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German Pages 214 [216] Year 1991
Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter 10
Sonderforschungsbereich 227 - Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter Ein interdisziplinäres Projekt der Universität Bielefeld unter Leitung von Prof. Dr. Günter Albrecht, Prof. Dr. Peter-Alexis Albrecht, Prof. Dr. Otto Backes, Prof. Dr. Michael Brambring, Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann, Prof. Dr. Friedrich Lösel, Prof. Dr. Hans-Uwe Otto, Prof. Dr. Helmut Skowronek
Hans-Uwe Otto
Sozialarbeit zwischen Routine und Innovation Professionelles Handeln in Sozialadministrationen
unter Mitarbeit von Karin Böllert, Horst Brönstrup, Gaby Flösser, Gabriele Hard, Ann Wellinger
W DE G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1991
Dr. Hans-Uwe Otto Professor für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Universität Bielefeld Dipl.-Päd. Karin Bollert, Dipl.-Päd. Gaby Flösser Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld Dipl.-Päd. Horst Brönstrup, Dipl.-Soz. Gabriele Hard, Dipl.-Soz. Ann Wellinger Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SFB 227
Mit 27 Abbildungen und 42 Tabellen
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Sozialarbeit zwischen Routine und Innovation : professionelles Handeln in Sozialadministrationen / Hans-Uwe Otto. Unter Mitarb. von Karin B ö l l e r t . . . - B e r l i n ; New York : de Gruyter, 1991. (Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter ; 10) ISBN 3-11-012285-5 NE: Otto, Hans-Uwe; GT
© Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unterVerwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Druck: Gerike GmbH, Berlin 3 6 . - Buchbinderische Verarbeitung : Lüderitz&BauerGmbH, Berlin 61. Umschlagentwurf: Hansbernd Lindemann, Berlin. - Printed in Germany.
Vonwort
Jugendhilfe und Jugendhilfeforschung sind in die Defensive geraten. Nicht nur das Fehlen aktueller empirischer Studien über den Gegenstandsbereich und die Formen seiner Institutionalisierung, auch die Suche nach hinreichenden Deutungsmustern im Feld der sozialen Arbeit indizieren diesen Tatbestand. Gründe hierfür liegen allerdings nicht nur in dem diffundierenden Bereich der Jugendhilfe selbst, sondern betreffen nahezu das gesamte Spektrum gesellschaftlicher Praxen: Verbindliche Normalitäts- und Lebensentwürfe werden zunehmend von einer Wirklichkeit konterkarriert, die eine kontinuierliche Lebensplanung und entsprechende Unterstützung durch öffentliche Anbieter sozialer Dienstleistungen verhindert. Prozesse, wie z.B. die Pluralisierung von Lebenslagen, die Relativierung traditioneller Werte und Normen oder die Temporalisierung von Lebenshorizonten, machen deutlich, daß die Kategorie Jugend, damit verbunden aber auch die Jugendhilfe, offensichtlich keinen eindeutig abgrenzbaren Forschungsgegenstand mehr markieren. Auf der anderen Seite steht die Jugendhilfe vor neuen Herausforderungen, entwickelt sich weiter, differenziert ihre Angebote und bemüht sich um eine zeitgemäße Bearbeitung der so veränderten Problemlagen. Neue Maßnahmenkataloge, reorganisierte Arbeitsbereiche und die zunehmende Aufmerksamkeitsverlagerung auf Kommunikations- und Koordinationsaufgaben innerhalb der und zwischen einzelnen Dienstleistungsorganisationen deuten auf Entwicklungsbedarfe der Jugendhilfe hin. Programmatische Konzepte und Angebotsstrukturen werden dabei jedoch vielfach lediglich als Defizitkorrektur auf der Basis segmentierter Praxisdiagnosen implementiert ohne an weitertragende Analysen dieses Feldes institutionalisierter sozialer Hilfe rückgebunden zu werden. Finanz- und organisationstechnische Handlungszwänge diktieren in Folge dessen immer häufiger den Veränderungsbedarf. Vor diesem Hintergrund hat die vorliegende empirische Studie zum Ziel, ausgehend von den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen, die Innovationspotentiale in den Handlungssettings der öffentlichen Jugendhilfe kritisch zu bilanzieren und in ihrer Reichweite zu analysieren. Hierfür bieten sich Anknüpfungspunkte in der Tradition empirischer Arbeiten - wie sie in den 60er Jahren für die Jugendhilfe bspw. von Vogel (1960; 1966), Lingesleben (1968), Skiba (1969) und Helfer (1972) durchgeführt und dokumentiert wurde. Obwohl die Akzentuierungen dieser Studien von der hier vorliegenden Untersuchung teilweise deutlich abweichen, bleiben zentrale Rahmendaten vergleichbar. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Stichproben lassen sich aus den Ergebnissen generelle Entwicklungsdynamiken für das Setting professionellen Handelns im Jugendamt ablesen. Neuere Standortbestimmungen der Jugendhilfe in den einschlägigen Fachdiskussionen der 70er und 80er Jahre entbehren oftmals der empirischen Grundlegung und Evaluation. Das Forschungsinteresse richtete sich hier primär auf die Binnenstrukturen und subjektiven Interpretationsfolien profes-
VI
Sozialarbeit zwischen Routine und Innovation
sioneller Sozialarbeit. Demgegenüber sollen die hier vorgelegten repräsentativen Ergebnisse einer Untersuchung der öffentlichen Erziehungshilfe in 28 Großstadtjugendämtern Nordrhein-Westfalens eine kritische Bestandsaufnahme auch der strukturellen Rahmenbedingungen sein und Fixpunkte markieren, die für eine umfassende Analyse von Arbeitsfeldern behördlicher Sozialarbeit unerläßlich sind. Ohne die bereitwillige Unterstützung der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die einen nicht geringen Teil ihrer Arbeitszeit zur Verfügung gestellt haben, wäre diese Untersuchung nicht gelungen. Ihre Anregungen und kritischen Nachfragen haben uns bei den Interpretationen der Ergebnisse konstruktiv weitergeholfen. Auch den zuständigen Sozialdezernentlnnen, Jugendamtsleiterinnen, stellvertretenden Jugendamtsleiterinnen und Abteilungsleiterinnen gilt unser herzlicher Dank. Sie haben uns nicht nur durch ihre weltreichende Bereitschaft zur Auskunft und Stellungnahme über ihre Arbeitsbereiche, sondern auch durch viefältige organisatorische Unterstützungen bei der Realisierung des Forschungsprojektes große Hilfestellungen geleistet. Darüberhinaus war für die Durchführung der Untersuchung die positive Stellungnahme des Städtetag Nordrhein - Westfalens zum Forschungsvorhaben sehr nützlich. Die einzelnen Kapitel dieses Buches basieren auf Arbeitsberichten, die von den genannten Mitarbeiterinnen zu Teilbereichen des Projektes vorgelegt worden sind. Diese Arbeiten sind zum Zweck der Buchpublikation in einer von mir zu verantwortenden Auswahl zentraler Ergebnisse zusammengefaßt worden. Karin Böllert, Horst Brönstrup, Gaby Flösser, Gabriele Hard und Ann Wellinger sei an dieser Stelle für ihre intensive Forschungsarbeit, die das Projekt letztendlich getragen hat, besonders gedankt. Karin Böllert hat darüber hinaus auch die Funktion als Projektkoordinatorin umfassend wahrgenommen. Gaby Flösser war zusätzlich an der Endredaktion beteiligt und hat als Co-Autorin die Schlußfolgerungen für die Organisationsentwicklung mit verfaßt. Thomas Olk stand als Mitglied der AG Sozialpädagogik/Sozialarbeit der Fakultät für Pädagogik dem Projekt bei Bedarf immer zur Beratung zur Verfügung. Schließlich wäre diese Arbeit ohne die infrastrukturellen Voraussetzungen des Sonderforschungsbereiches 227 "Prävention und Intervention im Kindes und Jugendalter" nicht denkbar gewesen. Daher gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft und besonders auch allen Mitarbeiterinnen und Kollleglnnen des SFB, die mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben, mein herzlicher Dank. Ich hoffe, daß die vorgelegten Ergebnisse zu einer erneuten, dringend erforderlichen Diskussion vermeintlich bekannter Tatbestände in der Jugendhilfe führen und sich damit für alle Beteiligten die großen Anstrengungen wenigstens zu einem guten Teil bereits gelohnt haben. Hans - Uwe Otto
Bielefeld, im Dezember 1990
INHALT
Vorwort
1.
V
Administrative und Professionelle Voraussetzungen präventiver Jugendhilfe Erklärungsansätze und Forschungsdesign
1
1.1
Entwicklungslinien institutionalisierter Jugendhilfe
1.2
Der theoretische Bezugsrahmen der Studie
1.3
Untersuchungsdesign
10
1.4
Angewandte Methoden
13
2.
SoziaJbürokratie und Organisationsreform
16
2.1
Einleitung
17
2.2
Dekonzentration der sozialen Dienste
19
2.3 2.3.1
Neuordnung der Arbeitsteilung Arbeitsteilung zwischen Sozialarbeiterinnen und Verwaltungsfachkräften
25
Enthierachisierung der Arbeitsvollzüge Arbeitsgruppen Zum Verhältnis von Entscheidungsdelegation und Kontrolle
30 33 35
2.5 2.5.1 2.5.2
Programmierung der Arbeitsvollzüge Organisationstheoretische Typologien Professionelle Selbstabstimmung
37 42 45
2.6
Die Neuorganisation sozialer Dienste Eine gescheiterte Organisationsreform?
48
2.4 2.4.1 2.4.2
•••
1 4
29
VIII
3.
Kompetenzprofile und Handlungsorientierungen
51
3.1
Einleitung
51
3.2
Mitarbeiterinnen in der öffentlichen Erziehungshilfe
3.2.1 3.2.2
Qualifikationsstandards Die öffentliche Erziehungshilfe: Ein Arbeitsfeld für Berufsanfänger
55
3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7
Professionelle Handlungsorientierungen Sozialarbeiterische Wissensbestände F o r t - und Weiterbildung Zielsetzungen sozialarbeiterischen Handelns Erklärungsmuster sozialer Probleme Anlässe professioneller Interventionen Professionelle Handlungsstrategien Kompetenzprofile
61 61 64 65 66 68 69 72
3.4
Professionelle Handlungsorientierungen in bürokratischen Kontexten
75
3.5
Prävention und professionelle Handlungsorientierungen •
78
4.
Administrative Routinen und Professionelle Identität
81
4.1
Einleitung
81
4.2
Drei Typen organisationeller Programmierung
85
4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.1.3
Programmierungsstrukturen Die Programmierungsstruktur des Typ I Die Programmierungsstruktur des Typ II Die Programmierungsstruktur des Typ III
87 87 91 94
4.3
Die Programmierungstypen als Rationalitäten moderner Dienstleistungsorganisationen
98
4.4
..
55
58
4.4.1 4.4.2 4.4.3
Organisatorische und professionelle Optionen in der Gestaltung sozialarbeiterischer Handlungsvollzüge ••• Der "Semi-Professional" Der "bürokratische Professional" Die "Professionalisierte Bürokratie"
103 105 108 109
4.5
Ausblick
112
IX
5.
Tätigkeitsprofile und sozialarbeiterischer Alltag
115
5.1
Einleitung
115
5.2
Erhebungsmodus und Stichprobencharakterisierung
118
5.3 5.3.1
Sozialarbeiterischer Alltag Arbeitsbereichsspezifische Alltagsroutinen
121 124
5.4
Sozialarbeiterisches Handeln im Kontext administrativer und professioneller Steuerungsstrategien
126
5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3
Tätigkeitsprofile im sozialpädagogischen Arbeitskontext • Der interaktive Typus Der bürokratische Typus Der dezentrale Typus
129 132 133 135
5.6
Die Strukturierung des sozialarbeiterischen Alltags Routinierte Abarbeitung oder Schaffung von Handlungsspielräumen
135
6.
Präventionspotentiale und Normalitätsannahmen
139
6.1
Funktions- und Aufgabenbestimmung personen bezogener sozialer Dienstleistungen im Bereich der Jugendhilfe
139
6.2
Operationalisierung der Forschungsfrage
145
6.3 6.3.1
Darstellung und Diskussion der Untersuchungsergebnisse Administrative Voraussetzungen einer präventiven Jugendhilfe Professionelle Voraussetzungen einer präventiven Jugendhilfe Anforderungen an die sozialpädagogische Handlungskompetenz Der Typus der 'praxiskompatiblen Fachhochschulabsolventinnen' Der Typus der'lebenserfahrenen Persönlichkeit' Der Typus der 'professionellen Sozialarbeiterinnen' • • • • Zusammenfassende Einschätzung
147
6.3.2 6.3.2.1 6.3.2.1.1 6.3.2.1.2 6.3.2.1.3 6.3.2.2
147 150 151 151 153 156 157
X 6.3.3 6.3.3.1 6.3.3.2 6.3.3.2.1 6.3.3.2.2 6.3.3.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3
Normalitätsannahmen und Integrationsvorstellungen der Jugendhilfe Zum Verhältnis von strukturbezogenen und individualisierenden Normalitätsannahmen Reaktionen der Jugendhilfe Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit Die Sozialpädagogische Familienhilfe Rezeption und Akzeptanz jugendspezifischer Leistungen
158 165 165 167 169
Zum Verhältnis einer reaktiv - kompensatorischen zu einer aktiv - gestaltenden Jugendhilfe Gesetzliche Rahmenbedingungen Kommunale Handlungsspielräume Resümee: Perspektiven einer präventiven Jugendhilfe . .
171 172 173 175
158
Gaby Flößer I Hans - Uwe Otto Schlußfolgerungen für die Organisationsentwicklung in personenbezogenen sozialen Diensten
179
Literatur
191
1. ADMINISTRATIVE UND PROFESSIONELLE VORAUSSETZUNGEN PRÄVENTIVER JUGENDHILFE ERKLÄRUNGSANSÄTZE UND FORSCHUNGSDESIGN Hans - Uwe Otto
1.1 Entwicklungslinien institutionalisierter Jugendhilfe Die Institutionalisierung sozialer Hilfen und die hiermit verbundenen Konzepte, Modelle, Organisationsformen und Handlungsmuster sind seit ihren Anfängen mit einem Begriff von Prävention eng verbunden. Sowohl im Ausland (vgl. z.B. das britische "National Commitee for the Prevention of Destitution, 1909") als auch national (vgl. z.B. den von Ernst Forsthoff 1938 eingeführten Begriff der "Daseinsvorsorge") wurden kollektive Anstrengungen unternommen, Armut, hieraus resultierende und assoziierte soziale Probleme frühzeitig und - wenn möglich - strukturell zu lösen. Wohltätigkeit, als Inbegriff individuell motivierter und normativ unterlegter Hilfe wurde durch das rechtlich kodifizierte und organisatorisch differenzierte Fürsorgewesen abgelöst, das eine rationalere, steuerbare und effektivere Leistungserbringung versprach. "Ihrem Selbstverständnis nach handelte es sich bei dem neuen Typus 'sozialer Fürsorge' darum, der Verarmung durch planmäßige Maßnahmen vorzubeugen, die Lebensverhältnisse der städtischen Armutsbevölkerung sozialpolitisch zu gestalten, ohne Diskrimminierung und politischen Zwang" (Sachße 1986, 50). Die Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht (RFV) und die Reichsgrundsätze über Voraussetzungen, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge, beide 1924 verabschiedet, fixierten erstmals das Verhältnis zwischen öffentlichen und freien Fürsorgeorganisationen auf der kommunalen Ebene und begründeten zudem einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf Unterstützung. Die damit verbundenen Koordinationsregelungen eines sich rapide ausdifferenzierenden Systems von Hilfeleistungen hatten darüberhinaus "(...) Forderungen nach einem rechtzeitigen Einsetzen der Fürsorge, nach einer ausreichenden Dauer und nach vorbeugender Hilfe als Pflichtform für die Methoden der Wohlfahrtspflege aufgestellt" (Wronsky 1929, V). Die Betonung der Unabdingbarkeit präventiver Hilfeleistungen war damit ein elementarer Bestandteil in der Genese und der Konzeption sozialstaatlicher Organisations - und Handlungsformen. Ebenfalls seit Beginn der Jahrhundertwende wird dieser programmatische Anspruch einer umfassenden sozialpolitischen Gestaltung von Lebensweisen jedoch durch die Institutionalisierung der sozialen Hilfen selbst unterlaufen. Die für moderne Gesellschaften charakteristischen Steuerungsmedien Geld, Recht, Bürokratisierung und Professionalisierung in ihren segmentierenden Wirkungen produzieren eine dem System sozialer Sicherung immanente
2
Administrative
und professionelle
Voraussetzungen
präventiver
Jugendhilfe
Rationalität, die einem präventiv orientierten, umfassenden Anspruch in der Bearbeitung sozialer Probleme nicht gerecht werden kann: Hartnäckig kontraproduktiv erweisen sich vor allem vermeintlichen Sachezwängen geschuldete Ausleseprinzipien sozialer Probleme, derer sich auch die Sozial- und Jugendhilfeinstitutionen bedienen, obwohl sie den eigenen Intentionen bspw. sozialer Gerechtigkeit, Solidarität, Vorbeugung sozialer Problemlagen - zuwiderlaufen. Praktische Gültigkeit beanspruchen statt dessen jene institutionalisierungsinternen Selektionskriterien, die Hans Achinger schon 1959 als "ungewollte und sozialpolitisch nirgends begründete Auslese der Notstände" charakterisierte: - Institutionelle Redefinition der Problemlagen - Standardisierung sozialer Probleme - fehlen alternativer Bearbeitungsmöglichkeiten - Reduktion der Problemlagen auf materielle oder gesundheitliche Mißstände - Verrechtlichung des Anspruchs auf Hilfe - Bürokratische Abarbeitung - Abhängigkeit von öffentlichen Mittelzuweisungen (vgl. Achinger 1966, 42f.) Wie aktuell dieser Defizitkatalog institutionalisierter sozialer Hilfe ist, spiegelt sich in den Berichten über Bestrebungen und Leistungen der Jugendhilfe wider. So kommt der Dritte Jugendbericht (1972) zu dem Ergebnis, daß die Anforderungen an die behördlich organisierte Jugendhilfe, wie sie in der Weimarer Republik schon formuliert wurden, eine leistungsstarke Fachbehörde auszubilden, nicht realisiert werden konnten. Defizite werden vor allem in einer mangelnden fachlichen Profilierung der Jugendhilfe gesehen. Verrechtlichung, administrative Bewertungskategorien für Entscheidungen, Zersplitterung der Problembearbeitung, Kontinuitäts - und Koordinationsprobleme in der Aufgabenbewältigung sowie strikte, wenig flexible Formen der Arbeitsteilung werden in erster Linie als Hindernisse für eine Optimierung der Praxisbedingungen herausgearbeitet (vgl. Dritter Jugendbericht 1972, 126). Problematisiert werden hier diejenigen konstitutiven Elemente moderner Sozialarbeit, die um die Jahrhundertwende noch einen Fortschritt markierten. Auch der Fünfte Jugendbericht lokalisiert kritischen Reflexionsbedarf und Notwendigkeiten für Kurskorrekturen im Hinblick auf die fortschreitende Institutionalisierung, die zunehmende Verwissenschaftlichung und Professionalisierung und die sich abzeichnende Operationalisierung und technische Rationalisierung der Handlungsvollzüge der Jugendhilfe (vgl. Fünfter Jugendbericht 1980, 209). Diese generellen Kritiken gewinnen vor dem Hintergrund einer Reorientierung der Sozialarbeit/Sozialpädagogik zugunsten kommunaler Institutionalisierungsprozesse an Bedeutung. Nicht erst vor dem Hintergrund finanzpolitischer Restriktionen wächst die Relevanz kommunaler Problemlösungsressourcen für die Gestaltung sozialräumlicher Lebensverhältnisse und die
Entwicklungslinien
institutionalisierter
Jugendhilfe
3
Bearbeitung von Problemlagen. Die tradierte 'Logik' der Institutionalisierung sozialer Hilfen - auf einen zunehmenden Problemdruck durch eine expansive Beschäftigungs - und MaBnahmenpolitik zu reagieren - wird angesichts der vielfach postulierten Tendenzen einer fortschreitenden Bürokratisierung, Verrechtlichung und Expertokratie auf ihren ausschließlich selbstlegitimatorischen Charakter verwiesen. In diesem Kontext werden vor allem an selbstorganisierte, alternative Formen der Hilfeerbringung Hoffnungen für eine präventive, angemessenere soziale Arbeit geknüpft. "Im Zeichen eines solchen Präventionskonzepts ergeben sich für die Gewichtung der Aktivitäten der Jugendhilfe neue Akzente. Notwendig sind zunächst sozialpolitische und kommunalpolitische Aktivitäten zur Gestaltung von Lebensverhältnissen, z.B. Hilfen und Unterstützungen der Institutionen, die die heutigen Lebenslagen bestimmen, also der Familie, der Schule und des Arbeitsmarktes. Notwendig sind tragfähige soziale Bezüge, vor allem auch das soziale Netz in der Gemeinde. Notwendig sind schließlich Angebote zu Bildung, Aufklärung und Gestaltung von Lebensräumen." (Achter Jugendbericht 1990, 221) Damit kristallisieren sich zwei theoretische Strukturvariablen für eine Rekonstruktion der Institutionalisierungsprozesse sozialer Hilfen heraus, die in ihrer Relationierung Prognosen über den Realisierungsgrad präventiver Leistungen der sozialen Arbeit erlauben: Die Analyse spezifischer Arrangements von generalisierbaren professionellen Handlungsmustern und organisatorischen Settings zeigt Anhaltspunkte darüber auf, ob sozialarbeiterische Dienstleistungsangebote eher problembezogene Unterstützungsleistungen für Adressatinnen in prekären Lebenslagen darstellen, oder aber ob sie eine eigenspezifische Rationalität entfalten, die Problemlagen unter extern definierte Kriterien subsummiert (vgl. Lipsky 1980). Dabei kann soziale Arbeit im Sinne der ersten Charakterisierung sowohl eine primär-, als auch sekundär- präventive Wirkung entfalten: "Primäre Prävention richtet sich auf den systemischen Anteil an der Entstehung sozialpolitischer Probleme. Ihre Maßnahmen laufen auf institutionelle Änderungen hinaus. Diese stellen sich dar. Sie eröffnen aus der Sicht der Subjekte als gewandelte Lebenschancen den Subjekten die Chance, nicht in solche Handlungskontexte zu geraten, in denen sie in Kauf nehmen müssen, zu Trägern sozialpolitischer Probleme zu werden ... Sekundäre Prävention richtet sich auf den subjektbezogenen Anteil sozialpolitischer Problementstehung. Sie legt den Subjekten Arrangements mit institutionellen Zwängen nahe, die sich aus systemischer Erfordernissen ergeben. Sekundäre Prävention läuft somit auf flexible, problemabsorbierende Anpassung hinaus" (Vobruba 1983, 29f). Die institutionellen Voraussetzungen primärer, vor allem aber sekundärer Prävention werden jedoch erst deutlich, wenn die professionellen und organisatorischen Elemente sozialarbeiterischen Handelns in ihrem Verhältnis zueinander und in ihren Implikationen für die Adressatinnen analysiert werden.
4
Administrative und professionelle Voraussetzungen präventiver Jugendhilfe
1.2 Der theoretische Bezugsrahmen der Studie Die Jugendhilfe strebt heute in ihren Inhalten, Strukturen und Organisationsmodellen eine gleichwertige Institutionalisierungsform als "dritte Sozialisationsinstanz" (vgl. Fünfter Jugendbericht 1980) neben Familie und Schule an. Für das Erreichen einer derartigen Zielsetzung sind Reformulierungen der Ziel- und Funktionsbestimmungen von Jugendhilfe sowie Revisionen der organisationellen Rahmenbedingungen, Angebote und Maßnahmen unerlässlich. Dieser Innovationsbedarf wird der sozialen Arbeit zwar von vielen Seiten bescheinigt, Chancen für grundlegende Reformen jedoch eher skeptisch beurteilt. Die Zeit der Modellentwürfe und konzeptionellen Neugestaltung dieses Sektors personenbezogener Dienstleistungen scheint mit der "Neuorganisation sozialer Dienste" im Zuge der kommunalen Neugliederung in der BRD in den 70er Jahren ihr vorläufiges Ende gefunden zu haben. Konzentriert wird die Suche nach weiterführenden Entwicklungsmöglichkeiten daher auf die 'Restrukturierung des Vorfindbaren', d.h. auf die praktischen Elemente sozialarbeiterischen Handelns. Die Protagonisten einer "Verfachlichung" setzen auf einen Rückgang der Verwaltungsrationalität und richten ihre Hoffnungen auf eine "bessere" Problembearbeitung durch die Professionals. Hinzu kommt Kritik an einer sogenannten expertokratischen Variante sozialarbeitrischen Handelns, unterstützt durch gesellschaftliche Bewegungen ("Selbsthilfebewegung") und neue Formen sozialen Engagements ("neue Ehrenamtlichkeit"). Andere wieder wählen räumliche Kategorien ("Stadtteilorientierung") als Kriterien für eine möglicherweise frühzeitigere und kontextbezogenere Wahrnehmung und Bearbeitung sozialer Problemlagen oder versprechen sich von einem neuen Instrumentarium ("Handlungskompetenz") die Überwindung einer einzelfall - zentriert geprägten Sozialarbeit. Will sich die Jugendhilfe ihrer marginalen Rolle und ihres kontrollierenden, reaktiv-kompensatorischen Charakters entledigen - so die zentrale These - , ist sie gefordert, von ihren tradierten Institutionalisierungsmustern und Routinen Abschied zu nehmen und sich statt dessen an einer erhöhten Flexibilität und Offenheit gegenüber den Lebensbedingungen und Problemkonstellationen Jugendlicher zu orientieren. Dieser Flexibilsierungs - und Innovationsbedarf ergibt sich aus dem tiefgreifenden Wandel der Lebensbedingungen von Jugendlichen in der gegenwärtigen Gesellschaft (vgl. Deutscher Bundestag, 1983; Der Bundesminister für Familie und Gesundheit, 1983). Die dem Jugendstatus immanenten Schwierigkeiten und Konfliktkonstellationen (Pubertätsproblematik, Geschlechterrolle, Ablösung vom Elternhaus, Persönlichkeitsentwicklung) werden immer mehr davon überlagert, daß Verlängerungen der Schul- und Berufsausbildungszeit die biographische
Der theoretische Bezugsrahmen der Studie
5
Grenzziehung der klassischen Jugendphase durch den Eintritt in das Beschäftigungssystem immer mehr an Gültigkeit verliert. Dadurch ist von einer zunehmenden Kluft psycho - physischer und sozio-ökonomischer Selbständigkeit auszugehen, deren Überbrückung die postadoleszente Altersphase (vgl. Döbert.R./Nunner - Winkler, G. 1975; Jugendwerk der Deutschen Schell 1980) dominiert. Diese gesellschaftliche Entwicklung bedingt, daß Jugend immer weniger als Vorbereitung auf das zukünftige Erwachsensein erlebt wird, und daß demgegenüber vielfältige Selbstdeutungen und Lebensentwürfe der Jugendlichen selbst Bedeutung gewinnen; es ist also von einer Pluralisierung der Lebenslagen auszugehen (vgl. Hornstein 1979; Boehnisch 1982). Darüber hinaus hat die Relativierung von Normen und Werten zur Folge, daß Jugendliche außerordentlich differenzierte Wertorientierungen entwickeln (vgl. Olk/Otto 1981). Die Ursachen, Begründungen und Wirkungen wurden vor allem im Kontext der These eines "Wertewandels" diskutiert (vgl. Ziehe 1978; Inglehart 1979). Für Jugendliche selbst gewinnt die Suche nach einem individuell gültigen und sinnvollen Lebensstil vorrangige Priorität. Angesichts der zunehmenden Diffusion kulturell eindeutiger Lebensorientierungen und sinnvermittelnder gesellschaftlicher Institutionen mündet dieser Orientierungsprozeß für einen bedeutenden Teil der Jugendlichen in der Herausbildung relativ beliebiger, austauschbarer Lebensplanungen, d.h. die Lebenssituationen Jugendlicher sind auch durch eine Temporalisierung charakterisiert. Diese Strukturmomente komplexer moderner Gesellschaften, die zwar grundsätzlich jedes Gesellschaftsmitglied betreffen, führen jedoch bei den Adressatinnen der Jugendhilfe zu besonderen Problemkonstellationen, da diese ihre Identitätsbildung unter vergleichsweise ungünstigen materiellen und familialen Bedigungen vornehmen müssen. Für die Jugendhilfe gilt daher verstärkt, daß Problembearbeitungsstrategien entwickelt und implementiert werden müssen, die Jugendliche zu einer Bewältigung dieser Identitätskrisen befähigen. Institutionelle Leistungen, die diesen veränderten Problemlagen gerecht werden wollen, sind jedoch nicht durch die einfache Fortschreibung der traditionellen Maßnahmen und Angebote zu erbringen, sondern nur als alternative Entwicklungen denkbar. Dieser Perspektivwechsel hin zu einer gestaltenden, adressatenorientierten und problembezogenen sozialen Arbeit (vgl. Olk/Otto 1985) konzeptualisiert sich im Begriff der Prävention, Eine präventive Jugendhilfe überwindet danach ihre personenzentrierte, dem klinisch - kurativen Handlungsmodell verhaftete Blickrichtung und wendet sich - ohne die subjektiven Bedürfnisse ihrer Adressaten zu vernachlässigen - den Kontextstrukturen der Lebensbedingungen und Lebenschancen Jugendlicher zu. Mit dieser Definition ihrer gesellschafts - und sozialpolitischen Funktion und Aufgabe wird die Jugendhilfe veranlaßt, sowohl struktur - als auch personenbezogene Leistungen und Angebote zu initiieren.
