eine, bereits erwähnte, ob die Minderheiten im Rahmen der alten Parteien fortwirken oder ob sie diese spalten sollten . Noch wichtiger wurde ein anderer Gegensatz . Die meisten Angehörigen der Minderheiten wollten den Krieg beenden durch einen Frieden der Verständigung, einen Frieden , bei dem es weder Sieger noch Besiegte gab , keine Vergewaltigung irgendeines Volkes . Für diese Idee wollten sie zunächst ihre Parteigenossen gewinnen , dann die Volksmassen außer der Partei und dadurch die Regierungen zwingen , in dieser Weise dem Schlachten ein Ende zu bereiten. Das war aber eine Idee, die Lenin mit Verachtung abtat . Ein solcher Friede sei ein Ideal für alte Weiber und salbungsvolle Pfaffen , ein „ Popenfriede “, wie er ihn nannte . Nicht den Frieden der Verständigung hätten wir anzustreben , sondern die Überführung des Kriegs in den Bürgerkrieg. Dieser gehe am ersten aus einer Niederlage hervor. Also hätten die Sozialisten überall die Niederlage des eigenen Staats anzustreben, die Kampfkraft der eigenen Armee zu schwächen. Der Weltkrieg sollte beendet werden. durch die Weltrevolution.

Die Idee der Weltrevolution ging von der eigenartigen Internationalität aus, die die Bolschewiks pflegten . Sie wird beleuchtet durch eine Äußerung, die Friedrich Engels schon vor mehr als einem halben Jahrhundert machte. Am 7. Februar 1882 wies er in einem Brief an mich daraufhin , daß die internationale Arbeit sehr gestört werde durch die Haltung so mancher französischer Sozialisten, die den weltbefreienden Beruf Frankreichs und seinen Anspruch betonten , an der Spitze des Befreiungskampfes des Pro35*

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Menschewiks und Bolschewiks

letariats der Welt zu stehen. Er fand dies ,,als Karikatur bei den Blanquisten". Natürlich hätte er den Anspruch , an der Spitze des europäischen Proletariats zu stehen, nicht besser begründet und nicht weniger schädlich gefunden, wenn er statt von französischen von russischen Sozialisten ausging. Schon am 29. April 1870 schrieb er an Marx über Bakunin : „ Eine kostbare Zumutung, daß, um Einheit ins europäische Proletariat zu bringen, es russisch kommandiert werden muß." In seinem Brief vom 7. Februar 1882 an mich fuhr Engels fort : ,,Auch in der Internationale war das (ihr weltbefreiender Beruf und ihr Anspruch, an der Spitze zu stehen , K. ) so ziemlich selbstverständliche Ansicht der Franzosen. Erst die Ereignisse mußten ihnen ― und auch manchen anderen — beibringen und müssen es noch täglich, daß internationales Zusammenwirken nur unter Gleichen möglich ist und selbst ein primus inter pares (ein Erster unter Gleichen, K. ) nur für die unmittelbare Aktion." Bei den Franzosen machte sich in der zweiten Internationale ihr Anspruch ,,,an der Spitze zu stehen", nicht mehr geltend. Aber seit der ersten russischen Revolution von 1905 erstand in der Internationale ein neuer Anspruch dieser Art bei manchen russischen Sozialisten. Die marxistische Sozialdemokratie Rußlands spaltete sich damals , oder genauer gesagt, eine Spaltung, die schon vor der Revolution eingetreten, wurde nun zu einer dauernden . Die einen unter den russischen Sozialdemokraten fuhren fort , wie sie es bei Marx gelernt , in den höher entwickelten Ländern das Bild des sozialen Zustands zu sehen, dem Rußland entgegengehe und daher vom Westen zu lernen. Das waren die Menschewiki . Aber gegen sie erhoben sich die Bolschewiki. Sie machten sich eine eigene revolutionäre Taktik zurecht, die den Verhältnissen Rußlands angepaßt war. Sie lehnten es aber nicht nur ab, vom Westen zu lernen , sondern erneuerten den alten Anspruch russischer Patrioten , daß das russische Volk dem „,verfaulten" Westen weit überlegen sei, daß der Westen von den Russen zu lernen habe. Sie waren blind dafür, daß die soziale Revolution , der der Westen entgegengeht, ganz andere Formen annehmen mußte , ganz anderer Vorbedingungen bedarf, als in Rußland der Umsturz des Zarismus . Nach ihrem schablonenhaften, primitiven Denken war Revolution stets Revolution, Staat stets Staat , Krieg stets Krieg, ohne Unterschied. Daher wähnten die Bolschewiki , jene Revolution, die sie, mit Recht, in Rußland erwarteten , werde von dort aus die ganze Welt erfassen, und sie werde von Rußland nicht nur ausgehen, sondern auch geleitet und kommandiert werden . So wurde die Internationale , die die Bolschewiks anstrebten , ganz verschieden von der zweiten Internationale, die ebenso wie die erste auf der Selbständigkeit und Gleichheit der sozialistischen Parteien aller Länder aufgebaut war und das Verständnis der so-

Zimmerwalder Gegensätze

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zialen Bedingungen und der Eigenart der verschiedenen Länder erheischte. Die neue Internationale , welche die Bolschewiks forderten, entsprang der russisch-nationalen Borniertheit der Bolschewiks, die vermeinten, ihre Taktik, die ihnen unter Russen manchen Vorteil brachte , sei die ersprießlichste , ja die einzig für Sozialisten gestattete in jedem Lande. Diese Auffassung sollte schließlich zum Aufbau der dritten Internationale führen, die tatsächlich bis heute russisch kommandiert wird. Doch zur Zeit Zimmerwalds besaßen die Bolschewiks noch nicht genügend starken Anhang, um ihren Anspruch durchzusetzen. Immerhin machte er sich bereits bemerkbar und er war es in erster Linie, der bewirkte, daß die Reihen der Zimmerwalder von allem Anfang an durch einen tiefen Zwiespalt zerrissen wurden, den Zwiespalt, der innerhalb der Sozialdemokratie Rußlands. als Gegensatz von Menschewiks und Bolschewiks auftrat. Er äußerte sich auch in der Frage, die hauptsächlich die Zimmerwalder beschäftigte, in der Kriegsfrage. Die einen wollten eine rasche Beendigung des Krieges durch einen Verständigungsfrieden, der dem Morden ein Ziel setzte . Die andern verwarfen verächtlich diesen „,Popenfrieden“ und wollten nur eine Veränderung, nicht aber eine Beendigung des Mordens, indem sie den auswärtigen Krieg in einen Bürgerkrieg umwandelten, der noch grausameres Wüten in Aussicht stellte . Wäre der Gegensatz offen zutage getreten , er hätte die Zimmerwalder vom ersten Tage an sprengen müssen. Das wollte jedoch niemand unter den Teilnehmern , man hielt sich zurück, war aber gerade dadurch gezwungen , sich auf abstrakte Sätze zu beschränken, die von allen Sozialisten bereits als Gemeinplätze betrachtet wurden, und auf die allein eine besonders wirksame Propaganda nicht zu begründen war. Viele von den in Zimmerwald Anwesenden brauchten sich aber nicht einmal eine besondere Zurückhaltung aufzuerlegen, um den Gegensatz nicht merken zu lassen, der in ihren Reihen bestand. Das waren jene Konfusionäre, die den Gegensatz selbst nicht merkten . Sie meinten : der sofortige Friede ist gut, die sofortige Revolution ist gut. Wie gut muß erst ein sofortiger Verständigungsfriede mit sofortigem Bürgerkrieg sein ! Alle diese Gegensätze und Unvollkommenheiten haben bewirkt, daß die Zimmerwalder Zusammenkunft ebenso, wenn auch aus anderen Gründen wie die zweite Internationale, an deren Stelle sie im Kriege treten wollte, an fruchtbringender Tätigkeit verhindert wurde. Und dennoch blieb Zimmerwald nicht ohne Wirkung. Diese ging nicht aus ihren Beschlüssen hervor, sondern aus der Tatsache der Zusammenkunft selbst . Zum erstenmal im Kriege trafen Sozialisten aus den gegeneinander Krieg führenden Ländern zusammen, in Frieden und Freundschaft, und vermochten nicht bloß ohne nationale Gehässig-

Zimmerwalds Bedeutung

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keit zu diskutieren , sondern sogar einstimmige Beschlüsse zu fassen. Besonderen Eindruck machte die von den deutschen und den französischen Delegierten verfaßte Erklärung. Auch diese wirkte nicht durch ihren Gedankengang, der über Allgemeinheiten nicht hinausging, wohl aber durch die Tatsache, daß es Franzosen und Deutsche waren, die da in gemeinsamem Verhandeln zu einem gemeinsamen Beschluß gekommen waren. Wohl war die Zimmerwalder Konferenz nicht die erste internationale Kundgebung im Krieg. Bereits im März 1915 war eine internationale Konferenz sozialistischer Frauen in Bern zusammengetreten, einen Monat später eine Konferenz von Jugendlichen . Aber sie riefen nicht einen so tiefen Eindruck hervor, wie Zimmerwald, weil erwachsene Männer an ihnen nicht teilnahmen , gerade jene, die den Krieg führten und die damals fast in allen Ländern noch allein die Politik der Staaten bestimmten. Daß reife Männer aus den kriegführenden Staaten sich zusammenfanden , um sich die Hand zu reichen und zu trachten , gemeinsam den Weg zum Frieden zu finden , das war eine Tatsache, die inmitten der Gräßlichkeiten, die über uns hereinbrachen und für die kein Ende abzusehen war, geistig erhebend und befreiend wirkte, wenn sie auch praktisch wirkungslos blieb.

d) Kienta 1. Das Große an Zimmerwald war also , daß dort zum erstenmal seit dem Ausbruch des Weltkriegs reife Männer neben Frauen aus fast allen sozialistischen Parteien sich zusammenfanden, um gemeinsam zu tagen und gemeinsame Beschlüsse über den Krieg zu fassen. Aber so bemerkenswert und erhebend das war, auf die Dauer genügte das nicht. Von der nächsten Zusammenkunft der Zimmerwalder erwartete man mehr. Sie sollte hinausgehen über die Allgemeinheiten der Zimmerwalder Beschlüsse , konkrete Methoden und Ziele der Friedensbewegung darlegen . Dazu kam auch die Zusammenkunft nicht, die vom 24. bis 30. April 1916 in Kiental stattfand, einem Dörfchen, das ebenso wie Zimmerwald im Kanton Bern liegt. Es waren in Kiental ungefähr dieselben Gruppen und Parteien vertreten, wie in Zimmerwald . Nur in der Schweiz hatte sich seitdem die Parteimehrheit für die Zimmerwalder ausgesprochen . Es nahmen an den Kientaler Verhandlungen nicht bloß einzelne Schweizer Genossen als Privatpersonen teil, sondern die Gesamtpartei als solche war dort vertreten . Von Frankreich kamen diesmal drei Abgeordnete . Doch brauchten die Zimmerwalder auf diesen Zuzug nicht sehr stolz zu sein. H. Guilbeaux sagt von ihnen : Man muß konstatieren, daß ihr Gesichtspunkt höchst konfus war und ihre Erklärungen und Artikel stellten eine sonderbare Mischung von Zimmerwaldismus und Patriotismus dar." (Le mouvement etc. S. 18.)

Franzosen in Kiental

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Der Herr Guilbeaux zeichnete sich durch ein ungewaschenes Maul und Gleichgültigkeit für die Wahrheit aus. Aber doch muß man zugeben , daß die Zimmerwalder mit den Franzosen nun einmal Pech hatten . Angelica Balabanov erzählt von den französischen Delegierten in Kiental : ,,Zwei von ihnen , Blanc und Ruffin Dugens, verließen den Konferenzort, noch bevor man in die wichtigen Debatten eintrat. Der dritte, Brizon , sollte die Erklärung abgeben, auf die alle mit Spannung warteten. Aber auch er zögerte immer wieder." ( Erinnerungen, S. 128. ) Endlich sprach er doch. In Angelicas Bericht heißt es darüber : „ Es fällt mir äußerst schwer, das Wort zu ergreifen , weil ich mich als Sozialist und als Franzose fühle, ' begann Brizon, indem er sofort, da er wußte, daß diese Einleitung Unzufriedenheit hervorrufen würde, hinzufügte : Ich bin Sohn des Landes der Revolution und würde auf nichts eingehen, was dieses Land der Revolution beeinträchtigen könnte . Er kam auf die Kredite zu sprechen und erklärte : , Gewiß werden wir gegen die Kredite stimmen ... Als man seine Erklärung mit Händeklatschen aufnahm, fügte er hinzu : ,Ja , aber es kommt auf die strategischen Verhältnisse an. Wenn sie sich verschlimmern, werden wir für die Kredite stimmen müssen, wenn sie sich bessern, werden wir gegen sie stimmen . Diese Erklärung rief lauten Protest hervor." ( S. 129.) Es ist bezeichnend für viele der Zimmerwalder, daß sie sich entrüsteten, weil sich Brizon nicht nur als Sozialist , sondern auch als Franzose fühlte . Sie gehörten zu jenen Sonderlingen , die Internationalität mit Nationallosigkeit verwechselten , nicht ein Zusammenwirken der Nationen für gemeinsame Zwecke, sondern eine Auslöschung der Nationen in der Internationale forderten. Es war sicher naiv , das Stimmen für oder gegen die Kriegskredite von der jeweiligen strategischen Lage abhängig zu machen, aber nicht minder naiv die Auffassung, als müsse ein internationaler Sozialist unter allen Umständen gegen Kriegskredite stimmen , ohne Unterschied der Kriegsziele seines Landes, seiner Regierung, ohne Beachtung der Kriegsfolgen für sein Land und für die arbeitende Menschheit. Aus Deutschland waren sieben Delegierte gekommen. Abermals hatte man nur die Linke der Parteiminderheit zugezogen. Es waren im Grunde dieselben Elemente, die in Kiental wie in Zimmerwald zusammenkamen . Trotzdem stand Kiental mehr links, als Zimmerwald . Das ist kein Wunder. Wohl erklärten die Zimmerwalder, sie wollten die zweite Internationale nicht beseitigen, sondern nur provisorisch ersetzen. Aber dieser ,, Ersatz“ geriet doch in Gegensatz zu den Organisationen , an deren Stelle er wirken sollte. Die Mehrheiten der alten sozialistischen Parteien Westeuropas, abgesehen von der Schweiz und Italien, blieben den . Zimmerwaldern fern, auch die in den neutralen Ländern . Allerdings , bolschewistisch wurden die Zimmerwalder auch in Kiental noch nicht. Es ist bemerkenswert, daß sich, wie A. Balabanov berichtet , innerhalb der Zimmerwalder ,, die bolschewistische Fraktion immer gesondert und von den andern Mitgliedern und der Inter-

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Gegensätze in Kiental

nationalen Sozialistischen Kommission (der Zimmerwalder, K. ) abgeschlossen hielt ". ( Erinnerungen , S. 137. ) . Nie verband sie ein Kameradschaftsgefühl mit den andern Sozialisten , stets standen sie diesen mißtrauisch, ja feindselig, als unbequemen oder gefährlichen Konkurrenten gegenüber. Wie nach Zimmerwald kamen auch nach Kiental die Bolschewiks mit einem eigenen Manifest . Es wurde ganz ausgefüllt von der schärfsten Polemik gegen die Friedenspolitik der andern Sozialisten, wobei auch die Zimmerwalder nicht geschont wurden . So hieß es dort unter anderem : ,,Als Betrug und Heuchelei erscheint das Programm des demokratischen Friedens ', das von den bekanntesten Führern der zweiten Internationale heute verfochten wird. Dieser ,demokratische Friede', das sind nur Phrasen über Ablehnung von Annexionen und Kontributionen, auf dem Papier, Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen, der Demokratisierung der äußeren Politik; Schiedsgerichte zur Erledigung politischer Streitfragen, Vereinigte Staaten von Europa usw." Dieses Friedensprogramm wurde also als „, Betrug und Heuchelei " gebrandmarkt . Denn ein wahrhaft demokratischer Friede setze die Revolution voraus. Das habe selbst das Zimmerwalder Manifest zu wenig betont. Und die Zimmerwalder Mehrheit habe auch dadurch gesündigt , daß sie vor der Spaltung der Internationale zurückschreckte . ,,In der ganzen Welt ist die Spaltung tatsächlich schon da , es bestehen zwei unversöhnliche Stellungnahmen der Arbeiterklasse zum Krieg.“

Diese Polemik gegen alle andern Sozialisten, sogar gegen die Mehrheit der Zimmerwalder, fand nicht den Beifall der Kientaler Mehrheit. Dabei aber war auch in deren Reihen die Einigkeit nicht gröBer geworden. Angelica Balabanov beschreibt sehr anschaulich , wie sich die Diskussion und Abstimmung über das Friedensmanifest gestaltete , das von der Konferenz erlassen wurde : ,,Nicht alle Delegierten waren darüber einig, wo bei der Anwendung konkreter Mittel gegen die Fortdauer der Völkermetzelei die Demarkationslinie gezogen werden sollte, ob z. B. das obligatorische Schiedsgericht oder die Abrüstung zum proletarischen Klassenkampf gehöre oder nicht. Gerade bei der Behandlung dieser Frage kamen verschiedene Strömungen zum Vorschein . Die Konferenz wurde unterbrochen, um den einzelnen Delegationen Gelegenheit zu geben , Stellung zu nehmen vor der definitiven Abstimmung im Plenum. Die Sitzungen der Delegationen dauerten bis in den frühen Morgen hinein . Auch in der italienischen Delegation gab es Meinungsverschiedenheiten, trotz des einstimmigen Vorgehens in allen wichtigen Fragen. Die fünf Abgeordneten ( Dugoni, Modigliani, Morgari, Musati, Prampolini, K. ) waren für die Zulässigkeit der obenerwähnten Mittel, ihnen gegenüber vertraten die drei Nichtparlamentarier der Delegation, Lazzari , Serrati und Balabanov einen ablehnenden Standpunkt . In den andern Delegationen ging es stürmisch und unversöhnlich zu. Grimm, dem es gelungen war, einen Entwurf zu machen, der das war seine Spezialität - allen Strömungen Rechnung trug, ging von einer Delegation zur andern, um die Genossen aufzufordern , die Debatten abzukürzen und die Plenarsitzung zu ermöglichen . Vergebens. Als man sich gegen drei Uhr früh end-

Kientaler Friedensresolution

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lich im Sitzungssaal einfand und zur Abstimmung über das Friedensproblem schritt, ereignete sich etwas, das vielleicht noch nirgends bei den Zusammenkünften sozialistischer Parteien , ja bei Kongressen überhaupt vorgekommen ist. Während der Abstimmung verlangten die meisten Delegierten das Wort , um zu erklären, daß sie nur unter einer gewissen Reserve die Resolution annehmen. Diese Erklärung wurde von Delegierten, die entgegengesetzte Strömungen und verschiedene Länder vertraten, abgegeben, ohne daß sie sich darüber verständigt hatten. Den einen war die Resolution zu weitgehend, den andern zu elastisch. Sabotage oder Obstruktion war das nicht, aber es sah danach aus . Je mehr Delegierte die eintönige Erklärung abgaben, um so nervöser wurde das Milieu. Serrati hielt es nicht aus. Nachdem er seinen Protest heftig ausgedrückt hatte, verließ er den Saal. Als man sich nach einiger Zeit auf sein Zimmer begab, um ihn zur Rückkehr in die Sitzungen zu überreden, stellte es sich heraus, daß er überhaupt den Ort verlassen hatte." ( S. 130, 131. ) So Angelica Balabanov in ihren „ Erinnerungen". In ihrer Darstellung der Zimmerwalder Bewegung, die sie in Grünbergs ,,Archiv für die Geschichte des Sozialismus" herausgab, registriert sie viel lakonischer, aber wohl mit gebührendem Stolz , daß das ,,Ergebnis der Verhandlungen die einstimmige Annahme der Resolution zur Friedensfrage war". In Wirklichkeit war es nur der geheime Charakter der Verhandlungen und der Abstimmung, der es verhinderte, daß die Konferenz durch die Gegensätze in ihren Reihen nicht völlig gesprengt wurde. Diese Gegensätze wurden bei den Zimmerwaldern besser verhehlt, als in der alten Internationale, aber aktionsfähiger wurde die Vereinigung der Zimmerwalder dadurch nicht. Sie durfte nicht wagen, über Allgemeinheiten hinauszugehen . Dabei aber erwies sich der Einfluß bolschewistischen Denkens doch bereits stärker, als in Zimmerwald . Das zeigte sich namentlich in dem ganz unnötigen Angriff auf die Pazifisten , der in die Friedensresolution Eingang fand . Diese sagte : ,,Die Pläne, durch eine allgemeine Einschränkung der Rüstungen, durch obligatorische Schiedsgerichte die Kriegsgefahr aufzuheben, sind eine Utopie ... Aus diesen Erwägungen muß die Arbeiterklasse die utopischen Forderungen des bürgerlichen und sozialistischen Pazifismus ablehnen. Die Pazifisten wecken an Stelle alter Illusionen neue, und versuchen, das Proletariat in den Dienst dieser Illusionen zu stellen, die letzten Endes nur der Irreführung der Massen , der Ablenkung vom revolutionären Klassenkampf dienen und das Spiel der Durchhaltepolitik im Kriege begünstigen. " Was sich die Verfasser der Schlußsätze dachten , ist nicht klar geworden. Sie machten keinen Versuch , zu zeigen , wieso das Eintreten für Abrüstung oder für obligatorische Schiedsgerichte vom ,,revolutionären Klassenkampf" ablenkt und das „,Spiel der Durchhaltepolitik im Kriege begünstigt". Heute denken die Bolschewiks selbst über den ,,utopischen Charakter" dieser Einrichtungen sowie des Völkerbunds viel vernünftiger. Doch schon 1916 hätten die Kientaler so vernünftig sein können . Die fünf italienischen Abgeordneten in Kiental dachten auch bereits so, wie Angelica Balabanov selbst berichtet, mit stolzem Hinweis darauf, daß sie nicht zu diesen Schwachköpfen zählte.

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Kiental gegen alte Internationale

Als im April 1917 die Opposition in der deutschen Sozialdemokratie zu ihrer Tagung in Gotha zusammentrat, hatte ich für sie ein Manifest zu entwerfen, das gegen eine Stimme angenommen wurde, also auch von den Spartakisten . Es hieß dort : „ Wir verlangen einen Frieden durch Verständigung der Völker, ohne direkte oder versteckte Annexionen, auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Nationen, mit internationaler Beschränkung der Rüstungen und obligatorischen Schiedsgerichten. Wir sehen in diesen Einrichtungen nicht Zaubermittel, den ewigen Frieden zu sichern, wohl aber die kräftigsten Stützpunkte für den proletarischen Kampf um Erhaltung des Friedens, unsere wichtigste Aufgabe nach dem Kriege." Das klang ganz anders, als die Kientaler Friedensresolution . Es war eine Begründung jenes ,,sozialistischen Pazifismus“, der in Kiental als schädliche Illusion abgetan wurde. Daß die Bolschewiks Abrüstung, Schiedsgerichte sowie den Völkerbund ablehnten, war selbstverständlich. Sie wollten ja keinen „ Popenfrieden“, sondern den Bürgerkrieg. Sie bekehrten sich zum Völkerbund erst, als sie der Idee der Weltrevolution den Abschied gegeben hatten . Aber diejenigen , die die baldige Beendigung des Mordens durch einen Verständigungsfrieden anstrebten, wie konnten sie sich gegen die Ziele der Pazifisten wenden, nicht nur der bürgerlichen , sondern auch der sozialistischen ? Welche anderen Friedensziele hatten sie den pazifistischen entgegenzusetzen ? Gehörte nicht jeder Sozialist, der einen Verständigungsfrieden forderte, selbst zu den Pazifisten ? Zu der Herabsetzung der Pazifisten gesellte man in Kiental die Beschimpfung der zweiten Internationale, zu deren Wiederbelebung sich doch die Zimmerwalder zusammengetan hatten . In einer ,,einhellig" angenommenen Resolution über das Internationale Sozialistische Bureau wurde diesem vorgeworfen, es habe die ihm ,,klar und deutlich vorgeschriebenen Pflichten" gröblich verletzt und sich zum „ Mitschuldigen gemacht an der Politik der Prinzipienverleugnung, der sogenannten Vaterlandsverteidigung und des Burgfriedens , dieser Politik, welche die Arbeiterklasse in den Zustand schmählicher Ohnmacht versetzt". In Kiental wurde das Exekutivkomitee der Internationale nicht mehr aufgefordert, das Internationale Sozialistische Bureau zusammenzuberufen . Jeden Versuch in dieser Richtung verdächtigte man vielmehr als ,, einen Sonderfrieden zwischen den Sozialpatrioten". Sollte es zu einer derartigen Einberufung kommen , so sollten die Zimmerwalder es sich erst überlegen, in welcher Weise sie darauf reagieren wollten . Merkwürdigerweise wurde trotzdem jeder einzelnen nationalen Sektion der Zimmerwalder das Recht zuerkannt, die Einberufung des Sozialistischen Internationalen Bureaus zu verlangen . Man beschimpfte die alte Internationale, konnte

Versagen der Internationale

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sich aber doch nicht entschließen, den Trennungsschnitt zwischen ihr und den Zimmerwaldern zu vollziehen . Dabei hatten sich jene Gegensätze innerhalb der Zimmerwalder nicht gemildert , sie waren eher noch schroffer geworden , die schon ihre erste Konferenz zu sprengen gedroht hatten . Ernst Meyer, der in der ,,Neuen Zeit" über Kiental ebenso berichtete (XXXIV , 2. S. 198 ff. ) , wie vorher über Zimmerwald , suchte zwar , in der zweiten Konferenz einen Fortschritt über die erste hinaus zu entdecken, jedoch mußte auch er gestehen : ,,Die Vertreter der Minderheit aus Deutschland erschienen infolge der Vorgänge in Deutschland in zwei verschiedene Gruppen getrennt. Schon auf der ersten Zimmerwalder Konferenz war die Meinungsverschiedenheit innerhalb der deutschen Opposition zutage getreten. Jetzt zeigte sie sich deutlich bei der Behandlung fast aller berührten Fragen, so bei der Frage der Beziehungen zum Haager Bureau ( dem Internationalen Sozialistischen Bureau, K. ) , der strikten Forderung der Ablehnung von Kriegskrediten und ob die Bewilligung von Kriegssteuern für eine sozialistische Partei zulässig ist." Meyer muß weiter zugeben , daß sich ähnliche große Differenzen auch bei den sozialistischen Parteien anderer Länder geltend machten, die in Kiental vertreten waren , — wie sehr das bei den Italienern der Fall war, und wie grotesk schließlich die Abstimmung, haben wir schon gesehen. Meyer kam zu dem Ergebnis : ,,Kurz, in allen Ländern ist nicht nur die Stellung der Sozialisten zum Krieg überhaupt eine verschiedene, auch in den , Oppositions ' - Gruppen oder -Parteien werden die im Kriege zu lösenden Fragen nicht überall einheitlich beantwortet. Über diese Tatsache hilft kein Klagen und keine noch so ehrlich gemeinte Ermahnung zur Einigkeit hinweg. Sie ist vielmehr aus der tiefen Krise heraus zu erklären, in die der Weltkrieg den Sozialismus gestürzt hat." Sie ist aus der Eigenart des Weltkriegs selbst zu erklären , aus der Kompliziertheit und Mannigfaltigkeit der Probleme, die er für jeden Sozialisten aufwarf, der nicht von vornherein der Meinung war, im Kriege gebe es nur eines : blind der jeweiligen Regierung zu folgen oder blind auf sie loszuschlagen . Und selbst für Politiker dieser Art ergab die Notwendigkeit, konkrete Kriegsziele festzusetzen, sehr große Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten wurden vermehrt durch den Charakter des Kriegs als Koalitionskrieg, in dem jede Seite nicht bloß die Bedürfnisse und Kräfte des eigenen Landes, sondern auch die der Bundesgenossen zu beachten. hatte. Die Schwierigkeiten erreichten ihr Maximum für die internationale Sozialdemokratie , die nicht bloß die Bedürfnisse und Kräfte einer Gruppe von Mächten, sondern die Bedürfnisse und Kräfte aller Völker der Proletarier aller Nationen zu beachten hatte. Die Internationale versagte im Weltkrieg, nicht weil sie ihrem Programm untreu wurde, sondern weil dieser Krieg für sie unerhörte Schwierigkeiten mit sich brachte , die zu überwinden den

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Russische Revolution

proletarischen Parteien die Kraft fehlt auf der Stufe von Macht und Einsicht , auf der der Weltkrieg sie fand . Das galt für die Zimmerwalder ebenso wie für die alte Internationale. Jene wurden durch den Zwiespalt in ihrem Innern ebenso verhindert, eine einheitliche, fruchtbringende Aktion im Kriege zu entfalten, wie diese . Die Zimmerwalder hatten keinen Grund, auf die Parteien der zweiten Internationale von oben herabzusehen. Die Schuld des Versagens lag hier wie dort in der Unmöglichkeit, die Aufgaben, die der Krieg dem internationalen Proletariat stellte, mit den Mitteln und Fähigkeiten zu lösen , über die es verfügte .

e) Stockholm. Die Internationale war zu schwach und gespalten , um einen raschen Frieden herbeiführen zu können . So mußte die Welt den Krieg bis zum Zusammenbruch des einen Teils ertragen. Doch schuf der Krieg selbst Bedingungen für eine Wiederbelebung der Internationale. Er bewirkte dies vor allem durch die Kriegsmüdigkeit, die er in allen Ländern , allen Klassen, namentlich aber bei den Arbeitern in Stadt und Land hervorrief. Die Friedenssehnsucht wurde allgemein, die Sehnsucht nicht mehr nach einem Siegfrieden, der immer länger auf sich warten ließ und immer problematischer wurde, sondern nach einem Frieden der Verständigung, der herbeigeführt werden sollte auf einem Friedenskongreß, auf dem alle beteiligten Länder mit einander zu verhandeln hätten . Man durfte erwarten, daß dieser Kongreß nicht solange zu arbeiten haben werde , wie derjenige, der in Münster und Ösnabrück 1644 zusammentrat , um dem endlosen Krieg ein Ende zu machen, der 1618 ausgebrochen war, später der Dreißigjährige genannt. So groß war damals die Hartnäckigkeit und das Mißtrauen auf allen Seiten gewesen, so groß die Kompliziertheit der Aufgabe, daß es Jahre gewährt hatte, bis der Kongreß zusammentrat , und dann noch vier Jahre , bis er zu einem Friedensschluß kam , 1648. Bis dahin war das Morden trotz der Verhandlungen weitergegangen. Sollten auch diesmal Kompliziertheit der Aufgabe sowie Hartnäckigkeit und Mißtrauen der Regierungen und herrschenden Kreise den Friedensschluß bis zu dem Zeitpunkt hinauszögern, in dem alle beteiligten Völker halbtot zu Boden lagen, unfähig, weiter zu kämpfen ? Da schien sich ein Ausweg aus der Sackgasse zu eröffnen durch einen Umstand , den die Herren der regulären Armeen nicht in Betracht gezogen hatten : die russische Revolution . Wie der Krieg mit Japan 1905 , so brachte auch der Weltkrieg infolge der immer wieder erneuten Niederlagen der Armeen des Zarenreichs diesem den Zusammenbruch der Staatsgewalt. Die Revolution kam im Osten, nicht im Westen, keineswegs deshalb, weil die Sozia-

Rußlands Rückständigkeit

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listen in Rußland stärker oder kühner waren als in Westeuropa, sondern deshalb, weil der Staatsapparat des Absolutismus unvergleichlich geringere Widerstandskraft einem starken Gegner gegenüber aufwies als der der demokratischen Staaten. In einem Staatswesen, in dem die ganze Bevölkerung an der Verwaltung und Gesetzgebung teilnimmt, ist die Masse an allem staatlichen Tun ganz anders interessiert, wie dort, wo sie in die Tätigkeit des Gemeinwesens nicht das mindeste dreinzureden hat. Keinerlei Idee, kein Verlangen, die Interessen des eigenen Volks, der eigenen Nation vor Vergewaltigung zu schützen , beseelte die Massen der Soldaten des Zaren im Kriege . Sie wurden nur getrieben durch die Furcht vor der feindlichen Invasion und durch den Kadavergehorsam, der gerade bei den Bauern, deren Vorfahren noch 1861 leibeigen gewesen waren, besonders stark wirkte. Nach zahlreichen Niederlagen erkannten die Soldaten , daß die Kommandogewalt des Zaren das Land nicht schütze , der Respekt vor den Offizieren hörte auf, der Kadavergehorsam lockerte sich, damit zerfielen die Armee und das Reich, dessen einziges Bindeglied sie gebildet hatte, im Verein mit Bureaukratie und Polizei , die aber ohne die Stütze der Armee jede Kraft verloren. Der Weltkrieg stellte besonders hohe Anforderungen an den Todesmut des russischen Soldaten, viel größere, als an die Krieger der entwickelten Industriestaaten . Rußlands Industrie und Verkehrswesen waren ganz ungenügend, dabei wurde dieses Reich durch den Krieg mit Deutschland , Österreich, der Türkei in hohem Maße von seinen westlichen, industriellen Verbündeten abgeschnitten. Viel mehr als jeder der andern Großstaaten im Kriege hatte daher Rußland unter ungenügender Ausrüstung seiner Armeen zu leiden , es mangelte ihnen bald sehr an Waffen und Munition. Um diesen Mangel wettzumachen, wußten die russischen Generäle kein besseres Mittel, als die rücksichtslose Opferung ihrer Truppen. Die Vernichtungsmittel der modernen Kriegstechnik wirken furchtbarer als je , und die modernen Verkehrsmittel sind so hoch entwickelt, daß sie es erlauben, weit größere Armeen auf die Schlachtfelder zu bringen, als es bisher in irgendeinem Kriege der Fall war. Keiner hat daher auch so entsetzlich viele Schlachtopfer gekostet, wie der Weltkrieg. Das galt für die Armeen jedes der beteiligten Staaten, jedoch für keine so sehr wie für die Rußlands . Kein anderes Land verfügte über so ungeheure Menschenmassen und in keinem war das Volk so rechtlos, daß seine Herren seine Kritik nicht scheuten. Keine andre Armeeleitung ging mit dem Blut ihrer Truppen so verschwenderisch um, wie die russische , obwohl auch die andern auf diesem Gebiete alles bisher Erlebte weit in den Schatten stellten. Und diese wahnsinnige Verschwendung von Menschenleben erzielte nicht einmal militärische Erfolge . Wohl gelang es den russischen Truppen zeitweise in Galizien

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Sturz des Zarismus

weit vorzudringen, aber im allgemeinen rückten die Verbündeten , namentlich die deutschen, immer weiter in das russische Reich ein . Das ergab schließlich im Winter 1916 eine rasch anwachsende Kriegsmüdigkeit der Truppen des Zaren , und eine Zermürbung ihrer Disziplin. Das machte sich zuerst merkbar geltend im Hinterland, bei den Truppen in Petrograd (bis 1914 Petersburg) , dem Sitz der Regierung des russischen Reichs . Der Krieg hatte die Arbeiterbevölkerung dort sehr vergrößert, wegen der Kriegsindustrien der Stadt. ,,September 1914 gab es in Petersburg 197.300 Arbeiter, September 1915 248.000 , September 1916 297.000, Oktober 1916 305.000 und Anfang 1917 etwa 400.000. Also die Zahl der Arbeiter hatte sich seit September 1914 mehr als verdoppelt. Zu welchen Schichten gehörten diese Arbeiter? Das waren vorwiegend , etwa zu 70 Prozent, Metallarbeiter, da Petersburg das Zentrum der Metallindustrie ist. “ ( M. Pokrowski, Geschichte Rußlands , S. 548. ) Die Metallarbeiter aber gehören überall zu dem intelligentesten und energischsten Teil der Arbeiterschaft. Die sozialistische Friedenspropaganda fiel bei ihnen auf fruchtbaren Boden. Um die Arbeiter niederzuhalten , wurde in Petrograd und Umgebung eine Armee von fast 200.000 Mann konzentriert, in der Mehrzahl junge Rekruten und ältere Männer. Weder die einen noch die andern unterlagen stark dem Einfluß der militärischen Disziplin. Wie überall, verschärfte sich auch in Petrograd gegen Ende des Winters 1917 der Mangel an Nahrungsmitteln . Das führte im März zu Unruhen der Zivilbevölkerung, zu allgemeinen Streiks . Um das Volk zur Raison zu bringen, wird das Militär aufgeboten und da welche Überraschung - geht dieses zu den Rebellen über. Die alte Regierung wird gestürzt ( 11. bis 16. März ) . Und bei der allgemeinen Stimmung im Volk springt der Geist der Auflehnung rasch auf die ganze Armee über. Der Zarismus ist erledigt - für immer. Es waren die Niederlagen und das Versagen seiner Armee, was ihn stürzte . Jedoch bildeten die Umstürzler keine einheitliche Masse . Auf der einen Seite gab es unter ihnen viele Patrioten , Menschen von Besitz oder Bildung, die sich dagegen empörten, daß die Führung des Zarismus Rußland trotz seiner ungeheuren Volkszahl unfähig machte, den deutschen Militarismus abzuwehren, so daß zu befürchten war , dieser werde Europa beherrschen. Zu diesen gesellten sich viele Militaristen und ihnen nahe stehende Kreise, denen einfach der Gedanke der Niederlage unerträglich war. Sie erhofften von der Revolution eine Wendung zum Bessern : sie sollte den kriegerischen Enthusiasmus der Massen neu beleben, so daß sie siegreich vorwärts stürmen würden, wie ehedem die Heere der französischen Revolution. Daher wurde der Umsturz der Zarenherrschaft von vielen der oberen Kreise gewünscht und gefördert. Schon im Herbst 1916 verdächtigten sie den Zaren, er suche einen Separatfrieden mit Deutschland .

Kriegsmüdigkeit in Rußland

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Indes diejenigen irrten, die meinten , die Revolution werde den Kriegsenthusiasmus neu entfachen . Die Situation in Rußland 1917 war eine ganz andere als in Frankreich 1792 und 1793. In Frankreich war die Revolution dem Krieg vorhergegangen. Der Umsturz hatte sich mitten im Frieden vollzogen, und die Massen begeisterten sich 1792 für den Krieg, weil sie in ihm das einzige Mittel sahen , die von den Monarchen Europas bedrohten Errungenschaften der Revolution zu retten. Diese Massen waren durch die Revolution seit drei Jahren zu intensivstem politischen Interesse und vielfach auch zu politischem Verständnis erzogen worden. Außerdem gelangte die Revolution bald zu einer militärischen Neuerung, die ihr große Überlegenheit brachte : den kleinen Berufsheeren der Monarchen setzte sie die allgemeine Wehrpflicht entgegen . In Rußland dagegen kam es zum Umsturz erst, nachdem ein unglückseliger, verheerender Krieg die Bevölkerung aufs schwerste entkräftet und militärisch demoralisiert hatte, eine Bevölkerung, die in ihrem weitaus überwiegenden Teil politisch ebenso unwissend wie uninteressiert war, dem Ziel des Krieges , worin es immer bestehen mochte, völlig gleichgültig gegenüberstand . Und irgend eine militärische Neuerung hatten die Revolutionäre Rußlands den deutschen Heeren nicht entgegenzusetzen. Im Gegenteil, die russische Armee blieb auch nach der Revolution der deutschen gegenüber ebenso rückständig, wie sie es vorher gewesen war. Die höheren Offiziere, Beamten, Adeligen, die gehofft hatten , nach der Revolution würden die russischen Armeen mit neuem Elan vorwärts stürmen, mußten mit Verdruß konstatieren , daß für die Massen der russischen Soldaten die Idee der Revolution gleichbedeutend war mit der Idee raschester Heimkehr ins väterliche Dorf. Die Friedensstimmung wurde unwiderstehlich unter den russischen Soldaten, wie unter den Bauern , den Proletariern und auch den Intellektuellen, soweit sie sozialistisch und demokratisch dachten. Indes gab es auch unter den Friedensfreunden verschiedene Richtungen. Jeder, der politisch denken konnte, lehnte die Idee eines Friedens um jeden Preis , ja auch eines Separatfriedens , ab. Den deutschen Militarismus zum Herrn Europas zu machen, gegen diese Idee bäumten sich nicht bloß die russischen Nationalisten auf, sondern auch international gesinnte Demokraten und Sozialisten. Sie wollten den Frieden, sofortigen Frieden, aber einen allgemeinen Frieden der Verständigung, einen „, demokratischen Frieden". Selbst die Bolschewiks dachten zunächst nicht anders . ,,Dieses Programm wurde auch von den Bolschewisten akzeptiert. Keiner von ihnen erklärte im Arbeiter- und Soldatenrat - wie das später geschah daß der Kampf um den Frieden eine „ Popen- Parole“ sei . Kei-

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Sowjets

ner von ihnen sprach sich für den Abschluß eines Sonderfriedens mit Deutschland aus, um sofort aus dem Krieg hinauszugehen ... Der Abschluß eines Sonderfriedens wurde von allen sozialistischen Parteien und Fraktionen in gleicher Weise als eine katastrophale Gefahr für die Revolution betrachtet. Alle gingen in gleichem Maße von der Vorstellung aus, daß die militärischen Hilfsmittel Deutschlands unerschöpflich seien ; alle waren von der Überzeugung durchdrungen, daß ein Sonderfriede mit Deutschland den Hohenzollern die Möglichkeit geben würde, die Gegner im Westen schnell zu schlagen und dann alle Kräfte gegen die russische Revolution zu richten. Deshalb war die Forderung des allgemeinen demokratischen Friedens die Parole aller sozialdemokratischen Gruppen , die Bolschewisten inbegriffen . " (Dan in seiner Fortsetzung von Martovs ,,Geschichte der russischen Sozialdemokratie“, S. 295. ) Wer aber sollte diesen demokratischen Frieden herbeiführen ? Wer war am ehesten dazu berufen ? Offenbar die Sozialisten aller kriegführenden Länder. Die Sozialisten zum gemeinsamen Kampf für den demokratischen Frieden aufzurufen, damit sie ihren Regierungen die Bereitwilligkeit zu solchem Frieden aufzwängen , das wurde die Pflicht der Internationale. Diese wiederzuerwecken, erschien jetzt als eine dringende Aufgabe. Und die allgemeine Stimmung für diese Wiedererweckung zeigte sich jetzt äußerst günstig. Nicht nur in Rußland , sondern bei allen kriegführenden Ländern hatte die Kriegsmüdigkeit einen ungeheuer großen Grad erreicht, wenn auch nicht überall so sehr, wie in Österreich , das damals schon nahe dem Zusammenbruch stand. Aber auch in Italien , England, Frankreich nahm die Kriegsmüdigkeit rapid zu . In Frankreich wuchs die Oppositionsstimmung so sehr, daß Sembat und Jules Guesde anfangs 1917 aus der Regierung austraten. Die Richtung Longuet war bereits sehr erstarkt. Die russische Revolution gab der Friedensstimmung erhöhte Kraft. Die Vertretung des russischen Proletariats bildeten damals. die Arbeiterräte, zu denen sich auch Soldatenräte gesellten. Da schon die erste russische Revolution von 1905 die Form der Arbeiterräte produziert hatte und die zweite Revolution sie wieder aufnahm , galt sie bei vielen Sozialisten als die höchste und vollkommenste Form einer Arbeitervertretung und der Herrschaft des Proletariats . Es gibt stets Leute, die jede Mode mitmachen müssen und in der jeweilig letzten Mode die Verwirklichung des Ideals erblicken . In Wirklichkeit waren die Arbeiterräte ( Sowjets) nur ein Notbehelf. In Ländern mit Bewegungsfreiheit für die Arbeiter finden . diese ihre beste Vertretung in sozialistischen Arbeiter-Parteien und freien Gewerkschaften, in denen sich die intelligentesten und energischsten Angehörigen des Proletariats zusammenfinden . Diese Massenorganisationen einer Elite sind der wahrhafteste und vollkommenste Ausdruck des proletarischen Empfindens und Denkens , die besten Führer des proletarischen Klassenkampfes. Im absolutistischen Rußland fehlten die Vorbedingungen für die Bildung legaler Organisierung großer Massen zum Klassenkampf, daher

Sowjets

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bedienten sich die Arbeiter in den Umsturzbewegungen von 1905 und 1917 jener Arbeiterorganisation, die das Kapital selbst geschaffen hatte, hatte schaffen müssen, als Vorbedingung der Produktion großer Profite : der Betriebsorganisation . Diese umfaßte nicht bloß eine Elite, sondern alle Arbeiter, auch ungeschulte , unintelligente , stupide . Deren Beschlüsse wurden weniger von wohlerwogenen Gründen bestimmt, als von Augenblicksstimmungen , die rasch wechselten . Die Sowjets waren indes unentbehrlich dort, wo es Parteien und Gewerkschaften als Massenorganisationen noch nicht gab. Die Betriebsversammlungen können auch neben diesen wichtige Aufgaben erfüllen, aber sie werden nie imstande sein, freie sozialistische Massenparteien und starke Gewerkschaften überflüssig zu machen oder auch nur wesentliche ihrer Funktionen erfolgreich zu übernehmen. In den Arbeiterräten ist die eine Wurzel des ständischen Gedankens zu finden, der heute von mancher Seite so sehr gepriesen wird als Mittel, Sozialismus und Klassenkampf zu überwinden. Seine andere Wurzel bilden die Traditionen der guten alten Zunftzeit . Noch weiter zurück hinter sozialistischer Partei und freier Gewerkschaft, als die Arbeiterräte standen die Soldatenräte. Wurden die Delegierten zu den Arbeiterräten von allen Arbeitern der Betriebe gewählt , so die zu den Soldatenräten von allen Soldaten nach Regimentern auch eine Organisationsform, die von oben . verfügt, nicht von den Angehörigen der arbeitenden Klassen selbst eingerichtet worden war. Fanden sich aber in den Arbeiterräten doch Angehörige der industriellen Lohnarbeiter zusammen , so war in den Soldatenräten dagegen hauptsächlich die Bauernschaft vertreten , eine intellektuell und politisch in Rußland besonders rückständige Schicht . Die Soldatenräte haben auch bald aufgehört. Die Arbeiterräte , die Sowjets, bestehen fort , jedoch nur dank dem Umstand, daß sie zur Grundlage eines neuen Despotismus geworden sind. Indes gab es 1917 unter den Bedingungen des Umsturzes in Rußland keine andere Organisationsform für die revolutionären Massen, die hätte sofort in Funktion treten können . Die Arbeiterräte haben dort eine wichtige Rolle gespielt . Nicht zum wenigsten als Mittel , die Sozialisten zu einigen. Es gab damals in Rußland keine die Massen umfassende Arbeiterpartei. Die Sozialisten zerfielen in verschiedene Sekten . Die Arbeiterräte zwangen sie, sich zu gemeinsamen Tun zu vereinigen . Ersprießlich wirkten in ihnen zusammen Sozialrevolutionäre, Menschewiks und Bolschewiks . Das dauerte allerdings nur solange, als Lenin im Ausland weilte . Eine der wichtigsten Aufgaben, die sich die Arbeiterräte stellten, war der Kampf um den Frieden. Noch im März erließ der Petersburger ,,Arbeiter- und Soldatenrat" einen ,,Aufruf an die Völker der ganzen Welt", der alle Völker Europas aufforderte , in 36

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Kongreß nach Stockholm berufen

gemeinsamen und geschlossenen Aktionen zugunsten des Friedens einzutreten. Doch man sah, daß „ die Völker der ganzen Welt“ und auch „ alle Völker Europas“ eine etwas zu unbestimmte Adresse waren. Man erinnerte sich, daß es eine sehr bestimmte Adresse gab, die der sozialistischen Internationale . Und diese war inzwischen auch schon in Bewegung geraten . Der Sekretär des Internationalen Sozialistischen Bureaus sah jetzt die Möglichkeit , einen internationalen Kongreß zustande zu bringen, auf dem die Vertreter der ,,Proletarier aller Länder" über sofortigen Friedensschluß miteinander verhandeln und zu gemeinsamen Beschlüssen nicht bloß über Allgemeinheiten, sondern über konkrete Fragen kommen sollten. Huysmans hatte im Haag, wohin das internationale Sekretariat verlegt worden war, dieses durch eine Delegation der holländischen Partei verstärkt. Zu dieser Delegation gesellte sich nun noch eine Delegation der sozialistischen Parteien der drei nordischen neutralen Staaten , Dänemark, Schweden, Norwegen . Von Holland wurden entsendet Troelstra, van Kol, Albarda, Vliegen und Wibaut. Von den Schweden Branting, Söderberg, Möller. Für die Dänen erschienen Borgbjerg und Nina Bang. Für die Norweger Vidnes. Sie bildeten vereint ein Komitee, das seinen Sitz in Stockholm nahm, um dort einen internationalen Kongreß zu organisieren . Am 15. April 1917 erließ das holländisch-skandinavische Komitee eine Einladung an alle Parteien , die der zweiten Internationale angehörten, an ihre Mehrheiten und Minderheiten , sowie an alle sozialistischen Parteien , die sich in der Zeit des Kriegs neu gebildet hatten . Die Einladung erging also an die Zimmerwalder ebenso wie an die Mehrheiten der alten Parteien. Die Zimmerwalder hatten erreicht, was sie gewollt oder was sie doch als ihren Zweck angegeben hatten : eine Wiederbelebung der alten Internationale . Aber siehe da , die Internationale Sozialistische Kommission der Zimmerwalder in Bern wurde jetzt plötzlich von Bedenken befallen, ob sie zu der Wiederbelebung der Internationale beitragen dürfe. Bald nach dem holländisch-skandinavischen Komitee (am 9. Mai) hatte sich der Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat entschlossen, einen internationalen Sozialistenkongreß zur Herbeiführung des Friedens einzuberufen. Der Kongreß der Arbeiterund Soldatenräte Rußlands, der am 16. Juni in Petrograd zusammentrat, übernahm diesen Antrag auf Einberufung eines internationalen Sozialistenkongresses zur Herbeiführung des Friedens und entsandte eine Delegation von fünf Mann nach Stockholm, die sich zu diesem Zweck mit dem holländisch-skandinavischen Komitee in Verbindung setzen sollte. Es waren Ehrlich, Goldenberg, Rosanov, Russanov und Smirnov . Rosanov wurde später ersetzt

Zimmerwald sabotiert Stockholm

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durch Paul Axelrod . Diese Russen bildeten mit den Holländern und Skandinaviern ein Organisationsbureau , das am 11. Juli eine Einladung an alle Parteien erließ, die dem Internationalen Sozialistischen Bureau im Haag angeschlossen waren oder sich nach der Zimmerwalder Konferenz der Internationalen Sozialistischen Kommission in Bern angeschlossen hatten , sie möchten Delegierte nach Stockholm zu einer internationalen Konferenz senden , die am 15. August zusammentreten sollte. In einer Nachschrift zur Einladung konstatierte die russische Delegation mit Bedauern die ablehnende Haltung, auf die sie bei der internationalen sozialistischen Kommission in Bern , der Vertretung der Zimmerwalder, gestoßen sei. Sie hätten diese Kommission ersucht, bei der Organisierung des Kongresses mitzuwirken , schon deshalb, weil sie den Auftrag der Arbeiterräte hatten, alle sozialistischen Parteien einzuladen ; außerdem aber auch deshalb, weil alle sozialistischen Parteien, die in Rußland tätig seien , zur Zimmerwalder Richtung gehörten . Überdies hätte bereits eine große Zahl von Organisationen , die sich zu den Zimmerwaldern zählten, ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen, an dem geplanten internationalen Kongreß teilzunehmen. Die Internationale Sozialistische Kommission habe jedoch erklärt, ob der Kongreß von den Zimmerwaldern beschickt und anerkannt werden sollte , stehe noch nicht fest. Diese würden darüber vorher auf einer eigenen Zusammenkunft beraten , die fünf Tage vor dem allgemeinen Kongreß stattfinden sollte. In der Einladung zu der Zimmerwalder Konferenz 1915 hatte es noch geheißen, diese Konferenz solle keineswegs der Bildung einer neuen Internationale dienen , ihre Aufgabe sei es vielmehr, das Proletariat zu einer gemeinsamen Friedensaktion aufzurufen . Jetzt, wo es galt, diese ,,gemeinsame Friedensaktion" herbeizuführen, waren es die Zimmerwalder, die sie sabotierten . Oder vielmehr, genau gesagt, nicht die Gesamtheit der Zimmerwalder, sondern deren Führung, ihre Berner Kommission , der Angelica Balabanov und R. Grimm angehörten . Für die Vertretung der Zimmerwalder war die wichtigste Frage jetzt nicht mehr die Aktion für den Frieden, sondern die lächerliche Eitelkeitsfrage, wer die Führung dieser Aktion erlangen sollte. Die Zimmerwalder Organisation wollte nicht mehr als vorübergehender Ersatz der alten Internationale tätig sein, sondern als ihr Konkurrent, und zwar einer, der glaubte , ein ausschließliches Patent auf Friedensaktionen zu besitzen , und der jedes Auftreten eines andern Faktors in gleichem Sinne als unbefugten Eingriff in seine Befugnisse entrüstet zurückwies . Die Wiederbelebung der alten Internationale wäre 1917 schon möglich gewesen, soweit es auf die großen Arbeiterp a rteien der kriegführenden Länder ankam , die bis dahin ihr Funk36

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Zentralmächte für Stockholm

tionieren gehemmt hatten . Wer es auch weiterhin verhinderte , das waren die alliierten Regierungen. Die der Zentralmächte allerdings betrachteten die Stockholmer Veranstaltung mit Wohlwollen . Die russische Revolution war ihnen hochwillkommen, am willkommensten aber die Auflösung der russischen Armee, die von den Bolschewiks nach dem März 1917 intensiv betrieben wurde . Man war geneigt, alle russischen Sozialisten in gleichem Lichte zu sehen . Ludendorff schrieb in seinen „ Kriegserinnerungen “ : „Wie oft hatte ich auf die russische Revolution zur Entlastung unserer militärischen Lage gehofft , immer war es nur ein Luftschloß gewesen. Nun war sie da und kam doch überraschend. Mir fiel eine Zentnerlast vom Herzen. Daß sie später auch unsere Kraft untergraben würde, konnte ich damals noch nicht ahnen. “ ( „ Meine Kriegserinnerungen “, Berlin 1919, S. 327. ) Wie M. Beer in seinen Erinnerungen berichtet, war es ParvusHelphand , der die deutsche Regierung auf die wichtigen Dienste hinwies , die ihr die Schützenhilfe der Bolschewiks gewähren könne (,,Fifty years of international Socialism", London 1935 , p. 195) . Nach dem Petrograder Umsturz vom März galt es für Ludendorff und Hindenburg, den Einfluß jener Sozialisten in Rußland zu vermehren, die auf die Auflösung der Armee hinwirkten . Die oberste Heeresleitung gestattete Lenin und seinen Freunden , aus der Schweiz durch das mit Rußland im Kriege befindliche Deutschland nach Schweden zu reisen , von wo Lenin am 16. April in Petrograd eintraf. Ludendorff sagt über dessen Reise : Durch die Entsendung Lenins nach Rußland hatte unsere Regierung eine besondere Verantwortung auf sich genommen. Militärisch war die Reise gerechtfertigt. Rußland mußte fallen . Unsere Regierung aber hatte darauf zu achten, daß nicht auch wir fielen.“ ( „,Kriegserinnerungen “, S. 407. ) Die Befürchtung, daß die russische Propagierung der Weltrevolution und der Auflösung der Armeen einmal auch in Deutschland Boden fassen könne, beunruhigte 1917 noch nicht die Regierung und die oberste Heeresleitung des Reichs . Es erschien ihnen. daher auch nützlich, daß sozialistische Delegierte aus allen Ländern nach Stockholm gingen. Ludendorff sagt direkt : ,,Graf Czernin ( der Außenminister Österreichs, K. ) entsandte die Sozialistenführer Österreich -Ungarns nach Stockholm. " (S. 357.) So verhielt es sich allerdings nicht . Victor Adler und seine Genossen kamen nicht als Agenten Czernins nach Stockholm. Aber sie erschienen in diesem Licht den leitenden Köpfen der Mittelmächte . Ebenso malten sie sich aber auch in denen der Alliierten. Die Zusammenkunft in Stockholm erschien als eine Veranstaltung der Sowjets der meuternden russischen Soldaten. Aus denselben Gründen, aus denen Ludendorff und Czernin dem geplanten Stockholmer Kongreß als einem sie begünstigenden Faktor wohlwollten , erregte er das Mißtrauen der gegnerischen Staatsmänner und Heerführer. Namentlich die Regierung Italiens fürchtete die Fühlung-

Sozialisten der Westmächte für Stockholm

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nahme ihrer Sozialisten mit den revolutionären und friedenshungrigen Russen. Die französische Regierung folgte der italienischen , die der Vereinigten Staaten schloß sich ihnen an. Da blieb der englischen Regierung nichts übrig, als mitzutun . Sie alle verweigerten den nach Stockholm entsandten Delegierten ihrer Länder die Pässe zur Ausreise (Vgl . über dies und das Folgende die Darstellung in dem Berichtsband, den das Stockholmer Organisationskomitee über seine Tätigkeit unter dem Namen ,, Stockholm", Stockholm 1918, herausgegeben hat. Einleitung XXIII ff .) Das geschah anfangs August und war wohl die Antwort auf die Reise, die von den Delegierten der russischen Arbeiter- und Soldatenräte in der zweiten Hälfte des Juli durch die Länder der Alliierten unternommen wurde, um deren Sozialisten für die Beschickung der internationalen Konferenz zu gewinnen . Sie fanden freudige Zustimmung in Arbeiter- und Sozialistenkreisen, die kurz vorher noch erbittert jede Zusammenkunft mit den Mehrheiten der Sozialdemokraten der Mittelmächte von sich gewiesen hatten . Arthur Henderson , der 1915 in seinem Eifer, den preußischen Militarismus zu Fall zu bringen, in die Regierung eingetreten war, zeigte sich jetzt ebenso eifrig beflissen , für eine internationale Verständigung der Sozialisten zugunsten des Friedens zu wirken. Er bewirkte Ende Juli eine Verschiebung der für Mitte August geplanten Stockholmer Konferenz , da das Exekutivkomitee der britischen Arbeiterpartei für Mitte August eine Konferenz aller Arbeiterparteien der alliierten Staaten nach London einberufen hatte . Wegen der Amerikaner war ein früheres Datum des Zusammentritts der Londoner Konferenz nicht möglich. Von dieser erhoffte Henderson ein günstiges Ergebnis für die Sache der Stockholmer Zusammenkunft. In London begegnete sich Henderson mit der russischen Delegation. Das Exekutivkomitee der Arbeiterpartei gab ihm den Auftrag, im Verein mit Wardle und MacDonald die Russen nach Paris zu begleiten (Anfang August ) , um auch dort für die Stockholmer Konferenz zu wirken. Sie fanden bei den französischen Parteigenossen freundlichste Aufnahme, der Parteivorstand (Commission Administrative) der französischen sozialistischen Partei beschloß einstimmig die Teilnahme an der Stockholmer Konferenz , die vom russisch-holländisch-skandinavischen Komitee einberufen war, nicht etwa an der besonderen Zimmerwalder Konferenz . Das Komitee wurde nur gebeten, wegen äußerlicher Schwierigkeiten die Stockholmer Zusammenkunft bis zum 9. September zu verschieben. Auch gegen dieses Datum wurden Einwendungen erhoben . Die Konferenz der Sozialisten der alliierten Länder war für den 28. August festgesetzt worden, ihr sollte der Kongreß der britischen Arbeiterpartei folgen. In die Verhandlungen darüber platzte am 4. August die im

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Sozialisten der Westmächte für Stockholm

englischen Parlament abgegebene Erklärung hinein , die Regierungen der alliierten Länder würden den Delegierten nach Stockholm keine Pässe ausfolgen . So entrüstet war Henderson über diesen Streich, daß er seinen Austritt aus der Regierung erklärte ( 13. August) . Die russische Regierung trennte sich damals schon von den ,,alliierten Mächten", der ,, Entente", denn sie bestätigte die Pässe der Delegierten der Arbeiterräte für Stockholm. Die Arbeiter und Sozialisten der Alliierten wurden durch die Paßverweigerung nicht abgeschreckt, sondern vielmehr angefeuert, sich für die Wiederbelebung der Internationale einzusetzen . Die Konferenz der Sozialisten der Alliierten vom 28. und 29. August sprach sich mit großer Mehrheit für Stockholm aus und verurteilte nahezu einstimmig die Verweigerung der Pässe . Vorher schon hatte eine Konferenz der britischen Arbeiterpartei für Henderson 1,876.000 Stimmen ergeben, gegen ihn bloß 555.000. Der Kongreß der Arbeiterpartei fand am 3. und 4. September statt. Er erklärte sich dann ebenfalls energisch für die Konferenz von Stockholm , an der die Arbeiter teilnehmen müßten, um einen dauernden Frieden herbeizuführen. Gegen die Paßverweigerung wurde natürlich auch dort aufs schärfste protestiert. Den Engländern schloß sich der Kongreß der französischen Sozialisten an, der in Bordeaux vom 6. bis 10. Oktober tagte. Das Stockholmer Komitee hatte inzwischen seine Bemühungen nicht aufgegeben. Noch am 15. September erließ es ein Manifest , in dem es erklärte, die Konferenz habe bisher wegen der Paßschwierigkeiten für einzelne Länder nicht stattfinden können . Sobald diese Schwierigkeiten behoben seien, werde die Konferenz zusammentreten. Ihre Idee sei nicht aufgegeben. Wie ganz anders zeigte sich die Stimmung in der internationalen Arbeiterschaft jetzt als vor einem Jahr ! Es waren nur noch äußerliche Hindernisse , aufgerichtet von einzelnen Regierungen , die einem erneuten Funktionieren der Internationale im Wege standen, nicht mehr innere nationale Gegensätze, die die Proletarier der verschiedenen Länder voneinander fernhielten. In den Gemütern der Arbeiter fing die Internationale wieder an zu leben . Nicht nur bei kleinen Minoritäten , sondern in den Massen selbst . Aber noch gelang es einzelnen Regierungen, die öffentliche Bekundung dieser Annäherung der Arbeiter der einander bekämpfenden Staaten aneinander zu verhindern . Und bald sollte die wiedererstehende Internationale durch ein neues spaltendes Moment von neuem zerrissen werden . Das Manifest des Stockholmer Organisationskomitees vom 15 . September war seine letzte Äußerung. Wenige Wochen später war dieses Komitee gesprengt durch ein Ereignis, durch das die Internationale weit mehr bedroht wurde, als durch die Paßverweigerung der bürgerlichen Regierungen : durch den bolschewistischen Staatsstreich in Rußland vom 7. November 1917.

Lenin gegen Mehrheit der Sozialisten

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f) Zimmerwalds Ende. Die russischen Arbeiter- und Soldatenräte hatten, wie wir gesehen, im Verein mit dem holländisch-skandinavischen Komitee sämtliche Organisationen und Richtungen des internationalen Sozialismus aufgerufen , sich zu einem gemeinsamen internationalen Kongreß zum Kampf für den Frieden zusammenzufinden. Dieser Aufruf wurde von den Arbeitern , und weit über ihre Kreise hinaus von allen nach Frieden verlangenden Bevölkerungsschichten Rußlands mit Begeisterung aufgenommen, sogar von vielen Bolschewiks. Doch deren Führer, die schon früher auf eine Spaltung der Internationale spekuliert hatten , fühlten sich dadurch um den Lohn ihrer Mühen geprellt. Ihnen folgte so mancher Nichtbolschewik, der sich von ihren Phrasen und Versprechungen blenden ließ . Schon am 29. April 1917 richtet Franz Mehring an den Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Arbeiter- und Soldatenrats in Petrograd, Tscheidse, einen Brief im Namen der deutschen Oppositionsgruppe „ Internationale" (Richtung Luxemburg-Liebknecht) . Im Namen dieser Gruppe lehnte er ,,jede Beteiligung an einer Beratung mit der sogenannten sozialdemokratischen Mehrheit" ab und forderte ,,unsere russischen Freunde und Gesinnungsgenossen dringend auf, im Interesse eines proletarischen Friedens wie auch der Wiedergeburt einer wirklichen sozialistischen Internationale ebenfalls die Zulassung der deutschen Mehrheit mit allen Kräften abzuwehren". (A. Balabanov ,,Zimmerwalder Bewegung", S. 65. ) Wir sehen ab von der Entdeckung eines ,,proletarischen Friedens" was ist das ? Bedenklicher war es, daß Mehring keine Kenntnis von dem fatalen Umstand hatte, daß sich Lenin bereits unmittelbar nach seinem Eintreffen in Rußland nicht nur gegen Tscheidse , sondern gegen fast alle Sozialisten Rußlands gewendet hatte, die von Lenin ebenso behandelt wurden, wie von Mehring die deutschen Mehrheitler. Am 4. April bereits entwickelte Lenin in einer Versammlung seine ,,Thesen", seine Forderungen. Er betonte, es seien seine „,persönlichen Thesen". Nicht einmal die Gesamtheit der von ihm geleiteten Sekte stand damals hinter diesem Programm. In der vierten dieser Thesen heißt es : ,,Wir müssen die Tatsache anerkennen , daß in den meisten Sowjets der Arbeiterdeputierten unsere Partei sich in der Minderheit, zurzeit sogar in einer schwachen Minderheit befindet, gegenüber dem Block aller kleinbürgerlichen, opportunistischen , dem Einfluß der Bourgeoisie unterliegenden, deren Einfluß im Proletariat zur Geltung bringenden Elemente, von den Volkssozialisten und Sozialrevolutionären angefangen bis zum Organisationskomitee (das heißt den Menschewiks, K. ) wie Tscheidse, Zeretelli, Steklov und anderen mehr." Mit solcher Verachtung und Feindseligkeit sprach Lenin damals von der ungeheuren Mehrheit des russischen Proletariats des-

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Lenin los von der Sozialdemokratie

halb , weil es ihm nicht folgte . Trotzdem erklärte der Führer der Bolschewiks in der fünften These als sein Ziel : ,,Nicht parlamentarische Republik, sondern eine das ganze Land umfassende Republik der Arbeiter- und Bauerndeputierten .“ Also einen Ständestaat. Außerdem forderte Wladimir Uljanov (Lenin) in derselben These noch Beseitigung der Polizei und des Beamtentums, Ersetzung des stehenden Heeres durch die allgemeine Volksbewaffnung. Wie diese Forderungen verwirklicht wurden, zeigt das heutige Sowjetrußland . Die sechste These fordert die Enteignung alles Großgrundbesitzes, die siebente die Verschmelzung aller Banken in einer Nationalbank unter Kontrolle der Arbeitersowjets . Die achte endlich besagte : ,,Nicht Einführung des Sozialismus ist unsere unmittelbare Aufgabe, sondern lediglich sofortige Übernahme der Kontrolle der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung aller Produkte durch Arbeiter- DeputiertenSowjets." Alles das unterschied Lenin durchaus nicht grundsätzlich von den andern Sozialisten, die er so verketzerte. Ausgenommen etwa seine Ablehnung des Parlaments. Aber die war ja gar nicht ernst gemeint. Solange die Bolschewiks erwarteten , die Mehrheit bei den Wahlen zur konstituierenden Versammlung zu gewinnen , drängten sie nach der Abhaltung dieser Wahlen und verdächtigten sie die andern Parteien , daß sie den Wahltag hinausschoben . Noch am 18. Oktober 1917 , kurz vor dem Staatsstreich der Bolschewiks, hatte Trotzki erklärt : Die Bourgeoisie verhindert das Zustandekommen der konstituierenden Versammlung. Das Proletariat, die Armee und die Bauernschaft können für die konstituierende Versammlung nur durch Eroberung der Macht kämpfen. „ Der bolschewistische Umsturz wurde mit der Notwendigkeit begründet, die Einberufung der konstituierenden Versammlung zu sichern. “ (Martov- Dan, Geschichte der russ. Sozialdem. S. 308. ) Ob sie die Macht durch die Sowjets, ob durch das konstituierende Parlament , ob durch bewaffneten Aufstand gewannen , war Lenin und seinen Leuten gleich. Der Grundsatz , der allein sie in dieser Beziehung beseelte war nicht der : alle Macht den Sowjets. oder dem Parlament oder der revolutionären Armee, sondern alle Macht Lenin und seinem Anhang. Alle Sozialisten , die nicht zu seinem Anhang gehörten , mußten bekämpft und verleumdet oder wie man sagte,,,entlarvt" werden , als ,,Lakaien der Bourgeoisie". Dazu war erforderlich, jede Gemeinschaft mit allen andern Sozialisten , jede Zusammenarbeit mit ihnen in Rußland und auch in der Internationale. abzulehnen Darum betrieb Lenin jetzt auch die äußerliche Lostrennung von der Sozialdemokratie, zu deren Vorkämpfern er solange gehört hatte . In der neunten These verlangte er die Namensänderung der Partei.

