Social Design: Gestalten für die Transformation der Gesellschaft [1. Aufl.] 9783839430682

Is it possible to transform society through design? What possibilities do designers possess, and what responsibilities d

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German Pages 200 Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Diskurs
Zwischen Widerstand und Affirmation. Zur wachsenden Verzahnung von Design und Politik
Design als soziales Phänomen. Wider das funktionalistische Paradigma
Design und die Sichtbarkeit möglicher Zukünfte
»Eigentlich sollten wir nicht mehr über Social Design sprechen.«
Social Design – ein Paradox?
Praxis
Experimentelles Design. Für einen engagier ten Designbegriff
Soziales Design in humanitärer Praxis
Soziales Design und urbane Realität
Ist »Social Design« eine neue Designkategorie?
Die Mode ergreift das Wort. Von der Möglichkeit durch Mode die Gesellschaft zu verändern
Ich und ich im wirklichen Leben
Geschichte
Soziale Gestaltung am Bauhaus
Gebrauchspatina, Simplex und offenes Prinzip. Zur sozialen Verantwor tung der Industriegestalter der DDR
›Rot‹ und ›Grün‹. Zur Ästhetik öko-sozialer Verantwor tung seit den 1970er Jahren
Literatur
Autorinnen und Autoren
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Social Design: Gestalten für die Transformation der Gesellschaft [1. Aufl.]
 9783839430682

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Claudia Banz (Hg.) Social Design

Design | Band 6

Claudia Banz (Hg.)

Social Design Gestalten für die Transformation der Gesellschaft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Michael Rauscher, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3068-8 PDF-ISBN 978-3-8394-3068-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung  | 7

D iskurs Zwischen Widerstand und Affirmation Zur wachsenden Verzahnung von Design und Politik Claudia Banz | 11

Design als soziales Phänomen Wider das funktionalistische Paradigma Marc Rölli | 27

Design und die Sichtbarkeit möglicher Zukünfte Nicolas Beuker | 35

»Eigentlich sollten wir nicht mehr über Social Design sprechen.« Esther Cleven | 43

Social Design – ein Paradox? Annette Geiger | 61

P raxis Experimentelles Design Für einen engagier ten Designbegriff Interview mit Jesko Fezer | 71

Soziales Design in humanitärer Praxis Daniel Kerber | 85

Soziales Design und urbane Realität Ute Elisabeth Weiland | 95

Ist »Social Design« eine neue Designkategorie? Michael Krohn | 103

Die Mode ergreift das Wort Von der Möglichkeit durch Mode die Gesellschaft zu verändern Friederike von Wedel-Parlow | 113

Ich und ich im wirklichen Leben Ulrich Dörrie, Johannes Schlüter, Ilja Huber, Frieder Bohaumilitzky | 129

G eschichte Soziale Gestaltung am Bauhaus Interview mit Annemarie Jaeggi | 135

Gebrauchspatina, Simplex und offenes Prinzip Zur sozialen Verantwor tung der Industriegestalter der DDR Katharina Pfützner | 147

›Rot‹ und ›Grün‹ Zur Ästhetik öko-sozialer Verantwor tung seit den 1970er Jahren Martina Fineder | 165

Literatur  | 181 Autorinnen und Autoren  | 189

Einleitung Claudia Banz Der Designbegriff unterliegt spätestens seit den 1970er Jahren einer permanenten Befragung und Erweiterung: Was genau bezeichnet Design, was ist die Wirkung von Design, was vermag Design zu leisten oder was sollte es leisten? Dies inkludiert auch die Frage nach der Rolle des Designers. Das Diktum Victor Papaneks, das jeder Mensch ein Designer und jegliche Aktivität Design sei, hat in der Konsequenz zu einer Verwässerung des Begriffs und des damit verbundenen Berufsfeldes geführt sowie zum Wildwuchs zahlreicher vermeintlicher Designkulturen. Dieses Buch adressiert das Phänomen des ›Social Design‹, das in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts einen regelrechten Boom erfährt und geradezu omnipräsent erscheint. In drei großen Kapiteln »Diskurs – ​Praxis – ​ Geschichte« bündelt es unterschiedliche Ansätze einer begrifflichen Schärfung, fragt nach einer möglichen Agenda für die Ausbildung an den Hochschulen, stellt Best Practice-Beispiele vor und liefert die Ergebnisse eines Research zu relevanten Facetten einer Historie des ›Social Design‹. Der Boom des ›Social Design‹ korrespondiert mit den realen und gefühlten politischen, ökonomischen sowie ökologischen Umbrüchen der Gesellschaft im Anthropozän und den daraus erwachsenden sozialen Krisen. Die Digitale Moderne birgt zugleich enorme Potenziale und unwägbare Risiken. Die große Herausforderung besteht darin, die digitale Revolution im Sinne einer nachhaltigen Sicherung eines würdigen Lebens für alle Menschen auf dem Planeten Erde zu nutzen. Während die Gesellschaft der Industrienationen ihren ökologischen Fußabdruck substanziell modifizieren muss, heißt es für die aufstrebenden Länder der zweiten und dritten Welt, die etablierten Konzepte von Wachstum und Wohlstand zu hinterfragen und Alternativen zu entwickeln. Die Zeichen stehen auf Wandel. Vor allem der Mensch muss überkommende Handlungsmuster dringend neu justieren.

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Die anstehende ›Transformation von Gesellschaft‹ fordert nun auch die Akteure im komplexen Feld des Designs vermehrt zu einer verantwortungsbewussten und kritischen Haltung heraus. Zur Disposition steht die Gestaltung des Sozialen, wofür Design als eines der geeignetsten Tools erscheint: Dabei wird das Soziale verstanden als Reich spezifischer, transindividueller Strukturen, Identitäten, Kulturen und Bedürfnisse, das zwischen Staat und Zivilgesellschaft lokalisiert ist. Im Negativen wird ›Social Design‹ inflationär als eine Art GreenWash­ing-Begriff für einen Großteil unspezifischer designerischer‹ Aktivitäten und Produktion disqualifiziert. ›Social Design‹ scheint in diesem Kontext einen nachhaltigen Mehrwert zu bieten, aus dem sich zugleich ein ökonomischer Gewinn abschöpfen lässt. Im Positiven betrachtet wirkt die explizite Engführung von ›Design‹ und ›sozial‹ wie der Versuch der Nobilitierung einer Disziplin, die durch ihre Ökonomisierung und die einseitige Reduktion auf den ästhetisch schönen Schein des Konsumobjekts stigmatisiert ist. So, wie Design und damit Designer die Macht besaßen und immer noch besitzen, neue Bedürfnisse zu wecken und dadurch den Menschen in einen jagenden und sammelnden Konsumenten zu verwandeln, so werden dem Design nun gleichsam heilsbringende Qualitäten zugesprochen, die Menschen in nachhaltig handelnde Lebewesen transformieren zu können. ›Social Design‹ benennt somit eine neue alte Form der Heterotopie: Wandel der Gesellschaft durch Gestaltung.1

1 | Historisch gesehen fand eine Engführung von ›Design‹ und ›sozial‹ schon immer in Zeiten der Krise statt, ohne dass man explizit von ›Social Design‹ gesprochen hätte. Die Vision verbunden mit dem Anspruch, die jeweilige Gesellschaft durch Gestaltung nachhaltig beeinflussen zu können, beflügelte die Designer des Arts & Crafts Movement ebenso wie die Designer und Architekten der Reformbewegungen des Jugendstils, des Werkbunds oder des Bauhaus. Die heute aktuellen Fragen nach Verantwortung, Partizipation, Produktions- und Arbeitsbedingungen, Hilfe zur Selbsthilfe, gemeinschaftlichem Leben und Genossenschaften, Wohnungsnot, Hygiene und gesunder Ernährung, Schonung der Ressourcen, Gemeinwohlökonomie etc. gehörten auch damals schon zu den dringlichen Fragen und Problemen, die es zu lösen galt.

Diskurs

Zwischen Widerstand und Affirmation Zur wachsenden Verzahnung von Design und Politik Claudia Banz

E rfolgsstory Die Geschichte des Designs im 20. und 21. Jahrhundert liest sich bei unkritischem, oberflächlichem Blick wie eine Erfolgsstory sondergleichen: Design als Katalysator und Indikator von Fortschritt, Wachstum, Wohlstand, Design als Garant für ethisch und moralisch demokratische Werte, Design als Synonym für Konsum und Lifestyle, Design als Signum von Schönheit und Ästhetik, kurzum: Dasein als Design. Parallel dazu hat sich das Verständnis von Design ausgeweitet vom Ding an sich auf die Gene, den Körper, die Stadt, die Natur, die Kultur. Etwas zu designen impliziert den gesamten Prozess der Strategie, Planung, Entwicklung und Produktion. Der erweiterte Designbegriff oszilliert zwischen ›design doing‹ und ›design thinking‹. Die durch das Design geschaffene Dingwelt besitzt eine anthropologische und existentielle Dimension. Dinge sind ein Speicher unserer Kultur, unseres Wissens, unserer Werte. Sie liefern uns eine Orientierung in der von uns geschaffenen Welt und sichern unser Überleben in der natürlichen Umwelt. »Die Dinge des Menschen bilden ein System, das die soziale Welt stabilisiert und gewissermaßen den ›Klebstoff‹ des sozialen Lebens darstellt. […] Die Interaktion mit den Dingen gewährt uns einen beherrschbaren Weltausschnitt und die Gewissheit, dass uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt und dass unsere Umwelt konstante Eigenschaften ausweist.«1 1 | Bosch, Aida: »Sinnlichkeit, Materialität, Symbolik. Die Beziehung zwischen Mensch und Objekt und ihre soziologische Relevanz«, in: Stephan Möbius/Sophia

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Menschen und Dinge sind eingespannt in ein dichtes Netzwerk von Handlungen, Aktivitäten und Wirkungsweisen. Menschen wie Dinge sind auch ein ›Produkt‹ der sozialen Diskurse und kulturellen Praktiken ihrer jeweiligen Zeit. Und, so wie wir die Dinge kreieren und beeinflussen, so machen und beeinflussen sie uns.2 Aus dieser Erkenntnis hat Design weiteres Kapital geschlagen. Es versucht, konsumentenorientiert und emotional zu sein, die (vermeintlich) wahren Bedürfnisse seiner Nutzer zu erspüren, um daraus neue, funktionelle Wirkungsweisen zu generieren wie neuerdings Gesundheit, Wellness und Nachhaltigkeit.3 Design wird als eine »nach vorne offene Optimierungsgeschichte« wahrgenommen und interpretiert, in der der Designer als eine Art »Entwicklungshelfer für Güter auf dem Weg zur Besserung agiert«4. Inzwischen besteht auch ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, dass Design in all seinen Facetten ein wertvolles Werkzeug sein könnte für die dringend anstehenden gesellschaftlichen Veränderungen. Lautete der Slogan der industriellen Moderne: »Design für die Masse«, so könnte er für die digitale Moderne lauten: »Design für den nachhaltigen Wandel.« Hier kommt das sogenannte Social Design ins Spiel, das gegenwärtig einen wahren Boom erfährt und als Heilsbringer, als Tool und Mittel zum Zweck für die Lösung aller Probleme herangezogen wird.5 In diese geradezu optimistische Omnipräsenz von Design mischen sich aber auch zahlreiche Stimmen der Skepsis. Am prägnantesten bringt es Bruno Latour auf den Punkt: »Um es provokant zu formulieren: ich möchte behaupten, dass Design einer der Begriffe ist, die das Wort ›Revolution‹ ersetzt haben! Wenn man sagt, dass alles Prinz (Hg.), Das Design der Gesellschaft. Zur Kultursoziologie des Designs, Bielefeld: transcript 2012, S. 49–70, hier S. 59. 2 | Zu den unterschiedlichen Ansätzen einer Kultursoziologie des Designs vgl. S. Möbius/S. Prinz: Das Design der Gesellschaft. 3 | Zu den Mechanismen der Konsumgesellschaft vgl. Beck, Ulrich: Haben wollen. Wie funktioniert Konsumkultur?, Frankfurt a. M.: S. Fischer 2006. 4 | Sloterdijk, Peter: Der ästhetische Imperativ. Schriften zur Kunst, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007, S. 155 f. 5 | Der ausführliche Diskurs zum Begriff, Inhalt und Wesen von Social Design ist Anlass und damit zentraler Bestandteil dieses Buches. Vgl. hierzu die Beiträge von Beuker, Cleven, Geiger, Krohn und Rölli sowie das Interview mit Fezer.

Zwischen Widerstand und Affirmation

designt und redesignt werden muss (einschließlich der Natur), dann ist etwas impliziert wie: weder wird es revolutioniert noch modernisiert werden.« 6

Und man möchte dem hinzufügen: Design hat ebenso den Begriff der Utopie ersetzt.

W iderstände Es gibt eine parallele Geschichte von Design, die sich bislang eher lückenhaft erschließt. Sie verläuft diskontinuierlicher, ist stärker mit den sozialen und politischen Krisen als mit den ökonomischen Erfolgen der Gesellschaft verbunden. Diese Geschichte fokussiert auf die Kritik an der Rolle der Designer, an den Produktionsbedingungen von Design, an den Auswirkungen von Design auf Gesellschaft und Umwelt. Sie stellt Fragen nach der Verantwortung der Designer, nach Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen und nach den Werten von Design an sich. Und sie fragt auch, wer für wen und was und wofür gestaltet. Vergleichbare Fragen stellten sich bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts angesichts der negativen Folgen der Industrialisierung. Sie stellten sich auch jeweils nach den beiden Weltkriegen. Eine deutliche Zäsur manifestierte sich, aus der Perspektive dieser ›parallelen‹ Designgeschichte betrachtet, im Kontext der ersten Ölkrise in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die negativen Folgen des ungebremsten Fortschrittsdenkens traten angesichts der globalen Ausmaße der fortschreitenden Umweltzerstörung erstmals deutlich in das Bewusstsein der Gesellschaft. Und sie alarmierten eine wenn auch kleine Gruppe von Designern hinsichtlich der negativen Folgen ihres Tuns. Ihren Apologeten fand die Designkritik in Victor Papanek, dessen Buch Design For The Real World. Human Ecology and Social Change (1971) in zahlreiche Sprachen übersetzt und sich dadurch einer weltweiten Rezeption erfreuen konnte. Es zählt bis heute zu den Standardwerken einer designkritischen Haltung. 6 | Latour, Bruno: »Ein Vorsichtiger Prometheus? Einige Schritte hin zu einer Philosophie des Designs, unter besonderer Berücksichtigung von Peter Sloterdijk«, in: M. Jongen/S. van Tuinen/K. Hemelsoe (Hg.), Die Vermessung des Ungeheuren. Philosophie nach Peter Sloterdijk, München: Wilhelm Fink Verlag 2009, S. 356– 373, hier S. 58.

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Spätestens seit den 1970er Jahren mischt sich auch ein neues Element in die Designkritik. Nämlich eine Praxis des Aktivismus, die ihre Wurzeln in der politischen Kunst der Post-68er Generation hat. Die verschiedenen Formen von Kunst-Aktivismus, so sei hier als These formuliert, eröffneten auch dem Designer ein neues Bewusstsein für (seine) Verantwortung und dadurch für neue Betätigungsfelder. Letztlich ging es darum, welche bis dato unausgeschöpften Potenziale Designer bei der Gestaltung von, für und mit der Gesellschaft jenseits der etablierten ökonomischen und ästhetischen Systeme aktivieren könn(t)en. – Im Grunde ist diese Frage bis heute virulent. – Der Design-Aktivismus forcierte neue Formen des Protests gegen das etablierte System und initiierte parallel dazu neue Wege einer produktiven Ummünzung des Widerstandes in neue Formen von Entwurfspraxis, Ressourcennutzung, Produktion, Konsumption und sozialer Interaktion. Daraus entwickelte sich auch eine langsame Vernetzung mit basisdemokratischen Bewegungen wie beispielsweise Bürgerinitiativen und dies mit dem Ziel, Systemveränderungen anzuschieben und gesellschaftliche Alternativen zu entwickeln. Der Einfluss der politischen Kunst und ihrer Handlungsmaximen auf das Design in jener Dekade darf meiner Meinung nach nicht unterschätzt werden.7 Auch kommen die eigentlich holistischen Ansätze eher aus der Kunst. Und vielleicht ist es sogar Joseph Beuys, der den komplexesten Begriff des Social Designs im 20. Jahrhundert entwickelt hat. Mit seinem Projekt der Sozialen Plastik wollte er die Menschen zu einer Form des künstlerischen Selbst-Designs aufrufen, um dadurch die Welt in einen humaneren Zustand transformieren zu können. Aus diesem Verständnis heraus entwickelte er die häufig missverstandene Behauptung: Jeder Mensch ist ein Künstler. Interessanterweise findet sich bei Papanek nahezu zeitgleich eine Parallele bezüglich seiner Erweiterung des Designbegriffs. Auch er spricht davon, dass letztlich jeder Mensch ein Designer sei.8 7 | Eine umfassende designhistorische Untersuchung dieser Beziehungen und Wechselwirkungen steht noch aus und wäre sicherlich ein lohnendes Forschungsvorhaben. Zur rot-grünen Ästhetik des Social Designs der 1970er Jahre vgl. auch den Beitrag von Martina Fineder in diesem Buch. 8 | Zu Papanek und Beuys vgl. auch Banz, Claudia: Social Design nach Beuys: »Es kommt alles auf den Wärmecharakter im Denken an«, in: Friedrich von Borries/ Jesko Fezer (Hg.), Weil Design die Welt verändert, Berlin: Die Gestalten Verlag, S. 89–93; zu Beuys und Social Design vgl. Blume Eugen: »Wer nicht denken will,

Zwischen Widerstand und Affirmation

Der Design-Aktivismus der Post-68er Generation erlebt gegenwärtig eine neue Aktualität.9 Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Die Komplexität der gesellschaftlichen Probleme hat im digitalen Zeitalter zu- statt abgenommen. Die Globalisierung hat nicht nur zu mehr Integration, sondern auch zu noch mehr Exklusion und sozialer Ungerechtigkeit geführt. Und schließlich erscheint die Notwendigkeit einer Transformation unserer Lebens- und Arbeitsweisen sowie unseres Konsumverhaltens angesichts des Klimawandels dringlicher denn je. Auch in der Kunst lässt sich eine verstärkte Präsenz des Widerständigen und Politischen ausmachen. Die Ursachen hierfür sieht Jacques Rancière in einem zunehmenden Rückzug der Politik aus der Verantwortung des Regierens. »Aber das Paradox unserer Gegenwart ist es vielleicht, dass diese ihrer Politik unsichere Kunst gerade durch das Defizit der eigentlichen Politik zu mehr Engagement aufgefordert wird. Alles spielt sich nämlich so ab, als ob die Schrumpfung des öffentlichen Raums und die Auslöschung des politischen Erfindungsreichtums zur Zeit des Konsenses den Mini-Demonstrationen der Künstler, ihren Sammlungen von Gegenständen oder Spuren, […] die Funktion einer Ersatzpolitik verleihen würde.«10

Vergleichbares trifft auch für das Design zu. In noch viel stärkerem Maße als die politische Kunst versucht aktivistisches oder soziales Design, die Defizite des politischen Engagements zu füllen, in die Lücken zu treten, die der Staat oder die Regierung beim stetigen Rückzug aus der sozialen Verantwortung für die Gesellschaft, für die Bürger hinterlässt. In beiden Bereichen geht es zunächst darum, Aufmerksamkeit zu generieren, den Finger in die Wunde zu legen. Doch im zweiten Schritt sind Lösungen gefragt oder zumindest Ansätze, Prozesse, die zu einer möglichen Lösung des aufgezeigten Problems führen könnten. Genau hier ist die Handlungskompetenz von Design bzw. Designer gefragt. Dadurch definiert fliegt raus. Anmerkungen zu Fragen des Sozial Designs«, in: Claudia Banz (Hg.) Social Design, Kunstforum International 207 (2011), S. 35–39. 9 | Ausstellungen wie Disobedient Objects im Victoria & Albert Museum (2014) oder Objection. Protest by Design im Vitra Design Museum (2016) belegten die facettenreichen Formen möglichen Widerstands durch Design. 10 | Rancière, Jacques: Das Unbehagen in der Ästhetik. Wien: Passagen Verlag 2007, S. 73.

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sich im Übrigen auch der klare Unterschied zwischen Design und Kunst, zwei Bereiche, zwischen denen die begrifflichen Grenzlinien zuweilen gerne unscharf gehalten werden.

N achhaltigkeit Die Folgen der Konsumgesellschaft sind alarmierend: Sie führen nicht nur zu einer Destabilisierung des biologischen Gleichgewichts des Planeten Erde, sondern lösen auch einen Kampf um die Verfügbarkeit von Ressourcen, Wasser und Nahrungsmitteln aus. Die Industrienationen verbrauchen circa. 70 Prozent aller Ressourcen weltweit, obwohl sie nur 20 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Aus der globalen politischen Diskussion um die zukünftige Entwicklung der Menschheit resultierte das Konzept der nachhaltigen Entwicklung, das als neues gesellschaftliches Leitbild definiert wurde. Die kontinuierliche Suche nach adäquaten Strategien für eine nachhaltige Entwicklung avancierte zur wichtigsten Aufgabe der internationalen Umwelt-, Forschungs- und Entwicklungspolitik. Bereits auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 wurde die Agenda 21 verabschiedet, ein Aktionsprogramm mit konkreten Handlungsempfehlungen für das 21. Jahrhundert. Das Ideal einer nachhaltigen Entwicklung soll gewährleisten, die Bedürfnisse der Gegenwart nicht auf Kosten zukünftiger Generationen zu befriedigen. Voraussetzung für die Erreichung dieser Ziele ist ein dreidimensionales Verständnis von Nachhaltigkeit: ökologisch tragfähig, wirtschaftlich effizient und vor allem sozial gerecht. Ökonomisch sollte sich eine nachhaltige Entwicklung selbst finanzieren. Dies bedeutet, dass Gewinne umwelt- und sozialverträglich erwirtschaftet und nicht durch Quellen gefördert werden, die per se dem Nachhaltigkeitsgedanken widersprechen.11 11 | Allgemein zum Thema Nachhaltigkeit Grundwald, Armin/Kopfmüller, Jürgen: Nachhaltigkeit, Frankfurt a. M.: Campus Verlag 2012. Zur Nachhaltigkeitsagenda der deutschen Bundesregierung vgl. auch die Website des Rats für Nachhaltige Entwicklung: https://www.nachhaltigkeitsrat.de/. Um die Implementierung nachhaltiger Entwicklung auch auf Unternehmensseite voranzutreiben, wurde die Corporate Social Responsability (CSR) als verbindliche Strategie für nachhaltig operierende Unternehmen festgelegt. Die Bundesregierung hat 2011 den Deut-

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Bei der Umsetzung der Ziele nachhaltiger Politik kommt dem Design eine wichtige Aufgabe zu. Vor allem im ökologischen Bereich versuchen die verantwortlichen Akteure bislang, durch sogenanntes Eco- oder Greendesign veritable Alternativen zu entwickeln. Cradle-to-cradle, Zero Waste oder Closed Loop heißen die aktuellen Konzepte, die parallel zur Erforschung neuer Materialien dabei helfen sollen, den ökologischen Fußabdruck so positiv wie möglich zu gestalten. Die Möglichkeiten und Erfahrungen, Dinge nachhaltig gestalten zu können, wirken aus dem Designbereich wiederum auf die Politik zurück. So hat sich inzwischen in der Umweltpolitik die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Auswirkungen eines Produkts auf die Umwelt inklusive seiner Recyclierbarkeit bis zu 90 Prozent bereits im Entwurf definiert werden können. Durch verschiedene Initiativen und Programme und nicht zuletzt durch die Vergabe von Preisen versucht sie, Pilotprojekte zu fördern oder mit anzuschieben, die Schadstoffarmut, Kreislauffähigkeit, Ressourceneffizienz sowie Langlebigkeit von Produkten berücksichtigen.12 Die soziale Facette nachhaltiger Politik manifestiert sich vor allem im Segment der Entwicklungsarbeit und -hilfe. Auch hier hat in den vergangenen Dekaden ein grundlegender Wertwandel stattgefunden. Die neue Leitprinzipien lauten: Beteiligung und Mitwirkung (participation), Selbstermächtigung und Selbstkompetenz (empowerment), Eigenverantwortung (ownership). Der Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit misst sich nun daran, inwieweit es gelingt, die betroffenen Zielgruppen in die Prozesse einzubinden, bis zu welchem Grad die Zielgruppen ihre jeweiligen Interessen, Erfahrungen und Wertevorstellungen einbringen und wieviel Eigenverantwortung sie übernehmen können. Von all diesen Faktoren hängen die Identifikation mit einem Entwicklungshilfeprojekt und damit sein Erfolg ab.13 Dementsprechend definiert die Unesco Armut nicht nur als einen Mangel an Einkommen und Ressourcen. Sie äußerst schen Nachhaltigkeitskodex beschlossen. www.deutscher-nachhaltigkeitskodex. de/de/startseite.html 12 | Die deutsche Bundesregierung hat 2012 den Bundespreis Ecodesign ins Leben gerufen, der seitdem jährlich verliehen wird. Die nominierten und preisgekrönten Projekte reisen anschließend in Form einer Ausstellung durch die Republik. Vgl. www.bundespreis-ecodesign.de/ 13 | Zur nachhaltigen Entwicklungspolitik siehe auch https://www.bmz.de/de/ service/glossar/N/nachhaltige_entwicklung.html

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sich ebenso im beschränkten Zugang zu Bildung und anderen Grundversorgungen sowie dem Mangel an Teilhabe in Entscheidungsfindungen.14 Die genannten Parameter einer erfolgreichen nachhaltigen Entwicklungspolitik – Partizipation, Selbstermächtigung, Eigenverantwortung –, gelten gleichermaßen als Messlatte für ein erfolgreiches nachhaltiges ›soziales‹ Design. Der impliziten Frage: »Wer entscheidet für wen, was und wofür?« korrespondiert die Frage: »Wer gestaltet f ü r wen und m i t wem?« Diese Frage stellte sich bereits Victor Papanek. Er wies nachdrücklich darauf hin, dass die Designer überwiegend für die reichen zehn Prozent der Weltbevölkerung arbeiten würden. Die restlichen 90 Prozent würden als potentielle Nutznießer des klassischen Industriedesigns durch das Raster fallen. Umgekehrt würden die Produkte des Massenkonsums an den tatsächlichen Bedürfnissen dieser 90 Prozent vorbeizielen. Der Kern der Aussage besitzt auch heute, gute 45 Jahre später, noch eine große Relevanz. Tatsächlich bedient Design primär einen Konsumentenmarkt, zum dem ein Großteil der Weltbevölkerung immer noch keinen Zugang hat. Dieser Effekt war und ist immer noch dadurch bedingt, dass der wirtschaftliche Markt die Armen am unteren Ende der Pyramide sowieso nicht im Blick hat(te). Aus Sicht der meisten Ökonomen lässt sich dort auch kein Geld verdienen. Diese Einschätzung führte zu dem bis heute anhaltenden Teufelskreis: Schließt man die Armen von jeglicher marktwirtschaftlicher Entwicklung aus, werden sie immer auf Führsorge angewiesen bleiben.15 14 | Am 1. Januar 2016 traten die von der Unesco verabschiedeten 17 Sustainable Development Goals (SDGs) als Teil der 2030 Agenda for Sustainable Development in Kraft. Das erklärte Ziel bis 2030: alle Formen von Armut zu beenden, Ungleichheit zu bekämpfen und den Klimawandel zu adressieren. Die SDGs knüpfen an den Erfolg der Millennium Development Goals (MDGs)an, deren Agenda 2000 verabschiedet wurde. Obwohl Armut seit den 1990er Jahren drastisch reduziert werden konnte, lebt immer noch ein Fünftel der Menschen in den Schwellenländern mit weniger als 1.25 USD täglich. Außerdem drohen viele Menschen wieder zurück in die Armut zu fallen. Siehe www.un.org/sustainabledevelopment/ sustainable-development-goals/ 15 | Der indisch-amerikanische Ökonom C. K. Prahalad entwickelte das Baseof-the-Pyramid-Konzept (BOP), das von anderen Ökonomen aufgegriffen wurde. BOP begreift die Entwicklungs- und Schwellenländer als neue Absatzmärkte der Zukunft. BOP setzt bei der Ermittlung der Bedürfnisse an und möchte den Wandel

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Die Designer könn(t)en also zu wichtigen Akteuren in und Botschaftern für diese Entwicklungspolitik unter veränderten Vorzeichen werden und ganz wesentlich zu ihrem Erfolg beitragen. Es hängt von der Beantwortung der Frage ab, für oder mit wem man gestaltet und damit vom persönlichen Selbstverständnis von Verantwortung. Es gehört zu den großen Verdiensten des Cooper Hewitt Museums in New York, als eine der ersten Kulturinstitutionen das bislang größte Netzwerk für Social Design Aktivitäten eingerichtet zu haben. Unter dem Titel Design for the other 90 % startete das Museum 2007 ein Projekt mit dem Ziel, durch Ausstellungen, Konferenzen und andere Events die Sensibilität der Außenwelt dafür stärken, dass sozial verantwortliches Design helfen kann, die Probleme der Armen und marginalisierten Teile der Weltbevölkerung zu adressieren und tragfähige, lokale Lösungen zu entwickeln. Gefragt wird nach Akteuren und Protagonisten, deren Projekte auf einer interaktiven Weltkarte erfasst und dadurch transparent gemacht werden. Als Schlüsselbegriffe eines Designs mit sozialem Impact werden diejenigen definiert, die auch für die Entwicklungshilfe zentral sind: »Access, Adapt, Exchange, Include, Prosper, Reveal.«16 Design for the other 90 % ist auf bauend und ernüchternd zugleich. Es zeigt, dass es eine wachsende Zahl von Designern, Sozialunternehmern, NGOs, Hochschulen und anderen Initiativen gibt, die sich durch ihre Projekte für den nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel engagieren. Das Projekt enthüllt aber auch, dass sich die Aktivitäten insgesamt noch auf dem Niveau einer Graswurzelbewegung befinden. Nach wie vor fehlt es an veritablem Engagement der politischen Entscheidungsträger sowie global agierender Unternehmen, die diesen Prozess einer Umsetzung der Ziele nachhaltiger Entwicklungspolitik beschleunigen könnten.17 vom klassischen Spendenmodell der Entwicklungshilfe hin zu einem marktorientierten Ansatz einleiten. BOP ist mit dem Ziel verbunden, einen Beitrag zur Lösung der globalen Armutsproblematik zu leisten. Gerade wegen des rein marktbasierten Ansatzes wurde das BOP-Konzept aber auch stark kritisiert, da es das klassische Wirtschaftsmodell perpetuieren würde. 16 | Vgl. www.designother90.org/solutions/?exhibition=10. Weitere aktuelle Beispiele für sozial engagiertes Design diskutieren Kerber, Krohn, Fezer und Weiland in ihren Beiträgen für diesen Band. 17 | Hieran ändert auch das Commitment vieler Unternehmen zur CRS noch nicht viel, wie dies insbesondere auch die Situation in der Fast Fashion Industrie beweist.

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W erk zeuge Design Thinking gilt inzwischen als einer d e r Schlüssel zum Erfolg bei der Lösung der anstehenden sozialen und ökologischen Probleme. Unternehmensberater haben die der Designprofession inhärente Methodik des Problemerkundens, des Prozessgestaltens, des multidisziplinären Arbeitens, des partizipativen Ansatzes, des lokalen Vernetzens als wertvolles Tool für einen innovativen Wandel in unterschiedlichen Anwendungsbereichen erkannt. Vertreter des Design Thinking setzen die soziale Orientierung allen Designs als selbstverständlich voraus, glauben an die Übertragbarkeit der Methodiken der Produktgestaltung auf die Gestaltung von Dienstleistungen, aus der sich die Gestaltbarkeit sozialer Probleme automatisch wie von selbst ergibt. »How can we harness the passions and talents of designers in our firms to address one of the world’s largest problems?« fragt Tim Brown, CEO von IDEO und kommt zu dem Schluss: »What better way to deal with the health care crisis than to use design?«18 Seit dem Ende der 2000er Jahre häufen sich vor allem im angelsächsischen Raum Studien und Handlungsanweisungen, die sich unter dem Stichwort ›Social-Design-Toolkits‹ subsummieren lassen.19 Sie sind das Resultat eines Prozesses, den Lucy Kimbell als ›social design movement‹ bezeichnet: »In the UK, and globally, we are currently witnessing a ›social design‹ moment. This has emerged from the confluence of several factors including the increasing visibility of strategic design or design thinking, social innovation and entrepreneurship, austerity politics and policy shifts towards open or networked governance.« 20

18 | IDEO: Design for Social Impact. How-to-Guide. Rockefeller Foundation, 2008, S. 2; https://www.ideo.com/images/uploads/news/pdfs/IDEO_RF_Guide.pdf 19 | Vgl. hierzu auch Kimbell, Lucy: Mapping social design. Beyond the toolkit, 2013; http://mappingsocialdesign.org/2013/11/19/mapping-​s ocial-​design-​prac​ tice-​b eyond-​t he-​t ool​k it/ 20 | Armstrong, Leah/Bailey, Jocelyn/Julier, Guy/Kimbell, Lucy: Social Design Futures, HEI Research and the AHRC, Brighton and London: University of Brighton and Victoria and Albert Museum 2014, S. 7; https://mappingsocialdesign.files. wordpress.com/2014/10/social-design-report.pdf

Zwischen Widerstand und Affirmation

Sozial wird hier als Gegenteil von kommerziell und konsumorientiert definiert. Die Toolkits sind das Ergebnis einer breiten Recherche im Bereich sozial orientierter Designaktivitäten. Im Fokus stehen jene Aktivitäten an der Basis, in lokalen Gemeinschaften, die direkt an den Brennpunkten sozialer, ökologischer oder ökonomischer Probleme ansetzen. Diese Projekte und Prozesse sind nicht von oben verordnet, sie entstehen durch unterschiedliche Formen der Eigeninitiative, durch Bürgerinitiativen und -bewegungen, oder auf Anregung bestimmter NGO’s und andere Gemeinschaften. In einer Art Bottom-up-Prozess wird versucht, in den Social-Design-Toolkits diese Erfahrungen, diese Formen von ›Verantwortung übernehmen‹, die spezifischen Arbeitsprozesse, kurz, diese Prototypen des sozialen Gestaltens zu erfassen und in eine Methodik zu überführen. Was ist das Ziel solcher Toolkits? Sie sollen den Entscheidungsträgern in politischen Verwaltungsinstitutionen, im öffentlichen Dienst, ein Instrumentarium an die Hand geben, das sie aus der Sackgasse der anhaltenden Handlungsunfähigkeit herausführt. Die Toolkits sollen dazu beitragen, die verkrusteten Strukturen in den Entscheidungsetagen, und nicht nur dort, aufzubrechen. Sie wollen dazu beitragen, das aus dem Bottom-up-Prozess generierte Erfahrungswissen in einen erfolgreichen Bottom-down-Prozess zu transformieren. Solche Toolkits spiegeln die optimistische Hoffnung wider, dass sich die mit den informellen Bewegungen ursprünglich verbundene Anstiftung zum ›anders Denken und Handeln‹ in den professionalisierten Bereich übertragen ließe. Letztlich erhofft man sich, eine größere Akzeptanz für soziale Designmethoden zu generieren und dadurch auch die nötigen finanziellen Mittel für ihre erfolgreiche Implementierung akquirieren zu können. Trotz aller guten Absichten bleibt jedoch unklar, inwieweit designerische Expertise und Fähigkeiten überhaupt in Toolkits erfasst werden können jenseits einer professionellen Ausbildung oder eines Lernprozesses. Da solche Design-Toolkits für Nicht-Designer gedacht sind, stellt sich auch die Frage, inwieweit sie überhaupt funktionieren können, im Sinne von Veränderung eines zur Disposition stehenden Kontextes.

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P olitik Die Landschaft für Design in Europa hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Es lässt sich eine zunehmende Annäherung von politischen Aktionsplänen an designerische Methoden und Praktiken konstatieren. Vorausgegangen ist ein Prozess, der auch in der Politik zu einem neuen Verständnis von Design geführt hat, das über Produkte und deren Ästhetik hinausreicht. Zwischen 2012 und 2015 investierte die Europäische Union über 26 Millionen Euro in ganz unterschiedliche Designprojekte. Zu diesen gehört auch das SEE Netzwerk (Sharing Experience Europe), dem insgesamt 11 europäische Staaten angehören.21 Ziel dieses Netzwerkes ist es, gemeinsam eine Art Portfolio an Fallstudien und Werkzeugen zu erarbeiten, um dadurch die Bedeutung von Design als Innovationstreiber im öffentlichen Sektor (Regierung, Verwaltung, Vertriebs- und Servicesteuerung, Gesundheits- und Finanzwesen, Unternehmen und Anwendungsbereiche der Wirtschaft) herauszuarbeiten und die Implementierung von Design in die alltäglichen Praktiken des komplexen politischen Alltags zu erleichtern. Ein weiterer Paradigmenwechsel kündigt sich mit dem Action Plan for Design-Driven Innovation an, den die Europäische Union 2013 veröffentlichte.22 Design, in erster Linie Design Thinking, rückt damit offiziell von der Peripherie ins Zentrum der Debatten um innovative Regierungsstrategien. Ziel dieses Plans ist es, den Anteil von designstrategischem Denken und Agieren in den Unternehmen europaweit drastisch zu erhöhen. Design Thinking, zu dessen Kernkompetenzen die Prüfung technologischer Machbarkeit, wirtschaftlicher Tragfähigkeit und nicht zuletzt der ›Erwünschtheit‹ seitens der Bürger gehört, wird als zentrales Werkzeug für den Wissenstransfer genutzt. Eine der wichtigsten Vorgaben lautet dabei: keine vorgefertigten Lösungen! Zukünftig möchte die Europäische Union sogenannte ›Design Skills‹ auch als Baustein des Ausbildungscurriculums für Regierungsberufe etablieren. Kreatives Problemlösen in Zusammenarbeit mit dem Nutzer gehört zu den Stärken des Designers und genau diese Fähigkeiten wer21 | Vgl. www.seeplatform.eu/ 22 | Vgl. http://ec.europa.eu/growth/industry/innovation/policy/design/index_​ en.htm

Zwischen Widerstand und Affirmation

den zukünftig von Politikern immer mehr gebraucht. Auch im Bereich der lokalen Recherche besitzen Designer eine große Expertise, an der es in regierungsnahen Planungsabteilungen häufig mangelt. Dabei sind es aber genau diese Kenntnisse lokaler Kontexte, die für eine erfolgreiche Anwendung von Programmen und deren Einbindung in lokale Gemeinschaften benötigt werden. Design steht außerdem dafür, neue Werte für den Endnutzer zu schaffen und darin liegt ein weiterer Vorteil im Vergleich zu anderen Innovationstreibern. Design soll, so die Vorstellung der Europäischen Union, bis 2020 in die Innovationspolitik integriert werden. Tatsächlich werden immer mehr Designer in regierungsnahen Positionen eingestellt. Design ist also endgültig in der Politik angekommen. Betrachtet man den Aktionsplan, den die Europäische Union als politische Antwort auf die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels präsentiert, genauer, stellt man fest, dass sich hier die klassische Vorstellung von sozialem Wandel fortschreibt: Fortschritt durch Innovation, Wachstum durch Fortschritt, Wohlstand durch Wachstum, Glück und Zufriedenheit durch Wohlstand.

Z ukunf t Die neue Vision sieht also so aus: der Designer als politischer Entscheider, der politische Entscheider als Designer. Damit scheint sich die eingangs zitierte Prognose von Latour endgültig erfüllt zu haben: Alles ist Design! Nun hat sich auch die Politik Design mit all seinen Handlungsfeldern einverleibt. Es entsteht unweigerlich der Eindruck, dass Design Thinking die Politik ersetzen soll. Die Frage ist, ob Politik, ob der Staat, der sich seit den 1970er Jahren immer mehr aus der sozialen Verantwortung zurückgezogen hat, durch diese Strategie automatisch wieder an sozialer Gerechtigkeit gewinnt und an mehr Nachhaltigkeit. Das Problem ist, dass die Politik ihrerseits seit den 1970ern in zunehmendem Maße von der Ökonomie unterminiert wurde. Auch die Kultur ist davon nicht unberührt geblieben. Das offene Bekenntnis zum Leitbild der Creative Industries gilt im Ranking der Städte inzwischen längst als relevanter, in mehrerlei Hinsicht attraktivitätssteigernder Standortfaktor.

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Der »Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion«23 hat längst begonnen mit allen Implikationen alternativer Produktions-, Wirtschaftsund Konsumformen von Do it Yourself, Fabbing, Crowdsourcing, Sharing Economy, Open Source über Social Business, Mikroökonomien, Gemeinwohlökonomie oder Prosuming, um nur die wichtigsten Begriffe in diesem komplexen System einer möglichen Postwachstumsgesellschaft zu benennen. Die Frage ist nur, ob es diese prototypischen Formen einer neuen, nachhaltigeren Gesellschaft aus dem Stadium der Graswurzelbewegung ins Parlament schaffen. Für Mathias Greffrath bleiben »alle Überlegungen zur ›Postwachstumsgesellschaft‹, alle Pioniertaten […] Übungen in Vergeblichkeit, wenn sie nicht mit einer Politisierung der ökologischen Aktivisten und einer Instandsetzung der politischen Institutionen einhergehen […] es gibt nicht nur einen Peak Oil, einen Peak Soil, einen Peak Water, es gibt auch einen Peak Democracy.« 24

Auch Chandran KP Nair, Gründer und Leiter des Global Institute for Tomorrow, fordert: »Wir brauchen eine ganz andere Diskussion über die Welt, in der wir leben. Und wir müssen die Darstellungsweise entlarven, die die Nachhaltigkeitsdebatte stark vereinfacht hat. Doch die Vorstellung, dass Unternehmen bei der Umkehr hin zur Nachhaltigkeit führend sein könnten, ist ein Widerspruch in sich. […] bei der Nachhaltigkeit geht es im Wesentlichen darum, wie wir mit dem Allgemeinwohl im Interesse unseres Wohlstandes umgehen. Und das Gemeinwohl gehört nicht zu den Aufgaben der Unternehmen. Es kann nur Aufgabe des Staates sein. […] wir dürfen Regierungen, der öffentlichen Ordnung und den Mitgliedern der Zivilgesellschaft – die Teil der staatlichen Institutionen sind – nicht erlauben, ihre Verantwortung abzugeben.« 25

23 | Vgl. hierzu Friebe, Holm/Ramge, Thomas: Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion, Frankfurt a. M.: Campus Verlag 2008. 24 | Greffrath Mathias: »Wider die globale Unvernunft«, in: Atlas der Globalisierung. Weniger wird mehr, Berlin: Le Monde diplomatique/taz Verlags- und Vertriebs GmbH 2015, S. 11–13, hier S. 13. 25 | Nair, Chandran KP: »Nachhaltige Entwicklung – Einschränkungen, Verzicht und die Rolle des Staates«, in: Michael Otto Stiftung (Hg.), Innen hui, aussen pfui?

Zwischen Widerstand und Affirmation

Fazit: Eines wird bei der hier knapp skizzierten, zunehmenden Verzahnung von Design und Politik deutlich: Der Spielraum für Verantwortung wird sich für die Designer gewaltig erweitern. Gleichzeitig fällt den Designern dadurch eine ungeahnte Macht in den Schoß: Die Frage ist nun, wie sie beides nutzen: affirmativ oder widerständig? Dies zieht wiederum die Frage nach sich, inwieweit der Beruf des Designers eigentlich definiert und geschützt ist, und wie sich die Ausbildung für Designer zukünftig gestalten wird. Die Notwendigkeit, eine verbindliche Agenda des sozialen Designs schärfer zu profilieren und als zentralen Part einer ›design driven innovation‹ zu etablieren, erscheint dringlicher denn je.26

Ein Symposium über deutsches Nachhaltigkeitsstreben in globaler Betrachtung, Hamburg 2013, S. 26–33, hier S. 27. 26 | Da der Beruf des Designers nicht geschützt ist, wäre es sicherlich sinnvoll darüber nachzudenken, einen Kodex oder eine Form von Berufsordnung einzuführen, ähnlich wie bei den Medizinern, Juristen oder Architekten.

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Design als soziales Phänomen Wider das funktionalistische Paradigma Marc Rölli

In der verworrenen Diskurslandschaft der Architektur-, Design- und Kunsttheorie geistert als eine gleichsam feste Größe ein merkwürdiges Gebilde umher: der so genannte ›Funktionalismus‹. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein wahres Sammelsurium unterschiedlichster Vorstellungen, die in strategischer Absicht in eine bestimmte Einheit gebracht werden. Diese kann zur historischen Abgrenzung herangezogen werden  – oder als Repräsentation des Richtigen bzw. Falschen (in Architektur, Design, Kunst) Verwendung finden. Ein wichtiger Problemknoten liegt dabei in der Verbindung eines durch den Deutschen Werkbund oder durch das Bauhaus propagierten neusachlichen ›Zweckstils‹ mit allgemeineren Tendenzen industriekapitalistischer Produktionsweise. An diesem Punkt offenbart sich die Haltlosigkeit des funktionalistischen Paradigmas mitsamt seines strategischen Gebrauchs. Dies erkennt man nicht nur an den ästhetischen Implikationen der Ablehnung von Historismus und Jugendstil  – in der Architekturgeschichte von Sullivan bis Gropius. Und auch nicht nur in den Diskussionen um die ›Krise des Funktionalismus‹, wie sie zum Beispiel an der Hochschule für Gestaltung Ulm von Max Bill oder Abraham Moles geführt wurden.1 Im Kern liegt schon in der üblichen Auffassung des Funktionalen selbst ein Problem, das wiederum seine eigene Geschichte hat. An diesem Problem zerschellt der Funktionalismus; die in seinem Begriff mehr schlecht als recht zusammengefassten Bedeutungen fallen auseinander. Mit der analytischen Revision des Funktionalismus, die im Folgenden unternommen wird, kann sich zugleich die Beschreibung der histori1 | Vgl. Bill, Max: Funktion und Funktionalismus. Schriften 1945–1988, Zürich: benteli 2008.

