Skandal in Togo : Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft


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Table of contents :
[Haupttitel]
[Inhaltsübersicht]
Einige wichtige Personen
Einleitung
Beredtes Schweigen
Die Widersprüche kolonialer Herrschaft
Echos des Kolonialen
Lokales und Globales: Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte
Die Tücken eines Kapitels deutscher Kolonialgeschichte
1. Ein Kolonialskandal im Reichstag
Wie kamen Schmidt, Nyakuda und Kukowina in den Reichstag?
Geschichten von Sex und Gewalt
Koloniale Herrschaft
Säkulares und Religiöses
2. Männer und Frauen in Atakpame
Adjaro Nyakuda, Kautschuk und Sex
Koloniale Männlichkeit, koloniale Weiblichkeit – Debatten im Kaiserreich
Mission impossible: Widersprüche werden benannt
Konversion und Geschlechterordnungen
3. Recht in Atakpame
Recht in den Kolonien – alles nur Willkür?
Rechtspluralismen oder: Warum der Fall Nyakuda/Schmidt so lange nicht vor Gericht kam
Formale Logiken oder: Warum der Fall Nyakuda/ Schmidt schließlich doch vor Gericht kam
Mangelnde Kontrolle durch Öffentlichkeit
Eigene Rechtslogiken oder: Warum Adjaro Nyakuda nie Klage einreichte
4. Zwangsarbeit und die Macht der Petition
Zwangsarbeit in Atakpame: Der Protest Kukowinas und anderer
Zwangsarbeit ist keine Steuerarbeit
Zwangsarbeit und die Erziehung zur Arbeit
Kukowina und die Petitionen
5. Kolonialbeamte und Missionare – ein Konflikt eskaliert
Die Ereignisse überschlagen sich: Mission und Kolonialbeamte im Streit
Kolonialbeamte: Zwischen Omnipotenz und Scheitern
Kolonialbeamte: Experten des Exakten und Effizienten
Kolonialbeamte: Repräsentanten des Kaiserreichs
Kolonialbeamte: Machtfülle und Angst
Missionare: Reklamierte Nähe, göttliche Zuversicht und sozialer Aufstieg
Missionare: Konversion, Arbeit am Alltag und göttliche Legitimation
Missionare: Anwälte und Verführer
Konflikte eskalieren: Der Ort der Ängste und Phantasien
Missionare und Kolonialbeamte: Die hidden agenda
6. Ökonomie und Gewalt
Koloniale Ökonomien: Zum Beispiel Baumwolle
Die Baumwolle von Notschä
Notschä als Widerstand
Das Scheitern – innere Widersprüche kolonialer Ökonomien
7. Das Ende eines Kolonialskandals
Rhetoriken der Metropole: Wahlkampf
Rhetoriken und Praktiken der Metropole: Kolonialdebatten und Kolonialgesetze
Zeitungsartikel schreiben und Petitionen verfassen: Togolesische Resonanzen
Echos des Schweigens
Afrika als Refugium vor der Moderne, das vor Kolonialbeamten bewahrt werden muss
Schluss
Anhang
Dank
Abkürzungen
Quellen
Archive und Bibliotheken
Gedruckte Quellen
Literatur
Karte Togo 1912
Abbildungsnachweis
Personenregister
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Skandal in Togo : Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft

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Rebekka Habermas

Skandal in Togo Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft

Inhalt

Einige wichtige Personen Einleitung Beredtes Schweigen Die Widersprüche kolonialer Herrschaft Echos des Kolonialen Lokales und Globales: Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte Die Tücken eines Kapitels deutscher Kolonialgeschichte

1. Ein Kolonialskandal im Reichstag Wie kamen Schmidt, Nyakuda und Kukowina in den Reichstag? Geschichten von Sex und Gewalt Koloniale Herrschaft Säkulares und Religiöses

2. Männer und Frauen in Atakpame Adjaro Nyakuda, Kautschuk und Sex Koloniale Männlichkeit, koloniale Weiblichkeit – Debatten im Kaiserreich Mission impossible: Widersprüche werden benannt Konversion und Geschlechterordnungen

3. Recht in Atakpame Recht in den Kolonien – alles nur Willkür? Rechtspluralismen oder: Warum der Fall Nyakuda/Schmidt so lange nicht vor Gericht kam Formale Logiken oder: Warum der Fall Nyakuda/ Schmidt schließlich doch vor Gericht kam Mangelnde Kontrolle durch Öffentlichkeit Eigene Rechtslogiken oder: Warum Adjaro Nyakuda nie Klage einreichte

4. Zwangsarbeit und die Macht der Petition Zwangsarbeit in Atakpame: Der Protest Kukowinas und anderer Zwangsarbeit ist keine Steuerarbeit Zwangsarbeit und die Erziehung zur Arbeit Kukowina und die Petitionen

5. Kolonialbeamte und Missionare – ein Konflikt eskaliert Die Ereignisse überschlagen sich: Mission und Kolonialbeamte im Streit Kolonialbeamte: Zwischen Omnipotenz und Scheitern Kolonialbeamte: Experten des Exakten und Effizienten Kolonialbeamte: Repräsentanten des Kaiserreichs

Kolonialbeamte: Machtfülle und Angst Missionare: Reklamierte Nähe, göttliche Zuversicht und sozialer Aufstieg Missionare: Konversion, Arbeit am Alltag und göttliche Legitimation Missionare: Anwälte und Verführer Konflikte eskalieren: Der Ort der Ängste und Phantasien Missionare und Kolonialbeamte: Die hidden agenda

6. Ökonomie und Gewalt Koloniale Ökonomien: Zum Beispiel Baumwolle Die Baumwolle von Notschä Notschä als Widerstand Das Scheitern – innere Widersprüche kolonialer Ökonomien

7. Das Ende eines Kolonialskandals Rhetoriken der Metropole: Wahlkampf Rhetoriken und Praktiken der Metropole: Kolonialdebatten und Kolonialgesetze Zeitungsartikel schreiben und Petitionen verfassen: Togolesische Resonanzen Echos des Schweigens Afrika als Refugium vor der Moderne, das vor Kolonialbeamten bewahrt werden muss

Schluss Anhang Dank Abkürzungen Quellen Archive und Bibliotheken Gedruckte Quellen Literatur Karte Togo 1912 Abbildungsnachweis Personenregister

Einige wichtige Personen

Native of Aneho, Pseudonym eines wahrscheinlich afrikanischen Journalisten, der seit 1913 im Goldcoast Leader regelmäßig Artikel schrieb, in denen er die Kolonialherrschaft in Deutsch-Togo kritisierte. Er war gut vernetzt, hatte Kontakte zur britischen und nigerianischen Presse genauso wie zu Zeitungen der Goldküste; er war zudem sehr gut über die Situation der Kaufleute in Aneho informiert und auch über alle weiteren Vorgänge in der deutschen Kolonie.

Ferdinand August Bebel (1840–1913), ursprünglich Drechsler, führender Sozialdemokrat und seit 1871, mit kurzer Unterbrechung, Mitglied des Reichstags, hatte sich seit dem Peters-Skandal einen Namen als Kolonialkritiker gemacht. Unmittelbar nachdem Hermann Roeren im Dezember 1906 im Reichstag den Atakpame-Skandal öffentlich gemacht hatte, kritisierte er – auch unter Bezugnahme auf die Ereignisse in Togo – die Kolonialpolitik des Kolonialamtes scharf.

Matthias Erzberger (1875–1921), ursprünglich Volksschullehrer, dann Schriftleiter am Stuttgarter Deutschen Volksblatt und seit 1903 Mitglied der Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstags, wo er sich schnell als Kritiker von kolonialer Politik einen Namen machte. Auch er warf

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anlässlich des Atakpame-Skandals dem Kolonialamt massives Fehlverhalten in Deutsch-Togo vor.

Chief Kukowina, in deutschen Quellen wahlweise Prinz oder »chief« genannt, hatte sich im August 1902 an den Togoer Gouverneur Waldemar Horn gewandt mit Beschwerden gegen die Amtsführung Geo Schmidts. Geo Schmidt ließ Kukowina wegen dieser Beschwerden verhaften und entließ ihn erst aufgrund der Intervention des Gouverneurs im November 1902. Kukowina starb im Januar 1903 unter ungeklärten Umständen, die möglicherweise im Zusammenhang mit den Haftbedingungen standen.

Pater Franz Müller (1868–1947) leitete die Missionsstation der Steyler in Atakpame. Er geriet bereits 1900, verstärkt aber ab 1902 in Konflikt mit dem dortigen Stationsleiter Geo Schmidt, dem er wiederholt Vergewaltigung und brutale Gewaltherrschaft vorwarf. Müller reichte mehrfach gerichtliche Klagen gegen Schmidt ein. Er musste DeutschTogo nach Interventionen vonseiten des Kolonialamts 1907 verlassen und wurde nach Paraguay zur »Indianermission« geschickt.

Adjaro Nyakuda war 1902 zwischen 12 und 14 Jahre alt und als Kautschukhändlerin in der Region Atakpame tätig. Sie gehörte zu einer einflussreichen Familie. 1901 wurde sie aufgrund widerrechtlichen Kautschukerntens durch den Distriktleiter Geo Schmidt verhaftet und unmittelbar danach, im Oktober 1902, sexuell missbraucht. Im Unterschied zur

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Steyler Mission, die mehrere Klagen wegen gewalthaft zugefügter »unzüchtiger Handlungen« gegen Schmidt einreichte, erhob sie nie Anklage gegen Geo Schmidt.

Quashie, Pseudonym eines wahrscheinlich afrikanischen Journalisten, der seit 1911 im Goldcoast Leader kritisch über die deutsche Kolonialherrschaft in Togo schrieb. Er hatte gute Kenntnisse der britischen Presselandschaft und der britischen Antisklaverei-Organisationen, die er dazu aufrief, die Zustände in Deutsch-Togo öffentlich anzuprangern.

Hermann Roeren (1844–1920) war Oberlandesgerichtsrat, engagierter Vertreter der Sittlichkeitsbewegung und Begründer des katholischen »Volkswartbundes« sowie von 1893 bis 1912 als Zentrumspolitiker Mitglied des Reichstags. Im Dezember 1902 machte er den Skandal von Atakpame im Reichstag öffentlich.

Octaviano Olympio (1860–1940) war ein begüterter afrobrasilianischer Kaufmann aus Lome, der im Sommer 1902 für den Chief Kukowina den Kontakt zum Gouverneur Horn herstellte und sich in fast allen Petitionen ab 1906 für die Rechte der Afrikaner in Deutsch-Togo einsetzte. 1922 trat er dem Conseil des Notables de Lome bei und wurde 1927 Chevalier de la légion d’honneur.

Georg Albert Ferdinand (Geo) Schmidt (1870–1943) war seit 1900 Stationsvorsteher in Atakpame (Deutsch-Togo). Ihm

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wurde im März 1903 von Vertretern der Steyler Mission vorgeworfen, den Chief Kukowina widerrechtlich in Haft gesetzt und Adjaro Nyakuda vergewaltigt zu haben. Auch soll er im Sommer 1903 im Zusammenhang mit Widerstandshandlungen vonseiten der lokalen Bevölkerung wiederholt Prügelstrafen mit Todesfolgen vollzogen sowie Plünderungen und Dorfverwüstungen angeordnet haben. Alle drei Vorwürfe wurden in Deutsch-Togo gerichtlich verfolgt. Geo Schmidt wurde zwar von allen Anklagen freigesprochen, 1904 jedoch aus der Kolonie abberufen und nach Kamerun versetzt.

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Einleitung »History written in several countries was not made up to suit the views of certain individuals but was published as was handed down from one generation to the other. In the words of an African historian Aneho people need not be told that any writer of a history must necessarily draw largely on tradition until we come to the year that witnessed the occupation of the town by missionaries first and the Government after. For reliable tradition we must go to the vicinity of the Royal House (…) where stories of past events are recounted almost every night by parents to their children for due preservation. It is impossible to ignore the neighbourhood in writing a history of Aneho.« Native of Aneho, 1914[1]

Anfang des 20. Jahrhunderts trugen sich in der deutschen Kolonie Togo ebenso alltägliche wie bemerkenswerte Ereignisse zu. Ein Name taucht im Zusammenhang mit diesen Ereignissen immer wieder auf: Geo Schmidt. Geo Schmidt war 1900 nach Deutsch-Togo, genauer nach Atakpame, gekommen. Er stand im Mittelpunkt einer Reihe von Vorfällen, die – so nebensächlich und teilweise lächerlich sie auf den ersten Blick auch wirken mögen – bei genauerer Betrachtung aus drei Gründen höchst aufschlussreich sind: Sie geben Einblick in den kolonialen Alltag, sie legen die Strukturen kolonialer Herrschaft offen und sie zeigen, welche kolonialen Echos bis heute wirksam sind. Bereits zu Beginn seiner Arbeit als Stationsvorsteher 1902 wurde Geo Schmidt vorgeworfen, er habe eine junge Afrikanerin namens Adjaro Nyakuda vergewaltigt und auch geprügelt. Kein ungewöhnlicher Vorfall, waren doch mehr oder minder von Gewalt geprägte sexuelle Beziehungen

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zwischen Europäern und Afrikanerinnen gang und gäbe. Doch wenig später kam es zu einem anderen Konflikt, der weitere Kreise zog. Ein Chief namens Kukowina forderte die Lockerung des kolonialen Zwangsarbeitssystems. Eine solche Lockerung hätte – wie man in den Kolonien im Unterschied zu den Metropolen sehr gut wusste – das Funktionieren des gesamten kolonialen Staates gefährdet, da die Infrastruktur deutscher Kolonialstaaten auf Zwangsarbeit basierte. Hier nachzugeben hätte mannigfache Probleme nach sich gezogen. So war es aus Sicht des Kolonialbeamten fast folgerichtig, dass er eher Kukowinas Tod in Kauf nahm, als mit der Bevölkerung in Verhandlungen über die Art und den Umfang ihrer Zwangsarbeit zu treten. Und schließlich war Geo Schmidt in eine kaum zu überblickende Anzahl von Rechtsstreitigkeiten verstrickt, vor allem mit der katholischen Mission, die sich als Sprachrohr der afrikanischen Bevölkerung verstand. Diese Konflikte legen zusammengenommen die Probleme, ja Hilflosigkeit des kolonialen Rechtssystems offen, zu dem Prügelstrafe nicht ausnahmsweise, sondern strukturell gehörte. Geo Schmidt war überdies, spätestens in dem Moment, in dem es unweit von Atakpame in einem kleinen Ort namens Notschä zu offener Arbeitsverweigerung vonseiten der lokalen Bevölkerung kam, mit den Problemen der kolonialen Ökonomie konfrontiert. Hier kam es zu Ereignissen, die ebenfalls alles andere als Einzelfälle waren. Sie legten die Probleme einer kolonialen Wirtschaftspolitik offen, die eigentlich für mehr Baumwolle und Palmöl in den Metropolen sorgen sollte und doch nur zu einem immer größeren finanziellen Desaster führte, während sie gleichzeitig die

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Lebensgrundlage ganzer Landstriche zerstörte – und folglich wiederum in Gewalt mündete. Und schließlich konnte Geo Schmidt in Atakpame, genauer gesagt in dem nahe gelegenen Dorf Awete, seine elementarste Aufgabe nicht erfüllen, nämlich die Aufrechterhaltung des staatlichen Gewaltmonopols. Mehr noch, es wird offensichtlich, dass Kolonialbeamte wie auch andere Europäer in den Kolonien elementar auf die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung angewiesen waren, wollten sie auch nur rudimentärsten Ordnungsaufgaben nachkommen. Auch das führte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Jede einzelne Episode wirft ein Licht auf die zentralen Themen Sex, Arbeit, koloniales Recht, koloniale Ökonomie und kolonialer Staat und zeigt, wie omnipräsent Gewalt im kolonialen Alltag war. In Weißbüchern prangerten konkurrierende Kolonialmächte die Untaten in anderen Kolonien an. Ein Beispiel ist das von dem englischen Major Thomas Leslie O’Reilly im Auftrag der englischen Regierung 1918 in Druck gegebene Blue Book über die Gewaltherrschaft in Deutsch-Südwestafrika.[2] Doch solche Weißbücher bezogen sich auf besonders brutale Vorfälle, ebenso wie die immer mal wieder in der Öffentlichkeit mit großer Empörung diskutierten Kolonialskandale, in deren Mittelpunkt Gewaltexzesse einzelner Beamter standen. Die nahezu alltäglichen Episoden aus dem Leben eines ganz gewöhnlichen Kolonialbeamten jedoch machen deutlich, dass Kolonien Gewalträume waren, hier herrschten Gewaltkulturen,[3] und Geo Schmidts Aktionen können nicht als Einzelfälle abgetan werden. Die Gewalt hatte keine mehr oder minder persönlichen Hintergründe, sondern war struktureller Natur.

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Beredtes Schweigen

»Africa still constitutes one of the metaphors through which the West represents the origin of its own norms, develops a self-image, and integrates this image into the set of signifiers asserting what it supposes to be its identity.« Achille Mbembe[4]

Die Atakpamer Ereignisse sind aber nicht nur deshalb aufschlussreich, weil sie Einblicke in den kolonialen Gewaltalltag geben. Die Atakpame-Geschichten wurden in der Berliner Presse in aller Anschaulichkeit ausgebreitet: Hier zeigt sich, wie wer mittels welcher Mechanismen Informationen beziehungsweise Phantasien über Afrika und den kolonialen Alltag generierte und im Kaiserreich in Umlauf brachte. Verfolgt man den Weg, den die Togoer Vorkommnisse via Presse in die deutsche Öffentlichkeit nahmen, gewinnt man einen guten Einblick in die langsame Verfertigung von kolonialen Bildern: Deutlich tritt hier der Prozess zutage, in dessen Verlauf sich mehr oder minder normale Vorkommnisse des kolonialen Alltags in ein Medienereignis verwandelten. Es zeigt sich, wie und von wem diese Geschehnisse in Berlin publik gemacht wurden, in welche neuen Erzählungen sie gegossen und mit welchen Deutungen sie versehen wurden, und zwar so, dass sie teilweise bis heute unsere Wahrnehmung prägen. Anders als im Blue Book, in dem im britischen Auftrag koloniale Übergriffe deutscher Beamter gesammelt wurden (und zwar nicht zuletzt, um verbal im innereuropäischen

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Machtstreben aufzurüsten), war es im Fall Atakpame keine konkurrierende europäische Kolonialmacht, die öffentlich anklagte. Vielmehr waren es deutsche Missionare, die sich über Geo Schmidt beklagten, sozialdemokratische und Zentrumsabgeordnete des Reichstags, die über ihn debattierten, und ein gutorganisierter Presseapparat, der über Geo Schmidt berichtete. Ja, man kann von einem systematisch geplanten Pressecoup sprechen, bei dem im Hintergrund vor allem katholische Kirchenkreise an vielen Strippen zogen. Ihnen gelang es, 1906 der deutschen Öffentlichkeit unter breiter Anteilnahme der lokalen und nationalen, ja der internationalen Presse eine Reihe von kolonialen Gräueltaten zu präsentieren, die in Deutsch-Togo begangen worden sein sollen. So gut der Skandal auch in Szene gesetzt worden war, seinen Ausgang, der nicht unwesentlich dazu beitrug, dass der Reichstag aufgelöst wurde und es zum sogenannten Hottentottenwahlkampf kam, konnten die Initiatoren mitnichten kontrollieren. Dieser wurde maßgeblich durch eine breite Öffentlichkeit mitbestimmt, die sich über die Berichte aus Togo ein eigenes Urteil bildete. Die Pressegeschichten gehorchten bestimmten medialen Logiken, die denen des Blue Book nicht unähnlich waren. Sie enthielten nur solche Elemente der togolesischen Vorfälle – beziehungsweise fügten nur solche hinzu –, die den Bildern entsprachen, die sich bereits seit einigen Jahren aufgrund der zeitgenössischen Kolonialskandale, aber auch mittels Kolonialromanen, Reiseberichten und Lichtbildervorträgen vielen Männern und Frauen in Deutschland eingeprägt hatten: koloniale Phantasien, die von den Exzessen einiger weniger sex- und machtlüsterner Beamter beflügelt wurden, die

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angeblich außer Kontrolle geraten waren und sich an armen, hilflosen Afrikanern und Afrikanerinnen schadlos hielten. Zu diesen Bildern gehörten auch Vorstellungen von guten Europäern, allen voran den Missionaren, die die Zivilisation brachten, Seelen retteten und im schwierigen, aber wichtigen Geschäft der moralischen Hebung unterwegs waren, wobei sie sich mutig den wenigen übergriffigen Kolonialbeamten entgegenstellten. Andere Aspekte dessen, was sich in Atakpame ereignet hatte – die Forderungen nach neuen Arbeitsformen vonseiten der Chiefs, ein koloniales Rechtssystem, das alle europäischen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit ad absurdum führte, die koloniale Ökonomie, die genauso wie das Geschlechtsleben der Beamten nicht ausnahmsweise, sondern strukturell gewalthafte Züge trug –, hatten in diesen Entwürfen keinen Platz. Berichte von selbstbewussten Afrikanern, die andere Konzepte des Wirtschaftens verfolgten und die Zwangsarbeit ablehnten und die zudem den Vorstellungen von Rasse und Zivilisation, wie sie von Kolonialbeamten und Missionaren vertreten wurden, wenig abgewinnen konnten, tauchten in den Berliner Medien nicht auf. Die Skandalisierung brachte also – und darin liegt die besondere Ironie dieses Kapitels deutscher Kolonialgeschichte – mehr zum Verschwinden, als sie zutage förderte, denn sie verbreitete und verfestigte stereotype statt realitätsgesättigte Vorstellungen von Afrika auf der einen und Europa auf der anderen Seite. Diese Vorstellungen, die bis heute nachwirken, verstärkten Überzeugungen von rassischer Überlegenheit ebenso wie die damit einhergehenden

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Annahmen über die Vorzüge der europäischen Moderne und deren Fehlen in Afrika.

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Die Widersprüche kolonialer Herrschaft

»Beneath the shipping lanes, military posts, and mountains of reports, underpinning the laws and bureaucracies, modern empires have been built soundly on faith.« James P. Daughton[5]

Eine genauere Betrachtung dieser Ereignisse macht aber auch deutlich, worin genau die Ursachen für die strukturelle Gewalthaftigkeit in den Kolonien lagen, die durch Begriffe wie Gewaltkulturen oder Gewalträume nur sehr unzureichend erklärt werden. Die Gewalt resultierte – das soll entlang der einzelnen Episoden belegt werden – aus den vielen inneren Widersprüchen, an denen koloniale Herrschaft krankte, beziehungsweise aus der Unterschiedlichkeit der Deutungen, die man sich vom kolonialen Geschehen machte, je nachdem ob man von der Metropole aus auf das Geschehen blickte oder es in den Kolonien direkt miterlebte. Schon um 1900 wurde die wie ein Mantra immer wieder vorgebrachte Behauptung, Kolonialismus sei eine Zivilisierungsmission, durchaus bezweifelt. Vielerorts brachen sich abweichende Deutungen Bahn, und es war nicht zu kaschieren, dass die koloniale Realität anders aussah als die Zivilisierungsphantasien, die in den Metropolen kursierten. Da war zum einen eine in sich widersprüchliche koloniale Geschlechterordnung, die in Geo Schmidts im zweiten Kapitel beleuchteten Vergewaltigungsgeschichten in nuce deutlich wird. Einerseits gab es die in Europa mit wissenschaftlichen, vor allem eugenischen Argumenten begründete Norm einer

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strikten Rassentrennung. Andererseits wurde diese durch die alltäglichen sexuellen Beziehungen zwischen Afrikanerinnen und Europäern mit Füßen getreten. Solche Beziehungen wurden vonseiten der Europäer und Europäerinnen als bedrohlich wahrgenommen, weil sie – so eine verbreitete zeitgenössische Vorstellung – zur »Verkafferung« und damit Schwächung der männlichen Repräsentanten des Kolonialstaates führten, was schließlich darin münden werde, dass die koloniale europäische Herrschaft per se in Frage gestellt würde. Ein weiterer Widerspruch, der im Mittelpunkt des dritten Kapitels steht, tritt in den Forderungen nach Lockerung des Zwangsarbeitssystems zutage, die von Chief Kukowina formuliert wurden und die Schmidt mit nackter Gewalt beantwortete. Einerseits glaubte man in den Metropolen, dass man Afrikaner erst zur Arbeit erziehen müsse, was einen Akt der Zivilisierung darstelle. Andererseits ging die alltägliche Praxis der Zwangsarbeit mit Gewalt einher, wodurch eben dieser hehre Anspruch der Zivilisierungsmission zunichtegemacht wurde.[6] Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit einem weiteren Widerspruch kolonialer Herrschaft. Er lässt sich entlang von Geo Schmidts zahlreichen Rechtskonflikten beobachten und betrifft ein koloniales Rechtssystem, das vermeintlich auf den Errungenschaften des modernen Rechtsstaates basierte, diesen jedoch mit jedem kolonialen Rechtsakt, der eher durch Willkür als durch Gesetzmäßigkeit gekennzeichnet war, konterkarierte. Widersprüchlich war auch, so zeigt Kapitel fünf, dass man zwar der Vorstellung anhing, es gäbe eine klare, auf Rasse basierende Trennung zwischen Kolonisierern und Kolonisierten. Dabei zeigen jedoch die schier endlosen Streitereien zwischen Missionaren und Kolonialbeamten, dass

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auch Europäer keineswegs an einem Strang zogen. Deren Interessen und Handlungen waren bei Lichte betrachtet alles andere als einheitlich, im Gegenteil, man lag sich nicht ausnahmsweise, sondern grundsätzlich in den Haaren. Last but not least spielte im Skandal von Atakpame auch die koloniale Wirtschaftspolitik – die in Kapitel sechs unter die Lupe genommen wird – eine Rolle, die in sich so widersprüchlich war, dass sie zwischen Größenwahn und kolonialen Ängsten oszillierte und am Ende doch vor allem zu Verlusten führte. Jeder einzelne dieser Konflikte, mit denen Geo Schmidt auf seiner recht abgelegenen Station in Westafrika konfrontiert war, verweist also weniger auf seinen persönlichen Hang zu Gewalt (obschon sich nicht leugnen lässt, dass Schmidt ein besonders unangenehmer Mann gewesen zu sein scheint) als vielmehr auf Probleme und innere Widersprüche, wie sie für koloniale Herrschaft generell typisch waren. Es sind in erster Linie die sich aus diesen inneren Widersprüchen ergebenden Probleme, die die hohe Gewaltbereitschaft im kolonialen Alltag erklären.[7] Koloniale Herrschaft war nämlich nicht nur, wie Trutz von Trotha und Michael Pesek zu Recht betont haben, deshalb fragil, weil sie – aufgrund mangelnder finanzieller und menschlicher Ressourcen – nur an sehr wenigen Orten überhaupt etabliert werden konnte. Sie war auch aufgrund dieser zahlreichen Widersprüchlichkeiten instabil und gerade deshalb massiv darauf angewiesen, durch Willkür und Gewalt Schrecken zu verbreiten. Nur so konnte zumindest der Eindruck von Herrschaft über ein faktisch nicht beherrschbares Territorium erzeugt werden.[8]

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Echos des Kolonialen

»Until the lion has no historian the hunter will always be a hero.« Graffiti Princenstein, Ghana

Im Kaiserreich führte der Skandal nicht – wie man vielleicht vermuten könnte – dazu, dass man die Situation in den Kolonien etwa durch umfangreiche Reformen des Kolonialwesens verbesserte. Im Gegenteil, der geradezu paradoxe Ausgang des Skandals bestand – so eine letzte These – darin, dass ein Prozess des silencing, des Beschweigens, in der Metropole zwar nicht ausgelöst, aber befördert wurde. In Togo selbst hingegen erzeugten die Ereignisse um Geo Schmidt ganz andere Resonanzen – Resonanzen, die nicht wenig zur Formierung afrikanischer Unabhängigkeitsbewegungen beitrugen. Beiden Formen des kolonialen Echos soll im letzten Kapitel nachgegangen werden. [9] In Deutschland – um damit zu beginnen – lässt sich eine klare Dynamik beobachten: Je lauter die deutschen Medien über die realen oder vermeintlichen Übergriffe Geo Schmidts auf der einen und der Missionare auf der anderen Seite berichteten, desto mehr empörte man sich über diese angeblich besonders brutale Form kolonialer Herrschaft. Zugleich aber verlor man kein Wort über strukturelle Probleme, geschweige denn über innere Widersprüche kolonialer Herrschaft. Damit wurde jener Teil der Atakpamer Ereignisse unterschlagen, der die lokale Bevölkerung in einer anderen Rolle denn als arme

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oder wilde Afrikaner sichtbar gemacht hätte, der nämlich offengelegt hätte, dass es hier eine Handelselite gab, die vehement für ihre Rechte kämpfte und die keineswegs nur als bemitleidenswert, gequält oder vergewaltigt zu bezeichnen war. Diese Seite der Geschehnisse fand wie eine ganze Reihe anderer Realitätspartikel aus dem kolonialen Alltag im Kaiserreich keinen Widerhall. Somit ist die Geschichte des Skandals zumindest in der Metropole weniger eine Geschichte der Enthüllung und der Aufdeckung als eine des Verschweigens und Vergessens. Ähnlich war es im Fall des englischen Blue Book. Es ging hier nicht darum, Partei für die Afrikaner zu ergreifen oder die Realität des Kolonialismus abzubilden. Sobald das Blue Book als antideutsches Propagandamittel ausgedient hatte und gar die Gefahr bestand, dass es den Afrikanern unfreiwillig Anregungen geben könnte, wie man eventuell auch den britischen Kolonialismus betrachten könnte, wurde es verboten. In beiden Fällen wurde mehr ausgeblendet als aufgedeckt.[10] Der eigentliche Effekt der Skandalisierung war eben nicht – wie manchmal behauptet wird –, dass man nach den Reichstagsdebatten und Skandalberichten über Atakpame weniger prügelte oder die Kolonialbeamten ihre sexuellen Vorlieben veränderten. Auch erfolgte nach den Ereignissen von Togo keine Stabilisierung der sich als so brüchig erweisenden kolonialen Herrschaft, indem man etwa ein Konzept von Zwangsarbeit entwickelte, das sich eindeutiger von Sklavenarbeit unterschied oder in dem man die Praxis des Konkubinats abschaffte oder gar Rechtssicherheit herstellte. Stattdessen sprach auch nach 1906 kaum jemand in Europa über diese Brüchigkeiten und inneren Widersprüche, keine

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Stimme erhob sich im Reichstag, um Klarheit in das Geflecht einander widersprechender Praktiken und Diskurse zu bringen. Damit führte der Skandal zumindest in Berlin eben nicht dazu – wie der kaiserliche Regierungsarzt Ludwig Külz sich 1903 ausdrückte, als er den entscheidenden Gerichtssitzungen im Fall Atakpame beiwohnte –, einer breiteren Öffentlichkeit Einblick zu geben »in das, was hinter den Kulissen sowohl hier in Togo wie im ganzen großen Kolonialtheater alles spielt«.[11] Im Gegenteil: Je mehr man skandalisierte, desto mehr verfestigte sich die Vorstellung, brutale Beamte seien die Ausnahme und die Zivilisierungsmission folge einer geordneten, rechtsstaatlichen Regelhaftigkeit. Ganz anders waren die Resonanzen in Deutsch-Togo und in weiteren Teilen Westafrikas wie im gesamten Black Atlantic. Hier entstand nämlich ab den 1910er Jahren eine regelrechte Presse- und schließlich auch Petitionskampagne, in deren Mittelpunkt Forderungen nach strukturellen Veränderungen von kolonialer Herrschaft standen. In der Pressekampagne ging es allerdings nicht primär um die Übergriffe einzelner Beamter, sondern darum, die alltäglichen Probleme kolonialer Herrschaft zu kritisieren. Dabei begnügte man sich nicht mehr damit, einzelne Missstände an den Pranger zu stellen, sondern trug diese Skandalgeschichten auf eine Art und Weise in die Öffentlichkeit Westafrikas, Englands und Nordamerikas, mit der jede Form von kolonialer Herrschaft offen in Frage gestellt wurde. In Togo trug der Skandal zur Entstehung einer Öffentlichkeit bei, die »non negrophobist«[12] war und die sich eines der ersten antikolonialen Presseorgane, des Gold Coast Leader, souverän bediente.

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Im Kaiserreich war das Schweigen mehr als ein bloßes Nicht-Sprechen oder Nicht-Hören. Es wurde nicht nur die hässliche Fratze des europäischen Kolonialismus verschwiegen, sondern all das, was zutage gefördert hätte, dass Afrika mehr war (und ist) als die Kehrseite der Moderne. So wurde das Selbstverständnis einer europäischen Moderne nicht nur aufrechterhalten, sondern gestärkt. Das Schweigen half also dabei, die Zweiteilung in eine Welt der Moderne und eine jenseits davon zu zementieren.

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Lokales und Globales: Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte

»Besser wäre es gewesen, all das, was hier ans Licht gezogen wurde, tief am Fusse eines Berges zu vergraben. Es wäre leicht möglich gewesen (…). Wir haben einmal Einblick bekommen in das, was hinter den Kulissen sowohl hier in Togo wie im ganzen großen Kolonialtheater alles spielt. Manche Illusion ist mir dadurch freilich geraubt worden.« Ludwig Külz, 1906[13]

Um solche alltäglichen Episoden, die sich in der überschaubaren Amtszeit eines einzelnen Kolonialbeamten zugetragen haben, zum Sprechen zu bringen, benötigt man möglichst viele Quellen möglichst unterschiedlicher Provenienz. Die Archive in Berlin, Lome, London und Rom bergen umfangreiches Material, das tiefe Einblicke nicht nur in die Situation vor Ort gewährt, sondern auch in eine Welt, die weit größer ist als der Bezirk Atakpame und die Kolonie Deutsch-Togo. Diese größere Welt wird jedoch erst sichtbar, wenn man den Mikrokosmos aus der Nähe betrachtet. Damit stellt sich die alles andere als einfache Frage, welche Betrachtungsweisen und Methoden dafür am besten geeignet sind. Ich habe mich für eine koloniale Mikrogeschichte (microstoria) entschieden, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens erlaubt eine Beschreibung aus möglichst großer Nähe, die unterschiedlichen Akteure und Akteurinnen, die für das Geschehen vor Ort von Bedeutung waren, genau zu erfassen. So kann man der in den postcolonial studies zu Recht heraufbeschworenen Gefahr entgehen, mit einem eurozentrischen und überdies häufig noch kolonialen Blick

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allein die europäischen Akteure sichtbar zu machen. In Togo gab es neben einer schmalen afrikanischen Oberschicht von Kaufleuten, von denen manche in London ausgebildet worden waren, vor allem Frauen und Männer, die vom Ackerbau lebten, aber auch Händlerinnen, die ihre Waren auf verschiedenen Märkten der Region feilboten, dazu sogenannte Fetischpriesterinnen sowie Handwerker und einige wenige Missionsgehilfen und Männer, die für die deutsche Kolonialregierung arbeiteten. Nur wenige Personen aus dieser Region sind den deutschen Behörden oder der Mission namentlich bekannt geworden: Einige Kautschukhändler und -händlerinnen sind in den Akten festgehalten, da sie gegen Verbote verstoßen hatten oder aus anderen Gründen aktenkundig wurden. Kaufleute tauchen in Schriftsätzen häufiger auf, aber auch etliche Chiefs. Einige Vertreter der togolesischen Handelselite, unter ihnen Mitglieder der panafrikanischen Bewegung, die in der Gold Coast Colony (Goldküste, das heutige Ghana) lebten und eng vernetzt mit London waren, sind durch Artikel in der zeitgenössischen afrikanischen Presse bekannt. Im Missionsarchiv der Steyler wiederum findet man die Namen von einigen Fetischpriesterinnen, ebenso von einem knappen Dutzend Schülern sowie von Missionshandwerkern, die halfen, die Missionsstation instand zu halten. Neben der afrikanischen Bevölkerung, die konservativen Schätzungen zufolge etwa eine Million Menschen umfasste, lebten in ganz Togo rund 300 Deutsche, jeweils ein Drittel Beamte, Kaufleute und Missionsangehörige. Zu den wenigen Deutschen in Atakpame gehörte eben jener Geo Schmidt, der als Distriktleiter eingesetzt war. Er war studierter Land- und

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Forstwirt und, als er 1900 nach Togo kam, gerade einmal 30 Jahre alt. Neben ihm gab es nur noch zwei, drei andere, etwa gleichaltrige Deutsche vor Ort, allesamt Mitglieder der Steyler Mission, die ungefähr zur gleichen Zeit, als Schmidt seinen Posten antrat, begonnen hatten, in Atakpame ihre Station aufzubauen. Über die Deutschen aus Atakpame, aber auch aus anderen Teilen der Kolonie, die auf die eine oder andere Art in die Vorfälle um Geo Schmidt verwickelt waren, wissen wir weit mehr als über die afrikanischen Beteiligten. Stationsleiter benachbarter Distrikte und auch Mediziner haben reichhaltiges Material hinterlassen, ebenso der damalige Gouverneur Waldemar Horn sowie weniger hochrangige Beamte. Schließlich sind die Missionsangehörigen der Steyler und teilweise auch der Norddeutschen Mission zu nennen, die in Deutsch-Togo zahlreiche Stationen unterhielten und die meisten Dokumente hinterlassen haben. Ein Blick aus der Nähe hat zweitens den Vorteil, die häufig kritisierte isolierte Betrachtung der Beziehung zwischen Metropole und Kolonie beziehungsweise die enge Fokussierung allein darauf zu durchbrechen. Verschiedene Akteure in Togo waren nämlich schon seit einigen Jahrhunderten mit vielen anderen näheren und ferneren Räumen verbunden. So war Atakpame über die Handelsrouten der Kaufleute mit der Küste und mit dem Norden des Landes vernetzt, ja es kann als ein wirtschaftlicher Knotenpunkt des Landes bezeichnet werden. Dazu gab es Verbindungen zur ostafrikanischen Küste über die klassischen Karawanenrouten, die vor allem von den Haussa-Händlern genutzt wurden. Der Weg nach Aneho, dem neben Lome wichtigsten Ort an der

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togolesischen Küste, und von dort in die französische Nachbarkolonie Dahomey war eine seit Jahrzehnten eingespielte Handelsroute. Über Kaufleute, aber auch über die Verbindung der Distriktleiter zum Gouverneur, bestanden enge Kontakte nach Lome, der Küstenstadt, in welcher der deutsche Gouverneur lebte und in der die Schiffe aus Europa und den Nachbarkolonien anlegten. Aber auch die Kautschukhändlerinnen pflegten zahlreiche Kontakte, vor allem zu Dörfern im Westen der Kolonie bis in die englische Gold Coast Colony hinein, von wo es direkte Verbindungen nach London gab. Die aus Brasilien stammenden Kaufleute hielten über den Atlantik Kontakt mit dem amerikanischen Kontinent. Recht jung hingegen waren die Verbindungen zwischen Togo und dem Kaiserreich. Sie wurden durch die Dampfschifflinie Woermann gesichert, die zwischen Hamburg und Afrika verkehrte, und seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit Hilfe der Telegraphenlinie nach Berlin intensiviert. Daneben gab es die über die Mission hergestellten Verbindungen: Die Norddeutsche Mission – die sich bereits hier niedergelassen hatte, bevor dieser Küstenstreifen zur deutschen Kolonie geworden war – verband Togo mit dem Missionssitz in Bremen sowie mit dem Württembergischen, denn eine ganze Reihe afrikanischer Missionsgehilfen wurde dorthin geschickt, um Deutsch zu lernen. Daneben gab es noch die Steyler Mission, die erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Togo gekommen war und über Briefe sowie persönlichen Kontakt mit dem Mutterhaus in Steyl an der deutsch-holländischen Grenze Verbindung hielt. Zu erwähnen sind auch die Kontakte einzelner Kolonialbeamter und Missionare zu Vertretern des

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Reichstags – etwa zu Matthias Erzberger oder zum Zentrumsabgeordneten Hermann Roeren. Politische Verbindungen entstanden außerdem innerhalb der westafrikanischen politischen Elite, nicht nur zwischen Togo und der Goldküste, sondern bis nach Lagos. Die dortige Elite wiederum war über verschiedene Presseorgane mit England und Amerika vernetzt und hatte über die Abolitionist Society sogar Kontakte nach Indien. Hier wird sichtbar, dass auch Atakpame Teil des von Paul Gilroy so anschaulich beschriebenen Black Atlantic war, jenes Raums, der durch den Dreieckshandel der Sklavenhändler zwischen Europa, Afrika und Amerika geschaffen worden war und mittlerweile ein teilweise enges Kontaktnetz darstellte. Über dieses Netz wurden längst nicht mehr nur Menschen und Waren, sondern auch Nachrichten, Musik, Ideen und vieles mehr transportiert. Wenn man diese zahlreichen Verbindungen aus der Nähe betrachtet und ihre Bedeutung für den Hergang der Ereignisse in Atakpame und deren Resonanzen andernorts ernst nimmt, zeigen sich überraschende Bezüge: So sind die Ereignisse von Atakpame letztlich auch im Zusammenhang mit den Anfängen der panafrikanischen Bewegung zu sehen, spielten sie doch in den westafrikanischen Blättern der diese Bewegung tragenden Afrikaner eine nicht unwichtige Rolle. Auch zeigt sich, dass die Skandalisierung vermeintlich sexwütiger Beamter im Zusammenhang mit einem der größten kolonialwirtschaftlichen Projekte des Kaiserreichs stand, das auch von Wissenschaftlern wie Max Weber unterstützt wurde: der Einführung und Etablierung einer Baumwollvolkskultur. Eine koloniale Mikrogeschichte (microstoria) gibt drittens Einblicke in kleine, aber bedeutsame Differenzen und

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Konflikte, die aus größerer Distanz unterhalb der Wahrnehmungsschwelle bleiben. So werden etwa die Differenzen zwischen einzelnen Personen sichtbar – seien es nun jene aufseiten der Deutschen oder jene zwischen den Afrikanern und Afrikanerinnen –, die jenseits der sich darin offenbarenden persönlichen Animositäten von Bedeutung sind. Damit wird auch die in jüngster Zeit immer wieder betonte Forderung erfüllt, die Vielstimmigkeit sowohl der Europäer als auch der Afrikaner nicht zu unterschlagen, um vorschnelle Vereinfachungen zu vermeiden und die Widersprüche und die Brüchigkeit des Kolonialismus in nuce sichtbar zu machen.[14] Im Fall von Atakpame eröffnet der Blick auf diese Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit auch eine neue Sicht auf die koloniale Situation. Diese war weder ausschließlich durch Kolonialbeamte noch in erster Linie durch Missionare bestimmt, geschweige denn durch eine Konfrontation zwischen afrikanischer Bevölkerung und Kolonialamt, sondern durch die tagtägliche Interaktion sehr unterschiedlicher Teile der einheimischen Bevölkerung mit Mission, Kolonialbeamten und zuweilen auch Kaufleuten, die freilich in Togo eine eher untergeordnete Rolle spielten. Der gleichzeitige Blick auf die afrikanische Bevölkerung, auf Beamte und Missionare im Kontext ihres Agierens vor Ort eröffnet überdies neue Perspektiven auf die seit längerem diskutierte Frage nach dem Verhältnis von säkularen und religiösen Anteilen im kolonialen Projekt. Statt einseitig die säkulare oder religiöse Seite von Kolonialismus zu betonen, wird sichtbar, dass sich im kolonialen Alltag die Grenzen zwischen Religiösem und Säkularem immer wieder neu

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verschoben haben und der Kampf um diese Grenzen konstitutiv für Kolonialismus war.[15] Hier wird also das Agieren aller beteiligten Kräfte rekonstruiert: der Chiefs, der afrikanischen intellektuellen und wirtschaftlichen Elite, der Händler und Händlerinnen und der Vermittler (intermediaries) und zahlreicher anderer Akteure sowohl auf der Seite der Togolesen als auch auf der deutschen Seite (Kolonialbeamte, Missionare, Kaufleute, Berliner Reichstagsabgeordnete und nicht zuletzt namenlose deutsche Leser und Leserinnen der Skandalnachrichten). Damit erscheinen – und das wäre der vierte Punkt – am Ende die vielen kolonialen Resonanzen, die gleichsam wie Echos manche Debatte bis heute prägen, in einem anderen Licht. Es zeigt sich ein nur schwer zu entwirrendes Knäuel von unterschiedlichen Interessen und Situationsdeutungen mit kaum kompatiblen Logiken des Sag- und Unsagbaren und sehr ungleichen Möglichkeiten, die eigenen Deutungen jeweils durchzusetzen. Manche dieser Logiken werden überhaupt erstmals sichtbar: So zeigt sich, dass die Art und Weise, wie die Atakpamer Vorfälle in Berlin verstanden wurden, fast nichts mit deren Wahrnehmung in weiten Teilen der lokalen afrikanischen Bevölkerung zu tun hatte. Nicht zuletzt wird deutlich, wie viel die Berliner Empörung mit sexuellen Phantasien und wie wenig mit einer kritischen Hinterfragung deutscher Kolonialpolitik zu tun hatte. Aber nicht nur die vielleicht erwartbaren Unterschiede zwischen den kolonialen Echos in Metropole und Kolonie treten hervor, sichtbar wird auch, was sich aus diesen Dissonanzen Neues entwickelt: Auf der einen Seite entstand ein machtvolles Schweigen, das es den Menschen im

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Kaiserreich erlaubte, ihre Vorstellungen von europäischen Werten und Lebensformen, von eigener Modernität und Zivilisation zu verfeinern. Auf der anderen Seite produzierten diese Dissonanzen neue Gewalt und damit gleichzeitig neue Formen kolonialer Kritik.

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Die Tücken eines Kapitels deutscher Kolonialgeschichte

»By stressing the precise situation in which a story is heard and retold and its actual or imagined audience, we can inquire new insight into the economy of communication between Europeans and non-Europeans.« Natalie Zemon Davis[16]

Die Wahl eines überschaubaren Raums und eines begrenzten zeitlichen Abschnitts erlaubt also eine Betrachtung aus der Nähe, die neue Verbindungen sichtbar macht, neue Fragen aufwirft (etwa bezüglich säkularen und religiösen Aspekten des Kolonialen), Prozesse des silencing aufdeckt und nicht zuletzt ein neues Licht auf den Alltag im Kolonialismus und die Struktur kolonialer Herrschaft wirft. Und doch sind die Grenzen einer kolonialen microstoria unübersehbar. So kann die Seite der Afrikaner und Afrikanerinnen unter anderem aufgrund der schwierigen Archivüberlieferung häufig nur allzu schwach ausgeleuchtet werden, weshalb vieles mehr Vermutung als gesicherte Erkenntnis bleibt.[17] Ebenso wenig können die Probleme gelöst werden, die der »Native of Aneho« fast beiläufig 1914 ansprach, als er – wie im Eingangszitat – von unterschiedlichen Erzähltraditionen und verschiedenen Konzepten einer gesicherten Überlieferung berichtete. Auch sollte nicht vergessen werden, dass die Ereignisse von Atakpame zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur einen kurzen Moment in einer viel längeren Geschichte darstellen: In der Region, die die Deutschen seit 1887 als Deutsch-Togo

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bezeichneten und die Territorien ganz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen umfasste, waren die Ereignisse von Atakpame Teil viel länger andauernder Auseinandersetzungen darüber, wie Herrschaft aussehen soll. Für die Frauen und Männer, die in dieser Region Westafrikas lebten, wurden diese Fragen weder durch die Interventionen aus Berlin oder aus Rom geklärt noch durch die vielen Gerichtsurteile, die in Deutschland oder Togo in dieser Angelegenheit gefällt wurden. Ausgiebig diskutiert wurden sie stattdessen im Gold Coast Leader, der kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine Artikelserie über die kolonialen Zustände in Togo publizierte. Eine vorerst letzte Antwort auf die Frage, wie die Herrschaft in Togo aussehen solle, wurde mit der Unabhängigkeitserklärung des togolesischen Staats im Jahre 1960 gegeben. Sie machte übrigens einen gewissen Sylvanus Olympio zum Staatsoberhaupt – dessen Vorfahre Octaviano Olympio bereits 1902 in den Konflikten in Atakpame eine Rolle gespielt hatte.

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1. Ein Kolonialskandal im Reichstag »Ich habe heute morgen auf dem Savignyplatz eine Zeitung ausliegen sehen (…), die eine Abbildung brachte, in der die Hinrichtung zweier Häuptlinge in möglichst krassen Farben dargestellt war. (…) lediglich um sich ein kauflustiges Publikum zu sichern, bringen derartige Blätter solche Darstellungen.« Ludwig Werner, 1906[18]

Am 3.12.1906 wurde eine Reichstagssitzung eröffnet, die mehr als lebhaft war. Im Protokoll ist nachzulesen, dass die Redebeiträge immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen wurden: »Hört! Hört!«, erscholl aus den Reihen der Abgeordneten wie von den Zuschauerrängen. Immer wieder vermerkt der stenographische Bericht Zurufe oder Widerspruch, dann gab es einfach nur »Heiterkeit«, die sich bis zu »großer Heiterkeit« steigern konnte, und »Unruhe«, welche sich manchmal in »Große Unruhe« verwandelte. Der Vorwärts schrieb sogar, dass diese Sitzung in die Annalen des Reichstags eingehen werde, schließlich sei »kein Sturm, (…) sondern ein Taifun« durch den Saal gefegt.[19] Die öffentliche Aufmerksamkeit hielt an, noch Wochen später waren die Zeitungen voll von weiteren Einzelheiten dessen, was im Reichstag publik gemacht worden war. So verwundert es nicht, dass sich neben dem bürgerlichen Publikum, beispielsweise Männern wie Max Weber und Friedrich Naumann, von denen wir aus ihrer Korrespondenz wissen, wie sehr diese Reichstagsdebatten des Dezembers 1906 sie

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interessierten, auch einfache Arbeiter lebhaft mit dem beschäftigten, was da in Berlin diskutiert wurde.[20] Was Abgeordnete wie Publikum so erregt hatte, waren die Rede des Abgeordneten Hermann Roeren und seine Enthüllungen über einen Kolonialskandal, der sich in der Kolonie Deutsch-Togo zugetragen haben sollte. Dazu muss man sagen, dass das Jahr 1906 nicht arm an Skandalen war und das Publikum inner- und außerhalb des Reichstags bereits seit Monaten mit immer neuen Enthüllungen konfrontiert worden war. Einmal waren das Skandale, in deren Mittelpunkt der Monarch Wilhelm II. selbst stand, dem man vorwarf, wahlweise Teil oder Opfer einer regelrechten Kamarilla zu sein, die gleich einer Nebenregierung die Geschäfte des Reiches lenke. Eine der Hauptfiguren dieser Kamarilla sei ein gewisser Philipp von Eulenburg, der überdies – so die seit Herbst 1906 immer gezielter gestreuten Gerüchte – homosexuell sei. Der Eulenburg-Skandal drehte sich um die Verletzung von Gesetzen und moralischen Normen des politischen, öffentlichen und ebenso des privaten Lebens im Kaiserreich. Daneben gab es Skandale, die sich zwar ebenfalls um die Verletzung moralischer und politischer Normen drehten, sich aber vor allem in den Kolonien abspielten. So hatte der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger über die dubiosen Verträge mit der Reederei Woermann Skandalöses zutage gefördert. Es ging dabei um den Transport von Soldaten nach Deutsch-Südwest im Zusammenhang mit dem Herero-Nama-Krieg. Schließlich hatte man im Verlauf der Reichstagsdebatten immer wieder auch auf zurückliegende Kolonialskandale verwiesen, in deren Mittelpunkt das insbesondere afrikanischen Frauen gegenüber brutale

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Verhalten deutscher Kolonialbeamter stand.[21] So war der Leist-Wehlan-Skandal, der bereits 1894 erstmals im Reichstag verhandelt worden war, erneut ausgegraben worden: Der Kameruner Gerichts-Assessor Wehlan hatte auf einer seiner Kamerun-Expeditionen angeblich »einigen alten Weibern die Hälse abgeschnitten«.[22] Fast schon reflexhaft war im Laufe der letzten Monate im Reichstag – insbesondere von dem sozialdemokratischen Abgeordneten Bebel[23] – auch an Carl Peters erinnert worden, der seine afrikanische Geliebte öffentlich hatte aufhängen lassen, woraufhin er 1897 offiziell aus dem Dienst entlassen worden war.[24] Im Herbst und Winter 1906, als der Reichstag über den Nachtragshaushalt der Schutzgebiete debattierte, der nötig geworden war, weil die Ausgaben im Herero-Nama Krieg doch größer waren als vorausgesehen, wurde noch eine Reihe weiterer Namen von Männern genannt, die angeblich Gräueltaten in den Kolonien verübt hatten. Einem gewissen Thierry war bereits im März vom Zentrumsabgeordneten Erzberger vorgeworfen worden, er habe afrikanische Missionskinder »vom Baum heruntergeschossen«.[25] Der Fall des Oberstleutnants Dominick, der ein Dorf überfallen und Dutzende von Kindern in Körben auf dem Fluss ausgesetzt haben soll, wurde ebenfalls öffentlich gemacht. Ein gewisser Kamptz und auch ein Sergeant Liebert[26] ebenso wie Gouverneur Puttkamer wurden genannt. Im Zusammenhang mit Deutsch-Togo wurden Namen wie Kersting, Zech, Gruner und Döring erwähnt, allesamt Bezirksleiter oder Gouverneure, die entweder die Köpfe von Eingeborenen mit Spazierstöcken zerschlagen oder Totenschädel wie Trophäen im eigenen Wohnzimmer aufgehängt haben sollen.[27]

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Die Geschichte, die der Zentrumsabgeordnete Roeren am 3. Dezember dem hohen Haus präsentierte, bestand aus den gleichen Ingredienzien wie die anderen Kolonialskandale: Übergriffige Kolonialbeamte, sexuell missbrauchte schwarze Frauen und willkürlich zusammengeschlagene, wenn nicht gleich getötete schwarze Männer, dazu eine Kolonialabteilung, die all das zu vertuschen suchte, bildeten den Kern eines jeden Kolonialskandals. In dem von Roeren präsentierten Skandal ging es um den Kolonialbeamten Geo Schmidt, Bezirksleiter in Deutsch-Togo mit Sitz in Atakpame, einem zirka 80 Kilometer von der Küste entfernten Ort. Ihm wurden sexuelle und gewalttätige Übergriffe auf die lokale Bevölkerung vorgeworfen. Auch behauptete Roeren, Schmidt lebe mit »ein[er] ganze[n] Schar von fünf kleinen, noch unerwachsenen schwarzen Mädchen«[28] zusammen, unter ihnen eines namens Adjaro, und er nehme immer abwechselnd eine von ihnen mit ins Bett. All das sei – so der Zentrumsabgeordnete – von katholischen Missionaren, die in Atakpame eine Station hätten, unverzüglich an die Kolonialabteilung in Berlin gemeldet worden. Diese habe aber dem Treiben des Kolonialbeamten keinen Einhalt geboten. Selbst nachdem Schmidt einen Chief namens Kukowina so exzessiv bestraft habe, dass er an den Folgen gestorben sei, sei Berlin nicht eingeschritten. Kurzum: Hier wurde der Fall eines sexsüchtigen und gewalttätigen Beamten präsentiert, dessen Treiben von der Kolonialabteilung wenn nicht gutgeheißen, so doch toleriert wurde, während die Mission vergeblich versuchte, einen Rest von Zivilisation und Kultur zu wahren und die einheimische Bevölkerung zu schützen.[29] Damit fügte sich diese Geschichte in die lange Reihe von öffentlich bereits breit verhandelten Skandalen ein, in denen die immer gleichen

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Themen in wohlbekannte Plots gegossen wurden. Und nicht nur in Berlin, auch in Paris und London, Brüssel und anderen Metropolen der europäischen Kolonialmächte wurden ähnliche Skandale mit vergleichbarer Erregung diskutiert. Allerdings wären Geo Schmidts gewalttätige Übergriffe ohne die medienwirksame Enthüllung Roerens nie zum Skandal geworden, sondern das geblieben, was sie auch waren: eine unter vielen Episoden in der an solchen und ähnlich unrühmlichen Beispielen wahrlich nicht armen Kolonialgeschichte.

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Wie kamen Schmidt, Nyakuda und Kukowina in den Reichstag?

»(…) wenn Sie sonst noch Gelegenheit haben, mit braven und einflussreichen Abgeordneten zu reden (…).« Arnold Jansen, 1900[30]

Im Archiv der Steyler Mission, das heute im Hauptgebäude der Mission in Rom untergebracht ist, findet sich ein umfängliches Konvolut, das überschrieben ist mit »Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo. Eine Berufung an die heimatliche öffentliche Meinung«. Es ist eine weit über 100 Seiten dicke maschinengeschriebene Schrift, verfasst von einem der Togoer Steyler Missionare. In einer Art Vorwort ist dort zu lesen: »Die Liebe zur geschichtlichen Wahrheit, die Liebe zu dem Volke, für dessen ethische und kulturelle Hebung die Missionare sich ohne allen irdischen Vorteil selbstlos fortwährend opfern, die Liebe zu unserem deutschen Volk (…) fordert dringend eine Bloslegung der Wunden, an denen unser kolonialer Organismus leidet.«[31] Und genau so eine Bloßlegung der Wunden stellt diese Schrift auch dar, wenn sie schließlich die – laut der Mission – himmelschreienden Ungerechtigkeiten, die der Bezirksleiter von Atakpame verübt habe, in aller Breite und Detailgenauigkeit offenlegt – samt eines Anhangs, der zahlreiche amtliche Schreiben enthält. Da ist die Rede von mehr als zwei Dutzend Fällen von Amtsmissbrauch, ehrenkränkenden Briefen, Verleitung zum Betrug, ungerechter Freiheitsberaubung, Fahrlässigkeit des Gerichts,

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Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, Beleidigung und Rechtsbeugung, von »Schmidts Beeinflussung der Zeugen« und von zig Belegen bezüglich seines Sexualverhaltens. Ganz offensichtlich war diese Schrift zur Veröffentlichung gedacht. Davon zeugen sowohl zahlreiche Formulierungen, die darauf hinweisen, dass »die Mission nicht länger schweigen« könne, als auch der semidokumentarische Charakter, der kennzeichnend ist für diese Form von pamphletartigen Druckschriften, die im Kaiserreich durchaus nicht ungewöhnlich waren. Dass dieser »Beitrag zur Colonialen Corruption« dann doch nie veröffentlicht wurde, mag viele Ursachen haben. Gewiss aber lag es auch daran, dass die Steyler Mission – wie wahrscheinlich auch Rom – eine solche Veröffentlichung verhinderte, und zwar, wie sich zeigen wird, aus guten Gründen.[32] Spätestens hier stellt sich die Frage, wie welche Informationen aus Togo nach Deutschland kamen und wer diese in Deutschland an die Presse und die Reichstagsabgeordneten weiterreichte. Und das in einer Zeit, in der es in Togo – im Unterschied etwa zu DeutschOstafrika – keine lokalen Zeitungen gab, geschweige denn Korrespondenten, die nach Deutschland berichteten, so dass man auf eine gezielte Weitergabe von Informationen angewiesen war. Wer schuf aus welchen Gründen die Voraussetzungen dafür, dass Roeren am 3. Dezember den Reichstag mit skandalösen Geschichten in seinen Bann ziehen konnte? Es gab eine Reihe von Kanälen, über die Nachrichten aus den Kolonien nach Deutschland gelangten. Je nachdem, um welche Informationen es sich handelte, wurden sie von

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Kolonialbeamten, Kaufleuten oder Missionsangehörigen befördert. Im Fall von Kolonialskandalen war es häufig die Mission, die sich an die Öffentlichkeit wandte, während die meisten Kaufleute und Beamten, wenn es um Gewaltexzesse aus ihren Kreisen ging, lieber schwiegen. Zuweilen freilich lancierten auch sie gezielt Informationen. Diese widersprachen dann allerdings meist denen der Missionare. Im Atakpame-Fall war es die katholische Mission der Steyler, die für die Weitergabe von Informationen sorgte, ja eine regelrechte Nachrichtenpolitik betrieb. Selbstverständlich berichteten die Steyler aus Atakpame erst einmal an die ihnen übergeordnete Stelle, an ihren Präfekten in Lome, einen gewissen Hermann Bücking. Der gab diese Informationen dann an seine übergeordnete Stelle weiter, den Superior und Ordensgründer Arnold Jansen. Dieser konnte von Steyl aus, einem kleinen Ort an der holländisch-deutschen Grenze, Kontakt mit der ihm übergeordneten Instanz aufnehmen – mit dem Papst, genauer mit der im Vatikan für Missionsangelegenheiten zuständigen Abteilung, der sacra congregatio propaganda fide. Nicht minder wichtig waren die Kontakte, die Bücking, teilweise über Arnold Jansen, direkt mit weltlichen Stellen wie der Kolonialabteilung in Berlin knüpfte. Am bedeutsamsten waren jedoch die Verbindungen, welche die Mission – sei es von Atakpame oder von Steyl aus – zu katholischen Kreisen bis in den Reichstag hinein herstellte und die sie ab Frühjahr 1903, nachdem sich die Konflikte in Atakpame verschärft hatten, erheblich intensivierte. Zu diesem innerdeutschen Kontaktnetz gehörten verschiedene Zentrumsabgeordnete, unter anderem der Kölner

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Hermann Roeren, Franz Ludwig Prinz von Arenberg aus der Eifel und der Düsseldorfer Justizrat Hugo am Zehnhoff. Teil dieses Netzes war auch der katholische Kolonial- und Missionslobbyist Franz Karl Hespers, Mitglied des Kölner Metropolitankapitels, Gründer des Afrikavereins, Mitglied des Kolonialrates und der Deutschen Kolonialgesellschaft.[33] Diese Herren aus der direkten Nachbarschaft des Steyler Ordenshauses wurden teilweise mit kompletten Aktensätzen zu den einzelnen Vorkommnissen versehen.[34] Manche Reichstagsabgeordnete wie der bekannte Kulturkämpfer Georg Friedrich Dasbach suchten ihrerseits den Kontakt zur Mission, um im Interesse des Zentrums Kapital aus der Geschichte zu schlagen.[35] Die meisten dieser Kontakte wurden durch Briefe gepflegt, doch es gab auch persönliche Treffen. So sprach etwa Pater Nikolaus Schönig, Missionar in Togo, bei der Berliner Kolonialabteilung vor. Auch Arnold Jansen traf sich mit Vertretern der Kolonialabteilung, dem Innenminister und dem Justizminister in Berlin. Hermann Bücking war mehrmals in der Kolonialabteilung zugegen, auch zusammen mit Prinz von Arenberg und Zehnhoff.[36] Hermann Roeren schließlich wurde im Herbst 1903 sogar beim Kanzler von Bülow vorstellig. Viele dieser Männer waren medienerfahren: Roeren hatte als einer der führenden Vertreter der katholischen Sittlichkeitsbewegung reichhaltige Erfahrungen mit der Initiierung von Medienkampagnen; Hespers hatte gute Kontakte zur Kölner Volkszeitung, und Matthias Erzberger verfügte sogar über eine eigene Presseagentur.[37] Ohne diese Netze hätte die Kolonialabteilung zwar möglicherweise über ihre Togoer Stationsvorsteher oder über den Gouverneur von

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dem einen oder anderen Streitfall gehört. Da aber solche Streitereien immer wieder vorkamen und man angesichts des Herero-Nama-Krieges wahrlich andere Probleme hatte, als sich um die Kabbeleien zwischen Missionaren und Kolonialbeamten zu kümmern, hätte man sich wahrscheinlich nicht weiter damit beschäftigt. Die über viele Kanäle vermittelten Kontakte intensivierten sich im Laufe der Zeit. Spätestens ab Sommer 1903 scheint kaum eine Woche vergangen zu sein, in der nicht ein Brief von Atakpamer Missionaren nach Deutschland ging, und auch die Zusammenkünfte zwischen Vertretern der Mission und der Kolonialabteilung in Berlin nahmen zu.[38] In diesen Kontakten ging es immer wieder um die gewalttätigen und sexuellen Übergriffe der Kolonialbeamten gegenüber der afrikanischen Bevölkerung, aber auch um das Verhalten der Beamten gegenüber der Mission. Im Mittelpunkt dieser Beschwerden stand stets Geo Schmidt. Neben der Misshandlung von Afrikanern und Afrikanerinnen warf man ihm vor, dass er die Mission verleumde und sie mit einer regelrechten Lawine von Klagen überziehe. Aber auch gegen andere Beamte erhob man schwere Vorwürfe, wie Missbrauch der Amtsgewalt, Beeinflussung von Zeugen und Schlimmeres – Mitte 1903 waren es insgesamt »25 Beschwerdepunkte«, die die Mission schriftlich formuliert hatte.[39] Nachdem sich weder das Verhalten Geo Schmidts noch das der anderen Beamten geändert hatte und es stattdessen zu immer weiteren Vorfällen gekommen war, wurden aus diesen Meldungen und Beschwerden schließlich regelrechte Forderungen: So verlangte man von der Kolonialabteilung zunächst die Abberufung Geo Schmidts und später die Beurlaubung

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weiterer Beamter. Ja, es wurden sogar Listen erstellt – sie hießen später im Reichstag »schwarze Listen« –, auf denen all jene vermerkt wurden, die die Mission aus Togo abgezogen wissen wollte, weil sie sich angeblich sowohl der Mission als auch der lokalen Bevölkerung gegenüber Unwahrheiten, Beleidigungen und eben auch nackte Gewalt zuschulden kommen ließen. Zeichnet sich also ab, durch wen die Informationen von Togo nach Berlin kamen, so ist damit noch nicht geklärt, wie die ganze Geschichte in die Presse gelangte und dort schließlich die Qualität eines veritablen Skandals annahm. Ergab sich der Skandal quasi zwangsläufig daraus, dass immer mehr Details an die Öffentlichkeit kamen und diese nicht länger die Augen vor den Gewaltexzessen verschließen konnte? Oder verlief die Skandalisierung – wie nicht wenige regierungstreue Konservative, allen voran Bülow und Dernburg, behaupteten – nach einem vom Zentrum und anderen katholischen Kreisen sorgfältig vorbereiteten Masterplan, der mit Roerens Reichstagsrede im Dezember 1906 seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte? Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Beides ist richtig. Einerseits wurde der Skandal von Mission und Zentrum inszeniert, Inhalt und auch Zeitplan waren gesteuert, und eine Zeitlang schien alles wie am Schnürchen zu klappen. Andererseits konnten weder die Mission noch die Regierung kontrollieren, welche Dynamiken eine einmal in Gang gesetzte Skandalisierung entwickeln würde. So strategisch die Kalküle auch sein mochten, der Verlauf, den der Skandal nahm, war schon allein deshalb schwer vorauszusagen, weil zu viele Kräfte daran beteiligt waren. Nicht nur die Mission und die

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moralischen Kreuzzügler um Roeren und Hespers, auch die anderen Mitspieler, in diesem Fall die Kolonialabteilung und die Kolonialbeamten, verfolgten ganz eigene Agenden. Kaum vorhersehbar waren zudem die Reaktionen der Öffentlichkeit. Schließlich mussten die von Roeren und anderen verbreiteten Plots, die allein erst aus einem Geschehen in weit entfernten Kolonien ein Medienereignis machten, auch funktionieren: Die Geschichten mussten für eine breite Öffentlichkeit Plausibilität sowie die Möglichkeit zur Identifikation und zur moralischen Empörung bieten. Wie sehr Skandale um 1900 einerseits strategisch geplant und andererseits nie bis ins Letzte kontrolliert werden konnten, zeigt sich, wenn man den genauen Verlauf der Berichterstattung aus der Nähe betrachtet. Schon 1902, lange vor Roerens Reichstagsrede, hatten protestantische Missionare aus der Norddeutschen Mission von sexuellen Übergriffen in Atakpame berichtet.[40] Dann war im Januar 1905 ein Artikel unter dem Titel »Mission und Kolonialpolitik. Ein Klagebrief aus Togo« erschienen, der die Ereignisse sehr deutlich ansprach. Dieser Artikel war allerdings weder von der Mission noch vom Zentrum lanciert worden, erschien er doch in der Deutschen Zeitung, einem Blatt, das über gute Kontakte zur Kolonialabteilung verfügte und der regierungsamtlichen Kolonialpolitik wohlwollend gegenüberstand.[41] Dementsprechend wurde weniger über gewalttätige Kolonialbeamte als vielmehr über übergriffige Missionare geklagt und so der Eindruck erweckt, die Kolonialbeamten seien Opfer böswilliger Verleumdungen einer anmaßenden Mission, die sich in Regierungsgeschäfte mische, die Autorität der Regierung untergrabe und die »Deutsche Kultur« gefährde.

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Im Unterschied zu Roerens Ende 1906 vor dem Reichstag

präsentierter Geschichte erfuhr der Artikel allerdings keine besondere Resonanz. Das lag zweifellos auch daran, dass die angegriffene Mission, statt zu einem heftigen Gegenangriff überzugehen – was indirekt die Vorwürfe bestätigt hätte –, eher behutsam reagierte. Denn, so argumentierte das Zentrum, man wolle die »Vorgänge in ihren Einzelheiten« nicht vor der Öffentlichkeit enthüllen, da dies eine hoffentlich »einträchtig[e] und harmonisch[e]« Lösung nur behindern würde.[43] Dieser frühe und offensichtlich fehlgeschlagene Versuch einer Skandalisierung zeigt, dass die Mission die Skandalisierung sehr wohl geplant, jedoch beschlossen hatte, zu diesem Zeitpunkt noch stillzuhalten. Und dafür hatte sie gute Gründe, hoffte man doch 1905 noch, die Kolonialabteilung beeinflussen zu können: Man steckte mitten in Gesprächen mit dieser, in denen es darum ging, welche Beamte abzuziehen seien und wie die Situation in Togo im Sinne der Mission verbessert werden könne. Erst im Laufe des darauffolgenden Jahres, nachdem sich diese Hoffnungen zerschlagen hatten, scheinen Zentrum und Mission zu der Überzeugung gelangt zu sein, dass nun der Zeitpunkt für eine aktive und gezielte Skandalisierungskampagne gekommen sei. Das zeigt sich an einer Reihe konzertierter Aktionen, die dem Reichstagsauftritt Roerens vorangingen. So gab es im Oktober 1906 einen Artikel, der die Leserschaft mit der Ankündigung von »Neuen Enthüllungen« über Anklagen gegen Stationsleiter Schmidt neugierig machte, ohne allerdings Ross und Reiter zu nennen. [44]

Und Matthias Erzberger drohte schon im März 1906

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erstmals öffentlich auf einer Veranstaltung, alles an die Presse zu geben, um »den Schleier über dem Kulturkampf in Togo zu zerreißen«.[45] Beide Male scheinen der Kolonialabteilung sehr deutlich die Folterwerkzeuge der öffentlichen Meinung vor Augen geführt worden zu sein, ohne dass man jedoch zur Tat schritt. Das geschah erst, nachdem jede Möglichkeit einer im Sinne der Mission günstigen Lösung gescheitert war. Erst als man zu der Einsicht gelangt war, dass die Gespräche mit der Kolonialabteilung nicht zum gewünschten Erfolg führen würden, wandte man sich an die Öffentlichkeit und präsentierte die aus anderen Skandalen hinlänglich bekannten Geschichten von prügelnden und sexbesessenen Beamten, die jeder Form von Zivilisierungsmission hohnsprachen. Genauso vertraut wie diese Zutaten war allen Beteiligten auch das Muster, nach dem Skandale abliefen, schließlich hatte sich – wie von Bülow nicht ganz zu Unrecht Ende 1906 bemerkte – die Öffentlichkeit seit Monaten bereits »bis zur Erschöpfung mit den (…) sogenannten Kolonialskandalen« beschäftigt.[46] Ja, in der Presse wurden längst Metareflexionen über Kolonialskandale angestellt, beispielsweise darüber, welche Beamten vertrauliche Dokumente zu welchem Zweck an sozialdemokratische oder Zentrumsabgeordnete weitergegeben hatten.[47] Es waren nämlich nicht nur Männer wie Roeren oder Erzberger – einer der gewieftesten Moralunternehmer des Kaiserreichs, der eine Vielzahl von Kolonialskandalen an die Öffentlichkeit gebracht und sich so bereits einen Namen als Skandalisierer gemacht hatte –, die wussten, wie man Skandale in Szene setzte, und die über die nötige Medienexpertise verfügten. Drohungen wie die, man werde

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»den Schleier zerreißen« und alles öffentlich machen, finden sich zuhauf auch in den Briefen fast aller in den Fall involvierten Personen. Ja, man kann anhand dieser Korrespondenzen in nuce beobachten, dass die zahlreichen Skandale der letzten beiden Jahrzehnte den Blick dafür geschult hatten, wie die Medien für eigene Interessen genutzt werden konnten. So gab man etwa gezielt Aktenmaterial weiter – beispielsweise spielte Arnold Jansen solches Material Hermann Roeren zu[48] – oder man drohte, Vorfälle öffentlich zu machen. Und so ist es nicht erstaunlich, dass die Mission, die immer dringlicher mit einer Skandalisierung gedroht hatte, diese schließlich auch aktiv betrieb: Bereits im Sommer 1903 hatte Bücking erstmals der Kolonialabteilung gedroht, sollte diese nicht auf die Forderungen aus Steyl eingehen, so bleibe »kein anderes Mittel übrig als (…) [sich] an die breitere Öffentlichkeit zu wenden«.[49] Ja, man könne vielleicht sogar mit weiteren Enthüllungen aufwarten.[50] Auch Arnold Jansen war diesbezüglich der Kolonialabteilung gegenüber ganz offen gewesen und hatte seine Drohung mit dem Hinweis unterstrichen, er habe bereits einige Zentrumsabgeordnete mit Material versorgt.[51] Ebenso hatte Hermann Roeren nichts unversucht gelassen, seine Interessen mittels Verweis auf Veröffentlichungsoptionen durchzusetzen. So schrieb er im September 1904 an die Kolonialabteilung: »Ich behaupte, dass wenn es so weiter ginge niemals eine für beide Teile befriedigende Lösung« zu erwarten sei und überdies »nicht mehr zu verhindern ist, dass die Presse und die Öffentlichkeit sich in die Angelegenheit einmischen«.[52]

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Skandalisierungen waren kein Selbstzweck, vielmehr ging es jenseits aller gewiss auch zutiefst empfundenen Empörung über Normverletzungen darum, öffentlichen Druck aufzubauen, um so bestimmte Anliegen durchzusetzen. Was genau waren die Anliegen der Mission, und was wollten Roeren, Erzberger und die anderen Zentrumspolitiker erreichen? Vorauszuschicken ist, dass die Ziele dieser Herren keineswegs deckungsgleich waren und sich zudem im Laufe der Zeit änderten. Arnold Jansen, der Ordensgründer, der die Ereignisse von Steyl aus bewertete und die schmerzhaften Erfahrungen des Kulturkampfes, in dessen Verlauf er gezwungen war, Deutschland zu verlassen, noch nicht vergessen hatte, wählte den Weg in die Öffentlichkeit nur sehr zögerlich. Bei allem Zaudern hatte er sein Ziel allerdings klar vor Augen. So schrieb er: »Wir haben hier eine günstige Gelegenheit, auf das beste der Kolonien einzuwirken, wie sie sich vielleicht in einem Jahrzehnt nicht mehr finden wird. Eine dauernde Errungenschaft wäre eine Warnung für die Kolonialbeamten, die in allen Schutzgebieten sich geltend machte.«[53] Doch ist nicht zu übersehen, dass die Mission nicht so geschlossen agierte, wie dies nach außen später erschien. Mehr noch: Zwar war Arnold Jansen lange nicht davon überzeugt, dass ein öffentlicher Skandal zielführend sei, und äußerte sich deswegen sehr beunruhigt, als 1905 die ersten Nachrichten über Togo in der deutschen Presse erschienen.[54] Andere, wie etwa Pater Müller, drohten dagegen offen mit Skandalisierung und taten alles, damit es zu einem Skandal kam.[55] Die Missionare in Togo verfolgten teilweise konkretere Ziele: die Versetzung einzelner Beamter, die Rücknahme der

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Klagen gegen die Mission und die Wiederherstellung des Rufs der Mission in der Kolonie selbst durch öffentliche Proklamationen. In diesem Sinne hatte Bücking im Januar 1904 argumentiert und schließlich erreicht, dass die Kolonialabteilung versprach, bestimmte Beamte, unter ihnen Geo Schmidt, zu versetzen. Wenig später musste Bücking jedoch im Gegenzug der Versetzung von Missionaren zustimmen.[56] Auch die Zentrumspolitiker hatten keine einheitliche Agenda. Manche Reichstagsabgeordnete verfolgten, neben dem offensichtlichen Anliegen, die kolonialpolitische Position des Zentrums zu stärken, weit kleinteiligere Ziele: Roeren etwa wollte einen gewissen Emanuel Leopold Wistuba schützen, den er anwaltlich vertrat. Dieser war als Bürovorstand in Togo tätig gewesen, wo er nicht die Politik des Distriktleiters unterstützt hatte, sondern die der Missionare. Zudem hatte Wistuba sich als Whistleblower betätigt, indem er Informationen an die Mission weitergegeben hatte, worauf ihm Amtsmissbrauch vorgeworfen wurde.[57] Mit seiner Reichstagsrede wollte Roeren auch erreichen, dass die gegen den Bürovorstand eingeleiteten disziplinar- wie strafrechtlichen Maßnahmen zurückgenommen wurden. Matthias Erzberger wiederum ging es mehr um seine eigenen, im Zentrum keineswegs immer mehrheitsfähigen politischen Ansichten, zu denen zentral auch eine profilierte kolonialpolitische Position gehörte.[58] Prinz von Arenberg und Hespers schließlich wollten in erster Linie die nach wie vor schwierige Situation der Katholiken im Kaiserreich stärken.

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Abb. 1

Roeren in Klein Popo, in: Jugend: Münchner illustrierte

Wochenschrift für Kunst und Leben – 12 . 1907, Band 1 (Nr. 9), S. 169

Es war also die Mission, die über katholische Zentrumskanäle des Rheinlands Nachrichten aus Atakpame nach Berlin brachte und wohlüberlegt die Form des Skandals wählte. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch andere direkt und indirekt ihre eigene Nachrichtenpolitik betrieben, indem sie Informationen entweder lancierten oder unterdrückten. Manche taten alles, um eine Skandalisierung zu verhindern: Dies scheint zum Beispiel das nicht uneigennützige Anliegen des Togoer Gouverneurs Horn gewesen zu sein, der bereits im

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Sommer 1903 gesagt haben soll: »Ich fürchte, es wird ein Kolonialskandal daraus werden.«[59] Auch andere Kolonialbeamte vor Ort hielten die Veröffentlichung für eher kontraproduktiv[60] und taten dementsprechend alles, damit keine Informationen nach Berlin kamen – oder nur solche, welche die Kolonialpolitik in positivem Licht erscheinen ließen. Geo Schmidt selbst betrieb diese Form der indirekten Pressearbeit mit Verve, indem er versuchte, afrikanische Zeugen einzuschüchtern oder Beamte durch Disziplinarverfahren mundtot zu machen. Schmidt nutzte überdies auch andere offensive Formen der Öffentlichkeitsarbeit. So gab er 1907 ein Pamphlet in Druck, in dem er seine Version der Ereignisse darstellte.[61] Eine eigene, hochmoderne Pressepolitik betrieb das Kolonialamt.[62] Einerseits nutzte es seine Möglichkeiten, Nachrichten zu unterdrücken, etwa mittels Disziplinarverfahren gegen Beamte wie Wistuba und Pöplau, die unliebsame Nachrichten verbreiteten. Wenn das nicht fruchtete, konnten zudem ärztliche Gutachten in Auftrag gegeben werden, die selbst Beamten, denen eben noch Tropentauglichkeit attestiert worden war, mit einem Mal erhebliche Geistesschwäche bescheinigten, wodurch diesen jede Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde.[63] Andererseits war es in der Kolonialabteilung Usus, bestimmte Blätter mit Nachrichten zu versorgen und andere nicht.[64] Schließlich muss noch auf die aktive Öffentlichkeitsarbeit der Koloniallobby hingewiesen werden. Sie erfolgte mittels der Kolonialvereine, des Frauenverbands oder des Kolonialwirtschaftlichen Komitees, die in ihren Veröffentlichungsorganen sehr klare Positionen gegenüber

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Kolonialskandalen bezogen und damit eine ihren Interessen dienende Informationspolitik betreiben konnten.

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Geschichten von Sex und Gewalt

»Diese ganze Kolonialpolitik ist eine Fata Morgana.« August Bebel, 1906[65]

Es bedurfte also einerseits gewiefter Katholiken, die die TogoGeschichten vom Rheinland aus so verbreiteten, dass sie in Berlin und dann im ganzen Kaiserreich Gehör fanden. Andererseits brauchte man Kolonialbeamte in Togo und in Berlin, damit manches in der gewünschten Art und Weise, anderes dagegen gerade nicht nach Deutschland berichtet wurde. Spätestens hier stellt sich die Frage, welche Informationen genau im Reichstag und der deutschen Presse ankamen. Ebenso ist zu fragen, welche Geschichten aus diesen Informationen konstruiert wurden. Wie wurden aus Geo Schmidts sexuellen Beziehungen und Gewaltexzessen regelrechte Medienereignisse? Wichtig sind hierbei die verfassungs- und tagespolitischen Hintergründe, denn sie erklären, warum es zu diesem Zeitpunkt zu dieser Debatte kam, die schließlich – so viel sei hier schon vorweggenommen – kaum neue Einsichten in das koloniale Leben in Togo zutage förderte, dafür aber die innenpolitische Landschaft des Kaiserreichs veränderte. Reichstagsdebatten über koloniale Fragen entstanden regelmäßig immer dann, wenn das Budget zu verabschieden war. Und das hatte einen einfachen Grund: Das Budgetrecht des Reichstags war die einzige Hintertür, über die eine parlamentarische Kontrolle der ansonsten dem Reichstag

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entzogenen Kolonialpolitik möglich war: Jeder neue Zuschuss für die Schutztruppen, aber auch Gelder für den Eisenbahnbau in den Kolonien oder für Plantagen bedurften der Zustimmung. Die Debatten über diese Fragen boten also willkommene Anlässe, in Fragen der Kolonialpolitik doch noch ein Wörtchen mitzureden. Im Dezember 1906 war es wieder einmal so weit. Ein Nachtragshaushalt sollte verabschiedet werden, und die Opposition nutzte die Gelegenheit, um ihre Vorstellungen von Kolonialpolitik vorzutragen. Der Dezember 1906 war dabei kolonialpolitisch, zumindest aus der Perspektive der Regierung, ein besonders schwieriger Zeitpunkt, denn 1905 und 1906 hatten ungewöhnlich viele Vorfälle in den Kolonien die Öffentlichkeit beunruhigt. Zu nennen sind hier nicht nur die Kolonialkriege in Deutsch-Südwestafrika und in Ostafrika, sondern auch die Unruhen in Kamerun, die Erzberger genauso gerne heraufbeschwor wie die kolonialen Korruptionsfälle Woermann und Tippelskirch, um das totale Scheitern deutscher Kolonialpolitik zu belegen. Andererseits konnte die Regierung 1906 erstmals darauf hoffen, ohne größere Probleme durch die Haushaltsberatungen zu kommen, schließlich hatte man gerade eine der wichtigsten Forderungen, die Abgeordnete wie Erzberger schon lange Zeit gestellt hatten, erfüllt: Es war nämlich die Einrichtung eines eigenen Kolonialamts beschlossen und dieses mit einer kompetenten Leitung versehen worden. Neuer Kolonialdirektor war der angesehene Direktor der Deutschen Treuhandelsgesellschaft, Bankdirektor und Mitglied in fast drei Dutzend Aufsichtsräten, der Finanzexperte Bernhard Dernburg, der sich endlich anschickte, eine »systematische

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Kolonialpolitik« zu betreiben.[66] Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Auflösung der Verträge mit den Firmen Tippelskirch und Woermann gewesen. Zudem hatte er nur wenige Tage zuvor, Ende November, dem Reichstag erstmals ein – wenn auch noch vages – Kolonialprogramm vorgelegt.[67] Darin hatte er dem Reichstag Mitsprache versprochen, den Missionen insbesondere in der »Eingeborenenpolitik« Entgegenkommen signalisiert sowie eine sorgfältigere Auswahl der Beamten und eine solide koloniale Wirtschaftspolitik in Aussicht gestellt. Er wollte die Kolonien rentabel machen – rentabel für die deutsche Wirtschaft, aber auch für Deutschland insgesamt, das sich in Zukunft im Glanze dieser nunmehr erfolgreichen Kolonien spiegeln können sollte, ja mit England und anderen Kolonialmächten gleichziehen würde. Überdies bat er öffentlich alle diejenigen, die Material über mögliche Missstände gesammelt hätten, ihm dieses zu übergeben, da er sich persönlich um eine schnelle und korrekte Erledigung aller Fälle von Beamtenwillkür kümmern wolle. Dernburg präsentierte sich als neuer tatkräftiger Mann, der sämtliche nicht zuletzt durch die Kolonialskandale zutage geförderten Fehlleistungen der deutschen Kolonialpolitik beenden und eine neue Ära einleiten würde. Er inszenierte sich als »Herkules, der den Augiasstall des Kolonialamtes« säubern werde – wie es August Bebel nicht ohne Ironie in seiner Reichstagsrede Anfang Dezember 1906 formulierte.[68] Bülow ging gar so weit, einen radikalen kolonialpolitischen Kurswechsel zu versprechen, der mit der Einsetzung Dernburgs begonnen habe.[69] Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Kolonialdebatten des Reichstags

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in der Öffentlichkeit mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt wurden. Und diese Aufmerksamkeit war es, die Roeren geschickt nutzte, als er am 3. Dezember im Reichstag seine Version der Vorfälle in Atakpame präsentierte.[70] Ähnlich wie bei anderen Kolonialskandalen wurden – das muss vorweg betont werden – weder im Reichstag noch in den Zeitungen ausführliche und komplizierte, facettenreiche und differenzierte Hintergründe ausgebreitet, die es erlaubt hätten, die Vorfälle in Togo in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Das heißt auch, dass der Informationsgehalt der Geschichten recht niedrig zu veranschlagen ist und die dargestellten Personen eher Stereotypen respräsentieren denn Menschen aus Fleisch und Blut. So verpackte Roeren die Togoer Geschehnisse in einige wenige, dem Publikum aus ähnlichen Skandalen bekannte Plots, die im Wesentlichen um Gewalt und Sex kreisten, wobei im Togoer Fall noch das Thema Mission hinzukam. Der eigentliche Auslöser des Konflikts in Togo – Beschwerden der lokalen Bevölkerung über Zwangsarbeit und ökonomische Aspekte kolonialer Herrschaft – spielte in der deutschen Öffentlichkeit keine Rolle, er wurde nicht einmal erwähnt. Die Roeren’sche Version der Atakpamer Ereignisse sah daher folgendermaßen aus:[71] Der Atakpamer Distriktleiter Schmidt habe zur Bestrafung der einheimischen Zwangsarbeiter diese so mit »dicken Stöcken« traktiert, »daß die Fetzen [ihrer Haut, R. H.] am Körper hingen«[72] und alle seitdem in Angst und Schrecken vor der Gewalt und Willkür der Beamten leben würden. Ein Chief namens Kukowina sei infolge solcher Behandlungen gestorben. Obwohl sich – so Roeren weiter – die dergestalt Gezüchtigten bei den in Atakpame ansässigen

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katholischen Steyler Missionaren beschwert und diese sich schützend vor die »Eingeborenen« gestellt hätten, sei das gegen Schmidt eingeleitete Verfahren im Sande verlaufen. Diese Geschichten waren alles andere als neu, vielmehr reihte sich Roerens Darstellung in eine lange Folge vergleichbarer Berichte in Reichstag und Presse ein. Neben der Gewalt der Kolonialbeamten kreisten sie um Sexualität, genauer um unschuldige schwarze Mädchen, die von Kolonialbeamten sexuell missbraucht worden seien – womit an eine ganze Reihe wirkungsvoller kultureller Mythen angeschlossen werden konnte.[73] Roeren behauptete im Fall Atakpame, dass der Stationsleiter Schmidt eine junge Afrikanerin namens Adjaro vergewaltigt habe. Es solle, zumindest den Berichten zufolge, in Togo allgemein üblich sein, sich wie Schmidt Konkubinen zu halten, die überdies gleich zu »Königinnen« gekrönt würden.[74] Frauen, die sich nicht »geschlechtlich gebrauchen lassen«, würden mit der Nilpferdpeitsche bestraft.[75] Auch sollen »Dualamädchen« gekauft worden sein, die dann in »Geschlechtsgemeinschaft« mit Kolonialbeamten gelebt hätten.[76] Nicht zuletzt deshalb, weil im Kaiserreich schnell der Schluss erfolgte, dass die sexuelle Bedrohung zu einer Bedrohung der politischen Ordnung führe, ließ sich über die Thematisierung sexuellen Missbrauchs Aufmerksamkeit erzeugen.[77] Roeren bezog sich in seiner Rede schließlich auch auf die Mission beziehungsweise darauf, dass Schmidts Verhalten gegenüber der Mission generell ein »non plus ultra von Willkür und Ungehörigkeit« gewesen sei.[78] Die Missionare wurden hier als Opfer dargestellt, als Träger von Kultur und Zivilisation, die durch die Kolonialverwaltung malträtiert

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würden. Sie erschienen überdies als diejenigen, zu denen die lokale Bevölkerung besonderes Vertrauen habe, die den »Eingeborenen am nächsten stehen«,[79] ja die »besten Freunde der Eingeborenen«[80] seien. Die Missionare seien ein wahrer Kulturfaktor, das »Element, das am meisten kulturfördernd« wirke, da sie das Herz bildeten und die »Eingeborenen« zur Arbeit erzögen. Neben diesen positiven Darstellungen durch Roeren und andere Zentrumsabgeordnete gab es allerdings auch missionskritische Bilder. So wurden von konservativer Seite – wie von Dernburg – mit Vorliebe Berichte kolportiert, in denen Missionare eher antikatholischen Karikaturen von machthungrigen Kuttenträgern aus den Zeiten der Französischen Revolution ähnelten denn Missionaren, die den Heiden das Wort Christi bringen wollten.[81] In diesen Darstellungen mutierten die Missionare zu lächerlichen Inkarnationen von »Versittlichungseifer« und »Kolonialhetze«. [82]

Afrikaner und Afrikanerinnen tauchten in diesen Narrativen nur am Rande auf, und dann in exakt zwei Rollen: als bemitleidenswerte Opfer, die der Erziehung bedurften, oder als faule, mitunter gewalttätige »Eingeborene«. Roeren schilderte sie vor allem als bemitleidenswerte Menschen, die Angst hätten, weil sie wie Adjaro Nyakuda mit der Peitsche geschlagen würden.[83] Gleichzeitig sei klar, dass sie Mängelwesen seien, fehlten ihnen doch Kultur, Zivilisation, das Christentum, die Fähigkeit zur Arbeit und vieles mehr. Wie die meisten Zentrumsabgeordneten, aber auch viele andere, betonte Roeren deshalb immer wieder, dass die Einheimischen vor allem der »Erziehung zur Arbeit und zum Christentum«[84] bedürften. Ihnen müsse aufgeholfen, sie

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müssten erzogen werden, »man muss ihnen lehren« und ihnen »alle Errungenschaften der Kultur bringen«, denn: »Auch der Neger ist ein Mensch.«[85] Andere Stimmen, die seit den Gräuelnachrichten über den Herero-Nama-Krieg immer lauter wurden, behaupteten, Afrikaner und Afrikanerinnen gehörten einer Spezies an, die vor allem faul und widerständig sei, »die Arbeit überhaupt nicht liebt (…) und die Steuerarbeit (…) nicht erwünscht«.[86] In einem ähnlich abwertenden Tenor wurden sie auch als »Narren und Raubtiere«[87] bezeichnet oder die Frauen als Amazonen beschrieben, die, »einen Schädel umgeschnallt«, Stationen der Weißen erstürmten.[88] Bei aller Kritik an Kolonialbeamten und trotz mancher Unterschiede bezüglich der Einschätzung der Missionare waren die Reichstagsredner in einem Punkt einig: Sie alle teilten den im Kaiserreich alltäglichen Rassismus. In den Debatten wurden unablässig die rassistischen Argumentationsmuster vom faulen Neger und der Höherwertigkeit der weißen Rasse wiederholt, die im Kaiserreich genauso verbreitet waren wie das Zivilisationsmodell. Mit diesem Modell wurde die Welt in unterschiedliche Zivilisationsstufen eingeteilt, und jede Rasse wurde auf einer jeweils spezifischen Stufe der Entwicklung angesiedelt. Dass die Europäer die Spitze der Zivilisation bereits erreicht hatten – wobei sie ihre Überlegenheit vor allem dadurch demonstrierten, dass sie sich als Helfer und Erlöser ins Szene setzten –, war dabei ein common sense, der nicht nur im Reichstag, sondern in jeder Völkerschau oder Weltausstellung und auf jedem Missionsfest, in den Zeitungsberichten über den Herero-Nama-Krieg und auf

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Werbebildchen und einschlägigen Postkarten tagtäglich bestätigt wurde.[89] In den Reichstagsdebatten wurde also der Vorstellung von einer qua Rasse vorgegebenen, grundsätzlichen Differenz zwischen Menschen Vorschub geleistet, die sich nicht nur auf körperliche, sondern auch auf moralische und intellektuelle Merkmale bezog. Wichtig ist dabei, dass dieses Grundaxiom des modernen Rassismus, trotz zahlreicher zweifellos wichtiger Unterschiede, von allen Abgeordneten unabhängig von ihrer politischen Couleur gleichermaßen geteilt wurde.[90] Gewiss gab es in der SPD massive Kolonialkritik, schließlich hatte man die Erwerbung von Kolonien grundsätzlich abgelehnt, da jede Form von Kolonialpolitik als inhuman und wirtschaftlich nicht rentabel galt.[91] Karl Kautsky etwa argumentierte gegen den Kolonialismus, weil dieser letztlich nur dem Kapitalismus diene. Bebel und Ledebour lehnten Kolonien ab, weil dort die Rechte der »Eingeborenen«, die sie gerne mit denen der Arbeiterschaft im Kaiserreich verglichen, missachtet würden. Überhaupt gab es nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der SPD eine Tendenz, »Eingeborene« und »unterdrückte Proletarier« oder, wie es weit weniger affirmativ von konservativer Seite hieß, »schwarze Bestien« und »rote Gefahr« in eins zu setzten.[92] Und doch wäre es falsch zu sagen, die SPD habe Kolonien rundweg abgelehnt, dafür waren der Partei der Arbeiterbildungsvereine Bildung und Kultur zu wichtig. Nicht nur Theoretiker wie Eduard Bernstein waren nämlich einem Zivilisationsmodell verpflichtet, das auf dem gleichen rassistischen Differenzmodell basierte und das in der Debatte 1906 immer wieder aufgerufen worden war.[93]

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Wie verhielt es sich aber mit dem Zentrum, der Partei, die sich 1906 am deutlichsten kolonialkritisch geäußert hatte? Teilte sie die Überzeugung, es gäbe rassische Unterschiede, die mit intellektuellen und moralischen einhergingen?[94] Das Zentrum war eine heterogene Partei,[95] so dass ein einheitliches kolonialpolitisches Programm nur schwer auszumachen ist. Neben Erzbergers Kritik an der Organisation der Kolonialabteilung wie am Verhalten einzelner Beamter gab es auch zurückhaltendere Stimmen, beispielsweise vonseiten des katholischen Bürgertums, das selbst kolonialwirtschaftliche Unternehmungen betrieb. Unstrittig war aber, dass der Hauptzweck von Kolonialpolitik in der »Ausbreitung von Kultur und Christentum« liege und, wie Erzberger schreibt, der »Eingeborene im Mittelpunkt einer solchen Politik« stehen solle.[96] Und doch kam das Zentrum ähnlich wie die SPD nicht aus dem Dilemma heraus, einerseits für eine »humane« Kolonialpolitik einzutreten und sich andererseits einem Zivilisationsauftrag verpflichtet zu fühlen. So hatte sich bereits 1886 einer der bedeutendsten Zentrumspolitiker, Ludwig Windhorst, sehr deutlich zu einer Haltung bekannt, die der SPD nicht sehr fernstand, basierte sie doch auf der gleichen Grundannahme rassischer Differenz. Es sei das Ziel, so heißt es bei Windhorst, die Kolonialvölker zu zivilisieren, »zu uns her[zu]gewöhnen und zu wirklichen Menschen« zu machen[97] – wobei sie jedoch gleichzeitig als ebenbürtig anzuerkennen seien. Die liberalen Parteien, die vor allem wirtschaftliche Interessen einerseits und rechtliche Probleme andererseits in den Vordergrund stellten, wichen von diesem rassistischen Grundkonsens genauso wenig ab wie die Konservativen, die

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am deutlichsten auf die europäische beziehungsweise deutsche Überlegenheit verwiesen. Kurzum: Was das rassistische Grundaxiom von kultureller, biologischer und intellektueller Differenz anbelangt, unterschieden sich die im Reichstag vertretenen Parteien weder untereinander noch vom Gros der deutschen, ja europäischen Gesellschaft. Und so paradox es auf den ersten Blick erscheinen mag: Genau diesem Rassismus wurde zumindest implizit in der Debatte im Dezember 1906 das Wort geredet, als man öffentlich Geschichten voller stereotypisierter Gestalten ausbreitete, die nur durch eine Handvoll zum Klischee geronnener Narrative und reißerische Gewalt- und Sexszenen zusammengehalten wurden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass viele Abgeordnete offen Kritik an der Kolonialpolitik der Regierung übten. Die Skandalisierung der kolonialen Gewaltpraktiken bedeutete nämlich noch lange nicht, dass man koloniale Herrschaft grundsätzlich ablehnte.[98]

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Koloniale Herrschaft

»Die Kolonialpolitik aller Länder ist mit Blut geschrieben und mit Verbrechen besudelt worden.« August Bebel, 1906[99]

Die Reichstagsdebatten über Kolonialskandale mögen also nur stereotype Narrationen reproduziert und kaum zu einer kritischen Aufarbeitung der tatsächlichen Geschehnisse in Togo beigetragen haben. Dennoch waren sie einmalige Foren, in denen es möglich war, unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit Debatten über Fragen des Kolonialismus zu führen.[100] In diesen Debatten lassen sich trotz des gemeinsamen rassistischen Grundtenors, der von allen Abgeordneten geteilt wurde, durchaus unterschiedliche politische Positionen ausmachen. Bebel befand sich wie die ganze SPD in dem bereits erwähnten Dilemma, dass er einerseits die vielen Schattenseiten des Kolonialismus deutlich vor Augen hatte, aber andererseits am Zivilisationsauftrag festhielt und so Kolonialismus sowohl grundsätzlich ablehnte als auch gleichzeitig verteidigte. Trotz regelmäßig wiederholter Beteuerungen, die Sozialdemokratie sei eine Gegnerin der Kolonialpolitik, blieben diese Widersprüche ungelöst, und eine klare sozialdemokratische Haltung in Sachen Kolonialpolitik lässt sich nicht erkennen.[101] Stattdessen konzentrierte man sich darauf, die Verfehlungen der Beamten, die in der SPD anders als in breiten Teilen des Zentrums als logische Folge einer kapitalistischen Kolonialpolitik gesehen wurden, zu

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kritisieren.[102] Man benannte systematische Schwachstellen wie die »nahezu unbeschränkte Machtvollkommenheit« der Beamten – so Ledebour[103] –, die solche Willkürakte erst möglich mache. Auch geißelte die SPD besonders in ihren Auseinandersetzungen mit den Konservativen, dass viele »eine souveräne Verachtung« gegenüber Afrikanern empfänden, nur weil man sich als Weißer »als eine Art höheres Wesen« begreife.[104] Doch all diese kritischen Einwände, die Bebel, Ledebour, Liebknecht und andere Sozialdemokraten wortgewaltig im Reichstag formulierten, führten nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung deutscher Kolonialpolitik, geschweige denn zu einem strukturell neuen Modell von kolonialer Herrschaft. Auch Zentrumsabgeordnete nutzten die Kolonialskandale, um das Thema koloniale Herrschaft immer wieder vorzubringen, und auch sie lehnten Kolonialismus keineswegs strikt ab, obschon sie die Kolonialpolitik der Regierung scharf kritisierten. Freilich taten sie sich leichter mit der Entwicklung positiver Modelle von kolonialer Herrschaft als die Sozialdemokraten, weil sie statt an die Entwicklungsstufen des Marxismus an das christliche Erlösungsmodell und an den aus der Bibel abgeleiteten Missionsbefehl glaubten. Ausgehend von einer kruden Mischung aus Missionierungs- und Zivilisierungsvorstellungen, Paternalismus und Rassismus, vertrat das Zentrum ein Modell von kolonialer Herrschaft, in dessen Mittelpunkt Schutz und Fürsorge für die »Eingeborenen« standen. »Das ist der Kern jeder Kolonialpolitik. (…) keine fremde Macht vergeht sich ungestraft an den Naturrechten eines anderen Volkes«[105] – so Erzberger. Und doch müsse klar sein, dass es im Kern darum

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gehe, »über Schwarze zu herrschen«.[106] Wenn alle Europäer in den Kolonien ihren Auftrag genau so verstünden, dann wären die zutiefst beklagenswerten Übergriffe der Kolonialbeamten und die damit einhergehende Willkür und Rechtlosigkeit undenkbar. Das Zentrum griff also auch deshalb die Beamten immer wieder so scharf an, weil man die Eigenschaften der Europäer als Dreh- und Angelpunkt einer gelungenen kolonialen Herrschaft betrachtete, da der Europäer, wenn er nur fromm und brav sei und der Genusssucht und Sittenlosigkeit entsage, Garant für eine gute Kolonialpolitik sei.[107] Beide Elemente dieser katholischen Vorstellung von kolonialer Herrschaft machten es der SPD leicht, Zentrum und Mission als Handlanger der Kolonialbefürworter zu beschimpfen, die allein danach strebten, »die Eingeborenen zu gehorsamen, schmiegsamen, fügsamen und genügsamen Arbeitsthieren« zu erziehen.[108] Und doch teilten beide Parteien in Kolonialangelegenheiten zuweilen mehr, als es ihnen aufgrund ihres Antiklerikalismus einerseits und aufgrund ihres Antimaterialismus andererseits lieb sein konnte: ein eher schwammiges und vor allem in sich widersprüchliches Modell von kolonialer Herrschaft. Für Liberale und Konservative war die Frage, wie gute koloniale Herrschaft aussehen sollte, anscheinend leichter zu beantworten. Für sie bestand kein struktureller Widerspruch zwischen dem auch von ihnen geteilten Zivilisationsauftrag und etwa den wirtschaftlichen Aspekten des Kolonialismus. Im Gegenteil, sehr klar definierten sie die wirtschaftlichen Ausbeutungsverhältnisse als zentralen Sinn und Zweck der Kolonien. Allerdings müsse diese Ausbeutung auch mit einem

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Zivilisationsauftrag einhergehen. Ebenso dürften in den Kolonien die Rechtsgrundsätze des modernen Staates nicht mit Füßen getreten werden – so betonten Freisinnige.[109] Das sei aber strukturell kein Problem, seien doch die Willkürakte der Beamten bedauernswerte Ausnahmen. Ähnlich scheint der neue Kolonialdirektor Dernburg koloniale Herrschaft begriffen zu haben. Schon in seiner ersten großen Rede im November 1906 wurden die Grundzüge seiner Konzepte deutlich: Auch hier stand im Mittelpunkt die wirtschaftliche Ausbeutung, »die Schaffung von administrativ unabhängigen, wirtschaftlich gesunden Kolonien«,[110] die der Sinn und Zweck der Kolonialpolitik sei. Deutschland wiederum bedürfe der Kolonien, wolle es Welthandelspolitik betreiben und überdies europäisch eine ernstzunehmende Macht darstellen. Schließlich trügen die Kolonien erheblich zur nationalen Ehre Deutschlands bei.[111] Als Gegenleistung glaubte Dernburg der kolonialen Bevölkerung den »Kulturfaktor« bieten zu können, »an dem der Eingeborene den Vorzug und das Vorrecht der weißen Rasse abmisst«.[112] Konservative wie der Abgeordnete Arndt und Reichskanzler von Bülow vertraten noch deutlich robustere Vorstellungen von kolonialer Herrschaft. Aus ihren Mündern waren selten Begriffe wie »Zivilisationsauftrag« zu hören, sie betonten ähnlich wie Dernburg, dass es in Sachen Kolonialpolitik vor allem um Fragen der nationalen Ehre gehe. So rief der Reichstagsabgeordnete Arndt erregt in den Plenarsaal des Reichstags: »Wird doch das deutsche Volk nicht vor den Hottentotten kapitulieren.«[113] Wurde die eigene Stärke und Überlegenheit gerne ins Zentrum gestellt, so sah man die koloniale Bevölkerung meist als wahlweise faul oder

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wild und als Bedrohung an. Dernburg forderte, dass »man die Eingeborenen nicht behandeln soll, wie sie es wünschen, sondern wie es uns als deutscher Nation nach unserer eigenen Ehre und Würdigkeit zukommt.«[114] Hier standen dichotomische Konstrukte im Vordergrund, die eindeutig auf Gewalt basierten und die keiner weiteren Legitimierung bedurften. Die liberalen und konservativen Modelle von kolonialer Herrschaft suggerierten unter Aussparung aller in den Skandalen gerade deutlich gewordenen Probleme die technische Beherrschbarkeit des kolonialen Raums. Darin unterschieden sie sich von SPD- und Zentrumsvorstellungen, die genau diese Probleme im Blick hatten.

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Säkulares und Religiöses

»Diese Reichstagsdebatten sind die Quelle, aus welcher der deutsche Bürger seine Kenntnis vom Treiben der Kolonialbeamten schöpft. Die anderen sind die Erörterungen der Presse.« Ludwig Külz, 1906[115]

Doch es ging nicht nur um Fragen der kolonialen Herrschaft. Im Laufe des Dezembers drängte etwas anderes immer weiter in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit: die Frage, wie sich Mission und Kolonialbeamte in den Kolonien und damit generell Staat und Kirche zueinander verhalten sollten. Dabei stand ein vom Selbstverständnis her faktisch protestantischer Staat fast ausschließlich Vertretern der katholischen Kirche gegenüber. Das Verhältnis von Mission und Kolonialbeamten war schon öfter diskutiert worden, etwa im Zusammenhang mit dem Herero-Nama-Krieg. Hier warfen manche Reichstagsabgeordnete der Mission vor, sich auf die Seite der Eingeborenen geschlagen und damit die nationale Sache verraten zu haben. Im Fall Atakpame überlagerten die Debatten über das Verhältnis von Mission und Kolonialstaat jedoch teilweise alle anderen Aspekte des Skandals.[116] Das Thema entzündete sich an einem im kolonialen Alltag eher marginalen Aspekt des Skandals, der spätestens seit Dernburgs Replik auf Roerens Anschuldigungen vom 3. Dezember aber immer zentraler wurde. Dernburg wies nicht nur Roerens Behauptungen bezüglich der kolonialen Verfehlungen in Atakpame zurück und erklärte sie für weitgehend haltlos. Er

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betonte vor allem, man habe in Togo bereits hart durchgegriffen und den »Augiasstall« gründlich gereinigt, unter anderem, indem eine ganze Reihe von Beamten gezwungen worden seien, die Kolonie zu verlassen. Gleichzeitig ging der Kolonialdirektor zum Gegenangriff über. Er behauptete, dass Roeren im Laufe des letzten Jahres versucht habe, Einfluss auf die Entscheidungen der Kolonialabteilung zu nehmen. So habe er gedroht, das Zentrum werde nie mehr einen Kolonialhaushalt verabschieden, wenn nicht sein Mandant Emanuel Leopold Wistuba, der zu diesem Zeitpunkt bereits entlassene Kolonialbeamte in Togo, von disziplinar- und strafrechtlichen Verfolgungen verschont bleibe und einen neuen Posten in einer anderen Kolonie erhalte.[117] Der Kolonialdirektor behauptete, die Togoer Missionare hätten »schwarze Listen« mit den Namen der Kolonialbeamten angefertigt, von denen die Mission wünsche, dass man sie entferne.[118] Sollte man diesen Wünschen nicht nachkommen, so habe Roeren gedroht, werde er sich an die Presse wenden. Ja, Dernburg verstieg sich zu der Behauptung, das Zentrum habe eine regelrechte »Nebenregierung« zu etablieren versucht und die Kolonialabteilung unter ein »kaudinisches Joch« gezwungen. Mit diesen Anschuldigungen spielte Dernburg geradezu grandios auf der seit dem Kulturkampf wohlbekannten Klaviatur, indem er aus dem breiten Fundus antikatholischer Stereotype schöpfte. Diese lebten von der Vorstellung, ein übermächtiger antideutscher Weltkatholizismus arbeite mit unlauteren Mitteln daran, die Herrschaft in Staat und Gesellschaft zu übernehmen. Mit dieser rhetorischen Volte war Dernburg so erfolgreich, dass binnen kurzem nur noch von

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»Streitigkeiten der Herrn Missionare mit Beamten der Regierung«,[119] ja von einem Kulturkampf – und nicht mehr von brutalen Europäern und geschlagenen Afrikanern die Rede war.[120] Unmittelbar nach der Reichstagsdebatte konnte man in manchen Blättern in altbekannter Kulturkampfmanier Sätze lesen wie: »Das Zentrum ist heißhungrig nach vollständiger Macht.«[121] Manche sprachen davon, dass alle Vaterlandsfreunde Dernburg dankbar sein könnten, dass nun mit dem »allgemeinen Kriechen« vor den Ultramontanen Schluss sei.[122] Wieder andere Zeitungen warnten vor der »gewaltigen Macht des Klerikalismus«,[123] vor den »klerikalen Machtgelüsten« der Mission, die die Bevölkerung – so die Annahme – nur aufstachele, um »in Togo zu einer Machtstellung« zu gelangen.[124] Der Staat hingegen, verkörpert durch Dernburg selbst, den ersten Vertreter des Kaiserreichs in Kolonialangelegenheiten, wurde in diesem Fall als unbestechliche Ordnungsinstanz dargestellt, die – mit dessen Worten – »die Eiterbeule«, das heißt die Machenschaften in den Kolonien, aufstechen wolle.[125] Eine Instanz, die überdies gegen Protektion, Korruption und unfähige Beamte rückhaltlos vorgehe – so die Dernburg’sche Selbstinszenierung vor dem Reichstag. Diese wurde dann von vielen Zeitungen gerne aufgenommen,[126] indem sie etwa vom ultramontanen Wespennest schrieben, in das der Kolonialdirektor gestochen habe.[127] Neben dieser Dominanz der Kulturkampfrhetorik lässt sich auch eine zunehmende Personalisierung der Debatte beobachten. Bereits die Blätter, die über die Reichstagssitzung vom 3. Dezember berichteten, schrieben vom »Duell Roeren-Dernburg«.[128]

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In den rhetorischen Schaukämpfen traten also koloniale Fragen immer mehr in den Hintergrund. Stattdessen diskutierte man, ob die Enthüllung durch Roeren legitim gewesen sei oder ob das Zentrum nicht vornehmlich die Regierung erpressen und damit erneut die »Zentrumskamarilla« ihre Macht ausweiten wolle.[129] So hatte die zunächst intensiv beklatschte Rede Roerens vom 3. Dezember, die auf Informationen fußte, welche über drei Jahre lang von Missionaren, katholischen Lobbyisten, Togoer Whistleblowern, dem Kolonialamt und seinen Beamten vor Ort für eine gutstrukturierte und zielstrebige Pressepolitik genutzt worden waren, innerhalb weniger Sitzungstage eine ganz neue Bedeutung erhalten. Das, was nun aus ihr geschlossen wurde, lag weder im Interesse Arnold Jansens noch der Atakpamer Missionare, geschweige denn der immer wieder erwähnten Adjaro oder der Familie des in den Debatten zuweilen erwähnten Kukowina. Von dem, worüber in dem heute im Steyler Archiv in Rom liegenden Manuskript »Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo« berichtet wird, hatte die deutsche Öffentlichkeit kaum etwas erfahren, und das, obwohl so intensiv über die »Wunden, an denen unser kolonialer Organismus leidet«,[130] gestritten worden war. Was genau in Atakpame vorgefallen war, warum sich dort an der westafrikanischen Küste, Tausende von Kilometern entfernt von Berlin, Missionare und Kolonialbeamte in die Haare bekommen hatten und wer genau wen verprügelt, sexuell missbraucht oder sogar getötet hatte – all dies blieb in den Berliner Debatten weitgehend im Dunkeln.