Zusammenkunft in Stockholm

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,,Statt Sozialdemokraten', deren offizielle Führer durch Übertritt zur Bourgeoisie (die ,Vaterlandsverteidiger' und die schwankenden Kautskyaner ) in der ganzen Welt den Sozialismus verraten haben, müssen wir uns kommunistische Partei nennen." Die zehnte These endlich forderte ,,die Initiative zur Schaffung einer revolutionären Internationale, einer Internationale gegen die Sozial- Chauvinisten und das Zentrum . Zentrum' nennt man in der internationalen Sozialdemokratie (das heißt , bei den Bolschewiks, K. ) die Richtung, die zwischen den Chauvinisten (Anhängern der Vaterlandsverteidigung ) und den Internationalisten (Bolschewiks, K. ) hin und her pendelt, das sind : Kautsky u. Co. in Deutschland , Longuet u . Co. in Frankreich , Tscheidse u. Co. in Rußland, Turati u . Co. in Italien, Mac Donald u. Co. in England usw." Sie alle sollten von der neuen Internationale ebenso ausgeschlossen sein für den Fall , daß sie das Bedürfnis empfinden sollten, ihr beizutreten - wie die Mehrheitler. Mehring hatte sich also an die falsche Adresse gewendet, wenn er Tscheidse u . Co. aufforderte, die Internationale von allen jenen Beimengungen frei zu halten, die er als unreine brandmarkte. Daß die ,, Sozial- Chauvinisten “ und „ Zentristen" vereint in allen Staaten die große Mehrheit der sozialistisch geschulten Proletarier ausmachten, daß die neue Internationale von vornherein bestimmt war, eine Sekteninternationale zu sein, störte Lenin und seinen Anhang wenig. Wohl aber konnten sich doch viele der Zimmerwalder ebenso wie vorher in Zimmerwald und Kiental auch nicht in Stockholm zu der Devise bekehren : Proletarier aller Länder, spaltet Eure Organisationen ! Die deutsche Opposition in der Sozialdemokratie hatte sich kurz vor der Einberufung der Stockholmer Konferenz, April 1917, als selbständige ,, Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands" organisiert. Sie hatte sich den Zimmerwaldern angeschlossen, aber kein Bedenken getragen, der Einladung des holländisch-skandinavischen Komitees zu folgen und eine Delegation nach Stockholm zu senden . Diesesmal konnte man die Verfasser des Gebots der Stunde nicht von der Teilnahme an der Delegation fernhalten wie zur Zeit Zimmerwalds und Kientals. Wir drei, Bernstein, Haase und ich, wurden in die Delegation der ,,Unabhängigen" gewählt, neben Stadthagen, Hofer, Wengels, Oskar Cohn , Herzfeld und Ledebour. Für die Spartakisten kam Käthe Dunker, doch verschmähte diese jede Teilnahme, an der Zusammenkunft mit dem holländisch- skandinavischen Komitee. Wir trafen in Stockholm am 20. Juni ein . Das Einberufungskomitee hatte die Einrichtung getroffen , einstweilen, bis die Konferenz zusammentreten konnte, mit den einzelnen Delegationen besonders zu verhandeln und ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Anschauungen über die Kriegsfrage zu entwickeln . Die erste Delegation— die der Bosnier - war schon am 19. Mai gehört worden, am 21. und 22. Mai die der Bulgaren - der ,,weiten" oder „,weitherzigen". Die der ,, engen" oder „,engherzigen" kamen wohl auch

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Zimmerwalder gegen Internationale

nach Stockholm, traten aber nur mit den Bolschewisten in Verbindung, die ihre Vertreter, geführt von Radek, auch dort hatten, natürlich nicht um den Wiederaufbau der Internationale zu fördern , sondern um ihn zu stören . Den ,,weiten" Bulgaren folgten die Finnen, die Deutsch- Österreicher, die Ungarn , die Deutschen ( Mehrheitler) , die vom 7.-13. Juni mit dem Komitee verhandelten. Dann , nach einigen weniger bedeutenden Delegationen, vom 22. bis 25. Juni die deutschen Unabhängigen. So sehr war diesmal deren Vertretung von der in Zimmerwald und Kiental verschieden , daß ich es war, der bestimmt wurde, die Verhandlungen mit einem Referat als Sprecher der Delegation zu eröffnen . Allerdings scheint der Mehrheit meiner damaligen Parteigenossen meine Haltung in Stockholm sehr unbequem geworden zu sein. Die Delegation der ,,Unabhängigen", die im Juni gekommen war, hatte das Zusammentreten der Konferenz nicht abwarten können , das immer wieder verschoben werden mußte. Nach der Vereinigung des holländischskandinavischen Komitees mit dem Vertreter der russischen Arbeiterräte ( 11. Juli ) war der Zusammentritt der Konferenz für den 15. August festgesetzt worden. Er wurde dann in den September verschoben. Für diesen Zeitpunkt entsendeten die deutschen „,Unabhängigen" eine zweite Delegation , die insofern anders zusammengesetzt war, als die erste, als Bernstein und ich diesmal nicht in sie gewählt wurden . Nun war es Ledebour, der in ihr den Ton angab . Die Hauptfrage, die im Juni wie im September die Delegation der ,,Unabhängigen" beschäftigte, war die der Teilnahme an der Konferenz der Gesamtinternationale. Angelica Balabanov schreibt darüber : ,,Ledebour, Käthe Duncker und auch Herzfeld wenn ich nicht irre waren für die Beteiligung nur an der Zimmerwalder Konferenz, Kautsky und Bernstein waren mehr für die Beschickung der allgemeinen Konferenz ." (Erinnerungen , S. 165. ) Was das ,,mehr" besagen soll , weiß ich nicht. Tatsächlich waren wir beide sehr entschieden für die Beschickung der allgemeinen Konferenz , die Zimmerwald überflüssig machen werde. Die Frage wurde von der Zusammenkunft der Zimmerwalder auf deren ersten Konferenz im Juni nicht entschieden , konnte nicht entschieden werden, denn an ihr nahmen außer den Bolschewiks und den deutschen ,,Unabhängigen" nur noch je ein Vertreter Finnlands, Bulgariens ( enge) , der Schweiz sowie der Parteiopposition Norwegens und Schwedens teil. Die aus Rußland gekommenen Delegierten der Sowjets erschienen auch bei den Zimmerwaldern , aber nicht, um mitzustimmen, sondern nur um zuzuhören, wobei sie trotzdem in einen scharfen Disput mit den Bolschewiks und der Berner ,,Internationalen sozialistischen Kommission" gerieten , die sich immer mehr als williges Werkzeug der Bolschewiks ,,entlarvte", um deren Jargon zu reden .

Dritte Zimmerwalder Konferenz

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Eine so wenig zahlreiche Versammlung konnte nicht gut Beschlüsse für die ganze Internationale fassen. Besser besucht war die nächste Zusammenkunft der Zimmerwalder in Stockholm vom 5. September, die von Angelica Balabanov als dritte Zimmerwalder Konferenz verzeichnet wird . Doch mußten auch diesmal ,,die Vertreter der Ententeländer brieflich mitteilen, daß sie wegen mangelnder Pässe nicht erscheinen könnten". (Ang. Balabanov, Die Zimmerwalder Bewegung, S. 91. ) Auch diese Konferenz kam zu keiner Beschlußfassung in bezug auf die Hauptfrage : die Stellung zur alten Internationale. Denn die Bolschewiks erklärten bald, daß ,,diese gegenwärtige Beratung dank ihrer unvollkommenen Zusammensetzung (es waren nämlich auch Nichtbolschewiks da , K. ) sich selbst des Rechts entäußert hat , irgendwelche autoritative organisatorische Beschlüsse zu fassen“ . Sie verzichteten daher darauf, hier den ,,Ausschluß der sozialpatriotischen (d . h. menschewistischen, K. ) Organisationen zu beantragen". Aber die Menschewiks und Sozialrevolutionäre seien die Verfechter der „,imperialistischen Bourgeoisie", der blutigen Gegenrevolution. ,,Bevor die Zimmerwalder Beratung nicht unzweideutig bezeugt hat, mit wem sie solidarisch ist, mit den Kämpfern für die Ideen von Zimmerwald, mit den revolutionären Internationalisten oder mit den Helfershelfern der russischen Cavaignacs, werden wir an ihren Beratungen nicht teilnehmen. “ (A. Balabanov, Die Zimmerwalder Bewegung, S. 95, 96.) Damit war die dritte Zimmerwalder Konferenz eigentlich erledigt. Indessen hielt sie es doch noch für notwendig, ihren revolutionären Geist zu bezeugen. Sie beschloß ein Manifest, in dem zu einem internationalen Massenstreik aufgefordert wurde . Es wies daraufhin, daß Einzelkämpfe in einzelnen Staaten keine Wirkung im Sinne des Friedens hervorrufen könnten : ,,Die Stunde hat geschlagen für den Beginn des großen gemeinsamen Kampfes in allen Ländern zur Herbeiführung des Friedens, für die Völkerbefreiung durch das sozialistische Proletariat. Das Mittel dazu ist der gemeinsame, internationale Massenstreik." Und früher schon hieß es in dem Manifest : ,,Der internationale proletarische Massenkampf für den Frieden bedeutet zugleich die Rettung der russischen Revolution." Also weil wir den internationalen Massenstreik brauchen, hat die ,,Stunde für ihn geschlagen". Wenn jemand ein Bedürfnis nach . einem Ereignis empfindet, dann ist damit gewährleistet, daß es eintreten wird! Ein Massenstreik, stark genug, das Volk zu befreien und den Frieden zu erzwingen, ist gleichbedeutend mit einer Revolution. Das Manifest der dritten Zimmerwalder Tagung ging also von der naiven Erwartung aus, man könne eine Revolution dadurch herbeiführen, daß man zu ihr aufrufe . Eine Revolution sei nicht ein Ereignis, das spontan eintrete, unter bestimmten Bedingungen ,

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Aufruf zum Massenstreik

die die Massen aufwühlen , sondern es genüge, daß eine Versammlung die Weisung erteile , die Revolution habe jetzt , sofort einzutreten, in allen Staaten der Welt einzutreten, und sie werde ohne weiteres in allen Staaten der Welt ausbrechen. Und diese fabelhafte Wirkung solle ausgehen von einer Versammlung, in der keine der großen sozialistischen Parteien vertreten war, sondern nur Minoritäten und Splitter, außer den russischen Sozialisten, die aber gerade in jener Zusammenkunft, die den Aufruf zur internationalen Revolution beschloß , einander wütend bekämpften . Noch nie ist eine Revolution oder ein wirksamer Massenstreik auf Befehl einer Parteibehörde vor sich gegangen. So blieb auch das Zimmerwalder Manifest , angenommen am 12. September 1917, ein toter Buchstabe. Das war nichts Neues, sondern etwas Selbstverständliches . Neu aber war, daß gleich darauf eine der Parteien , deren Vertreter in Stockholm dem Manifest zugestimmt hatten, das Bureau der Zimmerwalder ersuchte, mit seiner Veröffentlichung zu warten, also gewissermaßen die Weltrevolution um einige Wochen zu verschieben. Diese Partei war die der Unabhängigen Sozialdemokraten Deutschlands . Schon bei der Beratung des Manifestes in Stockholm hatte Hugo Haase daran Kritik geübt : „ Er war einer der sehr wenigen oder vielmehr der Einzige, der gegen den Aufruf zum Massenstreik Einwände erhob. Aus ihm sprach die Befürchtung, etwas zu versprechen, was man vielleicht nicht halten können werde." (A. Balabanov, Erinnerungen, S. 169. ) Haase blieb bei der Beratung des Manifests in Stockholm allein, bei der damaligen Zusammensetzung der Delegation der ,,Unabhängigen" kein Wunder. Doch in der Partei der Unabhängigen selbst regte sich weit mehr die Kritik an dem Manifest als in der Delegation geschehen war. Man sah bald deutlich, wie bedenklich die Aufforderung zum sofortigen Massenstreik in allen Ländern sei, ohne irgendwelche Aussicht auf sein wirkliches Ausbrechen. Bereits am 28. September kam Louise Zietz im Auftrage ihrer Partei nach Stockholm, um die Internationale Sozialistische Kommission zu veranlassen , die Veröffentlichung des Manifests zu verschieben, das damals die U. S. P. D. in eine schwierige Lage versetzt hätte. Radek tobte gegen dieses Ansinnen : Rußland brauche den sofortigen Ausbruch der Weltrevolution . Dem wurde allgemein zugestimmt, aber anderseits darauf hingewiesen, daß die Wirkung des Manifestes bedenklich dadurch beeinträchtigt werde, daß es von den Zimmerwaldern der Ententestaaten nicht unterfertigt sei . Da dürfte man auch den Deutschen und Österreichern nicht zuviel zumuten . Man einigte sich schließlich dahin , die Veröffentlichung des Manifestes, also den Ausbruch der Weltrevolution, bis anfangs November 1917 zu verschieben. Dann sollte nach erneuter Aussprache mit den Deutschen das Manifest in die Welt gehen.

Lenin setzt Autokratie durch

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Dazu ist es nicht mehr gekommen , denn gerade anfangs November schickten sich in Rußland die Bolschewiks an, wahr machen zu wollen, was sie stets gefordert : die Überführung des auswärtigen Krieges in den Bürgerkrieg. Durch den Staatsstreich vom 8. November. Sie brachten damit allerdings nicht den Frieden mit dem Landesfeind — der Krieg mit ihm ging weiter. Und auch der Bürgerkrieg nahm andere Gestalt an, als sie erwartet hatten. Der Aufstand gegen die zaristische Regierung, die in den Krieg hineingeraten war und ihn schlecht geführt hatte, war schon im März ausgebrochen, ohne daß die Bolschewiks dabei hervorgetreten wären. Mit solcher Wucht hatte sich diese Revolution . geäußert, so einmütig war das ganze Volk aufgetreten, daß es damals zu einem eigentlichen Bürgerkrieg nicht kam . Sie hatte den Zaren entthront, den Staatsapparat aufgelöst , Kapital und Grundbesitz aller Macht entkleidet, dessen Expropriation unvermeidlich gemacht. Ebenso notwendig wie möglich wurde es jetzt, das zerfallende Staatswesen demokratisch neu zu organisieren und aufzubauen. Das durfte man um so eher erwarten, als sowohl in den Sowjets wie später in der konstituierenden Nationalversammlung die Sozialisten die ungeheure Mehrheit hatten und diese Mehrheit in allen grundlegenden praktischen Fragen völlig einig war. Doch einen ungeheuren Mangel besaß diese Mehrheit in den Augen Lenins und derjenigen der Bolschewiks, die mit ihm durch dick und dünn gingen : sie bestand nicht aus Anhängern Lenins, sondern aus Sozialrevolutionären und Menschewiks, die sich nicht von ihm kommandieren ließen. In einem geordneten demokratischen Staatswesen hätte sich die Minderheit der Mehrheit beugen müssen, mit dem Vorbehalt, daß sie trachtete, mit Mitteln der Propaganda selbst zur Mehrheit zu werden. Dieser Weg schien für Lenin aussichtslos, wenn die Demokratie sich einmal befestigt hatte . Dagegen erschien es ihm unter den gegebenen Umständen möglich, die volle Macht im Staate zu erringen, wenn er die eingetretene Desorganisation und Anarchie im Staate aufs höchste steigerte und ihr eine eigene straff organisierte Privatarmee gegenüberstellte . Unter normalen Verhältnissen hätte diese nichts ausgerichtet. Jedoch bei der Anarchie, die durch die Zermürbung des staatlichen Heeres im Krieg und durch den Umsturz seit dem März 1917 geschaffen worden , konnte eine Privatarmee ihrem obersten Kommandanten Lenin die unumschränkte Staatsmacht bringen, wenn sie militärisch über die ungeordneten Haufen siegte, die allein sich nun ihm entgegenstellten, und wenn sie jegliche freie Organisation innerhalb der Bevölkerung unmöglich machte. Diesem Zweck diente der Bürgerkrieg, den Lenin im November 1917 entfesselte. Es war ein Krieg nicht gegen den Zarismus , der war schon im März gestürzt worden, auch nicht gegen Kapitalisten und Großgrundbesitzer, die bereits entmachtet waren . Es

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Zimmerwalds Auflösung

war ein Krieg der Bolschewiks gegen Sozialrevolutionäre und Menschewiks, der Krieg einer Militärdiktatur gegen die Demokratie der Proletarier und Bauern, die begann , den Staat zu formen. Innerhalb der Sozialisten war es ein Bürgerkrieg der Zimmerwalder untereinander, der linken gegen die rechten , die von ihren linken ,,Genossen" als schlimmste Gegner aufs wütendste mit allen Mitteln blutigen Terrors bekämpft wurden. Damit war die Zimmerwalder Front des Kampfes für den Frieden gesprengt. Ihre „ Internationale sozialistische Kommission" ging sofort mit fliegenden Fahnen in das bolschewistische Lager über. Sie veröffentlichte jetzt in Stockholm das am 12. September beschlossene Manifest , doch hatte es seitdem alle Bedeutung verloren. Die Zimmerwalder Internationale war in voller Auflösung begriffen , gerade zu der Zeit, als die alte Internationale in den Gemütern der Arbeitermassen wieder aufzuleben begann . Neben ihr und gegen sie aber erhob sich auf den Trümmern der Zimmerwalder Organisation die bolschewistische, kommunistische dritte Internationale. Das geschah allerdings erst nach Beendigung des Weltkriegs, am 3. März 1919. Zu einer neuen Konferenz der Zimmerwalder war es nach dem September 1917 nicht mehr gekommen. Die dritte Internationale wurde nicht von einer selbständigen proletarischen oder sozialistischen Organisation begründet, sondern von ein paar der bolschewistischen Regierung Rußlands treu ergebenen Individuen, die von ihr nach Moskau eingeladen wurden oder sich zufällig dort befanden . Angelica Balabanov, die darüber mehr weiß, als sonst jemand , berichtet, daß am 1. März 1919 im Moskauer Kreml eine Reihe Genossen verschiedener Länder zusammentrat,,,meistens gewesene Kriegsgefangene", die zu einer Besprechung berufen waren . Die Versammlung beschloß, eine neue rein kommunistische , also bolschewistische Internationale zu begründen. Angelica Balabanov, die Sekretärin der Zimmerwalder, nahm , von Lenin dazu aufgefordert, an der Zusammenkunft teil. Sie erklärte dort ohne weiteres, sie habe wohl nicht die Möglichkeit , die einzelnen Zimmerwalder Parteien zu befragen, wie sie über die Neugründung dächten. Aber sie nehme an, die meisten von ihnen würden sich der neuen Internationale anschließen . (,,Erinnerungen", S. 225-227.) Damit versetzte sie selbst der Organisation den Todesstoß, zu deren Sekretärin und Sachwalterin sie bestellt war. Die bolschewistische Regierung hatte die Gründung der dritten Internationale veranlaßt, sie übernahm sofort ihre Leitung. Lenin und Trotzki , die Häupter der bolschewistischen Regierung, ernannten Balabanov zur Sekretärin der neuen Internationale, wenige Tage später machten sie Sinovjev zum Vorsitzenden des Exekutivkomitees derselben Internationale. Beide Funktionäre wurden nicht von unten gewählt, sondern von der russischen

Dritte Internationale

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Regierung ernannt, hatten also von vornherein deren Werkzeuge zu sein. Angelica, die das nicht begriff, wurde bald kalt gestellt . Die Auflösung der Zimmerwalder Organisation wurde durch folgende Erklärung verkündet : ,,Die Zimmerwalder und Kientaler Konferenzen hatten zu der Zeit Bedeutung, wo es wichtig war, alle diejenigen Elemente des Proletariats zu vereinigen, die bereit waren, in dieser oder jener Form gegen das imperialistische Morden zu protestieren . Aber in die Zimmerwalder Vereinigung sind zusammen mit ganz entschieden kommunistischen Elementen auch Elemente des Zentrums , pazifistische und schwankende Elemente eingetreten. Diese Elemente des Zentrums, wie das die Berner Konferenz (der alten Internationale, Februar 1919, K. ) zeigte, verbinden sich jetzt mit den Sozialpatrioten zum Kampf gegen das revolutionäre Proletariat und n ü tzen auf diese Weise Zimmerwald im Interesse der Reaktion au s. Zur selben Zeit ist die kommunistische Strömung in einer ganzen Reihe von Ländern erstarkt und der Kampf mit den Elementen des Zentrums, die die Entwicklung der sozialen Rev olution hemmen, ist eine der dringendsten Aufgaben des revolutionären Proletariats geworden. Die Zimmerwalder Vereinigung hat sich überlebt. Alles, was wirklich revolutionär war in der Zimmerwalder Vereinigung, geht in die kommunistische Internationale über. Die endesunterzeichneten Teilnehmer von Zimmerwald erklären , daß sie die Zimmerwalder Organisation für liquidiert betrachten ... Ch. Rakowski, N. Lenin, G. Sinovjev, L. Trotzki, Fr. Platten." Also der ,, Kampf mit den Elementen des Zentrums" , das heißt , mit allen Zimmerwaldern, die gegenüber Lenin auf Selbständigkeit Anspruch machten , die etwas anderes sein wollten , als gehorsame Agenten des Oberhaupts der Bolschewiks , wurde zur dringendsten Aufgabe der neuen, dritten Internationale erklärt. Von den Unterzeichnern gehörten vier direkt der Regierung Sowjetrußlands an . Der fünfte, der Schweizer Platten, war nichts als ein kritikloser Bewunderer Lenins, ohne jede Bedeutung in der internationalen Arbeiterbewegung. Diese dritte Internationale mit der Hauptaufgabe, die Arbeiterbewegung aller Länder zu spalten und dadurch zu schwächen, ist ein Ergebnis des Krieges, eine seiner schädlichsten Nachwirkungen. Aber ihre Eigenart im Gegensatz zu den andern sozialistischen Organisationen entspringt nicht aus einer besonderen Haltung gegenüber dem Krieg. Solange der Krieg dauerte, blieben die Bestrebungen Lenins nach Begründung einer neuen Internationale erfolglos . Erst als der Weltkrieg vorüber war, kam die dritte Internationale auf. Ihr Gegensatz zu der zweiten ist nicht der zwischen Nationalisten oder ,,Sozialchauvinisten" und Internationalisten , sondern der zwischen dem primitiven Sozialismus Babeufs, Blanquis, Bakunins und dem höher entwickelten eines Marx und Engels. Jene primitiven Sozialisten wollten eine völlig unorganisierte, unwissende Arbeiterschaft durch Putsche diktatorisch geführter kleiner Organisationen emanzipieren . Diese wollten seine Höherentwicklung durch demokratisch eingerichtete Massenorga-

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Die neue Autokratie

nisationen herbeiführen , die schließlich die Mehrheit der Bevölkerung und damit die politische Macht im demokratischen Staat gewinnen sollten, um damit eine der jetzigen überlegene Produktionsweise und Gesellschaftsform herbeizuführen . Bis zur Pariser Kommune hatte das Denken des primitiven Sozialismus in den arbeitenden Klassen vorgeherrscht. Seitdem war es immer weiter zurückgedrängt worden durch das weniger leicht faßliche und weniger populäre, aber dafür allein dauernden Erfolg verbürgende marxistische Denken. Der Krieg mit seinen Nachwirkungen hat allenthalben wieder Bedingungen geschaffen , die das primitive Denken begünstigen. Und er hat in Rußland Bedingungen hervorgerufen, die es möglich machten, daß eine fanatische streng zentralisierte Sekte primitiver Sozialisten mit Waffengewalt in allgemeiner Anarchie sich durchsetzte und eine dauernde Herrschaft begründete, was keinem ihrer Vorgänger, von Babeuf bis Bakunin gelungen war. Der Bolschewismus steht geistig sicher tief unter dem Menschewismus. Aber dieser fußt auf dem Denken des Westens, Lenin dagegen begriff aufs beste das Denken der russischen Massen und wußte sein Handeln und Reden ihnen anzupassen. Dadurch gewann er die Oberhand über die andern Sozialisten , Menschewiks und Sozialrevolutionäre. Unwissenden Beobachtern des Auslands erschienen seine Erfolge als Erfolge der Arbeiterschaft. Seine wahrhaft pharaonische Staatswirtschaft wurde bestaunt als die erste Verwirklichung des Sozialismus. Man verwechselt leicht Ökonomie und Technik, der Tourist steht bewundernd etwa vor den Riesenbauten Ägyptens und kümmert sich nicht darum, mit welchen ungeheuren Menschenopfern von Zwangsarbeitern sie aufgerichtet wurden, nicht bloß die Pyramiden, sondern im 19. Jahrhundert noch der Suezkanal, zu dessen Erbauung der Vizekönig von Ägypten, Ismail Pascha, viele Tausende von Fronarbeitern aufbot. Weder das große Kulturwerk noch seine Erbauung durch vom Staat gestellte Arbeiter haben den verschwenderischen Despoten Ägyptens zu einem Bahnbrecher des Sozialismus gestempelt. Aber der äußerliche Erfolg hat bisher die Despoten Sowjetrußlands begünstigt und damit dem von ihnen gepredigten primitiven Denken Eingang in vielen proletarischen und proletarierfreundlichen Kreisen verschafft, die von Marx weder seine Ŏkonomie noch seine Geschichtsauffassung kennen, noch aus der Geschichte des Sozialismus genügend viel gelernt haben, um zu wissen, daß das , was sie am Leninismus bewundern , eine Rückkehr zu den Anfängen des Sozialismus darstellt. Der Leninismus hat sich den Bedingungen Rußlands nach dem Kriege als vortrefflich angepaßt erwiesen. Er hat nicht die Arbeitermassen befreit oder gehoben, wohl aber den Führern der kommunistischen Partei eine längere Zeit dauernde Macht verlie-

Die Mißerfolge der dritten Internationale

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hen soweit sie sich dazu verstanden, ihre Kräfte dem jeweilig regierenden Diktator bedingungslos zur Verfügung zu stellen. Aber ebensogut wie der Leninismus aus der Rückständigkeit der Arbeiter und Bauern Rußlands Kraft zu ziehen weiß , ebenso verständnislos hat er sich bisher den Bedingungen der zivilisierten Welt gegenüber erwiesen. Außerhalb Rußlands stellt die Tätigkeit der kommunistischen Internationale im Sinne der Weltrevolution seit ihrer Begründung 1919 nichts dar, als eine lange Kette von Niederlagen, durch keinen einzigen Sieg unterbrochen wenigstens keinen einzigen Sieg des arbeitenden Volkes. Doch wurde die dritte Internationale ja nicht zu dem Zwecke begründet , um die Arbeiter der Welt zu befreien, sondern um die Sozialdemokraten und namentlich die nicht kommunistischen Zimmerwalder überall zu bekämpfen. Und auf diesem Felde hat sie allerdings manchen Erfolg erzielt . Die Sozialdemokraten hätten vielleicht die bürgerlichen Diktaturen der Mussolini, Hitler etc. am Aufstieg verhindert, wenn sie nicht durch die Kommunisten in so vielen Staaten entweder gelähmt oder zu unsinnigen Abenteuern verlockt worden wären. Doch das gehört zum Thema der Kriegsfolgen und hat uns hier nicht weiter zu beschäftigen. Wir haben hier nur noch zu untersuchen, wie der Weltkrieg zu Ende ging, nachdem weder die zweite Internationale, noch Zimmerwald vermocht hatten , das Kommen des Friedens herbeizuführen.

7. Der Ausgang des Weltkriegs. a) Der demokratische Friede. Das dritte Jahr des Weltkriegs war vorbei und noch immer war der Frieden nicht gekommen, trotz der furchtbarsten Verwüstungen und Opfer von Millionen Menschenleben. Selbst bei den verhärtetsten Militaristen hüben wie drüben wurde im Verlauf der Gräßlichkeiten des Weltkriegs der Wahn von der Heilkraft dieser Art von ,,Stahlbad" immer mehr erschüttert. Auch sie ersehnten ein Ende des Mordens und wünschten, dieser Krieg solle für lange Zeit hinaus der letzte sein. Aber um seine Wiederkehr zu verhüten , strebten die Militaristen Deutschlands das Gegenteil des Kriegsziels seiner Gegner, der ,,Alliierten“, an : Diese wollten Deutschlands völlige Entwaffnung, die Mittelmächte dagegen forderten, Deutschlands Kriegsmacht solle aus dem Kriege so gestärkt hervorgehen, daß kein Staat mehr wagen werde, sich deutschem Wollen zu widersetzen. Die Nachbarn des Reichs im Osten wie im Westen sollten in solche Abhängigkeit von ihm gebracht werden, daß ein neuer Krieg gegen 37

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Der Status quo als Kriegsziel

Deutschland unmöglich werde. Belgien , Polen, die baltischen Staaten sollten Vasallen des deutschen Reichs werden . Ebenso die Balkanstaaten und die Türkei . Damit sollte nicht eine neue Weltherrschaft aufgerichtet, son-

dern nur die Gefahr der Erstickung des deutschen Volkes durch eine ,,Einkreisung" verhütet werden. Diese Kriegsziele waren hüben wie drüben vielfach bloß als ,,Sicherungen" gemeint. Aber der Appetit kommt beim Essen . Das eine wie das andere Kriegsziel war nur erreichbar durch völlige Niederwerfung des Gegners. Lag dieser wehrlos zu Boden, dann bekam jedes der Kriegsziele die Kraft, die ihm innewohnenden Tendenzen frei zu entwickeln. Sowohl die Allmacht der Alliierten wie die Übermacht des deutschen Militarismus drohten Zustände in Europa herbeizuführen , die völlig unerträglich werden mußten und nur durch einen neuen Krieg zu überwinden waren. Zunächst aber wurde das Kriegsziel hüben wie das drüben dadurch verderblich, daß es bei den gegebenen Kräfteverhältnissen den Krieg ins Unendliche verlängerte. Kein Wunder, daß zur Beschleunigung des Friedensschlusses sowie zur Herbeiführung eines dauernden Friedenszustandes immer mehr eine andere Art der Beendigung des Krieges propagiert wurde, die eines Friedens der Verständigung zwischen den Kriegführenden, also eines Friedens, der keinem der streitenden Teile merklichen Schaden zufügte . Aber welcher Art sollte die Verständigung sein ? Mancher dachte etwa an die Beendigung des siebenjährigen Kriegs , doch war dieses Beispiel nicht sehr vielversprechend, denn damals war der Friede erst zustande gekommen, als alle beteiligten Mächte zu Tode erschöpft am Boden lagen. Die Verständigung bestand darin, daß der Friede im wesentlichen alles so ließ, wie die Dinge vor dem Kriege gelegen waren der status quo ante bellum anerkannt wurde . Den Gegensatz zwischen den Hohenzollern und den Habsburgern hat der Hubertusburger Friede von 1763 nicht beendet sondern vertieft. Auf Grundlage des status quo den Weltkrieg zu beendigen, ging um so weniger an, als er eine Menge internationaler Probleme erweckt hatte , die schon seit langem bestanden , aber nicht aktuell gewesen waren, weil jedes von ihnen zu seiner Lösung einen Krieg zu erheischen schien und diesem ängstlich aus dem Wege gegangen wurde . So die Frage Elsaß- Lothringens, Polens, des zerfallenden Österreich . Diese Probleme und nicht etwa ,,imperialistische", koloniale Ziele kamen im Weltkrieg in den Vordergrund und heischten ihre Lösung. Die Franzosen hätten sichs wohl überlegt, sich um des Elsaß willen in einen Krieg mit Deutschland einzulassen, oder die Italiener um des Trentino und Triests willen, oder die Deutschen um der Verjagung der Russen aus Warschau willen etc. Aber der

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Reparationen

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Krieg, den alle gefürchtet hatten, war nun gekommen und jetzt ließen sich alle diese nationalen Probleme nicht länger verschieben. Sollte um ihretwillen die ganze Welt vernichtet werden ? Versprach nicht eher ein internationaler Kongreß der Regierungen, kriegführender und neutraler, eine Verständigung möglich zu machen, die jene Probleme für immer aus der Welt schaffte , ohne Vergewaltigung eines der beteiligten Völker? Der Grundsatz : Friede ohne Annexionen und Kontributionen schien die notwendig gewordene Lösung bringen zu wollen. Wir haben gesehen, daß ihn die Zimmerwalder annahmen, nachdem er schon vorher propagiert worden, daß ihn schließlich alle sozialistischen Parteien zu dem ihrigen machten, ja , daß kaum eine der kriegführenden Regierungen es wagte, ihn offen zu verwerfen. Aber freilich, um ihn zu verwirklichen, mußte nicht nur der Grundsatz allseitig anerkannt sein, sondern auch seine praktische Anwendung auf alle konkreten Fragen feststehen, die der Krieg aufgeworfen hatte. Am wenigsten Schwierigkeiten brauchte der Grundsatz zu bereiten : keine Kontributionen . An und für sich beeinträchtigte die Zahlung einer Kriegsentschädigung die Dauerhaftigkeit eines Friedens nicht, wenn sie nicht allzu hoch festgesetzt war. So schmerzlich eine solche sein mochte wenn sie nicht einen ständigen Tribut darstellte, konnte sie rasch vergessen werden. Was Frankreich und Deutschland seit 1871 dauernd verfeindete, waren nicht die fünf Milliarden , die Frankreich zu zahlen gehabt hatte, sondern die Abtrennung Elsaß - Lothringens. Aber die Auferlegung einer Kriegsentschädigung bedeutete stets das Anerkennen einer Niederlage. Sie war daher schwer vereinbar mit einem „,demokratischen" Frieden, der weder Sieger noch Besiegte kennen sollte. Daran änderte sich kaum etwas, wenn man die Kriegsentschädigung nicht als Tribut, sondern als Wiedergutmachung angerichteten Schadens bezeichnete. Der Krieg hatte auf beiden Seiten ungeheure Schäden verursacht . Aber nur die eine Seite sollte moralisch verpflichtet sein , die Schäden zu reparieren . Wie immer man die Forderung einer Kriegsentschädigung begründen mochte, sie war zu sehr mit dem Gedanken einer militärischen oder moralischen Minderwertigkeit der zur Bezahlung Verpflichteten verknüpft, als daß diese Forderung nicht die Herbeiführung eines Friedens der Verständigung gehemmt hätte . Und sicher wäre es unsinnig gewesen, um dieser Forderung willen den Krieg zu verlängern. Denn die Verlängerung vergrößerte tagtäglich die Schäden , die es wieder gut zu machen galt, indes sie gleichzeitig die finanziellen Kräfte des Gegners minderte, um jene sofortige Hilfe nach Kriegsende zur ,,Wiedergutmachung" (Reparation ) leisten zu können , die erforderlich schien. Die größte Kriegsentschädigung, die nicht bloß phantastisch gedacht, sondern praktisch ohne Erschütterung des Weltmarkts gezahlt werden konnte, mußte hinter den wirt87

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Annexionen

schaftlichen Schäden zurückbleiben, die eine Verlängerung des Kriegs nach sich zog - ganz abgesehen von den ganz unersetzlichen Verlusten an Menschenleben , die jene Verlängerung mit sich bringen mußte. Stand für die Herbeiführung eines Verständigungsfriedens die Ablehnung aller Forderungen von Kriegsentschädigungen in zweiter Linie, und mochten solche Entschädigungen in Einzelfällen am Platze sein, so war es doch grundsätzlich richtig, Kontributionen abzulehnen. Vor allem aber galt das für Annexione n. Mit der Ablehnung aller Annexionen sollte nicht jede Vergrößerung eines Staatsgebiets unmöglich gemacht werden. Das hätte geheißen , den . status quo für immer festlegen zu wollen, die bisherigen Staatsgrenzen zu verewigen, die doch zumeist nur das Ergebnis von Eroberungen der Militärmächte waren, bis zurück in die Zeit des Feudalismus und des Absolutismus . Das wäre besonders sinnlos gewesen in der Zeit des Weltkriegs, der das alte Rußland wie Österreich und nach der europäischen auch die asiatische Türkei in ihren Grundfesten erschütterte und der Auflösung entgegenführte. Mit der Ablehnung jeglicher Annexion war bloß jegliche gewaltsame Annexion gemeint, eine Annexion auf Grundlage des Rechts der Eroberung. Grenzveränderungen sollten nur zulässig sein, wenn die dadurch betroffene Bevölkerung sie verlangte. Ohne ihre Befragung, ohne ihre Zustimmung sollten Grenzen nicht verrückt werden . Dieser Grundsatz bildete eine notwendige Konsequenz der modernen Demokratie, die mit den Verkehrsverhältnissen der kapitalistischen Produktionsweise aufkommt. Im Feudalismus und unter dem bureaukratisch-militaristischen Absolutismus wurde der Staat als eine Domäne der herrschenden Familien , Dynastien angesehen. So wie für den Feudalherrn die Arbeiter auf seinem Grundbesitz einen Teil seines lebenden Inventars darstellten, das er mit seinem Boden zusammen verkaufen, verschenken, verspielen konnte, so war auch die Bevölkerung eines Staatswesens damals nur das Zubehör seines Territoriums. Diese Bevölkerung hatte über die Staatsgrenzen ebensowenig zu entscheiden , als etwa die Kühe und Pferde eines Landguts darüber zu fragen sind, wer das Gut besitzen oder wie es begrenzt sein soll. Das ändert sich mit dem Aufkommen der modernen Demokratie. Der Staat ist jetzt nicht ein Gebiet, zu dem eine bestimmte Bevölkerung gehört, ob sie will oder nicht. Nicht der Grundbesitz entscheidet mehr, sondern die Menschen. Diese haben sich nicht dem Willen eines Grundbesitzers zu unterwerfen, sondern sie haben die Verfügung über den Boden , den sie bewohnen, nach ihren Verhältnissen und Bedürfnissen einzurichten . Natürlich nicht jedes Individuum nach seinen persönlichen Bedürfnissen .

Volksbefragungen

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Der Staat stellt nun in erster Linie nicht ein bestimmtes Territorium dar, sondern eine bestimmte Organisation von M e nschen, die das betreffende Territorium bewohnen und durch ihre Arbeit direkt oder indirekt kultivieren. Der Unterschied zwischen einst und jetzt zeigt sich in den Titeln mancher Staatsoberhäupter. Ehedem hieß der oberste Herr im französischen Staat : König von Frankreich. Als nach der groBen Revolution und der Republik Napoleon wieder eine Monarchie aufrichtete, suchte er ihr doch alle revolutionären Züge beizugeben, die mit seiner Selbstherrschaft vereinbar waren. Unter anderem nannte er sich Kaiser der Franzosen , nicht Frankreichs . Und ebenso nahm der ebenfalls durch die Revolution zum Thron erhobene Louis Philipp 1830 den Titel eines Königs der Franzosen an. Der Monarch sollte nicht mehr der Besitzer einer Domäne sein, sondern der Führer eines Volkes. Der Besitzer eines Territoriums kann dieses einem andern überlassen, freiwillig, weil er meint, ein Geschäft dabei zu machen, oder durch brutale Gewalt dazu gezwungen. Dagegen Menschen zu verkaufen oder zu annektieren erscheint eigentlich nur dort zulässig, wo die Sklaverei oder die Leibeigenschaft besteht . Doch hat sich dieser Grundsatz nur im Privatrecht für den privaten Besitz durchgesetzt . Im Völkerrecht wurde das Recht bisher immer noch anerkannt, mit einzelnen Landgebieten auch die auf ihnen und von ihnen lebenden Menschen mit zu annektieren , ohne sie zu befragen. Diese Behandlung der Menschen als lebendes Inventar eines Grundbesitzers sollte bei künftigen Friedensschlüssen aufhören . Dies ist der Sinn der Forderung : keine Annexionen . Das wird auch heute noch sehr oft von Demokraten, ja selbst von manchen Sozialdemokraten vergessen . Grenzfragen erscheinen immer noch Vielen als Fragen des Besitzrechts an ein bestimmtes Landgebiet, nicht als Fragen der Verfügung seiner Bevölkerung über sich selbst . Vor hundert Jahren war die Bourgeoisie weit demokratischer, als heute. Das Erstarken des Proletariats minderte in der Bourgeoisie das Zutrauen zu den demokratischen Methoden auf allen Gebieten, auch bei der Austragung internationaler Streitfragen. Dies wurde allerdings im allgemeinen mehr als wett gemacht durch den wachsenden politischen Einfluß des Proletariats, das seiner ganzen Klassenlage nach stets zur radikalsten, konsequentesten Demokratie drängt. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts legte die Bourgeoisie noch weit mehr Gewicht auf die Anwendung demokratischer Methoden in der Außenpolitik als später. Louis Napoleon und sein Verbündeter Victor Emanuel wollten gern als modern dort gelten, wo es ihren Despotismus nicht gefährdete. Die Gebietsveränderungen, die sie 1859 erreichten , teils durch Vertrag (Savoyen und

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Selbstbestimmung der Nationen

Nizza) , teils durch siegreichen Krieg ( Lombardei , Mittelitalien , Unteritalien 1860) , und ebenso die Besitznahme des Kirchenstaats 1870 durch Italien ließen die Aneigner durch Volksabstimmungen bestätigen. Bismarck dagegen, der nach Napoleon III . und Victor Emanuel die größten Annexionen in Europa vornahm, hütete sich, deren Beispiel in bezug auf Volksabstimmungen nachzuahmen sowohl 1866 als 1871. Er wußte, daß er alle seine Annexionen im schärfsten Gegensatz zu der von ihnen betroffenen Bevölkerung vornahm. Seitdem war die Forderung der ,, Selbstbestimmung der Nationen" bei Friedensschlüssen ganz in Vergessenheit geraten. Der Weltkrieg ließ sie wieder auftauchen, aber nun fast ausschließlich als Forderung des Proletariats, der Sozialdemokratie , der sozialistischen Internationale. Wenn sie vom ,,Verständigungsfrieden" sprach, dachte sie weit mehr an Volksabstimmungen als an Kontributionen . Das Wort vom Verständigungsfrieden war zu unbestimmt, es ließ die Frage offen , in welcher Weise die Verständigung herbeigeführt werden sollte , ob etwa durch völlige Erschöpfung aller kriegführenden Mächte . Manche der Regierungen in dem Krieg der beiden Koalitionen mochte auch eine solche Verständigung mit dem Gegner ins Auge fassen , durch die der Verbündete verraten wurde . Darum war es angezeigt , ausdrücklich die Grundlage zu nennen , auf der die Verständigung zu suchen sei : keine Kontributionen und keine Annexionen , die unvereinbar seien mit der „ Selbstbestimmung der Nationen". Aber auch diese Selbstbestimmung war noch zu sehr der verschiedensten Deutungen fähig. In der Tat wurde zum Beispiel bei den Friedensverhandlungen der Mittelmächte mit Rußland mit dem Worte der ,,Selbtbestimmung der Nationen" wahrhaft Schindluder getrieben, wie wir gleich sehen werden, und zwar von Politikern und Militärs, die für die Demokratie nur Haß und Verachtung übrig hatten.

Angesichts dessen wäre es wohl angezeigt gewesen, in einer Weise zu sprechen , die jeden Zweifel ausschloß, und statt bloß einen Verständigungsfrieden ohne Kontributionen und Annexionen zu fordern, ausdrücklich zu sagen, das gräßliche Wüten des Weltkriegs könne rasch und dauernd nur aus der Welt geschafft werden durch den Abschluß eines demokratischen Friedens, der beraten und beschlossen werde mit demokratischen Methoden.

b) Die Mittelmächte und der demokratische Friede.

Die völlig demokratischen Parteien, vor allem die der proletarischen Demokratie, der Sozialdemokratie, waren in jedem Lande von vornherein grundsätzlich verpflichtet, für einen demokratischen Frieden einzutreten . Nur unter besonderen Umständen wa-

Deutschlands Sieg ausgeschlossen

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ren für einen solchen zu haben die des Liberalismus , der bürgerlich beschränkten Demokratie. Je mehr die Bourgeoisie im Zeitalter des Finanzkapitals in der Innen- wie der Außenpolitik zu Gewaltmethoden neigte , um ihre Interessen zu wahren , desto mehr zog sie die Gewinnung des Friedens durch den Sieg dem demokratischen Frieden vor. Entschieden gegen den demokratischen Frieden waren die grundsätzlich antidemokratischen Klassen und Parteien, die Monopolisten des Grundbesitzes und der Kartelle ebenso wie die Anhänger einer militaristisch-bureaukratischen Monarchie. Und doch durfte man annehmen, daß vernünftigerweise die Elemente der letzten Art sich nur in einem Staatswesen für die Idee des Siegfriedens erwärmen würden , das erwarten konnte , es werde den Sieg davontragen . Schon bald nach dem Ausbruch des Weltkriegs trat aber die Tatsache zutage und sie zeigte sich immer deutlicher, daß den Mächten , die sich um die deutsche Militärmonarchie gruppierten , der Sieg nicht winke ; daß das einzige, was sie im besten Falle bei rücksichtslosem Durchhalten bis zum Ende erreichen konnten , allgemeine Erschöpfung, völliger Ruin auch der Gegner sei. Leichtsinnig, unüberlegt hatte die Regierung Österreichs zum Kriege getrieben, hatte die Deutschlands sie ermutigt. Sie hatten es getan, ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, die Hilfsmittel, über die sie verfügten, genau zu prüfen und zu sichern, und mit denen der Gegner zu vergleichen . Sie überschätzten die eigenen Kräfte und unterschätzten die der andern. Schon durch den Eintritt Englands in den Krieg war das Gleichgewicht sehr zuungunsten der Mittelmächte verschoben worden. Aber zunächst lag der Fall für diese noch nicht verzweifelt, da die englischen Streitkräfte entweder völlig bedeutungslos waren oder für den Krieg auf dem Kontinent Europas nicht in Betracht kamen. Wäre der Schlieffensche Plan gelungen, der die Deutschen getrieben hatte, Belgiens Neutralität zu verletzen, der sie auch veranlaßt hatte , voreilig Frankreich den Krieg zu erklären, dann war es noch möglich, daß Deutschland siegreich aus dem Ringen hervorging. Allerdings auch in diesem Falle nur dann, wenn es den deutschen Heeren gelang, rasch Paris zu nehmen und Frankreich zum Frieden zu zwingen, ehe die Engländer in der Lage waren, eine größere Armee zu organisieren und ins Feld zu stellen . Aber der Schlieffensche Plan miẞlang, der deutsche Vormarsch wurde an der Marne schon im zweiten Kriegsmonat abgewiesen, der Versuch , die Franzosen zu überrennen, war gescheitert, damit aber auch die einzige Möglichkeit für die Deutschen , den Krieg zu gewinnen. Aus dem Bewegungskrieg wurde im Westen ein Stellungskrieg, der weiteres erhebliches Vordringen der Deutschen nicht mehr gestattete . Die Zeit aber arbeitete gegen die Deutschen. In den Jahren 1915 und 1916 erstarkten die englischen

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Deutschlands Sieg ausgeschlossen

Armeen ununterbrochen , ihnen gesellten sich Hilfstruppen aus den Dominions zu. Frankreich hatte Zeit, Truppen aus den Kolonien heranzuziehen. Überdies gesellte sich im Mai 1915 noch Italien zu den Gegnern der Mittelmächte, die als Verbündeten nur noch die Türkei , November 1914, und Bulgarien, Oktober 1915 , gewannen. Die beiden Mittelmächte mit ihren Verbündeten haben im Weltkrieg zusammen etwa 24 Millionen Mann aufgebracht, davon 13 Millionen Deutsche, 9 Millionen Österreicher. Ihnen gegenüber stellten die hier aufgezählten Westmächte allein schließlich fast ebensoviele Truppen auf, 8½ Millionen Franzosen und Belgier, 84 Millionen Engländer, 54 Millionen Italiener. Zu diesen 22 Millionen gesellten sich noch 15 Millionen Russen, 1 Million Serben und nach dem August 1916 1 Million Rumänen . Also eine ungeheure Übermacht , schon ehe 1918 die Vereinigten Staaten mit 4 Millionen in den Krieg traten, deren Zahl sie noch hätten gewaltig steigern können.

Nun waren freilich nicht alle Truppen gleichwertig. Doch erwiesen sich die Russen den Österreichern und Türken militärisch gewachsen, und anderseits die Engländer und Franzosen den Deutschen. Wohl fiel im Laufe des Jahres 1917 die russische Armee aus, ein ungeheurer Glücksfall für die Mittelmächte. Aber die Verbündeten Deutschlands standen damals auch schon am Rande des Versagens , wurden nur noch mühsam durch deutsche Hilfe aufrecht gehalten . Der Zerfall Österreichs und seiner Armeen wurde durch das russische Beispiel stark gefördert. Es wirkte auch auf Deutschland. Dazu kam der Mangel an Nahrung, der die österreichische wie die deutsche Armee unterminierte. Endlich wurde das militärische Versagen Rußlands mehr als wett gemacht durch den Eintritt der Amerikaner in den Krieg ( April 1917) mit ihrem unerschöpflichen Reservoir völlig unverbrauchter Mannschaften . Der von den deutschen Militaristen geforderte und schließlich durchgesetzte rücksichtslose U- Bootkrieg brachte ebenso Amerikas Kriegserklärung, wie der Einbruch in Belgien die englische gebracht hatte . Ein unzureichender militärischer Vorteil wurde hier wie dort durch einen ungeheuren moralischen und politischen Schaden erkauft. So war seit der Marneschlacht im Weltkrieg die Situation der deutschen Armeen nie eine derartige, daß sie hätte erwarten dürfen , einen Siegfrieden erzwingen zu können . Das gab selbst mancher der deutschen Heerführer zu . So schreibt z. B. Ludendorff in seinen ,,Kriegserinnerungen" : ,,Es war ein schweres und verhängnisvolles Ereignis, daß Deutschland bei der zahlenmäßigen Unterlegenheit des Zweibundes und umstellt von Feinden den ihm aufgezwungenen ( ! , K. ) Krieg nicht in kühn geführtem Schlage gewann und nicht den an Zahl überlegenen aber weniger gut ausgebildeten Feind schlug.“ ( S. 54. )

Deutsche merken nicht Ernst der Lage

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Nach dem Versagen des kühn geplanten Schlags an der Marne erhielten die Feinde Deutschlands Zeit, ihre Heere besser auszubilden. ,,Wir mußten namentlich darauf gefaßt sein , daß England die Zeit benutzen werde, um seine Wehrkraft zu verstärken ." Das schuf für Deutschland eine trostlose Aussicht . Leider merkten die Deutschen davon nichts. Ludendorff bemerkt : „ Ich war überrascht über die Stimmung, die ich Ende Oktober 1914 in Berlin antraf. Von dem ungeheuren Ernst unserer Lage war nichts zu merken." ( S. 54. ) Das ist richtig. Ludendorff vergißt nur, hinzuzufügen , daß die offiziellen deutschen Kriegsberichte selbst ,,von dem ungeheuren Ernst unserer Lage nichts merken" ließen. Woher sollte der Zivilbevölkerung das Verständnis für diesen Ernst kommen ? Zum Teil hat die Heeresleitung den Ernst der Lage verschwiegen . Den wirklichen Verlauf der Marneschlacht im September 1914 hat die Masse des deutschen Volkes erst nach dem Kriege erfahren . Zum Teil aber hat die Heeresleitung selbst falsch gesehen und den. Ernst der Lage zu spät begriffen . Ludendorff muß in seinen eigenen Kriegserinnerungen immer wieder darauf hinweisen, daß er durch Erfolge der Gegner ,,überrascht" wurde. So bemerkt er zur Zahl der Streitkräfte , die die Amerikaner im Frühjahr 1918 nach Frankreich sandten : ,,Das war mehr, als ich für möglich gehalten hatte." ( S. 513. ) Oder zum Zusammenbruch der Bulgaren im Herbst 1918 bemerkt er : „ Die Oberste Heeresleitung wußte, daß die bulgarische Armee krank war, doch schien die Hoffnung begründet, daß sie den von uns erwarteten Angriff aushalten werde." (S. 577.) Man sieht, die Oberste Heeresleitung merkte selbst nicht immer vollständig ,,den Ernst der Lage". Doch im ganzen und großen konnte sie sich ihm nicht verschließen. Er war zu offenkundig. Ludendorff beobachtete ganz richtig , daß sich zu der zahlenmäßigen Unterlegenheit Deutschlands und seiner Verbündeten auch noch deren Minderwertigkeit in staatlicher Beziehung gesellte : „ Es war für uns jedenfalls ein Verhängnis, daß wir mit absterbenden Staaten wie Österreich- Ungarn und der Türkei verbündet waren. “ ( S. 91. ) Immer wieder betont Ludendorff : ,,Die ungeheure Übermacht unserer Feinde an Massen und Kriegsgerät mußte mit der Länge des Krieges immer empfindlicher werden. " (S. 188. ) Dazu kam der steigende Lebensmittelmangel in Folge der Blockade . Was wußten die Herrn der Heeresleitung dagegen aufzubieten : ,,Es ergab sich, daß wir an einen Sieg nur denken konnten , wenn Deutschland und seine Verbündeten an Menschen und wirtschaftlicher

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Soldatenglück

Kraft hergaben , was sie hergeben konnten, und wenn jeder Mann, der ins Feld ging, aus der Heimat ungebrochenen Siegeswillen und die Überzeugung mitbrachte, daß das Heer um des Vaterlandes willen siegen müsse. “ (S. 189. ) So lächerliche Bierbankphrasen waren das einzige , was die Leiter Deutschlands im Weltkrieg zur Begründung ihrer Siegeserwartungen aufzubringen wußten. Natürlich hätte Deutschland gesiegt, wenn das ,,Aufbieten aller wirtschaftlichen Kraft" und des ,,stärksten Siegeswillens" ein deutsches Privileg gewesen wären . Aber Deutschlands Gegner verstanden sich darauf ebensogut, wie die Deutschen, und darum wurde der Sieg der ,,ungeheuren Übermacht an Massen und Kriegsgerät " unausbleiblich. Schließlich gab es für Ludendorff nur noch einen Strohhalm, an den er sich anklammerte. Am 17. Oktober 1918, als der Zusammenbruch schon vor der Tür stand , fand in Berlin eine Sitzung des Reichsministeriums statt, der Ludendorff beiwohnte. Man beriet über die Frage, ob Deutschland weiter kämpfen oder den Waffenstillstand unter den Bedingungen , die Wilson aufstellte, annehmen solle. Die deutsche Regierung hatte Wilson gebeten, einen solchen herbeizuführen, Ludendorff hatte sie dazu gedrängt, da er den Krieg für verloren hielt und völligen Zusammenbruch befürchtete, wenn die Feindseligkeiten noch lange fortgingen . Als aber Wilson harte Bedingungen stellte, bekam Ludendorff Bedenken, ob man sie akzeptieren solle . Die Regierung forderte von ihm, er solle erklären , ob man noch weiter kämpfen solle oder nicht . Darauf entwortete er ausweichend (nach seinem eigenen Bericht, S. 604-605) : „ Der Krieg ist kein Rechenexempel. Es gibt im Kriege eine Menge Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten ... Es gehört zum Krieg Soldatenglück. Vielleicht bekommt Deutschland es auch wieder." Das Glück, der Zufall, das heißt, das bei dem heutigen Stand unserer Erkenntnis noch Unberechenbare , spielt bei allem menschlichen Tun eine große Rolle, allerdings kaum auf einem andern Gebiet unseres Handelns mit so schweren Konsequenzen als im Kriege, wo es auf Tod und Leben geht . Aber der Zufall spielt seine Rolle bei dem Geschehen nur, soweit es besonderer Natur ist, das heißt bei Einzelfällen . Je mehr im Geschehen das Besondere zurücktritt, das Allgemeine vorherrscht, desto mehr kompensieren sich die einzelnen Zufälle, desto mehr macht sich das Gesetzmäßige, das als notwendig Erkannte geltend. Ich habe davon ausführlich bereits in meinem Werk über ,,die materialistische Geschichtsauffassung" ( Berlin 1927) gehandelt,

in dem Abschnitt über das ,,Individuelle in der Geschichte" (II. S. 639 ff. ) . Hier genügt es , darauf hinzuweisen , daß der Zufall , das ,,Soldatenglück", das zur Zeit noch Unberechenbare, im Krieg eine große Rolle spielt ; aber nur für einzelne Aktionen wird der

Ludendorff Hasardeur

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Zufall entscheidend, und zwar um so mehr, je weniger Personen an einer solchen Aktion beteiligt sind . Je größere Massen in der einzelnen Schlacht auftreten und je zahlreicher die Schlachten , desto stärker macht sich im Endergebnis das als notwendig Erkennbare geltend . Ein Husarenleutnant darf auf das Soldatenglück rechnen, nicht ein Feldherr. Wohl gab es Kriege, die durch eine einzige große Schlacht entschieden wurden. Aber daß diese Schlacht entschied, das war keineswegs ein Zufall . Wenn der österreichisch -preußische Krieg von 1866 mit der Schlacht von Königgrätz entschieden war , während der deutsch-französische von 1870/71 nach der Schlacht von Sedan noch Monate lang mit größter Erbitterung weitergeführt wurde, beruhte dies verschiedene Verhalten hier und dort nicht auf Zufällen, sondern auf dem fundamentalen Unterschied zwischen dem Wesen des österreichischen und des französischen Staates und Volkes, aber auch auf dem Unterschied zwischen dem preußischen Militarismus von 1866 und dem von 1870, dessen Überheblichkeit, Begehrlichkeit und Macht im Staate in diesen vier Jahren gewaltig gestiegen war, so daß die Friedensbedingungen, die von Preußen gefordert wurden, 1870 weit härter ausfielen, als 1866. Seit der Marneschlacht stand die Situation für das deutsche Heer derart, daß eine völlige Niederschlagung der Gegner Deutschlands nicht zu erwarten war, trotz einzelner Erfolge, die es davon trug. Im Oktober 1918 aber hatte sich die Situation für die deutschen Truppen bereits so katastrophal gestaltet, daß das größte Soldatenglück ihnen im besten Fall erlauben mochte, hie und da den angreifenden Feind abzuweisen, daß es aber ausgeschlossen war, sein allgemeines Vordringen aufzuhalten. Die Berufung auf das Soldatenglück, das auch Deutschland wieder einmal lächeln könne , war im Oktober 1918 eine Sinnlosigkeit, die denjenigen als „,Hasardeur“ kennzeichnete , der sie äußerte. Aber sie kennzeichnete nicht bloß ihn, sondern jenen Militarismus überhaupt, der bis zur letzten Minute des Weltkriegs das deutsche Volk beherrschte . Diese militärisch gesinnten Herrn , und zwar nicht bloß Berufssoldaten , sondern auch Zivilpolitiker und Diplomaten der herrschenden Klassen Deutschlands warfen Ludendorff nicht vor, daß er Oktober 1918 noch daran dachte, weiter zu kämpfen, sondern sie warfen ihm vor, daß er in einem Moment klarer Erkenntnis der Sachlage den sofortigen Waffenstillstand gefordert hatte. In seinen „ Denkwürdigkeiten" erklärt Fürst Bülow : ,,Für mich wie für jeden anderen braven Preußen und politisch klarblickenden Preußen war in den Oktobertagen des Jahres 1918 nur noch ein Ausweg möglich : Wir mußten fechten, weiterfechten. Es blieb uns keine andere Wahl ... Es war, wie mir von einsichtsvollen Militärs versichert worden ist , ein Ausharren noch an verschiedenen Stellen möglich, jedenfalls am Rhein. " ( III . S. 295.)