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schen (Gegenwart und Zukunft mitbestimmenden) Phänomene ändern. Wäre dies nicht der Fall, wäre die Umarbeitung rein theoretisch und damit weitgehend ohne Sinn. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Keineswegs löst das aktuell im Trend liegende ›Social Design‹ das ältere funktionalistische Paradigma ab. Es ist eher so, dass die theoretische Inkonsistenz des diskursiv-strategischen Gebildes ›Funktionalismus‹ noch in den gegenwärtigen Auffassungen des ›Social Design‹ nachwirkt. Aus meiner Sicht verhält es sich tatsächlich so, dass erst mittels einer detaillierten Kenntnis der gesellschaftlichen Situierung ein angemessenes Verständnis funktionaler Relationen entwickelt werden kann. Das muss nicht heißen, dass z. B. ökologische Zusammenhänge eine wesentliche Funktionalität definieren. Es kann aber sein, dass die schematische Rationalität des Planungshandelns mit einer diffusen und vielschichtigen Praxis konfrontiert wird, die sich nicht nur schwer kontrollieren lässt, sondern permanent Mittel und Zwecke vertauscht oder in dynamische Transformationsprozesse (der Aneignung und Umnutzung von Gebäuden oder Design) versetzt. In diesem Sinne wäre das üblicherweise als funktional bezeichnete Design immer auch ein bestimmtes soziales Design, das sich mit der empirischen Frage verbinden lässt, inwiefern es funktioniert bzw. funktioniert hat.

I. Funktionalismus im engeren Sinne steht in der Regel für ein rationales Design, das historisch mit der industriellen Massenproduktion entsteht. Sein rationaler Kern liegt in seinem Bezug auf die ›soziale Frage‹, indem Wohnungen, Gebrauchsgegenstände und Konsumgüter durch Verwendung neuer Materialien und Fertigungstechniken  – bei gleichzeitigem Verzicht auf ältere kunstgewerbliche Traditionen  – kostengünstig für eine rasch anwachsende Bevölkerung vor allem in den großen Städten gebaut und produziert werden. ›Funktional‹ bedeutet in diesem Kontext, dass zweckmäßige Dinge auf zweckmäßige Weise hergestellt werden. Zweckmäßig sind die Dinge, wenn sie menschliche Bedürfnisse befriedigen bzw. eine entsprechende Nachfrage bedienen; zweckmäßig hergestellt sind sie dagegen, wenn sie wirtschaftlichen Kriterien genügen, die Produktionskosten niedrig halten, geeignete Materialien verwenden etc. Funktionale Zweckmäßigkeit ist dabei relativ auf unterschiedlich begrün-

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dete Zwecksetzungen. Sie ist nicht eindeutig objektivierbar. Es ist daher auch wenig erstaunlich, dass die im Bauhaus propagierte Verbindung von Kunst, Handwerk und Industrie bzw. Technik in diesem engeren Sinne Funktionalität reklamiert. Und es ist ebenfalls gut nachvollziehbar, dass die im Bauhaus entworfenen Möbel etc. (von ihren Kritikern) nicht immer als besonders funktional angesehen worden sind. An dieser Stelle lässt sich noch hinzufügen, dass die Rede vom Funktionalismus als Stilbezeichnung in der Architektur- und Designgeschichte auf wirkungsmächtige Tendenzen in zwei anderen Bereichen bezogen ist. Zum einen entwickelt sich um 1900 ein kulturwissenschaftlicher Funktionalismus, der die Ethnografie revolutioniert und in der Soziologie produktiv verarbeitet wird.2 Zum anderen verdrängt zur selben Zeit in Logik und Wissenschaftstheorie der mathematische Funktionsbegriff die älteren an den Begriff der Substanz gebundenen philosophischen Konzeptionen.3 Hier wie dort transportiert der Funktionsbegriff Bedeutungen einer modernen Lebensweise z. B. relationaler Strukturverhältnisse, die traditionellen Ballast (wie Nationalismus, Kolonialismus, lineare Kausalität, elitäre Metaphysik und Kulturpessimismus) abwerfen. Der enger gefasste Begriff des Funktionalismus verbindet sich mit einem weiter gefassten Verständnis, indem seine noch unbestimmten Aspekte in einem spekulativen Bezugsrahmen konkretisiert werden. Damit ist gesagt, dass die unterschiedlichen Vorstellungen von Zweckmäßigkeit (des Gebrauchs und der Herstellung der Dinge bzw. von konkurrierenden Zwecksetzungen) im Namen eines scheinbar umfassenden Theorieentwurfs zusammengeführt werden. Sehr plakativ wird in diesem Kontext von der ›kapitalistischen Logik‹ des Funktionalismus gesprochen. Diese 2 | Vgl. Malinowski, Bronislav: Argonauts of the Western Pacific. An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea, New York: E. P. Dutton & Co 1922. Nach Malinowski liegt der funktionale Wert einer kulturellen Institution darin, ein grundlegendes menschliches Bedürfnis zu befriedigen. Eine sozialtheoretische Ausarbeitung des funktionalistischen Ansatzes findet sich z. B. bei Parsons, Talcott: The Structure of Social Action, New York: The Free Press 1937. 3 | Vgl. Cassirer, Ernst: Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, Berlin: Verlag Bruno Cassirer 1910. In seiner Kulturphilosophie spricht Cassirer dann von den Ausdrucks-, Darstellungsund Bedeutungsfunktionen symbolischer Formen.

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Einschätzung beruht im Kern auf einem Missverständnis, das Funktionalität in einem spezifischen Sinne als »pragmatischen« oder »instrumentellen« Mechanismus deutet.4 Im Hintergrund dieser exemplarischen Fehldeutung steht die strikte Opposition instrumenteller und kritischer Rationalität, die sich in den Gegensatz technischer (systemischer) und kommunikativer Rationalität verlängert. Dieses Denken in Begriffspaaren tradiert eine ältere, auf Kants praktische Philosophie zurückführende Unterscheidung von zweckrationalem und selbstzweckhaftem (oder moralischem) Handeln. Im Grunde geht es hier darum, funktionales Design zu problematisieren, indem es einer ökonomisch auf Profite ausgerichteten Zweckrationalität zugeordnet wird, die keine übergeordneten Vernunftideale (als eigentliche Zwecke des Menschseins) anerkennen kann. In diesem Sinne versündigt sich der auf funktionale Zusammenhänge bezogene Intellekt am Geist. Er kollaboriert mit Industrie und Technik, akzeptiert die Verhältnisse der Arbeitsteilung und der Massenproduktion und gerät in den Sog eines Fortschritts um des Fortschritts willen. Seine Ablehnung des Ornaments führt zur Etablierung einer Formensprache, die aus der industriellen Produktionsweise heraus generiert wird – und sich zuletzt den Konsumerwartungen eines durch Werbung manipulierten Bewusstseins unterzuordnen scheint. Mit diesen (aus dem Kulturpessimismus des frühen 20. Jahrhunderts stammenden) Klischees wird der Funktionalismus mitsamt der sog. ›instrumentellen Rationalität‹ als eine Verfallserscheinung analysiert, sofern sie den normativen Wertvorstellungen (wie der Idee der Freiheit) nicht genügt, die im selbstzweckhaften Handeln als bestimmend gelten.

II. Was aber haben diese Überlegungen zum Funktionalismus mit dem Thema Social Design zu tun? Aus meiner Sicht: eine ganze Menge. Es gibt derzeit wenigstens drei unterschiedliche Auffassungen, was Social Design überhaupt ist. Erstens bezeichnet der Begriff eine planungsideologische Sichtweise, Gesellschaft auf dem Reißbrett zu entwerfen. Für sie ist die Annahme einer intentionalistischen Gestaltungskompetenz 4 | Vgl. Horkheimer, Max: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1967 [1947].

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unvermeidlich, die sich  – z. B. durch den Städtebau (und allgemeiner durch politische Gestaltungsmacht)  – auf die objektiven Lebensverhältnisse direkt bezieht. Man könnte, historisch betrachtet, von einer sozialtechnischen Haltung der modernen Architektur sprechen, die ihre Aufgabe darin sieht, der Gesellschaft eine (neue) Ordnung zu geben.5 Die im doppelten Sinne als funktionalistisch wahrgenommene Ausrichtung eines derartig beschaffenen Gesellschaftsdesigns ruft (im Zuge seines Scheiterns auf verschiedenen Ebenen: z. B. der Entstehung von Satelliten- oder Trabantenstädten) die Kritik auf den Plan. Mit dieser Kritik, die die funktionalen Maßstäbe von Architektur und Gestaltung mit den ökonomischen Erfordernissen kapitalistischer Strukturen gleichsetzt, formiert sich zweitens ein anderes Social Design. Seine emphatische Auffassung des Sozialen betont nunmehr genau die semantischen Linien, die in Ausdrücken wie ›soziale Verantwortung‹ oder ›soziale Arbeit‹ anklingen. Mit dem Begriff des Sozialen werden Dinge in den Vordergrund gestellt, die häufig einer Kehrseite des wirtschaftlichen und kulturellen ›Imperialismus‹ zugeordnet werden. Gegenwärtig werden Projekte in der Entwicklungshilfe ebenso wie ›barrierefreies‹ Bauen als Social Design bezeichnet. Überspitzt formuliert, setzt sich dieses Social Design aktuell mit Phänomenen des Dysfunktionalen auseinander, indem es Mittel und Wege sucht, die gestörte Funktionalität wiederherzustellen oder Ungleichheiten auszugleichen, Exkludiertes zu inkludieren. Dabei geht es oftmals ganz nüchtern um die Erschließung neuer Märkte – in vernachlässigten, aber als entwicklungsfähig angesehenen Bereichen. Aus meiner Sicht sind auf der Theorieebene die geeigneten normativen Evaluationskriterien (von gutem und schlechtem Design) nicht zu ermitteln, solange man sich im Rahmen des funktionalistischen Paradigmas bewegt (auf den genannten ersten beiden Bedeutungsachsen von Social Design). Ein von diesem abgesetztes drittes Verständnis von Social Design stellte gerade die handlungstheoretischen Grundlagen in Frage, die immer wieder herangezogen werden, um kommerziell erfolgreiches Design zu legitimieren oder auch zu diskreditieren. 5 | Vgl. Delitz, Heike: Architektursoziologie, Bielefeld: transcript 2009, S. 7–11. Parallel zum neuen »Bauwillen« der modernen Architektur (Le Corbusier, Gropius etc.) entwickelt sich in der Soziologie (z. B. der Leipziger Schule Hans Freyers) ein »wirklichkeitswissenschaftliches« Planungs- und Ordnungskonzept, das sich bis auf die (kulturellen) Dimensionen des objektiven Geistes bezieht.

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III. Seit einiger Zeit hat sich in der Soziologie im Anschluss an Anthony Giddens, Pierre Bourdieu, Michel de Certeau u. a. ein sog. ›practice turn‹ vollzogen, der die älteren gesellschaftstheoretischen Ansätze korrigiert, die sich noch in den traditionellen Dichotomien der Handlungstheorie orientieren. Der Sinn des Handelns liegt demnach weniger in subjektiven Absichten oder objektiven Strukturen als vielmehr in Praxiszusammenhängen, die durch implizites Wissen, epistemische Ordnungen, Materialität, Körperlichkeit, Kontingenz, Techniken und Medien charakterisiert sind. Die traditionelle Präferenz von Zweckrationalität oder Zweckorientierung wird hier beiseite geschoben. Ein Beispiel für einen neuartigen soziologischen Entwurf, mit dem zugleich und drittens ein neuartiges Verständnis von Social Design möglich wird, liefert Bruno Latour mit seiner Übertragung der Akteur-Netzwerk-Theorie auf den Designbereich. In seine Zeitdiagnose der kulturellen Relevanz des Designs, unabänderliche Tatsachen (matters of fact) in uns angehende Dinge (matters of concern) zu verwandeln, gehen zwei unterschiedliche Tendenzen ein. Zunächst absorbiert das Design das »ganze« Ding, sofern es sich nicht auf der Seite der schönen Form (oder symbolischer Signifikanz) und im Gegensatz zur Funktion unterbringen lässt. Daher ist es »in zunehmendem Maße für das eigentliche Wesen der Produktion von Bedeutung«.6 Mit diesem Aspekt verbindet sich eine Erweiterung des Designbegriffs, sofern mit ihm auf eine Revision des Objekts und damit gleichzeitig auf eine Revision unseres Verständnisses von ›Machen‹ und ›Handeln‹ verwiesen wird. Für Latour liegt in der Konsequenz der technogenen Hybridisierung unserer Lebens- und Arbeitswelten die an uns gestellte Anforderung, überhaupt alle Dinge und Gegebenheiten einem potentiellen Redesign auszusetzen. Zur Kennzeichnung dieses gegenwärtig ablaufenden Transformationsprozesses (von Tatsachen zu Dingen) erläutert er einige Konnotationen des Designbegriffs. Ihre Rekonstruktion ermöglicht den Entwurf eines weiterführenden Social Designs. Im Design liegt Latour zufolge zunächst eine bescheidene Handlungsweise, die sich vom Bauen und Konstruieren abhebt, sofern es nichts 6 | Latour, Bruno: »Ein vorsichtiger Prometheus«, in Jongen, M./Tuinen, S. van/ Hemelsoe K. (Hg.), Die Vermessung des Ungeheuren. Philosophie nach Peter Sloterdijk, München: Wilhelm Fink Verlag 2009, S. 356–373, hier S. 357.

Design als soziales Phänomen

Grundlegendes beansprucht, sondern auf bestehende Zusammenhänge zurückgreift, die modifiziert, variiert, in einigen Hinsichten (aber nicht von Grund auf) verändert werden. Es zeichnet Designprozesse aus, dass sie nicht radikal mit der Vergangenheit brechen, sondern mit bereits in Handwerk, Kunst und Engineering erlernbaren Fertigkeiten umgehen. Dinge, die im Design hervorgebracht werden, haben in aller Regel einen hermeneutischen Charakter. »Wo immer man an etwas als designt denkt, bringt man alle Werkzeuge, Kenntnisse und Kunstfertigkeiten der Interpretation in die Analyse dieses Dings ein.« 7 Damit werden sie als Versammlungen heterogener Akteure begreif bar. Sie sind nicht als Tatsachen gegeben, sondern inkorporieren Bedeutung, sofern sie unterschiedlich wahrgenommen, vorgestellt oder auch verwendet werden können. Artefakte bestehen aus Schrift, sie manifestieren einen Plan.8 Beginnen Designprozesse nie bei Null, dann bedeutet »designen […] immer redesignen«, etwas aufgreifen, das in einer problematischen Hinsicht verändert wird. Durch diese Nachträglichkeit opponiert das Design gegen den Schöpfungsbegriff, gegen die Kreation aus dem Nichts – oder allgemeiner: gegen einen traditionellen Handlungsbegriff, der sich am Beherrschen, an vernünftiger Transparenz, Kontrolle und Zielsetzung orientiert. Auch die traditionelle Unterscheidung von Fakten und Werten wird im Designbereich außer Kraft gesetzt, sofern gutes und schlechtes Design unterscheidbar sind. Während sich Tatsachen per definitionem jeglichem normativen Urteil entziehen, provozieren die Dinge des Designs die Frage nach gut und schlecht. Mit der extensionalen Erweiterung des Designbegriffs verbindet sich, dass nicht nur bestimmte Gebrauchsgegenstände und Konsumgüter, sondern nahezu alles laufend redesignt werden muss: Städte, Landschaften, Gesellschaften, aber auch Gene, Gehirne und Chips. An diesem Punkt wird das Social Design (oder die Dimensionen einer Dingpolitik) sichtbar, das sich aus einer Akteur-Netzwerk-Perspektive ergibt. Schließlich verweist die normative Fragestellung auf einen gesellschaftlichen Zusammenhang, der in die Designprozesse intrinsisch einfließt, sofern es zahlreiche Verknüpfungen unterschiedlichster Akteure gibt, die im Design eine Rolle spielen. In der Publikation 7 | Ebd., S. 360. 8 | »Wenn nahezu jede Eigenschaft digitalisierter Artefakte in Code und Software ›geschrieben‹ ist, braucht man sich nicht zu wundern, dass die Hermeneutik tiefer und tiefer in die Definition der Materialität eingedrungen ist.« Ebd., S. 360.

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Eigenlogik des Designs wurde diese singuläre Vernetzung sozialer Praktiken in verschiedenen Feldern des Designs zum Thema der Forschung gemacht.9

9 | Vgl. Buurman, Gerhard M./Rölli, Marc (Hg.): Eigenlogik des Designs, Zürich: Niggli 2016.

Design und die Sichtbarkeit möglicher Zukünfte Nicolas Beuker

G estalten für eine lebenswerte W elt Es ist ein Wesenszug des Designs, dass es die soziokulturelle Wirkung des Neuen in Entwürfen antizipiert und mitgestaltet. Spätestens seit Lucius Burckhardt in seinem fordernden Aufsatz Design ist unsichtbar darauf aufmerksam machte, dass Design »Gesamtsysteme, bestehend aus Objekten und zwischenmenschlichen Beziehungen, bewußt zu berücksichtigen imstande ist«1, gehört es zu einem kritischen Designverständnis, dass Design weit mehr erzeugt als Formgebung. Design kann und sollte gesellschaftlich wirken. Erstaunlicherweise wurde in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Disziplin Design kaum dafür in Anspruch genommen. Vor allem wirkte Design als Instrument zur Umsatzsteigerung, als Marken bildende Profession und als wichtige Inspiration für Produktinnovationen. Designverbände und Designzentren vermarkteten Designkompetenz als entscheidenden Motor für Differenzierung und Innovation und damit für kommerziellen Erfolg. Doch die Diskussion über die Rolle von Design bei der Erzeugung gesellschaftlichen Mehrwerts nimmt erfreulicher Weise wieder zu. Der einflussreiche Autor und Meinungsführer in designbezogenen Nachhaltigkeitsfragen John Thackara mahnt, dass wir eine Welt entwerfen müssen, die wieder mehr auf Menschen statt auf Dinge setzt. Das von ihm favorisierte Design baut auf co-kreative Bottom-up-Prozesse. Dafür müssen

1 | Vgl. Burckhardt, Lucius: Design ist unsichtbar. Österreichisches Institut für visuelle Gestaltung. Wien: Löcker Verlag 1981, S. 13–20.

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wir neue Beziehungen ausbilden und Menschen, die die Dinge entwickeln, mit denjenigen zusammenführen, die sie nutzen.2 Sommer und Welzer gehen sogar noch einen Schritt weiter: Nach ihnen hat Design »nicht mehr die Aufgabe, unablässig hinzukommende Dinge zu gestalten, sondern jene Dinge, die man nicht braucht, aus der Welt zu schaffen.«3 In der von ihnen geforderten reduktiven Kultur konzentrieren sich Designer auf die Umgestaltung des Vorhandenen. Um agieren zu können (oder zu dürfen), müssen sie zunächst demokratisch die Bedingungen für das ›gute Leben‹ aushandeln. In diesem Sinne ist Design eine Disziplin, die Lebenswelten gestaltet, sie entscheidet politisch und muss den Dialog im Kontext suchen. Designerinnen und Designer im gesellschaftlichen Wandel übernehmen Verantwortung im Entwerfen möglicher Zukünfte und brauchen dafür eine Haltung, die sich den sozialen Anliegen der Gesellschaft verpflichtet. Mit Bruce Mau müssen sie sich fragen »Now that we can do anything, what will we do?« und einsehen, dass es nicht mehr um die Welt Designs, sondern um das Design der Welt geht.4 Diese Haltung ist die Grundlage für Social Design: Dem sozialen Design geht es stets um eine lebenswertere Zukunft.

O p timismus aus P rofession Warum gerade Design? Lässt sich wirklich von dieser Disziplin, deren praktische Akteure eher dafür bekannt sind, Nabelschau zu betreiben, erwarten, dass sie Lösungen für die Gesellschaft von morgen entwickelt? Aus der Perspektive eines sozial denkenden Designers lautet die Antwort selbstverständlich: »Ja, unbedingt.« Und diese Antwort soll nicht ein weiteres Anzeichen für die Hybris sein, die zugegebener Maßen einigen Designern zu eigen ist. Vielmehr entspringt sie dem designeigenen Optimismus – und dieser ist für gesellschaftliche Veränderungen zwingend notwendig. 2 | Vgl. Thackara, John: In the Bubble. Designing in a Complex World. Cambrige, Massachusetts/London, England, MIT Press 2005. 3 | Vgl. Sommer, Bernd/Welzer, Harald: Transformationsdesign – Wege in eine zukunftsfähige Moderne. München, oekom 2014, S. 119. 4 | Mau, Bruce/Leonard, Jennifer/Institute without Boundaries: Massive Change. London/New York: Phaidon Press 2004.

Design und die Sichtbarkeit möglicher Zukünf te

Wie Bruce Mau gezeigt hat, haben viele der Probleme von heute ihren Ursprung in den Innovationen von gestern.5 Technik, Wirtschaft und Gesellschaft haben gezeigt, wie Ziele angestrebt und erreicht werden können. Ihre Zuversicht in Design als Lösungskompetenz besteht darin, dass dies auch dann gelingen wird, wenn sich die Ausgangsfragen verändern. Designdenken und designerisches Handeln fokussieren Gelegenheiten und Möglichkeiten, statt Hindernisse und Risiken zu sehen. Im Design liegt daher die Hoffnung Möglichkeiten besserer Zukünfte aufzuzeigen.6 Seit der begrifflichen Etablierung des Design Thinking wird dem Design zunehmend eine Prozesskompetenz zugetraut, um bösartige bzw. unscharfe Probleme zu bewältigen. Empathie, Kontextverständnis, Entdecken von Möglichkeiten, Ideenreichtum und Modellhaftigkeit sowie kontinuierliche Iteration als wesentliche Prozessbausteine tragen dazu bei, unscharfe Probleme zu rahmen und besser fassbar werden zu lassen. In Herausforderungen mit bösartigen Problemen nutzt das Design die Variantenvielfalt dazu, Fragestellungen zu schärfen und damit das Problem besser zu beschreiben. Der designerische Antrieb, Neues zu finden und das disziplinimmanente Selbstvertrauen zwischen Logik und Intuition zu oszillieren, führt schon im frühen Entwurfsstadium zu ersten Deutungen und Referenzen, auf die man sich erneut stützen kann. Hierbei geht es nicht um Wahrheit, sondern um Angemessenheit und deren Argumentation.7 Auf dieser Grundlage lassen sich vielfältigere und weitreichendere Aufgaben bearbeiten als sie üblicher Weise dem Design zugetragen wurden. Nicht alle Aufgaben sind sozialer Art, aber nur mit empathieverdichtenden Methoden und unmittelbarem Kontextbezug lässt sich sozial gestalten, weshalb Design Thinking zum klassischen Methodenrepertoire sozialen Designs gehört.

5 | Ebd. 6 | Vgl. Berger, Warren: GLIMMER. How design can transform your business, your life, and maybe even the world, London: Random House Books 2009. 7 | Vgl. Brown, Tim: Change by design – how design thinking transforms organizations and inspires innovation, New York: Harper Collins Publ. 2009; Cross, Nigel: Wickled Problems, in: Rotman – The Magazine of the Rotman School of Management: University of Toronto, 2009. S. 83–85.

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Von der P roduktinnovation zur K ontext transformation Wenn wir mit Sommer und Welzer 8 davon ausgehen, dass es weniger um die Entwicklung neuer Produkte, als um den Umgang mit dem Vorhandenen geht, wenn Transformation vor allem darauf auf baut, Kontexte zu verstehen und gemäß einem ausgehandelten Gemeinschaftswillen neu auszuprägen, dann muss Design eine Übersetzungsfunktion einnehmen. Es geht darum, Bedürfnisse von Anspruchsgruppen in einem komplexen Zusammenspiel sinnvoll zu arrangieren. Designer extrahieren Kontextwissen und interpretieren dieses gemeinsam (co-kreativ) mit denjenigen, für die sie Lösungen ersinnen. Sie selbst sind seltenst Experten des Kontextes, immer aber die Experten für das Entdecken von Möglichkeiten. Entsprechend bleibt es in einem gesellschaftlich orientierten Designprozess auch lange Zeit offen, ob Produkte, Kommunikationsformen oder vielleicht Dienstleistungen oder soziale Angebote die beste Lösung bieten. Erst nachdem die Bedingungen analysiert und bestimmt sind, werden die notwendigen gestalterischen Experten eingebracht, seien dies Kommunikationsdesigner, Interface-Designer oder Experience-Designer, Produktdesigner oder Architekten. Während von einem marktorientierten Design häufig die radikale Innovation erhofft wird, das Neue, das einen baldigen Marktvorteil in Aussicht stellt, geht es in vielen Fragen der Gestaltung für die Gesellschaft eher um inkrementelle und behutsame Veränderungen im Bestehenden. Denn oft haben sogar gerade kleine Aktionen entscheidenden Einfluss auf das große Ganze. »The beauty of the metaphor of tipping points is that in a context of complex systems and constant change, even small actions can have a powerful, transformative effect on the bigger picture.«9 Den tipping point herbeizuführen bedeutet, Momente möglichen Wandels zu erzeugen, die eine Anschlussfähigkeit sicherstellen. Dafür braucht es niederschwellige Einladungen zur Teilhabe und Mitgestaltung. Diese müssen als Stufen zur Iteration, als Innehalten für Reflexion und Erkenntnis frühzeitig mitgedacht werden. Der tipping point führt erst dann zur Wende, wenn ihn möglichst viele akzeptieren. Teilhabe wird daher zum neuen Schlüsselwort, das im Design der Transformationsgesellschaft eine besondere Rolle spielen wird. Nicht nur muss es von Designern als wichtige 8 | Vgl. B. Sommer/H. Welzer: Transformationsdesign. 9 | J. Thackara: In the Bubble, S. 96.

Design und die Sichtbarkeit möglicher Zukünf te

Vokabel erlernt und verinnerlicht werden, Teilhabe muss vor allem gelebt werden. Designer werden sich als Autoren zurücknehmen und partizipativ in co-kreativen Prozessen gestalten lernen. Sie werden zukünftig häufiger ihre Entwürfe in Aushandlungsprozessen mit den betroffenen Anspruchsgruppen und nicht nur mit Auftraggebern diskutieren. Dazu braucht es nicht nur Dialogbereitschaft und Empathie, sondern die Bereitschaft, sich vertrauensvoll auf Augenhöhe zu begegnen. Erst so gelangen wir zu Situationen, in denen alle Akteure die Wirkung von Wendepunkten bewusst mitgestalten können.

D esign macht sichtbar Immer wenn wir »Gesamtsysteme, bestehend aus Objekten und zwischenmenschlichen Beziehungen« gestalten, müssen wir diejenigen, deren Beziehungen zu Objekten oder anderen Individuen oder Gruppen wir gestalten wollen, an Entwürfen möglicher Zukünfte teilhaben lassen. Es mag paradox klingen, doch gerade für das von Lucius Burkhardt beschriebene unsichtbare Design brauchen wir Möglichkeiten der Sichtbarkeit im Designprozess. Dafür muss das Mögliche und Zukünftige so auf bereitet werden, dass andere es beobachten und beurteilen können. Die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny schreibt dazu: »Eine der Schwierigkeiten in der Beschreibung der Übergänge […], auf der das Neue als Neuerung seine Wirkung entfaltet, besteht darin, dass das zunächst Unsichtbare sichtbar gemacht werden muss. […] Das Sichtbarmachen der Ergebnisse ist unabdingbar dafür, dass das Neue von anderen aufgegriffen, verwendet, angeeignet und verändert werden kann. Es ist Voraussetzung dafür, dass auch die soziale Ordnung kreativ tätig werden kann.«10

Einmal mehr werden Designer in die Verantwortung genommen, als Übersetzer zu agieren. Im frühen Stadium des Entwurfsprozesses nutzen Designer ihre »externen Repräsentationen«11, um mit sich selbst in Dia10 | Nowotny, Helga: Unersättliche Neugier – Innovation in einer fragilen Zukunft, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2005, S. 119 f. 11 | Vgl. Cross, Nigel: Design thinking – understanding how designers think and work, Oxford/New York: Berg 2011.

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log zu treten. Anhand ihrer Skizzen und Modelle überprüfen sie die zu planende Situation im Status der Ideenfindung. Sie vergewissern sich, ob und wieweit ihre Entwürfe zu einer Verbesserung der Situation beitragen können, sie entwickeln Vielfalt und stellen Varianten gegenüber. Bis hierhin erscheint der Designprozess noch etwas mysteriös und das Designdenken und -handeln für den Laien schwer zugänglich. Sobald aber die ersten Vorentscheidungen durch die Designer getroffen wurden, obliegt es ihnen, Repräsentationen zu liefern, die andere in die Lage versetzen, die Qualität der Entwürfe und der zu ihnen führenden Gedankengänge nachzuvollziehen. Die Darstellungsform oder, mit Notwotny gesprochen, die Beschreibung der Übergänge muss entsprechend der Dialogpartner angepasst werden. Danach geht es darum, gemeinsam auszuloten, welcher der Ansätze der vielversprechendste ist und den aktuellen Stand der Erkenntnis am besten berücksichtigt. Dafür haben sich die im DesignThinking-Prozess erprobten Formen des improvisierten Prototyping bewährt. Sie erzeugen niederschwellige und realitätsnahe Repräsentationen, mit denen Anspruchsgruppen aller Art beteiligt werden können.12 Für den städtebaulichen Kontext zeigte die Entwurfspraxis von Gehl Architects in den letzten Jahren beeindruckend, wie auch räumliche Prototypen im Feldversuch Erkenntnisse hervorbringen und Entscheidungen erleichtern. So wurde zur Überprüfung fußgängergerechterer Nutzungen der Times Square in New York temporär für den Verkehr gesperrt und möbliert. Nachdem man lernte, welche Qualitäten sich im Gebrauch bewährten, wurden diese langfristig verstetigt.13 Die Aufgabe für ein soziales Design besteht zukünftig immer mehr darin, Darstellungen zu entwickeln, die die möglichen Zukünfte für die jeweiligen Anspruchsgruppen zugänglich, erfahrbar und bewertbar machen. Denn Kontexttransformationen gelingen dann am besten, wenn sie möglichst viele Lebens-Experten aus dem Gestaltungskontext integrieren und langfristig zu Mitgestaltern ausbilden. Designkompetenz wird damit immer mehr zu einer visuellen Übersetzungskompetenz und visual sensemaking zu einem unentbehrlichen Werkzeug.14 12 | Vgl. T. Brown: Change by Design. 13 | Vgl. Gehl, Jan/Svarre, Birgitte: How to study public life, Washington DC: Island Press 2013. 14 | Vgl. Pastor, Elisabeth: The OTHER Design Thinking, Design Thinking Conference 2013, Toronto 2013.

Design und die Sichtbarkeit möglicher Zukünf te

S ocial D esign als S ocial B usiness Mit diesem Wissen und diesen Werkzeugen im Gepäck hat Social Design auch eine wirtschaftliche Zukunft. Wie jede Designunternehmung muss auch soziales Design nachhaltig konzipiert sein und sich als wirtschaftlich tragfähig behaupten. Dass hier Philanthropie nicht das Gegenteil von Wirtschaftlichkeit bedeutet, zeigen die von Muhammad Yunus aufgestellten Kriterien und Pilotprojekte für Social Business.15 Die darin liegende Zukunft für Design wurde bereits ausführlich auf der von Yunus’ Grameen Creative Lab initiierten Tagung Design for Social Business diskutiert.16 Wenn Ezio Manzini17 in seinem insgesamt profunden und lesenswerten Buch feststellt, Social Design sei maßgeblich altruistisch motiviert, auf karitative Projekte bezogen, die keinerlei Lobby für ein Anliegen finden und damit angewiesen auf finanzielle Zuwendungen Dritter, wohingegen Design for Social Innovation auf einer ökonomischen Basis steht, vergleichbar jedem anderen Design-Business, dann sind dies unnötige Wortklaubereien. Vielmehr sollte dem sich allmählich begrifflich etablierten Social Design Wirtschaftlichkeit und unternehmerisches Denken zugemutet werden. Quersubventioniertes Design kann keine Perspektive für den Wandel gesellschaftlicher Anliegen in entwickelten Ländern sein. Auch wenn manche Projekte für gesellschaftliche Transformationen erst durch Stiftungen angestoßen werden können, eine resiliente Transformationskultur entsteht erst dann, wenn sie unabhängig von ihren stimulierenden Quellen gespeist wird.

15 | Yunus, Muhammad: Social Business. Von der Vision zur Tat. München: Hanser 2010. 16 | Vgl. Faust, Jürgen/Auricchio, Valentina (Hg): Design for Social Business – setting the stage. Milan: Lupetti Editori di Communicazione 2011. 17 | Manzini, Ezio: Design, When Everybody Designs – An Introduction to Design for Social Innovation. Cambridge, Massachusetts/London, England: MIT Press 2015, S. 64 f.

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»Eigentlich sollten wir nicht mehr über Social Design sprechen.«1 Esther Cleven

An der Design Academy Eindhoven wurde im Jahre 2010 ein Master Department Social Design eingerichtet. Zehn Jahre zuvor, ab 1999, hatte Trendwatcher und Modeguru Li Edelkoort eine neue, bis heute einzigartige Ausrichtung der inzwischen international renommierten Designschule eingeleitet. Unter dem Motto »Man and …« stand dort nunmehr der Nutzer von Design im Zentrum der Ausbildung. Der klassischen Einteilung der Ausbildung nach Gestaltungsbereichen, wie Grafik, Produkt, Textil etc., wurde abgedankt. Im Zentrum standen nun Anwendungsbereiche oder, so man will, Lebensräume, in deren Rahmen Design genutzt, angewandt oder angeeignet werden würde: in der Freizeit oder bei der beruflichen oder spielerischen Tätigkeit, bei der Entwicklung von Identität oder Wohlbefinden, bei der Ernährung oder in der Kommunikation mit anderen oder unterwegs, mobil. Die entwurfsorientierte Ausbildung, in deren Kern es um die Entwicklung von spezialisierten Kenntnissen und Fertigkeiten ging, wurde auf den Kopf gestellt und in interdisziplinäre, mehr oder weniger soziologische Programmbereiche überführt.2 1 | Jan Boelen im Gespräch am 3. Juli 2015 während der Konferenz Designing Society, Digital Bauhaus Summit 3, Weimar, 3. und 4. Juli 2015, www.digitalbauhaus​ summit.de/ 2 | Vgl. hierzu Kiesewetter, Rebekka: »Der Erfolg des Designprinzips Eindhoven«, in: Neue Zürcher Zeitung vom 7.6.2009, www.nzz.ch/der-erfolg-des-designprin​ zips-eindhoven-1.2688780/ vom 15.8.2015; Schouwenberg, Louise/Staal, Gert (Hg.): House of Concepts. Design Academy Eindhoven, Amsterdam: Frame Publishers 2008; Treffingen, Stephen: »A School for New Dutch Masters«, in: The New

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Nachdem diese Orientierung am Menschen und dem Leben mit Design zehn Jahre erfolgreich erprobt worden war, lag die Einführung des Masters Social Design im Sinne eines gesellschaftsbezogenen Ausbildungsprogramms hier vielleicht mehr als andernorts auf der Hand. Das Programm des neuen zweijährigen Masterstudienganges legte fest, dass die Social Design Ausbildung an aktuelle, gesellschaftliche Entwicklungen und an »menschliche Bedürfnisse sowie Triebfedern« anzuknüpfen habe.3 In der Werbebroschüre der Ausbildung heißt es 2014 jedoch schon wieder: »There is no such thing as social design!«4 Und im Sommer desselben Jahres äußerte Studienleiter Jan Boelen die im Titel zitierte Sorge, dass man wohlmöglich besser daran täte, nicht mehr über Social Design zu sprechen.5 Hintergrund ist sicherlich der enorme Erfolg des Themas. Es gibt ja inzwischen zahlreiche Publikationen, Tagungen, Ausstellungen, Ausbildungen, Preise, Projekte und Produkte, die den Begriff öffentlich machen, für sich beanspruchen und prägen. Das Social Design ist im Laufe der wenigen Jahre, in denen sich dieser Anglizismus in den Sprachgebrauch eingebürgert hat, zu einem Containerbegriff geworden: genauso nebulös und dehnbar, wie beispielsweise der Begriff der Nachhaltigkeit, und genauso selbstverständlich kommerziell oder politisch instrumentalisierbar. Die Versuche, die Praxis des Social Design über diese definitorische Durststrecke hinwegzuretten und dessen Herabsetzung zur Modeerscheinung entgegenzutreten, geraten oft polemisch, von der Hoffnung getrieben, die Kerngedanken und Ideale des Social Design durch ÜberzeichYork Times vom 2.10.2003, www.nytimes.com/2003/10/02/garden/a-schoolfor-new-dutch-masters.html/ vom 15.8.2015. 3 | Jan Boelen in: de Vries, Arjo: Masters Design Academy Eindhoven. Een kritische dialoog (Opzet Rapport Masters, Accreditation Masteropleiding Vormgeving), Januari 2011, S. 4. www.designacademy.nl/Portals/corporate/accreditation/. Publizierte Version: de Vries, Arjo: Master Course Design Academy Eindhoven. A Critical Dialogue, January 2012, www.designacademy.nl/About/Downloads/(Self) Reflection/ 4 | Design Academy Eindhoven: Master Programmes Contextual Design, Social Design, Information Design, Design Curating and Writing, Informationsbroschüre 2014, https://www.designacademy.nl/Portals/0/www/study/DAE_A5_091014.pdf, S. 5. 5 | Vgl. Anm. 1.

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nung zu erhalten. So sind zum Beispiel die Abgrenzung vom Produkt- und Industriedesign, der Anspruch auf gesellschaftliche Wirksamkeit oder der Anti-Kapitalismus zentrale Motive solcher Polemiken. Dahinter stehen weitereichende Zusammenhänge, deren Wurzeln in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückreichen und die das Verständnis von Design insgesamt berühren. Der vorliegende Text referiert einige Gedankengänge über das Social Design aus der angelsächsische Designforschung, deren Beitrag zum aktuellen Diskurs im deutschen Sprachraum bisher etwas unterrepräsentiert ist. Ziel ist es, Perspektiven auf die Entwicklungen der letzten fünfzig Jahre zu erschließen, die den aktuellen Diskurs über das Social Design aus dem Paradigma des engagierten Designs der 1960er und 1970er Jahre lösen und es stärker mit der jüngeren Designgeschichte verknüpfen.

D esign und die F olgen Objektdesign Eines der auffälligsten Leitgedanken im Feld des Social Design ist die Abkehr vom Produkt- oder auch Industriedesign. Auch Boelen ist da 2011 sehr entschlossen. Nicht das Ding an sich stehe im Zentrum, sondern die Beziehung der Dinge untereinander und zu größeren Systemen, »der Wandel der Beziehungen zwischen Menschen, Objekten und gesellschaftlichen Phänomenen und deren Wechselwirkungen.«6 Die Gestaltung richte sich vor allem darauf, was ein Gegenstand auslöse und wie er unser Verhalten beeinflusse. Die Analyse dieser Systeme sei der Ausgangspunkt und letztendlich auch immer Teil des mehr oder weniger konzeptuellen Ergebnisses.7 Social Design setzt somit mehr auf den Prozess und dessen Vermittlung, als auf eine Gestaltungspraxis, deren Endergebnis ein einzelnes Objekt ist. Die explizite Abwendung vom Design als Objektgestaltung erklärt sich in Eindhoven zum Teil aus der Geschichte der Schule selbst. Die Arbeiten der Studenten machten seit der Jahrhundertwende international 6 | J. Boelen in: de Vries, Masters Design, S. 4. 7 | Ebd, S. 13.

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von sich reden, ihre Graduation Shows, ihre erfolgreichen Auftritte beim Salone del Mobile in Mailand und die dazugehörigen Kataloge profilierten ein erfrischend neues Bild des Dutch Design. Die Akademie machte aus dem Concept Design der 1990er, von Droog und anderen, einen wahren Exportschlager. Am Anfang des 21. Jahrhunderts kamen die internationalen Studenten dann speziell nach Eindhoven, um »Dutch Design zu lernen«. Doch dafür waren, so fand man um 2010, die Bachelor Studiengänge »nun einmal viel besser« geeignet.8 Die Design Academy Eindhoven entschied sich, den Masterprogrammen ein ganz eigenes Gesicht zu geben, das sich von den produktbezogenen Formaten der erfolgreichen Bacherlorausbildung unterscheiden sollte. So gesehen scheint der Bruch mit der Objektgestaltung ein Phänomen der jüngsten Zeit. Allerdings reflektiert die Hervorhebung der Bedeutung von Prozessen und von Vermittlungsaspekten Diskurse, die tatsächlich schon die Designtheorie seit den 1960er Jahren prägten. Damals wurde die bis dahin gebräuchliche »philosophische, ästhetisch-moralische Sorge hinsichtlich der Schönheit und der Wahrheit [von Designgegenständen] von einer eher praktischen Sorge um die Wirkungen und Konsequenzen von Produkten abgelöst«, schreibt der britische Designhistoriker Nigel Whiteley 1999.9 Seit fünfzig Jahren ist es zwar immer noch »wichtig wie etwas aussieht«, aber »was das Ding auslöst«, ist eben noch wichtiger geworden.10

Designmoral Whiteley beschreibt in seinem hier zitierten Essay einen historischen Lernprozess, in dem Designer sich der ethischen Frage durchaus schon in früheren Zeiten gestellt hätten, ihr allerdings mit jeweils anderen Ansätzen zu Leibe gegangen seien. So habe selbst die auf die Form fokussierten Gestalter der Moderne durchaus der Wille umgetrieben, gesellschaftlich Gutes zu tun. Im 19. Jahrhundert hätte das Engagement für die Verbesserung der sozialen Umstände noch den konkreten Folgen 8 | Louise Schouwenberg in: ebd. (wie Anm. 3 u. 6), S. 18. 9 | Whiteley, Nigel: »Utility, design principles and the ethical tradition«, in: Judy Attfield, Utility Reassessed. The Role of Ethics in the Practice of Design, Manchester: Manchester University Press 1999, S. 190–202, hier S. 198. 10 | J. Boelen in: de Vries, Masters Design, S. 13.

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der industriellen Massenproduktion für die Arbeiter und die Qualität der Formprodukte gegolten. In der Moderne des 20. Jahrhunderts sei dann mit Begriffen wie Klarheit, Sparsamkeit oder Ehrlichkeit die »Integrität des Objekts« in das Feld geführt worden. Schönheit nach den Maßstäben der Moderne garantierte gewissermaßen einen ethisch hohen Standard, der tugendhafte Gestalter übertrug seine Integrität auf die Gestalt des Objekts und implizit auch auf die damit »schön und gut« ausgestatte Gesellschaft. Den 1960ern schreibt Whiteley schließlich einen Verlust dieser höheren Prinzipien zu.11 Designmoral sei damit zu einer persönlichen Frage geworden, in der die eigenen Wertvorstellungen gegen die Wirkungen und Konsequenzen des Designs in der Gesellschaft abgewogen werden mussten. In den Sixties, als die wachsende Konsumkultur und ihre Scheinwelt mit den zunehmend sichtbaren, internationalen Missständen und Brandherden in Widerspruch geriet, begann das Fach also Fragen zu stellen. »In Übereinstimmung mit einem wachsenden Teil der Bevölkerung«, proklamierte 1964 zum Beispiel das First Things First Manifesto einer Gruppe von Grafikdesignern, »haben wir einen Sättigungspunkt erreicht, an dem das laute Gebrüll der Werbetrommeln des Konsumgütervertriebs nur noch schierer Lärm ist. Wir denken, dass es Dinge gibt, auf die es sich mehr lohnt unsere Fähigkeiten und unsere Erfahrung anzuwenden.«12 So wie Vance Packard schon einige Jahre zuvor die Bereitschaft in Politik, Wirtschaft und Werbung kritisch hinterfragt hatte, die Gefühle und das Verhalten der Konsumenten mit verborgenen Strategien zu beeinflussen, so wurden bald auch die Verführungskünste des Designs selbst verdächtig.13 Daneben gerieten die sozialen und ökologischen Folgen der industriellen Produktionsprozesse und der Materialverwendung (als Ressourcen-Verschwendung) in das Blickfeld. Dementsprechend kann Whiteley in seinem Buch Design for Society dann die Entwicklung des Ökodesigns (Green Design) ab der Mitte der 1970er skizzieren.14 Weiterhin zeigt er auf, dass die revolutionären Sechziger auch eine Politisierung des De11 | N. Whiteley, Utility, design principles, S. 193–196. 12 | Vgl. Garland, Ken: First things First Manifesto, 1964. Eine Abbildung findet sich unter: www.designishistory.com/1960/first-things-first/ vom 12.1.2016. 13 | Vgl. Packard, Vance: The Hidden Persuaders, New York: McKay 1957. 14 | Vgl. Whiteley, Nigel: Design for Society, London: Reaktion Books 1993.

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signs im breiteren Sinne bedeuteten.15 Diese Unterscheidung ist subtil: das Green Design hat eher die Produktion im Blick und sucht die negativen Folgen für die Umwelt zu reduzieren, das politisierte Design stößt sich dahingegen viel grundsätzlicher an der Überflussgesellschaft und der instrumentellen Rolle, die das Design darin innehat: Der gesamte industrielle Produktionsapparat und dessen Verschwendungssucht werden für die Entwicklung verantwortlich gemacht, die die Gesellschaft als Konsumgesellschaft machte.16

Design Activism Im Jahr nach der Finanzkrise von 2008 kann Alastair Fuad-Luke der Verführung nicht widerstehen, beide Traditionen als Vorläufer aktueller engagierter Designbewegungen zusammenzuführen. Nachhaltige Gestaltung erscheint in seinem Buch mit dem Titel Design Activism gleichwertig neben Designbewegungen der Moderne und Designpraktiken, die den aktivistischen Strategien der politischen Bürgerbewegung nahestehen.17 Doch in seinem Enthusiasmus für die Methoden des neuen Design Activism verunglimpft er am Ende das gesamte gesellschaftskritische Design des 20. Jahrhunderts. Pauschalisierend zieht er ein geläufiges Argument heran, wenn er urteilt, die kritischen Designer würden bisher eigentlich nur miteinander, aber nicht mit dem breiten Publikum sprechen. Und wenn man sich dann doch der Wirklichkeit zugewandt habe, dann seien die Konsumkritik oder die alternativen ökologischen Ansätze schnell verpufft und von der dominanten Konsumkultur zügig absorbiert und kommerzialisiert worden.18 Er resümiert: »Während Design als starke kommunikative Kraft anerkannt wird, ist es ihm nicht gelungen, die Gesellschaft von den eigenen sozialen und umweltpolitischen Ambitionen zu überzeugen.« Design Aktivisten müssten jetzt alles gleichzeitig ins Auge fassen, »die Rettung der Gesellschaft, der Umwelt und der Zukunft des Designs.« Er prägt den Begriff des »öko-effektiven Designs«, der ökologische und politische Ziele in einer wirksamen Strategie vereint: damit 15 | Ebd., S. 94–133. 16 | Ebd., S. 94–95. 17 | Vgl. Fuad-Luke, Alastair: Design Activism. Beautiful Strangeness for a Sustainable World, London: Earthscan 2009, S. 33–50. 18 | Ebd., S. 48–49.

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sei nun endlich ein signifikanter Wandel des individuellen wie des kollektiven Verhaltens möglich.19 Ganz im Geist der Krise sah Fuad-Luke im Design Activism das Huhn, das goldene Eier legt, doch seine Argumentation macht klar, was hier zur Debatte steht: die gesellschaftliche Verortung des Designs sowie die Wirksamkeit seiner Strategien. Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, einen Abstecher in die Geschichte des Designs im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu machen.