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2. Männer und Frauen in Atakpame »Auch drüben in Afrika gegenüber den Afrikanern, auch unter jenen außerordentlichen Verhältnissen gelten ebenso genau und ebenso umfangreich die Gesetze der christlichen Religion und Moral und wir können es nicht zulassen, dass jene Neger und sonstigen Eingeborenen jener unzivilisierten Länder nach anderen Gesetzen und anderen Gesichtspunkten behandelt werden als unsere eigenen Landsleute in der Heimat.« Martin Schall, 1896[131]

In allen Kolonialskandalen spielten sexuelle Beziehungen eine prominente Rolle, und zwar stets solche, die den moralischen Imperativen der Zeit widersprachen: Sei es, dass Gouverneure homosexuelle Beziehungen unterhielten, wie im Fall des Rechenberg-Skandals, sei es, dass ein englischer Offizier sich in Britisch-Ost-Afrika einheimische Mädchen zum sexuellen Verkehr kommen ließ – ähnlich wie es der im deutschen Kaiserreich sehr bekannte Carl Peters getan hatte – oder dass sich, wie aus der Kapkolonie, dem heutigen Südafrika, berichtet wurde, ein Militärarzt als Frau entpuppte.[132] Auch im Atakpame-Skandal spielten Berichte über sexuelle Normüberschreitungen eine wichtige Rolle. Gewiss war Sex auch in den Skandalen, die jenseits der Kolonien spielten, eines der zentralen Themen. Erinnert sei nur an den Eulenburg-Skandal, der Ende 1906 etwa zeitgleich mit dem Atakpame-Skandal an die Öffentlichkeit drang und in dessen Mittelpunkt eine homosexuelle Kamarilla in nächster

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Nähe von Wilhelm II. stand, was wiederum den Kaiser selbst im Zwielicht erscheinen ließ. Schlechtes Licht – so formuliert es der Historiker Martin Kohlrausch – war dabei aber nicht nur auf die Person des Kaisers gefallen, sondern letzten Endes auf die gesamte Monarchie und hatte deren Legitimität untergraben. Schließlich hegte man um 1900 sehr klare Vorstellungen über die Ehe als Verbindung von Mann und Frau und betrachtete Homosexualität als Zeichen der Schwäche und der Verweiblichung. Beides musste für den politischen Raum, der als exklusiv männlich galt, eine besondere Bedrohung darstellen.[133] Lässt sich Vergleichbares für die Skandalisierung sexueller Praktiken auch außerhalb des Kaiserreichs beobachten, wo es weniger um den Kaiser selbst als um seine Repräsentanten im kolonialen Raum ging? Drohte das sexuell deviante Verhalten der Beamten die koloniale Herrschaft zu unterminieren? Zwei Indizien sprechen für diese These: Zum einen stand am Beginn des Skandals in Atakpame ein sexueller Übergriff, mit dem massiv gegen die im Kaiserreich geltenden Normen verstoßen wurde. Zum anderen waren sexuelle Normen und koloniale Herrschaft – darauf hat erstmals die Historikerin Ann Laura Stoler hingewiesen – in der Tat eng miteinander verwoben.[134] So betont sie, dass es in den Kolonien, sobald es um sexuelle Beziehungsgefüge gegangen sei, immer auch rassisch begründete Grenzen (»racial boundaries«) mit im Spiel gewesen seien. »Racial boundaries«, um diesen im Englischen weit unverfänglicheren Begriff zu nutzen, waren wiederum – das haben nicht zuletzt die Reichstagsdebatten verdeutlicht – Dreh- und Angelpunkt für die Legitimation von kolonialer Herrschaft. Schließlich argumentierten alle, von der SPD bis

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zu den Konservativen, mit einem angeblich ein für alle Mal gegebenen Unterschied der Rassen, behaupteten sie doch immer wieder, dass die eine Spezies, die Europäer, arbeitsamer, sauberer, intelligenter, kurzum: zivilisierter seien als alle anderen. Bedrohten sexuelle Beziehungen zwischen europäischen Männern und afrikanischen Frauen diesen zentralen rassischen Unterschied, mussten sie auch die koloniale Ordnung als Ganze in Frage stellen. Wie genau sah dieser Zusammenhang zwischen der Verletzung einer sexuellen Norm und der Bedrohung der kolonialen Ordnung im Fall Geo Schmidt aus? Wer verletzte hier welche Norm? Wie und mit welchen Folgen wurde darüber diskutiert? Diese Fragen führen direkt an den Beginn jener Konflikte, die sich in Deutsch-Togo zwischen 1901 und 1903 ereigneten.

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Adjaro Nyakuda, Kautschuk und Sex

»It seems that the famous malady, the Tropenculer affected every German in his birth and developed virulently when the first ray of the tropical sun beams on him soon after he leaves Madeira.« Native of Aneho, 1913[135]

Im Herbst 1901 wurde eine gewisse Ageme Nyakuda, die zusammen mit ihrer Schwester Adjaro unterwegs war, festgenommen. Der Bezirksleiter von Atakpame, Geo Schmidt, bezichtigte sie des »unerlaubten Gummihandels«.[136] Die Regierung versuchte, den Kautschukhandel durch die Ausgabe von »Gummischeinen« zu kontrollieren, doch häufig widersetzten sich einheimische Händlerinnen und Händler dieser Reglementierung und betätigten sich eigenmächtig in diesem Gewerbe. Kautschuk gehörte zu den wichtigsten Exportprodukten des Bezirks Atakpame. Kautschukanbau und -handel wurde überdies besonders gefördert, spätestens nachdem das Kolonialwirtschaftliche Komitee 1899 eine eigene sogenannte Kautschukexpedition nach Kamerun und Togo entsandt hatte. Denn diese hatte festgestellt, dass der Kautschukexport stetig abnahm, während gleichzeitig weltweit der Bedarf an diesem Rohstoff wuchs.[137] Ziel dieser Förderpolitik war es einerseits, eine in vielen Teilen Afrikas gebräuchliche Art des Erntens zu unterbinden: Unter der lokalen Bevölkerung war es üblich, die Kautschuklianen abzuschneiden, statt sie nur einzukerben. Dies sahen die Europäer als unrentabel an. Man war der Überzeugung, dass die »Abnahme des Kautschuks« an dieser

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»unvernünftigen Ausbeutung durch die Eingeborenen Afrikas«[138] läge – so das Fazit der Kautschukexpedition. Andererseits wollte man die »Gummihändler« zwingen, ihre Ernten innerhalb Togos und somit unter deutscher Zollkontrolle zu verkaufen, statt, wie bisher üblich, den Rohstoff an die englische Goldküste zu transportieren.[139] Das Kolonialwirtschaftliche Komitee hatte sogar eigens einen Pflanzer, einen gewissen Otto Wöckel, in die Gegend von Atakpame geschickt, damit dieser sich dem Studium der Kautschukversorgung widme sowie den Kautschukanbau und -handel nach deutscher Maßgabe reorganisiere.[140] Kautschuk und der richtige Umgang damit waren also für die deutsche Kolonialadministration, zu deren ersten Aufgaben es gehörte, die Wirtschaftserträge der Kolonie zu fördern, ein wichtiges Thema. Und Geo Schmidt, ein studierter Agrarwissenschaftler und Ökonom, nahm diese Aufgabe besonders ernst, sah er sich doch, wie eine ganze Reihe von Veröffentlichungen belegen – darunter ein Kompendium über »Die landwirtschaftlichen Nutzpflanzen Afrikas« – als botanischen Experten. Kern seines Expertenwissens war die Ansicht, das Abschneiden der Kautschuklianen, das die Einheimischen praktizierten, sei wilder und »gefährlichster Raubbau«.[141] Schmidts Verständnis nach war die Festnahme der Händlerin also ein wichtiger ordnungspolitischer Schritt und eine ökonomische Notwendigkeit, wollte er die Nutzpflanzen in seinem Bezirk optimal, »durch rationelle Gewinnung«,[142] verwerten. Die beiden festgenommenen Frauen, Ageme und Adjaro, kamen aus einer Familie, die im Kautschukhandel tätig war, und hatten Kontakte zur katholischen Mission, obwohl sie im

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Unterschied zu ihrem Vater nicht getauft waren. Adjaro bezeichnete sich als »Fetischanbeterin«.[143] Sie waren überdies Teil der lokalen Herrschaftselite, denn sie waren mit dem Stadtältesten Kassene verwandt. Schließlich waren sie auch mit der wirtschaftlichen Elite des Landes vernetzt, was sich daran zeigt, dass die Familie Kontakt zum Kaufmann Almeida hatte. Dieser hatte seit 1900 eine Niederlassung in Atakpame und stand dort in engem Kontakt zur Steyler Mission. Die Almeidas gehörten zur im Süden Togos überaus einflussreichen Elite des Landes, deren Angehörige im Laufe des 19. Jahrhunderts als ehemalige Sklaven aus Brasilien zurück nach Westafrika gekommen waren und sich schließlich in Togo als Besitzer von Plantagen, aber auch als Honoratioren einen Namen gemacht hatten. Zu dieser Gruppe gehörte auch die Familie Olympio. Die Almeidas wie die Olympios, die wegen ihrer Herkunft als Afrobrasilianer bezeichnet wurden, hatten traditionell enge Beziehungen zur katholischen Mission. Der in England ausgebildete Händler Octaviano Olympio hatte in Togo lange für die britische Handelsfirma A. and F. Swanzy gearbeitet und den Bau der katholischen Kirche in Lome maßgeblich unterstützt. Die Almeidas wiederum sollen in den 1850er Jahren sogar die erste Kirche an der Westküste Afrikas gebaut haben.[144] Während nun die eine der beiden Schwestern, Ageme, gleich verhaftet und ins Gefängnis gebracht wurde, begleitete die jüngere, Adjaro, ihre inhaftierte Schwester auf die Station, um – wie sie später aussagte – sich um Ageme zu kümmern. Andere, wie etwa die Steyler Missionare, die gerade ihre Station in Atakpame eröffnet hatten, sagten hingegen später aus, dies sei geschehen, um dem Stationsleiter als Konkubine

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zu dienen.[145] Fakt ist, dass Adjaro Nyakuda im Herbst 1901 nach der Festnahme ihrer Schwester im Hause Geo Schmidts angestellt wurde. Ob sie diese Arbeit freiwillig aufnahm oder weil sie um das Wohl ihrer Schwester fürchtete, ist unklar. Unklar ist ebenfalls, wann genau die sexuelle Beziehung zwischen ihr und Schmidt begann und ob diese erzwungener oder freiwilliger Natur war. Die junge Frau behauptete, Schmidt habe sie im Januar 1902 gewaltsam von ihrer Schlafstätte holen lassen, »mit ihr den Beischlaf vollzogen« und sie dabei entjungfert. Schmidt hingegen behauptete, erst im Oktober desselben Jahres, nachdem sie ihm »Zeichen von Zutraulichkeit gegeben« habe, mit ihr »geschlechtlich verkehrt zu haben«, und dabei »sei sie nicht mehr jungfräulich«[146] gewesen. Wie und wann genau auch immer sich die Anbahnung der sexuellen Beziehung abgespielt hat, es gibt keinen Zweifel daran, dass die beiden eine sexuelle Beziehung hatten.[147] Leutnant Julius Smend, der im Januar 1902 auf der Station zu Gast war, glaubte sich sogar zu erinnern, dass Schmidt gesagt habe, er wolle »später (…) Adjaro zu seiner Frau nehmen«.[148] Ganz ähnlich erinnerte sich der Steyler Bruder Jacobus Basten, der zu jener Zeit gerade damit beschäftigt war, das Missionshaus in Atakpame zu bauen. Immer wenn er Schmidt besucht habe, sei er bei Tisch von zwei, drei Mädchen bedient worden.[149] Es war durchaus üblich für Europäer in Afrika, »das Weib zu gebrauchen, sobald es geschlechtsreif« war. Die Historikerin Bettina Zurstrassen spricht für Togo davon, dass wahrscheinlich 90 Prozent der Kolonialbeamten solche Beziehungen hatten.[150] Es verwundert also nicht, dass fast alle Deutschen, die direkt oder indirekt in den Kolonialskandal

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verwickelt waren, Beziehungen zu einheimischen Frauen unterhielten, darunter zum Beispiel der Gouverneur Horn ebenso wie sein Vorgänger Köhler und sein Nachfolger Herzog zu Mecklenburg. Über Letzeren hieß es in einem westafrikanischen Wochenblatt, herausgegeben von der gebildeten afrikanischen Elite, er habe »einen Harem junger Mädchen um sich wie der Sultan von Marokko, die seine Begierden befriedigen«.[151] Ebenso ging der mit Geo Schmidt befreundete Stationsleiter Gruner sexuelle Beziehungen mit mehreren einheimischen Frauen ein, so dass in der zeitgenössischen afrikanischen Presse ebenfalls von einem Harem die Rede war.[152] Ein Blick in den Gruner-Nachlass zeigt zudem eine Reihe mehr oder minder pornographischer Fotos von Afrikanerinnen, die er anscheinend selbst aufgenommen hatte.[153] Julius Smend, ein Freund Geo Schmidts, der häufig in Atakpame weilte, hatte Kinder mit einer Afrikanerin. Ebenso ist der Arzt von Raven zu nennen, der durch seine Togoer Schlafkrankheitsexperimente bekannt wurde.[154] Auch Schmidts Nachfolger Döring hatte – genauso wie der zu seiner Zeit amtierende Gouverneur Zech – Kinder mit Einheimischen.[155] Gleiches gilt für Werner von Rotberg, der im Fall Nyakuda noch eine zweifelhafte Rolle spielen sollte. Ferner ist an den Oberrichter Meyer zu erinnern, der übrigens Beleidigungsprozessen im Atakpamer Kolonialskandal vorsaß und später unrühmliche Bekanntheit erlangte, »weil er Dualamädchen gekauft«[156] hatte. Es gab zudem zahlreiche Kaufleute, die Kinder mit einheimischen Frauen hatten, darunter Harry Grunitzky, der gleich mit sechs Frauen offizielle Verbindungen eingegangen war, aus denen insgesamt elf Kinder hervorgingen.[157] Die offizielle Zahl der sogenannten Mischlinge in Togo belief sich 1910 auf 180 und

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1912 bereits auf 263, faktisch gab es aber weit mehr Kinder aus solchen Verbindungen.[158] Diese Beziehungen wurden von den Frauen oftmals nicht freiwillig eingegangen, viele von ihnen beruhten auf Vergewaltigung. In Atakpame wie auf anderen Stationen war es zum Beispiel üblich, dass man Mädchen von Soldaten holen ließ und auf die Station brachte, wo sie »geschlechtlich gebraucht« wurden. So gab der Sergeant Bieda an, dass er mehrmals »Beischläferinnen auf die Station« gebracht habe, manche seien keineswegs aus freien Stücken mitgegangen, vielmehr hätten sie sich lautstark geweigert.[159] Und schließlich sei an die zahllosen anderen Skandale erinnert: an den Peters- oder den Wehlan-Skandal, aber auch den Puttkamer-Skandal, und ähnliche Vorfälle, bei denen es immer wieder um die Vergewaltigung von einheimischen Frauen ging. Allerdings können keineswegs alle sexuellen Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanerinnen als Akte sexuellen Missbrauchs verstanden werden. Vielmehr gab es eine breite Palette unterschiedlicher Beziehungsmuster: Manche Frauen suchten den Kontakt, um ihr Auskommen zu verbessern, sei es, dass sie sich als regelrechte Sexarbeiterinnen in Bordellen verdingten, sei es, dass sie – wie es in französischen Kolonien hieß – eine marriage à la mode eingingen, eine zeitlich begrenzte Beziehung, mit der sie ihren Lebensunterhalt sicherten.[160] Andere Mädchen und junge Frauen wurden von ihren Familien verkauft, und schließlich gab es mitunter auch reguläre Hochzeiten, die gemäß den lokalen Riten vollzogen wurden.[161] Gruners Sohn berichtete, die Heirat zwischen seiner Mutter, der Tochter eines Chiefs, und dem Distriktleiter

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Hans Gruner sei eine solche traditionelle Eheschließung gewesen.[162] Viele Deutsche kauften für ihre afrikanischen Familien Grund und Boden, wenn sie auch nicht mit ihnen zusammenlebten. Auch im Falle Schmidt/Nyakuda gab der Bezirksleiter zumindest an, die Afrikanerin als seine zukünftige Frau betrachtet zu haben.[163] Andere hingegen behaupteten, er sei bereits mit einer Afrikanerin verheiratet gewesen.[164] Reguläre, nach deutschem Recht geschlossene Ehen blieben allerdings die Ausnahme und wurden schließlich, nachdem man seit der Jahrhundertwende im Kaiserreich immer erbitterter über diese sogenannten Mischehen gestritten hatte, in den meisten Kolonien ganz verboten.[165] Ob mit oder ohne Gewalt, solche sexuellen Beziehungen wurden vom Gros der Kolonialbeamten als Selbstverständlichkeit betrachtet, als Akt von »gesunden und kräftigen Menschen«, die »ihren natürlichen Geschlechtstrieb, also auch in natürlicher Weise befriedigen«[166] – so der Bezirksleiter Schmidt. »Ein nicht zu häufiger Verkehr mit weiblichen Eingeborenen, dem der daran Geschmack findet, nicht zu versagen«, wurde zudem von Tropenmedizinern empfohlen. Besonders jungen Europäern rieten sie, »sich eine bestimmte Schwarze zu engagieren, die in den Augen ihrer Landsleute als seine richtige Frau gilt und als solche geachtet wird«. Dadurch könnten sowohl der Alkoholmissbrauch als auch sexuelle Exzesse, die nach einer verbreiteten Meinung den Mann »bald körperlich ruinieren« würden, vermieden werden.[167] Es handelte sich damit um ein medizinisch geradezu indiziertes Verhalten. Wie selbstverständlich diese angesichts der zeitgenössischen Sexual- und

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Geschlechternormen, die ja die romantische Liebe propagierten, überraschende Verhaltensweise war, zeigt sich auch daran, dass die Kolonialbeamten in der Regel nicht viel Aufhebens von dieser Form des Sexuallebens machten. Wenn überhaupt, finden sich nur sehr knappe Bemerkungen dazu, so im Tagebuch des Bezirksleiters Gruner, der notierte, welche seiner Freundinnen er gerade »gebraucht« hatte, oder in einer Aussage Schmidts während des Prozesses, in der er bemerkte, »ich habe ein ständiges Mädchen und zu geschlechtlichem Umgang so viel Gelegenheit«.[168] In den Erinnerungen des Togoer Kolonialarztes Ludwig Külz heißt es nicht minder lakonisch über die Kolonialbeamten: »Der größte Teil von ihnen lebt mit einer schwarzen Frau zusammen und macht absolut kein Hehl daraus.«[169] Betrachtet man also die Verhaftung der Schwester aufgrund des »Kautschukraubbaus« und die Tatsache, dass Adjaro Nyakuda dem Distriktleiter sexuelle Dienste leistete, so war zumindest in der kolonialen Gesellschaft Togos nichts davon besonders bemerkenswert. Die große Empörung im Kaiserreich und im Reichstag 1906 speiste sich aus der Diskrepanz zwischen den offensichtlichen sexuellen Praktiken in den Kolonien und den Ansprüchen an die koloniale Geschlechterordnung, wie sie in der Metropole formuliert wurden. Entscheidend ist dabei, dass sich vor Ort mindestens eine Gruppe, nämlich die Missionare, ebenfalls an dieser Diskrepanz stieß und diese und ähnliche Geschichten eben nicht als normalen Alltag akzeptierte. Geo Schmidts Verhalten stand für sie in Widerspruch zu all dem, was nicht nur Katholiken für angemessen hielten, sondern die gesamte bürgerliche Gesellschaft des Kaiserreichs.

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Koloniale Männlichkeit, koloniale Weiblichkeit – Debatten im Kaiserreich

»Das Geschlecht der Mischlinge sprosst herauf wie Unkraut.« Arnold Jansen, 1900[170]

Im Mittelpunkt der im Kaiserreich phantasierten kolonialen Geschlechterordnung standen moralisch gefestigte und mit wichtigen Zivilisationsaufgaben betraute Frauen und nicht minder stereotype Männer, die sich durch Standhaftigkeit und Mut auszeichneten. Und doch, sosehr diese Vorstellungen vom kolonialen Geschlechterleben dem glich, was man sich idealiter auch für zu Hause wünschte, so gab es doch nicht nur realiter, sondern auch was die Entwürfe bezüglich kolonialer Weiblichkeit und kolonialer Männlichkeit anbelangt Unterschiede. Beginnen wir mit den Vorstellungen von kolonialer Weiblichkeit. Diese ähneln einerseits dem, was man auch von Frauen in Europa erwartete, andererseits wurden bestimmte Aspekte in den Kolonien stärker betont als andere. Selbstverständlich ging man hier wie dort von der Vorstellung einer natürlichen Überlegenheit des Mannes aus. Auch setzte man voraus, dass Männer für den Bereich des Außerhäuslichen und Politischen zuständig seien, während Frauen sich vorwiegend mit dem Innerhäuslichen, Emotionalen – wie Fragen von Sitte und Moral – beschäftigen würden. Diese und ähnliche Vorstellungen waren weitgehend common sense. Zahlreiche Romane, wissenschaftliche

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Traktate aus Medizin und Anthropologie, Theologie und selbst Biologie, aber auch programmatische Schriften, wie etwa vonseiten der bürgerlichen Frauenbewegung, gingen von einer solchen Ordnung der Geschlechter aus – zumindest für bürgerliche Männer und Frauen. Und so war es nur folgerichtig, wenn europäischen Frauen auch in den Kolonien in erster Linie die Rolle von Zivilisationshüterinnen zufiel – wo dies allerdings weit mehr bedeutete, als Handarbeiten anzufertigen, mit den Kindern Bibelverse einzuüben und Klavier zu spielen. In den Kolonien sollte überdies für die Rassenhygiene – so der zeitgenössische Terminus – Sorge getragen werden. Damit griff man die auch für europäische Frauen als zentral erachteten Aufgaben im Feld der Eugenik auf und erweiterte gleichsam ihre Bedeutung. Mit dem Begriff der Rassenhygiene, der aus der sich gerade entwickelnden Tropenmedizin stammte, war eine Reihe von Konzepten verbunden, die allesamt davon ausgingen, dass die »Vermischung der Rassen« unbedingt zu verhindern sei, da sie insbesondere bei der weißen Rasse zu Degenerationserscheinungen führen würde. Frauen in den Kolonien oblag damit eine gewichtige eugenische Aufgabe, nämlich die Aufrechterhaltung der »Reinheit der weißen Rasse«. Sollten sie dieser als genuin weiblich verstandenen biologischen Kernaufgabe nicht gerecht werden, so konnte daraus eine regelrechte Bedrohung für den »Volkskörper« und damit für die deutsche Nation erwachsen – so zumindest wollten es die einschlägigen Artikel glauben machen, die beispielsweise im Verbandsorgan des kolonialen Frauenbundes Kolonie und Heimat erschienen.[171] Damit galten bürgerliche

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Frauen in den Kolonien nicht nur als Symbole für Zivilisation, sondern auch als Garantinnen von Whiteness und »Deutschtum«.[172] Diese Aufgabe war seit der Jahrhundertwende umso wichtiger, je mehr eugenische Diskurse – und damit implizit Degenerationsdiskurse – an Bedeutung gewannen, zumal damit hygienische Argumente immer größere Plausibilität errangen. Diese Konzepte von einer kolonialen europäischen Weiblichkeit gingen Hand in Hand mit spezifischen Vorstellungen von afrikanischen Männern und Frauen. Dem schwarzen Mann – so ein breiter Konsens in der einschlägigen Kolonialliteratur – mangelte es nicht nur an Vernunft und Arbeitswillen, sondern auch an sexueller Kontrolle, schließlich müsse man von einer genuin »afrikanischen Sexualität«[173] ausgehen. Afrikaner – so schienen Untersuchungen etwa in der amerikanischen »Niggerology«, einer offiziell anerkannten Wissenschaft, zu belegen – hätten einen größeren Penis, mehr sexuelle Leidenschaft und überdies eine große Lust auf weiße Frauen. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in deutschen Kolonien kam es immer wieder zu einer regelrechten Vergewaltigungs-Paranoia (rape panics).[174] Umgekehrt herrschte die Vorstellung, dass Afrikaner auf weiße Frauen eine besondere sexuelle Anziehungskraft ausübten. Wie weit verbreitet dieses Bild im Kaiserreich war, zeigt sich beispielhaft in der Aufregung, die ausgelöst wurde, als in Deutschland bekannt wurde, dass einige deutsche Mädchen Briefkontakt zu »Negern aus Togo« hatten.[175] Schon ein solcher Briefkontakt nährte schlimmste Befürchtungen über mögliche sexuelle Verwirrungen, denen die Mädchen erliegen könnten.

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Schwarze Frauen schließlich wurden keineswegs nur unter der Perspektive des Opfers gesehen, wie in den Reichstagsdebatten, vielmehr wurde auch ihnen eine besondere sexuelle Macht zugeschrieben. Spätestens seitdem in der europäischen Öffentlichkeit Bilder der sogenannten Hottentotten-Venus Sara Baartmann kursierten, die 1810 in London in einer Freak Show ausgestellt worden war, galten afrikanische Frauen als sexuell bedrohlich.[176] Sie wurden als Wesen mit einer besonderen sexuellen Ausstrahlung, natürlicher Kraft und robustem Temperament betrachtet. Ähnlich wie weiße Frauen galten sie als minder vernunftbegabt, darüber hinaus wurden ihnen aber im Unterschied zu diesen weder emotionale noch gar sittliche Kompetenzen zugestanden.[177] Gleichzeitig galten schwarze Frauen als diejenigen, die europäische Männer und damit den ganzen deutschen Volkskörper mit Syphilis und Schlimmerem zu infizieren drohten.[178] Als Sexualpartnerinnen waren sie also – so sah es zumindest der in Togo tätige Arzt Ludwig Külz – in jedem Fall zu meiden und konnten nie mehr sein als »erbärmliche Surrogate«.[179] Vor dem Hintergrund dieser Vorstellungen vom außereuropäischen und vor allem afrikanischen Geschlechtsleben wird deutlich, welch geradezu herkulische Aufgaben auf europäische Frauen in den Kolonien zu warten schienen. Frauen, die diese Aufgaben meisterten, verfügten über die »Eignung zu einer Heldin«[180], schließlich versorgten sie den Mann nicht nur mit deutscher Sitte und weißem Hemdkragen, sondern das »edle Weib« werde auch zur »Führerin des verirrten Mannes«[181] – so Hanna Christaller, eine Kolonialromanautorin, die einige Zeit in Togo verbrachte.

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Diese aktive Rolle, die Frauen in kolonialen Kontexten zugedacht war, verdankte sich nicht nur den Kontrastfolien afrikanischer Geschlechterkonzepte, sondern auch dem widersprüchlichen Bild, das zeitgenössisch über koloniale weiße Männlichkeit kursierte. Zwar waren die kolonialen Männlichkeitskonzepte – ähnlich wie die kolonialen Weiblichkeitskonzepte – auch von Vorstellungen geprägt, die ebenso für das Kaiserreich galten. Bestimmte Männlichkeitsattribute erhielten jedoch in den Kolonien eine besondere Bedeutung. So sollten sich die deutschen Männer in den Kolonien zwar wie im Kaiserreich durch eine »heroischkriegerische Männlichkeit« auszeichnen, sie galten aber gleichzeitig als »psychisch labil, verführungswillig und gefährdet durch die afrikanische soziale wie natürliche Umgebung«.[182] Umso mehr wurde betont, dass Männer, die in die Kolonien gingen, besonders viril sein sollten. Schwäche jedweder Form war hier fehl am Platz. Die in Romanen, Zeitungen und vor allem in Reisebeschreibungen transportierten Bilder suggerierten, dass es in den Kolonien besonders wild zugehe: Die Menschen, die Tiere und die Natur galten als roh und schwer zu bändigen, undurchdringbar und nur mit viel Kraft zu domestizieren. Genau diese Vorstellung von einer tendenziell gefährlichen Umgebung wird in Geo Schmidts Äußerungen über den »wilden« und »gefährlichen Raubbau« deutlich, den nicht minder wilde und gefährliche Einheimische angeblich am Kautschuk verübten. In den Kolonien musste mit der Machete Land gerodet und fruchtbar gemacht werden; es brauchte Waffengewalt, um gegen Tiere und »Eingeborene« vorzugehen – so war es in Hunderten von Reisebeschreibungen, Werbebildchen, aber auch wissenschaftlichen Abhandlungen nachzulesen.

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Ein weiterer Aspekt kolonialer Männlichkeit lässt sich zwar auch in den zeitgenössischen Debatten zu europäischer Männlichkeit finden, hatte dort aber nicht die gleiche Prominenz wie im kolonialen Raum. Die Rede ist vom sogenannten »nervösen Mann«, der um 1900 in der medizinischen Debatte unter dem Begriff der Neurasthenie verhandelt wurde. Nervenschwäche entstand als neues Krankheitsbild, hervorgerufen durch die moderne Zivilisation, insbesondere durch die damit verbundenen Anforderungen der industriellen Arbeitswelt, und sie war angeblich in erster Linie bei Männern zu finden. Entsprechend machte man solche Neurastheniker auch in den Kolonien aus. In einem Schreiben wird zum Beispiel ein Postagent in Togo geschildert, der als vollkommen unbrauchbar für eine weitere Tätigkeit in den Kolonien befunden und nach Hause geschickt wurde.[183] Auch die Laufbahn des Bürovorstandes Wistuba endete mit einer Krankschreibung aufgrund von »Nervosität«. Zwar spielte männliche Schwäche ganz allgemein, etwa in den geradezu homophoben Debatten der zeitgenössischen Sexualwissenschaft, eine Rolle.[184] Doch hatte diese Nervenschwäche in den Kolonien einen besonderen Namen und ein besonderes Gesicht.

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Abb. 2

Bild vom Rennplatz in Lome an Kaisers Geburtstag 1890

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Abb. 3

Das Bild zeigt u.a. Hirschfeld (2.v.li.), Gruner mit Familie (in der

Mitte), Dr. Rodenwald (2.v.re.) und Hagen (außen). Auf der Rückseite hat Hans Gruner vermerkt: »Picknick in der Kameschlucht«.

Die Tropen stellten nämlich – so die Überzeugung der Tropenmediziner – eine besondere moralische Herausforderung dar, und das in erster Linie für Männer. Aufgrund von Klima, Vegetation, mangelnder Abwechslung – manche meinten auch aus Gründen der ungewohnten Diät oder wegen eines erhöhten Alkoholkonsums – sowie durch das Fehlen von Europäerinnen und die gleichzeitig gegebene große sexuelle Attraktivität der einheimischen Frauen waren Männer erheblich geschwächt und drohten der »Tropenneurasthenie«, also dem Tropenkoller, anheimzufallen.[185] Die schwarzen Frauen stellten eine besondere erotisierte Sphäre her,[186] so dass weiße Männer, wie es die Steyler Missionare ausdrückten, »geschlechtlich sehr bedürftig und nervös«[187] waren. Diese Schwäche, so berichtete ein gewisser Dr. Krüger aus Togo, zeige sich vor allem am hohen Prozentsatz der Geschlechtskranken in den Kolonien. Sie führe nicht nur zu übertriebenen sexuellen Bedürfnissen, sondern auch zu »sexueller Perversität«.[188] Der Tropenkoller konnte überdies zu Alkohol- und Gewaltexzessen und schließlich psychischen Zusammenbrüchen führen. Eine weitere mit dem Tropenkoller eng verbundene Gefahr bestand in einer körperlichen, sittlichen und moralischen Degeneration: im »Verkaffern«.[189] Gemeint ist damit ein körperlicher und geistig-moralischer Zustand, der gekennzeichnet ist durch einen Verlust von »energischem Wollen«, durch das »Nachlassen der inneren Energie« und

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durch eine »gewisse Resignation«. Dieser Zustand führe schließlich zu Verrohung, die Männer würden »moralisch und national herunterkommen«[190] – so erklärte das Koloniallexikon diesen Begriff. Ein »verkafferter« europäischer Mann erlitte einerseits ein tragisches Schicksal, andererseits stelle das »Verkaffern« aber auch ein kolonialpolitisches Skandalon dar, da hier die Grenze zur einheimischen Bevölkerung überschritten wurde, der betroffene Weiße glich sich den Afrikanern an. Mit dem »Verkaffern« wurde also die wichtige colour line eingerissen, weil Kolonialherr und Kolonialuntertanen nicht mehr unterschieden werden konnten.[191] Es gab nur eine wirklich wirksame Waffe gegen das »Verkaffern«: Allein die deutsche Frau schien über die Kraft zu verfügen, den gefährdeten Mann vor dem Schlimmsten zu bewahren. Deswegen, so der Kolonialarzt Ludwig Külz, könne der Gewinn, »den die Anwesenheit einer Frau (…) mit sich bringt, gar nicht hoch genug angeschlagen werden«. Von ihr hingen die »Berufsfreudigkeit«[192] sowie das psychische und körperliche Wohlbefinden des Mannes in den Kolonien ab. Damit wurde – das sei zumindest am Rande bemerkt – in den Kolonien das aus dem Kaiserreich her bekannte Bild der wehrlosen, passiven Frau und des aktiven Mannes auf den Kopf gestellt. [193]

Diese kolonialen Geschlechterkonzepte, die ähnlich auch in England, in Frankreich, den Niederlanden und Belgien formuliert wurden, entsprechen freilich in keiner Weise dem, was sich an der Begegnung von Geo Schmidt und Adjaro Nyakuda beobachten lässt. Auch widersprechen sie all dem, was wir über andere sexuelle Beziehungen zwischen

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Europäern und Afrikanerinnen in Deutsch-Togo wissen. Das mag auch daran liegen, dass es in Atakpame um 1901 keine deutschen Frauen gab, die sich um Rassenhygiene oder auch nur um deutsche Kultur hätten kümmern können.[194] In ganz Togo waren es gegen Ende des 19. Jahrhunderts nur zwei Europäerinnen gewesen; 1913 waren es immerhin 67, was angesichts von rund 300 europäischen Männern und vor dem Hintergrund, dass die meisten dieser Frauen zu den Missionen gehörten, allerdings nicht viel war.[195] Und so sah die Mehrheit der Europäer in Togo in sexuellen Beziehungen zwischen Weißen und Afrikanerinnen keinen Widerspruch zum kolonialen Herrschaftsanspruch, obwohl dieser eigentlich auf der Etablierung und Aufrechterhaltung der colour line basierte.

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Mission impossible: Widersprüche werden benannt

»Die Synode muss laut dagegen protestieren, dass ein doppelter Sittenkodex etabliert werden soll, dass Leute, die in bevorzugter Stellung in die Schutzgebiete sich begeben, europäische Sitte zuhause lassen.« August Bebel,1896[196]

Selbst im Kaiserreich äußerten sich nur wenige, unter anderem Vertreterinnen der Frauenkolonialvereine, kritisch zu dieser Situation, ohne allerdings über die Autorität von Augenzeugenschaft, geschweige denn über Mittel zu verfügen, mit denen sie für Abhilfe hätten sorgen können. In den Kolonien gab es letztlich nur eine einzige Gruppe, die diesen Widerspruch zum Thema machte.[197] Diese Gruppe verfügte im Unterschied zu den Frauenkolonialvereinen durchaus über Macht. Die Rede ist von Missionaren, Diakonissen, Missionsschwestern und Missionarsehefrauen, die nicht müde wurden, die offensichtliche Diskrepanz zwischen den Vorstellungen einer kolonialen Geschlechterordnung, wie sie vor allem in der Metropole propagiert wurde, und der togolesischen Praxis zu kritisieren. Sie waren nicht nur vor Ort, sahen also die Zustände mit eigenen Augen, sondern sie galten als die besten Kenner des Alltagslebens in den Kolonien. Die Sittlichkeit der Kolonialbeamten war von Beginn der Kolonialzeit an eines der großen Themen der Mission, und zwar in allen Kolonien und bei allen Missionsorden und Missionsgesellschaften. Bereits der erste Präfekt der Steyler

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Mission, der in den 1890er Jahren nach Togo geschickt worden war, um Missionsstationen aufzubauen, war mit den Kolonialbehörden in Konflikt geraten, weil er den damaligen Gouverneur Puttkamer beschuldigte, in undurchsichtige Geschichten mit »notzüchtigen Weibern« verwickelt zu sein. Protestanten hatten sich auf einer Synode im Gefolge des Leist-Wehlan-Skandals – so wusste selbst August Bebel – über die sittlichen Zustände in den Kolonien ereifert.[199] Speziell Missionare der Norddeutschen Mission hatten früh ihre Sorgen [198]

bezüglich des Geschlechtslebens der togolesischen Kolonialbeamten geäußert. Der Missionsinspektor der Norddeutschen Mission Schreiber veröffentlichte sogar einen Artikel zum Sexualverhalten der Europäer in Togo, was von vielen Kolonialbeamten als »beleidigende Generalkritik« beziehungsweise als ungerechtfertigte und billige Kritik empfunden wurde.[200] Doch Schreiber war nicht der einzige Missionar, der öffentlich »das wüste Treiben vieler Europäer in den Kolonien« brandmarkte.[201] Im Fall Adjaro Nyakuda und Geo Schmidt hatten sich die Steyler Missionare bereits 1901 über die eigenwilligen Praktiken des Kolonialbeamten beklagt, der nachts Frauen zum Tanz auf die Station bestellt haben soll.[202] Weiter erhoben sie den Vorwurf, Schmidt und andere Beamte pflegten, wenn sie auf Reisen wären, »von den Eingeborenen Weiber zum geschlechtlichen Verkehr« zu fordern.[203] Und schließlich hieß es aus Missionskreisen über Schmidt in medizinisch informierter Terminologie und nicht ohne Herablassung, dass er »geschlechtlich sehr bedürftig und nervös« sei.[204]

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Diese religiös motivierte Ermahnung zu mehr Tugendhaftigkeit und zu sexueller Enthaltsamkeit kann auf eine sehr lange christliche Tradition zurückblicken. Im 19. Jahrhundert erhielt sie zudem neue Nahrung durch die veränderten Lebensverhältnisse, die mit der Industrialisierung einhergingen. Erinnert sei nur an die regelrechten Moralkampagnen, die von der Inneren Mission initiiert wurden und in denen mit unverhohlenem Ekel und auch Grauen die vermeintlich um sich greifende Unzucht, insbesondere in den unteren Schichten der europäischen Großstädte, gebrandmarkt wurde.[205] Auch aus dem Umfeld der zahlreichen katholischen Vereine meldeten sich seit der zweiten Jahrhunderthälfte immer mehr Stimmen, die den Abfall vom Glauben, von Sitte und Moral beklagten. Manche Missionare hatten sich gerade deshalb außereuropäische Missionsziele gesucht, weil sie Europa selbst in einem Zustand innerer Verwahrlosung, Sünde und Glaubensverfall wähnten. [206]

Speist sich die missionarische Kritik zweifellos aus diesen Traditionen, so ging es bei den Klagen in Togo jedoch auch um etwas anderes als um das ewig gleiche christliche Mantra von Sünde und Verfall oder eine Verbesserung der Sitten europäischer Männer. Im Unterschied zu den Frauenkolonialvereinen, die in der Tat an der Belehrung des »weißen Mannes« – so Pauline Gräfin Montgelas[207] – arbeiteten, zielte die Mission mit ihren Klagen weniger auf die Kolonialbeamten als auf die lokale Bevölkerung. Diese galt als noch ursprüngliche, natürliche und von der Moderne unberührte Spezies, die man vor den sexuell enthemmten Kolonialbeamten schützen müsse. Im Unterschied zu Europa

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konnte man nämlich in Afrika noch hoffen, diese angeblich auf einer früheren Entwicklungsstufe der Menschheit stehenden Heiden zu wahren Christen zu machen,[208] da die »Wohltaten der Mission natürlich vor allem bei den kulturlosen und kulturarmen Völkern«[209] ihre Wirkung entfalteten, wie es der Vater der katholischen Missionslehre Schmidlin formuliert hatte, wobei diese Vorstellung offenbar von romantisierenden Phantasien gespeist ist. Der Steyler Ordensgründer Arnold Jansen befürchtete, dass ebendiese Missionstätigkeit aufgrund der »überhandnehmenden Unsittlichkeit« gefährdet sei.[210] Die sexuellen Eskapaden waren der Mission also vor allem deshalb ein Dorn im Auge, weil man um die Missionserfolge fürchtete.

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Konversion und Geschlechterordnungen

»Marriage in a country like this has a somewhat different status from what it does, say in England. What a woman wants most of all is children (…) the unmarried women with a child is a far more enviable person than a married woman without.« Mary Gaunt, 1911[211]

In der Kritik vonseiten der Mission am sexuellen Gebaren der Beamten drückte sich die Angst aus, dass die lokale Bevölkerung diesem schlechten Vorbild folgen könnte. Doch es ging dabei noch um etwas anderes als die Gefahr, dass auch in Afrika den Verfallserscheinungen der Moderne Tür und Tor geöffnet würden. Das Verhalten der Beamten bedrohte die gesamte Missionsarbeit weit elementarer, weil es das gesamte christliche Ehe- und Familienmodell mit Füßen trat, von dessen Durchsetzung in Afrika eine gelungene Konversion zum Christentum abhing. Das christliche Ehe- und Geschlechtermodell spielte deshalb eine so prominente Rolle in der Mission, weil man zutiefst davon überzeugt war, dass Konversion nicht ein ausschließlich innerer Akt sei, sondern mit einer grundlegenden Veränderung der äußeren Lebensumstände einhergehen müsse. Eine Konversion ohne eine solche Veränderung war unvollkommen.[212] Das Individuum müsse – das steht in Schmidlins klassischer Missionslehre – »aus seiner heidnischen Umgebung und seiner ganzen bisherigen Vergangenheit [herausgerissen, R.H.] und in eine völlig neue, so gewaltige Ansprüche erhebende, christliche Atmosphäre« hineinversetzt werden. Kurzum, »das gesamte Volksleben« müsse »sittlich-religiös wie kulturell«[213]

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umgestaltet werden. Die logische Folgerung daraus war, dass die bisherige afrikanische Geschlechterordnung zerstört werden müsse, da diese die »stärkste Bastion des Satans« beziehungsweise, wie es bei den Steylern hieß, »der größte Krebsschaden Westafrikas«[214] sei. Da Missionare »Vielweiberei« für eine genuin afrikanische Eheform hielten, mussten sie alles daransetzen, im Kampf gegen die Polygamie diese »Große Wunde Afrikas« zu heilen«.[215] Polygamie war für sie eine Lebensform, die sich in gefährlicher Nähe zu Promiskuität, ja zum Sittenverfall und vielleicht sogar zur Hurerei befand. All diese bedenklichen Geschlechter- und Lebensformen schienen ineinander überzugehen. Ganz in diesem Sinne schloss der Steyler Bote, das zentrale Publikationsorgan und gleichzeitig die wichtigste Werbeschrift der Steyler Mission, seinen geradezu überschwänglichen Bericht von der Heirat des gerade konvertierten Missionsschreiners Paul mit einer gewissen Johanna, beide Togolesen, mit dem Satz: »Ein Freudentag für die Mission. Gerade die Vielweiberei ist das größte Hindernis für die Verbreitung des wahren Glaubens.«[216] Das, was in der Mission unter Polygamie verstanden wurde, hatte mit der tatsächlichen Geschlechter- und Gesellschaftsordnung in Togo allerdings wenig zu tun. In westafrikanischen Gesellschaften um 1900 lebten begüterte Afrikaner mitunter mit mehreren Frauen in festen und auf Dauer gestellten ehelichen Beziehungen, die genau strukturiert und durch intensive Bande zur Verwandtschaft der verschiedenen Frauen abgesichert waren. Bei den sogenannten polygamen Lebensgemeinschaften handelte es sich also um ritualisierte, in öffentlichen Zeremonien vollzogene

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Geschlechterbeziehungen, die auf Prinzipien der Ausschließlichkeit und der Unauflösbarkeit basierten. In dieser Form des Ehelebens schienen sich für Frauen auch Chancen eröffnet zu haben. So zumindest sah das die englische Reisende Mary Gaunt, die beschrieb, dass hier Frauen »sich ihren eigenen Platz in der Welt geschaffen haben, und hier wurden zweifellos einige Ideale verwirklicht, denn jede Frau in dieser Gemeinschaft war den größten Teil ihres Lebens unabhängig, wobei sie nicht nur sich selbst versorgte, sondern ebenso ihre Kinder.«[217] Fest steht jedenfalls, dass Frauen in den in Togo um 1900 üblichen polygamen Lebensformen ökonomisch unabhängiger waren, als sie das je in Beziehungen gewesen wären, die den missionarischen Monogamievorstellungen entsprachen. Die meisten Missionare missverstanden diese polygamen Praktiken der Geschlechter- und Gesellschaftsordnungen, die mit Sittlichkeit nur insofern etwas zu tun hatten, als polygame Gemeinschaften dafür Sorge trugen, dass Sexualität in strikt geregelten heteronormativen Bahnen ablief. Sie waren letztlich das genaue Gegenteil von dem, was europäische Missionare wie Arnold Jansen unter Polygamie verstanden, die diese gerne in einem Atemzug mit Termini wie Babel oder Harem nannten. Wie zentral für die Missionare die Etablierung einer christlichen Lebensform war, in deren Kern die monogame Ehe samt dichotomer Geschlechterrollen stand, zeigt sich an der Prominenz, die dieses Thema in der missionarischen Arbeit hatte.[218] Kaum eine Ausgabe der Missionszeitschriften der Norddeutschen oder der Steyler Mission, in der nicht auf das Thema monogame Ehe eingegangen wurde, und sei es

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auch nur, dass neben den Angaben über erfolgte Taufen stets die Anzahl der, wie es im Steyler Boten hieß, »legalen Eheschließungen« veröffentlicht wurde.[219] Auch die Missionsschulen bereiteten nur auf eine einzige Lebensform vor: auf die christliche Ehe und die damit verbundene Geschlechterordnung. Die Mädchen wurden in Kindererziehung, Handarbeiten und häuslichen Arbeiten wie Bügeln, Waschen und Gartenarbeit unterwiesen, wobei man darauf achtete, dass sie nicht »verbildet« wurden«,[220] wie es in der Mission immer wieder hieß. Sehr deutlich drückte sich auch der katholische Präfekt Togos aus, Hermann Bücking, als er schrieb, dass Schwesternstationen vor allem dazu dienten, Mädchen in allen weiblichen Handarbeiten zu unterrichten, »um so zu guten Hausfrauen in der Zukunft herangebildet zu werden und für glückliche Ehen mit jungen christlichen Eingeborenen einen guten Grundstock zu bilden«.[221] Für Jungen waren Unterrichtseinheiten vorgesehen, die sie auf die Oberhaupt- und Ernährerrolle vorbereiten sollten.[222] Sie konnten auch die Handwerkerschulen der Mission besuchen, wo sie in außerhäuslicher Lohnarbeit unterwiesen und überhaupt zur Arbeit erzogen wurden. Afrikanische Mädchen wurden dagegen nicht – wie in Westafrika meist üblich – zu Marktfrauen, Lastenträgerinnen, Landwirtinnen, Töpferinnen oder Weberinnen ausgebildet, um nur ein paar der in Togo üblichen Frauenberufe zu nennen. Sie sollten nur auf eine Tätigkeit vorbereitet werden: die der Ehefrau. Europäische Ehe- und Geschlechterordnungen waren so bestimmend, dass Tätigkeiten, die der europäischen Geschlechterordnung widersprachen – wie das Wäschewaschen der Doa-Männer – von der Mission für christliche Männer verboten wurden. Das

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Gleiche lässt sich auch in Kamerun in Bezug auf die dort für Männer üblichen Näharbeiten beobachten. Der prominente Platz, den die monogame christliche Ehe in der christlichen Mission einnahm, mag in der protestantischen Mission weniger überraschen. Schließlich war die Ehe mit ihrer seit Luther festgeschriebenen Rollenverteilung von Untertan und Oberhaupt, als ideales Lebensmodell im Kleinen, das in der Gesellschaft im Großen seine analoge Fortführung fand, stets ein zentrales Element. Die Ehe als erster Stand hatte im Protestantismus ja als Grenzmarkierung dem Katholizismus gegenüber gedient, für den der erste Stand stets das Leben in Jungfräulichkeit und Zölibat gewesen war – was bis heute so ist. Für Katholiken und Katholikinnen hingegen musste es einigermaßen verwunderlich gewesen sein, dass plötzlich die Ehe als gottgefälligste Lebensform gepriesen wurde, und sei es auch nur für afrikanische Frauen. Die katholischen Missionsorden gingen in ihrer Propagierung der Ehe sogar noch einen Schritt weiter, indem sie Afrikanerinnen vom ersten Stand der Jungfräulichkeit explizit ausschlossen, obwohl dies nach katholischer Heilslehre der gottgefälligste einer jeden Christin ist. Einheimische Frauen konnten in Togo keine Nonnen werden. Ihre erste und einzige Option sollte die der christlichen Ehefrau sein, folglich war das Erziehungsprogramm der Steyler Missionsschwestern, die sich seit 1897 in Togo aufhielten, ausschließlich darauf ausgerichtet, die Afrikanerinnen zu befähigen, »einer christliche[n] Familie würdig vorzustehen«.[223] Afrikanerinnen hingegen, die sich die Steyler Schwestern zum Vorbild nahmen und keine Ehe eingehen wollten, bekamen erhebliche Probleme. Man versuchte sie sogar gegen ihren Willen zu

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verheiraten.[224] Theologisch bedurfte diese Politik einiger rabulistischer Verdrehungen, widersprach sie doch sowohl katholischen Kernvorstellungen zur Geschlechterordnung als auch dem Gleichheitsgrundsatz des Christentums. Die Empörung der Missionare über die Sexgeschichten Schmidts und anderer Kolonialbeamter verweist also nicht nur darauf, dass hier europäische Geschlechts- und Moralvorstellungen mit Füßen getreten wurden. Es ging auch um ihre ureigensten Interessen hinsichtlich der Missionierung. Ähnlich verhält es sich mit der moralischen Entrüstung, die Schmidts Sexeskapaden in Berlin auslösten. Schmidt drohte wegen seiner Eskapaden zu »verkaffern«, womit die feinen Grenzen zwischen Kolonisierern und Kolonisierten in Frage gestellt waren, was wiederum die Stabilität kolonialer Herrschaft insgesamt gefährdete. Mehr noch, die starken emotionalen Reaktionen, die diese Geschichten im Kaiserreich hervorriefen, sind Hinweise darauf, dass die Mission mit ihren Einlassungen den Finger auf einen zentralen Widerspruch kolonialer Herrschaft legte: den Widerspruch zwischen dem Anspruch einer strikten Trennung der Rassen und den tatsächlichen sexuellen Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanerinnen. Anders formuliert: Zeitgenossen, die beklagten, dass das Konkubinat von »mangelndem Rassenbewusstsein der Deutschen«[225] zeuge, fürchteten auch, dass damit die im Alltag ohnehin nur schwer aufrechtzuerhaltenden Grenzen zwischen Europäern und Afrikanern weiter erodieren könnten. Diese Erosion bedrohte letztlich koloniale, auf rassischer Differenz beruhende Herrschaft an sich und beraubte sie damit – so die Berliner Perspektive – ihrer Legitimition.

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Insofern lassen sich durchaus Parallelen ziehen zwischen den von Martin Kohlrausch festgestellten Unterminierungen von Herrschaft im Kaiserreich, ausgelöst durch Skandale, in deren Mittelpunkt der Kaiser und seine sexuellen Praktiken standen, und Kolonialskandalen: Auch sie prangerten sexuelles Verhalten an, dieses Mal allerdings in den Kolonien und von Kolonialbeamten. In beiden Fällen ging es also auch um Fragen von Herrschaft.

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3. Recht in Atakpame »Die Regelung der Gerichtsbarkeit ist unter den Eingeborenen eine der schwierigsten Fragen des Kolonialrechts.« Matthias Erzberger, 1906[226]

Nachdem Adjaro Nyakuda im Herbst 1901 in den Dienst bei Geo Schmidt eingetreten war und davon auszugehen ist, dass ihre Beziehung in einem Ort wie Atakpame schnell in aller Munde war, dauerte es weit über ein Jahr, bis sich die Steyler Mission zur Einreichung einer offiziellen Klage entschloss. Adjaro oder ihre Familie leiteten hingegen keinerlei juristische Schritte ein. Dabei gab es – so zumindest die europäische Perspektive – durchaus Institutionen, an die man sich hätte wenden können, zum Beispiel Gerichte, die »Sicherheit und Gerechtigkeit« in die Kolonien bringen und dadurch die »Auswüchse früherer Unkultur und Rechtlosigkeit« beschneiden sollten.[227] Die erste Klage wurde offiziell Ende März 1903 erhoben. Es handelte sich jedoch noch nicht um die Klage vonseiten der Missionare, und sie bezog sich auch nicht auf ein Sittlichkeitsvergehen. Vielmehr verklagte Geo Schmidt Pater Müller, der die Atakpamer Missionsstation leitete, wegen Beamtenbeleidigung und Verleumdung.[228] Schmidt sah die Beschwerden über seine Amtsführung und sein sittliches Verhalten, welche die Mission wenige Tage vorher dem Gouverneur vorgetragen hatte, als schlichten Akt der

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Beleidigung. Dagegen müsse er vorgehen, da »die Annahme, es würde von einem Neger Unmögliches von der Station verlangt, eine durchaus irrige«[229] sei. Von einer Anklage wegen Notzucht war zu der Zeit noch keine Rede, und auch in den folgenden Monaten wählten weder Adjaro Nyakuda noch ihre Familie den Rechtsweg.[230] Die Mission aber brachte den Fall schließlich im Mai 1903 vor Gericht.[231] Die Missionare hatten also lange gewartet, bis sie sich – ihrer Sicht der Dinge zufolge – zum Sprachrohr der »Eingeborenen« machten und die sexuellen Verfehlungen Schmidts anprangerten, und das, obwohl für sie Fragen der Sexualität alles andere als nebensächlich waren. Warum kam es erst nach fast zwei Jahren zu einer Anklageerhebung im Fall Nyakuda/Schmidt? Und vor allem, wo bleibt Adjaro Nyakuda, warum unternahm ihre Familie, die ja durchaus einflussreich war, nichts gegen Geo Schmidt? Verfolgt man diese Fragen entlang der Chronologie der Ereignisse, so führen sie mitten in einen Wust von Prozessen, in zahlreiche Kompetenzrangeleien und Streitereien über Rechtsnormen und Verfahrensregeln. Will man den Umgang mit sexuellen Übergriffen in Togo, der in Berlin so viel Empörung auslöste, verstehen, so stößt man nicht nur auf ein koloniales Geschlechtsleben, das sich als ebenso vielschichtig wie widersprüchlich erweist, sondern auch auf eine nicht minder komplexe koloniale Rechtsordnung. Die Urteile, die in den schließlich doch noch gegen Geo Schmidt in Gang gesetzten Prozessen gefällt wurden, sind auf den ersten Blick zumindest sehr überraschend, wurde er doch von allen Notzuchtsvorwürfen freigesprochen.[232] Erfolgreich hingegen war die Beleidigungsklage Schmidts gegen Pater

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Müller. Er warf dem Missionar vor, durch die Anschuldigungen und das Gerede über sein sexuelles Verhalten habe er ihn als Kolonialbeamten öffentlich herabgesetzt.[233] Nicht weniger überraschend fielen die Urteile der folgenden über ein Dutzend Verfahren aus, mit denen sich Mission und Schmidt regelrecht bekämpften.

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Recht in den Kolonien – alles nur Willkür?

»These laws were not based on any intention to do justice and to secure right (…) for the native races (…) they were imposed (…) not with a desire to strengthen and uplift, but, with the express intention of further weakening, subjecting or degrading.« Blue Book, 1918[234]

Die Frage, warum und auf welcher Grundlage man zu den eben genannten Urteilen kam, also die Frage, wie das koloniale Rechtssystem funktionierte, wurde im Zusammenhang mit dem Skandal von Atakpame wie auch mit anderen Kolonialskandalen bereits von den Zeitgenossen intensiv diskutiert. So ging es im Dezember 1906 in den Reichstagsdebatten keineswegs ausschließlich um Sex- und Gewaltgeschichten. Hermann Roeren und die Abgeordneten Bebel und Erzberger nutzten die Gelegenheit auch, um über die Rechtspflege in den Kolonien zu sprechen. In der Regel nahmen diese Debatten ihren Ausgang von Kolonialskandalen. Schließlich, so ein breiter Konsens in der deutschen Bevölkerung, betrafen die Skandale Kolonialbeamte, die offensichtlich einen eher laxen Umgang mit dem Recht pflegten und nicht selten zu Willkürurteilen neigten. So hatte man Carl Peters vorgeworfen, seine Geliebte durch Erhängen bestraft zu haben, und auch im Fall Leist und Wehlan standen schwer nachvollziehbare, mit brutalen körperlichen Strafen einhergehende Urteile im Mittelpunkt der Kritik. Im Atakpame-Skandal ging es nicht nur um

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gewalttätige Bestrafungen, indirekt spielten in der Geschichte Nyakuda/Schmidt auch Fragen des Rechts eine Rolle. Und so nimmt es nicht wunder, dass man sich, wenn es um Kolonialskandale ging, schnell über die Mängel der kolonialen Rechtspflege empörte. So beklagte man sich häufig darüber, dass in den Kolonien ein Rechtszustand herrsche, in dem der betreffende Gouverneur – oder jeder andere Weiße – »überhaupt tun kann, was er mag«.[235] Es wurde kritisiert, dass »Kautschukbestimmungen« herrschten, die so unterschiedlich ausgelegt werden könnten, dass sich in den Kolonien jede »rechtliche Moral untergraben« lasse.[236] Hermann Roeren brachte es auf den Punkt: In den Kolonien herrsche ein »Nonplusultra (…) von Willkür«.[237] »Willkür« wurde nach und nach zum zentralen Schlagwort, um das koloniale Rechtsleben und seine Defizite zu beschreiben. Dabei hatte diese Willkür der Debatte zufolge unterschiedliche Hintergründe und konnte verschiedene Formen annehmen. Manche führten als Grund an, dass es an einer juristischen Ausbildung der Kolonialbeamten mangele. Andere kritisierten die fehlende Trennung von Justiz und Verwaltung, wieder andere machten ein allgemeines Vertuschungssystem und Kungelei dafür verantwortlich.[238] In jedem Fall sei das Ergebnis ein Rechtssystem, das statt auf Gerechtigkeit auf der Willkür einzelner Beamter basiere – so die verbreitete Ansicht. Das war ein schwerwiegender Vorwurf, gehörte es doch zu den zeitgenössischen Grundüberzeugungen, der moderne Rechtsstaat schließe jede Form von Willkür aus. Wie schwer dieser Vorwurf wog, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, in welche für das Selbstverständnis der

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Zeitgenossen zentrale Tradition von Justizkritik man sich damit einreihte: Es war genau dieser Vorwurf der Willkür gewesen, mit dem man 1789 und erneut 1848 das mittelalterliche und frühneuzeitliche Rechtswesen auf den Scherbenhaufen der Geschichte hatte werfen wollen, um vollmundig den Aufbau eines modernen Rechtsstaats zu fordern. »Gegen Willkür und Tyrannei« lautete der Schlachtruf, mit dem man in den Kampf gezogen war für einen modernen Staat und gegen das, was schlicht als Mittelalter oder etwas differenzierter als absolutistischer Ständestaat bezeichnet worden war.[239] Mehr noch: Der Rechtsstaat, der auf einheitlichen und für alle gleichermaßen gültigen Rechtsnormen basiert, der auf dem strikten Einhalten von Verfahrensregeln fußt, die unabhängig vom Ansehen der Person greifen, und dem das Prinzip der Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren zugrunde liegt,[240] war die Antwort auf ein jahrhundertealtes System, das man nun als reines Willkürsystem bezeichnete. Diesem nicht nur in Sonntagsreden immer wieder heraufbeschworenen Selbstverständnis zufolge stellte das moderne Rechtssystem einen elementaren Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft dar und war Kennzeichen hoher, wenn nicht gar höchster Zivilisationsstandards. Diese Deutung des vergangenen und des neuen, eigenen Rechtssystems (an der Historiker heute zu Recht erhebliche Zweifel haben) war weitverbreitet. Die Güte des eigenen Rechtssystems definierte man nicht nur in Abgrenzung zu Rechtsordnungen der eigenen Vergangenheit, sondern auch als Gegenstück zu den Rechtsbräuchen der zeitgenössischen außereuropäischen Gesellschaften. Außerhalb Europas (und Nordamerikas),

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insbesondere bei den »Naturvölkern« der südlichen Hemisphäre, gab es demzufolge entweder gar kein Rechtssystem, oder es herrschte reine Willkür. Im Berliner Tageblatt hieß es 1907, es gebe in Afrika grausame Rechtsbräuche, die beispielsweise auf »Blutrache und magischen Handlungsweisen« fußen würden.[241] Das afrikanische Rechtsleben sei von »Willkür« gekennzeichnet, schrieb auch Rudolf Asmis, ein Jurist und togolesischer Kolonialbeamter;[242] es verweise damit gleichzeitig auf eine Stufe, die man selbst längst überwunden habe: »Alles zeigt jene primitive Urwüchsigkeit und naive Einfachheit, wie wir sie bei den Urvätern kennengelernt«[243] haben, finde man doch in den Kolonien nichts als »Auswüchse früherer Unkultur und Rechtlosigkeit«.[244] Unter der Hand entstand in diesen Debatten also die Vorstellung, es gebe ein archaisches, auf Willkür basierendes Rechtssystem, welches sich wahlweise in der eigenen grausamen Vergangenheit oder in einer nicht minder grausamen Gegenwart außereuropäischer Gesellschaften finden lasse und dem der aktuelle moderne Rechtsstaat gegenüberstehe, wie er für Europa kennzeichnend sei. Das heißt aber auch, dass in diesen Diskussionen mehr als Recht und Unrecht auf dem Spiel stand, und weit mehr als die Verfehlungen einiger weniger Kolonialbeamter. Letztlich ging es um das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft, dass man einen modernen Rechtsstaat geschaffen habe, der auf der höchsten Stufe der Zivilisation stehe.[245] Genau dieses Selbstverständnis der Superiorität drohte durch die Willkür in Rechtsdingen, mit denen sich einige Europäer auf eine Stufe mit den afrikanischen Einheimischen begaben, in Frage

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gestellt zu werden – so sah es zumindest Pater Müller, den die Rechtslage in Atakpame an die »Zeit des Faustrechts« erinnerte.[246] Es war also nur folgerichtig anzunehmen, dass die in den Kolonialskandalen zutage geförderten Willkürakte von Kolonialbeamten, die ja Repräsentanten des modernen, auf Gerechtigkeit basierenden Rechtssystems waren, allenfalls Ausnahmen sein konnten. Hätte man dieses willkürliche Rechtsgebaren der Beamten als strukturellen Bestandteil einer kolonialen Rechtsordnung begriffen, wäre weit mehr als manche koloniale Unternehmung ins Wanken geraten. So weit die zeitgenössischen Vorstellungen über das europäische Rechtssystem und die Rechtsbräuche außerhalb Europas. Die Frage war nun, wie man in den Kolonien vorgehen sollte, um dort nach und nach das angeblich archaische Recht durch ein modernes europäisches Recht zu ersetzen. Es herrschte in der Debatte[247] ein gewisser Konsens, dass dies behutsam geschehen müsse. Nur ein langsames Vorgehen und die teilweise Beibehaltung der sogenannten Eingeborenenrechte könnten helfen, größere Konflikte zu vermeiden, die zwangsläufig entstehen würden, weil die lokale Bevölkerung an ihren Bräuchen festhalten wolle.

Verlässt man die zeitgenössischen Debatten und Vorstellungen und versucht herauszufinden, wie es tatsächlich um die Rechtsordnung in den Kolonien bestellt war, so wird schnell deutlich, wie gering der Realitätsgehalt dieser Debatten war. Weder ging es um den Gegensatz zwischen einem archaischen Recht dort und einem modernen Recht hier, noch lagen die größten Probleme in der besonderen Grausamkeit der lokalen Bevölkerung beziehungsweise ihrer Rechtsbräuche. Das Recht

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in den Kolonien war weit vielschichtiger und auch widersprüchlicher organisiert.[248] Einerseits war es ein »tool of empire«,[249] ein Mittel, das die Kolonialmächte nutzten, um Herrschaft zu etablieren. So spielte Recht von Anfang an eine zentrale Rolle, um ungleiche Verträge abzuschließen, um Widerstand zu brechen oder um kolonialer Herrschaft Legitimität zu verleihen, um einen kolonialen Staat, der auf rassischer Differenz basierte, zu etablieren und um eine Eigentumsordnung durchzusetzen, die durch Zwangsarbeit und Ausbeutung gekennzeichnet war. In Südafrika nannte man deshalb das Recht auch »die englische Art des Krieges« – so ein Ausdruck der Tswana.[250] Recht war andererseits ein Instrument, das von der lokalen Bevölkerung durchaus zur Durchsetzung eigener Interessen genutzt wurde. Das gelang deshalb so gut, weil das Recht eine Sprache bereitstellte, um eigenen Forderungen Nachdruck zu verleihen, denn die moderne Rechtssprache ist mit der Autorität des Objektiven, des Vernünftigen und der Modernität ausgestattet. Darüber hinaus etablierten Kolonialmächte Rechtsinstitutionen, die es der lokalen Bevölkerung erlaubten, für sich zu kämpfen.[251] Und doch, weder diese beiden Seiten des kolonialen Rechtssystems noch die zeitgenössisch immer wieder betonte Willkür[252] liefern überzeugende Antworten auf die Frage, warum Adjaro Nyakuda darauf verzichtete, Geo Schmidt anzuklagen. Will man das Verhalten der Kautschukhändlerin und auch das lange Zögern der Mission verstehen, muss man einen genauen Blick auf die Atakpamer Rechtsquerelen werfen. Dabei wird sich zeigen, dass das koloniale Rechtswesen gekennzeichnet war durch eine krude Mischung aus Rechtspluralismus, der in offenem Widerspruch zu den

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Versprechen des modernen Rechtsstaates auf Gleichheit stand, einen Mangel an Öffentlichkeit, der einherging mit der Inszenierung formaler Korrektheit, und lokalen Rechtslogiken, die man zwar nicht als Eingeborenenrecht bezeichnen kann, die sich aber vom europäischen Rechtsempfinden unterschieden.

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Rechtspluralismen oder: Warum der Fall Nyakuda/Schmidt so lange nicht vor Gericht kam

»Eine derartige Unübersichtlichkeit, eine Zerfahrenheit, ein fortgesetztes Verweisen von einem Gesetz auf das andere (…) geben Sie den Kolonien ein klares Recht.« Ernst Müller, 1906[253]

In den deutschen Kolonien gab es ein wahres Sammelsurium an je nach Rasse unterschiedlichen Rechtsnormen, immer wieder neuen Rechtssetzungen und sich überlappenden Rechtsinstitutionen, die nebeneinander existierten und deren Zuständigkeiten nicht immer klar geregelt waren. Erstens gab es für die europäische und die nichteuropäische Bevölkerung unterschiedliche Rechtsnormen, die überdies mit unterschiedlichen Rechtspraktiken einhergingen, welche abhängig von sozialer und ökonomischer Stellung und je nachdem, ob Mann, Frau oder Kind involviert waren, variierten. Es gab also keine Rechtseinheit. Für die lokale Bevölkerung gab es nicht einmal ein »schriftlich festgelegtes materielles Eingeborenenrecht«, wie es noch 1907 in einer Verordnung in Togo hieß.[254] Nur für die europäische Bevölkerung galten de jure einheitliche und eindeutige Regeln, nämlich die Rechtsnormen des Kaiserreichs. Für Togo bedeutete das, dass die Kolonialbeamten und Missionare unter das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 und unter das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 fielen, während für die einheimische Bevölkerung ganz unterschiedliche Normen galten: Diese

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waren in Verordnungen des Gouverneurs, in Erlassen des jeweiligen Bezirksleiters oder durch Gewohnheitsrecht – mitunter auch unter Bezugnahme auf »Eingeborenenrechte« – geregelt.[255] Damit war die koloniale Rechtsordnung de jure nach rassischen Ordnungsprinzipien strukturiert.[256] Diese Unterteilung in zwei unterschiedliche Rechtssysteme war im Kaiserreich Konsens, schließlich musste man fürchten – wie der Jurist Carl von Stengel feststellte –, dass gleiche Rechte schnell dazu führen würden, dass die »Eingeborenen (…) die politische Herrschaft in den Kolonien« erlangten, was unweigerlich die »Unterdrückung der Weißen« zur Folge habe. [257]

Aber selbst die auf den ersten Blick recht strikte Trennung nach Rassen enthielt bei Licht betrachtet viele Unwägbarkeiten und damit Optionen auf weitere Formen des Rechtspluralismus: So war es keineswegs einfach zu bestimmen, wer welcher Rasse angehörte. Das machen insbesondere jene juristischen Debatten deutlich, in denen darüber diskutiert wurde, ob der Grundsatz, »Japaner und Farbige, die die anerkannte Staatsangehörigkeit eines Kulturstaates besitzen, gelten nicht als Farbige«,[258] sinnvoll und anwendbar sei. Selbst die Reichstagskommission, die ein Schutzgebietsgesetz vorbereiten sollte, wusste keine »konzise Erläuterung des Begriffs der Eingeborenen« zu geben.[259] Vollends verwirrend wurde es angesichts der Tatsache, dass man anscheinend die Rassenzugehörigkeit ändern konnte. So heißt es im Schutzgesetz von 1900, dass »Eingeborene« unter bestimmten Umständen »Reichsangehörigen« gleichgestellt werden könnten,[260] womit sie ihre in den zeitgenössischen Wissenschaften festgelegte Rassenzugehörigkeit gewechselt

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hätten. Kurzum: Selbst die vermeintlich elementare Unterscheidung nach Rassen, die ausschlaggebend dafür war, unter welches Rechtssystem man fiel, war alles andere als eindeutig und öffnete vielen weiteren kleinen Unterscheidungen Tür und Tor. Im Unzuchtsfall Geo Schmidt war, auf den ersten Blick zumindest, diese auf rassischer Differenz basierende erste Form der Rechtsungleichheit ohne Belang, da hier ein Deutscher unter Anklage stand. Somit war es unstrittig, dass das deutsche Recht zur Anwendung kommen musste, konkreter die Paragraphen 174 beziehungsweise 176 des Strafgesetzbuchs, die sich auf Unzucht bezogen.[261] Dies waren auch die beiden Paragraphen, auf welche die Steyler Mission in ihrer Anklage gegen Geo Schmidt verwies. Es kam also ein verschriftlichtes und normiertes Recht zur Anwendung, das nur begrenzt offen für Interpretationen war und somit eine Basis für Rechtssicherheit lieferte. Dennoch spielten auch in diesem Fall rassische Ungleichheiten, die Rechtspluralismus beförderten, eine Rolle. Einheimische fielen wie gesagt unter eine andere Rechtsordnung, und sie wurden nicht als gleichwertige Rechtssubjekte wahrgenommen. So schrieb man Afrikanern qua Rasse eine eingeschränkte Glaubwürdigkeit zu, da sie weniger zuverlässig seien und überhaupt zum Lügen neigten.[262] Selbst ein Missionar wie Pater Kost behauptete, dass »Eingeborene dazu neigen, bei Vernehmungen zu lügen, d.h. gerne so aussagen, wie der Vernehmende es haben will«.[263] Ja, man kann teilweise von einer extremen Diffamierung afrikanischer Zeugen oder Angeklagter sprechen. Die Mutter von Adjaro Nyakuda wurde als »schwachsinniges Weib« bezeichnet. Die

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Schwester stehe auf einer »geistig und menschlich ausserordentlich niedrigen Stufe«[264] und habe sich in ihrem »Lügengewebe« verstrickt.[265] Ein anderer Einheimischer wiederum, ein Missionslehrer, sei bekannt für seine »gewohnheitsmäßige Unzucht«.[266] Die Kautschukhändlerin selbst »verdient keinen Glauben«. Dies ließ sich mittels einer zeitgenössisch als wissenschaftlich geltenden Methode beweisen, nämlich dadurch, dass sie »während der Gerichtsverhandlung von einem Mitglied des Gerichtshofes ohne Mühe sehr schnell in hypnotischen Schlaf versetzt werden« konnte.[267] Selbst der spätere Leiter des Kolonialamts Dernburg ließ sich im Reichstag dazu hinreißen, schwarze Zeugen als phantasiebegabt und »halb Kinder, halb Narren und halb Wilde« zu bezeichnen.[268] Eine zweite Quelle für Rechtspluralismus waren die beständigen und keineswegs immer eindeutig kommunizierten Veränderungen der Rechtsverordnungen. In unregelmäßigen und sehr kurzen Abständen wurden neue, häufig einander widersprechende Verordnungen erlassen, und zwar sowohl vonseiten Berlins als auch vonseiten der Gouverneure und Bezirksleiter vor Ort.[269] Allein für Togo gab es in nur einem Jahr knapp 50 neue Erlasse. Der Effekt war eine zunehmende Mehrdeutigkeit und Unsicherheit bezüglich der Frage, welches Recht nun Gültigkeit besaß. Diese Rechtsunsicherheit wurde drittens dadurch verstärkt, dass die Rechtsprechung in den Kolonien keineswegs nur in den Händen ausgebildeter Juristen lag. Im Gegenteil, in der Regel war es der Bezirksleiter, der dem Gericht vorsaß. Dieser war zuweilen ausgebildeter Naturwissenschaftler, nicht selten auch Geisteswissenschaftler, und manchmal jemand mit

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ausschließlich militärischer Vorbildung. Eine verwirrende Vielzahl unterschiedlicher Rechtsnormen wurde also von Personen angewendet, die mit dem kodifizierten Recht, wie es im Kaiserreich galt, kaum vertraut waren.[270] Im Verfahren Schmidt/Nyakuda wie in vielen weiteren Prozessen, mit denen der Kolonialbeamte und die Missionare sich gegenseitig überzogen, waren deshalb zahlreiche Unklarheiten, um nicht zu sagen Ungereimtheiten zu beobachten. Sie sprachen jeder Form von Gleichheit vor Gericht hohn, obwohl die normative Grundlage klar war: Es mussten hier das im Kaiserreich übliche materielle Recht ebenso wie das entsprechende Prozessrecht zur Anwendung kommen. Bereits der Inhalt der ersten Klage lässt aufhorchen: Schmidt begründete seine Klage wegen Beleidigung und Verleumdung damit, dass Pater Müller behauptet habe, Schmidt kümmere sich nur sehr nachlässig um seinen Bezirk, habe seine Soldaten nicht unter Kontrolle und drohe so durch Abwanderung Bevölkerung zu verlieren. Das Thema Emigration der Bevölkerung spielte immer wieder auch in anderen Kolonien eine Rolle, stellte doch die Abwanderung eine der schärfsten Waffen des afrikanischen Widerstands dar: Damit war es möglich, sich dem Zugriff auf Leib und Leben zu entziehen, wobei der Kolonialmacht Arbeits- und folglich Wirtschaftskraft verlorenging.[271] Der Vorwurf der Abwanderung wie der Misswirtschaft war also gravierend, und es wäre zu erwarten gewesen, dass sich Schmidt oder auch seine Vorgesetzten damit auseinandersetzten: Sei es, indem sie Gegenbeweise lieferten, sei es, dass man eine Untersuchungskommission einsetzte oder auch nur die Mission zu einem klärenden Gespräch bat, um die

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Vorwürfe auszuräumen. Geo Schmidt jedoch nutzte das Recht und behauptete in seiner Klage, der Missionar wolle »die Eingeborenen (…) gegen mich persönlich« aufwiegeln.[272] Es kam im Kaiserreich zwar durchaus vor, dass jemand einem Vorwurf durch die Erhebung einer Ehrklage entgegentrat, doch diese eigenwillige Rechtsnutzung war keineswegs an der Tagesordnung. Noch bemerkenswerter ist, dass bereits einen Monat vor der Klageerhebung Verhöre in der Sache durchgeführt worden waren, und zwar durch einen anderen Beamten, Dr. Kersting, auf den weiter unten zurückzukommen sein wird. Das Ergebnis dieser Verhöre, das umgehend an Pater Müller weitergeleitet worden war, lautete – wenig überraschend –, dass Schmidt nichts »zur Last gelegt werden dürfte«.[273] Eine vierte Quelle des kolonialen Rechtspluralismus war das Fehlen eines staatlichen Rechtsmonopols und einer eindeutigen Festlegung, welcher Beamte, Missionar oder einfache Siedler mit welchen rechtlichen Befugnissen ausgestattet war. Für Fälle, in die Europäer und Europäerinnen involviert waren, waren zwar von Rechts wegen die Bezirksleiter am jeweiligen Gericht vor Ort zuständig, häufig aber traten ganz andere Personen als Richter auf.[274] Gleiches galt für die besonders schweren Anklagen gegen Afrikaner und Afrikanerinnen. Manche Streitfälle innerhalb der europäischen Bevölkerung wurden vor Gerichten im Kaiserreich geregelt, so etwa fast ein Dutzend Beleidigungsprozesse, die 1903 und in den folgenden Jahren von Togo aus angestrengt wurden. Zuweilen war es aber auch Usus, dass der Gouverneur Recht sprach, sobald Europäer in Rechtsfälle involviert waren.[275] Auch Missionare, Wegebauer,

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Impfärzte, Siedler und Eisenbahningenieure fungierten als Ermittler und als Richter. Nicht weniger verworren waren die richterlichen Instanzen, welche meist von den Ermittelnden nicht getrennt waren. Sie saßen über die einheimische Bevölkerung zu Gericht, obschon es die Regelung gab, dass die lokalen Chiefs für alle Rechtsangelegenheiten jenseits schwerer Kriminalität zuständig seien. Welcher der Chiefs jeweils zuständig war, entzog sich jedoch einer einheitlichen Regelung. Auch muss davon ausgegangen werden, dass die Chiefs, die genauso wie Kolonialbeamte in verschiedene, von widersprüchlichen Interessen geleitete Loyalitätsnetze eingebunden waren, nicht zwangsläufig europäische Rechtsnormen vertraten. Wahrscheinlich kannten sie diese meist nicht einmal. Dadurch konnten in zwei einander gleichenden Streitsachen sehr unterschiedliche Urteile gefällt werden. Überdies gab es neben den Chiefs eine Reihe weiterer Personen, die – ob es die deutsche Verwaltung wollte oder nicht – von der einheimischen Bevölkerung aufgesucht wurden, um bestimmte Konflikte zu lösen. Das mag mal ein sogenannter Fetischpriester[276] und mal ein islamischer Gelehrter gewesen sein. Schließlich muss daran erinnert werden, dass in vielen afrikanischen Gesellschaften – auch in sehr kleinen Einheiten – nicht nur eine, sondern mehrere Personen die religiöse und politische Autorität besaßen, Recht zu sprechen. Es herrschte also alles andere als Rechtseinheit und damit wahrscheinlich auch kaum Rechtsgleichheit – im Gegensatz zu jenem großen im Kaiserreich immer wieder von Juristen formulierten Versprechen. [277]

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Betrachtet man auf der Grundlage des in deutschen Kolonial- und Missionsarchiven überlieferten Quellenmaterials – das keine Informationen über afrikanische Rechtsinstitutionen enthält – den Unzuchtsfall von Atakpame, so zeigt sich, dass diese Vielfalt von Zuständigkeiten und angewandten Rechtsnormen ebenso wie die juristische Ignoranz an Gerichten geradezu groteske Züge annehmen konnte. So war beispielsweise die katholische Mission, die immer wieder auf den Plan trat, formal in keiner Weise zuständig. Nichtsdestotrotz nahm die Steyler Mission im April 1903 eigenständig Verhöre vor. Adjaro Nyakuda, deren Familienältester, der Kaufmann Almeida und zahlreiche andere Einheimische wurden regelrecht vorgeladen. Sie wurden bis ins Detail über die Vorgänge rund um den Unzuchtsfall befragt, und es wurde ein Protokoll dieser Verhöre aufgesetzt. Damit griff die Mission bereits tief in die judikativen Kompetenzen des Kolonialstaates ein, doch als von der Kanzel herab verkündet wurde, die Mission sei der angemessene Ort, um Beschwerden zu formulieren, ging man noch einen Schritt weiter: Die Steyler Mission trat in Konkurrenz zum staatlichen Rechtsmonopol, ja stellte dieses offen in Frage, schließlich war im Kaiserreich die geistliche Gerichtsbarkeit auch in Sittlichkeitsfragen längst abgeschafft worden.[278] Ein solches Vorgehen war im Übrigen kein Einzelfall, ganz selbstverständlich nahm die Mission immer wieder für sich in Anspruch, Recht zu sprechen. Nach heutigen, aber auch nach damaligen Rechtsgrundsätzen war es, wie es der Bezirksleiter Dr. Gruner formulierte, »unzulässig, dass die Mission so etwas von der Kanzel verkündet. Die Gerichtsstelle ist und bleibt das Bezirksamt und nicht die Mission«.[279]

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War die Mission hier also zweifellos übergriffig, so gab es allerdings auch von staatlicher Seite eine Praxis, die alles andere als regelkonform war. Der vielleicht eklatanteste Fall von regelrechter Amtsanmaßung betraf im Verfahren Nyakuda/Schmidt den schon erwähnten Dr. Kersting. Er war weder zuständig, noch gab es zu diesem Zeitpunkt im streng juristischen Sinn schon einen Rechtsfall. Dr. Hermann Kersting, studierter Mediziner und Afrikaforscher, war Bezirksamtmann von Sokode, einer Regierungsstation im Norden Togos. Er hielt sich zufällig in Atakpame auf, weil es kurz zuvor ein Treffen gegeben hatte, in dem sich verschiedene Bezirksleiter darüber ausgetauscht hatten, wie der Baumwollanbau in der Kolonie vorangetrieben werden könne[280] – ein Thema, das später noch genauer in den Blick genommen wird. Offiziell war Kersting als Distriktleiter zwar berechtigt, Gerichtsverfahren zu leiten, doch er war anscheinend ein enger Freund von Geo Schmidt und musste also auch nach zeitgenössischen Maßstäben als befangen gelten.[281] Auch andere Personen maßten sich in dieser Angelegenheit regelwidrig Kompetenzen an. Geradezu prototypisch agierte ein gewisser Werner von Rotberg, der erst seit kurzem, nämlich seit September 1902, in Lome als Bezirksamtmann tätig war.[282] Auch er behauptete wie Kersting, zufällig vor Ort gewesen zu sein, befand er sich doch mit seinem Gärtner angeblich auf »Vegetationsreise«,[283] weshalb ihn Pater Witte später deutlich herablassend einen »Botaniker auf dem Gebiet der Rechtssprechung« nannte.[284] Aus heute zugänglichen Quellen wissen wir allerdings, dass er nicht wegen der

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Vegetation nach Atakpame reiste, sondern weil er Schmidt helfen wollte.[285] Rotberg war zwar im Unterschied zu Kersting Jurist und konnte als Kolonialbeamter Rechtsverfahren einleiten, doch sprechen seine alles andere als zufällige Reise nach Atakpame und sein eindeutig im Sinne Schmidts zu interpretierendes Agieren eine klare Sprache: Er nutzte das Recht, um Geo Schmidt vor Strafverfolgung zu schützen, und das nicht nur präventiv, sondern auch offensiv, wie sein weiteres Vorgehen in Atakpame zeigt. Am 23. Mai 1903, genau an dem Tag, als Pater Schmitz aus Lome zurückgekommen war, wo er seine Klage wegen Unzucht erhoben hatte, ließ Rotberg alle Missionsmitglieder verhaften. Die Festsetzung einer ganzen Missionsstation war einzigartig in der deutschen Kolonialgeschichte und auch durch keine noch so elaborierte juristische Rabulistik zu rechtfertigen. Sie rief deswegen in Deutschland blankes Entsetzen hervor – zumindest in katholischen Kreisen, die sich dadurch an die Verfolgungen katholischer Priester im Kulturkampf erinnert fühlten. Rotberg entließ die Missionare erst nach mehrmaliger Anweisung des Gouverneurs, und zwar nach über vier Wochen Arrest.[286] Offiziell wurde die Festsetzung damit begründet, dass die Missionare versuchen könnten, Zeugen zu beeinflussen oder sich gar dem Prozess durch Flucht zu entziehen. Dies war allerdings angesichts der eher minder wichtigen Streitsache ebenso wie aufgrund der geographischen Verhältnisse, die jeden Europäer auf der Flucht zwangsläufig nach Lome geführt hätten, wenig überzeugend. Damit nicht genug, ordnete Rotberg weiter an, dass die Auslieferung der gesamten Post an die katholische

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Mission gesperrt wurde. Selbst die Sendung mit Chinin, mit dem man sich damals gegen Malaria zu schützen versuchte, wurde nicht ausgeliefert.[287] Die konfiszierten Briefe wurden teilweise sogar geöffnet, und wenn sich darin Anhaltspunkte für weitere Klagen gegen die Mission fanden, wurden beglaubigte Abschriften angefertigt. Angesichts dieser Flut von Aktivitäten kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Rotberg sei eigens von Schmidt nach Atakpame gerufen worden, um ihm zu helfen. Der Dritte im Bunde schließlich war ein gewisser Wilhelm Lang. Der gebürtige Württemberger und Sohn eines Volksschullehrers hatte nicht studiert, sondern war, bevor er seine Tätigkeit als Bezirksamtssekretär in Lome aufgenommen hatte, einfacher Soldat gewesen. In genau dieser Funktion hatte er Rotberg nach Atakpame begleitet. Kaum in Atakpame angekommen, wechselte er allerdings seine Rolle.[288] Obwohl er weder eine juristische Ausbildung hatte noch befugt war, im Unzuchtsfall tätig zu werden, agierte er – nachdem Rotberg vom Gouverneur aufgrund seines allzu eigenmächtigen Verhaltens abberufen worden war – als Richter, wobei seine Handhabung des Rechts mehr als eigenwillig war. In einer ersten Vernehmung in der Beleidigungsklage gegen Müller noch am Morgen des 29. Mai war er als »Rechtsanwalt« tätig gewesen, was an sich schon überraschend ist, da er diesen Beruf ohne juristische Ausbildung selbst in den Kolonien nicht ausüben durfte. In der zweiten Vernehmung des Tages agierte er dann gar als »Staatsanwalt«.[289] Diese schnelle Beförderung in eines der höchsten Ämter, die das Kaiserreich im Rechtswesen zu vergeben hatte, ist bemerkenswert, zumal Lang nie eine Universität von innen gesehen hatte. Noch verwunderlicher ist,

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dass Rotberg seine Beförderung bereits in einem Brief Mitte Mai an den stellvertretenden Gouverneur als eventuelle Notwendigkeit ins Auge gefasst und prophylaktisch um eine Ernennung Langs zum Staatsanwalt gebeten hatte. Zu Langs fehlender Kompetenz kam schließlich hinzu, dass er in diesem Verfahren offensichtlich befangen war, denn er war bekennender Antikatholik, was jeder in Togo zu wissen schien. In einer Streitsache, in welche die Mission involviert war, war dieser Aspekt auch nach zeitgenössischer Rechtsauffassung nicht unproblematisch, zumal Lang öffentlich Missionsmitglieder als »Lumpenhunde« bezeichnete, die »ins Loch«, sprich ins Gefängnis, gehörten. [290]

Diese Inanspruchnahme richterlicher Funktionen durch drei nicht dazu befugte Personen und deren eigenwillige Handhabung von Rechtsnormen und Prozessordnungen bieten ein gutes Anschauungsbeispiel für den in den Kolonien herrschenden Rechtspluralismus. Verschärfend kam hinzu, dass es an institutionellen Möglichkeiten fehlte, die diesem bunten Rechtstreiben Einhalt hätten gebieten können. Gouverneur Horn, der hier hätte eingreifen können und müssen, befand sich auf Reisen. Erst nachdem der Präfekt Bücking über Berlin und durch Briefe an den Gouverneur massiv interveniert hatte, reagierte die Kolonialabteilung in Berlin so nachdrücklich, dass Horn Rotberg postwendend nach Lome zurückbeorderte. Darauf allerdings reagierte dieser nicht sofort, sondern erst nach mehrmaliger Intervention – auch das ein Beispiel für das Versagen der staatlichen Kontrolle des Rechtswesens und für die Eigenwilligkeit, ja Selbstherrlichkeit der Beamten.

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Schon damals brandmarkte man diese Verhältnisse als Willkürjustiz. Diese Willkürjustiz sah jedoch anders aus, als viele empörte Kolonialkritiker behaupteten, sie herrschte nämlich nicht nur ausnahmsweise, weil der eine oder andere Kolonialbeamte über die Stränge schlug, sondern sie war struktureller Natur. Und, nicht minder wichtig: Der Rechtspluralismus und die damit einhergehende Ungleichheit und Rechtsunsicherheit betrafen nicht nur die Verfahren zwischen lokaler Bevölkerung und Europäern, sondern auch Prozesse, in die ausschließlich Europäer verwickelt waren.[291]

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Formale Logiken oder: Warum der Fall Nyakuda/ Schmidt schließlich doch vor Gericht kam

»(…) the lawless law enacted to please those that exercise it. The law in the colony is for barbarians and it is an insult to the intelligence of the natives of the soil that they are put under it.« Native of Aneho, 1913[292]

Neben diesem beachtlichen Ausmaß an Rechtspluralismus, der jeder Form von Willkür Tür und Tor öffnete, gab es ein zweites, auf den ersten Blick gerade vor diesem Hintergrund überraschendes Kennzeichen des kolonialen Rechtssystems. Gemeint ist die Tatsache, dass viele Verfahren selbst im Togo des Jahres 1903 den Anschein von formaler Korrektheit erweckten, zumindest wenn man sie aufgrund der Aktenlage beurteilt. Die in den Verfahren offiziell tätigen Personen [293]

scheuten weder Kosten noch Mühen, in den Schriftstücken diesen Eindruck formaler Korrektheit zu erzeugen. Das mag auch daran gelegen haben, dass immer die Gefahr bestand, die Akten nach Berlin oder auch nur nach Lome schicken zu müssen. Dort wurde in Zweifelsfällen auf Grundlage der Akten darüber geurteilt, ob ein Verfahren rechtsstaatlichen Prinzipien gehorcht hatte oder nicht. Doch der in den Unterlagen erzeugte Eindruck von fast schon penibler Einhaltung formaler Regeln steht in einem scharfen Widerspruch zu der Tatsache, dass Recht auf vielfache Art und Weise gedreht und gewendet wurde. Es wird sich allzu häufig um eine Inszenierung gehandelt haben, was für den Fall aus

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Atakpame anhand der Quellen im Einzelnen nachvollziehbar ist. In den im Frühjahr 1903 von Kersting, Rotberg und Lang angestrengten Verfahren lässt sich die formale Korrektheit der juristischen Schriftlichkeit auf mindestens vier Ebenen beobachten, und das, obwohl die Verfahren selbst – dieses Wechselspiel von Klage und Gegenklage – inhaltlich mehr einer Farce, einem Spiel mit der Justiz glichen als einem rechtsförmigen juristischen Verfahren. Der erste Indikator für formale Korrektheit war, dass die Streitigkeiten überhaupt in Form von juristischen Klagen ausgetragen wurden. Man bemühte eben nicht das Faustrecht, von dem die Mission behauptete, dass es in den Kolonien gelte. Stattdessen hatte man sich für den Modus der juristischen Auseinandersetzung entschieden, und zwar gleich mehrmals: Es begann mit Schmidts Beleidigungsklage gegen Pater Müller. Auf die daraufhin von Freiherr von Rotberg eingeleiteten Ermittlungen folgte Ende April ein zweites Ermittlungsverfahren, nun gegen Schmidt, in dem Rotberg zu überprüfen hatte, ob ein Sittlichkeitsvergehen vorlag. Allerdings stellte Rotberg das Verfahren gegen Schmidt kaum zwei Tage später wieder ein, weil er angeblich nichts Belastendes hatte finden können.[294] Nun folgte ein drittes Verfahren, die Klage von Pater Schmitz gegen Schmidt Mitte Mai, in der dieser eines Verstoßes gegen die Paragraphen 174 und 176 des Strafgesetzbuchs, beides Unzuchtstatbestände, bezichtigt wurde, obschon gerade verkündet worden war, dass ihm nichts Unzüchtiges vorzuwerfen sei. Diese Klage wurde bewusst in Lome eingereicht statt in Atakpame, weil der Pater fürchtete, dort werde er, da sich Rotberg gerade als

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antikatholischer Richter hervortat, keine faire Verhandlung bekommen. Allerdings erhob Schmitz diese Klage – so heißt es in einem Schreiben der Mission – nicht vorrangig, weil er ein an einer einheimischen Frau verübtes Unrecht gesühnt wissen wollte. Er hoffte vielmehr, mit einem Schuldspruch Pater Müller vor einer Verurteilung wegen Beleidigung bewahren zu können.[295] Auch die vierte Klage verfolgte eher indirekt ihr Ziel: Geo Schmidt bezichtigte Pater Schmitz wie zuvor Pater Müller der Beleidigung und Verleumdung. Dieses Spiel von Klage und Gegenklage erregte zweifellos allein dadurch, dass staatliche Rechtsinstitutionen bemüht wurden, den Anschein von Legalität. Und doch war es nicht mehr als eine geschickte, dem Geist des modernen Rechtsstaats jedoch widersprechende Art der Rechtsnutzung. Denn die Klagen verfolgten nicht primär das Ziel, der Wahrheit eines Straftatbestands auf die Spur zu kommen, sondern es ging darum, den jeweiligen Gegner in Schach zu halten. Zwar war eine solche Gerichtsnutzung weder ungewöhnlich noch ausschließlich auf die Kolonien beschränkt, doch scheint sie dort außerordentlich verbreitet gewesen zu sein. Der schlichte Umstand des Einreichens einer Klage vor Gericht erweckte also bereits den Anschein einer rechtsstaatlich korrekten Praxis, doch musste dieser im weiteren Verlauf des Verfahrens möglichst aufrechterhalten werden. Daher wurden die im juristischen und administrativen Feld allgemein gültigen Regeln der Verschriftlichung auch in den Kolonien penibel eingehalten. Stets waren die Protokolle mit korrekten Kopfzeilen etwa des »Bezirksgerichts Atakpame« versehen. Immer unterschrieb ein

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Gerichtsschreiber, um die Rechtmäßigkeit des Protokolls zu beglaubigen. Auch gab es die Möglichkeit, sogenannte Erklärungen abzugeben. So gab zum Beispiel Geo Schmidt einmal zu Protokoll, dass er zweifellos »Adjaro einige Male geschlechtlich gebraucht habe«, daraus habe er auch »nie ein Hehl gemacht«. Aber er stelle die Behauptung auf, »dass es hier allgemein üblich ist, das Weib zu gebrauchen, sobald es geschlechtsreif ist, eine Gepflogenheit, welche ich sowohl in Indien wie in Togo, in meinem ganzen ca. 7 jährigen Aufenthalt in den Tropen überall angetroffen habe, ich habe aber die Adjaro erst seit meiner Rückkehr vom Heimaturlaub im Oktober v. Jhr. gebraucht und zwar erst nachdem sie mir solche Zeichen von Zutraulichkeit gegeben hatte, dass kein Zweifel an ihrem Einverständnis« bestand. Auch seine weiteren Ausführungen werden anscheinend wortwörtlich protokolliert und fein säuberlich zu den Akten genommen. Penibel wurden auch stets Namen, Alter, Konfession der Zeugen und Zeuginnen und Ort und Datum der Vernehmung markiert. Zudem ist die schiere Anzahl der Vernehmungen und der einzelnen Untersuchungsschritte bemerkenswert. Es wurde eine unendlich lange Reihe von Verhören durch Rotberg und später Lang durchgeführt. Außer Adjaro Nyakuda wurden ihre Mutter, die Schwester, die Brüder und der Familienälteste, schließlich auch Gummihändler und Nachbarn vernommen. Jedes Mal wurde das Protokoll unterzeichnet, bei Einheimischen meist durch Kreuze. Dass dabei vielleicht manche Aussage gar nicht protokolliert wurde, wie Pater Müller später behauptete, mag sein, stört aber für diejenigen, die nach der Aktenlage urteilen, nicht den Anschein von

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Legalität .[296] Im Gegenteil, die Aktenlage produzierte gerade durch Auslassung ein konsistentes und in sich überzeugendes Bild. Neben den Verhören wurden etliche Gutachten eingeholt – eine im Kaiserreich immer häufiger zu beobachtende Praxis, um mit wissenschaftlicher Autorität die Richtigkeit einer Aussage zu untermauern oder sie gerade in Zweifel zu ziehen. Im Unzuchtsfall Nyakuda/Schmidt wurde ein Gutachten beim Regierungsarzt Schilling eingeholt. Medizinische Experten erfreuten sich zwar einerseits vor den Gerichten des Kaiserreichs zweifellos höchster Beliebtheit, andererseits aber lag Schillings Expertise weniger in medizinischen Sexualfragen als vielmehr in der Erforschung von Maultieren und Rindern. Er war nämlich in Togo, um herauszufinden, ob die hiesigen Rinder »als Arbeitsvieh gut zu gebrauchen [seien], um Baumwolle besser ernten zu können«. Der Fakt, dass er im Unzuchtsfall nicht Rinder, sondern das Alter von Adjaro Nyakuda beurteilen sollte, scheint von nachrangiger Bedeutung gewesen zu sein. Sein Gutachten war entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob und wenn ja welchen Vergehens Schmidt sich schuldig gemacht hatte, weil es zu klären hatte, ob die Kautschukhändlerin zur Tatzeit minderjährig gewesen war. Schilling schätzte in seinem Gutachten, in dem er mit Nachdruck auch seine wissenschaftliche Expertise und Akribie hervorhob, das Alter auf 13 bis 14 Jahre, nicht ohne anzuführen, dass es »allgemein bekannt [ist,] dass in südlichen Ländern die Geschlechtsreife bei Mädchen früher eintritt. Die Inder Ostafrikas verheiraten ihre Töchter unter 12 Jahren.« Schließlich kam er zur »Besichtigung der äußeren Geschlechtsteile der Adjaro«, und

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dort konnten keine Spuren von Gewaltanwendung entdeckt werden. Am Ende gab der auf Tierexperimente mit Impfstoffen spezialisierte Schilling noch eine psychologische Einschätzung, die da lautete: »Das ganze Benehmen des Mädchens machte mir den Eindruck als sei sie sehr auf (…) [der] Hut, und als wisse sie die Bedeutung ihrer Worte und dessen was mit ihr vorgeht, ganz gut zu beurteilen.«[297] So wurde zwar in diesem Verfahren Expertenwissen, welches in Gutachterform gegossen worden war, herangezogen, wie es auch in Verfahren des Kaiserreichs als formal korrekt galt – doch der Experte war auf einem ganz anderen Gebiet qualifiziert. Die Mission – das nur am Rande – zeichnete sich in ihren keineswegs rechtmäßigen Vernehmungen übrigens durch das gleiche Bemühen um formale Korrektheit aus: Auch sie bediente sich der im administrativen und juristischen Bereich üblichen Schriftlichkeitsregularien und Autoritätsstrategien. So rühmte sich der Missionar Kost: »Wenn von Mitgliedern der Mission Anzeigen gegen Schmidt erstattet wurden, so wurden die Leute, auf Grund deren Aussagen sich die Anzeigen aufbauten, erst mehrfach vernommen und erst wenn die Aussagen stimmten, wurden die Anzeigen abgesandt.«[298] Dass solche Vernehmungen, ja regelrechten Einbestellungen von Zeugen und Zeuginnen allen rechtsstaatlichen Vorstellungen vom staatlichen Gewaltmonopol zuwiderliefen, wurde selbstredend nicht erwähnt. Auch die Fülle der Akten – diese ist bei der Mission ebenfalls beeindruckend – vermittelt den Eindruck von formal korrekter, ja teilweise geradezu akribischer Arbeitsamkeit, mit der hier nach Wahrheit gesucht wurde.

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Fasst man das bisher Gesagte zusammen, so zeigt sich, dass penibel geführte Protokolle, die überaus zahlreichen Vernehmungen und die Einholung von Gutachten ein Bild von formaler Korrektheit der Gerichtsverfahren erzeugten, obschon Kolonialbeamte wie Missionare ebenso offensichtlich wie eigenwillig diese juristischen Verfahren für ihre Zwecke nutzten. Wie passt dieses Bild von formaler Korrektheit zum oben beschriebenen Rechtspluralismus? Herrschte in den Kolonien eben doch mehr als Willkür? Tatsächlich stellt Willkür nur eine Facette des kolonialen Rechtswesens dar, die andere Facette ist die mehr oder minder virtuose Inszenierung von formaljuristischer Korrektheit. Diese war jedoch von hoher Bedeutung, da sie Autorität und Legitimität erzeugte. Zwar lässt sich einwenden, dass es nicht allein um diese Inszenierung ging: Es kann davon ausgegangen werden, dass die Kolonialbeamten sich ebenso wie die Missionare für rechtschaffene Vertreter des europäischen Rechts hielten. Anders lässt sich nicht erklären, dass beide Seiten immer wieder offenen Protest anmeldeten, wenn etwas wie »Kabinettsjustiz« aussah oder Fehler in Rechtsverfahren zu bemängeln waren.[299] Und doch diente diese Korrektheit vor allem dazu, gegenüber der Gesellschaft vor Ort – wozu Europäer genauso gehörten wie Afrikaner – Rechtshandeln mit der Autorität des als überlegen geltenden modernen Rechtsstaates zu versehen. Es war eine Form der Machtdemonstration, des Zelebrierens weißer Superiorität, denn das vermeintlich formal korrekte Vorgehen in Gerichtssachen verlieh dem Verfahren den Nimbus des neutralen Richtens und der unvoreingenommenen Suche nach Wahrheit. Und so war es alles in allem eben doch ein Theater,

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das inszeniert wurde, um neben Autorität auch Legitimität für diese Form des Rechts herzustellen. In manchen Fällen mag sich daraus eine überraschende Eigendynamik entwickelt haben, die am Ende zu weniger Willkür führte. Das lässt sich etwa in einer 1908 erhobenen Klage gegen Wilhelm Lang wegen Gewalttätigkeit im Amt beobachten, die insofern erfolgreich war, als Lang verurteilt wurde.[300] Zudem mögen sich hierdurch Optionen für die lokale Bevölkerung eröffnet haben.[301] Im Fall Schmidt/Nyakuda kam es immerhin zu öffentlichen Verhandlungen darüber, wer mit welcher Behauptung recht hatte. Die Wirkung einer solchen öffentlichen Verhandlung darf im kolonialen Kontext nicht unterschätzt werden, Schmidt zumindest befürchtete eine massive Infragestellung seiner Autorität durch solche öffentlichen Gerichtssitzungen. Erzeugte die formale Korrektheit also Autorität und Legitimität und zuweilen Optionen auf weniger Willkür, so beförderte sie die Wahrheitsfindung nur bedingt. Schmidt wurde trotz klarer Indizien von der Anklage wegen Unzucht freigesprochen, während seine Klage gegen die Patres Erfolg hatte: Im Prozess Ende 1903 gegen Schmidt kam man zu dem Ergebnis, die Beziehung zu der Kautschukhändlerin sei nicht gewalthaft herbeigeführt worden, und überdies sei Adjaro zu dem Zeitpunkt nicht mehr minderjährig gewesen. Es handele sich also nicht um Unzucht mit Minderjährigen, weshalb diese Behauptung des Paters Schmitz eine Beleidigung sei. Dabei hatten alle vernommenen Zeuginnen und Zeugen – mit Ausnahme von Julius Smend, zu der Zeit Bezirksleiter der Station Misahöhe und ein so enger persönlicher Freund von Schmidt, dass sie eine gemeinsame Italienreise unternommen

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hatten[302] – übereinstimmend ausgesagt, dass die sexuelle Beziehung zwischen Adjaro Nyakuda und Geo Schmidt nicht gewaltfrei gewesen sei. Zudem hatte Nyakuda eine eindeutige Aussage gemacht: Schmidt »legte mich [auf] das Bett. Ich schrie nicht. Schmidt machte die Thüre zu, währenddessen stand ich wieder vom Bett auf und wollte weglaufen. Schmidt legte mich wieder aufs Bett (…) und gebrauchte mich. Er legte sich auf mich, drückte mir mit seinen Knien die Füße auseinander und fasste meine beiden Hände (…) und führte sein Glied mit seiner Hand in meine Scheide. Ich hatte große Schmerzen und schrie. Als Herr Schmidt fertig war, blutete ich aus der Scheide.«[303] Trotz dieser Aussagen und obwohl es laut Zeugen »kein Mädel in Atakpame« gab, das »Schmidt nicht gebraucht«[304] hatte, blieb es bei diesem Freispruch. Daran hatten neben Europäern sicher auch Afrikaner und Afrikanerinnen ihren Anteil. Die Aussagen der Verwandten von Nyakuda veränderten sich im Laufe der Zeit immer wieder, je nachdem, wer die Vernehmung durchführte. Kassene etwa, der Familienälteste Adjaros, sagte einmal aus, er habe von der Vergewaltigung gehört – und er sei von der Mission beauftragt worden, genau das auszusagen.[305] Ein andermal behauptete er, Adjaro sei die Frau Schmidts, was ein gewisses Einverständnis voraussetzt.[306] Schließlich gab Kassene aber auch zu Protokoll, er sei nicht einverstanden gewesen, dass Schmidt Adjaro gebraucht habe.[307] Ageme wiederum, die Schwester Adjaros, bestätigte die Aussagen Adjaros und gab zu Protokoll, zu diesen Aussagen nicht von der Mission gezwungen worden zu sein.[308] In einem anderen Protokoll ist jedoch vermerkt, die Mission habe verlangt, dass Ageme und

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Adjaro nach ihrem Verhör auf der Station unbedingt sofort zur Mission kommen sollten, um zu erzählen, welche Fragen ihnen gestellt worden waren und was sie ausgesagt hatten.[309] Ob diese unterschiedlichen Aussagen Formen aktiver Rechtsnutzung waren, also strategisch eingesetzt wurden, oder Ausdruck von Hilflosigkeit beziehungsweise nackter Angst, ist schwer zu beurteilen.[310] Zweifellos aber war die offene und verdeckte Einschüchterung von Zeugen an der Tagesordnung und somit Gegenstand zahlreicher Erzählungen über den kolonialen Alltag. So beschrieb nur wenige Jahre nach dem Prozess ein Togolese im Gold Cost Leader eine typische Gerichtssitzung als reine Farce. Es sei vor deutschen Gerichten üblich, dass der – in der Regel afrikanische – Angeklagte immer dann, wenn er eine Aussage machte, die dem Vorsitzenden Richter missfiel, von einem Polizisten so lange geschlagen wurde, bis er die richtige Antwort gab.[311] Deutsche Beamte hingegen betonten immer wieder, dass die einheimische Bevölkerung vor Gericht mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Falschaussagen machte. Bedenkt man die zahlreichen Möglichkeiten willkürlichen Vorgehens und ungleicher Behandlung, die der beschriebene Rechtspluralismus und die mangelnde Kontrolle vonseiten Berlins eröffneten, ist der Ausgang des Verfahrens nicht verwunderlich. Ähnliche Verfahrensweisen lassen sich allenthalben in den Kolonien beobachten, sie sind keine Ausnahme, sondern die Regel. Rechtsgleichheit war dem Selbstverständnis des Kaiserreichs nach ein zentrales Kennzeichen des Rechtsstaats. Und doch war sie durch den Rechtspluralismus und eine nach rassistischen Kriterien unterschiedlich geregelte

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Rechtsordnung in den Kolonien strukturell außer Kraft gesetzt. Beides war dort von Juristen auf legalem Weg etabliert worden und führte zu einer systematischen Ungleichbehandlung von Europäern und Afrikanern – weil »der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetze gleich sind, (…) in den Schutzgebieten keine Geltung«[312] hat. Durch eine aufwendig inszenierte formale Korrektheit wurde zugleich der Anschein von Legalität und Legitimität erweckt.

