Schwertträger und Gotteskrieger: Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens 3034015518, 9783034015516

Wer ans frühe Mittelalter denkt, hat meist das Bild ungebildeter Krieger und abgeschieden lebender Mönche im Kopf. Die e

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German Pages 526 [530] Year 2019

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Table of contents :
Vorwort
1. Einleitung – Alemannien und seine Kriegergesellschaft
1.1. Raum und Zeit
1.2. Begriffe und Grenzen
1.3. Schriftliche Überlieferung in Schwaben
2. Militarisierung und Reform
2.1. Krieger und Waffenträger
2.2. Hörige, Dienstleute und 'Ministeriale'
2.3. Römische Kastelle, städtische Mauern und ländliche Refugien
3. Mutationen der Macht
3.1. Grafen und königliche Dienstleute
3.2. Lokale Funktionäre und klösterliche Verwalter
3.3. Der schwäbische Dukat zwischen Fremd- und Selbstbestimmung
4. Schluss – Eine alemannische Kriegergesellschaft
4.1. Konflikt und Reform – Schwertträger und Gotteskrieger
4.2. Agon und Geburt – Aufsteiger und Aristokraten
4.3. Conclusio
5. Anhang
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Schwertträger und Gotteskrieger: Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens
 3034015518, 9783034015516

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| RAFAEL WAGNER |

Wer ans frühe Mittelalter denkt, hat meist das Bild ungebildeter Krieger und abgeschieden lebender Mönche im Kopf. Die enorme Vielschichtigkeit der schwäbisch-alemannischen Gesellschaft zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert verdient deshalb umso mehr eine fundierte Gesellschaftsanalyse. Die Mischung aus rechtlichen und historiografischen Quellen ermöglicht einen solchen Einblick. Die Bezeichnung «Kriegergesellschaft» mag eigentümlich klingen, beschreibt aber nichts anderes als das Gros der Akteure, die in der Vielfalt des behandelten Quellenmaterials auftauchen, und zwar vom Ackerbauern bis zum Grafen. Das Fundament hierfür bilden Untersuchungen zu Stand und Aufstiegsmöglichkeiten von hörigen Mägden und Knechten sowie zur Entwicklung der Verwaltungstätigkeit des Klosters St. Gallen. Vielfach waren Fähigkeiten und Aufgaben wichtiger als die Herkunft. Sich selbst von einschränkenden Regelungen des Waffentragens befreiend, konnten zwischen Bruderkriegen, Ungarneinfällen und Investiturstreit selbst Hörige und Kleriker zur leistungsorientierten Kriegergesellschaft gehören. Untersucht werden dabei auch Parallelen einer gesellschaftlichen Transformation um das Jahr 1000 zu den Umbrüchen während der Völkerwanderungszeit. Mit einem Schwerpunkt auf frühmittelalterlichen Urkunden, Chroniken und Gesetzestexten können Veränderungen in der Schriftlichkeit sowie Tendenzen der Dezentralisierung und Militarisierung festgestellt werden, welche für die klassischen Erscheinungen des hohen Mittelalters grundlegend waren.

ISBN 978-3-0340-1551-6

9 783034 015516

| SCHWERTTRÄGER

UND GOTTESKRIEGER |

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St. Galler Kultur und Geschichte Band 42 Herausgegeben vom Staatsarchiv St. Gallen und vom Historischen Verein des Kantons St. Gallen

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Rafael Wagner

Schwertträger und Gotteskrieger Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens

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Publiziert Die Druckvorstufe mit Unterstützung dieser Publikation des Schweizerischen wurde vom Schweizerischen Nationalfonds zur Nationalfonds Förderung der wissenschaftlichen zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Forschung unterstützt. Die Drucklegung wurde von der Kulturförderung St. Gallen und Swisslos unterstützt. Alle weiteren Vorarbeiten konnten dank der finanziellen Unterstützung durch Hermann Hungerbühler realisiert werden.

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel im Frühjahrssemester 2018 auf Antrag von Prof. Dr. Jan Rüdiger und PD Dr. Claudius Sieber-Lehmann als Dissertation angenommen.

Informationen zum Verlagsprogramm: www.chronos-verlag.ch Umschlagbild: WLB Stuttgart, Cod. bibl. fol. 23, fol. 57r. Druck: Cavelti AG, Gossau © 2019 Chronos Verlag, Zürich Print: ISBN 978-3-0340-1551-6 E-Book (PDF): DOI 10.33057/chronos.1551

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Für Tina und Lionel

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7

Inhalt

Vorwort

11

1 1.1 1.2

13 15 18

1.3

Einleitung – Alemannien und seine Kriegergesellschaft Raum und Zeit Begriffe und Grenzen ‹Adel› (20) – ‹Eliten› (21) – ‹Funktionäre› (23) – ‹Transformation› und ‹Revolution› (24)

Schriftliche Überlieferung in Schwaben

29

Zum Rückgang der urkundlichen Überlieferung im 10. Jahrhundert (31) – Zur Auswahl der Quellen (34) – ‹Mutation documentaire› (35) – Schwäbisch-alemannische Chroniken des 9. und 11. Jahrhunderts (36)

2 2.1 2.1.1

2.1.2

2.1.3

Militarisierung und Reform Krieger und Waffenträger Alemannische Krieger und Waffenträger im 10. Jahrhundert

39 41 42

Der Italienfeldzug Herzog Burchards I. von Schwaben 926 (43) – Der schwäbische Heerbann und das consilium von 924 (48) – Mönchskrieger und hörige Waffenträger (56) – Waffen im Kloster (61) – Zur zeitgenössischen Wahrnehmung von Fernkämpfern (64) – Bewaffnung und Standesbewusstsein (68) – Schwert und Speer (72) – Zur Legitimität des Waffentragens (75)

Exercitus und militia 76 Aufgebotspraxis und Professionalität (77) – Zur Grösse frühmittelalterlicher Heere (82) – Militarisierung und Professionalisierung (83) – Miles und militia (87) – Äbtische militia versus klösterliche familia (91) – Militia und ‹Ministerialität› (93) – Militia christiana – eine geistige Transformation? (94) – Gottesfrieden und Friedenskrieg (98) – Legio und exercitus (101) – Cohors und turma (105) – Tross und Spezialtruppen (107)

Zum Wandel von Kommandogewalten und -pflichten

Zur Genese spätantiker Führungsbegriffe (110) – Herzog und Graf (113) – Bischöfe als Schutz- und Kriegsherren (114) – Die kämpferischen Äbte von St. Gallen (116) – Ein ‹Kriegswesen› im Wandel (117)

109

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8

2.2 2.2.1 2.2.2

2.2.3

2.2.4

2.2.5

2.2.6

2.3 2.3.1

2.3.2

Hörige, Dienstleute und ‹Ministeriale› ‹Ministerialität› und Hofamt Kodifizierung von Dienstmannenrechten Die Wormser, Bamberger und Limburger Dienst- und Hofrechte (125) – Zur Terminologie in den Dienst- und Hofrechten (129) – Gab es ein St. Galler Dienstrecht? (131)

Zur Terminologie Höriger

Mancipatio und servitium (142) – Stellung und Funktion – Wächter und Wergelder (143) – Handwerk und Spezialisierung (146)

Hörigkeit und Knechtschaft im Bodenseeraum

Ministri und ministeriales (153) – Homines cavallicantes (158) – Servi und ancillae in rechtlichen Quellen (161) – Servi und ancillae in erzählenden Quellen (165) – Mancipia in den St. Galler Urkunden (168) – Zum Rechtscharakter der mancipia (173) – Servientes und servitores (175) – Famuli (176) – Servi casati und manentes (178) – Vernaculi (181) – Ingenui und liberti (182) – Coloni (183) – Barones (184) – Tributarii, censores und censuales (185) – Leti (190)

Hörige Dienstleute als Teil der alemannischen Kriegergesellschaft Boten und Gesandte (192) – Tross und ‹Trossknechte› (194) – Zur Standesfrage der Kämpfenden in Bertholds Chronik (197) – ‹Bauernkrieger›? – Zu den rustici des 11. Jahrhunderts (198)

Abhängigkeit und Funktion: Eine erste Zusammenfassung

Zum Versuch eines ‹Gesellschaftsmodells› (200) – Hörige – Individuen oder Verhandlungsgut? (201) – Diener versus dienen (202)

Römische Kastelle, städtische Mauern und ländliche Refugien Zentralorte (206)

Kastelle und ‹Ungarnburgen› Arbon – castrum und pagus (210) – Römische Kastelle und ethnische Spannungen (216) – Bregenz – Brigantium (220) – Kastelle im Bodenseeraum – Tasgetium (221) – Oberwinterthur – Vitudurum (225) – Irgenhausen – Cambiodunum (225) – Pfyn, Schaan, Kempraten und Weesen (226) – Kaiseraugst – Augusta (229) – Zur Transformation spätantiker Bauten (230) – Parallelen zur Severinsvita (233) – Zentralund Kastellorte im Bodenseeraum (235) – ‹Ungarn- und Heinrichsburgen› (236) – Zeitgenössische Parallelen – Burghal Hidage (238) – Zur neueren Erforschung von Ungarnrefugien (240)

Bischofsburg und Königspfalz – zur Frage schwäbischer Zentralorte Bischofsburg – Constantia foris muros cremata (246) – Bischöfe und das ‹Munitionsregal› (249) – Bodman – Königspfalz am Bodensee (253) – Königspfalz und Mittelpunktsburg (255) – Herzogsresidenz – Hohentwiel und Thiepoldsburg (257) – Residenz oder Refugium? (262)

118 120 124

140

151

191

200

204 209

245

9

2.3.3

Stadtbefestigungen und Herrensitze

263

Zum ‹incastellamento› in Mittelitalien (266) – Burgen und Wälle – castra und muri (267) – Städte und Burgen – civitates und urbes (271) – Städter und Dörfler – villani, urbani und cives (276) – Zur schwäbischen Burgenlandschaft im 11. Jahrhundert (278) – ‹Stammsitz› oder Refugium? (281) – Klostersiedlung und Stadt St. Gallen (285) – Ein schwäbisches ‹incastellamento›? (289)

3 3.1

3.1.1

3.1.2

3.1.3 3.2 3.2.1

3.2.2

3.2.3

Mutationen der Macht Grafen und königliche Dienstleute

293 295

Comitatus – eine Grafschaft wird gegründet (297) – Comes – eine Grafensippe wird begründet (297)

Grafen, Grafschaft und gräfliche Gerichtsbarkeit bis zum 11. Jahrhundert 299 Zur Grafendatierung in St. Gallen (300) – Andere Scriptorien, andere Formulare (303) – Grafen Alemanniens im 10. Jahrhundert (305) – Zur gräflichen Gerichtsbarkeit (312) – Versammlungen und Hoftage (315) – Maloo – Oberuzwil und seine Gerichtsstätte (318) – Rektorat und Vikariat – Ruodbert und das gräfliche Beamtentum (321) – Pfalzgrafen und Königsboten (324)

Graf und Grafschaft im 11. Jahrhundert

Comitate in bischöflicher und herzoglicher Hand (327) – Grafen ohne Grafschaft? (329) – Comes und comitatus bei Hermann und Berthold (332) – Exkurs: Comitatus zwischen Antike und Mittelalter (334) – Grafen Alemanniens im 11. Jahrhundert (336) – Zur Grafschaft im 11. Jahrhundert (341) – Zur ‹jüngeren Grafschaft› in Schwaben (345)

Alemannische Raumgliederung und St. Galler Kapiteleinteilung Lokale Funktionäre und klösterliche Verwalter Geistliche und weltliche Verwalter des Klosters St. Gallen

Praepositi (354) – Advocati (357) – Zur alemannischen ‹Zeugenführerschaft› (362) – Maiores und villici (362) – Zentralörtliche curtes – Unterzentrum Bussnang (365)

Alemannische Funktionäre und lokale Eliten

Centenarii und centuriones – Zeugen einer römischen Vergangenheit? (368) – Tribuni – der Arboner Tribun und die lokale Elite (375) – Praefecti (379) – Tribunus Othere – zur mächtigen Familie des Notker Balbulus (381) – Fidelis Anno – zur Prosopografie einer Elitenfamilie (384) – Anno und der Sturz Karls III. (387) – Vassallus, fidelis und comes Babo – zu den ‹Pabonen› in Schwaben (388) – Fideles als Kern der schwäbischen militia (392)

Zentral- und Konfliktort Stammheim

Stammheim und die lokalen Eliten (395) – Stammheim als königlicher Sühneort? (397) – Zankapfel Stammheim (399)

327

348 353 354

367

394

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10

3.3 3.3.1

Der schwäbische Dukat zwischen Fremd- und Selbstbestimmung Herzöge und herzogsähnliche Magnaten bis zum 10. Jahrhundert

403 404

Alemannien als ‹Bodensee-Herzogtum›? (404) – Fränkische Funktionäre mit herzogsähnlicher Kompetenz (407) – Markgrafen im Spiegel der schwäbischen Überlieferung (413

3.3.2

Burchard I. von Schwaben und die Begründung des ‹jüngeren Herzogtums› 418

3.3.3

Bertold II. von Zähringen und die Transformation des ‹jüngeren Herzogtums› 426

Zum schwäbischen Dukat im 10. und 11. Jahrhundert (423)

Der Dukat als Geburtshelfer und Totengräber (429)

4 4.1

4.2

Schluss – Eine alemannische Kriegergesellschaft Konflikt und Reform – Schwertträger und Gotteskrieger Waffenträger und Krieger (432) – Hörige und Dienstleute (434) – Zentralorte und Ungarnburgen (435)

Agon und Geburt – Aufsteiger und Aristokraten

Grafen und Grafschaften (437) – Aufsteiger und Eliten (438) – Herzog und Herzogtum (439)

4.3 Conclusio

431 431

436

441

Transformation und Kontinuität (441) – Hörige und Heilige (443) – Aussichten (444)

5 Anhang 5.1 Karten 5.2 Auswertungen und Register 5.2.1 Schwäbisch-alemannische Grafschaften und ihre Grafen 5.2.2 Glossar und lateinisches Sachregister 5.2.3 Personen- und Ortsnamenregister 5.3 Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 5.4 Quellen- und Literaturverzeichnis 5.4.1 Quellenverzeichnis 5.4.2 Literaturverzeichnis

446 446 448 448 455 467 483 485 485 489

11

Vorwort

Am Anfang stand das Kloster St. Gallen. Während eines Praktikums im Stiftsarchiv St.  Gallen hat mich die Faszination um den dortigen frühmittelalterlichen Urkundenschatz gepackt. So blieb ich diesem Gral der Erforschung des frühen Mittelalters selbst während meines Studiums in Frankfurt/Main stets verbunden. Eine Assistenzstelle bei Prof. Dr. Jan Rüdiger am Basler Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte des Mittelalters hat mir schliesslich die Möglichkeit geboten, vorliegendes Dissertationsprojekt anzugehen. Die zeitgleiche Mitarbeit an der neuen Urkundenedition Chartularium Sangallense im Stiftsarchiv hat mich den Quellen und letztlich St. Gallen selbst erneut nähergebracht. So wechselte ich in der Hälfte meines Projektes vollständig ins Stiftsarchiv St. Gallen. Währenddessen war es mir dennoch möglich, vorliegende Arbeit privat zu Ende zu führen, nicht zuletzt dank der unschätzbaren Unterstützung durch meine Frau Tina. Dass daraus kein reiner Begleitband einer Edition geworden ist, verdanke ich an erster Stelle meinem Betreuer und Mentor der vergangenen sieben Jahre, Jan Rüdiger, der mich immer wieder auf den Boden zurückgeholt, motiviert und zum unaufhörlichen Hinterfragen von scheinbar Offensichtlichem angeregt hat. Ebenfalls danke ich Claudius Sieber-Lehmann, der die selten dankbare Aufgabe eines Korreferenten ohne Zögern angenommen hat und mir für den zeitlich späten Teil meiner Arbeit eine wichtige Hilfe war. Meinen Kolleginnen und Kollegen vom Departement Geschichte in Basel und vom Stiftsarchiv St. Gallen gebührt ganz besonderer Dank für die tägliche moralische Unterstützung und die unzähligen Gespräche, Fachsimpeleien und stetige Kaffee­ bereitschaft. Im Besonderen genannt seien hier Sarah-Maria Schober, Jörn Happel, Ulla Kypta und Birgit Heinzle sowie der Stiftsarchivar Peter Erhart für seine Expertisen zur frühmittelalterlichen Schriftlichkeit und Jakob Kuratli Hüeblin für die zahlreichen Gespräche und die Ermunterungen, an eigene Ideen zu glauben. Für das aufschlussreiche Gespräch und die sprachliche Herleitung einiger zentraler Begriffe bin ich dem inzwischen leider verstorbenen Prof. Dr. em. Stefan Sonderegger zu grösstem Dank verpflichtet. Ebenso danke ich dem ehemaligen Stiftsarchivar Lorenz Hollenstein, der mir bei einigen besonders kniffligen lateinischen Formulierungen geduldig zur Seite gestanden hat. Dario Binotto verdanke ich eine Reihe von rechtshistorischen Eingebungen und Hinweisen, die vorliegender Arbeit zweifelsohne gefehlt hätten. Ich danke meinen Eltern, die mich stets ermutigt und mir den Rücken gestärkt haben. Besonderer Dank gilt meiner Mutter, die sämtliche Texte akribisch lektoriert

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12

hat. Als weiterem Lektor danke ich meinem ehemaligen Kommilitonen Helmut Schlephorst für seine äusserst aufmerksame Durchsicht. Mein Dank geht auch an Regula Zürcher Meuwly vom Staatsarchiv St. Gallen, den Historischen Verein des Kantons St. Gallen und an die Gutachter von St. Galler Kultur und Geschichte für die Aufnahme in ihre Reihe sowie speziell Martin Schindler für die konstruktive Kritik. Hermann Hungerbühler hat mit seiner grosszügigen Unterstützung einige wesentliche Teile der vorliegenden Arbeit finanziert, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Gewidmet sei dieses Buch meiner Frau Tina. Sie hat mich in den letzten Jahren unterstützt, aufgebaut und getragen wie niemand sonst und die Fertigstellung meiner Arbeit dadurch um viele Monate verkürzt. Möge unser Sohn Lionel von den neu gewonnenen Freiheiten profitieren. Zuvingen, die sancti Leonis IX anno MMXIX

13

1

Einleitung – Alemannien und seine Kriegergesellschaft

Rein äusserlich ist jede Person, die ein Schwert trägt, ganz egal ob sie eines zu führen vermag oder ob sie eines führen darf, ein Schwertträger (ensifer).1 Die Bezeichnung Gotteskrieger oder Krieger Gottes meint den Beschützer Gottes und seiner Vertreter auf Erden, den geistlichen wie weltlichen Diener der Kirche, den Hörigen auf dem Feld, der zum Schutz seines Klosters zur Waffe greift ebenso wie den Mönch, der sich dem himmlischen Kriegsdienst (militia caelestis)2 verschrieben hat. Der Schwertträger oder besser das Schwerttragen an sich kann gar als Teil der göttlichen Ordnung verstanden werden. Aristokraten und Eliten sehen die ritterliche Bewaffnung (arma militares)3 durch kirchliche Intervention zunehmend als Standessymbol. Zugleich ist eine Militarisierung im Gange, welche die Grenzen von Aristokratie und Eliten aufweicht. Die Kriegerelite vergrössert sich und damit wächst auch die militia der Schwertträger. Waffen- und Schwertträger (armigeri/armati)4 beschützen durch den Einsatz ihrer Waffen zugleich die ‹göttliche Ordnung› mit all ihren zugehörigen Institutionen. Ob dabei zum Schwert oder zur Mistgabel gegriffen wird, spielt keine Rolle. Die Begriffe Schwertträger und Gotteskrieger ergänzen sich gegenseitig und sind vielfach deckungsgleich. Der dritte Begriff, die Krieger­ gesellschaft, soll die Gruppe der zu untersuchenden Akteure keineswegs schmälern. Vielmehr ermöglicht die Vorstellung einer Kriegergesellschaft, ein standesunabhängiges Netz an Personen zu sehen, die sich dadurch zusammengehörig fühlen, dass sie gemeinsam bewaffnet auf dem Schlachtfeld stehen.5 Sie stellen eine Gemeinschaft von Kämpfenden dar. Das ganze Ausmass dieser Kriegergemeinschaft, die vom einfachen arator bis zum edlen dux reicht, ermöglicht eine Untersuchung zur schwäbisch-alemannischen Gesellschaft und seiner Sozialstrukturen, wie sie unter separater Beschäftigung mit den vereinzelten Gruppen nicht möglich wäre. Die heterogene alemannische Kriegergesellschaft vereint die Truppen des schwäbischen Herzogs Burchard in Italien, die St. Galler Mönche im Kampf gegen die Ungarn, die Haustruppe Bischof Salomos von Konstanz, lokale Aufgebote der Grafen und Centenare, die Kastellbewohner von 1 2 3 4 5

Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 272. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 63. Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 218. Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 574, S. 89; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 63. Zur vergleichbaren Begriffsverwendung von ‹Kriegergesellschaft› und dem Waffentragen als wesentlichstem Element bezüglich Habitus männlicher Laien vgl. Föller, Kriegergesellschaft, S. 5, 23.

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Arbon, den spezialisierten Teil einer klösterlichen familia oder die freien Schwertträger, die jeder frühmittelalterlichen Urkundenausstellung als Zeugen dienten – um nur eine Auswahl schwäbisch-alemannischer Waffenträger zu nennen  –, zu einer standesübergreifenden Gemeinschaft. Eine Reihe von Untersuchungen soll es ermöglichen, eine alemannische Kriegergesellschaft vor und nach der Jahrtausendwende zu erfassen und darin mögliche Veränderungen sichtbar zu machen. Diese Arbeit wird zudem von den Thesen begleitet, dass der ‹reale› königliche Einfluss im Bodenseeraum während des 10. Jahrhunderts deutlich geringer ausfiel, als dass er längerfristige Auswirkungen auf die lokale Elite gehabt hätte, und dass die Krieger- und Funktionseliten zwischen dem 10. und 11. Jahrhundert einer Transformation unterworfen waren. Dabei geht es nicht primär um das ostfränkische Königtum, sondern darum, gewisse Mechanismen im politischen und gesellschaftlichen Gefüge Alemanniens zu untersuchen. Der Bodenseeraum und seine Bevölkerung dürften unter indirekter Leitung und durch Beeinflussung lokaler Eliten eine regional einzigartige Entwicklung durchgemacht haben. Mit den weitgefächerten Untersuchungen wird ausserdem der Frage nachgegangen, ob sich zwischen dem 9./10. und dem 11./12. Jahrhundert tatsächlich derart viele grundlegende Veränderungen vollzogen haben, dass von einer Transformation gesprochen werden kann. Die schwache Quellenlage des ‹dunklen› 10. Jahrhunderts, der ‹dark ages› überhaupt, wie die Zeit zwischen der glorifizierten römischen Kaiserzeit und dem deutschen Hochmittelalter mit seinen höfischen Dichtern auch gerne genannt wird, ist eine Herausforderung. Zugleich bedeutet diese schwache Quellenlage aber auch eine Chance. Denn sie fordert die Beachtung sämtlicher Arten historischer wie archäologischer Quellen. Idealerweise ergeben die Untersuchungen in dieser Arbeit einen Querschnitt durch die Gesellschaft in Alemannien rund um das 10. Jahrhundert. Dies geschieht unter den Gesichtspunkten einer Kriegergesellschaft, römisch-­antiker Kontinuitäten, gesellschaftlicher Strukturen und Überlegungen zu herkunftsunabhängigen sozialen Aufstiegschancen. Untersuchungsfelder wie die Ministerialitätsforschung und Besonderheiten in der alemannischen Diplomatik, Theorien um das Zentralortmodell, die ‹mutation féodale› und das ‹incastellamento› sowie prosopografische Netzwerkstudien innerhalb der alemannischen Elite, standen dabei ursprünglich im Zentrum meines Dissertationsvorhabens. Diese Untersuchungsfelder haben sich allerdings im Laufe des Projektes mehr und mehr zu verlässlichen ‹Werkzeugen› für noch komplexere Fragestellungen entwickelt und sind dadurch zu aussagekräftigen Spiegeln der schwäbisch-alemannischen Gesellschaft geworden, ebenso die Fragen zu Verteidigungs- und Schutzmechanismen in kirchlichen Institutionen des Bodenseeraums. Die vorliegende Untersuchung betrifft hauptsächlich die sankt-gallisch-­ alemannischen Umstände, da die Urkundenformulare und Begriffsnutzungen selbst bei den häufigsten Sachverhalten und Personengruppen von Kloster zu Kloster gros­ sen Unterschieden unterworfen waren. Mit den Dokumenten in St.  Gallen liegen uns europaweit zwei Drittel aller originalen Urkunden vor dem Jahr 1000 vor, was dieser Eingrenzung Legitimität verleiht und den Fall St. Gallen als gut untersuchtes

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Beispiel unter potenziell vielen anderen vor Augen führt. Wohl mögen also ‹Unfreie› andernorts anders bezeichnet worden sein, wohl mag sich die Semantik zahlreicher Dienst- und Funktionstermini andernorts völlig gegenläufig entwickelt haben,6 doch für Alemannien stellt der Fall St. Gallen einen grossen Teil des territorialen und rechtlichen Raumes dar und darf deshalb durchaus exemplarisch vorgeführt werden. Während sich selbst innerhalb Alemanniens und innerhalb des späteren Herzogtums Schwaben Unterschiede in rechtlichen, servialen und verwaltungstechnischen Bereichen feststellen lassen, muss insbesondere im Vergleich mit dem weiteren Ostfrankenreich in Betracht gezogen werden, dass sich in Alemannien eine ganz eigene Entwicklung abgespielt hat. Daraus ergeben sich auch spezielle Beziehungsverhältnisse zum ostfränkischen König und zu den anderen Grossen des Reiches. Da diese Arbeit zeitgleich mit der neuen St. Galler Urkundenedition entstanden ist, darf sie in zahlreichen spezifischen Fällen als Begleitband derselben verstanden werden. Zugleich kann die grundlegende Erfassung sämtlicher Funktionsträger im erweiterten Bodenseeraum auch als Fortsetzung früherer Prosopografien und Grundlagenwerke – beispielsweise zur alemannischen Grafschaft – gesehen werden.

1.1

Raum und Zeit

Die grundlegende Idee für diese Arbeit ist entstanden, als ich mich im Rahmen meiner Magisterarbeit zum Thema «Wie verteidigt sich ein Kloster im 10. Jahrhundert? Der Fall St. Gallen» mit den Schutzmechanismen im Herzogtum Schwaben während des 10. Jahrhunderts beschäftigt habe.7 Es war nicht nachvollziehbar, warum sich laut lokaler Chronistik und Annalistik im Bodenseeraum niemand ernsthaft den Einfällen der Ungarn widersetzt hat. Es stellte sich die Frage, wer denn überhaupt im Krisenfall zum Schutz geistlichen und weltlichen Eigentums und Lebens verantwortlich war. Welche möglichen Ordnungssysteme könnten hinter den comites, ancillae, monachi, milites, advocati, ducissae, nobiles und den unzähligen anderen lateinischen Bezeichnungen für Menschen stehen, welche alle Teil einer frühmittelalterlichen ‹Gesellschaft› in Alemannien waren? Mit dem zehnten Jahrhundert habe ich mir freilich das überlieferungsschwächste Jahrhundert des frühmittelalterlichen Schwaben ausgewählt, weshalb der Zeitraum je nach Fragestellung und Quellengattung auf 840 bis 1100 oder gar 700 bis 1100 ausgedehnt wurde, während der geografische Untersuchungsraum nach und nach kleiner wurde. Nach dem teilweisen Wegfall des Elsass im Westen, von Augsburg im Norden, Südrätien im Süden und den teils hochburgundischen Gebieten südwestlich von Zürich kann das zentrale Untersuchungsgebiet auf den leicht erweiterten Bodenseeraum eingegrenzt werden. Neben den Menschen in Alemannien spielen aber auch schützende Bauten eine zentrale Rolle in der erfolgreichen Abwehr von Gefahren. Dies wiederum hat zur stärkeren Auseinandersetzung mit den sogenannten Ungarnburgen geführt und dürfte in grund 6 Vgl. Schmidt-Wiegand, Sprache, S. 41–43. 7 Unpublizierte Magisterarbeit vom 21. 1. 2014.

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legende Überlegungen zur Kontinuität römisch-antiker Kastelle und Befestigungen bis hin zum ‹incastellamento› münden. Die Mischung aus antikem Bücherwissen der Mönche und unbewusster Traditionsüberlieferung trägt definitiv die Spuren der Transformation des Römischen Reiches in sich, was mich im Endeffekt noch stärker dazu ermuntert hat, Hinweisen bezüglich unterschiedlicher Mutationen im ‹dunklen 10. Jahrhundert› nachzugehen. Am Anfang des Weges im 8./9. Jahrhundert steht ein undurchdringlicher mitteleuropäischer Dschungel mit dem einen oder anderen hell erleuchteten Kloster, königlichen Pfalzen und landwirtschaftlichen Gehöften sowie einer wilden Kriegerschaft, der königliche Beamte Einhalt zu gebieten versuchen. Am Ende im 11./12. Jahrhundert steht eine geordnete christliche Welt mit den ersten grösseren Siedlungen und Städten und fast bürgerlichem Selbstbewusstsein, mit prächtigen Burgen mächtiger Grafen und einer glänzenden, durch und durch christlichen militia aus edlen Rittern. Interessanterweise liegen diese zwei gegensätzlichen  – absichtlich stark überspitzt formulierten  – Pole, die leider noch häufig praktiziertes ‹Schulbuchwissen› darstellen, zeitlich gar nicht so weit auseinander. Thematisch ist das reine Schwarz-Weiss-Malerei, während die Grautöne dazwischen gerne übersehen werden. Weiterführende Forschungen zum vielleicht deshalb noch ‹dunkleren› 10. Jahrhundert sind meist ein Desiderat geblieben und die Schwelle der Jahrtausendwende wurde in der bisherigen Forschung nur in Ausnahmefällen überschritten, obwohl viele Zusammenhänge vermutlich erst durch das Ausblenden dieser ‹natürlichen Grenze› ersichtlich werden.8 Für diese Zeit werden deshalb an die bereits existierenden Listen zum karolingerzeitlichen Alemannien von Michael Borgolte9 anknüpfend einige prosopografische Untersuchungen zum 10. und 11. Jahrhundert erfolgen. Diese Gelegenheit bietet sich mir in vorliegender Arbeit insbesondere durch die parallele Neubearbeitung der St.  Galler Urkunden bis zum Jahr 1000 im Stiftsarchiv St. Gallen.10 Ein lohnenswerter Versuch der Grenzüberschreitung war diesbezüglich eine Tagung im Jahr 2011 in Mainz zum ‹langen 10.  Jahrhundert› mit der Frage, «welche Wirkung äusserer Druck in Form von Ungarn- und Normanneneinfällen in dezentralen politischen Gebilden mit personalisierter Herrschaft» entfalten konnte.11 Ebenso wurde nach den Ursachen für die Postulierung der ‹dunklen› und überlieferungsarmen ‹Übergangszeit› des 10.  Jahrhunderts gefragt und es folgte der Hinweis darauf, dass die angeblichen Brüche zwischen karolingischer und postkarolingischer Herrschaft wohl nicht im vermuteten Masse spürbar waren. Zudem sei in Frankreich sehr viel mehr regional fokussierte Forschung betrieben worden, während im deutschsprachigen Raum vornehmlich Untersuchungen mit reichsweiten 8 So sieht auch Zotz (Itinerare, S. 173) an ebendiesem ‹Übergang› den einschneidenden Strukturwandel in der frühmittelalterlichen Alemannia, Suevia und Alsatia. Zur ‹Schwelle der Jahrtausendwende› vgl. zudem Schmid (Comes und comitatus, S. 189). 9 Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens; ders., Grafschaften; ders., Grafengewalt im Elsass. 10 Chartularium Sangallense I–II, bearb. von Peter Erhart unter Mitwirkung von Karl Heidecker, Rafael Wagner und Bernhard Zeller, St. Gallen 2013–2019. 11 Vgl. hierfür den Tagungsband, insbesondere Kleinjung/Albrecht, Einführung, S. 1.

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Belangen durchgeführt worden seien.12 Dadurch seien die regionalen Spezialitäten häufig unbeachtet geblieben. Ebendies soll im Rahmen dieser Arbeit zumindest für Schwaben nachgeholt werden. Der in eben genannter Tagung beschriebene Zusammenhang zwischen äusseren Bedrohungen und den darauffolgenden Veränderungen im Innern – darunter eine zunehmende Zentralisierung – wird mehr und mehr infrage gestellt.13 So kann auch für Schwaben vermutet werden, dass sich trotz äusseren Bedrohungen keine Königszentriertheit abzeichnete, sondern nach wie vor die lokalen Strukturen tonangebend waren. Wohl dürfte das ostfränkische Königtum je nach Durchsetzungsfähigkeit seiner amtierenden Herrschaftsträger mehr oder weniger Einfluss auf das Geschehen in den einzelnen regna gehabt haben und könnte in seiner einenden Funktion zur Abwehr gegen äussere Feinde an Bedeutung gewonnen haben; ebenso konnten Könige aber auch schwach wirken, wenn sie auf die politischen Entwicklungen beispielsweise der südlichen Herzogtümer keinen Einfluss ausüben konnten. Dies wird sich nicht zuletzt in den meist erfolglosen Interventionsversuchen des Königs während der Begründung des jüngeren schwäbischen Herzogtums zu Beginn des 10. Jahrhunderts zeigen, während sich beispielsweise Otto der Grosse im Kampf gegen die Ungarn Mitte des 10. Jahrhunderts – zumindest kurzfristig – deutlich erfolgreicher anstellte, als er Truppen aus fast allen ostfränkischen regna aufzubieten vermochte. Zur Rolle des Königs in Schwaben dürfte diese Arbeit also ebenfalls einige Antworten bereithalten; doch so viel schon im Voraus: Bereits an der auffallend wechselhaften Besetzung des schwäbischen Dukats im 10. Jahrhundert, als abwechselnd Vertreter der lokalen Elite sowie königlich eingesetzter, ‹landfremder› Herzöge das Sagen hatten, ohne dass es je zu einer unmittelbaren Herrschaftsfolge gekommen wäre, lässt sich das periodische Auf und Ab zwischen königlicher Durchsetzungsfähigkeit und herrschaftlichen Schwerpunkten erkennen. In den meisten Fällen dürfte es sich um ein erzwungenes Miteinander von Königtum und Aristokratie gehandelt haben. Ob die lokalen Eliten auf die ‹einende Kraft› des Königs ebenso angewiesen waren wie der König auf die Hilfe seiner Grossen, um den zahlreichen Krisen während des 10. Jahrhunderts Herr zu werden, wie Kleinjung postuliert,14 ist fraglich. Je nach Situation und ‹Anwesenheitsstatus› war die eine oder andere Seite durchsetzungsfähiger. Anstelle einer ausführlichen Einführung in die Geschichte des karolingischen und ottonischen Alemannien und Schwaben sei an dieser Stelle kurz auf den klassischen Forschungskanon verwiesen. So konnte ich mich zur Einarbeitung insbesondere auf das breite Schaffen von Thomas Zotz,15 Alfons Zettler,16 Karl Schmid17 und Dieter Geuenich18 mit ihren Beiträgen zur südwestdeutschen Landesgeschichte 12 13 14 15 16

Ebd., S. 2 f. Kleinjung, Bedrohung, S. 13. Vgl. ebd., S. 8 f. Vgl. Zotz, Herzogtum Schwaben; ders., Ende der Antike; ders., Ministerialität; ders., Breisgau. Vgl. besonders grundlegend Zettler, Herzogtum Schwaben sowie ders., Adalbert; ders., Zähringerburgen. 17 Vgl. Schmid, Familie und Sippe; ders., Adel und Reform; ders., Babo; ders., Zürich; ders., Hunfrid. 18 Vgl. Geuenich, Geschichte der Alemannen; ders., Alemannen; ders., Fränkische Herrschaft; ders./Runde, Namen.

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stützen. Daneben war das wissenschaftliche Werk von Heiko Steuer essentiell zur Überbrückung von südwestdeutscher Landesgeschichte und Archäologie.19 Im sprachlich-semantischen Bereich waren insbesondere die bisher unübertroffenen Beiträge des vor Kurzem verstorbenen Philologen Stefan Sonderegger von unschätzbarem Wert.20

1.2

Begriffe und Grenzen

Auf die Anfänge des regnum Alemannien und des ducatus Schwaben wird absichtlich nicht in chronologisch geordneter Weise eingegangen. Vielmehr stehen die gesellschaftlichen Belange im Zentrum, weshalb ereignisgeschichtliche Elemente ausschliesslich fallbezogen auf die Darstellung lokaler Entwicklungen im Bodenseeraum zur Sprache kommen werden. Zur womöglich verwirrenden Bezeichnung desselben Gebietes als Alemannien und als Schwaben kann auf eine Erklärung Zettlers verwiesen werden: Die untersuchte Landschaft, das ‹alte› Gebiet der Schwaben, sollte als fränkisch dominiertes regnum Alemannien heissen, wurde aber nach der Neueinrichtung des Herzogtums wieder Schwaben genannt, ganz nach der alten Eigen­bezeichnung.21 Da für diese Arbeit hauptsächlich die fränkische Zeit von Bedeutung ist, wird der geografische Raum in der Zeit vor der Begründung des ‹jüngeren Stammesherzogtums› um 917 eher als Alemannien bezeichnet, und für die Zeit danach dominieren Begrifflichkeiten wie Schwaben und schwäbisch. Zur territorialen Unterscheidung, beispielsweise zur Abgrenzung von Rätien, das ebenfalls Teil des schwäbischen Herzogtums war, wird aber auch nach dem 9./10. Jahrhundert immer wieder die Rede von Alemannien als Kerngebiet Schwabens sein. Dass es zu aussagekräftigeren Ergebnissen führt, wenn man sich auf ein möglichst lokal begrenztes Gebiet konzentriert, hat bereits Emil Müller in seiner Untersuchung zur St.  Galler Ministerialität formuliert.22 Das gilt für territoriale Einschränkungen ebenso wie für geschichtstheoretische. Gesellschaftsmodelle wie «das Lehnswesen»,23 «die Grundherrschaft», «der Adel» oder «die Ministerialität» bleiben nun einmal Modelle, die in ihrer lokalen Begrenzung jeweils anders ausgeprägt erscheinen und die für jede Region des europäischen Mittelalters für sich untersucht werden müssen.24 Nur über die Auswertung einzelner lokaler Institutionen und Ver 19 Vgl. Steuer, Antike im Mittelalter; ders., Krieger und Bauern; ders., Strukturen im Frühmittelalter; ders., Fernbeziehungen; ders., Stadtbegriff. Im Besonderen sei hier auf den Sammelband von Steuer, Zotz und Nuber zum Südwesten im 8. Jahrhundert aus historischer und archäologischer Sicht (Ostfildern 2004) verwiesen. 20 Vgl. Sonderegger, Flurnamen; ders., Rechtssprache. 21 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 48. Wenskus, Stammesbildung, S. 510, sowie zur Namensgebung und der Verbindung zu den antiken Alamanni ebd., S. 494–512. 22 Müller, Ministerialität St. Gallen, S. 2. 23 Vgl. hierzu Dendorfer, Lehnswesen im Hochmittelalter, S. 34–38: «Sind schon um die Mitte des 11. Jahrhunderts rangmässige Abstufungen unter Gefolgsleuten (milites) und erste Anzeichen für ‹gestaffelte Systeme› zu erkennen, so verbinden sich die einzelnen Elemente doch erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zum ‹Lehnrecht›». 24 Thematisch schwierige und durch die Forschung vorbelastete Begrifflichkeiten werden in die-

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hältnisse lassen sich Aussagen zu einer grösseren Region treffen. In dieser Arbeit liegen die Schwerpunkte klar auf der Abtei St.  Gallen, einer punktuellen Auswahl an herausragenden Eliten und Funktionären, dem Bischofssitz Konstanz und einigen zentralen Ämtern wie dem Pfalzgrafen, den Grafen, dem rätischen Markgrafen sowie dem Herzog in Schwaben. Daneben spielen Erscheinungen um die Entstehung von ‹Rittertum› und ‹Ministerialität›, dem Aufstieg Höriger, der Transformation lokaler Ämter, der Vogtei und der Bau von Stadtmauern und Befestigungen eine stets begleitende Rolle. Diskussionen rund um die klassischen Begriffe wie ‹Lehnswesen› und ‹Grundherrschaft› sollen in dieser Arbeit ausdrücklich nicht erfolgen,25 da die folgenden Untersuchungen dadurch bereits im Vornherein von institutionellen Rastern und vorgefertigten Modellen aus der traditionellen Mediävistik beeinflusst würden. Eine schwabenbezogene Untersuchung ebenjener Begrifflichkeiten ist dieser Arbeit nicht dienlich und wirkt schlicht überholt.26 Die Untersuchungen werden nicht nur auf begrifflicher/semasiologischer (zum Beispiel milites), sondern auch auf sachlicher/onomasiologischer (zum Beispiel Krieger) Grundlage durchgeführt, wobei schnell der Eindruck einer zu ‹impressionistischen› Herangehensweise entstehen kann. Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, werden die Untersuchungen der lateinischen Begriffe und der Sachzusammenhänge jeweils entweder nach ein und demselben lateinischen Begriff über die Zeiten und unterschiedlichen Quellen hinweg oder nach einer in unterschiedlichen Termini greifbaren Sache erfolgen. Wenn Wort und Sache dabei miteinander korrespondieren, wird in den Einzeluntersuchungen eine Verbindung zwischen der onomasiologischen und der semasiologischen Herangehensweise hergestellt, was aus rein sprachwissenschaftlicher Perspektive verwirrend wirken kann, was das thematische Verständnis innerhalb einer Teilstudie jedoch vereinfacht. Es wird situationsbezogen also sowohl nach milites (semasiologisch) als auch nach Kriegern (onomasiologisch) gesucht, was sich im Fall der – je nach Zeithorizont – durchaus heterogenen Sprachgruppen im Bodenseeraum (alemannisch und romanisch/rätisch) verstärkt anbietet. Zur Differenzierung der onomasiologischen und semasiologischen Ebenen der in dieser Arbeit zentralen Begriffe und Sachen sei einführend das kritische Kompendium zur Begriffsgeschichte von Müller und Schmieder naheser Arbeit mit einfachen Anführungszeichen versehen, um auf deren Problematik aufmerksam zu machen. In derselben Weise wird mit in der Forschung bereits etablierten Ausdrücken wie ‹jüngeres Stammesherzogtum› verfahren. 25 Vgl. hierzu Kuchenbuch (Grundherrschaft, S. 2–12), Dendorfer (Lehnswesen, S. 43–54) und Patzold (Lehnswesen, S. 6–13, 27 f.). 26 Hinzu kommt, dass zwar vieles bestritten wurde, Verbesserungsvorschläge aber dennoch meist ausblieben. Als solche ‹Halblösung› muss leider auch die vielversprechende Kurzdarstellung Patzolds (Lehnswesen) gelten. «All das ist Unfug! Das Bild der Pyramide führt in die Irre. Mit Bauern haben Lehen wenig zu tun, mit Unfreiheit und Ausbeutung gar nichts; und sie sind auch keine Institution, die mit dem Mittelalter untergegangen wäre» (ebd., S. 6). Auf seine absolut gerechtfertigte Kritik folgt – wohl aufgrund der geringen Platzverhältnisse – leider keine Alternative. Bezüglich «Lehnspyramide» ist auch auf Guyotjeannin (Gloire du prince, S. 227– 229) zu verweisen, der darin mehr eine Rückprojizierung des ehemaligen ‹Feudalsystems› im 17. Jahrhundert sieht als eine korrekte Repräsentation frühmittelalterlicher (Krieger‑)Gesellschaften.

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gelegt.27 Darin wird ersichtlich, wie wichtig eine zweiseitige Herangehensweise für Untersuchungen wie die vorliegende ist, da ein Bedeutungswandel oft mit einem Sachwandel einher gehe und semantische Untersuchungen zum Teil überhaupt erst im Gefolge der Onomasiologie möglich seien. Besonders in Alemannien mit seinen Sprachdurchmischungen kann bei der Übernahme einer Sache durch eine andere Sprachgemeinschaft auch die ursprüngliche Bezeichnung mit entlehnt worden sein (Fremd- und Lehnwörter).28 Dabei braucht es Anknüpfungspunkte in der bisherigen Sprache, um die neuen Umstände bezeichnen zu können, und zwar sowohl innerhalb einzelner Worte als auch in mehrgliedrigen Umschreibungen.29 Im Zuge der hier ebenso zu untersuchenden Frage nach möglichen Transformationsphasen im Bodenseeraum muss zudem nach der spezifischen Begriffsverwendung in neuen Gebrauchsdomänen Ausschau gehalten werden. Denn neue politische und gesellschaftliche Umstände können je nach Gebrauchsdynamik zu einem semantischen Wandel führen.30 Bernhard Jussen warnt zudem vor der Gefahr einer zu unreflektierten Nutzung von Lexika, worin den lateinischen Begriffen häufig eine Übersetzung ohne wirkliche Kontextualisierung anhänge.31 So wären zwar auf den ersten Blick einige lateinische Personenbezeichnungen wie Boten oder Hörige durchaus austauschbar, doch wird bei der näheren Betrachtung der Quellentexte ersichtlich, dass sich gewisse Worte mehr für den kirchlichen, weltlichen oder rechtlichen Kontext eignen als andere. Durch die hier gewählte Herangehensweise über zahlreiche Einzeluntersuchungen auf der Grundlage eines breiten Quellenkorpus soll diese Kontextualisierung gewährleistet werden. Wie zuvor anhand von ‹Rittertum› und ‹Lehnswesen› exemplarisch eingeleitet, folgen nun einige für diese Arbeit besonders zentrale oder aber absichtlich nicht verwendete Begriffe und ihre Forschungsgebiete. ‹Adel› Während ‹Adel› stark mit frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Bedeutungen belegt ist und die unterschiedlichsten Bedeutungskomplexe – vom spätmittelalterlichen Ritterturnier mit ‹Adelsnachweis› bis zum ‹Sonnenkönig› – mitklingen, bieten sich Begrifflichkeiten wie Aristokraten, Magnaten, Grosse und Eliten als neutralere Alternativen an. Besonders für das Frühmittelalter ist es plausibler, stattdessen von einer Aristokratie oder den Grossen einer Region zu sprechen, um ungewollte Assoziationen zu vermeiden. Zudem kann mit ‹Elite› und ‹Grossen› ein breiteres Bevölkerungsspektrum abgedeckt werden, da man nicht bei jeder Begriffsverwendung sogleich an klassische Adelselemente wie Herrensitze, Geburtsrecht und Erbcharisma, Blutslinie und Heilsgedanke erinnert wird.32 Zur bewussten Verwendung dieses Begriffs ist beispielsweise Schmid zu nennen, der zwar ebenfalls vom ‹Adel› spricht, aber festhält, dass die tat 27 28 29 30 31 32

Müller/Schmieder, Historische Semantik. Ebd., S. 424, 427–428. Ebd., S. 413. Hierzu weiterführend Fritz, Historische Semantik, S. 38–45, 65–75. Vgl. ebd., S. 51, 65. Jussen, Historische Semantik, S. 59 f. Vgl. Hechberger, Konzepte, S. 147, 151–157; Bloch, Société féodale, S. 499–503.

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sächlichen ‹Adelsgeschlechter› erst im Hochmittelalter zu suchen seien. Vorher gab es sie schlicht nicht. «Nun lebten natürliche Vorfahren hochmittelalterlicher Adelsfamilien etwa in der Karolingerzeit. Aber hier darf der Unterschied zwischen blutsmässiger Herkunft eines Geschlechtes und Existenz eines solchen im Sinn geschichtlicher Tradition nicht eingeebnet werden.»33 Dem entgegen hält Eberl, dass der «generalisierende Begriff ‹Adel› in allen Zeiten dasselbe meint» und führt als Hauptargument die Erbschaft innerhalb gut situierter Familien an,34 was das gängige Bild ‹von Adel› jedoch nicht weniger überladen erscheinen lässt. Zu den wenigen Indizien aristokratischer Familien und Sippen im frühen Mittelalter gehören Namensähnlichkeiten, die sich besonders für den Bodenseeraum dank der hervorragenden St.  Galler Urkundenüberlieferung nachverfolgen lassen. Wie es bereits Schmid, Geuenich und Sonderegger vorgeschlagen haben,35 sollen deshalb mögliche Verwandtschaftsgrade auch in dieser Arbeit über die Namensgebung genauer betrachtet werden, allerdings nur sofern sie zur Aufklärung lokaler Verhältnisse beitragen. Prosopografische Untersuchungen dienen hier keinesfalls der historistischen Suche nach einem frühen ‹alemannischen Adel›, sondern lediglich dem situationsbezogenen Verständnis herrschaftlicher Strukturen, beispielsweise möglicher Praktiken in der Kontinuität alemannischer Grafschaften. ‹Eliten› Aus der Sicht eines Archäologen mag mein hartnäckiger Verzicht auf den Adels­ begriff sonderbar wirken. Denn alleine auf Grabfunde bezogen zeigen sich über viele Jahrhunderte hinweg Parallelen, die auf eine reich ausgestattete Elite mit adelskonstituierenden Merkmalen hindeuten. So lasse sich ‹Adel› durch Grabbefunde im Idealfall seit dem 5. Jahrhundert beziehungsweise sicher seit dem 7./8. Jahrhundert nachweisen,36 und «der Ausweg, statt von Adel von Aristokratie oder Elite zu sprechen, bietet», so Steuer, «nur eine Scheinlösung».37 Aus der Sicht rein materieller Hinterlassenschaften mag dies zwar zutreffen, doch hinsichtlich schriftlicher Quellen beziehungsweise für die Geschichtswissenschaften schwingen zu viele dezidiert frühneuzeitliche Begriffsdeutungen mit. Deshalb wird hier bevorzugt neutral von Eliten beziehungsweise einer Aristokratie gesprochen. Aristokratie ist diesbezüglich nicht nur als Gegenbegriff zum Fürsten und König zu verstehen, sondern gilt ebenso für gewisse ländliche und städtische Schichten.38 33 Schmid, Struktur des Adels, S.  247; ders., Adel und Reform, S.  343–347; ders., Familienfolge, S. 414. 34 Eberl, Adel in Schwaben, S. 295. 35 Unter anderem Schmid, Familie und Sippe, S.  185–187; ders., Struktur des Adels, S.  248; Geuenich, Personennamengebung; ders./Runde, Namen; Sonderegger, Ahd. Schweiz, S.  44. Vgl. zudem Hartung (Namengebung, S. 23 f., 43–45) sowie für den forschungsgeschichtlichen Überblick Ubl (Verwandtschaft, insbesondere S. 8–18). Demgegenüber deutlich kritischer ist Goetz (Netzwerk, S. 289 f.). 36 Steuer, Strukturen im Frühmittelalter, S. 8–12. Ähnlich argumentiert Goetz (Europa im frühen Mittelalter, S. 316). 37 Steuer, Strukturen im Frühmittelalter, S. 27. 38 Morsel, Aristocratie médiévale, S. 7. Vgl. Müller/Schmieder, Historische Semantik, S. 299.

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In Frankreich wird für dieselben Gruppen selbstverständlich der Begriff «Eliten» benutzt,39 während dem Elitebegriff in Deutschland laut Goetz der unangenehme Nachgeschmack der Diskussion um Eliteuniversitäten etc. anhänge.40 «Das Thema ‹Eliten und ihre Räume› klingt für deutsche Mediävistenohren fremd. Statt von ‹Elite› ist in der Literatur zum Früh- und Hochmittelalter bisher normalerweise von den ‹Grossen des Reiches› oder einfach vom ‹Adel› die Rede; und ein Gutteil der jüngeren deutschen Forschung neigt zu der Ansicht, dass zumindest von der späten Karolingerzeit an die politische Ordnung wesentlich auf persönlichen Beziehungen zwischen König und Adel beruht habe. Über die Zugehörigkeit zur politischen Elite entschied aus dieser Sicht der persönliche Rang innerhalb des Adels, der seinerseits vor allem auf der familiären Herkunft und auf personalen Bindungen wie Freundschaften, Bündnissen oder Gebetsbünden beruhte und permanent in symbolischen Akten neu ausgehandelt und öffentlich sichtbar vorgeführt werden musste. Zugespitzt: Man gehörte zur politischen Elite, nicht weil man über einen bestimmten Raum, sondern weil man über die richtigen Beziehungen verfügte.»41 Ob sich dieser Begriff in Deutschland langfristig durchsetzen wird, wie es mitunter ebenzitierter Patzold hofft,42 bleibt offen. Der Elitebegriff soll in dieser Arbeit sowohl für geburtsständische als auch für leistungsbezogene Eliten verwendet werden, wie dies in Frankreich der Fall ist. So spricht beispielsweise Feller allgemein bei «groupes de domination» von Eliten.43 Dies konnte auch Geistliche betreffen, so unter anderem die von Patzold genauer betrachteten Landpfarrer, mit deren Wirken als lokale ‹Bildungselite› fernab des Hofes «die Vorgaben des Hofes und der Grossen an die populi christiani» weitervermittelt worden sein sollen und die dadurch womöglich eine wichtigere Rolle spielten, «als es unsere heutigen Darstellungen der Verfassungs- und Politikgeschichte des Frankenreichs erahnen lassen».44 Dass trotz grosser Verschiedenheit der frühmittelalterlichen Eliten dennoch stets der König im Zentrum stand, betont Le  Jan, die dabei allerdings hauptsächlich vom westfränkischen Teilreich beziehungsweise dem Westfrankenreich ausgeht. Sie definiert die politischen Eliten über Geburt, Prestige, Reichtum, Ehre, militärische Kompetenzen, Grösse und Bedeutung des Gefolges, Grundbesitz, Ämter sowie bis zum 6. Jahrhundert über eine ostentative Ressourcenverschwendung, die besonders stark an den Gräbern der Kriegerelite erkennbar sei.45 Erst durch das Hinzukommen neuer Bindungsmöglichkeiten (amicitia und Treue) sei es zwischen dem 7. und 9.  Jahrhundert möglich geworden, die «Konkurrenz in geordnete Bahnen» zu lenken. Dabei habe der König besonders zu Beginn durch seine mitunter schlichtende Einflussnahme kontrollierend eingreifen können und erhob sich dadurch zu einem zentralen und unverzichtbaren Element 39 40 41 42 43 44 45

Vgl. Wickham, Early élites, S. 7, 14–17; Loveluck, Definition, S. 21–25. Goetz, Eliten in der Forschung, S. 101–106. Patzold, Eigenkirchenkonzept, S. 225. Ders., Adel oder Eliten, S. 128, 133 f. Feller, Élites, S. 10. Patzold, Landpfarrer, S. 386, 391. Vgl. zudem Depreux, Introduction, S. 7. Le Jan, Kompetitiver Tausch, S. 97–99.

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im gesamten Machtgefüge. «In der karolingischen Ideologie wurde der König zum Dreh- und Angelpunkt des gesamten Tauschsystems, zum höchsten Verteiler materieller Ressourcen.»46 Ob dies auch für das Ostfrankenreich in dieser Weise zu sehen ist, geschweige denn für Schwaben, wage ich stark zu bezweifeln, doch gab es – wenn wir den König wegdenken – auch für die Eliten im Bodenseeraum wohl stets einen polarisierenden Dreh- und Angelpunkt. Es spielt vorerst keine Rolle, ob dies nun ein fränkischer Graf, Gesandter oder Pfalzgraf, der Konstanzer Bischof, ein rätischer Markgraf, die schwäbischen Herzöge oder eines der späteren bestimmenden schwäbischen Aristokratengeschlechter war. Viel entscheidender ist die Vorahnung, dass es sich bei diesen Führungspersönlichkeiten am ehesten um Personen aus demselben Kreis der lokalen Eliten handelte, die sich zwar ursprünglich durch hohe Geburt und Königsnähe von den anderen Menschen im Bodenseeraum beziehungsweise von ihren conprovinciales abhoben, die aber zunehmend stärker aufgrund ihrer militärischen Fähigkeiten als Kriegerelite die Führungsrollen in Schwaben übernahmen,47 und dies besonders stark seit dem 9./10. Jahrhundert. Die militärischen Überschneidungen von ‹Adel› und Kriegertum streicht auch Fleckenstein hervor. Er definiert den «Adel als sozial gehobene, Herrschaft ausübende oder an der Herrschaft beteiligte Führungsschicht», die sich in manchen, aber bei weitem nicht in allen Punkten mit dem Kriegertum «als kriegerische Lebensform» und «Gesamtheit der speziell für den Krieg gerüsteten waffentragenden Bevölkerung» überschnitt. Eine ständische Formung des Kriegertums als ‹Kriegerstand› hält Fleckenstein erst für die Zeit nach 1000 für realistisch, während die Krieger zuvor unterschiedlichen Schichten angehört hätten.48 Von Hörigen spricht er dabei freilich nicht, womit er bei Waffenträgern also automatisch von einer ‹natürlichen› Elite ausgeht. Wohl seien viele der damaligen Waffenträger ursprünglich ‹Unfreie› gewesen, doch seien diese durch ihren Waffendienst nicht mehr als solche zu sehen.49 Diese Argumentation erscheint einseitig und zeigt, wie unpassend in solchen Situationen die Argumentation mit ‹frei-unfrei› wirkt. Der Elitebegriff kann dagegen völlig geburtsunabhängig und rein auf die heraushebende Funktion fokussiert verwendet werden.50 ‹Funktionäre› In dieser Arbeit ist des Öfteren die Rede von Eliten im Sinne von Funktionseliten oder von politischen Eliten, wobei die Funktionsträger eher als ‹Funktionäre› betitelt werden. Der neutrale Begriff ‹Funktionär› kann sowohl Hörige als auch Aristokraten mit besonderen Aufgaben beziehungsweise Funktionen bezeichnen. In dieser Weise spricht zum Beispiel Feller bei villici von Funktionseliten.51 Funktionäre sollen 46 Ebd., S. 102–104. Dabei dürfte der König zumindest im Westfrankenreich einiges an faktischer Macht eingebüsst haben (dies., Royaume franc, S. 91–95). 47 Vgl. Duggan, Introduction, S. 4. 48 Fleckenstein, Kriegertum, S. 67–69. 49 Ebd., S. 87 f. 50 Hartung, Eliten, S. 10. Zur Theorie der Elite vgl. ebd., S. 10–14, sowie zur ‹Auslese› durch Fähigkeiten und Leistungen Patzold, Adel oder Eliten, S. 134. 51 Feller, Hiérarchies, S. 265.

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in diesem übertragenen Sinne keinesfalls im neuzeitlichen Sinne als rein ausführende Bürokraten oder ‹Werkzeuge› einer Oberschicht verstanden werden. In dieser Arbeit sind unter Funktionären ‹freie› wie ‹unfreie› Personen zu verstehen, die durch eine besondere Aufgabe beispielsweise als Verwalter in der klösterlichen familia oder durch eine besondere Funktion zum Beispiel als Boten eines Grafen aus der unbekannten Masse der schwäbisch-alemannischen Gesellschaft herausragen und deshalb gewissermassen zur Elite ihrer Umgebung gehören. An die standesneutrale Bezeichnung als Funktionäre anschliessend, lohnt sich ein Blick auf die gerade verwendeten Begrifflichkeiten ‹frei› und ‹unfrei›, die der Lesbarkeit zuliebe kaum vermieden werden können, wenn es um die Beschreibung einer alemannischen Kriegergesellschaft im frühen Mittelalter geht. Als beschreibende Begriffe sind ‹frei› und ‹unfrei› nicht nur zu pauschal und ungenau, sondern in vielen Fällen wohl auch völlig falsch in Gebrauch. Wir wissen nur in den allerwenigsten Fällen Bescheid über den tatsächlichen Status einer Person im frühen Mittelalter, und wie Rio in ihrem kürzlich erschienen Werk ‹Slavery after Rome› betont, scheint es auch die frühmittelalterlichen Zeitgenossen kaum interessiert zu haben, ob der Nachbar nun eher als ‹Freier› oder ‹Unfreier› zu bezeichnen wäre.52 Korrekterweise müsste ein unübersichtlich langer Katalog an zusammengesetzten Personenbezeichnungen mit zahlreichen Abstufungen bezüglich gegenseitiger Abhängigkeiten, Freiheiten, Vor- und Besitzrechte folgen, der – abgesehen von den rechtlichen Komponenten – in vielerlei Hinsicht unserer heutigen Gesellschaft gar nicht so unähnlich wäre. Besonders der nicht ganz korrekte Begriff ‹unfrei› lässt sich zur Erklärung zahlreicher Sachverhalte in folgender Arbeit leider nicht vermeiden, ein Umstand, auf den an anderer Stelle hingewiesen wird: «Dabei erweist sich die rechtsständische Gliederung in Freie und Unfreie als bequemes Einteilungsschema, das allerdings die für den sozialen Aufund Abstieg wichtigen Zwischenstufen verdeckt.»53 ‹Transformation› und ‹Revolution› Das 10. und 11. Jahrhundert sind stark geprägt von inneren Konflikten und verschiedenen Reformbewegungen. Auf der einen Seite stehen zahlreiche Versuche der eigenen Machtetablierung (Errichtung des neuen schwäbischen Herzogtums) sowie militärische Bedrohungen von aussen (Ungarneinfälle),54 während auf der anderen Seite kirchliche Reformbewegungen die grossen Reichsklöster zur Rückbesinnung auf ihre ursprünglichen monastischen Aufgaben anhalten und zum Frieden aufru 52 Rio, Slavery after Rome, S. 246. 53 Kaiser, Frühmittelalter, S. 149. 54 In dieser Arbeit wird nicht selten von ‹den Ungarn› die Rede sein, wobei keinesfalls das hochmittelalterliche Königreich Ungarn zu verstehen ist und wobei ebenfalls nicht der Eindruck entstehen soll, es handle sich um ein hierarchisch geordnetes Reich unter gemeinsamer Führung. Vielmehr muss von unabhängig voneinander agierenden magyarischen Reiterhorden unter kleineren Anführern, Häuptlingen oder ‹Warlords› ausgegangen werden, wie sie beispielsweise Fried (Normannenherrscher, S.  74–77) für die normannischen Plünderflottillen vermutet. Man konnte nicht einfach mit einem für alle verbindlichen ‹König› verhandeln, wie man dies aus dem eigenen Herrschaftsbereich kannte, sondern traf auf unabhängig agierende Anführer. Dies dürfte eine der Ursachen für die fränkische Hilflosigkeit gewesen sein. Zum ‹Mehrkönigtum› vgl. zudem Wolfram, Frühes Königtum, S. 59 f.

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fen. Die Zusammenhänge zwischen den Konflikten und Reformbemühungen werden insbesondere im 11. Jahrhundert immer offensichtlicher und die internen Auseinandersetzungen erreichen ihren Zenit in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts während der Wirren des ‹Investiturstreits›.55 Es ist naheliegend, dass reformerisches Gedankengut und insbesondere lange, blutige Auseinandersetzungen im Herzogtum Schwaben an der Gesellschaft nicht einfach so vorüberziehen. Stattdessen verursachen sie langwierige Veränderungen im grundsätzlichen Herrschafts- und Verwaltungsaufbau der Bodenseelandschaft sowie in der eigenen Wahrnehmung. Solche Erfahrungen können zu zahlreichen kleinen Mutationen in der hörigen Selbstwahrnehmung, im gräflichen Verantwortungsbewusstsein, in der klösterlichen Aufgabenzuteilung und zur tiefen Erschütterung alter, womöglich auf erbrechtlichen Sonderbefugnissen beruhenden Gesellschaftsstrukturen führen. Derartige Mutationen können wiederum in einer gesamthaften Transformation der schwäbischen Gesellschaft münden. Diese lassen sich so im Kleinen kaum nachvollziehen oder feststellen, sondern offenbaren sich nur über längere Zeitspannen hinweg. Mit dem Begriff der Transformation, der ausdrücklich keine plötzliche Revolution, sondern einen langwierigen Prozess beschreibt, werden in Bezug auf das frühe Mittelalter vor allem zwei Phasen beschrieben, nämlich der Übergang von der Spätantike ins frühe Mittelalter – in der Forschung ist die Rede von einer «Transformation des Römischen Reiches» anstelle eines Untergangs – und der Übergang ins hohe ‹feudale› Mittelalter mit dem Forschungsbegriff der «mutation féodale». Das trifft freilich nicht für alle Regionen des Kontinents in der gleichen Art und Weise zu und so gibt es auch innerhalb der europäischen Forschungsgemeinschaft markante Unterschiede. Zwischen 1993 und 1997 ist in einem internationalen und interdisziplinären Grossprojekt (European Science Foundation) unter anderem am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter der Leitung von Walter Pohl der alten Forschungsfrage nachgegangen worden, wie sich die «Umwandlung der römischen Welt» zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert gestaltete.56 Mit dem Titel «Transformation of the Roman World» beschäftigt sich das Projekt als Teil breiterer Forschungstätigkeit unter anderem mit der seit Henri Pirenne aufgeworfenen Streitfrage, ob wir es in der Völkerwanderungszeit mit ab 55 Lorenz (Klöster und Stifte, S. 90) betrachtet die Klosterreformen des 10. Jahrhunderts als Vorboten der Kirchenreformen des 11. Jahrhunderts. Vgl. dazu Zey, Investiturstreit, S. 22–26, sowie zusammenfassend den Konflikt zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. S. 50–77. Die Beweggründe des sogenannten Investiturstreits werden an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt. Vielmehr wird die Bezeichnung als Hilfsbegriff verwendet zur zeitlichen und politischen (kaiserbeziehungsweise papsttreu) Verortung. Als allgemein verständlicher Forschungsbegriff für einen Konflikt, der bei weitem nicht nur wegen der Einsetzung von Geistlichen geführt wurde (vgl. Sieber-Lehmann, Zwillinge, S.  38–41), wird der Terminus deshalb durchwegs in Anführungszeichen geführt. 56 Vgl. Projektseite der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, www.oeaw.ac.at/imafo/ arbeitsgruppen/archiv/transformation-of-the-roman-world (2. 6. 2017). In den 1960er-Jahren hatte es in den USA bereits ein grösseres Projekt zum Verständnis der Ereignisse während jener schlecht greifbaren Transformationsphase gegeben, und zwar unter der besonderen Beachtung von Gibbons ‹History of the Decline and Fall of the Roman Empire› aus dem Jahr 1782 (vgl. hierzu den Sammelband von White [Transformation, insbesondere S. v f.]).

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rupten Cuts,57 innenpolitischem Verfall oder einer nur anhand gewisser Schlüssel­ ereignisse wahrnehmbaren allmählichen Transformation zu tun haben.58 Bezüglich der gängigen Übergangstheorien ins Frühmittelalter findet Hagen Keller in seiner Untersuchung zum Raum zwischen Genfersee und Hochrhein in eben jener Zeit die treffenden Worte, indem er vom zeitlichen Denkmuster auf die kulturellen Begebenheiten verweist: «‹Spätantike› und ‹Frühmittelalter› können […] keine streng chronologischen Schemata sein. Mit diesen Begriffen bezeichnen wir Kulturstufen, die auf jeweils eigene Zentren bezogen sind.» So seien auch die spätantiken Randzonen wie das Gebiet der heutigen Schweiz mit der Zeit aus den alten Strukturen herausgelöst und durch monastische Prägung einem kulturell andersartigen Gesellschaftstypus zugeführt worden.59 Für lokale Machtträger wie comites, die besonders in der Erforschung des frühmittelalterlichen Alemanniens stets eine hohe Rolle spielen, bedeutet dies konkret, dass sie nicht einfach so aus dem Nichts auf dem ‹Parkett der karolingischen Grafschaftsverfassung› erschienen sind. Vielmehr haben wir mit einer Umstrukturierung, einer Transformation der lokalen Herrschaftsverhältnisse zu rechnen. Wie im zweiten Hauptteil zu den Grafen und Grafschaften zu sehen sein wird, nahmen Grafen nicht einfach nur ökonomische und fiskalische Aufgaben wahr, sondern hingen eng mit dem Militärwesen zusammen. Dies führte laut Esders besonders in Nordwestgallien dazu, dass auf der Grundlage lokaler spätrömischer Strukturen («Substrukturen») eine neue politische Raumordnung entstand. Dank der comites konnten die Merowinger als neue Herrscher zahlreiche Elemente der ehemals römischen Verwaltung übernehmen und auf spätrömische Ressourcen und Leistungen der Bevölkerung zurückgreifen. Dadurch ging das Römische Reich auf dem Gebiet des späteren Frankenreichs nicht einfach unter, sondern wurde beispielsweise durch die Übernahme der um das Jahr 500 dort noch stationierten Truppen transformiert.60

57 Eines der Gebiete der internationalen und insbesondere deutschen Limesforschung geht in dieselbe Richtung, wobei abgesehen von inneren Zerfallserscheinungen ebenfalls nicht von einem abrupten Limesfall – dem physischen ‹Überrennen› des Limes – als Ursache ausgegangen wird, sondern von einem allmählichen Einsickerungsprozess, worunter indirekt auch die Grenzsicherung durch germanische foederati fällt (Schallmayer, Limes, S.  9  f., 68; MeyerZwiffelhoffer, Imperium, S. 35–44; Hartmann, Merowinger, S. 13–16; Rosen, Völkerwanderung, S. 21 f., 29 f., 103–105). 58 Pirenne (Mohammed, insbesondere S. 284 f.) hinterfrage damit zugleich die alten, festgesetzten Epochengrenzen. Vgl. zudem White, Transformation; Contamine, Guerre au Moyen Age, S. 70–73, 108–110; Pohl, Barbarian successor states, S. 46 f.; Périn/Kazanski, Identity, S. 304–306, 327–329; Cameron, Cult and worship, S. 97, 110; Aurell, Noblesse en occident, S. 11–28; Wood, Transmission of ideas, S. 111 f., 119, 126; Fanning, Reguli, S. 52 f. Zur Forschungsgeschichte vgl. Fitschen (Spätantike, S. 27–34), zur aktuellen Forschung Steuer (Antike im Mittelalter, insbesondere S. 7–9) sowie themenspezifisch den weiteren Tagungsband zur Antike im Mittelalter (ebd.). Zur lokalen Erforschung vgl. Forschungsverbund «Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends in Südwestdeutschland» der Universität Freiburg im Breisgau (www.fvag. uni-freiburg.de [3. 8. 2018]). 59 Keller, Spätantike und Frühmittelalter, S. 25 f. 60 «Die merowingische Administration lässt sich zuvorderst als erweiterte Militärverwaltung verstehen, innerhalb derer offenkundig den comites die zentrale Rolle zufiel, vor Ort den königlichen Willen durchzusetzen. Denn sie waren es, die letztlich die Bevölkerung zum Kriegs-

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Doch wie sieht es – um Kellers Worte aufzunehmen – mit dem Übergang zur nächsten ‹Kulturstufe› aus? Versank die nachkarolingische Gesellschaft in einer «anarchie féodale», wie Morsel meint?61 Zum Verständnis des beginnenden hohen Mittelalters wurde der europäische ‹Feudalismus› – sofern ein solcher Begriff überhaupt überregional verwendet werden darf – seit Marc Bloch, Georges Duby und FrançoisLouis Ganshof immer wieder aufs Neue hinterfragt.62 Wie oben bereits angedeutet, regt der Umstand einer völlig differenzierten Gesellschaftssituation im frühen sowie im hohen Mittelalter ohne klar erkennbare Zeit des Wandels zum Nachdenken an und führt zwangsläufig zur Frage, wann dieser gesellschaftliche Wechsel erfolgt sei. Bloch hatte 1939 in seiner bis heute als Grundlagenwerk betrachteten Arbeit zur «société féodale» betont, dass die ab dem 10./11. Jahrhundert auftauchenden ‹Adelsgeschlechter› als Novum betrachtet werden müssten, da es zuvor schlicht keinen Adel gegeben habe.63 Duby stach insbesondere mit seinen frühen regionalen Untersuchungen zum Mâconnais hervor, worin er einige klassische Ansichten zum mittelalterlichen ‹Lehnswesen› und allgemein zu den lebensweltlichen Umständen um das Jahr 1000 als regionale Besonderheiten entlarvte, die so nicht pauschal zur Erklärung des ‹europäischen Mittelalters› herangezogen werden dürften,64 und die insbesondere von der deutschen Forschung zu starr juristisch, einheitlich und als für alle gleichermassen geltend eingestuft worden waren.65 Als wichtigen Faktor eines gesellschaftlichen und kulturellen Wandels Ende des 10.  Jahrhunderts sah Duby zudem die Gottesfriedensbewegung mit ihrer breiten Aufnahme und zahlreichen Auswirkungen bis ans Ende des 11.  Jahrhunderts, wozu neben den Kreuzzügen und dem ‹Investiturstreit› auch die Herausbildung einer zum Kampf privilegierten ‹Klasse von professionellen Kriegern› gehört habe, die sich vor allem durch das Tragen von Waffen abgehoben habe.66 Bloch, Ganshof und Duby gingen des Weiteren von einem Dezentralisierungsprozess im 10.  Jahrhundert aus, wonach der König – zumindest im Westfrankenreich – zum Ende des 10. Jahrhunderts in vielen Regionen keine Rolle mehr gespielt habe, was als eine der Kernthesen der «mutation féodale» gilt.67 Eine ähnliche Entwicklung könnte auch

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dienst heranzuziehen hatten» (Esders, Nordwestgallien, S. 344 f., 352, 354, 360; vgl. Le Jan, Famille et pouvoir, S. 124). Morsel, Aristocratie médiévale, S. 88. Ganshof, Féodalité, insbesondere S. 11; Reynolds, Fiefs and Vassals, insbesondere S. 1–14. Bloch, Société féodale, S. 398, 610–612. Bezüglich der Verwendung des neuzeitlich behafteten Begriffs ‹Adel› stimme ich dieser Ansicht zu, doch darf nicht vergessen werden, dass die archäologischen Befunde und Funde (vor allem Gräber) immer wieder Hinweise auf adelsähnliche Gruppen seit dem 5. Jahrhundert liefern (Steuer, Strukturen im Frühmittelalter, S. 8–12; vgl. ebenfalls Brather, Lokale Herren, insbesondere S. 593–597). In diesem Sinne würde ich erneut mit der Vorstellung eines minimalen Abhängigkeitsverhältnisses argumentieren, das gewisse repräsentative Ausstattungen ermöglichte. Dabei spreche ich bevorzugt neutral von Eliten beziehungsweise einer Aristokratie. Duby, Société mâconnaise, insbesondere S. 191–194. Kortüm, Kriege und Krieger, S. 133. Duby, Paix de Dieu, S. 228, 232; ders., Chevalerie, S. 329–331; vgl. Ganshof, Lehnswesen, S. 43 f.; Ohler, Pax Dei, S. 305–307. Bloch, Société féodale, S. 603–610; Ganshof, Lehnswesen, S. 48 f.; Duby, Paix de Dieu, S. 227–229; Dendorfer, Lehnswesen im Hochmittelalter, S. 19. Laut Le Jan (Continuity and Change, S. 53) ge-

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für Schwaben erwartet werden, doch dürfte spätestens mit den Wirren um den ‹Investiturstreit› klar werden, welche überregionale Schlüsselrolle Schwaben im Gesamtgefüge des Reiches und somit auch rund um das Königtum spielte. Die Wirren des ‹Investiturstreits› nahm Leyser gar als Anzeichen einer ‹ersten europäischen Revolution› wahr;68 eine etwas drastische Formulierung, die jedoch verstärkt auf die charakteristischen Umbruchserscheinungen jener Zeit verweist, welche auch in den hiesigen Untersuchungen im Zentrum stehen. Neuen Aufschwung erfuhren obige Forschungsfragen durch die Veröffentlichung eines Werkes mit dem Titel «La mutation féodale» durch Jean-Pierre Poly und Éric Bournazel,69 was eine internationale Diskussion ausgelöst hat70 und zuletzt auch im Rahmen einer Tagung zu «Konflikt und Wandel um 1100. Europa im Zeitalter von mutation féodale und Investiturstreit» im Zusammenhang mit den Ereignissen im Osten des ehemaligen Frankenreichs thematisiert wurde.71 Demnach wird der Wandel im 11.  Jahrhundert hauptsächlich auf herrschaftliche Fragmentierungsprozesse zurückgeführt, wenn auch Fragen von Freiheit und Unfreiheit eine ähnliche Rolle spielen.72 Als hauptsächliche Zeiten der Mutation werden je nach Region beispielsweise 980–1030 (Bloch und Duby), 990–1060 (Fossier) oder gar noch eingeengter die Zeit um 1060 (Bonnassie) genannt.73 In dieser Arbeit sollen diesbezüglich gesellschaftliche Veränderungen im Angesicht von Waffenträgern, Grafenherrschaften und tatsächlich ausgeübten Funktionen im Zentrum stehen und weniger die üblichen Standesvorstellungen. Für Schwaben frage ich dabei nicht nach einer ‹feudalen Mutation›, sondern neutral nach einem gesellschaftlichen Wandel, alleine schon um den gefährlichen und ne-

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hörten zu den wesentlichen politischen und sozialen Veränderungen des 10. Jahrhunderts die Beziehungen zwischen Königtum und Adel, die Transformation von Beziehungen und Umfeld des Königtums sowie die Entstehung der militia. Gegen die Dezentralisierung hält Kleinjung (Bedrohung, S. 16) die Beobachtung, dass äusserer Druck beziehungsweise ein gemeinsamer Feind doch eher zur Herrschaftsverdichtung und Zentralisierung beigetragen haben dürfte. Doch auch hier muss regional und fallbezogen beurteilt werden. Leyser, Revolution, S. 17–20. «Der sogenannte Investiturstreit war eine Revolution, deren Auswirkungen teilweise tiefer greifend waren als die der französischen oder russischen» (ebd., S. 26). Hierzu ist besonders die Diskussion um den Revolutionscharakter in Sieber-Lehmann (Zwillinge, S. 16–32) empfehlenswert. Poly/Bournazel, Mutation, insbesondere S. 402–407, sowie an Bloch anschliessend S. 131 f. und zur Gottesfriedensbewegung S. 145–171, welcher beide sehr viel Verantwortung zuschreiben. Als Kernthese fungiert auch hier eine reichsweite Dezentralisierung (ebd., S. 20–22). Die hitzige Diskussion in der Zeitschrift ‹Past & Present› wurde unter dem deutlich weniger objektiven Begriff der «feudal revolution» zwischen Thomas N. Bisson (Feudal Revolution; Reply), Dominique Barthélemy zusammen mit Stephen D. White (Feudal Revolution) und Timothy Reuter zusammen mit Chris Wickham (Feudal Revolution) geführt. Zur Verteidigung von «revolution» im Gegensatz zu «mutation» vgl. Bisson, Feudal Revolution, S. 9; ders., Reply, S. 224 f.; Barthélemy/White, Feudal Revolution, S. 197. Vgl. zudem Halsall, Violence and society, S. 4–6. Vgl. Programm, www.mittelalter.uni-tuebingen.de/files/2014_10_30_Konferenz_Konflikt-Wandel_Flyer-II.pdf (3. 8. 2018) sowie die Habilitationsschrift von Thomas Kohl (Konflikt und Wandel). Poly/Bournazel, Mutation, S. 119–143. Bisson, Feudal Revolution, S. 6–8. Vgl. ebenfalls Bonnassie, Fiefs et féodalité, S. 13–17.

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gativ behafteten frühneuzeitlichen Kampfbegriff ‹Feudalismus› zu umgehen.74 Doch wann im hiesigen Kernuntersuchungsgebiet von einem solchen Wandel die Rede sein kann, lässt sich höchstens auf einen Zeitraum eingrenzen, der zufälligerweise als quellenarm gilt. Doch ist dies wirklich als Zufall zu betrachten? Dass mit dem gesellschaftlichen Wandel oft auch ein institutioneller Wandel und somit ein Rückgang von Verwaltungstätigkeit einhergeht, wie für den Fall Schwabens beobachtet werden kann, erscheint mehr symptomatisch als zufällig. Des Weiteren wirken die theoretischen Grundsätze der «mutation féodale» für den vorliegenden Untersuchungsraum insbesondere aufgrund der stark abweichenden Terminologie in den zeitgenössischen Quellen als unbrauchbar. Dabei würden die oben genannten Zeitabschnitte zwar für Schwaben ganz gut passen, doch sind es dennoch andere Ereignisse, welche den für Südfrankreich zugeschriebenen Epochen zugrunde liegen. Für das frühmittelalterliche Schwaben sind beide Übergänge trotz der Alemanneneinfälle im 3. Jahrhundert und der Auseinandersetzungen im 11. Jahrhundert als allmählicher Wandel und nicht als ‹Revolution› zu sehen und in beiden Übergangszeiten hat sich die Bevölkerung allmählich mit den neuen Begebenheiten arrangiert. Von einer Kriegergesellschaft ist in dieser Arbeit die Rede, weil damit stets das Attribut des Waffentragens mitschwingt und damit unterstrichen werden soll, dass es nicht nur um das historistische Beschreiben der Elite geht, sondern darum, zu zeigen, dass je nach Situation selbst die Teile der schwäbischen Bevölkerung eine Waffe trugen, von denen man es überhaupt nicht erwartet hätte. Das wirklich revolutionäre an dieser Kriegergesellschaft scheint die Zugehörigkeit von Hörigen gewesen zu sein.

1.3

Schriftliche Überlieferung in Schwaben […] und wer dies tun will, leiste durch eine Urkunde über seine Güter der Kirche, an die er sie geben will, Sicherheit und ziehe sechs oder sieben Zeugen bei, und es sollen deren Namen in jeder Urkunde enthalten sein, und vor dem Priester, der an jener Kirche dient, lege er sie auf den Altar, und das Eigentum an diesen Gütern stehe für immer jener Kirche zu.75

Diese Anleitung zur Güterübertragung an die Kirche unter der legitimierenden Hinzuziehung von sechs bis sieben Zeugen entstammt der lex Alamannorum aus dem beginnenden 8. Jahrhundert und lässt sich auf den Grossteil der St. Galler Urkunden im untersuchten Zeitraum anwenden. Dies zeigt, wie einheitlich die Ausfertigung derselben selbst über Jahrhunderte geführt wurde. Solche Rechtsdokumente können damit über einen längeren Zeitraum in besonders ‹neutraler› Art und Weise Auskunft geben über eine Reihe gesellschaftlicher Termini. Die besonders gute Quellenlage in St. Gallen macht das dortige Stiftsarchiv somit zum geeignetsten Ort, eine Untersuchung

74 Vgl. Kuchenbuch, Feudalismus, insbesondere S. 295. 75 Übersetzung von Schott (Lex Alamannorum, S. 75). […] et qui voluerit facire, per carta de rebus suis ad eclesia, ubi dare voluerit, firmitatem faciat et testes sex aut septem adibiat, et nomina eorum in ipsa carta conteniant, quoram sacerdote, qui ad illam ecclesiam deservit, super altare ponat et proprias de ipsas res ad illa ecclesia in perpetuo permaniat (ebd., S. 74).