D esign und D esign Die Rolle des Designers Ann Thorpe, Theoretikerin des nachhaltigen Designs, die den gegenwärtigen Design Activism ebenfalls unterstützt, stört sich inhaltlich an den Argumenten mit denen Fuad-Luke die Vorläufer vom Tisch fegt. So gehe er über den grundsätzlichen Zwiespalt, den Designer in ihrer Praxis erfahren, hinweg: die potentiell immer konkurrierenden Rollen von Designern als »Bürger Aktivisten« auf der einen Seite und als »professionelle Experten« auf der anderen Seite. Die introvertierte Haltung des Designs und die weniger publikumswirksamen, konzeptuellen Arbeiten, an denen Fuad-Luke sich so stört, haben in Thorpes Augen offenbar eine wichtige Funktion: »Ich vermute, dass die Rolle des professionellen Designexperten zum Teil erklärt, warum sie nur ›miteinander sprechen‹, wenn sie versuchen, die Designkultur in die Richtung sozial nützlicher Zwecke zu verändern.«20 Tatsächlich geht es bei dieser unterschiedlichen Einschätzung um mehr. Als die Designer in den 1960ern begannen, den Wirkungszusammenhängen ihrer Produkte nachzuspüren, hinterfragten sie die Existenzbedingungen und damit die Aufgaben ihres Metiers fundamental. Und insofern Moral eine persönliche Frage ist, berührte diese Reflexion zugleich die pragmatische als auch die politische Selbstbestimmung der 19 | Ebd., S. 49–50. 20 | Vgl. Thorpe, Ann: »Book review: Design Activism – Beautiful Strangeness for a Sustainable World«, in: Designactivism Blog vom 16.03.2010, http://design​ activism.net/archives/227 vom 12.1.2016.

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Schaffenden. Seither bedeutet die kritische Reflexion der Rolle, die Designer in einer mehr und mehr von kommerziellen und individuellen Interessen geprägten Gesellschaft spielen, immer auch die Überprüfung der professionellen Position und Strategien des Fachs. Im Zwiegespräch handeln Designer ihre Professionalität jeweils neu mit den von ihnen angestrebten, verantwortungsbewussten Zwecken aus. Die kritische Selbstreflexion ist so gesehen auch ganz einfach ein Indiz für die Professionalität des Fachs und ein Gespräch mit Kollegen über die Qualität der aktuellen professionellen Haltungen und Praktiken. Das impliziert allerdings eine gewisse Wandelbarkeit und Vielfalt des Designbegriffs.

Design im Wandel In Designtheorie, -kritik und -geschichte wird oft mit einem statischen oder gar dogmatischen Designbegriff hantiert, der bestimmte Qualitätskriterien transportiert und selbstverständlich auch Auffassungen über die richtigen oder eben falschen Strategien gesellschaftskritischen Designs prägt. Der Designhistoriker und -theoretiker Guy Julier hat sich mit seinem erstmals im Jahr 2000 erschienen Buch The Culture of Design genau dieses Problems angenommen.21 Er bemüht das Bild des »Coming of Age«, also des Mündig- bzw. Erwachsenwerdens, und reflektiert Design als heranreifende, wachsende, expandierende und veränderliche Praxis: »Weil Design sich rasant entwickelt, seine professionelle Struktur reorganisiert, in neue Anwendungsgebiete einsteigt, Neuerungen in die Beziehungen mit Auftraggebern und Nutzern einbringt, in neue ideologische Strukturen eingebunden wird, oder seine Ziele insgesamt verändert, wird die Unveränderlichkeit der analytischen Herangehensweise immer unangemessener.« 22

Die Veränderungen des Designs hängen mit dem Wandel der Umstände zusammen, in denen Design entwickelt, zirkuliert und benutzt würde. Julier schließt sich der verbreiteten sozialwissenschaftlichen Beobach21 | Julier, Guy: The Culture of Design, London: Sage, 2000, 2008 (2. überarbeitete Auflage), 2014 (3. überarbeitete Auflage). 22 | Ebd. (2008), S. 16.

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tung an, dass sich die fordistisch, also durch das Technikmodell geprägte Wirtschaft seit den 1970ern verändert habe. Im »Disorganized Capitalism« wurde nicht nur die Produktion von der Standardisierung auf Umlaufschnelligkeit umgestellt, sondern sollten auch Arbeits- und Organisationsstrukturen zunehmend flexibel und kommunikativ eingerichtet werden.23 Dementsprechend konnte die Designbranche, so Julier, in den 1980er Jahren ein enormes Wachstum verzeichnen, was auch das Repertoire der Designpraktiken von der Gestaltung von Objekten und Produktionsprozessen auf das Design komplexer Systeme und interdisziplinäre Prozessgestaltung erweitert hat. Denn die wirtschaftlichen Veränderungen und die Individualisierung förderten die Konkurrenz und beschleunigten den Warenumschlag. Um Konsumenten, die inzwischen aktiv, kritisch und erlebnisorientierter wurden, weiterhin binden zu können, waren Unternehmen auf kreative und strategische Berater angewiesen. Neben Werbeagenturen etablierten sich Designberatungsfirmen, in denen Designer in interdisziplinären Teams arbeiten. Die Dienstleistungsgesellschaft beförderte das Service Design, und im Rahmen der Managementtheorie hat sich das Modell des Design Thinking etabliert.24

Design in der Gesellschaft Juliers umfassende Auseinandersetzung mit dem Design der Jahre zwischen 1980 und 2000, die er inzwischen bis in die Gegenwart aktualisiert hat, geht auf eine Unzufriedenheit mit der geläufigen Designtheorie und -geschichte zurück: nämlich ihrer unvollständigen Darstellung des Design im Gewebe der gesellschaftlichen Realität.25 In den 1970er Jahren wurden zwar, unter Einfluss der »History from below«, im Rahmen 23 | Ebd. (2014), S. 40–42; Julier, Guy: »From Design Culture to Design Activism«, in: Design and Culture 2: Design Activism Special Issue, 5 (2013), S. 215–236, hier S. 220. Julier verweist vor allem auf Offe, Claus: Disorganized Capitalism. Contemporary Transformations of Work and Politics, Studies in Contemporary German Social Thought, Cambridge Massachusetts/London England: MIT Press 1985 sowie auf Lash, Scott/Urry, John: The End of Organized Capitalism, Cambridge: Polity 1987. 24 | G. Julier, Culture of Design (2014), S. 33–40 und S. 61–64. 25 | Ebd. S. xii.

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der Alltagsgeschichte und der Material Culture Studies endlich auch Gebrauchs- und Aneignungsaspekte von Design aufgespürt und beschrieben. John Walker führte dafür 1989 das »Produktions-Konsumtions-Modell« ein, das es möglich machen sollte, »die logischen Beziehungen und Verbindungen zwischen den verschiedenen Elementen [Entwurfsprozess, Herstellungsprozess, Absatz und Vertrieb, Konsum und Nutzung] deutlich« darzustellen.26 Jonathan Woodham resümiert: »Der Fokus der Designgeschichte hat sich ziemlich dramatisch von der kulturellen Hochebene, wo hauptsächlich individuelle Designer, Stil und ästhetische Bedeutung berücksichtigt wurden, auf die Struktur/Textur des Alltags verlegt, in der die Rolle und das Verhalten von Konsumenten und Nutzern viel stärker betont wird.« 27

Julier stellt jedoch fest, dass die Perspektive auf das Design trotzdem weiterhin auf Möbel, Graphik und ähnliche Gebrauchsgegenstände des Alltags enggeführt wurde. Darum macht er andere Bereiche der gestalteten Umwelt, wie etwa die »Inszenierung von Freizeitzentren, spezifischen urbanen Ballungsräume oder online-Computerspielen, die Einrichtung von unternehmensinternen Trainingsprogrammen und Netzwerk-Veranstaltungen oder das Design von Einkaufserlebnissen, die einen eben großen Teil der Konsumwelt beanspruchen«, zum Thema seines Buches.28 Weiterhin fehlt Julier in den geläufigen Analysen ein Instrument, das die konkrete Rückkoppelung zwischen dem Entwurfsprozess und den diversen Konsumerfahrungen und -urteilen beschreibt, vor allem auch in Hinblick auf Bedeutungen und Werte, die damit hin und vor allem auch zurück transportiert werden. Also entwickelt er das Konzept der »Cultures 26 | Walker, John A.: Design History and the History of Design, London: Pluto Press, 1989. Deutsch: Walker, John A., Designgeschichte. Perspektiven einer wissenschaftlichen Disziplin, München: scaneg 1992, S. 86–91. 27 | Jonathan M. Woodham: Twentiest Century Design, Oxford/New York: Oxford University Press 1997, S. 7. 28 | G. Julier, Culture of Design (2014), S. xii. Vgl. auch Julier, Guy/Narotzky, Viviana: The Redundancy of Design History, Paper at Practically Speaking Conference, Wolverhampton University: December 1998, www.designculture.info/reviews/re​ viewintro.htm vom 15.8.2015.

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of Design«: »Netzwerke und Wechselwirkungen, die die Produktion und Konsumtion der künstlichen, sowohl materiellen als auch immateriellen Umwelt konfigurieren. [Das Konzept] liegt an der Schnittstelle zwischen Objekt und individuellem Nutzer, aber es bezieht auch komplexere Austauschsysteme mit ein.«29 Julier besteht darauf, dass ein Designprodukt keinesfalls isoliert betrachtet werden dürfe, im Gegenteil, seine »Bedeutung, Funktion und sein Wert hängen von einem komplexen Flickwerk anderer Artefakte und Menschen ab.«30 Dahinter liegt eine dynamische und relationale Vorstellung der Konsumtion, die sich gegen eine Ineinssetzung von Konsum und Passivität ausspricht.

S ocial D esign Gesellschaft im Wandel Wenn man das Modell der Design Cultures überspitzt auslegt, hat die Designbranche durch ihr Wachstum, ihre Proliferation und ihre Fragmentierung in den letzten Jahrzehnten zumindest gelernt, das Feedback von Konsumenten in ihre Arbeitsprozesse zu integrieren. Demzufolge habe sich die Ästhetik von der Produktion und der Ästhetik eines Objekts oder eines Ensembles von Objekten auf das Design an sich als ästhetische Aktivität und als Erzeugung von Erfahrung verlegt, so Johan Redström.31 John Thakara schrieb schon 1988 in der Einleitung zu der Essaysammlung Design after Modernism: »Design befasst sich nicht länger mit individuellen Produkten, sondern mit ganzen Systemen, es geht weniger um Expertenlösungen als um kollektive Teilnahme.«32 Im Zentrum dieser Entwicklung stehe, so denkt auch Mathew Holt, die stetige Verwandlung der westlichen Wirtschaft in den Post-Industrialismus. Der Kompetenzbereich des Designs habe sich deshalb dramatisch erweitert. Design sei nun interaktiv und partizipativ, genauso in Dienstleistungen 29 | G. Julier, Culture of Design (2014), S. xiii. 30 | Ebd., S. 14. 31 | Redström, Johan: »Towards user design? On the shift from object to user as the subject of design«, in: Design Studies 2, 27 (2006), S. 123–139. 32 | Thackara, John: Design after Modernism. Beyond the Object, London: Thames and Hudson, 1988, S. 7

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und Systemen verortet wie in der Fabrikation und korrespondiere oft mit der immateriellen Natur von Information und Kommunikation.33 Mehrere Aufsätze neueren Datums widmet Julier der Darstellung zeitgenössischer Strategien des engagierten Designs, die »viele der Vorstellungen, die man im Mainstream der Design Culture vorfindet«, übernähmen und recycelten.34 Er sieht also eine längere Tradition, die bis in die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zurückreicht, und die heute weiterbearbeitet würde. In diesem Zusammenhang betont er, wie tiefgehend sich die Gesellschaft in den letzten vierzig Jahren verändert habe.35 Und tatsächlich ist es inzwischen ja Konsens, dass das Modell des Wohlfahrtsstaates in den 1970er Jahren unter Druck geriet, während das wirtschaftliche Wachstum stagnierte und sich die konservative Politik aufmachte, den Sozialstaat auf lange Sicht rigoros abzubauen. Weithin diskutiert und analysiert ist auch die Einsicht, dass sich die Gesellschaft nicht mehr als zusammenhängendes Ganzes beschreiben lässt, seit ihre Diversifikation in den 1980ern unausweichlich wurde.36 Diese Entwicklungen haben auf Mikroniveau selbstverständlich auch Folgen für die Einschätzung der Wirkung von Design, die uns hier interessiert.

»Consumers of the world unite!« Bezeichnend ist etwa das Phänomen Ethical Consuming, das heute weit verbreitet ist und auf das Whiteley zum Abschluss seines Buches Design for Society eingeht: Indem Konsumenten Produkte von verantwortungslos operierenden Unternehmen boykottieren und insofern den Unternehmen ja am Gewinn gelegen sei, »können […] Konsumenten eine Firma dazu bringen ihre Produkte, vielleicht sogar ihre Unternehmenspolitik zugunsten ziviler, sozialer oder ökologischer Probleme anzupassen«. 1993 ist Whiteley so begeistert über die potentielle Wirkmacht vereinter Konsumentenkräfte, dass er aus dem Aufruf »Proletarier aller Länder, 33 | Holt, Mathew: »Transformation of the Aesthetic. Art as Participatory Design«, in: Design and Culture 2, 7 (2015), S. 143–165. 34 | G. Julier, Design Culture to Activism, S. 229 und S. 232. 35 | Ebd., S. 220–227. 36 | Vgl. zum Beispiel Schmidt, Siegfried J./Spiess, Brigitte: Die Kommerzialisierung der Kommunikation. Fernsehwerbung und sozialer Wandel 1956 – 1989, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, S. 329–333.

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vereinigt euch« die Variante »Konsumenten aller Länder, vereinigt euch« bildet.37 Für ihn ist Ethical Consuming »die meist versprechende Manifestation partizipativer Demokratie der letzten Jahre«.38 Whiteley realisiert 1993 noch nicht, dass Ethical Consuming, wie das spielerische Bootlegging oder die kritischen Adbusters, auf einen folgenreichen Wandel in der Medien- und Kommunikationswirtschaft hindeuten. Als Konsumgüter ihren Zauber zu verlieren begannen, wurde klar, dass die »Zeiten des Massen-Marketing vorbei sind, und zwar ebenso unwiderruflich wie die Zeiten der standardisierten Massenproduktion.«39 Gleichzeitig wurde das Konsumentenbild auf den Kopf gestellt. Die Kommunikationstheoretiker Schmidt und Spieß halten dazu 1996 fest, dass in der Werbebranche und insbesondere im Branding die Einsicht heimisch wird, Marken könnten noch so gut konstruiert sein, am Ende seien die »Werte einer Marke nicht mehr und nicht weniger als das, was der Konsument dafür hält.« Schließlich reibt die Kommerzialisierung der Medien die Bindung der Rezipienten an bestimmte Kanäle auf und die Einführung der Interaktivität führt vor Augen, dass »der Nutzer bestimmt, welche Information er zur Kenntnis nehmen will«.40 Von nun an ist die Rede von »Prosumenten« und von »steigenden Wünschen der Verbraucher nach Mitwirkung«.41 In schönster Soziologenprosa schließen Schmidt und Spieß: »Linear entworfene Zielprojektionen und Interventionsabsichten scheitern an Selbstorganisationstendenzen und Partizipationsansprüchen sowie am Grundprinzip der Individualisierung der Systemmitglieder.«42 Die genannten soziokulturellen Parameter, wie eben Selbstorganisationstendenzen, Partizipationsansprüche und Individualisierung der Zivilgesellschaft, sind nun schon seit etwa 20 Jahren eine Herausforderung für alle Interessengruppen der Meinungsund Willensbildung und auch für die Designer, die ihre Verantwortung für gesellschaftliche, ökologische oder politische Fragen übernehmen wol37 | N. Whiteley, Design for Society, S. 126. 38 | Ebd., S. 131. 39 | S. J. Schmidt/B. Spieß, Kommerzialisierung, S. 26. 40 | Ebd. S. 27 f. und S. 258 f., vgl. auch Kabel, Peter: »Das Fernsehen wird zur Bäckerblume«, in: Horizont. Zeitung für Marketing, Werbung und Medien 13 vom 1.4.1994. 41 | S. J. Schmidt/B. Spieß, Kommerzialisierung, S. 27 und S. 78. 42 | Ebd., S. 349.

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len. Das, was wir momentan Social Design nennen, versucht im Grunde genau diese Entwicklungen im Sinne einer ethisch guten Gestaltung produktiv zu machen. Wir begegnen hier einer weiteren Kehrtwende im Design und damit auch in der Designethik. Wie wir bei Whiteley gesehen haben, hatte sich die Moralfrage im 20. Jahrhundert seiner Ansicht nach vom Objekt auf die Evaluierung der Konsequenzen und Wirkungen von Produkten verlagert. Dementsprechend standen von den 1960er bis zu den 1980er Jahren ganz besonders die Folgen der industriellen Produktion und das Verhältnis von Design zur Konsum- und Mediengesellschaft im Fokus. Nun, unter den Vorzeichen einer aktiven Konsumtion, sind Designer und Verbraucher gemeinsam daran beteiligt, was Design auslöst. »Ich glaube«, fügt der Philosoph Peter-Paul Verbeek dem hinzu, »dies sollte eine zentrale Idee des Social Design sein: der Designer sollte sich über die Beschaffenheit der Wirkung des Gegenstandes auf Menschen und Gesellschaft bewusst sein« und Beteiligung mitdenken, aber das Ergebnis offen lassen.43

»There is no such thing as society« (Margaret Thatcher, 1987) 44 Viele Autoren, die sich zum Thema Social Design äußern, sind an dem Etikett und einer fixen Definition nicht interessiert. Der Begriff erfasse eher eine breite Bewegung verwandter Praktiken (Social Design neben Design Activism, Community Design, Partizipatory Design, Critical Design etc.), die sich noch verändern oder in etwas anderes übergehen werden.45 Julier und andere, in die Fachausbildung involvierte Designtheoretiker, verstehen es inzwischen als ein Forschungsprogramm.46 Auch das eingangs zitierte, neue Motto des Masters an der Design Academy 43 | Bruinsma, Max/van Zijl, Ida (Hg.): Design for the Good Society. Utrecht Manifest 2005 – 2015, Rotterdam: nai010 publishers 2015, S. 130. 44 | Keay, Douglas: Interview Margaret Thatcher, in: Women’s Own Magazine vom 31.10.1987, S. 8–10. Transcript des Interviews: www.margaretthatcher.org/docu​ ment/106689 vom 13.12.2015. 45 | G. Julier, Design Culture to Activism, S. 226; Julier, Guy: »On the Politics of Social Design Research and Practice«, in: M. Bruinsma/I. van Zijl, Design Good Society, S. 154–160, hier S. 154 f. 46 | Armstrong, Leah/Bailey, Jocelyn/Julier, Guy/Kimbell, Lucy: Social Design Futures. HEI Research and the AHRC, Brighton and London: University of Brighton

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Eindhoven, »There is no such thing as social design!«, verteidigt letzten Endes den verkennenden, ende-offenen Status dieser Tendenz im zeitgenössischen Design.47 Die krisenhafte wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der letzten Jahre hat in der Designwelt das Bedürfnis, konstruktiv zu einer Verbesserung der allgemeinen sowie konkreter Situationen beizutragen, (wieder) aktiviert. Die Frage »What Design can do« 48 hat das Fach jedoch auch damit konfrontiert, welche ihrer Strategien inzwischen überhaupt noch wirklich effektiv sind. Der Ansatz des Social Design bringt dabei ans Licht, was sich im Kontext des Designs in den letzten fünfzig Jahren alles verändert hat: der wirtschaftliche, soziale und ökologische Zustand der Welt, aber auch, so habe ich hier aufzuzeigen versucht, die Definition des Sozialen und die Einsicht in das Maß, in dem gesellschaftliche Prozesse und Werte überhaupt beeinflussbar sind, und schließlich der Designbegriff selbst, der sich über die Produktgestaltung hinaus auf den Entwurf von Prozessen und Interaktionen erweitert hat. Mit dem Leitbild des Social Design ist dementsprechend eine dreifache Reflexion der Wirksamkeit von Design verbunden. Erstens gibt es eine konkrete und anwendbare Ebene, die sich den (weltweit) akuten Krisen im Bereich des Sozialen, der Gesundheitssorge und auch der öffentlichen Verwaltung zuwendet. Hier knüpft man an die Tradition von Victor Papaneks Design for the Real World an, nach der sich verantwortungsvolle Designer jenen Produkt- und Zielgruppen zuwenden sollten, die bis dato von der freien Marktwirtschaft vernachlässigt wurden.49 Und man widmet sich den Schwierigkeiten des seit den 1980er Jahren durch die Sparmaßnahmen und den Rückzug des Staates ausgehölten Sozialsystems.50 and Victoria and Albert Museum 2014. Für die Weiterentwicklung des Forschungsansatzes siehe https://protopublics.org/ 47 | Vgl. Anm. 1. 48 | Vgl. die seit 2011 jährlich stattfindende Konferenz in Amsterdam What Design Can Do! New Ideas for a Better World, www.whatdesigncando.com/. 49 | Papanek, Victor: Design for the Real World. Making to Measure, London: Thames and Hudson 1972. Deutsch: Das Papanek-Konzept. Design für eine Umwelt des Überlebens, München: Nymphenburger, 1972, S. 241. 50 | Julier verfolgt diesen Ansatz nachdrücklich in: Armstrong u. a., Social Design Futures, S. 20–24. Aber er macht sich inzwischen Sorgen, dass Designbranche und Sozialpolitik die Aufgaben nicht ernsthaft aufgreifen: »Frankly, austerity mea-

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Die zweite Ebene der Reflexion betrifft die andere ›soziale‹ Frage, nämlich was denn Gesellschaft eigentlich sei, wie sie funktioniert und wie man auf sie einwirken könnte. Die Bandbreite der Denkmodelle dazu ist weitaus größer als vor fünfzig Jahren: »Wir können im Sinne des ›alten‹ Sozialen denken (wie im Sozialwohnungsbau, Sozialhilfe, Sozialvertrag), das auf festen, stabilen Werten und Vereinbarungen beruhte, oder im Sinne des ›neuen‹ Sozialen (wie in Social Media, soziale Netzwerke) das fließend und flüchtig ist.«51 In diesem Rahmen werden heute Wirkungsmuster, wie das Netzwerk, der offene Prozess oder die Partizipation reflektiert. Dabei werden ältere Praktiken, wie Performancekunst, Radical Design oder diskursive Designansätze in der Tradition der kritischen Theorie, aber paradoxerweise auch nutzerorientiertes, erlebnisorientiertes oder kooperatives Design gegen das Licht gehalten. Zur Diskussion steht hier das Maß, in dem der Mensch in diesen Praktiken als aktives und gestaltendes Wesen anerkannt wird.52 Schließlich scheint das Social Design sich stark auf immaterielle Prozesse zu beziehen, weshalb sich Designer (und vor allem ihre Lehrer) natürlich fragen müssen, welche fachliche Expertise das Design dort eigentlich einbringt. Auf dieser Ebene der Diskussion wird gerne auf die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) verwiesen, in der das Verhältnis von

sures mean that local council and national welfare department budgets are cut so far back that there is no alternative but to re-design the whole system through which their services are delivered. […] Social design memes have circulated easily through this grey literature [reports oriented at practitioners, politicians or policy-makers] which has resulted in the serial replication of models and approaches that go unchallenged. There is a risk that these reproduce mainstream policy orthodoxies rather than delving more deeply into socio-material practices that propose new arrangements for daily life and help to address economic inequality, demographic challenges, environmental fluxes, alienation and so on.« In: G. Julier, Politics of Social Design, S. 155 f. Vgl. auch Margolin, Victor: »Social Design: From Utopia to the Good Society«, in: M. Bruinsma/I. van Zijl, Design Good Society, S. 27–42. 51 | G. Julier, Politics of Social Design, S. 158. 52 | Vgl. M. Holt, Transformation of the Aesthetic; Reckwitz, Andreas: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin: Suhrkamp 2012, S. 179 f.; Thackara, John: In the Bubble. Designing in a Complex World, Cambridge Massachusetts/London England: MIT Press 2005.

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Dingen und Menschen zur Diskussion steht, und die dem Gegenstand eine Wirkmacht bestätigt.53 Das feuert zuweilen utopischen Optimismus an, doch auch das ANT lässt die Frage unbeantwortet, welche Eigenschaften ein Designgegenstand haben muss, um in sozialen Gefügen eine effektive Rolle zu spielen. Diese dritte Ebene der Reflexion im Rahmen des Social Design verweist das Design auf die empirische Forschung zurück und wirft die Frage auf, inwiefern der erweiterte Designbegriff, wie ihn Julier reflektiert hat, und jüngeren Auffassungen des Sozialen dort überhaupt untersucht werden.

53 | Vgl. Latour, Bruno: Nous n’avons jamais été modernes. Essai d’anthropologie symétrique, Paris: Editions La Découverte, 1991. Deutsch: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Berlin: Akademie, 1995.

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Social Design – ein Paradox? Annette Geiger Social Design ist heute in aller Munde, aber was bezeichnet man damit eigentlich? Der Begriff zwingt uns einmal mehr, die theoretischen Prämissen zu prüfen, auf denen unser Designverständnis ruhen soll. Zwar meint jeder zu wissen, was man unter Design zu verstehen hat, aber bei näherem Hinsehen unterscheiden sich die Positionen so stark, dass man kaum von einer einheitlichen Disziplin ausgehen kann: Hier das konzeptuelle Autorendesign, dort die anonyme Gestaltung der Alltagsdinge, hier das dekorative Styling, dort das strategische Design Thinking und allesamt finden wiederum Entgegnung durch Critical Design, Do-it-yourself-Bewegung und Design-Aktivismus jeglicher Couleur  – welche dieser Richtungen würde nun das Soziale am Design rechtmäßig vertreten? Vermutlich würden alle gleichermaßen Anspruch darauf erheben, darin liegt das Paradox. Alles Design ist streng genommen ›sozial‹, denn die Gestaltung unserer Dinge bewirkt nicht weniger als das Design der Gesellschaft selbst. Jede Zivilisation produziert das Design, das ihrer Kultur (oder eben ihrer Kulturlosigkeit) entspricht. Der Begriff des Social Design will diesem Relativismus jedoch entgegen wirken: Er verlangt, dass gutes bzw. legitimes Design gegen schlechtes bzw. illegitimes Design abgegrenzt wird. Was Matteo Kries einmal als »Total Design« beschrieben hat, – jene inflationäre, unreflektierte und rein konsumistisch gedachte Ausbreitung von Design als universellem Verkaufszweck für Dinge, die die Welt nicht braucht –, hat somit das Recht verwirkt, überhaupt noch als Gestaltung bezeichnet zu werden.1 Total Design produziert eine Warenästhetik, die das Fashion Victim im Ver1 | Vgl. Kries, Matteo: Total Design. Die Inflation moderner Gestaltung. Berlin: Nicolai 2010.

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braucher zu befriedigen sucht bzw. es zu immer neuen Käufen anregt, so dass Umweltprobleme und Müllberge entstehen, wie sie die Welt nie zuvor gesehen hat. Total Design ist Schuld an der globalen Misere, die Social Design nun zu lösen sucht, so der nicht gerade einfache Ausgangspunkt.

W as darf als D esign -P roblem gelten ? Die Grundlagen des Social Design gehen auf die altbewährte Formel zurück, dass Design nicht schöne Formen gestalten, sondern Probleme lösen soll. Nicht das oberflächliche Ästhetisieren, sondern das Verbessern der Welt bildet das Ziel. Die Ursprünge dieses Designdenkens gehen insbesondere auf Victor Papanek und, im deutschsprachigen Raum, auf Lucius Burckhardt zurück.2 Beide gehören jener Generation an, die den gesellschaftlichen Umbruch nach 1968 auch für ein Neudenken von Ökologie und Ökonomie zu nutzen suchte. Über das Formen der Dinge hinaus soll sich der Entwerfer mit den weit gefassten sozialen Kontexten beschäftigen, wie es Burckhardt treffend in seinem Credo »Design ist unsichtbar« formulierte: Der Designer integriert auch solche Zusammenhänge, die man nicht sehen kann, die aber die Wirkung unserer Dinge ausmachen. Teilnehmende Beobachtung und Partizipation forderten Papanek und Burckhard von den Gestaltern, ein Mitdenken der Rezipientensicht, ein Überdenken aller Konventionen – das darf bis heute als revolutionär gelten. Doch handelte es sich schon um Social Design im heutigen Sinne? Der Design-Diskurs von den 1970er Jahren bis hin zum heutigen Design Thinking sucht stets nach der besten Lösung für den Konsumenten, das gilt es nicht zu bestreiten, aber dachte man schon ausreichend darüber nach, ob die Konsumenten überhaupt ein Recht darauf haben, ihre Wünsche befriedigt zu sehen? Lucius Burckhardt hielt es z. B. für das beste Design einer Straßenbahn, wenn sie nachts fährt, dann nämlich wenn die Menschen aus dem 2 | Vgl. z. B. als bekannteste Werke Victor Papanek: Design for the Real World: Human Ecology and Social Change. New York 1971/1985 sowie Lucius Burkhardt: Design ist unsichtbar. Der Original-Essay stammt von 1980, er wurde auch als Buchtitel gewählt für Textsammlungen Burckhardts hg. von Hans Höger, Ostfildern 1995 und hg. von Silvan Blumenthal, Martin Schmitz, Berlin 2012.

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Wirtshaus kommen und sich nicht ans Steuer setzen sollen.3 Das soziale Funktionieren der Straßenbahn liegt also nicht in der Ausgestaltung der Wagen, sondern in ihrem gut geplanten Fahrplan. Aber warum sollte ein Fahrer nachts zu Unzeiten arbeiten müssen, eine halbleere Straßenbahn lenken, die, hochsubventioniert aus Steuermitteln, jene nach Hause fährt, die zu viel getrunken haben? Sind das nicht Luxus- bzw. Scheinprobleme, die hier vermeintlich gelöst werden? Angesichts von sieben Milliarden Menschen auf der Erde, entsprechenden Versorgungs- und Bildungsproblemen sowie Hunger-, Flüchtlings- und Umweltkatastrophen, sollen sich Designer um ›echte‹ Probleme kümmern – so der aktuelle Diskurs des Social Design. Das Soziale am neuen Designbegriff besteht also in der weitaus kritischeren Nachfrage, welche Probleme überhaupt ein Recht darauf haben, durch Design gelöst zu werden.

D er M y thos vom demokr atischen D esign In der Nachkriegszeit hatte es die Designtheorie noch einfach: Die Massenproduktion galt als Heilbringer einer demokratischen Güterverteilung. In BRD und DDR fielen die Designdiskurse daher recht ähnlich aus. Die »gute Form«, sollte sachliches, ideologiefreies und zeitloses Design für alle schaffen. Konsum war erwünscht, denn erst die Serie senkt den Preis, und nach Krieg und Entbehrung galt es die Massen tatsächlich erst mit dem Nötigsten zu versorgen. Aber angesichts der heutigen Wegwerfmentalität und den daraus resultierenden Umweltproblemen erscheint der Begriff der Bedarfsbefriedigung beinahe lachhaft, was sollten wir noch wirklich ›brauchen‹? In der Überflussgesellschaft muss sich Design nun der Fragen widmen, wie man das Weniger gestaltet. Wenn auf die Dinge landauf, landab allerlei Nachhaltigkeitsetiketten geklebt werden, mögen die Müllberge vielleicht etwas langsamer bzw. umweltfreundlicher wachsen, aber die Hoffnung, wir könnten fröhlich weiter konsumieren, wenn es nur ein wenig ›grüner‹ zugehe, muss Social Design letztlich enttäuschen. Und nichts ist unpopulärer 3 | Siehe Burkhardt, Lucius: »Design ist unsichtbar«, in: Bazon Brock (Hg.), Die Kinder fressen ihre Revolution. Wohnen, Planen, Bauen, Grünen. Köln: DuMont 1985, S. 43 f.

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als die Erkenntnis, dass es doch um Verzicht bzw. Verhaltensänderung gehen muss. Man mag hier an das First Things First Manifesto von 1964 zurückdenken, mit dem ›gute‹ Designer sich weigern wollten, ›schlechte‹ Dinge zu gestalten.4 Zu letzteren zählten sie auch Zahnpasta, Deodorant, Zigaretten und Katzenfutter. Aber wem sollte man die Gestaltung dieser Produkte dann überlassen, wenn wir sie doch alle benutzen? Kann es als sozial angesehen werden, wenn sich Gestalter auf das Bewerben von Kunst und Kultur, NGOs und alternativen Ökonomien konzentrieren? Oder noch etwas zynischer gefragt: Sollen die Massen nun auch in Kaufhäusern à la Manufactum einkaufen, weil es dort noch die »guten Dinge« gibt? Man macht es sich zu leicht mit der letztlich elitären Idee, wir sollten doch einfach ›bessere‹ Dinge konsumieren. Diese wären entsprechend teurer und würden nur einen Teil der Bevölkerung zum Verzicht zwingen, während sich die happy few weiterhin ungehemmt bedienen dürfen. Historisch gesehen handelten sich alle Reformbewegungen seit William Morris dieses Problem ein: Das Kaufhaus Liberty in London verkaufte Arts & Crafts-Entwürfe für eine bessere Welt, gefertigt in Handarbeit oder Kleinserien, die man heute wohl als Kunsthandwerk bezeichnen würde – allein der Preis verhinderte, dass diese gute Welt für alle war. Wäre die Ikea-Logik also doch die sozialere Variante? Das Dilemma ist auf diesem Weg wohl nicht zu lösen, gute Ideen zum alternativen Gebrauch der Dinge kennen wir seit der Antike, als der Kyniker Diogenes in seine Tonne zog, um auf alles Unnötige zu verzichten. Doch setzen sich solche Ideale meist nicht durch, da der homo oeconomicus auf den Konsum nicht verzichten mag und in seinem System nur Wachstum als Sicherheit und Jobmotor gelten darf. Viel hilft viel, so das Basisrezept der Überflussgesellschaft.

4 | Das First Things First Manifesto wurde 1964 von Ken Garland publikumswirksam im britischen Guardian mit 400 Unterschriften veröffentlicht. Spätere Initiativen ließen das Manifest im Jahr 2000 und zum 50. Geburtstag im Jahr 2014 nochmals aufleben. Zum Originaltext vgl. www.designishistory.com/1960/ first-things-first.

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D ie N otlüge Doch will sich heutiges Social Design der Begrenzung des Konsums überhaupt widmen? Vielen Designern erscheint es derzeit attraktiver, sich in Gegenden der Welt zu begeben, die noch echte Probleme haben, und davon gibt es bekanntlich viel zu viele. Menschen in der Not zu helfen, ist sozial, das steht außer Frage. Insofern darf man Projekte für Entwicklungsländer, Flüchtlingscamps, Krisengebiete, Armutsbekämpfung usw. eigentlich nicht kritisieren. Aber was lernen wir daraus für unseren eigenen Designbegriff? Das Modell der Not, die man durch gut konzipierte Dinge und Strategien zu lindern sucht, macht es leicht, Design weiterhin als Problemlösung zu denken. Doch ist das Prinzip auf unsere Übersättigung nicht übertragbar, es hilft uns nicht, die eigene Umwelt besser zu gestalten. Zudem wird in solchen Ansätzen, die in Papaneks Sinne »Design for the real World« entwickeln, oft nicht ausreichend berücksichtigt, dass sie trotz der hehren Absichten noch in der Tradition des kolonialen Blicks stehen. Schon Papaneks berühmtes Tin-can-Radio, das, für 9 Cent aus einer Dose, einem Docht und Parafin gefertigt, auch Urwaldbewohnern den Radioempfang ermöglichen sollte5, wurde von dem Designtheoretiker Gui Bonsiepe umgehend in Frage gestellt als absichtlich primitives »Billigstradio für die Dritte Welt«. Es sei »durchtränkt von der Ideologie vom einfachen Wilden, der mit der eigens für ihn in der Metropole entwickelten Simpeltechnologie abgespeist wird.« 6 Bonsiepes Sicht wird heute auch von Experten aus den betroffenen Ländern gestützt, die ein Ende der westlichen Entwicklungshilfe fordern. Letztere funktioniere schlichtweg nicht als Hilfe zur Selbsthilfe, da sie das Finden eigener Lösungen immer schon unterbindet. Entwicklung gibt es nicht als Lösung von oben bzw. außen, sie muss als Selbstentwicklung entstehen, wie es z. B. auch der südafrikanische Philosoph Achille Mbembe im Kontext seiner »Kritik der schwarzen Vernunft« aufzeigt.7 5 | Abbildung und Beschreibung vgl. Papanek, Victor: Design for the Real World: Human Ecology and Social Change. 2. überarb. Ausg. (1984), London 2011, S. 225. 6 | Vgl. Bonsiepes Artikel in: Form, 61 (1973), S. 13–16. 7 | Mbembe, Achille: Critique de la raison nègre. Paris: Éditions La Découverte 2013. Dt. Kritik der schwarzen Vernunft. Berlin: Suhrkamp 2014.

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D arf D esign wehtun ? Bleiben wir also in unseren Breitengraden: Design soll gemeinhin die Zuversicht verbreiten, dass sich mit Innovation und Technologie, mit viel Know How und guter Planung jedes Problem lösen lässt  – wenn nicht heute, dann in der nahen Zukunft. Doch gilt dies auch für die Veränderung unseres Lebensstils? Für die gängigen Spielarten des Bevormundungsdesign, – vom nationalen Veggieday zur globalen Ökodiktatur, vom planwirtschaftlichen Einheitsprodukt bis hin zur Überwachung des ökologischen Fußabdrucks eines jeden –, sind viele Szenarien denkbar, die jedoch kaum auf größere Ablehnung stoßen könnten. Dem Bürger erscheint sein Grundrecht auf Konsum als eine Freiheit, die es dem Volk nicht zu nehmen gilt. Darf Design hier enttäuschen? Eben dies bejahen die Positionen des Critical Design: Gestaltung soll auch schmerzhafte Einsichten vermitteln, sie darf nicht immer nur gefallen bzw. dem leichtfertigen Problemlösungsoptimismus folgen. Es gilt, sich durch Design kritisch zu zeigen: Um die Konsumenten zum Ausstieg aus den bestehenden Selbstverständlichkeiten zu bewegen, steigt der Gestalter zunächst selber aus der Produktionslogik aus. Er verweigert sich den konsumierbaren Dingen, um Dinge zu gestalten, die man nicht mehr im üblichen Sinne besitzen, vorzeigen oder horten kann – dies kann z. B. eine neue Esskultur sein wie bei Martí Guixé,8 der sich als ExDesigner bezeichnet, oder die Konzeption »kritischer Dinge«, die nach Anthony Dunne und Fiona Raby überall stattfinden können, wo die Industrie ihren Traum nicht verwirklichen kann, neue Geschäfte zu machen.9 Unbequemes Design geht historisch schon auf das Radical Design der 1968er Dekade zurück sowie auf alle nachfolgenden Positionen des Anti-Design. Solche Gestaltung will nicht funktionieren, sondern wach rütteln. Zurecht natürlich, aber damit entfällt wiederum die Suche nach der lebbaren Alltagslösung. Und wer möchte schon 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche wachgerüttelt werden?

8 | Vgl. Martí Guixés Webseite www.food-designing.com 9 | Vgl. das Interview mit Anthony Dunne und Fiona Raby »Designer as author«, in: Magnus Ericon (Hg.), Design Act: Socially and Politically engaged Design today. Critical Roles and Emerging Tactics. Berlin: Sterenberg Press 2011, S. 28–47, hier S. 29.

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S elbst ist der M ensch Manche Konsumenten sind mittlerweile schon aufgewacht, sie haben die massenproduzierte Warenlogik satt und nehmen als Selfmade-Gestalter die Dinge selbst in die Hand: Do-It-Yourself-Bewegung und Maker Culture sind keine langweiligen Vereine mehr für spießiges Heimwerken in tristen Hobbykellern. Sie verstehen sich als öffentlich agierende Guerilla einer neuen Autonomiekultur, die von der Ethik der freiwilligen Selbstbeschränkung zur alternativen Arbeitskultur vielfältige Sinnkrisen der Konsumgesellschaft zu lösen sucht. Was gut für ihn ist, weiß der einzelne nun selbst am Besten, er erteilt, wenn man den Ansatz einmal zu Ende denkt, jeglicher Planungsmethodik eine Absage, ganz gleich wie viele Design Thinking-Strategien und Partizipationsverfahren dabei angewendet wurden. Selbst ist der Bastler, wer eigenhändig produziert, schafft Werte und Charakter, Ritual und Moral – Dinge also, die nicht umgehend auf dem Müll landen, weil sie uns ans Herz gewachsen sind. Endlich eine gute Lösung? Dass das Selbermachen einen hohen Kostenaufwand mit sich bringt, vom Werkzeug über das Material zum Erlernen des Know How, wird oft vergessen. Der Heimwerker- und Handarbeitsmarkt ist hierzulande ein Millionengeschäft, das kaum als kapitalismuskritisch betrachtet werden kann. Der Traum, alles in Eigenregie herzustellen, erweist sich bei näherer Betrachtung als ein Luxus, den sich nur jene leisten können, die nicht stetig arbeiten müssen, um ihr Auskommen zu sichern. Ein Ausstieg aus der sozialversicherten Arbeitswelt kann den Massen wohl kaum als besonders ›sozial‹ empfohlen werden. Und doch führt uns das Selbermachen auf einen neuen Weg, wenn man es im Sinne von Michel de Certaus »Kunst des Handelns«10 versteht: Es überzeugt zwar nicht das sozio-ökonomische Modell dahinter, das vor lauter Aktionismus jegliches Effizienzdenken abzulehnen sucht. Aber der Adressat ist richtig: Das Individuum, das selber tätig wird, macht hier andere ästhetische Erfahrungen als im passiven Konsum – und darin läge tatsächlich ein Anfang für die gesuchte Veränderung. Wenn wir lernen wollen, weniger Dinge zwanghaft zu konsumieren, sollten wir die Dinge, die wir trotzdem haben wollen, anders betrachten. 10 | Certeau, Michel de: L’invention du quotidien. Arts de faire. Paris: Gallimard 1980, Dt. Kunst des Handelns. Berlin: Merve 1988.

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Solche Dinge möchte man sinnlich und körperlich, kommunikativ und narrativ, sinnstiftend und moralisch, imaginär und utopisch erleben können – darin läge jeweils der Grund, warum wir sie haben. Es handelt sich also um Qualitäten, die man traditionsgemäß der Ästhetik zuschreibt. Doch gilt ausgerechnet die Ästhetik in der Designtheorie immer noch als verfemt, denn man verwechselt sie zu rasch mit der Ästhetisierung der Warenwelt. Wir müssen also lernen, das Ästhetische wieder im ursprünglichen Sinne als Aisthesis zu verstehen, d. h. als die Fähigkeit, überhaupt eigene sinnliche Erfahrungen zu machen, anstatt nur passiv und willenlos zu konsumieren. Mehr Aufmerksamkeit für die Dinge zu schaffen, ist die Voraussetzung für einen bewussteren Umgang mit ihnen. Die aufgezeigten Paradoxien des Social Design werden sich also erst mindern lassen, wenn man sich für die Tatsache öffnet, dass es ohne Ästhetik kein Soziales geben kann. Eine Gesellschaft ohne ästhetische Verbundenheit, ohne sensus communis im Sinne von Kant, vermag Probleme vielleicht technisch funktional zu lösen, aber nicht im Sinne von sozialer Nachhaltigkeit. Die Dinge müssen nicht immer neu und besser sein, aber sie sollten etwas in sich tragen, das zu uns Beziehung aufnehmen kann, so dass wir sie nicht so bedenkenlos wegwerfen.

Praxis

Experimentelles Design Für einen engagierten Designbegriff Interview mit Jesko Fezer

Claudia Banz (CB): Du unterrichtest an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg Experimentelles Design. Was verstehst Du darunter und wo ergeben sich Schnittmengen zum Social Design? Jesko Fezer (JF): Experimentelles Design interpretieren wir hier in erster Linie als ergebnisoffenes Design, im engeren Sinne als Experiment, das eine Art Versuchsanordnung darstellt. Der Prozess, das Verfahren steht im Zentrum, und die Frage nach dem Ergebnis des Gestaltungsprozesses wird erst relativ spät beantwortet. Insofern ist das Prozessorientierte, das Ergebnisoffene ein wichtiger Fokus unseres Selbstverständnisses. Und wenn man den Blick viel weniger auf das Endprodukt richtet, sondern mehr darauf, wie man designt, wie man gestaltet, dann treten Fragen in den Vordergrund wie: »Wer ist an dem Gestaltungsprozess beteiligt, welche Werkzeuge werden benutzt, welche Fachkompetenzen braucht es, welche Form von Wissen ist notwendig, um überhaupt sinnvoll an einer Fragestellung arbeiten zu können? Welche Leute mit welchem Wissen, mit welchen Kompetenzen sollten involviert werden, um zu sinnvollen Prozessen und möglicherweise zu interessanteren Ergebnissen zu kommen?« Überhaupt stellt Design, das stärker am Prozess des Gestaltens und weniger an dem interessiert ist, was dabei herauskommt, ganz grundsätzlich die Frage nach den beteiligten Personen. Und das wäre für mich auch der erste Schritt oder der Ausgangspunkt, um so etwas wie Social Design zu beschreiben, nämlich dass es um die am Prozess beteiligten Akteure geht.