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Mangelnde Kontrolle durch Öffentlichkeit

»Ich meine auch, gerade gegenüber den Beamten in der Kolonialverwaltung ist die parlamentarische Kritik noch nothwendiger als gegenüber den einheimischen Beamten. Denn dort besteht keine Presse, bestehen keine Vereine und Versammlungen, keine Vertretung der Bevölkerung, vor welcher die Beschwerden in die Oeffentlichkeit gebracht werden können.« Eugen Richter, 1894[313]

Das eigenwillige koloniale Rechtssystem, das rechtsstaatlichen Prinzipien im Kern widersprach, konnte nur deshalb funktionieren, weil es in den Kolonien an Instanzen fehlte, welche die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit hätten kontrollieren können. Staatliche Kontrolle des Rechtsgeschehens durch das Gouvernement oder das Außenministerium war nur schwer, teilweise gar nicht möglich. Das lag vor allem an einer Kolonialpolitik, bei der man versuchte, mit wenig Personal und finanziellen Mitteln auszukommen. Sie war daher gekennzeichnet durch fehlende Kommunikationsmittel, sehr schwere Erreichbarkeit einzelner Stationen, Gouverneure, die sich oft auf ausgedehnten Reisen befanden, und Bezirksleiter, die immer wieder wegen Heimaturlaubs oder ihrer lang andauernden Bereisung der eigenen Distrikte abwesend waren. Die Folge war, dass eine Kontrolle durch die Kolonialabteilung und später durch das Kolonialamt oder durch den Gouverneur vor Ort weitgehend unmöglich war – zu Recht hieß es deshalb auch, in deutschen Kolonien herrsche Bezirksleiterrecht. Die Beamten vor Ort

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besaßen umfassende Befugnisse und entzogen sich oft jeder Kontrolle. Entscheidender noch war aber das Fehlen einer zweiten Kontrollinstanz, deren Bedeutung für das Funktionieren des modernen Rechtswesens in zeitgenössischen juristischen Debatten immer wieder unterstrichen wurde. Die Rede ist von einer Öffentlichkeit, die – direkt vor Gericht anwesend oder indirekt über Medien hergestellt – die Aufgabe hatte, darüber zu wachen, dass vor Gericht alles mit rechten Dingen zuging. [314] Gewiss gab es in Togo sowohl Öffentlichkeit vor Gericht als auch andere Formen von Öffentlichkeit: Solche etwa, die durch Kolonialbeamte neu geschaffen worden waren, wie die sogenannten Palaver. Darunter verstand man in den Kolonien ein Forum, das öffentlich zusammentrat, um Konflikte zu thematisieren. Es wurde von Kolonialbeamten einberufen, die glaubten, sie würden mit solchen Palavern auf ältere einheimische Rechtstraditionen zurückgreifen und hätten damit eine Form gefunden, um friedfertige konsensuale Entscheidungen zu treffen, die zumindest dem Anschein nach einen bottom-up-Prozess darstellten. Und in der Tat konstituierten sich hier lokale Öffentlichkeiten, die von der lokalen Bevölkerung genutzt werden konnten.[315] Diese Palaver waren zugleich aber auch Inszenierungen von Herrschaft; sie boten die Möglichkeit, koloniale Herrschaft in alltäglichen Praktiken durchzusetzen und ein Monopol auf Streitbeilegung zu reklamieren. So verwundert es nicht, dass Geo Schmidt zwar ein solches Palaver nutzte, aber weniger, um einen Streit zu schlichten, als vielmehr, um die Bevölkerung über den zwischen ihm und der Mission schwelenden Streit auszufragen und gleichzeitig zu

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signalisieren, wer in Atakpame das Sagen hatte.[316] Das heißt, er nahm Beschwerden aus der Bevölkerung auf und demonstrierte gleichzeitig seine eigene Autorität. Beides tat er in offizieller Funktion als Vertreter der Kolonialmacht. Palaver waren also weniger Orte, an denen sich Öffentlichkeiten konstituierten, als vielmehr Inszenierungen von Macht und Versuche, Legitimität zu erlangen.[317] Neben der stark kontrollierten Öffentlichkeit des Palavers gab es Organisationsformen, die sich deutsche Kaufleute vor Ort erschaffen hatten – wie etwa die Vereinigung der Togokaufleute[318] – und die durch Stellungnahmen Öffentlichkeit herstellten. Auch Missionare schufen neue öffentliche Räume, indem sie neben Kirchen und Schulen auch Vereine gründeten – wie das etwa im Fall der Norddeutschen Mission zu beobachten war, die Mädchen- und Lehrervereine ins Leben rief. Aber auch hier dauerte es lange, bis diese Foren, wie im Fall des Lehrervereins zu beobachten, nach und nach der Kontrolle der Mission entglitten, worauf sie dann tatsächlich zu Organen lokaler Öffentlichkeit wurden. Selbstredend gab es außerdem Öffentlichkeiten der einheimischen Bevölkerung, etwa die Vereinigung der Kautschukhändler,[319] Versammlungen von Familienangehörigen oder Chiefs und Vereinigungen informeller Art, etwa der togolesischen Elite, die sich zuweilen in eigenen Eingaben an den deutschen Reichstag zu Wort meldeten. Doch diese Öffentlichkeiten konnten keine stringente Kontrollfunktion für das Rechtswesen übernehmen. Dafür hätte es Medien wie der im Kaiserreich entstandenen Zeitungen bedurft, die seitenlang ganze Passagen aus Urteilen,

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ja sogar weite Teile aus Gerichtsvernehmungen zitierten, um die Leserschaft nicht nur darüber in Kenntnis zu setzen, wie Recht verhandelt wurde, sondern dies auch zu kommentieren. Dabei wurde nicht immer im Sinne des Gesetzes argumentiert, im Gegenteil, viele Kommentare folgten einer sehr eigensinnigen Logik. Nicht selten erhob man Einspruch gegen Urteile, die juristisch betrachtet einwandfrei waren, aber dem eigenen Rechtsempfinden widersprachen. Zeitungen sympathisierten mit Verbrechern und solchen, die es sein wollten – erinnert sei an den Hauptmann von Köpenick. Trotzdem hatten diese Medien die Möglichkeit, das juristische Geschehen zu kommentieren, und stellten eine wichtige Stimme dar, die darüber urteilte, ob vor Gericht alles so ablief, wie man es für rechtens hielt.[320] Gerade solch eine eigensinnige Öffentlichkeit existierte in Togo nicht, und das war ein zentraler Grund, weshalb es in den Kolonien keine rechtsstaatlichen Verfahren gab.[321] Erst eine solche Öffentlichkeit hätte mahnend den Zeigefinger erheben können, wenn Verfahren wie im Frühjahr 1903 in Atakpame aus dem Ruder liefen. In Togo waren Zeitungen sogar verboten. Neben der 1911 von der katholischen Mission ins Leben gerufenen Publikation MIA HOLO gab es nur Blätter, die an der Goldküste publiziert und dann verbotenerweise über die Grenze gebracht wurden. Hier ist vor allem der englischsprachige Gold Coast Leader zu nennen, der kritischen afrikanischen Lesern die Spalten öffnete und doch immer nur eine kleine Schicht erreichte. Trotzdem war das Kolonialamt bald beunruhigt über diese Zeitung, da in den Artikeln auch über die Gepflogenheiten der deutschen Rechtsprechung berichtet wurde.[322] Zudem drohte sich

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spätestens seit 1913 auch die internationale Öffentlichkeit in Form der Kongo-Liga einzuschalten, sobald man irgendwo sogenannte Kolonialgräuel witterte.[323] Von anderen lokalen Öffentlichkeiten, die nicht durch die Kolonialmacht kontrolliert wurden, also potentiell hätten kritisch sein können, wissen wir wenig. Gewiss weist die Sorge der Kolonialregierung darüber, dass das »Lesebedürfnis der Eingeborenen« erheblich »gewachsen sei«,[324] auf solche Öffentlichkeiten ebenso hin wie die zunehmend kritischen Artikel aus dem Gold Coast Leader über die »atrocious administration«[325] in Togo. Auch zeigen die an den Reichstag gerichteten Petitionen von 1913 und 1914, auf die später einzugehen sein wird, dass Justiz ein zentrales Thema der lokalen Öffentlichkeiten war.[326] Und doch konnten diese Öffentlichkeiten zumindest im Atakpame von 1903 nicht die Macht entfalten, Kritik an Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien in wirkungsvolle Kontrolle der kolonialen Verwaltung und Gerichtsbarkeit zu verwandeln. Was es hingegen gab, waren Versuche insbesondere vonseiten der katholischen Mission, die nationale deutsche Öffentlichkeit zu erreichen, was ihr ja auch im Fall Atakpame gelang. Kolonialbeamten war ein solches Öffentlichmachen mittels Erlass verboten. Dort hieß es, dass es »den Beamten und Offizieren nicht gestattet ist, ohne Genehmigung Mitteilungen an die Presse gelangen zu lassen«.[327] Die katholische Mission hingegen stellte einerseits eine Öffentlichkeit her, mittels der sie – so ihre Deutung – helfen wollte, Missstände in den Kolonien auch in Bezug auf das Rechtssystem aufzudecken. Andererseits inszenierte sie sich selbst zu einer solchen öffentlichen Kontrollmacht, wie sie in

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Togo ansonsten fehlte. So schrieb Bücking: »Ich fürchte nicht das Gericht noch das Strafgesetzbuch, nur eines fürchte ich, die Verkehrung des Rechts und die Nichtanwendung des Strafgesetzbuches. (…) mein Vertrauen in die öffentliche Justiz hat in diesen Monaten mehr gelitten, denn je in meinem Leben.«[328] Selbst Sozialdemokraten erkannten die Rolle der Mission als Kontrollinstanz an, wenn sie etwa wie der Abgeordnete Ledebour öffentlich verlautbaren ließen, dass »die Missionare gerade in denjenigen Gebieten, wo eine europäisch geschulte Kritik der Öffentlichkeit sonst vollkommen fehlt, zweifellos bisher bewiesen haben, dass sie sich dieser Pflicht« stellen können.[329] Und auch die Kolonialmacht selbst wusste um diese öffentliche Macht, das zeigen die mehr als überstürzten Reaktionen im Frühjahr 1903, als Rotberg die Steyler Missionare nicht nur inhaftieren ließ und Hausdurchsuchungen anordnete, sondern auch die Beschlagnahmung der Post wie die Absperrung allen Postverkehrs mit und von der Mission befahl. Dies war nichts anderes als ein mehr oder minder verzweifelter Versuch, den Kontakt der Mission nach Steyl und damit auch zur Berliner Öffentlichkeit abzuschneiden.[330] Doch die durch die Mission hergestellte Öffentlichkeit war wie die übrigen lokalen Öffentlichkeiten nur von begrenzter Wirkung: Sie funktionierte ausschließlich über den langen Weg ins Kaiserreich und konnte dort nur sporadisch Wirkung entfalten. Als permanent kontrollierende Öffentlichkeit, die man vor Ort fürchten musste, taugte sie nicht. Vor allem aber handelte es sich um eine durch die Mission kontrollierte Öffentlichkeit, deren Interessen nicht unbedingt die der afrikanischen Bevölkerung waren. Eine vielstimmige, über

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Medien Druck aufbauende Öffentlichkeit, die die Macht gehabt hätte, die Rechtsbeugungen vor Ort anzuprangern, gab es in Togo nicht.

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Eigene Rechtslogiken oder: Warum Adjaro Nyakuda nie Klage einreichte

Der beschriebene Rechtspluralismus, das eigenwillige Agieren der Beamten und die mangelnde Kontrolle durch Öffentlichkeit erklären die überraschenden Urteile ebenso wie den Umstand, dass Adjaro Nyakuda nicht vor Gericht ging, nur zum Teil. Ein wichtiger Aspekt fehlt noch, nämlich die Rolle, welche die lokale Bevölkerung für die koloniale Rechtsordnung spielte. Zweifellos litt die Bevölkerung massiv unter diesem System, insbesondere unter dem nicht selten sehr brutalen Strafsystem und unter dem begrenzten Zugang zu Gerichten, besonders dann, wenn Afrikaner Europäer anklagen wollten.[331] Andererseits konnte das Rechtssystem, wie am Beispiel einer bereits 1902 eingereichten Petition noch zu zeigen sein wird, durchaus genutzt werden, da der Rechtspluralismus viele Optionen bot.[332] Auch die Strategie, unterschiedliche, häufig wechselnde Aussagen zu machen, mag zuweilen zum Erfolg geführt haben. Eine andere Möglichkeit, den Rechtsgang zu beeinflussen, war, sich die Macht der Dolmetscher zunutze zu machen. Sie waren wichtige Mittler, die nicht nur dieses oder jenes so oder so übersetzen konnten, sondern auch zuweilend selber Rechtsgeschäfte regelten.[333] Ebenso mochte eine gute Beziehung zum Chief die eigenen Anliegen befördern.[334] Schließlich war es auch möglich, sich durch Abwanderung oder Nichterscheinen vor Gericht dem Prozess einfach zu

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entziehen – eine gern gewählte Option, die ein Kennzeichen des kolonialen Rechtswesens vor Augen führt, das häufig vergessen wird: die begrenzte Relevanz, die koloniale Rechtsinstitutionen für Konfliktlösungen innerhalb der lokalen Bevölkerung hatten.[335] Die genannten Möglichkeiten eröffneten also Chancen für die lokale Bevölkerung, einen aktiven Umgang mit dem Rechtssystem zu finden. Das koloniale System musste keineswegs nur erlitten, sondern konnte teilweise mitgestaltet werden. Zweifellos hat auch Nyakuda mit ihrem Verhalten das Verfahren in ihrem Sinne beeinflusst. Wie sie das getan haben mag, darüber lässt sich freilich nur mutmaßen, da die kolonialen wie die missionarischen Archive hierzu weitgehend schweigen. Dieses Schweigen aber, das sich ebenso darin ausdrückt, dass Nyakuda keine Klage einreichte, kann auf eine Form des Mitgestaltens verweisen. Man kann diesen Umstand ausschließlich als Hinweis auf Angst und Ohnmacht auffassen und damit als Beleg dafür, dass Recht ein Mittel kolonialer Herrschaft war. Man kann dieses Schweigen aber auch als einen aktiv gefassten Entschluss verstehen, was den letzten Mosaikstein liefern würde, um diesen Unzuchtsfall und den eigenwilligen Umgang damit zu erklären. Denn wenn Adjaro sich aktiv entschlossen hätte, auf eine Anzeige zu verzichten und zu dem Vorfall zu schweigen, so wäre dies ein Hinweis auf einen im Grunde banalen Umstand, der freilich häufig übersehen wird: Die Rechtslogiken, ja das Rechtsgefühl, wie es sich im deutschen Strafgesetzbuch von 1871 materialisiert hatte und wie es in diesem Fall besonders tief von der Mission empfunden wurde, musste keineswegs mit dem der

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Bevölkerung von Atakpame übereinstimmen. Die Vorstellung eines universell gültigen Rechtsempfindens mag zeitgenössisch in Teilen der Juristenschaft und auch unter Ethnologen manche Anhänger gehabt haben, faktisch entbehrte sie jeder Plausibilität. Ohne damit den zeitgenössischen Konstrukten von einem »Eingeborenenrecht«, das tatsächlich erst in mühsamen wissenschaftlichen Großprojekten konstruiert werden musste, das Wort reden zu wollen, liegt es doch auf der Hand, dass Rechtsempfinden und Rechtsnormen erheblich differieren können. Das heißt, der sexuelle Übergriff kam vielleicht deshalb nicht zur Anklage, weil Nyakuda sich nach Abwägung der Vor- und Nachteile – die zweifellos auch in sehr ungleich verteilten Machtpositionen begründet lagen – dagegen entschied. Auch das ist eine Form der agency – die überdies verdeutlicht, dass die Mission keineswegs, wie sie immer wieder betonte, Sprachrohr der lokalen Bevölkerung, sondern allein Sprachrohr eigener Vorstellungen und Interessen war.[336] Es spricht einiges dafür, dass die afrikanische Bevölkerung das Engagement der Mission in Sachen Sexualität wenig schätzte, basierte es doch auf einer Abwertung polygamer Lebensformen und der Propagierung einer christlichen Ehe, zwei Aspekten, die lokalen Gewohnheiten widersprachen. Polygame Lebensformen müssen nämlich, anders als protestantische wie katholische Mission in ungewohntem Gleichklang Glauben machen wollten, keineswegs mit Leid und Unterdrückung der Frauen gleichgesetzt werden. Polygame Lebensformen können viele positive Optionen für Frauen bereithalten, das sah schon die englische Reisende Mary Gaunt so, als sie von der Berufstätigkeit

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westafrikanischer Frauen schwärmte. Aber auch jenseits des Monogamiepostulats war die von den Missionaren vertretene christliche Eheethik keineswegs etwas, das für alle Afrikanerinnen gleichermaßen attraktiv sein musste. Im Gegenteil: Gerade die christlichen Vorstellungen bezüglich geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung liefen der in Afrika für Frauen häufigen Praxis, ihren Lebensunterhalt durch außerhäusliche Tätigkeiten etwa als Marktfrauen zu verdienen, [337] diametral entgegen. Wenngleich es schwierig ist, verallgemeinernde Aussagen zur Situation der Frauen in Atakpame zu machen, zumal sie unterschiedlichen Ethnien angehörten, unterschiedlichen Alters waren und unterschiedliche soziale Positionen innehatten, kann davon ausgegangen werden, dass das christliche Geschlechtermodell von vielen Frauen und Männern in Atakpame keineswegs als erstrebenswert betrachtet wurde. [338] Zumindest für Frauen aus der ökonomischen und politischen Elite Togos, der Adjaro Nyakuda ja anscheinend angehörte, war diese von den Missionen vertretene Geschlechterordnung alles andere als attraktiv.[339] Es ist daher gut möglich, dass manches, was Pater Müller in Bezug auf das Verhältnis Adjaro Nyakuda/Geo Schmidt als besonders erniedrigend empfand, in Atakpame selbst als weniger gravierend empfunden wurde. In jedem Fall spricht vieles dafür, dass die Rolle als Sprachrohr der lokalen Bevölkerung, die sich die Mission anmaßte, bei vielen Männern und Frauen in Atakpame nicht den gewünschten Widerhall fand. Es handelte sich wohl eher um eine paternalistische Selbstermächtigungsstrategie, die mehr mit der kolonialen Situation als mit den Interessen der

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Bevölkerung zu tun hatte. Zumindest wurde die Deutung der Mission keineswegs zwangsläufig von allen Frauen geteilt. Nyakudas Verhalten kann aber auch anders gedeutet werden.[340] Es kann heißen, dass viele Afrikaner und Afrikanerinnen in Atakpame Geo Schmidts Verhalten sehr wohl als ehrkränkend empfanden, obwohl sie sich der Deutung der Mission in Sachen Monogamie nicht anschließen wollten. Das Gericht erschien ihnen eventuell auch aus ganz anderen Gründen nicht als Mittel der Wahl – vielleicht weil ihnen andere, informelle Wege, von denen wir leider nichts wissen, sinnvoller erschienen. Adjaro Nyakuda jedenfalls konnte von der Mission nicht überzeugt werden, weder konvertierte sie, noch schritt sie zur Anklage: Sei es, weil sie andere Momente männlicher kolonialer Herrschaft als gravierender empfand, sei es, weil ihr Weiblichkeitskonzept schlicht nicht mit der Deutung der Mission, sie sei ein armes hilfloses Mädchen, in Einklang zu bringen war. Sie sah sich wahrscheinlich keineswegs in einer Position beschränkter Handlungsfähigkeit.[341] Sie teilte vielleicht manche Aspekte der missionarischen Deutung, hatte jedoch gleichzeitig andere Interessen – etwa die des Gummihandels –, die ihr so wichtig waren, dass sie keine Beschwerde einlegte. Auch wenn afrikanische Frauen die sexuellen Übergriffe Schmidts nicht billigten, die Unzuchtsklage selbst und damit die Interpretation der Vorfälle durch Pater Müller hatten viel mit den missionarischen Konzepten von Geschlechterordnungen zu tun, die wiederum folgenreiche Implikationen hatten, welche in Atakpame alles andere als populär waren. Viele Indizien sprechen dafür, dass

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die junge Kautschukhändlerin nach Abwägung der Umstände gute Gründe hatte, keine Anzeige zu erstatten.

Blicken wir zurück auf das, was man sich in Berlin von Adjaro Nyakuda und Geo Schmidt erzählte, so wird zum einen deutlich, dass diese metropolitanen Geschichten nichts mit dem Geschehen in Atakpame zu tun hatten. Zum anderen verweist diese Geschichte nicht allein auf die inneren Widersprüche der kolonialen Geschlechterordnung. Sie gibt auch Einblick in die inneren Widersprüche der kolonialen Rechtsordnung: Einerseits pries das Kaiserreich seine rechtsstaatlichen Institutionen als vorbildlichen Bestandteil eines genuin modernen Staates, der allen anderen Staatsformen, welche auf einer niedrigeren Stufe der Zivilisation ständen, überlegen sei. Andererseits wurde genau diese Rechtsstaatlichkeit in den Kolonien mit Füßen getreten. Die Repräsentanten des Staates sprachen allen rechtsstaatlichen Überzeugungen hohn, während sie zugleich mit den formalen Mitteln des Rechts den Anschein von Legitimität erzeugten.

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4. Zwangsarbeit und die Macht der Petition »A view of politics focused either on what may be command performances of consent or open rebellion represents a far to narrow concept of life.« James C. Scott[342]

In Berlin wurde neben der Kautschukhändlerin Adjaro auch ein männlicher Vertreter der lokalen Bevölkerung namentlich erwähnt: der Chief Kukowina. Aber auch Kukowinas im Reichstag und in den deutschen Medien kolportierte Geschichte verschweigt mehr, als sie preisgibt. Betrachtet man sie aus der Nähe, so werden hier – ähnlich wie in den auf sexuelle Übergriffe reduzierten Erzählungen über Adjaro – ganz andere Themen und Probleme deutlich. Diese beziehen sich im Fall Kukowina weniger auf die Geschlechter- und Rechtsordnung und ihre inneren Widersprüche als auf die sogenannte Arbeiterfrage, wie sie zeitgenössisch genannt wurde. Dahinter verbarg sich ein komplexes und ebenfalls in sich widersprüchliches Geflecht unterschiedlicher Formen von Zwangsarbeit, zu der die afrikanische Bevölkerung in den Kolonien angehalten wurde. Einerseits war staatlich verordnete und kontrollierte Zwangsarbeit faktisch kolonialer Alltag, waren doch alle Afrikaner gezwungen, eine bestimmte Anzahl von Tagen pro Jahr für die Kolonialregierung zu arbeiten. Ohne die

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Arbeitsleistung der einheimischen Bevölkerung hätte keine noch so elementare koloniale Infrastruktur aufgebaut werden können – sie bildete ein koloniales Strukturelement.[343] Andererseits durfte es sie in den Augen der meisten Europäer gar nicht geben, war doch gerade die Befreiung von entwürdigenden Arbeits- und Lebensverhältnissen, wie sie Sklaverei und Zwangsarbeit zweifellos darstellten, vorgeblich einer der wichtigsten Gründe für den Erwerb kolonialer Gebiete gewesen.[344] Das zumindest war das in Berlin, London und Paris immer wieder bemühte Argument gewesen, um koloniale Eroberungen zu rechtfertigen. Wäre in Berlin offen thematisiert worden, dass es in deutschen Kolonien eine Form von Zwangsarbeit gab – und zwar vonseiten der Kolonialmacht angeordnet –, die Sklavenarbeit zum Verwechseln ähnlich sah, so wäre ein wichtiges Element in der Legitimierung kolonialer Herrschaft weggebrochen.[345] In der deutschen Öffentlichkeit wie auch auf internationaler Ebene, etwa im Brüsseler Internationalen Kolonialinstitut, wurde daher Zwangsarbeit kaum diskutiert,[346] während man Antisklaverei-Diskussionen zuhauf findet. Was aber hat Kukowina mit alldem zu tun? Ein genauer Blick in die Atkapamer Vorgänge erhellt die Hintergründe für Kukowinas Verhaftung und damit, warum er Gewaltopfer eines Kolonialbeamten wurde: Der Chief hatte sich nämlich dem Gouverneur gegenüber über die Zwangsarbeit, die jeder Togolese für die deutsche Kolonialherrschaft leisten musste, beschwert. Ja, Kukowina hatte eine regelrechte Petition an den Gouverneur in Lome geschickt, in der er offensiv Veränderungen in der Arbeitsorganisation forderte. Damit hatte er ein Thema öffentlich gemacht, dass aus deutscher

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Perspektive keinesfalls breit diskutiert werden sollte. Und in der Tat findet sich in der Berliner Presse kein Wort über diese Petition – wie überhaupt Kukowinas Anliegen nicht erwähnt werden.

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Zwangsarbeit in Atakpame: Der Protest Kukowinas und anderer

»›How do you keep your villages so neat?‹ I asked the Germans. ›If they are not neat we fine them.‹ ›But if they do not pay the fine?‹ ›Then we beat them.‹« Mary Gaunt, 1911[347]

Im August 1902 machte sich ebenjener Chief Kukowina nach Lome auf. Zwar war er kein getaufter Christ, doch da sein Sohn die Missionsschule besuchte, stand er in Kontakt zur Mission.[348] Dank der Vermittlung einflussreicher Persönlichkeiten wie Octaviano Olympio wurde er in Lome von Gouverneur Waldemar Horn empfangen. Kukowina überbrachte ihm eine Beschwerdeschrift, in der es vor allem um die Zwangsarbeit ging. Er monierte, seit Geo Schmidt Bezirksleiter sei, würden »einzelne Leute zu lange und ohne Rücksicht auf die eigene Farmarbeit« zur Zwangsarbeit herangezogen; dies geschehe ohne Vorankündigung, und die Strafen für ein Nichterscheinen seien unverhältnismäßig. Solche Vorfälle waren keineswegs ungewöhnlich, Auseinandersetzungen über Zwangsarbeit waren vielmehr an der Tagesordnung. [349] So hatte schon im Februar 1902 eine Gruppe um den Händler Bernardo d’Almeida, den Übersetzer Wilhelm Mensah, den ehemaligen Lehrer Aloysius Johnsohn und einige, wie es heißt, »Dorfbewohner« von Atakpame[350] einen Brief verfasst, in dem sie sich über Schmidts Amtsführung beschwerte und bat, den früheren Stationsleiter Döring wiedereinzusetzen. Der Brief wurde angeblich nicht an

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Gouverneur Horn abgeschickt, weil nicht alle Dorfbewohner unterschreiben wollten. Der Brief ist daher nicht überliefert, aber eine Reihe von Aussagen legt die Vermutung nahe, dass es auch hier unter anderem um Beschwerden bezüglich der Zwangsarbeit ging.[351] Diese Vorfälle und zahlreiche andere Berichte über Arbeitsverweigerungen belegen ebenso wie die Prominenz, die dieses Thema noch Jahre später in afrikanischen Zeitungen wie dem Gold Coast Leader hatte, dass Zwangsarbeit für die lokale Bevölkerung von zentraler Bedeutung war.[352] Bei diesem Thema meldete sie sich – anders als im Fall Adjaro Nyakuda – laut und deutlich zu Wort. Man machte sich die Mühe, schriftlich Forderungen zu formulieren, unternahm eine lange und beschwerliche Reise an die Küste und suchte freiwillig den Kontakt zur deutschen Kolonialherrschaft. Weder im Fall sexueller Übergriffe noch in Bezug auf die eigenwillige Rechtspraxis der Kolonialbehörden sind vergleichbare Initiativen vonseiten der Bevölkerung überliefert. Auch die sehr harsche Reaktion Geo Schmidts zeigt, dass Zwangsarbeit ein brisantes Thema war. Kukowina selbst, um den es hier vor allem geht, wird in den ausschließlich von der Kolonialabteilung und der Steyler Mission überlieferten Quellen mal als »Häuptling«, mal als »Atakpame-Prinz« bezeichnet.[353] Viel mehr erfahren wir über ihn nicht, es ist aber davon auszugehen, dass er der zukünftige Chief von Atakpame werden sollte. Kukowina war folglich ein Mann von einigem politischen Einfluss auch jenseits von Atakpame. In der Region hatte die Organisation nach Häuptlingstümern eine gewisse Tradition, daher basierte koloniale Herrschaft auf der Delegation von kolonialer Macht an lokale Chiefs, die bestimmte Aufgaben übernahmen, wie

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zum Beispiel die Bereitstellung von Zwangsarbeitern.[354] Als ein solcher Chief hatte Kukowina also zumindest informell politische, administrative und auch judikative Gewalt über eine gewisse Anzahl von Familien. Überdies waren Chiefs in der Kolonialzeit wichtige Kommunikatoren zwischen Stationsleitung und Bevölkerung.[355] Genau das scheint auch Schmidt erkannt zu haben, da er gleich zu Beginn seiner Übernahme der Station, also 1900, versucht hatte, Kukowina für sich und die deutsche Kolonialpolitik zu gewinnen. Er hoffte, dadurch »leichter Verständnis bei den Eingeborenen zu finden und sie davon zu überzeugen, dass manche unter ihnen zuerst nicht recht einleuchtende Maßregel auch in ihrem Interesse getroffen wird« – so die Aussage des Bezirksleiters. Kukowina aber hatte abgelehnt.[356] Nicht zuletzt diese Ablehnung zeigt, dass ein Chief in Atakpame keineswegs vollkommen machtlos der Kolonialregierung ausgeliefert war, verfügte er doch als »Großmann« beziehungsweise »Häuptling« – so die Bezeichnung in deutschen Gerichtsprotokollen[357] – über Rückhalt in der Bevölkerung. Er gehörte überdies zur politischen Führungsschicht des Landes. So verfügten Chiefs über wichtige Informationen, Beziehungen und materielle Ressourcen, die der Kolonialmacht auf immer verschlossen bleiben würden. In Atakpame war die deutsche Kolonialherrschaft besonders stark auf diese Mittler angewiesen, da diese Regierungsstation erst kurz vor der Jahrhundertwende errichtet worden war und man also kaum Kenntnisse von der Region hatte. Noch weniger wusste man über die gesellschaftlichen Strukturen, religiösen Rahmenbedingungen und Ökonomien. Selbst die Missionare

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hatten sich lange schwergetan, hier Fuß zu fassen. Noch im Jahr 1886 soll ein katholischer Missionar in Atakpame vergiftet worden sein, und offizielle Missionsstationen wurden hier von der Norddeutschen Mission wie von den Steyler Missionaren erst nach der Jahrhundertwende eröffnet.[358] Wie gesagt oblag es den Chiefs, also auch Kukowina, die von den Kolonialbeamten für die Zwangsarbeit angeforderte Anzahl von Männern zusammenzurufen und die Durchführung der Arbeiten eventuell mit Hilfe von Polizisten und Soldaten zu überwachen. Nicht selten scheinen Chiefs genauso wie die Bezirksleiter die Männer, die zur Arbeit herangezogen wurden, nach eigenen Vorlieben und Interessen ausgewählt zu haben. Darüber zumindest beklagten sich die Bewohner eines Dorfes unweit von Atakpame, als sie im Sommer 1903 zu Pflanzarbeiten herangezogen werden sollten, was sie mit dem Argument verweigerten, dass die Söhne des Chiefs immer außen vor blieben.[359] Gehörte Kukowina also der politischen Elite des Landes an, so waren auch die anderen an dieser und ähnlichen Petitionen direkt oder indirekt beteiligten Männer einflussreiche Persönlichkeiten. Octaviano Olympio, an den sich Kukowina in Lome mit der Bitte um Vermittlung gewandt hatte, war so bekannt, dass sogar Hermann Roeren ihn im Reichstag 1905 namentlich erwähnte. Er nannte ihn den Stadtältesten von Lome, den »angesehensten und einflussreichsten Eingeborenen in Lome«.[360] Und in der Tat gehörte Olympio zur politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes, zur afrobrasilianischen Oberschicht. Ihre Mitglieder sprachen neben afrikanischen auch verschiedene europäische Sprachen, waren in der Regel getaufte Katholiken und legten Wert auf

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Bildung. Viele europäische Zeitgenossen nannten sie einfach Portugiesen, weil sie nach der Sklavenbefreiung in Brasilien im Laufe des 19. Jahrhunderts aus der ehemaligen portugiesischen Kolonie reimmigriert waren, Portugiesisch sprachen und manche Eigenheiten mitbrachten, die dem portugiesischen Kolonialismus entstammten, so etwa einen bestimmten Baustil. Nicht selten übernahmen sie deswegen auch die Position der Vermittler zwischen lokaler Bevölkerung und Europäern. Genau diese Rolle hatte Olympio – der im Übrigen auch im Fall Adjaro Nyakuda eine Rolle spielte – in Bezug auf Kukowinas Beschwerde übernommen, denn er war es, der Kukowina Zutritt bei Gouverneur Horn verschaffte.[361] Olympio war ein wichtiger Plantagenbesitzer und nicht nur politisch, sondern auch religiös einflussreich, war er doch eng mit der katholischen Mission vernetzt. Er war in einer katholischen Missionsschule erzogen und später über Nigeria nach London geschickt worden, um eine kaufmännische Ausbildung zu erhalten. Er sprach neben Englisch, Französisch und Portugiesisch auch Ewe, Haussa und Yoruba. Die englische Reisende Mary Gaunt beschrieb Olympio als das, was Europäer zeitgenössisch einen »gebildeten Neger« (»educated negro«) nannten, und als einen extrem gutaussehenden Mann, der allerbeste Manieren hatte. Ja, sie war so beeindruckt von ihm, dass sie das Gefühl hatte, »wenn ich ihn betrachtete, als habe die afrikanische Rasse Potentiale«.[362] Olympio arbeitete zunächst für das englische Handelshaus Swanzy und hatte dann ab den späten 1880er Jahren eigene Unternehmungen in Lome, wo er direkt in unmittelbarer Nähe zu den Handelshäusern der Europäer sein Unternehmen aufbaute. Er trieb Handel mit den Haussa in

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Salaga, so dass er stark daran interessiert war, dass die Routen in den Norden Togos ausgebaut wurden, und er besaß Kokosnussplantagen unweit von Lome. Er gehörte zu den reichsten Männern Togos und scheint trotz der schwierigen ökonomischen Bedingungen, die in der deutschen Kolonie herrschten, erheblich expandiert zu haben. Er war auch derjenige, der in den 1910er Jahren weitere Petitionen an den Gouverneur schickte, in denen es stets um Steuerarbeit ging, zum Teil gekoppelt mit Justizfragen.[363] Mindestens ein weiterer Vertreter dieser afrobrasilianischen Elite spielte im Fall Kukowina eine Rolle: Bernardo d’Almeida, der zu dem Zeitpunkt ungefähr 40 Jahre alt war und die erste, nicht abgeschickte Atakpamer Petition verfasst hatte. Er war Kaufmann mit Hauptsitz in Atakpame und beschäftigte zwei Angestellte und vier Arbeiter. Bereits 1903 war er dabei ein zweites Ladengeschäft errichten zu lassen; er war also keineswegs mittellos.[364] Von Geo Schmidt wurde er leicht abschätzig als »gebildeter Eingeborener« bezeichnet,[365] was darauf hindeutet, dass er Lesen und Schreiben konnte und vielleicht sogar im Ausland ausgebildet worden war. Auch verfügte er über einflussreiche wirtschaftliche und politische Netzwerke und war eng mit der katholischen Mission verbunden. Zu Beginn der katholischen Missionsstation in Atakpame wurde er auf der zum Stationsgelände gehörenden »Arnoldhöhe« einquartiert.[366] Er entstammte einer der bedeutendsten Händlerfamilien der Region, die bereits in den 1840er Jahren an die afrikanische Westküste gekommen war. [367] Er war – wie es in den Quellen heißt – »Gummihändler«, das heißt, er handelte mit Kautschuk, dem Produkt, das wirtschaftlich die mit Abstand größte Bedeutung hatte.[368]

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Almeida beziehungsweise die »Almeida Brothers« waren aber nicht nur im Kautschukhandel aktiv, ihnen gehörten Kokospalmen-, Kaffee- und Kakaoplantagen, und sie waren im Export-Import-Handel tätig, der sie auch mit den englischen und französischen Nachbarkolonien und mit europäischen Ländern verband. Sie gehörten also zur Handelselite ihres Landes und konkurrierten mit deutschen Handelsfirmen, die sich seit etwa 1900 verstärkt in Togo engagierten.[369] Die Almeidas waren schon mehrmals mit der Kolonialverwaltung aneinandergeraten und hatten teilweise harte Gefängnisstrafen hinnehmen müssen.[370]

Abb. 4

Straße in Lome, auf der links die Faktorei Risch & Funk zu

sehen ist

Da Bernardo d’Almeida mit der Familie von Adjaro Nyakuda, die als »Gummihändlerin« ihr Geld verdiente, bekannt war, verwundert es auch nicht, dass der Schwager Adjaros, Wilhelm Mensah, ebenfalls im Zusammenhang mit der ersten Atakpamer Petition genannt wird. Er soll sie mitverfasst

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oder – so andere Aussagen – zumindest übersetzt haben. Er war ein Verwandter des Königs Mensah III., welcher seinerseits nicht nur politische Herrschaftsfunktionen innehatte, sondern auch zur wirtschaftlichen Elite des Landes gehörte, da er mehrere Kokospalmenplantagen besaß.[371] Wilhelm Mensah hatte zudem eine besonders exponierte Position, weil er beim Gouvernement in Lome als Übersetzer tätig und in dieser Funktion an vielen Untersuchungen im Fall Schmidt beteiligt war.[372] Er war also derjenige, der an der Spitze der Kolonialverwaltung für die Vermittlung und Übersetzung zuständig war, und hatte damit eine der wichtigsten Machtpositionen des Landes inne. Dass er ein engmaschiges Informationsnetz aufgebaut hatte, lag nicht nur daran, dass er diese Position zum Zeitpunkt der Anklage bereits seit über zehn Jahren ausfüllte und daher früher als viele andere wichtige Informationen aus Deutschland und anderen Teilen der Kolonie erhielt, sondern auch daran, dass er so privilegierte Kommunikationsmittel wie das Telefon nutzen konnte. Kolonialbeamte klagten, er nutze das Telefon für eigene Zwecke, er empfange vor Gerichtsverhandlungen die Parteien und es mangele ihm an »Genauigkeit als Dolmetscher«, kurzum, er nutze seine Stellung aus.[373]

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Abb. 5

Unterschrift durch Hans Gruner: »Haus des Bernardo

d’Almeida am Marktplatz in Atakpame«

Zu Mensahs Kontaktpersonen gehörte Aloysius Johnson, ein weiterer Mitverfasser der nicht abgeschickten Petition und ehemaliger katholischer Missionslehrer, der in Deutschland ausgebildet worden war. Auch er entstammte einer reichen und angesehenen Familie aus Aneho, die an weiteren Petitionen der 1910er Jahre beteiligt war. Johnson schrieb und sprach Englisch und Deutsch, was bedeutete, dass er über weitläufige Kontakte mindestens bis an die englische Goldküste verfügte und als getaufter Christ, der des Lesens und Schreibens mächtig war, eine wichtige Funktion als Vermittler erfüllte.[374] Solche intermediaries[375] hatten eine zentrale Machtposition inne, da ihre Aufgabe des Übersetzens eben nicht nur die Sprache umfasste, sondern auch die Bedeutungszusammenhänge lokalen Wissens. Ohne diese Übersetzungsleistungen wären die Europäer hilflos gewesen, denn sie kannten weder das Gelände, wussten also nicht, wo welche Flüsse oder Berge wie zu überqueren waren, noch die

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kulturellen Gegebenheiten, konnten also nicht beurteilen, welche Bedeutung bestimmte religiöse Praktiken hatten. Damit verfügten intermediaries über eine besondere Autorität, die sie auch gegenüber der lokalen Bevölkerung nutzen konnten, da sie gleichzeitig an zwei Netzwerken teilhatten. Die Urheber der Petitionen gegen Zwangsarbeit, Kukowina wie Almeida und seine Unterstützer, gehörten somit zur lokalen politischen Elite und bildeten gleichzeitig die wirtschaftliche und intellektuelle Führungsschicht nicht nur in Atakpame, sondern im gesamten südlichen Togo. Wahrscheinlich lag es an ihrer auf traditioneller Autorität, Geld, Bildung und politischer Macht basierenden exponierten Stellung, dass sich diese Männer als Sprachrohr breiterer lokaler Interessen begriffen. So nahm Kukowina für sich in Anspruch, für seine »Atakpameleute« zu sprechen. Selbiges wollte auch Almeida, was ihm freilich nicht gelang, da die Dorfbewohner diese Stellvertreterposition ablehnten. Es muss letztlich unklar bleiben, ob Kukowina und Almeida in erster Linie die Anliegen breiterer Bevölkerungsgruppen artikulierten[376] oder – wie es ihnen vorgeworfen wurde – vor allem eigene ökonomische und politische Interessen vertraten. Zumindest am Rande muss vermerkt werden, dass diese Elite etwa ab 1900 aufgrund der aggressiven Wirtschaftspolitik der deutschen Kaufleute zusehends mit dem Rücken zur Wand stand.[377] Wie auch immer das zu gewichten ist, die Häufigkeit der Proteste, die Prominenz der Wortführer wie auch die Reaktion der Kolonialverwaltung machen deutlich, dass die Zwangsarbeit ein grundlegendes Problem darstellte. Das hatte 1903 auch die Kolonialabteilung verstanden, die »angesichts der von verschiedenen Seiten erhobenen Beschwerden«[378]

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nun zu überlegen begann, wie man eine einheitliche neue Regelung der Zwangsarbeit treffen könne.

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Zwangsarbeit ist keine Steuerarbeit

»If any other Government were to keep hundreds of people working without pay (…) questions would be asked in Parliaments and Secretaries of States for the Colonies will have very hot time but it seems special license is given to German Governments to do what it pleases with the poor natives.« Native of Aneho, 1913[379]

Zwangsarbeit, auch Muskelsteuer beziehungsweise offiziell »Steuerarbeit« genannt, gab es in fast allen Kolonien in der einen oder anderen Form.[380] In Togo leistete die lokale Bevölkerung für das Gouvernement beziehungsweise für die Distriktleiter Arbeit als Äquivalent für eine Steuer, die zunächst nicht in Geld erhoben werden konnte, da die Geldwirtschaft erst etabliert werden musste. Theoretisch musste jeder einheimische Mann eine bestimmte Anzahl von Tagen im Jahr körperliche Arbeit ableisten, wobei es in der Regel um Arbeiten ging, die dem Aufbau der staatlichen Infrastruktur dienten. Da Berlin nicht bereit war, Kapital in die Kolonien zu transferieren, um eine Infrastruktur aufzubauen, war man auf die Zwangsarbeit angewiesen. Ohne sie wären selbst rudimentäre Formen der kolonialen Durchdringung des Raumes unmöglich gewesen. Erst die von der lokalen Bevölkerung gebauten Straßen, die europäischen Verkehrsansprüchen genügten und mit Rastplätzen versehen waren, auf denen auch Europäer geschützt übernachten konnten, erlaubten es, Räume so eng miteinander zu vernetzen, dass eine gewisse Präsenz kolonialer Staatlichkeit hergestellt werden konnte. Nur die in Zwangsarbeit errichteten

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Telegraphenlinien konnten die Kommunikation zwischen der Küste und dem sogenannten Hinterland so weit garantieren, dass man den Vorsprung der lokalen Bevölkerung, die dank ihrer weit zahlreicheren und dichteren Netze in der Regel schneller Informationen aus Lome und den Nachbarkolonien erhielt als die Kolonialherrn, zumindest ein wenig kompensieren konnte. Aber auch viel elementarere Einrichtungen wären ohne Zwangsarbeit nicht möglich gewesen: Wer hätte die »Doecker’sche Tropenbaracke«,[381] die Ende des 19. Jahrhunderts von Berlin nach Togo geliefert wurde und zur kolonialen Grundausstattung gehörte, als es in Atakpame noch kein Stationshaus gab, dort aufbauen sollen? Wer hätte die später von den Atakpamer Missionaren in den höchsten Tönen gelobte sieben Meter breite Heerstraße zwischen Atakpame und Lome bauen sollen? Und wer außer den »Eingeborenen« sollte die Wagen, die nicht selten ein Ladegewicht von über 1000 Kilogramm hatten, auf diesen Straßen ziehen?[382] Neben dem Aufbau und der Instandhaltung der Infrastruktur war die Zwangsarbeit zudem aus unmittelbaren ökonomischen Gründen unerlässlich. Zwangsarbeiter wurden herangezogen, um die Pflanzungen und vor allem die sogenannten Versuchsgärten, die unweit der Stationen angelegt wurden, zu errichten und kontinuierlich zu beackern. Diese Gärten dienten nicht nur Forschungszwecken, sondern auch dem Unterhalt der Station. Wichtiger noch waren Zwangsarbeiter für großangelegte, von der deutschen Regierung massiv geförderte Investitionen in den Aufbau der kolonialen Ökonomie. Mit ihr sollten – wie etwa beim sogenannten Baumwollprojekt, das in Togo mit der

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Jahrhundertwende begonnen wurde – zentrale Bedürfnisse der Metropole befriedigt werden. Hier brauchte es Hunderte, ja Tausende von Zwangsarbeitern, um Baumwollfelder zu roden, Straßen anzulegen, damit man überhaupt zu diesen Feldern gelangen konnte, sogenannte Ginanlagen zur Weiterverarbeitung aufzubauen und schließlich die Baumwolle zu ernten und an die Küste zu transportieren. Insbesondere Geo Schmidt engagierte sich stark in diesem Baumwollprojekt und wurde nicht müde, seine Leistungen zu rühmen, wenn es etwa darum ging, »kräftige Leute auszusuchen«, um Baumwollfelder anzulegen.[383] Diese Leute waren nichts anderes als Zwangsarbeiter, und ohne sie hätte kein einziges der überaus zahlreichen, von einflussreichen Wirtschaftskreisen unterstützten Kolonialprojekte gestartet werden können – das gilt für alle deutschen Kolonien.[384] Zwangsarbeit erfüllte, was die Finanzierung staatlicher und ökonomischer Infrastruktur betrifft, also eine ähnliche Funktion wie Steuern. Dennoch unterschied sich diese Form der Arbeit in wesentlichen Punkten grundlegend von dem, was man in Europa seit der Französischen Revolution als Steuer kannte: Weder war sie einheitlich noch bestand eine regelmäßige und im Voraus festgelegte zwingende Pflicht, die je nach Einkommen für alle Bürger und Bürgerinnen eines Staates[385] gleichermaßen galt. Im Gegenteil, die Zwangsarbeit war keine elementare Institution eines modernen bürgerlichen Staates, der sich den Gleichheitsprinzipien verpflichtet fühlt, sondern ein Mittel, um Ungleichheit zu zementieren, und ein Hort der Willkür. Letzteres war einer der Beschwerdepunkte Kukowinas, als er sich beklagte, Schmidt ziehe zum einen übermäßig häufig und zum anderen ohne vorherige

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Ankündigung Einheimische zur Steuerarbeit heran: »Früher seien die eingeborenen Leute nur immer auf drei Tage zur Steuerarbeit herangezogen worden, dann hätten sie Ruhe für ihre Farmarbeit gehabt. Jetzt würde zu viel von ihnen verlangt«,[386] sie müssten »ununterbrochen arbeiten, ohne freie Tage dazwischen zu bekommen«.[387] Es fehlte sogar lange eine einschlägige Verordnung, in der die Anzahl der Tage überhaupt festgelegt war.[388] Umfang und Art der Arbeit wurden von den jeweiligen Bezirksleitern bestimmt und konnten de jure, bis es 1907 in Togo zumindest auf dem Papier zu einer einheitlichen Regelung kam, je nach Bezirk erheblich variieren. Doch auch nach der Neuregelung blieb das Ausmaß der eingeforderten Arbeit in der Praxis sehr unterschiedlich. Eine präzise Festlegung war schon allein deshalb schwer, weil kein Distriktleiter wusste, wie viele Männer in seinem Bezirk lebten, die er hätte heranziehen können. Es war also immer wieder eine Frage des Zufalls beziehungsweise der Auswahl durch die Chiefs, wer zur Zwangsarbeit abkommandiert wurde und wer nicht. Es fehlte jeder Überblick darüber, wie viele rekrutierbare Männer überhaupt in einem Dorf lebten. Darüber können auch die von Geo Schmidt akribisch geführten Steuerlisten nicht hinwegtäuschen, die den Anschein erwecken sollten, man habe über präzise Angaben zur Einwohnerzahl einzelner Bezirke verfügt.[389] Zumal Schmidt schließlich zugeben musste, dass es manche Ortschaften gab, die »sich an der Steuerarbeit wenig oder gar nicht beteiligt«[390] hatten. Auch war es – wie schon in Zusammenhang mit Gerichtsverfahren erwähnt – Usus, sich der Zwangsarbeit durch Fernbleiben und Abwanderung zu entziehen.[391]

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Die Steuerarbeit war zudem deshalb uneinheitlich und ohne für die Bevölkerung transparente Planung geregelt und verteilt, weil so vielfältige und kaum miteinander zu vergleichende Arbeiten anfielen. Mal ging es darum, Wege auszubauen, dann wieder waren Brücken zu befestigen oder Raststätten zu errichten. Im Bezirk Atakpame mussten seit Geo Schmidts Amtsantritt häufig auch neue Baumwollversuchsplantagen angelegt und die dafür nötigen Rodungen oder Pflugarbeiten durchgeführt werden. Es kam auch vor, dass – wie im Fall des Gouverneurs Horn im Frühjahr 1903 – Lasten für Beamte der Kolonialregierung getragen werden mussten, die durch die Bezirke reisten. Kurz, alle auf schwerer körperlicher Arbeit basierenden Maßnahmen, die zur Etablierung kolonialer Herrschaft unerlässlich waren, wurden häufig in Form von Zwangsarbeit geleistet. Zwangsarbeit – so lässt sich zusammenfassen – war letztlich das genaue Gegenteil der modernen Steuer, die explizit als Mittel verstanden wurde, um alle Einwohner und Einwohnerinnen eines Landes je nach ihrer Leistungsfähigkeit gleichermaßen zur Finanzierung staatlicher Aufgaben heranzuziehen. Sie war vielmehr eine »Strategie der Unterwerfung«,[392] das vielleicht wichtigste Mittel überhaupt, um koloniale Herrschaft auszuüben und damit Ungleichheit herzustellen. Sie ging überdies sehr häufig mit brutaler Gewalt einher. Missionare sprachen in dem Zusammenhang gern auch von Fronarbeit. Andere, wie der Kaufmann Vietor, warnten vor »übermäßigen Anforderungen« von Zwangsarbeit – was auch immer sie darunter verstanden.[393] Zwangsarbeit verlieh überdies den Stationsleitern eine erhebliche Macht. Beamte

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wie Geo Schmidt konnten eigenmächtig entscheiden, wann sie welche Männer zu welchen Zwangsarbeiten rekrutierten, was ihnen einen erheblichen Spielraum für Strafaktionen verschaffte. Nicht zuletzt war die mögliche Anforderung von Zwangsarbeitern ein Druckmittel gegenüber den Chiefs.[394] Es gab also gute Gründe dafür, dass Kukowina und weite Teile der lokalen Bevölkerung sich gegen Zwangsarbeit auflehnten: Nicht nur weil sie ungleich verteilt und deshalb als ungerecht wahrgenommen wurde, sondern auch weil deren Ergebnisse nicht allen zugutekamen. Im Unterschied zu der üblichen Mithilfe beim Bau von Missionsschulen, die keineswegs immer entlohnt wurde, scheinen Maßnahmen wie »Bepflanzung der Straße«, »Reinigen des neuen Pflanzplatzes«, »Gartenarbeit«, »Aufschütten der Straße« und das »Ausbessern des Daches auf dem Stationshaus« – allesamt Arbeiten, die in den Steuerlisten von Atakpame aus dem Jahre 1903 enthalten sind[395] – nicht als Arbeiten verstanden worden zu sein, die dem Aufbau einer Infrastruktur dienten, von der man selbst profitierte. Dass schließlich die Togoer, wie die Kolonialbehörde nicht müde wurde zu betonen, »für unbezahlte Arbeit wenig Neigung und Verständnis« zeigten, war nicht nur für die zeitgenössischen Missionare nachvollziehbar. So heißt es beim Hamburger Kaufmann Vietor, der der Norddeutschen Mission nahestand, bezüglich der Arbeitsverweigerungen: »Wer kann es ihnen verübeln?«[396]

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Zwangsarbeit und die Erziehung zur Arbeit

»Erziehung der Eingeborenen zur Arbeit und zum Christentum ist unser Ideal!« Matthias Erzberger, 1906[397] »Die Mission macht aus faulen Polygamisten, die von der Arbeit ihrer Weiber leben, fleißige Ackerbauern.« Norddeutsche Mission, 1903[398]

Die Zwangsarbeit wurde auch deshalb sehr ernst genommen, weil sie – so Schmidt – ein »erzieherisches Moment« habe.[399] Sie trage, so die Überzeugung vieler europäischer Zeitgenossen, dazu bei, dass Afrikaner zur Arbeit erzogen würden. Damit hatte Zwangsarbeit einen zivilisatorischen Effekt, und diejenigen, die sie organisierten, leisteten einen Beitrag zur Zivilisierungsmission. Doch was genau bedeutet »Erziehung zur Arbeit«, dieses schillernde Stichwort, unter dem im Kaiserreich eine ganze Reihe von Problemen diskutiert wurde? Seine Bedeutung setzt sich aus unterschiedlichen Elementen zusammen und hat, je nachdem, wer vor welchem Hintergrund und mit welchen Zielen spricht, unterschiedliche Facetten. Zum einen ging es um die Frage, wie nach der Abschaffung der Sklavenarbeit die für die koloniale Wirtschaft nötige Anzahl von Arbeitern unter den Einheimischen rekrutiert werden konnte.[400] Darüber diskutierte man vor allem in Wirtschafts- und Kaufmannskreisen, wobei sich besonders besagter Bremer Kaufmann Vietor hervortat, der eine Niederlassung in Atakpame errichtet und Handelsbeziehungen mit Almeida

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angeknüpft hatte.[401] Er argumentierte gegen die in vielen Kolonien übliche Plantagenwirtschaft und die damit verbundene Plantagenarbeit, da diese an Sklavenarbeit erinnere und zudem zur Entstehung eines Proletariats führe. Auch der Steuerarbeit gegenüber war er kritisch eingestellt, propagierte aber trotzdem das Modell »Erziehung zur Arbeit«. In seiner Perspektive hieß das vor allem, dass die Afrikaner und Afrikanerinnen in der Landwirtschaft auf eigenen kleinen Parzellen gleich freien Bauern tätig sein sollten. Diese Idee war nicht frei von eigenen wirtschaftlichen Interessen,[402] sollten diese Bauern doch ihre Produkte auf Märkten verkaufen, von denen er als Kaufmann wiederum weit mehr profitieren würde als von den Plantagenbetrieben, die ihre Produkte in Eigenregie vertrieben. Ebenfalls spielten für Vietor die in vielen Teilen des Bürgertums verbreiteten Ängste vor vermeintlich entwurzelten, latent sittenlosen und das soziale und moralische Gleichgewicht bedrohenden Proletariern eine Rolle. Musste man sich schon in der Metropole mit solchen Gestalten und anderen Auswüchsen der Moderne herumschlagen, so sollte zumindest Afrika – dieses Phantasma jenseits der Moderne – frei davon bleiben. Entscheidend für die Debatte über Erziehung zur Arbeit war, dass selbst das Vietor’sche Modell, so selbstbestimmt die Arbeit hier auch auf den ersten Blick erschien, faktisch keineswegs ohne Zwang auskam. Schließlich musste diese bäuerliche Lebensweise, die nicht originär afrikanisch war, sondern stark an christlichen Leitvorstellungen orientiert war, der Bevölkerung erst nahegebracht werden, was nicht immer gewaltfrei möglich war.

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Eng mit diesen geradezu agrarromantischen Vorstellungen verbunden war eine zweite, vor allem in Missionskreisen geführte Debatte darüber, welche Fertigkeiten Afrikanern und Afrikanerinnen in Schulen vermittelt werden sollten, damit sie zwar zivilisiert, aber nicht »verbildet« würden und eine angemessene Vorstellung eines genuin christlichen Arbeitsbegriffs bekämen.[403] Gustav Warneck, ein bekannter protestantischer Missionswissenschaftler, hatte 1886 sogar eigens ein Preisausschreiben veranstaltet zum Thema, wie man »den Neger am besten zur Arbeit erzieht«.[404] Außerdem gab es eine unter Sozialwissenschaftlern geführte Diskussion darüber, wie man zu rationelleren Arbeitsmethoden in den Kolonien kommen könnte. Hier taten sich unter anderem der »Verein für Socialpolitik«[405] unter Gustav Schmoller und das »Kolonialpolitische Komitee«, ebenfalls eine Vereinigung, in der neben kolonialinteressierten Unternehmern auch Wissenschaftler eine Rolle spielten, hervor.[406] Im Programm dieses Komitees, das insbesondere für das Atakpamer Baumwollprojekt eine wichtige Rolle spielte, war nachzulesen, dass »die Erziehung der Eingeborenen (…) zu rationeller Arbeit« zwar mühsam vonstattengehe und »Erziehungsresultate nur langsam zu erreichen«[407] seien, sie aber nichtsdestotrotz von zentraler Bedeutung für den Erfolg deutscher Kolonialpolitik sei. Diskutiert wurde zudem über die vor allem in protestantischen Kreisen der Inneren Mission als dramatisch eingeschätzte Lage einer Unterschicht, die sittlich und moralisch gefährdet sei. Dagegen könne man nur mit Bibelworten und Erziehung zur Arbeit – etwa in einschlägigen Anstalten wie denen von Pastor Bodelschwingh in Bethel – ankommen.[408] Dieselben Überlegungen wurden auch bei den

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schnell und häufig gezogenen Vergleichen zwischen europäischen Unterschichten und Afrikanern geäußert. So unterschiedlich die Akzente je nach Standpunkt auch gesetzt wurden, selbst unter den kolonialkritischen Teilnehmern der Debatte gab es einen Konsens darüber, dass »der Neger« zur Arbeit erzogen werden müsse. Dafür wurden zwei Gründe genannt, die jeweils unterschiedliche Erziehungsmaßnahmen zur Folge hatten. Einmal wurde behauptet, dass der Afrikaner per se wenig Lust zur Arbeit habe – was (so eine der freundlicheren Erklärungen) daran liege, dass »die reiche tropische Natur nur geringe Anforderungen an die Arbeitskraft des bedürfnislosen Negers«[409] stelle. Weniger Wohlmeinende gingen davon aus, dass der »Neger« grundsätzlich dumm und faul sei und deswegen die Arbeit scheue – so Geo Schmidt, der glaubte, dass »die Eingeborenen stets ungern«[410] arbeiten würden. Eine andere Erklärung für den konstatierten Erziehungsbedarf wurde in der Tatsache gefunden, dass die von den Europäern verlangte Arbeit eine Qualitätsstufe voraussetze, die Afrikaner erst noch erlernen müssten. So müssten den Afrikanern zum Beispiel Agrartechniken vermittelt werden, die – so hieß es im Rahmen des Baumwollprogramms – rational und profitabel seien, etwa der Gebrauch des Pflugs, oder sie müssten an neue Zeitrhythmen gewöhnt werden. Grundsätzlich ging man davon aus, dass die als problematisch diagnostizierte Einstellung der Afrikaner zur Arbeit durch Erziehung geändert werden könne,[411] was allerdings, so betonten die einen mehr und die anderen weniger, nicht ohne einen gewissen Zwang möglich sei.[412] Dieser sei aber zu rechtfertigen, da es bei der »Erziehung zur

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Arbeit«, wie der pädagogische Terminus schon nahelegt, nicht allein oder vorrangig um ökonomische Interessen gehe, sondern vor allem um die Erreichung eines sittlichmoralischen Ziels. Diese beiden Aspekte, der ökonomische und der moralische, wurden allerdings gar nicht als widersprüchlich wahrgenommen, sondern als zwei Seiten der gleichen Medaille. Man kann es auch deutlicher formulieren, wie der in Togo tätige Arzt Külz, der fragte: »Wozu sollen wir den Neger erziehen? Meine kurze und bündige Antwort lautet: zur Arbeit für uns. (…) so haben wir den materiellen Nutzen auf unserer und eine Veredelung der Eingeborenen auf der anderen Seite.«[413] Ökonomische Motive, Zivilisierungsmission und koloniale Herrschaftsinteressen gingen in dieser Idee von einer Erziehung zur Arbeit also Hand in Hand. Letztere waren vor allem für Praktiker vor Ort von erheblicher Bedeutung, wie für Geo Schmidt, der betonte, dass gerade aufgrund des erzieherischen Aspektes »unbotmäßige und wilde Orte (…) mehr zur Steuerarbeit herangezogen« werden sollten als andere.[414] Aber selbst diejenigen, die unter dem Stichwort »Erziehung zur Arbeit« eher die Vermittlung von Techniken verstanden, gingen davon aus, dass hierin ein erzieherischer Mehrwert liege. Der konnte wahlweise aus schlichter Disziplinierung bestehen, in die Aneignung von Sekundärtugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Ordentlichkeit (deren Vermittlung sich besonders Missionsschulen verschrieben hatten) münden – oder gar in die Steigerung der Reflexionsfähigkeit. So glaubten manche Zeitgenossen, dass die Erziehung zur Arbeit auch dazu führe, dass Afrikaner »Zeit zum Nachdenken« bekämen.[415]

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Zwangsarbeit, mittels der koloniale Herrschaft aufgebaut und gesichert wurde, galt gleichzeitig auch als »erzieherischer« und damit sittlicher Akt, der eine »Zivilisierungsmission« erfüllen und damit letztlich der moralischen Verbesserung der einheimischen Bevölkerung dienen sollte. Mit dieser sittlichen Aufwertung der Zwangsarbeit wurde die für das europäische Selbstverständnis so heikle Nähe der Steuer- zur Sklavenarbeit verschleiert.[416] Im Grunde nämlich beschränkte sich der Unterschied zwischen Sklaven- und Zwangsarbeit darauf, dass Letztere zeitlich begrenzt war. In der kolonialen Rhetorik der »Erziehung zur Arbeit« aber wurde der Anschein erweckt, beide Arbeitsformen hätten nichts, aber auch gar nichts gemeinsam. Zwangsarbeit konnte dank dieser sittlichen Aufwertung als Beleg dafür dienen, dass die Kolonialherren »in Wahrheit nicht Knechtschaft, sondern Befreiung aus der elendsten Sklaverei«[417] brächten. Und dies war eine für die europäische Identität zentrale Überzeugung, die gerade aufgrund der offensichtlichen Parallelen zwischen Sklavenund Zwangsarbeit aufrechterhalten werden musste.[418] Diese feine, aber deutliche Unterscheidung wurde auch in Deutschland, wo der Antisklaverei-Diskurs in der Öffentlichkeit, verglichen etwa mit England, lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte, gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer wichtiger. Über hundert Jahre, nachdem in England erste abolitionistische Assoziationen gegründet worden waren, setzten nun katholische und evangelische Vereine das Thema Sklaverei auf die Tagesordnung. Die Debatten in diesen Initiativen hatten einen stark antiislamischen Tenor, glaubte man doch, der Islam

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befürworte die Sklaverei.[419] Kardinal Lavigerie, Begründer des Missionsordens der »Weißen Väter«, rief zu einem regelrechten Kreuzzug gegen den Islam und damit – in seinem Verständnis – gegen die Sklaverei auf. Im Oktober 1888 war in Köln unter maßgeblicher Mithilfe der »Deutschen Kolonialgesellschaft« sogar eine große Volksversammlung einberufen worden, auf der Protestanten und Katholiken, Kolonialbegeisterte und viele andere ihrem Abscheu vor der Sklaverei in Afrika und ihrer Angst vor den Bedrohungen durch den Islam Ausdruck verliehen.[420] Aber nicht nur kirchliche Kreise wurden für das Thema Sklaverei sensibilisiert, auch anderen Teilen der deutschen Öffentlichkeit war die Brisanz des Themas bewusst. So reagierte der deutsche Staat sehr scharf, als der bekannte Afrikareisende Krause 1899 eine Petition an den Reichstag richtete, in der er die deutsche Regierung der Beihilfe und Unterstützung des Sklavenhandels bezichtigte, und zwar in Togo. Prompt startete die Kolonialabteilung eine Umfrage unter den togolesischen Kolonialbeamten, allerdings nicht bezüglich der möglichen Richtigkeit der Vorwürfe, sondern um den Aufenthaltsort von Krause zu erfahren. Der wurde nämlich nun seinerseits vom deutschen Staat angeklagt wegen »der schriftlichen und mittels der Presse verübten Beleidigung der deutschen Reichsregierung und von Reichsbeamten, welchen er insbesondere vorgeworfen hat, dass sie den Sklavenhandel im Deutschen Schutzgebiete Togo dulden, begünstigen und befördern«.[421] Nur nebenbei sei bemerkt, dass Krause auf einen richtigen Sachverhalt aufmerksam gemacht hatte: Sklaverei wurde nicht nur von der deutschen Kolonialherrschaft, sondern an der afrikanischen Westküste auch von Engländern und Franzosen in der Regel bis weit über

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die Jahrhundertwende hinaus toleriert und manchmal gefördert. Ohnehin stellte Sklaverei einen selbstverständlichen Teil des afrikanischen Alltags dar, der häufig erst in der Zwischenkriegszeit verschwand.[422] Je mehr Sklaverei in Deutschland thematisiert wurde, umso wichtiger war es, dass die deutsche Öffentlichkeit den Unterschied zwischen Sklaven- und Zwangsarbeit einsah. Hier war wiederum die Debatte um die »Erziehung zur Arbeit« hilfreich.[423] Mit Nachdruck wurde darauf hingewiesen, dass die »Heranziehung zur Arbeit« unter »Anwendung harter Zwangsmaßnahmen und eventuell von Pulver und Blei« nichts weiter sei als »Ausnutzung der physischen Kraft im egoistischen Interesse«. Dagegen sei es etwas völlig anderes, Menschen – wenn auch unter Zwang – zur Arbeit anzuhalten, wenn dies der »Erziehung zur Arbeit und zu einer höheren Kultur«[424] diene. Wie stark auch Koloniallobbyisten, Kaufleute und akademische Experten die Debatte über Arbeit in den Kolonien mitbestimmten – ohne einen Blick auf den Einfluss der Mission ist die Umwertung von Zwangsarbeit in einen Akt der Zivilisierung nur unzureichend zu verstehen. Obschon die Beiträge protestantischer Provenienz in den öffentlichen Debatten bei weitem überwogen,[425] halfen doch beide Konfessionen mit christlichen Argumenten aus, um manche Erklärungslücke im Programm »Erziehung zur Arbeit« zu schließen. Sie verstanden sich als diejenigen, deren eigentliche Aufgabe neben der Missionierung in der kulturellen Hebung der sogenannten afrikanischen Naturvölker lag. Und die Erziehung zur Arbeit war eine der zentralen Aufgaben dieser Kulturmission. Dabei konnte sich die protestantische Mission

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auf eine traditionell große Wertschätzung von Arbeit im Protestantismus stützen.[426] Aber auch in der katholischen Mission hatte Arbeit einen hohen Stellenwert. Erinnert sei an die Benediktinerregel »ora et labora«, die in Wahlaufrufen des Zentrums als kolonialpolitischer Schlachtruf herhalten musste. Beiden Konfessionen war dabei die Berufung auf die Bibel mit dem Gebot der Arbeit (»Du sollst sechs Tage arbeiten«) sehr hilfreich. Besonders deutlich wird diese sittliche Aufwertung von Arbeit in den Schulprogrammen der [427]

Missionen, die sich die Vermittlung des »hohen Werts der Arbeit« zum Ziel gesetzt hatten.[428] Propagiert wurde gerade nicht die Vermittlung von sogenannter Herzens- oder gar Verstandesbildung, die in den Bildungsdiskursen des Kaiserreichs sonst so zentral war, etwa wenn es um das neuhumanistische Gymnasium ging. Die Programme der Missionen erinnern eher an Volksschulkonzepte oder an die Vorstellungen zu den Aufgaben der Arbeitshäuser, die noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Korrektionsanstalten weit verbreitet waren. So hatten die Steyler in Lome eine eigene Handwerkerschule für die lokale Bevölkerung errichtet, wo Arbeitsdisziplin ebenso vermittelt wurde wie handwerkliche Fertigkeiten. Die Norddeutsche Mission legte ihren Schwerpunkt auf landwirtschaftliche Kenntnisse für Jungen beziehungsweise auf Hausarbeit für Mädchen und nahm dabei das Leitbild körperlicher Arbeit sehr ernst.[429] Mit diesen Schwerpunkten wollte man der für Schwarze angeblich wenig zuträglichen Akademisierung vorbeugen – was insofern nur mäßig gelang, als die togolesische Elite ihre Kinder einfach auf die höheren Bildungseinrichtungen der englischen

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Goldküste[430] oder in die europäischen Nachbarländer schickte. Englische Bildungsprogramme erlaubten nämlich nicht nur im Mutterland, sondern auch in den Kolonien den Zugang zu höherer Bildung.[431] In Deutschland hingegen hieß das Credo: »Wir sollen den Eingeborenen an Arbeit und Kultur gewöhnen« – wie es der Zentrumsabgeordnete Roeren formulierte[432] –, es ging also nicht darum, Bildung zu vermitteln. Mit diesem Konzept von »Erziehung zur Arbeit« sollte gleichzeitig verhindert werden, dass die Einheimischen »frühreif« und von »geistigem Dünkel« erfüllt würden, so dass sie glauben würden, sie seien »zu schade für den Ackerbau«. [433] Es sollte eben erzogen und nicht verzogen werden – so eine häufig bemühte Formulierung. Letzteres wäre sogar gefährlich, da man so eine die »Rassenunterschiede ignorierende Gleichmacherei« betreibe und dabei nur der »educated Negro« herauskomme, den die Europäer als Zwittergestalt sahen.[434] Nebenbei sei angemerkt, dass die Missionen keinen Hehl daraus machten, dass sie auf die Arbeit der Einheimischen angewiesen waren. Schließlich mussten auch bei den Missionshäusern die Grundpfeiler gesetzt, die Bretter gehobelt, die Wände geweißt und die Gärten umgegraben werden. Zwar beschäftigten die Steyler sogenannte Fratres, Europäer, die in niederen Diensten für den Orden arbeiteten, und beide Gesellschaften hatten Missionshandwerker aus Deutschland mitgebracht, die als bezahlte Kräfte arbeiteten. Dennoch war es selbstverständlich, dass zum Beispiel die afrikanischen Zöglinge Arbeitsdienste ableisteten. Da bedurfte es schon mal der einen oder anderen Maßregel, die aus

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körperlichem Zwang bestehen konnte. Auch die Missionsgesellschaften verzichteten also keineswegs auf Zwangsarbeit,[435] obschon sie so nie genannt wurde. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unterstützte die protestantische Mission in Togo sogar zumindest indirekt den Sklavenhandel, indem sie Kinder auf dem lokalen Sklavenmarkt kaufte, um diese zu christianisieren. Diese Kinder waren zu Beginn der Mission die einzigen, die überhaupt in die Missionsschule kamen.[436] Kurzum: Die gerade von der Mission, aber auch von vielen anderen im Kaiserreich im Mund geführte abolitionistische Rhetorik war eng verzahnt mit der Propagierung einer »Erziehung zur Arbeit«. Dadurch führte sie eher zur Stärkung von Zwangsarbeit, als dass sie die Forderungen der Bevölkerung, wie sie Kukowina formuliert hatte, unterstützte. Die Antisklavereibewegung nahm damit nicht nur eine ambivalente Haltung gegenüber der Zwangsarbeit ein.[437] Sie trug letztlich zu ihrem Fortbestehen bei, da sie Argumente lieferte, mit denen Zwangsarbeit als wichtiger Teil der Zivilisierungsmission gerechtfertigt werden konnte. Weit wichtiger und auf lange Sicht gesehen auch wirksamer für die Abschaffung der Zwangsarbeit als die sogenannten internationalen humanitären Bewegungen, wie sie im 19. Jahrhundert in Europa und Amerika entstanden, waren wahrscheinlich Petitionen wie die von Kukowina. Kukowina war nämlich insofern erfolgreich, als man in Togo ab 1907 – zumindest de jure – zwsichen Zwangsarbeit oder Geldzahlungen wählen konnte.

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Kukowina und die Petitionen

»›Forced Labour‹ is not the best system of colonization, neither illtreatment and flogging given to the people who are thus deprived of their liberty and livelihood is a sign of improved civilization«. A Native of Aneho, 1914[438]

Ging es nun in Togo wie in den deutschen Debatten über Zwangsarbeit auch um Fragen der Erziehung oder die Notwendigkeit, eine Infrastruktur aufzubauen? Sprach man hier überhaupt von Steuern, oder bemühte man pädagogische, sozialwissenschaftliche oder religiöse Deutungssysteme? Ging es wirklich um die Abschaffung der Zwangsarbeit oder gar um weiterreichende Forderungen, die die koloniale Herrschaft hätten gefährden können? Und welche Folgen hatte die ganze Aktion? Beginnen wir mit der Reaktion der Behörden. Geo Schmidt reagierte auf Kukowinas Petition alles andere als gelassen. Er war höchst alarmiert, als Gouverneur Horn ihn zu sich bat, um ihm Kukowinas Beschwerdekatalog vorzulegen, in dem sich der Chief direkt über ihn und seine Amtsführung beklagte. Als Schmidt zudem von der letztlich nicht abgeschickten AlmeidaPetition hörte und überdies glaubte, dass in beiden Fällen die Mission ihre Hände im Spiel hatte, ergriff er ähnlich wie andere Kolonialbeamte in vergleichbaren Situationen Gegenmaßnahmen:[439] Im Oktober 1902, nur wenige Tage nachdem er von seinem Heimaturlaub zurückgekehrt war, inhaftierte er Kukowina, und dies entgegen den Anordnungen des Gouverneurs. Kaum hatte Horn von der Verhaftung gehört,

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befahl er ihm, Kukowina unverzüglich auf freien Fuß zu setzen. Dies geschah auch, doch kurz nach seiner Entlassung, im Januar 1903, starb Kukowina. Manche hielten den Tod für eine direkte Folge der grausamen Haftbedingungen, andere sprachen von Vergiftung, während Dritte an eine natürliche Todesursache glaubten. In jedem Fall zeugten sowohl Schmidts prompte Reaktion der Verhaftung als auch Horns nicht minder schnelle Intervention davon, dass die Kolonialbehörden höchst nervös waren. Dies lag sicherlich daran, dass die Kolonialbeamten sich der mehr als wackeligen Argumentationsbasis bezüglich der Zwangsarbeit sehr wohl bewusst waren. Im Unterschied zur Berliner Öffentlichkeit erlebten sie die moralisch hoch fragwürdigen fließenden Übergänge zwischen Zwangsarbeit und Sklavendienst tagtäglich. Nervös reagierten sie aber auch aus einem anderen Grund: Schon die Abfassung einer Petition musste für sie bedrohlich wirken, setzte die Wahl der Petition als Medium der Unmutsäußerung doch eine erhebliche politische Willensbildung und Initiativkraft vonseiten der lokalen Bevölkerung (oder zumindest deren Elite) voraus. Eine Initiativkraft, die – aus der Perspektive der Kolonialbehörden – Schlimmeres befürchten ließ, auch in Anbetracht ähnlicher Petitionen in Deutsch-Ostafrika und Kamerun, die dort hohe Wellen geschlagen hatten. Kukowinas Beschwerde war nämlich kein Einzelfall. Vergleichbare Petitionen gab es vorher und auch nachher, in und außerhalb Togos, in deutschen wie in anderen Kolonien.[440] In Togo begannen sich die Petitionen um 1906 zu mehren, als in Deutsch-Ostafrika der Maji-Maji-Aufstand noch in vollem Gange und auch in Deutsch-Südwestafrika der Herero-

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Nama-Krieg faktisch noch zu keinem Ende gekommen war. So gab es 1906 ein kritisches Schreiben von einem gewissen Edwin Garber, dessen Familienname auch in Zusammenhang mit späteren Petitionen immer wieder auftauchte, was Berlin zu umfangreichen Untersuchungen und schließlich Verhaftungen veranlasste.[441] 1909 und 1913 gab es weitere Petitionen, erneut waren Olympio und einige andere Honoratioren aus Lome daran beteiligt.[442] Hier ging es ebenfalls unter anderem um Zwangsarbeit.[443] Im Januar 1914 war eine sehr scharf formulierte Petition verfasst worden, dieses Mal wurde sie aber weder dem Gouverneur übergeben noch einem Staatssekretär, und sie wurde auch nicht nach Berlin geschickt. Sie erschien in einer Zeitung, dem Gold Coast Leader. Gegen Ende der Kolonialzeit häuften sich auch Klagen gegen das als willkürlich empfundene Rechtssystem. Bevor auf diese Klagen im Einzelnen eingegangen wird, um herauszufinden, ob Zwangsarbeit hier in ähnlichen Zusammenhängen begriffen wurde wie in Deutschland, lohnt ein Blick auf das Medium der Petition selbst. Denn die Wahl dieses Mediums erklärt zumindest teilweise, warum Geo Schmidt und andere Kolonialbeamte so scharf reagierten – zwar kamen nicht alle Petitionisten zu Tode, doch Verhaftung oder Exil waren die üblichen Folgen.[444] Wer eine Petition abfasste, schrieb sich in eine in Europa seit Jahrhunderten weit verbreitete Tradition ein. Sie war nicht erst seit den cahiers de doléances der Französischen Revolution, mittels der die Untertanen 1789 ihren Abgeordneten die drängendsten Probleme mitteilten, fester Bestandteil der politischen Kommunikation. Auch im

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Kaiserreich waren Petitionen gerade für diejenigen, die wenig Möglichkeiten hatten, Politik mitzugestalten, nach wie vor das erste Mittel der Wahl. Zahlreiche Vereine, aber auch streikende Arbeiter und Einzelpersonen verfassten immer wieder Petitionen, um sich Gehör zu verschaffen. Im Reichstag gab es einen eigenen Ausschuss, der sich mit diesen Petitionen beschäftigte.[445] Dabei beinhaltete die Wahl dieses Mittels selbst bereits eine Aussage, nämlich die, dass sich jemand Zugang zum politischen Raum verschaffen und dort in den dafür vorgesehenen Formen einen Verhandlungsprozess in Gang setzen wollte. Im kolonialen Kontext bedeutete das, dass man sich eines offiziellen Mediums der Kolonialmacht (inklusive Schriftlichkeit und einer europäischen Sprache) bediente, um in eigener Sache vorstellig zu werden. Positionierte man sich mit einer Petition also als Akteur im politischen Raum, formulierte man darüber hinaus auch einen Anspruch: den Anspruch auf das Recht, gehört zu werden, und damit das Recht, als Person mit einem potentiell legitimen Anliegen zu gelten. Das freilich war für einen Afrikaner in Togo 1902 schon allerhand – zumindest sahen das die Kolonialbeamten so, die, wie es in einem Artikel des Gold Coast Leader 1912 hieß, glaubten, ein schwarzer Mann gehöre zur Gattung der Affen.[446] Es war gerade dieser allein über die Wahl des Mediums signalisierte Anspruch, ein Recht auf Teilhabe am Politischen zu haben und Teilnehmer im politischen Raum zu sein, der Beamte wie Geo Schmidt zu heftiger Gegenwehr trieb. Noch weit bedrohlicher wurde die Situation aus Sicht der Behörden, als man ab den 1910er Jahren neben der Petition zu einem zweiten Mittel griff, um seine Forderungen zu

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artikulieren, nämlich der Presse. Während eine Kameruner Petition von 1905 in der Leipziger Volkszeitung abgedruckt wurde,[447] war im Fall Kukowina noch nichts dergleichen geschehen. Die offensive Nutzung der Presse – und zwar nicht der europäischen, sondern der afrikanischen – lässt sich für Togo erst ab den Petitionen von Olympio und Almeida beobachten. Und doch muss die Drohung, die Presse einzuschalten, zumindest aus Berliner Sicht im Raum gestanden haben. Man wusste schließlich um die Macht der Presse und auch, dass etwa englische Vereine wie die »Aborigines Protection Society«, die sich stark gegen die sogenannten Kongogräuel engagiert hatten, auch deutsche Kolonien im Blick hatten und solche Fälle gern aufgriffen. Ab 1911 wurde diese Drohung schließlich wahrgemacht. Eine regelrechte Pressekampagne im Gold Coast Leader zielte explizit darauf ab, »die zivilisierte Welt, insbesondere die Aborigines Protection Society in London, um Hilfe zu bitten, Togo zu retten, das seit 1884 unter dem preußischen Joch leidet«.[448] Diese Pressekampagnen betrafen eine Welt, die Kukowina nicht mehr erlebt hat – und eine Zeit, in der die Petitionen immer seltener die Zwangsarbeit und immer häufiger Beschwerden über das Rechtssystem oder noch weit grundsätzlichere Fragen betrafen. So wurden in einer Reichstagspetition von 1914 Forderungen nach einem auf Gleichheit basierenden Rechtssystem und – viel elementarer – Respekt und Achtung gegenüber der lokalen Bevölkerung eingeklagt. Es wurde mehrmals darauf verwiesen, dass »Gebildete« schlechter behandelt und besonders intensiv mit Prügelstrafen und Ohrfeigen traktiert würden.[449] Mit diesen

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Forderungen und dem neuen Medium der Pressekampagne ist allerdings weit vorausgegriffen. Zurück zur Frage, was genau in Kukowinas Petition eigentlich gefordert wurde. Sind seine Forderungen zur Zwangsarbeit überhaupt politisch zu nennen? Handelte es sich nicht vielmehr um rein ökonomische Angelegenheiten, die sich auf einen einzelnen Stationsleiter beschränkten, beziehungsweise können nicht erst die Petitionen, die nach 1910 mit deutlichen Schwerpunkten in Rechtsfragen an den Reichstag gerichtet wurden, mit Fug und Recht als politische Beschwerden bezeichnet werden? Nein, so die kurze Antwort. Es ging, wie ein genauer Blick in den Forderungskatalog der Kukowina-Petition[450] zeigt, eben nicht allein um Zwangsarbeit. Vielmehr forderte man ein neues Verhältnis zwischen lokaler Bevölkerung und Kolonialregierung, und das war weit mehr als eine bloß ökonomische Forderung – sie war politisch, weil sie darauf abzielte, das koloniale Herrschaftsgefüge zu verändern. Eine Forderung nach Abschaffung der Steuer- bzw. Zwangsarbeit lässt sich in der Beschwerdeschrift nicht finden. Im Gegenteil, Kukowina soll sogar behauptet haben, dass man »früher« (und das bedeutet unter dem Kolonialbeamten Döring, der auch Zwangsarbeit einforderte) »sehr gerne gearbeitet« habe. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Einforderung einer anderen, aus Sicht der Einheimischen gerechteren Zwangsarbeit, die den ökonomischen Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung entgegenkam. So monierte die Petition, dass zu häufig zur Zwangsarbeit aufgefordert werde, und zwar ohne dass diese, wie früher üblich, rechtzeitig angekündigt werde. Auch geschehe dies zu

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Zeiten, die für die lokale Bevölkerung ungünstig seien, so dass sie ihre eigene Ökonomie vernachlässigen müsse. Und schließlich sei die Arbeit selbst zu schwer.[451] Auch in den Beschwerden über die von Schmidt wegen verweigerter Arbeit verhängten Strafen heißt es nicht, dass man Bestrafungen grundsätzlich ablehne, vielmehr solle Schmidt nicht »so viel Geld- und Viehstrafen« erheben.[452] Insgesamt wurde also nicht Kritik am System der Strafe und Zwangsarbeit an sich geübt, sondern an deren konkreter Bemessung. Ähnlich war dies in der von Almeida und anderen verfassten, aber nicht abgeschickten Beschwerdeschrift, in der zwar Schmidts Absetzung gefordert wurde, aber nicht, um dadurch die koloniale Herrschaft zu beenden, sondern um einen anderen Bezirksleiter zu bekommen.[453] Forderungen nach einer grundsätzlichen Abschaffung der Zwangsarbeit finden sich erst Jahre später, etwa in den Artikeln des Gold Coast Leader aus dem Sommer 1914, wo man vorschlägt, dass die nötigen Arbeiten im Amtsblatt angezeigt werden sollten, um sodann auf Basis einer soliden Bezahlung vergeben zu werden.[454] Und doch ging es 1902 nicht nur um die Abschaffung von »Missständen«.[455] Vielmehr nahm die Petition selbst, ohne dies allerdings explizit zu machen, bereits eine folgenschwere Neudefinition dessen vor, was Zwangsarbeit sein sollte: Zwischen den Zeilen wurde ein Gegenentwurf zu dem in Deutschland vertretenen Konzept von Zwangsarbeit als Teil der Zivilisierungsmission formuliert. Aus Sicht der Verfasser ging es nicht um Fragen von Zivilisierung und sittlicher Anhebung der Kultur, sondern darum, wie intensiv und unter welchen Bedingungen die Bevölkerung zur Arbeit für die Kolonialherren herangezogen werden durfte, ohne dass die

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eigene Ökonomie und die Selbstbestimmung über den eigenen Körper beeinträchtigt wurden. Damit war die klassische Deutung, dass koloniale Herrschaft aufgrund der grundsätzlichen Differenz zwischen Europäern und Afrikanern nötig sei, die unter Missionaren genauso wie in Kreisen der Kolonialbeamten common sense war, in Frage gestellt. Lokale Ökonomien und der Wunsch der afrikanischen Bevölkerung nach Selbstbestimmung wurden auf eine zwar nicht gleiche, aber doch gleichwertige Stufe mit weißen Arbeitsanforderungen gestellt. Aus einer sittlich notwendigen, ja wünschenswerten Erziehung zur Arbeit, die das Ziel verfolgte, »die Eingeborenen kulturell zu heben«,[456] war der willkürliche und übermäßig eingeforderte Zwang zur Arbeit geworden, der die lokale Wirtschaft bedrohte, mit brutaler Gewalt durchgesetzt wurde und die Möglichkeit einschränkte, eigenständig über Zeit und Ressourcen zu verfügen. Nicht minder gravierend ist ein zweiter in Kukowinas Petition sichtbarer Aspekt, der sich mit der Wahl des Mediums selbst schon angedeutet hat: der Anspruch, als Afrikaner ein politisches und soziales Subjekt zu sein, das zwar nicht die gleichen Rechte hatte wie ein Europäer, aber eben auch keineswegs bar aller Rechte war. Wenn nämlich der lokalen Bevölkerung das Recht zugestanden worden wäre, eigenständig über Zeit und Ressourcen zu verfügen, wäre sie in ein neues Beziehungsgefüge integriert worden und das in der kolonialen Definition von Zwangsarbeit wie im Konzept »Erziehung zur Arbeit« angelegte Beziehungsgefüge wäre in Frage gestellt gewesen. Dies wäre das Ende jenes Modells gewesen, nach dem sich eine Kolonialmacht »als Beschützerin und Helferin« »armer Neger« einer Bevölkerung gegenüber

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sieht, die sich durch »ausgesprochenes Schutzbedürfnis« und die Neigung zur »fortwährenden Vermischung von Wahrheit und Dichtung« auszeichnet, weil sie eben aus »suggestibler und lenkbarer Seele« besteht.[457] Stattdessen hätten sich im Sinne der Petitionen zwei mit zwar unterschiedlichen, aber gleichwertigen Rechten versehene Akteure gegenübergestanden. Kukowinas Beschwerdekatalog unterminierte also implizit eine paternalistische Kolonialpolitik, die darauf abzielte, Alterität herzustellen und zu verstärken, und ging stattdessen von einem zwar nicht egalitären, jedoch auf dem do-ut-des-Prinzip basierenden Modell reziproker Ansprüche von Kolonisierern und Kolonisierten aus. Damit widersprach die Petition von Kukowina nicht nur allen zeitgenössischen Konzepten von kolonialer Herrschaft, sondern überschritt die Grenzen des in Berlin Sagbaren ganz erheblich. Das erklärt auch, warum die Beschwerdeschrift keinen Widerhall in der deutschen Öffentlichkeit fand und in Berlin die Klagen der Afrikaner fast völlig verschwiegen wurden: Allein die Konflikte, die im Gefolge der Beschwerdeschrift zwischen Mission und Kolonialbeamten entstanden, wurden thematisiert. Es verwundert nicht, dass Schmidt angesichts der Beschwerden Kukowinas höchst alarmiert war. Er war der Ansicht, sie könnten nicht aus der lokalen Bevölkerung stammen, sondern müssten vielmehr auf »Elemente« zurückgehen, die »ganz gegen die Maßnahmen unserer Regierungsbeamten heimlich wühlen« und die »Eingeborenen als Werkzeuge nutzen«. Gemeint sind hier die Missionare. Ähnlich argumentierte Gouverneur Horn, der zwar die lokale

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Bevölkerung als Urheber ansah, diese aber als »Kinder« titulierte, die nicht recht wussten, was sie taten.[458] Gerade diese radikale Weigerung, Afrikanern und Afrikanerinnen zumindest rudimentär den Status von Subjekten zuzugestehen geschweige denn sie als Gegenüber zu betrachten, die in potentiell gleichwertigen Beziehungsgefügen mit Europäern stehen, zeigt die Sprengkraft der in der Petition von 1902 vorgenommenen Neudefinition des kolonialen Gefüges und der durch sie beförderten Politisierung. Und doch, so mag man einwenden, scheint diese Petition letztlich folgenlos geblieben zu sein. Tatsächlich haben wir über die Folgen kaum aussagekräftige Quellen, und vieles muss Spekulation bleiben. Festzuhalten aber bleibt, dass Kukowina wie auch Almeida und später Olympio sich über Petitionen eigene politische Kommunikationsräume schufen, in denen wahrscheinlich weit mehr Afrikaner als nur die genannte Elite der Afrobrasilianer und intermediaries verkehrten. Gewiss gab es bereits vor diesen Petitionen eigene Kommunikationsräume und Öffentlichkeiten der afrikanischen Bevölkerung, etwa solche, die in Häuptlingsversammlungen oder in religiösen Ritualen immer wieder neu erschaffen wurden. Doch ab 1902 entwickelten sich Räume und Öffentlichkeiten jenseits der herkömmlichen Verbindungen etwa zwischen verschiedenen Chiefs oder Kaufleuten. Hier traten Männer aus Atakpame, aus Lome und Aneho zusammen, die zweifellos voneinander gehört hatten und sich vielleicht auch kannten, aber keineswegs engen Kontakt hatten, zumal sie durch teilweise konträre Loyalitäten gebunden waren. Geeint wurden sie allein durch das

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gemeinsame Gegenüber der Kolonialregierung, an die sie ihre Forderungen richteten.[459] Bereits bestehende, eher lokale Kommunikationsräume wurden durch die Petitionen politisiert. So wurden die Aktivitäten Kukowinas, Mensahs, Almeidas und anderer vermutlich von breiteren Bevölkerungskreisen wahrgenommen. Wahrscheinlich ist auch, dass der Petition viele einzelne Klagen und ein breiter allgemeiner Rumor vorausgingen. So wissen wir etwa, dass Geo Schmidt Ende Oktober 1902 eine Versammlung der über 200 »Häuptlinge und Ältesten« der Stadt Atakpame einberief, um den Beschwerdekatalog Kukowinas vorzulesen und nachzufragen, ob jemand diesen Klagen zustimmen könne. Spätestens mit dieser Maßnahme war eine größere Öffentlichkeit erreicht – womit der Kolonialbeamte zweifellos unbeabsichtigt das Seine zum Politisierungsprozess und zur Entstehung einer politischen Öffentlichkeit beitrug.[460] Das heißt aber auch, dass mit Kukowinas Petition Teile der lokalen Bevölkerung eine politische Arena betraten, deren Regeln bisher vor allem von der Kolonialregierung kontrolliert worden waren. Handelte es sich hier doch um mehr als das übliche Nichterscheinen zur Zwangsarbeit und um mehr als das temporäre oder auch endgültige Auswandern in eine andere Region.[461] Es ging hier eben nicht mehr um jene von James Scott so eindrucksvoll beschriebenen »hidden transcripts«, womit er die Aktionen hinter den Kulissen, jenseits der direkten Kontrolle der Kolonialmacht meint, und auch nicht um die vielen ritualisierten Formen der Verstellung und Verheimlichung, die den Alltag in den Kolonien bestimmten.[462] Hier wurde eine offene Auseinandersetzung

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gesucht, und zwar in den von der Kolonialmacht dafür vorgesehenen Räumen und Medien der politischen Kommunikation. Letztlich waren es diese und viele andere Widerständigkeiten,[463] die dazu führten, dass sich die Arbeitsund Lebensbedingungen in den Kolonien veränderten, und weniger ein Programm der Erziehung zur Arbeit, mag es auch mit noch so ausgefeilten Argumenten entwickelt worden sein. Dieses Programm und die Debatten über dessen unterschiedlichste Aspekte, etwa die im Reichstag so lebhaft ausgetragene Redeschlacht über den wahrscheinlich gewalthaft herbeigeführten Tod Kukowinas, brachten die Realität über die Zwangsarbeit eher zum Verschwinden, statt sie auf die Bühne der Öffentlichkeit zu heben.

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5. Kolonialbeamte und Missionare – ein Konflikt eskaliert

Im Anschluss an Kukowinas Petition, zu Beginn des Jahres 1903, verschärften sich die Spannungen zwischen Mission und Kolonialbeamten. Es handelte sich um Konflikte, die nicht nur für die Situation in Togo kennzeichnend waren. Auch wenn Mission und Kolonialbeamte keineswegs überall so deutlich aufeinanderprallten und sich gegenseitig Beschimpfungen an den Kopf warfen – Schmidt sprach von antinationalen, klerikalen, machtlüsternen und fanatisierten Katholiken, die Steyler von der Herrenmoral kolonialer Nietzscheaner[464] –, waren ähnliche Konflikte in allen Kolonien an der Tagesordnung. Manchmal wurden sie offen ausgetragen, wie im Herero-Nama-Krieg, als Kolonialbeamte der Rheinischen Mission vorwarfen, für die Hereros Partei zu ergreifen, oder in Deutsch-Ostafrika, wo die Mission für den Maji-Maji-Aufstand verantwortlich gemacht wurde.[465] Manchmal aber schwelten diese Konflikte eher unterschwellig. Im Fall Atakpame brachen sie offen auf und wurden im Kaiserreich thematisiert. Was war der Kern dieser Konflikte? Diese Frage lässt sich nur im Kontext der übergeordneten Frage nach dem Zusammenhang von Mission und Kolonialismus beantworten – ein Thema, das die historische Forschung intensiv beschäftigt hat. Dabei betont ein Teil der

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Forschung, dass Kolonialismus und Mission auf das Engste miteinander verflochten gewesen seien. Die Mission habe mit ihrem Verweis auf die Notwendigkeit, die Seelen der Heiden zu retten, dazu beigetragen, Kolonialismus zu legitimieren und ihn maßgeblich mitzugestalten – so die mittlerweile klassische Studie von Jean und John Comaroff.[466] In diesem Sinne gingen Mission und Kolonialismus Hand in Hand, bedingten sich gegenseitig und waren – etwa im Bereich der Schulpolitik – eng aufeinander angewiesen, um die lokale Bevölkerung zu »zivilisieren«. Ein anderer Teil der Forschung vertritt die These, dass Mission mehr gewesen sei als ein willfähriges Instrument zur Unterstützung staatlicher Interessen: Nicht wenige Missionare hätten – so die Argumentation – sogar ein desintegratives Element kolonialer Herrschaft dargestellt, indem sie das Vorgehen der Kolonialbeamten offen kritisierten, was im Kaiserreich nicht immer gutgeheißen worden sei und dazu geführt habe, dass man Missionaren eine zu große Nähe zu den »Eingeborenen« vorgeworfen habe. Beide Thesen sind in gewisser Weise richtig, doch eine detaillierte Analyse zeigt, dass das Verhältnis von Mission und Kolonialismus facettenreicher war, als diese beiden sich vermeintlich widersprechenden Thesen suggerieren. Das wird deutlich, wenn man neben den in der Metropole, in diesem Fall in Berlin und Steyl, kursierenden Vorstellungen von kolonialer und missionarischer Arbeit auch die Situation in der Kolonie selbst, in dem Fall in Atakpame beziehungsweise Deutsch-Togo, genauer beleuchtet. Die Konflikte zwischen Missionaren und Kolonialbeamten sind nämlich mehr als Spiegelgefechte dessen, was in Deutschland verhandelt wurde.

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[467]

Mindestens ebenso wichtig für Struktur und Verlauf der

Konflikte war die Situation vor Ort, zumal Kolonien für Europäer bekanntlich insofern ganz besondere Räume darstellten, als sie zu Projektionen und Phantasien geradezu einluden. Wie lebten Kolonialbeamte und Missionare in der Kontaktzone vor Ort, was taten sie, wo kamen sie her und welche Vorstellungen hatten sie über sich und ihre Arbeit?[468] Johannes Fabian hat in seiner mittlerweile klassischen Studie zu Forschungsreisenden, die im 19. Jahrhundert Afrika erkundeten, mit Nachdruck betont, dass viele Europäer in Afrika in Situationen gerieten, in denen sie im wahrsten Sinne des Wortes »außer sich waren«.[469] Ich will nicht behaupten, dass die Lage der Missionare und Kolonialbeamten strukturell in pathologischen Termini zu beschreiben sei, doch offensichtlich befanden sie sich in Situationen, die stark verunsichernd wirkten und mit erheblichen, auch inneren Konflikten einhergingen. Sie waren mit ungewohnten Herausforderungen konfrontiert, die Begegnungen nicht nur beförderten, sondern auch erschwerten. Wie sah es nun in Atakpame aus, als Geo Schmidt und Pater Müller hier ihre Stationen 1900 aufbauten? Schon ein oberflächlicher Blick auf den aus verschiedenen Teilen bestehenden Ort, der alles in allem vielleicht 2000 Einwohner und Einwohnerinnen zählte, macht deutlich, dass die Situation für beide, für Missionare wie für Kolonialbeamte, schwer zu überblicken geschweige denn zu verstehen war. Zum einen waren da die Männer und Frauen wie auch Kinder, die von den Europäern zumindest anfänglich schlicht als Atakpamerinnen und Atakpamer bezeichnet wurden. Bei genauerem Hinsehen

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mussten die Europäer aber erkennen, dass diese Bewohnerschaft alles andere als einheitlich war: Weder sprachen alle dieselbe Sprache, noch teilten sie gemeinsame religiöse Riten, geschweige denn eine gemeinsame Geschichte. Die Einwohnerschaft bestand aus einer überaus heterogenen Gruppe von Menschen, von denen einige Yoruba, einige Ewe, andere Akposo und wieder andere Haussa sprachen. Diese Sprachen sind ein Indiz für unterschiedliche politische, religiöse, ökonomische, soziale und familiale Strukturen. Es gab also viel Trennendes auf kleinem Raum schon allein innerhalb der afrikanischen Bevölkerung. Die wenigsten unter ihnen waren Christen. Es gab auch eine muslimische Siedlung samt Moschee, aber die meisten verehrten verschiedene Gottheiten. Diese konnten sich in Pflanzen und Bäumen inkorporieren und folglich unterschiedliche heilige Plätze haben. Wer genau welcher Religion angehörte und Teil welcher Familie war, ja welche Sprache sprach, war für die Europäer nicht leicht auszumachen. Auch gab es eine Vielzahl von religiösen Experten mit hoher Autorität, sogenannte Fetischpriester, die wahrscheinlich über große Macht verfügten – so sahen es zumindest die Missionare. Noch Jahre nach der Eröffnung der Station klagten die Steyler darüber, wie schwierig es sei, Männer und Frauen zu bekehren. Und die wenigen, die man schließlich taufte, gaben damit noch lange nicht alle nichtchristlichen Rituale auf. Auch die ökonomische Struktur war nur schwer zu durchschauen. Viele lebten von dem, was die Frauen anbauten – Mais, Baumwolle und Yams –, und von dem, was gehandelt wurde, etwa Gummi, Textilien und mit Beginn des

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20. Jahrhunderts auch Baumwolle. Es gab zudem Weber, Kaufleute, Karawanenträger, Bauern und Händlerinnen. Und schließlich kamen immer wieder neue Männer und Frauen nach Atakpame, manche nur für die Markttage, viele aber auch länger, wenn sie hier Verwandte hatten oder Handel treiben wollten. Atakpame war nämlich – obschon weit entfernt von der Küste – kein abgeschiedener Ort, an dem seit Jahrzehnten alles seinen immer gleichen Gang ging, wie etwa in manchen Regionen des Kaiserreichs. Im Gegenteil, es war ein lebhafter, zentraler Marktort, an dem sich mehrere Handelswege kreuzten, und damit Mittelpunkt lokaler und regionaler Kommunikationsnetze. Alle fünf Tage fand ein Markt statt, zu dem Tausende von Menschen kamen. Die Steyler berichteten, dass auf diesem Markt in mindestens sieben verschiedenen Sprachen die unterschiedlichsten Dinge feilgeboten wurden: Stühle, Türen, Perlen, Petroleum, aber auch Fisch, Fleisch und Gemüse sowie Ziegen und Schafe. In direkter Nähe gab es weitere Marktplätze, und es herrschte ein reger Verkehr Richtung Küste. Regelmäßig waren Haussa-Händler aus dem Norden auf der Durchreise. Zudem war Atakpame ein Ort, über den manche Gerüchte kursierten, sollen hier doch noch vor der Jahrhundertwende angeblich Priester vergiftet worden sein. Aus all diesen Gründen galt Atakpame Europäern als ein nicht ganz ungefährlicher, noch nicht vollständig »pazifizierter« Ort – so der Kolonialjargon. In jedem Fall war er kein seit Jahrhunderten unberührtes Refugium, in dem eine, wie es zeitgenössische Ethnologen ausgedrückt hätten, einfache homogene Bevölkerung lebte.[470]

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Abb. 6

Unterschrift durch Hans Gruner: »Wohnung des Bezirkschefs

von Atakpame. Küche – Altes Europäerhaus, jetzt Büro des Chefs – neues Europäerhaus (Stein).«

An diesen Ort nun hatte es zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Kolonialbeamten Schmidt und den Missionar Müller verschlagen. Konnte Schmidt sich auf der bereits angelegten Regierungsstation niederlassen, mussten die Steyler ihre Station erst aufbauen. Sie wählten einen ganz ähnlichen Platz wie die Regierungsbeamten: auf einem Hügel, exponiert über den afrikanischen Siedlungen, genau gegenüber der Regierungsstation. Durchaus in Sichtnähe, aber dennoch entfernt voneinander, thronten so Mission und Kolonialbeamte über dem Ort – ein sehr ähnliches und höchst symbolträchtiges Raumprogramm hatten sich die beiden so ungleichen Kräfte gewählt. Hans Georg von Döring, der erste Stationsleiter von Atakpame und direkte Vorgänger Schmidts, hatte sich 1900 das Stationshaus auf der Anhöhe errichten lassen. Es handelte sich um ein Haus, das sich allein schon aufgrund der Baumaterialien, aber natürlich auch aufgrund seiner Größe

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und exponierten Lage erheblich von den Hütten der lokalen Bevölkerung unterschied. Dadurch, dass die Station überdies in einem Hof lag, der die imposante Größe von 70 mal 120 Metern hatte, wirkte sie noch herrschaftlicher. In diesem Hof befanden sich neben dem Haus des Stationsleiters ein Büro, je ein Assistenten-, Dolmetscher-, und Gesindehaus, ein Gefängnis, ein Magazin, zwei lange Schuppen, eine Zimmermannswerkstatt sowie eine Ziegelei und ein Versuchsgarten. Hier war also ein regelrechtes deutsches Wirtschaftsgut samt Verwaltungszentrum errichtet worden. Auf dem anderen Hügel des Ortes wurde Anfang 1901 die Missionsstation der Steyler erbaut. Auch sie war auf einem riesigen Grundstück von über 100 Metern Breite gelegen, das von den einheimischen Behausungen klar abgetrennt war. Darauf befand sich ein stattliches Gebäude, das von den Fratres der Mission sowie von einheimischen Handwerkern errichtete Missionshaus, das zu Ehren des Ordensstifters »Arnoldshöhe« getauft wurde. Es beherbergte neben einem Oratorium für 80 Personen ein Refektorium und die Zimmer für die Patres. Auf dem Grundstück gab es überdies Stallungen und Schuppen, rasch schaffte man auch Pferde, Kühe, Schafe und Ziegen an. Pater Müller hatte eigens »zur Aufbesserung der afrikanischen Rasse« eine Ziege aus Madeira mitgebracht. Außerdem wurden auf dem Grundstück Strauchbohnen, Gurken, Tomaten, Kartoffeln und Getreide angepflanzt. [471]

Vergegenwärtigt man sich, dass in Atakpame ansonsten kaum zwei Meter hohe Hütten üblich waren, die sich keineswegs allesamt auf Hügeln befanden, und dass Steinbauten mit europäischen Dächern genauso unbekannt waren wie Fachwerk, mit Holzrahmen eingefasste Fenster, aus

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Holz und Stein erbaute Stallungen, Steinmauern oder gar Ziegen aus Madeira, wird klar, dass Missionare und Kolonialbeamte einerseits sehr exotisch wirken mussten. Andererseits wird deutlich, wie wichtig es diesen Europäern war, ihren unmittelbaren Wohn- und Lebensraum nach ihren Vorstellungen zu gestalten, ja ihn sich anzueignen, um sich hier heimisch zu fühlen: durch neue Baumaterialien, Hausformen, Benennungen und importierte Tiere. So versuchten sie sich einzurichten an einem Ort, an dem sie eine verschwindend kleine Minderheit darstellten.

Abb. 7

Postkarte aus dem Verlag der katholischen Mission in Lome

Unter den etwa 2000 Bewohnerinnen und Bewohnern von Atakpame gab es nie mehr als ein knappes Dutzend Europäer. [472] Neben Geo Schmidt selbst und ein, zwei ihm unterstellten Beamten waren das einige katholische Missionsangehörige und ein deutscher Kaufmann der Firma Bödecker & Meyer.[473] Auf beiden Stationen lebten neben den Europäern auch

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Afrikaner: Bei Schmidt waren das einige Dolmetscher, sogenannte Boys oder Mädchen wie Adjaro Nyakuda, Stationsdiener, rund 60 Soldaten und einige Handwerker; bei den Steylern waren es einige Handwerker, Schüler und später Lehrer. Selbst wenn man unterstellt, dass das afrikanische Personal der Kolonial- wie der Missionsstation im Laufe der Zeit eine gewisse Vertrautheit mit den Europäern entwickelte und diese sich angewöhnten, sie als »ihre Leute« zu betrachten, so ist doch offensichtlich, dass die Deutschen in Atakpame in einer zwar erhöhten, aber in vielerlei Hinsicht auch isolierten, ja einsamen Welt lebten. Diese Einsamkeit verstärkte sich noch dadurch, dass die Europäer erhebliche Schwierigkeiten hatten, das, was um sie herum vorging, zu verstehen. Gewiss hatten die Missionare und Kolonialbeamten vor ihrem Aufbruch nach Togo versucht, sich über die Region zu informieren, sich vorzubereiten, vielleicht sogar ihr Englisch aufzufrischen. Doch selbst wenn sie alle geographischen Zeitschriften, Missionsberichte und Reisereportagen, wissenschaftlichen Artikel und vielleicht auch Karten eingehend studiert haben sollten, viel konnten sie nicht in Erfahrung bringen – weder über die Region noch über das konkrete Dorf, in das es sie verschlagen sollte, oder gar über die lokalen Sprachen. All das, was man aufgrund von Lektüren der einschlägigen Zeitschriften und Bücher wusste, blieb fragmentarisch und eher spekulativ als empirisch gesättigt. Viele dieser Berichte vermittelten eine eigenwillige Mischung aus nackter Angst, sei es vor Tieren, Krankheiten oder Menschen, auf der einen und Omnipotenzphantasien, wie dieser Raum zu erobern, zu kultivieren oder auch zu pazifizieren sei, auf der anderen Seite.

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Wie fremd und bedrohlich die Ortschaft Atakpame Europäern erschien, zeigt sich nicht nur daran, wie intensiv Geo Schmidt und Pater Müller gleichermaßen versuchten, diesen Raum nach europäischen Vorstellungen zu formen. Schmidt konnte sich noch Jahre später gut daran erinnern, wie er im Februar 1900 »den noch sehr rohen Bezirk Atakpame« erst einmal grundsätzlich neu gestalten musste, um sich dort wirklich niederlassen zu können.[474] In den ersten Berichten, die Schmidt wie Müller über ihre direkten Nachbarn und Nachbarinnen nach Europa schickten, gleichen ihre Einschätzungen denen anderer Europäer in Afrika: Pater Müller etwa schrieb, kaum in Atakpame angekommen, dass »die Männer mit wenig Ausnahmen recht träge, unzuverlässig und trunksüchtig, die Frauen und Mädchen in höchstem Maße kokett und unverschämt frei« seien.[475] Ähnliche, ebenso abschätzige wie pauschale Urteile lassen sich von Geo Schmidt und anderen Beamten zuhauf finden. Sie sagen viel über Ängste und Bedrohungsgefühle, aber auch über Vorstellungen von der eigenen Überlegenheit wie über sexuelle Phantasien aus. Der Missionar Müller und der Kolonialbeamte Schmidt lebten also wie fast alle Missionare und Kolonialbeamten – mit Ausnahme derer, die in den Kolonialhauptstädten wohnten, in denen nach und nach europäische Infrastrukturen und genuin europäische Räume entstanden – an einem Ort, der ihnen fremd war und an dem sie nur langsam neue Alltagsroutinen ausbildeten. Das war einerseits eine Chance, andererseits alles andere als leicht und zweifellos mit zahlreichen Formen der Verunsicherung und in jedem Fall erheblichen Konflikten verbunden. Wie stark im Einzelfall

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Bedrohungsgefühle zum einen und Überlegenheitsphantasien zum anderen empfunden wurden, war unterschiedlich. Jenseits individueller Unterschiede spielten hier auch Faktoren wie Arbeitsalltag, Selbstverständnis und die Strategien zur Bewältigung solcher Situationen, die der Einzelne erlernt hatte, eine ganz erhebliche Rolle. Der Konflikt zwischen Geo Schmidt und Franz Müller (er war unter den Missionaren der Steyler Mission derjenige, der sich am intensivsten im Fall Adjaro Nyakuda, Kukowina und in zahlreichen anderen Konflikten engagiert hatte) erklärt sich freilich keineswegs ausschließlich aus lokalen Gegebenheiten. Der besondere Ort Atakpame bildet nur einen Mosaikstein in dem Geflecht von räumlichen Gegebenheiten, institutionellen und wirtschaftlichen Bedingungen und politischen Voraussetzungen, die Struktur und Verlauf der Auseinandersetzungen beeinflussten. Nicht minder wichtig sind die Beamten und Missionare selbst, ihre Herkunft, Ziele und Aufgaben. All diese Elemente sind wichtig, um das Verhältnis von Mission und Kolonialbeamten und ihre häufigen Streitigkeiten zu verstehen.

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Die Ereignisse überschlagen sich: Mission und Kolonialbeamte im Streit

»Dazu haben wir doch schwerlich unsere Kolonien in Besitz genommen, um dem Eingeborenen ein freies, bequemes Schlaraffenleben zu gewähren, ihm die Annehmlichkeiten des Kulturlebens zu präsentieren, (…) während wir uns in Arbeit plagen, durch Fieber unsere Gesundheit untergraben und Leben und Gesundheit auf’s Spiel setzen!« F. Wolthmann, 1901[476]

Der Beginn des Streits zwischen Kolonialbeamten und Mission ist schwer zu datieren. Öffentlich ausgetragen wurde der Konflikt spätestens, nachdem Kukowina im August 1902 seine Beschwerden über Schmidt in Lome vorgebracht und Gouverneur Waldemar Horn versprochen hatte, diesen nachzugehen. Das hieß erst einmal, dass er den Vorfall nach Berlin meldete. Der gelernte Jurist Horn hatte gerade erst die Geschäfte als Gouverneur übernommen. Er war zuvor in Kamerun Richter gewesen und verfügte über ausgesprochen gute Kontakte zum Berliner Außenministerium,[477] was vielleicht erklärt, warum er sich sofort nach Berlin wandte und nicht erst Schmidt selbst über die Hintergründe der Beschwerden befragte. Erst als dieser von seinem Heimaturlaub aus Deutschland zurückkam und in Lome Zwischenstopp machte, um sich dem neuen Gouverneur vorzustellen, erfuhr der Distriktleiter von den Vorwürfen. Schmidt war äußerst erbost über die Anschuldigungen. Schon im Gespräch mit Horn sprach er von böswilligen Unterstellungen, ja von Verleumdungen, und erklärte, dass nichts, aber auch gar nichts Wahres an Kukowinas Vorwürfen

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sei. Er behauptete, er werde »wider besseres Wissen der Verletzung (…) der Amtspflichten« beschuldigt, dies sei eine »schwere Verleumdung«, und zwar eines Beamten. Wäre Kukowina Europäer gewesen, hätte Geo Schmidt gewiss eine Verleumdungs- oder Beleidigungsklage gegen ihn eingereicht, genauso wie er es bei Pater Schmidt getan hatte. Kukowina war aber als Afrikaner zumindest in Schmidts Augen nicht satisfaktionsfähig. Er bezweifelte Kukowinas Fähigkeit, eine Petition zu verfassen, und argwöhnte in einem Brief an Horn, er sei überzeugt, dass Kukowina zu diesem Schritt »aufgehetzt« worden sei, und zwar von den Steyler Missionaren in Atakpame.[478] Ende Oktober 1902 berief Schmidt eine öffentliche Versammlung ein, stellte also eine lokale Öffentlichkeit her, genauso wie er das im Fall Adjaro Nyakuda einige Monate später wieder tun würde. Zu diesem Palaver erschienen die Dorfältesten und Fetischpriester. Sie sollten Auskunft darüber geben, wie triftig die Beschwerden Kukowinas waren. Befragt wurden laut dem Protokoll, das Schmidt anfertigen ließ, allerdings erst einmal zwei Stationsdolmetscher, der gegenwärtige und der ehemalige.[479] Beide gaben wenig überraschend an, dass sie Kukowinas Beschwerden in weiten Teilen für ungerechtfertigt hielten – immerhin bestätigten sie jedoch die Zerstörung des Dorfes Beko und die Entwendung von fünf Kühen für Dr. Schillings Versuche. In diesem Protokoll sind zudem die Aussagen des »Oberfetischpriesters« der Stadt Atakpame und der Vertreter des Königs Assogbala festgehalten, die zwar, wie es heißt, den Wahrheitsgehalt von Kukowinas Aussage geleugnet, aber trotzdem »um Gnade für Kukowina« gebeten haben sollen.[480]

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Anders liest sich das in den Aufzeichnungen von Pater Müller. Er berichtet von einer Reihe von Männern, die Belege für die Stichhaltigkeit der Beschwerden Kukowinas geliefert hätten. Sie bestätigten die Entwendung von Tieren und die Zerstörung von Dörfern – wobei Schmidt Letzteres, insbesondere die Zerstörung des Dorfes Beko, gar nicht leugnete, sondern rechtfertigte. Sie hätten der Bestrafung gedient, da zu wenig Steuerarbeit geleistet worden sei.[481] Auch zu Kukowinas Verhalten gibt es unterschiedliche Darstellungen. Die einen behaupteten, er habe auf dieser öffentlichen Versammlung alle Vorwürfe zurückgenommen, die anderen, er habe sie bestätigt. Welcher der beiden Darstellungen man auch immer Glauben schenken will, das Palaver stellte zweifellos ein eigentümliches, elementaren Rechtsgrundsätzen widersprechendes Verfahren dar. So agierte Geo Schmidt hier als Kläger und Richter in einer Person, und Aussagen wurden offensichtlich unter Drohungen erpresst. Kukowina wurde anschließend in Haft gesetzt, da er der »wissentlich falschen Anschuldigung« verdächtig sei und überdies Fluchtgefahr bestehe.[482] Auf ausdrückliche Anweisung des Gouverneurs Horn wurde er – wie bereits beschrieben – am 12. November wieder entlassen. Horn stellte sich damit, ähnlich wie auch im Fall von Rotberg und Lang einige Monate später, gegen seine ihm untergebenen Beamten. In den folgenden Monaten kam es anscheinend zu keinen weiteren Vorkommnissen, zumindest schweigen sich sowohl das Kolonial- als auch das Missionsarchiv hierüber aus. Doch im Frühjahr 1903, kurz nachdem Horn die Station Atakpame auf der Durchreise besucht hatte und ihm weitere Klagen

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bezüglich der Verwaltungspraktiken von Schmidt zu Ohren gekommen waren, begannen sich die Ereignisse in Atakpame zu überstürzen. Ein Vergewaltigungsvorwurf wurde laut, von unnötig brutalen Bestrafungen wegen vermeintlicher oder realer Verweigerung von Trägerdiensten und anderen Missständen war die Rede. Stets richteten sich die Vorwürfe gegen Geo Schmidt und stets stammten sie aus Kreisen der katholischen Mission. Zum völligen Bruch zwischen Kolonialbeamten und Mission kam es in dem Moment, als sich einige Chiefs bei Pater Müller darüber beschwerten, dass Schmidt, der für die Weiterreise des Gouverneurs zahlreiche Träger benötigte, zu viele Männer zur Zwangsarbeit rekrutiert habe.[483] Daraufhin schrieb Pater Müller einen – so Frater Jacobus Basten – »geharnischten Brief« an Horn, in dem er sich über Geo Schmidt beschwerte und auf den dieser mit einer Beleidigungsklage reagierte. Pater Müller, so Schmidts Überzeugung, sei der spiritus rector aller Beschwerden, die letztlich jeder Grundlage entbehrten. Die in dieser Angelegenheit eingeleitete, unter Vorsitz des Freiherrn von Rotberg begonnene und von Schmidt maßgeblich mitbestimmte Untersuchung führte nicht nur zu merkwürdigen Verhören, sondern zu der bereits erwähnten Verhaftung aller Atakpamer Missionare mitsamt einigen »Eingeborenen« wegen angeblicher Fluchtgefahr. Daraufhin wandte sich der Togoer Präfekt der Steyler Mission Bücking offiziell um Hilfe an den Gouverneur Horn sowie auch gleich an die Berliner Kolonialabteilung. Überdies drohte er mit Klagen gegen Geo Schmidt und damit, die Verhaftungen der Missionare in Berlin öffentlich zu machen. Erst Mitte Juni,

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nach intensiver Intervention vonseiten Horns, wurden die Missionare wieder freigelassen.