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Durchhalten bis zum Untergang

Von einem Sieg spricht der so kampflustige Fürst nicht. Das einzige, was er für möglich hielt, war ein Verzögern des feindlichen Vordringens, eine Verlängerung des Krieges , in einem Zeitpunkt, in dem die Amerikaner begannen , die volle Stärke ihrer Armeen im Westen zu entfalten, das österreichische Heer sich auflöste, die Italiener in Tirol eindrangen und den Marsch auf München planten , der österreichische Staat zerfiel . Daß man, um der Kapitulation zu entgehen, den Krieg fortsetzen müsse bis zur völligen Zertrümmerung der deutschen Heere , das entsprach der militaristischen Auffassung, der die Fahnenehre über alles geht und die fordert, die Fahne bis zum letzten Mann zu verteidigen. Sie entsprach nicht der zivilistischen Auffassung , der das Heer nur ein Werkzeug zum Schutze des Volkes ist und für die das Gedeihen des Volkes in Freiheit und Wohlstand das höchste Gesetz bildet. Denn was war durch die Fortsetzung des völlig aussichtslos gewordenen Krieges noch zu gewinnen ? Sie bedeutete die Erfüllung eines Herzenswunsches der Militaristen im Lager von Deutschlands Gegnern, die es bedauerten, daß sie nicht siegreich in Berlin einmarschieren konnten , um dort die Friedensbedingungen zu diktieren. Das Weiterführen der ganz zwecklos gewordenen Menschenschlächterei bloß um des Prestiges deutscher Offiziere willen mußte den Haß der Gegner auf das stärkste entflammen, aber auch die Furcht vor einer Kriegsmacht ungemein erhöhen, die selbst nach ihrer Niederwerfung noch so unsägliches Unheil anrichtete. So schlimm viele Bestimmungen des Versailler Friedens für Deutschland wurden, eine Fortsetzung des Krieges hätte sie noch furchtbar verschärft . Sie hätte wahrscheinlich die Zerstücklung Deutschlands gebracht, vielleicht die Ablösung des ohnehin preußenfeindlichen Bayern und seine Vereinigung mit den österreichischen Alpenländern sowie die Annexion des linken Rheinufers an Frankreich. Das wären sicher törichte Maßnahmen gewesen. Sie hätten einen dauernden, wahrhaften Friedenszustand verhindert. Aber in der überhitzten Atmosphäre eines Mordens, das bloß um eines militärischen Ehrenpunktes willen über alle Vernunft hinaus erstreckt wurde, haben auch die Gegner Deutschlands nicht immer die Vernunft zu Rate gezogen. Das galt schon für den Versailler Frieden, es hätte noch . mehr für einen Frieden gegolten, zu dessen Erzwingung die feindlichen Truppen hätten in Berlin einmarschieren müssen . Die deutschen Militaristen behaupten, die Deutschen hätten keine andere Wahl gehabt, als bis zum äußersten zu kämpfen, angesichts des ausgesprochenen Willens der Alliierten , Deutschland zu vernichten". Aber was diese vernichten wollten, war doch nicht das deutsche Volk, sondern der deutsche Militarismus, dessen Übermacht sie fürchteten . Und die Alliierten waren keine einheitliche Körperschaft. Es gab natürlich auch bei ihnen rabiate Militaristen und Politiker, aber nach dem Zusammenbruch des

Diktatfriede

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russischen Zarismus bestanden sie nur aus demokratischen Staaten, deren Regierungen den Willen ihrer Völker beachten mußten. Und unter denen wuchs die Kriegsmüdigkeit ebensosehr, wie bei den Völkern der Mittelmächte. Die Sicherung vor dem deutschen Militarismus, die überall die Völker ersehnten , konnte durch einen demokratischen Frieden ebensogut, ja noch weit besser erreicht werden, als durch die völlige Zerschlagung der deutschen Armeen. Hätte sich die geringste Aussicht gezeigt, daß die Mittelmächte einen demokratischen Frieden akzeptieren würden, dann wäre das Verlangen nach ihm in den Völkern der Alliierten unwiderstehlich geworden. Seitdem es sich herausgestellt hatte, daß Deutschland nicht den Sieg davon tragen könne, bildete die Bereitwilligkeit, einen demokratischen Frieden zu schließen das einzige Mittel, dem deutschen Volke das größte Unheil einer Niederlage zu ersparen . Dagegen war es für jeden, der die Kriegslage klar erkannte und das durfte man zumindest von der obersten Heeresleitung erwarten ganz sinnlos, das Durchhalten bis zum Siege zu fordern und zu fördern, denn dies konnte für die Deutschen nur das Durchhalten bis zum Siege der Gegner bedeuten, das Durchhalten bis zur völligen Widerstandslosigkeit der eigenen Armee, also das Durchhalten bis zur eigenen Kapitulation . Einen demokratischen Frieden konnten die Mittelmächte jedoch nur erreichen, solange ihre eigenen Armeen noch intakt, noch kampffähig waren. Waren sie kampfunfähig geworden, dann gewann der Rausch der Siegesbegeisterung bei den Gegnern eine solche Intensität, daß ein Diktatfriede, ein Gewaltfriede unausbleiblich wurde . Die deutschen Militaristen und Nationalisten sind es , die heute am lautesten über den „ Schandfrieden" von Versailles zetern. Wir wollen nicht untersuchen, welche Gestalt der Frieden angenommen hätte, wenn etwa Wilhelm und Ludendorff in die Lage gekommen wären, ihn diktieren zu können. Ein solcher Friede hätte die niedergeworfenen Staaten sicher noch weit mehr vergewaltigt, als es die Versailler Bestimmungen taten. Aber abgesehen davon, sind es gerade diese militaristischen und nationalistischen Elemente in den Regierungen der Zentralmächte gewesen, die den Diktatfrieden dadurch herbeiführten, daß sie selbst immer wieder das Durchhalten bis zum Siege proklamierten . Wohl erwachte bei manchem klarer sehenden Deutschen und Österreicher auch in regierenden Kreisen schon früher die Erkenntnis, sie könnten den Krieg nicht gewinnen und müßten den Frieden herbeiführen . Seit 1916 setzten die Versuche verschiedener Regierungen, namentlich der Deutschen und Österreicher ein, zu Friedensverhandlungen zu kommen . Aber diese Versuche führten zu nichts wegen des tiefen Mißtrauens der Regierungen und Völker der Welt gegen Deutschland . Man witterte in jeder deutschen

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Reichsregierung zweideutig

Einladung zu Friedensverhandlungen eine Falle. Nur ein klares, völlig unmißverständliches Friedensangebot hätte dieses Mißtrauen bannen können, daran ließ es aber die deutsche Regierung vollständig fehlen, bis zur letzten Minute, bis zur Flucht des deutschen Kaisers . Wilhelm und seine Leute wichen jeder Aufforderung aus, sich deutlich und unzweideutig in der Friedensfrage zu äußern. Sie sprachen darüber stets unbestimmt, zweideutig. Das war eine unvermeidliche Folge ihrer zwiespältigen Stellung im eigenen Volke. Auf der einen Seite mußten sie trachten, die arbeitenden Klassen und die demokratischen Parteien - Sozialdemokraten, bürgerliche , katholische Demokraten — um sich zu scharen. Diese verlangten nach einem bloßen Frieden der Sicherung, ohne Annexionen und Kontributionen . Dabei aber wurde die Regierung bestimmt von den großen Ausbeutern im Grundbesitz und der Industrie sowie von Militaristen und Bureaukraten und jenen Intellektuellen , die in den Traditionen des preußischen Militarismus groß geworden waren. Diese Schichten litten relativ wenig unter dem Kriege, waren zum Teil persönlich Kriegsgewinner, bereicherten sich aus der Kriegsnot. Sie alle verlangten stürmisch nach Kriegsgewinnen für den Staat. Sie verlangten das um so stürmischer, je mehr sie sich nicht von der Erkenntnis der Gegenwart, sondern von den Erinnerungen an die große Vorzeit bestimmen ließen, was noch gefördert wurde durch die Tendenz zu rosiger Färbung der Gegenwart in der Erstattung der offiziellen Kriegsberichte . Für sie stand es fest, daß der Krieg mit einem erheblichen Kriegsgewinn für das Reich enden müsse, mit direkten oder versteckten Annexionen weiter Gebiete westlich und östlich von Deutschland, und dazu mit neuen Milliarden Tributen der Unterliegenden . Der Frankfurter Friede von 1871 sollte sich im verstärkten Maße wiederholen. Diese Tendenzen waren in Deutschland sehr stark, die Regierung ihre Gefangene. Sie wagte es nicht, sie zurückzuweisen , aber auch nicht, mit Rücksicht auf die Sozialdemokraten und die ihnen benachbarten Volksschichten, sie offen zu akzeptieren . Die Kriegszensur mochte es im Innern des Reichs bis zu einem gewissen Grade ermöglichen, diese Unbestimmtheit zu verschleiern, für das Ausland trat sie deutlich zutage , sie brachte der Reichsregierung den Ruf der Doppelzüngigkeit ein. Tatsächlich wäre es ihr unmöglich gewesen, selbst wenn sie gewollt hätte, sich auf einen demokratischen Frieden einzulassen oder gar einen solchen selbst vorzuschlagen, solange ihre Armeen noch kampffähig im Felde standen . Jeder derartige Versuch wäre von den herrschenden Klassen Deutschlands als schmählicher Verrat und Fahnenflucht betrachtet und mit wilder Rebellion beantwortet worden. Gegenüber dieser Rebellion von oben den Ache-

Kaiser wurde getäuscht

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ron von unten aufzurufen , die arbeitenden Klassen für den demokratischen Frieden mobil zu machen, dazu hätte eine Regierung gehört, die ebenso kühn und entschlossen wie aufrichtig demokratisch gesinnt war, nicht eine, die sich als ein Herz und eine Seele mit den herrschenden Klassen fühlte und vor ihnen nur einen etwas größeren Einblick in die Aussichtslosigkeit der deutschen Sache voraus hatte. Ganz klar sahen jedoch selbst die höchsten Herrschaften nicht. Wir haben schon mitgeteilt, daß noch im letzten Moment, als alles zusammenbrach, Ludendorff auf das ,,Soldatenglück" spekulierte. Der Kaiser wurde systematisch in völliger Unwissenheit über den Stand der Dinge gehalten . Bülow teilt mit, Ballin habe ihm im Herbst 1918 erzählt, Wilhelm II . Umgebung verschweige dem Kaiser systematisch die schlimmsten Nachrichten : „ Beide (die Kaiserin und Kabinettsrat Berg , K. ) sind der Überzeugung, daß der Kaiser, wenn er die Situation so sähe, wie sie in Wirklichkeit ist, vollständig zusammenbrechen würde, und sie fragen beide : Was wäre uns mit einem solchen Kollaps geholfen. Die Folge ist, daß der Kaiser mehr denn je in a fools paradise ( Narrenparadies, Traumwelt, K. ) lebt und ein großer, ja der größte Teil des deutschen Volkes mit ihm." (,,Denkwürdigkeiten", III . S. 283. ) Eine Regierung dieser Art war außerstande, einen demokratischen Frieden herbeizuführen. Sie hätte mit einem solchen das deutsche Volk gerettet, aber die Dynastien der Hohenzollern und Habsburger wären dabei unmöglich geworden. Selbstmord durfte man von ihnen nicht erwarten, so mußten die Völker der Mittelmächte den bitteren Kelch des Kriegsunheils bis zur Neige leeren, bis zum völligen Zusammenbruch und dem daraus unvermeidlich hervorgehenden Gewaltfrieden. Diejenigen, die heute am meisten über ihn zetern, sind die Hauptschuldigen an ihm , an der Art des Kriegsendes ebenso wie vorher am Kriegsausbruch. Sie sind die Schuldigen, oder ihre Väter, in deren Fußstapfen sie wandeln .

c) Stockholms dreizehn Punkte. Die Regierungen und Heeresleitungen der Mittelmächte durften 1917 nicht mehr erwarten, daß es ihnen möglich sein werde, den Feind zu besiegen, sie fürchteten aber nichts mehr, als dies eingestehen zu müssen. Wohl gedachten sie den Krieg nur noch solange fortzuziehen, bis sich eine passende Gelegenheit fand, ihn in Ehren abzubrechen . Aber sie verstanden es nicht, solche Gelegenheiten zu benutzen. Und doch boten sich mehrfach Situationen, die Deutschen und Österreichern erlaubt hätten , einen für ihre Völker erträglichen, ja vorteilhaften Frieden zu erlangen . Sie wurden nie benutzt. Noch anfangs 1918 boten sich zwei Gelegenheiten , die einen sofortigen, ehrenvollen Frieden für die Mittelmächte ermöglicht

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Amerika und Deutschland

hätten die eine waren Wilsons vierzehn Punkte , die andere die Friedensverhandlungen von Brest- Litowsk. Der aufrichtige Demokrat und Friedensfreund Woodrow Wilson, 1913 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten erwählt, strebte vom Beginn des Weltkriegs an, ihn möglichst bald durch einen Frieden ohne Sieger und Besiegte zu beenden, wobei Amerika den Vermittler und Schiedsrichter spielen sollte. Obwohl die Mehrheit der Amerikaner im Kriege antideutsch gesinnt war, versuchte Wilson neutral zu bleiben. In diesem Bestreben fand er sich mit dem deutschen Botschafter in Washington, I. H. Bernstorff, der wohl wußte, wie wichtig für die Deutschen es sei , Amerikas Neutralität zu erhalten . Doch spielte Bernstorff die Rolle einer Kassandra gegenüber den deutschen Militaristen, die immer wieder Gewalttaten begingen, durch die Amerikas Bürger in wilde Wut gegen Deutschland versetzt wurden. Die Verletzung der Neutralität Belgiens war die erste dieser Gewalttaten, denen sich später zahlreiche neue Akte ähnlicher Art hinzugesellten, so die zwangsweise Deportation belgischer Arbeiter nach Deutschland, damit sie dort deutsche Arbeiter ersetzten, die an die Front mußten . Das wurde nicht gebessert dadurch, daß ,,von Reichsdeutschen und Deutschamerikanern in den Vereinigten Staaten einige Gesetzesverletzungen begangen wurden", wie sich Bernstorff in seinem Buch ,,Deutschland und Amerika" ( Berlin 1919, S. 43) euphemistisch ausdrückt. Es waren Versuche, Munitionsfabriken, Arsenale und Brükken zu sprengen sowie die Einschmuggelung von Brandbomben und Höllenmaschinen auf alliierte Schiffe, die von ,,Reichsdeutschen" in Amerika unternommen wurden , ohne Vorwissen des Botschafters, den sie zur Verzweiflung brachten . Aber Bernstorff selbst konnte nicht in Abrede stellen , daß deutsche militärische Stellen an der Anstiftung solcher Taten beteiligt seien. Der Militärattaché der deutschen Botschaft in Washington , Herr v. Papen, mußte denn auch wegen solcher Vorkommnisse auf Verlangen der amerikanischen Regierung Amerika verlassen . (Dezember 1915. ) Am meisten aber wurden die Amerikaner erregt durch den unbeschränkten Unterseebootkrieg, den die deutsche Regierung seit Februar 1915 gegen Handelsschiffe führte, die sich in den Gewässern um Großbritannien und Irland herum befanden und die ohne weiters versenkt werden sollten . Die Erregung erreichte einen bedenklichen Grad, als am 7. Mai 1915 der englische Dampfer ,,Lusitania", der von Amerika nach England fuhr, von einem deutschen Unterseeboot in die Luft gesprengt wurde, wobei 1400 Passagiere den Tod fanden, unter ihnen viele Frauen und Kinder, auch über hundert Amerikaner. Fast wäre es damals schon zum Bruch zwischen Deutschland und Amerika gekommen . Mit Mühe verhinderte ihn Wilson . Aber die feindselige Stimmung gegen

Amerika erklärt den Krieg

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Deutschland verschärfte sich immer mehr, je mehr der U- Bootkrieg neue ,,Zwischenfälle" schuf. Schließlich kam es so weit, daß die amerikanische Regierung am 18. April 1916 der deutschen eine Note sandte , die unverblümt mit dem Bruch drohte, wenn der U-Bootkrieg nicht gewissen Beschränkungen im Interesse der Menschlichkeit unterworfen werde. Das bewog die deutsche Regierung zum Einlenken. Doch nicht für lange . Denn die deutschen Militaristen verachteten Amerikas Kriegsmacht und forderten immer wieder die Wiederaufnahme des unbeschränkten U-Bootkrieges. Bethmann Hollweg ließ sich von ihnen breitschlagen und verkündete die Erneuerung des unbeschränkten U- Bootkrieges, am 31. Januar 1917. Es geschah im ungeeignetesten Zeitpunkt, denn unmittelbar vorher hatte Wilson den Versuch gemacht, den Frieden zu vermitteln . Der Versuch erschien ihm in der damaligen Lage aussichtsreich . Daß die Deutschen gerade in diesem Moment einen Schritt unternahmen , von dem sie seit dem Ultimatum vom April 1916 wußten, daß er den Bruch mit Amerika bedeute , mußte er als doppelte Insulte empfinden. So kam , was kommen mußte : die Vereinigten Staaten erklärten Deutschland den Krieg, 6. April 1917. Die deutschen Militärs lachten darüber. Die amerikanische Armee war 1917 noch kleiner, als die englische Armee 1914 gewesen. Ebenso wie damals die Engländer, mußten nun die Amerikaner ihre Armee für den Weltkrieg erst neu schaffen. Das kostete Zeit . Inzwischen hofften die in Deutschland regierenden und kommandierenden Herrn durch ihre Unterseeboote England und damit die Feinde überhaupt niedergezwungen zu haben. Diese Erwartung trog ebenso wie die 1914 auf den Einbruch in Belgien gesetzte . Das Jahr 1918 kam und Englands Kriegführung war so intensiv, wie nur je. Um diese Zeit näherte sich aber die amerikanische Armee dem Zeitpunkt, in dem sie imstande war, auf europäischen Boden in die Kriegsereignisse einzugreifen. Ehe das geschah , hielt es der demokratische Präsident der Vereinigten Staaten, Wilson , für geboten, die Kriegsziele seines Staates genau darzustellen und zu verkünden . Das hätte jede der am Kriege beteiligten Regierungen bei Beginn ihres Eintritts in den Krieg tun oder hätte zumindestens jede der demokratischen Parteien von ihrer Regierung fordern sollen. Es war jedoch überall bei allgemeinen Redensarten geblieben, die sehr verschieden gedeutet werden konnten und gedeutet wurden . Wilson war das erste der Staatsoberhäupter, der eine genaue

Darstellung seiner Kriegsziele gab, in den berühmten vierzehn Punkten, die er am 8. Januar 1918 in einer Botschaft an den amerikanischen Senat verkündete . Er war, wie gesagt, das erste der Staatsoberhäupter, das konkret und umfassend seine Kriegsziele 38

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Stockholmer Friedensprogramm

kundgab. Doch war er nicht der erste unter den ansehnlichen politischen Faktoren jener Zeit, der das tat. Ein anderer war ihm zuvorgekommen : die zweite Internationale. Wir haben gesehen, wie das Sekretariat der Internationale in Verbindung mit einem holländisch - skandinavischen Komitee im Frühjahr 1917 daran ging, eine internationale Zusammenkunft — mochte man sie Konferenz nennen oder Kongreß — sozialistischer Delegierter nach Stockholm einzuberufen . Die sozialistischen Parteien der meisten Länder entsendeten Vertreter nach Stockholm, von denen freilich nicht alle kommen konnten , teils weil ihnen die Pässe verweigert wurden , teils wegen Verkehrsschwierigkeiten . Der Kongreẞ konnte nicht abgehalten werden, man mußte auf ihn verzichten. Damit aber der Versuch nicht ganz ergebnislos ausgehe, unter-

nahm es das Organisationskomitee der Konferenz , auf Grund der Denkschriften, die von den verschiedenen Delegationen vorgelegt waren, sowie der mündlichen Ausführungen einzelner Delegierter in Stockholm Vorschläge für einen allgemeinen Friedensschluß auszuarbeiten . Wohl durfte man diese Vorschläge nicht als Beschlüsse der Internationale betrachten , immerhin aber kennzeichnen sie den Geist, der ihre große Mehrheit beseelte. Das Organisationskomitee, bestehend aus Vertretern der sozialistischen Parteien Hollands, Dänemarks, Schwedens und Norwegens sowie dem Sekretariat der zweiten Internationale erließ diese Kundgebung am 10. Oktober 1917. Sie ist abgedruckt als Manifest in dem schon früher zitierten Sammelband ,, Stockholm", S. 493. Das Manifest wollte einen dauernden Frieden, einen Frieden der Versöhnung, der kein Volk benachteilige und vergewaltige, so daß jedem Krieg für immer ein Ende gesetzt sei . Das Vermeiden aller Annexionen , das die Kundgebung proklamierte, wie das damals alle Welt tat, sollte natürlich nicht die Wiederherstellung des Status quo ante bellum bedeuten. Das wäre gleichbedeutend gewesen mit der Wiederherstellung der alten Konfliktsherde. Das Manifest forderte nur, daß Grenzveränderungen nicht nach dem Rechte des Stärkeren vorgenommen werden sollten, sondern nach Befragung der durch solche Änderungen betroffenen Bevölkerung. Es sollten auch keine Kriegsentschädigungen an den Sieger gezahlt werden . Nur Tributzahlungen sollten zurückgezahlt werden, wenn sie der eindringende Landesfeind im Gegensatz zu den Bestimmungen der Haager Übereinkunft ( gemeint war offenbar die von 1899) während des Krieges in einzelnen Gegenden erhoben hatte. Die Frage der „, Reparationen “ wurde damit nicht verquickt. Für die Wiederherstellung der im Kriege verwüsteten Gebiete, sollte ein eigener, internationaler Fonds gegründet werden.

Stockholmer Friedensforderungen

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Aber das Manifest begnügte sich nicht mit der Aufstellung allgemeiner Grundsätze, sondern formulierte auch besondere Forderungen : 1. wurde als unerläßliche Friedensbedingung bezeichnet die vollständige politische und ökonomische Wiederherstellung Belgiens. Entschädigung des Landes durch Deutschland für den von diesem Staate dort angerichteten Schaden , was ja BethmannHollweg bereits am 4. August 1914 versprochen habe ; 2. Lösung der Frage Elsa B - Lothringens durch eine Abstimmung der Bewohner dieses Gebiets, eventuell nach Distrikten, so daß sich einzelne Teile des Landes für Verbleiben bei Deutschland, andere für Rückkehr nach Frankreich aussprechen konnten. Diese Art der Lösung war die einzig demokratische und vom demokratischen Standpunkt sicher der Forderung vorzuziehen, Elsaß-Lothringen solle einfach als geraubtes Gebiet an seinen ursprünglichen Besitzer, Frankreich, zurückgegeben werden . Wenn die internationale Sozialdemokratie 1870 gegen die Losreißung des Elsaß von Frankreich protestierte , so geschah es nicht. deshalb, weil sie ein unveräußerliches Eigentumsrecht des französischen Staates an diesem Gebiet anerkannte, sondern weil die. Elsässer leidenschaftlich forderten, bei Frankreich zu bleiben. Und wenn die borussischen Machthaber, die über Elsaß -Lothringen von 1871 bis 1918 verfügten, es verstanden hätten, Liebe und Vertrauen der Bewohner zum deutschen Reich hervorzurufen , dann mußten alle Demokraten jeglichen Anspruch Frankreichs auf die losgerissenen Gebiete entschieden ablehnen . Sie erkannten diesen Anspruch an, nicht wegen eines historischen Eigentumsrechts des französischen Staates am Boden, sondern wegen der ausgesprochenen Gesinnung der Bevölkerung. Es war sehr undemokratisch von den Siegern , dies beim schließlichen Friedensschluß nicht zu beachten und nicht das Schicksal Elsaß-Lothringens durch eine Volksabstimmung entscheiden zu lassen . Sie wäre gewiß nur eine bloße Formalität gewesen , hätte kein anderes Ergebnis gezeitigt, als das im Versailler Vertrag festgesetzte, aber der moralische Eindruck wäre ein größerer gewesen und das demokratische Denken besser gewahrt worden. 3. forderte das Stockholmer Manifest die Wiederherstellung eines ökonomisch und politisch unabhängigen Serbien , das mit Montenegro zu vereinigen und aus einem internationalen Fonds wieder aufzubauen wäre . Es sollte ihm freier Zugang zu dem Hafen von Saloniki gesichert werden. Das war alles, was Serbien erhalten sollte. Dies bezeugt bereits, welche Zurückhaltung das Komitee der Internationale im Interesse der raschesten Beendigung des Krieges übte. Es wollte nichts fordern , was geeignet schien, den Krieg zu verlängern , wollte den Zentralmächten nichts unerträgliches zumuten, Österreich ebensowenig, wie Deutschland. 38*

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Stockholms Friedenspunkte

In diesem Bestreben gingen die Sozialisten der neutralen Mächte, die das Stockholmer Manifest verfaßten, so weit , Österreichs Umfang in keiner Weise schmälern zu wollen. Daher sollte Serbien bloß wiederhergestellt werden, vergrößert durch Montenegro, aber weder Bosnien, noch ein Hafen an der Adria sollte ihm zuteil werden ! 4. Dasselbe Streben , den Mittelmächten nichts Unerträgliches aufzubürden, zeigt sich in der Forderung, betreffend Polen . Das Stockholmer Komitee verlangt wohl die ,,Schaffung eines freien und unabhängigen Polen", fügt aber hinzu : ,,Die polnischen Gebiete Österreichs und Deutschlands sollen eine möglichst weitgehende Autonomie erhalten." Also um Österreich und Deutschland den Friedensschluß zu erleichtern, verzichtete man auf die Schaffung eines polnischen Gesamtstaates. Die Teilung Polens sollte fortbestehen. 5. Auch für die Tschechen verlangte man nur ihre Konstituierung in einem nationalen Gemeinwesen innerhalb eines „, österreichisch-ungarischen Föderativstaates". 6. Dasselbe wurde für die S ü dslawen Österreichs verlangt. 7. Für jene italienischen Bezirke Österreichs, die nicht an Italien abgetreten werden sollten (wohl nur Enklaven) , wurde ,,kulturelle Autonomie" gefordert. 8. Fühlten die Verfasser des Manifests das Bedürfnis, für Irlands politische Unabhängigkeit, allerdings im Rahmen Großbritanniens einzutreten . Sie taten das wohl, um ihre Unbefangenheit darzutun, und zu zeigen , daß sie für beide Seiten dieselbe Gerechtigkeit forderten. Für den Friedensschluß kam Englands Stellung zu Irland nicht in Betracht. 9. Zeigte das Stockholmer Komitee Interesse für die Erhaltung der Einheit des russischen Reichs. Dieses sollte eine Föderativrepublik sein mit territorialer Autonomie aller seiner Nationalitäten. Auch Finnland sollte als unabhängiges Gemeinwesen mit dem russischen Staatswesen vereint bleiben . 10. In Nordschleswig sollte eine Grenzberichtigung eintreten auf Grund freundschaftlicher Verständigung zwischen den beteiligten Staaten und nach einer Volksbefragung. 11. Türkisch - Armenien sollte territoriale Unabhängigkeit erhalten. Vom russischen Armenien sprach das Stockholmer Manifest nicht und ebensowenig von den Arabern, die sich gegen die Türken erhoben hatten. 12. Wurde noch die Judenfrage in Betracht gezogen. Sie sollte gelöst werden durch die Gewährung ,,persönlicher (sic) Autonomie in jenen Distrikten Rußlands , Österreichs, Rumäniens und Polens, in denen die Juden gedrängt zusammenwohnen und Förderung der jüdischen Kolonisation in Palästina ". Also von der Schaffung eines jüdischen Nationalstaates dort, der die Gesamtheit der Juden der Welt aufnehmen sollte, sah man ab.

Stockholms Friedensaktion

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13. Wurde endlich als Krönung des Gebäudes die Schaffung eines Völkerbundes verlangt. Von dem werden wir noch ausführlicher handeln. Man sieht, die dreizehn Punkte, in denen das Stockholmer Komitee der Internationale den Friedensvertrag formulierte, den es wünschte , zeichneten sich nicht durch revolutionäre Kühnheit aus. Sie waren sehr bescheiden , vor allem von dem Wunsche beseelt, dem Kriege raschest ein Ende zu bereiten , den Völkern hüben wie drüben zu zeigen, daß ein sofortiger Friedensschluß möglich sei , ohne Gefährdung der Lebensinteressen eines von ihnen. In der Tat, wenn ein Friede auf dieser Grundlage sofort erreichbar gewesen wäre , dann hätte sich wohl die ganze Internationale für ihn eingesetzt, trotz mancher Wünsche für eine weitergehende Lösung einzelner Probleme . Eine solche wäre durch den Friedensschluß nicht für immer ausgeschlossen worden. So erklärten z . B. die Verfasser der dreizehn Punkte, die Wiedervereinigung der polnischen Gebiete Rußlands, Österreichs und Deutschlands in einem Nationalstaat sei eine alte Forderung der sozialistischen Internationale. Die Schaffung eines freien Polens neben der Autonomie der Polen Österreichs und Preußens sollte nur die ,, Grundlage zu einer späteren normalen Entwicklung" werden. Allerdings ein nicht ganz klarer Gedankengang . Immerhin wollten die Stockholmer weder den Polen , noch den Tschechen oder Südslawen in Österreich (von den Rumänen dort sprachen sie nicht) die Weiterentwicklung zu voller Selbständigkeit verrammeln. Diese wäre auch nach erreichtem Frieden nicht mehr aufzuhalten gewesen. Konnte die Beendigung des Krieges durch das Annehmen der dreizehn Punkte erreicht werden , dann bedeutete das eine wahre Erlösung für die ganze gequälte Menschheit. Für die verbündeten vier Dynastien, die Kaisertümer Deutschland und Österreich , das Sultanat in der Türkei , das Königtum in Bulgarien, bedeuteten diese dreizehn Punkte aber noch mehr. Soweit die monarchischen Gewalten jener Staaten vor dem Zusammenbruch noch zu retten waren, konnte das nur durch die Annahme eines Friedensprogramms nach der Art des im Stockholmer Manifest vorgeschlagenen erreicht werden . Die Rettung jener Monarchien hätte für die Vertreter der Internationale natürlich nicht ein erstrebenswertes Ziel bedeutet, wenn nicht die dreizehn Punkte vor allem die Rettung der Völker dieser vier Staaten vor den Schrecken einer Invasion und eines Diktatfriedens, die Rettung aller kriegführenden Völker vor den Schrecken der Weiterführung des Gemetzels mit sich gebracht hätten. Erklärten sich die vier verbündeten Monarchien bereit, den dreizehn Punkten zuzustimmen oder sie als Grundlage eines Friedenskongresses anzunehmen, dann wurde die Friedensbewegung in der Welt unwiderstehlich. Die Völker der demokratischen

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Stockholm und Wilson

Staaten waren zur Fortführung des Krieges nur noch zu bewegen durch die Furcht vor dem Sieg der Barbarei , die sie in ihren Gegnern verkörpert glaubten . Zeigten sich die Regenten der Mittelmächte als Kulturmenschen, die, obwohl unbesiegt, bereit waren, den Forderungen der Demokratie Rechnung zu tragen, dann schwand die Furcht der Völker vor ihnen, dann wurde in den demokratischen Westmächten jede Regierung unmöglich, die den Krieg bis zur Zerschmetterung ihrer Gegner fortsetzen wollte . Aber die Regierungen der Mittelmächte ignorierten völlig den Vorschlag der Internationale. Noch mehr. Sie behandelten nicht besser die vierzehn Punkte, die später als das Stockholmer Komitee der amerikanische Präsident als seine Kriegsziele formulierte .

d) Wilsons vierzehn Punkte. Wilsons Friedensprogramm war in anderer Weise aufgebaut als das Stockholmer Manifest. Und doch finden wir zwischen beiden vielfache Übereinstimmung. Mancher Punkt blieb allerdings hier unberücksichtigt, der dort formuliert war, andere wieder wurden hier als besondere Forderungen vorgebracht, dort in allgemeinen Erwägungen oder einem Kommentar erwähnt . So verlangte Wilson im ersten Punkte seiner Liste die Öffentlichkeit der Friedensverhandlungen, das Ende aller geheimen internationalen Abmachungen. Das Stockholmer Manifest führte in den Erläuterungen zu seiner Liste unter anderem aus, ,, die Unterdrückung der geheimen Diplomatie und die ständige Mitarbeit der Parlamente an der auswärtigen Politik sei im Kriege eine Forderung der Demokratie aller Länder geworden". (S. 500 , 501 , vgl . S. 521. ) Der zweite der Wilsonschen Punkte forderte die 99 vollkommene Freiheit der Schiffahrt auf dem Meere im Krieg wie im Frieden". Davon sprechen die Stockholmer nicht, dafür handelten sie in ihren Erläuterungen um so ausführlicher von der internationalen Sicherung des Arbeiterschutzes, vom Normalarbeitstag , Koalitionsrecht, Freizügigkeit , Arbeiterversicherung. Von alledem ist wieder bei Wilson nichts zu finden . Sein dritter Punkt hat den Handel und nicht die Produktion im Auge. Er verlangt die möglichste Beseitigung aller wirtschaftlichen Schranken und Herstellung der Gleichheit der Handelsbedingungen aller Nationen. Unter diesen Punkt kann man ja die internationale Freizügigkeit für die Arbeiter bringen, nicht aber den Achtstundentag, die Koalitionsfreiheit, die Arbeiterversicherung etc. Im 4. Punkte verlangt Wilson eine weitgehende allgemeine Abrüstung. Die Stockholmer erhoben die gleiche Forderung , aber in Verbindung mit dem Völkerbund ( S. 490, 521 ) , nicht als besonderen Punkt.

Stockholm und Wilson

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Das gleiche gilt vom 5. Punkt, der das Verlangen nach „, einer freien, aufrichtigen und vollkommen unparteiischen Ordnung aller kolonialen Forderungen" ausspricht, wobei die Interessen der beteiligten Bevölkerung ebenso zu wahren seien wie die ,,berechtigten Forderungen" der Regierungen. Das hieß, der amerikanische Präsident wünschte den kolonialen Pudel zu waschen ohne ihn naß zu machen. Die Interessen der Ausgebeuteten sollten ebenso gewahrt werden , wie die der Ausbeuter. Wie das zu geschehen habe, verriet Wilson nicht. Das Stockholmer Manifest formuliert die Kolonialpolitik der Internationale in keinem besonderen Punkt. Nur einmal, in seinen Erläuterungen bemerkt es : ,,Das Erwachen nationaler Bestrebungen in den Kolonien kann ein Gegengewicht gegen den Imperialismus der modernen Staaten und die Grundlage für die Entwicklung von Beziehungen werden, die auf einer Gemeinsamkeit der Interessen der Kolonien und der Staaten, von denen sie beherrscht werden, beruhen. In diesem Sinne kann der Sozialismus solchem Erwachen förderlich sein. “ ( S. 508. ) Die Bedingungen dieses Prozesses lägen aber in den verschiedenen Kolonien verschieden, es könne keine allgemeine internationale Regel dafür aufgestellt werden . Das hieß an die Frage der Kolonien auch noch recht behutsam herangehen . Aber doch etwas entschiedener als Wilson, denn das Erwachen des Geistes der nationalen Unabhängigkeit in den Kolonien weist in der Tat den Weg, den sie gehen werden und den nach Kräften zu fördern das internationale Proletariat alle Ursache hat. Der sechste der 14 Punkte Wilsons handelt von Rußland . Er führt eine ihm sehr freundliche Sprache. Er fordert die Räumung des ganzen russischen Reiches durch die Mittelmächte , vollste Freiheit für die Völker Rußlands , über ihre eigene politische Entwicklung zu entscheiden ,,,die aufrichtige, freundschaftliche Aufnahme in die Gesellschaft der freien Nationen unter Gesetzen, die es selbst will , ja darüber hinaus die Unterstützung in allen Dingen, die Rußland braucht und wünscht". Das ging noch über das hinaus, was die Stockholmer für Rußland forderten. Und doch verfaßten sie ihr Manifest einen Monat vor dem Staatsstreich der Bolschewiks, Wilson das seine mehr als einen Monat später, aber allerdings noch vor dem Zusammentritt und der Sprengung der frei gewählten konstituierenden Nationalversammlung, von der so viele Demokraten , Sozialisten , Revolutionäre seit Jahrzehnten die Neugestaltung eines freien Rußland erhofft und ersehnt hatten. In den übrigen acht Punkten berührt sich Wilson sehr eng mit den Stockholmern.

Der 7. Punkt fordert die Räumung und Wiederherstellung Belgiens , der 8. die Frankreichs. Es hieß dort weiter :

Polen

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,,Das Unrecht, das Frankreich durch Preußen im Jahre 1871 in der elsaB-lothringschen Frage geschehen ist und das den Weltfrieden seit nahezu fünfzig Jahren stört, soll wieder gutgemacht werden." Diese Formulierung ist weit weniger glücklich, als die der Stockholmer, die Volksabstimmung forderte . Die Wilsonsche Fassung ist viel unbestimmter und läßt die Deutung zu , das Unrecht, das Frankreich 1871 zugefügt wurde , sei nicht in der Vergewaltigung der Elsässer, sondern in der Schmälerung des französischen Bodenbesitzes zu suchen . Das Problem sei nicht eines der Demokratie, sondern des Eigentumsrechts, und zwar des feudalen, das die arbeitenden Menschen als Zubehör zum Boden betrachtete , den sie bearbeiteten. Einen Fortschritt gegenüber Stockholm bekundet dagegen ein anderer der Punkte , die (wenigstens teilweise ) Deutschland betreffen. Es ist der 13., der fordert : ,,Ein unabhängiger polnischer Staat sollte errichtet werden, der die von zweifellos polnischer Bevölkerung bewohnten Gebiete einschließen müßte." Hier wird nicht bloß das polnische Gebiet Rußlands gemeint, sondern auch das Preußens und Österreichs. Allerdings nicht ganz Galizien, sondern nur dessen westlicher Teil. In Österreich bestand aber schon seit langem eine starke Strömung zur Bildung eines polnischen Staates, zu dem Galizien gehören sollte. Österreichische Staatsmänner sahen in diesem Staat einen starken und zuverlässigen Bundesgenossen gegenüber Rußland . Die dynastisch gesinnten Elemente Österreichs hofften überdies noch auf den Anschluß des neuen Polen an Österreich oder doch auf die Gewinnung eines neuen Throns in Polen für einen Sprößling der Habsburger. Trotzdem waren Österreichs leitende Staatsmänner schließlich unter dem Drucke der Kriegsnot gewillt, auf Galizien zu verzichten. Graf Ottokar Czernin, vom Dezember 1916 bis April 1918 Außenminister Österreichs, berichtet in seinem Buch „ Im Weltkrieg" (Berlin 1919) , er habe schon im Frühjahr 1917 seinem Kaiser, dem jungen Karl, den Vorschlag gemacht, die Österreicher sollten in Berlin den Deutschen eine Verständigung mit den Franzosen wegen des Elsaß, also wohl dessen Abtretung an Frankreich nahelegen. Um diese Prozedur für Wilhelm weniger schmerzhaft zu machen, sei Österreich nicht nur bereit , Galizien an das neuzugründende Polen abzutreten , sondern sich sogar damit abzufinden, daß dieses polnische Reich nicht einen Habsburger, sondern einen Hohenzollern als Herrscher bekomme . ( S. 197, vgl. S. 98.) Der Verlust für die Dynastie Hohenzollern im Westen sollte also kompensiert werden durch einen Gewinn im Osten. Dieser Vorschlag wurde Wilhelm und Bethmann mitgeteilt, von ihnen nicht sofort abgelehnt, sondern auf die lange Bank ge-

Wilsons Mäßigung

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schoben. Erst später erfolgte die Zurückweisung. Obwohl Wilhelm und Karl schon am 5. November 1916 die Bildung eines Königreichs Polen verkündet hatten, waren sie doch über dessen Gestaltung noch nicht einig geworden , als Wilson seine vierzehn Punkte formulierte , und sie blieb eine ungelöste Frage bis zum Friedensschluß . Außer der elsässischen und der polnischen Frage gab es noch eine von früherer Zeit übernommene, die im Weltkrieg wieder nach ihrer Lösung rief : Die Nordschleswigsche. Die Stockholmer hatten ihr einen eigenen Passus in ihrem Manifest gewidmet. Wilson erwähnte sie gar nicht. Was konnte das kleine Gebiet von 4000 Quadratkilometern mit 170.000 Einwohnern für den Präsidenten eines Reiches bedeuten, dessen Umfang siebzehnmal den des deutschen Reiches übertraf! Neben den großen deutschen Fragen beschäftigte Wilson noch die österreichische und türkische . Von letzterer handelte der 12. Punkt. Er sprach nicht von einer Zerstücklung des Osmanischen Reichs, forderte aber für die Nationen ,,, die sich jetzt unter türkischer Herrschaft befinden, vollständige Sicherheit des Lebens und die unbehinderte Möglichkeit autonomer Entwicklung". Das gleiche wird für Österreich verlangt. Der 10. Punkt fordert für die Völker Österreich-Ungarns ,,die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung". Eine Minderung des österreichischen Gebiets außer zugunsten Polens forderte Wilson nur für Italien , dem im 9. Punkt eine ,,Berichtigung seiner Grenzen nach klar erkennbaren nationalen Linien" in Aussicht gestellt wurde , also weniger, als ihm die Entente auf der Londoner Konferenz vom 26. April 1915 zugestanden hatte. Kaum mehr, als Oesterreich damals bereit war, ohne Krieg als Preis für Italiens Neutralität diesem abzutreten. Der elfte Punkt endlich erklärt : Rumänien, Serbien, und Montenegro sollen geräumt und die besetzten Gebiete wiederhergestellt werden. Alle diese Forderungen zeichnen sich , ebenso wie die der Stockholmer, durch ihre Mäßigung aus, die sowohl demokratischem Empfinden entsprang, das jede Vergewaltigung verwirft, wie durch das dringende Verlangen, dem Völkermorden ein rasches Ende zu setzen. Wenn man Wilsons 14 Punkte und die Stockholmer 13 Punkte mit den Friedensdiktaten von 1919 vergleicht , so sieht man, wie sehr von der Internationale ebenso wie vom amerikanischen Präsidenten die Interessen der beteiligten Staaten geschont wurden und wieviel namentlich die Deutschen besser daran gewesen wären, hätten die Regierungen Deutschlands und Österreichs sich entscheiden können, die Stockholmschen oder Wilsonschen Vorschläge ohne Rückhalt anzunehmen. Das fiel diesen Regierungen aber gar nicht ein . Nicht nur nicht der deutschen, sondern auch nicht der österreichischen, obwohl die

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Ungarische und preußische Junker

Widerstandskraft der Österreicher bereits weit mehr gebrochen war, als die der Deutschen. Schon im April 1917 schrieb Czernin an seinen Kaiser, er hoffe, daß es gelingen werde, noch die allernächsten Monate durchzuhalten, aber eine weitere Winterkampagne sei ausgeschlossen, im ,,Spätsommer oder im Herbst muß um jeden Preis Schluß gemacht werden". (,,Im Weltkrieg", S. 199.) Nun war wider Erwarten die gefürchtete Winterkampagne doch gekommen, die Völker Österreichs hatten, wie alle Völker in diesem Kriege, mehr Geduld aufgebracht, als erwartet worden , die Revolution, die Czernin schon im April 1917 befürchtete, war wohl für Rußland, aber noch nicht für Österreich gekommen. Jedoch die Situation war trostloser als je . Da hätten die Regierungen Deutschlands wie Österreichs die rettende Hand , die Wilson ihnen entgegenstreckte, eifrigst ergreifen müssen . Doch in Wirklichkeit taten sie nichts dergleichen . Selbst Graf Czernin und Kaiser Karl brachten nicht den Mut auf, Wilsons Programm offen zu akzeptieren . Und doch hatte Karl schon lange vorher ein so starkes Friedensbedürfnis empfunden , daß er hinter dem Rücken seines deutschen Verbündeten mit Frankreich wegen eines Sonderfriedens zu mogeln begann . Das hätte allerdings kein demokratischer Friede werden sollen - wenigstens nicht für Deutschland . Wenn die Regenten Österreichs sich nicht auf den Boden der Wilsonschen Botschaft stellten, so geschah es sicher hauptsächlich aus Furcht vor dem ungarischen Adel, der seit 1866 Österreichs auswärtige und zum größten Teil auch seine innere Politik beherrschte. Gegen eine Abtretung Galiziens hatten die ungarischen Grafen nichts einzuwenden. Czernin berichtet, Tisza hätte ,,am liebsten Polen Deutschland überlassen". Aber jeder Konzession an die Südslawen oder Rumänen widerstrebten sie auch anfangs 1918 noch aufs hartnäckigste . Statt einem Frieden der Verständigung zuzustimmen, strebten sie noch nach einem Diktatfrieden auf Kosten der Serben und Rumänen. Selbst im Oktober 1918 , als schon alles verloren war und der Kaiser Karl endlich das tat, was er im Januar hätte tun müssen, nämlich sich auf den Boden der 14 Punkte Wilsons stellte und die Umwandlung Österreichs in einen Bund freier Nationalstaaten verkündete, wagte er das nur für die westliche Hälfte der Monarchie zu äußern. Die östliche, ungarische Seite blieb davon unberührt. Ebenso beschränkt und unbelehrbar - steifnackig nannten wie die ungarischen waren die preußischen Junker. Die sie es preußische Tradition seit Friedrich II . bis zu Moltke dem Älteren hatte ihnen den Wahn beigebracht, ein von Preußen, von einem Hohenzollern geführtes Heer sei unüberwindlich . Sie hätten sich gegen jeden Verzicht Deutschlands auf Gebietsgewinn und gar gegen jede Gebietsabtretung wild aufgelehnt , solange Deutsch-

Deutschland versäumt Wilsonfrieden

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lands Armeen noch ungebrochen im Felde standen . Gegen die Junker zu regieren, wagte aber bis zum November 1918 keine deutsche Regierung. Hätten die Beherrscher des deutschen Reichs, die in der Lage waren, klar zu sehen, den sittlichen Mut aufgebracht , sich zu dieser Klarheit durchzuringen und ihr entsprechend so zu handeln , wie das Interesse des deutschen Volkes es befahl, sie hätten der Botschaft Wilsons vom 8. Januar 1918 sofort zugestimmt. Ihre Wortführer entschuldigten sich hinterher damit, daß Paris und London sowie Rom es doch abgelehnt hätten, die Wilsonschen Grundsätze zu akzeptieren. Nun , die Regierung Italiens allein konnte nichts entscheiden. Sie mußte sich fügen , wenn Paris und London Wilson zustimmten. In Frankreich und England entschieden die Massen. Deren Kriegsmüdigkeit war bereits gewaltig, sie hätten jubelnd aufgeatmet, wenn sich eine Möglichkeit bot, dem Morden ein Ende zu machen auf eine Weise , die kein Volk schädigte , allen beteiligten Nationen Freiheit und Frieden sicherte . Diejenigen Politiker, die meinten, Deutschlands furchtbare Kriegsmacht müsse zertrümmert werden, sonst sei eine Sicherung von Freiheit und Frieden unmöglich, wären in die Minderheit geraten . Und sie hätten um so weniger die erschöpften Volksmassen zur Aufbietung neuer, unerhörter Opfer treiben können, als sie ja die Unterstützung Amerikas verloren hätten , wenn Deutschland und Österreich dessen Bedingungen rückhaltslos akzeptierten. Nein, Deutschland konnte, wenn es wollte, im Januar 1918 einen ehrenvollen Frieden haben. Die Gelegenheit wurde nicht benützt.

e) Brest - Litowsk. Man vergleicht gern die russische Revolution von 1917 mit der großen französischen Revolution , die 1789 begann . Beide stimmen darin überein , daß sie an Stelle des Absolutismus die Demokratie setzten und Bauern befreiten. Aber die stärkste Triebkraft der französischen Revolution war das Kleinbürgertum, das Proletarier und Bauern nach sich zog. Das Kleinbürgertum verlangt das uneingeschränkte Privateigentum an den Produktionsmitteln. Dessen Befreiung von zünftigen Schranken fördert wohl am meisten das industrielle Kapital, aber nicht diese Kapitalisten waren es, die die Revolution herbeiführten. Dazu hätte ihr Einfluß nicht gereicht. Die Proletarier folgten dem Kleinbürgertum . Die meisten unter ihnen wollten nicht mehr werden , als selbständige Handwerker oder Krämer. Auch sie standen auf dem Boden des Privateigentums . In Rußland dagegen gab es kein revolutionäres Kleinbürgertum . Dafür in manchen großen Städten ein starkes Proletariat, dessen Vorhut bereits begann selbständig zu denken, geführt von revolutionären Studenten . Für das industrielle Proletariat hat das

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1789 und 1917

Privateigentum an den Produktionsmitteln keinen Sinn . Es kann die Verfügung über die Produktionsmittel der Großbetriebe nur erlangen durch ihre Sozialisierung. Doch in Rußland verfügte seine Masse noch nicht über die Erfahrungen , Kenntnisse und Fähigkeiten, deren es bedurfte, um die sozialisierten Produktionsmittel erfolgreich bewirtschaften zu können. Die französische Revolution von 1789 stellte im allgemeinen den Revolutionären ähnliche Aufgaben, wie die russische von 1917 . Aber die bürgerliche Lösung von 1789 entsprach den Bedürfnissen und dem Wesen der treibenden Klasse der Revolution , des Kleinbürgertums. Dieselbe Lösung widersprach 1917 den Bedürfnissen und dem Wesen der damals treibenden Klasse der Revolution , weil diese nun eine ganz andere war. Wir haben gesehen , zu welcher paradoxen Situation das in Rußland führte. Die wichtigste und lösbare Aufgabe wurde 1917 nicht die ökonomische, sondern die politische. Ebenso wie 1789 galt es nun die Demokratie zu gewinnen und festzuhalten . Der Despotismus hatte in Frankreich wie in Rußland den Volksmassen geistige Verkümmerung und Unselbständigkeit gebracht und sie gehindert , ihren Gesichtskreis über den Bereich des Kirchturms hinaus zu erweitern. Aber in revolutionären , wildbewegten Zeiten lernt ein Volk rasch, wenn es die Freiheit der Rede, der Presse erringt, über einen regen Verkehr innerhalb des Staatsgebiets verfügt und ein politisches Zentrum , einen Brennpunkt seines politischen Interesses besitzt, wie es ein nach populärem Wahlrecht erwähltes, immunes Parlament darstellt. In der Tat , die ersten Jahre der Revolution Frankreichs genügten bereits, sein Volk völlig zu verändern . In den Jahren von 1789 bis 1793 wurde die französische Nation geschaffen . Rußland war 1917 trotz mancher Überlegenheit doch gegenüber dem französischen Staatswesen von 1789 sehr rückständig, namentlich in bezug auf Volksdichte und die Möglichkeiten des Verkehrs. Frankreich umfaßte bei Beginn der Revolution von 1789 auf eine halbe Million Quadratkilometer 26 Millionen Einwohner, also über 50 Menschen pro Quadratkilometer. Rußland dagegen in Europa 1917 auf fast 5 Millionen Quadratkilometer nicht ganz hundert Millionen Menschen, also 20 pro Quadratkilometer. In Asien gar auf 16½ Millionen Quadratkilometer 37 Millionen , 2 pro Quadratkilometer. Immerhin, die Verkehrsmittel sind heute weit besser, als am Ende des 18. Jahrhunderts. Die Freiheit mußte auch in Rußland rasch Wunder wirken, wenn dem Volke die Möglichkeit gelassen wurde, sich einige Jahre lang ihrer ungestört zu erfreuen. Diese Möglichkeit wurde ihm leider nicht gegeben. Die französische Revolution von 1789 brach aus mitten im Frieden . Erst 1792 kam es zum Krieg mit seinen die Freiheit hemmenden und

Auflösung der russischen Armee

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schließlich zerstörenden Folgen . Aber in diesen vier Jahren hatte die Revolution bereits die Möglichkeit gehabt, das Volk Frankreichs zu beleben und ihm ein nationales Selbstbewußtsein einzuflößen, das ihm trotz aller späteren Rückschläge durch den im Kriege aufkommenden Militarismus und dessen Konsequenzen , nicht wieder verloren ging. Es war nicht der Umsturz als solcher, es waren die vier Jahre der Freiheit nach dem Umsturz , die das französische Volk zu so stolzer Höhe erhoben . Ein solcher Zeitraum der Freiheit wurde dem russischen Volke nach dem Umsturz des März 1917 nicht gegeben. In Rußland ging die Revolution aus dem Krieg hervor, in Frankreich der Krieg aus der Revolution. Die revolutionären Franzosen zogen seit 1792 begeistert in den Krieg, weil er zur Abwehr der Monarchen Europas diente, die Frankreich wieder der Knechtschaft des Feudalismus und Absolutismus überliefern wollten. Der Begriff des Revolutionärs und des Patrioten wurde damals in Frankreich identisch . Der Krieg, in den Rußland 1917 verwickelt war, galt dagegen einem Ziel , das den russischen Massen völlig unverständlich und gleichgiltig blieb. Mehr als drei Jahre hatten. sie schon Krieg geführt, vielfach bloß durch den Kadavergehorsam in der Armee und primitiven Herdentrieb, der dem Leithammel blind folgt, zur Aktion befähigt. Ständige Niederlagen , grauenhafte Verluste erschütterten schließlich die Furcht vor dem Offizier ebenso wie das Vertrauen zu seiner geistigen Überlegenheit aufs tiefste. Nun empfanden die Bauern und auch sonst die meisten der arbeitenden Menschen im Soldatenrock immer dringender nur den einen Wunsch : ein Ende des Mordens ! Nach Hause ins Dorf! Wie das erreicht wurde, unter welchen Folgen für den Staat, auch für die Revolution und die Freiheit, die sie brachte, das war ihnen . gleichgiltig. Die eigentlichen revolutionären Führer des Volkes, die Sozialisten, Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre dachten freilich anders. Sie kannten das intensive Friedensbedürfnis des Volkes, sie wünschten baldigen Frieden. Aber sie fürchteten doch den deutschen Militarismus zu sehr, um für einen Frieden um jeden Preis einzutreten, der einer Reihe von Völkern des russischen Reichs neue Knechtschaft bringen, vielleicht die ganze russische Freiheit gefährden, den Zarenthron mit Hilfe deutscher Bajonette wieder aufrichten konnte. Also nicht Friede um jeden Preis , sondern einen demokratischen Frieden . Um einen solchen zu erlangen , durfte man nicht wehrlos dastehen : Also Zusammenhalten der Armee und Erhaltung ihrer Kriegsfähigkeit bis zum Friedensschluß.

Um den demokratischen Frieden im Osten Europas wäre es jedoch recht schlecht bestellt gewesen, wenn die Mittelmächte es vermocht hätten, den Westmächten einen Diktatfrieden aufzuzwin-

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Bolschewiks fördern Anarchie

gen. Also kein Sonderfriede Rußlands, sondern allgemeiner Frieden . Auch von diesem Standpunkt aus mußte die Armee beisammen und kampffähig bleiben , bis es gelang, den Frieden zu erreichen. So dachten die demokratischen und sozialistischen Parteien Rußlands , die von den Ideen der westlichen Demokratie erfüllt waren. Sogar Lenin sprach sich gelegentlich gegen einen Sonderfrieden aus (vgl . das jüngste und beste Geschichtswerk über den Bolschewismus, B. Souvarine , ,,Staline, Aperçus historiques du Bolchevisme", Paris 1935 , S. 163 ) . Daraus ergab sich für die Sozialisten und Demokraten eine doppelte Aufgabe : einerseits den Verbündeten Rußlands Friedensbereitschaft beizubringen und anderseits auf die Soldaten Rußlands im Sinne der Festigung ihrer Disziplin und ihres Verharrens an der Front einzuwirken. Sie scheiterten hier wie dort und nützten sich dadurch rasch ab. Die Alliierten verzweifelten daran , mit einem unbesiegten Deutschland zu einem erträglichen dauernden Frieden kommen zu können und drängten daher die Regierungen der russischen Revolution zu erneuten kriegerischen Anstrengungen . Gleichzeitig wuchs bei den russischen Soldaten die schon früher vorhandene Gleichgiltigkeit für die Außenpolitik durch höchste Kriegsmüdigkeit bald maßlos . Davon ahnten die Staatsmänner und Feldherrn der Alliierten nichts, die immer weiter zu reger Tätigkeit der russischen Armeen aufforderten . Sie hemmten dadurch nicht deren zunehmende Auflösung, vermehrten aber die Unpopularität jener Demokraten und Sozialisten, die im Interesse des allgemeinen Friedens nicht mit den Alliierten zu brechen wagten. Um so populärer wurden jene Sozialisten , die Bolschewiks , die den Soldaten zuriefen, sie sollten ohne weiteres die Front verlassen und nach Hause gehen. Und dabei blieben die Bolschewiks nicht stehen . Alle Sozialisten sahen ein, daß eine Lösung der Agrarfrage dringend nötig sei, die Aufteilung des Großgrundbesitzes an die Bauern. Aber die meisten wollten, daß diese Maßregel systematisch, gut vorbereitet durch die zu erwählende Nationalversammlung erfolge. Das dauerte den Bauern zu lange, die nach dem Zusammenbrechen der zaristischen Armee und Polizei die Herrn auf dem flachen Lande waren . Allenthalben bemächtigten sich die Bauern auf eigene Faust des Herrengutes und teilten es unter sich auf, was ohne große Zerstörungen nicht abging und oft recht irrationelle Formen annahm. Nur in Georgien erfolgte die Lösung der Agrarfrage auf parlamentarischem Wege systematisch und zweckmäßig. Das ließ sich in dem riesigen Rußland freilich schwer erreichen. Doch waren es dort nur die Bolschewiks, die die allgemeine Anarchie förderten . Und nicht nur die auf dem flachen Lande, sondern auch die in den Städten. Die Losung: ,,Raubt das Geraubte", lief nicht auf Sozialisierung der Großbetriebe hinaus, sondern auf Plünderung aller Individuen , in Stadt und Land, die eine etwas bessere als eine proletarische Existenz führten .

Anarchismus und Despotismus

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Das allgemeine Elend des Krieges wurde durch diese chaotischen Ausbrüche des Volkszorns und der Verzweiflung nicht gelindert, sondern immer furchtbarer vermehrt. Sie entsprangen ungeheuer starken Antrieben einer barbarischen Wildheit , die der Krieg aufs höchste gesteigert hatte , indes sein unglücklicher Ausgang jede äußere Schranke für die tobenden Volksmassen hinweggerissen hatte , die weder über politische Schulung noch über praktische demokratische Erfahrung, Organisation , Selbstdisziplin als innere Schranken verfügten. Die Anarchie war unaufhaltsam und Sieger in ihr und durch sie wurden die Bolschewiks , die sich dem reißenden Strome nicht entgegenstemmten, sondern lustig mit ihm schwammen. Aber freilich, sie beschränkten sich nicht auf das Mitschwimmen. Sie trugen nach Kräften dazu bei, die Anarchie zu fördern . Sie bereiteten jedoch dabei auch selbst den Faktor vor, der überall, wo Anarchie herrscht, diese schließlich ablöst : eine diktatorische Gewalt . Meistens ist es eine den anarchischen Elementen feindliche Macht , die bewirkt, daß die Anarchie durch eine Diktatur abgelöst wird . Diesmal ging die Diktatur aus den anarchischen Elementen selbst hervor. Die Bolschewiks verstanden es, den Anarchismus und seinen Gegensatz gleichzeitig zu entwickeln , sie gewannen durch jenen wie durch diesen, durch die Revolution wie durch die Gegenrevolution. Sie wurden die Träger beider. Sie förderten die Anarchie praktisch wie theoretisch . Unmittelbar vor der sogenannten ,,Oktoberrevolution" von 1918 verfaßte Lenin die Schrift : Staat und Revolution", in der er die Engelssche Staatsauffassung in einem nahezu anarchistischen Sinne auslegte. Er sagte dort : ,,Marx stimmt mit Proudhon darin überein, daß sie beide die Zertrümmerung der modernen Staatsmaschine fordern. Diese Übereinstimmung des Marxismus mit dem Anarchismus (und mit Proudhon und Bakunin) wollen weder die Opportunisten, noch die Kautskyaner sehen, denn sie haben in diesem Punkte den Marxismus verlassen." (Ausgabe Berlin 1919 , S. 43. ) Natürlich war das ein Marxismus, wie Lenin ihn auffaßte. Noch hatte Lenin diese Schrift nicht vollendet, da vollzog er seinen Staatsstreich, der die Diktatur, die Allmacht der ,,modernen Staatsmaschine", begründete . Dazu verhalf ihm die militärisch stramme Organisation seiner Sekte und das Banditentum , das in der Anarchie aufkam . Die Soldaten waren des Krieges müde . Sie liefen von der Front weg, mochte aus dem Staat werden , was wollte. Aber nicht alle entledigten sich ihrer Waffen. In der allgemeinen Notlage waren jene, die ihre Waffen behielten, sehr dazu geneigt, sich durch ,,Requisitionen" das zu verschaffen, was sie brauchten . Überall bildeten sich Banden bewaffneter Gewalttäter. Jene Politiker, die auf Gewalttat ausgingen, vermochten leicht größere Scharen derartiger Elemente um sich zu sammeln. Zu diesen Politikern

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Bolschewistischer Gesinnungswandel

gehörten nicht Menschewiks und Sozialrevolutionäre . Diese bauten auf die Demokratie, auf die Macht der Propaganda und der Organisation der Arbeiter. Für solches Wirken schufen leider weder Krieg noch Anarchie den richtigen Boden . Gewalttätig waren ebenso die zaristischen Generale, soweit sie sich noch im Lande behaupten konnten , wie die Bolschewiks. Diese wie jene waren es , die aus einzelnen Banden ganze Heere zu bilden vermochten, die das Land plünderten, aber auch oft wütend gegeneinander kämpften. Den Bolschewiks gelang es mühelos , der Menschewiks und Sozialrevolutionäre Herr zu werden. Weniger leicht, aber schließlich doch gelang ihnen auch die Niederwerfung der zaristischen Generäle, denn diese waren dem Bauern verhaßt, weil er von ihnen die Wiederaufrichtung des alten Großgrundbesitzes fürchtete. Eher unterstützte der Bauer die Bolschewiks, in deren Heeren neben bloßen Banditen doch auch nicht wenige sozialistische Idealisten fochten . Auf ihre aus diesen Elementen neuorganisierte rote Armee gestützt, vermochten die Bolschewiks allmählich der von ihnen selbst früher, vor ihrer Machtergreifung, geförderten Anarchie Herr zu werden und einen neuen Herrschaftsapparat aufzurichten , der schließlich den des Zarismus an Wirksamkeit und Unerbittlichkeit noch übertraf. Sie kamen so in die Lage, das selbst in ausgiebigstem Maße herbeizuführen, was sie eben noch fanatisch bekämpft hatten. Sehr gut kennzeichnet L. Souvarine in seinem schon zitierten Werk diesen Wandel : ,,Die Bolschewiks hatten den unverzüglichen Zusammentritt der Konstituante versprochen . In Wirklichkeit sollten sie ihn zuerst verschieben, dann sie auflösen. Sie protestierten gegen die Todesstrafe in der Armee. Sie schafften sie ab, um sie gleich wieder einzuführen und zwar auch für das Zivil. Sie widersetzten sich wütend der Verlegung der Hauptstadt nach Moskau ; sie vollzogen diese Verlegung. Sie gestanden den Nationalitäten das Recht der Selbstbestimmung zu ; sie forderten sie auf, sich nach Belieben vom Reich loszulösen. Dann unterwarfen sie sie mit brutaler Gewalt. Sie brandmarkten aufs heftigste jeden Gedanken an einen Separatfrieden ; sie mußten einen solchen unterzeichnen . Sie hatten sich verpflichtet, einen Revolutionskrieg ( gegen die kapitalistischen Staaten , K. ) zu führen, sie waren außerstande, ihr Wort einzulösen . Sie wollten einen ,demokratischen Frieden , sie mußten einen Schmachfrieden' über sich ergehen lassen. Sie versprachen den Bauern Grund und Boden. Dafür konfiszierten sie ihnen ihre Produkte. Was die Abschaffung der Polizei, des stehenden Heeres, der Bureaukratie anbelangt, so wurde sie ins Endlose verschoben. Diese Einrichtungen waren von Lenin verurteilt worden . Sie lebten in der Sowjetrepublik unter neuen Namen fort, als Tscheka, rote Armee, Sowjetbureaukratie." (,,Staline ", S. 178. ) Diese Liste betrifft nur die Anfänge des Bolschewismus . Sie ließe sich mühelos erweitern . Man denke nur an die Preßfreiheit , die Gewerkschaften etc. Es ist schon oft in der Geschichte dagewesen , daß eine Partei, sobald sie an die Macht gelangt, die Versprechungen vergiẞt oder

Bolschewistische Reaktion

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als undurchführbar erkennt , die sie abgegeben hatte, als sie noch in der Opposition stand . Niemals aber vollzog sich der Rückfall in die eben als verbrecherisch bekämpften Einrichtungen des Staates so rasch, so unvermittelt , wie in der Sowjetrepublik. Und was noch seltsamer ist, nirgends noch nahm die Masse der Bevölkerung so wenig Anstoß daran, wie die russische nach dem bolschewistischen Umschwung. Ein neuer Beweis für die politische Rückständigkeit der Masse der Bevölkerung Rußlands, ihren Mangel an politischem Denken und politischer Erfahrung . Nicht nur die alten Einrichtungen des Despotismus kehrten unter neuen Namen wieder, sondern vielfach auch die alten Personen, wenigstens im Heer und der Bureaukratie — nicht in der politischen Polizei . Es fehlten den Bolschewiks ausgebildete Fachleute, sie mußten sich oft mit zaristischen Offizieren begnügen , sowie frühere Beamte, allerdings nicht an höchsten Stellen , verwenden. Noch im November 1922 erklärte Lenin : „Wir haben an der Spitze etwa zehntausend der Unserigen , unter ihnen dienen einige Hunderttausende alter Funktionäre des Zaren.“ (Zitiert von Souvarine ,,, Staline ", S. 286. ) Und am 30. Dezember desselben Jahres schrieb Lenin : ,,Der Staatsapparat Rußlands ist dem Zarismus entnommen und nur ein wenig an der Oberfläche sowjetistisch übertüncht ." Das darf man den Bolschewiks nicht zum Vorwurf machen . Sie taten es nicht aus freiem Willen , sondern aus dem Zwang der Verhältnisse heraus . Was man ihnen vorzuwerfen hat , ist etwas ganz anderes. Sozialistische Parteien in den Regierungen anderer Staaten wurden damals mitunter durch einen ähnlichen Zwang beengt, für diese wollten aber die Kommunisten ihn nicht gelten lassen. Und andere sozialistische Parteien Rußlands hatten die Unmöglichkeit der Erfüllung dessen, was die Bolschewiks versprachen, von vornherein erkannt und sich geweigert, solche Versprechungen abzugeben . Das hatte ihre Propaganda bei den naiven Massen Rußlands nicht wenig geschädigt . Die Bolschewiks waren entweder unwissender als die andern Sozialisten oder gewissenloser. Sie versprachen alles und hielten nichts . Oder vielmehr sie brachten das Gegenteil dessen, was sie versprochen : statt voller Freiheit grausamsten Despotismus. Bei aller ihrer Bedenkenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit war es ihnen jedoch nicht möglich, nachdem die Anarchie einmal hereingebrochen, sofort ein geordnetes Staatswesen mit allen seinen Hilfsmitteln aufzubauen. Es dauerte Jahre, bevor das nur einigermaßen gelang . Der Krieg aber, der die Anarchie gebracht hatte, ging weiter und er drohte Rußland völlig zu ruinieren , wenn er nicht schleunigst beendet wurde. So bestand eine der ersten Aufgaben , die das neue bolschewistische Regime vor sich sah, in der Herbeiführung 39

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Russischer Separatfriede

des Friedens . Die Monate seit der Revolution des Frühjahrs 1917 hatten gezeigt, daß ein allgemeiner Friede nicht erreichbar sei . So entschloß sich Lenin, in den sauren Apfel zu beißen, und den Mittelmächten einen Separatfrieden anzubieten . Das empörte freilich sowohl jene Elemente der Bolschewiks , die ihre Versprechungen ernst nahmen , wie jene, deren Radikalismus durch keinerlei Sachkenntnis getrübt wurde . Hatte man ihnen nicht immer gesagt, wenn der allgemeine demokratische Friede nicht zu erreichen sei, werde das revolutionäre Rußland den revolutionären Krieg erklären , um die Weltrevolution zu entfesseln ? In Wirklichkeit kam es ganz , ganz anders. Die bolschewistische Regierung war nicht imstande , den Krieg weiter zu führen . Sie mußte sofort Frieden schließen . Wie den andern Parteien Rußlands war ihnen der Gedanke eines Sonderfriedens sehr verhaßt. Er bedeutete von vornherein die Unterwerfung Rußlands unter das Diktat des deutschen Militarismus. Und für einen allgemeinen Frieden waren die Bedingungen leider noch nicht gegeben . So sah sich die bolschewistische Regierung Rußlands genötigt, getrennt von dessen bisherigen Alliierten, ja im Gegensatz zu ihnen Friedensverhandlungen mit den Mittelmächten anzubahnen. Das hat den Bolschewiks die gesamte Demokratie der Welt als eine Unterstützung der deutschen Militärmonarchie sehr verübelt. Das Zentralkomitee der russischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei ( Menschewiks ) z . B. erließ im Dezember 1917 einen Aufruf an das Internationale Proletariat, in dem gegen den Staatsstreich der Bolschewiks vom November protestiert wurde . Deren Erhebung habe sich nicht auf die Arbeiter gestützt , sondern auf eine Soldatenmasse, die von dem Versprechen eines ,sofortigen Friedens verführt wurde “. Dann hieß es weiter in dem Aufruf : ,,Auf dem Gebiet der auswärtigen Politik haben die Bolschewiki mit der Politik des internationalen Kampfes für einen allgemeinen und demokratischen Frieden gebrochen. Obschon sie keine von dem Lande anerkannte Macht darstellen , haben sie sich nichtsdestoweniger entschlossen , mit der imperialistischen deutschen Regierung in Verhandlung über einen Waffenstillstand einzutreten . Diese Verhandlungen werden uns unvermeidlicherweise zu einem schmachvollen Separatfrieden führen , zur Annahme drakonischer Bedingungen für Rußland , zu einem Verrat gegenüber den verbündeten Demokratien und zu einer Erweiterung der Spaltung im Schoße der Internationale. " (Vgl. darüber S. Grumbach, Brest- Litowsk, Lausanne 1918 , S. 48 , 49. ) Das war alles sehr richtig, wurde zum Teil von den Bolschewiks selbst erkannt. Aber sie hatten keine Wahl. Die Soldaten waren es, die dem Bolschewismus zur Macht deshalb verholfen hatten, weil er sofortigen Frieden versprach . Trotzki selbst berichtet, daß sie drohten, wenn bis Mitte November keine Frie-