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CB: Welche Rolle spielt in diesem Kontext die vielfach angemahnte Verantwortung des Designers? JF: Man könnte sagen, dass durch die Beteiligung von anderen Akteuren, von anderen Experten eine Verlagerung der Verantwortung vom wohlmeinenden, vom patriarchalischen Gestalter auf die Betroffenen stattfindet. Das klingt jetzt nach Verantwortung abgeben. Aber ich glaube, da herrscht ein Missverständnis vor. Lucius Burkhardt hat dies am Beispiel des Arztes beschrieben, der auch nicht sagen könne, obwohl er es manchmal tut, dass er die Verantwortung für einen medizinischen Eingriff übernimmt. Er kann sie gar nicht übernehmen. Wenn jemand bei einer Operation stirbt, kann der Arzt auch nicht die Verantwortung dafür übernehmen. Er kann nur das, was er für richtig hält, tun, das, was er für falsch hält, unterlassen. Das bedeutet, die Fiktion der Verantwortung des klassischen Designers, die er für das Wohl der Gesellschaft, für die Wirkung guten Designs auf seine sozialen Zusammenhänge übernimmt, das ist maßlose Selbstüberschätzung. Wir wissen alle, dass die Effekte dieser Selbstüberschätzung in den Peripherien der großen Städte, im sozialen Wohnungsbau seit den 1950er und 1960er Jahren massiv kritisiert werden, dass die Folgen von gestalterischen Entscheidungen für Atomkraft, für Autobahnbau und Auto, die ganze Technikeuphorie der Gestaltung, dass die Folgen davon desaströs waren und dass hier niemand die Verantwortung übernehmen kann und will. Die Zerstörung unserer Erde aufgrund von technisch kapitalistischen Entwicklungen, die kann keiner verantworten. Der Mythos der Verantwortung ist ein relativ selbstüberschätzender der Gestalter. Ich glaube, verantwortungsvoller wäre tatsächlich, die Verantwortung zu teilen. Eben diejenigen Personen, die vielleicht selbst betroffen sind von Problemen, zum Teil der Gestalter zu machen, um ihnen dadurch die Möglichkeit zu geben, Verantwortung für sich selbst und für das Umfeld zu übernehmen, und als Designer nicht davon auszugehen, dass man das besser wüsste oder besser einschätzen könnte. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt betrifft den Designer, der dem Markt, der technischen Innovation, dem Auftraggeber die Entscheidung darüber überlasst, was gut und was schlecht ist, was empfehlenswert ist. Dieser handelt auch in hohem Maße verantwortungslos, wenn er seine eigene Expertise, sein eigenes Wissen, seine eigene Vorstellung, wie die Welt sein sollte, hintenanstellt. Denn es ist verantwortungslos, wenn man wider besseren

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Wissens und wider der Möglichkeiten um besseres Wissen handelt und andere entscheiden lässt. Ich glaube, da geht es dann gar nicht darum, im paternalistischen Sinne Verantwortung für andere zu übernehmen, sondern es geht darum, seine eigene Position, seine Haltung ins Gespräch zu bringen und zu vertreten. Und dieses ins-Gespräch-bringen, das ist für mich eine Form, die auch mit den anderen Akteuren zu tun hat. Wie kann ich mich mit anderen beschäftigen, wie kann ich meine Meinung sagen und trotzdem andere Meinungen hören, wie kann ich gesellschaftliche Konflikte aushandeln? Auch dafür braucht es einen Prozess der Kooperation, der Kollaboration, um die verschiedenen Positionen abzugleichen. Es wäre verantwortungsvoll, einerseits die Betroffenen oder andere Akteure in den Entscheidungsprozess einzubinden, gleichzeitig eine eigene starke Position zu beziehen, diese aber auch offen zu kommunizieren, zu vertreten, aber auch anderen die Möglichkeit zu bieten, ihre Meinung zu vertreten. CB: Beeinflusst dieses Verständnis von verantwortungsvoller Gestaltung, dass Du gerade aufgezeigt hast, auch Deine Designlehre an der HFBK? Was möchtest Du den Studierenden mitgeben? Bei Dir lernen sie ja kein Produktdesign. JF: Ja, das lernen sie in der Tat nicht so wirklich. Aber an Kunsthochschulen lernt man traditionell sowieso nicht so viel an Fertigkeiten im klassischen Sinne, an portionierbarem Wissen. Man lernt im Kern eher ein gewisses Weltverständnis, ein sich-ins-Verhältnis-setzen zu sich selber und zu anderen Strukturen. Was ich versuche, als Lernerfahrung zu ermöglichen, ist mit diesen beiden Punkten verbunden. Das eine ist schon der Versuch, hier im Studio durch eine intensive Diskussionskultur in Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Gestaltung, mit historischen Theorien oder historischen Entwicklungen in der Lage zu sein, eine eigene Position, eine eigene Haltung zu entwickeln, zu begründen, dafür einzustehen, also tatsächlich an der Frage zu arbeiten, was interessiert eigentlich mich, was halte ich für relevant und bedeutungsvoll und was finde ich eigentlich ätzend und problematisch. Das wäre das eine, was natürlich in den Bereich von verantwortungsvollem Handeln gehört.

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Abb. 1: Tor zur Welt. Mobile Architektur, 2015.

Ein Modulsystem aus modifizierten Schirmständern, Betonplatten, Stahlrohren, Holzplatten, Rollos und weiteren mobilen Elementen ermöglicht die Konstruktion sozialer Orte, die verschiedene Nutzungen im öffentlichen Raum antizipieren.

Und der zweite Punkt wäre, was wir mit der öffentlichen Gestaltungsberatung ganz stark machen, dass zu diesem Haltung entwickeln auch ein ganz offener Blick gehört. Auf die Welt offen zuzugehen, auf andere Leute, auf andere Kulturen, auf andere Milieus, danach zu suchen, was sind die Probleme, was ist überhaupt los, wie kann ich meine eigene Haltung daran entwickeln, und hat meine Haltung eine Relevanz, ist sie bedeutungsvoll oder ist sie vielleicht gar nicht relevant. CB: Was für Projekte macht ihr konkret in der öffentlichen Gestaltungsberatung? JF: Mit der Gestaltungsberatung sind wir einmal in der Woche für eine Stunde oder mehr in St. Pauli bei der GWA in einem kleinen Raum, wo Leute mit ihren eigenen Themen, Problemen, Fragestellungen zu uns kommen können. Wir schauen uns dann diese Sachen an, hören zu, sprechen darüber und versuchen dann gemeinsam, daraus Projekte zu entwickeln. Indem wir die Probleme versuchen zu lösen, indem wir gemeinsam andere Probleme, Themen finden oder indem wir uns auf einen längeren Weg machen, in einem dialogischen Prozess mit diesen Fragen

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umzugehen. Ob wir dann am Ende ein Regal machen, ob wir sprechen, reden, diskutieren, ob wir am Ende eine bestimmte Aktion initiieren oder eine Gruppe bei einer politischen Auseinandersetzung unterstützen, ist erst einmal zweitrangig. Es geht in erster Linie darum, den Leuten zu ermöglichen, ihre Themen zu Designthemen zu machen, und mit uns zusammen aus einer anderen Perspektive darüber zu sprechen, um herauszufinden, was könnte man materiell, strukturell, kommunikativ, sozial gestalten, um dieses Problem anders zu betrachten oder vielleicht auch zu lösen. Abb. 2: Helli’s Highlights, 2015.

Helli wollte es einfach hübscher haben. Das fiel uns schwer. Ein Set von drei farbigen Aufstellern soll ermöglichen, den Wohnraum der Klientin zu analysieren. Indem man sie rahmt und highlightet, werden die bereits vorhandenen Styling-Objekte betont, um ihre Wichtigkeit herauszustellen.

Es geht darum für die Studierenden, dass sie durch das Design generell an bestimmte Fragestellungen herankommen, die zumindest für eine Person relevant sind, nämlich den- oder diejenige, die zu uns kommt. Denn das ist ja das Problem, dass die Themen, die im Studium behandelt werden, oft für gar keinen relevant sind, erstens weil sie schon zwei Millionen mal beantwortet wurden – mal gibt es einen anderen Farbton, mal eine andere Materialität –, zweitens weil sie eben schon ganz prinzipiell

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schon gelöst sind und weil auch keiner danach fragt. Das wäre der erste Punkt, sich in der Ausbildung damit zu konfrontieren, wonach Leute fragen. Und wenn das periphere, abseitige, extrem individuelle Sachen sind, dann ist das trotzdem viel mehr wert, viel konkreter, komplexer, aufschlussreicher und auch komplizierter, als eine selbst imaginierte Aufgabe zu lösen, etwa: Wie entwerfe ich einen Garderobenständer? Das tun wir auch, aber dann für jemanden, der ihn dann auch wirklich braucht – eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, weil der alte zusammengebrochen ist. Abb. 3: Katjas Arbeitsraum, 2015.

Katja kam mit ihrer vollgestellten Wohnung nicht mehr klar. Damit Katja sich auf die Veränderungen in der Wohnung auch gedanklich einstellen konnte, schickten wir ihr in regelmäßigen Abständen »Aufgaben« mit gezielten Fragen zu bestimmten Dingen, Räumen und Aufteilungen per Post zu. Erster zurückgesandter Auftrag: Grundrisse der Wohnung mit auf dem blanken Zollstock vermasste Möbel.

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CB: Wer kommt denn zu Euch in die Gestaltungsberatung St. Pauli und woher wissen die Menschen überhaupt, das es sie gibt? Und wie reagieren diejenigen, die kommen, darauf, dass ihr von der Hochschule, aus dem akademischen Designkontext kommt? JF: Also, die Gestaltungsberatung richtet sich schon an Leute, die sich sonst kein Design leisten könnten. Wir versuchen, das in der Ansprache klar zu machen, dass wir nicht mit eigenen Produkten oder denen unserer Kollegen kommen und die ihnen dann hinstellen. Natürlich haben wir mit der GWA (Gemeinwesenarbeit) St. Pauli e. V. einen Partner an der Seite, der auch Stadtteilarbeit macht und es uns dadurch ermöglicht, diese risikoreiche Arbeit zu tun. Denn nicht nur als Student, sondern man selbst auch ist relativ unerfahren darin, wie man mit den Leuten umgeht und wie man daraus Projekte macht. Die GWA hat natürlich Erfahrung in Stadteilarbeit, auch wenn es um Rechtsfragen, psychologische Fragen, finanzielle Probleme geht. Die GWA ist ein Partner, der auch seine Experten hat, die uns dann in diesen Bereichen unterstützen und auch übernehmen können. Wer da kommt, das hängt natürlich auch ab von dem Ort, der Institution, der Absprache. Es spricht sich rum, manchmal schickt die GWA auch einfach Leute zu uns. Wie das Verhältnis ist zwischen akademischen, künstlerischen Positionen, die wir sozusagen auch als Habitus und Selbstverständnis haben und den lokalen, migrantisch geprägten oder ökonomisch prekären Verhältnissen, ist schwer zu beantworten. Am Anfang gab es eine große Sorge bei uns und auch bei der GWA, dass Design als das absolut Böse angesehen wird in St. Pauli, weil der Begriff für Luxus, Reichtum, für Verdrängung, für Gentrifizierung steht und das ist ja genau das, wovor die Bewohner in St. Pauli, die ja zum Teil auch schlechter gestellt sind, Angst haben. Deswegen haben wir das auch Gestaltungsberatung genannt und nicht Designbüro. Aber diese Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet, denn die Leute haben total Lust auf Design, sie haben auch ein relativ entspanntes Verhältnis, zum Beispiel auch zu Do it Yourself, zum Selbermachen. Am Ende entwickelt sich eine normale Zusammenarbeit, in dem die Projektteams von uns und die Auftraggeber über einen längeren Zeitraum zusammenarbeiten.

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Abb. 4: Flurregal, 2015

Mutter und Tochter gelang es einfach nicht mehr, im Flur ihrer kleinen Wohnung Schuhe und Klamotten unterzubringen. Ein handelsübliches Weitspannregal wird durch zusätzliche Module ergänzt. Ein Schuhgitter, Zubehörschubladen, Kleidungsfächer, Kleiderstange als auch Schiebetür und Leiter wurden in 3D-Zeichnungen wie auch mit der Klientin direkt am Regalgerüst entwickelt.

Abb. 5: Vorgarten Eimsbüttel, 2015

Zwölf Mietparteien wünschten sich einen Ort für nachbarschaftliche Aktivitäten im Vorgarten. Ein drehbarer Tisch und eine darüber gespannte Plane wurden gemeinsam mit den Bewohner/innen umgesetzt und von ihnen selbst vervollständigt.

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CB: Es gibt aktuell eine Tendenz, Design und Designer verstärkt für die Lösung gesellschaftlicher Probleme heranzuziehen. Diese Entwicklungen haben ja letztlich auch den Begriff Social Design implizit geprägt. Zuweilen entsteht der Eindruck, die Designer sollen es dort richten, wo die Politik versagt hat. Designer werden als eine Art neuer Heilsversprecher gehandelt. JF: Ja, gefühlt gibt es schon einen anderen Blick auf Design als vielleicht noch vor sieben, acht Jahren und auch auf Gestaltung insgesamt. Viele Themen und Probleme, die gerade entstehen, liegen meiner Meinung nach eigentlich quer zu den bestehenden Berufsbildern. Aber das war eigentlich schon immer so. Deswegen will ich an der HFBK auch nicht einem bestimmten Designbegriff folgend unterrichten, weil ich davon ausgehe, dass dieser in fünf bis zehn Jahren gar nicht mehr existiert. So hat sich auch das Produktdesign massiv verändert, im Hinblick auf die Produktgestaltung und darin, wie Designer und Firmen zusammenarbeiten. Vor 20, 30 Jahren gab es noch angestellte Produktdesigner in der Industrie, die auch längerfristig an einem Thema arbeiten konnten. Das ist heute ein ganz anderes Arbeiten, aber auch ein anderes Produzieren. Worauf ich eigentlich hinaus will, ist, dass bestimmte gesellschaftliche Probleme auftauchen, die von einem bestimmten Berufsbild nicht beantwortet werden können. Es entstehen beispielsweise keine Probleme, die nur von der Architektur beantwortet werden müssen, es entstehen keine Probleme, die nur von der Pädagogik beantwortet werden müssen, es entstehen Probleme zwischen diesen Feldern. Und interessanterweise hat Design, hat Produktdesign sich schon vor einigen Jahren davon verabschiedet, Produktdesigner auszubilden, die bei großen Firmen in der Industrie arbeiten, die lokal produzieren, einfach aufgrund der Veränderungen des Berufsfeldes, der Produktion, des Konsumverhaltens, der global-arbeitsteiligen Wirtschaft. Da kam was zusammen. Designer hatten kein klares Berufsbild mehr, weil das des Produkt- und Industriedesigners ins Wanken geraten ist. Gleichzeitig gab es neue gesellschaftliche Probleme und Fragestellungen, die keinem richtigen Berufsbild, keiner richtigen Disziplin zugeordnet werden konnten. Ich glaube, da hat es sich ergeben, dass die Designer ihr Potenzial erkannt haben, nämlich dass sie sozusagen ihre Arbeitsweise, ihre Methodiken, ihr Wissen auch außerhalb der Konsumindustrie anwenden können. Und das Design war ja immer schon mit einem ethisch moralischen Anspruch verbunden, oft rein rhetorisch, aber da ergab sich auf einmal die Möglichkeit, andere

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Themen, andere Fragestellungen, andere Akteure zu bearbeiten. Die Intention des Designs, etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun, lag auf einmal viel näher, als die vermittelte Ebene im Sinne von: »Ich mache jetzt ein Besteck, mit dem man sich nicht verletzt, ich suche die Firma, die das produziert, ich versuche, den Preis gering zu halten, mit den Stückzahlen zu agieren.« Und dann soll das gekauft werden. Das wirkte immer sehr vermittelt, das Gute am guten Design. Aber jetzt können die Designer konkret mal was Gutes tun in Bezug auf die Flüchtlingsproblematik, in Bezug auf die Umweltproblematiken oder in Bezug auf Bildung von Ausgeschlossenen im sozialen Raum. CB: Eine Begleiterscheinung dieser Entwicklung ist, dass das Berufsbild des Designers an sich unscharf wird. Es gibt etwa Überlappungen mit dem des Sozialpädagogen, des Entwicklungshelfers, des Ethnologen, des Umweltschützers oder des nachhaltigen Materialforschers, um nur ein paar Beispiele zu nennen. JF: Ich würde da schon Unterschiede sehen wollen. Jeder Berufszweig sollte sich über seine eigenen Kompetenzen im Klaren sein. Allerdings sollten Gestalter wiederum in der Lage sein, mit diesen anderen Wissenskompetenzen zusammenzuarbeiten. Gestaltung ist eigentlich eine Disziplin, die keinen eigenen festen Wissensbestand hat, sondern eher ein operatives Wissen, ein Prozesswissen: Wie kann man vorgehen, wie kann man ein Projekt entwickeln, bestimmte Fragen stellen, wo kann man sich Hilfe holen, welche Leute soll man involvieren? Das sind die Kernkompetenzen von Design, von Gestaltung. Aber wahrscheinlich wird es zunehmend Doppelrollen geben: Dass sich Designer zum Beispiel mehr mit pädagogischen Fragen beschäftigen, eher mit umwelttechnischen oder umweltsozialen Fragen, eher mit Migrationsfragen zu tun haben. Sie werden sich spezialisieren, und dadurch in andere Disziplinen reinragen. Was aber insgesamt bei dieser Diskussion sehr wichtig ist, zu beachten, das ist die Schattenseite. Denn natürlich taugen Design oder Gestaltung auch ganz gut dazu, an dem Punkt, an dem andere Akteure ratlos sind oder andere Akteure nicht mehr bezahlt angestellt beschäftigt werden, genau da eine gute Atmosphäre der Auseinandersetzung zu erzeugen, auf die man dann Gestalter oder Designer ansetzt. Das ist hoch problematisch, denn auf Armutsprobleme kann man nur mit Armutsbekämpfung auf wirtschaftlicher oder

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sozialer Ebene antworten, da kann man nicht mit Gestaltung antworten. Auf Bildungsdefizite kann man nur mit Erziehung oder schulischen Bildungsprogrammen antworten und nicht mit Gestaltung. Auf ökonomische Probleme kann man nicht mit Gestaltung antworten, da muss man mit Gesetzesauflagen oder Förderprogrammen antworten. Und das ist auch oft das Problem, dass in diesen Situationen deregulierter Gesellschaft, in denen der Staat nicht mehr die Verantwortung übernimmt, sprich, also Geld, Steuern oder Programme in die Hand nehmen will oder kann, dass dort auch sehr gerne bestimmte Aufgaben abgeschoben werden auf Leute, die damit komplett überfordert sind. Und Architekten, Designer, Gestalter sind bis zu einem gewissen Grad überfordert, die Probleme der Gesellschaft überhaupt zu verstehen, geschweige denn, sie zu lösen. Und da muss auch der Designer, wenn er verantwortungsvoll handelt, dazu stehen, dass bestimmte Probleme nicht gestalterisch gelöst werden können. Sie können thematisiert, bearbeitet, modifiziert, unterstützt werden. Aber Armut, Bildungsmangel, Kriege, die Umweltverwüstung, die kann ich als Designer nicht lösen. Ich kann dazu beitragen, dass es andere tun, ich kann Dinge sichtbar machen, ich kann damit produktiv umgehen. Aber um das zu lösen, brauche ich andere Ressourcen. Die Mächtigen dieser Welt, um das Wort zu verwenden, die in Politik oder in Industrie und im Kapitalismus tätigen Akteure spielen da eine ganz entscheidende Rolle. CB: Vielleicht sollten wir auch einmal auf den Begriff Social Design als solches fokussieren. Was benennt dieser Begriff eigentlich genau? JF: Ich habe zwei Lesarten: Einerseits würde ich ihn als soziales Gestalten übersetzen. Das bedeutet, der Prozess selber, das Anliegen als solches ist gesellschaftlich relevant, d. h. partizipativ, es betrifft mehrere Leute und nicht nur Konsumenten. Gestaltung ist anders eingebunden, anders vernetzt. Andererseits bedeutet der Begriff für mich die Gestaltung des Sozialen. Also eine Gestaltung, die den Anspruch hat, die Gesellschaft zu verändern. Das kann am Ende das Gleiche sein, aber die eine Lesart geht davon aus, dass Designer sich daran machen, das Soziale zu gestalten, die Gesellschaft zu gestalten, und die andere Lesart bedeutet scharf gezogen, dass die Designer sich daran machen, sozialer zu gestalten und in der Art und Weise, wie sie gestalten, gesellschaftsverbundener auftreten. Und das finde ich, ist ein Spannungsfeld.

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CB: Die Dingkultur beeinflusst unser Verhalten in hohem Maße. Marketing und Branding verstärken diesen Prozess. Bereits Lucius Burckhard hat auf die Notwendigkeit, das Unsichtbare beim Design mitzudenken, hingewiesen. Hat also Design nicht sowieso immer eine gesellschaftliche Auswirkung, egal ob es sich um ein Radio oder ein Auto handelt. Ist also nicht sowieso alles Design sozial? JF. Ja, definitiv, vielleicht geht es auch erstmal genau darum, offenzulegen, dass Design generell eine soziale Auswirkung hat. Wenn ich jetzt eine Schulbank entwerfe, dann hat das soziale Auswirkungen auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis, auf das Verhältnis zum Nachbarn, auf die Frage, wie man darauf sitzen kann, was für Rückenleiden entstehen oder was für ein Selbstbild sich da entwickelt. Das wäre sozusagen der erste Punkt, erst einmal klarzustellen, dass Design, ob ich will oder nicht, gesellschaftliche Effekte und Auswirkungen hat. Und die zweite Frage wäre, sind sie gut oder schlecht, diese Auswirkungen? Und da bin ich dann ein bisschen skeptisch, denn in der Regel sind die eher schlecht als gut, oder es ist eigentlich egal oder nicht reflektiert genug, und dann kommt man in einen Bereich, wo man eine bewusst soziale, eine aktive Gestaltung macht, eine Position bezieht, sagt: »Das will ich!« Da tut sich dann ein komplexeres Feld auf, in dem man als Gestalter dann ganz konkret arbeiten kann. Die Behauptung ist richtig: Design ist immer gesellschaftlich relevant, aber es wäre gut, wenn man verantwortungsvoller und kritischer damit umginge, und nicht im Blindflug Sachen produziert, und dann feststellt: Ups, das ist jetzt der Effekt davon. CB: Die Vision der Gestaltung von Gesellschaft durch Design hat eine lange Tradition. Früher wurde f ü r die anderen gestaltet. Heute stellt sich die Frage: »Wer gestaltet für wen?« sehr viel deutlicher. Konnte man die These aufstellen: Social Design 3.0 = Gestalten mit den anderen? JF: Ich glaube, das ist ein entscheidender Punkt, aber zuvor kommt noch ein anderer wichtiger Aspekt. Ich glaube, um für andere oder mit anderen zu gestalten, wäre ein wichtiger Schritt, und das macht Social Design teilweise, die Vermittlerinstanz, nämlich den Markt zu relativieren. Design hat historisch gesehen den großen Fehler gemacht – im Produktdesign ist das sichtbar –, sich dem Glauben hinzugeben, dass die gute Form, die bessere Gesellschaft, der gute Wille, sozusagen über dem Markt stünde.

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Design hat sich darauf verlassen, dass der Markt diese positiven, ethischen Werte automatisch über die Konsumgesellschaft transportiert und vermittelt. Und das war extrem naiv, vielleicht war es aber auch historisch notwendig, das lässt sich heute schwer beurteilen. Das unterscheidet ein partizipatives Projekt von einem schicken Turnschuh, der in unterschiedlichen Farben gestaltet wird, das unterscheidet ein Open Source Projekt, das interveniert, von einem wohlmeinenden Konsumangebot, das individuell zugeschnitten wird. Der gravierende Unterschied ist, dass hier kein beschränkender, kein vermittelnder, wertabschöpfender Markt dazwischen geschaltet ist, sondern dass eine direkte Interaktion möglich ist. Das halte ich für ganz entscheidend, und darin unterscheidet sich Industriedesign, das eben eng an die Industrie oder Produktdesign, das eng an den Produktmarkt gekoppelt ist, von Social Design, das per se diesen Markt nicht braucht. Natürlich kann es auch Produkte geben, die über diesen Markt vertrieben werden, Produkte, die die industrielle Produktion nutzen, aber das ist im Wesentlichen n i c h t die Definition, dass Social Design über den Markt verteilt wird. Denn dass der Markt große Eigeninteressen hat, die den sozialen Intentionen der Gestalter entgegen laufen, das haben inzwischen, glaube ich, auch alle kapiert.

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Soziales Design in humanitärer Praxis Daniel Kerber MORE THAN SHELTERS ist ein Sozialunternehmen, das humanitäres Design für besser angepasste und menschenwürdigere Lösungen in Krisengebieten anbietet. Dabei wird Design als Gestaltung im weitesten Sinne verstanden. In der Praxis schließt es Gestaltung und kreative Lösungserarbeitung auf verschiedenen Ebenen mit ein, die sich im Designansatz von MORE THAN SHELTERS in folgender Dreiteilung wiederfinden: Produktdesign, Soziales Design und Ökosystemdesign. Dabei liegt die Stärke dieses Ansatzes in der Verknüpfung der drei Ebenen. Das für die Situation bestmögliche Design eines Produktes gelingt nur unter Einbezug der sozialen Realität vor Ort und der Einbettung in das entsprechende Umfeld als funktionierendes Ökosystem. Das gleiche gilt für die Gestaltung der Beziehungen zwischen allen Beteiligten eines humanitären Einsatzes (Soziales Design) unter Beachtung von politischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Rahmenbedingungen (Ökosystemdesign). Diese Herangehensweise, welche im Folgenden an Beispielen aus der humanitären Praxis genauer erläutert wird, plädiert für eine ganzheitliche und menschen-zentrierte Herangehensweise in humanitären Krisen. Ein solches »integriertes Design« als die Gestaltung und Verknüpfung der verschiedenen Ebenen ist dabei ein methodischer Lösungsansatz, um gegebene Komplexität nicht zu simplifizieren, sondern einen ›Werkzeugkasten‹ zu entwickeln, um der Komplexität die Kompliziertheit zu nehmen. Soziales Design, in unserem Verständnis als Modus der gestaltenden Zusammenarbeit, stellt die Menschen, für deren Lebensumfeld Lösungen geschaffen werden, als aktive Designer in den Mittelpunkt. Deshalb liegt der Fokus der Arbeit in Krisenregionen vor allem auch auf der Gestaltung der menschlichen Beziehungen, welche eine gemeinsame Erarbeitung, ein gemeinsames Design von Lösungen ermöglicht.

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Eine Grundannahme dieses Sozialen-Design-Ansatzes ist, dass die Menschen vor Ort Experten ihrer Realität sind und ihre Bedürfnisse selber am besten kennen, oftmals aber nicht gestalterisch ausgebildet sind. Deshalb gilt es, diese lokalen Experten mit Spezialisten aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenzubringen. So entsteht im Verlauf eines Projektes eine Plattform für die Verknüpfung lokaler Bedürfnisse mit dem globalem Wissensstand und modernen technischen Möglichkeiten. Dieser Austausch kann auf verschieden informellen oder formalisierten Methoden basieren  – von alltäglicher Zusammenarbeit und der intensiven Begleitung lokaler Akteure bis hin zu moderierten Multi-Stakeholder Workshops mit definiertem Ablauf. Dieses Verständnis von Sozialem Design ermöglicht die Einbeziehung interdisziplinärer Methoden und das Testen neuer Herangehensweisen, das zur stetigen Weiterentwicklung und Verfeinerung der Methoden führt. Auf diese Weise wird ein skalierbarer Methodenkoffer geschaffen, welcher auf globale Herausforderungen mit lokalen Lösungen für und mit den Menschen vor Ort reagieren kann. Anhand von Beispielen aus dem Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien und der Situation in Nepal nach dem Erdbeben in 2015 wird veranschaulicht, auf welche Weise Soziales Design in Krisensituationen stattfinden kann und so angepasste Lösungen hervorbringt und lokale Potenziale nutzt.

S oziales D esign im jordanischen F lüchtlingsl ager Zaatari ist das größte Flüchtlingslager in Jordanien und beherbergt über 80.000 Syrer, die aufgrund andauernder Konflikte in ihrem Land fliehen mussten. Das Flüchtlingslager hat in der Vergangenheit besondere Aufmerksamkeit erhalten: zum einen durch eskalierende Konflikte zwischen Flüchtlingen und humanitären Mitarbeitern1, zum anderen durch die rasante Entwicklung des Ortes von einem standardisierten Lager zu einem individuellen, stadtähnlichen Lebensumfeld 2 . Während beide Umstände stereotypisch für humanitäre Kontexte sind und eher die Norm statt eine 1 | Vgl. UNHCR: Za’atari Refugee Camp: 2013, Safety and Security Report 2014, S. 12 f.; http://www.syrialearning.org/resource/11111. 2 | Vgl. Kerber, Daniel/Poncette, Isabelle: »Praxisbericht. Weder Camp noch Stadt«, in: Indes: 4/2 (2015), S. 60–69.

Soziales Design in humanitärer Praxis

Ausnahme, überraschte Zaatari durch die Intensität und Geschwindigkeit beider Entwicklungen. Innerhalb von wenigen Monaten haben die Flüchtlinge die von außen eingebrachte Infrastruktur, wie Zelte, Container, Sanitärgebäude und den rasterförmigen Grundriss des Lagers autonom komplett umgestaltet. Der Campmanager der UNHCR Kilian Kleinschmidt sprach in dieser Zeit davon: »Wir versuchen hier ein Camp zu bauen, und die Bewohner bauen eine Stadt.« Bei einem Gang durch das Lager sah und sieht man, wie überall Güter umfunktioniert, Materialien nutzbar und kreative Lösungen geschaffen werden. Zum Beispiel auf der Hauptstraße mit dem Namen Champs Ellysées, wo ein florierender informeller Markt bestehend aus mehr als 3000 kleinen Geschäften entstanden ist. Alle vorinstallierten Sanitätsanlagen, wie Gemeinschaftsduschen und Toilettenanlagen, wurden auseinandergenommen und die Rohmaterialien im privaten Kontext wiederverwertet. Die ausschließlich für Beleuchtungszwecke installierte Stromversorgung wurde tausendfach informell angezapft. Ganze Container wurden zu Hunderten versetzt, um näher bei Verwandten leben zu können. Die hier beschriebenen informellen gestalterischen Phänomene sind im klassischen humanitären Campmanagment nicht vorgesehen. Deshalb wurden sie auch in Zaatari zuerst unterdrückt. Erst die dann entstandenen gewalttätigen Revolten innerhalb des Lagers führten zu einem neuen Umgang mit der Situation. Das Campmanagement erkannte, welch enormes Potential in der Kreativität und dem Tatendrang der syrischen Flüchtlinge vor Ort lag. MORE THAN SHELTERS wurde eingeladen, Teil dieser völlig neuen Gestaltung eines Flüchtlingslagers zu werden und die entstehenden Designprozesse mit zu entwickeln. Ein Projekt, bei dem sich der Soziale Design Ansatz als sehr nützlich erwiesen hat, ist die Implementierung von Abwasser-Filter-Gärten. Eine große Herausforderung im Lager war das fehlende oder durch den informellen Umbau defekte Abwassersystem. Im gesamten Lager lief Abwasser ungeklärt und unkontrolliert in die Gassen und Wege. Meterweite und -tiefe Brackwasserlöcher entstanden, welche nicht nur ein unschönes Umfeld erzeugten, sondern auch eine große Gefahr für spielende Kinder und ein immenses Hygienerisiko darstellten. Darüber hinaus bedrohte das in den Boden eindringende Wasser das größte Grundwasserreservoir der gesamten Region. Die großen Hilfsorganisationen suchten eine umfassende technische Lösung, die aber mindestens zwei bis drei Jahre Pla-

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nungszeitraum vorhersah. Es musste aber eine Lösung hier und jetzt gefunden werden, die sofort die akuten Gefahren minderte. In einer ungewöhnlichen Koalition aus NGO-Mitarbeitern, einem Gartenbaustudenten, Sozialen Designern von MORE THAN SHELTERS und lokalen Bewohnern und Politikern wurde eine raffinierte, aber simple technische Lösung entwickelt: Abwasser-Filter-Gärten, die über verschiedene Sedimentschichten und wasserreinigende Pflanzen das unkontrolliert in das Lager laufende Brackwasser auffangen und klären. Es wurde ein ›Garten-Kit‹ entwickelt, das pro Familie diese Aufgabe übernehmen sollte. In der Planung der Implementierung wurde schnell deutlich, dass die größte Herausforderung des Projektes im sozialen Prozess bestehen würde. Um das Projekt zu einem Erfolg zu machen, war es essentiell, dass die Flüchtlinge die Verantwortung dafür übernehmen, die Implementierung durchführen und anschließend Sorge für den Erhalt und die Pflege tragen. Durch vorherige Erfahrungen und Gespräche mit Flüchtlingen wurden folgende Defizite identifiziert, die andere Initiativen zum Scheitern gebracht hatten: Ein zu später Einbezug der Flüchtlinge, die Vorstellung bereits fertiger Ideen und Produkte ohne kulturelle und soziale Akzeptanz, Ausschluss großer Teile der Bevölkerung, falsche Erwartungshaltungen an die Organisationen, fehlendes Testen der Lösung in kleinem Maßstab. Abb. 1: Flüchtlingslager Zaatari.

Foto: MORE THAN SHELTERS.

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Mit diesem Wissen und Prinzipien des Sozialen Design folgend war der erste Schritt, mit der Projektidee ins Lager zu gehen und den Austausch mit Flüchtlingen zu suchen. Ganz konkret wählten wir einen bewusst offenen Ort an einer Kreuzung im gewählten Pilot-Distrikt, an dem Familien und vor allem auch Frauen wie beiläufig mitbekommen konnten, was dort vor sich ging. Nachdem das Prinzip des Gartens erklärt war, wurde gemeinsam überlegt und visualisiert, auf welche Weise die Implementierung stattfinden könnte. In Begriffen des Sozialen Designs fand hier zunächst die klare Definition des Problems statt, dann eine gemeinsame Ideenfindung und Brainstorming zur besten Implementierungsweise. Dabei kamen Ideen zur Materialänderung auf, die eine essentielle Vereinfachung der Beschaffung von Einzelkomponenten des Garten-Kits bedeuteten. Auch die genauen Implementierungsorte und Verbindungen der Gärten wurden diskutiert. Nach diesem sehr fruchtbaren Teil des Treffens, bei dem sowohl die Männer im Vordergrund als auch die Frauen im Hintergrund aktiv beteiligt waren, kam es zu einem entscheidenden Punkt. Abb. 2: Flüchtlingslager Zaatari.

Foto: MORE THAN SHELTERS.

Das Gartenprojekt wurde nicht subventioniert und die Kosten für das Material mussten von uns oder den Familien selbst getragen werden. Etwa zwei USD pro Garten-Kit. Unsere Erfahrung in anderen Projekten war auch, dass ein Kauf eine völlig andere ›Beziehung‹ zum Projekt herstellt. Außerdem wollten wir das Projekt skalieren und konnten keine eigenen Mittel dafür aufwenden. Wir hatten also beschlossen vorzuschlagen, dass

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jede Familie, die einen Garten anpflanzen wollte, die Bäume nicht umsonst bekam, sondern für den minimalen Preis erwerben musste. Die Diskussionen, geführt mit den Männern im Vordergrund und gehört von den Frauen im Hintergrund, gingen an diesem Tag ohne ein Ergebnis zu Ende. Als wir am nächsten Tag zurückkamen, liefen uns zwei Frauen entgegen und sagten, dass sie das Projekt auf jeden Fall machen würden und die Zahlung des kleinen Betrags kein Problem sei. Es war deutlich, dass sie die Männer überzeugt hatten, zuzustimmen. Daraufhin wurde sogleich mit dem ersten Garten begonnen als Pilot im Feld. Tatsächlich entwickelte sich schnell das sogenannte Schneeballprinzip, und Nachbarn begannen mit weiteren Gärten. Die Schritte des Testens und der Iteration im Sozialen Design wurden dann in den folgenden Wochen zum Selbstläufer. Menschen veränderten Positionen der Gärten und nahmen Veränderungen im Auf bau durch, je nach Verfügbarkeit der Materialien und alltäglicher Funktionalität. In Zaatari entstanden dann ohne unser weiteres Zutun viele hundert Gärten. Abb. 3: Flüchtlingslager Zaatari.

Foto: MORE THAN SHELTERS.

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S oziales D esign in N epal nach den E rdbeben Ein anderes Praxisbeispiel ist der Beginn eines Sozialen-Design-Prozesses, der nach den Erdbeben in Nepal mit der Einführung vom DOMO, des von MORE THAN SHELTERS entwickelten Unterkunftssystems für Krisengebiete, stattgefunden hat 3. An diesem Beispiel wird die Verbindung von Produktdesign und Sozialem Design sehr deutlich, ebenso wie die enorme Wichtigkeit einer der ersten Schritte des Sozialen Design Prozesses: das Verstehen des Kontextes und der Menschen, für die designt wird. Da Anzahl der DOMOs sowie Zweck und Orte bereits abgestimmt waren, könnte eine Annahme sein, dass außer für Administratives keine Präsenz von MORE THAN SHELTERS in Nepal notwendig wäre. Tatsächlich zeigte sich aber der Wert der Anwesenheit und des persönlichen Austausches zwischen MORE THAN SHELTERS und den Empfängern der DOMOs sehr schnell. Das Vor-Ort-Sein, der Besuch der Menschen an den verschiedenen Standorten, die Gespräche, das Beobachten und das Empfinden der Atmosphäre waren dabei alles Faktoren, die dazu beitrugen, die Post-Erdbeben-Realität durch die Augen der betroffenen Menschen zu sehen. Erst durch die eigene Anwesenheit konnten sowohl das Ökosystem, mit den ihm inhärenten Verquickungen von Regierungserlassen, internationaler Einmischung und informellen Praktiken vor Ort verstanden werden, als auch ein darauf basierendes Verständnis der tatsächlichen Bedürfnisse. Besonders beeindruckend waren der ungebrochene Optimismus der Menschen und ein hohe Hilfsbereitschaft gegenüber den Mitmenschen. Trotz der fatalen Situation und der Zerstörung kompletter Dörfer war vielerorts eine positive Grundstimmung und hohe Aktivität für den Wiederauf bau aufzufinden. Explizit wurden von Menschen vor Ort Hilfe zur Selbsthilfe gefordert und kurzfristige Eingriffe ohne Langzeiteffekt kritisiert. Standardisierte humanitäre Hilfe, die nicht auf Partizipation und Unterstützung lokaler Aktivitäten abzielt, erscheint in einem solchen Kontext beinahe absurd und kontraproduktiv. Im direkten Austausch mit unseren lokalen Projektpartnern konnte durch die Anwesenheit ein Vertrauen aufgebaut werden, welches die folgende Arbeit des Projektes durch einen regen Austausch maßgeblich unterstützte. Außerdem konnten so die genauen Bedürfnisse verstanden werden und der Grundstein für spä3 | Vgl. www.morethanshelters.org/de/domo/

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tere Weiterentwicklungen des Produktes gelegt werden. Durch Besuche der Standorte wurde beispielsweise deutlich, dass eine Geländeplanung und mitgedachte Infrastruktur wichtige Komponenten für den Erfolg der DOMOs im Feld sind. Auch wurden ausladende Überdachungen aus Bambus mit Akteuren vor Ort geplant und errichtet, die zusätzlichen Monsun-Schutz bieten und später auch als Sonnenschutz eingesetzt werden können. In der Zusammenarbeit kamen ebenfalls Ideen für ein anschließendes Trainingsprojekt zu erdbebensicherem Bauen auf. Theoretisch könnten solche Planungen und Ideen auch aus einem entfernten Büro stattfinden, praktisch entsteht ein Verständnis für deren Notwendigkeit und die Ausgestaltung mit lokal durchführbaren Lösungen aber nur vor Ort im Austausch von fachlichen Experten und den späteren Nutzern als gemeinsamen Designern. Auch dieses Beispiel zeigt, dass die Stärke von Sozialem Design in humanitären Kontexten darin besteht, die methodischen Prinzipien des Verstehens, des Austausches und des ImFeld-Testens auf flexible und situationssensible Weise einzusetzen.

D as humanitäre Ö kosystem Der Gestaltungsdrang der syrischen Flüchtlinge in Zaatari und die Eigenständigkeit der erdbebenbetroffenen Nepalesen ist durchaus kein Einzelfall. Schaut man sich Flüchtlingslager, Slums und den Wiederaufbau nach Naturkatastrophen an, begegnet man beeindruckenden Konstruktionen und Ideen sowie oft einem starken Gestaltungswillen. Aus der Not heraus entstanden und mit den einfachsten Mitteln werden hier neue Zuhause gebaut, die eben nicht auf der ganzen Welt gleich aussehen, sondern deutliche geographische und sozio-kulturelle Merkmale aufweisen. Seien es die Behausungen mit Eingangsbereich und provisorischen Innenhöfen, die in Zaatari häufig zu finden sind oder bunte Zeltstätten mit Monsun-Schutz in Nepal nach den Erdbeben, die oft aus nichts anderem als ein paar Stangen Bambus, Planen und Schnüren bestehen. Den beschriebenen Gestaltungswillen zu nutzen, kann nicht nur zu stark verbesserten lokalen Lösungen führen, sondern bedeutet ebenso eine finanzielle Ersparniss für humanitäre Organisationen, da sie auf vor Ort verfügbaren Ressourcen basieren, ebenso wie eine stärkere Eingebundenheit der betroffenen Menschen. Dies ist letztendlich ein ausschlaggebender Erfolgsfaktor und der Weg zur Nachhaltigkeit des Wiederauf baus

Soziales Design in humanitärer Praxis

einer Lebensgrundlage, was das Ziel jedes humanitären Einsatzes sein sollte. Das steht leider in Kontrast zur humanitären Praxis, die lokales Potenzial nicht nur nicht nutzt, sondern oft noch dagegen arbeitet. Die Demonstrationen und Konflikte in Zaatari waren der Ausbruch einer Reibung zwischen krisenbetroffener Bevölkerung und humanitären Organisationen, die sich verschieden ausgeprägt in fast jedem humanitären Einsatz wiederfindet. Sicher sind die Gründe dafür mannigfaltig und die Situationen, in denen humanitäre Hilfe nötig ist, sind extrem und mit einem Erfolgsdruck behaftet, bei dem es zunächst um reines Überleben geht. Auf dieser Basis ist es auch durchaus verständlich und indiskutabel, dass eine kontextunspezifische Standardisierung, die schnelles Handeln ermöglicht, notwendig ist. Dennoch ist unsere Argumentation, dass bereits in der Standardisierung eine Langfristigkeit und spätere Anpassungsmöglichkeiten und die Übergabe an die Menschen vor Ort mitgedacht werden müssen. Ein Soziales Design-Verständnis und die Nutzung und Verbindung einer entsprechenden Methodologie kann dabei ein Schlüssel dazu sein, wie solche sozialen Prozesse auch in Krisen zum positiven Zusammentreffen auf Augenhöhe von Menschen diverser Hintergründe und mit verschieden Positionen stattfinden kann. Dabei geht es explizit nicht darum, wie in der Partizipationsdebatte teils fälschlicherweise angenommen, externe Einmischung und Involvierung zu vermeiden, sondern einen Austausch zu etablieren, der mit externer Erfahrung und technischer Expertise, gepaart mit lokalem Wissen und Erfahrungswerten, zu lokal angepassten Lösungen führt, die dem globalen technischen Wissensstand würdig sind.

D esign in der K rise Unser Ansatz ist begrifflich auf Design basiert, da der Terminus den Gestaltungsprozess als dynamische Entwicklung betont, die Formgebung eines Produktes, einer Beziehung oder eines Umfeldes. Noch eine zweite Komponente spielt aber im Designbegriff eine wichtige Rolle, die in der humanitären Praxis essentiell ist, oft aber kaum beachtet wird: das Bedürfnis der Menschen nach ›Wohlgestaltetheit‹, vielleicht sogar als Ästhetik beschreibbar. Das Konzept ist schwer greif bar, da es etwas beschreibt, was auf Wahrnehmung und Sinnlichkeit basiert und nicht messbar oder

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final erklärbar ist. Es ist das Begehren nach bekannten sinnlichen Wahrnehmungen  – sei es räumlich, visuell, akustisch, olfaktorisch, gustatorisch oder sensorisch. Es mag zunächst irritieren von ›Ästhetik‹, von positiver sinnlicher Wahrnehmung, als notwendigem Ergebnis humanitärer Hilfe zu sprechen. Denkt man an Hilfe, die Überleben sichern soll, denkt man an Wasser, medizinische Versorgung und ein Dach über dem Kopf, unabhängig ihrer Gestaltung oder Wahrnehmung. Dies mag reichen für eine erste Intervention, jedoch bedeutet humanitäre Hilfe heutzutage internationales Engagement, welches sich nicht selten über Jahre hinzieht. Flüchtlingslager bestehen meist viele Jahre, und ein Wiederauf bau kann Jahrzehnte lang dauern. Bei dieser Realität kann physisches Überleben nicht das einzige Ziel humanitärer Hilfe sein, sondern auch ein mentales Überleben der Menschen, welches nicht zuletzt an Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit von gestalterischen Entscheidungen geknüpft ist. In diesem Sinne plädiert Design im humanitären Kontext auch für eine stärkere Beachtung unterschwelliger, tief menschlicher Bedürfnisse, die, wenn oft auch unbewusst, physischen Bedürfnissen durchaus nicht nachstehen. Gestaltung in MORE THAN SHELTERS’ integriertem Designansatz ist auf das lokal Bestfunktionierende gerichtet, aber eben auch auf die Schaffung einer Umwelt, in der Menschen sich wohlfühlen. Für diesen Ansatz und dieses Ziel sprechen nicht zuletzt Erfolgsfaktoren wie höhere Akzeptanz der Hilfe und nachhaltige Wirkung der humanitären Einsätze, sondern auch messbare Fakten wie finanzielle Effizienz, weniger Konflikte und eine schnellere Übernahme von Eigenverantwortlichkeit der krisenbetroffenen Bevölkerungen.

Soziales Design und urbane Realität Ute Elisabeth Weiland Auf einer Glasplatte, die zwei Hochhäuser miteinander verbindet, stellt der Architekt Kem Roomhaus den Investoren einer Großstadt seine neue Architekturschule vor. Es handele sich, wie er sagt, um Mini-Maximalismus, der sich aber auch zu einem Maxi-Minimalismus entwickeln könnte. Er will den Investor und Bauherrn, Bruce Wayne, für den Abriss des historischen Bahnhofs gewinnen, um ihn durch eine Buckelwalarchitektur zu ersetzen. Der Bahnhof soll die Menschen als tausendfache Jonasse aufnehmen, um sie dann in die Umwelt zu entlassen. Der Bahnhof entspricht den neuesten ökologischen Standards. Er kann sogar das CO₂ der einfahrenden Autos in Sauerstoff umwandeln. Das ist eine Kernszene aus der Batman-Geschichte Death by Design. Sie spielt in Gotham.1 In London, New York, Shanghai und anderen Großstädten weltweit entsteht heutzutage solch eine Art Godzilla-Architektur. Gleich einer ›gated community‹ verspricht sie den Investoren einen immer besseren Blick auf die noch verbliebene historische Stadt, die dadurch immer mehr zerstört wird. One Blackfriars ist Londons neues Meisterstück. Das Hochhaus bietet über 50 Stockwerke Panoramablicke über die historische Altstadt Londons. Rücksichtslos werden so unsere Städte unbewohnbar gemacht für diejenigen, die sie vor Jahren gestaltet haben, weil sie noch dort gelebt und gearbeitet haben. Heute bleibt ihnen nur die Wahl wegzuziehen, um dann mit dem öffentlichen Nahverkehr täglich zur Arbeit zurückzukehren. Edwin Heathcote, Architekturkritiker der Financial Times, beschreibt die neuesten Entwicklungen in London wie folgt:

1 | Kidd, Chip/Taylor, Dave: Death by Design, DC Comics 2012.