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zur schwäbischen (Krieger-)Gesellschaft durchzuführen. Die Urkunden enthalten als zuverlässiges Quellenmaterial nur die notwendigsten Formulierungen zu Abschluss und Legitimierung von Rechtsgeschäften. Aufgrund der ähnlichen Urkundenformulare und Datierungsvarianten können semantische Eigenheiten über eine Zeitspanne von knapp drei Jahrhunderten (700–1000) vor einem vergleichbaren Hintergrund beobachtet werden. Dabei wird nicht nur die gesellschaftliche Stellung der Hauptakteure des Rechtsgeschäftes ersichtlich, sondern auch die der anwesenden Zeugen, der zuständigen Grafen und Funktionäre, und die der als ‹Verhandlungsgut› genannten Menschen. Die dabei verwendeten Begriffe standen dem zeitgenössischen Vokabular wohl am nächsten. Zur Untersuchung der frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens sind die lokalen Urkunden demnach von zentraler Bedeutung. Dagegen sind in den erzählenden Quellen eher selten strikte Formalia und Formulare zu beobachten und der Wert wurde eher auf die literarische Ausführung gelegt. Betrachten wir einige Formulierungen in Ekkeharts IV. Klostergeschichten, so sehen wir klar, wie die ‹private› Lektüre das persönliche Vokabular unserer Urkundenschreiber beeinflusst haben könnte. So dürfte nicht zuletzt Ekkeharts Lektüre römisch-antiker Texte für Formulierungen wie Tales cum essent tres isti nostrȩ reipublicae senatores76 verantwortlich gezeichnet werden, wenn er vom Einfluss der drei bedeutenden St. Galler Mönche Notker, Tuotilo und Ratpert berichtet. So wird das für frühmittelalterliche Belange eingeschränkte lateinische Vokabular wohl automatisch durch klassische Begriffe ergänzt worden sein; irgendwie mussten die vernakularen Begriffe und zeitgenössischen Zustände schliesslich in der damaligen lingua franca festgehalten werden. Demnach sind der Mangel an alternativen beziehungsweise ‹mittellateinischen› Bezeichnungen sowie die Kontinuität spätantiker Amtsund Funktionenbezeichnungen für das Auftauchen der römisch anmutenden Titulaturen verantwortlich.77 Die betreffenden Mönche werden sich intensiv mit den Kirchenvätern und den wichtigsten Kirchenrechtstexten auseinandergesetzt haben, und so unter anderem mit den Werken des Isidor von Sevilla vertraut gewesen sein. Durch die Wiedergabe von deren Vokabular, ganz abgesehen von der Bibel als wichtigstem aller Bücher, wird auch das betreffende zentrale Vokabular seine Kontinuität erlebt haben, und dies zum Teil in wortgetreuen Zitaten. Zu gewissen Ämtern und Funktionen kannten Autoren wie Notker Balbulus in erster Linie die römischen Amtsbezeichnungen und verwendeten diese für ähnlich anmutende zeitgenössische Tätigkeiten und Funktionen. So vergleicht er einige Chargen in bischöflichen Diensten mit denjenigen apud antiquos Romanorum.78 Doch nicht nur die Mönche in den Klöstern schrieben, sondern auch Landgeistliche und selbst Laien. Nach einer Verordnung Theodulfs von Orléans, einem Berater Karls des Grossen, sollten alle Priester in ihren Ortschaften und Dörfern Schreibund Leseunterricht erteilen und für den unterrätischen Gerichtsort Rankweil ist gar eine solche Schule bezeugt. Wir können also auch mit ausserklösterlichen Schrei 76 Ekkehart IV., Cas. s. Gall, cap. 35. 77 Vgl. Hechberger, Adelsheil, S. 437 f. 78 Gewisse ministerii zählt Notker (Gesta Karoli I, cap. 18) zu den römischen Ädiliziern: cuius dignitatis aut ministerii viri apud antiquos Romanorum ediliciorum nomine censebantur.

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bern rechnen.79 Der Beitrag der ausserklösterlichen Schreiber an der heutigen Überlieferung lässt sich allerdings kaum mehr messen und dürfte im Gegensatz zur klösterlichen Schriftlichkeit eher bescheiden ausgefallen sein. Doch selbst innerhalb der Klöster dürfte der Bildungsstand teilweise stark variiert haben und die verschiedenen Mönche mit ihren unterschiedlichen Interessen und Hintergründen verwendeten teilweise für dieselbe Sache einen anderen lateinischen Begriff. So bedarf es aufgrund der Einzigartigkeit der Terminologie in jeder Kleinstregion des fränkischen Reiches sowie des für hiesige Untersuchung bedeutsameren Ostfrankenreichs einer eigenen Interpretation der massgeblichen Begriffe. Derartige Beobachtungen für den Bodenseeraum werden gegen Ende als Teil der Ergebnisse in Form eines Glossars dargestellt. Was dabei mehr als ‹Begriffsgeschichte› anstelle einer Untersuchung der alemannischen Kriegergesellschaft wirkt, ist notwendig zur Erschliessung und Nachvollziehbarkeit der zeitgenössischen lebensweltlichen Umstände. Zum Rückgang der urkundlichen Überlieferung im 10. Jahrhundert Das plötzliche Fehlen einer mit dem 8. und 9. Jahrhundert vergleichbaren urkundlichen Überlieferung in St. Gallen nach 913 macht eine gleichmässige Untersuchung der schwäbischen Kriegergesellschaft besonders für das zentrale 10. Jahrhundert zur besonderen Herausforderung. Erklärungsversuche für diese besondere Situation im 10. Jahrhundert gibt es zahlreiche, doch auch hier muss wohl dezidiert nach der jeweils betroffenen Region unterschieden werden. Körntgen postuliert einen allgemeinen Rückgang der ostfränkischen Schriftlichkeit, den er vor allem in den symbolischen Handlungen zur Übertragung von Besitz oder der Verleihung von Rechten begründet sieht, welche seit Mitte des 9. Jahrhunderts immer wichtiger wurden.80 Zotz spricht von einem Rückgang der Urkundenausstellung für ganz Alemannien, was sich erst mit der zunehmenden Bedeutung der Alpenübergänge für das ostfränkische Königtum wieder gebessert haben soll, womit zwar die Veränderungen in der Urkundenausstellung durch die königliche Kanzlei erklärt wäre, nicht aber jene der ‹privaten› Rechtsgeschäfte.81 Des Weiteren spricht Angenendt vom allgemeinen Niedergang der Klöster aufgrund des seit den späten Karolingern aufkommenden Laienabbatiats.82 Man kann allerdings von keinem allgemeinen Rückgang der Schriftlichkeit sprechen, denn diese Aussage ist so nur für das Verwaltungsschriftgut zutreffend. In und nach der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ist zwar ein Rückgang der dokumentarischen Quellen zu verzeichnen, gleichzeitig erlebten jedoch historiografische Aufzeichnungen im 10. und 11. Jahrhundert scheinbar einen Aufschwung.83 Doch worin lag der urkundliche Überlieferungsrückgang begründet? Waren es äussere Gefahren wie die Ungarneinfälle, eine Schwächung der Königsmacht beziehungsweise das Ende des karolingischen Königtums im Ostfrankenreich oder das Erstarken lokaler Kräfte? Auch wenn die Ungarneinfälle an sich als Lösung für einen 79 80 81 82 83

Erhart, Schutzherr, S. 264 f.; ders., Schreibschule, S. 273–275; ders., Puerili pollice, S. 175–178. Körntgen, Ottonen und Salier, S. 27. Zotz, Breisgau, S. 31–34, 39. Angenendt, Frühmittelalter, S. 418. Ettel, Befestigungsbau, S. 365.

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kurzweiligen ökonomischen und kulturellen Niedergang im ersten Moment zu trivial erscheinen, weist Oberholzer nicht zu Unrecht darauf hin, dass beispielsweise Schenkungsurkunden in St. Gallen für die Zeit bis 92684 zahlreicher vorhanden sind als nach dem Ungarneinfall.85 Vogler bemerkt, dass dieser Schnitt für die Zeit um 950 noch ausgeprägter war und ein monokausaler Zusammenhang zwischen Ungarneinfällen und Überlieferungslücken nicht gegeben ist.86 Für andere Klöster lassen sich ähnliche Beobachtungen machen: Heufelder schreibt für das Kloster Niederaltaich vom Niedergang der Abtei im ‹Jahrhundert der Ungarnstürme› und von neuer Blüte am Übergang vom 10. zum 11.  Jahrhundert aufgrund klösterlicher Reformen.87 Nachrichten über Niederaltaich beziehungsweise die Produktion der Abtei selbst sind in dieser Zeit fast völlig verstummt.88 In direkter Weise seien viele Klöster den Ungarneinfällen erlegen, darunter Ebersberg, Benediktbeuren, St. Veit, Weihenstephan und Wessobrunn.89 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Caro eine mögliche Erklärung für den Rückgang der Schriftbestände in St. Gallen präsentiert, die wohl auch für andere Klöster anwendbar ist: Er sieht die schwache Produktion von Urkunden im Zusammenhang mit den Neuerungen durch die cluniazensische Reform und dem ‹Überwiegen der Askese›.90 In ähnlicher Weise äussert sich auch Zettler: «Angesichts der Ausplünderung und Herabwürdigung der Klöster seitens der Feudalherren und durch fremde Krieger und Völkerschaften wie Ungarn, Sarazenen (in Italien) und Normannen begann das Mönchtum sich neu zu orientieren und wieder stärker zu den Wurzeln seiner religiösen Lebensform zurückzufinden.»91 Die Ungarneinfälle würden damit also nicht den Hauptgrund für den Rückgang des kulturellen Outputs darstellen. Dennoch dürfen deren Auswirkungen nicht unterschätzt werden. Betrachten wir nämlich die äusserst prominenten Zeugen in der St. Galler Immunitätsbestätigung von 90392 etwas genauer, so fällt auf, dass zahlreiche dieser Aristokraten aus Schwaben, Bayern und Franken in den darauffolgenden Jahren in den unterschiedlichen Abwehrschlachten gegen ungarische Reiter gefallen sind. Für lokale Aristokratenfamilien sowie für die breitere Kriegergesellschaft müssen diese Einfälle tiefgreifende Eindrücke hinterlassen haben und sind mit grosser Sicherheit an der weiteren Militarisierung und Transformation von und in Schwaben mitverantwortlich. Dies war einer gut funktionierenden Verwaltungsschriftlichkeit wohl kaum zuträglich. Kohl 84 Die Ungarneinfälle vom 1. Mai 926 als Zäsur für die urkundliche Überlieferung in St. Gallen heranzuziehen, scheint gewagt, zumal eine Urkunde vom 26. Mai 926 überliefert ist, worin ein Gütertausch in der üblichen Weise vollzogen wird (Chart. Sang. II, n. 835). 85 Oberholzer, Eigenkirchenwesen, S. 51, 54. 86 Vogler, Ungarn, S. 16. Duby (Krieger und Bauern, S. 157) schrieb zu den Folgen der invasionsbedingten Schäden: «Den grössten Schaden erlitten die kulturellen Institutionen, insbesondere die Klöster. Aus diesem Grunde ist die besagte Zeit denn auch so arm an schriftlichen Zeugnissen.» 87 Pfister, Niederaltaich, S. 3. 88 Stadtmüller, Niederaltaich, S. 91. 89 Ebd., S. 86. 90 Caro, Verfassungsgeschichte, S. 49. 91 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 103. 92 Chart. Sang. II, n. 772.

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setzt den Anfang dieser Krise gar noch etwas früher: «Die Jahrzehnte um 900 […] waren eine krisenhafte Zeit, ähnlich wie an anderen Orten im zerfallenden fränkischen Grossreich. Einfälle der Magyaren, Konflikte zwischen den Königen und der entstehenden Regionalgewalt Herzog Arnulfs und eine mehrjährige Schlechtwetterphase führten zu Wüstungen und dem Untergang vieler Klöster.»93 Bernhard Zeller hat sich in seinem Beitrag zur Tagung «Das lange 10. Jahrhundert» ausführlich mit der «Krise der Schriftlichkeit» beschäftigt und hält dabei ebenfalls fest, dass sich der Übergang von der karolingischen zur nachkarolingischen Zeit besonders markant im St. Galler Urkundenbestand als zeitliche Parallele wiederfinden lässt. «Die in Alemannien politisch wechselreichen und turbulenten Jahre 911–917, aber nicht zuletzt auch das energische politische Engagement des Konstanzer Bischofs Salomon in dieser Zeit mögen sich auf die Güterübertragungen an das von ihm geleitete Kloster St.  Gallen negativ ausgewirkt haben und so zum Teil den Rückgang der aus diesen Jahren erhaltenen St. Galler Privaturkunden erklären.»94 Nach Salomos Tod sollen dann die Machenschaften des neuen Herzogs Burchard I. sowie die Ungarneinfälle hemmend gewirkt haben, was ebenso wie Salomos Wirken nicht wirklich schlüssig wirkt für den enormen Urkundenrückgang, zumindest kann dies kaum als einzige Ursache gesehen werden. Der verheerende Klosterbrand in den 930er-Jahren wirkt als langfristiges Hemmnis plausibler, da sich damals zahlreiche Mönche für immer von der Gemeinschaft verabschiedeten. Da sich die Gemeinschaft allerdings spätestens zur Mitte des 10. Jahrhunderts wieder vollständig erholt hatte, kann auch der Brand nicht als längerfristige Ursache für den Urkundenrückgang des 10. und 11. Jahrhunderts herhalten.95 Zeller vermutet hinter dem Rückgang eine sehr viel tiefer liegende Ursache: Die St. Galler Grundherrschaftsverwaltung habe seit dem späten 9.  Jahrhundert zahlreiche destabilisierende Veränderungen formaler und verwaltungstechnischer Art (Bedeutungsverlust der Aussenpröpste) durchgemacht. Zudem seien die früher so zahlreichen Güterübertragungen markant zurückgegangen. «Eine Erklärung für die Abnahme der St. Galler Urkundenproduktion ist also ein tatsächlicher Rückgang von Güterübertragungen in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, wobei neben diesen quantitativen ‹Grenzen des Wachstums› auch qualitative Limitierungen in der Übertragungspraxis eine entscheidende Rolle gespielt haben.»96 Der Rückgang liesse sich also womöglich unter Zusammensetzung aller oben genannten Elemente erklären. Die abnehmende Quantität wie Qualität der Güterübertragungen Ende des 9. Jahrhunderts hatten die St. Galler Grundherrschaft zum Bröckeln gebracht, während die zuständigen Aussenverwalter zunehmend der Kontrolle des Klosters entglitten. Die heftigen Auseinandersetzungen während der Bruderkriege in den 910er-Jahren sowie die zerstörerischen Ungarneinfälle bis 926 könnten die Grundlagen der St.  Galler Grundherrschaft schliesslich auch physisch stark beschädigt haben und der Klosterbrand in den 930er-Jahren führte schliesslich 93 94 95 96

Kohl, Gross- und Kleinfamilien, S. 168. Zeller, Krise und Schriftlichkeit, S. 295 f. Vgl. ebd., S. 298. Ebd., S. 298–300.

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für mehrere Jahre zur ‹Unverwaltbarkeit› der St. Galler Güter, da St. Gallen als eine der wenigen Abteien noch hauptsächlich auf die eigenen Mönche vertraute, die infolge der Not nach dem Brand den Konvent in Scharen verliessen. War also ein ‹Personalmangel› schuld an der schwachen Überlieferung? Die St. Galler Klostergemeinschaft, welche spätestens Mitte des 10. Jahrhunderts wieder aufblühte, könnte in den folgenden Jahrzehnten damit beschäftigt gewesen sein, ihren alten Besitz zu restituieren, bis es in den Verherrschaftlichungsprozessen des 11. Jahrhunderts zu weiteren grundlegenden Veränderungen in der Güterverwaltung sowie zu unzähligen Konfiskationen von Klostergütern während des ‹Investiturstreits› kam. Die ebenfalls angesprochene Rückbesinnung auf die eigentlichen Aufgaben der Mönche könnte zudem während der Mitte des 10. bis weit ins 11. Jahrhundert hinein dafür gesorgt haben, dass eine Grundherrschaft – wie sie in St. Gallen besonders im 9. Jahrhundert zu finden war  – gar nicht erst aufs Neue angestrebt wurde.97 Die verkleinerte Güterverwaltung würde zudem erklären, warum es einerseits zwar weniger Urkunden gab, andererseits aber die historiografische Überlieferung besonders während des 10. und 11. Jahrhundert derart anwuchs. Zur Auswahl der Quellen Für Alemannien und den Bodenseeraum des 8. bis 11. Jahrhunderts dienen einerseits Schriftquellen, andererseits archäologische Befunde und Funde.98 Mit dem Archiv des ehemaligen Klosters St. Gallen stehen für die Zeit vor dem Jahr 1000 sagenhafte 865 originale Urkunden zur Verfügung, die zusammen mit den Beständen aus den Staats- und Diözesanarchiven Süddeutschlands und der Schweiz eine fundierte Untersuchung für das Gebiet des ehemaligen Herzogtums Schwabens ermöglichen. Die St.  Galler Urkunden von 700 bis 1000 wurden für das Chartularium Sangallense I und II neu ediert und erlauben mir als Mitbearbeiter einen besonders tiefen Einblick in einige der zentralsten Quellen des frühmittelalterlichen Schwaben.99 Neben den rechtlichen Dokumenten dienen auch verschiedene Klosterannalen und -chroniken als Quellen. Alle diese schriftlichen Quellen helfen zur Erfassung insbesondere der kriegerischen Elemente aber nur bis zu einem gewissen Grad weiter, worauf schon Ganshof hingewiesen hat.100 Zum Verständnis einer Kriegergesellschaft gehört des 97 Vgl. hierzu Sprandel (Verfassung, S.  137): «Das Abbrechen der Urkunden am Beginn des 10. Jahrhunderts, als das Kloster in seiner Blüte stand, ist als Zeugnis dafür zu nehmen, dass die Bewegung, der das Kloster seine Schenkungen zu verdanken hatte, zu Ende gegangen war. Das karolingische Reich war zusammengebrochen. Desgleichen waren vielleicht Veränderungen im Bereich der Frömmigkeit vor sich gegangen.» 98 Eine hervorragende Übersicht über die früheren Alamannen, die meine Arbeit ansonsten nur peripher berührt, bietet das siebenbändige Werk «Quellen zur Geschichte der Alamannen». Mit Cassius Dio beginnend, über Gregor von Tours, die Otmarsvita, zahlreiche Annalen sowie viele weitere Schriftquellen bis Paulus Diaconus führt die Quellenauswahl, wozu auch Inschriften und Münzen gehören, auf die Spur der frühen Alamanni (Gottlieb, Quellen zur Geschichte I–VII). Die Ausschnitte späterer Chronisten wie Hermann von Reichenau betreffen darin ebenfalls nur die ‹Frühzeit› der Alemannen (ebd. IV, S. 59–62). Abgesehen von den Ausführungen zur Entwicklung im Bodenseeraum bis zur Zeit von Gallus’ Wirken, sind jene frühen Quellen allerdings hier nicht weiter von Belang. 99 Chart. Sang. II. 100 Ganshof, L’armée carolingienne, S. 110.

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halb unbedingt die Betrachtung von militärischen Anlagen, befestigten Fürsten­ sitzen und anderen archäologischen Befunden. Dazu gibt es zwar ebenfalls schriftliche Nennungen, doch ist man insbesondere im Frühmittelalter auf die Mittelalterarchäologie angewiesen. Für das Dissertationsvorhaben werden somit auch zahlreiche Grabungsberichte aus Baden-Württemberg, Vorarlberg und der Nordostschweiz inklusive Graubünden von grosser Bedeutung sein.101 So erlauben beispielsweise die von Berthold von Reichenau genannten ensiferi (Schwertträger)102 einerseits eine ständische Unterscheidung zu den schwertlosen Waffenträgern, finden andererseits aber ihre Entsprechung in frühmittelalterlichen Gräbern von schwerttragenden Kriegern, deren reiche Grabausstattungen unsere Vorstellung vom schriftlich erwähnten ensifer prägen und ergänzen. So kann mit Hilfe der Archäologie und mit Abbildungen aus zeitgenössischen Codices von den rein historischen Begriffen wieder auf die lebensweltlichen Umstände geschlossen werden. ‹Mutation documentaire› Eine Transformation liesse sich am besten durch die Auswertung lediglich einer einzelnen Quellengattung – zum Beispiel Urkunden – bewerkstelligen, da Veränderungen innerhalb einer ansonsten gleichartigen Schreibweise und -intention leichter erkennbar sind als beim Vergleich von unterschiedlichen Quellengattungen – zum Beispiel Urkunden und Chroniken –, die sich bereits formal stark unterscheiden. Für den hiesigen Untersuchungsraum des 9. bis 11. Jahrhunderts ist eine zeitübergreifende Untersuchung derselben Quellengattung jedoch nicht möglich. Denn für das lokale 9. Jahrhundert sind zwar sehr viele Urkunden überliefert, aber praktisch keine Chroniken, für das 10. Jahrhundert kennen wir nur wenige Urkunden und (zumindest was Schwaben betrifft) fast keine Chroniken103 und für das 11. Jahrhundert verfügen wir über praktisch keine Urkunden, dafür über viele Chroniken.104 Zur Untersuchung einer möglichen ‹mutation féodale› in Alemannien müsste also erst eine ‹mutation documentaire› überwunden werden. Gewisse Elemente sind freilich weniger von den unterschiedlichen Quellentypen betroffen, wenn es beispielsweise um die Frage der alemannischen Grafenkontinuität geht, denn Grafen lassen sich im 11. Jahrhundert zwar nicht mehr urkundlich fassen, wohl aber über Chroniken und zum Teil über Annalen. Während historiografische Überlieferungen mehr über die jeweiligen Eigenschaften eines genannten Grafen auszusagen vermögen, ermöglichen die ansonsten einfachen und unliterarischen Urkunden eine terminologische und semantische Beobachtung ein und derselben Personengruppe. Urkunden gestatten zudem eine Untersuchung derselben Termini über einen längeren Zeitraum 101 Wenn auch die Archäologie für meine Kernzeit von einer fundarmen Zeit spricht (BoschettiMaradi, Fundkomplexe, S. 476 f.). 102 Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 272. 103 Die wenigen verwendbaren Quellen sind nicht auf dem Gebiet des Herzogtums Schwaben entstanden, können terminologisch also nicht gleichermassen herangezogen werden. Zur Geschichtsschreibung in der oralen Gesellschaft des 10. Jahrhunderts vgl. Althoff, Inszenierte Herrschaft, S. 124 f. 104 Zur Quellenlage vgl. ergänzend Dendorfer, Lehnswesen im Hochmittelalter, S. 29.

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hinweg – sofern die Überlieferung in etwa gleich ausgeprägt ist –, während Chroniken in einem wesentlich kürzeren Zeitraum entstanden sind und somit in sich selbst kaum Indizien für einen semantischen Wandel bereithalten können. Um Chroniken dennoch in dieser Weise nutzbar machen zu können, bräuchte es eine grössere Anzahl weiterer solcher Quellen aus anderen Jahrzehnten, allerdings ist die Anzahl alles andere als ausreichend und vor dem 11. Jahrhundert sind derer nur wenige erhalten geblieben. Annalen könnten aufgrund ihrer Entstehungsart und -zeit eher für längerfristige Untersuchungen herangezogen werden, wurden sie doch – zumindest im Fall der annales Alamannici – mit grosser Wahrscheinlichkeit jährlich fortgeführt. Allerdings geben Annalen inhaltlich weniger her, da sie nur die wesentlichen historiografischen Ereignisse nennen und dabei sparsam sind mit den für die hiesige Untersuchung zentralen Termini, insbesondere was Personen im ‹unfreien› Bereich betrifft. Für die gerade genannten annales Alamannici kommt erschwerend hinzu, dass sie nur bis ins erste Drittel des 10. Jahrhunderts geführt wurden, eine Zeit also, die quellentechnisch bereits durch die Urkunden abgedeckt wird. Letzteres könnte allerdings die Möglichkeit bieten, den Wert verwendeter Termini in historiografischen denjenigen in diplomatischen Quellen gegenüberzustellen. Die betreffenden Annalen, als Gattung zwischen den ‹trockenen› rechtlich fokussierten Urkunden und den zum Teil sehr literarisch überformten Chroniken, beinhalten jedoch ausser Jahreszahlen, Orts- und Personennamen sowie Kurzangaben zu Kriegen, Königswahlen und Todesfällen nicht viele verwertbare Informationen und vor allem kaum weiterführende Titulaturen und Personenbezeichnungen wichtiger Funktionäre, geschweige denn von Personengruppen unterhalb der Eliten. Die annales Alamannici werden zwar herangezogen, aber nur in kritischen und unklaren Fällen. Dasselbe gilt für die lex Alamannorum,105 die zwar punktuell genau betrachtet wird, wozu aber keine Vollauswertung wie im Falle genannter Chroniken und Urkunden erfolgen soll. Schwäbisch-alemannische Chroniken des 9. und 11. Jahrhunderts Als momentan augenscheinlichste Lösung bietet sich ein Brückenschlag zwischen den Chroniken des Ratpert im 9.  Jahrhundert und Ekkeharts IV. aus dem 11.  Jahrhundert an, um über die Kontinuität und Diskontinuität von Terminologie und Semantik ausgewählter Personengruppen nachzudenken.106 Da es sich in beiden Fällen um St. Galler Quellen handelt, kann auch die Gefahr eines anderen beziehungsweise eines ‹fremden› Schreib- und Überlieferungsstils verkleinert werden. Für spezifische Fragen zum 11. Jahrhundert wird zudem die anonyme Fortsetzung von Ekkeharts IV. Chronik hinzugezogen.107 Für die Zeitspanne vom 9. bis 11. Jahrhundert 105 Zu pactus und lex Alamannorum vgl. Lendi, Annales Alamannici sowie Schmidt-Wiegand, Recht, S. 269–271. 106 Ratpert, Cas. s. Gall.; Ekkehart, Cas. s. Gall. Zur Datierung und Einordnung der St. Galler Klosterchronistik vgl. unter anderem Tremp, Ekkeharts Casus, S. 245–249. Als Terminus ante quem nennt ders. (ebd., S.  246) Ekkeharts Tod um 1057, was sich unten aufgrund des Berichtzeitraums noch als wichtig herausstellen wird. 107 Leuppi, Cas. s. Gall. cont.

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könnten die Urkunden in diesem Zusammenhang vor allem ergänzend, bestätigend und vertiefend von Nutzen sein, während sie für die Zeit vom 8. bis Anfang 10. Jahrhundert aufgrund ihrer fast lückenlosen Überlieferung gar die oben genannte Funktion der Chroniken übernehmen können.108 Um eine gewisse Aussagekraft für das ganze Herzogtum Schwaben zu erhalten, sollen in der folgenden Untersuchung auch zwei Chroniken des Klosters Reichenau aus dem 11. Jahrhundert betrachtet werden, nämlich Hermann der Lahme und seine Weltchronik109 sowie die Fortsetzung jener Chronik durch Berthold von Reichenau.110 Hinzu kommt die Urkundenüberlieferung des Klosters Rheinau und Rätiens bis ins 10. Jahrhundert. Die Reichenauer Chroniken bieten sich auch aus ideologischer Sicht als gute Ergänzung zu denjenigen aus St. Gallen an, da das Kloster Reichenau über die meiste Zeit hinweg als wesentlich reformbereiter und papstfreundlicher gilt als das ‹konservative› und königstreue Reichskloster St. Gallen. Wenn zuvor die Rede davon war, dass Chroniken die funktionale Rolle der Urkunden als Schriftquellen übernehmen sollen und umgekehrt, so lässt sich dies bei zwei derart unterschiedlichen Quellengattungen nur dann rechtfertigend anstellen, wenn das Verhältnis der beiden Gattungen mit Beispielen aus derselben Zeitperiode überprüft wird. Wie werden meine zentralen Begriffe in beiden Gattungen verwendet? Wie oft werden sie verwendet? Und welche anderen Begriffe werden womöglich stattdessen gebraucht? Immerhin handelt es sich bei Urkunden um reine Rechtstexte mit gewissen Formularen und für die Zeitgenossen möglichst verständlichen Termini, während wir es bei Chroniken mit Prosa zu tun haben,111 worin sich das – nicht selten antik-klassische – Bildungsniveau beziehungsweise Literaturinteresse der Chronisten widerspiegeln kann.112 Kurz: Das Zitat eines römisch-antiken Autors findet sich eher in einer Chronik oder Vita als in einer knapp formulierten Urkunde. Aus diesem Grund werden als Vergleichsmaterial für die Urkunden des urkundenstarken 9. Jahrhunderts vier Prosatexte desselben Jahrhunderts herangezogen, die ebenfalls im Bodenseeraum entstanden sind: die Visio Wettini des Heito,113 die Vita sancti Otmari des Walahfrid Strabo,114 die Gesta Karoli des Notker Balbulus115 und die oben bereits genannten Casus sancti Galli des Ratpert.116

108 Zotz (Lehnswesen, S. 166 f.) zieht zur Durchdringung des urkundenarmen 10./11. Jahrhunderts ebenfalls solche erzählenden Quellen hinzu und rechtfertigt dies in ähnlicher Weise mit einer fehlenden Alternative an Quellenmaterial. 109 Hermann, Chronicon; Heriman. Aug. Chronicon. 110 Berthold, Chronicon I–II. 111 Vgl. Patzold, Klösterliches Lehnswesen, S. 105. 112 Wie weit das Wissen über die römisch-antike Vergangenheit beziehungsweise über Teile der einstigen Verwaltungsstrukturen in den Köpfen der Mönche vorhanden gewesen sein muss, zeigt eine Äusserung Ekkeharts zu den jährlich wechselnden Ämtern innerhalb des Klosters, ‹wie es schon bei den Römern Sitte (more Romano) gewesen sei› (Ekkehart IV., Cas. s.  Gall., Cap. 127). 113 Heito, Visio Wettini. 114 Walahfrid, Vita s. Otmari. 115 Notker, Gesta Karoli. 116 Ratpert, Cas. s. Gall.

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Alle weiteren verwendeten Quellen werden bei ihrer erstmaligen Verwendung jeweils kurz erläutert. Für die untersuchten Quellentexte werden primär die «Ausgewählten Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe)» herangezogen, sofern diese als solche erschienen. In zweiter Instanz, bei unzureichender Transkription und bei Unsicherheiten, werden zudem die betreffenden MGH-Editionen konsultiert. Die MGH-Zitation wird an die Online-Ausgabe (dmgh.de) angepasst und ist im Abkürzungs- und Siglenverzeichnis nachzuprüfen. Als zusätzliche Hilfsmittel und Auswertungsergebnisse befinden sich am Ende der Arbeit eine Liste der alemannischen Grafen von 700 bis 1100 sowie ein lateinisches Glossar mit den zentralen Begriffen dieser Arbeit.

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2

Militarisierung und Reform

In Schwaben kam es während der 910er-Jahre zu heftigen kriegerischen Auseinandersetzungen um die Errichtung eines neuen Herzogtums und ungarische Reiterscharen durchzogen das Land während Jahrzehnten immer wieder aufs Neue. Wie gingen die Zeitgenossen mit diesen Situationen um? Gab es jemanden, der die Fehden im Innern und die Angriffe von aussen hätte eindämmen können? Klassischerweise würden wir einen ordnend eingreifenden König erwarten oder einen schlichtenden Herzog, doch Fehlanzeige. Die wenigen verschonten Institutionen hatten sich im 10. Jahrhundert hauptsächlich durch Selbsthilfe retten können1 und im 11. Jahrhundert war es mitunter der Kampf um das ostfränkische Königtum, das den Krieg und das Elend überhaupt erst nach Schwaben führte. Bisson spricht für die Zeit der Ungarneinfälle von psychischen Traumata der Bevölkerung und von einer Stufe der Gewalt, die zur Neuordnung der Herrschaft geführt habe.2 Die Selbsthilfe setzt allerdings eine Bewaffnung bisher waffenloser Gruppen voraus (Militarisierung) und birgt die ungewollte Bewusstseins- und Standeserhöhung bereits kampferfahrener Männer aus einer dringenden Notwendigkeit heraus. Dazu kommt der verstärkt einsetzende Befestigungsbau (Munifizierung). Lässt sich im 10. Jahrhundert also eine einschneidende Phase der Militarisierung und Munifizierung vermuten? Morsel hält die plötzlich existierende hohe Zahl an Befestigungen und die Erwähnung von ‹Rittern› beziehungsweise die soziale Umstrukturierung und generelle Militarisierung gar als eigentliche Ursache für die Postulierung einer ‹mutation› oder einer ‹révolution féodale›.3 Womöglich ist der Anfang einer solchen Militarisierung schon deutlich früher anzusetzen, wenn wir beispielsweise Steuer folgen, der für das 6. Jahrhundert im Zusammenhang mit einem Grabraub eine «Theorie des gesellschaftlichen und politischen Wandels» postuliert, die sich aufgrund ähnlicher Vorkommnisse ausgeraubter Gräber auch andernorts vermuten lässt: «Wenn eine Gemeinschaft ihre Gräber nicht mehr schützt oder schützen kann oder will, dann sind die alten Bande der Gemeinschaft zerrissen und gestört. Die Familien, deren Grabstätten geplündert werden, sind verschwunden, haben keine Freiheit mehr, sind umgesiedelt worden.»4 1 Vgl. Bloch, Feudalismus, S. 578. Und auch Fried (Träger des Friedens, S. 8) konstatiert für die Zeit nach dem Weströmischen Reich und dem Ende der pax Romana: «Selbsthilfe wurde das Gebot der Stunde, und keine Autorität der Zeit hätte noch weiträumig Frieden zu sichern vermocht.» 2 Bisson, Feudal Revolution, S. 13 f. 3 Morsel, Aristocratie médiévale, S. 88 f. 4 Steuer, Adelsgräber, S. 203 f.

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Letztlich kann diese gesellschaftliche Umstrukturierung auch noch als Nachwehe der ersten Transformation nach dem Abzug der Schutzmacht Rom gesehen werden, die ohnehin unzählige Parallelen zur zweiten Transformation im 10./11. Jahrhundert aufweist. Besonders für den engeren Untersuchungsraum dieser Arbeit müsste Steuers Feststellung einer spezifischeren Untersuchung unterzogen werden, was allerdings ausserhalb des zentralen Zeitraums liegt. Als Merkmale einer militarisierten Gesellschaft nennt Sarti das Fehlen einer klaren Unterscheidung zwischen Zivilbevölkerung und Militär, die hohe Präsenz von Waffen(fähigen) sowie die Anerkennung militärischer Fähigkeiten und Werte.5 Solche strukturellen Veränderungen lassen sich nicht nur im völkerwanderungszeitlichen Gallien, sondern auch im Bodenseeraum des 10./11. Jahrhundert vermuten. Es ist hier die Rede von einem Strukturwandel in Alemannien, an dessen Ende – im 11. oder 12. Jahrhundert – wir dann auf die immer weiter verbreitete Nennung von ‹Rittern› und ‹Ministerialen› und auf eine grosse Zahl an Burgen stossen; diesen Eindruck vermittelt zumindest die klassische Forschung.6 In der vermehrt auf das Westfrankenreich fokussierten Debatte um die «feudal revolution» kommt Bisson zum selben Schluss: «The invasions had ended – or at least the foreign ones had. But there were more armed and fortified men about than ever […].»7 Die Herrschaftsrechte der alten und neuen Eliten waren zuvor unter anderem durch Vogteirechte erlangt und gesichert worden, wobei besonders im 11. Jahrhundert ein enger Bezug zwischen Klostergründungen und der Festigung von Herrschaftsansprüchen lokaler Eliten zu vermuten ist. Als weiteres wichtiges Novum ist schliesslich die namensgebende Funktion der neuen Herrschaftsorte zu nennen, die ab dem 11. Jahrhundert einzusetzen beginnt. Dazu wird aber im dritten Kapitel dieses Teils noch die Rede sein. Zur Erfassung einer frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft Alemanniens auf der Grundlage von Militarisierung und Reform erfolgt zuerst eine fallorientierte Betrachtung schwäbischer Krieger und Waffenträger sowie eine grundlegende Untersuchung zu Bezeichnungen für Hörige und Dienstleute. Denn diese nur schlecht fassbaren Elemente der schwäbisch-alemannischen Kriegergesellschaft dürften besonders starken Mutationen ausgesetzt gewesen sein.

5 Sarti, Grenzgesellschaft, S.  56. Vgl. hierzu auch den Tagungsbericht zur Sektion «Aufstieg und Fall frühmittelalterlicher Warlords» am 50. Deutschen Historikertag 2014, darunter insbesondere den Beitrag von Laury Sarti (www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5686 [26. 7. 2018]). 6 Rösener (Ritterschaft, S. 40) spricht hierbei eher vom Ausgangspunkt derartiger Entwicklungen, wobei zwischen dem 11. und dem 14. Jahrhundert die meisten Veränderungen bezüglich Bevölkerungszunahme, ‹Landesausbau›, Burgenbau, Klosterstiftungen, Städtegründungen und adligem Geschlechterbewusstsein erfolgt sein sollen. 7 Bisson, Feudal Revolution, S. 21.

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2.1

Krieger und Waffenträger

«Eines aber hatten sie alle noch gemeinsam: Als freie Männer trugen sie Waffen und waren Krieger.»8 Mit dieser Aussage versucht Ehlers den Bogen zwischen gewöhnlichen freien rustici und Aristokraten zu schliessen. Unsere Vorstellung ist geprägt davon, im Mittelalter zwischen freien Fürsten und Kriegern sowie unfreien ‹Bauern› und Klosterhörigen zu unterscheiden. Zwar kann nicht genug betont werden, wie klein der Unterschied zwischen einem – vereinfacht ausgedrückt – ‹armen Adligen› und einem ‹reichen Bauern› sein konnte, dabei wird jedoch insbesondere für das frühe und hohe Mittelalter eine wesentliche Gruppe vergessen, die erst durch eine differenzierte Herangehensweise fassbar wird: die Hörigen und Knechte. Drehen wir Ehlers Aussage um, sind Krieger an ihrem Auftreten als Waffenträger erkennbar. Da jedoch auch Hörige als Waffenträger in den erzählenden Quellen genannt werden und selbst die klassische Theorie der ‹Ministerialität› davon ausgeht, dass unfreie Dienstleute durch Waffendienste aufgestiegen seien,9 muss die Gruppe an Personen mit Gemeinsamkeiten wohl vergrössert werden. Denn eines hatten freie wie unfreie Waffenträger gemein, sie waren Teil einer alemannischen Kriegergesellschaft.10 Es gilt dabei einerseits innerhalb der Guts-, Kloster- und sonstigen Verwaltung zwischen einzelnen Akteuren zu unterscheiden, die verschiedene Funktionen in einer Person vereinten. Andererseits gibt es Personen, die ohne richtig fassbare «Berufs-» beziehungsweise Aufgabenbezeichnung genannt werden, aber dennoch zu einem heterogenen Kreis an Macht-, Verwaltungs- und Gewaltenträgern zu zählen sind. Dazu gehören voraussichtlich maiores, villici, tribuni, praefecti, centuriones, iudices, advocati, comites, duces, vicarii und missi. Lassen sich diese erst einmal völlig unterschiedlich scheinenden Funktionäre und Angehörige von Eliten womöglich unter einen vereinenden Begriff stellen? Sie alle ragen in irgendeiner Weise aus der spärlichen Überlieferung zum frühmittelalterlichen Alemannien heraus, weshalb ihnen hier eine Sonderstellung innerhalb der schwäbischen Gesellschaft zugestanden wird. Aufgrund ihrer unterschiedlich ausgeprägten Machtbefugnisse dürfen diese Männer wohl ohne Weiteres als Waffenträger angesehen werden, und dies noch ohne Beachtung der zum Teil gleichzeitig verwendeten und eindeutig militärischen Bezeichnungen als miles, loricatus, caballarius oder scararius/scara.11 Die Begrifflichkeiten rund um miles und militia werden im Folgenden noch geklärt. 8 Ehlers, Ritter, S. 14. 9 Vgl. unter anderem Borchardt, Sonderweg, S. 35; Bosl, Freiheit und Unfreiheit, S. 202–204. 10 Zur komplexen Verwendbarkeit antiker/frühmittelalterlicher Bezeichnungen und möglicher deutscher Übersetzungen sowie zur Verwendung von ‹Krieger› und Kämpfer vgl. Kortüm, Kriege und Krieger, S. 27 f., 121–123. 11 Letztere können bezüglich militärischer Professionalität klar als Krieger bezeichnet werden (vgl. Auer, Kriegsdienst des Klerus I, S. 321–323; Bachrach, Carolingian Warfare, S. 80–82). Kuchenbuch (Klosterherrschaft, S. 329, 338) und Freed (European nobility, S. 221) widersprechen Auer an dieser Stelle und sehen hinter dem Dienst der scararii eher den Boten- und Eskortendienst. Für Stengel (Ministerialität, S. 175 f., 178) stellen die scararii/scaramanni eine Frühform der ‹Ministerialen› dar, die auch für Botendienste herangezogen werden konnten und ursprünglich sowohl aus ‹Unfreien› wie ‹Freien› bestanden. Verbruggen (Art of Warfare, S. 20 f.) äussert sich nicht zum Stand der scarae, betont aber deren Rolle als militärische Elitetruppen

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Abgesehen davon, dass jeder mit einem Stock bewaffnete rusticus je nach Anwendung desselben ebenfalls Waffenträger war, gilt es dennoch, aus dem Kern der alemannischen ‹Gesellschaft› die Aufgebotspflichtigen und offiziell an Feldzügen beteiligten Waffenträger von den rein landwirtschaftlich bewirtschaftenden und in der Verwaltung tätigen ‹Freien› und ‹Unfreien› zu unterscheiden. Diese tauchen allesamt als mancipia, servi/servitores/servientes (casati/manentes), ministeriales, ministri, barones, tributarii, clientes, coloni, famuli, vernaculi, censuales sowie unter anderen Bezeichnungen in der Überlieferung auf und werden an späterer Stelle noch genauer umschrieben.

2.1.1

Alemannische Krieger und Waffenträger im 10. Jahrhundert

Welcher Kreis an Männern gehörte im frühmittelalterlichen Herzogtum Schwaben zum professionellen Kriegertum? Wer war als einfacher Waffenträger vom königlichen oder herzoglichen Heerbann betroffen? Wer trug überhaupt eine Waffe? Solchen Fragen lässt sich am besten anhand eines zeitgenössischen Falles nachspüren. Dies geschieht im Folgenden am Italienfeldzug Herzog Burchards I.12 von Schwaben im Jahr 926 und dem zeitgleichen Einfall ungarischer Reiter ins militärisch verwaiste Herzogtum. Burchard war zur Unterstützung seines Schwiegersohnes König Rudolf II. von Burgund mit einem schwäbischen Heer nach Italien gezogen, um nach der Ermordung König Berengars die burgundischen Interessen zu verteidigen und womöglich eigene Ansprüche im Süden seines Herzogtums zu erheben.13 Zwei Tage nach seinem gewaltsamen Ende vor Novara erreichten ungarische Reiterkrieger das Kloster St. Gallen, das – ebenso wie das restliche Herzogtum – aufgrund der Verpflichtung zur Heeresfolge ohne Schutz dazuliegen schien. Diese aussergewöhnliche Situation ermöglicht einen einzigartigen Blick in Verteidigungsmechanismen durch Eigeninitiative und auf die ansonsten kaum genannten Waffenträger niederer und unfreier Herkunft, die eben nicht unter den milites und comites zu finden sind. Was wir

der frühen Karolinger (ebenso Reuter, Recruitment of Armies, S. 32, und Ganshof, L’armée carolingienne, S. 120). 12 Da ich den älteren Burchard († 911, Markgraf von Rätien; von Hermann von Reichenau fälschlicherweise (?) als dux Alamanniae bezeichnet [Hermann, Chronicon, an. 911, S. 630]) nicht als ersten schwäbischen Herzog ansehe, beginne ich mit der Zählung beim jüngeren Burchard, der unter Heinrich I. auch offiziell als schwäbischer Herzog anerkannt wurde. Damit folge ich unter anderem der Ansicht von Zettler (Herzogtum Schwaben) und Zotz (Oberitalien). 13 Liudprand, Lib. antapod. II–III, und Büttner, Heinrich I., S. 47. Lubich (Lehnsgeber und -nehmer, S. 436) lässt die Frage offen, ob die südlichen Herzöge auf Italienzügen eigene Interessen verfolgten. Dabei sind wohl die Unterschiede in der Wahrnehmung des eigenen Herzogtums als reiner vom König verliehener Titel mit der Herrschaft über die dort lebenden Menschen oder als eigene, erbliche Gebietsherrschaft massgebend. Unter Burchard I. ist durchaus beides möglich, aber Letzteres wahrscheinlicher.

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dazu wissen, verdanken wir den lokalen Annalen,14 Chroniken15 und Viten16 sowie dem Liber antapodoseos des Liudprand von Cremona,17 den Annalen des Flodoard von Reims18 sowie Adalberts Fortsetzung der Chronik von Regino von Prüm.19 Der Italienfeldzug Herzog Burchards I. von Schwaben 926 Die Gründe für den Feldzug hängen eng mit der Herrschaft und dem Tod König Beren­gars I. von Italien zusammen. Berengar war es als Sohn des Markgrafen von Friaul und Enkel Ludwigs des Frommen in der Schwäche des karolingischen Königtums gelungen, seinen Einfluss in Norditalien auszubauen. Unter Anerkennung der Oberhoheit König Arnulfs wurde er 888 als Berengar I. zum König von Italien erhoben und dank guter Beziehungen zum Papst folgte 915 die Kaiserkrone. Doch seine Regierung war gezeichnet von Kämpfen mit Rivalen, Ungarn und Thronansprüchen.20 Nach der Niederlage Berengars gegen die Ungarn an der Brenta 899/900 – was einem Versagen Berengars als König gleichkam – sollen die Italienses laut Liudprand einen Hulodoicum […] Burgundionum sanguine genitum (König Ludwig III. der Blinde von Niederburgund) gebeten haben, Berengars Königtum an sich zu nehmen, doch Ludwig konnte sich nicht durchsetzen und wurde 905 von Berengar geblendet.21 Einen stärkeren neuen König sahen die Italienses 922/923 schliesslich in Rudolf II. von Hochburgund, der durch die Heirat mit Berta, der Tochter des Schwabenherzogs Burchards I., gerade einen mächtigen Verbündeten gewonnen hatte. Diesen 14 Hierzu zählen die annales Alamannici (allerdings nur im Codex Turicensis [StiASG, Zürcher Abt. X, n. 1, fol. 92v]; Lendi, Annales Alamannici, S. 146–193), die annales Augienses (bis zum Jahr 858 auf der Grundlage der annales Alamannici, danach selbstständig fortgeführt; Pertz, Annales Augienses [MGH SS I], S. 67–69), die annales Sangallenses maiores (bis zum Jahr 918 auf der Grundlage der annales Alamannici, danach selbstständig fortgeführt; Von Arx, Annales Sang. mai. [MGH SS I], S. 73–85) und drei annalistische Werke aus dem Kloster Einsiedeln: annales Meginradi (zeitgenössische Notizen; Planta, Annales Meginradi [MGH SS rer. Germ. LXXVIII], S. 157–159), annales Heremi (in zwei Handschriften Ende 10./Anfang 11. Jahrhundert entstanden; Planta, Annales Heremi I–II [ebd.], S. 160–196 [Heremi I] und S. 197–277 [Heremi II]) und die eigentlichen annales Einsidlensis (bis ins 11. Jahrhundert auf der Grundlage anderer Annalen, danach selbstständig fortgeführt; Planta, Annales Einsidlenses [ebd.], S. 278–301). 15 Casus sancti Galli von Ekkehart IV. 16 Die Abreise und der Tod Burchards findet sich in den zwei Versionen der vita sanctae Wiborada von Ekkehart I. (um 960–970) und Herimann (1072), welche hier in der Edition von Walter Berschin konsultiert werden (Berschin, Vitae s. Wiboradae). Der dritte Verfassername «Herimannus» stellt keine Autorität dar, da er laut Berschin auf den Schweizer Privatgelehrten Melchior Goldast zurückzuführen ist und deshalb – trotz der Aufnahme in die MGH durch Georg Waitz (MGH SS IV, S. 452–457) – vernachlässigt werden kann (Berschin, Vitae s.  Wiboradae, S. 7). Die Geschichte rund um den Raub am Kirchengut findet sich zudem in den miracula s. Verenae (Reinle, Verena, S. 49–61; Pertz, Miracula s. Verenae [MGH SS IV]). 17 Liudprand, Lib. antapod. 18 Flodoards Annalen zeichnen sich vor allem durch ihre Ausführlichkeit und aktuell-zeitgenössische Aufzeichnung aus, die sich von 919 bis zu seinem Tod 966 ziehen (postume Fortsetzung bis 978). Die hier verwendete Edition stammt von Georg Heinrich Pertz (MGH SS III, S. 368–408). 19 Adalbert, Cont. Reginonis. Anfänglich folgt Adalbert eng den klösterlichen Aufzeichnungen St.  Gallens und der Reichenau, weshalb wir für die hier entscheidende Zeit mit zahlreichen Überschneidungen mit den anderen Quellen rechnen müssen. Erst nach 939 wird sein Stil selbstständiger (Adalbert, Cont. Reginonis, S. 187). 20 Kaminsky, ‹1. Berengar I.›, LexMa 1, Sp. 1933. 21 Liudprand, Lib. antapod. II, 12–15, 32–41.

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bitten sie nun, Berengar zu vertreiben.22 Mit ungarischer Hilfe kann sich Berengar aber erneut behaupten und Rudolf muss umkehren.23 Nach der Ermordung Berengars 924 und der Verwüstung Italiens durch ungarische Reiterscharen folgt ein weiteres erfolgloses Italienunternehmen Rudolfs, in welchem er durch eigene Untreue seine milites verliert.24 Er ist nun endgültig auf die Unterstützung seines Schwiegervaters angewiesen und bittet diesen um Hilfe:

Da sich Rudolf wegen der Untreue der Seinen ausserstande sah, die genannten Gegner zu überwinden, ging er nach Burgund und forderte den Herzog Burchard von Schwaben, mit dessen Tochter er vermählt war, auf, ihm zu Hilfe zu kommen. Dieser sammelte ein Heer und zog alsbald mit Rudolf nach Italien.25

Zum Feldzug selbst verraten uns die Quellen kaum mehr als das variierende Todesjahr und -datum sowie die Umstände, die zu Burchards Ende geführt haben.26 In der lokalen Annalistik findet sich Burchards Tod für das Jahr 925 in den annales Sangallenses maiores (Purchardus dux in Italia dolo occiditur)27 sowie für 926 in den annales Alamannici (Purchardus in Italia fugiens Langobardos, de equo lapsus brevi momento vitam finivit),28 den annales Augienses (et Burghardus dux occiditur),29 den annales Einsidlenses (Purchardus dux senior in Italia occisus est)30 und den annales Heremi I und II (AH I: Purghardus dux Alamanniȩ in Italia occiditur;31 AH II: Purkardus Alemannie in Italia occiditur).32 926 erscheint ebenfalls als Todesjahr in den annales des Flodoard von Reims ([…] ­occiso quoque a filiis Bertae Burcardo Alamannorum principe, ipsius Rudolfi socero, qui Alpes

22 Quo tempore Rudolfus rex superbissimis Burgundionibus imperabat. Cui in augmentum potentiae hoc accessit, ut potentissimi Suevorum ducis Bruchardi [sic] filiam nomine Bertam sibi coniugio copularet. Igitur Italienses nuntiis directis hunc venire, Berengarium vero expellere petunt (ebd. II, 60). 23 Ebd. II, 61–67. Über Berengars Umgang mit den Ungarn berichtet auch Flodoard von Reims in seinen Annalen (MGH SS III, an. 924, S. 373): Hungari ductu regis Berengarii, quem Langobardi reppulerant, Italiam depopulantur. 24 Liudprand, Lib. antapod. II, 68; III, 2, 8–11. 25 Übersetzung von Rau (ebd., S. 367). Rodulfus denique cum infidelitate suorum praenominatos adversarios superare non posset, in Burgundiam profectus, Bruchardo Suevorum duci, cuius sibi filiam coniugio copularat, denuntiat, ut sui in auxilium veniat. Qui collectis copiis, cum Rudolfo confestim in Italiam est profectus (ebd. III, 13). 26 Im Gegensatz zu anderen Feldzügen lässt sich zu diesem gar verhältnismässig viel erfahren. Weitere derartige Ereignisse sind – sofern sie überhaupt genannt werden – meist durch nichts Weiteres als die annalistische Nennung in den mehr oder weniger zeitgenössischen erzählenden Quellen auffindbar, wie beispielsweise der Italienfeldzug des späteren schwäbischen Herzogs Burchard II.: Burghardus vero dux Suevorum Italiam hostiliter invadens Adalpertum pugna victum fugavit fratremque eius Widonem occidit et ad imperatorem victor rediit (Hermann, Chronicon, an. 965, S. 644). 27 Von Arx, Annales Sang. mai. (MGH SS I), an. 925, S. 78. 28 Lendi, Annales Alamannici, an. 926, S. 192. Die Tatsache, dass nach dem Eintrag im Jahr 926 noch weitere mit Jahreszahlen vorbereitete Seiten leer geblieben sind, lässt auf eine relativ zeitnahe Eintragung der Ereignisse und somit auf eine hohe Zuverlässigkeit schliessen (StiASG, Zürcher Abt. X, n. 1, fol. 92v). 29 Pertz, Annales Augienses (MGH SS I), an. 926, S. 68. 30 Planta, Annales Einsidlenses (MGH SS rer. Germ. LXXVIII), S. 279. Laut von Planta finden sich darin keine Hinweise auf externe Vorlagen (ebd., S. 117). 31 Planta, Annales Heremi I (ebd.), S. 184. Als Vorlagen dienten laut von Planta Adalberts continuatio Reginonis und die annales Augienses (ebd., S. 25–27). 32 Ebd. II, S. 261. Als Vorlagen dienten laut von Planta Adalberts continuatio Reginonis und die annales Alamannici und Augienses (ebd., S. 48–53, 59–64).

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Abb. 1: Annales Alamannici für 926. Der Tod des Herzogs wird in der Zeile 20 geschildert: DCCCCXXVI. Purchardus in Italia fugiens Langobardos, de equo lapsus brevi momento vitam finivit (StiASG, Zürcher Abt. X, n. 1, fol. 92v).

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cum ipso transmearat, Italiae regni gratia recuperandi genero),33 in Adalberts continuatio (Purchardus dux Alamanniae in Italia occiditur)34 sowie in der Weltchronik des Hermann von Reichenau (Burghardus dux occiditur).35 Im St. Galler Kapiteloffiziumsbuch aus dem 11. Jahrhundert findet sich gar ein genaues Todesdatum, der 29. April 926.36 Auf das Jahr 927 verweisen schliesslich die annales Meginradi (Purcardus dux obiit).37 Betrachtet man die überwiegende Verortung im Jahr 926, darf dieses Jahr als wahrscheinlich gelten und selbst die genaue Angabe im Kapiteloffiziumsbuch könnte aufgrund anderer Schilderungen bei Ekkehart IV. und bei Liudprand als Datum infrage kommen. Diese ausführlichen Überlegungen zum wahrscheinlichsten Todeszeitpunkt sind vor allem deshalb wichtig, weil sie als einleuchtende Begründungen gesehen werden können, weshalb plötzlich andere, ‹unübliche› Akteure ins heimatliche Kampfgeschehen eingreifen müssen, wie noch zu sehen sein wird. Laut Liudprand fiel der Herzog bei Novara auf der Flucht vor seinen Angreifern vom Pferd in den Graben der Stadtbefestigung, wo er von Lanzen durchbohrt wurde.38 Wohl durch Liudprand und die Annales Alamannici inspiriert, schildert auch Ekkehart IV. den Tod Burchards als tödlichen Sturz vom Pferd, allerdings mit der Prophezeiung Wiboradas im Hintergrund.39 In der Vita dieser heiligen Frau wird sein Tod als Sühne für die Entwendung von Kirchengut gesehen.40 Die Thematik des Kirchenräubers Burchard kommt in ähnlicher Weise auch in den um 1010 entstandenen Miracula s. Verenae vor: Zur Zeit, da der durchlauchteste Burchard das Herzogtum [ducatus] über ganz Alemannien erlangte, brachte ihm seine Strenge viele Feinde, die ihn hassten und seinem Willen in allem widersprachen. Um sie zu bekämpfen, gesellte er eine grosse Schar von Kriegern [milites] um sich, denen er nicht nur eigene, sondern auch kirchliche Besitzungen [possessiones] unbedacht zu Lehen [beneficia] gab.41

33 Flodoard, Annales (MGH SS III), an. 926, S. 376. Wie im liber antapodoseos von Liudprand erscheint hier Burchards Tod als geplanter Mord, und zwar durch Rudolfs Konkurrenten Hugo I. von Niederburgund, der nach Rudolfs Tod dessen Gattin beziehungsweise Burchards Tochter heiraten sollte. Flodoard vermutet hinter Burchards Eingreifen keine List, sondern lediglich die Unterstützung seines Schwiegersohnes zur Wiedererlangung Italiens. Für eine aktuelle Bearbeitung der annales vgl. Fanning/Bachrach, Flodoard. 34 Adalbert, Cont. Reginonis, S. 194. 35 Hermann, Chronicon, an. 926, S. 634. 36 Anno ab incarnatione Domini nongentesimo XXVI. indict. XIIII. III. Kal. Mai. Purchardus fortissimus dux Alamannorum Italia dolose occiditur […] (StiBiSG, Cod. Sang. 915, S. 1; vgl. Piper, Confrat. Sang. [MGH Necr. Suppl.], S. 136). Der Cod. Sang. 915 wurde wohl «spätestens im 11. Jahrhundert aus Bestandteilen des 9. bis 11. Jahrhunderts zusammengefügt», wobei die Notiz vom Tod des Schwabenherzogs von Geuenich (Cod. Sang. 915, S. 42 f.) als eine der letzten Eintragungen im 11. Jahrhundert angesehen wird. Zum Sterbedatum vgl. ebenfalls Rappmann, Totengedenken, S. 442 f. 37 Planta, Annales Einsidlenses (MGH SS rer. Germ. LXXVIII), S. 157. Ebenso verweist eine nekrologische Notiz aus Einsiedeln «als Nachricht auf der letzten Seite einer verlorenen Zyklenserie» auf das Jahr 927 (ebd., S. 303). 38 Liudprand, Lib. antapod. III,15. 39 […] reque infecta ad Italiam, ut et eius regem secum sentire faceret, properans, beata illa ei mortem pro avaritia praesagiente, equo ruens periit (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., Cap. 50). 40 Berschin, Vitae s. Wiboradae, cap. 25–28; Irblich, Vitae s. Wiboradae, S. 77–80, 134–137, 139–141. 41 Übersetzung grösstenteils nach Reinle (Verena, S. 49). Tempore quo Burchardus vir illustrissimus totius Alamanniae ducatum obtinuit, hausteritatem eius multi aversantes, exosum eum habuerunt, et ipsius voluntati per omnia contradixerunt. Quos ut debellaret, copiosam multitudinem militum sibi sociavit, qui-

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Dies macht deutlich, wie dringend Burchard für den wohl seit längerem geplanten Feldzug nach Italien Geld zur Entschädigung seiner Krieger benötigte. Zur Verpflichtung von Kriegern musste er entweder Kriegsbeute versprechen42 oder längerfristig mit der Vergabe von beneficia planen,43 die er sich gemäss Ekkehart I. durch die Aneignung von Klosterbesitz verschaffte: «Der Tyrann Burchard, der kein Herzog ist, sondern ein Plünderer und Verwüster dieses Landes, hat solche Untaten an mir begangen. Er hat alle Orte und Güter ringsum, die mir von meinen Getreuen zugewendet wurden, geplündert und seinen Handlangern zu Lehen gegeben.»44 Der Ruf eines Kirchenräubers und -schänders hing zur Zeit der Ungarneinfälle allerdings noch so manchem weltlichen wie geistlichen Herrn an, da diese aufgrund der enormen kriegsbedingten Einbussen zu erhöhten Abgaben und Konfiskationen gezwungen waren, wie wir auch am Fall des Freisinger Bischofs und Ungarnbekämpfers Dracholf (907–926) sehen können.45 Wer in dieser Notzeit wie Burchard noch an auswärtige Feldzüge dachte, musste also erst Recht als Kirchenräuber in die Annalen und Chroniken der betroffenen Klöster eingehen. Burchard sammelte ein Heer (copiae)46 und brach bald darauf nach Italien auf, wo er magno comitatu – mit grossem Gefolge – einfiel.47 Doch wen können wir uns unter einem solchen herzoglichen Gefolge vorstellen? Neun Jahre zuvor war der frisch zum König erhobene Heinrich I. im Zuge seiner ersten Amtshandlung «mit seinem ganzen Gefolge zum Kampf gegen Burchard, den Herzog Alamanniens»,48 nach Schwaben marschiert, um Burchards Anerkennung zu

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bus non solum suas verum etiam aecclesiasticas possessiones, non considerate id pertractans, in beneficia donavit (Pertz, Miracula s. Verenae [MGH SS IV], S. 457; Irblich, Vitae s. Wiboradae, S. 137). Die beuteökonomischen Elemente fränkischer Heere in merowingischer und karolingischer Zeit dürften ihre Fortsetzung auch in postkarolingischer Zeit gefunden haben (Jucker, Beuteökonomie, S. 40 f., 52 f.; Reuter, Plunder and tribute, S. 78–80; Fleckenstein, Ritterliche Welt, S. 30; Le Goff, Geburt Europas, S. 55; Bodmer, Krieger, S. 101 f.; Sprandel, Gesellschaft, S. 62–64; Patzold, Lehnswesen, S. 16 f.; Dick, Kriegertum, S. 146 f.; Störmer, Früher Adel, S. 186; Steuer, Fernbeziehungen, S. 391 f.). Zur Frage, wieweit die meisten solcher Kriegszüge eher der Versorgung der eigenen Krieger durch Beute und Tribute – dazu gehört auch die Unterwerfung unter die eigene Oberherrschaft  – dienten und nicht der im Mittelalter ohnehin schwierig zu bewerkstelligenden territorialen Eroberung, vgl. den Bericht zur Tagung «Herrschaft über fremde Völker und Reiche. Formen, Ziele und Probleme der Eroberungspolitik im Mittelalter» des Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte vom 04.–06. 10. 2016 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=7054 [26. 7. 2018]). Zur Verpflichtung, Bindung sowie ‹Abwerbung› von Gefolgsleuten vgl. eine Sequenz Bertholds (Chronicon II, an. 1079, S. 274–276) aus der Zeit des ‹Investiturstreits›, worin predia, beneficia marchiasque untreuer Gefolgsleute eingezogen und an Getreue übergeben werden. Übersetzung von Berschin (Vitae s. Wiboradae, S. 69–71). At ille tyrannus ait burchardus non dux sed praedator et desolator istius prouinciȩ tanta in me commisit scelera. Loca et praedia circumquaque a fidelibus mihi collata praedauit et sibi cooperantibus in beneficium tradidit (ebd., cap. 25, S. 70). In der rund hundert Jahre jüngeren Fassung der Wiborada-Vita führt Herimann diese Stelle noch deutlicher aus: Creberrimi etiam militares apparatus nolunt pauca adesse eorum sumptibus atque danda largiter stipendia militibus (ebd., cap. 30, S. 188). Vgl. zudem Oberholzer, Eigenkirchenwesen, S. 92 f. Vgl. Störmer, ‹Dracholf›, LexMa 3, Sp. 1346 f. Dracholf ist 909 in der Abteikirche von St. Gallen bei der Übertragung von Pfäfers anwesend (Chart. Sang. II, n. 806). Liudprand, Lib. antapod. III,13. Non post multum temporis idem dux iter suum dirigens ad italiam (Berschin, Vitae s.  Wiboradae, cap. 27, S. 72). Übersetzung von Rotter/Schneidmüller (Widukind, Res gest. Sax., S. 69). […] cum omni comitatu suo ad pugnandum contra Burchardum ducem Alamanniae […] (ebd., cap. I,27).

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erzwingen. Da er anschliessend nach Bayern weiterzog, muss Heinrich ein beeindruckendes Gefolge beziehungsweise Heer mit sich geführt haben, das aus beträchtlichen militärischen Aufgeboten der nördlicheren Herzogtümer bestand. Genauere Angaben fehlen jedoch. Wie stand es wohl um den schwäbischen Heerbann? Der schwäbische Heerbann und das consilium von 924 Wer mit dem Schwabenherzog nach Italien zog, lässt sich aufgrund der mangelnden Quellen nicht direkt weiterverfolgen und Versuche, die Truppenstärke St.  Gallens beispielsweise über den klösterlichen Güterbesitz zu berechnen, führen in die falsche Richtung.49 Allerdings lassen sich Informationen über Truppenstärke, -zusammensetzung und gar über den gesellschaftlichen Stand der Teilnehmer durch den Vergleich mit anderen Romzügen, der Untersuchung herzoglicher Kommandogewalten und der zeitgenössischen Situation in Schwaben gewinnen oder zumindest vermuten. Da für die Zeit der Ungarneinfälle im Bodenseeraum von keinerlei nennenswerter Gegenwehr durch milites berichtet wird, ist anzunehmen, dass die ‹professionellen› Krieger dem herzoglichen Heerbann gefolgt sind. Somit verfügte ­Burchard über die ‹üblichen› Aufgebote an Panzerreitern der schwäbischen Bistümer und Klöster. Richtwerte für die Aufgebotszahlen können uns die Angaben aus einem Ersatzaufgebot50 für den in Italien weilenden Otto II. von 981 geben (Indiculus loricatorum Ottoni II. in Italiam mittendorum).51 Demzufolge hatten der Bischof von Augsburg 100 Panzerreiter (Episcopus Augustae civitatis C ducat), diejenigen von Konstanz und Chur jeweils 4052 (Constanciensis episcopus XL mittat. Curiensis episcopus XL ducat) sowie der Abt von 49 Von Arx (Gesch. Kanton SG I, S. 166) hatte ausgehend von völlig willkürlichen Annahmen, der St. Galler Besitz sei hauptsächlich von ‹freien wehrpflichtigen Bauern› verwaltet und bewirtschaftet worden, eine Berechnung bezüglich Mannstärke der äbtischen Aufgebote im frühen Mittelalter angestellt, wonach der Abt über 666 Kämpfer aus allen alemannischen Gauen verfügt hätte. 50 Müller, Mittelalter, S. 76. Einzig eine Bemerkung in der Chronik des Thietmar von Merseburg verweist ansonsten auf dieses ‹Ersatzaufgebot› durch Otto II.: Calabriam a crebra Grecorum incursione et Saracenorum depredatione magnam vim perpeti cesar comperiens, ad supplementum exercitus sui Bawarios ac fortes in armis Alemannos vocavit (Thietmar, Chronicon III,20). Auer (Kriegsdienst des Klerus I, S. 377) hält die 2100 Panzerreiter, die zusammen mit den zu erwartenden Leichtbewaffneten 6000–8000 Mann ergäben, für zu viele Männer, um sie für ein blosses Ersatzaufgebot zu halten. 51 Weiland, Indiculus loricatorum (MGH Const. I, n.  436). Es handelt sich dabei um einen unscheinbar wirkenden Text von 23 Zeilen auf dem ersten Blatt einer Theologischen Sammelhandschrift in der StaBi Bamberg (Msc.Patr.107). Das Dokument kann als eine Art Notizblatt beziehungsweise ein Aktenstück am Königshof gesehen werden, wovon ausgehend die einzelnen Anforderungsschreiben verfasst wurden (vgl. Werner, Heeresorganisation, S. 823 f. sowie Störmer, Adelsfamilien, S. 35, der die Echtheit dieses Dokuments anzweifelt). Abgesehen von diesem Verzeichnis in Bamberg und der oben genannten Stelle bei Thietmar sind keine weiteren Schreiben hierzu erhalten geblieben. Weitere Ausführungen zu Ottos Feldzug selbst finden sich unter anderem bei Hermann von Reichenau (Chronicon, ann. 981–982, S. 650). 52 Den Hintergrund für die ‹nur› 40 loricati des Churer Bistums sieht Muraro in den Diensten des Bischofs während der Durchquerung Rätiens und der Überwindung der Alpen (Spanndienste, Unterbringung, Verpflegung) begründet. Ähnlich sieht es mit dem Bistum Brixen aus, das gar nur 20 loricati zu stellen hatte (Muraro, Hartbert von Chur, S. 26, 161). Auf diese Weise könnte auch mit der Gestellungspflicht des Konstanzer Bistums argumentiert werden, das den ganzen westlichen Bereich potenzieller Marschrouten abdeckt.

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Abb. 2: Der Indiculus loricatorum – das Verzeichnis der Panzerreiter – aus dem Jahr 981 nennt die Aufgebotszahlen einiger geistlicher und weltlicher Institutionen für den ostfränkischen König. Auf den zwei untersten Zeilen wird der Abt von St. Gallen aufgeführt (StaBi Bamberg, Msc.Patr.107).

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Reichenau 60 (Augensis abbas LX ducat) und derjenige von St. Gallen 40 Panzerreiter (Abbas Sancti Galli XL ducat)53 nach Italien zu führen oder zu schicken.54 Zwar liegen diese zwei Ereignisse knapp 60 Jahre auseinander, doch darf man aufgrund der vergleichbaren Immunitätsbestätigungen wohl auch von einem ähnlichen servitium regis ausgehen.55 Mögliche Teilnehmer an Burchards Feldzug lassen sich in einer zeitlich etwas näherliegenden Quelle, unter den Anwesenden eines herzoglichen Landtages (consilium) von 924,56 vermuten. Da dies die einzige grössere und auch einzige überlieferte Versammlung wichtiger Amts- und Würdenträger in Schwaben unter Burchard  I. darstellt,57 befinden sich darunter womöglich die Männer aus Burchards magnus comitatus von 926. Vielleicht wurde im Zuge des Landtags gar ein möglicher Feldzug besprochen. Denn wenn es sich bei Burchards Eingreifen tatsächlich eher um einen missglückten Coup gehandelt hat als um die spontane Unterstützung des Schwiegersohnes, steckt dahinter eine längere Planung. Die Constitutio de expeditione Romana, eine Reichenauer Fälschung aus dem 12. Jahrhundert, die vorgibt, eine Verordnung 53 Werner (Heeresorganisation, S. 834 f.) hält die 40 Panzerreiter St. Gallens für einen Lesefehler. Stattdessen sollten dort ihrer 20 stehen, was er mit einer anderen Quellenstelle begründet, die er allerdings nicht nennt. In der dritten anonymen Fortsetzung der St. Galler Klostergeschichten wird für einen Feldzug um das Jahr 1200 ein St. Galler Kontingent von 20 Panzerreitern genannt (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 43), da diese jedoch ohne Schaden für die Abtei hätten aufgeboten werden können, darf man wohl davon ausgehen, dass sie zum Gefolge des Abtes Heinrich von Klingen (1200–1204) gehörten und damit nicht unter die obigen Regelungen fallen, abgesehen davon, dass der indiculus um 1200 wohl ohnehin keine Bedeutung mehr gehabt haben dürfte. 54 Weiland, Indiculus loricatorum (MGH Const. I, n.  436), S.  633. Ob die Bezeichnungen ducat und mittat tatsächlich Indizien für die persönliche Führung durch den betreffenden geistlichen oder weltlichen Herrn sind, ist umstritten, da sich aber in zahlreichen Quellen die persönliche Teilnahme von Äbten und Bischöfen an Kriegszügen nachweisen lässt und zum Teil stark detailliert zwischen den einzelnen Leistungspflichten für Klöster unterschieden wird, halte ich es für wahrscheinlich. Auf einem Italienzug im Jahr 1022 sollen laut Hermann von Reichenau allerdings sowohl der Bischof von Konstanz als auch der Abt von St. Gallen persönlich im Heer mitgezogen sein; beide fielen einer Seuche zum Opfer (Hermann, Chronicon, an. 1022, S. 662). Diesbezüglich spielten also wohl auch persönliche Beziehungen und Abhängigkeiten eine entscheidende Rolle. Die Verbände aus dem Elsass (De ducatu Alsaciense mittantur LXX) können hierfür vernachlässigt werden, da bezüglich Elsass (Nord- und Sundgau) – trotz offizieller Zugehörigkeit zum Herzogtum Schwaben – auch sonst in keinem Fall militärische Unterstützung nachzuweisen ist und in den casus sancti Galli Ekkeharts IV. (cap. 64) einzig von professioneller Gegenwehr im Elsass die Rede ist, weshalb die elsässischen milites wohl vor Ort geblieben waren. Laut Werner (Heeresorganisation, S. 810, 826) wären die elsässischen Truppen mit jenen aus dem Rheinland aufgeboten worden, und dies bereits seit merowingischer Zeit. Kurze Zeit hätte das Elsass zwar zu Schwaben gehört, aber die Gruppenbildungen im indiculus loricatorum würden ein anderes Bild zeigen, weshalb das Elsass militärisch wohl zu Franken zu zählen sei (vgl. Muraro, Hartbert von Chur, S. 27). 55 Vgl. Werner, Heeresorganisation, S.  835  f.; Boshof, Königtum, S.  83; Metz, Servitium regis, S. 74–86. 56 UBZH I, n. 188. Vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 96. 57 Zu dieser Urk. vgl. Zotz, Herzogtum Schwaben, S. 17 f. Nach Kaiser (Frühmittelalter, S. 134 f.) zeigt dieser Hoftag «deutlich die ambivalente Stellung des Herzogs: Burchard nannte sich dux Alamannorum von Gottes Gnaden, feierte den mit Gottes Hilfe erlangten Sieg (über Rudolf II.), stellte sich gewissermassen den karolingischen Kaisern und Königen gleich». Dadurch, dass er in Stellvertretung des Königs agierte, waren ihm die Bischöfe und Grossen die «Hoftagspflicht» schuldig.

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Karls des Grossen von 790 zu sein,58 gibt als Richtwert zur Vorbereitung eines Feldzuges nach Italien ein Jahr und sechs Wochen an.59 Trotz Fälschung darf dahinter zumindest eine ungefähre Zeitangabe für die Mobilisierung eines schwäbischen Aufgebots vermutet werden. Denn insbesondere für Fälschungen wurden die Zahlen meist nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern entsprachen dem ungefähren Verständnis der Zeitgenossen oder wurden einer älteren Vorlage entnommen. Der Landtag von 924 wäre demnach kein schlechter Zeitpunkt zur Planung und Einberufung gewesen. Ganz den Vitae s.  Wiboradae folgend60 sehen Irblich und Zotz den Feldzug Burchards nämlich als geplante List, um dessen Macht weiter nach Süden auszudehnen, nachdem Rudolf II. schon zweimal gescheitert ist und nun um Hilfe bittet.61 In einer während dieses Landtages verfassten Urkunde bezüglich Einkünfte zum Unterhalt der Klosterfrauen in Zürich finden sich neben den Bischöfen von Konstanz und Chur nämlich noch weitere Namen in der Zeugenliste:62 Actum in Turego presentibus episcopis, comitibus aliisque nostris fidelibus, qorum nomina hic notantur. Signum Purchardi ducis, qui hanc epistolam firmacionis fieri iussimus. Signum Notingi episcopi. Signum Waltoni episcopi. Signum Vodalrich, Kerolt, Liuto, Unruoch, Perinker, Perecker, […] Adalhart, Kerhart, Adalperen, Wipreht, item Wipreht, Thiedolt, Landerich, Wiclioz, Werenpreht.63

58 Störmer, Adelsfamilien, S.  35; Theuerkauf, ‹Constitutio de expeditione Romana›, HRG I, Sp. 891 f. 59 Quando pro corona nostra vel pro aliqua regni utilitate aut honore Romana expeditio a nobis vel a successoribus nostris preparetur, ad omnium nobiscum euntium preparationem annus cum VI ebdomadibus pro induciis detur et taliter per totum regnum fidelibus nostris indicetur (Weinrich, Verfassungsgeschichte, S. 260). 60 Dux itaque sicut mente conceperat magno comitatu italiam ingressus dum totam sibi terram subicere et multos decipere cogitat (Berschin, Vitae s. Wiboradae, cap. 27, S. 74). 61 Irblich, Vitae s. Wiboradae, S. 79, 141; Zotz, Oberitalien, S. 84, 86, 107. 62 UBZH I, n. 188. 63 Im Folgenden alle Zeugennamen: Vodalrich: Dabei handelt es sich um den im Grafenkapitel genauer untersuchten Grafen des Thur‑, Zürich‑, Alb‑ und Argengaus, der bis 917 in St. Galler Urkunden vorkommt. Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 96) vermutet den Bruder des Herzogs, der für Oberrätien und Bregenz (vielleicht als Graf in Bregenz) zuständig gewesen sein soll. Kerolt: Der Name Kerolt (Gerold) taucht im St. Galler Verbrüderungsbuch auf (Piper, Confrat. Sang., S. 20, 539) und könnte mit einem Grafengeschlecht in Verbindung stehen, das im 8. und 9. Jahrhundert in der Westbaar, im Thur‑, Zürich‑ und Breisgau tätig war. Liuto: Liuto war wahrscheinlich Graf im Zürichgau, wenn man die Datierung derselben Urkunde: sub comite Liutoni (UBZH I, n. 188) und einer Urkunde von 925 betrachtet: sub duce Burchardo et comite Liutone (ebd., n. 191). Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 96) vermutet ihn zugleich als Grafen im Alp- und Klettgau. Unruoch: Im 9. Jahrhundert sind mehrere Grafen mit demselben Namen überliefert, jedoch ist die Herkunft der Unruochinger derart umstritten, dass sowohl fränkische und schwäbische als auch sächsische Bezüge infrage kämen (Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 271 f.). Im 8. Jahrhundert taucht ein Unroh einmal als mancipium der Abtei St. Gallen auf (Chart. Sang. I, n. 80). Alle Nennungen scheinen ins Leere zu laufen, weshalb man Unruoch wohl schlicht als Gefolgsmann Burchards betrachten muss. Perinker: Im 9. Jahrhundert taucht ein Perinker als centenarius im Hegau auf (ebd., n. 244) und für die Jahre 941–954 ist ein solcher als Graf im Thurgau belegt (vgl. unten Berengar, 942– 954 Graf). Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 96) sieht in ihm ebenfalls einen ‹Unruochinger›, womit hier eine ganze Reihe von verwandtschaftlich verbundenen Gefolgsleuten Burchards versammelt wäre.

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Mit Adalhart als Thurgaugraf, Liuto als Zürichgaugraf und Udalrich als wahrscheinlich oberrätischer Graf wären neben den Bischöfen von Konstanz und Chur übrigens auch die wichtigsten Schutzfaktoren für St.  Gallen als Gefolgsleute des Herzogs genannt. Dies wirft auch schon erste Fragen zur Verteidigungsfähigkeit St. Gallens im nächsten Abschnitt auf. Äbte tauchen des Weiteren keine im Dokument auf; ob aus politischen (Konfiskation von Klostergut) oder gefolgschaftstechnischen Gründen, bleibt offen. Die genannten Kerolt, Unruoch, Perinker, Perecker, Wipreht, Thiedolt, Landerich, Werenpreht und vielleicht auch Wiclioz scheinen zu den wichtigsten weltlichen Gefolgsleuten des Herzogs gehört zu haben (aliisque nostris fidelibus) und waren teilweise mit diesem verwandt.64 Bei Kerhart handelt es sich um den bei der Beurkundung an-

Perecker: Männer dieses Namens tauchen zwischen 816 und 913 sehr oft als Zeugen im Thurund Zürichgau auf (Chart. Sang. I, nn. 234, 302, 332–334, 364, 373–374; ebd. II, nn. 422, 505–506, 536, 623, 662, 692, 734, 785, 823). Adalhart: Adalhart (920–926 Graf des Thurgau) entstammte womöglich einem Grafengeschlecht aus dem Breisgau und der Westbaar (Adalhart, 762–777 Graf; vgl. ebd. I, nn. 39, 72, 79) und taucht Anfang des 10. Jahrhunderts als Zeuge im Thurgau auf. Vgl. Büttner, Heinrich I., S. 54. Kerhart: Für den gleichen Zeitraum wird ein Kerhart mehrfach als ‹Vogt› in Urkunden, welche Höngg (bei Zürich) betreffen, genannt (UBZH I, nn. 189–192, 194; Chart. Sang. II, n. 834). Und ein Zeuge dieses Namens ist zwischen 879 und 909 in St.  Galler Urkunden vertreten (ebd., nn. 637, 649, 693, 707, 718, 742, 801, 806; womöglich bereits 873: ebd., n. 600). Um 942 wird ein Schenker dieses Namens genannt (ebd., n. 845). Es dürfte sich 924 also um einen Vertreter einer lokalen Elitenfamilie gehandelt haben. Adalperen: Mit Adalperen (Adalbero) könnte ein ‹Untervogt› von ebengenanntem Kerhart gemeint sein, wie im Zürcher Urkundenbuch vermutet wird (UBZH I, n. 191). Zudem taucht er sechs Jahre später als titelloser Zeuge zusammen mit Kerhart erneut auf (ebd., n. 194). In den St. Galler Urkunden taucht ein Adalbero 909 als Graf (Chart. Sang. II, n. 805) und 925 ebenfalls als ‹Vogt› in Höngg auf (ebd., n. 834). Wipreht: Ein Wipreht ist zu keiner Zeit als Graf fassbar, jedoch taucht er 873 und 875 als Vasall im Zürichgau auf (ebd., nn. 606, 608) sowie von 868 bis 902 als Zeuge und Donator (ebd., nn. 544, 579, 602, 695, 744, 769), womit man ihn beziehungsweise seine Familie zumindest zur Elite im Zürichgau rechnen kann. Thiedolt: Thiedolt taucht in einer Urkunde von 925 aus Höngg zwar ohne Titel, aber in direkter Folge nach zwei advocati auf (UBZH I, n. 191; Chart. Sang. II, n. 834). Weitere Nennungen als Zeugen unter diesem Namen erscheinen zudem über das ganze 9. Jahrhundert verteilt mit geografischer Konzentration auf den Hegau (802–825), dann den Argengau (827–861) und schliesslich auf den Zürich-/Thurgau (872–905), was wiederum zur Urkunde von 925 passen würde (Chart. Sang. I, nn. 166, 305, 323; ebd. II, nn. 511, 588, 730, 769, 771, 792). Nach Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 115) könnte es sich auch um Thietpold, den Bruder des Augsburger Bischofs handeln. Landerich: Dieser Name taucht bis auf eine Nennung als Zeuge (Lantrich) in St. Gallen um 909 (Chart. Sang. II, n. 802) in keinem lokalen Zusammenhang auf und ist eher im westfränkischen Bereich anzutreffen. Wiclioz: Dieser Name taucht in keinem lokalen Zusammenhang auf. Werenpreht: Dieser Name taucht unter anderen Zeugen im Zürichgau 933 und 971 auf (ebd., nn. 842, 864) sowie bereits 745–902 mehrfach im Zürich- und Thurgau, darunter je einmal als Mönch, Subdiakon und Donator (ebd. I, nn. 12, 154, 175, 391; ebd. II, nn. 533, 560, 584, 646, 660, 710, 769). 64 Werner (Heeresorganisation, S.  820) sieht die Zeugenlisten als Indizien für die Grösse des Gefolges der handelnden Personen, wonach die Grafen über etwa 30 bewaffnete Begleiter, er spricht von ‹Vasallen›, verfügt hätten. Einerseits lässt sich dies nicht beweisen und andererseits halte ich 30 Hauskrieger pro Graf für eine äusserst hohe Zahl, wenn man die unterschiedlich grossen Grafschaftsbezirke betrachtet, woraus zugleich die Aufgebote für die Abteien und Bistümer bezogen wurden.

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wesenden lokalen ‹Vogt› und bei Adalperen um dessen ‹Untervogt›. Die Grafen und Gefolgsleute im Norden und ganz im Westen des Herzogtums fehlen.65 Geht man davon aus, dass zumindest die Truppenaufgebote von all den ebengenannten Gefolgsleuten des Herzogs diesen 926 nach Italien begleitet hatten, so würde dies erklären, warum keine oder kaum professionelle Krieger in Alemannien verfügbar waren, als die Ungarn einfielen.66 Betrachtet man den Thurgaugrafen Adalhart, so taucht dieser zuletzt in einer Urkunde von 92667 auf und ab 928 ist erstmals Ludwig als Graf im Thurgau fassbar. Hatte Adalhart vielleicht dasselbe Schicksal wie Burchard ereilt? – Da die wichtigsten schwäbischen Magnaten wohl zum persönlichen Gefolge des Herzogs in Italien gehört hatten, könnte Adalhart zusammen mit zahlreichen anderen schwäbischen Aristokraten im Handgemenge gefallen sein, das auf Burchards Tod folgte:

Hier vertauschte er [Burchard], durchbohrt von den Lanzen der andringenden Au­ sonier, das Leben mit dem Tode. Als die Seinen das sahen, suchten sie, da sie keinen anderen Ausweg hatten, Zuflucht in der Kirche des heiligen Christusbekenners Gaudentius. Aber die Ausonier, durch Burchards Drohungen nicht wenig gereizt und erbittert, brachen die Kirchentüren auf und erschlugen alle, welche sie darin fanden, sogar vor dem Altar selbst.68

Was gegen diese Theorie spräche, ist die Datierung ebendieser Adalharturkunde auf den 26. Mai mit dem Zusatz [sub] Purchardum ducem, Adalhardum comitem.69 Folgen wir der oben genannten Datierung von Burchards Tod im St. Galler Kapiteloffiziumsbuch, so wäre zumindest Burchard bereits seit einem knappen Monat tot. Andererseits gilt das genaue Datum als nicht gesichert, da die sub duce-/comite-Formel auch in Abwesenheit des betreffenden Machtträgers als Legitimationsmittel verwendet worden sein konnte.70 Zudem war die Nachricht vom Tod des Herzogs und seines Gefolges womöglich noch gar nicht nach St. Gallen durchgedrungen. Viel erstaunlicher an dieser Urkunde erscheint der darin verhandelte Gütertausch, und dies nur 25 Tage nach dem angeblichen Datum des Ungarneinfalles. Doch dies soll unten erneut zur Diskussion gebracht werden. Neben den oben genannten Aristokraten werden auch die milites dieser Gefolgsleute aufgeboten worden sein, womöglich gar alle Waffenträger des schwäbischen Heerbanns. Darunter fallen neben Reitern vor allem Fusstruppen. Obwohl in merowingischer und karolingischer Zeit eine expansionsbedingte Anpassung der Aufge 65 Dies sieht auch Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 98) so. 66 Maurer (Herzog von Schwaben, S.  151  f.) bezweifelt, dass im 10.  Jahrhundert ausser eigenen Vasallen des Herzogs noch andere Truppen mitzogen, wenn dieser einen Feldzug unternahm; dies soll sich erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts geändert haben. 67 Chart. Sang. II, n. 835. 68 Übersetzung von Bauer/Rau (Liudprand, Lib. antapod., S. 369). [Bruchardus] ab irruentibus Ausoniis lanceis confossus vitam morte commutavit. Sui denique hoc videntes, quoniam alio non poterant, intra ecclesiam sanctissimi confessoris Christi Gaudentii fugiunt. Ausonii itaque, ut ex Bruchardi minis non mediocriter inflammati atque indignati ecclesiae fores frangunt omnesque in ea repertos sub ipso etiam altari confodiunt (ebd. III, cap. 15). 69 Chart. Sang. II, n. 835. 70 Maurer, Schwarzwald, S. 40.