Bedenken gegen Bolschewiks

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densverhandlungen begonnen seien, dann würden sie die Bolschewiks ebenso verjagen, wie deren Vorgänger. (,,Von der OktoberRevolution bis zum Brester Friedensvertrag", Bern 1918 , S. 51.) Den Frieden um jeden Preis konnte bei dem Zustand der russischen Armee nichts mehr aufhalten. Daß sie das nicht begriffen, das war der große Fehler der Politiker des Westens ebenso wie der Führer der Arbeiter- und Bauernparteien Rußlands - außer den maßgebenden Elementen des Bolschewismus . Diese allein erkannten die Stimmung der Soldaten und der Massen gegenüber dem Krieg. Das verhalf den Bolschewiks in den Sattel, zwang sie aber auch, unverzüglich Verhandlungen über einen Waffenstillstand und Sonderfrieden einzuleiten . Ein größerer Glücksfall, als dieses Angebot aus Rußland konnte den Mittelmächten nicht passieren. Und dennoch zögerten sie, darauf einzugehen . Der österreichische Außenminister, Graf Czernin, schrieb damals an einen seiner Freunde (er nennt ihn nicht) am 17. November 1917 : ,,Die Nachrichten aus Rußland verdichten sich alle dahin , daß die dortige Regierung unbedingt und zwar schleunigst Frieden machen will. Die Deutschen aber sind für diesen Fall voller Zuversicht. Wenn sie ihre Massen nach dem Westen werfen können, so bezweifeln sie nicht, daß sie durchbrechen, Paris und Calais nehmen und England direkt bedrohen werden." (,,Im Weltkrieg", S. 297.) Werde das erreicht, dann dürfe man auf Frieden hoffen . Czernin kommt dann auf die Bolschewiks zu sprechen. Nach ,,zuverlässigen Nachrichten" seien sie „ fast durchweg Juden mit - (weder Lenin noch Stalin sind Juden, phantastischen Ideen" K. ) . Im Ministerium des Äußern gäbe es in der Frage der Verhandlungen mit den Bolschewiks drei Richtungen . Die eine wolle mit ihnen nicht verhandeln , weil ihre Regierung eine Eintagsfliege sei. Andere wieder deshalb nicht, weil es Revolutionäre seien. Aber er, Czernin selbst, wolle verhandeln , sofort verhandeln . Er wußte, wie nahe Österreich selbst vor dem Zusammenbruch stand, wie dringend nötig es den Frieden hatte. Czernin fährt fort : ,,Die Deutschen ziehen sich und haben keine rechte Lust , zu den Verhandlungen mit Lenin zu gehen , wohl auch aus den früher erwähnten Gründen ; dabei sind sie inkonsequent wie oft. Die deutschen Militärs - welche ja bekanntlich die ganze deutsche Politik leiten haben, wie mir scheint, alles gemacht, um Kerenski zu stürzen und , etwas anderes' an seine Stelle zu bringen. Dieses , andere' ist jetzt da und will Frieden machen , also muß man zugreifen, wenn einem auch der Partner noch so viel Bedenken einflößt ... Gewiß ist dieser russische Bolschewismus eine europäische Gefahr und wenn wir die Kraft hätten , außer einem erträglichen Frieden für uns auch noch gesetzliche Zustände in fremden Ländern zu erzwingen , so wäre es richtig, mit diesen Leuten gar nicht zu verhandeln, nach Petersburg zu marschieren und Ordnung zu machen ; diese Kraft haben wir aber nicht, denn wir brauchen den raschesten Frieden zu unserer Rettung und können 39*

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Brest-Litowsk

den Frieden nicht erhalten , wenn die Deutschen nicht nach Paris kommen. Sie können aber nur nach Paris, wenn wir die Ostfront frei bekommen. Da schließt sich der Kreis . Alles das sind Dinge, die die deutschen Militärs selbst behaupten , und daher ist es so unlogisch von ihnen, wenn sie sich jetzt anscheinend an der Person Lenins stoßen . “ ( S. 298, 299.) Die Deutschen und Österreicher rechneten also damals , nach dem Aufkommen der Bolschewiks in Rußland , mit der Eroberung von Paris . Ebenso wie sich die Westmächte täuschten, die an die Auflösung der russischen Armee nicht glaubten, täuschten sich die Deutschen, die von den amerikanischen Truppen keine Notiz nahmen. Diese begannen bereits auf französischem Boden zu landen und machten für die Deutschen den raschesten Friedensschluß nötig, allerdings einen allgemeinen, nicht bloß einen separaten russischen. Aber auf jeden Fall bedurften die Deutschen und Österreicher dringend wenigstens des russischen Friedens. Es ist bezeichnend für die Militärs und die ihnen nachbetenden Politiker Deutschlands, daß sie sich nur zögernd auf Friedensverhandlungen mit den Bolschewiks einließen . Indes wurde die Not der Zeit zu groß . Schließlich gingen sie doch in die Separatfriedenslaube. Am 22. Dezember 1917 traten die Vertreter der beteiligten Regierungen in Brest-Litowsk zur Besprechung der Friedensbedingungen zusammen . Man hätte erwarten dürfen, sie würde rasch zu einem befriedigenden Ergebnis führen, denn von beiden Seiten bekannte man sich zu dem gleichen Prinzip : keine Annexionen und Kontributionen, Selbstbestimmung der Nationen. Aber es zeigte sich gleich, daß dieses Prinzip von den deutschen Unterhändlern sehr sonderbar ausgelegt wurde. Sie vertraten die Auffassung, die von deutschen Truppen besetzten Gebiete hätten bereits über sich verfügt und zwar im Sinne einer Loslösung von Rußland . Das sollte für sämtlich Randgebiete gelten , ja sogar für die Ukraine . Das hätte die Auflösung Rußlands bedeutet. Die von ihm abzutrennenden Gebiete sollten in Vasallenstaaten Deutschlands verwandelt werden unter Monarchen deutscher Herkunft. Bereits begann unter den hohen Herrschaften ein wüstes Intrigieren zur Ergatterung eines der in Aussicht stehenden Throne. Ein unsinnigeres Verhalten war nicht denkbar. Schon die Rücksicht auf die strategische Lage hätte es notwendig gemacht, ehe die Amerikaner in großer Zahl den Ozean durchquert hatten, alle Truppen vom Osten nach dem Westen zu werfen , wo die Deutschen einen großen Vorstoß vorbereiteten, von dem sie die Entscheidung des Krieges erhofften. Und gerade in diesem Moment stellte man den Russen Bedingungen, die von diesen zuerst abgelehnt wurden, was die Friedensverhandlungen verschleppte. Schließlich mußten sich freilich die Russen unterwerfen. Doch gab es immer noch keinen Friedenszustand im Osten. Bis an den

Ländergier deutscher Dynastien

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Don drang die deutsche Front vor, über den ungeheuren Raum von Finnland bis Georgien wurden deutsche Truppen verzettelt. Aber noch schlimmer als diese unnütze Festhaltung von Streitkräften im Osten, die man im Westen dringend brauchte, wirkten für die deutsche Sache die Friedensbedingungen , die Rußland von den siegreichen Deutschen erpreßt wurden. Was die Völker der westlichen Demokratie in den Krieg gegen das deutsche Reich getrieben hatte und sie so zäh in ihm aushalten ließ, war die Furcht vor der Übermacht, aber auch vor der Rücksichtslosigkeit und Ländergier der Deutschen . Jetzt, den Russen gegenüber, die wehrlos zu Boden lagen, konnten die Staatsmänner des deutschen Reichs der Welt beweisen, wie ungerecht man sie beurteile , wie sehr sie die Freiheit anderer Völker achteten, auch dort, wo diese eine leichte Beute schienen. Statt dessen gaben sie den Friedensbedingungen von Brest-Litowsk eine Gestalt, die alle Welt gegen Deutschland in wilde Empörung versetzte ! Fürst Bülow, obwohl ein guter Deutscher und preußischer Patriot, sah das ganz gut. In seinen ,,Denkwürdigkeiten" sagt er darüber : ,,Der Friede von Brest-Litowsk schadete uns in zwei Richtungen. Er erweckte in der ganzen Welt den Eindruck deutscher Brutalität und Unersättlichkeit. Er gab der französischen und englischen Propaganda die Möglichkeit, mit neuen Scheingründen das Märchen von den deutschen Weltherrschaftsplänen zu verbreiten . Dieser Friedensschluß mit seinen unsicheren Konturen und seinen unbegrenzten Zukunftsmöglichkeiten erweckte gleichzeitig in Deutschland an nur zu vielen Stellen die Hoffnung auf Landeserwerb. Der württembergische Herzog von Urach wollte mit Hilfe des ihm befreundeten Matthias Erzberger König von Litauen werden ... Der Prinz Friedrich Karl v. Hessen, ein Schwager des Kaisers , bewarb sich um die Krone von Finnland. Kaiser Wilhelm, dem man von den prächtigen Auerochsen in den Wäldern von Kurland gesprochen hatte , wünschte für sich selbst als Hausgut und Jagdgrund das Herzogtum Kurland. Der Kaiser zeichnete recht hübsch und hatte schon das Wappen entworfen, das er als Herzog von Kurland führen wollte." ( III . S. 275. ) Auch im sächsischen Königshause wurde das Verlangen nach einer Krone wach. Andere deutsche Fürsten verlangten nach Kompensationen , Bayern wollte das Elsaß für sich bekommen . Um das polnische Gebiet stritten Deutsche und Österreicher. Graf Czernin schrieb von ,,jenem unstillbaren Appetit", den man in Brest- Litowsk hatte beobachten können . ( ,,Im Weltkrieg", S. 362. ) Fürst Bülow selbst konstatierte : „ Es war, als ob in den deutschen Fürstenhäusern kurz vor ihrem Zusammenbruch ihre Jahrhunderte alte Vergrößerungssucht und Leidenschaft des Landerwerbs als später Johannistrieb noch einmal zu Tage trat.“ (Denkwürdigkeiten, III. S. 275. ) Das war kein verspäteter Johannistrieb. Das Verlangen nach Landerwerb ist jedem Grundbesitzer eigen und jedem Monarchen , der sein Land als seine Domäne betrachtet . Wo sich eine Gelegenheit zur Gewinnung neuen Grundbesitzes zu bieten scheint,

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Friede von Brest- Litowsk

wird zugegriffen . Insofern waren die Ansprüche der verschiedenen deutschen Dynasten von den Hohenzollern und Wittelsbachern abwärts nichts Verwunderliches. Sie bezeugten nur, wie tief sie noch in der feudalen Denkweise steckten , aber auch, wie wenig sie den Ernst der Lage begriffen. Sie verteilten das Fell des Bären in dem Moment, in dem dieser den Rachen auftat, sie zu verschlingen. Das Verhalten der deutschen Staatsmänner gegenüber den vierzehn Punkten Wilsons und dann bei den Friedensverhandlungen mit den Russen stachelte noch einmal den Völker des europäischen Westens an und Krieg nun eingreifenden Amerikaner. Jede Frieden der Verständigung ohne Sieger und verschwunden.

die schon ermattenerbitterte die in den Aussicht auf einen Besiegte war damit

Der triumphale ,,Siegfriede" von Brest- Litowsk sollte sich am deutschen Volk bald bitter rächen. Zunächst aber brachte er freilich die Bolschewiks in eine verzweifelte Lage. Trotzki, der seit Januar 1918 für die Sowjetregierung die Verhandlungen führte , konnte sich nicht entschließen , die deutschen Friedensbedingungen anzunehmen , und doch wußte er, daß jeder Versuch weiteren Widerstandes aussichtslos sei. Nach vergeblichen Verhandlungen suchte er sich schließlich auf eigentümliche Weise zu helfen : er lehnte es ab, den Friedensvertrag zu unterzeichnen , erklärte aber nichtsdestoweniger, daß der Krieg zu Ende sei und reiste von Brest-Litowsk ab ( 10. Februar) . Natürlich waren die Deutschen anderer Ansicht. Sie erklärten die Waffenruhe für beendet, die den Russen gegenüber seit dem 15. Dezember geherrscht hatte und nahmen die Kriegshandlungen ihrer Truppen wieder auf. Trotzki berichtet über die damalige Lage : „ Der neue deutsche Vormarsch fand unter Bedingungen statt, die für Rußland geradezu tötend waren . Anstatt der ausgemachten wöchentlichen Kündigung (des Waffenstillstands, K. ) bekamen wir eine Kündigung von zwei Tagen. Dieser Umstand verstärkte noch die Panik in der Armee, die sich ohnehin im Zustand chronischen Zerfalls befand. Von Widerstand konnte beinahe keine Rede sein. Die Soldaten wollten nicht glauben , daß die Deutschen, nachdem wir den Kriegszustand für beendet erklärt hatten, weiter angreifen würden. Der panische Rückzug paralysierte den Willen selbst derjenigen einzelnen Truppen, die bereit waren, in den Kampf zu treten." ( ,,Von der Oktober- Revolution" etc. S. 114.) Jeder Widerstand wurde aussichtslos . Am 3. März unterwarfen sich die Russen dem ihnen gestellten Ultimatum und unterzeichneten den Friedensvertrag. Dieser lieferte den Deutschen die Ostseegebiete von Finnland bis Litauen, ferner Polen und die Ukraine aus. Er wurde allgemein als glatte Kapitulation des Bolschewismus vor der deutschen Militärmonarchie betrachtet.

Auflehnung gegen Frieden in Rußland

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f) Die Weltrevolution. Lenin war derjenige gewesen, der bis zur Revolution des Oktober-November 1917 am eifrigsten die Auflösung der alten Armee betrieben hatte. Zur Zeit der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk war er der erste , der die Unmöglichkeit für Rußland erkannte, den Krieg gegen die Mittelmächte weiter zu führen und der den Frieden um jeden Preis verlangte. Damit erregte er den heftigsten Widerspruch nicht bloß in den Reihen. seiner Gegner, sondern auch seiner eifrigsten Anhänger. Die einen von ihnen gaben sich dem naiven Kinderglauben an die Zauberkraft des Wortes ,,Revolution" hin ; einen gewöhnlichen Krieg könne man freilich nicht mehr führen, aber anders stehe es, wenn man den heiligen , den revolutionären Krieg entzünde. Der müsse unwiderstehlich werden. Andere dachten realistischer, wiesen aber jeden Gedanken an eine Kapitulation als eine Ehrlosigkeit zurück . Lieber in Ehren untergehen als ehrlos weiterleben. Von den damals befragten Sowjets sprachen sich mehr als 200 für die Fortsetzung des Krieges und bloß 2 für den Frieden, also für Lenin aus. In seiner Selbstbiographie schreibt Trotzki darüber : ,,Die Unmöglichkeit, den Krieg weiterzuführen, war offensichtlich. In dieser Hinsicht bestand nicht der leiseste Schatten einer Meinungsverschiedenheit zwischen mir und Lenin. Mit dem gleichen Kopfschütteln schauten wir auf Bucharin, Radek und die andern Apostel des ,revolutionären Kriegs ." ( Mein Leben, Berlin 1930 , S. 365. ) Doch blieb es nicht bei bloßem Kopfschütteln. Die Erregung in der kommunistischen Partei, der Kampf zwischen den Gegensätzen in ihrem Innern stieg bis zur Siedehitze . ,,Die innere Krise der Partei erreichte ihren Höhepunkt, der Zwiespalt wurde zum Paroxysmus . Trotzki demissionierte vom Rat der Volkskommissäre, Lenin drohte mit seinem Ausscheiden aus dem Zentralkomitee. ,Wir verwandeln die Partei in einen Misthaufen !' rief Bucharin und warf sich weinend in Trotzkis Arme. Die Linke (der kommunistischen Partei, K.) gab eigene Blätter heraus, die gegen die offizielle Presse gerichtet waren. Sie bezeichnete Lenin als , Phraseur des Opportunismus ' , der sich , derselben Fehler wie Kautsky' schuldig mache. “ ( Souvarine , Stalin, S. 202. ) Konnte man Lenin etwas Schimpflicheres nachsagen, als daß er ein ,,Kautskyaner" sei ? Aber er blieb fest, ließ sich nicht einschüchtern und setzte sich schließlich vermöge seines eisernen Willens und seiner geistigen Überlegenheit durch . So kam es zur Unterzeichnung des Friedensvertrags von Brest-Litowsk am 3. März 1918 . Lenins Auffassung definierte Trotzki damals folgendermaßen : „ Es wäre kindisch , sich von der abstrakten revolutionären Moral allein leiten zu lassen. Die Aufgabe besteht nicht darin, in allen Ehren zugrunde zu gehen, sondern darin, schließlich zu siegen. Die russische Revolution will leben, muß leben und ist daher verpflichtet, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln dem über ihre Kraft gehenden Kampf auszuweichen und somit Zeit zu gewinnen - in der Erwartung, daß die revolutionäre

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Lenins Größe

Bewegung Westeuropas ihr zu Hilfe kommen werde." (,,Von der OktoberRevolution" etc. S. 115 , 116. ) Die Parole : lieber in Ehren untergehen als einem angebotenen Kampf auszuweichen , wenn man weiß , daß man zu schwach sei, ihn zu bestehen, kann für ein einzelnes Individuum geboten sein, das es für notwendig hält, seine Todesverachtung bei jeder Gelegenheit zu beweisen , wie etwa ein Leutnant bei einem Duell. Sie kann auch für einen Brutus oder Cato am Platze sein , der die Sache, für die er ficht, unrettbar verloren sieht. Man will deren Untergang nicht überleben . Ganz anders stehen die Dinge jedoch dann, wenn man das festeste Vertrauen zur eigenen Sache hat, wenn man der unerschütterlichen Überzeugung lebt, daß sie schließlich siegen wird und siegen muß . Dann kann die Aufgabe in Zeiten der Bedrängnis nicht dahin gehen, die Kraft der Partei in einem zwar ehrenvollen aber aussichtslosen Kampf zu vergeuden , sondern nur dahin, mit diesen Kräften hauszuhalten , jedem Kampf, der sie dezimieren könnte , aus dem Wege zu gehen , bis eine Möglichkeit kommt, wieder erfolgreich zur Offensive überzugehen . Nie zeigte sich Lenin größer, als in jenen Tagen , als er unbeugsam dem Kriegsgeschrei der großen Masse seiner Anhänger entgegentrat. Lenin verfolgte seinen Weg und ließ die Leute reden, getreu dem Satz, den Dante geprägt und Marx zu seinem Leitmotiv gemacht hatte. In dieser Beziehung war Lenin ebenso groß wie Marx. Darin überragte er die meisten seiner Anhänger und dadurch ebenso wie durch seine geistige Überlegenheit beherrschte er sie. Dabei war ihm allerdings das Glück günstig . Der Friedensschluß von Brest -Litowsk bedeutete nicht das Ende der Sowjetrepublik, sondern den Beginn der Befestigung des Sowjetregimes . Alle seine Anhänger, die sich dem Friedensschluß als einer erbärmlichen Kapitulation widersetzt hatten , erkannten später, daß Lenin sie damals richtig beraten habe . Von da an war er der vollkommene Diktator in seiner Partei, dessen Worte als ein Evangelium galten, als heilige Worte, über deren Auslegung man sich den Kopf zerbrechen mochte, an deren Richtigkeit zu zweifeln jedoch die ärgste Sünde war. Und doch bezeugt sein Verhalten zur Zeit des Friedensschlusses von Brest- Litowsk wohl eine eiserne Unbeugsamkeit , auch gegenüber dem Sturm und Drang der eigenen Partei , keineswegs aber eine richtige Erkenntnis der Sachlage. Denn er ging von der Überzeugung aus , die Weltrevolution stehe vor der Türe . Es gelte nur einige Monate Zeit zu gewinnen und diese Revolution werde den bedrängten Bolschewismus retten. Zu dieser Weltrevolution kam es nicht und konnte es nicht kommen.

Weltrevolution Ein französischer Geschichtsschreiber des

617 Bolschewismus ,

Henry Rollin , legt sehr sonderbare Auffassungen des Marxismus an den Tag. Er zählt z. B. Mussolini und Pilsudski zu den Marxisten. Sie hätten aus Marx ihren mystischen Autoritarismus geschöpft. Das ist natürlich Unsinn . Aber sehr richtig ist es, wenn er von Lenin sagt : „ Er mochte fünfzehn Jahre auf fremdem Boden weilen , er hat den Westen nie verstanden. Er täuscht sich jedesmal, so oft er die Bewegungen europäischer Massen voraussehen will. Aber seine Voraussicht versagt nie, wenn es sich um das russische Volk und seine Brüder in Asien handelt." (,,La Revolution russe", I. Les Soviets , Paris 1931 , S. 107. ) Wenn wir diese Behauptung nicht auf ganz Asien ausdehnen , sondern auf das russische Volk beschränken, so ist sie ganz richtig. Unter allen Revolutionären des russischen Reichs seiner Zeit war Lenin der russischeste. Das unterschied ihn von Plechanov , von Axelrod, von Martov, von Rosa Luxemburg. Das verlieh der von ihm geführten Sekte , nach dem Sturz des Absolutismus und der Abnützung der von westlichen Anschauungen geleiteten Sozialisten, die Kraft, die volle Macht im Staate zu gewinnen und zu behalten. Das machte diese Sekte aber auch unfähig, zu erkennen, daß die von ihnen aufgerichtete autokratische Staatswirtschaft nichts mit den sozialistischen Zielen des Westens gemein habe , daß sie unvereinbar sei mit einem entwickelten Proletariat, das eine solche Wirtschaft nicht als Befreiung, sondern als unerträgliche Knechtschaft empfinden würde . So erfolgreich die Bolschewiks in Rußland in bezug auf die Gewinnung von Macht waren, so erfolglos außerhalb Rußlands. Die Erwartung der Weltrevolution als Abschluß des Krieges war das Ergebnis eines schablonenhaften Denkens, das überall russische Verhältnisse voraussetzte , nicht das Ergebnis einer klaren Erkenntnis der nichtrussischen Welt. Die schablonenhafte Auffassung des bolschewistischen Denkens hatte schon im Kriege nicht zwischen den Staaten unterschieden, z . B. zwischen Angreifern und Angegriffenen , sie wollte später den Unterschied zwischen Siegern und Besiegten nicht beachten. Dies Denken zeigte sich auch blind für den Unterschied zwischen demokratischen und autokratischen Staaten . Der Unterschied sei doch nur ein formeller, die einen wie die andern seien ,,Imperialisten". In Wirklichkeit ist gerade für die Revolution , das heißt, den gewaltsamen Umsturz , der Unterschied der beiden Staatsarten ein ungeheurer. Für die arbeitenden Klassen kommt die Frage des gewaltsamen Umsturzes nur in Betracht gegenüber einem despotischen Regime, zur Gewinnung der Demokratie. Erleidet ein mehr oder weniger despotisches oder undemokratisches Regierungssystem eine Niederlage im Kriege , so wird diese oft den Anlaß zu einer Erhebung der Massen , einer Revolution geben

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Demokratie und Revolution

Ganz anders steht es in einem demokratischen Staate. Hier haben die Massen die Gelegenheit , sich frei zu entfalten , zu organisieren, zu informieren . Wenn in einem solchen Staate die Sozialisten noch nicht die Macht gewonnen haben, so liegt es daran , daß es ihnen noch nicht gelang, die Mehrheit der Bevölkerung für sich zu gewinnen. Aber sie haben die Möglichkeit, das zu erreichen und damit zur Macht zu gelangen. Dies in der Demokratie durch einen gewaltsamen Umsturz beschleunigen zu wollen , wäre völlig verkehrt. Denn eine bewaffnete Insurrektion der arbeitenden Klassen ist ganz aussichtslos, wenn sie nicht die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat. Früher als durch die Gewalt der Waffen kann im demokratischen Staat das Proletariat zur Macht durch den Stimmzettel kommen, weil es dazu einer kleineren Mehrheit bedarf. Im demokratischen Staat sind es nicht die arbeitenden Klassen, die auf den gewaltsamen Umsturz der Verfassung ausgehen, sondern die herrschenden, ausbeutenden Klassen, die sich durch die Demokratie immer mehr bedroht fühlen . So erwartete auch Marx in England nicht eine gewaltsame Revolution der Arbeiter, sondern eher eine der Kapitalisten und Großgrundbesitzer, die den Versuch machen würden , die demokratische Verfassung durch ihre Söldlinge gewaltsam zu beseitigen, wenn die Arbeiter die Mehrheit erlangten . Diese hätten da die bestehende Staatsordnung zu verteidigen, nicht umzustürzen. Lenin durfte mit Recht eine Revolution als Folge des Krieges in der deutschen und der österreichischen Militärmonarchie erwarten. Aber er bewies eine gröbliche Verkennung z. B. der angelsächsischen Welt, wenn er auch dort mit einer Revolution am Ende des Krieges rechnete. Eine proletarische Weltrevolution 1918 als Folge des Weltkriegs erwarten, hieß, die Verhältnisse außerhalb Rußlands vollständig verkennen . Wohl kam die Revolution in Deutschland und Österreich, aber nur durch den Sieg der ,,imperialistischen" kapitalistischen Regierungen des Westens. Und Sowjetrußland wurde nur durch diesen Sieg der Kapitalisten gerettet. Hätten die Mittelmächte gesiegt , dann kam es nicht einmal zu einer deutschen und österreichischen Revolution , dann erhielten die Mittelmächte sogar die Kraft, nach Petersburg zu marschieren und dem Bolschewismus ein Ende zu bereiten . Lloyd George und Clemenceau haben ihn am Leben erhalten, allerdings sehr wider ihren Willen . Sie hätten dem unheimlichen Gesellen am liebsten den Garaus gemacht. Aber sie regierten demokratische Staaten und deren Bevölkerung war viel zu kriegsmüde, um noch weitere kriegerische Expeditionen zu gestatten, nachdem ihnen die Besiegung des gefürchteten deutschen Militarismus zunächst Frieden und Sicherheit gebracht hatte.

Rettung des Bolschewismus

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Der Bolschewismus wurde gerettet durch fremde Hilfe . Jedoch nicht durch die Weltrevolution , sondern durch den Sieg von Staaten, für die die Idee der Revolution als gewaltsamer Umsturz der bestehenden politischen Verfassung durch das arbeitende Volk jeden Sinn verloren hatte . In Rußland vermochten sich die Bolschewiks zu behaupten, weil ihr Regierungssystem den rückständigen Verhältnissen Rußlands besser angepaßt war, als ein auf den Ideen westlicher Demokratie aufgebautes Staatswesen . Wohl hätten die Russen von 1917 ebensowie die Franzosen von 1789 rasch die geistigen Bedingungen entwickeln können , die einer modernen staatlichen Demokratie Dauer verleihen. Das konnte eintreten, wenn die Anfänge der russischen Revolution ebenso wie die der französischen in eine Periode des Friedens gefallen wären, in der die geistige Selbständigkeit der Massen und ihr politisches Denken sich, namentlich durch ihr Interesse für die demokratisch erwählte Nationalversammlung, frei entwickeln konnte. In Jahren der Revolution lernt ein Volk rasch. Aber 1917 kam die Revolution über die Russen inmitten eines den Staat desorganisierenden und die Massen verwirrenden sowie demoralisierenden Krieges. Der Krieg hat nie die Demokratie begünstigt. Er bewirkte in Frankreich, trotz der guten demokratischen Schulung der ersten Jahre seiner Revolution , daß der Krieg schließlich in die Diktatur Napoleons mündete . Er bewirkte in Rußland , daß die Diktatur einer revolutionären Gruppe aufkam , ehe noch der bescheidenste Anfang in demokratischer Schulung der Massen hätte gemacht werden können . g)

Die

Herbeiführung der Friedensschlüsse von 1919.

Der Beginn des Jahres 1918 hatte den Mittelmächten zwei Gelegenheiten gegeben, einen Frieden der Verständigung zu erlangen. Sie hatten jede dieser Gelegenheiten ungenützt vorübergehen lassen, zu sehr erfüllt von militaristischem Denken , das jeden Frieden, der nicht ein ,,Siegfrieden" ist, einer Niederlage gleichsetzt. Noch hinterdrein , anfangs 1919 schrieb Ludendorff über das Jahr vorher : „ Einen andern Weg als den Kampf gab es für Deutschland nicht, den Feind friedenswillig zu machen. Hierfür war die Erschütterung der Stellung von Lloyd George und Clemenceau durch militärischen Sieg Vorbedingung. Eher war an Frieden nicht zu denken." ( ,,Kriegserinnerungen“, p. 476. ) So dachten die deutschen Militärs und die von ihnen geführten oder beherrschten Staatsmänner. Wohl schwanden den Mittelmächten die Kräfte rapid, indes die alliierten Westmächte nach dem Ausfall Rußlands in Amerika

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Deutscher Zusammenbruch

einen neuen Verbündeten erhielten , dessen Einwirkung im Laufe des Jahres 1918 von Monat zu Monat stärker fühlbar werden mußte und dessen Hilfsquellen unerschöpflich waren . Noch einmal versuchten die Armeen der Habsburger und Hohenzollern, den Sieg in einer verzweifelten Anstrengung zu erzwingen . Am 21. März begann die deutsche Armee in Frankreich eine energische Offensive . Ein furchtbares Ringen entspann sich, in dem es den deutschen Truppen zeitweise gelang , den Feind zurückzudrängen. Vorübergehend kamen deutsche Streitkräfte Paris so nahe, daß sie es mit weittragenden Geschützen beschießen konnten. Aber das half wenig. Die Deutschen besaßen nicht die Kraft, ihren Anfangserfolg weiter zu treiben . Nach einiger Zeit kam die Offensive ins Stocken. Ludendorff berichtet : „ Ende April hatte die am 21. März begonnene Offensive ihren Abschluß erreicht , Versuche, unsere Stellung hie und da zu verbessern, und Gegenangriffe des Feindes verlängerten indes die Kämpfe bis in den Mai hinein." (,,Kriegserinnerungen", p. 490. ) Damals hätten auch die optimistischesten Verfechter der Sache Deutschlands erkennen müssen , daß es auf keine Beendigung des Kriegs durch Niederwerfung seiner Feinde mehr rechnen könne. Denn nun griffen die Amerikaner ein. Sie kamen rascher und in viel größeren Zahlen , als die Deutschen erwartet hatten. Der Zusammenbruch der Bulgaren , der Türken , ja auch der Österreicher stand bereits vor der Tür. Doch die militaristische Denkweise wußte immer noch nur ein Ziel : wenn man nicht siegen konnte, so doch mit „ Ehren" untergehen, das heißt, den Krieg solange hinziehen, bis man völlig kampfunfähig zu Boden lag, bedingungslos kapitulieren mußte. So dauerten die Kriegshandlungen weiter, ohne ein anderes Ergebnis, als den Feind immer noch mehr zu erbittern, und jeder Großmut , ja jeder nüchternen Erwägung unzugänglich zu machen. Im Juli setzte eine Offensive der Alliierten ein, der Rückzug der Deutschen begann , der im August unaufhaltsam wurde. Im September brach Bulgarien zusammen, was die Lage der Türkei unhaltbar machte. Jetzt erst begriff die oberste Leitung des deutschen Heeres die Situation . Am 29. September forderte Hindenburg im Einverständnis mit Ludendorff von der Reichsregierung, sie solle sofort die Feinde um Waffenstillstand und Frieden bitten , den vorzubereiten sie bis dahin nicht das mindeste getan hatte. Nicht nur die Volksmassen, sondern auch die der Regierung näher stehenden Elemente wurden hüben wie drüben maßlos überrascht, als die deutsche Regierung ( Prinz Max von Baden ) am 5. Oktober eine Note an den Präsidenten Wilson richtete, in der sie ihn ersuchte , den Frieden auf der Grundlage seiner vierzehn Punkte ( zu denen

Versailler Friedenskonferenz

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Wilson seit Januar noch weitere neun Grundsätze formuliert hatte) herbeizuführen . Wilson trat in Verhandlungen mit den Deutschen ein , forderte von ihnen als Vorbedingung eines Waffenstillstands die Herbeiführung einer demokratischen Regierung ohne ,,monarchische Autokraten" und so weitgehende Auslieferung von Kriegsmaterial und Positionen außerhalb Deutschlands, daß jede Möglichkeit beseitigt wurde, Deutschland könne den Kampf wieder aufnehmen . Auf dieser Grundlage wurde am 11. November 1918 schließlich die Einstellung der Feindseligkeiten erreicht und die Friedensverhandlungen konnten beginnen. Für Österreich war schon am 4. November ein Waffenstillstand mit Italien eingetreten — in einem Zeitpunkt , in dem es nur noch dem Namen nach bestand und völlig zerfallen war. Diejenigen Deutschen, die erwartet hatten, sie würden nun einen reinen Wilsonfrieden erhalten, sollten sich schließlich bitter enttäuscht fühlen . Der Versailler Friedensvertrag gilt ihnen als ,,Schandfriede ". Doch dürfen ihn diejenigen schmähen, die den Wilson-Frieden, den Verständigungsfrieden überhaupt, solange ablehnten, als ein kampffähiges deutsches Heer im Felde stand ? Vom Standpunkt der Demokratie aus muß man freilich strenge Kritik an dem Werk der Friedenskonferenz üben , die am 18. Januar 1919 in Paris zusammentrat, am gleichen Tage und in demselben Saale (dem ,,Spiegelsaale") des Schlosses von Versailles , in dem 1871 den siegreichen Deutschen das Erstehen des von ihnen neugegründeten deutschen Kaiserreichs verkündet wurde. Der Waffenstillstand war abgeschlossen worden unter Anerkennung der Wilsonschen Prinzipien durch die Sieger. Aber welch seltsame Gestaltung erhielten diese Grundsätze jetzt ! Immer und immer wieder zeigt sichs eben in der Weltgeschichte , daß Krieg und Demokratie einander widerstreben und langdauernde Kriege selbst in den Köpfen der besten Demokraten undemokratisches Denken aufkommen lassen . Den auffallendsten Beleg bieten dafür die Wandlungen der französischen Revolutionäre , die seit 1792 für die Demokratie Krieg führten , um bei Bonaparte zu enden . Auch 1914 waren die Engländer und Franzosen ausgezogen, um den deutschen Militarismus niederzuwerfen , und eine politische Ordnung in Europa zu begründen , die jeglichen Militarismus, jeglichen Krieg unmöglich machen sollte durch einen demokratischen Frieden. Das wünschten sie zumeist auch noch 1919. Aber vier Jahre Krieg hatten in vielen unter ihnen die heißesten Flammen nationalen Hasses entzündet . Das war unvermeidlich, lag im Wesen des Krieges, aber die deutschen und österreichischen Staatsmänner hatten sich besonders erfolgreich darin gezeigt, diese Flammen bei den Feinden anzublasen . Die oberste Heeresleitung wirkte natürlich aufs eifrigste in gleicher Weise , auch noch dann , als sie selbst erkannte , daß alles

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Beginn der deutschen Revolution

verloren sei und man trachten müsse , zu einer Verständigung mit den Feinden mit möglichst geringen eigenen Opfern zu kommen . Seit dem August 1918 wußte die deutsche Heeresleitung , daß der Krieg verloren sei und sie baldigst gezwungen sein werde , um Frieden zu bitten . Es war eine merkwürdige Methode , beim Feinde Friedensgeneigtheit und Verständigungsbereitschaft dadurch zu erzeugen, daß die deutschen Truppen beim Auszug aus Frankreich dafür sorgten, ein völlig zerstörtes Gebiet hinter sich zu lassen. Die Herrn von der obersten Heeresleitung bedachten nicht einmal, daß es das deutsche Volk sein werde , das diese Gebiete wieder aufzubauen habe , ganz abgesehen von den moralischen Verwüstungen in den Gemütern der Gegner, deren Diktatfriede vor der Türe stand . Am 5. Oktober bat die deutsche Regierung Wilson um seine Vermittlung zur Herbeiführung eines Friedens . Und am 16. Oktober wurde noch der rücksichtslose Unterseebootkrieg weitergeführt , der Wilson zum Eintritt in den Krieg gegen Deutschland veranlaßt hatte. An diesem Tage versenkte ein deutsches Unterseeboot den britischen Postdampfer nicht Kriegsschiff ! Leinster, wobei 450 Menschen , darunter Frauen und Kinder, ertranken. Eine glänzende Waffentat, aber eine noch glänzendere Methode, vom Feind , dessen Sieg man bereits anerkannte , mildere Bedingungen zu erlangen . Die Herrn Seeoffiziere hätten am liebsten noch weiter und viel eindrucksvoller die Methode geübt, den Feind nicht zu schwächen, wohl aber erbarmungsloser zu machen . Faßte doch die Flottenleitung den Plan , die vor sich gehenden Waffenstillstandsverhandlungen dadurch zu unterbrechen , daß die deutsche Flotte nach Helgoland vorbrechen und der englischen Flotte eine Seeschlacht liefern sollte , die Deutschland freilich nicht gerettet, wohl aber seine Gegner aufs höchste erbittert hätte. Jedoch meinten die Herrn Offiziere, dieser Streich hätte das Prestige der Flotte in hellstem Lichte erstrahlen lassen. Zum Unterschied von den Offizieren des Landheeres hatten die der Flotte im Oktober 1918 noch nicht die Auflösung der Mannszucht ihrer Leute praktisch kennen gelernt . Aber diese waren nicht unberührt von dem Gang der Ereignisse geblieben . Vernünftiger als ihre Kommandanten , verweigerte die Bemannung der Kriegsschiffe den Gehorsam , als diese am 28. Oktober auslaufen sollten . Der Versuch, die Rebellion zu unterdrücken , mißlang und führte zu Unruhen von Matrosen und Arbeitern , namentlich in Kiel, seit 3. November. Sie wurden der Ausgangspunkt der deutschen Revolution, die wie ein Lauffeuer das ganze Reich durchzog und am 9. November mit der Proklamierung der Republik in Berlin ihren Höhepunkt fand . Am 8. November war eine deutsche Kommission mit dem Oberkommando der feindlichen Truppen bei Compiègne zusammengetroffen, um über den Waffenstillstand zu verhandeln . Er

Gericht über Wilhelm II.

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wurde abgeschlossen am 11. November. Die deutschen Kommissäre waren als Abgesandte des Kaisers in Compiègne erschienen . Als Beauftragte der deutschen Republik unterzeichneten sie den . Waffenstillstandsvertrag . Leider war die Erbitterung gegen die Deutschen so groß , daß selbst der Sturz des Kaisers keine wesentliche Entspannung brachte. Und doch galt Wilhelm II . als der Hauptschuldige an dem furchtbaren Geschehen, als Mörder der zehn Millionen, die in den Schlachten des Weltkriegs gefallen waren. Ihn als Verbrecher vor Gericht zu ziehen und zu bestrafen, erschien gar vielen naiven Leuten als die erste Forderung, die der Friedensvertrag erfüllen müsse . Und in den Versailler Vertrag kam tatsächlich die Bestimmung hinein (Artikel 227) , Wilhelm solle vor einen besondern Gerichtshof gestellt werden, der ihn zu richten habe, ,,wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der geheiligten Macht der Verträge“. Ein wahrhaft groteskes Verlangen. Gegen welchen Paragraphen des internationalen Sittengesetzes sollte Wilhelm II . sich vergangen haben ? Seit wann wurde ein Monarch ein Verbrecher dadurch, daß er einen Krieg erklärte ? Und hatten nicht England , Italien , Rumänien, Amerika dem Deutschen Reiche den Krieg erklärt? Welche Strafe sollte den überführten Verbrecher treffen ? Die ganze Bestimmung wird nur begreiflich als eine Verbeugung vor dem Volkszorn der Siegerstaaten, der nach Sühne für das entsetzliche Morden schrie, nicht als ernstlicher Versuch, ein ordentliches Gerichtsverfahren über einen offenbaren Verbrecher herbeizuführen . Und doch hätte das Gerichtsverfahren einen guten Sinn bekommen können, wenn ihm nicht Sühne und Strafe, sondern Klarlegung zur Aufgabe gestellt wurde. Es gibt Fälle, in denen das kontradiktorische öffentliche Verfahren vor einem unbefangenen Gerichtshof besser geeignet ist, als irgendwelche sonstige Art der Forschung, Klarheit über dunkle und verwickelte Vorgänge herbeizuführen. Wo derartiges vorliegt und heftige Vorwürfe gegen einen dabei Beteiligten erhoben werden, ist es oft dieser selbst, der die Einleitung eines Gerichtsverfahrens gegen sich fordert, zu völliger Klarlegung der Sachlage. In diesem Sinne hätte es Wilhelm II. selbst sein müssen, der einen Gerichtshof über die gegen ihn erhobenen Anklagen forderte. Allerdings einen unbefangenen Gerichtshof. Auch in dieser Beziehung war der Artikel 227 des Versailler Vertrags absurd . Er forderte einen Gerichtshof, dessen Richter von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan ernannt werden sollten, also von den Siegern , den ausgesprochenen Feinden des Kaisers. Solche Richter durfte Wilhelm mit Recht ablehnen, doch hätte es andere gegeben, etwa das 1899 eingesetzte internationale Schiedsgericht im Haag, das jede Gewähr der Unbefangenheit bot. Wil-

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Der Friedenskongreẞ

helm hätte sehr wohl vor die Welt hintreten können und sagen : Ihr klagt mich an , den Weltkrieg planmäßig vorbereitet und herbeigeführt zu haben . Ich bestreite diese Anklage. Mein Gewissen ist rein. Ich fordere einen Gerichtshof, vor dem ich in aller Öffentlichkeit die Beweise dafür erbringen werde. Anders dachten die Militaristen. Als der Krieg verloren war, da forderte mancher getreue Anhänger der Hohenzollern den Kaiser auf, sich an die Spitze seiner Truppen zu stellen , um den Tod in der Schlacht zu suchen. Das hätte wohl keine historische Rechtfertigung seiner Politik bedeutet, aber immerhin einen wirkungsvollen Abschluß für sie, der im Interesse der Dynastie noch hätte verwertet werden können . Politisch unendlich zweckmäßiger wäre es jedoch gewesen,

wenn Wilhelm seinen Anklägern die Stirn geboten , den Gerichtshof selbst verlangt hätte . Doch der Hohenzoller war bar jeder Größe. Er wußte im entscheidenden Moment nichts anderes zu tun , als sich unter dem Unterrock der holländischen Königin Wilhelmine zu verkriechen und zu trachten, möglichst unbemerkt zu bleiben. Und dank dem mannhaften Schutze , den ihm dieser Unterrock gewährte, blieb auch der letzte deutsche Kaiser nicht nur von Strafe und Sühne, sondern auch von jeder indiskreten Fragestellung unbehelligt . Das beste Mittel, die Wahrheit über die Entfesselung des Kriegs im August 1914 herauszufinden , blieb unbenutzt. Die Strafe, von der Wilhelm verschont blieb, traf dafür um so schwerer sein Volk, dasselbe Volk, das ihn verjagt und unter dem Weltkrieg nicht weniger gelitten hatte als irgendeine andere der am schwersten von dem verwüstenden Orkan betroffenen Nationen. Die Völker des Westens, Franzosen , Belgier, Engländer, Amerikaner waren in den Krieg eingetreten , um es dem deutschen Militärdespotismus unmöglich zu machen , die Weltherrschaft zu gewinnen, und um jeden weitern Krieg durch einen dauernden Frieden für die ganze Welt zu verhindern. Der Neuaufbau der Welt , der zu diesem Zwecke nötig wurde , hätte nur von einem Weltkongreß vorgenommen werden können , an dem alle Staaten der Erde, Besiegte wie Sieger und Neutrale , mit gleichen Rechten teilnahmen. Selbst der Wiener Kongreß der reaktionären Regierungen von 1814 hatte nicht umhin gekonnt, zu seinen Beratungen die Vertreter des besiegten Frankreich ebenso zuzuziehen , wie die der Sieger Rußland , Preußen, Österreich, England . Allerdings war damals Napoleons Herrschaft in Frankreich bereits aufgehoben. Aber galt dasselbe nicht seit dem November 1918 auch von Wilhelms Herrschaft in Deutschland ? Durfte die deutsche Demokratie von den Demokratien des Westens nicht dieselbe Solidarität erwarten , wie hundert Jahre vorher das legitimistische Königtum Frankreichs von den andern Dynastien Europas?

Die Friedenskonferenz

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In der Tat beabsichtigten auch die Sieger von 1918 zu dem Friedenskongreß die Besiegten zu gemeinsamen Verhandlungen hinzuzuziehen. Aber nicht sofort . Zunächst wollten die Sieger untereinander verhandeln , um sich über ihre Friedensziele einig zu werden. Schon am 29. November 1918 überreichte der französische Gesandte in Washington dem Präsidenten Wilson ein Programm der Friedensarbeit. Zunächst sollten die Siegermächte einen Präliminarfrieden ausarbeiten, der dann dem Friedenskongreß vorzulegen wäre, an dem neben den Siegern auch die Besiegten und die Neutralen teilnehmen sollten. Der Kongreß sollte völlig frei in seinen Beschlüssen sein , daher wurde die vorherige Aufhebung aller Geheimverträge gefordert. (Vgl . Harold Nicolson , ,, Peace making 1919", London 1933, p. 102.) Leider enthielt das Programm neben diesen sehr vernünftigen Bestimmungen auch Ausführungen, die bei Wilson Anstoß erregten, z. B. eine Kritik seiner vierzehn Punkte. Es wurde daher von ihm nicht akzeptiert. Die Friedenskonferenz trat ohne ausgesprochenes Programm zusammen, doch erhielt sich die Absicht, zu der Diskutierung des eigentlichen Friedens die Besiegten hinzuzuziehen. Vorher aber mußten sich die Sieger untereinander einig werden. Das war leider ganz und gar nicht einfach. Denn zu ihnen gehörten fünf Großstaaten und siebenundzwanzig kleinere Staaten. Sie waren nicht alle gleichzeitig, sondern zu sehr verschiedenen Zeiten in den Krieg eingetreten . Mancher von ihnen hatte sich erst im Krieg neu gebildet, so Polen, die Tschechoslowakei, das Hedschas. Sehr verschiedene, ja mitunter sehr gegensätzliche Motive hatten die einzelnen Staaten in den Krieg getrieben. Zwei unter den großen Siegerstaaten hatten sich an ihm aus bloßem Landhunger beteiligt, Japan und Italien . Sie wollten ihn befriedigen auf Kosten von Nachbarn , die gleich ihnen zu den Alliierten Frankreichs und Englands gehörten, Japan auf Kosten Chinas, Italien auf Kosten Jugoslawiens. Die Italiener forderten nicht bloß Gebiete , die von 250.000 Deutschen bewohnt waren, südlich des Brenner, sondern auch Gebiete mit 1,200.000 Südslawen. Diese Forderung paẞte schlecht zu den vierzehn Punkten . In der Tat kam es auf der Friedenskonferenz fast zu einem Bruch zwischen Wilson und den Italienern . Diese verließen am 23. April 1919 die Konferenz , weil Wilson ihnen die Abtretung Fiumes verweigerte. Allerdings kamen sie nach zwei Wochen wieder. Die Staatsmänner Italiens zeigten damals schon , wie wenig demokratisches Empfinden in ihnen und in den Volksschichten , auf die sie sich stützten , tatsächlich lebte. Ihr Liberalismus war berühmt, ebenso wie der der Ungarn und der Polen, die eine zeitlang als die Elitetruppen der Revolution in Europa galten . Es war der eigenartige Liberalismus einer Aristokratie von Erbadeligen und Intellektuellen, die in der politischen Atmosphäre Europas 40

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Beginn der deutschen Revolution

verloren sei und man trachten müsse, zu einer Verständigung mit den Feinden mit möglichst geringen eigenen Opfern zu kommen . Seit dem August 1918 wußte die deutsche Heeresleitung, daß der Krieg verloren sei und sie baldigst gezwungen sein werde , um Frieden zu bitten . Es war eine merkwürdige Methode, beim Feinde Friedensgeneigtheit und Verständigungsbereitschaft dadurch zu erzeugen, daß die deutschen Truppen beim Auszug aus Frankreich dafür sorgten, ein völlig zerstörtes Gebiet hinter sich zu lassen. Die Herrn von der obersten Heeresleitung bedachten nicht einmal , daß es das deutsche Volk sein werde, das diese Gebiete wieder aufzubauen habe , ganz abgesehen von den moralischen Verwüstungen in den Gemütern der Gegner, deren Diktatfriede vor der Türe stand . Am 5. Oktober bat die deutsche Regierung Wilson um seine Vermittlung zur Herbeiführung eines Friedens . Und am 16. Oktober wurde noch der rücksichtslose Unterseebootkrieg weitergeführt, der Wilson zum Eintritt in den Krieg gegen Deutschland veranlaßt hatte . An diesem Tage versenkte ein deutsches Unterseeboot den britischen Postdampfer - nicht Kriegsschiff ! — Leinster, wobei 450 Menschen, darunter Frauen und Kinder, ertranken. Eine glänzende Waffentat, aber eine noch glänzendere Methode, vom Feind, dessen Sieg man bereits anerkannte, mildere Bedingungen zu erlangen . Die Herrn Seeoffiziere hätten am liebsten noch weiter und viel eindrucksvoller die Methode geübt, den Feind nicht zu schwächen, wohl aber erbarmungsloser zu machen. Faßte doch die Flottenleitung den Plan, die vor sich gehenden Waffenstillstandsverhandlungen dadurch zu unterbrechen , daß die deutsche Flotte nach Helgoland vorbrechen und der englischen Flotte eine Seeschlacht liefern sollte, die Deutschland freilich nicht gerettet, wohl aber seine Gegner aufs höchste erbittert hätte. Jedoch meinten die Herrn Offiziere, dieser Streich hätte das Prestige der Flotte in hellstem Lichte erstrahlen lassen. Zum Unterschied von den Offizieren des Landheeres hatten die der Flotte im Oktober 1918 noch nicht die Auflösung der Mannszucht ihrer Leute praktisch kennen gelernt. Aber diese waren nicht unberührt von dem Gang der Ereignisse geblieben . Vernünftiger als ihre Kommandanten, verweigerte die Bemannung der Kriegsschiffe den Gehorsam , als diese am 28. Oktober auslaufen sollten . Der Versuch, die Rebellion zu unterdrücken , mißlang und führte zu Unruhen von Matrosen und Arbeitern, namentlich in Kiel, seit 3. November. Sie wurden der Ausgangspunkt der deutschen Revolution , die wie ein Lauffeuer das ganze Reich durchzog und am 9. November mit der Proklamierung der Republik in Berlin ihren Höhepunkt fand . Am 8. November war eine deutsche Kommission mit dem Oberkommando der feindlichen Truppen bei Compiègne zusammengetroffen, um über den Waffenstillstand zu verhandeln . Er

Gericht über Wilhelm II.

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wurde abgeschlossen am 11. November. Die deutschen Kommissäre waren als Abgesandte des Kaisers in Compiègne erschienen . Als Beauftragte der deutschen Republik unterzeichneten sie den Waffenstillstandsvertrag . Leider war die Erbitterung gegen die Deutschen so groß, daß selbst der Sturz des Kaisers keine wesentliche Entspannung brachte. Und doch galt Wilhelm II . als der Hauptschuldige an dem furchtbaren Geschehen, als Mörder der zehn Millionen, die in den Schlachten des Weltkriegs gefallen waren. Ihn als Verbrecher vor Gericht zu ziehen und zu bestrafen, erschien gar vielen naiven Leuten als die erste Forderung, die der Friedensvertrag erfüllen müsse. Und in den Versailler Vertrag kam tatsächlich die Bestimmung hinein (Artikel 227) , Wilhelm solle vor einen. besondern Gerichtshof gestellt werden, der ihn zu richten habe, ,,wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der geheiligten Macht der Verträge". Ein wahrhaft groteskes Verlangen . Gegen welchen Paragraphen des internationalen Sittengesetzes sollte Wilhelm II . sich vergangen haben ? Seit wann wurde ein Monarch ein Verbrecher dadurch, daß er einen Krieg erklärte ? Und hatten nicht England, Italien, Rumänien , Amerika dem Deutschen Reiche den Krieg erklärt ? Welche Strafe sollte den überführten Verbrecher treffen ? Die ganze Bestimmung wird nur begreiflich als eine Verbeugung vor dem Volkszorn der Siegerstaaten, der nach Sühne für das entsetzliche Morden schrie, nicht als ernstlicher Versuch, ein ordentliches Gerichtsverfahren über einen offenbaren Verbrecher herbeizuführen. Und doch hätte das Gerichtsverfahren einen guten Sinn bekommen können, wenn ihm nicht Sühne und Strafe, sondern Klarlegung zur Aufgabe gestellt wurde. Es gibt Fälle, in denen das kontradiktorische öffentliche Verfahren vor einem unbefangenen Gerichtshof besser geeignet ist, als irgendwelche sonstige Art der Forschung, Klarheit über dunkle und verwickelte Vorgänge herbeizuführen. Wo derartiges vorliegt und heftige Vorwürfe gegen einen dabei Beteiligten erhoben werden, ist es oft dieser selbst, der die Einleitung eines Gerichtsverfahrens gegen sich fordert, zu völliger Klarlegung der Sachlage. In diesem Sinne hätte es Wilhelm II . selbst sein müssen, der einen Gerichtshof über die gegen ihn erhobenen Anklagen forderte . Allerdings einen unbefangenen Gerichtshof. Auch in dieser Beziehung war der Artikel 227 des Versailler Vertrags absurd . Er forderte einen Gerichtshof, dessen Richter von Amerika , Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan ernannt werden sollten, also von den Siegern , den ausgesprochenen Feinden des Kaisers . Solche Richter durfte Wilhelm mit Recht ablehnen , doch hätte es andere gegeben, etwa das 1899 eingesetzte internationale Schiedsgericht im Haag, das jede Gewähr der Unbefangenheit bot. Wil-

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Der Friedenskongreß

helm hätte sehr wohl vor die Welt hintreten können und sagen : Ihr klagt mich an, den Weltkrieg planmäßig vorbereitet und herbeigeführt zu haben . Ich bestreite diese Anklage. Mein Gewissen ist rein . Ich fordere einen Gerichtshof, vor dem ich in aller Öffentlichkeit die Beweise dafür erbringen werde . Anders dachten die Militaristen. Als der Krieg verloren war, da forderte mancher getreue Anhänger der Hohenzollern den Kaiser auf, sich an die Spitze seiner Truppen zu stellen, um den Tod in der Schlacht zu suchen. Das hätte wohl keine historische Rechtfertigung seiner Politik bedeutet, aber immerhin einen wirkungsvollen Abschluß für sie, der im Interesse der Dynastie noch hätte verwertet werden können .

Politisch unendlich zweckmäßiger wäre es jedoch gewesen, wenn Wilhelm seinen Anklägern die Stirn geboten, den Gerichtshof selbst verlangt hätte. Doch der Hohenzoller war bar jeder Größe. Er wußte im entscheidenden Moment nichts anderes zu tun , als sich unter dem Unterrock der holländischen Königin Wilhelmine zu verkriechen und zu trachten , möglichst unbemerkt zu bleiben. Und dank dem mannhaften Schutze , den ihm dieser Unterrock gewährte, blieb auch der letzte deutsche Kaiser nicht nur von Strafe und Sühne, sondern auch von jeder indiskreten Fragestellung unbehelligt. Das beste Mittel, die Wahrheit über die Entfesselung des Kriegs im August 1914 herauszufinden, blieb unbenutzt. Die Strafe , von der Wilhelm verschont blieb, traf dafür um so schwerer sein Volk, dasselbe Volk, das ihn verjagt und unter dem Weltkrieg nicht weniger gelitten hatte als irgendeine andere der am schwersten von dem verwüstenden Orkan betroffenen Nationen. Die Völker des Westens, Franzosen, Belgier, Engländer, Amerikaner waren in den Krieg eingetreten, um es dem deutschen Militärdespotismus unmöglich zu machen, die Weltherrschaft zu gewinnen, und um jeden weitern Krieg durch einen dauernden. Frieden für die ganze Welt zu verhindern . Der Neuaufbau der Welt, der zu diesem Zwecke nötig wurde , hätte nur von einem Weltkongreß vorgenommen werden können, an dem alle Staaten der Erde, Besiegte wie Sieger und Neutrale, mit gleichen Rechten teilnahmen. Selbst der Wiener Kongreß der reaktionären Regierungen von 1814 hatte nicht umhin gekonnt, zu seinen Beratungen die Vertreter des besiegten Frankreich ebenso zuzuziehen, wie die der Sieger Rußland, Preußen, Österreich , England . Allerdings war damals Napoleons Herrschaft in Frankreich bereits aufgehoben. Aber galt dasselbe nicht seit dem November 1918 auch von Wilhelms Herrschaft in Deutschland ? Durfte die deutsche Demokratie von den Demokratien des Westens nicht dieselbe Solidarität erwarten, wie hundert Jahre vorher das legitimistische Königtum Frankreichs von den andern Dynastien Europas?