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»The plan to rid London of its central social housing is short-sighted. It would rob the streetscape of the bustle of everyday life and accelerate a slide into an empty vehicle for investment – the difference between a city that has the flexibility to adapt and absorb change, and one that stagnates as a luxury enclave.« 2

Damit schließt Heathcote an das vor über 50 Jahren veröffentlichte Buch The Death and Life of Great American Cities (1961) der amerikanischen Architekturkritikerin Jane Jacobs an. Sie beschreibt darin die Veränderungen des Stadtlebens durch den dramatisch zunehmenden Autoverkehr und die städtebauliche Ideologie der Moderne mit ihrer Aufteilung der Städte nach Flächennutzungsplänen und der Bevorzugung freistehender Einzelbauten. Jacobs plädiert für traditionelle, verdichtete Stadtviertel mit einer Mischung unterschiedlichster Nutzungen. Auch der dänische Architekt Jan Gehl fordert eine Rückbesinnung auf »das menschliche Maß« in der Stadtplanung. Er kritisiert, dass weder Stadtplaner noch Verkehrsplaner die Menschen, für die sie die Städte bauen, auf ihre Agenda setzen. Jahreslang blieben so die negativen Auswirkungen einer rein funktionalen Stadtplanung auf die Menschen unberücksichtigt. Inzwischen wird aber allgemein akzeptiert, »dass die planerische Für- und Vorsorge für die Einwohner ein wichtiger Schritt zu lebendigen, sicheren, nachhaltigen und gesunden Städten ist.«3

W as also ist S oziales D esign in S tädten ? Laut Wikipedia wird Social Design als eine Form der Architektur beschrieben, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und zugleich in den Entstehungsprozess des Gebäudes mit einbezogen wird. Gleichzeitig ist Social Design eine Richtung der Umwelt- und Architekturpsychologie. Grundlegend ist hierbei, dass Architekten, Designer, Psychologen und zukünftige Bewohner zusammenarbeiten, um zu einem optimalen Ergebnis für die zukünftigen Bewohner zu kommen. Paola Antonelli beschreibt den Begriff in der Architekturzeitschrift domus wie folgt: 2 | Edwin Heathcote: »The gentrification and petrification of London’s heart«, in: Financial Times vom 18.6.2015. 3 | Gehl, Jan: Städte für Menschen, Berlin: JOVIS 2015.

Soziales Design und urbane Realität

»The term is typically used to label the work of those designers and architects who focus on tasks born out of humanitarian and socio-political issues, but the term is deeply unsatisfying. For instance, it suggests a type of design that is not conceived for the benefit of individuals, but rather for idealized and averaged groupings thereof, with the intent of improving their conditions.« 4

Der Begriff Social Design ist vielfältig interpretierbar, er bezieht sich sowohl auf Produktdesign als auch auf Architektur. Deshalb geht dieser Beitrag von folgender Annahme aus: Social Design in Städten heißt, mit möglichst vielen Beteiligten zu arbeiten, um für möglichst viele Menschen bessere Konditionen zu schaffen. Diese Bedingungen werden nur in sehr wenigen Städten erfüllt. In den sogenannten Megastädten ist die Stadtentwicklung getrennt: einerseits in die professionelle Planung der Innenstadt durch Architekten und Stadtplaner im Interesse von Politik und Wirtschaft und andererseits in die als ›informal settlements‹ bezeichneten Strukturen, die auch als Slums, Favelas, Townships und Gecekondus bekannt sind. An diesen Orten, die weder Dorf noch Stadt sind, gibt es Projekte, die zeigen, wie Menschen sich das Wohnen vorstellen. Die Siedlungen werden häufig mit dem Auf bau der menschlichen Zelle verglichen: Der Zellkern ist das geistige Zentrum, die Kirche, die Moschee, die Bibliothek oder der öffentliche Platz. Das Zytoskelett steht für die Infrastruktur, die Straßen, die Leitungen und Netzwerke. Die Ribosomen könnte man als Wirtschaftsstandorte bezeichnen, die produzierenden Teile einer Stadt. Für die Energiezentren stehen die Mitochondrien und die Proteasomen bilden das Recyclingsystem. Diese Gestaltungsformen sind nicht neu. Wie ein roter Faden ziehen sie sich von den Städten des alten Mesopotamiens über Städte wie Fès in Marokko bis in die heutigen Vorstädte der Megacities. Diese Wohnformen sind Ausdruck des Menschlichen. Sie erinnern daran, was dem Menschen als sozialem Wesen wichtig ist – die Gemeinschaft, die Begegnung, die Vielfalt. Welches Potenzial können solche in Eigeninitiative entwickelten Projekte für den gesamtstädtischen Transformationsprozess haben? Wie se-

4 | Antonelli, Paola: States of Design 10: Social Design. www.domusweb.it/en/ design/2012/02/22/states-of-design-10-social-design.html

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hen solche Initiativen ›an der Basis‹ aus, welcher Instrumente und Werkzeuge bedienen sie sich?

Ein Beispiel aus Mexico City: Miravalle 5 Innerhalb der Grenzen von Mexico-City auf einem Hügel mit Blick auf die Großstadtlandschaft steht Miravalle, eine relativ neue Siedlung im Stadtteil Iztapalapa. Auf ehemaligen landwirtschaftlichen Flächen in den späten achtziger Jahren erbaut, wurde Miravalle wegen fehlender städtischer Infrastruktur teilweise wieder aufgegeben. Seit 2006 haben sich lokale Organisationen zu einem Gemeinderat zusammengeschlossen, der sich einmal monatlich trifft, um die Lebensbedingungen der Nachbarschaft zu verbessern. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den fehlenden, sicheren Freizeit- und Kulturangeboten für Kinder und Jugendliche. Aber auch ein nachhaltiges Gemeindeleben sollte initiiert werden. Der Gemeinderat hat einen verlassenen öffentlichen Raum in ein Gemeindezentrum mit unterschiedlichen Angeboten umgewandelt. Es entstanden eine Bibliothek, ein Computerraum, ein Klassenraum für verschiedene Kurse, eine preiswerte Gemeindeküche, die Essen für ca. 300 Menschen zubereitet, ein Gesundheitszentrum und ein öffentlicher Platz für Gemeindetreffen und Feiern. In der näheren Umgebung wird Gemüse angebaut, das in der Gemeindeküche Verwendung findet. Und auf einem Recyclingplatz sind 30 Menschen beschäftigt, die Plastikmüll sammeln und weiterverkaufen. Miravalle hat ein Kooperationsnetzwerk geschaffen zwischen örtlichen Interessengruppen, Experten aus der Wissenschaft und NGOs, und wurde dadurch zum Vorbild für andere Randgruppen, die eine sozio-kulturelle Erneuerung anstreben.

5 | Vgl. Rosa, Marcos L./Weiland, Ute (Hg.): Handmade Urbanism, Berlin: JOVIS 2012.

Soziales Design und urbane Realität

Abb. 1: Mexico City Initiatives; Miravalle Community Council 2006–2012.

Grafik aus dem Buch Handmade Urbanism.

Ein Beispiel aus Sao Paulo: ACAIA Das Institut, gegründet 2001, organisiert Workshops, um Eltern und Kindern notwendiges Handwerkszeug für das tägliche Leben zu vermitteln. ACAIA wendet sich an benachteiligte Familien aus benachbarten Favelas und bietet Kunstworkshops, handwerkliches Arbeiten, Kochkurse, Umwelterziehung, Musik sowie Sport und Spiel an. Neben all diesen Aktivitäten initiierte ACAIA in Partnerschaft mit Architekten und der Stadtverwaltung die Verbesserung der urbanen Infrastruktur: ein neues Abwassersystem wurde gebaut, Straßen gepflastert. Es entstanden ein neuer öffentlicher Platz mit Spielgeräten für Kinder, ein Kindergarten und eine Wäscherei. ACAIA bietet den Jugendlichen Zugang zu Arbeit, Bildung, Gesundheitsvorsorge und Kultur. Das Projekt wurde in Sao Paulo zum Symbol dafür, dass auch einkommensschwachen Bevölkerungsschichten Wohnungen in zentralen Bereichen der Stadt zur Verfügung gestellt werden müssen. Normalerweise wohnen einkommensschwache Bevölkerungsschichten nicht mehr in der Innenstadt von Sao Paulo, sondern fahren täglich mehrere Stunden zur Arbeit oder zur Schule und wieder zu ihren Wohnungen am Stadtrand.

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Abb. 2: Sao Paulo Initiatives; Acaia Institute 1997–2012.

Grafik aus dem Buch Handmade Urbanism.

Projekte wie Miravalle und ACAIA geben dem Leben der Menschen einen Sinn, indem sie Ordnung schaffen und Sicherheit und Würde zurückgeben. Die Notwendigkeit, die Stadt zu ordnen, ist der Anfang aller Stadtplanung. Im 19. Jahrhundert sind es die katastrophalen hygienischen und sozialen Zustände, heute sind es Verkehrsprobleme und die Anforderungen des Klimaschutzes, die eine ordnende Planung der Stadt notwendig machen. Aber läuft nicht jeder Ordnungsversuch Gefahr, individuelle Differenz als störende Abweichung auszuschließen, umso mehr, wenn es etwa eine rein ästhetische Ordnung ist, d. h. eine Ordnung, die sich jenseits sozialer Zusammenhänge bewegt? Wie die hier beschriebenen Projekte gezeigt haben, muss es nicht so sein. Überall auf der Welt, sei es in Kapstadt, Neu Delhi, Mumbai, Rio oder Istanbul gestalten Menschen, die nicht Architektur oder Stadtplanung studiert haben, in vergleichbarer Art und Weise instinktiv nach ähnlichen Mustern ihre städtische Umgebung: ein Dach über dem Kopf, Zugang zur Natur, gesund essen, einen öffentlichen Raum für Begegnungen und eine sichere Umgebung für ihre Kinder in einer sicheren Umgebung.

Soziales Design und urbane Realität

Das Interesse der Menschen, an der Gestaltung ihrer Umgebung teilzuhaben, ist enorm hoch. Das zeigen u. a. die Verkaufszahlen des Computerspiels Minecraft, das diesen Gestaltungswillen spielerisch aufgreift. Hier kann man die Welt nach eigenen Vorstellungen verändern, Wege, Städte, Häfen und Phantasiebauwerke erschaffen. Fünf Jahre nach dem Start waren von der PC-Version 15 Millionen Exemplare verkauft, was die PC-Version zum bestverkauften Spiel aller Zeiten macht. Neue Technologien können gezielt eingesetzt werden, um uns sogar scheinbar die Partizipation an städtischem Design und Entscheidungsfindungsprozessen zu erleichtern. Eine schwedische Untersuchung6 zeigt, wie Minecraft das Interesse von Jugendlichen an städtischer Planung erhöht und Werkzeuge bereitstellt, die Beteiligung an Planungsprozessen zu erhöhen und Stadtnutzern eine Stimme zu geben. Aus der Erkenntnis, dass Bürger an der Gestaltung ihrer Lebensumwelt teilhaben wollen und dass sie dazu auch in der Lage sind, sollte Stadtplanung lernen. Für die Zukunft lebenswerter Städte sollte die Trennung von professioneller Architektur und Planung und ›dem menschlichen Maß‹ überwunden werden. Aktive Bürger brauchen keinen Batman, der sie befreit, sondern Stadtplaner und Architekten, die mit ihnen arbeiten und bereit sind, den reichhaltigen Schatz ihrer Erfahrungen zu heben, damit Städte keinen Tod durch Design erleiden.

6 | Vgl. Heland, Fanny (Hg.): Using Minecraft as a citizen participation tool in urban design and decision making. www.ericsson.com/res/docs/2015/minecraftcitizen-participation-future-of-places.pdf

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Ist »Social Design« eine neue Designkategorie? Michael Krohn

Abb. 1: Im Wasserfilter-Projekt für Kenia gestalten die Nutzer die Lösungen aktiv mit.

Foto: Philip Moreton, ZHdK.

D ie R olle des S ocial D esigns Über die Rolle und die Wirkung von Design ist man sich weitestgehend einig: Design kann Produkte und Dienstleistungen gestalten, es kann Systeme neu denken und Prozesse definieren. Design hat aber auch mit der Prägung von Stilen und Ästhetiken zu tun. Was Design immer schon inhärent war, ist der enge Bezug zu den Nutzerinnen und Nutzern. Design soll deren Anliegen und Bedürfnisse ernst nehmen, sie unterstüt-

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zen und emotional ansprechen – sei dies nun auf funktionaler, sinnlicher oder ästhetischer Ebene. Gutes Design meint die souveräne Gestaltung all dieser ›Nutzerschnittstellen‹, um Verhalten, Wertvorstellungen und Bedeutungen zu berücksichtigen. Ein Vorwurf, den man der Designdisziplin seit längerem zum Teil zu Recht macht: reines, inhaltleeres und austauschbares Marketinginstrument für Unternehmen zu sein, die sich durch Design abheben wollen. Damit steht Design im Widerspruch zu einer nachhaltigen und sozial verträglichen Lebensweise; dort wo Design Verbrauch mit immer neuen Produkten und Trends fördert, kann keine nachhaltige und verantwortliche Konsumkultur entstehen. Design trägt damit eher zur Festigung von sozialen Unterschieden bei, als zu deren Aufhebung. Design wird oft als ein typisches Phänomen saturierter, ›entwickelter‹ Gesellschaften verstanden. Dies reduziert sich gleichzeitig auf westliche Konsumgesellschaften. ›Überfluss‹ ist ein Begriff, der oft in Zusammenhang mit Design genannt wird; Design scheint statt auf menschliche Bedürfnisse immer mehr auf marktwirtschaftliche Interessen einzugehen. »Form follows function«, ›ehrliches‹ Design oder »Less is more« verkommen zu stilistischen Floskeln, die sich schön in den Katalogen lesen. Viktor Papanek und Lucius Burckhardt sind beides Vordenker oder zumindest Beobachter der sozialen Wirkung von Design und Beschreiber einer neuen Rolle, welche Design haben könnte  – dies schon in den 1970er Jahren. Designwissen soll nicht nur zur Gestaltung von Dingen, sondern vielmehr zur Gestaltung von Beziehungen und Prozessen eingesetzt werden. Wenn wir von Social Design sprechen, so meinen wir damit keinen neuen Trend oder gar eine neue Designdisziplin. Social Design meint vielmehr die Fokussierung von Design auf die gesellschaftliche und soziale Wirkung, um Veränderungen, selbstverständlich möglichst im positiven Sinne, herbeizuführen oder zu unterstützen. Dabei stehen Menschen und Gesellschaften im Zentrum sowie die Frage, welche Auswirkungen Design auf deren (Zusammen-)Leben haben kann und wie unter Einbezug der ›Betroffenen‹ Lösungen erarbeitet werden können, welche deren Lebensqualität erhöht. Design hat, wie wohl kaum eine andere Disziplin, die Fähigkeit, Dinge und Prozesse neu zu denken, es kann Alternativen aufzeigen und diese gleichzeitig auch materialisieren und realisieren. In seiner sozialen Ausrichtung und Wirkung versucht Design dabei, Wertschöpfungsketten und Ressourcen gesamtheitlich und nicht isoliert zu betrachten. Wichtig ist das »Empowerment« der Betroffenen; dort wo Lösungen die Autonomie und Selbstbestimmung

Ist »Social Design« eine neue Designkategorie?

erhöhen und ermöglichen, Interessen eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten. Wir sind der Meinung, dass Social Design grundlegende Fragen an das Design selbst stellt und damit auch an die Ausbildung und Designprozesse. Kann in einer zunehmenden Globalisierung mit multikulturellen Lebensformen davon ausgegangen werden, dass Designer sich auf Fragen der Ästhetik zurückziehen können? Sind Designerinnen und Designer nicht auch mit verantwortlich, wie und für wen Ressourcen eingesetzt und genutzt werden und welches die sozialen Auswirkungen ihrer Tätigkeit sind?

D esign im E nt wicklungskonte x t Die Wirkung von Design, die Arbeit von Designern ist im sogenannt ›entwickelten‹ Teil der Welt meist in wirtschaftliche Prozesse eingebunden, im Kontext der Zusammenarbeit mit weniger wohlhabenden Regionen der Erde allerdings noch weitgehend unerprobt. Dort prägen importierte Konsumgüter einen global orientierten Designbegriff, welcher oft kaum auf die Eigenheiten der Lebensumstände, Kulturen, ökonomischen Verhältnisse und einen möglichen nachhaltigen Nutzen für die Bevölkerung Rücksicht nimmt. Das ist paradox, hat doch Design das Potential, Probleme und Fragestellungen auf eine eigene Weise zu erkennen und innovative Lösungen zu liefern, die mehr als nur »more of the same« sind. 90 Prozent der Weltbevölkerung leben einen Alltag fernab von Design und dessen Errungenschaften. Gerade in Entwicklungskontexten kann Design am wirksamsten sein: neuere Diskurse propagieren Design daher als einen Katalysator für soziale Veränderungen und Innovationen. Designer können ihr Wissen zum Nutzen minderprivilegierter und »underserved« Bevölkerungsschichten anwenden, am besten in Zusammenarbeit mit humanitären Organisationen vor Ort. Doch sind Designstudierende und Designhochschulen vorbereitet auf solche neuen Themenstellungen? Während globalisierte Unternehmen sich Design bewusst zu Nutze machen, sind Entwicklungshilfeorganisationen noch weitgehend unerfahren in der Einbindung von Design. Neben der für Design typischen Transferleistung (schönere Produkte, effizientere Produktion, neue Services), hat Design auch eine genuine Wirkung: Erkenntnisprozesse auslösen, soziale Veränderungen anstoßen, Informationen fair vermitteln, kulturelle Einbettungen schaffen oder Unternehmertum zu ermöglichen.

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Designarbeit im Entwicklungskontext muss für beide Welten denken: Güter, die in Entwicklungsregionen benötigt werden, zu konzipieren, aber auch die Unternehmen, Märkte und die Leistungen, die von dort auf unsere Märkte gelangen, zu unterstützen. Ein weiterer Aspekt betrifft die Ausbildung und Unterstützung in Regionen, die über wenig wirtschaftliche Leistung verfügen. Hier besteht an vielen Orten der Bedarf, einen Zugang zu Design, oft aus kulturellen Traditionen heraus, aufzubauen und auszubilden. So können mittels Design Einkommensquellen geschaffen werden. Design ist in der Lage, wegweisende Unterstützung zu leisten, die im Wesentlichen auf interkulturellen Dimensionen und Dialogen beruht. Designer tun dies aber nicht im Alleingang, sie kooperieren dabei mit Organisationen, welche an den Standorten schon präsent sind und über Wissen über die regionalen Verhältnisse verfügen. Dies impliziert auch ausdrücklich, neue Methoden des Designs zu entwickeln, in denen die Nutzer aktiv in Designprozesse mit einbezogen werden und diese mitgestalten. Die Designdisziplin muss sich aber auch im Klaren sein, dass sich die Welt wandeln wird. Mehr als 650 Millionen Menschen in Afrika nutzen ein Mobiltelefon. Das sind mehr als in Europa oder in den USA. In Afrika wird Geld per Handy verschickt und empfangen, das ist dort Alltag. Wie auch in Südamerika und Asien bildet sich dort eine neue Gesellschaft, welche ihre Waren- und Informationsströme ganz anders organisieren wird als unsere. Es wäre naiv zu glauben, diese Gesellschaften würden unseren Vorbildern folgen: nein – sie werden eigene neue Muster und ein anderes Verständnis von Design und Nutzung von Produkten und Services entwickeln.

S ocial D esign als C hance zu ökonomischen V er änderungen Blickt man nach Afrika, bemerkt man, dass es einerseits für eine verschwindend kleine Minderheit die üblichen westlichen Markenprodukte gibt, die sich der Rest nicht leisten kann. Der Großteil der Warenwelt wird durch Billigstimporte, vor allem aus Asien, bestimmt. Afrikanische Produkte? Afrikanisches Design? Kaum sichtbar und wenn, dann wohl am ehesten als ›Kunsthandwerk‹. Es wäre aber falsch, davon auszugehen, dass der Auf bau einer Designkultur ebenso arbeitsteilig sein muss wie hier bei uns in Europa. Dazu fehlen oft die nötigen technischen und

Ist »Social Design« eine neue Designkategorie?

ökonomischen Mittel. Design heisst hier, mit den vorhandenen Mitteln und direktem Einbezug der Betroffenen Dinge zu gestalten, die einen unmittelbar positiven Einfluss auf deren Leben haben können. Sei dies nun mit Produkten, welche das Leben und die Arbeit vereinfachen oder mit Produkten und Services, die neue Einkommensquellen schaffen können. »Empowerment« der Betroffenen und die Auflösung von Abhängigkeiten ist eine positive Folge davon. Damit entstehen viele Chancen für ein selbstbestimmtes Leben. Wissenstransfer kann den Auf bau von Designschulen und -ausbildungen mittels partizipativen Methoden zusammen mit lokalen Unternehmen unterstützen. Insbesondere bei Studierenden stellen wir vermehrt Fragen nach der Verantwortung des Designs fest und was Design abseits des Mainstreams leisten könnte und müsste, um es der modischen Beliebigkeit der gesättigten Märkte zu entheben. Dies schließt Unternehmen und Organisationen ein, welche einen fairen Handel, nachhaltige Bewirtschaftung oder Ausbildung vor Ort betreiben wollen. Abb. 2: Markenentwicklung für Textilien aus Mozambik.

Foto: ZHdK.

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Abb. 3: Prototyping des »SAFIR« Wasserfilters in Kolumbien mit den Nutzern.

Foto: EAWAG Dübendorf.

S ocial D esign für wen ? Es wär ein falscher Eindruck, Social Design nur als Methode für sogenannte ›weniger entwickelte Gesellschaften‹ zu betrachten. Designmethoden mit einer sozialen Zielsetzung dienen letztlich allen marginalisierten Gruppen – und diese kommen häufig auch in unserer nächsten Umgebung vor. Seien dies nun Menschen, die sozial ausgegrenzt und benachteiligt sind oder anderweitig nicht an den Errungenschaften unserer Gesellschaft hier in Europa teilhaben können. »Design for all« oder »Inclusive Design«, also Design, das für alle Menschen einer Gesellschaft Gültigkeit hat und Nutzen bringt, ist dabei Teil des Social-Design-Gedankens. Dies kann zum Beispiel in Altenheimen, Rehabilitationszentren oder Arbeitsbeschaffungsmassnahmen Wirkung zeigen. Migrationsbewegungen verändern unsere Gesellschaft ebenso stark. Wir sind mit einer zunehmend kulturell und ökonomisch heterogenen Gesellschaft konfrontiert, ob wir das wollen oder nicht. Viele Diskurse betreffen den Alltag hier bei uns: Religion, Verhalten, Wertvorstellungen, Kulturen verändern sich mit zunehmenden Migrationsströmen. Dies verunsichert uns einerseits, anderseits bemerken wir, dass diese Prob-

Ist »Social Design« eine neue Designkategorie?

leme mit traditionellen Mustern nicht lösbar sind. Design kann hierzu einen Beitrag leisten, dass diese Differenzen nicht konfrontativ ausgetragen werden, und dass Vielfalt und Diversität nutzbar gemacht werden können.

Partizipation mit B e troffenen und D esign vor O rt  – B eobachten und B e wirken Ist nun Social Design eine neue Designkategorie? Nein, Social Design verbindet Wissen über Design mit sozialem Wissen und ist eigentlich in jeder Designdisziplin anwendbar. Allerdings verlangt es, in der Designausbildung andere Schwerpunkte und Themen zu setzen. Wir bilden heute unsere angehenden Designer aus, damit sie in einem typisch arbeitsteiligen Umfeld, in welchem alle Beteiligten ihre Rolle kennen und verstehen, fähig sind zu wirken. Dies funktioniert in vielen sozialenund Entwicklungskontexten nicht mehr. Die zum Teil komplett anderen Umstände, seien dies Klima, Kultur, Wertvorstellungen, Religion etc., machen es fast unmöglich, Lösungen für Betroffene aus einer anderen Region, aber auch sozial unterschiedlichen Kontexten, am Schreibtisch zu entwickeln. Der Vorwurf der Überheblichkeit und zum Teil Arroganz des Besserwissens kann nur überwunden werden, wenn direkt mit den Betroffenen zusammengearbeitet wird. Hier lösen sich die Unterschiede zwischen ›Experten‹ und ›Nutzern‹ auf. Wer sich in Social-Design-Projekten also nicht den Umständen aussetzt, kann kaum wirkungsvolle Lösungen gestalten. Etwas, was Designerinnen und Designer sehr gut beherrschen: beobachten, analysieren, ausprobieren und daraus Schlüsse für neue Lösungen ziehen: diese Begabung ist für Social-Design-Projekte außerordentlich nützlich. Dazu kommen weitere Aspekte wie Wissen um kulturelle Differenzen oder Kenntnisse ethnografischer Methoden. Viel Erfahrung muss man sich aber schlichtweg vor Ort aneignen. Eine auf Social-Design-Aspekte ausgerichtete Ausbildung sollte darum neue und andere Aspekte berücksichtigen, als es bisher für ›gutes‹ Design nötig war.

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V on der B eobachtung zur H andlung Konkrete Problemstellungen ermöglichen den Einsatz von Social-Design-Methoden. Die grundlegende Beobachtung und Analyse, um was es eigentlich geht, ist für Designer zwingend. Social Design heisst eben auch, sich die Briefings für die Designaufgabe selbst oder zumindest mit Einbezug der Betroffenen zu schreiben. Organisationen wie z. B. IDEO oder die Sustainable Development Goals« (SDG) der Vereinten Nationen bieten dazu schon relativ anschauliche Best Practice Beispiele. Allerdings kann man die Nähe zu den Betroffenen an einer Designschule nur begrenzt üben. Vor Ort sein und mit den Betroffenen zu arbeiten ist eine Notwendigkeit. Allerdings, und das ist wichtig, muss dies gut vorbereitet sein. Für die Arbeit in Social-Design-Kontexten haben wir darum die folgenden einfachen Merkmale aufgesetzt:

Beobachten und Handeln • Sei vorbereitet: wo gehst du hin, was erwartet dich dort, wen wirst du antreffen? • Identifiziere das Szenario: wer will für wen etwas tun und warum? • Was kann der Nutzen für die Betroffenen sein? • Beobachte Gewohnheiten und Verhalten der Betroffenen • Definiere mit ihnen zusammen die Bedürfnisse und Ansprüche • Berücksichtige die kulturellen Beziehungen, Gebräuche und Verhalten • Gestalte mit den Betroffenen, integriere Soft Faktoren • Arbeite mit einfachen Modellen, die rasch implementiert und genutzt werden können • Dokumentiere, was du tust und was die Auswirkungen davon sein werden • Registriere die wirtschaftlichen Modelle und Wertschöpfungsketten • Gestalte mit regionalen Ressourcen und Mitteln • Lerne die regionale ästhetische Sprache verstehen • Unterstütze lokale, unabhängige Kreation, Produktion und Vermarktung • Gib Wissen weiter, lerne von vorhandenem Wissen

Ist »Social Design« eine neue Designkategorie?

Kriterien der Gestaltung • • • • • • • • • • • • •

Vernünftig und flexibel im Gebrauch Einfach, verständlich und intuitiv Fehlertolerant, robust und dauerhaft Wenig oder keine externe Energie brauchen, keine Schadstoffe produzieren Ästhetisch und wertig Nicht diskriminierend Nachhaltig in Produktion, Gebrauch und Verwertung Schafft keine Abhängigkeit Gender-, kultur-, ethnisch- und religiös-sensibel Bietet Potential für Unternehmertum oder schafft Arbeitsplätze Lässt sich mit vorhandenen Wissen und Ressourcen weiterentwickeln Entwicklung und Vermarktung verbleibt in den Händen der Betroffenen Lokal eingebettet mit einem direkten Nutzen für die Betroffenen

Fazit ist, dass Design mit sozialen Zielen nicht nur den Betroffenen dient, sondern dass es auch die Designdisziplin selbst verändern und weiterentwickeln kann. Die dazu nötige Betrachtungsweise verändert den Fokus weg von einer anonymen, arbeitsteiligen Produktlösung hin zu Prozessen und sozialen Wirkungen mittels Designmethoden. Design vermag nicht alle sozialen oder Entwicklungsprobleme zu lösen. Es kann aber an vielen Stellen intelligente Prozesse und Lösungen anbieten, deren Nutzen die Interessen der Betroffenen ins Zentrum stellt.

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Die Mode ergreift das Wort Von der Möglichkeit durch Mode die Gesellschaft zu verändern Friederike von Wedel-Parlow Was bedeutet das Soziale in der Mode und welche Rolle hat die Mode für die Veränderungsprozesse der Gesellschaft? Könnte die Mode dabei die vorreitende Gestaltungsdisziplin sein, als die dem Körper am nächsten liegende Umhüllung und somit erstes gestalterisches Ausdrucksmittel des Menschen? Welche Bedeutung kommt bei diesen Veränderungsprozessen dem Handwerk zu und wie wird eine größere Nähe der Herstellungsprozesse zur Nutzung erreicht? Wie verändern sich dabei die Rollenzuschreibungen und -verteilungen von Design, Handwerk und Nutzung? Die Frage nach dem gesellschaftsverändernden Potential von Design wird bislang überwiegend aus der Sicht von Architektur und Produktgestaltung gestellt: »Wie wollen wir leben und wie wollen wir dem Leben entsprechend Gestalt, Funktion, Form und Hülle geben?« Doch eigentlich betrifft diese zentrale Frage auch andere Disziplinen. Aber obwohl die Mode, wenn es um Gesellschaftsrelevanz und soziale Auswirkungen geht, viel beizutragen hat, hält sie sich bislang in diesem Kontext deutlich zurück. Warum eigentlich? Mode impliziert von ihrem Wesen her eine unmittelbare Auseinandersetzung mit sozialen Themen und Phänomenen: Mode ist Ausdruck von sozialer Zugehörigkeit oder Abgrenzung par excellence.1 Selbst die bewusste Ablehnung von Mode wird durch die Auswahl der Bekleidung 1 | Vgl. Lehnert, Gertrud: Zur Räumlichkeit von Mode – vestimentäre räumliche Praktiken, in: Rainer Wenrich (Hg.), Die Medialität der Mode, Bielefeld: transcript 2015, S. 233–250.

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ungewollt ausgedrückt. Ein Modemuffel gibt sein Statement gleichermaßen ab wie die Fashionista, die immer am Zahn der Zeit sein will und jeden (vermeintlich) neuen Trend mitmacht und ihre Garderobe bis ins Detail abstimmt. Mode dient als feiner Seismograph unserer Zeit; ständige Veränderung ist das Wesen der Mode, wie es Baudelaire schon 1857 mit dem Wandel als der Konstanten der Mode ausdrückte, immer mit der Triebkraft, Verbindung oder Abtrennung zu anderen zu erlangen. Im kulturellen Kontext betrachtet ist Mode also sozial. In der Art und Weise, wie Mode hergestellt wird, insbesondere mit Blick auf die globale Produktion, ist sie es jedoch ganz und gar nicht.2 Die Bekleidungs- und Textilindustrie dient als eine der Pionierindustrien für bis dato wenig entwickelte Länder. Mit seinen einfachen und saisonal wechselnden, dem modischen Wandel unterworfenen Arbeitsabläufen ist dieser Sektor nur vergleichsweise gering auf industrielle Fertigungstechniken ausgerichtet. Stattdessen benötigt er für die fingerfertigen feinen Arbeiten an den Nähmaschinen und Fertigungsstraßen zahllose fleißige Arbeiterhände. In diesem Segen von Arbeitsplätzen und dem damit versprochenen sozialen Aufstieg und Wohlstand liegt zugleich der Fluch. Die Arbeitsbedingungen sind häufig katastrophal und nicht menschenwürdig. Zumeist wird deutlich unter den geltenden Mindestlöhnen bezahlt, also weit entfernt von tatsächlich existenzsichernden Löhnen. Auch wenn nicht alle Produktionsstätten die Arbeit erzwingen wie in Rana Plaza in Bangladesh, bei dem die Arbeiter antreten mussten trotz Rissen im Bauwerk, das dann über ihnen zusammenbrach und 1127 Menschen in den Tod riss, so haben die Frauen in diesen Ländern mit wenig Erwerbsalternativen kaum eine Chance, sich für andere Jobs zu entscheiden, um ihre Familien zu ernähren.3 Jeder sechste Arbeitnehmer weltweit ist im Bereich Mode und Textil beschäftigt. Damit ist diese Einzelindustrie der größte Arbeitgeber weltweit. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal zeichnet diesen Sektor 2 | Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Hg.): Arbeitsbedingungen in der globalisierten Textilwirtschaft, www.bmz.de/de/the​ men/textilwirtschaft/hintergrund/index.html 3 | Pillay, Navanethem: »Was in Bangladesch getan werden muss«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.5.2013; www.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/​ nach-dem-einsturz-der-textilfabrik-was-in-bangladesch-getan-werden-muss-​ 12188636.html

Die Mode ergreif t das Wor t

auf makabre Art aus: Über 20.000 Chemikalien werden laut Hamburger Umweltinstitut in diesem Industriezweig eingesetzt. Die Gesundheit ist also nicht nur durch geringe Gebäudesicherheit gefährdet, sondern vor allem auch durch den Einsatz giftiger Chemikalien. Deren negative Auswirkungen auf vegetative Nervensysteme und Fortpflanzungsorgane bei Mensch und Tier und Zerstörung von Ökosystemen sind zwar bekannt, werden außerhalb Europas wegen der günstigen Preise dennoch immer weiter eingesetzt.4 Während in den beim Endverbraucher ausgelieferten Waren oft nur noch geringfügige Rückstände innerhalb der von den verschiedenen Lobbyverbänden hochgehaltenen Grenzwerten zu finden sind, sind die Arbeiter und Arbeiterinnen ihnen häufig ohne Schutzbekleidung ausgesetzt. Dies ist alles hinreichend bekannt. Umweltverbände wie Greenpeace setzen sich mittlerweile immer erfolgreicher für den erklärten Wandel hin zu einer gesunden Produktion ein. Mehr und mehr Firmen unterzeichnen, bis 2020 sukzessive die schädlichen Chemikalien aus der Produktion zu eliminieren und so für eine saubere und damit menschenwürdige Produktion zu sorgen.5 Das Ökologische und das Soziale hängen hier ganz eng zusammen. Denn nur unter gesunden Arbeitsbedingungen und in einer sauberen, heilen Umwelt kann Leben gedeihen und mit Würde erlebt werden. Sich für eine saubere Produktion einzusetzen, ist die Vision der Cradle to Cradle Philosophie, der eine ganz und gar humanistische Einstellung zugrunde liegt: Das Ziel ist nicht, die Technologie in das Zentrum allen Schaffens zu stellen, sondern den Menschen: für ein lebensbejahendes, den positiven Fußabdruck feierndes Neugestalten unserer Welt.6 »Nur ist alles so schlecht gestaltet, das es zunächst gilt, die richtigen Inhaltsstoffe für ebenjenes menschenwürdige Leben zu definieren und einzusetzen«, sagt Michael Braungart, der Mitbegründer dieses Designprinzips. 4 | Vgl. Greenpeace (Hg.): Gefährliche Substanzen in der Textilindustrie, https:// www.greenpeace.de/themen/endlager-umwelt/gefahrliche-​s ubstanzen-der-tex​ til​i ndustrie 5 | 2011 startete Greenpeace die Detox Kampagne. Vgl. »Detox« für giftfreie Kleidung – erste große Firmen verpflichten sich, bis 2020 giftige Chemikalien aus ihrer Produktion zu verbannen, https://www.greenpeace.de/kampagnen/detox 6 | Vgl. hierzu Braungart, Michael/McDonough, William: »Cradle to Cradle. Einfach intelligent produzieren«, München: Piper 2014.

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Die sozialen Bedingungen der Kommunen und Gemeinden in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu verbessern, ist das Ziel vieler staatlicher und privater Organisationen. In geförderten Projekten werden Produkte in sozialen Strukturen entwickelt und beispielsweise über Dritte-Welt-Läden vertrieben. Die Produkte haben jedoch Schwierigkeiten, am Markt neben konventionellen Produkten zu bestehen. Sie werden, wenn überhaupt, oft eher für das gute Gewissen gekauft, als für den tatsächlichen Einsatz und Gebrauch. Häufig, nicht immer, genügen sie den ästhetischen und funktionalen Ansprüchen nicht. Es wird mit den besten Absichten am Bedarf und an den Qualitätsvorstellungen der Kunden vorbei produziert. Hier muss gute Gestaltung mit der richtigen Haltung und einem stimmigen Businesskonzept zusammenkommen, um diese sozial ausgerichteten Projekte erfolgreich zum Ziel zu bringen. Andererseits treffen mit Entwicklungsförderung initiierte, teure Entwicklungsprojekte nicht zwangsläufig den Bedarf der Kommunen und der Arbeiter. Mit einer westlichen Weltsicht werden Ansprüche und Regelungen formuliert, die sich über viele Jahrzehnte dank intensiver Gewerkschaftsarbeit in den westlichen Ländern als Standards durchsetzen konnten und sich hier zu Grundwerten etabliert haben: die 40-StundenWoche, 8-Stundentage, Pausen und Schutzrechte. Trifft das jedoch auch die Vorstellung eines Wanderarbeiters, der vielleicht lieber in dichteren Arbeitsphasen mehr Geld erwirtschaften möchte, um dann auch wieder Zeit mit der entfernt lebenden Familie zu verbringen? Die westlichen Vorstellungen von sozial und fair sind nicht unbedingt die lokalen Ideale. Diese gilt es erst auf Augenhöhe zu ermitteln und zu verhandeln. Westliche Auftraggeber können dabei unterstützend wirken und Räume für diese Verhandlungen schaffen, im übertragenen wie praktischen Sinn, und Prozesse moderieren. H&M übt dies derzeit in drei ausgewählten Pilotproduktionsstätten in Bangladesh, bei denen die Arbeiter mit der Fabrikleitung innerhalb von drei durch garantierte Aufträge existenzgesicherten Jahren die Möglichkeit haben, faire Löhne und Arbeitsbedingungen auszuhandeln  – und in Konsequenz auch, was das für die Herstellungspreise und damit für die Kunden an Auswirkungen haben kann. Die erfolgreichen Prozesse und Strategien sollen als Blaupause auf andere Auftragnehmer H&M’s übertragen werden. Inwieweit dies eine tatsächliche Veränderung einläutet oder sich doch als eine Feigenblattstrategie herausstellt, um von der eigenen Verantwortung abzulenken und

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das Zahlen höherer Herstellungskosten auf die lange Bank zu schieben, wird sich noch herausstellen. Doch was bedeutet es, auf Augenhöhe mit den Arbeitern und Arbeiterinnen, den Handwerkern und Künstlern angemessenes, also soziales Design im Kontext von Mode und Textil zu entwickeln, was bedeutet der Wert von Selbstbestimmtheit und Beschäftigung? Was bedeutet es, Prozesse gemeinsam zu gestalten, durch Design die Lebenssituationen der Beteiligten auf Herstellungs- und Nutzungsseite zu verbessern und ein würdevolles Auskommen zu ermöglichen? Das Masterprogramm Sustainability in Fashion an der Kunsthochschule Esmod Berlin arbeitet seit seiner Gründung 2011 an solchen ganzheitlichen, das gesamte System Mode betrachtenden Fragestellungen und erforscht und erprobt innovative Lösungsansätze, die Gestaltung nicht nur als Entwicklung von ästhetisch ansprechenden Produkten verstehen, sondern immer auch als Gestaltung von kohärenten Systemen und Prozessen, die auch den Kundenbedürfnissen entsprechende Nachhaltigkeits-, Kommunikations- und Businessstrategien beinhalten.7 Vorgestellt werden im Folgenden Projekte von Studierenden, die sich in ihren in Israel, Pakistan oder Indien basierten Abschlussarbeiten mit diesen Fragestellungen auseinandergesetzt haben: Sie haben der globalen Produktion Open-Source- und Do-it-Yourself-Strategien entgegengesetzt und in wachsenden Communities eine auf Co-Creation setzende Arbeitsweise entwickelt.

›TACS, Tel Aviv Central Station‹ 8 Noa Elisabeth Goren aus Israel hat sich vor ihrem Masterstudium in Berlin für Flüchtlinge in ihrem Heimatort engagiert und eine kleine Nähschule am Bahnhof von Tel Aviv mit der Unterstützung der örtlichen Mode7 | Weiterführende Literatur zum Thema: Busch, Otto: Fashion-able. Hacktivism and engaged fashion design, Dissertation Goeteborg, Schweden2008, www.hdk. gu.se/sites/default/files/media/fashion-able_webanspassahd%20avhandling_​ OttovonBusch.pdf; Fletcher, Kate: Sustainable Fashion and Textiles: Design Journeys, London: Earthscan 2008; Fletcher, Kate/Grose, L. (Hg.): Fashion and Sustainability: Design for Change, London: Laurence King Publishing 2012. 8 | Goren, Noa Elizabeth: TACS, Tel Aviv Central Station, Masterabschlussarbeit, Esmod Berlin, Master Programme Sustainability in Fashion, Berlin 2015.

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schule mit aufgebaut. Dort hat sie auch Angie Robles, eine philippinische Schneiderin, kennengelernt und mit ihr eine ganze Gruppe Frauen, die sich alle in den gleichen prekären, ja, fast sklavenartigen Arbeitssituation befinden und in 24/7 Haushaltshilfsjobs ihr Auskommen und das ihrer Familien in den Philippinen suchen, wie weltweit viele ihrer Landsleute. Gemeinsam mit Angie Robles und sieben weiteren Frauen hat Noa die Bedürfnisse und Wünsche dieser hoffnungsvollen Gruppe gesammelt und analysiert, wie beispielsweise Zeit mit den Kindern zu verbringen und sich um sie kümmern zu können, sichtbare Ergebnisse zu schaffen und Selbstbestimmung und Freude aus der Arbeit zu schöpfen sowie ein besseres Einkommen zu generieren. Im Prozess sind viele wichtige Fragen aufgetaucht: Wie kann man mit gemeinschaftlicher Stimme gestalten? Wie kann man mit den zugänglichen Ressourcen und aus dem Wissen innerhalb der Gruppe heraus ein stimmiges Produktionssystem entwickeln? Wie kann man Produkte gestalten, die das Herz der Leute öffnen und als Messenger fungieren, die die Geschichte der Menschen dahinter erzählen? Wie kann man nicht nur soziale, sondern auch ökologische Überlegungen in den Prozess einbinden? Als Antwort darauf planten sie ein gemeinsames Label und definierten gemeinsam die Anforderungen an Design, Produktion und Businessmodell. In der Kooperative bringt jede ihre Kenntnisse und Fähigkeiten ein, die Gewinne werden geteilt. Die Produktion findet in Heimarbeit statt, um den Kindern nahe zu sein und um sich die Zeit selbst einteilen zu können. Das bringt ganz klare Anforderungen an das Design: Schon allein wegen der räumlichen Nähe zu den Kindern werden die Materialien, Zutaten und Veredelungen nach hohen ökologischen Kriterien ausgewählt. Um dennoch kostengünstig arbeiten zu können, dienen Stoffreste und übriggebliebene Metragen aus ökologischen Produktionen als textile Grundlage – zunächst unterstützt mit Stoffresten von Lebenskleidung, einem auf Nachhaltigkeit orientierten Textilgroßhandel in Berlin. Zudem sind die an den Haushaltsnähmaschinen hergestellten Produkte einfach zu nähen, einfach zuzuschneiden und zu verarbeiten: Die Schnitte sind simpel, Längen können einfach geändert, Muster und Stoffe angepasst werden. Die Designs werden nur in einer Größe angeboten, um komplizierte Gradierungen zu vermeiden, und anstatt einer Größenvielfalt als wandelbare Produkte gestaltet, die sich den Größen der Kunden durch Tunnelzüge, Falten und Raffungen anpassen können.

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Abb. 1–6: Abschlusskollektion von Noah Elizabeth Goren: »TACS (Tel Aviv Central Station)«.

Fotos: Amy Ward, Noah Elizabeth Goren. Model: Sintija Avotniece.

Ausgestattet mit einem Design-Kit mit Kamera und Zeichenblock haben die sieben Philippininnen ihre Umwelt dokumentiert, wie sie leben und arbeiten, was sie sehen, wenn sie vor die Tür treten; Kleidung, die sie lieben; Dinge, die sie mögen und schön finden; alles was Bedeutung für sie hat. Diese farbenfrohen, blumigen Quellen, die auf eine besondere Art die philippinische Heimat und dortige Bekleidungstracht mit dem Leben in Israel verbinden, hat Noa Goren als Gestaltungsgrundlage für eine Modekollektion für den israelischen und internationalen Fashionmarkt genommen. Sie selbst definiert ihre Rolle dabei eher als Translater. Sie übersetzt die Themen, Wünsche und Träume der Philippininnen in Bekleidung, in Stoffe, Farben und Drucke, mehr als dass sie ihnen Gestaltung vorgibt. Der Herstellungsprozess selbst überlässt bestimmte Entscheidungsebenen

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der jeweiligen Näherin. Wobei der Begriff Näherin hier nicht mehr ganz stimmig ist. Hat sich Noas Rolle zur Übersetzerin verschoben, so werden die Näherinnen zu Interpretinnen, die die genaue Zusammenstellung der Farben, Materialien und Ausführungen bei der Umsetzung bestimmen. Das Ergebnis ist eine in Farben und Mustern wild gemischte Kollektion aus T-Shirts, Röcken, Kleidern und Kimonos, die farbenfrohe, fröhlich florale und geometrische Muster verbindet. Sie erzählt einerseits authentisch und einzigartig von der philippinischen Kultur und drückt auf ästhetisch ansprechende Weise die Geschichten der Frauen aus. Die raffinierten Raffungen und Layering-Effekte fügen sich aber gleichzeitig auch zeitgenössisch stylisch in die Garderobe der modernen Israelin ein und einem sportlichen Streetstyle. Abb. 7: Philippine Culture meets Tel Aviv Street Style.

Foto: Noa Elisabeth Goren.

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Ein möglicher kommerzieller Erfolg liegt in der Verbindung dieses sehr persönlichen, authentischen Herstellungssystems mit einer bestimmten internationalen Käuferschicht, die sich emotional berühren lassen will, sich über gut gestaltete Mode ausdrücken möchte und so der kleinen philippinischen Community eine Stimme verleihen kann. Unterstützt mit Partnerschaften für Vertrieb und Kommunikation sollte dies gelingen. Für den Sommer 2016 ist die internationale Lancierung des Labels TACS (steht für Tel Aviv Central Station) geplant. Das über dieses Projekt entwickelte System soll im Erfolgsfalle als Blaupause für andere Kooperativen weltweit ausgebaut werden, um so aus einer einzelnen Stimme einen Chor anzustimmen und mit geeinten Kräften in globalen Netzwerken den etablierten Bekleidungsproduzenten gut gestaltete, sozial verträglich und fair hergestellte und an Geschichten und Kultur reiche Mode entgegenzuhalten.