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Administrative und professionelle
Voraussetzungen
präventiver
Jugendhilfe
Obwohl die Prävention für den Jugendhilfebereich keine neue Thematik darstellt, fehlen bis auf die Arbeit von Herriger (1983) darauf bezogene empirische Studien völlig. Stattdessen sind überwiegend Vorschläge entwickelt worden, die über administrative Reformen einen adäquateren Zugang zu den Problemlagen der Adressaten anstreben (vgl. Hottelet, 1984; Müller-Schöll, 1984; Schulz, 1984; Sengling, 1984). Kritik an diesen Ansätzen wurde insbesondere im Hinblick auf die Ausschließlichkeit administrativer Veränderungen und eine damit einhergehende technokratische Variante der Prävention und gegenüber einer idealistischen Verkürzung der ambivalenten Effekte präventiver Problembearbeitungsstrategien, die einen möglichen Ausbau sozialer Kontrolle, den Verlust subjektiver Problembewätigungen und eine darin zum Ausdruck kommende "Kolonialisierung von Lebenswelten" (vg. Habermas 1985, 522f; Castel, 1983; Otto, 1983) nicht in ihr Blickfeld einbezieht, geübt. Die Anforderungen an ein Präventionskonzept, daß die hier formulierten Kritikpunkte konstruktiv aufnehmen will, ergeben sich also dahingehend, soziale Arbeit im Hinblick auf diese Neuorientierung so zu strukturieren, daß organisationeile, professionelle und klientele Interessen gleichermaßen Berücksichtigung finden. Die vergangenen Jahre spiegeln Bemühungen, diese Reformen umzusetzen, wider, wenngleich sie unterschiedliche Ansatzpunkte für die Initiierung von Entwicklungsprozessen setzen. Ein zentraler Ausgangspunkt theoretischer wie praktischer Überlegungen zur Implementation neuer Handlungsmuster ist jedoch die charakteristische Dualität von bürokratischen und professionellen Elementen in sozialarbeiterischen Handlungsvollzügen. Den Ausgangspunkt der vorliegenden empirischen Untersuchung von Bedingungen und Möglichkeiten der Restrukturierung der Jugendhilfe in Richtung auf eine präventive Herangehensweise an soziale Problemlagen bildet das prekäre Verhältnis von Bürokratie und Profession in Sozialadministrationen. Profession und Bürokratie markieren wesentliche Arbeitsprinzipien, deren widersprüchliche Einheit ein konstitutives Merkmal institutionalisierter Sozialarbeit ist: den Sozialorganiationen wird dabei eine Orientierung an einem zweckrationalen Bürokratiemodell, den Professionals eine Orientierung an relativ autonomen Entscheidungs - und Handlungsvollzügen zugeschrieben. Die Grundfrage nach dem Prozeß ihrer Institutionalisierung und des Verhältnisses dieser beiden Bereiche zueinander, die in praxi offensichtlich durch vielfältige Arrangements zwischen professionellen und organisationellen Strategien gelöst wird, ist bislang in ihrer zentralen Bedeutung für die Einschätzung präventiver Konzepte in ihren strukturellen Vorbedingungen und eigenspezifischen Wirkweisen übersehen worden. Das Verhältnis von "Bürokratie" und "Profession" wird in organisationsund professionssoziologischen Arbeiten i.d.R. als invers charakterisiert: Organisationelle Dysfunktionen werden hinter einem hohen Ausmaß profes-
Der theoretische Bezugsrahmen der Studie
1
sioneller Standards, - und umgekehrt - professionelle Defizite (wie z.B. Unzufriedenheit, geringe Arbeitsmoral, Entfremdung) bei einer Dominanz bürokratischer Routinen in den sozialarbeiterischen Handlungsvollzügen vermutet (vgl. Hall 1967; Benson 1973). Eine äquivalente, gleichrangige Funktion innerhalb der Institution können Organisation und Profession im Kontext dieser Verhältnisbestimmung nicht einnehmen, eine Steuerungsform herrscht immer über die andere. Auf das Feld der institutionalisierten Sozialarbeit bezogen, scheint dieses Verhältnis auch ohne fundierte Analysen für eine Standortbestimmung zugunsten der Organisation, einer regulierenden und reglementierenden Bürokratie und entsprechend bevormundeten Profession, entschieden. Nicht zuletzt das Konzept der "semi-professions" (Etzioni 1969, Toren 1972) hat dieser Auffassung von einer Nachrangigkeit der Profession und einer nicht zu kompensierenden Vorherrschaft der Verwaltung Vorschub geleistet: Die neuere Professionsdebatte ist dabei von der Erkenntnis ausgegangen, daß die soziale Arbeit im Vergleich zu den klassischen Professionen - vor allem den Ärtzten und Juristen - spezifische Professionalisierungsdefizite aufweist. Gemessen an den von den vollständig ausgebildeten Professionen abgeleiteten institutionellen Merkmalen - exklusive und gesellschaftlich positiv sanktionierte Berufsdomänen, wissenschaftliches und kanonisiertes Wissen, ausgebildeter Berufsethos, intern kontrollierte Ausbildungsgänge und Prüfungen (vgl. Rüschemeyer 1964; Goode 1972; Wilensky 1972) - kann die soziale Arbeit nur als *unvollständige Profession, SemiProfession oder Quasi-Profession" klassifiziert werden. Nicht nur dieser Kriterienkatalog jedoch, sondern insbesondere auch der Umstand, daß vollausgebildete Professionen in einem freiberuflichen, außerorganisationellen Rahmen verortet wurden, ließen ihr "Professionsideal " für die soziale Arbeit unerreichbar werden. Gleichzeitig stand damit auch fest, daß die Organisation das eigentliche Hemmnis für professionelle Entwicklungen sei. Sieht man einmal von eher berufspolitisch argumentierenden Untersuchungen (z.B. Lingesleben 1968; Skiba 1969) ab und faßt vor diesem Hintergrund die Ergebnisse darüber hinausgehender Studien zusammen, so wird deutlich, daß mit unterschiedlicher Gewichtung folgerichtig die Notwendigkeit administrativer Umorientierungen betont wird (vgl. Helfer 1971; Blinkert 1976). Trotz erster Hinweise auf die Folgen einer nur unzureichender Professionalisierung der Sozialarbeiterinnen (vgl. Knieschewski 1978), die leztendlich mit ausschlaggebend dafür ist, daß kontrollierende und normalisierende Handlungsvollzüge in der Jugendhilfepraxis dominieren (vgl. Peters/ Cremer - Schäfer 1975; Beneke 1979; Kasakos 1980; Jungblut 1981), wird überwiegend die Restrukturierung des sozialpädagogischen Handlungskontextes von organisatorischen Reformen erwartet. Obwohl dieser perspektivischen Verengung durch das "semiprofession Konzept Vorschub geleistet wurde, kann jedoch als sein Vorzug festgehalten werden, daß die sozialpädagogische Blickrichtung um die orga-
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Administrative
und professionelle
Voraussetzungen
präventiver
Jugendhilfe
nisationelle Dimension erweitert wurde. Die sozialpädagogische Orientierung konzentrierte sich bis dato nämlich ausschließlich auf die professionsinternen Kriterien kompetenten Handelns (insbesondere auf die Methoden) und vernachlässigte die administrativen Kategorien legaler Richtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Die aus diesem zentralen Rollenkonflikt zwischen Sozialarbeiterln und Anstellungsträger hervorgehenden erheblichen Anforderungen an Synthetisierungsleistungen wurden dann einer individuellen Lösung belassen (vgl. Blau/Scott 1962). Erst in den letzten Jahren ist mit der verstärkten Kritik an einer Expertokratisierung des sozialarbeiterischen Handelns und einer demgegenüber begonnenen Aufwertung von Laienkompetenzen und Selbsthilfepotentialen eine Revision tradierter Professionalisierungsbestrebungen einhergegangen. Dies korrespondiert mit Entwicklungen der allgemeinen Professionstheorie, die ebenfalls veranlaßt worden ist, ihre eigenen Prämissen zu überprüfen. Für die deutsche Rezeption wurde darauf hingewiesen, daß der professionelle Idealtypus auf die spezifische Situation des Ä r z t e - und Juristenstandes in angelsächsischen Ländern hin konstruiert worden ist und einen nur begrenzten Verallgemeinerungswert für akademische Berufe in anderen Ländern besitzt (vgl. Daheim 1982; 1988). Darüberhinaus haben Legitimationseinbußen professioneller Expertisen und Problemdefinitionen in der Öffentlichkeit wie auch beim Klientel (vgl. Dewe/ Otto 1987), Zweifel an der Effektivität und Effizienz professioneller Vorgehensweisen zusätzlich zu selbstorganisierten Hilfeleistungen zu D e und Entprofessionalisierungstendenzen auch in vollausgebildeten Professionen geführt (vgl. Freidson 1975). Die sozialpädagogische wie auch die allgemeine Professionstheorie beginnt daher, sich wieder stärker den konstitutiven Strukturmerkmalen des professionellen Interaktionsprozesses zuzuwenden. Diese Tendenz wird durch die enorme Expansion sozialer Dienstleistungsberufe noch begünstigt. Die für diese Berufe charakteristischen Tätigkeiten, die auf die Veränderung von Werthaltungen, Wissensbeständen, Deutungen, Einstellungen und Motivationen abzielen, werfen nämlich besondere Probleme im Hinblick auf die Vereinbarkeit technisch - instrumenteller und kommunikativ-sinnverstehender Handlungskomponenten auf: Will man die Adressatinnen der Dienstleistungen nicht auf einen Objektstatus durch technisch - instrumentelle Manipulationen degradieren, so muß der Kommunikationsprozeß zwischen Professionellem und Adressaten selbst zum Gegenstand der Veränderungsbemühungen erhoben werden. Hierfür gibt es allerdings keine erfolgsgarantierenden Technologien. Angesichts dieses "strukturellen Technologiedefizits" bei personenbezogenen Dienstleistungen sind die Professionals gezwungen, die kommunikative Beziehung sowohl als Ansatzpunkt für technische Beeinflussungsversuche als auch zur Reflexionsgrundlage simultan zu nutzen. Das Rationalisierungsniveau professioneller Vorgehensweise steigt dann in dem Maße, wie es gelingt, diese konträren Prozesse auszubalancieren und zu vermitteln.
Der theoretische Bezugsrahmen der Studie
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Eine zweite, sozialarbeitsspezifische Spannungslinie verschärft die professionsinterne Strukturproblematik: Die gesellschaftliche Funktionszuschreibung der Sozialarbeit auf die "Bewachung und Reproduktion von Normalzuständen bzw. Normalverläufen" (Olk 1986, 6) führt dazu, daB Sozialarbeiterinnen strukturell die Autonomie der Lebenspraxis ihrer Adressatinnen mißachten müssen, da die Restitution der Norm gegenüber dem Normbrecher (soziale Kontrolle) im Konfliktfall höhere Relevanz beansprucht als die sinnhafte Explikation der immer auch vorhandenen Gründe für den NormverstoB (Hilfe).Diese gleichzeitige Verpflichtung der sozialen Arbeit auf Hilfe und Kontrolle bzw. auf das "doppelte Mandat" (Boehnisch/ Lösch 1973, 21) setzt sich auf der Ebene der Strukturlogik des Handelns mithin als nicht vermittelbare Gleichzeitigkeit von "rechtspflegerischem" Handeln (der Wahrung des Normbestandes gegen den Abweichenden) einerseits und "hilfreichem" Handeln (die Rekonstruktion der Genese abweichendem Verhaltens) andererseits fort. Sozialarbeiterinnen müssen also in der Interaktion mit den Adressatinnen ein doppeltes Vermittlungsproblem bewältigen. Diese dilemmatischen Konstitutionselmente in der Bearbeitung sozialer Probleme rücken in einer neuen Debatte um professionelle Handlungskompetenzen in den Mittelpunkt des Interesses, um aus dieser Perspektive heraus die einzelnen Dimensionen einer kompetenten Professionalität zu ergründen (vgl. Müller u.a. 1982; 1984). Theoretische Fundierung und empirische Analysen kompetenten Handelns stehen allerdings noch am Anfang. Ausformulierte Kompetenzmodelle werden tendenziell von normativen Grundannahmen getragen (vgl. Geissler/Hege 1978; Nieke 1981), die in ihrer je spezifischen Dimensionierung auf einer unzureichenden empirischen Grundlage basieren und eine hinreichende theoretische Verortung vermissen lassen. Hier haben auch ethnomethodologische Untersuchungen der sozialarbeiterischen Handlungssituationen und -routinen (vgl. Lau/Wolff 1982; Wolff 1983) keine weiterführenden Erkenntnisse zur Folge gehabt. Aus diesen Überlegungen heraus richtete sich das für die vorliegende Studie leitende Forschungsinteresse darauf, wie sich denn Professionalität unter den Bedingungen von Organisation entwickelt. Für eine empirische Restrukturierung der organisationellen und professionellen Voraussetzung einer präventiven Jugendhilfe steht die Verschränkung dieser beiden Steuerungsformen im Mittelpunkt. Es wird dabei darauf ankommen, die institutionellen Prozesse des Austarierens und Ausbalancierens nachzuzeichnen und auf mögliche Innovationspotentiale hin zu analysieren.
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Administrative
und professionelle
Voraussetzungen
präventiver
Jugendhilfe
Relationierung der Steuerungseiemente in der Jugendhilfe
1.3 Untersuchungsdesign Um das Verhältnis von Bürokratie und Profession in seiner Vielschichtigkeit empirisch adäquat erfassen zu können, wurden drei Erhebungsinstrumente eingesetzt. Jeweils unterschiedliche Akzentuierungen der Fragestellung erlaubten es, mit Hilfe der angewandten Verfahren, Ergebnisse einer Erhebungseinheit entsprechend zu ergänzen und zu fundieren. Die Haupterhebung bildete eine Sozialarbeiterinnenbefragung. Mit Hilfe eines
Untersuchungsdesign
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standardisierten Fragebogens wurden die organisatorischen Rahmenbedingungen jugendamtlichen Handelns, die professionellen Präferenzen sowie Entwicklungschancen für eine präventive Jugendhilfe ermittelt. Das Erkenntnisinteresse konzentrierte sich hierbei insbesondere auf diejenigen Faktoren, die die Entfaltung fachlicher Kompetenzen in administrativen Kontexten beeinflussen. Detailierte Informationen zu den Steuerungsstrategien, den Entscheidungs - , Ermessens - und Handlungsspielräumen sowie zu den Tätigkeiten, die sozialarbeiterisches Handeln kennzeichnen, konnten mit Hilfe dieses Instruments gewonnen werden. Einschätzungen des Veränderungsbedarfs sowie mögliche Ansätze für präventive Orientierungen in der Jugendhilfe präzisieren das bisherige Wissen über administrative und professionelle Handlungsmuster. In der Haupterhebung wurden 375 Sozialarbeiterinnen aus Abteilungen öffentlicher Erziehungshilfe befragt. Insgesamt wurde die Untersuchung in 28 Großstadtjugendämtern Nordrhein - Westfalens durchgeführt. Die Stichprobenziehung der Sozialarbeiterinnen erfolgte anhand von Personallisten nach einem geschichteten Quotierungsverfahren: die Anzahl der zu befragenden Personen richtete sich nach der Größe des jeweiligen Amtes. Mindestens 10, höchstens jedoch 35 Mitarbeiterinnen wurden in einem Jugendamt befragt. Dieses Verfahren sollte gewährleisten, daß auch kleinere Ämter in der Untersuchung hinreichend repräsentiert werden. Zu den untersuchten Arbeitsbereichen der öffentlichen Erziehungshilfe zählten: Allgemeiner sozialer Dienst, Familien- und Erziehungshilfe, Erziehungsbeistandschaft, Jugendgerichtshilfe, Beratungsstellen, Schulsozialarbeit, Angebote für arbeitslose Jugendliche, offene Erziehungshilfe der öffentlichen Erziehung, jugendliche Asylanten und Obdachlose. Die befragten 375 Sozialarbeiterinnen bildeten 33% der Grundgesamtheit von insgesamt 1125 Sozialarbeiterinnen dieser ausgewählten Arbeitsbereiche. Es kann also von einer Repräsentativität der Studie ausgegangen werden. Als ein weiteres quantitatives Erhebungsinstrument wurde eine Zeitbudgetstudie eingesetzt. Durch diesen methodischen Zuschnitt konnten zusätzliche Anhaltspunkte über die Strukturierung sozialarbeiterischen Handelns in Sozialadministrationen erhoben werden. Im Gegensatz zur standardisierten schriftlichen Befragung, die Aussagen über den Referenzrahmen sozialarbeiterischen Handelns erbringt, dokumentiert die Zeitbudgetstudie die faktische Gestaltung des Arbeitsalltags. Drei Variablen standen dabei in Form von Art, Umfang und Ort der ausgeübten Tätigkeiten im Mittelpunkt des Interesses. Die schriftliche Erhebung der Zeitbudgets erfolgte parallel zu der standardisierten Befragung. Ziel dieser Methode war es, die Handlungsvolizüge der Sozialarbeiterinnen inhaltlich zu erfassen und hinsichtlich ihrer zeitlichen Quantifizierung zu skalieren. Insgesamt wurden 287 Erhebungsbögen in 26 Jugendämtern verteilt, 147 wurden zurückgeschickt. Auswertbar waren 144, so daß die Rücklaufquote von 51% positiv zu bewerten ist.
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Administrative und professionelle Voraussetzungen präventiver Jugendhilfe
Diese Erhebung wurde zudem mit Hilfe einer c h ¡ 2 - Analyse überprüft, die die Repräsentativität auch dieses Untersuchungsinstrumentes für die Grundgesamtheit bestätigte. Das dritte Analyseinstrument bildeten teilstrukturierte Leitfadeninterviews mit Expertinnen der kommunalen Jugendhilfe; sie ist gekennzeichnet durch übergreifende und positionsspezifische Themenstellungen. Die Interviews mit den Sozialdezernentlnnen stehen dabei stellvertretend und schwerpunktmäßig für die Einbindung der Jugendhilfe in sozial - und kommunalpolitische Zusammenhänge sowie den sich daraus eröffneten Handlungsspielräumen. Die in politischen Willensbildungsprozessen getroffenen Entscheidungen finden ihre konkrete Ausformulierung aber erst im Verwaltungshandeln der Sozialadministrationen, das in dieser Untersuchung von den Jugendamtsleiterinnen und deren Stellvertreterinnen repräsentiert wird. Die darüberhinaus befragten Abteilungsleiterinnen zeichnen sich durch ihre Nähe zu den sozialarbeiterischen Handlungsvollzügen aus. Schwerpunkt dieser Untersuchungseinheit war die Frage danach, welche Reaktionen die Jugendhilfe im Hinblick auf veränderte Lebensbedingungen Jugendlicher entwickelt. Die Grundgesamtheit der Expertinneninterviews bildeten 120 Personen. Insgesamt wurden 97 Interviews durchgeführt, die sich auf die einzelnen Populationen wie folgt verteilen: 24 Sozialdezernentlnnen, 28 Jugendamtsleiterinnen, 17 stellvertretende Jugendamtsleiterinnen und 28 Abteilungsleiterinnen wurden interviewt. Die Differenz von 23 Interviews zu einer Totalerhebung der Expertinnen der Jugendhilfe in den Großstädten Nordrhein Westfalens ergab sich im wesentlichen aus der Abwesenheit einiger Personen im Befragungszeitraum, der Vakanz von Stellen bzw. doppelter Positionsbesetzungen. Die auswertbaren 97 Interviews stellen jedoch auch hier die Repräsentativität der Ergebnisse sicher. Die Erhebungen erfolgten im Zeitraum von November 1986 bis September 1987. Da die spezifische Akzentuierung der Forschungsfrage einen Rückgriff auf erprobte Untersuchungsinstrumente nicht ermöglichte, mußte ein adäquates Forschungsdesign erst entwickelt werden. Auf der Grundlage umfangreicher theoreticher Vorarbeiten wurde im April 1986 eine erste Operationalisierung der zu erhebenden Konstrukte entwickelt und in einem Fragebogen zusammengefaßt. Um diese Konzeptualisierung und das Instrument vor der Hauptuntersuchung zu überprüfen, erfolgte im Mai 1986 ein Pretest (n = 50). Für diesen Pretest wurden die Jugendämter der Städte Bremen und Bielefeld gewählt, da sie in etwa die Spannbreite organisatorischer Reformen, wie sie in Nordrhein - Westfalen zu vermuten war, widerspiegelten. Das Bremer Jugendamt zeichnete sich in diesem Zusammenhang dadurch aus, daß
Angewandte
Methoden
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umfangreiche, in der Literatur dokumentierte Neuorganisationsvorhaben hier realisiert worden sind. Demgegenüber hatte im Jugendamt Bielefeld keine Restrukturierung der Jugendhilfe stattgefunden. Um gerade auch Unterschiede zwischen diesen Voraussetzungen sozialarbeiterischen Handelns in den einzelnen Jugendämtern herausfiltern zu können, wurden an den Fragebogen besondere Ansprüche im Hinblick auf die Tiefenschärfe seiner Fragen und die Vielschichtigkeit seiner Dimensionen gestellt. Der Pretest stellte hierfür wesentliche Auskünfte über die Verständlichkeit der Variablenkomplexe, die Benutzerfreundlichkeit und die zeitliche Intensität einer Beantwortung der Fragestellungen zur Verfügung. Darüberhinaus konzentrierte sich ein wesentlicher Aspekt auf die Fragebogengestaltung, d.h. die Plazierung der Variablen. Diese wurde mit Hilfe erster deskriptiver Analysen überprüft. Auf der Grundlage des Pretests wurde der standardisierte Fragebogen der Haupterhebung in Teilbreichen modifiziert und reformuliert und eine neue Anordnung der Bestandteile vorgenommen. Die endgültige Fassung diese Untersuchungsinstrumentes wurde in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim erstellt. Zusätzlich zu dem Pretest des standardisierten Fragebogens wurden 9 Expertinnen der Jugendhilfe in den beiden Städten interviewt. Auch hier war das Ziel, die Interviewleitfäden in ihrer Eindeutigkeit und Anordnung zu testen. Darüber hinaus wurden diese Interviews dazu herangezogen, praxisrelevante Indikatoren zu präzisieren.
1.4 Angewandte Methoden Die in der Studie eingesetzten unterschiedlichen Erhebungsverfahren stehen nicht als singuläre Elemente im Untersuchungsdesign, sondern sind integrative Bestandteile eines Mehr-Methoden-Ansatzes. Die mit den gewählten Instrumenten verbundenen differenzierten Zugriffsweisen auf soziale Realitäten liefern zu der übergeordneten Forschungsfrage jeweils einen spezifischen Beitrag. Dieses in der empirischen Sozialforschung als "Triangulation" bezeichnete Forschungsverfahren erlaubte es erst, die dieser Untersuchung zugrundeliegende Forschungsfrage so zu verdichten, daß nicht singuläre, partikulare Ergebnisse den Referenzrahmen stellen, sondern eine integrative Darstellung des Settings behördlicher Jugendhilfe gelingen konnte. Die Auswertung der quantitativen Daten erfolgte im Rahmen der üblichen u n i - und multivariaten Verfahren.
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Administrative und professionelle Voraussetzungen präventiver Jugendhilfe
Für die Untersuchung der Organisationsstruktur wurde geprüft, welche Merkmale sich anhand des Fragebogens identifizieren lassen, und wie sich die gewonnenen empirischen Dimensionen zu den unterstellten theoretischen Konstrukten verhalten (faktorielle Validität). Für die Auswertung wurden Hauptkomponentenanalysen durchgeführt. Die auf den jeweiligen Komponenten ladenden Variablen wurden zu additiven Skalen aggregiert. Die Reliabiliätsberechnung der Skalen nach Chronbachs ALPHA ließen weiterführende Berechnungen zu. Darüber hinaus wurden für die Organisationsanalyse mehrdimensionale Tabellenanalysen und korrelationsstatistische Auswertungsmethoden herangezogen. Für die Arbeitsbereichsanalyse wurde überwiegend auf Varianzanalysen mit anschließendem S c h e f f e - T e s t zurückgegriffen. Mit Hilfe eines nicht-hierarchischen Ein - Pass - Cluster - Verfahrens wurde schließlich der Frage nachgegangen, inwieweit sich in der Stichprobe signifikant differierende Organisationstypen wiederfinden lassen. Für die Analyse der sozialpädagogischen Handlungskompetenz wurden ebenfalls Hauptkomponentenanaiysen gerechnet und darauf basierende additive Skalen gebildet. Die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Kompetenzbestandteilen erfolgte durch loglineare Berechnungen. Der Einfluß organisatorischer Steuerungsformen und sozial - statistischer Hintergrundvariablen auf die Kompetenzprofile wurde sowohl durch z w e i und dreifaktorielle Varianzanalysen als auch durch regressions- und pfadanalytische Berechnungen untersucht. Neben der Analyse administrativer und professioneller Steuerungspotentiale sowie deren Verknüpfung miteinander, wurde, quer zu diesen Auswertungsverfahren, in einem weiteren Schritt die impliziten Voraussetzungen und Bedingungen für eine präventive Ausgestaltung der Jugendhilfe untersucht. Die offenen Fragen der standardisierten schriftlichen Befragung wurden dafür codiert und zu einer Indexbildung herangezogen. Die weiteren Auswertungen der quantitativen Erhebung wendeten sich der Analyse strukturbezogener und arbeitsbereichsspezifischer Differenzen zu. Dies gilt sowohl für die administrativen als auch für die professionellen Bestandteile. 147 Sozialarbeiterinnen nahmen zusätzlich an einer standardisierten Zeitbudgetstudie teil, für die sie in einem Zeitraum von einer Woche ihren Arbeitsalltag in Zeitintervallen von einer halben Stunde protokollierten. Die Sozialarbeiterinnen wurden gebeten, sowohl auf dem von ihnen ausgefüllten Fragebogen als auch auf die Erhebungsbögen der Zeitbudgetstudie eine persönliche C o d e - N u m m e r zu schreiben. Dieses Verfahren ermöglichte die spätere Poolung der entsprechenden Daten aus Zeitbudget und der Befragung jeder
Angewandte Methoden
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einzelnen Person, und sicherte zudem deren Anonymität. Die Zurücksendung der Zeitbudget - Erhebungsbögen erfolgte postalisch. Die Koppelung der Daten aus der standardisierten schriftlichen Befragung mit den Informationen aus der Zeitbudgetstudie trug dazu bei, den häufig explorativen Charakter dieses Instrumentes aufzubrechen und ermöglichte darüber hinaus eine konfirmatorische Analyse. Die in der Zeitbudgetstudie erhobenen Tätigkeiten wurden insbesondere im Hinblick auf die Institutionalisierungsbedingugen der Jugendämter untersucht. Desweiteren wurde mit Hilfe von Zeitreihenanalysen überprüft, inwieweit sich in der Abfolge der Tätigkeiten Strukturen finden lassen, die auf eine spezifische Organisation von Arbeitsabläufen hinweisen. Die Aufbereitung der qualitativen Daten aus den Expertinneninterviews erfolgte durch Transkription der mit Band aufgenommenen narrativen Sequenzen. Die Auswertung der Interviews orientierte sich an drei Bezugsebenen, die weiterführende Aufschlüsse über die Perspektiven der Jugendhilfe im Hinblick auf eine präventive Reformulierung ihrer Angebote und Leistungen zuließen: - Administrative Voraussetzungen einer präventiven Jugendhilfe, die in flexiblen, situations- und adresssatenorientierten Organisationsstrukturen angelegt sind - Professionelle Voraussetzungen einer präventiven Jugendhilfe, die eine Abkehr von dem klinisch - kurativen Mandat sozialer Arbeit zur Bedingung haben - Normalitätsannahmen und Integrationsvorstellungen, die sich wandelnden Lebensbedingungen Jugendlicher Rechnung tragen und entsprechend veränderte Probemdefinitionen und Problembearbeitungsmuster initiieren. Diese Prämissen einer präventiven Jugendhilfe wurden mit Hilfe eines induktiv gewonnen Auswertungsrasters inhaltsanalytisch auf ihren derzeitigen Realisierungsgehalt überprüft.
2. SOZIALBÜROKRATIE UND ORGANISATIONSREFORM Bearbeitet von: Gabriele Hard
2.1 Einleitung Die in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren initiierten und partiell auch realisierten Verwaltungsreformen, deren Ziele mit den Begriffen der "Entbürokratisierung", "Verwaltungsvereinfachung", "Dekonzentration sozialer Dienste", "Bürgernähe" etc. verbunden sind (vgl. KGST 1978, 5f), haben eine grundsätzlich neue Ausgangslage für eine empirische Untersuchung der kommunalen Jugendhilfepraxis geschaffen und entsprechendeneue theoretische Überlegungen über ihre Wirkweise notwendig gemacht. Ais wirkungsvollstes Reformvorhaben in dieser Zeit kann die territoriale Neugliederung in den Bundesländern und die damit einhergehende Verbesserung der personellen, technischen und finanziellen Leistungsfähigkeit der kommunalen Verwaltungen infolge der Vergrößerung des Gemeindegebietes benannt werden (vgl.Brohm 1988, 7). Mit dieser Gebietsreform wurde zudem eine interne Verwaltungsreform verbunden, deren Gegenstand ein organisatorisch-institutioneller Umbau, Verfahrensstrukturen, Aufgaben und Kompetenzen sowie das Personal und die Finanzen auch der Sozialbürokratien bildeten. Die in diesen allgemeinen Reformprozeß integrierte Neuorganisation der Sozialpolitik auf kommunaler Ebene bildete einen idealen Nährboden für Vorschläge, die eine Neustrukturierung der vielfältigen Formen institutionalisierter Sozialarbeit anstrebten. "Die Neuorganisation der Sozialpolitik auf kommunaler Ebene erfordert also auch eine Verwaltungsreform im Sinne der Organisationsentwicklung. Wenn sich die kommunale Sozialpolitik als ein umfassendes und integratives Konzept neben einer zentralisierten nationalen Sozialversicherungspolitik profilieren will und wenn dabei auf Verwaltungsstrukturen zurückgegriffen werden soll, die die Kommunalverwaltung prägen, wenn also schon die sozialen Dienste aus den Strukturen der bürokratischen Verfassungen der Kommunalverwaltungen nicht entlassen werden können, dann bleiben Veränderungen der Organisation und des institutionellen Gefüges der Verwaltung im kommunalen Bereich nicht aus, es sei denn, die Verwaltung ist in ihrem Beharrungsbestreben so groß, daß ein effektiver sozialer Dienst im Sinne einer integrativen kommunalen Sozialpolitik nicht realisierbar ist" (Baum 1987, 451). Die Abkehr von einer personenzentrierten Defizitorientierung hin zu einer problembezogenen und bedarfsgerechten Arbeitsweise wurde mit einer organisatorischen Neukonzeption und inhaltlichen Reformulierung der Funktionsbestimmung sozialer Arbeit beabsichtigt.
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Sozialbürokratie und Organisationsreform
Der Schwerpunkt der Bemühungen richtete sich dabei darauf, funktionale Defizite, die aus einer tradierten verwaltungsrationalen Problembearbeitung resultieren, durch die verstärkte Einbeziehung fachlicher Kompetenzen zu kompensieren. Besondere Beachtung findet in diesem Zusammenhang die Interaktion zwischen der Organisation und ihrer Klientel: "Mit der Expansion personenbezogener Dienstleistungen in der Sozialarbeit kommt es auf der interaktiven Ebene zu einer 'Verschmelzung' von Organisation und Klientel: Sozialarbeiter sind auf eine 'produktive Interaktion' mit ihren Adressaten angewiesen: Beratung und Therapie, aber auch eine an den Interessen der Betroffenen orientierte Jugendpflege, Stadtteilarbeit, Altenarbeit etc. sind in ihrem Erfolg davon abhängig, inwieweit es ihnen gelingt, die alitagsweltlichen Deutungsmuster der Adressaten zu erfassen (...). Dabei erweisen sich die bürokratischen Strukturen als eine Barriere einer situationsnahen und problembezogenen Arbeit (...). Je situationsnäher die Sozialarbeit wird, desto problematischer werden die bürokratischen H a n d l u n g s - und Entscheidungsprämissen. Umgekehrt ermöglicht erst eine Auflösung dieser Prämissen die vollständige Etablierung situationsnaher Arbeitsformen: eine situationsnahe Sozialarbeit ist immer weniger in der Lage, die Probleme der Adressaten ihres Handelns und ihre Interventionsstrategien sozusagen vom grünen Tisch aus zu definieren und zu konzipieren" (Müller/Otto 1980, 22). Bei einer generellen Akzeptanz der institutionalisierten Verfaßtheit sozialarbeiterischen Handelns strebten Reformvorschläge eine Organisationsentwicklung von einer sozialbürokratischen hin zu einer situativen Verwaltungsform an. Die Hoffnungen auf eine problemgerechtere, effektivere Sozialarbeit begründen sich dabei auf der zentralen Prämisse, daß kompetent handelndes Fachpersonal diese neue Sozialarbeit gewährleisten würde, stünden ihm nicht organisationeile, d.h. hier bürokratische Zwänge entgegen. Entsprechend sollten die Rahmenbedingungen des professionellen Handelns, die Organisationsstrukturen, revidiert werden. "Mit dieser Organisationsreform wird ansatzweise nachvollzogen, was sich im sozialpädagogischen Handlungsprozeß - zumindest idealtypisch - schon längst vollzogen hat: der Übergang von primär eingreifenden und kontrollierenden Handlungen zu solchen, die auf Hilfe, Unterstützung, Aktivierung, Prävention etc. ausgerichtet sind. Organisatorisch kann und soll nunmehr der Übergang von einer staatlichen Kontroll- und Eingriffsbehörde zu einer an Leistung und Leistungserbringung ausgerichteten Sozialverwaltung nachvollzogen werden" (Jordan/ Sengling 1988, 197).
Dekonzentration sozialer Dienste
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Die umgesetzte Vielfalt in der kommunalen Ausgestaltung dieses Reformprozesses verdeutlichte die Variationsbreite, mit der Neuorganisationsmaßnahmen in den einzelnen Jugendämtern durchgeführt worden sind. Alle untersuchten 28 Großstadtjugendämter weisen unterschiedliche Organisationsprinzipien auf; Modellevaluationen hätten unter der hier verfolgten Forschungsperspektive keinen systematischen Erkenntnisgewinn gebracht. Deshalb konzentriert sich die empirische Analyse auf generalisierbare Strukturvariablen, die den organisationeilen Zugang zu den klientelen Problemlagen charakterisieren. Im Kern beziehen sich alle Bemühungen einer Organisationsreform auf fünf Elemente: -
Dekonzentration der sozialen Dienste Neuordnung der Arbeitsteilung Enthierachisierung der Arbeitsvollzüge Umstellung der Konditional - auf eine Finalprogrammierung Einbeziehung und Aufwertung der professionellen Handlungskompetenz (vgl. hierzu auch Japp/Olk 1981).