Die Friedenskonferenz

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In der Tat beabsichtigten auch die Sieger von 1918 zu dem Friedenskongreß die Besiegten zu gemeinsamen Verhandlungen hinzuzuziehen. Aber nicht sofort . Zunächst wollten die Sieger untereinander verhandeln , um sich über ihre Friedensziele einig zu werden . Schon am 29. November 1918 überreichte der französische Gesandte in Washington dem Präsidenten Wilson ein Programm der Friedensarbeit. Zunächst sollten die Siegermächte einen Präliminarfrieden ausarbeiten, der dann dem Friedenskongreß vorzulegen wäre, an dem neben den Siegern auch die Besiegten und die Neutralen teilnehmen sollten. Der Kongreß sollte völlig frei in seinen Beschlüssen sein, daher wurde die vorherige Aufhebung aller Geheimverträge gefordert . (Vgl. Harold Nicolson ,,,Peace making 1919", London 1933, p . 102. ) Leider enthielt das Programm neben diesen sehr vernünftigen Bestimmungen auch Ausführungen, die bei Wilson Anstoß erregten, z . B. eine Kritik seiner vierzehn Punkte. Es wurde daher von ihm nicht akzeptiert. Die Friedenskonferenz trat ohne ausgesprochenes Programm zusammen, doch erhielt sich die Absicht, zu der Diskutierung des eigentlichen Friedens die Besiegten hinzuzuziehen. Vorher aber mußten sich die Sieger untereinander einig werden. Das war leider ganz und gar nicht einfach. Denn zu ihnen gehörten fünf Großstaaten und siebenundzwanzig kleinere Staaten. Sie waren nicht alle gleichzeitig, sondern zu sehr verschiedenen Zeiten in den Krieg eingetreten . Mancher von ihnen hatte sich erst im Krieg neu gebildet, so Polen, die Tschechoslowakei, das Hedschas. Sehr verschiedene, ja mitunter sehr gegensätzliche Motive hatten die einzelnen Staaten in den Krieg getrieben. Zwei unter den großen Siegerstaaten hatten sich an ihm aus bloßem Landhunger beteiligt, Japan und Italien. Sie wollten ihn befriedigen auf Kosten von Nachbarn , die gleich ihnen zu den Alliierten Frankreichs und Englands gehörten, Japan auf Kosten Chinas, Italien auf Kosten Jugoslawiens. Die Italiener forderten nicht bloß Gebiete, die von 250.000 Deutschen bewohnt waren, südlich des Brenner, sondern auch Gebiete mit 1,200.000 Südslawen. Diese Forderung paßte schlecht zu den vierzehn Punkten . In der Tat kam es auf der Friedenskonferenz fast zu einem Bruch zwischen Wilson und den Italienern. Diese verließen am 23. April 1919 die Konferenz , weil Wilson ihnen die Abtretung Fiumes verweigerte. Allerdings kamen sie nach zwei Wochen wieder. Die Staatsmänner Italiens zeigten damals schon , wie wenig demokratisches Empfinden in ihnen und in den Volksschichten, auf die sie sich stützten, tatsächlich lebte. Ihr Liberalismus war berühmt, ebenso wie der der Ungarn und der Polen , die eine zeitlang als die Elitetruppen der Revolution in Europa galten . Es war der eigenartige Liberalismus einer Aristokratie von Erbadeligen und Intellektuellen, die in der politischen Atmosphäre Europas 40

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Die ,,großen Vier".

seit der französischen Revolution gegen eine Fremdherrschaft kämpften. War diese abgeschüttelt, dann verflog früher oder später der liberale Hauch und die Liberalen wurden zu krassesten Gewaltherrschern . Italien war wohl der schwierigste , aber keineswegs der einzige Fall, in dem starke Gegensätze im Schoß der Sieger aufeinanderplatzten. Sie wurden zunächst durch Kompromisse erledigt, die niemand befriedigten. Es ist kein Wunder, daß man diese Gegensätze nicht aller Welt kundtat, daß also die Sitzungen der Konferenz geheim waren, obwohl sie der Ära der alten Geheimdiplomatie ein Ende bereiten sollte. Und ebensowenig verwunderlich ist es, daß man ein halbes Jahr brauchte, bis die Sieger mit der Verständigung untereinander einigermaßen fertig geworden waren. An den eigentlichen Verhandlungen hatten die Siegerstaaten selbst nicht alle teilnehmen können . Sie fielen ausschließlich den fünf Großstaaten zu, von denen Japan , aber auch Italien wenig Interesse , außer für ihren Anteil an der Beute zeigten. Am 18. Januar 1919 wurde die Friedenskonferenz eröffnet, seit März (bis Mai ) waren es nur die Vertreter Amerikas, Englands , Frankreichs, Italiens, die über die Friedensbedingungen verhandelten. Welcher von den kleineren Staaten etwas wollte, mußte bei den „ großen Vier“ (big four) sein Anliegen vorbringen. Im wesentlichen waren es die drei erstgenannten, die dem Weltfrieden seine Gestalt gaben. Unter ihnen war Wilson der idealistischste, sein Land auch dasjenige, das nichts für sich beanspruchte. Dabei dasjenige , das den Krieg entschieden hatte und als die ökonomisch stärkste Großmacht der Welt dastand. Man durfte erwarten, es werde dem Friedensvertrag seinen Stempel aufdrücken. Aber gerade, weil Amerika nichts für sich forderte , wurden seine regierenden und herrschenden Kreise durch kein starkes Interesse angetrieben, das Programm des Präsidenten durchzusetzen. Seine Auffassungen besaßen für sie bloß akademische Bedeutung. Ja , der Siegesrausch schuf für Wilson eine starke Opposition im eigenen Lande , die ihn lähmte . Ein bedeutender amerikanischer Historiker, Professor Charles A. Beard , sagt darüber in dem Buche ,,The rise of American Civilization", das er mit Mary Beard 1927 herausgab (New York, II . S. 654, 655) : Die Kongreẞwahlen ( in den Vereinigten Staaten, K. ) fanden wenige Tage vor dem Abschluß des Waffenstillstands statt. Die amerikanischen Wähler miẞachteten Wilsons Aufforderung, eine demokratische Mehrheit ins Repräsentantenhaus zu entsenden (Wilson gehörte der demokratischen Partei an, die im Gegensatz stand zu der republikanischen, mehr großkapitalistischen, K. ) . Sie entsandten eine republikanische Mehrheit, nach einem wüsten Wahlkampf, in dem viele hervorragende Parteiführer die bedingungslose Unterwerfung Deutschlands, einen spartanischen Frieden für die Besiegten und die vollständige Verwerfung des vorgeschlagenen

Wilson auf der Friedenskonferenz

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Völkerbundes verlangten. ‚In keinem andern freien Lande der Welt würde Herr Wilson mehr im Amte sein ', war das Hohnwort, das man dem Präsidenten nachrief, eben als er sich anschickte, die Fahrt nach Frankreich zur Friedenskonferenz anzutreten. Das Hohnwort wurde mit Wonne von der imperialistischen Presse in London und Paris aufgegriffen ." Harold Nicolson sagt über die damalige Stimmung der Amerikaner : ,,Die Tragödie der amerikanischen Delegation in Paris bestand darin, daß sie etwas repräsentierte, was Amerika aufs tiefste im Jahre 1915 empfunden hatte und wieder 1922 empfinden sollte. Aber sie repräsentierte nicht das amerikanische Empfinden im Januar 1919. " ( ,, Peace making 1919“, S. 58. ) Über Wilson selbst sagt Beard an der angeführten Stelle weiter : „ Als er in Europa anlangte, um den Traum seiner vierzehn Punkte zu verwirklichen, war Präsident Wilson ein zerbrochenes Werkzeug, vom Schicksal bestimmt, sich in hochdiplomatischem Kampf mit den verschlagensten Politikern zu messen, die an die Spitze der Regierungen gekommen waren durch den Vulkanausbruch des Kriegs und von denen jeder gestützt wurde durch machtvolle chauvinistische Leidenschaften im eigenen Lande." Selbst die sonst so pazifistischen Engländer fühlten sich damals von Gefühlen der Rache und des Hasses getrieben. Unmittelbar nach dem Kriege waren diese durch ihn aufgepeitschten Leidenschaften im englischen Volke noch sehr stark - noch, oder vielmehr wieder. Die Kriegsmüdigkeit der letzten Kriegszeit hatte pazifistisches Denken gefördert. Der Sieg drängte es wieder zurück. Im Dezember 1918 fanden in Großbritannien Wahlen statt, die den chauvinistischen Elementen eine enorme Mehrheit brachten, die Pazifisten zur Nichtigkeit verurteilten . Lloyd George war zu sehr Demagog, um nicht dieser Tatsache bei den Friedensverhandlungen vollauf Rechnung zu tragen. Gänzlich isoliert auf der Konferenz , eine feindselige Mehrheit des eigenen Landes im Rücken, hatte Wilson noch damit zu kämpfen, daß ihm die Verhältnisse Europas völlig fremd waren . Seine vierzehn Punkte hatte er nur aus ethischem Empfinden heraus geboren. Dabei war er, wie Harold Nicolson es formuliert, „ kein Philosoph, nur ein Prophet“ . ( ,, Peace making“ , S. 42.) Und zu alledem kam noch, daß Wilson sich keiner robusten Gesundheit erfreute. Im Herbst 1919 sollte er körperlich vollständig zusammenbrechen. Aber auch ohne diese persönlichen Schwächungen der Position Wilsons hätte es schon die allgemeine Erbitterung gegen Deutschland unter den Siegern gleich nach dem Sieg unmöglich gemacht, daß Wilsons vierzehn Punkte vollständig verwirklicht wurden. Nur völlige Verständnislosigkeit kann Wilson für diesen ,,Verrat an der Demokratie" verantwortlich machen, als deren berufene Verfechter sich ihm gegenüber deutsche Nationalisten auftun. Wilson am nächsten stand der Vertreter Englands, Lloyd George, wenigstens in bezug auf Europa. Ebensowenig wie die 40*

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England und Frankreich

Vereinigten Staaten suchte es dort irgend einen Landgewinn . Mit der Vernichtung der deutschen Flotte war der Alb gewichen, der durch Deutschlands Rüstung das britische Inselland bedrückt hatte. Die Zahlung der Kriegskosten war - neben der Aburteilung so ziemlich alles, was die Engländer von DeutschWilhelm II. land erwarteten und forderten . In dieser Beziehung allerdings waren sie von Sinnen. Kriegshypnose und dann noch Siegesrausch erstickte alles nüchterne ökonomische Denken. Deutschlands Kolonien interessierten die Engländer des Mutterlandes wenig. Es waren hauptsächlich einzelne Dominions , Südafrika , Australien , die nach dem deutschen Besitz verlangten . Ganz eigenartig gestaltete sich Frankreichs Lage. Außer der Rückgabe Elsaß-Lothringens forderte es keinen Landgewinn für sich in Europa. Was es brauchte, war vor allem Sicherheit . Das war sein Hauptstreben seit 1871. Daß die Franzosen Sicherheit gegen den so gewaltigen Nachbarn forderten, Sicherheit gegen den erneuten Ausbruch eines Krieges, sowie Sicherung gegen die deutsche Übermacht im Falle eines Krieges, das war selbstverständlich . Clemenceau , der Frankreich auf der Konferenz vertrat, hatte in diesem Punkte seine ganze Nation hinter sich . In ihm verkörperte sich der ganze Zeitraum, in dem Preußen zuerst aufstieg, dann Frankreich niederwarf und zur dauernden Gefahr für dieses wurde. Clemenceau, geboren 1840 , hatte Frankreichs Niedergang unter dem zweiten Kaiserreich , die Invasion der Deutschen und die Verwüstung Nordfrankreichs im Kriege von 1870/71 mit eigenen Augen gesehen , dann noch die Wiederholung dieses Schauspiels seit 1914 in furchtbarster Form erlebt. Kein Wunder, daß er den Forderungen an Deutschland besonders schroffen Ausdruck gab. Ein anderer Franzose wäre vielleicht höflicher gewesen, aber in der Sache kaum nachgiebiger. Die Forderung der Sicherung war wohlberechtigt, die Art und Weise, wie sie angestrebt wurde, jedoch völlig verkehrt . Zum Glück vermochten Wilson und Lloyd George die schlimmsten. Forderungen zu verhüten, z. B. die Loslösung der Rheinlande von Deutschland und ihre Verwandlung in einen autonomen Pufferstaat. Doch blieben genug Bestimmungen übrig, die für das deutsche Volk höchst drückend waren. Wie schon gesagt, die deutschen Nationalisten haben kein Recht, sich darüber moralisch zu entrüsten. Sie hätten am liebsten , wenn sie siegten, ganz Belgien und ein Stück Nordfrankreich geschluckt. Aber zur Herbeiführung eines dauernden Friedens waren diese Bestimmungen des Versailler Friedens sicher sehr schlecht geeignet. Sicherheit für Frankreich? Ja, unter allen Umständen. Aber sie sollte mit Mitteln und Methoden erreicht werden , die dauernde Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland ermöglichten, ja förderten. Die Feindschaft zwischen den beiden großen Nationen des europäischen Festlands war ein Produkt länderhungriger Dynastien. Die

Der Diktatfriede

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Verbrüderung der französischen und der deutschen Demokratie bildete ein heißersehntes Ziel für die edelsten Geister hüben wie drüben, seitdem es demokratische Regungen auch in Deutschland gab, seit die demokratische Emigration des deutschen Volkes in Frankreich eine Zuflucht fand von 1830 an . Die bürgerliche Demokratie Deutschlands hat den Wunsch nach der Gewinnung der französischen Freundschaft seit 1871 aufgegeben, die internationale Sozialdemokratie hat dies Streben mit größtem Eifer fortgesetzt. Der Weltkrieg ließ es dann für weite Kreise auch in den sozialistischen Reihen untergehen. Von der Gewinnung der demokratischen Republik in Deutschland erhofften wir eine Neubelebung des Bündnisses zwischen französischer und deutscher Demokratie , das schon vor einem Jahrhundert Heine und Börne ersehnt hatten. Doch so schnell beruhigen sich erregte große Massen nicht. Und die Welt brauchte 1919 dringend rascheste Herbeiführung normaler Zustände . Mit der Fertigstellung des Friedensvertrags konnte man nicht warten, bis allgemeine Ernüchterung eingetreten war. Diese setzte bereits den Frieden voraus mit seiner allgemeinen Demobilisierung, seiner Freiheit des Verkehrs . Bis in den Mai 1919 verhandelten die Vertreter der siegreichen Großmächte untereinander. Über das Gesamtergebnis war jeder von ihnen nicht sehr erfreut. Jeder hatte Konzessionen machen müssen . Ebensowenig entzückt waren die meisten kleinen Staaten unter den Siegern, die akzeptieren mußten, was ihnen geboten wurde. Ganz entsetzt aber waren die Besiegten. Und sie sahen eine besondere Härte darin , daß man mit ihnen nicht verhandelte, sondern die Bedingungen diktierte, die sie ohne weiteres zu akzeptieren hatten . Was als Präliminarfriede , als Grundlage der eigentlichen Friedenserörterungen ganz passabel gewesen wäre, erschien unerträglich als endgültiger Friedenszustand, den man hinzunehmen hatte, da man den Krieg nicht fortsetzen konnte. Man sah in diesem Vorgehen der Sieger ein Zeichen ihrer besondern Bosheit und Überheblichkeit und doch war es nur ein Ergebnis ihrer Verlegenheit. Hatte es fast ein halbes Jahr gedauert, ehe nur die Sieger einigermaßen, mit Ach und Krach untereinander einig geworden waren, so hätte es ins Uferlose geführt, wenn man noch einen Weltkongreß aller Staaten einberufen hätte, damit er die Neueinteilung der Welt in Angriff nehme. Statt solcher Neuordnung hätte wohl der Weltkongreß in allgemeiner Anarchie geendet. So wenig wie der Ausbruch des Weltkriegs das Ergebnis eines tückischen Plans Wilhelm II. , waren die Friedensverträge von 1919 ein Produkt eines Plans der Sieger. Sie konnten es noch weniger sein, angesichts der Fülle der Interessenten und der Verschiedenartigkeit der Interessen unter ihnen. Die Mangelhaftigkeit der Friedensverträge bezeugt vor allem , daß ein so ungeheurer Krieg, eine so umfassende Koalition , endlich

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Fortschritte durch die Friedensverträge

ein so überwältigender Sieg die ungeeignetsten Mittel sind , um einen Frieden zu bringen, aus dem eine neue , bessere Welt hervorgehen solle. Das mögen diejenigen beherzigen , die heute einen Krieg ersehnen, der die Revolution bringen soll und mit ihr den Sozialismus. Kriege und auch Bürgerkriege ziehen heute so furchtbar zerstörende Folgen nach sich, wie noch nie. Nicht nur Zerstörungen an Gütern und Menschenleben, sondern auch, was das furchtbarste, Zerstörungen an jenen seelischen Eigenschaften, die zum Aufbau einer höheren Gesellschaftsordnung unentbehrlich sind. Es ist der verderblichste Wahn, von einem der Kriege oder Bürgerkriege der Jetztzeit den Anstoß zu großem sozialem Fortschritt zu erwarten. Sicher kann ein solcher manche Besserung bringen das war auch mit den Friedensverträgen von 1919 der Fall. Aber fest begründet ist keiner ihrer Fortschritte, indes ihre Schäden sich unzweifelhaft geltend machen.

h) Der Völkerbund. So unbefriedigend, nicht bloß für die Besiegten, die Friedensverträge waren, bessere ließen sich nicht erwarten in der überhitzten Atmosphäre nach dem Kriege und der Überfülle von Problemen, die für die entscheidenden Staatsmänner völlig neu, nicht durchdacht und höchst kompliziert waren . Und dabei sollten diese Probleme alle im Handumdrehen gelöst werden. Denn der Zustand der Unsicherheit , der Verkehrshemmung unter dem Waffenstillstand wurde immer unerträglicher für alle Beteiligten . Immer lauter ertönte auf der Friedenskonferenz der Ruf : lieber schlechte Friedensverträge , aber sofort, als eine Verlängerung des bestehenden Provisoriums. Es läßt sich nicht leugnen, daß trotz dieser Schwierigkeiten die Friedensverträge eine Reihe vortrefflicher Bestimmungen enthielten, die einen bedeutenden Fortschritt darstellten. Nur war dieser zumeist nicht aus den Verhandlungen der Friedenskonferenz hervorgegangen, sondern aus dem revolutionären Wirken der Bevölkerung in den Gebieten der zusammengebrochenen Militärmonarchien . Die Friedenskonferenz hatte da nur das bereits Eingerichtete zu bestätigen und zu regeln. Was aber jene Bestimmungen der Verträge anbelangte , die zu Einwendungen Anlaß gaben, so beschwichtigte gar mancher seine Bedenken mit dem Hinweis auf eine besondere Einrichtung, die zu schaffen war. Sie sollte die Möglichkeit bieten , alle Fehler der Verträge, alle ihre Sünden gegen den Geist der Demokratie oder der Ökonomie später gut zu machen und durch bessere Bestimmungen zu ersetzen, die es ermöglichten, den Frieden zu einem dauernden zu gestalten . Eine derartige Revision der Verträge wollten die Urheber der Friedensverträge möglich machen ,

Nation und Volk

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sobald die Erregung des Kriegs und des Siegs gewichen und allgemein in der Welt durch nüchternes Denken ersetzt sei . Das souveräne Mittel, die Friedensverträge ohne internationale Katastrophen und Gewalttaten zu vervollkommnen , ein Zeitalter ständigen Friedens herbeizuführen und das Erdenrund in die Wohnstätte einer Familie freier und gleicher, freundschaftlich mit einander verbundener Nationen zu verwandeln , also das zu erreichen , was so viele Idealisten dem Weltkrieg als Ziel gesetzt hatten das souveräne Mittel zur Erreichung dieses Zieles sollte der Völker b und sein. Das war die Einrichtung, für die Wilson besonders eifrig gekämpft hatte. Auf sie baute er seine Zuversicht, um sie durchzusetzen, hatte er sich zu mancher ihm höchst schmerzlichen Konzession auf Kosten seiner Grundsätze verstanden . Daß diese Einrichtung in den Friedensverträgen ausdrücklich festgelegt wurde, darin sah er seinen Triumph, die Rettung seiner Prinzipien , die in anderer Beziehung arg verunstaltet worden waren. Der Völkerbund bildete in der Tat eine sehr bedeutsame Neuerung - neu nicht als Idee, wohl aber als praktische Einrichtung. Übrigens wäre es im Grunde zweckmäßiger, wie es die Engländer und Franzosen tun, von einem Bund der Nationen, nicht der Völker zu sprechen . Das Volk, das ist eine unorganisierte Masse, die Nation (nicht die Nationalität) dagegen ein staatlich organisiertes Volk. Unter der französischen Nation versteht man nur die Gesamtheit derjenigen Angehörigen der französischen Sprachgemeinschaft ( Nationalität) , die zum französischen Staat gehören, also nicht auch Westschweizer und Belgier. Nun ist der Völkerbund ein Staatenbund und muß es sein. Denn nur Organisationen können sich verbünden . Aber allerdings soll er eine demokratische Institution sein , und darum nennt man ihn einen Bund der Nationen, nicht einen Bund der Regierungen. Das neuere deutsche Kaiserreich von 1871 war ein Bund von Fürsten. Die Sprachreinigung ist die Feindin jeglicher Feinheit und Präzision in der Sprache, sie vergröbert sie , indem sie nur ihre primitiven Bestandteile gelten läßt. Sie macht in Deutschland keinen Unterschied zwischen Volk und Nation , und so wurde aus der Société des Nations, der League of Nations deutsch der Völkerbund, nicht der Bund der Nationen. Sonderbar allerdings , daß die so deutschtümelnden Nazis für ihre Parteibezeichnung gleich zwei undeutsche ,, welsche" Worte gewählt haben : „ Nation " und ,,Sozialismus“. Warum nennen sie sich nicht ,,Volksgesellschaf. ter"? Das entspräche doch mehr deutschem Blut und deutschem Boden. Immerhin, wenn es auch zweckmäßiger gewesen wäre, die Société des Nations deutsch als Bund der Nationen und nicht der Völker zu bezeichnen, der Name Völkerbund besteht einmal, er

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Völkerbund und Militärmonarchie

ist offiziell geworden und wird allgemein gebraucht. Wir müssen ihn auch hier anwenden. Seine Idee verdankt ihre Durchführung dem amerikanischen Präsidenten . Doch entsprang sie nicht ursprünglich seinem Kopfe . Sie ist schon einige Jahrhunderte alt, und speziell dem modernen Sozialismus lag sie von seinen Anfängen an nahe. Wir haben in früheren Abschnitten dieses Werks gesehen, daß schon Campanella im 16. Jahrhundert und John Bellers im 17. die Aufrichtung eines Staatenbundes wünschten. Im Gefolge der großen europäischen Revolution nahm dann St. Simon die Idee wieder auf. Sie ist seitdem aus dem Geistesleben der Sozialisten nicht mehr verschwunden . Aber angesichts der internationalen Zusammenarbeit der Monarchisten und Reaktionäre gegen Revolutionäre und Demokraten kamen auch bürgerliche radikale Demokraten und sonstige Idealisten zu der Forderung einer Zusammenfassung aller Nationen der modernen Zivilisation zu einem Bund . Das Jahr 1848 gab diesen internationalen Bewegungen einen starken Anstoß. Sie wurden zurückgedrängt in den Jahren der Reaktion, nahmen aber neuen Aufschwung in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Demokratie und Liberalismus ebenso sich kraftvoll regten, wie das Proletariat. Aus der Arbeiterbewegung ging 1864 die Internationale Arbeiterassociation hervor, fast gleichzeitig ( 1867 ) wurde die Friedensund Freiheitsliga geschaffen , deren erstem Kongreß Garibaldi präsidierte . Wir haben gesehen , daß Marx deren Wirken sehr skeptisch, ja ablehnend gegenüberstand. Er wollte nicht, daß die proletarische Bewegung unter die Führung dieser bürgerlichen Elemente gerate, er hielt aber auch den damals bestehenden Zustand Europas für gänzlich ungeeignet zur Aufrichtung einer internationalen Organisation , die sich die Aufgabe stellte, jeden Krieg unmöglich zu machen.

Niemand dachte internationaler als Marx. In der Forderung eines Zusammenwirkens der Proletarier aller Länder kulminierte schon 1847 das kommunistische Manifest . Die gleiche Forderung lag der Internationale zugrunde, an deren Stiftung und Leitung er so großen Anteil hatte . Aber die Idee eines Bundes der Nationen, der Staaten, mußte ihm bedenklich , ja verkehrt erscheinen in einer Zeit, in der Europa von kriegerischen Militärmonarchien beherrscht wurde. Ein „ Völkerbund" des dritten Napoleon von Frankreich mit Wilhelm I. von Preußen, mit Franz Josef von Österreich, mit dem Zaren aller Reußen war in der Tat eine groteske Vorstellung . Die bürgerliche Friedensbewegung auf dem Festlande Europas sank denn auch bald zu völliger Bedeutungslosigkeit herab seit dem Kriege von 1870/71 . Namentlich die Idee eines „ Völkerbundes" oder der ,,Vereinigten Staaten von Europa" geriet bei

Völkerbund und Demokratie

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den bürgerlichen Parteien , auch den demokratischen , ganz in Vergessenheit. Da brachte der Abschluß des Weltkrieges mit einem Schlage die Bedingungen , die einen Völkerbund erst möglich machten : Einerseits maßloses Entsetzen über die Schrecken des Krieges und seiner Folgeerscheinungen, die das lächerliche Geschwätz vom ,,Stahlbad" des Krieges selbst in den am meisten an einem Kriege interessierten Kreisen zum Verstummen brachte. Anderseits aber allseitige Demokratie . Die drei großen Militärmonarchien Europas brachen zusammen - oder die vier, wenn man die Türkei mitzählen will . Allenthalben wurden sie durch demokratische Republiken ersetzt . In den wenigen Staaten , in denen noch Monarchien fortbestanden, waren diese machtlos, nicht imstande, den demokratischen Charakter des Gemeinwesens aufzuheben. Selbst die stärkste unter den noch verbleibenden Monarchien, die japanische , machte nach dem Weltkrieg Miene, zum Parlamentarismus überzugehen, und zwar zu einem demokratischen. Das allgemeine Wahlrecht wurde dort eingeführt ( 1925) . Da war die Möglichkeit gegeben, einen Bund der Nationen einzurichten .

Je absoluter eine Monarchie ist, je unabhängiger vom eigenen Volke, desto energischer wahrt sie ihre Souveränität auch gegenüber andern Nationen . Nur Freistaaten haben sich bisher ohne Zwang dazu verstanden, sich zu einem ständigen Bund zusammenzutun, dem sie einen Teil ihrer Souveränitätsrechte abtraten. So die Eidgenossenschaft der freien Kantone der Schweiz , seit 1291 , zuerst aufgerichtet zur Abwehr der Habsburger. Dann die Republik der sieben Provinzen der Niederlande, die sich im letzten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts gegen die spanische Herrschaft (wiederum Habsburg) empörten. Dann 1776, vereinigten sich dreizehn englische Kolonien in Amerika, die sich gegen das Mutterland empört hatten , im Kampfe gegen dieses zu einem Bundesstaat. Im Gegensatz dazu erwiesen sich die Monarchien Deutschlands als eine Einrichtung, die jede freiwillige deutsche Einigung unmöglich machte. Da die deutsche Revolution von 1848 vor den Monarchen Halt machte, vermochte sie nicht die deutsche Einheit zu bringen. Diese wurde (annähernd) erst erreicht durch den Sieg der Armeen Preußens über die Mehrzahl der andern deutschen Monarchen. Die Monarchie der Habsburger wurde aus dem Bunde gedrängt, die andern zu Vasallen des Hohenzollern degradiert . Schon die Bildung eines „ Völkerbundes" setzt ein allgemeines Bestehen von Demokratien voraus. Erst recht gilt das für sein erfolgreiches Funktionieren, namentlich für seine vornehmste Aufgabe, die Verhinderung von Kriegen. Notabene, unter demokratischen Staaten sind hier solche zu verstehen . die nicht bloß demokratische Verfassungen haben , son-

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Demokratie und Frieden

dern deren Volksmassen auch politisch geschult sind und selbständig denken . Wo solche fehlen , da bedeuten demokratische Verfassungen tatsächlich bloß eine „,formale" Demokratie . Doch ist es ganz verkehrt, zu glauben, daß die Masse des Volkes erst nach Einführung sozialistischer Einrichtungen zu selbständigem politischem Denken zu kommen vermöge . Jene Einrichtungen setzen solches Denken vielmehr voraus. Demokratische Staaten sind heute schon möglich. Demokratische Einrichtungen bilden die Vorbedingung für die Emanzipation der arbeitenden Klassen ebenso wie für den Völkerbund und den ständigen Frieden . Zwischen zwei demokratischen Staaten ist heute kein Konflikt denkbar, der so tief ginge , daß sie es nicht vorzögen, seine Schlichtung dem Schiedspruch eines Bundes demokratischer, unbeteiligter Staaten zu überlassen. Denn alle arbeitenden Klassen haben heute in einem Kriege unendlich mehr zu verlieren, als sie selbst im Falle des Sieges gewinnen könnten von den Schrecken der Niederlage gar nicht zu reden. Für demokratische Staaten ist also das Schiedsamt des Völkerbundes im Falle eines internationalen Konflikts ein Aus weg, den sie suchen , um einem Kriege mit seinen vernichtenden Folgen zu entgehen. Dies Schiedsamt und sein Schiedsspruch braucht ihnen nicht aufgezwungen zu werden . Das Suchen nach einer militärischen Zwangsgewalt, die dem Völkerbund zu verleihen wäre und die so viele Freunde des Völkerbundes beschäftigt, ist für Konflikte zwischen demokratischen Staaten gegenstandslos . Anders verhält es sich mit despotischen oder halbdespotischen Staaten, die von Elementen beherrscht werden, deren Existenz nicht auf eigener Arbeit , sondern auf der Ausübung von Macht und Ausbeutung beruht. Das Streben nach Macht und Ausbeutung ist stets maßlos und gewalttätig. Wohl sind die Folgen eines Kriegs so furchtbare geworden , daß sie selbst Elemente dieser Art nachdenklich machen. Aber leider hat gerade der Krieg mit seinen Folgen in manchen Staaten die verzweifeltsten Abenteurer obenauf gebracht, die von solchen Bedenken nicht geplagt werden. Wo das arbeitende Volk nicht selbständig und stark genug ist, derartige ,, Führer" im Zaume zu halten, bringen sie zeitweise immer wieder die Gefahr gewalttätiger Konflikte mit sich. Wo ein kriegerischer despotischer Staat mit einem friedlichen , demokratischen zusammenstößt , wird dieser vor die Alternative gestellt, entweder der Gewalt mit Gewalt zu begegnen, also doch zum Kriege zu greifen , oder, um den Frieden zu erhalten , sich den Forderungen des Gegners zu fügen, der die Erpressungsmethoden der Gangsterführer anwendet . Aber es ist eine alte Regel, daß eine Nachgiebigkeit gegen einen Erpresser diesen nicht befriedigt, sondern nur seine Anmassung und Begehrlichkeit stei-

Die Zwangsgewalt des Völkerbundes

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gert. So wird schließlich doch ein gewaltsamer Zusammenstoß beider Staaten unvermeidlich. Wie kann in diesem Falle der Völkerbund das Unheil verhüten ? Der demokratische Staat wird sich seinem Urteil gern fügen, er wird darin eine Rettung sehen . Aber der despotische ? Er weicht nur überlegener Zwangsgewalt. Die Militärs der Staaten, die den Völkerbund begründeten , beschäftigte denn auch vornehmlich die Frage der Ausstattung des Bundes mit einer Armee, einer Polizeimacht, die dem angreifenden Staate ebenso überlegen sein sollte, wie die innere Polizei stark genug zu sein hat, um die Gangster im Zaume halten. zu können. Bisher ist jedoch die Bildung einer derartigen internationalen Armee nicht gelungen . Sie würde die Verwandlung des Völker- oder vielmehr Staatenbundes in einen Bundesstaat mit einer gemeinsamen Exekutive voraussetzen . Das wird wohl das Endergebnis des Völkerbundes sein, wie aus der losen Eidgenossenschaft des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts mit ihrer ohnmächtigen Zentralversammlung, der „ Tagsatzung", schließlich ( 1848 ) der schweizerische Bundesstaat hervorging. Für die Gegenwart ist die Verleihung einer starken Exekutivgewalt an den Völkerbund nicht zu erwarten . Aber selbst wenn es gelänge , dem Völkerbund heute schon die nötige Zwangsgewalt zu verleihen, würde damit nicht notwendigerweise schon der Krieg aus der Welt geschafft. Es träte dann nur die Möglichkeit einer neuen Art von Krieg auf, der Polizeikrieg gegen ungeberdige Banditenstaaten, das heißt Staaten, in denen unter der Gunst der Nachkriegsverhältnisse eine Bande frecher und brutaler Banditen sich zur Allmacht im Staate emporgeräubert hat. Man will die Zwangsgewalt einer Armee durch die Kraft wirtschaftlicher Maßregeln ,,, Sanktionen", ersetzen , die Methoden des Boykotts und Streiks in die internationalen Beziehungen einführen. Diese Methoden können wohl wirkungsvoll werden, jedoch nur dann , wenn sie energisch und einmütig zur Anwendung kommen, die ungeheure Mehrheit der Kulturwelt gegen den Friedensstörer vereinigen , so daß dieser in seiner Vereinzelung an Widerstand gar nicht denkt. Sonst bleiben die Sanktionen entweder wirkungslos oder sie treiben den Angreifer dazu , Bundesgenossen zu suchen, um sich mit ihnen vereint gegen den Völkerbund gewaltsam zur Wehr zu setzen , und den Krieg, der droht oder schon ausgebrochen ist , aus einem ,,lokalisierten" in einen Weltkrieg zu verwandeln . Eine absolute Verhinderung von Kriegen bietet der Völkerbund noch nicht . Er hat sich in der kurzen Zeit seines Bestandes schon mehrfach als unfähig erwiesen , kleinere, lokalisierte Kriege unmöglich zu machen. Seit seinem Bestehen flackern immer wieder derartige Flämmchen auf, die mitunter schon tüchtige Brände

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Völkerbund und Siegerbund

ergeben, von dem Überfall der Legionäre D'Annunzios auf Fiume im September 1919 und dem Krieg der Polen gegen Rußland im Jahre 1920 angefangen bis zu dem heute noch fortdauernden Einbruch Japans in Ostasien unter Bedrohung Rußlands und Chinas, dem Krieg im Gran- Chaco zwischen Paraguay und Bolivien ( 1932 bis 1935 ) und dem zur Zeit , wo diese Zeilen geschrieben werden, noch fortdauernden Krieg Italiens zur Unterjochung Abessiniens . Also nicht einmal Kriege völlig zu verhindern vermochte er. Der Völkerbund litt sehr darunter, daß er aus einem Kriege hervorging. Dieselben Faktoren, die den Frieden tatsächlich zu einem Diktatfrieden machten, schufen den Völkerbund als einen Bestandteil dieses den Besiegten aufgezwungenen Friedens . Er sollte eine Wohltat für alle Völker sein. Aber bei einer aufgezwungenen Wohltat empfindet man vor allem den Zwang. Sie wird oft mit Unwillen oder doch Mißtrauen aufgenommen , namentlich wenn sie als Ergebnis eines Krieges und als Zwang durch die bittersten Feinde gegeben wird. Als ursprüngliche Mitglieder des Völkerbundes wurden in der ihn begründenden Urkunde, dem Versailler Friedensvertrag, nur die Siegerstaaten genannt. Und eine Aufforderung, ihm beizutreten, erhielten zunächst nur Staaten , die im Kriege neutral gewesen waren. An die Besiegten erging keine derartige Aufforderung, es wurde ihnen nur gnädigst in Aussicht gestellt, sie könnten später zugelassen werden, wenn sie Garantien für ihr „ Wohlverhalten" gäben. Am ehesten durften dann Österreich und Bulgarien dem Völkerbund beitreten ( 1920) , Ungarn erst 1922, das Deutsche Reich 1926, die Türkei gar erst 1932. Wer sich nicht daran gewöhnt hatte, eine Einrichtung daraufhin anzusehen , welche Möglichkeiten und Aussichten sie in ihrem Schoß birgt, wer nur den Augenblick der Gegenwart in Betracht zog, der kam leicht zu der Überzeugung, der Völkerbund sei nur ein Werkzeug der Sieger, nur ein Mittel, die Friedensdiktate zu garantieren. In den Ländern der Besiegten und vielfach auch der Neutralen war diese Anschauung lange allgemein . Sie führte zum Widerstand gegen den Eintritt in den Völkerbund . Selbst bei manchen Sozialdemokraten fand dessen Ablehnung Eingang, obwohl die Idee des Völkerbundes ihren Grundsätzen entsprach. Allerdings wollten sie einen Völkerbund, jedoch nicht diesen. Leider muß jeder Politiker, der fruchtbare Arbeit leisten will, stets mit den jeweils gegebenen Machtverhältnissen rechnen , nicht um sie willenlos hinzunehmen, sondern um ihnen die Methoden des Kampfes für die eigenen Grundsätze anzupassen und diesen dadurch wirksam zu gestalten. Als Bismarck 1866 daran ging, ein neues Deutschland zu schaffen, waren die Sozialdemokraten alle über seine Schöpfungen sehr entrüstet, sowohl über den Norddeutschen Bund wie 1871

Völkerbund und Rußland

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über das deutsche Kaiserreich. Aber während W. Liebknecht am liebsten dem Reichstag ferngeblieben wäre, um für die Republik zu demonstrieren, waren Marx, Engels, Bebel der Ansicht, man müsse die neuen politischen Einrichtungen, so mangelhaft sie seien, aufs intensivste benützen, um die Informierung und Organisierung des Proletariats sowie die Beeinflussung der Gesetzgebung zu betreiben. Dieselbe Stellung hatten wir dem Völkerbund gegenüber einzunehmen. So mangelhaft er war, eröffnete er doch eine Reihe Möglichkeiten für unsere internationale Politik, die von uns auszunutzen waren. Die Ablehnung des Völkerbundes wegen seiner Mängel mußte eine unfruchtbare Geste bleiben, denn einen anderen hatten wir nicht zu erwarten, wenn der bestehende zerfiel . Freilich, so wie er gegründet war, gab er zu erheblichen Einwänden Anlaß . Sollte er seinen großen Aufgaben gerecht werden können, mußte er große Wandlungen durchmachen . Die sind leider bisher ausgeblieben. Nur die Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet, er müsse vermöge der Art seiner Entstehung ein Organ der Siegermächte sein und bleiben. Das trat schon deshalb nicht ein, weil die Sieger untereinander nichts weniger als einig blieben. Die Macht des Völkerbundes wurde durch den Zwiespalt in seinem Innern allerdings nicht vergrößert. Seine Schwäche wurde vermehrt dadurch, daß Sowjetrußland ihm fernblieb, ja geradezu einen fanatischen Haß gegen den Völkerbund entwickelte. Es setzte der Idee des Völkerbundes die der kommunistischen Internationale entgegen, von der die Weltrevolution entzündet werden sollte. Schließlich hat allerdings Sowjetrußland doch den Weg in den Völkerbund gefunden . Auf der einen Seite erkannte es , daß die Weltrevolution , die 1918 vor der Tür zu stehen schien, nicht nur zum Stillstand gekommen sei, sondern einer Tendenz zu Weltreaktion Platz gemacht habe. Anderseits mußte es erkennen , daß die kapitalistischen Mächte durchaus nicht daran dachten , Sowjetrußland mit Krieg zu überziehen . Dessen Zustände waren nicht so paradiesisch , daß sie für den Kommunismus in der Welt Propaganda gemacht hätten. Die Kapitalisten hörten auf, den Kommunismus Rußlands zu fürchten und dieser selbst sah sich genötigt, an die Hilfe der außerrussischen Kapitalisten zu appellieren, um seine eigene Wirtschaft vor völligem Zusammenbruch zu bewahren. Nicht Krieg gegen die Kapitalisten außerhalb Rußlands , sondern Anbahnung reger geschäftlicher Beziehungen zu ihnen wurde das praktische Ziel der Beherrscher der Sowjetrepublik. Ihre antikapitalistischen Aussprüche stellten sich immer mehr als leere Redensarten heraus, die wohl imstande waren, naive Proletarier und Literaten zu begeistern , nicht aber irgendeinen erfahrenen kapitalistischen Politiker oder Geschäftsmann zu schrekken.

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Völkerbund und Rußland

Dann kam freilich eine Zeit, in der Sowjetrußland ernsthaft bedroht wurde, jedoch nicht von der ganzen kapitalistischen Welt, sondern von zwei Nachbarstaaten, die der Demokratie entsagt hatten. Sie rüsteten auf, nicht im Einvernehmen mit den großen kapitalistischen Staaten , Amerika, England , Frankreich, sondern im Gegensatz zu ihnen. Das waren Japan und Hitlerdeutschland. Beide traten im gleichen Jahre 1935 aus dem Völkerbund aus, beide begannen damals gemeinsam die Sowjetrepublik zu bedrohen. Trotz seiner starken Rüstungen und dem angeblich so glänzenden Gelingen seines Fünfjahrplans fühlte sich Sowjetrußland von den beiden der Demokratie und dem Völkerbund feindlichen Nachbarn aufs ärgste bedrängt . Da entdeckte es über Nacht die Vorzüge des Völkerbundes und der Demokratie - der Demokratie allerdings nur dort, wo seine Diktatur nicht maßgebend ist . Es trat dem Völkerbund bei , 1934, und wies gleichzeitig die kommunistischen Parteien aller Länder an , sich für den Völkerbund und die Demokratie zu begeistern, die von ihnen bis dahin seit 1918 mit der größten Verachtung behandelt worden waren. Und nicht nur die Kommunisten vollzogen gehorsam die ihnen kommandierte Schwenkung, sondern nicht wenige der bolschewisierenden Sozialisten machten sie mit . Ob und wie lange diese nicht einer höheren theoretischen Erkenntnis, sondern einer momentanen Zwangslage Sowjetrußlands entspringende Haltung dauern und welche Konsequenzen sie mit sich bringen wird, läßt sich zur Stunde (Ende 1935 ) nicht übersehen . Augenblicklich mag sie wohl den Völkerbund, vielleicht auch die Demokratie stärken . In seinen Anfängen wurde der Völkerbund durch das Fernbleiben, ja die bittere Feindschaft des größten europäischen Staates Europas sehr beeinträchtigt, des ausgedehntesten Staatsdieses umfaßt beinahe wesens der Welt nach dem britischen 40 Millionen Quadratkilometer, Rußland etwas mehr als 20 Millionen. Noch mehr aber wurde der Völkerbund gehemmt durch das Fernbleiben des wenn auch nicht ausgedehntesten, so doch materiell stärksten Staates der Welt, der Vereinigten Staaten von Amerika. Diese große demokratische Republik war der erste Staat , der die Idee von Schiedsgerichten zur Verhinderung von Kriegen verwirklichte ( 1871 ) . Sie kam dazu bei ihren Beziehungen zu einem andern demokratischen Staat, Großbritannien . Die Vereinigten Staaten hatten dann auch die Idee des Völkerbundes begeistert aufgenommen. Wir haben gesehen, wie Wilson ihr energischer Vorkämpfer wurde und sie bei den Friedensverhandlungen zur Durchführung brachte. Aber der Sieg und seine Folgen ließen so viele verzwickte, namentlich europäische Probleme auftauchen , enthüllten so starke Gegensätze unter den Völkern Europas , auch unter den Siegern selbst, daß den Amerikanern, die sie beobachte-

Völkerbund und Amerika

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ten, ohne sich dabei zurechtzufinden, die Idee immer bedenklicher erschien, mit der Regelung dieser Verhältnisse dauernd befaßt zu werden. Die Amerikaner fürchteten , sich ohne Not die Finger zu verbrennen, wenn sie in den europäischen Hexenkessel eingriffen . Unter diesen Umständen bildete sich seit dem Abschluß des Waffenstillstands im November 1918 in den Vereinigten Staaten rasch eine starke Abneigung gegen die Beteiligung am Völkerbund. Diese Abneigung wuchs von Monat zu Monat . Den kurzsichtigen Kirchturmpolitikern dort erschien es am sichersten, wenn die Union sich auf die Staaten Amerikas beschränkte , deren Verhältnisse ihr nahe lagen und die sie ohne weiteres beherrschte . Man glaubte, die Gefahren kriegerischer Konflikte zu bannen, wenn man die Augen schloß, um sie nicht zu sehen. Als ob nicht die internationalen Verhältnisse heute zu eng mit einander verwoben wären, als daß ein einzelner Staat, und wäre er noch so stark und ausgedehnt, sich innerhalb der Kulturwelt isolieren könnte. Kommt es zu einem großen Krieg in Europa , werden die Vereinigten Staaten früher oder später doch bei aller Neutralität unter seinen verheerenden Wirkungen leiden und schon dadurch, wenn nicht durch andere Faktoren gedrängt werden, auf seine Beendigung hinzuwirken, das heißt, gegen jene Macht loszugehen, die als Angreifer oder Verlängerer des Krieges festgestellt ist oder doch erscheint. Das geschähe jedoch erst, nachdem ungeheures Unheil hereingebrochen. Dagegen könnten die Vereinigten Staaten jeden Krieg von vornherein unmöglich machen, wenn sie im Völkerbund oder doch im Einvernehmen mit ihm jeder Macht entgegenträten, die als Angreifer einen Krieg zu entzünden droht. Die Vereinigten Staaten sind heute die stärkste Macht der Welt, sie machen den Völkerbund unwiderstehlich, sobald sie in ihm oder mit ihm zur Verhinderung eines Krieges wirken . Sie machen es unnötig, daß der Völkerbund eine starke Exekutivgewalt gegenüber jenen Staaten erhält , deren Regierungen nicht durch eine selbständige Demokratie an kriegerischen Abenteuern gehindert werden .

Das beachteten viele Amerikaner nicht. Bis heute überwiegt bei ihnen die Tendenz , die schon im Herbst 1918 auftrat und 1919 übermächtig wurde , sich von der übrigen Welt fernzuhalten , um nicht in ihre Zänkereien hineingezogen zu werden. Das gilt nicht bloß für bürgerliche Politiker. Die größte Gewerkschaftsorganisation Amerikas, die Federation of Labor, lehnt es bis vor kurzem sogar ab, der Gewerkschaftsinternationale beizutreten. So kam es sonderbarerweise dazu , daß der Völkerbund , der durch amerikanische Anstrengungen geschaffen wurde , bei den Amerikanern auf Ablehnung stieß . Das schwächte nicht wenig Wilsons Position auf der Friedenskonferenz und erschwerte seinen Kampf zur Durchsetzung seiner Grundsätze.

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Völkerbund ohne Amerika

Dem Versailler Vertrag waren die grundlegenden Bestimmungen über den Völkerbund bei den Friedensverhandlungen einverleibt worden . Er nannte nicht nur die Vereinigten Staaten als Mitglied des Völkerbundes, er behandelte sie auch mit besonderer Höflichkeit. Artikel 5 des Versailler Vertrages bestimmt, daß ,,die Versammlung und der Rat des Völkerbundes zum ersten Male durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten einberufen werden“. Am 28. Juni 1919 wurde dieser Vertrag von Wilson im Namen der Union unterzeichnet, am 10. Januar 1920 trat der Völkerbund zum ersten Male zusammen . Aber kurz darauf, am 19. März 1920 lehnte der Senat der Vereinigten Staaten die Bestätigung des Versailler Vertrags und damit auch den Völkerbund ab. Die Amerikaner schlossen dann einen Separatfrieden mit Deutschland, der Völkerbund war für sie erledigt. Das wurde für diesen eine bedenkliche Schwächung. Ein Völkerbund ohne Rußland und die Vereinigten Staaten war ein arg verstümmelter Rumpf. Noch mehr geschädigt wurde er jedoch durch die Niederlagen der Demokratie, die schon bald nach ihren Erfolgen seit dem Herbst 1918 in den verschiedensten Staaten begannen und schließlich zu dem völligen Verfall der parlamentarischen, auf freien Wahlen der Volksmassen beruhenden Demokratie und zum Fortschreiten der Autokratie in dem weiten Gebiete vom Rhein bis zu den japanischen Inseln im Stillen Ozean geführt haben. Wird es da gelingen , einen neuen Weltkrieg zu vermeiden ? Das ist die große Schicksalsfrage, vor der heute die Menschheit steht.

8. Rückblicke und Ausblicke.

a) Aufgaben des Völkerbundes. Der Völkerbund hat bisher manche Erwartung nicht erfüllt, die man in ihn gesetzt, er hat sich um manche Entscheidung, die zu treffen er verpflichtet war, schwächlich herumgedrückt. Das bedauert niemand mehr, als die Verfechter der Idee eines Bundes der Völker oder Nationen. Ist das ein Grund , ihn zu verwerfen ? Es geht ihm wie der Demokratie und dem demokratischen Parlamentarismus selbst, aus deren Ideenwelt er hervorgegangen ist. Auch die freien Organisationen der Arbeiter sowie die demokratischen Staaten und Parlamente haben uns oft schmerzlich enttäuscht, und das hat manchen Freund der arbeitenden Klassen veranlaßt, sie als nichtsnutzig zu verdammen, nicht nur Parlamente, sondern auch Gewerkschaften , Arbeiterparteien etc. Ehe man ein solches Verdammungsurteil fällt , muß man sich fragen, ob der Zweck, dem die verurteilte Institution dienen soll

Verbesserung des Völkerbundes

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durch eine andere eher und sicherer erreicht werden kann. Aber für die freien Arbeiterparteien und Gewerkschaften gibt es heute nur die Alternative behördlich eingerichteter und verwalteter Zwangsorganisationen und für demokratische Verfassungen und Parlamente nur die Alternative der Willkürherrschaft eines Einzelnen, die Diktatur. Für den Völkerbund endlich nur die Alternative des Kriegs. Ein Sozialist , der diese Alternativen ablehnt, muß sich doch zur Sozialdemokratie , zur freien Gewerkschaft , zu demokratischer Staatsverfassung und ihrem Parlamentarismus sowie zum Völkerbund bekennen. Er hat nur dahin zu trachten, diese Einrichtungen möglichst zu verbessern , ihre Unvollkommenheiten zu beseitigen. Das ist zum Teil zu erreichen durch Veränderungen ihrer Verfassung. Die Art der Verfassung einer demokratischen Einrichtung ist sicher höchst wichtig. Sie kann deren Funktionieren erleichtern oder erschweren . Aber viel entscheidender dafür wird die Beschaffenheit der Menschen , die sie bilden und in ihr wirken. Unter der besten Verfassung können scheußliche Zustände aufkommen, wenn die Masse der Bevölkerung unwissend und demoralisiert ist . Anderseits werden charaktervolle, gutunterrichtete Menschen auch unter einer weniger guten Verfassung tüchtiges zustande bringen. Die Beschaffenheit der Masse wieder hängt nicht vom Belieben Einzelner unter uns ab. Sie ist das Ergebnis sozialer Zustände der Vergangenheit und Gegenwart, durch die der Charakter und die Einsicht der Bevölkerung bestimmt werden. Zum Glück für die Entwicklung der Menschheit muß auch eine an Charakter und Einsicht tief stehende Volksmasse nicht notwendigerweise in ihrer Verkommenheit verbleiben . Es war die große Tat der Marx und Engels, daß sie im industriellen Proletariat der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nicht bloß seine Verkommenheit sahen , die jeden Menschenfreund empörte, sondern auch seine Fähigkeit, zu einer intellektuellen und moralischen Höhe emporzusteigen, die ihm die Kraft geben sollte, die Staatsgewalt zu gewinnen und diese zur Umgestaltung der Produktion zugunsten der Arbeiterschaft anzuwenden. Die zu diesem Aufstieg erheischte Triebkraft fanden sie im Klassenkampf, der aus den ökonomisch gegebenen Klassengegensätzen unvermeidlich hervorgeht. In ihren Klassenkämpfen steigen die arbeitenden Klassen immer höher. Es vervollkommnen sich mit ihnen auch ihre freien Organisationen, und es erheben sich durch sie demokratische Verfassungen und Parlamente auf eine höhere Stufe. Damit wird und muß auch der Völkerbund immer mehr an Zweckmäßigkeit , Einheitlichkeit und Kraft gewinnen. Doch auch bisher schon, bei aller Unvollkommenheit und Schwächlichkeit, die seiner Mehrheit bürgerlicher Regierungen .

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Krieg dem Kriege

entspringt, vermochte er doch schon manchen Krieg zu verhindern , vor allem aber bietet er ein besseres Mittel, als vor ihm gegeben war, in einem Kriege, der trotz seines Bestehens ausbrechen sollte, den Kriegsschuldigen , den Angreifer sofort und unzweifelhaft zu erkennen. Das kann bereits dahin führen , daß die Gesamtheit der Staaten einem Friedensstörer geschlossen entgegentritt, was diesen bald zwingen würde , nachzugeben. Auf jeden Fall bietet er allen Parteien der proletarischen Demokratie, ja jeglicher ehrlichen Demokratie in allen Staaten der Welt, die Möglichkeit, den Angreifer, den Kriegsschuldigen sofort bei kommender Kriegsgefahr zu erkennen , und ihm geschlossen entgegenzutreten. Die unglückselige Situation vom August 1914 braucht sich nicht zu wiederholen . Die pazifistische Parole : Krieg dem Kriege, darf nicht wörtlich genommen werden ; da würde sie zu einer sinnlosen Phrase. Wir können dem Tun bestimmter Menschen nur dadurch entgegentreten, daß wir jenen handelnden Menschen entgegentreten . Krieg dem Kriege kann nur heißen : Krieg den Kriegserregern. Diese Parole kann also nicht bedeuten , Krieg allen jenen, die Kriegshandlungen begehen, sondern Bekämpfung mit ökonomischen und politischen Mitteln derjenigen, durch deren Politik die Kriegshandlungen veranlaßt werden . Also Bekämpfung der kriegführenden Regierungen . Aber auch nicht aller kriegführenden Regierungen, sondern nur jener, die einem friedlichen Staat den Krieg durch unerträgliche Forderungen aufzwingen , anstatt sie einem Schiedsgericht zu unterbreiten . Die Anrufung eines Schiedsgerichts als Kennzeichen der Friedensliebe einer Regierung hatte Jaurès schon 1907, vor dem Weltkrieg vorgeschlagen. Der Vorschlag wurde im Juli 1914 wiederholt, aber noch hatten die internationalen Schiedsgerichte zu wenig Bedeutung erlangt, als daß der Vorschlag in den entscheidenden Kreisen Beachtung gefunden hätte. Jetzt haben wir im Völkerbund eine von allen Staaten anerkannte , wenn auch nicht von allen beschickte Körperschaft, die bei einem Kriegsausbruch niemand übersehen kann. Früher war es ungemein schwer gewesen , wenn es zu einem Kriege kam, bereits von Anfang an eindeutig feststellen zu können, wer den Angreifer bildete und den Krieg hervorrief. Der Völkerbund bringt uns den großen Vorteil, daß diese Feststellung nun ohne weiters für jeden Kriegsfall möglich ist. Er bietet damit die Möglichkeit, daß die proletarische Internationale im Krieg auf jeden Fall einig bleibt, nicht wieder zerreißt , wie unübersichtlich auch die Situation bei seinem Ausbruch sein mag, wie frech die Lügen der Kriegsurheber. Schon das ist ein ungeheurer Gewinn, den uns der Völkerbund bietet. Aber natürlich dürfen wir dabei nicht stehen bleiben . Wir müssen trachten , daß er die Kraft erhält, jeden Versuch einer

Arbeiter und Auswärtige Politik

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Friedensstörung im Keime zu ersticken . Er muß darüber hinaus die Kraft und den Willen erhalten, alte, aus einem Zwang hervorgegangene Staatsverträge und Staatsgrenzen durch demokratische Methoden in demokratischem Sinne zu ändern und so die nationalen Gegensätze zu überwinden , eine international wie national völlig demokratische Welt zu schaffen. Dazu wird es schwerlich früher kommen, als bis wenigstens alle entscheidenden Staaten des Völkerbundes demokratische Regierungen haben - Regierungen, die eine entschieden demokratische Mehrheit der Bevölkerung hinter sich haben und die von internationalem Verständnis erfüllt sind . Dieses Verständnis erlangen die über das Nächstliegende hinaussehenden Proletarier der Städte leichter als Bauern und auch als Kleinbürger. Es ist die proletarische Demokratie, die Sozialdemokratie, die in den demokratischen Reihen der Träger des internationalen Geistes zu sein hat, der über den Kirchturmshorizont hinausblickt und Interesse für die Welt außerhalb der eigenen Stadt, Provinz , Nation, besitzt. Die Industriearbeiter eines Landes erkennen unter den arbeitenden Klassen am ehesten die enge Verflochtenheit ihrer Lage mit der der Proletarier anderer Länder. Sie suchen auch am ehesten Verständnis für die Zustände des Auslands zu gewinnen. Schon 1864 hatte Karl Marx in seiner Inauguraladresse es ausgesprochen, die Arbeiterklasse habe ,,die Pflicht, sich der Geheimnisse der internationalen Politik zu bemächtigen". Das gilt heute nicht nur ebenso wie vor sechzig Jahren. Es gilt heute mehr als je. Mit internationalen Gefühlen ist es nicht abgetan. Sie können sehr in die Irre führen, wenn sie nicht verbunden sind mit internationalem Verständnis, mit der Kenntnis der Welt außerhalb der eigenen Grenzpfähle . Je mehr die Proletarier und die arbeitenden Klassen überhaupt, nicht am wenigsten natürlich jene Intellektuellen , die sich auf ihre Seite stellen, neben den Zuständen des eigenen Staates auch noch die anderer Staaten und die internationalen Zusammenhänge studieren und erkennen und je mehr es ihnen gelingt, auf Grund dieser Erkenntnis zu einer klaren, einheitlichen , internationalen Politik zu gelangen ; je mehr endlich sie es verstehen , in a lle n demokratischen Ländern, in Amerika wie in Europa und auch in andern Weltteilen, namentlich den britischen Dominions , deren Politiker und Regierungen im Sinne dieser internationalen Politik zu bestimmen, desto mehr wird der Weltfriede gesichert sein . b) Dynastische Kriege. Je mehr die Demokratie in den Staaten, namentlich den entscheidenden Großstaaten, erstarkt und in ihr die arbeitenden Klassen an internationalem Verständnis und politischem Einfluß ge41*

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Rückschau auf Kriegsarten

winnen, um so mehr wird der Völkerbund imstande sein, nicht bloß den gewaltsamen Austrag internationaler Konflikte zu verhindern und über der Heiligkeit der internationalen Verträge zu wachen, sondern auch diese Verträge und die Grenzen der Staaten, die bisher in der Regel durch Kriege bestimmt wurden, den Bedürfnissen der Völker mit friedlichen , demokratischen Mitteln anzupassen. Aber ist diese Erwartung nicht eine Utopie , solange die kapitalistische Produktionsweise besteht ? Erzeugt diese nicht mit Notwendigkeit immer wieder neue Ursachen und Anlässe internationaler Konflikte ? Und ist das ökonomische Moment nicht immer das in letzter Linie durchschlagende , das sich alle politischen Einrichtungen unterwirft? Die Antwort auf diese Fragen erheischt einen Rückblick auf manche frühere Gedankengänge meines Werkes. Ein rückschauendes Résumé scheint mir hier umsomehr am Platze zu sein, als meine Darstellung sich ihrem Ende nähert. An den Rückblick auf die bisherigen Arten von Kriegen wird sich eine Vorschau auf jene Arten von Kriegen anschließen, die heute noch möglich sind, uns bedrohen. Ich sehe ab von der abgeschmackten, aber bisher unausrottbaren Vorstellung, als sei der Mensch von Natur aus ein reißendes Tier und noch dazu ein Raubtier, das ganz verschieden sei von allen andern Raubtieren , da es davon lebe, daß es seinesgleichen töte und verzehre. Ich habe davon schon in früheren Arbeiten gehandelt, namentlich in meiner ,,Materialistischen Geschichtsauffassung" und dem ersten Band meines Werkes über „ Krieg und Demokratie", sowie in meinem Beitrag zur Wolf Festschrift über ,,die Fabel von der Naturnotwendigkeit des Krieges". Der Urmensch war ein friedlicher Vegetarier. Der Krieg kommt als ständige Erscheinung erst in die Welt durch die Arbeitsteilung zwischen armen , unternehmungslustigen Nomaden und wohlhabenden, jedem Abenteuer abholden ansässigen Bauern. Diese Teilung führt schließlich dazu , daß die Nomaden sich die Bauern tributpflichtig machen, sich über ihnen als Adel erheben und mit ihnen Staaten bilden. Aus dem Krieg entstehen die Staaten, auf der Fähigkeit und dem Willen ihrer herrschenden Klasse , Krieg zu führen , beruhen sie. Der Drang nach Vermehrung des Ertrages der Ausbeutung, nach Ausdehnung des Ausbeutungsgebiets , ist maßlos . Ebenso maßlos daher die Kriegslust der herrschenden Klassen in jedem Staate, der sich seinen Nachbarn überlegen oder zumindest gewachsen fühlt. Diese Erscheinung kennzeichnet nicht die kapitalistische Produktionsweise, sondern den Staat. Sie ist so alt wie die Staatengeschichte , viel älter als das industrielle Kapital, das erst seit etwa drei Jahrhunderten eine Rolle im Völkerleben spielt.

Kriege des Adels und der Monarchien

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Eine Zeitlang hat das industrielle Kapital die Kriegslust der Staatenlenker nicht nur nicht angestachelt, sondern sogar gehemmt. Als das industrielle Kapital aufkam, herrschte in den Staaten der modernen Gesellschaft fast allenthalben die Erbmonarchie, als Überbleibsel der Feudalzeit . In dieser Zeit war die Geldwirtschaft kaum entwickelt, die hohen Ämter im Staate für seine Verwaltung und Kriegführung wurden nicht mit Geldsummen belohnt , sondern mit der Verleihung von Grund und Boden und den dazu gehörigen Menschen. Dieser Grundbesitz verlieh den Inhabern der Ämter eine große Selbständigkeit gegenüber dem Oberhaupt des Staates. Die Grundherrn strebten alle danach, den ihnen bloß als Lehn übertragenen Besitz in Eigentum zu verwandeln , das sie in ihrer Familie vererbten. Mit dem Grundbesitz vererbten sie auch das mit ihm verbundene Amt. Das änderte sich durch die Warenproduktion, die Produktion von Gütern nicht für den Selbstgebrauch , sondern für den Austausch mit andern Waren, schließlich für den Austausch gegen die Geldware. Die Geldwirtschaft kam auf. Die Staatsoberhäupter bekamen nun durch Geldsteuern Geld in die Hand , um Krieger und Beamte zu bezahlen . Die Belehnung der Inhaber von Staatsämtern mit Grundbesitz und die Erblichkeit solcher Ämter hörte auf. Bloß ein Amt blieb erblich , das höchste von allen, das des Staatsoberhaupts. Ursprünglich war es durch Wahl besetzt worden, doch wie die andern Ämterbesitzer hatten auch die erwählten Häuptlinge es verstanden, ihren Grundbesitz und ihr Amt erblich zu machen. Als dann die Bezahlung von Kriegern und Beamten mit Geld aufkam, führte das dazu, die Erblichkeit der übrigen Ämter im Staate aufzuheben. Aber gerade dadurch steigerten die Staatshäupter ihre eigene Macht aufs höchste, begründeten sie die Erblichkeit ihres Amtes aufs festeste. Die Kriege des Adels hatten stets der Gewinnung neuen Grundbesitzes gegolten. Die Kriege der Erbmonarchien waren von dem gleichen Triebe beseelt. Je stärker der monarchische Absolutismus, desto mehr überwiegen die dynastischen Kriege. Sie kommen bis ins 19. Jahrhundert hinein vor. In der Gegenwart spielen Kriege dieser Art und ebenso die aristokratischen Kriege von Grundbesitzern keine Rolle mehr. Die Demokratie hat wie dem Adel, so auch dem fürstlichen Absolutismus und damit auch den von ihnen herrührenden Kriegsarten ein Ende bereitet. Das war eine Folge der aufkommenden kapitalistischen Produktionsweise . Diese Produktionsweise, die alle ökonomischen Beziehungen in Geldbeziehungen verwandelt, steht in schroffem Widerspruch zu der Idee eines erblichen Amtes. Eine Erbmonarchie, die über den ganzen Staatsapparat verfügt, ist allerdings nicht leicht zu depossedieren. Bis zum Weltkrieg gelang das nur in wenigen europäischen Staaten. Doch die Entwicklung der Industrie verleiht, wie wir ge-

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Rückgang der Erbmonarchie

sehen haben, den arbeitenden Klassen vermehrtes Interesse und vermehrte Fähigkeit, an den Staatsangelegenheiten teilzunehmen. Die moderne Demokratie ersteht. Die Monarchen werden überflüssig. Vielfach passen sie sich der neuen Situation an und verzichten auf alle wichtigen Kompetenzen ihres Amtes als Staatsoberhaupt . Sie beanspruchen auch, wie angestellte Beamte für ihr Amt eine Geldentlohnung eine Zivilliste , die das Parlament gewähren oder verweigern kann. Wo die Erbmonarchen sich mit dieser reduzierten Rolle nicht begnügten, wo sie fortfahren wollten, wirklich zu herrschen, ja sogar zu regieren, sind sie fast alle im Weltkrieg beseitigt worden, und zwar überall, außer in Rußland , in ganz unblutiger Weise. Engels sagte mir einmal, wo eine besondere atheistische Bewegung bestehe, bezeuge sie nur, welche Kraft dort noch die Gottesidee habe. In der Tat wurde durch die Intensität der Gottlosenbewegung im bolschewistischen Rußland nur dargetan , daß die Religion dort noch tief in den Gemütern der Bevölkerung wurzelt. Ähnlich kann man von der Art der Behandlung eines entthronten Fürsten sagen : begnügt man sich damit , ihn laufen zu lassen , so läßt das erkennen , daß man ihn nicht mehr fürchtet , daß die Masse der Bevölkerung für ihn nichts mehr übrig hat. Wo die Revolutionäre einen gestürzten Monarchen töten , bezeugen sie damit , daß sie ihm noch einen bedeutenden Einfluß auf die Massen zuschreiben . Die Hinrichtung eines Monarchen bloß deswegen, weil er ein Monarch war, ist ebenso wie die Gottlosenbewegung ein Symptom der Rückständigkeit, nicht des hohen Kulturstandes der Bevölkerung. Mit Ausnahme einiger rein dekorativen Erbmonarchien ist im eigentlichen Europa (abgesehen vom Balkan ) ja auch außerhalb Europas fast überall seit dem Weltkrieg die Erbmonarchie verschwunden. Sie hat aufgehört, die Geschichte der Völker zu bestimmen . In früheren Zeiten hat die der Revolution , folgende Gegenrevolution stets zu einer Erneuerung einer Erbmonarchie geführt, oder doch zu dem Versuch der Begründung einer neuen Erbmonarchie. Die Gegenrevolution unserer Tage hat bisher noch nirgends zur Erneuerung oder Neubegründung einer Erbmonarchie geführt, sondern überall nur zur Diktatur einer bestimmten Persönlichkeit. Gerade durch diesen rein persönlichen Charakter bekundete solche Diktatur die zeitlich auf ein Menschenleben begrenzte Dauer, die sie sich zuschreibt. Das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch, bis 1792, waren die Kriege Europas fast ausschließlich dynastischer Natur, Kriege um Vergrößerung oder Schmälerung des Besitzes regierender Familien. Noch im 19. Jahrhundert kamen Kriege dieser Art vor, doch waren sie meist nicht mehr rein dynastischer Natur. Heute ist diese Kriegsart völlig erloschen. Selbst die letzte starke Erbmonarchie, die es in der Welt noch gibt, die japanische, ist kaum mehr in der Lage, einen Krieg aus bloß dynastischem Interesse zu führen . Je

Kapital und Krieg

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mehr sich die Warenproduktion entwickelt, die in der kapitalistischen Produktionsweise gipfelt und unter ihrer Herrschaft zur allgemeinen Form der Produktion wird, desto mehr wird die Feudalherrschaft und die absolute Monarchie zurückgedrängt und von da an hören Kriege zu bloßem Gebietsgewinn wenigstens in Europa immer mehr auf. In Amerika führte die demokratische Republik der Vereinigten Staaten noch 1846-1848 einen Eroberungskrieg, um große Gebiete von Mexiko loszureißen . Aber damals waren in der Union die sklavenhaltenden Großgrundbesitzer der Südstaaten politisch übermächtig. Deren unstillbarer Landhunger war es, der den Krieg herbeiführte. Heute ist zwischen Staaten europäischer Kultur ein Krieg von Großgrundbesitzern oder regierenden Dynastien zur Gewinnung neuer Domänen nicht mehr möglich . Diese Faktoren verfügen dort, wo sie noch bestehen , nicht über die ungeheure soziale und politische Kraft, die heute in einem kultivierten Staat dazu gehört, ein Volk in den Krieg zu führen. Aber freilich, die neue kapitalistische Produktionsweise hat dafür neue Kriegsursachen geschaffen . Diese Tatsache ist ganz richtig. Jedoch nicht in dem Sinne, in dem sie meist verstanden wird. Es gibt manchen , der etwas von Marxismus läuten gehört hat, der meint, die Kapitalisten der verschiedenen Länder machten einander Konkurrenz , seien einander feindlich gesinnt und entzündeten daher Kriege, um die Konkurrenz gewaltsam niederzuschlagen. Das bleibe eine unentrinnbare Notwendigkeit, solange es Kapitalisten gebe. Dagegen brauche man nur die Kapitalisten zu expropriieren und der ewige Weltfriede sei von selbst da. So einfach liegen die Dinge nicht. Schon deshalb nicht, weil es Kapitalisten verschiedener Art gibt. Vor allem muß man unterscheiden zwischen dem Geldkapital, das ja nach der ökonomischen Struktur der Gesellschaft Wucheroder Bankenkapital ist. Dann Kaufmannskapital und endlich industrielles Kapital. Letzteres ist sehr jung, das Geld- und Handelskapital dagegen uralt. So alt wie die geschriebene Geschichte . Die Geldkapitalisten und Kaufleute zeigen sich stets dem Großgrundbesitz und der Monarchie ergeben , sie gedeihen bei deren Kriegen — auf alle Fälle dann, wenn diese siegreich ausgehen . Das Geldkapital kann jedoch Gewinne auch aus einer Niederlage des eigenen Staates ziehen, die dem Staate und seinen Aristokraten eine Notlage bringt. Eine solche macht Anleihen nötig, die für die Herren Geldkapitalisten sehr profitabel sind . Das Geldkapital zeigt sich daher in der Regel sehr kriegerisch . Ganz anders ist das industrielle Kapital in der Zeit seines Aufstiegs gestimmt. Kriege vermindern die Kapitalmengen und die Zahl von Lohnarbeitern , die der Industrie zur Verfügung stehen , erhöhen deren Produktionskosten. Der industrielle Kapitalist be-

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Revolutions- und Nationalkriege

darf des Friedens und des freien Weltverkehrs, um seine Produktion und damit das Gebiet seiner Ausbeutung auszudehnen. Ein Eroberungskrieg hilft ihm nicht dabei, stört ihn. Daher ist das industrielle Kapital in der Zeit seines Aufstiegs friedlich gestimmt. Aber aus der kapitalistischen Produktionsweise gehen Tendenzen hervor, die trotzdem Kriege erzeugen. Sonderbarerweise ist es die Demokratie, die gleichzeitig mit dem industriellen Kapitalismus aufkommt, die zu einer Kriegsursache werden kann , obwohl sie den arbeitenden Klassen erhöhten Einfluß auf den Staat bringt. Und diese Klassen haben kein Interesse an irgendeiner Vergewaltigung der Bevölkerung anderer Staaten, also auch nicht an Angriffs- und Eroberungskriegen. Die Demokratie bedeutet ständigen Frieden dort, wo sie allgemein herrscht. Aber leider kommt sie zunächst nur in einzelnen Staaten auf, neben denen andere monarchische oder aristokratische Staaten bestehen , die alle ihre Macht, militärische wie ökonomische , aufwenden, um die demokratischen Nachbarstaaten niederzuwerfen, ihre Demokratie auszurotten . So kann die Demokratie nicht emporkommen ohne bewaffnete Zusammenstöße der Demokraten mit feindlichen Staatsgewalten des eigenen oder eines Nachbarlandes. Daher wird das Zeitalter der aufkommenden Demokratie zu einem Zeitalter von Revolutionskriegen, sowohl Bürgerkriegen wie auswärtigen Kriegen. Diese Kriege treten nun an Stelle der Eroberungskriege länderhungriger Aristokraten und Dynasten .

c) Nationalismus und Imperialismus. Eine besondere Abart der Revolutionskriege sind die Nationalkriege. Die nationale Bewegung ist eine der Erscheinungsformen der demokratischen Bewegung. Zur Demokratie gehört Unabhängigkeit von jeder Fremdherrschaft und wo die Nation durch fremde Macht in verschiedene Gebiete zersplittert ist, von denen jedes für sich allein ohnmächtig ist, deren Zusammenfassung in einen einzigen Staat der Nation Beachtung und Selbständigkeit in der Welt sichert. Ist aber mit der Demokratie auch nationales Streben dort, wo seine Ziele noch nicht erreicht sind , eng verbunden, so braucht dies Streben doch keineswegs auf die demokratischen, das heißt, die arbeitenden Klassen, Bauern, Kleinbürger, Proletarier und die zu ihnen haltenden Intellektuellen , beschränkt zu sein. Aristokraten, ja Monarchen können sich des nationalen Strebens bemächtigen und es für sich ausnützen , sie können ihm eine Richtung geben, die von der Demokratie wegführt, im Sinne eines Nationalismus, der für die eigene Nation nicht bloß Unabhängigkeit und Geschlossenheit haben will, sondern auch ihre Herrschaft über andere Völker. Derart gestaltete sich vielfach der polnische oder ungarische Nationalismus ; auch der mancher Panslavisten sowie vieler Alldeutschen .