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Abb. 3: Sowohl Herzog Burchard als auch Graf Adalhart werden legitimierend in einer Urkunde genannt, obwohl sie zum Zeitpunkt der Ausstellung vermutlich bereits in Italien gefallen waren (StiASG, Urk. IV 482).

bote zugunsten berittener Krieger erfolgte,71 bestand ein beträchtlicher Teil – wenn nicht der Grossteil – der Aufgebote im 9. und 10. Jahrhundert noch immer aus Fuss­ truppen.72 Für Feldzüge in benachbarte Gebiete und vor allem nach Italien galten 71 Störmer, Früher Adel, S. 199; White, Medieval Technology, S. 3–6. 72 Nitzsch, Ministerialität, S. 38–42; Bachrach, Milites and Warfare, S. 311; ders., Cavalry, S. 181; Verbruggen, Art of Warfare, S. 211 f.; Coupland, Carolingian army, S. 61–63; Werner, Heeresorganisation, S. 830 f.; Renard, Élite paysanne, S. 320, 330. Für die Zeit Karls des Grossen vermutet Le Goff (Geburt Europas, S. 55) etwa 50 000 Krieger (wohl inklusive der Männer, die zur reinen defensio patriae aufgeboten worden wären), wovon 2000–3000 beritten gewesen seien. Alleine das Verhältnis beider Zahlen zeigt auf, dass Reiter und insbesondere Panzerreiter wohl stets nur den kleinsten Teil – den Kern – eines karolingischen Heeres ausgemacht haben. Althoff und Keller (Neubeginn, S. 87) vermuten, dass ein Wechsel zum reinen Reiterheer mit Heinrichs Ungarnmassnahmen im Herbst 926 zusammenhängt. Im Ansatz mag eine Verstärkung der Reiterei

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Panzerreiter allerdings als Kerntruppe (für den Schockangriff),73 alleine schon aufgrund der psychologischen Wirkung – wie Notker zum in Eisen gehüllten Heer Karls des Grossen schreibt.74 Ein solches Aufgebot bestand einerseits aus der schwäbischen Aristokratie und andererseits aus waffentragenden Funktionären. Die ständische Schichtung innerhalb dieser Kämpfergemeinschaft musste stark divergieren, denn ausschliesslich mit den freien Gefolgsleuten hätten selbst die grossen schwäbischen Reichsklöster St. Gallen und Reichenau das vom König oder Herzog geforderte Soll an Panzerreitern nicht stellen können.75 Jeder schwäbische Grosse wird zudem über eine gewisse Zahl an Hauskriegern verfügt haben, wie eine Schilderung aus Ekkeharts Klostergeschichten vermuten lässt: «Salomo aber, der vielfachen Rückhalt im Bistum und in den Abteien genoss und dank einer bunten Schar von Kriegern [milites] stark überlegen war, stiess einmal von ungefähr auf die Grafen [viri – Kammerboten Erchanger und Bertold].»76 Da diese «bunte Schar von Kriegern» offensichtlich das persönliche Gefolge (die Hauskrieger) von Abtbischof Salomo ausmachten,77 gehörten sie zwar womöglich zur Kerntruppe des bischöflichen Aufgebots, aber sie stellten dennoch nur einen geringen Teil desselben dar.78 Eine solche persönliche Haustruppe wird 150 Jahre später auch als Kerntruppe des Kölner Erzbischofs nach der Rückeroberung seiner civitas genannt.79 Der königliche Heerbann bestand im 10.  Jahrhundert wohl bereits zu einem grossen Teil aus Männern, welche ursprünglich aus der Dienstmannschaft kamen.80 Wie lässt sich ein solches Heer nun aber differenzieren? Über den Unterschied, ob

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wohl zutreffen, aber derart absolut führt ihre Vermutung wohl zu weit, da sie damit zugleich ein reines ‹Vasallenheer› voraussetzen, was ich für äusserst unwahrscheinlich halte. Vgl. Werner, Heeresorganisation, S. 802. Quando videris, […] segetem campis inhorrescere ferream Padumque et Ticinum marinis fluctibus ferro nigrantibus muros civitatis inundantes, […] Ferrum campos et plateas replebat; solis radii reverberabantur acie ferri; frigido ferro honor a frigidiori deferebatur populo. Splendidissimum ferrum horror expalluit cloacarum. O ferrum, heu ferrum! (Notker, Gesta Karoli II, cap. 17). Während in Italien, Frankreich und Burgund die Vasallen ausgereicht hätten, soll es im Ostfrankenreich laut Borchardt (Sonderweg, S. 40) notwendig geworden sein, Personen aus der unfreien familia dienstbar zu machen, um den regelmässigen Anforderungen an gut gerüsteten Kämpfern genügen zu können. Diese seien erst unspezifisch als servientes bezeichnet worden, bis sie im 11./12.  Jahrhundert präziser als ministeriales bezeichnet worden seien. Womit Borchardt dies ausreichend belegen möchte, ist mir ein Rätsel, bezüglich der Rekrutierung von Unfreien stimme ich ihm für den alemannischen Bereich allerdings zu. Ganahl (Verfassungsgeschichte, S. 154) spricht für die St. Galler Aufgebote etwas allgemeiner von den ‹besonders geeigneten› zum Herrschaftsbereich des Klosters gehörigen Leute. Vgl. ebenso Werner, Heeresorganisation, S. 843. Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 37). Sed episcopo et abbatiis ille multiplex variorumque militum manu fortior casu aliquando viris occurasaverat […] (ebd., cap. 12). Werner (Heeresorganisation, S. 820) berechnet pro Bischof und Abt ein ungefähres militärisches Gefolge von 10–30 Mann, das offenbar auch nicht zwingend zum königlichen Heerdienst aufgerufen wurde. Vgl. die ‹guerriers domestiques› bei Bloch (Société féodale, S. 217–224). Anno schickt seine auswärtigen Unterstützer nach der Einnahme der Stadt nach Hause, da der Rest nun durch seine Haustruppe erledigt werden könne: […] caetera quae restent facile iam privata ac domestica manu posse confici (Lampert, Annales, S. 246). Das sieht auch Werner (Heeresorganisation, S. 843) so.

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jemand zu Fuss oder beritten in die Schlacht zog, lässt sich jedenfalls nicht zwingend eine Aussage bezüglich Stand und Herkunft eines Kriegers treffen. Bachrach zeigt, dass Reitertruppen auf den frühmittelalterlichen Schlachtfeldern meist nur eine Auxiliarrolle einnahmen, da der Hauptkampf nach wie vor von Fusstruppen bestritten worden sei; ‹mit Pferden liessen sich schliesslich keine Burgmauern erklimmen›.81 Der berittene Schockangriff konnte nur im offenen Feld seine Wirkung entfalten. Ob die römisch-antik anmutende Auxiliarrolle auch für Italienzüge zutrifft, muss erst einmal offenbleiben.82 Der Begriff caballarius als karolingischer Terminus technicus für Reiterkrieger, der mit grösserer Wahrscheinlichkeit den Angehörigen der Aristokratie beizurechnen ist,83 verschwindet im 10./11. Jahrhundert zunehmend und es wird verallgemeinernd von milites oder pedites und equites gesprochen,84 was eine ständische Differenzierung fast unmöglich macht. Mönchskrieger und hörige Waffenträger Womöglich lässt sich das Problem direkt über die Wehrhaftigkeit angehen. Ob es sich nun um ‹alte aristokratische› Kriegergruppen oder um ‹neu rekrutierte› Waffenträger aus der unmittelbaren Umgebung oder dem Streubesitz eines Herrn handelte, ob diese ‹frei› oder ‹unfrei› waren und ob sich diese selbst bewaffnen, ausrüsten und trainieren mussten oder zweckgebunden von ihrem Herrn versorgt wurden,85 spielt für erste Überlegungen keine Rolle. Ausschlaggebend sind letztlich die Verteidigungsfähigkeit und der Wert als Kämpfer. In gewisser Weise sehen dies auch Althoff und Duby so. Beide bemerken, dass die «Wehrhaftigkeit ein wichtigeres Kriterium für soziale Überlegenheit […] als die rechtliche Freiheit» war.86 Die soziale Trennlinie verlief damit weniger zwischen Freiheit und Unfreiheit als zwischen Wehrhaften und Wehrlosen, welche von Althoff als milites und pauperes kategorisiert werden.87 In Zeiten schwacher Herrschaftspräsenz und -ausübung entglitt den verantwortlichen Kriegsherren nicht selten die Kontrolle über die eigenen Waffenträger. Dies konnte insbesondere dann prekäre Ausmasse annehmen, wenn die Gruppe an Waffenträgern zu gross wurde. Nun forderte ein König Heeresfolge von all seinen Untertanen, was vor allem von geistlichen Institutionen äusserst umfangreiche Aufgebote abverlangte. Eine sehr prägende Ursache für die starke Aufstockung des militärischen Potenzials auf kleinstem Raum stellten dabei Bedrohungen von aussen dar. Im Herzogtum Schwaben müssen wir im 10. Jahrhundert von einer regelrech 81 Bachrach, Milites and Warfare, S. 311, 342. Bachrach Senior führt hierfür zusätzlich Beispiele aus dem 8. Jahrhundert an und zeigt dabei die zentrale Rolle der Fusstruppen, während die Reiter ganz im römischen Sinne Flanken und Nachschub deckten. Archäologische Auswertungen würden zudem Verhältnisse auf dem Schlachtfeld von 1:4 bis zu 1:6 zugunsten der Fusstruppen ergeben (Bachrach, Shock Combat, S. 57, 63 f.; ders., Cavalry, S. 181). 82 Werner (Heeresorganisation, S. 842 f.) verneint diese Ansicht vehement. 83 Keller, Militia, S. 97. 84 Vgl. hierzu den Abschnitt zu Militarisierung und Professionalisierung unten. Zur nachrömischen Benennung des Pferdes (eques, cavallus) vgl. Knobloch, Wörter und Sachen, S. 42–45. 85 Vgl. Zotz, Ministerialität, S. 31. 86 Althoff, Rittertum, S. 322. 87 Ebd. und Duby, Société mâconnaise, S. 195 f.

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ten Militarisierung der Bevölkerung und Gesellschaft ausgehen, um der Ungarngefahr entgegenzuwirken. Eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft seit der ausgehenden Antike wird auch von einer Projektgruppe um Laury Sarti und Stefan Esders an der Freien Universität Berlin postuliert,88 die seit 2016 unter dem Titel «Militarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften. Erscheinungsformen, Regulierung und Wahrnehmung im westeuropäischen Vergleich» tätig ist. Die Militarisierung wird dabei als ein grundlegendes Charakteristikum des Mittelalters betrachtet.89 Der plötzliche Anstieg an freien wie unfreien Waffenträgern, der sich vor allem im Erscheinen zahlreicher ‹Ministerialer› und ‹Ritter› Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts zeigt, lässt sich kaum anders erklären. Damit kommen wir von den nicht näher umreissbaren milites Burchards in Italien zu den nichtprofessionellen Verbänden im Bodenseeraum, denen es im April/Mai 926 oblag, die Ungarngefahr abzuwenden. Nur wenige Tage nach Burchards Tod sollen ungarische Reiterkrieger nach einem Plünderzug durch Bayern via Augsburg und Bodensee am 1. Mai 926 das Kloster St. Gallen erreicht haben.90 Der Abt konnte sich nun entscheiden zwischen Martyrium, Flucht und Gegenwehr; er entschied sich für den Kampf. Doch hierfür brauchte er Krieger. Im Fall des Klosters St. Gallen, das einerseits die Pflicht hatte, dem König Truppen zuzuführen und auch weltliche Aufgaben zu bewältigen hatte, war es bereits im Frühmittelalter unausweichlich, Mitglieder der klösterlichen familia mit militärischen Aufgaben zu betrauen. Doch sind solche Leute für die Zeit vor dem Jahr 1000 kaum schriftlich fassbar. Waren sie Teil der klösterlichen familia? Ekkehart spricht für 926 davon, wie die familia – hier am besten als Gesinde zu bezeichnen91 – von Engilbert ebenfalls zum Kampf gerüstet wurde.92 Für Bachrach handelt es sich hierbei um professionelle Truppen des Abtes,93 obwohl Ekkehart an dieser Stelle das Gegenteil schreibt:

88 Laury Sarti ist seit 2017 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg tätig, jedoch weiterhin Projektleiterin. 89 Vgl. www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi/institut/arbeitsbereiche/ab_esders/Thyssen-Projekt/­ Thyssen-Projekt-Doc.html (26. 7. 2018). B. S. und D. S. Bachrach (Medieval Warfare, S. 101) halten eine zunehmende Militarisierung der ‹Zivilbevölkerung› für die einzige logische Schlussfolgerung, das herrschaftliche Bedürfnis nach «warm bodies for military service» zu gewährleisten. Den Beginn einer solchen Entwicklung setzen sie allerdings ans Ende der Antike beziehungsweise in den Rahmen der von mir postulierten ersten Transformation (Spätantike-Frühmittelalter) (vgl. hierzu ebenfalls Bachrach, Carolingian Warfare, S. 52 f.). Des Weiteren sind insbesondere die Untersuchungen von Bachrach Junior mit Vorsicht zu betrachten. 90 Nach der Betrachtung der obigen Urkunde vom 26. Mai 926 (Chart. Sang. II, n. 835) muss hinter das Datum der Ungarneinfälle aufgrund der geringen Zeitspanne ein grosses Fragezeichen gestellt werden. 91 Auch wenn Bradler (Ministerialität, S. 116) für das späte 10. Jahrhundert alle Dienstleute als zur familia gehörig bezeichnet, was von ihrer Bedeutung als ‹Unfreie› auch sicherlich zutrifft, so wird in diesem Fall Ekkehart mit grosser Wahrscheinlichkeit nur von der geografisch unmittelbaren familia gesprochen haben, was hauptsächlich das Gesinde des Klosters umschliesst. Schoch (Zeiten der Wanderungen, S. 204, 214) zählt alle in irgendeiner Weise an das Kloster gebundenen und somit zur königlichen Klosterimmunität zugehörigen Personen zur familia. 92 familiam roborat (Ekkehart IV., Cas. S. Gall., cap. 51). 93 Bachrach, Warfare, S. 121, 223 f.

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58 Denn da nun eben dies Unglück drohte und von seinen Ministerialen [militum]94 ein jeder um sich selbst besorgt war, hiess er die kräftigeren unter den Brüdern die Waffen ergreifen und rüstete das Gesinde [familiam]; selber zog er als ein Riese des Herrn den Panzer [lorica] an, streifte Kukulle und Stola darüber und gebot den Brüdern, ein Gleiches zu tun.95

Die klösterlichen milites seien in dieser Notsituation mehr um sich selbst besorgt gewesen als um das Kloster, weshalb der Abt seine Mönche und die familia rüsten und vorbereiten lässt. Er selbst zieht seine lorica an, den Brustpanzer, den er womöglich ansonsten bei der Führung des St.  Galler Aufgebots an Panzerreitern (loricati) trug, verbirgt ihn jedoch unter seinem Gewand, wodurch er offen als Geistlicher in den Krieg zieht. Grundsätzlich war jedem Geistlichen das Blutvergiessen untersagt und selbst in grösster Not und bei erlittenem Unrecht sollten friedliche Lösungen gesucht werden. «Verflechtungen klösterlicher Existenz mit militärischen Dingen» konnten aber durchaus auftreten, und zwar ‹an den Rändern der Christenheit› beziehungsweise unter Bedrohung durch Nichtchristen sowie an Orten, «wo sehr oft Not am Mann war», wie Fichtenau auf den Fall St. Gallen zugeschnitten folgert. Im Kampf gegen Häretiker und Nichtchristen konnte Krieg nämlich durchaus als ‹friedensbewahrend› interpretiert werden.96 Der persönliche Einsatz des St. Galler Abtes sprengt in dieser Form jedoch alle Vorstellungen und diese Sequenz könnte schlicht der Feder Ekkeharts geschuldet sein, womöglich als Warnung an seine Zeitgenossen, sich nicht mit dem Abt von St. Gallen anzulegen. Besonders in den Jahrzehnten nach Ekkehart IV. wird der Abt im Rahmen des ‹Investiturstreits› mehrfach als mächtiger Kriegsherr hervortreten müssen, wie an späterer Stelle zu sehen sein wird. Die obigen milites, welche nicht zur Verteidigung erschienen, sind wahrscheinlich unter den klösterlichen Verwaltern zu suchen, und tatsächlich spricht Ekkehart davon, dass Abt Engilberts Vorgänger Hartmann zu wenig auf die Tätigkeiten der klösterlichen maiores97 geschaut habe. Daraufhin hätten diese eine eigensinnige Lebensführung eingeschlagen und wandten sich lieber der Jagd als ihrer eigentlichen Aufgabe zu. Dabei handelte es sich laut Ekkehart um Männer im Besitz von beneficia, die im Stande waren, scuta et arma polita98 zu führen und dem Kloster gegenüber verpflichtet waren.99 Nach dem Tod Abt Hartmanns scheinen sie dessen Nachfolger 94 Besser neutral als ‹Krieger› zu übersetzen. 95 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 115). Nam malis his imminentibus, militum suorum unoquoque pro semet ipso sollicito, validiores fratrum arma sumere iubet, familiam roborat; ipse velud Domini gigans lorica indutus, cucullam superinduens et stolam, ipsos eaddem facere iubet (ebd., cap. 51). 96 Prinz, Fortissimus Abba, S. 78; Holzem, Krieg und Christentum, S. 25, 37, 64; Hobe, Völkerrecht, S. 34 f.; Nelson, Violence, S. 91. Vgl. das Waffentragverbot Karls des Grossen von 802: Ut presbyteri et diacones vel reliqui clerici arma non portent […] (Boretius, Kapitularien [MGH Capit. I], nn. 35, 37). 97 Hierzu mehr unter den Abschnitten zur Ministerialität und den Verwaltern. 98 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 48. Mit der Nennung der Standardbewaffnung eines ‹freien› Kriegers dürfte vor allem die Verpflichtung zum Kriegsdienst gemeint sein. Vgl. Hüpper-Dröge, Schutzwaffen, S. 111 f. 99 Für die Abtei Prüm hat Kuchenbuch (Klosterherrschaft, S. 271–279, 323–343) verschiedentlich gezeigt, dass es bereits im 9. Jahrhundert unterschiedliche, stark vom Kloster abhängige Funktionäre – inklusive maiores und scararii – gab, die über Benefizialgut verfügten. Er sieht darin

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Engilbert noch weniger Folge geleistet zu haben.100 Der Abt hatte stets das richtige Mass zwischen ausreichendem Schutz für das Kloster und der Kontrolle über die Beschützer zu finden. In Zeiten ausufernder Gewaltanwendungen wie während des Bruderkriegs in der zweiten Dekade des 10. Jahrhunderts, der Ungarneinfälle im ersten Drittel des 10. Jahrhunderts und des ‹Investiturstreits› Ende des 11. Jahrhunderts stieg das Bedürfnis nach Waffenträgern derart stark an, dass die Beschützer schnell selbst zur militärischen und vor allem ökonomischen Gefahr für ein Kloster werden konnten.101 Die von Ekkehart genannten milites beziehungsweise maiores konnten oder wollten – sofern sie nicht ebenfalls mit Burchard in Italien waren – also dem Kloster in der Not nicht beistehen, sodass sich die Mönche und das Gesinde gegen die Ungarn (926) selbst bewaffnen und wehren mussten.102 Hilfe aus Italien war keine zu erwarten, da man bei einem derartigen Heeresverband mit Gefolge und je nach Route um die 400–450 Kilometer von Ivrea nach St. Gallen zurücklegen musste. Bei einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von 25–35 Kilometern pro Tag im flachen Gelände und bei in etwa halber Geschwindigkeit im Gebirge103 kann man von einer Reisedauer von mindestens 13–20 Tagen ausgehen. Durch geschicktes Vorausplanen und Verbarrikadieren hinter einer eigens errichteten Holz-Erde-Burg nahe St. Gallen gelang es dem Abt und seinen Mitstreitern allerdings, die Ungarn praktisch unverrichteter Dinge zum Weiterzug zu bewegen.104 Als nächstes erreichten diese Konstanz, wo es dem Bischof ebenfalls gelang, seine civitas mit Waffengewalt zu verteidigen: «Konstanz sei ausserhalb der Mauern zwar abgebrannt, innerhalb aber mit Waffengewalt behauptet worden».105 In Konstanz kommen als Verteidiger neben Teilen des bischöflichen Gefolges sowohl die eigentlichen Wachen der ‹Bischofsburg›106 als auch die Bewohner der suburbia infrage. Letztere hatten bereits seit 912 einen rector – eine Art Vorläufer des bischöflichen Stadtammanns –, was bedeutet, dass die Marktsiedlung vor den Mauern

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unter anderem vassalli und ministeriales als ‹Lehnsträger› in der militia des Reichsklerus, wie bereits Prinz (Klerus und Krieg, S. 169) angedeutet hat. Die Verbindung von vassi und ‹Lehnsleuten› verneint Patzold (Lehnswesen, S. 38) vehement. His bonis florentem rempublicam nostram hisque malis Hartmannus obiens reliquerat periclitantem (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 48). Vgl. Bradler, Ministerialität, S. 111. Für die ergriffenen Massnahmen in St. Gallen vgl. die Abschnitte zum schwäbischen ‹incastellamento› unten sowie Wagner, Waldburg. Ohler, Reisen im Mittelalter, S.  109–111; Herbers, Konflikt, S.  56  f. Müller-Mertens (Reichsstruktur, S. 115) geht auch bei einer ausschliesslich berittenen Truppe im Frühmittelalter von einer maximalen Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 35 Kilometern pro Tag aus. Die ungarischen Reiter konnten ihre typischen Kampftaktiken im stark bewaldeten Umland von St. Gallen ohnehin nicht voll entfalten und bei einer Belagerung in unübersichtlichem Gelände mit Bäumen, die einen effizienten Beschuss verhindert hätten, wären sie wohl ein lohnenswertes Ziel für Angriffe und Überfälle aus dem Hinterhalt gewesen. Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 135). Constantia foris muros cremata, intus armis defensa (ebd., cap. 63). Man darf wohl davon ausgehen, dass eine derartige Befestigung, wenn schon nicht mit voller Stärke, zumindest mit einer Handvoll Wachen besetzt war. Als Vergleich kann Chur herangezogen werden, dessen Bischof vom König offiziell die Bewachung der Stadtmauern (und somit der civitas) im militärischen Sinne übertragen wurde (Hirschmann, Städtewesen I, S. 373).

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in Konstanz zu dieser Zeit bereits ziemlich ausgeprägt war.107 Die Bewohner dieser Siedlung sowie diejenigen der umliegenden Höfe könnten in dieser Gefahrensituation die schützende Bischofsburg aufgesucht und damit zugleich das Verteidigungspersonal aufgestockt haben. Das Inselkloster Reichenau wurde ebenfalls verschont, da es vor Bewaffneten (armatis) nur so gefunkelt hätte.108 Schliesslich tauchen in Ekkeharts Klostergeschichten doch noch weltliche Waffenträger im offenen Kampf auf: Nach der erfolglosen Belagerung von Konstanz sind die Ungarn weiter über den Alp- und Augstgau in Richtung Breisgau gezogen.109 Hierfür mussten auch die linksrheinischen Truppenteile der Ungarn den Rhein überqueren und während die Ungarn  – vielleicht zur Plünderung des Rheininselklosters Säckingen – von der linken auf die rechte Rheinseite übersetzten, wurden die noch auf der linken Seite verbliebenen Krieger von einem gewissen Hirminger aus dem Frickgau110 in einer nächtlichen Aktion angegriffen und besiegt, ohne dass die restlichen Ungarn diese hätten unterstützen können. «Es lebte zu dieser Zeit in dem Gau, den man Frickgau nennt, ein gewisser Hirminger, ein keineswegs mächtiger Mann, aber von starker Hand und starkem Mut […]. […] Hirminger und seine Söhne [überfielen] mit von überall flugs zusammengeraffter Mannschaft die Ungarn.»111 Hirminger war demnach ein ‹gewöhnlicher› Mann, der aus persönlichem Antrieb mit seinen Söhnen und eiligst herbeigerufenen Freunden und Bekannten die Ungarn mitten in der Nacht überfiel. Mehr lässt sich über Hirminger und sein lokales Aufgebot (copiis) nicht sagen. Als die Ungarn schliesslich weiterzogen und ins Elsass einfielen, wurden sie vom Grafen des Sundgau, Liutfrid,112 attackiert und nach einer für beide Seiten äusserst verlustreichen Schlacht zogen die Ungarn Richtung Besançon ab.113 Bis auf das Aufgebot im Elsass handelte es sich bei den Kämpfen im Herzogtum Schwaben im Frühjahr 926 also hauptsächlich um nicht näher benannte Waffenträger unter den Sammelbezeichnungen familia und copiae und nicht um milites.

107 Kramml, Konstanz, S. 289; Maurer, Konstanz, S. 62. 108 Augia quoque navibus subductis armatis multis in circuitu fulgida (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 63). 109 Sie zogen auf beiden Seiten des Rheins flussabwärts: hostes sevos cis citraque Renum omnia igne cedibusque pervadentes transisse (ebd.). 110 Der an den Augstgau angrenzende Frickgau liegt südwestlich des Zusammenflusses von der Aare in den Rhein und ist an seiner westlichen Grenze durch den Möhlinbach abgetrennt (Sauerländer, ‹Frickgau›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8574.php [26. 7. 2018]). 111 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 137). Erat ea tempestate in pago, quem Friccouve dicunt, Hirminger quidam, vir non adeo praepotens, sed manu et animo validus […] ipse istos cum filiis, copiis pro tempore undecumque corrasis […] invaserat (ebd., cap. 64). Gersbach (‹Bürkli› bei Riburg, S. 279) verortet die ‹Schlacht› zwischen den Ungarn und einem einheimischen Aufgebot unter Hirminger etwa 10–15 Kilometer östlich des belagerten Inselklosters Säckingen auf dem Sisselfeld (heutiges Sisseln?) am südlichen Rheinufer. 112 Liutfrid quodam, terre illius potentissimo (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 64). Borgolte betont die Rolle der mächtigsten Aristokraten für den König in Sachen Sicherung des Reiches. Er setzt Liutfrid mit dem gleichnamigen Grafen im Elsass von 902 aus der Reihe der Liutfride gleich, die sich auch bereits 917 in der Abwehr der Ungarn hervorgetan hatten (Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 177 f.; ders., Grafengewalt im Elsass, S. 48 f.). 113 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 64.

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Waffen im Kloster Vergleichen wir diese Situation mit dem Kampf gegen die Sarazenen knapp zehn Jahre später (zwischen 936 und 940),114 so scheint der Abt im ersten Fall zumindest von seinen milites unterstützt worden zu sein, wenn auch erfolglos. Erneut gelang es der bewaffneten familia, unter der Führung des Klosterdekans Walto, den Feind aufzufinden und niederzumachen, während die milites versagten: «[…] und sie konnten von einer Schar Krieger [milites] des Abtes in ihren Verstecken nicht aufgestöbert werden; da überfiel sie Walto in eigener Person eines Nachts mit den Kühneren aus dem Gesinde [familia]».115 Dieser Ausschnitt aus Ekkeharts Chronik kann uns womöglich über die Auswertung der erwähnten Bewaffnung insgesamt weiterbringen. Während für den ungarischen Überfall von sankt-gallischer Seite eigens angefertigte Waffen wie Wurfspiesse (spicula),116 Panzer aus Filzstoffen (piltris lorice), Schleudern (fundibula), Schilder aus Brettern und Korbgeflechten (scuta) sowie zugespitzte Sparren und Knüttel (sparrones et fustes) genannt werden,117 so hält die Fortsetzung des obigen Textes weitere Waffen für den Kampf gegen die Sarazenen bereit: «[…] mit Lanzen [lanceae] und Sensen [falces], mit Äxten [secures] auch wurden etliche niedergemetzelt.»118 Da man davon ausgehen kann, dass sich die familia wohl mit dem zur Verfügung stehenden Gerät und Werkzeug bewaffnet hat, deutet die Nennung einer Sense bereits auf den zugleich landwirtschaftlichen Charakter des klösterlichen Gesindes hin. Ebenso dürfte die Axt eher dem handwerklichen sowie haus- und forstwirtschaftlichen Bereich zugeordnet werden. Zwar kann unter einer securis auch eine Streitaxt verstanden werden, doch hatte gemäss Grabfunden119 weder die alemannische noch die bayerische Kriegsausrüstung eine Axt in ihrem Ensemble und selbst im fränkischen und mitteldeutschen Bereich verschwand die Axt im 6.–7. Jahrhundert aus dem Waffenrepertoire120 und tauchte in Mittel- und Nordeuropa erst wieder im 11. Jahrhundert auf.121 Die Entstehung der Chronik im 11. Jahrhundert könnte 114 Ohler (Pax Dei, S. 308) vermutet das Jahr 939. 115 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 245). […] militumque abbatis manu, ubi laterent, investigari non possent, ipse [Walto decanus] quadam nocte cum familiȩ audacioribus sibi, […] invasit (ebd., cap. 126). 116 Zur Unterscheidung von Lanzen, Speeren und Spiessen durch die zeitgenössischen Chronisten vgl. den Abschnitt ‹Schwert und Speer› unten sowie Hüpper-Dröge, Schild und Speer, insbesondere S. 354. 117 Fabricantur spicula, piltris lorice fiunt, fundibula plectuntur, tabulis compactis et wannis scuta simulantur, sparrones et fustes acute focis praedurantur (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 51). 118 Übersetzung von Haefele (ebd., S. 245). […] lanceis et falcibus, securibus quoque quibusdam trucidatis (ebd., cap. 126). 119 Die Argumentation über Grabfunde ist – am Rande bemerkt – allerdings nicht einschlägig, da für jede Region andere Sitten galten und Waffen, selbst in beschädigtem Zustand, meist trotzdem weiterverwendet wurden. Spätestens seit der Karolingerzeit ging die Sitte, den Toten Waffen mitzugeben, stark zurück und brach schliesslich ab (Meyer, Kriegswesen, S. 117). 120 Quast, Reihengräbersitte, S. 186 f. 121 Steuer, Bewaffnung, S. 64 f., 73. Äxte und Keulen waren bereits in karolingischer Zeit bei den Franken nicht mehr allzu beliebt, während sie vor allem noch bei den slawischen Stämmen und in Skandinavien breite Anwendung fanden (Szameit, Kriegswesen, S. 72). Eine dezidierte Auswertung zur merowingischen und karolingischen Kriegsausrüstung liefert Dagmar Hüpper-­ Dröge in ihrer Dissertation (Schild und Speer, insbesondere S. 178–181, 187–189).

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zwar mit dem Wiederauftauchen der Streitaxt in Verbindung gebracht werden, doch scheint eine Beeinflussung des Mönches Ekkehart durch Ausrüstungsgegenstände aus dem klösterlichen Umfeld (Handwerkszeug der familia) wahrscheinlicher. Des Weiteren nennt er die Axt eines ungarischen Kriegers an früherer Stelle ascia und nicht securis.122 Da die dritte genannte Waffe, die Lanze, ähnlich wie das Schwert, nicht sicher für ‹Unfreie› bestimmt war, liesse sich die Axt vielleicht dennoch in die Bewaffnung der nichtaristokratischen Truppen einordnen. Was wir über die zeitgenössische Bewaffnung wissen, stammt zu grossen Teilen aus Grabfunden, weshalb wir über die Bewaffnung ‹bäuerlicher› Kämpfer ohnehin nur schlecht informiert sind. Eine auf Gräbern beruhende Studie zur Bewaffnung kann also nicht die Realität der breiten nichtaristokratischen Kriegerschaft widerspiegeln.123 Über Waffe oder Werkzeug liesse sich weiter streiten, im Endeffekt ist aber ohnehin der ‹Anwendungsbereich› des Gegenstands für die Bezeichnung als Waffe ausschlaggebend. Die Nennung von Lanzen würde im Normalfall eher für gehobene Untergebene des Klosters sprechen, da Hörigen das Tragen solcher Waffen seit der Zeit Karls des Grossen untersagt gewesen sein soll,124 doch wurde im Notfall wohl schlicht zur nächsten Waffe gegriffen, Anordnung hin oder her. Nicht vergessen werden darf, dass das Kloster wahrscheinlich selbst Waffen produzierte, die es unter anderem als dona annualia an den König abliefern musste.125 Im Idealbild des St. Galler Klosterplans werden hierfür «Schwertschleifer oder Schwertfeger» (emundatores vel politores gladiorum) und Schildmacher/Schildner (scutarii) genannt.126 Die unfreie familia könnte also auf Anordnung des Dekans Walto gar auf die im Kloster selbst produzierten Waffen zurückgegriffen haben. 122 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 53. 123 «Der Bestattungsvorgang unterliegt Ritualen, die nicht von der Bewaffnung im Krieg bestimmt sein müssen» (Steuer, Bewaffnung, S. 313). 124 Ebd., S. 37; Duby, Krieger und Bauern, S. 46. Die Verdrängung der einfachen waffenführenden Freien durch die aristokratische Elite, die man bereits als ‹Berufskrieger› bezeichnen kann, lag laut Rösener (Bauern im Mittelalter, S. 20) nicht zuletzt an den Waffentragverboten für immer weitere Teile der Bevölkerung. So werden beispielsweise in einem ‹Reichslandfrieden› Friedrichs I. Barbarossa von 1152 ausdrücklich Lanze und Schwert als verbotene Waffen für rustici genannt: Si quis rusticus arma vel lanceam portaverit vel gladium, iudex, in cuius potestate repertus fuerit, vel arma tollat vel viginti solidos pro ipsis a rustico accipiat (Weiland, Const. de pace tenenda [MGH Const. I, n. 140], n. 12). Derartige Regelungen sind für das 10. Jahrhundert nicht bekannt. Zudem hätten sie in der Praxis – insbesondere im Ernstfall – wohl kaum gegriffen. 125 Vgl. die Ausführungen unten sowie Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 154; Stalsberg, VlfberhtKlingen, S. 102; Prinz, Herrschaftsformen, S. 19. 126 Berschin, Klosterplan, S. 137, sowie ergänzend die Ausgaben von Schedl (Plan von St. Gallen, S. 132; im Wesentlichen nach Berschin) und ergänzend die ältere Ausgabe von Reinhardt (Klosterplan, S. 14). Vgl. den entsprechenden Ausschnitt unten unter Handwerk und Spezialisierung. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass der Plan ja nicht umgesetzt wurde und sowohl in Sachen Herkunft und Entstehung als auch bei der Frage nach Aufgabe und Inhalt nicht zweifelsfrei eingeordnet werden kann (Angenendt, Frühmittelalter, S. 410 f.), wenn auch die einzelnen Bestandteile einem idealen Benediktinerkloster zugeordnet werden können (Hawel, Mönchtum, S. 233–235). Erhart vergleicht die Modellhaftigkeit des Plans treffend mit der aufkommenden Systematik der zeitgleichen Urkundentradition: «So wie die heute als ‹St. Galler Klosterplan› bezeichnete Architekturzeichnung eine komprimierte Ordnung der mit einem monastischen Komplex assoziierten Gebäude vorschlägt, suchte Gozbert nach einer geeigneten Lösung für eine bessere Erschliessung des Urkundenarchivs» (Erhart/Wagner, Augstgau, S. 48).

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Als Waffen für die mit Burchard nach Italien gezogenen milites sind einerseits die bei den Alemannen überwiegend benutzte spatha (doppelschneidiges Langschwert) zu nennen127 und andererseits die in jeder Immunitätsverleihung und zahlreichen Güter­ übertragungen genannte Lanze mit Schild (dona […], id est caballi duo cum scutis et lanceis).128 Während die hörigen Waffenträger in St. Gallen und wohl auch ein Grossteil der leichtbewaffneten Fusstruppen (inklusive Begleitern und Knechten) ohne nennenswerte Schutzkleidung in den Kampf zogen, verfügte ein Teil der milites als loricati über einen lorica genannten Schuppenpanzer. Ansonsten muss man sich wohl lederne Schutzkleidung und die bei Ekkehart genannten Panzer aus Filzstoffen vorstellen.129 Hinweise auf derlei Bewaffnung und Schutzbekleidung finden sich auf zahlreichen Psalmenbildern im Goldenen Psalter von St. Gallen (um 900), dem Stuttgarter Psalter (830/840) und dem Utrechter Psalter (um 830).130 Im Goldenen Psalter findet sich ein kleiner mit Flügellanzen bewaffneter Reitertrupp, ihm voraus reitet ein signifer (Bannerträger). Alle tragen sie eine lorica sowie Helme, einer trägt einen Schild und alle verfügen über Steigbügel. Dahinter folgt ein ebenfalls mit Lanzen, Helmen und Steigbügeln ausgerüsteter Trupp,131 allerdings ohne Panzer, wobei es sich entweder um weitere (im Gegensatz zur Vorhut) nicht zum Kampf gerüstete Reiterkrieger oder Führungspersönlichkeiten handelt. Eine dritte Möglichkeit wären Teile der leichten Reiterei, die ansonsten kaum in den Quellen erwähnt wird.132 Solch ein Heereszug wird auch im Utrechter Psalter dargestellt: Gut gerüstete Krieger reiten in Marschordnung, behelmt und mit Flügellanzen und Rundschilden.133 An der Spitze blasen zwei Krieger in ihre Kriegshörner134 und zwei tragen an 127 Steuer, Bewaffnung, S.  87; Steiner, Bewaffnung, S.  206. Im Rahmen einer öffentlichen Gerichtsverhandlung in Dürrheim um 890 sind die anwesenden Männer gewillt, sich notfalls mit Waffengewalt beziehungsweise bis zum Blutvergiessen (usque ad sanguinis effusionem) Gehör zu verschaffen, wobei als Waffen ausdrücklich spatae genannt werden (Chart. Sang. II, n. 713). Des Weiteren wird in der lex Alamannorum die Spatha als klassische Zweikampfwaffe, als Waffe eines freien Alemannen, genannt. Dementsprechend waren wohl auch Handwerker, die derartige Waffen herstellen konnten, nicht wenig angesehene Männer: Ein faber spatarius wird gar ausdrücklich im ‹Bussgeldkatalog› der lex Alamannorum mit erhöhtem Wergeld aufgeführt (Schott, Lex Alamannorum, S. 114, 122, 152). Zur Bewaffnung «des freien Alemannen» vgl. Steuer, Krieger und Bauern, S. 306 f., zur Bedeutung des Schwertes in der Erlangung und Behauptung von Recht vgl. Hüpper-Dröge, Schutzwaffen, S. 125–127. 128 Statuimus etiam, ut annuatim inde dona nostrȩ serenitati veniant, sicut de ceteris monasteriis, id est caballi duo cum scutis et lanceis (Chart. Sang. II, n. 450, sowie ebd., n. 750). In der Immunitätsbestätigung von 892 fällt diese Angabe interessanterweise weg, während sie im Entwurf für dieselbe Urkunde noch vorhanden war (ebd., n. 724–725). Zur formelhaften Wortverbindung von scutum und lancea vgl. Hüpper-Dröge, Schutzwaffen, S. 111 f. 129 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 51. 130 StiBiSG, Cod. Sang. 22, S. 140 f.; WLB Stuttgart, Cod. bibl. fol. 23, fol. 72r, 66v, 70v, 74r, 74v etc. Der «Berner Prudentius» in der Burgerbibliothek Bern (Cod. 264) ist für diese Untersuchung etwas zu stark an die spätantike Malerei angelehnt, was unter anderem Farben und Bildkomposition sowie Bewaffnung betrifft, wie Eggenberger (Buchmalerei, S. 243) meint. 131 Zu den Steigbügeln, der damit verbundenen Kampfesweise und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Veränderungen vgl. White, Medieval Technology, insbesondere S. 25–32. 132 StiBiSG, Cod. Sang. 22, S. 140; Störmer, Früher Adel, S. 176. 133 Bezüglich der Flügellanzen und spezifischen Schilde in den hier behandelten Psaltern vgl. Hüpper-Dröge, Schild und Speer, S. 190–192. 134 Die Darstellung dient der Illustration von Psalm 81, dem Aufruf zur Treue gegenüber Gott: «Stoss in die Posaune […] am Tag unseres Festes» (Psalm 81,4).

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Abb. 4: Loricati belagern zu Fuss und beritten eine Stadt (StiBiSG, Cod. Sang. 22, S. 141).

ihren Flügellanzen Wimpel.135 Ein noch früheres Beispiel solcher Bewaffnung mit Speer sowie mit Schutzkleidung, welche mit derjenigen aus dem Goldenen Psalter vergleichbar ist, stellt die Darstellung gerüsteter Krieger auf einer Leier aus dem «Sängergrab» von Trossingen dar (um das Jahr 580). Dem Leichnam waren zudem eine Spatha, Lanze, Schild und Reiterausrüstung beigegeben worden.136 Zur Darstellung und Umschreibung solcher Ausrüstungen fügt Coupland hinzu, dass – während Schilde für praktisch alle Truppengattungen von hoher Bedeutung waren und Schildmacher deshalb wohl oft anzutreffen waren – Helme eher zu den grossen Ausnahmen gehörten und man eher mit einfachen Kappen zu rechnen hätte.137 Helmträger dürften demnach zu den gehobeneren milites gezählt werden. Zur zeitgenössischen Wahrnehmung von Fernkämpfern Auf den Psalmenbildern finden sich nur sehr selten Bogenschützen, die – bis auf maximal einen Helm – keine Schutzbekleidung tragen. Die einzige Ausnahme bildet hierbei der Utrechter Psalter,138 der allerdings auch in einem anderen Umfeld, nämlich in Reims, entstanden ist. Für Burchards Feldzug nach Italien, der zwangs 135 UB Utrecht, Ms. 32, fol. 48v. 136 Theune-Grosskopf, Sängergrab, S. 32–39, 68 f. Zur weiteren Interpretation vgl. Steuer, Gefolgschaft, S. 312 f. 137 Coupland, Carolingian arms, S. 32, 35 f., 47, 50. Helme hätten nach Coupland (ebd.) etwa viermal mehr gekostet als Lanze und Schild zusammen. 138 Im Utrechter Psalter wird unter anderem ein hoher Kriegsherr in voller Rüstung und mit Schild und Flügellanze gezeigt, der zudem einen Reflexbogen trägt (UB Utrecht, Ms. 32, fol. 9r).

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Abb. 5: Karolingische Reiterei im Kampf gegen berittene Bogenschützen (WLB Stuttgart, Cod. bibl. fol. 23, fol. 71v).

läufig früher oder später zur Belagerung einer norditalienischen Stadt geführt hätte, gehörten mit grosser Wahrscheinlichkeit auch Bogenschützen,139 womöglich als Teil der Begleitung der einzelnen milites. Einerseits wäre eine Belagerung ohne solche wohl undenkbar gewesen, andererseits konnte die Versorgung des Heeres durch die Erlegung von Wild entlang der Marschroute eine sinnvolle Nahrungsergänzung erfahren. In den drei Psaltern aus St. Gallen, Stuttgart und Utrecht tauchen Bogenschützen meist ohne lorica oder weitere Schutzbekleidung auf,140 tragen hin und wieder einen Helm141 und sind etwa zur Hälfte beritten.142 Aufgrund ihrer eher ausserhalb der ritterlichen Bewaffnung stehenden Ausrüstung und der damit verbundenen ‹unehrenhaften› Kampfweise wären Bogenschützen eher im Tross zu vermuten, welcher die milites begleitet.143 So tauchen Bogenschützen zusammen mit leichten Speerwerfern im Utrechter Psalter häufig kleidungstechnisch abgesetzt – ohne M ­ antel – auf.144 Dennoch lassen sich militia und Bogenführung nicht vollständig voneinander ab 139 Coupland (Carolingian arms, S. 48 f.) hält Reflexbögen in grosser Zahl eher für unwahrscheinlich und vermutet hinter der fränkischen Anwendung der Bogenwaffe eher den in Massen produzierbaren D-Bogen. Es wäre also durchaus möglich, dass die professionellen Truppen von einfachen leichten Truppen mit Fernwaffen begleitet wurden. 140 UB Utrecht, Ms. 32, fol. 4r, 7r, 12r, 13r, 15r etc.; WLB Stuttgart, Cod. bibl. fol. 23, fol. 32v, 69v, 71v, 74v, 90v. 141 Ebd., fol. 46v, 71v, 90v. 142 UB Utrecht, Ms. 32, fol. 25r; WLB Stuttgart, Cod. bibl. fol. 23, fol. 32v, 69v, 71v, 90v. 143 In dieser Weise sieht es auch Bloch (Société féodale, S. 404 f.). 144 UB Utrecht, Ms. 32, fol. 4r, 13r, 15r, 25r.

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grenzen; so berichtet der Reichenauer Mönch Hermann – wenn auch erst Mitte des 11. Jahrhunderts – in seiner Weltchronik von zwei nicht näher beschriebenen milites, die den Markgrafen von Tuscien mit Pfeilen verletzen, also vom Bogen Gebrauch machen.145 In der Darstellung eines Kriegszugs König Davids im Goldenen Psalter erscheint zudem ein berittener Bogenschütze mit lorica und Helm während der Belagerung einer befestigten Siedlung.146 Lorica-tragende Bogenschützen finden sich auch noch zwei weitere Male im Stuttgarter Psalter,147 darunter ein Bogenschütze in voller Kriegsausrüstung auf Hirschjagd.148 Das letzte Beispiel würde im Falle eines miles mit teurer lorica gut mit der in späterer Zeit der gehobenen Schicht vorbehaltenen Hirschjagd zusammenpassen,149 wobei es sich in diesem Fall nicht um einen Waffenträger niederen Standes handeln würde. Auf der Jagd oder bei der Belagerung erscheinen Bogenwaffen weniger als unehrenhafte Waffen, als im offenen Kampf.150 So werden zwei berittene Bogenschützen im Stuttgarter Psalter wohl als unehrenhafte Feinde im Sinne östlicher Reitervölker dargestellt,151 da beide während ihrer (Schein‑)Flucht einen parthischen Schuss abgeben, was auch in den Quellen zu den Ungarneinfällen als äusserst feige abgetan wird.152 Ausdrücklich genannt werden Bogenschützen in der schriftlichen Überlieferung des frühen und hohen Mittelalters nur selten und so findet sich ein geografisch relativ nahes Beispiel erst für 1152: Dux Bertolfus habebit cum domino rege mille loricatos equites, quamdiu dominus rex in eisdem terris fuerit. In Italicam expeditionem ducet cum domino rege, quamdiu in ipsa expeditione fuerit, quingentos loricatos equites et L arcobalistarios.153 Herzog Berthold IV. von Zähringen hat dem König im Falle eines Italienzuges 500 Panzerreiter und 50 Bogenschützen zu stellen. Weilt der König innerhalb von Bertholds Herrschaftsgebiet, so sollen ihm gar 1000 Panzerreiter, jedoch keine Bogenschützen zur Seite gestellt werden. Diese enorme Forderung liess sich kaum erfüllen und ist letztlich den verzweifelten Bemühungen der Zähringer geschuldet, nach dem Verlust des Herzogtums Schwaben um 1098 zumindest die Herrschaft über Burgund zu erlangen und zu behaupten154 – solche Zahlen sind also mit Vorsicht zu beurteilen. Dabei scheinen jedoch eher die Zahlen der Panzerreiter übertrieben 145 Bonifacius, […] Italiae marchio […] a duobus exceptus militibus sagittisque vulneratus […] (Hermann, Chronicon, an. 1052, S. 698). 146 StiBiSG, Cod. Sang. 22, S. 141. 147 WLB Stuttgart, Cod. bibl. fol. 23, fol. 12v. 148 Ebd., fol. 20v. 149 Vgl. die Ekkehartstelle mit den maiores, die sich lieber der Jagd als ihren eigentlichen Pflichten zuwenden (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 48). Inwieweit die Jagd im Frühmittelalter bereits ein Privileg der Oberschicht war, ist unklar (Steiner/Motschi, Identitäten, S. 304). 150 Vgl. zum Verhältnis als Jagd- und Kriegswaffe Hüpper-Dröge, Schutzwaffen, S. 118 f. 151 WLB Stuttgart, Cod. bibl. fol. 23, fol. 71v. 152 Vgl. Ettel, Ungarnburgen, S. 45; Schulze-Dörrlamm, Ungarn, S. 49; Heinrich-Tamáska, Zerstörung, S.  12  f. Als äusserst unehrenhafte Aktion dürfte wohl auch oben erwähnter Hinterhalt zweier mit Bogen bewaffneter milites gegen den tuscischen Markgrafen gewertet werden. 153 Appelt, Urkunden Friedrichs I. (MGH DD F I,1), n. 12. 154 Vgl. hierfür unten das Kapitel zu Herzog Bertold II. von Zähringen. Zur Aufgebotsforderung hinzuzufügen ist, dass es der Zähringer – wie Althoff (Zähringer, S. 90–92) vermutet – wohl tatsächlich nicht geschafft hat, so viele Panzerreiter aufzubieten und dadurch der Weg zur neuen Burgundpolitik Friedrichs I. Barbarossa geebnet wurde.

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als die der Bogenschützen, welche nur im Falle eines Feldzuges gestellt werden müssen. Die arcobalistarii werden einzig für Züge nach Italien benötigt, was womöglich an der höheren Dichte gut befestigter Orte lag, die es auf dem Weg nach Rom notfalls zu belagern galt. Das Verhältnis zwischen Bogenschützen und Panzerreitern wirft jedenfalls Fragen auf: Warum handelt es sich  – wenn sie ohnehin schon erwähnt werden – nur um fünfzig Schützen? Denn, auch wenn der professionelle Umgang mit dem Bogen ausreichend Übung, Muskelkraft und Erfahrung voraussetzt, so wird deren Wert wohl kaum denjenigen eines loricatus überstiegen haben. Wurden die Bogenschützen noch von anderer Seite gestellt oder machten sie nach wie vor keinen wesentlichen Bestandteil eines ostfränkischen Heeres aus? Immerhin setzten fränkische Heerführer seit merowingischer Zeit vor allem auf Nahkampfwaffen, ob nun beritten oder zu Fuss.155 Die berittenen loricati könnten ebenfalls Bogenwaffen mit sich geführt haben, die im Belagerungsfalle oder bei sonstigem Bedarf eingesetzt werden konnten. Aus den leges Langobardorum entnimmt Hüpper-Dröge ein entscheidendes Detail zur Bewaffnung der dortigen Aufgebote, wonach sich jeder, der einen Schild halten könne, mit Pfeil und Bogen auszurüsten habe.156 Während Schild und Speer also zur fränkischen Standardausrüstung gehörten,157 könnte die Bogenwaffe diesen Platz im deutlich ‹urbanisierteren› Langobardenreich eingenommen haben.158 In fränkischen Heeren könnten die Bogenschützen hingegen als Teil des langsamen und nicht vollständig berittenen Trosses beziehungsweise zu dessen Schutz vermutet werden, da sie – im Gegensatz zu den loricati equites – nicht mit Sicherheit über Pferde verfügten. Laut Fleckenstein gehörten leichte Reiter, die unter anderem mit einem Bogen bewaffnet waren, selbstverständlich zu einem fränkischen Heer, was er allerdings aus nur einer einzigen brieflichen Erwähnung herleitet.159 Einen möglichen Hinweis auf den Einsatz von Bogenschützen im frühen Mittelalter gibt uns eine Abbildung aus dem Utrechter Psalter, worin in einer Feldschlacht zwischen dem Zusammentreffen der schweren Reiterei im Zentrum und dem Feldlager am Rand der Abbildung leichte Bogenschützen und Speerwerfer zu sehen sind.160 Gemäss dieser Darstellung hatten solche leichten Truppen als Unterstützung der Nahkämpfer also eine aktive Rolle. Des Weiteren wurden Fernkämpfer zur Verteidigung befestigter Stellungen eingesetzt, wie aus der anonymen Fortsetzung der St. Galler Klostergeschichten zu den Kämpfen während des ‹Investiturstreits› zu erfahren ist. Darin setzt der St. Galler Abt sagittarii und fundibularii – Bogenschützen und Schleuderer – zum Schutz einer strategisch wichtigen Passage ein, und für die Verteidigung der Bischofsstadt Kons 155 Vgl. Bodmer, Krieger, S. 122 f. 156 Hüpper-Dröge, Schutzwaffen, S. 114 f. Dies. (ebd., S. 116) fügt dieser Schlussfolgerung allerdings ein Fragezeichen an, da weder für die merowingische noch für die karolingische Zeit je von erfolgreichen Bogenschützeneinheiten berichtet werde. 157 Dies., Schild und Speer, S.  182–192. Vgl. zur Bogenführung bei den karolingischen Truppen Bachrach, Cavalry, S. 181, sowie Erben, Kriegswesen, S. 323 f. 158 Im Kampf um befestigte Stellungen waren Fernwaffen unverzichtbar (Bachrach, Carolingian Warfare, S. 98 f.). 159 Fleckenstein, Ritterliche Welt, S. 45. Vgl. zur selben Stelle Coupland, Carolingian arms, S. 30. 160 UB Utrecht, Ms. 32, fol. 15r.

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Abb. 6: In einer Darstellung zum Psalm 27 werden schwere Reiterei im Zentrum sowie unterstützende Plänkler auf der rechten Seite gezeigt (UB Utrecht, Ms. 32, fol. 15r.).

tanz werden dieselben Begriffe zur Beschreibung der Konstanzer ‹Bürger› auf den Mauern verwendet.161 Fernkämpfer stehen also bis zum 11.  Jahrhundert besonders im Zusammenhang mit der Eroberung und Verteidigung fester Plätze. Fernkämpfer wurden von ihren commilitones zwar nicht gerade zu den ‹ritterlichsten› Kriegern auf dem Schlachtfeld gezählt, doch waren sie ein unverzichtbares Element eines jeden Feldzuges. Dass selbst die berittenen milites einen Bogen und eine gewisse Anzahl Pfeile mitzuführen hatten, wie aus verschiedenen zeitgenössischen Quellen zu entnehmen ist, dürfte allerdings angezweifelt werden, da dieser Umstand nur den schriftlichen Quellen, nicht aber den archäologischen zu entnehmen ist.162 Bewaffnung und Standesbewusstsein Abschliessend lässt sich zum Verhältnis von professionellen Kriegern und zweckdienlich aufgebotenen Waffenträgern im schwäbisch-alemannischen Bereich vor allem postulieren, dass Letztere stark von inneren Krisen und Bedrohungen von aussen profitieren konnten. Solche Gefahrensituationen mögen dem St. Galler Abt die Notwendigkeit geübter Krieger vor Augen geführt haben, und dies liess die bisherigen Waffenträger in ihrer Bedeutung und Funktion wachsen.163 Umso mehr lässt sich eine zunehmende Bedeutung durch die Selbsthilfe und Bewaffnung bisher unbewaffneter Gruppen vermuten. So bildeten Waffenträger aus dem Klostergesinde in zunehmendem Masse eine Kampfgemeinschaft mit schwäbischen Aristokraten.164 Die schwäbische Kriegergesellschaft, bestehend aus professionellen Kriegern 161 162 163 164

Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 28, 33. Coupland, Carolingian arms, S. 47. Bradler, Ministerialität, S. 112. Bei den Kämpfern wurde wohl keine Unterteilung in ‹Freie› und ‹Unfreie› vollzogen (Borchardt, Sonderweg, S. 41).

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und einfachen Waffenträgern, muss daraufhin im Verlauf des 10. Jahrhunderts eine grundlegende Transformation durchlebt haben, denn ab dem 11. und 12.  Jahrhundert stehen Aristokraten und unfreie Dienstleute plötzlich gemeinsam als Teil einer neuen Ritterschaft auf dem Schlachtfeld.165 Die Durchmischung von Truppen und die dringende Notwendigkeit an menschlichem Nachschub wird insbesondere in den auszehrenden Auseinandersetzungen während des ‹Investiturstreits› ersichtlich, wie noch im Kapitel zu exercitus und militia zu sehen sein wird.166 In einer der zentralen Quellen für ebenjene Zeit, der Chronik Bertholds von Reichenau, wird die personelle und ständische Unterscheidung aufs Minimum heruntergebrochen, nämlich auf Kleriker (clerici etc.), Krieger (milites etc.) und Nichtkrieger (rustici, populus etc.).167 Bei absolutem Mangel werden schliesslich gar Nichtkrieger bewaffnet, teilweise ausdrücklich mit ‹ritterlichen› Waffen. Ansonsten sind diese als gewöhnliche Waffenträger zu erkennen, die eben nicht über wertvolle Bewaffnung und Schutzkleidung verfügen. So führt Berthold an einer Stelle eine ständische Unterscheidung innerhalb eines Heeres an, indem er die schwerttragenden Krieger von den niederen Kämpfern abhebt.168 Die an späterer Stelle noch zu thematisierende Instrumentalisierung der militia durch die Kirche erhält im Zusammenhang mit Bertholds Erzählung zudem eine göttliche Zuordnung des standesdefinierenden Schwertes als Vollstrecker von Gottes Gerechtigkeit: «Meginfred,169 ein Graf aus Magdeburg, hatte schon längst um Gottes Willen die Waffen abgelegt, hatte sie aber wieder aufgenommen, da er um des schmählichen Erwerbs einiger Güter willen abtrünnig geworden war, weshalb er auch dort durch das Schwert, den Rächer Gottes, des gerechten Richters, durchbohrt wurde und zu Tode kam.»170 Vom Aussehen wurde wohl häufig auf das ständische Ansehen geschlossen, weshalb eine Verbindung von Ausrüstung und Stand beziehungsweise Bewaffnung und Standesbewusstsein mehr als nur naheliegend ist. Bildlich nachweisen lässt sich dies anhand der oben untersuchten Abbildungen in den Psaltern von St. Gallen, Stuttgart und Utrecht. Als Beispiel soll hier nun kurz derjenige aus Utrecht dienen, da darin nirgends Panzerungen zu sehen sind, sondern lediglich unterschiedliche Trachten, und daher nur die Darstellung von Helmen und Stiefeln (Beinschienen)171 165 Die Entwicklung bis dahin und die christliche Vereinnahmung der milita wird an späterer Stelle weiter ausgeführt. Vgl. Erkens, Militia und Ritterschaft, S. 633 f. 166 Vgl. Arnold, German Knighthood, S. 17. 167 Diese Beobachtung macht auch Duby (Chevalerie, S.  327  f.) für das Westfrankenreich mit einem Entwicklungsbeginn um 980 und einer Verdichtung Ende des 11. Jahrhunderts. 168 De militia autem R[uodolfi] regis XXX et VIII, et hi omnes preter duos de minoribus, non de militaribus ensiferis, cecidisse referuntur (Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 272). 169 Meginfrid war Burggraf von Magdeburg und gehörte zu den Gefallenen in der Schlacht bei Flarchheim (27. 1. 1079). 170 Übersetzung von Robinson (Berthold, Chronicon II, S. 273). Meginfridus, comes quidam Parthenopolitanus, arma iam diu pro Deo deposita ob turpes quorundam prediorum questus apostata resumpserat, unde et Dei iusti iudicis ultore gladio illic confosus perierat (ebd., an. 1079, S. 272). Zum Schwert als ‹Werkzeug und Ornat› vgl. Störmer, Früher Adel, S. 163 f., und Fichtenau, Lebensordnungen, S. 93 f. 171 Vgl. UB Utrecht, Ms. 32, fol. 9r, 13v, 21r.

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eine Kriegsausrüstung erahnen lässt. Im Psalter kann unterschieden werden zwischen der waffentragenden Elite, einfachen Waffenträgern und dem gewöhnlichen Volk. So werden Angehörige der Elite selbst in Friedenszeiten mit jeweils einer Flügellanze und einem Schild dargestellt, die sie häufig beide in derselben Hand tragen, und alle tragen sie einen an der rechten Schulter durch Broschen oder Spangen zusammengehaltenen Mantel. Auch die einfachen Waffenträger werden zwar mit Flügellanzen dargestellt, doch tragen sie bloss einfache Kleidung und verfügen meist über keinen Schild.172 Diese bildliche Überbetonung von scutum und lancea mit zum Teil realitätsfernen Darstellungen – in einem Fall trägt ein Kriegsherr in der linken Hand Lanze und Schild sowie in der Rechten einen Reflexbogen173 – könnte auf durch Treueeide versicherte Abhängigkeit dieser milites hinweisen, im klassischen Sinne der ‹Vasallenkrieger›. Doch soll an dieser Stelle keinesfalls auf das ‹Lehnswesen› verwiesen werden, denn «das primäre war nicht das Lehen, sondern die Bindung zwischen Herr und Mann», wie Patzold resümiert.174 Standesunabhängig dürfen scutum und lancea dabei durchaus als die erwartete Mindestausstattung eines zeitgenössischen Kriegers nördlich der Alpen betrachtet werden.175 Der Urheber dieser Abbildungen hätte demnach auf standestypische Attribute seiner Zeit (um 830 in Reims) zurückgegriffen, um die jeweilige Bedeutung der einzelnen Akteure hervorzuheben. Was hierbei überrascht, ist die auffallend seltene Abbildung von Schwertern, die ansonsten hervorragend als standestypische Attribute hätten verwendet werden können. Im Utrechter Psalter werden solche aber fast ausschliesslich bei Enthauptungen oder Tötungen im Handgemenge gezeigt und die Schwertträger sind dabei sowohl gehobene ‹Mantelträger› als auch einfache Kämpfer.176 Scutum und lancea dürften demnach eine höhere symbolische Rolle gespielt haben als das Schwert. Zumindest war dies aus der Sicht der zeichnenden Mönche so, welche den Symbolcharakter von Schild und Lanze aus den Urkunden gekannt haben dürften und diesen in ihre Psalmenbilder miteinfliessen liessen. Neben derartigen Abbildungen sind es aber vor allem Grabbefunde und -funde, die uns Rückschlüsse zu gesellschaftlichen Abstufungen und Einblicke in zeitgenössische Kriegergesellschaften ermöglichen.177 Besonders in Mehrfachgräbern sei an der unterschiedlichen Bewaffnung der nebeneinanderliegenden Krieger der Anführer beziehungsweise das Familienoberhaupt erkennbar. Typische Beigaben sind, neben Spatha und Sax, Sporen, Speere und Schilde sowie seltener auch Helm und Panzer. Daneben wurden beispielsweise in einem baskischen Massengrab auch Frauen und Kinder sowie Männer mit nur sehr leichter Bewaffnung gefunden, was im kras 172 Vgl. ebd., fol. 1v, 2r–4r, 5r, 6v, 8v, 11r–v, 15v, 17r, 18r–19v, 22r–v, 24r–v, 26r–v. Durch das Tragen von Lanze und Schild ist so schliesslich gar ein Krieger mit nacktem Oberkörper als herausragende Persönlichkeit erkennbar (ebd., fol. 10v). 173 Ebd., fol. 9r. 174 Patzold, Lehnswesen, S. 92 f. 175 Hüpper-Dröge, Schild und Speer, S. 194 f.; dies., Schutzwaffen, S. 111 f. 176 UB Utrecht, Ms. 32, fol. 4r, 13v etc. In nur einer Szene wird der Anführer einer Kriegergruppe mit Spatha gezeigt, die er gerade aus der Scheide zieht (ebd., fol. 21r). 177 Vgl. unter anderem Quast, Reihengräbersitte, S.  172  f., 182–188; Koch, Ethnische Vielfalt, S. 220–222.

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sen Gegensatz zu den schwer gewappneten Kriegern womöglich auf einen niedergemachten Tross hindeuten könnte. Auf diese Weise wurden jedoch auch Jungen unter 10 Jahren sowie Frauen gefunden, die offenbar aktiv und beritten am Kriegsgeschehen teilgenommen hätten.178 Inwieweit solche Bestattungen fehlinterpretiert oder gar inszeniert wurden, bleibt dahingestellt, doch konstruieren solche Befunde ein Bild frühmittelalterlicher Kriegsführung, das so gar nicht mit den bisherigen Beobachtungen übereinstimmt. Solche Extremfälle werden deshalb mehr zur Erhellung ansonsten kaum beachteter Gruppen in mittelalterlichen Heeren herangezogen und stellen wohl insbesondere für den Bodenseeraum keinesfalls den Normalfall dar. Stark beeinflussend sind im gewählten Untersuchungsraum die bis ins 10. Jahrhundert stark divergierenden Sitten im Begräbniswesen (Räter  – Alemannen). Besonders im St. Galler Rheintal sind gegenseitige kulturelle Beeinflussungen ersichtlich, sodass man in Gräbern teilweise auf reiche Beigaben, auf gar keine Beigaben sowie auf christliche Gräber mit Ansätzen zu kleineren Grabbeigaben stösst.179 Doch selbst innerhalb der älteren alemannischen Beigabensitte sind markante Unterschiede zu finden, nämlich dann, wenn wir entweder auf Gräber einfacherer oder aber bedeutenderer Personen stossen. Die bäuerlichen beziehungsweise einfachen Krieger seien laut Koch zumindest in merowingischer Zeit noch besser von der Kriegerelite zu unterscheiden gewesen, da sie abgesehen von einfacherer Grabausstattung auch nicht über Spathen oder ähnlich wertvolle Waffen, sondern lediglich über Äxte verfügt hätten.180 Eine derartige Bewaffnung ist spätestens seit karolingischer Zeit nicht mehr im alemannischen Bereich nachweisbar und deshalb zur gesellschaftlichen Differenzierung nicht verwendbar.181 Doch wie müssen wir uns die einfache Bewaffnung im 8.–10. Jahrhundert vorstellen? Waren dies primär Alltagsgeräte, wie sie von den Klosterhörigen im Krisenfall gegen Ungarn und Sarazenen verwendet wurden? Oben war bereits die Rede von ‹Nichtkriegern›, die während des auszehrenden ‹Investiturstreits› als menschliche Reserve mit ‹ritterlichen Waffen› ausgerüstet wurden, die aber ansonsten kaum über eine professionelle Bewaffnung – geschweige denn über Schutzkleidung – verfügt hätten. So wurden beispielsweise bereits die Köche und Pferdewachen von Kaiser Ludwig dem Frommen mit semispatae – halblangen Schwertern – beschenkt.182 Da es sich dabei um kürzere Schwerter und somit ebenfalls um professionelle und nicht ganz günstige Kriegswaffen handelte, dürfte diese Bewaffnung allerdings nicht nur dem ‹niederen› Stand geschuldet sein, sondern auch den entsprechenden Fähigkei 178 Steuer, Fehdewesen, S. 347–349, 354–357, 361. 179 Besonders die Bekennung zum Christentum zeige sich reichsweit seit dem 5.  Jahrhundert im Wechsel von der Nord-Süd- zur West-Ost-Ausrichtung von Gräbern (ders., Adelsgräber, S. 195, 202). 180 Koch, Ethnische Vielfalt, S. 219 f. 181 «Eine entscheidende Facette in der Mentalität der germanischen, der alemannischen Gesellschaft wird über die Waffenbeigabe ausgedrückt; sie spiegelt das Bewusstsein einer martialisch gesonnenen Gruppe von Bauernkriegern, einer Kriegerelite, für die das Schwert entscheidendes Symbol ist. Bei den Alemannen kommt das Schwert als Waffenbeigabe im Vergleich zu allen anderen germanischen Stammensgebieten mit deutlichem Abstand am häufigsten vor» (Steuer, Adelsgräber, S. 195 f.). 182 Notker, Gesta Karoli II, cap. 21.

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ten. Diese ‹Bediensteten› aus dem königlichen Haushalt dürften aufgrund des reisenden Königs wohl zugleich als Trossknechte bezeichnet werden, waren also nicht primär zum Kämpfen da, mussten sich aber notfalls selbst verteidigen können. Eine ‹ritterliche› Spatha hätte abgesehen vom symbolischen Charakter und den enormen Anschaffungskosten wesentlich mehr Geschick und Training erfordert. Schwert und Speer Der hochrangige alemannische Krieger Adalhram aus dem Thurgau vermacht dem Kloster St. Gallen seinen gesamten Nachlass an beweglichem Eigentum, id est caballis domalibus cum cetero troppo, caballis cunctis, auro argentoque, scuta cum lanceis, vestibus vel omnibus utensilibus, quas in die obitus mei non datas alicui et non usitatas reliquerim. Neben dem Gold, Silber und der Kleidung sind hier insbesondere die Pferde sowie Lanzen und Schilde von Bedeutung. Seine hohe Stellung als aristokratischer Waffenträger wird schliesslich noch durch eine lange, prominente Zeugenliste am Ende der Schenkungsurkunde bestätigt.183 Damit wäre erneut die Waffenausrüstung genannt, die von einem miles im herzoglichen oder königlichen Aufgebot erwartet wurde. Diese in zahlreichen Urkunden, Chroniken und leges schon formelhafte Kombination scutum et lancea war Bewaffnung und Standessymbol zugleich. Daneben verfügten derartige milites reichsweit über Schwerter. Als typischer Schwerttyp überwog in Alemannien seit je die Spatha, während andernorts bis ins 8.  Jahrhundert die Gewohnheit aufkam, zwei Schwerter (eine lange Spatha und ein meist einschneidiges Kurzschwert, genannt Sax) zu tragen. Nach dem 8. Jahrhundert hatte sich in Bayern der Sax als Standardwaffe durchgesetzt, während die Alemannen nach wie vor die Spatha bevorzugten.184 Bezüglich «Standardwaffen» ist allerdings Vorsicht geboten, wie Brather bemerkt, da wir häufig aus Grabbeigaben schliessen, die stark altersabhängig geprägt seien. So findet sich eine Spatha eher bei Männern im kampffähigen Alter, Äxte und Schilde bei älteren Männern (mehr als Rangabzeichen, Äxte waren längst nicht mehr im Gebrauch) sowie Pfeile häufig in Gräbern junger Männer.185 Daneben enthielten die Gräber des 8. Jahrhunderts je nach Status des Toten auch Reitzubehör und Pferdegeschirr. Die Krieger verstanden sich demnach als Reiterkrieger,186 wobei auch hier differenziert werden muss, ob ein Mann tatsächlich zu Pferd kämpfte oder dieses nur nutzte, um an den Ort der Schlacht zu gelangen, wie es noch im 6./7. Jahrhundert üblich war. Die typische Ausrüstung eines alemannischen Reiterkriegers mit scutum und lancea spiegelt sich besonders stark ab dem 8. Jahrhundert in der zeitgenössischen Überlieferung wider und kann auch als Standesmerkmal betrachtet werden. Ein alemannischer Krieger hatte primär mit Schild und Speer zu erscheinen. Langschwerter waren noch stärker Statussymbole, die aber ebenfalls zur Ausrüstung eines Krie 183 Chart. Sang. I, n. 198. 184 Hüpper-Dröge, Zweikampf, S. 639 f. Um 600 gehörte der Sax auch bei den Alemannen noch zur absoluten Standardbewaffnung, wenn auch in einer etwas längeren und schwereren Form (Martin, Tracht und Bewaffnung, S. 356 f.). 185 Brather, Soziale Strukturen, S. 31–35, 40 f. 186 Störmer, Früher Adel, S. 175.

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gers gehörten. Notker Balbulus hebt in einer um 890 selbst verfassten Notiz die besondere Bedeutung des Langschwertes während einer öffentlichen Gerichtsverhandlung in Dürrheim hervor, während deren sich die anwesenden Herren selbst mit gezogenen Schwertern Gehör verschafft haben sollen.187 Daneben heben sich dezidiert fränkische Besonderheiten besonders schnell von den lokalen Begebenheiten ab: Zum Vergleich mit römischen Waffen beziehungsweise deren Kontinuität in der fränkischen Einflusssphäre muss abgesehen von der Stosslanze (lancea) auch das pilum erwähnt werden. Dieses taucht im Gegensatz zu den zahlreichen anderen militärischen Termini zwar nicht mehr begrifflich auf, dafür in physischer Weise. Neben der typisch fränkischen Wurf- und Streitaxt francisca verwendeten die Franken nämlich auch eine ango genannte Wurflanze mit Widerhaken, deren Spitze nach dem Aufprall verbog, sodass sie – wie das römische pilum – nicht zurückgeworfen werden konnte.188 Da für die alemannische Elite einzig die Spatha als eindeutiges Merkmal nachweisbar ist, zeugen obengenannte fränkische Spezialwaffen zumindest in der Frühzeit der fränkischen Durchdringung des Bodenseeraumes von der Anwesenheit fränkischer Funktionäre, unter anderem zur Sicherung der wichtigen Verkehrswege. Fast noch interessanter ist allerdings der Umstand waffentechnischer Ähnlichkeiten im römischen und nachrömischen Waffen- und Heereswesen. Wie spätestens bei der Kontinuität römischer Kastelle zu sehen sein wird, ist nämlich mit einer breiten Fortnutzung römischer Verwaltungsund Baustrukturen sowie kriegstechnischer Errungenschaften zu rechnen. Während der ‹Transformation des Römischen Reiches› dürften lokal schlicht keine grundlegenden Veränderungen wahrgenommen worden sein.189 Ein Blick in die zahlreichen Waffennennungen in der Auswahl an Chroniken des 9. und 11. Jahrhunderts lohnt sich demnach besonders. Während Schwerter im archäologischen Kontext häufig klar differenzierbar sind (Spatha und Sax) und uns etwas über den ehemaligen Träger verraten, ist deren Typ und Qualität nur selten im literarischen Kontext fassbar. Schwerter tauchen meist unter dem klassischen Begriff des gladius auf, aber teilweise auch gekonnt als spata oder semispata. Bevor wir uns den Einzelnennungen zuwenden, folgt eine kurze Vorbetrachtung: Der gladius als frührömische Legionärswaffe taucht laut Hüpper-Dröge zur Bezeichnung der Waffe eines freien Mannes, also als Rechtsbegriff, auf, während die genauere Bezeichnung spata kein Rechtssymbol darstellt, sondern zur exakten Umschreibung der verwendeten Waffen beispielsweise in gerichtlichen Zweikämpfen verwendet wird. Dies begründet sie mit der Notwendigkeit einer genauen Darstellung der verwendeten Waffen als Beweismittel.190 Der Schwerpunkt der historiografischen Überlieferung lag dagegen auf dem eigentlichen Geschehen. 187 Et his ita patratis, cum adhuc quidam de illis, qui se in illa ecclesia heredes ac dispositores haberi voluerunt, alii garriendo, alii musitando contradicerent, optimates eiusdem concilii apprehensis spatis suis devotaverunt, se hȩc ita affirmaturos esse coram regibus et cunctis principibus usque ad sanguinis effusionem (Chart. Sang. II, n. 713). 188 Vgl. Theune-Grosskopf, Kontrolle, S. 237–239. 189 Einführend zur Kontinuität römischer Strukturen vgl. Mayer, Grundlagen, S. 18 f.; Sarti, Identität des Kämpfenden, S. 310. 190 Hüpper-Dröge, Zweikampf, S. 621, 636 f.

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Damit sagt die Wortwahl in gewissen Chroniken mehr über den Wortschatz des ausführenden Mönchs aus als über die zeitgenössische technische Versiertheit. Doch selbst in diesem Fall gibt es den Mönch, der sich bevorzugt mit antiker Literatur beschäftigt und dann von gladius spricht und denjenigen, der direkt auf den vernakularen Background seiner ‹Kriegerfamilie› zurückgreift und aus persönlicher Erfahrung weiss, was eine Spatha ist. Das teilweise agonal anmutende, gelehrte Zitieren von Kirchenvätern und Bibelstellen könnte den Output der Chronisten zusätzlich verwässert haben. Am häufigsten taucht der allgemeine Begriff arma auf,191 dicht gefolgt von gladius.192 Beide Begriffe werden fast durchgängig von allen hier beachteten Chronisten verwendet. Dagegen fällt spata/semispata als Spezialbegriff auf, den nur Notker Balbulus verwendet;193 ebenso das ‹Wehrgehänge› balteus194 sowie weitere Spezialbegriffe wie praecinctus und apparatus für die Ausrüstung beziehungsweise Kriegsrüstung195 und testudo für ein Schilddach zu Belagerungszwecken.196 Eine ähnliche Beobachtung lässt sich für die Lanzenbezeichnungen machen. Wie zu erwarten, fällt lancea als Standardbezeichnung ins Gewicht,197 daneben gibt es allerdings noch weitere Formen, die besonders Ekkehart IV. differenziert verwendet: pilum (hier einfach Speer),198 contus (Spiess, Speer),199 sparus (einfacher Speer, Sparren),200 spiculum ([Wurf-]Speer),201 iaculum (hier ‹verbales Wurfgeschoss›)202 und ebenfalls bei Ekkehart sowie beim ‹Waffenspezialisten› Notker Balbulus die (h)asta 191 Heito, Visio Wettini (MGH Poetae II), cap.  2; Notker, Gesta Karoli II, cap.  8, 10, 13–14, 17, 19; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 19, 48, 50, 63, 65, 77, 135 (armaturae) etc.; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 448, S. 83; Hermann, Chronicon, ann. 939, 955, 1004, 1047, 1053, S. 636, 640, 656, 686, 704; Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 218. Daneben finden sich bei der anonymen Fortsetzung der casus weitere Formulierungen wie (sinngemäss) ‹zu den Waffen greifen› sowie ‹lieber mit Waffen (im Kampf) sterben, als unrühmlich dahinzuscheiden› (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 22, 28, 31). 192 Notker, Gesta Karoli II, cap. 9, 14–15, 18, 22; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 17, 50, 61–62, 65, 101 etc., meist zusammen mit lancea; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann.  411, 427, 891, S. 81–82, 110; Hermann, Chronicon, ann. 916, 926, 937, 1004, S. 632–636, 656; Berthold, Chronicon II, ann.  1065 (Umgürtung des 14-jährigen Heinrich; vgl. Erben, Schwertleite, S.  108), 1079, S. 54, 260. Alternativ ist bei Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 65) sowie in der anonymen Fortsetzung der casus (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 25) für Schwert auch einfach vom ‹Eisen› (ferrum) die Rede. Der anonyme Chronist verwendet ferrum wie gladius unter anderem für den Ausdruck ‹etwas mit Feuer und Schwert vernichten› (ebd., cap. 18, 25; ebenso Hermann, Chronicon, ann. 916, 926, 937, 1004, S. 632–636, 656). Ein gladius ist bei diesem aber auch schlicht die Waffe eines Kriegers (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 31). 193 Notker, Gesta Karoli I, cap. 34; II, cap. 8, 12, 15, 21 (semispata). 194 Ebd. I, cap. 34; II, cap. 21–22. 195 Ebd. I, cap. 26; II, cap. 17. Apparatus steht ebenso für die weitere Ausrüstung im Tross (Berthold, Chronicon II, ann. 1065, 1077, S. 56, 124). 196 Notker, Gesta Karoli II, cap. 2. 197 Heito, Visio Wettini (MGH Poetae II), cap. 2; Notker, Gesta Karoli II, cap. 8; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 25 (duo caballi et duo scuta cum lanceis); Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 17, 40 (scutatus cum lancea), 50, 53, 65, 126. 198 Ebd., cap. 53. 199 Ebd., cap. 62. 200 Ebd., cap. 51. 201 Ebd., cap. 51, 53, 87. 202 Während Ekkehart IV. (ebd., cap. 101) damit verbale Geschosse bezeichnet, versteht Walahfrid Strabo (Vita s. Otmari, cap. 2) darunter ebenfalls wörtlich ‹Geschosse der Versuchung›.

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als massive Stosslanze.203 Die Zeitgenossen obiger Chronisten verfügten selbst kaum über eine derartige Vielfalt an Begriffen für ihre Waffen – abgesehen davon, dass sie wohl kaum lateinische Termini verwendeten – und mit Ausnahme jener Hauptbezeichnungen arma, lancea, scutum, gladius und spata dürften wohl die meisten Bezeichnungen in den Chroniken antiken Autoren entnommen sein. Zur Legitimität des Waffentragens Obwohl es im Mittelalter kein eigentliches Waffenrecht gab, darf man wohl von Konventionen ausgehen, die eine Ausstattung mit gewissen Waffen für bestimmte Gruppen von Männern erlaubten, ganz abgesehen vom finanziellen Aufwand für spezialisierte Waffen. Die spezielle Ausrüstung eines ‹Ritters› mit Schwert und Lanze hatte zudem eine repräsentative,204 ständische und richterliche Funktion, womit die Umgürtung eines künftigen Ritters ein bedeutendes Ritual darstellte.205 Dieses Ritual wurde früh von der Kirche entdeckt und durch den Schwertsegen im 10./11. Jahrhundert für die Durchsetzung eines christlich geprägten Ritterethos genutzt.206 Gewöhnlichen Waffenträgern soll das Tragen eines Schwertes verboten gewesen sein. Wie verbindlich solche ‹Regelungen› waren, dürfte stark vom jeweiligen Umfeld abhängig gewesen sein. Je nach Situation scherte sich wohl kaum jemand darum und von einem institutionalisierten und kodifizierten ‹Waffenrecht›, wie wir es heute kennen, darf ohnehin nicht ausgegangen werden.207 Laut dem dritten anonymen Fortsetzer der St.  Galler Klostergeschichten (nach 1190) sollen sich unter Abt Mangold von Mammern (1121–1133) einige cellerarii mit einem Schwert gegürtet haben, und zwar gegen die übliche Art und nach Sitte der Aristokraten (Cellerarii ecclesie iura villicationis in modum beneficiorum habere contendebant, et contra consuetudinem quidam ex ipsis more nobilium gladium congebant),208 was sehr an die Schilderung Ekkeharts IV. zu den aufbegehrenden Meiern erinnert.209 Die Zusammenstellung eines mittelalterlichen Waffenrechts wurde erstmals von Hans Fehr in Angriff genommen, der das Waffentragen in Friedenszeiten, die Teilnehmerschaft in einem Heer, die Rechtsdurchsetzung per Fehde, den Zweikampf und die gerichtliche Verfolgung von Friedensbrechern unterschied.210 «Das Waffenrecht ermöglicht also zunächst über die Selbst- auch die Rechtsverteidigung», wie 203 Notker, Gesta Karoli II, cap. 12, 17; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 77. 204 Vgl. hierzu Fichtenau, Lebensordnungen, S. 92 f. 205 Vgl. Erben (Schwertleite), der zwar noch sehr ‹traditionelle› Ansichten vertritt, aber insbesondere aufgrund seiner breiten Quellenlage für weiterführende Studien eine gute Grundlage bietet. 206 Eine weitere Stufe dürfte die Aufnahme des Ritterethos in die höfische Literatur dargestellt haben (vgl. Althoff, Rittertum, S.  332  f.; Flori, Chevalerie, S.  153, 160–167; Jaeger, Courtliness, S. 287–289; Morsel, Aristocratie médiévale, S. 150–158). 207 Fehr (Waffenrecht, S. 121) unterscheidet gar zwischen einem Waffen- und Dienstrecht, wobei Letzteres standesunabhängig eine bedürfnisgerechte Bewaffnung durch den Dienstherrn ermöglicht habe. Eine solche Überlegung wirkt eher wie eine pauschale Notlösung für die zahlreichen ‹Ausnahmen›, in denen selbst Unfreie Waffen tragen. 208 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 37. 209 Vgl. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 48. 210 Dabei kommen jedoch vor allem traditionelle Ansichten vom freien Franken, der seit je jede Waffe führen durfte, zum Zug sowie grundsätzliche und wenig weiterführende Aussagen wie

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Schmoeckel daraus schloss. Des Weiteren konnte es entscheidend zum Stand einer Person beitragen. Der Entzug dieses Rechts (beispielsweise gegenüber Juden) konnte ebenso als Rechts- und Standesminderung angesehen werden, wie das Zugeständnis des Waffenrechts an einen Unfreien eine Standeserhöhung bewirken konnte. Spezifische Standesunterschiede konnten laut Schmoeckel zudem durch die Einschränkung gewisser Waffen akzentuiert werden.211 So hätten die ‹Bauern› im «Übergang vom Kriegertum zum Rittertum […] das Waffenrecht verloren» und das Privileg des Waffenbesitzes zeichnete die Kriegerschicht vor der waffenlosen Bevölkerung aus.212 Jedoch wird die Frage nach dem Tragerecht für Waffen – wie bereits oben mehrfach gezeigt wurde – durch Krisensituationen oder auch mit der offiziellen Bewaffnung durch den König oder seine Stellvertreter hinfällig. So greift der durch Rudolf von Rheinfelden bedrängte König Heinrich IV. während der ersten Konflikte des ‹Investiturstreits› auf grosse Kontingente an unprofessionellen Waffenträgern (rustici) zurück, um seine Reihen aufzufüllen. Um gegen Rudolfs militia bestehen zu können, rüstet er sie mit ‹professionellen Waffen› (arma militares) aus.213 Damit verschwindet die gedachte Trennlinie zwischen Kriegern und Nichtkriegern endgültig, und während sich die karolingische ‹Nobilität› laut Le Jan noch in erster Linie über das Waffentragen definiert habe214 und das Tragen der ‹Hauptwaffen› für Unfreie verboten gewesen sei,215 zwang die Krisenzeit Ende des 11. Jahrhunderts unzählige Nichtkrieger als Waffenträger ins Kriegsgeschehen. Wer dabei nun berechtigt gewesen ist, ein Schwert oder eine Lanze zu tragen, dürfte die Zeitgenossen wohl nur wenig interessiert haben. So kamen in einem Heer des 11. und wohl auch schon des 10. Jahrhunderts neben bischöflichen, äbtischen und anderen fürstlichen Gefolgen und Aufgeboten vermutlich auch aufgestiegene Dienstleute klösterlicher familiae sowie einfache Landbewohner zum Einsatz, relativ unabhängig vom jeweiligen Abhängigkeitsgrad zum rekrutierenden centurio, comes, marchio, dux, episcopus oder abbas. Weitere Überlegungen zu einem ‹Waffenrecht› erübrigen sich, da diese Frage besonders für das Frühmittelalter eher die Durchsetzung herrschaftlicher Vorstellungen erörtert und selbst mit einem auch nur regionenübergreifenden Recht nichts gemein hat.