Schon diese kurze Chronologie der Ereignisse zeigt, dass die Beschwerde über Art und Umfang der Zwangsarbeit sowie die Ursachen von Kukowinas Tod anscheinend – zumindest für die Europäer in Togo – zunehmend in den Hintergrund traten und sich der Fall Kukowina immer mehr in einen Fall Geo Schmidt versus katholische Mission verwandelte. Überdies wird deutlich, wie schnell eine Situation eskalieren konnte, und zwar bis zu dem Punkt, dass die Bewohner einer ganzen Missionsstation inhaftiert wurden. Diese Inhaftierung stellte aber nur den vorläufigen Höhepunkt der Konflikte zwischen Mission und Geo Schmidt dar. Allein bis Mitte 1904 gingen acht Klagen bei Gericht ein, alles Beleidigungsklagen, in denen Schmidt den Missionaren vorwarf, sie hätten verbreitet, »Beamte seien alle Nachlaßverwalter, die nur saufen«, und die »Eingeborenen« gegen die Regierung aufgehetzt. Die Mission ihrerseits blieb nicht untätig und behauptete, ein Kolonialbeamter, nämlich der falsche Staatsanwalt Lang, habe den Atakpamer Missionar Witte einen »Lumpenhans«[484] genannt. Der wiederum soll den kaiserlichen Richter als »Botaniker auf dem Gebiete der Rechtssprechung«[485] bezeichnet haben. Die Auseinandersetzungen spitzten sich so zu, dass Geo Schmidt schließlich allein die Formulierung einer Anzeige als Beleidigung auffasste, auf die er mit einer Beleidigungsklage antwortete, mit der Begründung, er fühle sich durch die Anzeige »in der öffentlichen Meinung herabgesetzt«.[486] Später folgten weitere Klagen gegen die Mission, in denen Schmidt behauptete, sie habe sich der

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»Verhetzung zum Ungehorsam der Eingeborenen« schuldig gemacht und dadurch »das Ansehen der Regierung und der weissen Rasse« untergraben.[487] Die Vorwürfe, mit denen man sich gegenseitig mündlich oder schriftlich traktierte, wurden immer abenteuerlicher, die Mittel, deren man sich bediente, immer absurder und der Ton immer schriller.

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Kolonialbeamte: Zwischen Omnipotenz und Scheitern

»Die Hauptvorwürfe gegen die Kolonialabteilung finde ich [sind], daß die Kolonialverwaltung eine ungemein unglückliche und ungeschickte Hand in der Auswahl ihrer Beamten gehabt hat.« Matthias Erzberger, 1905[488]

Georg Albert Ferdinand Schmidt, geboren 1870 im Brandenburgischen, studierte Landwirtschaft und Forstwissenschaft in Berlin und war ab 1895 als Pflanzer auf Tee- und Viehzuchtfarmen in Indien tätig. Er war mit Carl Peters bekannt, Mitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft, Abteilung Berlin-Charlottenburg, und trat 1899 in den deutschen Kolonialdienst ein.[489] Später – wann genau, ist nicht überliefert – hat er geheiratet und wurde Vater von drei Kindern. Er stammte aus den preußischen Kernlanden und war Protestant – beides typisch auch für andere Kolonialbeamte. [490] Seine Mutter war eine von Herzberg, der Vater war Oberförster. Er war damit ein typischer Vertreter der höheren Kolonialbeamtenschaft, die sich meist aus bürgerlichen und zuweilen auch aus adligen Kreisen rekrutierte. Ein Drittel der höheren Beamtenschaft in Togos Kolonialdienst hatte eine militärische, ein Drittel eine juristische Vorbildung, die übrigen waren vor allem Naturwissenschaftler und Ärzte.[491] Eine einheitliche Ausbildung in einem Kolonialinstitut fehlte bis in die 1910er Jahre. Mindestens so wichtig wie die soziale Herkunft war eine spezifisch koloniale Biographie, die sich dadurch

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auszeichnete, dass viele dieser Beamten keineswegs nur an einem Ort Erfahrungen sammelten, sondern in verschiedenen Kolonien Station machten. Dadurch erwarben sie so vielfältige Expertisen im Außereuropäischen, dass sie nach und nach als Experten des Kolonialen begriffen wurden.[492] Schmidt war zuvor in Indien gewesen und nach seinem Dienst in Togo noch in Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Rumänien, Mexiko und der Türkei tätig. Während der Weimarer Republik versuchte er verzweifelt, aber erfolglos, weiter im Ausland eingesetzt zu werden.[493] Der Arzt und Kolonialbeamte Hermann Kersting, der im turbulenten Frühjahr 1903 ebenfalls zeitweise in Atakpame auftrat, hatte Ostafrika, Neuguinea und den Westsudan durchreist. Später widmete er sich auf seinen Reisen durch die Südstaaten und Brasilien der Erforschung der Rassenfrage, bevor er schließlich Vizegouverneur der Karolinen wurde, einer Inselgruppe im Pazifik. Den Togoer Regierungsarzt Ludwig Külz, der unter anderem im Prozess gegen Schmidt als Beisitzer eine Rolle spielte, verschlug es später nach Kamerun und Deutsch-Neuguinea. Im Ersten Weltkrieg praktizierte er an der türkisch-persischen Front. Horn, 1902 und 1903 Gouverneur in Togo, war vorher in Kamerun und Südwestafrika tätig gewesen. Julius Graf von Zech, der bis 1910 Gouverneur von Togo war, hatte Reisen nach Marokko, Algerien, Tunesien sowie in die Nachbarkolonien Togos unternommen. Auch der Bezirksleiter von Misahöhe, Dr. Gruner, der insofern in die Streitigkeiten verwickelt war, als man ihm »gehässige Äusserungen gegen die katholische Mission in Atakpame«[494] vorwarf, und der über 20 Jahre in

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Togo tätig war, unternahm zahlreiche Reisen in andere afrikanische Regionen. Selbst wenn einige andere – wie Döring, der erste Distriktleiter Atakpames, den ein Teil der Bevölkerung so gerne zurückhaben wollte – viele Jahre in Togo blieben, zeigt sich doch, dass viele koloniale Biographien dadurch gekennzeichnet waren, dass man meist verschiedene koloniale Räume kannte. Manche Zeitgenossen behaupteten, dass diese Männer aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen im Außereuropäischen für ein Leben in Deutschland unbrauchbar geworden seien. Was zeichnete Kolonialbeamte wie Schmidt neben ihrer spezifischen sozialen Herkunft und vielfältigen kolonialen Erfahrungen aus? Gouverneur Horn beschrieb Schmidt als leistungsorientierten, »außerordentlich selbstbewussten, aber auch selbstherrlicheren Mann«, der zuweilen »über das Ziel hinausschießt«. Auch in späteren Beurteilungen hieß es stets, er habe sich ebenso durch Fleiß und Tüchtigkeit wie – so ein Schreiben aus dem Jahr 1920 – durch ein »autokratisches Wesen« ausgezeichnet. Dass man in Missionskreisen von starkem Selbstbewusstsein, ja »stark egozentrischer Einstellung« in Bezug auf Schmidt sprach, passt in dieses Bild. Und doch war Schmidt trotz mancher Eigenheiten nicht unbedingt selbstherrlicher als andere Kolonialbeamte. Vielen von ihnen war eine Haltung zu eigen, die Überlegenheit, Kompetenz und umfassendes Selbstvertrauen ausstrahlte.[495] Diesen Habitus – wie zeitgenössisch üblich und von der Forschung häufig übernommen – unter Schlagworte wie »Assessorismus« oder »Übermenschentum« zu fassen wäre eine einseitige Hervorhebung der zweifellos vorhandenen

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umfassenden Gewaltbereitschaft und Rücksichtslosigkeit. Genauso irreführend ist es, wenn man der einschlägigen zeitgenössischen Kolonialpropaganda folgt, die nicht müde wurde zu betonen, dass der Kolonialbeamte sich durch eine spezifische Festigkeit des Charakters auszeichne oder, wie es bei dem Direktor der Kolonialschule Witzenhausen, Fabarius, heißt, eine »besondere frische, vielseitige und umsichtige Veranlagung, gepaart mit gutem Blick für die praktischwirtschaftlichen Dinge des Lebens« mitbringe.[496] Die meisten Kolonialbeamten waren weder brutale Menschenschinder noch ausgesprochene Gentlemen mit geradezu übermenschlichen Charaktereigenschaften.[497] Doch zeichneten sich viele durch ein eigentümliches Amalgam aus, in dem beide Aspekte eine Rolle spielten und noch weitere Eigenschaften hinzukamen: Sie glaubten, strukturell überlegen zu seien, sie nahmen also gerne einen Herrenstandpunkt ein und waren daher häufig unfähig, sich in weniger hierarchisierten sozialen Gefügen zu bewegen. Daneben zeichneten sie sich durch eine im Duktus wissenschaftlicher Objektivität gekleidete Überlegenheitsphantasie und Gewaltbereitschaft aus, die in vielen alltäglichen Handlungen, in manchen lakonischen Notizen und in Gedrucktem deutlich zutage trat. Ihnen war auch ein bestimmter Beobachtungshabitus zu eigen, mit dem sie in wissenschaftlichen Abhandlungen Pflanzen im gleichen Gestus und im selben Atemzug beschrieben wie Menschen und Bodenschätze. Anderseits waren Kolonialbeamte in ihrer täglichen Verwaltungsarbeit genauso wie in ihren Bemühungen, Kolonien wirtschaftlich profitabel zu machen, immer wieder mit Erfahrungen des Scheiterns konfrontiert.

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Schmerzlich erlebten sie die Grenzen ihrer Macht und die Wirkungslosigkeit ihrer Versuche, Raum und Menschen zu regieren – Erfahrungen, die auch daher rührten, dass die an sie gestellten Anforderungen in sich widersprüchlich waren. Sie waren als Repräsentanten des deutschen Staates zuständig für das Regiment über die lokale Bevölkerung, arbeiteten zudem als Wissenschaftler und waren auch noch verantwortlich für die Steigerung der wirtschaftlichen Rentabilität der Kolonien. Ein Sprechen über dieses Scheitern und über die Vergeblichkeit der eigenen Arbeit war weitgehend tabuisiert, verstieß es doch gegen die kolonialen Regeln des Sagbaren und Unsagbaren – ein Umstand, der die Spannungen noch verschärfte.

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Kolonialbeamte: Experten des Exakten und Effizienten

»Schmidt hat sich in sechsjähriger Kolonialdienstzeit als ein tüchtiger, energischer Beamter erwiesen, welcher seinen Bezirk gut verwaltet und besonders in wirtschaftlicher Beziehung wesentlich gefördert hat.« Bernhard Dernburg, 1906[498]

Fast alle Kolonialbeamten gingen auf ihren Stationen wissenschaftlichen Arbeiten nach. Dies wurde von Kolonialbeamten in allen europäischen Kolonien explizit verlangt. So stellte Geo Schmidt rückblickend fest, »fast alle (…) Kolonialbeamten (…) waren größere und kleinere Forschernaturen«.[499] Er selbst verfügte über botanische Kenntnisse, die er in einem 1903 publizierten umfänglichen Artikel über die »Kultur des Thees in Indien« ausbreitete. Hier stellte er unter Beweis, dass er eigene Experimente unternommen hatte; hier beschrieb er genau, wie Pflanzungen anzulegen seien, wie die dort tätigen Arbeiter zu entlohnen und wie die Renditen solcher Anlagen zu erhöhen seien.[500] Andere seiner Beiträge beschäftigten sich mit den vom Kolonialwirtschaftlichen Komitee unterstützten Versuchen, in Togo in großem Stil die Möglichkeit einer rationellen »Baumwollkultur als Eingeborenenkultur« auf kleinen Farmen zu erproben.[501] In diesen Publikationen hob er in erster Linie seine wissenschaftliche Expertise in kolonialen Angelegenheiten hervor, die ein weites Spektrum umfasste: die Prüfung von Teesorten und künstlichen Düngemitteln, die Schädlingsbekämpfung sowie Fragen, die seiner Ansicht nach

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nur im »Laboratorium« zu beantworten waren, aber auch den Umgang mit »Eingeborenen«. Überall sah er sich als Experte auf wissenschaftlichem Niveau. Er beteiligte sich schließlich auch an Landvermessungsarbeiten, was dazu führte, dass das zweite Blatt des Togoer Kartenwerks 1905 erscheinen konnte. Nach seiner Entlassung aus dem Dienst in Togo rühmte er sich sogar, als Berufsgeologe in Kamerun gearbeitet zu haben, und zwar unter schwersten Bedingungen. Darüber hinaus publizierte er ein Buch über Mexiko sowie einige Artikel über [502]

die Nutzpflanzen Afrikas und über das Kolonialwirtschaftliche Komitee, in dem er nach dem Ersten Weltkrieg eine leitende Position einnahm.[503] Diese wissenschaftliche Expertise und der Rekurs auf wissenschaftliche Institutionen und Gepflogenheiten waren vielen Kolonialbeamten wichtig, davon zeugen Briefe, Erinnerungen und wissenschaftliche Abhandlungen einer ganzen Reihe anderer Kolonialbeamter. Der Arzt Külz, der zur gleichen Zeit wie Geo Schmidt in Togo tätig war, inszenierte sich als medizinischer Forscher mit umfänglichen Kompetenzen auf allen nur erdenklichen Gebieten, die von Tropenkrankheiten bis zur Psyche des »Negers« reichten und auch Geologie und Zoologie umfassten. Gleichzeitig sah er sich als kompetenten Praktiker der Hygiene und als Experten für Malaria. So führte er in Togo eine auf immerhin 44 Fällen basierende Untersuchung dieser Tropenkrankheit durch.[504] Nach seiner Tätigkeit in Kamerun und einer medizinischdemographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition veröffentlichte Ludwig Külz Studien zur »Eingeborenenbevölkerungspolitik« und zu verschiedenen Krankheitstypen.

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Julius Smend, der im Januar 1902 Schmidt in Atakpame besucht hatte, konnte neben seiner Arbeit als Kolonialbeamter, obwohl nur Leutnant, mit lateinischen Fachtermini über Käfer schreiben. Auch analysierte er gekonnt, dass »die Eingeborenen zäh, behände, muskulös, sehnig und ohne Fettansatz« seien, um im gleichen Atemzug zu erwähnen, dass in ganz Togo »Schwein, Schaf und Ziege in sehr hässlichen, durch Inzucht degenerierten Vertretern gehalten« würden.[505] Er berichtete aus Togo von den dort lebenden »Negertypen« und wie sich diese durch Sprache, Körperbau, »Sitten und Trachten« unterschieden.[506] Auch machte er sich als Förderer des Berliner Zoologischen Museums dadurch beliebt, dass er eine »große Anzahl von Tieren aus Togo als Geschenk« überbrachte.[507] Auch der schon erwähnte Bezirksleiter Döring, der Mathematik, Geographie und Naturwissenschaft studiert hatte, sah sich als Ausbund von wissenschaftlicher und kolonialer Kompetenz, sprach allerdings nur »Küstenenglisch« und war für gewalttätige Übergriffe bekannt. Immerhin konnte er sich rühmen, an der Vermessung und Erstellung von Karten beteiligt gewesen zu sein. Auch wurde er nicht müde, immer wieder Pflanzen an das Botanische Institut in Dahlem zu schicken, bis endlich einer dieser Pflanzen der Beiname Doerengi gegeben wurde.[508] Hans Gruner wiederum leitete die sogenannte TogoHinterlandexpedition von 1894/1895, die »wissenschaftliche und politische Ziele« verfolgte – so der damalige Gouverneur. Im Anschluss daran veröffentlichte er zahlreiche Studien, zum Beispiel 1898 einen Beitrag zur »Behandlung der [509]

Eingeborenen in den deutschen Kolonien«.[510] Seine mit den

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Forschungen verbundenen Tätigkeiten waren unterschiedlich: Sie reichten vom Abfassen eigenständiger Studien über das Erheben von Daten bis zum Sammeln von Pflanzen und Tieren samt ihrer Konservierung. Diese Präparate beschriftete er und fügte biologische Angaben bei, was unabdingbar war, wenn man einzelne Schädel oder Teile von Tieren verschickte.[511] Es musste aber nicht bei Tierschädeln bleiben. So präparierte Dr. Hermann Kersting, Bezirksleiter in Togo und häufiger Zeuge in den Atakpamer Prozessen, den Schädel eines einheimischen Kochs, der angeblich eines natürlichen Todes gestorben war, und schickte ihn nach Berlin an das Naturhistorische Museum.[512] Er unternahm auch Versuche mit Dattelpalmen und anderen Nutzpflanzen, was schließlich lobend in der Deutschen Kolonialzeitung erwähnt wurde.[513] Kersting war auch derjenige, der die ethnologischen Forschungen von keinem geringeren als Leo Frobenius tatkräftig unterstützte, indem er Kontakte zu Einheimischen vermittelte und den noch unerfahrenen Afrikaforscher auf wichtige Gebräuche und Rituale in seinem Distrikt hinwies.[514] So unterschiedlich die wissenschaftlichen Arbeiten der Kolonialbeamten auch waren, allen war diese Seite ihrer Tätigkeit wichtig. Schmidt etwa hob gerne seine Verbindungen zur Botanischen Zentralstelle für die Kolonien in Dahlem hervor. Auch ließ er nichts unversucht, doch noch zu einem akademischen Grad zu kommen, und sei es nur ein Ehrendoktor, was ihm schließlich 1938 an der Universität Halle auch gelang.[515] Meist sprengten die wissenschaftlichen Tätigkeiten der Beamten die engen Grenzen akademischer Wissenschaften, da sie einen praktischen Bezug hatten, der sich an den Anforderungen der kolonialen Wirtschaft

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orientierte. Diese Orientierung an Praxis und Ökonomie wurde von den Beamten immer wieder betont, sahen sie hier doch ihr – neudeutsch formuliert – Alleinstellungsmerkmal. So unterstrich etwa Schmidt seine Kompetenz als Praktiker, wenn er bezüglich neuer Baumwollfelder schrieb, dass auch »Arbeitskraft genügend und billig vorhanden« sei, oder wenn er in späteren Abhandlungen hervorhob, wie wichtig die Erfahrungen im Landbau seien, wolle man erfolgreich Plantagenunternehmen aufziehen.[516] Teilweise eng mit dieser wissenschaftlichen Expertise verbunden war das ökonomische Know-how, das nicht nur Schmidt immer wieder herausstellte und das einen wichtigen Teil seiner Arbeit ausmachte. So waren unter seiner Aufsicht mittels Zwangsarbeit Baumwollversuchsfelder angelegt worden, was wiederum in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten gesehen wurde. Schließlich sei der »nationalökonomische Zweck« der Kolonien »die Anzucht von Rohstoffen« – so betonte Kolonialdirektor Dernburg.[517] Auch Schmidt und mit ihm viele andere Kolonialbeamte – im Übrigen auch in den englischen und französischen Kolonien[518] – hielten die wirtschaftlichen Gründe für den Kolonialerwerb für die eigentlich ausschlaggebenden.[519] Allen wirtschaftlichen Aspekten, die im kolonialen Raum von Bedeutung waren, schenkte Schmidt besondere Beachtung.[520] So ließ er verlautbaren, dass er seine Aufgabe darin sehe, in der staatlichen Verwaltung sichtbare Fortschritte zu erzielen und »bleibende Werte« zu schaffen.[521] Auch andere betonten, dass man »seine Ehre und seinen Stolz« darauf setze, den »anvertrauten Bezirk nach Möglichkeiten kulturell zu heben, besonders durch den Bau guter, befahrbarer Straßen«.[522] Eine

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wirtschaftliche Optik bestimmte auch die Sicht auf die »Eingeborenen«, deren praktische Kenntnisse und Fertigkeiten Schmidt besonders ausbilden wollte, da »der eingeborene Arbeiter der wichtigste Faktor in der Kolonialwirtschaft« sei. [523] In einem anderen Zusammenhang wurde betont, dass sich Schmidt um die wirtschaftliche Entwicklung seines Bezirks sehr verdient gemacht habe[524] – was man nicht für bare Münze nehmen muss, es zeigt vor allem eine der Anforderungen, die an Kolonialbeamte gestellt wurden. So hieß es in dem programmatischen Artikel zur Vorbildung der Kolonialbeamten vom Leiter der Kolonialschule Witzenhausen, Fabarius, dass ein »wirtschaftlich-technisches Verständnis« der Beamten unerlässlich sei.[525] Auch der spätere Kolonialdirektor Dernburg wurde nicht müde, »ein Sicheinleben in kaufmännische Begriffe« von den Kolonialbeamten zu fordern.[526] Gleichzeitig sah Geo Schmidt – und damit ist ein dritter Aspekt des Selbstverständnisses von Kolonialbeamten benannt – sich und seine Arbeit nicht nur unter wissenschaftlichen und ökonomischen Aspekten, er habe »auch wirkliche Kulturarbeit« geleistet,[527] wie er die Leserschaft einer Streitschrift wissen ließ, die er anlässlich des Skandals veröffentlichte. Hier argumentierte er ähnlich wie in der Debatte über die sogenannte Erziehung zur Arbeit: Man hielt die ökonomisch motivierte Anlage von Plantagen und Versuchsgärten auch deshalb für wichtig, weil sie gleichzeitig eine Möglichkeit eröffnete, die lokale Bevölkerung über die Zwangsarbeit mit dem Wert von Arbeit bekanntzumachen und ihr damit europäische Arbeitsethiken zu vermitteln. Kulturarbeit wurde in den einschlägigen Bestimmungen wie in

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Erinnerungen und Briefen der Kolonialbeamten immer wieder als zentrale Aufgabe genannt – was einer der Gründe dafür war, dass die starke Betonung der Kulturarbeit vonseiten der Missionare häufig als Angriff auf das eigene Selbstverständnis aufgefasst wurde.

Und doch: Zwar betonten Kolonialbeamte die wissenschaftlichen Aspekte und die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung ihrer Arbeit und hoben hervor, dass erst ihre Expertise den bis dato unentdeckten Raum beherrschbar machte, dass allein ihre ökonomische Kompetenz dem Deutschen Reich die so bitter nötige Vorherrschaft auf dem Weltmarkt sicherte und dass auch die Fortschritte bei der Zivilisierungsarbeit unübersehbar seien. Und doch waren die Grenzen ihrer Möglichkeiten gerade auf diesem Gebiet schnell erreicht. Wissenschaftliche wie wirtschaftliche Erfolge stellten sich nur mühsam ein, wenn überhaupt, und vieles scheiterte oder blieb Stückwerk und fand nur wenig Anerkennung. So musste Döring lange warten, bis endlich eine Pflanze seinen Beinamen trug. Schmidt erlebte – wie noch zu zeigen sein wird – das Scheitern seines größten landwirtschaftlichen Projektes, des Baumwollanbaus in Togo. Külz’ wissenschaftlicher Nachruhm wurde nicht nur von seiner Morphiumabhängigkeit überschattet, sondern auch vom Erfolg anderer. Und dem Arzt Kersting wurde der Vorwurf gemacht, dass sein sorgfältig präparierter Menschenschädel sich letztlich einem von ihm selbst verübten Gewaltverbrechen verdanke. Allein Dr. Claus Schilling, der nicht nur im Nyakuda-Prozess wichtige Gutachten zum Körperbau der »Negerin« liefern konnte, sondern auch hochgelobte Veterinärexperimente in

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Atakpame unternahm, erlebte wissenschaftliche Anerkennung. Er war freilich kein Kolonialbeamter. Als alter Mann wurde er dann schließlich wegen Menschenversuchen in Konzentrationslagern, unter anderem auf einer MalariaVersuchsstation, in den Dachau-Prozessen 1945 zum Tode verurteilt. Auch die wirtschaftlichen Erfolge der Beamten waren in der Regel begrenzt, da sie weder über ausreichende Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten verfügten noch die einheimische Bevölkerung so beeinflussen konnten, dass sie die ihnen abverlangte körperliche Arbeit zur Zufriedenheit der Europäer erfüllte. All das war den Beamten durchaus bewusst, wie nicht zuletzt der lange Seufzer verdeutlicht, den Geo Schmidt in einem Verwaltungsbericht an den Gouverneur zu Papier brachte. Da hieß es: »Trotzdem wohl im Bezirk Atakpame die weitaus meisten Routen aufgenommen worden sind, gibt es doch noch unbekannte kleine Wege und Dörfer, die in dem unübersichtlichen Gelände bisher nicht aufgenommen wurden. Seit Jahr und Tag arbeite ich schon an einer genauen Verwaltungseinteilung und Grundlage zur Zählung der Eingeborenen, doch bleibt bei der großen, sonst noch zu erledigenden Arbeit nur recht wenig Zeit, diese Arbeit zu Ende zu führen.«[528]

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Kolonialbeamte: Repräsentanten des Kaiserreichs

»Horn said: I am here to do justice to both black and white. These are heroic words, if you read between the lines it means a lot to us Africans.« Quashie, 1911[529]

Im Kern der Tätigkeit als Kolonialbeamter standen weder deren wissenschaftliche noch die kulturellen und wirtschaftlichen Aspekte, sondern die Regierungsarbeit, die Stellung als Regierungsbeamter. Man war schließlich in erster Linie Vertreter des Deutschen Kaiserreichs und seiner Institutionen. So ist es auch nur folgerichtig, dass »in den Kolonialdienst des Reiches (…) vorzugsweise solche Bewerber übernommen [werden], welche im Reichs- oder Staatsdienst stehen«.[530] Man erwartete also eine Identität als deutscher Staatsdiener und ging davon aus, dass ein solcher Kolonialbeamter den deutschen Staat und seine Institutionen vor Ort würdig vertreten werde. Diese Identifikation mit genuin nationalen Anliegen zeigt sich deutlich in Schmidts Kampf für die Verwendung der deutschen Sprache in der Kolonie. Damit machte er sich zum Vertreter der besonders durch Berlin stark forcierten Germanisierungspolitik, worin er von anderen Kolonialbeamten vor Ort, wie etwa Gruner und Külz, massiv unterstützt wurde.[531] Im Wesentlichen ging es dabei darum, dass 1900 in Togo gegen den erklärten Willen der Mission eine Verordnung in Kraft getreten war, nach der an den Schulen ausschließlich Deutsch unterrichtet werden sollte,

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womit direkt in die schulische Arbeit der Missionen eingegriffen wurde. Die Missionen hatten auf diesem Gebiet noch 1911, als es neben 300 Missionsschulen immerhin bereits zwei staatliche Bildungseinrichtungen gab, eine gewisse Monopolstellung.[532] Und so verwundert es nicht, dass sich die Norddeutsche wie die Steyler Mission gegen das Verbot des Englischen und der lokalen Sprachen vehement zur Wehr setzten. Sie betonten die Notwendigkeit eines Unterrichts in der lokalen Sprache, da sonst niemand seine Kinder in die Schule schicken würde. Die Missionare wiesen aber auch auf die Notwendigkeit hin, in Englisch zu unterrichten, da es die Sprache des Handels sei und die lokale Bevölkerung diese und nicht das Deutsche benötige. Und in der Tat hatte die einheimische Bevölkerung großes Interesse daran, dass ihre Kinder Englisch lernten, da es die lingua franca der Elite dieser Region war, während das Deutsche nur für diejenigen interessant war, die im deutschen Kolonialdienst oder bei der Mission als Übersetzer arbeiten wollten.[533] Pater Müller wusste sogar von einem regelrechten Streik der Missionsschüler in Atakpame zu berichten, mit dem sie ihre Forderung nach Englischunterricht durchsetzen wollten.[534] Kolonialbeamte wie Schmidt hingehen sahen in der Sprachpraxis der Missionsschulen einen Beleg dafür, dass die Mission »mehr in fremdländischem als in deutschem Sinn« wirke.[535] Dabei sei es doch unerlässlich, dass man überall für deutsche Schulen, deutsche Vereine, deutsche Zeitungen, deutsche Sprache, deutsche Sitte und Anstand sorge, so schrieb Schmidt 1924.[536] Er jedenfalls nahm diese sogenannte Schulfrage bereits 1900 zum Anlass, um einen ersten heftigen Disput mit Pater Müller vom Zaun zu brechen: Schmidt bestand auf der Einführung des Deutschen im Schulunterricht

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und betrachtete einen Verstoß gegen die Verordnung als regelrechten Hochverrat an der deutschen Identität.[537] Müller seinerseits reagierte so schroff, dass er vonseiten des Steyler Mutterhauses zurechtgewiesen werden musste. Zugleich zeigt sich hier die für viele Kolonialbeamte typische mangelnde Bereitschaft, die lokalen Sprachen zu erlernen, etwa das Ewe. Weder Schmidt noch Beamte wie Gruner oder Döring, die mehr als zehn Jahre in Togo lebten, bemühten sich, die lokalen Sprachen zu erlernen. Sie kommunizierten stets über Dolmetscher.[538] Hinsichtlich der Sprachenfrage war das Selbstverständnis als Vertreter des Deutschen Kaiserreichs zumindest argumentativ noch leicht zu legitimieren. Hier konnte man sich auf eine seit Herder zur Gewissheit gewordene Vorstellung berufen: Sprache und Nation waren demnach untrennbar miteinander verbunden, und Afrikaner konnten deshalb nur durch die Beherrschung der deutschen Sprache zu guten deutschen Untertanen werden. In anderen Arbeitsbereichen Geo Schmidts war eine solche Rechtfertigung freilich schwieriger. So stieß Schmidt in seinen eigentlichen Kernaufgaben als Verwaltungsfachmann, Gerichtsherr und oberste Exekutivkraft nicht nur in Bezug auf sein Selbstverständnis immer wieder an Grenzen. Auf all diesen Feldern das deutsche Kaiserreich in Afrika zu repräsentieren stellte eine kaum zu bewältigende Herausforderung dar. Und das aus zwei Gründen: Erstens fehlte es an finanziellen, logistischen und auch technischen Möglichkeiten, um Administration, Justiz und Exekutive so aufzubauen, dass sie auch nur rudimentärsten Anforderungen genügt hätten. Zweitens verstieß die Tatsache, dass ein und

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dieselbe Person Legislative, Judikative und Exekutive in sich verband, gegen die Grundsätze eines modernen Staats, die auf Montesquieus Lehre von der Gewaltenteilung basierten.[539] Hinsichtlich dieses zweiten Aspekts zeigt sich, dass Geo Schmidt, ob er wollte oder nicht, tagtäglich alle Vorstellungen von einem modernen Staatswesen Lügen strafte. So war er gezwungen, eine von ihm selbst erlassene Verordnung nicht nur von ihm unterstehenden Exekutivkräften durchsetzen zu lassen, sondern bei Verstoß gegen diese auch noch höchstpersönlich darüber zu Gericht zu sitzen. Genau das war laut den Vorwürfen Kukowinas passiert: Schmidt hatte als höchste exekutive Gewalt seinen Soldaten befohlen, in Dörfern, die den von ihm selbst als höchster legislativer Instanz erlassenen Verordnungen von Steuerarbeit nicht nachkamen, zur Strafe Vieh konfiszieren zu lassen. Über die Konflikte, die sich dabei ergaben, saß er dann als Vertreter der Judikative auch noch zu Gericht. Die Tätigkeit als Distriktleiter oder auch Gouverneur widersprach aber nicht nur deshalb dem Kerngedanken moderner Staatlichkeit, weil es keine Gewaltenteilung gab. Es kam hinzu, dass weder Verwaltung noch Exekutive geschweige denn die Justiz so funktionierten, wie es zeitgenössisch von einem deutschen Staat erwartet wurde. Der Fall von Adjaro Nyakuda hat dieses strukturelle Nichtfunktionieren in Bezug auf das Rechtswesen bereits deutlich gemacht. Bezogen auf die Verwaltung zeigte es sich darin, dass kein deutscher Kolonialbeamter (und im Übrigen auch kein französischer oder englischer) in der Lage war, eine moderne Verwaltungskultur vor Ort durchzusetzen (selbst wenn er es gewollt hätte): Weder konnte in Togo von

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Gleichförmigkeit noch von Gleichheit oder Einheit, den im Kaiserreich wie in allen europäischen Staaten der Zeit geltenden zentralen Verwaltungsprinzipien, die Rede sein. So waren – um nur ein Beispiel zu nennen – weder Geo Schmidts Atakpame-Distrikt noch andere Bezirke in gleichförmige Unterdistrikte mit gleich vielen Bewohnern eingeteilt, die einheitlichen Regelungen unterworfen waren. Und doch sollten die Kolonialbeamten genau das leisten, um als Vertreter moderner Zivilisation ihre Differenz auch durch den Aufbau einer Verwaltung unter Beweis zu stellen, die den Anforderungen an moderne Staatlichkeit gehorchte. Der Widerspruch zwischen diesen Anforderungen und den alltäglichen Realitäten zeigte sich für Schmidt immer wieder in den belanglosesten Alltagsroutinen, etwa wenn es darum ging, die Jahresberichte über den eigenen Bezirk abzufassen. Berlin forderte von jedem Stationsleiter solche nach einheitlichen, genau vorgegebenen Richtlinien verfassten Berichte. Meist ging es darum, Statistiken zu erstellen, die Auskunft über den jeweiligen Bezirk gaben: Wie viele Einwohner lebten dort, wie viel Steuerarbeit war geleistet worden, wie viele Hütten zählte der Bezirk, was wurde angebaut und welche Handwerke gab es, wie viele Krankheiten waren aufgetaucht und möglichst auch geheilt worden, wie viele Straffälle in welchen Deliktgruppen waren wie geahndet worden – all das musste korrekt angegeben werden. Nicht zu Unrecht ist immer wieder darauf verwiesen worden, dass gerade dieses Kartographieren, Zählen und Beschreiben, das letztlich ja auch darauf hinauslaufen sollte, die kolonialen Untertanen genauso wie die Beamten selbst zu kontrollieren,[540] zentral für die Etablierung kolonialer

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Herrschaft war. Und gewiss mühte sich Schmidt wie die meisten anderen Beamten redlich, detailliert alle Daten zusammenzutragen, was etwa sein Bericht über die Steuerarbeit aus dem Jahre 1903 zeigt, der sehr präzise Zahlen über Dorfgrößen und ihre Bewohnerschaft enthält.[541] So erstellte er unzählige Tabellen und Statistiken und versuchte sich auch in anderen Formen der Quantifizierung. Und doch war genau diese exakte Erfassung – und zwar nicht nur, wie Schmidt selber schrieb, aufgrund von Zeitmangel – schier unmöglich. Die Größe der Bezirke und die mangelnde personelle Ausstattung, das Fehlen funktionierender Verkehrsverbindungen und mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten ließen es schlicht nicht zu, diese Aufgabe zu erfüllen.[542] Kaum ein Beamter kannte jeden Teil seines Bezirks, geschweige denn, dass er in der Lage war – schon rein sprachlich – zu verstehen, welche Angaben seine Bediensteten ihm lieferten. Auch war es ihm nicht möglich, diese Angaben zu überprüfen, war er doch dafür auf die lokale Bevölkerung angewiesen, die daran jedoch keinerlei Interesse hatte. War der zu verwaltende Raum schon nicht zu erfassen, so konnte er noch weniger nach den modernen Prinzipien der Verwaltung bürokratisch durchdrungen werden. Aber genau diese Illusion erzeugten Schmidt und die anderen Beamten mit jedem Bericht und jeder neuen Tabelle. Das heißt, sie suggerierten sich und Berlin die Erfass- und Kontrollierbarkeit des Raums und hielten die Illusion aufrecht, dass dieser gleichermaßen von deutscher Verwaltung und deutschen Rechten durchdrungen sei. Genauso wie Trutz von Trotha vom »Problem der Fiktivität in der Kontrolle des Stationsleiters«[543] spricht, kann man von der Fiktivität der

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Kontrolle durch den Stationsleiter sprechen. Die Kolonialbeamten setzten moderne Verwaltung nach außen hin – der Kolonialabteilung gegenüber – sowie teilweise für sich selbst immer wieder in Szene und wussten doch, dass eine gleichförmige Verwaltung allein an der Erfassbarkeit von Raum und Menschen scheitern musste. So hieß es dann in Nebensätzen: »Seit Jahr und Tag arbeite ich schon an einer genauen Verwaltungsaufteilung und Grundlage zur Zählung der Eingeborenen«, und doch fehle genau diese »genaue Grundlage über die Bevölkerung«, weil eben das »Land nicht genau bekannt« sei.[544] Ähnlich widersprüchlich war die Arbeit der Kolonialbeamten als Vertreter der Exekutive, konnten sie doch Recht, selbst wenn sie es wollten, niemals so durchsetzen, wie es von ihnen verlangt wurde und wie sie es mit ihren langen und präzisen Berichten etwa über den Strafvollzug Glauben machen wollten. Auch hier gab es genaue Listen, wer aufgrund welches Deliktes mit wie vielen Hieben unter Hinzuziehung welcher Zeugen bestraft wurde. Diese Straflisten wurden aufgrund von Vorgaben aus Berlin sogar immer detaillierter.[545] Und doch war allen klar, dass die selbst durchgeführte Strafrechtspflege – und noch weniger die, welche an die lokalen Chiefs delegiert worden war – kaum jemals korrekt verschriftlicht und nach den geltenden Rechtsvorschriften vollzogen wurde. Gewiss konnte die Nichteinhaltung der Gewaltenteilung vor Ort genauso wie das tagtägliche Scheitern am Aufbau einer modernen Verwaltung mit dem Verweis auf die angeblich nur langsam zu überwindende Rückständigkeit afrikanischer Gesellschaften erklärt werden. Und doch blieb

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der Widerspruch zwischen den in der Kolonialabteilung formulierten Ansprüchen und der Realität vor Ort eklatant, ebenso wie die in der deutschen Öffentlichkeit hergestellten Bilder eines mit den Segnungen westlicher Zivilisation beschenkten kolonialen Raums mit der Wirklichkeit in keiner Weise in Einklang zu bringen waren. Mit Vorliebe berichteten die einschlägigen Blätter des Kolonialwirtschaftlichen Komitees über großangelegte Infrastrukturpläne, wie das togolesische Baumwollprojekt, aber auch über den Eisenbahnbau, Plantagenanlagen und Straßenbau, und das immer mit Verweis auf die enormen Erfolge sowie auf die große Dankbarkeit der einheimischen Bevölkerung. Dadurch erzeugten sie die Vorstellung wie auch die Erwartung, dass der Kolonialbeamte ein vorbildlich geordnetes Territorium zum Wohle aller verwaltete – ein Trugbild. Neben der Verwaltung und der Exekutive trat dieser strukturelle Widerspruch – einerseits die Errungenschaften moderner Zivilisation verkörpern zu sollen und sie andererseits tagtäglich außer Kraft zu setzen – im Rechtswesen am deutlichsten zutage. Schmidt beispielsweise wurde nicht müde, das staatliche Gerichtsmonopol auf der einen Seite zu verteidigen, etwa wenn er sich beschwerte, dass sich die Mission fast bei jeder Gelegenheit einmische, wenn es um eine Bestrafung gehe.[546] Auf der anderen Seite trat er selbst Rechtsvorschriften, wie der Fall Adjaro Nyakuda gezeigt hat, nur allzu oft mit Füßen. Die vielfältigen Anforderungen an Kolonialbeamte, die von Wissenschaft und Kulturarbeit über die Beförderung der kolonialen Ökonomie bis zur Repräsentation des Staates vor Ort und der Beherrschung des Raums und seiner Bevölkerung

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im Sinne der deutschen Kolonialregierung reichten, waren also durch zahlreiche innere Widersprüche gekennzeichnet. Ein Widerspruch, der alle diese Aufgabenbereiche durchzog, wurde individuell gewiss besonders stark empfunden: Denn der Kolonialbeamte erschien zwar einerseits als omnipotenter Mann, bei dem sich eine schier unendliche Fülle von Macht konzentrierte. Zugleich aber verstand er weder den Raum noch die Bevölkerung, die er beherrschen sollte, und war beiden wehrlos ausgeliefert, denn er befand sich weit entfernt von Unterstützung aus Berlin oder auch nur aus Lome und blieb meist auf sich allein gestellt.

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Kolonialbeamte: Machtfülle und Angst

»(…) der Schutz und die Fürsorge für die schwarzen Eingeborenen – das ist der Kern einer jeden Kolonialpolitik.« Matthias Erzberger, 1906[547]

Von der Machtfülle der Bezirksleiter zeugt allein schon eine kaum enden wollende Reihe von Gewaltakten, die nicht nur Geo Schmidt, sondern fast allen Kolonialbeamten vorgeworfen wurden und die im Kern aller Kolonialskandale standen. Diese Machtfülle wurde noch dadurch verstärkt, dass kaum jemand in der Lage war, das Agieren der Beamten zu kontrollieren, mangelte es doch sowohl an einer entsprechenden Öffentlichkeit – wie weiter vorne schon für das Rechtswesen gezeigt wurde – als auch an effektiver staatlicher Kontrolle: Berlin war unendlich viele Schiffstage entfernt und selbst über Telegraphie von den einzelnen Standorten nur über zeitraubende und Missverständnisse produzierende Zwischenstationen zu erreichen. Aus manch einem Schriftwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und einzelnen Kolonialbeamten gewinnt man den Eindruck, dass dies allen Beteiligten sehr wohl bewusst war. Auch in einigen Reichstagsdebatten wurde betont, dass »der Reichskanzler weit und der Himmel hoch [ist], und die Herren glauben, sich manches leisten zu dürfen, was sie sich hier versagen müssen«.[548] Selbst der Gouverneur konnte letztlich nur ungenügend kontrollieren, was die einzelnen Distriktleiter taten. Lome war einige Tagesmärsche entfernt, und der Gouverneur befand sich häufig auf Reisen.[549]

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Und doch stieß diese Machtfülle der Kolonialbeamten auch an klare Grenzen – und damit soll der Widerspruch zwischen Omnipotenz und deren gleichzeitig enggesteckten Grenzen angesprochen werden. Wenn etwa gravierende Verfehlungen bis nach Lome oder sogar nach Deutschland gedrungen waren und Gouverneur wie Außenministerium wirklich eingreifen wollten, taten sie dies oft umfassend und endgültig. Genau das geschah in Atakpame, wo der Gouverneur Horn schließlich die Absetzung Geo Schmidts genauso durchsetzte wie die Ablösung der Kolonialbeamten Smend und Rotberg. Sie alle mussten die Kolonie verlassen. Die Gouverneure hatten allgemein disziplinarrechtliche Befugnisse, die weit über das Übliche hinausgingen, und konnten einen Kolonialbeamten jederzeit entlassen.[550] Diese Grenzen wurden jedoch nicht nur in Berlin und auch nur teilweise in Lome, sondern vor allem in Atakpame selbst gezogen, durch die einheimische Bevölkerung. Diese verfügte nämlich über Mittel, die Macht der Kolonialbeamten einzuschränken, manchmal bis hin zur Ohnmacht. Es handelte sich um die bereits angesprochene Abwanderung, Arbeitsverweigerung und Sich-Dummstellen. Die Abwanderung war wie erwähnt ein sehr effektives Druckmittel der lokalen Bevölkerung.[551] Mit ihrer Androhung ließ sich in Togo effizient Druck ausüben, denn einerseits stand genügend Land zur Verfügung und andererseits lebten häufig Verwandte an anderen Orten, man konnte also ohne Mühe von einem Ort zum anderen ziehen und dort ein Auskommen finden. Die Kolonialbeamten waren gegenüber Abwanderungsdrohungen relativ hilflos, außer mit brutaler Gewalt konnten sie niemanden daran hindern abzuwandern.

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Die Einheimischen markierten aber auch dadurch Grenzen kolonialer Macht, dass sie direkte Forderungen formulierten und bei Nichterfüllung mit Arbeitsverweigerung drohten. Als Geo Schmidt Anfang 1903 für eine Reise des Gouverneurs Träger besorgen sollte, weigerten sich die Chiefs, diese bereitzustellen, und behaupteten, sie hätten keine. Im Sommer 1903 sollte es aufgrund solcher Zwangsarbeitsforderungen zu noch weit gravierenderen Verweigerungen kommen. Schmidt ging zwar mit äußerster Gewalt gegen diese Widersetzlichkeiten vor, letztlich aber blieb er machtlos. Die Männer mussten sich auf ihrer Flucht nur weit genug von der Station entfernen, und schon hatte Schmidt keine Möglichkeit mehr, sie zu verfolgen und einzufangen, da ihm nicht nur jede Ortskenntnis fehlte, sondern auch die erforderlichen Exekutivkräfte. Schließlich war es auch möglich, dass sich die lokale Bevölkerung einfach dumm stellte, dem Distriktleiter Wissen vorenthielt oder es trickreich verschleierte. Der Distriktleiter war jedoch auf lokales Wissen angewiesen, zumal er weder willens noch in der Lage war, es sich selbst zu erarbeiten – schließlich konnte er weder die Sprache, noch kannte er den Raum, geschweige denn, dass er das Vertrauen der Bevölkerung genoss. Und so traf ihn diese Form der Verweigerung schwer. Allein wenn er wissen wollte, wie viel Personen zu welchem Chief gehörten, welche Vegetation in welchem Teil des Bezirks anzutreffen war oder ob dieses oder jenes Tier hier oder dort heimisch war und wie gefährlich es eigentlich sei, war er auf die Einheimischen angewiesen und musste ihren Informationen trauen können. Sich hier als unwissend zu geben, mit Informationen hinter dem Berg zu

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halten oder zweideutige oder gänzlich falsche Angaben zu machen war das vielleicht wirksamste Machtmittel der lokalen Bevölkerung, und es wurde häufig eingesetzt.[552] Die Macht der lokalen Bevölkerung wurde dadurch gesteigert, dass sich die Bezirksleiter etwa ein Drittel des Jahres – begleitet von zahlreichen Trägern, Soldaten und Unterbeamten – auf sogenannten Tourneen befanden, um ihren Bezirk besser kennenzulernen, Arbeiten durchführen zu lassen oder Strafen zu vollziehen.[553] In dieser Zeit waren sie postalisch und telegraphisch kaum zu erreichen, weshalb sich vieles ungesehen abspielen konnte oder Informationen über Ereignisse zu spät eintrafen. Die Reisen waren fester Bestandteil der Dienstanweisung, die der Bezirksleiter auch an seine Assistenten in den Nebenstationen weitergab. Ohne sie konnten weder die besagten Daten aufgenommen noch die wichtigen Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt werden. Schmidt unternahm neben diesen Tourneen überdies ebenfalls mehrere Tage währende Reisen nach Lome, um etwa den Gouverneur zu treffen oder an gesellschaftlichen Ereignissen teilzunehmen. Abwesend waren die Beamten schließlich auch, wenn sie ihren Heimaturlaub nutzten.[554] In diesen häufigen Zeiten der Abwesenheit blieben viele der Arbeiten liegen, die von den Beamten angeordnet worden waren. So klagte Schmidt, dass die Baumwollarbeiten im Herbst 1902 in Atakpame während seiner Abwesenheit nicht durchgeführt worden waren.[555] Auch blieb ein gewisses Machtvakuum zurück, wie der Verlauf aller Atakpame-Konflikte zeigt, denn sie eskalierten nicht zufällig jeweils genau dann, wenn Schmidt oder auch Horn nicht vor Ort waren: Als etwa Kukowina sich in Lome beschwerte, befand sich Schmidt auf

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Heimaturlaub. Wenn man dann nicht einmal über Kommunikationsmittel verfügte, um aus der Ferne Kontrolle auszuüben, und wenn man vor allem personell so schlecht ausgestattet war, dass eine effektive Delegation von Macht nicht gewährleistet war, war jede Abwesenheit von der Station ein Risiko. Häufig kam es nicht nur zu Problemen mit der lokalen Bevölkerung, sondern überdies zu eigenmächtigen Aktionen der Soldaten, wie dem willkürlichen Ausplündern ganzer Dörfer. Beamte wie Geo Schmidt waren also tagtäglich mit diesem Widerspruch zwischen Machtfülle und Ohnmacht konfrontiert – wie aber gingen sie damit faktisch um? All das, was aus Briefen, Tagebüchern und Reisenotizen von Kolonialbeamten herauszulesen ist, zeigt, dass diesen Männern anscheinend nur ein recht unflexibles, ja starres, in jedem Fall sehr begrenztes Handlungsrepertoire zur Verfügung stand, mit dem sie diesen Herausforderungen begegnen konnten. Das lag auch daran, dass die an sie gestellten Erwartungen einem sehr rigiden Konzept von kolonialer Männlichkeit entsprachen. Statt – offen oder verdeckt – zu vermitteln, dass man mit den Anforderungen kreativ umgehen könne, weil manches eben nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird, propagierten Kolonialamt und die Beamten selbst sehr strikte Vorstellungen von falschem und richtigem Handeln, von Selbstdisziplin, Ehre und Aufopferungsbereitschaft. Folgt man Geo Schmidts eigenen Äußerungen darüber, wie er mit der Situation in den Kolonien umging, so schien er sich keine Flexibilität zugestanden zu haben: Heroismus und eiserne Pflichterfüllung ohne Rücksicht auf die eigene

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Gesundheit bildeten die Handlungsmaxime. Seine Einstellung beschrieb Schmidt selbst als »Pflicht«, und diese wie auch Entsagung, Fleiß und Zähigkeit erwartete er von anderen wie von sich selbst.[556] An anderer Stelle spricht er davon, dass er sich diesen Aufgaben »mit Liebe und Ernst« widme und dass letztlich allein die Leistung zähle. Stets war es Schmidt wichtig, besondere Leistungen zu vollbringen, die ihm vom Gouverneur wie der gesamten kolonialen Gesellschaft auch bestätigt wurden.[557] Unter diesen Leistungen verstand er ökonomische und »Fortschritte in der Verwaltung«. Diese geradezu klassisch bürgerlichen Arbeits- und Männlichkeitskonzepte erhielten im kolonialen Raum eine besondere Note, wusste man doch, dass »in unseren Kolonien (…) alles auf die leitende Persönlichkeit ankommt« – so Professor Wohltmann in einem Aufsatz zur »Beamten- und Arbeiterfrage in unseren Kolonien«. Es war nämlich Konsens, dass der »Charakter« des Beamten das Wichtigste sei, um »gern und stets allen an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden«.[558] Dieser Charakter solle gekennzeichnet sein von einem »gleichmäßigen, heiteren, gleichmütigen Temperament« und eben nicht von »Jähzorn, Melancholie oder Nervosität«.[559] In der Deutschen Kolonialzeitung heißt es über den idealen Kolonialbeamten: »Wer nicht im Stande ist, sich selbst zu beherrschen und zu erziehen, ist auch nicht fähig, diese Kunst an anderen zu üben.«[560] Gerade die »sorgfältige Charakterprüfung« bei der Auswahl der Beamtenschaft hielt man für sehr wichtig.[561] Diese Rhetorik der Rigidität und Härte, die wenig Spielraum für einen flexiblen Umgang mit widersprüchlichen Anforderungen ließ, wurde ergänzt durch eine

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Aufopferungsrhetorik und eine heroische Stilisierung, in der gerne deutlich gemacht wurde, dass der Beamte »ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit« vorgehe. Und so schrieb der Kolonialdirektor Bernhard Dernburg über den Kolonialbeamten: »Jeder große Dienst fordert große Opfer.«[562] All das machte eine »robuste Gesundheit« unerlässlich, ohne »nervöse Zustände«, »Störungen in der Verdauung« oder gar »gewohnheitsmäßigen reichen Alkoholgenuß« und »bestehende Geschlechtskrankheiten«, wie es ein Ratgeber für Kolonialberufe auflistete.[563] Dass zu diesem kolonialen Selbstentwurf auch die Sexualphantasien von schwarzer Weiblichkeit gehörten, wie sie für Schmidt beispielhaft in der Beschreibung seiner Beziehung zu Adjaro Nyakuda deutlich wurden, muss kaum betont werden. Diese heroische Selbstinszenierung und die Rigidität der Ansprüche, die einen flexiblen Umgang mit den Widersprüchen von Macht und Ohnmacht geradezu ausschließen, erscheinen in noch helleren Farben, wenn man als Kontrastfolie die stark abwertende Darstellung der lokalen Bevölkerung dagegenhält. Schmidt sah in Afrikanern und Afrikanerinnen primär Objekte, die zur Faulheit neigen würden, jedoch »für greifbare Vorteile sehr großes Verständnis«[564] hätten und eben für die koloniale Ökonomie doch wichtig seien. Gleichzeitig müssten sie belehrt werden, da sie weniger vernunftbegabt seien. Sie müssten erzogen werden, und dazu sei Strenge nötig, zumal sie eher über das Zufügen körperlichen Schmerzes erreichbar seien.[565] Nicht viel anders sahen das die meisten seiner Kollegen, wie etwa der Oberstleutnant Julius Smend, mit dem Schmidt Silvester 1902 verbrachte. Dieser entdeckte um sich herum

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»eine patriarchalische Anarchie«, in der »noch die Vielehe Sitte« sei. Zudem sei das »ganze Leben der Eingeborenen von abergläubischen und religiösen Vorstellungen durchsetzt« und der »Neger« ein »großer Egoist und Augenblicksmensch«.[566] Damit negierte er das Handlungspotential der lokalen Bevölkerung, genauso wie es die Berliner Öffentlichkeit tat, als diese sich so nachhaltig über den Beschwerdekatalog Kukowinas und anderer Afrikaner und Afrikanerinnen ausschwieg. Mehr noch, dieses geradezu starre Beharren darauf, dass weder Kukowina noch Adjaro oder die vielen namenlosen Afrikaner, die zur Zwangsarbeit herangezogen wurden, in der Lage seien, eigene Bedürfnisse zu artikulieren, geschweige denn komplexe Argumentationen zu entwickeln, war die Grundlage, auf der die Mission überhaupt nur ihre Bedeutung als vermeintlicher Spiritus rector der Kritik und Beschwerden erhalten konnte. Andererseits glaubten Kolonialbeamte gern, dass Schwarze über eine besondere Fähigkeit zur Mimikry verfügten – erinnert sei an das Gutachten von Dr. Schilling über Adjaro Nyakuda, in dem er behauptete, sie würde stets täuschen und die Wahrheit in ihrem Sinne verdrehen. Das heißt, es wurde zwar von einer Handlungsfähigkeit der lokalen Bevölkerung ausgegangen, diese sei jedoch an niederen Bedürfnissen orientiert und zeige sich nicht offen, sondern nur verdeckt. Vor dem Hintergrund des Bildes, das man sich von der afrikanischen Bevölkerung machte, gewann der Selbstentwurf eines eisernen, pflichtbewussten mutigen Mannes noch an Schärfe. Allerdings machte es nicht nur den flexiblen Umgang mit den schwierigen Anforderungen und psychischen wie physischen Belastungen unmöglich. Es war darüber hinaus

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geradezu kontraproduktiv für die Verarbeitung des nicht selten als dramatisch erlebten Widerspruchs zwischen Machtfülle und Ohnmacht. Und so waren für die Kolonialbeamten nicht nur die Grenzen ihrer Macht schnell erreicht, sondern auch ihre Möglichkeiten, damit umzugehen, rasch erschöpft. Geo Schmidt wusste nur zu gut, dass viele Routen in seinem Bezirk, diesem – wie er klagte – »unübersichtlichen Gelände«, noch nicht aufgenommen waren. Es klingt durchaus ein wenig verzweifelt, wenn er schreibt, »seit Jahr und Tag arbeite ich schon an einer genauen Verwaltungseinteilung«, aber diese zu Ende zu bringen sei einfach unmöglich.[567] Es war diese Mischung aus Omnipotenz und Ohnmacht, Selbstherrlichkeit und nackter Angst, Verzweiflung und Verachtung, die das Verhalten Geo Schmidts im Konflikt mit der Mission bestimmte. Jedes Mal schien es gleich sehr schnell um sehr viel zu gehen. Will man ihm Glauben schenken, ging es um nichts weniger als um die gesamte »weisse Rasse«, die durch die Mission bedroht sei. Ganz sicher ging es subjektiv stets auch um die kränkende bis bedrohliche Erfahrung eigener Ohnmacht.

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Missionare: Reklamierte Nähe, göttliche Zuversicht und sozialer Aufstieg

»Since I was a tiny child I have heard the poor heathen talked of glibly enough, but I have never in savage lands come across him.« Mary Gaunt 1911[568]

Spätestens hier stellt sich die Frage, wer die Missionare waren, die laut Schmidt gegen die Beamten arbeiteten. Was erschien so bedrohlich an ihnen, stellten sie wirklich eine nicht zu unterschätzende Gefahr für das »Ansehen der Regierung« dar? Waren sie gar diejenigen, die »Unfrieden unter den Eingeborenen« schürten?[569] Nachdem sich bereits in den 1850er Jahren die Norddeutsche Mission an der afrikanischen Westküste niedergelassen hatte, kam 1892 die katholische Mission nach Togo, der nicht zuletzt aufgrund der Kulturkampfgesetze lange der Zugang zu den Kolonien versperrt geblieben war. Die Steyler Mission, eine noch sehr junge Gründung, die außer in Togo auch in China tätig war, baute schnell zahlreiche Stationen auf. 1913 waren bereits 72 Ordensangehörige – die Steyler Schwestern waren seit 1905 in Atakpame – in Togo, und es gab über 200 sogenannte Nationalhelfer, Einheimische, die für den Missionsorden tätig waren. Damit hatten die Steyler die Norddeutsche Mission kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zahlenmäßig überrundet. Auch scheinen sie, was die Anzahl der Taufen anbelangt, erfolgreicher gewesen zu sein als die Norddeutsche Mission. Und doch war die Arbeit auch der Steyler vor allem in Atakpame alles andere als

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einfach, unter anderem weil »die eigentliche Bevölkerung sich kaum um unsere Arbeit kümmert«, wie Frater Jacobus Basten festhielt.[570] Der Missionar, der im Skandal die Hauptrolle spielte, war der bereits erwähnte Pater Müller.[571] Geboren 1868 in Mainz als Sohn eines Gärtners, ging er 1896 nach Togo und baute dort die Station Atakpame mit auf. Schon 1900 hatte es den erwähnten kleinen Streit mit Schmidt gegeben, weil Pater Müller darauf beharrte, weiter auf Englisch und in den lokalen Sprachen zu unterrichten. Bereits bei dieser ersten Auseinandersetzung ging es nicht nur um inhaltliche Differenzen, sondern auch um Persönliches. Oder wie es ein Pater ausdrückte: »Solche Charaktere wie Schmidt und Müller müssen leicht auf einander platzen.«[572] Die Biographien der Missionare unterschieden sich erheblich von denen der Kolonialbeamten, den einzigen Weißen, mit denen sie täglich Kontakt hatten, mit denen sie aber nur weniges teilten. Letztlich waren es wahrscheinlich nur zwei Dinge, die sie gemeinsam hatten: Die Tatsache, dass sie 1900 allesamt um die 30 Jahre alt waren – Geo Schmidt war 1870 und Franz Müller 1868 geboren worden –, und den Umstand, dass sie in Atakpame wie in Hunderten vergleichbaren kleinen europäischen Kolonialstationen in einer spezifischen Situation waren. Beide Gruppen standen vor der Herausforderung, weit entfernt von der Kolonialkapitale und recht isoliert unter einer Handvoll Europäern ihr Leben gestalten zu müssen. Franz Müller stammte aus Gonsenheim, Diözese Mainz, hatte das Gymnasium besucht, war aber anscheinend mit dem Direktor aneinandergeraten und so gezwungen gewesen,

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seinen Abschluss in Steyl zu machen. Damit war auch sein ursprünglicher Plan gescheitert, Psychiater zu werden. »Die Vorsehung hatte andere Pläne«, heißt es dazu in den Erinnerungen eines Fraters.[573] Müller wurde in Steyl ausgebildet und zum Priester geweiht, absolvierte in Essen einen Kurs in praktischer Krankenpflege und Wundbehandlung und in England ein Sprachstudium. 1896 kam er in Togo an, 1900 – etwa zeitgleich mit Geo Schmidt – begann er seine Arbeit in Atakpame. Ähnlich wie dieser musste er seine Station von Grund auf neu aufbauen und leistete mit einigen Mitbrüdern insofern Pionierarbeit, auf die er recht stolz war. Der Vater des zweiten in Atakpame ansässigen Missionars Anton Witte war Leinenweber in Paderborn gewesen. Pater Witte selber hatte in der Landwirtschaft gearbeitet und zeichnete sich besonders durch sein praktisches Wissen aus. Er war – wie ein Frater schrieb – »kein eigentlicher Wissenschaftler«, eher »derb und bieder«.[574] Auch der dritte Missionar, Pater Schmitz, kam im Unterschied zu den Kolonialbeamten aus den unteren Schichten. Er war Arbeiter in Altenessen gewesen. Von ihm hieß es aber, er habe vom »praktischen Leben« wenig Ahnung.[575] Theodor Kost, dessen Vater in den Quellen als agricola bezeichnet wird, war ausgebildeter Volksschullehrer und stammte aus Altenbochum. [576] Franz Wolf war Sohn eines Bergmanns und in Borbeck geboren.[577] Anton Witte, Peter Schmitz, Theodor Kost, Franz Wolf und Franz Müller kamen wie die meisten protestantischen Missionare aus kleinbürgerlichen und bäuerlichen bis teilweise auch unteren Schichten, was sie erheblich von den Kolonialbeamten unterschied.[578] Der

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Eintritt in die Mission war für sie gleichbedeutend mit dem Eintritt in eine ihnen fremde Bildungswelt, in der sie nun ihren Studien in Theologie, Philosophie und häufig auch Sprachwissenschaften nachgehen konnten. Missionare, protestantische wie katholische, waren also soziale Aufsteiger. Missionare unterschieden sich nicht nur in der sozialen Herkunft von den Kolonialbeamten, sie kamen auch aus anderen Regionen. Franz Müller kam aus der Pfalz, andere Steyler aus dem Rheinland. Dies waren die Gebiete, die aufgrund ihrer Missionshäuser, welche in der Nähe Kölns und in Trier lagen, zum klassischen Einzugsgebiet der Steyler gehörten. Es waren aber auch die katholischen Regionen, in denen der Kulturkampf besonders intensiv erlebt worden war. Diese Gebiete waren Zentren des Kulturkampfes gewesen oder wie das Rheinland eine Region, die auf eine längere Geschichte konfessioneller Auseinandersetzungen mit dem preußischen Staat und später mit dem deutschen Kaiserreich zurückblicken konnte.[579] Genau das Gegenteil lässt sich für die regionale Herkunft vieler Kolonialbeamter sagen, die aus den preußischen Kernlanden oder aus Gebieten kamen, die traditionellerweise enge Bande zum Kaiserreich und zu einem staatsnahen Protestantismus hatten. Auch die berufliche Laufbahn der Missionare war in der Regel anders verlaufen: Franz Müller, von dem man sagte, dass in »ihm der Philosoph und Wissenschaftler« stark ausgeprägt sei, hatte in Steyl eine ordensinterne theologische Ausbildung durchlaufen, konnte Latein und Englisch.[580] Er hatte anscheinend wissenschaftliche Interessen, hatte er doch alle 17 Bände der Brockhaus-Jubiläumsausgabe mit nach Atakpame gebracht. Pater Kost war Volksschullehrer, bevor er

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in Steyl und St. Gabriel ein Philosophie- und Theologiestudium absolvierte, neben Deutsch beherrschte er Italienisch und Latein.[581] Witte war nach Steyl gekommen, nachdem er bis zu seinem 19. Lebensjahr in der Landwirtschaft gearbeitet hatte. Keiner hatte ein akademisches Studium absolviert, aber philologische Grundkenntnisse waren in Steyl genauso vermittelt worden, wie man seinen Augustinus gelesen hatte und überhaupt viel Wert auf eine wissenschaftliche Ausbildung legte.[582] Manche versuchten, solche wissenschaftlichen Ausbildungen später nachzuholen, ohne allerdings je zu offiziell anerkannten akademischen Abschlüssen zu gelangen. So hat sich Pater Franz Müller von dem weithin bekannten Pater Wilhelm Schmidt in die »hohe Sprachwissenschaft« einführen lassen.[583] Was im Unterschied zu den Kolonialbeamten neben der universitären Ausbildung ebenfalls fehlte, waren die üblichen Militärerfahrungen. Zudem war Togo für die Missionare in der Regel die erste und meist auch einzige Auslandserfahrung, neben dem Kloster Steyl. Aus alledem wird deutlich, dass sich viele Missionare trotz mangelndem Universitätsstudiums mindestens so intensiv für die wissenschaftliche Durchdringung des kolonialen Raums interessierten wie die Kolonialbeamten. Das galt besonders für die Steyler Missionare, die gerade in Togo bis heute geschätzte zentrale sprachwissenschaftliche und ethnologische Arbeiten vorlegten.[584] Dass im Steyler Missionsorden Wissenschaft diesen besonderen Stellenwert hatte, lag zweifellos am Ordensgründer Arnold Jansen, der selbst staatlich examinierter Lehrer war. Bereits 1875 schrieb er anlässlich der Gründung des Steyler Missionshauses, neben dem Hauptzweck der

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Mission sei ein Nebenzweck die Pflege christlicher Wissenschaft. Deswegen wolle er den »dazu befähigten die hinreichende Zeit dafür« lassen.[585] Später wurde mit der Gründung des Missionsseminars St. Gabriel eine Institution ins Leben gerufen, die wissenschaftliche Anerkennung fand, vor allem über die Zeitschrift Anthropos, die zu einer der führenden ethnologischen Fachzeitschriften wurde. Ihr Herausgeber Wilhelm Schmidt forderte explizit Missionare zu Forschungen auf und garantierte im Gegenzug eine leichte Veröffentlichung. Es wurde sogar ein Fragebogen beigegeben, der eine Reihe von Forschungsfeldern und konkrete Fragen enthielt, denen die Missionare nachgehen sollten.[586] Dieser hohe Stellenwert, den der Orden wissenschaftlichem Arbeiten beimaß, blieb nicht folgenlos. Einige Missionare, so etwa Franz Müller, aber auch die Patres Witte, Wolf und Kost, legten wie die Kolonialbeamten regelrechte Forschungsarbeiten vor. Pater Witte erforschte »Lieder und Gesänge der Ewhe Neger«, indem er mit Hilfe von Pater Schmitz diese auf »Phonogramm-Walzen« aufnehmen ließ. Ganz nebenbei entstanden so manche ethnologischen Beobachtungen über »unsere Schwarzen«, so etwa die, dass »der schwarze Durchnittsmensch« mehr singt als der weiße. Pater Kost publizierte ein Deutsch-AnloLexikon und eine Grammatik, Pater Müller war mit sprachwissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Manche Missionare, wie die Patres Wolf und Müller, sammelten Ethnologica und Hyänenschädel, schickten diese allerdings nicht an das Naturkundliche Museum nach Berlin, sondern an das Steyler Museum, wo es bis heute eine eigene Sammlung gibt.[587]

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Wie die Kolonialbeamten schrieben sich die Missionare in die bestehenden Wissenschaftskonventionen ein. So teilten sie die epistemologischen Prämissen der jeweiligen Disziplinen, etwa der Linguistik oder auch der Theologie, folgten ihren Systematiken und versuchten die Phänomene mittels dieser zu verstehen.[588] Und doch unterschieden sich ihre Forschungen erheblich von denen der meisten Kolonialbeamten, und das in mehrerlei Hinsicht. Zum einen zeichneten sich ihre Studien durch einen anderen Gestus der Beschreibung aus. Von Missionaren verfasste Texte verschwiegen nicht das Tentative und Amateurhafte, wenn sie etwa schrieben »was ich habe erfahren können (…), ist recht dürftig und lückenhaft«.[589] Dergleichen Geständnisse sucht man in der Regel bei den von Kolonialbeamten verfassten Texten mit wissenschaftlichem Anspruch, vergeblich. Im Gegenteil, sie gaben immer vor, die Totalität des Geschehens zu erfassen. Der Unterschied zu den Forschungen der Kolonialbeamten liegt aber nicht nur im Gestus, sondern auch in der Auswahl der untersuchten Phänomene. Statt mit Teeanbau, Fauna, Bodenbeschaffenheit, Flussverläufen, Zootieren oder Physiognomien beschäftigten sich Missionare intensiver mit den alltäglichen Lebensaspekten der lokalen Bevölkerung: mit der Sprache, der Religion, den Liedern – Aspekte, die für die konkrete Arbeit der Missionierung genauso wichtig waren wie der Teeanbau für die Ökonomie eines Landes und die geographische Beschaffenheit einer Region für die militärische Durchdringung. Diese unterschiedlichen Interessen sind also durchaus funktional, war es doch – wie immer wieder von der Mission betont wurde – elementar, die Sprache der Bevölkerung zu lernen, da nur so effektiv missioniert werden

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konnte. Gerade der für die Missionierung so wichtige Schulunterricht konnte ohne genaue Kenntnis der lokalen Sprachen gar nicht abgehalten werden, weswegen auch die meisten Grammatiken und Lexika einheimischer Sprachen aus der Feder von Missionaren stammten.[590] So gehörte es zu den ersten Aufgaben eines jeden Missionars, die einheimischen Sprachen zu lernen, sei es mit Hilfe der »eingeborenen Helfer« oder bereits vorliegender Nachschlagewerke anderer Missionare.[591] Ebenso elementar war es, die »Sitten und Gebräuche« oder, wie es zeitgenössisch auch hieß, die Völkerpsychologie zu kennen. So hatte man in Togo etwa herausgefunden, dass »jene Orte für die Mission ungünstig seien, wo der Fetischkult mächtig war«, und um diese Orte zu erkennen, war es eben unerlässlich, sich mit jenen »Fetischkulten« genauer zu beschäftigen.[592] Die Missionare suchten also insgesamt eine größere Vertrautheit mit dem Alltag der Bevölkerung als die Beamten, und ihre Forschungen geben in stärkerem Maße Einblicke in gesellschaftliche und familiäre Strukturen. Pater Witte etwa erfuhr durch seine Liederforschungen einiges über die herausgehobene Stellung der Familie Almeida, die ja in verschiedenen Petitionen eine Rolle spielte.[594] Diese engere Vertrautheit mit Fragen der Verwandtschaft, der Ernährung, [593]

der »Stellung der Frau«, und Ehepraktiken ebenso wie mit den Sagen und Märchen der Bevölkerung – ein Wissen, das im Übrigen für manche der von der Kolonialregierung geplanten Maßnahmen durchaus förderlich gewesen wäre – ist auch im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Vorbildung von Missionaren und Kolonialbeamten zu sehen: Zumindest in Togo sucht man Kolonialbeamte mit geisteswissenschaftlicher

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Ausbildung vergeblich, dominiert hier doch das Naturwissenschaftliche, Medizinische und Militärische. Die Steyler hingegen waren durch ihre philosophische und theologische Ausbildung, bei der sie auch philologische Methoden erlernten, ganz anders geschult. Überdies war der Blick der Missionare stärker auf das Individuelle ausgerichtet, sollten sie doch die Unterschiede zwischen den Menschen eines »Stammes« oder »Volkes« in den Blick nehmen. Die Mission war nämlich in der Regel weniger an Klassifikationen als an »Individualforschung« interessiert. Für sie hatte das Individuum grundsätzlich einen höheren Stellenwert als für die Forschungen der Kolonialbeamten. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Steyler genauso wie die Norddeutsche Mission in ihren Zeitschriften missionierte Vertreter der lokalen Bevölkerung namentlich nannten.[595] Es zeigt sich vielleicht noch klarer in dem Forschungsprogramm, das der Steyler Missionar Wilhelm Schmidt entwickelte. Darin betonte er die Notwendigkeit der »Kenntnis der Bedeutung des Individuums in der Gesellschaft«, und zwar bei den Naturvölkern.[596] Genau dazu seien Missionare »vor allen anderen (…) berufen und befähigt«.[597] Er setzte damit eine von Missionaren betriebene Forschung explizit von den zeitgenössischen ethnologischen oder auch religionswissenschaftlichen Forschungsprogrammen ab, die eben »reine Gruppenwissenschaften« seien.[598] Gleichzeitig reklamierte er auf diesem Feld eine besondere Expertise der Missionare, die nämlich stets angehalten wurden, mit »allgemeinen Angaben bei der Behandlung der intellektuellen, moralischen und religiösen Verhältnisse« ganz besonders behutsam vorzugehen.[599] Er vertrat sogar die

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Maxime: »Man hüte sich vor allgemeinen Angaben.«[600] Unbedingt vermieden werden sollte die Angabe von »Flächendurchschnitten«, stattdessen könne es nur darum gehen, den »vollen und ganzen Menschen, den Menschen an sich zu erfassen«, und darum, den »menschlichen Einzelgeist schärfer« ins Auge zu fassen.[601] Allein Missionare könnten die »Individualität bei den Naturvölkern«[602] erfassen, weil nur sie über die nötige Sprachkompetenz verfügten, jene in langen Jahren gewachsene Expertise, die nur vor Ort gewonnen werden könne. Auch hätten nur die Missionare viele, für eine solide Forschung unerlässlichen Kontakte zu Gewährsleuten geknüpft. Vor allem aber habe die Mission im Unterschied zur Ethnologie eine innere Notwendigkeit, sich Individuen zu widmen, da sie diese bekehren wolle. Ähnlich argumentierte der protestantische Missionswissenschaftler Gustav Warneck, als er schrieb, dass sich die Mission aus den Streitigkeiten über Klassifikationssysteme heraushalten könne, da sie allein wissen müsse, welcher Glauben der »stärkere, welcher der schwächere Gegner des Christentums« sei.[603] Besonders auffallend ist ein weiterer Unterschied zwischen missionarischem und kolonialem Forschungsblick: Müller, Witte und Kost nahmen nicht selten die Perspektive der lokalen Bevölkerung ein und suggerierten dadurch Nähe und Verständnis. So beschrieb etwa Pater Witte das, was er zumindest aus Sicht der Afrikaner und Afrikanerinnen für die Schattenseiten des Kolonialismus hielt: »die Berührung mit den Weißen, als den Trägern der Kultur, [habe] manches Unangenehme« gebracht, etwa die unbeliebte »Arbeit für die Regierung«.[604] Obschon dieser Perspektivwechsel nicht als Kritik an der kolonialen Politik überbewertet werden darf, also

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nicht mit programmatischer Übernahme lokaler Blickwinkel zu verwechseln ist, ist damit ein wichtiger Unterschied zu den kolonialen Forschungen benannt: Diese nahmen in der Regel keine Perspektivwechsel vor, geschweige denn, dass sie sich auf Argumente der lokalen Bevölkerung einließen. Stattdessen suggerieren sie mit ihrer Erzählhaltung des omnipotenten Erzählers aus der Totale, dass es nur eine einzige Sicht auf die koloniale Welt gebe. Missionare und Kolonialbeamte unternahmen also zwar gleichermaßen Forschungsarbeiten, doch Selbstverständnis, Zielsetzungen und Methoden waren vollkommen unterschiedlich: Die Missionare, ob nun zu Recht oder zu Unrecht, betonten die Nähe zu den »Eingeborenen«, nicht ihre potentielle Nutzbarkeit, und sie stellten heraus, dass sie mehr Interesse am »Individuellen« und seinen vielfältigen Schattierungen hatten als am Allgemeinen, Quantifizierbaren und potentiell auch Regierbaren. Damit tritt in ihren Forschungsarbeiten auch ein unterschiedliches Selbstverständnis in der Beziehung zur einheimischen Bevölkerung zutage. Sie näherten sich ihr tastender an und ohne ein vergleichbar vor sich hergetragenes Selbstbewusstsein, das bei Kolonialbeamten wie Geo Schmidt häufig in Dominanzverhalten umschlug. Auch interessierten sie sich mehr für die Menschen, schließlich waren diese ja nicht mittelbar als Ressourcen für die Produktivitätssteigerung, sondern direkt als zu rettende Seelen von Bedeutung. Ja, sie waren das eigentliche Ziel der Missionarstätigkeit. Daraus ergab sich freilich nicht nur eine höhere Expertise, sondern auch ein Anspruch auf Nähe und Verstehen – der sich, wie ein

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Blick in die anderen Tätigkeitsbereiche der Mission zeigt, keineswegs so realisierte, wie viele behaupteten.[605]

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Missionare: Konversion, Arbeit am Alltag und göttliche Legitimation

»Wir haben schon recht vieles hier in Atakpame gelitten, und sind bereit, für die gute Sache noch weiter zu leiden und freuen uns dem hohen Vorbild ähnlich zu werden, das einst auf Golgotha litt und starb.« Pater Schmitz, 1903[606]

Die wissenschaftlichen Studien wurden weder von der Mission selbst noch in der Öffentlichkeit als zentrale Tätigkeit der missionarischen Arbeit erachtet. Ihr Kern war das, was man 1892 zum Abschied der ersten Missionare, die nach Togo fuhren, sang: »Eilt den Brüdern sie zu retten/ Aus den schweren Sündenketten/ Führt sie treu dem Heiland zu.«[607] Es ging um die Erfüllung des aus der Bibel abgeleiteten Missionsbefehls: Die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie »mit all dem brechen« solle, »was sie früher geliebt« habe, das heißt aus missionarischer Sicht vor allem mit der Polygamie und mit dem »Fetischwesen«. Auf diese und andere Heilsinstitutionen und Akteure sollte nun verzichtet und mittels Schule, Arbeit und Strafzucht zu einem Modell des christlichen Lebens gefunden werden, das je nach Konfession katholischer oder evangelischer Ausprägung war. Bevor die Missionare mit dieser Arbeit beginnen konnten, war in Atakpame erst einmal eine rudimentäre Infrastruktur aufzubauen. Dabei mussten die Missionare und vor allem die aus Europa stammenden Fratres, die meist ausgebildete Handwerker waren, zusammen mit den sogenannten Missionshelfern, die aus der lokalen Bevölkerung kamen,

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neben dem Bau von Wohn- und Schulhaus samt Oratorium auch einen regelrechten Landwirtschaftsbetrieb in Gang setzen.[608] Missionsstationen waren immer auch kleinere Agrarbetriebe. So wurden auf der Atakpamer Arnoldshöhe Saubohnen, Gurken, Tomaten und Getreide angebaut. Mit 13 Hektar handelte es sich um einen stattlichen landwirtschaftlichen Betrieb samt Viehwirtschaft. Immerhin hatte man – so schrieb der Bruder Jacobus Basten leicht ironisch – »40 Insassen: 2 Pferde, 4 Kühe, 15 Schafe, 15 Ziegen und Schweine«[609] zu versorgen. Dann mussten die umfänglichen Proviantlieferungen von der Küste, wie Käse, Wurst, Rotwein, Zwiebeln, aber auch Zwieback, Nelken und Pfeffer und natürlich die liturgischen Ingredienzien wie Kerzen, Weihrauch und Oblaten sachgemäß gelagert werden. [610]

Während den Laienbrüdern mit den Missionszöglingen die Bewirtschaftung oblag, widmeten sich die Missionare ihrer Hauptaufgabe: der Konversion. Diese hatte verschiedene Facetten und bestand in weit mehr als dem Predigen, dem Abhalten von Gottesdiensten, dem Einüben von Liedern und der Katechese. Sogenannte heidnische Fetische mussten durch Marienbilder ersetzt werden.[611] Die Krankenbehandlung, der Schulunterricht und eben der Gottesdienst mussten organisiert werden. Vor allem musste man sich aber immer wieder von neuem darum bemühen, in der Bevölkerung Vertrauen aufzubauen, »Fühlung mit den Leuten zu gewinnen«, um – wie es bei Frater Basten hieß – »manches gute Samenkorn auszustreuen«.[612] Da in der Schule der erste und alles entscheidende Zugang zur Bevölkerung aufgebaut wurde, wurde der Schulunterricht

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von allen Missionaren als die zentrale Aufgabe betrachtet. Sicherlich auch, weil Religion mit einer Stunde täglich einen prominenten Platz auf dem Stundenplan hatte, auf dem sonst noch Gesang, Lesen und Rechnen standen.[613] In Atakpame selbst gab es eine Schule und dazu zwei Außenstationen. Insgesamt gelang es den Steylern, über 50 Schulen in Togo aufzubauen, und wie die Norddeutsche Mission hoben auch sie ihre Schulerfolge immer wieder hervor – schließlich waren Schülerzahlen neben Taufzahlen genau das, worum beide Missionen am heftigsten konkurrierten.[614] Neben dem Schulunterricht waren das Abhalten von Gottesdiensten und die christliche Unterweisung von zentraler Bedeutung. Wöchentlich fünfmal Katechese jeweils in den Schulen und Messelesen waren üblich. Zudem sollte täglich, außer an Sonn- und Feiertagen, ein »Pastoralbesuch in der jeweiligen Gemeinde von mindestens einer Stunde Dauer« abgehalten werden.[615] All dies diente primär der Vermittlung des Glaubens und damit der Konversion. Damit untrennbar verbunden war eine zweite Bedeutung der missionarischen Arbeit. Mission war immer auch »Kulturarbeit«, da nicht nur Seelen vor dem Verderben gerettet, sondern gleichzeitig auch »das Niveau der Eingeborenen« gehoben werden sollte.[616] Die Vermittlung christlichen Glaubens war mehr als schlichte Religionsvermittlung, man baute Schulen, Kinderbewahranstalten, Ausbildungsstätten und später Krankenhäuser auf, um europäische Bildung, Zivilisation und Fortschritt beziehungsweise das, was man darunter verstand, ins Außereuropäische zu bringen und die »Kulturbedeutung des Christentums« zu vermitteln.[617] Überdies sollte die lokale

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Bevölkerung die deutsche Sprache und damit etwas von der deutschen Kultur lernen. Es ging darum, dass die »Eingeborenen« – so drückte es auch Geo Schmidt aus – »besser werden« sollten.[618] Der Mission ging es nämlich um mehr als nur darum, die Bibel zu vermitteln. Ihr Programm war mindestens so umfassend wie das, welches Bernhard Dernburg seit 1906 immer wieder programmatisch für den deutschen Staat und seine Kolonialpolitik formulierte. Zusammen mit der Bibel vermittelten katholische wie evangelische Missionare Vorstellungen von Sauberkeit, Sittlichkeit, Kleidungsnormen, Geschlechterordnungen, Konzepte über die Arten des Bewirtschaftens, Formen des Handels und Modelle der Rechtsfindung wie der Staatsorganisation.[619] Vieles davon veränderte den Alltag der lokalen Bevölkerung nachhaltiger, als das für die Ebene innerer christlicher Religionserlebnisse zu beobachten war.[620] So brachte etwa die Norddeutsche Mission eine neue Wocheneinteilung, womit die traditionelle Vier-Tage-Woche, welche über die Abhaltung von Märkten strukturiert worden war, abgeschafft wurde. Auch wollte die Norddeutsche Mission, genauso wie die Steyler, die herkömmliche Arbeitsteilung, die Frauen eine Monopolstellung in der Landwirtschaft eingeräumt hatte, abschaffen, da sie weibliche Arbeit außerhalb des Hauses als unschicklich erachtete.[621] Damit kam der Mission eine wichtige Aufgabe in der Kolonialpolitik zu, ja, war sie elementarer Teil derselben. Genau so sahen das auch die Kolonialabteilung und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit, einschließlich zahlreicher bürgerlicher Intellektueller und einflussreicher

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Wissenschaftler.[622] Und in der Tat, der Blick in das missionarische Kernarbeitsfeld zeigt, dass die unterschiedlichen Facetten von Kolonialherrschaft und Mission so eng miteinander verwoben waren, dass Missionare und Kolonialbeamte nicht selten an ein und demselben Strang zogen. Dennoch gab es erhebliche Differenzen auf dem Feld der Forschung, der Schulpädagogik und ganz allgemein auf dem der Kulturarbeit. Die Missionare waren Teil eines genuin religiösen Referenzsystems, aus dem sie ihre Legitimation, aber auch Zuversicht, Hilfe und Anregungen in der auch für sie alles andere als leichten Situation in den Kolonien zogen. Die Welt, in der sich Kolonialbeamte verorteten und aus der sie ihre Vorstellungen von sich und ihrer Arbeit schöpften, war hingegen vorwiegend säkular definiert, obschon die stark nationalen Untertöne ihrer Rhetorik nicht ohne religiöse Überhöhungen auskamen. Wichtig ist, dass die Einbindung in die religiöse Welt viele Missionare weit effektiver vor den inneren und äußeren Herausforderungen schützte, welche die situation coloniale mit sich brachte, als der sehr rigide säkulare Kolonialhabitus. Vieles weist darauf hin, dass die kolonialen Identitätsangebote, wie sie insbesondere in der Ära unter Bernhard Dernburg offen propagiert wurden, Kolonialbeamten weit weniger stabile Orientierung geben konnten, geschweige denn, dass hier ein Handlungsrepertoire eröffnet wurde, welches half, mit den kolonialen Herausforderungen umzugehen. Kurzum, dieses religiöse Referenzsystem, dank dessen man sich nicht nur auf »vaterländische«, sondern auch auf die »göttlichen Gesetze« berufen konnte,[623] bedeutete nicht nur, dass Missionare teilweise einer anderen Agenda folgten als die Kolonialbeamten – der Verweis auf die Bibel gewährte ihnen

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Schutz. Dieser konnte zwar nicht vor allen Untiefen und Verfehlungen bewahren, doch war er gerade in Situationen struktureller Verunsicherung hilfreich. Überdies stattete er mit Autorität und auch mit Selbstvertrauen aus.[624] Der monastische Rahmen und die Gemeinschaft der Brüder boten den Missionaren einen weiteren Halt. Obschon die strengen Klosterregeln in Missionsgebieten immer wieder gelockert werden mussten, da sie sich als nicht praktikabel erwiesen, belegt schon ein kurzer Blick in den Alltag der Steyler in Atakpame die Bedeutung dieser Regeln: Die immer gleichen religiösen Rituale boten den Rahmen für die religiöse Vergewisserung, und sie erinnerten an die Routinen im Mutterhaus Steyl und schufen so eine Verbindung zur vertrauten Welt.[625] Der Morgen begann bereits vor fünf Uhr mit einem Pater Noster und einem Ave Maria für die Wohltäter der Mission.[626] Ein Priester las die Betrachtung, während ein anderer die Heilige Messe las. Auch beim Frühstück gab es eine Lesung, genauso zum Mittagessen, das gemeinsam eingenommen wurde. Nach dem Mittagessen wurden je nach Wochentag sechs Vaterunser für verstorbene Mitbrüder, Verwandte oder Wohltäter der Mission gesprochen, wobei am Freitag, wie in Steyl, das »Gebet zum leidenden Heiland« gesprochen wurde. Um sieben gab es erneut in der Gemeinschaft das Abendessen. Dann wurden Abendgebete gesprochen – und zwar ganz bestimmte, so wie es in Steyl üblich war. Danach folgte die Sammlung und spätestens um 10 Uhr sollte die Nachtruhe eintreten. Pater Müller sprach von täglich eineinhalb Stunden geistlicher Lesung. An den Kommunionstagen wurde Silentium gehalten, wie es die Regel der Steyler vorsieht.[627] Sonntags wurde die Hauptmesse für

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die Bevölkerung gehalten und der nachmittäglichen Katechese beigewohnt.[628] Gewiss konnte diese Ordnung nicht immer eingehalten werden, etwa wenn Brüder auf Reisen waren oder – was durchaus vorkam – nur ein Missionar auf der Station war. Auch wollte nicht jeder eine solch strenge Ordnung befolgen. Und doch zeigen diese gemeinsamen Routinen, welche Bedeutung die religiösen Praktiken im Alltag hatten. Jedes Gebet, jede Predigt und jede Sammlung erinnerte einen an die eigenen Ziele und bettete diese in ein größeres Heilsgeschehen ein, in dem man selbst bei allem Demutsgebot doch eine prominente Stellung einnahm. Die Gemeinschaft half bei allen internen Konflikten über Schwierigkeiten hinwegzukommen, genauso wie sie die Missionare der Größe und besonderen Legitimität ihrer Aufgabe versicherte. Ein solches Programm fehlte bei den Beamten, die dann und wann ihre Männlichkeit, aber auch ein zuweilen aggressives koloniales Programm deutscher Kultur allein oder auch gemeinsam beim Jagen, bei gemeinsamen Casinoabenden oder in ritualisierten Trinkgelagen und vielleicht bei den Feiern zu Kaisers Geburtstag öffentlich in Szene setzen konnten. Gewiss, sie waren in die Routinen des Berichteschreibens eingebunden, wussten sich über die Kolonialabteilung und später über das Kolonialamt mit dem Deutschen Reich verbunden und konnten sich etwa bei der Lektüre einschlägiger Berichte des Kolonialvereins oder des Kolonialwirtschaftlichen Komitees ihrer nationalen Aufgabe vergewissern. Sie ernteten mitunter auch lobende Anerkennung, wenn sie zum Beispiel besonders seltene Objekte an das Naturwissenschaftliche Museum in Berlin

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geschickt hatten. Doch diese Einbettung in säkulare Formen der Ordnung und Anerkennung unterschied sich erheblich von der Welt der Missionare. Das Selbstvertrauen der Mission wurde aus der Unhinterfragbarkeit eines göttlichen Auftrags zur Konversion, aus der Gewissheit der Überlegenheit des Christentums sowie aus der damit einhergehenden Heils- und Erlösungsgewissheit gezogen und nahm im Katholizismus mit Rekurs auf die Kreuzzugsmetaphorik zuweilen auch kriegerische Züge an. Die Bibel und die Heiligengeschichten, die in Atakpame bei den Steylern meist abends vorgelesen wurden, stellten die Überlegenheit des Christentums jedes Mal erneut unter Beweis. Manche der Heiligen waren heroischer als andere, und keiner reichte an den Mut Jesu Christi oder Marias heran, und doch wurde hier Stärke und Kraft vermittelt. In der religiösen Welt der Steyler ging es aber nicht nur um christlichen Heroismus, der sich freilich in vielen Schwierigkeiten, sei es mit widerspenstigen Kindern, die sich nicht missionieren lassen wollten, oder mit bornierten Regierungsstellen als hilfreich erweisen konnte. Die Bibel und mit ihr die Geschichte des Christentums, in die man sich mit jedem Brief nach Steyl, mit jedem Gebet, jeder Predigt, jeder Forschungsarbeit und mit jeder Stunde Schulunterricht einschrieb, stellte ein vitales Vokabular zur Verfügung, um mit Zweifel, Rückschlägen, Misserfolg, ja mit der Möglichkeit des eigenen Todes in und für die Missionsarbeit umzugehen. Gerade was Opfer, Entsagung und Zweifel anbelangt, bietet die Bibel in der katholischen wie in der protestantischen Lesart ein großes Reservoir an Hilfe und Trost. Gewiss gab es auch in Kolonialromanen und anderen einschlägigen Texten der eher

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säkularen Welt eine Glorifizierung der Entsagung für die Männer, die im kolonialen Dienst tätig waren. Sie war aber weit weniger dominant als in den Missionskreisen. Vor allem war sie weniger geeignet, die psychischen und physischen Belastungen des Lebens in den Kolonien in Worte zu fassen. Im Missionskontext hingegen gab es eine Vielzahl von Narrativen des Leidens und der Entsagung, die in der Nachfolge Christi eine positive Identifikation boten und einen Deutungsrahmen zur Verfügung stellten, der dem Leid an sich einen eigenen Wert zuschrieb. Immer wieder hieß es, Mission sei ein Hort niederdrückender Erfahrungen »unseres Unvermögens«. Auch erinnerte man sich gerne an schwierige Phasen der Missionsarbeit und beschwor die »vielen Mühsale und Opfer« und »mannigfachen und schweren Stürme« herauf. [629]

Missionare waren also mit besonderer, göttlicher Autorität und Legitimität versehen, weil ihnen die Bibel Heilsgewissheit und die Gewissheit der Überlegenheit vermittelte, aber auch weil biblische Narrative des Scheiterns Modi der Selbstheroisierung und der Selbstbestätigung eröffneten, erschienen Missionare hier doch als einsame Kämpfer gegen das Heidentum und zuweilen sogar gegen den Teufel höchstselbst.[630] Damit waren sie mit einem mindestens so heldenhaften Glamour umgeben wie die Kolonialbeamten, nur wies die Bibel ihnen einen ganz anderen Weg und gab ihnen andere Mittel an die Hand: Statt den Weg von Härte und Unbeugsamkeit zu gehen (wie er in den Kolonialhandbüchern nachzulesen war), sollten sie sich durch Verweis auf die Leidenserfahrungen Jesu Christi eher im religiös verstandenen

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Mitleiden, im Engagement für die Armen und Gequälten und die Menschen ohne Stimme und ohne Kraft betätigen.

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Missionare: Anwälte und Verführer

»Dann wären ihre Missionen in erster Linie verpflichtet gewesen, all das, was sie an Skandalosa in unseren Kolonien kennen gelernt haben, ihnen mitzuteilen und hier rückhaltlos zur Sprache zu bringen.« August Bebel, 1906[631]

Ihre Aufgaben als Forscher, Vermittler des Christentums, Lehrer und Arbeiter an Zivilisation und Kultur waren nicht nur im Alltag, sondern auch für das Selbstverständnis der Missionare zentral. Hier wurden Perspektiven und Überzeugungen geformt, die sich von denen der Kolonialbeamten vor allem hinsichtlich ihrer Beziehung zur afrikanischen Bevölkerung unterschieden: Die Missionare sahen sich – wie Arnold Jansen es formuliert hat – als »Anwalt der unterdrückten Rasse«.[632] Ganz in diesem Sinne schrieb man aus Steyl nach Rom im Zusammenhang mit dem Skandal: »Die Missionare, die geborenen Anwälte der Eingeborenen, hatten geglaubt, dass sie verbunden seien in der Überzeugung, dass sie Ungerechtigkeiten und Verbrechen von Eingeborenen abwenden, soviel es möglich ist.«[633] Die Rolle als Verteidiger und Sprachrohr der einheimischen Bevölkerung hatte eine zentrale Bedeutung für das Selbstverständnis missionarischen Handelns. Dies lag auch daran, dass es einen gewissen Konsens innerhalb der deutschen, ja der europäischen Gesellschaft darüber gab, dass die Mission als Anwalt der lokalen Bevölkerung fungierte. Wie groß dieser Konsens war, zeigt sich etwa in Reichstagsdebatten, in denen alle Redner, egal aus welcher

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Partei, auf dieses Bild zurückgriffen.[634] Hier wurde ein Narrativ aufgerufen, das seit den Sklavenbefreiungskampagnen des frühen 19. Jahrhunderts – erinnert sei an die teilweise schon aggressive Missionspropaganda vor allem englischer Provenienz, die zur Rettung der Sklaven aufrief – in ganz Europa weit verbreitet war. Dies lag womöglich daran, dass diese Vorstellung heilsgeschichtlich aufgeladene Identifikationsmöglichkeiten für Europäer und Europäerinnen eröffnete, die sich lieber als Retter und Anwalt imaginierten denn als brutale Eroberer. Diese populäre Rollenzuschreibung war nicht nur für Missionare folgenreich, sondern mit ihr ging eine umfassende und folgenschwere Neuinterpretation der gesamten kolonialen Situation einher: Wenn Missionare nicht in erster Linie ihren Glauben an den Mann bringen wollten, sondern die Rechte der Afrikaner und Afrikanerinnen verteidigten, dann waren Letztere auch nicht primär unzivilisiert, gewalttätig und bedrohlich, sondern hilfsbedürftige, zu bemitleidende Gestalten. Gleichzeitig wurden Kolonialbeamte unter dieser Perspektive zu übermächtigen Aggressoren, vor denen man die Bevölkerung schützen musste, während die Missionare in eine besondere Nähe zur lokalen Bevölkerung rückten. Mit dem Anspruch, deren Anwalt zu sein, wurde diese Nähe unterstrichen. Die Mission genoss nicht nur das Vertrauen der Bevölkerung, sondern war auch deren Sprachrohr.[635] Damit setzte sie sich in eine vermittelnde, verstehende, übersetzende Position gegenüber einem hilfsbedürftigen, ja notleidenden Anderen, den sie schützen und retten musste. So hieß es bereits 1874 im ersten in der Missionszeitschrift der Steyler abgedruckten Gedicht: »Der Kaffer irrt mit sehnsuchtsvollem Blicke/bis zu der Meere fernsten Grenze hin/ Ob ihm der

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Norden keinen Retter schicke/Der liebend mild’re seinen harten Sinn.«[636] »Eingeborene« galten als »unsere Schwarzen«, was die bereits in den wissenschaftlichen Studien der Missionare evozierte Vorstellung von Nähe und Vertrautheit unterstreicht. Diese Nähe galt allerdings in erster Linie den »getauften Heiden«, die häufig mit – um in der für die Mission so typischen Familienmetaphorik zu bleiben – mütterlichem respektive väterlichem Wohlwollen beobachtet wurden. Doch die Realität sah anders aus. Missionare waren faktisch weder das Sprachrohr der Bevölkerung noch deren Verteidiger. Das ist im Fall Adjaro Nyakuda deutlich geworden, wo die Missionare eigene Interessen verfolgten. Auch im Konflikt um die Petition ging es keineswegs primär darum, dass Missionare die Anwaltschaft »Eingeborener« übernahmen. So äußerte sich kein Missionar unterstützend oder gar befürwortend zu Kukowinas Forderungen bezüglich der Zwangsarbeit, vielmehr sahen die Missionare sie in der Regel als notwendig an, ähnlich wie die Kolonialbeamten. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass die Mission das besondere Vertrauen der lokalen Bevölkerung genoss. Im Gegenteil, die Missionare waren diejenigen, die am lautesten und häufig mit Gewalt all das diffamierten, was vielen Afrikanern und Afrikanerinnen nicht nur lieb und teuer war, sondern was den Kern ihrer physischen und psychischen, kulturellen, religiösen, aber auch sozialen Identität ausmachte. Es waren in erster Linie Missionare, die gegen sogenannte Fetischdienste, gegen sogenannte Polygamie und zahlreiche andere Grundstrukturen der togolesischen Gesellschaft anpredigten. Es waren die Missionare, die – wie vergeblich auch immer – christliche

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Bräute für Männer suchten, von denen man hoffte, dass ihre Taufe Früchte tragen würde. Und dabei fragte man nicht nach den Bedürfnissen der jeweiligen Personen.[637] Dieses Verhältnis als Vertrauensverhältnis zu begreifen hieße den hierarchischen Charakter des gesamten Settings zu übersehen, das der missionarischen Selbstpositionierung zugrunde lag: auf der einen Seite die helfenden, verstehenden, übersetzenden, vermittelnden Missionare, auf der anderen Seite die hilflosen, vom Fetisch verführten, teils auch einfach nur drolligen Afrikaner und Afrikanerinnen. Missionare als Anwälte der lokalen Bevölkerung misszuverstehen würde zudem bedeuten, die Vorstellung, Missionierung sei Rettung, zu übernehmen und damit die Seite des missionarischen Selbstverständnisses zu übersehen, welche die Missionare dann doch in die Nähe der Kolonialbeamten rückte. Missionarische Praxis hieß nämlich auch – ganz ähnlich wie das für die willkürliche Gewaltherrschaft der Beamten zu beobachten war –, dass man die religiösen Praktiken der lokalen Bevölkerung zerstörte. Mehr noch, Christianisierung war der Kampf gegen spezifisch »heidnische, alte ererbte Gewohnheiten«.[638] Geo Schmidt berichtete, dass die Missionare darauf bestanden, die »Fetische der Eingeborenen« zu zerstören.[639] Und erst wenn, wie im Steyler Missionsboten mit triumphierendem Unterton berichtet wurde, eine »Fetischpriesterin« all ihre »Götzen« abgab und um Unterweisung im katholischen Glauben regelrecht bat, war die Arbeit der Mission erfolgreich.[640] Oder, wie es der Kolonialschriftsteller Küas einem seiner Protagonisten in den Mund legte: »Ein tausendjähriger Kult lässt sich einem wilden

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oder halbwilden Volke nicht ohne gelegentliche (…) Auseinandersetzungen aufdrängen.«[641] Vielleicht sahen das nicht viele so deutlich wie der protestantische Missionswissenschaftler Gustav Warneck, der die »Heiden« als »Objekte der Überwindung«, als »lebendige Gegner« definierte, mit denen sich der Missionar »auf dem Schlachtfelde zu messen hat«.[642] Dass es hierbei aber um Prozesse ging, die nicht jenseits von Machtbeziehungen stattfanden, versteht sich von selbst. Schließlich war die Kolonialregierung auf das fast ausschließlich in den Händen der Mission liegende Schulwesen genauso angewiesen, wie die Kolonialregierung die Arbeitsbedingungen der Missionen bestimmte.

Und doch, so brüchig der Realitätsgehalt des missionarischen Selbstverständnisses auch war, es entfaltete Wirkung sowohl bei der einheimischen Bevölkerung als auch bei den Kolonialbeamten. Aus der Sicht der einheimischen Bevölkerung – um mit dieser zu beginnen – implizierte die Anwaltsrolle ein Versprechen, das auch politisch verstanden wurde, obschon die katholische wie die protestantische Mission politische Stellungnahmen um jeden Preis zu vermeiden suchten. Insbesondere wenn die Anwaltsmetaphorik zusammen mit christlichen Gerechtigkeitsvorstellungen in Form eingängiger Bibelsentenzen vermittelt wurde, mag das den einen oder anderen Afrikaner angezogen und Hoffnungen in ihm geweckt haben. So zumindest ist es in der Artikelserie nachzulesen, die im Gold Coast Leader in den 1910er Jahren erschien. Hier wies ein anonymer Autor, der sich über die Missstände in

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Togo beklagte, darauf hin, dass er letztlich die Arbeit der Missionare erledige: »I am doing the work of the missionaries.« Eigentlich sei es deren Aufgabe, die »unterdrückten Eingeborenen«, die Zuflucht bei der Mission suchten, zu unterstützen und gegen die Zumutungen der kolonialen Herrschaft zu verteidigen.[643] Obwohl also Hoffnungen enttäuscht wurden, hat die Anwaltsrhetorik anscheinend einige Afrikaner dazu ermutigt, eigene Anliegen unter Verweis auf religiös fundierte Argumente voranzutreiben. Es ist gewiss kein Zufall, dass jene Afrikaner, die von der Norddeutschen Mission zur Ausbildung nach Württemberg geschickt worden waren, 1907 mit religiös begründeten Argumenten einen eigenen Lehrerverband ins Leben riefen, und zwar explizit ohne die Beteiligung von Europäern – womit sie einen der Grundsteine für den organisierten togolesischen Widerstand legten.[644] Für das Verhältnis zwischen Kolonialbeamten und Missionaren entscheidend war allerdings, dass diese Inszenierung der Letzteren als Kenner und als Anwalt der Unterdrückten bei den Kolonialbeamten auf wenig Gegenliebe stieß. An ihr entzündete sich der Konflikt zwischen beiden Gruppen, der in Berlin gerne als Form eines Kulturkampfes gesehen wurde. Für Kolonialbeamte waren Missionare, die sich als Anwälte und Retter in Szene setzten, ein rotes Tuch. Wenn Missionare dann noch mit Begriffen des modernen Rechtsstaates argumentierten, löste das bei den Beamten schnell schlimmste Befürchtungen aus, sahen sie sich dadurch doch in der Rolle von Aggressoren, die rechtsstaatliche Prinzipien missachteten und willkürlich außer Kraft setzten.

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Konflikte eskalieren: Der Ort der Ängste und Phantasien

»Wir vindizieren dem Christenthum die Fähigkeit und mit der Fähigkeit die Aufgabe, die höchst entwickelten Menschengeister zu befriedigen und die auf der niedrigsten Stufe stehenden auf die höhere emporzuheben.« Ernst Lieber, 1894[645]

So wichtig die strukturellen Unterschiede zwischen Missionaren und Kolonialbeamten auch waren, erst der besondere koloniale Ort erklärt die Schärfe ihres Konfliktes. Nur hier, jenseits größerer europäischer Öffentlichkeiten, inmitten von Gesellschaften, die den Europäern häufig beängstigend fremd erschienen, konnten Dynamiken entstehen, die aus einem Konflikt zwischen Kolonialbeamten und Chiefs um Zwangsarbeit einen Grundsatzstreit zwischen Mission und Kolonialregierung über koloniale Herrschaft machten. Es war ein Ort, der einen idealen Nährboden für Projektionen, Ängste und Phantasien bot, welche die Wahrnehmung beider Seiten im Laufe der Zeit nachhaltig veränderten. Genau diese durchaus angstbesetzten Wahrnehmungen und Deutungen hatten zur Folge, dass in den Augen der Kolonialbeamten die Grenzen zwischen Missionaren und lokaler Bevölkerung nach und nach verschwammen, während Kolonialbeamte aus Sicht der Missionare sich zusehends in willkürlich und gewalttätig agierende Rechtsbrecher verwandelten. Die Mission identifizierte sich immer mehr mit der Rolle der armen hilflosen Heiden, während

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Kolonialbeamte weder die Missionare noch die lokale Bevölkerung als hilflos wahrnahmen, sondern ganz im Gegenteil als Kräfte, die vehement Forderungen stellten. Diese empfanden die Beamten als ungerechtfertigt, ja bar jeder Legitimität, und überdies als bedrohlich. Nimmt man die Perspektive der Missionare ein, so gab es mindestens drei Gründe, warum man sich selbst in der Opferrolle sah. Der erste war die schon thematisierte Heroisierung der Figur des leidenden Christus. Sahen sich die Missionare in der Nachfolge Christi, so war es nur ein kleiner Schritt, sich selbst für die Verfolgten und Unterdrückten zu halten. Sie waren bereit, sich »aus Liebe zu dem Volke« und »für dessen ethische und kulturelle Rettung« zu opfern, schrieb Franz Müller.[646] Zweitens wurde diese Identifikation durch die spezifische Außenseitererfahrung befördert, die katholische und protestantische Missionen im Kaiserreich nicht selten gemacht hatten. Die katholische Kirche war dort gemessen an der Anzahl der Gläubigen eine Minderheit. Dazu kam, dass das preußische Herrscherhaus evangelisch war und die katholische Mission an eigene Erfahrungen von Verfolgung und Unterdrückung im Kulturkampf anknüpfen konnte. So waren die Steyler gezwungen gewesen, ihr Missionsseminar außerhalb Deutschlands, in den Niederlanden, zu eröffnen. Auch waren alle katholischen Orden, sofern sie nicht krankenpflegerisch tätig waren, verboten oder in ihrer Tätigkeit eingeschränkt worden. Sie waren als Nationsfeinde, Fanatiker, Fortschrittsfeinde und Ultramontane ausgegrenzt und verfolgt worden, da sie, wie Freiherr von Rotberg es ausdrückte, »reichsfeindlich« eingestellt seien.[647] Viele

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Priester waren sogar verhaftet worden. Und spätestens in dem Moment, als die Atakpamer Missionare im Mai 1903 durch einen eigenmächtigen Beschluss des Freiherrn von Rotberg kurzerhand eingesperrt worden waren, mussten Erinnerungen an die Gefangennahme von Priestern im Kulturkampf lebendig geworden sein. Arnold Jansen selbst war überzeugt, dass »die katholische Kirche in Deutschland und seinen Kolonien noch von der Gnade der Beamten« abhängig sei.[648] Kein Wunder, dass die Steyler sich schnell in einer Kulturkampfsituation wähnten. Protestantische Missionsgesellschaften konnten wenn auch nicht an Verfolgungs-, so doch an Diskriminierungs- und vor allem Leidenserfahrungen anknüpfen. Gleichwohl waren diese weniger offensichtlich, da Protestanten die Mehrheitskonfession im Kaiserreich bildeten und der deutsche Staat maßgeblich mit protestantischen Beamten besetzt war und nach außen eine protestantische Selbstdarstellung pflegte. Die Missionsgesellschaften jedoch waren meist Außenseiter in ihren eigenen Landeskirchen. Sie hatten sich nämlich keineswegs aus deren Mitte heraus gebildet, sondern aus den Rändern der Erweckungsbewegungen und des Pietismus. Sie galten häufig als besonders rückständig und konservativ sowie intellektuell unbedarft und zu [649]

Gefühlsseligkeit neigend. In den Kolonien war die Situation für die Missionare häufig besonders problematisch, weil sie aufgrund ihrer niedrigeren sozialen Herkunft seitens der Kolonialbeamten soziale Verachtung und Herablassung ertragen mussten. Dass dieser Klassenaspekt des Konflikts zeitgenössisch durchaus wahrgenommen wurde, belegt ein Zeitungsartikel, der aus der

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Perspektive »unserer evangelischen Missionare« geschrieben worden war: »Es ist auch wohl verständlich, dass die Beamten und Offiziere (…), die doch noch in weit höherem Maße der ›schwarzen‹ Gefahr ausgesetzt sind und im allgemeinen auch noch schwereren Beruf haben, als es die mühevolle Missionstätigkeit ist, ihrer ganzen Vorbildung nach besser in der Lage sind, die Verhältnisse zu beurteilen und besonders auch einen weiteren Blick zu haben.«[650] Doch es waren nicht nur die Missionare, die sich als Sprachrohr der lokalen Bevölkerung begriffen. Auch Kolonialbeamte begannen, die Mission als verlängerten Arm der Afrikaner und Afrikanerinnen zu sehen. Geo Schmidt behauptete, Kukowina habe seine Petition nicht aus freien Stücken verfasst, sondern weil die Mission ihn aufgewiegelt habe. Damit hatte er seinerseits Mission und lokale Bevölkerung in eins gesetzt. Dass diese Unterstellung Schmidt so leicht über die Lippen ging, hat wiederum mit dem Selbstverständnis und Erfahrungen von Kolonialbeamten zu tun. Fast alle Kolonialbeamten hatten nämlich eine recht eigenwillige Perspektive auf die lokale Bevölkerung: Danach war diese minder vernunftbegabt, anarchisch organisiert und allein an der Befriedigung elementarer Bedürfnisse orientiert, was die Vorstellung, sie sei zu gezielten politischen Aktionen fähig, geradezu absurd erscheinen ließ. Planvolles Agieren, äußerte Geo Schmidt in einem anderen Zusammenhang, könne nicht dem »Hirn eines Negers« entspringen,[651] und »niemand, der die Eingeborenen kennt, wird glauben, dass ein Eingeborener selbst in dieser Art Beschwerde erheben wird«. [652]

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Schmidts Unterstellung, Pater Müller sei der Spiritus rector der Beschwerden, lag auch deshalb nahe, weil der Beamte sich ebenso wie die Mehrheit des protestantischen Bürgertums im Kaiserreich durch einen latenten Antikatholizismus auszeichnete und in den katholischen Missionaren vor allem »verdammte Pfaffen«, »Jesuiten« und Ultramontane sah.[653] Schmidt hielt die katholische Mission nicht für »zeitgemäß«. [654] Antikatholizismus hieß im Kaiserreich jedoch nicht nur Abwertung alles Katholischen als unmodern, überholt, abergläubisch und das Volk verdummend. Er führte auch dazu, dass man der katholischen Kirche ultramontane Tendenzen unterstellte und ihre Angehörigen für weniger kaisertreu und national gesinnt hielt.[655] Katholiken, so glaubte man, orientierten sich nach Rom, seien von dort fremdgesteuert und stellten dadurch eine immer mächtiger werdende Kraft dar, die drohte, das deutsche Volk zu unterminieren. Wenn in den anlässlich dieses Skandals lebhaft geführten Debatten im Reichstag von der »Nebenregierung des Zentrums« die Rede war, dann ging es genau darum, dass eine katholische Macht den deutschen Staat bedrohte. Manche Beamte wurden sogar noch deutlicher und behaupteten einfach, »dass jeder Katholik ein Staatsfeind« sei.[656] Im antikatholischen Diskurs der Kolonialbeamten, aber auch etlicher anderer Zeitgenossen wurden die Missionare zur Bedrohung der deutschen Staatlichkeit.[657] Ein weiterer Grund dafür, dass Kolonialbeamte wie Schmidt Mission und lokale Bevölkerung zunehmend als eins wahrnahmen, war eher zufälliger Natur und lag an Gouverneur Waldemar Horn. Der war nicht nur genauso neu und unerfahren wie Schmidt und Pater Müller, er war überdies ein

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Kolonialbeamter, der die überraschend klare Vorstellung hegte, dass Kolonien keinen rechtsfreien Raum darstellen sollten. Im Übrigen war er der einzige hohe Regierungsvertreter, den die togolesische Bevölkerung in positiver Erinnerung behalten hat.[658] Er gehörte zu den wenigen Beamten, die den beschriebenen kolonialen Habitus, der zwischen extremer Gewalt und Ohnmacht oszillierte, nicht teilten und stattdessen auf Einhaltung rechtsstaatlicher Normen pochten, wie sie im Kaiserreich üblich waren. Genau das scheinen seine Untergebenen gewusst zu haben, als sie versuchten, die Abwesenheit Horns auszunutzen, um ihre eigenwilligen Rechtsprozesse im Frühjahr 1903 in Atakpame durchzuführen. Überdies teilte Horn nicht die üblichen antikatholischen Ressentiments, was Schmidt dazu veranlasste, ihn »einen großen Freund der katholischen Mission« zu nennen.[659] Und schließlich genoss er lange Zeit die rückhaltlose Unterstützung durch Berlin, hatte er doch seine Karriere dort begonnen. Die Beamten vor Ort, allen voran Geo Schmidt, interpretierten seine Position allerdings weniger als Beharren auf rechtsstaatlichen Prinzipien denn als Illoyalität ihnen gegenüber: Schmidt beschwerte sich, er habe »seitens meiner vorgesetzten Behörde keine Genugtuung« erfahren.[660] Die Kolonialbeamten fühlten sich durch ihren Vorgesetzten Horn so sehr in ihrer Position geschwächt, dass sie zu offenem Protest gegen ihn übergingen: Auf der Gerichtssitzung im November 1903, als der ganze Fall öffentlich verhandelt wurde, wurde Horn von einigen Kolonialbeamten mit dem Lied »Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus« begrüßt – eine unverhohlene Aufforderung, die Kolonie zu verlassen.[661] Auch soll Schmidt während der Gerichtssitzung gesagt haben, »dem Aas schieße

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ich eine Kugel in den Balg«, und zudem gedroht haben, einen auf einer von Horns Hinterlandreisen stattgefundenen Vorfall mit tödlichem Ausgang dem Staatsanwalt zu übergeben.[662] In der Tat kursierten im Kaiserreich schon seit langem Gerüchte über Horns vermeintliche Brutalitäten. Aktenkundig wurden diese Anschuldigungen wahrscheinlich allein deshalb nicht, weil Horn Ende 1903 geradezu fluchtartig die Kolonie verließ. In den Augen der Kolonialbeamten mutierten die Missionare also allmählich zum Sprachrohr der lokalen Bevölkerung und damit zu Gegnern. Sie sahen in ihnen eine Gruppe von Männern, die eine Aufwiegelung betreibe, welche die gesamte deutsche Nation bedrohe. Umgekehrt behaupteten die Missionare, dass die Kolonialbeamten immer deutlicher ihre wahre Fratze zeigten: Sie verwandelten sich in prügelnde Kreaturen, die einen »traurigen Herrenstandpunkt« einnähmen, wonach »der Neger nur dazu da sei, für den weißen Kolonisator zu fronden, dass er fürs Helotentum geboren sei und jede Behandlung widerspruchslos zu ertragen habe«.[663] Neben Grausamkeit wurde den Kolonialbeamten vonseiten der Mission vor allem vorgeworfen, ihr Handeln verstoße gegen bestehendes Recht, etwa indem sie die »Eingeborenen« entweder grundlos körperlich züchtigten oder die legal verhängte Prügelstrafe wesentlich schärfer durchführten als erlaubt. Auch schüchterten sie die Einheimischen so brutal ein, dass diesen gleichsam der Mund verboten würde und sie vor Gericht keine wahrheitsgemäßen Aussagen machen könnten. Es wurde von selbstherrlichen Beamten berichtet, die als Richter ohne jede staatliche Kontrolle agierten.[664] Und es wurde immer wieder behauptet,

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Schmidt und alle kolonialen Rechtsinstitutionen, wie etwa das Bezirksgericht in Togo, betrieben nichts als Rechtsbeugung.