Sozialismus und Bürgerkrieg :

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War der Anfang des vorigen Jahrhunderts in Europa von Revolutionskriegen erfüllt, bis 1849, so seine Mitte von 1854 bis 1878 von Nationalkriegen . Demokratische Ideen waren mit jedem dieser Kriege verbunden, und doch wurde es nicht immer leicht, zu einem von ihnen vom Standpunkt einer internationalen Demokratie Stellung zu nehmen , das heißt, einer Demokratie, die für jede Nation die gleiche Freiheit , das gleiche Recht fordert. Selbst gegenüber einem Revolutionskriege war dies nicht einfach , wenn dieser siegreich geführt wurde, so daß er dem revolutionären Staate Eroberungen brachte und in ihm zu einer Herrschaft der Militärkaste führte. Immerhin, trotz aller oft sehr schmerzhaften Unvollkommenheiten und Rückschläge, die diese Art der demokratischen Entwicklung nach sich zog, sie war unvermeidlich und sie brachte schließlich fast allen Staaten Europas, außer Rußland und der Türkei, so viel an demokratischen Einrichtungen, daß deren Volksmassen sich frei organisieren und schulen und zu jener höheren Lebensgestaltung reif machen konnten , die wir anstreben und als Sozialismus bezeichnen . Allerdings, gleichzeitig war auch die kapitalistische Produktionsweise groß geworden und mit ihr alle Schichten der Kapitalisten sowohl Geldkapitalisten wie Kaufleute und Industrielle. Und in vielen Ländern hatten sich die Erbmonarchien trotz der Fortschritte der Demokratie erhalten, in manchem Staate durch Modernisierung verstärkt. Das gleiche galt vom Großgrundbesitz. Der Widerstand nicht bloß der Kapitalisten , auch der der großen Grundbesitzer und der Monarchien mit ihren Werkzeugen war zu brechen, wollten die arbeitenden Klassen zur Macht im Staate gelangen, um diesen ihren Interessen entsprechend einrichten zu können. Daß die großen Ausbeuter freiwillig ihre Positionen räumen würden, war undenkbar. Trotzdem brauchte es zu keinem Bürgerkrieg mehr in einem der modernen Staaten zu kommen, denn sie alle hatten sich gezwungen gesehen, zu allgemeiner Wehrpflicht mit kurzer Dienstzeit überzugehen. Damit wurde aber für die herrschenden Klassen die Armee zu einer unsicheren Stütze , sobald sie sich einer die ganzen arbeitenden Klassen ergreifenden stürmischen Volksbewegung gegenübersahen. Eine derartige Bewegung erwarteten wir Sozialisten als Ergebnis der kapitalistischen Entwicklung. Ihr Kommen zu beschleunigen, für sie uns reif zu machen , vorher aber allen Zusammenstößen mit der bewaffneten Macht aus dem Wege zu gehen, die uns nur schwächen konnten , das wurde nun die Taktik der deutschen Sozialdemokratie und ihrem Vorbild folgten bis zum Weltkrieg alle anderen sozialistischen Parteien nicht ganz in Rußland, wo eine der Bedingungen für eine derartige Taktik noch nicht gegeben war : der Besitz wenigstens der primitivsten demokratischen Rechte.

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Frühere Kolonialpolitik

Dabei entwickelte sich die Technik des Krieges zu einer solchen Höhe , daß nur die Staatsgewalt über richtige Kriegswaffen verfügte. Das machte von vornherein schon jeden bewaffneten Kampf des Volkes gegen eine fest zur Regierung haltende Militärmacht aussichtslos. Gleichzeitig sind die Ursachen von Revolutionskriegen, von Kriegen zwischen demokratischen und absolutistischen Staaten mit diesen verschwunden. Überdies haben sich in vielen Gebieten Europas die Staatsgrenzen den nationalen Forderungen wenigstens einigermassen angepaßt. Wie für dynastische Kriege wurden also auch für Revolutionskriege und überwiegend auch für Nationalkriege und ebenso für Bürgerkriege auf europäischem Boden in den Jahrzehnten vor dem Weltkrieg immer mehr alle Ursachen und Veranlassungen beseitigt. Leider aber erstand gleichzeitig eine neue Art von Kriegen und Eroberungen durch die Kolonialpolitik, die nach dem letzten großen Nationalkrieg des 19. Jahrhunderts, dem russischtürkischen, in den großen Staaten Europas aufkam und deren äußere Politik beherrschte. Schon vorher, vom 15. bis ins 18. Jahrhundert hatte die Kolonialpolitik für die europäischen Staaten eine große Rolle gespielt, viele ihrer Kriege teils verursacht, teils mitbestimmt. Aber diese Kolonialpolitik war ganz anderer Art als jene, die in den letzten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts aufkam. Eine der wichtigsten Triebkräfte der früheren Kolonialpolitik waren bankerotte oder jüngere vom Erbe der Väter ausgeschlossene Söhne des Adels gewesen, für die es in Europa immer schwerer wurde, reiche Kriegsbeute oder neuen Grundbesitz zu finden. Sie suchten Reichtum zu erraffen außerhalb Europas, gingen nach dem reichen Indien und auch nach den Gold- und Silberstätten Amerikas, teils um zu plündern und mit der Beute nach Europa zurückzukehren und die dort verkommende Feudalherrschaft ökonomisch neu zu beleben ; teils um jenseits des Meeres zu bleiben und dort eine neue Feudalität zu begründen. Die politischen Emigranten aus den arbeitenden Klassen, die nach einigen Kolonien Nordamerikas zogen, um dort mehr Freiheit zu finden, als in Europa, blieben eine Ausnahme, gaben nicht der damaligen Kolonialpolitik ihr Gepräge, so wichtig sie auch später geworden sind . Die Unternehmungen der landhungrigen Adeligen wurden gefördert durch ihre Souveräne , die stets bereit waren, ihr Staatsgebiet zu erweitern, und in ihrem Gefolge durch Kaufleute und Geldkapitalisten. Das nötige Kanonenfutter lieferten die zahlreichen Arbeitslosen, namentlich zugrunde gegangene Bauern der europäischen Heimat. Die industriellen Kapitalisten fanden an dieser überseeischen Eroberungspolitik keinen Geschmack, und ebensowenig die in Arbeit befindlichen Bauern und Handwerker. Als diese Klassen

Neuere Kolonialpolitik

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seit der französischen Revolution immer mehr an Bedeutung im Staate gewannen , verloren dessen Politiker immer mehr alles Interesse an der Erwerbung neuer Kolonien. Wohl bedurfte die neue, jetzt rasch emporkommende, kapitalistische Produktionsweise dringend einer steten Erweiterung ihres Marktes. Aber der innere Markt für die Industrie war zu vergrößern durch ökonomische Hebung der bäuerlichen Wirtschaft, was namentlich durch ihre Befreiung von Feudallasten bewirkt wurde. Der äußere Markt wurde erweitert durch Freihandel. Daneben verlangten die Lohnarbeiter Freizügigkeit zur Auswanderung in Gegenden mit höheren Löhnen ; die Industriellen brauchten Freizügigkeit wieder zur Heranziehung billiger entlohnter Arbeitskräfte aus Gegenden mit niederen Löhnen. Hinter diesem Programm verschwand die Kolonialpolitik ins Wesenlose. Doch nicht für immer. Der Siegeszug des industriellen Kapitalismus und des freihändlerischen Liberalismus erreicht für immer sein Ende in der furchtbar lang währenden Depression, die der Krise von 1873 folgte. Leider besaß das Proletariat noch nicht genügend Kraft, um in dieser Zeit den Übergang des Staates zu sozialistischer Produktion bewirken zu können. Es trat ein Zustand ein , ähnlich dem des Handwerks im 18. Jahrhundert. Damals war die feudal bedrückte Bauernwirtschaft verfallen und mit ihr der innere Markt für die städtische Industrie immer mehr eingeengt worden. Jene unter den Kleinbürgern, die in besserer Position waren, suchten sich dadurch zu helfen, daß sie das bißchen Markt, das ihnen verblieb, für ihre Betriebe monopolisierten, jede Neugründung von Handwerksbetrieben durch zünftige Einschränkungen hemmten, also das Elend der Masse noch vermehrten. Die zünftige Verknöcherung des Handwerks, die Monopolisierung des Marktes für die im Besitz befindlichen Handwerker gehörte zu den Mitteln , mit denen im 18. Jahrhundert die herrschenden Klassen versuchten , die versinkende Feudalwirtschaft lebensfähig zu erhalten . Ein ähnliches Streben kommt auf zu Ende des 19. Jahrhunderts, diesmal auf höherer ökonomischer Grundlage, als das Streben nicht bloß besitzender Handwerker, sondern auch groẞindustrieller Kapitalisten, die Märkte , für die sie produzieren , zu monopolisieren. Es ist eine Neuzünftlerei, die ersteht, aber der Riesenhaftigkeit des modernen Produktionsapparats entsprechend, in enorm vergrößertem Maßstab . Der auswärtige Markt erhält jetzt für die Industrie eine erhöhte Bedeutung, sowohl als Stätte des Absatzes von Produkten der Industrie , wie als Lieferant von Rohmaterialien für die Industrie . Solche Märkte zu monopolisieren wird seit den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts eine wichtige Aufgabe für die Regierungen der kapitalistischen Großstaaten, Sie wird am ehesten gelöst durch Eroberung des auswärtigen Marktes, seine Verwandlung in eine Kolonie. Das erscheint um so notwendiger, als zur Erschließung des Marktes Ver-

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Imperialismus

besserungen der Verkehrsmittel, namentlich Eisenbahnen, erforderlich werden, und anderseits erheischt die Erweiterung der Lieferung von Rohmaterialien die Errichtung neuer großer Produktionsstätten , Bergwerke , Plantagen etc. Die dazu nötigen Kapitalsinvestitionen müssen geschützt werden, was ebenfalls die Unterwerfung des Gebiets, in dem sie vorgenommen werden , unter die heimische Regierung wünschenswert macht . Nicht minder wird diese Unterwerfung nahe gelegt durch das Bedürfnis jener Unternehmer, die Kapitalien investieren , nach billigen Arbeitskräften. Die erlangen sie sehr oft nicht, wenn sie auf deren freiwillige Meldung angewiesen sind . Methoden des Zwangs werden dazu erforderlich, den auch nur die Regierung der Kapitalisten in der Kolonie den Eingeborenen gegenüber anzuwenden gewillt ist. So entsteht die neue Kolonialpolitik. Wir haben von ihr schon im 3. Abschnitt dieses Werkes gehandelt, in dem Kapitel über den Imperialismus . Wir haben dort auch gesehen, wie diese Politik neue Kriegsgefahren mit sich brachte, dabei freilich auch manche von früher her übernommene zeitweise zurückdrängte. Doch haben die Kolonialkonflikte zwischen den Mächten nie eine solche Intensität erreicht, daß sie genügt hätten, den großen Weltkrieg hervorzurufen, den wir Sozialisten schon lange vor seinem Ausbruch befürchteten. Im Gegenteil, gerade in dem Moment, als es zu diesem Kriege kam, bestand keinerlei kolonialer Konflikt zwischen den Kolonialmächten. Jeder war friedlich beigelegt. Freilich, ganz unschuldig war die Kolonialpolitik, der „ Imperialismus“, nicht am Weltkrieg. Aus ihm ging das Wettrüsten zwischen Deutschland und England hervor, das so sehr die außenpolitische Atmosphäre Europas seit Beginn unseres Jahrhunderts bis 1914 vergiftete, und Mißtrauen und Nervosität auf allen Seiten erzeugte, was dann bei einem eintretenden Konflikt zu höchst verkehrten Maßregeln führte. Nun aber, nach dem Weltkrieg, ist mit ihm die Kolonialpolitik überwunden oder dauert der Imperialismus noch fort ? Ist nicht er ein Faktor, der eine neue Friedensära unmöglich macht ? Fast könnte man so meinen, wenn man an Italiens Vorgehen in Abessinien, an Japans Vorgehen in China denkt. Doch diese Vorstöße bedeuten nicht den Beginn einer neuen imperialistischen Ära, sondern letzte Nachwirkungen der alten, bloße Anachronismen, die durch die Gesetze der sozialen Entwicklung nicht notwendig werden, sondern sie stören . Sie sind zu überwinden, wenn die Faktoren der sozialen Höherentwicklung die nötige Kraft besitzen, und die nötige Einsicht und Entschlossenheit aufbringen, um den Friedensstörern energisch und geschlossen entgegenzutreten. Das sozialistische Proletariat aller Länder ist zur Zeit für sich allein nicht imstande dazu . Sein Erfolg und damit der Friede der

Wandlung der Kolonialpolitik

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Welt wird davon abhängen , ob es versteht, Bundesgenossen zu gewinnen und festzuhalten.

d) Der Rückzug des Imperialismus. Die Kolonialpolitik beruht auf der ungeheuren technischen wie ökonomischen Überlegenheit, die die Völker europäischer Kultur über die übrigen Bewohner des Erdballs erlangt haben. Schon militärtechnisch stehen sie hoch über ihnen, doch auch ökonomisch und politisch durch den regen Verkehr, die Volksbildung, den regen Anteil aller Klassen am staatlichen Leben in jedem modernen Staat. Das fehlt der eingeborenen Bevölkerung der Kolonien. Sie ist unwissend und zerklüftet. Der Horizont der großen Masse erstreckt sich dort nicht über das Bereich der Gemeinde.

Ihre Überlegenheit macht es den auf kolonialen Erwerb ausgehenden Mächten Europas zumeist leicht, in den andern Erdteilen sich eine Reihe von Gebieten zu unterwerfen und sie despotisch auszubeuten. Mitunter allerdings stimmte die Rechnung nicht, fanden die Eindringlinge größeren Widerstand, als sie erwartet hatten. Doch im allgemeinen war dieser gering. Die Gefahren der Kolonialpolitik lagen für das erobernde Land nicht bei den Eingeborenen, die zu unterwerfen waren, sondern bei der Eifersucht der andern Kolonialmächte, die in gleicher Weise nach leichter Beute ausgingen . Diese Gefahr hat sich seit dem Weltkrieg für jede koloniale Eroberung nicht gemindert, sondern gesteigert . Denn die Welt ist heute so ziemlich aufgeteilt, freie Gebiete, die in eine Kolonie verwandelt werden könnten , gibt es kaum mehr. Schon das gibt der Kolonialpolitik, der „,imperialistischen" Politik seit dem Weltkrieg ein neues Gepräge.

In noch höherem Grade aber wird die Kolonialpolitik umgewälzt dadurch, daß die moderne Art der Verwaltung der Kolonien in ihnen Kräfte des Widerstands entwickelt, die von Jahr zu Jahr wachsen müssen. Wenn wir absehen von dem seltenen Fall der Kolonien von Emigranten, die vor Bedrückung und Not aus der Heimat in eine Wildnis flohen, dann waren die Besitzer von Kolonien ehedem nur darauf ausgegangen, sie zu plündern oder ihre Einwohner zu versklaven. Diese blieben unter der Fremdherrschaft unwissend, roh, in ganz primitiven politischen und ökonomischen Verhältnissen . Sie verkamen unter ihr eher als daß sie sich höher entwickelten. Ähnliche Wirkungen wie diese frühere Kolonialpolitik des Feudalabsolutismus zeitigte auch die neuere Kolonialpolitik des Finanzkapitals des letzten halben Jahrhunderts. Doch wie in der Arbeiterbevölkerung des 19. und 20. Jahrhunderts , so bringen auch in den Kolonien unserer Zeit die kapitalistischen Produktionsverhältnisse

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Befreiung der Kolonien

nicht bloß degradierende , sondern auch erhebende Momente hervor. Und so wie im Proletariat, so gewinnen auch in den Kolonien diese erhebenden Momente früher oder später das Übergewicht über die herabdrückenden . Trotz allen Widerstandes , trotz schmerzlicher Rückschläge muß man seit einem Jahrhundert in den Industriestaaten den Proletariern immer mehr Rechnung tragen, gewinnen sie überall an Einfluß und Macht. Das gleiche kann man von der Kolonialbevölkerung sagen. Ihr Entwicklungsgang ähnelt in den letzten Jahrzehnten dem des Proletariats der Industrieländer. Das Endergebnis wird hier die Beherrschung des Gemeinwesens durch das Proletariat, der Sozialismus, dort die Befreiung der Kolonien sein. Diese Wirkung ist in dem einen wie in dem andern Fall auf die gleichen Ursachen zurückzuführen : auf die Entwicklung des industriellen Kapitals , des Verkehrswesens , der Volksbildung, der staatlichen Demokratie, die die moderne Großindustrie bei gleichzeitig wachsendem Proletariat mit sich bringt. Die neue Kolonialpolitik geht eben nicht bloß darauf aus , die Kolonie zu plündern — die frühere Kolonialpolitik hat nicht mehr viel zu plündern übrig gelassen. Sie sucht auch nicht die Kolonialbevölkerung einem primitiven Feudalismus zu unterwerfen. Dieser hat im Mutterlande schon Bankerott gemacht. Die Kolonialpolitik des Finanzkapitals sucht vielmehr die Kolonien dem kapitalistischen Produktionsprozeß einzuverleiben als Absatzmärkte und Lieferanten von Rohstoffen. Damit entwickelt sie in den Kolonien dieselben Bedingungen, die in den alten kapitalistischen Ländern die demokratischen Bewegungen schaffen und auf die Dauer unwiderstehlich machen. Wohl werden diese Bedingungen in den Kolonien viel schwächer und langsamer entwickelt, als in den alten Industrieländern . Aber dafür wird die demokratische Bewegung in Europa durchkreuzt durch mannigfache Klassenunterschiede innerhalb der deneben Proletariern gibt es Bauern , mokratischen Schichten Handwerker, Kleinhändler, verschiedene Sorten Kapitalisten und Intellektuelle . Eine Bewegung zur Abschüttlung des fremden Jochs kann dagegen in einer kolonialen Bevölkerung leicht zu einer nationalen werden, die alle Klassen ergreift, von den höchsten bis zu den untersten. Und in Europa sind die Herrschenden und die Beherrschten, die Ausbeuter und die Ausgebeuteten in der Regel gleicher Kultur, Religion, Sprache. In den Kolonien sind die Angehörigen der Kolonialmacht schon rein äußerlich nicht nur durch Sprache, Religion, Kultur, sondern sogar in der Hautfarbe von den Beherrschten vollkommen geschieden. Das verschärft alle sozialen und politischen Gegensätze aufs äußerste, erleichtert aber auch die Zusammenfassung der Beherrschten zum Kampf gegen ihre Herrn. Es bedarf dazu keiner theoretischen Untersuchungen und Darlegungen der Ursachen der Klassen und ihrer Gegensätze.

Nationalismus im Orient

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Und wenn wir die proletarische Bewegung mit der der kolonialen Bevölkerung vergleichen, dann finden wir, daß deren zahlenmäßiges Übergewicht über die in der Kolonie ansässigen Angehörigen des Herrenvolkes weit gewaltiger ist, als etwa das der industriellen Lohnarbeiter über die andern Klassen selbst in den hochindustriellen Staaten. In Britisch- Indien stehen z. B. einer eingeborenen Bevölkerung von 320 Millionen etwa 200.000 Briten gegenüber. Es kommt also nicht einmal ein Brite auf 1000 Inder. Selbst in Kolonien , in denen die Weißen nicht bloß als Soldaten und Beamte und Kapitalisten, sondern auch als Bauern und Industriearbeiter tätig sind, bleibt die Überzahl der Farbigen erdrükkend. So in Südafrika , wo auf etwa 12 Millionen Weiße 5½ Millionen Farbige kommen. Je mehr eine Kolonie aufgeschlossen, das heißt mit Einrichtungen des industriellen Kapitalismus versehen wird, um so zentralisierter und wirksamer wird der Widerstand ihrer Eingeborenen gegen das Herrenvolk. Der Orient ,,erwacht" mit derselben Notwendigkeit, mit der vor ihm die Völker Europas zur modernen Demokratie erwachten, ein Streben, das den Eindringlingen gegenüber ebenfalls , wie vorher in vielen Gebieten Europas, die Form eines intensiven Nationalismus annimmt, eines Strebens nicht nur nach Abwerfung der Fremdherrschaft - solches Streben ist älter als die geschriebene Geschichte , es beginnt bereits mit der Bildung des ersten Staates. Aber die Verwandlung einer Bevölkerung in eine moderne Nation bringt auch das Streben mit sich nach Zusammenfassung aller Volks-, das heißt, Sprachgenossen in einem einheitlichen Staatswesen, einem Nationalstaat. Derartiges war in den Kolonien lange nicht merkbar. Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts macht es sich in den vorgeschrittenen Gebieten unter ihnen bereits mächtig geltend. Die politischen Einflüsse der Religionen, die den Orient bisher beherrschten, treten dem Nationalismus gegenüber dort immer mehr zurück. Darüber handelt ausführlich Hans Kohn in seinem aufschlußreichen Buch „ Nationalismus und Imperialismus im Vorderen Orient" (Frankfurt a. M. 1931 ) . Er kommt zu dem Schlusse : ,,Die arabische Geschichte hat im Lauf eines Vierteljahrhunderts (wie der ganze Orient von Ägypten bis China) eine gewaltige Wandlung zu verzeichnen. Das vordem völlig gestaltlose und kaum bewußt arabische Nationalgefühl hat sich in diesem Zeitraum auf verschiedenen Wegen zu einem Nationalbewußtsein entwickelt. Noch stößt es auf viele Hindernisse, nicht nur von Außen, sondern auch in seinem Innern, auf die Gegensätze von Zivilisationsstufen, Lebensweisen, dynastischen und Gruppeninteressen. Noch niemand kann voraussehen, wie und wann sich das nationale Ziel Arabiens, Einheit und Freiheit, verwirklichen wird. Aber die labilen Verhältnisse stabilisieren sich, die wirren Linien beginnen sich zu klären." (S. 353.) Der Weltkrieg, der die Loslösung der Araber von türkischer Herrschaft ermöglichte, hat diese Entwicklung sehr gefördert :

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Imperialismus in der Defensive

,,Husseins Erhebung im Jahre 1916 und seine Proklamierung des Ziels der arabischen Einheit und Freiheit, der Zusammenfassung aller Araber über die sozialen Gegensätze der Beduinen, Fellachen, und Städter und über die religiösen der Mohammedaner und Christen hinweg hatte als ein mächtiger Impuls des arabischen Nationalgefühls gewirkt.“ Das verspüren Engländer wie Franzosen sehr unangenehm in den ,,Mandatländern", die sie im nahen Osten gewonnen haben. Das verspüren auch die Zionisten. Dr. Hans Kohn, selbst Zionist, lebt in Jerusalem seit Jahren, aber er studiert nicht nur die jüdische , sondern auch die arabische Entwicklung und die des Orients überhaupt. Er wünscht aus vollem Herzen die Erfüllung der zionistischen Idee, muß sich aber schließlich mit der resignierten Bemerkung begnügen : ,,Die zionistische Bewegung muß vielleicht Unmögliches als Ziel aufstellen, um das Maximum des Möglichen zu erreichen.“ (Kohn, S. 221.) Die Auflehnung der Eingeborenen gegenüber jeglicher Fremdherrschaft, der Kampf um nationale Freiheit und Einigung wird die Signatur der Geschichte Asiens und Afrikas in den nächsten Jahrzehnten sein. Der Imperialismus, die Kolonialpolitik europäischer Mächte, verliert dabei immer mehr seinen aggressiven Charakter, er wird immer mehr in die Defensive gedrängt. Das erobernde Vorgehen der Japaner in China , der Italiener in Abessinien ist ein letzter Nachhall einer verschwindenden Zeit, des Zeitalters des Imperialismus. Weitere Eroberungskriege dieser Art sind kaum noch zu erwarten. Damit soll nicht gesagt sein, daß sich die Kolonien allenthalben sofort losreißen werden . Aber ihr Widerstand wird immer mehr zunehmen, ihre Niederhaltung und Verwaltung immer kostspieliger werden, die Kolonien werden sich immer mehr aus einem Gewinn in eine schwere Last für das Mutterland verwandeln. Manche Kolonie war es seit dem Beginn ihrer Besetzung. Die meisten Staaten wurden schon in der Blütezeit des Imperialismus durch ihren Kolonialbesitz finanziell bedrückt. Der Kolonialfanatiker Rudyard Kipling bezeichnet diesen Besitz als ,,die Bürde des weißen Mannes", die dieser entsagungsvoll tragen müsse, um seine Pflichten gegen die farbigen ,, Brüder" zu erfüllen. Das war freilich für die englische Kolonialpolitik eine lächerliche Fiktion . Deren „ Bürde" wurde für das Britische Reich profitabel genug. Aber für die meisten andern Kolonialmächte galt das nicht. Woher aber dann der allgemeine Drang nach Kolonien ? Er rührt daher, daß sie auch dort, wo sie dem Staatswesen große Lasten aufbürdeten, doch mancher im Staate herrschenden Schicht reichen Gewinn brachten : lukrative Posten für Stellenjäger, Avancements für Offiziere, Profite für anlagesuchende Kapitalisten. Doch begeisterte die Kolonialpolitik auch andere Volksschichten, nicht zum wenigsten durch die Verheißung von Reichtum und Macht, die sie ihnen vorgaukelte. Sie wirkten ebenso wie eine

Kolonien als Ersatz für Sozialismus

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Lotterie, bei der man nur die wenigen Treffer beachtet, nicht die zahlreichen Nieten. Man sah den fabelhaften Reichtum, den England aus seinen Kolonien in der Vergangenheit gezogen hatte und erwartete Gleiches von den eigenen Kolonien , als ob ein so altes Kulturland wie Ostindien mit den märchenhaften Schätzen, die es seit Jahrtausenden aufgehäuft hatte , in jedem menschenleeren Urwald, jeder Sandwüste wieder zu finden wäre ! Besonders gierig griff man nach den Verheißungen der Kolonialpolitik in der Zeit nach der großen Krise von 1873. Der Kapitalismus der Heimat erreichte damals ein Stadium , in dem er immer mehr an Anziehungskraft für alle Klassen, außer den Kapitalbesitzern selbst, verlor und sogar diese mit steigender Besorgnis wegen seiner Zukunft erfüllte . Aber nicht alle, die dem Kapitalismus gegenüber skeptisch wurden , besaßen Weitsicht genug, den Gedanken einer sozialistischen Gesellschaft zu erfassen, und Mut sowie Ausdauer genug, um an dem Kampf für eine solche Gesellschaft teilzunehmen. Da kam die Kolonialpolitik auf, die keinen Kampf gegen die herrschenden Klassen erheischte , vielmehr von ihnen lebhaft gefördert wurde . Sie verhieß , den Kapitalismus zu regenerieren, den arbeitslosen Lohnarbeitern und Intellektuellen Arbeit und gutes Einkommen, den andern Nationsgenossen ebenfalls Prosperität, allen ein größeres, reicheres Vaterland zu bringen, ohne jede Mühe, ohne Kampf und Gefahr. Die bürgerliche Welt hatte seit dem Sieg des Kapitalismus alle Ideale verloren, die sie den Massen bieten konnte. Nun bot ihr die Kolonialpolitik einen Ersatz für diese Ideale, den sie dem Sozialismus entgegensetzte, durch den sich sogar mancher geschulte Sozialdemokrat betören ließ . Das hörte nach dem Weltkrieg auf, in der Zeit des Rückgangs der Kolonialpolitik. Allerdings, viele haben das noch nicht begriffen. Das bezeugt, z. B. das Gewicht, daß das nationalsozialistische Deutschland auf die Rückgabe seiner Kolonien legt, dieser Kolonien, die stets Zuschüsse erheischt haben ! Noch im Budgetvoranschlag für 1914 , also unmittelbar vor Kriegsausbruch, wurden die eigenen Einnahmen der deutschen Schutzgebiete mit 66 Millionen Reichsmark angesetzt, ihre Ausgaben auf 109 Millionen . Keine der Kolonien konnte sich selbst erhalten. Manche mit widerhaariger Bevölkerung erheischten zeitweise besonders bedeutende Zuschüsse, so Südwestafrika . Dort standen 1905 2½ Millionen Einnahmen 162 Millionen Ausgaben gegenüber, 1908 7 Millionen Einnahmen und 119 Millionen Ausgaben. Diese Belastung der Finanzen wurde nicht wettgemacht durch eine Förderung der Industrie und des Handels des Reichs. Im Jahre 1912 , dem letzten vor dem Weltkrieg, für das die betreffenden Zahlen vorliegen , betrug die deutsche Einfuhr aus den deutschen Kolonien in Afrika ganze 44 Millionen Mark, die Ausfuhr dahin 47 Millionen, bei einer Gesamtausfuhr aus Deutschland von 9 Milliarden Mark und einer Einfuhr von

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Auflehnung des Orients

über 10½ Milliarden . Für das deutsche Wirtschaftsleben waren also seine Kolonien gleich Null . Das Reich mußte froh sein , daß es im Friedensvertrag seine Kolonien los wurde . Aber der Philister kann sich die Schätze nicht reich genug ausmalen , die ihm dadurch verloren gingen . Andere sagen, daß wohl augenblicklich die Kolonien eine Last wären. Aber man müsse weiter sehen : später, da würden alle die jetzigen Investitionen sich reich bezahlt machen. Kein Zweifel , unser Urteil über eine gesellschaftliche oder politische Einrichtung darf nicht bei der Gegenwart halt machen, es muß auch die Zukunft in Betracht ziehen. Aber gerade die Zukunft der Kolonien ist für deren Besitzer keine verheißungsvolle. Je mehr das Mutterland in sie hineinsteckt, um sie ökonomisch zu entwickeln, um so mehr erhöht es die geistigen, politischen, mitunter sogar die militärischen Kräfte der Eingeborenen . Um so mehr hebt es ihre Widerstandskraft, vergrößert es die Kosten der Niederhaltung der Kolonie und um so näher rückt es ihren schließlichen Abfall . Auch in dieser Beziehung wie in so mancher andern kann man die Kolonien mit dem Proletariat vergleichen. Für sie gilt ebenso wie für dieses das Wort des kommunistischen Manifestes : ,,Die Bourgeoisie produziert vor allem ihre eigenen Totengräber." Das Streben nach der Herstellung demokratischer, nationaler Staaten, das in Europa das 19. Jahrhundert erfüllte , es wird im Fortgang des jetzigen Jahrhunderts Asien und Afrika bewegen. Dieses Streben wird jedoch nicht immer dieselben Formen annehmen müssen, wie in Europa im 19. Jahrhundert. Die Nationalstaaten jener Zeit erstanden nicht bloß dadurch, daß alle Menschen einer bestimmten Sprachgemeinschaft in einem Staatswesen zusammengefaßt wurden, sondern auch dadurch , daß analphabetische Volksschichten in einem Staate , die eine andere als die Sprache der herrschenden Schicht sprachen , es mit der Zeit aufgaben, ihre überkommene Sprache zu gebrauchen , da sie mit der Staatssprache weiter kamen . Wir haben im ersten Abschnitt des vorliegenden Werks gesehen, wie bis über die Hälfte des vorigen Jahrhunderts hinaus dieser Vorgang in manchem europäischen Gemeinwesen eine große Rolle spielte , wie er Marx, Engels, Lassalle und manchen andern Politiker jener Zeit zu einer ganz irrigen Prognose für viele Völker Osteuropas verführte . In Gebieten ohne Schulbildung der unteren Klassen vollzieht sich auch heute noch der gleiche Vorgang der Aufsaugung unkultivierter Volkstämme durch eine kultivierte Herrenschicht anderer Nationalität . In Indien verschwindet noch immer bald die eine, bald die andere der zahllosen Sprachen rückständiger Volksschichten des Riesenreiches vor den Sprachen der sie umgebenden höher kultivierten Völker. Aber im allgemeinen kommt dieser Vorgang, wie früher schon in Europa, so jetzt auch in Asien und selbst in manchen Gebieten Afrikas immer mehr zum Stillstand durch

Nationalstaat und Nationalitätenstaat

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das Vordringen der Schulbildung, das auch die rückständigsten Völker lehrt, in ihrer Sprache zu lesen und zu schreiben und das damit auch für deren Sprachen die Vorbedingung ihrer Entwicklung zu einer Schriftsprache schafft. Durch das konservierende Mittel der Schrift wird die Sprache erhalten, vor dem Aussterben bewahrt. Wo dies der Fall ist, da führt der Aufschwung der Demokratie in nationaler Beziehung leicht dahin, daß auch das kleinste Völkchen einen eigenen nationalen Staat zu bilden strebt, was manchen Riesenstaat in eine Unzahl Stätchen auflösen, die Kleinstaaterei allgemein machen würde in einem Zeitalter, in dem wie in ökonomischen Einrichtungen so auch in staatlichen der Großbetrieb unendliche Vorteile vor dem Kleinbetrieb voraus hat . Das würde eine ungeheure Begünstigung der großen Nationen, die ausgedehnte Staaten zu bilden vermögen, vor den kleinen bedeuten , die Entwicklung der letzteren bedenklich hemmen. Dem können diese nur entgehen, wenn sie auf die staatliche Souveränität verzichten , sich mit andern Nationalstaaten zu einem größeren Bundesstaat oder Reich zusammenschließen, in dem alle Funktionen technischer Kultur, die allen Nationen gemeinsam sind, dem Reich zufielen, die Funktionen der sprachlichen Kultur den einzelnen kleineren Einzelstaaten oder Kantonen überlassen würden. Als Vorbild eines solchen Reiches wäre die Schweiz anzusehen. Neben ihr können die Vereinigten Staaten in vielen Beziehungen vorbildlich wirken . Sie sind als selbständiges Gemeinwesen weit jünger als die schweizerische Eidgenossenschaft und umfassen ein viel weiteres Gebiet. Aber sie erfreuen sich des großen Vorteils, daß in allen ihren Einzelstaaten dieselbe Sprache gesprochen wird, die englische. Also gerade für Probleme der Mehrsprachigkeit können sie kein Muster abgeben. Das britische Weltreich mit seinen Dominions könnte ebenfalls vorbildlich wirken , um so mehr, als es auch Völker verschiedener Sprachen umfaßt , z . B. in Südafrika und Indien ; auch in Kanada , wo 2½ Millionen französisch sprechende Staatsbürger nicht ganz 5 Millionen Engländern (Irländer inbegriffen) gegenüberstehen. Der einheitliche Nationalstaat ist und bleibt die vollkommenste Form des modernen demokratischen Staates. Nicht weniger wichtig aber als nationale Geschlossenheit ist für ein Staatswesen möglichst große Ausdehnung. Darum wird für viele der neuen Staatswesen, die im Orient erstehen werden, nicht die Form des Nationalstaates, sondern die des mehrsprachigen Bundesstaates die zweckmäßigste sein. Sie wird den nationalen Bedürfnissen seiner Bewohner um so mehr entsprechen, je weitergehend seine Demokratie. Wie immer sich das demokratische und nationale Streben der Nationen des Ostens und Südens gestalten mag, es muß sich dort nicht notwendigerweise ebenso in kriegerischen Ausbrüchen durchsetzen, wie es im vergangenen Jahrhundert in Europa geschah. 42*

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Die Befreiung der Kolonien

Der Krieg ist seitdem ein zu sehr alles zerstörendes Mittel geworden, als daß eine Volkspartei , sei sie proletarisch oder bäuerlich, ihn noch aus freien Stücken als Mittel der Befreiung suchen könnte. Nicht äußerer Krieg kann für sie in dieser Beziehung in Frage kommen. Aber auch nicht bewaffnete Insurrektion , die um so wahnwitziger wird , je ungeheuerlicher die technische Überlegenheit einer vom Staate ausgerüsteten Truppe über die Zivilbevölkerung anwächst. Nichts sonderbarer, als wenn unter denen , die am lautesten den Ruf ertönen lassen : Krieg dem Kriege, und die den Krieg als Untergang aller Kultur brandmarken, Leute sind, die gleichzeitig den Bürgerkrieg in den Himmel erheben und ihn predigen als einziges Mittel, eine bessere Zukunft herbeizuführen. Natürlich werden, bei der trotz allem Fortschritt immer noch lange weiter bestehenden Rückständigkeit der Bevölkerung, in den Kolonien Versuche gewaltsamer Erhebungen nicht ausbleiben. Aber sie haben keine Aussicht, große Wirkungen zu erzielen, mehr zu werden, als momentane, lokale Aufstände, die rasch niedergeschlagen werden . Anderseits werden die europäischen Staaten um so weniger wegen kolonialer Besitzungen miteinander in Konflikt kommen, je mehr deren Bevölkerung sich aufsässig und widerspenstig zeigt. Noch ist es nicht klar, welche Formen die Befreiungsbewegungen der Völker des Orients annehmen werden, doch ist es nicht wahrscheinlich, daß sie zu großen Kriegen Veranlassung geben werden. Der Aufstieg der Kolonialvölker wird um so friedlichere und gleichzeitig um so wirksamere - Formen annehmen können, je mehr in den Staaten, die Kolonien besitzen, demokratische Einrichtungen herrschen und mit diesen und durch sie die arbeitenden Klassen, vor allem das industrielle Proletariat auf das Staatswesen und damit auch auf seine Kolonialpolitik bestimmend einwirken . Es trifft sich da sehr glücklich, daß die größte Kolonialmacht der Welt England ist, die demokratischeste unter den Großmächten Europas. Es ist derjenige Staat, der zuerst und am besten die Methoden friedlicher Entwicklung angenommen hat, nach sehr schmerzlichen Erfahrungen , die ihm zuerst das absolutistische Streben der Stuarts im 17. Jahrhundert und dann das Trachten nach Niederhaltung der amerikanischen Kolonien im 18. Jahrhundert brachte . Seitdem hat es keine englische Regierung in einem großen inneren Konflikt mehr aufs Biegen oder Brechen ankommen lassen. Es gibt in England wie überall gewalttätige Naturen und Parteien. Und sie überwiegen gerade unter den Militaristen und Bureaukraten, von denen die Kolonien regiert werden . Deren Einfluß hat England, namentlich in den Kolonien, sehr oft in Situationen versetzt, die eine blutige, allgemeine Empörung unausweichlich zu machen schienen . Doch im letzten Moment erwiesen sich in England die Männer und Parteien der friedlichen Methoden stets als die stärkeren und im Staat entscheidenden Elemente . Das

Die Befreiung der Kolonien 661 gilt, wie für die innere Geschichte Englands seit 1688 , so für seine ganze Kolonialgeschichte seit 1783. Für diese namentlich seit dem furchtbaren Aufstand der indischen Sipoys , 1857, sowie dem Emporkommen des freihändlerischen Liberalismus , dessen Tendenzen für Gewährung von Friede und Freiheit durch das britische Proletariat nicht bloß übernommen , sondern bedeutend verstärkt wurden. Und die große Industrie hat in England mehr Macht erlangt als in irgendeinem andern Staat. Seine Arbeiterpartei steht an der Schwelle der Gewinnung der ganzen Staatsmacht. Da dürfen wir erwarten, daß sich die Befreiung der Bevölkerung der Kolonien in friedlicher Weise vollziehen wird, welche Form immer dieser Vorgang in jedem einzelnen Fall annehmen mag. Leicht wird die Befreiung der Kolonien allerdings nicht sein . Namentlich dort, wo nicht bloß der Widerstand von Militaristen , Bureaukraten und Kapitalisten des Mutterlandes zu überwinden ist , sondern auch der einer zahlreichen arbeitenden weißen Bevölkerung in den Kolonien selbst , die den Eingeborenen gegenüber die Stellung einer privilegierten Aristokratie erlangt hat . So ist die Aufgabe der Engländer, z. B. in Südafrika nicht einfach, wo die Weißen nicht nur Bauern und Kapitalisten , sondern leider auch zahlreiche Proletarier - darauf bestehen , die Farbigen in völliger Rechtlosigkeit zu erhalten . Und ebenso ist die Aufgabe der Engländer nicht einfach in Palästina zwischen den Juden und den Arabern . Die Lage der Juden wird sich bedenklich gestalten an dem Tage , an dem die Engländer auf ihre Mandatstellung verzichten oder verzichten müssen und die Bevölkerung ihre freie ,, Selbstbestimmung" gewinnt. Nach Großbritannien , dessen Kolonialreich weit über 400 Millionen Einwohner umfaßt , sind die größten Kolonialreiche das französische mit fast 60 Millionen und das niederländische mit 50 Millionen Einwohnern . Auch jedes dieser Mutterländer ist ein demokratisches und die Sozialdemokratie hat in den Niederlanden . bereits eine ansehnliche , in Frankreich zur Zeit eine gebietende Stellung erreicht ; der Gewinnung der vollen Staatsmacht steht sie allerdings nicht so nahe, wie in England . Wir dürfen erwarten , daß die Arbeiterparteien in jedem der genannten Staaten bald so weit sind, den Aufstieg der Kolonialbevölkerung und die Vorbereitung ihrer künftigen Befreiung aufs ausgiebigste zu fördern , so daß alle gewaltsamen Mittel dabei überflüssig werden. Auch die Vereinigten Staaten bereiten die Selbständigkeit der Philippinen vor. Alles das muß die Freiheitsbewegung in andern kolonialen Gebieten entschieden beleben. So haben wir die begründete Ursache, zu erwarten , die demokratischen und nationalen Bewegungen der Völker Asiens und Afrikas werden sich weit friedlicher vollziehen als in früheren Jahrhunderten die gleichen Bewegungen der Völker Europa s : in

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Die Befreiung Indiens

Formen, die keinen ausgedehnten Krieg, am allerwenigsten einen Weltkrieg nach sich ziehen . Anderseits darf die Demokratie des Kolonien besitzenden Staates die koloniale Bevölkerung nicht ohne weiteres sich selbst überlassen. In den Kolonien sind zahlreiche ökonomische wie politische Einrichtungen eingeführt worden, die zu ihrem Funktionieren ein modernes Staatswesen voraussetzen . Soll aber innerhalb eines solchen Staatswesens die Demokratie gedeihen und vom Volke zweckmäßig angewendet werden können, so setzt das eine ziemlich kultivierte Bevölkerung voraus mit allgemeiner Verbreitung wenigstens der Kenntnisse der Volksschule, einer entwickelten Presse , ausgedehnten freien Organisationen ökonomischer und politischer Art . Alles das der Bevölkerung der Kolonien zugänglich zu machen, ist zunächst weit wichtiger für sie, als ihre völlige Unabhängigkeit. Selbst das so hochstehende Indien ist in bezug auf die Vorbedingungen staatlicher Demokratie noch sehr rückständig - das bezeugen schon die zahlreichen Fürstentümer in seinen Grenzen , die reinen, orientalischen Despotismus darstellen . Zögen die Engländer heute aus Indien ab, so verfiele das Reich noch mehr in völlige Anarchie, als das in China heute der Fall ist. Das eigentliche China ist doch wenigstens ein Land ohne religiöse oder nationale Gegensätze . Indien dagegen mit seinen starken Gegensätzen der Religionen, der Nationen, der Kasten, würde nicht nur, wie China eine Beute rivalisierender Generale, die ständige Bürgerkriege hervorrufen, sondern ein Schauplatz endloser Religionskriege, Sprachenkämpfe , Kastenempörungen . Um den verschiedenen Teilen der Bevölkerung eines Landes das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit zu verleihen und dadurch den Zusammenhalt des Landes so innig zu gestalten , daß dazu jede bewaffnete Macht überflüssig wird, bedarf es eines gemeinsamen Parlaments , an dessen Erwählung alle Landesteile, alle Klassen teilnehmen. Es waren die Nationalversammlungen der französischen Revolution, die den vorher in Frankreich so starken Partikularismus seiner Provinzen überwanden. Mit Recht erkannte später Bismarck im Reichstag des allgemeinen Wahlrechts das richtige Mittel , für das Deutsche Reich das gleiche zu erzielen. China wird nicht ein ruhiger, geordneter Einheitsstaat werden können ohne ein alle Reichsteile umfassendes kräftiges Parlament. Das indische Parlament, so unvollkommen es noch ist, bildet doch einen der wichtigsten Keime für ein künftiges freies Indien, mag das ein Dominium des britischen Reichs darstellen oder ein souveränes Staatswesen. An dieser Entwicklung aktuell, aber auch verständnisvoll teilzunehmen und sie in möglichst friedliche Bahnen zu lenken , das wird eine der wichtigsten Aufgaben der Demokratie in den Staaten

Übervölkerung und Entvölkerung europäischen Gepräges begriffen.

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die amerikanischen und australischen in-

e) Demokratie und Eroberung. Können aber nicht aus den Bedürfnissen der arbeitenden Klassen ebenso Kriegsursachen hervorgehen, wie aus den Bedürfnissen ausbeutender Klassen und ihrer Parasiten und Anwälte ? Kann nicht ein solcher Fall eintreten, daß in einer Demokratie, ja sogar in einem sozialistischen Gemeinwesen ebenso wie in einem von Ausbeutern regierten der Anlaß zu einem Kriege auftaucht ? Als solche Anlässe werden uns genannt Übervölkerung sowie die Beschränkung der Vorkommen unentbehrlicher Güter auf bestimmte Gebiete . Kein Zweifel, es gibt sehr dicht bevölkerte Gegenden und daneben weit dünner besiedelte . Aber soll das den dichter bevölkerten Staaten ein Anrecht darauf verleihen , über die an Volkszahl zurückgebliebenen Gebiete herzufallen und deren Besiedler zu töten oder ihrer Lebensgrundlagen zu berauben , um diese selbst an sich zu reißen ? Die ganze Argumentation des ,,berechtigten Expansionsstrebens" leidet an kläglichster Inkonsequenz . Nicht jedem dicht bevölkerten Staat wird jenes Recht auf ,,Expansion ", das heißt, Eroberung, zugesprochen , sondern nur den gut gerüsteten Staaten . Japan soll ein Anrecht auf die Mandschurei haben , weil seine Volkszahl übermächtig angewachsen ist . Aber noch mehr angewachsen ist die Volkszahl des eigentlichen China, und doch wird dessen Gebiet von den Japanern um die dünner bevölkerte Mandschurei verkleinert. Und gerade unter den Staatsmännern , die das berechtigte Expansionstreben ihres Gemeinwesens hervorheben, gibt es solche, denen die Bevölkerung des eigenen Landes viel zu langsam zunimmt und die mit allen Mitteln trachten , die Zahl der Geburten zu steigern, also die so beklagte Übervölkerung zu vermehren . Sie zeigen sich gleichzeitig durch die Gefahren der Übervölkerung und die der Entvölkerung beunruhigt. Sicher eine arge Inkonsequenz , doch liegt ihr sehr konsequentes Denken zugrunde, wenn man hinter den Redensarten auf den Grund der Dinge sieht . Staatsmänner, die einen kriegerischen Erfolg, also auch einen Krieg wollen, bedürfen einerseits zahlreichen Kanonenfutters, anderseits eines demokratisch aussehenden Kriegsvorwands. Also müssen sie zur Volksvermehrung antreiben und aus Sorge für das Wohlergehen der vermehrten Volksmenge nach neuen Siedlungsgebieten verlangen. Es schiert sie wenig, daß die Notlage der Welt heute nicht die Folge einer Übervölkerung ist , das heißt eines Mangels an Kulturboden in den angeblich übervölkerten Staaten. Die Notlage der Landwirte rührt nicht daher, daß sie zu wenig produzieren , und die der Industrie auch nicht daher, daß der Bodenertrag immer ge-

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Deutsche Expansion

ringer wird. Die Erwerbung neuen Kulturbodens wird ihnen da wenig helfen . In der Tat exportieren seit Jahrzehnten jene Staaten , die Kolonien neu erwerben , nach diesen fast gar nicht Bauern oder Lohnarbeiter des eigenen Landes, sondern überwiegend Soldaten und Beamte sowie profithungrige Kapitalisten und deren Diener. Das gilt von Japan, von Italien ; es galt von Deutschland , das ebenfalls angeblich der Rückgabe seiner Kolonien dringend bedarf. In den deutschen Kolonien lebte unmittelbar vor Kriegsaus-

bruch eine einheimische Bevölkerung von rund 13 Millionen Menschen. Dagegen betrug die Zahl der Deutschen, die dort wohnten , ganze 20.000. Natürlich haben England und Frankreich auf die deutschen Kolonien kein größeres Anrecht, als das Deutsche Reich . Aber die Begründung der Notwendigkeit der Rückgabe seiner Kolonien mit dem Expansionsbedürfnis seiner Bevölkerung ist Schwindel. Dieses Bedürfnis soll denn auch für die Deutschen noch mehr das ,, Reiten" nach dem nahen Osten notwendig machen, als das Segeln nach dem fernen Süden . Aber in den Gebieten , die im Osten an Deutschland grenzen, lebt bereits eine zahlreiche Bauernbevölkerung. Will man die ausrotten ? Nein, so blutdürstig sind in diesem Falle die braunen Konquistadoren nicht. Sie erinnern sich bloß der schönen Zeiten, da noch in den Ostseeprovinzen des weißen Zaren die baltischen Barone der einheimischen Bevölkerung den Fuß auf den Nacken setzten . Nicht deutsche Bauern sollen dorthin exportiert werden, sondern Junker, damit diese nunmehr ihr Geschäft der Knechtung und der Ausbeutung unter der Patronanz nicht eines weißen, sondern eines braunen Zaren von neuem betreiben. Die Begründung der Kolonialpolitik oder der Eroberungspolitik überhaupt eines Staates mit den Bedürfnissen seiner arbeitenden Klassen ist nichts als eine demagogische Redensart ohne jeglichen realen Gehalt. Eine wirkliche Demokratie wird keine Expansionsbestrebungen kennen , keinen Krieg um ihret willen entfesseln . Das heißt, keine Demokratie wird so handeln , in der nicht bloß demokratische Verfassungsbestimmungen bestehen , sondern auch die arbeitende Bevölkerung intelligent und geschult genug ist, die Interessen des Staates und die eigenen im Staat selbständig zu erkennen und dieser Erkenntnis entsprechend ihr politisches Tun einzurichten. Wohl gibt es auf dem Erdenrund noch zahlreiche Gebiete, die eine zahlreichere Bevölkerung brauchen , als in ihnen gegenwärtig wohnt und die einer gewissen Anzahl von Einwanderern eine bessere Existenz in Aussicht stellen , als ihre jetzige in der Heimat . Doch alle diese Gebiete kommen für die Kolonialpolitik von heute nicht in Frage. Sie liegen in Staaten , die bereits souverän sind und gefahrlos nicht angegriffen werden können . So in Amerika, in Südafrika, in Australien ,

I

Liberalismus und Sozialismus 665 Was die Menschheit braucht, ist nicht eine Ära der EroberunWi ed er Aut belebung der Freizügigarkie , sondern der gen und der keit , wie sie bis zum Weltkrieg mit wenigen Ausnahmen bestand , und des Freihandels . Alle Ökonomen , die ernst zu nehmen sind, haben die Notwendigkeit dieser Einrichtungen ebenso erkannt, wie die der Gewerbefreiheit . Nicht theoretische Erwägungen haben diese Forderungen des Liberalismus überwunden , sondern das Aufkommen von Mächten im Schoße des Hochkapitalismus , die stark genug wurden, die Staatsgewalt zu beherrschen und mit ihrer Hilfe für sich auf Kosten der Gesamtheit Monopole und Privilegien herauszuschlagen. Man liebt es heute, vom Liberalismus und seiner Ökonomie wegwerfend zu sprechen, und doch ist deren Theorie , die Quesnay, Adam Smith und Ricardo begründeten , in keiner Weise überwunden . Karl Marx selbst hat sie im Grunde anerkannt und weiter entwickelt . Marx hat nie bestritten, daß die liberalen Freiheiten der Warenproduktion für die Entwicklung der Warenproduktion den besten Boden bilden . Er unterschied sich von den Klassikern der bürgerlichen Ökonomie allerdings dadurch, daß sie die Warenproduktion von Privatproduzenten für die einzigmögliche Form der Produktion hielten. Er dagegen erkannte , daß die höchste Form der Warenproduktion , durch ihre eigene Entwicklung Bedingungen für eine ihr überlegene Form der Produktion schaffe , die der gesellschaftlichen Produktion, in der die Gesellschaft , identisch mit der Gesamtheit der Arbeiter, über die heute im kapitalistischen Privateigentum befindlichen Produktionsmittel verfügt und sie nicht zu Zwecken des Profits, sondern zur Deckung des Bedarfs der Gesellschaft anwendet . Diese , die sozialistische Produktionsweise unterliegt eigenen Gesetzen, die in vielem von den Gesetzen der Warenproduktion abweichen. Aber wo und solange die Warenproduktion besteht , wird sie am besten gedeihen , wenn in ihr die eigentümlichen Gesetze beachtet werden, die bereits in der Ära des aufkommenden Liberalismus entdeckt wurden . Und auch sozialistische Produktion wird um so besser gedeihen , je mehr die Absperrung der Völker voneinander fällt, die Menschen mit ihren Waren und Ideen frei miteinander verkehren können. Je mehr das der Fall, desto gegenstandsloser wird jedes Expansionsstreben eines einzelnen Staates werden , desto weniger wird ein solches in seinen arbeitenden Klassen aufkommen,

Wie steht es aber mit dem natürlichen Monopol , das mancher Staat als Fund- oder Produktionsstätte von Rohmaterialien oder Kräften besitzt, die für die ganze Welt , wenigstens für die zivilisierte, unerläßlich sind, aber nur an wenigen, begrenzten Stellen der Erde gefunden und hervorgebracht werden ? Das wichtigste derartige Material ist heute wohl das Petroleum , dann das Kupfer .

666

Sozialisierung

Es ist wichtiger noch als Gold. Die Produktion von Kautschuk bildet ebenfalls bisher noch ein auf wenige Gebiete beschränktes Monopol . Kohle und Eisen sind wohl viel unentbehrlicher für den Produktionsprozeß als die oben genannten Materialien, doch ihre Fundorte zahlreich und weit über die Erdoberfläche verbreitet. Die Staaten, die natürliche Monopole besitzen, können durch diese Stellung eine Art Ausbeutung über die andern Staaten üben - auch bei allgemeiner Verbreitung der Staatswirtschaft. Daraus könnten auch in einer sozialistischen Gesellschaft internationale Gegensätze und Konflikte hervorgehen . Das würde jedoch nur daher rühren , daß der Grundsatz des Sozialismus nicht weit genug durchgeführt ist, der für alle gesellschaftliche Produktion gesellschaftliches Eigentum an Stelle des privaten setzen will. Die vulgäre Auffassung des Sozialismus betrachtete ihn als Aufhebung des Privateigentums und dessen Ersetzung durch Gemeineigentum. In Wirklichkeit liegt die Sache nicht so einfach , denn es gibt sehr verschiedene Arten von Privateigentum und ebenso verschiedene Art von Gemeineigentum. Außerdem sind zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen auch sehr verschiedene Arten von Eigentum am Platze. Was die moderne sozialistische Bewegung anstrebt, ist nicht die Aufhebung jeglichen Privateigentums. Vor allem nicht die des Eigentums an den Mitteln persönlichen Konsums. Aber auch nicht jeglichen Privateigentums an Produktionsmitteln . Die sozialistische Bewegung geht hervor aus der für die Masse der Bevölkerung immer unerträglicher werdenden kapitalistischen Ausbeutung, Ausbeutung der Lohnarbeiter einerseits, der Masse der Konsumenten anderseits durch das Monopol an Produktionsmitteln , das die Kapitalisten, hier inbegriffen die Großgrundbesitzer, durch das Privateigentum an den großen Produktionsmitteln besitzen. Diese Monopolstellung dadurch aufzuheben , daß das Privateigentum an den Monopolen beseitigt wird durch deren Übergang in gesellschaftliches Eigentum, das ist das wichtigste Ziel des Sozialismus . Vergesellschaftlichung der großen Monopole, das ist also eine der wichtigsten Aufgaben der ökonomischen Entwicklung unserer Zeit - aber auch ihrer politischen Entwicklung. Denn der Staatsgewalt fällt bei der Lösung dieser Aufgabe die entscheidende Rolle zu das haben Marx und Engels schon früh erkannt. Diesen Satz hat leider eine simplistische Auffassung in der Weise gedeutet, als müßten alle Produktionsmittel und ebenso die Leitung der ganzen Produktion verstaatlicht werden . Nichts irriger als das . Engels selbst hat sich wiederholt gegen diese Auffassung gewendet. Er ebenso wie Marx haben nie die Verstaatlichung aller Produktionsmittel verlangt . Von vornherein nicht die der Kleinbetriebe, aber auch für die Großbetriebe sprachen sie stets nur von ihrer Vergesellschaftlichung, ihrem Gemeinbesitz , nicht ihrer Verstaatlichung.

Gemeineigentum und Völkerbund 667 Dementsprechend habe ich auch schon vor mehr als einem Menschenalter ( 1902) in meinem Büchlein über die soziale RevoVergesellschaftlichung ode r ( lution untersucht , welche Formen die Soz ial sch isierung) der Produktionswer weniger fällig gesagt : die mittel annehmen kann. Ich fand drei solcher Formen : Übergang in genossenschaftliches, in kommunales, in staatliches Eigentum.

Jetzt aber zeigt es sich, daß diese drei Formen nicht ausreichen , den kapitalistischen Produktionsprozeß in einen gesellschaftlichen zu verwandeln. Eine Gesellschaft wird gebildet durch die Gesamtheit der Personen , die zur Erreichung gemeinsamer Zwecke ständig miteinander oder doch für einander tätig sind . Je mehr der Weltverkehr zunimmt, die Weltwirtschaft die ursprüngliche Autarkie der einzelnen Gemeinwesen ersetzt , desto mehr ersteht über allen einzelnen gesellschaftlichen Gebilden die allgemeine menschliche Gesellschaft , ,, die" Gesellschaft als solche . Seitdem es einen ständigen Verkehr zwischen den Staaten gibt, also seit Jahrtausenden, gibt es eine menschliche Gesellschaft , die über den Staaten. steht und in deren Leben bestimmend eingreift . Doch bis vor wenigen Jahren entbehrte die menschliche Gesellschaft einer Organisation . Der Staat bildete bisher die kräftigste und umfassendste Form einer gesellschaftlichen Organisation . Da konnte auch die Forderung der Sozialisierung der kapitalistischen Produktionsmittel für die größten unter ihnen nur die Form der Verstaatlichung finden. Seit dem Weltkrieg haben wir jedoch eine Organisation , die nicht bloß über den Bereich der Einzelstaaten hinausgreift . Derartige hatten wir schon früher, die gewaltigste unter ihnen die katholische Kirche , die jüngste unter ihnen die sozialistische Internationale . Aber keine von ihnen wurde stark genug , die Souveränität der einzelnen Staaten zu beschränken . Auch der päpstlichen Kirche ist es nicht gelungen , Kriege zwischen katholischen Staaten zu verhindern . Erst mit dem Völkerbund ist eine internationale Organisation geschaffen worden mit ausdrücklichen Bestimmungen , die eine Beschränkung der Souveränität der einzelnen Staaten erheischen , eine nicht bloß interstaatliche, sondern auch überstaatliche Organisation . Bleibt der Völkerbund seiner Bestimmung treu und wird ihm die zu ihrer Erfüllung notwendige Kraft zuteil , dann gehört unzweifelhaft zu seinen Aufgaben auch die , den ausschließlichen Besitz mancher Staaten an Produktionsstätten lebensnotwendiger Güter und Kräfte in den Besitz der gesamten Menschheit überzuführen . Das heißt , der Völkerbund soll selbst diese Stätten in Besitz nehmen und im Gemeininteresse verwalten .

Das beginnt man heute selbst von bürgerlicher Seite zu begreifen, doch bedenkt man dabei nicht , daß dies Ziel unter dem . Fortbestehen des Privateigentums an den betreffenden Produktionsmitteln - Grund und Boden inbegriffen nicht erreichbar ist -

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Internationales Eigentum

und daß deren Verwaltung nur ein Glied in der Kette allgemeiner Sozialisierung sein kann . Bisher betrachteten wir als die Formen ihrer Durchführung nur die der Vergenossenschaftlichung, der Kommunalisierung, der Verstaatlichung - das heißt, auf demokratischer Grundlage. Die Übernahme einer Brotfabrik durch eine Gemeinde ist keine sozialistische Maßregel, wenn etwa das Wahlrecht zur Gemeindevertretung aristokratisch eingerichtet ist, z. B. nur den Hausbesitzern zusteht. Ebensowenig ist der Betrieb einer Fabrik durch eine Konsumgenossenschaft ein Schritt zum Sozialismus, wenn der Vorstand der Genossenschaft nicht von den Mitgliedern erwählt, sondern von einer staatlichen Obrigkeit eingesetzt wird. Und Bismarck bezeugte durch seine Verstaatlichung preußischer Eisenbahnen keineswegs sozialistischen Geist. Sie fiel in denselben Zeitraum wie sein Sozialistengesetz . Zu der Vergenossenschaftlichung, der Kommunalisierung, der Verstaatlichung kommt jetzt als vierte notwendige Form der Sozialisierung die der Internationalisierung bestimmter Produktionsstätten und Betriebe. Hier brauchen wir die Vorbedingung demokratischer Verfassung nicht besonders zu betonen, denn der Völkerbund wird entweder demokratisch sein oder er wird nicht sein. Behauptet er sich, dann wird er notwendigerweise dazu schreiten müssen, die höchstmögliche Form des Gemeineigentums an Produktionsmitteln zu verwirklichen, die der Erhebung der gesamten organisierten Menschheit zu ihrem Eigentümer. Der Völkerbund wird damit das letzte Moment beseitigen, das selbst zwischen sozialistischen Staaten noch einen Antrieb zu Konflikten und Kriegen bilden könnte. Der ewige Friede wäre gesichert.

f) Demokratie und Diktatur. Wird aber der Völkerbund sich behaupten ? Wird er, statt ständigen Frieden zu bringen, nicht selbst ein Opfer der Stürme unserer Zeit werden? Der enge Zusammenhang zwischen Völkerbund und Demokratie steht außer Zweifel . Nur demokratische Staaten verstehen sich

zu jener Einschränkung ihrer Souveränität, die das erfolgreiche Wirken des Völkerbundes für sie bedeutet. Eine absolute, militaristische Monarchie oder gar eine Diktatur können sich zeitweise mit dem Völkerbund anfreunden , wenn sie hoffen, ihn für ihre Zwecke benutzen zu können . Ihm unterordnen werden sie sich nie. Der Völkerbund war, wie schon bemerkt, unmöglich, solange die militaristischen Monarchien in Europa überwogen. Die Möglichkeit seiner Durchführung erstand erst 1918, als die militaristischen Monarchien Europas zusammengebrochen waren und selbst die japanische Monarchie sich genötigt fand , der Demokratie Konzessionen zu machen . Wohl hatten in Rußland die Bolschewiks

Völkerbund und Diktatur

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schon im November 1917 die im März desselben Jahres errungene Demokratie wieder beseitigt und durch ihre Diktatur ersetzt . Doch waren sie anfangs selbst davon überzeugt, daß die Demokratie der normale Zustand ihres Staatswesens zu sein habe und die Diktatur nur einen vorübergehenden Notbehelf in der Zeit des Bürgerkriegs darstellen werde. Es ist anders gekommen. Die Diktatur herrscht in Rußland schon bald zwei Jahrzehnte lang, und sie macht keine Miene, der Demokratie zu weichen. Statt dessen fand die rote Diktatur bald Nachahmer, die sich nach ihrem Vorbild formten, ihre Methoden anwendeten, wenn auch mit anderer Färbung. In Italien kam schon 1922 die Diktatur der Schwarzhemden auf. Ihr folgte ein Jahrzehnt später ( 1933 ) die der Braunhemden im Deutschen Reich. In dem gleichen Zeitraum hatte sich auch in vielen ihrer Nachbarstaaten die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und ihre Ersetzung durch eine Diktatur in mehr oder weniger verschämter Weise vollzogen . Wird dieser Prozeß nicht weitergehen, wird er nicht ganz Europa, ja vielleicht die ganze Welt ergreifen ? Was wird dann aus dem Völkerbund ? Wäre das Fortschreiten der Diktaturen unaufhaltsam, gehört ihnen die Zukunft, dann würde sicher der Völkerbund unhaltbar oder ein ebenso blutleeres Gebilde, wie heute etwa der deutsche Reichstag. Aber dann würde noch mehr zugrunde gehen, als bloß der Völkerbund . Dann würde in einer Ära allgemeiner Kriege und wissenschaftlichen wie wirtschaftlichen Bankrotts die ganze Zivilisation untergehen, und die Entwicklung der Kulturstaaten eine Richtung einschlagen, die etwa der Entwicklung Griechenlands gleichkäme, wo dem Hellas der perikleischen Zeit in fortgesetztem Niedergang schließlich die türkische Barbarei folgte. Nur würde sich jetzt in Jahren vollziehen, was damals Jahrhunderte brauchte. Doch haben wir keine Ursache so schwarz zu sehen . Im Gegenteil, das Fortschreiten der Diktaturen scheint bereits Grenzen zu finden , die sie nicht zu übersteigen vermögen , an denen sie erlahmen, vor denen sie den Rückzug antreten müssen . Die heutige Situation Europas läßt sich in mancher Beziehung vergleichen mit derjenigen am Ende der Reformationsbewegung . Wie das demokratische Denken im Jahre 1918 fast ganz Europa in irgendeiner Form erfaßte, so drang in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts das protestantische Denken in fast alle Teile des zivilisierten Europa ein , sogar nach Italien und Spanien . Dieser Revolution folgte wie jeder derartigen Bewegung eine Gegenrevolution, die Gegenreformation seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die päpstliche Kirche war durch den Jesuitenorden modernisiert und gekräftigt worden . Sie verband sich mit dem aufkommenden fürstlichen Absolutismus, namentlich der Habsburger in Spanien und Österreich, der Bourbonen in Frankreich . So ge-

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Teilung Europas

lang es ihr, die Reformationsbewegung wieder zurückzudrängen . Jedoch nicht vollständig. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts kam der Kampf der Gegenreformation mit der Reformation zum Stillstand. Der Zustand, der von nun an ein dauernder wurde, teilte Europa in zwei Hälften, eine protestantische und eine römischkatholische-byzantinische , deren Begrenzung ungefähr , mit einigen Ausnahmen, der heutigen Teilung Europas in eine diktatorische und eine demokratische Hälfte entspricht . Rußland nahm damals wie heute eine besondere Stellung ein. Es blieb der Kirchenreform ebenso fern, wie dem Katholizismus, hatte eine Religion für sich , eine Fortbildung des orthodox-byzantinischen Christentums. Zu einer andern Sonderstellung kam im Westen Europas Frankreich , das trotz seiner zahlreichen protestantischen Bevölkerung nach langen inneren Kriegen schließlich , seit 1685 , so gut wie ausschließlich katholisch wurde , dessen Denken aber im 18. Jahrhundert , gleich, unter Überspringung jedes Protestantismus, zu vollständiger Religionslosigkeit, zur Freigeisterei gelangte. Es geschah dies unter dem Einfluß seiner protestantischen Nachbarn , England und Holland, die früh zu weitgehender religiöser Toleranz und wissenschaftlicher Freiheit gelangten . Noch eines Landes ist zu gedenken , das in der Reformationsbewegung zu einem eigenartigen Schicksal kam : Böhmens. Die Tschechen waren die erste Nation , die sich von der römischen Kirche losriß , schon 1419. Ihr Land wurde dann eine Insel religiöser Toleranz im katholischen Ozean, für zwei Jahrhunderte , bis 1620, wo in der Schlacht am Weißen Berge bei Prag die Habsburger siegten und die böhmischen Lande der jesuitischen Gegenreformation auslieferten . Auch heute wieder bildet die Tschechoslowakei eine politische Insel , diesmal der Demokratie, inmitten einer Flut von Diktaturen. Hoffentlich bleibt ihr eine Erneuerung der Schlacht am Weißen Berg erspart. Die Teilung Europas in eine römisch-byzantinische und eine protestantische Hälfte hat sich bis heute erhalten, doch hat der religiöse Gegensatz schon seit langem aufgehört, ein politischer Faktor zu sein. Bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts , während des dreißigjährigen Kriegs verbündete sich der katholische König von Frankreich mit den protestantischen Schweden gegen den katholischen Habsburger. Und zu Beginn des 18. Jahrhunderts verbündete sich der katholische Habsburger mit den protestantischen Engländern gegen den katholischen Bourbonen. Die Ära der Religionskriege war vorbei. Aber die Teilung Europas, die in der Reformationszeit vor sich ging, wirkte nach, nur stimmte sie später doch nicht mehr völlig mit der der Konfessionen überein . Europa zerfiel auch weiterhin in zwei Gebiete, in eines geistiger Freiheit und regen Forschens und in eines , in dem geistige Trägheit oder Lähmung vorherrschte. In dem

Diktatur und Kriegsgefahr

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einen Teil Europas finden wir eine stetige Zunahme von Reichtum und Macht der Staaten, in dem andern deren Stagnation und Verfall . Auf die Dauer erweist sich das System der Freiheit des Forschens, des Propagierens und Organisierens, des Handelns überall als das überlegene . Die Demokratie macht seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ununterbrochen Fortschritte, von der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten Amerikas und der großen Revolution Frankreichs an bis zum Abschluß des Weltkrieges. Erst dessen Fortsetzung mit angeblich friedlichen Mitteln schuf die Bedingungen für ein neuerliches Zurückwerfen der Demokratie in vielen Ländern. Aber dem impulsiven Charakter der modernen technischen . Entwicklung entsprechend hat sich dieser Niedergang der Demokratie weit rascher und sprunghafter vollzogen als etwa die Durchsetzung der Gegenreformation , die ein Jahrhundert in Anspruch . nahm von der Mitte des 16. bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. Da dürfen wir erwarten, daß auch die jetzt eingetretene Zweiteilung Europas in eine demokratische und eine „,autoritäre" Hälfte nur vorübergehender Natur sein wird. Sollte sie aber längere Dauer erreichen , so müßte die Folge dieselbe sein, wie die der Teilung Europas in eine protestantische und eine katholische Hälfte. Die eine Hälfte würde gedeihen , die andere stagnieren und verkommen. Das hätte auch für jene Frage Bedeutung, die uns vornehmlich hier beschäftigt, die des Krieges. Kein Zweifel, ein militaristischer Absolutismus, ob die Diktatur einer Persönlichkeit oder einer Familie, einer Erbmonarchie , bringt stets große Kriegsgefahr mit sich . Schon deswegen, weil die Träger der Staatsgewalt in diesem Falle abhängig sind vom Offizierskorps, das sie ständig beschäftigen , dem sie immer wieder die Möglichkeit bieten müssen , Beute zu machen oder zu avancieren. Ein Absolutismus dieser Art beruht bloß auf roher Gewalt, geht darauf aus, jeden Widerstand , auf den er stößt , in der äußeren Politik wie in der inneren , mit Gewaltanwendung zu brechen . Jeden Versuch einer Beschränkung seiner Allmacht, auch die durch einen Völkerbund oder ein Schiedsgericht, weist ein Diktator entrüstet als eine entehrende Zumutung zurück. Das ergibt eine ungeheure Gefahr für den Weltfrieden und für die internationale Demokratie, seitdem die Diktaturen soweit gekommen sind, sich der Hälfte Europas zu bemächtigen . Die Gefahr würde wahrhaft erschreckend , wenn die diktatorische Hälfte sich gegen die demokratische vereinigte. Zum Glück ist das nicht zu fürchten. Denn Diktaturen und absolute Monarchien haben die Neigung, einander mehr zu mißtrauen, miteinander in schärfere Konflikte zu geraten, als die naturgemäß friedliebenden Demokratien untereinander. Die Demokratien kommen leicht dazu , sich zur Erhaltung des Friedens und der Freiheit zu vereinigen. Der Völkerbund ist das zweckmäßigste Mittel dazu.