»Bhav« 9 Auch Shruti Bajpai hat ihr Masterprojekt ›Bhav‹ darauf ausgerichtet, mit ihrem Design einen positiven Fußabdruck zu schaffen. In Ichhawar, dem Heimatdorf ihrer Familie im nördlichen Teil Indiens hat sie eine Taschenproduktion aufgebaut und aus der dort wild wachsenden Flachspflanze durch Baumwollbeimischung und Waschungen ein für ihre Taschen geeignetes Material entwickelt. Abb. 8, 9: Flachshandwerk in Ichhawar, Indien.

Fotos: Shruti Bajpai.

9 | Bajpai, Shruti: Bhav, Masterabschlussarbeit, Esmod Berlin, Master Programme Sustainability in Fashion 2015.

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Die Faser diente zuvor nur für den Hausgebrauch und wurde in Seile und Packdecken versponnen und verwoben. Mit den in diesen Prozessen erfahrenen und weiteren, des Stickens oder Nähens mächtigen Arbeitern und Arbeiterinnen aus dem Dorf hat sie in gemeinschaftlichen Workshops die Entwicklungsmöglichkeiten für das Material und die Bearbeitung erkundet. Schrittweise wurden dabei die Materialeigenschaften durch feinere Verarbeitung, Beimischung von Baumwollfasern oder Wasch- und natürlichen Bleichvorgängen manipuliert. Diese im Grunde üblichen Textilentwicklungsschritte sind hier im Austausch mit der Gemeinschaft auf Basis der handwerklichen Fähigkeiten und Situation innerhalb der Dorfgemeinschaft entstanden. Abb. 10: Shruti Bajpai im Workshop zum Bleichen der Fasern mit Bewohnerinnen von Ichhawar.

Foto: Shruti Bajpai.

Dadurch gelangen das Produkt und die einzelnen Herstellungsprozesse in direkte Verbindung zu den Handwerkern, und schreiben sich in das Produkt und seine Gestaltung mit ihrer Geschichte und ihrem Können ein. Muster aus dem Dorf dienten als Vorlage für die Stickmotive, die traditionelle Nähweise wurde bei der Taschengestaltung beibehalten, die Verpackung mit Bildern der Handwerker personifiziert und das Projekt damit auch zu ihrem gemacht. Faszinierend in der Projektentwicklung war, wie sich aus einem eher indisch-traditionellen, auf den fünf Kasten basierenden Klassendenken sukzessive eine auf in Augenhöhe und auf miteinander gestalten abzielende Arbeitsweise entwickelte. Der Wandel der eigenen Einstellung, das Augenöffnen für die Situation, die Bedürfnisse der Dorfbevölkerung und die Anerkennung von Würde und Selbstbestimmtheit als

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Triebfeder für Entscheidungsprozesse, bedeuteten hier also den wichtigen ersten Schritt zu einer Abgrenzung von tradierter Haltung und Neuorientierung hin zu einer veränderten, sozial orientierten Handlungsweise. Abb. 11–14: Häkel-Workshop mit Bewohnerinnen von Ichhawar.

Fotos: Shruti Bajpai.

Shruti Bajpai, eine sehr junge Frau, kämpfte sich durch die verschiedenen indischen Ämter, holte sich Registrierung, Wirtschaftsförderung und -beratung ein, vernetzte sich mit anderen ähnlichen Projekten, Materialentwicklern und Vertriebsverbindungen. Sie lernte von den Frauen und Männern aus dem Dorf, was die dortigen Bedürfnisse sind, und wie sie sich mit ihrem Projekt dort möglichst positiv einbringen kann. Entstanden ist eine Serie von Taschen vom Shopper bis zum Weekender, die alle im Zero-Waste-Schnittsystem, also ohne Materialverschnitt, und in rein natürlichen Prozessen hergestellt werden. Herausfordernd ist es, neben der Überwindung eigener tradierter Gesellschaftsbilder, gleichzeitig Qualität und Gestaltungsanspruch der Kunden in das Herstellungssystem zu integrieren. Angesprochen ist hier der große indische Markt mit seinen auf das Handwerk ausgerichteten Produkten.

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Abb. 15, 16: Abschlusskollektion von Hira Ahmed: »Samrdd«.

Fotos: Giuseppe Triscari, Model: Vici Petrovic.

»Samrdd« 10 Bei dem ähnlich aufgestellten Projekt von Hira Ahmed in Pakistan, das die traditionelle Blockprint-Technik in üppigen Materialfüllen aus Seide und feine ökologisch angebaute Baumwolle feiert, lag die Herausforderung unter anderem auch darin, den Handwerkern selbst den Veränderungsbedarf aufzuzeigen. Deren Väter und Vorväter nutzen schon diese wunderschönen, kulturell reichen handwerklichen Techniken und arbeiteten auf dieselbe, die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit ignorierende Weise: Die Materialien und Techniken sind zwar aus natürlichen Stoffen, aber Arbeitsschutz, Trennung von Schmutz- und Trinkwasser und Wasserfilter sind beispielsweise Fremdworte. Wie hier durch Design die Arbeitssituation einerseits verbessert und um soziale wie ökologische Lösungen bereichert werden kann und andererseits die Schönheit und Qualität dieser vielkopierten Technik für die kommenden Generationen erhalten werden kann, waren die zentralen Fragestellungen von Hira. Die existierenden Alternativen, auf Rotari-Print oder Digital-Print basierenden Drucke, reichen auch nicht im Ansatz an die Gestaltungstiefe des traditionellen 10 | Ahmed, Hira: Samrdd, Masterabschlussarbeit, Esmod Berlin, Master Programme Sustainability in Fashion 2015.

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Handwerks heran. Wieviel Technologisierung und Optimierung ist nötig und auch sozial verträglich, um den Produkten einen sicheren Markt und damit den Arbeitern ein sicheres Auskommen zu ermöglichen?

»Co:knit« 11 Auf einer ganz anderen Ebene nähert sich Amy Ward diesem Thema und dem großen Schlagwort ›Social Design‹. Nicht die sozialen Gefälle im globalen Kontext auszugleichen ist ihr Ansatz, sondern eine alternative Plattform zu der konventionellen Bekleidungsproduktion zu schaffen, die über Netzwerk und Community Building, Crowd Design, Do-It-Yourself und Open Source Qualität und Schönheit in die Gestaltung bringt. Durch ästhetischen Austausch und Inspiration im Allgemeinen und ganz speziell im Bereich Strick. Amy hat lange in einem Wollladen gearbeitet und die Käufer bei Materialauswahl und Gestaltung beraten. Viele der Kunden wollten selbst stricken und so die Herstellung ihrer Kleidung direkt und unmittelbar selbst erleben und übernehmen. Die Gestaltung der Muster und insbesondere der Schnittmuster war vielen jedoch zu anspruchsvoll. So sehr wollten sie die Rolle der Gestaltung nicht übernehmen, sondern diese durch Anleitungen und Gestaltungsvorschläge von erfahrenen Strickdesignern einholen. Selbermachen ist eben noch nicht Selbstgestalten. Diese ungeklärte Frage der Rolle des Designs ist genau die Hürde von Do-It-Yourself. Positioniert sich diese Bewegung zwar einerseits klar gegen Massenproduktion und globale ausbeuterische Strukturen, so ist sie selbst jedoch auch weit von Design und gestalterischer Qualität entfernt. Und hierin liegt auch der Ansatz von Amy Ward. Sie liefert genau diese Design-Schnittstelle, in der sie mittels detaillierter Anleitungen in Videosequenzen zum Mitmachen einlädt und einfach variierbare Schnitte Open Source auf ihrer Online-Plattform CO:KNIT für alle zugänglich macht. Sie zeigt, wie man die Wolle alter Pullover wieder aufribbelt, um nachhaltige Materialquellen zum Stricken nutzbar zu machen. Auch über andere ökologische Materialien und ihre nachhaltigen Aspekte, Farben und andere Veredelungstechniken informiert und inspiriert sie und zeigt in einigen Videosequenzen, wie einfach das Färben mit natürlichen Farben ist. Das alles klingt erstmal nicht unbedingt neu. 11 | Ward, Amy: Co:knit, Masterabschlussarbeit, Esmod Berlin, Master Programme Sustainability in Fashion 2015.

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Das Faszinierende liegt in der Wechselbeziehung mit ihrem Netzwerk, von dem sie sich auch Inspiration einholt und beispielsweise aus dutzenden eingesendeten Strukturbildern neue Strickmuster entwickelt. Daraus entstehen Strickwerke, die ein so hohe Gestaltungstiefe erreichen, so vielfältig und reichhaltig sind und aufzeigen, wie aus den einfachen Schnittgrundlagen komplexe Diversität und Schönheit entstehen kann. Die Simplizität der Erklärungen und das Aufzeigen der vielfältigen Möglichkeiten befähigen die Mitglieder ihres Netzwerkes zu wirklicher Gestaltung. Ihr Netzwerk bietet eine Plattform, um sich darüber auszutauschen, Techniken zu diskutieren und Produkte anzubieten. Inspiration und Gestaltung, Herstellung und Nutzung liegen ganz nah beieinander. Das Verständnis von Design wie auch die Nähe der Herstellung zur Nutzung bilden eine neue soziale Vernetzung, neue soziale Gefüge, in der es keine Abtrennung mehr zwischen denen, die gestalten, die herstellen und denen, die die Produkte nutzen, gibt. Ausbeutung und Unfairness existieren hier genauso wenig wie ein soziales Gefälle. Jeder kann sich einbringen, mitdiskutieren, mitinspirieren und mithandeln. Jeder ist eingeladen mitzumachen. Es sind nicht mehr nur feministisch angehauchte Frauen, wie ein Klischee zu meinen vermag, nein, auch Männergruppen und kleine Jungs hat das Strickfieber ergriffen. Und Tausch und Transfermittel ist auch nicht mehr das Geld. Amy Ward stellt ihre Arbeit überraschend entspannt neben das herrschende kapitalistische System. Ihre Währung ist Inspiration und Austausch. Die Zeit wird zeigen, ob sich das bewährt. Abb. 17, 18: Abschlusskollektion von Amy Ward: »Co:Knit«.

Fotos und Model: Amy Ward.

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Mode besitzt also durchaus ein gesellschaftsveränderndes Potential und kann sowohl aus dem Schatten der rein ästhetischen Gestaltung heraus treten, als auch der globalen Massenproduktion mannigfaltige Alternativen entgegenhalten, denn sie hat starke und mitreißende Lösungen für die Gesellschaft anzubieten, in denen Produktion und Nutzung viel näher aneinander rutschen und einander bedingen.

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Ich und ich im wirklichen Leben Ulrich Dörrie, Johannes Schlüter, Ilja Huber, Frieder Bohaumilitzky Die folgende E-Mail-Korrespondenz entstand durch eine Aufforderung der Herausgeberin dieses Buches, sich Gedanken zu machen über das Berufsbild des »Social Designers«. Fragestellung war: Wie kann man dies Berufsbild erfolgreich definieren, auch angesichts möglicher neuer ökonomischer Modelle und Möglichkeiten? Zwischen März und Juli 2015 gab es ein Gespräch zwischen folgenden Akteuren: Ulrich Dörrie, Johannes Schlüter, Ilja Huber, Frieder Bohaumilitzky. Frieder: Ich versuche es mal mit einem Anfang: Nach einem sehr konventionellen Verständnis von Design hat es durch seine physischen Eigenschaften einen unmittelbaren Gebrauchswert und lässt sich damit auch verkaufen. Mein Design konzentriert sich aber nicht ausschließlich auf den Gebrauchswert durch physische Eigenschaften, sondern hat das Ziel, sich aktiv in gesellschaftliche Belange einzumischen. Für wen kann ich damit arbeiten und wie kann ich mich finanzieren? Ilja: Die Schwierigkeit liegt vielleicht auch in der großen Ungewissheit über die Dienstleistungen eines Designers in diesem Bereich. Ulrich: Ich denke, eine mögliche Zukunft des Designers liegt eher im Bereich einer beratenden Dienstleistung. Ich biete also kein fertiges Produkt mehr an, sondern versuche, meinen möglichen Klienten kennen zu lernen und sein Vertrauen zu erwerben. Ilja: Der Einsatzbereich ist gerade in meinem Kopf leider noch nicht ganz definiert. Vielleicht ist ein Social-Designer eher ein Multitalent der nächsten Stunde und wird bei bestimmten Problemen von den jeweiligen

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Institutionen gebucht oder beauftragt, um Problemlösungen oder Hilfestellungen zu finden wie zum Beispiel auch ein Unternehmensberater in einer Firma eingesetzt wird, um ein Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen. Johannes: Ich finde, dass ein Gestalter auch die Fähigkeiten besitzt, sich mit Fragestellungen und Problemen in anderen Bereichen auseinanderzusetzen. Warum beschäftigt sich der Designer eigentlich nicht mit der Zeit des Menschen außerhalb der Wohnung? Was passiert auf dem Weg zur Arbeit? Wie gestaltet sich die Freizeit? Und wofür würde sich jemand einsetzen, wenn er könnte? Ilja: Das Problem der jetzigen Stunde sehe ich persönlich gerade darin, wo solch ein Designer nach dem Studium untergebracht werden kann und wie er sich dann mit seinem Portfolio bewerben kann. Das sind auf jeden Fall Fragen, die mich auch von zu vielen Social-Design Projekten während des Studiums abschrecken. Ulrich: Da fehlt was und das hat auch was mit der Sinnhaftigkeit des eigenen Handels und Strebens zu tun. Das fängt zunächst mal in der Ausbildung an, wenn ich keine Vorstellung vermittelt bekomme, was ich mit meinem Hochschulabschluss danach anfangen kann, dann hat auch dieser keinen Sinn. Frieder: Naja, es ist ja nicht so, dass Unternehmen das Potential einer erweiterten Vorstellung von Design, wie die von Ilja angedeutete Beratung, noch nicht erkannt hätten. Das geht dort auch weit über die Produktsemantik hinaus. Design ist da zu einer allgemeinen Unternehmens- und Organisationsberatung geworden. Was ist aber, wenn man sich als Designer aber nicht ausschließlich den Ressourcen eines Großkonzerns zuwenden möchte, sondern sozial, also gesellschaftlich und im erweiterten Sinne vielleicht auch irgendwie gemeinnützig arbeiten möchte? Johannes: Das ist die ungelöste aber entscheidende Problemstellung: Wer finanziert Design, wenn kein Konzern beteiligt ist, für den die Gestaltung unmittelbar an den Absatz gekoppelt ist? In den 1980er und 1990er Jahren wurden die jungen Designer in Holland durch ein staatliches Subventionssystem unterstützt, um eine Existenz zu gründen und frei arbeiten

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zu können. Das gab ihnen ganz andere Möglichkeiten, zum Beispiel auch die eigene Disziplin zu hinterfragen. Mit so einer Starthilfe lassen sich dann auch erstmal schwache Kompromissentwürfe aus Marktfreundlichkeit und Ideal vermeiden. Frieder: Ich finde auch, der Wunsch nach gesellschaftlicher Transformation durch Gestaltung und die Notwendigkeit einen Lebensunterhalt zu bestreiten, führen zu einer gewissen Schizophrenie. Im Portfolio konkurrieren auf einmal soziale Projekte mit klassischem Produktdesign. Gefühlt lassen beide einander irgendwie unglaubwürdig erscheinen. Johannes: Wäre der Designbegriff in Deutschland weniger starr auf so etwas wie ›Nutzung und Funktion von Waren‹ beschränkt, dann ließe sich vielleicht auch eine Vorstellung oder sogar ein Verständnis einer erweiterten Idee von Gestaltung tatsächlich etablieren. Ilja: Ich glaube, die Engländer haben es schon etwas früher erkannt und somit auch gleich für bestimmte Studiengänge geworben. Ich zum Beispiel habe mich vor vier Jahren für Produktdesign an der HFBK beworben, als ich dann aber ein Jahr später anfing, kam der große Umbruch und plötzlich war das klassische Produktdesign an meiner Hochschule nicht mehr aktuell. Für einige brachte es Vorteile und für einige Nachteile mit sich. Doch im Endeffekt bin ich natürlich auch sehr froh, die Vielfalt erfahren und ausprobieren zu können. Frieder: Ich finde es wichtig, im Studium eine gestalterische Haltung zu entwickeln. Meine Haltung habe ich sowohl durch mein sozialwissenschaftlichen Studium als auch durch mein anschließendes Design-Studium an der HFBK erlangt. Dort bin ich in der Klasse für Experimentelles Design, wir machen mit der öffentlichen Gestaltungsberatung ein gemeinsames, klassisches Social-Design-Projekt. Dass sich meine eigenen Projekte auch mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander setzen, hängt nicht unmittelbar damit zusammen. Passt aber natürlich besser, als wenn ich nebenbei knallhartes Produktdesign machen würde. Ob ich unter diesen Umständen eine Ausbildung zum Social-Designer durchlaufen habe, kann ich gar nicht richtig beantworten. Dafür ist mir der Begriff Social Design viel zu undefiniert. Ich glaube, dass nicht nur der Begriff Social Design unscharf ist, denn das dazu gehörige Berufsfeld

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ist genauso weitläufig. Gefühlt muss ich mir meinen Job erst erfinden. Ich glaube auch nicht, dass ich als einzelner Designer im Alleingang die Welt verändern kann. Mir geht es darum, eine Arbeitsform zu finden, mit der ich den Schaden, den ich als Designer anrichte, auf ein für mich erträgliches Maß reduzieren kann. Fazit, hier formuliert von Ulrich: Der ›Kunstbetrieb‹ hat seit den 1960er Arbeits- und Aktionsfelder verteilt, die einen Umgang mit Markt und Warenverkehr klar definieren: Jenseits des Marktes die sogenannte Off-Kultur, aus dem Verständnis von Jugend- und Gegenkultur entwickelt. (Nach »Off-Broadway« benannt). Die Produzenten, die sich mit diesen Ideen (und/oder auch Ideologien) identifizieren können, haben zwei Möglichkeiten: Entweder größtmögliche Verweigerung der Vermarktung der Arbeit und das Agieren in eigenen Netzwerken. Dies setzt ein Einverständnis mit langfristig prekären Arbeitsverhältnissen voraus. Die andere Option ist die des ›Karrieresprungs‹ vom ›Off‹ in die gute bezahlte Arbeit eines erfolgreichen Unternehmers. Also der Aufstieg in die ›wirkliche‹ Welt. Für das Design scheint sich das Problem trotz engagierter Diskussionen (noch) nicht geklärt zu haben, die Teilnehmer dieses Gesprächs oszillieren gedanklich zwischen allen Möglichkeiten und bleiben für neue Ideen nach allen Seiten offen. Für den Moment aber zunächst ratlos.

Geschichte

Soziale Gestaltung am Bauhaus Interview mit Annemarie Jaeggi Claudia Banz (CB): Das Bauhaus hat nicht nur ein neues Modell von Schule und Ausbildungsstätte etabliert, sondern steht auch für ein neues soziales Modell. Welche Idee von Gemeinschaft und Gemeinwohl existierte am Bauhaus und wie hat sich diese in der Ausbildung niedergeschlagen? Annemarie Jaeggi (AJ): Solche Fragen sind immer schwer zu beantworten, weil es d a s Bauhaus und d e n Unterricht am Bauhaus nicht gab. Die Schule hat sich permanent neu definiert, neu ausgerichtet. In den 14 Jahren ihres Bestehens hat sie auch unterschiedlich starke Schwerpunkte verfolgt. Das hat zu tun mit der sich rasch ändernden Zeit. Unmittelbar nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war man viel idealistischer, viel utopischer als später. Es hat vor allem auch etwas mit dem Direktorenwechsel zu tun und mit den individuellen Lehrern. Daher tue ich mich immer etwas schwer mit: »Das Bauhaus wollte«, oder »das Bauhaus strebte an«. Ich versuche es mal anhand der Person Walter Gropius zu beantworten. Gropius ist natürlich nicht identisch mit dem Bauhaus, aber er ist der Gründer dieser Schule. Was wollte er? Er wollte mehr als eine reformpädagogisch orientierte Schule gründen, davon gab es vor dem Ersten Weltkrieg schon einige. Das ging schon darüber hinaus. Er wollte etwas verändern, neue Dinge anstoßen und in eine bestimmte Richtung lenken. Aber in erster Linie wollte er mit dieser Schule einen neuen Typ von Künstler kreieren, den wir heute vielleicht als Designer bezeichnen würden. Aber Gropius hatte noch gar keine Bezeichnung dafür. Im besten Falle Gestalter, und das kam dann auch erst in der Dessauer Zeit auf. Dieser neue Künstler ist ein Generalist, der alles kann, der ein Handwerk beherrscht, aber auch hohe Kunst, und der sich alles zutraut. Mehrere Abgänger in Weimar, die unter Gropius studiert haben, sind dann in Dessau Jungmeister geworden. Es wurde eine Art von »Inzucht« betrieben, die man

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so heute an den Hochschulen gar nicht mehr haben will. Aber das ist genau das, was Gropius wollte: Kontinuität herstellen. Die Studierenden hatten eine Handwerkslehre abgeschlossen mit abgelegter Prüfung vor der Handwerkskammer, und sie hatten auch das ästhetische Rüstzeug. Und sie sind Architekten geworden, obwohl sie nie Architektur gelernt haben. Gropius wollte keine Spezialisten, sondern Alleskönner. Diese können dann natürlich ganz anders in die Gesellschaft hineinwirken. CB: Diese Idee vom Generalisten ist ja nicht neu. Auch die Reformkünstler um 1900 waren Generalisten und als Architekten Autodidakten wie etwa Peter Behrens, Richard Riemerschmied oder Bruno Paul. Ebenso hat sie die Idee vom Gesamtkunstwerk umgetrieben. Der 1907 gegründete Werkbund setzt sich für die gute Gestaltung von Alltagsdingen ein. Das Bauhaus greift diese Strömungen auf. Wo sehen Sie das Innovative? AJ: Gropius macht das zu einer anderen Zeit und unter anderen Bedingungen. Und das Ergebnis war sehr viel radikaler. Mit Ergebnis meine ich die Objekte, die daraus resultieren. In dieser Zeit, also den 1920er Jahren, ist das Konzept des Bauhaus, das keineswegs ein neues war, am radikalsten. Das hat damit zu tun, dass sie dort permanent diskutieren und hinterfragen. Das ist beim Bauhaus anders als an anderen Schulen. Mir ist das erst klar geworden beim Studium der Briefe von ehemaligen Bauhäuslern, von Studenten, die 1925 nicht mit nach Dessau umziehen und zum Beispiel an die Burg Giebichenstein nach Halle gehen, die ja auch einen guten Ruf hat, aber nicht diese Radikalität wie das Bauhaus. Da ist immer noch eine große Portion Kunstgewerbe mit dabei oder Gefälligkeit im Erscheinungsbild. Diese ehemaligen Studenten schreiben sich solche Dinge wie: »Was bin ich froh, dass ich nicht mehr am Bauhaus bin, dieses ständige Ideologisieren und Hinterfragen, dass ich diesem Zwang entkommen bin.« Das war auch genau das, was die Hochschule für Gestaltung in Ulm wieder hatte. Peter Raacke hat mal zu mir gesagt: »Ulm, das war wie Faschismus. Entweder musstest du Gesinnungsgenosse sein, oder du gehörtest nicht dazu.« Ich glaube, das ist genau die zusätzliche Ingredienz, die solche Schulen dann hervorhebt. Dass es eine enge Klammer der Zusammengehörigkeit gibt, den Willen, etwas herausragend und anders zu machen, für eine Vorstellung von Welt zu arbeiten, die vielleicht die anderen nicht teilen, aber eine ähnliche Ausbildung verfolgen.

Soziale Gestaltung am Bauhaus

CB: Lag die Innovation nicht auch darin, dass es überhaupt eine Schule gab, was ja um 1900 so nicht der Fall war? Da gab es zwar Kunstgewerbeschulen, aber deren Ausbildung zielte ja noch nicht so auf die Gestaltung von Gesellschaft ab. AJ: Vieles am frühen Bauhaus kam aus Wien. Johannes Itten, einer der ersten Lehrer am Bauhaus, siedelte aus Wien nach Weimar über, wenn auch selbst nicht von der Wiener Werkstätte. Er kam mit ca. 20 Privatschülern, die teils an der Wiener Werkstätte waren oder an der Kunstgewerbeschule. Aber Itten schiebt das dann in eine ganz andere weltanschauliche Richtung, beeinflusst durch seine starke Affinität zum Mazdaznan-Kult. Das Weltanschauliche ist etwas, das zum Bauhaus dazugehört, und diese Weltanschauung, die ändert sich auch permanent. Am Anfang war sie sektiererisch und esoterisch, wobei etwas Esoterisches meiner Meinung nach bis zum Ende bleibt. Man thematisiert es zwar nicht mehr, aber es ist mit drin, beispielsweise auch in jedem Gebäude von Gropius. Angefangen von der Art und Weise, wie er entwirft. Nur entledigt er sich von allem Geheimnisvollen, das am Anfang ganz wichtig war: die Bauhütte, die Loge. Das Bauhaus sollte ursprüngliche eine Loge sein, ein Geheimbund. 1919 wollte Gropius das so. Genau wie im Mittelalter, als man Bauhüttengeheimnisse nicht weitergeben durfte. Er hatte die Vorstellung, dass es ganz viele solcher kleinen Logen in Deutschland geben sollte, die im Verborgenen tätig sind, und erst, wenn es konkrete Ergebnisse gibt, dann schießen sie wie die Pilze aus dem Boden, sind plötzlich da und haben Material und Überzeugungskraft. Das ist die ganz frühe Zeit, da geht er mit Itten Hand in Hand, und dann dividiert sich das immer mehr auseinander. Das hat auch damit zu tun, dass fürchterlich tragische Dinge passiert sind am Bauhaus. Manche Studenten waren dem MazdaznanKult so verfallen, dass es sektenhafte Ausprägungen annahm. Spätestens da hat Gropius die Reißleine gezogen. Kommen wir zurück zum Weltanschaulichen. Fast alle, auch die Studierenden, hatten natürlich traumatische Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, die Männer als Soldaten, die Frauen als Krankenschwestern im Lazarett. Sehr viele kamen auch aus Wandervogel-Bewegung. Sie strebten nach einem einfachen Leben ohne Besitz, vertraten den Glauben: »Die Landschaft ist wichtig für unsere Seele, sie baut uns auf. Als Mensch bin ich Teil der Natur. Ich werde geboren, ich blühe auf, ich verwelke und

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sterbe, und ich definiere mich mit diesem Kreislauf.« Das Naturerlebnis war von allergrößter Bedeutung. Wenn Sie Tagebücher von den frühen Bauhäuslern aus der Weimarer Zeit lesen, da geht es immer um eine Positionierung in der Welt. »Ich bin ja so entwurzelt, wie soll ich neu anfangen, wie schaffe ich das mit der Kunst, was kann ich dazu beitragen für eine neue, bessere Welt?« Das ist definitiv die Erfahrung vom Ersten Weltkrieg. CB: Entspringt dann das Koop-Prinzip, das am Bauhaus nicht erst unter dem zweiten Direktor Hannes Meyer, sondern von Beginn an forciert wurde, eher aus einem idealistisch-verklärten Gedankengut und war weniger pragmatisch motiviert? AJ: Ja und nein. Der Logengedanke und die Idee des Gesamtkunstwerks entspringen dem Idealbild der mittelalterlichen Kathedralen. Hier kommen Künstler aller Grade zusammen und arbeiten schöpferisch zusammen. Etwas gemeinsam zu machen, ist sehr wichtig nach der Erfahrung der Vereinzelung und Traumatisierung im Ersten Weltkrieg. Bei den einen ist dieser Wunsch nach Zusammenarbeit stärker politisch motiviert. Dazu gehört sicherlich das Gros der Bewegung. Bei den anderen ist es im weitesten Sinne weltanschaulich motiviert. Sie wünschen sich Halt, den sie gelegentlich in Religion oder Ersatzreligion suchen. Allerdings konnte Politik auch eine Art Ersatzreligion sein. Hannes Meyer kommt jedoch aus der Genossenschaftsbewegung, die um 1900 entsteht, und die ist stark politisiert und im linken Spektrum angesiedelt. Da geht es darum, die Spekulation von Grund und Boden zu verhindern, sich zusammenzutun, um gemeinsam aus eigener Kraft heraus im Kleinen ein neues Modell von Gesellschaft zu gründen, bei dem jeder gleich ist, jeder Mitspracherecht hat, selbstbestimmt ist innerhalb einer Gruppe und das Gute sucht. Das reicht bis hin zu den Läden und Geschäften der Koop-Bewegung. Da kommt Hannes Meyer her. Aus der Richtung der Gartenstädte. Viele der Bauhäusler in der Weimarer Zeit kommen aus dem esoterischen Bereich, auch aus der Theosophie und der Anthroposophie. Wassily Kandinsky, ebenfalls ein Bauhaus-Lehrer der ersten Stunde, beschäftigt sich mit den Schriften von Madame Blavatsky. Das geht alles auf die Zeit um 1900 zurück, die im Grunde genommen viel spannender ist als die der Weimarer Republik.

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CB: Das Thema der sozialen Gestaltung äußert sich in dieser Zeit vor allem im sozialen Wohnungsbau. Wie würden Sie in diesem Kontext die Siedlung Dessau-Törten einordnen, etwa zwischen dem Siedlungsbau von Bruno Taut oder dem Neuen Frankfurt, das unter dem Stadtbaurat Ernst May realisiert wurde? AJ: Also, mit dem Bauhaus als Schule hat das alles höchst wenig zu tun. Beim Thema des sozialen Wohnungsbaus muss man nochmal zurückgehen auf das Genossenschaftliche. Das war die lebensverändernde Kraft, der Mietskaserne etwas entgegenzusetzen, die den Menschen ja nur erniedrigt, den Ärmsten der Armen das Geld aus der Tasche zieht. Die Mietskaserne steht für menschenunwürdige Verhältnisse, hygienische Missstände. Die Idee des Genossenschaftlichen steht für die Gestaltung einer besseren Welt. Aus dieser Bewegung, die sehr stark war, kommt das, was wir heute als sozialen Wohnungsbau bezeichnen. Genau da greift dann die Weimarer Republik ein, nach dem Ende der Hyperinflation und nach Einführung der Währungsunion erlässt die Regierung 1924 ein riesengroßes neues Programm zum sozialen Wohnungsbau. Eine neue Steuer wird eingeführt, aus der sich das Geld für diese ganzen neuen Siedlungen generiert. Das kommt von oben. Viele Personen, die das vor dem Ersten Weltkrieg von unten betrieben haben, besitzen inzwischen Machtpositionen und schieben von oben das Programm mit an. Mit der Schule Bauhaus hat das nichts zu tun. Gropius baut als Privatarchitekt Dessau-Törten. Er erhält den Auftrag für sein Büro und macht dort die Ausführung. Das Bauhaus wird einbezogen für die Mustermöblierung eines Hauses. Es wird dann zu einer Aufgabe, mit der sich die Bauhaus-Schüler im Architekturunterricht zu beschäftigen haben, genauso wie an anderen Schulen der Zeit der soziale Wohnungsbau zum Thema der Architekturausbildung wird. Unter Hannes Meyer wird das Ganze intensiviert. An den Laubenganghäusern, die er in Dessau baut, sind die Schüler mitbeteiligt. Er geht zu dem Modell über, dass die Schüler die Bauaufträge, die er erhält, mit ihm erarbeiten und realisieren. Bei Gropius durften Schüler vereinzelt bezahlt mitarbeiten. Aber es war immer sein Büro und sein Auftrag. Hannes Meyer hat als Bauhaus-Direktor seine Aufträge quasi vergesellschaftet und sie zu einem gemeinschaftlichen Projekt gemacht, bei dem die Schüler ›hands on‹ in der Architektenausbildung lernen.

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CB: Wo sehen Sie dann die Schnittstelle zwischen Bauhaus und sozialer Gestaltung? AJ: Zunächst in der Intention. Vieles im Bauhaus ist mehr proklamatorisch, mehr in Form von Manifesten gemeint. Es ist eines der großen Missverständnisse, dass man diese Manifeste als Wahrheit begreift. Dabei ist es das Herbeisehnen von Dingen, die noch nicht da sind, es besitzt mehr utopischen Charakter. Dann auch in der Produktion: Das Bauhaus hat nicht nur Lehr- und Versuchswerkstätten, sondern auch Produktivwerkstätten. Dieses Prinzip hat das Bauhaus nicht erfunden, aber es intensivierte es. Man glaubte, durch die Produktion in hohen Stückzahlen und prospektiv mit der Industrie zusammenarbeitend, dass man formschöne und auch preiswerte Dinge kreieren könne, die den Menschen umerziehen. Man glaubte an die gute Form – obwohl man dieses Wort damals noch gar nicht benutzt hat – und zwar nicht nur im ästhetischen, sondern auch im funktionalen Sinne. Es ist doch klar, dass die Bauhausleuchte keinen Angriffspunkt für Staub bildet, weil sie kein Ornament und kein Dekor besitzt und der Hausfrau dadurch schlicht und ergreifend das Abstauben erspart. Oder das Pädagogische, in dem Sinne, dass gezeigt wird, wie der Strom eingefädelt wird bis hin zur Birne. Die Lampe ist ehrlich, sie ist ungeschminkt, sie legt Prozesse offen. Man hoffte, durch diese der Maschinenästhetik folgenden Gerätschaften die Lebenswirklichkeiten in die Haushalte hineintragen zu können. Man wollte nicht mehr den aufgesetzten Kitsch und das ständige Wiederholen von überkommenen Formen, sondern der Wahrheit ins Gesicht schauen. Die Welt ist schneller und härter geworden, Zeit ist kostbar geworden und wir müssen schauen, wie wir damit umgehen. Und keine Hausfrau will dann diese Zeit mit Putzen verbringen. Für Gropius hat die Kategorie Schönheit eine Bedeutung. Er spricht vom schönen Gegenstand, der einfach und überzeugend und preisgünstig ist und sich von daher von ganz alleine den Weg bahnen wird in die Heime. Nur hat er sich da fürchterlich vertan. In den 1930er Jahren stellt er resümierend fest: »Wir Architekten und Modernisten haben einen großen Fehler begangen, wir haben angefangen, im sozialen Wohnungsbau unsere neue Ausdrucksweise, die einer neuen Welt adäquat ist, zu propagieren, und da haben wir an der falschen Stelle angesetzt. Man muss bei den Intellektuellen ansetzen, bei den Gebildeten, die muss man überzeu-

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gen, die muss man mitnehmen, und durch deren gutes Beispiel wird sich das nach unten verbreiten. Aber von unten nach oben, das funktioniert nicht.« CB: Das erinnert mich an Le Corbusier, an Frankreich. Die Franzosen waren in dieser Hinsicht ja weitaus elitärer, sie haben versucht, das neue Bauen von oben nach unten einzuführen. Aber waren sie damit erfolgreicher? AJ: Nein, ich glaube nicht. Aber ich glaube auch Gropius nicht, denn wenn man sich sein Werk ansieht, dann hat er ja gar nicht für die Armen und Arbeiter gebaut. Es ist genau umgekehrt, man baut für die Aufgeklärten und Intellektuellen, die Geld haben, und das ist dann der Fabrikbesitzer in Alfeld an der Leine, der aber ein durch und durch sozialer Mensch war und von dem Gropius sicher viel von seiner patriarchalisch-sozialen Einstellung übernommen hat. Oder im sozialen Wohnungsbau arbeitet man für Wohnungsbaugesellschaften, deren Wohnungen so teuer geraten, dass sie die Angestellten, aber nicht die Arbeiter erreichen. Gropius hat gesagt, ›einfach‹ wurde als ›billig‹ missverstanden, und das ist ein grundlegendes Problem gewesen für das Neue Bauen, aber auch für die Produkte des Bauhauses. Unter Hannes Meyer sieht das am Bauhaus wiederum ganz anders aus. Im Unterschied zu Walter Gropius war er sehr viel erfolgreicher in der Zusammenarbeit mit der Industrie, weil er begriffen hat, dass man nicht einfach bei einem Produzenten an die Tür klopfen und sagen kann: »Wir haben da ein paar wunderbare Prototypen für Euch entwickelt, jetzt macht mal.« Sondern es funktioniert umgekehrt. In diese Sackgasse sind die Bauhäusler in der Anfangszeit gelaufen, das hat mit ihrem Weltverbesserungscredo zu tun. Und Hannes Meyer ging das anders an. Er hat bereits existierende Modelle überarbeiten lassen, wie beispielsweise die Leuchten von Kandem. Die waren einfach nicht mehr zeitgemäß genug und technisch nicht mehr auf der Höhe. Diese Schreibtisch- und Nachttischlampen haben eingeschlagen und sich 100.000-fach verkauft. Das waren die erfolgreichsten Modelle des Bauhauses. Aber die sehen dann auch nicht mehr so aus wie die Gegenstände, die unter Gropius entworfen wurden. Sie besitzen nicht mehr diese ästhetische Radikalität. CB: Könnte man den Funktionalismus, der ja auch die Massenproduktion forderte, als d a s soziale Design der Moderne bezeichnen?

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AJ: Ja, am Bauhaus ist das aber eher eine gewollte soziale Gestaltung. Richtig geschafft haben sie es dann erst mit den Bauhaus-Tapeten. Das ist auch unter Hannes Meyer geschehen. Dabei ist es das Bourgeoiseste überhaupt, die Wände mit Papier zu bekleben. Die Bauhaus-Tapeten sind millionenfach hergestellt worden. Und das hat wiederum mit dem sozialen Wohnungsbau zu tun, denn die Tapeten waren preisgünstiger als die Wände farbig zu fassen. In den 1920ern war es üblich, die Wände zu spachteln und farbig zu streichen. Es gab eine Bordüre im Friesbereich, bevor es zur Decke übergeht. Bruno Taut hat bei seinen »sozialen Farbkonzepten« einfache mineralische Farben benutzt, denn sein Postulat lautete: »Ein Anstrich ist billiger als ein Ornament.« Die Tapeten von Rasch waren dann nochmal billiger als diese Anstrichfarbe und deswegen sind die Rasch’schen Tapeten überwiegend im Siedlungsbau verklebt worden. Aber was man nie vergessen darf: Alles, was das Bauhaus entworfen und produziert hat, ist ja nur eine Linie in einem bereits völlig diversifizierten Angebot. Rasch hatte natürlich noch andere Tapeten im Angebot, mit Blümchen und Bordüren, auch im Biedermeierstil, die noch mehr verkauft wurden als die Bauhaus-Tapete. Wir machen in unserer Vorstellungswelt immer diesen Fehler, dass es nur die Moderne gegeben hat. Aber sie war nur ein Angebot unter vielen anderen gleichzeitigen Optionen. CB: Ein wichtiger Motor für die neue Gestaltung war Hygiene. Der Slogan ›Licht, Luft und Sonne‹ begleitet das neue Bauen und den Kampf gegen die großen Volksseuchen und hygienischen Missstände. AJ: Ja. Bei der Gestaltung kann man es vor allem an der Verwendung des Materials Glas ablesen. »Licht, Luft und Sonne«, das hat unmittelbar etwas mit Glas zu tun. Große Öffnungen, damit viel Licht hereinkommt in die Wohnung. Licht heißt: ausleuchten. Licht, das hinein kommt in eine Wohnung, zeigt natürlich auch die dreckigen Ecken, das ist ganz wichtig. Vor allem auch im Fabrikbau, wie beim Fagus-Werk, sind große Fensterflächen von Bedeutung, damit Licht hineinfällt. Nicht nur, damit es hell und angenehm zum Arbeiten ist, sondern damit man auch sofort den Dreck sieht und ihn beseitigen kann. Die Verhältnisse aufklären durch Licht! Licht als ein aufklärerisches Element spielt eine riesengroße Rolle.

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Wenn wir an Objekte denken, dann sind es aus Glas gestaltete Teekannen oder die Bauhausleuchte aus Glas, bei denen man den Verlauf des Stroms sieht, oder etwas später die Auf bewahrungsbehälter von Wilhelm Wagenfeld, das Kubusgeschirr. Nicht nur, damit man reinschauen kann, wie viel da noch drin ist, ohne den Deckel heben zu müssen, sondern auch: »Ist das überhaupt noch frisch und gut?« Und damit diese Teekanne nicht überall nur Schmadder ansetzt, fühlt man sich geradezu verpflichtet, sie zu säubern. Das ist der moralische Aspekt. Wenn Sie eine Teekanne aus Ton haben, dann können Sie die Ablagerungen nicht sehen. CB: War es nicht letztendlich eine Illusion, dass man durch Architektur, durch Einfachheit, durch die gute Form die Gesellschaft gestalten könne? Musste dieses Konzept nicht scheitern? AJ: Ich weiß nicht, ob diese Idee gescheitert ist. Vielleicht muss man viel niedriger ansetzen in der Erwartung, was man dadurch überhaupt bewegen kann: Kann ich durch Gestaltung die Welt verändern? Kann ich Gesellschaft reformieren, indem ich einen guten Geschmack implementiere? Kann ich die Menschen dazu erziehen, mündige Konsumenten zu sein? Diese Frage ist ein wichtiger Bestandteil dieser Geschichte. In unserer Warengesellschaft haben Sie ein diversifiziertes Programm, da sollten Sie lernen: Was ist besser und warum? Sentimentalitäten abzulegen, das ist sicherlich die Absicht von allen drei Direktoren am Bauhaus gewesen, aufzuräumen und auszumisten. Wenn man sich das so anschaut, dann haben sie doch ziemlich viel bewegt, vor allem für die Zeit nach 1945, wenn wir in Europa bleiben. Den richtigen Durchschlag hatte diese Ideologie wirklich erst nach 1945, und auch da war sie nur ein Angebot unter anderen, aber ein sehr viel stärkeres Angebot als noch davor. CB: Wenn wir noch einmal nach Frankreich schauen in dieser Zwischenkriegszeit, wo sich parallel der Art Déco zur vollen Blüte aufschwingt, dann drängt sich die Frage nach dem mentalitätsgeschichtlichen Kontext auf, in dem das Bauhaus sich entwickelt. AJ: Am frühen Bauhaus ist beides da, das Romantische und das Rationale, das Überschäumende, das Weggetragen sein von den Gefühlen, sei es vor der Kunst oder der Natur, gleichzeitig das sich völlig auf die Essenz des

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Gestaltens zurückführende, wie es ja auch ein Itten gemacht hat in seinen Vorkursen. Primärfarben und Primärformen: reduzieren, weil man sich am Beginn einer neuen Epoche befunden hat nach diesem schrecklichen Ersten Weltkrieg. Und – da kommen jetzt kunsthistorische Denkmodelle dazu – man muss wissen, dass man am Bauhaus Wölfflin und Worringer gelesen hat: die Einteilung in Epochen und diese wiederum in verschiedene Phasen wie beispielsweise Frühgotik, Hochgotik, Spätgotik. In diesen Denkmodellen bewegte man sich auch am Bauhaus. Man war dort der festen Überzeugung, an einer Schwelle der Geschichte zu stehen. Eine frühe Epoche ist eben noch nicht ausdifferenziert, ist ungeschlacht und roh, die probiert ja erst noch, und die ist archaisch, und deswegen schaut man auch zu den sogenannten ›primitiven‹ Völkern, nach Afrika, macht (wie Marcel Breuer) einen afrikanischen Stuhl, einfach, um sich zu befreien von der vorangegangenen Epoche. Man schaut fast krampfhaft nach vorne, sucht etwas Neues. Gropius sagt, die Generation nach mir, die wird auch wieder das Ornament zulassen. Aber wir sind jetzt am Anfang, wir müssen die Pflöcke einrammen, das ist dann vielleicht noch unbeholfen und derb, aber unsere Nachfolger, die differenzieren das dann aus. Wir sind die Wegbereiter der neuen Epoche. So kann man vielleicht das stark Emotionale, Romantische gleichzeitig mit dem sehr Strengen und Reduzierten, was ja auch etwas Ideologisches hat, verbinden. Das wäre jedenfalls mein Erklärungsversuch. CB: Um den Bogen in die Gegenwart zu spannen: Die Frage nach der Gestaltbarkeit von Gesellschaft ist gerade wieder höchst aktuell. Auffällig ist, dass dabei oft in die Vergangenheit, die beginnende Moderne und das Bauhaus geschaut wird. Kann, sollte man denn aus dieser Geschichte lernen? AJ: Ich finde es wichtig, dass diese Frage wieder gestellt wird und zurzeit auf so viel Resonanz stößt. Sie sagt etwas aus über unsere Verfasstheit, zeigt, dass viele eine Orientierung suchen, etwas verändern wollen mit diesem Instrumentarium. Noch vor zehn Jahren wäre man ausgelacht worden. Aber aktuell scheint die Notwendigkeit zu bestehen, sich neu positionieren zu müssen, die Sinnfrage zu stellen angesichts eines Vakuums, für dessen Entstehung es viele unterschiedliche Erklärungen geben mag. Wenn Menschen aus einer künstlerischen Position heraus es für wichtiger halten, Veränderung zu gestalten als ein nettes Glas, das sich millionenfach verkauft, dann finde ich das per se gut und wichtig.

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Aber in die Geschichte zu schauen, um Antworten für die Gegenwart zu finden, damit habe ich ein riesengroßes Problem. Es wird suggeriert, dass wir an einer ähnlichen Wende stehen wie 1919, die Welt ist aus den Fugen geraten, Technik und Naturwissenschaften galoppieren mit neuen Erkenntnissen davon, man hat den Tritt und den Halt verloren in der Welt – ich glaube, das ist alles nicht vergleichbar. Sicher gibt es Zeiten und Brüche in der Geschichte, in denen der Mensch dazu neigt, sich Fragen zu stellen, sich neu zu orientieren. Aber diese eins-zu-eins Vergleiche, bei denen dann auch immer das Bauhaus bemüht wird, gehen nicht auf. Die hatten doch ungleich andere Probleme als wir heute. Und dann zu denken, wir könnten Antworten für uns heute generieren, halte ich für komplett naiv. Wir müssen die Fragen heute ganz anders stellen als damals. Vielleicht sollte man es so formulieren: Ich konstatiere, wir befinden uns jetzt in einer Zeit, in der sich extrem viel verändert und dies führt dazu, dass wir anfangen sollten, uns neu zu positionieren. Ich frage mich, warum müssen wir immer zurückschauen und dann noch ausgerechnet das Bauhaus hervorkramen, das so gar nicht zurückgeschaut haben wollte. Das Credo der Bauhäusler war: »Es wird nicht zurückgeblickt, es wird nur noch nach vorne geschaut, es werden utopische, zukunftsorientierte Dinge angestrebt in gemeinschaftlicher Arbeit.« Wenn wir uns das Bauhaus als Vorbild nehmen wollen, dann sollten wir auch Visionen entwickeln, die sich mit den Fragen unserer eigenen Zeit auseinandersetzen.