2.1.2

Exercitus und militia

«Im Reichsheer trafen die einfachen Reiterkrieger auf Angehörige des fränkischen Adels und auf hohe Amtsträger wie Grafen, Markgrafen und Herzöge; sie alle waren jetzt Kämpfer (milites) mit dem gemeinsamen Merkmal der Kriegstauglichkeit und der in sie gesetzten Erwartung auf Bewährung im Einsatz. Wieweit in dieser Krie-

211 212 213 214 215

die Bemerkung, dass Waffenfähigkeit eine Besserstellung gegenüber Nichtwaffenfähigkeit bedeute (Fehr, Waffenrecht, insbesondere S. 111–114, 127). Schmoeckel, ‹Waffenrecht›, LexMa 8, Sp. 1903 f. Fleckenstein, Krieg und Frieden, S. 156 f. Vgl. Goetz, Leben im Mittelalter, S. 179 f. Vgl. hierzu den ersten Teil des folgenden Abschnitts Exercitus und Militia. Le Jan, Continuity and Change, S. 64. Fehr, Waffenrecht, S. 121.

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gergemeinschaft gesellschaftliche Unterschiede mindestens zeitweise durch geschickten Waffengebrauch, Todesverachtung, Belastbarkeit, Führungsqualität oder Solidarität überdeckt wurden, ist schwer zu sagen.»216 Ehlers trifft mit seiner Kriegergemeinschaft exakt meine Überlegungen zum ‹professionellen› Kriegertum, dem Aufgebot einer breiten Gruppe von Waffenträgern und den potenziellen Überschneidungspunkten. Denn wenn auch häufig die Rede vom exercitus unter Einbeziehung aller Waffenträger ist, gibt es genügend Fälle, worin ausdrücklich zwischen den aufgebotenen einfachen Waffenträgern und der professionellen militia/milicia unterschieden wurde, wie nun im Folgenden gezeigt werden soll. Neben den ständischen Unterschieden sollen auch die römisch-antik anmutenden Heeresbegriffe sowie die Auswirkungen verschiedener Friedensbewegungen auf die Kriegergemeinschaft thematisiert werden. Aufgebotspraxis und Professionalität Einen Einblick in die schwäbische Aufgebotspraxis bietet eine lokale Auseinandersetzung vor gesamtostfränkischem Hintergrund aus dem Jahr 1078. Genau genommen handelt es sich um eine Fehde (privatum bellum) zwischen Anhängern König Heinrichs und ‹Gegenkönig› Rudolfs217 während des ‹Investiturstreits›, die von Berthold von Reichenau in seiner Chronik beschrieben wird:

Darauf kamen während des ganzen Sommers überall in Schwaben, im Elsass und in Ostfranken sehr viele Unruhen auf, und in verschiedenen Fehden [privatum bellum] wurden auf der Seite König Heinrichs viele besiegt, niedergemacht und in die Flucht geschlagen, welche selbst in den heiligen Kirchen als tollkühne Schänder derselben Plünderungen, Brandstiftungen und sehr viel Frevel verübt hatten. Unter ihnen waren auch die Gegenbischöfe von Basel und Strassburg, denen es kaum gelang zu entfliehen, nachdem ihre Krieger [milites] von einem Markgrafen [marchiones],218 dem Sohn Herzog B(ertolds), in einer Schlacht tapfer geschlagen und gefangengenommen, und die Bauern [rustici], welche sie in den zu ihnen geschworenen Grafschaften [comitatus] aufgeboten und von allen Seiten zu ihrem Beistand gezwungen hatten, zum Teil entmannt worden waren. Zur selben Zeit verheerten die Herzöge B(ertold) und W(elf) einen grossen Teil Frankens diesseits des Rheins durch Plünderungen und Brandstiftungen.219

216 Ehlers, Ritter, S. 16. 217 Die Bezeichnung als Gegenkönig ist der allgemeinen Auffassung geschuldet und enthält den Beigeschmack von Verrat und Illegitimität, wenn auch gleich die zeitgenössische Wahrnehmung eine andere war, wie beispielsweise Rudolfs Grabmal im Merseburger Dom zeigt (Krieg, Reform und Rebellion, S. 78). In den folgenden Ausführungen wird Rudolf der Einfachheit halber dennoch als Gegenkönig bezeichnet. 218 Zu diesem marchio (Bertold II. von Zähringen [* 1078, † 1111, ‹Markgraf›, ab 1092 Herzog von Schwaben]) vgl. das entsprechende Kapitel unter dem schwäbischen Dukat. 219 Übersetzung von Robinson (Berthold, Chronicon II, S. 219). Dehinc per totam aestatem pures undique motus per Alemanniam, Alsatiam et Austrifranciam conferbuerant, et privatis bellis ex parte Heinrici regis victi, interfecti et fugati sunt, qui predas, incendia et sacrilegia plurima in ipsis aecclesiis sacris, temerarii violatores earum, exercuerant. Ex quibus Basiliensis et Argentinus antiepiscopi vix fuga elapsi sunt, militibus illorum a marchione, B. ducis filio, fortiter pugna prostratis et captis, rusticisque quos per

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Die eigentliche militia der Heinrich treuen Gegenbischöfe von Basel und Strassburg wird in einer Schlacht ‹mannhaft› (fortiter) von den Truppen des Markgrafen Berthold II. besiegt und gefangengenommen, also mehrheitlich geschont. Als Bestandteile der militia kann man in den meisten Fällen die unterschiedlichsten Akteure vermuten, so zuweilen auch die gewöhnlichen Aufgebote des Heerbannes. In diesem Fall werden die comitatsweise aufgebotenen ‹Bauernkrieger› allerdings separat genannt, und die Niederlage oder Aufgabe ihrer Herren, den eigentlichen Gefolgsleuten (milites und comites) der oben genannten antiepiscopi, hat für die zur Heeresfolge gezwungenen rustici laut Berthold teilweise die Entmannung zur Folge. Für die erzwungene Heeresfolge im Dienste ihrer eidlich verpflichteten Grafschaften werden diese also gar bestraft. Dieser Fall gewährt Einblicke in die gesellschaftliche Position der unterschiedlichen Waffenträger während der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts und lässt es mit gutem Gewissen zu, zwischen einer Art ‹ritterlichen› Gefolgschaft (militia) und ‹bäuerlichen› Aufgeboten zu unterscheiden. Erstere haben im Falle einer Niederlage offenbar weniger zu befürchten als die in Centenarien ausgehobenen Aufgebote an rustici.220 Zum ‹Aufgebots- beziehungsweise Aushebungsverfahren› der rustici schreibt Berthold im darauffolgenden Abschnitt:

In der Nachbarschaft hatten sie übrigens auch die Bauern jener Provinz [comprovinciales rustici] gegen sich auszuhalten, die in allen Hundertschaften [centenaria] jener Gegenden gegen sie aufgeboten [coniurati, eingeschworen] und mit Ritterwaffen [arma militares; im Gegensatz zu Alltagsgegenständen, Werkzeug] ausgerüstet worden waren – ungefähr zwölftausend, überaus kampflustig und ihnen sehr feindlich gesonnen.221

Interessant bezüglich Terminologie ist zudem die Nennung der hauptsächlich aus Eliten bestehenden Truppen Rudolfs als militia und die Nennung von Heinrichs eilig aufgestelltem Heer von 12 000 rustici als exercitus.222 In der darauffolgenden Schlacht bei Mellrichstadt (1078) fallen auf Heinrichs Seite laut Berthold rund 5000 rustici und etwa 30 nobiles, der restliche exercitus flieht. Rudolf hat etwa 80 viri minores zu beklagen.223 Es wirkt wie der Sieg einer professionellen Kriegerschaft über ungeübte Waffenträger, die aus Sicht des schwäbischen Chronisten nach der feigen Flucht des schwäbischen Erzfeindes (Heinrich) sich selbst beziehungsweise den siegreichen sächsischen milites überlassen werden. Die Wertung des Autors lässt sich ausserdem

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comitatus sibi adiuratos in auxilium undique coegerant ex parte eunuchizatis. Ipsa tempestate duces B. et W. Franciam cis Rhenum ex magna parte predis et incendiis devastaverant (ebd., an. 1078, S. 218). Ob diese besondere Härte gegen rustici noch im Zusammenhang mit der Grabschändung auf der Harzburg 1074 und der Angst vor ‹Bauernunruhen› steht, woraufhin in der Schlacht bei Homburg an der Unstrut sämtliche Fusskämpfer bäuerlicher Herkunft niedergemetzelt wurden (Hartmann, Investiturstreit, S. 21), muss offenbleiben. Übersetzung von Robinson (Berthold, Chronicon II, S. 219). Insuper comprovinciales rusticos undique per omnes illarum partium centenarias adversum se coniuratos et armis militaribus instructos, ad XII fere milia pugnacissimos et infestissimos sibi, e vicino sustinebant (ebd., an. 1078, S. 218). Rudolfs Heer wird von Berthold nur in seltenen Fällen als exercitus bezeichnet, so in einer Schilderung von Rudolfs Truppen durch Heinrichs exploratores, die wohl in der Ferne die grossen Abteilungen seines Heeres (exercitus cohortibus) erblicken (ebd., an. 1079, S. 258). Ebd., an. 1078, S. 220.

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am verwendeten Terminus legiones für die einzelnen ‹Heeresabteilungen› des exercitus von Heinrich erahnen, da mit legiones häufig die Truppen des Feindes (Heiden, Herrscher ohne Legitimation etc.) bezeichnet werden. Zu den Anwesenden im siegreichen Heer Rudolfs gehörten neben den Mächtigen aus Sachsen auch der vom Papst gesandte Kardinal sowie eine ganze Reihe von Bischöfen mit ihren Truppen, wenn auch einige von Rudolfs Fürsten durch Lügen zur Flucht verleitet wurden und in Gefangenschaft gerieten. Die sächsischen Aufgebote wurden nach errungenem Sieg gemäss ‹sächsischem Recht› nach Hause entlassen.224 Selbst während dieses Jahrzehnte andauernden ‹Ausnahmezustands› im Ostfrankenreich scheinen die Aufgebote also früheren Gesetzmässigkeiten entsprochen zu haben und die lokale Rekrutierung funktionierte nach wie vor über die Bezirke der centenarii und comites. Die Parteinahme der jeweiligen Aufgebote wurde durch die Verpflichtungen und Treueschwüre der lokalen und überregionalen Herren bestimmt, die zusammen mit ihren Leuten zu ihrem König oder Herzog aufschlossen. Dies führte zu unterschiedlicher Parteinahme selbst in Kleinsträumen und auch im Bodenseeraum kam es deshalb zu ‹Kleinkriegen› zwischen Äbten, Bischöfen und Grafen. Am Tag der Schlacht bei Mellrichstadt erringen auch die schwäbischen Truppen Rudolfs am Neckar einen Sieg gegen Heinrichs Aufgebote aus Franken. Die fränkischen Truppen waren ebenfalls aus den Heinrich verpflichteten Bezirken rekrutiert worden und bestanden wohl hauptsächlich aus rustici.225 Nun sind es die Schwaben, die ihre niedergerungenen Feinde ‹entmannen› und auf dem Rückweg in ihre Heimat plündern und brandschatzen. Als Rudolf im Herbst desselben Jahres Sachsen vor Heinrich sichern möchte, spricht Berthold bei den sächsischen Truppen nun nicht mehr von der militia, sondern vom exercitus, was vermuten lässt, dass zur Verteidigung der eigenen Gebiete auch der sächsische ‹Heerbann› aufgeboten wurde und nicht mehr ausschliesslich die professionellen Krieger.226 Im Übrigen ist bei der Beurteilung der spezifischen Begriffsverwendung von exercitus und militia Vorsicht geboten, da der Reichenauer beziehungsweise papsttreue Mönch Berthold diese Termini durchaus wertend zu gebrauchen versteht, indem er beispielsweise Heinrichs Heer mehrmals schlicht mit exercitus benennt, während er die Truppen Rudolfs von Rheinfelden als Gruppe von ausgewählten Kriegern umschreibt: rex R(uodolfus) […] cum maximo electissimorum suorum militum pugnatorum.227 Dies wäre dann ganz im Sinne Fleckensteins, der zwi 224 Ebd., S. 220–222. 225 Non minimum quippe qui ex ista parte ipsa die cum Francorum coniuratis centenariis bello durissimo omnino profligatis et eunuchizatis dimicabant, et vicores mirabiliter exstiterant, Alemannorum impetum metuebat (ebd., S. 222). 226 Ebd., S. 224. 227 Ebd., an. 1079, S. 234. Diese auffallende Unterscheidung fällt in ähnlicher Weise auch an späterer Stelle auf, als er Rudolfs Reaktion auf den Zusammenzug eines exercitus durch Heinrich erfährt: R(uodolfus) rex in deo eiusque miseratione confisus et corroboratus fiducia, et ipse non modicum quem studiose collegerat suae militiae apparatum in occursum illius prudenter ordinatum promoverat (ebd., S. 258). Unter dem apparatus ist laut Fichtenau (Lebensordnungen, S. 96) nicht einfach nur eine Kriegerausrüstung, sondern ein wertvolles ‹Schaugepränge› zu verstehen (vgl. Notker, Gesta Karoli II, cap. 17; Berthold, Chronicon I, an. 1065, S. 30; ebd. II, an. 1077, S. 124).

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schen dem exercitus und der militia unterscheidet: Unter dem exercitus sei das gewöhnliche Heer zu verstehen, wozu alle Freien als Krieger gehörten und das immer seltener für externe Feldzüge aufgeboten wurde. Neben den exercitus sei aber zunehmend die militia getreten, die sich mit den üblichen Kennzeichen (Panzer, Schwert und Schild) ein Monopol auf die Kriegsführung geschaffen habe.228 Diese Aussage ist auf jeden Fall etwas zu pauschal ausgefallen und kann – vor allem wenn man die unterschiedlichen Chroniken in Alemannien betrachtet – nur für seltene Ausnahmefälle verifiziert werden, denn hinter beiden Begriffen steckt situationsbezogen noch sehr viel mehr. Beispiele für die alten ‹traditionellen› Aufgebote der frühkarolingischen Zeit finden wir in den annales Alamannici, die von magicampi/maicampi (Märzfeld/Maifeld, Heerschau beziehungsweise -versammlung im Frühjahr) an jährlich wechselndem Versammlungsort (Worms, Paderborn, Genua etc.) berichten.229 Bertholds Lehrer, Hermann der Lahme, spricht für 1030 von der Reichenauer milicia, wozu er auch einen Grafen (Mangold II. von Nellenburg [† 1030])230 zählt. Dieser Graf gehörte demnach zum Reichenauer Aufgebot. Oder diente er zusammen mit den Waffenträgern seines comitatus lediglich als Parteigänger des Reichenauer Abtes an der Seite der Reichenauer Truppen?231 Die Beziehungen zwischen den Grafen von Nellenburg und dem Kloster Reichenau waren zwar nicht so eng, wie dies bei vergleichbaren Konstellationen ausserhalb Schwabens (insbesondere im Westfrankenreich) der Fall war, dennoch gelang es den Nellenburgern um 1070, ein Familienmitglied zum dortigen Abt wählen zu lassen (Ekkehart), welcher in den Auseinandersetzungen des ‹Investiturstreits› im Verbund mit seinen gräflichen Verwandten Partei für den Papst ergriff.232 Bezüglich des obigen Zwischenfalls mit der Reichenauer milicia nennt er zudem zwei nobiles milites, was Buchner mit «vornehme Ritter» übersetzt.233 Für diese Untersuchung sollte die Formulierung aber besser neutral im Sinne von Mitgliedern der Reichenauer militia von hohem Stand verstanden werden. So gab es neben den oben genannten rustici, die Hermanns Schüler Berthold ausdrücklich nicht zur militia zählt, die professionellen Krieger, welche nach ihrem äusse­ren Erscheinungsbild erst einmal ‹nur› als gut bewaffnete und gerüstete Männer (als milites und eben nicht als ‹bäuerliche Waffenträger›) erkennbar sind. In einem weiteren Schritt lassen sich diese milites noch ständisch differenzieren.

228 Fleckenstein, Krieg und Frieden, S. 154 f. 229 Lendi, Annales Alamannici, ann. 773, 775–777, 779, 781, S. 154, 156. Laut Steuer (Fernbeziehungen, S.  391  f.) diente das Märzfeld nicht nur der Versammlung und Planung von Feldzügen, sondern auch der Verteilung der obligaten Beute. Vgl. hierzu ebenfalls Koch, Kriegszüge, S. 403. Dass aus dem ‹Märzfeld› Mitte des 8. Jahrhunderts wohl ein ‹Maifeld› wurde – in dieser Weise findet sich der Begriff ja auch in den annales Alamannici –, sieht Fleckenstein (Ritterliche Welt, S. 34) darin begründet, dass mit der steigenden Bedeutung von Reitertruppen, auch die Versorung der Pferde gewährleistet sein musste, was zwei Monate später deutlich einfacher zu bewerkstelligen war als mit den vergleichsweise mageren Wiesen im März. 230 Vgl. Grafen des 11. Jahrhunderts unten. 231 Hermann, Chronicon, an. 1030, S. 666. 232 Kohl, Gräfliche Reform, Abs. 25. 233 Hermann, Chronicon, an. 1030, S. 667.

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So können auf jeden Fall der König, die Herzöge, Grafen, Bischöfe und Äbte zu den nobiles milites gezählt werden. Des Weiteren gehörten wohl zahlreiche lokale Magnaten und Funktionäre von höherer Bedeutung zur ‹oberen Hälfte› der militia, während das Gros der militia unter den zwar professionell gerüsteten und geübten Kriegern zu suchen war, doch verfügten diese wohl über weniger Mitspracherecht als ihre jeweiligen Anführer und die Vertrauten des Königs. Als verlockendes Gegenstück zu den nobiles milites präsentiert Hermann für das Jahr 1035 einige italienische minores milites.234 Obwohl die norditalienische Stadtlandschaft zu einer anderen Entwicklung des Krieger- und Herrschertums geführt hatte, als dies nördlich der Alpen der Fall war, so ist diese Sicht von Hermann doch für eine exemplarische Umschreibung der niederen Kriegerschaft anwendbar. Er nutzt dieses Begriffspaar zur Umschreibung des norditalienischen Valvassorenaufstandes,235 eines Aufstandes der ‹niederen Ritterschaft› beziehungsweise stark abhängiger Gefolgs-/‹Lehnsleute› gegen ihre jeweiligen domini, die er unter anderem als primores bezeichnet. Damit ist freilich keine straffe Gliederung der alemannischen Kriegergesellschaft zu bewerkstelligen und dies ist auch nicht Sinn und Zweck dieser Arbeit, doch helfen diese Termini und Begriffspaare ungemein in der Verständnisförderung für das Selbstverständnis, die Herkunft und weitere Entwicklungsschritte der Akteure innerhalb einer gedachten alemannischen Kriegergesellschaft. Diese lässt sich ansonsten nur von aussen über das Tragen von Waffen definieren. Die eingangs über den indiculus loricatorum von 981 als Kerntruppe definierten loricati der geistlichen und weltlichen Fürsten des Reiches werden sowohl aus nobiles milites als auch aus minores milites bestanden haben.236 Als Hermann an späterer Stelle vom militärischen Zusammenschluss der milites et principes der Küstengebiete mit den Bischöfen von Lüttich, Utrecht und Metz zur Bekämpfung eines gemeinsamen Feindes erzählt, kommt erneut der Verdacht auf, er unterscheide dezidiert zwischen den niederen und höher gestellten professionellen Kriegern, doch spricht Hermann an dieser Stelle wohl neutral von milites, während die Verbindung zu den principes (die eigentlich ohnehin Bestandteil der militia sind) wohl eher der Legitimierung zur Kriegsführung für den König dienen soll.237 Zwischen den verwendeten Termini und der Aufgebotspraxis sowie dem Grad an Professionalität lässt sich kein eindeutiges Muster erkennen. Umso klarer erscheint jedoch die bewusste Nutzung gewisser Begriffe für propagandistische Zwecke (militia und exercitus) und die unterschiedlich ausgeprägte Wertschätzung der Chronisten gegenüber einfachen Waffenträgern und geübten Kriegern. Ebenso scheinen sich die Aufgebotspraktiken aus Sicht der Schreibenden über die Jahrhunderte kaum verändert zu haben.

234 Ebd., an. 1035, S. 668. 235 Patzold, Lehnswesen, S. 46–48; Göllmann/Keller, ‹Valvassoren. I. Allgemein und Regnum Italiae›, LexMa 8, Sp. 1401 f. 236 Arnold (German Bishops, S. 170–172) vermutet hinter den loricati der Bischöfe hauptsächlich persönlich verpflichtete milites, wozu er auch ehemals unfreie Dienstleute zählt. 237 Hermann, Chronicon, an. 1049, S. 688.

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Zur Grösse frühmittelalterlicher Heere Die zum Teil beträchtlichen Unterschiede in der jeweiligen Herrschaftspraxis und die regionalen Unterschiede der Niederschrift haben zu den unterschiedlichsten Ergebnissen und Interpretationen bezüglich frühmittelalterlichem, fränkischem ‹Heerwesen› geführt. Insbesondere bei den Schätzungen zu Heeresgrössen klaffen die Zahlen weit auseinander. Zur besseren Nachvollziehbarkeit frühmittelalterlicher Heeresverbände und ihrer Zusammensetzung sollen deshalb einige dieser Schätzungen vorgestellt werden. So geht Le Goff für die Zeit Karls des Grossen von einem fränkischen Heer von etwa 50  000 Kriegern aus, wovon 2000–3000 beritten waren.238 Bachrach spielt ebenfalls mit diesen Zahlen und versucht zu ermitteln, wie viele Bischöfe und Grafen nötig gewesen wären, um auf 70 000 Kämpfer zu kommen, wenn pro Abt, Bischof und Graf zwischen 20 und 50 (bei Bischöfen bis 500) Krieger aufgeboten worden wären.239 Abgesehen von den viel zu hoch veranschlagten Zahlen liegen diesem Vorgehen zu pauschale Vermutungen zugrunde; so sind die zahlreichen lokalen Unterschiede überhaupt nicht in Betracht gezogen worden. Contamine rechnet etwas realistischer mit etwa 20 Reiterkriegern pro Abt und Bischof. Mit etwa 15 000–20 000 Reiterkriegern aus dem ganzen Reich Karls des Grossen und der deutlich höheren Anzahl an Fussvolk kommt er aber dennoch auf unvorstellbare 100 000 Mann, wobei er im Gegensatz zur halb so grossen Zahl bei Le Goff noch den ganzen Tross mitzählt.240 Der Tross konnte laut Reuter problemlos nochmals dieselbe Anzahl Menschen beinhalten wie das eigentliche Kriegsheer.241 Bei derart hohen Zahlen muss jedenfalls von der Gesamtheit an Waffenträgern im Reich ausgegangen werden und nicht vom eigentlichen ‹Expeditionsheer›, da laut Werner bereits ein Heer von 5000–10 000 Kriegern zur Zeit Karls des Grossen eine Überlastung für Versorgung, Strassen und Kommunikation dargestellt hätte. Dies führte letztlich dazu, dass wohl häufig in mehreren Marschkolonnen vorangegangen wurde und sich das ganze Heer erst am Ort der Schlacht versammelte.242 Die schlecht ausgerüsteten Waffenträger, die nur zur Verteidigung des eigenen Gebietes versammelt wurden (defensio patriae), zählt er ebenfalls zu diesem Gesamtpotenzial, wobei einige wertvollere Verbände zum Schutz der Grenzen in den Marken und wichtigen Festungen stationiert worden seien. Zudem seien jeweils immer nur gewisse Verbände aus 1–2 regna aufgeboten worden und nie alle Truppen und Reserven des Reiches.243 Auf der anderen Seite spricht er von etwa 50 Berittenen pro Grafschaft, was dann aber 30 000–35 000 Reiter und eine Gesamtzahl von bis zu 100 000 Mann ergäbe.244 Solche mathematischen Experimente erweisen sich in den meisten 238 Le Goff, Geburt Europas, S. 55. Hierzu zählte er wohl auch die Männer der defensio patriae. 239 Bachrach, Medieval Warfare, S.  109. Werner (Heeresorganisation, S.  820) rechnet mit 10–30 Mann. 240 Contamine, Guerre au Moyen Age, S. 102 f. Vgl. bezüglich Truppengrösse Coupland, Carolingian army, S. 56–58. 241 Reuter, Recruitment of Armies, S. 36. 242 Werner, Heeresorganisation, S. 813–816. 243 Ebd., S. 816 f. 244 Ebd., S. 820.

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Fällen als unmögliche Unterfangen, da es lokal schlicht zu grosse Unterschiede gibt und sich deshalb keine Rechnung für den fränkischen Grossraum anstellen lässt. Festhalten darf man allerdings, dass zur seltenen Maximalzahl von wenigen tausend milites stets ein wohl fast ebenso grosser Tross mit hörigen Knechten, Handwerkern und Gesinde mitgeführt wurde, wozu unten ein eigener Abschnitt folgt.245 Militarisierung und Professionalisierung Für die Zeit Karls des Grossen ist immer wieder von einer Elitetruppe die Rede, der schola. Diese Schutztruppe Karls könnte als Fortsetzung der spätrömischen schola palatina, der kaiserlichen Schutztruppen, die ab dem 4.  Jahrhundert die Aufgaben der ehemaligen Prätorianergarde übernahmen, gesehen werden. Denn eine solche Garde gab es zur Zeit Karls des Grossen noch immer am oströmischen Kaiserhof, was durchaus Vorbildfunktion gehabt haben könnte.246 In diesem Sinne wären diese mit den kleineren Gruppen der oben genannten Hauskrieger247 durchaus vergleichbar.248 Mit den Elitetruppen Karls scheinen die salischen milites allerdings nicht mehr viel gemein gehabt zu haben, und während bei Notkers Beschreibung von Karls Heer noch häufig Termini wie vasallus auftauchen, sind es bei den Chronisten des 11. Jahrhunderts vermehrt Begriffe wie pedites und equites sowie weitere zum Teil spezifizierende Bezeichnungen (loricati, armigeri, armati, signiferi, scutarii, scutati, ensiferi, pugnatores). Hatte sich zwischen dem 9. und 11.  Jahrhundert die Terminologie derart gewandelt oder verfügten Autoren wie Notker Balbulus über einen derart breiten Wortschatz, dass Vergleiche mit zeitgenössischen und späteren Mönchen kaum mehr möglich sind oder zu Fehlinterpretationen führen? Die Antwort dürfte in der Transformation der schwäbischen Kriegergesellschaft zu finden sein. Denn dass sich das fränkische Heer im Frühmittelalter von einer absoluten Elitetruppe in unmittelbarer Umgebung des Herrschers zu einer deutlich weniger stark zentralisierten, lokal verankerten, in ihrem Selbstbewusstsein aber überregional verbundenen mili­ tia entwickelte, war einem verstärkten Militarisierungsgrad im 10. Jahrhundert zu verdanken.249 Während die militärische Elite unter Karl dem Grossen noch den Kern eines sonst vor allem aus schlecht gerüsteten Heerbannaufgeboten bestehenden Heeres ausgemacht hatte, musste diese Elite über die folgenden zwei Jahrhunderte eine enorme ‹Verbreiterung› erfahren haben. Dies liesse sich letztlich auf den Einsatz von ‹Nichteliten› zurückführen. Das kontinuierliche Bevölkerungswachstum alleine dürfte es jedenfalls nicht gewesen sein. Auf die Frage, wer zu diesen Aufsteigern gehört haben könnte oder in welchen Fällen selbst Hörige als Spezialisten eingesetzt wurden, kommen wir in den nächsten Abschnitten zu sprechen. Was an dieser Stelle 245 Vgl. den entsprechenden Abschnitt unter den hörigen Dienstleuten als Teil der Kriegergesellschaft. 246 Vgl. die Ausführungen unten im Grafenkapitel zum comitatus sowie König, Römischer Staat, S. 232, und Bakker, Grenzverteidigung, S. 113 f. 247 Vgl. oben die Ausführungen zu den Hauskriegern Abtbischof Salomos im Abschnitt zum schwäbischen Heerbann und dem consilium von 924. 248 Als Krieger und Haustruppe des Königs erscheinen sie auch bei Notker (militares viri vel scolares) (Notker, Gesta Karoli I, cap. 11 sowie cap. 26, und II, cap. 17). 249 Weiterführend Beeler, Warfare, S. 18–21.

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vorerst festgehalten werden soll, sind die zum Teil sehr genau bezeichnenden sowie die neu auftauchenden Termini für Truppen(gattungen) und Waffenträger an sich. Vassalli, die in den meisten Darstellungen zur mittelalterlichen Geschichte als Kern der militia genannt werden, tauchen lediglich in Notkers Gesta Karoli sieben Mal und einmal bei Ratpert auf,250 fehlen ansonsten aber in meiner Auswahl erzählender Quellen des 11.  Jahrhunderts vollständig. Vergleichbar hiermit ist das ‹Verschwinden› der privati homines als besonders hervorgehobene Krieger im Gefolge,251 der statores und der vorhin genannten schola beziehungsweise den scolares. Andere Begrifflichkeiten für hochrangige Krieger, Teile des herrschaftlichen Gefolges und für ‹Hauskrieger› haben sich in Ausdrücken wie commilitones,252 satellites253 und socii254 vom 9. bis ins 11.  Jahrhundert erhalten.255 Bei den Tätigkeiten der statores handelte es sich zwar um niedere Dienste, allerdings häufig in unmittelbarer Herrschernähe und durch Personen von höherem Stand; so kann man bei Notkers statores wohl von Dienern, Unterstützern oder vereinfacht von ‹Pagen› ausgehen.256 Ähnlich dürften Notkers tirones beziehungsweise tyrones als primär adoleszente Männer zu verstehen sein. Darunter fallen sowohl Klosterschüler257 als auch Männer aus dem Gefolge von Karls milites, ganz im Sinne von ‹Knappen›.258 Unter diesem Verständnis dürfen Notkers tyrones unter anderem zum engen militärischen Gefolge Karls gezählt werden (cum apparitoribus et scola tyronum).259 Knapp zwei Jahrhunderte später befinden sich noch immer tyrones im königlichen Anhang, so beispielsweise im Tross Heinrichs IV., wo dieselben zusammen mit den scutarii – den Schildträgern260 – als Wächter (custodes) des Trosses während militärischer Operationen eingesetzt werden.261 Unter einem scutarius konnte allerdings umgekehrt auch eine ehrenhafte Funktionsbezeichnung verstanden werden. So diente Herzog Gottfried der Bärtige um 1065 als 250 251 252 253

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Notker, Gesta Karoli I, cap. 13, 18, 20; ebd. II, cap. 10, 12, 19, 22; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 11. Vgl. Notker, Gesta Karoli II, cap. 2. Ebd., cap. 10; Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 238. Unter satellites können insbesondere Personen des königlichen Gefolges (proceres, palatini) (Notker, Gesta Karoli I, cap. 18; ebd. II, cap. 15) sowie hohe Günstlinge von Fürsten (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 18, 54; Regino, Chronica, an. 874, S. 242–246) verstanden werden. Kortüm (Kriege und Krieger, S. 129 f.) sieht dahinter die königlichen Hauskrieger. Zur archäologischen Perspektive auf die Gefolgschaft und Hauskrieger vgl. Steuer, Gefolgschaft, S. 309–312. Notker, Gesta Karoli II, cap. 2, 6, 8–10; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 56, 58, 64–65; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 448, S. 106. Reuter (Recruitment of Armies, S. 32) fügt für die Nennung von ‹Hauskriegern› des 11./12. Jahrhunderts noch die Begriffe milites gregarii/casati hinzu. Notker, Gesta Karoli II, cap.  10. Vgl. DNG, Sp.  4492 (als «Ordonnanz»). Unter MLLM 2, S. 1291 findet sich lediglich die bei Notker unpassende Übersetzung als ‹Burgmann›. Womöglich ist es bei Notker verschrieben für strator als Reitknecht und höfischer Beamter sowie im übertragenen Sinn mit dem ‹Stratordienst›, dem Halten der Steigbügel als Ehrendienst verknüpfbar (ebd., S. 1297; DNG, Sp. 4513). Notker, Gesta Karoli I, cap. 29. Ebd. II, cap. 17. Bachrach (Carolingian Warfare, S. 95) bezeichnet die tyrones als Rekruten der karolingischen Fusstruppen, die er wohl mit den spätrömischen Rekruten gleichsetzt (Esders, Nordwestgallien, S. 342 f.; Burckhardt, Militärgeschichte, S. 117). Ebd. I, cap. 26. Laut Kortüm (Kriege und Krieger, S. 137) «Schildknappen». Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 272.

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Schildträger König Heinrichs IV.,262 was gar an die klassischen Hofämter erinnert. Dieser Begriff taucht ansonsten nicht mehr auf, während die Form scutatus noch von Ekkehart IV. zur Bezeichnung eines Gewappneten/Gerüsteten verwendet wird.263 Im 11. Jahrhundert werden von den Chronisten noch weitere ausrüstungs- und aufgabenspezifische Bezeichnungen anstelle der karolingischen Bezeichnung vassi/ vassalli für Teile der militia verwendet.264 Darunter fallen Bezeichnungen wie miles ensifer (Schwertträger),265 signifer (Bannerträger),266 loricatus (‹Harnischträger›/Panzerreiter),267 allgemeine Bezeichnungen für Waffenträger wie armatus (Bewaffneter),268 armiger (Waffenträger, funktionsbedingt zum Teil Knappe oder Leibwächter)269 und pugnator (Kämpfer),270 sowie die oben bereits als Ersatz genannten Gruppenbezeichnungen equites (Reiterkrieger, aber auch berittener Bote)271 und pedites (‹Fusssoldaten›).272 Hermann nutzt die zwei letzten Bezeichnungen zur Unterscheidung der milites,273 dem Begriff, der fast in allen Quellen vorkommt und für den professionel 262 […] et dux Gotifridus scutarius eius eligebatur (Berthold, Chronicon II, an. 1065, S. 54). 263 […] uno scutato cum lancea (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 40). Der scutifer und armiger soll laut Hechberger (Adel und Rittertum, S. 37) im 12. Jahrhundert einen ‹ritterbürtigen Edelknecht› bezeichnet haben. Nach Morsel (Aristocratie médiévale, S. 121) wurden scutiferi in Norditalien insbesondere aus der landwirtschaftlichen Bevölkerung als leichte Kavallerie rekrutiert. 264 Contamine (Guerre au Moyen Age, S. 118–121) teilt die Waffenträger aus dem Ostfrankenreich in ‹schwere Kavallerie› (milites electi/armati/loricati) und in weniger stark gewappnete (clipeati milites, scutiferi, scutarii, armigeri) als Teil des ‹Heerschilds› unter der Führung des Königs mit seinen Haustruppen (palatini/privati/aulici milites) und den geistlichen wie weltlichen Fürsten (principes, duces, proceres, comites). 265 Berthold (Chronicon II, an. 1079, S. 272) nennt diesen ausdrücklich so in Abgrenzung zu den minores beziehungsweise den ‹nichtritterlichen› Waffenträgern im Heer Rudolfs von Rheinfelden. Der Begriff ensifer kommt ansonsten nur sehr selten vor und auch das Grundwort ense ist im Gegensatz zum rechtlich bedeutsameren gladius eher selten anzutreffen (Erben, Schwertleite, S. 113 f.). 266 Bei Hermann (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], ann. 799, 844, S. 101, 104) sind darunter königliche Bannerträger zu verstehen, bei Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 103) steht der Begriff im übertragenen Sinn für den Anführer einer geistlichen Kommission. Verbruggen (Art of Warfare, S. 105 f.) setzt die Bannerführer mit Anführern kleinerer militärischer Kontingente gleich, welche mit ihrem jeweiligen Feldzeichen ihren Männern voranritten, wobei er sich allerdings auf französische chansons de geste aus dem 12. Jahrhundert stützt. Im Zusammenhang mit Geistlichen im Kampfgetümmel verweist Fichtenau (Lebensordnungen, S. 281 f.) auf Priester und Diakone als Fahnenträger, die durchaus moralfördernde Wirkung ausüben konnten. 267 In den erzählenden Quellen tauchen zwar zahlreiche Panzerreiter auf, loricatus wird allerdings höchstens adjektivisch verwendet (vgl. Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 176–178). 268 Unter anderem Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 63. 269 Bei Ekkehart IV. (ebd., cap. 77) wird ein armiger als Waffenträger beziehungsweise Knappe eines miles bezeichnet und bei Hermann (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], an. 574, S. 89) wird ein solcher als Waffenträger beziehungsweise als Leibwächter des langobardischen Königs genannt. 270 Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 234. 271 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 19, 30; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 881, 891, 896, S. 108, 110; Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 172. 272 Der laut Niermeyer (MLLM 2, S. 1020) eigentlich korrekte Nominativ Plural würde pedones lauten, während pedites für die Bezeichnung der römisch-republikanischen Infanterie stand. In den von mir ausgewählten Quellen des 11. Jahrhunderts wurde von den Mönchen nur die antike Version verwendet, weshalb hier diese genutzt wird. Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 891, S. 110; Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 172. 273 Qui milites adhortatus, equis propter loci difficulatem dimissis, pedes eos aggreditur (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], an. 891, S. 110).

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len Krieger überhaupt steht. Walahfrid greift einmal auf die Bezeichnung miles zurück,274 Notker achtmal,275 Ekkehart IV. 27-mal,276 Hermann 33-mal277 und Berthold gar 36-mal.278 Im Verhältnis zur Länge der jeweiligen Quellen ist eine leichte Zunahme dieses Begriffes vom zweiten Viertel des 9.  Jahrhunderts bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts zu beobachten, was sich noch deutlich stärker in der Zunahme der Begriffsverwendung von militia/milicia zur Bezeichnung der Gesamtheit der Krieger beobachten lässt.279 In den meisten Chroniken kommt der Begriff in diesem Sinne gar nicht oder nur selten vor, besonders selten im 9. Jahrhundert, während beispielsweise in der Chronik Bertholds aus der Mitte des 11. Jahrhunderts etwa 17 Nennungen zu verzeichnen sind,280 was meine Vermutungen zur Entwicklung beziehungsweise Verbreiterung der militia stützt.281 Zudem ist anhand einiger Wortverwendungen eine ‹Verchristlichung› der militia zu beobachten.282 Interessanterweise bezeichnet Berthold – als Mönch des Rudolf nahestehenden Klosters Reichenau – sowohl die Truppen Rudolfs als auch diejenigen Heinrichs IV. gelegentlich als militia/milicia, weshalb man davon ausgehen kann, dass er diesen Begriff nicht wertend eingesetzt hat, sondern zur neutralen Bezeichnung von Kriegergruppen und des Gefolges beider Könige. Zudem bezeichnete Berthold die Krieger jedweden Ranges und Standes als milites (militum cuiuscumque ordinis vel professionis).283 Das Problem der Benennung aller Truppenteile und Aufgebote dürfte die 274 Walahfrid (Vita s. Otmari, cap. 4) bezeichnet die Gefolgsleute/Krieger der Grafen Ruthard und Warin als milites. 275 Notker, Gesta Karoli I, cap. 18, 26, 30; ebd. II, cap. 17, 19, 21–22. 276 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 5, 12, 18–20, 50–51, 61, 63, 65, 74, 77, 81, 84, 90, 115, 126, 133, 135– 136. Darunter finden sich auch Bezeichnungen für ‹himmlische Heerscharen› etc. 277 Im Folgenden werden nur die Nennungen ab 900 aufgezählt: Hermann, Chronicon, ann. 943, 1030, 1035, 1040, 1044–1045, 1049, 1051–1053, S. 640, 666, 668, 672–680, 688, 694, 698, 704. 278 Unter anderem Berthold, Chronicon II, ann. 1075–1079, S. 84, 102, 122, 140–142, 150–152, 164– 166, 170, 176–180, 194, 208–210, 216–218, 228, 234–236, 270, 274. 279 Die dezidiert militärische Verwendung des Begriffes militia findet ihre Bestätigung in Hermanns Beschreibung von Burchards oben genanntem Aufbruch zum Kampf in Italien (ad Italiam in miliciam), wie Berschin (Vitae s. Wiboradae, S. 190) zu erklären vermag. 280 Berthold, Chronicon II, ann. 1066, 1073, 1075–1079, S. 56, 74, 86, 116, 150, 152, 164, 168, 172, 178, 190, 210, 218, 234, 258, 264, 268, 272. Hermann (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], ann. 527, 552, 588–591, 602, S.  86, 88, 90–91) verwendet militia zur Bezeichnung militärischer Anführer des 6. und 7. Jahrhunderts (principes militiae), meint damit aber weniger gefolgschaftsmässig organisierte Kriegergemeinschaften, sondern grosse oströmische Truppenverbände, also keine ‹Adelskrieger›, sondern gewöhnliche Soldaten/Waffenträger. Unter milicia mit ‹c› findet sich bei Hermann (Chronicon, an. 1030, S. 666) an einer Stelle jedoch auch die Kriegerschaft (der Abtei Reichenau). Daneben wurde der Begriff eher im übertragenen Sinne unter anderem für die militia coelestis verwendet (Notker, Gesta Karoli II, cap. 6) und selbst bei der Schilderung der militärischen Taten Karls des Grossen selten für die gewöhnlichen auf Erden wandelnden Krieger. Eine Ausnahme bildet Karls Gefolge (ebd., cap. 17). 281 Dennoch ist Vorsicht geboten bei dieser Interpretation, denn bereits in der anonymen Fortsetzung der St.  Galler Klostergeschichten, die Ende des 11.  Jahrhunderts entstanden, sind unter milites eher aristokratische Krieger zu verstehen als eine breite Kriegerschaft (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 22, 25–30). Darunter taucht gar ausdrücklich ein miles nobilis auf und die milites haben meist führende Positionen inne. 282 Die Kriegerschaft wird dabei im Sinne eines ‹positiven Lebenswandels› unter anderem als militia christiana bezeichnet (Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 190), womit Berthold ganz im Sinne der kirchlichen Reformen zur Verschmelzung beider Elemente beiträgt. 283 Ebd., an. 1079, S. 234.

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zeitgenössischen Chronisten insbesondere Ende des 11. Jahrhunderts vor eine grosse Herausforderung gestellt haben. Die zum Teil langwierigen Fehden im Zuge des ‹Investiturstreits› führten zu einer Verstärkung der seit dem 10.  Jahrhundert anhaltenden Militarisierung immer weiterer Teile der Gesellschaft.284 In zunehmendem Masse dürften die alten Begriffe wie militia erneut als zu ungenaue Bezeichnungen gegolten haben, um die tatsächlichen Begebenheiten zu umschreiben und waren dadurch vermutlich einem erneuten Wandel unterworfen. Ob militia mit fortschreitender Zeit nun zunehmend für die Allgemeinheit der Waffenträger oder aber zur Umschreibung einer Kriegerelite gedient hat, lässt sich nur schlecht eruieren. Nach obigen Ausführungen lässt sich lediglich festhalten, dass die Begriffe militia und miles mit der Zeit zunehmend häufiger verwendet wurden. Miles und militia Der Begriff miles hat sich  – wie im letzten Abschnitt gezeigt werden konnte  – als einer der wenigen Ausdrücke zumindest terminologisch erhalten, dürfte aber einen semantischen Wandel durchlaufen haben.285 Denken wir an obige Abbildungen aus dem Goldenen Psalter aus St. Gallen sowie dem Stuttgarter und dem Utrechter Psalter zurück, dürfen wir uns insbesondere die mit Schuppenpanzern und/oder Mänteln dargestellten Krieger als milites vorstellen. Durch die notgedrungene Öffnung der militia wurde aber auch die Zahl der als milites zu bezeichnenden Personen grösser und das Begriffspaar miles/militia wandelte sich kurzfristig zum Begriff für alle Krieger,286 bis es im 12. Jahrhundert – womöglich verstärkt durch die Kirchenreformen und Kreuzzüge – schliesslich für die christliche Kriegerschaft und das ‹Rittertum› verwendet wurde. Eine zunehmende Tendenz in diese Richtung konnte zuvor bereits bei der Chronik Bertholds festgestellt werden. Ansonsten unterschied Berthold offenbar ausdrücklich zwischen professionellen Truppen (milites, copiae militares, auxiliares militares, militares ensiferes) und aufgebotenen rustici, die häufig lediglich als ‹Träger von Waffen› fungierten und zum Teil unter Sammelbezeichnungen wie turba oder populus gefasst werden.287 Diese Bezeichnungen lassen sich am ehesten mit ‹Volksheer› 284 Vgl. zur Manifestierung ‹ministerialer› Elemente beziehungsweise der Verdrängung der herkömmlichen Kriegerelite durch Aufsteiger Zey (Investiturstreit, S. 114); ähnlich Fleckenstein (Ritterliche Welt, S. 53). 285 Zum Begriff und der bisherigen Forschungsgeschichte vgl. unter anderem ders., Rittertum, insbesondere S. 379–382. 286 Spätestens seit dem 11. Jahrhundert wurden auch Unfreie zum Reiterdienst herangezogen, und innerhalb der militia – als Bezeichnung für alle diese kriegerischen Elemente – gibt es höchstens dahingehend eine Abstufung, dass man bei den einzelnen Mitgliedern der militia im Verhältnis von Dienst und Herrschaft von einer Verschiebung entweder in Richtung ‹Herrschaft› oder zum ‹Dienst› sprechen kann (ders., Miles und clericus, S. 309). Es geht also auch hier nur um einen unterschiedlichen Grad an Abhängigkeiten in einer Gesellschaft von Waffenträgern. 287 Insbesondere das Volk der Bewaffneten (armatorum […] turba), das sich zur Befreiung Abtbischofs Salomo dessen Hauskriegern angeschlossen hatte, darf als Exempel aufgeführt werden (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 19). Des Weiteren wird bei Berthold (Chronicon II, an. 1077, S. 146) eine Volksmenge (turba […] plebeiorum) und bei Heito (Visio Wettini [MGH Poetae II], cap. 27) eine Schar ‹Ungläubige› so bezeichnet.

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(exercitum popularium)288 übersetzen, worunter eine grosse Masse an unprofessionellen, landwirtschaftlichen und städtischen Waffenträgern zu verstehen ist. Diesen Ausdrücken stehen Bezeichnungen wie legiones, cohortes, turmae und copiae gegenüber, womit wiederum eher professionelle Aufgebote gemeint sind. Eine solche Abgrenzung gegenüber professionellen Truppen und vor allem als Gegensatz zu den aristokratischen Elitetruppen lässt sich für populus insbesondere bei Notker, Ekkehart und Berthold beobachten. Ebenso wurde populus als Gegenbegriff zu den ‹hohen Herren› (totus senatus et populus)289 oder gegenüber den Klerikern und Kriegern (clerus, milicia et populus) genutzt.290 Unter dem Begriff militia wurde im klassisch-römischen Sinne der Kriegsdienst verstanden, woraus metonymisch auch eine Bezeichnung für den eigentlichen Feldzug sowie für die Kriegsdienstleistenden wurde.291 In der populären Vorstellung mittelalterlicher Krieger steht der Begriff militia aber weniger für die Gruppe gewöhnlicher Soldaten als für die Gruppe der aristokratischen Reiterkrieger.292 Tatsächlich wird dieser Begriff im frühen Mittelalter zur Beschreibung von Hilfeleistungen, der Wahrnehmung von (Hof‑)Ämtern und der ‹Vasallenpflicht› verwendet.293 Mit der Zeit fand er auch für den Stand eines freien Gefolgsmannes und ‹Ritters› sowie für die Gesamtzahl des militärischen Aufgebots Anwendung. Dazu gehörten im hohen Mittelalter wohl auch unfreie Dienstleute.294 Wie oben bereits ausgeführt wurde, konnte je nach Ausgangslage und Einsatzbereich jeder Waffenträger als miles bezeichnet werden, womit vom aristokratischen Reiterkrieger nicht viel mehr übrig-

288 Notker, Gesta Karoli II, cap. 17. 289 Alle Aristokraten und ‹das Volk› stimmen der Königswahl Rudolfs von Rheinfelden zu (Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 140). 290 Notker, Gesta Karoli I, cap. 18, 22, 26; ebd. II, cap. 10, 15, 17–18; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 24, 49; Berthold, Chronicon II, ann. 1077, 1079, S. 140, 264. Bei Letzterem geht es um die Wahl des Churer Bischofs, der sowohl vom Klerus als auch von den Kriegern und dem Volk gewählt wurde. 291 DNG, Sp. 3084 f. In frühfränkischer Zeit taucht der Begriff in erzählenden Quellen zur Bezeichnung von Polizeikräften und Gerichtsdienern auf, allerdings ohne militärische Komponenten und der Begriff scheint auch nicht ständisch geprägt zu sein (Johrendt, Militia, S. 421). Dies erklärt Sarti (Identität des Kämpfenden, S. 323–325) damit, dass nach dem Abzug der offiziellen römischen Truppen eine dezidierte Bezeichnung von Kriegern als milites nicht mehr notwendig war, weil potenziell alle Krieger gewesen seien. 292 So sieht dies auch noch Hechberger (Adel und Rittertum, S. 13) und er geht noch weiter, indem er daran festhält, dass «das Volksaufgebot der Frühzeit durch das Aufgebot der berittenen Vasallen verdrängt worden» sei, was inzwischen als überholt gilt. Ebenso Fleckenstein, Kriegertum, S. 83 f. 293 Keller, Militia, S. 81; Le Jan, Famille et pouvoir, S. 147 f.; Nitzsch, Ministerialität, S. 40–42; Althoff, Rittertum, S. 321. Laut Althoff wird die Bezeichnung miles bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts aber ohnehin eher selten gebraucht und wenn, dann weniger zur Bezeichnung von Kriegern oder Vasallen als für Adelige. Gleichzeitig spricht er aber auch von der Formung eines Ethos für Waffenträger unter dem miles-Begriff (ebd., S. 324–326, sowie Le Goff, Geburt Europas, S. 79–83). 294 Laut Zotz (Lehnswesen, S. 167 f.) war miles noch bis ins 12. Jahrhundert der gebräuchliche Terminus für Lehnsmann, daneben lasse sich ab dem 11. Jahrhundert aber auch die Bedeutung als ‹Ritter› nachweisen.

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bleibt als ein Fragment der militia. Aber sind die ‹Ritter› der kollektiven Mittelaltervorstellung demnach alle unter den Kriegern und Vasallen zu suchen?295 Die Männer in Königsnähe (Hauskrieger, Hofleute) sowie Herzöge, Markgrafen, Bischöfe, Äbte und wichtige Grafen lassen sich zur militia rechnen, doch machten diese alleine noch keine vollständige Armee aus. Wer waren ‹die Anderen›? Johrendt sieht jeden, der Kriegsdienst leistete, automatisch als miles an, unabhängig ob König, Vasall, Dienstmann oder ‹Bauer›, denn die Unterschiede zwischen ‹Freiheit› und ‹Unfreiheit› seien eben dadurch verwischt worden.296 Für die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts wurden anhand des Feldzugs Burchards I. bereits die möglichen Bestandteile eines solchen Heeres angesprochen und wie wir gesehen haben, muss durch den Aufstieg von gewöhnlichen Waffenträgern mit einer zunehmenden Gruppe von militärischen Eliten – einer Militär- oder Dienstaristokratie – neben dem königsverwandten oder königsnahen ‹Adel› gerechnet werden. Nicht zu vergessen ist das persönliche Gefolge der beteiligten potentes, wofür die Bezeichnung miles zunehmend benutzt wurde.297 Bachrach konnte in einer Untersuchung der Verwendung des miles-Begriffes an einer Auswahl von erzählenden Quellen des 10. und 11. Jahrhunderts das zeitgenössische Verständnis dieses Begriffes etwas eingrenzen.298 Dabei kam er zum Schluss, dass milites in fast allen Fällen die «Hauskrieger» eines weltlichen oder geistlichen Herrn bezeichnen.299 Bei Lampert werden allerdings nur die römisch-deutschen Krieger als milites bezeichnet, und dies stets im Plural zur Bezeichnung ganzer Verbände, andere tauchen als armati auf300 sowie als copiae armatorum, exercitus, hostis und copiae hostium im Falle von gemischten Einheiten (professionelle Krieger und einfache ‹Milizen›).301 Bei Bernold von Konstanz wird miles zusätzlich für die Unterstützer des Papsttums verwendet.302 Beim Grossteil der bei diesen Autoren genannten milites vermutet Bachrach Männer von niederem oder unfreiem sozialem Stand sowie Nachfahren von ‹Ministerialen›.303 Das wichtigste Zugehörigkeitsmerkmal der militia sei die Kampferfahrung gewesen, egal ob zu Fuss oder zu Pferd gekämpft wurde.304 So unterscheidet Bernold im Bericht zur Schlacht bei Pleichfeld 1086 lediglich zwischen pedites et equites, wobei Letztere gar für das Gefecht absitzen.305 Der Besitz eines Pferdes war demnach ebenso wenig ausschlaggebend für die 295 296 297 298 299 300 301

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Althoff, Rittertum, S. 321; Goetz, Leben im Mittelalter, S. 177–181. Johrendt, Militia, S. 427 f., 431. Le Jan, Famille et pouvoir, S. 147 f. Bachrach, Milites and Warfare. Er beschäftigte sich hierfür mit den Werken von Lampert von Hersfeld, Bruno von Merseburg, Hermann von Reichenau, Berthold von Reichenau und Bernold von Konstanz. Ebd., S. 314, 327 f., 331–333. Ebd., S. 317 f. Ebd., S. 319. Duby (Chevalerie, S. 325–331) betont die differenzierte Wortverwendung, die für jede Region grosse semantische Abweichungen nach sich ziehen konnte. Viele thematische Untersuchungen können demnach nur begrenzt für meine Untersuchungen im schwäbischen Raum herangezogen werden. Bachrach, Milites and Warfare, S. 333. Ebd., S. 341 f. Ebd., S. 339–342. Bernold, Chronicon, S. 351.

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Zugehörigkeit zur militia wie der Besitz eines Lehens,306 zumal Pferde auch zweckgebunden an rekrutierte Waffenträger abgegeben werden konnten.307 Geht man noch einen Schritt weiter und denkt an die agrarii milites in Widukinds Sachsengeschichte, so sieht man sich umgekehrt ausschliesslich mit unberittenen Waffenträgern konfrontiert, die zur Bemannung der Burgen eingesetzt werden sollten.308 Auch wenn Widukinds Sachsengeschichte mindestens hundert Jahre früher als das folgende Beispiel niedergeschrieben wurde, so lässt sich im Folgenden nur schlecht nicht an milites im traditionellen Sinne denken: 1075 soll König Heinrich IV. nach der Schlacht bei Homburg an der Unstrut einen schnellen Coup gegen die Sachsen geplant haben, wofür er lediglich seinen Getreuen Hermann, Graf von Gleiberg, sowie 500 speziell dafür ausgewählte Reiter mitgenommen habe:

Unter dem Vorwande dieses Zuges täuschte er alle Reichsfürsten und brach nach Böhmen auf, ohne einen Fürsten mitzunehmen ausser dem Grafen Hermann von Gleiberg, dazu fast fünfhundert für diese wichtige Aufgabe besonders ausgewählte leichte Reiter [equites], die sich unter Zurücklassung alles Gepäcks und sonstigen Kriegsgeräts nur für den Marsch und den Kampf gerüstet hatten.309

Laut Bachrach kann es sich bei diesen equites unmöglich um milites handeln, da es sich ja eben nicht um dem König zugeführte Hauskrieger anderer Magnaten handelt, sondern um anderswo rekrutierte leichte Reiter.310 Andererseits geht es lediglich um 500 berittene Krieger, die – um nicht den Anschein einer bevorstehenden Schlacht zu erwecken – mit nur leichter Ausrüstung und Bewaffnung mitreiten. Es kann sich dabei also um 500 Krieger aus dem Gefolge Heinrichs, Hermanns oder anderer Herren handeln, die hier – um den Schwerpunkt auf Geschwindigkeit und Unauffälligkeit zu legen – als equites bezeichnet werden. Womöglich sind sie als Pendant der leichten und schnellen Elitetruppen der karolingischen Könige zu sehen, die Ganshof unter dem Begriff scara zusammenfasst.311 Für den westfränkischen Be 306 Laut Deutinger (Lehnswesen, S. 464 f.) bedeutete nämlich auch die Teilhabe an der klassischen Vasallität keine automatische Teilnahme an königlichen Heereszügen und das militärische Aufgebot soll sich bis ins 12. Jahrhundert derart verändert haben, dass an die Stelle der traditionellen Krieger zunehmend Ministeriale und Söldner getreten sein sollen. Für Duby (Chevalerie, S. 331) hätte der Besitz eines Pferdes die Gruppe potenzieller Waffenträger eingeschränkt und als Zugehörigkeitsbedingung zur militia sei ohnehin vor allem die militärische Verknüpfung ausschlaggebend gewesen. Vgl. Barthélemy, Chevalerie, S. 161. 307 Bachrach, Milites and Warfare, S. 341 f. 308 Et primum quidem ex agrariis militibus nonum quemque eligens in urbibus habitare fecit, ut ceteris confamiliaribus suis octo habitacula extrueret, frugum omnium tertiam partem exciperet servaretque (Widukind, Res gest. Sax. I,35). Fleckenstein (Agrarii milites, S. 31–33, 36 f.) sieht die agrarii milites als Teil der defensio patriae und vergleicht sie mit den limitanei der spätrömischen Kaiserzeit. Vgl. hierzu den Abschnitt zur ‹Burgenbauordnung› unten. 309 Übersetzung von Schmidt (Lampert, Annales, S. 309). Huius itineris pretextu, elusis omnibus regni principibus, in Boemiam proficiscitur, nullum secum habens ex principibus preter Herimannum comitem de Glizberg, equites autem expeditos et tanto negocio allectissimos pene quingentos, qui, reiectis sarcinis et caeteris bellorum impedimentis, itineri tantum et certamini se expedierant (ebd., S. 308). 310 Bachrach, Milites and Warfare, S.  327. An späterer Stelle widerspricht sich Bachrach (ebd., S. 339) in diesem Punkt selbst, als er betont, dass milites auch unter den pedites und equites zu finden seien. 311 Ganshof, L’armée carolingienne, S. 119 f., und ebenso Reuter, Plunder and tribute, S. 76 f. Vgl. die Einleitung zu Kriegern und Waffenträgern oben.

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reich betont Georges Duby die Verwendung des miles-Begriffes zur Unterscheidung zwischen den Laiengruppen milites und rustici, wobei die milites eher zu den berittenen Männern gehören.312 So sei in der Provence der Begriff cavallarius/caballarius ab dem 11. Jahrhundert gar als Synonym für miles zu finden.313 Äbtische militia versus klösterliche familia Die vermehrt auftretenden ‹Krisenherde› sowie die darauffolgende Militarisierung im Ostfrankenreich erforderten eine wachsende Aufsicht, Verwaltung und Kriegerschaft. Deshalb wurde es mehr und mehr notwendig, selbst solchen Männern Verantwortung und Waffen zu übertragen, welche in früheren Zeiten aus herkunftstechnischen Gründen niemals in eine solche Position gelangt wären. Die Übertragung von Macht und Verantwortung kann sich als Fluch und Segen zugleich herausstellen. Entweder man zählt einen Waffenträger mehr zu seinem Gefolge oder verliert womöglich gar einen Teil seines Besitzes. Insbesondere für geistliche Institutionen konnte eine zu grosse Schar an Bewaffneten eine Gefahr bedeuten. Für Johrendt ist ein Aufstieg in den «Berufsstand» der milites bedingt durch den Hofdienst (weltlich), das Meieramt (geistlich), den Kriegsdienst oder das Heiraten.314 Für das Kloster St. Gallen sind dank Ekkehart IV. gleich mehrere solche Fälle überliefert:

So gab sich Notker im Innern des Klosters; doch den Laien [laici], Kriegs- wie Dienstleuten [milites et famuli] gegenüber zeigte er sich gänzlich anders. Die Ritter [milites] nämlich hatte er, wenn es ihm vergönnt war, ohne die Brüder zu sein, gewöhnlich drinnen und draussen zu wöchentlichen Truchsessen und Schenken [propositores et pincernae] seiner Tafel; und er wünschte, von ihnen in gehöriger Manier bedient [ministrare] zu werden. Die Söhne aber von einigen, die die Lehen [beneficia] ihrer Väter besitzen sollten, nahm er zu sich in strenge Zucht. Die übten sich nun manchmal vor ihm leichtbekleidet im Brettspiel. Aber auch wegen der Jagdvögel und anderer Dinge, womit sich die Jugend von freier Geburt beschäftigen soll, wurden sie von den Lehrmeistern zur Rechenschaft gezogen und gezüchtigt, wenn sie sich dabei etwas hatten zuschulden kommen lassen. Indessen machte Notker ihnen jeweils zur Zeit ihrer Mündigkeit und Entlassung Waffenstücke und Kostbarkeiten [armaturae et munera] zum Geschenk.315

Ekkehart beschreibt hier eine fürstliche Tafel mit Hofämtern, die von seiner weltlichen und kriegerischen Elite besetzt werden. Obwohl diese Situation mit grösster Wahrscheinlichkeit nichts mit der Erzählzeit gemein hat und höchstens an die zeit-

312 Auch Johrendt (Militia, S.  435) sieht den miles als Berufskrieger selbstverständlich mit dem Dienst zu Pferd verbunden. 313 Duby, Chevalerie, S. 327 f. 314 Johrendt, Militia, S. 431. 315 Übersetzung von Haefele (Cas. s. Gall., S. 263). Talis ille cum in claustro fuisset, laicis quidem et militibus et famulis longe alius erat. Milites quidem, quando sibi absque fratribus esse vacabat, intus et foris mensȩ suȩ propositores et pincernas ebdomadarios habere solebat; disciplinanterque sibi ab eis ministrari volebat. Filios autem aliquorum, qui patrum beneficia habituri erant, ad se sumptos severe educaverat. Qui coram eo interdum nudi tabulis luserant. Sed et pro avibus captoriis et ceteris, quibus libertatis indoles exerceri decet, si deliquissent, a magistris exacti vapulabant. Quibus tamen missionis pro etate temporibus armaturas ille et munera dabat (ebd., cap. 135).

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genössischen Umstände des Schreibers Ekkehart angelehnt ist, darf sie dennoch exemplarisch für die Sorge der St. Galler Äbte stehen, stets den Bedarf an eigenen Truppen zu decken. Diese waren in erster Linie zur Erfüllung des königlichen Solls an Panzerreiter vorhanden, spielen aber auch für die privaten Belange des Abtes und für den Schutz des Klosters und seiner Ländereien eine wichtige Rolle. Zu Beginn des 10.  Jahrhunderts dienten die klösterlichen milites zum Schutz vor äusseren Gefahren und tauchen dabei beispielsweise bei der Abwehr sarazenischer ‹Räuber› auf: «Die Sarazenen […] bedrängten […] uns und die Unsrigen so sehr […]; und sie konnten von einer Schar Krieger [milites] des Abtes in ihren Verstecken nicht aufgestöbert werden; da überfiel sie Walto in eigener Person eines Nachts mit den Kühneren aus dem Gesinde [familiȩ].»316 Die Schilderung des offensichtlichen Misserfolgs der gut gerüsteten milites, während gar das einfache Klostergesinde mit dem Feind fertig wurde, darf durchaus wertend verstanden werden. Derart selbstbewusste professionelle Krieger – ohne die die Abtei nun einmal nicht auskam – mussten einem Mönch und Chronisten suspekt vorkommen, weshalb er sich nicht zurückhält bei der Schilderung arroganter und protzender milites. Dies wird besonders bei den maiores und villici unten noch ausführlicher zur Sprache kommen. Der Begriff miles kann in vielerlei Hinsicht im übertragenen Sinn Verwendung finden. Bei der Betrachtung der zahlreichen Hörigen- und Abhängigkeitsbegriffe sowie möglicher Aufstiegsszenarien wird nämlich schnell klar, dass sich unter den Kriegern des Abtes Waffenträger unterschiedlichster Herkunft befinden mussten.317 Dazu dürfen Verwalter ebenso gezählt werden wie berittene Boten, Vertraute des Abtes und Zinspflichtige der Abtei. Denn durch die gemeinsame Entsendung als milites des Abtes von St.  Gallen wurden sie wohl auch von den Zeitgenossen als milites – als Krieger – wahrgenommen. Ob miles in St. Gallen oder allgemein im Bodenseeraum nun eher funktionell oder auch als Standesbezeichnung fungierte,318 lässt sich nicht abschliessend klären, da wir auf beides stossen. Doch geht die Tendenz – zumindest im 10. und 11. Jahrhundert – vornehmlich in die Richtung einer ‹Funktions- und Fähigkeitsbezeichnung›. Wenn in einer Grosserzählung von milites die Rede ist, so kann man  – gemäss obiger Auswertung der Chroniken  – meist davon ausgehen, dass eine namenlose Gruppe (zumeist ‹professioneller›) Krieger gemeint ist. Wird näher auf einzelne Kämpfer eingegangen, so erscheint der Begriff eher funktional im Sinne von der/die ‹Krieger von jemandem›. Dies scheint der Fall zu sein in einer Nachricht der St. Galler Mönche an ihren in Italien weilenden Abt von 1022, worin ein Hugo als miles des Abtes bezeichnet wird ([…] per Hugonem vestrum militem).319 Doch dürfte in diesem konkreten Fall nicht die Beobachtung im Zentrum stehen, dass Hugo ein professioneller Waffenträger war, sondern dass es sich bei ihm um einen ‹Gefolgsmann› des Abtes handelte. 316 Übersetzung von Haefele (Cas. s. Gall., S. 245). Nam Saracenos […] nos et nostros adeo infestarent […] militumque abbatis manu, ubi laterent, investigari non possent, ipse [Walto] quadam nocte cum familiȩ audacioribus sibi (ebd., cap. 126). 317 Vgl. hierzu ebenfalls Bosl, Freiheit und Unfreiheit, S. 203 f. 318 Zu Stand und Stellung hinter dem miles-Begriff vgl. Fleckenstein, Rittertum, S. 386 f. 319 Chart. Sang. III, n. 874.

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Militia und ‹Ministerialität› In einer Schilderung zur Lebensweise ‹Ministerialer› im Hochmittelalter spricht Hechberger  – in zugegebenermassen traditioneller und teils überholter Weise  – einige der grundlegenden Punkte im Gebilde aus ‹Rittertum›, Hörigkeit, Spezialisierungen und Standesbewusstsein an, die nochmals zu lesen sich im Zusammenhang mit dieser Arbeit lohnen: «Militärischer Dienst war nicht nur eine besondere Form des Dienstes, es handelte sich dabei v. a. um die Lebensform des Adels. Im Zuge der Entwicklung des Reiterkriegertums zum Rittertum wurden damit spezifische Werte, Normen und Symbole verknüpft, die für alle Waffentragenden unabhängig von deren Herkunft galten. Die ritterlich-höfische Kultur verband Ende des 12. Jahrhunderts den König, den Adel und die militärisch dienende Ministerialität. In der Siegel- und Wappenführung, dem Bau namengebender Burgen oder der Teilnahme an Turnieren zeigt sich deutlich die Angleichung an die Lebensweise des Adels. Ob das Ritterideal mit seiner starken Hervorhebung des Dienstgedankens vielleicht selbst massgeblich durch die Ministerialität geprägt oder sogar konstituiert worden ist, ist in der Forschung umstritten.»320 Dass sich das Kriegertum im 11. und 12. Jahrhundert häufig unabhängig von der jeweiligen Herkunft der Akteure ausbreitete – wie Hechberger beschreibt –, konnte oben für den Bodenseeraum bestätigt werden. Für die Zeit vom 10. bis zum beginnenden 12. Jahrhundert dürfte der zusammenfassende Begriff für die Kriegerschaft – militia  – somit für alle Waffenträger gegolten haben. Doch sind je nach Schreiber ständische Unterschiede feststellbar (wie beim ebengenannten miles Hugo). Wie es aussieht, hat sich diese Bewegung beziehungsweise die Elitenabspaltung innerhalb der Kämpfergemeinschaft spätestens im 12./13. Jahrhundert vollzogen, sodass miles im klassischen Hochmittelalter wieder zur Bezeichnung einer Kriegerelite verwendet wurde. Dass sich die aufgestiegenen Krieger zunehmend an die Lebensweise des ‹Adels› angeglichen hätten, wie Hechberger postuliert, findet sich so zwar bei Ekkehart IV., doch dürfte von den ‹Aufsteigern› mindestens ebenso viel Einfluss auf die Kriegergesellschaft ausgeübt worden sein. Unter fränkischer Beeinflussung im 7.–9. Jahrhundert hat die Herkunft eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Danach wurden aufgrund des Kriegermangels im 10. und 11. Jahrhundert selbst Hörige dank ihres Könnens und Einsatzes in die Kriegergesellschaft integriert. Doch Ende des 11. Jahrhunderts bis zum 13. Jahrhundert trennte sich aus der schliesslich um ein Mehrfaches grösseren Kriegergesellschaft wiederum die elitäre Spitze ab. Anders als in merowingisch-karolingischer Zeit war diese nun aber nicht mehr nur auf die Herkunft bedacht; vielmehr waren nun auch die Tugenden der einstigen ‹Aufsteiger› zum Bestandteil dieser neuen Kriegerelite geworden. Doch darf selbst an dieser Stelle nicht vereinfacht zwischen ‹adligen› und ‹nichtadligen› Waffenträgern unterschieden werden. Vielmehr stand die heterogene und äusserst formbare Masse der schwäbischen Kriegergesellschaft weiterhin in einem unzählbar vielschichtigen Abhängigkeitsraster, das nicht zuletzt durch die verstärkte Einflussnahme der Kirche in der Gottesfriedensbewegung, den Kreuzzü 320 Hechberger, Adel und Rittertum, S. 30.

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gen und anderen Instrumentalisierungsversuchen stetig weitere Transformationen durchlebte. Der Umstand, dass sich die hochmittelalterliche Kriegerelite – das hochmittelalterliche ‹Rittertum› – zu einem wesentlichen Teil aus ‹Aufsteigern› zusammensetzte, welche zugleich in kirchlichen Diensten stehen konnten und sich für eine ganze Reihe literarischer Leistungen (höfische Romane) verantwortlich gezeigt haben dürften, hat überhaupt zu dieser ‹alten Tradition› der Erforschung von ‹Ministerialität› geführt. Der Begriff ministerialis selbst wird an späterer Stelle bezogen auf den Bodenseeraum genauer betrachtet. An dieser Stelle soll erst einmal der Hinweis genügen, dass sich ehemals hörige Elemente durch Waffendienste gesellschaftlich verbessern konnten und diese dadurch Teil der militia wurden. Militia christiana – eine geistige Transformation? Berthold von Reichenau spricht an einer Stelle vom ‹positiven Lebenswandel› der militia und bezeichnet diese dabei als militia christiana, womit er ganz im Sinne der Zeit und im Geiste der kirchlichen Reformen zur Verschmelzung beider Elemente beiträgt.321 Dass in einer Zeit zunehmender Militarisierung Themen um die pax dei und treuga dei zum Tragen und Wirken kommen, kann kein Zufall sein. Fleckenstein bezeichnet den Frieden im Mittelalter eher als Ausnahmeerscheinung, als Bezeichnung der kurzen Unterbrechungen inmitten des «Normalzustands» Krieg.322 Aus einer dringenden Notwendigkeit heraus waren im beginnenden 10.  Jahrhundert auch bisher unbewaffnete Gruppen bewaffnet worden und manch ein Krieger wird eine gewisse Stärkung des Selbstbewusstseins erlebt haben.323 Man kann sich deshalb an dieser Stelle auch fragen, welche Rolle kirchliche Reformbewegungen und die sogenannte Reichskirche an sich für die Entwicklung einer ‹schwäbischen Ritterschaft› spielten, wie wir sie im Hochmittelalter fast selbstverständlich anzutreffen glauben. Mit der Gottesfriedensbewegung, der Schonung von Wehrlosen, Frauen, Klerikern, Bauern(gut) und Kirchen(gut), sowie der ‹kirchlichen Nutzbarmachung›324 der ‹Ritterschaft› entwickelte sich der militia-Begriff im hohen Mittelalter zum Begriff für die nach unten abgegrenzte ‹Ritterschaft› und für ‹Ritterorden›.325 Obwohl die militia in der ohnehin von Klerikern verfassten schriftlichen Überlieferung ursprünglich für den klerikalen ‹göttlichen Kriegsdienst› (Beten) stand, wurden zunehmend Krieger und Waffenträger unter diesen Begriff gefasst. Dies kann womög 321 Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 190. 322 Fleckenstein, Krieg und Frieden, S. 151. 323 «Offenbar bestand im Reich während des 10. und 11. Jahrhunderts ein grosser Bedarf an Kämpfern, der sich am bequemsten durch unfreie Angehörige der herrschaftlichen familia decken liess» (Borchardt, Sonderweg, S. 38). 324 Die «kirchliche Lehre vom Wesen des Kriegerberufs […] ermöglichte es einerseits, die ‹Ritter› in einen ‹Krieg gegen den Staat› zu schicken, dies im Zusammenhang des Investiturstreits, und sie andererseits zur Offensive gegen äussere Feinde, wie etwa in der Kreuzzugsbewegung, aufzurufen» (Althoff, Rittertum, S. 317). Zur französischen Perspektive vgl. insbesondere Flori, Chevalerie, S. 122–129. 325 MLLM 2, S. 887 f.; Althoff, Rittertum, S. 329 f. Die Kriegerelite konnte insbesondere durch das Leisten von Eiden («Selbstbindung») zu Friedensgeboten bewegt werden (Schmidt, Frieden schaffen, S. 83).

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lich gar als Antwort auf den Ausfall früherer Schutzinstanzen wie dem Königtum im Westfrankenreich gesehen werden,326 an dessen Stelle nun die militia rückte. Dass sich dieser Bedeutungswandel während des 10. und 11. Jahrhunderts aber erst entwickelte, zeigt sich an der häufigen Bezeichnung als pugnatores/bellatores anstelle von milites für Waffenträger.327 Im Ostfrankenreich soll die Ottonenherrschaft laut Althoff das Pendant zur «feudalen Anarchie» des Westfrankenreichs aufgefangen haben.328 Aufgrund der steten Notwendigkeit von Eigeninitiativen während des 10. und 11. Jahrhunderts scheint mir das Königtum im Herzogtum Schwaben allerdings keineswegs derart präsent gewesen zu sein. Keller sieht das Aufkommen des miles-Begriffs vor allem im Kampf gegen Normannen, Sarazenen, Ungarn und «böse Christen» begründet. Denn dieser «Streit für das Volk Gottes und gegen die Feinde der Kirche Gottes» soll der kriegerischen Bedeutung von miles zur Vorherrschaft verholfen haben.329 In Form der militia christiana konnte unter Ausschluss der Könige direkt mit den Waffenträgern kommuniziert werden, zum Schutz der Kirche und gegen Schismatiker und Häretiker.330 Bei der karolingischen militia handelte es sich ursprünglich primär um einen Expeditionsverband, der nur im Notfall auch zur defensio patriae herangezogen wurde. Dagegen wird es besonders während des 10. Jahrhunderts schwierig, die Gruppe der milites ständisch zu bestimmen, da sich diese mit den ehemaligen Aufgeboten der defensio patriae vermischt hat und zunehmend durch neue Waffenträger aufgestockt wurde.331 Durch die weitere Bewaffnung und den Einsatz innerhalb des ostfränkischen Reiches aufgrund von Angriffen von aussen und Krisen im Innern konnte die militia des 10. und 11. Jahrhunderts schnell zur malitia mutieren und wurde zunehmend als Bedrohung wahrgenommen.332 Werner Hechberger sieht diese Bewegung auch in der Verschiebung der Kriterien von der «geburtsständischen» zur «berufsständischen» Bedeutungs- und Aufstiegssituation begründet, welche «die alten Unterscheidungen zwischen potentes und pauperes oder Freien und Unfreien ablöste».333 Zudem erkennt er eine Monopolisierung der Kriegsführung durch die Aristokratie und die damit einhergehenden Verpflichtungen der Waffenträger durch die Gottesfriedensbewegung, welche sich nach 975 von Aquitanien ausgehend ausbreitete und sich auf bestimmte Verhaltensweisen der militia auswirkte.334 326 Und bereits dabei muss unter «Schutz» wohl nicht immer gleich der Schutz eines Individuums gegenüber Dritten verstanden werden, wie Algazi (Herrengewalt, S. 224) für das spätmittelalterliche Verständnis von «Schutz und Schirm» ausführt. 327 Hechberger, Adel und Rittertum, S. 15 f.; Althoff, Rittertum, S. 322, 326, 329 f. 328 Ebd., S. 331. 329 Keller, Militia, S. 102. 330 Althoff, Rittertum, S. 330. 331 Fleckenstein, Miles und clericus, S. 308. 332 Vgl. hierzu Bernhard von Clairvaux und sein Lob der neuen militia (Bernhard, De laude novae milit., cap. 2: De militia saeculari: Quis igitur finis fructusve sæcularis hujus, non dico, militiæ, sed malitiæ; si et occisor letaliter peccat, et occisus æternaliter perit? […] Quis ergo, o milites, hic tam stupendus error, quis furor hic tam non ferendus, tantis sumptibus ac laboribus militare, stipendiis vero nullis, nisi aut mortis, aut criminis?). 333 Hechberger, Adel und Rittertum, S. 24. 334 Ebd.; Barthélemy, Chevalerie, S. 171–173. Zuvor geschah Konfliktlösung – zumindest theoretisch  – durch Entschädigung und Versöhnung. Durch Wergeldlisten sollte die Schädigung

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Im cluniazensischen Sinne tätig waren diesbezüglich im ostfränkischen Reich vor allem die Reformklöster Hirsau und St.  Blasien.335 Ebenso kirchlich begründet darf die ‹Dreiteilung› der Gesellschaft in laboratores/agricultures, bellatores/pugnatores und oratores gesehen werden, deren ständisches Bewusstsein weniger auf Besitz, denn auf der eigentlichen Funktion im alltäglichen Leben fokussiert war.336 In diesem Sinne leisteten nicht nur die «Geisteskrieger und Schwertkämpfer» ihren ‹arbeitsteiligen› Beitrag zur Erhaltung des Friedens, wie Kurze meint,337 sondern auch die landwirtschaftliche Bevölkerung, die hierfür das eigentliche Fundament bereitstellte und welcher mehrfach erfolglos das Waffentragen untersagt worden sein soll. Berthold von Reichenau berichtet in seiner Chronik von einer Synode in Rom aus dem Jahr 1078, worin indirekt auch die Rolle der milites umschrieben wird:

Jedweder Krieger [militum], welchen Ranges und Standes auch immer, welcher gegen den Willen der Bischöfe, Äbte oder anderer Kirchenvorsteher vom König oder einem weltlichen Fürsten Kirchengüter angenommen hat oder annehmen wird, sich ihrer bemächtigt hat oder bemächtigen wird oder sie mit ihrer Zustimmung innehaben wird, soll, wenn er diese Güter den Kirchen nicht zurückgibt, der Exkommunikation verfallen.338

Damit ist die Kriegerschaft letztlich dem Willen und der Gunst der Kirche unterworfen und Gut, das sich aus der Sicht der Kirche widerrechtlich im Besitz eines Weltlichen befindet, dürfte demnach ohne weitere Folgen von den milites im ‹Dienste der Kirche› dem Exkommunizierten abgenommen werden. Die dienende Rolle der militia wird in einem späteren Passus noch ausdrücklicher formuliert: Wenn daher irgendein Krieger [miles] […] oder irgend jemand, der ein Amt verwaltet, das ohne Sünde nicht ausgeübt werden kann, […] so soll er erkennen, dass er nicht wahre Busse, durch welche er zum ewigen Leben zu gelangen vermag, ableisten kann, wenn nicht der Krieger die Waffen ablegt [nisi miles arma deponat] und sie nicht mehr führt, es sei denn gemäss dem Rat frommer Bischöfe und zur Verteidigung der Gerechtigkeit.339

Damit gehören die milites für die Kirche zu den Übeln, die es hin und wieder zu erdulden gilt. Die Waffen seien zwar grundsätzlich niederzulegen, aber im Dienste der Kirche und der Gerechtigkeit dürften die milites ihrer sündenbehafteten Tätigkeit nachgehen. So bezeichnet Berthold die Krieger Heinrichs in den Ausführungen zuvor denn auch nicht als milites, sondern als ‹Räuber› (predones), als sie an die

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(Racheakte) des Feindes in gewisse Bahnen gelenkt werden, zur Schaffung des Friedens (Schmidt, Frieden schaffen, S. 76–80). Zey, Investiturstreit, S. 22–26; Hechberger, Adel und Rittertum, S. 26. Laudage, Rittertum, S. 11 f.; Duby, Chevalerie, S. 334; Goetz, Ordines, S. 221, 232–236. Kurze, Krieg und Frieden, S. 32 f. Übersetzung von Robinson (Berthold, Chronicon II, S. 229). Quicumque militum cuiuscumque ordinis vel professionis predia aecclesiastica a rege seu seculari principe, episcopis seu abbatibus aut aliquibus aecclesiarum rectoribus invitis, suscepit vel susceperit, invasit vel invaserit vel eorum consensu tenuerit, nisi eadem predia aecclesiis restituerit, excommunicationi subiaceat (ebd., an. 1078, S. 228). Übersetzung von Robinson (ebd., S. 231). Ideoque quicumque miles […] vel alicui officio deditus quod sine peccato exerceri non possit, […] recognoscat, se veram paenitentiam non posse peragere, per quam ad aeternam vitam valeat pervenire, nisi miles arma deponat, ulteriusque ea nisi aut consilio regiosorum episcoporum et pro defendenda iusticia non ferat (ebd., S. 230).

