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German Pages 462 [464] Year 1897
Shakespeares
dramatische Werke nach der Übersetzung von
Nagast Mliflicsm Kchleget u«b £mfmig Tielk, sorgfältig revidirt und theilweise neu bearbeitet, mit Einleitungen und Noten versehen, unter Redaction von
H. Ulrici, herausgegeben durch die
Deutsche Shakespeare-Gesellschaft.
Sechster Band.
Zweite aufs neue durchgesehene Auflage.
Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer. 1897.
Aamlet, Prinz von Dänemark.
Uebersetzt von
X W. von Schlegel. Durchgesehen, eingeleitet und erläutert von
K. oZhe.
Shakespeare's Werke. VI.
2. Aufl.
I
Die älteste Gestalt, in welcher uns die nordische Hamlet-Sage ent gegentritt, ist die bekannte Erzählung bei Saxo Grammaticus; jedoch hat sie auch bei ihm schon ihren ursprünglichen mythischen Charakter abgestreift.*) Nach Uhland (Der Mythus von Thor, Schriften VI, 31 folg.) sind die Grundzüge des alten Naturmythus trotz aller historischen Verkleidung darin unverkennbar. Der Holmgang, welchen Horvendill, Amleth's Vater, mit Koller von Norwegen (Kollr, KoIdr = ber Kalte) besteht, ist der Sieg des jungen Keimes, des aufkeimenden Jahressegens, über den Frühlingsfrost, den Nordhauch, der besonders in jenen Gegenden dem Saatfelde Verderben droht. Die Bezeichnung der Frühlingszeit hat sich in der Erzählung voll kommen erhalten. Horvendill (Örvandill), wörtlich: der mit dem Pfeil Arbeitende, Anstrebende, ist der Fruchtkeim, wie sein Vater Gerwendill der ausgewachsene Fruchthalm ist; er kämpft mit weggeschobenem Schilde, d. h. der Keim hat die schützende Hülse abgestreift; der prächtige Grabhügel, den er seinem Gegner errichtet, ist der hohe, dichte Halmenwuchs, und die Buße von zehn Pfunden Goldes kann er mit goldenen Körnern zahlen. Gerutha (Gertrud) erscheint in anderer Form (grodr, grödi, dän. groede, feracitas) gleichartig mit Gröa (— das Wachsthum, das Saatengrün), wie in der jüngern Edda Örvandill's Frau heißt. Ob Fengo, fährt Uhland fort, Horvendill's Bruder, Mörder und Ehenachfolger, und Sela, Koller's kriegerische Schwester, auch in die mythische Verwandschaft einschlagen, muß, obgleich nicht unwahrscheinlich, doch in Ermanglung passender Etymologieen dahin gestellt bleiben. Noch weniger ist bei der schon in Saxo's Er zählung romanhaften Beschaffenheit der Sage von Amleth zu ermitteln, ob sie mit dem Mythus, dem sie jetzt angereiht ist, nur durch spätere Willkür oder schon ursprünglich verbunden sei.**) *) Auszüge aus dem betreffenden Kapitel deS Saxo s. in Echtermeyer, Henschel und Slmrock's Quellen des Shakespeare I, 67—94 und (vollständiger) in meiner Ausgabe des Hamlet
IV—XII.
**) Nach einer andern Annahme wäre Hamlet identisch mit Havelok. S. Dane translated into Danish Prose by Kristian Koster. Feb. 22, 1868 p. 291.
Kiöbnhavn, 1868.
Havelok the Athenaeum
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Hamlet.