Schließlich spitzte sich der Konflikt so zu, dass Kukowinas Auseinandersetzung mit Schmidt in den Hintergrund und der Zweikampf zwischen Mission und Kolonialbeamten in den Vordergrund trat: Statt die Anliegen Kukowinas zu verfolgen, trat Geo Schmidt eine regelrechte Klagewelle los und überzog die katholischen Missionare mit immer neuen Vorwürfen. In diesen Klagen ging es meist um Beleidigung, Verleumdung und Ehrverletzung. Erst 1914 fanden mit dem Freispruch Pater Müllers vom Vorwurf der Verleumdung die Auseinandersetzungen, die 1901 begonnen hatten, einen juristischen Abschluss. Dass Missionare wie Kolonialbeamte die Form der Ehrund Verleumdungsklagen wählten, um eine Auseinandersetzung zu führen, die ursprünglich um Zwangsarbeit, Gewalt und Sex gegangen war, war nicht ungewöhnlich. Auch im Kaiserreich mussten Beleidigungsklagen für fast alle Formen von Konflikten herhalten. Häufig handelte es sich wie im Fall Atakpame um Privatklagen genauso wie um Beamtenklagen. Dienten Klagen wegen Beamtenbeleidigung zweifellos auch als Mittel, mit denen sich der Staat gegen unliebsame Kritiker zur Wehr setzte,[665] so kann die Masse der Privatklagen – wie Ann Goldberg gezeigt hat – vor allem als Indiz dafür gewertet werden, dass eine Gesellschaft im Umbruch viele soziale Unsicherheiten und damit auch Ängste bezüglich des eigenen Status hervorruft. Durch die Ehrklage konnte man versuchen, dieser Statusunsicherheit beizukommen.[666] Genau darauf

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verweist auch die Unmasse an Klagen im kolonialen Kontext: Es herrschte eine starke Verunsicherung, vor allem unter der Kolonialbeamtenschaft, aber auch – wie Studien zu DeutschSüdwestafrika gezeigt haben – unter anderen Vertretern des deutschen Staates,[667] die bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Ehrklage zu greifen schienen.

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Missionare und Kolonialbeamte: Die hidden agenda

»Der gefährlichste Grundsatz aber bei der Negererziehung (…) ist in dem Worte enthalten: Gleiches Recht für alle Rassen.« Ludwig Külz, 1906[668]

Angesichts dieser geradezu grotesken Kaskade von Ehrklagen stellt sich die Frage, ob es zwischen Mission und Kolonialbeamten nicht um mehr ging als um die bis hierhin beschriebenen Unterschiede und Konkurrenzen zwischen ihnen. Sie alle mögen die Eskalation der Situation befördert haben, aber dass Konflikte zwischen Mission und Kolonialbeamten nicht nur in Togo sich derart zuspitzten, hat noch tiefere Gründe, wie ein letzter Blick über Atakpame hinaus auf die gesamte koloniale Gesellschaft zeigt. Diese koloniale Gesellschaft, also alle in Togo lebenden Europäer und Europäerinnen, nahm regen Anteil an den Konflikten: Deutsche Kaufleute mischten sich erstmals im Dezember 1903 öffentlich in den Streit ein, nachdem der Prozess gegen Schmidt wegen Verführung Minderjähriger mit einem Freispruch geendet hatte. Sie setzten ein Unterstützungsschreiben für Schmidt auf, in dem sie ihn zum Ausgang des Verfahrens beglückwünschten: »Wir bedauern ungemein, dass sie Opfer solch haltloser Angriffe, die von einer Seite ausgingen, welche sich als Kulturträger des Landes ausgibt, [ge]worden sind, und hoffen zuversichtlich, dass die maßgebenden Behörden aus dem Ausgang des Prozesses ihre Konsequenzen ziehen und danach ihre zukünftige

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Stellungnahme gegen diese Mission einrichten werden, die wie allgemein bekannt, mehr in fremdländischen als im deutschen Sinne wirkt.«[669] Auch Bezirksleiter äußerten sich im Laufe des Jahres 1903 nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand zu den Streitereien, sondern nahmen öffentlich Stellung. Sie verfassten Schreiben, in denen sie Schmidt offen unterstützten. Da hieß es dann: »Dass von Misständen im (…) Bezirk nicht gesprochen werden kann, dass der Unfriede unter den Eingeborenen erst durch die Tätigkeit und auf Betreiben der Mission, insbesondere des Privatklägers entstanden ist, und dass durch die Wirksamkeit der Mission in der Tat das Ansehen der Regierung und der weissen Rasse«[670] unterminiert werde. Spätestens als die Kolonialabteilung im Frühjahr 1904 die Strafversetzung Schmidts nach Kamerun anordnete, wurde der Ton vieler Europäer noch deutlicher. Man unterstellte (nicht ganz zu Unrecht), die Entlassung Schmidts sei von höchster Stelle, nämlich von Rom, verlangt worden. Hier handele es sich – so einige Kolonialbeamte – um einen Akt ultramontanen Regierens hinter den Kulissen, der als Installierung einer »Nebenregierung« begriffen werden müsse, mit der die eigene Autorität vor Ort massiv in Frage gestellt werde. Mit solchen Verdächtigungen erschien die Mission für immer mehr Europäer in Togo als zusehends mächtigere Gefahrenquelle.[671] Angehörige der Mission bezogen ebenfalls offen Stellung, und zwar wiederum verstärkt seit dem Freispruch Schmidts, der mit der Verurteilung eines Missionsangehörigen wegen Beleidigung einherging. Als schließlich Gouverneur Horn, der höchste Kolonialbeamte und der einzige, der eine neutrale

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Position der Mission gegenüber gewahrt hatte, seinerseits – wahrscheinlich aufgrund von Anzeigen aus der Kolonialbeamtenschaft – zum Angeklagten wurde, nahm der Ton noch mal an Schärfe zu. Die Gruppe von Europäern, die sich in dem Konflikt offen zu Wort meldeten, wird noch vielstimmiger, wenn man auch die beiden »subalternen« Beamten (so wurden sie 1906 sowohl im Reichstag als auch in der Presse, die sie zudem als Whistleblower diffamierte, bezeichnet) Wistuba und Pöplau berücksichtigt. Diese arbeiteten im Gouvernement Lome und glaubten weder an Schmidts Unschuld noch daran, dass die Mission an allem schuld sei. Wistuba war GouvernementsBürovorstand unter Horn gewesen und saß damit an einer der Schaltstellen der Macht, da er Zugang zu allen Akten hatte. Er hatte anscheinend enge Kontakte zur Steyler Mission unterhalten und soll Präfekt Bücking mit einschlägigem Material versorgt haben.[672] In jedem Fall sah er das Agieren seiner Vorgesetzten weit kritischer als das der Mission. So soll er der Mission von manchen antikatholischen Ressentiments, wie sie regelmäßig im Casino in Lome ausgetauscht wurden, berichtet[673] und sogar behauptet haben, Schmidt »habe die Eingeborenen sehr schlecht behandelt (…), und dass er mit 3– 4 unerwachsenen Mädchen Unsittlichkeiten getrieben habe«. Zugleich habe er andere Europäer, etwa einen Bauminspektor, als »Kaffer« und »Lümmel« beschimpft. Wistuba seinerseits war der Mission weit mehr verbunden, als es die Togoer Kolonialbeamten gutheißen konnten. Ähnliches lässt sich für Pöplau sagen, der umfangreiches Beweismaterial sammelte, um das Fehlverhalten einzelner Kolonialbeamter zu dokumentieren. Beide gerieten schließlich in offenen Konflikt

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mit Geo Schmidt, der sie wegen Amtsmissbrauchs und Verstoßes gegen die Amtsverschwiegenheit verklagte.[674] Aber auch die Kaufmannschaft war weniger geschlossen, als man auf den ersten Blick glauben mag. Auch hier gab es Männer, die das Agieren der Kolonialbeamten nicht nur positiv sahen. Unter ihnen ist an erster Stelle der schon erwähnte, im Kaiserreich sehr einflussreiche Bremer Kaufmann Vietor zu nennen, der eng mit der Norddeutschen Mission verbunden war und öffentlich sowohl an der »Eingeborenenpolitik« als auch an der Wirtschaftspolitik des Auswärtigen Amtes Kritik übte. Das gilt ebenso für weniger bekannte Kaufleute, wie etwa Lachner, zu dem seine Handelskollegen vor Ort Distanz hielten und der seine bereits geleistete Unterschrift unter die Unterstützungsadresse für Geo Schmidt wieder zurückzog. Auch sagte er gegen einen Kolonialbeamten aus, dieser habe »Eingeborene« übermäßig körperlich bestraft.[675] Die Mission war zuweilen nicht minder vielstimmig. Herrschte zwischen der Norddeutschen Mission und dem Steyler Missionsorden Konkurrenz, die sich in bestimmten Punkten zu offener Feindschaft steigern konnte, so gab es auch unter den Katholiken und unter den Protestanten jeweils unterschiedliche Meinungen. Dem Missionar Schöning etwa wurde zu große Nähe zu Kolonialbeamten vorgeworfen. Er scheine ein »Freund der Kolonialoffiziere zu sein (…), mit denen er spielte, trank und rauchte« – so glaubte man zumindest in Steyl. Andere warfen den Missionaren vor, häufig im Streit miteinander zu liegen und keineswegs dem Idealbild eines tugendhaften Missionars zu entsprechen.[676] Wieder andere wie der Frater Jacobus Basten, der viele der

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Akten in den Gerichtsangelegenheiten zu schreiben hatte, hielten sich mit offener Kritik am Verhalten von Pater Müller nicht zurück. Aber auch andere Patres verletzten Bastens »Rechtsgefühl« insbesondere durch ihr Verhalten im Konflikt mit Geo Schmidt. Bei Pater Kost beschwerte er sich darüber, dass die Mission ihre Vorwürfe seiner Meinung nach auf zu wackeligen Aussagen aufbaue. Er ging sogar so weit zu behaupten, die Missionare würden ihrerseits Verleumdung betreiben.[677] Es nahmen also viele Anteil an dem Streit zwischen Schmidt und Pater Müller, und zuweilen scheinen sich gerade an den Rändern der europäischen Gesellschaft in Togo eigentümliche Koalitionen gebildet zu haben. Das wird besonders anschaulich in dem Gespräch, das zwischen einem Stationsassistenten Schmidts und einem Frater stattgefunden haben soll. Dabei beschwerte sich der Stationsassistent über Schmidts Grausamkeit, während der Missionsangehörige das Verhalten der Steyler kritisierte.[678] Und doch oder vielleicht gerade weil die Reihen nicht so fest geschlossen und die Deutungen nicht so einheitlich verteilt waren und damit die Fragilität der jeweiligen Gruppe im Laufe des Konfliktes für alle immer deutlicher zutage trat, verschärfte sich der Ton im Laufe der Zeit. Zumindest nahm die Korrespondenz zwischen den beteiligten Kräften eine immer martialischere Färbung an. Schmidt sprach vom Sieg der Mission und davon, dass nun die Afrikaner und Afrikanerinnen endgültig glauben müssten, die Mission habe die Macht übernommen. In Bezug auf die Mission wurde nur noch von einem »Werk des Unfriedens und Hasses« gesprochen, das die »Kulturarbeit« schädige.[679]

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Rotberg glaubte an einen »allgemeinen Komplott der Missionsangehörigen zur Verbreitung der beleidigenden Gerüchte gegen Schmidt«.[680] Auch vonseiten der Mission wurden immer deutlichere Töne angeschlagen. So wurden etwa höflich vorgebrachte Aufforderungen vonseiten der Kolonialabteilung als casus belli bezeichnet.[681] Darüber hinaus hieß es, erst wenn »dieses Geschwür rechtzeitig geöffnet und für Entfernung der verdorbenen Elemente gesorgt wird, ist Besserung und Gesundung« zu erwarten – wobei mit dem Geschwür vor allem Geo Schmidt gemeint war.[682] Es sind diese harschen Töne, welche die Spur zu den tieferen Gründen für die Eskalierung des Konflikts weisen. Die Kriegsmetaphorik verdeutlicht, dass es – so die abschließende These – auch darum ging, wer die Herrschaft über die »Eingeborenen« hatte. Für Schmidt stand die Frage im Mittelpunkt, ob seine und damit die Autorität des deutschen Staates höher zu schätzen sei als die der katholischen Kirche. Er glaubte, dass die Mission seine »Stellung untergraben« wolle, was er als vorbildlicher Vertreter der deutschen Nation mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterbinden habe. Schließlich könne ein deutscher Beamter keinerlei »Einmischung in die Angelegenheiten der Regierung«[683] dulden. Auch an anderer Stelle sprach Schmidt davon, dass er gegen die »Einmischung der Mission in Angelegenheit[en] der Regierung« vorgehen müsse.[684] Umgekehrt sah auch die Mission ihre Herrschaft gefährdet, und zwar durch das in ihren Augen falsche Regiment Schmidts, der aufgrund mangelnder Kenntnisse bezüglich der afrikanischen Bevölkerung nicht wisse, wie eine angemessene Kolonialherrschaft aussehen könne.

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Die Ironie der Situation will es, dass damit beide Seiten letztlich um die lokale Bevölkerung kämpften. Die afrikanische Bevölkerung nahm in diesem Streit insofern eine zentrale Rolle ein, als sie gleichzeitig Adressat von und Garant für Schmidts Autorität war. Die »Eingeborenen« könnten – so seine Furcht – den falschen Eindruck bekommen, dass die Macht der Mission stärker sei als die der Beamten.[685] Und auch die Mission bezog ihre Autorität aus ihrer Beziehung zur einheimischen Bevölkerung. Das wird deutlich, wenn Geo Schmidt in seinen Briefen geradezu triumphierend Indizien auflistet, die beweisen sollten, dass die »Eingeborenen kein Vertrauen zu den Missionaren« hatten.[686]

Spätestens hier stellt sich die Frage, ob Mission und Kolonialbeamte überhaupt für unterschiedliche Konzepte von kolonialer Herrschaft standen oder ob es nur um letztlich unerhebliche Nuancen ging, vertraten doch beide ein auf rassischer Differenz basierendes Zivilisierungsmodell. Ging es am Ende nicht doch nur darum, welche der beiden Seiten und wie und in welchem Maße Macht ausüben sollte? In der Tat: Ähnlich wie im Kaiserreich gab es auch in Togo unter den Europäern und Europäerinnen keine strukturell unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wie koloniale Herrschaft aussehen sollte. Man stritt nur darüber, wer wie viel Herrschaft ausüben sollte. Die kolonialen Herrschaftskonzepte von Missionaren und Kolonialbeamten basierten in vielerlei Hinsicht auf den identischen Prämissen: Auch Missionare missachteten das rechtsstaatlich verbriefte, freilich in den Kolonien außer Kraft gesetzte staatliche Gerichtsmonopol, denn sie nahmen für sich das Recht in Anspruch, über die

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lokale Bevölkerung zu Gericht zu sitzen. Man nannte das »katholische Strafgerichtsbarkeit«.[687] Pater Müller initiierte sogar eigenständig regelrechte Untersuchungsverhöre und unterminierte damit fundamentale Rechtsstaatsprinzipien. Auch kann die Mission nicht für sich in Anspruch nehmen, Grausamkeit und Zwang weniger Vorschub geleistet zu haben, nur weil Prügelstrafe und Zwangsarbeit bei ihr seltener vorkamen. Keine der Missionen, weder die protestantischen Missionsgesellschaften noch die katholischen Orden, lehnte die Prügelstrafe ab, ebenso wenig wie die rassistischen Prinzipien, mit denen solche Strafen für Schwarze gerechtfertigt wurden.[688] Weder die katholische noch die protestantische Mission praktizierte in ihrem ureigenen Kernbereich eine Politik der Gleichheit. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es weder schwarze Missionare noch gar afrikanische Ordensschwestern. Im Protestantismus gab es allein sogenannte osofo (Gehilfen). Auch für Missionare blieb also die colour line von zentraler Bedeutung, Afrikanerinnen und Afrikaner galten qua Rasse als grundsätzlich differente Wesen. Allein der Charakter der Differenz wurde in der Mission teilweise anders gesehen als von Kolonialbeamten. So hatten die »Heiden« in den Augen der Mission »eine Seele und keine Seligkeit, Nacht und kein Licht, Sünde und keine Vergebung. In ihnen wohnt ein Sehnen, ein Ahnen, ein Verlangen.«[689] Kurzum: Die missionarische Rhetorik der Nähe und des Vertrauens, die patriarchalische Inszenierung des gütigen Vaters oder Anwalts kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in den Konflikten nicht um strukturell unterschiedliche Konzepte von kolonialer Herrschaft und auch nicht um

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gegensätzliche Vorstellungen hinsichtlich der Rassenhierarchien gegangen ist. Auch die katholischen Missionare konnten nur auf der Grundlage der Herrschaft erfolgreich sein, die Geo Schmidt und andere etablierten. Manche Zeitgenossen wie der Laienbruder Jacobus Basten benannten genau diesen Umstand und damit die inneren Widersprüche, in die sich die Steyler Mission verstrickte, wenn sie Geo Schmidt so scharf kritisierte. In seinen Memoiren erklärte Basten, dass die Kolonialbeamten kaum eine andere Möglichkeit hätten, als mit nackter Gewalt zu reagieren, wenn die lokale Bevölkerung nicht arbeiten wolle. Für ihn war dies ein ganz alltäglicher Konflikt zwischen Oberhaupt und Untertan, und da gelte es, den Untertanen an seine Pflichten zu erinnern, notfalls mit Gewalt. Mit dieser Sicht war der Frater zweifellos ein typischer Vertreter der Mission, denn niemand dort stellte die Legitimität kolonialer Herrschaft an sich in Frage. Als Basten aber die Patres Witte [690]

und Müller mit der Frage konfrontierte: »Wie würden Sie in diesem Falle handeln?«, sollen die eher schnippisch geantwortet haben: »Brauche ich nicht zu sagen«! Jacobus Basten ließ sich damit nicht abweisen und erwiderte, dass auch die Missionare von der »Arbeit der Kolonialbeamten lebten«. [691] Was Basten damit letztlich anekdotisch verdeutlichen wollte, war der Umstand, dass sowohl Missionare als auch Kolonialbeamte die geschilderten kolonialen Praktiken für alternativlos hielten.

Der Konflikt hatte also viele Ursachen: unterschiedliche Arbeitsweisen, ein im Kern anders akzentuiertes Selbstverständnis, widersprüchlich definierte und zugleich

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faktisch begrenzte Handlungsoptionen sowie die besonderen Herausforderungen des Ortes selbst. Der Konflikt hatte auch zahlreiche Themen: Kulturkampf, Expertise, ökonomische Kompetenz, die Nation, der Herrgott, die Seele der Afrikaner und vieles mehr wurde verhandelt. Immer wieder jedoch ging es um die Frage, wer über welche Macht verfügte. Eindeutig geklärt wurde diese Frage in Atakpame nicht, trotz einer stringenteren staatlichen Kolonialpolitik unter Dernburg gab es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Mission und Kolonialbeamten. Aber ungeachtet dessen, dass in Atakpame die Frage der Herrschaft nie eindeutig beantwortet werden konnte, war der Konflikt, wie die Reichstagsdebatten von 1906 zeigen, überaus folgenreich. Hier konnte – um daran kurz zu erinnern – sehr erfolgreich der Eindruck erweckt werden, in Togo würde in der Tat um zwei unterschiedliche Konzepte von kolonialer Herrschaft gestritten.

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6. Ökonomie und Gewalt »Durch diese Kolonialwirtschaft wird die Bestialisierung hineingeschrieben in die europäische Gesellschaft.« Georg Ledebour, 1906[692]

Die Konflikte in Atakpame, die 1901 begonnen und im Frühjahr 1903 zur Inhaftierung der Missionare geführt hatten, erreichten im Sommer 1903 einen neuen Höhepunkt: In Awete, einem Dorf unweit von Atakpame, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und wenig später im benachbarten Notschä zu offener Arbeitsverweigerung. Wie kam es zu dieser neuerlichen Eskalation? Es war Anfang Juli 1903, als es dem Chief von Notschä nicht gelang, die vom Bezirksleiter Schmidt angeforderten Zwangsarbeiter zu rekrutieren.[693] Bereits im Frühjahr hatte sich Chief Kassene in einer vergleichbaren Lage darauf beschränkt, Schmidt diesen Umstand mitzuteilen. Der Chief von Awete bat jedoch um Bestrafung der »Leute«.[694] Das tat Geo Schmidt dann auch und zwang rund 40 »Aweteleute« zu zusätzlichen Arbeiten, die er nun als Strafarbeit definierte. Die Aweteleute verweigerten allerdings auch diese Strafarbeit. Daraufhin schickte Schmidt am 8. Juli 20 Soldaten,[695] um die sich weigernden Männer zur Räson zu bringen. Die Soldaten verhafteten die Männer, soweit sie ihrer habhaft werden konnten, und brachten sie zu Schmidt ins Nachbardorf Atokodje, wo dieser die Prügelstrafe über sie verhängte. So

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weit war alles eine zwar unerfreuliche, aber aus der Perspektive der Kolonialbeamten wie auch aus Sicht der deutschen Öffentlichkeit nicht weiter bemerkenswerte Episode im schwierigen kolonialen Alltag, in dem es immer wieder um faule Afrikaner ging, die man notfalls durch Prügel zur Arbeit anhalten müsse. Doch während und nach dieser Aktion soll es zu Vorfällen gekommen sein, die in den Augen der deutschen Öffentlichkeit skandalös waren – wobei freilich bis zuletzt umstritten blieb, was vorgefallen war. Die Missionare behaupteten, es sei zu gewalthaften Übergriffen der Soldaten gekommen, und zwar nicht gegenüber denjenigen, die die Arbeit verweigert hätten, sondern auch gegenüber den »Ältesten«, also den offiziellen Vertretern der lokalen Bevölkerung. Im August erhob die katholische Mission öffentliche Anklage gegen Schmidt.[696] Der Grund war nicht nur die überzogene Bestrafung auch unbeteiligter Männer, sondern ebenso Plünderungen vonseiten der Soldaten, die »den Leuten Geld, Kleider, Schnaps weggenommen«[697] haben sollen. Dabei sei auch ein älterer Mann zu Tode gekommen, und die Prügelstrafe sei so vollzogen worden, dass die Haut gleich »Fetzen am Körper heruntergehangen« habe – so die Aussage von Pater Müller. [698] Diese Vorfälle wurden über die Mission nach Deutschland berichtet und schlugen dort 1906 in der Berliner Presse hohe Wellen, ähnlich wie Jahre zuvor der Fall Leist/Wehlan und der Peters-Skandal.[699] Es lässt sich nicht bestreiten, dass in Togo wie in allen deutschen Kolonien strukturell und keineswegs ausnahmsweise extrem brutal vorgegangen wurde: Häuser wurden abgebrannt, Menschen getötet, Felder zerstört, ganze

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Dörfer geplündert und Frauen vergewaltigt. Und an dieser Gewalt waren nicht nur Kolonialbeamte, sondern auch Chiefs und die afrikanischen Polizisten beteiligt, jeder mit eigenen Gründen und einer eigenen Agenda.[700] Ermöglicht wurde all das auch, weil die Kolonialverwaltung vor allem aufgrund der Personal- und Finanzpolitik des Reichs stets fragil blieb und Herrschaft nicht dauerhaft beziehungsweise nur in Form von Inseln etabliert werden konnte.[701] So kam es immer wieder vor, dass afrikanische Polizisten ganze Dörfer zerstörten, Vieh requirierten und Frauen wie Männer mit körperlicher Gewalt unter Druck setzten, auch ohne dass ihnen dies explizit befohlen worden war. Nachdem die Ereignisse in Awete abgeklungen waren und die Steyler Klage eingereicht hatten, kam es in Notschä zu einer weiteren Gewalteskalation. Einheimische weigerten sich lautstark, den Arbeiten auf Baumwollfeldern nachzukommen, und verlangten mehr Lohn. Bei der nun folgenden Bestrafungsaktion wurden nicht nur zwei »Rädelsführer« verhaftet, sondern auch Strafarbeit für insgesamt 450 Mann angeordnet. Dies konnte nur mit »Waffengewalt« durchgesetzt werden, wobei es erneut zu Übergriffen vonseiten der Polizisten gekommen sein soll,[702] aber auch die Arbeiter selbst griffen nun zum Mittel der Gewalt.

Die Gewalt von Awete verwies auf die fragile koloniale Herrschaftsstruktur, doch hinter den Vorfällen in Notschä verbirgt sich noch etwas anderes, das im Kaiserreich ebenfalls mit keinem Wort erwähnt wurde, etwas, mit dem fast alle kolonialen Ökonomien kämpften. Notschä mag der Sitz des Gottes Mawu und mythischer Ursprungsort aller Ewer

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gewesen sein, entscheidend aber war der Umstand, dass man hier eines der ganz großen kolonialen Wirtschaftsprogramme starten wollte, mit dem alles andere als bescheidenen Ziel, die deutsche Ökonomie, zumindest was die Baumwollproduktion anbelangte, an die Weltspitze zu führen. Auf diesen Ort richteten daher nicht nur viele Kaufleute, sondern auch Missionare, Sozialwissenschaftler und Unternehmer ihr besonderes Augenmerk, bildete er doch den Mittelpunkt des sogenannten Baumwollvolkskulturprojekts. Das Unternehmen wurde um 1900 begonnen und maßgeblich vom Kolonialwirtschaftlichen Komitee organisiert sowie vom Berliner Kolonialamt und den Kolonialbeamten vor Ort unterstützt. Tausende von Hektar sollten gerodet werden, um die angeblich beste Baumwolle, eine amerikanische Sorte, anbauen zu können. Sie sollte später von Einheimischen geerntet und zu Sammelstellen gebracht werden, wo sie zu einem Einheitspreis verkauft und schließlich nach Deutschland zur Weiterverarbeitung transportiert werden sollte. Dieses Projekt war von erheblicher ökonomischer Bedeutung, da die Baumwollpreise auf dem Weltmarkt um 1900 explodierten und man sich durch eigenen Anbau vom Weltmarktführer Amerika unabhängig machen wollte. Auch in Berlin hoffte man, damit drohenden Krisen in der Textilindustrie vorbeugen, ja die vermeintlich herannahende »Baumwollnot« meistern zu können. Deshalb wurde das Baumwollprojekt in der Metropole mit großen Erwartungen initiiert und propagiert. Viele glaubten, Deutschland könne so die eigene Rohstoffarmut ausgleichen und wirtschaftlich unabhängiger werden – ein Argument, das bereits zu Bismarcks Zeiten herhalten musste, um den Erwerb von

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Kolonien zu legitimieren, und das in der kolonialen Debatte des Kaiserreichs immer wieder vorgebracht wurde.[703] Doch mit dem Baumwollprojekt verfolgte man auch ein spezifisches kolonialpolitisches Programm. Unter dem Schlagwort »Baumwollkultur als Volkskultur« wollte man wirtschaftliche Interessen und Zivilisierungsmission verbinden: Die Felder sollten nicht wie auf den großen Plantagen in Form von Lohn- oder gar Zwangsarbeit, sondern in Familienökonomien bewirtschaftet werden. Konkret war der Plan, dass die Afrikaner erst eine sogenannte rationale Anbauund Arbeitsmethode (erinnert sei an das Programm »Erziehung zur Arbeit«) erlernen sollten. Dann sollten Familien in relativer Eigenverantwortung, wie es angeblich von alters her in Afrika üblich gewesen, ein Stück Land bearbeiten. Dabei sollten sie den Pflug verwenden statt der traditionellen, aber als weniger effektiv geltenden Hackkultur. Geleitet werden sollten die Familienbetriebe durch den männlichen Haushaltsvorstand, der auch den wesentlichen Teil der landwirtschaftlichen Arbeit erledigen sollte. Dieses Konzept einer rationellen Baumwollkultur als »Eingeborenenkultur«[704] – so ein ebenfalls gern bemühter Terminus – hatte zwar wenig mit den in Westafrika vorherrschenden Formen von Landwirtschaft, dafür aber viel mit sehr europäischen Vorstellungen vom Leben auf dem Land zu tun. Gleichzeitig wurde danach ein deutlicher Kontrapunkt zu der weithin üblichen, jedoch scharf kritisierten Form der Plantagenwirtschaft gesetzt, die auf Zwangs- oder Lohnarbeit basierte.[705] Treibender Motor dieses Unternehmens war das Kolonialwirtschaftliche Komitee (KWK), die zentrale

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koloniale pressure group im Kaiserreich, in der sich alle maßgeblichen an kolonialen Wirtschaftsunternehmungen interessierten Fabrikanten, landwirtschaftlichen Großunternehmer und teilweise auch Botaniker und Tropenlandwirte sowie Vertreter der Mission versammelten. Kaum hatte das KWK dieses Baumwollprojekt mit intensivem rhetorischen und finanziellen Aufwand ins Leben gerufen, begann Geo Schmidt sich dafür zu begeistern. 1903 fing er an, in der Gegend um Notschä riesige Flächen Land roden zu lassen. Und genau hier in Notschä kam es im August 1903 zu den besagten gewalttätigen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf sogar der Stationsassistent Hunneshagen regelrecht bedroht worden sein soll.[706] Im Unterschied zu den Vorfällen in Awete ging die Gewalt hier nicht von den Polizeikräften aus, sondern von den Arbeitern, die zur Feldarbeit herangezogen worden waren. Sie weigerten sich, für den in ihren Augen zu niedrigen Lohn zu arbeiten, und forderten lautstark mehr Geld. Dass die Tumulte in Notschä 1903 in direktem Zusammenhang mit dem kolonialen Baumwollkulturprogramm standen, wurde allerdings in Berlin mit keinem Wort erwähnt. Im Gegenteil, Reichstag und Presse glaubten, es handele sich erneut um einen typischen Fall eines der seit dem Peters-Skandal immer wieder kritisierten Gewaltexzesses einzelner Kolonialbeamter. Dieses Verschweigen verwundert insofern, als es im Kaiserreich durchaus Informationen zur kolonialen Ökonomie gab, sei es, dass man diese kritisierte oder unterstützte. So war die deutsche Öffentlichkeit intensiv mit der besonderen Bedeutung des Togoer Baumwollvolkskulturprojekts traktiert

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worden. Kaum eine Ausgabe der Deutschen Kolonialzeitung erschien, ohne dass von den Baumwollunternehmungen berichtet wurde, und auch die Tagespresse war voll von mehr oder minder euphorischen Erfolgsberichten über die angeblich großen Fortschritte dieses Programms.[707] Überhaupt war die, wie es zeitgenössisch hieß, wirtschaftliche Erschließung der Kolonien, ihre »Nutzbarmachung«, eines der zentralen Themen von ganzen Vortragsreihen und großangelegten Kolonialausstellungen, die insbesondere der Kolonialverein in fast allen größeren Städten organisierte.[708] Neben dieser positiven Berichterstattung gab es auch viel Kritik an der Wirtschaftspolitik, wie sie in den deutschen Kolonien betrieben wurde. Erinnert sei nur an die häufig von Missionaren, aber auch von einer breiteren europäischen Öffentlichkeit angeprangerten »Schandtaten«, die etwa unter dem belgischen König Leopold im Kongo im Zusammenhang mit dem Kautschukanbau und anderen Plantagenökonomien verübt wurden.[709] Sozialdemokraten wiederum wurden nicht müde, die »Großkapitalisten«, die sich durch »schrankenlose Bodenspekulationen und monopolistische (…) Ausbeute«[710] bereichern würden, anzuklagen. Sie kritisierten die – wie es hieß – Ausbeutungsverhältnisse afrikanischer Lohnarbeiter, die sie mit denen der deutschen Arbeiter im Kaiserreich gleichsetzten, obschon es, abgesehen vielleicht von Südafrika, keine afrikanische Kolonie gab, in der die Arbeitsbedingungen auch nur annähernd mit europäischen vergleichbar gewesen wären. War koloniale Wirtschaft also ein Thema, das in einer breiten Öffentlichkeit behandelt wurde, so gab es niemanden, der den Atakpame-Skandal auch nur andeutungsweise mit der

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kolonialen Ökonomie in Verbindung brachte. Im Folgenden soll argumentiert werden, dass dieses Schweigen, ob bewusst oder unbewusst, ob intentional oder nicht, kein Zufall ist. In ähnlicher Weise wurde im Fall der Adjaro Nyakuda und Geo Schmidts die Alltäglichkeit sexueller Beziehungen zwischen Kolonialbeamten und Afrikanerinnen ebenso ausgeblendet wie im Fall Kukowina die teilweise brutale Realität von Zwangsarbeit. Es gab strukturelle Gründe für das Verschweigen, nämlich die grundlegenden Widersprüche kolonialer Wirtschaftspolitik, wie sie für viele Formen kolonialer Ökonomie, sei es in englischen, französischen oder portugiesischen Kolonien, kennzeichnend waren. Diese Widersprüche waren schon im Kern kolonialer Ökonomien angelegt: Obschon koloniale Ökonomien ausschließlich dazu dienen sollten, die Metropole mit Rohstoffen zu versorgen, um unabhängiger von Importen aus anderen Ländern zu werden, bewirkten sie – nicht nur im Fall des Togoer Baumwollprojekts – meist das genaue Gegenteil. Selten erwiesen sich die meist überdimensionierten Projekte als profitabel für die Metropole, geschweige denn, dass sie für die einheimische Bevölkerung Vorteile brachten. Im Gegenteil, insbesondere im Fall der deutschen Kolonialpolitik kam es infolge dieser Projekte zu erheblichen Mehrkosten, für die europäischen Steuerzahler wie für die afrikanische Bevölkerung. So führte das Togoer Projekt keineswegs aus der Weltmarktabhängigkeit in Bezug auf Baumwolle heraus, sondern erwies sich spätestens 1910 als ein finanzielles und ökonomisches Desaster. Es handelte sich um einen – von Moses Ochonu eindringlich beschriebenen – »colonial meltdown«,[711] wie er für die deutsche Politik keineswegs die Ausnahme, sondern der Regelfall war.

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Das Baumwollprojekt verweist zudem auf einen zweiten Widerspruch: Das lauthals propagierte Ziel, im Rahmen des Programms »Erziehung zur Arbeit« eine sogenannte Volkskultur zu etablieren, indem vermeintlich rationelle Wirtschaftspraktiken samt europäischen Familienmodellen vermittelt wurden, um die einheimische Bevölkerung an die europäische Zivilisation heranzuführen, scheiterte in jeder Hinsicht. Tatsächlich setzte sich weder die sogenannte rationelle Anbaumethode durch, noch bildeten sich flächendeckend europäische Arbeitsethiken heraus. Statt der erhofften »zivilisatorischen« Effekte lässt sich eher eine Zunahme von Gewalt beobachten – ein Phänomen, das den europäischen Vorstellungen von Zivilisierung elementar widersprach. Dieser Mangel an ökonomischer Effizienz hatte ebenso wie das Ausbleiben »zivilisatorischer« Effekte viele Gründe: Fast alle deutschen kolonialen Großprojekte, in die in eigentümlicher Mischkalkulation staatliche und private Gelder investiert wurden, waren aufgrund der mangelnden öffentlichen Unterstützung für koloniale Projekte im Reichstag unterfinanziert. Überdies waren sie einseitig auf die kolonialen Bedürfnisse der Metropolen ausgerichtet, ohne lokale Interessen zu berücksichtigen oder das lokale Know-how nutzbar zu machen. Damit ignorierten sie auf fatale Weise die Macht der Einheimischen und ihre ökonomischen Erfahrungen und versäumten es, für die lokale Bevölkerung Anreize zu schaffen, sich auf diese und ähnliche Projekte einzulassen. Stets ging es nur darum, bestimmte Pflanzen wie Kautschuk, Kaffee, Baumwolle, Kakao oder Erdnüsse in großem Stil anzubauen, um diese ausschließlich oder zumindest überwiegend nach Europa zu exportieren. Die

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Anbaumethoden, Konsumgewohnheiten und Wirtschaftspraktiken vor Ort wurden komplett ignoriert. Die Folge dieser Politik war das genaue Gegenteil von wirtschaftlicher Prosperität: Aufgrund der engen dirigistischen Zentrierung auf eine Kolonialmetropole verloren die regionalen afrikanischen Märkte häufig ihren Wettbewerbscharakter. Auch kam es generell eher zu einer Verengung als zu einer Ausweitung des Arbeitsmarktes, obschon sich nicht leugnen lässt, dass manche afrikanischen Händler hier auch neue Arbeitsfelder entdeckten.[712] Auch hatten die Monokulturen negative ökologische Auswirkungen, ganz zu schweigen von den verheerenden gesellschaftlichen Folgen. Und schließlich beförderte diese koloniale Wirtschaftspolitik keineswegs die sogenannte Zivilisierung. Denn trotz aller Zivilisierungsrhetorik basierten die Projekte in erster Linie auf Gewalt, da kaum eine afrikanische Familie den vorgeschriebenen Anbauweisen, geschweige denn den Familienmodellen und der damit einhergehenden Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen freiwillig folgte. All dies widersprach allem, was bis dato in den afrikanischen Gesellschaften Usus gewesen war. Wie auch immer die Folgen der kolonialen Wirtschaftspolitik im Einzelnen zu gewichten sind (und zwar unabhängig davon, ob das Projekt in den Augen der Metropole erfolgreich war oder nicht), die Kluft zwischen den vermeintlichen Segnungen der Zivilisation und angeblich sagenhaften ökonomischen Gewinnen aus dieser Politik auf der einen und den sich verweigernden Arbeitern und mangelnden Ernteerträgen auf der anderen Seite war offensichtlich. Das Togoer Baumwollprojekt musste

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schließlich mangels ökonomischen Erfolgs schon nach kaum zehn Jahren abgebrochen werden.[713] Dass es sich bei diesen Widersprüchen zwischen vollmundig propagierten Programmen der Metropole und Realitäten vor Ort nicht um einen Einzelfall handelte, zeigen die unzähligen colonial meltdowns in Kamerun, DeutschOstafrika und in vielen anderen deutschen Kolonien. Togo war kein Einzelfall, sondern ein Paradebeispiel für das Scheitern solcher Projekte an strukturellen Widersprüchen,[714] die zweifellos auch – wie die Sozialdemokraten meinten – mit »Großkapitalisten« und den »Problemen afrikanischer Lohnarbeit« zu tun hatten, darin aber keineswegs aufgingen. Im Kaiserreich wurde versucht, diese Widersprüche in wolkigen Debatten, die zwischen Ohnmacht und Allmacht changierten, zum Verschwinden zu bringen, und das aus einem schlichten Grund: Diese Widersprüche als das zu benennen, was sie waren – nämlich den kolonialen Ökonomien strukturell inhärent –, hätte bedeutet, die Grundaxiome kolonialen Handelns zu hinterfragen. Eine Weltsicht wäre ins Wanken geraten, die Kolonien in erster Linie als Rohstofflieferanten sah, die im Grunde darauf warteten, von europäischen Unternehmen erobert zu werden.[715] Die im kolonialen Wirtschaftsdiskurs zentrale Logik, welche die Welt als Markt definierte, hätte zur Disposition gestanden – und damit eine ganze kommerzielle Geographie.[716]

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Abb. 8

Unterschrift durch Hans Gruner: »Bezirk Atakpame

Baumwollschule Notschä, Pflügen der Baumwollschüler. Ein junges Baumwollfeld wird durch leichte amerikanische Kratzpflüge von Unkraut gereinigt. Einheimische Maultiere. Einheimisches Rindvieh.«

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Koloniale Ökonomien: Zum Beispiel Baumwolle

»Als ein sehr geeignetes Mittel, die Eingeborenen zur Arbeit zu erziehen und sie zugleich wirtschaftlich abhängig von uns zu machen, erscheint die Einführung der Baumwollvolkskultur.« Karl Supf, 1900[717]

Die Debatte über das Baumwollprojekt begann 1900 mit einem Artikel des Textilunternehmers Karl Supf. Supf war Gründer und Vorsitzender des Kolonialwirtschaftlichen Komitees (KWK). Er wurde nach und nach zum treibenden Motor des Projekts und verfügte mit dem KWK, das eine der wichtigsten Organisationen für Kolonialinteressierte im Kaiserreich war, auch über eine schlagkräftige Organisation, um dieses Unternehmen voranzutreiben.[718] Supf und mit ihm eine ganze Reihe von publizistisch sehr aktiven Herren aus Wirtschaft und Wissenschaft behaupteten, dass sich Europa in einer bedrohlichen Schieflage befinde, weil es einerseits der weitaus größte Baumwollkonsument sei und andererseits »derjenige Erdteil, der Baumwolle überhaupt nicht produziert und niemals in eher erheblichem Umfang wird produzieren können«.[719] Dadurch gerate Europa und vor allem das Kaiserreich in drängende Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten, dem größten Baumwollproduzenten weltweit.[720] Preissteigerungen seien unumgänglich, welche wiederum von »skrupellosen Spekulanten in Nordamerika« schamlos ausgenutzt würden, um »wilde Preisentwicklungen« voranzutreiben.[721] Da – so eine besonders gerne von

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Nationalökonomen bemühte Argumentation – in den Vereinigten Staaten aufgrund von Arbeitermangel, Bodenerschöpfung, Verschlechterung des Saatguts und Schädlingen ein Rückgang der Ernte drohe, stehe eine Verknappung unmittelbar bevor.[722] Das werde nicht nur einen Mangel an Baumwolle zur Folge haben, sondern es drohe eine regelrechte Baumwollnot, die zwangsläufig zu einer politischen, sozialen und ökonomischen Krise führen werde, da »unsere blühende Baumwollindustrie (…) eine Millionen Menschen ernähre«.[723] Aus dieser Notsituation gebe es nur eine Lösung, und die liege in den Kolonien, in denen man, wie etwa in Togo, vorzüglich eigene Baumwolle anbauen könne. [724]

Diese Debatte changierte zwischen kolonialen Ängsten und kraftstrotzenden kolonialen Wunschphantasien. Sie reihte sich damit in andere Kolonialdebatten ein, in denen stets eine europäische oder nationale Identitätspolitik betrieben wurde, die ebenso von Superioritätsgefühlen wie von Angst geprägt war. Ähnlich wie in den kolonialen Geschlechterdebatten, in denen Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepte zwischen Verlustängsten und Allmachtsphantasien hin und her wechselten, verstand sich das Kaiserreich als global agierende Wirtschaftsmacht, die außereuropäische Regionen unter Perspektiven von Markt und Warenverkehr sowie in abstrakten Einheiten von Arbeitskraft sah, wobei deren Ökonomien wahlweise als enorm stark oder höchst bedroht und insofern fragil beschrieben wurden. Im Übrigen war es eine Debatte, die so oder ähnlich gleichzeitig in fast allen europäischen Ländern geführt wurde, allen voran in England, das angeblich einen regelrechten »Baumwollkulturkampf« führte – so

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zumindest berichtete die Deutsche Kolonialzeitung es vom Internationalen Baumwollkongress 1907.[725] Wie sahen diese beiden Seiten der Debatte über koloniale Wirtschaftspolitik im Einzelnen aus? Der Bedrohungsdiskurs wurde am prägnantesten in einer sehr breit vertriebenen Veröffentlichung des »Kolonialpolitischen Aktionskomitees«[726] formuliert, einer Vereinigung angesehener Wissenschaftler, unter ihnen Gustav Schmoller. Da heißt es: »Von zwei Seiten wurden dem deutschen Handel Schwierigkeiten gemacht: von den freien Eingeborenen und von den europäischen Konkurrenten«.[727] Wie stark die Bedrohung durch das europäische Ausland und durch Amerika gesehen wurde, zeigt sich besonders in den Beiträgen, in denen ängstlich gefragt wurde, was geschehen würde, wenn in Amerika die Nachfrage der dortigen Textilindustrie so zunähme, dass sich seine Baumwollausfuhr beträchtlich verminderte. Oder wenn in Nordamerika, wie 1860, Wirren ausbrächen, die die Produktion der Baumwolle lahmlegten.[728] Die Antwort auf diese und ähnliche rhetorische Fragen lag für die Zeitgenossen auf der Hand: »King Cotton«, das heißt Amerika, sei der gewaltigste Herrscher geworden und würde sich daher in einem solchen Fall Deutschland zur Geisel nehmen, ja »tributpflichtig« machen.[729] Als nicht minder stark wurde eine zweite Bedrohung betrachtet, die in den Kolonien heranwachse: eine lokale Bevölkerung, welche die wertvollen Exportpflanzen, deren die Deutschen so dringend bedürften, mutwillig zerstöre. Die Rede war von Raubbau, von der »verlustreichen Bereitungsweise durch die Eingeborenen« und davon, dass europäische Pflanzungen »gegen übelwollende Einheimische

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geschützt werden« müssten.[730] Ähnliche Töne hatte Geo Schmidt angeschlagen, als er Adjaro Nyakuda und ihre Schwester verhaftete und ihnen vorwarf, Raubbau am Kautschuk zu betreiben, und zwar allein deshalb, weil sie ihn auf eine andere als in Europa bekannte Weise ernteten. In der Baumwolldebatte wurde die lokale Bevölkerung zudem als faul, teilweise auch widerspenstig, hinterlistig und verlogen geschildert. Mehr noch: »Wenn der deutsche Handel nicht vernichtet werden sollte, musste das Deutsche Reich eingreifen und die Wilden zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zwingen.«[731] Neben Amerika und der kolonialen Bevölkerung sah man sich von weiteren Feinden regelrecht umzingelt. Besonders anschaulich wurden die Gefahren beschrieben, die von tropischen Krankheiten ausgingen, etwa von den durch die Tsetsefliege übertragenen Krankheiten, die unter anderem den Einsatz des Zugviehs verhinderten, das dringend für das Pflügen der Baumwollfelder benötigt wurde. Es wurde also ein Bild heraufbeschworen, in dessen Mittelpunkt ein wehrloses Deutschland stand, das umso gefährdeter war, als zeitgleich noch ganz andere Gefahren von den Kolonien ausgingen. Erinnert sei an den Maji-MajiAufstand und den Herero-Nama-Aufstand, ganz zu schweigen von den noch diffuseren Ängsten, die sich in der Neurastheniedebatte und anderen Diskussionen artikulierten, die im Übrigen allesamt starke antimodernistische Untertöne hatten. Dieses Deutschland wurde von einer Seite durch Amerika und seine drohenden Tributzahlungen in die Zange genommen und von der anderen Seite durch die eigenen Kolonien. Letztere verwandelten sich vermeintlich in einen Hort von ebenso defizitären wie faulen und hinterlistigen

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Raubtieren, die wahlweise die Gestalt von Menschen, Tieren oder Pflanzen annehmen konnten, die aber in jedem Fall die Baumwolle und damit die Subsistenz des Kaiserreichs bedrohten. Dabei verkehrten die Kolonien ihre eigentliche Kernaufgabe ins Gegenteil: Statt zur »Unabhängigkeit Deutschlands hinsichtlich des Bezugs tropischer Produkte vom Ausland (…) und dadurch zur Sicherstellung und Stärkung von Nationalvermögen und Volkswohlfahrt« beizutragen, wurden sie zu unheimlichen, da ebenso mächtigen wie schwer zu kontrollierenden Kräften, die das Kaiserreich in weitere Abhängigkeiten zwangen. Gleichzeitig beförderten diese in ökonomische Begriffe gefassten Bedrohungsszenarien die Vorstellung, wirtschaftliche Fragen seien in kriegerischen Begrifflichkeiten von Eroberung, Krieg und Kampf zu beschreiben. Hier ging es nicht um die Frage, wie man Waren oder Rohstoffe kauft und verkauft und wie man gute Preise erzielt, sondern darum, wie Dinge und Menschen erobert, zerstört oder gerettet werden können. Die andere, nicht weniger martialische Seite der Debatte nahm im Verlauf der Baumwollpolitik, wie sie in Togo ab 1900 umgesetzt wurde, immer deutlichere Konturen an. Hier stand zunehmend ein Erfolgs-, ja ein Eroberungs- und eben kein Bedrohungsnarrativ im Vordergrund. Jetzt hieß es, Deutsche sähen einer glorreichen Zukunft als große Baumwollproduzenten entgegen. In kürzester Zeit würden sie Togo erobern und in eine blühende und friedliche Baumwolllandschaft verwandeln und damit Deutschland gleichsam aus den Klauen des King Cotton befreien. Wie das Bedrohungsszenario knüpfte auch diese Facette des Baumwolldiskurses an koloniale Vorstellungen an, die bereits

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in zig Kolonialromanen, in Völkerschauen und Reichstagsdebatten erprobt worden waren, insbesondere im Zusammenhang mit kolonialen Geschlechterordnungen und selbstverständlich im Kontext der Zivilisierungsmission. Diesmal waren es allerdings weniger Ängste vor schwer zu kontrollierenden Einheimischen als vielmehr machtvolle Phantasien bezüglich der eigenen Kraft und Überlegenheit, mittels der man die Menschen, Pflanzen und Tiere außerhalb Europas erobern und dann erziehen oder – um an heutige Terminologien anzuknüpfen – entwickeln werde. Der regelrecht pädagogische Impetus, mit dem diese Seite der kolonialökonomischen Debatte geführt wurde, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer wieder martialische Töne an die Oberfläche kamen. Besonders deutlich wird das in Bezug auf die lokale Bevölkerung, die man als billige und effektive Arbeitskraft dringend benötigte, aber erst noch intensiv zu »willigen und fähigen« Arbeitern[732] erziehen müsse. Unter Erziehung zur Arbeit verstand man neben der Anleitung zu Fleiß und Disziplin das Erlernen der »rationellen Anbaumethode«: Konkret hieß das, dass der Gebrauch des Pfluges vermittelt wurde. Die lokale Tierwelt, genauer das für das Pflügen dringend benötigte Zugvieh, verlor nun seinen bedrohlichen Charakter. Das afrikanische Rind erschien zwar ebenfalls als mangelhaftes Wesen (denn es starb viel zu schnell an Krankheiten, die durch die Tsetsefliege übertragen wurden), konnte aber durch die Kompetenz deutscher medizinischer Experten »verbessert« werden. Es erhielt eine nicht unwichtige Nebenrolle in dem Heldenepos, in dessen Mittelpunkt der deutsche Viehexperte und seine Viehexperimente standen und in dessen Verlauf Rinder, Pferde

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und Esel mit verschiedenen Seren geimpft wurden, um sie langfristig zu widerstandsfähigen und wertvollen Mitgliedern der Baumwollunternehmung zu machen. Der eigentliche Held war dabei der nach Togo geholte Veterinärmediziner Dr. Schilling, der bereits als etwas zweifelhafter Sexualexperte im Prozess gegen Geo Schmidt aufgetreten war, wo er Adjaro Nyakuda als klassische Vertreterin der Rasse frühreifer Afrikanerinnen qualifiziert hatte.[733] Dieser heroische Erziehungs- und Verbesserungsdiskurs (der die Debatten der Zivilisierungsmission insgesamt kennzeichnete) bezog sich nicht nur auf die Menschen, Tiere und Pflanzen Togos, sondern auf den kolonialen Raum selbst. Der koloniale Raum, der ebenfalls alle Anzeichen des Mangels trug, wurde verbessert, wie zahlreiche Berichte suggerierten: So wurde die Errichtung neuer Handelsplätze beschrieben, auf denen die Bevölkerung ihre selbst angebaute Baumwolle verkaufen sollte, oder der Bau neuer Ginanlagen, die angeblich nur von Pflanzern oder Kaufleuten betrieben werden konnten – beides werde zur Produktivitätssteigerung führen. [734] Dass damit eine neue, der lokalen Kontrolle des Marktes entzogene, allein auf deutsche Wirtschaftsbedürfnisse ausgerichtete Staatsökonomie errichtet werden sollte, steht auf einem anderen Blatt. Betrachtet man beide Facetten der Diskussionen zusammen, so zeigt sich, dass koloniale Wirtschaftspolitik im Allgemeinen und die Baumwollprojekte im Besonderen entlang ähnlicher Muster verhandelt wurden wie die koloniale Geschlechterordnung. Sie oszillierten zwischen Allmachtsund Ohnmachtsphantasien und enthielten deutlich martialische Untertöne. Gleichzeitig entwarfen diese Debatten eine

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kommerzielle Geographie, die Kolonien in Räume verwandelte, welche ausschließlich unter Perspektiven der Marktökonomie gesehen wurden.

Diese so oder ähnlich für fast alle kolonialen Wirtschaftsprojekte zu beobachtende Debatte hatte im Fall der Baumwolle einige Besonderheiten, die mit dazu beitrugen, dass das gesamte Vorhaben scheiterte. Insbesondere in einem Punkt unterschied sich dieses Programm von der klassischen cash-crop-Ökonomie: Es sollte eine Baumwollvolkskultur erschaffen, nicht eine schlichte Baumwollkultur.[735] Das Konzept der Baumwollvolkskultur war, wie Andrew Zimmermann hat zeigen können, unter maßgeblichem Einfluss zeitgenössischer Sozialwissenschaftler wie Max Weber und Gustav Schmoller, Kaufleute wie Vietor und nicht ohne Mitwirken missionarischer Konzepte entstanden.[736] Wie bereits beschrieben, ging dabei die praktische Umsetzung (Rodung von Hunderten Hektar Land, Monokultur) mit einem expliziten Zivilisierungsprogramm einher. Es umfasste die Einführung der lokalen Bevölkerung in die sogenannte rationelle Anbaumethode – die heutige Afrikahistoriker jedoch eher als Disziplinierungsmaßnahme und Zerstörung lokaler Agrarpraktiken verstehen – und die Vermittlung einer neuen Lebensform: Statt der Frauen sollten nun die Männer Anbau und Handel übernehmen, was neue Familien- und Arbeits- und damit Lebensformen mit sich brachte. Dieser totale Neuentwurf wurde jedoch nicht als das verkauft, was er war: eine von agrarromantischen Ideen angetriebene Phantasie darüber, wie es auf einem vermeintlich geschichtslosen Kontinent wie Afrika immer schon gewesen sei. Mit dem

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Terminus Volkskultur sollte suggeriert werden, dass es sich im Unterschied zu einer als europäisch definierten Plantagenwirtschaft um eine Rückbesinnung auf eine genuin afrikanische Lebensform und eine urwüchsige afrikanische Art des Arbeitens handele, die nun wiederentdeckt und in Togo realisiert wurde. Die an der Debatte beteiligten Männer wie Vietor oder Schmoller wurden – im Unterschied zu den amerikanischen Baumwollexperten – nicht müde, den erzieherischen Aspekt zu betonen, der »von hervorragender Bedeutung und nicht zuletzt geeignet [sei], einen Eckstein zu bilden in der kulturellen Entwicklung der Kolonien«.[737] So könne im Kleinen eine neue patriarchale und auf Monogamie basierende Gesellschaftsstruktur erschaffen werden, die dann im Großen wirke. Überdies solle man »dem Neger (…) seinen Grund und Boden belassen (…), wenn man ihn zu einem zufriedenen und nützlichen Glied der Gesellschaft erziehen will«.[738] So könne er gleich die Vorzüge der modernen Eigentumsordnung kennenlernen. Dieses Leben und Arbeiten in kleinen Haushaltseinheiten sei überdies ein Modell, das angeblich gegen die Proletarisierung helfe, wie Schmoller meinte. Die Proletarisierung, das heißt faktisch die Entstehung unabhängiger Lohnarbeiter, wurde nämlich nicht wie in Europa als zwar schwieriger, aber notwendiger Bestandteil einer Gesellschaft auf dem Weg in die europäische Moderne verstanden. Stattdessen betonte man einseitig die mit dem Übergang zum Kapitalismus angeblich zwangsläufig verbundenen moralischen und sittlichen Gefährdungen, die im afrikanischen Kontext aufgrund der rassisch und klimatisch begründeten Defizite besonders groß seien.

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Der antimoderne Unterton verweist auf eine sehr deutsche und gleichzeitig christlich imprägnierte Variante der Baumwollpolitik, die faktisch auch nur in Togo versucht wurde. Hier mutierten Afrikaner zu einer ganz besonderen Spezies, die vermeintlich von alters her in christlichen Idealfamilien und auf Privatland in Gesellschaften gelebt hatte – ein Bild, das in vielem an Narrative erinnert, die besonders in Missionszirkeln beliebt waren, und das mehr mit der europäischen Agrarromantik des 19. Jahrhunderts als mit dem Afrika des beginnenden 20. Jahrhunderts gemeinsam hat. Genauso deutlich klingen hier zudem sowohl die kolonialen Größenphantasien als auch die kolonialen Ängste nach, wie sie für alle Debatten zur kolonialen Ökonomie bekannt sind. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Umsetzung eines solchen Konzeptes weit gravierendere Eingriffe in die lokalen Gesellschaften erforderte als die in Westafrika bis dato übliche koloniale Plantagenwirtschaft. Diese war zwar nicht zu Unrecht von vielen Zeitgenossen als Raub- und Gewaltherrschaft kritisiert worden, die nur dazu diene, die »Eingeborenen« auszubeuten. Aber sie hatte sich explizit darauf beschränkt, eine neue Ökonomie aufzubauen, ohne gleich in einem Atemzug eine neue Gesellschaft mitzuentwerfen. Wie gravierend die mit dem Volkskulturkonzept verbundenen Eingriffe waren, wird in den Vorfällen in Notschä im Sommer 1903 deutlich.

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Die Baumwolle von Notschä

»Danach ist durch die Baumwollfarmen in Kpandu, Atakpame, Tove u.a. der Nachweis geliefert, dass die eingeborene Bevölkerung willig und fähig ist, intensive Baumwollkultur zu betreiben.« Deutsche Kolonialzeitung, 1902[739]

Wie und von wem wurde dieses Programm in Notschä umgesetzt und was bedeutete das Volkskulturkonzept für die Bevölkerung vor Ort? In Togo fing man erst einmal klein an. 1900 kamen drei – wie es zeitgenössisch hieß – farbige Amerikaner ins Land, die den neuen amerikanischen Baumwollsamen mitbrachten und den Auftrag hatten, die neue Baumwollvolkskultur zu etablieren, indem sie die neuen Agrartechniken vermittelten.[740] Diese Amerikaner kamen aus dem international bekannten Tuskegee-Institute, in dem ehemalige Sklaven insbesondere in handwerklichen und landwirtschaftlichen Fertigkeiten unterwiesen wurden und das über Wissenschaftler wie Max Weber enge Verbindungen nach Deutschland hatte. Nicht nur das KWK, auch viele amerikanische und deutsche Sozialwissenschaftler gingen von der rassistischen Vorstellung aus, Afrikaner hätten eine spezifische Befähigung zur Handarbeit und aufgrund ihrer langen Erfahrung mit Plantagenarbeit besonders zum Baumwollanbau.[741] Auch glaubte man, dass »Schwarze« anderen »Schwarzen« mehr beibringen könnten als weiße Europäer. Das von der Kolonialabteilung geförderte, vom KWK finanzierte, von amerikanischen Baumwollspezialisten durchgeführte und von deutschen Sozialwissenschaftlern

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unterstützte Projekt[742] konnte allerdings nur umgesetzt werden, weil die Kolonialabteilung die Bezirksleiter vor Ort aufgefordert hatte, die neue Baumwollkultur nach Kräften zu unterstützen. Letztlich sollte das gesamte Projekt in die Hände der Kolonialbeamten gelegt werden, denen so Gelegenheit gegeben wurde, sich zu beweisen, indem sie die wirtschaftlichen Erträge ihres jeweiligen Distrikts deutlich erhöhten.[743] Geo Schmidt begeisterte sich von Anfang an für dieses Projekt. Ja, er überschlug sich regelrecht mit immer neuen Vorschlägen. Bereits im August 1900 schickte Schmidt eine Einschätzung des Projekts an das Kolonialamt. Hier schrieb er, dass man »gelinden und eventuell auch stärkeren Druck« auf die lokale Bevölkerung werde ausüben müssen, um erfolgreich zu sein.[744] Nach und nach, spätestens als die amerikanischen Experten 1901 Atakpame bereist hatten, hatte Schmidt den Baumwollanbau zu seiner Sache gemacht. 1901 begann er, insgesamt zehn Versuchsgärten in seinem Bezirk anzulegen. [745] 1902 unternahm er eine Inspektionsreise nach Tove, um die dortigen Baumwollfelder, die unter der Anleitung der amerikanischen Experten angelegt worden waren, zu begutachten. Im März 1903 – zu der Zeit hatte sich schon das Zentrum des Baumwollprojekts nach Atakpame verschoben – nahm er an einer sogenannten Baumwollkonferenz teil, an der neben den Stationsleitern Kersting und Gruner die amerikanischen Experten Calloway und Robinson und ein Vertreter des KWK beteiligt waren. Beschlossen wurde eine weitere »Einführung der Baumwollkultur zunächst als Volkskultur«.[746]

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Geo Schmidt war wahrscheinlich nicht der einzige Kolonialbeamte, der sich mit ganzer Kraft engagierte, schließlich bot sich hier die in den Kolonien nicht allzu häufige Möglichkeit, sich einen Namen zu machen. Man konnte, so wie Schmidt das auch tat, Berichte an das KWK schicken, die dann später etwa im Tropenpflanzer, dem Veröffentlichungsorgan des Kolonialwirtschaftlichen Komitees, publiziert wurden. Schmidts dort veröffentlichter Bericht über die Baumwollversuche war in wissenschaftlichem Ton gehalten und zeigte ihn als Experten der Tropenlandwirtschaft. Überdies konnte er sich als effizienter Ökonom in Szene setzen. Auch konnte man die Gelegenheit nutzen, um im Kolonialamt weiteres Personal zu erbitten, ging es hier doch um nichts Geringeres als darum, Deutschland aus den Klauen des King Cotton zu befreien. Schließlich eröffnete die Baumwollvolkskultur die Möglichkeit, die Infrastruktur des eigenen Bezirks weiter auszubauen und damit die eigene Macht auch in einem ganz konkreten Sinn so zu festigen, dass man die Bevölkerung besser im Griff hatte.[747] Gab es also aus Sicht der Kolonialbeamten gute Gründe, die Einführung der Baumwollvolkskultur zu fördern, so verfolgten sie dabei auch ganz eigene Ziele und versuchten, dem Programm ihren Stempel aufzudrücken. Geo Schmidts Ideen zum Baumwollvolkskulturkonzept wichen von den offiziell durch das KWK und anderen propagierten Zielen durchaus ab. Sie erinnern eher an die bekannten Leitvorstellungen über koloniale Arbeit, die für viele Beamte typisch waren, als an die Berliner Diskussionen über die Gefahren der Lohnarbeit beziehungsweise über Zivilisierung,

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rationale Anbaumethode und Pflugkultur. Einerseits waren Schmidts Vorstellungen von hohen wissenschaftlichen Ansprüchen gekennzeichnet, andererseits nicht ohne Widersprüche und vor allem auch durchaus pragmatisch. So sprach Schmidt sich in einer Stellungnahme für eine »Volkskultur in kleinen Parzellen« aus und damit gegen die großangelegten Plantagen, die es in Togo auch gab. Im selben Atemzug empfahl er, in Notschä »Baumwollfarmen in größerem Maßstab« anzulegen, zumal er dort schon eine große Straße geplant habe und »Arbeitskräfte genügend und billig genug zu haben« seien.[748] Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich wirken, zeigt aber nur, was auch für viele andere Kolonialbeamte typisch war: Schmidt wollte sich nicht in die ideologisch aufgeladene Debatte zwischen Volkskultur auf der einen und Großplantagen auf der anderen Seite einmischen. Stattdessen folgte er seinen Interessen als Distriktleiter, und die waren erst einmal darauf ausgerichtet, einen kaum zu überblickenden Raum beherrschbarer zu machen. Überdies ordnete er sein Handeln den Maximen kolonialer ökonomischer und administrativer Effizienz unter. Dazu passt auch, dass er sich gleich als Leiter einer solchen Baumwollanlage vorschlug, nicht ohne von der Kolonialabteilung beziehungsweise dem Kolonialamt die Zuteilung weiterer »europäischer Hilfskräfte« zu verlangen. Am Verhalten Schmidts wird auch deutlich, dass das ursprünglich vom KWK geplante und von amerikanischen Experten durchgeführte Baumwollprojekt immer mehr zu einer Angelegenheit des Kolonialstaates und seiner Beamten wurde. Dabei waren die Aktivitäten des KWK, des Deutschen Kolonialvereins und der Kolonialabteilung in wirtschaftlichen

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Angelegenheiten häufig eng miteinander verbunden, nicht selten handelte es sich um dasselbe Personal. So überrascht es nicht, dass Geo Schmidt in den 1920er Jahren, lange nachdem er den Kolonialdienst hatte verlassen müssen, zum Vorsitzenden des KWK wurde.[749] Überhaupt waren die Grenzen zwischen zivilgesellschaftlichem, privatwirtschaftlichem und staatlichem Handeln fließend, und mitunter waren auch die Missionen mit eingebunden. Nicht zuletzt weil die Kolonialbeamten vor Ort für die praktische Umsetzung zuständig waren, trat das kolonialwirtschaftliche Effizienzdenken immer mehr in den Vorder- und die Zivilisierungsmission in den Hintergrund. Das mag auch daran gelegen haben, dass sich die Zivilisierung als schwieriger erwies, als man geplant hatte. So schrieb Schmidt bereits 1901, dass »eine nachdrückliche Einwirkung der Regierungsorgane auf die Eingeborenen wenigstens für eine Reihe von Jahren (…) unerlässlich«[750] sein werde. Diese angeblich notwendige »Einwirkung auf die Eingeborenen« leitet über zu der Frage, wie und von wem der Baumwollanbau faktisch durchgeführt wurde. Um eine Antwort gleich vorwegzunehmen: Die meiste Arbeit zum Aufbau einer Baumwollkultur wurde von der einheimischen Bevölkerung geleistet, und zwar unter Zwang. Das führte auch dazu, dass im Laufe des Baumwollprojekts die Grenzen zwischen den Baumwollarbeiten und den ansonsten üblichen für den Kolonialstaat zu leistenden Zwangsarbeiten immer mehr verschwammen. Diese kolonialen Arbeiten betrafen wie bereits beschrieben die Errichtung einer Infrastruktur für den Transport der Baumwolle: Straßen, Brücken, Rasthäuser. Schon ein kurzer Blick in die Steuerliste, die Geo Schmidt für

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die Monate April bis Juni 1903 für die Region Notschä angelegt hat, zeigt, wie vielfältig diese Aufgaben waren. Darin ist vom Reinigen des Pflanzplatzes, von Brunnenarbeiten, Balkentragen, Aufschüttung und Bepflanzung der Straße und immer wieder von Gartenarbeit die Rede, und zwar lange bevor es überhaupt um den Anbau im eigentlichen Sinne ging. Auch für den Bau der Maschinenhäuser, Geräteschuppen und Häuser für die Arbeiter auf Baumwollanlagen brauchte man Zwangsarbeiter.[751] Dann mussten Transporte mit und ohne Rinder, Pferde oder Maulesel von den Feldern nach Lome zum Hafen organisiert werden. Es musste also »schwere, ernste« und extrem zeitintensive Arbeit geleistet werden.[752] Das Bewässern und Ernten der Baumwolle selbst war noch die geringste der Anforderungen. Und obwohl dies pro forma – gemäß dem Konzept der Volkskultur – auf eigenem Boden geschah (was aufgrund der in der Region herrschenden Eigentumsvorstellungen einen Widerspruch in sich darstellte), war es faktisch eine unter Anleitung zu leistende Arbeit. Es gab umfängliche Unterweisungen durch die Distriktleiter und vor allem durch die amerikanischen Experten, die diese Instruktion der »Eingeborenen« für sehr wichtig erachteten. Wie gesagt sollten die Afrikaner lernen, statt der Hacke den Pflug zu benutzen, doch gab es in Togo nicht die dafür notwendigen Zugtiere. Trotz aller Bemühungen von Dr. Schilling starben diese nach wie vor an der durch die Tsetsefliege übertragenen Krankheit. Die Folge war, dass die lokale Bevölkerung selbst vor den Pflug gespannt wurde. Kurzum: Die Arbeiten, die vor Ort unter dem Label der Baumwollvolkskultur angeordnet wurden, stellten häufig eine Ausweitung der Aufgaben dar, die vorher bereits im Rahmen

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der Zwangsarbeit durchgeführt worden waren. In den Anfangsjahren scheint es dabei im Bezirk Atakpame weniger um selbständige Arbeit in monogamen Familieneinheiten gegangen zu sein. Vielmehr setzten die Beamten vor Ort ihre neuen Aufgaben in ihrer bewährten Manier um, die auf ökonomische Effizienzsteigerung ausgerichtet war. Dabei zeigten sie überdies großes Engagement, schließlich ging es um nichts Geringeres als um den in der Metropole in immer martialischeren Tönen heraufbeschworenen Kampf gegen die drohende Baumwollnot.

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Notschä als Widerstand

»Der eigentliche Streitpunkt war immer der, was für Rechte soll der Eingeborene unter deutscher Flagge genießen.« Johann Karl Vietor, 1912[753]

Die Umsetzung des Projekts verlief aber nicht nur deshalb anders als geplant, weil die Kolonialbeamten erheblich mehr Einfluss bekamen als ursprünglich vorgesehen und ihre Vorstellungen mit dem Konzept Volkskultur kaum vereinbar waren. Es scheiterte auch deshalb, weil die lokale Bevölkerung nicht bereit war, die ihr zugedachte Rolle einzunehmen. Der Aufruhr von Notschä – wie ihn Kolonialbeamte meist nannten – hatte im Grunde nichts oder wenig mit übergriffigen Kolonialbeamten und gewalttätigen Polizisten zu tun, sondern vor allem mit der schlichten Tatsache, dass die Bevölkerung keineswegs, wie von der Kolonialverwaltung gerne behauptet, »volles Verständnis« für die zahlreichen Arbeiten hatte, die man ihr mit Zwang abverlangte.[754] Die Menschen ignorierten entweder die Arbeitsaufforderungen oder verlangten mit Nachdruck eine angemessene Entlohnung. Was genau war in Notschä im Sommer 1903 passiert? Notschä war wahrscheinlich von Schmidt selbst als der Ort ausgesucht worden, an dem eine landwirtschaftliche Schule errichtet werden sollte. Dort wollte man besonders begabte junge Männer in die neuen Baumwollanbaumethoden einführen, um diese dann im ganzen Land bekanntzumachen. [755]

Die Schule und die Versuchsfelder für den Unterricht

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mussten allerdings erst gebaut und angelegt werden, und dafür hatte Schmidt Leute angeheuert, die gegen Lohn diese Arbeiten vornahmen. Da die Bezahlung – das war das Argument – weit schlechter als andernorts in der Kolonie war, forderten diese Arbeiter schließlich Anfang August 1903 eine Lohnerhöhung. Als der für Notschä zuständige Stationsassistent, Reinhold Hunneshagen, der kaum 25 Jahre alt war, diesen Forderungen nicht nachkam, verliehen die Arbeiter ihnen Nachdruck.[756] Das sah, laut Hunneshagen, so aus, dass »eine ganze Horde von Afrikanern« auf der Station zusammenlief und »mit Geschrei und Gejohle« und erhobenen Hacken mehr Lohn forderte.[757] Statt sich in Pflugkultur und monogamer Ehe unterweisen zu lassen, stellten sie hier erstmals – zumindest im Atakpame-Bezirk – Lohnforderungen. Statt des bislang von Schmidt gezahlten Lohns von 25 Pfennig forderten sie 1,25 Mark. Pater Müller behauptete, dass in Notschä im Zusammenhang mit den Baumwollplantagen außergewöhnlich schlechte Löhne gezahlt würden und beim Bahnbau in Lome wesentlich mehr zu verdienen sei. Erhielten die Arbeiter in Notschä 25 bis 35 Pfennig pro Tag, so sei es in Lome eine ganze Mark mehr. Und das Brückenbauamt in Lome zahle sogar 1,75 Mark. Deswegen seien viele aus dem NotschäBezirk an die Küste geflohen, während die Zurückgebliebenen höhere Löhne gefordert hätten. Zweifellos ist die Darstellung Pater Müllers im Zusammenhang mit den fortwährenden Kompetenzkonflikten zwischen der Steyler Mission und Geo Schmidt zu sehen, in denen er selbst eine zentrale Rolle spielte. Und doch, obschon die Darstellungen Müllers mit Vorsicht zu lesen sind und es in Togo keine flächendeckenden

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Proteste gab wie in Deutsch-Ostafrika und in DeutschSüdwestafrika, wo ähnliche Konflikte um Baumwollanbau weit größeren Aufruhr hervorriefen: Der offene Widerstand vonseiten der lokalen Bevölkerung gegen die neuen Baumwollpflanzungen war erheblich. Überdies blieb er nicht auf Notschä beschränkt.[758] Noch häufiger setzte man sich allerdings passiv zur Wehr, etwa durch das Fortziehen aus dem Distrikt. So hieß es im Zusammenhang mit den Ereignissen von Notschä, dass die Einwohner ihre Region verlassen hätten, um sich den Arbeitsanforderungen zu entziehen beziehungsweise weil sie woanders besseres Geld verdienen würden.[759] Darüber hinaus gab es die Variante der passiven Arbeitsverweigerung, zu der man im Falle der Baumwolle anscheinend häufiger griff. So berichtete Schmidt: »Bei meiner Ankunft in Atakpame fand ich die im vorigen Jahr von mir angelegten Versuchs-Baumwollfarmen abgeerntet und zum Teil noch mit verdorbener Baumwolle vor. In diesem Jahr waren Baumwollpflanzungen in meiner Abwesenheit auf Urlaub nicht angelegt. Die Parzellen der Kreuzungen waren sich selbst überlassen und verkommen.«[760] Und noch 1913 hieß es in einem Bericht des Bezirkslandwirts von Atakpame, dass ein gewisser »Zwang vonseiten der Verwaltungsbehörden notwendig« sei, um einen Rückgang des Baumwollanbaus zu verhindern.[761] Die Ereignisse von Notschä standen also in direktem Zusammenhang mit dem Baumwollvolkskulturprojekt. Und die Bevölkerung hatte gute Gründe, dieses Projekt abzulehnen, nicht nur weil es mit einer Intensivierung von Zwang und Gewalt einherging, sondern auch, weil die Baumwolle ökonomisch nicht attraktiv für sie war.

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Zwang und Gewalt im Baumwollvolkskulturprojekt hatten viele Gesichter. Das lag daran, dass nicht nur die im Rahmen des Baumwollprojekts nötigen Infrastrukturmaßnahmen von Zwangsarbeitern ausgeführt werden mussten. Auch die vermeintlich freiwillig und auf eigenen Baumwollfeldern geleistete Arbeit war alles andere als selbstbestimmt, schließlich musste ja alles Wesentliche erst noch gelernt werden: die Arbeitsschritte beim Roden, die Auswahl der Samen, die Anlage der neuen Monokulturen anstelle der nun als minderwertig bezeichneten traditionellen Anbaumethoden, die sich in der Region eigentlich schon lange bewährt hatten. Diese Arbeiten wurden den Menschen nicht nur gewaltsam aufgezwungen, sie hatten auch Folgen, die zerstörerisch sein konnten. So war das Pflugziehen nicht nur körperlich anstrengend, die dazu verpflichteten Männer drohten aufgrund dieser erniedrigenden Tätigkeiten auch ihre soziale Stellung zu verlieren oder zumindest erheblich an Sozialprestige einzubüßen. Das konnte bis zur Zerstörung ganzer Sozialordnungen gehen.[762] Auch die Geschlechterordnung sollte umgekrempelt werden, indem die Männer als Familienernährer die traditionellen Frauenarbeiten (Landbau und Handel) übernahmen.[763] Die Baumwolle sollte zudem nicht mehr auf unter eigener Regie betriebenen, sondern auf durch deutsche Beamte regulierten Märkten verkauft werden. [764]

Gewalt gewann aber auch insofern an Bedeutung, als alle Maßnahmen nur durch Gewalt, das heißt Zwangsarbeit, durchgesetzt werden konnten.[765] Es ist gewiss kein Zufall, dass das einzige Straflager Togos genau zu dieser Zeit inmitten des Baumwollanbaugebiets eröffnet wurde: Die dort

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Inhaftierten mussten Baumwolle anbauen. Genauso wenig ist es ein Zufall, dass das erste große Baumwollfeld im Bezirk Atakpame das Produkt exakt jener in Notschä im August 1903 aufrührerischen Männer war, die zur Strafe für ihre »Unbotmäßigkeit« zur Anlage dieses Feldes gezwungen worden waren, und zwar von Geo Schmidt.[766] Welche Folgen diese massive Zunahme von Gewalt für die koloniale Interaktion sowie für die Interaktion zwischen verschiedenen Ebenen der lokalen Bevölkerung hatte, ist eine offene Frage. Festzuhalten ist jedenfalls, dass der Baumwollanbau mit einer Intensivierung der Gewaltverhältnisse einherging.[767] Der zweite Grund für den Widerstand war ökonomischer Natur. Der Baumwollanbau, so wie er in Togo eingeführt wurde, war für die lokale Ökonomie alles andere als profitabel. Das lag daran, dass er sehr arbeitsintensiv war und den Einsatz aller Haushaltsmitglieder fast das ganze Jahr über erforderte, so dass er allein schon deshalb keinen großen Gewinn brachte.[768] Die Einführung der Baumwolle in Togo führte überdies zu Einkommensverlusten, weil – wie Pater Müller und andere beklagten – durch die Zwangsarbeit die eigene »Farmzeit von der Regierung gekürzt« wurde.[769] Andere Produkte hingegen boten »den Eingeborenen mühelosen und reichen Gewinn«.[770] So zog man es an vielen Orten vor, andere Produkte anzubauen, »namentlich Mais, welcher (…) mindestens ebenso gewinnbringend ist und weit weniger Arbeit verursacht«.[771] Hinzu kam, dass die verlangte Monokultur jeder wirtschaftlichen Rationalität widersprach, schließlich wusste man durch jahrelange Erfahrung mit der Witterung und ständig schwankenden Weltmarktpreisen, dass Monokulturen ein unkalkulierbares Risiko darstellten. Allein

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eine ausgeklügelte Mischung an anzubauenden Produkten konnte Hungersnöte verhindern. So war es in Togo in manchen Regionen – in denen allerdings keine amerikanische, sondern heimische Baumwolle angepflanzt wurde – üblich, Yams als Zwischenkultur anzubauen. Ökonomisch unattraktiv war die Baumwollvolkskultur schließlich auch deshalb, weil vor deren Einführung die Baumwolle wesentlich teurer an lokale Zwischenhändler verkauft werden konnte, als dies nun nach Festlegung einheitlicher Abnahmepreise für Rohbaumwolle möglich war. Dieser einheitliche Preis war aus deutscher Sicht notwendig, weil er allein die Rentabilität des Baumwollprojekts garantieren konnte.[772] Der Widerstand richtete sich also gegen die mit dem Baumwollvolkskulturprojekt einhergehende generelle Intensivierung von Gewalt und gegen die geringere Profitabilität. Außerdem wird das Gros der Bevölkerung diese Baumwollversuche als genau das verstanden haben, was sie waren: als Teil einer kolonialen Herrschaftspraxis, sollte doch hier das klassische koloniale Wirtschaftssystem aufgebaut werden, das sich weder an lokalen noch an Weltmärkten orientierte, sondern ausschließlich an den Interessen der jeweiligen Kolonialmetropole. Und das bedeutete stets eine Bedrohung der eigenen Autonomie.[773] Genau in dem Sinne formulierte einer der Baumwollexperten, die man aus den Südstaaten der USA geholt hatte, recht zutreffend: »Die Leute glauben hier, daß was immer ein Weißer oder Ausländer unternehme, er es für seinen eigenen Nutzen tue auf Kosten der Eingeborenen.«[774]

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Abb. 9

Unterschrift durch Hans Gruner: »Ehemaliges Haus des

Gouverneurs in Lome. Jetzt Hauptzollamt (Holzhaus).«

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Das Scheitern – innere Widersprüche kolonialer Ökonomien

»It was set here in the midst of gorgeously rich country to teach the native to grow cotton, and the native seeing that cocoa, which infinitively less exertion, pays him very much better, naturaly firmly declines to do nothing of the sort. So here in this beautiful spot lives utterly alone a solitary white man who, with four inefficent labourers, tries desperately to keep the primeval bush from swallowing up the farm entirely effacing all the hard work that had been done there.« Mary Gaunt, 1911[775]

Die gewaltsam vorgebrachten Lohnforderungen im August 1903 stellen nur einen kleinen Mosaikstein in einem weit größeren Bild dar. Es ist die immer gleiche Geschichte von kolonialen Wirtschaftsprojekten, die in der Metropole mit großem propagandistischen Aufwand in Szene gesetzt wurden und letztlich doch zum Scheitern verurteilt waren. Im Fall des Baumwollkulturprojekts war es ein dreifaches Scheitern. Ökonomisch gesehen erwies sich das Projekt für die deutsche Wirtschaft weniger als Befreiung aus den Klauen des King Cotton denn als ökonomischer Reinfall, und zwar nicht weil der Beginn des Ersten Weltkriegs automatisch ein abruptes Ende der Versuche bedeutete, sondern weil das Projekt schon lange vorher auf viele innerdeutsche Widerstände – die beispielsweise im Kräfteverhältnis des Reichstags begründet lagen – und auf den vielschichtigen Widerstand vonseiten der lokalen Bevölkerung gestoßen war. So bildete Baumwolle zu keinem Zeitpunkt einen nennenswerten Teil des Exports aus Togo. Hauptexportgüter blieben trotz der massiven Bemühungen zur Forcierung des Baumwollanbaus Maniok

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und Yams. Ein weiteres wichtiges Exportgut in die Nachbarländer wie für den Weltmarkt war Mais, dessen Ausfuhr den deutschen Baumwollinteressen sogar explizit zuwiderlief: Da die lokale Bevölkerung mit Mais mehr Geld als mit Baumwolle verdiente und überdies hier weder vor den Pflug gespannt wurde noch die Ernte auf durch Kolonialbeamte kontrollierten Märkten verkaufen musste, ließen viele den Baumwollanbau – sehr zum Unwillen der Deutschen – ganz sein und verlegten sich ausschließlich auf Mais. Überdies gelang es Deutschland nie, Togo zum Exportland Nummer eins zu machen, worauf koloniale Wirtschaftspolitik stets abzielte. Vielmehr belegten die Nachbarländer immer die ersten Stellen der Exportlisten. Und selbst in dem kleinen Segment des Exports, der für Deutschland bestimmt war und von Deutschen dominiert wurde, spielte Baumwolle keineswegs die Hauptrolle.[776] Als ähnlich erfolglos erwies sich die Umsetzung der antimodernistischen Zivilisierungsphantasien – dafür genügt ein Blick in die Akten, die Auskunft über die schließlich 1904 in Notschä eröffnete sogenannte Baumwollschule geben, in der junge Männer in der rationellen Baumwollwirtschaft unterwiesen werden sollten. Hier rissen die Klagen über Jungen nicht ab, die, kaum dass sie aus ihren Bezirken nach Notschä geschickt worden waren, von dort wieder Reißaus nahmen, um nach Hause zurückzukehren. Auch schienen nicht einmal elementarste Formen der Informationsvermittlung möglich gewesen zu sein, geschweige denn ein effektives Vermitteln der neuen Landwirtschaftsstile oder der nicht minder neuen Vorstellungen von monogamer Ehe und männlicher Feldarbeit. Da die Schüler unterschiedliche

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Sprachen sprechen und schlicht nichts verstehen würden beziehungsweise die Sprachorgane der Schüler für »die Bildung fremder Laute nicht mehr geschmeidig genug« seien, sei, wie der Regierungslehrer Ehni meldete, kaum mit baldiger Besserung zu rechnen.[777] Ebenso erwies sich die Durchsetzung einer neuen kommerziellen Geographie und damit die Verwandlung eines togolesischen Territoriums in einen überschaubaren, kontrollierbaren und beherrschbaren Raum als Schimäre. Kolonien ließen sich eben nicht, wie die Rhetorik des KWK und der Nationalökonomie glauben machen wollte, auf den Status von Märkten und Lieferanten reduzieren beziehungsweise in Tabellen von Exportzahlen und Arbeitskräfteaufkommen verwandeln, über welche die Metropolen dann nur noch verfügen mussten. Statt einer umfassenden Neuordnung des kolonialen Raums und der dort lebenden Menschen konnte in Togo nicht einmal ein ökonomisch funktionierendes neues Wegenetz aufgebaut werden. Auch nachdem die Wege von der Küste zur Baumwollregion unter erheblichem Einsatz von Zwangsarbeit massiv ausgebaut worden waren, um so die Transportkosten des Exportgutes zu senken, blieben diese wirtschaftlich unprofitabel, da andere Handelsnetze nach wie vor mehr genutzt wurden: Zu nennen ist hier die Handelsroute des sogenannten Sudanhandels, das heißt der Karawanenweg in west-östlicher Richtung,[778] über den der Kolahandel erfolgte. Auch der Haussahandel, der entlang einer Route von der Küste in den Norden des Landes abgewickelt wurde, verlor nichts von seiner Bedeutung und stand der Neuordnung des Raums entgegen.

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Die Märkte liefern ein weiteres Beispiel dafür, warum die Baumwollpolitik keine der heroischen Phantasien eines neuen beherrschbaren Raumes verwirklichen konnte. Obschon zahlreiche Märkte extra für einen kontrollierten Baumwollverkauf eingerichtet wurden, waren nach wie vor die schon lange bestehenden Märkte von größerer Wichtigkeit, ebenso wie diejenigen, welche die lokale, besonders im Süden des Landes aktive Handelselite errichtet hatte: Der Zwischenhandel blieb nämlich mehrheitlich »in den Händen eingeborener Zwischenhändler«[779] und wurde mitnichten von Europäern kontrolliert, wie es das erklärte Ziel der deutschen Baumwollpolitik gewesen war. Diese Märkte hatten nicht nur eigene Orte, sie folgten zudem eigenen Regeln. So wurde hier zum Beispiel mit englischer Münze bezahlt, außer Formen des Tauschhandels.[780] Auf diesen lokalen Märkten spielte zudem Baumwolle nur eine untergeordnete Rolle, denn für die lokale Ökonomie waren vor allem Yams, Mais, Reis, Kautschuk, Kassava und Bohnen wichtiger.

Die Vorfälle in Notschä zeigen die Schwachpunkte einer Wirtschaftspolitik, die mit Gewalt einherging, kaum nennenswerte ökonomische Profite brachte und nicht zuletzt die Bemühungen um »Erziehung zur Arbeit« weitgehend scheitern ließ. Gewiss endete nicht jedes koloniale Unternehmen so dramatisch wie das englische Baumwollprojekt in Westafrika, auf das die Afrikareisende Mary Gaunt eher zufällig am Ende eines anstrengenden Tages gestoßen war und das mitten im Busch zu liegen schien. Es war verlassen, nur ein Weißer und »vier ineffiziente Arbeiter« vegetierten dort einsam vor sich hin und versuchten

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verzweifelt, den Dschungel daran zu hindern, die Farm zu überwuchern und all die harte Arbeit, die dort geleistet worden war, endgültig zu vernichten.[781] Auch sollte nicht verschwiegen werden, dass einige wenige durchaus von dieser Wirtschaftspolitik profitierten: Leute wie Geo Schmidt, die hier eine neue wichtige Aufgabe für sich entdeckten, genauso wie diejenigen Männer des KWK, die koloniale Omnipotenzphantasien auslebten und wie der Kaufmann Vietor gut daran verdienten, oder die Händler der afrobrasilianischen Elite, die aus dem Scheitern vielleicht sogar Profit für den eigenen Plantagenanbau ziehen konnten. [782] Womöglich gab es auf der 1904 eröffneten Baumwollschule in Notschä auch den einen oder anderen Schüler, der von den hier vermittelten Techniken profitierte, obschon in den jährlichen Berichten das Lamentieren über Misserfolge deutlich überwog.[783] Doch ungeachtet dieser Einschränkungen musste das Togoer Baumwollprojekt wie so viele andere kolonialwirtschaftliche Unternehmungen als gescheitert gelten. Und genau das wurde in Berlin verschwiegen. Vor allem wurde es tunlichst vermieden, die klassischen Kolonialskandale à la Peters oder Geo Schmidt in einen Zusammenhang mit kolonialen Wirtschaftsprojekten beziehungsweise dem Scheitern derselben zu setzen. Niemand nannte die Vorfälle von Notschä und Awete, die den inneren Widersprüchen von kolonialer Herrschaft und kolonialer Ökonomie geschuldet waren, beim Namen. Stattdessen konzentrierte sich die Berliner Öffentlichkeit auf die gewalthaften Übergriffe, wie sie bei der Niederschlagung der Lohnforderungen zu beobachten waren, und interpretierte

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diese als Gewaltausbrüche einzelner verirrter Kolonialbeamter. Dabei diskutierte man just zu der Zeit, dass die gewalttätigen Vorfälle im Kongo und in der portugiesischen Kolonie von Sao Tomé sehr wohl im Zusammenhang mit kolonialen Wirtschaftsprojekten zu sehen seien. Und auch in Togo selbst war vielen Europäern durchaus bewusst, um welche Zusammenhänge es in Notschä wirklich ging.[784] Im Kaiserreich freilich lagen diese Wahrheiten jenseits des Vorstellbaren.

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7. Das Ende eines Kolonialskandals »(…) especially Togoland, what is going on in which the outside world is shut out from knowing.« Native of Aneho, 1903[785]

Der Atakpame-Skandal, der mit der Kukowina-Petition und den sexuellen Übergriffen auf Adjaro Nyakuda begonnen hatte, fand in den Ereignissen von Awete und Notschä seinen Abschluss. Zwar wurden von all dem nur wenige zu Stereotypen geronnene Plots in Berlin öffentlich gemacht, doch die Art und Weise, wie über diese festgezurrten Klischees von brutalen Kolonialbeamten und bemitleidenswerten Afrikanern berichtet wurde, erregte erhebliches Aufsehen. Erinnert sei an den »Taifun«, von dem der Vorwärts anlässlich der durch Roeren initiierten Debatte im Reichstag sprach.[786] Spätestens hier stellt sich die Frage, ob diese Skandalisierung jenseits der öffentlichen Empörung über gewalttätige und sexlüsterne Kolonialbeamte noch andere Wirkungen zeitigte. Bewirkten diese im Kaiserreich grell ausgemalten Geschichten, ungeachtet der Tatsache, dass hier koloniale Realität eher verschwiegen als offengelegt wurde, eine Veränderung der Kolonialpolitik?[787] Wurden mit dem neuen Kolonialdirektor Dernburg, der nicht zuletzt unter dem Eindruck dieser Bilder in sein Amt gekommen war, juristische Reformen eingeleitet, das Kolonialamt reformiert oder die

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Wirtschaftspolitik verändert?[788] Und lassen sich in Atakpame beziehungsweise Togo selbst – und zwar jenseits dessen, dass manche Beamte abberufen oder einige Missionare durch andere ersetzt wurden – direkte Auswirkungen des Skandals beobachten?[789] Wurden Regelungen bezüglich der Zwangsarbeit geändert oder wanderten immer mehr Einheimische aus Atakpame aus? Änderten afrikanische Polizisten ihre Strategien, intensivierte sich der Baumwollanbau oder besserte sich vielleicht sogar die Situation vor Gericht? Ebenso stellt sich die Frage nach grundsätzlichen Folgen, etwa für die Legitimität von Regierungsformen oder für den Alltag kolonialer Herrschaft. [790] Oder waren diese Skandale vor allem innenpolitisch folgenreich, dienten sie etwa als Ventil?[791] Statt zu Kolonialreformen oder zu neuen Ideen bezüglich kolonialer Verwaltung, Arbeit und Wirtschaft führte der Skandal vor allem dazu, dass trotz zahlreicher Debatten und auch Gesetzesinitiativen alle zentralen kolonialen Widersprüche zumindest in der Metropole weiterhin beschwiegen wurden. Damit rückte eine Lösung der strukturellen Probleme in noch weitere Ferne. Es waren gerade diese durch den Skandal angeheizten Debatten über die Kolonien, es waren die Redeschlachten im sogenannten Hottentottenwahlkampf und die Diskussionen über neue Kolonialgesetze, die dazu führten, dass die in Atakpame so deutlich zutage getretenen strukturellen Probleme in der Öffentlichkeit des Kaiserreichs erneut zum Verschwinden gebracht wurden.[792] In Togo dagegen hatte der Skandal andere Folgen. Hier entstand eine Pressekampagne und mit den 1910er Jahren

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verstärkt eine Petitionsbewegung, in der die Kernprobleme kolonialer Herrschaft öffentlich gemacht wurden: Zwangsarbeit, Rechtspluralismus, strukturelle Gewalttätigkeit, ökonomische Ausbeutung und alltäglicher Rassismus. Sie waren nicht nur in den Ereignissen von Atakpame, sondern in Hunderten von vergleichbaren Situationen lange vor den Gewalteskalationen in Notschä offen zutage getreten – und auch noch danach. Im Unterschied zu den Debatten in der Metropole fand in Togo keine Skandalisierung von vermeintlichen Ausnahmevorfällen statt. Diskutiert wurden immer wieder die Strukturen kolonialer Herrschaft, sei es am Beispiel der Rechtsordnung, sei es am Beispiel der Zwangsarbeit, der kolonialen Geschlechterbeziehungen oder der ökonomischen Verhältnisse. Dies brachte zwar keine konkreten Reformen, doch in der Tat eine Erschütterung von Legitimität mit sich. Diese eigenwilligen Echos, das Schweigen in der Metropole und die heftigen Resonanzen in der Kolonie, waren zwei Seiten der gleichen Medaille. Um dies zu verstehen, sollen zum einen die Berliner Kolonialdebatten und Reformversuche, wie sie im Gefolge des Atkapame-Skandals zu beobachten waren, und zum anderen die Pressedebatten und Petitionsbewegungen in Westafrika genauer betrachtet werden. Beides hängt miteinander zusammen und verweist auf ein genuin europäisches Verständnis von Moderne.

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Rhetoriken der Metropole: Wahlkampf

»(…) wir müssen die öffentliche Meinung umdrehen, und ich bilde mir nicht ein, dass das von heute auf vierundzwanzig Stunden geschehen kann.« Bernhard Dernburg, 1907[793]

Was waren das für Kolonialdebatten, die durch Roerens Enthüllung forciert wurden, doch letztlich dazu führten, dass vieles, was mit den Ereignissen in Atakpame zu tun hatte, beschwiegen wurde? Mehrere solcher Debatten schlossen sich direkt an die im Dezember 1906 durch Roerens entfachten Auseinandersetzungen an: Zum einen gab es Diskussionen über gewalttätige und kaum triebkontrollierte Beamte, wie sie seit den Skandalen um Peters und Leist sowie um Wehlan immer mal wieder geführt wurden. Zum anderen debattierte man darüber, dass der eigentliche Skandal weniger in den Togoer Ereignissen als in der Tatsache liege, dass katholische Kreise gezielt die Autorität des Staates untergruben. Es hieß, sie erpressten Kolonialbeamte und setzten die Regierung unter Druck, um eine ureigene katholische Agenda durchzusetzen. Schnell sprach man von einem Duell Roeren versus Dernburg und behauptete, es gehe im Kern um die Fortführung des Kulturkampfes mit anderen Mitteln. Diese mit den AtakpameEnthüllungen begonnene Debatte in Berlin führte also von Anfang an fort von den Ereignissen in der Kolonie und hin zu mehr oder minder altbekannten Hauptstadtthemen. Es ging um Innenpolitik, und Kolonialdebatten wurden nur für die Profilierung der jeweiligen Partei genutzt. Diese Tendenz, über

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Koloniales zu sprechen, um Wahlkampf zu machen, setzte sich 1907 fort und führte dazu, dass die Ereignisse von Atakpame selbst immer mehr in den Hintergrund traten. Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn man die beiden Parteien, die den Kolonialskandal öffentlich gemacht hatten, aus der Nähe betrachtet: die SPD mit August Bebel und das Zentrum mit Matthias Erzberger.[794] Diese beiden Abgeordneten spielten eine zentrale Rolle, wobei sie trotz offensichtlicher politischer Differenzen einiges gemeinsam hatten, was für die Art und Weise, wie sie den Skandal thematisierten, nicht unwichtig war: Sie entstammten weder dem Adel noch standen sie Industriellenkreisen nahe, vielmehr waren beide eher kleinbürgerlicher Herkunft und hatten nicht studiert. Erzberger kam aus dem Handwerk und war ursprünglich Volksschullehrer, dann Schriftleiter beim Stuttgarter Deutschen Volksblatt und schließlich seit 1903 Zentrumsabgeordneter im Reichstag. Bebel war gelernter Drechsler. Gewiss waren sie als Abgeordnete des Reichstags keineswegs Angehörige einer marginalisierten Gruppe, vielmehr hatte ihnen das Reichstagsmandat einen sozialen Aufstieg ermöglicht, der sie – so groß er subjektiv auch war – keineswegs auf eine Stufe mit Adel oder Bürgertum stellte, der Elite des Kaiserreichs, die zu den vehementesten Vertretern einer offensiven Kolonialpolitik gehörte. Wichtiger ist jedoch, dass sich sowohl Bebel als auch Erzberger explizit als Sprachrohr derjenigen verstanden, die den mit sozialem und kulturellem Kapital ausgestatteten Kreisen der Begüterten und Gebildeten fernstanden: Sie sahen sich als Vertreter der in vielerlei Hinsicht machtlosen Gruppe von Arbeitern, Kleinbürgern sowie Frauen und Männern aus der ländlichen

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Unterschicht. Dabei agierten ihre beiden kolonialkritischen Parteien unter verschiedenen Vorzeichen: Das Zentrum strebte eine paternalistisch-ständische Monarchie an, während die Sozialdemokratie auf eine republikanische Demokratie setzte. Überdies waren beide gleichermaßen geübte Moralunternehmer (moral entrepreneurs), gar moralische Kreuzzugsritter (moral crusaders),[795] die sich durch Skandalenthüllungen und andere Formen der Moralisierung lange vor der Reichstagsdebatte von 1906 einen Namen gemacht und damit soziales und kulturelles Kapital akkumuliert hatten, das sie ansonsten kaum erlangt hätten. Erzberger hatte unter anderem in den von ihm öffentlich gemachten Affären der Firma Woermann und des Heereslieferanten Tippelskirch die Korruption gegeißelt. Auch die Landerwerbungsgesellschaften in den Kolonien hatte er kritisiert und das gewalttätige und sexuelle Verhalten gleich mehrerer hoher Kolonialbeamter öffentlich angeprangert. Bei diesen Anlässen hatte er sich als fleißiger Artikel- und Pamphletschreiber wie als Herausgeber der Korrespondenz der Zentrumsblätter Einfluss und Bekanntheit sichern können, er wurde zu einem regelrechten Star.[796] Nicht viel anders verhielt es sich mit August Bebel, ebenfalls ein moral entrepreneur, der sich seit der Aufdeckung des Kolonialskandals um Carl Peters in Kolonialangelegenheiten engagiert hatte.[797] Beiden Politikern war auch gemeinsam, dass sie sich an die unteren Schichten der Bevölkerung wendeten, die allerdings im Kaiserreich je nach Konfession, Region und Berufsgruppe breit gefächert waren und sich lange Zeit nur mäßig für koloniale Ideen begeistert hatten. Das zeigt sich zum Beispiel

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an den Mitgliederlisten der Kolonialvereine, die deutlich bürgerlich dominiert waren. Erst nach 1900 gab es einen »Kolonialismus von unten«.[798] Der unterschied sich vom bürgerlichen Kreis der Kolonialinteressierten insofern stark, als man den großangelegten und kapitalintensiven Projekten wie Eisenbahnbau und Förderung der Plantagenkultur eher skeptisch gegenüberstand, fürchtete man doch, dass staatliche Fördergelder vergeudet würden. Die unteren Schichten in Stadt und Land, auch das Kleinbürgertum, waren von der deutschen Kolonialpolitik nicht begeistert. Sie wurde von ihnen mit der neuen Industriekultur, dem freien Spiel der Kräfte und anderen als bedrohlich empfundenen Elementen der Moderne gleichgesetzt. Kolonialpolitik erschien ihnen geradezu als ein »Symbol für jene Art von Fortschritt und obrigkeitsstaatlichem Dünkel, gegen den sie sich empörten«. [799]

Diese Teile der Bevölkerung waren es, die von Erzberger und Bebel angesprochen wurden. Erzberger war besonders in katholischen, ländlichen, kleinstädtischen Regionen erfolgreich. Viele aus seiner ökonomisch alles andere als gutgestellten Wählerschaft, die »sich in ihrer Mischung aus rückwärtsgewandten und modernen, antiliberalen und elementardemokratischen Elementen am besten als populistisch charakterisieren lässt«,[800] fanden in Erzberger einen regelrechten Volkstribun. Er war Sprachrohr für einen Protest, der sich gegen alles richtete, was die wirtschaftliche Existenz, subjektiv oder objektiv, bedrohte: »Freies Spiel der Kräfte. Liberalismus, Juden, Bürokratie. Kolonialbesitz musste in der Perspektive als aberwitzige Laune spekulierender Wirtschaftsbürger« wirken.[801] Genau diese Sicht bestärkte

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Erzberger, wenn er etwa die Profiteure der Korruptionsskandale Tippelskirch und Woermann deutlich beim Namen nannte und ihren sozialen Ort publikumswirksam so bezeichnete, dass jeder sofort wusste: Hier wurde eine ganze Klasse diffamiert. So erklärte er in seinem »Offenen Wort an die Wählerschaft zur Reichstagsauflösung«: »Ein anderer Lieferant stellte Pferde für Morgenritte und die Jagd für den Herbst Kolonialgeheimräten zur Verfügung.«[802] Mit den Bildern von Jagd und Morgenritten (an anderer Stelle war von Sekt die Rede, der »in Strömen« floss)[803] wurden eindeutig Assoziationen von Adel, Müßiggang und Luxus heraufbeschworen. Als Gegenbilder zu diesen Fabrikanten, Spekulanten, Großgrundbesitzern und Teilhabern an kolonialen Konzessionsgesellschaften dienten der einfache Bauer und der kleine Kaufmann, die so sparsam seien, dass sie nicht mit jedem Kolonialetat neue Schulden bewilligen wollten, wie ein Autor in der Kölner Volkszeitung schrieb. Damit stellte er den Zusammenhang zwischen »Weltpolitik« und »Schuldenwirtschaft« her.[804] Es wurde der Eindruck erweckt, dass die Ausgaben für Koloniales, diesen »Aberwitz der uferlosen kolonialen Geldverschleuderung«,[805] wie es ein anderer Autor formulierte, direkt von den Einnahmen der kleinen Leute finanziert würden. Erzberger konnte sich umso besser als Interessenvertreter der kleinen Leute profilieren, als er in den Kolonialdebatten selbst vor Auseinandersetzungen mit jenen Parteifreunden nicht zurückschreckte, welche die Interessen der sekttrinkenden Jagdteilnehmer vertraten. Im März 1906 war es beispielsweise zu einem offenen Konflikt mit seinem älteren, angesehenen Parteifreund Spahn gekommen. Dieser hatte

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Erzberger öffentlich desavouiert, als er die Kolonialabteilung lobte, nachdem Erzberger sich gerade sehr kritisch über deren Arbeit geäußert hatte.[806] Erzberger scheute auch nicht die offene Auseinandersetzung mit dem aus einem rheinischwestfälischen Adelsgeschlecht stammenden Zentrumsabgeordneten Prinz von Arenberg, als dieser in einer Debatte über Ostafrikas Baumwollplantagen lediglich mögliche Exzesse von Aufsehern geißelte, während Erzberger hier viel grundsätzlicher argumentierte.[807] Durch Erzbergers Gleichsetzung der bemitleidenswerten »Eingeborenen« mit jenen, die zu Hause als Verlierer der Moderne galten und für die sekttrinkende Adlige nichts als Verachtung übrig hatten, konnte überdies das Bild der verfolgten Katholiken heraufbeschworen werden. So hieß es in einschlägigen Presseartikeln: »Die Katholiken sollen wieder herabgedrückt werden zu wissen- und rechtlosen Heloten, die von der Gnade der protestantischen Mehrheit abhängen.«[808] Und schließlich evozierten die von Erzberger gerne wiederholten Hinweise auf die in Atakpame angeblich alltäglichen sexuellen Ausschweifungen Bilder der vermeintlich sehr alten adligen Praktiken des jus primae noctis und anderer in den Oberschichten angeblich üblicher Lustbarkeiten. Kurzum: Mit Kolonialpolitik wurde Klassenpolitik gemacht, und in der Kolonialdebatte profilierten sich Vertreter des Zentrums innerhalb der eigenen Partei als Advokaten der unteren Schichten. Sie positionierten sich als Politiker, denen es in Bezug auf die Kolonien eben nicht ums Geldverdienen ging, wie das angeblich bei jenen der Fall war, die von den kolonialen Landgesellschaften profitierten[809] und letztlich nur

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horrende »Dividenden einstrichen, die im wesentlichen das Reich aufbringen musste«.[810] Erzberger nahm dabei nicht nur die Kolonialkritik und andere Interessen respektive Ressentiments seiner Wähler ernst, er bot gleichzeitig eine positive Identifikation. Ihm ging es letztlich darum, einer Kolonialpolitik zum Durchbruch zu verhelfen, die statt der Mehrung des eigenen Kapitals ein ganz anderes Ziel verfolgen sollte, nämlich die »Ausbreitung von Kultur und Christentum«. Die SPD war im Fall Atakpame in einer schwierigeren Lage, was nicht nur daran lag, dass ihre Wähler der städtischen Arbeiterschicht angehörten, die ein positiveres Bild von der Moderne hatte. Einerseits beanspruchten die sozialdemokratischen Abgeordneten – genau wie die Mission und das Zentrum –, Freunde der »Eingeborenen« zu sein, andererseits mussten sie aufgrund ihrer eigenen stark antiklerikalen, wenn nicht zuweilen sogar antikatholischen Strömungen darauf achten, den Abstand zu Zentrum und Mission zu wahren.[811] Und doch konnte auch Bebel den Skandal vortrefflich als Bühne nutzen, um seine parteipolitische Agenda in Szene zu setzen. Überdies konnte die SPD diesen Kolonialskandal zur Mobilisierung ihrer Klientel nutzen, und zwar nicht zuletzt dadurch, dass sie auf Argumente aus den zahlreichen anderen Skandalen, in denen sie eine prominente Rolle als moralischer Kreuzzugsritter gespielt hatte, zurückgreifen konnte. Schon vor Atakpame war immer wieder darauf verwiesen worden, dass die Ausgaben für die Kolonialpolitik in keinem Verhältnis zu den Einnahmen standen und nur die Industriellen und Junker davon profitierten, da es in der Kolonialpolitik neben Misswirtschaft

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vor allem um »Bodenwucher der spekulierenden Landgesellschaften«[812] ging. Im Atakpame-Skandal, wie schon im Peters-Skandal zuvor, konnten nun überdies sehr ausführlich die moralischen Seiten der Kolonialpolitik beleuchtet werden. So argumentierte Bebel, es handele sich nur dann um gute Kolonialpolitik, wenn »Vertreter kultivierter und zivilisierter Völkerschaften (…) als Freunde und Bildner, als Helfer in der Not« auftreten und den Einheimischen die Errungenschaften der Kultur und Zivilisation überbringen würden, »um sie zu Kulturmenschen zu erziehen«.[813] Schlechte Kolonialpolitik hingegen – und diese werde von der deutschen Regierung betrieben – sei gegeben, wenn man als »Eroberer (…) mit brutaler Gewalt« komme, um den »Eingeborenen ihr Eigentum zu rauben, sie zu Heloten (…) in fremde Dienste zur Fron für fremde Zwecke« zu zwingen.[814] SPD-Abgeordnete nutzten also genauso wie die Zentrumsabgeordneten die Kolonialdebatten dazu, die Verhältnisse in Togo in einem Atemzug mit denen in Deutschland zu nennen und über Klassengegensätze zu diskutieren. So hieß es in einem Zeitungsbericht: »Auch in Afrika ist wie in Ostelbien der dümmste Arbeiter der beste.«[815] Noch deutlicher zutage traten diese eigenwilligen Parallelisierungen in einem Polizeibericht über eine sozialdemokratische Parteiveranstaltung. Da hieß es über einen Redner: »Die Neger vergleicht er mit den Sozialdemokraten während des Sozialistengesetzes.«[816] Andere Sozialdemokraten ließen sich wie folgt vernehmen: »Für Schwarze die Nilpferdpeitsche, für das deutsche Volk die Hungerpeitsche.« Generell war die Politik der SPD dadurch gekennzeichnet, dass man Kolonialismus mit Kapitalismus,

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mit dem preußischen Staat und mit Inhumanität gleichsetzte, während die unteren Schichten mit den Afrikanern verglichen wurden. Dies war schließlich deshalb sehr überzeugend, weil man durchaus konzedierte: »Auch der Neger ist ein Mensch.«[817] Diese bemerkenswerte Übertragung und Aneignung der Atakpamer Geschehnisse durch die deutschen Reichstagsabgeordneten wird noch deutlicher angesichts der Abstimmung über den Nachtragshaushalt, in dem es auch um die Ausgaben für die Kolonien ging. Zentrum und SPD, aber auch die Vertreter der nationalen Minderheiten der Polen, der Elsässer und der Lothringer stimmten gegen den Haushalt.[818] Das heißt, die Parteien, die sich als Sprachrohr von – sei es aus konfessionellen, sei es aus sozialen oder ethnischen Gründen – marginalisierten Gruppen verstanden, sahen die Situation der »Eingeborenen« analog zu ihrer eigenen. Die dänischen Minderheitenvertreter stimmten dem Haushalt zu, mussten sich aber daraufhin von ihren Anhängern scharf kritisieren lassen, da diese »keine Billigung für die Unterdrückung fremder Völker« hinnehmen wollten.[819] Die Kolonialdebatte bot SPD und Zentrum also die Möglichkeit, die Politik derjenigen, die als mächtig galten, an den Pranger zu stellen und den Anspruch zu erheben, diese zu kontrollieren.[820] Beide Parteien spielten gekonnt auf der Klaviatur der innerdeutschen Klassengrenzen zwischen »denen da oben« und »denen da unten«, zwischen Adel, Großbürgertum und Industriellen einerseits und jenen diffus beschriebenen, ökonomisch wie politisch weniger einflussreichen Gruppen andererseits. Diese zeichneten sich, so wurde suggeriert, durch moralische Qualitäten aus, nämlich

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durch den Willen zu zivilisieren, zu helfen, ja zu befreien – so die sozialdemokratische Terminologie und so auch die Rhetorik des Zentrums. Das war politisch höchst funktional, da man auf diese Weise breite Wählerschichten mobilisieren konnte. Mit der parteipolitischen Nutzung des Skandals wurden gleichzeitig alle Themen, die auch nur entfernt auf die eigentlichen Probleme in Togo verwiesen, in den Hintergrund gerückt, wenn nicht zum Verschwinden gebracht. Jedenfalls spielten sie für Bebel und Erzberger und ihre Wähler keine besondere Rolle. In dem Maße, in dem Kolonialskandale als Foren zur Austragung von Wahlkämpfen und zur Inszenierung von Klassengegensätzen genutzt wurden, gerieten sowohl Geo Schmidts Verhalten als auch die Probleme der kolonialen Ökonomie, das koloniale Rechtswesen, die Vorstellungen über Erziehung zur Arbeit und die Konflikte zwischen Mission, Kolonialbeamten und lokaler Elite aus dem Blickfeld. Natürlich nutzten auch konservative und liberale Parteien Kolonialskandale für ihre Zwecke. Konservative bezogen sich dabei insbesondere auf die Bilder, die über den Herero-NamaKrieg ins Kaiserreich gelangten: Hier wurde von »plündernden Hottentotten« erzählt, die weiße Frauen niederschlugen, womit an die deutsche Ehre appelliert wurde, die es mit einer strengen Kolonialpolitik genauso zu verteidigen gelte wie die wirtschaftliche Überlegenheit, die man allein durch die Ausbeutung der Kolonien erringen könne.[821]

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Rhetoriken und Praktiken der Metropole: Kolonialdebatten und Kolonialgesetze

»Dr. Asmis und Dr. Jaffe waren im Jahr 1907/08 zum Studieren der afrikanischen (…) Eingeborenenrechte ausgesandt, bis jetzt ist kein Recht, die Anarchie ist noch in Aktivität.« Harald Patriot Diasempra, 1914[822]

Neben diesen stark parteipolitisch dominierten Debatten, die sich immer weiter von der Kolonialpolitik fort und in Richtung Innenpolitik bewegten, gab es im Gefolge des AtakpameSkandals – angestoßen auch durch den neuen Kolonialdirektor Bernhard Dernburg – eine ganze Reihe von Kolonialdebatten und schließlich Reformgesetzen.[823] Mit der Ernennung Dernburgs zum Direktor des Kolonialamts sprachen Zeitgenossen vom Beginn einer Reformära. Viele Liberale und Konservative hofften auf Impulse für eine bessere, erstmals systematische Kolonialpolitik. Sei diese erst einmal durchgesetzt, würden die Kolonialskandale ein Ende haben und Deutschland könne endlich mit den Kolonialmächten Frankreich und England wirklich konkurrieren. Und so wurde das neue, »wissenschaftliche« Kolonialprogramm Dernburgs nicht zuletzt unter dem Eindruck der Kolonialskandale im Dezember 1906 von weiten Teilen der Presse geradezu stürmisch begrüßt. Ist den Zeitgenossen in ihrer weitgehend positiven Einschätzung dieses Programms zuzustimmen? Lassen sich also zumindest hier Diskussionen beobachten, die den Kern der im Skandal zutage getretenen kolonialen Widersprüche trafen und denen praktische Konsequenzen

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folgten? Oder sind diese Debatten und die daraus entstehenden Gesetze ähnlich selbstreferentiell, wie das für die Kolonialdebatte von SPD und Zentrum zu beobachten war? Die Debatte über das koloniale Rechtswesen ist ein Beispiel, das eine Antwort auf diese Frage erlaubt. Die Diskussion über das koloniale Rechtsleben war unmittelbar nach der Reichstagsdebatte vom Dezember 1906 in Gang gekommen. Schnell begann man mit konkreten Reformarbeiten. Und doch wurde in diesen Debatten letztlich die Situation in Atakpame nicht erfasst, die ja durch einen kruden Rechtspluralismus und das vollkommene Fehlen von Kontrolle durch Berlin oder eine Öffentlichkeit gekennzeichnet war. Es gab auch keine Reformen, die erfolgreich vergleichbare Konflikte hätten lösen können. Von einer systematischen Kolonialpolitik kann schon gar nicht gesprochen werden. Und doch diskutierte man lebhaft über koloniale Rechtsprobleme und erarbeitete nicht wenige neue Verordnungen. Insgesamt handelte es sich um einen skurrilen Prozess des Thematisierens, Reformierens und Doch-nichtVeränderns. Auf Initiative der »Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre« beschloss der Reichstag, eine Kommission einzusetzen. Sie sollte »das über das Eingeborenenrecht in den deutschen Schutzgebieten vorhandene Material« sammeln und »eine authentische Sammlung der Rechtsgebräuche der Eingeborenen auf Grund der von der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre veranstalteten ethnographischen Fragesammlung« erstellen. Ziel war es, die Rechtsverhältnisse

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in den Kolonien zu erforschen, um letztlich eine Kodifikation des sogenannten Eingeborenenrechts vornehmen zu können und die Rechtslage in den Kolonien, die gerade aufgrund der Skandalenthüllungen als besonders reformbedürftig galt, zu verbessern. Die Kommission nahm sogleich – unter großer publizistischer Anteilnahme – ihre Arbeit auf.[824] So brachte das Berliner Tageblatt bereits im März 1907 einen Beitrag mit dem Titel »Koloniale Strafrechtsprobleme«. Darin war allerdings auffallend wenig von der willkürlichen Rechtsregelung durch Kolonialbeamte oder gar von der offenen Missachtung aller im Kaiserreich geltenden Regeln bezüglich Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit die Rede. Stattdessen wurde in erster Linie über die Rechtsgewohnheiten der lokalen Bevölkerung räsoniert und betont, dass es nicht darum gehen könne, eine »ausgeprägte deutsche Kultur« des Rechts in die Kolonien zu bringen.[825] Das gehe allein deshalb nicht, weil »die europäische Kultur von der Kultur der einheimischen Stämme Afrikas und der Südsee« durch eine tiefe Kluft geschieden sei. In den Kolonien fehle jede Form von »verfeinerter Anschauung und Werturteil als Ergebnis einer vielhundertjährigen Staats- und Rechtsgeschichte«.[826] Damit war bereits früh ein zentrales Kennzeichen der Debatte sichtbar geworden: Sie drehte sich in erster Linie um die »Auswüchse früherer Unkultur und Rechtlosigkeit«,[827] wie sie für die lokale Bevölkerung der Kolonien typisch schien, und nicht um die eigenwilligen Rechtsgewohnheiten der Kolonialbeamten. Man debattierte nicht über Rechtsregelungen, die das Verhalten der Beamten hätten steuern können, und auch nicht darüber, wie ein koloniales Rechtswesen reformiert werden könnte, das auf rassistischer

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Ungleichheit basierte und weder Rechtssicherheit noch Rechtseinheit kannte. Auch die konkrete Frage, wie die exzessiv ausgeübte Prügelstrafe besser kontrolliert werden könnte, tauchte so gut wie gar nicht auf. Stattdessen diskutierte man auf der Grundlage mehr oder minder fiktiver Forschungen, in denen ein vermeintlich klar definierbares Eingeborenenrecht erfunden wurde, darüber, wie Menschen außerhalb Europas Recht organisierten. Es lässt sich hier also eine ähnliche Verschiebung der Themen beobachten, wie sie schon im Wahlkampf von SPD und Zentrum deutlich wurde. Die Debatte beschäftigte sich aber nicht nur mit ganz anderen Aspekten als denen, die in den Skandalen eine Rolle gespielt hatten. Sie trug überdies dazu bei, dass die Vorstellung, in den Kolonien lebten unzivilisierte Menschen jenseits jedes Rechts, die allenfalls von barbarischen Rechtsgewohnheiten beherrscht wurden, mit anschaulichen Beispielen belegt wurde. Mit jedem Zeitungsbeitrag wurden unter der Hand Bilder von afrikanischen Rechtsbräuchen produziert, die Afrikaner auf einer niedrigen Stufe der Zivilisation verorteten und sie zuweilen gar offen pathologisierten, etwa wenn man über die »Eigentümlichkeiten ihres Kulturzustandes, ihre körperliche Entwicklung, ihre leichte Beeinflussbarkeit«[828] sprach. Ähnlich argumentierte man, wenn man darauf verwies, dass Afrikaner für eine rechtliche Gleichstellung mit Europäern schlicht noch nicht reif genug seien. Oder wie es ein Berliner Privatdozent formulierte: »(…) der Gedanke der allgemeinen Gleichheit der Menschen hat für uns heute seine Kraft verloren. An seiner Stelle beherrscht derjenige der Entwicklung und Differenzierung unser Denken und

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Handeln.«[829] So wurden die aus zahlreichen anderen Diskussionen hinlänglich bekannten Vorstellungen von rassischer Differenz kolportiert und damit das Bild eines primitiven, exotischen, vermeintlich genuin afrikanischen Rechts popularisiert. Es erinnerte nicht nur in vielem an vermeintliche mittelalterliche Rechtspraktiken, sondern ließ zudem die Überlegenheit des europäischen Rechtswesens in noch hellerem Licht erscheinen. Diskutiert wurde insgesamt vor allem über die Rechtsgewohnheiten der als mangelhaft charakterisierten »Neger«, nicht über die Kolonialbeamten und ihre Gewalt. Zwar sollte die vom Reichstag eingesetzte Kommission einen Rechtskodex verfassen, und in der Tat wurde unter Dernburg eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die zeitgenössisch als Reformierung des »Farbigenstrafrechts« galten. Doch obschon es allein in Togo unzählige neue Verordnungen gab, ja sogar den Versuch, eine Kodifikation zu erstellen, wurde keines der im Atakpame-Skandal zutage getretenen Probleme angegangen. In Togo hatte man bereits vor der durch den Reichstag eingesetzten Kommission damit begonnen, das »Eingeborenenrecht« zu erforschen, um dann auf dieser Grundlage Gesetzgebungsarbeiten einzuleiten.[830] Im Mai 1907 lag ein erster Forschungsbericht vor. Daraus sollte eine »Straf- und Verfahrensordnung für Eingeborenensachen« entstehen.[831] In Berlin allerdings stieß der Bericht auf so wenig Gegenliebe, dass Dernburg im November an den Togoer Gouverneur schrieb, dass eine Veröffentlichung zu unterbleiben habe und eine Weiterarbeit an der Kodifizierung vonseiten des Kolonialamts nicht unterstützt werde.[832] Es war

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also das Kolonialamt mit seinem neuen Kolonialdirektor Dernburg höchstselbst, das hier Verbesserungen des Strafrechtswesens unterband. Auch die konkreten Bereiche, die sich im Atakpame-Skandal als besonders reformbedürftig erwiesen hatten – die Prügelstrafe und die Regelung der sexuellen Verhältnisse –, wurden rechtlich in keiner Weise verbessert. Und das, obschon zahlreiche neue Verordnungen erlassen wurden. Allein in Togo ergingen in kaum einem Jahr drei Neuregelungen bezüglich der Prügelstrafe.[833] Einmal wurde der Kreis der Personen, der diese vollziehen durfte, neu geregelt, dann wurde präzise festgelegt, mit welchem Instrument genau diese Strafe vollzogen werden sollte. Schließlich wurden ältere Verordnungen wie die seit langem festgelegte Anzahl der vorgesehenen Schläge wiederholt. Auch wurden die bürokratischen Praktiken der Verschriftlichung von Rechtsverfahren, insbesondere bei der Prügelstrafe, in einem sehr kurzen Zeitraum dreimal präzisiert. Dabei wurde festgeschrieben, wie und was genau schriftlich fixiert werden sollte, nämlich wie hoch die [834]

verordnete Strafe war, wer sie vollzogen hatte und wie oft die Schläge dann faktisch erteilt worden waren. Überblickt man allein diesen Bereich des Strafwesens, die Regelung der Prügelstrafe, so zeigt sich also eine regelrechte Explosion von Verordnungen und eine immer akribischere Verschriftlichungskultur der kolonialen Verwaltung. Beides ist allerdings kein Indiz dafür, dass das koloniale Rechtswesen so reformiert wurde, dass Ereignisse wie in Atakpame verhindert werden konnten. Im Gegenteil, ein Blick auf die Togoer Zahlen bezüglich der vollzogenen Prügelstrafen zeigt, dass sie stetig stiegen.