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Gebrauchspatina, Simplex und offenes Prinzip Zur sozialen Verantwortung der Industriegestalter der DDR1 Katharina Pfützner Als Viktor Papanek 1971 mit Design for the Real World den Industriedesignern mangelnde soziale Verantwortung vorwarf, verwies er erklärend auf deren Konditionierung durch »ein marktorientiertes und auf Gewinn ausgerichtetes System«.2 Diese Beobachtung legt nahe, dass die Untersuchung der Positionen von Industriedesignern, welche nicht unter marktwirtschaftlichen Bedingungen tätig waren, im Rahmen heutiger Fragen nach Social Design aufschlussreich sein könnte. Der vorliegende Beitrag befasst sich demzufolge mit der praktischen und theoretischen Arbeit der Industriegestalter der sozialistischen DDR.3 Damit wird ein Aspekt der DDR-Designgeschichte behandelt, der von der Forschung bislang vernachlässigt worden ist,4 vermutlich aufgrund 1 | Dieser Beitrag ist eine leicht überarbeitete und mit den nötigen Belegen und Quellenangaben versehene Version eines Vortrags, der auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Designgeschichte zum Thema Social Design: Geschichte, Praxis, Perspektiven am 23. und 24. Mai 2014 im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg gehalten wurde. 2 | Papanek, Victor: Design für die reale Welt. Anleitungen für eine humane Ökologie und sozialen Wandel, Wien: Springer 2009, S. 112. 3 | Obwohl auch die Gestaltung von Investitionsgütern ein sehr wichtiges Schaffensgebiet für DDR-Gestalter war, konzentriert sich dieser Beitrag vor allem auf das Konsumgüterdesign, da dieser Bereich von primärem Interesse für das Social Design ist. 4 | Eine wichtige Ausnahme in dieser Hinsicht ist Hirdina, Heinz: Gestalten für die Serie: Design in der DDR 1949–1985, Dresden: Verlag der Kunst 1988. Die-

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der weit verbreiteten Annahme, dass das DDR-Design durch die sogenannte Formalismus-Debatte von den Zielen der klassischen Moderne dissoziiert war und bestenfalls zeitgenössisches ›westliches‹ Design imitierte.5 Somit beschränken sich Erörterungen des Designs der DDR vornehmlich auf deren materielle Kultur, also auf Massenprodukte, die unter der Bevölkerung kursierten, – manche von ihnen professionell gestaltet und manche nicht –, und übergehen sowohl designtheoretische Beiträge als auch praktische Designarbeit, die nicht in die Produktion gelangte.6 Dagegen soll anhand unterschiedlicher Quellen, darunter zeitgenössische Literatur, Archivmaterial und aufgezeichnete Gespräche mit DDR-Gestaltern, in diesem Beitrag dargelegt werden, dass die Gestalter der DDR einen zutiefst sozialen Ansatz für ihre Arbeit entwickelten, welcher sowohl in der klassischen Moderne verwurzelt war, als auch eine Reaktion auf die spezifischen ideologischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der sozialistischen Gesellschaft darstellte. Es werden exemplarisch eine Auswahl verschiedener Designpraktiken dargelegt, welche aus diesem sozialen Ansatz hervorgingen und maßgebliche Diskurse sowie gestaltete, wenn auch nicht immer seriell hergestellte Objekte mitbestimmten. Des Weiteren werden die Umstände der Designarbeit in der DDR beleuchtet, um die Faktoren aufzudecken, die den Einfluss dieser Praktiken auf die Produktkultur des DDR-Alltags beschränkten.

ses Buch genießt allerdings nur beschränkte Verbreitung, da es aus der DDR-Zeit stammt und daher nicht ganz unproblematisch ist. 5 | Vgl. Bertsch, Georg C./Hedler, Ernst: SED: Schönes Einheitsdesign, Stunning Eastern Design, Savoir Eviter Design, Köln: Taschen 1994, S. 17–31; Bürdek, Bernhard E.: Design. History, Theory and Practice of Product Design, Basel: Birkhäuser 2005, S. 103–107; Gesellschaft für Designgeschichte, Aufruf zur Konferenz »Deutsche Dinge – Design im doppelten Deutschland von 1949 bis 1989«, 14.3.2009, sowie Kurzfassungen der Beiträge auf der Website der GfDg, www.gfdg.org/jahres​ tagung-2009, bzw. www.gfdg.org/jahrestagung-2009/vortraege. 6 | Vgl. Höhne, Günter/Penti, Erika/Sher, Bebo: Klassiker des DDR Designs, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2001; Selle, Gert: Geschichte des Design in Deutschland, Frankfurt: Campus 2007; Aynsley, Jeremy: Designing Modern Germany, London: Reaktion Books 2009.

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A llgemeine P rioritäten und I de ale In den 1950er und 1960er Jahren erläuterten die Industriegestalter der DDR häufig und weitgehend übereinstimmend an verschiedenen Stellen ihre Entwurfshaltung. Demnach sahen sie sich ganz offensichtlich in einer besonderen Situation: Im Gegensatz zu marktwirtschaftlichen Bedingungen, unter denen Design letztendlich meistens die Aufgabe hat, Umsatz und Gewinn zu steigern, sahen die Gestalter in der sozialistischen DDR, in der die Hersteller bekanntlich nicht auf Profit orientiert waren, die Gelegenheit, den Interessen des individuellen Nutzers und denen der Gesellschaft den Vorrang zu geben. Dementsprechend ging es ihnen vor allem darum, mit einem möglichst sparsamen Einsatz von Ressourcen die sogenannten ›echten‹ Bedürfnisse der breiten Masse zu befriedigen.7 Kurz umrissen bedeutete dies vor allem folgendes: Gestaltete Produkte sollten gut funktionieren8 und benutzerfreundlich9 sein, aber 7 | Vgl. zum Beispiel Stam, Mart: »Neue Möglichkeiten auf dem Gebiete der industriellen Gestaltung«, in: Hildtrud Ebert (Hg.), Drei Kapitel Weißensee: Dokumente zur Geschichte der Kunsthochschule Berlin-Weißensee 1946 bis 1957, Berlin: Kunsthochschule Berlin-Weißensee 1996, S. 269–276; Buske, Albert: »Zweckmäßig und schön durch Zusammenarbeit«, in: Bildende Kunst 10 (1959), S. 711–715; Bartsch, Ekkehard, »Die Rolle der Gestaltung in der sozialistischen Gesellschaft«, in: form + z weck 1 (1969), S. 5–9. Dieser Entwurfsansatz wurde der Autorin von ehemaligen DDR-Gestaltern auch fast durchgängig in zwischen 2006 und 2008 aufgezeichneten Gesprächen bestätigt. 8 | Vgl. zum Beispiel Kelm, Martin: »Über die Bedeutung der Industrieformgestaltung. Künstlerisch-ästhetische und ökonomisch-praktische Fragen. Stand und Perspektive«, Referat auf der 12. Tagung des Zentralvorstandes des VBKD am 31.10.1963, in: Formgestaltung Qualität, Berlin: Verband Bildender Künstler Deutschlands 1963, S. 18; Begenau, Siegfried H.: Funktion Form Qualität: Zur Problematik einer Theorie der Gestaltung (des Design), Berlin: Zentralinstitut für Gestaltung 1967, S. 59; John, Erich: »Gebrauchswert und Ästhetik: Aus einem Diskussionsbeitrag auf dem Kolloquium ›Gebrauchswert und Gestaltung‹ des Amtes für industrielle Formgebung [sic!] im Mai 1975«, in: Bildende Kunst 12 (1975), S. 595. 9 | Vgl. zum Beispiel im Bereich der Keramik Merz, Hans: »Von der Notwendigkeit der Formgestaltung in der Keramischen Industrie«, in: Bildende Kunst 1 (1961), S. 44; in der Möbelgestaltung Peters, Jürgen: »Wohnraum – Möbel – Rundfunk – Fernsehen«, in: Bildende Kunst 1 (1963), S. 38 und im Automobildesign Dietel, Clauss: »Auto für die Freizeit – Freizeit für das Auto«, in: form + z weck 2 (1971), S. 30–35.

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nicht als Statussymbole fungieren. Demzufolge hieß es beispielsweise in einem Artikel über Möbeldesign: »Das Abfallen der für die Funktion im engeren (physischen) Sinn überflüssigen Formen an unseren Geräten ist […] nicht nur technisch, sondern auch weltanschaulich begründet. […] Der Arbeiter als Mitglied und Schöpfer einer klassenlosen Gesellschaft hat es nicht nötig, durch Prunk jemand [sic!] zu beherrschen, mit seinen Möbeln sich von seinen Klassengenossen abzuheben.«10

Des Weiteren sollten gestaltete Gegenstände langlebig sein (wie im nächsten Abschnitt dargestellt), denn je seltener ein Produkt ersetzt werden musste, desto geringer war der Produktionsaufwand, um die jeweiligen Bedürfnisse zu befriedigen. Und sie sollten natürlich auch materialsparend und industriell herstellbar sein, um möglichst viele Nutzer zu erreichen.11 Demzufolge unterstützten die DDR-Gestalter auch die Standardisierung und Typisierung sowohl von Enderzeugnissen als auch von Halbteilen12, und sie lehnten das Styling ab  – eine Designpraktik, die anderswo oft eingesetzt wurde, um Produkte voneinander zu differenzieren oder schneller veralten zu lassen, und die den Effekt hat, Produktionsläufe zu reduzieren. Hierzu schrieb zum Beispiel der Gestalter und Hochschulprofessor Horst Michel: »Bei aller Selbstverständlichkeit des Bemühens um die fortschrittliche Entwicklung unserer industriellen Produktion haben wir es doch gar nicht nötig, im

10 | Exner, Hermann: »Zu neuen Möbeln von Franz Ehrlich und Selman Selmanagic«, in: Bildende Kunst 3 (1958), S. 194. Zu weiteren Beispielen für die Ablehnung von Produkten als Statussymbole siehe auch Michel, Horst: »Das Angemessene«, in: Bildende Kunst 11–12 (1956), S. 652–655 und Kelm, Martin: Produktgestaltung im Sozialismus, Berlin: Dietz 1971, S. 74–81. 11 | Vgl. dazu zum Beispiel Stam, Mart: »Arbeitstagung des Instituts für Innenarchitektur, Referat Stam, 14.3.52«, in: H. Ebert, Drei Kapitel, S. 162–164; Kelm, Martin: »Es geht um die sinnvolle Form«, in: Bildende Kunst 2 (1963), S. 94 und S. Begenau, Funktion, S. 38–39. 12 | Vgl. Kriegel, Gerhard: »Die Bedeutung der industriellen Formgestaltung für ein bedarfsgerechtes Sortiment an Gebrauchsgütern«, in: Form und Zweck 1960, S. 15–30; Bartsch, Ekkehard: »Standardisierung – Vielfalt – Formgestaltung«, in: form +  z weck 2 (1965), S. 7–12; Dunkel, Gerhard: »Es geht um die Standardisierung«, in: form +  z weck 1 (1966), S. 6–8.

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kapitalistischen Sinne »Neuheiten« zu schaffen, um mit »noch nie Dagewesenem« den werktätigen Menschen einen Anreiz zum falschen Kaufen zu geben. […] Dadurch entstehen im ständigen Wechsel viel zu kleine, meist nicht ausgereifte Serien, die die Kapazität der Betriebe vermindern und hohe Selbstkosten verursachen.«13

Der hier beschriebene sozial orientierte Designansatz wurde von den Gestaltern auch relativ konsequent umgesetzt. Das belegen zahlreiche von ihnen gestaltete Produkte, von einfachen Kunststoffartikeln zu komplexeren technischen Geräten, die allesamt äußerst funktional und praktisch zu handhaben waren, materialsparend und in großen Stückzahlen hergestellt werden konnten und deren Form ausschließlich von diesen Prioritäten abgeleitet war, ohne zusätzliche dekorative Details, weder modische noch historisierende, aufzuweisen. Dazu zählt zum Beispiel das 1961/62 von Ilse Decho gestaltete Pressglas-Service zum Kochen und Braten, 1964 in der Designfachzeitschrift form + zweck dargestellt und mindestens bis 1979 in der Produktion.14 Die weitgehende Übereinstimmung zwischen diesem Gestaltungsansatz und insbesondere in Bauhaus-Kreisen verfochtenen Vorstellungen der Moderne von einem sozialeren Design ist demnach nicht zu übersehen, auch wenn in den entsprechenden Ausführungen der DDR-Gestalter auf diesen historischen Hintergrund kein Bezug genommen wurde.15 Das 13 | Michel, Horst: »Aufgaben des Industrieformgestalters in der Deutschen Demokratischen Republik«, in: Bildende Kunst 2 (1962), S. 92. Für weitere Beispiele vgl. H. Merz: Von der Notwendigkeit, S. 45–46; Kelm, Martin: »Zur kulturpolitischen Bedeutung der Formgestaltung beim Aufbau des Sozialismus«, in: Form und Zweck 1963, S. 11–13. 14 | Damit soll natürlich nicht behauptet werden, dass in der Nachkriegszeit nur die DDR-Gestalter soziales Design praktizierten. Auch in der Bundesrepublik wurden die Ideen des Bauhauses wieder aufgegriffen, hauptsächlich an der Hochschule für Design in Ulm (1953–68). Außerdem fand in der Bundessrepublik eine rege Aneignung der mit diesem sozialen Ansatz verbundenen Ästhetik statt, was unweigerlich zu formalen Ähnlichkeiten zwischen den dort und in der DDR gestalteten Produkten führte. 15 | Vgl. Originaltexte von Bauhäuslern in Benton, Tim/Benton, Charlotte/Sharp, Dennis (Hg.): Form and Function: A Source Book for the History of Architecture and Design 1890–1939, London: Crosby Lockwood Staples 1975; Whitford, Frank

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Abb. 1: Ilse Decho, Feuerfeste Brat- und Kochgefäße, 1961/62, hergestellt von VEB Glaswerk Schott & Gen. Jena.

Foto: Erich Müller. Quelle: Form und Zweck 1 (1964): S. 31.

wäre schon aufgrund der offiziellen Ablehnung der Moderne im Rahmen der Doktrin des Sozialistischen Realismus nicht möglich gewesen.16 Vielmehr kann angesichts der Anwesenheit zahlreicher Vertreter der Zwischenkriegsmoderne an Designausbildungsstätten der zukünftigen DDR in der unmittelbaren Nachkriegszeit von einer unautorisierten mündlichen Überlieferung dieser Ideale, möglicherweise sogar ohne Hinweis auf deren historische Herkunft, ausgegangen werden.17

(Hg.): The Bauhaus: Masters and Students by Themselves, Woodstock: The Overlook Press 1993. 16 | Zur Ablehnung der Moderne in der Industriegestaltung vgl. Pfützner, Katharina: »›But a home is not a laboratory‹: The Anxieties of Designing for the Socialist Home in the German Democratic Republic 1950–1965«, in: Robin Schuldenfrei (Hg.), Atomic Dwelling: Anxiety, Domesticity, and Postwar Architecture, London, New York: Routledge 2012, S. 149–168. 17 | Für einen Überblick, welche Bauhäusler nach 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR wo lehrten, vgl. Hüter, Karl-Heinz: »Dem Bauhaus Bahn brechen: Von den Schwierigkeiten zu erben in Zeiten des Kalten Krieges«, in: Günter Höhne (Hg.), Die

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Andererseits sollte die Arbeit der DDR-Gestalter keinesfalls als bloße Nachahmung des am Bauhaus verfochtenen Gestaltungsansatzes verstanden werden. Vielmehr stellte sie darüber hinaus auch eine bewusste Reaktion auf die spezifischen Umstände, Gelegenheiten und Anforderungen einer industrialisierten, aber rohstoffarmen sozialistischen Gesellschaft dar, auf welche sich die Gestalter in ihren Erläuterungen auch durchgängig bezogen. Demzufolge entwickelten sie aus diesem Ansatz heraus verschiedene eigene soziale Designpraktiken, von denen einige, allesamt den kontinuierlichen Bemühungen der DDR-Gestalter um angemessene Produktlaufzeiten entstammend, im Folgenden näher erläutert werden sollen.

Gebrauchspatina Der Industriegestalter Karl Clauss Dietel prägte Ende der 1960er Jahre den Begriff »Gebrauchspatina«, um die Schicht von Makeln und Kratzern zu beschreiben, die von den meisten Gegenständen mit der Zeit durch ihre Nutzung erworben wird, und legte nahe, dass diese Patina so beschaffen sein sollte, dass sie die Produkte nicht abwertete, sondern verbesserte. Zu diesem Thema löste er 1973 mit einem in form + zweck veröffentlichten Artikel eine anhaltende nachdenkliche Diskussion aus.18 Hier führte er eine Reihe von gut gealterten vor-industriellen Gegenständen an, – Objekte aus Stein, Holz, Metall, Keramik und Leder –, um herauszustellen, dass Produkte aus moderner ertragsorientierter Herstellung die Fähigkeit, würdevoll zu altern, verloren hätten: Erst als Bedürfnisse nicht mehr befriedigt, sondern um des Geldes willen Bedürfnisse geschaffen wurden, wandelte sich dies. […] früher die Dinge veredelnde Spuren des Nutzens wurden in ihr Gegenteil verkehrt. Be-nutzt und ge-braucht wurden Synonyme für das Abzusetzende, möglichst bald durch Neues Auszutauschende.19

Dietel meinte, dass der ästhetische Anreiz solch einer Gebrauchspatina in der DDR wieder zu entdecken sei. Und dies war, seiner Meinung nach, geteilte Form: Deutsch-deutsche Designaffären 1949–1989, Köln: Fackelträger Verlag 2009, S. 79–88. 18 | Dietel, Clauss: »Von den veredelnden Spuren des Nutzens oder Patina des Gebrauchs«, in: form +  z weck 1 (1973), S. 39–40. 19 | Ebd., S. 39.

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vor allem eine Frage der guten Gestaltung: »Das gut Gestaltete vermag die Spuren des Nutzens und Brauchens durch den Menschen und die Spuren der Zeit zu tragen. Sein Gestaltbild wird dadurch gesteigert, nicht aber gemindert.«20 Die meisten DDR-Designer, die sich zu diesem Thema äußerten, stimmten Dietel zu, dass industriell hergestellte Produkte besser altern sollten.21 Allerdings waren bei weitem nicht alle davon überzeugt, dass die Herbeiführung einer wertsteigernden Gebrauchspatina im Aufgabenbereich der Designer lag. Der Architekt und Möbeldesigner Herbert Pohl zum Beispiel schrieb in Antwort auf Dietel, »die beschriebene Wertsteigerung im Material als Prinzip zu erreichen liegt gegenwärtig und sicher auch in nächster Zukunft nicht im Hoheitsgebiet des Gestalters. Leider.«22 Der Industriegestalter Alfred Hückler, damals Dozent an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, meinte sogar, dass Gebrauchspatina jeglicher Art zu verhindern sei: »Eine Form, die durch Verschleiß (sprich: gebrauchsgerichtete Bearbeitung) besser wird, war eben nicht ›durchgestanden‹, also unfertig.«23 Einige Gestalter sahen jedoch die Möglichkeit einer wertsteigernden Gebrauchspatina nicht in ihrem eigenen direkten Eingriff, sondern in einer positiven Einstellung des Nutzers zu Gebrauchsspuren, zum Beispiel als Ausdruck einer langjährigen, befriedigenden Nutzer-Objekt-Beziehung. Somit ging es nicht mehr um die Gegenstände, die haltbarer sein sollten, sondern um die Nutzer, die befähigt werden sollten, mehr Respekt und Wertschätzung für diese Gegenstände aufzubringen. So sah es zum Beispiel der Industriedesigner und Designtheoretiker Horst Oehlke: »Um die Entwicklung vernünftiger ethischer Verhaltensweisen und ästhetischer Anschauungen geht es letztlich in Dietels Beitrag.«24 Aus dieser 20 | Ebd. 21 | Vgl. die Beiträge von Eva Fritzsche-Schmidt, Herbert Pohl, Alfred Hückler, Horst Oehlke und den Studenten des 3. Studienjahres der Abteilung Formgestaltung an der Kunsthochschule Berlin unter dem Titel »Blick nach vorn oder zurück?«, in: form +  z weck 3 (1973), S. 45–48; Dietel, Clauss: »Gebrauchspatina II«, in: form + z weck 4 (1973), S. 34 und Hirdina, Heinz: »Zwischen Zunfthandwerk und Bionik«, form +  z weck 4 (1973), S. 35. 22 | »Blick nach vorn«, S. 46. 23 | Ebd., S. 47. 24 | Ebd., S. 47.

Gebrauchspatina, Simplex und offenes Prinzip

Perspektive gesehen bestand die Aufgabe der Gestalter darin, Gegenstände so zu gestalten, dass sie ihre Nutzer zu komplexeren, bedeutungsvolleren Bindungen verleiteten, um somit eine wertsteigernde Gebrauchspatina indirekt zu ermöglichen.25 Konkrete Beispiele für eine erfolgreiche Anwendung von Dietels Gebrauchspatina sind demzufolge nie erbracht worden; die Diskussion gab jedoch einen wertvollen Anstoß für weiterführende Überlegungen.

Simplex Ein weiterer Faktor, der die Lebensdauer normalerweise langlebiger Produkte verkürzte, war die vorzeitige Änderung der Bedürfnisse der Nutzer. In den frühen 1970er Jahren gab es Überlegungen im Bereich der Möbelgestaltung, wie der Entwertung von Möbeln durch veränderte Nutzerbedürfnisse zu begegnen sei. In diesem Zusammenhang entstanden an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein die Simplexmöbel. Simplexmöbel hatten eine kürzere erwartete Lebensdauer, aber sie hatten sonst an ihrer Funktionalität und Benutzbarkeit nichts eingebüßt. Außerdem waren sie wesentlich weniger aufwendig herzustellen. Damit sollte der Verschwendung vorgebeugt werden, die entsteht, wenn herkömmliche aufwendiger hergestellte Möbel vorzeitig weggeworfen werden. Sie sollten vier entscheidende Eigenschaften haben: Erstens: Klarheit des Konstruktionsprinzips, so dass der Nutzer die Möbel leicht selbst montieren konnte; zweitens: Anpassbarkeit an veränderte Bedürfnisse; drittens: Beweglichkeit für einfachen Transport und Lagerung, um rationelle Herstellung und Vertrieb, sowie mobile Formen des Gebrauchs zu gewährleisten; viertens: Wirtschaftlichkeit durch die Auswahl von kostengünstigen und leicht verfügbaren Materialien und Technologien.26 Mehrere, hauptsächlich durch den Industrie- und Möbeldesigner Rudolf Horn betreute Diplomarbeiten entstanden zu diesem Thema. Die daraus resultierenden Möbelsysteme sahen schlicht aus. Sie waren aus kostengünstigen Materialien leicht konstruiert und ihre Oberflächen waren kaum bearbeitet. Die Schlichtheit der Materialien und Bearbeitung wurde allerdings durch eine hohe Benutzerfreundlichkeit ausgeglichen. Die Möbel waren in jedem 25 | Vgl. hierzu auch Kühne, Lothar: Gegenstand und Raum: Über die Historizität des Ästhetischen, Dresden: Verlag der Kunst, S. 252–264. 26 | Vgl. »Simplexmöbel«, in: form +  z weck 1 (1973), S. 14.

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Fall hochfunktionell und außergewöhnlich vielseitig: Innovative Auf bewahrungslösungen boten erheblich verbesserten Zugriff und die meisten Konstruktionen waren verstellbar, beweglich und zusammenlegbar. Ein gutes Beispiel dafür war ein von dem Student Berndt Watzke gestaltetes und 1974 in form + zweck dargestelltes Simplex-Küchensystem.27 Abb. 2: Berndt Watzke (Betreuer: Prof. Rudolf Horn und Wolfgang Schönherr), Simplex-Küchensystem, Entwurf 1973 (nicht hergestellt), Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle – Burg Giebichenstein, Sektion Wohnen, Bildung, Erholung.

Foto: Friedrich Weimer. Quelle: Sammlung Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.

Es bestand aus einem Rahmen, der vom Nutzer zusammen zu montieren war und in den die restlichen Funktionselemente (Arbeitsplatten, Oberschränke und Unterschränke) je nach individuellem Bedürfnis eingefügt werden konnten. Den Simplex-Kriterien folgend, hatte Watzke den Aufwand an Material und Konstruktion überall dort reduziert, wo er funktionell nicht zu rechtfertigen war. Die Möbel waren zum Beispiel nicht furniert, und die Oberschränke waren mit magnetisch zugehaltenen, plas27 | Watzke, Bernd: »Küche: Simplex-Kriterien als Arbeitsgrundlage«, in: form + ​ zweck 6 (1974), S. 13–15.

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tik-beschichteten Textil-Rollos zu verschließen. Des Weiteren hatte er den Aufwand überall dort konzentriert, wo der Gebrauch verbessert werden konnte: Die Arbeitsplatten bestanden zum Beispiel aus glasfaserverstärktem Kunststoff mit eingeformter Spüle und Abtropffläche, und die Unterschränke konnten heraus gerollt werden und ermöglichten so den Zugriff von mehreren Seiten.

Offenes Prinzip Eine weitere Strategie, durch Industriedesign die Lebensdauer von Gegenständen zu verlängern, wurde Ende der 1960er Jahre von dem GestalterTeam Clauss Dietel und Lutz Rudolph vorgeschlagen.28 Das »offene Prinzip« war eine Konstruktionsweise, die es dem Nutzer ermöglichte, Einzelteile oder Baugruppen problemlos durch weiterentwickelte oder alternative Teile zu ersetzen. Praktisch gesehen bedeutete dies, dass die Bauteile leicht zugänglich, also möglichst nicht durch Gehäuse oder Verkleidungen verdeckt, und in ihrer Form nicht aufeinander abgestimmt sein sollten, oder zumindest durch eine großzügige Fuge voneinander getrennt, sodass zukünftige Ersatzteile nicht an die Form der Originalteile angepasst werden mussten. Nach diesem Prinzip gestaltete Gebrauchsgegenstände könnten also sowohl Abnutzung und veränderte Nutzer-Bedürfnisse, als auch technische Fortschritte oder das Versagen von einzelnen Bauteilen überstehen. Solche Produkte hatten eine potenziell unbegrenzte Lebensdauer. Das erste bekannte Beispiel einer zumindest teilweisen Umsetzung des Prinzips ist eine 1976 in form + zweck veröffentlichte Schreibmaschinenstudie aus dem Jahr 1965.29 Anders als bei damals verbreiteten Modellen, welche generell ein geschlossenes Bild anstrebten, waren die verschiedenen Baugruppen dieser Maschine (Grundkörper, Wagen und Tastatur) fast völlig unabhängig voneinander geformt und durch großzügige Toleranzfugen voneinander getrennt. Vom »offenen Prinzip« abweichend, kam Dietels Studie allerdings nicht ohne die Abdeckung über den Typenhebeln aus, vermutlich weil er damals weniger an Langlebigkeit im Gebrauch als vielmehr in der 28 | Siehe Protokoll zum VBK-Gestaltungsseminar am 17. und 18.11.1969 in Halle, in: Akademie der Künste Berlin (fortan AdK Berlin), VBK-ZV 6140, S. 90–93 und C. Dietel: Gebrauchspatina II, S. 34. 29 | Siehe Dietel, Clauss: »Metamorphosen«, in: form + z weck 1 (1976), S. 41–43.

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Abb. 3: Karl Clauss Dietel, Schreibmaschinen-Studie, gestaltet für VEB Schreibmaschinenwerk Dresden, Entwurf 1965 (nicht hergestellt).

Foto: Jürgen Böttger. Quelle: Archiv Dietel.

Produktion dachte, und somit eher an ›Offenheit‹ für den Hersteller als für den Endnutzer.30 Hier deuten sich aber auch schon die Grenzen des »offenen Prinzips« an, zumindest in seiner damaligen Fassung: Verkleidungen haben häufig auch eine Schutzfunktion, besonders bei elektronischen Geräten, die oft ein so empfindliches Innenleben haben, dass der Nutzer damit am besten überhaupt nicht hantieren sollte. Bei dieser Art von Gegenständen würde es auch der Trend zur Miniaturisierung schwierig machen, die geforderten größeren Abstände zwischen Einzelteilen und Baugruppen einzuhalten. Offenbar war die Anwendung dieser Idee bei manchen Produktgruppen eher problematisch. Andererseits war Dietels und Rudolphs konsequenteste Anwendung des »offenen Prinzipz«, nämlich am 1967 gestalteten Mokick S 50, ein durchschlagender Erfolg. Wie 1975 in form + zweck dargestellt, bestand das Fahrzeug aus einem Rohrrahmen, in den die verschiedenen Baugruppen eingehängt waren: Triebwerk, Tank, Sitzbank, Schutzbleche, Leuchten, Tachometer usw. waren völlig unabhängig voneinander geformt und offen angeordnet.31 30 | Ebd., S. 41. 31 | Dietel, Clauss/Rudolph, Lutz: »Offen für Kommendes«, in: form +  z weck 5 (1975), S. 5–6.

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Abb. 4: Karl Clauss Dietel, Lutz Rudolph & Team, Mokick S 51, 1967 (Grundentwurf S 50), hergestellt von VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Ernst Thälmann, Suhl.

Foto: Werkfoto Simson.

Das »offene Prinzip« erlaubte es dem Hersteller, das S 50 kontinuierlich zu verbessern, wodurch es (ab 1980 als S 51) bis 1989 in Produktion blieb. Das S 50 war aber auch ›offen‹ für den Endnutzer: Es war äußerst reparatur- und wartungsfreundlich und konnte durch den Einbau von neuen Teilen in ältere Modelle individualisiert oder aufgerüstet werden. Demzufolge werden S 50/S 51 Räder und deren Ersatzteile auch noch heute, über ein Vierteljahrhundert nach Produktionsauslauf, auf dem Gebrauchtfahrzeugmarkt gehandelt.32

32 | Vgl. zum Beispiel die entsprechende Website des Online-Fahrzeugmarkts Mobil.de, www.mobile.de/zweirad-verzeichnis/simson/s50.html.

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H indernisse Trotz des beachtlichen Niveaus dieser Überlegungen und Experimente und der offensichtlichen Einstimmigkeit, mit der die DDR-Gestalter ihren sozial orientierten Designansatz verfolgten, hatte dieser nur einen sehr beschränkten Einfluss auf die Produktkultur der DDR.33 Das lag an massiven Widerständen, auf welche die Gestalter stießen, sowohl gegen spezifische Aspekte ihrer Herangehensweise, als auch gegen Industriedesign im Allgemeinen. Einige dieser Probleme sollen im Folgenden kurz umrissen werden. Der bereits erwähnte kulturpolitische Widerstand wird hier ausgeklammert, da er schon anderswo abgehandelt worden ist und auch von den Gestaltern zumeist nicht als verhindernd wahrgenommen wurde.34 Viele Hersteller hatten keinerlei Interesse an der Gestaltung, weil sie durch ihren Wirtschaftsplan mehr auf quantitative als auf qualitative Ziele orientiert waren.35 Wenn sie, durch Ministerratsbeschlüsse36 angewiesen, dennoch Designer im Haus einstellten, dann meistens, ohne die notwendigen Voraussetzungen für schöpferische Arbeit zu schaffen.37 So 33 | Obwohl Produktkultur meistens nur begrenzt von professionellem Design geprägt ist, war diese Sachlage in der DDR keine ausgemachte Sache, wenn man bedenkt, dass die Produktion zentral gesteuert war und die Gestaltung vom Staat eigentlich unterstützt wurde, insbesondere durch das dem Ministerrat direkt unterstellte Amt für industrielle Formgestaltung (AiF, 1972–1990), welches mit verschiedenen Maßnahmen unablässig versuchte, die Gestaltung in der Industrie durchzusetzen. 34 | Das betrifft selbst die erste Generation von Gestaltern, die schon in den 1950er Jahren, als dieser Widerstand am stärksten war, beruflich aktiv waren, wie aus Gesprächen der Autorin mit Jürgen Peters (31.7.2008, Neuenhagen), Martin Kelm (2.8.2008, Losten), Christa Petroff-Bohne (11.8.2008, Berlin) und Erich John (12.8.2008, Berlin) hervorgeht. Vgl. auch K. Pfützner: But a home. 35 | Vgl. hierzu auch Müller, Erich: »Ästhetik als Planbestandteil. Das Beispiel der VVB Keramik, Erfurt«, in: Form und Zweck 1962, S. 89–102. 36 | Um die Gestaltung in der Industrie zu etablieren, wurden über die Jahre hinweg mehrere Ministerratsbeschlüsse verabschiedet, welche u. a. relativ detailliert vorschrieben, welche Kombinate wieviele Gestalter einzustellen hatten. Die Beschlussvorlagen wurden jeweils vom Direktor des AiF, Martin Kelm, ausgearbeitet. 37 | Vgl. zum Beispiel Dinse, Frieda: »Formgestalter in der Industrie: Zur Situation«, form + z weck, 5 (1978), S. 4; Johns, Erich: »Stenografisches Protokoll zur 5. Tagung des Zentralvorstandes des Verbandes Bildender Künstler der DDR am

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wurden Gestalter zum Beispiel oft erst gegen Ende von Entwicklungsarbeiten hinzugezogen, wenn die wichtigsten Parameter schon festlagen. Die restliche Zeit verbrachten sie dann mit berufsfremder Arbeit, zum Beispiel der Gestaltung von Wandzeitungen und Speiseplan-Aushängen oder in der Produktion. Außerdem waren ihre Arbeitsumstände oft unzulänglich. Die Ausrüstung für den Modellbau fehlte häufig, oder sie mussten Lärm, Staub und Vibrationen ertragen und, wie die restliche Betriebsbelegschaft, um sechs Uhr früh zur Arbeit antreten.38 Das führte zu einer sehr hohen Arbeitsunzufriedenheit unter Industriedesignern, die deshalb oft den Beruf wechselten oder auswanderten. Selbst wenn die Gestalter ein gutes und wirksames Arbeitsverhältnis hatten, traten weitere Probleme auf. Als sich die wirtschaftliche Situation der DDR in den 1970er und 1980er Jahren verschlechterte, sanken die Investitionen in die Produktionsmittel.39 Dadurch nahm die Herstellungsqualität ab, was nicht nur die getreue Ausführung von Entwürfen behinderte, sondern auch die den Gestaltern wichtigen Produktqualitäten wie Funktionalität und Langlebigkeit beeinträchtigte. Analysen und Berichte des Amts für industrielle Formgestaltung (AiF) dokumentieren durch veraltete Maschinen verursachte Herstellungsfehler, alternde Formwerkzeuge, die Teile herstellten, welche bei der Montage nicht mehr richtig zusammenpassten sowie Engpässe und unzulängliche Materialsubstitutionen.40 13. März 1980 in Berlin«, in: AdK Berlin: VBK-ZV 5763, S. 39; »Bericht über die erreichte Wirksamkeit der Formgestaltung seit dem X. Parteitag der SED«, in: Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (fortan SAPMO) DY30/​ 2926, 1986, S. 4. 38 | Diese und weitere Beispiele sind zahlreichen archivierten Beschwerdebriefen aus den 80er Jahren, sowohl an das AiF als auch an den Verband Bildender Künstler zu entnehmen (Bundesarchiv Dahlwitz-Hoppegarten [fortan BArch DH] DF7/1367 und DF7/463, AdK Berlin VBK-Frankfurt [O] 57). 39 | Siehe dazu Steiner, André: »Zwischen Konsumversprechen und Innovationszwang. Zum wirtschaftlichen Niedergang der DDR«, in: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hg.), Weg in den Untergang. Der innere Zerfall der DDR, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1999, S. 153–192. 40 | Vgl. zum Beispiel »Zusammengefaßte Kurzeinschätzung des formgestalterischen Niveaus der auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1976 gezeigten Exponate«, undatiert (Archiv der Sammlung Industrielle Gestaltung); Berichte über die Durchführung der Auszeichnung »Gutes Design« auf den Leipziger Messen von 1978 bis

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Ein weiteres Hindernis entstand durch die Art der Buchführung. Die Berechnung der Preise basierte auf den Herstellungskosten.41 Da die Hersteller aber die meiste Zeit über an ihrer Bruttoleistung gemessen wurden (also am Gesamtwert der hergestellten Waren) statt an ihrem Gewinn (also der Differenz zwischen Gesamtwert und Produktionskosten), konnten sie im Grunde umso mehr abrechnen, je teurer sie produzierten. Das führte zu einer Tendenz, Material und Arbeit zu vergeuden, und unterlief die ständigen Bemühungen der Gestalter, den Produktionsaufwand klein zu halten. Dies wirkte sich vor allem in der Glas- und Porzellanindustrie aus, aber auch die bereits dargestellten Simplex-Möbel sind aus diesem Grund letztendlich nie in Produktion gegangen. Ihre billigere Herstellung wäre für die Betriebe unökonomisch gewesen.42 Außerdem gab es Schwierigkeiten mit dem Handel: Wie die Hersteller, so hatten auch die Binnenhändler kaum Interesse an Industriedesign. Sie haben regelmäßig, unter Berufung auf den vermeintlich konservativen Bevölkerungsgeschmack, professionell gestaltete Produkte abgelehnt oder Änderungen verlangt, welche die ursprünglichen Absichten der Gestalter untergruben. Das betraf vor allem einfache, undekorierte Produkte.43 Am stärksten wurde jedoch der Einfluss des Außenhandels, insbesondere der mit dem sogenannten »nichtsozialistischen Wirtschafts-

1983 (BArch DH DF7/565) und »Bericht über die erreichte Wirksamkeit der Formgestaltung seit dem X. Parteitag der SED«, 1986 (SAPMO DY30/2926). 41 | Dies bezieht sich speziell auf die Herstellerpreise. Zur Preisbildung im Sozialismus vgl. Kornai, János: The Socialist System. The Political Economy of Communism, Oxford: Clarendon Press 1992, S. 131–159. 42 | Vgl. dazu »Einige Beispiele, wie durch die mechanische Anwendung überholter Preisordnungen die Entwicklung der industriellen Formgestaltung erschwert wird«, 20.9.1961 (Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (fortan BArch BL) DR1/7982); archivierter Bericht von Bergmann, Günter: »Die Untersuchung der Produktions-, Aufwands- und Nachfragebedingungen sowie deren Beziehungen zum Preis in der Warengruppe Haushaltporzellan«, 20.11.1972 (BArch BL DL102/657). Speziell in Bezug auf Simplex-Möbel vgl. Köster, Hein: »Zehn Jahre Entwicklungsarbeit«, in: form +  z weck 4 (1976), S. 13–22, hier S. 19. 43 | Vgl. zum Beispiel Lüder, Dagmar: »Von Dauer, aber karg?«, in: form + z weck 5 (1975), S. 11–13; Lüder, Dagmar: »Reif, nicht alt«, in: form +  z weck 6 (1975), S. 24– 26 und archivierte Stellungnahme zur Ablösung des Bestecks Modell 1000 von Chr. Luecke, 2.4.1987 (BArch DH DF7/1367).

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gebiet« (NSW), wahrgenommen. Konsumgüter, die in diese Regionen exportiert wurden, basierten öfters auf Mustern oder detaillierten Vorgaben der NSW-Handelspartner und kollidierten daher mit den Idealen der DDR-Gestalter.44 Da Exporte stets priorisiert wurden, bestand ihr negativer Einfluss vor allem darin, Produktions- und Handelskapazitäten zu binden, die dann für andere, für die eigene Bevölkerung gestaltete Produkte fehlten. Außerdem wurden Exportproduktionsüberschüsse auch auf dem Binnenmarkt verkauft. In den letzten 15 Jahren der Existenz der DDR, als sich die wirtschaftliche Situation zunehmend verschlechterte und eine akute Devisenknappheit entstand, dominierte diese sogenannte »Orientierung am Weltstand« die DDR-Produktion dermaßen, dass viele Gestalter ihre gemeinsamen Absichten und Ideale nur noch in den Exponaten der Ausstellungen des Verbands Bildender Künstler45 und in den Arbeitsergebnissen der Hochschulen reflektiert sahen, nicht aber in den industriell hergestellten und zum Verkauf angebotenen Produkten.46

S chlusswort Trotz erheblicher und zunehmender Schwierigkeiten bei der Umsetzung, konnten die Gestalter der DDR also einen ausgesprochen sozialen Designansatz entwickeln, der darauf zielte, mit einem möglichst geringen 44 | Zum Einfluss der NSW-Handelspartner, siehe beispielsweise Martin Kelms Bericht an Günter Mittag, 29.1.1964 (SAPMO DY30/IV A 2/2.021/366); Dyroff, Wolfgang: »Messebericht Bereich: VVB Elektrogeräte – Dyroff«, 12.3.1965 (BArch DH DF7/3155); Geißler, Eberhard: »Stenografisches Protokoll der 5. Tagung des Zentralvorstandes des Verbandes Bildender Künstler der DDR am 29. November 1984 in Berlin« (AdK Berlin VBK-ZV 5751/1). 45 | Im Gegensatz zum AiF, dessen Ausstellungen in der Regel nur gestaltete Objekte aus der Produktion zeigten, stellte der Verband die Arbeit seiner Mitglieder aus, auch wenn diese (noch) nicht in die Produktion gelangt war. 46 | Vgl. zum Beispiel John, Erich: »Stenografisches Protokoll zur 5. Tagung des Zentralvorstandes des Verbandes Bildender Künstler der DDR am 13. März 1980 in Berlin« (AdK Berlin VBK-ZV 5763), die archivierte Analyse von Müller, Brigitte: Designdiskurse (AdK Berlin VBK-ZV 391) und Luckner-Bien, Renate: »Die ›Neunte‹ im Gespräch: Von der Veredelung der Gebrauchsgegenstände«, in: Bildende Kunst 7 (1983), S. 357–358.

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Aufwand an Rohstoffen, Energie und Arbeit die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen so effektiv wie möglich zu befriedigen. Darin folgten sie den Gestaltern der klassischen Moderne. Sie haben deren Ansatz jedoch keineswegs einfach nur passiv imitiert und weitergeführt, sondern sie haben ihn sich vielmehr angeeignet, ihn an die Bedingungen ihrer eigenen Situation angepasst und weiterentwickelt. Das geht nicht nur aus der Art und Weise hervor, in der sie für ihn argumentierten, sondern auch aus den verschiedenen Ideen und Praktiken, die sie aus ihm heraus entwickelten und anwandten. Somit entstand in der DDR eine eigene reiche Designkultur. Viele dieser Vorschläge waren erfindungsreich und tiefgründig und regen auch heute noch, mehrere Jahrzehnte nach ihrer Entstehung, zum Nachdenken an. Dies deutet darauf hin, dass das Wissen um die Designgeschichte der DDR gegenwärtige Designdiskurse wie den vorliegenden über Social Design durchaus bereichern könnte. Dafür wäre allerdings mehr Aufgeschlossenheit für deren wissenschaftliche Aufarbeitung nötig und die Bereitschaft, über die ästhetische Gestalt hergestellter Produkte hinaus zu blicken auf die Gedanken und Ideen, durch die sie geprägt wurden, und die Kontexte, in denen sie entstanden und benutzt wurden. Eine wichtige Voraussetzung wäre auch, die entsprechenden überlieferten Objekte und Dokumente, wie sie zur Zeit in der ehemals vom AiF geführten Sammlung Industrielle Gestaltung bestehen, zu sichern und öffentlich zugänglich zu machen, anstatt sie mit dem jetzigen Sammlungs- und Ausstellungskonzept »Alltag in der SED-Diktatur« – ein Kontext in dem sie, wie bereits dargelegt, kaum eine Rolle spielten – in die Vergessenheit zu schicken.47 Designer wissen, dass kreative Problemlösung oft einen Perspektivenwechsel erfordert. Einen solchen provoziert die Auseinandersetzung mit der Designkultur der DDR.

47 | Das Haus der Geschichte, seit 2005 Trägerin der Sammlung Industrielle Gestaltung, stimmte 2012 aufgrund intensiver Bemühungen der Gesellschaft für Designgeschichte zu, ab Ende 2014/Anfang 2015 auch thematisch fokussierte Wechselausstellungen mit Gegenständen aus dem Bestand der Sammlung zu zeigen. Siehe Gesellschaft für Designgeschichte, »Sammlung industrielle Geschichte« auf der Website der GfDg, www.gfdg.org/design-sammlungen/sammlung-in​ dustrielle-gestaltung vom 30.6.2015.

›Rot‹ und ›Grün‹ Zur Ästhetik öko-sozialer Verantwortung seit den 1970er Jahren1 Martina Fineder »Schönheit« ist nicht allein eine ästhetische Qualität, die den Produkten anhaftet, sondern [sie ist] auch bezogen auf gesellschaftliche Verkehrsformen. 2

Dieser Satz der Offenbacher Designinitiative Des-In stellt ein signifikantes Beispiel dafür dar, wie in den grün-alternativen Milieus in der BRD der 1970er Jahre ästhetische Programme formuliert wurden. Sowohl im Produktdesign als auch in den Printmedien links-politischer Interessensgruppen wurden Qualitäten wie Schönheit nicht allein als ästhetisch, sondern gleichzeitig als Manifestation einer neuen Konsum- und Produktionsethik begriffen. Im Zentrum dieser Entwicklungen standen die negativen Folgen globaler Naturnutzung und deren Rückkopplung auf die Lebensbedingungen der Menschen selbst,3 weshalb ökologische Bedingungen untrennbar 1 | Dieser Text ist eine Weiterentwicklung meines Beitrages zur Tagung der Gesellschaft für Designgeschichte und des Museums für Kunst und Gewerbe, Social Design: Geschichte, Praxis, Perspektiven, Hamburg, 23. bis 24. Mai 2014, die auch eine Adaption des Untertitels mit sich brachte. www.gfdg.org/sites/default/files/ fineder-gfdg-2014.pdf. 2 | Müller, Lothar: Des-In & Entwurfsbeispiele für eine alternative Produktionsform, (Masch.-Schr.) Diplom-Arbeit an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, Fachbereich Produktgestaltung 1977, S. 20. 3 | Vgl. Brand, Karl-Werner: »Die Umweltbewegung (inklusive Tierschutz)« in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: Ein Handbuch, Frankfurt/New York: Campus 2008, S. 219–244.

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in Verbindung mit den sozialen und politischen Gegebenheiten einer Gesellschaft gesetzt wurden.4 Des-In-Mitbegründer Jochen Gros beschreibt diese Entwicklung als eine notwendige Fusion der »›rote[n]‹ Kritik des kapitalistischen Systems mit der ›grüne[n]‹ Kritik des industriellen Systems«, die auch für die Gestaltung und Produktion von Gebrauchsgegenständen wegweisend sein sollte.5 Der vorliegende Beitrag verfolgt die Suche nach adäquaten Ausdrucksformen neuer, alternativer Kooperationsverhältnisse zwischen Mensch und Natur in die 1970er Jahre zurück, und dialogisiert sie mit Wahrnehmungsszenarien, wie sie aktuell durch das Do-It-Yourself-Design (DIYDesign) geschaffen werden. Der Text geht davon aus, dass die alternativen ästhetischen Politiken der Post-1968-Alternativen nicht nur entscheidend zur Kritik am kapitalistischen Materialismus beigetragen, sondern wesentliche Fragen zur Gewinnung und zum Einsatz von Materialien sowie zu den Herstellungsprinzipien der Massenindustrie aufgeworfen haben, die zum Teil bis heute fortwirken.