Im folgenden werden Umfang und Reichweite dieser Organisationsmaßnahmen auf der Basis empirischer Befunde dieser Studie auf ihre strukturelle Wirkung für die intendierte Programmatik einer "neuen Sozialarbeit" kritisch analysiert und in einen Gesamtzusammenhang ihrer konstitutiven Bezugspunkte von Organisation, Profession und Klientel gestellt.
2.2 Dekonzentration der sozialen Dienste Die Dekonzentration des Jugendamtes in bürgernahe Arbeitseinheiten, d.h in einzelne Bezirke bzw. Stadtteile, wird als ein zentraler Indikator einer situativen Öffnung der Organisationsstruktur angesehen. Die Erwartung, daß durch die Dekonzentration eine verbesserte Problemwahrnehmung und -bearbeitung erreicht werden kann, begründet sich dabei nicht nur aus der größeren räumlichen Nähe zu den Problemen, sondern auch darin, daß Dezentralisierungsprozesse eine wesentliche Voraussetzung dafür sind, Entscheidungsstrukturen zu enthierachisieren, Entscheidungskompetenzen der Sozialarbeiterinnen zu erhöhen und inhaltliche Vorgaben von Seiten der Organisation in bezug auf die Gestaltung der Arbeitsinhalte zu reduzieren. Die allgemeine mit der Dekonzentration sozialer Dienste verbundene Zielvorstellung formuliert bspw. die K G S T (1978) folgendermaßen: "Die von den Jugendämtern, Sozialämtern und Gesundheitsämtern der Städte und Kreise
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Soziaibürokratie
und
Organisationsreform
bereitgehaltenen sozialen Dienste bieten dem in Not geratenen Bürger Hilfen verschiedener Art; sie wollen ferner (und zunehmend) dazu beitragen, das Entstehen von Notsituationen zu verhindern. Die Wirksamkeit solcher Hilfen und prophylaktischen Maßnahmen kann gesteigert werden, wenn sie ortsnah in leistungsfähigen Nebenstellen, Außenstellen oder Bezirksverwaltungsstellen (...) erbracht werden" (KGST 1978, 5). Unter dem Aspekt der "Bürgernähe" sollen insbesondere der Informationsfluß, die Überschaubarkeit und Verständlichkeit der Leistungsangebote und Zuständigkeiten der verschiedenen Ressorts, die Beteiligung an Entscheidungen und die örtliche und zeitliche Erreichbarkeit der Sozialverwaltung optimiert werden (vgl. Empfehlungen zur Organisation des kommunalen Allgemeinen Sozialdienstes 1983, 39ff). Es wurden hauptsächlich zwei Modelle der Dekonzentration diskutiert: Auf der einen Seite eine in dezentralen Organisationseinheiten geleistete Bezirksarbeit und auf der anderen die amtsinterne Differenzierung nach Bezirkssystemen: Hierunter ist die Aufteilung der im zentralen Amt angesiedelten Arbeitsbereiche nach Bezirken zu verstehen, ohne daß zugleich die Entscheidungskompetenzen verändert werden. Diese zweite Variante wird allerdings im Hinblick auf die o.a. Zielsetzungen eher skeptisch beurteilt: "Die kommunalen Ämter der Sozialverwaltung sind zumeist zentral in der Stadtmitte konzentriert. Dies führt einmal zu relativ großen Entfernungen vom Wohngebiet zum Amt, zum anderen zu Großbehörden (vor allem in Großstädten), deren Undurchschaubarkeit vor allem auf Unterschichtsangehörige abschreckend wirkt. Da die Unterschicht einen großen Teil der Klientel der Sozialverwaltung darstellt, wird eine soziale Distanz (nicht nur räumlich, sondern auch psychisch) aufgebaut, die Unterschichtsangehörige wegen ihrer Sozialisationsdefizite benachteiligt (...) In der Zentrale werden auch die eigentlichen zentralen Aufgaben erfüllt. Die räumliche Strukturierung geht also von der Zentralisierung der hochwertigen Aufgaben aus und läßt die Aufgaben, die 'vor Ort' erfüllt werden, immer mehr an Wertigkeit abnehmen. Dies zeigt wiederum deutlich, daß die Organisationsstruktur weitgehend von Verwaltungserfordernissen her strukturiert ist, weniger von der Zielgruppe her, denn dann müßten die wichtigsten Handlungsvollzüge in der Interaktion mit den Klienten gesehen werden und in der Zentrale dürften nur ergänzende Funktionen wahrgenommen werden" (Kühn 1985, 102). Insgesamt hat sich die Bezirksorientierung heute zum dominanten Ordungsschema der öffentlichen Erziehungshilfe entwickelt.
Dekonzentration
sozialer
Dienste
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Schaubild 1: Organisationsschemata der Arbeitsbereiche
Organisationsschemata
Betrachtet man die regionalen Gliederungsprinzipien "Bezirke" und "Straßen" gemeinsam (75%), so läßt sich als weiterführender Befund festhalten, daß 42% aller dezentralen und 33% aller im zentralen Amt angesiedelten Arbeitsbereiche nach dem Bezirkssystem strukturiert sind. Eine quartiernahe Versorgung durch die Einrichtungen und Dienste des Jugendamtes scheint damit in einem großen Umfang gewährleistet zu sein. Unter diesem relativ umfassend implementierten Aspekt der Dekonzentration gewinnen die zugrundegelegten Ordnungsmuster an Bedeutung. Für diese kann gezeigt werden, daß sich die Zuordnung der Bezirke im wesentlichen an lokalen Strukturen (Stadtteilprinzip) und an Einwohnerzahlen orientiert (vgl. Schaubild 2). Eine durchschnittliche Bezirksgröße von unter 10.000 Einwohnern deutet zudem auf einen weiteren Schritt in die Richtung auf die intendierten "Bürgernähe" hin.
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Sozialbürokratie und Organisationsreform
Schaubiid 2: Bezirksgliederung
Bezirksgliederung
Einwohnerzahl
Es wäre jedoch verkürzt, die "Bürgernähe" von Sozialbürokratien allein an ihre verwaltungsrationalen Ordnungsschemata knüpfen zu wollen. Soll sich hinter der sozialräumlichen Orientierung mehr verbergen als die räumliche Nähe zu den Adressatinnen sozialer Dienstleistungen, ist es notwendig, die "Bürgernähe" ihres plakativen Charakters zu entkleiden. "Es ist wichtig zu betonen, daß Bürgernähe kein Wesensmerkmal einer Institution ist (wie z.B. Staatszielbestimmungen),
sondern eine Aufgabe,
ein
Handlungsmaßstab.
Nicht eine Institution als solche ist bürgernah oder bürgerfern, vielmehr ihr Handeln bzw. das Ergebnis dieses Handelns. Dabei kann nicht von vornherein entschieden werden, wann dieses Handeln bürgernah und wann bürgerfern ist
-
der Maßstab sind die Interessen und Bedürfnisse der
Bürger; und da diese unterschiedlich sind, kann über Bürgernähe letztlich erst dann geurteilt werden, wenn die Wirkungen des Handelns auf die Lebenslage der Betroffenen bekannt sind" (Schäfer 1980, 112).
Dekonzentration
sozialer
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Dienste
Interessen und Problemlagen der Bürger werden für die Sozialbürokratie jedoch erst durch Interaktionsprozesse mit ihrer Umwelt deutlich und kalkulierbar. Damit rückt die Zeit, die die Organisation für Kontakte zu ihrer Klientel aufwendet, in den Mittelpunkt. Wird dieser Gesichtspunkt betrachtet, so zeigt sich auf den ersten Blick eine Paradoxie: Die Zeit, die für persönliche Kontakte mit dem Klienten zur Verfügung steht, ist in den Arbeitsbereichen, die nach dem Bezirkssystem strukturiert sind, geringer, als in den übrigen: Schaubild 3: Zeit für Klientenkontakte 50% Arbeitsplätze, nach
20%
40%
60%
80% der Arbeitszeit
Da weitere signifikante Unterschiede zwischen Arbeitsplätzen, die nach dem Bezirksprinzip organisiert sind und solchen, denen andere Ordnungsschemata zugrundeliegen, nicht nachgewiesen werden konnten, stellt sich hier die Frage, ob die erfolgte Dekonzentration sozialer Dienste in der Mehrzahl der Fälle nicht nur ein funktionales Differenzierungsprinzip der Verwaltung darstellt, in dessen Verlauf Kommunen mit einer größeren Einwohnerdichte zentrale Organisationseinheiten in die Stadtteile verlagert haben. Offensichtlich läßt sich über diesen Weg keine qualitative Veränderung der sozialadministrativen Routinen erreichen, da verwaltungsrationale Erfordernisse in größeren Organisationseinheiten scheinbar effizienter gelöst werden können, wenn keine grundsätzlichen Revisionen der Arbeitsabläufe mit Dekonzentrationsprozessen einhergehen. Einen weiteren Hinweis für die nicht stattgefundene Revision geben Erfahrungen, wie sie beispielsweise für das Neuorganisationsmodell in Bremen beschrieben wurden. "Schon deuten sich Prozesse an, daß die vorgegebenen Strukturen eher gefestigt als aufgeweicht werden. Hierzu gehört unter anderem, daß aufgrund von Einsparungen, sowohl in den Sozialen Diensten als auch in der Verwaltung, die zentrale
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Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
Aufgaben wahrnimmt, die sonst in der Region erledigt würden. Es besteht die Gefahr, eine echte Regionalisierung und das Prinzip der Bürgernähe nicht zu erreichen, weil Verantwortung, Entscheidung und Koordination nicht in die Region verlagert werden" (ÖTV Report Soziales und Gesundheit 1988, 3). Als Indikator für eine bedarfsgerechte Orientierung der sozialen Dienste reicht somit das alleinige Merkmal "Stadtteilorientierung" nicht aus. Es gilt vielmehr, zusätzlich die BezirksgröSe zu betrachten, da diese offenbar einen wichtigen Einfluß auf die Veränderung des Arbeitsablaufes in der Sozialbürokratie ausübt, wie ein Vergleich des Tätigkeitsspektrums der Sozialarbeiterinnen zwischen kleinen und großen Bezirken dokumentiert: Die Analyse zeigt, daß in Bezirken mit einer niedrigeren Einwohnerzahl (unter 9.000 Einwohnern) signifikant häufiger nicht standardisierbare Tätigkeiten der Sozialarbeiterinnen vorzufinden sind wie z.B. Gruppenarbeit, ( r = .27) 1 ) die Vertretung der Jugendlichen bei anderen Institutionen (r = .19), dagegen nehmen Hausbesuche ( r = - . 2 0 ) , Aktenführung ( r = - . 1 4 ) und Hilfe bei der Erstellung von Unterstützungsanträgen ( r = - . 3 0 ) einen geringeren Stellenwert ein. Zudem treffen die für kleinere Bezirke zuständigen Sozialarbeiterinnen mehr eigenverantwortliche Entscheidungen, sie sprechen diese seltener mit Vorgesetzten ( r = - . 1 6 ) und im Kolleginnenkreis ab ( r = - . 1 3 ) . Hier wird deutlich, daß in kleineren Bezirken Sozialarbeiterinnen größere Möglichkeiten haben, ihr Tätigkeitsspektrum auf nicht - standardisierbare Handlungsvollzüge auszuweiten als in größeren Bezirken, ferner werden dem einzelnen Professionellen größere Entscheidungsspielräume in der Problemlösung zugestanden. Zusammenfassend kann für diese zentrale Strukturvariable der "Dekonzentration" der Verwaltungseinheiten damit festgehalten werden, daß die Einrichtung quartiernaher Dienste allein nicht hinreichend für qualitative Veränderungen der Jugendhilfepraxis sind. Für die Iniitierung von Reformprozessen kommt aber der Bezirksgröße eine entscheidende Rolle zu, unabhängig davon, ob der Arbeitsplatz im zentralen Amt oder aber im Stadtteil angesiedelt ist.
1) Bei der Darstellung der empirischen Ergebnisse werden folgende Abkürzungen benutzt: r = Korrelationskoeffizient X = Arithmetisches Mittel
Neuordnung der Arbeitsteilung
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2.3 Neuordnung der Arbeitsteilung Mit der Variable der "Arbeitsteilung" sind vor allem zwei strukturelle Veränderungen verknüpft worden: Diese betreffen zum einen die Zusammenfassung von Innen- und Außendienst und zum anderen die Zuordnung der Familienfürsorge bzw. des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) zum Jugendamt. Diese Entwicklungen zielen in erster Linie auf eine geänderte Aufgabenverteilung hinsichtlich einer für den Bürger wirksameren Hilfe und auf die Schaffung einer befriedigenderen Arbeitssituation der zuständigen Sozialarbeiterinnen ab. Sie resultieren sowohl aus dem Prozeß der Professionalisierung und dem ihm zugrundeliegenden insgesamt höheren Standard in der sozialarbeiterischen Ausbildung, als auch aus den gewandelten gesellschaftlichen Problemlagen, die eine generalistisch orientierte Problembearbeitung für eine effektive Hilfeleistung sozialer Arbeit unerläßlich machen (vgl. Empfehlungen zur Organisation des kommunalen Allgemeinen Sozialdienstes 1983). "Beabsichtigt wird, die Einheit des Handlungsvollzugs durch Integration der Funktionen Informationssammlung, Aufgabenbestimmung, sowie Aufgabenausführung herzustellen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Zuordnung von sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Aufgaben und materiellen Hilfen zu den beteiligten Berufsgruppen als schwierigstes Problem dar" (Japp/Olk 1981, 87). Stellte der "Dritte Jugendbericht" (1972) noch fest: " Die im Auftrage der Kommission durchgeführte repräsentative Befragung der Jugendämter ergab, daß über die Hälfte aller Jugendämter (56.3%) Innen- und Außendienst organisatorisch getrennt hat.(...) Berücksichtigt man die Verteilung der Jugendämter nach G e m e i n d e - bzw. Gebietsgrößenklassen, so zeigt sich, daß die Trennung von Innen - und Außendienst um so häufiger vorkommt, je größer die Gebietskörperschaft ist: der Prozentsatz der Jugendämter, die vollständig oder teilweise zwischen Innen- und Außendienst unterscheiden, ist in den großen Landkreisen und kreisfreien Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern weitaus am höchsten (75.0% bzw. 73.9%) und nimmt bei den kleineren kreisfreien Städten (58.4%), mittleren Landkreisen (55.6%) und kreisangehörigen Städten, Gemeinden und Ämtern (47.4%) erheblich ab" (vgl. Dritter Jugendbericht 1972, 41), so kann für den Zeitpunkt dieser Untersuchung die weitgehend erfolgte Zusammenfassung des Innen - und Außendienstes konstatiert werden: Von den untersuchten 28 Großstadtjugendämtern ist in 20 die Zusammenfassung von Innen- und Außendienst vollständig, in 7 teilweise erfolgt. In einem Jugendamt ist es in Folge der Reorganisation zu einer neuen strukturellen Trennung von Innen- und Außendiensttätigkeiten gekommen. Damit sind heute 71% der Großstadtjugendämter Nordrhein-Westfalens vollständig und 25% teilweise in bezug auf den Indikator Zusammenfassung von Innen und Außendienst neuorganisiert. 93% der befragten Sozialarbeiterinnen nehmen sowohl Aufgaben des Innen - als auch des Außendienstes vollständig oder zumindest zum Teil selbst wahr.
26
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
Die zweite Veränderung betrifft die Integration der Familienfürsorge in das Jugendamt. 26 der untersuchten 28 Großstadtjugendämter verfügen über einen ASD oder eine Familien-/Erziehunghilfe (FH/EH). Dies entspricht einer prozentualen Steigerung gegenüber der Untersuchung des "Dritten Jugendberichts" aus dem Jahr 1968 von 63%. In 21 Jugendämtern ist dieser Bereich in der Form des ASD, in 5 Jugendämtern als FH/EH organisiert. Dabei ist sowohl für den ASD als auch für die FH/EH charakteristisch, daß sie sich nicht auf bestimmte Problemlagen spezialisieren, sondern nach dem Prinzip der Allzuständigkeit organisiert sind. Da sich zwischen beiden Organisationsformen in bezug auf die Arbeitsvollzüge sowie hinsichtlich der zugrundeliegenden Entscheidungs - und Programmstrukturen keine signifikanten Unterschiede nachweisen lassen, werden der ASD und die FH/EH im weiteren unter dem Oberbegriff der "generalistisch orientierten Arbeitsbereiche" zusammengefaßt. 74% der in der öffentlichen Erziehungshilfe beschäftigten Sozialarbeiterinnen sind diesen Tätigkeitsbereichen zugeordnet. Der Aufgabenbereich des ASD bzw. der FH/EH hat sich damit in den letzten 20 Jahren zu einen zentralen Bestandteil der öffentlichen Erziehungshilfe entwickelt. Organisationelle Veränderungen im Bereich der Arbeitsteilung, so kann zunächst einmal festgehalten werden, sind damit in einem weit höherem Maße als bislang angenommen (vgl. hierfür Kühn 1985) - fortgeschritten. Weiterführende Indikatoren belegen darüberhinaus diesen strukturellen Wandel in dem Organisationsprinzip der "Arbeitsteilung": der Einsatz der primär im Innendienst etablierten "gegenstandsfremden Ordnungsschemata" (z.B. das Buchstabenprinzip) ist zurückgegangen (vgl. Kap. 2.2). Darüber hinaus konnte das Problem der Mehrfachbelastung merklich reduziert werden. Organisationelle Regelungen, die bei Mehrfachzuständigkeit in bezug auf den einzelnen Jugendlichen keine Kooperation zwischen den Sozialarbeiterinnen vorsehen, bestehen heute lediglich noch bei 20% der Arbeitsplätze. Qualitative Wirkungen gehen von diesen Veränderungen jedoch nicht in dem erwarteten Maß aus. Es kann gezeigt werden, daß mit der Neuorganisation der Arbeitsteilung die Möglichkeiten alternativer Problemlösungsformen nicht per se zunehmen. Die klassischen Tätigkeiten "Aktenführung" und "Hausbesuche" erweisen sich weiterhin auch in den reorganisierten Arbeitsbereichen als die den Arbeitsalltag der Sozialarbeiterinnen dominierenden Arbeitsformen. Alternative Tätigkeitsformen spielen eine nur marginale Rolle. So finden z.B. die in der Diskussion um eine adäquatere Sozialarbeit häufig genannten Forderungen nach einer stärkeren Stadtteilorientierung wie auch jene nach einer intensiveren Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen keinen Niederschlag in den tatsächlichen Handlungsvollzügen der Sozialarbeiterinnen.
Neuordnung der Arbeitsteilung
21
Tabelle 1: Tätigkeitsspektrum im Bereich der öffentlichen Erziehung
Hausbesuche Aktenführung Kontakte mit Bezugspersonen Informationsaustausch mit anderen Institutionen Vertretung der Jugendlichen bei anderen Institutionen Hilfe bei der Ausstellung von Unterstützungsanträgen Arbeit mit Jugendgruppen Unterstützung und Koordination von Stadtteil aktivitäten Unterstützung von Selbst hilfegruppen
Sehr Häufig
Häufig
Selten
64.2% 63.7%
29.6% 31.2%
5.9% 4.0%
0.3% 1.1%
37.1%
52.3%
10.3%
0.3%
21.5%
61.4%
16.6%
0.5%
13.7%
49.2%
35.5%
1.6%
13.3% 4.7%
38.2% 9.4%
42.5% 25.0%
6.0% 60.8%
2.2%
5.4%
36.5%
55.9%
1.4%
3.9%
40.9%
53.8%
Nie
Mit dieser Tendenz ist jedoch eine Absage an die Intentionen verbunden, die mit einer generalistisch orientierten Arbeitsteilung eine Ergänzung des konventionellen Handlungsrepertoires um sozialräumliche Aktivtäten anstrebten. Ein Vergleich der Tätigkeitsroutinen zwischen einzelnen Arbeitsbereichen (vgl. Schaubild 4) verdeutlicht noch, daß trotz der Neuordnung der Arbeitsteilung das Spektrum der Problembearbeitungsroutinen unverändert bleibt. Hiermit wird die lediglich formale Zuständigkeitsneuregelung jedoch in Frage gestellt, da eine grundlegende Umorientierung in der Definition und Lösung sozialer Probleme über diesen W e g keinen Eingang in die Sozialbürokratie findet. Zwar konnten die Parzellierung von Problemlagen sowie inneradministrative Konflikte, die aus der Ressortierung der Aufgaben resultierten, infolge der neuen Zuständigkeitsregelungen Reibungsflächen vermindert werden (z.B. Doppelarbeit), die freigewordenen Kapazitäten sind aber nicht im Hinblick auf die Etablierung alternativer Formen der Problembearbeitung genutzt worden. Der Sozialraumbezug ist damit weder durch die Lokalisation dezentraler Organisationseinheiten in den Bezirken, noch durch die prinzipiell geänderte Form der Arbeitsteilung verwirklicht worden. "Es geht also nicht nur darum, daß Sozialarbeiter und Sozialpädagogen administrative Kompetenzen im Besorgen von Leistungen erwerben, vielmehr ist es notwendig, daß Verwaltungsangehörige über den Prozeß der Beteiligung an der Neuorganisation sozialer Dienste das Bewußtsein und die Verantwortung dafür erhalten, daß sie hier nicht nur soziale Probleme zu verwalten, sondern mitzulösen haben" (Baum 1987, 462).
Sozialbürokratie und
* Die
aufgeführten
Mittelwerte
(X)
sind
auf
einer
Skala
von
1 - 4
Organisationsreform
angeordnet
Arbeitsteilung
zwischen
Sozialarbeiterinnen
und
Verwaltungsfachkräften
29
2.3.1 Arbeitsteilung zwischen Sozialarbeiterinnen und Verwaltungsfachkräften In den Überlegungen zu einer Organisationsreform der sozialen Dienste nehmen die quantitativen und qualitativen Entwicklungen des Personalwesens in Sozialbürokratien eine exponierte Rolle ein. Ebenso wie bei der Zuschneidung der neuen Arbeitsbereiche, richteten sich von Anfang an die Bemühungen auf ein "ganzheitlicheres Hilfeangebot", das auf die Lebenslage der Klientel insgesamt abgestimmt werden sollte. Hierbei gewannen die Forderungen nach aktiv gestaltenden Interventionsformen und Einzelfall übergreifenden Hilfen an Gewicht. Als notwendige Voraussetzung und Mindeststandard in der Problembearbeitung wurden in diesem Kontext die Zusammenfassung der einzelnen fallbezogenen Maßnahmen bei einer Fachkraft angesehen. "Zwar sind die Probleme multidisziplinär und multiinstitutionell anzugehen und das Umfeld des Klienten einzubeziehen. Entscheidend aber ist, daß im Fall psychosozialer Problematik jeder einzelne Schritt auf dasselbe Ziel der Autonomisierung des Klienten auszurichten ist und deshalb einheitlicher Steuerung durch denjenigen bedarf, der aus seinen Kompetenzen - sozialfachlicher und sozialrechtlicher Art - Zugang zu allen in Betracht kommenden Hilfeansätzen hat: durch den Sozialarbeiter" (Kreutzer zit. nach Empfehlungen zur Organisation des kommunalen Allgemeinen Sozialdienstes 1983, 48f). Neben einer Aufwertung der sozialarbeiterischen Fachkompetenz, einhergehend mit einer weitreichenden Entscheidungsbefugnis (vgl. Kap. 2.4) wurde damit auch ein neues Verhältnis zwischen Sozialarbeiterinnen und Verwaltungsfachkräften, postuliert. Hiermit kam es einerseits zu einer Neuregelung quantitativer Relationen zwischen den beiden Berufsgruppen und andererseits zu einer fachbezogenen Kooperation zwischen Sozialarbeiterln und Verwaltungsfachkraft. Beispielsweise wurde in dem "Modellversuch Dortmund-Brakel" das Verhältnis folgendermaßen definiert: "Die Kooperation zwischen Sozialarbeiter und Verwaltungsfachkraft wird in Dortmund mit einer deutlichen 1 : 1 - Zuordnung angestrebt, d.h., jeweils eine Verwaltungsfachkraft und ein Sozialarbeiter bilden ein Bezirksteam, das in einem räumlich abgegrenzten Bezirk allzuständig arbeitet. Die Umweltorientierung des Allzuständigkeitsansatzes und seine fachliche wie berufsspezifische Komplexität ließen die Einrichtung regional ausgerichteter Bereichsteams (ein Bereichsteam besteht aus vier Sozialarbeitern, vier Verwaltungsfachkräften und einem Koordinator) angeraten erscheinen. Das Bereichsteam ist gleichermaßen Informations und Austauschbasis wie kollegiale Beratungsgruppe mit hoher und damit auch entsprechender interner Kontrollfunktion" (Sozialdezernat der Stadt Dortmund 1981, 7). Die Auswirkungen dieser Reformvorhaben zeigen sich in der vorliegenden Untersuchung in der umfassenden Zusammenführung der Aufgaben des I n n e n - und Außendienstes, die den Vollzug der Integration organisatorischer und sozialarbeiterischer Handlungsmuster belegt. In der dieser Untersuchung zugrundeliegenden Stichprobe der Mitarbeiterinnen aus dem Bereich der
30
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
öffentlichen Erziehung der 28 nordrheinwestfälischen Großstadtjugendämter sind zudem keine Verwaltungsfachkräfte mehr repräsentiert, so daß von einem immensen quantitativen Rückgang des Verwaltungspersonals in diesen Arbeitsbereichen ausgegangen werden muß.2) Anders formuliert, kann also von einer hohen Verfachlichung des Jugendamtes ausgegangen werden.
2.4 Enthierarchisierung der Arbeitsvollzüge Die Verlagerung der Entscheidungskompetenzen bezüglich der Interventionsformen in die Hand der zuständigen Sozialarbeiterinnen wird als eine weitere notwendige Voraussetzung für eine innovative Praxis der Jugendhilfe betont. Formale Autoritätsstrukturen werden im Hinblick auf eine stadtteilorientierte, "bürgernahe" Sozialarbeit als kontraproduktiv bewertet (vgl. z.B. Becher et al. 1986, 272), da flexible, situative Entscheidungen durch Weisungsgebundenheit und die Einhaltung des Dienstweges blockiert werden. Die Kompetenz des Sozialarbeiters in der Beurteilung der Problemlagen sowie in der Wahl und Durchführung von Interventionen soll mit Hilfe einer Enthierarchisierung der Arbeitsvollzüge aufgewertet und zum zentralen Kriterium für die Qualität der sozialarbeiterischen Praxis gemacht werden. Diese fachliche Begründung für eine vermehrte Entscheidungsdelegation und weitergehend, für die Reduktion bürokratischer Strukturen generell, korrespondiert mit verwaltungsfunktionalen Rationalisierungsbestrebungen: "Die möglichst umfassende Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf Sachbearbeiter ist ein allgemeines Organisationsziel; sie ist zur Vermeidung von Doppelarbeit besonders dringlich bei der Errichtung von Nebenstellen. Die Zielsetzung einer möglichst weitgehenden Delegation, d.h. einer möglichst vollständigen Übereinstimmung von Sachbearbeiterfunktion und Entscheidungsbefugnis kann dadurch verwirklicht werden, daß dem Sachbearbeiter grundsätzlich die Entscheidungsbefugnis übertragen wird und Abweichungen hiervon einer besonderen Festlegung bedürfen" (KGST 1978, 22). Ebenso wie für den Bereich der Arbeitsteilung müssen für die Strukturdimension der "Entscheidungsdelegation" in den letzten zwanzig Jahren einschneidende Veränderungen unterstellt werden. Konstatierte Helfer (1971) für die Kompetenzverteilung innerhalb der Sozialbürokratien: "Zur beruflichen Rolle des Sozialarbeiters gehört es, Informationen in Sachentscheidungen umzusetzen, oder sie - je nach dem Grad der organisatorischen Differenzierung - für die Umsetzung durch Dritte bereitzustellen. Daraus ergibt sich, daß nur ein Teil der Sozialarbeiter alle Sachentscheidungen, die in die Zuständigkeit der Diensstelle fallen, selbst entscheiden kann. Daß es allerdings so wenige sind, überrascht" (Helfer 1971, 49) kann doch heute ein
2) Uber den Verbleib der Verwaltungsfachkräfte können keine Aussagen getroffen werden, da dies eine Längsschnittuntersuchung zur Voraussetzung hat.
Enthierachisierung
der
Arbeitsvollzüge
31
eindeutiger Trend zu vermehrter Entscheidungsdelegation festgehalten werden. Durchschnittlich werden heute 84% aller auf den Einzelfall bezogenen Entscheidungen von den zuständigen Sozialarbeiterinnen ohne Absprache mit den Vorgesetzten getroffen. Hiervon treffen die Sozialarbeiterinnen 66% in Eigenverantwortung und beraten sich in 18% der Fälle mit Kolleginnen (vgl. Schaubild 5). Darüber hinaus geben 17% der befragten Sozialarbeiterinnen an, daß sie ihre Entscheidungen nie mit Vorgesetzten besprechen und 23%, daß alle Entscheidungen, die mit dem Vorgesetzten erörtert von ihnen zudem auch im Kolleginnenkreis diskutiert werden. Schaubild 5: Verteilung der Entscheidungskompetenzen
Diese Entwicklung muß in einem engen Zusammenhang mit der Neuordnung der Arbeitsteilung gesehen werden, durch die die Entscheidungsbefugnisse des (ehemaligen) Innendienstes nun in den Kompetenzbereich der zuständigen Sozialarbeiterinnen mit eingeflossen sind. Damit gewinnt die Frage an Bedeutung, ob sich - aufgrund des neuen Zuschnitts - in den Arbeitsbereichen Differenzen in bezug auf die Entscheidungsdelegation feststellen lassen. Ein überproportionales Maß an Entscheidungsdelegation ist bei dieser
32
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
Detailbetrachtung in den speziellen Diensten, der Jugendgerichtshilfe (JGH) und der Erziehungsbeistandschaft (EB) nachweisbar: Sie reklamieren mit 93°/o (JGH) und 92% (EB) einen signifikant höheren Anteil an Autonomie in der Entscheidungsfindung (ohne Beteiligung von Vorgesetzten) für sich, als die generalistisch orientierten Arbeitsbereiche (82%). Charakteristisch ist weiterhin, daß kollegiale A b - bzw. Rücksprachen bei der Disposition von Interventionen zwischen den Mitarbeiterinnen der Jugendgerichtshilfe aber auch mit den Vorgesetzten in einem deutlich geringen Maß gemacht werden: Tabelle 2: Umfang und Art der Entscheidungsdelegation in den Arbeitsbereichen Ich treffe Entscheidungen in...
Absprache mit Vorgesetzten Absprache mit Kolleginnen Absprache mit Vorgesetzten und Kolleginnen Eigenverantwortung
generalistisch orientierte Arbeitsbereiche"
JGH
EB
8.5% 18.1%
1.7%« 11.4%
4.3% 25.9%
9.4% 64.0%
4.9% 82.0%*
3.5% 66.4%
"signifikante Unterschiede
Auch mit dieser weitreichenden Zurücknahme bürokratischer Strukturen geht jedoch kein Perspektivenwechsel hinsichtlich der dominierenden Einzelfallorientierung aus. Eine verstärkte Entscheidungsdelegation, die die individuelle Entscheidungskompetenz stärkt, ist kein Indikator für die durch Reorganisationen angestrebte sozialräumliche Orientierung, da alternative Problemlösungsformen in die administrative Problembearbeitung trotzdem keinen Eingang gefunden haben. In den Handlungsvollzügen zeichnen sich, abhängig von dem Ausmaß an Entscheidungsdelegation, keine Veränderungen in den klassischen Routinen der Fallbearbeitung ab. Die mit der Entscheidungsdelegation verbundene Aufwertung der professionellen Handlungskompetenz sichert daher keine grundsätzlich neue, innovatorische Praxis. Allerdings werden unkonventionelle Problemlösungen eher dann verwirklicht, wenn sie auf einen Rückhalt im Kolleginnenkreis treffen. Eine Stabilisierung der konventionellen Tätigkeiten ist dagegen dann zu verzeichnen, wenn die hierarchischen Entscheidungsstrukturen eingehalten werden. Im folgenden sollen deshalb die Möglichkeiten der Entscheidungsabstimmung näher betrachtet werden.