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Bekämpfung der Kriegsgefahr

Dieser bildet die Möglichkeit, sämtliche demokratische Staaten gegen einen eventuellen diktatorischen Friedensbrecher zu vereinigen und dem Bund auch solche nicht demokratische Staaten hinzuzugesellen, die, aus welchem Grunde immer, an der Erhaltung des Friedens interessiert sind. Dadurch kann der Friedensbrecher in einer Weise isoliert und von der Weltwirtschaft ausgeschlossen werden, daß ihm alle Kriegslust vergeht. Das ist ein weit wirksameres Mittel , den Krieg zu verhindern, als es ehedem die Allianzen und Vereinbarungen (Ententen ) waren, durch die Europas Großmächte in zwei, ungefähr gleich starke, feindliche Lager geteilt wurden. Die Idee des europäischen Gleichgewichts konnte den Weltfrieden nicht sichern , war manchmal eher geeignet, ihn zu gefährden. Sie ist zu ersetzen durch die Idee des Übergewichts der am Weltfrieden und der Macht des Völkerbundes interessierten Staaten über die aggressiven, eroberungslustigen Regierungen . Damit erhält auch das Wettrüsten einen besseren Sinn, als es vor dem Weltkriege hatte . Heute wie damals muß es schließlich dazu führen, daß den ökonomisch rückständigen Staaten der Atem früher ausgeht, als den ökonomisch leistungsfähigeren. Doch vor dem Weltkrieg brachte das die Gefahr mit sich, daß diejenigen, die glaubten nicht mehr lange weiter rüsten zu können , einen Streit vom Zaun brachen, um in einem Kriege die Abrüstung der Gegner zu erzwingen. Außerdem aber ging das Wettrüsten natürlich nicht überall gleichmäßig vor sich. Bald war der eine, bald der andere Teil besser bewaffnet, indes natürlich nur für kurze Zeit. Das ergab die Gefahr, daß einmal ein augenblicklich besser bewaffneter Staat losschlug, um den ohnehin unvermeidlichen Krieg gerade in dem Moment beginnen zu können, in dem man dem Gegner überlegen war. Heute wird sich eine Diktatur, bei richtigem Verhalten des Völkerbundes, wenn sie einen Krieg in Europa beginnen will , stets einer Überzahl von Staaten gegenüber sehen, die so groß ist, daß selbst ein etwaiger Vorsprung in der Waffenrüstung der Friedensstörer dagegen nicht aufkommt und dieser es gar nicht wagt, an die Waffen zu appellieren . Da muß das schließliche Erlahmen der diktatorischen Staaten und ihr ökonomisches Zurückbleiben hinter den geistig regsamen demokratischen Staaten ganz anders wirken, als es vor dem Weltkrieg getan hätte . Das Wettrüsten führt nicht mehr zum Krieg, sondern nur zu zunehmender finanzieller Bedrängnis der Diktaturen . Sie ist heute schon in Deutschland, Italien , Japan gewaltig. Sie dürfte am ehesten die Ursache werden, die den Zusammenbruch der Diktaturen herbeiführt. Deren Fortschritte seit 1918 bis vor kurzem erschweren wohl das Wirken des Völkerbundes, gefährden den Frieden, sie erheischen die höchste Aufbietung aller geistigen und materiellen Kräfte der Friedensfreunde überall, aber sie machen es nicht aussichtslos, den Weltfrieden zu erhalten. Und aus der Arbeit für den Weltfrie-

Die Friedensinternationale

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den wird ein neuer Aufschwung der Demokratie und ein neues Fortschreiten der arbeitenden Klassen hervorgehen. Dem Kampf für den Frieden werden wir allerdings nicht eine klare Aufgabe setzen durch die Parole : Krieg dem Krieg. Diese Parole macht gar keine Unterschiede zwischen den Kriegführenden. Sie will bloß die Kriegführung als solche unterbinden , läßt dagegen die Kriegsursachen gänzlich außer Acht. Nicht Krieg dem Kriege, sondern Bekämpfung jener Faktoren die den Frieden brechen , den Krieg herbeiführen , die Herabdrükkung der Friedensstörer zu politicher Ohnmacht, das ist es, was wir uns zum Ziele zu setzen haben , wir, das heißt, die Sozialisten aller Länder, die sozialistische Friedensinternationale. Es gibt Marxisten , die glauben , das Wort vom Klassenkampf stelle eine Zauberformel dar, die alle Probleme der Menschheit löse. Dieses Wort oder vielmehr, die Gedankenwelt, der es entsprang, bedeutet sicher eine ungeheure Bereicherung unserer politischen und historischen Erkenntnis. Aber weder Marx noch Engels nahmen je an, daß es in der Menschheit keine andern Interessen gebe , als Klasseninteressen, wie sie ja auch mit ihrer materialistischen , oder, wie manche glauben verbessernd sagen zu müssen , ökonomischen Geschichtsauffassung nicht sagen wollten , daß die Menschen nur von ökonomischen Interessen bewegt würden. Am allerwenigsten wollten sie mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Klassenkämpfe in der menschheitlichen Entwicklung den Proletariern den Rat erteilen, sich in der Gesellschaft zu isolieren und auf die Wahrung ihrer Klasseninteressen zu beschränken. Im Proletariat haben wir sicher die große , gestaltende Kraft der Zukunftsgesellschaft zu sehen . Aber es wird sie nur insofern sein, als ihm nichts menschliches fremd bleibt . Als unterste Klasse der Gesellschaft, die zum Licht strebt, kann es nicht emporkommen, ohne für alle Fragen Interesse zu gewinnen, die die heutige Gesellschaft bewegen ; nicht emporkommen, ohne an sie alle frei von jenen Traditionen und Vorurteilen heranzutreten, mit denen für die bisherigen Kulturträger die überkommenen sozialen Erscheinungen beschwert sind. Dadurch ist es dem Proletariat beschieden, daß es im Verlauf seiner Klassenkämpfe immer mehr zum Vorkämpfer wird für eine Erneuerung der Menschheit, an der in steigendem Grade auch nicht proletarische Schichten der Gesellschaft ein dringendes, brennendes Interesse haben. Das bedeutet nicht etwa einen Verrat an der Idee des Klassenkampfes. Diese Erkenntnis habe ich schon ausgesprochen zu einer Zeit, wo es noch keinen Bolschewismus gab, z. B. in der Artikelserie der ,,Neuen Zeit" über ,,Klasseninteresse, Sonderinteresse, Gemeininteresse" ( 1903 , XXI , 2) , wo ich zu dem Ergebnis kam , der proletarische Klassenkampf lehne die Solidarität der Klass en ab, erkenne aber die Solidarität der Menschen an. ( S. 274.) 43

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Der Weltfriede

Nicht das Mittel der Diktatur, das heißt, der gewaltsamen Unterdrückung einer wehrlosen Mehrheit durch eine bewaffnete Minderheit, auch nicht die Diktatur des Proletariats wird die Masse der Menschen zu höheren Lebensformen emporführen, sondern nur ihre freiwillig anerkannte Führung durch die proletarische Demokratie, das heißt, durch das zum Bewußtsein seiner gesellschaftlichen Aufgaben gelangte, geschulte und frei organisierte Proletariat. Es zu dieser Führung fähig zu machen, ist die unerläßliche Forderung aller, die am Aufstieg der Menschheit mitarbeiten wollen. Unter den Aufgaben , die dabei die soziale Entwicklung unserer Tage aufwirft und die über das Bereich des reinen Klassenkampfes weit hinausgehen, ja mehr als je fast alle Menschen aller Klassen aufs tiefste interessieren, ist die Erhaltung des Weltfriedens die wichtigste geworden. Fast alle Menschen dürsten heute nach dem Frieden, verabscheuen den Krieg. Nur noch wenige Gewalthaber bedrohen den Friedenszustand . Aber es sind dieselben Gewalthaber, die alle proletarische Freiheit, jeden proletarischen Aufstieg bedrohen und deren größter Feind das nach ungehemmter Entfaltung seiner Kräfte strebende Proletariat ist. Und darum fällt dem internationalen Proletariat und seiner Organisation, der sozialistischen Internationale, die Aufgabe zu, den Kampf um den Frieden so intensiv und mit solcher geistiger Überlegenheit zu führen, daß es dabei zum Führer der Menschheit wird. Dieser Kampf um den Frieden wird gleichzeitig ein Kampf um die Freiheit in allen Staaten sein müssen, ein Kampf um internationale Demokratie.

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Register

Vorbemerku

ng

Bezeichnungen von Schulen sind unter dem Namen des Meisters zu finden, so z. B. Marxismus oder Marxisten unter Marx , Bakunisten unter Bakunin, Blanquismus unter Blanqui. Im Sachregister sind die Einzelheiten über den Verlauf der verschiedenen Revolutionen unter dem Namen des Landes zu suchen, z. B. die über die russische Revolution von 1905 unter Rußland, während unter Revolution die allgemeinen Fragen zu finden sind. Die Stellung der sozialistischen Parteien zum Weltkrieg ist unter dem Stichwort ,, Sozialdemokratie" zusammengefaßt ; unter diesem ist vor allem die politische Betätigung der sozialistischen Parteien zu finden, während das Stichwort ,.Sozialismus “ mehr die sozialistischen Theorien zusammenfaßt , ohne daß freilich die Trennung genau zu ziehen war. In diesem Zusammenhang wird auch noch auf das Stichwort ,,Internationale" aufmerksam gemacht.

Namensregister Aberdeen 125 Adler Fritz 482, 487 Adler Victor 305 f, 338, 349, 363 f, 372, 482, 487, 564 Ährenthal 352 f, 366 Albarda 562 Albert A. M. 78, 83 Albert Charles 497 Alexander I. v. Russland 240 Alexander II . v. Russland 248 Alexander v. Serbien 368 Alexinski 491 Andrassy 238 Anseele 361 , 501 Appel 369 Arch 506 Asch 55, 58 Asquith 503 f Aulard 379 f Austerlitz 482 Avarna 519 Axelrod 224, 491 , 540 f, 543, 545, 563, 617

Babeuf 42 f, 47, 575 £ Badinguet s. Napoleon III. Bakunin 106 f, 175 f, 214, 219 ff , 269, 6075, 282, 296, 461 , 464, 543, 548, 575 f, 27 Balabanow 541 , 543, 546, 551 ff, 563, 567, 570 ff, 574 f 43*

Ballin 427, 429, 591 Bang 562 Bangya 146 Banton 514 Barbès 84 Battisti 484 f Bauer 114 Bax Belfort 398 , 481 , 495 , 506 ff, 511 Beard Charles A. 626 f Beard Mary 626 Bebel 58 f, 133 , 150 , 159 , 163 f 168 , 170 , 178, 188 ff, 203 , 271 f, 307 ff, 336 ff, 340 ff, 365, 388 , 441 , 443 , 448 ff, 461, 490, 493, 637 Beccaria 16 Becker Bernhard 151 Becker Jean Philipp 175, 182 Beer 125, 516 f, 564 Bellers 15 ff, 19, 21 f, 25 ff, 29, 50, 58, 632 Benedek 161 Beneš 485 n Bentham 15 Berchtold 366 f, 404 f, 407 ff, 419 , 426, 436, 518 f Berg 591 Bernstein 14, 15 n, 135 , 141 , 146 n, 149, 194 n, 195-6 n, 201 n, 234 , 244 f, 247, 250 , , 454 569, f460 , 472 , 474 f, 478, 542 539, f,315

676 Bernstorff 592 Bethmann-Hollweg 404 ff, 412, 414, 417 ff, 424 ff, 441 , 454, 459 f, 471 , 518, 534 f, 593, 595, 600 Bismarck 97, 123, 134, 142, 150 f, 153 ff, 158 ff, 173, 186, 188, 194, 197, 206, 212 f, 227 ff, 233, 242, 244, 246 f, 257, 292, 307 f, 367 f, 375, 382, 386 ff, 392 f, 397, 438, 534, 582, 636, 662, 668 Bissolati 522 ff Blackstone 18 Blanc 551 Blanc Louis 43 ff, 59, 62, 64, 74 f, 77 f, 80, 82 ff, 92, 127, 147, 175 Blanqui 43 f, 47 , 82 ff, 95 f, 172, 185, 206, 210, 212 f, 220, 222, 225, 267, 275, 282, 296, 497 f, 548, 575 Blind 146, 170 Blos 42, 456 Blücher 386 Blum 544 Bonaparte s. Napoleon Bonhorst 194, 203 Bonomi 523 Borgbjerg 562 Borkheim 175, 250 Born 92 Börne 629 Bourderon 500, 544, 546 Boustrapa s. Napoleon III. Brace 513 Bracke 191 ff, 197, 199, 203 Branting 562 Brass 163 Braun 441 Briand 317, 323 Bright 235 f Brissot de Warville 37 Brizon 551 Brosch 369 Brouckère 538 Brüstlein 539 Brutus 616 Bucharin 615 Buchez 92, 149 Buisson 380 Bülow 246 n, 356, 393, 399, 403, 427, 429, 434 f, 518 f, 587 f, 591, 613 Buonarroti 42 f Burns 515 Burrough 12 Burt 236

Cabet 59, 61 , 64, 83, 85 Cabrini 523 Cachin 498 Caligula 383 Calvin 10, 31

Campanella 20 ff, 50, 58, 632 Campbell Bannerman 503 f Caprivi 306 Cato 168, 616 Chaustoff 491 Chiesa 485 Chlumecky 352, 358, 365, 369 Cipriani 524 Clausewitz 385 Clemenceau 618 f, 628 Cluseret 179 f Cohn 569 Coignet 62 f Compère-Morel 370, 498, 533, 535 Conrad v. Hötzendorf 358, 395, 409, 422 Considérant 59 f, 85 Cornelissen 497 Costa 344 Crispi 294 Cromwell 11 , 12, 18 Cunow 115 Czernin 564, 600, 602, 611, 613 Czieskowski 146

Dan 465 f, 488, 491 f, 560 , 568 Danielson 328 n Danneberg 482 D'Annunzio 636 Dante 616 Danton 101 Daszynski 483 David 438, 442, 456 ff Debunne 349 Delbrück 381 , 422, 434 Della Seta 524 De Man H. 445 Diderot 30 Diokletian 274 Disraeli 238 Dittmann 455 Dragomanov 175 Dubreuilh 498 Dugoni 552 Duncker Hermann 157 n Duncker Käte 569 f

Ebert 349, 441, 457, 473, 475, 482 Eccarius 173, 175, 181, 185 Eduard VII, von England 503 Ehrlich 562 Eichhorn 478 Eisner 342 Ellenbogen 482 Enfantin 54 Engels 27, 35, 39, 53, 72, 90 ff, 100 n, 104 ff, 108, 110 ff, 115 f, 122, 124 ff,

677 Gortschakov 242 Goschen 236 Goudart 30 Gradnauer 457 Graham 12 Gramont 185 461, , 483 342, f,437511 , 441 , 443 , 448 506 607f,, 575,, 493 , 537 , , 547 , 529 Grave 497 637, 641 , 646, 658, 666, 673 Grebb 12 Erzberger 613 Grelling 434 Greulich 305 Falkenhayn 427 Grey Charles 18 Faure 544 Grey Edward 412 , 414, 417 , 419 f, 433 , Ferdinand v. Österreich 104 436, 504, Grimm 541 , 543 , 545 f, 552 , 563 Ferry 294 Filzi 485 Grossley 125 Grumbach 539 , 610 Fischel 129, 131 Flocon 84 Grünberg 445 , 541 , 553 Guesde 335 ff, 340 , 370 , 494 , 497 ff, Forgach 359 Forster 236 506 f, 524, 535 , 560, Guilbeaux 544 f, 550 f Fould 147 Fourier 15, 55 ff, 63 f Fournière 46, 54, 56, 64 Haase 371 f, 445 , 447 , 460 , 470 ff , 474 f, Fox Charles James 18 479, 510, 539, 542 , 569 , 572 Fox George 12 Habsburger 4, 6, 7, 8, 24 , 94, 96, 104 , Frank 7 Franz I. von Frankreich 76 134, 143, 163, 166 f, 187 , 216 , 240, 247, Franz Ferdinand 352, 358 , 366 ff, 403 , 254, 351 , 357, 358, 365 , 367 , 380, 399 , 408 414, 449 , 465 , 483 ff , 578 , 591 , 600 , Franz Josef 104, 147, 187, 351 f, 358, 620, 633, 669 f Ha ldane 399 368 f, 404 f, 419 f, 486 , 632 Hales 236 Freud 31 Hänisch 499 Friedjung 359, 361 , 405 Harcourt 236 Friedrich III , von Brandenburg (F. I. Harden 422 v. Preussen) 380 Hardie Keir 347 ff , 354 , 362 , 370 , 508, Friedrich II, von Preussen 30, 151 , 381 , 511 383 f, 386, 602 Friedrich Karl v. Hessen 613 Hartington 236 Has enclever 198 Friedrich Wilhelm I. v. Preussen 380 Hatzfeld Gräfin 154 , 157 , 163 Fritzsche 164, 190 Hauptmann 343-4 n Fry 15 n, 17 Hegel 115, 150 Heidt 178 Gaillard 30 Heine Heinrich 344 n, 629 Gallifet 246 n Heine Wolfgang 443 , 471 Gambetta 209 , 246 n Heinrich IV . von Frankreich 16, 17, Garibaldi 87 f, 148, 161 , 173, 175 , 179, 309 Helphand ( Parvus) 564 220, 632 Henderson 505 , 509 , 513 , 515 f, 565 f Geib 191 f, 197 Gerlach 268 Hervé 338, 341 , 343 f, 494, 497 , 524 Herzen 226 Geyer 473 f Herzfeld 569 f Giesl 411 Gladstone 235 f Hillquit 349 Gneisenau 386 Hindenburg 471 , 564, 620 Goeben 386 Hitler 368 , 436, 577, 638 Hoch 458 Godwin 47 Hödel 234, 367 Goldenberg 562 Hofer 569 Goltz 356 Hoffmann 546 Gorter 439 Hofstetten 159 129 ff, 135 ff, 142 , 145, 148, 150 f, 157 f, 162, 165, 169 f, 173, 175 , 179 ff, 184, 193 ff, 201 f, 206, 211 , 221 f, 230, 238, 240, 243 ff, 250 ff, 257 ff, 265 ff, 279 ff, 287 , 300 , 307 ff, 315 , 328 n,

678 Hohenlohe 246 n Hohenzollern 94, 96, 133 f, 142 f, 151 , 163, 167, 185, 187, 189, 194, 206 f, 216, 254, 366, 380, 383, 385, 417, 436 f, 449, 465, 560, 578, 591, 600, 602, 614, 620, 624, 633 Holbach 30 Holst Roland - s. Roland-Holst Hötzendorf s. Conrad v. Hötzendorf Howell 236 Hoyos 404 Huber 83 f Hugo 175 Hume 30 Hus 4 ff, 8 Hussein 656 Huysmans 445, 501 , 538 f, 562 Hyndman 398, 505 f, 508, 511 f, 524

Irving 512 Ismail Pascha 576 Izwolsky 436

Jagow 407, 410 ff, 431 Jaurès 317, 335 ff, 340, 354, 363, 370 f, 373, 380, 391, 443, 445, 494 £, 499, 642 Joksch 482 Josef I. v. Österreich 381 Jones Ernest 125 Jones J. 512 Jouhaux 535, 539 f Jowett 510

Kämpf 474 Kant 17, 29 f Kapp 330 Karl I. von England 10 Karl II. von England 12, 13 Karl V. 7, 8 Karl X. von Frankreich 44 f, 139 Karl von Österreich 486, 600 ff Karl von Rumänien 366 Karl Albert von Piemont 80 f Karl der Grosse 50 n, 136 Katayama 319 f Katharina II. von Russland 30 Kautský Karl 7, 9 ff, 30 f, 42, 47 ff, 68, 72, 79, 101 , 105 n, 115, 118, 174, 210, 213 n, 214, 219, 231, 234, 236, 245, 247, 269, 308, 315, 337, 341 f, 345, 354, 359, 362, 389 n. 390 f, 398, 402 f, 407, 411, 414, 422, 424, 434, 439, 441 , 444, 446 ff, 472 f, 475, 477, 479 f, 482, 497, 529, 533, 535 ff, 542 f, 547 f, 554, 569, 586, 607, 615, 644, 667, 673

Kautský Luise 125 Kazlerowitsch 493 Keir Hardie s. Hardie Kerenski 205, 611 Kipling 656 Kleist v. 518 Klühs 367 Kohn 655 f Kokosky 176 Kol van 315 f, 319, 322, 562 Konstantin 274 Konstantin v. Griechenland 366 Kossuth 107, 147 Kriege 429 Kugelmann 156 Kühn 203 Kunert 470 Kvačala 24 f

Labriola 524 Ladendorf 178 Lafargue Laura 196 n Lafargue Paul 173, 494 Laguerronière 138 La Harpe 30 Lamartine 74, 132 Lamourette 69 Landsberg 535 Laptschewitsch 493 Lassalle 92, 97, 111 f, 114 ff, 122 if, 136 ff, 163, 170, 189, 193, 198, 211, 220, 658 Lawrow 238 Lazzari 525, 545, 552 Lecky 18 Ledebour 341, 343, 347, 442, 445, 456 f, 470 f, 475, 478, 542, 546, 569 f Legien 317 Lenin 224, 315, 337 f, 340, 464, 466, 477, 486, 489, 491 f, 500, 505, 543 ff, 561, 564, 567 f, 573 ff, 606 ff, 615 ff Lensch 341, 343 f, 499 Lenz 389 Leonidas 273 Leopold v. Hohenzollern 185 Leopold I. v. Österreich 380 Lepsius 379 Lerda 524 Leroux 83 Lesseps 88 f Lessner 173 Leuthner 482 Levy 231 f, 234 Levy-Brühl 380 Lichnowsky 412, 414, 416 Liebknecht Karl 441, 443, 451, 470 f, 474, 478, 515, 535 f, 539, 567,

Liebknecht Wilhelm 150 , 158, 162 ff , 167 ff , 178 , 182 , 186 , 188 ff, 203 , 229 ff, 242 , 301 f, 304, 336 , 388, 449 f, 461, 490, 493 , 637 Ljubinov s. Sauer 491 Lloyd George 618 f, 627 f Löbe 457 Longuet Charles 173 , 185 , 210 Longuet Jean 498 , 509 , 533 ff , 539 , 544 , 560, 569 Lopatin 238 Loriot 544 f Louis Napoleon s. Napoleon III . Louis Philippe 44, 46 , 54, 56, 64 , 74, 581 Lowe 236 Loyola 264 Lüdecke 190 f Ludendorff 564 , 584 ff, 589 , 591 , 619 f Ludwig XIII. 25 Ludwig XIV. 25, 400 Ludwig XVI. 97, 239, 246 Luther 6, 7, 31 Luxemburg 234 , 315 ff, 332 ff, 337 ff, 439539 340, f,349 , 476 ff, , ,443 , 441 , , 371 617 535, f, 515 488 , 567

679 Mendelssohn 308 Mendelssohn- Bartholdy 379 Menno Simons 9, 11 Merey 518 f Merrheim 544, 546 Meslier 21 f, 25 ff, 32, 34, 37 Meyen 146 Meyer Ernst 542, 546, 555 Middleton 516 Mieroslawski 81 Millerand 314, 497, 499 Minzes 175 Mistral 544 Modigliani 523, 545 , 552 Möller 562 Moltke Helmut d. Ae. 167 f, 386, 496, 602 Moltke Helmut d. J. 422 , 424 f, 427 , 432, 496 Montgelas 403 Monts 435 , 496 , 519 More 20 ff, 25 f, 38 Morelly 37 Morgari 501 , 546, 552 Morley 236, 504 Morris 511 Mothershead 236 Müller Hermann 445 f, 535 Mundella 235 Münzer 6, 7, 9, 38 Musati 552 Mussolini 523 ff, 577, 617

Macdonald 236 MacDonald Ramsay 508 ff, 513 , 565, 569 Mahmud Damat 235 Malatesta 310 n Man de s. De Man Mandelbaum 328 n Marr 156 Naine 546 Martov 337, 466 , 488 , 491 , 560 , 568, Napoleon I. 44, 46 f, 54, 57, 65, 86, 103 , 617 Marx Eleanor 511 138, 177 , 180 , 200 , 215 , 239 f, 256 , 290 , Marx Karl 15, 27, 33 , 35, 39, 48, 64, 72, 303 , 350, 380 , 384 ff, 393 f, 400 , 502 , 83 f, 86, 90 ff, 102 ff, 110 ff, 114 f, 581 , 619, 621 , 624 Napoleon III . 62 f, 65 f, 86 ff , 95 , 105 , 122 ff, 142, 145 , 148 ff, 156 ff, 162 , 165 , 169 ff, 175 f, 178 f, 181 , 183 , 185 , 124, 129, 132 f, 137 ff , 154 , 162 , 165 ff , 193 ff, 199 ff, 210 f, 220 ff, 230, 172, 179, 186 ff, 193 f, 199, 207, 234 ff, 243 , 250 ff, 257 , 259 , 261 , 209 ff, 220 , 288 , 388 f, 393, 448 f, 531 , 265 ff, 272 f, 276 , 279 ff, 287, 296, 581 f, 632 Napoleon Prinz 144 , 209 298, 301 ff, 315 , 327 ff, 335 , 337, 342, 344 f, 377, 388 , 390 , 398 , 443 f, 450, Necker 381 Němec 372 461 , 477, 479, 483 , 493 f, 506 , 511 , Nenn 526 i 548, 575 f, 607 , 616 ff, 632 , 637, 641 , Nesselrode 124 643, 647 , 658, 665 f, 673 Nicolson 625, 627 Masaryk 485 Nieuwenhuis 301 ff, 340 f, 343 Max Prinz v. Baden 620 Maximilian I. 7 Nikolajewsky 106 n Nikolaus I. v. Russland 44, 140 , 146, Mayer Gustav 127 ff, 132 , 134, 159 f, 228 163, 165, 167 Nikolaus II . v. Russland 400 , 427, 429 , Mazzini 87, 147 436 Mehring 100 n, 103 , 106 , 127 f , 132 , 150 , Nobiling 234, 367 157 n, 159 , 161 , 193 , 196 n, 234 , 267, Noir 209 443 , 535 f, 567, 569 Noske 341 ff

680 Obermüller 195 Olberg 354 Ollivier 247 Oncken 149, 157 n Oppenheim 147 Osborne 236 Oudinot 87 ff Owen 14, 15, 16, 19, 47

Palmerston 129, 230 Pannekoek 346, 439, 488 Pansa 434 Papen 592 Parvus s. Helphand Paul V. (Papst) 24 Pelham 18 Pernerstorfer 482 Peter der Grosse 140 Philipp I. v. Spanien 7 Phillips 514 f Pietri 209 Pilsudski 483, 489, 617 Plato 27 Platten 575 Plechanov 224, 306 ff, 319 ff, 336 f, 491 f, 617 Poincaré 410, 436, 488 Pokrowski 319, 321 , 558 Ponsonby 515 Popp 482 Potresov 491 Prager 474 Prampolini 552 Pressemane 544 Prochaska 361 , 405 Proudhon 37, 62, 64 ff, 82, 84 ff, 90, 99, 149, 173, 181 ff, 206 , 210, 212, 220, 222, 225, 282, 295, 323, 334, 607 Pulteney 18 Pyat 206

Quelch 511 Quesnay 665

Radek 480, 570, 572, 615 Radetzky 78 Raditsch 368 Rakowsky 306, 344, 575 Ramm 319 Renaudel 501 , 538 ff, 544 Ricardo 665 Richelieu 25 Rismondo 485 Rjazanow 125 f, 146 n, 181 , 196 n, 491 Roberts 513 Robespierre 2

Rochefort 315 Rodbertus-Jagetzow 111 , 127, 134, 158 Roland-Holst. 323 f, 344 Rollin 617 Rosanov 562 Rosenfeld 478 Rothschild 56 Rousseau 29 Rubanowitsch 337 Ruffin Dugens 551 Rühle 471 , 478 Russanov 562

Saint Pierre 29 Saint Simon 47 ff, 58 f, 64, 632 Salter 510 San Giuliano 518 Sasonov 428, 436 Sauer 491 Saumoneau 544 f Sauro 485 Scheidemann 457, 460, 471 , 482, 534 Schiffer 471 Schippel 341 , 345, 397 Schiller 109, 434 Schlesinger 482 Schlieffen 432, 496 f, 583 Šmeral 486 Schön 430 Schönerer 359 Schramm 156 Schücking 403 Schulze-Delitzsch 149 Schweichel 163 Schweitzer 149, 157 ff, 165, 168 f, 197 f, 211 Sembat 370 f, 498, 500, 524, 560 Serrati 552 f Sforza 368 f, 517 Shaw 513 Shipton 236 Sinowjew 574 £ Skobeleff 246 n Skobelev 488 Smillie 516 Smirnov 562 Smith Adam 665 Snowden 508 Söderberg 562 Sombart 381 Sonnino 519 f Sophie v. Griechenland 366 Souvarine 606, 608 f, 615 Spengler 31 Spier 192, 203 Stadthagen 471 , 569 Stalin 606, 608 f, 611 , 615 Steinmetz 31

Stekloff 226, 567 Stenka Rasin 221 Stirner 173 Stumpf 169 Stürgkh 366, 483, 487 Südekum 443, 445 , 524 Sully 16 Swift 30 Szecsen 424 Szögyenyi 413

Thierry 49 f Thiers 209 Thimme 379 Thorne 505 , 512, 515 Tiltman 509 Tirpitz 393, 397, 399 , 424, 427, 431 f Tisza 407, 409 , 602 Tolstoi 465 Treitschke 389 Trevelyan 515 Treves 523 Troelstra 562 Trotzki 306, 488 ff, 568 , 574 f, 610 f, 614 ff Trubetzkoj 417 Tschcheidse 488, 567, 569 Tschchenkeli 488 Tschernischewsky 15 Tschirschky 405, 407, 411 , 417 ff, 423 Tseretelli s. Zeretelli Turati 523, 569 Turgot 30

Uhland 146 Uljanow s. Lenin Urban VIII . ( Papst) 25 Urquhart 129 ff, 230 ff, 237 Vaillant 210 , 299, 301 , 304 , 335 ff, 340, 347 ff, 354, 362 , 370 f, 494 , 498 , 508 524, 535 Vandern,vel de 338 , 349 , 438 , 480 , 501 Victor Emanuel II. v. Italien 581 f Victor Emanuel III . v. Italien 518 f Victoria v. England 503

681

Vidnes 562 Vincke 151 Viviani 430 Vliegen 562 Vogt 135, 137, 146 f Volders 304 f Vollmar 338 Voltaire 9, 29 f Vorländer 29 Voroschilov 489

Wachs 268 Wagener Hermann 159 Wagner Adolf 127, 134 Waldeck - Rousseau 314 Waldersee 496 Wardle 565 Webb 516 Weidemeyer 267 Weiss 344 Weitling 90 Wengels 569 Westarp 471 Wibaut 349 , 562 Wilhelm I. 132 f, 152 , 166 f, 186 , 189 , 234, 367, 632, Wilhelm II. 257 , 281 , 358 , 366, 376, 399 f, 404 f, 407, 409 , 412 , 414, 416 f, 419 ff, 425 ff, 433 ff, 441 , 453 , 518, 589 ff, 600 f, 613, 623 f, 628 f, Wilhelmine v. Holland 624 Wilson 586, 592 f, 598 ff , 614 , 620 f, 625 ff, 631 , 638 ff Windischgrätz 101 Wolf Julius 31, 644 Wolff Theodor 403 , 417 Wolowski 81 f Wrangel 101 Wullschleger 362 Wulster 195 Wurm 310 , 475 , 478 Wuttke 164

Zeretelli 567 Zetkin 343 , 535 f, 539 Zévaès 371 Zietz 572

682 Sachregister Abessinien. Krieg gegen Italien 1885 u. 1894 294, 1935 636, 656 Abrüstung. Vor 1870 177 ; Internationale u. Liebknecht dagegen 177f ; nach 1870 ökonomisch notwendig 259 ; Engels über A. 261 ; von 2. Internationale gefordert 280 ; Kopenhagener Kongreß 346f, Haager Konferenzen 1899 u. 1907 281 , 399f ; Kautsky über A. 536f ; Bolschewiki gegen A. 553f ; Wilsons 14 Punkte 598 Absolutismus 36, 313, 328f, 557, 645 Adel baltischer in Rußland 225 ; in Preußen, Polen u. Ungarn 382 ; ungarischer 1918 unbelehrbar 602 Agram, Hochverratsprozeß 359 Ägypten von England besetzt 292, 313 Alabamafall 176f Albanien Zankapfel zwischen Österreich und Italien 357 Algier. Eroberung 1830, 45 Amerika S. Vereinigte Staaten V. Amerika Anarchismus b. Proudhon 65, 71 , 99 ; b. Bakunin 223 ; gegen Demokratie 283 ; für Generalstreik im Kriegsfall 283 ; 2. Internationale 296 ; betont Willen des einzelnen 297 ; Terrorismus in Rußland u. Sozialistengesetz in Deutschland 298 ; Brüßler Kongreß 300ff ; Züricher Kongreß 304ff ; Ausschluß auf dem Londoner Kongreß 310 ; von Hervé verherrlicht 343 ; unterstützt 1914 in Frankreich Regierung 497 ; u. Bolschewismus 607 Angriffskrieg. Feststellung des Angreifers 187f, 281 , 341f, 642 ; von Proletariat mißbilligt 293 ; für deutsche Sozialdemokratie 1914 bedeutsam 440, 461 Annexionen deutsche Regierung für A. 471 , 534f ; Italien u. Japan 520f ; kaum ein Sozialist für A. 535ff ; Zimmerwald gegen A. 546f ; Friede ohne A. 578 ; A. u . Selbstbestimmungsrecht 580ff ; Stockholmer Manifest 594f ; Brest-Litowsk 612f Arabien. Aufstand gegen die Türken 596 ; Erwachen des Nationalismus 655f ; Arbeiter s. Proletarier Arbeiterbewegung s. Sozialdemokratie u. Sozialismus Arbeiterräte 560ff, 568

Arbeiterverein Allgemeiner Deutscher 151, 153f, 157, 159ff, 170 Arbeitsgemeinschaft, Sozialdemokratische s. Sozialdemokratie Arbeitskollegium. Bellers' Vorschlag 15 Arbeitslosigkeit nach dem Weltkrieg 258 Arbeitszeit. Verkürzung zur Bekāmpfung der Krise 258 Armee s. Wehrmacht Armenien 234, 238, 596 Aufklärung betrachtet das Gute als absoluten Begriff 28 ; verwirft Krieg 29 ; Krieg schädigt Bourgeoisie 30 ; für Humanität 30 : gegen dynastischen für revolutionären Krieg 31f Aufstand s. Bürgerkrieg Autarkie vom Militarismus gefordert 258 Balkan s. a. Slaven u. Türkei Balkanbund gegen Türkei 1911, 355 Balkankrieg staatliche Zersplitterung der Südslaven 350 ; B. durch italienisch-türkischen Krieg ausgelöst 355 ; zweiter B. 365 Bauern in der Reformation rebellisch 4, 7; Herrn in Frankreich nach dem Juniaufstand 1848, 86 ; vermehren sich trotz Unterdrückung 112 ; türkische 232, 235, 237f ; u. Städter in der Armee 260 ; in den Kolonien versklavt 289 Bauernräte 568 Belgien. Erhebung gegen Holland 1830 44f ; Generalstreik 323, 331 , Bedeutung der Neutralität für England 394, Bruch der Neutralität durch Deutschland 431f, deutsche Greueltaten 497, 506 ; Eintritt der Sozialdemokratie in Regierung 501 , Stockholmer Manifest 595, Wilsons 14 Punkte 599 Berliner Kongreß 233ff, 240ff, 261, 291 , 392 Böhmen. Hussitismus 5 ; Schlacht am Weißen Berg 6 ; Stellung in Deutschland 135 ; heute u. in der Reformation 670 Böhmische Brüder pazifistisch 5 ; vertrieben 6, 9 Bolschewiki. 1917 offensiv 270 ; blanquistisch-bakunistische Verdrehung des Marxismus 296 ; Spaltung 1903 479 ; Einigungsverhandlungen 1914 480 ; patriotische Stimmung 1914

683 488f ; Stimmenenthaltung bei Kriegskrediten 491 ; Weltrevolution 547f, los 279f ; zur Kriegsverhinderung Rußland der Ausgangspunkt 548 ; 281 ; Aufstand kann nur mit Unterstützung der ganzen Bevölkerung neue Internationale 548f, Sonderstellung in Kiental 551f, gegen Abgelingen 282 , 329 ; kann Demokratie nicht ersetzen 283 ; Aufstand zur rüstung u. Schiedsgerichte 553f ; Kriegsverhütung ( Stuttgarter KonFurcht vor deutschem Sieg 559f, arbeiten zunächst mit Menschewiki greß ) 336 ; Folge der militärischen Niederlage 339, 466 ; soll auf Krieg u. SR. zusammen 561 ; von deutfolgen 547ff ; in Rußland 1917 573 scher Regierung nach Rußland beBurgfrieden 209, 254, 286 , 459 , 461ff fördert 564 ; Lenins Thesen 567f, Stellung zum Parlament 568 ; ,, KomChartisten 14, 103 , 124f munisten" 569 ; neue Internationale China. Objekt der Kolonialpolitik 569; Bürgerkrieg November 1917 573f ; Dritte Internationale 574 ; pri313f, Krieg mit Frankreich u. Japan, Besetzung v. Kiautschau, Boxeraufmitiv, durch Krieg begünstigt 576 ; außerhalb Rußlands erfolglos 577 ; stand 314 ; japanisches Vordringen 656 für sofortigen Frieden 606 ; werden Compiègne. Waffenstillstand 622f durch Anarchie Sieger 607, Streben Conscientious objectors 515 nach Diktatur 607 , Staatsstreich 607, Rote Armee und Machtapparat 608 , Dänemark . Krieg um Schleswig-Holsofortiger Frieden notwendig 610 ; innerer Streit um Brest- Litowsk stein 1848 101 , 1864, 153 Demokratie u. Diktatur 43 ; und Na615f; Glaube an Weltrevolution 616f ; durch Sieg der Entente getion 114 ; moderne und primitive rettet 618f ; Völkerbund 638 118, Revolutionskriege 119 ; ProleBosnien. Aufstand 1875 219 , 229 ; Bertariat 119 ; macht Krieg gegen Williner Kongreß 241 ; Okkupation 244f, len des Volkes unmöglich 216 ; durch Generalstreik u. Insurrektion nicht 291 , 350f, Annexion 352 ; Willkürherrschaft 358 , 366 ; Attentat in Sazu ersetzen 282f, 329 ; im Krieg rajewo 367ff ; Okkupation als BeDespotismus überlegen 465 ; gewaltdrohung des Weltfriedens 392 ; in same Revolution in D. unnötig 618 ; Stockholm 569 Bourgeoisie. Bismarcks Stütze nach u. Völkerbund 633f, 668 ; u. Despotien 634f ; d. Kolonialpolitik 660f ; 1866, 169f ; politische u. ökonomische Befreiung des Proletariats 175 ; u. Reformation 669f ; u. Fortschritt internationales Denken nach 1870 671 ; proletarische 674 tödlich getroffen 176 ; für Kolonien Deutschland. Sozialismus 1848 schwach 291 90; bürgerliche Revolution Rheinland u. Berlin 91f ; wirtschaf91 Brest-Litowsk, Frieden 592 , 603 , 612ff t-; Soz Soc ial British ialist Party s. demoliche Organisation 92 ; politischer kratie Kampf 92f ; Monarchie und BureauBulgarien . Berliner Kongreß 241 ; Balkratie 93 ; Einheitsstaat 93, 98 ; Rekanbund u. Krieg mit Türkei 355f ; publik 94 ; Krieg als Motor der ReWiderstand der Sozialdemokratie volution 95ff ; Rußland als Gegner 96ff; Krieg als Faktor der Eini355 ; militärische Erfolge im Balkankrieg 356 ; in Stockholm 569f ; miligung 97; Krieg um Schleswig-Holtärischer Zusammenbruch 620 stein 101 ; Erhebung 1849 101 ; EngBurenkrieg 313 , 345 , 390 , 395 , 398 , land der Gegner 102f ; revolutionä502f, 506 rer Krieg gegen Rußland 128ff ; Bürgerkrieg . Engels 1849/51 267 ; Rolle Klein- u. Großd. 134 ; Stellung Böhder Offensive 268ff ; Spanien 269f, mens 135f ; Bedrohung des Rheinlands 1859 138ff ; Preußen- Österreich Wien 1934 270 ; Oktoberrevolution 141f ; u. Frankreich 143f ; Klein- u. 1917 270 , Rolle der Bewaffnung Großdeutschland 167f ; Situation 271, Engels gegen vorzeitiges Losschlagen 272 ; ohne Sympathie der 1866 169 ; Staatsgründung 1870/1 Armee Aufstand aussichtslos 275 ; 191f, 194f, 226 ; Schwerpunkt der Arbeiterbewegung nach D. verlegt Verschwörungen abzulehnen 278 ; Insurrektion gegen Armee aussichts201ff ; nationale Einigung u. ElsaßLothringen 215 ; Aufrüsten Ruß-

684 lands 217 ; Deutsche u. Slaven 225f ; Marx u. Bismarck als deutsche Patrioten b. Bakunin 227 ; an Balkan nicht interessiert 229 ; Bismarck als ,,ehrlicher Makler" 233 ; Berliner Kongreß 233f; Entfremdung zwischen D. u. Rußland, Annäherung an Österreich 234, 242f ; Gefahr des Kriegs gegen Frankreich 243, 246 ; Engels über Entwicklung 1882 246 ; Engels über Gefahr eines d. -französischen Kriegs 1892 251 ; Flottenpolitik 257 ; Kolonialpolitik 292 ; Sozialistengesetz u. Anarchismus 298 ; im russisch-österreichischen Konflikt 308 ; Besetzung v. Kiautschau 314 ; Streit um Frage des Angriffskrieges 341f ; Spannung mit Frankreich wegen Marokko 1907 342 ; Dreibund 357, Bundestreue Italiens u. Rumäniens 358 ; Flottenpolitik 364 ; Mißtrauen der Internationale 371 ; Friedensdemonstration 1914 371 ; Kriegsschuld 376, nicht anerkannt 377 ; Preußens Werden 380ff ; Volk der Dichter und Denker 385 : 1870 preußischer Militarismus auf D. übertragen 387 ; Krieg 1870 388 ; Annexion v. Elsaß-Lothringen 388, aus militärischen Gründen 389, führt zur Verfeindung mit Frankreich 390, brutale Behandlung von E.-L. 390, Zabern 391 ; Berliner Kongreß 392 ; durch Frankreichs Kolonialpolitik entlastet 393 ; Flottenpolitik gegen England 393ff ; lehnt Verständigung mit England ab 395 ; Italien verläßt Dreibund 395 ; sein eigentümlicher Imperialismus Ursache des Weltkriegs 395f, Militarismus und Junkertum herrschen nach 1870 396 ; in der Welt gefürchtet 397 ; Beurteilung der Flottenpolitik im Innern 397 ; Pazifismus in England durch Flottenpolitik geschwächt 398 ; Flotte im Krieg nutzlos 398f ; Verständigungsversuch 1912 399 ; Haager Konferenzen 1899 u. 1907 399f ; allgemein unbeliebt, ,,eingekreist" 400f ; Ausbruch des Weltkriegs 404 ; Unterstützung des österr. Vorgehens 404, freie Hand für Österreich 405f, Österreich verweigert Auskunft über Ziel 407, Täuschung Italiens 408, kennt Text des Ultimatums nicht 413 ; Wilhelm will vermitteln 414, 416 ; russischer Vermittlungsversuch 416f ; Dokumentenfälschung 416f ; Greyscher

Vermittlungsversuch 417 ; Deutschland lehnt ab 417f ; Krieg scheint unvermeidlich 418 ; Kampf um Englands Neutralität 418f ; englische Kriegsdrohung veranlaßt Einschreiten in Wien 419, Österreich lehnt ab 419f ; Mobilisierung 421 ; russische Mobilisierung 422 ; Kriegserklärung an Rußland 423f, 426 ; an Frankreich 424 ; Vorsprung der Mobilisierung 425 ; Ultimatum an Rußland u. Frankreich 426 ; Kriegserklärung an Rußland wegen Sozialdemokraten überstürzt 427 ; russische Grenzverletzungen 428f ; Formulierung der Kriegserklärung 429 ; Ultimatum an Frankreich 430 ; Greuelmeldungen als Kriegsgrund 431 ; Belgiens Neutralität 431f ; Schlieffenplan 432 ; Englands Eintritt in den Krieg 433 ; Dummheit, nicht Bosheit maßgebend 434f ; (über Stellung der Sozialdemokratie zum Kriegsausbruch s. Sozialdemokratie) , Lügen beim Kriegsausbruch 439f ; Bethmann nützt Feindschaft der Sozialdemokratie gegen Rußland aus 441 , Präventivkrieg wahrscheinlich 447 ; Frage der Annexionen 1915 471 ; Offensive im Westen oder Osten 496f ; Greueltaten in Belgien 497 ; Flottenrüstung und Einkreisung 503 ; Annexionen gefordert 534f ; russische Revolution begrüßt 564 ; in Stockholm 570 ; Annexionen 1866 u. 1870 582 ; nach Marneschlacht Krieg nicht mehr zu gewinnen 583, 587f ; durch Entwicklung überrascht 585 ; Waffenstillstandsverhandlungen 586 ; Ludendorff rechnet auf Soldatenglück 586f ; Fortführung des Krieges sinnlos 588f ; Friedensversuche ergebnislos 589f ; Zwiespältigkeit in der Friedensfrage 590, Amerika in den Krieg getrieben 592f ; Wilsons 14 Punkte 593f, 598ff ; abgelehnt 601f ; Junker unbelehrbar 602 ; zögert mit Verhandlungen mit Bolschewiki 611 ; BrestLitowsk 612 ; Abspaltung der Randstaaten 612 ; Zersplitterung der deutschen Truppen 612f ; Ländergier 613 ; kein Verständigungswille 619f ; Frühjahrsoffensive 1918 620 ; Eingreifen Amerikas 620 ; Zusammenbruch u. Waffenstillstandsgesuch 620f ; Waffenstillstand 621 ; Versailler Frieden als undemokratisch abzulehnen 621f ; U- Bootkrieg

685 geht weiter 622 ; Rebellion in Kiel 622 ; Ausrufung der Republik 622 ; Gericht über Wilhelm II. 623 ; Separatfrieden mit Verein. Staaten 640 ; Kolonien 657f Dienstverweigerung, s. a. Conscientious objectors. Brüßler Kongreß 1868 182 ; Zürcher Kongreß 304 ; Stuttgarter Kongreß 336 Dienstzeit. Bauer u. Städter 260f ; Verkürzung nach dem Weltkrieg 262, 274 Diggers friedliche Kommunisten 11, 12 Diktatur u. Demokratie 43 ; des Proletariats 96 ; im Allg. Deutschen Arbeiterverein 153, 158 im Bakunismus 222 ; fördert militärische Jugenderziehung 262f ; Propaganda in ihr 278 ; durch Anarchie vorbereitet 607 ; nach dem Weltkrieg 646, 668f ; u. Stagnation 671 ; Kriegsgefahr 671 ; durch Wettrüsten gefährdet 672 ; nicht proletarische D. , sondern proletarische Demokratie 674 Dreibund 357, 395, 408, 413, 420, 518 Dynastie s. Krieg, dynastischer Einkreisung. Deutschlands 400, 436, 440, 503 Einwanderung. Beschränkungen auf dem Amsterdamer Kongreß 324 Eisenacher 170, 189, 193, 198, 203, 211 Elsaß-Lothringen 197ff, 203f, 213, 215, 242, 248f, 261 , 301 , 388ff, 400. 432, 498f, 507, 531 , 534, 578f, 595, 600, 628 Emigration. Berufsrevolutionäre 220, 222 ; stärkere Gegensätze als in der Heimat 491 ; fördert Internationalität 530 Emser Depesche 186, 188, 206 England. Revolution 9, in religiösem Gewande 10, 19, Kommunisten kriegerisch und unversöhnlich 11 ; pazifistische Richtung wird stärker 11 ; Quäker 12ff ; gegen stehendes Heer 18; Gegner der Revolution 1848 102f ; Krimkrieg 124ff ; Gewerkschaften u. Liberale 1878 pazifistisch 235ff ; Krieg mit Afghanistan 244 ; Kolonialpolitik 290, 292 ; Gefahr eines Krieges mit Frankreich 1898 313 ; Burenkrieg 313 ; deutsche Flottenpolitik 364, 393ff ; Seeherrschaft 393f ; Landarmee verfallen 394 ; Belgiens Neutralität 394 ; Verständigung mit Deutschland unmöglich 395 ; Ver-

ständigung mit Frankreich, Rußland u. Italien 395 ; Pazifismus 397f, geschwächt 398 ; Haldanes Verständigungsversuch 399 ; versucht zwischen Österreich und Serbien zu vermitteln 414f, 417 ; Deutschland lehnt ab 417f ; Neutralität von Deutschland angestrebt 418f ; Kriegsdrohung veranlaßt deutsches Einschreiten in Wien 419 ; Österreich lehnt ab 419f ; Kriegserklärung an Österreich 424 ; Bruch der belgischen Neutralität veranlaßt Eintritt inden Krieg 433 ; seine Rolle 1914 ungewiß 447f ; Pazifismus u. Chatvinismus 502f, liberale Friedenspoltik seit 1905 503, deutsche Flottnrüstung und Einkreisung 503, Intente cordiale 503f, Unklarheit der Greyschen Politik 504, Aufflamm :n des Patriotismus 1914 504f, deutscher Einmarsch in Belgien 506 ; L. P. n der Regierung 513 ; allgemeine Wehrpflicht 513f ; Henderson tritt aus der Regierung aus 566 ; auf der Friedenkonferenz chauvinistisch 627 ; friedlicher Aufstieg der Kolonialvölker 660f Ethik zur Beurteilung des Krieges unzulänglich 286f Fabrik s. Großbetrieb Familie als Ausgangspunkt des Sozialismus 33 Flottenpolitik. Deutschlands 257, 364, 393ff, 503 Frankreich. Revolution 18, 34f ; bürgerlich, aber nicht kapitalistisch 40 ; Kriegsära 40 ; Gegensatz zwischen kriegerischen u. friedlichen Republikanern 1848 74 ; Manifest vom 5. März 1848 74ff ; Wahl der Nationalversammlung 78 ; Polen 79ff ; Italien 80f ; Bauer der Herr nach dem Juniaufstand 86 ; Staatsstreich Napoleons 86f ; Intervention in Rom 1849 87ff ; Demonstration 13. Juni 1849 89 ; Krieg 1859 138ff : Deutschland 143f ; Frieden 1859 147f ; Republik 1870 199, Bündnis mit Rußland im Falle der Annexion von Elsaß-Lothringen vorausgesagt 200, 204 ; Stellung des Proletariats nach Sedan 205 ; Sozialisten 1870 206 ; Republikaner stark 207 ; Kriegskredite von Opposition abgelehnt 207 ; Burgfrieden trotz Opposition 209 ; erster Aufstandsversuch mißglückt 210 ; Republik 210 ; Provinz fried-

686

lich 213 ; Volkskrieg um ElsaßLothringen 213 ; Erwerbung von Tunis 241 , 292 ; als Verbündeter Rußlands 242f ; Gefahr des Kriegs mit Deutschland 243, 246, Engels 1892 darüber 251 ; Kolonialpolitik 292, Besetzung von Tonking 294, 314 ; Bündnis mit Rußland 309 ; Wahlen 1893 309f ; Gefahr eines Krieges mit England 1898 313 ; Fall Mllerand 314 ; Syndikalismus 334f ; Sreit mit Deutschland wegen Marokko 1907 342 ; Parteitag 1914 370 ; will 1914 Frieden 373 ; Krieg 1870 38 ; Feindschaft mit Deutschland vegen Elsaß-Lothringen 390ff ; isolert sich wegen Kolonialpolitik 393 ; deutsches Ultimatum 1914 426, 430 ; Stimmenenthaltung oder Zustimmung zu den Kriegskrediten 445f ; Sozialdemokratie einig für Regierung 494f ; Wirkung der englischen Hilfe 495f ; deutsche Offensive 496f ; Eintritt der Sozialisten in Regierung 498 ; Entente cordiale 503f ; Sozialisten treten 1917 aus Regierung aus 560 ; Wilsons 14 Punkte 599f ; auf der Friedenskonferenz für Sicherheit 628 Freihandel von industriellem Kapital gefördert 289, verlassen 290 ; für Aufstieg der Weltwirtschaft notwendig 665 Freunde, Gesellschaft der s. Quäker Frieden ewiger 29 ; Existenzbedingung der Gesellschaft 109 ; nach 1871 215f ; nach dem Weltkrieg fast ebenso qualvoll wie Krieg 258 ; ohne Annexionen u. Kriegsentschädigungen (Zimmerwald) 451 , 492 ; militärische u. politische Herbeiführung 532 ; „ nie wieder Krieg" 533 ; Zertrümmerung des deutschen Militarismus als Bedingung 533f ; deutsche Regierung für Annexionen 534 ; nationales Selbstbestimmungsrecht 537, proletarischer 567, ohne Annexionen u. Kontributionen 579 ; in Rußland demokratischer F. oder F. um jeden Preis 605, kein Sonderfrieden 606, Brest-Litowsk 612ff ; F. v. Versailles undemokratisch 621 ; Verhandlungen 1918/19 625ff ; Mangelhaftigkeit des F. 629f, Revisionsmöglichkeit durch Völkerbund 630f ; Weltf. u. proletarische Demokratie 674 Friedensbewegung s. Pazifismus Friedenkonferenz 1899 u. 1907, 281 Friedensmanifest des Zaren 1898 280

Friedens- und Freiheitsliga 174ff, 221, 632 Generalstreik zur Kriegsverhinderung 180ff, 281 , seine Bedeutung 187 ; Syndikalisten 282 ; kann nur mit Unterstützung der ganzen Bevölkerung gelingen 282 ; kann Demokratie nicht ersetzen 283 ; Anarchisten für G. 283 ; aussichtslos zu Beginn des Kriegs 284 ; droht Landesfeind zu begünstigen 285 ; Brüßler Kongreß 301f ; Zürcher Kongreß über G. u. Dienstverweigerung 304 ; auf beiden Seiten notwendig 306 ; unterstützt Rußland 306ff ; auf dem Londoner Kongreß 1896 als unmöglich bezeichnet 311 ; auf d. Pariser Kongreß als Mittel gegen den Krieg nicht erwähnt 317f ; Amsterdamer Kongreß 323f ; Belgien 323 , 331, Rußland 328ff ; kann nur gelingen, wenn von Mehrheit der Bevölkerung getragen 329f ; Deutschland, England u. Schweiz 330 ; Frage der Organisationen u. des Enthusiasmus 331f ; lange Periode 333 ; Niederlage 1906 333 ; Syndikalismus 334 ; G. als Kriegsverhütungsmittel ( Stuttgarter Kongreß) 336, in der Gewerkschaftskommission 337 ; beim Ausbruch oder im Verlauf eines Krieges 339, zur Kriegsverhütung 345f ; Kopenhagener Kongreß 347f ; gegen Krieg in Italien 1911 354 ; französischer Parteitag 1914 370 ; Versuch in Italien 1915, 521 ; Zimmerwald 571f Geschichte. Frage des Einflusses der Persönlichkeit 377f ; reine u. angewandte Wissenschaft 378f ; Dokumente zum Weltkrieg als Quelle 379f Gewerkschaften, Lassalle 153 ; Schweitzer 158 ; englische G. u. Internationale 171 ; Proudhonisten 183 ; Syndikalismus 183f ; Streik 184 ; Engels 184 ; englische G. u. Liberale 235f ; Friedensliebe 236f : englische Gewerkschaften antisozialistisch 296 ; zünftlerische G. 325 ; als Hemmnis revolutionären Enthusiasmus 331 ; u. Partei ( Syndikalismus ) 334f ; Labour Party 516 ; Federation of Labor 639 Girondisten 37 Gothaer Programm 96, 170 Griechenland. Krieg gegen Türken 234 ; Balkankrieg 356 ; dynastische Beziehungen zu Wilhelm II. 366

687 hinderung 281 ; Generalstreik u . Insurrektion 282f ; demokratisch 283 ; Frage des imperialistischen Kriegs Haager Konferenzen und Schiedsge295 ; Possibilisten u. Marxisten 287, richt 1899 u. 1907, 281 , 399 ; von SerAnarchismus 296ff ; Pariser 296 , vor geschlagen 413 , von bien 1914 Kongreß 1889 über Krieg 298ff ; für Rußland vorgeschlagen 416f ; als Miliz, gegen stehendes Herr 299 ; Gerichtshof über Wilhelm II. 623 Brüßler Kongreß 300ff ; GeneralHeer, stehendes in England 17, 177 ; streik 301f ; Zürcher Kongreß über Erste Internationale über H. 178f ; Dienstverweigerung 304ff ; Rolle Abs cha Ers ffung und etzung seine Rußlands 306ff ; Krieg gegen Rußdurch Miliz 259 , 261f ; Pariser Konland nicht gefordert 309 ; Londoner greß 1889 299 Kongreß 1896 : Ausschluß der AnarHerzegowina s. Bosnien chisten 310, Generalstreik abgelehnt Humanität . Menschen angeboren 30 ; 311 , i. Schiedsgerichte , Entscheidung durch Blutdurst überwogen 31 über Krieg durch das Volk, Kolonialfrage 311f ; Pariser Kongreß Imperialismus verrin zunächst gert Kriegsgefahr 243 ; Mächtegruppie199ier312ff ;. Kolonialpolitik 314ff ; Reg ungsbeteiligung 314f ; permarung nicht im Einklang mit der von Bureau 318 ; Amsterdamer nen tes En tstehung 1878 249 ; i. Krieg 287 ; Kongreß 1904 318ff ; russisch- japades I. 287f ; besondere Form der Konischer Krieg 318ff ; Kolonialpolitik lonialpolitik 288f ; Kriege um 1900 321ff ; Generalstreik 323 ; Einwande313 ; nicht jedes Ausdehnungsstreben rungsbeschränkungen 324 Stuttgar; I. 313 ; Pariser Kongreß 1900 316 ; Entwicklung der Kolonien 322 ; der ter Kongreß 1907 336f : Krieg, GeDie nst verweigerung 336, neralstreik, besondere deutsche I. Ursache des russische Sozialrevolutionäre und Weltkrieges 395f, 435f ; u. Krieg Marxisten 337 , Resolution 338f, Ge652 ; wachsende Widerstände 653f ; neralstreik beim Ausbruch oder im Kolonie dem kapitalistischen ProVerlauf eines Krieges 339, Schiedsduktionsprozeß einverleibt gerichte 340 ; Hervé gegen jede 65rn 4; scharfer Gegensatz zu Ausbeute Unterstützung einer Regierung im 654f; Nationalismus im Orient 655f ; Kriegsfalle 343f ; Kopenhagener in der Defensive 656 Kongreß 346f : Schiedsgerichte und Independent Labour Party s. SozialAbrüstung 346f, Generalstreik 347f, demokratie Syndikalismus und Quäkertum 348, Indianer nomadische u. seẞhafte 112 Insurrektion s. Bürgerkrieg keine Einigung 348f, Gegensätze Intellektuelle. Humanität u. Blutdurst solche über Einschätzung der Macht 349 ; Balkankrieg 350 : Baseler Kon31 ; b. St. Simon 50f ; national beschränkt 51 greß 361ff : Übertriebenes KraftbeInternationale Arbeiter- Assoziation wußtsein 361, Einigkeit 362, Verhinderung der nationalen Verhetzung Gründung 170 ; polnischer Aufstand Manifest 363f ; Brüßler Tagung 363, ref ormistisch“ 172 ; 1863 171 ; „ u. 1914 370ff ; Frage des Generalstreiks Krieg 172f, 1866 173 ; u. bürgerliche Friedensbewegung 174ff gegen Abauf französischem Parteitag 1914 ; 370 ; spielt in Brüssel keine Rolle rüstung 177f ; gegen stehendes für Volksheer 178f ; Generalstreik zur 371 ; Mißtrauen gegen Deutschland Kriegsverhinderung u. Österreich 371 ; deutsche Frie180f ; den sdemonstrationen 371 ; Kriegsers Adresse 1870 193f ; zweite Adresste e sti mmung in Österreich, Schwäche Int ern ationale bleibt 1870 196, 203f ; der Sozialdemokratie 372 , Kriegseinig 199 ; Einigkeit nach Annestimmung in Rußland 1914 372, xionserklärung 1870 213 ; Spaltung Frankreich will Frieden 373 ; Konnach dem Fall der Kommune 213f ; greß nach Paris einberufen 373, durch Bakunismus gesprengt 220, deu tsche Kriegserklärung - Zusam223, 225 Internationale Zweite . Gründung 1889 menbruch der I. 374 ; durch Parole der Landesverteidigung zerrissen 280 , 295ff ; lehnt Krieg ab 280 ; Streit um Methode der Kriegsver463 ; Maifeier nicht gleiche Wirkung 480f ; Überschätzung ihrer Macht

Großbetrieb kapitalistischer 33 ; Sozialisierung 34 ; erzieht Arbeiter zur Pünktlichkeit 261

688

481 ; für u. gegen deutsche Sozialdemokratie 481 ; Verlegung nach Holland 501 , unüberbrückbare Gegensätze zwischen Deutschen einer-, Franzosen u. Belgiern andrerseits 501 ; ihre Zerreißung 527 ; Kompliziertheit der Einstellung zum Krieg macht I. nicht überflüßig 528f ; i. Solidarität u. nationale Eigenart 529 ; Mangel an gegenseitigem Verständnis 530f ; Arbeit für den Frieden 531f ; neue I. gefordert 536 ; keine Annexionen u. Abrüstung 536 ; nationales Selbstbestimmungsrecht 537f; Sonderkonferenzen der Neutralen, der Entente u. der Mittelmächte 538 ; taktische oder prinzipielle Gegensätze ? 539 ; deutschInformationsbesprefranzösische chung ergebnislos 539f ; Kommission der Oppositionellen 540, Konferenz mit Italienern in der Schweiz 541 ; Einladungen zur i. Konferenz willkürlich 542, Gefahr des Neubakunismus 543 ; Zimmerwalder Konferenz 543ff : kleiner Kreis 543f, in Frankreich unbedeutend 544f ; aus Italien u. Rußland alle Richtungen vertreten 545, Gegensätze 546f ; i. Kommission 546, allgemeines Manifest 546, Verständigungsfriede oder Bürgerkrieg 547, Weltrevolution 547 ; neue I. von Bolschewiki angestrebt 548f, Gegensätze über Kriegsfrage 549, allgemeiner Eindruck 549f ; Kiental 550ff : unvollkommene Vertretung, namentlich der Franzosen 550f ; derselbe Kreis wie in Z. * ) 551 , Sonderstellung der Bolschewiki 551f ; Gegensätze 552ff ; bolschewistischer Einfluß stärker als in Z. 553 ; gegen Abrüstung u. Schiedsgerichte 553f ; gegen 2. I. 554, bringt keine Lösung 555f ; I. durch Kriegsmüdigkeit belebt 556, russische Revolution 1917, 556ff ( s . Rußland) ; Kriegsmüdigkeit in allen Ländern 560 ; französ. Sozialisten treten aus der Regierung aus 560 ; Komitee in Stockholm 562, Einladung an alle Parteien der I. u. von Z. 562 ; Petrograder Sowjet lädt ebenfalls ein u. entsendet Delegation nach Stockholm 562f ; gemeinsame Einladung 563, Z. lehnt ab 563 ; St.* ) von Zentralmächten begrüßt 564, von En*) Z. bedeutet Stockholm .