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hundert Kirchen in Schwaben verwüsten. Die aus seiner Sicht unrechtmässigen Bischöfe Heinrichs IV. seien daran gar beteiligt gewesen.340 Für die beteiligten Krieger dürfte die Rechtmässigkeit ihrer Handlungen – ganz abgesehen vom ethisch-moralischen Empfinden – wohl wenig infrage gestellt worden sein. Denn in Begleitung ihrer Bischöfe hatten sie ja selbst gemäss den nach ebengenannten Vorfällen verfassten Beschlüssen der Synode von 1078 nur im Auftrag der kirchlichen Obrigkeiten gehandelt. Unglücklicherweise standen jene Bischöfe aber auf der nichtpäpstlichen Seite. Der ganz im Sinne der Reformen schreibende Berthold von Reichenau gibt sich in seiner Chronik alle Mühe, den papstfreundlichen Rudolf von Rheinfelden ganz im christlichen und gerechten Sinne strahlen zu lassen. Wohl auch in Kenntnis von Augustinus’ Schriften zum bellum iustum taucht ‹sein Rudolf› praktisch nie als Angreifer, sondern legitimierenderweise als Verteidiger auf, ganz im Sinne eines miles christianus: Als endlich König Rudolf erfuhr, dass die Feinde nahe seien, rückte er, besonders durch die feste Hoffnung auf Gott und seine Gerechtigkeit gestärkt [in deo eiusque iustitia magnopere speratus et corroboratus] mit seinen sehr sorgfältig zur Schlacht geordneten Scharen ausserordentlich kampflustig und schreckenerregend vor und erwartete die Feinde, welche ihn ohne Grund angriffen. Er selbst war nämlich nicht das Haupt und der Anstifter des schweren Streits, sondern der Verteidiger und Befreier [defensor et liberator] seiner selbst und der Seinen, der dazu durch äusserste Notlage gedrängt worden war – und dieses zu sein und genannt zu werden, hielt er für die grösste Ehre und den grössten Ruhm.341

Die Kirchenreformen dürften sich auch indirekt auf Schwaben ausgewirkt haben, so waren sie wohl zu einem grossen Teil für die Nichterwähnung von klösterlichen Dienstleuten verantwortlich sowie für den Rückgang der gebietsmanifestierenden Urkundentätigkeit. In der Rückbesinnung auf die eigentlichen Aufgaben eines Klerikers versuchte man wohl alle anderen Faktoren – insbesondere in der Klosterökonomie – auf ein Minimum zu beschränken, was sich letztlich mit Ausnahme von erzählenden Quellen negativ auf den Output von Schriftgut auswirkte.342 Besonders kirchliche Institutionen dürften unter diesem Trend wohl kaum damit geprahlt haben, dass sie sogar zuvor unbewaffnete Knechte militärisch einsetzten. Dennoch verfügten in dieser Zeit selbst die strengen Reformklöster über bewaffnete Dienstleute, nicht zuletzt aus der schlichten Notwendigkeit heraus.343 Dass die Überlieferung im 10. und 11. Jahrhundert jedoch gerade in St. Gallen stark nach 340 Ebd., S. 224. 341 Übersetzung von Robinson (ebd., S. 271). Rex denique Ruodolfus hostem adesse comperiens, ac se cum suis cohortibus ad bellum ordinatissime satis instructis bellax nimis et horrendus promovens, in Deo eiusque iustitia magnopere speratus et corroboratus, hostes se gratis impetentes prestolatus est. Nam ipse non caput et inceptor tante congressionis, sed suimet suorumque defensor et liberator, et hoc summa necessitate coartatus, et esse et dici non minimi nominis et glorie computavit (ebd., an. 1079, S. 270–272). 342 Solche Bestrebungen sind teilweise selbst in die architektonische Ausgestaltung neuer Kirchen eingeflossen, indem beispielsweise auf zusätzliche Altäre verzichtet wurde, um Pilgerströme zu vermeiden. Sämtliche Ablenkungen von der liturgischen Kernaufgabe sollten unterbunden werden (Untermann, Architektur, S. 172). 343 Zotz, Ministerialität, S. 50.

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lässt, überrascht unter diesem Aspekt besonders, war die Gallus-Abtei doch dafür bekannt, dass sie sich jahrhundertelang erfolgreich sämtlichen Reformbestrebungen und Anpassungen zu widersetzen vermochte. Gewisse Spuren finden sich dennoch in der chronikalen Überlieferung des 11. Jahrhunderts, und zwar bei Ekkehart IV., der Anspielungen auf die lothringischen Reformbewegungen (Klosterreform von Gorze) beziehungsweise auf die ‹Missstände› vor dieser Reform macht:

Die Klausur des heiligen Gallus aber ist – nachdem wir denn auf diese Örtlichkeit gekommen sind  – seit ältestem Gedenken der Väter stets in so hoher Verehrung gehalten worden, dass keinem noch so mächtigen Weltgeistlichen oder Laien [potentissimorum seculi canonicorum seu laicorum] der Eintritt oder auch nur der Einblick erlaubt gewesen wäre. Und deshalb auch muss ich etwas erzählen, was mir die Frommen der Gegenwart natürlich, ich weiss, nicht glauben werden. Selber habe ich vor den Zeiten des monastischen Schismas [monachorum scismatis], wie wir sie von den Welschen erdulden müssen, erlebt, dass Grafen und andere mächtige Herren, Gefolgsleute auch von St. Gallen, um der Freude willen an Festtagen unseren Prozessionen durch das Klosterinnere zu folgen, – junge und alte Männer, etliche mit bis zum Gürtel reichenden Bärten – in Mönchsröcke gehüllt mit uns marschierten, wohin wir nur immer gingen. Und auch im Refektorium habe ich ihrer acht, die freilich verdiente Männer waren, an einem Ostertag beim Abt und bei den Dekanen im Mönchshabit zu Tische sitzen sehen.344

Obwohl St. Gallen stets eine altehrwürdige geistliche Institution gewesen sei, hätten Elemente von aussen zunehmend negativen Einfluss genommen, sodass Laien schliesslich voller Selbstverständnis durch die Klausur gewandelt seien. Im Versuch, nun möglichst allen weltlichen Einfluss von der Klausur fernzuhalten, werden wohl auch die weltlichen Elemente der Abtei weniger Gehör gefunden haben, und die oben genannte Rückbesinnung aufs geistliche ‹Hauptgeschäft› im Zuge der Kirchenreform (Ekkehart spricht von einem Schisma) wird ihr Übriges getan haben. Diese Rückbesinnung – sofern eine solche im reformresistenten Kloster St. Gallen überhaupt ansatzweise Beachtung gefunden hat – könnte eine der Ursachen für den Rückgang der Verwaltungsschriftlichkeit gewesen sein. Gottesfrieden und Friedenskrieg Auf die ‹Kultur› der Krieger hatte neben den kirchlichen Reformbemühungen auch der Kreuzzugsgedanke einen nicht unbedeutenden Einfluss. Aus einem gewöhnlichen Waffenträger konnte durch Ablegen eines Kreuzzugsgelübdes unmittelbar ein

344 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 265). Claustrum autem sancti Galli, quoniam locum hunc incidimus, ab antiqua patrum memoria tantȩ venerationi semper est habitum, ut nemini vel potentissimorum seculi canonicorum seu laicorum introitus vel etiam introspectus eius licuerit. Unde et dicere habere, quod ab religiosis huius temporis mihi quidem discredi scio. Vidi egomet ante tempora, quȩ a Gallis patimur, monachorum scismatis comites aliosque potentes, loci quoque milites, pro delectatione festis diebus crucem nobiscum per claustrum sequendi, iuvenes et senes, quosdam ad cingulum barbatos, monachicis indutos roccis, nobiscum, quaqua ivimus, ingredi. In refectorio quoque octo de illis, qui tamen emeriti videbantur, circa abbatem et decanos ad mensam monachico consedisse habitu in die pasche vidi (ebd., cap. 136).

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Angehöriger der militia Christi werden,345 eine Bezeichnung, die im 9.  Jahrhundert gerne für Mönche gebraucht wurde, so auch in St. Gallen.346 Die Verbindung kirchlicher und kriegerischer Elemente schlug sich stark propagandistisch in der Überlieferung nieder. Kriegerische Aristokratensöhne mussten nicht mehr unbedingt in ein Kloster eintreten, um Vergebung zu erlangen, sondern konnten ihr Handwerk in den Dienst der Kirche stellen. So soll laut Hechberger durch höfische und kirchliche Einflüsse, spezifische Lebensweisen, durch die Verbindung von Dienst und Herrschaft und durch eine Kriegerethik im 12. Jahrhundert schliesslich aus einem Krieger ein ‹Ritter› geworden sein. Dabei sollen klassische Elemente des Königtums (Schutz von Wehrlosen) auf das ‹Rittertum› übertragen worden sein.347 Die Bewahrung des Friedens galt in merowingischer und karolingischer Zeit als eine Kernaufgabe des Königs. Diese Aufgabe wurde seit dem 10. Jahrhundert vermehrt durch die Kirche wahrgenommen. Daraus erwuchs um das Jahr 1000 in Südfrankreich schliesslich die Gottesfriedensbewegung, die rasch auch das Ostfrankenreich erfasste.348 Als Beispiel eines Friedensgebots für Schwaben lässt sich ein Fall vom Beginn des 11. Jahrhunderts anführen. Kurz nach Beginn des zweiten Jahrtausends zog Heinrich II. nach der Erlangung der italienischen Krone – am 14. Mai 1004 in Pavia – zurück über die Alpen Richtung Norden und machte Station im schwäbischen Zürich. Zwei Jahre zuvor hatte er sich nach seinem Amtsantritt bereits gegen den schwäbischen Herzog Hermann II. durchsetzen müssen, welcher sich dem König aber unterwarf, noch bevor es zu einer Schlacht kam, wie Thietmar in seiner Chronik berichtet.349 Doch Hermann II. war 1003 gestorben und ihm folgte sein unmündiger Sohn als Hermann III. Zur Sicherung der Treue Schwabens und vermutlich auch zur gesicherten Übernahme der Regentschaft für den jungen Herzog350 liess König Heinrich II. an einer Versammlung in Zürich von allen die Bewahrung des Friedens schwören: Also hielt der König im Zürich genannten Ort eine Versammlung [colloquium] ab und alle vom Kleinsten bis zum Grössten drängte er zu schwören, den Frieden zu schützen und Raubzügen nicht zuzustimmen. Nachdem so ganz Schwaben unter eine Friedensruhe gestellt war, kam er in das Elsass und feierte in Strassburg die Geburt des heiligen Johannes.351

Thietmar misst der Station in Zürich wesentlich weniger Bedeutung zu und erwähnt mehr beiläufig, dass Heinrich II. auf seiner schnellen Rückkehr in die Heimat noch 345 346 347 348

Laudage, Rittertum, S. 20 f. Chart. Sang. I, nn. 207, 217, 228. Hechberger, Adel und Rittertum, S. 34 f. Sellert, Friedensprogramme, S.  456–458; Schmidt, Frieden schaffen, S.  82–85; Duby, Société mâconnaise, S. 195 f. 349 Thietmar, Chronicon V, 20, 22. 350 Adalbold beschreibt diesen Umstand sehr zugunsten Heinrichs II.: Iam enim dux Herimannus obierat et filius suus ducatui a rege substitutus erat, qui nimiae iuventutis adhuc nec semet ipsum regere sciebat (Adalbold, Vita Heinrici II, cap. 42). 351 Übersetzung von Schütz (Adalbold, Vita Heinrici II, S. 191). In loco igitur qui Turegum dicitur rex colloquium tenuit omnesque pro pace tuenda, pro latrociniis non consentiendis a minimo usque ad maximum iurare compulit. Sic tota Alemania sub pacis quiete statuta, in Alsatiam venit et in Argentina civitate nativitatem sancti Ioannis celebravit (ebd., cap. 42).

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Halt auf schwäbischem Boden gemacht habe ad regendum et confirmandum.352 Dieses Bild zeigt uns auch die urkundliche Überlieferung aus dem Jahr 1004, wonach der König den Zwischenhalt in Zürich insbesondere zur Bestätigung von alten Rechten genutzt hatte. Auch dem Kloster St. Gallen wurde dabei am 17. Juni 1004 die Immunität sowie das Inquisitions- und Wahlrecht bestätigt.353 Für denselben Tag ist zudem eine Güterbestätigung für Einsiedeln überliefert.354 Aus alleiniger Sicht der Urkunden weichen die Handlungen in Zürich kein bisschen von denjenigen in den Tagen davor in Locarno355 und danach in Strassburg356 ab. Heinrich ist auf dem Weg nach Norden schlicht seinen königlichen Pflichten nachgekommen. Letztlich sind zwar auch Bestätigungen von alten Rechten friedenswahrende Massnahmen, doch bis auf Adalbolds Bemerkungen finden sich keine Hinweise auf einen allseits verkündeten Frieden im Jahr 1004 vergleichbar mit der Gottesfriedensbewegung, wie ihn beispielsweise Tremp vermutet.357 Schon eher im Sinne der Gottesfriedensbewegung scheint ein Friedensedikt358 König Heinrichs III. aus dem Jahr 1043 zu sein, wovon Hermann von Reichenau berichtet:

Von dort kam er nach Alemannien und vergab auf der Synode von Konstanz allen, die gegen ihn gefehlt hatten, zuerst selbst alle Schuld. Dann söhnte er durch Bitten und Ermahnungen alle anwesenden Schwaben, nachdem sie einander Schuld und Feindschaften vergeben hatten, gegenseitig aus, in dem eifrigen Bemühen, dass dasselbe nachher in den anderen Ländern seines Reiches geschehe, und schuf so einen seit vielen Jahrhunderten unerhörten Frieden und bekräftigte ihn durch ein Edikt.359

Obwohl oder gerade weil der König zur selben Zeit Krieg gegen die Ungarn und Böhmen führte, war er umso mehr um Frieden im Reich bemüht. Dass sein Auftritt in Konstanz geprägt war von der südfranzösischen Gottesfriedensbewegung,360 wäre denkbar. Innere Fehden sollten vermieden oder zumindest in gewissen Zeiten verboten werden361 und kriegerische Auswüchse sollten möglichst nach aussen abgelenkt werden.362 Durch die Einengung der erlaubten Fehde wurden zugleich der Heidenkrieg und die Kreuzzugsidee gefördert, was sich als hervorragendes Mittel der

352 Dehinc patriam revisere festinans, Alemanniae fines, nuper a ducis Herimanni solatio privatos filioque eius et equivoco adhuc puerulo deditos, ad regendum et confirmandum invadit (Thietmar, Chronicon VI,9). 353 Chart. Sang. III, n. 871. 354 Bresslau, Urkunden Heinrichs II. (MGH DD H II), n. 77. 355 Bestätigungen an die Kleriker von Como am 12. Juni 1004 (ebd., n. 75). Zur Route Heinrichs vgl. UBSüd I, n. 106. 356 Erlaubnis zur Errichtung eines Marktes in Rincka (Breisgau) am 25. Juni 1004 (Bresslau, Urkunden Heinrichs II. [MGH DD H II], n. 78). 357 Tremp, ‹Kirchenreform›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D17149.php [4. 8. 2018]). 358 Zu Friedenseiden und rechtlich ‹verbindlichen› Edikten vgl. Dilcher, Friede durch Recht, S. 219. 359 Übersetzung von Buchner (Hermann, Chronicon, S. 677). Inde in Alamanniam veniens, in sinodo Constantiensi cunctis, qui contra se deliquerant, primum ipse debitum omne dimisit. Deinde precibus et adortationibus omnes praesentes Suevigenas, postea in aliis regni sui provinciis idem actum iri satagens, dimissis debitis et inimicitiis, sibi invicem reconciliavit pacemque multis seculis inauditam efficiens per edictum confirmavit (ebd., an. 1043, S. 676). 360 Vgl. Duby, Paix de Dieu, S. 227–229. 361 Sellert, Friedensprogramme, S. 460. 362 Vgl. Johrendt, Militia, S. 424 f.

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Kirche zur Steuerung der kriegerischen Emotionen der Massen erwies.363 «Die Gottesfrieden sollten eine Gewähr dafür bieten, dass die Ritter, die sich den Kreuzzügen anschlossen, ihre Familien nicht schutzlos zurückzulassen brauchten. Insoweit verkündete die Kirche den Frieden, um ad gloriam dei den Krieg führen zu können. Gottesfriede bedeutete also auch ‹Friedenskrieg›.»364 Dennoch gehörten besonders vor den Kreuzzügen innere ‹friedenstiftende› Gewaltaktionen zu den Instrumenten der Geistlichkeit. Es wurden ‹Friedensmilizen› gebildet und die Bischöfe riefen zur Gewalt gegen Friedensbrecher auf.365 Der Begriff der militia wurde in diesem Sinne auf vielfältige Weise gebraucht, und dies bereits lange vor dem eigentlichen Aufruf zur (‹Rück›‑)Eroberung des Heiligen Landes 1095, woraufhin neben der ‹Volksmilitia› schliesslich ein durch Eid verpflichtetes gewaltsames Kollektiv an professionellen Kriegern nach Osten zog.366 Nach dem Vorbild der Königsweihe sollte schliesslich auch diesen Kriegern als ‹Ritter› eine eigene Segnung zukommen (Schwertsegen, Ritterweihe). Dadurch sei der Krieger schliesslich in einen christlichen Ritter beziehungsweise einen famulus dei verwandelt worden und sein Verhältnis zum Krieg habe sich verändert.367 «So spannt sich die Geschichte des Rittertums, das seine Existenz der Spezialisierung auf den Krieg verdankt, im Ganzen zwischen Krieg und Frieden aus. Kennzeichnend dafür ist, dass es sich über die Stufe des reinen Kriegertums erhob, indem es mit seiner Schöpfung der höfisch-ritterlichen Kultur Schild und Schwert nicht zuletzt auch in den Dienst von Recht und Frieden stellte.»368 Legio und exercitus Abgesehen von den klassischen Begriffen zur Umschreibung der mittelalterlichen Kriegerschaft kommt man kaum umhin, auf die eher ungewöhnlich klingenden Termini der zeitgenössischen Chronisten hinzuweisen und sich zu fragen, ob unser Verständnis von der hauptsächlich durch ‹Lehns- und Gefolgschaftsverhältnisse› geprägten mittelalterlichen Kriegergesellschaft denn wirklich die einzige vorstellbare Variante ist oder ob uns die offenbar ‹typisch mittelalterliche› Terminologie nicht auf eine falsche Fährte geführt hat. Kurze vermutet diesbezüglich einen Zusammenhang zwischen der Verwendung der stark rezipierten epitoma rei militaris des Vegetius sowie der Werke des Augustinus.369 Ebenso verweist Hehl auf das Interesse der Mönche von St.  Gallen und Reichenau für Vegetius und das erste Makkabäerbuch besonders in der Krisenzeit des beginnenden 10.  Jahrhunderts. Und selbst einige Ausführungen Ekkeharts IV. im 11. Jahrhundert zum oben ausführlich geschilderten kämpferischen St. Galler Abt Engilbert gegen die Ungarn stammen aus ebenjenem kriegerischen Buch der Bibel. Ähnliche Beobachtungen macht Hehl zudem bei Widu 363 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 564 f. 364 Sellert, Friedensprogramme, S. 458 f.; vgl. Ohler, Pax Dei, S. 317–319. 365 Ebd., S.  310; Oexle, Formen des Friedens, S.  92; Leyser, Revolution, S.  21; Thorau, Kreuzzüge, S. 34 f.; Schmidt, Frieden schaffen, S. 86; Erdmann, Kreuzzugsgedanken, S. 56. 366 Schmidt, Frieden schaffen, S. 85–88. 367 Keller, Militia, S. 104. 368 Fleckenstein, Krieg und Frieden, S. 168. 369 Kurze, Krieg und Frieden, S. 3; Heckmann, Kriegsdeutungen, S. 29 f., 33 f., 37 f., 60.

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kinds Sachsengeschichte. «Die Kombination Makkabäer-Vegetius verweist auf frühere Krisenzeiten», führt derselbe weiter aus und weist damit auf die Verwendung von Vegetius’ Militärtraktat im 9. Jahrhundert hin. Hrabanus Maurus hatte den Traktat als ‹Fürstenspiegel› für den künftigen König Lothar II. konzipiert, um diesen auf die Normannenbedrohung vorzubereiten.370 Unter diesem Blickwinkel verwundert es wenig, dass die römisch-antike Terminologie besonders in Kriegsangelegenheiten einen derartigen Einfluss auf die lokale Historiografie ausübte. Es gilt einerseits zwischen den allgemeinen, ‹neutralen› Bezeichnungen für Truppen (exercitus, copiae) und Spezialbezeichnungen (legio, cohors, turma, centena) zu unterscheiden, die teils Hinweise auf die Truppenstärke beinhalten, und andererseits zwischen dem eigentlichen Heer und kleinen Abteilungen (agmen, acies), Hilfstruppen (auxiliae) und Spezialtruppen (expeditus, impedimentum). Die Eliteeinheiten (schola, palatini), Begriffe für ‹Volksheere› (unprofessionelle Kämpfer hinter den Bezeichnungen turba und populus) sowie die Abgrenzungen und Gemeinsamkeiten zwischen exercitus und militia wurden bereits oben näher untersucht. Als einführendes Beispiel dient nun Widukinds Schilderung rund um die Heeresversammlung und ersten Erfolge König Ottos auf dem Lechfeld gegen die Ungarn 955, die ganz nebenbei einen erhellenden Einblick in die Heeres- und Organisationspraxis des 10. Jahrhunderts aus der Sicht eines Zeitgenossen gewährt:

Im Bereich von Augsburg [Augustanae urbis] schlug er [König Otto I.] sein Lager [castrum] auf, und hier stiess zu ihm das Aufgebot [exercitus] der Franken und Bayern. Mit seinem starken Reiterheer [equitatus] kam auch Herzog Konrad ins Lager; und durch seine Ankunft ermutigt, wünschten die Krieger [milites] nunmehr den Kampf nicht länger aufzuschieben. […] Nun wurde von den Streifposten [agmen latrocinans] beider Heere [exercitus] angezeigt, dass sie nicht mehr weit voneinander entfernt seien. […] Im ersten Dämmerlicht standen sie auf, machten untereinander Frieden und gelobten dann zuerst ihrem Anführer [dux], darauf ein jeder dem andern eidlich seine Unterstüzung; dann rückten sie mit aufgerichteten Feldzeichen [signa erecta] aus dem Lager, etwa acht Legionen [legiones] an der Zahl. Das Heer [exercitus] wurde durch unwegsames und schwieriges Gelände geführt, um den Feinden [copiae] keine Gelegenheit zu geben, die Züge in Unordnung zu bringen, mit ihren Pfeilen, die sie gekonnt einzusetzen verstehen, wenn Gebüsch sie deckt. Die erste, zweite und dritte Legion [legio] bildeten die Bayern, an ihrer Spitze standen die Befehlshaber [prefecti] des Herzogs Heinrich. […] Die vierte bildeten die Franken unter der Leitung [rector] und Obhut [procurator] des Herzogs Konrad. In der fünften, der stärksten, die auch die königliche [(legio) regia] genannt wurde, war der Fürst [princeps], umgeben von den Auserlesenen aus allen Tausenden von Kriegern [milites] und mutigen jungen Männern, und vor ihm der siegbringende Engel, von einer dichten Mannschaft [agmen] umgeben. Die sechste und siebte bestand aus Schwaben, die Burchard befehligte, der die Tochter vom Bruder des Königs geheiratet hatte. In der achten waren tausend ausgesuchte böhmische Streiter [milites electi], besser mit Waffen als mit Glück versehen; hier war auch alles Gepäck

370 Hehl, Verselbstständigung, S. 47.

103 ­[sarcina] und der ganze Tross [impedimentum] – als ob am sichersten sei, was sich am hintersten Ende befindet. Aber die Sache kam anders, als man glaubte. Denn die Ungarn umgingen das Heer, begannen, die letzte Legion [legio] mit Pfeilschüssen herauszufordern; darauf unternahmen sie mit ungeheurem Geschrei einen Angriff, bemächtigten sich, nachdem sie die einen getötet oder gefangengenommen hatten, des ganzen Gepäcks und trieben die übrigen Bewaffneten [armati] dieser Legion in die Flucht. Ähnlich wurde die siebte und sechste angegriffen; nachdem eine Menge von ihnen getötet war, rannten die anderen auf und davon. Als der König aber bemerkte, dass der Kampf unglücklich verlief und in seinem Rücken die hintersten Heeresteile [agmen] in Gefahr geraten waren, schickte er den Herzog [Konrad] mit der vierten Legion los, der die Gefangenen befreite, die Beute wieder zurückholte und die plündernden Haufen [agmina latrocinantes] der Feinde verjagte. Nachdem die ringsumher plündernden [latrocinantes] feindlichen Scharen [agmina] vernichtet waren, kehrte Herzog Konrad mit siegreichen Fahnen [signa victrices] zum König zurück. Und erstaunlicherweise, während alte, an den Ruhm des Sieges gewohnte Kämpen [veterani milites] zögerten, schaffte er mit jungen, im Kampf fast unerfahrenen Kriegern [milites novi] den triumphalen Erfolg.371

Bereits mit seinen ersten Begriffen gibt uns Widukind ein Exempel unterschiedlicher Wahrnehmungsebenen. Mit dem exercitus ist das ganze Heer des Königs gemeint, wobei die Bezeichnung der bayerischen und fränkischen Aufgebote bereits den Grossteil seiner Armee ausmachen. Exercitus wird auch in den zuverlässigeren annales Alamannici als Standardbegriff und einzige Bezeichnung für das fränkische Heer verwendet.372 Abgehoben vom restlichen fränkischen Aufgebot wird Herzog Konrad mit seiner für die Zeitgenossen wohl beeindruckenden Reiterei (equitatus)

371 Übersetzung von Rotter/Schneidmüller (Widukind, Res gest. Sax., S. 195–199). Castris positis in confiniis Augustanae urbis, occurrit ei exercitus Francorum Boioariorumque. Cum valido quoque equitatu venit in castra Cuonradus dux; cuius adventu erecti milites iam optabant non differre certamen. […] Igitur ab utriusque exercitus latrocinantibus agminibus notificabatur non longe exercitus ab altero fore. […] Primo diluculo surgentes, pace data et accepta operaque sua primum duci, deinde unusquisque alteri cum sacramento promissa, erectis signis procedunt castris, numero quasi octo legionum. Ducitur exercitus per aspera et difficilia loca, ne daretur hostibus copia turbandi sagittis agmina, quibus utuntur acerrime, arbustis ea protegentibus. Primam et secundam tertiamque legionem direxerunt Boioarii, quibus prefuerunt prefecti ducis Heinrici. […] Quartam ordinavere Franci, quorum rector ac procurator dux Cuonradus. In quinta, quae erat maxima, quae et dicebatur regia, ipse princeps vallatus lectis ex omnibus militum milibus alacrique iuventute, coramque eo angelus, penes quem victoria, denso agmine circumseptus. Sextam et septimam construxerunt Suavi, quibus prefuit Burchardus, cui nupserat filia fratris regis. In octava erant Boemi, electi milites mille, armis potius instructi quam fortuna; in qua et sarcinae omnes ac inpedimenta, quaeque, quasi ipsa esset tutissima, quae esset novissima. Sed aliter res acta est ac arbitrabatur. Nam Ungarii nichil cunctantes Lech fluvium transierunt circumeuntesque exercitum extremam legionem sagittis lascessere coeperunt; et inpetu cum ingenti vociferatione facto, aliis caesis vel captis, sarcinis omnibus potiti, caeteros legionis illius armatos fugere compulerunt. Similter septimam ac sextam aggressi, plurimis ex eis fusis, in fugam verterunt. Rex autem cum intellexisset bellum ex adverso esse et post tergum novissima agmina periclitari, misso duce cum quarta legione captivos eripuit, predam excussit latrocinantiaque hostium agmina proturbavit. Fusis latrocinantibus undique adversariorum agminibus, signis vitricibus dux Cuonradus ad regem revertitur. Mirumque in modum cunctantibus veteranis militibus gloria victoriae assuetis, cum novo milite et fere bellandi ignaro triumphum peregit (ebd., cap. III,44). 372 Lendi, Annales Alamannici, ann. 755, 760, 789–790, 795, 797–798, 892, 894, 908, 913, S. 152, 154, 164, 168, 170, 172, 184, 186, 190.

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genannt, während die einzelnen Krieger – unabhängig ob beritten oder zu Fuss – als milites bezeichnet werden. Die von Rotter als ‹Streifposten› übersetzten agmina latrocinantia gehörten offenbar zu jenen leichten Spezialtruppen, die sich in den Chroniken immer wieder finden lassen als eine Art von Spezialdetachements, die wohl aus dem eigentlichen exercitus funktionell herausgelöst wurden, wie die Vexillationen des spätrömischen Heeres.373 Der Begriff agmen wird demnach sehr flexibel zur Bezeichnung von Trupps unterschiedlicher Grösse verwendet, während das latrocinans auf das (eigentlich ‹strassenräuberische›) versteckte/verborgene Herumstreifen hinweist. Interessanterweise wird dieselbe Formulierung für die kleinen Beutetrupps der Ungarn verwendet, die den Tross von Ottos Heer plündern. Die Truppen Ottos unter ihren Anführern im wörtlichen Sinne (duces), den jeweiligen Herzögen sowie den praefecti als Stellvertreter der Herzöge, ziehen als geeinter exercitus aus, während die kleinen Feindgruppen der Ungarn als copiae bezeichnet werden. Mit ihren Feldzeichen rücken die – wie Widukind betont – insgesamt acht Legionen in Marschformation vor. Von den acht ‹Legionen› (octo legiones) bei Augsburg berichtet auch Thietmar von Merseburg,374 wobei man vereinfacht ausgedrückt auch von Heeresabteilungen sprechen kann, die wohl aufgrund ihrer Herkunft und unterschiedlicher Kommandogewalten getrennt marschierten. Aus der Anzahl legiones könnte sich schliesslich gar die Heeresstärke ermitteln lassen, wie Beeler und Werner vermuten. So hätten die legiones als «the anachronistic style of the chronicler» gemäss Beeler je eine Stärke von 1000 Mann gehabt, sodass Otto I. in der Schlacht auf dem Lechfeld über 8000 Mann verfügt hätte (drei legiones aus Bayern, zwei aus Schwaben, eine aus Franken, eine aus Böhmen und eine legio bestand aus dem König selbst mit seinem Gefolge und den Truppen aus Sachsen und Thüringen).375 Da die einzelnen regna unterschiedlich grosse Verbände schickten, seien diese laut Werner in etwa gleich grosse legiones eingeteilt worden.376 Derartige Vermutungen stützen sich wohl auf die Beschreibung der achten legio, worin tausend ausgewählte böhmische milites genannt werden (in octava erant Boemi, electi milites mille),377 und lässt sich insofern nachvollziehen, als dass es nahe liegt, die grössten Aufgebote aus den direkt betroffenen Gebieten zu erwarten, während aus den entfernten Reichsteilen wie Sachsen und Thüringen nur kleine Kontingente – bestehend aus der dortigen berittenen Kriegerelite – in der königlichen Abteilung mitritten. So mussten sowohl das bayerische als auch das schwäbische Aufgebot in jeweils drei beziehungsweise zwei legiones aufgeteilt werden, da sie die grösste Zahl an Kombattanten stellten. Zur effizienten Kriegsführung waren etwa gleich grosse Truppenkontingente von Vorteil. Die Zahl 1000 für eine legio lässt sich des Weiteren vom spätrömischen Heer ableiten: Neben den in dieser Arbeit ebenfalls genannten spätrömischen Verbandstypen und Einheitenbezeichnungen scholae, palatini, comitatenses, limitanei, ripenses 373 374 375 376 377

Vgl. König, Römischer Staat, S. 230 f.; Burckhardt, Militärgeschichte, S. 119, 122. Thietmar, Chronicon II,9. Beeler, Warfare, S. 229. Werner, Heeresorganisation, S. 804. Widukind, Res gest. Sax., cap. III,44.

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und vexillationes fand nämlich auch der Legionsbegriff weiterhin Verwendung im spätrömischen Heer. Doch wurden diese ursprünglich etwa 6000 Mann starken Einheiten während der Spätantike in etwa 1000 bis 1200 Mann starke legiones aufgeteilt, um an möglichst vielen Standorten entlang der Grenzen präsent sein zu können.378 Unter den frühmittelalterlichen legiones von Otto dem Grossen etwa ein halbes Jahrtausend später, die nur dem Begriff nach an die spätrömischen erinnern, sind nun Waffenträger sehr unterschiedlichen Typs zu finden. Entgegen der meisten Vermutungen zur Lechfeldschlacht befanden sich darunter wohl grösstenteils die lokalen Aufgebote von Fusstruppen und nicht nur die (berittene) Elite.379 Das erklärt auch die Betonung von Herzog Konrads equitatus (berittene Kriegerelite) neben dem ‹einfachen› fränkischen exercitus, der alleine eine der acht legiones stellte. So konnte der Begriff exercitus also einerseits zur Bezeichnung der Aufgebote aus den Herzogtümern/ regna genutzt werden und andererseits zur Nennung des gesamten ottonischen Heeres, während dieses wiederum aus taktischen Gründen in kleinere Abteilungen (legiones) aufgeteilt wurde. Widukind nutzt die Bezeichnung legiones dabei für die ihm zugetane Seite und spricht bei den nur schwer als einheitliches Heer fassbaren Ungarn von copiae und agmina latrocinantes – wohl weil es sich bei diesem zur grossen Entscheidungsschlacht hochstilisierten Scharmützel auch nicht wirklich um ein grosses ungarisches Heer handelte, sondern, wie in den Jahrzehnten zuvor, um kleine Gruppen plündernder Reiterhorden. Legio ist hierbei als Hilfsbegriff zur Beschreibung etwa gleich grosser Truppenverbände durch den Chronisten zu verstehen. Cohors und turma Während kleinere Trupps von Widukind hauptsächlich als agmina bezeichnet wurden, finden sich für vergleichbare Gruppen insbesondere bei Ekkehart IV. und Berthold von Reichenau andere Bezeichnungen. So spricht Ekkehart bei den kleinen Reitertrupps der Ungarn stets von turmae und verwendet diesen Ausdruck damit im römisch-korrekten Sinne für kleine Reiterabteilungen.380 An einer Stelle nennt er auch eine Gruppe schwer gepanzerter Reiter des Bischofs von Konstanz eine turma381 und erinnert damit an die römischen Hilfstruppen (auxilia), die in alae und turmae für berittene Truppen (von leichten Plänklern bis zur schweren Kataphraktkavallerie) und cohortes für Fusstruppen (meist ebenfalls foederati) gegliedert wurden, neben den regulären republikanischen und frühkaiserzeitlichen Legionen und deren Kohortengliederung.382 Von cohortes spricht bereits Notker Balbulus, wenn er Scharen von gut

378 Bakker, Grenzverteidigung, S. 113 f. 379 Auch die Betonung darauf, dass es nicht die veterani waren, die den Sieg herbeigeführt haben, sondern die neuen, noch unerfahrenen Krieger, könnte ein Hinweis auf die enormen Anstrengungen des Königs sein, in kurzer Zeit ein möglichst grosses Heer auf die Beine gestellt zu haben, worunter zwangsläufig eine grosse Zahl an unerfahrenen Kämpfern zu finden sein musste. 380 Wenn auch die turmae bei Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 51–52, 64–65) zum Teil bis zu hundert Mann umfassen konnten (turmȩ centeni). 381 Ebd., cap. 19. In ebendieser Weise findet sich diese Bezeichnung auch in der Fortsetzung der casus (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 29). 382 König, Römischer Staat, S. 224–226.

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gerüsteten Kriegern (milites) beschreibt383 und Berthold von Reichenau nennt diesen Begriff gar siebenmal für vergleichbare Gruppen, wenn auch in einem anderen Kontext. Unter seinen cohortes (während des ‹Investiturstreits›) befinden sich ausnahmslos milites, meist aus dem Lager Heinrichs IV., und zwar als Hilfstruppen (cohortes auxiliarium), regionale Verbände als Teile des Gesamtheeres (cohortes Alamannorum) sowie als kleine Trupps.384 Wie Ekkehart nennt er solche kleinen Trupps teilweise ebenfalls turmae.385 Ein weiterer Begriff, der die beiden verbindet, ist die acies – im klassisch-römischen Sinne die Schlachtlinie  – welche bei Ekkehart zur Umschreibung nicht nur der ungarischen und königlichen Verbände im Kampfgeschehen selbst dient, sondern auch für die «Schlachtreihe des Satans» (acies satanae).386 Bertholds Verwendung ist ähnlich ungewöhnlich, da er unter acies castrorum die Truppen aus dem königlichen Lager, abseits des Kampfgeschehens, versteht.387 Wie der Begriff agmen – der in meiner Auswahl schwäbischer Chroniken einzig bei Hermann von Reichenau auftaucht388 – wurde also auch acies zur allgemeinen Bezeichnung von Truppen verwendet. Nach der eingangs gezeigten neutralen Verwendung des Begriffs legio für einzelne Heeresabteilungen und seiner möglichen Funktion der zahlenmässigen Aufteilung (zumindest aus der Sicht des Chronisten) – wie dies Werner und Beeler vermuten – soll an dieser Stelle nochmals an die in dieses Kapitel einleitenden Ausführungen zur Wortverwendung durch Berthold von Reichenau erinnert werden. Dieser hatte legio durchaus zur Unterscheidung, wenn nicht gar zur moralischen Wertung gebraucht, indem er als Reichenauer Mönch fast ausschliesslich die Truppen Heinrichs IV., des politischen Widersachers, als legiones und – wie wir gerade gesehen haben – als cohortes bezeichnete. Berthold verwendete überhaupt die grösste Auswahl an zur Verfügung stehenden Begriffen für den Krieg und die Kriegsführung. Als einziger spricht er beispielsweise von auxilia (Hilfstruppen)389 und nennt neben der acies und dem agmen auch die centena zur Beschreibung eines mittelgrossen Verbandes.390 Doch woher kommt diese Vielfalt an Begriffen? Besonders Ekkehart IV., der sowohl die kämpfenden Mönche und die lokalen Aufgebote des Hirminger aus dem Frickgau als auch die ungarischen Reitertruppen als legiones bezeichnet, dürfte dabei stark von der antiken Literatur beeinflusst gewesen sein.391 Auch Berthold muss – sofern er keine Vorlage(n) verwendet hat – in irgendeiner Weise beeinflusst worden sein,392 denn sein Vorgänger und Lehrer Hermann nutzte den Begriff kein einziges Mal, und dies obwohl er mit seiner Weltchronik in der römischen Antike begann. 383 384 385 386 387 388 389 390 391 392

Notker, Gesta Karoli I, cap. 18. Berthold, Chronicon II, ann. 1075, 1077, 1079, S. 84, 168–170, 176, 180, 258, 270. Ebd., ann. 1077, 1079, S. 166, 192, 236, 252 f. Vgl. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 55, 65, 87, zur Übersetzung von Haefele vgl. ebd., S. 188. In der anynomen Fortsetzung von Ekkeharts Werk wird der Begriff klassisch für die ‹Schlachtordnung› gebraucht (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 28). Berthold, Chronicon II, an. 1075, S. 84. Zur Bezeichnung der ungarischen Truppen (Hermann, Chronicon, an. 1050, S. 692). Berthold, Chronicon II, ann. 1073, 1077, S. 74, 150, 170, 176, 218. Ebd., an. 1078, S. 222. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 55, 64. Vgl. zu den legio-Nennungen Berthold, Chronicon II, ann. 1078–1079, S. 220, 272.

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Tross und Spezialtruppen Um vom Begriff der legio nun auch noch auf die Spezialtruppen zu sprechen zu kommen, lohnt sich ein Blick auf die achte und letzte legio im Heer Ottos des Grossen auf dem Lechfeld. Diese Nachhut stellten die – wie Widukind zu berichten weiss – 1000 Böhmen mit dem Tross (impedimentum). Ganz dem überzeichneten Bild der ‹beutegierigen› Ungarn entsprechend, griffen diese als Erstes den Tross mit dem wertvollen Gepäck (sarcina) an und führten vieles als Beute (praeda) weg. Die Böhmen wie auch die sechste und siebte Legion (Schwaben) wurden dabei unerwartet von hinten attackiert und teilweise in die Flucht geschlagen oder gefangen genommen. Einzig durch das beherzte Eingreifen Herzog Konrads und seiner Reiterei soll Schlimmeres verhindert, zahlreiche Gefangene befreit und gar ein Teil der Beute zurückgeholt worden sein. Überraschend ist dabei vor allem, dass der schwerfällige Tross nicht etwa als Teil des schwäbischen, fränkischen oder bayerischen Heerbanns mitgeführt wurde, sondern sich inmitten der wohl berittenen Nachhut der «tausend ausgesuchten böhmischen Streiter [milites electi]» befand.393 Darunter dürften sich nämlich auch Handwerker und Bedienstete befunden haben, die mit ihrer schweren Ausrüstung nur langsam vorankamen, sowie Trossknechte für die Kriegerelite,394 die aus dem ganzen Reich zusammengezogen worden war. Ein solcher Tross musste für die beuteökonomisch ausgerichteten Ungarn ein äusserst lohnendes Ziel dargestellt haben, das mit dem einfachen, aber zahlenmässig überlegenen Heerbann aus Schwaben oder Bayern – mit einem grossen Anteil von ans Gelände angepassten Fusstruppen – wohl besser hätte geschützt werden können als durch böhmische Reiterei, die erst noch in Formation hätte gebracht werden müssen. Vom impedimentum spricht in meiner Auswahl lokaler Chroniken einzig Notker Balbulus in seiner Schilderung eines Romzuges Karls des Grossen, auf den als Beispiel des 9. Jahrhunderts nun kurz eingegangen wird. Karls Heer besteht bei seiner expeditio (Feldzug)395 aus dem Tross (impedimenta) – der, um die Spannung zu erhöhen, als Erster genannt wird  –, dem eigentlichen Heer (exercitus popularius) und aus der Palastgarde beziehungsweise Karls Hauskriegern (scola). Darauf folgt eine ganze Reihe von Würdenträgern und  – umringt von weiteren in Eisen gehüllten Männern – schliesslich Karl selbst. Sein Kriegsheer, das aus dem weiten Reich zusammengeströmt war (de latissimo imperio congregatum) und zwischen Tross und Pa-

393 Vgl. Widukind, Res gest. Sax., cap. III,44. Übersetzung von Rotter/Schneidmüller (ebd., S. 195). 394 Zu den Trossknechten vgl. den Abschnitt unten bei den Dienstleuten als Teil der alemannischen Kriegergesellschaft. 395 Expeditio wird sowohl im 9. als auch im 11. Jahrhundert als das selbstverständlichste Wort für einen Feldzug, eine Heerfahrt und ein Flottenunternehmen gebraucht, und zwar nicht nur von Notker Balbulus (Gesta Karoli I, cap. 1, 26; ebd. II, cap. 17), sondern auch von Ratpert (Cas. s. Gall., cap. 28), Hermann von Reichenau (Chronicon, ann. 1021, 1039, 1046–1047, 1049–1050, 1052– 1053, S. 660, 672, 680, 684–686, 690–692, 698, 706), Berthold von Reichenau (Chronicon II, ann. 1055, 1078–1079, S. 42, 222, 250) und durch den anonymen Fortsetzer der St. Galler Klostergeschichten (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 18). Hermann (Chronicon, an. 938, S. 636) verwendet daneben noch den Begriff procinctus, der ansonsten für die ‹Kampfbereitschaft› steht (in Hermanns Weise ist procinctus allerdings auch in einem Herrscherdiplom von 892 zu finden [Chart. Sang. II, n. 725]).

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lastgarde genannt wird, bezeichnet Notker als exercitus popularius.396 Ist das wie oben möglicherweise ein Hinweis auf den traditionellen Heerbann? Störmer sieht zwischen Tross und Palastgarde lediglich leichte Reiter als Späher (womöglich die expeditio) und vermutet die loricati zusammen mit Karl dem Grossen am Ende des Zuges.397 Meines Erachtens sind diese als Kerntruppe inmitten des exercitus popularius zu suchen, der laut Notker ohnehin in seiner Gesamtheit nach Möglichkeit ebenfalls in Eisen gehüllt gewesen sei.398 Doch inwieweit darf diese Erzählung überhaupt zur Untersuchung der Kriegergesellschaft des 10. und 11. Jahrhunderts beigezogen werden? Dieser Fall, der wohl als Idealbild eines frühmittelalterlichen Reiterheeres angesehen wurde, nennt die loricati nicht in gesonderter Weise, sondern spricht lediglich bei der scola von Spezialkräften, während das eigentliche Heer nicht detailliert beschrieben wird. Wir müssen bei diesem vermutlich nicht ganz so ‹eisenglitzernden› Haufen sowohl mit berittenen milites als auch mit Begleitern zu Fuss oder zu Pferd rechnen, vergleichbar mit dem Heeresaufbau bei Herzog Burchard I. um 926 und der Armee Ottos des Grossen auf dem Lechfeld. Anstelle der scola darf man für den Herzog wie für Otto I. wohl eine Handvoll gut gewappneter Hauskrieger und schwäbischer Würdenträger vermuten, vergleichbar mit der Übersetzung der Notker-Stelle durch Siegrist, der dahinter mehr das loyale Hausgesinde vermutete.399 Ansonsten sollte diese Schilderung des St. Galler Mönches Notker Balbulus rund hundert Jahre nach den eigentlichen Ereignissen nicht für bare Münze genommen werden, da er in seinem huldigenden literarischen Schaffen offenbar auch seiner Bewunderung für Karl den Grossen Ausdruck verleihen wollte.400 Neben dem einzig bei Notker zu findenden Tross werden in der kleinen Auswahl an schwäbisch-alemannischen Chroniken einzig noch die expediti bei Hermann von Reichenau als Spezialtruppen angesprochen.401 Trotz der Vielfalt aller obengenannten Termini gehören die Begriffe exercitus und copiae mit Abstand zu den häufigsten Worten für die Umschreibung eines bewaffneten Verbandes.402 In den ausgewählten schwäbisch-alemannischen Chroniken werden die Begriffe exercitus 126-mal (alleine 111-mal bei Hermann von Reichenau), copiae 43-mal, turma 11-mal, cohors 396 Notker, Gesta Karoli II, cap. 17. 397 Störmer, Früher Adel, S. 175 f. 398 Notker (Gesta Karoli II, cap. 17) schliesst vom in Eisen gehüllten Karl auf die Krieger vor ihm, hinter ihm und sein umgebendes Gefolge: Quem habitum cuncti praecedentes universi ex lateribus ambientes omnesque sequentes et totus in commune apparatus iuxta possibilitatem erat imitatus. 399 Siegrist übersetzt die scola mit Hausgesinde (Siegrist, Herrscherbild, S. 99), wobei selbst ein Mittelweg zwischen Palastgarde und persönlicher Dienstmannschaft den Kern von Karls loyalen ‹Hauskriegern› wohl nicht verfehlt. Als Vorbild für seine scola/schola könnte Karl (beziehungsweise dem Chronisten) die oströmische, kaiserliche Garde gedient haben, die als schola palatina einst Teil der den römischen Kaiser begleitenden comitatenses war (König, Römischer Staat, S. 230–232; Contamine, Guerre au Moyen Age, S. 87 f.; Bakker, Grenzverteidigung, S. 113 f.; vgl. unten den Abschnitt zu den ‹Grafen ohne Grafschaften›). 400 Siegrist, Herrscherbild, S. 20 f., 99. 401 Bei Hermann (Chronicon, ann. 1040, 1053, S. 672, 704) werden diese als leichte Truppen (mit wenig Gepäck – expeditus) genannt, wohl als Auswahl an milites. 402 Diese Beobachtung kann auch nach der Durchsicht der ersten und zweiten anonymen Fortsetzung der St. Galler Klostergeschichten aus den 1070er- und 1090er-Jahren bestätigt werden (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 18, 22, 26–27, 29).

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8-mal, ­auxilia/-ti/-ri 6-mal, legio 5-mal, acies 4-mal sowie agmen und centena je einmal genannt. Eine weitere Beobachtung hierbei ist eine völlig andere Wortverwendung bei Widukind von Corvey, der beispielsweise deutlich stärker auf den Begriff agmen anstelle von turma gesetzt hat. Ist es ein Zufall, dass derart stark auf die typischen Begriffe aus der römischen Militärtradition gesetzt wurde? Gerne hätte ich an dieser Stelle Hinweise auf ein Fortwirken der alten römischen Bezeichnungen für die römischen Hilfstruppen gesehen, die ja ausschliesslich aus Föderaten, ‹Provinzialrömern› und anderen ‹fremden› oder zumindest in den Provinzen verankerten Kämpfern bestanden und als auxiliares beziehungsweise Teil der auxilia unter anderem in cohortes und turmae gegliedert waren.403 So viel darf man von den Chronisten aber kaum erwarten, und im Gegensatz zu den zahlreichen militärischen Titeln, die sich seit der Spätantike im Bodenseeraum gehalten haben und so auch in den Urkunden vorkommen, sind die meisten weiteren militärischen Bezeichnungen zusammen mit den legiones den flinken Federn gebildeter Klosterchronisten zuzuschreiben, die sich zum Teil wohl ähnlich gut mit Vegetius oder Caesar wie mit Augustinus auskannten. Das reine Beherrschen der lateinischen Sprache genügte laut Fichtenau nicht. Vielmehr sollten die Mönche beispielsweise bei der Lesung im Refektorium über einen möglichst «geschliffenen Stil» verfügen, den sie sich durch das Lesen der Texte römischer Intellektueller aneigneten.404 Sie benutzten Worte, die sie unter anderem in den Glossaren ihrer eigenen Skriptorien fanden.

2.1.3

Zum Wandel von Kommandogewalten und -pflichten

Neben Fragen der Zugehörigkeit und Herkunft der kämpfenden Akteure spielen auch Überlegungen zur Gewaltkoordination, zu Kommandobefugnissen und zur Heerbannermächtigung eine wichtige Rolle. Jedoch gibt es zu frühmittelalterlichen Kommandogewalten und -pflichten weder in den Quellen noch in der Sekundärliteratur wirklich viele Hinweise oder Thesen. Zwar werden sowohl weltliche (duces, comites, centenarii) als auch geistliche (abbates, episcopi) Herren als Anführer ihrer Aufgebote genannt, jedoch ohne nähere Angaben zur eigentlichen Aufgabe oder inneren Organisation herzoglicher oder königlicher Aufgebote. Waren sie aktiv am Kriegsgeschehen beteiligt oder hielten sie sich als Teil des königlichen Gefolges in Herrschernähe auf, während andere milites deren Aufgebote in die Schlacht führten? Geprägt von den Ereignissen des ersten Kreuzzuges, ist in einigen ‹chansons de geste› 403 Vgl. König, Römischer Staat, S. 215–218, 224–232. Die frühmittelalterliche Kampfweise dagegen entsprach in keiner Weise der römischen. Vielmehr müssen wir mit Kämpfen in grösseren, geschlossenen Blöcken, Überraschungsangriffen, nächtlichen Überfällen und dem vereinzelten Einsatz der teuren Schockkavallerie rechnen, mit einer häufig anschliessenden Dezimierung des Gegners (vgl. die fränkischen ‹Strafaktionen› gegen Bayern und Alemannen unter anderem bei Cannstatt 746 [Störmer, Früher Adel, S. 167, 169–171]). Zettler (Herzogtum Schwaben, S.  31) berichtet von den Laeten, die als ehemalige Kriegsgefangene nun als römische Bürger minderen Rechts an den Grenzen zum Wehrdienst angesiedelt wurden. 404 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 384–387.

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des 12. Jahrhunderts die Rede von militärischen Anführern, die als Träger von Feldzeichen ihren Abteilungen voranritten.405 Vergleichen wir obige Aufgebotszahlen an Panzerreitern, müssen wir eigentlich davon ausgehen, dass auch die Grafen, Äbte und Bischöfe zur kämpfenden Panzerreiterei des frühen Mittelalters gehört haben, da sie persönlich einen nicht unwesentlichen Teil der Gesamtzahl an loricati ausgemacht haben. Immerhin waren die Reichsfürsten unter ihnen (also auch der Abt von St. Gallen) zur Heeresfolge verpflichtet.406 Fichtenau betont hierbei, dass die Verweigerung des Kriegsdienstes einem Eidbruch gleichgekommen wäre und «während auf Eidbruch schwere Strafe stand, gab es für den Kriegsdienst gar keine. War es nicht besser, wenn ein Priester im Harnisch kämpfte, als wenn er den Eid missachtete?»407 So wird die bei Ekkehart IV. genannte lorica des St. Galler Abtes Engilbert wohl nicht nur eine repräsentative Funktion eingenommen haben.408 In der Überlieferung scheinen die Aufgebotszahlen und -pflichten aber einen deutlich höheren Stellenwert eingenommen zu haben als die eigentliche Rolle der für die Aufgebote Verantwortlichen. So wird beispielsweise von Berthold beschrieben, wie die rustici einer centena im Zuge des ‹Investiturstreits› zu den Waffen gerufen wurden,409 aber nicht worin die Aufgabe des betreffenden Centenars bestand. Die unterschiedlichen Zuständigkeiten von centenarii/centuriones und comites insbesondere im zivilen Bereich werden unten in den Kapiteln zu den Grafen und den alemannischen Funktionären weiter ausgeführt. Für die karolingische Zeit nennt Ganshof hauptsächlich den König als Heerführer. Diesem hätten im bunten ‹Völkergemisch› seines Heeres womöglich Personen aus seinem Gefolge sowie Grafen zur Seite gestanden.410 Zur Genese spätantiker Führungsbegriffe Zur Bezeichnung der Anführer militärischer Aufgebote kommen in hiesiger Quellenauswahl  – abgesehen von den gleich anschliessend behandelten comites und duces – einige weitere erwähnenswerte Begriffe vor. So spricht Ekkehart IV. zweimal von primipilares und bezeichnet damit Anführer der ungarischen Reitertrupps.411 Im römischen Sinne war unter einem primus pilus der Centurio der ersten Centurie der ersten Kohorte einer Legion zu verstehen, also der höchste Rang der niederen Grade 405 Verbruggen, Art of Warfare, S. 105 f. 406 Vgl. hierzu oben genannte Zahlenverhältnisse sowie den bereits angeführten indiculus loricatorum von 981 (Weiland, Indiculus loricatorum [MGH Const. I, n. 436]). Laut Werner (Heeresorganisation, S. 799 f., 820) gehörten sowohl die comites als auch die abbates und episcopi zusammen mit den übrigen pagenses zum Heer eines Herzogs beziehungsweise eines früheren regnum, was bis zu 2000 direkte Vasallen des Königs ausgemacht habe. 407 Fichtenau (Lebensordnungen, S. 281 f.) weist aber zugleich auf den verheerenden moralischen Schaden hin, den der Tod eines solchen Anführers haben konnte und vermutet daher eher eine passive Teilnahme (im Harnisch und ohne Angriffswaffen) der höchsten geistlichen Fürsten, während Priester und Diakone beispielsweise als Fahnenträger im Schlachtengetümmel vorstellbar wären. 408 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 151. 409 Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 218. 410 Ganshof, L’armée carolingienne, S. 122. Coupland (Carolingian army, S. 58–61) beschreibt die einzelnen Truppenführer im Auftrag des Königs als missi. 411 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 53–54.

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einer Legion.412 Wollte Ekkehart IV. mit diesem ehrenvollen Begriff auf die Einfachheit beziehungsweise auf die Nichtzugehörigkeit zur Aristokratie jener ungarischen Anführer anspielen, um die militärischen Fähigkeiten als Aufstiegsmerkmal jener kriegerischen Horden hervorzuheben? Oder ist dies ein weiterer Begriff, der aus ‹heidnischer Vorzeit› stammte und somit problemlos für nichtchristliche Feinde herangezogen werden konnte? So pauschal lässt sich dies wohl insbesondere nach obiger Beobachtung der Begriffsverwendung nach dem Vorbild des römischen Heeres nicht zusammenfassen. Daneben spricht Ekkehart von primicerius  – allerdings zur Bezeichnung des Abtes (für den ‹himmlischen Kriegsdienst›?), ein Begriff, der vor allem für hohe geistliche Würdenträger verwendet wurde, aber auch im soldatischen Sinne Verwendung fand.413 Ansonsten sind primär die duces von militärischer Bedeutung,414 wie dies auch in den annales Alamannici der Fall ist.415 Von primicerii spricht abgesehen von Ekkehart nur noch Berthold (als Heerführer), der ansonsten die Bezeichnungen armiductor und dux (militiae) vorzieht.416 Die vielfältigste Auswahl an Begriffen für militärische Befehlshaber ist bei Hermann von Reichenau zu beobachten, der gar zwischen den römisch-antiken (magister militum, vir militaris, tribunus, dux, comes, legatus, praefectus, princeps militiae),417 früh­ alemannischen/-fränkischen (maior domus, princeps, comes, dux 418 ­[militiae]) und zeitgenössischen Begebenheiten (marchio, comes, dux)419 unterscheidet. Dabei fällt auf, dass Bezeichnungen wie dux selbst für die von Hermann beschriebene Spätantike vor allem zur Benennung von Anführern germanischer foederati gebraucht wurden und in der Übergangszeit zwischen römischer Herrschaft und germanischen Teilkönigreichen zum Teil bis zu 20 duces als Unterführer in den Heeren zugegen waren.420 Interessant ist zudem, dass sich Hermann of 412 König, Römischer Staat, S. 217 f.; Burckhardt, Militärgeschichte, S. 116. 413 Vgl. MLLM, S. 1105. 414 Als duces bezeichnet er nicht nur ostfränkische Anführer, sondern selbst ‹sarazenische› (vgl. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 65). 415 Lendi, Annales Alamannici, ann. 795, 870, 904, S. 168, 180, 186. 416 Darunter Berthold, Chronicon II, ann. 1077–1079, S. 164, 172, 178, 220, 270. 417 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 70, 176, 363, 388, 402, 405, 408, 411, 419, 422, 426– 429, 432, 436, 439–441, 450, 453, 461, 483, 524, 527, 534, 538–539, 541, 547, 552, S. 75, 77, 79–84, 86–88. Daneben führt er den consul-Begriff im allerdings rein römischen Kontext auf (ebd., ann. 413, 483, 497, 513, S. 81, 84–86), eine Bezeichnung, die ansonsten nur einmal bei Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 134) für den St. Galler Abt auftaucht. 418 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 568, 572, 575, 577–579, 585, 588–592, 594, 599, 602–603, 606–609, 613, 619, 624, 628, 631, 635–636, 643–644, 646, 660, 662, 666–667, 672, 674, 688–689, 700, 702–703, 714, 716, 724, 727–730, 734, 738, 741–743, 746, 749–750, 753–754, 796, S. 89–99, 101. Die comites und duces wurden hier absichtlich nur bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts aufgeführt, da sich deren politische und militärische Kompetenzen auch aus der bei Hermann zu erschliessenden Begriffsverwednung so weit vermischt haben, dass ab jenem Zeitpunkt nur noch die ausdrücklichen Heerführer aufgeführt werden. Auch über die zeitgenössischen annales Alamannici lässt sich diesbezüglich keine Brücke schlagen, da Titel überhaupt nur selten darin zu finden sind (zum Beispiel Pippin als maior domus [Lendi, Annales Alamannici, an. 714, S. 148]). 419 Für die Zeit zwischen Karl dem Grossen und dem Tod des Chronisten finden sich in seinen Aufzeichnungen keinerlei Sonderbezeichnungen für Anführer von Truppenkontingenten ausserhalb der duces, comites und marchiones. 420 Vgl. Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 585, 588, 591–592, 594, 599, S. 90–91.

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fenbar durchaus bewusst war, welche Begriffe für welche Zeit am angebrachtesten sind und welche Betitelungen des Weströmischen Reiches auch für das Oströmische Reich nach 476 zu gebrauchen sind. Dagegen schien ihm die Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus um 476 überhaupt nicht als der Einschnitt aufzufallen, wie er heute Teil des allgemeinen Bewusstseins ist. Aus seiner Perspektive dürfte einfach ein anderer Germane die faktische Macht statt nur in den Provinzen nun auch in Rom selbst übernommen haben.421 Für seine annalistische Aufzeichnung des 7. und 8. Jahrhundert verschwinden die ‹typisch römischen› Bezeichnungen zunehmend und es ist immer häufiger unklar, ob Hermann nun von einem dux oder comes als rein militärischem Anführer, wie er dies für die Spätantike getan hat, oder bereits von einem merowingisch-karolingischen ‹Herzog› und ‹Graf› spricht; also ob ihm an den betreffenden Stellen nun die militärische Funktion oder der Titel im politischen Machtgefüge wichtiger war.422 Da letztlich beide Aspekte zu jenen frühmittelalterlichen Ämtern gehörten, müssen Hermanns spezifische Fälle zwar nicht genauer differenziert werden, doch ist die bei ihm zu beobachtende Genese antiker duces und comites zum terminologischen Pendant des Frühmittelalters aus heutiger Sicht umso erstaunlicher. Ab der Mitte des 8. Jahrhunderts stehen besonders Herzöge in der natürlichen Position als Heerführer, und spezielle Bezeichnungen für Truppenführer fehlen vollständig in Hermanns Aufzeichnungen von der Zeit Karls des Grossen bis zum Tod des Chronisten. Wer als wichtiger Akteur besonders im 10. und 11. Jahrhundert hinzukommt, ist der marchio, der sehr häufig als herzogsgleicher Heerführer auftritt.423 Wer sich hinsichtlich solcher Bezeichnungen als besonders wertvoll erweisen könnte, ist Notker Balbulus, der aus Sicht der 880er-Jahre über die Zeit der ersten Karolinger schreibt und hinsichtlich der Feldzüge Karls des Grossen stark vom militärischen Fachjargon Gebrauch macht. Anstelle von ausgefeilten Bezeichnungen ist vermehrt traditionell die Rede von den duces und allgemein von primores/proceres (regni)/primates (exercitus) – also den Grossen des Reiches – als Anführer der jeweiligen Kontingente in Karls Heer424 oder aber wörtlich von Anführern (duces).425 Es werden also bei allen herangezogenen Chroniken fast ausnahmslos die traditionellen Amtsträger des frühen Mittelalters – die duces und comites sowie zum Teil die marchiones – selbstverständlich als die üblichen Heerführer genannt, wie oben bereits an Widukinds Darstellung der Schlacht auf dem Lechfeld gezeigt wurde. Die zum Teil sehr spezifischen Bezeichnungen bei Hermann von Reichenau widersprechen diesem Bild in keiner Weise, sondern zeigen in einzigartiger Weise auf, in 421 Vgl. ebd., ann. 475–476, S. 84. 422 Vgl. ebd., ann. 674, 714, 724, 727–730, S. 95, 97–98. 423 Vgl. die marchio-Nennungen bei Hermann: ebd., ann. 880, 883, 886, 893, 898, 900, S. 108–111; Hermann, Chronicon, ann. 1003, 1027, 1041–1043, 1046–1048, 1050, 1054, S. 654, 664, 674–676, 680, 684–686, 692–694, 698, 706. 424 Unter anderem Notker, Gesta Karoli II, cap. 3, 14, 15. Einige viri militari und tribuni werden zwar genannt, jedoch in einem völlig anderen Kontext und nicht unmittelbar als militärische Führer (ebd. I, cap. 1; ebd. II, cap. 21). 425 Ebd., cap.  12. In dieser Weise ist der Begriff auch bei Widukind von Corvey (Res gest. Sax., cap. 44) zu finden, der als Unterführer der Herzöge von praefecti spricht.

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wieweit klösterliche Chronisten des 11. Jahrhunderts bereits auf eine differenzierte Wortwahl zur Umschreibung weit entfernter Zeiträume zurückgriffen – antike Vorlagen hin oder her. Herzog und Graf Ein Grossteil der militärischen Kompetenzen des Frühmittelalters ist nicht zuletzt durch die frühmittelalterlichen leges ableitbar, wenn auch bedacht werden muss, dass diese im Verdacht stehen, mehr Abbilder des Versuches fränkischer Einflussnahme gewesen zu sein, als dass sie den tatsächlichen lokalen Verhältnissen entsprochen hätten. Einige Auffälligkeiten, wie der besondere Schutz, den vor allem die Herzöge geniessen sollten, wird hier dennoch kurz angesprochen. Die Betonung des Schutzes, den die Herzöge sowohl in den alemannischen als auch in den bayerischen leges geniessen, geht nämlich einher mit Regelungen bezüglich Verhaltens auf der Heerfahrt, in der eigenen Provinz, bei Plünderungen etc. und streicht deren Rolle als oberste Heerführer des herzoglichen Heerbannes stark hervor.426 Als solcher erscheint beispielsweise Herzog Burchard II. von Schwaben als Anführer der zwei schwäbischen legiones auf dem Lechfeld.427 In karolingischer Zeit seien die duces und ihre Amtsbezirke, die ducatus oder regna, laut Werner gleichbedeutend mit den Basiseinheiten des fränkischen Heeres gewesen.428 Laut Jahn hatte der bayerische Herzog die oberste Führung des Heerbanns inne, während die einzelnen Grafen Unterabteilungen (comitatus, aber auch exercitus genannt) führten und darin auch die Disziplinargewalt ausübten. Der comitatus stand sowohl für den zivilen Rechtsbereich beziehungsweise ‹Gerichtssprengel›, worin der Graf unter anderem die placita leitete und die Polizeigewalt innehatte und wofür er centuriones und decani einsetzen konnte, als auch für den militärischen Aufgebotsbezirk der Grafen und das Aufgebot selbst.429 Als einen der Ursprünge dieser «Verbindung von Militär- und Zivilgewalt in den Händen der comites» sieht Esders unter anderem das Fortwirken des spätrömischen Militärrechts.430 Demnach haben nach dem Abzug der offiziellen römischen Truppen hinter die Alpen nicht nur die Mauern einiger Kastelle (Arbon, Kaiseraugst) sowie die Titel lokaler Befehlshaber (tribunus, praefectus) die ‹Transformation des Römischen Reiches›431 mitgemacht,432 sondern auch Prägungen durch den militärischen Alltag ‹zurückgeblie 426 Besonders die drastischen Bestrafungen erinnern dabei an die knappen Ermessensspielräume und Regelungen im Kriegsfall (Esders, Militärrecht, S.  60–67). Als primärer Heerführer und Friedensbewahrer erscheint der Herzog laut Goetz (Geschichtsschreiber, S.  143) auch in den alemannischen Chroniken. Vgl. Behr, Herzogtum, S. 114; Esders, Spätantike Dukate, S. 438 f. 427 Widukind, Res gest. Sax., cap. III,44. 428 Einer oder mehrere Grafen konnten notfalls den Herzog oder Markgrafen ersetzen (Werner, Heeresorganisation, S. 792–799). 429 Jahn, Ducatus Baiuvariorum, S.  261; Störmer, Früher Adel, S.  393. Bei den Merowingern im 6. Jahrhundert waren comites als Vertraute des Königs für die Einberufung der Aufgebote verantwortlich, ab der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts soll diese Aufgabe zunehmend von duces wahrgenommen worden sein (Bodmer, Krieger, S. 109 f.). 430 Esders, Militärrecht, S. 47. 431 Vgl. obige Diskussion zur ‹Transformation des Römischen Reiches›. 432 Vgl. unten die Kapitel zur Fortnutzung spätrömischer Baustrukturen und dem Überleben zahl-

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bener› Romanen und romanisierter Föderaten. Nach der Aufgabe der gallorömischen Provinzialverwaltung seien überall comites als die massgeblichen weltlichen Funktionsträger aufgetaucht, wodurch die merowingische Verwaltung eher als erweiterte Militäradministration zu verstehen sei.433 Neben der Durchmischung jurisdiktioneller Aufgaben in der Hand militärischer Kommandeure vermutet Esders zudem die Fortführung einer Art von Wehrpflicht, wonach jeder freie Mann als militärdienstpflichtig betrachtet worden sei und sich die Gesellschaft dadurch insgesamt militarisierte.434 Als ein solches Beispiel sieht er den Eid, den die versammelten Waffenträger um 789 auf Karl den Grossen leisten mussten, worin als Führungspersönlichkeiten sowohl comites als auch seniores genannt werden.435 Beide sollen von vergleichbarer Wichtigkeit in der Organisation des Militäraufgebots gewesen sein, wobei der comes für das räumliche und der senior für das personale Rekrutierungsmuster gestanden haben soll.436 Bischöfe als Schutz- und Kriegsherren Bischöfe hatten wahrscheinlich insbesondere in der Übergangszeit zwischen dem Abzug der römischen Truppen und der Entstehung neuer ‹ordnender Elemente› in traditioneller Weise als Herren ihrer Bischofssitze und -sprengel vermehrt die Rolle militärischer Anführer übernommen,437 mussten infolge der fränkischen Durchdringung aber viele derartige Aufgaben an neue königstreue Funktionäre abtreten. Als Ausnahme darf das Churer Bistum gelten, deren Bischöfe es seit je verstanden, Markgrafen- und Bischofsamt zu verbinden oder zumindest in gutem Einvernehmen zu regeln, bis unter den Burchardingern schliesslich das Markgrafenamt gar mit dem neu entstandenen Amt des Herzogs von Schwaben fusioniert wurde. Umgekehrt konnte ein starker Bischof aber auch im Interesse des Königs die Verfügungsgewalt über ein solch grosses Gebiet übernehmen, wie der Fall Abtbischof Salomos  III. von Konstanz (890–919/920) eindrücklich zeigt. Dies hatte dazu geführt, dass ebengenannter Burchard erst nach Salomos Tod den Dukat auch tatsächlich übernehmen konnte. In der Folgezeit übten schwäbisch-alemannische Bischöfe zwar immer noch die Gewalt über zum Teil beeindruckende militärische Kontingente aus, es waren

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reicher römischer Titel und Truppenbezeichnungen sowie die Untersuchung von Barnish (Transformation, insbesondere S.  130–134) zur Transformation lokaler wie überregionaler spätantiker Eliten (Senatoren etc.); ebenso Aurell, Noblesse en occident, S. 12–16. Esders, Nordwestgallien, S. 354 f. Inwieweit dies nicht nur für gewisse gallische Gebiete galt, die bereits in römischer Zeit als besonders bevorzugte Rekrutierungsgebiete galten, sondern womöglich auch für Alemannien, sei dahingestellt. Da seit dem 3. Jahrhundert nicht nur ein grosser Teil der einfachen Soldaten, sondern auch des Offizierkorps der römischen Armee aus Germanen, darunter Franken und Alemannen, bestand (Geuenich, Alemannen, S. 153 f.), dürfte der Schritt von der römischen zur merowingischen Militäradministration nicht allzu gross gewesen sein. Esders, Militärrecht, S. 49. Laut Hüpper-Dröge (Schutzwaffen, S. 109) hatte diese militärdienstliche Prägung verständlicherweise auch auf die sprachliche Entwicklung zur Bezeichnung der lokal verwendeten Bewaffnung einen Einfluss. Boretius, Kapitularien (MGH Capit. I), n. 25/4. Vgl. Esders, Eliten und Raum, S. 26 f. Patzold, Bischöfe, S. 523, 542 f.

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aber eher die weltlichen Herren, die führend auftraten. So fand sich Bischof Noting (920/921–934) – der Nachfolger von Salomo III. – im Jahr 924 am herzoglichen Landtag in Zürich ein,438 womit er klar die Oberhoheit des Herzogs von Schwaben anerkannte. Die traditionelle Rolle als Schutzherr des Königs in Alemannien scheint damit endgültig aufgegeben worden zu sein. Die Bischöfe von Konstanz und ebenso von Chur waren auch in der Folge immer wieder dazu verpflichtet, herzogliche Hoftage zu besuchen und dem Herzog Heeresfolge zu leisten.439 In diesem Sinne leistete der Bischof von Konstanz wohl auch im Jahr 926 dem Herzog nach Italien Heeresfolge. Dieser Feldzug Burchards I. diente oben bereits einleitend der Untersuchung schwäbischer Kontingente. Bischof Noting schickte seinem Herzog lediglich berittene Truppen, während er persönlich wohl in Konstanz verblieb, wo er den Ungarn Wochen später mit den verbliebenen Männern der Bischofsburg Widerstand leistete. Bistümer hatten dem König stets beträchtliche Kontingente an Panzerreitern zu stellen, wie die Angaben im indiculus loricatorum zeigen: Constanciensis episcopus XL mittat.440 Dabei sollte zwar nicht vergessen werden, dass diese Auflistung erst um 981 entstanden ist und bloss als Ersatzaufgebot zu gelten hat, es wurde aber schon in der Aachener Reformgesetzgebung von 819 festgelegt, wer im Kriegsfall Abgaben, aktive Heeresfolge oder beides und wer nur Gebetshilfe zu leisten hatte.441 Die Formulierung mittat im indiculus könnte darauf hinweisen, dass der Bischof von Konstanz – im Gegensatz zu Chur: Curiensis episcopus XL ducat442 – nicht persönlich Heeresfolge zu leisten hatte, sondern 926 in Konstanz weilte, als die Ungarn einfielen. Diese Annahme beruht zudem auf der Beobachtung, dass 926 im Zuge der Ungarnbedrohung von keinen aktiven militärischen Gegenmassnahmen des Bischofs berichtet wird, derselbe aber laut Ekkehart IV. nach dem Abzug der Ungarn rasch zur Stelle war, um die entweihten Gebäude in St. Gallen zu segnen. Ohne die Schlagkraft seiner in Italien weilenden militia war Noting zum Ausharren in der Konstanzer Bischofsburg verdammt und konnte sich erst Tage später nach St. Gallen wagen. Jahrzehnte später war auch Bischof Konrad von Konstanz (934–975) bei einem Italienzug von 961 nicht persönlich dabei, wie Auer vermutet.443 Aus diesen Beobachtungen gleich eine Regel für die persönliche Teilnahme Konstanzer Bischöfe an den königlichen Heerfahrten aufzustellen, ist bestimmt zu gewagt, doch könnte sich eine Tendenz dahingehend abzeichnen.444 Ihr geistliches Amt schützte Bischöfe jedenfalls nicht vor dem persönlichen Kriegsdienst für den König.

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Vgl. UBZH I, n. 188. Maurer, Herzog von Schwaben, S. 154. Weiland, Indiculus loricatorum (MGH Const. I, n. 436), S. 633. Schieffer, Fulda, S. 50; Vogtherr, Reichsabteien, S. 281. Weiland, Indiculus loricatorum (MGH Const. I, n. 436), S. 633. Auer, Kriegsdienst des Klerus I, S. 363 f. Arnold (German Bishops, S. 162–164) spricht aufgrund der adligen Herkunft der Bischöfe vom instinktiven Verhalten der oratores als bellatores, die besonders bei königlichen Romzügen als ‹heldenhafte Kämpfer› und Kriegsherren an vorderster Front aufgetreten seien.

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Die kämpferischen Äbte von St. Gallen Im Gegensatz zum Konstanzer Bischof, der zumindest laut indiculus nur Truppen zu schicken hatte, heisst es für den St. Galler Abt Abbas Sancti Galli XL ducat,445 was sich in einer Stelle der casus sancti Galli continuatio anonyma zum Jahr 1021 wiederfinden lässt: «Und als seine [Heinrichs II.] Herrschaft bereits gefestigt war, setzte er nach dem Ratschluss der Fürsten für alle Vornehmen des Reiches einen Zug nach Campanien fest. Auch unseren [Abt] Purchard hatte er gleicherweise dazu bestimmt.»446 Auf dem Rückweg von Heinrichs Italienzug fiel der St. Galler Abt wie viele andere auch einer Seuche zum Opfer,447 ein untrüglicher Beweis für dessen Teilnahme. Neben Herzögen, Grafen und Centenaren gehörten also auch Bischöfe und Äbte zu den frühmittelalterlichen Kommandeuren,448 ein Bild das sich nach dem Jahr 1000 noch weiter verfestigen sollte: Während des königlich-päpstlichen Disputs Ende des 11.  Jahrhunderts gerieten besonders in Schwaben die jeweiligen Parteigänger äusserst blutig aneinander. Nach dem Tod des St.  Galler Abts Ulrich (1072–1076) wurde von beiden Seiten versucht, die entstandene Vakanz durch einen Vertreter der eigenen Sache zu beseitigen. Der vom Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden eingesetzte papsttreue Abt Lutold wurde vom königstreuen Konvent aus dem Kloster gejagt und fand Zuflucht beim Reichenauer Abt Ekkehart von Nellenburg (1072– 1088). Entgegen der Benediktsregel (econtra aliquantulum regule […]) soll Ekkehart daraufhin die Waffen gegen den St. Galler Konvent unter seinem neuen Abt Ulrich von Eppenstein (1077–1121) erhoben haben.449 Ulrich «war in Alemannien der einzige Parteigänger des Königs während des Investiturstreites und setzte die militärischen Kräfte der Abtei St. Gallen im Einverständnis mit dem Konvent bedenkenlos für dessen Sache ein.»450 In der fast zeitgenössischen Schilderung der Konflikte zwischen St. Gallen und Reichenau in der Fortsetzung der casus sancti Galli glaubt man kaum, dass es sich um eine Klosterchronik, geschweige denn um die Taten eines Abtes handelt: Beide sind jung gewesen, beide sehr vornehm, beide gebildet und lebensgewandt, aber derjenige des heiligen Gallus war hochgemuter, Ekkehard war damals reicher an Vasallenkriegern [militibus], Ulrich aber besass die verlässlicheren. Jener brachte es nicht über sich, diesen zu schonen, dieser schämte sich, vor ihm zu weichen. Jener reizte diesen zuerst und wollte ihm den vertriebenen Abt Lutold im Kloster aufdrängen, dieser aber kühn und ohne weitere Streitkräfte [copiis] zusammenzuziehen, wollte in der Hoffnung auf Kriegsglück den Ausgang der Angelegenheit abwarten und fürchtete sich nicht, alles aufs Spiel zu setzen.451

445 Weiland, Indiculus loricatorum (MGH Const. I, n. 436), S. 633. 446 Übersetzung von Leuppi (Cas. s. Gall. cont., S. 117). Et regno iam firmato consilio principum cunctis regni primatibus expeditionem in Campaniam condixit. Purchardo quoque nostro similiter condixerat (ebd., cap. 18). 447 Ebd.; Hermann, Chronicon, an. 1022, S. 662; vgl. Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 118. 448 Prinz, Herrschaftsformen, S. 19; Hägermann, Abt als Grundherr, S. 349 f. 449 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 22. 450 Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 121. Vgl. Maurer, Schwäbische Grafen, S. 196. 451 Übersetzung von Leuppi (Cas. s. Gall. cont., S. 135). Uterque fuit iuvenis, uterque satis nobilis, uterque litteratus et moribus agilis, sed iste sancti Galli plus magnanimus. Ille tunc temporis ditior militibus,

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In der folgenden Aufrüstung werden unter anderem die St. Galler Burgen Kräzern, Burgau, Glatt, Lütisburg und Heerbrugg errichtet.452 Der Abt nimmt dabei die Rolle eines aristokratischen Kriegsherrn ein. Die Burg Kräzern wird in der Folgezeit durch den eigenen Klostervogt Lutold mit dessen Truppen bestürmt und kann nur mit Glück durch den Abt und seine Burgmannen gehalten werden.453 In anderen Fällen – wie dem Angriff auf die Sarazenen in den 930er-Jahren454 – agiert der Klosterdekan als Truppenführer. Der Kommandogewalt des Abtes unterstanden also noch weitere, ebenfalls aristokratische Respektspersonen, die mit einem hohen Mass an Selbstbestimmung agieren konnten. Als im weiteren Kriegsverlauf unzählige sanktgallische Güter von feindlichen Kräften besetzt werden und der Konvent dadurch in arge Versorgungsnot gerät, zieht Abt Ulrich zusammen mit Verbündeten (unter anderen Graf Otto von Buchhorn)455 plündernd und brandschatzend durch den Bodenseeraum, zerstört Burgen und Orte (darunter die Kyburg und Bregenz) und macht Beute sowie wertvolle Gefangene.456 Der Adelsspross Ulrich, der dank der politischen Situation zum Abt von St.  Gallen erhoben wurde, agierte also keinesfalls ‹christlicher›, als seine weltlichen Standesgenossen: Er brandschatzte, plünderte, tötete und tat alles andere, was in einer Fehde unter Aristokraten eben so üblich war. Während des gegenseitigen Brandschatzens drangen die Reichenauer Truppen gar viermal in den St. Galler Klosterbezirk ein und machten die Gebäude des Abtes um 1079 dem Erdboden gleich.457 Ein ‹Kriegswesen› im Wandel Wer an dieser Stelle noch fehlt, ist der klassische Kriegsherr jeder frühmittelalterlichen Randzone, der Markgraf. Denn dieser verfügte auch in Friedenszeiten über ausserordentliche Kommandogewalten.458 Der für diese Untersuchung infrage kommende Markgraf von Rätien wird in diesem Zusammenhang allerdings nirgends als Kommandeur genannt und der einzige kriegsführende marchio kommt in Schwaben für die Zeit des ‹Investiturstreits› als Marodeur vor, worauf an späterer Stelle noch eingegangen wird.459 Wie lange die Kommandogewalt über geistliche Truppen auch in den Händen Geistlicher verblieb, lässt sich schwerlich festmachen, denn selbst in der Reformzeit des 10./11.  Jahrhunderts bleiben die von der Heeresfolge betroffenen Äbte und Bi-

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sed iste fidelioribus. Ille isti parcere nescivit, istum ei cedere puduit. Ille prior istum provocans sibi expulsum abbatem superducere in monasterium voluit, iste etiam audax non plurimis copiis collectis equo marte rei eventum expectare volens omnia temptare non timuit (ebd., cap. 22). Vgl. ebd. und Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 121 f.; Boxler, Burgnamengebung, S. 51–53. Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 22. Ekkehart, Cas. s. Gall., cap. 126. Vgl. Grafen des 11. Jahrhundert. Der Chronist Berthold beschreibt die zeitgenössischen Wirren mit gegenseitigem Brandschatzen und Treuebrüchen auf allen Ebenen sehr gut (vgl. insbesondere Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 166). Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 23–25. Ebd., cap. 26. Zur kriegerischen Lage vgl. Maurer, Schwäbische Grafen, S. 204; Zotz, Zähringer, S. 50. Althoff/Keller, Neubeginn, S. 82 f. Vgl. Bertold II. von Zähringen unten im Kapitel zum Herzog von Schwaben.

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schöfe unverzichtbar. Geistliche Aufgebote galten zumindest für das westliche Reich als sehr viel treuer und zuverlässiger sowie in ihrer militärischen Stärke als stabil, und dies – wie Poly und Bournazel anfügen – selbst über längere Zeiträume hinweg, meist unbeeinflusst vom Wechsel der Königsherrschaft.460 Für das östliche Reich sieht Bloch die Tendenz einer geistlichen Übermacht im königlichen Heer über das Jahr 1000 hinaus zwar als veraltete Forschungsmeinung an,461 für Schwaben dürfte diese Vorstellung aber mindestens bis zum Ende des 11. Jahrhunderts noch gegolten haben. So wie das ‹traditionelle› Herzogtum nach seiner Neubegründung, Anfang des 10. Jahrhunderts, um spätestens 1098 bereits ein jähes Ende fand, könnten sich auch anderweitig die Verwaltungs- und Kommandostrukturen in Schwaben dahingehend verändert haben. Vom 11./12. zum 13. Jahrhundert lassen sich besonders im allgemeinen ‹Kriegswesen› Veränderungen feststellen, was wohl auch mit den veränderten Grundlagen der nicht mehr in diesem Sinne existenten Aufgebotspraxis des frühmittelalterlichen Heerbannes zusammenhängt. Statt der Grafen und Herzöge traten immer mehr professionelle ‹Warlords› als Heerführer auf, die nicht mehr über komplizierte Aufgebote verfügen mussten, sondern Söldner anwarben – Kortüm spricht hierbei von einer völligen «Ökonomisierung kriegerischer Praxis durch die Gewaltunternehmer».462

2.2

Hörige, Dienstleute und ‹Ministeriale›

Eine Gemeinschaft oder Gesellschaft von Waffenträgern lässt sich vor dem Hintergrund mittelalterlicher Standesunterschiede nicht ohne Weiteres definieren. Wir haben bereits einen Blick in mögliche Heeresfolgeszenarien geworfen. Nun bleibt die Frage, ob, wann, wie, warum und mit welchen sozialen Folgen auch die hörigen Teile der Gesellschaft in einer solchen Kriegergemeinschaft Einlass gefunden haben oder ob es gar seit je üblich war, Teile der herrschaftlichen familia zu bewaffnen.463 Zur besseren Anbindung an die bisherige Forschung erfolgt dies teils unter Verwendung klassischer Begriffe wie ‹Ministerialität›464 und Dienstmannschaft. Der 460 Poly/Bournazel, Mutation, S. 17. Dies lag bei den kirchlichen Institutionen insbesondere daran, dass die ökonomische Grundlage nicht dem betreffenden Amtsinhaber, sondern der jeweiligen Kirche gehörte und so nicht wegen Vererbung kleiner, sondern eher noch grösser wurde (vgl. Zey, Investiturstreit, S. 15). 461 Bloch, Société féodale, S. 588 f. 462 Kortüm, Kriege und Krieger, S. 128. Reuter (Recruitment of Armies, S. 33, 35) vermutet bereits für die ottonischen Herrscher in gewissem Masse Söldnerverbände, steht der Meinung einer weitläufigen Transformation der Heeresorganisation – weg vom ‹Heerbann› hin zu Söldnertruppen – im 11.–13. Jahrhundert aber sehr skeptisch gegenüber. 463 Fleckenstein (Ritterliche Welt, S. 30 f., 54 f.) verneint dies für die frühkarolingische Zeit vehement, da solche nicht direkt in den Quellen genannt werden, vermutet sie aber ebenfalls als Aufsteiger im Sinne der ‹Ministerialität›. 464 Vgl. traditionell unter anderem Keutgen, Ministerialität, insbesondere S. 1–8; Stengel, Ministerialität, insbesondere S. 168 f.; Nitzsch, Ministerialität, S. 32–52; Müller, Ministerialität St. Gallen, S. 5–11.