D er ästhe tische R eiz sozialer und ökologischer

V er ant wortung

Grundlegend für diese Auseinandersetzung ist die Auslegung der »sogenannten Umweltkrise«, wie sie das Internationale Designzentrum Berlin (IDZ Berlin) anlässlich der Publikation Produkt und Umwelt im Jahr 1974 herausstellte.6 »Nach der Club-of-Rome-Studie über ›Die Grenzen des Wachstums‹, nach zeitweiligen Lieferbeschränkungen der ölexportierenden Länder, nach drastischen Preis4 | Vgl. hierzu auch Maldonado, Tomás: Umwelt und Revolte – Zur Dialektik des Entwerfens im Spätkapitalismus, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1972. Dort heißt es etwa: »Eines hat sich klar herausgestellt: Wenn die Konten der Gesellschaft nicht stimmen, so ebenfalls nicht die der Natur. Doch umgekehrt gilt das Gleiche.« 5 | Gros, Jochen »In die Produktion gehen«, in: Wir wollen’s anders, 1 (1978), S. 6. 6 | Internationales Design-Zentrum Berlin e. V. (Hg.): Produkt und Umwelt, Berlin 1974. In dieser Publikation erreicht auch die Des-In Gruppe erstmals breite Aufmerksamkeit.

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erhöhungen durch die OPEC-Länder und die internationalen Ölgesellschaften, nach Sonntags-Fahrverboten und Tempo-Limits auf Autobahnen, nach der Aufdeckung von gefährlichen Wasser- und Luftverunreinigungen scheint die sogenannte Umweltkrise, die in Wirklichkeit eine Krise menschlichen Wirtschaftens und Konsumierens ist, zum beherrschenden sozialen und politischen Thema der siebziger Jahre zu werden.« 7

Einhergehend mit diesen alarmierenden Schilderungen, entwickelte sich eine ethische Konsumhaltung, wie sie auch die erstarkende Grüne Politik propagierte. Manon Maren-Grisebach, damals eine der Vorsitzenden der deutschen Grünen, beschreibt diese Haltung in ihrem Buch Philosophie der Grünen: »Grüne drängen nicht nach Geld. […] Ihre Sucht ist nicht die von Reichtum und Luxus. […] Allein das Aussehen ist Zeichen dieses Inneren. Selbstgestrickte Pullover, Sandalen aus Leinen oder Rohleder, nein, da wird keiner vom Hang zum Luxus getrieben. Und bei allen Mandatsträgern gilt, wie rundum in der Partei, das Prinzip der Sparsamkeit.« 8

Dementsprechend sollte die Herkunft und die Herstellung von Kleidung und Gebrauchsgegenständen nachvollziehbar sein, und »dem Herzen mehr verpflichtet als dem Portemonnaie«.9 Am deutlichsten zeigte sich die so genannte ›Ästhetik öko-sozialer Verantwortung‹ in der Verbreitung der groben, braunen Jutetaschen. »Jute statt Plastik«-Aktionen, wie sie in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in der BRD, aber auch in der Schweiz und in Österreich zur Unterstützung von Menschen in Juteproduzierenden Ländern wie Bangladesh oder Peru organisiert wurden, galten gleichzeitig als Aufruf, künstliche Substanzen durch natürliche Materialien zu ersetzen.10 7 | Priewe, Jens: Einleitung, in: Ebd., S. 7. 8 | Grisebach, Manon-Maren, Philosophie der Grünen, München/Wien: Günter Olzog Verlag Gmbh 1982, S. 21. 9 | Ebd., S. 23. 10 | Siehe dazu Fineder, Martina: »Jute Not Plastic! Alternative Product Culture between Environmental Crisis and Fashion«, in: Elke Gaugele (Hg.), Aesthetic Politics in Fashion, Akademie der bildenden Künste Wien, Sternberg Press 14 (2014), S. 186–203.

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Generell entsprachen in den verschiedenen alternativen Milieus Dinge aus betont natürlich anmutenden Materialien, denen auch eine handwerkliche Fertigungsmethode deutlich anzusehen war, dem Streben nach einem harmonischen Mensch-Naturverhältnis. Zudem förderte die wiedererwachte Sehnsucht nach der Natur eine neue Vorliebe für möglichst naturbelassene Materialien wie unbehandeltes Holz oder nicht gebleichte Textilien. Astlöcher und andere Spuren organischen Wachstums, wie etwa grobe Textilfasern, erzeugten ein Gefühl der Naturnähe, manchen galten sie sogar als »Botschafter des Lebens«.11 Grob zusammengefasst konnte das Ideal der Naturbelassenheit von (Natur-)Materialien deshalb zum Kern alternativer ästhetischer Programme werden, weil es mehrere Zuschreibungen gleichzeitig bediente: Natürliche Materialien (auch jene, die vorbehaltlos als solche angesehen wurden)12, sprachen individuelle Sehnsüchte nach einem einfachen und naturnahen Leben an. Gleichzeitig konnten sie durch entsprechende Kontextualisierung (etwa im Fall der Jutetasche) als äußerer Ausdruck sozialer und ökologischer Verantwortlichkeiten nutzbar gemacht werden. Vergleichbares galt für Recyclingmaterialien. Die Des-In Gruppe knüpfte ihren Appell zur Konsumreduktion an eine neue Wertschätzung von wieder verwertbaren, sogenannten ›armen‹ Materialien13. Mit ihren Möbel- und Lampenproduktionen aus Recyclingmaterialien und industriell hergestellten Halbfabrikaten wollten die jungen Designerinnen und Designer mit ihrem Professor Jochen Gros einen Beitrag zur »ästhetische(n) Erziehung« leisten, von der man sich in Folge ein neues Bewusstsein für umweltfreundlichere Materialien und Produktionsprozesse erhoffte: »[…]  wenn wir beispielsweise sehen lernen, dass auch rohe Spanplatten 11 | Kotig, Jan: »Das neue Gewerbe«, maschingeschriebenes Manuskript aus der Textsammlung zur Ausstellung Neues Gewerbe und Industrie am Internationalen Design Zentrum Berlin, 2. November – 31. Dezember 1977, zusammengestellt von Kay Klockenhoff, Private Sammlung von Beate Rosebrock, Frankfurt a. M. 12 | Es käme einer Verklärung gleich, nicht zu erwähnen, dass es in Bezug auf die tatsächliche Umweltfreundlichkeit und den sozio-ökonomischen und gesellschaftlichen Impact von Aktionen wie »Jute statt Plastik!« keine blinden Flecken gab (und noch gibt). Wir erinnern uns in dem Zusammenhang etwa an die Aufregung um die Jutetasche, in der viel zu hohe Konzentrationen gefährlicher Chemiegift-Rückstände nachgewiesen wurden. 13 | L. Müller: Des-In & Entwurfsbeispiele, S. 6.

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ihren ästhetischen Reiz haben, dann spart das u. U. mehr Rohstoffe und Energie als viele technische Erfindungen – vorausgesetzt, wir können auf den Status – durch Geld-Ausdruck – verzichten.«14 Abb. 1: Des-In, Regaldetail, abgebildet in Produkt und Umwelt, 1974, S. 73.

Abb. 2: Blick in die Des-In Werkstatt, Offenbach, ca. 1976.

Die Verwendung von rohen Spanplatten, von wiederverwertetem, grob gehobeltem Dachlattenholz, aber auch von ›vergessenen‹ Werkstoffen wie Knüppelholz, sollte eine ›Werthaltung‹ fördern, »nach der auch verwaschene und geflickte Jeans ›schön‹ sein können«.15 Nach der Devise »Billig ist schön« sollten einfache Dinge und ihre ›natürlichen‹ Materialeigenschaften aufgewertet werden und an die Stelle von althergebrachten prestigeträchtigen Objekten treten.16 Hier wurde das Ideal der Naturbelassenheit auch auf nicht organisch gewachsene Werkstoffe, ja selbst auf Halbfertigteile aus der Industrie ausgedehnt. Gemeint war unter anderem, durch den Verzicht auf Oberflächenveredelungen Spuren von Gebrauch oder Materialalterung nicht zu verdecken, sondern als besondere sinnlich-materielle Qualität im Produktdesign zu etab14 | Bracht, Ph./Brockhausen B./Gros, J./Hagmann, I./Kurz M./Müller L./Walz M. (Hochschule für Gestaltung Offenbach Arbeitsgruppe): »des-in – ein neues Ornament: Weniger Konsum durch mehr Sinnlichkeit – Produkte als Leitbilder zur Umweltfreundlichkeit«, in: Internationales Design-Zentrum Berlin e. V. (Hg.), Produkt und Umwelt, S. 73. Dieser Beitrag wird im Weiteren unter Des-In, 1974 zitiert. 15 | Ebd., S. 65. 16 | Ebd.

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lieren.17 Eigenen Angaben zufolge, war dieser Ansatz einem ›Hippie-Modell‹ geschuldet, in dem das Sinnliche und Lustvolle Betonung finden sollte.18 Dem entsprechend wurde ein Leitgedanke für die Gestaltung von Produkten mit den Worten »Neue Sinnlichkeit durch Ornament« formuliert, der sich beispielsweise auf die narrative Qualität von bedruckten Serienprodukten wie ausrangierten Offset-Druckplatten, Lebensmittelkanistern oder Teekisten stützte.19 Unter diesen Vorzeichen zählten sowohl die Strukturen von Baumrinden als auch die Buchstaben auf Kanisterbeschriftungen als Ornamente.

Ä sthe tische Q ualität als eine F r age und R esultat von R e alisierbarkeit Die ästhetische Qualität der Produkte war aber nicht nur ein Resultat von Materialeigenschaften, sondern auch eine Folge alternativer Produktionsweisen. Abgeleitet von der damals weit verbreiteten Kritik an der Großindustrie und der damit verbunden Technologiekritik eines Ivan Illich, Robert Jungk oder Ernst Friedrich Schumachers, sollten alternative Technologien, auch »angepasste Technologien« genannt, Produktionsstätten in einem kleinen Maßstab ermöglichen, die lokal verwaltet und kontrolliert werden konnten.20 Dafür mussten sie kapitalextensiv, dafür hand-arbeitsintensiv, energie-sparend und reparierbar sein. Als ein Mittel gegen die Entfremdung des Menschen von seiner sozialen Umwelt sollten sie gemeinschaftsbildend wirken. Dementsprechend war es für die Formulierung eines alternativen Produktionsbegriffs wesentlich, die Wiedervereinigung der durch die Industrialisierung getrennten Sphären Konsum und Produktion zu verbinden und neue Modelle für mehr Eigen17 | Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Gebrauchsspuren im ökologischen Produktdesign bietet Lang, Johannes: Prozessästhetik – Eine ästhetische Erfahrungstheorie des ökologischen Designs, Basel: Birkhäuser Verlag, Basel 2015. 18 | Des-In, 1974, S. 64. 19 | Vgl. dazu Fineder, Jute Not Plastic. 20 | Vgl. dazu zum Beispiel Jungk, Robert: Berliner Extradienst 3, 40 (1969), S. 4; zitiert in L. Müller: Des-In & Entwurfsbeispiele, S. 3; Schumacher, Ernst Friedrich: Small is Beautiful. Economics as if People Mattered, London: Blond an Briggs 1973; llich, Ivan: Tools for Conviviality, London: Calder and Boyars, 1973.

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arbeit zu entwickeln, die im direkten Wohnumfeld der Menschen zu realisieren waren. In der Erfüllung dieser Ideale sahen sich die Designerinnen und Produzenten der frühen nachindustriellen Phase allerdings oft rasch mit den Grenzen in der Realisierbarkeit ihrer Entwürfe konfrontiert. In Folge wurde vielfach auf einfache Verarbeitungsmethoden und leicht zu verarbeitende Werkstoffe oder Halbfertigteile zurückgegriffen. Zudem wurden bereits beim Produktentwurf eigene Montage- und Bauvorrichtungen mitentwickelt. Unter zu Hilfenahme einfacher ›Formhölzer‹ fertigte die Des-In Gruppe beispielsweise Lampenschirme aus leicht verformbaren Aluplatten, wie sie damals noch in den Offsetdruckereien massenhaft als Reststoffe anfielen. Abb. 4: Des-In, Lampenschirm aus ausrangierten Offset-Druckplatten, Abb. 3: Des-In, Biegeholz, ca. 1976. ca. 1976.

Abb. 5: Des-In, Montagevorrichtung zur Herstellung von KnüppelholzTischböcken, ca. 1976.

Abb. 6: Des-In, KnüppelholzTischbock, ca. 1976.

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Auch stellten sie eine Glasdrehbank zur Umformung von Gebrauchsgläsern aus einer alten Nähmaschine, einem Fahrradantrieb und einem Punzenbrenner her, oder entwickelten einen Montagetisch zum Bau von Tischböcken aus Knüppelhölzern. Neben Recyclingmaterialien und Halbfabrikaten, die auf unterschiedlichste Art und Weise neu zusammengesetzt oder interpretiert wurden, war Holz der wichtigste Werkstoff, da es sich mit gängigen Werkzeugen gut und schnell verarbeiten ließ und obendrein relativ günstig zu erwerben war. Die Holzverarbeitung stand deshalb auch im Interessenfeld alternativer Medien. In der Zeitung der Frankfurter Selbsthilfegruppe Bonames Wir wollen’s anders 21 wurde zu Fragen alternativer Produktion beispielsweise über die Anleitung zum Bau vielseitig anwendbarer Verbindungselemente für Möbel und Einrichtungsgegenstände aus Holz beigetragen, die sich sowohl für die Kleinserie als auch für den Eigenbedarf eigneten. Im Bereich der Selbstbaumöbel waren die Fragen der Machbarkeit, verbunden mit den ökonomischen Herausforderungen, vergleichsweise am Stärksten. Nichtsdestotrotz war aber auch hier die Suche nach einer ästhetischen Alternative zur industriellen Massenproduktion wichtig. Ein Beispiel dafür, wie relevant eine deutlich sichtbare Unterscheidung zwischen Serienprodukt und selbstgebautem Möbel war, gibt die Mitmachausstellung Design-It-Yourself, die als Alternative zur Bundespreis-Ausstellung mit dem Thema »Grundbedürfnisse des Wohnens« im Jahr 1973 im Internationalen Design Zentrum Berlin (IDZ) stattfand. Sie war ein Versuch des IDZ, auf die Sorgen der jüngeren Bevölkerung zu reagieren, für die die Wohlstandsversprechen der Wirtschaftswunderjahre nicht mehr glaubhaft waren. Während im Untergeschoss industriell gefertigte Serienprodukte in der Tradition der »Guten Form« vorstellt wurden, reagierte das IDZ im Obergeschoß mit Möbeln und Einrichtungsgegenständen nach Anleitungen von Victor Papanek, Entwürfen von Leserinnen des Frauenmagazins Brigitte und von Berlinerinnen und Berlinern auf neue Lebensstilfragen. Dazu hieß es im Anschluss in der Zeitschrift form:

21 | Arbeiterselbsthilfe Bonames (Hg.): Wir wollen’s anders, Frankfurt a. M., 1 (1977), 2 (1978). Bonames ist ein Stadtteil im Norden von Frankfurt a. M.

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»Im Erdgeschoß gab’s noble, makellose, in edlen Materialien ausgeführte Industrieerzeugnisse, – von den Besuchern registriert, im Peis verglichen wie in einem Warenhaus. Oben gab’s grobe, vom Probieren schon leicht lädierte, aus Platten und anderem Bastlermaterial zusammengefügte Muster – lebhaft und kritisch diskutiert.« 22

Zusätzlich betont diese Ausstellungsrezeption, dass Spuren des Selbstgemachten, das Imperfekte, ja, das schon Lädierte, nicht länger allein innerhalb ästhetischer Kategorien wie Schönheit verhandelt wurden, sondern als Ausdruck lebendiger Auseinandersetzung und Interaktion galten.23

Ä sthe tische E igenheiten als M it tel der V ergemeinschaf tung Bemerkenswert im Spannungsfeld zwischen ökonomischer Notwendigkeit und Subversion, Design und Konsumkritik sind die ästhetischen Eigenheiten von DIY-Handbüchern und alternativen Magazinen, wie sie sich durch spezifische formale, stilistische und materielle Erscheinungsformen realisierten. Diese Eigenheiten teilten sich das vorher genannte Wir wollen’s anders mit den beiden Nomadic Furniture Handbüchern24 von Victor Papanek und James Hennessey ebenso wie mit den zahlreichen links-alternativen Stadtmagazinen, die in diesen Jahren in Abgrenzung zu den kommerzielleren Designratgebern und Lifestyle-Zeitschriften auch in der BRD wesentlich für die Verbreitung und Entwicklung gemeinsamer Konsummuster waren. In diesen alternativen Medien trat ein wachsendes Interesse für Lebensstilfragen hervor, wie es nach dem Scheitern der 1968er Revolution mit dem vielkritisierten Rückzug der politischen Linken ins Symbolische und Private verhandelt wurde. Zu den 22 | Zitiert nach »design-it-yourself«, in: form – Zeitschrift für Gestaltung, 64/IV (1973), S. 25. 23 | Vgl. Hierzu J. Lang, Prozessästhetik. 24 | Papanek, Victor/Hennessey, James: Nomadic Furniture: How to build and where to buy lightweight furniture that folds, inflates, knocks down, stacks, or is disposable and can be recycled, New York: Pantheon Books, Band 1, 1973 und Band 2, 1974. Die im IDZ ausgestellten Entwürfe und Modelle sind zum Teil auch in den Handbüchern publiziert.

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wichtigen Foren gehörten damals in der BRD das Münchner Blatt und der Frankfurter Pflasterstrand. Das Blatt hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Hilfe zum Überleben in der »inhumanen« Stadt für Menschen mit wenig Geld, aber hohen ethischen Ansprüchen, zu bieten.25 Die PflasterstrandRedaktion verlautbarte in der ersten Ausgabe von 1976, dass »Momente des Anderslebens von Wohngemeinschaften bis zu gesunder Ernährung nach außen [ge]tragen« werden müssen.26 Unter diesen Vorzeichen boten die Hefte Zusammenschauen aus politischer Diskussion, Lebensstilratgeber und Veranstaltungskalender für die Gegenöffentlichkeit. Abb. 7: Cover der Münch- Abb. 8 u.9: Werbeanzeigen der Firma DesignM, ner Stadtzeitung Blatt, Blatt – Stadtzeitung für München, 56 (1975), Nr. 77, Januar 1979. S. 33 und 39.

Über eine gemeinsame visuelle Kultur trugen die betont improvisiert wirkenden Medien wesentlich zur Schaffung alternativer Wahrnehmungsszenarien bei: Alle waren sie vorwiegend auf kostengünstigen, rauen, Papiersorten in gebrochenem Weiß gedruckt. Sie erschienen in Annäherung an das Europäische DIN A4-Format und wurden mit simpler Klammer- oder Fadenheftung zusammengehalten. Bis auf die Coverseiten waren sie Schwarz-Weiß. Die Fotos, die oft schon mehrere Kopiervorgänge hinter sich zu haben schienen, waren teilweise grob gerastert. Die Illustrationen bestanden aus handgefertigten Linienzeichnungen, die 25 | Vgl. das Editorial Statement in: Blatt, 1 (1973) vom 6. Juli bis 19. Juli 1973. 26 | Pflasterstrand, 1 (= Nullnummer) (1976), S. 2.

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sich in den Layouts mit den Texten im Collagestil verbanden. Selbst bei Produktanzeigen von Firmen wie Ingo Maurers DesignM, die üblicherweise in Hochglanzmagazinen erschienen, handelte es sich um schnelle, betont legere Linienzeichnungen in Schwarz-Weiß.27 Ebenso variierten die innerhalb eines Magazins verwendeten Schrifttypen stark in Größe und Form, die Headlines wurden mitunter per Hand dazu montiert. Gerne zitierten sie die Formensprache des Jugendstils oder setzten, wie zum Beispiel der Pflasterstrand, die in den 1970er Jahren äußerst beliebte Jugendstilschriftart Arnold Böcklin ein. In die häufig floral anmutenden Randleisten und Zierranken waren teilweise auch Gewehre und Kanonenkugeln verwoben. Oft hatten diese, entsprechend der vorwiegend friedlichen Gesinnung der Grün-Alternativen, Rosen in den Mündungen stecken.28 Eine »graphic language of resistance«29, wie sie von der Historikerin Teal Tiggs den Punk-Fanzines der späten 1970er Jahre und 1980er zugeschrieben wird, kann also auch für diese links-alternativen Stadtzeitungen proklamiert werden. Wenn auch unter hoffnungsvolleren Vorzeichen als im »No-Future« des Punk, wurde hier massive Kritik am Kapitalismus und an den Normen der bürgerlichen Wertekultur visualisiert. Wie bei den Gebrauchs- und Einrichtungsgegenständen von Des-In oder den DIY-Möbeln des IDZ war die sinnlich-materielle Erscheinung der alternativen Printmedien nicht nur dem Zusammenspiel vom Werkstoff und Fertigungstechnik geschuldet, sondern einer bewusst anti-autoritären Haltung. So können die rauen Oberflächen und groben Strukturen als eines jener Mittel angesehen werden, mit denen eine junge kritische Generation aktiv versuchte, Reibungsflächen zu erzeugen, oder wie es die Des-In Gruppe intendierte, »Zukunftsdiskussionen durch Provokationen 27 | An dieser Stelle muss für die Nomadic Furniture Bücher speziell herausgestellt werden, dass es sich um Handbücher mit Anleitungen für den Möbelselbstbau handelt, die größtenteils von Hennessey selbst gezeichnet und ausschließlich in Papaneks Handschrift erläutert wurden. 28 | Vor allem der Pflasterstrand bot ein breites Spektrum linker Gesinnungen. Laut Nullnummer vom Oktober 1976 soll der Pflasterstrand ein Spektrum von »Makrobioten bis zur Revolutionären Zelle« darstellen und diskutieren. Im Anzeigenteil finden sich auch Aufrufe zum Protest »mit allen Mitteln«. 29 | Vgl. Tiggs, Teal: »Scissors and Glue: Punk Fanzines and the Creation of a DIY Aesthetic«, in: Journal of Design History, 19/1 (2006), S. 69–83.

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auszulösen«.30 Sowohl die Wahl günstiger, natürlich anmutender Materialien, als auch die kostengünstige und handarbeitsintensive Produktionsart betreffend, lassen sich Blatt und Pflasterstrand oder Wir wollen’s anders mit diversen Recyclingmöbeln und DIY-Produktionen der Zeit in Beziehung setzen. Auch lassen sich die groben Bildraster mit der Gewebestruktur des faserigen Jutematerials vergleichen, oder die unbeschichtete Oberfläche des Spanplattenmaterials mit der Textur des ungebleichten und nicht oberflächenveredelten Papiers. Deutlich wird zudem, dass diese, auf Gegensatzpaaren wie natürlich-künstlich, rauh-glatt, arm-reich basierenden ästhetischen Praktiken auch der sozialen Distinktion dienten und folglich auch auf Unterscheidungen von gut (z. B. schlichte Holzprodukte von alternativen Handwerkskollektiven oder Juteprodukte aus den Dritte Weltläden) und böse (z. B. Plastikprodukte aus der Fabrik) aus waren.

D ie A uswirkungen der P ost-1968 er A lternativen auf ästhe tische P r ak tiken von heute Wie Elke Gaugele und Monica Titton in Aesthetic Politics in Fashion erneut hervorheben, ist »Materialität eine entscheidende Komponente in der Ausformulierung alternativer ästhetischer Politiken – von einer postkolonialen über eine ökologische bis zu einer ethischen Perspektive«31, zu deren Entwicklung die Post-1968er Alternativen entscheidend beigetragen haben. Während heute humane wie ökologische Krisen mehr denn je als Krisen menschlichen Wirtschaftens und Konsumierens angesehen werden, ist der Protest von der Gegenkultur in die gesellschaftliche Mitte gerutscht und eine ethisch bewusste Konsumhaltung sogar zu einem gesellschaftlichen Imperativ geworden. Es geht also nach wie vor um die Schaffung gemeinsamer Wahrnehmungsszenarien, auch deshalb, so zeigen Studien zur LOHAS-Kultur (Lifestyle of Health and Sustainability)32, 30 | Gros, Jochen: »Halbfertigdesign – Auf der Suche nach Modellen und Beispielen für mehr Eigenarbeit«, in: Helmut Gsöllpointner (Hg.), Design ist Unsichtbar, Wien: Löcker Verlag 1981, S. 581. 31 | Gaugele, Elke/Titton, Monica: »Alternative Aesthetic Politics – An Introduction«, in: Gaugele, Aesthetic Politics (2014), S. 169; Übersetzung M. Fineder. 32 | Zu diesen Lebensstilmodellen siehe Ray, Paul/Anderson, Ruth: The Cultural Creatives: How 50 Million Are Changing The World, New York: Three Rivers Press,

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weil gemeinsame Konsummuster innerhalb einer höchst wertediversifizierten, zunehmend globalisierten Gesellschaft zumindest für bestimmte Milieus und Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit bieten, sich auf gewisse Grundsätze einigen zu können. Auffallend sind im Bezug zu den oben genannten Beispielen aus den 1970er Jahren die sinnlich-materiellen Erscheinungsformen der DIY-Produktionen und die soziale Komponente von öffentlichen und halb-öffentlichen DIY-Events, innerhalb derer sich in den europäischen Metropolen wie Berlin und Wien die Suche nach einem neuen Miteinander manifestiert. Es scheint, als wolle vor allem die kreative Mittelschicht als Antwort auf die aktuellen Wirtschafts- und Umweltkrisen (letztere werden heute vorrangig mit dem Terminus »Klimawandel« verhandelt) neue Maßstäbe in der Bewertung von Statussymbolen setzen. Besonders deutlich wird dies international im Bereich des DIY-Möbeldesigns, wo sich die Gestalterinnen und Möbelmacher trotz digital verfügbarer neuer Fertigungsmethoden und neuer Materialien an den ästhetischen Praktiken der Vorreiter zu orientieren scheinen33: Das österreichische Designtrio breadedEscalope etwa leitet zum Bau eines minimalistisch-geometrischen Stuhls aus Plattenwerkstoffen an, wie sie sonst beim Hausbau eingesetzt werden, ohne ihre charakteristisch gelben, dunkelbraunen oder grobfaserigen Oberflächen zu verdecken. Das ebenfalls in Wien ansässige Duo chmara.rosinke beantwortet mit einer Neuinterpretation der Living Cubes von Papanek und Hennessey aus dem Handbuch Nomadic Furniture 1 noch einmal Fragen nach den Grundbedürfnissen des Wohnens mit einer Kombination aus hellem Holz, Textil und verschiedenen Halbfertigteilen aus dem Baumarkt, während der in Berlin ansässige Designer und Künstler Jerszy Seymour nach dem »Null-Punkt im Design« sucht. Die Grundlage dafür bietet ihm Capa, ein wachsartiger, biologisch abbaubarer Kunststoff. Das gehobelte Kantholz, das Seymour zu Beginn seiner Versuchsreihe noch zum Selbstbau des Workshop Chairs zur Verfügung stellte, ersetzte er im Lauf der Zeit 2000. Wenzel/Eike, Rauch/Christian/Kirig, Anja: Zielgruppe LOHAS: Wie der grüne Lifestyle die Märkte erobert, Frankfurt a. M. et.al: Zukunftsinstitut 2007. 33 | Diese Erkenntnisse resultieren aus dem Forschungs- und Ausstellungsprojekt Nomadic Furniture 3.0 – Neues befreites Wohnen?, das 2013 im MAK in Wien präsentiert wurde. Vgl. Fineder, Martina/Geisler, Thomas/Hackenschmidt, Sebastian: Nomadic Furniture 3.0 – Neues befreites Wohnen?, Zürich: niggli 2016.

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durch ungeschälte, krumme Äste und Baumstämme, die bei Des-In als Knüppelholz bezeichnet worden wären. Er gibt damit bewusst die formgebende Autorität an die Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer und an das Material ab. Hingegen ist die Mitentwicklung von eigenen Montage- und Bauvorrichtungen beim Entwurf von DIY-Möbeln für das Team von raumlaborberlin nach wie vor von Bedeutung. Zum Bau des Holzstuhls Sedia Veneziana, der sich auch zu Raummodulen kombinieren lässt, wurde im Rahmen des Generator-Projekts eine mobile Werkbank zur Bearbeitung von einfachen Rauspundbrettern, Sperrholz und Schrauben sowie ein Set von Bauplänen entwickelt, das die Möglichkeit zur individuellen Adaption bietet. Oft sind DIY-Möblierungen von raumlaborberlin das Ergebnis gemeinschaftlich durchgeführter Aktionen, innerhalb derer die kollektive Wahrnehmung und Erfahrung städtischen Lebensraums ins Zentrum gerückt werden sollen. Von Berlin aus, wo die prekären Lebensverhältnisse der designaffinen Kreativschaffenden unter dem Label »arm aber schick« verhandelt werden, propagiert der Architekt und Rapper Van Bo Le Mentzel sein Harz IV-Möbel Programm mit den Worten »Schlicht sticht«.34 Mit dem Entwurf des 24 EURO Sessel ruft er dazu auf, sich vom Verlangen nach althergebrachten Status- und Luxussymbolen zu befreien. Anstelle dessen plädiert er »für eine bescheidene Lebensqualität ohne Schnickschnack, aber dafür mit zeitloser Eleganz, Materialien mit ehrlicher und hoher Qualität und Flexibilität«.35 Materialien dieser Art sind auch bei Van Bo Le Mentzel Holz und Schalungsplatten, ebenso wie die gute Jute, mit der er »alles Jute mit dem 24 EURO Sessel« wünscht.36 Diese scheinbar zwanglose Fusion zweier Wörter mit ähnlichem Klang führt zurück an den Beginn dieser Auseinandersetzung, in die grün-alternativen Milieus der 1970er Jahre, in denen stark symbolisch aufgeladene Materialien wie Jute den alltagspolitischen Willen und eine ›gute‹ Konsumhaltung zum Ausdruck brachten, und damit den Protest gegen prekäre soziale Verhältnisse sichtbar nach außen trugen. Es kommt also nicht von ungefähr, dass die Versuche, Alltagsprobleme durch DIY-Design zu lösen, nach wie vor mit einer bewussten Betonung dieser spezifischen 34 | Le Mentzel, Van Bo: Hartz IV Moebel.com – Build More Buy Less! Konstruieren statt konsumieren, München: Hatje-Cantz, 2013. 35 | Ebd. 36 | Ebd.

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ästhetischen Eigenheiten verknüpft sind. Gemeinsame Wahrnehmungsszenarien, wie sie auf diese Art und Weise definiert und auf Lifestyleblogs wie Harz-IV Möbel.com heute viel rascher Verbreitung finden als durch den Verkauf und die Bewerbung von Jutetaschen und Recyclingmöbeln in den 1970er Jahren, beruht auf der Neubewertung von Material- und Produkteigenschaften: Für eine weitere Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen DIY-Design sollte allerdings in Betracht gezogen werden, dass wir uns heute in einer Zeit befinden, in der öko-soziale Verantwortung verstärkt zum gesellschaftlichen Imperativ avanciert und sich die Ideale einer ethischen Design- und Konsumkultur seit den 1970er Jahren37 zunehmend in einem breiten Spektrum von Produkten realisieren: Zwischen jenen, die die Kriterien ›sozial fair‹ und ›umweltfreundlich‹ tatsächlich erfüllen, jenen, die eher dazu gedacht sind, Zukunftsdiskussionen anzustoßen, aber auch zahlreichen Erzeugnissen, die sich dieser mittlerweile eingelernten ästhetischen Eigenheiten bewusst bedienen, um eine sozial und ökologisch verantwortliche Produktionskultur frei nach der Prämisse zu inszenieren, dass alles, was natürlich, grob und rau anmutet, gut ist, und das Hochpolierte dementsprechend böse.38 Umso mehr gilt es heute, ästhetische Kategorien immer wieder auf historisch gewachsene Zuschreibungen zu prüfen und einen zeitgemäßen Umgang damit zu suchen.

37 | In meinem Artikel »Jute Not Plastic!« von 2014 zeige ich, dass dieses Spek­ trum auch bereits in den 1970er Jahren zu verzeichnen war. 38 | Ich empfehle dazu auch Harald Martensteins Kolumne »Über Ideal und Wirklichkeit«, in: Zeitmagazin, 1 (2015) vom 15. Januar 2015. www.zeit.de/zeit-maga​ zin/2015/01/harald-martenstein-kapitalismus.

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Literatur

Sommer, Bernd/Welzer, Harald: Transformationsdesign – Wege in eine zukunftsfähige Moderne. München, Oekom 2014. Thackara, John: Design after Modernism. Beyond the Object, London: Thames and Hudson, 1988. Thackara, John: In the Bubble. Designing in a Complex World. Cambrige, Massachusetts/London, England, MIT Press 2005. Tiggs, Teal: »Scissors and Glue: Punk Fanzines and the Creation of a DIY Aesthetic«, in: Journal of Design History, 19/1 (2006), S. 69–83. Walker, John A.: Design History and the History of Design, London: Pluto Press, 1989. Deutsch: Walker, John A.: Designgeschichte. Perspektiven einer wissenschaftlichen Disziplin, München: scaneg 1992. Wenrich, Rainer (Hg.): Die Medialität der Mode, Bielefeld: transcript 2015. Wenzel/Eike, Rauch/Christian/Kirig, Anja: Zielgruppe LOHAS: Wie der grüne Lifestyle die Märkte erobert, Frankfurt a. M. et al.: Zukunftsinstitut 2007. Whiteley, Nigel: Design for Society, London: Reaktion Books 1993. Whiteley, Nigel: »Utility, design principles and the ethical tradition«, in: Judy Attfield, Utility Reassessed. The Role of Ethics in the Practice of Design, Manchester: Manchester University Press 1999, S. 190–202. Whitford, Frank (Hg.): The Bauhaus: Masters and Students by Themselves, Woodstock: The Overlook Press 1993. Woodham, Jonathan, M.: Twentiest Century Design, Oxford/New York: Oxford University Press 1997. Yunus, Muhammad: Social Business. Von der Vision zur Tat, München: Hanser 2010.

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Autorinnen und Autoren

Banz, Claudia, Dr. phil., Kunst- und Designhistorikerin, seit 2011 Leiterin der Sammlung Kunst und Design vom Biedermeier bis zur Gegenwart am Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Zuvor Ausstellungskuratorin an diversen Museen in Deutschland und den Niederlanden. Lehrbeauftragte für Designgeschichte an mehreren Kunsthochschulen und Universitäten. Forschungsschwerpunkte: Indisziplinarität von Kunst, Design und Mode; Design der Gesellschaft, politische Ästhetiken. Publikationen: Dressed, Art en Vogue, Kunstforum 197, 2009 (Hg. mit B. Thil); Raimund Kummer. For your eyes only, Bielefeld: Kerber (2009, Hg. mit C. Schreier) Triumph der Blauen Schwerter, Leipzig: E. A. Seemann (2010, Hg. mit U. Pietsch) Social Design, Kunstforum 207, 2011 (Hg.). Ausstellungen und Symposien: Plastikmülldebatte (2013, in Kooperation mit der Michael Otto Stiftung für Umweltschutz), Social Design, Geschichte, Praxis, Perspektiven (2014, in Kooperation mit der Gesellschaft für Designgeschichte); Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode, 2015 ff. (mit Publikation) Jugendstil. Die Große Utopie, 2015 (mit Publikation). Beucker, Nicolas, Industriedesigner und Professor für public & social design, Hochschule Niederrhein. Von 2000–2005 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ergonomie und Designforschung der Universität Essen, von 2008–2013 Dekan des Fachbereichs Design der Hochschule Niederrhein. Forschungsschwerpunkte: öffentliche Räume und gesellschaftszentrierte Gestaltungsmethoden. Seine akademische Arbeit ergänzt Nicolas Beucker als freiberuflicher Designer und Berater für Unternehmen und Kommunen. Cleven, Esther, Dr. phil, Kunst- und Designhistorikerin, seit 2011 Kuratorin für die Design-Sammlung Ludewig am Bauhaus-Museum der Klassik

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Stiftung Weimar. Zuvor wissenschaftliche Mitarbeiterin zur Promotion an der Universität Utrecht und Beraterin für Graphikdesign beim ehemaligen »Dienst Esthetische Vormgeving PTT«; von 2001–2010 Kuratorin am Graphic Design Museum, Breda, NL; von 2004–2010 Stiftungsprofessorin für Moderne Typographie und Graphikdesign an der Universiteit van Amsterdam (UvA); Neukonzeption der Sammlungspräsentationen in Breda: (»Museum of the Image«); Bauhaus-Museum Weimar (Eröffnung 2018); Forschungsschwerpunkte und Publikationen: Kunst- und Designgeschichte, Graphikdesign und Museen. Dörrie, Ulrich, ist Kunsthistoriker und gibt Seminare zur Berufsorientierung für Studierende künstlerischer Studiengänge an Hamburger Hochschulen. Mitherausgeber von »dagegen-dabei«, Produktion und Strategie in Kunstprojekten seit 1969, Hamburg 1999. Fezer, Jesko, Architekt, Gestalter und Autor, seit 2011 Professor für Experimentelles Design an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Zuvor Lehrtätigkeiten an verschiedenen Kunst- und Architekturhochschulen, von 2009–2010 Leitung des Forschungsprojektes »Civic City. Design for the Post-Neoliberal City« am Institut für Designforschung der Züricher Hochschule der Künste. Er ist Mitbegründer der Buchhandlung Pro qm in Berlin sowie Teil des Ausstellungsgestaltungsstudios Kooperative für Darstellungspolitik. In Kooperation mit ifau realisiert er Architekturprojekte. Seit 2011 im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung (DGTF). Forschungsschwerpunkte: Architektur- und Designgeschichte der Nachkriegszeit, Entwurfsmethodik, Prozessorientierung und Partizipation sowie zur Politik der Gestaltung. Fineder, Martina, Dr. phil, Design- und Kulturwissenschaftlerin, Kuratorin, Gastprofessur für Geschichte und Theorie des Design an der Bauhaus-Universität Weimar; Gastkuratorin am MAK Wien und am Staatlichen Museum für Kunst und Design Nürnberg. Gemeinsam mit Thomas Geisler initiierte sie die Gründung der Victor J. Papanek Foundation an der Universität für angewandte Kunst Wien. Forschungsschwerpunkte: Alternative ästhetische Politiken, ökologisch und sozial motivierte Design- und Konsumkultur und Modernekritik. Publikationen: Mitherausgeberin der deutschen Ausgabe von Papaneks Schlüsselwerk Design für die reale Welt (Springer Wien/New York 2009), Co-Autorin von Nomadic Furniture 3.0 –

Autorinnen und Autoren

Neues Befreites Wohnen? (niggli 2016). Ausstellungen: WEtransFORM – Kunst und Design zu den Grenzen des Wachstums (2016). Geiger, Annette, Dr. phil, Professorin für Theorie und Geschichte der Gestaltung an der Hochschule für Künste Bremen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Geschichte der Gestaltung (Design, Mode, Visuelle Kommunikation, Film, Architektur, Medien)/Kulturen des Ästhetischen in Kunst und Alltag, High & Low – Design und Kunst, Körperinszenierung und Schönheitsdiskurs, Theoriebildung zu Phänomenen der Gegenwart, Trendforschung. Publikationen: Kunst und Design. Eine Affäre, Hamburg: Textem (2012, Hg. mit M. Glasmeier); Coolness. Zur Ästhetik einer kulturellen Strategie und Attitüde, Bielefeld: transcript (2010 Hg. mit Ä. Söll und G. Schröder); Der schöne Körper. Mode und Kosmetik in Kunst und Gesellschaft, Köln: Böhlau (2008, Hg.); Imaginäre Architekturen – Raum und Stadt als Vorstellung, Berlin: Reimer (2006, Hg. mit S. Hennecke und C. Kempf); Spielarten des Organischen in Architektur, Design und Kunst, Berlin: Reimer (2005, Hg. mit S. Hennecke und C. Kempf). Jaeggi, Annemarie, Dr. phil, Kunsthistorikerin, seit 2003 Direktorin des Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung Berlin. Nach ihrem Studium in Zürich und Freiburg mit anschließender Promotion war sie Assistentin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe. Ihrer Habilitation folgten diverse Professur-Vertretungen. Neben ihrer Aufgabe im Bauhaus-Archiv ist Jaeggi Privatdozentin an der TU Berlin und Lehrbeauftragte an der Accademia di Architettura in Lugano/Mendrisio. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. zu Adolf Meyer oder dem Fagus Werk. Kerber, Daniel, Künstler, Gründer und Geschäftsführer des Sozialunternehmens MORE THAN SHELTERS. Nach einer erfolgreichen Karriere als Künstler verschiebt sich sein Hauptfokus auf die künstlerische Forschung und Bearbeitung der vorgefundenen, sogenannten informellen Architektur von Slums und Flüchtlingslagern. Fortan arbeitet er an der Schnittstelle zwischen Architektur, Design und Kunst. Mit MORE THAN SHELTERS realisiert er ausschließlich Design- und Planungs- und Architekturkonzepte für humanitäre Zwecke und entwickelt Flüchtlingslager hin zu menschenwürdigen Lebensräumen, zuletzt in Jordanien, Nepal, Griechenland und Hamburg.

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Krohn, Michael, Produktdesigner und Leiter des »Master of Arts in Design« an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK); von 2004–2010 Mitglied des CUMULUS Executive Board, dem europäischen Designhochschulnetzwerk; 2006 Forschungsprofessur an der Napier University Edinburgh/GB. Publikations- und Forschungstätigkeit im Bereich des Designs. 2000 Gründung der Designagentur FORMPOL AG in Zürich mit nationalen und internationalen Kunden. Pfützner, Katharina, Dr. phil, Dozentin für Industriedesign am National College of Art and Design, Dublin/IRL Forschungsschwerpunkt: Designtheorie, Designgeschichte der DDR, soziale Verantwortung im Design. Publikationen: Industrial Design Praxis in the German Democratic Republic: Designing for Socialist Need, Oxford: Routledge (im Druck). Rölli, Marc, Dr. phil, Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Bis 2015 Leiter des Forschungsschwerpunkt »Theorie und Methoden« im Departement Design an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) Forschungsschwerpunkt: Kulturphilosophie, Phänomenologie, Design- und Kunsttheorie, Französische Philosophie der Gegenwart, Geschichte der Anthropologie, Mensch-MaschinenVerhältnisse. Publikationen: Eigenlogik des Designs. Zürich: niggli 2016 (Hg. mit G. Buurman); Fines Hominis? Zur Geschichte der philosophischen Anthropologiekritik, Bielefeld: transcript 2015 (Hg.); Gilles Deleuze. Philosophie des transzendentalen Empirismus, Wien: Turia + Kant 22012; Kritik der anthropologischen Vernunft. Berlin: Matthes & Seitz 2011. Von Wedel-Parlow, Friederike, Modedesignerin, Professorin für Sustainable Design Strategies und Leiterin des »Master of Sustainability in Fashion« an der Hochschule für Mode ESMOD Berlin. Zuvor Studium und Mitarbeit bei Vivienne Westwood, Gründung des Labels von Wedel & Tiedeken. Der von ihr mitentwickelte innovative Studiengang folgt einem ganzheitlichen und interdisziplinären Ansatz und positioniert sich sowohl ökologisch als auch ethisch wie ästhetisch, sozial, wirtschaftlich und kulturell nachhaltig. Im intensiven Praxisbezug werden die Studierenden inspiriert, neue Lösungen zu entwickeln und zu erproben. Forschungsschwerpunkte: öko- und ressourceneffektive, kreislauffähige Gestaltungs-, Herstellungs- und Nutzungskonzepte für Mode mit positivem Nutzen.

Autorinnen und Autoren

Weiland, Ute Elisabeth, M. A., seit Oktober 2007 stellvertretende Geschäftsführerin der Alfred Herrhausen Gesellschaft, dem internationalen Forum der Deutschen Bank. Sie verantwortet internationale Konferenzen zu den Themen Megacities und Globalisierung u. a. in New York, Shanghai, Bombay, Johannesburg, Mexico City und Sao Paulo. Seit 2010 Mitglied im Governing Board von LSE Cities, einem Zentrum an der London School of Economics zur Erforschung der Zukunft der Städte. Sie moderiert ein internationales Netzwerk aus Bürgermeistern, Architekten, Stadtplanern, Wissenschaftlern, Ökonomen und NGOs, die sich zur Aufgabe gemacht haben, Städte auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. Vorher war sie stellvertretende Geschäftsführerin des Erich Pommer Institutes für Medienrecht und Medienwirtschaft, das sie auch 1998 mit gegründet hat. Seit 2001 ist sie Stipendiatin der Bertelsmann Stiftung in einem German-Israeli Young Leaders Exchange und Young Leader der Atlantik Brücke.

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Design Friedrich von Borries, Gesche Joost, Jesko Fezer (Hg.) Die Politik der Maker Über neue Möglichkeiten der Designproduktion Juli 2019, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2859-3

Andrea Rostásy, Tobias Sievers Handbuch Mediatektur Medien, Raum und Interaktion als Einheit gestalten. Methoden und Instrumente Februar 2017, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2517-2

Judith Dörrenbächer, Kerstin Plüm (Hg.) Beseelte Dinge Design aus Perspektive des Animismus September 2016, 168 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3558-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Design Thomas H. Schmitz, Roger Häußling, Claudia Mareis, Hannah Groninger (Hg.) Manifestationen im Entwurf Design – Architektur – Ingenieurwesen Mai 2016, 388 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3160-9

Julia-Constance Dissel (Hg.) Design & Philosophie Schnittstellen und Wahlverwandtschaften Februar 2016, 162 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3325-2

Andreas Beaugrand, Pierre Smolarski (Hg.) Adbusting Ein designrhetorisches Strategiehandbuch Januar 2016, 288 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3447-1

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Design Dagmar Steffen Perspektiven der Designforschung Gestaltung zwischen Theorie und Praxis Juli 2017, ca. 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 37,99 €, ISBN 978-3-8376-2413-7

Annika Frye Design und Improvisation Produkte, Prozesse und Methoden Dezember 2016, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3493-8

Julia Meer Neuer Blick auf die Neue Typographie Die Rezeption der Avantgarde in der Fachwelt der 1920er Jahre 2015, 382 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3259-0

Katharina Bredies Gebrauch als Design Über eine unterschätzte Form der Gestaltung 2014, 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2880-7

Claudia Mareis, Matthias Held, Gesche Joost (Hg.) Wer gestaltet die Gestaltung? Praxis, Theorie und Geschichte des partizipatorischen Designs 2013, 320 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2038-2

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