Zimmerwald,

St.

tente abgelehnt 564f ; ་ ner Konferenz 565 , rung durch Entente v. 15. Sept. 566 ; Z. Mehrheit 567 ; komi ternationale 569 ; US Bosnien und Bulgariei. i reicher, Ungarn, Det Konferenzen in St. 57 zur dritten I, der des zum primitiven Sozi St. Manifest 10. Okt. 1917 594ff, sehr vorsichtig 597 Internationale Dritte. Werk der Bolschewiki 549, 574 ; Gegensatz zur zweiten der des primitiven zum marxistischen Sozialismus 575f Internationalität u. Nationalität b. Marx u. Lassalle 123 ; Arbeiterwandern u. Emigration 530f Intervention u. Selbstbestimmung der Nation 75f ; der französischen Republik in Italien u. Polen 78ff ; in Rom 1849, 87ff Irland . Stockholmer Manifest 596 Italien. Revolution 1848 76, 78, 80, 87 ; Krieg 1859 138ff ; Frieden 1859 147ff ; Bündnis mit Preußen 1866 162 ; nationale Einigung und Irredenta 215 ; Bakunismus 224 ; abessinischer Krieg 1885 u. 1894 294 ; Gegner Österreichs infolge Okkupation Bosniens 351 ; Eroberung von Tripolis 1911 353f ; Demonstrationen gegen Krieg wirkungslos 354 ; Krieg mit Türkei durch Balkankrieg beendet 355 ; Frieden mit Türkei 356 ; Gegensatz zu Österreich trotz Dreibund 357 ; Albanien 357f ; Bündnis mit Preußen 1866 387 ; verläßt Dreibund 395 ; Ausbruch des Weltkriegs 403f ; von Österreich getäuscht 408, 413, 418 ; österreich. I. gegen Österreich 484f ; Lage bei Kriegsausbruch 518f ; verkauft sich an Meistbietenden 519f ; Anschluß an Entente bedeutet Eroberungskrieg 520 ; Arbeiter gegen Krieg 521f ; Annexionen 1859-70 581f ; Stockholmer Manifest 596 ; Friedenskonferenz 625 ; Liberalismus 625f ; Krieg gegen Abessinien 1935 636, 656 Japan, Krieg gegen China 314 ; Krieg mit Rußland 314, 318ff ; Anschluß an Entente bedeutet Eroberungskrieg 520f ; allgemeines Wahlrecht 1925 633 ; Vordringen in China 656

Jena. Schlacht 1806 384 Juden. Stockholmer Manifest 596 ; Lage in Palästina schwierig 661 Jugend, militärische Erziehung 262ff ; Erziehung gegen den Militarismus 317 Jungtürken s. Türkei Junker in Preußen 382, 386 ; beherrschen Deutschland 396 ; unbelehrbar 602

Ja

3 ཀ་ བསྟོ

P

ober

Lage

689 u. Kapitalismus 289f ; durch Krise von 1873 neu belebt 290 ; soll Rohstoffe u. Absatzmärkte sichern 291 ; Entwicklung nach 1877 291f ; Religion u. Kultur 292 ; Kolonialkrieg 293 ; Krieg zwischen Großmächten um Besitz von Kolonien 294 ; Londoner Kongreß 1896 311f ; Pariser Kongreß 1900 314, Zusammenhang mit Militarismus 316 ; Amsterdamer Kapital, industrielles friedlich 49 ; geKongreß 1904 321ff ; primitive KoKo lo ni alpolitik 289f ; durch Krigen lonien nicht einfach vom Mutterse von 1873 umgestaltet 290f ; Überla nd aufzugeben 322 ; läßt keinen gang zu Kartellen und Zöllen 290, europäischen Krieg entstehen 392 ; zu Kolonialpolitik 291 ; Finanzk. und begeistert Arbeitermassen nicht 393 ; Kolonien 322 ; Erschließung u . AufWi lsons 14 Punkte und Stockholteilung der Welt 392 ; industrielles mer Manifest 599 ; u. Krieg 650ff ; hemmt Krieg 645, 647 ; Geldk, krietrügerische Hoffnung auf Gewinne gerisch 647 656ff ; natsoz, K. 657 ; Aufstieg der Kapitalismus. Zusammenbruch des K. Kolonialvölker friedlic 660f f ; Koh nicht Sozialismus 253 ; lo nien können sich nicht selbst überKriegstechnik 255 zunächst fö rd pa er zi t fi ; lassen werden 662 stisch 255f ; Textilindustrie friedlich, Kommune 206, 213f, 229, 269, 279, 326, Schwerindustri kriegerisc 25 Mi h 6; e litarismus, Wettrüsten , ÜberprodukKo57 mm6unismu s, s. Bolsch iken Au Mo tarkie und notion 257 ; für rmation 4 ew Sekten in der Refoa. ; Frage; pole, gegen Verkürzung der Arbeitsbe wa Au ff fs ne ta de te nd s 4 ; Husn s Wi ssenschaft u. Milizeit 258 ; mit siten 5 ; Böhmische Brüder 5 ; Wietarismus verbündet 267 ; sucht sich dertäufer 6 ; in der englischen Revogegen Proletariat Verbündete 290 lution kriegerisch ( Levellers ) 10 ; Kartelle durch Krise von 1873 geförwerden wieder pazifistisch ( Digdert 290 ; monopolistisch 325 gers ) 11 ; bei den Utopisten 22 ; b. Kienthal. Konferenz umfaßt nur SplitMeslier 26 ; platonischer kriegerisch ter 453 ; Verlauf 550ff (s. zweite Internationale 27; Bund der K. 90ff , 96 , 279 ; russ . ) Dorfk. 328 ; Spartakus 478 Klassen nicht einheitlich in der AufKöniggrätz 162, 168ff, 388, 587 Kriegsentsch fassung vom Wesen des Krieges 1 ; Kontribution ädigunen s. u. Masse b. Bakunin 223 gen Klassenkampf als Triebfeder der GeKrieg s. a. Weltkrieg ; verschiedene sellschaft 48, 641 ; nicht einzige ErStellung der Klassen 1 , der ProleMa ss en st römungen 277 ; klärung von Zusammenwirk tarier 1f ; dynastischer 30f ; revoluen verschied. Schichtionärer 32 ; b. Proudhon 66f ; ökonoten 329f ; reine Klassenpolitik reformischer u . politischer 67ff ; K. u. mistisch 330 ; Mittel zur HöherentKonkurrenz kampf 70 ; Mittel , die wicklung des Proletariats 641 ; keine Revolution vorwärts zu treiben 73f, Zauberformel 673 In te rvention 75ff ; geistige 95ff ; Kleinbürger b. Proudhon 68 ; GegenVerderbnis 109 ; Revolutionsk. 119 ; satz zu Proletariern 1848 73 ; antiNationalk. 119f ; Stellung der Soliberal 291 ; im Orient 327 ; in russ . zialisten zwiespältig 120f ; Krimk. u. französ . Revolution 603 Klerikalismus in Frankreich 1848 86f 124ff ; 1859 138ff ; Lassalle fordert Koalition. Fall Millerand 314 ; Resolu1863 K. gegen Rußland 152 ; Gefahr 1864 155f ; Schweitzer 1866 158, tion auf dem Pariser Kongreß 1900 162ff ; Bebel u . Liebknecht 1866 163 ; 315 Volksk. 1866 u. 1870 165f ; 1866 kurz Kolonialpolitik s. a. Imperialismus ; be167 ; u . Erste Internationale 172ff ; wirkt Umgruppierung der Mächte de utsch- französischer 185ff ; BisLe be nsinteresse der Pro248; kein ma Im rck oder Napoleon Kriegstreiber ? perialismus 288f ; letarier 249 ; u. Verteidigungsk 18 8 ; Frage des . 44 190f ; militärische Sicherung unmög-

690 lich 264 ; Tendenz zum Burgfrieden 209 ; National- u . dynastischer K. 215 ; Angriffs- u. Verteidigungsk. 239f ; Gefahr des deutsch- französ. K. 243 ; 1879 v. Engels abgelehnt 244 ; Engels 1882 245ff ; Imperialismus verringert zunächst Gefahr des K. 248 ; imperialistischer K. vom Proletariat prinzipiell abgelehnt 249 ; Engels lehnt K. ab 250f ; Wachsen seiner zerstörenden Kraft 254f ; K. -technik durch Kapitalismus gefördert 255 ; Bedeutung der Verkehrsmittel 255f ; Wachstum der Soldatenzahl 256 ; 1854-78 auf wenige Staaten beschränkt 256 ; Koalitionsk. 256f ; ungeheure Verwüstungen des modernen K. 258 ; Technik ändert Taktik 259 ; neue Art der Disziplin 259f ; Bauer u. Städter 260f ; Generalstreik zur Verhinderung des K. 281ff ; im Beginn von Volksmehrheit getragen 284 ; Furcht von Invasion u. Niederlage fördert Landesverteidigung 284; Generalstreik droht Landesfeind zu begünstigen 285 ; K. - politik nicht prinzipiell möglich 286 ; ethische Verurteilung unzulänglich 286f; imperialistischer bringt Revolution 287 ; Kolonialk. 293 ; zwischen Großmächten um Kolonialbesitz 294 ; verschiedene Arten d. K. 302 ; russisch-japanischer K. 318ff ; Frage des Angreifers 341f ; Stellung hängt von Umständen ab 343 ; jede Unterstützung einer Regierung zu verweigern 343 ; Furcht vor feindlicher Invasion 345 ; Patriotismus bei K. -ausbruch 346 ; italienisch-türkischer K. 353ff ; Balkank. 356 ; österr. Plan eines Präventivk. mit Italien 358, 395, mit Serbien 367 ; Präventivkrieg 1914 auf deutscher Seite wahrscheinlich 434, 447 ; begünstigt primitives Denken 576 ; Verhinderung durch Völkerbund heute noch unmöglich 635 ; K. so alt wie Staat 644 ; durch industrielles Kapital gehemmt 645, 647 ; dynastischer K. 645f ; Geldkapital kriegerisch 647 ; Revolutionsk. 648 ; Nationalk. 648f ; Kolonialk. 650ff ; Imperialismus 652 ; nicht mehr notwendig zur Durchsetzung nationaler Ziele 659f ; Übervölkerung keine wirkliche Ursache 663f ; natürliche Monopole 665f ; Diktatur als K.- gefahr 671 Kriegsanleihe 1870 188, 207 ; 1914 : Deutschland 442ff, 473ff ; Frank-

reich 445f ; Rußland 490f ; England 510f Kriegsentschädigung 1870 213 ; Weltkrieg 546, 579, 594, 612f Kriegskredite s. Kriegsanleihe Kriegsschulds. Weltkrieg Krimkrieg 124ff, 256 Krise durch Weltkrieg erzeugt, durch Wirtschaftspolitik verschärft 258 ; von 1873 gestaltet Kapital um 290 Kroatien u. Ungarn 1845/9 107 ; Willkürherrschaft 358, 366 ; Agramer Hochverratsprozeß 359 Labour Party, s. Sozialdemokratie Landesverteidigung s. a. Krieg 190f, 194, 284f, 320, 461ff, 491f, 505, 521 Legionen polnische 483, tschechische 484 Leibeigenschaft. Aufhebung der russischen 140 ; von industriellem Kapital bekämpft 290 Levellers 10 Liberalismus in Preußen 150f, 161f ; in Mitteldeutschland 1866 163f ; in Süddeutschland 1866 166 ; Freizügigkeit 171 ; in England 230f ; u. Gewerkschaften 236 ; Wahlsieg 1880 236 ; pazifistisch 255 ; industrielles Kapital wird antil. 291 , 325 ; englischer L. 1905 an die Regierung 503 ; aristokratischer L. in Italien 625f ; u. Sozialismus 665 Mähren. Wiedertäufer 8 Maifeier 345, 480f Manchestertum s. Liberalismus Marokko. Streit zwischen Frankreich u. England 1881 292 ; zwischen Deutschland u. Frankreich 1907 342 ; Aufstand der Rifkabylen 345 Massenstreik s. Generalstreik Menschewisten. „ Weder Sieger noch Besiegte" 451 ; Spaltung 1903 479 ; Einigungsverhandlungen 1914 480 ; Stimmenthaltung bei Kriegskrediten 491 ; Zusammenarbeit mit Bolschewiki u. SR. 561 ; Protest gegen Sonderfrieden 610 Meuterei in der Armee 165, 182, 275, in der russischen Revolution 1905 u. 1907 279 Militarismus u. Kapitalismus 255f ; Schwerindustrie 256 ; fordert Autarkie 258 ; mit Kapitalismus und Wissenschaft verbündet 267 ; u. Kolonialpolitik auf dem Pariser Kongreß 316f ; in Preußen 383f ; Entwicklung der Theorie in Preußen 385 ; u. Imperialismus in Deutschland 396, 436 :

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.M.

Zertrümmerun de deutsche g s n M. Friedensbe dingung 498f, 510, als 533f Miliz in England 177 ; Engels 179f, 259 ; Bauer u. Städter 260f ; Engels 1893 261 ; Stütze der Demokratie 263 ; Engels revidiert sein Urteil 265 ; Pariser Kongreß 1889 299 ; für Deutschland gefordert 507 Mittelmächte s. Deutschland, Österreich u. Weltkrieg Mobilgarde 83f Mobilisierung. Österreich 420 Deutsch; land 421 ; erzwingt rasche Vermittlung oder Krieg 422 ; Rolle der russischen M. 421 ; gleichbedeutend mit Krieg 423 ; Vorsprung der deutschen M. 425 Monarchie in Deutschland 1848 93 u. ; Völkerbund 633 u Krieg 645 im ; . ; Weltkrieg gestürzt 646 ; modernisiert 649 Monopol natürliches u. Krieg 665f ; u. Sozialismus 666f ; Völkerbund 667f Montenegro. Balkankrieg 356 ; Wilsons 14 Punkte 601

691 dert 160f ; für Rußland erwartet 24 ; in RußlWi and 1917 573 Nied7 edertäufer 7 ; Auferlande. stand 8ff Nihilisten 221, 243, 248 Nomaden nicht zu assimilieren 112 Norddeutsche Bund 16 63 r 6 8, Österreich- ungarischer Aufstand 1849 104ff ; u. Krimkrieg 127f ; Lassalle und Marx 134f ; und Rußland 135 ; Krieg 1859 138ff ; und Preußen 141f ; seine Zertrümmerung 142f ; Frieden 1859 147f ; u. Preußen 1864 153ff ; 1866 161ff ; Slaven, Ungarn und Deutsche 1866 169 ; Annäherung an Deutschland 234, 242f ; Oktoberrevolution 1848 269 ; Konflikt mit Rußland, in nationalen Fragen konservativ 308 ; Wahlrechtskampf 1907 kupation Bosniens 1878 350f 33 4 Ok Fein dschaft mit Italien 351 ; Natio-; fortschrittliche nalitätenkampf 35 1; Nationalit ätenpolitik oder Status quo 352 ; Annexion Bosniens 352f ; Gegensatz zu Serbien durch Balkankrieg verschärft 356 ; Gegensatz zu Italien wegen Albanien 357f ; PräNation. Selbstbestimmung 75 , lebensventivkrieg, mit Italien ? 358 ; Südlebensfähige fähige und nicht slav in Österreich gefährlich 358 ; Willen 111 ; Aussterben und Assi kürherrschaft in Kroatien und mi li eSp rache 112f ; im morung 112 ; Bo Wi sn de ien 358, 366 ; Agramer Hochrs ta dernen Staat 113 ; ndsverratsprozeß 359 ; Wiener u. Unfähigkeit durch Schriftsprache 113f ; geschichtslose 114 ; Differenzierung garn antiserbisch 359f ; ökonomischer Gegensatz 360 ; Kriegspläne der kleinen N. 115f ; N.- staat 119f ; 360f ; Frage des Bündnisses mit dynastischer u. N.-krieg 120 ; StelDeutsc hland im Krieg gegen Serbien lung der Sozialisten zwiespältig 120f ; Internationali 363 ; zweiter Balkankrieg 365 ; protät b. Marx u. Lasu. voka torische Politik bei innerer salle 123 ; 1859 141 ; nationale Frage Internationale 17 Schwäche 366 ; Ausschaltung des 3, in der Ersten Parlaments 366 ; Gedanke des PräSozialdemokrat ie 1870 191f ; in der ventivkrieges 367 ; Attentat in SaStreben nach Nationalstaat 214f ; Selbstbestimmu rajewo 367ff ; Ultimatum 369 ; Mißngsrecht 458, 497f , Internationale tr auen de Na ti onalr 537f, 580ff ; u. Volk 631 ; Kriegsstim de1r; ng und Schwäche 37 krieg 648f ; Nationalismus im Orient Sozialdemokrmu atie 372 ; Gegensatz zu 655ff ; Schulbildung 658 ; KleinstaaPreußen 381 ; Krieg 1866 387 ; Austerei oder Bundesstaat 659 bruch des Weltkriegs 403 ; Krieg Nationalgarde 77, 83f gegen Serbien ja, gegen Italien nein National Socialist Party 512 National sozialismus führt allgemeine 403f; von Deutschland unterstützt 404, kein Ziel 407 ; Täuschung ItaWehrpflicht ein 274 ; Ausdruck einer Massenströmu liens 408 ; Zwiespältigkeit des Vorng 277 ; u. sozialist. gehens 408f ; Ultimatum unannehmRealpolitiker 345, Reichstagsbrand ba r 409ff, Abbruch der Beziehungen Mi litarismus 436 ; Kolo368; roher Kriegserklär englis 41 nien 657 Ve1, rmittlungsvers ung 412 ; Rußlcher Nationalversam and uch 414f ; mlung in Frankreich und die Lokalisierung 415, deutsches Einschreiten infolge 1848-49 78, 81ff, 86 , 88f ; in Frankfurt 101 ; 1866 von Bismarck geforKriegsdrohun 41 abgeleen 41ch hngl g 9fer; 9, t is 44* Mobilisierung 420 Kriegserklärun ;

692 gen an Rußland 423f ; an Frankreich 424, an England 424, deutsche u. ö. Sozialdemokratie eng verbunden 482 ; 1914 kein Parlament 483 ; austropolnische Lösung 483f ; tschechische u italienische Sozialdemokraten in Ŏ. gegen Habsburg 484f ; ebenso südslavische 486 ; Verhältnis zu Italien 1914 518f ; Regierung begünstigt Stockholm 564 ; in Stockholm 570 ; Friedensversuche ergebnislos 589 ; Stockholmer Manifest 596 ; Wilsons 14 Punkte 601 , abgelehnt 601f, Erschöpfung 602, Sonderfriedensversuch 602, Ungarn unbelehrbar 602 ; für sofortige Verhandlungen mit Bolschewiki 611 ; Brest Litowsk 612 ; Waffenstillstand 621

Panslavismus bei Bakunin 1848/49 106f ; Kunstprodukt 135 ; Deutschenhaß als Klassenhaß 225f ; Bakunin gegen Marx und Bismarck 227 ; P. bei Marx Werkzeug des Zarismus 228 ; gegen Deutschland 243 ; Engels 1882 245ff Papsttum. Kampf um seine Beherrschung 4, More u. Campanella für P. als Ansatzpunkt eines Völkerbundes 23f ; Habsburger sein Werkzeug 24 ; Revolution 1848 87ff ; fordert in Gegenreformation Kadavergehorsam 264 ; ökonomische Verkommen der katholischen Länder 265 ; Gegenreformation 669 Parlament. Stellung der Anarchisten 301 ; Mißtrauen gegen P. 347 ; Stellung der Bolschewiki 568 ; als Kristallisationspunkt für Einheitsstaat 662 Patriotismus der Massen 69 ; bei Kriegsausbruch 346 ; in Rußland 1914 488ff ; im russisch-polnischen Krieg 1920 489f Pauperismus b. Proudhon 68f Pazifismus der Proletarier 2 ; in den kommunistischen Sekten stärker als kriegerische Richtung 4 ; Böhmische Brüder 5 ; Wiedertäufer 6ff ; Quäker 12ff ; Nachwirkung der englischen Revolution 19 ; b. St. Simon u. seinen Schülern 54 ; b. Fourier 56f ; b. Considérant 60ff ; b. Proudhon 65f, 69 ; Internationale u. bürgerlicher P. 174f ; u. Sozialdemokratie 187 ; der englischen Arbeiter 236f ; 2. Internationale u. bürgerli-

cher P. 280 ; in England 397f, 502, 514f Phalanstère 34, 55f, 58 Polen. Proudhon über Aufstand 67, Revolution 1848 78 ; Niederlage in Preussisch-P . 79 ; u. französische Revolution 80ff ; von Marx als revolutionär anerkannt 104ff ; Aufstand 1863 150ff ; Erste Internationale 171 ; eher für Österreich als Rußland 357 ; Legionen 1914 483 ; austro-p. Lösung 483f ; russisch-p. Krieg 1920 489f ; Stockholmer Manifest 596 ; Wilsons 14 Punkte 600f Politik innere u. äußere 129ff ; Eroberung der p. Macht b. Marx u. Bakunin 224 ; zwei Arten grundsätzlicher P. 467 Possibilisten 296, 298 Präventivkriegs, Krieg Preußen u. Österreich 1859 141f ; Staat b. Lassalle 149f ; im polnischen Aufstand 1863 150ff ; u. Österreich 1864 153ff ; Schweitzer und Bismarck 1866 158ff ; u. Österreich 1866 161ff ; P. in Deutschland 169 ; stehendes Heer u. Miliz 179 ; Wahlrechtskampf 1907 334 ; P. Werden 380 ; arm u. militaristisch 380f ; wird Großmacht im Gegensatz zu Österreich 381 ; Junker 382 ; Militarismus 383, Aufstieg 1740-1870 383f ; Jena 1806 384 ; Wiener Kongreß 384 ; Militarismus ungeschwächt trotz Reformen und allgemeiner Wehrpflicht 384 ; Stärkung des theoretischen Denkens 385, sein Einfluß auf das Militär 386 ; Militarismus auf das Reich übertragen 387 ; Krieg 1866 u. Bündnis mit Italien 387 ; Krieg 1870 388 Produktivgenossenschaften b. Lassalle 149, 153 ; b. Schweitzer 158 Proletarier nicht einheitlich in der Stellung zum Krieg 1f ; im allgemeinen Pazifisten 2 ; in der Reformation kommunistisch 4 ; Quäker u. Urchristen 13 ; milde Sitten 31 ; erringen in französischer Revolution Staatsgewalt 34 ; als Klasse 38 ; anfänglich roh 38 ; Fabrikarbeiter u. Arbeiter d. Kleinbetriebe 39 ; von den Utopisten für unfähig zur Selbstbefreiung gehalten 41, 49, 55, 64, international 51 ; Pauperismus 68 ; in der Revolution von 1848 72 ; Gegensatz zu Kleinbürgern 73 ; Rückgang ihrer Macht 77f ; Spaltung wegen Demonstration vom 15. Mai 84f ; Ju-

693 304; kann Entwicklungsstufen nicht überspringen 327f ; nur durch Zusammenwirken verschiedener Klassen möglich 330 ; in despotischen u. demokratischen Staaten 617f ; u. Monarchie 646 ; u. Krieg 648 Rhein. Eroberungspläne Karls X. 44f ; Krieg 1859 138ff, 144 , 147f ; 1866 162, 166f ; 1870 186 ; Friedenskonferenz 1919 628 Rumänien auf dem Berliner Kongreß 241 ; Gegensatz zu Österreich 357f ; Quäker 11ff ; schwanken zwischen Dreibund 357 ; dynastische Beziehunkriegerischer u. friedlicher Einstelgen zu Wilhelm II . 357, 366 ; Willung 12 ; werden streng pazifistisch sons 14 Punkte 601 . Rußland als Gegner der deutschen Re12ff ; Wiedertäufer ihre Vorgänger volution 1848 96 ; greift Deutsch13 ; nicht mehr kommunistisch 13 ; gegenseitige Hilfe 13 ; ökonomisches land nicht an 98 ; Krimkrieg 124 ; Gedeihen 14 ; Philantropie 14 ; Bellers' Krieg mit Deutschland 128ff ; Staatenbund 16 ; Pazifismus 237, Österreich 134f ; Krieg 1859 138ffu.; 397₤ Leibeigenschaft 140 ; polhnis187 che1r Aufstand 1863 150ff ; nac Ass imilierung 112 Rasse. kriegerisch 216 ; Deutschland an seiReaktion in Innen- u. Außenpolitik ner Seite 217 ; Feindseligkeit gegen Türkei 217 ; Beschützer der Süd129 ; subjektiv u. objektiv 130 Realpolitik 162, 344f, 467 slaven 218 ; Bakunismus 220ff ; Deutschenhaß und Panslawismus Reformation gewaltige Revolution 3 ; in Deutschland 6 ; beherrscht eng225f ; Liebknecht gegen Zarismus lische Revolution 10 ; teilt Europa in 229ff; Berliner Kongreß 233f ; EntDemokratien u. Diktaturen 669f fremdung zwischen R. u. DeutschReformismus in der Ersten Internaland 234 ; Marx 235 ; Revolution tionale 172 ; u. Klassenpolitik 330 ; nach türkischem Krieg 238 ; türkische Widerstandskraft 238f ; Anu. Sozialpatriotismus 499 ; in Italien 522f griffs- u. Verteidigungskrieg 239f ; Reichstagsbrand 368 Erwerbung Bessarabiens 241 ; FeindReparation 579, 594 schaft gegen Deutschland, AnnäRevisionismus 315 herung an Frankreich 242 ; Krieg zur Revolution s. u. den einzelnen LänVerhinderung der Revolution 244 , dern ; nur durch Zusammenwirken 246 ; Revolution nach Ermordung Alexanders II. bleibt aus 248 ; Stelmehrerer Klassen möglich 39 ; Klassengegensätze entstehen 40 ; Streit lung in einem deutsch- französischen um R. als Methode 41 ; St. Simon Krieg 252 ; Wandlung durch erste Revolution 253f ; Oktoberrevolution gegen R. 45f ; b. Proudhon 69f ; 1848 in Frankreich 72 ; Krieg 191 7 270 ; Friedensmanifest 1898 als Mittel , die R. vorwärtszutreiben 280 ; Terrorismus 298 ; durch Generalstreik unterstützt 306ff ; als 73f; R.- kriege 119 ; rev . u. Krimkrieg Schreckgespenst für die demokrati124ff; subjektiv u. objektiv 130 ; Hoffnung auf R. 1866 eitel . 164f ; schen Länder 306ff ; nationale KonBakunin 1870 über R. i. Rußland 221 ; flikte mit Österreich 308 ; Krieg geR. in Rußland oder in d. Türkei 229 ; gen R. von Internationale nicht gefordert 309 ; Bündnis mit FrankEngels über Krieg u. R. 252f ; 1914 kein entscheidender Faktor 254 ; von reich 309 ; Krieg mit Japan 314 , mehreren Klassen getragen 277 ; un318ff ; Revolution 1905 325ff ; im Gewiderstehlich 278 ; ihre Vorbereitung folge der Niederlage 326 ; ihr Einunter der Diktatur 278 ; Verschwödruck 326f ; proletarische Revolution 327, führende Rolle im Soziarungen abzulehnen 278 ; Folge des imperialistischen Kriegs 287 ; Anlismus unmöglich 328 ; Generalstreik archismus u. Sozialdemokratie 297, 328ff ; revolutionärer Enthusiasmus 330f ; Gegenrevolution 333 ; Sozial-

nischlacht 86 ; moderne Demokratie 119 ; b. Marx u. Bakunin 223f ; Pazifismus der englischen P. 237 ; Disziplin 261 ; wachsende Selbständigkeit zwingt Kapital, sich Bundesgenossen zu suchen 290 ; in russischer Revolution führend 327, 603f ; Klassenkampf Mittel zur Höherentwicklung des P. 641 ; p. Demokratie erhält Weltfrieden 674. Prophezeiung . Richtung u. Tempo 252

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revolutionäre u. Marxisten 337 ; fördert staatliche Zersplitterung der Südslawen 350 ; im zweiten Balkankrieg gelähmt 365 ; Kriegsstimmung 1914 372 ; Haager Kongreß 1899 u. 1907 399f ; seine Schwäche 1914 überschätzt 404 ; als Schuldiger am Weltkrieg hingestellt 415 ; Vermittlungsversuch 416f ; Mobilisierung 422; deutsche u. österreichische Kriegserklärung 423f ; deutsches Ultimatum 426f ; Grenzverletzungen 428f ; Krieg 1914 als Ablenkung aus inneren Schwierigkeiten möglich 448 ; Stimmenthaltung der Sozialdemokratie 450 ; weder Sieger noch Besiegte 451 ; Verhältnisse 1905 nicht zu generalisieren 466 ; Spaltung der Sozialdemokratie 1903 479 ; Einigungsverhandlungen 1914 480 ; Arbeiter bei Kriegsausbruch patriotisch 488 ; Streikwelle 1914 488 ; Patriotismus im Krieg mit Polen 1920 489f ; Stimmenthaltung bei Kriegskrediten 1914 490f ; Revolution 1917 556 ; Kriegsmüdigkeit 557ff ; Anhäufung von Arbeitermassen 558 ; Revolte der Armee 558 ; Versuche der Entfachung des Kriegsenthusiasmus 558f ; Friedensstimmung 559 ; Furcht vor deutschem Sieg 559f ; Sowjets 560 ; Notbehelf 560f ; ermöglichen Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien 561 , Friedensaufruf 561f ; Revol. von Deutschland begrüßt 564 ; Delegierte in die Ententeländer 565 ; Märzrevol, nicht bolschewistich 573, bolschewist. Bürgerkrieg Nov. 1917 573f ; Stockholmer Manifest 596 ; Wilsons 14 Punkte 599 ; Vergleich der Revol. 1917 mit der von 1789 603f ; Krieg verhindert Demokratie 604f ; demokrat. Frieden oder Frieden um jeden Preis 605 ; kein Sonderfrieden 606 ; Bolschewiki für sofortigen Frieden 606, Anarchie macht Bolsch. zu Siegern 607 ; bereitet Diktatur vor 607, Staatsstreich 607f ; Rote Armee u. Machtapparat 608 ; sofortiger Frieden notwendig 610, Menschewiki protestieren 610 ; BrestLitowsk 612 ; Abspaltung der Randstaaten 612, Widerstand erfolglos 614, Kapitulation 614f ; Völkerbund 637₤ Sarajewo. Attentat 367 Schiedsgerichte, internationale. Alabamafall 176f ; von 2. Internationale

gefordert 280, 311 ; Stuttgarter Kongreß 340 ; Kopenhagener Kongreß 346f ; Bolschewiki gegen S. 553f ; Völkerbund 642 Schleswig-Holstein 1848 101 ; 1859 145 ; 1864 153 ; Lassalles „Coup" 1864 155ff ; Stockholmer Manifest 596 ; Wilson erwähnt es nicht 601 Scholastik im Marxismus 266 Schuldfrage s. Weltkrieg Schutzbund 270 Schutzzoll industrielles Kapital geht zu ihm über 290 ; Erziehungs- u. Begünstigungszoll 291 ; Schippel 345 Schweiz. Sonderbundkrieg u. Intervention 76 Sedan, Schlacht bei 193, 197ff, 203, 205, 210f, 531, 587 Sekte 149, 477 Selbstbestimmung s. Nation Serbien. Gegner Österreichs infolge Okkupation Bosniens 351 ; Balkanbund u. Krieg mit Türkei 355f ; Widerstand der Sozialdemokratie 355 ; militärische Erfolge 356 ; Gegensatz zu Österreich verschärft 356ff ; ökonomischer Gegensatz zu Österreich-Ungarn 360 ; Kriegsgefahr 1909 u. 1912 360f ; zweiter Balkankrieg 365 ; Machtzuwachs trotz Öst. Widerstand 366 ; österr. Pläne eines Präventivkriegs 367 ; Attentat in Sarajewo 367ff ; Ultimatum 369 ; Ausbruch des Weltkriegs 403ff ; Ultimatum unannehmbar 409ff ; Abbruch der Beziehungen 411 ; Antwort auf Ultimatum 411, 413 ; Kriegserklärung 412, 414 ; Nachgiebigkeit auf russischen Einfluß 414 ; Sozialdemokratie gegen Regierung 492f ; Stockholmer Manifest 595 ; Wilson 14 Punkte 601 Skeptizismus lähmt das Handeln 28 Sklaverei von industriellem Kapital bekämpft 289f Slawen s. a. Panslawismus, Serbien, Bulgarien. Gegner der ungarischen Revolution 1849 104, ihr Untergang von Marx gefordert 105ff ; in Österreich 1868 169 ; Süds. gegen Türkei 218 für Rußland, gegen Österreich 218 ; bosnischer Aufstand 1875 219 ; Süds. u. Zarismus 232 ; südsl. Reich auf dem Berliner Kongreß verhindert 241 ; Engels 1882 245ff; Gegensatz zu Ungarn 248 ; Rußland fördert staatliche Zersplitterung 350 ; Balkanbund 355 ; Willkürherrschaft in Bosnien u. Kroa-

695 tien 358 ; Agramer Hochverratsprozeß 359 ; Süds. gegen Österreich 486 ; Stockholmer Manifest 596 Social Democratic Federation 511 Soldatenräte 560ff Söldner in Utopia 22 ; in England 177 ; laufen zum Gegner über 273 ; in England u. Deutschland 274 ; unzuverlässig 276 Sowjets s. a. Rußland 333, 560ff, 568 Sozialdemokratie 1849 88f ; Berliner 1870 gegen den Krieg 186 ; Streit in Deutschland 1870 186ff ; u. Pazifismus 187 ; Bismarck oder Napoleon Kriegstreiber 188 ; Frage der Kriegsanleihe 188f ; nationale Frage 191f ; Marx und Engels 193 ; Herstellung der Einigkeit nach Sedan 198 ; Manifest v. 5. Sept. 1870 199ff ; Schwerpunkt nach 1870 nach Deutschland verlegt 201f, 226 ; Verhaftung wegen Hochverrat 202 ; Russisch-türkischer Krieg und Sozialistengesetz 234 ; Anwachsen der deutschen 251 ; Stellung in einem deutsch-französischen Krieg 252f ; Mehrheit in der Armee 274 ; u. Anarchisten zum Krieg 283 ; Landesverteidigung u. Kriegsziele 285f ; Burgfrieden 286 ; Kriegspolitik nicht ,,prinzipiell" möglich 286 ; gegen Kolonialkrieg 293 ; deutsche b. Gründung der 2. Internationale 296 ; Essener Parteitag, Frage des Angreifers 341f ; Stellung hängt von Umständen ab 343 ; Lensch u. Ledebour lehnen jede Unterstützung einer Regierung im Kriegsfalle ab 343 ; gegen Balkankrieg 355 ; deutsche Friedensdemonstrationen 1914 371, 438 ; Schwäche der österreichischen S. 1914 372 ; Flottenpolitik 397 ; deutsche führend 437 ; Stellung vor Kriegsausbruch 438 ; Umschwung nach Kriegsausbruch 438f ; kein Verrat 439, Furcht vor Niederlage bei Massen stärker als bei Führern 439, Lüge vom Überfall 439f ; Kriterium des Angreifers 440 ; Bedeutung des Sieges einer Partei für Sozialismus 440f ; Bethmann nützt Feindschaft der S. gegen Rußland aus 441, Nationalisten u. Antiimperialisten 442, Mehrheit schwankend 443f ; verschiedene Beurteilung der Kriegsschuld 444 ; Umschwung zwischen 1. u. 3. August 444f ; Sendung Müllers nach Paris 445, Stimmenthaltung oder Zustimmung in Frank-

reich 445f ; Zustimmung in Deutschland isoliert Deutschland u. deutsche S. 446 ; Kautskys Vorschlag : Stimmenthaltung oder Zustimmung Bedingungen 446ff, unter nur Kriegsschuld u. Kriegsfolgen 448f, Stimmenthaltung in Rußland 450 ; ,,weder Sieger noch Besiegte" 451 ; Möglichkeit falscher Zusicherungen 451f ; Klarlegung der Kriegsziele als Kriegsabkürzung 451f ; Ablehnung durch Regierung erwartet 453f ; Vorschlag nur Umweg zur Verweigerung der Kriegskredite 454, Feststellung der Kriegsziele das Wichtigste 455 ; Ablehnung u. Mißverstehen des Kautskyschen Vorschlags 455ff ; sein Wiederauftauchen 1917 457 ; Zustimmung zu den Krediten ohne Bedingungen, aber mit Vorbehalten 458 ; ,,Vaterland“ u. ,,Burgfrieden" 459 ; Änderung der Resolution auf Bethmanns Wunsch 460 ; Landesverteidigung 461 , bedeutet Verzicht auf Selbständigkeit 462, zerreißt Internationale 463 ; absolute Verpflichtung zur Opposition gegen jede Regierung 464 ; Politik der Regierungen verschieden 464f ; Schablonenhaftigkeit gefährlich 465ff ; ,,Niederlage eines jeden Landes" 466 ; Real- u. grundsätzliche Politik 467f ; Unklarheiten innerhalb jeder Partei 468 ; Bedeutung der Einheit 469 ; Parteidisziplin der deutschen Minderheit 470ff ; wachsende Opposition 471f ; ,, Das Gebot der Stunde" 472 ; Stellung der Minderheit im Reichstag 472f ; Sondererklärung der Minderheit im Reichstag gegen Kriegskredite 473f ; Bildung der ,,Arbeitsgemeinschaft" 474; Gründung der USP 475 ; Spaltung schädlich 475f ; Sekte u. Partei 477 ; ,,Verrat" 478 ; Spartakus als Spalter 478f ; Parteitag der USP in Gotha 1917 479 ; Spaltung der russischen S. 1903 479, Einigungsverhandlungen 1914 480 ; für oder gegen deutsche S. 481 ; deutsche u. österreichische 1914 eng verbunden 482 ; „ Tag der deutschen Nation" u. erwachende Opposition in Österreich 482 ; ungarische S. für Regierung 482f ; keine Kreditbewilligung in Österreich u. Ungarn 483 ; polnische S. für Habsburg 483f ; tschechische u. italienische S. in Österreich gegen Habsburg 484f ; ebenso südslawische 486 ; deutsche

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S. in Österreich nicht gespalten 487 ; russische Arbeiter bei Kriegsausbruch patriotisch 488 ; auch Bolschewiki 488f ; Bolschewiki u. Menschewiki für Stimmenthaltung bei Kriegskrediten 1914 490f ; Kampf in der Emigration 491 ; serbische S. 1914 gegen Regierung 492f ; französische einig für Regierung 494f ; zusammen mit Anarchisten 497 ; Eintritt in Regierung 498 ; für Bekämpfung des deutschen Militarismus u. Selbstbestimmung in Elsaß-Lothringen 498ff, dagegen kaum Opposition 500 ; Einigung zwischen deutscher u. französischer S. unmöglich 500 ; belgische S. tritt in Regierung ein 501 , Haß gegen deutsche S. 501 ; Gegensatz zwischen I. L. P. u. L. P. in England 505f ; englische Marxi sten gegen Deutschland 506f ; Bax für Miliz u . Föderalismus in Deutschland 507 ; I. L. P. gegen Krieg 508ff ; aber für Kriegskredite 510f ; British Socialist Party oppositionell 511f; gespalten 512 ; L. P. in der Regierung 513, gegen allgemeine Wehrpflicht 514f, bewahrt Einheit 515f ; italienische Arbeiter gegen Krieg 521f ; Spaltung wegen Tripolis 522f, Reformisten u. Revolutionäre 523, im Weltkrieg für Neutralität 524, innere Gegensätze 524ff ; ,,nie wieder Krieg" 533 ; Zertrümmerung des deutschen Militarismus als Friedensbedingung 533f ; deutsche dagegen 534 ; alle fordern ,, Sicherungen" 535, Zimmerwald schwach in der französ. S. 543ff ; Austritt der französ. S. aus Regierung 1917 560, Austritt Hendersons 566 ; U. S. P. u . Stockholm 569, USP gegen Zimmerwalder Manifest 572 ; Rebellion in Kiel, Republik 622 ; u . Völkerbund 636f Sozialisierung der Fabrik 34 ; Bakunin f. sofortige S. 223 ; Formen d. S. 666ff ; Staat 667 ; Völkerbund 667f Sozialismus. Kriegerische und pazifistische Tendenzen 2, Weltkrieg zerstört Tradition 2 ; Rückgang im 18. Jahrhundert 32 ; Familie u. Fabrik 33f; moderner 35 ; Wissenschaft u. Arbeiterbewegung 38f ; für und gegen Revolution 41 ; kriegerisch 42 ; Babeuf für Vaterlandsverteidigung 43 ; diktatorischer u. demokratischer 43 ; beide kriegerisch 44ff, Stellung zum Nationalkrieg zwie-

spältig 120f ; Lassalle u. Marx 149 ; Allg. Deutscher Arbeiterverein 151 , 153 ; Schweitzer u. Bismarck 1866, 158ff ; Liebknecht u. Bebel 1866 162ff ; französische 1870 einig 206 ; Kriegsgegner 208 ; erster Aufstandsversuch mißglückt 210 ; nach Sedan kriegerisch 210ff ; Bakunismus 220ff; Herrschaft einer Arbeiteraristokratie 223 ; Zusammenbruch des Kapitalismus nicht S. 253 ; kann Produktivkräfte bändigen 257 ; Ergebnis langsamer Entwicklung 300 ; S. u. zünftlerische Gewerkschaften 324f ; nur in entwickelten Ländern möglich 327 ; Realpolitiker 344f ; französischer Parteitag 1914 370 ; Liberalismus 665 ; Monopole 666f ; Sozialisierung u. Völkerbund 667f Sozialistengesetz 231 , 234, 247, 298, 367f Sozialrevolutionäre auf dem Stuttgarter Kongreß 337 ; Zusammenarbeit mit Menschewiki u. Bolschewiki 561 Spanien Thronkandidatur 1870, 185, 206 ; Bakunismus 224 ; Republik 1873 durch Bakunisten ruiniert 228f, 269 ; Krieg mit USA 1898 313 ; Aufstand der Rifkabylen 345 Spartakusbund 439, 443, 475f, 478f, 535, 542, 570 Sprache. Assimilierung 112 ; im modernen Staat 113 ; Schriftsp. 113f ; Assimilierung durch Schule aufgehalten 658f Staat durch Krieg entstanden 1 , 644 ; Sozialisierung 34, 667f ; i. d. französ. Revolution 34f ; moderner S. u. Nation 113 ; u. Demokratie 118 ; Nationalst. 119f ; Marx u. Lassalle 149f ; Produktivgenossenschaften 153, 158 ; Bakunin 221ff ; Kleins. od. Bundess. 659 Staatenbund s. a. Völkerbund ; v. Bellers befürwortet 16f Staatssozialismus 149f, 153, 158 Steuerpächter 36 Stockholm s. Internationale zweite Streik s. a. Generalstreik Stellung d. Arbeiter u. Kapitalisten 184 Südslawen s. Slaven Syndikalismus u. Proudhonismus 183f, betrachtet Generalstreik als unwiderstehlich 282 ; Generalstreik als die Waffe 311 , 334 ; Stuttgarter Kongreß 337 ; Kopenhagner Kongreß 348

697 Tabor 5, 9 Terrorismus in Rußland 298 gung 38; unpolitisch 41 ; Saint SiTextilindustrie friedlich 256 mon 47ff : hält Proletariat für unTodesstrafe. Bellers ihr Gegner 16 fähig zur Selbstbefreiung 48 , gegen Schreckensherrschaft Haß 48f ; Tonking. Besetzung durch Frankreich 294, 314 gegen den Krieg 49, empfiehlt Völkerbund 50, europäisches Parlament Tripolis. Eroberung durch Italien 1911 353, 522 50f, englisch- französisches Bündnis Tschechen. Stellung von Marx und 52, Deutschlands Einbeziehung 52f ; Fourier unpolitisch 55, Phalanstere Engels 105, 108 ; an Bestand Österreichs interessiert 356f ; Legionen 55f, pazifistisch 56f , Völkerbund 58 ; Considérant pazifistisch 60, wird pogegen Österreich 485 ; Stockholmer litisch 62 Manifest 596 ; Stellung heute u. in der Reformation 670 Vaterland ,,in der Stunde der Gefahr" Tunis von Frankreich besetzt 1881 241 , 459 292 Vereinigte Staaten v. Amerika. Miliz Türkei u. Krimkrieg 125ff ; schwach im Sezessionskrieg 180 ; Krieg mit u. korrupt 217 ; Christen u . MohamSpanien 1898 313 ; Eintritt in Weltmedaner 218 ; Südslawen , 218 ; Krieg krieg 584, 592f, Wilsons 14 Punkte 1877-78 219 ; Urquhart 230 ; Liebknecht 230f ; Berliner 593f, 598ff ; Eingreifen in FrankKongre reich 620 ; Opposition gegen Frieden 233f ; Griechen u. Armenier 234ß; 626f ; Völkerbund 638ff ; SeparatMarx 235ff ; Revolution unmöglich frieden mit Deutschland 640 238 ; Widerstandskraft 238f ; VerVerkehrsmittel, Bedeutung im Krieg luste auf dem Berliner Kongreß 241 , 255 ; Militarismus 256 ; ihre VerVerf jung all nach 1878 352f ; 291f ; besserung ermöglicht große Armeen türkische Revolution 1908 353 ; Krieg 256 mit Italien wegen Tripolis 353f ; Balkankrieg 355f ; Frieden mit Ita- Versailles, Frieden von 588f, 621f, 625, 636, 640 lien 356 ; militärischer ZusammenVerschwörung kein zweckdienliches bruch im Balkankrieg 356 ; StockMittel 278 ; von Marx u. Engels abholmer Manifest 596, Wilsons 14 gelehnt 279 Punkte 601 Verständigungsfrieden s. Frieden Übervölkerung als Ursache der Kolo- Verteidigungskrieg s . Landesverteidinialpolitik 288 ; als Kriegsursache gung Völkerbund s. a. Staatenbund. Papst663f Unabhängige Sozialdemokratische Partum als sein Ansatzpunkt 23ff ; Habsburger 24 ; b. Meslier 26f ; bei tei Deutschlands s. Sozialdemokratie St. Simon 50 ; b. Fourier 58 ; b. Ungarn. Erhebung 1849 104ff ; 1866 Considérant 61f ; b. Proudhon 71 ; 169 ; Gegensatz zu Serbien 360 ; Sozialdemokratie 1914 hinter Regierung Zweite Internationale 280 ; Stockholmer Manifest 597 ; Revisions482 ; keine Kreditbewilligung 483 ; in möglichkeit des Friedensvertrages Stockholm 570 ; unbelehrbar 602 630f ; V. oder Bund der Nationen ? Unteroffiziere als Träger der militäri631 ; Entwicklung des V. - gedankens schen Jugenderziehung 263f Unterseebootkrieg 584, 592f, 622 632 ; beruht auf internationaler Demokratie 633 ; V. u. Urchristen mit Quäkern verglichen Des ien 634f ; Exekutivgewalt no twpot endi g 13 ; Ideologie der kommunistischen Sekten 21 635 ; Sanktionen 635 ; Kriegsverhinderung heute nicht möglich 635f ; Utopisten . Bellers der Vorgänger v. Sieger u. Besiegte 636 ; SozialdemoOwen u. Fourier 15 ; versuchen wissenschaftliche Erkenntnis zu sokratie 636f ; Sowjetrußland 637f ; Vereinigte Staaten 638ff ; Beseitizialem Fortschritt zu verwenden 21 ; gung seiner Unvollkommenheit 641 ; More nicht nur für Verteidigungs- , Krieg den Kriegserregern 642 ; sondern auch für Propagandakriege Schiedsgericht 642 ; Feststellung des 22; Söldner 22 ; Campanella kriegeAngreifers 642 ; demokratische Rerisch 23 ; Meslier pazifistisch 25f ; gierungen der Großmächte Großfamilien 34 ; u. Arbeiterbewe643 Sozialisierung der Monopole 667 f ;;

698 Demokratie 668 ; Diktatur 669 ; Vereinigung der Demokratien gegen Diktatur 671f Volksbewaffnung s . Volkskrieg und Miliz Volksheer 164, 178f Volkskrieg 1866, 1870 165ff Wahlrecht Allgemeines b. Lassalle 149, 153, b. Schweitzer 161f, 164 ; in Belgien 323 ; in Preußen, Österreich u. Frankreich 334 ; Bismarck 1866 387 ; Japan 633 Wehrmacht von Proletariat zu gewinnen 273 ; besteht in ihrer Mehrheit aus Sozialdemokraten 274 ; ihre Sympathie Voraussetzung für Gelingen von Aufständen 275 ; Propaganda in der W. 275 ; Meutereien abzulehnen 276 ; Söldner u. allgemeine Wehrpflicht 276 ; Träger von Revolutionen 279 ; gegen sie Insurrektion aussichtslos 279f Wehrpflicht allgemeine von 1870 177 ; nach 1870 überall 256 ; Tendenz zur Verkürzung der Dienstzeit 262 ; in England und Deutschland 274 ; kurze Dienstzeit 276 ; in Preußen 384 ; in England 513f Weltkrieg zerstört sozialistische Tradition 2 ; Elsaß-Lothringen und Berliner Kongreß seine Ursachen 242 ; Engels 1882 gegen einen W. 245ff ; u. Imperialismus 249 ; von Engels vorausgesagt 250f, 252, aber unterschätzt 257 ; erzeugt Krise 258, Barbarei 266 ; stört allgemeine Entwicklung 275 ; Schuldfrage 374ff ; ‚Gerechtigkeit“ im Friedensvertrag 376, von Deutschland nicht anerkannt 377 ; Frage des Einflusses der Personen 377f ; Dokumentensammlungen 379, 402f ; nicht Imperialismus schlechthin seine Ursache 396 ; kein Staat hat ein Ziel 401 ; sinnlosester Krieg 402 ; Ausbruch 403ff (s. Österreich u. Deutschland) ; Unbestimmtheit der Ziele 452, ihre Feststellung das Wichtigste 455 ; Unklarheiten über Ziele 468 ; überraschend lange Dauer 472f ; Kriegserklärungen 527 ; beide Parteien streben nach Sicherungen 578 ; status quo unmöglich 578 ; nach Marneschlacht für Mittelmächte nicht zu gewinnen 583, 587f ; Trup-

penzahlen 584 ; Ausfall Rußlands Amerikas und durch Eintritt Nahrungsmittelmangel ausgeglichen 584ff ; Fortführung des Krieges durch Deutschland sinnlos 588 ; Friedensversuche der Mittelmächte ergebnislos 589f ; Amerika in den Krieg getrieben 592 ; Wilsons 14 Punkte 593f, 598ff ; Stockholmer Manifest 594ff, hätte Mittelmächte gerettet 597, von diesen ignoriert 598 ; deutsche Offensive 1918 620 ; Eingreifen Amerikas 620 ; Zusammenbruch u. Waffenstillstandsgesuch der Mittelmächte 620f, Waffenstillstand 620 ; Friedensverhandlungen 625ff Weltrevolution 466, 469, 547, 572, 616ff, 637 Wettrüsten vor 1870 auf dem Kontinent 177 ; infolge europäischer Unruhe 215 ; u. Kapitalismus 257 ; nach den siebziger Jahren 259 ; Engels 1893 262 ; von 2. Internationale bekämpft 280, 346 ; zwischen Deutschland u. Frankreich 392 ; erzeugt allgemeine Nervosität 401 , 652 ; Kriegsgefahr 672 ; führt zum Zusammenbruch der Diktaturen 672 Wiedertäufer friedliche u. kriegerische 6 ; in Münster 7f ; in Mähren 8f ; in England 10, 41 ; Vorfahren der Quäker 13 Wissenschaft im Gegensatz zur Religion 20, 186f ; mit Militarismus u. Kapitalismus verbündet 267 Zabern. Affaire 1913 391 Zar, Zarismus s. Rußland Zimmerwald. Frieden ohne Annexionen u. Kriegsentschädigungen 451f ; umfaßt nur Splitter 453 ; geht auf Axelrods Gedanken zurück 541 ; Einladungen willkürlich 542 ; Gefahr des Neubakunismus 543 ; Verlauf der Konferenz Sept. 1915 543ff (s. Internationale zweite) ; Beteiligung an Stockholm abgelehnt 563, gegen sozdem. Mehrheit 567 ; Konferenz in Stockholm 570, 2. Konferenz 571, Manifest f. Massenstreik 571f ; USP. dagegen 572 ; Front durch Novemberaufstand der Bolsch. gesprengt 574₤ Zoll s. Schutzzoll

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Inhaltsverzeichnis Seite V Vorwort ERSTER ABSCHNITT : Die Sozialisten im Zeitalter der Revolutions1 kriege 1 1. Kommunistische Krieger und Pazifisten der Reformationszeit 1 a) Einleitung 3 b) Tschechische und deutsche Kommunisten in der Reformationszeit 9 c) Die Kommunisten der englischen Revolution 11 d) Die Quäker 15 e) John Bellers 17 f) Der englische Pazifismus 20 g) Die ersten Utopisten, More und Campanella 25 h) Jean Meslier 27 2. Die Zeit der Aufklärung 27 a) Die bürgerlichen Aufklärer 32 b) Der Rückgang sozialistischen Denkens im 18. Jahrhundert 37 3. Die Sozialisten des 19. Jahrhunderts bis 1848 37 a) Verschiedene Richtungen im Sozialismus 42 b) Babeuf 43 c) Blanqui und Louis Blanc 47 d) St. Simon 55 e) Fourier 59 f) Considérant 64 g) Proudhon 72 4. Die Revolution von 1848 in Frankreich 72 a) Die Revolution und der Krieg 77 b) Wirkungen der Erhebungen in Italien und Polen 81 c) Der 15. Mai 86 d) Die römische Intervention 90 5. Die Revolution von 1848 in Deutschland 90 a) Der Kommunistenbund und die deutsche Republik 95 b) Der Krieg als Motor der deutschen Revolution 98 c) ,,Neue Rheinische Zeitung" und Krieg 107 d) Die geistigen Verwüstungen durch den Krieg 110 e) Die Nationalitätenfrage ZWEITER ABSCHNITT : Die Sozialisten im Zeitalter der National• 118 kriege 118 1. Allgemeines 122 2. Der Krimkrieg 122 a) Marx und Lassalle 124 b) Revolutionäre Erwartungen 128 c) Stellung zu Rußland 133 d) Stellung zu Österreich 135 e) Die Tschechen 136 3. Der italienische Krieg 1859 136 a) Die Kompliziertheit der Lage 138 b) Engels 140 c) Lassalle 145 d) Marx

700 Seite 148 4. Der deutsche Krieg von 1866 148 a) Polen 152 b) Schleswig-Holstein 157 c) I. B. v. Schweitzer 162 d) Bebel und Liebknecht 168 e ) Engels über die Situation nach dem Kriege 170 5. Die erste Arbeiterinternationale bis zum deutsch-französischen Krieg 170 a) Die Begründung der Internationale 174 b) Die Internationale und die bürgerliche Friedensbewegung • 176 c) Abrüstung und Miliz 180 d) Der Brüßler Kongreß 185 6. Der deutsch-französische Krieg 185 a) Krieg dem Kriege 188 b) Gegensätze innerhalb der deutschen Sozialdemokratie 193 c) Marx und Engels 197 d) Die Einheitsfront der deutschen Sozialisten nach Sedan 206 e) Die französischen Sozialisten im Kriege 214 7. Der russisch-türkische Krieg 214 a) Das südslawische Problem 219 b) Bakunin 229 c) Wilhelm Liebknecht 234 d) Marx • 240 e) Engels DRITTER ABSCHNITT : Die Sozialisten im Zeitalter des Imperialismus 1. Engels gegen den Krieg . a) Die Verwüstungen des Krieges b) Die Teilnahme der Sozialdemokratie am Krieg c) Die Ursachen des Wachstums der Kriegsschrecken d) Abrüstung und Miliz e) Der Bürgerkrieg f) Die Gewinnung der Wehrmacht 2. Neue Auffassungen über den Krieg in der Zeit der zweiten Internationale a) Die Methoden des Kriegs gegen den Krieg b) Der Imperialismus c) Der imperialistische Krieg 3. Die Kongresse der zweiten Internationale vor der russischen Revolution von 1905 a) Der Gründungskongreß 1889 b) Der Brüßler Kongreß von 1891 c) Der Zürcher Kongreß 1893 d) Der Londoner Kongreß 1896 e) Der Pariser Kongreß 1900 f) Der Amsterdamer Kongreß 1904 . 4. Die Kongresse der zweiten Internationale nach der russischen Revolution von 1905 a) Die erste russische Revolution b) Der Stuttgarter Kongreß 1907 c) Lensch, Hervé und Schippel d) Der Kopenhagener Kongreß 1910 e) Der Balkankrieg von 1912 f) Der Basler Kongreß von 1912 . g) Das Attentat von Sarajevo h) Die Brüßler Tagung 28. und 29. Juli 1914

250 250 250 251 254 259 265 273

280 280 287 292

295 295 300 304 310 312 318 325 325 336 341 346 349 361 365 370

701

Seite VIERTER ABSCHNITT : Die Sozialisten im Weltkrieg 1. Die Schuldfrage 2. Die tieferen Ursachen des Weltkriegs a) Der preußische Militarismus bis 1870 b) Der deutsche Militarismus seit 1871 c) Das Wettrüsten mit England . 3. Die Veranlassung des Weltkriegs a) Von Sarajevo bis zum österreichischen Ultimatum b) Vom Ultimatum bis zu den Mobilisierungen c) Mobilisierungen d) Kriegserklärungen 4. Die Sozialisten im Deutschen Reich a) Die deutsche Sozialdemokratie vor dem Kriegsausbruch b) Der Stimmungsumschwung nach dem Kriegsausbruch c) Mein Vorschlag d) Erörterung meines Vorschlags e) Die Begründung der Zustimmung zu den Kriegskrediten f) Die automatische Verpflichtung zur Landesverteidigung g) Die automatische Verpflichtung zur Opposition und Revolution h) Die Bewahrung der Parteieinheit im Kriege i ) Die Spalter an der Arbeit 5. Die Sozialisten anderer am Krieg beteiligten Staaten a) Die Sozialdemokratie in Österreich b) Die Sozialdemokratischen Parteien des Ostens c) Die Sozialisten Frankreichs und Belgiens d) Die britische Arbeiterpartei e) Die Sozialisten Italiens 6. Internationale Zusammenkünfte von Sozialisten a) Aufgaben der Internationale im Kriege . b) Der Weg nach Zimmerwald c) Zimmerwald d) Kiental e) Stockholm f) Zimmerwalds Ende 7. Der Ausgang des Weltkriegs a) Der demokratische Friede b) Die Mittelmächte und der demokratische Friede c) Stockholms dreizehn Punkte d) Wilsons vierzehn Punkte e) Brest-Litowsk f) Die Weltrevolution g) Die Herbeiführung der Friedensschlüsse von 1919 h) Der Völkerbund 8. Rückblicke und Ausblicke a) Aufgaben des Völkerbundes b) Dynastische Kriege c) Nationalismus und Imperialismus d) Der Rückzug des Imperialimus . e) Demokratie und Eroberung f) Demokratie und Diktatur Namensregister Sachregister Inhaltsverzeichnis Druckfehlerverzeichnis

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375 375 379 379 387 392 402 402 410 421 426 436 436 438 446 451 458 461 464 468 476 480 480 487 494 502 517 527 527 533 543 550 556 567 577 577 582 591 598 603 615 619 630 640 640 643 648 653 663 668 675 682 699 702

702

Druckfehlerverzeichnis

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Auf Seite : 56 Zeile 10 von oben muß es heißen Fournière statt Fournier 66 ,, dritten statt zweiten 7 99 99 39 39 Barbès statt Barbés 84 passim 292 "" 21 39 unten 99 "" ?? c) Der imperialistische Krieg statt e) Der imperialistische Krieg 1 99 oben 315 29 39 Engels' statt Engels 405 99 18 99 unten 99 Rotbuch statt Rothbuch 99 448 99 15 19 oben 99 " Gärung statt Gährung 476 99 15 99 unten 19 19 i) Die Spalter an der Arbeit statt k) Die Spalter an der Arbeit 19 " oben 488 99 29 Gärung statt Gährung 490 8 "" oben Bolschewiks statt Bolschewicks 39 4 "9 oben 515 "" "" 39 19 Phillips statt Phillipps 19 " unten 19 Wolf-Festschrift statt Wolf Festschrift 644 " 99 +9

KARL KAUTSKY

SOZIALISTEN

UND

KRIEG

EIN BEITRAG ZUR IDEENGESCHICHTE

DES SOZIALISMUS VON DEN HUSSITEN

BIS ZUM VÖLKERBUND

ERSCHIENEN IM SEPTEMBER 1937

HERAUSGEBER

ORBIS .

VERLAGSBUCHHANDLUNG

PRAG XII., FOCHOVA 62

GESETZT

AUS DER SCHRIFT RONALDSON

DRUCK › ORBIS , PRAG

KarlKautsky

AUS

DER

FRÜHZEIT

DES

MARXISMUS

ENGELS

BRIEFWECHSEL

MIT KAUTSKY

416 SEITEN

PREIS Kč 70° —

RBIS OR

VERLAG PRAG

1935

14/1052

25

KARL

KAUTSKY

AUS DER FRÜHZEIT

DES

MARXISMUS

ENGELS' BRIEFWECHSEL MIT K. KAUTSKY Die Anfänge der Marxischen Schule sind noch wenig aufgeklärt. Einen wichtigen Beitrag zu dieser Aufhellung liefert die jüngste Publikation Kautskys, seines Briefwechsels mit Friedrich Engels. Von den ersten Schülern, die Marx und Engels fanden und in persönlichen Verkehr mit ihnen traten, lebt heute nur noch Kautsky, der allgemein als derjenige gilt, der von ihnen das Wesen ihrer Lehre am besten erfasst hat. Sein Briefwechsel mit Engels reicht von 1881 bis 1898. Kautsky veröffentlicht nicht nur die Briefe, die er von Engels erhielt, sondern auch seine eigenen an Engels gerichteten, soweit er ihrer habhaft werden konnte. Dazu gibt er einen Kommentar nicht nur einzelner Details, sondern auch der allgemeinen politischen und sozialen Situation, in der die Briefe entstanden. Diese beschäftigen sich nicht bloss mit theoretischen, sondern auch mit taktischen Streitfragen und der Charakterisierung leitender Personen. So wird die Ausgabe des Briefwechsels nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Anfänge des Marxismus, sondern der Geschichte des Sozialismus namentlich in Deutschland und England überhaupt. Wer immer sich für den heute so viel umstrittenen Marxismus interessiert, sei er als Anhänger oder Gegner, wird an diesem Buche nicht achtlos vorbeigehen können.

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Gebd. Kč 80-

ERHÄLTLICH BEI ALLEN BUCHHANDLERNI »ORBIS«, PRAG XII, FOCHOVA 62