Arbeitsgruppen
33
2.4.1 Arbeitsgruppen Mit dem Strukturelement der "Enthierarchisierung der Arbeitsvollzüge" ist neben der Delegation von Entscheidungskompetenzen an die einzelnen Mitarbeiterinnen i.d.R. auch die Schaffung formaler Koordinations- und Kooperationssysteme der Sozialarbeiterinnen in Form des Teamprinzips verbunden worden: "In der Jugendhilfe und ihren Prozessen sollten durchgängig und prinzipiell die Grundsätze der Partizipation gelten (...) Die in ihnen tätigen Fachkräfte müssen bei allen relevanten Entscheidungen ein Mitbestimmungsrecht erhalten. Sie sind an den jeweiligen Leistungsgremien zu beteiligen. Dienstrechtlich hierarchisch verfaßte Leitungsstrukturen sollen durch demokratische und kommunikative Prinzipien abgelöst werden. Über fachliche Angelegenheiten muß in Team - Konferenzen beraten und entschieden werden. Für das Austragen der Konflikte, die mit allen Formen von demokratischer Mitbestimmung und Beteiligung verbunden sind, müssen entsprechende Regelungen entwickelt und eingeführt werden. Das Prinzip der Teamarbeit sollte auch in den Arbeitsvollzügen zur Regel gemacht werden" (Fünfter Jugendbericht 1980, 213). Damit rückt neben die quantitative Dimension des Ausmaßes an Entscheidungskompetenz ein qualitatives Merkmal, nämlich die Einbeziehung der Professionellen in organisationelle Beratungs- und Entscheidungsprozesse. Diese formal geregelten Partizipationschancen - wird das Teamprinzip als Strukturelement in die Jugendämter eingeführt - können jedoch von vornherein nicht uneingeschränkt positiv bewertet werden: Es gilt vielmehr, die Kompetenzen und Vollmachten, mit denen Arbeitsgruppen bzw. Teams ausgestattet werden, genau zu analysieren, da die Institutionalisierung dieses Koordinationsinstrumentes auch zu einer weiteren Ebene der Kontrolle umdefiniert werden kann. Der Verlust an formaler Kontrolle durch die dargestellte Tendenz weitreichender Entscheidungsdelegation könnte mithin durch eine inhaltlich - fachliche, kollegiale Kontrolle kompensiert werden. Von den befragten 375 Sozialarbeiterinnen ist bei 50% (n= 187) die Zusammenarbeit der Kolleginnen in Arbeitsgruppen organisiert, 152 nehmen an diesen Arbeitsgruppen tatsächlich teil. Unter diesen Voraussetzungen kann nicht davon gesprochen werden, daß sich das Teamprinzip zu einem generellen Strukturelement in den untersuchten Arbeitsbereichen der Jugendhilfe entwickelt hat. Zudem ist die Einrichtung der Arbeitsgruppen in nur knapp 75% der Fälle ein formelles Koordinationsinstrument der Organisation, so daß insgesamt die Partizipationschancen der Sozialarbeiterinnen an organisationeilen Abläufen und Entscheidungen eher gering eingeschätzt werden müssen.
34
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
Werden in einem weiteren Schritt die Kompetenzen der Arbeitsgruppen betrachtet, so muß auch hier von einem halbherzigen Schritt ihrer Institutionalisierung ausgegangen werden. Lediglich 27% der nach dem Teamprinzip arbeitenden Sozialarbeiterinnen geben an, daß ihre Arbeitsgruppe mit Entscheidungsvollmachten ausgestattet Ist; hierbei gilt für 18% diese Entscheidungsvollmacht uneingeschränkt, in 9 % ist sie infolge zusätzlicher Bedingungen (z.B. Einstimmigkeit) weiter reduziert. Diskussionsgegenstand in den Arbeitsgruppen sind zu 67% Problematiken, die den Einzelfall betreffen; insbesondere schwerwiegende Maßnahmen (z.B. die Anordnung von Fürsorgeerziehung/freiwilliger Erziehungshilfe) setzen diesen internen Abstimmungsprozeß voraus. Inhaltliche Konzeptionen, die zu einer Veränderung der administrativen Routinen führen könnten, sind in diesem Rahmen nur noch von 42% der Befragten erarbeitet worden. Vor diesem Hintergrund überrascht es daher kaum, daß nur 48% aller befragten Sozialarbeiterinnen in den Arbeitsgruppen eine wirksame Unterstützung ihrer Arbeit und eine Ausweitung ihrer Entscheidungskompetenz sehen. Für die Verwirklichung des Teamprinzips kann damit festgehalten werden, daß handlungsrelevante Veränderungen im Hinblick auf eine problembezogene, innovative Sozialarbeit von dieser Seite nicht zu erwarten sind. Vielmehr wird die Einzelfallorientierung zusätzlich festgeschrieben, da vorrangig "komplizierte Fälle" kollegiale Abstimmungen und Entscheidungsprozesse auslösen. Hierfür spricht auch die wenig kontinuierliche Zusammenarbeit in den Teams, ein Drittel der Arbeitsgruppen trifft sich monatlich, ein weiteres Drittel lediglich bei Bedarf. Diese Ergebnisse deuten im Gegensatz zu der intendierten fachlichen Profilierung durch formelle Koordinationseinheiten auf die schon angedeutete Tendenz der Institutionalisierung eines neuen Kontrollmodus hin (vgl. hierzu auch Kap. 4.4). Ein Indikator hierfür ist die prinzipielle (regelmäßige und unregelmäßige) Teilnahme von Vorgesetzten (93%) an den Arbeitsgruppen. Entscheidender jedoch ist, daß diese Form der Zusammenarbeit von 67% der Sozialarbeiterinnen als Dienstaufsicht bzw. Kontrolle bewertet wird und dagegen nur 59% der nicht in Arbeitsgruppen organisierten Sozialarbeiterinnen ihre Kooperation mit Vorgesetzten in dieser Weise klassifizieren. In diesem Kontext wird die Ambivalenz des Teamprinzips noch einmal deutlich: Auf der einen Seite finden fachbezogenere, professionelle Argumentationen in den Arbeitsgruppen eine Basis, auf der anderen Seite setzt hier eine in den EntScheidungsprozeß verlagerte Kontrolle ein.
Entscheidungsdelegation und Kontrolle
35
2.4.2 Zum Verhältnis von Entscheidungsdelegation und Kontrolle Die o.a. Ergebnisse weisen zum einen auf die tatsächliche Implementation erweiterter Entscheidungskompetenzen der einzelnen Sozialarbeiterinnen und zum anderen auf einen Wandel des Kontrollmodus hin. Für eine vorläufige Beantwortung der Frage nach dem hiermit einhergehenden Abbau hierarchischer Entscheidungsstrukturen ist es jedoch unerläßlich, die dem Entscheidungsprozeß nachgelagerten kontrollierenden Eingriffe mit zu berücksichtigen. Auch hierzu hat die KGST eindeutige Richtlinien formuliert: "Die Fachaufsicht der Vorgesetzten ist bei verstärkter Entscheidungsdelegation zu intensivieren" (KGST 1971, 9). Die Akzeptanz der fachlichen Entscheidungen von vorgesetzter Stelle soll deshalb in dem folgenden Abschnitt näher betrachtet werden. Schaubild 6: Kontrollierende Einflußnahmen
Kontrollierende Einflussnahmen
36
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
Es wird deutlich, daß Entscheidungseingriffe von Vorgesetzten nur in einem recht geringen Maß vokommen. Diese Tendenz korreliert jedoch mit der dominierenden personenzentrierten Orientierung sozialarbeiterischer Praxis. Das Kontrollverhalten erweist sich als abhängig von der Art der ausgeübten Tätigkeiten, dies zeigt sich insbesondere bei der Betrachtung der einzelnen Arbeitsbereiche. Die Überwindung einer ausschließlichen Einzelfallorientierung und Nutzung nicht - standardisierter, unkonventioneller Interventionsstrategien (z.B. Gruppenarbeit, Unterstützung von Stadtteilaktivitäten, Hilfe bei Unterstützungsanträgen) läßt den Kontrollaufwand der Sozialadministrationen deutlich ansteigen, während die traditionellen Verwaltungsroutinen kontrollierende Eingriffe überflüssig machen (Hausbesuche) bzw. selbst schon ein Kontrollinstrument darstellen (Aktenführung). Tabelle 3: Kontrollaufwand, differenziert nach Interventionsformen generalistisch orientierte Arbeitsbereiche
JGH
Arbeit mit Jugendgruppen
.18
.32
Arbeit mit Selbsthilfegruppen
.10
.35
Unterstützung von Stadtteilaktivitäten
.28
Hilfe bei Unterstützungsanträgen
.36
EB
Hausbesuche
-.44
Aktenführung
.40
Der festgestellte generell niedrige Kontrollaufwand ist, wie hier ersichtlich wird, der nur marginalen Rolle geschuldet, die sozialräumliche Interventionen innerhalb der sozialarbeiterischen Aufgabenerledigung spielen. Eine tatsächliche Umorientierung in der professionellen Praxis im Hinblick auf eine präventive, problemlagenbezogene soziale Arbeit würde den Kontrollbedarf der Organisation deutlich erhöhen.
37
Programmierung der Arbeitsvollzüge
2.5 Programmierung der Arbeitsvollzüge Die Programmierung hat sich als zentrale organisationelle Dimension, die den professionellen Handlungsspielraum vorstrukturiert, erwiesen. Dies wird durch eine Hauptkomponentenanlyse belegt, in der sich die gesetzliche, organisationelle und professionelle Programmierung als dominante Faktoren herausbildeten, sie erklären alleine 2 4 . 1 % der Gesamtvarianz. Tabelle 4: Hauptkomponenten und Kommunalitäten der Organisationsstruktur 3 ) F1 gesetzl. Zielprogrammierung organisât. AnlaBprogrammierung gesetzl. MaBnahmenprogrammierung organisât. MaBnahmenprogrammierung organisât. Zielprogrammierung gesetzl. AnlaBprogrammierung profess. MaBnahmenprogrammierung profess. AnlaBprogrammierung profess. Zielprogrammierung Arbeit mit Jugendgruppen Arbeit mit Selbsthilfegruppen Unterstützung von Stadtteilaktivitäten Hausbesuche Aktenführung
F2
F3
F4
hi 2 .62 .56 .56 .58 .52 .33
.78 .74 .73 .70 .68 .55
.64 .63 .53
.79 .79 .72
.47 .38 .32 .18 .30
-.61 -.52 -.51 .39 .36
soziale Probleme, die in dem Arbeitsbereich dominieren soziale Gruppen, die in dem Arbeits bereich dominieren
-.84
.72
.73
.55
Auffällig ist, daß die Strukturelemente, die in der Neuorganisationsdebatte vorrangig dikutiert wurden - die Dekonzentration, die Arbeitsteilung sowie die Entscheidungskompetenzen - in die Hauptkomponentenanalyse keinen Eingang gefunden haben. Lediglich dem Tätigkeitsspektrum und den Objektbereichen sozialarbeiterischer Interventionen kommt neben der Programmierung eine erhöhte Relevanz bei der Untersuchung der Organisationsstrukturen zu. Es ist deshalb notwendig, den Stellenwert und die Impliktationen der Programmierung für das administrative Handeln genauer zu betrachten.
3) Aus der hier dargestellten 4-Faktorenlösung, die 39.5% der Gesamtvarianz aufklärt, wurden Items, deren semantischer Gehalt keine eindeutige Interpretation zuläßt sowie Items, die bei mehreren Faktoren hohe Ladungen zeigen, ausgeklammert.
"instabile"
38
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
Als organisationeile Programmierungen werden dabei Festlegungen bezeichnet, die die Auswahl der zu bearbeitenden Probleme und diesbezüglich zu treffender Entscheidungen beeinflußen. Die Entscheidungsproduktion orientiert sich dabei an Regeln, denen Normen und Werte zugrundeliegen, ohne daß diese selbst thematisiert werden (vgl. Luhmann 1971, 165 ff). Gerade in der Debatte um eine Neuorganisation der sozialen Dienste sind diese hintergründigen Prämissen der Organisation und der Profession jedoch in das Blickfeld gerückt, die Interessen der Klientel sind zum Maßstab einer gelingenden Praxis gemacht worden. Zentrales Argument der Organisation für den initiierten Umorientierungsprozeß ist dabei die "Bürgernähe" (Stadtteil — bzw. Feldorientierung), für die Profession die Verbesserung der Lebenslage ihrer Klientel. Das inneradministrative Regelwerk, das eine diesen Grundsätzen
angemessene
entsprechend
einer
innovative soziale Arbeit gewährleisten Umstellung von einer
soll,
bedarf
konditionalen 4 ) auf eine
finale
Orientierung: Während konditional programmierte Administrationen Problemlagen als zeitlich relativ stabil betrachten und mit Hilfe standardisierter routinisierter
Verfahren
zu
bearbeiten
versuchen,
ergibt
sich
und
für
final-
programmierte Organisationen ein Perspektiven Wechsel. Die hier dominierende Ergebnisorientierung weist auch auf qualitative Dimensionen professioneller Interventionen hin, die umfassende Wahrnehmung
und Analyse der situa-
tiven Faktoren ist der verläßlichste Garant für die Erreichung des gewünschten Ziels (vgl. Müller/Otto 1980, 12f). Mit dieser Form administrativer Steuerung ist damit grundsätzlich eine Dezentralisierung der Strukturen der Organisation und eine Entstandardisierung ihrer Arbeitsabläufe sowie eine höhere Verarbeitung von (-konditional)
Umweltkontingenzen
gesteuerten
verbunden.
Sozialadministration
Wird
nur
eine
der
bürokratisch
relativ
geringe
Kapazität in der präventiven Bearbeitung klienteler Problemlagen zugestanden, kommt der Frage Bedeutung zu, inwieweit ein Programmierungswandel durch Neuorganisationen stattgefunden hat und ob von ihm die erwarteten positiven Wirkungen ausgehen.
4)
Ihre exponierteste Charakterisierung findet die "Konditionalprogrammierung"
in der Weber-
schen Definition bürokratischer Verwaltungen: "Der normale 'Geist' der rationalen Bureaukratie ist, allgemein gesprochen, 1)
Formalismus,
gefordert von allen an Sicherung
welcher Art Interessierten, -
persönlicher
Lebenschancen
gleichviel
weil sonst Willkür die Folge wäre, und der Formallsmus die
Linie des kleinsten Kraftmasses ist (...) 2)
die Neigung der Beamten zu material-utilitaristisch gerichteter Behandlung ihrer Verwaltungsaufgaben im Dienst der zu beglückenden Beherrschten" (Weber 19B0, 130).
Programmierung
der
Arbeitsvollzüge
39
Für die Analyse der Programmierung sozialarbeiterischer Handlungsvollzüge ist - entsprechend der Unterscheidung zwischen Konditional- und Finalprogrammierung - der inhaltliche Bezugspunkt entscheidend, an dem sich der Regelungsbedarf der Organisation manifestiert. "Für den Typ der konditionalen Programmierung ist kennzeichnend, daß ein Ereignis in der Umwelt bezeichnet wird, das vor der Informationsverarbeitung im System liegt. Das Programm bezeichnet bestimmte Sachverhalte in der Umwelt, die ein bestirntes Handeln auslösen sollen. Das Programm legt also eine bestimmte Ursache fest, die jedesmal, wenn sie eintrifft, ein bestimmtes Handeln auslöst. Durch konditionale Programmierung werden Entscheidungen fest an bestimmte Tatbestände montiert. (...) Für Zweckprogrammierung ist kennzeichnend, daB keine auslösenden Ursachen als Anlaß des Handelns bezeichnet werden, sondern Wirkungen, die durch Programmierung als erstebenswert ausgezeichnet werden. Das Zweckprogramm verknüpft die erstrebte Wirkung bezeichnender Weise nicht fest mit bestimmten Entscheidungen, sondern überläßt in großem Maß die Entscheidung über die Auswahl der Mittel dem Entscheidungsprozeß" (Wohlert 1980, 166f). Knapp 2/3 der befragten Sozialarbeiterinnen arbeiten dieser Definition gemäß unter konditional strukturierten Arbeitsbedingungen: Bei 64% reglementieren gesetzliche oder organisationeile Anlaßvorgaben den professionellen Handlungsspielraum. Finalprogrammierte Arbeitsbedingungen haben sich damit nicht zum zentralen Modus administrativer Steuerung entwickeln können, 46% 5 ) der Befragten sehen in gesetzlichen und organisationellen Zielvorgaben eine Einschränkung ihrer Arbeitsvollzüge. Auch die zweite Prämisse der Finalprogrammierung, - daß mit ihr keine direkten Mittelvorgaben einhergehen - , konnte nicht bestätigt werden. Vielmehr zeigt sich in dem nachfolgenden Schaubild ein überaus homogenes Bild: Bei der Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Ziel - , Anlaß - und Maßnahmenvorgaben wird sowohl auf gesetzlicher als auch auf organisationeller Ebene eine überdurchschnittlich hohe Interkorrelation zwischen Zielen und Maßnahmen deutlich, die die der konstitutiven Elemente der Konditionalprogrammierung - Anlässe und Maßnahmen - noch übersteigt.
5) Programmverschachtelurigen sind die Ursache dafür, daß in einigen Fällen sowohl Anlaß auch Zielvorgaben
den Handlungsspielraum begrenzen.
als
Sozialbürokratie
4U
und
Organisationsreform
Schaubild 7: Interkorrelationen des Programmierungsaufbaus
Gesetze
Organisation AnlaB .50
.47
.62
Maßnahmen
.47
.70 Zieie
Maßn
.56
.63 -.55
Trotz des hier deutlich werdenden hohen Grades an Konsistenz innerhalb des Programmierungsaufbaus werden die Arbeitsvollzüge der Sozialarbeiterinnen keineswegs durch Steuerungsleistungen determiniert, vielmehr ist die Reglementierung durch Programmierung insgesamt eher niedrig. 60°/o der Sozialarbeiterinnen sehen ihre Entscheidungskompetenz durch die gesetzliche und organisationeile Programmierung nicht beeinträchtigt. Dies korrespondiert mit dem oben ausgeführten hohen Ausmaß an Entscheidungsdelegation, für das jetzt weiterführend festgehalten werden kann, daß die Autonomie in der Entscheidungsfindung durch Programmierungseinflüsse nicht wesentlich relativiert wird. Ein in prinzipieller Wandel in der Programmierung von Sozialbürokratien zeichnet sich im Hinblick auf die Implementation präventiver Problembearbeitungsstrategien nicht ab. Dekonzentrationsmaßnahmen haben in diesem Kontext ebenso wenig bewirkt, wie der Neuzuschnitt der Arbeitsbereiche. Für die Jugendgerichtshilfe kann die Konditionalprogrammierung eindeutig als dominierende Strukturierungsform benannt werden (vgl. Schaubild 8), dies liegt jedoch nicht zuletzt an der hohen gesetzlichen Kodifizierung dieses Arbeitsbereiches. Die selektive und formalisierte Grundstruktur der Anlaßprogrammierung kommt In dem Medium "Recht" voll zur Entfaltung: "Der Aufbau der Sozialgerichtsbarkeit seit 1953 und der laufende Bestand von einigen 100.000 Streitverfahren haben zur Bestimmung des sozialen Gegenstandes erheblich beigetragen, oft auch in dem Sinne, daß die Verwaltung bestimmte Ermessenspraktiken, die der sozialen Aufgabe an sich durchaus
41
Programmierung der Arbeitsvollzüge
entsprochen haben, aufgegeben hat, weil sie im Gerichtsverfahren damit nicht durchkommt.
So ist die Justifizierbarkeit von Fakten immer
mehr
Voraussetzung dafür geworden, was Gegenstand sozialer Politik sein kann. Oft fallen Justifizierbarkeit
und
Quantifizierbarkeit
zusammen"
(Achinger
1958, 42). In den generalistisch orientierten Arbeitsbereichen zeichnen sich dagegen komplexere Steuerungsstrategien ab, die den Fortfall der Dominanz nur eines Bezugspunktes der Programmierung über Diversifikationsstrategien kompensieren. Auffällig ist hier die Bedeutung der organisationeilen Programmierung, während gesetzliche Vorgaben scheinbar keine unmittelbare Wirkung entfalten. Den
signifikant
niedrigsten
ziehungsbeistandschaft,
Programmierungseinflüßen
ohne daß
sich jedoch auch
unterliegt hier
die
grundsätzliche
Veränderungen nachweisen ließen.
Schaubild
8: Mittelwerte nach
der Programmierung, Arbeitsbereichen
differenziert
2.76
generalistisch orientierte Arbeitsbereiche
Jugendgerichtshilfe
Anlaßprogrammierung Maßnahmenprogrammierung Zielprogrammierung
Er-
Erziehungsbeistandschaft
^
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
2.5.1 Organisationstheoretische Typologien Nur bedingt in einem Zusammenhang mit der Neuorganisation sozialer Dienste stehen Typologien der Organisationstheorie. Trotz diverser theoretischer und praktischer Probleme bei der Bildung und Klassifikation von Organisationstypologien (vgl. hierzu z.B. Scott 1986, 80ff), werden diese als Entwicklungsstufen für die Lokalisierung des aktuell erreichten Organisationsniveaus benutzt. Der Begriff "Bürokratie" markiert hier ebenso wie "situative Verwaltung" je spezifische organisationeile Konstellationen innerhalb der Sozialadministrationen. Insofern also eine "situative Öffnung" der sozialen Dienste mit Neuorganisationsmaßnahmen angestrebt wird, gewinnen Typologien von Organisationsformen für die Einordnung der erzielten Veränderungen an Bedeutung. Auf der Grundlage der Strukturmerkmale von "Programmierung" und "Entscheidungsstruktur" lassen sich drei Organisationsmodelle unterscheiden. Z u m einen ein rationales
Modell der Organisation,
in d e m Organisationen als
Instrument einer optimalen Zielverwirklichung angesehen werden. Von besonderem Interesse sind hier die formale Struktur und die rationalen Entscheidungsprozesse (vgl. Mayntz 1963, 49). Zum anderen wird diesem Modell ein situativer Organisationstypus gegenübergestellt, bspw. der "Human-Relations"-Ansatz: "Das "Human Relations"-Modell ist am zweckmäßigsten, wo es um ungleichförmige Ereignisse geht (Forschung, medizinische Behandlung, Hochschulbildung, Entwerfen) und wo Berufe verlangt werden, die soziale Fähigkeiten als technische Aspekte der Berufstätigkeit erfordern (wie beim psychiatrischen Sozialarbeiter, beim Verkäufer von nur geringfügig differenzierten Produkten und beim Politiker)" (Litwak 1968, 117). Eine Mischform, die Elemente beider Organisationsmodelle vereint, bildet ein theoretisches drittes Modell. (1)
Der am Weberschen Idealtypus legaler Herrschaft6) orientierte klassisch
6) 'Webers Bürokratiemodell kann gekennzeichnet werden durch: unpersönliche soziale Beziehungen; Anstellung und Beförderung nach Verdienst; Autoritätsbefugnis und Pflichten, die a priori spezifiziert sind und eher an die Position gebunden sind als an das einzelne Individuum (d.h. Trennung von Berufs- und Privatleben); Autorität auf hierarchischer Basis; Trennung von zielsetzenden und administrativen Positionen, wobei die Mitglieder der Bürokratie sich mit administrativen Entscheidungen befassen; allgemeine Regeln für jedwedes Verhalten, das nicht durch das bisher genannte spezifiziert ist; und schließlich Spezialisierung. Wenn die Organisation groB und nach diesen idealtypischen Voraussetzungen strukturiert ist, dann ist sie effizienter als jede andere Art von Organisation" (Litwak 1968, 117f).
Organisationstheoretische
Typologien
43
bürokratische Organisationstyp weist im Hinblick auf die Strukturdimensionen der "Programmierung" und der "Entscheidungsstruktur" ein hohes Maß an organisationeller Reglementierung auf. Charakteristisch hierfür ist eine primäre Binnenorientierung, die sich allein auf eine effiziente Problembearbeitung konzentriert. Auf der Grundlage strikter programmatischer Vorgaben werden klientele Problemlagen selektiert und bearbeitet. Zudem wird der einzelne Sozialarbeiter mit einem geringen Maß an Entscheidungskompetenz ausgestattet; dies sichert der Organisation ein Höchstmaß an Kontrolle. Auf dem Hintergrund der bisher dargestellten Ergebnisse entprechen dieser spezifischen inneradministrativen Konstellation 4 9 % der Arbeitsplätze. Es gilt festzuhalten, daß der überwiegende Anteil der sozialarbeiterischen Arbeitsplätze nach diesem formalisierten Muster strukturiert ist, ohne daß dieses für die Sozialarbeiterinnen erkennbare Auswirkungen in der Gestaltung ihrer Handlungsvollzüge hat. (2)
In dem konträr zu dem bürokratischen Organisationsmodell liegenden "situativen Typus" kommt dagegen der Außenorientierung entscheidende Bedeutung zu. Die Effektivität (Output) und ein Höchstmaß an Situationsflexibilität sind Orientierungsmaßstäbe der Verwaltungen. Betonungen der Besonderheiten sozialarbeiterischen Handelns haben im Kontext organisationssoziologischer Überlegungen immer wieder zu einer Präferenz dieses Modells der Dienstleistungsorganisationen geführt: " Psycho - soziale Dienstleistungen 'leiden' unter einem für sie spezifischen 'Technologiedefizit'. Wie man (im Einzugbereich der Sozialarbeit) eine 'Normalidentität' bewirken soll, dafür gibt es keine eindeutigen Rationalitätskriterien. (...) Insofern sind alle (insbesondere natürlich die klientenbezogenen) Entscheidungen im psycho - sozialen Dienstleistungssektor durch hohe Kontingenzbelastung ausgezeichnet, was die betroffenen Organisationen und Akteure mit chronischen Dilemmata konfrontiert, die sich organisationssoziologisch als inkompatible Anforderungen im Hinblick auf Kontrolle und Dienstleistung äußern" (Japp 1983, 47). Entsprechend diesen Hinweisen auf die nur geringen Möglichkeiten der Formalisierung und Standardisierung sozialarbeiterischen Handelns ist die situative Organisation im Hinblick auf die beiden Strukturvariablen durch eine niedrige Programmierung und hohe Entscheidungsdelegation gekennzeichnet.
44
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
Diesem Organisationstypus können jedoch nur 9 % der Arbeitsplätze zugeordnet werden. Eingedenk der theoretischen und praktischen Erkenntnisse über die Spezifika sozialarbeiterischer Interventionen und den daraus abgeleiteten Organisationserfordernissen verstärkt sich mit diesem Ergebnis der Eindruck, daß die vorherrschende Organisationsform den Erfordernissen präventiver sozialer Arbeit entgegensteht. (3)
Aus organisationstheoretischer Perspektive sind Mischtypen dazu geeignet, Defizite der Idealtypen auszugleichen. Durch variierende Relationen zwischen "Programmierung" und "Entscheidungsdelegation" sollen die Probleme, die aus einer Übersteuerung (bürokratischer Typus) bzw. Untersteuerung (situativer Typus) resultieren, vermieden werden. Entsprechend wird hier entweder eine hohe Programmierungsleistung mit einer weitreichenden Entscheidungsdelegation, oder aber nur geringe Programmierungseinflüße mit einer niedrigen Entscheidungskompetenz verbunden. In jedem Fall wird eine Balance zwischen I n p u t - und Outputorientierung angestrebt. 4 2 % der Arbeitsplätze unterliegen diesen Mischformen der Organisation, wobei 9 % auf die erste Variante (hohe Programmierung und hohe Entscheidungsdelegation) und 3 3 % auf die zweite (niedrige Programmierung und niedrige Entscheidungsdelegation) entfallen.
Die Verteilung der Organisationstypen auf die Arbeitsbereiche konkretisiert die Ergebnisse:
Tabelle 5: Organisationstypen, differenziert nach Arbeitsbereichen bürokratischer Organisationstypus
Mischtypus
situativer Organisationstypus
generalistisch orientierte Arbeitsbereiche
54%
41%
5%
Jugendgerichtshilfe
38%
35%
27%
Erziehungsbeistandschaft
37%
47%
16%
Die Zuordnung der untersuchten Arbeitsplätze zu den organisationstheoretischen Typen verdeutlicht noch einmal den nicht stattgefundenen Wandel in der Programmierung. Auffallend ist auch hier die dominante bürokratische Grundstruktur der generalistisch orientierten Arbeitsbereiche. Trotz der hohen gesetzlichen Programmierung deuten die Ergebnisse für die Jugendgerichtshilfe auf eine Entwicklungstendenz in Richtung auf einen situativen Organisationstypus hin.
Professionelle
Selbstabstimmung
45
Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, daß die Organisationstypen nicht mit den untersuchten Arbeitsbereichen korrelieren, diese also nur Teilbereiche (Arbeitsplätze) der Gesamtorganisation charakterisieren. Es kann jedoch in einem hohen Maße funktional für die Sozialadministration sein, einander ergänzende, sich nicht ausschließende Typen in ein Gesamtkonzept zu integrieren (vgl. Kieser/ Kubicek 1983, 49). Durch die Konglomeration bürokratischer, vermischter und situativer Organisationselemente können die spezifischen Anforderungen an die soziale Dienstleistungsarbeit in einem durchaus effizienteren und effektiveren Maß gelöst werden, als wenn ein vorherrschender Organisationstypus die differenzierten Aufgabenstellungen ausschließlich mittels der ihm inhärenten Logik zu lösen versucht (vgl. Litwak 1968, 118ff).
2.5.2 Professionelle Selbstabstimmung Neben der formalen (gesetzlichen und organiationellen) Programmierung beanspruchen die institutionalisierten Interaktionsformen für die Steuerung des professionellen Handelns Relevanz. Professionelle Selbstabstimmung (auch als Selbstprogrammierung bzw. - koordination bezeichnet) kann dabei ein Korrektiv zu der formalen Programmierung, aber auch eine funktionale Ergänzung bilden. "Eine Koordination durch Selbstabstimmung entlastet die auf persönlichen Anweisungen basierende hierarchische Koordination. Sie reduziert vor allem auch die vertikale Kommunikation entlang der Dienstwege. Darüberhinaus kann Selbstabstimmung auch die Motivation der Organiationsmitglieder erhöhen. Beide Vorteile können zu einer Erhöhung der Flexibilität der Organisation führen" (Kieser/Kubicek 1983, 119). Gerade vor dem Hintergrund der dominierenden bürokratischen Orientierung und der Konditionalprogrammierung in weiten Bereichen der öffentlichen Erziehung kommt damit der "kollegialen Konsultation" (vgl. Böhm et al. 1989, 240) eine große Bedeutung zu. Da sich hinter der Selbstabstimmung nicht nur Arbeitsgruppen bzw. das Teamprinzip, sondern fachbezogene Interaktionen zwischen den Mitarbeiterinnen allgemein verbergen, bedarf es der weiteren Analyse der professionellen Interaktionsstrukturen. Als ein zentrales Ergebnis gilt es festzuhalten, daß der Gesamtanteil an Absprachen und Abstimmungen im Kolleginnenkreis in den untersuchten Arbeitsbereichen nicht überdurchschnittlich hoch ist. Obwohl gerade die Nicht - Standardisierbarkeit und die Flexibilität in der Problemlösung ein konstitutives Element sozialarbeiterischen Handelns sind und entsprechend ein erhöhter Abstimmungsbedarf zu vermuten ist - , werden die Handlungsstrategien zwischen den Mitarbeiterinnen nur gelegentlich (eher selten als häufig) thematisiert und koordiniert.