Aus dem Saxo nahm der vielgenannte Historiograph Karl's IX von Frankreich, Francois de Belieferest (1530 — 1583), die Hamlet-Geschichte in seine Histoires tragiques auf, welche in der zweiten Halste des 16. Jahrh, in wiederholten Auflagen erschienen und sich auch außerhalb Frankreichs einer nicht unbedeutenden Verbreitung erfreut haben müssen?) Belleforest nahm die Erzählung natürlich für baare historische Münze, und jede Ahnung ihrer mythischen Bedeutung ist völlig verloren; er hat sie sich nach seiner Weise zurechtgelegt und namentlich mit moralisirenden Betrachtungen aus geschmückt. Dis hierher besteht kein Zweifel über den Gang, welchen der Stoff ge nommen hat; die Schwierigkeit und Ungewißheit beginnt erst bei der Frage, wie derselbe nach England gekommen sein mag. Hat Shakespeare unmittel bar aus Belleforest geschöpft, oder hat einer seiner Vorgänger den Stoff bereits vor ihm dramatisch oder als Novelle bearbeitet? Das ist das Dilemma, welches sich trotz aller Bemühungen der Shakespeare-Gelehrten schwerlich wird endgültig entscheiden lassen, so lange wir auf die jetzt vorhandenen Quellen angewiesen bleiben und nicht irgend ein ungeahnter Fund neues Licht darüber verbreiten sollte. Und doch knüpft sich gerade an diese Fragen ein hohes Interesse für die Shakespeare-Forschung, indem gerade ihre Lösung ge eignet wäre, uns einen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Shakespeare'schen Dichtung und in die Werkstatt seines Geistes thun zu lassen. Es giebt zunächst ein englisches Volksbuch ‘The Hysterie es Hamblet1,*) **) welches zwar erst 1608 erschienen ist, aber nach der weitverbreiteten Annahme der englischen Kritiker bereits in viel frühern Auflagen vorhanden gewesen und nach Farmer, Collier, Gervinus und Delius die Grundlage nicht nur des Shakespeare'schen, sondern auch des sogenannten vor-Shakespeare'schen Hamlet gebildet haben soll. Es ist eine ungelenke und sklavische Uebersetzung aus Belleforest mit sehr wenigen Abweichungen. Allein diese Abweichungen, wie gering auch an Zahl, sind so charakteristisch, daß sie den Verdacht erwecken, als sei die Hysterie es Hamblet nicht vor, sondern erst nach Shakespeares Trauer spiel aus dem Belleforest übersetzt, und als seien diese Züge unwillkürlich aus Shakespeare in sie eingeflossen. Bei Saxo und Belleforest verbirgt sich der Höfling, welcher Hamlet's Unterredung mit seiner Mutter belauscht, unter einer Zimmerdecke (lat. stramentum, franz. lodier) und Hamlet, gleich einem Hahne krähend und mit den Flügeln schlagend, springt auf dieselbe. Die Hysterie of Hamblet dagegen hat, gerade wie Shakespeare, aus dieser Decke *) Die in Deutschland erschienenen Auszüge aus Saxo von Albrecht Krantz (gest. 1517) und in Hans Sachsens Historia (Werke, Franks. a/M. 1580, Buch 1, S. 181) kommen hier nicht in Betracht. **) Wieder abgedruckt in Collier’s Shakespeares Library I, 131—182.
Einleitung.
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einen Vorhang (arras) gemacht, hinter den sich der Höfling stellt. Als Hamlet, durch das Geräusch hinter diesem Vorhänge aufmerksam gemacht, den Degen zieht, ruft er in der Hysterie, wieder wie bei Shakespeare, ‘A rat! a rat!’, während bei Belleforest und Saxo keine Spureines solchen Ausrufes zu finden ist. Sind das nicht Züge, welche nur von Shakespeare und am wenigsten von einem ganz untergeordneten Uebersetzer herrühren können? Die von so vielen Shakespeare-Gelehrten zum Range einer That sache erhobene Annahme, daß die Hysterie schon vor 1608 existirt habe, beruht bis jetzt überdies auf bloßer Vermuthung, und der Umstand, daß sie in Blackletter gedruckt ist, rechtfertigt keineswegs einen Schluß auf ein höheres Alter, da man sich sogar noch viel später öfters dieser alterthümlichen Schrift bediente. Es ist an sich schon wenig wahrscheinlich, daß ein ungenannter und offenbar sehr unbedeutender Uebersetzer eine einzelne Erzählung aus dem Belleforest herausgegriffen und sie dem englischen Publikum dargeboten haben sollte, welches unmöglich ein Interesse an derselben nehmen konnte, wenn der Stoff ihm nicht erst durch eine lebensvolle und Aufsehen erregende dramatische Bearbeitung nahe gebracht worden war. Damit trifft noch der Umstand zusammen, daß in demselben Jahre (1608) auch die prosaische Be arbeitung des Perikles von George Wilkins erschien,*) welche sich einge standenermaßen auf Shakespeare's zwar erst 1609 gedrucktes, aber bereits früher aufgeführtes Stück gründet, keineswegs aber ihm vorangegangen ist. Es fehlt sonach an allen Beweisgründen, um die Hysterie es Hamblet hinter Shakespeare's Drama zurückdatiren zu können, während äußere und innere Gründe es wahrscheinlich machen, daß sie erst durch dasselbe veranlaßt worden ist. Auch der jüngste Herausgeber des Hamlet, B. Tschischwitz, neigt sich dieser Ansicht zu, obwohl er irrthümlich von zwei Ausgaben der Hysterie spricht (Einleitung S. XIX).**) Verwickelter und zugleich wichtiger ist die Frage nach dem sogenannten vor-Shakespeare'schen Hamlet. In dem 1589 erschienenen Menaphon Robert Greene's***) Wird in der einleitenden Epistle to the Gentlemen Students *) Herauögeg. von Tycho Mommsen, London 1857. Vergl. Delius im Jahrb. der deutschen Shakespeare-Gesellschaft III, 191 fg. **) Unparteilichkeitshalber mag folgende bisher noch nicht berücksichtigte Notiz nicht ver schwiegen werden. In den Trevelyan-Papers Part II, A. D. 1446—1643. Ed. by J. P. Collier, Esq. Printed for the Camden Society, 1863 wird erzählt, daß ‘a servant laid out for his master, for Tarleton’s Jests, Robin Goodfellow and Hamlet’s History 6