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Schwerpunkt liegt zwar auf dem Bodenseeraum und Alemannien, doch lassen sich kurze Exkurse in andere zeitgenössische Regionen im Ostfrankenreich für einen Begriffsabgleich kaum vermeiden. Eine Herangehensweise an die sogenannte Ministerialität – in ihrem klassischen Verständnis als ‹die unfreie Dienstmannschaft› zu verstehen – lässt sich über unterschiedliche Wege bewerkstelligen: aus einer kriegerischen, höfischen, rechtlichen und sozialgeschichtlichen Sichtweise. In den kriegerischen Teil wurde bereits im vorhergehenden Kapitel eingeführt und der höfische Teil fällt unter den folgenden Begriff des Hofamtes. Der rechtliche Aspekt wird unter anderem durch Überlegungen zu frühmittelalterlichen Hof- und Dienstrechten genauer betrachtet und Einblicke in die lokale Sozialstruktur werden durch die detaillierte Auswertung aller Bezeichnungen unfreier Dienstleute in den St. Galler Urkunden ermöglicht. Den Beginn machen die unfreien Funktionäre in den Hofämtern und den Dienstund Hofrechten zwischen dem 9. und 11./12. Jahrhundert im ostfränkischen Reich. Im Mittelpunkt steht dabei die Rolle und Ausbildung der sankt-gallischen Ministerialität. Da eine solche Gruppe nicht unter dem naheliegendsten Begriff ministerialis fassbar ist, muss auf terminologisch äusserst unterschiedlich bezeichnete Personengruppen geachtet werden. Potenzielle Ministeriale werden hierfür zuerst ‹isoliert› in den Hofämtern und anschliessend auf begrifflicher Ebene im Ostfrankenreich gesucht. An die jeweiligen Untersuchungen werden stets vergleichbare Fälle aus St. Gallen angefügt, woraus Neuansätze zum Verständnis der schwäbisch-alemannischen Gesellschaft erwachsen könnten, da mit dem Lokalbeispiel St. Gallen und seiner unübertroffenen Überlieferungslage jegliche Grossphänomene an einer einzelnen Institution beziehungsweise deren schriftlicher Überlieferung überprüft werden können. Daraus mag eine ständische Einteilung erkennbar werden, die in der einzelnen Betrachtung eines Amtsbegriffes wohl untergegangen wäre, da man sich als Mitglied der ‹Dienstmannschaft› wohl schlicht über die eigene Funktion und das eigene Amt identifizierte und man qua Amt zur Elite gehörte, ohne dass man dies selbst so wahrnahm. Potenzielle Eliten sind deshalb womöglich unter den zahlreichen Begriffen verborgen, welche ansonsten für einen niederen oder ‹unfreien› Stand stehen. Ergänzt werden die einzelnen Abschnitte jeweils mit den Erkenntnissen aus der Auswertung erzählender Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts.465 In den Untersuchungen rund um die Dienstmannschaft dürften besonders die Differenzen in der deutschen und französischen Forschung auffallen.466 Denn obwohl auch im Westfrankenreich Unfreie zu Heerdiensten in der militia verpflichtet wurden, haben diese laut Parisse nie denselben rechtlichen Aufstieg durchlebt, wie ihre ostfränkischen Standesgenos 465 Die betreffenden Werke von Heito, Walahfrid Strabo, Notker Balbulus, Ratpert, Ekkehart IV., Hermann dem Lahmen und Berthold von Reichenau wurden bereits in der Einleitung vorgestellt. 466 Vgl. Freed, European nobility, S. 212 f., wenn auch dieser ansonsten bezüglich Transformationen im 10./11.  Jahrhundert eine klare Gegenmeinung vertritt und noch bis ins 12.  Jahrhundert an karolingischen Modellen festhält sowie bezweifelt, dass die römisch-deutschen Kaiser mit «Sklaven» in den Krieg gezogen seien (ebd., S. 217), wobei er jegliche Beobachtung unterschlägt, dass selbst servi über Besitz verfügen konnten und Übersetzungen wie «Sklave» keinesfalls mehr passen beziehungsweise angebracht sind.

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sen. Hierbei unterscheidet Parisse für das Ostfrankenreich zwischen zwei Etablierungsschritten, die gut mit den obigen Beobachtungen zur Militarisierung zusammenpassen. Aufgrund der Notwendigkeit von Dienstleuten für den militärischen Schutz und zur Verwaltung hätten im 10. Jahrhundert immer mehr Herrschaften auf ihre familia zurückgreifen müssen, was zu einer Standeserhöhung geführt habe. Im Zuge des ‹Investiturstreits› sei es schliesslich aufgrund der zunehmenden Militarisierung zur zweiten Welle solcher Standeserhöhungen gekommen.467 Wie oben in der Einleitung zu Militarisierung und Reform dargelegt wurde, war die Militarisierung auch im Westfrankenreich ein wesentlicher Faktor der gesellschaftlichen Umwälzungen (‹mutation féodale›), was in dieser Arbeit aber nur methodisch vergleichend von Bedeutung ist und nicht eigens dargelegt wird.

2.2.1

‹Ministerialität› und Hofamt

Thomas Zotz warnt in seinem Aufsatz zur Formierung der Ministerialität klar vor einer Gleichsetzung der Begriffe Ministerialität und ‹Ministeriale›: Der erste Begriff impliziere eine klar umrissene Gruppe, von der man vor dem 12. Jahrhundert nur schwerlich sprechen könne, und der zweite benenne in der Forschung eine sehr weit gestreute Zahl an unfreien Individuen mit unterschiedlicher rechtlicher Stellung und stark divergierenden Aufgabenbereichen sowohl in weltlichen als auch in geistlichen Herrschaften.468 Laut Bosl gab es zwei Wege in den Kreis einer Dienstmannschaft – unter genanntem Vorbehalt nun Ministerialität genannt – zu gelangen, nämlich durch Geburt und Berufung.469 Damit spricht er ganz im Sinne der traditionellen Ministerialitätsforschung die unverhältnismässig scheinende Erhöhung Unfreier an, die im Hoch- und Spätmittelalter dazu geführt haben soll, dass selbst ‹freie Ritter› und ‹Adelige› sich in die freiwillige Unfreiheit begeben hätten, um über neue Aufgaben beispielsweise am Hof schneller in höhere und bedeutendere Positionen zu gelangen.470 Durch Waffen- beziehungsweise Reiterdienste sowie als Verwalter, Vögte, Abgabeneintreiber, Gesandte, Boten und Inhaber von Hofämtern gewannen Hörige weltlicher Herrschaften und insbesondere Angehörige klösterlicher und bischöflicher familiae schnell das Vertrauen ihrer Herren, während man von mächtigen Freien erzwungene Erblichkeit und Schaden durch Konkurrenzverhalten befürchten musste. Belehnte Freie mit wechselhaftem Treuegefühl standen Dienstleuten gegenüber, die als Hörige selbst zum Besitz der jeweiligen Herren gehörten. Dabei sollte bedacht werden, dass auch Dienstleute mit Lehen und Pachtgütern versehen wurden und sich dank ihrer besonderen Rechtssituation keineswegs alles gefallen lassen mussten.471 Doch darauf wird unter den Hof- und Dienstrechten sowie 467 468 469 470

Parisse, Ministériaux en Empire, S. 22–24. Zotz, Ministerialität, S. 15. Bosl, Reichsministerialität, S. 614. Vgl. Borchardt, Sonderweg, S. 37. Arnold (German Knighthood, S. 44–46, 53–55) ist ebenfalls dieser Meinung, doch dürfte sein Werk insgesamt nur mit Vorsicht zu verwenden sein. 471 In einem Beitrag zum Dienstrecht streicht Bosl dies klar heraus, indem er einen Bogen zu den

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im Laufe der terminologischen Untersuchung weiterführend eingegangen.472 Laudage spricht zudem davon, wie aus ursprünglichen Knechten (servi) aus dem «bäuerlichen Milieu» hofrechtlich gebundene Dienstmannen und schliesslich dienstrechtlich gesicherte Hofleute geworden seien.473 In seinem Werk zu den Hofämtern im Frühmittelalter zeichnet Rösener die Formierung und Ausbildung der unterschiedlichen Hofämter aus dem Zusammenwachsen christlich-romanischer und heidnisch-germanischer Kulturkreise hin zu den klassischen Hofämtern des Heiligen Römischen Reiches nach.474 Von den Ehrenämtern im Spätmittelalter waren die ursprünglichen Hausknechte freilich noch weit entfernt. Grundsätzlich ging es dabei um die Sicherstellung des leiblichen Wohls, was die Versorgung mit Nahrungsmitteln (Mundschenk: pincerna, comes scanciarum; Küchenmeister/Jäger: coquus, venator, falconarius), die Unterbringung von Mensch und Tier (Kämmerer: camerarius, cubicularius, Seneschall/Truchsess: senescalcus, dapifer; Marschall: comes stabuli, mariscalcus; Pfalzgraf: comes palatii) sowie den körperlichen Schutz (Schwertträger und Leibwächter: armiger, spatiarius, ostiarius) gleichermassen betrifft. Letzteres umfasst auch die Zufriedenstellung der bewaffneten Untertanen (Schatzmeister: comes thesaurorum, sacellarius, dispensator; später der Kämmerer).475 Die Nähe zum jeweiligen Herrn oder König erlaubte den schnellen Aufstieg zahlreicher Unfreier. Bis in die karolingische Zeit hatten sich diese Knechtstellen zu rechtlich gut situierten Beamtenstellen entwickelt, die zumindest an den Fürstenhöfen während Festivitäten häufig ehrenhalber mit Mitgliedern der Aristokratie besetzt wurden,476 während die eigentlich praktizierenden Hörigen ebenfalls bereits einen besseren Rechtsschutz genossen, der sich beispielsweise an höheren Wergeldzahlungen bemerkbar machte.477 Im Kloster St. Gallen waren die Erzämter im 13. Jahrhundert an vier grosse Aristokratenfamilien gegangen,478 die alle ursprünglich der Ministerialität entsprungen sein sollen. Die Ministerialität sei in St.  Gallen durch

472

473 474 475 476 477 478

vassi/vassalli schlägt, welche bezüglich Abhängigkeit ursprünglich (6.–9. Jahrhundert) mit der Ministerialität des 10.–13. Jahrhunderts vergleichbar gewesen seien, danach aber zum Inbegriff von Lehnsträgern/«Vasallen» wurden (Bosl, Ius ministerialium, S. 60 f.; vgl. Zotz, Lehnswesen, S. 167 f.). Als zeitlich an meine Untersuchung anschliessende Arbeit könnte ein Projekt von Uwe Grupp von der Universität Tübingen zur ‹Organisation von Dienst und Dienstbarkeit im 11. und 12. Jahrhundert› gesehen werden, das sich vornehmlich mit dem südwestdeutschen Raum beschäftigt. Laudage, Rittertum, S. 15 f. Rösener, Hofämter. Ders., S. 532–540. Am ostfränkischen Königshof sollen die vier Ehrenämter (Mundschenk, Seneschall, Marschall und Kämmerer) seit dem 10. Jahrhundert von weltlichen Reichsfürsten ausgeübt worden sein (ders., Ministerialität und Hofdienst, S. 263 f.). Ders., Hofämter, S. 536, 541. Für das wiregildum/virigildo vgl. lex Alamannorum (Schott, Lex Alamannorum, S. 86, 102–104, 116–120, 140, 160–162). Vgl. zudem Esders, Wergeld, S. 147. Als Erztruchsess amtierte der Herzog von Schwaben und als Stellvertreter die Edeln von Bichelsee; als Erzschenk amtierte der Graf von Hohenberg und als Stellvertreter die Schenken von Landegg; als Erzmarschall amtierte der Graf von Zollern und als Stellvertreter die Edeln von Mammertshofen; als Erzkämmerer amtierte der Freiherr von Regensberg und als deren Stellvertreter die Gielen von Glattburg (Staerkle, St. gallischer Hofstaat, S. 42 f.).

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besondere Dienste im 10. Jahrhundert aufgestiegen und habe im 11. Jahrhundert erstmals über ein Dienstmannenrecht verfügt.479 Folgen wir Ekkehart IV. (11.  Jahrhundert), so waren bereits unter Abt Notker (971–975) milites als Truchsessen und Schenken des Abts zugegen, wie oben bereits ausgeführt wurde.480 Laut von Fürth war der Hofdienst die entscheidende Triebkraft, welche die ‹Ministerialen› aus dem Gros der Unfreien heraushob.481 Diese Ämter waren keine reinen Herrendienste, sondern Ämter mit öffentlichem Charakter.482 Dennoch machte der Kriegs- und Reiterdienst wohl den Grossteil der Beschäftigung ‹Ministerialer› aus, der oft einherging mit dem Schutz des unmittelbaren Herrschaftsbereichs, bewaffnetem Geleitschutz, Burghut sowie mit Post- und Botendiensten.483 Den militärischen Charakter erkennen wir unter anderem in den oben erwähnten Hofämtern Abt Notkers, deren Amtsinhaber als milites bezeichnet werden. In erzählenden Quellen tauchen ‹Ministeriale› häufig als Beschützer ihrer Herren auf, so kann der treue, bewaffnete Begleiter Abtbischof Salomos, der bei dessen Verhaftung durch die Kammerboten 914 niedergemacht wurde, vermutlich zur bischöflichen familia gezählt werden.484 Damit gehörte wohl auch ein grosser Teil der oben erwähnten Hauskrieger Salomos zur ursprünglich unfreien familia.485 Die Ausübung dieser Ämter und der Kriegsdienst traten bei den geistlichen Herrschaften nochmals verstärkt in den Vordergrund, da die Klöster und Bistümer zur Verwaltung ihres teilweise umfangreichen Besitzes sowie zur Leistung ihres servitium regis486 eine grosse Zahl an Dienstleuten benötigten. Besonders im Umfeld der salischen Könige treten überaus häufig Dienstleute in Aktion. Dabei werden sie zu wertvollen Helfern in den Kämpfen mit der Aristokratie während des ‹Investiturstreits› und für die zahlreichen Italienzüge.487 Im Zusammenhang mit dem militärisch-offensiven Landesausbau in Richtung Osten spricht Bosl von der «Markministerialität», deren eigene Herrschaftsausbildung durch militärische Kompetenzen und Burgbemannung zur Landessicherung begünstigt worden sei. Aus derlei Rechteübertragungen soll schliesslich überall im Reich die Mode erwachsen sein, sich nach der jeweiligen 479 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S.  124; Staerkle, St.  gallischer Hofstaat, S.  41. Ein mögliches sankt-gallisches Dienstrecht wird im folgenden Abschnitt ausführlicher diskutiert. 480 Milites quidem, quando sibi absque fratribus esse vacabat, intus et foris mensȩ suȩ propositores et pincernas ebdomadarios habere solebat; disciplinanterque sibi ab eis ministrari volebat (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 135). Vgl. die ausführlichere Behandlung dieser Stelle oben unter Miles und Militia. 481 Fürth, Ministeriale, S. 454. 482 Rösener, Hofämter, S. 537. 483 Bosl, Reichsministerialität, S. 34; Rösener, Ministerialität, S. 268. Zur Diskussion um Hofamt und Reiterdienst als entscheidende Faktoren um den Aufstieg der Ministerialität vgl. Jakobi, Ministerialität, S. 322, und Fleckenstein, Ritterliche Welt, S. 58. Zum berittenen Dienst vgl. den Abschnitt zu den homines cavallicantes unten. 484 Quidam autem suorum cum gladium educentem iuvenem illum ipse econtra gladio stricto incurrere vellet, lanceis circumvallantium transfixus interiit (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 17). Zum Stammheimer Konflikt und Salomos Verhaftung vgl. Erhart/Wagner, Hohentwiel 915, S. 42 f. 485 Vgl. hierfür die Darstellung im Abschnitt Krieger und Waffenträger und bei Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 12. 486 Vgl. Boshof, Königtum, S. 83. 487 Rösener, Ministerialität, S. 264, 267; Bosl, Reichsministerialität, S. 49, 89. Bosl spricht an dieser Stelle auch von eigentlichen «Privatarmeen» (ebd., S. 58).

123

Burg zu benennen.488 Zum Hof gehörten auch Ärzte, Schmiede, Köche und Notare sowie die Angehörigen der Hofkanzlei und der Hofkapelle. Letztere lag meist in den Händen geistlicher Personen, die zusammen mit herausragenden weltlichen Freien auch als Ratgeber und Gesandte des Königs fungierten.489 Oben genannte Hofämter tauchen als ‹offizielle› Termini in den frühmittelalterlichen Quellen nur selten auf, was dem niedrigen Institutionalisierungsgrad zu verdanken sein dürfte. In den von mir exemplarisch herangezogenen sieben erzählenden Quellen tauchen die klassischen Hofämter nur in Notkers Gesta Karoli (Truchsess, Marschall und Kämmerer)490 sowie in Ekkeharts Casus sancti Galli (Mundschenk, Truchsess und Kämmerer)491 auf, wobei deren Auftauchen dem jeweiligen Quellentyp geschuldet ist; Notker schildert den Hof Karls des Grossen, während Ekkehart IV. vom Hof des St. Galler Abtes (einmal mit königlichem Besuch) berichtet. Die Kämmerer im Kloster dürften allerdings eher Laienmönche als Hörige gewesen sein, denn camerarii werden in den St. Galler Urkunden häufig zusammen mit dem Dekan, Sacratarius, Cellerar, Pförtner, Hospitarius, Hospitalarius, Bibliothekar und den Pröpsten des Klosters genannt.492 In einem Versuch, die ‹Ministerialität› fassbar zu machen, suchte Hechberger in den Quellen der jeweiligen Zeit nach den jeweils passendsten Formen, die seines Erachtens zur Bezeichnung von ‹Ministerialen› verwendet wurden. Was zur Zeit Konrads II. die servi gewesen sein sollen, waren zur Zeit Heinrichs III. servientes, unter Heinrich V. ministeriales und unter Lothar III. ministeriales regni.493 In einem eher ‹jungen› Beitrag zur ‹Ministerialenforschung› fasst Borchardt den Aufstieg dieser Gruppe so zusammen: «Nicht allein durch Kriegsdienste als gepanzerte Ritter, sondern vor allem auch durch Herrschaftsdienste als Richter, Meier, Vögte, Inhaber von Hofämtern wie Truchsess, Schenk, Marschall, Kämmerer, Jägermeister, Küchenmeister, Butigler erlebten in Deutschland die ‹Ministerialen›, anderwärts der sogenannte Nieder- oder besser Ritteradel einen Aufstieg, den man in seiner christlich-kirchlichen Überhöhung als Entstehung von Rittertum begreifen kann.»494 Einen Grossteil dieser Elemente finden wir ebenfalls in den St. Galler Quellen. Diese Gruppe spezieller 488 Ebd., S. 89, 91. 489 Rösener, Hofämter, S. 535, 541. 490 Magister mensae (Notker, Gesta Karoli II, cap.  6), comes stabuli (ebd.), camerarius/cubicularius (ebd., cap. 6, 15). 491 Pincerna (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 7, 135), propositor (ebd.), camerarius (ebd., cap. 60, 87, 97). Beim camerarius in cap. 87 und 97 handelt es sich um den Hofkämmerer des Abtes Purchart, Richer, der nach einem Unfall des Abtes und aufgrund des fortschreitenden Alters des Klosterdekans als Helfer zur Lenkung des Klosters berufen wurde: Richero iam dicto curtis suȩ camerario, homini pro virtutibus vix comparando, Ekkehardi decani iam senescentis ut ageret consiliis et abbatiam pro se regeret, communi fratrum iniunxit consensu. Vgl. hierzu Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 115 f. 492 Chart. Sang. I, nn. 236, 252, 280, 284, 292, 308, 313, 330, 342–343, 360, 372, 375; ebd. II, nn. 431, 444, 471, 474, 499, 502, 511, 518–520, 522–524, 540, 545, 547, 549, 559–560, 568, 572, 588–589, 592, 596, 601–603, 607, 631, 639, 651, 658, 660, 681, 693, 717, 726–727, 757, 762, 771, 773, 808, 817, 821, 857. 493 Der schwer kontrollierbare ‹Adel› sei durch den vermehrten Einsatz dieser weisungsgebundenen (beziehungsweise von der Gunst abhängigen) Männer ersetzt worden (Hechberger, Adel und Rittertum, S. 28). 494 Borchardt, Sonderweg, S. 35; Arnold, German Knighthood.

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Funktionäre als ‹Ministeriale› zu bezeichnen, vereinfacht vieles, schleppt allerdings die etwas schwerfällige Ministerialenforschung der zwei vergangenen Jahrhunderte mit sich. Ein Merkmal des Aufstiegs oben genannter Dienstleute geht womöglich einher mit der Ausbildung eines eigenen Standes. In der Nähe ihrer Herren dürften einige dieser Aufsteiger nämlich auch anderweitig ‹höfisch› tätig geworden sein, wie Bumke grafisch durch die Auswertung der manessischen Liederhandschrift darzustellen versucht hat. Und zwar zählt er eine ganze Reihe von ‹Ministerialen› zu den klassischen Minnesängern des 12./13. Jahrhunderts, darunter auch einige St. Galler ‹Aufsteiger›, deren Familien es mit grosser Wahrscheinlichkeit im Zuge des ‹Investiturstreits› und seiner menschenverschlingenden Nachwehen geschafft hatten, sich bessere Rechte zu sichern und dadurch einen neuen Lebensstil zu pflegen begannen. Dagegen tauchen Grafen und Städter deutlich seltener auf.495 Auf diese Thematik soll in Anbetracht der geringen Relevanz für diese Untersuchung aber im Weiteren verzichtet werden.

2.2.2

Kodifizierung von Dienstmannenrechten

Welche Regelmässigkeiten in der Bezeichnung von Dienstleuten finden sich innerhalb des ostfränkischen Reiches? Gibt es einheitliche Regelungen für ein und dieselben Personengruppen oder finden sich vergleichbare, jedoch lokal unterschiedlich bezeichnete Gruppen je nach Stellung innerhalb einer Herrschaft mit einem anderen Rechtsstatus konfrontiert? Damit gerät man in juristische Zusammenhänge, die anhand der sogenannten Dienst- und Hofrechte nun genauer betrachtet werden sollen. In den Darstellungen zur Herausbildung der ostfränkischen Ministerialität spielen vor allem die Hof- und Dienstrechte der ostfränkischen Klöster und Bischofssitze eine zentrale Rolle, welche bis ins 12. Jahrhundert in rasch anwachsender Zahl entstanden und häufig als Anzeichen für ministeriales Gruppenbewusstsein und die Formierung eines eigenen Standes interpretiert wurden.496 Damit wird die Entstehungsphase der Ministerialität häufig ebenfalls in diese Zeit, also ins 11. und 12. Jahrhundert, gesetzt, obwohl man eine erste Phase bereits im beginnenden 10. Jahrhundert erwarten kann, wie am Fall St. Gallen noch zu sehen sein wird. «Im Bewusstsein ihrer ständig wachsenden politisch-militärisch-wirtschaftlichen Bedeutung» liessen sich die Angehörigen der familiae ihre errungenen Rechte und Freiheiten von ihren Herren garantieren und deshalb auch kodifizieren.497 Andererseits scheint es im 11.  Jahrhundert zu derart frappierenden Verstössen und Übertritten durch die Dienstmannschaft gekommen zu sein, dass es aus Sicht der Herren notwendig wurde, regulierende Dienstrechte zu erstellen.498 Man kann Dienst- und Hofrechte 495 496 497 498

Bumke, Ministerialität, S. 9 f., 58, 61. Schulz, Dienstrechte, S. 37 f.; Bosl, Ius ministerialium, S. 82 f. Bosl, Ius ministerialium, S. 82 f. Schulz, Dienstrechte, S.  39  f.; Bosl, Reichsministerialität, S.  47  f. Am klarsten werden solche Missstände im Wormser Hofrecht angeprangert (Burchard, Lex fam. Wormat. [MGH Const. I, n. 438], S. 640).

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diesbezüglich auch als Werkzeuge zur Friedenswahrung sehen.499 Daneben können in der relativ quellenarmen Zeit des 10. Jahrhunderts Dokumente auch einfach nicht überliefert worden sein oder aber es wurde nicht offiziell zur Sprache gebracht, was längst in allen geistlichen Institutionen Gang und Gäbe war (vielleicht auch bei den weltlichen Herren), weil es nicht in die gängige Vorstellung der Klöster im hirsauischen und cluniazensischen Sinne gepasst hätte.500 Dennoch muss man davon ausgehen, dass es bereits im 10., gar seit dem Ende des 9. Jahrhunderts, eine wachsende Gruppe privilegierter Höriger gab, die den Klöstern in der Verwaltung dienten, diese beschützten und die ‹unschönen Jobs› für ihren jeweiligen Abt übernahmen.501 Daher sehe ich die frühen Dienst- und Hofrechte von Worms, Limburg und anderen Klöstern nicht als das erste Aufblühen und auch nicht als die eigentliche Etablierung einer Ministerialität an,502 sondern schlicht als glücklicherweise erhalten gebliebene Rechtszeugen einer unfreien Elite, ohne die wohl kein grösseres Kloster oder Bischofssitz hätte auskommen können. Die Wormser, Bamberger und Limburger Dienst- und Hofrechte In ebendiesem Sinne wurde auch die Lex familie Wormatiensis ecclesie vom Wormser Bischof Burchard als Antwort auf die Klagen und Übergriffe seiner Untergebenen verkündet,503 die nun trotz der geografischen Entfernung zu Schwaben aufgrund seiner frühen Überlieferungszeit exemplarisch für alle anderen Dienst- und Hofrechte etwas genauer betrachtet werden soll.504 Die familia von St.  Peter, also dem Dom und Bischofssitz von Worms, soll durch die Bestimmungen vor ungerechtfertigten und eigenmächtigen Übergriffen durch die eigenen Verwalter geschützt werden. Spezifisch genannt werden hierbei die advocati, vicedomini und ministeriales. Die ministeriales werden in der Einleitung parallel – ja gar in Abgrenzung – zur familia genannt.505 Unter den ministeriales sind hier wohl vor allem die privilegierten Angehörigen der familia zu suchen, die zu speziellen Verwaltungsaufgaben herangezogen wurden, beispielsweise als villici und maiores, während unter familia an dieser Stelle allgemein alle Hörigen vom Bischofssitz selbst bis zu den mancipia, den rein agrarisch arbeitenden Unfreien ohne gesondertem Amt und Funktion, gemeint sind. Die mancipia  – im Falle von Worms wohl die Unfreien der untersten Stufe in der familia506 – werden zusammen mit den «anderen Gütern» aufgeführt.507 Des Weite 499 Vgl. obige Ausführungen zur militia christiana und zur Gottesfriedensbewegung. 500 Schulz, Dienstrechte, S. 38. 501 Diese Gruppe soll in merowingischer Zeit nur aus den direkten servi bestanden haben, die bis ins Hochmittelalter zu einer sehr viel grösseren Gruppe herangewachsen sei (Hechberger, Adel und Rittertum, S. 27). 502 Dies sehen unter anderem Zotz (Ministerialität, S. 4) und Bosl (Reichsministerialität, S. 34 f.) so. 503 Auch das Hofrecht der Limburger Hofleute wurde zur Sicherung der Rechtsverhältnisse geschaffen: Die familia solle ihre Pflichten erfüllen und nicht hochmütig werden, während der Abt nur vorgeschriebene Leistungen von der familia verlangen dürfe (Weiland, Ius fam. Lintburg. [MGH Const. I, n. 43], S. 87). 504 Burchard, Lex fam. Wormat. (MGH Const. I, n. 438), S. 640. 505 Ebd. 506 Für St. Gallen und andere Herrschaften wird sich diesbezüglich ein anderes Bild präsentieren. 507 Weiland, Ius fam. Lintburg. (MGH Const. I, n.  43), S.  87. Weinrich (Verfassungsgeschichte,

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ren kann der Begriff familia die Gesamtheit aller Unterstellten der Wormser Kirche meinen.508 Burchards Hofrecht beschreibt grösstenteils das Ehe- und Erbrecht der Hörigen,509 welche über zahlreiche Rechte verfügten. So scheint es üblich gewesen zu sein, den Besitz eines hörigen Ehepaares nach dem Tod des Mannes vollumfänglich der Witwe zu überlassen und nach deren Tod alles an die ehelichen Kinder zu vererben.510 Ebenso scheinen Hochzeiten unter Hörigen, aber auch zwischen Hörigen und Bessergestellten – wenn auch reguliert511 – äusserst unkompliziert gehandhabt worden zu sein. Allgemein scheint die Wormser Dienstmannschaft über zahlreiche Rechte und Freiheiten verfügt zu haben. Dies geschah kaum vom einen auf den anderen Tag, sondern musste das Resultat einer längeren Entwicklung sein. Das Hofrecht stellt dabei für uns eine Art Vereinheitlichung des Rechts innerhalb des weltlichen Herrschaftsbereichs des Bischofs dar.512 Des Weiteren regelt das Wormser Hofrecht folgende Punkte: das Vorgehen bei Straftaten und Unrecht unterschiedlicher Schwere,513 Mord,514 Wergeldzahlungen,515 Schwur und Meineid,516 Streitbeilegung durch Zweikampf,517 öffentliche Versammlungen (inklusive Verhaltensregeln)518 sowie die Veräusserung und der Tausch von Wormser Kirchenbesitz in der Stadt und auf dem Land.519 Besonders ausführlich werden in § 30 die Regelungen und Verbote in einem Mordfall unter Hörigen aufgeführt, wovon es offenbar zahlreiche gab: Eine Tötung sei nur im Verteidigungsfall, bei Raub etc. straffrei. Zudem werden hohe Strafen angesetzt für Racheakte durch die Verwandtschaft. Erneut werden in diesem Abschnitt die servitores und ministeriales von der restlichen Hausgenossenschaft ausgenommen und deren Vergehen sollen individuell beurteilt werden.520 Servitor – in

508 509 510 511

512 513 514 515 516 517 518 519 520

n. 25, S. 107) nennt sie schlicht «Eigenleute» und Spiess (Limburger Hofrecht, 470) stellt sie zusammen mit den (con-)servi als Gegenpol zur freien Gruppe der Bauern, den liberi und ingenui. Im «Bamberger Dienstrecht» (iusticia ministerialium Babenbergensium) werden allgemein nur die ministeriales als «Dienstmannen» angesprochen, die mancipia werden nur am Rande als Zubehör einer Güterübertragung erwähnt. Weinrich (Verfassungsgeschichte, n. 31, S. 120–123) übersetzt die mancipia als Gesinde. Goetz, Ehe und Familie, S. 509. Burchard, Lex fam. Wormat. (MGH Const. I, n. 438), S. 640–642, §§ 1–6, 10–11, 14–16. Ebd., S. 641, §§ 3–4, 10. Es ist dabei auch ausdrücklich die Rede von einer «Erbhufe», einer hereditalis mansus (ebd., S. 641, § 2). Bei unterschiedlichem Stand, beispielsweise einem bessergestellten fisgilinus und einer rechtlich weniger gut situierten dagewarda, mussten Kinder, qui inde nascantur secundum peiorem manum leben (Burchard, Lex fam. Wormat. [MGH Const. I, n. 438], S. 642, § 16). Gerold Bönnen (Bischof Burchard, S. 23) sieht innerhalb der Wormser familia mindestens eine Dreiteilung mit zunehmend besserer Rechtsstellung vom einfachen mancipium, der wie eine Sache verkauft und vererbt werden konnte, dem ‹Tagwerker› (dagewardus), einem landlosen Hörigen, der als Handwerker oder Fronarbeiter eingesetzt wurde, hin zum Fiskaline, der nur für ausgewählte Dienste herangezogen werden durfte und für den gar geistliche und weltliche Aufstiegschancen innerhalb der Herrschaft bestanden. Goetz, Ehe und Familie, S. 509. Burchard, Lex fam. Wormat. (MGH Const. I, n. 438), S. 641–644, §§ 7–8, 13, 22–25, 27, 32. Ebd., S. 643, §§ 28, 30. Ebd., S. 641, § 9. Ebd., S. 641 f., 644, §§ 12, 18, 31–32. Ebd., S. 642, 644, §§ 19–20, 31–32. Ebd., S. 642, § 17. Ebd., S. 642 f., §§ 21, 26. Ebd., S. 643 f., § 30.

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jenem Kontext durchaus als Ministerialer zu deuten  – wird von Weinrich neutral mit ‹Dienstmann› übersetzt, während ministerialis und minister als ‹Meier› gedeutet werden.521 Letztgenannter Interpretation stehe ich kritisch gegenüber, denn die Meier gehörten in Grundherrschaften der Kirche zwar mit grosser Wahrscheinlichkeit zur oberen Hälfte der familia und waren damit ebenfalls Teil der Ministerialität, an dieser Stelle müsste aber ebenfalls neutral von Dienstleuten gesprochen werden, zumal § 29 einen Hinweis auf die Unterscheidung von servitores und ministeriales gibt: Es soll Gesetz sein: Wenn der Bischof einen Fiskal-Mann [homo fiscalis] zu seinem Dienst [servitium] heranziehen will, darf er ihn nicht zu anderem Dienst einsetzen es sei denn als Kämmerer [camerarius], Mundschenk [pincerna], Truchsess [infertor], Stallmeister [agaso] oder als Dienstmann [ministerialis], und wenn er ihn nicht zu solchem Dienst gebrauchen will, soll er ihm vier Pfennig zahlen als Königsdienststeuer und sechs Pfennig für die Heerfahrt [expeditio] und er soll die drei ungebotenen Gerichtstage [placita]522 im Jahr besuchen und wem er will dienen.523

Die gehobeneren ‹Unfreien›524 dürfen vom Bischof also nur zu gewissen Diensten herangezogen werden, nämlich zu den vier klassischen Hofämtern des Kämmerers, Mundschenks, Truchsesses und Marschalls einerseits und zum bewaffneten Reiterdienst andererseits. Zwar wird für Letzteres eher das Wort ministerialis gebraucht, doch ist anschliessend auch die Rede von der Heerfahrt, was diese Interpretation stützt.525 Auf den bewaffneten Reiterdienst der ministeriales deutet das Erbgut und mortuarium des jeweiligen ministerialis im Bamberger Dienstrecht hin, das einen Panzer oder ein Pferd umfasst sowie die Anordnungen bezüglich der Heerfahrt.526 Zudem sollen die Inhaber von Lehen von ihrem Herrn nur zu fünf Diensten verpflichtet werden können, nämlich als Truchsess, Mundschenk, Kämmerer, Marschall und Jä 521 Weinrich, Verfassungsgeschichte, n. 23, S. 98–103. 522 Zur Terminologie von Versammlungen und Gerichtsversammlungen vgl. den entsprechenden Abschnitt im Grafenkapitel unten. 523 Übersetzung von Weinrich (ebd., S. 99–101). Lex erit: si episcopus fiscalem hominem ad servitium suum assumere voluerit, ut ad alium servitium eum ponere non debeat, nisi ad camerarium aut ad pincernam vel ad infertorem vel ad agasonem vel ad ministerialem, et si eum ad tale servitium facere noluerit, quatuor denarios persolvat ad regale servitium et VI ad expeditionem et tria iniussa placita querat in anno et serviat cuicumque voluerit (Burchard, Lex fam. Wormat. [MGH Const. I, n. 438], S. 643, § 29). 524 Die fiscales waren  – wie Spiess (Limburger Hofrecht, S.  483) und Bönnen (Bischof Burchard, S. 23) verdeutlichen – keine direkten Unfreien der Königsgüter beziehungsweise des Königs, sondern müssen als oberste Stufe innerhalb der familia betrachtet werden. 525 Vgl. dazu auch Rösener (Ministerialität, S. 252) und Zotz (Ministerialität, S. 25). In ähnlicher Weise soll auch der Abt von Klingenburg dazu berechtigt gewesen sein, Männer aus dem Kreis seiner Hörigen – die er ohne Weiteres zu ‹Ministerialen› erhoben haben soll – für den Dienst in den Hofämtern, in der Verwaltung sowie im Heeresdienst heranzuziehen (Schulz, Dienstrechte, S. 50). 526 Si absque liberis obierit et uxorem pregnantem habuerit, expectetur, dum pariat. Et si masculus fuerit, ille habeat beneficium patris; si non, proximus agnatus defuncti vel loricam suam vel equum, quem meliorem habuerit, domino suo offerat et beneficium cognati sui accipiat. In expeditionem iturus, ex suo sumptu ad dominum veniat […] (Weinrich, Verfassungsgeschichte, n. 31, S. 120–123). Arnold (German Knighthood, S. 44) bezeichnet die Bamberger ‹Ministerialität› bereits klar als militärische und administrative Elite. Im Dienstrecht wird auch die Versorgung der Dienstleute bei Feldzügen geregelt (vgl. Zotz, Ministerialität, S. 31).

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germeister.527 Auch im Limburger Hofrecht528 ist die Rede von solchen gesonderten Ämtern (cellerarii, frumentarii, thelonearii, forestarii), die allerdings von allen verheirateten Männern der familia wahrgenommen werden konnten, sofern der Abt sie dazu bestimmte. Ausgestattet mit einem beneficium konnte jeder verheiratete Hörige der Abtei Limburg zudem als Truchsess, Mundschenk oder miles, also als (Reiter-)Krieger,529 eingesetzt werden und durfte Funktion und Besitz behalten, sofern er sich gut verhielt; ansonsten sollte er ins ursprüngliche Recht zurückfallen.530 Das Bamberger Dienstrecht geht sogar noch weiter und stellt es dem Dienstmann (ministerialis) im Fall von ausbleibendem Lehen frei, jemand anderem zu dienen, wenn auch ohne Lehen.531 Auch für die Erkennung von gesellschaftlichen Strukturen bilden Hof- und Dienstrechte eine wertvolle Quelle. So erkennt Goetz in Bezug auf die Diskussionen um «kognatische Sippe» und «agnatisches Geschlecht» das Hofrecht Burchards als «ein hervorragendes Zeugnis zum einen für fortdauernde familiäre Strukturen zwischen Kern- (Haushalts-) und Verwandtenfamilie, für deren gegenseitige Durchdringung und ihren Zusammenhalt (im Rechtswesen, bei Erbansprüchen und bei der Wahrung der Familienehre), zum andern für die Überlagerung der Familienstrukturen durch übergreifende Gemeinschaftsformen, in diesem Fall die Grundherrschaft, in deren Rahmen sie sich aber halten und bewähren konnten».532 Hofrechte repräsentieren laut Werkmüller Rechte im Sinne der fürstlichen Hofhaltung, das Dienstrecht der Ministerialen und vor allem auch des bäuerlichen Wirtschaftshofes unter dem Vorsitz des villicus, Meier oder Schultheiss und unter der Rechtsfindung der Hofgenossen.533 Inwieweit sich dies mit obigen Vergleichsfällen und anschliessender terminologischer Besprechung auf den Fall St. Gallen anwenden lässt, wird sich unten noch zeigen. 527 Beneficium habentes a domino suo non constringantur nisi ad V ministeria; hoc est: ut aut dapiferi sint aut pincernȩ aut cubicularii aut marescalchi aut venatores (Weinrich, Verfassungsgeschichte, n. 31, S. 122 f.). Eine Abgrenzung von den milites ist in diesem Fall besonders naheliegend, da solche abschliessend als Zeugen genannt werden (ebd.). 528 Beim sogenannten Limburger Hofrecht scheint es sich um eine Fälschung des 12. Jahrhunderts zu handeln (Neumeister, ‹Ministeriale, Ministerialität›, HRG III, Sp. 1531–1535). Dennoch soll diese Quelle beachtet werden, da sie nicht zuletzt die Verhältnisse des 12. mit den Vorstellungen für das 11. Jahrhundert verbindet. 529 Rösener (Ministerialität, S.  252  f.) sieht darin aber noch keinesfalls einen gehobenen Stand, wohl auch weil die betreffenden Personen bei falschem Verhalten jederzeit in den ursprünglichen Rechtsstand zurückgesetzt werden konnten. 530 De uxoratis autem quoscunque et ubicunque iusserit abbas sint cellerarii, frumentarii, thelonearii, forestarii. Si vero abbas quenpiam prescriptorum in suo obsequio habere voluerit, faciens eum dapiferum aut pincernam sive militem suum, et aliquod beneficium illi prestiterit, quamdiu erga abbatem bene egerit, cum eo sit, cum non, ius quod ante habuit habeat (Weiland, Ius fam. Lintburg. [MGH Const. I, n. 43], S. 88). 531 Sic beneficium ab episcopo non habuerit et representaverit se in eius ministerio et beneficium non potuerit obtinere, militet cui vult, non beneficiarius sed libere (Weinrich, Verfassungsgeschichte, n. 31, S. 120 f.). Schulz (Dienstrechte, S. 51) sieht im Bamberger Dienstrecht gar «eine Ministerialität […], die bereits geburtsständisch abgeschlossen und mit einem eigenen Standesrecht ausgestattet erscheint, das nicht mehr Bestandteil des Rechtskreises der familia ist». Für Rösener (Ministerialität, S. 254) stellt diese Gruppe lediglich die Spitze der Ministerialität dar. 532 Goetz, Ehe und Familie, S. 514. 533 Werkmüller, ‹Hofrecht›, HRG II, Sp. 1101–1102.

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Zur Terminologie in den Dienst- und Hofrechten In Anlehnung an das Hofrecht Bischof Burchards sollen nun weitere Dokumente aus Worms auf ihre Terminologie hin untersucht werden, um anschliessend einen ersten Versuch zur Ordnung der unfreien Funktionäre nördlich des Herzogtums Schwaben zu wagen. Diese Ordnung soll der nachfolgenden Untersuchung der schwäbisch-alemannischen Dienstleute als Vergleichsauflistung dienen, um mögliche Besonderheiten einer sankt-gallischen Ministerialität erkennen zu können. Indem er Isidor von Sevilla zitiert, verweist Burchard von Worms in seinen Decretorum Libri XX (zwischen 1008 und 1012) selbstverständlich auf die «von Gott gegebene» Unterteilung in ‹Freie› und ‹Unfreie› beziehungsweise jene, die aus Barmherzigkeit in «Knechtschaft» leben, weil zu ihnen die Freiheit nicht passe.534 Günther Franz übersetzt an dieser Stelle servitus/servus passend neutral mit Knechtschaft/ Knecht als Gegenpol zu Herrschaft,535 wobei eine klare Abgrenzung zur antiken Sklaverei spürbar ist. Servus bezeichnete ja auch in den bereits vorgestellten Hofrechten keinesfalls einen Sklaven, sondern einen Unfreien, der dennoch über eine Vielzahl an Freiheiten und Rechten verfügte. Vergleichen wir das Wormser Vokabular des beginnenden 11. Jahrhunderts nun mit demjenigen aus zwei Wormser Urkunden aus dem Jahr 897: In der einen überträgt König Arnulf einige seiner servitores ans Stift Neuhausen, und zwar samt deren Besitzungen innerhalb der Stadt Worms (infra Wormaciensem urbem), welche sie unter Entrichtung eines jährlichen Zinses (censu annuali) auch weitervererben dürfen.536 Damit verfügen diese servitores – von Weinrich mit «Dienstknechte» übersetzt  –537 über vergleichbares Recht wie diejenigen aus dem Hofrecht von 1024/25. Stellen diese Hörigen aufgrund der bischöflichen «Stadt» einen Sonderfall dar oder darf man diese servitores hinsichtlich einer Kontinuität ins 11. Jahrhundert bereits zur selben Gruppe gehobener Höriger zählen?538 In der zweiten Urkunde desselben Jahres schenkt König Arnulf der Wormser Kirche Besitz im Wormser Umland und infra civitatem Wormatiam.539 Dabei werden in erneut starker Analogie zu Burchards Hofrecht drei Typen von Hörigen genannt: die mancipia (utriusque sexus), welche in einem Zug mit den Gebäuden und Äckern genannt werden, die servitores, welche mit Namen genannt werden und selbst über Besitz verfügen (cum suis possessionibus), und eine besonders detailliert ausgeführte Gruppe von fiscalini servi, welche mit berittenen Transportdiensten540 betraut wurden und in-

534 […] non congruere libertatem, his misericordius inroget servitutem (Werminghoff, Concilia aevi Kar. [MGH Conc. II,1], cap. 39, 104, S. 380). 535 Franz, Bauernstand, n. 48, S. 122–125. 536 Kehr, Urkunden Arnulfs (MGH DD Arn), n. 157. 537 Weinrich, Verfassungsgeschichte, n. 3a, S. 8 f. 538 Die familia dürfte grösstenteils mit der Stadtbevölkerung von Worms identisch gewesen sein, dennoch galt die Stadt als eine Art eigener Rechtsraum (Bönnen, Bischof Burchard, S. 22 f.). 539 Kehr, Urkunden Arnulfs (MGH DD Arn), n.  158. Derselbe Besitz mit ähnlichen terminologischen Ausführungen findet sich in einer weiteren – allerdings verlorenen – Urkunde desselben Jahres (ebd., n. 153). 540 […] nostros fiscalinos servos, qui regie potestati parafridos [paraveredus] debita subministratione in expeditionem reddere consueverant, una cum ipsa institutione persolutionis parafridorum ceterorumque utensilium, que dominicus fiscus ab eis exigere solitus erat (ebd., n. 158).

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nerhalb der familia wohl einen besonders gehobenen Rang einnahmen.541 Diese Personengruppe erinnert stark an die lazi im Hofrecht der Limburger Klosterleute von 1035, welche entweder Reiterdienste versahen (Inhaber von beneficia) oder zum Warentransport herangezogen wurden (lazi ohne beneficia).542 Von diesen Personen abgesetzt und im Anschluss an die Bischöfe Hatto (Mainz) und Adalbero (Augsburg) als Fürsprecher genannt wird ein fidelis ministerialis Rothart.543 Dieser kann aufgrund seiner prominenten Nennung kaum zu den vorhergenannten Hörigen gezählt werden. Bei Rothart handelt es sich wohl um einen Aristokraten in königlichen Diensten. Für Worms lässt sich also mindestens seit dem Ende des 9. Jahrhunderts eine familia mit unterschiedlichen Gruppen von Hörigen vermuten, die durch besondere Aufgaben und Funktionen wohl auch im 10. Jahrhundert eine besondere Rolle gespielt hat und spätestens mit dem Hofrecht von 1024/25 eine rechtliche Grundlage erhielt. Wann oder inwieweit die Wormser Dienstmannschaft überhaupt im 10. Jahrhundert die freien fideles und milites selbst im Reiter- und Kriegsdienst ergänzt oder gar ersetzt hat, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben.544 Je nach Institution und Zeit sind unter den lateinischen Begriffen für Mitglieder der familia andere Personen(gruppen) zu fassen und je nach dem stehen sie in unterschiedlichem Verhältnis zueinander. Es liesse sich ohnehin nur ein Ordnungssystem über gegenseitige Verhältnisse erstellen, wobei die Übergänge als äusserst fliessend zu betrachten sind: Nach Sichtung der oben erwähnten ostfränkischen geistlichen Hof- und Dienstrechte sind die mancipia rechtlich am schlechtesten situiert, sind häufig «schollengebunden» und verfügen nur in seltenen Fällen über Besitz (zur eigenen Versorgung). Die servi/servitores sind rechtlich gleich- oder bessergestellt als die mancipia und verfügen häufig über Besitz. Sie verfügen in den meisten Fällen über mehr Bewegungsfreiheit innerhalb der Besitztümer ihres Herrn als die mancipia und können für gewisse Sonderaufgaben wie Transportdienste eingesetzt werden. Denkbar sind auch bewaffnete Einsätze und Bewachungsaufträge. Unter die privilegiertesten servi/servitores oder gar ministeriales fallen wohl auch die Limburger lazi und die Wormser fiscalini. Im Verhältnis zu den servi/servitores und erst Recht gegenüber den mancipia verfügen die ministeriales über den besten Rechtsschutz nach aussen und – über den Besitz zum persönlichen Auskommen hinaus  – häufig auch über ‹Lehen›,545 welche Dienste in den Hofämtern, als Gesandte oder als Reiterkrieger ermöglichen sollen. In vielen Fällen lassen sie sich wohl ohne Weiteres zu den milites rechnen. Wenn von der familia die Rede ist, so sind in vielen Fällen alle diese Gruppen gemeint, häufig sind aber die ministeriales davon ausgenommen. Auf der anderen Seite dient der ministerialis-Begriff auch als Sammelbegriff für alle Mitglieder der familia. 541 Ebd. Weinrich (Verfassungsgeschichte, n. 3b, S. 12 f.) übersetzt mancipia mit «Gesinde», servitores mit «Dienstknechte» und fiscalini servi mit «Fronhofknechte». 542 […] dicuntur lazi; qui si beneficium habuerint, quocunque iusserit abbas cotidie equitare debent. Qui autem beneficium non habuerint, vinum et annonam abbatis transducere debent (Weiland, Ius fam. Lintburg. [MGH Const. I, n. 43], S. 88). 543 Kehr, Urkunden Arnulfs (MGH DD Arn), n. 158. 544 Bönnen (Bischof Burchard, S. 23) sieht die Dienstmannschaft im beginnenden 11. Jahrhundert als Kern der späteren Ministerialität. 545 Vgl. Hechberger, Adel und Rittertum, S. 27.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit zunehmender Zeit (im Laufe des 11. und vermehrt im 12. Jahrhundert) die Bezeichnung ministerialis auch eine zunehmend grössere Personenzahl umfasste, bestehend aus allen Teilen der familia und wohl gefördert durch die permanente Kriegsgefahr während des ‹Investiturstreits›. Die soziale Mobilität im Früh- und Hochmittelalter brachte natürlich nicht nur Aufsteiger hervor – jemand musste diese schliesslich ernähren –, weshalb die stets beiläufig erwähnten mancipia oder eben servi und ancillae wohl weiterhin einen stabilen Grossteil einer jeden Grundherrschaft ausmachten, ergänzt durch eine kleiner werdende Zahl an «freien Bauern». An dieser Stelle muss erneut an den primären Dienstgedanken von ministerialis erinnert werden, der seit merowingischer Zeit für alle Stände zur Beschreibung einer Dienstleistung oder eines Amtes verwendet wurde;546 vorausgesetzt natürlich, dass der Terminus ministerialis überhaupt in weiteren Teilen des Frankenreiches Verwendung fand. Obige Interpretation diente ausschliesslich dem Verständnis der Wormser, Bamberger und Limburger Dienstrechte. Für die folgende Untersuchung am Fall St. Gallen sollen unterschiedliche, Hörigkeit indizierende Termini möglichst neutral untersucht werden. Gab es ein St. Galler Dienstrecht? Der Fokus soll nun wieder auf Schwaben gerichtet werden, genauer gesagt auf die St. Galler Dienstmannschaft. Der Exkurs nach Worms, Bamberg und Limburg war notwendig, da vergleichbar frühe Hof- und Dienstrechte für Schwaben fehlen. Durch den Vergleich einiger Wesenszüge jener Rechte mit Beobachtungen unterschiedlicher Rechtshandlungen im Bodenseeraum können nun womöglich neue Schlussfolgerungen gezogen werden. So finden sich beispielsweise Ehe- und Erbrechtsangelegenheiten, die im Wormser Hofrecht verhandelt werden,547 in einer St.  Galler Urkunde aus den 920er-Jahren in ähnlicher Form wieder,548 obwohl erst im 11. Jahrhundert von einem St. Galler Hofrecht die Rede ist, wie gleich besprochen wird. Viele Handlungen geschahen wohl gewohnheitsrechtlich oder auf der Grundlage der lex Alamannorum.549 Folgender Fall soll als Einstieg genutzt werden, um über eine sanktgallische Dienstmannschaft im 10.  Jahrhundert nachzudenken, die womöglich bereits über eine explizite rechtliche Grundlage verfügte: In dei nomine ego Vuarsind. Evenit mihi, ut honesto amore accepissem quandam servam monasterii sancti Galluni, nomine Richildim, eamque in matrimonium sumpsissem, quae mihi progenuerat IIII filios his nominibus: Sintuuart, Fridpert, Vuanuuic et Halo, et unam filiam

546 Neumeister, ‹Ministeriale, Ministerialität›, HRG III, Sp. 1531–1535. 547 Burchard, Lex fam. Wormat. (MGH Const. I, n. 438), S. 642, § 16. 548 Das Original der Urkunde ist verloren, doch existiert eine Abschrift bei Goldast, Alam. Rer. II, S. 35, n. 2. 549 Wie aktuell die lex Alamannorum noch im 9. und 10. Jahrhundert gewesen ist, zeigen verschiedene Urkunden mit Vermerken wie secundum legem Alamannorum (Chart. Sang. II, nn. 833, 835) und quae in lege Alamannorum continentur (ebd. I, nn. 188, 194, 382, 386, 391, 395; ebd. II, nn. 401, 410–411, 452, 457, 462, 528, 532, 552, 571, 618, 633, 636–637, 672, 745, 789) sowie anderen Vermerken (ebd., nn. 617, 760). Und auch für das 11. Jahrhundert finden sich derartige Hinweise beispielsweise in der Chronik Bertholds von Reichenau (Berthold, Chronicon II, ann.  1075, 1077, S. 94, 152) und in Urkunden (WUB I, n. 203).

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132 cognominem. Convenit autem Hartmanno venerabili abbati et mihi Vuarsindo, ut sub manu advocati sui Percichonis liberos meos iuxta legem Alamannorum partiri haberemus, quod et feci, tradidique ad servitium monasterii duos filios, scilicet Sintuuart et Halo, sicut lex iubet. Filiam autem, ne forte in servitutem amitterem, placuit redimere, quod et feci, dedique alium mancipium legitimȩ ætatis monasterio totaliter et ex integro possidendum et in pretio solidos II. Actum in Constantia, in præsentia testium, qui signaverunt: Sig. Vuarsind, qui hanc conventionem scribere voluit.550

Warsind, der diese Urkunde veranlasst hat und auch selbst in der Zeugenliste genannt wird, kann wohl guten Gewissens als ‹freier Alemanne› betrachtet werden. Indem er die serva Richilde geehelicht und Kinder mit ihr gezeugt hat, wird die Hälfte derer ebenfalls zu servi des Klosters St. Gallen, weshalb Warsind zwei seiner Söhne, Sintwart und Halo, an das Kloster überträgt.551 Das fünfte Kind, die Tochter, wird von ihrem Vater durch zwei Solidi von den Verpflichtungen dem Kloster gegenüber freigekauft, was ihr nun Ehefreiheit ermöglicht. Gemäss der lex Alamannorum würden die Kinder automatisch den niederen Stand annehmen, wenn – anders als hier – der Vater unfrei und die Mutter frei wäre: Si autem [libera allamanna] filius vel filias nupserent [generaverit], ipsi servi et ancille permaniant, potestatem ad exundum non habiant.552 Im vorliegenden Fall scheint es erst einmal so, als wäre die Stellung der Kinder vom Stand des Vaters abhängig. Eine bereits deutlich früher getroffene Regelung aus dem Jahr 856 zeigt aber, dass Kinder aus Verbindungen unterschiedlichen Standes allgemein eher den minderen Stand annahmen: Der Freie Haycho überträgt dem Kloster St. Gallen frisch gerodetes Land bei Ausnang und erspart damit seinen zwei mit der Hörigen O ­ tpirga gezeugten Söhnen die conditio servilis.553 Der Fall dürfte zugleich zeigen, dass sich diese eher gewohnheitsrechtlichen Richtlinien durchaus umgehen und ‹zurechtbiegen› liessen. Als weiterer Vergleichsfall findet sich für die umgekehrte Konstellation, also zwischen einer freien Frau und einem unfreien Mann, eine Verhandlung aus Bayern der Jahre 972–976: Eine nobilis mulier Guntpirich schenkt zwei Hufen Land und fünf mancipia an die Freisinger Bischofskirche, um damit ihre Söhne und Töchter vor einem ‹Abstieg› in die Gruppe der famuli derselben Kirche zu bewahren, denn Guntpirich hatte einen famulus der Freisinger Bischofskirche geheiratet. Ohne die servilis condicio würden die Töchter weiterhin über Ehefreiheit verfügen und den Söhnen 550 Chart. Sang. II, n. 833. 551 Vgl. hierzu auch den interessanten Ansatz von Grimm (Deutsche Rechtsaltertümer, S. 450), der für diesen konkreten Fall das Dienstrecht Burchards von Worms zu Rate zieht. 552 Schott, Lex Alamannorum, S. 94. 553 Ego quidem Haycho filius Uodalberti. Devenit mihi, ut in coniunctionem quandam feminam mihi usurpassem, nomine Otpirgam, que tunc temporis libera fuit, postea vero ab Emilone advocato ad ipsum monasterium sancti Galli in servitium adquisita, et ex ea mihi liberi II procreati fuerant, quorum nomina erant Uuoluini et Uoto. Ideoque propter conpassionem genitorum, ne in conditionem servilem cogerentur, talis mihi decrevit voluntas, ut aliquid de rebus meis traderem ad monasterium locis illis aptum, quod et ita feci (Chart. Sang. II, n. 464). Müller (Heiratsbeschränkungen, S. 19 f.) nimmt dieses Beispiel als eindeutiges Zeugnis für das ‹Ärgerhandprinzip› im ganzen alemannischen Raum. Über die Auswertung eines Rotulus aus dem 10. Jahrhundert ist es Hannes Steiner gelungen, den Stammbaum einer unfreien Familie nachzuvollziehen und exemplarisch nachzuexerzieren, wie das Einheiraten eines Freien in jene Familie zur eigenen Unfreiheit geführt hat (bei Kaiser, Frühmittelalter, S. 166).

Abb. 7: Kinder aus einer Beziehung verschiedenen Standes. Zeile 3–5: Haycho bewahrt seine Söhne vor der conditio servilis (StiASG, Urk. Bremen 29).

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sollte es als Träger von beneficia erlaubt sein, in bischöflichen Diensten (pontificali servicio) zu dienen,554 was – wie eine Neuverhandlung des Guntpirich-Falls 1047–1053 zeigt – selbst die klassischen Hofämter beinhaltete (camerali aut pincernali aut dapiferali servicio).555 Wie die spätere Urkunde von 1047–1053 zeigt, sind die Nachkommen der Guntpirich – laut Bosl aus vermögenstechnischen Gründen – dennoch wieder in niedere Dienste abgestiegen.556 Wäre dieser bayerische Fall nach dem Recht der lex Alamannorum verhandelt worden, so hätte selbst Guntpirich nach sechs Jahren zur ancilla werden können.557 Die Sonderbehandlung dürfte die nobilis mulier wohl namhafter Intervention seitens ihrer Familie zu verdanken haben. Zurück bei den St. Galler Beständen findet sich für das 10. Jahrhundert ein weiterer Fall standesübergreifender Nachkommenschaft, der zudem Vermutungen über die künftigen Rechte solcher Nachkommen ermöglicht: Dedi itaque tribus filiis meis Annoni et Amalperto, Reginfredo, qui mihi nati sunt ex ancilla sancti Galli, omnem proprietatem meam, quam hodierna die in Vuolerammesuuilare visus sum possidere […].558 Der freie Grundeigentümer Amalpert überträgt um das Jahr 948 demnach seinen ganzen Besitz in Vuolerammesuuilare an seine drei Söhne, die er mit einer ancilla des Klosters St. Gallen gezeugt hat. Doch stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der Erbberechtigung der genannten Söhne,559 falls diese aufgrund der ungleichen Verbindung Amalperts mit einer ancilla ebenfalls in die Hörigkeit absinken sollten. Hierzu findet sich ein von Hellmuth angeführtes St. Galler Beispiel aus dem Jahr 806, das von Töchtern handelt, die nur erben, wenn der Sohn in die Unfreiheit gerät:560 Hoc autem dabo in censum unum solidum per singulos annos mihi aut filio meo, si ingenuus licet fieri, et si non, habeant hoc filias meas in ipsum censum.561 Söhne scheinen als Hörige also nicht mehr erbberechtigt gewesen zu sein und auch dem Vater scheint es noch nicht völlig klar gewesen zu sein, welches seiner Kinder aufgrund der hörigen Mutter künftig überhaupt seine Freiheit behalten konnte. Zur Absicherung der Freibleibenden wurde deshalb noch ebengenannte Klausel bezüglich erbberechtigter Frauen eingefügt. Die Lösung für diese unterschiedliche Handhabung könnte dabei in den knapp 150 Jahren zu finden sein, die zwischen beiden Urkunden liegen. Laut Ganahl trat die Standesfrage bei der Heirat zwischen Freien und Unfreien im 10. Jahrhundert bereits derart stark zurück, «dass nicht mehr von der Abwendung der Knechtschaft für die Kinder, sondern nur mehr von einer Fixierung 554 Bitterauf, Traditionen Freising, nn. 1226a/b; Bosl, Ius ministerialium, S. 61 f. In der Zeugenliste finden sich neun Vertreter der bischöflichen familia, was selbst für das Ende des 10. Jahrhunderts noch eher eine Seltenheit darstellt. 555 Bitterauf, Traditionen Freising, n. 1458a. 556 Ebd.; Bosl, Ius ministerialium, S. 62. 557 Schott, Lex Alamannorum, S. 94. Laut Müller (Heiratsbeschränkungen, S. 12–15) hat sich daran auch in den nächsten 400 Jahren nicht viel geändert. 558 Chart. Sang. II, n. 847. 559 Allgemein zu den Erbbestimmungen in den St. Galler Urkunden vgl. Goetz, Verwandtschaft, S. 25. 560 Hellmuth, Frau und Besitz, S.  170. Ihrer pauschalen Aussage zufolge, dass Kinder aus ‹frei-unfreier› Verbindung stets der ärgeren Hand folgen, wäre allerdings zu folgern, dass auch die Frauen zu den Unfreien zu zählen sind (ebd., S. 84). Leider beschäftigt sich Hellmuth nicht mit unfreien Frauen, obwohl diese durch ihre regelmässigen Nennungen in den St. Galler Urkunden ergiebige Untersuchungen ergeben hätten. Die Hörigen werden zudem trotz ihrer durchgängig unterschiedlichen Bezeichnungen von Hellmuth ausschliesslich als ‹Sklaven› bezeichnet. 561 Chart. Sang. I, n. 182.

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ihrer Leistungen die Rede ist».562 Demnach wäre es gut möglich, dass die Söhne des obengenannten Amalpert unter Festlegung der zu leistenden Abgaben an das Kloster ihr Erbe antreten durften. Wie auch unten bei den Hörigen in den St. Galler Urkunden noch weiter auszuführen sein wird, konnten selbst Hörige über eigenen Besitz verfügen, wobei lediglich der jeweilige Abhängigkeitsgrad zum vorgesetzten Herrn variierte. Als Beispiel für einen Hörigen mit Besitz mag ein weiterer Fall aus dem 10. Jahrhundert dienen: servus sancti Galli, nomine Penzo.563 Es handelt sich hierbei wohl nicht um einen freien Angehörigen der klösterlichen familia, wie die auch im übertragenen Sinne interpretierbare Formulierung servus sancti Galli vermuten lassen könnte, sondern um einen Hörigen, da ansonsten in der zweiten Nennung des Penzo eher von homo und nicht von servus die Rede wäre.564 Der Abhängigkeitsgrad zwischen einem Angehörigen der klösterlichen familia und dem Abt von St. Gallen dürfte je nach Funktion, Fähigkeiten und Vertrauensbasis stark variiert haben, sodass unabhängig vom potenziell ‹unfreien› Status einer Person die meisten Angelegenheiten wohl situationsbedingt geklärt wurden und wir kaum von einer einheitlichen Regelung für alle Klosterhörigen ausgehen können. So werden nach den oben genannten Warsind, Haycho und Guntpirich auch zahlreiche weitere Betroffene derartige standesrechtlichen Fragen bilateral geklärt haben, weshalb ein übergreifendes Hofrecht – insbesondere in kodifizierter Form – im 9. und 10. Jahrhundert gar nicht notwendig schien, ja vielleicht gar störend gewesen wäre. Da die Agierenden in einigen der ebengenannten Fälle ohnehin keine Hörigen waren, ging es im Übrigen auch noch nicht um allgemeine Standesfragen, sondern um individuelle Rechtsfragen mitunter von ‹Freien›. Man müsste also eher nach der Entstehung eines eigenen Standesbewusstseins der St. Galler Hörigen suchen, das wohl spätestens um 1064 vorhanden war, wie gleich an einer Rechteverleihung an Einsiedeln zu sehen sein wird. Da solche unklaren Fälle von Heirat und Nachkommenschaft nicht nur zwischen Hörigen und Freien einer Herrschaft, sondern auch zwischen Hörigen unterschiedlicher Herrschaften beziehungsweise Klöster entstanden,565 mussten hierfür ebenfalls Regelungen getroffen werden. 929 griff der schwäbische Herzog Hermann schlichtend in einen solchen Fall ein (de concambitione fammiliarum de duce Herimanno facta) und regelte den Austausch von Hörigen zwischen dem Zürcher Gross- und Fraumünster.566 Darin wird unter anderem die Tochter eines Ruodperti, qui fuit cellenarius et servus clericorum in Suuamundinga567 genannt, der als servus des Stifts zugleich als Verwalter des Hofes Schwa 562 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 95. 563 Chart. Sang. II, n. 844. 564 […] ea videlicet ratione, ut idem servus et uxor eius, si illa supervixerit eum, dies vitȩ suȩ ipsas res possideant, et post obitum eorum filii, si superstites illis fuerint, id est Vualto et Penzo, hoc ipsum teneant tempus vitȩ suȩ (ebd.). 565 Laut Müller (Heiratsbeschränkungen, S. 28) hatte die ‹Ausheirat› im Frühmittelalter allerdings bei weitem nicht dieselben Konsequenzen wie in späterer Zeit und es gab deshalb auch noch keine strikten Regelungen dafür. Dem Brauch nach seien die Kinder im Normalfall der Mutter gefolgt beziehungsweise in den Besitz des Herrn der Mutter gekommen (ebd., S. 36). 566 Es folgt eine lange Liste mit den namentlich aufgeführten servi und ancillae der einzelnen Höfe (UBZH I, n. 192). 567 Schwamendingen, Stadt und Bezirk Zürich (ZH).

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mendingen amtete.568 In Anbetracht der oben genannten Zusammenhänge von Hörigen in Verwaltungspositionen und der Entstehung eines hörigen Standesbewusstseins sowie der Entwicklung zur klassischen Ministerialität darf vorliegender Fall als früher Nachweis eines solchen Bewusstseins betrachtet werden. Derartige Verhältnisse bestanden vermutlich seit je in geregelten Bahnen und ab einem gewissen Zeitpunkt wäre gar eine Verschriftlichung solcher Amts-, Hof- und Dienstrechte denkbar. Für St. Gallen wird ein solches Dienstrecht 1064 indirekt in der Verleihung eines Dienstmannenrechts durch König Heinrich IV. an die Dienstleute des Klosters Einsiedeln erwähnt,569 das die gleichen Rechte enthalten solle, wie dasjenige von St. Gallen: ministris ad cellam sancti Meginradi iure pertinentibus necnon ob devotam et continuam orationem Herimanni abbatis eiuisdem cellae tale ius, quale servientes ad abbatiam sancti Galli pertinentes visi sunt habere.570 Sie sollen dieses Recht aber nur solange innehaben, wie sie und ihre Nachfolger dem jeweiligen Abt den schuldigen Dienst und die schuldige Treue leisten.571 Beim näheren Prüfen der St. Galler Urkunden kristallisierte sich langsam heraus, dass sich eine rechtlich gesonderte Dienstmannschaft für St. Gallen bereits im 10. Jahrhundert gebildet haben muss. Denn nur, weil sich eine rechtlich abgegrenzte Dienstmannschaft begrifflich nicht über ein kodifiziertes Recht fassen lässt, muss dies längst nicht heissen, dass es keine solche Dienstmannschaft gegeben hat.572 Die Dienstrechte von Worms, Bamberg und Limburg sind trotz ihrer Häufung ab dem 11. Jahrhundert Zufallsüberlieferungen, denn dort, wie auch in St. Gallen, wird sich ein Standesbewusstsein schon früher entwickelt haben. Laut Rösener dürfte sich eine vollausgebildete Ministerialität in St.  Gallen spätestens zu Beginn des 12.  Jahrhunderts entwickelt haben, und dies klar im Licht der Notwendigkeit derselben für die äbtische Grundherrschaftsverwaltung, gerichtliche Aufgaben und «vor allem mit umfangreichen Kriegs- und Burgendiensten im Gefolge der kämpferischen Äbte von St. Gallen».573 Da sich vergleichbare politische Situationen und Aufgabenbereiche unfreier 568 Ebd. Der Name Ruodbert taucht im Zürich- und Thurgau seit der Mitte des 9. Jahrhunderts des Öfteren im Zusammenhang mit advocati etc. auf (vgl. unten bei Rektorat und Vikariat), war also entweder ein sehr häufiger Name oder dieser Ruodbert wird im übertragenen Sinn als servus bezeichnet und stammt aus ebengenannter Personengruppe von Ortsvorstehern und ‹Vögten›. 569 Da inhaltlich kaum mehr über dieses Dienstrecht zu erfahren ist, verwundert es nicht, dass Hug (Wirtschaftsstruktur, S.  14) in seiner Dissertation zur Verwaltung zweier Höfe der Einsiedler Grundherrschaft die Hofoffnung von 1331 als ältestes Hofrecht Einsiedelns betrachtet, wenn auch mit dem Hinweis, dass die darin aufgeführten Bestimmungen wohl schon lange vor der Verschriftlichung gewohnheitsrechtliche Anwendung gefunden hätten. 570 KAE, A.Bl.8.; Chart. Sang. III, n. 881. 571 […] concessimus condonavimus, ea videlicet ratione, ut idem ministri prefatam legem et iusticiam perpetuo iure inviolabilem obtineant et ipse eorumque successores abbati illi, qui inibi nunc preest, eiusque successoribus debitum servicium debitamque fidelitatem semper exhibeant (ebd.). 572 Schon Müller (Ministerialität St. Gallen, S. 11) wies darauf hin, dass die blosse Erwähnung eines solchen Dienstrechtes einen bereits konsolidierten Stand von Dienstleuten voraussetze. 573 Rösener, Ministerialität, S. 257 f. Parisse (Ministériaux en Empire, S. 22) erkennt eine solche Tendenz ab dem ausgehenden 10. Jahrhundert für das ganze Reich. Indem die familia immer stärker für eigentlich herrschaftliche Dienste herangezogen werden musste, seien die betreffenden Herren in die dringliche Situation geraten, ein neues, passendes Recht zu schaffen. Schliesslich sei ein Grossteil der professionellen Krieger durch diese Konstituierung der Ministerialität entstanden (ebd., S. 18). Unter diesen neuen Getreuen habe beispielsweise der König zugleich zuverlässige Kräfte gegen die Grossen des Reiches gefunden (ebd., S. 23).

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Abb. 8: Die Verleihung des Dienstmannenrechts durch König Heinrich IV. an die Dienstleute des Klosters Einsiedeln von 1064 verweist auf Zeile 5 auf die Rechte der St. Galler Dienstleute (KAE, A.Bl.8).

Dienstleute bereits für das frühe 10. Jahrhundert nachweisen lassen, darf der Beginn dieser Entwicklungsphase meines Erachtens zeitlich deutlich weiter zurückverschoben werden. Indizien zum individuellen rechtlichen Status der Hörigen und Dienstleute des Klosters St. Gallen können über das Prüfen von gerichtlichen Zuständigkeiten in den Urkunden für die Jahre 700 bis 1100 gewonnen werden.

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Weitere Inspiration zum rechtlichen Umgang mit Hörigen könnte der St. Galler Abt in benachbarten, verbrüderten oder dem Kloster übertragenen kirchlichen Institutionen erhalten haben. Im Stiftsarchiv St. Gallen liegt eine Urkunde von 861 aus Mantua, worin Kaiser Ludwig der Deutsche ein Marienkloster unter seinen Schutz nimmt und ihm zugleich Immunität und Gerichtsbarkeit über dessen tributarii verleiht: Cunctos vero tributarios vel censuales, qui res suas tradiderunt eidem ecclesiae vel in antea tradituri sunt, ut in perpetuo sub defensionem eiusdem ecclesiae per hanc nostram auctoritatem consistant, sanctimus, ne comes neque iuniores sui nullam habeant potestatem ad distringere […].574

Doch warum liegt dieses Dokument in St. Gallen? In Ratperts casus sancti Galli findet sich eine mögliche Auflösung:

Nachdem nun der allermildeste Kaiser Karl über alle Völker Italiens und Germaniens in angenehmster Ordnung regierte, schenkte er auf Bitten Hartmuts und bewirkt von Liutward, dem Bischof und Erzkanzler des Kaisers, eine in Italien liegende kleine Abtei [abbatiola], reich an Olivenhainen und Weinbergen, die damals derselbe Liutward als Lehen innehatte und deren Name Massino ist, mit kaiserlicher Vollmacht dem Kloster des heiligen Gallus.575

Kaiser Karl der Dicke hat demnach um 883, also rund 22 Jahre nach obiger Rechteübertragung, die Abtei Massino576 am Lago Maggiore an St. Gallen übertragen.577 Bestärkt wird Ratperts Erzählung durch eine erneute Übertragung seitens König Berengars von Italien 904578 und durch eine Bestätigung beider Schenkungen durch Otto I. im Jahr 962.579 Die eigentliche Frage lautet aber, ob der St. Galler Abt durch die Entgegennahme dieser Abtei auch die Immunität und Gerichtsbarkeit über jene tributarii erhielt. In der späteren Besitzbestätigung durch Otto I. steht hierzu nichts, jedoch zeigt die Überführung jenes Herrscherdiploms von 861 ins Archiv nach St. Gallen in gewisser Weise die selbstverständliche Übernahme aller Rechte und Privilegien der unterstellten Abtei Massino durch den Abt von St. Gallen. St. Gallen behauptete offiziell bis mindestens Ende des 14. Jahrhunderts die Rechte auf die Abtei Massino, wie an den St. Galler Bestätigungen der durch den Konvent von Massino gewählten Äbte abzulesen ist, hatte nach dem Erstarken der Visconti in Mailand faktisch aber längst keinen Einfluss mehr. Bereits kurze Zeit später konnten wohl selbst die St. Galler Ar 574 Chart. Sang. II, n. 496. 575 Übersetzung von Steiner (Ratpert, Cas. s. Gall., S. 233). Postquam autem idem mitissimus imperator Carolus omnibus Italiae Germaniaeque populis suavissimo ordine imperavit, rogante Hartmoto et efficiente Liutwardo episcopo atque archicancellario imperatoris, quandam abbatiolam in Italia sitam, olearum et vinearum feracem, quam tunc idem Liutwardus in beneficio habebat, cui nomen est Massin, ad monasterium sancti Galli imperatoria auctoritate contradidit (ebd., cap. 32). 576 Ehemaliges Kloster Massino, heute Massino Visconti, Provinz Novara, Piemont. 577 In derselben Zeit kam es zu zahlreichen weiteren derartigen Verleihungen an verschiedene Klöster nördlich der Alpen und ostfränkische Bischöfe und Äbte erhielten zusätzliche Ämter in Norditalien, wohl um die Verbindung zum italienischen Teilreich zu fördern, wie Hlawitschka (Oberitalien, S. 30–32) vermutet. 578 Diese Urkunde ist nur in einer Abschrift aus dem 15. Jahrhundert aus Luzern (StALU, AKT A1 F1 SCH 224) überliefert (Chart. Sang. II, n. 780). 579 Ebd., n. 858. Auch diese Bestätigung ist nur dank zweier Abschriften aus dem 17. Jahrhundert nach einer Beglaubigung von 1305 aus Mailand überliefert.

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chivare die Lage Massinos nicht mehr mit Sicherheit bestimmen.580 Derartige Kontakte mit einerseits vertrauten Rechteverleihungen durch den ostfränkischen König und andererseits noch unbekanntem lokalem Gewohnheitsrecht in Italien mögen in ihrer Weise bei Überlegungen zum Umgang mit eigenen Hörigen durchaus eine unbewusste Rolle gespielt haben. Ein weiteres geografisch relativ naheliegendes Beispiel einer Rechtevergabe an Dienstleute und Hörige lässt sich in der Chronik des Klosters Petershausen für das Ende des 10. Jahrhunderts beobachten, als den Bewohnern (homines) eines Ortes Erb- und Fischereirechte überlassen wurden.581 Über ebendiese Rechte sollten auch die famuli des Klosters Petershausen verfügen, die jedoch bei einer gewissen Besitzuntergrenze ihrem Herrn tägliche Dienste zu leisten hätten.582 Eine letzte Überlegung zur frühen Statuserhöhung sankt-gallischer Höriger hat sich aufgrund einer eigentümlich wirkenden Signumstelle in einer Urkunde aus dem Jahr 768 ergeben: + Amalpertus. + Harioldus. + Uuacolf. + Puopo. Zusa cum infantis eius. Paldrichus servum meus. Anno XVII Pippinus rex, die iovis.583 Auf den ersten Blick sieht es danach aus, als wären der oder die Unfreie Zusa mit Kind sowie ein servus namens Paldrich Teil der Zeugenliste jener Urkunde. Da sich solche Fälle frühestens im 11. und 12. Jahrhundert finden lassen, wäre dies demnach der erste Fall unfreier Zeugen und somit ein wichtiges Zeugnis der bedeutenden Rolle St. Galler Höriger. Doch trifft dies hier tatsächlich zu? Unfreie als Übertragungsgut werden zwar häufig des Platzes halber oder weil sie vergessen wurden, noch am Ende angefügt,584 aber eigentlich erst ganz am Ende, also nach der Datierung. Doch die Nennung cum infantis lässt aufmerken, da Minderjährige – und sowieso namenlos genannte Personen – unmöglich als Zeugen fungieren konnten und auch Frauen – sofern es sich bei Zusa überhaupt um eine Frau handelt – praktisch nie in einer Zeugenliste vorkommen. Zudem verfügt Zusa über kein Kreuzzeichen und die Nennung passt gut zur Aufzählung der Unfreien in der Dispositio der Urkunde. Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, dass die Datierung mit anderer Tinte und – wie Erhart meint585 – auch von anderer Hand geschrieben wurde, sodass der Zusatz mit Zusa ursprünglich tatsächlich das Ende der Urkunde dargestellt hat. Für weitere Erklärungen war auf dem ohnehin sehr kleinen Pergamentstück verständlicherweise kein Platz. Etwas seltsam wirkt das hineingeflickte meus über servum, denn wenn es ohne Datierung als Zusatz angefügt worden wäre, hätte das meus auch auf die nächste Zeile geschrieben werden können. Allerdings lässt sich zwischen Paldrichus und servum ein Trennzeichen erkennen, was als ursprüngliches Ende interpretiert werden kann, bevor der Zusatz servum meus angefügt wurde.586 Da also nur der letzte Zusatz noch hineingeflickt wurde, darf 580 Liebenau, Abtei Massino, S. 122 f. 581 […] tale ius illis omnibus eorumque posteris in subsidium attribuit, ut a mortuis exuviȩ non tollantur, sed posteri ex integro quȩque relicta possiderent, et tantum navigarent ad communem dominorum suorum necessitatem, eisque quibus hoc ingenii esset piscarentur (Feger, Chronik Petershausen I, cap. 11). 582 Hoc idem ius etiam monasterii famulis constituit, excepto eo, quod hi, quoniam aliquantulum in agris et pratis habent, cottidie dominis suis debent servire et ab eis annonam accipere (ebd.). 583 Chart. Sang. I, n. 51. 584 So geschehen in ebd., n. 356. 585 Ebd., n. 51. 586 StiASG, Urk. I 37.

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Abb. 9: Diese Urkunde von 768 weist in der zweitletzten Zeile eine kuriose Stelle auf: + Puopo. Zusa cum infantis eius. Paldrichus servum meus (StiASG, Urk. I 37).

der ganze Teilbereich zwischen Zusa und meus als Nachtrag zur Hörigenliste der Dispositio und nicht als Teil der Zeugenliste gesehen werden. Ansonsten finden sich keine weiteren Hinweise auf ein Dienstrecht in St. Gallen beziehungsweise für sonstwie geartete Statuserhöhungen der St. Galler familia vor dem Jahr 1100.587

2.2.3

Zur Terminologie Höriger

Als Erstes stellt sich die Frage, welche Begriffe in der Forschung als Träger dienstmännischer Funktionen und höriger Abhängigkeit identifiziert und verwendet werden. Wir finden die Personen sowohl unter dem Sammelbegriff familia als auch in zahlrei 587 Für die Zeit nach 1100 stellt beispielsweise Oberholzer (Eigenkirchenwesen, S. 100–102) fest, dass in einer Übertragung von Hörigen an das Kloster im Jahre 1170 (Chart. Sang. III, n. 928) festgelegt werde, dass diese wie alle übrigen freien Handelsleute im Besitz des ius fori seien. Und auch in einer weiteren Urkunde aus der Mitte des 12. Jahrhunderts finden sich Hinweise auf besondere Rechte für Hörige (ebd., n. 921), doch kann und soll in dieser Arbeit nicht weiter darauf eingegangen werden.