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Die Neuregelungen schufen also keine Abhilfe, sondern verschärften die Lage sogar, weil die vielen Veränderungen, die vor Ort kaum nachvollzogen werden konnten, den kolonialen Rechtspluralismus beförderten. Dieser aber war ja gerade ein zentraler Teil des Problems, das durch eine Rechtskodifikation hätte behoben werden sollen. Überdies spricht die stetige Zunahme wie die immer neue Wiederholung derselben Verordnungen eher dafür, dass diese nicht eingehalten wurden, als dafür, dass sich die Struktur des permanenten Missachtens der Regeln und der Willkür veränderte. Dernburgs Reformen hatten also zweifellos die kolonialen Debatten angeheizt und zu vielen neuen Gesetzen geführt. Doch weder die Debatten noch die Gesetze thematisierten die kolonialen Widersprüche, die in Atakpame so überdeutlich aufgebrochen waren, geschweige denn, dass sich dadurch die Lebenssituation der lokalen Bevölkerung in den Kolonien strukturell verbessert hätte.[835] So veränderten die vielen Debatten und Reforminitiativen, wie sie hier exemplarisch entlang des kolonialen Rechtes nachgezeichnet wurden, die Lage in Togo letztlich kaum. An den von Kukowina, Adjaro Nyakuda oder den streikenden Arbeitern in Notschä formulierten Problemen änderte sich nichts. Folgen hatten die Debatten trotzdem: Politiker wie Wissenschaftler hatten sich mit Hilfe faszinierender Bilder von vermeintlich ebenso wilden wie blutrünstigen Rechtsgebräuchen in fernen Welten profilieren können und gleichzeitig neue Argumente entwickelt, warum ein auf rassischen Kategorien beruhendes Rechtssystem sinnvoll sei. Damit hatten die Debatten eher

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zum Erhalt der bestehenden kolonialen Rechtsverhältnisse als zu deren Verbesserung beigetragen.

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Zeitungsartikel schreiben und Petitionen verfassen: Togolesische Resonanzen

»I have to inform my readers that I have received letters of strong approval from influential men throughout the Gold Coast and Togoland informing me that I should leave no stone unturned till the whole barbarious treatment and method of government of the Germans in Africa are brought to light.« Quashie, 1912[836]

In Togo hatten die Ereignisse dennoch Folgen. Dort kam es zu einer Debatte,[837] die nicht nur die Ereignisse von Atakpame thematisierte, sondern auch zahlreiche andere Vorkommnisse, die teilweise erhebliche Empörung hervorriefen, von denen indes deutsche Zeitungen nichts berichteten. In Togo kam es zu ganz grundsätzlichen Diskussionen, etwa über das koloniale Rechtssystem und die neuen ökonomischen Imperative der deutschen Politik. Es wurden auch deutliche Forderungen erhoben, die in den Kern kolonialer Herrschaft zielten. Umrisse dieser Debatten lassen sich trotz der vielen Lücken des kolonialen Archivs rekonstruieren, da sie öffentlich geführt wurden: einmal im Gold Coast Leader und dann in der bereits geschilderten Reihe von Petitionen, die auch in England und Nordamerika Widerhall fanden – war doch die afrikanische Intellektuellenschicht Teil des Black Atlantic.[838] Andere Bruchstücke dieser Diskussionen lassen sich nur ansatzweise nachzeichnen, da sie meist mündlich tradiert und indirekt überliefert wurden (etwa über die Spitznamen, mit denen man einschlägig bekannte Kolonialbeamte versah und die koloniale Gewalterfahrungen öffentlich brandmarkte).[839]

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Ab den 1910er Jahren erschien eine lange Reihe von Artikeln im Gold Coast Leader, unterzeichnet mit »Quashie« oder mit »A Native of Aneho«. In diesen Artikeln wurde die deutsche Kolonialherrschaft in Togo scharf kritisiert, wobei auch auf die Vorgänge in Atakpame eingegangen wurde. Die Vorfälle um Geo Schmidt wurden aber nicht als herausragender Skandal begriffen, sondern als Teil einer schier endlosen Folge vergleichbarer Ereignisse, wie sie in der Kolonie an der Tagesordnung waren. Das in der englischen Kolonie Goldküste gelegene Cape Coast, wo der Gold Coast Leader erschien, war noch um 1900 eines der wichtigsten Handelszentren der afrikanischen Westküste. Der Ort war eng mit dem togolesischen Handel vernetzt, zum Beispiel über die Händlerfamilie Swanzy, die direkt mit Octaviano Olympio verbunden war. Über diese Handelselite und durch togolesische Männer und Frauen, die in Cape Coast bessere Arbeits- und Lebensbedingungen suchten, müssen die Nachrichten über den Atakpame-Skandal an die Goldküste gekommen sein. Dass diese Informationen dann schließlich recht prominent über die Presse in eine breitere Öffentlichkeit gelangten, lag nicht nur daran, dass es in Cape Coast Afrikanern erlaubt war, Zeitungen herauszugeben. Hier hatte sich im Unterschied zu Togo bereits vor der Jahrhundertwende eine starke lokale Elite gebildet. 1902 hatte die einheimische Bevölkerung mit dem MFantsi National Education Fund ihre Bildung selbst in die Hand genommen, und zwar so erfolgreich, dass über 1500 Schüler und Schülerinnen gezählt wurden und es einen Leseclub und eine Gold Coast Debating Society gab.[840] Cape Coast war bekannt für seine starke intellektuelle Führungsschicht, die

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sich aus Chief-Familien, Kaufleuten, Missionaren und Juristen zusammensetzte. Einige von ihnen, so etwa Joseph Ephraim Casely Hayford, der Herausgeber des Gold Coast Leader, hatten in London studiert. Es überrascht daher nicht, dass es hier nicht nur europäische, sondern auch einheimische Journale gab. In einem Artikel über »Journalism on the Gold Coast«, erschienen im Gold Coast Leader, wurde genau dieser Umstand betont: Dass es lokale Journale gab und dass diese »non negrophobist« seien.[841] Sie bildeten eine Öffentlichkeit, die maßgeblich von einer transatlantischen afrikanischen Elite bestimmt wurde. Casely Hayford war einer der ersten und führenden Theoretiker des Panafrikanismus, der mit kolonialkritischen Schriften, darunter auch »Ethiopia Unbound: Studies in Race and Emancipation«, auf sich aufmerksam gemacht hatte.[842] Hier wie in zahlreichen Artikeln und Reden, die er auch als Mitglied der Aborigines Rights Protection Society hielt, sprach er sich für lokale Institutionen und Normen aus, die es zu sammeln und zu erhalten gelte, weniger aus ethnologischem Interesse als um das nationale afrikanische Bewusstsein zu stärken und durch Bildung Afrika der europäischen Zivilisation näherzubringen. Mit dieser Position war er ein typischer Vertreter der gebildeten Oberschicht an der Goldküste. Er gehörte einer reichen Fante-Familie an und engagierte sich auf der International Conference on the Negro, die 1912 von Booker T. Washington an genau jenem Tuskegee Institute abgehalten wurde, aus dem wenige Jahre zuvor die amerikanischen Baumwollexperten nach Togo geschickt worden waren, um beim Aufbau der Baumwollvolkskultur zu helfen.

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In Togo selbst hatte der Skandal seinen – eher indirekten – Nachhall in Form der Petitionen, die wiederum teilweise über den Gold Coast Leader und über andere Zeitungen wie die in London erscheinende African Times and Orient Review weitere Verbreitung fanden.[843] Die Petitionen thematisierten zwar den Skandal selbst nur am Rande, dennoch sind sie im Zusammenhang mit den Ereignissen von Atakpame zu sehen, weil sie die gleichen Themen ansprachen, die in den Prozessen um Geo Schmidt eine Rolle gespielt hatten: Zwangsarbeit, koloniale Gewalt, Willkürjustiz und die Tatsache, dass »Hunderte von unseren Töchtern beschmutzt sind« – wie es im Gold Coast Leader hieß.[844] Zwei Orte, Lome und Aneho, lassen sich als Zentren solcher Petitionen ausmachen. Zwar verfügte keiner der beiden togolesischen Orte über eine ähnliche selbstorganisierte Infrastruktur wie Cape Coast, doch waren beide aufgrund ihrer geographischen Lage an der Küste und der guten Verbindungen ins Hinterland sowie ihrer historisch gewachsenen Beziehungen nach Europa besondere Orte, zumal sie jeweils starke Handelseliten und politische Institutionen hatten. Lome war das Zentrum der afrobrasilianischen Handelselite; gleichzeitig gab es hier eine Intellektuellenschicht, die sich unter anderem aus den afrikanischen Missionslehrern bildete. Beide Gruppen hatten nach 1900 zunehmend Probleme, als sie in der deutschen Kolonie ökonomisch an den Rand gedrängt werden sollten und ihnen der Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen verwehrt wurde. Das führte dazu, dass sie ihre Kinder zur Ausbildung nach Liberia und an die Goldküste oder gleich nach London

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schickten. Beide Gruppen litten zudem erheblich darunter, dass es keine rechtliche Gleichstellung oder gar politische Partizipation gab, was ihnen zumindest einen Teil des Respekts gewährt hätte, den sie aufgrund ihrer sozialen Stellung beanspruchten, oder ihnen die Publikation von Zeitschriften erlaubt hätte.[845] Aneho, das bereits während des Sklavenhandels eine wichtige Rolle gespielt hatte – Elfenbein und Palmöl wurden hier seit dem 18. Jahrhundert an Holländer und Engländer verkauft –, war stärker von politischen Chiefs dominiert, die gleichzeitig Händler waren. Ihre engen Bindungen an England waren auch während der deutschen Kolonialzeit nicht abgebrochen, so dass ein Großteil des Handels der lokalen Kaufleute in englischer Sprache abgewickelt wurde. Hier litt man deutlich unter der fast vollkommenen politischen Entmachtung durch die deutsche Kolonialherrschaft. 1906 erreichte der Konflikt einen neuen Höhepunkt, als es bezüglich der Nachfolgeregelungen der Chiefs zu Spannungen zwischen den führenden Familien Anehos und der deutschen Kolonialregierung kam.[846] Ab 1906 mehrten sich die Petitionen aus diesen beiden Städten, in denen auch die meisten Leser und Leserinnen des Gold Coast Leader lebten.[847] Zur gleichen Zeit waren in Deutsch-Ostafrika der Maji-Maji-Aufstand und in DeutschSüdwestafrika der Herero-Nama-Krieg noch in vollem Gange. Beides mag dazu beigetragen haben, dass die deutsche Kolonialmacht sehr scharf auf die insgesamt etwa ein halbes Dutzend Petitionen reagierte, die 1906 mit einem kritischen Schreiben von Edwin Garber aus Aneho einsetzten, dessen Familienname auch später bei anderen Petitionen immer

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wieder auftauchte. Er beschwerte sich über den rücksichtslosen Umgang der Kolonialbeamten mit den Afrikanern. Dieses Schreiben veranlasste das Berliner Kolonialamt zu umfangreichen Untersuchungen und schließlich zu Verhaftungen. 1909 gab es eine weitere Petition, und ab 1913 kam eine ganze Reihe solcher Bittbriefe – alle aus Lome – hinzu.[848] Mal richteten sie sich an das Kolonialamt, mal wurden sie dem zu einem Besuch in Togo weilenden deutschen Staatssekretär Solf direkt übergeben und dann im Gold Coast Leader und der weit auflagenstärkeren African Times and Orient Review abgedruckt. An vielen Petitionen war Octaviano Olympio beteiligt, aber auch Wilhelm Mensah taucht als Schreiber auf. Verdächtigt wurden überdies Vertreter der Familien Johnson, Lawson und Almeida – die meisten bekannt aus dem Umfeld der Petition Kukowinas und befreundet oder verwandt mit Adjaro Nyakuda, die Geo Schmidt sexuell missbraucht hatte. Um was ging es in diesen Petitionen und Zeitungsartikeln genau? Um es gleich vorwegzunehmen, die Atakpamer Ereignisse und Geo Schmidt, der im Zentrum der »skandalösen Vorfälle zwischen Beamten und den katholischen Patres« gestanden haben soll,[849] tauchten nur am Rande auf. Und doch stehen diese Petitionen und Artikel in engem Zusammenhang mit den Atakpamer Vorfällen, geht es doch jeweils um sehr ähnliche Ereignisse. So waren fast alle in den Petitionen und Artikeln namentlich genannten Kolonialbeamten – Zech, Döring, Kersting, Gruner, Puttkamer und Mecklenburg – in Gewaltgeschichten verstrickt, wie sie auch für Schmidt typisch gewesen waren. Häufig mussten bloß einer dieser Namen und

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das Stichwort »atrocities« (»Grausamkeiten«) genannt werden, und der Leserschaft war anscheinend sofort klar, auf was angespielt wurde. Bedenkt man, dass insbesondere Gruner und Döring,[850] die im Gold Coast Leader mit Abstand am häufigsten genannten Distriktleiter, im Unterschied zum kurzen Aufenthalt von Schmidt mehr als 20 Jahre in Togo verbrachten, verwundert ihre starke Präsenz in den Artikeln nicht.[851] Verhandelt wurde auch das Thema Zwangsarbeit. Anders als im Fall der Berliner Berichte über Kukowina wurde Zwangsarbeit dabei allerdings als das benannt, was sie war, Arbeit, für die gar kein oder nur ein Hungerlohn gezahlt wurde[852] und auf der die gesamte koloniale Infrastruktur basierte. Auch wurde deutlich gemacht, dass sie letztlich eine mit Gewalt verbundene Form der Ausbeutung darstellte, die kaum von Sklavenarbeit zu unterscheiden war.[853] So war es nur folgerichtig, wenn deren Abschaffung gefordert wurde und man dafür plädierte, dass die Arbeit »frei von Gewalt, Aggression oder Schikane« sein solle.[854] Die lokale afrikanische Handelsökonomie, die im Kaiserreich aufgrund der Fokussierung auf koloniale Großprojekte wie die Baumwollkultur nicht besprochen wurde, war ebenfalls ein zentrales Thema, was bei der starken Beteiligung von Kaufleuten an der Petitionsbewegung nicht überrascht. Hier wurde argumentiert, dass die deutsche Wirtschaftspolitik eine starke Bedrohung für das eigene Auskommen darstellte. So würden die Kaufmannsfamilien der Almeidas, Lawsons und Olympios unter den hohen Zöllen genauso leiden wie unter der Besteuerung und der massiven Rechtlosigkeit, die immer wieder zum Raub von Eigentum, zu

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Landenteignungen und willkürlicher Gewalt führten.[855] Aus diesen Gründen forderte man, die ungleichen Zölle abzuschaffen beziehungsweise Beamten zu verbieten, diese willkürlich zu erheben, da sie zur massiven Benachteiligung der einheimischen Händler führten.[856] Das Rechtswesen war das dritte wichtige Thema. Es stand deswegen im Fokus der Kritik, weil – so die Argumentation – hier nicht nur strukturelle rassistische Ungleichheit festgeschrieben worden sei, sondern überdies jeder Beamte das Recht so auslege, wie es ihm beliebe. Das liege daran, dass es kein einheitliches schriftlich fixiertes Recht gebe.[857] Auch fehle ein Appellationsgerichtshof.[858] In ironischer Anspielung auf die deutsche Debatte über das sogenannte Eingeborenenrecht und den »Fetisch des weißen Mannes, den sie Zivilisation nennen«,[859] brandmarkte man das deutsche Kolonialrecht als »primitiv« und »barbarisch«.[860] Gefordert wurde insbesondere für die Rechtsstreitigkeiten zwischen Afrikanern und Europäern eine »bessere Organisation der Rechtspflege«, so die Petition von 1913.[861] Auch der Alltag des Rassismus wurde in vielen Beiträgen angeprangert. Man beschwerte sich, dass Afrikaner, obschon gebildet und wohlhabend, von Weißen auf der Straße nicht gegrüßt wurden, dass man in seinen Eigentumsrechten eingeschränkt war oder dass Bildungseinrichtungen in Togo fehlten. Dieser Alltag wurde dann als besonders kränkend dargestellt, wenn er die lokalen Eliten betraf.[862] Hier argumentierte man gerne mit anschaulichen personalisierten Beispielen. Dennoch wurde auch Kritik an strukturellen Formen der auf rassistischen Kategorien basierenden kolonialen Herrschaft geübt, die alle gleichermaßen traf. So

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bemängelte man beispielsweise, dass die afrikanischen Feiern wie Toten-, Ernte- und andere Feste verboten seien, während man den Geburtstag des deutschen Kaisers, Fastnacht und Reformation sehr wohl feiere.[863] All dies wurde in Berlin überhaupt nicht oder wie im Fall des Eingeborenenrechts unter ganz anderen Vorzeichen thematisiert. Dies ist besonders auffällig bei einem letzten Gegenstand, der im Gold Coast Leader intensiv diskutiert wurde. Die Rede ist von der Rolle der Mission, die im Kaiserreich ja vor allem unter dem Stichwort Kulturkampf kritisch beleuchtet wurde. Kulturkämpferische Töne fehlten im Gold Coast Leader vollkommen. Auch gab es keine generelle Misstrauenserklärung gegenüber Missionen, welcher Konfession auch immer. Stattdessen wurde kritisiert, dass sich die Mission nicht als das erweise, was sie zu sein vorgebe, als Sprachrohr der lokalen Bevölkerung. Statt sich für die Belange der Bevölkerung einzusetzen, würden sich die Missionare untereinander streiten.[864] Im Laufe der Kampagne des Gold Coast Leader und nachdem es vonseiten der Kolonialregierung zu Verhaftungen der mutmaßlichen Autoren der togokritischen Artikel gekommen war, verschärfte sich der Ton gegenüber der Mission, indem man ihr jetzt auch offene Kooperation mit dem Kolonialamt vorwarf. Die Missionare hätten – so hieß es – in ihrem lokalen Blatt Miaholo die beiden Autoren der Artikelserie des Gold Coast Leader, Quashie und der Native of Aneho, als Lügner bezeichnet und dazu aufgerufen, deren Pseudonyme zu lüften.[865] Die offene Enttäuschung über die Mission steigerte sich schließlich zu der rhetorischen Frage: »Was nutzen die Missionare, wenn sie nicht in der Lage sind, ihr eigenes Volk zu verurteilen?«[866]

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Überblickt man dieses Themenspektrum, so zeigt sich, dass in Togo alles andere als geschwiegen wurde: Gerade die in Deutschland hartnäckig ignorierten Themen standen hier im Mittelpunkt, wurden schonungslos benannt. Auch scheute man nicht vor Forderungen zurück, die auf eine strukturelle Veränderung des politischen Gefüges hinausliefen. Ungeachtet dieser massiven Unterschiede zur Diskussion in Berlin scheint es allerdings eine Gemeinsamkeit zwischen der Situation im Kaiserreich und der in Togo gegeben zu haben: In beiden Fällen gab es jeweils eine starke Gruppe, die sich als moralische Kreuzzugsritter betrachtete und die Presse für eine regelrechte Kampagne nutzte, und zwar mit der Absicht, jenen, die sonst schweigen mussten, eine Stimme zu geben. So schrieb der Native of Aneho unter Bezugnahme auf das von den Missionaren stets lauthals propagierte Selbstverständnis, er müsse nun das Sprachrohr der »natives« sein.[867] Auch verstand sich der Gold Coast Leader wie die europäischen Zeitungen als kritische Instanz, deren Aufgabe es war, die Stimme zu erheben. Hier wurde ein emphatisches Verständnis von der Presse und ihren Aufgaben formuliert, das in dem Satz kulminierte: »Unsere Erlösung von dieser grausamen Verwaltung hängt von der afrikanischen und europäischen Presse ab, die durch ihre Publikationen die öffentliche Meinung zur Kritik auffordern muss.«[868] Dabei sahen sich die Autoren allerdings eher in der Tradition international bekannter und immer schon global orientierter Kämpfer in Sachen Humanitarismus statt als Roerens, Erzbergers oder Bebels, die in begrenztem Rahmen agierten. Und in der Tat handelte es sich hier um Angehörige einer Elite, die über die alten Sklavenrouten gut vernetzt

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waren und viele Kontakte und auch gemeinsame Erfahrungen des Black Atlantic teilten. Sie nahmen Bezug auf Persönlichkeiten wie Edmund Dene Morel, der die Congo Reform Association ins Leben gerufen und überaus effektiv die menschenunwürdigen Zustände im Kongo angeprangert hatte. Auch die Antislavery and Aborigines Protection Society, die bereits im frühen 19. Jahrhundert in London gegründet worden war und einen Ableger an der Goldküste hatte, galt als Vorbild.[869] Man wollte – so das erklärte Ziel – ähnlich wie diese global players des Humanitarismus die Hilfe der »zivilisierten Welt, insbesondere der Aborigines Protection Society« mobilisieren, um Togo zu retten.[870] Dass sich in dieses heroische Narrativ des moral crusader auch antideutsche Untertöne beziehungsweise eine offene Stellungnahme für England einschlichen, insbesondere bei den Artikeln aus dem Gold Coast Leader, konnte nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht ausbleiben.[871] Genauso wie es fast unvermeidlich war, dass manche Artikel an das nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlichte Blue Book erinnern, mit dem die englische Regierung die deutschen Gräueltaten in Deutsch-Südwestafrika dokumentieren wollte, um damit sowohl die eigene Kolonialherrschaft in hellerem Glanz erscheinen zu lassen als auch nach dem Krieg das Mandat über die ehemaligen deutschen Kolonien zu erlangen. Und doch war das, was hier diskutiert wurde, mehr als englische Propaganda und auch etwas anderes als die Medienkampagne, die in Berlin maßgeblich durch Roeren, Erzberger und Bebel angeheizt worden war. Im Unterschied zu Berlin sprach hier eine kleine, hochgebildete, wohlbetuchte und international eng vernetzte Elite für ihre Interessen (und

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nicht die gewählten Vertreter strukturell marginalisierter Gruppen wie im Kaiserreich). Deren Interessen waren nicht nur ökonomischer Natur. Genauso ging es um politische und rechtliche Gleichbehandlung und einen besseren Zugang zu Bildung. Alle wollten einen Weg »zurück zur Selbstachtung« finden.[872] Das waren, wie der weitere Verlauf der Karriere eines Casely Hayford zeigt, Vorstellungen, die Kolonialherrschaft strukturell in Frage stellten.[873] Das waren politische Anliegen, die mit denen des kleinbürgerlichen Wählerklientels eines Erzbergers genauso wenig vergleichbar waren wie mit den Anhängern Bebels und der Sozialdemokratie. Es waren insgesamt alles andere als partikulare Anliegen, die diese Gruppe vor Augen hatte, ging es doch um nichts weniger als darum, die Regeln einer Herrschaft, die auf rassischer Differenz basierte, zu verändern. Betont werden muss, dass nicht davon ausgegangen werden kann, alle in den Petitionen und Artikeln vorgebrachten Anliegen seien von einer so breiten Gruppe der Bevölkerung geteilt worden, wie es die Anhänger von SPD und Zentrum im Kaiserreich waren. Für die Swahili-Küste wurde gezeigt, dass in ein und derselben Region in kolonialen Auseinandersetzungen sehr unterschiedliche Interessen vorhanden sein konnten und dass man unterschiedliche Sprachen benutzte, um verschiedene Probleme zu artikulieren. Vor allem war die von einer Elite genutzte Sprache nicht unbedingt die Sprache aller Einwohner – davon müssen wir in Togo zweifellos ausgehen.[874] Oft gab es zudem noch ganz andere Anliegen, die gar nicht artikuliert wurden – etwa solche von Frauen, die primär vom Ackerbau lebten und wahrscheinlich weit weniger an der Abschaffung von

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Ausfuhrzöllen interessiert waren als an der Kontrolle ihres lokalen landwirtschaftlichen Marktes. Ebenso werden intermediaries oder beispielsweise die muslimischen Haussa andere Probleme für dringlicher gehalten haben oder die Vorteile in der Kooperation mit den Deutschen höher eingeschätzt haben, als dies in den Artikeln eines Quashie oder Native of Aneho nahegelegt wurde. Darüber hinaus gab es zweifellos Differenzen zwischen einzelnen Chiefs und deren Patronagesystemen, die weder in Petitionen noch in Briefen oder Artikeln thematisiert wurden. Daher wurde auch in den afrikanischen Diskursen so manches verschwiegen, etwa die Tatsache, dass durchaus auch afrikanische Soldaten häufig gewalthaft agierten. Oder der Umstand, dass generell ein System des do ut des herrschte, von dem viele profitierten und das trotzdem häufig Anlass zu erbitterter Kritik gab, wie die Ereignisse von Notschä gezeigt haben. Und schließlich darf nicht vergessen werden, dass die Auswahl der Themen und der Duktus ihrer Darstellung ohne jeden Zweifel einer medialen Logik gehorchten, hier manches zugespitzt und anderes weggelassen wurde, weil auch Zeitungen, die eine antikoloniale Agenda vertraten, an ihren Absatz denken mussten.[875] Und doch gab doch einen rudimentären Konsens, der von vielen Menschen in Togo geteilt wurde und den zentralen Grundtenor von Petitionen und Artikeln ausmachte: die Überzeugung, dass eine rassistische Ungleichbehandlung durch Europäer nicht toleriert werden sollte. Dieser Konsens tritt deutlich zutage, wenn man die Begriffe genauer betrachtet, mit denen man bestimmte Kolonialoffiziere in Petitionen und Artikeln gleichermaßen charakterisierte:

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Gruner wurde als »Teufel«, der Bezirksleiter von Aneho Mezger als »Steuergeldfresser«, Döring als »Drache« und Gouverneur Zech als »Monster« bezeichnet.[876] Mit solchen Begriffen wurden die Vertreter des deutschen Kolonialismus als übermächtige, höchst gewaltbereite, übermenschliche Figuren bewertet, denen man sich hilflos ausgeliefert fühlte und die man als moralisch böse definierte. Gleichzeitig waren diese Bezeichnungen gewiss auch Mittel, um Abstand zu diesen Kolonialvertretern zu gewinnen und eigene Handlungsspielräume zu wahren. Diese mögen primär ökonomisch oder politisch genutzt worden sein, aber sie dienten auch dazu, sich eigene Deutungsoptionen zu erhalten, oder boten einfach etwas, worüber man lachen konnte.[877] Insgesamt artikulierte sich in diesen Artikeln, Petitionen und Bezeichnungen eine weit grundsätzlichere Kritik an kolonialer Herrschaft als in den Berliner Debatten, und sie ging einher mit einer Erschütterung der Legitimität von kolonialer Herrschaft. Zuweilen wurden sogar die in Berlin zu beobachtenden Techniken des Verschweigens und Verschiebens selbst zum Thema gemacht: So etwa, als mehrmals und mit Nachdruck darauf hingewiesen wurde, dass die Reichstagsdebatte über Mischehen, die in Berlin 1912 geführt wurde, das eigentliche Problem nicht behandle, sondern mit viel rhetorischem Aufwand verschiebe und damit zum Verschwinden bringe. Dieses bestehe nämlich weniger – so der Gold Coast Leader – in mangelnder Rechtssicherheit der Europäer oder ihrer Kinder als darin, dass Ehebruch und Notzüchtigung der afrikanischen Ehefrau zum kolonialen Alltag gehörten.[878] Die Lage der Afrikanerinnen sei das Problem, nicht die der Europäer. Es wäre schon vollkommen

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ausreichend, wenn die Frauen nicht mehr geschlagen würden, nicht umsonst arbeiten müssten und nicht länger wie Tiere behandelt würden. Darum jedoch gehe es in der Mischehendebatte – wie die Artikel zu Recht betonten – eben gerade nicht.[879] So deutlich in Togo also die Themen angesprochen wurden, die man in Berlin verschwieg, so deutlich war auch die Reaktion vonseiten des deutschen Kolonialamts. Die grundsätzliche Kritik an der kolonialen Herrschaft wurde von Gouverneur und Kolonialamt (wie von der Mission, die sich 1914 offen gegen die Anliegen des Gold Coast Leader aussprach)[880] sehr wohl verstanden, sonst hätte man nicht so scharf reagiert: nämlich mit Verhaftungswellen, Hausdurchsuchungen und Exilierungen. Hier ist vor allem die breitangelegte Verhaftungswelle von 1913 und 1914 zu nennen. Jeder, der verdächtig war, sich an den Petitionen beteiligt oder die betreffenden Artikel geschrieben zu haben, wanderte ins Gefängnis. Im Dezember 1913 wurde die Familie Garber, die man der Autorschaft der Artikel verdächtigte, verhaftet und mit ihnen eine ganze Reihe anderer Personen, darunter Olympio und Mitglieder der Familie Mensah. Mehrere Verdächtige wurden sogar nach Kamerun exiliert.[881] Von diesen Verhaftungen wurde sofort im Gold Coast Leader berichtet, der dazu nicht ohne Stolz bemerkte, dass diese Maßnahmen ein Beweis dafür seien, wie ernst die Deutschen die Zeitung nahmen. Auch nutzte der Gold Coast Leader die Verhaftungswelle, um den Deutschen den Status einer »zivilisierten Nation Europas«[882] abzusprechen. Besser hätten sie die Zivilisationsnarrative, mit denen sie tagtäglich konfrontiert wurden, kaum nutzen können.

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Echos des Schweigens

»Who is made a fool of by this secret club? Perhaps the colonial Minister and the German public (…). Only once or twice did people reveal to the German public that civilisation amongst the whites is at its lowest.« Native of Aneho, 1914[883]

Versucht man, all das zu überblicken, was auf dem Weg von Togo nach Deutschland verlorenging, so zeigt sich, dass in Berlin mindestens zweierlei zum Verschwinden gebracht wurde: erstens die Tatsache, dass es sich in Atakpame eben nicht um einen bedauernswerten Einzelfall handelte, sondern um Vorfälle, wie sie sich hundert-, ja tausendfach in deutschen Kolonien ereigneten. Zweitens, dass diese Begegnungen komplexere Formen des colonial encounter darstellten als die schlichte Gegenüberstellung von Kolonisierern und Kolonisierten glauben machen will: Kolonialbeamte wie Geo Schmidt waren nicht die im Reichstag und den Medien zum Klischee erstarrten gewalt- und sexlüsternen Beamten, Missionare wie Franz Müller nicht die mitleidenden Sprachrohre der Afrikaner noch willige Kollaborateure der Kolonialherren und Personen wie Kukowina, Octaviano Olympio, Adjaro Nyakuda und viele andere, die in den kolonialen Archiven häufig nur schemenhaft Gestalt annehmen, waren keine stimm- und weitgehend willenlose amorphe Masse von Eingeborenen, die vollkommen machtlos dem Treiben der Beamten ausgeliefert waren. Geo Schmidt war zweifellos ein alles andere als angenehmer Charakter. Seine weitere Karriere zeigt, dass man

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ihn als notorischen Querulanten und von sich selbst absolut überzeugten Mann bezeichnen kann. Und doch unterschied er sich in seiner Amtsführung kaum von den Gruners, Dörings und Zechs, den Togoer Beamten, die von der lokalen Bevölkerung als Teufel, Drache oder Monster bezeichnet wurden. Sieht man von wenigen Ausnahmen wie dem im Gold Coast Leader immer wieder besonders positiv herausgehobenen Gouverneur Horn ab,[884] zeichneten sie sich allesamt durch die auch in anderen Kolonien zu beobachtende Mischung aus Selbstüberschätzung, kolonialen Ängsten und objektiver Überforderung aus. Auch waren Sex und Gewalt keine persönlichen Obsessionen, sondern gehörten zum kolonialen Habitus, der auch daraus resultierte, dass die Beamten mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert waren: Sie sollten Formen von moderner Staatlichkeit und rationaler Verwaltung aufbauen und gleichzeitig Zwangsarbeit organisieren und Räume des Rechtspluralismus sichern; sie sollten eine Bevölkerung kontrollieren, auf die sie angewiesen und von der sie in vielem abhängig waren und die sie schon sprachlich kaum verstanden. All das forcierte ein gewalthaftes Agieren, um so zumindest symbolisch Herrschaft auszuüben. Die Missionare wiederum waren in erster Linie Agenten des Christentums. Zuweilen weckten sie zwar Hoffnungen in der Bevölkerung, die versuchte, sie für ihre Interessen zu vereinnahmen, doch teilten sie letztlich viele der Grundüberzeugungen der Kolonialbeamten. Im Kaiserreich wurden weder diese Nähe noch die Tatsache, dass die Missionare wie die Beamten um die Anerkennung in der lokalen Bevölkerung regelrecht buhlten und erbittert

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ausgefochtene Konflikte bis in die Medien nach Berlin tragen mussten, zum Thema gemacht. Auch die in den Medien des Kaiserreichs als bemitleidenswerte »Eingeborene« oder als gewaltbereite und faule »Neger« dargestellte Bevölkerung Togos sah faktisch anders aus: Im Atakpame-Skandal ging es in erster Linie um die soziale, ökonomische und politische Elite Togos. Kaufleute, Chiefs und cultural brokers[885] – angeführt von Kukowina, Octaviano Olympio und später einer Reihe anderer Männer – hatten den Skandal ausgelöst, indem sie eine Petition verfasst hatten. Daneben spielten afrikanische Soldaten und Polizeikräfte in den Auseinandersetzungen in Notschä eine Rolle. Ebenso waren Chiefs, die ihre Herrschaft durch Strafaktionen ausbauten, und eine Bevölkerung, die sich zuweilen qua Abwanderung entzog, dann auch mit Europäern zusammenarbeitete und doch immer wieder gegen diese aufbegehrte, von Bedeutung. Statt dieser heterogenen Gruppe sehr unterschiedlicher Akteure und Akteurinnen erschienen auf der Bühne der deutschen Öffentlichkeit nur zu Klischees erstarrte Protagonisten, die Achille Mbembe als Figuren der »absolute otherness« (»das absolut Andere«) beschrieben hat. [886]

Auch das vielschichtige Beziehungsgefüge in den Kolonien blieb im Dunkeln: Verschwiegen wurde, dass eine Rassentrennung, die angeblich aus eugenischen oder moralischen Gründen unerlässlich sei, nicht ausnahmsweise, sondern strukturell gar nicht vorhanden war, denn sowohl privat wie im Dienst war eine enge Kooperation zwischen Kolonisierern und Kolonisierten unerlässlich. Einerseits wurde die colour line täglich, teilweise mit Gewalt, von fast allen

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(und nicht nur einigen wenigen) Beamten überschritten. Andererseits gab es innerhalb der »Rasse« der Europäer ebenso wie zwischen Afrikanern und Afrikanerinnen erhebliche Friktionen.[887] Warum nun wurde diese komplexe Realität des kolonialen Alltags in Berlin verschwiegen? Zum einen entspricht diese Komplexitätsreduktion den medialen Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie, die von Stereotypen und nicht von differenzierten Geschichten lebt. Skandale funktionieren nur mit einfachen Geschichten. Zum anderen ist es offensichtlich, dass die Reduktion der Ereignisse von Atakpame auf seltene Exzesse einzelner Beamter und das damit einhergehende Ausblenden der vielschichtigen Interaktionen zwischen Kolonialbeamten, Übersetzern, afrikanischen Händlern, Missionslehrern und Zeitungsredakteuren aus den Nachbarkolonien von elementarer Bedeutung war, um die strukturelle Fragilität kolonialer Herrschaft zu verschleiern.[888] Zumindest vonseiten der europäischen Kolonialherrschaft gab es gute Gründe dafür, dass all dies im Transfer verlorenging: Nur so konnte das irrige Bild aufrechterhalten werden, es gebe in den Kolonien eine auf starrer Trennung von Kolonisierern und Kolonisierten basierende Herrschaft, die auch deshalb notwendig und legitim sei, weil es zwei klar zu unterscheidende Rassen gebe und die eine durch die andere zivilisiert werden müsse.

Und doch, so elementar die Legitimität des Kolonialismus zumindest in der europäischen Öffentlichkeit auf dieses letzte Argument angewiesen war, so irreführend wäre es, den Verlockungen einer funktionalistischen Interpretation zu

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folgen, die daraus den Schluss zöge, eine mächtige Koloniallobby könne die Medienpolitik so steuern, dass alles, was dieser Deutung entgegenstehe, unterdrückt werde. Der Mechanismus des Nichtwissens, Schweigens und Nichttransferierens ist zu kompliziert, um ihn einzig mit Verweis auf mediale Logiken oder durch Manipulation zu erklären.[889] Wie auch hätte eine solche Manipulation allein technisch gesehen funktionieren sollen? Schließlich verfügte nicht einmal Großbritannien über einen Geheimdienst, der eine solche Kontrolle der Informationen über große Distanzen hätte bewerkstelligen können. Im deutschen Kontext waren schon die elementaren Versuche, Nachrichten wie die des Native of Aneho vor Ort zu unterdrücken, erfolglos geblieben. Professionellere Geheimdienste wurden in Deutschland erst im Zuge des Ersten Weltkriegs aufgebaut.[890] Selbst im nationalen Rahmen des Kaiserreichs ließen sich daher Nachrichtenströme schlichtweg nicht kontrollieren. Dafür waren die Interessen der maßgeblichen Personen und Institutionen zu unterschiedlich und auch die Macht der Öffentlichkeit beziehungsweise das mediale Eigenleben zu groß. Statt allein oder auch nur in erster Linie von Medienlogiken oder gezielter Manipulation der Medien muss von einem mehr oder minder von allen im Kaiserreich geteilten kolonialen common sense ausgegangen werden. Dieser wirkte wie ein Filter,[891] der nur die Deutungen durchließ, die innerhalb des Sag- und damit auch Denkbaren lagen.[892] Genauso wie eingangs in der Analyse der Reichstagsdebatte vom Dezember 1906 deutlich geworden ist, dass alle Parteien trotz ihrer zahlreichen Differenzen bestimmte rassistische Grundaxiome explizit oder implizit teilten, kann dasselbe auch

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für breite Teile der Medien und der Bevölkerung gelten. Diese gemeinsame Überzeugung war eher diffus und konnte viele Schattierungen aufweisen, im Kern stand aber eine zeitgenössisch fast unhintergehbare basale Wahrheit: der feste Glaube an die Existenz unterschiedlicher Rassen, die in der nach oben offenen Zivilisationsskala auf verschiedenen Stufen zu verorten seien. Eine togolesische Elite, die vernetzt mit Honoratioren der Goldküste englische Rechtsanwälte beschäftigte, um ihre Rechte einzuklagen, überstieg diesen Vorstellungshorizont. Genauso lagen die Ohnmachts- und Angstgefühle der Kolonialbeamten sowie ihre nicht nur sexuelle, sondern auch emotionale Nähe zu manchen Afrikanerinnen jenseits des Vorstellungsbereichs. Das Schweigen markiert genau diese Grenze des Sag- und Vorstellbaren.[893] Bei dem, worüber in Berlin nicht gesprochen wurde, handelte es sich um ein cultural denial, ein kulturelles Leugnen, eine ungeschriebene Übereinkunft darüber, was öffentlich erinnert und wahrgenommen werden kann und was nicht.[894] Womöglich handelt es sich um ein Schweigen, das auch verstanden werden kann als ein unbewusstes Nicht-Sprechen über etwas, das alle wussten. Es wäre dann ein offenes Geheimnis, ein gemeinsames Wissen, das aber weder ausgesprochen noch weitergedacht werden durfte.[895] Manches deutet darauf hin, dass das Schweigen auf ein solches offenes Geheimnis verweist: etwa die Tatsache, dass über zwei Aspekte des Skandals, die den Kolonialismus ins Zwielicht setzten, nämlich die Sex- und Gewaltgeschichten, sehr wohl intensiv berichtet wurde, wie stereotyp auch immer. Mehr noch, gerade Kolonialskandale zeigen, dass Gewalt- und

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Sexgeschichten regelrechte Renner auf dem Markt der Kolonialnarrative waren. Die Liste der Karikaturen, in denen peitschenschwingende Kolonialbeamte beziehungsweise sexlüsterne, von nackten Afrikanerinnen umringte Europäer dargestellt wurden, ist lang.[896] Das trifft für den AtakpameSkandal – wo mit Roeren als Vorsitzendem eines wichtigen Sittlichkeitsvereins ein besonders dankbares Darstellungsobjekt gefunden wurde, da hier auch die zeitgenössischen Kampagnen im Feld der Schund- und Schmutzliteratur andocken konnten – genauso wie für alle anderen Skandale zu.[897] Im sogenannten Hottentottenwahlkampf kam es sogar zu einer wahren Flut von Sex- und Gewaltkarikaturen sowie von Geschichten über gewalttätige Beamte und ihre sexuellen Bedürfnisse.[898] Diese massive Präsenz von Bildern der Gewalt und der sexuellen Übergriffe im Kolonialen, denen man gerade um 1907 kaum entgehen konnte, spricht für das Bild vom offenen Geheimnis. Doch die Existenz einer kolonialen Elite, die ständigen Streitereien zwischen Missionaren und Kolonialbeamten, die strukturelle Brutalität der Zwangsarbeit und die Widersprüchlichkeit eines auf Rechtspluralismus und formaler Regelhaftigkeit beruhenden Rechtssystems waren wahrscheinlich kein offenes Geheimnis in dem Sinne, dass es – um Stanley Cohens lapidare Formulierung zu benutzen – »von allen gewusst wurde und gleichzeitig wissentlich nicht gewusst wurde«.[899] Die Existenz dieser lokalen Eliten und ihrer Handlungsmacht anzuerkennen überschritt das zeitgenössische Selbstverständnis so massiv, dass sie genauso wenig thematisiert wurde wie die kolonialen Widersprüche.

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Die Skandalisierung bewirkte statt der Thematisierung eines offenen Geheimnisses dessen Verleugnung.

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Afrika als Refugium vor der Moderne, das vor Kolonialbeamten bewahrt werden muss

»(…) that what is increasingly perceived as the crisis of modernity and modern values is perhaps better understood as the crisis of the intellectuals whose self-consciousness was once served by these termes.« Paul Gilroy[900]

Das in der Skandalisierung der Atakpamer Ereignisse im Kaiserreich zu beobachtende Verschweigen verweist aber nicht nur auf offene Geheimnisse und blinde Flecken, die verleugnet werden mussten. Das Berliner Nicht-Wissen beziehungsweise Nicht-wissen-Wollen hat auch eine performative Dimension: Im Verschweigen wurde nicht nur etwas zum Verschwinden gebracht, es wurden auch bereits bestehende Deutungen verstärkt und teilweise neu konturiert. Es handelt sich um eine aktive Form der Verfestigung eines bereits vorher durchaus geläufigen Bildes von Afrika. Durch das immer wieder neue Thematisieren von manchen und Weglassen von anderen Aspekten wurde dieses Bild verstärkt und nahm zugleich teilweise eine andere Gestalt an. Um welche Vorstellungen von Afrika es hier ging, wird deutlich, wenn man nach den Gemeinsamkeiten all der Elemente sucht, die in der Berliner Beschreibung der Situation in Togo weggelassen wurden. Es handelt sich durchweg um Aspekte, die damals als modern galten. Phänomene der Moderne waren zeitgenössisch nur im europäischen Raum denkbar. Afrika hingegen wurde als Kontinent jenseits der Moderne definiert.

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Daher eben findet sich in der deutschen Berichterstattung kein Wort über die erfolgreichen Bemühungen einiger Afrikaner, moderne Medien zu nutzen, um Zugang zu politischer Partizipation und ökonomische Vorteile zu erlangen. Auch scheint es kein Handeln vonseiten der lokalen Bevölkerung gegeben zu haben, das den strengen Maximen von Rationalität gehorcht hätte, wie es um 1900 als typisch modern galt: Über Afrikanerinnen und Afrikaner, die aus einem rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül heraus die deutschen Baumwollprojekte torpedierten, hörte man jedenfalls nichts im Kaiserreich. Ebenso wenig wurde über das zweckrationale Handeln von Chiefs berichtet, die ihre Macht durch Plünderungen sicherten, oder von Kautschukhändlerinnen, die schnell zu hohem Gewinn kommen wollten. Auch die Ausdifferenzierung der lokalen Bevölkerung in ökonomische Eliten, Verwaltungsleute, Bauern, Handwerker, intermediaries, Missionslehrer und international agierende Kaufleute, die in England und Frankreich Handelspartner hatten, blieb ungenannt: alles Elemente von Kalkül, Entzauberung, Arbeitsteilung, Rationalität und beschleunigtem Wandel, die im Atakpame-Skandal alle zu finden sind und teilweise schon lange vorher in Afrika zu Hause waren.[901] Mit diesen Stichworten haben Zeitgenossen moderne Gesellschaften umschrieben, doch in den Darstellungen der deutschen Medien über den Skandal sucht man sie vergeblich. Damit erscheint Togo als ein Raum jenseits der Moderne. Und das zu einem Zeitpunkt, da Simmel, Weber, Durkheim und viele andere festgestellt hatten, dass europäische Gesellschaften, weil sie alle Kennzeichen der Moderne (Rationalität, Säkularität, Arbeitsteilung, Entfremdung und Individualisierung) aufwiesen, auf der höchsten Stufe der Zivilisationsleiter

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angekommen seien. Afrika dagegen erschien, zumindest in den Mediendarstellungen zum Atakpame-Skandal, als Rückseite des europäischen Spiegels der Moderne. Dieses Bild von Afrika als Kehrseite der Moderne hatte zeitgenössisch viele Facetten und viele Wurzeln und wurde nicht allein durch die Atakpame-Skandalisierung, durch Techniken des Verschweigens, Leugnens oder Weglassens konstruiert. Die Vorstellung, Afrika sei ein Kontinent jenseits der Moderne, ist weit älter, sie findet sich bereits 1830 bei Hegel, der eine regelrechte Gegenwelt dort imaginierte.[902] Sie wurde dann spätestens mit den Romanen Frieda von Bülows, Hans Grimms und Wilhelm Jensens aufgenommen, freilich unter ganz anderen Vorzeichen: In diesen Romanen erschien Afrika als Gegenentwurf zu einer Welt, die vergiftet war von Parlamentarismus, Bürokratismus und Kapitalismus. Auch die Reiseberichte, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert den Buchmarkt beherrschten, kannten dieses Motiv des unberührten Landes, dessen Natur gerade aufgrund ihrer »Unzivilisiertheit« faszinierte. Es gab ein eigenes Genre der lost-city-Geschichten, in denen Orte wie das Goldland der Königin von Saba in Afrika gefunden wurden.[903] So beschrieb Cecil Rhodes, wie er einen Raum entdeckt habe, der seit den Zeiten des Alten Testaments verschollen gewesen sei, also aus einer Zeit datierte, die unendlich weit von der Moderne entfernt lag.[904] Dieser Raum, dieses Afrika biete – so eine Togoreisende, die den Staatssekretär Solf 1913 begleitete – »für einen modernen Kulturmenschen unsagbar interessante Reize«.[905] Afrika sei nämlich das Gegenteil von »materialistisch und bequem und gedankenträge« – wie das Berliner Tageblatt den Zustand der deutschen Gesellschaft

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beschrieb.[906] Diese Afrikavision fasste der Bremer Kaufmann Vietor treffend zusammen, indem er das Bild eines durch die Errungenschaften der Moderne verlustig gegangenen Deutschlands heraufbeschwor, das »ursprünglich (…) aus freien Bauern«, bestanden habe, »die ihr eigenes Land bebauten und ein zufriedenes Leben führten«. »Sie waren gesunde Naturmenschen, gewöhnt an harte Arbeit, die ihnen aber Lust und nicht Last war.«[907] Damals habe man noch wie in Afrika Häuser aus Lehm und Stroh gehabt, die in Dörfern gestanden hätten, deren Mittelpunkt durch eine Linde markiert gewesen sei. Dagegen habe es gefräßige, stinkende und überbevölkerte Großstädte wie im gegenwärtigen Deutschland noch nicht gegeben. In diesen und vielen hundert anderen wissenschaftlichen Abhandlungen, Romanen und Artikeln erschien Afrika als Raum jenseits der Moderne. Dieses Bild kann auf eine spätestens mit der Aufklärung einsetzende lange Tradition zurückblicken, die dadurch, dass in Berlin entscheidende Seiten des Skandals kein Echo fanden, aufgerufen und vielleicht verstärkt wurde. Hier kann gar von einem gewissen common sense gesprochen werden, der nicht nur im Kaiserreich, sondern in Europa herrschte. Umstrittener war dagegen, wie mit diesem Mangel an Moderne umzugehen sei: Sollte man ihn positiv oder negativ bewerten? Sollte der Kontinent modernisiert werden, oder galt es, Afrika auch als ein Refugium vor der Moderne zu begreifen, das man bewahren musste? Beide Positionen gab es im Kaiserreich, und beide fanden in der Berichterstattung über den Skandal von Atakpame Nahrung. Sie wurden häufig offenbar nicht als widersprüchlich wahrgenommen.[908]

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Die Vorstellung, Afrika bedürfe der Moderne, lässt sich etwa in den Aspekten des Skandals finden, die sich mit Fragen der Wirtschaft beschäftigten: So war der koloniale Diskurs bezüglich der großen Baumwollprojekte, aber auch das Programm »Erziehung zur Arbeit« davon ausgegangen, dass Moderne und damit Zivilisation in die afrikanischen Kolonien gebracht werden müssten, um die Grausamkeiten des Aberglaubens und die vielen anderen Exzesse der Unzivilisiertheit ein für alle Mal auszumerzen. Insbesondere die kolonialwirtschaftspolitischen Debatten strotzten nur so von der Vorstellung, Europa habe eine vitale Modernität zu bieten, die das Allheilmittel für den eigenen ökonomischen Fortschritt wie für den aller anderen Kontinente sei. Müssten in Afrika nicht erst noch die Errungenschaften einer »rationalen Landwirtschaft« verbreitet werden, da die »Kulturmethoden unserer Eingeborenen noch überaus primitive sind«, wie Bernhard Dernburg fragte?[909] Sei nicht gerade auch die Mission dort, um die Irrationalität des Aberglaubens und damit Fetischismus und Polygamie ein für alle Mal zu verbannen? Und doch, so offen diese Visionen von einem Afrika, das aus seinem Zustand der Unzivilisiertheit befreit werden müsse, von Geo Schmidt bis Franz Müller propagiert wurden, zeitgleich gab es auch die entgegengesetzte Perspektive: Afrika als Refugium vor der Moderne, das gerettet und erhalten werden müsse. Auch diese Vorstellung entstand freilich nicht erst im Atakpame-Skandal, sondern war bereits im 19. Jahrhundert eine verbreitete Denkfigur. Genauso wie die sich zeitgleich im Kaiserreich formierende Naturschutzbewegung einen vermeintlich urdeutschen Wald

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vor den Zumutungen der Industrialisierung retten wollte, mutierte Afrika in vielen modernisierungskritischen Debatten zu einem Raum, den es vor beschleunigtem Wandel und den zwangsläufig mit der Moderne einhergehenden Degenerationserscheinungen zu schützen galt. Führende Ethnologen wie Felix Luschan gingen von einem Afrika der untergehenden Völker aus, die man retten müsse. Der regelrechte Sammelhype in Bezug auf außereuropäische Gegenstände, der viele vom Museumsexperten bis zum Liebhaber erfasste, erklärt sich auch aus dieser Vorstellung, die Moderne drohe Afrika zu zerstören und man befinde sich in den letzten Momenten eines Zeitalters, aus dem einige wenige Gegenstände noch gerettet werden könnten. Unter jenen, die diese zivilisations- und modernekritische Deutung teilten, nahmen Missionare einen privilegierten Platz ein.[910] Nicht zuletzt trug die Mission durch ihre Narrative vom »Afrikaner«, dessen Kultur spezifisch abergläubisch, naturverbunden und durch ganzheitliches Denken charakterisiert sei, nicht nur zur Vorstellung eines Raums jenseits der Moderne bei. Sie suggerierte auch, dass man diesen Raum mitsamt seinen »Heiden« retten müsse – und zwar zunächst vor der Dunkelheit des Heidentums. Mit diesem Rettungsmotiv schloss die Mission nahtlos an christliche Denkfiguren von Seelen an, die zu retten seien. Gleichzeitig reklamierte die Mission für sich selbst die Rolle der Retterin. Überdies verstanden sich manche Missionare als »Sachverwalter eines alternativen Zugangs zur Moderne«,[911] als besonders engagierte Vertreter der Vorstellung, Afrika müsse geschützt, ja bewahrt werden, und zwar nicht nur vor Sklavenhändlern. Auch allzu zerstörerische Formen des

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Säkularen – hier konnte man an die zeitgenössischen Debatten über ein zunehmend gottloseres Europa anknüpfen –, wozu neben dem Branntwein letztlich auch die sexlüsternen und gewaltbereiten Kolonialbeamten gehörten, sollten von Afrika ferngehalten werden.[912] Die »Rettung« sei eine genuine Aufgabe der Mission, erklärte der Bremer Kaufmann Vietor, da sie allein »nach Art der alten Kirche«, in der noch »christliche Sitte, Zucht, Ordnung und Fortschritt« herrschten, die Menschen vor der Moderne bewahren könne.[913] In Atakpame schien das Refugium allerdings weniger durch Industrialisierung oder die zersetzenden Elemente der neuen Großstädte bedroht als durch das Fehlverhalten einzelner Beamter. Deshalb – so die Berichte, die eher aus Zentrumskreisen kamen – müsse man gegen Geo Schmidt vorgehen. Damit allerdings kam ein entscheidendes neues Moment in die Debatte über Afrika als Refugium vor der Moderne. Nun traten die Europäer nicht – wie es etwa in Frieda von Bülows Romanen und vielen klassischen Kolonialnarrativen üblich war – in der Rolle derjenigen auf, die in Afrika Zuflucht vor den degenerierenden Gefahren der Moderne fanden, dort ihre Männlichkeitsrituale pflegten (etwa die Jagd) und sich in ihrem Deutschtum bewähren konnten. Im Gegenteil, in der Debatte um Atakpame waren europäische Kolonialbeamte selbst zur Bedrohung des Refugiums geworden. Mit ihrer ans Krankhafte grenzenden Gewalttätigkeit malträtierten sie Frauen und »arme Eingeborene« und wurden zur Gefahr für den gesamten Raum. Mit diesem Blick kam in der Tat ein neuer Ton in die Debatte. Dieser Ton, der bei dem eben erwähnten Vietor anklingt und Anleihen bei Agrarromantik und Lebensreform nimmt, hebt

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die Rolle der Mission als Retterin Afrikas erneut hervor. Schon in der 1896 geführten Reichstagsdebatte zum Fall Peters wurde die Frage gestellt: »Wie können Eingeborene vor Kolonialoffizieren geschützt werden?«[914] Es gab auch einige weniger bekannte Kolonialschriftstellerinnen, wie etwa Hanna Christaller, die das Motiv des Beschützens vor den Vertretern der Kolonialmacht aufnahmen. Christaller, die in Togo gelebt hatte, schildert die an Krankheiten der Moderne leidenden Kolonialbeamten, die sich mit »kolonialer Neurasthenie« herumplagen müssten und ihrer Triebe so wenig Herr werden könnten, dass man die afrikanische Bevölkerung und die afrikanische Natur unbedingt vor ihnen schützen müsse.[915] Dem Atakpame-Skandal freilich kommt bei der Popularisierung dieser Vorstellung – aufgrund seiner Prominenz und der starken Beeinflussung der Berichterstattung durch die Mission – eine besondere Bedeutung zu.

Ähnliche Bilder von Afrika, die politisch jedoch in eine andere Richtung zielten, wurden auch weitab von Bremens Handelskontoren, wo Vietor seit dem Verlust der Kolonie Togo agierte, und jenseits missionarischer Kreise heraufbeschworen. Etwa an der Goldküste in Cape Coast, wo Casely Hayford nicht nur zahlreiche Artikel im Gold Coast Leader veröffentlichte, sondern eine Reihe von Büchern publizierte. Eines davon, erschienen 1903 unter dem Titel »Gold Coast Native Institutions«,[916] erinnert in vielem an die zeitgleich in Berlin unternommenen Sammlungen zum »Eingeborenenrecht«. Der leitende Gedanke war den Vorstellungen der Juristen des Kaiserreichs, die sich als erste

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Rechtsethnologen profilierten, sehr ähnlich. Man solle – so Casely Hayford – die »Sitten und Gebräuche« Afrikas sammeln und zu erhalten versuchen, weil es erstrebenswert sei, dass »die gebildeten Einwohner (…) sich auf die Zeit der Alten zurückbesinnen und einige Lektionen in der Kunst und Anmut der ebenso einfachen wie eleganten Kleidung ihrer Vorfahren nehmen«.[917] Edward Wilmot Blyden, einer der zentralen Vordenker des Panafrikanismus, dessen Buch »African Life and Customs« von Casely Hayford ausgiebig zitiert wurde, formulierte diese und ähnliche Vorstellungen lange vor Vietor. Er entwarf bereits 1908 ein Bild von Afrika als »rein und einfach, das sogenannte Heiden-Afrika«, das noch unberührt von Europäern und Asiaten sei. Dieses Bild kam in vielem dem von Vietor und anderen Autoren propagierten Ideal sehr nahe, ebenso wie den Überlegungen zur Baumwollvolkskultur. Blydens Vorstellung von Afrika enthielt alle Kennzeichen eines Refugiums vor der Moderne: ein Raum, in dem es nur Gemeinschaftsrechte und keine individuellen Eigentumsrechte gibt, wo das soziale Leben auf einer kooperativen Gemeinschaft basiert, die Familie die zentrale Einheit bildet und Stämme nach eigenen Gesetzen leben, ohne dafür eine Polizei oder gar Soldaten zu benötigen. [918] Auch Blyden rief zur Rettung Afrikas auf. Allerdings geht die Bedrohung bei ihm nicht nur von einigen gewaltbereiten Kolonialbeamten, sondern von ganz Europa und seinem kolonialen System aus.[919]

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Schluss »Ignorance was not a blank space but a construction in itself, which took discursive work to achieve. Such work arguably made it possible for the British to believe in an empire quite distinct from the one that their colonial subjects knew through direct experience.« Nicholas Owen[920]

Major Thomas Leslie O’Reilly hoffte mit der Herausgabe des Blue Book, in dem die Gräueltaten in Deutsch-Südwest dokumentiert wurden, dass diese und ähnliche koloniale Gewaltakte international geächtet und dann ein für alle Mal verschwinden würden. Für ihn erfüllte sich diese Hoffnung schon deshalb nicht, weil sein Blue Book bereits wenige Jahre nach Erscheinen auf Ersuchen der Briten aus allen Bibliotheken entfernt und schließlich vernichtet wurde. Man fürchtete, die Gewaltgeschichten aus Deutsch-Südwestafrika könnten auch ungewollte Analogieschlüsse auf eigene, das heißt britische Formen kolonialer Herrschaft nahelegen. Die Hoffnungen Erzbergers und Bebels, mit ihren rhetorischen Attacken die Verhältnisse in den Kolonien verbessern zu können, erfüllten sich ebenso wenig, da auch nach 1906 Kolonialbeamte wie Geo Schmidt nicht die Ausnahme, sondern den Regelfall darstellten. Geo Schmidt jedenfalls blieb sich treu. Im weiteren Verlauf seines Lebens lassen sich keinerlei Anzeichen für eine veränderte Haltung zu den kolonialen Gewaltstrukturen finden. Er hatte Togo zwar nach den Reichstagsdebatten vom Dezember 1906 verlassen müssen, fand aber schnell wieder eine neue Anstellung im

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Kolonialdienst, zunächst in Kamerun und später in DeutschOstafrika. Dort blieb er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs mitsamt seiner Familie. 1918 wurde er als Landrat zum Wirtschaftsstab nach Rumänien berufen. Danach kam er mit Frau und drei Kindern in der deutschen Gesandtschaft von Mexiko als Einwanderungssachverständiger unter.[921] Dort scheint er sich aber, unter anderem weil Zweifel an seiner Treue zur Verfassung der Weimarer Republik aufkamen, einige Feinde gemacht zu haben.[922] Nicht nur seine Teilnahme an einer Gedenkfeier in Mexiko für Kaiser Wilhelm II. spricht dafür, dass er »national gesinnt« war, wie er selber schrieb.[923] So wollte er etwa auf Anfrage des deutschen Generalkonsuls von Chicago 1922 in die Südstaaten der USA reisen, um dort zu erkunden, ob eine deutsche Auswanderung in die USA befördert werden sollte. Der Hintergrund für diese Überlegungen war die Nachfrage einiger Großgrundbesitzer aus den amerikanischen Südstaaten, die beklagten, dass die schwarze Bevölkerung das Land in Richtung der Großstädte verlasse und deshalb viel Ackerland brachliege. Er war der Ansicht, es biete sich an, dort deutsche Bauern anzusiedeln, die dann die Arbeit übernehmen würden, welche die Afroamerikaner nicht mehr ausführen wollten. Allerdings müssten diese Überlegungen Geo Schmidt selbst eigentümlich erschienen sein, waren doch kaum 20 Jahre zuvor Baumwollspezialisten schwarzer Hautfarbe just aus diesem Süden nach Togo beordert worden, um dort der lokalen Bevölkerung die rationale Ackerwirtschaft beizubringen und damit die deutsche Wirtschaft anzukurbeln. Geo Schmidts Überzeugungen hatten sich also durch die Skandalisierungen der Ereignisse von Atakpame kaum

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verändert, doch die deutsche Verwaltung tat sich nach dem Verlust der Kolonien schwerer mit solchen Charakteren, die ihren kolonialen Habitus den neuen Verhältnissen nicht anpassen konnten. 1925, nachdem das Auswärtige Amt ihn wieder nach Berlin zurückgerufen hatte, erhielt Schmidt noch einen Sonderauftrag für die Türkei, um dort auf landwirtschaftlichem Gebiet unterstützend tätig zu werden.[924] Daraus entwickelte sich freilich keine längerfristige Anstellung mehr. Im Gegenteil, im Auswärtigen Amt nahmen die Klagen über Schmidt, der sich zusehends in einen Querulanten zu verwandeln schien, immer mehr zu. So ließ er wirklich nichts unversucht, um eine neue Stellung zu erhalten, ja drohte damit, »öffentliches Aufsehen« zu erregen. Und doch wurde er schließlich unehrenhaft aus dem Dienst des Auswärtigen Amtes entlassen.[925] Er selber glaubte, dass es böswillige Interventionen vonseiten der SPD und des Zentrums im Auswärtigen Amt gegeben habe, die eine weitere Beschäftigung verhindert hätten. Seine Personalakte im Auswärtigen Amt enthält keinerlei Hinweise auf derlei Interventionen. Was sie jedoch enthält, ist ein Briefwechsel mit einem gewissen Prof. Dr. Roemer vom Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung der Universität HalleSaale, der in Deutsch-Ostafrika mit Schmidt zusammengearbeitet hatte.[926] Aus diesem geht hervor, dass die Universität Halle-Saale 1938 plante, Geo Schmidt zum Ehrendoktor zu promovieren.[927]

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Abb. 10

Ausschnitt aus der von Geo Schmidt im Auftrag des

Kolonialwirtschaftlichen Komitees 1941 publizierten »Wirtschaftskarte« Afrikas

Er hatte auch andere Unterstützer, etwa solche aus dem Umfeld des Kolonialwirtschaftlichen Komitees, mit dem er ja in Atakpame schon zusammengearbeitet hatte. Noch in den zwanziger Jahren übernahm er schließlich die Schriftführung des KWK und publizierte einige landwirtschaftliche Artikel. Auch in anderen kolonialen Kreisen blieb er gefragt. So hielt er vor dem Deutschen Frauenkolonialbund, Sektion Berlin, in den 1920er Jahren einen Vortrag. Zudem intervenierte eine ganze Reihe ehemaliger Reichstagsabgeordneter direkt beim Auswärtigen Amt, um Schmidt zu unterstützen. Besonders aktiv waren Vertreter der Wirtschaft, vor allem die Herren aus dem KWK, die das Togoer Baumwollprojekt so energisch vorangetrieben hatten. Sie wurden nicht müde, ihn als exzellenten Landwirtschaftsexperten zu preisen.[928] Er selbst schlug sich als Konsul von Monrovia vor, was aus vermeintlich formalrechtlichen Gründen abgelehnt wurde.

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Schmidt behielt also, obschon gebrandmarkt durch seine Rolle im Atakpame-Skandal, seinen kolonialen Habitus unverändert bei, ein Habitus, der ebenso in England, Frankreich und Belgien lange fortlebte, deren Kolonien nicht mit dem Ersten, sondern in der Regel erst Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg verlorengingen. Noch in den 1960er Jahren konnte man in der Bundesrepublik gezielt Medienskandale auslösen, wenn man diesen kolonialen Habitus kritisch hinterfragte, wie die harschen Reaktionen auf die 1966 ausgestrahlte Sendung »Heia Safari – die Legende von der deutschen Kolonialidylle« belegen, in der dieses »letzte große Tabu unserer jüngeren Geschichte« – so die Einschätzung von Ralph Giordano, dem Autor dieses Dokumentarfilms – thematisiert wurde. [929]

Skandalisierungen wie jene, die im Reichstag 1906 begannen, haben die Zustände in den Kolonien trotz lauter Kritik kaum verbessert, sie trugen paradoxerweise eher zu einer Stärkung des Kolonialismus bei. Sie erzeugten in der Öffentlichkeit den Eindruck, bei den angeprangerten Vorkommnissen handele es sich um vereinzelte Übergriffe oder Verfehlungen einiger Kolonialbeamter und nicht um Praktiken, die strukturell zum Alltag in den Kolonien gehören. Auf diese Weise wurde das wahre Gesicht des Kolonialismus mit all seinen strukturellen Widersprüchen zum Verschwinden gebracht. Diese Mechanismen des beredten Schweigens qua Skandalisierung, wie ich sie hier für das letzte Jahrhundert am Beispiel des deutschen Falls Atakpame beschrieben habe, lassen sich auch noch heute so oder ähnlich beobachten.[930]

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Heute mag zwar eine vermeintlich umfassende globale Vernetzung alles mit jedem schneller als je zuvor verbinden, doch nach wie vor können Schweigen und Nicht-Wissen bei der Nachrichtenvermittlung eine beachtliche Rolle spielen. Die Gründe für ein solches Schweigen sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Offensichtlich und geradezu banal ist, dass manche Regionen vernetzter sind als andere und dass einige sogar fast vollkommen aus nahezu allen Netzen herausfallen. Denn trotz der Erfindung von Telegraph, Telefon und Internet, mit denen sich mediale Logiken grundsätzlich verändert haben, fehlen in einigen Gebieten immer noch Techniken der Übermittlung oder sind nur mangelhaft vorhanden. Überdies gibt es politische, ökonomische, kulturelle, aber auch religiöse Strukturen, die Verbindungen etwa zwischen Nordkorea und den USA und selbst zwischen Niederbayern und Ostfriesland behindern und einschränken, so dass nur wenig Kommunikation stattfindet. Hier kann man von sehr ungleichen Aufmerksamkeitsökonomien sprechen. Auch beeinflussen nach wie vor intermediaries ganz erheblich, welche Informationen zirkulieren, selbst wenn sie heute nicht mehr Roeren oder Kukowina heißen, sondern häufig in Gestalt internationaler Organisationen wie der UNO oder der zahlreichen NGOs auftreten, oder auch in Form internationaler Konzerne wie Google. Manchmal sind diese Organisationen und Unternehmen wahre gate keepers, die dafür sorgen, dass eine Vielzahl an Informationen weggelassen und verschwiegen wird. Mitunter gelingt es ihnen sogar, die Medien regelrecht zu manipulieren.[931] Diese Gründe, die zwar auf der Hand liegen, doch häufig aufgrund allzu holzschnittartiger und fortschrittsoptimistischer

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Globalisierungsvorstellungen übersehen werden, können helfen zu erklären, warum über ein bestimmtes Ereignis gar nicht oder nur sehr beiläufig und ausschnitthaft berichtet wird. Warum allerdings mitunter über ein bestimmtes Ereignis ein schier endloses Gerede in den immer gleichen Talkshows, in sozialen und in Printmedien angestimmt wird, bei dem es häufig zu einander überbietenden Empörungskaskaden kommt – wobei gerade durch die Wiederholung der nur wenig variierenden Endlosschleifen auch vieles zum Verschwinden gebracht wird –, erklärt der Hinweis auf mangelnde Informationsnetze nicht. Auch heute hängt mediales Schweigen mit davon ab, ob das Selbstverständnis einer Gesellschaft nur mittels Schweigen oder Nicht-Wissen aufrechterhalten werden kann. Und ähnlich wie im Reichstag 1906 ist die aktuelle, wahrscheinlich in vielen Regionen am stärksten verbreitete Form des Schweigens die Kehrseite aufgeregter Skandalisierung. Auch heute wird dabei häufig ein Geschehen skandalisiert, das weit entfernt stattgefunden hat und trotzdem durch die Art und Weise, wie es präsentiert wird, vor allem aber durch das, was nicht erzählt wird, große moralische Empörung hervorruft. Mehr noch: Gerade die erregten Debatten von Ereignissen, zu denen immer mehr Informationspartikel medial aufbereitet werden, weil sie (durchaus zu Recht, denn es geht dabei meist um besonders gewalttätige Vorgänge) erhebliche moralische Empörung hervorrufen, entpuppen sich bei näherem Hinsehen häufig als kaum mehr denn beredtes Schweigen. Ein beredtes Schweigen, das deswegen so laut ist, weil der Konsens unter anderem bezüglich der Modernität der eigenen Gesellschaft in Gefahr ist – auch dies ist im Übrigen eine unübersehbare

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Kontinuität zur Gesellschaft des Kaiserreichs. Das beredte Schweigen resultiert also nicht daraus, dass es keine Informationen über die Hintergründe und Zusammenhänge des Geschehens gäbe. Vielmehr gibt das Selbstverständnis einer Gesellschaft, das elementar für deren ethischen, moralischen und emotionalen Haushalt ist, den Ausschlag dafür, was von allen gewusst wird, aber wissentlich nicht gewusst wird.[932] Dieser Konsens ist in europäischen Gesellschaften nach wie vor voller kolonialer Echos:[933] So definiert sich das, was modern und folglich europäisch ist, nach wie vor auch in Auseinandersetzung mit und in Abgrenzung zu anderen Teilen der Welt. Sie werden zwar gewiss nicht mehr durch die Brille der Geo Schmidts des Kaiserreichs gesehen, aber häufig doch als Räume begriffen, die sich im Stadium des Noch-nichterreicht-Habens befinden. Erinnert sei nur an den Skandal, den die Bilder von Abu Ghuraib auslösten, auf denen amerikanische Soldaten zu sehen waren, die irakische Gefangene misshandelten. Dieser Skandal verlief nach ähnlichen – wenn auch aufgrund der veränderten Medienlandschaft und der anderen, eben postkolonialen politischen Situation keineswegs identischen – Mechanismen: Im Mediengetöse wurde vieles zum Verschwinden gebracht. Kaum waren die Bilder von amerikanischen Fernsehsendern aufgegriffen worden, wurde das Gesehene als moralisch hoch verwerfliche Ausnahme so lautstark gebrandmarkt, dass die Hintergründe über den Zusammenhang von westlicher Gewalt in außereuropäischen Regionen, kolonialem Erbe, privaten Gefängnisunternehmen, lokalen Abhängigkeiten und Mimikry eher verdunkelt als erhellt wurden.

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Anhang Dank

Das Buch basiert auf dem Material verschiedener Archive, besonders dankbar bin ich den Mitarbeitern der Archives Nationales Togo wie dem Direktor des Archivs Mabouley Coulibaley sowie Kokou Azamede und Gilbert Dotse Yigbe (Lome) für ihre Hinweise. Unermüdlich war auch die Unterstützung, die ich durch Pater Herbert Scholz in Rom im Archiv des Steyler Generalats erhielt. Die Großzügigkeit, mit der mir hier das Quellenmaterial zur Verfügung gestellt wurde und gleichzeitig für das leibliche Wohl Sorge getragen wurde, habe ich sehr geschätzt. Ebenso hilfreich waren die Mitarbeiter der British Library in London, das Berliner und Bremer Staatsarchiv wie das Archiv des Auswärtigen Amts. Mehr als großzügig und hilfsbereit war der beste Kenner der Togoer Kolonialgeschichte, Peter Sebald, der mir nicht nur wertvolle Tipps gab, sondern zahlreiche Archivtranskriptionen zur Verfügung stellte. Für die Finanzierung verschiedener Archivreisen bin ich der Thyssen Stiftung zu großem Dank verpflichtet. Das wahrscheinlich wertvollste Geschenk erhielt ich durch die Einladung als Richard-von-Weizsäcker-Professorin an das St. Anthony College, Oxford: Hier hatte ich endlich die Zeit, mich intensiv ein fast allerletztes Mal mit dem gesamten

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Quellenmaterial zu beschäftigen. Im European Studies Center konnte ich mit einem unvergesslichen Blick auf eine Steinmauer, wie es sie nur in englischen Gärten gibt, ein ganzes akademisches Jahr forschen. Dafür und für die Kolleginnen und Kollegen, die ich dort kennenlernen konnte und die mir einiges über koloniale Echos beibrachten, aber auch über den englischen Kolonialismus und über die afrikanische Geschichte, bin ich dankbar – hier bin ich zu ganz besonderem Dank Nicholas Owen verpflichtet, der mich großzügig an seinen Arbeiten zu Indien teilhaben ließ, und natürlich Dorian Singh, Kalypso Nicolaidis und Paul Betts, ebenso wie Jennifer Jenkins für ihren Hinweis auf das Auswärtige Amt.

Dann hatte ich die Gelegenheit, mehr oder minder unfertige Teile des Buches vorzustellen – viele habe ich mit meinen unausgereiften Überlegungen zum silencing traktiert. Ulrike Strassers und Frank Bliess’ freundliche und doch deutliche Kommentare in San Diego, skeptische Nachfragen von Hubertus Büschel in Gießen, irritierte Blicke von Bettina Brockmeyer in Bielefeld, Neugier von Elke Schmitter nicht nur in Potsdam, sondern zu vielen anderen Gelegenheiten; immer freundliche, aber doch kritische Nachfragen von Renate Dürr (Tübingen) und engagierte Debatten in Oxford; viele Hinweise zu den Missionaren von Katharina Stornig (Mainz), Felicity Jensz (Münster), Patrick Harries (Basel), Claire Maclisky (Kopenhagen) haben mir weitergeholfen. Harald Fischer-Tinné (Zürich) und Yochi Fischer (Jerusalem) haben mich noch einmal auf globalere Dimensionen verwiesen; ein unbekannter Herr in Washington hat, wenn auch vielleicht

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ungewollt, mir die moralische Dimension des Themas noch einmal deutlich gemacht. Besonders viel verdanke ich Richard Hölzl (Göttingen): Von den zahlreichen Hinweisen, die manchmal ganz nebenbei abgefallen sind, und schließlich von der intensiven Lektüre des gesamten Manuskripts habe ich enorm profitiert. Karolin Wetjen (Göttingen) hat ebenfalls manches zurechtgerückt und sehr vieles, was schier unauffindbar war, gefunden – und noch mehr immer wieder korrigiert. Regina Bendix (Göttingen), Hartmut Bleumer (Göttingen) und Wolfgang Knöbl (Hamburg) bin ich für viel zu viel Prosecco, wichtige Einsichten in das Campusleben und manch anderes dankbar. Mette Bartels, Annika Dörner, Svenja von Jan, Leonard Link, Tobias Liersch, Victoria Morick, Tobias Mertke, Lisa Schneider und immer wieder Karolin Wetjen haben lange mit wiederholten Lektüren, zahlreichen Transkriptionen und Auswertungen verbringen und sich mit einer immer wieder neuen Chaotisierung von meiner Seite beschäftigen müssen. Ohne sie wäre vieles immer noch Rohfassung. Sandra Kirchner war mehr als hilfreich, nicht nur durch das Anmieten von Wohnungen. Maria Rhodes (Göttingen) Lauftempo hat sich in den Jahren zwar merklich gedrosselt, ihre Bereitschaft, sich unendlich vieles, darunter manch Wirres, anzuhören jedoch nicht, dafür und für einiges mehr bin ich sehr dankbar. Tanja Hommen danke ich dafür, dass sie das Manuskript so intensiv und umsichtig betreut hat. Adalbert Hepp hat professionell gewirkt und mit mir togolesische Archive, Oxfords Flut wie die Untiefen

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Birminghams entdeckt und am Ende – häufig vergeblich – mehr Verständlichkeit angemahnt. Antonie hat mich nicht nur nach Rom begleitet, Übersetzungen korrigiert und mir gezeigt, wie man Archivalien fotografiert, sondern mir auch klargemacht, dass Geschichten überraschend ausgehen können. Das beharrliche Insistieren meiner Mutter auf vermeintlich weniger wichtigen Geschichten trug viel dazu bei, die Ereignisse von Atakpame verstehen zu wollen. Ihr sei das Buch zugeeignet.

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Abkürzungen

ABT Abteilung AG SVD Archiv Generalat Societas Verbi Divini, Rom ANT Archives Nationales du Togo BArch Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde DKB Deutsches Kolonialblatt DKZ Deutsche Kolonialzeitung DOA Deutsch-Ostafrika DSW Deutsch-Südwest DTG Deutsche Togo Gesellschaft GCL Gold Coast Leader KUH Kolonie und Heimat MNDMG Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft NM Norddeutsche Mission SHJB Steyler Herz-Jesu-Bote SMB Steyler Missionsbote KWK Bericht des Kolonialwirtschaftlichen Komitees NM Norddeutsche Mission PA AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin

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RT Reichstagsprotokolle StAB Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen SVD Briefe von Arnold Jansen in der Transkription von Franz Bosold im AG SVD TCS Togo Collection Sebald (TCS) Katholische Mission TCS, Die katholische Mission in Togo 1892–1913, Personalia

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Quellen

Archive und Bibliotheken Archiv Generalat Societas Verbi Divini, Rom (AG SVD) Korrespondenz Arnold Jansen SVD Mission in Togo Subfolder 42337–42521 Subfolder 42619–42652 Subfolder 42653–42672 Subfolder 43132 Subfolder 43134–43160 Subfolder 43278 Pater Müller an Gouvernement 28.1.1904 Subfolder 43590–43651 Subfolder 44065–44101 Subfolder 44281–44331 Subfolder 44947–45070 Subfolder 45071–45084 Folder 45533–4 Archives Nationales du Togo, Lome (ANT)

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Fonds Allemands FA1/261, 282, 299 FA2/107, 109, 126, 127, 128, 195, 196, 261, FA3/1008, 1089, 1179, 1224 Archives Nationales du Togo, Lome Togo Collection Sebald[1] (TCS) ANT, FA3/1088, 1099, 1110, 1111, 1113, 1120, 1121, 1129, 1174, 1175, 1179, 1224, 1225 Bundesarchiv, Berlin Lichterfelde (BArch) Reichskolonialamt R1001/3915, 3916, 3917, 3918, 3919 R43/945 Pressearchiv des Reichslandbundes R 8034 II Hauptstaatsarchiv Bremen Depositium Norddeutsche Mission Politisches Archiv des Auswärtiges Amtes, Berlin (PA AA) Personalia Nr. 671 Personalakte Nr. 103455 Geo Schmidt British Library, London

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Gold Coast Leader

Gedruckte Quellen Reichstagsprotokolle 1880–1994 www.reichstagsprotokolle.de Zeitungen Allgemeine Evg.-luth. Kirchenzeitung 1907 Anthropos 1906 Berliner Lokalanzeiger 1907 Berliner Tageblatt 1906–1907 Der Deutsche Kulturpionier 1902 Der Tropenpflanzer 1901–1904 Deutsche Allgemeine Zeitung 1907 Deutsche Kolonial Zeitung 1900–1907 Deutsche Tageszeitung 1906, 1911–1912 Deutsches Kolonialblatt 1905–1907 Die Post 1906 Evangelisches Missionsmagazin 1901 Freie Presse 1906 Germania 1906 Gold Coast Leader 1911–1914 Göttinger Deutscher Bote 1906

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Göttinger Tageblatt 1906–1907 Göttinger Zeitung 1906 Kölner Volkszeitung 1906–1907 Kolonialpolitischer Führer 1907 Kolonie und Heimat 1909–1910, 1912/13 Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft 1902–1903, 1907 Münchner Post 1906 Münchner Volkskurier 1906 Nationalzeitung 1916 Neue Freie Presse 1906 Norddeutsche Allgemeine Zeitung 1907 Reichsblatt 1909 Staatsanzeiger 1907 Steyler Herz-Jesu Bote 1901–1902 Steyler Missionsbote 1902–1909 Tägliche Rundschau 1910 Vorwärts 1906–1907 Vossische Zeitung 1906–1907 Weser Zeitung 1906 Westfälische Zeitung 1906 Zeitschriftenartikel und Bücher

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Anonym: Bericht an die Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amtes über Maßnahmen zur Bekämpfung der Viehsterbe, in: Baumwoll-Expedition nach Togo. Bericht 1901. Beihefte zum Tropenpflanzer (1902), S. 89–92. Anonym: Bericht des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees, in: Baumwoll-Expedition nach Togo. Bericht 1901. Beihefte zum Tropenpflanzer (1902), S. 39–45. Anonym: Bericht des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees, in: Bericht II. Deutsch-Koloniale Baumwollunternehmungen 1902/03. Beihefte zum Tropenpflanzer (1903), S. 81–89. Anonym: Die Landesgesetzgebung des Schutzgebietes Togo. Geordnete Zusammenstellung der in Togo geltenden Gesetze, Verordnungen, Verfügungen, Erlasse und Bekanntmachungen einschliesslich der wichtigeren öffentlichrechtlichen Verträge und der Satzungen der in Togo tätigen Kolonialgesellschaften, Berlin 1910. Anonym: Jahrbuch Deutscher Schutzgebiete, Berlin 1906–07. Anonym: Jahresbericht über die Entwicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1903/04, in: Beilage zum Deutschen Kolonialblatt (1905). Anonym: Jahresbericht über die Entwicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im

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Jahre 1904/1905, in: Beilage zum Deutschen Kolonialblatt (1906). Anonym: Jahresbericht über die Entwicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1905/1906, in: Beilage zum Deutschen Kolonialblatt (1907). Anonym: Protokoll der Baumwoll-Konferenz vom 31. März 1903 in Tafie, in: Bericht II. Deutschkoloniale Baumwoll-Unternehmungen 1902/03. Beihefte zum Tropenpflanzer (1903), S. 135–137. Anonym: Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschland, abgehalten in Jena vom 10. bis 16. September 1911, Berlin 1911. Asmis, Rudolf: Zur Kodifikation des Eingeborenenstrafrechts, in: Amtsblatt für das Schutzgebiet Togo 2 (1907), S. 107–111, S. 204–205. –: Die Stammesrechte des Bezirks Atakpame (Schutzgebiet Togo), in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 25 (1911), S. 67–130. –: Kalamba na m’putu. Koloniale Erfahrungen und Beobachtungen, Berlin 1942. Axenfeld, Karl: Die Stellung der evangelischen Mission zur Polygamie in Afrika. Leitsätze für die vertrauliche Besprechung 1909 in Halle a.d. Saale, o.O. 1909. Baeta, Robert: Pastor Andreas Aku. Präses der Ewe Kirche. 50 Jahre Missionsdienst, Bremen 1934.

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–: Baumwollfragen. Vortrag gehalten auf Veranlassung des Deutschen Handelstages am 14. April 1910, Berlin 1910. –: Die Wahrheit über die Deutschen Kolonien. Glänzende Rechtfertigung der Kolonialpolitik des Zentrums durch Staatssekretär Bernhard Dernburg, Berlin 1908. Erzberger, Matthias: Warum ist der Reichstag aufgelöst worden? Ein offenes Wort an die Wählerschaft, Berlin 1906a. –: Die Kolonial-Bilanz. Bilder aus der deutschen Kolonialpolitik auf Grund der Verhandlungen des Reichstags im Sessionsabschnitt 1905/06, Berlin 1906b. –: Die Zentrumspolitik im Reichstage mit besonderer Berücksichtigung der Kolonialpolitik. Eine Übersicht über die Tätigkeit der Zentrumsfraktion in der 11. Legislatur-Periode vom 3. Dez. 1903 bis 13. Dez. 1905, Berlin 1907a. –: Bilder aus dem Reichstagswahlkampf 1907. Die Agitation der Zentrumsgegner beleuchtet nach deren Wahlschriften, Berlin 1907b. –: Kolonial-Berufe, Berlin 1912. Fabarius, Ernst Albert: Die Vorbildung der Kolonialbeamten und die Deutsche Kolonialschule, in: Der deutsche Kulturpionier. Nachrichten aus der deutschen Kolonialschule Wilhelmshof 3 (1903), S. 49–58.

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Abteilung III Afrikanische Studien, Berlin 1905, S. 251–286. –: Ein Beitrag zur Kenntnis der Akasele (Tsambá-)Sprache, in: Anthropos 1 (1906a), S. 787– 803. –: Die Religionen Togos in Einzeldarstellungen. I. Die Verehrung des höchsten Wesens (Bukú) in Atakpame, in: Anthropos 1 (1906b), S. 509–520. –: Die Religionen Togos in Einzeldarstellungen. II. Die Verehrung des Uwolowu bei den Akposo, in: Anthropos 2 (1907), S. 201–210. –: Die Religionen Togos in Einzeldarstellungen. III. Miscellanea über die Verehrung eines höchsten Wesens bei einigen Stämmen Togos, in: Anthropos 3 (1908), S. 272–279. – : Etnografica de Los Guarni del Altoparana, Societas Verbi Divini, Rom 1989. Müller, Gustav: Die Gefährdung Togos und Kameruns durch den Branntweinhandel, in: Die deutschen Kolonien. Monatsschrift für die sittliche und soziale Hebung der Eingeborenen in den Schutzgebieten 2 (1903), S. 65–70. Naendrup, Hubert: Entwicklung und Ziele des Kolonialrechts. Vortrag gehalten auf der Görres Versammlung in Paderborn am 25. September 1907, Münster 1907. Neunobel, Georg Heinrich: Die evangelischen Erziehungsvereine (E.V.V.). Werden und Probleme,

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–: Die Kultur des Tees in Indien, in: Der Tropenpflanzer. Zeitschrift für Tropische Landwirtschaft 7 (1903a), S. 530–544. –: Baumwoll-Expedition nach Togo, in: Verhandlungen des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees 1903. Beihefte zum Tropenpflanzer (1903b), S. 12–16. –: Wirtschaftliche Unternehmungen. BaumwollUnternehmen Togo, in: Jahresbericht 1902/03 des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees E.V. Beihefte zum Tropenpflanzer (1903), S. 9–17. –: Schmidt gegen Roeren. Unter dem kaudinischen Joch. Ein Kampf um Recht und Ehre, Berlin 1907. –: Deutsche Siedlungen in Uebersee in Vergangenheit und Gegenwart, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1924, Berlin 1924, S. 387–401. –: Die Geschichte von Notschä und der ersten landwirtschaftlichen Schule für Eingeborene in den Afrikanischen Kolonien, in: Zache, Hans (Hg.): Das deutsche Kolonialbuch, Berlin 1925a, S. 252–256. –: Mexiko, Berlin 1925b. –: Das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee. Ein Rückblick auf seine Entstehung und seine Arbeiten aus Anlaß des Gedenkjahres 50jähriger deutscher Kolonialarbeit; bearbeitet nach den Protokollen und Vorstandsverhandlungen, Berlin 1934. –: Wissenschaft und Praxis in der Erschließung der kolonialen Wirtschaft, in: Kühn-Archiv. Arbeiten aus

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den landwirtschaftlichen Instituten der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg 53 (1940), S. 41–55. –: Kontinental-Europa und Afrika als Schicksals- und Wirtschaftsgemeinschaft, Berlin 1942. –: Die Eingeborenenwirtschaft im Rahmen der kolonialen Produktionslenkung, in: Wolff, Günter (Hg.): Beiträge zur Kolonialforschung, Berlin 1943a, S. 134–151. Schmidt, Geo / Marcus, August: Betriebserfordernisse und Betriebsführung, in: dies.: (Hg.): Handbuch der tropischen und subtropischen Landwirtschaft, Berlin 1943a, S. 853–877. Schmidt, Wilhelm: Einladung zu Mitarbeit und Abonnement auf Anthropos Jahrgang, o.O. 1905. –: Die moderne Ethnologie/L’Ethnologie moderne, in: Anthropos 1 (1906), S. 134–163, S. 318–387, S. 592– 643, S. 950–997. Schmoller, Gustav (Hg.): Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Leipzig 1877. Schreiber, August Wilhelm: Der alte Bremische Missions-Verein, Bremen 1901. –: Bausteine zur Geschichte der Norddeutschen MissionsGesellschaft gesammelt zur Hundertjahrfeier, Bremen 1936a. –: Heimatgeschichte der Norddeutschen Mission. Darstellung der Entwicklung der Hilfsvereine der Norddeutschen Mission und der mit ihr verbundenen Missionsvereinigungen, Bremen 1936b.

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Schreiber, Klemens: Jenseits des Urteils. Roeren gegen Schmidt. Ein kritischer Rückblick, Köln 1907. Schwartz, D.v.: Mission und Kolonisation in ihrem gegenseitigen Verhältnis. Teil 2, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 40 (1907), S. 794–800. Schynse, August: Pater August Schynse und seine Missionsreisen in Afrika herausgegeben von einem Freunde des Missionars, Straßburg 1894. Smend, Julius: Togo. Natürliche Verhältnisse, in: Kaiser Wilhelm Verein der Soldatenfreunde (Hg.): Deutschland als Kolonialmacht. Dreißig Jahre deutsche Kolonialgeschichte, Berlin 1914, S. 185– 206. Spellmeyer, Hans: Deutsche Kolonialpolitik im Reichstag, Stuttgart 1931. Spieth, Jakob: Die Rechtsanschauungen der Togoneger und ihre Stellung zum europäischen Gerichtswesen, in: Schneider, Karl (Hg.): Jahrbuch über die deutschen Kolonien, Essen 1908, S. 132–141. Stengel, Carl von: Die Eingeborenenfrage und die Regelung der Rechtsverhältnisse der Eingeborenen in den deutschen Schutzgebieten, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft 12 (1910), S. 183–205. Thauren SVD, S.P. Joh.: Die Mission in der ehemaligen deutschen Kolonie Togo, Post Kaldenkirchen, Rheinland 1931.

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Abbildungsnachweis

Die Abbildungen 2 bis 9 stammen aus dem Nachlass 250, Dr. Hans Gruner, Staatsbibliothek Berlin. Der Nachlass wurde von Kokou Azamede und Peter Sebald katalogisiert, die mir den Katalog dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt haben. © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

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Personenregister

Almeida (Familie) Almeida, Bernardo d’ Almeida, Joaquin d’ Arenberg, Franz Ludwig Prinz von Asmis, Rudolf Bartmann, Sara Basten, Jacobus Bebel, Ferdinand August Bernstein, Eduard Blyden, Edward Wilmot Bodelschwingh, Friedrich von Bücking, P. Hermann Bülow, Bernhard von Bülow, Frieda von Calloway, James N. Casely Hayford, Joseph Ephraim Christaller, Hanna Dasbach, Georg Friedrich Dernburg, Bernhard

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Diasempra, Harold Patriot Döring, Hans Georg von Durkheim, Émile Erzberger, Matthias Eulenburg, Philipp von Fabarius, Ernst Albert Frobenius, Leo Garber (Familie) Garber, Edwin Gaunt, Mary Grimm, Hans Gruner, Hans Grunitzky, Harry Grunitzky, Nicolas Hegel, Georg Wilhelm Friedrich Hespers, Franz Karl Horn, Waldemar Hunneshagen, Georg Reinhold Jansen, Arnold Jensen, Wilhelm Johnson (Familie) Johnson, Aloysius Kassene (Chief)

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Kautsky, Karl Kersting, Hermann Köhler, August Kohler, Josef Komla, Hans Kost, Theodor Krause, Gottlob Adolf Kukowina (Chief) Külz, Ludwig Lang, Wilhelm Lavigerie, Charles Martial Allemand Lawson (Familie) Ledebour, Georg Leist, Karl Theodor Heinrich Leopold II. (König von Belgien) Lieber, Ernst Liebknecht, Karl Luschan, Felix Johann Albrecht, Herzog zu Mecklenburg Mensah (Familie) Mensah III. Mensah, Wilhelm Montgelas, Pauline Gräfin

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Morel, Edmund Dene Müller, Ernst Müller, Franz Native of Aneho Naumann, Friedrich Nyakuda, Adjaro Nyakuda, Ageme Nyakuda, Lisagbe O’Reilly, Thomas Leslie Oloff, Christian Olympio (Familie) Olympio, Octaviano Olympio, Sylvanus Peters, Carl Pöplau, Oskar Puttkamer, Jesco von Quashie Rechenberg (Skandal) Rhodes, Cecil Richter, Eugen Robinson, John Roemer, Prof. Dr. A. Roeren, Hermann

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Rotberg, Werner Freiherr von Schall, Martin Schilling, Claus Schmidlin, Joseph Schmidt, Georg Albert Ferdinand (Geo) Schmidt, Wilhelm (Generalagent) Schmidt, Wilhelm (Pater) Schmitz, Peter Schönig, Nikolaus Schreiber, Klemens Simmel, Georg Smend, Julius Solf, Wilhelm Spahn, Martin Stengel, Carl von Supf, Karl Swanzy (Familie) Thierry, Gaston Tippelskirch, Kurt von Vietor, Johann Karl Warneck, Gustav Washington, Booker T. Weber, Max

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Wehlan, Alwin Karl Werner, Ludwig Wilhelm II. Windhorst, Ludwig Wistuba, Emanuel Leopold Witte, Anton Wöckel, Otto Woermann, Carl Wolf, Franz Wolthmann, Ferdinand Zech, Julius Graf von Zehnhoff, Hugo am

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Über Rebekka Habermas

Rebekka Habermas, geboren 1959, lehrt Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität in Göttingen. Sie war Gastprofessorin an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris und Fellow am St Antony’s College in Oxford. 2015 wurde ihr Artikel »Lost in Translation: Transfer and Non-Transfer in the Atakpame Colonial Scandal« durch das Higby Prize Committee ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihr ›Diebe vor Gericht. Die Entstehung der modernen Rechtsordnung im 19. Jahrhundert‹ (2008), ›Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne‹ (hg. mit Alexandra Przyrembel, 2013) und ›Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert‹ (hg. mit Richard Hölzl, 2014).

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de.

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Über dieses Buch

Das wahre Gesicht des deutschen Kolonialismus – koloniale Sehnsüchte, fragile Macht und Gewalt

Es war ein Skandal, der sogar den Reichstag im fernen Berlin auf den Plan rief: 1900 soll der Kolonialbeamte Geo Schmidt in Togo eine junge Afrikanerin vergewaltigt haben. Doch solche Übergriffe waren nahezu alltäglich, warum also die Aufregung? Die renommierte Historikerin Rebekka Habermas erzählt, worum es wirklich ging: Der Beamte, eigentlich der mächtigste Mann vor Ort, rang mit der afrikanischen Bevölkerung, Missionaren, die vor allem Gottes Wort verbreiten wollten, und dem unzugänglichen Hinterland. Lebendig schildert die Autorin die Beziehungen, Interessen und Motive der Beteiligten, den Alltag vor Ort und die kolonialen Echos, die der Skandal in der deutschen Gesellschaft hervorrief. Damit bietet sie neue, erstaunliche Einblicke – und eine glänzend erzählte Mikrogeschichte des Kolonialismus.

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Impressum

Erschienen bei S. FISCHER © 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main Karten: Peter Palm, Berlin ISBN 978-3-10-490217-3

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Fußnoten

1 Peter Sebald, Berlin, hat mir außerordentlich großzügig und hilfsbereit einen Teil seiner umfangreichen Transkriptionen aus dem Togoer Nationalarchiv zur Verfügung gestellt, dafür bin ich sehr dankbar.

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Endnoten

1 Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 28.2.1914. 2 Silvester / Gewald 2003. 3 Mein Dank geht an dieser Stelle an Wolfgang Knöbl (Hamburg), der meinen Blick für diese Gewaltphänomene geschärft hat, und an die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Maurice Halbwachs Summerschool 2015. 4 Mbembe 2001, S. 2. 5 Daughton 2006, S. 260. 6 Ebenso wurde sie konterkariert durch die Tatsache, dass Afrikaner und Afrikanerinnen für ihren Lebensunterhalt hart arbeiten mussten und keine Zeit für die europäischen Erziehungsprojekte hatten. 7 Vgl. Herbst 2000, S. 91, der gleichzeitig betont, dass diese nicht mit Mangel an Gewalthaftigkeit zu verwechseln sei. Siehe auch Stoler 2009. Heike Schmidt (2008, S. 26) betont dies für den Rechenberg-Skandal. In diesem Zusammenhang sind auch eine ganze Reihe von Forschungen zu nennen, die sich in den 2010er Jahren mit colonial anxieties beschäftigen, vgl. Wagner 2013. Mittlerweile gibt es einen gewissen Konsens, dass in Afrika »das Ideal des rationalen Staates mit Gebietsherrschaft, Gewaltmonopol, Steuern, schriftlich fixierten Gesetzen (…) eine Herrschaftsutopie« blieb. Eckert / Pesek 2004, S. 88. 8 Vgl. von Trotha 1994 und Pesek 2005. 9 Vgl. zu den kolonialen Echos und ihrer Aktualität für Europa den überaus anregenden Sammelband von Nicolaidis / Sébe / Mass, 2015. 10 Die Briten zogen das Blue Book aus dem Verkehr, nachdem sie das ehemalige Deutsch-Südwestafrika nach dem Ersten Weltkrieg als Mandat erhalten hatten: Sie wollten die europäischen Siedler, unter ihnen waren noch Deutsche, nicht verärgern und fürchteten überdies, dass ihre eigene koloniale Herrschaft kritisiert werden könnte. Das Buch wurde schließlich vernichtet und durfte in keiner Bibliothek des Empire enthalten sein. Vgl. dazu die Erläuterungen zum Reprint des Weißbuchs bei Silvester / Gewald 2003. 11 Külz 1906, S. 105.