46
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
Auch eine zweite Hypothese, die sich auf die Inhalte der Koordination bezieht, entspricht nicht der hier vorgefundenen Praxis. Im Hinblick auf den Bezugspunkt der Programmierung hätte eine professionelle Zielorientierung unter den Bedingungen organisationeller Anlaßregelungen als eine Art "Gegensteuerung" bzw. Konkretisierung der Handlungsvollzüge und des inneradministrativen Regelwerkes eine Korrektur der institutionalisierten Problemwahrnehmung und -bearbeitung bewirken können. Bezüglich der Inhalte professioneller Absprachen ist jedoch ein Perspektivenwechsel hin zu einer Finalprogrammierung ebensowenig wie von organisationeller Seite aus festzustellen. 46% der befragten Sozialarbeiterinnen besprechen vielmehr im Kolleginnenkreis Anlässe ihres Tätigwerdens, Koordinationsbedarf der Maßnahmen besteht dagegen nur für 33% und Ziele sozialer Interventionen sind für 38% der Professionellen Gegenstand kollegialer Diskussion. Obwohl hier im Vergleich mit der organisationellen Programmierung eine Tendenz zu vermehrten Zielabsprachen ersichtlich wird, bleiben diese jedoch hinter dem dominierenden Regelungsmodus der Anlässe zurück. Damit wird das bürokratische Muster der Konditionalprogrammierung weder von organisationeller noch von professioneller Seite einer Revision unterzogen. Nicht zuletzt ist dieses Ergebnis dem relativ hohen Maß an Entscheidungsdelegation geschuldet. Insbesondere in den generalistisch orientierten Arbeitsbereichen wird die Autonomie in der Entscheidungsfindung durch eine hohe Selbstprogrammierung beeinträchtigt (vgl. Tabelle 6). Hier zeigt sich besonders deutlich der ambivalente Charakter der professionellen Selbstabstimmung, denn neben ihrer fachlich - unterstützenden Rolle wird sie hier als zusätzliches Element organisationeller Programmierung und damit zum Widerruf von Entscheidungsvollmachten benutzt. Tabelle 6: Einflüsse der Selbstprogrammierung auf die Entscheidungskompetenz Ich spreche meine Entscheidungen mit Vorgesetzten ab
Ich spreche meine Entscheidungen mit Kolleginnen ab
Ich treffe Entscheidungen in Eigenverantwortung
Hohes AusmaB an Selbstprogrammierung generalistisch orientierte Arbeitsbereiche
Anlässe Maßnahmen Ziele
Erziehungs beistand schaft
Anlässe Maßnahmen Ziele
Jugend gerichts hilfe
Anlässe Maßnahmen Ziele
-.11
-.17 .64 .35
-.29 -.38
-.54
Professionelle
47
Selbstabstimmung
Anders dagegen entwickelt sich die Funktion der professionellen Selbstabstimmung in den speziellen Diensten. Hier wird die Position der Mitarbeiterinnen durch eine Ausweitung der kollegialen Absprachen gestärkt, obwohl die subjektive Entscheidungskompetenz eingeschränkt wird. Der Abstimmungsbedarf mit Vorgesetzten sinkt bei einer hohen Selbstprogrammierung. Spielt die professionelle Selbstabstimmung in den alltäglichen Handlungsvollzügen der Sozialarbeiterinnen eine insgesamt eher geringfügige Rolle, so kommt ihr jedoch in k o n t i e r e n d e n Situationen eine bedeutendere Position zu. Bei differierenden Einschätzungen in bezug auf die getroffenen Entscheidungen zwischen Sozialarbeiterin und Klientin beraten 8 7 % der Befragten sich mit Kolleginnen um Anregungen für alternative Lösungsvorschläge zu bekommen, Gespräche und Abstimmungen mit Vorgesetzen werden dagegen signifikant weniger in Anspruch genommen. Hiermit geht jedoch nicht selten ein Anstieg auch an kollegialer Selbstkontrolle einher, die Entscheidungen werden nicht nur besprochen, sondern zugleich auch abgesichert. Tabelle 7: Professionelle Selbstabstimmung in Konfliktsituationen Ich treffe Entscheidungen i.d.R. in Absprache mit Kolleginnen (n = 175)
Ich treffe Entscheidungen i.d.R. ohne Absprache mit Kolleginnen (n = 185)
Ich sichere meine Entscheidungen in Konfliktsituationen im Kolleginnenkreis ab (sehr) häutig
(sehr) selten
(sehr) häufig
(sehr) selten
n (sehr) häufig %
135
28
121
31
78
15
65
17
% (sehr) selten n
5
7
3
30
3
4
2
16
Ich berate mich in Konfliktsituationen mit Kolleginnen
Es wird ersichtlich, daß kontingente Situationen (z.B. Mangel an Konsens) den Abstimmungsbedarf und die Vergewisserung der getroffenen Entscheidungen durch Rücksprache mit Kolleginnen deutlich erhöhen. Damit wird eine zentrale Funktion der Selbstprogrammierung offensichtlich: Sie ist nicht
48
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
etwa ein Korrektiv oder Ausgleich in bezug auf die formalen
Strukturen
innerhalb der Organisation, sondern vielmehr eine notwendige Ergänzung in instabilen, ungeregelten und damit unsicheren Situtionen (vgl. dagegen bspw. Hermanns 1983, 99). Ein weiterer Indikator für die funktionale Ergänzung der formalen Programmierungsstrukturen durch die professionelle Selbstabstimmung ist die Kompensation
insgesamt
niedriger
Programmierungseinflüße
durch
zusätzliche
kollegiale Absprachen und Regeln. In Arbeitsbereichen mit niedriger formaler Steuerung (z.B. der Erziehungsbeistandschaft) ist der Umfang an professioneller Selbstprogrammierung signifikant höher als in den ohnehin deutlich reglementierten genralistisch orientierten Arbeitsbereichen. Dennoch birgt die professionelle Selbstabstimmung auch Chancen für die Implementation alternativer Problemlösungsmöglichkeiten insich: ein positiver Zusammenhang zwischen dem Umfang an Entscheidungsabsprachen
und
dem vermehrten Einsatz sozialraumbezogener Maßnahmen ist nachweisbar (z.B. Arbeit mit Jugendgruppen in der Jugendgerichtshilfe : .26; Arbeit mit Selbsthilfegruppen in der Jugengerichtshilfe: .44; Unterstützung von Stadtteilaktivitäten
durch
generalistisch
orientierte
Arbeitsbereiche:
.13).
Neben
diesem organisationsinternen Effekt ist zudem ein Zuwachs an Sicherheit gegenüber
externen,
Informationsaustausch
beteiligten
dritten
Institutionen zu konstatieren:
mit sowie die Vertretung bei anderen
Der
Institutionen
steigt bei einem hohen Maß an kollegialen Absprachen in den generalistisch orientierten Arbeitsbereichen an (.13 bzw. .24).
2.6 Die Neuorganisation sozialer Dienste - Eine gescheiterte Organisationsreform? Die
Stimmen,
die
die
Neuorganisation
sozialer
Dienste
betrachten, mehren sich (vgl. Becher et al. 1986).
als
gescheitert
"Der für die meisten
Projekte durchgängig gültige Anspruch war, formal - rationale bürokratische Strukturen
der
Kooperation,
Kommunikation
und
Problembearbeitung
zu
verlassen und nach neuen Möglichkeiten der Kooperation zu suchen, die mehr sein sollten als eine ä m t e r -
und sachübergreifende Bearbeitung von
sozialen Problemfällen. Hier geht es in der Tat um die Überwindung von Strukturmerkmalen und Prinzipien bürokratischer Verwaltung, und Sozialverwaltung
ist nun
mal
bürokratisch
verfaßt.
Damit
ist das
entscheidende
Problem bereits angeschnitten. Für alle Modelle gilt, daß die Bemühungen an dem Beharrungsvermögen und der Verfestigung bürokratischer Apparate zu scheitern drohen, wenn der bürokratische Apparat nicht selbst in den Wandlungsprozeß miteinbezogen wird. In dem Maße, wie die bürokratische Struktur
Eine
gescheiterte
49
Organisationsreform?
der Sozialverwaltung sich diesen Wandlungen und Veränderugen widersetzt, in
dem
Maße
werden
die
Realisierungschancen
und
Bemühungen
des
Aufbaus eines allgemeinen Sozialdienstes in ihre Grenzen verwiesen" (Baum 1987, 457). Die vorliegenden empirischen Ergebnisse dieser Studie legen in ihrer Grundtendenz
die Antwort nahe, daß Teilziele der
Reformvorhaben
realisiert, die intendierten Wirkungen insgesamt jedoch ausgeblieben sind. Trotz einschneidender struktureller Veränderungen innerhalb des organisatorischen Gefüges behördlicher Sozialarbeit ist die Frage, ob die Organisationsreform "gelungenen" oder "gescheitert" ist, abschließend noch nicht ohne weiteres zu beantworten. Als
Kernelemente
des organisatorischen
Wandels
sind insbesondere
Neuordnung der Arbeitsteilung durch die Zusammenführung von Innen Außendienst
sowie die Etablierung der generalistisch orientierten
die und
Arbeits-
bereiche innerhalb des Jugendamtes hervorzuheben. Die mit diesen Reorganisationen verbundenen Prinzipien der " Generalisierung"
sierung" und der
bzw. der " S p e z i a l i -
(Einrichtung von speziellen Diensten für spezifische Problemlagen)
"Dekonzentration"
(vgl. Maas 1985, 27) müssen in
Nordrhein-
Westfalen als flächendeckend implementiert angesehen werden. Auch in der Dimension der Entscheidungsstruktur ist eine radikale Veränderung zum einen in bezug auf die Entscheidungsbefugnisse der zuständigen Sozialarbeiterinnen festzustellen. Darüberhinaus ist eine geänderte personelle Zusammensetzung durch den drastischen Rückgang von Verwaltungspersonal in der öffentlichen Erziehung zu konstatieren. Aus dieser
Entwicklung
heraus kann von einer hohen Verfachlichung des Jugendamtes ausgegangen werden. Dieser grundlegende Wandel in den Strukturelementen, die in der Neuorganiationsdebatte
immer wieder
betont und zum Ansatzpunkt
von
Reform-
vorschlägen gemacht worden sind, generiert eine völlig neue Ausgangslage für Überlegungen, die die institutionelle Verfaßtheit der sozialen Arbeit als konstitutiven Bezugspunkt für eine präventive Umorientierung setzen. Gerade vor dem Hintergrund der Stabilisierung administrativer Routinen in der Bearbeitung der klientelen Problemlagen, die in den auch weiterhin dominierenden einzelfallzentrierten Tätigkeiten zum Ausdruck kommt, müssen Fragen nach den Implikationen organisatorischer Veränderungen für professionelles Handeln neu gestellt werden (vgl. hierzu auch Kap. 3). Der Optimismus, der die Verwaltungsreform leitete und die Profession unreflektiert als Vorreiter einer innovatorischen Praxis ansah, muß im Hinblick auf die ausgebliebenen handlungsleitenden gebremst werden.
Reformulierungen
sozialarbeiterischer
Interventionen
50
Sozialbürokratie
und
Organisationsreform
Ein in der Diskussion um die Neuorganisation der sozialen Dienste nur wenig beachteter Indikator gibt gegenüber den oben ausgeführten Strukturelementen einige weiterführende Hinweise auf die Tradierung bewährter Handlungsformen auch unter gewandelten organisatorischen Bedingungen. Die Steuerungseinflüsse des professionellen Handelns durch den Faktor der Programmierung sind unterschätzt worden. Gerade durch den nicht stattgefundenen Wandel in dem zugrundeliegenden strukturellen Mechanismus der Konditionalprogrammierung wird die Kompatibilität zwischen Organisation und Profession deutlich, die eine prinzipielle Umorientierung der vorgängigen Handlungsmuster verhindert: "In jedem Falle bewirkt (...) Programmierung viererlei: (1) werden (Hilfe -)Leistungen in unvergleichbarer Weise für potentiell Bedürftige erwartbar gemacht, (2) provoziert sie verengte Aufmerksamkeiten, 'deren Wirkungsverstärkung zugleich Effekte selektiver Nichtbeachtung mitproduziert'(Luhmann 1973, S.34). Programme erhöhen aber auch die organisationelle Binnenstabilität insofern, als sie (3) überprüfbare Regeln für das Verhalten des Personals vorgeben. Auf diese Weise wird organisationelles Handeln von zentraler Stelle aus steuerbar und kontrollierbar. Schließlich wird (4) auch die Wahrnehmung von Umweltzuständen und -ereignissen durch Programme beeinflußt: Lebensweltlich erzeugte und definierte Problemlagen und Bedürftigkeiten sind nun nur noch dann von Interesse, wenn sie in die Anlaßformulierungen der Programme passen, wenn sie also in administrativ bearbeitbare 'Fälle' transformiert werden können" (Olk 1986, 120f). Bei einer formalen Aufwertung der professionellen Handlungskompetenz durch die Neuschneidung der Zuständigkeitsbereiche und die gleichzeitige Bereitstellung von weitreichenden Entscheidungsbefugnissen für die einzelnen Sozialarbeiterinnen bindet die Programmierung offensichtlich die fachlichen Lösungsmuster sozialer Problemlagen an die konventionellen administrativen Bearbeitungsstrategien weitgehend zurück. Eine Erweiterung des Tätigkeitsspektrums im Hinblick auf den angestrebten Sozialraumbezug und die mit ihm verbundene adäquatere Wahrnehmung und Bearbeitung psycho - sozialer Probleme an ihrem Entstehungsort zeichnet sich damit in dem bisher erreichten Stand der Organisationsreform nicht ab. Die vollzogenen Revisionen von zentralen Strukturmerkmalen der Sozialbürokratien können zwar als notwendig, keinesfalls jedoch als hinreichend für eine präventiv orientierte soziale Arbeit bewertet werden. Insbesondere sind auch die professionellen Voraussetzungen für eine grundlegende Reformulierung sozialarbeiterischer Praxis differenziert zu analysieren, da die Veränderung nur eines Bezugspunktes institutionalisierter Sozialarbeit - wie gezeigt nur wenig innovative Dynamik erzeugt.
3. KOMPETENZPROFILE UND HANDLUNGSORIENTIERUNGEN Bearbeitet von: Ann Wellinger
3.1 Einleitung Rückblickend läßt sich die Entwicklungsgeschichte der sozialen Arbeit als ein Prozeß zunehmender Professionalisierung charakterisieren. Die Etablierung der Sozialarbeit zu einem wesentlichen Bestandteil sozialstaatlicher Sicherung -
hieran wird auch in Zeiten restriktiver finanz- und sozialpolitischer
Ressourcen nicht grundsätzlich gerüttelt -
sowie ihre Institutionalisierung
und fachliche Profilierung sind herausragende Indikatoren für diesen Konsolidierungsprozeß. Trotz dieser "Verfestigung von Sozialarbeit als Dienstleistungsberuf" (Olk 1986,42) bleibt die soziale Arbeit auf der Suche nach einer ihr eigenen Identität, nach einem Kompetenz- und Qualifikationsprofil, das die Anforderungen ihrer unterschiedlichen Tätigkeitsfelder zu bewältigen hilft und ihren "politisch sozialen Standort" (Böhnisch/Lösch 1973,21) im Geflecht der sozialen Dienstleistungen markiert. Von den "Praktikerinnen" wird in diesem Kontext vor allem ein fehlender handlungsleitender Orientierungsrahmen und Unzufriedenheit mit der Reichweite
und
Leistungsfähigkeit
sozialarbeiterischer
Interventionen
beklagt:
"Sozialarbeit wird von ihren beruflichen Rollenträgern selbst in Frage gestellt und abgewertet. Auch dafür gibt es viele Gründe: z.B. das Erleben der eigenen Hilflosigkeit, die Erfahrung häufigen Scheiterns, die permanente Überlastung durch hohe Fallzahlen, die konfligierenden Ansprüche der Klienten und der Auftraggeber, manchmal auch der Irrglaube, alle Probleme 'auf der Parkbank' lösen zu können. Die Perpetuierung sozialer Probleme ist über Drehtür-Therapie, Generationen - Folge und Brennpunkt-Zementierung in der täglichen Praxis schmerzlich erlebte Realität, die den Sinn des beruflichen Einsatzes immer wieder in Frage stellt (Mühlum/Kemper 1988,12). Aber auch bei den "Theoretikerinnen" herrscht innerhalb der fachdisziplinären Debatten nur geringer Konsens in Bezug auf Zielperspektiven und generalisierungsfähige Erklärungsansätze, sieht man einmal von wenig aussagekräftigen Programmformeln wie "Hilfe zur Selbsthilfe", "den Klienten zum Ausgangspunkt des Handelns machen" etc. ab. "Zwar hat sich ohne Zweifel im Kontext institutionell 'verwissenschaftlichter' Ausbildung anstelle der alten 'Praxis-Theorie'
ein breites Sepktrum sozialwissenschaftlicher
Theoriebe-
52
Kompetenzprofile
und
Handlungsorientierungen
stände als Grundlage sozialpädagogischer Fachlichkeit eingebürgert - dem Anspruch nach wenigstens. Es reicht von 'gesellschaftstheoretischen Grundlagen' und Sozialstaatstheorien über devianz- und interaktionstheoretische Konzepte bis hin zur Palette der psychologischen Schulen. Die Frage aber ist offen, ob dieses Spektrum die 'Wissenschaft der Sozialpädagogik' bildet oder ob es nicht eher ein disparates Bündel von Fächern ist, das durch die gemeinsame Aufgabe, 'Sozialpädagogen' auszubilden mehr schlecht als recht zusammengehalten wird" (Müller 1988,31). Eklektizismus infolge eines nur bruchstückhaften Wissenschaftsfundamentes ist hier hauptsächlicher Kritikpunkt. Den Hintergrund auch aktueller Überlegungen zur Professionalisierungsdiskussion sozialer Arbeit bilden damit immer wieder Versuche, Ziele und Funktion, Rolle und Status des beruflichen Profils zu klären. Zwei zentrale Theoriestränge können retrospektiv als richtungsweisend herausgearbeitet werden: (1)
Mit der Rezeption der angelsächsischen berufssoziologischen Debatte, die die Bedingungen und Indikatoren der Professionalisierungsfähigkeit von Berufen in den Mittelpunkt stellte, kam es in den 60er und 70er Jahren zu ersten grundlegenden Ansätzen einer eigenen Standortbestimmung der sozialen Dienste für die BRD. Dabei setzte sich über eine lange Phase hinweg eine funktionalistische Sichtweise und entsprechende Kategorisierungen durch. Im Anschluß an Parsons (1968) rückten hier insbesondere die " Binnenstrukturen des professionellen Handlungssystems" (Olk 1986,22) in das Blickfeld, indem an den klassischen Professionen exemplifizierte Kriterien und Merkmale in einem "TraitModell" aufgelistet wurden. "Arbeit", "Beruf" und "Profession" (Hartmann 1968) markieren insofern die interne Hierarchisierung des Reifegrades der beruflichen Entwicklung, wobei die Professionalisierungskategorie selbst noch einmal differenziert gestuft wurde in eine sogenannte vor - professionelle Schwelle und ein voll - professionelles Stadium. Hintergrund einer derartigen professionsimmanenten Differenzierung bildete das theoretische Konzept der "semi-professions" (Etzioni 1969; Toren 1972), das die unterschiedlichen Strukturmerkmale zwischen den "klassischen" und den "neuen" (Mok 1969), "wohlfahrtsstaatlich mitkonstituierten" (Olk 1986) Professionen thematisiert und inhaltlich auf den zentralen Sachverhalt der mangelnden fachlichen Autonomie dieser Professionen gegenüber den organisationeilen Rahmenbedingungen
Einleitung
53
hinweist. 1 ) Auch empirische Studien zu der Berufssituation von Sozialarbeiterinnen (Lingesleben 1968; Helfer 1971) und zu den strukturellen Bedingungen kommunaler Jugendamtspraxis (Vogel 1960; 1966) teilen diese Prämisse der Dominanz der Sozialbürokratie gegenüber der Profession und definieren professionelle Kompetenz entsprechend in erster Linie als die Fähigkeit, Organisationen bereitgestellte Handlungsspielräume nutzen zu können. Implizit argumentieren auch die Verfasserinnen von Interaktionsanalysen mit dieser "Dominanzthese", wenn sie Wirkungen professionellen Handelns (vgl. die Konstrukte von Peters/ Cremer - Schäfer 1975: "sanfte Kontrolle"; von Knieschewski 1978: "Klientifizierung" und von Kasakos 1980: "Routinisierung") einer "unvollständigen Professionalisierung" und institutioneller Reglementierung geschuldet sehen.
(2)
Die Aufmerksamkeitsverlagerung auf die Kategorie des "Wissens" erweiterte diese Standort- und Statuszuschreibungen um eine Dimension: Die "Ablösung des tradierten Berufsverständnisses von 'Berufung' hin zu einer rationaleren Interpretation" (Otto/Utermann 1973,10), die sich an den objektiven Bedürfnissen der Betroffenen ausrichtet, sollte die bis dato nicht geglückte Koordination von ' F a c h - ' und 'Verwaltungswissen' ablösen. Ein besonderer Stellenwert wurde hierfür dem wissenschaftlichen Wissen als Grundlage einer entsprechenden Handlungskompetenz eingeräumt. Mit Hilfe verstärkter Theoriebildung die Wissensgrundlagen zu fundieren und zu systematisieren, sollte der vorherrschenden Ausrichtung an einer bloßen Verbesserung des methodischen Instrumentariums entgegengewirkt werden. Darüber hinaus wurde der Theorie die Funktion der Aufklärung der in diesem Bereich Tätigen im Sinne einer die "gesellschaftstypischen Außenbedingungen" reflektierenden Handlungsorientierung zugeschrieben werden. "Es läßt sich folgern, daß mit zunehmender Professionalisierung für die Sozialarbeiter die Chance steigt, die mit dem Verhältnis zur Klientel, zu den Trägern der Sozialarbeit und zu den problemverbundenen und zum Teil konkurrierenden Professionen verknüpft sind, funktionaler, d.h. in einer neuen Sachlich-
1) Etzioni charakterisiert die " s e m i - p r o f e s s i o n s " wie folgt: "(...) a group of new professions whose claim to the status of doctors and lawyers is neither fully established nor fully desired. (...) Their training is shorter, their status less legitimated, their right to priviledged communication less established, there is less of a specialized knowledge, and they have less autonomy from supervision or societal control than 'the' professions" (Etzioni 1969, V).
54
Kompetenzprofile und Handlungsorientierungen
keit zu formulieren und zu beantworten" (Otto/Utermann 1973,10). Kritik erfuhr allerdings eine sozialtechnokratische Variante der angestrebten Verwissenschaftlichung, deren Fokus auf die ausschließlich instrumentelle Nutzung theoretischen Wissens gerichtet war (vgl. hierzu z.B. Illich et al. 1983). Eine berufliche Entwicklung hin zu einer Sozialexpertokratie liegt hier konträr zu einem stärker hermeneutisch - kommunikativen Fallverstehen, das die Grundlage des Interaktionsprozesses zwischen Sozialarbeiterinnen und Klientinnen bilden sollte.
Vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 dargestellten Ergebnisse bedürfen diese theoretischen Professionalisierungskonzepte jedoch der Modifikation: Die konstatierte, relativ umfassende Durchführung von Reorganisationsmaßnahmen innerhalb des Befragungsgebietes dieser Untersuchung hat u.a. zur Konsequenz, daß die in der "Neuorganisationsdebatte sozialer Dienste" unter der Perspektive der Effektivitätssteigerung extrahierten Organisationsmerkmale (die Bezirksorientierung, die Zusammenführung von I n n e n - und Außendienst, die Delegation von Entscheidungskompetenzen) durch ihre partielle Realisierung zu einer Verfachlichung des Jugendamtes beigetragen haben. Die Annahme, daß mit der tendenziellen Auflösung der klassischen Konfliktlinie zwischen F a c h - und Verwaltungspersonal auch das Handlungsverständnis und das Kompetenzprofil der Sozialarbeiterinnen weitreichenden Veränderungen unterworfen ist, gewinnt an Plausibilität. Neben die wissenschaftliche Fundierung der beruflichen A u s - und Fortbildung treten damit jedoch auch Forderungen, organisationeile Kompetenzen in das Qualifikationsprofil mit einzubeziehen. Diese pragmatische Wende in der Definition der Wissensinhalte wird zudem durch eine Sichtweise unterstützt, die die "Nachrangigkeit der Profession" zugunsten einer "funktionalen Ergänzung der Organisation" revidiert: "Substantial differences between professional values and organizational purposes not only threaten the integrity of professional values, they threaten the integrity of organizational purposes. Organizations can neither dismiss professional values as irrelevant nor embrace them as determinative. To strike the proper balance is difficult. Professional values can make organizations lose sight of their responsibilities." (Bell 1985, 23) Einer solchen Funktionszuschreibung hält die instrumentelle Z w e c k Mittel - Relationierung, die das Konzept der Semi - Professions noch dominierte nicht Stand. Im folgenden sollen deshalb der berufliche Entwicklungsstand und die Dimensionen des beruflichen Wissens im Hinblick auf eine aktuelle Standortbestimmung der Profession innerhalb des administrativen Settings untersucht und empirisch belegt werden.
Mitarbeiterinnen
in der öffentlichen
Erziehungshilfe
55
3.2 Mitarbeiterinnen in der öffentlichen Erziehungshilfe Standortbestimmungen der beruflichen Entwicklung sowie die kritische Überprüfung von Innovationspotentialen im Hinblick auf eine präventive Neuorientierung der Jugendhilfe durch die fachliche Konsolidierung und Profilierung erfordern zweierlei: Zum einen ist es notwendig, den "Ist-Zustand" der professionellen Kompetenzen zu dokumentieren, also eine Bilanzierung der Ausbildungsprofile und Orientierungsmuster vorzunehmen. Zum anderen sollen Entwicklungsmöglichkeiten der Profession, wie sie theoretisch begründet und/ oder auch von den Sozialarbeiterinnen selbst eingeklagt werden, mit dem derzeitig erreichten Stand der Professionalisierung kontrastiert werden. 3.2.1 Qualifikationsstandards Aktuelle Analysen der Personalentwicklung hinsichtlich professionstypischer Qualifikations - und Handlungsstandards liegen für den Bereich der sozialen Arbeit insgesamt und auch speziell auf die öffentliche Erziehungshilfe bezogen nicht vor. Auszugehen ist jedoch von einem sprunghaften Anstieg des Qualifikationsniveaus in den letzten zwanzig Jahren. Der A u s - und Umbau des Ausbildungswesens im Hinblick auf die Strukturen der Ausbildungsstätten, Lehrpläne, Prüfungsordnungen etc. spiegeln die ständige Reformulierung der Qualifikations- und Kompetenzprofile sozialer Arbeit wider: Stellte sich bspw. für Skiba (1969) noch die grundsätzliche Frage, ob eine schulische Vorbildung für den Besuch einer sozialpädagogischen Ausbildungsstätte von nöten sei (vgl. ders., 144), so charakterisieren Rauschenbach et al. (1988) die gegenwärtige Situation, in dem sie feststellen, "(...) daß sich das Feld (1) zunehmend verberuflicht, also immer mehr Ausgebildete dort zu finden sind, (2) immer stärker verfachlicht, also immer mehr sozialpädagogisch ausgebildete Fachkräfte das Mitarbeiterprofil prägen, sowie (3) nach und nach professionalisiert, also dort auch verstärkt hochschulqualifizierte Fachkräfte zu finden sind" (Rauschenbach et al. 1988, 191). Die hier aus dem formalen Kriterium des Ausbildungsabschlusses abgeleitete These einer zunehmenden Professionalisierung und Akademisierung der in der Jugendhilfe Tätigen bestätigt sich hinsichtlich dieses einen Kriteriums auch in der vorliegenden Studie. Eine durchschnittliche Ausbildungsdauer von 3 Jahren deutet diese Tendenz an:
56
Kompetewprofile
und
Handlungsorientierungen
Schaubild 1: Ausbildungsdauer
In den dieser Studie zugrundeliegenden Arbeitsbereichen zeigt sich darüberhinaus eine auch in Schaubiid 1 schon deutlich werdende hohe Homogenität des Ausbildungsstandards, die die so bezeichnete Tendenz einer Verfachlichung des Jugendamtes unterstreicht. Als dominanter Typus der im Jugendamt Beschäftigten können "fachhochschulqualifizierte Sozialarbeiterinnen" (75.5%) benannt werden, Sozialpädagoglnnen (9%) und DiplomPädagoginnen (0.5%) finden dagegen nur nur in einem geringen Ausmaß Eingang in diesen Arbeitsbereich. 15% der Befragten absolvierten die Ausbildung zum/zur Sozialarbeiterin an einer Höheren Fachschule für Sozialarbeit. Dieser Trend hinsichtlich des Qualifikationsprofils wird begünstigt durch einen mindestens ebenso deutlichen Anstieg des allgemeinen Bildungsniveaus, gemessen an den Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildung zum/zur Sozialarbeiterln: Helfer (1971) stellte hierfür noch fest, "Die schulischen
57
Qualifikationsstandards
Voraussetzungen zur Sozialarbeiterausbildung (...) werden von mehr als der Hälfte der Befragten durch die 'mittlere Reife' nachgewiesen, die allerdings von jedem Fünften dieser Gruppe nicht durch den Besuch einer Real - oder Oberschule, sondern durch die 'Prüfung zur Feststellung der Bildungsreife' - auch 'schulwissenschaftliche Prüfung' genannt - erworben wurde. Ein Fünftel der Sozialarbeiter hat Abitur, und ein etwas geringerer Anteil wird von Fachschulabsolventen gestellt" (Helfer 1971, 56). Ein auffälliger Zuwachs an Abiturientinnen und Fachoberschülerinnen ist dann aber schon innerhalb der ersten Hälfte der 70er Jahre an den Fachhochschulen zu beobachten: Tabelle 1: Vorbildung der Fachhochschulstudenten im Fachbereich Sozialwesen Erhebungsjahr
1971 (n = 231) 1973 (n = 669) 1975 (n = 973) (aus: Kreutz 1977, 25)
Anteil der Fachoberschüler und Abiturienten
Anteil der Studenten mit mittlerer Reife und Berufserfahrung
7% 27% 57%
52% 37% 20%
Diese Relationen haben sich auch in den 80er Jahren im Hinblick auf immer höhere berufsqualifizierende Abschlüsse weiter verschoben: Tabelle 2: Schulische Vorbildung der Sozialarbeiterinnen
n
%
Abitur/ Fachabitur
mittlere Reife
257 73.4
79 22.6
Hauptschul abschluß
10 2.9
Feststellung der Bildungreife
4 1.1
Einhergegangen mit dem Anstieg des allgemeinen schulischen Bildungsniveaus ist auf der anderen Seite ein Rückgang berufspraktischer Vorbildungen: Weniger häufig werden berufliche Ausbildungen dem sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Studium vorgelagert. Verglichen etwa mit Ergebnissen aus der Studie von Lingesleben (1968), der nur für 3 6 % der von ihm befragten Sozialarbeiterinnen keine Berufstätigkeit im Vorfeld der Aufnahme der sozialarbeiterischen Ausbildung konstatierte (vgl. ders. 1968, 24), nehmen heute 4 6 . 9 % der Sozialarbeiterinnen ihr Studium ohne berufspraktische Erfahrungen auf:
58
Kompetenzprofile
und
Handlungsorientierungen
Tabelle 3: Berufliche Qualifikation vor Beginn der Ausbildung Haben Sie außer Ihrer Ausbildung im Bereich der Sozialarbeit einen anderen Beruf erlernt?
n
%
16
46.9
56
15.9
Handwerkliche Berufsausbildung medizinische/ naturwissenschaftliche Berufsausbildung
48
13.6
35
9.9
pädagogische Berufsausbildung künstlerische/ technische Berufsausbildung
30
8.5
15
4.3
akademische Berufsausbildung
3
0.9
nein Verwaltungs-/ wirtschaftliche Berufsausbildung
Ein linearer Trend, der einen signifikanten Rückgang berufspraktischer Erfahrungen im Vorfeld der Aufnahme eines Studiums reziprok zu dem festgestellten Anstieg innerhalb der schulischen Voraussetzungen unterstellt, ließ sich jedoch nicht nachweisen. Vielmehr verfügen auch weiterhin fast die Hälfte der Befragten über einen qualifizierenden Abschluß in "fachfremden" Berufen. Auffällig gering ist in diesem Zusammenhang der Anteil an Umschulungen aus anderen pägagogischen Berufsfeldern. Statusverbesserungen durch weiterführende, höhere Qualifikationsnachweise scheinen demnach für die Berufswahl und die Aufnahme eines sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Studiums weniger entscheidend zu sein. Die relativ guten Arbeitsmarktchancen im Zuge der Expansion der sozialen Dienste in den 70er Jahren (vgl. Maier 1990, 50) sowie eine generelle altruistische bzw. Gemeinwohlorientierung beeinflussen dagegen den Berufswechsel eher (vgl. zu den Motivationen und Selbstwahrnehmungen der Sozialarbeiterinnen auch Helfer 1971, 62).