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chen Einzelbegriffen wie minister, ministerialis, servus, cliens, mancipium und famulus, um nur eine Auswahl zu nennen.588 Zugleich werden die meisten dieser Begriffe im übertragenen Sinn auch für andere Personengruppen bis hin zu Bischöfen und weltlichen Herrschern verwendet. Doch sollen diese Doppeldeutigkeiten  – sofern notwendig – an Ort und Stelle geklärt werden. Zudem ist die lange Zeit als Ausschlusskriterium genannte beneficia-Trägerschaft aus heutiger Sicht gar zu einem typischen Attribut innerhalb der Formierung der ‹Dienstmannschaft› geworden.589 Selbst ‹Unfreie› konnten über Besitz im Sinne von beneficia verfügen, während das Innehaben eines beneficium – was längst nicht mehr einfach als ‹Lehen› übersetzt werden sollte – den Träger umgekehrt nicht automatisch zum ‹Vasallen› machte.590 Überhaupt bedarf es sowohl für die lateinischen Quellenbegriffe als auch für die Terminologie in der Sekundärliteratur einer eigenen Prüfung, denn die Begriffe benennen scheinbar dasselbe, meinen aber unterschiedliche Dinge. So ist bereits eine Gleichsetzung der klassischen Forschungsbegriffe Ministerialität und Ministeriale mit dem Quellenbegriff ministerialis riskant.591 Das Wort ministerialis fehlt in den meisten zeitgenössischen Quellen und sollte laut Zotz erst für das späte 12. und 13. Jahrhundert als Bezeichnung für die spezifisch ministeriale Dienstmannschaft gesehen werden.592 Die unterschiedlichen Dienstfunktionen dieser häufig als Ministerialität bezeichneten Personengruppe führen dazu, dass diese Personen je nach Fokus auf ihren Amtsbereich anders in den Quellen genannt werden. In Verwaltungs- und Hofamtsfunktionen erscheinen sie beispielsweise als ministri, während sie in einer militärischen Funktion eher als servientes und scararii bezeichnet werden. In dieser militärischen Funktion sollen sie zudem über ‹Lehen› – oder sagen wir besser über beneficia – verfügt haben.593 Einige Bezeichnungen sind in den vorherigen Kapiteln bereits vorgekommen, wobei innerhalb der unterschiedlichen Dienst- und Hofrechte zum Teil verschiedene Begriffe für dieselben Personengruppen verwendet wurden. So sieht Zotz die ministerialis-Nennungen im Bamberger Dienstrecht den «italienischen Schreibgewohnheiten» geschuldet, die Mitte des 11. Jahrhunderts in Bamberg Einzug gehalten haben sollen,594 weshalb sie 588 Parisse (Ministériaux en Empire, S. 13) sieht das Vokabular ebenfalls als kritischen Punkt, denn ein Sammelbegriff wie ministerialitas existiere nicht und familia auf der anderen Seite sei zu weit gefasst. Die gesuchten Personen tauchen unter den Begriffen mancipia, servi, ancillae, clientes, servientes, officiales, ministeriales, liberi, ingenui etc. auf, doch ist bereits eine eindeutige Begriffsfindung für servus schwierig, wie in meinen Ausführungen weiter unten ebenfalls zu sehen sein wird. 589 «Das Dienstrecht hatte sich in ein vererbbares Dienstmannenrecht gewandelt, geprägt von vasallitischen Elementen der Fidelität» (Zotz, Ministerialität, S. 33). Vgl. Keupp, Ministerialität, S. 350–352. Zur weiteren Auseinandersetzung mit dem erweiterten Kreis der beneficia-Träger vgl. insbesondere Kasten (Beneficium) sowie Dendorfer (Lehnswesen). 590 Lubich, Lehnsgeber und -nehmer, S. 415. 591 Hierzu gibt Zotz (Ministerialität) mit zusammenfassendem Bezug auf die bisherige Forschung einen guten Überblick. 592 Zuvor diente ministerialis häufig als Sammelbegriff für alle Dienstleute, während «die Ministerialen» – ministerialische Dienstleute – eher als höhere und von der familia abgesetzte Gruppe des 12. Jahrhunderts gesehen werden sollten (Zotz, Ministerialität, S. 7, 24, 38). 593 Ebd., S. 16–18. 594 Ebd., S. 20.

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hier vorerst keine weitere Vertiefung erfahren sollen. In der Spätantike diente ministerialis vornehmlich als Bezeichnung für die Träger eines ministerium, unabhängig von Rang und Funktion, und unter den Karolingern werden häufig gar hochrangige Personen wie Bischöfe, missi oder Grafen als ministeriales bezeichnet. Ausgehend von der spätkarolingischen Bezeichnung für Amtsträger jeglicher Art, diente ministerialis während des 10. und 11. Jahrhunderts vor allem als technischer Begriff für Amtsträger oder lokale Verwalter, die dem ‹Vogt› nachgeordnet waren. Für die Bezeichnung der Dienstmannschaft und dessen, was wir heute unter der Ministerialität verstehen, sind aus zeitlicher Perspektive für diese Arbeit eher die Attribute serviens, servitor, cliens oder minister von Bedeutung.595 Die servus-Wortgruppe indiziert wohl am klarsten, dass diese Personen ursprünglich aus der Sphäre der Unfreiheit stammten. Ebenso werden auch in der lex Alamannorum des 8. Jahrhunderts596 für ‹Unfreie› ausschliesslich die Termini servus und ancilla gebraucht, wenn es um die Rechte der Einzelpersonen geht.597 Mancipatio und servitium Eine Ausnahme bildet hierbei der Terminus mancipium, der die Begriffe servus und ancilla teilweise ersetzt. Denn sobald es um Unfreie als Teil der Güter geht, erscheinen sie in der lex Alamannorum ausnahmslos als mancipia.598 Hinter dieser Begriffsscheidung für die gleiche Person in unterschiedlicher Angelegenheit lässt sich die römisch-antike mancipium-Gewalt599 vermuten, die nur an Sklaven und bestimmten Sachgütern ausgeübt werden durfte und aus der Zeremonie der mancipatio herrührt, einer Art symbolischen Verkaufs.600 Wie der Terminus mancipium vom 8. bis 11. Jahrhundert verwendet wurde, soll unten an der St. Galler Urkundenüberlieferung gezeigt werden. Im Laufe des 11. Jahrhunderts vollzog sich ein Begriffswandel von servus zu servitor/serviens, wobei insbesondere in den Klöstern die weltlichen servitores als Angehörige der familia mit besonderen Rechten zu sehen sind. Damit waren diese Personen den anderen weltlichen Personen des Klosters – beispielsweise den milites – bezüglich ihres Standes zwar nachgeordnet, doch bezeichnete servitor in den Klöstern des 10./11. Jahrhunderts laut Zotz längst nicht mehr den einfachen Hufenbauern, sondern Hofbeamte im persönlichen Dienst der Herrschaft.601 So konnte ein servus/servitor selbst Träger von 595 Ebd., S. 4, 6 f., 14. 596 Die lex Alamannorum ist vermutlich in der ersten Hälfte des 8.  Jahrhunderts entstanden, als Quasi-‹Stammesrecht›, das in den Klöstern verfasst wurde (Meder, Rechtsgeschichte, S. 134). Zur Authentizität und «Alemannizität» vgl. Schott (Pactus und Lex, insbesondere S. 178). Zur Entstehungszeit vgl. zudem Hartmann, Lex Alamannorum, S. 317 f. 597 Schott, Lex Alamannorum, S. 84, 88, 94, 112, 118, 142–144, 148–150, 156, 162. 598 Ebd., S. 104, 110–112, 122, 150. Meine Vermutung wird diesbezüglich durch die Untersuchung von Kuchenbuch (Klosterherrschaft, S.  250) am Fall Prüm bestätigt, wo ebenfalls mancipia hauptsächlich «in Verbindung mit Landübertragungen» genannt werden. 599 Darunter wird im römischen Recht die ‹Handgreifung› beziehungsweise die Herrenstellung über einen Sklaven verstanden (Kuchenbuch, ‹Mancipia›, HRG III, Sp. 1223–1227). 600 Meder, Rechtsgeschichte, S. 32–36. Den Hinweis auf eine mögliche Verbindung zur mancipatio im römischen Recht verdanke ich Dario Binotto, Universität Zürich. 601 Zotz, Ministerialität, S. 10. Die Bezeichnung könnte im Kloster von der sonstigen Wortverwendung im geistlichen Klosterbetrieb herrühren, wo auch Mönche je nach Dienst als servitores bezeichnet wurden (ebd., S. 11, 13 f.).

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beneficia werden und dabei über zugehörige mancipia verfügen.602 Dies haben schon die zuvor behandelten Dienstrechte gezeigt.603 Damit lässt sich allerdings nicht ohne Weiteres eine starre Gliederung der familia erstellen, denn wie unter anderem ein Fall aus dem Kloster St. Emmeram von 1085/95 zeigt, konnten auch mancipia ‹sub liberali servitio› leben.604 Die Bedeutung der servientes lässt sich auch an Exemptionen in Schenkungen und Güterübertragungen ablesen (exceptis servientibus), wie königliche Schenkungen für Naumburg von 1043605 und zwei für Speyer von 1080606 und von 1091607 zeigen.608 Bei den Schenkungen für Speyer werden zudem die Besitzungen und beneficia der servientes von den Schenkungen ausgenommen. Die Suche führt uns weiter zur Bezeichnung von Boten und berittenem Geleit von Äbten und Mönchen,609 zur bischöflichen Eskorte und anderen Personen mit besonderer Funktion. Solchen Funktionären soll in den späteren Abschnitten unter den jeweils betreffenden Termini noch weitere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Begriff servitium hingegen besitzt im Normalfall kaum Verbindung zur servi-Wortgruppe, sondern ist als eine Art frühmittelalterliche Version des römischen munus (publicus) zu verstehen610 und konnte dabei im erweiterten Sinne neben Spann‑ und Frondiensten für den jeweiligen Herrn sowie Abgaben an den Herrscher auch die klösterliche Stellung von Truppen und Königsgastung meinen. Terminologisch gab es keinen Unterschied, von wem eine Leistung gefordert wurde. Stellung und Funktion – Wächter und Wergelder In der Schilderung der Trunksucht und Völlerei des Mönches Sandrat von St. Maximin in Trier berichtet Ekkehart IV. davon, wie jenem während einer Mission in St. Gallen ein Wächter aus dem Klostergesinde vor das Schlafgemach gestellt wird (vigilemque ei industrium de familia dari), den Sandrat schliesslich für die Beschaffung von Essen und Trinken manipulieren kann.611 Bald schon wird dieser Vigil als ‹Gegenspion› eingesetzt, der Sandrat auffliegen lassen soll. Von den ministri des Klosters erhält der Wächter reichlich Fleisch, das er als scheinbarer minister fidissimus dem Sandrat überbringt. 602 Ebd., S. 7–9. 603 Mit der Ausnahme von Bamberg, wo die Dienstleute bereits um 1060 als ministeriales bezeichnet werden, wird der über den mancipia stehende Teil der familia durchgehend als servi/servitores bezeichnet, was im Falle von Mainz sogar noch ins 12. Jahrhundert hinein eine Fortsetzung findet, während andernorts zur selben Zeit die ministeriales-Form verwendet wird. Der Wandel in der Benennung soll innerhalb von Klosterherrschaften allgemein früher vollzogen gewesen sein und wurde im ausgehenden 11. Jahrhundert zunehmend durch den miles-Zusatz ergänzt (ebd., S. 20–22). 604 Weinrich, Verfassungsgeschichte, n. 40, S. 154 f. 605 […] exceptis quattuor servientibus cum suis bonis (Bresslau, Urkunden Heinrichs III. [MGH DD H III], n. 112). 606 […] exceptis servientibus illuc pertinentibus eorumque possessionibus (Gladiss, Urk. Heinrichs IV. [MGH DD H IV,2], n. 325). 607 […] exceptis servientibus nostris inibi manentibus et eorum benefitiis (ebd., n. 426). 608 Zotz (Ministerialität, S. 40) sieht dies insbesondere dem hohen Bedarf der servientes als Hof-, Dienst- oder Verwaltungspersonal geschuldet, sowohl in Königs-, Bischofs- und Abtsdiensten als auch für die Herzöge, Grafen und weiteren Grossen des Reiches. 609 Vgl. ders., Le palais et les élites, S. 236. 610 Esders, Abgaben, S. 191–205. 611 Zu Sandrat vgl. Erhart, ‹Sandrat›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12940.php (3. 8. 2018).

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Beim nächtlichen Verspeisen platzt der Klosterpropst mit einigen Brüdern in Sandrats Gemach und schalt diesen und dem Schein nach auch den dabeisitzenden Wächter aus der familia (Vigilem autem, […] servum nequissimum vocans).612 Dieser kurze Ausschnitt aus Ekkeharts Klostergeschichten zeigt einerseits das Problem der Erfassung von Hörigen ohne Kontext und birgt andererseits das Potenzial zur Unterscheidung zwischen Status und Funktion einer Person. Der vigil aus der familia des Klosters St. Gallen wird in erster Linie in seiner Funktion als Wächter genannt. Als solcher dürfte er einen bessergestellten Hörigen dargestellt haben als beispielsweise der minister, der ihm als ‹gewöhnlicher› Diener das Fleisch bereitlegt. Als der Propst diesen Wächter schliesslich beschimpft, nennt er diesen einen nichtsnutzigen servus, womit wir im Mikrokosmos dieser einen Stelle auf einer weiteren und tieferen Stufe hörigen Daseins innerhalb der Klosterfamilia angelangt sind. War servus als neutrale Bezeichnung eines Knechts zu verstehen, während minister bereits den etwas bessergestellten Diener (beispielsweise im Haus) darstellte? In seiner Funktion als Diener des Sandrat wird der vigil ebenfalls als minister bezeichnet, was zur ersten Vermutung führt, dass servus womöglich das neutrale und ständische Grundwort für die Angehörigen der Klosterfamilia darstellte, während minister und vigil als Funktionsbezeichnungen zu sehen wären. Für die spezifischen Grundwörter minister, servus, mancipium und famulus lohnt sich ein Blick in die kommenden Abschnitte, während hier exemplarisch obiges Themenfeld der Wächter und Bewacher als Funktionsbezeichnung für Hörige sowie weitere qualifizierende Aufgabenbereiche genauer betrachtet werden. Die Hörigen erscheinen meist aus einem einfachen Grund nicht unter einem allgemeinen Begriff wie servus: Sie tauchen überhaupt nur dann in den bis heute überlieferten Quellen auf, wenn sie wichtig genug waren, erwähnt zu werden. Dafür mussten sie entweder Verhandlungsgut sein, verhandelten selbst oder waren in einer wichtigen Funktion tätig. Besonders im letzten Fall tauchen servi ausschliesslich unter ihrer jeweiligen Funktionsbezeichnung auf und sind als spezialisierte Handwerker oder Boten nicht unmittelbar als Hörige erkennbar. Wie insbesondere unten an den homines cavallicantes zu sehen sein wird,613 dürfen spezielle Funktionen von Hörigen als Privileg und temporäre – vielleicht gar dauerhafte – Statuserhöhungen angesehen werden, die sie wohl mehrheitlich durch ihre Qualifikation erlangt haben. Diese erhöhte Qualifikation lässt sich mitunter finanziell an der Höhe des Wergeldes in der lex Alamannorum ablesen: Wenn ein Schweinehirt, der in der Herde 40 Schweine hat, und mit einem Wachund, einem Horn und einem Junghirten versehen ist, getötet wird, büsse man 40 Schillinge. […] Wenn ein ordentlicher Schafhirt, der 80 Schafsköpfe in der Herde seines Herrn hat, getötet wird, büsse man mit 40  Schillingen. […] Wenn einer jemandes Pferdeknecht, der über 12 Pferde gesetzt ist, tötet, büsse er 40 Schillinge. Wenn ein Koch, der einen Küchenjungen hat, getötet wird, büsse man 40 Schillinge. Wenn es ein Bäcker ist, ebenso. Wer einen Schmied, Goldschmied oder Waffenschmied, die öffentlich geprüft sind, tötet, büsse 40 Schillinge.614

612 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 143. 613 Vgl. unten die Ausführungen zu den homines cavallicantes. 614 Übersetzung von Schott (Lex Alamannorum, S. 143). Si quis pastur porcarius, quod habit in grege XL porcus et habit cano ductu et cornu et iuniore, si occisus fuerit, XL solidos conponat. […] Legitimus pastur

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Zum Vergleich: das Wergeld eines Kirchen- und Königshörigen betrug 45 Schillinge, das eines Freigelassenen 80, das eines Freien 160 Schillinge und im Mordfall wurde gar der neunfache Wergeldsatz fällig.615 Bei Frauen verdoppelte sich der jeweilige Betrag. Was die finanzielle Entschädigung für einen gewöhnlichen servus oder Ackerbauern betrifft, so gibt es einen Hinweis bei den Kirchen- und Königshörigen: «Wenn jemand einen Kirchenhörigen [servum ecclesiae] tötet, büsse er dreifach. So wie es bei den Königssklaven [servi regis] üblich ist, so soll gezahlt werden, das heisst mit 45 Schillingen.»616 Das Wergeld eines einfachen servus dürfte also 15 Schillinge betragen haben. Einerseits sind diese Beträge als Beitrag zur Friedenswahrung und Eindämmung der Blutfehde zu sehen, andererseits dürften sie bei den servi – vergleichbar mit den Haus- und Hoftieren, deren Katalog übrigens deutlich länger ausfällt – auch eine Entschädigung für den betroffenen Herrn darstellen. Der Wert unter den Hörigen variierte und so variierte wohl auch deren Position beispielsweise innerhalb der klösterlichen familia, was durch gewisse Privilegien oder bevorzugte Behandlung sichtbar wurde. Die Behandlung wiederum hing von der jeweiligen Qualifikation und der ausgeübten Funktion ab. «Mittels der Fixierung von Wergeldern wurde auch die Einordnung von Personen in Gruppen bzw. Rollenpositionen vorgenommen, die gesellschaftlich und politisch definiert sein konnten.»617 An derartigen Funktionen finden wir in den erzählenden Quellen des 9. und 11.  Jahrhunderts eine kleine Auswahl, womit wir zum eingangs erwähnten Wächter zurückkommen. Ekkehart spricht fast als einziger von vigiles, die für ihn ‹Aufpasser› (Mönche), Burgwächter, ungarische Lagerwächter sowie Wachen aus dem Klostergesinde darstellen,618 während man bei Walahfrid eher an die monastischen Vigilien erinnert wird.619 An Hörige denkt man mit wenigen Ausnahmen also eher weniger. Zur Bezeichnung von Hörigen bot sich indes der neutralere Terminus custos an, der zur Bezeichnung von Wächtern in den sieben ausgewählten Quellen mit Abstand am häufigsten verwendet wurde und tatsächlich am ehesten für Personen niederen Standes zur Anwendung kam. Der vielfältige Anwendungsbereich beziehungsweise die Breite von ausgeübten Funktionen wird bereits bei Notker ersichtlich, der abgesehen vom naheliegenden Kirchenküster auch bei Haus- und Pferdewächtern von custodes spricht.620 Während diese Funktion des Aufpassers bei Ekkehart mehr mit den vigiles in Verbindung stand, verwendet er den Begriff custos fast ausschliesslich im bewaffneten Kontext.621 Seine custodes sind Lager- und Burgwächter und werden zum Schutz des Klosters aufge-

615 616 617 618 619 620 621

ovium, si LXXX capita in gregem habit domini sui et occisus fuerit, cum XL solidis conponat. […] Si mariscalco alicuius, qui super XII caballus est, occiderit, XL solidos conponat. Si cocus, qui iuniorem habit, occidetur, XL solidos conponat. Si pistorem, similiter. Faberum, aurifex aut spatario, qui publici probati sunt, occidit, XL solidos conponat (ebd., S. 142). Ebd., S. 88, 92, 116–118, 134. Übersetzung von Schott (ebd., S. 89). Si quis servum ecclesiae occiserit, in triplum conponat. Si consolunt servi regis, ita solvatur, id est quadragenta quinque solidos (ebd., S. 88). Esders, Wergeld, S. 147. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 5, 18, 55, 143. Walahfrid, Vita s. Otmari, cap. 2. In ähnlicher Weise verwendet Heito (Visio Wettini [MGH Poetae II], cap. 28) den Begriff excubus [excubitor]. Notker, Gesta Karoli I, cap. 23, 29; ebd. II, cap. 21. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 17, 19, 56, 67–68. Die einzige Ausnahme bleibt eine Erzählung zu Mönchen, die am Krankenbett wachen (ebd., cap. 125).

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stellt. Und bei ebendiesen Wachen des Klosters dürfte es sich um Hörige mit einer besonderen Funktion gehandelt haben. Bei der Verteidigung der Waldburg gegen die Ungarn 926 sind zwar auch die bewaffneten Mönche zu den custodes zu zählen, auf jeden Fall aber die bewaffnete familia.622 Die rein funktionelle Bezeichnungsweise wird auch bei der Betrachtung von Hermanns und Bertholds Verwendungsart klar. Die beiden bezeichnen mit custodes allgemein Wächter, Schiffswachen sowie leichte Teile des Heeres (tyrones und scutarii)623 als Wachen des Trosses.624 Alle weiteren derartigen Begriffe, darunter tutor, castellanus, praesidium, hostiarius, scario und defensor,625 bezeichnen Funktionsträger in spezifischerem Auftrag, wobei Ekkehart für die jeweils gleiche Sache gerne abwechselnd andere Termini verwendet. So tauchen beispielsweise die Burgwächter bei Ekkehart zum Teil im selben Abschnitt als custodes, castellani, vigiles sowie als tutores auf.626 Eine vergleichbare Eloquenz findet man sonst nur bei Notker und Berthold, wobei Letzterer insbesondere durch seine auffallend präzise Differenzierung glänzt, wie bereits im Abschnitt zu den Kriegern und Waffenträgern ersichtlich wurde. Handwerk und Spezialisierung Zu den herausgehobenen hörigen Funktionären gehören freilich nicht nur die bewaffneten Wächter und berittenen Boten, sondern auch die klostereigenen Verwalter und zahlreichen handwerklichen Spezialisten,627 ohne die keine mittelalterliche Institution oder Siedlung hätte existieren können. Je nach Fähigkeiten und Wichtigkeit für den jeweiligen Herrn oder die jeweilige Institution verfügten diese Abhängigen deshalb über Privilegien und ein nicht geringes Ansehen, welches sie von den anderen Knechten und Hörigen abhob. Einen ersten Eindruck solcher Knechte, Diener und anderer Angehöriger einer klösterlichen familia vermittelt der Blick in den musterhaften St. Galler Klosterplan. Systematisch angeordnet finden sich darauf nicht nur Schlaf- und Essräume der Mönche, äbtische Pfalz, Gäste- und Armenhäuser, sondern auch ein Klostergarten (hortus mit einem hortulanus),628 zahlreiche Werkstätten (officinae) und Betriebe zur Tierhaltung sowie ausreichend Schlafräume für die Bediensteten und Knechte (seruientium mansiones/mansiunculae, domus famuliae, cubilia seruantium, famulorum cubilia).629 Da in fast allen Betrieben Schlafplätze für die jeweiligen Knechte vorgesehen waren, war es zur Entstehungszeit des Klosterplans 622 Ebd., cap. 56, 67–68. 623 Vgl. hierzu den entsprechenden Abschnitt über Krieger und Waffenträger. 624 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 574, 872, S. 89, 107; Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 272. 625 Notker, Gesta Karoli I, cap.  18; ebd. II, cap.  10; Ratpert, Cas. s.  Gall., cap.  10; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 55; Hermann, Chronicon, an. 1032, S. 666; Berthold, Chronicon II, ann. 1078, 1079, S. 216, 250–252. 626 Für dieselbe Zeit tauchen im westfränkischen Bereich castellani, oppidani und equites castri unter dem Kommando eines vicarius castri oder eines princeps castri auf (Poly/Bournazel, Mutation, S. 24–26; Duby, Chevalerie, S. 328; vgl. zu den späteren Nennungen Aurell, Noblesse en occident, S. 70–72). Vgl. unten den Abschnitt zu den Ungarnburgen. 627 Vgl. die entsprechenden Abschnitte oben und unten. Steuer (Fernbeziehungen, S. 389) spricht allgemein von «Abhängigen der Grossen». 628 Berschin, Klosterplan, S. 138. 629 Ebd., S. 132–135, 137 f. Dass officinae selbstverständlich zu einer Klostergemeinschaft gehören konnten, zeigt bereits die Benediktsregel (Faust, Benedicti regula, cap. 4,78).

147 Haec sub se teneat fratrum qui tegmina curat Dieser Bereich soll dem unterstehen, der die Sorge für die Kleidung der Brüder übernommen hat sutores Schuster

sellarii Sattler

domus & officina camerarii Haus und Werkstatt des Kämmerers emundatores vel politores gladiorum Schwertschleifer oder Schwertfeger

scutarii Schildner

tornatores Drechsler

coriarii Gerber

aurifices fabri ferramentorum Goldschmiede Eisenschmiede

fullones Walker

eorundem mansiunculae deren kleine Wohnungen

Abb. 10: Ausschnitt aus dem St. Galler Klosterplan mit Werkstätten (StiBiSG, Cod. 1092; Übersetzung nach Berschin, Klosterplan).

offenbar üblich, die zahlreichen Aufgaben an die Knechte und spezialisierten Handwerker zu übergeben. Freilich verfügten nur sehr wenige Klöster über derart viele Bedienstete und Knechte, der Musterplan gewährt uns dennoch einen Einblick in die zeitgenössischen Aufgabenbereiche. Es findet sich darauf eine Brauerei (bracitorium) und eine Bäckerei (pistrinum) in direkter Anbindung ans Pilger- und Armenhospiz.630 Das Brot für die Brüder wurde in einer eigenen Bäckerei gebacken, in deren Nähe sich auch Kornspeicher und Mühle befanden.631 Es wären demnach gleich mehrere Personen aus dem Klostergesinde als Bäcker und Müller tätig gewesen. Des Weiteren werden Schlafräume für Wächter (cubilia custodientium)632 genannt, die zwar nicht direkt auf Waffenträger hinweisen, insbesondere nicht innerhalb der Klosterimmunität, doch dürften diese Angehörigen der familia im Besonderen das Vertrauen der Mönche genossen haben, da sie für Ordnung sorgten. Wenn Ekkehart IV. vom Vertrauensbruch der klösterlichen custodes berichtet, die während des Klosterbrandes nicht etwa dabei halfen, das wertvolle Interieur zu retten, sondern sich daran bereicherten, könnten dies ebensolche im Klosterplan vorgesehenen custodes gewesen sein.633 630 631 632 633

Berschin, Klosterplan, S. 132. Ebd., S. 136. Ebd., S. 133. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 68.

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Auf dem Gelände sollten auch verschiedene Ställe mit jeweils direkt anschlies­ senden Schlafräumen für die hütenden Knechte entstehen. So nennt der Plan Schäfer und Ziegenhirten (opiliones, pastores), Schweinehirten (porcarii), Rinderknechte (armentarii),634 Hühner- und Gänsewächter (custodes pullorum und aucae),635 ‹Pferdewächter/-hüter› (custodes im domus equaritiae), Ochsen- und Pferdeknechte (bubulcarii et equos seruantium) sowie Trossburschen (asseculae), die auch für Spanndienste eingesetzt wurden.636 Dazu kommen Werkstätten wie eine Küferei und Drechslerei (tunnariorum domus und tornariorum)637 sowie ein grösserer Werkstättenkomplex, der für die vorliegende Untersuchung etwas mehr Aufmerksamkeit verdient und oben unter den Waffen im Kloster bereits Erwähnung fand. Es handelt sich hierbei um einen dem Haus und der Werkstatt des klösterlichen Kämmerers (domus et officina camerarii) angeschlossenen Werkstättenbereich mit Schmieden sowie Betrieben zur Waffenherstellung und Textilverarbeitung, darunter Gold- und Eisenschmiede (aurifices und fabri ferramentorum), Schwertschleifer/Schwertfeger (emundatores vel politores gladiorum) und Schildmacher (scutarii) sowie Schuster (sutores), Sattler (sellarii), Gerber (coriarii), Drechsler (tornatores) und Walker (fullones).638 Besonders bei den Handwerkern in ebengenannten Werkstätten konnte es sich nicht um irgendwelche angelernte Hörige handeln. Vielmehr müssen wir mit Spezialisten ihres Faches rechnen, die dementsprechend eine höhere Wertschätzung innerhalb der Kloster-familia genossen. Exemplarisch hierfür soll nun kurz auf die Tätigkeiten und den möglichen Status eines Schmieds (faber) näher eingegangen werden. In einer St. Galler Urkunde aus dem Jahr 892 wird ein Gut übertragen, das nach einem Schmied benannt wurde: possessiunculam, quȩ dicitur Uuilliboldi fabri.639 Zur Aristokratie würde man einen solchen Mann nicht ohne Weiteres zählen, ihn einfach als Freien oder Hörigen abzustempeln, scheint ohne weitere Indizien aber ebenfalls gefährlich. An dieser Stelle wird einmal mehr ersichtlich, dass sich die Menschen der lokalen alemannischen Gesellschaft nicht einfach klar abgetrennten Ständen zuordnen liessen, sondern Teile eines vielfältigen Netzwerkes mit unterschiedlich stark ausgeprägten Abhängigkeitsbeziehungen dargestellt haben müssen, und dies selbst innerhalb derselben familiae. Beispielsweise konnten nicht alle Kinder von «behausten Knechten» (servi casati) eine ‹Bauernstelle› erhalten, wie Fichtenau ausführt, sondern kamen zu freier Verwendung eines Meiers auf den Gutshof oder wurden als Handwerker eingesetzt. «Die eigentliche Scheidelinie zwischen Besitz und Besitzlosigkeit, in Grenzen freiem Handeln und völliger Unterstellung […] verlief inmitten des Knechttums dort, wo die Wohngemeinschaft der Familie aufhörte und ein Schlafsaal oder die Werkstatt das Quartier war.»640

634 635 636 637 638 639 640

Berschin, Klosterplan, S. 133 f. Ebd., S. 137 f. Ebd., S. 134 f. Ebd., S. 135. Ebd., S. 137. Chart. Sang. II, n. 727. Fichtenau, Lebensordnungen, S. 485.

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Als faber verfügte obengenannter Willibold mit Sicherheit über hochspezialisierte Kenntnisse und Erfahrungswerte, die ihn als Teil einer klösterlichen familia ebenso wertvoll werden liessen wie als Grundbesitzer. Selbst die berühmten ­Vlfberht-Schwertklingen sollen laut Stalsberg von hörigen Knechten641 verfertigt worden sein, vermutlich im Schmiedebetrieb eines Vlfberht oder Wulfbert beziehungsweise einer Sippe dieses Namens am Niederrhein um 800.642 Diese besonderen Schwertklingen, die regen Absatz bei normannischen Kriegern fanden, aber selbst in der Westschweiz bei Marin643 gefunden wurden, setzten ein derartiges Know-how voraus, dass man wohl davon ausgehen kann, dass auch die knechtischen Schwertschmiede des ‹Markennamens› Vlfberht als absolute Spezialisten ihres Fachs eine besondere Stellung innerhalb ihrer familia genossen. Zu weiteren besonders hervorzuhebenden Schwertern fügen Amrein und Binder an: «Unter den Schmieden genossen die Waffenschmiede besonderes Ansehen. Die damaszierten Schwerter des frühen Mittelalters stellen ohne Zweifel einen technischen Höhepunkt in der Schmiedekunst dar.»644 Wer in der Lage war, derart wertvolle Schwerter zu schmieden, gehörte zu den absoluten Spezialisten seines Handwerks und es überrascht deshalb wenig, dass ein faber spatarius im ‹Bussgeldkatalog› der lex Alamannorum mit erhöhtem Wergeld aufgeführt wird.645 Einen ähnlich hohen Status dürften auch die womöglich vorhandenen St.  Galler Schwertschmiede genossen haben. Als weitere Spezialisten werden zudem mehrere artifices in Notkers gesta Karoli aufgeführt, welche den Tross Karls des Grossen als ‹mobile Handwerker› begleiteten646 und die laut Fleckenstein zusammen mit allem Werkzeug «während der Heerfahrt für den Brückenbau, für Belagerungen oder auch für Schanzarbeiten benötigt wurden».647 Zudem stossen wir in Ekkeharts Klostergeschichten auf Jäger (magistri pastorum), die – zumindest laut Ganahl  – zur Klosterfamilia gehörten. Diese Jäger präsentieren den Kammerboten ihre Jagdbeute und werden von Salomo III. als vornehme ‹Hirten› bezeichnet, sodass die Kammerboten ihre Häupter neigen.648 «Mag die Geschichte auch erfunden sein, so bezeugt sie doch mindestens für die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts, dass vollfreie Bauern bereits zu einer beinahe ehrwürdigen Erscheinung geworden waren.»649 Durch die Analyse des Limburger Hofrechts hat Spiess den Versuch einer Gliederung der Hörigen unternommen, angefangen mit den diensttuenden servi in Fron 641 Wolfram (Grenzen und Räume, S. 363) vermutet jeweils einen spezialisierten ‹freien› Schmied mit einer grösseren Anzahl untergebener mancipia. 642 Stalsberg, Vlfberht-Klingen, S. 89 f., 101, 106–108. 643 Marin, Gemeinde La Tène NE. Zum Fundort vgl. ebd., S. 91. 644 Amrein/Binder, Amboss, S. 360. Zur Spatha von Ingersheim aus Damaszenerstahl und seiner aufschlussreichen experimentellen Nachbildung vgl. ebd., S. 368–370. Als Beispiel besonderer Fundumstände und einer typologischen Einordnung von Spathen vgl. Fischer/Soulat/Linton Fischer, Sword parts, insbesondere S. 110–112. 645 Schott, Lex Alamannorum, S. 114, 122, 152. 646 Notker, Gesta Karoli II, cap. 17. 647 Fleckenstein, Ritterliche Welt, S. 45. 648 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 15. Zum königlichen Klosterbesuch und Salomo III. vgl. Heinzer, Weihnachtsbesuch, S. 115 f. 649 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 99 f.

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Abb. 11: Darstellung einer Schmiede aus dem 9. Jahrhundert (WLB Stuttgart, Cod. bibl. fol. 23, fol. 71v).

und Handdiensten, weiter zu den Hausknechten, die ministeria erbringen (kochen, waschen, Pferdehut, Herrenhofbewirtschaftung), den höheren Diensten, die meist unverheirateten Söhnen von servi vorbehalten waren (Kellermeister, Zöllner, Förster), und schliesslich zu den höchsten Diensten mit temporären Hofdiensten und ‹unechten Lehen›, bevor er mit den ‹Lassen›/Liten abschliesst, die als ‹Halbfreie› hauptsächlich Botendienste und Pferdetransporte durchgeführt hätten.650 Für Limburg mag diese Auflistung zutreffen und einige Parallelen mit St. Gallen und anderen Orten lassen sich ebenfalls finden, pauschal wäre dieser Ansatz jedoch keinesfalls zutreffend,651 da die Verhältnisse wohl selbst innerhalb des Bodenseeraums stark differierten. Dennoch darf man wohl zu Recht annehmen, dass ein Aufstieg nicht nur durch Waffendienste beziehungsweise als Waffenträger, sondern ebenso durch ‹zivile› Spezialisierungen und Funktionen möglich war. Handwerker, Hirten und vertraute Bedienstete sind hierfür die besten Beispiele.

650 Spiess, Limburger Hofrecht, S. 472–475. 651 Vgl. Jakobi, Ministerialität, S. 324–326.

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2.2.4 Hörigkeit und Knechtschaft im Bodenseeraum Da es sich im Frühmittelalter keinesfalls um Sklaven antiken Verständnisses handelt,652 finden sich in den Urkunden und der historiografischen Überlieferung Personen in zum Teil äusserst stark divergierenden Abhängigkeitsverhältnissen, was nichts mit dem Besitzrecht zu tun haben muss, es aber gelegentlich hatte. «Der freie Alemanne, freie Bayer oder freie Churräter waren in gleicher Weise ‹relative Begriffe› wie ihre unfreien Gegenstücke. Der einzelne Unfreie konnte aufgrund seiner Wirtschaftskraft und Funktionen ebenso verschiedenen Rang besitzen wie ein Freier.»653 Fichtenau unterscheidet für das 10.  Jahrhundert beispielsweise grundsätzlich zwischen den «behausten» (casati) und den «unbehausten» servi, wobei Erstere zeugenähnliche Stellungen einnahmen und über Besitz verfügten, aber dennoch mit ihrem Land tradiert werden konnten, und Letztere im schlimmsten Fall als reine «Kaufsklaven» (zum Beispiel Kriegsgefangene) über nur wenige Rechte verfügten.654 Wir finden Vertreter dieser in ihrer ganzen Breite nicht fassbaren und ständisch kaum eingliederbaren Gruppe aber selbst unter den obigen Handwerkern und Klosterhörigen mit besonderen Aufgaben und Funktionen. Nimmt man in dieses Gedankenkonstrukt auch die liberi, ingenui und andere traditionell als ‹Freie› betrachtete Männer hinein, so handelt es sich laut Bosl um Fälle von «unfreier Freiheit» und «freier Unfreiheit»,655 was grundsätzlich besser zum Eindruck derjenigen Hörigen passt, die man in den zeitgenössischen Quellen zu fassen kriegt, als der Begriff ‹Sklave›. Hinzu kommt, dass die Tötung eines frühmittelalterlichen servus einem homicidium entsprach, «womit Mord und Totschlag zusammengefasst wurden»,656 was den Täter unter Umständen teuer zu stehen kommen konnte, zumindest bei einem christlichen servus. In erster Linie muss unterschieden werden zwischen den umgangssprachlichen Termini der zeitgenössischen Schreiber für die Hörigen und den Rechtsbegriffen, die in einer Urkunde zweifelsfrei die richtigen Personengruppen zu umschreiben hatten. In den frühmittelalterlichen Urkunden St.  Gallens, wovon noch heute über 865 Originale im dortigen Stiftsarchiv liegen, ist eine ganze Fülle an Personenbezeichnungen und rechtlichen Formularen zu finden, welche die Suche nach den entsprechenden Gesellschaftsgruppen des frühmittelalterlichen Bodenseeraums hätten erleichtern sollen. Nun ist es aber nicht so, dass dieselben Begriffe über die 652 Vgl. Rio, Slavery after Rome, S. 247 f. 653 Wolfram, Grenzen und Räume, S. 333. 654 Fichtenau (Lebensordnungen, S. 486 f.) verbindet diesen Umstand damit, dass christliche Hörige auch christlich behandelt werden sollten, im Gegensatz zu nichtchristlicher ‹Handelsware› beziehungsweise Kriegsgefangenen. In seinen Ausführungen zu frühmittelalterlichen Knechten und insbesondere zu deren Aufstiegsmöglichkeiten zeigt sich Fichtenau stark von der Forschung zum ‹incastellamento› in Italien (vgl. Toubert, Latium médiéval) und der ‹mutation féodale› (vgl. Duby, Société mâconnaise; Poly/Bournazel, Mutation) beeinflusst, was für Schwaben oft nur schlecht passt, aber zu interessanten Fragen anregt (vgl. Fichtenau, Lebensordnungen, S. 489 f.). 655 Für Bosl (Freiheit und Unfreiheit, S. 199) fallen darunter allerdings alle, die eine Waffe tragen dürfen, wozu einzig die mancipia nicht zählen. Damit schliesst er aber auch alle servi etc. aus. 656 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 487 f.

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Jahrhunderte auch dieselben Personengruppen bezeichnen. Denn die formularhafte Anwendung eines grossen Teils dieser Begriffe kann durchaus zu einer ungenauen Interpretation verleiten. Beispielsweise werden mancipia zum Teil in sehr herausragender Weise genannt, aufgrund des traditionellen Urkundenformulars tauchen sie aber zugleich als einfachstes Verhandlungsgut in der Pertinenzformel der St. Galler Privaturkunden auf. Über die Zusammenstellung von Personenbezeichnungen, die in etwa dasselbe bedeuten können, und die Einführung von jeweils individuell angepassten Auswertungskriterien (totale Anzahl, Anzahl namentlich genannter Höriger etc.) werden im Folgenden sämtliche Bezeichnungen, die auch nur im Entferntesten eine Hörige, einen Hörigen bezeichnen können, gruppenweise untersucht und einander gegenübergestellt. Da es mir an dieser Stelle hauptsächlich um die einzelne Begriffsverwendung geht und weniger um die ausgeklügelten Formeln und Formulare, lässt sich dies etwas bedenkenloser auch mit unterschiedlichen Urkundentypen durchführen. Dadurch liesse sich auch erklären, warum immer wieder überraschend neue Begriffe auftauchen, wenn man mit einberechnet, dass womöglich ‹fremde›/untypische Formulierungen ohne innere Terminusanpassung übernommen wurden. So weist Borgolte beispielsweise nach, dass eine Beata-Urkunde aus den 740er-Jahren657 in ihrer Form eher den elsässischen Urkundenausfertigungen nahesteht, als der sankt-gallischen.658 Vor diesem Hintergrund beziehungsweise mit diesem Wissen lassen sich zudem die meisten rätischen Urkunden im St. Galler Bestand mit in den zu untersuchenden Bestand aufnehmen. Dies kann nicht zuletzt mit der geografischen Nähe zum St. Galler Besitz gerechtfertigt werden. In ausserordentlichen Fällen wird speziell darauf verwiesen. Aufgrund der zum Teil sehr unterschiedlichen Urkundenformulare innerhalb Alemanniens beziehungsweise des Herzogtums Schwaben wird primär mit den St. Galler Beständen (inklusive ebengenannter Sonderbestände) argumentiert werden, während die Urkundenbestände anderer Klöster nur ergänzend und vergleichend hinzugezogen werden. Die einzelnen Gruppen sind – wenn nicht terminologisch – meist thematisch zusammengestellt und es befinden sich darunter sowohl die einfachsten Chargen an Knechten als auch höhere Funktionäre. Dies dient der Weiterführung der vorherigen Klösterhörigen mit besonderen Funktionen und kann als Voruntersuchung für die Dienstleute gesehen werden, die als ‹Spezialisten› als Teil der alemannischen Kriegergesellschaft fungierten. Wie in den anderen Teilen dieser Untersuchung werden als Ausgleich zu den rein rechtlichen Quellen ebenfalls die ausgewählten schwäbisch-alemannischen Chroniken aus dem 9. und 11.  Jahrhundert dienen, darunter Werke von Heito, Walahfrid Strabo, Notker Balbulus, Ratpert, Ekkehart IV., Hermann dem Lahmen und Berthold von ­Reichenau.

657 Chart. Sang. I, n. 10. 658 Borgolte, Grafschaften, S. 35.

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Ministri und ministeriales Bedingt durch die nach wie vor offene Frage nach der Stellung und Herkunft ‹der Ministerialen› zwischen Unfreiheit und Aristokratie, soll dieser Abschnitt mit der Untersuchung der Begriffsgruppe ministerialis und ministri beginnen. In der St. Galler Überlieferung taucht der Begriff ministerialis bis zum beginnenden 10. Jahrhundert dreimal auf, und zwar mit den Namen Ruodbert (881),659 Erich (890)660 und Hilterich (904).661 Doch wird – wie bereits oben angedeutet – auch in diesen Fällen nicht die rechtliche, sondern die funktionale Stellung der jeweiligen Person gegenüber einer anderen Person oder Institution angesprochen. Diese Unterscheidung wird in der Urkunde von 881 besonders deutlich, als gar ein Presbiter als ministerialis bezeichnet wird.662 Ganz anders wirkt die Nennung eines ministerialis in einer Zeugenliste aus dem Jahr 1155.663 In dieser ausserhalb des Untersuchungszeitraums liegenden Urkunde dürfen ministeriales nicht mehr ohne Weiteres als Hörige angesehen werden. Vielmehr stehen sie bereits in der Endphase der durch die Forschung mehrfach postulierten Entwicklung der klassischen Ministerialität als rechtlich abgegrenzter Stand mit militärischer und dienstmännischer Funktion und dem Recht beziehungsweise der Kompetenz, als Zeugen zu fungieren.664 Für die karolingische Zeit wird der Begriff ministeriales von Hechberger als allgemeiner Dienstbegriff für ein breites Spektrum an Männern im königlichen Dienst gebraucht, und zwar «vom Knecht bis zum Grafen».665 In den erzählenden Quellen spielt der Begriff bis ins 11. Jahrhundert anscheinend gar keine Rolle und wird selbst Ende des 11. Jahrhunderts nur einmal von Berthold zur Umschreibung der Heere beider Seiten während des ‹Investiturstreits› benutzt (regni subministeriales et communicipes).666 Trotz Verwendung im militärischen Kontext, darf dahinter wohl nicht die hoch- und spätmittelalterliche ‹Ministerialität› gesehen werden, sondern ein Versuch der möglichst breiten Umschreibung der ‹Untertanen› des König als ‹Diener und Mitbewohner des Reiches› oder gar schon als ‹(ländliche) Untertanen und (städtische) Mitbürger›. Der Terminus minister hängt – wie der Begriff an sich schon aussagt – eng mit der Betrauung mit einem ministerium zusammen, weshalb minister in den St. Galler Urkunden mal für ‹unfreie›, mal für ‹freie› Männer verwendet wird. In den drei Fällen, in denen sie namentlich genannt werden, handelt es sich eher um freie Männer,667 659 Ruotberto presbitero ac dilecto ministeriali nostro (Chart. Sang. II, n. 644). Zu Ruadbert/Ruodbert weiterführend die Ausführungen zu Rektorat und Vikariat unten. 660 Per interventum fidelis comitis nostri Iringi et Erici ministerialis nostri cuidam fideli vassallo nostro, nomine Egino (ebd., n. 712). 661 Hilterich ministerialis predicti comitis (ebd., n. 781). 662 Müller spricht an dieser Stelle gar von einer geburts- und berufsständischen Unterscheidung (Müller, Ministerialität St. Gallen, S. 9). 663 Chart. Sang. III, n. 914. 664 Als solche Personen könnten die in einem auf 1021–1022 datierten Brief des Konvents an ihren in Italien weilenden Abt Purchart (1001–1022; vgl. Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 118) vestris ministralibus genannten Akteure gesehen werden (Chart. Sang. III, n. 874). 665 Hechberger, Adel und Rittertum, S. 27. 666 Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 260. 667 Chart. Sang. I, n. 74; ebd. II, nn. 579, 834.

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wobei in einem Fall wohl gar ein höhergestellter Verwalter gemeint sein könnte. Wie bereits im Zusammenhang mit den Wormser, Bamberger und Limburger Dienstrechten angesprochen, konnte minister nämlich auch im Sinne eines Ortsvorstehers verstanden werden. Meines Erachtens trifft dies jedoch nur im Falle unfreier, ‹klassisch-ministerialer› Herkunft zu, also in Fällen notwendiger Statuserhöhungen für Unfreie zur lokalen Aufsicht.668 Der ebengenannte Fall sankt-gallischer Gutsverwaltung lässt eben dies vermuten:

Et hoc est, quod nos dedimus in pagello, qui dicitur Peractoltespara, in loco, qui dicitur Ruadotale, sicut vester minister Cotesdegan et vestri servi et nos ipsi et nostri servi de ambos partes finem fecerunt de illos arbores, qui corticem illorum palebant inter nos usque in vallem.669

Der minister Cotesdegan scheint vor Ort die Aufsicht über die (anderen) servi innegehabt zu haben, weshalb er zur Grenz- und Gebietsbestimmung aufgezählt wird. Diese direkte Bezeichnung als ein – mit einem ministerium betrauter – Abhängiger der Abtei und die zunehmende Aufwertung des servus-Begriffs im Lauf der Zeit führten dazu, dass Ende des 11. Jahrhunderts der Begriff minister plötzlich Eingang in die ansonsten relativ einheitliche Pertinenzformel findet: […] ȩcclesiȩ sancti Galli in proprium dedimus cum omnibus appendiciis, hoc est ministris mancipiis utriusque sexus terris cultis et incultis areis pratis pascuis aquis aquarumque decursibus […].670 Ist dies schlicht eine Angewohnheit des Verfassers der Urkunde, des Kanzlers Humbert (1089–1101), der die Urkunde 1093 in Pavia verfertigt hat? Betrachtet man die anderen 19 überlieferten Urkunden Humberts, so befinden sich bei den zwölf mit Pertinenzformeln vier ohne Personennennungen sowie acht mit mancipia-Nennungen.671 Diese Ausfertigung für St.  Gallen stellt demnach eine Besonderheit dar. Spielt die Nennung gar auf die obengenannten ministri von 1064 an?672 Ministri werden schliesslich noch zwei weitere Male in unbestimmter Anzahl in St. Galler Urkunden von 904673 und 903 genannt.674 Hinzu kommt eine Zürcher Urkunde von 982, die St. Gallen ebenfalls tangiert.675 Es fällt auf, dass der Terminus minister insbesondere im 10. und 11. Jahrhundert Verwendung fand,676 im 8. und 9. Jahrhundert für dieselben Personen also womöglich vor allem Termini wie servi und mancipia verwendet wurden. Im 9. Jahrhundert 668 Damit stimme ich mit Kuchenbuchs (Klosterherrschaft, S. 270) Ergebnissen zur Untersuchung der Prümer Sozialstrukturen insoweit überein, als dass er den ministerialen Dienst vor allem als «Stellvertretung des Herrn im Rahmen des ganzen Wirtschaftsgefüges der Klosterherrschaft» sieht. 669 Chart. Sang. II, n. 579. 670 Ebd. III, n. 885. 671 Gladiss, Urk. Heinrichs IV. (MGH DD H IV,2), nn. 407, 410–411, 418, 420, 424, 426, 440, 454, 458, 463, 466. 672 Chart. Sang. III, n. 881. Vgl. die obigen Ausführungen zum Einsiedler beziehungsweise St. Galler Dienstrecht um 1064. 673 Ebd. II, n. 775. 674 Ebd., n. 773. 675 Font. rer. Bern. I, n. 43. 676 So wird auch ein minister in einer Zürcher Urkunde aus der Mitte des 10. Jahrhunderts betreffend einer Schenkung in Höngg von den Bearbeitern des Urkundenbuchs Zürich als «Amtmann des Grossmünsterstiftes oder auch bloss dessen Meyer über den Hof Höngg» interpretiert (UBZH I, n. 200).

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taucht eher der ‹nichtpersonelle› Begriff ministerium auf, und zwar hauptsächlich als Rechts- und Amtsbereich.677 Dabei ist dieser Begriff zum Teil durchaus vergleichbar mit dem comitatus eines Grafen, wofür ministerium 797 und 817 unter anderem Verwendung fand: praecipimus, ut de mansis denominatis, hoc est in ministerio Frumoldi678 comitis mansum Uueifarii in Huntingun679 et Puabonis in Cheningun;680 et in ministerio Cunthardi681 comitis ad Pisingas682 mansum Totonis.683 Laut Müller sollen sich die Termini minister und ministerialis bis ins 10. Jahrhundert nicht sonderlich voneinander unterschieden haben,684 was zumindest für die Sonderstellung der Träger beider Titel/Bezeichnungen zutrifft. Allerdings stechen die nur drei St. Galler Nennungen von ministeriales bis ins 10. Jahrhundert derart speziell und gehoben hervor, dass ministerialis wie im Fall des Presbiter Ruadbert/Ruodbert auch als eine Art Ehrentitel betrachtet werden könnte, im Gegensatz zur primären Betonung des Amtscharakters der ministri. Nachdem ministerialis in den erzählenden Quellen nur ein einziges Mal Ende des 11.  Jahrhunderts genannt wird, gehört minister mit Abstand zu den üblicheren Begrifflichkeiten, und zwar im 9. wie im 11.  Jahrhundert. Dass der minister-Begriff dabei allerdings verstärkt bei der Schilderung lokaler Verhältnisse verwendet wird, beispielsweise bei Ratpert und Ekkehart, und auffallend weniger oft in den Gross­ erzählungen Hermanns oder Bertholds von Reichenau, verweist auf deren primär lokale Bedeutung als Klosterhörige und -diener oder aber als ländliche Funktionäre. Als Klosterdiener oder persönliche Diener eines Geistlichen tauchen ministri praktisch bei allen Chronisten auf.685 Daneben sind ministri aber auch als Diener am königlichen sowie am herzoglichen Hof zu finden, wie die Auswertung unten zeigen wird. Der Begriff taucht zudem im übertragenen Sinne als Diener auf, darunter bei Abtbischof Salomo, der während eines Gastmahls für den anwesenden König symbolisch als minister agiert,686 ein Mönch der dem Kloster als Bote ‹dient›687 und die Übertragung als ein ‹Diener des Teufels› (minister diaboli).688 Ministri tauchen in den erzählenden Quellen demnach nie als landwirtschaftlich tätige Hörige, sondern stets als gehobene Diener auf und der Begriff konnte als solcher auch im funktionellen Sinne für eine Person in den Diensten einer anderen Person stehen. Dass bei all den Nennungen klösterliche Diener überwiegen, könnte daran liegen, dass damit hauptsächlich Diener geistlicher Institutionen bezeichnet wurden, könnte aber auch der 677 678 679 680 681 682 683 684 685 686 687 688

Unter anderem bei Chart. Sang. I, n. 269; ebd. II, nn. 729, 861. Frumold, Graf, urkundlich sonst nicht bezeugt. Hondingen, Stadt Blumberg, Schwarzwald-Baar-Kreis, Baden-Württemberg. Klengen, Gemeinde Brigachtal, ebd. Cunthard, Graf, urkundlich sonst nicht bezeugt. Bisingen, Zollernalbkr., Baden-Württemberg. Das zitierte Beispiel stammt aus dem Jahr 817 (ebd. I, n. 227), das frühere ist zu finden bei ebd., n. 146. Borgolte (Grafschaften, S. 91) übersetzt derartige Fälle ebenfalls mit ‹Amtsbezirk›. Müller, Ministerialität St. Gallen, S. 5. Walahfrid, Vita s. Otmari, cap.  9; Notker, Gesta Karoli I, cap.  6; Ratpert, Cas. s.  Gall., cap.  15; ­Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 15, 114, 127, 138. Ebd., cap. 7. Ebd., cap. 110. Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 14.

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zentralen Rolle, welche diese Institutionen alleine schon aufgrund der Entstehungsorte der Texte spielten, geschuldet sein. Kuchenbuch entschied sich klar für die erste Variante. In seiner Untersuchung zur Abtei Prüm sieht er die ministri als Teil der klösterlichen familia, von der sie nur insofern abgehoben werden, als dass sie über ein spezifisches ministerium verfügten. Zur Begriffsverwendung ausserhalb der familia meint er: «Wer sich um eine Absteckung des Sinnfeldes der Begriffe ministerium, minister, ministerialis in dieser Epoche bemüht, dem muss auffallen, dass vom fürstlichen Ratgeber des Königs bis hinunter zum villa-internen Personal an so gut wie jeder Stelle der minister zu finden ist.»689 Eine Unterscheidung lässt sich in Notkers Gesta Karoli vermuten, als Notker die differenzierte Stellung der Leute am Hof wohl durch ausgewählte Prädikate zu verdeutlichen versucht: In qua etiam cunctis in palatio ministrantibus et in curte regia servientibus.690 Beide Begriffe bezeichnen ein ‹Dienen im Palast beziehungsweise am Königshof›, doch nutzt Notker minister meist zur Bezeichnung eines Dieners, während servire von ihm häufiger im übertragenen Sinne verwendet wird. Da letztlich beide Begriffe im wörtlichen wie im übertragenen Sinn verwendet wurden, wäre auch Raus freie Übersetzung «allen, die im Palast aufwarteten und am Hofe des Königs dienten» denkbar.691 Betrachtet man den nächsten Teil, worin an alle Anwesenden teure Geschenke verteilt werden – auch dies geordnet nach Stand (nobiliores und inferiores) –, scheint es, als würde es sich bei obigen Fällen sowohl um potentere Gefolgsleute des Königs als auch um reines ‹Dienstpersonal› handeln, denn selbst die Pferdewärter, Bäcker und Köche werden reich beschenkt.692 Anhand der oben bereits ausgewerteten Quellen lässt sich die Beobachtung einer Zunahme des minister-Begriffs nicht bestätigen, denn sowohl Walahfrid, Notker und Ratpert im 9. Jahrhundert als auch Ekkehart IV., Hermann und Berthold im 11. Jahrhundert sprechen von ministri.693 Der Begriff überwiegt dabei in seiner Bedeutung als Diener für jemanden oder für etwas. Bei Ekkehart und Berthold sind dies oft Mönche beziehungsweise Geistliche und ansonsten handelt es sich meist um ‹Hausdiener› im Kloster oder an einem Hof, also ausdrücklich nicht um ‹Knechte› oder Feldarbeiter. Besonders die zahlreichen Nennungen bei Ekkehart IV. zeigen die teilweise klare Unterscheidung zwischen einem minister (Diener, der unter anderem Essen aufträgt) und der sonstigen familia (Gesinde, das mit Boten- und Wachdiensten betraut wird) und auch Hermann unterscheidet klar zwischen ministri und

689 690 691 692

Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 268. Notker, Gesta Karoli II, cap. 21. Ebd. Letztere Personen dürfen allerdings zu den Spezialisten unter den Dienstleuten gezählt werden, die – wie Hartmann (Lex Alamannorum, S. 316) betont – bereits in der lex Alamannorum besonders herausgehoben behandelt wurden, beispielsweise durch erhöhte Totschlagbussen. 693 Walahfrid, Vita s. Otmari, cap. 9; Notker, Gesta Karoli I, cap. 6, 11; ebd. II, cap. 6, 18; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 13, 15; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 7, 15, 90, 110, 114, 127, 138, 143; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 879, 887, S. 108 f.; Berthold, Chronicon II, Vita Hermanni sowie ann. 1061, 1073, 1075, S. 36, 52, 76, 90.

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s­ ervi.694 Was angesichts der alten Ministerialitätsforschung stark überrascht hat, war, dass ministerialis überhaupt nur einmal in meiner Auswahl an erzählenden Quellen vorkommt und damit noch seltener als in den Urkunden zu finden ist. Vielleicht wurde der ‹Ministerialitätsbegriff› auch erst während jener Bruderkriege Ende des 11. Jahrhundert sowie im 12. Jahrhundert gebräuchlich, wie ja schon die Auswertung der schwäbisch-alemannischen Urkunden gezeigt hat, und zwar aufgrund des bereits genannten Mangels an Waffenträgern und Kriegern und einer daraus resultierenden Vereinnahmung niederer Stände für den Kriegsdienst. Der Begriff taucht nämlich in der dritten anonymen Fortsetzung (nach 1199 verfasst) der St. Galler Klostergeschichten zur Schilderung der Situation unter Abt Mangold von Mammern (1121–1133) – der noch schwer mit den Folgen des ‹Investiturstreits› zu kämpfen hatte – völlig selbstverständlich auf:

Es darf nicht unterlassen werden, aufzuzeichnen, wie grossen Schaden die Kirche des heiligen Gallus in diesem Streit damals erlitt, besonders da alles, was durch Belehnungen [infeodationes] von beiden Seiten entfremdet worden war, in der Folge, als alles wieder befriedet war, für rechtsgültig gehalten wurde. In dieser verseuchten Atmosphäre teilten die Lehensleute [fideles] dieser Kirche unsere Besitzungen unter sich auf. Die Ministerialen [ministeriales] wählten sich die besten Mansen unserer Höfe aus. Die Kellner der Kirche strebten danach, die Villikationsrechte nach Art der Benefizien [beneficia] zu besitzen, und gegen das Herkommen gürteten sich einige von ihnen nach der Sitte der Vornehmen mit einem Schwert [gladius].695

Als Erstes fällt die grosse Ähnlichkeit zu einer oft zitierten Ekkehartstelle auf, worin die Meier sich im 10.  Jahrhundert wie Aristokraten verhalten hätten.696 Jene Stelle wurde in der Forschung immer wieder gerne als Nachweis für die Entstehung der Ministerialität im 10. und 11. Jahrhundert herangezogen. Doch wirklich als solche genannt werden Verwalter des Klosters erst in dieser späteren Fortsetzung der Klostergeschichten. Der folgenreiche Bruderkrieg hatte im Herzogtum Schwaben dazu geführt, dass teils uralte Lehns- und Abhängigkeitsverhältnisse durch militärische Besatzung, Konfiskation und Tod abrupt getrennt wurden und die teils bereits im 10.  Jahrhundert verselbstständigten Klosterbeamten in der entfernten Landschaft nun gar als eigener Stand auftraten, und dies trotz breiter Restituierungen der alten Besitzverhältnisse der grossen Abteien am Bodensee. Wie der abtrünnige Klostervogt, der die äbtische Burg Kräzern bestürmte, dürfte auch im Falle der anderen Waffenträger und Krieger beider Parteien sowie des Herzogs und der Grafen auf dem schwäbisch-alemannischen Schauplatz des ‹Investiturstreits› die jeweilige Partei-

694 […] ministris, etiam et servis suis (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], an. 887, S. 109). 695 Übersetzung von Leuppi (Cas. s. Gall. cont., S. 183). Nec omittendum est notare, quanta mala ecclesia sancti Galli in hac discordia tunc passa sit, praesertim cum quicquid per infeodationem ab utrisque alienatum est pacatis etiam omnibus postmodum ratum habitum est. In hac pestilentia fideles huius ecclesie inter se possessiones nostras dividebant. Ministeriales optimos mansus curiarum nostrarum eligebant. Cellerarii ecclesie iura villicationis in modum beneficiorum habere contendebant, et contra consuetudinem quidam ex ipsis more nobilium gladium cingebant (ebd., cap. 37). Ministeriale werden erneut in ebd., cap. 39 genannt. 696 Vgl. den Abschnitt zu den maiores und villici unten sowie Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 48.

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nahme unsicher gewesen sein.697 Durch Treueversprechen und Parteinahmen konnten in solchen Zeiten selbst unbedeutendere Waffenträger an Bedeutung gewinnen und mehr Rechte gegenüber ihren Herren einfordern. Nach der Betrachtung von Urkunden und Chroniken zwischen 700 und 1100 kann für Alemannien/Schwaben festgestellt werden, dass der Begriff ministerialis praktisch nicht vorkommt und erst im 12. und 13.  Jahrhundert überhaupt so selbstverständlich verwendet wurde.698 Während unter einem ministerialis bis zum 11./12.  Jahrhundert alle möglichen Personen mit einer Beauftragung (ministerium) verstanden werden konnten, ist eine Verwendung im Sinne von ‹Ritter› oder Kämpfer aus niederem Rang erst für die Zeit ab dem 12. Jahrhundert wirklich nachweisbar. Es handelt sich um einen Begriff des hohen Mittelalters, der die Terminologie in dieser Untersuchung dementsprechend wenig bis gar nicht tangiert. Homines cavallicantes Nach den Personenbezeichnungen ministeriales und ministri, deren Träger in Verbindung mit Aufgaben, Funktionen und Ämtern zu suchen sind, soll nun eine Gruppe von Personen genauer betrachtet werden, deren äussere Erscheinung beziehungsweise deren Fähigkeit zum klassischen Verständnis eines ‹Ministerialen› bestens passen würde. Im Zentrum steht hier der berittene Dienst sowie die Fähigkeit des Reitens an sich. Die Suche führt zu berittenen Funktionären und dem Geleit von Äbten und Mönchen. Berittene Diener und leichte Reiter werden eher beiläufig erwähnt und schnell einmal überlesen. Im Sinne des bewaffneten Geleits werden auch die eskortierenden Klosterhörigen unter dem Begriff comitatus zu finden sein, was jedoch an späterer Stelle ausführlich behandelt wird.699 Als klassisch mediävistischer Begriff wäre auch an caballarii/cavallarii zu denken, wenn auch im ebenfalls klassischen Sinne dann eher vassalli zu erwarten wären.700 Caballarii, welche aufgrund ihrer Tätigkeit und äusseren Erscheinung als ‹leichte Reiter(krieger)› erscheinen, könnten als mögliche Vorstufe der Ministerialität gelten, tauchen in den St. Galler Urkunden zwischen 700 und 1100 aber kein einziges Mal auf.701 Ein ähnlicher Ausdruck findet sich allerdings in einer St. Galler Privaturkunde: Ein gewisser Gozbert verlangt vom Kloster St.  Gallen für seine reichen Schenkungen einen Platz im Kloster sowie weitere Gegenleistungen. Darunter befindet sich neben duo mancipia, puerum scilicet et puellam auch ein homo cavallicans, der Gozbert 697 Vgl. Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 22–27. 698 Vgl. Arnold, German Knighthood, insbesondere S. 23–30. 699 Vgl. unten den Abschnitt zu den Grafen ohne Grafschaften. Weitere Begrifflichkeiten in diese Richtung wurden bereits oben unter Krieger und Waffenträger behandelt. 700 In der Provence des beginnenden 11. Jahrhunderts soll der Begriff als Pendant zu miles verwendet worden sein (Duby, Chevalerie, S. 328). Die lange postulierte Gleichsetzung von vassi mit karolingischen Lehnsleuten gilt dabei als überholt (Patzold, Lehnswesen, S. 38). 701 Nitzsch (Ministerialität, S. 32, 42, 47) hatte erstmals auf diese Gruppe und ihren Zusammenhang mit anderen frühmittelalterlichen ‹Heereselementen› wie den scararii aufmerksam gemacht und Ganahl (Verfassungsgeschichte, S. 143) verwies in seiner Untersuchung zur St. Galler Ministerialität ebenfalls auf diese Gruppe, ohne jedoch zu vermerken, ob dieser Terminus in den St. Galler Urkunden überhaupt vorkommt.

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für weite Reisen zur Verfügung gestellt werden soll.702 Der Zusatz ad serviendum703 schliesst einen ‹Vasallen› des Abts an dieser Stelle zwar nicht aus, macht ihn aber auch nicht besonders wahrscheinlich. Ebensowenig sollte die Person als caballarius missverstanden werden. Es handelt sich dabei lediglich um einen hörigen Bediensteten des Klosters, der des Reitens mächtig war, der aber sonst nicht einmal sicher mit einer selbstständigen Aufgabe wie einem Botendienst betraut worden wäre.704 Anders verhält es sich bei einer Urkunde aus der Mitte des 9. Jahrhunderts, worin sich die Brüder Arnolt und Altini zum Reiterdienst für das Kloster St.  Gallen verpflichten.705 Staerkle sieht darin eine ehrenvolle Aufgabe in einer angesehenen Stellung als caballarius706 und Ganahl betont deren freien Stand, der sich auch bereits in den zwei Donatoren Arnolt und Altini zeigt. Reiter- und Botendienste seien ehrenvolle Aufgaben gewesen, doch der berittene Botendienst hätte auch die Pflicht zum berittenen Kriegsdienst nach sich gezogen, weshalb man die caballarii als «Ministerialität niederer Ordnung» sehen dürfe.707 Natürlich stellt sich dabei die Frage, warum ein unfreier Bediensteter überhaupt reiten konnte. Das Pferd wird ihm aus rein ökonomischer Sicht wohl kaum selbst gehört haben, sondern wurde lediglich für einen solchen Dienst zur Verfügung gestellt. Die Fähigkeit des Reitens wird ihn aber bereits zu einem etwas ‹wertvolleren› Hörigen gemacht haben, so wie wir uns die spätere, schrittweise Entwicklung zur hochmittelalterlichen Ministerialität vorstellen.708 Leute wie dieser berittene Bedienstete konnten durch ihre leicht gesonderte Stellung womöglich in niedere Beamtenchargen aufsteigen und für selbstständige Botengänge herangezogen werden.709 Für den Konstanzer Bischof waren in den 870er-Jahren offenbar tributarii für den berittenen Botendienst zuständig, wie der Ausschnitt aus einem Briefmuster Bischof Salomos II. zeigt: «Nimm folgenden Brief und übergib ihn irgendeinem unserer Tributarii, der ein Pferd hat, und befiehl jenem, weder Tag noch Nacht zu ruhen, bis er diesen [Brief] in Tengen dem ‹Meier› überbracht hat.»710 Für die lokale Kommunikation mit einem Meier der 702 Et si mihi contigerit ad palacium vel ad Italiam pergere, tunc semel mihi unum hominem cavallicantem ad serviendum et unum cavallum bene onustum privideant (Chart. Sang. I, n. 223). 703 Ebd. 704 Vgl. Jordan, Nahrung und Kleidung, S. 135. 705 Die Stelle befindet sich am Ende der üblichen Auflistung von Gegenleistungen: id est ut annis singulis inde censum persolvant, id est aut sex denarios vel tres maldras de grano, ipsi et universa legitima posteritas eorum sub eodem monasterii dominio deinceps firmiter consistant et equitent ubicumque eis præceptum fuerit (Chart. Sang. II, n. 519). 706 Staerkle, St. gallischer Hofstaat, S. 40. 707 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 145–147. 708 In Stablo-Malmedy sollen die einstigen villici im 12. Jahrhundert als ‹Ministeriale› im klassischen Sinn aufgetreten sein. Laut Jakobi (Ministerialität, S. 334) dienten diese milites als «Waffenträger und Reiterkrieger, die unter anderem das bewaffnete Gefolge des Abtes bei Hof- und Heerfahrten zu stellen sowie das Kloster und seine Dependenzen zu schützen und zu verteidigen hatten.» 709 Parisse (Ministériaux en Empire, S. 7 f.) nennt eine ganze Reihe von berittenen Mitgliedern der familia, die dadurch von jeglichen unberittenen oder niederen Diensten befreit waren. Besonders ab dem frühen 11. Jahrhundert sollen Knechte und Diener zur Rekrutierung von Reitern angegangen worden sein und hätten im Gegenzug privilegierte Positionen und beneficia erhalten. Vgl. noch Fleckenstein, Ritterliche Welt, S. 58. 710 Accipe epistolam istam et commenda illam alicui tributariorum nostrorum, qui cavallum habet, et prae-

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bischöflichen Güter mag dies genügen, doch stellt sich sogleich die Personalfrage für repräsentativere Botengänge, beispielsweise an den Königshof. Rund hundert Jahre später im benachbarten Kloster Petershausen soll Bischof Gebhard von Konstanz gemäss seiner Vita den Konventualen für Botengänge clientes übertragen haben, die jederzeit zu Pferd bereitstehen oder aber den Mönchen ihre Pferde leihen sollten.711 In einer Urkunde Gebhards von 983 wird diesbezüglich noch von milites gesprochen, welche beritten dienen sollen.712 Der Unterschied beziehungsweise die Nennung derselben als clientes in der Vita könnte dabei der späten Entstehungszeit der Lebensbeschreibung des Klosterstifters Gebhard im 12. Jahrhundert geschuldet sein. Berittene Dienste standen in den meisten Fällen auch mit Botendiensten in Verbindung. Für die Abtei Prüm konnte Kuchenbuch «Scharmannen» (scararii) als Dienstleute zu Pferd, zu Fuss und per Schiff nachweisen, die durch ihre Botendienste zunehmend von anderen Leistungen befreit wurden und dadurch über gewisse Privilegien verfügten. Er sieht sie dabei als «früher Beleg für die Entstehung einer grundherrlichen Ministerialität».713 Da diese ausser ihrer scara häufig keine weiteren Dienste zu leisten hatten, vermutet Kuchenbuch, dass diese schliesslich selbst über eine kleine familia zur Güterbestellung verfügt hätten.714 Er lässt Raum zur Interpretation zwischen dem scararius als reinem ‹bäuerlichen Boten› und der scara als zusätzlich militärischem Dienst, und sieht eher eine kleine, berittene, flexible, ‹bäuerliche› Elite als eine grosse Gruppe von fest stationierten ‹Wehrbauern›.715 Wie ich schon für die St. Galler Berittenen vermutet habe, sieht er den Aufstieg einer der späteren klassischen Ministerialität nicht unähnlichen Gruppe in berittenen Botenund bewaffneten Eskortendiensten für Abtei und Abt von Prüm begründet.716 Doch im Gegensatz zu meiner Vermutung des aktiven militärischen Einsatzes solcher Kontingente durch die St. Galler Äbte, hält Kuchenbuch eine Gleichsetzung der Prümer Kriegsmannschaft mit den klösterlichen scararii für unwahrscheinlich.717 Sollte seine Vermutung nur die von ihm betrachtete Zeit um 900 betreffen, so würde ich

711 712 713 714 715 716 717

cipe illi, ut nec die nec nocte requiescat, donec eam ad Têingon illi maiori deferat (Zeumer, Form. Sang. Salomon. [MGH Form.], S. 419, cap. 36). Die tributarii und censarii bei Ratpert, Ekkehart IV. und Hermann sind nicht gleich als solche erkennbar, doch könnten die zwei tributarii des Bistums Konstanz, die Ratpert (Cas. s. Gall., cap. 24–25) erwähnt, unter diese Kategorie fallen. Ekkeharts censarius könnte ebenfalls als solcher verstanden werden; er ist mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht zur Aristokratie zu rechnen (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 21). Bei Hermanns Begriffsverwendung handelt es sich dagegen um tributpflichtige Völker (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], ann. 737, 856, S. 98, 105). Constituit etiam alios clientes, qui equitando deservirent, scilicet ut semper parati essent ad equitandum, quocunque necessitas exigisset, et ad commodandum fratribus cavallos suos quocunque res poposcisset (Wattenbach, Vita Gebehardi [MGH SS X], S. 588, cap. 20). Milites quoque, quos monasterio tradidi, equitando serviant (Neugart, Cod. dipl. Alem. I, n. 779). Als die drei fundamentalen Elemente für die privilegierte Position der Mitglieder der familia sieht Parisse (Ministériaux en Empire, S. 7 f.) den Dienst, den Kampf zu Pferd und die beneficia. Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 323 f. Ebenso Freed, European nobility, S. 221. Fichtenau (Lebensordnungen, S. 168) ist derselben Ansicht und bringt es auf den Punkt: «Ein ‹scario› konnte, obwohl selbst unfrei, Knechte unter sich haben.» Vgl. Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 327 f. «Sie verdanken ihren Aufstieg dem Bedarf von Abt und Konvent nach einer mobilen, allzeit verfügbaren kleinen Reserve Berittener in unmittelbarer Nähe des Klosters» (ebd., S. 328). Obwohl er diese zur Gruppe der Benefiziare zählt (ebd., S. 339).

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doch behaupten, dass sich diese Gruppe in den konfliktreicheren Zeiten des 10. und 11. Jahrhunderts der allgemeinen Militarisierung nicht entziehen konnte, sondern im Gegenteil vom Prümer Abt als willkommene militärische Ressource genutzt wurde.718 Die weiteren berittenen Sonderchargen als Boten und Gesandte werden jedoch an späterer Stelle behandelt, da sie in den Urkunden weniger auftauchen als in den erzählenden Quellen. Zudem ist bei diesen Funktionären der Übergang von ‹frei› zu ‹unfrei› noch relativ fliessend, obwohl solche Personen mit zunehmender Zeit als ‹Freie› betrachtet werden können. Servi und ancillae in rechtlichen Quellen Der frühmittelalterliche servus-Begriff hatte nicht mehr dieselbe Bedeutung wie im klassisch-lateinischen Verständnis. Diese Begriffsgruppe taucht im Sinne des ‹Dienens› in mannigfacher Ausführung und Verwendung auf. Sie bezeichnet eine Person im Dienst einer anderen – unabhängig vom Stand der Beteiligten – ebenso wie jemandes hörigen Diener und Personen ‹im Dienste Gottes›. Bei der Durchsicht der St. Galler Urkunden fällt auf, dass der Grossteil der Unfreien unter zwei lateinischen Begriffsgruppen zu finden ist, unter den servi und mancipia. Zur Gruppe der servi kommen in einem Fall eine serva sowie zahlreiche ancillae hinzu. Doch tauchen die Termini servus und ancilla zwischen 700 und 1100 in nur knapp über 80 St. Galler Urkunden auf, während der Terminus mancipium in knapp 200 Urkunden vorkommt.719 Beim servus-Begriff lässt sich zwischen der Mitte des 8. und der Mitte des 10.  Jahrhunderts eine konstantere Nutzung nachweisen als beim ‹Konkurrenzbegriff›. Das rein zahlenmässige Vorkommen solcher Termini sagt jedoch mehr über die Zu- und Abnahme der urkundlichen Überlieferung im Allgemeinen sowie über den Wechsel von Urkundenformularen – insbesondere der Pertinenzformeln – aus als über die semantische Entwicklung dieser Begriffe. Deshalb ermöglicht vielleicht nur ein Vergleich mit der literarischen Überlieferung weitere Erkenntnisse. Die parallele zahlenmässige Entwicklung der servus/ancilla-Wortgruppe und der allgemeinen urkundlichen Überlieferung zeigt, dass es im untersuchten Zeitraum keinen wirklichen Nutzungsschwerpunkt zu beobachten gibt, geschweige denn, dass einer dieser Begriffe plötzlich auftaucht oder zur Umschreibung derselben Sache von einem neuen/anderen Terminus verdrängt wird. Stattdessen bietet sich eine differenziertere Untersuchung zur jeweils fallbezogenen Nutzung der Begriffe an. Für eine Unterscheidung habe ich drei Hauptgruppen gebildet. In der ersten Kategorie finden sich die Begriffe zusammen mit Personennamen (zum Beispiel servus Allidulfus),720 in der zweiten unter genauer Nennung der Anzahl Personen (zum Beispiel unus servus)721 und in der dritten Kategorie sind es Personen, die weder nament 718 Dies lässt Kuchenbuch (ebd., S.  329  f.) als Aussicht stehen, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass Männer in äbtischen Diensten stets einer gewissen Einschränkung unterlegen hätten. Diese Männer könnten durchaus Teil des im indiculus loricatorum von 981 genannten Aufgebot von 40 Panzerreitern der Abtei Prüm gewesen sein (vgl. Weiland, Indiculus loricatorum [MGH Const. I, n. 436], S. 633). 719 Zu den mancipia vgl. die Ausführungen unten. 720 Chart. Sang. I, n. 4. 721 Ebd. II, n. 422.

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162 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 700

750

800

servi/ancillae mit Name

850

900

servi/ancillae in best. Anz.

950

1000

1050

1100

servi/ancillae in unbest. Anzahl

Abb. 12: Grafik zur Verwendung der Begriffe servus und ancilla.

lich noch zahlenmässig genauer umschrieben werden (zum Beispiel cum servis),722 aber teilweise zum Übertragungsgut gehören. Damit möchte ich möglichst nahe an die äusseren Umstände und Beweggründe der jeweiligen Bezeichnungen herankommen. Die Differenzierung zwischen direkter Standesbezeichnung und Funktionsbezeichungen im übertragenen Sinn folgt in einem zweiten Schritt. Bei der Kategorie der unpersönlichen und nicht genau bezifferten Personengruppen handelt es sich in den meisten Fällen um Personen, die in einem Zug mit Land und ‹Sachen› als Übertragungsgut genannt werden. Im Fall der später noch zu erläuternden mancipia geschah dies vornehmlich als Teil der urkundlichen Pertinenzformel. Bei den hier massgeblichen servi/ae und ancillae stellt allerdings die namentlich genannte Kategorie das Gros dar (in 50  Urkunden),723 gefolgt von den servi und ancillae in unbestimmter Anzahl (in 31 Urkunden)724 und denjenigen in bestimmter Anzahl (in 12 Urkunden).725 Alleine schon die hohe Zahl an namentlich genannten servi und ancillae verweist auf eine Begriffsnutzung im Sinne individueller Werte und höherer personaler Rechte der servi im Gegensatz zur Masse der mancipia. Die Rolle Letzterer – als potenzielles Gegenstück – muss allerdings erst noch in einer vergleichbaren Untersuchung verifiziert werden. Im Voraus lassen sich dies 722 Ebd. I, n. 23. 723 Servus: ebd., nn. 2, 4, 7, 21, 28, 32, 42–43, 46, 51, 53, 63, 73, 85, 89, 96–97, 102, 115, 157, 245, 351, 378, 390; ebd. II, nn. 481, 488, 532, 548, 584, 589, 579, 681, 760, 795, 839, 845; ebd. III, n. 874. Serva: ebd. II, n. 833. Ancilla: ebd. I, nn. 55, 96, 102, 136, 176, 210, 364; ebd. II, nn. 692, 711, 834, 839, 845. 724 Servus: ebd. I, nn. 11, 13, 18, 23, 39, 61, 78, 96, 143, 185, 226, 228, 238, 244, 359, 380, 383; ebd. II, nn. 448, 450, 496. Ancilla: ebd. I, nn. 7, 10, 11, 13, 23, 39, 61, 96, 185, 228, 380. 725 Servus: ebd., nn. 345, 355 (ohne Prekarie n. 356), 383; ebd. II, nn. 403, 422, 426, 508, 537, 723, 802. Serva: ebd., nn. 802, 847.

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bezüglich nur einige oberflächliche Feststellungen machen: Es ist auffallend, wie die Hörigen bei Übertragungen in grösseren Gruppen oder Gruppen unbekannter Zahl hauptsächlich als mancipia bezeichnet werden. Werden sie in kleinerer Zahl, exakt genannter Anzahl oder mit Namen genannt, tauchen die Hörigen hingegen eher als servi und ancillae auf. Sie erscheinen dadurch gefühlsmässiger weniger als ‹Sache›. Zu sehen ist dies an Beispielen wie dem Tausch zweier höriger Frauen 889: Tradidi enim illi ancillam, quȩ vocatur Liuba, ego econtrario ab illo recipiens de familia monasterii aliam ancillam, quȩ dicitur Uuolfkund, in proprietatem aeternam726 sowie an einer Ausnahme in einer Güterübertragung von 779: excepte servo uno nomine Zuakilino.727 Ebenso ersichtlich wird dies bei einer Schenkung im Jahr 941/42: ego Kerhart quendam servum meum, nomine Engilbertum, manu potestativa dedi Engilrame nepoti mei; et ancillam unam, nomine Suaneburc, et Christinam ancillam meam dedi Amesun nepte meȩ in proprietatem.728 Zwar werden diese Frauen wie der Hörige Engilbert in beiden Fällen als ‹Sache› verhandelt, doch geschieht dies unter Angabe des Namens und als ancilla beziehungsweise als servus. Die Ursache dafür könnte lebensweltlich darin begründet liegen, dass das ‹Tauschgut› genauer beschrieben wird, was bei Menschen praktisch per Namensnennung funktioniert, und dass der Terminus ancilla zur eindeutigen Geschlechtsangabe verwendet wurde, was bei grösseren Gruppen oder in der Pertinenzformel (edificiis, agris, pratis, silvis, pascuis, aquis)729 nicht notwendig war, weshalb dort hauptsächlich der Terminus mancipium verwendet wurde. Wie in den Ausführungen zur spätantiken mancipatio bereits gezeigt wurde, dürfte die Verwendung der Termini servus und mancipium stark in der Rechtssprache begründet sein. Zur Theorie der Gruppengrösse als entscheidender Faktor in der Begriffswahl spricht ein Fall aus den 840er-Jahren, worin zur Wertangabe eines Hörigen derselbe als servus bezeichnet wird: id est servi unius geldum.730 Ebenfalls dafür sprechen würde eine Aufzählung aus dem Jahr 761: […] et servum meum nomine Sipichune cum omnia sua731 und die Schenkung einer mulier Ruodburg aus dem Jahr 885 an das Kloster St. Gallen, womit sie sich selbst und ihre zwei Töchter von den Pflichten des Klosters freikauft: Ex quibus est mulier quedam nomine Ruodpurg, quȩ certissimis testibus ad servitium sancti Galli coacta, una hoba in loco, qui dicitur Lintiberc,732 cum servo in ea sedente nomine Annone et novem reliquis mancipiis se et duas filias suas ab eodem servitutis iugo cum prole sibi progenita vel gignenda.733

Von den zehn übertragenen Unfreien wird einzig der erste namentlich aufgeführt und dabei als servus bezeichnet, während die übrigen neun als mancipia bezeichnet werden. Entweder besass der servus Anno einen besonderen Status oder er wurde 726 727 728 729 730

Ebd., n. 711. Ebd. I, n. 85. Weitere derartige Exzeptionen sind unter ebd., nn. 55, 136, 161, 210 etc. zu finden. Ebd. II, n. 845. Ebd., n. 773 als eines von zahlreichen Beispielen. Ebd., n. 426. In MLLM, S. 608 wird dieser Fall gar als Beispiel zur Erklärung des Wortgebrauchs von geldus herangezogen. 731 Chart. Sang. I, n. 32. 732 Lindenberg, Landkreis Lindau, Bayern. 733 Chart. Sang. II, n. 681.