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12 Vgl. zum GCL den Beitrag daselbst vom 1.7.1911, erschienen unter dem Titel »Journalism on the Gold Coast«, wo es heißt, dass der GCL seit zehn Jahren erscheine und ein »non negrophobist newspaper« sei. 13 Külz 1906, S. 105. 14 Vgl. die anschauliche Studie von Kathleen Keller (2012) zur französischen kolonialen Gesellschaft des Senegal, die aus einer Vielzahl auch von den französischen Behörden mit großem Misstrauen betrachteten Elementen bestand, denen man u.a. Nähe zum Kommunismus oder auch ein going native unterstellte. Eine solche Neubewertung einzelner Akteure und selten auch Akteurinnen ist für die Kolonialgeschichtsschreibung in letzter Zeit im Rahmen der New Imperial History häufig eingefordert worden, etwa durch Lambert / Lester: »Tracing these colonial lives over time and space provides one way of thinking about empire that moves beyond dualisms of centre and periphery, global and local.« Vgl. Lambert / Lester 2006, S. 24. 15 Vgl. hier die insbesondere in den jüngeren Arbeiten zum französischen Kolonialismus geführten Debatten, etwa bei Daughton (2006). Vgl. Segalla (2012) für die Debatte über die Rolle der Mission Civilisatrice im französischen Kolonialismus aus einer Perspektive, die die lokalen Akteure im Senegal als ebenfalls bedeutsam in den Blick nimmt. 16 Davis 2003, S. 200. 17 Auch die von Autoren wie Talal Asad, Gayatari Spivak, Achille Mbembe und Dipesh Chakrabarty geschilderten Probleme des kolonialen Archivs kann es nicht lösen. Noch kann es eine zufriedenstellende Antwort auf die Herausforderung geben, vor der wir durch eine zutiefst europäische Epistemologie stehen, die ihrerseits alles andere als harmlos ist. So Chakrabarty 2000, S. 7: »Historicism enabled European domination of the world in the nineteenth century.« 18 RT, Werner, 4.12.1906, 4126. Ludwig Werner saß für die Deutsche Reformpartei im Reichstag. 19 Die meisten Zeitungsartikel, die hier ausgewertet werden, sind der Sammlung entnommen, die der Reichslandbund angelegt hat. Diese befindet sich im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde BArch, R8034 II/6342–6347. Vgl. auch RT, 3.12.1906, 4083–4121. Erzberger etwa beschrieb, wie »Khakimänner auf der Tribüne« mitklatschten, wenn es um Kolonialdebatten ging; zit. nach Leitzbach 1998, S. 353. Vgl. Anonym, Rabbi und Mönch, in: Vorwärts, 4.12.1906. Von einem einzigartigen »Echo einer Erregung der Öffentlichkeit« schrieb das Berliner Tageblatt am 4.12.1906 (Anonym, Kolonialsturm, in: Berliner Tageblatt, 4.12.1906). Vgl. Anonym, Wien, 3. Dezember, in: Neue

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Freie Presse. Morgenblatt, 4.12.1906, und Berliner Tageblatt des gleichen Tages. 20 Max Weber nahm in einem Brief an Friedrich Naumann vom 14.12.1906 direkt auf die vom Zentrum losgetretene Debatte Bezug und kritisierte das Zentrum, weil es nicht die Kontrolle der Kolonialverwaltung durch den Reichstag gefordert bzw. zur Bedingung für die Verabschiedung des Kolonialhaushaltes gemacht habe. Vgl. Lepsius / Mommsen 1990, S. 201– 205. 21 Klaus Epstein (1959) listet die ganze Reihe dieser Skandale auf, vgl. auch Reuss 1981; Schneppen 2001; Bösch 2009a, S. 264–329. 22 Anonym, Tagebuchblätter eines in Kamerun lebenden Deutschen, in: Neue deutsche Rundschau 5 (1894), S. 332–353, hier S. 339, zit. nach Schlottau 2007, S. 341. Vgl. dazu auch Schröder 1997, S. 37ff. 23 Vgl. RT, Bebel, 1.12.1906, 4061. 24 Vgl. die Darstellung bei Perras 2004, S. 197–230. 25 RT, Erzberger, 13.3.1906, 1977. 26 Vgl. RT, Bebel, 1.12.1906, 4066–4067; vgl. auch RT, Ablaß 1.12.1906, 4072. 27 Vgl. RT, Ablaß, 1.12.1906, 4077. 28 RT, Roeren, 1.12.1906, 4092. 29 Ich schließe hier an meine Überlegungen aus folgenden Aufsätzen an: Habermas 2009 und 2014a. Dargestellt wird der Konflikt aus der Perspektive der Steyler Missionare in: Müller 1958, S. 160ff.; Debrunner 1965, S. 117ff.; Rivinius 1979a, 1979b und 1979c. Auch behandelt wird er in: Erbar 1991; Knoll 1978, S. 56; Gründer 1987; von Trotha 1994, S. 164ff., 358ff.; Sebald 1988, S. 477ff., 535ff. Auch hat sich Bettina Zurstrassen (2008, S. 197–251) mit dem Skandal beschäftigt. Ebenso Jules Kouassi Adja (2009). Adjas Studie stellt die erste Untersuchung dar, die sich ausführlich mit dem Skandal beschäftigt und auch die in Lome befindlichen Quellen berücksichtigt. Generell zu Kolonialskandalen siehe Schmidt 2008. 30 AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen an Hespers 24.10.1900. In dem Brief geht es um das sittliche Verhalten von Kolonialbeamten in Togo. 31 AG SVD, Subfolder 43132 Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo. 32 Vgl. AG SVD, Subfolder 43210 Jansen an Rektor Blum 17.8.1903. Jansen schrieb hier mit Verweis auf einen umfänglichen Bericht aus Togo, dass eine »Veröffentlichung vorläufig ausgeschlossen« sei, da erst ein Rechtsanwalt gefunden werden müsse.

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33 Hermann Bücking war von 1894 bis November 1907 in Togo. Er wurde 1904 zum Apostolischen Präfekten ernannt und wurde im Oktober 1907 im Zusammenhang mit den Ereignissen in Atakpame abberufen, vgl. (TCS) Katholische Mission; Müller 1958, S. 573ff. Zu Zehnthoff vgl. Rivinius 1979c, S. 176. Hier ist ein Brief von Zehnthoff an Arensberg abgedruckt, aus dem ersichtlich ist, wie eng diese Herren in der Angelegenheit untereinander Kontakt hielten. Franz Karl Hespers (1846–1915) war ein gut vernetzter Theologe, der gleichzeitig Päpstlicher Hausprälat, Vorsitzender der Glaubensverbreitung zu Köln und Professor war, vgl. Rivinius 1979b, Anm. 59. 34 Das Verschicken dieser Akten vonseiten der Mission etwa an Roeren wurde dann gleichzeitig an die Kolonialabteilung vermeldet, was diese nicht unerheblich unter Druck setzte. Vgl. BArch, R1001/3919 Bücking an Kolonialabteilung 4.9.1904. 35 Vgl. AG SVD, Subfolder 43248–43293 Brief Jansen an Georg Friedrich Dasbach 5.12.1905. Dasbach, ein höchst aktiver Priester, Journalist und Reichstagsabgeordneter des Zentrums, hatte bei Jansen angefragt, ob dieser weitere Mitteilungen an die Öffentlichkeit gestreut haben wolle. 36 So am 6.1.1904, vgl. BArch, R1001/3919 Bücking an die Kolonialabteilung 24.9.1904. 37 Erzberger betrieb eine Nachrichtenagentur, war selbst Journalist gewesen und geübt in der Kunst der Pressehintergrundgespräche, vgl. hierzu Reimer 2007. Hermann Roeren war führend in zahlreichen Skandalisierungskampagnen im Bereich der Sittlichkeitsbewegung, vgl. Templin 2015. 38 Nikolaus Schönig war von 1897 bis 1914 in Togo, zuerst als Missionar in Palime und dann 1907 als Apostolischer Propräfekt, 1910 als Präfekt. Ihm wird eine Nähe zur Kolonialabteilung nachgesagt, vgl. (TCS) Katholische Mission. Jansen schrieb über ihn: Er »scheint ein Freund der Kolonialoffiziere zu sein (…), mit denen er spielte, trank und rauchte«. AG SVD, Subfolder 41940 Jansen Brief an Praefekt der Propaganda Fide, 1.1.1909 verfasst auf Latein. Zu Schönig heißt es auch im Gold Coast Leader (zit. nach Sebald 2005, S. 169): »(…) he is wealthy. The only priest that does not parade his religion, neither does he intrude himself into the private matters of the adherents of his church.« Das Treffen fand am 8.1.1904 statt, vgl. BArch, R1001/3919 Bericht der Kolonialabteilung 8.11.1904. Das Treffen von Arnold fand am 27.8.1903 statt, vgl. AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen Notiz »Meine Unterredung mit mehreren hohen Beamten in Berlin 27.8.1903«. Im August 1903 war Jansen im Kolonialamt, Missionar Schönig folgte im September, im Januar 1904 war es Bücking, vgl. ebd.; BArch, R1001/3915 Brief Schönig 1.9.1903; BArch, R1001/3919

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Bericht der Kolonialabteilung 8.11.1904. Im März desselben Jahres fand eine Unterredung zwischen Geo Schmidt und Prinz von Arenberg im Reichstag statt. Im selben Monat wurde Hespers im Amt vorstellig. Im April war Bücking in der Kolonialabteilung; im Herbst kam es zu mehreren Treffen, an denen auch Roeren beteiligt war. 39 Vgl. BArch, R1001/3915 Schreiben Bücking an Kolonialabteilung 7.8.1903. 40 Vgl. Rivinius 1979b, S. 110, Anm. 37. 41 Vgl. Zurstrassen 2008, S. 209. 42 Geo Schmidt hatte bereits im Juni 1903 gedroht, mittels einer »kurzen Notiz in der Täglichen Rundschau (…) die Sache in die Oeffentlichkeit zu bringen«, vgl. BArch, R1001/3919 Bücking an Kolonialabteilung 15.6.1904. 43 RT, Roeren, 18.3.1905, 5389–5390. 44 Vgl. Anonym, Neue Enthüllungen, in: Deutsche Tageszeitung, 4.10.1906, S. 33. 45 Bräunlich 1907, S. 16. 46 RT, Bülow, 28.11.1906, 3959. 47 Vgl. Anonym, Die Methode Bebel und Roeren, in: Deutsche Zeitung, 9.12.1906, S. 174. 48 Vgl. AG SVD, Subfolder 43248–43293 Jansen an Roeren 16.1.1904. 49 BArch, R1001/3915 Bücking an die Kolonialabteilung 7.8.1903. 50 Vgl. BArch, R1001/3919 Brief Bücking an AA 4.9.1904: »Zwinge man sie, auf irgend eine Weise, wenn nötig durch den Druck der öffentlichen Meinung eine Revision des Verfahrens vom 24.11.–28. November 1903 dagegen Herrn Schmidt herbei zu führen und neue, bisher noch nicht berührte Fälle gegen Herren Schmidt und andere Beamte aufzudecken.« 51 Am 27.8.1903 erklärte er anlässlich einer Unterredung mit einem Beamten im AA: »Ich teilte ihm mit, es sei noch nichts veröffentlicht, aber wohl seien die Mitteilungen schon an einige Abgeordnete des Zentrums gegangen. Das eventuell zur Veröffentlichung bestimmte Skriptum übergab ich ihm, wofür er dankbar war.« Vgl. AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen Notiz »Meine Unterredung mit mehreren hohen Beamten in Berlin 27.8.1903«; am 15.6.4 hieß es bei Bücking: »Und was von einer Seite ohne meinen Auftrag auf Wunsch eines zwischen dem Auswärtigen Amt und der Mission vermittelnden Colonialfreundlichen Reichstagsabgeordneten und durchaus nur zur Privatinformation geschrieben wurde, müssen andere verantworten. Unserethalben möge man mit den Veröffentlichungen durchaus beginnen (…). Ob aber eine baldige Veröffentlichung nicht bevorsteht, kann ich nicht

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garantieren und muss ich eventuell jede Verantwortung dafür ablehnen.« Vgl. BArch, R1001/3919 Bücking an Kolonialabteilung 15.6.1904. 52 BArch, R1001/3919 Roeren an Kolonialabteilung 14.9.1904. So gab es innerhalb der Atakpamer Missionare Vertreter, welche den Präfekten bzw. Arnold Jansen selbst unter Druck zu setzen suchten, indem sie an die Möglichkeit erinnerten, Informationen an die sozialdemokratische Presse weiterzugeben. Bücking berichtete von jemandem, dem er die Sachlage dargelegt habe und der dann gesagt habe: »(…) dass er dieses um Wandel zu schaffen, in die Oeffentlichkeit bringen würde, und wenn es durch den ›Vorwärts‹ geschehen müsste. Es wäre das ein schwerer Vertrauensbruch, aber ich habe nicht die Sicherheit, den bezeichneten Herrn von der Veröffentlichung zurückhalten zu können, wenn die Angelegenheit nicht in Bälde eine befriedigende Lösung für die Mission findet.« Vgl. BArch, R1001/3919 Bücking an Kolonialabteilung 15.6.1904. 53 AG SVD, Subfolder 43248–43293 Brief Jansen an Roeren 18.1.1904. 54 Vgl. AG SVD, Subfolder 43248–43293 Brief Jansen an Roeren 20.1.1904. 55 Müller setzte aber auch Bücking unter Druck, vgl. BArch, R1001/3919 Brief Bücking an Kolonialabteilung 4.9.1904. 56 Dass beide Abmachungen realiter so nicht durchsetzbar waren, steht auf einem anderen Blatt und ist vielleicht einer der Gründe, warum man zu einer offensiven Skandalisierung schritt. Vgl. BArch, R1001/3919, Bücking an Kolonialabteilung 4.9.1904. 57 Vgl. AG SVD, Subfolder 43248–43293 Stuebel an Roeren 16.12.1904. Ausführlicher zum Fall Wistuba und Pöplau Zurstrassen 2008, S. 211–225. Roeren war Anwalt Wistubas, während der Reichstagsabgeordnete Ablaß Pöplau vertrat. 58 Zu Erzbergers kolonialpolitischer Haltung vgl. Dowe 2011; Epstein 1959. 59 Külz 1906, S. 146. 60 Stationsleiter Döring warnte die Kolonialabteilung regelrecht, dass Pater Müller drohe, dass er »noch eine Menge Material (…) im Notfall veröffentlichen werde, wenn man ihm unrecht tue«, und deswegen solle besser nicht gefordert werden, dass Pater Müller aus Togo abgezogen werde. Vgl. BArch, R1001/3918 Döring an Kolonialabteilung 5.10.1904. 61 Vgl. Schmidt 1907. 62 Ausführlich dazu Zurstrassen 2008, S. 195–203. 63 Vgl. BArch, R43/945 Aufzeichnung betreffend den Bureauvorstand Wistuba gez. Schnee o.D.

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64 Im Kaiserreich war unter Otto Hammann das sogenannte Hammann’sche System entstanden, eine regelrechte Form der Günstlingswirtschaft, mittels der bestimmte Journalisten bevorzugt und andere benachteiligt wurden, wenn es um wichtige Nachrichten von Regierungsseite ging. Vgl. Zurstrassen 2008, S. 199–203. So lassen sich im Fall Wistuba Besprechungen zwischen Hammann und Journalisten nachweisen, in denen es darum ging, Beiträge in der Germania zu manipulieren. Vgl. BArch, R43/945 Aufzeichnung betreffend den Bureauvorstand Wistuba gez. Schnee o.D. 65 RT, Bebel, 1.12.1906, 4065. 66 Vgl. zu Dernburg Schiefel 1974; Utermark 2011; Davis 2012. 67 Vgl. RT, 28.11.1906. Ein ausformuliertes Programm legte er unter dem Pseudonym Africanus Minor 1908 mit dem Titel »Dernburgs Kolonialprogramm« vor. 68 RT, Bebel, 1.12.1906, 4052. 69 RT, Bülow, 28.11.1906, 3957–3960. 70 Vgl. zum Folgenden insbesondere Habermas 2010a und 2014a. 71 Roeren widmete sich in seiner ersten Rede im Dezember 1906 vor dem Reichstag durchaus auch der Angelegenheit von Wistuba. Da er Wistuba als Anwalt vertrat, verfügte er hier über das einschlägige Material. 72 RT, Roeren, 3.12.1906, 4089. 73 Vgl. Doezema 1999. Vgl. auch O’Donnell / Bridenthal / Reagin 2005 zu den mit umgekehrten Vorzeichen versehenen rape panics Weißer vor möglichen Vergewaltigungen durch Schwarze. 74 Vgl. RT, Roeren, 3.12.1906, 4091. 75 Man wurde nicht müde, über die moralischen Verwerfungen immer wieder in schillernden Farben zu sprechen, auch bei bereits länger zurückliegenden Skandalen. Der Fall Peters wurde häufig bemüht, ausführlich erinnerte man an seine »Beischläferin (…), ein schönes Dschaggamädchen, die intime Verhältnisse mit Verschiedenen hatte«, was ihn anscheinend so erboste, dass er sie und einen ihrer Geliebten am »Galgen« aufknüpfen ließ, vgl. RT, Arendt, 3.12.1906, 4108. 76 Vgl. Schreiber 1907, S. 16. Das wiederum war auch ein zentrales Thema in Kolonialromanen, vgl. Christaller 1908, S. 41, 48, 74; dies. 1904, S. 56. 1908 erschien zudem ein Roman mit dem Titel »Das Dualamädchen« von Jesco von Puttkamer, vgl. Gouaffo 2007, S. 28. Der Terminus »Dualamädchen« scheint aber schon vorher eingeführt worden zu sein. Auch in diesem Roman geht es um von Weißen über Brautpreise gekaufte Frauen aus der lokalen Bevölkerung.

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77 Vgl. Dickinson 2003, S. 59–110. 78 RT, Roeren, 3.12.1906, 4091. 79 RT, Dernburg, 3.12.1906, 4100, vgl. RT, Dernburg, 28.11.1906, 3960–3969. 80 Erzberger 1906a, S. 7. Diese Vorstellungen entsprachen dem Selbstverständnis fast aller Missionen, vgl. Tetzlaff 1982, S. 199ff. 81 Vgl. Schmidt 1907, S. 64. 82 Christaller 1908, S. 76 und Schmidt 1907, S. 59. 83 RT, Roeren, 3.12.1906, 4090. 84 Erzberger 1906a, S. 20. 85 Dr. A.S., Bureaukratische, kapitalistische und sozialistische Kolonialpolitik, in: Münchner Post, 19.12.1906, S. 11–12, hier S. 12. 86 Schmidt 1907, S. 15. Zur Diskussion über »faule Neger« vgl. Schubert 2003, S. 120ff. Sobich (2006, S. 349ff.) spricht von einer zunehmenden Rassifizierung, Biologisierung und Bestialisierung der Afrikaner in der deutschen Öffentlichkeit. Deutlich kann Gesine Krüger herausarbeiten, dass die Bilder des grausamen Afrikaners im Gefolge des Hererokriegs massiv zunehmen, vgl. Krüger 1999, S. 69–122. 87 RT, Bebel, 4.12.1906, 4140, behauptete, der »Herr Kolonialdirekter«, also wohl Dernburg, habe dies in einer Rede am 3.12.1906 so gesagt. Tatsächlich benutzte Dernburg die Formulierung: »halb Kinder, halb Narren und halb Wilde«, RT, Dernburg, 3.12.1906, 4100. 88 Vgl. D.F., Die Methode Bebel und Roeren, in: Deutsche Zeitung, 9.12.1906, S. 174–175, hier S. 175. 89 Vgl. hierzu die klassische Untersuchung von Adjaï Paulin Oloukpona-Yinnon (1998) und zu Werbebildern Zeller (2008) sowie Ciarlo (2011). 90 Das heißt auch, dass trotz massiver Kolonialkritik vonseiten des Zentrums und der Sozialdemokratie einer auf rassischer Differenz basierenden Herrschaft nie widersprochen wurde. Einschränkend muss jedoch gesagt werden (und für diesen Einwand danke ich Richard Hölzl), dass rassistische Zivilisationsideen, die auf einer Kulturentwicklungstheorie basieren, und biologischer Rassismus unterschiedlich zu bewerten sind. 91 Auch gefährdeten Kolonien – aus der Perspektive der SPD – den Weltfrieden. Vgl. im Überblick zur SPD und ihrer Haltung zum Kolonialismus Sobich 2006, S. 177ff.; Stuchtey 2010, S. 235ff.; Schwarz 1999, S. 283–294; Schubert 2003, S. 177ff.; Oberlack 1994; aus marxistischer Sicht Weinberger 1967.

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92 Vgl. Sobich 2006, S. 145ff., dessen Buchtitel auf diese Ineinssetzung verweist und der sich mit diesen rhetorischen Figuren auseinandersetzt. 93 Vgl. Sobich 2006, S. 305. Er spricht in dem Zusammenhang von einer »eher etwas wohlwollend-herablassenden Haltung gegenüber den Schwarzen in der deutschen Sozialdemokratie«. Michael Schubert (2003, S. 181) betont eher die fehlende Systemkritik am Kolonialismus und dass es in der SPD zwar eine Ideologiekritik an der Kulturmission gegeben habe, jedoch Vorstellungen rassistischer Natur wie die einer »afrikanischen Wildheit« dominant gewesen seien. 94 Zu den Positionen des Zentrums siehe im Überblick Loth 1987. Er betont, dass sich Kolonialkritik besonders für die langfristige Bindung der unteren Schichten an das Zentrum eignete. Vgl. auch Stuchtey 2010, S. 251, sowie Schubert 2003, S. 149ff., der das Zentrum primär als Unterstützer der katholischen Mission sieht. Vgl. Leitzbach 1998, S. 293–398, zu Erzberger, aber auch generell zur Haltung des Zentrums. Vgl. zu Erzbergers Positionen auch Epstein 1959, S. 642, der lapidar feststellt, Erzberger sei nicht antikolonial gewesen. Vgl. außerdem Wilhelm 1962, S. 118ff. 95 Hier mussten die Interessen ländlicher Unterschichten genauso wie die des Adels und des Bürgertums vertreten werden, und diese sehr verschiedenen sozialen Gruppierungen verfolgten kolonialpolitisch durchaus unterschiedliche Anliegen. Wilfried Loth (1987) geht darauf präzise ein und zeigt, dass Erzberger hier als Repräsentant eher ländlicher, kleinbürgerlicher und auch proletarischer Interessen agierte. Loth argumentiert, dass kolonialpolitische Kritik vor allem darauf abzielte, diese Gruppen an die Partei zu binden. 96 Erzberger 1906, S. 5. 97 Zit. nach Leitzbach 1998, S. 295. 98 Damit soll auch der in der Skandalforschung häufig vorgebrachten These, Kolonialskandale hätten koloniale Herrschaft erschüttert oder gar zu einer »Liberalisierung« kolonialer Politik beigetragen, entgegengetreten werden. Vgl. Habermas 2015b. 99 RT, Bebel, 1.12.1906, 4062. 100 Ein zweites Thema, das in den Kolonialdebatten des Reichstags häufig aufkam, betraf Fragen der politischen Partizipation bzw. der Rechte des Reichstags. 101 Es ist hier nicht der Ort, eine systematische Analyse der Positionen der SPD vorzunehmen, verwiesen sei aber auf den Umstand, dass der Aufbau einer stringenten Kolonialpolitik der SPD überdies dadurch erschwert wurde, dass Kolonialismus dem marxistischen Entwicklungsmodell gemäß als eng

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verwoben mit dem Kapitalismus verstanden wurde und der Kapitalismus nun mal als notwendiges Übergangsstadium in der Weltgeschichte begriffen wurde. 102 Vgl. RT, Ledebour, 28.11.1906, 3977. 103 RT, Ledebour, 15.3.1906, 2042. Kritik an der Justiz wurde in diesem Zusammenhang auch immer wieder formuliert, vgl. RT, Bebel, 4.12.1906, 4141–4144. 104 RT, Bebel, 1.12.1906, 4061. 105 RT, Erzberger, 30.11.1906, 4044 und 13.3.1906, 1976–1977; ähnlich äußerte sich Roeren, vgl. RT, Roeren, 3.12.1906, 4092. Deutlich andere Akzente setzten Zentrumsabgeordnete wie etwa Spahn, der in der Auseinandersetzung im Dezember 1906 schließlich versuchte, auch Roeren und Erzberger zu einer konzilianteren Haltung der Kolonialabteilung gegenüber zu bewegen. Vgl. zu programmatischen Äußerungen des Zentrums in Sachen kolonialer Politik Erzberger 1907a, S. 17–47. 106 RT, Spahn, 13.12.1906, 4374. 107 Erzberger ging so weit, auch für Kolonialbeamte das christliche Betragen zum Dreh- und Angelpunkt zu machen: »Im Kern ist jeder Deutsche in den Kolonien ein Missionar: entweder ein solcher des Christentums oder ein solcher des Unglaubens«, Erzberger 1912, S. 5. 108 RT, Bebel, 1.12.1906, 4062. 109 Vgl. RT, Müller, 3.12.1906, 4130. In den Beiträgen der Freisinnigen spielten sehr oft die Rechtsverhältnisse bzw. der Mangel einer modernen Kolonialverwaltung eine erhebliche Rolle. Vgl. Müller, 4.12.1906, 4133. 110 RT, Dernburg, 28.11.1906, 3961. Vgl. Dernburg 1906/07, S. 12f. Da hieß es zum Zweck der Kolonien: »(…) die Zwecke sind materielle und merkantilistische«. 111 Zu Dernburgs Kolonialprogramm vgl. Utermark 2011, S. 156ff.; Schiefel 1974, S. 80–120. Christian Davis (2012) betont stark den nationalen Aspekt der Dernburg’schen Kolonialpolitik, mit Verweis darauf, dass die Kolonien für Dernburg, der auch antisemitische Ressentiments zu fürchten hatte, jenseits aller Konfessionen einigend wirken sollten. 112 Dernburg 1906/07, S. 18. 113 RT, Arndt, 13.12.1906, 4370. 114 RT, Dernburg, 13.12.1906, 4363. 115 Külz 1906, S. 161.

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116 Erzberger (1907b) sah auch den Wahlkampf 1907 unter der Perspektive der »Konfessionshetze« und sammelte umfangreiches Material, das belegte, welch große Rolle hier konfessionelle Differenzen spielten. 117 Vgl. Gründer 1987; Schiefel 1974, S. 51–55; Zurstrassen 2008, S. 232–238; Utermark 2011, S. 124–128; Sobich 2006, S. 233–241. 118 Vgl. RT, Dernburg, 3.12.1906, 4117. »Schwarze Listen« gehörte zu den von Dernburg geprägten Termini, die in dieser Redeschlacht immer wieder benutzt wurden (vgl. Bräunlich 1907, S. 5f.), genauso wie das »Kaudinische Joch« (Bräunlich 1907, S. 9–19) und »Nebenregierung«. Mit diesen Termini, die schnell Verbreitung gefunden hatten, genauso wie mit den Anspielungen auf den »Augiasstall« und seiner Analogie der »Eiterbeule, die aufgestochen werden müsse«, war es Dernburg gelungen, die Diskurshoheit zu erlangen. 119 RT, Dernburg, 3.12.1906, 4098. 120 Vgl. RT, Ledebour, 13.12.1906, 4365. Ledebour verwahrte sich gegen diesen Terminus und behauptete, dass allein die Nationalliberalen hofften, hier einen Kulturkampf auszufechten, dabei sei der »Bismarcksche Kulturkampf ein (…) toter Frosch«. Vgl. auch Zurstrassen 2008, S. 234. Sie spricht davon, dass Bülow die Ereignisse in Atakpame zu einem Kulturkampf stilisierte. Horst Gründer (1987) reduziert die Debatte über den Atakpame-Skandal auf den Aspekt des Kulturkampfes. Geo Schmidt fasste die Ereignisse unter den schlichten Terminus »Missionsstreit«. Damit sollte insinuiert werden, dass das eigentliche Skandalon das Verhalten der katholischen Missionare sei (vgl. Geo Schmidt 1907, S. 1). 121 Westfälische Zeitung, 6.12.1906. 122 Anonym, Am Schandpfahl, in: Vorwärts, 6.12.1906, S. 153f., hier S. 153. 123 Anonym, Wien, 3. Dezember, in: Neue Freie Presse. Morgenblatt, 4.12.1906, Nr. 15190, S. 140f., hier S. 141. Der Autor schrieb weiter, »ohne das Zentrum kann in Deutschland nicht regiert werden«. 124 Schmidt 1907, S. 64. 125 Vgl. RT, Dernburg, 3.12.1906, 4118. 126 Vgl. Bräunlich 1907, S. 18. 127 Vgl. Anonym, Kolonialsturm, in: Berliner Tageblatt, 4.12.1906, S. 140f., hier S. 141. Vgl. Anonym, Frankfurt 4. Dezember, in: Frankfurter Zeitung, 4.12.1906, S. 144f., hier S. 145. 128 RT, Bebel, 4.12.1906, 4135. Ein Hintergrund war auch, dass Roeren am 4.12.1906 eine »persönliche Erklärung« im Reichstag abgab (RT, Roeren, 4.12.1906, 4124), die den Eindruck erweckte, als stünde das Zentrum nicht hinter ihm. In der Tat gab es im Zentrum nicht wenige, die die scharfen

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Angriffe Roerens nicht mittrugen bzw. versuchten, Erzbergers Kolonialabrechnungen im Reichstag in sanfteres Fahrwasser zu lenken. Vgl. Utermark 2011, S. 128. 129 Vgl. Anonym, Aus den Geheimnissen der Zentrumskamarilla, in: Die Post, 7.12.1906, S. 163. 130 AG SVD, Subfolder 43132 Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo. 131 RT, Schall, 13.3.1896, 1422. 132 Vgl. Schmidt 2008 zum Rechenberg-Skandal und Mckenzie 2004 zum Skandal in der Cape Colony. 133 Kohlrausch 2005. 134 Vgl. Stoler 1997; siehe auch Epstein 2007, S. 714: »colonial scandal could unsettle distinction thought to set Britain off from formless civilized spaces, and underscore the distinction between a national self image of human governance and the realities of colonial rule.« So drohten Kolonialbeamte, die in sogenannten Mischehen lebten, gleichsam die feine, aber klare Grenze zwischen einem less civilized space und dem europäischen Zivilisationsraum zu überschreiten. 135 Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 11.10.1913. 136 BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt 26.11.1903: »erhielt [ich] wegen Gummihandel ohne Schein 3 Wochen Gefängnis«. Vgl. BArch, R1001/3915 Klage der Station Atakpame gegen katholische Mission 23.3.1903; vgl. auch die Aussage von Julius Smend, BArch, R1001/3917 Bezirksgericht Atakpame im Fall Beleidigungsklage Müller 28.11.1903. Vgl. Ahadji 1996, S. 323ff. zu den Kautschukinteressen im Bezirk Atakpame. 137 Vgl. Schlechter 1900, S. 251. 138 Ebd., S. 253. 139 Vgl. Sebald 1988, S. 432ff. Vgl. hierzu auch die Aussagen von Smend im Beleidigungsprozess Müller, BArch, R1001/3917 Bezirksgericht Atakpame im Fall Beleidigungsklage Müller 28.11.1903. Pater Müller sagte im Beleidigungsprozess, dass »die eingeborenen Gummihändler von Schmidt scharf beaufsichtigt und in Übertretungsfällen gegen seine Vorschriften auch bestraft wurden. Ich glaube daher, dass diese Gummihändler mit seiner Verwaltung nicht besonders zufrieden gewesen« sind. Weiter schilderte er Versuche der Kautschukhändler, die Reglementierungen durch Schmidt zu unterlaufen. 140 Vgl. Ahadji 1996, S. 324.

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141 Zudem verwüste ein solcher Raubbau die wertvollen Bestände und vernichte folglich den »bedeutenden wirtschaftlichen Wert der Gummibestände«. Schon allein deshalb müsse er darauf achten, »die Händler streng zu kontrollieren«, da hier »bedeutende wirtschaftliche Werte« auf dem Spiel stünden, vgl. ANT, FA3/1088 (TCS) Geo Schmidt Bericht betr. Gummigewinnung, Atakpame 29.10.1903. 142 ANT, FA3/1088 (TCS) Geo Schmidt Bericht betr. Gummigewinnung, Atakpame 29.10.1903. 143 Sie gab an, dass sie Schmidt anlässlich der Verhaftung ihrer Schwester kennengelernt habe, die wegen »unerlaubtem Gummihandel« festgenommen worden sei, vgl. BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt 26.11.1903; BArch, R1001/3917 Gericht Atakpame Untersuchung gegen Schmidt 29.12.1903. 144 Amos 2001, S. 297. 145 ANT, FA2/19 Antrag auf Strafverfolgung gegen Stationsleiter G. Schmidt in Atakpame wegen Verbrechen der Notzucht bzw. wegen Vergehens gegen die Sittlichkeit, eingereicht o.D., verfasst von Vertretern der Steyler Mission. 146 Vgl. BArch, R1001/3915 Bezirksgericht Atakpame in Untersuchungssache gegen Schmidt 29.4.1903, Sittlichkeitsvergehen; BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt 26.11.1903. 147 Es ist für unseren Zusammenhang von nachrangiger Bedeutung, ob die Anklage stimmig war oder nicht, obschon nicht nur die gängige Praxis für die Richtigkeit spricht, sondern auch die Schmidt’schen Entlastungszeugen. Diese waren durchgängig deutsche Beamte, die, wie etwa Smend, selbst Beziehungen zu afrikanischen Frauen unterhielten, vgl. BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt, Aussage Adjaro Nyahuda 26.11.1903. 148 BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt 26.11.1903. 149 AG SVD, Folder 45534–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 251: »In seinem Privatleben hat Schmidt sich sicher in nichts unterschieden von den übrigen Europäern: Beamten und Kaufleuten; wenn ich ihn auch nie (…) mit einer ›Hausdame‹ getroffen habe.« 150 Vgl. Zurstrassen 2008, S. 48. Vgl. Adili 2012, eine eingehende Untersuchung über die Kinder, die aus solchen Verbindungen hervorgegangen sind. In Missionskreisen waren Beziehungen zu einheimischen Frauen bis Ende des 19. Jahrhunderts häufiger, wurden zu der Zeit aber auch noch legitimiert, was später nicht mehr der Fall war, vgl. Sawitzki 2003, zur NM.

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151 Gold Coast Leader, zit. nach Sebald 2005, S. 677. Im selben Blatt hieß es am 3.5.1913, die erste Arbeit zur Verbesserung der Kolonie habe darin bestanden, sich ein zwölfjähriges Mädchen zu nehmen. 152 Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.12.1911, schrieb: »Gruner, the king of Valanie, with his Harems of young girls, he has since married«, zit. nach Adili 2012, Anm. 47. Vgl. Pabst 1988, S. 541; vgl. auch die Petition, die am 12.5.1914 aus Togo an den Reichstag gerichtet wurde: Sebald 1988, S. 659–675, hier S. 674. 153 Den Hinweis verdanke ich Peter Sebald, der den Bildnachlass Hans Gruner (Nachlass 250), der in der Staatsbibliothek zu Berlin liegt, katalogisiert hat. In dem Nachlass sind auch kommerziell vertriebene pornographische Postkarten von Afrikanerinnen enthalten. 154 So erzählte es Hans Komla gegenüber Gruner in einem Interview 1981, siehe Adili 2012, Anm. 54ff. 155 Sebald 1992, S. 114. 156 Zu Rotberg siehe Adili 2012, unter 3.3.3. Hier die Anzeige der »Eingeborenen« Afassi aus Keta, die angibt, 1905 eine Tochter von Rotberg bekommen zu haben. Siehe zu Meyer: Schreiber 1907, S. 16. 157 Der Sohn Nicolas Grunitzky wurde 1956 als Ministre de la France d’OutreMer in Lome installiert und war Gegenspieler des ersten Staatspräsidenten Sylvanus Olympio, seinerseits Nachfahre des erwähnten Octavio Olympio; vgl. Adili 2012, Anm. 55. Adili kommentierte das Eheleben des deutschen Kaufmanns Grunitzky nicht ohne süffisanten Unterton folgendermaßen: »Dieser Deutsche lebte in Afrika quasi wie in einem polygamen afrikanischen Haushalt.« 158 Vgl. Zurstrassen 2008, S. 85; Sebald 1992, S. 113; vgl. auch Beobachtungen wie die des der Mission nahestehenden Johann Karl Vietor (1913, S. 9): Er berichtete von einem Dorf, das er besucht und in dem er nachgefragt hatte, wem »das Haus gehöre, und es wurde mir gesagt, es sei vom dortigen Bezirksamtmann für seine Frauen gebaut worden«. 159 BArch, R1001/3917 Gericht Atakpame Untersuchung gegen Schmidt 29.12.1903; BArch, R1001/3917, Gericht Atakpame Untersuchung gegen Schmidt 30.12.1903. 160 Solche Bordelle gab es z.B. in Deutsch-Südwestafrika aufgrund der starken Präsenz deutscher Soldaten, die dort während des Herero-Nama-Krieges stationiert waren, vgl. Hartmann 2007, S. 43ff. In Togo wurde 1909 eines eröffnet, vgl. Zurstrassen 2008, S. 85, Anm. 187. Zur marriage à la mode vgl. White 1999, S. 19ff. In den französischen Kolonien wurde 1910 eine Umfrage durchgeführt, die zeigt, dass es für die Mehrheit der Franzosen in

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den Kolonien üblich war, eine zeitlich befristete Ehe mit einer einheimischen Frau einzugehen. 161 Zur Bedeutung sexueller Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanerinnen in den Kolonien vgl. Rich 2003. Hier wird am Beispiel zweier Afrikanerinnen die ganze Palette sexueller Beziehungen zu Europäern nachgezeichnet. Vgl. Hollermann 2000, S. 50–57; Cooper / Stoler 1997; Reuss 1981; White 1999, S. 7–33; Zurstrassen 2008, S. 79ff., zu Togo. Sie spricht hier von Beziehungen, die von »Liebe bis Vergewaltigung« reichten. Vgl. auch von Trotha 1994, S. 214; zu Gabun vgl. Jean-Baptiste 2010. 162 Adili 2012, Anm. 53. Hans Koma Gruner hat in den 1980er Jahren berichtet, kurz nachdem der Vater die Mutter das erste Mal gesehen habe, sei »bereits nach Landessitte Hochzeit gefeiert worden«. Eine Hochzeit freilich, die nach deutschem Recht keine war. 163 Schreiber 1907, S. 15. 164 Ebd., S. 16. 165 Zu der Mischehendebatte vgl. Kundrus 2003a, S. 219ff.; Lindner 2011, S. 317–362; Sobich 2006, S. 352ff.; Sippel 1995. Zu Ehen zwischen Afrikanerinnen und Deutschen in Deutsch-Südwestafrika vgl. Hartmann 2007, S. 57. 166 BArch, R1001/3917 Schmidt, Äußerungen zu den Klagepunkten der katholischen Mission 16.12.1903. Pater Witte ging so weit zu behaupten, dass die Eingeborenen gesagt hätten: »Es gibt kein Mädel in Atakpame, das Schmidt nicht gebraucht habe, er treibe es sehr bunt, er sei sehr stark.« Vgl. ANT, FA2/127a Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt 31.3.1908. 167 Alle Zitate aus Külz 1906, S. 68f. 168 Schreiber 1907, S. 15. 169 Külz 1906, S. 70. 170 AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen an Hespers 13.10.1900, Brief überschrieben mit »Die Zustände der öffentlichen Sittlichkeit in unseren Kolonien«. Arnold zitierte dabei seinerseits aus einem Brief eines Steyler Missionars. 171 Stoler (1997, S. 355) hat auf den Zusammenhang zwischen den eugenischen Diskursen und kolonialen Weiblichkeitskonstrukten verwiesen. Vgl. zur deutschen Debatte auf der Grundlage einer Analyse von »Kolonie und Heimat« Tuschik 2005; siehe auch Dietrich 2007, S. 358ff. 172 Birthe Kundrus (2004) betont die Rolle der Frauen für das »Deutschtum« etwa auch in den Flottenverbänden; Daniel Walther (2004, S. 12) spricht von

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der »national importance«, die Frauen damit zugesprochen wurde bzw. davon, dass »(…) by accepting this domestic role, women became active paticipants in the colonial endeavor, moving from the private to the public.« 173 Vgl. Epprecht (2010) zu den beachtlichen Kontinuitätslinien zwischen kolonialen Konzepten einer »afrikanischen Sexualität« und aktuellen HIVDebatten. Zur Stellung von Frauen in kolonialen Geschlechterkonzepten allgemein vgl. Schaper 2012, S. 372–385; Dietrich 2007; Saint-Aubin 2005, S. 23–42. Birthe Kundrus (2003a) betont die ambivalente Position, die schwarze Frauen als Opfer der Unterdrückung einerseits und als Verführerinnen andererseits sah. 174 Scully 2004, S. 220. Vgl. Stoler 1997, S. 353ff. Zu black peril vgl. O’Donnell 1999, S. 33. 175 El-Tayeb 2003, S. 92. 176 Scully 2004, S. 215. 177 Vgl. Amadou Booker Sadjis (1985) nach wie vor beispielhafte Analyse zur »Imagologie Schwarzafrikas«. 178 Vgl. Dietrich 2007, S. 345ff.; Tuschik 2005; vgl. allgemein Kundrus 2003a, S. 77ff. 179 Külz 1906, S. 70. 180 Jünger 1924, S. 318. 181 Christaller 1904, S. 41. Zu den Konzeptionen kolonialer Weiblichkeit vgl. Kundrus 2003a; Stoler 2002; Dickinson 2003; McClintock 1995. 182 Kundrus 2003a, S. 79; zu kolonialen Männlichkeiten vgl. Walther 2013, S. 189–194, und ders. 2004. 183 Zum Neurasthenie-Diskurs um 1900 vgl. Radkau 1998; vgl. ANT, FA3/1179 (TCS) Brief an das Kaiserliche Postamt in Atakpame 22.1.1909. 184 Vgl. Bruns (2005) und Domeier (2010) zur Homophobie im EulenburgSkandal. Auch hier ging es um Schwächungen des männlichen Körpers und um Verweiblichungen, die bis zur Degeneration gehen konnten. 185 Im Englischen sprach man von tropical frenzy, im Niederländischen von Tropenkolder. Auch französische Psychiater wie Jacques-Joseph Moreau (1804–1884) befassten sich mit dem direkten Zusammenhang zwischen Klima und dieser besonderen Krankheit, vgl. Maß 2013. 186 Anne McClintock bezeichnete diese imaginierte besondere Sphäre als »porno tropics«, vgl. dies. 1995, S. 22ff. Gleichzeitig waren die Kolonien ein Ort für »sexual transgression« und ein Ort für die »(…) experimentation of lifestyle that would have been more complicated to maintain in the metropole«, vgl.

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Schmidt 2008, S. 59. Zu den darin enthaltenen Annahmen einer normativen Heterosexualität vgl. Walther 2008; ders. 2013, S. 191. Vgl. auch Medizinalberichte über die deutschen Schutzgebiete 1905/06, S. 107. 187 AG SVD, Subfolder 43132 Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo. 188 Die These, dass der Tropenkoller auf »sexueller Perversität« basiere, entwickelte Henry Wenden in seinem Roman »Tropenkoller. Ein Kolonialroman« (Wenden 1904). Gefährlich sind diese Verbindungen auch aufgrund der Geschlechtskrankheiten – so der zeitgenössische Diskurs nicht nur in Deutschland, vgl. von Bülow, Tropenkoller, erstmals erschienen 1895. Vgl. etwa in den USA zeitgleich die Debatten in Bezug auf die sexuellen Beziehungen von Amerikanern mit Philippinerinnen, Tyrell 2010, S. 136ff. 189 Darunter verstand man in etwa das Gleiche wie das im englischen Kolonialismus nicht minder gefürchtete going native, vgl. Lindner 2011, S. 320. 190 Schnee, Koloniallexikon, Bd. 3, S. 606, zit. nach Kundrus 2003a, S. 79f. 191 Vgl. Anonym, Afrikanische Sitten, in: Kölnische Volkszeitung, 14.10.1907, S. 27: »Die Sitten der Schwarzen wurden nicht verbessert durch die Beispiele, die die Vertreter der weißen Rasse im Zölibat gaben: Trunk, Spiel, schlimmes Treiben mit den schwarzen Bibis, Lärm, Prügeleien (…) alle Auswuchsformen des Lebens ohne Frauen, nahmen in der schwülen Tropenluft elephantengroßen Umfang an.« 192 Külz 1906, S. 71. 193 Ann Laura Stoler (1997, S. 344) argumentiert exakt so, indem sie betont, dass »colonial authority and racial distinction« durch gender strukturiert sind. Vgl. auch Hall 2004. 194 Der Steyler Orden holte, nachdem der Skandal bereits vorbei war, Ordensfrauen nach Togo, die sich dann auch in Atakpame niederließen. Sie können als die ersten Europäerinnen in Atakpame gelten. Vgl. Stornig (2013) zu den Ordensfrauen der SVD in Deutsch-Togo. 195 Zurstrassen 2008, S. 89. 196 RT, Bebel, 13.3.1896, 1436. 197 Es fehlt eine Untersuchung, die eine genaue Periodisierung hierzu vornimmt. Es spricht allerdings einiges dafür, dass dieser Widerspruch erst gegen 1900 stärker zum Thema wurde. Ann Laura Stoler (1997) kann für die holländischen Kolonien zeigen, dass sexuelle Kontakte zwischen Holländern und einheimischen Frauen erst mit der zunehmenden Stabilisierung kolonialer Herrschaft verboten wurden. Ludwig Külz (1906, S. 69) machte in

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einer Anmerkung darauf aufmerksam, dass eine offene Thematisierung der sexuellen Verhältnisse in den Kolonien »heute (…) undenkbar wäre«. 198 Vgl. AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen im Jahr 1893. Hier gab es bereits eine rege Korrespondenz mit dem Auswärtigen Amt bezüglich des Sexualverhaltens einiger Kolonialbeamter, und auch hier drohte die Mission, die Angelegenheit an die Presse zu geben. 199 RT, Bebel, 13.3.1896, 1436. Vgl. in dem Zusammenhang bezüglich der Protestanten in Togo Sawitzki (2003), die sich mit den sexuellen Kontakten der NM zu Afrikanerinnen bzw. der Reaktion vonseiten der Bremer Missionsleitung beschäftigt. 200 Auch hieß es beim Missionsinspektor Oehler bezüglich der »sittlichen Zustände« in den Kolonien: »Es kommen Dinge vor, deren sich ein Neger schämen würde, und hier liegt der tiefste Schaden unserer Kolonie.« (Anonym, Missionare und Kolonialbeamte, in: Germania, 13.12.1906, S. 187f.) Zur Norddeutschen Mission in Togo und ihrem Kampf gegen die Polygamie vgl. Knoll 1982, S. 182; Predelli 2003, S. 45–94; Salvaing 1994, S. 161, über den »Kampf gegen die Polygamie«; Vogelsanger 1977, S. 79. Vgl. auch Akakpo-Numado (2005), S. 233, zu Konflikten, die aus dem Kampf der Missionen gegen die Polygamie erwuchsen. Vgl. auch die Haltung des in Togo tätigen Kaufmanns Vietor, der gleichzeitig im Vorstand der Norddeutschen Mission war. Seinen Angestellten war jede Form der Konkubinage verboten, vgl. Ahadji 1995, S. 51. Vietor (1913, S. 97): »Im Interesse unserer Kolonien wünschenswert ist, dass die Rassen sich möglichst wenig vermischen.« Innerhalb der Kaufmannschaft war er eine Ausnahme. Vgl.außerdem Külz 1906. Er schrieb am 30.10.1902 über die Reise des Missionsinspektors Schreiber, dieser habe »ungestraft und unwidersprochen« die Europäer »in einer Veröffentlichung (…) mit einer beleidigenden Generalkritik« bezüglich ihres Sexualverhaltens bedacht. Vgl. dazu die Entgegnung vonseiten der Norddeutschen Mission, in der die Schrift des Missionsinspektors Schreiber verteidigt und die Meinung vertreten wurde, die Mission klage eher zu wenig als zu viel über die sittlichen Zustände der Europäer, vgl. Anonym, Missionskritiker aus dem kirchlichen und kolonialen Lager, in: MNDMG (1905) H. 3, S. 18. 201 Anonym, Missionare und Kolonialbeamte, in: Germania, 13.12.1906, S. 187f. So erregte ein Generalagent Wilhelm Schmidt der Firma Gödelt den Unmut der Steyler Missionare, weil er sich ein von den Missionsschwestern erzogenes Kind zur Konkubine genommen hatte, vgl. AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen an Gödelt 22.1.1901. 202 BArch, R1001/3917 Anlage 3 Bekanntmachung 3.5.1903. 203 BArch, R1001/3919 Besprechung Roeren und Bücking 24./25.11.1904.

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204 AG SVD, Subfolder 43132 Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo. 205 Vgl. Przyrembel 2011, S. 143–270. 206 Zur religiösen Situation im Kaiserreich vgl. Habermas 2011. 207 Kolonie und Heimat, 1.10.1909. 208 Vgl. hierzu Patrick Harries (2007, S. 4), der zeigen kann, dass Schweizer Missionare, die im 19. Jahrhundert nach Afrika gingen, dort eine Welt zu etablieren versuchten, die sie in der Schweiz verloren glaubten. Vgl. zur katholischen Mission Hölzl 2012; zu den romantisierenden Konzepten der Norddeutschen und vor allem der Hermannsburger Mission vgl. Rüther 2001, S. 40. 209 Schmidlin 1923, S. 100. 210 AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen an Hespers 25.10.1900. 211 Gaunt 1911, S. 284f. 212 Vgl. zum Konversionsbegriff in der Missionswissenschaft um 1900 Habermas 2015a. 213 Schmidlin 1923, S. 323. 214 Salvaing 1994, S. 162, sowie Bericht über die Thätigkeit der Togomission bis Ende 1900, in: SHJB (1901) H. 8, S. 112–113, hier S. 112. 215 Rohns 1912, S. 48. Zu den frühneuzeitlichen Berichten über Polygamie vonseiten der Mission vgl. Epprecht 2010, S. 770; Axenfeld 1909. Missionare wie auch Kolonialbeamte waren der festen Überzeugung, »dass Polygamie an der Tagesordnung ist, (…) sie herrscht ja sozusagen überall, wo das Christentum nicht die Sitten veredelt und die Ehe geheiligt hat.« Schynse 1894, S. 226. Zu Kamerun liegt eine Studie vor, die den Polygamiediskurs der Kolonialbehörden analysiert. Vgl. Schaper 2012, S. 377. In Togo traten zumindest im Zusammenhang mit dem AtakpameSkandal solche Stimmen vonseiten der Kolonialbehörden nicht in den Vordergrund. 216 Schwester Didaka, Kommuniontag und Hochzeitsfeier in Adjido, in: SMB (1902) H. 4, S. 55ff., hier S. 57. Ähnlich sahen das auch andere, wie etwa der Kaufmann Gustav Küster, der in Togo arbeitete und zusammen mit seiner Ehefrau enge Verbindungen zur Norddeutschen Mission unterhielt. Er schreibt, dass es in der einheimischen Bevölkerung ein europäisches Familienleben nicht gebe, da der »Polygamismus« herrsche (Küster / Küster, 2000, S. 37ff.). 217 »(…) made a place for herself in the world, and here were certainly some ideals carried out, for ever women in this community was self-supporting for

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the greater part of the life and not only did she support herself, but her children as well.« Mary Gaunt (1911, S. 283) gab hier einen der wenigen Eindrücke wieder, die deutlich von zeitgenössischen emanzipatorischen Vorstellungen der um 1900 in England virulenten Suffragentenkämpfe gekennzeichnet waren. 218 Vgl. zum Familienmodell Comaroff / Comaroff 1997, S. 274–322; Glocke 1997, S. 121; Hall 2002, S. 12–139. Am Rande sei zumindest darauf verwiesen, dass es selbstredend auch den Missionaren nie darum ging, die lokale Bevölkerung zu Kopien der Europäer zu machen. Davon zeugen u.a. die abgelehnten Heiratsgesuche, die Bremer Missionare bezüglich afrikanischer Heiratspartnerinnen stellten. Diese wurden abgelehnt, weil auch die beste Missionsschülerin in den Augen der Missionsleitung immer eine »echte Afrikanerin« blieb. 219 Bericht über die Thätigkeit der Togomission bis Ende 1900, in: SHJB (1901) H. 8, S. 112–113, hier S. 112. Vgl. Schwester Didaka, Kommuniontag und Hochzeitsfeier in Adjido, in: SHJB (1902) H. 4, S. 55ff., hier S. 57. Vgl. das Foto eines Ehepaares aus Atakpame in: Anonym, Kleine Nachrichten, in: SMB (1907) H. 11, S. 164; SMB (1909) H. 8, S. 113; P. Anton Berning, Drei Feiertage in Lome, in: SMB (1906) H. 3, S. 41. 220 Vgl. zur praktischen Missionsarbeit auch die Erinnerungen von Hedwig Rohns (1905 und 1912). Zur Konzeption von Mütterlichkeit in der Norddeutschen Mission vgl. Alsheimer 2010, S. 261ff. 221 P. Hermann Bücking, Aus dem Jahresbericht der Mission in Togo, in: SMB (1907) H. 3, S. 39. 222 Ahadji 2000, S. 4. Schulbildung wurde von der Mission nicht als Akkumulierung von Wissen, sondern als Formung des Charakters, etwa in Fragen von Sauberkeit und Pünktlichkeit, verstanden. Höhere Schulbildung, geschweige denn akademische, war deshalb für die lokale Bevölkerung nicht vorgesehen. Vgl. Schlunk 1914a und b. Vgl. auch Pabst 1988, S. 230–249; Adick 1981. Zu Weiblichkeitskonzepten der Methodisten an der Goldküste vgl. Hugon 1997; auch Kent 2004; Alsheimer 2010 zum Frauenbild der NM, S. 231ff. Zur Bedeutung von Ehe- und Familienmodellen in den Missionen vgl. die Analyse der Familienkonzepte der Diakonissen im arabischen Raum um 1900 von Hauser (2011, S. 3–30). 223 Thauren 1931, S. 25. Vgl. den Kolonialroman von Nathanael Jünger (1924, S. 107), in welchem der Protagonist sagt: »Es kostet viel Mühe und Geduld, (…) getauften Christen (…) Verständnis für ein wirkliches Familienleben beizubringen. Auch dass der christliche Neger dazu gebracht wird, in der Einehe zu leben und auf die entnervende Vielweiberei zu verzichten.« Geradezu beispielhaft sind auch die Szenen, in denen die beiden

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Hauptprotagonisten, die der Norddeutschen Mission nahestehen, ein christliches »Negerdorf« besuchen, vgl. ebd., S. 100ff. 224 Vgl. Stornig (2014), die diesen inneren Widerspruch beispielhaft herausgearbeitet hat. Ausführlich zu den Steyler Schwestern vgl. Stornig 2013. 225 Hermann Hesse, Die Rassenfrage in den Schutzgebieten, in: DKZ (1904) H. 12, S. 117. 226 Erzberger 1906b, S. 38. 227 Asmis 1907. 228 Vgl. Zurstrassen 2008, S. 205; BArch, R1001/3917 Bücking an Kolonialdirektor 7.8.1903. Eine weitere Beleidigungsklage wurde am 14.4.1903 von Graef gestellt (vgl. BArch, R1001/3918 Strafsache gegen Pater Schmitz wegen falscher Anschuldigung und Beleidigung 27.4.1903). 229 ANT, FA2 107 b Geo Schmidt an Pater Müller 9.3.1903. Schon die Tatsache, dass sich Müller und Schmidt, die beide in Atakpame unweit voneinander saßen, Briefe schrieben, zeigt, wie es um ihr Verhältnis bestellt war. Vgl. BArch, R1001/3919 Kolonialabteilung Bericht betr. in Togo anhängigen Strafsachen August 1904, da heißt es »Bezirksleiter Schmidt stelle Strafantrag gegen Müller, weil dieser in einem Brief am 9. März behauptet habe: a. Schmidt behandele seine Leute unrichtig, verlange unrichtiges von Ihnen und habe sie ohne Befugniß hierzu in Untersuchungshaft« gesetzt. Überdies wird geklagt weil, »Atakpame verödet« beziehungsweise weil »große Unzufriedenheit in Bevölkerung« herrsche. 230 Eine Bevollmächtigung wurde der Mission auch nicht erteilt, weder von Kassene, dem Familienältesten Adjaros, noch von ihrer Mutter, wie behauptet wurde, vgl. BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt 26.11.1903. In der Revision des Urteils vom 7.12.1903 gegen Schmidt (Freispruch), welches in Kamerun im April 1904 verhandelt wurde, beantragte Pater Schmitz, als Nebenkläger zugelassen zu werden, als »Vertretung der Eingeborenen Sisagpe, als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Tochter Adjaro«; dies wurde abgelehnt, BArch, R1001/3919, Obergericht Kamerun an Kolonialabteilung Revisionsurteil 5.10.1906. 231 Schmidt 1907, S. 25. Sie erhob Klage gegen Schmidt wegen Verstoßes gegen die §§ 174 und 176 des Strafgesetzbuches von 1871. Beide Paragraphen bezogen sich auf Unzuchtsvergehen, einmal an Schutzbefohlenen und dann an Personen unter 14 Jahren. 232 BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt 26.11.1903.

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233 BArch, R1001/3918 Bericht Horn vom 9.7.1913, Anklage gegen den Stationsleiter Schmidt. 234 Silvester / Gewald 2003, S. 230. 235 RT, Müller, 4.12.1906, 4131. 236 Ebd. 4132. Vgl. Schreiber 1907, S. 19, der ein Kapitel seiner Abhandlung mit »o sancta justitia« überschrieb und dort die »Missstände auf dem Gebiete der Rechtspflege« in den Kolonien beschrieb. 237 RT, Roeren, 3.12.1906, 4091. 238 Vgl. RT, Erzberger, 14.12.1905, 331: »Wir verlangen schließlich eine reinliche Scheidung von Justiz und Verwaltung (…). Wir verlangen endlich eine Sicherstellung der Rechte der Eingeborenen. Die Eingeborenen sind heute, möchte ich sagen, fast vollkommene Sklaven. Sie haben irgend welche Rechte für Sicherstellung der Freiheit ihrer Person in gar keiner Weise. Die Eingeborenen sind doch des Deutschen Reichs Schutzbefohlene. Sie dürfen nicht das Objekt der Ausbeutung und der Misshandlung von den Deutschen werden.« 239 Vgl. Habermas 2008, S. 166–173, zu dieser Rechtsstaatsrhetorik im langen 19. Jahrhundert. 240 Vgl. zu Folgendem dies., 2012. Vgl. auch die Petitionen aus Kamerun, in denen die lokale Bevölkerung ihrerseits den Willkürtopos bemühte, diese Zitation europäischer Argumente wird in der Interpretation von Otremba als Topos beschrieben. Otremba behauptet aufgrund ihrer Analyse, dass 1905/06 der »Willkür-Topos« in den Petitionen dominant gewesen sei, vgl. Otremba 2009, S. 249. 241 Alfred Vierkandt, Eingeborenenrecht und Kolonisation, in: Berliner Tageblatt, 16.7.1907, Bl. 140. Der Artikel setzt die »Naturvölker« auch in eine zeitliche Linie und schreibt, dort sei das Recht wie im »Mittelalter«. 242 Asmis 1907, S. 109. 243 Grade 1889, S. 29. 244 Asmis 1907, S. 110. Vgl. Habermas 2012 zu der Debatte über das sogenannte Eingeborenenrecht. 245 Damit stand die weiße Superiorität – wie es Jonathan Saha für das britische Rechtssystem in den Kolonien formuliert hat – auf dem Spiel: »The rhetorics concerning the virtues of the rule of law and of colonial conquest were intimately connected.« Vgl. Saha 2012, S. 193. Das Recht nahm in den europäischen Zivilisierungsphantasien einen privilegierten Platz ein, glaubte man doch, dass ein europäisches Rechtssystem das beste Mittel sei, um »die

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Bevölkerung zu erziehen, europäische Kultur zu verbreiten« (Bauer 1905, S. 80). 246 AG SVD, Subfolder 44947–45070, Pater Müller an Bücking o.D. 247 Es gab auch eine andere, allerdings minoritäre Position, die für die Erhaltung der sogenannten Eingeborenenrechte plädierte, vgl. zu dieser Debatte Habermas 2012. 248 Vgl. die mittlerweile klassischen Arbeiten Chanock 1985; Roberts / Mann 1991; Moore 1986. 249 Saha 2012. Siehe zu der Anthropology of Law im Kolonialen Benton 2002. 250 Comaroff 2001, S. 306. 251 Das hat Jan-Georg Deutsch (2006) beispielhaft für DOA gezeigt. Vgl. auch Saha (2012, S. 208), der für Burma zeigt, dass diese Rechtsnutzung auch unter »misadaption« der Gesetze stattfand. Nicht wenige Afrikanerinnen setzten hier ihr Recht etwa gegen eigene Ehemänner, aber auch gegen sexuellen Missbrauch durch Kolonialbeamte durch. Und schließlich können die Sprache und die Kategorien des Rechts (Merry 1995, S. 12) für eigene politische Belange genutzt werden. 252 Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Beschreibung der Rechtsordnung, die mal als Herrschaftsinstrument und mal von der Bevölkerung für eigene Interessen genutzt wurde, genauso auch für die Metropolen zutrifft: So spricht man in Bezug auf das Kaiserreich einerseits auch von Recht als Disziplinarmacht und andererseits davon, dass es viele Formen der Rechtsnutzung vonseiten der Bevölkerung gab. 253 RT, Müller, 4.12.1906, 4131. 254 Die Landesgesetzgebung des Schutzgebiets Togo, 1910, Verordnung 11.2.1907, S. 201f., hier S. 201. 255 Freilich unterschied es sich damit nicht grundsätzlich von den Rechtsnormen der französischen oder englischen Kolonien. Neuere Untersuchungen, die auch der Rechtspraxis in den deutschen Kolonien Aufmerksamkeit schenken, fehlen weitgehend, vgl. jedoch die herausragende Studie von Sally F. Moore (1986), die sich teilweise auch auf DOA konzentriert, sowie die Arbeiten von Jan-Georg Deutsch, v.a. jene von 2006, und von Ulrike Schaper (2012). 256 Vgl. im Überblick Mann / Roberts 1991. 257 Von Stengel 1910, S. 194, fuhr fort: »Die Bevölkerung in den europäischen Staaten hat die Erfahrung machen müssen, dass namentlich die unteren Bevölkerungsschichten nur sehr geneigt sind, mit Hilfe der ihnen verliehenen Rechte nicht bloß ihre Sonderinteressen in der rücksichtslosesten Weise zu verfolgen, sondern auch die Interessen der Gesamtheit zu beschädigen und

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den Staat und seine Einrichtungen geradezu zu untergraben. Nach diesen Erfahrungen kann man sich eine Vorstellung davon machen, wie die Eingeborenen die ihnen eingeräumten Rechte zur Unterdrückung der Weißen benützen können und werden.« 258 Bauer 1905, S. 438. Faktisch galten häufig wie im Falle der Verordnungen vom 22.4.1896, erlassen vom Gouvernement von Togo (vgl. Die Landesgesetzgebung des Schutzgebiets Togo 1910, Verordnung 195–198), etwa für »Araber und Inder« nicht die gleichen Verordnungen wie für die »Eingeborenen«, so waren sie von der Prügelstrafe ausgenommen. 259 Brinkmann 1904, S. 20. 260 Naendrup 1907, S. 9; Reichs-Gesetzblatt 1900, Schutzgebietsgesetz 1900, § 7 (3), S. 815. Vgl. im Überblick die Naturalisation von »Ausländern und Eingeborenen«, in: Das Schutzgebietsgesetz nebst seinen Ergänzungsgesetzen, 1901, S. 37–44. 261 BArch, R1001/3915 Anzeige des Pater Schmitz gegen Geo Schmidt wegen Sittlichkeitsvergehen 10.5.1903. 262 BArch, R1001/3915 Horn an Kolonialabteilung 8.6.1903. Horn schrieb an die Kolonialabteilung: »Wer nur einigermaßen den Charakter des Negers kennt, wird wissen, dass derselbe Zeuge sehr leicht ganz anders aussagen kann, je nachdem er von einem Bezirksleiter oder einem wohlwollenden Missionar verhört wird.« 263 ANT, FA2/127a 31.3.1908, Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt: Aussage Theodor Kost. 264 BArch, R1001/3917 Pater Müller Schriftsätze an Gouvernement 28.1.1904. Darin enthalten ist die Strafsache gegen Pater Schmitz wegen wissenschaftlich falscher Anschuldigung und Beleidigung vom 5.12.1903. 265 Schmidt 1907, S. 31. 266 BArch, R1001/3917 28.1.1904 Pater Müller Schriftsätze an Gouvernement. Darin enthalten ist die Strafsache gegen Pater Schmitz wegen wissenschaftlich falscher Anschuldigung und Beleidigung vom 5.12.1903. 267 BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt 26.11.1903. 268 RT, Dernburg, 3.12.1906, 4100. Es ging dabei um Zeugenaussagen im Fall Kersting. Und doch gab es auch vereinzelt andere Stimmen, so etwa ANT FA2/1008 Berufungsgericht in Strafsache gegen Lang wegen Vergehens § 340 und § 343 25.6.1908, da hieß es: »(…) es ist keineswegs als Grundsatz anzuerkennen, dass Aussagen von Farbigen, sobald sie mit den Angaben eines Weissen in Widerspruch stehen, prinzipiell keinen Glauben verdienen.«

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269 Andreas Eckert spricht für Kamerun von einer »wahren Regelungsflut und wut« (2001, S. 172). Die Gouverneure wie die Beamten vor Ort hatten das Recht, Polizeiordnungen zu erlassen, vgl. Reichsgesetzblatt 1886, Nr. 10, 17.4.1886. Die Beamten konnten hierbei das Recht durch die Gouverneure übertragen bekommen, vgl. von Trotha 1994, S. 109. Am Legislativrecht der Gouverneure gab es zeitgenössisch durchaus Kritik, vgl. Zurstrassen 2008, S. 190. 270 Zur mangelnden juristischen Kenntnis der Kolonialbeamten am Beispiel der Kolonie Kamerun vgl. Walz 1981, S. 111. 271 Zum Abwandern vgl. Hollermann 2000, S. 98; Amenumey 1969, S. 637ff.; Lawrance 2007. So wenig es verlässliche Zahlen über Abwanderung gibt, so sehr mussten solche Gerüchte über Abwanderung die damalige Kolonialregierung beunruhigen, da man auf die Bevölkerung angewiesen war, und sei es nur als Zwangsarbeiter. Auch mussten solche Vorwürfe schmerzen, weil sich Deutschland in Bezug auf Kolonialpolitik stets mit England verglich, und gerade um 1900 waren die Rivalitäten bedeutend, vgl. Lindner 2011, S. 45. 272 BArch, R1001/3915 Klage Geo Schmidt gegen Pater Müller wegen Aufwiegelung, Beleidigung, Verleumdung 10.5.1903. 273 BArch R1001/3918 Urteil Prozess gegen Pater Schmitz wegen wissentlich falscher Anschuldigung und Beleidigung 5.12.1903. 274 Die Bezirksleiter konnten ihre Zuständigkeit für die lokale Bevölkerung meist nur in direkter Umgebung ihres Amtssitzes durchsetzen, und auch nur dann, wenn sie nicht auf Expeditionsreise oder Heimaturlaub waren, was – so Trutz von Trotha – häufig der Fall war, vgl. von Trotha 1994, S. 87, Anm. 5. 275 Vgl. zur Vielfalt der rechtsprechenden Instanzen in Togo von Trotha 1995, S. 536. Vgl. zu Missionaren und Rechtsprechung in den Kolonien Roberts / Mann 1991, S. 14. Diese argumentieren sogar, dass der Einfluss der Missionare insofern sehr groß gewesen sei, als sie die Vorstellung propagierten, dass Gesetzesverstöße gleich Sünden seien. Vgl. Chanock 1985, S. 81, der betont, dass englische Missionare, ihrer viktorianischen Lesart der Bibel folgend, auch eine brutale Form der Missionsjustiz ausgeübt hätten. Man spricht in dem Zusammenhang von Missionarsrecht. 276 Vgl. Walz 1981, S. 113–121. Er betont für Kamerun die Ambivalenz der Häuptlinge in dieser Funktion, die sie auch in Konflikt mit der Kolonialregierung bringen konnte. Diese flexible Nutzung des Rechtssystems durch die lokale Bevölkerung hatte viele Hintergründe: Einige afrikanische Gesellschaften waren kaum territorial gebunden, so dass es für diese Gruppen nahelag, auch in Gerichtsfällen nach der besten Möglichkeit zu suchen, Recht

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zu bekommen, und sich nicht in allen Fällen an die qua kolonialer Aufteilung offiziell zuständige Institution zu wenden. Da zahlreiche einheimische Rechtspraktiken darauf ausgerichtet waren, Frieden herzustellen, ging es auch keineswegs immer primär um Strafen, vgl. etwa die in Nord-Ghana verbreitete Praxis, Schreine aufzusuchen, um Ursachen für bestimmte Konflikte herauszufinden (Asiwaju 1991, S. 226). Vgl. Hawkins 2002, S. 168ff. 277 Vgl. Chanock 1985, S. 34. Auch sollte erwähnt werden, dass intermediaries indirekt eine entscheidende Rolle spielten, da Rechtsverhandlungen vonseiten der europäischen Kolonialbeamten ohne Dolmetscher, aber auch ohne Vermittler religiöser Provenienz gar nicht geführt werden konnten. Lawrance / Osborn / Roberts (2006) betonen die Bedeutung der Übersetzung, vgl. von Trotha 1994, S. 186–205, sowie Chanock 1985, S. 105. 278 ANT, FA2/127a 31.3.1908, Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt. Diese Aufforderung geschah im Zusammenhang mit der Kukowina-Affäre. Vgl. ANT FA2/100 Abschriften von Aufzeichnungen des Pater Müller aus Nachlass Assessor Tietz 25.7.1904, hierin: Vernehmung im Mai 1903 des Neffen von Adjar durch Lang, der ebenfalls aussagt, die Mission habe Kassene, den Familienältesten, zu sich kommen lassen, um ihn zu vernehmen. 279 ANT, FA2/127a 31.3.1908, Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt. Aussage Dr. Gruner 31.3.1908. 280 Kersting wird von der Mission als derjenige begriffen – und von der Kolonialabteilung auch so dargestellt –, der auf der Baumwollkonferenz Ende März in Tove mit Gruner und anderen Teilnehmern der Konferenz überlegte, wie gegen die Mission vorzugehen sei. Vgl. BArch, R1001/3915 Bücking an Kolonialabteilung 7.8.1903. 281 Das meldete eine Göttinger Zeitung schon 1906, als der Atakpame-Skandal in Berlin eskalierte, vgl. Anonym, Deutscher Reichstag, in: Göttinger Deutscher Bote, 5.12.1906. Ein bemerkenswerter Artikel, da er sich sehr kritisch mit dem kolonialen Geschehen auseinandersetzt. 282 Vgl. zu Werner Freiherr von Rotberg-Rheinweiler (1870–1949) auch Adili 2012, Dokument Nr. 16. 283 Vgl. BArch, R1001/3916 Niederschrift der Aussage Rotberg in Kolonialabteilung 19.9.1903. Freiherr von Rotberg behauptete, er sei von Graef beauftragt worden; Pater Kost wiederum behauptete, Graef habe gesagt: »Wenn der Gouverneur mir in Atakpame ins Handwerk pfuscht, so

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lege ich sofort mein Amt nieder und fahre mit dem nächsten Dampfer nach Hause.« Vgl. BArch, R1001/3915 Bücking an Kolonialabteilung 7.8.1903. 284 BArch, R1001/3917 Lang an Gericht Lome 7.9.1903. 285 Kaum war er in Atakpame angekommen, übernahm er statt botanischer Forschungen schnell Kerstings Rolle. Er war es, der die Privatklage Schmidts in eine Offizialklage verwandelte. Als ausgebildeter Jurist beherrschte er im Unterschied zu Kersting die Klaviatur des Rechts gut genug, um zu wissen, dass Schmidts Klage gegen Pater Müller damit weit mehr Gewicht bekam. Vgl. BArch, R1001/3918 Urteil Prozess gegen Pater Schmitz wegen wissentlich falscher Anschuldigung und Beleidigung 5.12.1903. 286 Vom 23.5 bis 16.6.1903 waren die Atakpamer Missionare verhaftet; BArch, R1001/3916 Abschrift o.D. »Beamte, gegen welche die katholische Mission Beschwerden hat, deren Entfernung aus Togo im Interesse des Friedens gewünscht werden.« Es handelt sich hier wahrscheinlich um die sogenannte »schwarze Liste«. 287 BArch, R1001/3916 Abschrift, o.D. »Beamte, gegen welche die katholische Mission Beschwerden hat, deren Entfernung aus Togo im Interesse des Friedens gewünscht werden«. 288 Wilhelm Lang, 1871 im Königreich Württemberg geboren, war bekennender Sozialdemokrat wie auch deutlich antikatholisch eingestellt, vgl. BArch, R1001/3917 Pater Kost an Gouvernement 12.1.1904. 289 Es ist davon auszugehen, dass diese Ablösung Rotbergs auf Interventionen vonseiten der Mission zurückzuführen ist, die sich in verschiedenen Schreiben an das Auswärtige Amt gewandt hatte, vgl. BArch, R1001/3917 Pater Müller Schriftsätze an Gouvernement 28.1.1904. 290 BArch, R1001/3917 Zech an Stationsleiter 30.1.1904. Vgl. BArch, R1001/3917 Pater Kost an Gouvernement 12.1.1904. Da heißt es, Lang habe gesagt: »Es ist richtig, dass ich die Äußerung getan habe, Pater Witte, der Lumpenhund, muß auch noch ins Loch.« 291 Darauf hat auch John L. Comaroff (2001) in seiner kritischen Einschätzung der Forschung verwiesen, die sich häufig zu sehr auf Rechtsnutzung von colonizern einerseits und colonized andererseits bezieht. 292 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 11.10.1913. 293 Zur Rechtspraxis in Togo liegen wenige Untersuchungen vor. Vgl. Sippel 2003; von Trotha 1988; Sebald 1988, S. 293ff.; Zurstrassen 2008. 294 BArch, R1001/3917 Bücking an Kolonialdirektor 7.8.1903. 295 BArch, R1001/3916 Abschrift, o.D. »Beamte, gegen welche die katholische Mission Beschwerden hat, deren Entfernung aus Togo im Interesse des

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Friedens gewünscht werden«. 296 Pater Müller behauptete, dass in diesem ersten Verfahren »Eingeborene« verhört wurden, die »zum Teil recht gravierende Aussagen gegen Schmidt machen. Wie uns aber nachher mitgeteilt worden ist, sind diese gravierenden Aussagen nicht alle protokolliert worden«. Vgl. BArch, R1001/3916 Abschrift, o.D. »Beamte, gegen welche die katholische Mission Beschwerden hat, deren Entfernung aus Togo im Interesse des Friedens gewünscht werden«. 297 ANT, FA2/107i Untersuchung gegen Pater Schmitz wegen Beleidigung Mai / Juni 1903 Aussage Schilling. Schilling konnte zwar die Herkunft der Schläge nicht eindeutig belegen, da »bei Negern die so viel auf dem Boden herumhocken, auf dem Boden schlafen, können Wunden und Geschwüre am Gesäß alle möglichen Umständen entstehen«, schloss aber dennoch Gewaltanwendung aus. 298 ANT, FA2/127a, Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt, hier Aussage Theodor Kost 31.3.1908. 299 Rotberg bezeichnete seine Enthebung vom Richteramt durch Gouverneur Horn als »Akt der Kabinettsjustiz«, vgl. BArch, R1001/3196 Niederschrift der Aussage Rotberg in Kolonialabteilung 19.9.1903. Die Mission wiederum erhob diesen Vorwurf am deutlichsten in zahlreichen Schreiben an das AA. Rotberg argumentierte auch, seine Absetzung durch Gouverneur Horn sei »nicht nur geeignet, das Vertrauen der europäischen Bevölkerung in die Objektivität der Rechtsprechung und das Vertrauen der Eingeborenen zur Regierung überhaupt auf das schwerste zu erschüttern, sondern Misstrauen gegen mich« zu schüren, vgl. BArch, R1001/3916 Rotberg an die Kolonialabteilung 1.7.1903. 300 ANT, FA3/1008 Berufungsgericht in Strafsache gegen Lang wegen Vergehens § 340 und § 343 25.6.1908.

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301 Vgl. Deutsch 2006 und Schmidt 2008 zum Argument der Gerichtsnutzung. 302 BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt 26.11.1903. 303 ANT, FA2/107g Verhör Adjaro Nyakuda 28.4.1903. Das Verhörprotokoll ist unterschrieben von Staatsanwalt Lang und Dolmetscher Mensah. 304 ANT, FA2/127a, Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt, Aussage Anton Witte 31.3.1908. 305 ANT, FA2/107i Untersuchung gegen Pater Schmitz wegen Beleidigung Mai / Juni 1903, Verhör Kassene. 306 Vgl. Schmidt 1907, S. 23; ähnlich Schreiber 1907, S. 23. Es wird behauptet, Kassene sei mehrmals aufgefordert worden, zur Mission zu kommen, und habe sich geweigert. 307 ANT, FA2/107i Untersuchung gegen Pater Schmitz wegen Beleidigung Mai/Juni 1903, Verhör von Athanasius. 308 ANT, FA2/107i Untersuchung gegen Pater Schmitz wegen Beleidigung Mai/Juni 1903, Verhör Johnson. Am 1., 2. und 3. Mai vernahm die Mission Ageme, Adjaro und Lisagbe. Adjaro sagte, sie sei mit ihrer Schwester als Zeugin für ihre Aussage zur Mission gegangen, da die Mission sie gesucht habe. Die Mission habe sie zu keiner Aussage bewegen wollen. ANT, FA2/107g Verhör Adjaro Nyakuda 28.4.1903. 309 ANT, FA2/107g fortgesetztes Verhör Adjaro Nyakuda 29.4.1903, vgl. BArch, R1001/3915,5 Anzeige des Pater Schmitz gegen Geo Schmidt wegen Sittlichkeitsvergehen 10.5.1903. 310 Vgl. hierzu Heike Schmidt (2008, S. 55), die dies für Rechtsverhandlungen in DOA nachweist, und Deutsch (2006). Die Mission unterstellte strategisches Verhalten der Betroffenen bzw. offene Bestechung vonseiten Schmidts, der mit Geschenken und der Erteilung von Häuptlingswürden operiert haben soll, vgl. BArch, R1001/3917 Pater Müller Schriftsätze an Gouvernement 28.1.1904. Im Urteilsspruch zum Verfahren gegen Schmidt hingegen wurde mit leichter Beeinflussbarkeit und »Blödigkeit« der Afrikaner und Afrikanerinnen argumentiert. Nicht nur Schilling, auch andere europäische Zeitgenossen behaupteten, solche Formen von Mimikry (Bhabha) beobachten zu können, vgl. Steinmetz 2007, S. 593. 311 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 11.10.1913. 312 Johannes Gerstmeyer 1914, S. 33. 313 RT, Richter, 17.2.1894, 1299.

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314 Zur Bedeutung von Öffentlichkeit und der Debatte im Kaiserreich darüber vgl. Ortmann (2014), S. 109–269. 315 Vgl. Jan-Georg Deutsch (2002), zu den Schauri in DOA, die nach formalisierten Regeln abliefen. Er betont, dass Schauri nicht nur Demonstrationen kolonialer Macht waren, sondern auch eine Öffentlichkeit schufen, die dazu diente, Konsens zu erzielen. 316 Schmidt soll verkündet haben, dass die Eingeborenen mit ihren Beschwerden nicht zur Mission gehen dürften. Daraufhin soll die Mission von der Kanzel gepredigt haben, die Bevölkerung solle weiter zur Mission kommen, um Beschwerden vorzulegen, vgl. ANT, FA2/127a, Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt 31.3.1908. 317 Auch von Rotberg rief eine öffentliche Versammlung in Atakpame ein. Damit »im Desinteresse der Haltlosigkeit der gegen den in seinem Ansehen schwer bedrohten Stationsleiter ausgestreuten Behauptung eines schweren Sittlichkeitsverbrechens unverzüglich zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelange, gestatte ich ihm, am 30. April vor Stadtältesten von Atakpame in meiner Gegenwart zu erklären, dass meine Ermittlungen auch nicht das geringste gegen ihn ergeben hätten«, vgl. BArch R1001/3916 Rotberg an Kolonialabteilung 1.7.1903. Später wurden von der Kolonialregierung noch Palaver einberufen, wo über den Fortgang des Verfahrens berichtet wurde bzw. der Ruf der Mission wiederhergestellt werden sollte. 318 ANT, FA3/1111 (TCS) Korrespondenz mit »Togokaufleuten«. 319 Vgl. ANT, FA3/1088 (TCS) hier sind unterschiedliche Korrespondenzen enthalten, in denen verschiedene Vereinigungen lokaler Kautschukhändler Eingaben machen. 320 Vgl. Habermas 2008, S. 209–241. Das Argument, das ich hier entwickle, geht nicht in die Richtung zu behaupten, es hätte eine idealtypische Öffentlichkeit gegeben, so wie sie von Juristen in ihren Debatten vorgesehen worden war. Das Argument ist vielmehr, dass es eine eigensinnige Öffentlichkeit gab und genau darin aber die Kontrolle des Rechtes lag, das dadurch auch nach justizfremden Logiken beurteilt wurde. Vgl. ausführlich und für die Zeit des Kaiserreiches Ortmann (2014), S. 109–269. 321 Die europäische Öffentlichkeit in Togo war verglichen mit anderen deutschen Kolonien rein numerisch wesentlich kleiner. In DSW etwa konnte man mit teilweise 15000 deutschen Siedlern von einer deutschen Öffentlichkeit mit eigener Stimme sprechen, einer »Siedler-Öffentlichkeit« etwa, vgl. Jakob Zollmann 2010, S. 201. Wie stark eine afrikanische Öffentlichkeit andererseits gefürchtet wurde, zeigt sich darin, dass die Kolonialmacht den

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kleinsten Anzeichen von afrikanischem Zusammenschluss mit sofortigen Verboten begegnete. In Togo, aber nicht nur dort, gab es spätestens seit dem Mutiny-Aufstand in Indien eine regelrechte Obsession, sich mit der Kontrolle von Öffentlichkeit und sei es auch nur in Form von Gerüchten zu beschäftigen, fürchtete man doch Revolten vonseiten der lokalen Bevölkerung. Joel Glasman (2011, S. 48) spricht von einer »culture du secret«. 322 Genauso wie es in den ab 1914 sich häufenden Petitionen, die von Togo aus im Reichstag eingebracht wurden, um eine »bessere Organisation der Justiz« ging; vgl. Dornseif 2010, S. 7, er berichtet von dem Versuch einiger lokaler Honoratioren, Staatssekretär Solf eine Petition zu überreichen, als dieser im Oktober 1913 Togo besuchte. Erster Punkt der Petition war »Bessere Organisation der Justiz«. 323 Vgl. Sebald / Jones 2005. Am 3.9.1913 schrieb der Missionsdirektor der Bremer Mission an Staatsekretär Solf, dass die Zeitungsartikel, die in Togo in Abschriften kursierten, »gehässige Verdächtigungen« enthielten, so dass man sich beim britischen Gouvernement in Accra beschweren solle. Vgl. Dornseif 2010, S. 5. 324 Dornseif 2010, S. 1. 325 März 1914 zit. nach Sebald 2005, S. 166. 326 12.10.1913, in: Sebald 1988, S. 652–53; und Petition 1914 vgl. Sebald 1988, S. 656. 327 ANT, FA2/5 Erlass Kolonialamt, no. 138 21.2.1907. 328 Er fuhr schmeichelnd fort: »(…) doch setzte ich noch Vertrauen in die höchste Kolonialbehörde: Ein Wort von J.K. Vietor über Ew. Hochwohlgeboren mehrt noch dieses Vertrauen«, schrieb Bücking an die Kolonialbehörde, vgl. BArch, R1001/3917 Bücking an Kolonialdirektor 7.8.1903, BArch R1001/3915 kath. Mission an Kolonialabteilung 7.8.1903. Dann schrieb die Steyler Mission nach Berlin, dass sie, wenn keine Abhilfe geschaffen werde, Rotberg, Graef und Lang wegen »Vergehens bzw. Verbrechens im Amte« anzeigen werde bzw. diese Vergehen öffentlich machen wolle. Vgl. BArch, R1001/3917 Bücking an Kolonialdirektor 7.8.1903. Das wiederum provozierte die sich auf rechtsstaatliche Grundsätze berufende Kritik an der Mission, sie mische sich in die Verwaltung ein – ein Argument, das von eben den Beamten benutzt wurde, die diese Prinzipien immer wieder außer Kraft setzten. 329 RT, Ledebour, 18.3.1905, 5391. 330 Die »Rechtsbeugungen« waren selbst Gegenstand vieler zeitgenössischer Polemiken, vgl. Schreiber 1907, S. 18ff.

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331 Das wird ausführlich in der Petition vom 12.5.1914 an den Reichstag dargelegt, vgl. Sebald 1988, S. 659–675, bes. S. 670. 332 In Ehesachen haben sich durch koloniale Gerichte – so argumentiert Richard Roberts – für Afrikanerinnen sogar neue Chancen eröffnet, vgl. Roberts 2005, S. 16ff. Chanock (1985, S. 233) zeigt, dass europäische Gerichte auch besonders gut zum Einklagen von Eigentumsrechten genutzt werden konnten. Zur Rechtsnutzung vgl. Schmidt 2008; Deutsch 2006. 333 Vgl. Lawrance / Osborn / Roberts 2006; sie betonen die Bedeutung der Übersetzung; vgl. von Trotha 1994, S. 186–205, zur Bedeutung der Dolmetscher. Vgl. Chanock 1985, S. 105. 334 Wobei diese Gerichte ambivalente Funktionen hatten und weder nur als Orte, an denen Kolonialmacht durchgesetzt wurde, noch allein als Orte, an denen die lokale Bevölkerung eigenen Logiken folgen konnte, gesehen werden können. Jeffrey Adam Sachs (2013) hat am Beispiel der native courts im Sudan gezeigt, dass sich in diesen Institutionen auch die strategic ambiguity des britischen Kolonialsystems spiegelt. 335 Vgl. Schaper 2012. 336 Es gälte an dieser Stelle die Positionen innerhalb der lokalen Bevölkerung noch wesentlich stärker zu differenzieren – dies kann leider nicht geleistet werden. Ein Konflikt aus dem Jahr 1893 zeigt jedoch, dass die Missionare mit ihren Geschlechterkonzeptionen auch in offenen Konflikt mit der lokalen Bevölkerung geraten konnten: 1893 »befreiten« die Missionare Mattias Dier und Johannes Schäfer zwei »Sklavinnen«, welche in der Obhut eines Chiefs waren, der diese (so die Deutung der Mission) missbrauchte. Diese Aktionen der Missionare führten zu Komplikationen, in welche die Kolonialverwaltung eingeschaltet werden musste, vgl. Müller 1958, S. 66. 337 Das um 1900 von den Missionen propagierte Modell von Arbeitsteilung war zumindest in Atakpame insbesondere für Frauen alles andere als attraktiv, weil hier viele Frauen in der Landwirtschaft wie auf dem Markt eine traditionell starke Stellung innehatten. Damit verbunden waren sie im öffentlichen außerhäuslichen Bereich aktiv – wie etwa Adjaro und Ageme, die als Gummihändlerinnen ihr Geld verdienten –, worauf sie verzichten mussten, wollten sie zu christlichen Zivilisationshüterinnen werden. Vgl. zur Situation der Ewefrauen im Missionsgebiet der Norddeutschen Mission Alsheimer 2007, S. 67. So hat die von den Missionen unterstützte Einführung der Geldökonomie und die stärkere Vernetzung mit europäischen Händlern zu Veränderungen weiblicher Lebensverhältnisse beigetragen. Durch die einseitige Privilegierung männlicher außerhäuslicher Tätigkeit und die damit einhergehende Marginalisierung weiblicher Berufstätigkeit verloren Frauen Autonomie. Nicht nur die auf einem christlichen Ehemodell basierenden,

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neuen ökonomischen Vorstellungen, sondern auch die ebenfalls christlichen Rechtsgrundsätze boten wenig Attraktives für afrikanische Frauen, vgl. Greene 1996. Sean Hawkins (2002) hat Gerichtsprotokolle analysiert, in denen es um Heiratsangelegenheiten geht. Auch hier propagierte die Mission nicht ein Mehr an Selbstbestimmung, sondern im Fall der Frauen ein Modell der »respectability«, ein »system of intentions, desires, practices and beliefs that organize gender and status differences in such a way that behaviors are valued positively to the extent that they exemplify restraint, containment and orderliness, whereas behaviors are valued negatively that exemplify lack of self-control, spontaneity and chaos« (Kent 2004, S. 9). Vgl. zur Frauenpolitik der Mission Thorne 1999a. 338 Auch wurden die Lebensumstände vieler Frauen vielleicht entscheidender durch andere Faktoren bestimmt als durch polygame Eheformen, etwa durch die geschlechtliche Arbeitsteilung oder wie jüngst von Oyèrónké Oyewùmí behauptet durch Senioritätsprinzipien. Die Frauen wussten sehr wohl, dass mit der christlichen monogamen Ehe genau diese geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen und Senioritätsprinzipien zur Disposition gestellt werden sollten. Oyèrónké Oyewùmí hat in ihrem breit diskutierten Buch »The Invention of Women. Making an African Sense of Western Gender Discourses« (1997) die These aufgestellt, dass nicht gender, sondern Seniorität das entscheidende Prinzip gewesen sei. 339 Jeremy Rich (2003, S. 51ff.) hat auf den Widerspruch hingewiesen, dass die Mission einerseits ein besonders striktes Geschlechtermodell vertrat, dass es andererseits aber vor allem in der Missionsschule erzogene Mädchen waren, die Konkubinen von Europäern wurden. Da sie meist eine europäische Sprache gelernt hatten und auch über andere Kenntnisse verfügten – etwa über das Christentum oder die Schriftlichkeit –, waren sie für europäische Männer besonders interessant. 340 Damit greife ich einen Hinweis von Richard Hölzl auf. 341 Jules Kouassi Adja (2009) spricht davon, dass Adjaro Nyakuda zweifaches Opfer war, das von Schmidt und das der Mission, die ihren Fall instrumentalisierte. Zu betonen ist hier erneut, dass es zweifellos äußerst schwierig ist, »to define (…) the concept of marriage (…) in terms of indigenous criteria and in terms of how women understood their autonomy and exercices their agency« (Hawkins 2002, S. 119). 342 Scott 1992. 343 Cooper 1996, S. 5f.: »(…) colonial states’ labor policies were not solely determined by one empire’s structures or habits: confrontation with the labor question was part of colonial encounters themselves.«

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344 Moses Ochonu (2013, S. 96) hat das Dilemma für den englischen Kolonialismus folgendermaßen auf den Punkt gebracht: »As widespread as coerced labor was in colonial Africa, it was not considered an ideal form of labor recruitment, only a crude, desperate method to get colonial work done.« 345 Vgl. Akurang-Parry 2000, S. 10: »It was the paradox of the colonial situation that enabled the colonial state to exploit forced labor while at the same time posing as a guardian against the exploitation of unfree labor.« 346 Vgl. Daviron 2010. 347 Gaunt 1911, S. 270. Interessanterweise spielten Sauberkeit und Ordnung, wie sie in deutschen Kolonien geherrscht haben sollen, in der englischen Öffentlichkeit immer wieder eine Rolle, vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 28.2.1914. 348 ANT, FA2/127a Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt 31.3.1908. Siehe Aussage Pater Kost. Er leugnete die Nähe zur Mission und sagte aus, er sei nicht christlich getauft gewesen. Vgl. auch Aussage Pater Witte, der angab, dass er seinen »Lieblingssohn«, auf Veranlassung von Bezirkschef Döring, zur Mission geschickt habe. 349 BArch, R1001/3917 Gouvernement Lome Untersuchung gegen Schmidt 14.1.1904. 350 BArch, R1001/3918 Bericht Horn, Anklagen gegen den Stationsleiter Schmidt 9.7.1903. Vgl. AG SVD, Subfolder 43132, Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo. 351 So wurde Döring danach gefragt, ob sich die Art und Weise, wie Schmidt die Zwangsarbeit organisiere, von der Art unterschiede, wie er das getan habe, vgl. BArch, R1001/3917 Gericht Atakpame Untersuchung gegen Schmidt, Aussage Döring 28.12.1903. Vgl. AG SVD, Subfolder 43132, Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo; hier bestätigte Pater Müller, diesen Brief gesehen zu haben, leugnete aber, denselben ins Deutsche übertragen zu haben. Er habe ihn nur sprachlich etwas abgemildert. Pater Müller ging davon aus, dass Bernardo d’Almeida den Brief »teils aus Geschäftsinteresse, teils aus persönlicher Sympathie, indem er von seinem Vorgehen einen Vorteil erhoffte«, verfasst habe. Almeida selbst machte widersprüchliche Aussagen, einmal sagte er, Müller habe den Brief verfasst, dann behauptete er, es selber gewesen zu sein. Vgl. AG SVD, Subfolder 43676, und ANT, FA2/109 Gerichtssitzung in der Strafsache gegen Pater Schmitt wegen Vergehen gegen § 164, 165 5.12.1903. 352 So hatten 1901 Bewohner im Bezirk Misahöhe über den abwesenden Bezirksleiter Gruner ähnliche Beschwerden vorgebracht. Gruner wurde von

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Julius Smend vertreten, der sogar von »Unruhen« in dem Zusammenhang sprach. Hier ging es ebenfalls um zu viel Steuerarbeit, aber auch um Eingriffe in landwirtschaftliche Praktiken, da Gruner das im Bezirk übliche Abbrennen von Wald und Gras verboten hatte. Vgl. auch Knoll 1978, S. 55. 1901 gab es eine Petition in Ho, die auch im Zusammenhang mit Zwangsarbeit zu sehen ist. Zur Resonanz in den afrikanischen Medien vgl. insbesondere die Serie von Artikeln im GCL 1911 bis 1916, verfasst vom Native of Aneho und Quashie. 353 Vgl. ANT, FA3/1106 (TCS) Schenkungsurkunde 1900; dabei ging es um den Verkauf eines Grundstückes im Jahr 1900; vgl. auch Adja 2009, S. 82. 354 Vgl. von Trotha 1994, S. 222ff. Chiefs waren in Togo auch an den Abgaben der Bevölkerung beteiligt, die diese etwa für Gerichtssachen zahlen mussten, vgl. Amenumey 1969, S. 630. 355 Vgl. von Trotha 1994, S. 446. Nicoué Gayibor (2011) betont stärker die Instrumentalisierung der Chiefs durch die Kolonialmacht. 356 BArch, R1001/3917 Gouvernement Lome Untersuchung gegen Schmidt 14.1.1904. 357 »Häuptling« hieß es in einem Bericht an die Kolonialabteilung. BArch, R1001/3919 Kolonialabteilung Bericht über Missionsangelegenheit Togo 8.11.1904; BArch, R1001/3919 Zeugenprotokolle Untersuchung Fall Kukowina 12.5.1904, da wurde er als »Großmann« bezeichnet. 358 Vgl. Adja 2009, S. 51ff. 359 Vgl. Kapitel sechs. 360 RT, Roeren, 3.12.1906, 4090. 361 Vgl. zu den Afrobrasilianern Strickrodt (2004) und (2008), S. 63: Die Afrobrasilianer seien »Middlemen between the Africans and the Europeans«. Vgl. auch Amos (2000) und (2001). 362 »(…) when I looked at him there might be possibilities in the African race«. Gaunt 1911, S. 218. 363 Vgl. Ahadji 1996, S. 245, und Sebald 1988, S. 545. Alcione M. Amos (2001, S. 302) nennt die Petition von 1909 als die erste Petition Olympios, was nicht korrekt ist. 364 Vgl. ANT, FA3/1111 (TCS) Liste über die in Atakpame ansässigen Kaufleute 1.1.1903. 365 BArch, R1001/3917, 39, Schmidt, Äußerungen zu den Klagepunkten der katholischen Mission 16.12.1903. 366 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren.

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367 Alcione M. Amos (2001, S. 295ff.) berichtet, dass Joaquim d’Almeida bereits 1845 eine katholische Kirche im heutigen Benin erbaut hatte; auch er war im Sklavenhandel tätig. 368 Vgl. die Statistiken, die im DKB (1905) H. 16, S. 254ff., abgedruckt sind. 369 Vgl. Sebald 1988, S. 114–128. 370 Vgl. Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.11.1911. 371 Vgl. Sebald 1988, S. 123. King Mensah war 1885 im Zuge der Errichtung des deutschen Protektorats privilegiert worden. Ursprünglich sollte er als »König für das Gebiet der gesamten Togoküste« eingesetzt werden. Dies konnte allerdings aufgrund konkurrierender Interessen anderer Chiefs nicht gelingen, ebd., S. 105. 372 Vgl. z.B. die Untersuchung, in der geklärt werden sollte, ob Schmidt besonders rüde Herrschaftspraktiken pflege; BArch, R1001/3917 Untersuchung von Rotberg gegen Pater Müller wegen Beleidigung, Vernehmung 29.5.1903 und 30.5.1903. Zur Bedeutung von Dolmetschern in kolonialen Kontexten vgl. von Trotha 1994, S. 59ff. 373 Vgl. BArch, R1001/3916 Äußerung von Rotberg zu der Anlage 1 Anzeigeschrift Pater Müller bezüglich des Awete-Falls 22.9.1903. Zur Bedeutung des Telefons in den Kolonien für die Herrschaft des Bezirksleiters vgl. von Trotha 1994, S. 169. 374 Im Übrigen war er aus Missionsdiensten im Mai 1903 entlassen worden, da er in einem »gewohnheitsmäßige[n] Konkubinat« gelebt haben soll. Vgl. BArch, R1001/3915 Anzeige des Pater Schmitz gegen Geo Schmidt wegen Sittlichkeitsvergehen 10.5.1903. Zur Bedeutung des Englischen als Handelssprache siehe Zimmerman 2010, S. 123. 375 Vgl. Lawrance / Osborn / Roberts 2006 und Yannakakis 2008. 376 Erschwerend kommt hinzu, dass in den Verhören, die Geo Schmidt durchführen ließ, im Oktober 1902 die meisten Aussagen darauf hinausliefen, dass Kukowinas Beschwerden schlicht falsch seien, so die Aussage von Ernst Siegfried Agida vom 24.10.1904, vgl. BArch, R1001/3918 Verhandlungen in Atakpame, Aussage Ernst Siegfried Agida 24.10.1902. 377 Zur togolesischen Elite vgl. Goeh-Akue / Nabe / Sossou 2011. 378 ANT, FA3/1225 (TCS) Schreiben Kolonialabteilung an Gouvernement Lome 10.7.1903. Dem vorausgegangen waren Beschwerden vonseiten Vietors darüber, dass viele aufgrund der hohen Zwangsarbeitsanforderungen auswandern würden, vgl. ANT, FA3/1225 (TCS) Brief Vietor an die Kolonialabteilung 1.7.1903. 379 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 27.12.1913.

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380 Vgl. Ash 2006, S. 403. 381 ANT, FA3/1113 (TCS) Auszug aus dem Inventarisations-Nachweis für das Rechnungsjahr 1898, Lieferant Georg Goldschmidt, Berlin. 382 P. Glanemann, Atakpame, in: SMB (1909), H. 4, S. 55–55, hier S. 55. 383 Schmidt 1925, S. 253. 384 Vgl. Akurang-Parry 2000, S. 1, bspw. zu der englischen Kolonialherrschaft an der Goldküste »(…) forced labor was fundamental in the implementation of colonial economic ventures.« 385 Vgl. von Trotha 1994, S. 346, der auf den Widerspruch zwischen diesem Begriff und der Togoer Realität hinweist. 386 BArch, R1001/3918 Bericht Horn, Anklagen gegen den Stationsleiter Schmidt 9.7.1903. 387 BArch, R1001/3917, 56 Gouvernement Lome Untersuchung gegen Schmidt 14.1.1904. Es gab weitere Beschwerdepunkte. Diese betrafen das angeblich willkürliche Niederbrennen von Dörfern und das Requirieren von Vieh. Auch diese beiden Beschwerdepunkte standen im Zusammenhang mit der Zwangsarbeit, stellten sie doch Strafmaßnahmen dar, die Kolonialbeamte anordneten, wenn der Zwangsarbeit nicht in gewünschtem Ausmaß nachgekommen wurde. Diese Form der Bestrafung scheint an der Tagesordnung gewesen zu sein, so hieß es bei Bezirksamtmann Schlettwein über die Dörfer, die Zwangsarbeiter stellten: »In den genannten Dörfern ist auszuklingeln, dass ich sie in Brand stecken werde, wenn die Leute nicht zur Arbeit kommen«, zit. nach von Trotha 1994, S. 358. 388 Vgl. von Trotha 1994, S. 355. Peter Sebald (2013, S. 73) betont, dass bis 1913 über 65 % der Togolesen von dem 1907 eingeführten Recht, Steuerarbeit auch durch Geldleistungen zu ersetzen, Gebrauch machten. 389 Solche Tabellen finden sich etwa bei ANT, FA3/1225 (TCS) Geo Schmidt an Gouverneur 28.9.1903. Er spricht hier von insgesamt 92300 Einwohnern und davon 17680 arbeitsfähigen Männern seines Bezirks. 390 ANT, FA3/1225 (TCS) Geo Schmidt an Gouverneur 28.9.1903. Geo Schmidt an Gouverneur 28.9.1904. 391 Vgl. ANT, FA3/1225 (TCS) Brief Vietor an die Kolonialabteilung 1.7.1903. Er berichtete, dass aufgrund der Zwangsarbeit eine regelrechte Flucht aus der Kolonie Togo zu beobachten sei, zumal es in den englischen Nachbarkolonien wesentlich besser aussähe für die lokale Bevölkerung. 392 von Trotha 1994, S. 357. 393 ANT, FA3/1225 (TCS) Brief Vietor an die Kolonialabteilung 1.7.1903.

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394 Vgl. von Trotha 1994, S. 355. 395 ANT, FA3/1225 (TCS) Arbeiterverzeichnis über Beschäftigung der Notschäleute 8.4.–20.6.1903 und 1.4.–30.9.1903. 396 Vgl. ANT, FA3/1225 (TCS) Brief Vietor an die Kolonialabteilung 1.7.1903. 397 Erzberger 1906a, S. 20. 398 Anonym, Die Bedeutung der Mission für unsere Kolonien, in: NM (1903) H. 2, S. 16f., hier S. 17. 399 Auch betonte er seine geradezu paternalistische Umsicht, nämlich dass »auf die Farmzeit immer größte Rücksicht« genommen wird und die »Leute« somit »reichlich Zeit haben, ihre Farmarbeiten vorzubereiten«, vgl. ANT, FA3/1225 (TCS) Geo Schmidt an Gouverneur 28.9.1903. 400 Vgl. Conrad 2004a. 401 ANT, FA3/1121 (TCS) Atakpame, Jahresberichte der Firmen 1907–1914. 402 ANT, FA3/1225 (TCS) Brief Vietor an die Kolonialabteilung 1.7.1903. Vgl. zu Vietors Vorstellungen Hoffmann 2009 und 2012; Vietor 1902a und 1902b, 1916 und 1912, hier insbesondere die Kritik an den Plantagengesellschaften. 403 Geradezu paradigmatisch ist hier der Text von Hedwig Rohns, einer für die NM in Keta tätigen Diakonisse, die in ihren Erinnerungen über die Bemühungen um die Mädchenbildung an der togolesischen Küste schrieb. Vgl. Rohns 1912, S. 73–75 und S. 89–97. Vgl. auch Cohen 1993. Damit verbunden waren modernekritische Vorstellungen davon, dass Afrikaner zwar nach einem europäischen Modell erzogen werden sollten, dieses aber in einem genuin dörflichen Rahmen geschehen sollte. Damit wurde gleichzeitig der Zweck verfolgt, die Afrikaner vor vermeintlich schädlichen Einflüssen zu schützen, wie sie im Zuge der Kolonialisierung zwangsläufig entstehen würden, vgl. Miller 1991, S. 348, zum Modell der Baseler Mission; zu den modernisierungskritischen Ansätzen in der katholischen Mission vgl. Hölzl 2012. 404 Hamilton 2009, S. 94. 405 Vgl. Zimmerman 2010, S. 69ff., zum Zusammenhang der Arbeitsvorstellungen, wie sie für die Kolonien und vom Verein für Socialpolitik für die polnischen Landarbeiter entwickelt wurden. 406 Vgl. zum Komitee Grimmer-Solem 2007. Am Rande sei angemerkt, dass Arbeit in sozialwissenschaftlichen Debatten der Zeit gerade unter jenen, die mit dem Verein für Socialpolitik verbunden waren, so etwa bei Max Weber, ein wichtiges, zuweilen religiös aufgeladenes Thema war. 407 Kolonialpolitischer Führer 1907, S. 25.

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408 Vgl. Przyrembel 2011; Comaroff / Comaroff 1991, S. 43: »The heathen other of the dark continent provided a language for talking about the rising working classes, the dark satanic populations at home.« 409 B. Herold, Mission und Neger, in: DKZ (1906) H. 2, S. 10ff., hier S. 10. 410 BArch, R1001/3917 Gouvernement Lome Untersuchung gegen Schmidt 14.1.1904. Eine Aussage, die Schmidt später in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen veränderte. Dort hieß es 1943 in seinem Handbuch: »Es ist auch die Ansicht irrtümlich, dass die Eingeborenen durchweg von Natur aus faul seien.« Schmidt 1943, S. 870. 411 So hieß es in dem Fall bezüglich der »Baumwollkultur«, dass »der Togoneger sehr wohl zu einer derartigen Kultur herangezogen werden kann«. Friedrich Hupfeld, Die Entwicklungsmöglichkeit von Togo, in: DKZ (1900) H. 8, S. 546f., hier S. 547. 412 Vgl. Johannes Thormählens Reaktion auf Vietor, in: Johann Karl Vietor, Die Arbeiterfrage in den deutschen Kolonien, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1902, Berlin 1903, S. 526–533. 413 Külz 1906, S. 75. Es gab wenige Stimmen in der Debatte, die hier einen offenen Widerspruch erkennen, so etwa Major Boshart, in: Giesebrecht 1898, S. 40: »(…) wir ziehen nicht nach Afrika, um dort philanthropischen Schwindel zu treiben, sondern lediglich zu dem Zwecke, um neue Absatzgebiete zu schaffen für unseren Handel.« 414 ANT, FA3/1225 (TCS) Geo Schmidt an Gouverneur 28.9.1903. 415 F. Woltmann, Die Beamten- und Arbeiterfrage in unseren Kolonien, in: DKZ (1902) H. 7, S. 64ff., hier S. 65. 416 Vgl. McKenzie 2004, S. 122. Sie betont diesen Widerspruch zwischen den moralischen Reformprojekten des Bürgertums und dem imperialen Projekt als Ganzem. 417 Kolonialpolitischer Führer 1907, S. 28. 418 Auch zeitgenössisch wurden diese Ähnlichkeiten gesehen, siehe Amenumey 1969, S. 631. 419 Zur deutschen Antisklavereibewegung vgl. Gründer 1994a und 1977. 420 Vgl. zur internationalen Dimension der Antisklavereibewegung Laqua 2011. 421 ANT, FA3/1224 (TCS) Gouvernement Lome an sämtliche Stationen 29.6.1899. Hier auch die Petition von Krause. Zu Krause siehe die umfangreiche Arbeit von Peter Sebald (1972). 422 Vgl. im Überblick Austin 2009 über die Präsenz von Sklaven in Westafrika und die Hintergründe der Abschaffung der Sklaverei.

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423 Noch kurz vor dem Zweiten Weltkrieg argumentierte ein französischer Minister mit Zivilisierungsargumenten für Zwangsarbeit. Und der englische Gouverneur Alexander R. Slater der Gold Coast Colony argumentierte ähnlich in seinem »Memorandum on Forced Labor«, 1930; vgl. AkurangParry 2000. 424 B. Herold, Mission und Neger, in: DKZ (1906) H. 2, S. 10ff., hier S. 11. 425 Auch sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Terminologie »Erziehung zur Arbeit« eher den deutschen Kolonialismus auszeichnete. Hier wäre eine vergleichende Untersuchung mit französischen, englischen, niederländischen oder portugiesischen Debatten interessant, um auch die feinen Nuancen zwischen uplifting und Erziehung herauszuarbeiten. 426 Vgl. Comaroff / Comaroff 1991, S. 197ff.; Altena 2003, S. 159ff., zur Arbeitserziehung in protestantischen Missionen; Monnier 1995, S. 42ff., zur Analyse protestantischer Schriften aus der französischen Schweiz. Monnier betont die massive Präsenz von Arbeit in den Briefen der Mission und auch den Konnex, der hier zwischen Heidentum und Faulheit hergestellt wird. 427 »Ora et labora! Ist auch für die Schutzgebiete der Kardinalsatz allen Fortschritts«, schrieb Erzberger (1906a, S. 22). 428 Vgl. Anonym, Ein protestantischer Reichstagsabgeordneter über die Missionen in Togo, in: SMB (1906) H. 5, S. 74f., hier S. 75. Zu den diesbezüglichen Unterschieden zwischen den Missionen, so wie sie etwa auch vonseiten der Kolonialvertreter teilweise gesehen wurden, siehe Hamilton 2010, S. 91–96. 429 »Sinn für Ordnung, Sauberkeit, Nettigkeit und Anmut« wurde sehr ernst genommen, vgl. Rohns 1912, S. 60. Vgl. zur weiblichen Arbeitskonzeption in den Kolonien auch Hugon 1997; am Beispiel der Methodisten an der Goldküste und Sena Akakpo-Numando 2005. Vgl. zur landwirtschaftlichen Arbeit Pabst 1988, S. 396–432. Auch die wenigen staatlichen Initiativen, wie die Baumwollschule in Notschä, verfolgten übrigens in erster Linie das Ziel, landwirtschaftliche Techniken sowie Primärtugenden zu vermitteln. Birgit Meyer (2002, S. 193) argumentiert, die häufige Bezugnahme auf »Halb- und Verbildung« zeige, dass der verwestlichte Afrikaner der Albtraum der Norddeutschen Mission gewesen sei. 430 Sebald 2012, S. 378. Vgl. zu den Bildungsinteressen der lokalen Bevölkerung Brändle 2007, S. 15f. Vgl. ebenso die Positionen, die schließlich von Andreas Aku eingenommen wurden (Azamede 2007, S. 129–142); siehe auch Baeta 1934. Zu Mädchenschulen vgl. Akakpo-Numado 2005. 431 Vgl. Madeira 2005, S. 39. Erst nach dem Ersten Weltkrieg nahm die englische Bildungspolitik eine andere Richtung, als man generell stärker auch

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gegen die Missionsschulen eigene Erziehungsvorstellungen durchsetzte und durch Lord Lugard etwa das Konzept der »adapted education« entwickelt wurde, das die Differenz zwischen England und den Kolonien betonte. Vgl. auch die von A Native of Aneho verfasste Artikelserie im GCL, die von 1911 bis 1916 erschienen ist. Er entwarf darin ein Programm für eine zukünftige Kolonialpolitik, wobei Erziehung und Bildung eine enorme Rolle spielten. 432 Anonym, Deutscher Reichstag, in: Göttinger Deutscher Bote, 4.12.1906, S. 267. 433 Anonym, Zur Sprachenfrage in Togo, in: DKZ (1904) H. 12, S. 115. 434 D.v. Schwartz, Mission und Kolonisation, in: Allgemeine EvangelischLutherische Kirchenzeitung, 23.8.1907, S. 794–800, hier S. 796. Vgl. Africanus, E.D.M. and the educated African, in: GCL, 8.6.1912. Ein Artikel, der mit beißender Ironie die Ängste der Europäer vor gebildeten Afrikanern beschreibt. 435 Majida Hamilton (2010, S. 98f.) bringt das Beispiel von protestantischen Missionsgesellschaften in DOA, die Zwangsarbeit betrieben. 436 Vgl. Alsheimer 2007, S. 59ff.; vgl. zur Politik der Baseler Mission und ihrer Sklavenfreikäufe Haenger 1997. 437 Vgl. Laqua 2011, S. 715. 438 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 11.7.1914. 439 BArch, R1001/3917 56 Gouvernement Lome Untersuchung gegen Schmidt 14.1.1904, vgl. etwa die Reaktion des Gouverneurs von Kamerun, Puttkamer, als er mit der Petition der Akwa 1905 konfrontiert war: Er erhob gegen die Unterzeichner der Petition Anklage wegen öffentlichen Angriffs gegen Staatseinrichtungen und verleumderischer Beleidigung (Eckert 1991, S. 155). 440 Vgl. Ash (2006, S. 405), die darauf hinweist, dass in ganz Afrika diese koloniale Form der Zwangsarbeit Widerstand hervorrief. Zu weiteren Petitionen in Kamerun vgl. Rüger 1968, S. 196, und ders. 1967, S. 198 und S. 205, sowie Gerbing 2010, S. 73ff.; Eckert 1991, S. 150; Schaper 2012, S. 208f.; Gerbing 2010, S. 75. In DOA stand der Maji-Maji-Aufstand in direktem Zusammenhang mit verschärften Zwangsarbeitsforderungen, und auch hier hatte es im Vorfeld Petitionen gegeben. So wurde es zumindest teilweise in Berlin behauptet, vgl. RT, Erzberger, 14.12.1905, 324: »Die Hauptursache des Aufstandes in DOA ist die Einführung des Arbeitszwangs«; vgl. auch ders. 1906b, S. 13. 441 1906 ging ein Brief im AA ein. Dieser war von dem afrikanischen Lehrer und Angestellten der Weslyanischen Mission Edwin Garber verfasst worden, der sich zwar nicht über Zwangsarbeit, aber über andere Formen der

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»Behandlung der Eingeborenen« beschwerte. ANT, FA1/282 Eingabe des eingeborenen Lehrers und Angestellten der Wesleyanischen Mission Anecho Edwin Garber an das Auswärtige Amt 11.10.1906. Vgl. Kapitel sieben. 442 1913 wurden wieder Petitionen nach Berlin geschickt bzw. in Togo selbst dem Staatssekretär Solf überreicht. Auch diesmal war Olympio mit dabei. Auch Wilhelm Mensah tauchte als Schreiber erneut auf. Verdächtigt wurden zudem Vertreter der Familien Johnson und Almeida – allesamt bekannt aus dem Atakpamer Schreiben von 1902, vgl. Sebald 1980, S. 64. 443 Auch ist von zu hohen Belastungen der lokalen Bevölkerung und von einem »Überfall der Dörfer (…), Confiszierung (…), Räuberei des Hausviehs und Effekten« die Rede. Ebenso wurden die »Zwangs-Steuer-Arbeiten ohne Zahlung« heftig kritisiert, vgl. Sebald 1988, S. 659. 444 Vgl. Eckert 1991, S. 155; im Fall der Kameruner Petition bedeutete das zwischen neun Jahren und drei Monaten Haft. Obschon dieser Fall schließlich von einer empörten deutschen Öffentlichkeit aufgenommen wurde, wurde Rudolf Manga Bell 1914 gehängt. Vgl. zum Umgang mit Garber wie mit den Togoer Petitionisten von 1913 und 1914 auch die Artikel im Gold Coast Leader ab 1911, v.a. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 28.3.1914; 4.4.1914; 18.4.1914. 445 Vgl. Anderson 1997 zur politischen Kultur des Kaiserreichs. Eine Untersuchung, die sich gezielt den Petitionen und ihrer Bedeutung für die politische Kultur widmet, fehlt. 446 Im Original: »(…) a black man is from the type of a monkey«. Vgl. Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.11.1912. 447 Vgl. Gerbing 2010, S. 75. 448 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 30.5.1914: »to crave the help of the civilized world especially of the Aborigines Protection Society in London, to rescue the Togoland who have been suffering since 1884 from the Prussian yoke«. 449 Zit. nach Sebald 1988, S. 671. 450 Die Formulierungen der Beschwerden sind nur aus Dokumenten des Gouverneurs bzw. Geo Schmidts überliefert. Vgl. etwa BArch, R1001/3918 die Protokolle über die Vernehmung gegen Kukowina vom 24., 25. und 27.10.1902 und Aufzeichnungen des Bezirksleiters Geo Schmidt vom 23.10.1902. 451 BArch, R1001/3918 Verhandlungen in Atakpame, Vorladung Kukowina 25.10.1902. In der Vernehmung leugnete Kukowina fast alle Punkte, die in seiner Beschwerde enthalten gewesen sein sollen. Allein, dass »die

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Atakpameleute schwere, große Balken zum Brückenbau haben tragen müssen«, brachte er als Kritik vor. Die gesamte öffentliche Vernehmung der Versammlung der »Häuptlinge« ergab keine weiteren Beschwerdepunkte. Mehr noch, die Anwesenden leugneten weitgehend die Richtigkeit der Beschwerde: »Die Leute haben jetzt Angst, das hier zu sagen«, so Kukowina. 452 BArch, R1001/3917 Gouvernement Lome Untersuchung gegen Schmidt 14.1.1904. 453 Die Petition richtete sich an den Gouverneur in Lome, der neue Bezirksleiter sollte Hans Georg von Döring werden. In dem Zusammenhang sind die Beobachtungen des Frater Basten interessant, der berichtete, dass der Bezirksleiter Döring (just jener Beamte, der von den Einheimischen gefordert wurde) bei Nichterscheinen der Einheimischen zur Zwangsarbeit sehr flexibel reagiert habe: Wenn die »Eingeborenen« vor der Arbeit erst ihren Fetisch fragen mussten, ob das in Ordnung sei, dann sagte Döring dazu »in aller Gemütsruhe«: »Dem steht gar nichts im Wege, sorgt nur dafür, dass Euer Fetisch immer so sagt wie ich, dann ist alles in Ordnung«, vgl. AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 249. 454 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 11.7.1914. 455 Katrin Otremba (2009) hat darauf hingewiesen, dass in vielen Kolonialpetitionen der Willkürtopos die dominante Rolle spielte. 456 Kolonialpolitischer Führer 1907, S. 29. 457 Karl Oetker, 1907, Zitate aus den Seiten 14, 15, 27 und aus dem Kolonialpolitischen Führer 1907, S. 28. 458 BArch, R1001/3918 Bericht Geo Schmidt an Gouvernement 28.10.1902. 459 Diese neuen politischen Kommunikationsräume sind schwer zu fassen, aber es gibt eine Reihe von Anhaltspunkten: etwa die personelle Zusammensetzung der späteren Petitionäre aus den 1910er Jahren, bei der eine hohe Kontinuität ins Auge sticht. Das bedeutet nicht, dass von einer geschlossenen Gruppe ausgegangen werden kann, zumal gerade dieser Personenkreis über ein großes Kontaktnetz verfügte und an seinen Rändern porös war. Vgl. Hoffmann 2012, S. 115ff. Dass es auch Kontakte zu Kaufleuten der Goldküste gab, diese Gruppierung also überlokal und damit jenseits der deutschen Kolonien operierte, zeigt sich schließlich in der Artikelserie, die ab den 1910er Jahren im Gold Coast Leader und später auch in Nigerianischen Zeitungen zu lesen war. 460 BArch, R1001/3918 Protokolle über die Vernehmung gegen Kukowina vom 24., 25. und 27.10.1902.