3.2.2 Die öffentliche Erziehungshilfe: Ein Arbeitsfeld für Berufsanfänger 51% der befragten Sozialarbeiterinnen sind unter 34 Jahren alt, über 45 Jahre dagegen sind nur 21 %. Das niedrige Durchschnittsalter von 37 Jahren deutet darauf hin, daß die generalistisch orientierten Arbeitsfelder der öffent-
Die öffentliche
Erziehungshilfe:
Arbeitsfeld
für
Berulsanfänger
59
liehen Erziehungshilfe charakteristische Arbeitsplätze während der Berufseinstiegsphase bereitstellen. Zum anderen konkretisieren die Daten der Abschlußprüfungen diesen Trend, kann doch mit dieser Hilfe festgestellt werden, daB der Zeitpunkt der Qualifikation für den jetzt ausgeübten Beruf noch nicht länger als zwanzig Jahre zurückliegt.
Schaubild 2: Zeitpunkte der Abschlußprüfungen
Zeitraum der Abschlusspruefung In Prozent
Darüber hinaus ist aus der für die meisten erst relativ kurzen Zeit der Anstellung ein nahtloser Übergang von der Fachhochschule in das Berufsfeld zu vermuten. Dies zeigt sich deutlich in der Dimension der Berufserfahrung: 63% der Befragten sind noch nicht länger als 10 Jahre in diesem Beruf tätig.
JU
Kompetanzprofile und Handlungsorientierungen
Tabelle 4: Berufserfahrung in Jahren
JAHRE bis zu 2 3 - 6 7-10 11 - 14 15 - 18 19 - 22 23 - 26 27 - 30 31-34
n
%
40 114 84 67 21 12 5 6 4
11.3 32.2 23.7 19.0 6.0 3.3 1.5 1.8 1.2
Hohe Korrelationen zwischen der Berufserfahrung und der Verweildauer legen zudem nahe, daß eine Vielzahl der Befragten auch ihr Anerkennungsjahr in den später ausgeübten Arbeitsbereichen geleistet hat. Damit kann die Übernahme von Absolventinnen des Anerkennungsjahres als ein wesentlicher Rekrutierungsmechanismus des Jugendamtes benannt werden. Hinweise darauf, daß langfristige, auf Dauer angelegte Berufskarrieren innerhalb dieses Bereichs zudem in hohem Maße geschlechtsabhängig sind, wird bei differenzierter Betrachtung der alterspezifischen Verteilungen deutlich: 2/3 der Befragten sind weiblich, davon sind 58% unter 34 Jahren. Das Verhältnis von 2/3 Frauen zu 1/3 Männern dreht sich um, betrachtet man die Altersgruppe zwischen 35 und 44: hier sind mehr als die Hälfte der Befragten (ca. 60%) männlich. Danach gleicht sich das Verhältnis an, findet jedoch nicht wieder zu der ursprünglichen Relation zurück.
Tabelle 5: Altersspezifische Verteilung der Stichprobe bezogen auf das Geschlecht
ALTER
25 35 45 55
-
34 44 54 64
WEIBLICH n % 133 43 33 20
37.5 12.1 9.3 5.6
MÄNNLICH n % 44 60 18 4
2.4 16.9 5.1 1.1
Professionelle
Handlungsorientierungen
61
Soziale Arbeit in den Feldern der öffentlichen Erziehungshilfe ist diesen Merkmalen zufolge als ein Einstiegsberuf zu charakterisieren: Hohe Fluktuationen in der weiblichen Mitarbeiterschaft - und dies ist die Mehrzahl der dort Beschäftigten - deuten darauf hin, daß arbeitsfeldspezifische Routinen nur selten ausgebildet werden können. Die Daten zur Personalstruktur verlangen deshalb die Überprüfung der Hypothese, ob die relativ geringe Berufserfahrung sowie das niedrige Durchschnittsalter einen Einfluß auf die Gestaltung des Arbeitsalltags haben, indem Ausbildungsinhalte relativ unvermittelt die Handlungsvollzüge prägen.
3.3 Professionelle Handlungsorientierungen Im folgenden sollen die professionellen Wissensbestände und Orientierungsmuster, die Zielsetzungen, Begründungen und Anlässe sozialarbeiterischer Interventionen sowie die Maßnahmenwahl näher untersucht werden. Über diese Indikatoren sind weitreichende Annahmen, die im Kontext der Professionalisierungstheorie Bedeutung gewannen, zu überprüfen. 3.3.1 Sozialarbeiterische Wissensbestände Über die sozialstrukturellen Daten zur Personalentwicklung in den Feldern der öffentlichen Erziehungshilfe hinaus, die sozialarbeiterische Kompetenzen im Feld der Jugendhilfe hinsichtlich der zertifizierten Qualifikationsvoraussetzungen und deskriptiven Merkmale benennen, sind die Wissensgrundlagen, auf die sich sozialarbeiterische Praxis stützt, relevant, um Kompetenzprofile und Handlungsorientierungen nachzeichnen zu können. Hierfür ist allerdings weniger die curriculare Verankerung bestimmter Wissensinhalte in der Ausbildung von Sozialarbeiterinnen von zentraler Bedeutung, als vielmehr der eingeschätzte Bedarf theoretischer Kenntnisse für eine Optimierung der Praxis. Ohne damit der durch die Verwendungsforschung schon falsifizierten Möglichkeit der Deduktion von Handlungsmustern aus theoretischen Wissensbeständen das Wort zu reden, wird ein praktischer Nutzen - i.S. von Systematisierung und Strukturierung des handlungsleitenden Wissens durch eine theoretische Ausbildung unterstellt. Diese Einschätzung teilen auch die befragten Sozialarbeiterinnen, klagen sie doch über ein generelles Theoriedefizit. Befragt nach den Wissensgebieten, denen sie für eine zukünftige Ausbildung eine höhere Relevanz - sowohl im Vergleich mit der gegenwärtig institutionalisierten als auch im Vergleich mit ihrem tätigkeitsbezogenen Know-how - zumessen, so ist die Nachfrage nach einer Ausweitung der professionellen Wissensgrundlagen auf alle Bereiche bezogen außerordentlich hoch.
0/
-
Kompetenzprofile
und
Handlungsorientierungen
Schaubild 3: Relevanz von Wissensbeständen für Berufsvollzüge
Sozialarbeiterische Wissensbestände
63
Dies gilt sowohl für die im engen Sinne als sozialwissenschaftliche Theoriebestände zu charakterisierenden Wissensbereiche wie: Gesellschaftstheorie, Theorien sozialer Probleme oder Sozialpolitik, wie auch für technisches Handlungswissen bspw. für Psychologie, Beratungstechniken und Methoden der Sozialarbeit. Immer ist ein "Mehr" an Wissen gefragt, auch wenn der direkte Nutzen nicht unbedingt erwartet wird. Dies fällt natürlich bei den generalisierenden Wissensgebieten deutlicher auf, als bei dem methodisch orientierten Handlungswissen; der Verwendungswert in den alltäglichen Berufsvollzügen wird für sozialwissenschaftliche Theorien zwar geringer eingeschätzt, die Notwendigkeit ihrer Vermittlung trotzdem jedoch deutlich hoch bewertet. Eine praktizistische Verkürzung der Ausbildungsinhalte wird demnach von den Sozialarbeiterinnen abgelehnt. Einen auffällig anderen Stellenwert nehmen die administrativ bzw. organisatorischen Kenntnisse, wie sie in den Fächern von Verwaltungskunde und Recht vermittelt werden, ein. Der berufspraktischen Bedeutung muß nach den aus der Untersuchung vorliegenden Erkenntnissen nicht durch einen entsprechend exponierten Stellenwert in der Ausbildung entsprochen werden, insbesondere in der Verwaltungskunde reichen, so lassen sich die vorliegenden Daten interpretieren, Grundkenntnisse, die im Berufsvollzug konkretisiert werden können. Die unbestrittene Relevanz von Kenntnissen über den administrativ-gesetzlichen Rahmen sozialarbeiterischen Handelns erfordert demnach weniger generalisierende Kompetenzen. Damit eröffnet sich jedoch ein Paradoxon zwischen der in der Einstellungspraxis präferierten formalen Qualifikation - die Ausbildung von Sozialarbeiterinnen umfaßt i.d.R. weit stärker administrative Elemente als die sozialpädagogische bzw. universitär-erziehungswissenschaftliche Ausbildung und dies wäre ein zusätzliches Erklärungsmoment für die bevorzugte Rekrutierung von Sozialarbeiterinnen in den untersuchten Arbeitsbereichen - und den Erfordernissen, die die Praktikerinnen selbst für ihren Berufsalltag formulieren. Diese Diskrepanz zwischen den Anstellungsträger- bzw. Arbeitgeberperspektiven und den Orientierungen der Sozialarbeiterinnen wird noch deutlicher, wirft man einen kurzen Blick auf die Experteninterviews, die die Qualifikationsanforderungen durch die Vorgesetzten präzisieren: 54% der befragten Expertinnen formulieren als Anforderungsprofil an die kompetente Sozialarbeitern "(...) daß eine notwendige Fachhochschulausbildung die Fähigkeit herstellen soll, sich anschließend an eine Einarbeitungszeit in Verwaltungabläufe und entsprechende Problembearbeitungsformen integrieren zu können. Demzufolge sollen Ausbildungsinhalte und die im Studium erworbenen Wissensbestände in ihrer Anwendung mit den Erwartungen einer Sozialadministration kompatibel sein. Daraus erklärt sich dann auch, warum neben der praxisrelevanten Verzahnung von Ausbildungsschwerpunkten vor allem die ausreichende Berücksichtigung rechtlicher Kenntnisse und die Einübung in verwaltungsmäßige Verfahrensabläufe innerhalb der Ausbildung vermißt werden" (Kap. 6.3.2). Diese offensichtliche Diskrepanz zwischen den formulierten Anforderungen durch die Expertinnen und der Auffassung der befragten Praktikerinnen über den Stellenwert von Rechts- und Verwaltungskenntnissen resultiert aus einer positionsbezogenen Wahrnehmung und führt in manchen
64
Kompetonzproflle
und
Handlungsorientierungen
Ämtern zu der ausschließlichen Einstellung von Sozialarbeiterinnen und damit die weitgehende Nicht-Berücksichtigung von Sozialund DiplomPädagoginnen.
3.3.2 Fort- und Weiterbildung Die Wissensbestände der Sozialarbeiterinnen werden in Fortbildungsveranstaltungen erweitert bzw. individuellen Interessen entsprechend auf bestimmte Probleme beruflichen Handelns hin konkretisiert. Diese Möglichkeiten werden von den Sozialarbeiterinnen häufig genutzt: Schaubild 4: Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen
Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen
Die Anbieter dieser Fortbildungsveranstaltungen lassen sich folgendermaßen klassieren: Am häufigsten werden Fortbildungsangebote der eigenen Behörde wahrgenommen (49% der befragten Sozialarbeiterinnen haben in den letzten Jahren an einer solchen Veranstaltung teilgenommen), Angebote regionaler (30.7%) oder bundeszentraler Träger (28%) werden nächstfolgend häufiger als die örtlicher Träger (26.9%) frequentiert. Die Sozialarbeiterinnen sind mit diesen Angeboten durchaus zufrieden, 72.5% geben an, wichtig Erkenntnisse für ihren beruflichen Alltag hierüber zu
Zielsetzungen sozialarbeiterischen
Handelns
65
erhalten. Unzufrieden mit den Fortbildungsangeboten sind dagegen lediglich 12.5%. Demnach ist von einer gut etablierten Fortbildungslandschaft auszugehen. Weiterbildende Funktionen übernehmen auch Fachzeitschriften, die aktuelle Trends in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik widerspiegeln. Nur 10.9% der befragten Sozialarbeiterinnen nutzen dieses Informationsmedium nicht. Regelmäßigen Gebrauch von Fachzeitschriften machen allerdings nur 3 4 . 4 % , sodaß von einer selektiven Nutzung auzugehen ist. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, daß auch die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen sowie Informationen aus Fachzeitschriften den Bedarf dokumentieren, über die alltägliche Praxis hinaus Wissen in bezug auf das eigene Arbeitsfeld oder die Sozialarbeit insgesamt zu erhalten.
3.3.3 Zielsetzungen sozialarbeiterischen Handelns Zielbestimmungen sozialarbeiterischen Handelns unterliegen Konjunkturen, die von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen abhängig sind. Wie alle anderen sozialen Dienstleistungen auch, ist die Jugendhilfe eingebunden in die Funktion der vorsorglichen Vermeidung und kurativen Beseitigung von Normverletzungen. Entsprechende Angebote sollen damit die Reproduktion materieller, sozialer und kultureller Normen sicherstellen (vgl. Berger/Offe 1980). Die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist jedoch daran gebunden, daß eine generalisierbare Vorstellung davon entwickelt wird, welche Persönlichkeitsstruktur Jugendlicher erwünscht und welche Realisierungschancen für ihre Teilhabe an gesellschaftlichen Anforderungen gesehen werden. Es geht also um die Frage, auf welche Normalitäts- bzw. Integrationsvorstellungen hin die Jugendhilfe ihre Interventionen ausrichtet. Im Kontext eines gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses, in dem die Wohlfahrtsproduktion an die konstitutiven Elemente der Industriegesellschaft geknüpft ist, hat auch die Jugendhilfe ihr Normalitätskonzept aus den elementaren Strukturen dieser Gesellschaftsformation abgeleitet (vgl. Boehnisch 1982): (1) Familie als verbindliches und öffentlich anerkanntes Muster des Zusammenlebens von Eltern und Kindern bildet die Basis für die individuelle Lebensorganisation aller Familienmitglieder und gilt für Jugendliche und Kinder als der primäre Erziehungs- und Sozialisationsort. Damit ist 'Familie' Bestandteil der sozialen Ordnung einer Gesellschaft, die sie repräsentiert und reproduzieren soll (vgl. kritisch hierzu Karsten/Otto 1987). (2) Das System der Erwerbsarbeit reproduziert die private und gesellschaftliche Lebenslage von Individuen. Die Rolle aller am Erwerbsleben Beteiligten soll so verfaßt sein, daß sich darüber sowohl eine individuelle als
OD
Kompetenzprofile und
Handlungsorientierungen
auch kulturelle Struktur des Lebens und Überlebens herstellt (vgl. kritisch hierzu Mückenberger 1985). Familie und Erwerbsarbeit sind die zentralen Eckpfeiler einer entwickelten Industriegesellschaft. Die dem Erwerbssystem immanenten sozialen Risiken sowie die wachsenden Anforderungen an Sozialisationsleistungen durch Familien konstituieren komplementäre wohlfahrtsstaatliche Dienstleistungen, die durch eine zweifache Zielperspektive bestimmt sind (vgl. Peters 1980): Zum einen sollen sozialstaatliche Leistungen familiare Lebenszusammenhänge absichern und soziale Benachteiligungen ausgleichen, zum anderen dienen diese Leistungen gleichzeitig der Durchsetzung und dem Erhalt gesellschaftlicher Normalitätsvorstellungen. Konventionelle Angebote der Jugendhilfe sind analog zu dieser Funktionsbestimmung sozialer Dienstleistungen strukturiert, d.h. Jugendhilfe interveniert immer dann, wenn die vorherrschenden oder erwünschten Orientierungen auf den Lebensentwurf Jugendlicher mißachtet oder nicht erreicht werden können. Ausgangspunkt der Intervention ist damit immer die Abweichung von einer als gegeben unterstellten Normalität; die Zielvorstellung bildet die Reintegration in die gesellschaftlichen Strukturen, also vor allem in Familie und Erwerbsarbeit. Befragt nach ihren professionellen Zielvorstellungen, geben die Sozialarbeiterinnen an, daß die Stabilisierung der Persönlichkeit des Jugendlichen das herausragende Ziel professioneller Intervention ist. 66.5% aller befragten Sozialarbeiterinnen orientieren ihre Zusammenarbeit mit den Jugendlichen an dieser Vorgabe. Aus diesem Antwortverhalten kann jedoch noch nicht herausgelesen werden, an welchem Normalitätsentwurf sich die Jugendhilfe orientiert, hierfür sind die Ursachenzuschreibung für eine professionelle Intervention bzw. für die Abweichung Jugendlicher von Bedeutung. 3.3.4 Erklärungsmuster sozialer Probleme Die Zielvorstellungen beruflichen Handelns werden durch Erklärungen, die die professionellen Interventionen legitimieren, präzisiert. "Wer eine Intervention begründet, weist nach, daß dieser Eingriff in die Problemkonstellation für die gerechtfertigten Ziele zweckmäßig ist. Begründungen liegen häufig wissenschaftlich Aussagen über die Erklärung von Wirklichkeit zugrunde. In diesem Sinne reduzieren sie Unsicherheit. Begründet ist eine Intervention dann, wenn deutlich wird, daß die jeweilige Entscheidung und die darauf aufbauende Handlung in bezug auf die gerechtfertigte Norm nicht willkürlich erfolgt ist, daß sie den Zielen entspricht" (Geißler/Hege 1978, 39f). Ursachen für die Genese sozialer Probleme Jugendlicher werden in erster Linie in dem Wandel von Familien- (64.3%) und Arbeitsformen (23.3%) gesehen. Dagegen werden Veränderungen innerhalb des Norm - und Wertesystems nicht als relevante Indikatoren für gesellschaftliche Entwicklungstendenzen und damit zusammenhängende neue Problemlagen angesehen (12.3%). Diese Tendenz, strukturelle gesellschaftliche Veränderungen als
Erklärungsmuster
sozialer Probleme
67
Ursache für zunehmend komplexere Erwartungen an die Situation der Jugend anzunehmen, schlägt sich auch in den Problembeschreibungen der Sozialarbeiterinnen nieder. In der Gewichtung der Begründungen sozialer Probleme bei Jugendlichen zeigt sich, daß die Variablen, die unter dem Label " Inkonstistenz in der Lebensplanung" zusammengefaßt werden können, deutlich dominieren: Tabelle 6: Ursachenzuschreibungen sozialer Probleme Rp 1 2)
Problembeschreibung
Rp 2
Jugendliche entwickeln Zukunftspläne, die angesichts ihrer Chancen auf dem Arbeitsmarkt und im Ausbildungsbereich nicht flexibel genug angelegt sind
n %
42 11.3
26 7.0
n %
72 19.3
57 15.4
n %
48 12.9
32 8.6
n %
83 22.3
64 17.0
%
92 24.7
88 23.7
Die Reaktionsweisen, die Jugendliche in Bezug auf ihe gegenwärtige Situation entwickeln, stoßen in ihrer Umwelt oft auf Unverständnis
n %
21 5.6
62 16.7
Die Integrationsprobleme Jugendlicher sind zum Teil auf unangemessene Anspruchs - und Lebensperspektiven zurückzuführen
n %
5 1.3
41 11.1
Familiäre Schwierigkeiten der Jugendlichen nehmen in dem Maße zu, wie sie aufgrund der längeren finanziellen Abhängigkeit vom Elternhaus ihre erwünschten Freiräume nur eingeschränkt wahrnehmen können Jugendliche haben heute vielfach nicht die persönliche Stabilität, um den Anforderungen der Gesellschaft gewachsen zu sein Jugendliche sind oft gezwungen, ihre Z u kunftsplanung immer wieder neu zu ü b e r denken und den veränderten Lebensbedin gungen anzupassen Die Erwartungen, die heute in den verschiedenen Lebensbereichen an Jugendliche gestellt n werden, sind oftmals widersprüchlich und für die Jugendlichen nur schwer zu vereinbaren
Hier zeigt sich nun deutlich, daß - wenn auch kein positiver Begriff von 'Normalität' entwickelt wird - abweichendes Verhalten Jugendlicher (im
2) Die beiden Problembeschreibungen, die die Situation der Jugendlichen am wiedergeben, sollten durch die Angabe von Rangplätzen gewichtet werden.
treffendsten
68
Kompetenzprofile
und
Handlungsorientierungen
weitesten Sinne) auf strukturell produzierte Problemlagen zurückgeführt wird: Eine konsistente Lebensplanung, wie sie durch den gesellschaftlichen Entwurf von Familie und Erwerbsarbeit angestrebt wird, scheint für die Adressaten der Jugendhilfe nicht ohne weiteres umzusetzen zu sein, vielmehr müssen sie diverse, konvergierende Anforderungen innerhalb ihrer Lebensbereiche vereinbaren. Vor diesem Hintergrund ist die Zielsetzung professioneller Interventionen, die Stabilisierung der Persönlichkeit des Jugendlichen (vgl. Kap. 3.3.3), erklärbar. Auch wenn individuelle Persönlichkeitseigenschaften kein nennenswertes Erklärungsmerkmal für soziale Probleme Jugendlicher darstellen (vgl. Tab. 6), erfordert die Heterogenität der Ansprüche an die Lebensplanung Jugendlicher den Aufbau und die Unterstützung individueller Kompetenzen zur Lebensgestaltung.
3.3.5 Anlässe professioneller Interventionen Die Anlässe professioneller Intervention geben noch keinen unmittelbaren Aufschluß darüber, welche Maßnahmen tatsächlich eingesetzt werden. Sie konkretisieren vielmehr den Umfang des perzipierten Umweltausschnittes und die Reichweite der anvisierten Problembearbeitungsformen. Hier werden in bezug auf die Begründung der Adäquanz und Richtigkeit der vorgenommenen Zielsetzung auch soziale Anforderungen und Erwartungen in die beruflichen Orientierungen aufgenommen und in das professionelle Handlungsverständnis integriert. Der Ort und der Zeitpunkt, die ein professionelles Handeln erforderlich machen, interessieren hier besonders. Die Zielsetzungen und Erklärungsmuster sozialarbeiterischen Handelns haben einen deutlichen Einfluß darauf, bei welchen Anlässen professionelle Interventionen als notwendig erachtet werden (r = .40; s = .003)). Die strukturbezogenen, von der Person des Jugendlichen abstrahierenden Deutungsmuster markieren dabei auch die Ausgangspunkte des beruflichen Handelns. Diese Korrelationen deuten dabei darauf hin, daß die Professionellen ihre Arbeit eher kontextorientiert planen, d.h. daß sie - entsprechend ihren Präferenzen in den Zielsetzungen und Erklärungsmustern - auch strukturelle Benachteiligungen Jugendlicher durch ihre Interventionen auszugleichen versuchen und nicht allein individuelle Auffälligkeiten als Anlaß professionellen Handelns werten. Diese generelle Orientierung spiegelt sich auch in Tabelle 7 wider:
3) r bezeichnet den Korrelationskoeffizient (Pearson's R), s die Signifikanz.
Professionelle
Handlungsstra
69
tegien
Tabelle 7: Anlässe professioneller Intervention Ich halte es für erforderlich tätig zu werden, wenn ... Jugendliche nicht in der Lage sind, einen befriedigenden Lebensentwurf zu entwickeln Jugendliche individuelle V e r haltensauffälligkeiten zeigen Jugendliche durch ihre mate riellen und sozialen Lebensbedingungen ausgegrenzt werden Jugendliche subkulturelle Lebensstile entwickeln die sozialräumlichen Lebensbedingungen zu einer Benach teiligung Jugendlicher führen
stimme zu stimme nicht zu
n
281 76.2
88 23.8
n
313 84.6 345 92.7
57 15.4 27 7.3
126 35.4 313 84.8
230 64.6 56 15.2
% % n
% n
% n
%
Die Berücksichtigung sozio - ökonomischer und sozialräumlicher Konstitutionsbedingungen sozialer Probleme, wie sie hier zum Ausdruck kommt, läßt auch die Gestaltung und Bearbeitung der problemgenerierenden Ursachen zu. Allerdings relativiert sich diese Einschätzung der Notwendigkeit professioneller Interventionen, wenn die Sozialarbeiterinnen angeben sollen, wann sie tatsächlich tätig werden. Hier beklagen 87.9% der Befragten, daß einzelfallbezogene Probleme - vor allem "Verhaltensauffälligkeiten" (68.3%) überwiegend den Anlaß für sozialarbeiterische Aktivitäten bilden, während nur 12.1% strukturelle Defizite zum Ansatzpunkt ihrer Handlungen machen können. Symptome bzw. personale Defizite sind also i.d.R. ausschlaggebend dafür, individuelle Anpassungsleistungen an gesellschaftlich anerkannte Normalitätsentwürfe durch professionelle Maßnahmen sicherzustellen.
3.3.6 Professionelle Handlungsstrategien Professionelle Handlungsstrategien lassen sich nicht aus wissenschaftlich generiertem Wissen, d.h. dem in der Ausbildung vermittelten theoretischen Wissen und den Erklärungsmustern sozialer Probleme deduzieren (vgl. Oevermann 1981). Vielmehr unterliegt professionelles Handeln ganz allgemein einem doppelten Vermittlungsproblem, indem es einerseits universalistische Regeln, die einen "Formal Corpus of Knowledge" (vgl. Freidson 1986) bilden und Komponenten hermeneutischen Fallverstehens andererseits, also singuläre, individuelle Merkmale zusammenführend integrieren muß. "Der widersprüchliche Charakter auch des professionellen pädagogischen Handelns, sowohl wissenschaftlich begründetes als auch lebenspraktisches
70
Kompetenzprofile
und
Handlungsorientierungen
Handeln zu sein, zwingt professionelle Pädagoginnen dazu, das situationsund personenunabhängige Wissen der (sozial-)pädagogischen Disziplin auf den jeweils vorliegenden konkreten Fall des zu Erziehenden bzw. Hilfebedürftigen anzuwenden. Hierzu bedarf es neben der Verfügung über generelles Regelwissen der Intuition und des hermeneutischen Fallverstehens" (Olk/Otto 1989, XXIV f). Die Überbetonung des einen oder anderen Elementes führt dann entweder zu einer expertokratischen Variante von Professionalität oder aber zu einer willkürlichen, situativen und personenzentrierten Beziehungsarbeit. Die Transformation generalisierender, universalistischer Wissensbestände in der professionellen Praxis läßt sich folglich nicht unmittelbar nachzeichnen. Entsprechend korrelieren die Anlässe professioneller Interventionen zwar mit den Problembewältigungsformen (r = .28; s = .00), keinen Einfluß aber zeigen die Zielsetzungen sozialarbeiterischen Handelns (r = .11; s = .03). Die schon in den Anlässen professionellen Handelns zum Ausdruck kommende Dominanz personenzentrierter Ansatzpunkte korrespondiert mit den Interventionsmustern. Auch hier stehen der Klient sowie seine Bezugspersonen im Mittelpunkt der Problembearbeitung, während das sozialräumliche Setting nur selten zum Gegenstand sozialarbeiterischer Interventionen gemacht wird (vgl. Tab. 8). Erwartungsgemäß gering ist auch die kommunalpolitische Einflußnahme der Sozialarbeiterinnen:
Tabelle 8: Formen der Aufgabenbewältigung Handlungsmuster Auf Auffälligkeiten reagieren Problemursachen bearbeiten Wichtige Bezugspersonen in die Problembearbeitung einbeziehen Das soziale Umfeld des Jugendlichen aktivieren Kommunalpolitische Entscheidungen mitgestalten
sehr häufig
häufig
selten
nie
n % n °/o n %
222 59.8 92 24.8 130 35.1
134 36.1 180 48.5 213 57.6
14 3.8 94 25.3 25 6.8
1 .3 5 1.3 2 .5
n % n %
28 7.6 3 .8
154 41.8 11 3.0
171 46.5 108 29.3
15 4.1 246 66.8
Auffällig ist in diesem Zusammenhang wiederum (vgl. Kap. 3.6), daß 47.4% der befragten Sozialarbeiterinnen der Bearbeitung von Problemursachen eine größere Relevanz zuschreiben, als sie unter den Bedingungen ihres Arbeits-
Professionelle
Handlungsstrategien
71
platzes gegenwärtig realisieren und 40.2% meinen, daß kommunalpolitische Einmischungen eine stärkere Berücksichtigung in sozialarbeiterischen Handlungsprofilen finden sollten. Dennoch wird deutlich, daß einzelfallbezogene Maßnahmen zumindest in der gegenwärtigen Praxis dominieren. "Auf Auffälligkeiten reagieren" und "Wichtige Bezugspersonen in die Problembearbeitung einbeziehen" sind die beiden herausragenden Interventionsmuster, die sozialarbeiterisches Handeln charakterisieren. Diese beiden Handlungsformen sind jedoch als personenzentriert zu klassifizieren, der Interaktionsbeziehung zwischen Professionellen und Klienten kommt in diesem Kontext besondere Bedeutung zu. Ein konstitutives Merkmal der personenzentrierten Bearbeitungsform ist die Transformation von Ansprüchen, Interessen und Bedürfnissen der Adressatinnen in einen Mangel: Probleme werden einzelnen Personen zugeschrieben, demnach wird von einem defizitären Zustand ausgegangen, den es durch professionelle Interventionen zu beheben gilt. "Problemlagen, Krisen oder abweichende Handlungsweisen werden so behandelt, als seien sie einzig und allein einer spezifischen Person, deren psycho - physischer Ausstattung, Biographie oder sozialem Status zurechenbar" (Keupp 1982, 197). Damit transportiert die Einzelfallhilfe aber auch Relikte einer aus ihrem Entstehungszusammenhängen stammenden kriminal- und ordnungspolitischen Orientierung in ein modernes Berufsverständnis, indem abweichendes Verhalten zum zentralen Ansatzpunkt professionellen Handelns gemacht wird. In der dualen Beziehung herrscht die Anwendung therapieorientierter Konzepte bzw. spezieller Maßnahmen vor (vgl. Meinhold/Guski 1984, 271). (Re ^ S o z i alisierende Problemlösungsstrategien in Form methodisch angeleiteter Interventionen und kompensatorischer Lernangebote stellen dann in der Regel die Bandbreite technologischer Verfahren dar. Die Professionalität besteht für dieses Handlungsmuster in der Auswahl der zweckrationalsten Mittel bei diagnostizierten Problemen, die Bearbeitungsformen folgen einem quasiautomatischen Ablauf, dessen Beherrschung dem Professionellen obliegt und der dem Klienten so entzogen wird. Diese routinisierten und standardisierten Bearbeitungsformen konventioneller Sozialarbeit treten bei einem Blick auf die gewählten Interventionsstrategien noch deutlicher zu Tage. Auch hier dominieren personenzentrierte Maßnahmen, die die Entwicklung einer Problemlösungskompetenz des Jugendlichen eher verhindern als fördern.
72
Kompetenzprofile und Handlungsorientierungen
Tabelle 9: Interventionsstrategien sehr häufig
häufig
n % n o/o
204 54.6 25 6.7
148 39.5 177 47.6
23 6.1 161 43.3
9 2.4
n % n %
31 8.3 30 8.1
110 29.4 143 38.4
195 52.1 172 46.2
38 10.2 27 7.3
Maßnahme
Ich lerne das soziale Umfeld der Jugendlichen kennen Ich überprüfe, ob der Jugendliche sich entsprechend meiner V o r schläge verhält Ich verpflichte den Jugendlichen zu regelmäßigen Gesprächsterminen Ich unterstütze die Versuche von Jugendlichen, alternative Lebensund Arbeitsformen zu verwirklichen
selten nie
0
Konträr zu einem solchen personenzentrierten Modell sozialarbeiterischen Handelns liegt ein situatives Verständnis von Problembearbeitungsmustern, das die Relation zwischen den problemgenerierenden Ursachen, dem Umfeld und der Person des Adressaten zum Ansatzpunkt professioneller Intervention macht. Ökonomische und sozio-kulturelle Standards sind ebenso wie biographische Merkmale Faktoren, die in eine umfassende Problembearbeitung einbezogen werden müssen. Obwohl die Sozialarbeiterinnen durchaus sich der Multi - Kausalität von sozialen Problemen Jugendlicher bewußt sind (vgl. Kap 3.5), scheinen sie diese Wissensbestände nicht in die Praxis transformieren zu können. Dies erklärt dann auch den Bruch bzw. den fehlenden Zusammenhang zwischen den professionellen Zielsetzungen einerseits und den beschriebenen Interventionsmustern andererseits.