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461 Sally Engle Merry (1995, S. 15), nennt diese und ähnliche Aktionen »small acts of courageous challenge to the microscopic control of behavior«. 462 Scott 1992, S. 24, 26. 463 Ebd. S. 40. 464 Schmidt 1907, S. 64. AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen, Jansen an Bücking 21.1.1904. Interessanterweise war es im Reichstag der sozialdemokratische Abgeordnete Bebel, der ähnlich wie die katholische Mission argumentierte, als er von den »starken Versuchungen Nietzescher Übermenschlichkeit« sprach, denen die Kolonialbeamten ausgesetzt seien. Vgl. RT, Bebel, 4.12.1906, 4140. 465 Vgl. Glocke 1997, S. 248. Eine systematische Untersuchung zu den Konflikten zwischen Mission und Kolonialbeamten fehlt, es gibt aber zahlreiche Hinweise darauf, so etwa auch im sogenannten Akwaleute-Fall, vgl. Hans von Pawel, Kolonisation und Mission, in: Deutsche Tageszeitung, 6.10.1906, S. 36. Hier wird von »Animosität fast aller übrigen Weißen gegen die Mission« gesprochen. 466 Comaroff / Comaroff 1991 und 1997. Vgl. im Überblick zur älteren Forschung Gründer 1982a; Tetzlaff 1982. Vgl. auch Wendt 2011, der die Widersprüche zwischen Mission und Kolonialstaat betont. 467 So die von Charles Keith (2012, S. 142) formulierte Kritik an der älteren Forschung, die dazu neigte, das Verhältnis vor allem vor dem Hintergrund aus Europa nach Afrika übergeschwappter Konflikte zu beschreiben. Er betont zum Beispiel für die Situation in Vietnam in den 1930er Jahren, dass die lokale multireligiöse Landschaft vor Ort von erheblicher Bedeutung war. 468 Vgl. Pratt 1991. 469 Vgl. Fabian 2000, S. 8. Er benutzt den deutschen Begriff des »Außer-sichSeins«. 470 Vgl. zur Station Adja 2009, S. 90ff.; von Trotha 1994, S. 67. Vgl. Foto der Missionsstation, in: SMB (1907) H. 3, S. 41; Foto der Haussa-Moschee, in: SMB (1908) H. 9, S. 129; vgl. P. Glanemann, Atakpame, in: SMB (1909) H. 4, S. 55ff. Zur Anlage der Station ANT, FA3/1099 (TCS) Nachweisung der zur Station Atakpame gehörigen Gebäude. 471 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 205ff. 472 Vgl. Jahrbuch Deutscher Schutzgebiete 1903/04, S. 64. 473 Die Schwestern der Steyler Mission eröffneten erst 1905 eine Niederlassung in Atakpame. Die Norddeutsche Mission ließ sich erst 1904 in Atakpame nieder, vgl. zur NM in Atakpame Alsheimer 2007, S. 12. Vgl. auch ANT, FA3/1111 (TCS) Liste vom 1.1.1903 über die in Atakpame ansässigen

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Kaufleute; ANT, FA3/1129 (TCS) Wirtschaftsplan der Station Atakpame für das Rechnungsjahr 1902/03; Jahrbuch Deutscher Schutzgebiete 1903/04, S. 64, Tabelle zur weißen Bevölkerung in Atakpame. 474 Schmidt 1907, S. 12. 475 AG SVD, Subfolder 44497–45007 Pater Müller an Bücking o.D. 476 Wolthmann 1901, S. 53. 477 Vgl. Vermischtes. Gouverneur Horn von Togo, in: SMB (1902/1903) H. 6, S. 94. 478 Vgl. BArch, R1001/3917 Gouvernement Lome Untersuchung gegen Schmidt 14.1.1904. 479 Bei den befragten Dolmetschern handelte es sich um Siegfried Agia und Elisa Kende. 480 Vgl. BArch, R1001/3918 Protokoll Verhandlungen in Atakpame 24.10.– 27.10.1903. 481 Vgl. BArch, R1001/3918 Abschrift Anlage a/3. 482 Vgl. BArch, R1001/3918, 5 Bericht Horn vom 9.7.1903 Anklagen gegen den Stationsleiter Schmidt. 483 Vgl. AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 251. 484 Vgl. zu den Klagen ausführlich Adja 2009, S. 202. Die Beleidigungsklagen nahmen nach 1904 noch zu, sie wurden dann häufig vor Gerichten in Deutschland ausgetragen. 485 BArch, R1001/3917 Lang an Bezirksgericht Lome 7.9.1903. 486 Vgl. BArch, R1001/3918 Urteil Prozess gegen Pater Schmitz wegen wissentlich falscher Anschuldigung und Beleidigung 5.12.1903. 487 ANT, FA2/126a Privatklage Pater Müller gegen Schmidt. 488 RT, Erzberger, 14.12.1905, S. 321f. 489 Zu Schmidt vgl. Sebald 1988, S. 536; Zurstrassen 2008, S. 203ff.; Adja 2009, S. 192ff.; Erbar 1991, S. 247; Bredemann 1943. 490 Julius Smend war Protestant (vgl. Adja 2009, S. 199). Gruner war Pastorensohn, evangelisch und aus dem Kreis Liebenwerda (vgl. Hollermann 2000, S. 16). Hans Georg von Döring (vgl. Adja 2009, S. 199) war Protestant. 491 Vgl. zu den Kolonialbeamten in Togo Zurstrassen 2008, S. 36–42; von Trotha 1994, S. 87–109. George Steinmetz (2007, S. 49f.) hat in seiner Untersuchung des deutschen Kolonialismus betont, wie wichtig die Herkunft

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der Kolonialbeamten gewesen sei, habe sie doch in hohem Maße bestimmt, wie die lokale Bevölkerung wahrgenommen und damit welche koloniale Politik vor Ort betrieben wurde. So habe eine bildungsbürgerliche Herkunft dazu beigetragen, dass man eher auf seine hermeneutischen und sprachlichen Fähigkeiten gebaut habe und sein Handeln weniger durch ökonomische und militärische Prinzipien habe leiten lassen. Im Fall Geo Schmidt wie vieler anderer Bezirksleiter in Togo bestätigt sich diese These nicht. Ihr Verhalten war nicht nur durch die eigene Herkunft, sondern auch durch die spezifischen Lebensbedingungen vor Ort und die widersprüchlichen Anforderungen, mit denen sich Kolonialbeamte konfrontiert sahen, geprägt. 492 Bei Lambert / Lester 2006, S. 25, wird besonders die durch die unterschiedlichen biographischen Stationen ermöglichte Wissenstransferleistung der Beamten betont. 493 Vgl. AA PA, Personalakte Geo Schmidt, Personalia Nr. 671, Bd. 1920–1928, Nr. 13455. 494 BArch, R1001/3016 Vernehmung Gruner 19.10.1903. 495 BArch, R1001/3915 Horn an Kolonialabteilung 8.6.1903. Zur Einschätzung durch das AA siehe AA PA, Personalakte Geo Schmidt, Personalia Nr. 671, Bd. 1920–1928, Nr. 13455. Zur Einschätzung durch die Mission vgl. AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 249. 496 Fabarius 1903, S. 49f. Ganz ähnlich sahen die Vorstellungen in Großbritannien aus, vgl. Dimier 2004, S. 339. 497 Auch die englische Forschung korrigierte das Bild vom englischen Kolonialbeamten als einem »lightweight figure of fun and at worst a brainless Colonel Blimp« (Kirk-Greene 1981, S. 20). 498 RT, Dernburg, 4.12.1906, 4153. 499 Schmidt 1940, S. 42. Die Pflicht der Kolonialbeamten zur wissenschaftlichen Arbeit geht aus einem Erlass des AA vom 21.2.1907 hervor. Zum englischen Kontext liegen spätestens seit den Studien von Bernard Cohn zum kolonialen Wissen umfangreiche Arbeiten vor. Auch die französische Kolonialgeschichtsschreibung hat sich in den letzten Jahren intensiv diesem Aspekt gewidmet, siehe die Arbeit von Emmanuelle Sibeud (2002); für den deutschen Zusammenhang siehe Habermas / Przyrembel 2014. 500 Vgl. Geo Schmidt, Die Kultur des Tees in Indien, in: Der Tropenpflanzer. Zeitschrift für Tropische Landwirtschaft 7 (1903a), S. 530–544. 501 Schmidt 1903 und 1903b. Vgl. Zimmerman 2010. 502 Vgl. Hafeneder 2008, S. 51. Es handelt sich um Blatt E1 (Misahöhe) der Karte von Togo 1:200000, bearbeitet von P. Sprigade 1905.

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503 Vgl. Schmidt 1942, 1943 und 1934. Külz war auch bei der bekannten Forschungsexpedition in die Südsee 1913 dabei, die von Emil Nolde begleitet wurde. 504 Külz 1904. 505 Smend 1914, S. 193. 506 Ders., Negertypen aus Togo, in: Kolonie und Heimat (1909) H. 22, S. 6f. 507 Anonym, Kamerun. Wissenschaftliche Sammlungen, in: DKB (1906) H. 4, S. 549. 508 Vgl. von Trotha 1994, S. 230. 509 Zit. nach Hollermann 2000, S. 17. Siehe zur Expedition Sebald 1997c. 510 Daraus gingen zahlreiche Beiträge hervor, u.a. einer von Hans Gruner in Giesebrecht 1898, S. 115ff. 511 Vgl. die zahlreichen kleineren Meldungen, die im DKB abgedruckt wurden und von den Sammelaktivitäten von Kolonialbeamten berichten. 512 Dieser Vorfall wurde zum Politikum, im Reichstag wie in den Zeitungen wurde das aufgrund dieser Angelegenheit gegen Kersting eingeleitete Verfahren verhandelt. Er wurde freigesprochen von dem Vorwurf, Schuld am Tod des Kochs zu haben. Vgl. RT, Dernburg, 3.12.1906, 4000f.; vgl. ANT, FA1/299 Ermittlungsverfahren gegen den Bezirksamtmann Dr. Kersting wegen Tötung Eingeborener; da bat Dernburg um Aufklärung in drei Tötungsdelikten, die Kersting vorgeworfen wurden. 513 Vgl. Anonym, Kulturversuche in Togo, in: DKZ (1904) H. 28, S. 275f. 514 Vgl. hierzu Hahn (1995, S. 263), der die enge Zusammenarbeit von Kolonialbeamten und Forschern deutlich macht. 515 Vgl. AA PA, Personalakte Geo Schmidt Personalia Nr. 671 Brief Prof. Dr. A. Roemer an AA 21.4.1938. 516 Vgl. Geo Schmidt, Baumwoll-Expedition nach Togo, in: Verhandlungen des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees. Beihefte zum Tropenpflanzer (1903b), S. 12–16, hier S. 15, und Schmidt / Marcus 1943a. 517 Dernburg 1907, S. 8. Das wissenschaftliche Interesse hatte immer eine praktische Seite, etwa dann, wenn man nicht nur über Baumwollexperimente schrieb, sondern gleich selbst Versuchsfelder mit unterschiedlichen Samentypen auf seiner Station anlegte – wie Geo Schmidt das getan hatte. 518 Vgl. Daughton / White 2012, S. 12, wo betont wird, dass »secular French Imperialists indexed their success on material criteria«. 519 Vgl. Schmidt 1907, S. 11.

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520 Vgl. ders., Bericht des Stationsleiters Schmidt, in: Verhandlungen des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees. Beihefte zum Tropenpflanzer (1901), S. 85f.; ders., Baumwoll-Expedition nach Togo, in: Verhandlungen des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees. Beihefte zum Tropenpflanzer (1903b), S. 12–16. 521 Vgl. zu Kolonialbeamten in Togo Zurstrassen 2008. 522 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren. 523 Vgl. BArch, R1001/3917 Verhör Anton Witte 2.12.1903; Schmidt / Marcus 1943a, S. 854. 524 BArch, R1001/3919 Abschrift Sittlichkeitsprozess gegen Schmidt 26.11.1903. 525 Fabarius 1903, S. 49. 526 Dernburg 1906/07, S. 18. 527 Schmidt 1907, S. 7. 528 ANT, FA3/1225 (TCS) Geo Schmidt an Gouverneur 28.9.1903. 529 Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL 30.12.1911. 530 Erzberger 1912, S. 9. 531 Vgl. Pabst 1988, S. 296–396. Einer der Hintergründe für den Sprachenstreit war, dass das Englisch bzw. das Pidgin-Englisch unerlässlich für den Handel an der Westafrikanischen Küste war, vgl. Ahadji 2000. Vgl. zur »Sprachenfrage« in Togo auch Erbar 1991, S. 287ff. Vgl. BArch, R1001/3916 Gruner an AA 5.11.1903; Külz 1906, S. 35. Übrigens sind zeitgleich ähnliche Bemühungen in den französischen Kolonien zu beobachten, wo man 1902 versuchte, stärkeren Einfluss auf die Missionsschulen zu gewinnen und auf Französisch als Unterrichtssprache bestand, vgl. Madeira 2005, S. 43ff. 532 Vgl. Schlunk 1914b, S. 4; Friedrich Schwager, Zur Sprachenfrage in Togo, in: DKZ (1903) H. 52, S. 520f. Schwager war Redakteur des Steyler Missionsboten. In der gleichen Ausgabe bezog die NM eindeutig Stellung dafür, dass neben Deutsch auch Englisch unterrichtet werden solle. 533 Vgl. Rüther 2014. 534 AG SVD, Subfolder 44947–45070 Müller an Bücking 21.4.1902. 535 BArch, R1001/3918 Bericht von Horn an AA 10.2.1904. 536 Schmidt 1934, S. 396. 537 Vgl. Anonym, Zehn Jahre Missionsarbeit im Togoland, in: SMB (1902/1903) H. 1, S. 8–11, hier S. 9. 1906 trat eine Regelung in Kraft, die vorsah, dass

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Schulen, die gegen die Verordnung verstießen, vom Gouvernement geschlossen werden konnten, vgl. Hollermann 2000, S. 102. Es ging in dem Streit auch darum, dass Pater Müller angeblich in Atakpame eine Schule eröffnet hatte, ohne vorher beim Gouvernement um Erlaubnis nachzufragen, vgl. AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen an Hespers 13.10.1900. Brief überschrieben mit »Die Zustände der öffentlichen Sittlichkeit in unseren Kolonien«. Jansen zitierte dabei seinerseits aus einem Brief eines Steyler Missionars: vgl. AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 199ff., S. 208ff. Vgl. AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen an Bücking 11.12.1901. 538 Vgl. Hollermann 2000. Vgl. dazu im Gegensatz die Sprachkompetenzen der Missionare, so beherrschte etwa Müller die » schwierigere, drucklich noch nicht festgelegte Atakpamesprache«, BArch, R1001/3919 Bücking an Kolonialabteilung 4.9.1904. Müller lernte zudem zwei weitere Sprachen, BArch, R1001/3919 Döring an Kolonialabteilung 5.10.1906. Rudolf Asmis (1942, S. 93) betont die besonderen Probleme, die aus dem Angewiesen-Sein auf Dolmetscher erwächst, und spricht von »Dolmetscherdelikten«. 539 Vgl. zum zeitgenössischen Staatsverständnis in kolonialen Kontexten Zollmann 2010, S. 14ff. 540 Crais 2003, S. 32, zit. nach Pesek 2011, S. 50. Crais betont, all das war »Central to the creation of colonial subjects, their discipling, and control over their bodies and their movements«. 541 ANT, FA3/1225 (TCS) Geo Schmidt an Gouverneur 28.9.1903; Zurstrassen 2008, S. 126–143. 542 Trutz von Trotha (1994, S. 383ff.) betont diesen Aspekt. 543 Ebd., S. 166. 544 ANT, FA3/1225 (TCS) Geo Schmidt an Gouverneur 28.9.1903. 545 Vgl. zur Verschärfung etwa der Anordnungen zur Erstellung von Straflisten nach dem Atakpame-Skandal Habermas 2012. 546 BArch, R1001/3915 Klage der Station Atakpame gegen katholische Mission 23.3.1903. 547 RT, Erzberger, 30.11.1906, 4044. 548 RT, Haase, 17.2.1894, 1302. 549 Horn etwa war während der entscheidenden Monate, März und April 1903, als die Beamten Schmidt, Rotberg und Lang ihre eigenwilligen Gerichtsinszenierungen und auch die Verhaftung der Steyler Missionare in Szene setzten, auf einer langen Reise durch die Kolonie. Faktisch war also auch die Kontrolle, die der Gouverneur ausüben konnte, begrenzt. Von Trotha

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spricht deswegen von der »Fiktivität in der Kontrolle des Stationsleiters« (1994, S. 166). 550 Vgl. Zurstrassen 2008, S. 128–132. 551 Vgl. von Trotha 1994, S. 413–421. 552 Vgl. Lawrance / Osborn / Roberts 2006; Yannakakis 2008. 553 Zur Tournee vgl. von Trotha 1994, S. 117–142. 554 Für die englischen Kolonien Westafrikas spricht Kirk-Greene (1980, S. 33) davon, dass die Kolonialbeamten bis zu einem Drittel ihrer Zeit nicht anwesend waren. 555 Vgl. Geo Schmidt, Baumwoll-Expedition nach Togo, in: Verhandlungen des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees. Beihefte zum Tropenpflanzer (1903b), S. 12–16, hier S. 15. 556 Schmidt 1934, S. 389. Seine Beschreibung der Auslandsdeutschen lässt sich nahtlos auf das Leben der Europäer in den Kolonien übertragen. 557 BArch, R1001/3915 Horn an Kolonialabteilung 8.6.1903. 558 Wolthmann 1901, S. 51 und 55. Wolthmann betonte auch, wie schwierig es sei, die genauen Kennzeichen dieser Persönlichkeit zu benennen, da sich diese im kolonialen Raum häufig stark verändere. 559 Plehn 1902, S. 178f. 560 F. Wohltmann, Die Beamten- und Arbeiterfrage in unseren Kolonien, in: DKZ (1902) H. 7, S. 64ff., hier S. 66. 561 Fabarius 1903, S. 58. 562 Dernburg 1906/07, S. 18. 563 Erzberger 1912, S. 6f. 564 Schmidt 1943, S. 137. 565 BArch, R1001/3916 Schmidt an Horn 16.8.1903. 566 Smend 1914, S. 193ff. 567 ANT, FA3/1225 (TCS) Geo Schmidt an Gouverneur 28.9.1903. 568 Gaunt 1911, S. 193. 569 ANT, FA2/128 Erklärung an Bezirksgericht Lome überreicht von P. Bredereck. Privatklage Franz Müller gegen Geo Schmidt 7.11.1906. 570 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 284. 571 Zu Müller (1868–1947) siehe Adja 2009, S. 190; Müller 1958, S. 29, sowie die von Peter Sebald erstellten biographischen Listen zu

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Missionsangehörigen, die er mir dankenswerterweise überlassen hat. Franz Müller wurde am 11.2.1868 in Gonsenheim/Mainz geboren und starb am 21.5.1947 in Argentinien. Eintritt in Steyl 1888, dort 1. Gelübde 1893 und Ewiges Gelübde 1908. Bis 1907 war er in Togo, 1908 reiste er nach Paraguay, wo er Oberer der »Indianermission« wurde und 1913 Superior, dann 1915 Regional und 1919 Sub Provinzial. Seit 1925 war er in Argentinien; 1925 wurde er Rektor und Assistent des Provinzials in Buenos Aires. 572 ANT, FA2/127a Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt 31.3.1908. 573 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 210ff. Er nannte ihn einen Melancholiker, »eine tiefe Seele; zartfühlend«. 574 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 210. 575 BArch, R1001/3918, 11 Urteil Prozess gegen Pater Schmitz wegen falscher Anschuldigung und Beleidigung 5.12.1903; vgl. AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 247, bezeichnete ihn als »Philosoph«. 576 AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen an Kardinal Gotti, Propaganda fide, 12.10.1907. Jansen schlägt hier Kost als Präfekt in Togo vor. 577 Hermann Bücking, der 1896 zum Präfekten ernannt worden war, hatte beim Vater Schmied und Schlosser gelernt, bevor er nach Steyl kam. Vgl. Müller 1958, S. 90ff. 578 Umfassende Herkunftsanalysen liegen allein für die protestantische Mission vor, vgl. Altena 2003, S. 191–223. Vgl. zur Norddeutschen Mission Eiselen 1986, S. 62ff.; vgl. Klein 2002, S. 123, zur Baseler Mission in China. Er spricht von 43 % Missionaren mit bäuerlichem Hintergrund bzw. aus dem Handwerk stammend. Zu den Hermannsburgern vgl. Rüther 2001, S. 50, die in der Wahl, Missionar zu werden, eine Antwort auf materielle Unsicherheit sieht. Untersuchungen zur katholischen Mission und ihren sozialen Hintergründen fehlen weitgehend, vgl. zu den Weißen Schwestern Smythe 2007 sowie White 2007 zu den Missionaren aus der Bretagne. 579 Schließlich waren diese Gebiete nicht einfach nur solche mit katholischer Mehrheitsbevölkerung, sondern es waren Hochburgen des Katholizismus. Interessante Parallelen gibt es hier zu französischen Missionaren, die auffallend häufig aus der Bretagne kamen, einer ländlichen Region, die spätestens seit der Französischen Revolution als besonders katholisch und damit im französischen Kontext als latent staatsfern galt. Vgl. White 2007. 580 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 210.

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581 AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen an Kardinal Gotti, Propaganda fide, 12.10.1907. 582 Vgl. auf der Heide 1900, S. 134, zur wissenschaftlichen Ausbildung. 583 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 223. 584 Zu den wissenschaftlichen Arbeiten der Norddeutschen Mission vgl. Alsheimer 2007, S. 218–248. Weitere Arbeiten zur Norddeutschen Mission: Ygbe 2014 und Ustorf 2006. Zu Mission und Wissenschaft vgl. auch die Pionierarbeit von Harries (2007). 585 Vgl. Arnold Jansen an Erzbischof Melchers von Köln, in: auf der Heiden 1900, S. 26. 586 P. Ludwig Wolff, Der Missionar als Forscher. Anleitung für Missionare zum Beobachten und zum Sammeln, Berlin 1906. Programmatisch R.P.G. Schmidt, S.V.D., Die moderne Ethnologie/L’Ethnologie moderne, in: Anthropos 1 (1906), S. 134–163; 318–387; 592–643; 950–997; vgl. Wilhelm Schmidt 1905. 587 AG SVD, Subfolder 44947–45070 Müller an Bücking 21.3.1906. Hier wird deutlich, dass die Missionare regelrechte Sammelaufträge aus Steyl erhielten. Ebenso erhielten sie Forschungsaufträge etwa zur Erstellung von Wörterbüchern, Sprachlehren und Bibeln wie Gesangsbüchern in der GeSprache. 588 So verstand Müller (1906b, S. 514) die Religionen Togos. Die Studien der Missionare waren Teil des kolonialen Wissens, stellten sie doch gleichsam eine »prise de possession coloniale« dar, wie Evelyne Combeau-Mari das für die Jesuiten auf Madagaskar beschrieben hat, vgl. Combeau-Mari 2011, S. 104. Siehe Monnier 1995 dazu, wie Missionare ihr Wissen, in dem Fall über die Ethnie der Thonga, erstellten. 589 Müller 1907; vgl. auch ders. 1908. 590 Zur NM und ihren Wörterbüchern und Grammatiken vgl. Ygbe 2013; zu den Publikationen der Steyler für Togo vgl. die Liste in Thauren 1931, S. 18–29. 591 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 212. Er beschreibt, dass Müller mit Hilfe eines »Eingeborenen« die Landessprache gelernt habe, die Jacobus Basten als Laienbruder aufgrund seiner täglichen Arbeit mit den Afrikanern bereits recht gut beherrschte. 592 Thauren 1931, S. 20. Dieses Selbstverständnis wird gerade dort besonders deutlich, wo anderen Expertise abgesprochen wurde, vgl. ANT, FA2/127a Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt 31.3.1908.

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593 Vgl. Witte 1906, S. 77. Hier wird ein Lied wiedergegeben, das angeblich in Atakpame gesungen wurde und das »sehr populär ist. Abends beim Mondschein hört man es von den Kindern stundenlang singen«. Der Text des Liedes wurde übersetzt mit: »Heute ist es nicht mehr gut. Der Weiße tut (Zwar) d.i. er tut ja dieses und jenes Gute; aber es erübrigt ja noch manches.« 594 Witte 1906, S. 79. 595 Hedwig Rohns nannte in ihren Erinnerungen nicht nur die Namen missionierter afrikanischer Frauen, sondern erzählte ganze Biographien (Rohns 1912). 596 Wilhelm Schmidt 1906, S. 620. 597 Ebd., S. 972. 598 Ebd., S. 356. 599 Ders. 1905, S. 18f. 600 Ebd., S. 18.

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601 Ders. 1906, S. 626. 602 Ebd., S. 638. 603 Warneck 1897, S. 83. Vgl. Oehler 1901; er plädiert auch für eine individuelle Methode. Wilhelm Schmidt (1906, S. 972) wiederum sprach vom besonderen »Eifer für die Rettung jeder einzelnen Seele«, von der ein Missionar beseelt sei, weshalb »jede einzelne Seele wert« erschiene, sich eingehend mit ihr zu beschäftigen. 604 Pater Witte, Die St. Arnoldstation in Atakpame (Togo), in: SHJB (1901/1902) H. 6, S. 86f., hier S. 87. 605 Die Vorstellung von besonderer missionarischer Nähe und Kompetenz zur lokalen Bevölkerung wurde von Kolonialbeamten teilweise geteilt. Sogar der Leiter der Kolonialabteilung und später des Kolonialamts Dernburg ging von einer besonderen Nähe der Missionare zu der lokalen Bevölkerung aus (RT, Dernburg, 3.12.1906, 4103.) 606 AG SVD, Subfolder 45071–45084 Pater Schmitz an Bücking 1.9.1903. 607 Zit. nach auf der Heiden 1900, S. 38. 608 In Atakpame kam 1905 das Schwesternhaus mit Mädchenschule dazu. Vgl. zur Anlage der Missionsstationen Wendt 2011, S. 45–100. 609 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 209; vgl. auch Müller 1958, S. 120; vgl. auch AG SVD, Subfolder 44947–45070 Müller Stationsbericht Atakpame 9.7.1901. 610 AG SVD, Subfolder 44947–45070 Müller an Bücking 5.6.1905 schilderte eindringlich diese alltäglichen Besorgnisse; AG SVD, Subfolder 44947– 45070 Müller Stationsbericht Atakpame 9.7.1901. 611 Müller 1958, S. 54. 612 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togo-Memoiren, S. 200. 613 AG SVD, Subfolder 44947–45070 Müller an Bücking o.D. aus dem Jahr 1904. 614 Zum katholischen Schulwesen in den Kolonien vgl. Adick 1981, S. 165ff. Die Bedeutung der Schulen wird auch deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass es bis 1891 keine Regierungsschulen gab. 615 AG SVD, Subfolder 42619–42652 Müller an Präfekt 27.5.1906. AG SVD, Subfolder 42619–42652 Bestimmungen für die Togo Mission Rom 28.5.1905. Vgl. auch AG SVD, Subfolder 44947–45070 Müller Stationsbericht 9.7.1901. 616 RT, Ledebour, 18.3.1905, 5391.

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617 Anonym, Die Mission in unseren Kolonien, in: Reichsblatt, 10.2.1909, S. 27. 618 BArch, R1001/3916 Schmidt an Horn 16.8.1903 . 619 Vgl. zum Folgenden Habermas 2015a; Comaroff / Comaroff 1997; Hall 2002. Kirsten Rüther (2001, S. 213) betont die starke Bedeutung von Kleiderfragen in der Mission. 620 Siehe Rainer Alsheimer (2007), der das Programm der Norddeutschen Mission für Togo in Bezug auf einen neuen Kalender und eine neue ökonomische sowie geschlechterspezifische Ordnung beschreibt. Vgl. auch Comaroff / Comaroff 1997, S. 221ff. 621 Vgl. Alsheimer 2007, S. 52ff. 622 Gustav Schmoller beispielsweise begriff die Mission als einen selbstverständlichen Teil der deutschen Kolonialpolitik, der die besondere Aufgabe der Erziehung zur Arbeit zukomme, vgl. Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 10.1.1907, S. 49. 623 BArch, 1001/3915 Schreiben von Pater Müller o.D. (Sommer 1903, S. 173– 176). 624 Gewiss war auch die Position der Mission auf ihren entlegenen Stationen fragil. Kokou Azamede (2007, S. 5) spricht von Missionsstationen als »europäisch-afrikanischer Diaspora«. Vgl. die zahlreichen Fälle von Missionaren, denen vorgeworfen wurde, dass sie sich des going native schuldig gemacht hätten; vgl. den Fall Andreas Riis in Miller 1991, S. 348ff., sowie den Fall Yakonba in White 2004. 625 Für die protestantische Mission scheint neben häuslichen Ritualen in der Familie vor allem enger brieflicher Kontakt zum Missionshaus in Deutschland von vergleichbarer Bedeutung gewesen zu sein, vgl. Miller (1991, S. 345), der die enge Bindung an das Mutterhaus betont. 626 AG SVD, Subfolder 42619–42652 Bestimmungen für die Togo Mission Rom 28.5.1905. 627 In jedem Fall sollte auch ein Pastoralbesuch von mindestens einer Stunde absolviert werden. Über die bei den Pastoralbesuchen gemachten Erfahrungen sollten sich die Missionare austauschen, vgl. AG SVD, Subfolder 42619–42652 Bestimmungen für die Togo Mission Rom 28.5.1905. Vgl. auch AG SVD, Subfolder 44947–45070 Müller Stationsbericht 9.7.1901. 628 Die Zeit zwischen diesen genau festgelegten Gebetsroutinen galt der Unterweisung, dem Studium, der medizinischen Versorgung und der Korrespondenz. Zudem sollte mindestens einmal in der Woche gebeichtet werden. Obschon aus den Korrespondenzen deutlich wird, dass den Regeln

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nicht immer nachzukommen war, wird deutlich, wie eng die religiöse Rahmung war. AG SVD, Subfolder 42619–42652 Müller an Präfekt 27.5.1906. 629 Zitate aus: Anonym, Zum neuen Jahre neue Kraft!, in: MNDMG (1903) H. 1, S. 1f.; D. Rebe, Jahrespredigt über Jesias 27, 1–6, in: MNDMG (1902) H. 7, S. 60ff., hier S. 61. Anlässlich des Todes des zehnjährigen Gotthilf Härter in Korntal hieß es z.B.: »Welche Prüfung für die lieben Eltern. Die am 19. Mai ihr Töchterlein Elisabeth abgeben mussten und voneinander getrennt all dieses Leid zu durchkämpfen haben.« Monatschronik, in: MNDMG (1907), H. 8, S. 84. 630 AG SVD, Subfolder 42653–42672 Jansen an Pater Kost 16.11.1908: »(…) die Hölle macht große Anstrengungen um die Seele zugrunde zu richten, geben Sie sich Mühe, dass sie von diesen bösen Geistern im Eifer der Arbeit nicht übertroffen werden.« 631 RT, Bebel, 4.12.1906, 4036. 632 Jansen an Rotenhan 9.7.1907, in: Rivinius 1979c, S. 182–190, hier S. 190. 633 AG SVD, Subfolder 44065–44101 Bericht aus Steyl an die Propaganda Fide, Rom 7.6.1907. 634 Anonym, Die Mission in den Schutzgebieten, in: Staatsanzeiger, 19.9.1907, S. 176f. Vgl. RT, Schaedler, 28.11.1906, 3975. 635 Vgl. Anonym, Ein protestantischer Reichstagsabgeordneter über die Missionen in Togo, in: SMB (1906) H. 5, S. 74f., hier S. 75. Ganz in diesem Sinne auch RT, Roeren, 3.12.1906, 4094. 636 In der ersten Ausgabe des Steyler Herz-Jesu Boten 1874 abgedruckt, zit. nach auf der Heide 1900, S. 14. 637 AG SVD, Subfolder 44947–45070 Pater Müller an Bücking 29.9.1906, da heißt es lakonisch: »Die Suche nach Bräuten war für jetzt erfolglos für Haden und Kofeto.« 638 Die Mission und unseren Kolonien, in: Reichsblatt, 10.2.1909, S. 27f., hier S. 27. 639 Schmidt 1907, S. 12; vgl. zu den missionarischen Praktiken auch Müller 1958, S. 75ff., und auf der Heide 1900, S. 409ff. 640 Kleine Nachrichten, in: SMB (1908) H. 7, S. 110. 641 Richard Küas, 1910, abgedruckt in: Kolonie und Heimat (1910) H. 1–28, hier zitiert Kolonie und Heimat (1910) H. 24, S. 10. Vgl. zur Arbeit der Missionen Comaroff / Comaroff 1991 und 1997. 642 Warneck 1897, S. 40.

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643 Vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 3.1.1914; 13.6.1914; 25.7.1914. 644 Vgl. Azamede 2007, S. 264. Auch war es einer dieser Missionslehrer, Andreas Akku, der 1909 dem Missionsinspektor der Norddeutschen Mission einen Forderungskatalog vorlegte, in dem unter anderem eine Fortbildungsschule für die lokale Bevölkerung verlangt wurde. Vgl. Sebald 1997b, S. 216. 645 RT, Lieber, 17.2.1894, 1319. 646 AG SVD, Subfolder 43132 Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo. 647 BArch, R1001/3196 Niederschrift der Aussage Rotberg in Kolonialabteilung 19.9.1903. Vgl. auch BArch, R1001/3918 Bericht von Horn an AA 10.2.1904; da heißt es, die Steyler würden »mehr in fremdländischen als in deutschem Sinne wirken«. 648 AG SVD, Korrespondenz Arnold Jansen: Jansen an Dr. Kayser 26.6.1893. 649 Ungeachtet dieser relativen Außenseiterposition lässt sich häufig, wenn auch nicht in der Intensität wie im Fall Englands, eine enge Zusammenarbeit zwischen deutschem Staat und protestantischen Missionen beobachten. Ana Isabel Madeira (2005, S. 37) spricht für England von dem Projekt einer Sozialreform, die auf den sozialen Fortschritt der Menschheit abzielte und von Staat und Missionen gleichermaßen verfolgt worden sei. Für Deutschland kann gesagt werden, dass Protestanten, im Unterschied zu Katholiken, von vielen dem Kern der deutschen Nation zugerechnet wurden. So glaubte Geo Schmidt, die protestantischen Missionen würden im Unterschied zu den katholischen Missionsorden »Kulturarbeit im deutschen Sinne« leisten (BArch, R1001/3916 Schmidt an Horn 16.8.1903). 650 Vgl. Kolonisation und Mission, in: Deutsche Tageszeitung, 6.10.1906, S. 35f., zur protestantischen Mission. 651 Dabei geht es um das Benehmen, das angeblich die Bevölkerung im Anschluss an den Awete-Vorfall an den Tag gelegt habe, wo »diese Leute absichtlich und ganz auffällig das Gesäß entblößt und durch die Straßen von Atakpame gehend zur Schau gestellt« haben sollen, um so den übermäßigen Vollzug der Prügelstrafe anzuklagen, BArch, R1001/3916 Schmidt an Gouvernement Lome 14.8.1903. 652 ANT, FA2/100 Abschriften von Aufzeichnungen des Pater Müller aus Nachlass Assessor Tietz 25.7.1904, darin die Anzeige gegen Pater Müller von Geo Schmidt 23.3.1903. 653 BArch, R1001/3915 Bücking an Kolonialdirektor 30.5.1903. Vgl. BArch, R1001/3916 Vernehmung Freiherr von Rotbergs im AA 19.9.1903; da sagte

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von Rotberg aus, er sei »überzeugt, dass die Steyler Mission im ultramontanen Sinne wirke«. Den Ultramontanismus erachte er für reichsfeindlich. 654 AG SVD, Subfolder 43278 Pater Müller an Gouvernement 28.1.1904. 655 Zu Kulturkampfelementen in der zeitgenössischen Kritik an der Mission siehe Christaller 1908, S. 59. 656 So eine Aussage des Baumeisters Schmidt, die dieser im Kasino von Lome getan haben soll, wo sie auf breite Zustimmung unter der anwesenden Beamtenschaft und auch unter den Kaufleuten gestoßen sei, vgl. BArch, R1001/3919 Kolonialabteilung Bericht über Missionsangelegenheit Togo 8.11.1904. 657 So behauptete Erzberger, im Herero-Nama-Krieg hätten protestantische Missionare die koloniale Ordnung unterminiert. RT, Erzberger, 4.12.1906, 4150. 658 Vgl. die Artikelserie im GCL ab 1911, verfasst von A Native of Aneho. 659 Schmidt 1907, S. 15. 660 Neben Geo Schmidt war es vor allem Rotberg, der sich durch die Tatsache, dass Horn ihn in Atakpame als Richter abgesetzt hatte, hintergangen fühlte. Vgl. BArch, R1001/3916 Niederschrift der Aussage Rotberg in Kolonialabteilung 19.9.1903. 661 AG SVD, Subfolder 43134–43160 Bücking über die Vorkommnisse in Togo o.D. (wahrscheinlich 1905). 662 AG SVD, Subfolder 43132 Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo. 663 Jansen an Rotenhan 9.7.1907, S. 182–190, hier S. 190, in: Rivinius 1979c. 664 BArch, R1001/3915 Bücking an Kolonialabteilung 7.8.1903. 665 Wie Ann Goldberg gezeigt hat, erlebten Ehrklagen im Kaiserreich eine regelrechte Renaissance. Vgl. Goldberg 2010, S. 99. 666 Ebd., S. 10. 667 Marie Muschalek (2013) betont die Rolle der Ehre für die Soldaten in DSW. Ich würde diese Bedeutung der Ehre nicht auf den Kreis der Soldaten und Polizisten beschränken. 668 Külz 1906, S. 76. 669 ANT, FA2/126c Solidaritätsadresse an Geo Schmidt Dezember 1903. Dieser Brief wurde von über zwei Dutzend Kaufleuten unterschrieben. 670 ANT, FA2/128 Erklärung an Bezirksgericht Lome überreicht von P. Bredereck. Privatklage Franz Müller gegen Geo Schmidt 7.11.1906. Das soll

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nicht heißen, dass es nicht auch innerhalb der Beamtenschaft Differenzen gab, insbesondere in der Beurteilung Geo Schmidts. Vgl. Zurstrassen 2008, S. 228. 671 Alle Zitate aus: BArch, R1001/3916 Bücking an Horn 23.8.1903; vgl. BArch, R1001/3919 Kolonialabteilung Bericht über Missionsangelegenheit Togo 8.11.1904 672 BArch, R43/945 Aufzeichnung betreffend Bureauvorstand Wistuba verfasst von Schnee o.D. 673 BArch, R1001/3917 Erlass Kolonialabteilung 10.9.1903. Im Dezember 1903 wurde beantragt, Wistuba des Amtes zu entheben, da er Dienstgeheimnisse verraten habe. Ein förmliches Disziplinarverfahren wurde am 11.12.1905 vonseiten der Kolonialabteilung eingeleitet. Vgl. zu Wistuba und Pöplau Zurstrassen 2008, S. 208–218. 674 BArch, R1001/3916 Zech an die Kolonialabteilung im Dezember 1903. 675 ANT, FA2/109 Gerichtssitzung in der Strafsache gegen Pater Schmitt wegen Vergehen gegen § 164, 165 5.12.1903. BArch, R43/945 Aufzeichnung betreffend Bureauvorstand Wistuba verfasst von Schnee o.D. paginiert, S. 25. 676 AG SVD, Subfolder 41940 Jansen an Propaganda Fide 1.1.1909. Vgl. auch Sebald 2005, S. 169. 677 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 256ff. 678 Es handelte sich um Frater Hörener, genannt Probus, und den Stationsassistenten Hunneshagen. Jacobus Basten (AG SVD, Folder 45533– 4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, 256ff.) thematisiert klassenspezifische Differenzen in der katholischen Mission aus der Perspektive der Fratres. 679 BArch, R1001/3916 Schmidt an Gouvernement Lome 14.8.1903. Hier geht es um den Awete-Fall, die Äußerungen beziehen sich auf Pater Müller. 680 AG SVD, Subfolder 43991 Anzeige gegen von Rotberg wegen Freiheitsberaubung im Amt 14.5.1905. 681 Hier ging es um die Anfrage, ob die Mission Kosten eines Gerichtsverfahrens übernehmen könne, BArch, R1001/3919 Bücking an Kolonialdirektor 15.6.1904. 682 AG SVD, Subfolder 43132, Ein Beitrag zur Colonialen Corruption in Togo. 683 ANT, FA2/102 Strafantrag Schmidt gegen Pater Müller 14.8.1903. 684 ANT, FA2/100 Abschriften von Aufzeichnungen des Pater Müller aus Nachlass Assesor Tietz 25.7.1904, hier Anzeige der Station gegen Pater Müller.

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685 BArch, R1001/3918 Geo Schmidt an Zech 8.2.1904. 686 BArch, R1001/3916 Schmidt an Horn 16.8.1903. Hier führt er an, dass niemand aus der Bevölkerung die Missionare während ihrer Haftzeit besucht habe. 687 ANT, FA2/196, Nr. 12 Bezirksamt Anecho an den Gouverneur von Togo 3.2.1908. 688 ANT, FA2/127a Öffentliche Sitzung des Bezirksgerichts Lome in der Privatklage Bücking / Müller gegen Schmidt 31.3.1908, hier die Aussage von Pater Witte: »Ich halte die Abschaffung der Prügelstrafe für keine Wohltat für die Eingeborenen.« 689 D. Rebe, Jahrespredigt über Jesaias 27, 1–6, in: MNDMG (1902) H. 7, S. 60ff., hier S. 61. 690 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 250: »Nun kam es aber doch vor, dass das freiheitsliebende Naturvolk glaubte (…), der Weiße vom Berge [das sind Regierungsbeamte, R.H.] stelle zu große Anforderungen (…), [weshalb sie] den Befehlen nicht nachgekommen [sind]. In einem solchen Fall geriet dann der Beamte in eine sehr heikle Situation. Ließ er die Sache laufen, dann konnte er einpacken und nach Hause gehen. (…) [Wurden?] Befehle ausgeführt – und darauf musste er bestehen, wenn er die Autorität der Regierung hochhalten wollte – dann ging es nicht ohne Zwang.« 691 AG SVD, Folder 45533–4 Bruder Jacobus Basten, Togomemoiren, S. 250. 692 RT, Ledebour, 15.3.1906, 2044. 693 Vgl. Adja 2009, S. 74ff.; Zurstrassen 2008, S. 206. 694 AG SVD, Subfolder 44281–44331 Obergericht Kamerun/Togo in Duala am 2.9.1909, Revision der Privatklage Müller / Bücking gegen Schmidt wegen Verleumdung: Die Zwangsarbeiter sollten »die an der Strasse neu gepflanzten Schattenbäume durch Umstecken mit kleinen Pfählen davor (…) schützen, dass sie beschädigt insbesondere von Schafen und Ziegen angefressen werden«. 695 An anderer Stelle heißt es, es seien neun Soldaten gewesen: AG SVD, Subfolder 44281–44331 Obergericht Kamerun/Togo in Duala am 2.9.1909, Revision der Privatklage Müller / Bücking gegen Schmidt wegen Verleumdung. 696 BArch, R1001/3915 Pater Müller an Bezirksgericht Lome 10.8.1903; BArch, R1001/3919 Bücking an Kolonialabteilung 4.9.1904. Müller und Bücking hatten diesen Sachverhalt Horn gemeldet, der sie aufforderte, diese Beschwerde schriftlich vorzulegen.

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697 Bezüglich der Anzeige vom 10.8.1903 wurde am 9.2.1904 vom Bezirksgericht in Lome beschlossen, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen. Vgl. auch BArch, R1001/3918 Bericht Horn vom 9.7.1903, Anklagen gegen den Stationsleiter Schmidt. 698 AG SVD, Subfolder 43590–43651 Schreiben an das Gouvernement Lome in der Strafsache gegen Pater Franz Müller (wegen Verleumdung) 31.12.1907 von Rechtsanwalt Court. Geo Schmidt stritt das ab. Er behauptete, die erlaubte Anzahl von 25 Peitschenhieben sei nicht überschritten worden und Tote habe es gar keine gegeben, vgl. BArch, R1001/3918 Aufzeichnungen Berlin 10.3.1904. Vgl. auch Aussage Schmidt. BArch, R1001/3916 Schmidt an Gouvernement 14.8.1903. Bei den Bestrafungen war auch der Stationsassistent Hunneshagen anwesend, der diese vollzog. Die Geschichte war mit diesem unterschiedlich dargestellten Vollzug der Strafe noch keineswegs zu Ende. Im Anschluss an die Prügel-Bestrafung wurden die Männer erneut zur Zwangsarbeit herangezogen. Dieses Mal erschienen sie zwar, stellten aber anscheinend die ihnen qua Prügelstrafe zugefügten Wunden öffentlich zur Schau, womit sie demonstrieren wollten, wie gewalttätig die deutsche Kolonialherrschaft war. ANT, FA2/127a Lome Privatklage Bücking / Pater Müller gegen Schmidt 1.4.1908. Vgl. auch AG SVD, Subfolder 44281–44331 Obergericht Kamerun/Togo in Duala am 2.9.1909, Revision der Privatklage Müller / Bücking gegen Schmidt wegen Verleumdung. 699 Vgl. zu diesen Gewaltdiskursen im Reichstag Habermas 2015b. 700 Gewalt ging also nicht nur von Europäern aus, sondern auch von den einheimischen Exekutivkräften im Dienst der Kolonialherren, unabhängig davon, ob diese das hinter vorgehaltener Hand unterstützten oder nicht. Mehr noch: Diese Exzesse waren elementarer Bestandteil der Kolonialherrschaft. Auch dieser Aspekt kolonialer Herrschaft war durch einen inneren Widerspruch gekennzeichnet: Einerseits hätte ohne die afrikanischen Polizisten kein einziger Verwaltungsakt durchgesetzt werden können, hätte der koloniale Staat keine wie fragile Gestalt auch immer annehmen können. Andererseits agierten diese Kräfte strukturell jenseits ihres staatlichen Auftrages, was auch im Zusammenhang damit gesehen werden muss, dass sie sich weder durch ausreichende Entlohnung noch durch religiöse, politische, emotionale oder soziale Loyalitäten dem Distriktleiter oder gar der abstrakten Idee des kolonialen Staates verbunden fühlten. Nicht ausnahmsweise, sondern regelmäßig verfolgten sie mit jedem Auftrag des Distriktleiters auch ihre eigenen Interessen. Dass dies nicht selten mit Gewalt einherging, lag nicht an der besonders gewalthaften und grausamen Natur des »Afrikaners«, wie man zeitgenössisch, verstärkt seit dem Herero-Nama-Krieg in Hunderten von Zeitungsberichten, Erinnerungsbüchern von deutschen Kolonialsoldaten

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und Kolonialromanen immer wieder behauptete. Diese Gewalt war vielmehr struktureller Natur und lag unter anderem im kolonialen Strafsystem begründet, welches durch eine niedrige Gewaltschwelle gekennzeichnet war. Auch die ambivalente Stellung der Polizisten und Soldaten wie der Chiefs spielte eine Rolle. Sie waren zwar mit kolonialer Macht ausgestattet, die vom jeweiligen Distriktleiter nur schwer zu kontrollieren war, besaßen andererseits jedoch keine Autorität, um die Befehle der Kolonialbeamten eins zu eins umzusetzen beziehungsweise wollten das in ihrer spezifischen Position als being in between nicht immer, verfolgten sie doch eigene Ziele. Vgl. zu einheimischen Polizisten und Soldaten Glasman 2011, insbes. S. 7; Zollmann 2010, insbes. S. 23. Vgl. auch Muschalek 2013 zu DSW. Die Perspektive der Afrikaner und Afrikanerinnen kommt bei Michelle Moyd (2011) stärker in den Blick. Zum englischen Kolonialismus und seinen Exekutivkräften siehe die zahlreichen Arbeiten von David Killingray. 701 Pesek 2005, S. 190–266. 702 Vgl. BArch, R1001/3916 Schmidt an Horn 15.8.1903; vgl. Amtsblatt für das Schutzgebiet Togo 17.7.1909, dort ist die Verordnung der Gouverneure betreffend die Anwendung von Disziplinarstrafmitteln im Gefängnisbetrieb abgedruckt. Hier wird wiederholt das Recht zur Prügelstrafe, welches von Bezirksamtmännern zu vollziehen ist, thematisiert. Die Übertragung dieses Rechts auf Polizeimeister und Stationsassistenten unterliegt dem Gouverneur. 703 Nachzulesen in der klassischen Argumentation bereits bei Fabri 1879. 704 Zit. nach: Das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee, Wirtschaftliche Unternehmungen des Komitees, in: DKZ (1902) H. 28, S. 275–278. Häufig heißt es »Baumwollkultur als Volkskultur«, vgl. Anonym, Der Etat von Togo 1903, in: DKZ (1903) H. 6, S. 49ff. 705 Vgl. zum Zusammenhang von Sklavenarbeit und Einführung der cash-cropÖkonomie in Westafrika im Überblick Austin 2009. 706 Jahresbericht über die Entwicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1905, S. 71, da heißt es, dass der Stationsleiter von Notschä eine größere Farm (40–50 ha) in Notschä hat anlegen lassen. 707 Eine kursorische Durchsicht der Deutschen Kolonialzeitung belegt das. Immer wieder finden sich hier Berichte über die Fortschritte des Unternehmens. Vgl. DKZ (1903) H. 7, hier wird über die erste Baumwollexpedition nach Togo berichtet; vgl. DKZ (1907) H. 10, unter der eigens eingerichteten Rubrik »Die Baumwollfrage«. 708 John Phillip Short (2012, S. 36) geht sogar so weit zu behaupten, koloniale Debatten seien im Kaiserreich primär über wirtschaftliche Themen geführt worden, was auch dazu geführt habe, dass globale Zusammenhänge nur noch

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in Termini von Markt, Arbeitsbeziehungen und Warenverkehr verstanden worden seien. Short kann in seiner brillanten Studie zeigen, dass diese Themen zumindest in bürgerlichen Öffentlichkeiten dominant waren. 709 Vgl. auch Vietor 1912, S. 6. 710 Curt v. François, Die Förderung der Eingeborenenkulturen durch Einführung der kommunalen Selbstverwaltung, in: DKZ (1902) H. 21, S. 203f. Vgl. Stuchtey 2010, S. 232ff.; vgl. zur SPD-Argumentation Schwarz 1999; Sobich 2006. 711 Ochonu 2013. 712 Ebd., S. 6. Ochonu betont, die Afrikaner seien »used the colonial market to their advantages« und »colonial commerce offered limited opportunities for Africans« (ebd., S. 10). Gareth Austin (2010, S. 46) betont, dass es auch gemeinsame Interessen zwischen afrikanischen Farmern, europäischen Kaufleuten und Kolonialregierungen gab. 713 Moses Ochonu (2009, S. 1) definiert einen »colonial meltdown« als koloniales Projekt, das keinerlei Profit oder Mehrwert hervorzubringen vermag. 714 Neuere Untersuchungen zur kolonialen deutschen Wirtschaftspolitik fehlen. Zeitgenössische Statistiken sprechen in Bezug auf die Gewinne und Verluste eine eindeutige Sprache. Ältere Arbeiten zu Togo sind Sebald 1988; Ahadji 1996; Darkoh 1967. Vgl. auch die nach wie vor wegweisende Studie von Karin Hausen (1970) für Kamerun. 715 John Phillip Short (2012, S. 49) spricht davon, dass die Kolonien ausschließlich als »markets and as suppliers of commodities« gesehen wurden. 716 Vgl. Ciarlo 2011, S. 157. 717 Karl Supf, Die Baumwollfrage, in: DKZ (1900) H. 20, S. 215–218, hier S. 217. 718 Siehe zur Politik des KWK Franz Göttlicher, Kolonialwirtschaftliches Komitee, www.archivesportaleurope.net/de/ecd-display/ecd/fp/DE1958/fa/R-8024–18182, Zugriff 15.4.2014; und die Selbstdarstellung durch Geo Schmidt (1934). Vgl. auch Beckert (2004, S. 1407), der schreibt, dass der amerikanische Bürgerkrieg mit seinen Auswirkungen auf die Baumwollproduktion unter Intellektuellen zumindest ein Bewusstsein dafür hervorgerufen habe, dass es sich um ein globales Ereignis handelte. Für diese These ist Supf ein gutes Beispiel; er schrieb 1900, dass »King Cotton« »tief eingeschnitten hat in die sozialen Verhältnisse, ja sie zum Teil völlig umgestaltet«, vgl. DKZ (1900), H. 20, S. 216.

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719 Helfferich 1904, S. 7. 720 Vgl. RT, Dr. Mayer, 18.2.1910, 1370. 721 Vgl. auch Schanz 1906, S. 700. 722 Helfferich 1904, S. 16. 723 Anonym, Bericht des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees, in: BaumwollExpedition nach Togo. Bericht 1901. Beihefte zum Tropenpflanzer (1902), S. 39–45, hier S. 39. Es würde, gerade weil die Baumwollindustrie so »wichtig für die Arbeiterschaft« (RT, Arning, 31.1.1910, 937) sei, schließlich unsägliches »Arbeiterelend« (Anonym, Bericht des KolonialWirtschaftlichen Komitees, in: Bericht II. Deutsch-Koloniale Baumwollunternehmungen 1902/03. Beihefte zum Tropenpflanzer [1903], S. 81–89, hier S. 81) auf das Kaiserreich zukommen. 724 Es gab in Togo bereits vorher Baumwollanbauversuche; 1889 hatte Bismarck – so die Darstellung von Oskar Fritz Metzger (1941, S. 242) – auf Bismarckburg erste Baumwollversuche angeordnet; 1890 gab es einen ersten Sachverständigen in Togo, der an der Küste Baumwollversuchsfelder anlegte. 725 Vgl. Anonym, Der internationale Baumwollkongreß in Atlanta und kolonialer Baumwollanbau, in: DKZ (1907) H. 47. 726 Vgl. Grimmer-Solem 2007, S. 313–347. Dieses Komitee, das im Januar 1907 unter Einfluss Schmollers gegründet wurde, stellte eine wissenschaftliche Fundierung und Unterstützung für die Dernburg’sche Kolonialpolitik dar und wurde von vielen Staatswissenschaftlern unterstützt. Der Kolonialpolitische Führer wurde in einer Auflage von über 100000 Ex. gedruckt. 727 Kolonialpolitisches Aktionskomité 1907, S. 5. 728 Ebd., S. 9. 729 Karl Supf, Die Baumwollfrage, in: DKZ (1900) H. 20, S. 215–218, hier S. 216. Gewiss mischten sich auch antiamerikanische Diskurse hinein, galt Amerika doch zeitgenössisch als Inkarnation einer Moderne, die für die Gefahren des Fortschritts und damit für die Krise stand. 730 Kolonialpolitisches Aktionskomité 1907, S. 7. 731 Ebd., S. 6. 732 Anonym, Togo, in: DKZ (1902) H. 39, S. 87. Vgl. zum Terminus Landwirtschaftsstil das von Erich Landsteiner herausgegebene Themenheft »Landwirtschaftsstile«, Historische Anthropologie 2012, Heft 3. 733 Vgl. zu Berichten über Dr. Schilling DKZ (1905) H. 18, S. 185: »Aus unseren Kolonien«.

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734 Vgl. James N. Calloway, Bericht des Baumwoll-Experten James N. Calloway, in: Baumwoll-Expedition nach Togo. Bericht 1901. Beihefte zum Tropenpflanzer (1902), S. 46–80, hier S. 65. 735 Vgl. zur Debatte über »Eingeborenenkultur« versus »Plantagenwirtschaft«, wie sie in kolonialen Kreisen seit 1900 geführt wurde, Zimmerman 2010, S. 136ff. Die Debatte wurde vor allem über Vietor auch in die protestantischen Missionskreise getragen, vgl. den Beitrag »Die Bedeutung der Mission für unsere deutschen Kolonien«, abgedruckt im MNDMG (1903) H. 2, S. 16, in dem von der Rede Vietors auf einem Teeabend des Jahresfestes der NM berichtet wurde, in der es ausschließlich um dieses zentrale wirtschaftspolitische Thema ging. 736 Andrew Zimmermann (2010) hat in seiner brillanten Pionierstudie als Erster auf die zahlreichen kolonialen und auch transnationalen wissensgeschichtlichen Zusammenhänge dieses Projekts verwiesen. 737 Sebald 1988, S. 435. So helfe diese Lebensform dabei, die »unterworfene niedrigere Rasse« der europäischen Zivilisation näherzubringen – so der Staatswissenschaftler Gustav Schmoller 1902 auf dem Kolonialkongress, vgl. Gustav Schmoller, Deutscher Kolonialkongress 1902. Verhandlungen, S. 515, zit. nach Grimmer-Solem 2007, S. 321. Vgl. Zimmerman 2010, S. 106 zu den Verbindungen von Schmoller zu Du Bois und den Verbindungen zwischen rassistischen Polendiskursen und Diskursen über Schwarze. Vgl. zu Schmoller, Vietor und Volkskulturdebatte Zimmerman 2010, S. 136ff. 738 Vietor 1912a, S. 17. 739 Anonym, Togo, in: DKZ (1902) H. 4, S. 87. 740 Vgl. Briefwechsel zwischen Auswärtigem Amt, Kolonialabteilung und kaiserlichem Gouvernement in Lome ANT, FA3/1008. 741 Vgl. Zimmerman 2010, S. 4ff., und zu Schmollers Vorstellungen der »Eingeborenenkultur« und »Erziehung zur Arbeit« Grimmer-Solem 2007, S. 313–347. 742 Im August 1900 – drei Monate später – wurde eine Eingabe des Herzogs zu Mecklenburg, seines Zeichens Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft, an den Reichskanzler zur Förderung des Baumwollanbaus in Afrika vorgelegt und in der Kolonialzeitung abgedruckt. Dort ist die Rede davon, dass die Gesellschaft einen einstimmigen Beschluss gefasst habe, dass »die erfolgreiche Einführung einer lebensfähigen Baumwollkultur in den deutschen Schutzgebieten einen bedeutsamen Schritt zur Erlangung unserer wirtschaftlichen Unabhängigkeit bedeute«, vgl. der Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft Johann Albrecht Herzog zu Mecklenburg, Eingabe an

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den Herrn Reichskanzler wegen Förderung des Baumwollanbaus in den deutschen Schutzgebieten Afrikas, in: DKZ (1900) H. 31, S. 353f. 743 Offiziell wurde dann 1904 den Bezirksämtern die Aufsicht über die »Baumwollkulturen der Eingeborenen« übergeben, zit. nach Sebald 1988, S. 439. 744 Zit. nach ebd., S. 436. Ausdrücklich wurden alle Stationsleiter aufgefordert, die KWK-Expedition und die Amerikaner zu unterstützen, etwa durch Bereitstellung von Land, vgl. Briefwechsel in ANT, FA3/1008. 745 Schmidt 1902, S. 85f. 746 So wollte Schmidt neben der Versuchsfarm in Tove weitere Anlagen und eine sogenannte Baumwollschule in Notschä eröffnen. Schmidt 1903, S. 14. Zu Notschä vgl. Zimmerman 2010, S. 153–162. Vgl. Anonym, Bericht des Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees, in: Bericht II. Deutsch-Koloniale Baumwollunternehmungen 1902/03. Beihefte zum Tropenpflanzer (1903), S. 81–89, hier S. 83; James Calloway war im Juni 1901 in Atakpame gewesen, um »Eingeborene« zu unterweisen, vgl. Anonym, Die Baumwollexpedition des Kolonialwirtschaftlichen Komitees nach Togo, in: DKZ (1901) H. 38, S. 373. Vgl. zu Schmidts Engagement auch den Brief Geo Schmidts an Prinz von Arenberg vom 20.1.1904, abgedruckt in: Rivinius 1979c, S. 173. Vgl. zur Baumwollkonferenz Anonym, Baumwollbau in Togo, in: DKZ (1903) H. 32, S. 323–324; vgl. Anonym, Protokoll der BaumwollKonferenz vom 31. März 1903 in Tafie, in: Bericht II. Deutsch-koloniale Baumwoll-Unternehmungen 1902/03. Beihefte zum Tropenpflanzer (1903), S. 135ff., hier S. 135. Vgl. auch Külz 1906, S. 73. 747 Pater Müller ging noch einen Schritt weiter, er soll behauptet haben, die Baumwollversuchsfarmen seien nur Vorwand, »um vom Reichstag Mittel zum Eisenbahnbau zu erhalten«, vgl. ANT, FA2/127a Privatklage Bücking und Pater Müller gegen Schmidt, Lome 2.4.1908. 748 Abgedruckt in dem Bericht über die »Baumwoll-Expedition nach Togo« in: Verhandlungen des Kolonialwirtschaftlichen Komitees, Nr. 1., 22.1.1903, S. 12–16, hier S. 15. Aus einem Brief (ANT, FA3/1008) an »Mr. Schmidt Kaiser Station Atakpame« vom 13.6.1903 – wahrscheinlich von einem der amerikanischen Baumwollexperten – geht auch hervor, dass sich Schmidt für die Baumwollkultur engagierte. 749 Sven Beckert entwickelte die These, dass sich der Staat im Laufe der weltweiten Baumwollprojekte, wie sie im Gefolge des amerikanischen Bürgerkriegs zu beobachten waren, immer mehr in die Wirtschaftspolitik einmischte. Im Fall von Togo ist eher eine Verwischung der Grenzen zwischen Staat und Privatwirtschaft zu beobachten, wie das im kolonialen

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Raum häufig üblich war. So hat das KWK in Togo die Trassierung von Eisenbahnstrecken finanziert und auch wesentlich zur »systematischen Propaganda« für den Eisenbahnbau beigetragen. Schriftwechsel zwischen dem KWK und einzelnen Stationsleitern in Togo zeigen, dass sich das KWK zuweilen auch als Akteur über dem Staat begriff, der die Stationsleiter aufforderte, Berichte über die wirtschaftliche Lage der Region vorzulegen. 1905 allerdings schritt dann der Gouverneur ein und betonte, dass Infrastrukturmaßnahmen wie Eisenbahnplanungen zu den Herrschaftsbefugnissen des Staates gehören. Vgl. ANT, FA3/1179 Gouvernement Lome an Döring 18.10.1905. Karin Hausen (1970) zeigt hingegen für Kamerun, wie der Staat sich zusehends von den Interessen der Privatwirtschaft distanzierte. 750 Anonym, Baumwollanbau in Togo, in: DKZ (1903) H. 32, S. 323f. 751 Vgl. ANT, FA3/1225 (TCS) Atakpame Steuerarbeit 1903–1904. Gouverneur Zech erklärte 1904 die Baumwollvolkskultur zur Aufgabe der Stationsleiter. Er übertrug den Bezirksämtern endgültig die Aufsicht über die »Baumwollkulturen der Eingeborenen«, damit diese Sorge tragen, dass die »Eingeborenen rechtzeitig anpflanzen, die Baumwollfelder reinhalten und rechtzeitig abernten«, zit. nach Sebald 1988, S. 439. Vgl. Hans Gruner, Bericht des Stationsleiters Dr. Gruner, in: Baumwoll-Expedition nach Togo. Bericht 1901. Beihefte zum Tropenpflanzer (1902), S. 80–84. 752 Robinson 1903, S. 107. 753 Vietor 1912a, S. 15. 754 B. Herold, Mission und Neger, in: DKZ (1906) H. 2, S. 10ff., hier S. 11. 755 So behauptete er selbst Jahrzehnte später, vgl. Schmidt 1925. 756 Georg Reinhold Hunneshagen war gelernter Büchsenmacher, vgl. Schmidt 1907, S. 55; Schreiber 1907, S. 11. 757 BArch, R1001/3918 Aufzeichnungen B1. Verbreitung einer unrichtigen Beschuldigung gegen den Stationsleiter Schmidt. Vgl. BArch, R1001/3916 Schmidt an Gouvernement Lome 15.8.1903. 758 Die sogenannten Maji-Maji-Aufstände (1905–1907) standen im Zusammenhang mit Baumwollprojekten, vgl. dazu Sunseri 2001, S. 33. Vgl. zur Situation in Kamerun Anfang 1904 Rüger 1968, S. 201. 759 BArch, R1001/3918 Aufzeichnung B1. Verbreitung einer unrichtigen Beschuldigung gegen den Stationsleiter Schmidt. 760 Schmidt 1903b, S. 14. 761 ANT, FA3/1120 (TCS) Jahresbericht des Bezirkslandwirtes Lumblatt, Atakpame vom 1.4.1913 bis 1.4.1914.

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762 Wie erheblich ein solcher Schaden für eine Gesellschaft sein konnte, die unter anderem auf generationellen Ordnungen basierte, variierte, je nachdem, wer vor den Pflug gespannt wurde. Vgl. Anonym, Die Baumwollfrage, in: DKZ (1906) H. 20, S. 197. Die Baumwollexperten bedauerten, dass die Experimente mit dem Vieh fehlgeschlagen waren, weil dadurch beim Pflügen, aber auch für »Transportdienste, (…) gegenüber der Verwendung der Eingeborenen (…) eine erhebliche Ersparnis an Transportkosten (…)« hatte erzielt werden können, vgl. Schmidt 1903b, S. 12. Andrew Zimmerman (2010, S. 143) weist darauf hin, dass mit dem Pflug erhebliche kulturelle und soziale Bedeutungen verbunden waren. Vgl. Likaka 1997, S. 6, der zeigt, dass der Baumwollanbau »Ungleichheit zwischen chiefs und peasants« hergestellt habe. 763 Zur Geschlechterordnung und ihren Veränderungen durch die Einführung der Baumwolle siehe Zimmerman 2010; Likaka 1997, S. 130. Vgl. zu einer neuen Geschlechterpolitik in Bezug auf die Baumwollanbaupolitik in Mosambik in den 1930er Jahren Isaacman 1997, S. 764, sowie Robinson 1903, S. 90. Vgl. auch Geo Schmidt, der in einer 1943 verfassten Schrift sehr klar all diese Eingriffe in die lokale Praxis beschreibt (1943a). Zu den lokalen Agrarpraktiken siehe Beckert 2004, S. 513; Zimmerman 2010, S. 113ff. 764 Vgl. Ahadji 1996, S. 334f. Dass deutsche Kaufleute wie Vietor an diesen Handelsplätzen besonderes Interesse hatten und dass ihr vehementer Einsatz für die sogenannte Volkskultur und gegen die Plantagenkultur mit diesen vitalen ökonomischen Interessen zu tun hatte, liegt auf der Hand. Ähnlich argumentierte der Kaufmann Friedrich Christian Oloff, der Eingeborenenkultur »im Gegensatz zu europäischen Plantagenbetrieben« empfahl. Vgl. Anonym, Protokoll des Auswärtigen Amtes, in: DKZ (1902) H. 15, S. 145f. »Das Interesse des Kaufmanns liegt in der wirtschaftlichen Selbstständigkeit des Negers!« – so Oloff im Westafrikanischen Verein, wobei er sich hier gegen Hupfeld nicht durchsetzte, vgl. Diehn 1956, S. 88. 765 Die Zwangsarbeit wurde von Kolonialabteilung/Kolonialamt und KWK offen gefordert, vgl. Beckert 2005, S. 519; Diehn 1956, S. 101. Sieht man von den Baumwollexperten aus Tuskegee ab (Beckert 2005, S. 521), bestand Konsens darüber, dass »eine nachdrückliche Einwirkung der Regierungsorgane auf die Eingeborenen wenigstens für eine Reihe von Jahren (…) unerlässlich« sei; vgl. Anonym, Baumwollanbau in Togo, in: DKZ (1903) H. 32, S. 323f. Allen Isaacman spricht in dem Zusammenhang von einer »Kultur des Terrors« (1997, S. 757). Vgl. die Leitsätze des KWK für das Jahr 1904/05, da heißt es, man solle prüfen, ob es möglich wäre, »einen gewissen Druck auf diejenigen Eingeborenen aus[zu]üben«, vgl. ANT, FA3/1008 Gouverneur an Stationsleiter 7.2.1905. Der Gouverneur von

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Togo schreibt hier, dass diese Gewalt auch von den Stationsleitern ausgehen könne. 766 Schmidt schließt einen Artikel, in dem er diesen Vorfall schildert, mit dem Satz: »Auf diese Weise entstand das erste große Feld im Bezirk Atakpame« (1925, S. 253f.). 767 In einer Anordnung des stellvertretenden Gouverneurs von Togo an seine Stationsleiter bezüglich des Baumwollunternehmens bat dieser, der Expedition bei der »Verhandlung mit den Verfügungsberechtigten nach besten Kräften behilflich zu sein«, um Land unentgeltlich zu bekommen, wenn diese Flächen für die Experimente benötigt würden, vgl. ANT, FA3/1008, undatierter Brief des stellvertretenden Gouverneurs an die Stationsleiter. 768 Sven Beckert (2005, S. 517) listet solche Faktoren auf: Widerstand gegen Monokultur und Vorliebe für Nahrungsmittelanbau. Auch gab es gute Baumwollpreise von den Webern, die häufig höher lagen als die, die deutsche Kaufleute zahlten; vor allem aber gab es keine ökonomische Notwendigkeit, weil die Bevölkerung stets andere Einkommensquellen hatte. 769 Vgl. ANT, FA2/127a, Gerichtssitzung Lome 2.4.1908. 770 Jahresberichte über die Entwicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1904/1905, Berlin 1906, S. 65. 771 Jahresberichte über die Entwicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1905/1906, Berlin 1907, S. 71. Daran änderte sich auch nichts, als 1902 die Zölle auf Mais erhöht wurden. Der Mais blieb trotzdem wichtiger für den Eigenbedarf als die Baumwolle (vgl. Sebald 2013, S. 96). Vgl. Beckert 2005, S. 521–524. 772 James N. Calloway berichtet, dass es in Togo bisher üblich gewesen sei, Baumwolle »als Zwischenprodukt bei der ›Yamskultur‹ anzubauen«, vgl. James N. Calloway, Bericht des Baumwoll-Experten James N. Calloway, in: Baumwoll-Expedition nach Togo. Bericht 1901. Beihefte zum Tropenpflanzer (1902), S. 46–80, hier S. 63. 773 Vgl. Likaka 1997, S. 8. 774 Robinson 1903, S. 107. Sven Beckert (2005, S. 525) interpretiert das als Versuch der lokalen Bevölkerung, zumindest zeitweise die Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen. 775 Gaunt 1911, S. 220. 776 Vgl. Sebald 1988, S. 418ff. Die vom Kolonialamt und auch dem KWK aufgestellten Exportlisten sind kaum aussagekräftig, da sich ein großer Teil des Warenverkehrs der kolonialen Kontrolle entzog. Offiziell wurden 1914

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nur 10 % des Kakaos von der Deutschen Togo-Gesellschaft exportiert, vgl. Ahadji 1996, S. 500. So wurde in einem Bericht 1907 nicht Baumwolle, sondern Kautschuk als Erstes genannt, vgl. ANT, FA3/11 (TCS) Döring an Gouvernement Lome 14.1.1907. Selbst 1913 geben offizielle Statistiken an, dass nur 46,6 % des Exports nach Deutschland, während 45,6 % in die Nachbarkolonien gingen, vgl. Gayibor 1997, S. 53. 777 Vgl. Aktenkonvolut ANT, FA3/1008 und ANT, FA3/1223 (TCS) Brief Ehni an Döring 30.6.1906. 778 ANT, FA3/11 Döring an das Gouvernement Lome 14.1.1907. 779 Vgl. Jahresbericht über die Entwicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1903/04, Berlin 1905, S. 75. 780 Die Märkte, auf denen die lokale Bevölkerung für den Eigenbedarf handelte, waren von Frauen dominiert. Sie konstituierten also eine andere Geschlechterordnung als die neuen Baumwollmärkte, vgl. Jahresbericht über die Entwicklung der deutschen Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1903/04, Berlin 1905, S. 75. 781 Gaunt 1911, S. 220; vgl. die im Internationalen Kolonialinstitut von Brüssel vorherrschende Einschätzung, die Benoit Daviron (2010, S. 492) folgendermaßen zusammenfasst: »On the eve of World War, the results of thirty years of attempts to create European plantations in Africa (…) were (…) very disappointing.« 782 Donna Maier (1995, S. 84ff.) betont, dass diejenigen, die zur Elite Togos gehörten, in erster Linie ihr Geld in anderen Feldern verdienten: Palmöl, Kautschuk, Palmkerne und Viehwirtschaft. 783 Ludwig Külz (1906, S. 116) besuchte Notschä ein Jahr später, Mitte August 1904, und berichtete von den Fortschritten, die dort in der Anlage von Baumwollfeldern gemacht worden waren. 784 Vgl. zu den im Internationalen Kolonialinstitut (Brüssel) geführten Debatten zum Thema Plantagenarbeit Daviron 2010, S. 479–501. 785 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 11.10.1913. 786 Anonym, Rabbi und Mönch, in: Vorwärts, 4.12.1906. 787 RT, Bülow, 28.11.1906, 3958. 788 Frank Bösch (2009b, S. 792) schreibt: »Die kolonialen Enthüllungen bleiben keine Medienereignisse«, sie führten zu »Gesetzen, die den Umgang mit der afrikanischen Bevölkerung neu regelten«. Jules Kouassi Adja (2009, S. 159) behauptet, die Ereignisse von Atakpame hätten »die deutsche öffentliche Meinung erschüttert« und »den Deutschen die Augen geöffnet«.

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789 Vgl. die vorbildliche Studie von Kirsten McKenzie (2004). Sie beschäftigt sich vor allem mit der Bedeutung, die Kolonialskandale für die koloniale Gesellschaft selbst hatten, da durch sie die soziale Reputation erhöht oder vernichtet werden konnte. Auch hebt sie die »sowohl konstruktive als auch destruktive Kraft« (S. 181) des Skandals hervor, der soziale Grenzen setzen oder verschieben konnte. 790 Vgl. Kohlrausch (2005) sowie die Arbeiten von Frank Bösch zu Skandalen. 791 Die These hat Martin Kohlrausch (2005) aufgestellt. 792 Vgl. zur Agnotologieforschung Proctor 2008, S. 3; Schiebinger 2007. Siehe auch Farmer 2001; Ben-Ze’ev/Winter 2010; Glenn 2004; Fivush 2010, S. 88– 98. Besonders hervorheben möchte ich in dem Zusammenhang die einzige mir bekannte Arbeit, die sich am Beispiel Indiens in ähnlicher Weise der Frage widmet, von Nicholas Owen (2012). Nicholas Owen, Oxford, danke ich für weiterführende Gespräche und Hinweise. 793 Dernburg, 1906/07, S. 8. 794 Vgl. zum Folgenden insbesondere Habermas 2014a. Was das Zentrum betrifft, trat neben Erzberger vor allem Roeren auf. Christian Leitzbach (1998, S. 351) spricht von einer Arbeitsteilung der beiden Zentrumsabgeordneten: Roeren soll für »Willkür und Grausamkeit der Prügelstrafe« sowie »Einkerkerung und Verhaftung« und Erzberger für die wirtschaftliche Seite der Skandale zuständig gewesen sein. 795 Becker 1963, S. 147ff. 796 Bösch 2009a, S. 294 und S. 296. 797 Vgl. Hall 1977; zu Bebels Rolle im Peters-Skandal Sobrich 2006, S. 76ff.; Perras 2004, S. 216ff. Auch auf dem Essener SPD-Parteitag 1907 ging es u.a. um den Atakpame-Skandal, vgl. Sebald 1988, S. 243ff. 798 Short 2012. 799 Loth 1987, S. 74. 800 Ebd., S. 75. 801 Ebd., S. 77. 802 Erzberger 1906a, S. 10. 803 Ebd., S. 12. 804 Vgl. Anonym, Die Kosten der Weltpolitik und der Kolonien, in: Kölner Volkszeitung, 27.12.1906, S. 23f. 805 Anonym, Der Volksverrat des Freisinns, in: Vorwärts, 18.12.1906, S. 8. Erzberger 1907a, S. 48, darin der Wahlaufruf 1907: »Unsere Fraktion tritt für

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eine sparsame und maßvolle, den finanziellen Kräften des deutschen Volkes entsprechende Kolonialpolitik ein.« Vgl. die von Richard Evans gesammelten Polizeispitzelprotokolle über die in Hamburg diskutierten Themen in Arbeiterkneipen. Hier wird auffallend häufig in diesem Sinne argumentiert, vgl. Evans 1989, S. 352. 806 Siehe RT, Spahn 15.3.1906, 2041–2052. Vgl. auch John Lowry (2006, S. 258ff.). Er betont, dass es interne Friktionen im Zentrum gab, und zwar zwischen den preußischen Junkern und Bürgerlichen auf der einen Seite und den Südwestdeutschen, die eher dem bäuerlichen Bereich, dem Klerus und Handwerkern wie den christlichen Gewerkschaften zuzurechnen waren, auf der anderen Seite. Vgl. auch Loth 1984, S. 110ff.; Pehl 1934, S. 71ff. 807 Vgl. Lowry 2006, S. 263. 808 Die Göttinger Zeitung, 1.12.1906, zitiert hier die Germania. 809 Erzberger 1906a, S. 26f. 810 Ebd., S. 11. 811 Siehe ausführlich zum SPD-Wahlkampf Short 2012, S. 132–147. In der Debatte um Atakpame wird das etwa in dem Beitrag von Müller deutlich, in dem er betont: »(…) wir erkennen ohne weiteres die hohe Kulturaufgabe der Verbreitung des Christentums an, aber wir müssen darauf bestehen, dass das Christentum in voller Freiheit ohne jeden Staatszwang und ohne staatliche Unterstützung verbreitet wird«, RT, Müller, 4.12.1906, 4129. 812 Vgl. beispielhaft die Argumentation im Artikel: Anonym, Zentrum und Kolonialpolitik, in: Vorwärts, 29.12.1906, S. 26; Anonym, Der Kernpunkt der Kolonialreform, in: Deutscher Volkskurier, 17.12.1906, S. 2. 813 RT, Bebel, 1.12.1906, 4057. 814 Ebd., 4058; vgl. auch Gerda Weinberger (1967, S. 413), die Bebels Gleichsetzung von Proletariern mit »Eingeborenen« betont. 815 Anonym, Bureaukratische, kapitalistische und sozialistische Kolonialpolitik, in: Münchner Post, 19.12.1906, S. 11f., hier S. 12. 816 Dieses und folgendes Zitat nach Sobrich 2006, S. 305. 817 Wobei die Sozialdemokratie auch von einem Kulturstufenmodell ausging, oder wie es in einem anonym veröffentlichten Artikel hieß: »(…) haben wir dem Negerausbeuter Kartell zugerufen: zu tief stehenden Völkern kommt, um sie in ehrlicher Weise zu erziehen, ihnen zu lehren, die Schätze ihres Bodens (…) zu heben.« (Anonym, Bureaukratische, kapitalistische und sozialistische Kolonialpolitik, in: Münchner Post, 19.12.1906, S. 11f.) Vgl. zu den Rhetoriken Schwarz 1999, S. 283ff.; Sobich 2006, S. 177ff.

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818 Den Zusammenhang hatte Erzberger schon in einer Rede am 30.11.1906 hergestellt: »Keine fremde Macht vergeht sich ungestraft an den Naturrechten eines anderen Volkes (…), auch für die Polen gilt dies.« Zit. nach Becker 1987, S. 71. 819 Sobich 2006, S. 238ff., Anm. 66. 820 Damit geht eine Selbstlegitimierung in genau dieser Funktion einher. Vgl. Anonym, Faule Ausreden, in: Vorwärts, 8.12.1906, S. 170: »Wir werden sorgfältig kontrollieren, welche Strafen Herr Schmidt, Rotberg, Kersting usw. erhalten werden.« 821 Vgl. die aufschlussreiche Sammlung konservativer Wahlkampfflugblätter und Aufrufe bei Erzberger 1907b, S. 37–40. 822 Petition 12.5.1914, abgedruckt in Sebald 1988, S. 659–675, hier S. 675. 823 Seine Ernennung hing zumindest indirekt mit dem Skandal zusammen, war Dernburg doch in aller erster Linie ernannt worden, um die Kolonialabteilung, die nicht zuletzt durch die Steyler Missionare scharf kritisiert worden war, zu restrukturieren. 824 Siehe zum Folgenden Habermas 2012. Regelmäßig berichteten Zeitungen über den Fortgang der Debatte und eben darüber, dass man sich bspw. auch in Frankreich und England nach den Usancen erkundigte und dafür extra einen Gesandten ernannte, vgl. z.B. Anonym, Zum Prozeß Roeren-Schmidt, in: Vossische Zeitung, 25.9.1907, S. 4f. 825 A.M., Koloniale Strafrechtsprobleme, in: Berliner Tageblatt, 31.3.1907, S. 163f. 826 Brinkmann 1904, S. 9. Deutlich analysiert Sally Engle Merry (2000, S. 8) in ihrer Untersuchung über Hawaii diesen Grundzug kolonialer Rechtsdiskurse: »Law became a marker of these (…) ideas of civilization.« Dieser Ansicht waren auch jene Juristen wie etwa Kohler, deren starkes Motiv es war, »Naturvölker«, die »ihre Eigenart infolge der Berührung mit uns verloren haben«, zu »retten«, und zwar u.a. durch »Ausmerzung aller barbarischen Rechtsbräuche«, vgl. Kohler über das Recht der Eingeborenen, in: Berliner Lokal-Anzeiger, 11.7.1907. 827 Asmis 1907, S. 110. 828 Anonym, Das neue Strafgesetzbuch und die Kolonien, in: Die Deutsche Tageszeitung, 1.5.1912, S. 140. Berichtet wurde von einer Resolution der Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft. 829 A. Vierkandt, Eingeborenenrecht und Kolonisation, in: Berliner Tageblatt, 16.7.1907, S. 140f.

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830 Rudolf Asmis, seines Zeichens Jurist und gerade 27 Jahre alt geworden, sollte diese Forschungen in Togo durchführen. Er reiste unverzüglich dorthin und bat im Februar 1907 auf einer Togoer Distriktleiterkonferenz um Unterstützung für seine Zusammenstellung einer »authentischen Sammlung der Eingeborenenrechte«, vgl. Erbar 1991; zu den Vorgängen in Togo vgl. Zurstrassen 2008, S. 185ff.; Glasman 2011, S. 175ff. Vgl. Ahadji 1995. 831 Asmis 1911, S. 67. Kohler bemängelte bezüglich der Forschungen von Asmis, dass dieser nicht mit einem Fragebogen gearbeitet habe, vgl. Kohler 1911, S. 131. 832 Dernburg schrieb: »Die Schilderung Asmis ist nicht geeignet, in der Öffentlichkeit einen günstigen Eindruck zu machen«, zit. nach Zurstrassen 2008, S. 186. 833 Die Landesgesetzgebung des Schutzgebiets Togo 1910, Verordnung 10.1.1906, S. 199: »Die Straf- und Disziplinargewalt darf nur solchen Beamten übertragen werden, welche ihrem Charakter und ihrem bisherigen Verhalten nach volle Garantie für eine verständige Handhabung des ihnen übertragenen Rechts bieten.« Weiter wurde genau festgelegt, mit welchem Instrument die Prügelstrafe vorzunehmen sei und dass diese nicht »in der ersten Erregung« vollzogen werden dürfe. Ähnliche Verfügungen ergingen erneut im April 1906, vgl. Zurstrassen 2008, S. 172. Weitere Regelungen folgten am 2.2.1907. 834 Es gab in einer Verordnung vom 2.4.1896 einen Hinweis darauf, wie ein Strafbuch genau zu führen sei, vgl. Die Landesgesetzgebung des Schutzgebiets Togo 1910, Verordnung vom 23.4.1896, S. 196. Im Januar 1906 wurde verfügt: »Die Berichte über die vollstreckten Strafen haben sich auf Übersendung einer Abschrift des Strafbuches (…) in doppelter Ausfertigung zu beschränken«, vgl. Die Landesgesetzgebung des Schutzgebiets Togo 1910, Verordnung 10.1.1906, S. 201. Im Juni desselben Jahres wurden diese Protokollanforderungen im Falle der Prügelstrafe weiter erhöht, vgl. Zurstrassen 2008, S. 177. Ein neues Protokollblatt wurde 1907 vorgeschrieben, in dem insbesondere der Vollzug der Prügelstrafe genau dokumentiert werden sollte. Dieses ist unter dem Titel »Verfügung des Kolonialamts, betr. die Anwendung körperlicher Züchtigung als Strafmittel gegen die Eingeborenen der afrikanischen Schutzgebiete« abgedruckt in: Deutsches Kolonialblatt (1907) H. 16, S. 790–793. 835 In Bezug auf die Strafrechtsdebatten und die Kodifikationsversuche hat Harald Sippel gezeigt, dass die Kolonialabteilung hoffte, über eine Kodifikation sogenannter Eingeborenenrechte eine »effektivere Kolonialherrschaft« auszuüben (vgl. Sippel 1997, S. 716), d.h., es ging keineswegs um eine Verbesserung der Situation der lokalen Bevölkerung,

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sondern um Machtpolitik. Vgl. Utermark 2011, S. 344, sowie Christian S. Davis (2012), der der besonderen Situation Dernburgs als Jude in einem antisemitischen Umfeld nachgeht. 836 Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 15.6.1912. 837 Jules Kouassi Adja (2009, S. 139 und S. 142) betont, der Skandal in Togo habe »das Bewusstsein der Bevölkerung geweckt« und es sei durch Kukowinas Petition erstmals zu einem öffentlichen Akt der kollektiven Rebellion gekommen. 838 Gilroy 1993. 839 Zu diesem Quellentypus zählen auch die Erzählungen über besondere koloniale Gewalterfahrungen, die in aufwendigen Oral-History-Projekten gesammelt wurden. Vgl. Simtaro 1982. 840 Auf den GCL und seine Verbindungen nach Togo hat erstmals Peter Sebald (1988, S. 551) aufmerksam gemacht; er hat einen Großteil der Artikel ins Deutsche übersetzt, vgl. Sebald 1980. Meine Auswertung basiert auf der Sichtung der Ausgaben 1909 bis 1919 in der British Library, London. Vgl. Kwakunti 2002, S. 4f. 841 Vgl. zum GCL den Beitrag vom 1.7.1911, erschienen unter dem Titel »Journalism on the Gold Coast«. Der Gold Coast Leader verstand sich mit seiner Artikelserie über Togo, die seit 1911 erschien, selbst als Sprachrohr des Widerstands gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Dieses Selbstverständnis war wesentlich beeinflusst von der Vorstellung, der englische Kolonialismus sei humaner und es sei von Vorteil, England würde Togo als Kolonie übernehmen, vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 7.2.1914. 842 Vgl. Denzer [http://diaspora.northwestern.edu/mbin/WebObjects/DiasporaX.woa/wa/displ ayArticle?atomid=900, zuletzt eingesehen am 15.7.2015]. Das Buch von Casely Hayford erschien 1911. 843 So nahm die African Times and Orient Review, die in London erschien, Bezug auf Togo, indem sie 1914 eine Petition abdruckte, vgl. Sebald 1988, S. 565f. Der Inspektor der Norddeutschen Mission Schreiber berichtete nach Berlin und warnte vor dem stark antideutschen Gestus der Artikel im Gold Coast Leader, vgl. Dornseif 2010. Die Petition, die an Solf übergeben wurde, wurde in Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 3.1.1914, kommentiert. Der GCL seinerseits rief zum Abfassen weiterer Petitionen auf, vgl. Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.11.1912, S. 6. 844 Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.11.1912, S. 6.

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845 Hier ist vor allem die Gruppe der sogenannten Ewe-Württemberger zu nennen, die in Württemberg durch die NM ausgebildet worden waren und in Togo einen herausgehobenen Status hatten, vgl. Azamade 2007. Vgl. Sebald 1988, S. 529–534; ders. 1977. Der Mangel an Pressefreiheit wurde in der Artikelserie im GCL kritisiert, vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 3.1.1914. 846 Jones / Sebald 2005, S. 6–14, S. 465–470. A Native of Aneho. The Germans in Togoland, in: GCL, 7.2.1914, betonte, dass die Leserschaft des GCL in Aneho geübt im Lesen englischer Texte sei, während das in Lome weniger der Fall sei. Freilich gab es in Aneho auch erhebliche Spannungen zwischen den lokalen Eliten, vgl. Jones / Sebald 2005, S. 467, sowie Sebald 1988, S. 529. 847 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 7.2.1914, macht genau diese beiden Orte als diejenigen aus, aus denen ihre Leserschaft kam. 848 Aus dem September 1913 ist ein Schreiben eines Chief Dagadu überliefert, das sich an das Kolonialamt richtete und ebenfalls Beschwerden enthielt, abgedruckt in: Sebald 1988, S. 649ff. Im selben Jahr wurde eine weitere Petition nach Berlin geschickt, abgedruckt in: Nussbaum 1962, S. 109–112, und in Sebald 1988, S. 652f. Schließlich wurde im Januar 1914 eine scharf formulierte Petition im Gold Coast Leader publiziert (vgl. Sebald 1988, S. 659). Am 1.5.1914 folgte eine weitere Petition an den Reichstag, dieses Mal eingereicht von einer Reihe von Chiefs aus Aneho. 849 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 24.1.1914; ders., Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 13.6.1914; dort wird auf Schmidt als denjenigen, der Mädchen vergewaltigt habe, referiert. 850 So in der Petition 12.5.1914, zit. nach Sebald 1988, S. 660f. und S. 663. 851 Gruner wurde thematisiert in: Quashie, Gold Coast and German Togoland in: GCL, 18.11.1911, S. 3; A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 25.4.1914; ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 18.7.1914. Döring wurde u.a. thematisiert in: Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.12.1911; A Reader, The Germans in Togoland, in: GCL, 7.6.1913; Anonym, The truth about the West African Land Question, in: GCL, 11.10.1913; A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 3.1.1914. Ebenfalls häufig genannt werden die Gouverneure Zech u.a. in: Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 18.11.1911; A Reader, The Germans in Togoland, in: GCL, 7.6.1913; A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 3.1.1914. Der Herzog zu Mecklenburg wird genannt u.a. in: A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 10.1.1914.

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852 So in der Petition 12.5.1914, zit. nach Sebald 1988, S. 659, S. 665. Vgl. zu Zwangsarbeit Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.11.1912; A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 28.2.1914; ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 11.7.1914. 853 In den Petitionen und Artikeln wurde auch auf die damit verbundene Gewalt verwiesen, u.a. darauf, dass die Leute »are taken from their home very unexpectedly and brought to the scene of operation«, vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 27.12.1913, S. 6. 854 Ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 28.2.1914. 855 Siehe zu den Zöllen Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 23.3.1912; zur Besteuerung vgl. ders., Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.12.1911; Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 21.2.1914; zum Eigentumsraub vgl. ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 28.2.1914. 856 So in der Petition vom 12.5.1914, zit. nach Sebald 1988, S. 664, S. 667. Hier ging es ebenfalls um Zolltarife. Auch die Steuer, die seit 1907 geleistet werden sollte, wurde scharf kritisiert, vgl. die Petition vom 12.5.1914, zit. nach Sebald 1988, S. 665f. In der Petition von 1913 wird Freihandel gefordert, vgl. Nussbaum 1962, S. 112. 857 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 13.9.1913, S. 5. 858 Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 18.11.1911., S. 4f. 859 Casely Hayford 1911, S. 149. 860 A Native of Aneho, Germans in Togoland, in: GCL, 17.1.1914, und ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 3.1.1914. Vgl. zur Justizkritik ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 13.9.1913, S. 5, und ders., The Germans in Togoland 9.5.1914 (»The law in the colony is for barbarians and it is an insult to the intelligence of the natives.«); Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 13.6.1914, S. 6. 861 Resolution 1913 an Solf übergeben, zit. nach Nussbaum 1962, S. 110. 862 Das sind auch diejenigen, die die Resolution 1913 an Solf übergaben und dann verhaftet wurden, vgl. Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 21.3.1914, S. 6. »The wealthy (…) Almeidas, Garbers, Lawsons (…) Silveiras (…) have sufferd heavy punishments«, heißt es etwa in Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.12.1911. 863 So in der Petition 12.5.1914, zit. nach Sebald 1988, S. 662. 864 So z.B. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 13.9.1913, S. 5.

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865 Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 13.6.1914. 866 Dieser Vorwurf war schon 1911 erhoben worden, vgl. Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.12.1911. Offen wurde die Kritik, nachdem es 1913 zu dem Aufruf im Missionsblatt der Steyler in Togo gekommen war, vgl. Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 13.6.1914. Dessen ungeachtet wurden einzelne Missionare wie etwa Wolf und Kost sehr positiv dargestellt, vgl. ders., The Germans in Togoland, in: GCL 25.7.1914. 867 Vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 3.1.1914: »I am doing the work of the missionaries who are quarelling with each other instead of preaching. These missionaries are all trying to please the Government and the poor black men they came to save are forgotten.« 868 Vgl. ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 30.5.1914: »Our salvation from this actrocious administration hangs on the publication in the press of Africa and Europe as public opinion will be invited to criticise it.« 869 Vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 28.2.1914. Öffentlichkeit spiele eine entscheidende Rolle, hieß es im Artikel. Gleichzeitig schien die Hoffnung, dass ein Appell an die Antislavery and Aborigines Protection Society hilfreich sei, zu schwinden, da die mediale Aufmerksamkeitsökonomie eben doch stärker auf den Kongo konzentriert sei – wie der GCL schließlich Mitte 1914 resigniert feststellen musste, vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 13.6.1914. 870 Ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 28.2.1914. 871 Ders., The English in Togoland, in: GCL, 19.9.1914, S. 4. 872 Hayford 1911, S. 163. 873 »In Togo haben die Eingeborenen den Anspruch auf Gleichberechtigung mit den Weißen erhoben«, glaubte man hingegen im Kaiserreich bei der SPD bereits im Jahre 1911, Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschland, 1911, S. 126. 874 Siehe insbesondere die exzellente Einleitung in Glassman 1995, S. 1–25. 875 So auch Owen zur Pressepolitik des INC in Indien gezeigt (2012, S. 650f.). 876 Osumka Likaka (2009, S. 159) hat diese Praxis folgendermaßen interpretiert: »The naming of colonial officials became instrumental in constructing a political language to express dissatisfaction and negotiate aspects of colonialism villagers regarded as intolerable.« Vgl. zu den Spitznamen An den Reichstag 12.5.1914, abgedruckt in: Sebald 1988, S. 659–675, hier zitiert S. 661, 657; Petition vom 12.5.1914, S. 663; Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 13.6.1914.

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877 Darum schien es in der im Gold Coast Leader am Rande erwähnten Geschichte zu gehen, in der sich der Kolonialbeamte namens Baumeister sehr darüber erzürnte, dass Einheimische sich über ihn lustig gemacht hätten, weil sein Name auf den sozial niedrig stehenden Beruf des Zimmermanns verweise, vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 21.3.1914. 878 Vgl ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 24.1.1914; vgl. Petition 12.5.1914, zit. nach Sebald 1988, S. 659. Im GCL wurde wiederholt auf diese sexuellen Praktiken hingewiesen; auch mit christlich fundierten Argumenten wurden den deutschen Kolonialbeamten mangelnde Zivilisation und Moralität vorgeworfen, vgl. Quashie, Gold Coast and Germans in Togoland, in: GCL, 30.11.1912; A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 23.5.1914. 879 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 24.1.1914. 880 Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 13.6.1914; bezog sich auf den Artikel aus MIA Holo, der Steyler Zeitschrift, die in Togo publiziert wurde, der anscheinend bereits am 3.11.1913 dort erschienen war. 881 Dagegen wollte man sich auch mit der Petition vom 12.5.1914 wehren, zit. nach Sebald 1988, S. 672f.; vgl. ebd., S. 562 und 564; Dornseif 2010. 882 A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 1.11.1913; ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 20.12.1913; ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 4.4.1914; ders., The Germans in Togoland, in: GCL, 16.5.1914. 883 Hier nimmt der Autor Bezug auf einen Bericht des Missionsinspektors der NM Schreiber, der sich 1901 nach einem Besuch Togos kritisch über die sittlichen Verhältnisse der Kolonialbeamten geäußert hatte. Der Beitrag des Missionsinspektors löste auch in der deutschen Presse Widerhall aus, von Sanktionen gegen ihn ist allerdings nichts bekannt, vgl. A Native of Aneho, The Germans in Togoland, in: GCL, 15.4.1914. 884 Horn wurde in einer Reihe von Artikeln des GCL als positive Ausnahmefigur unter den deutschen Kolonialbeamten dargestellt. An mehreren Stellen wurde auch von dem Komplott der deutschen Beamten berichtet, der darauf abzielte, Horn einen Gewaltskandal anzuhängen, damit er dann der Kolonie verwiesen würde. Dies gelang schließlich auch. Vgl. Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 30.12.1911; ders., Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 2.3.1914; ders., Gold Coast and German Togoland, in: GCL, 15.6.1912. 885 Cultural brokers und intermediaries spielen in dem Fall auf vielen Ebenen eine Rolle: Mensah etwa als Übersetzer, die Almeida-Brüder als afrikanische

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Kaufleute, die Handel mit Deutschen, aber auch mit Engländern trieben, oder eben einheimische Missionslehrer: Allesamt unterhielten sie privilegierte Beziehungen zu Europäern und dienten damit als Vermittler. 886 Mbembe 2014. 887 Auch das ist mittlerweile für unterschiedliche koloniale Zusammenhänge breit erforscht; vgl. etwa zur kolonialen Situation in Indien Christopher Goscha (2008, S. 2). 888 Heike Schmidt (2008, S. 26) spricht für den Rechenberg-Skandal just von dieser »fragility of colonial project«. 889 Darauf haben zahlreiche Studien zur Erinnerungskultur hingewiesen. Vgl. Cohen 2002a, S. 12. 890 Vgl. zur englischen Informationspolitik die klassische Studie von Christopher Bayly (1996). Er betont die Angewiesenheit auf lokale Informationsnetze und die starke Nutzung englischer Informationssystem durch die Inder für eigene Zwecke. 891 Hier scheint mir in der Tat eine Relektüre von Sigmund Freuds 1912 publiziertem Aufsatz »Zur Dynamik der Übertragung« weiterführend. Er macht nicht nur auf die »Klischees« aufmerksam, in die Wahrnehmungen überführt werden, sondern auch darauf, dass Übertragung stets mit Widerstand einhergeht, vgl. Freud 1989. »So erscheint uns die Übertragung in der analytischen Kur zunächst immer nur als die stärkste Waffe des Widerstandes«, ebd., S. 164. 892 Jay Winter (2010) spricht auch von einem »public framing«. Für den Hinweis auf Winters Forschungen möchte ich Bernd Weisbrod danken. 893 Diese Grenze war auch deswegen so schwer zu überschreiten, weil die eigenen Identitätsentwürfe elementar davon abhingen, wie man sich das Leben in außereuropäischen Regionen vorstellte – wie Ann Laura Stoler und Frederik Cooper (1997) so eindrücklich belegt haben. 894 Cohen 2002a, S. 11. Oder wie Robyn Fivush (2010, S. 91) schreibt: »Silencing occurs at the cultural level for experiences that do not fit the culturally dominant narrative.« Und weiter: Das Schweigen beschreibe die Grenzen der »canonical narratives that are both normative and prescriptive about lives and about selves, and the ways in which specific experiences conform or deviate from these narratives create spaces for voice and silence«, ebd., S. 89, vgl. S. 88–98. 895 Stanley Cohen (2002a, S. 138) spricht hier von einem »open secret«. 896 Vgl. Axster 2014, S. 81–121, zu kolonialen Gewaltdarstellungen auf Postkarten.

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897 Auch das Satireblatt Kladderadatsch brachte Karikaturen von Roeren, so etwa in der Ausgabe vom 30.12.1906. 898 Wichtig ist, dass diese Themen für alle Parteien zentral waren. Zur SPD vgl. Sobich 2006, S. 301; Short 2012, S. 132–148. Zum Zentrum vgl. die Schriften von Erzberger in dem Zusammenhang; er listet zahlreiche Gewaltakte und auch Sexgeschichten auf, vgl. u.a. Erzberger 1906b. Auch die konservativen Parteien rekurrierten auf diese Geschichten, um ihre Kolonialpolitik zu rechtfertigen, so der preußische Gesandte Eisendecher aus Baden (Briefe Eisendecher an Bülow 30.12.1906, Anlage, abgedruckt in: Kremer 1992, S. 197–200). Die Gegenerzählung, die von konservativer Seite häufig bemüht wurde, war die der wirtschaftlichen Durchdringung und Eroberung des kolonialen Raums. Da versuchte man mit vermeintlich objektiven Zahlen eine betont sachliche Information zu präsentieren, die schon vom Stil her die Sex- und Gewaltdarstellungen konterkarierte. 899 Cohen 2002a, S. 138: »known by all but knowingly not known«. 900 Gilroy 1993, S. 43.

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901 Geschiere / Meyer / Pels 2008, S. 4, verweisen etwa auf den Sklavenhandel und den Protokapitalismus in Afrika. 902 Vgl. Hölzl 2012. 903 Schütte 2013. 904 Vgl. die aufschlussreiche Arbeit von Wolfgang Struck (2010), der diese literarischen Texte intensiv untersucht hat. 905 Anonym, Dr. Solfs Afrikafahrt, in: Kolonie und Heimat 16 (1912/13) , S. 1, zit. nach Struck 2010, S. 52. Zu den deutschen Naturschilderungen afrikanischer Landschaften siehe u.a. Kundrus 2003a, S. 138–174; klassisch dazu sind die Analysen der missionarischen Perspektiven auf afrikanische Landschaften, vgl. Comaroff / Comaroff 1997, S. 126–160. 906 Anonym, Dernburg an die Denker und Dichter, in: Berliner Tageszeitung, 9.1.1907, S. 48. 907 Vietor 1916, S. 4. 908 Jan-Georg Deutsch (2015) hat hierzu einen grundlegenden Aufsatz verfasst, der exzellent die entscheidenden Etappen der Debatte rekapituliert. Allerdings möchte ich dem von Deutsch auf der Grundlage des englischen Typus von Kolonialismus entwickelten Modell in dem Punkt widersprechen, dass die Modernitätshoffnung von der Modernitätskritik abgelöst wurde. Deutsch schreibt, dass bis zum Ersten Weltkrieg die Vorstellung vorherrschte, Modernität müsse nach Afrika gebracht werden. Ich argumentiere, dass zumindest in Deutschland bereits vor dem Ersten Weltkrieg beide Strömungen zeitgleich existierten. 909 Dernburg 1910, S. 9. 910 Patrick Harries (2007) hat darauf mit Nachdruck hingewiesen. Die Konfrontation mit den »primitiven« Lebensgewohnheiten in Afrika wurde auch als Konfrontation mit der Prähistorie gesehen und fand zeitgleich mit der eigenen Suche nach den Ursprüngen, etwa der Ureinwohner der Schweiz, statt (ebd., S. 45). Vgl. grundlegend auch Jean und John Comaroff, die den Zusammenhang als eine der ersten herausgearbeitet haben (1991, S. 43): »The Heathen other of the dark continent provided a language for a king about (…) the dark satanic populations at home«. 911 Hölzl 2012, S. 162. 912 Die zeitgenössische Branntweindebatte war eine zentrale Diskussion, in der sich die Denkfigur, dass Afrika vor den Zumutungen der Moderne bewahrt werden müsse, aus christlicher Perspektive bündelte. Gleichzeitig steht diese Debatte in Verbindung zu europäischen Diskussionen über die unteren

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Schichten, die angeblich einen zu hohen Alkoholgenuss hätten. Solche Debatten wurden etwa im Rahmen der Inneren Mission geführt. 913 Vgl. Vietor 1916, die Zitate sind den Seiten 5–15 entnommen. Vietor selbst sah hier auch ein Vorbild für Deutschland, welches an dieser idealen Vormoderne genesen solle. 914 Eva Bischoff (2013, S. 127) rekurriert auf diese Debatte im Zusammenhang mit dem Tropenkoller-Diskurs. 915 Klassisch hier ihr Roman »Alfreds Frauen«, erschienen 1904; vgl. dazu auch Olonkpona-Yinnon 1998. 916 Gold Coast Native Institutions: With thoughts upon a healthy imperial policy for the Gold Coast and Ashanti, lautet der volle Titel, erschienen in London 1903. 917 Hayford 1911, S. 175: »The educated inhabitants (…) would hark back to the times of old and take a few lessons in the art and grace of the sartorial simplicity and elegance of their forebears.« 918 Blyden 1908, S. 10ff. 919 Seine Ideen speisten sich viel eher aus den Traditionen, die Paul Gilroy als die »Countermodernity« des »Black Atlantic« beschrieben hat. Die Differenz zu den europäischen Afrikakonzepten, die mit Modernevorstellungen spielten, zeigte sich zeitgenössisch paradigmatisch darin, wie der Gold Coast Leader einschlägige Äußerungen deutscher Kolonialbeamter kolportierte: »Dr. Nachtigall once said that a black man is from the type of a monkey and that eduation given to him is a botheration and that he should be left in the original state«, vgl. Quashie, Gold Coast and German Togoland, in: GCL 30.11.1912, S. 6. 920 Owen 2012, S. 678. 921 Für den Hinweis auf Akten im Auswärtigen Amt möchte ich Jennifer Jenkins, Toronto, danken. POL Rep. IV Personalia Nr. 671 Geo Schmidt Personalakten. 1919 scheint er sich bereits dort befunden zu haben, das geht aus einem Brief seiner Frau Hermine vom 13.12.1919 hervor, die zu dem Zeitpunkt noch in Berlin lebte. 922 POL Rep. IV Personalia Nr. 671 Geo Schmidt Personalakten. So ist es Briefen von der deutschen Botschaft in Mexiko an das AA aus dem Jahr 1922 zu entnehmen. 923 POL Rep. IV Personalia Nr. 671 Geo Schmidt Personalakten, Brief Schmidt 15.6.1933 an den Reichsaußenminister. 924 POL Rep. IV Personalia Nr. 671 Geo Schmidt Personalakten. Das geht aus einem Brief der deutschen Botschaft in Konstantinopel vom 14.12.1925

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hervor. 925 POL Rep. IV Personalia Nr. 671 Geo Schmidt Personalakten, Schmidt an Dr. Scholz Mitglied des Reichstags 27.1.1927. 926 Schmidt 1940, S. 41. 927 POL Rep. IV Personalia Nr. 671 Geo Schmidt Personalakten, Roemer an AA 21.4.1938. 928 POL Rep. IV Personalia Nr. 671 Geo Schmidt Personalakten. 1923 erfolgte eine Eingabe vonseiten des KWK, die vorerst ergebnislos blieb. 1924 scheint Schmidt eine regelrechte Kampagne für sich organisiert zu haben, das belegen die Briefe von Reichstagsabgeordneten an ihn. Dabei geht es in erster Linie um eine Weiterbeschäftigung beim AA bzw. seine Pensionsansprüche. 929 Christina Bürger (2015, S. 134) zitiert hier aus dem Schlusswort des Films. Siehe ausführlich auch ebd., S. 133–145. Mit dieser exzellenten Dissertation liegt erstmals eine kritische Studie zum wissenschaftlichen Afrikadiskurs der deutschen Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit vor. 930 Vgl. hierzu die seit einigen Jahren breit unternommenen Forschungsprojekte an der Universität Gießen, die sich auch mit zeitgeschichtlichen Medienereignissen beschäftigen. 931 Auch heute noch existiert die gesamte Vielfalt dieser verschiedenen Facetten des silencing – manches ist naiver Unwissenheit geschuldet, anderes ist strategisch, und manches erklärt sich durch die komplexen Mechanismen, unter denen die löchrigen Netze der globalen Welt funktionieren – und sie müssen durchaus genau unterschieden werden, sind sie doch nicht alle gleichermaßen von Bedeutung, vgl. Proctor 2008. 932 Cohn 2002, S. 138: »known by all but knowingly not known«. 933 Siehe hierzu den beeindruckenden Sammelband von Kalypso A. Nicolaidis (2015).

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