3.3.7 Kompetenzprofile Kompetenzmodellen sozialer Arbeit wird mit Vorbehalten begegnet, wenn sie nicht sogar ganz abgelehnt werden (vgl. Lau/Wolff 1982). Die berufspolitischen Intentionen innerhalb der Definitionsversuche sozialarbeiterischen Handelns treten hinter möglichen Konsequenzen für die 'Sozialarbeiter Klient' Relation zurück. Kritisiert wird vor allem ein auf spezialisiertem Wissen gründendes Expertentum. Zudem lassen die Auswirkungen eines zunehmenden Vertrauensschwunds der Öffentlichkeit in bspw. die Gemeinwohlorientie-
73
Kompetenzprofile
rung der Professionellen sowie wissenschaftliche Expertisen allgemein (vgl. Beck 1986) die Nachfrage nach einem neuen Selbstverständnis, das sich ausschließlich über ein Mehr an Wissen legitimiert, verstummen. Erhobene Forderungen nach Akkumulation von Fachwissen und professionellen Interventionsstrategien, die
-
so wird unterstellt
-
in einem
scientistischen
Wissenschaftsverständnis münden (vgl. Niemeyer 1984) scheinen vor dem Hintergrund einer entschlossenen Zuwendung zum
"Alltag"
bzw. zu den
Selbsthilferessourcen kontraindiziert: Die "Laiisierung", d.h. die aufgrund von monopolisierten Wissensbeständen vermeintliche Reduzierung von Selbsthilfepotentialen und -
kompetenzen, also die "Entmündigung durch Experten"
(lllich et al. 1983) wird als zentrale Gefahr erkannt. Demgegenüber wird ein Perspektivwechsel angestrebt, "von der Verfügungskompetenz professioneller und
offizieller
Instanzen
zur
selbstaktiven
Handlungskompetenz,
welche
Klienten zu Akteuren macht und Betroffene zu Beteiligten" (Pankoke 1981, 24). Die Art der
Entscheidungsfindung
sprachemöglichkeiten
und
ist ein
Indikator dafür,
Definitionskompetenzen
der
inwieweit
Mit-
Jugendlichen
im
eigentlichen Problemlösungsprozeß verankert sind:
Tabelle 10: Möglichkeiten der Entscheidungsfindung
Art der Entscheidungsfindung
%
im
Problemlösungsprozeß
faktisch
idealerweise
Die Jugendlichen werden über die Entscheidung informiert
27.4%
13.6%
21.6%
14.2%
17.9%
18.9%
33.1%
53.3%
Die getroffenen Entscheidungen werden daraufhin geprüft, ob sie von den Jugendlichen akzeptiert werden Die Entscheidungen werden erst auf der Basis von Vorschlägen des Jugend liehen getroffen Die Entscheidungen werden grundsätzlich mit dem Jugendlichen gemeinsam getroffen
74 Während
Kompetenzprofile und
die ersten
beiden Antwortmöglichkeiten
Handlungsorientierungen
dem Jugendlichen
nur
geringe Einflußnahmen in der Entscheidungsfindung zugestehen, verankern die beiden letzten dieses als konstitutives Moment innerhalb des Interaktionsprozesses. Es wird deutlich, daß die Sozialarbeiterinnen zu einem nicht geringen Teil die Jugendlichen an der Entscheidungsfindung beteiligen. Expertokratische Problemlösungen scheinen sich entgegen den geäußerten Bedenken in der Jugendamtspraxis nicht durchgesetzt zu haben. Vielmehr herrschen kommunikative, auf Aushandlung bedachte Interaktionsmuster vor:
Tabelle 11: Problembearbeitungskompetenzen
Kompetenz
sehr
eher
eher
wichtig
wichtig
unwichtig
völlig unwichtig
Fähigkeit, sich gegenüber den
n
202
34
Jugendlichen durchzusetzen
%
6.4
30.5
54.0
9.1
Fähigkeit, auf unterschiedliche Lebensentwürfe einzugehen
n
258 68.8
113 30.1
4
0
%
1.1
297
78
0
79.2
20.8
Fähigkeit, die Problemlösungen
n
der Jugendlichen zu erkennen
%
Fähigkeit, durch spezielle sozial -
n
pädagogische Maßnahmen Jugendliche
%
24
114
191
145 38.7
50.9
0
38
1
10.1
.3
mit besonderen sozialen Problemen zu betreuen
Negiert werden hierarchische Beziehungsstrukturen, die professionelle Problemlösungen ungeachtet der Selbstpräsentation des Jugendlichen
durch-
setzen. Favourisiert dagegen jene Kompetenzen, Problemlösungsmöglichkeiten mit dem Jugendlichen gemeinsam zu erarbeiten und hierfür die Perspektive des Jugendlichen zum Ausgangspunkt zu machen. Dabei gehen die Sozialarbeiterinnen
von
den
Fähigkeiten
der
Jugendlichen
Fähigkeiten und Interessen in den Aushandlungsprozeß können.
aus,
eigene
miteinbringen
zu
Professionelle
Handlungsorientierungen
in bürokratischen
75
Kontexten
Tabelle 13: Kompetenzen Jugendlicher Kompetenz Jugendliche sind in der Lage, eigenständige Problemlösungen zu erarbeiten Jugendliche sind in der Lage, sozialarbeiterisches Handeln im Hinblick auf seine A n g e messenheit einzuschätzen Jugendliche sind in der Lage, Problemlösungen mit den Sozial arbeiterlnnen auszuhandeln
n %
trifft zu
trifft nicht zu
231 63.3
134 36.7
n
189
175
%
51.9
48.1
n %
344 93.5
24 6.5
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse können Befürchtungen, die in einer zunehemenden Enteignung des Alltags der Jugendlichen durch die Professionellen zum Ausdruck kommen, nicht bestätigt werden. Entprofessionalisierungsbestrebungen entbehren in dieser Hinsicht ihrer empirischen Basis. Professionelles Handeln in der sozialen Arbeit zeichnet sich demgegenüber durch kommunikativ gesteuerte Aushandlungsprozesse aus, die die Einbeziehung des Jugendlichen als unverzichtbaren Bestandteil kompetenter Problemlösung beinhalten. Dies gilt auch, wenn persönliche Defizite als Anlaß professionellen Handelns gesehen werden: Selbst wenn der Grund für eine Intervention in der mangelnden Kompetenz gesehen wird, einen befriedigenden Lebensentwurf zu entwickeln, sind nur 2 7 % der Sozialarbeiterinnen überzeugt, daß der Jugendliche nicht genügende Fähigkeiten zur Erarbeitung eigenständiger Problemlösungen besitzt, im Fall von individuellen Verhaltensauffälligkeiten meinen dies ebenfalls lediglich 3 1 % .
3.4 Professionelle Handlungsorientierungen in bürokratischen Kontexten In den vorausgehenden Abschnitten wurde mehrfach eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Einstellungen der befragten Sozialarbeiterinnen und tatsächlichen Handlungsvollzügen sichtbar. Im folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, welchen Einflußfaktoren verhindern, daß sich die präferierten Handlungsorientierungn und Kompetenzen auch entfalten. Eine differenzierte Analyse der Wirkungen der institutionellen Einbindung der Sozialarbeiterinnen auf professionelle Orientierungs- und Handlungsmuster soll damit vorgenommen werden. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist der Sachverhalt der dualen Steuerung (vgl. Olk 1986) sozialarbeiterischen Handelns als Zusammenwirken professioneller und administrativer Standards. Profession und Organisation
76
Kompetenzprofile
und
Handlungsorientierungen
werden damit als zwei getrennt voneinander zu analysierende Steuerungsformen (vgl. auch Kap. 2) betrachtet, die jedoch erst im Zusammenspiel das insitutionalisierte Setting des professionellen Handelns bilden. Diese im institutionellen Kontext entwickelten Standards bestimmen - mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen von seiten professioneller bzw. administrativer Steuerung - die Rationalität sozialarbeiterischen Handelns (vgl. S. 10). Für die Analyse der professionellen Steuerungsformen folgt aus dieser theoretischen Bestimmung, daß die bisher segmentiert vorgenommene Auswertung professioneller und organisationeller Steuerungsmuster in die Analyse der Kompetenzprofile hineinverlagert werden muß, um Aufschlüsse darüber zu erhalten, wie sich Professionalität in organisatorischen Settings entfaltet. Hierfür wurden (a) diejenigen Handlungsorientierungen, die von den konkreten Berufsfeldern und Arbeitsplatzbedingungen abstrahieren von (b) denjenigen, der vorgängigen Handlungsmuster in der alltäglichen Praxis, unterschieden. (a) Die von den gegebenen institutionellen Bedingungen und damit auch von der Berufsausübung unabhängigen Orientierungsmuster können in Anlehnung an den linguistischen Kompetenzbegriff als fachliche Idealtypik (vgl. Chomsky 1965, 4ff) verstanden werden. Sie stellen damit eine aufgrund von Ausbildung und Sozialisation erworbene generalisierte und als Regelsystem zu rekonstruierende Fähigkeit, ein Potential zur Generierung und Organisation von Handlungen dar. (b) Eine Kontrastierung erhält diese fachliche Kompetenz durch institutionelle Erscheinungsformen professionellen Handelns. Es erfolgt eine Konkretisierung der idealtypisch und generalisiert erworbenen Orientierungsmuster im Hinblick auf die konkreten Arbeitsbedingungen. Hierüber werden professionelle Standards erst einer Analyse zugänglich. Es ist jedoch in einem ersten Schritt festzuhalten, daß grundsätzliche Einflußnahmen externer Faktoren auf die professionellen Handlungsorientierungen und Kompetenzen nicht nachgewiesen werden konnten. Vielmehr zeigte sich eine weitgehende Übereinstimmung der von dem Arbeitsplatz abstrahierenden Einstellungen mit den konkretisierten Handlungsplänen (r = .45). Dieser erste Befund der generellen Bedeutung professioneller Kompetenzen für die Bearbeitung sozialer Probleme wird zusätzlich dadurch fundiert, daß der in manchen Konzepten - etwa dem "Semi - Profession - Konzept" unterstellte Einfluß von Organisationsfaktoren (insbesondere der Programmierung, der Arbeitsteilung und der Entscheidungsfindung) auf das professionelle Handlungsprofil innerhalb des institutionellen Settings insgesamt weder mit Hilfe von v a r i a n z - noch durch regressionsanalytische Verfahren nachgewiesen werden konnte. Allein die professionelle Selbstabstimmung reklamiert eine geringfügige Bedeutung für die professionellen Orientierungsmuster (Beta: .16; erklärte Varianz: . 26). Der sich damit abzeichnende Widerspruch
Professionelle
Handlungsorientierungen
in bürokratischen
Kontexten
77
zu Kompetenzmodellen, die eine Übervormung oder auch nur veränderte Professionalität in organisationeilen Kontexten formulieren, verlangt nach einer differenzierteren Analyse. Für eine Präzisierung möglicher Einflußfaktoren wurden daher neben organisationsbezogenen auch personenbezogene (Alter, Geschlecht) und berufsbezogene (Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, Berufserfahrung) Variablen herangezogen. Darüberhinaus ist entscheidend, welche Elemente professioneller Kompetenz einer Reglementierung, die den Unterschied zwischen den Präferenzen und dem faktischen Handeln erklären könnte, unterliegen. Hierfür wurden Indizes aus den oben ausgeführten Items zu den einzelnen Komponenten (also den Wissensbeständen, den Erklärungsmustern, den Anlässen sozialarbeiterischen Handelns sowie den Interventionsstrategien) gebildet. In Tabelle 8 sind die aufgenommenen Prädiktoren sowie ihre Vorhersagekraft für die jeweiligen Elemente dargestellt:
Tabelle 12: Einflüsse externer Variablen auf professionelle Handlungsorientierungen Kriteriumsvariablen
r2
aufgenommene Prädiktoren
Beta
Idealtypische Kompetenz Erklärungsmuster sozialer Probleme
.03
Berufserfahrung
-.18
Anlässe professioneller Interventionen
.08
Alter Fortbildung
.18 - .22
Interventionsstrategien
.16
Fortbildung schriftliche Programmierung Geschlecht
-.23 .19 - .27
Institutionelle Handlungsmuster Erklärungsmuster sozialer Probleme
.02
Arbeitsteilung
.15
Anlässe professioneller Interventionen
.11
Berufserfahrung Geschlecht Arbeitsteilung
.17 -.17 .24
Interventionsstrategien
.11
Alter Arbeitsteilung Fortbildung Geschlecht
-.19 .16 -.17 - .15
78
Kompetenzprofile und
Handlungsorientierungen
Auch aus dieser Übersicht geht hervor, daß die weitere Aufschlüsselung der professionellen Handlungsorientierungen in einzelne Indizes keinen zentralen Einflußfaktor extrahiert, dem die festgestellte Veränderung in den Anlässen professionellen Handelns und Interventionsstrategien innerhalb des organisationeilen Kontextes zuzuschreiben wäre. Vielmehr variieren berufs - , person e n - und organisationsbezogene Variablen nur geringfügig in ihrem Erklärungspotential. Auch die maximal aufgeklärte Varianz (.16) verdeutlicht die insgesamt geringe Einflußnahme. Interessant, wenn auch nur wenig aussagekräftig, ist in diesem Zusammenhang, daß berufs- und personenbezogene Faktoren auf die professionellen Kompetenzen einwirken, während organisatorische Einflußnahmen prinzipiell nur innerhalb der institutionellen Handlungsmuster eine Wirkung entfalten. Weiterhin bemerkenswert ist auch, daß insbesondere die Präferenzen für bestimmte Interventionsstrategien geschlechtsabhänig sind. Soweit dies im Rahmen des insgesamt nur geringfügigen Erklärungspotentials möglich ist, kann als Tendenz festgehalten werden, daß Frauen eine höhere Bereitschaft zu Aushandlungsprozessen zeigen, als dies die befragten Männer tun. Die Veränderungen in den Orientierungsmustern zwischen gewünschtem und tatsächlichem Verhalten sind auf einzelne, theoretisch entwickelte Einflußfaktoren nicht zurückzuführen. Vielmehr zeigt sich keine Abhängigkeit der professionellen Handlungsorientierungen und Kompetenzen von einem dominierenden externen Faktor. Demgegenüber ist zu vermuten, daß die Wissensbestände, die in der Ausbildung vermittelt und durch Fortbildungsveranstaltungen konkretisiert werden, sozialarbeiterisches Handeln deutlicher prägen. Hier zumindest werden Zusammenhänge zwischen theoretisch - systematisierten Wissensinhalten und Ansatzpunkten professioneller Interventionen sowie Maßnahmen deutlich. Ein Indikator hierfür ist weiterhin, daß die professionellen Wissensbestände weder durch Berufs - , noch durch Personen oder Organisationsvariablen modifiziert werden (vgl. Tab 12).
3.5 Prävention und professionelle Handlungsorientierungen Die forschungsleitende Fragestellung nach präventiven Potentialen in den Organisationsstrukturen und Handlungsmustern der Jugendhilfe führt zu einer Berwertung der vorliegenden Ergebnisse im Hinblick darauf, ob die professionellen Handlungsorientierungen und Kompetenzprofile Ansatzpunkte für eine derartige Reformulierung der sozialen Arbeit bieten.
Prävention
und professionelle
Handlungsorientierungen
79
Im Zusammenhang mit professionellen Kompetenzmodellen werden unter dem Stichwort 'Prävention' völlig verschiedene Konzepte der Unorientierung, der Veränderung und der Innovation thematisiert. Grob können diese Ansätze zu einer Weiterentwicklung der Jugendhilfepraxis in zwei Kategorien eingeteilt werden: Während sich der überwiegende Anteil als (a) individuumsbezogene Präventionskonzepte klassifizieren läßt, erweitern (b) sozialökologische Modelle diese Perspektive. (a) Individuumszentrierte Prävention bemüht sich, den professionellen Eingriff möglichst frühzeitig einsetzen zu lassen. Folgewirkungen sozialer Probleme bzw. individuelle Auffälligkeiten sollen durch rechtzeitige Hilfe- und Unterstützungsleistungen entgegengewirkt werden. Hierfür sind zwar Kenntnisse über den sozialen Raum und die Lebenslagen der Adressatinnen unerläßlich, diese dienen jedoch vorrangig dazu, aktuelle Planungsgrößen für professionelle Interventionsstrategien bereitzustellen; der Ansatzpunkt konkreter Maßnahmen beschränkt sich auf das Individuum. (b) In Abgrenzung von diesen Ansätzen ist ein Präventionskonzept entwickelt worden, das zwischen struktur-, Subjekt- und kontextbezogenen Problembearbeitungsstrategien unterscheidet (vgl. Kap. 6). Dabei geht es im Rahmen eines solchen Kompetenzmodells nicht nur um die Rechtzeitigkeit der Wahrnehmung möglicher Problemlagen dies kann zudem als ein erhöhtes Maß sozialer Kontrolle gewertet werden - , von ebenso großer Bedeutung ist, mit welchen Inhalten Problembearbeitungsstrategien institutionalisiert werden. Während das Ziel tradierter Präventionsstrategien darin besteht, Lebensentwürfe und Handlungsziele von Adressaten prospektiv an die gesellschaftlich vorherrschenden Normalitätsstandards anzugleichen, sollen mittels der sozialökologischen Konzepte die Adressatinnen der Jugendhilfe zu einer konstruktiven, selsttätigen Auseinandersetzung mit und in ihren Umwelten befähigt werden. Prävention in diesem Sinne strebt Problembearbeitungsformen an, die die Interdependenzen von klientelen Problemlagen vor dem Hintergrund ihrer spezifischen biographischen Konstitution und den sozialen Umweltbeziehungen erfaßt. Beide Präventionskonzepte stellen erhebliche Anforderungen an professionelle Kompetenzen. Auch wenn das erste Modell personenzentrierte Problemlösungsstrategien weiterhin präferiert, verlangt ein rechtzeitiger Zugriff auf die Adressatinnen erweiterte Fähigkeiten in der Problemwahrnehmung. Dieses müßte sich insbesondere in den Anlässen, die eine professionelle Intervention nachsichziehen, niederschlagen. Das zweite Modell erfordert darüberhinaus Einflußnahmen, die sich nicht lediglich auf das Individuum konzentrieren. Sozialpolitische Einmischungen und die Gestaltung von Umwelten potentieller Adressaten erweitern das Handlungsspektrum ohne subjektive Bedürfnisse zu vernachlässigen.
80
Kompetenzprofile
und
Handlungsorientierungen
Im Hinblick auf diese Kompetenzanforderungen müssen die vorliegenden Ergebnisse dahingehend interpretiert werden, daß eine Umorientierung zugunsten einer präventiven Jugendhilfe bisher nicht stattgefunden hat. Vielmehr zeigt sich, daß selbst bei Implementationen neuer Handlungsfelder (vgl. hierzu Kreft 1990) die Prinzipien sozialarbeiterischen Handelns seist keiner Reformulierung unterworfen worden sind. Weder in der Anlaßbestimmung noch in der Wahl der Maßnahmen konnte eine Erweiterung herkömmlicher Problemzuschreibungen und Interventionsmuster nachgewiesen werden. Dennoch zeigen die Diskrepanzen in der Ausübung und der Präferenz von bestimmten Problemlösungsstrategien, daß die Sozialarbeiterinnen sehr wohl alternative Bearbeitungsmuster sozialer Probleme realisieren wollen. Geringe Kenntnisse über tatsächlich Umsetzungsschritte scheinen jedoch die Implementationschancen zu verringern. Vor diesem Hintergrund ließe sich auch der artikulierte Bedarf nach einem Mehr an Wissen interpretieren. Der nicht nachzuweisende Steuerungseinfluß einzelner organisationeller Elemente ist zudem ein weiterer Hinweis darauf, daß weniger externe als vielmehr professionsinterne Merkmale die Veränderung im Hinblick auf eine präventive Jugendhilfepraxis verhindern. Offen geblieben ist bei der Analyse der professionellen Handlungsorientierungen und Kompetenzprofile die Frage nach den strukturellen Rahmenbedingungen behördlicher Sozialarbeit. Einzelne Faktoren sind zwar in die Analyse eingegangen, jedoch ist eine integrative Darstellung des institutionellen Settings sozialer Arbeit ausgespart worden. Diese vertiefende Auswertung wird in Kapitel 4 erfolgen.
4. ADMINISTRATIVE R O U T I N E N U N D P R O F E S S I O N E L L E IDENTITÄT Bearbeitet von: Gaby Flösser
4.1 Einleitung Im Mittelpunkt der folgenden Analyse steht die empirische Untersuchung des Verhältnisses von bürokratischen und professionellen Strukturelementen im administrativen Setting öffentlicher Erziehungshilfe. Sozialarbeiterisches Handeln im Bereich der Jugendhilfe - speziell in der öffentlichen Erziehungshilfe - ist charakterisiert durch eine insich widersprüchliche Einheit von bürokratischen und professionellen Handlungselementen (vgl. z.B. Blau/Scott 1971; Böhnisch/Lösch 1973; Otto 1973). Widersprüchlich ist diese Einheit deshalb, weil Bürokratie und Profession zwei gegensätzliche Handlungsrationalitäten bezeichnen: Während der Typus der Bürokratie einer eher zweckrationalen, funktionalen Orientierung folgt, dominieren das professionelle Handlungsverständnis eher wertrationale, kommunikative Kriterien ("code of ethics"). Diese konfliktbeladene1' Basis institutionalisierter Sozialarbeit kann jedoch nicht zugunsten der einen oder anderen Seite aufgelöst werden, weder ist Jugendhilfe mit dem "als Organisation Vorhandenen" identisch (vgl. Wohlert 1980, 148) noch kann die Sozialbürokratie auf Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit ihrer Maßnahmen verzichten (vgl. Gross 1982, 33). Eine bürokratietheoretische Ausbuchstabierung in Richtung einer "mechanischen" Verwaltung ist mithin genau so obsolet wie eine professionstheoretische Indikatorenbildung, die dem konventionellen Ideal einer freiberuflichen Handlungslegitimation folgt. Organisationstheoretisch gilt es daher, die neuesten Erkenntnisse im Hinblick auf Sozialorganisationen bzw. Sozialisationsinstitutionen aufzuarbeiten (vgl. hierzu Plake 1981 ), professionstheoretisch muß der berufssoziologisch interessante Entwicklungsstand der Dienstleistungsarbeit sui generis zum Gegenstand einer Analyse gemacht werden, die nicht in den Verzerrungen eines falschen Fixpunktes der sogenannten vollen Professionen untergeht (vgl. Olk 1986).
1) Diese "Konfliktthese" wird von Davies folgendermaBen zusammengefaBt: "Profession and bueraucracy were thought to be antithetical both at the level of structural principles for organising work and at the level of motivation and compliance. The attempted insertion of 'professionals' into 'bureaucratic organisations' was a readily recognisable sociological problem. Terms such as 'strain', 'conflict', 'accomodation', 'adjustment' were central." (Davies 1983, 177)
82
Administrative Routinen und Professionelle
Identität
Der Hinweis auf die Interdependenz professioneller und administrativer Rationalität ist für die übergeordnete Fragestellung nach den Bedingungen und Möglichkeiten organisationeller und professioneller Entwicklung zentral: Verwaltungsreformen - insbesondere die Neuorganisation sozialer Dienste in den 70er Jahren - haben vor dem "Tatbestand der dualen Steuerung" (Olk 1986, 104) infolge ihres einseitigen Zugriffs nur wenig Veränderung erzeugt (vgl. Kap. 2 in diesem Band). Für eine empirische Restrukturierung der organisationeilen und professionellen Voraussetzung einer präventiven Jugendhilfe ist es daher unerläßlich, die Verschränkung der beiden Steuerungsformen in den Mittelpunkt einer Untersuchung zu stellen. Es wird daher darauf ankommen, die administrativen Prozesse des Austarierens und Ausbalancierens nachzuzeichnen und auf mögliche Innovationspotentiale hin zu analysieren. Statt nun eine theoretisch - kategoriale Konstruktion bzw. Ableitung von Elementen eines neuen Organisationstyps - wie vielerorts geschehen (vgl. z.B. Kühn 1980, 1985) zu entwickeln, soll an den vorgefundenen administrativen Rationalitäten - die sowohl das organisationelle Reglement als auch die professionstypischen Einstellungen und Selbstwahrnehmungen umfassen - angesetzt werden, um einen Ausweg aus der Sterilität rein definitorischer und/oder modelltheoretischer Auseinandersetzungen um das "richtige" Verständnis von Professionen in Organisationen zu finden. Ausgehend von dem in praxi zu beobachtenden Arrangement zwischen der professionellen und organisationellen Elementen sozialarbeiterischen Handelns stehen die Maßnahmen der Koordinierung, die die Mitwirkung und Mitarbeit der Sozialarbeiterinnen unter den je gegebenen organisatorischen Rahmenbedinungen garantieren sollen, im Vordergrund der Betrachtung. Konkrete Bezugspunkte, mit Hilfe derer Kriterien der Ordnung von Handlungsvollzügen und der Richtigkeit von Entscheidungen aufgestellt werden, müssen dabei zur planvollen Sicherstellung des behördlichen Auftrags von Seiten der Organisation benannt werden. Diese Reglementierung und Definition der organisationeilen Ressourcen, die Mitarbeiter der Behörde eingeschlossen, wird als Programmierung bezeichnet: "Hierbei handelt es sich nicht um die detaillierte Festlegung konkreter Handlungsprozesse und Handlungswirkungen, sondern um das Abstecken des allgemeinen Musters des (richtigen oder brauchbaren) Ablaufs der Handlungen" (Hegner 1976, 240f). Insofern kann von der jeweiligen Programmierungsstruktur einer Organisation nicht auf die je konkreten Handlungsroutinen der Sozialarbeiterinnen geschlossen werden, die Rahmenbedingungen aber, die das "Funktionieren" der Dienstleistungsorganisation gewährleisten und Grenzen der professionellen Autonomie markieren, werden durch die Programmierungsstruktur offensichtlich.
Einleitung
83
Die Programmierung selbst läßt sich in zweierlei Hinsicht differenzieren: Zum einen kann sie je nach ihrem Grad der Formalisierung und Generalisierung auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt werden, zum anderen ist der Modus, der inhaltliche Bezugspunkt, den sie reglementiert und definiert, entscheidend für das zugrundeliegende Steuerungsmuster. (1)
Der von uns untersuchte Bereich der öffentlichen Erziehung innerhalb des Jugendamtes ist gekennzeichnet durch eine relativ ausdifferenzierte gesetzliche Basis. Hierbei ist nicht nur explizit an das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) zu denken, sondern auch an Problemstellungen, die sich beispielsweise aus den Bereichen der Sozialhilfe (BSHG), des Familienrechtes (BGB) und der Jugendgerichtshilfe (JGG) ergeben. Es ist davon auszugehen, daß eine Vielzahl gesetzlicher Vorgaben das sozialarbeiterische Handlungsfeld konturieren.
(2)
Des weiteren ist das Feld der behördlich organisierten Sozialarbeit durch organisatorischen Vorschriften gekennzeichnet. Darunter sind jene Regeln und Richtlinien zu verstehen, die den verwaltungsinternen Ablauf gliedern und Kompetenzen verteilen. Insbesondere ist hierbei an D i e n s t - und Verwaltungsvorschriften zu denken. Diese sowie die Ebene der gesetzlichen Programmierung sind durch ihre Form der schriftlichen Fixierung charakterisiert.
(3)
Die kollegiale Selbstabstimmung bezeichnet eine Regelungsform der Organisation, die die Koordinierung einiger Bereiche der Aufgabenbewältigung an den Kolleginnenkreis delegiert. "Von einer Koordination durch Selbstabstimmung sprechen wir dann, wenn solche Gruppenentscheidungen offiziell vorgesehen sind und die Entscheidungen der Gruppe für alle Gruppenmitglieder auch verbindlich sind. Selbstabstimmung als Koordinationsinstrument ist daher von einem letztlich unverbindlichen Informationsaustausch zu unterscheiden, wie er schon alleine zur Sicherung eines guten persönlichen Verhältnisses unter Organisationsmitgliedern fast immer zu beobachten ist" (Kieser/ Kubicek 1983, 116).
Auf allen drei Ebenen wird im Hinblick auf den gewählten inhaltlichen Bezugspunkt der Programmierung weiter differenziert in: (a) Ziele, (b) Anlässe und (c) Maßnahmen. Diese Programmierungsmodi kennzeichnen jeweils die Qualität und die Reichweite der organisationellen Steuerungsstrategien in bezug auf das professionelle Handeln. Sie grenzen dabei den Gegenstandsbereich sozialer Arbeit ein, d.h. sie definieren warum, wann und wie sozialarbeiterisches Handeln als notwendig erachtet wird. Mit Hilfe der Definition der Ziele, Anlässe und Maßnahmen auf den ausdifferenzierten Ebenen wird somit der formelle Zuständigkeitsbereich sozialer Arbeit festgelegt.
84
Administrative Routinen und Professionelle Identität
(a)
Zielsetzungen, die die soziale Arbeit leiten, beinhalten und bestimmen den Blickwinkel und den Relevanzbereich sozialarbeiterischen Handelns. Damit entscheiden sie nicht nur über die Zielgruppen, sondern auch über Problemlagen, die entweder dem Zuständigkeitsbereich sozialer Arbeit zugerechnet, oder a b - bzw. ausgegrenzt werden. Die Explikation von Zielen fixiert folglich auf der einen Seite die Klientel von Sozialarbeit und auf der anderen die Art der Probleme, die als Auslöser für einen professionellen Eingriff betrachtet werden. Die Zielformulierungen bleiben jedoch notwendig abstrakt und bedürfen weitergehender Interpretation, um den Gegenstandsbereich sozialer Arbeit näher zu markieren. Dennoch entscheiden sie oftmals über Ressourcen, die dem einzelnen Sozialarbeiter bei der individuellen Gestaltung seiner Handlungsvollzüge zur Verfügung stehen.
(b)
Die Definition von Anlässen, die ein Tätigwerden von Sozialarbeiterinnen verlangen, muß als eine weitere Form der Programmierung angesehen werden, die den Gegenstandsbereich sozialer Arbeit zusätzlich eingrenzt. Die Bedingungen der Notwendigkeit eines professionellen Eingriffs in die Lebenswelt des Klienten werden in Form von Anlaßdefinitionen durch Gesetze, Organisation und Profession präzisiert. Wann ein Anlaß für sozialarbeiterische Interventionen vorliegt, kann aus den Zielsetzungen nicht direkt abgeleitet werden. Entscheidungen über den Zeitpunkt der Intervention und die Qualifizierung der zugeschriebenen Problemlagen (z.B. individuelle Verhaltensauffälligkeiten, subkulturelle Lebensstile, materielle und soziale Benachteiligungen, etc.) konkretisieren vielmehr die Handlungspläne im Hinblick auf die abstrakteren Zielvorstellungen sozialer Arbeit.
(c)
Maßnahmenvorgaben sind als die direkteste Form der Steuerung sozialarbeiterischer Handelns zu betrachten. Die Reglementierung der Interventionsformen (wie z.B. Beratungsangebote, Verpflichtungen zu regelmäßigen Gesprächsterminen, Verhaltensmaßregelungen, Beteiligungen an infrastrukturellen Planungen) markieren das Organisationsverständnis von Sozialarbeit, da mit der Präferenz spezifischer Maßnahmen helfende, unterstützende oder kontrollierende Aspekte sozialarbeiterischer Interventionen deutlich zutage treten.
Dieser theoretische Zugang ermöglicht es, charakteristische Strukturmuster der organisationeilen Programmierung sozialer Arbeit zu gewinnen, die Aussagen über das spezifische Verhältnisse von Profession und Organisation in den hier untersuchten Großstadtjugendämtern erlauben.
Typen organisationeller
85
Programmierung
4.2 Drei Typen organisationeller Programmierung Anknüpfend an die oben entwickelte theoretische Folie konnten mit Hilfe clusteranalytischer
Verfahren drei Typen organisationeller
Programmierung
gewonnen werden, die sich voneinander signifikant unterscheiden.
Diese
Typen korrespondieren in einem starken Ausmaß mit Organisationseinheiten, die analog zu den befragten Jugendämter gebildet werden ( c = 2
.00) ). Jede dieser
Organisationseinheiten
wird durch einen
.43; p =
Programmie-
rungstypus dominiert, sodaß die jeweiligen Charakteristika der Programmierung Differenzierungen in der Organisierung sozialarbeiterischen
Handelns
begründen. Die Typen spiegeln damit drei unterschiedliche Strukturmuster organisationeller Rationalität wider, deren quantitative und qualitativen Merkmale Bezüge auf die Entwicklungs-
und Entfaltungsmöglichkeiten der Pro-
fession ebenso erlauben wie Rückschlüsse auf Präventionspotentiale. Die Clusteranalyse gibt im wesentlichen Aufschluß über das quantitative Merkmal der Programmierungsdichte. Danach werden unterschieden: 1)
Ein hoch programmierter Typ (n = 85), der dadurch gekennzeichnet ist, daß auf den
drei
Programmierungsebenen
eine
überdurchschnittlich
hohe
Steuerungsleistung der Organisation vorherrscht. Dabei bleibt die kollegiale
Selbstabstimmung
hinter
den
beiden
anderen
Programmierungs-
ebenen zurück (vgl. Tabelle 1: Programmierungswerte des Typ I), was in Übereinstimmung mit organisationssoziologischen Theorien -
-
dadurch
zu erklären ist, erklären ist, daß bei einem hohen Ausmaß an schriftlich fixierter Programmierung den kommunikativen Steuerungsformen offensichtlich nur eine geringere
Relevanz
zugemessen
wird (vgl.
Kieser/
Kubicek 1983, 119ff). 2)
Ein zweiter Typus (n = 198) organisationeller
Programmierung
zeichnet
sich durch eine insgesamt niedrige Programmierungsdichte aus. Auf allen drei Ebenen der Programmierung liegt hier die Steuerungsleistung der Organisation unter dem Mittelwert (vgl. Tabelle 1: Programmierungswerte des Typ II), sodaß davon ausgegangen wird, daß der professionelle Handlungsspielraum unter diesen Bedingungen relativ groß ist.
2)
Im folgenden werden die angeführten Abkürzungen benutzt: c =
Kontingenzkoeffizient
r =
Korrelationskoeffizient
p = Signifikanz X = Arithmetisches Mittel
86
Administrative Routinen und Professionelle
Identität
3) Der dritte Typ (n = 82) weist auf den Ebenen der schriftlich fixierten Programmierung die niedrigste, auf der Ebene der kollegialen Selbstabstimmung dagegen die höchste Programmierungsdichte auf. Das insgesamt niedrige Ausmaß an Steuerungsleistungen auf den Ebenen der gesetzlichen und organisationeilen Programmierung wird hier über einen hohen Anteil an kommunikativen Absprachen kompensiert (vgl. Tabelle 1: Programmierungswerte des Typ III).
Tabelle 1 : Mittelwerte der organisationellen Programmierungstypen Typ I
Typ II Programmierungsebenen
Typ III
9.3
6.9
6.0
Organisât. Vorschriften X = 7.3
9.2
6.6
6.0
Selbstab Stimmung X = 7.5
8.2
5.5
8.7
Gesetze X = 7.4
Programmieaingsmodi3'
G
0
S
X
G
0
S
X
2.9
2.2
2.1
1.8
2.0
1.8
1.9
2.9
2.2
2.9
3.1
2.4
2.3
1.9
2.2
2.2
2.1
3.0
2.4
2.7
2.9
2.3
2.2
1.7
2.1
2.0
2.1
2.8
2.3
G
0
S
X
Ziele
3.0
2.0
2.8
Anlässe
3.2
3.3
Maßnahmen
3.0
3.0
3) Die folgenden Abkürzungen bezeichnen die Programmierungsebenen, "G" steht hier für Gesetzte, "O" für Organisatorische Vorschriften und "S" für Selbstabstimmung. Dieses Verfahren dient ausschließlich dazu, die Übersichtlichkeit zu erhalten.
Programmierungsstrukturen
87
4.2.1 Programmierungsstrukturen Den qualitativen Indikator der Programmierung bildet die Vernetzung zwischen den Programmierungsebenen und den Programmierungsmodi. Die so bezeichnete Programmierungsstruktur ermöglicht detaillierte Einblicke in die Rahmenbedingungen, die über die Wahl und Definition von Bezugspunkten, das sozialarbeiterische Handeln konturrieren. Neben diesen Markierungen läßt sich die Programmierungsstruktur auch dahingehend interpretieren, in welchem Ausmaß die gewählten Bezugspunkte verbindlich und damit handlungssteuemd sind. Programmierungsstrukturen können damit als im Vorfeld sozialarbeiterischen Handelns institutionalisierte Garanten der professionellen Wahrnehmung und Ausführung des behördlichen Auftrags von Sozialarbeit angesehen werden. Zusätzlich jedoch - auch um etwaige methodischen Vorbehalte gegen eine qualitative Bewertung der Programmierungsstrukturen zu reduzieren - wird in den folgenden Abschnitten der zugestandene eigenverantwortlichfachliche Ermessensspielraum sowie die ex post einsetzende Kontrolle bzw. Revision der professionellen Entscheidungsfindung mitbetrachtet werden. Diese drei Indikatoren - Programmierungsstruktur, professioneller Ermess e n s - und Entscheidungsspielraum sowie Kontrolle - charakterisieren umfassend die formalisierten Verhaltenserwartungen personenbezogener Dienstleistungsorganisationen (vgl. Hegner 1976, 246 ff). Damit können zentrale Bedingungen, unter denen sozialarbeiterische Praxis stattfindet, nachgezeichnet werden. Im folgenden werden die drei organisationellen Programmierungstypen besonders auch im Hinblick auf die ihnen inhärenten Strukturmerkmale, die sich aus einer unterschiedlichen Akzentuierung der Rahmenbedingungen behördlicher Sozialarbeit ergeben, herausgearbeitet.
4.2.1.1 Die Programmierungsstruktur des Typ I Die Programmierungsstruktur des Typ I ist durch ihre Konsistenz und Linearität in der Wahl des Bezugspunktes gekennzeichnet. Auf den einzelnen Programmierungsebenen ist eine hohe interne Abstimmung zwischen den Definitionen von Zielen, Anlässen und Maßnahmen widerspiegelt, festzustellen.4
4)
Exemplarisch (da dies auch für die Ebenen der Gesetze und der Selbstabstimmung in einem ähnlichen Ausmaß gilt) zeigt sich diese Konsistenz auf der Ebene der
organisatorischen
88
Administrative
Routinen und Professionelle
Identität
Die Linearität zeigt sich in der Akzeptanz des dominierenden Programmierungsmodus, der in diesem Fall über die Definition von Anlässen den professionellen Handlungsspielraum begrenzt. Die Begrenzung des Handlungsspielraumes der Professionellen wird im folgenden in graphischen Darstellungen (siehe hierzu Schaubild 1) verdeutlicht. Die gesetzlich definierten Anlässe entsprechen dabei weitgehend denjenigen, die durch die organisatorischen Vorschriften fixiert werden (r = .31; p = .00) und diese wiederum haben einen deutlichen Einfluß auf die kollegiale Selbstabstimmung (r = .30; p = .00). Diese gradlinige Programmierungsstruktur weist, betrachtet man zusätzlich die professionell zentral erachteten Ziele, Anlässe und Maßnahmen sozialarbeiterischen Handelns, eine differenzierte Vernetzung zu den professionellen Orientierungsmustern auf. Die Ziele, Anlässe und Maßnahmen der organisationeilen Programmierung sowie diejenigen der Selbstabstimmung haben einen deutlichen Einfluß darauf, wie diese inhaltlichen Bezugspunkte in den Handlungsvollzügen der Sozialarbeiterinnen gehandhabt werden. Die Grenzen des Handlungsspielraums scheinen bei diesem Typ deutlich markiert, da sowohl die Zieldefinitionen, als auch die A n l a ß - und Maßnahmenorientierung Steuerungseinflüssen organisationeller Vorschriften und der Selbstabstimmung ausgesetzt sind. Die gesetzliche Programmierung weist keinen direkten Einfluß auf die professionellen Orientierungsmuster auf, es ist daher davon auszugehen, daß sie über die organisationelle Programmierung transformiert wird. Die Linienführung auf und zwischen den einzelnen Programmierungsebenen spiegelt die Steuerungseinflüße wider. Damit markiert die Vernetzung die Begrenzungen des professionellen Handlungsspielraumes. In diesem Fall wird deutlich, daß die formalisierten Programmierungsebenen Beziehungen zu allen Modi der professionellen Orientierungen aufweisen. Der professionelle Handlungsspielraum ist unter diesen Bedingungen strikt reglementiert.
Forts, von letzter Seite Vorschriften wie folgt: Die organisatorischen Zielsetzungen weisen einen hohen positiven Zusammenhang mit den organisatorischen Anlaßdefinitionen (r = .21; p = .03) und Maßnahmendefinitionen (r = .42; p = .00) auf, und diese korrelieren jeweils auch untereinander (r = .33; p = .00).
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Programmierungsstruktur des Typ I
Schaubild 1: Programmierungsstruktur des T y p I
Gesetze X - 9.3
^ Organisationelle Vorschriften X - 9.2
/Anjässe^ N
/
/
/
/ /
Ziele\
\
/
Maßnahmen /
/
/
x
/
^Anlässe • ^ v • . .
/
Ziele
/
/
/
\ .
/ / \ \V // // / /' Professionell^. Orientierungen
\
/
\
Kollegiale Selbstabstimmung X = 8.2 . - 7 Zl§[e / .
\
Anlässe
/ . .
/
•X
/
/
. _Ma8nahmefr
\ \
\ \ \ • Maßnahmen
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Administrative
Routinen
und Professionelle
Identität
Die hohe Dichte sowie die Linearität und Konsistenz der Programmierung auf und zwischen den unterschiedenen Ebenen begrenzen aber nicht nur den Handlungsspielraum, sondern eröffnen ein - im Vergleich zu den beiden anderen Programmierungstypen - geringeres Ausmaß an eigenverantwortlich zu treffenden Entscheidungen (61%, vgl. Tabelle 4). Möglichkeiten, Ermessensspielräume im Sinne der Klientel voll ausschöpfen bzw. Regeln und Dienstvorschriften flexibel handhaben zu können, sind nur eingeschränkt gegeben (vgl. Tabelle 2).
Tabelle 2: Ermessens- und Handlungsspielräume Ich kann ...
Typ I
Typ II
Typ III
... Ermessensspielräume voll ausschöpfen
1.46
1.75
1.79
Regeln und Dienstvorschriften flexibel handhaben
1.45
1.62
1.71
... nur die Handlungsspielräume nutzen, die mir Gesetze und Vorschriften lassen
1.69
1.41
1.40
Extrema: p = .00
NEIN= 1.0; JA = 2.0
Die Tabelle verdeutlicht nochmals, daß diese Programmierungsform insgesamt einen eingrenzenden und determinierenden Einfluß auf den Kompetenzbereich der Professionellen ausübt. Das im Vergleich mit den beiden anderen Programmierungstypen hier strukturell andere Antwortverhalten belegt die Restriktionen, die insbesondere die schriftlich fixierten, formalisierten Richtlinien durch Gesetze und organisatorische Vorschriften geltend machen. Diese im Vorfeld des sozialarbeiterischen Tätigwerdens wirkenden Strukturierungen und Reglementierungen des Handlungs- und Entscheidungsspielraumes werden durch eine ex post einsetzende kontrollierende Überprüfung der fachlichen Entscheidungen noch verstärkt. Die Nicht-Akzeptanz professioneller Entscheidungen von seiten des Vorgesetzten ist bei diesem Programmierungstypus am höchsten ausgeprägt (vgl. Schaubild 4).
Die Programmierungsstruktur
91
des Typ II
Die Nachrangigkeit der Profession, die in dieser Programmierungsvariante in Form deutlicher Steuerungseinflüsse der Organisation durch die explizite Formulierung der fachlichen Grenzen auf der einen Seite und durch die Kontrolle der fachlichen Entscheidungen auf der anderen Seite dokumentiert wird, erinnert an die erwähnten Klagen über unzureichende Freiräume für die professionelle Praxis. Hier determiniert die Sozialorganisation tatsächlich sozialarbeiterisches Handeln in einer Weise und in einem Ausmaß, die die fachliche Kompetenz auf instrumenteile und ausführende Tätigkeiten reduzieren. Ein in dieser Form definierter Status von Sozialarbeit kommt jenen Konzepten entgegen, die den defizitären Zustand der Profession herausheben und in diesem Rahmen nur begrenzte Chancen für fachliche Innovationen konstatieren.
4.2.1.2 Die Programmierungsstruktur des Typ II Dieser insgesamt durch eine niedrige Programmierungsdichte charakterisierte Typ zeichnet sich ebenfalls durch eine hohe Konsistenz auf den drei Programmierungsebenen aus: Tabelle 3: Zusammenhänge der Programmierungsmodi auf den einzelnen Programmierungsebenen
Gesetze Anlässe Maßnahmen
Ziele
.24
Maßnahmen .28
.66
Organis. Vorschriften Anlässe Maßnahmen
.47 .58
.56
Selbstabstimmung Anlässe
.34
Maßnahmen
.39
.47
p = .00
Insbesondere fallen die hohen Zusammenhänge zwischen der Definition von Maßnahmen und den beiden anderen Programmierungsmodi auf. Die Höhe der Korrelationen läßt die Vermutung zu, daß die Fixierung von je konkreten Zielen und Anlässen diesen entsprechende Maßnahmen impliziert. Deutlicher noch tritt dieser Verzicht auf eine explizite Formulierung der sozialarbeiterischen Poblemlösungsstrategien bei Hinzuziehung der professionellen Orientierungsmuster zutage: Auf eine direkte Einflußnahme im Hinblick auf das
92
Administrative Routinen und Professionelle
Identität
Problemlösungsverhalten der Professionellen verzichtet diese Programmierungsvariante, statt dessen zeigen sich tendenzielle Übereinstimmungen zwischen der organisationeilen und kollegialen Maßnahmendefinition und den professionellen Z i e l - und Anlaßbestimmungen (vgl. Schaubild 2). Partielle Angleichungen sichern so die Wahrnehmung des behördlichen Auftrags auch ohne einen direktiven Zugriff auf das sozialarbeiterische Handeln. Diese Form der Definition und Wahrnehmung des organisationeilen Gegenstandsbereiches wird in der Literatur in Abgrenzung zu einem rationalistischinstrumentell verengten Modell organisationelier Rationalität (vgl. Schäffter 1987, 151) als "lose verkoppelte Systeme" bezeichnet: "Lose verkoppelte Systeme halten die Koordinationskosten, die bei engen interdependenten Verknüpfungen als Steuerungsaufwand immens anwachsen würden, auf einem Minimum. Dieser Vorteil wird damit bezahlt, daß sich die Organisation wenig für gezielte und planvolle Veränderungen eignet. Lose verkoppelte Systeme tragen daher 'konservative' Züge, d.h., sie beruhen auf der 'konventionellen Passung', die über ein gemeinsam entwickeltes Selbstverständnis ihre Wirkungschancen erhält." (Schäffter 1987, 157) Die Programmierungsstruktur des Typ II wird in Schaubild 2 dargestellt. Eine Annäherung von bürokratischen und professionellen Orientierungsmustern zeigt sich hier insbesondere in der tendenziellen Kompatibilität zwischen der kollegialen Selbstabstimmung und den organisatorischen Vorschriften (Ziele: r = .19, p = .00; Anlässe: r = .29,p = .00; Maßnahmen: r = .31,p = .00), aber auch in einer entsprechenden Übereinstimmung dieser organisatorischen Programmierungsstruktur mit den professionellen Orientierungsmustern der Sozialarbeiterinnen. Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, daß der Verzicht der Organisation auf eine direkte Steuerung des Problemlösungsprozesses in Form von Maßnahmenvorgaben sowie eine hohe Übereinstimmung zwischen den präferierten Orientierungsmustern der Bürokratie und der Profession den Professionellen ein beträchtliches Maß an Autonomie in der Ausgestaltung ihrer Handlungsspielräume zur Verfügung stellt (vgl. hierzu auch Tabelle 2).
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Programmierungsstruktur des Typ II
Schaubild 2: Programmierungsstruktur des Typ II
Anlässe Gesetze X = 6.9
Organisationelle Vorschriften X = 6.6
Kollegiale Selbstabstimmung X - 5.5 / ¿feie- • —
^ J Maßnahme^
AnläSse Professionelle Orientierungen Ziele
Maßnahmen
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Administrative
Routinen
und
Professionelle
Identität
Ein weiterer Indikator hierfür sind die Entscheidungskompetenzen, die den zuständigen Sozialarbeiterinnen in der Bearbeitung von Klientenproblemen zugestanden werden: Tabelle 4: Entscheidungsspielräume Typ I
Typ II
Typ III
7.2%
7.0%
6.9%
20.0%
15.9%*
21.4%
11.5%
8.3%
8.4%
61.3%
68.8%*
63.2%
100%
100%
100%
Ich treffe Entscheidungen ... in vorheriger Absprache mit Vorgesetzten in vorheriger Absprache mit Kolleginnen in vorheriger Absprache mit Vorgesetzten und Kolleginnen in Eigenverantwortung
* signifikante Unterschiede
Im Vergleich mit den beiden anderen Programmierungstypen gewinnt hier insbesondere der hohe Anteil an eigenverantwortlich zu treffenden Entscheidungen an Bedeutung, kollegiale R ü c k - und Absprachen nehmen dagegen einen deutlich geringeren Stellenwert für die Entscheidungsfindung ein.6) Für diesen zweiten Programmierungstyp kann also festgehalten werden, daß - gerade im Vergleich zur erstbeschriebenen Form der organisationellen Steuerung sozialarbeiterischen Handelns - den einzelnen Sozialarbeiterinnen ein hohes Maß an Kompetenz in der Ausgestaltung seiner Handlungsvollzüge zugestanden wird. Der Verzicht auf direkte Eingriffe und Steuerungen wird über konsensuelle Ziel - und Anlaßdefinitionen zwischen Bürokratie und Profession kompensiert.
4.2.1.3 Die Programmierungsstruktur des Typ III Der dritte Typus ist durch diversifizierte Verknüpfungen zwischen gesetzlichen, organisationellen und kollegialen Z i e l - , Anlaß- und Maßnahmendefinitionen gekennzeichnet. Die transformierende Funktion der Organisation läßt sich für diesen Programmierungstypus nicht nachweisen, direkte Bezugnahmen der kollegialen Selbstabstimmung auch auf die Ebene der gesetzlichen Programmierung sind dagegen zu beobachten (vgl. Schaubild 3: Programmierungsstruktur des Typ III). Diese veränderte Ausgangslage des Stellenwertes der einzelnen Programmierungsebenen für das professionelle
6) Dies korrespondiert auch mit der niedrigen Programmierungsleistung der kollegialen Selbstabstimmung in diesem Typus wie sie in Tabelle 1 dokumentiert wurde.
Programmierungsstruktur
des Typ III
Schaubild 3: Programmierungsstruktur des Typ III
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Administrative
Routinen und Professionelle
Identität
Handeln zeichnet sich deutlich in der Betrachtung der Zusammenhänge zwischen diesen Ebenen ab. Allein bei diesem dritten Typus organisationeller Steuerung ist der Zusammenhang zwischen der Ebene der gesetzlichen Programmierung und der Ebene der kollegialen Selbstabstimmung (r = .32, p = .00) höher als derjenige, der zwischen der Ebene der organisatorischen Vorschriften und der kollegialen Selbstabstimmung (r = .30, p = .00) besteht. Gemeinsam zielen die Steuerungseinflüsse der beiden Ebenen der schriftlich fixierten Programmierung - und dies unterscheidet diese Programmierungsvariante wiederum von den beiden anderen ausgeführten Typen - auf die kollegiale und professionelle Maßnahmendefinition. Handlungsleitende Vorgaben in bezug auf die zu ergreifenden Problemlösungsstrategien lassen sich auch hier nicht nachweisen, jedoch reduziert sich der Spielraum in der Maßnahmenwahl infolge von Ausformulierungen gesetzlicher oder organisationeller Zielsetzungen (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: Einflüsse der gesetzlichen und organisationeilen Zieldefinitionen auf die professionellen Maßnahmendefinitionen gesetzliche Ziele professionelle MaBnahmendefinition
r= - . 3 2 p= .00
organisationelle Ziele r = - .22 p= .00
Berücksichtigt man die insgesamt niedrige Programmierungsdichte dieses Typus gerade auf den Ebenen der gesetzlichen und der organisationellen Vorschriften (vgl. Tabelle 1), so wird hier offensichtlich, daß - wenn überhaupt - eine relativ deutliche Einflußnahme auf die zu ergreifenden Problembearbeitungsstrategien die Reglementierung charakterisiert. Dennoch, und dies ist erstaunlich, da Maßnahmenvorgaben als die direkteste Form der Steuerung sozialarbeiterischen Handelns angesehen werden, reklamiert der unter diesen Bedingungen arbeitende Professionelle einen relativ großen Handlungs- und Entscheidungsspielraum für sich (vgl. Tabelle 2 und 4). Einflußnahmen auf die Präferenzen in den Problembearbeitungsstrategien implizieren so scheint es - per se noch keine Handlungen, etwa in dem Sinne, daß sich eindeutige Konsequenzen für den Umgang mit klientelen Problemlagen voraussagen ließen. So betrachtet, sichert die Maßnahmenprogrammierung den Grundstock der Organisationen für notwendig erachteten Interventionsleistungen durch das Jugendamt, ohne schon qualitative Standards mit zu formulieren. Die Ergebnisse dieser Programmierungsvariante unterscheiden sich jedoch von einen weitgehenden Steuerungsverzicht, wie er für den Typ II beschrieben wurde. Neben der Koordinierung der Maßnahmen reglementiert eine ex post einsetzende Kontrolle von seiten der Vorgesetzten sowie kontrollierende Überprüfungen der getroffenen Entscheidungen den Handlungsspielraum der unter diesen Bedingungen arbeitenden Sozialarbeiterinnen. Die Kontrolleinflüße auf das professionelle Handeln sind in Schaubild 4 dargestellt.
97
Programmierungsstruktur des Typ III
Schaubild
4:
Kontroileinf¡üsse
21.2%
20.3% 20.3%
18.5% 16.5%
10.7%
Typ II
Typ I
Kontroi I/erende
EinfIußnahmen
Typ III
durch Abtei lungs 1 ei ter
Kontroi Iierende EinfIußnahmen
durch Amts lei tung
Nicht-Akzeptanz bzw. Revision vorgesetzter Stelle
von Entscheidungen
von
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Administrative
Routinen
und Professionelle
Identität
Deutlich wird hier zudem nochmals die dirigistische Steuerungsvariante in Organisationseinheiten, die dem Typ I zugeordnet werden können: Die hohe Programmierungsdichte sowie die stark ausgeprägten kontrollierenden Einflußnahmen belegen die konstatierte Dominanz organisatorischer Orientierungs - und Handlungsmuster gegenüber denjenigen der Professionellen. Hierarchische Strukturen - wie sie durch kontrollierende Einflußnahmen von seiten der Professionellen für den Typ III nachgewiesen werden können reduzieren die diesen Typ charakterisierenden vermeintlich großen Handlungs- und Entscheidungsspielräume. Konfliktpotentiale sind dementsprechend in diesen beiden Typen organisationeller Programmierung zu vermuten, da Professionalität sich hier nur unter einschränkenden Bedingungen entfalten kann. Der Typ II, der die größte Anzahl an Organisationseinheiten repräsentiert, hat dagegen eine gewisse Kompatibilität zwischen Bürokratie und Profession hergestellt. Diese Annäherungsprozesse belegen, daß die in der "Unvereinbarkeitsthese" gewählten Bezugspunkte an faktischer Relevanz verloren, deshalb revidiert werden müssen und neue Institutionalisierungsformen von Sozialarbeit dagegen an Bedeutung gewinnen. 4.3 Die Programmierungstypen als Rationalitäten moderner Dienstleistungsorganisationen Im Anschluß an diese ersten Typisierungen des administrativen Settings, die sich aus einer je spezifischen Verhältnisbestimmung der Strukturelemente von Profession und Bürokratie ergeben, müssen zentrale theoretische und praktische Vorannahmen revidiert werden. Dichotomisierungen, wie sie beispielsweise Blinkert (1977) vornimmt, indem er zwischen "Vollzugs- und Erzieherrollen", bzw. zwischen "Helfer- und Kontrolleurrollen" in dem Handlungsverständnis von Sozialarbeiterinnen unterscheidet (vgl. a.a.O.,29ff) halten den hier dargestellten Ergebnissen nicht stand. Gezeigt werden konnte, daß sozialarbeiterisches Handeln grundsätzlich sowohl von einer "planmäßigen und weitgehend vorstrukturierten Bewältigung routinisierbarer Problemsituationen" (a.a.O.,29) als auch von Arbeitsformen "in denen Sozialarbeiter sozialpädagogisch tätig sind und mit Einzelhilfe und Gruppenarbeit bei ihren Handlungsadressaten Lernprozesse steuern wollen" (a.a.O.,30) charakterisiert ist. Eine eindeutige Zuordnung von Arbeitsformen und Berufsrollen zu entweder bürokratischen oder aber professionellen Handlungsmustern kann jedoch nicht gelingen, da die konkrete inhaltliche Bestimmung - wie institutionalisierte Problembearbeitungsstrategien gehandhabt werden - aus der formalen Tätigkeitsbeschreibung (z.B. Aktenführung, Hausbesuche, Arbeit mit
Rationalitäten
moderner
99
Dienstleistungsorganisationen
Gruppen etc.) nicht zu schließen ist. Einzubeziehen in die Überlegungen sind dagegen der Status der Profession sowie die kollektive professionelle Identität (Selbstabstimmung), die die Fachkompetenz gegenüber den organisationeilen Interessen repräsentieren. Damit kommt den internen administrativen Relationierungen ein bedeutender Stellenwert zu und erst die je konkrete institutionalisierte Dynamik zwischen Bürokratie und Profession entscheidet über die tatsächlichen Handlungsmuster der Sozialarbeit. Theoretisch werden hier drei Varianten der Relationierung unterschieden, die je spezifische Konsequenzen für das Verhältnis von Bürokratie und Profession implizieren: (1)
Standortbestimmungen, wie sie das Konzept der
"semi-professions"
(Etzioni 1969) vornimmt, (2) Prozesse "passiver Professionalisierung" und (3) Prozesse "aktiver Professionalisierung". (1)
Das
Konzept
der
"semi-professions"
lokalisiert
den
Standort
der
Profession auf der Basis einer strukturellen Dominanz der Bürokratie: "Indem die Spitzen der betreffenden Organisationen (einschließlich
oft
weitreichender
semi - professionellen hierarchische
Problemlösungen
Ermessensentscheidungen)
Beschäftigten delegieren, sind sie
Anweisungs-
und
Herrschaftsstruktur
zu
-
an
ihre
um
ihre
erhalten
-
gezwungen, eine Grenze zu ziehen, jenseits deren semi - professionelle Kompetenz nicht mehr zur Mitsprache über Organisationsziele berechtigt. An dieser Grenze, die nie festgezogen ist, sonderen an jeweils einzelnen konkreten Problemen immer wieder neu definiert wird, stoßen das berufliche Engagement und die Forderung nach sachlicher Angemessenheit von seiten der Experten mit den bürokratischen Restriktionen und Disziplinierungsmaßnahmen der Verwaltung in einer tagtäglich erfahrbaren Härte zusammen ..." (Dewe/Otto 1984, 783). Der Profession werden unter diesen Bedingungen nur geringe Chancen der Partizipation und
Entwicklung eines genuin fachlichen Profils eingeräumt, in
diesem Kontext läßt sich von einer "Überformung" der Profession durch administrative Imperative sprechen (vgl. Boehnisch/Lösch 1973). Hiermit gehen in der Regel Tendenzen einer Negierung der organisatorischen Erfordernisse und Erwartungen als "fachfremd" einher (vgl. Sahle 1985), so daß bürokratische Handlungsvollzüge aus der professionellen Identität "externalisiert" werden. (2)
In den Prozessen "passiver Professionalisierung" ist die Sozialbürokratie bemüht, die vielfältigen inneradministrativen Konflikte, die dem Konzept der "semi-professions"
inhärent sind, zu vermindern. Die Delegation
von Verwaltungsroutinen und Entscheidungsbefugnissen an den Kompe-
Administrativo
Routinen und Professionelle
Identität
tenzbereich der Professionellen soll hierarchische Strukturen und Kontrollinstanzen, wie sie vor allem für die Trennung des I n n e n - vom Außendienst immer wieder beschrieben wurden, reduzieren. Die Ausdehnung des Zuständigkeitsbereiches der Sozialarbeiterinnen auch auf verwaltungsrationale Arbeitsvollzüge, so ist intendiert, schafft Identifikationspotentiale mit der Organisation und erhöht die Effizienz durch eine Verminderung der internen Reibungsverluste. Konzepte und Modelle der Neuorganisation sozialer Dienste orientieren sich vorrangig an diesen Optimierungsversuchen der Organisation, die Erkenntnis der Bürokratie über funktionale Defizite initiiert in diesem Fall einen organisationellen Wandel. "Administrative Selbstbegrenzung" (Koop 1978) ist ein Stichwort, daß die Richtung des Entwicklungsprozesses angibt:"Das Ziel (...) ist der Abbau jener bürokratischen Organisationsstrukturen, die im Selbstverständnis einer professionalisierungsorientierten Sozialarbeit/ Sozialpädagogik (...) die Transformation problemadäquater Interventionsstrategien erschweren bzw. verunmöglichen. Hier geht es sowohl um die Erweiterung von Handlungsspielräumen als unabdingbarer Voraussetzung personenbezogener und materieller Dienstleistungen (...) als auch um die Beseitigung jener defizitorientierten Rekrutierungsmechanismen der Adressaten, aufgrund deren sich eine Stigmatisierung der Betroffenen bzw. Diskrimminierung ganzer Wohnbereiche (z.B. über die Typisierung eines Areals als 'sozialer Brennpunkt') entgegen den Intentionen der Sozialarbeiter quasi zwangsläufig wieder durchsetzt (...)" (Müller/Otto 1980, 6). Da bei diesen Konzepten der Organisationsentwicklung die Perspektive auf die Strukturen und Prinzipien der Bürokratie gerichtet bleibt und professionelle Interessen nur vermittelt (als Organisationsmitglieder) Eingang in die Überlegungen finden (dies rechtfertigt die Bezeichnung der "passiven" Professionalisierung), wird das Ergebnis einer Organisationsentwicklung in dieser Form als "bürokratische Professionals" chrakterisiert. Auch bei dem quasi gegenläufigen Prozeß der hier als "aktive Professionalisierung" bezeichnet wird, findet eine Übernahme ehemals verwaltungsrationaler Handlungsroutinen in das Repertoire der Professionellen statt. "Motor" für diese Erweiterung und Ausdehnung der Arbeitsvollzüge sind jedoch hier die Professionellen selbst. Die Sozialarbeiterinnen eignen sich Problemlösungsstrategien der Organisation an und integrieren sie zu einer Fallbearbeitung, die nicht mehr ausschließlich tradierten verwaltungsrationalen Spezialisierungen und Kompetenzverteilungen folgt. Die fachliche (sozialpädagogische) Kompetenz wird damit um Verwaltungskompetenz erweitert und fördert durch diesen neuen Zuschnitt der Handlungsvollzüge eine Effektivierung sozialarbeiterischer
101
Rationalitäten moderner Dienstleistungsorganisationen
Dienstleistungen. In diesem Sinne kann der administrative Entwicklungsprozeß, der durch dieses aktive professionelle Handlungsverständnis ausgelöst wird, als "Professionalisierung der Bürokratie" bezeichnet werden. Diese theoretische Variante wird in der organisationssoziologischen wie auch professionstheoretischen Literatur jedoch vernachlässigt, da die Strategien der Problembearbeitung von Bürokratie und Profession zumeist als kontradiktorische Rationalitäten, unter analytischen Gesichtspunkten jedoch präziser als invers zu bezeichnendem Verhältnis, behandelt werden. Die hier nachgezeichneten Prozesse administrativer Relationierungen von Bürokratie und Profession sowie die gewählte terminologische Charakterisierung sind in Schaubild 5 nochmals zusammengefaßt: Schaubild 5: Entwicklungstendenzen moderner personenbezogener Dienstleistungsorganisationen und ihre Folgen für das Verhältnis von Bürokratie und Profession
professi onalisierte Bürc)kratie
Bürok ratie
/ IN
pass ive Profession alisierung
Semi Professional
a