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rein zufällig und aus Platzgründen als einziger mit Namen genannt, während die Übrigen als ‹Übertragungsgut› wie üblich als mancipia bezeichnet wurden. Ruodburg und ihre Töchter gehörten demnach als Freie zur klösterlichen familia. Durch die Befreiung vom servitium könnten sie ihren Abhängigkeitsgrad vom Kloster gesenkt haben, was womöglich gar zum Ausscheiden aus der klösterlichen familia geführt haben könnte. Ihr exakter Status lässt sich nicht eruieren, doch dürften sie im übertragenen Sinn noch immer Diener des Klosters gewesen sein mit erweitertem Entscheidungs- und Handlungsfreiraum.734 In ähnlicher Weise dürften drei feminae in einer Urkunde von 882 gesehen werden, welche freigelassen wurden.735 Diese standen danach wohl ebenfalls noch in Abhängigkeit zum Kloster, waren jedoch ihre Bezeichnung als ancilla/serva losgeworden, wie sie vor ihrer Freilassung zweifelsohne noch bezeichnet worden waren. Auf diese ständische Differenzierung trifft man nämlich bereits in der lex Alamannorum.736 Zur Abhängigkeit beziehungsweise der Zinsleistungspflicht eines servus geben unter anderem die formellen Freilassungsakte einen Hinweis.737 – So wird 866 ein servum nomine Erchanpold von Ludwig dem Deutschen durch symbolhaften Verzicht auf dessen census beziehungsweise durch «Ausschlagen des Denars» freigelassen.738 Dasselbe wiederfährt einem servum nostrum Iohan im Jahr 906.739 868 werden die mancipia Helmmerat und Gozzila von St. Regula in Zürich im Tausch gegen drei mancipia des Königs freigelassen.740 Zwar wird hier der Begriff mancipium und nicht servus gebraucht, doch ist das Freilassungsformular ansonsten vergleichbar mit dem St. Galler Fall. Unabhängig von der Bezeichnung Höriger wurde der servus-Begriff auch gerne im übertragenen Sinne verwendet: Bei einem munachus, dei servo in einer Urkunde von 773–782 handelt es sich nämlich nicht um einen Hörigen, sondern ganz im wörtlichen Sinne um einen Diener Gottes, einen Mönch.741 In dieser Weise wird servus 13-mal – vor allem im 9. Jahrhundert – in den Urkunden verwendet.742 Dasselbe gilt für eine Nonne, die Mitte des 9. Jahrhunderts als dei ancilla bezeichnet wird.743 Servi tauchen im übertragenen Sinn jedoch nicht nur als Diener Gottes auf, sondern auch 734 Die Bezeichnungen für ‹Diener› beziehungsweise Dienstleute des Klosters variieren stark und hängen vermutlich nicht zuletzt am jeweiligen Schreiber. Vgl. dazu den als servus bezeichneten Dienstmann in einem Brief des Konvents an den in Italien weilenden Abt Purchart um 1021/1022 (ebd. III, n. 874). 735 Ebd. II, n. 651. 736 Schott, Lex Alamannorum, S.  118. Zu den servus- und ancilla-Nennungen vgl. ebd., S.  84–88, ­94–96, 112, 118, 142–144, 148–150, 156, 160–162. Vgl. hierzu Schmidt-Wiegand, Recht, S. 269 f. 737 Vgl. hierzu Borgolte, Gedenkstiftungen, S. 109 f. 738 Nos vero manu propria nostra excutientes a manu suprascripti Erchanpoldi denarium secundum legem Salicam eum liberum dimisimus et ab omni iugo servitutis absolvimus (Chart. Sang. II, n. 548). 739 Noverint omnes fideles nostri, […] quendam proprium servum nostrum Iohan nominatum in præsentia fidelium nostrorum per excussionem denarii de manu illius iuxta legem salicam in elomosynam nostram liberum dimisimus et ab omni iugo servitutis absolvimus (ebd., n. 795). 740 UBZH I, n. 104. Vgl. zu beiden Fällen Kano, praeceptum denariale, S. 47–49. 741 Chart. Sang. I, n. 96. Bzw. handelt es sich bei einem servus dei im Jahr 802 (ebd., n. 165) um den St. Galler Abt Werdo. 742 Ebd., n. 165; ebd. II, nn. 448, 597, 628, 634, 656, 680, 704, 745, 750, 846, 874–875. 743 Ebd., n. 420. Weitere solche Fälle finden sich in ebd. I, n. 53, und ebd. II, n. 420.

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im weltlichen Sinne: Hatto und seine Frau übertragen 818/819 Güter an das Kloster St. Gallen, knüpfen aber die Bedingung daran, ut nulli hominum in beneficium concedatur, nisi ipsis servis sancti Galli ibidem servientibus, oder wenn der Schenker selbst einen geeigneten Kandidaten dafür findet.744 Über den genauen Stand eines potenziellen Empfängers dieser Güter erfahren wir nichts, aber es soll ein Mann im Dienst des Abtes von St. Gallen sein. Im übertragenen Sinn wurde servus selbst für hochrangige Personen wie Kaiser und Papst verwendet, wie die Bezeichnungen servus Iesu Christi für Otto III.745 und servus servorum dei für Gregor VII.746 zeigen.747 Es waren also nicht alle servi im wörtlichen Sinne Knechte der untersten Stufe, wie dies unter anderem Müller sieht.748 Immerhin werden sie hauptsächlich mit Namen genannt, werden häufig als ganze Familie behandelt, besassen teilweise eigenes Land749 und kamen in den meisten Fällen besser weg als beispielsweise die mancipia. Als servi bezeichnete Personen gehören umgekehrt aber auch nicht zwangsläufig zur besseren Schicht der Hörigen. Der Begriff sollte vielmehr neutral als Bezeichnung für einen Untergebenen gesehen und verwendet werden. Für Zotz ergibt sich aus der Verwendung des servus-Attributs in den Königsurkunden des 10. Jahrhunderts die Bezeichnung eines verhältnismässig hochstehenden Unfreien mit beneficia, Landbesitz und der Chance auf Freilassung.750 Diese ‹höheren Unfreien› genossen einen besseren Rechtsschutz und mussten keine landwirtschaftliche Arbeit mehr verrichten, sondern leisteten persönliche Dienste. Sie konnten weiterhin verkauft und verschenkt werden, verfügten aber über einen Sonderstatus, bekleideten Hofämter, leisteten Botendienste und zogen für ihren Herrn in den Krieg.751 Servi und ancillae in erzählenden Quellen Einen wertvollen Hinweis auf den Status der servi habe ich mir aus der Auswertung der erzählenden Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts erhofft. Zuerst fällt auf, dass servus in dieser Quellengruppe im 9. Jahrhundert deutlich seltener anzutreffen ist als im 11. Jahrhundert. Die Begriffsverwendung lässt sich des Weiteren in drei Gruppen teilen. Zum einen ist da der servus als ständischer Knecht und Diener, dann der servus dei als Geistlicher und zuletzt der servus regii beziehungsweise servus regius als Diener des Reiches beziehungsweise königlicher Diener von hohem Stand. Im 9. Jahrhundert erscheinen ein einzelner servus sowie zwei servi dei in Notkers Gesta Karoli.752 Im 11. Jahrhundert sieht es 744 Ebd. I, n. 247. 745 Sickel, Urkunden Ottos III. (MGH DD O III), nn. 344, 346–348, 350, 352–353, 355, 358–359, 361, 366, 375. Danach verändert sich die Formel wieder. 746 Dieses Formular kommt in praktisch jeder Urkunde Gregors VII. vor (vgl. Caspar, Gregorii VII Reg. [MGH Epp. sel. 2,1–2,2], nn. I,13–IX,37). 747 Vgl. hierzu Wolfram, Herrschertitel, S. 157–159. 748 Müller, Ministerialität St. Gallen, S. 7. 749 […] exceptos servos duos his nominibus Cozherio et Uuolfhramno et V iuhes de terra, et in bago Argunensi dono servum unum cum hoba sua et filiis suis et cum uxore sua (Chart. Sang. I, n. 63). 750 Zotz, Ministerialität, S. 10. 751 Laudage, Rittertum, S. 19, 26; Zotz, Ministerialität, S. 10. 752 Notker, Gesta Karoli I, cap. 10, II, cap. 10, 22. Ebd. I, cap. 30 taucht zudem der Begriff servitor auf als Diener der Krieger Karls des Grossen: militum milites et eorum servitores.

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schon etwas anders aus mit sieben Nennungen von gewöhnlichen servi bei Ekkehart IV., zwei bei Hermann und einem servus bei Berthold.753 Alle drei erwähnen zudem die servi dei.754 Diener im Sinne von servi regii tauchen nur bei Hermann und Berthold auf.755 Die weibliche Form ancilla für eine Dienerin oder Magd kommt überhaupt nur je einmal bei Hermann und Berthold vor sowie eine ancilla dei bei Hermann.756 Im Gegensatz zur Urkundensprache sind derlei Termini in den erzählenden Quellen also eher selten anzutreffen. Trotz alledem hilft der einzige Eintrag Bertholds von servi, ancillae und mancipia etwas Licht ins zeitgenössische Verständnis der unterschiedlichen unfreien Chargen zu bringen. Ein Protokoll der Fastensynode von 1078 zitierend757 soll Papst Gregor zur Exkommunikation Heinrichs IV. folgende Ausnahmen formuliert haben:

Wir befreien diese also aus apostolischer Vollmacht von der Fessel des Bannes, nämlich: Die Frauen der Exkommunizierten, ihre Kinder, Diener [servos], Mägde [ancillas] und Leibeigene [mancipia] und auch ihre Bauern [rusticos], Hörige [servientes] und alle anderen, welche in der Tat so wenig Hofleute [curiales] sind, dass mit ihrem Rat keine Freveltaten begangen würden; auch jene, welche, ohne es zu wissen, mit Exkommunizierten verkehren, sowie jene, die mit solchen verkehren, die ihrerseits Umgang mit Exkommunizierten haben. Dem aber, welcher als Ackerbauer [arator] oder Pilger [peregrinus] oder Reisender [viator] in das Land von Exkommunizierten kommt, wo er nichts kaufen kann, oder nichts hat, um damit zu kaufen, geben wir die Erlaubnis, von Exkommunizierten zu kaufen oder anzunehmen.758

Diese Übersetzung scheint mir angesichts der fehlenden Vergleichswerke zur Interpretation der einzelnen Termini als äusserst gut gelungen. Die mancipia wären im

753 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 48, 63, 75, 88, 135, 142–143; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 575, 887, S. 89, 109; Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 246. Dieser servus bei Berthold wird in klarer Abgrenzung zu den anderen mancipia aufgeführt, was zugleich eine von überhaupt nur zwei Funden von mancipia in den von mir ausgewerteten erzählenden Quellen ausmacht (ebd.). Servitores als direkte Diener des Abtes erscheinen bei Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 71. Der Diener eines Würzburger Mönches wird bei Berthold als serviens bezeichnet (Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 170), zudem tauchen weitere servientes als gewöhnliche Hörige auf (ebd., an. 1079, S. 246). 754 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 117, 118, 129; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 596, 603, S. 90–91; Berthold, Chronicon II, an. 1066, S. 58. Im Jahr 887 kommt bei Hermann der König im Sinne eines demütigen Dieners Gottes als deo devote serviens vor (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], an. 888, S. 109). 755 Ebd., an. 515, S. 86; Berthold, Chronicon II, ann. 1075–1076, S. 90, 100. 756 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 440, 563, S. 82, 88; Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 246. 757 Vgl. das nur minimal von Bertholds Version abweichende Dokument bei Caspar (Gregorii VII Reg. [MGH Epp. sel. 2,2], lib. 5, cap. 16, S. 373), das in den für diese Untersuchung wichtigen Termini jedoch nicht abweicht, weshalb auf die Wiedergabe des Wortlauts verzichtet wird. 758 Übersetzung von Robinson (Berthold, Chronicon II, S. 245–247). Apostolica itaque auctoritate ab anathematis vinculo hos subtrahimus: videlicet excommunicatorum uxores, liberos, servos, ancillas seu mancipia, nec non rusticos et servientes et omnes alios, qui non adeo curiales sunt, ut eorum consilio scelera perpetrentur, et illos qui ignoranter excommunicatis communicant, seu illos qui communicant cum eis qui communicant excommunicatis. Quicumque autem aut arator sive peregrinus aut viator in terram excommunicatorum devenerit, ubi non possit emere vel non habet unde emat, ab excommunicatis emende et accipiendi licentiam damus (ebd., an. 1079, S. 246).

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Einzelfall wohl wie die servi und ancillae zu übersetzen gewesen, ebenso die servientes, doch hat der Schreiber des 11. Jahrhunderts wohl aus einem bestimmten Grund zwischen diesen Begriffen differenziert. Die Einschätzung der mancipia durch den Übersetzer spiegelt auch eine Reihe von meinen Beobachtungen in den Urkunden wider, obwohl dieser Begriff sonst hauptsächlich als rechtlicher Terminus interpretiert werden müsste.759 Auf der anderen Seite werden in diesem Protokoll Begriffe genannt, die eher mit Funktionen als mit ständischen Angaben zu verbinden wären. Personen konnten das eine sein und zugleich das andere darstellen, wenn beispielsweise ein servus oder mancipium als arator tätig oder ein curialis in der Rolle eines peregrinus unterwegs war.760 Für meine Gesamtuntersuchung zentraler ist schliesslich die Frage, ob sich im Sinne des ebengezeigten Modells hinter einem miles denn auch ein servus verbergen konnte. Zur Vertiefung dieser Frage soll ein Fall aus Ekkeharts IV. Klostergeschichten herhalten: «Dergestalt wirkte Engilbert noch acht Jahre nach dem Ungarnsturm als sorglicher Sachwalter seines Klosters, hielt die Zucht seines Vorgängers drinnen aufrecht und verbesserte sie draussen, indem er das freche Wesen der Knechte [servi] demütigte.»761 Zu Beginn des ‹Ungarnsturmes› spricht er bezüglich ebendieser servi von maiores des Klosters, die sich ganz wie Aristokraten verhalten, anstelle Kriegsdienst als milites zu leisten aber lieber zur Jagd gingen.762 Natürlich können die servi an dieser Stelle erneut Ausdruck für die Bezeichnung von milites als ‹Knechte des Klosters› im übertragenen Sinn sein. Doch wie ich im Abschnitt zu den Kriegern angesprochen habe und im Abschnitt zu den maiores noch weiter ausführen werde, waren die maiores und andere waffenfähige Männer der Abtei trotz ihres servialen Charakters durch ihre wichtigen Tätigkeiten für das Kloster unverzichtbar und genossen zunehmend das Vertrauen des Abtes. Dieser dürfte zur Aufstockung seiner militia nicht zuletzt auf seine vertrauenswürdigsten servi zurückgegriffen haben. Servi hatten je nach Funktion und Spezialisierung bereits in der lex Alamannorum einen besonderen Wert – wie bereits gezeigt werden konnte763  – und verfügten offenbar über eigenen Besitz.764 759 Vgl. unten die Abschnitte zu den mancipia sowie zu den rustici des 11. Jahrhunderts. 760 Dies wird über die diplomatische Überlieferung klarer ersichtlich. 761 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 137). Sic ille VIII post hanc tempestatem annis loci sui provisor, decessoris sui disciplinam deintus tenuit, protervam deforis servorum naturam frangens emendavit (ebd., cap. 63). Die Vorgeschichte dieses Falles (ebd., cap. 48–49) wird Schwerpunkt im Abschnitt zu den maiores unten bei den geistlichen und weltlichen Verwaltern. 762 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 48–49. 763 Vgl. obigen Abschnitt zu Stellung und Funktion. 764 Ansonsten könnte in der lex kaum die Rede davon sein, was passiert, wenn jemand die Scheune eines servus anzündet: Scura servi si incenderit, cum III solidis conponat […] (Schott, Lex Alamannorum, S. 144). Vgl. Kohl, Gemeinschaftsbildung, S. 252. Selbst für Ganahl (Verfassungsgeschichte, S. 87 f.) ist es völlig selbstverständlich, dass Unfreie «eigentumsfähig» waren. «Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unfreiheit frühzeitig als ein Gewaltverhältnis vorwiegend privater Natur erscheint. Ihre Beziehung zum öffentlichen Rechte ist rein negativ, indem sie den ihr Unterworfenen grundsätzlich von der Teilnahme an Heer und Gericht ausschliesst. Diese Beziehung wird weiter verdunkelt und ihrer unterscheidenen Kraft beraubt, seit es Unfreie gibt, die Vasallen sind, dem Heerbann unterliegen und durch Leistung des Untertaneneides als Mitglieder des staatlichen Verbandes dokumentiert werden seit ‹fiscalini› und ‹ecclesiastici› das Recht erhalten,

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Daran wird sich in den darauffolgenden Jahrhunderten nichts geändert haben. Wahrscheinlicher scheint es, dass deren Rechte bis ins 10./11.  Jahrhundert noch ausgeweitet wurden. Mancipia in den St. Galler Urkunden In knapp 200 Urkunden aus den Jahren 700–1100 gibt es mancipium-Nennungen, mit einer deutlichen Häufung um 800, was letztlich der allgemeinen Überlieferungslage sowie dem Urkundenformular geschuldet ist. Mancipia sind nämlich einer der festen Bestandteile vieler Pertinenzformeln, wie noch weiter auszuführen sein wird. Im vorherigen Abschnitt zu den servi, die in nur knapp 80 Urkunden vorkommen, wurde ein erster Eindruck vermittelt, dass mancipium ein primär rechtlich geprägter Begriff war und dass mancipia bezüglich ihrer Rechte noch tiefer rangierten als die meisten anderen Bezeichnungen für Hörige im frühen Mittelalter. Unter dem Abschnitt zur mancipatio wurde aber auch klar, dass dieser Begriff teilweise beliebig mit anderen Hörigkeitsbezeichnungen austauschbar war, servus und mancipium also praktisch Synonyme waren. Betrachten wir für ein klareres Bild nun einige der knapp 200 St. Galler Urkunden mit mancipia-Nennungen etwas genauer. Bezüglich ständischer Ordnung lässt sich zwischen servi/ancillae und mancipia nicht immer ein rechtlich-sozialer Unterschied erkennen, auch weil diese in Aufzählungen in unterschiedlicher Reihenfolge genannt werden.765 Gemäss einer Urkunde von 765 konnte ein servus offenbar über mancipia verfügen (servo meo nomen Uualdcozo, cum matre sua et cum alia mancipia tria, cum hoba sua),766 doch zeigt folgender Fall aus dem Jahr 786 scheinbar das Gegenteil: dono […] hoba I et mancipias meas his nominibus: Kericho cum uxore sua Liuphilta cum infantis eorum et servo eorum Hiltiperto, et alia ancilla nomine Liula cum infantis suis, et mater ancillarum earum nomine Liupuuara.767 War Hiltipert im übertragenen Sinne der servus des mancipium Kericho? Für diese Zeit könnte die Pluralform mancipia ebenso wie manentes als Oberbegriff für die servi und – wie zwei Urkunden von 792768 und 834769 zeigen – für deren weibliche Entsprechung, die ancillae, gelten.770 Ansonsten unterstützt die wech-

765

766 767 768 769 770

sich gegen Strafklagen selbst zu verantworten […].» (ebd., S. 93) Freiheit sei im Endeffekt nur bezüglich der unterschiedlichen Gerichtsinstanz von Bedeutung (ebd., S. 101). Als Beispiel hierfür mögen Chart. Sang. I, n. 11 (cum domibus, aedificiis, casis, casalibus, mancipiis, servis, ancillis, acolabis) und ebd., n. 39 (casalibus, servis, ancillis, mancipiis, acolabis) dienen. Dass die mancipia einmal vor und einmal nach den servi/ancillae genannt werden, kann als weiterer Hinweis einer schwachen beziehungsweise nichtssagenden Argumentationsbasis gedeutet werden. Ebd., n. 46. Ebd., n. 102. […] id est ancilla una, nomine Dheothilda, et filios suos tres his nominibus: […] cum ipsis mancipiis (ebd., n. 129). Alle vier werden unter dem Oberbegriff mancipia zusammengefasst. […] mancipiis, excepta una ancilla nomine Uuillarat (ebd., n. 364). Demnach ist die ancilla Teil der Gruppe der mancipia. In einer Aufzählung von 806 (mancipiis, servis et ancillis [ebd., n. 185]) kann servis et ancillis sowohl als beschreibender Einschub für mancipiis als auch im Sinne einer gleichberechtigten Aufzählung gesehen werden, wobei das et bei Letzterem zur Kennzeichnung der Zusammengehörigkeit der Begriffe servus und ancilla gebraucht worden wäre. Vgl. hierzu Wolfram, Grenzen und Räume, S. 333.

Abb. 13: Mancipia mit Besitz in Zeile 5–6: mancipia X: Macco cum huaba sua, Uuinidolf cum huaba sua, Ascolf cum huaba sua, Uuillihad cum huaba sua, Sigihad, Uuolflaih, Alba, Uuathaid, Erbert (StiASG, Urk. I 106).

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selhafte Verwendung von servus und mancipium die obige Vermutung einer praktisch synonymen Begriffsnutzung dieser Personenbezeichnungen sehr gut. Betrachtet man nun die spätere St.  Galler Überlieferung aus der Mitte des 9.  Jahrhunderts, so findet sich ein anderes Bild vom Verhältnis zwischen servi und mancipia. In einer Urkunde von 861 heisst es nämlich:

Ego igitur in dei nomine Reginbold […] trado atque transfundo proprietatem meam in loco, qui vocatur Uuizzon, id est unam hobam plenam ipsumque servum, qui in eadem hoba sedet et filium eius ad monasterium sancti Galli, […] ipsumque servum et uxorem eius et mancipia IIII.771

Der genannte servus verfügte über eine Hufe Land und wird zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn genannt, während die vier mancipia nur am Rande miterwähnt werden. Es gab jedoch auch mancipia mit Besitz, wie eine Schenkung an St. Gallen von 788/89 zeigt: donamus […] IIII huabas et mancipia X: Macco cum huaba sua, Uuinidolf cum huaba sua, Ascolf cum huaba sua, Uuillihad cum huaba sua, Sigihad, Uuolflaih, Alba, Uuathaid, Erbert.772 Demnach gehörten die vier Hufen zu vier der zehn mancipia und die weiteren sechs mancipia, wovon nur fünf namentlich aufgeführt sind, verfügten offenbar über kein Land, sondern wurden als reine Arbeitskräfte oder Dienstleute verschenkt. Stellen eher Letztere den Normalfall dar oder aber die besitzenden mancipia? Zwischen 862 und 865 überträgt ein Hugibreht seinen Besitz im Breisgau an das Kloster St. Gallen.773 Ausgenommen davon ist einzig sein servus Stephan. Erneut werden die mancipia mehr am Rande und zusammen mit dem weiteren Besitz ohne Angabe von Anzahl oder Namen genannt. Ein solcher Fall findet sich bereits 754: […] mancippiis, casas, casalis, campis, pratis, silvis, aquis aquarumque decursibus, ad integrum a die presente trado vobis, et servum meum nomine Nandeng et oxorem eius Bruna et cum oba sua et cum omnia, quo vestiti sunt, et alium servum meum nomine Uuolfarium.774

Hier werden die mancipia erneut allgemein im Übertragungsgut der Pertinenzformel genannt, während die servi einzeln mit Namen und jeweiligem Besitz aufgeführt werden. Den servi wird dadurch mehr Aufmerksamkeit geschenkt und der Eindruck, servus stehe höher als mancipium, erhärtet sich. Ist dieses Bild aufgrund einer diplomatischen Formel entstanden? Grösstenteils werden die mancipia namenlos und ohne Angabe der Anzahl Personen als Bestandteil der übertragenen Güter aufgeführt. Von der ersten Hälfte des 8. bis ins beginnende 10. Jahrhundert geschieht dies in etwa 120 Urkunden innerhalb der Pertinenzformel inmitten aller Übertragungsgüter.775 Es lässt sich aber feststellen, dass die Verwendung dieses Formulars bereits ins 9. Jahrhundert zurückgeht und nach 912 771 772 773 774 775

Chart. Sang. II, n. 508. Ebd. I, n. 117. […] excepto Stephano servo meo (ebd. II, n. 532). Ebd. I, n. 21. In der Form domibus, ȩdificiis, mancipiis, silvis, mobilibus ist dies zu finden ebd., nn. 3, 11, 15–16, 20–22, 24, 26–27, 29, 33–35, 37, 39, 62, 64, 66–70, 78–80, 85, 93–94, 108, 110, 113, 116, 124–126, 131, 136, 143, 145–148, 152, 160–161, 164–168, 177, 179, 181, 185, 187, 193, 195, 204, 210, 216–217, 231, 233, 242, 244, 251, 276, 291, 312, 314, 323, 327, 345, 350, 357, 378–379, 383–384, 387, 389, 391; ebd. II, nn. 402–403, 407, 414, 465, 505, 512, 526, 532, 539–540, 556, 560, 572, 576, 581–582, 613–614, 634, 644, 677, 689, 691, 701, 704–705, 712, 714, 770, 774, 781, 786–787, 800, 820.

171 16 14 12 10 8 6 4 2 0

700

750

800

mancipia mit Namen

850

900

mancipia in best. Anz.

950

1000

1050

1100

mancipia in unbest. Anz.

Abb. 14: Die Begriffsverwendung von mancipium.

tauchen mancipia in dieser Form nur noch 950, 1035 und 1093 auf,776 was mitunter der rückläufigen privaturkundlichen Überlieferung des 10. und 11. Jahrhunderts geschuldet sein dürfte. Die servi werden – wenn sie auch seltener vorkommen als die mancipia – individueller aufgeführt und eher mit Namen und genauer Zahl genannt. Doch warum werden dann in einer Urkunde von 864/870, worin je zwei servi vertauscht werden,777 im Rückvermerk derselben Urkunde, der ebenfalls aus dem 9. Jahrhundert stammt, die servi zusammenfassend als mancipia bezeichnet?778 Wäre das dann nicht eine Abwertung der servi? Wurde mancipia wirklich als einer der Gruppenbegriffe für Hörige verwendet? Eine Meinungsbildung wird zusätzlich erschwert, wenn wir in den weiteren Urkunden auf teilweise völlig umgekehrt aufgebaute Formulierungen treffen: In einer Übertragung von 892 werden zwei namenlose servi aufgeführt, unmittelbar gefolgt von vier namentlich genannten mancipia, was nun gerade obige Begründung mit den namentlich genannten servi und den namenlosen mancipia nichtig erscheinen lässt.779 Ist der gewählte Ansatz oder das angestrebte Ziel zur Eruierung einer möglichen gesellschaftlichen Einordnung der mancipia, servi/ancillae, ministri, famuli etc. falsch gewählt? Zuerst sollen einige weitere Fälle aus den Urkunden betrachtet werden, bevor wir uns schliesslich anderen Quellen zuwenden. Feststellbar ist im Moment vor allem, dass für die Hörigen unterschiedliche Begriffe verwendet wurden, und dies auch innerhalb derselben Dokumente. So findet sich beispielswese eine Unterscheidung zwischen ministri und mancipia am Ende des Untersuchungszeitraum: Bei einer Schenkung 1093 sind unter anderem ministris man 776 Ebd., n. 850; ebd. III, nn. 877, 885. 777 […] servos nominibus his: Gaudentium et Herigerum […] econtra dedit mihi alios servos, nominibus Rato et Seliger (ebd. II, n. 584). 778 Concambium Sigiberti de Aragangeuue cum Grimaldo abbate de mancipiis (ebd., n. 584). 779 […] duos servos cum quatuor mancipiis his nominibus: Razo, Frolind, Oterat, Liuza, cum consensu monachorum et cum manu advocati Herebertis. Ideoque ego supranominata mancipia trado ad prefatum monasterium (ebd., n.  723). Zum kaum abklärbaren Verhältnis von mancipium und servus vgl. Rio, Slavery after Rome, S. 160–164.

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cipiis utriusque sexus mit dabei.780 Man kann sich an dieser Stelle fragen, ob mancipium in früher Zeit vornehmlich aus rechtlichter Sicht zur Übertragung des ‹Gutes› Mensch verwendet wurde und erst im 10./11.  Jahrhundert Synonym von servus wurde. Allerdings werden mancipia in der St. Galler Überlieferung bereits in einer Urkunde von 741–745 erstmals mit ihren Namen genannt,781 was sie von Anfang an als den servi sehr ähnlich erscheinen lässt. Zwischen Mitte des 8. und Ende des 9. Jahrhundert finden sich in regelmässigen Abständen etwa 50 weitere solche Fälle, wobei auch hier die Zahl mit der Zeit zurückgeht.782 Zuletzt werden mancipia in einer Urkunde von 903 mit Namen genannt.783 Zwischen 765 und 950 werden mancipia in weiteren 23 Urkunden zwar nicht namentlich, wohl aber in ihrer genauen Anzahl genannt.784 Dies geschah nicht zuletzt in Exzeptionen bei Schenkungen und Güterübertragungen, bei denen entweder alle,785 eine unbestimmte786 oder eine bestimmte Anzahl von mancipia ausgenommen waren.787 Einer dieser Fälle ist besonders erwähnenswert: Ein gewisser Reginfrid überträgt dem Kloster St. Gallen Besitz in Stammheim, Waltalingen, Guntalingen und Gisenhard exceptis mancipiis X, quȩ ego ipse voluerim denominare.788 Der Handel ist in zwei Ausfertigungen vom selben Datum im Jahr 831 überliefert. In der zweiten Ausfertigung dieser Übertragungsurkunde wurden ganz am Ende – und zwar nach der Grafenformel – die zehn Namen aufgeführt.789 Dieser letzte Teil wurde offenbar bei einer anderen Gelegenheit niedergeschrieben, womöglich als Reginfrid sich für die zehn Hörigen entschieden hatte, die er zurückbehalten wollte. Denn der Zusatz wurde sowohl von anderer Hand als auch in kleinerer Schrift, dünnerer Feder und hellerer Tinte geschrieben.790 Ein ähnlicher Fall bezüglich Position der Hörigennamen fin 780 Chart. Sang. III, n. 885. 781 Ebd. I, n. 10. 782 Ebd., nn. 14, 42, 58–59, 96, 102–103, 105, 112, 115, 117–119, 123, 127, 129, 140, 142, 158, 172, 178, 183, 199, 201, 203, 205, 234, 246, 316, 318, 345, 348, 356, 364, 380–381, 390; ebd. II, nn. 406, 424, 426, 432, 459, 470, 479, 500, 555, 615, 641, 744, 765. 783 Ebd., n. 773. Ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Verwendung des mancipium-Begriffes ist eine Urkunde von 827, worin insgesamt sieben Familien und drei Einzelpersonen genannt werden: mancipiis, his scilicet nominibus Hadamar et uxor eius Tuata cum infantibus suis etc. (ebd. I, n. 318, und in ähnlicher Weise ebd., n. 390). Einige der namentlich erwähnten mancipia waren von Übertragungen oder Schenkungen ausgenommen: ebd., nn. 140, 158, 161, 316, 364. 784 Ebd., nn. 46, 53, 130, 151, 223, 228, 232, 293, 355; ebd. II, nn. 404, 408, 521, 449, 472, 506, 508, 548, 627, 681, 709, 741, 802, 851. 785 So überliefert für die Jahre 787, 818 (extra mancipia omnia), 824, 844, 845 und 850 (ebd. I, nn. 108, 242, 291; ebd. II, nn. 407, 414, 526). In einer Übertragung von 868 handelt es sich ausdrücklich um mancipia salica (ebd., n. 560). 786 So überliefert für die Jahre 832, 868 und 903 (ebd. I, nn. 357–358; ebd. II, nn. 560, 774). In einer Urkunde des Jahres 832 wurde exceptis quibusdam nachträglich von einer anderen Person auf Rasur vor mancipiis eingefügt (ebd. I, n. 357). Ob hier womöglich die genaue Anzahl der mancipia stand, lässt sich selbst im Original nicht mehr erkennen (StiASG, Urk. III 109). 787 So überliefert für die Jahre 770 (exceptis duo mancipia), 817, 824, 843 und 857 (Chart. Sang. I, nn. 56, 232, 293; ebd. II, nn. 404, 472). Solche Exemptionen von mancipia finden sich auch ausserhalb der St. Galler Überlieferung, vgl. eine Bestätigung Ottos II. für eine Schenkung an das Kloster St. Emmeram zu Regensburg aus dem Jahr 983, worin ausdrücklich vier mancipia ausgenommen sind (Sickel, Urkunden Ottos II. [MGH DD O II], n. 293). 788 Chart. Sang. I, nn. 355–356. 789 Haec sunt nomina decem mancipiorum, quae supra excepta sunt in traditione; id es Regindrud. Adaler. Otpret. Vuillipret. Lantuuar. Rihmunt. Adalger. Cuntsind. item Cuntsind. Cunduuar (ebd., n. 356). 790 Vgl. StiASG, Urk. II,113 beziehungsweise ChLA CIII, n. 30.

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det sich bereits 34 Jahre früher, allerdings wurden die dortigen zehn Namen – wenn auch mit hellerer Tinte – von derselben Hand und noch vor der Zeugenliste niedergeschrieben.791 Zum Rechtscharakter der mancipia Es wurden nun Fälle aufgeführt, worin servi mit Namen und namenlosen mancipia genannt wurden, aber auch namentlich genannte mancipia, die mit namenlosen servi vorkamen und es gab Fälle, worin gar gegenseitige Besitzverhältnisse über den jeweils anderen Terminusträger ersichtlich wurden. Gehen wir nochmals der Spur der rechtlichen Verwendung des mancipium-Begriffes nach, wobei beispielsweise servi und ancillae mit dem Oberbegriff mancipium zusammengefasst werden,792 so stossen wir ausserhalb der Urkunden ebenfalls auf mancipia, beispielsweise bei Kirchhörigen in der lex Alamannorum, die als mancipia ecclesiae bezeichnet werden.793 Schnell fällt auch hier auf, dass der Terminus mancipium nur beim Handel beziehungsweise Verkauf von Hörigen verwendet wurde,794 ansonsten ist in der lex Alamannorum ausnahmslos die Rede von servi und ancillae. Dass mancipia ausgerechnet in der lex Alamannorum mit diesem Stellenwert auftreten, verstärkt den bereits gehegten Eindruck des besonderen Rechtscharakters dieses Begriffs. Der obige Charakter von mancipia als Gruppenbegriff für Hörige lässt sich entschärfen durch eine Rückübertragung von 868, worin dem Landbesitzer Horskine die Abgaben von den auf dem übertragenen Grund befindlichen Hörigen zugesprochen werden ([…] recipiant; […] et tributa servorum ad omnia supradicta loca pertinentia […]).795 Diese Hörigen werden nicht als mancipia, sondern als servi bezeichnet. Der primäre Rechtscharakter verbleibt allerdings hautpsächlich bei den mancipia und findet sich kaum bei den servi. In der Urkunde bezüglich der Ablösung St. Gallens von Konstanz im Jahr 854 (monasterium […] ab omni censu et omni servitio absolvatur) wird eine grosse Zahl an censati homines und mancipia genannt.796 In der Abtretung verschiedener Klostergüter werden auch deren mancipia – insgesamt mindestens 210 mancipia beiderlei Geschlechts – an Konstanz übertragen. Anschliessend vermittelt der König in einer ungeklärten Angelegenheit bezüglich census-Leistungen beidseitiger Zinspflichtiger.797 Als abschliessender Fall einer urkundlichen mancipia-Nennung soll die Bezeichnung eines Urkundenschreibers im Jahr 897 dienen: Ego Thioto mancipium sancti Galli vice Peronis praepositi scripsi.798 – Handelt es sich hierbei wirklich um einen Hörigen oder existiert die Form des servus sancti Galli als demütige Anrede eines Mönches auch für 791 Chart. Sang. I, n. 147. Die Urkunde scheint von derselben Person vorbereitet worden zu sein, die nach der Verkündung der Güterübertragung die Namen der verhandelten Hörigen (hier ohne exceptis) und die der anwesenden Zeugen niederschrieb. Der unmittelbare Übergang von der Liste der Hörigen zu derjenigen der Zeugen lässt über eine Zeugenschaft der Hörigen nachdenken, doch scheint die Nähe beider Aufzählungen ausschliesslich pragmatische Gründe gehabt zu haben. 792 Vgl. ebd. II, n. 802: mancipia similiter recipiam duos servos et duas ancillas. 793 Schott, Lex Alamannorum, S. 96. 794 Ebd., S. 94–96, 119–112, 122. 795 Chart. Sang. II, n. 560. 796 Ebd., n. 449. 797 Ebd. 798 Ebd., n. 744.

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den mancipium-Begriff als Bezeichnung für einen Mönch? Der Fall ist schnell geklärt, denn in der gleichen Zeitphase taucht derselbe Thioto immer wieder als Akteur des Klosters auf: 895 als Thioto subdiaconus,799 910 als presbiter und Urkundenschreiber800 sowie 910 und 912 gar als Thioto cellararius,801 um nur eine Auswahl zu nennen. Als angesehener Klosterbruder könnte Thioto ursprünglich aus einer wichtigen lokalen Familie stammen, denn in einigen Zeugenlisten – auch in von Thioto geschriebenen Urkunden – taucht ein weiterer Thioto auf,802 der mit diesem womöglich verwandt war. Vielleicht handelte es sich auch um den Vater des Mönchs. Damit haben wir ein weiteres Beispiel für die breiten Nutzungsvariationen des mancipium-Begriffs als Bezeichnung für Knechte, als Rechtsbegriff für servi, als serviale Gruppenbezeichnung sowie für verschiedene Möglichkeiten im übertragenen Sinn. Besonders aus rechtlicher Sicht müsste dieser Terminus auch ausserhalb Schwabens eine identische oder zumindest ähnliche Anwendung erfahren haben, weshalb sich ein kurzer Blick auf Kuchenbuchs Untersuchung der Abtei Prüm lohnt: mancipia können dort sowohl Mansenbesitzer als auch Domänenpersonal (familia intra curtem) bezeichnen, worunter verschiedene ‹Stände› fallen können, beispielsweise Freigelassene.803 Die Pertinenzformeln des 8. Jahrhunderts seien von ständischen Differenzierungen (mancipia und servi) geprägt gewesen, während mancipia in der darauffolgenden Zeit bis ins 10. Jahrhundert die Pertinenzformeln dominiert hätten.804 Dem Terminus seien lediglich Begriffe wie homo und familius (familia) gegenübergestellt worden.805 Mancipia können laut Kuchenbuch zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert praktisch alle Gruppen servialer Ausprägung bezeichnen, sowohl klösterliche und bischöfliche familiae als auch mit Besitz ausgestatte Eigenleute. Im 10. und 11. Jahrhundert sei der Begriff schliesslich zunehmend durch spezifische Bezeichnungen (servitores, villani etc.) verdrängt worden; Ende des 11. Jahrhunderts soll er vollständig verschwunden sein.806 Nach der Betrachtung meiner Auswahl an erzählenden Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts wurde klar, dass mancipium in erster Linie ein rechtlicher Begriff sein muss, und zwar im Zusammenhang, wie er bereits oben bezüglich mancipatio erläutert wurde. Denn in den untersuchten Texten von Heito, Walahfrid, Notker, Ratpert, Ekkehart IV., Hermann und Berthold taucht dieser Terminus nur je einmal in Ekkeharts IV. casus sancti Galli sowie in Bertholds Fortsetzung von Hermanns Weltchronik auf. Beide Texte stammen aus dem 11. Jahrhundert. Berthold nutzt den Begriff als Abgrenzung zu servus und serviens, während Ekkehart den einfältigen Mönch Heribald als tantȩ simplicitatis mancipium bezeichnet. Letzterer benutzt den Begriff in diffarmierender Weise 799 Ebd., n. 738. 800 Ebd., n. 810. 801 Ebd., nn. 808, 817. So auch Wartmann (UBSG II, n. 711) und Neugart (Cod. dipl. Alem. I, n. 624): Thioto per modestiam se mancipium S. Galli nominat. Nam aut subdiaconum fuisse Thiotonem, aut simplicem saltem monachum, patet ex confirmatione traditionis Udalrici com. an. 895. 802 Unter anderem Chart. Sang. II, nn. 737–738, 744, 817. 803 Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 360. 804 Ders. (Grundherrschaft, S. 21) beschreibt das Wort als «eine Art Sprachregelung» für die Abhängigen im Moment des Herrenwechsels. 805 Ders., Klosterherrschaft, S. 362. 806 Ders., ‹Mancipia›, HRG III, Sp. 1223–1227.

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wohl tatsächlich zur Bezeichnung eines einfachen ‹Knechts›,807 und Berthold nutzt den Begriff als weitere rangmässige Abstufung nach servus und ancilla.808 Der Begriff wird in diesen beiden Fällen zwar in ähnlicher Weise verwendet wie in so mancher Urkunde, aber vergleichend aus Sicht der erzählenden Quellen darf er kaum herangezogen werden, da er – so wie es aussieht – eher Bestandteil der Urkunden- beziehungsweise Rechtssprache war und weniger Teil des Vokabulars literarischer Werke. In historio- und hagiografischen Texten sind verallgemeinernde Ausdrücke wie servus und minister üblicher, um über jemandes Diener zu sprechen. Der Leser oder Zuhörer verstand die Relation zwischen dem jeweils gemeinten Herrn und Diener aus dem Kontext und hätte sich auch keine Gedanken über die ‹korrekte› Begriffswahl gemacht. Im subjektiven Empfinden der Zeitgenossen dürfte es ohnehin nicht ‹die korrekte› Terminologie gegeben haben. Ebensowenig dienen die in vorliegender Arbeit angestellten Überlegungen der Suche nach einer allgemein gültigen Ausdrucksweise im frühmittelalterlichen Bodenseeraum, sondern sollen in ihrer Ausführlichkeit mitunter die Vielfalt der St.  Galler Urkundensprache im Zuge der Neuedition der St. Galler Urkunden aufzeigen und untersuchen, dies zugleich im Verhältnis zur Terminologie der lokalen erzählenden Quellen.809 Servientes und servitores Im Zuge meiner Ausführungen zur Verleihung eines Dienstmannenrechts durch König Heinrich IV. an die Dienstleute des Klosters Einsiedeln ist der spezielle partizipiale Ausdruck serviens bereits genannt worden: ministris ad cellam sancti Meginradi iure pertinentibus necnon ob devotam et continuam orationem Herimanni abbatis eiuisdem cellae tale ius, quale servientes ad abbatiam sancti Galli pertinentes visi sunt habere […].810 Ansonsten taucht dieser Begriff – wie der ebenfalls aus der servus/servire-Wortgruppe stammende Ausdruck servitor – in der diplomatischen Überlieferung eher selten auf. In unbestimmter Anzahl werden servientes nur noch in einer Urkunde aus dem Jahr 817 genannt811 sowie mit exakter Zahlenangabe in einer der ältesten St.  Galler Urkunden von 752 als serviens casatus.812 Ansonsten tauchen servientes nicht im Sinne von Dienern oder Dienstleuten unfreier Herkunft auf. Beispielsweise versteht Kuchenbuch in seiner Untersuchung zur Abtei Prüm unter servientes selbstständig agierende ‹Bauern›.813 Bei den drei eingangs genannten Fällen handelt es sich eher um Substantivierungen und die übrigen Fälle gleichen – mit Ausnahme der zahlreichen Nennungen als ‹Gottesdiener› – eher den partizipial und adjektivisch gebrauchten casatus- und manens-Fällen, die es weiter unten noch zu thematisieren gilt.814 807 808 809 810 811 812 813 814

Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 55. Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 246. Chart. Sang. I–II. Ebd. III, n. 881. Ebd. I, n. 228. Ebd., n. 18. Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 275. Das zeigt sich auch an der Umschreibung eines freien Dienstmannes: quam caeteri ingenui habent ad ipsum monasterium servientes (Chart. Sang. I, n. 324a). Vgl. dazu den Abschnitt zu den casati und manentes unten.

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Das Hauptaufkommen von serviens findet sich formelhaft als monachis ibidem (deo) (de)servientes oder in ähnlicher Form bis zum Jahr 812 in St.  Galler Urkunden als Bezeichnung der Mönche; ebenso zwischen 743 und 812815 sowie erneut ab 861.816 Auch der ähnliche Begriff servitor wird fast ausschliesslich für Mönche gebraucht, so beispielsweise um 853/854,817 909818 und um 913 (servitor eius Cozzolt monachus)819 sowie als dei servitor zwischen 926 und 1025.820 Zur Bezeichnung eines hörigen Dieners des Klosters wird servitor nur dreimal gebraucht.821 Laut Bosl stehe der Titel servitor ab dem 10. und 11. Jahrhundert vor allem für die sich neu bildende Dienstmannschaft von Klöstern, während in den Salierdiplomen eher die Rede von servientes sei.822 In den St. Galler Erwähnungen findet sich dieser Eindruck nicht zuletzt aufgrund des knappen Vorkommens nicht bestätigt. Dank der einzigartigen Nennung von St. Galler Dienstleuten als servientes im Zusammenhang mit dem bereits angesprochenen Dienstrecht darf Bosls Vermutung aber auch nicht unterschätzt werden. In den schwäbischen Chroniken des 9. und 11. Jahrhunderts werden die Ausdrücke serviens und servitor sowohl für ‹Unfreie› und Bedienstete (darunter der Untergebene eines Würzburger Mönchs)823 als auch im übertragenen Sinne für hohe Funktionäre und gar für den König (Karl den Dicken) gebraucht,824 wobei die Bediensteten bereits unter den Besseren ihresgleichen zu suchen sind. Famuli Nach ebengenannten Interpretationen für serviens und servitor steht famulus nun keinesfall im Zusammenhang mit freien Dienstleuten, sondern aufgrund seiner mit den vorherigen Begriffen vergleichbaren Verwendung zur Umschreibung eines Dieners Gottes an dieser Stelle zur Diskussion. In einer Urkunde aus dem Jahr 897 stellt sich der Urkundenschreiber selbst als Vvalthram famulus sancti Galli vor, womit weniger ein famulus aus der unfreien familia des Klosters gemeint sein dürfte als im übertragenen Sinne ein ‹Diener des heiligen Gallus› (Mönch), der hier anstelle des Propstes Cozolt agiert (vicarius Cozaldi prȩpositi scripsi).825 Knapp zehn Jahre später wird der Begriff in derselben Weise verwendet: Ego Notker infans et sancti Galli famulus ad vicem Vultrammi bibliothecarii scripsi et subscripsi.826 Auch in den meisten anderen Fällen zwischen 816 und 925 bezeichnet famulus einen Knecht oder Diener des Klosters beziehungsweise 815 In der genannten Formel kommt der Begriff in den Jahren 743–792 vor in ebd., nn. 11, 22–23, 28, 32–33, 35, 37, 39, 63, 66–67, 75, 78–79, 83, 93, 96–97, 99, 114, 128, 134, sowie erneut 806 (ebd., n. 185). In zwei abgeänderten Formeln werden die Mönche als dem Kloster dienend bezeichnet, und zwar in ebd., nn. 3, 163, 201, 205, 210. 816 Ebd. II, nn. 512, 581 (870), 619 (876); ebd. III, nn. 871, 882. 817 Ebd. II, n. 448. 818 Ebd., n. 806. 819 Ebd., n. 823. 820 Ebd., nn. 836, 843, 865, 870; ebd. III, nn. 871, 875. 821 Ebd. I, n. 228; ebd. II, nn. 812, 849. 822 Bosl, Ius ministerialium, S. 79 f. 823 Notker, Gesta Karoli I, cap. 30; Ekkehart IV., Cas. s. Gall, cap. 71; Berthold, Chronicon II, ann. 1077, 1079, S. 170, 246. 824 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 888, S. 109. 825 Chart. Sang. II, n. 754. 826 Ebd., n. 806. Gemeint ist an dieser Stelle womöglich der berühmte Mönch Notker Balbulus.

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Gottes im übertragenen Sinn,827 was selbst im 11. Jahrhundert seine Fortsetzung findet und im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur wortverwandten familia (hier als Kloster-familia)828 steht.829 Auch in den Historiografien Notkers, Ratperts und Ekkeharts wird der Begriff meist übertragen verwendet.830 In dieser Weise konnten bereits die Termini servus und mancipium verwendet werden, wie oben nachgewiesen wurde.831 Als einfache Knechte werden famuli in den St. Galler Urkunden bloss in drei Fällen genannt: Ein erstes Mal wird der Terminus in unbestimmter Zahl in einem Fall Ende des 9. Jahrhunderts zur Bezeichnung eines Teils des ‹Übertragungsgutes› verwendet,832 und die zwei weiteren famuli tauchen als Hörige mit Namen und in auffallender Weise auf, denn beide Male geht es um eine Freilassung. Im ersten Fall wird die Hörige Liupnia (famulam […] mei nomine Liupnia) samt ihren zwei namentlich genannten Kindern freigelassen833 und im zweiten Fall wird der Hörige (famulum nomine Sigimarum) einer Nonne Mitte des 9. Jahrhunderts durch die Hand ihres advocatus freigelassen, damit er die Priesterweihe empfangen kann.834 Ist es ein Zufall, dass hier der Begriff famulus benutzt wurde? Gibt es einen besitzrechtlichen Grund dafür? – Durften Mönche und Nonnen womöglich nicht im gleichen Sinne über persönlichen Besitz (also über servi beziehungsweise mancipia) verfügen wie Laien und war der Diener demnach kein wirklicher Besitz, sondern musste rein rechtlich anders bezeichnet werden? Das mag nun nach einer Überinterpretation klingen, aber es fällt auf, dass famuli nur im kirchlichen Kontext vorkommen. Womöglich lag dies an der Zugehörigkeit zur kirchlichen familia, wie man aus Fichtenaus Schilderungen folgern kann835 und wie sich auch aus den Beschriftungen des St. Galler Klosterplanes für die Unterkünfte der Gefolgschaft und Diener entnehmen lässt: «Hier findet von Fall zu Fall die Schar der Bediensteten [turba famulantum] Ruhe. / Haus der Dienerschaft [domus famuliae], wenn sie mit dem Hofdienst [servitium] ankommt / Schlafkammern der Wächter [custodes]».836 Mit einem erneuten Blick ins weit entfernte Prüm findet man in Kuchenbuchs Schilderung der Prümer Sozialstrukturen um das Jahr 900 famuli mit ihren Werkstätten etc., die aus­ serhalb der Klostermauern gehaust hätten, womöglich mit ihren Familien, während es der restlichen klosterinneren familia inklusive familienloser Handwerker und anderer 827 Ebd. I, nn. 219, 359; ebd. II, n. 450, 688, 704, 725, 750, 781, 787, 816, 834. 828 Fichtenau (Lebensordnungen, S. 166) betont stark die Ausweitung des Klosterverbandes ‹nach unten› und die «Forderung nach familiärer Behandlung der Untergebenen». 829 Vgl. unter anderem BUB I, n. 179; Fichtenau, Lebensordnungen, S. 135. 830 Notker, Gesta Karoli I, cap. 4, 5; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 1, 15; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 61, 73, 133. Und Wetti (Vita s. Galli [MGH Script. rer. Mer. 4], cap. 18) spricht bei der ‹geistlichen Dienstbarkeit› vom famulatus ecclesiasticus. Ausnahmen beziehungsweise Fälle in denen tatsächlich die hörige Dienstmannschaft gemeint ist, sind lediglich zweimal vorhanden, nämlich bei Notker Balbulus (Gesta Karoli I, cap. 15) und Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 135). 831 Vgl. obige Abschnitte zu den servi und ancillae sowie zu den mancipia. 832 Chart. Sang. II, n. 690. 833 Ebd. I, n. 107. Vgl. hierzu Rio, Slavery after Rome, S. 100. 834 Idcirco ego in dei nomine Engildruda quandam dei ancilla una cum manu advocati mei nomine Richolfi quendam meum famulum nomine Sigimarum sacris ordinibus dignum in prȩsentia nobilium virorum liberum ab omni vinculo servitutis dimitto (Chart. Sang. II, n. 420). 835 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 135. 836 Übersetzung von Berschin (Klosterplan, S. 133). Hic requiem inueniat famulantum turba uicissim / domus famuliae quae cum seruitio aduenerit / cubilia custodientium (ebd.).

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spezialisierter Diener sowie milites, vassalli non casati und medici erlaubt war, innerhalb der Klostermauern zu leben.837 Vielleicht dürfen famuli also gar als eigene Gruppe klösterlicher Höriger angesehen werden, die dem Gros der Hörigen wohl aber hinsichtlich Aufstiegschancen unterlegen war.838 Auf einen kirchlichen Bezug weist auch du Cange hin, als er die Begriffe servitor und famulus synonym gegenüberstellt.839 Servi casati und manentes Mit dem Adjektiv casatus und dem Verb manere werden in den meisten Fällen Ortsgebundenheit und Sesshaftigkeit signalisiert und beide Begriffe tauchen in substantivierter Form in mittellateinischen Wörterbüchern als Hörige, als besitzende Freie, als Vasallen und gar als eigentliche Hofstelle auf.840 Niermeyer spricht bei casatus von einem einen eigenen Haushalt führenden beziehungsweise mit einem Pachtgut ausgestatteten Hörigen (aber auch ‹Vasallen›) und sieht hinter der substantivierten Form entweder einen Hörigen, eine Hörigenfamilie oder aber eine ländliche Hofstelle.841 Fichtenau spricht in seinen «Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts» beim servus casatus schlicht vom behausten Unfreien.842 Zu manere gibt es im Mittellateinischen Glossar eine Ergänzung mit der partizipialen Pluralform manentes und der entsprechenden Übersetzung als ‹Landleute›.843 Inwieweit diese häufig ohnehin auf dem St. Galler Material beruhenden Übersetzungen tatsächlich auch für St. Gallen zutreffen, wird anhand folgender Fälle untersucht. Ein casatus oder servus/serviens casatus meint in den meisten St. Galler Beispielen einen ‹hufengebundenen› Knecht beziehungsweise einen zum jeweiligen Besitz gehörenden Hörigen. Dafür mögen exemplarisch zwei Fälle dienen, und zwar aus den Jahren 763: dono in villa, que dicitur Agringas, casatus tuus cum hobas suas et cum omni peculiare eorum,844 und 765: dono in villa, que dicitur Choeinga, casatas II his nominibus: Hattun et uxorem suam Pilihildam cum hoba sua et cum omni peculiare eorum, Cundharium cum hoba sua et omni peculiari,845 wobei im letzten Fall die Ehefrau offenbar nicht mitgezählt und für die casati die weibliche Form gebraucht wurde, welche sonst entweder für weibliche Hörige, zur Bezeichnung der Hausgenossenschaft (familia) oder einer Hufe selbst verwendet wurde.846 Die Personen werden  – wohl der Kürze halber  – insbesondere 837 Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 344. 838 Laut Müller (Ministerialität St. Gallen, S. 7) seien famuli beispielsweise nie im Sinne der späteren Ministerialen zu finden. 839 GMIL VI, S. 454. 840 Vgl. Mlat Glossar, Sp.  50, 232. Bei Niermeyer wird neben dem Verb manere (‹wohnen›, ‹als Pachtgut besitzen›, ‹abhängig sein›) auch die substantivierte Form (‹Fronhof›) sowie die adjektivische Form manens äusserst ausführlich als ‹auf einem Pachtgut wohnend›, ‹Bewohner›, ‹Unfreier mit Pachtgut›, ‹Hufe› aufgeführt (MLLM, S. 831 f.). 841 Ebd., S. 198 f. 842 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 485. Vgl. ebenfalls Kaiser, Churrätien, S. 206 f. 843 Mlat Glossar, Sp. 232. 844 Chart. Sang. I, n. 38. 845 Ebd., n. 47. 846 MLLM, S.  199. Betrachtet man diese freie Verwendung des Genus, mögen auch die casata in Chart. Sang. I, n. 18 unbedenklich als casati und nicht als Hufen oder Höfe eingestuft werden. Unter die Bedeutung «Hofstatt» fallen einzig die Nennungen in fünf Urkunden aus der Mitte des 9. Jahrhunderts (ebd. II, nn. 476–477, 480, 529, 543).

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bei Wiederholungen mal als servi/servientes casati, mal nur als casati bezeichnet, wie in einer Schenkung aus dem 8. Jahrhundert zu sehen ist, und zwar in Oberteuringen: curtis meus Duringas cum undecim casatas beziehungsweise dono cum in Duringas in servitio casatas undeci,847 in Ahausen: Hahahusir cum XV casatas beziehungsweise Hahahusir, servientes casatas quindeci, und in Stetten: Altstadi cum omni, quod ad haec pertenet, beziehungsweise Altstati, quod ibi maniant aut ingenui aut servi.848 Liesse sich das vorherige aut ingenui aut servi in Relation zu den casati-Nennungen setzen, so wäre zu vermuten, dass darunter sowohl hörige Hufenbesitzer als auch ‹freie Kleinbauern› fallen. Sind die casati des 8.  Jahrhunderts also gar nicht alle unter den Hörigen zu suchen? Hierfür entscheidend scheint die eingangs erwähnte Variation an adjektivischer und substantivierter Begriffsnutzung zu sein, weshalb wir unterschiedlich abgestufte Rechts- und Abhängigkeitsgruppen erwarten können. Während in einigen Fällen nämlich eindeutig Hörige gemeint sein müssen, kann es sich bei folgender Schenkung einer Nonne an St. Gallen im Jahr 769 auch um etwas bessergestellte Hufenbesitzer handeln, die selbst über servi verfügten, aber dennoch in erhöhter Abhängigkeit standen, weshalb sie zusammen mit ihren Hofstellen verschenkt werden konnten: […] et casatos tres his nominibus Ragingaerus cum infantes suos his nominibus Rihgaero et Uuantilane, Uualtrihho et uxore sua Fastrata et filio eorum Uuolffrido et servo eius Isanberto, et alio servo nomine Aoto et Hatone, qui ipse est in concambio cum Uuichardo; et si redemere vult, det alium mancipium XI manuum longum.849

Die Nennung von elf namenlosen mancipia am Ende zeigt eine zusätzliche Abgrenzung der casati zu den anderen, in höherer Abhängigkeit stehenden Hörigen. Ebenfalls in Abgrenzung zu den hier teils namentlich aufgeführten mancipia werden casati in einer Urkunde von 741–745 genannt: Et in villa, quæ dicitur Centoprato, casatos duos cum omnibus adiacentiis vel adpendiciis eorum, set unum infantem inde ingenuum taxavimus […]. Et in Berofouilare mancipium unum nomine Contleuba, et in insola ipsa mancipios tres et parones quattuor.850 Die zur Differenzierung von servi und mancipia angewandte Methode mittels Abwägen individueller versus gruppenmässiger und namentlich genannter versus namenloser Höriger kann hier wegen des nur knappen Vorkommens von casati nicht repräsentativ greifen, doch überrascht es, dass verschiedentlich noch eher die mancipia als die casati mit Namen genannt werden. Als weiterer Fall kann hierfür eine Urkunde von 772 angeführt werden, worin zuerst acht namenlose casati und direkt anschliessend 31 mancipia mit Namen genannt werden.851 Casati im mit mancipia vergleichbaren Sinn tauchen – ebenso wie die Nennung aller anderen Formen von casati/-a/-um – nur sehr selten auf, und zwar gerade fünf-

847 Die Namen befinden sich auf der Rückseite der Urkunde: His nominis Uuolfmundus, Rotharius, Ummo, Hodolfus, Uualdo, Anno, Duomo, Manacholdus, Zaizpato, Herffo, Uulfhramnis vidua cum infantis suis (ebd. I, n. 18). 848 Ebd. 849 Ebd., n. 53. 850 Ebd., n. 10. Für parones/barones vgl. den entsprechenden Abschnitt unten. 851 Et dotavi eam casatibus VIII et similiter hobas XII et mancipia denominata Arichiso et uxore sua Adtane, […], hoc sunt XXXI (ebd., n. 58).

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mal mit der reinen Nennung der Anzahl,852 zweimal unter Nennung der Namen853 und einmal als mancipiis cum casatus, also mit dem Verweis auf den Besitz einer Hofstatt beziehungsweise eines Pachtguts.854 Alle diese Nennungen stammen aus Urkunden des 8. Jahrhunderts. Nur in einem Fall von 816 wurde casati in der Art verwendet, in der sonst die mancipia formularhaft in der Aufzählung der Übertragungsgüter genannt werden, nämlich substantiviert und als Teil der Pertinenzformel ohne erkennbare Abhängigkeit von servus oder mancipium.855 Nach 816 taucht dieser Terminus ausschliesslich als Hofstatt (casata) auf, wenn auch nur fünf Mal während des 9. Jahrhunderts;856 danach verschwindet er gänzlich aus der St. Galler Überlieferung und spielt deshalb für das 10. und 11. Jahrhundert keine Rolle mehr. Eine Urkunde von 772/776 führt in der Pertinenzformel noch eine weitere potenzielle Personengruppe an, die es laut Zeichensetzung im Chartularium Sangallense I857 sowie im Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen858 womöglich rechtlich oder in anderer Weise zu unterscheiden galt: mancipiis, servos, manentes.859 Entweder wurden diese drei Personengruppen in abnehmend starkem Abhängigkeitsverhältnis (beziehungsweise in zunehmend starker Rechtsfreiheit) aufgezählt oder die Zusammenstellung erfolgte völlig willkürlich. Unter manentes können laut Niermeyer grundsätzlich sowohl freie als auch unfreie Landpächter verstanden werden. Gerade diese Urkundenstelle wird von ihm allerdings als Beispiel für einen ‹unfreien Landpächter› verwendet.860 Demnach stünden alle drei Gruppen in relativ grosser Abhängigkeit, wobei die mancipia wohl traditionellerweise als ‹Hufengebundene› und die manentes als bessergestellte und tributpflichtige Hörige zu sehen sind. Aus gerichtlicher Sicht unterstehen jedenfalls alle drei Gruppen der äbtischen Jurisdiktion. Nach Begutachtung des Originals kommen bezüglich moderner Interpunktion allerdings Zweifel auf. Die einzelnen Bestandteile der Pertinenzformel sind durchgängig anhand minimaler Abstände voneinander abgrenzbar und die Zeichensetzung im Sinne einer Aufzählung lässt sich gut nachvollziehen. Jedoch findet sich zwischen servos und manentes kein solcher Abstand und auch das restliche Schriftbild macht eine Zusammengehörigkeit beider Worte als einzigen Begriff wahrscheinlicher als zwei unterschiedliche Begriffe. Der Schreiber Adalrich tendiert in dieser Urkunde nämlich dazu, innerhalb der einzelnen Worte, leicht nach oben abzuschweifen, bevor er durch Neuansetzen der Feder mit dem nächsten Wort oder Ausdruck auf der eigentlichen Zeilenhöhe beginnt. Das ‹m› von manentes beginnt jedoch auf derselben Höhe wie das letzte ‹s› von servos.861 So haben wir es noch sehr viel stärker als wie bei ‹den casati› weniger mit selbstständigen Termini, als mit ergänzenden Um 852 853 854 855 856 857 858 859 860

Ebd., nn. 10, 18, 38, 58, 92. Ebd., nn. 47, 53. Ebd., n. 15. […] casatis, domibus, edificiis, campis, pratis (ebd., n. 220). Ebd. II, nn. 476, 477, 480, 529, 543. Ebd. I, n. 78. UBSG I, n. 67. Chart. Sang. I, n. 78. MLLM, S.  831. Zu den manentes im westfränkischen Bereich beziehungsweise in der ‹région mâconnaise› vgl. Duby, Société mâconnaise, S. 209–212. 861 StiASG, Urk. I,54.

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schreibungen zu tun, im Sinne eines servus manens. In dieser Form taucht manentes in verschiedenen Pertinenzformeln nämlich auch zusammen mit mancipia, ancillae und rectores beziehungsweise allgemein mit dem und den lokal Ansässigen auf.862 Wenn auch im St. Galler Bestand nicht zweifelsfrei nachweisbar, dürfte es der Kürze halber manentes in substantivierter Form gegeben haben, wie dies bei den casati der Fall ist. Für das 10. und 11. Jahrhundert spielen weder casatus noch manens eine Rolle zur Bestimmung der Hörigkeit und der familia. Vielmehr könnte es sich – wie Fichtenau ausführt – auch nur um eine zusätzliche Angabe der eigenen Hausherrschaft ‹behauster Knechte› handeln.863 Das würde auch ein Beispiel von Linck aus dem Westfrankenreich erklären, wo servi non casati unter anderem als Handwerker im städtischen Bereich beziehungsweise im Marktbereich auftauchen, also reine Arbeitskräfte und eben keine Herren im eigenen Haus waren.864 Vernaculi Als Ergänzung zu den casati und manentes und ihrer meist orts- und hausgebundenen oder ‑begründeten Stellung soll hier kurz der Begriff vernaculus angeführt werden, worunter im klassischen Sinne ein ‹Haussklave› oder eben fürs Frühmittelalter jemand aus dem Hausgesinde zu verstehen wäre.865 In einer St. Galler Urkunde von 782 wird eine solche Gruppe als Übertragungsgut genannt:

[…] trado in dominationem, hoc est casa cum casalibus, curte clausa cum omnis officinis eius, cum servis et ancillis, vernaculis, mancipiis his nominibus: Uuilloffus cum uxore sua Otilani et infantes suos tres et ancilla mea Tiurlinda cum filio suo Liudrato et alio servo Meolacho et servo meo Dugilino et alio servo meo Teotberto et ancilla mea nomine Bertsinda et alia ancilla Cuatlinda et tercia ancilla Madala et alia ancilla Truhtlinda cum infantes duos.866

Zwischen den servi/ancillae und den mancipia werden vernaculi erwähnt. Ob die Zwischenstellung des Begriffs mit der rechtlich-sozialen Stellung der betreffenden Personengruppe zusammenhängt, bleibt vorerst offen. Niermeyer versteht unter einem vernaculus allgemein einen ‹Unfreien› sowie im Zusammenhang mit kirchlicher Herrschaft einen ‹Wachszinser› oder ‹Altarhörigen›.867 Wie im zuvor genannten Fall mit den manentes könnte es sich also auch hier um etwas bessergestellte, tributpflichtige Hörige handeln oder, wenn man so möchte, um censuales mit höherem Abhängigkeitsgrad. Während allerdings die servi und mancipia ausdrücklich mit Namen erscheinen, taucht kein Name im direkten Zusammenhang mit dem Begriff vernaculus auf, weshalb es sich dabei wohl um einen Oberbegriff

862 Chart. Sang. I, nn. 102, 144, 168, 228; ebd. II, n. 449. Hierzu gehören auch die commanentes-Formen (unter anderem ebd. I, nn. 238, 359, 387). Besonders gut ersichtlich wird diese Art der ergänzenden Verwendung in folgenden zwei Beispielen: mancipia in villa Illinouua manentia his nominibus: […] (ebd. II, n. 459) sowie ut ipsa familia in ipsa cellula manens potestatem habeant (ebd., n. 497). In der Überlieferung zur Abtei Prüm wird manens wie casatus ergänzend zu mancipium geführt (Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 251). 863 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 136. Diese konnten selbst über unbehauste Unfreie verfügen (ebd., S. 485). 864 Linck, Sozialer Wandel, S. 255. 865 Vgl. DNG, Sp. 4977. 866 Chart. Sang. I, n. 96. 867 MLLM, S. 1404.

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für diesen ganzen Personenverband handelt. Ansonsten tauchen in der St. Galler Urkundenüberlieferung nirgends vernaculi auf, weshalb diesem Begriff nicht weiter nachgegangen wird. Ingenui und liberti Als erste Übersetzung für die substantivierte Form von ingenuus gibt Niermeyer ‹Freigelassener› an,868 was sich mit der St. Galler Überlieferung sogleich bestätigen lässt, indem der ehemals Hörige Unduruft nach seiner Freilassung durch Abt Grimald von St. Gallen als ingenuus bezeichnet wird.869 Im pactus Alamannorum aus dem 7. Jahrhundert bezeichnet ingenuus eindeutig freie Alemannen,870 während in der lex Alamannorum aus dem 8. Jahrhundert stattdessen meist von liber gesprochen wird871 und der Begriff ingenuus nur zweimal verwendet wird.872 In den St. Galler Urkunden werden ingenui im 8. Jahrhundert dreimal mit Namen genannt873 sowie 13-mal in unbestimmter Anzahl, wobei der Begriff meist einfach zur Differenzierung zwischen ‹Freien› und ‹Unfreien› genutzt wurde.874 So werden 752 beispielsweise alle, die in Stetten wohnen, ans Kloster St. Gallen übertragen: Iste et omnia in hec loco, quod dicitur Altstati,875 quod ibi maniant aut ingenui aut servi, quod maniat, quod mihi per lege debeat redere, haec totum ad sancti Galluni redeant.876 Diese Unterscheidung zeigt einer­ seits den unterschiedlichen rechtlichen Status, sie zeigt andererseits aber auch, dass selbst die auf den übertragenen Gütern lebenden Personen mit freiem Status Teil des Geschäfts wurden. Damit haben wir ein weiteres Beispiel dafür, dass die Kluft zwischen ‹frei› und ‹unfrei› lebensweltlich keinen derart grossen Unterschied ausmachte. Vielmehr haben wir es mit unterschiedlich ausgeprägten Abhängigkeitsgraden zu tun, die erst im Falle eines militärischen Aufgebots, dem Grad an Ortsgebundenheit und beispielsweise in Eheangelegenheiten zum Vorschein kamen. Besser nachvollziehbar wird die Übertragung freier Untergebener zusammen mit dem besitzerwechselnden Land an der Nennung von liberti in der Pertinenzformel zweier St.  Galler Urkunden von 762 (casis, casalis, mancipiis, libertis, pecuniis, campis, pratis) und 774 (cum casas et mancipiis et libertis et pecuniis, ȩdificiis).877 Handelt es sich wie im klassisch-­ römischen Sinne um Freigelassene, so könnte durch die Nennung im Anschluss an die mancipia in der Pertinenzformel die fortbestehende enge Bindung im Sinne einer Haus- und Hofgemeinschaft oder als Bestandteil einer Klientel verstanden werden. Die direkte Verbindung zwischen dem ehemals Hörigen und seinem Herrn ist noch deutlicher spürbar. Allerdings wird dieser Begriff in keiner anderen St. Galler Urkunde ge 868 869 870 871 872 873 874 875 876 877

Ebd., S. 703. Chart. Sang. II, n. 463. Schott, Lex Alamannorum, S. 60. Ebd., S. 84–86, 92, 104, 110–116, 124, 134. Femina ingenua und ingenuus aut ingenua (ebd., S. 154, 162). Chart. Sang. I, nn. 42, 107, 195. Ebd., nn. 18, 238, 324, 359; ebd. II, nn. 420, 450, 597, 614, 628, 656, 725, 750, 772. Stetten, Bodenseekr., Baden-Württemberg. Ebd. I, n. 18. Ebd., nn. 34, 67.

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braucht, weshalb auch in diesem Fall eine weiterführende Untersuchung nur im Material ausserhalb St. Gallens weitere Erkenntnisse bringen würde. Stattdessen werden in St. Gallen die obengenannten Bezeichnungen ingenuus sowie als reines Adjektiv liber zur Bezeichnung von ‹Freien› verwendet. Freigelassene standen vermutlich nach wie vor in starker Abhängigkeit und den Status von ‹Urfreien› würden sie wohl nie erreichen, wie auch die Wergeldzahlen aus der lex Alamannorum zu denken geben.878 Ein zweiter Blick auf ‹Freie› und Freigelassene, die womöglich unter anderen Termini aufzuspüren sind, sowie auf Freilassungsakte könnte hier weitere Erkenntnisse bringen. In Relation zu den separat genannten servi werden in einer Übertragung aus dem Jahr 764 explizit die im Dienst des Gebenden stehenden ingenui namentlich genannt.879 Doch im Vorakt auf der Rückseite derselben Urkunde finden sich die zwei Namen der ingenui am Ende der unter Nomina mancipiorum880 aufgeführten Personen. Fallen die ingenui also ebenso unter den Oberbegriff mancipia? Im Endeffekt stehen diese ingenui ja nur in einer anderen Abhängigkeit zu ihrem Herrn, sind rein rechtlich jedoch ‹frei›, wie auch an einer Dorsualie um 815 ersichtlich wird, die mit ingenuitas ausdrücklich die Freiheit einer ehemaligen famula bezeichnet.881 Vermutlich überwog bei der Erstellung des Voraktes im Kopf des Schreibers der Gedanke an ein Rechtsgeschäft, weshalb er in Folge dessen an mancipia dachte, und zwar unabhängig vom Freiheitsgrad. Welche weiteren besonderen Gruppen könnte es dabei noch gegeben haben? Coloni Eine Bezeichnung, die sich ebenfalls nicht ohne Weiteres zwischen servi und ingenui einordnen lässt, ist colonus. Laut Niermeyer handelt es sich bei coloni entweder um schollengebundene Pächter, die sich mit fortschreitender Zeit dem Status eines belehnten Unfreien angenähert hätten, oder um Freigelassene, die unter dem Schutz des Königs oder der Kirche standen.882 In einer Urkunde von 721 werden coloni und servi mit derselben semantischen Bedeutung verwendet, also quasi gleichgestellt.883 Sollten beide Begriffe an dieser Stelle einen Unfreien bezeichnen, so durften diese zu Beginn des 8. Jahrhunderts über Besitz verfügen, was mit Niermeyers Ansicht nicht schlecht korrelieren würde. In ähnlicher Weise und ebenso mit Namen tauchen weitere coloni noch einmal Ende des 8. Jahrhunderts auf884 und einmal namenlos und in

878 879 880 881

Vgl. Schott, Lex Alamannorum, S. 88, 92, 134. Ingenui […], his nominibus Hato et Urchilinus (Chart. Sang. I, n. 42). Ebd. Ebd., n. 107. Vgl. ebenso ebd., n. 195 (Car[t]a i[n]genuitatis quam fecerunt Uuolfpert et Uuin[gi]diu suis mancipiis), ebd. II, n. 700 etc. 882 MLLM, S. 266 f. In der römischen Kaiserzeit war unter derselben Bezeichnung laut Bosl (Freiheit und Unfreiheit, S. 212) noch «der persönlich freie Bauer, der mit Familie, Vieh und Mobiliar an den Boden gefesselt war, der kein Landeigentümer mehr war, Pachtschilling an den Herrn des Bodens, aber keine Steuer an den Staat mehr zahlte, der seiner Rechtsstellung nach zusehends mehr Sklave, denn freier Mann wurde» zu verstehen. 883 […] tradimus […] de colonis meis Erfoinum cum uxore sua et cum omni apertinentia sua, cum casa et cum terra et cum omnibus suis, et alium servum nomine Vualdolfum cum casa, cum terra et cum omnibus ad eum pertinentibus (Chart. Sang. I, n. 2). 884 Ebd., n. 89.

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unbestimmter Zahl Ende des 10. Jahrhunderts.885 Für St. Gallen sind coloni ansonsten urkundlich nicht von Bedeutung. In der lex Alamannorum des 8. Jahrhunderts steht colonus jedoch für einen ‹Kirchenfreien› (liber ecclesiasticus) beziehungsweise einen ‹Königsfreien›.886 Mitte des 9.  Jahrhunderts werden im Zusammenhang mit den Rechten des Bischofs von Chur die Abgabepflichten der coloni montanarici genannt, Zinspflichtige des Bistums, welche die höher gelegenen Gebiete bewirtschafteten.887 Unter coloniae schliesslich waren die betreffenden Pachtstellen selbst gemeint, wie unter anderem in einer rätischen Urkunde von 933 ersichtlich wird: et pro mea anima mito at ipsum monesterio, hoc est colonias II in fundo Pedenocie.888 Barones Eine weitere Gruppe solcher ‹freier Abhängiger› könnten die barones darstellen. Die in der bereits aufgeführten Beata-Urkunde von 745 genannten parones quattuor889 können meines Erachtens einerseits als barones (nach Niermeyer Hörige)890 und andererseits als parones (kleine Schiffe891 beziehungsweise Barken)892 verstanden werden.893 Eine eindeutige Klärung ist schwierig, da dieser Begriff in keiner anderen früh- und hochmittelalterlichen Urkunde in St.  Gallen mehr auftaucht. In den Annales Sangallenses Baluzii hingegen wird der Begriff mit vir gleichgesetzt,894 was sich schlecht mit dem Verständnis von einem ‹Hörigen› vereinbaren lässt. Ebenso wird baro in der lex Alamannorum zur Unterscheidung von Mann und Frau benutzt (baro aut femina).895 Niermeyer, der die Verwendung in ebenjener St. Galler Urkunde als einziges Beispiel für einen ‹Hörigen› heranzieht, scheint damit eher einen Präzedenzfall geschaffen zu haben. Ansonsten übersetzt er diesen Begriff nämlich ebenfalls sinngemäss mit ‹Mann›, ‹Vasall› oder ‹Grosser des Landes›,896 und auch Bosl sieht dahinter mehr einen (freien) ‹Mann›.897 Sollten damit doch abhängige Personen gemeint sein, so werden sie jedenfalls getrennt von den mancipia genannt (mancipios tres et parones quattuor),898 was an sich schon eine Aussage ist. Werfen wir einen kurzen Blick abseits der St. Galler Überlieferung, so taucht der Begriff baro überhaupt erst Mitte des 12. Jahrhunderts 885 Font. rer. Bern. I, n. 43. 886 Die Kolonen waren abgabepflichtig: De liberis autem ecclesiasticis, quod colonus vocantur, omnis sicut colonis regis ita redant ad ecclesia; Schott, Lex Alamannorum, S. 90, 96–98, 124. Für die Abtei Prüm stellt Kuchenbuch (Klosterherrschaft, S. 259) die coloni zu den ingenui und in Abgrenzung zu den liti und Unfreien. 887 BUB I, n. 119. Vgl. Kaiser, Churrätien, S. 122. 888 Chart. Sang. II, n. 839. 889 Ebd. I, n. 10. 890 MLLM, S. 114. 891 Ebd., S. 996. 892 Mlat Glossar, Sp. 274. 893 Erhart (Tra Luxeuil e Bobbio, S. 287) versteht darunter eine Barke. 894 multis barones et mulieres (Pertz, Annales Sang. Baluzii [MGH SS I], an. 805, S. 63). 895 Schott, Lex Alamannorum, S. 140, sowie alleine ebd., S. 156. Ansonsten wird für den Mann im Sinne des ‹freien Mannes› mit Ausnahme einer Nennung als vir ausschliesslich homo verwendet. 896 MLLM, S.  114. Ihm folgend wurde der Begriff im St.  Galler Volksblatt 86 (1941) und in der Mönchaltorfer Festschrift (1250 Jahre Mönchaltorf. 741–1991, Mönchaltorf 1991) als «Trossknecht» beziehungsweise «Halbfreier» übersetzt. 897 Bosl, Ius ministerialium, S. 65. 898 Chart. Sang. I, n. 10.

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urkundlich auf, und zwar für Lehnsträger und in gehobener Stellung beziehungsweise in hoher Dienstfunktion neben vassalli,899 comites,900 ministeriales901 und milites.902 Unter einem baro dürfte also seit dem Frühmittelalter weniger ein Höriger als ein ‹freier› Alemanne zu verstehen sein.903 Tributarii, censores und censuales Diese stark an Abgaben orientierten Bezeichnungen leiten sich bestens von den bereits postulierten Abhängigkeiten ab. Anstelle ausschliesslich von ‹Unfreien› und ‹Freien› zu sprechen, trifft es die zeitgenössischen Umstände besser, wenn man anstelle von fixen Ständen von unterschiedlich stark ausgeprägten gegenseitigen Abhängigkeiten ausgeht, die sich unter anderem an Abgaben/Zinsen (tributum, census/ censum) zeigten. Für die Bezahlung eines Zinses beziehungsweise für die Leistung einer Abgabe erhielt die betreffende Person je nachdem Haus und Hof, Schutz und rechtliche Sicherheit oder die Sorge um das Seelenheil. Borgolte spricht hierbei von vertikaler und horizontaler Mobilität der Censualen.904 Es könnten dazu also im übertragenen Sinne auch Angehörige der Elite so bezeichnet werden, was aufgrund des doch eher negativ behafteten Inhalts (Betonung der Abgabepflicht) wohl äusserst selten anzutreffen sein dürfte. Auf der anderen Seite stehen hauptsächlich landwirtschaftlich tätige Abhängige und Hörige sowie Freigelassene, die ihrem Herrn auch weiterhin Zins schuldig waren. Nach Borgolte bedurfte ein Freigelassener, nachdem er die ‹Freiheit› erlangt hatte, dennoch eines «Muntherrn», eines Patrons, welchem er einen Zins schuldete, woraus die Personenbezeichnung des Censualen hergeleitet werden könne.905 «Der Zins, der zweifellos den Anspruch auf Schutz begründet hat, konnte zugleich dazu dienen, bei der Kirche für das Seelenheil zu sorgen.» Diese ‹minderfreien Freigelassenen› (und damit ‹Abhängigen›) sollen selbst über den Tod hinaus mit ihrem Patron verbunden gewesen sein, und auch untereinander vermutet Borgolte je nach Ort und Grösse der Gruppe von betroffenen Censualen einen gemeinsamen «Memorialdienst» in «Kultgenossenschaften».906 Als alemannisches Beispiel einer solchen Gedenkgemeinschaft nennt er die Hörigen Altolf und Hettila, welche von der Aristokratin Beata um 745 der Marienkirche auf der Lützelau im Zürichsee geschenkt werden (pro anima Atanæ serviant ibi Altolf, Hettila).907 899 […] nulla persona magna aut parva, ecclesiastica aut saecularis, dux, marchio, comes, baro vel vassallus a praefatis priore, fratribus, servis et colonis eorum pedagium (Appelt, Urkunden Friedrichs I. [MGH DD F I,1], n. 185). 900 Federicus dei gratia Romanorum imperator et dux Suevorum, […] omnes comites et barones Suevorum. Im Regest spricht Appelt gar schlicht von den schwäbischen Grafen und «Baronen» (ebd., n. 157). 901 […] baronibus et ministerialibus, ȩcclesiasticis quoque personis, archidiaconis, abbatibus et prepositis in placitis et curiis archiepiscopi (ebd., n. 59). 902 Fredericus Romanorum rex semper augustus omnibus hominibus tam monachis quam laicis atque baronibus seu militibus ad Pharfensem abbatiam pertinentibus (ebd., n. 95). 903 Laut Schmidt-Wiegand (Rechtsvorstellungen, S. 551) dürfte es sich dabei um einen wesentlich älteren Begriff germanischen Ursprungs handeln. 904 Borgolte, Freigelassene, S. 134. 905 Ebd., S. 133. 906 Ebd., S. 141, 146 f. Vgl. Esders, Zensualität, S. 95. 907 Borgolte, Freigelassene, S. 148 f.; Chart. Sang. I, n. 10.

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In den St. Galler Urkunden kommt der tributum-Begriff fast ausschliesslich als Abgabe selbst vor,908 aber auch zur Bezeichnung eines namentlich genannten Abgabepflichtigen909 sowie für ganze Gruppen von Abgabepflichtigen.910 Zu Letzteren ist vor allem auf eine Königsurkunde des Jahres 861 hinzuweisen, worin Kaiser Ludwig der Deutsche ein Marienkloster unter seinen Schutz nimmt, ihm die Immunität verleiht und die Gerichtsbarkeit über die Zinspflichtigen zuspricht: Cunctos vero tributarios vel censuales, qui res suas tradiderunt eidem ecclesiae vel in antea tradituri sunt, ut in perpetuo sub defensionem eiusdem ecclesiae per hanc nostram auctoritatem consistant.911 Warum dabei zwischen Tributariern und Censualen unterschieden wird, ist unklar; womöglich war dies eine rechtlich unbedeutende Floskel. Es ist möglich, dass es sich dabei um zwei unterschiedliche Rechtsgruppen handelt, doch lässt sich dies im vorliegenden Kontext nicht nachweisen.912 Wenn dem so wäre, dürften die tributarii geringer einzuschätzen sein als die censuales, da unter dem censum hauptsächlich die jährliche Abgabe zu verstehen ist, die jeder zu leisten hatte, der unter dem Schutz von jemand anderem stand, so auch die Abtei St. Gallen gegenüber dem König. Im Verhältnis Reichskloster – König wird diese jährliche Abgabe freilich nicht als tributum oder censum bezeichnet, sondern als dona annualia (zum Beispiel im Jahr 854: Statuimus etiam, ut annuatim inde dona nostrȩ serenitati veniant, sicut de ceteris monasteriis, id est caballi duo cum scutis et lanceis).913 Als jährlicher Zins findet sich der censum-/census-Begriff in praktisch jeder St. Galler Urkunde.914 Dagegen ist unter einem tributum – abgesehen von den Fällen, in denen auch die jährliche Abgabe gemeint ist – häufig eine ausserordentliche Abgabe zu verstehen, die eher an ein Fronarbeitsverhältnis erinnert als an ein Abhängigkeitsverhältnis zu beiderseitigem Nutzen. Gewiss gibt es ausserhalb der St. Galler Überlieferung Fälle, wo sich exakt das Gegenteil feststellen lässt, weshalb an dieser Stelle eine pauschale Aussage zum jeweiligen Stand von tributarii und censuales vermieden wird. Der relativ neutrale Abgabenbegriff censum wird personifiziert im direkten Zusammenhang mit St. Gallen nicht als censuales, sondern als censores verwendet, und zwar in einer Liste der Zinsleute des Klosters St. Gallen im zürcherischen Wehntal (Bezirk Dielsdorf) aus der Mitte des 9. Jahrhunderts:

Censores de Uaninctale: Ruadini vomeres II. Kerloh denarios IIII. Uuillihere de Sickingun denarios XVI. Othere de Dassarun denarios IIII. Hato de eodem loco denarios IIII. Adalsind de suo capite denarios II aut duo libra de cera. Ruadger et Engilbold de Tellinchouun inter utrosque denarium. Hiuto de Dassaha denarios IIII. Filii Uuielanti de Afaltraha solidos V. Crifo de

908 Ebd., nn. 227–228, 355–357, 380; ebd. II, nn. 496, 560, 754, 767, 781, 856, 864; Font. rer. Bern. I, n. 43. 909 Chart. Sang. I, n. 342. 910 Ebd., nn. 227, 324. Zu denjenigen aus ebd., n. 227, deren Nennung einem Rückvermerk aus dem 11. Jahrhundert geschuldet ist, vgl. Sprandel, Verfassung, S. 51. 911 Chart. Sang. II, n. 496. 912 Esders (Zensualität, S. 89) setzt beide Bezeichnungen als gemeinsame Gruppe gleich. 913 Chart. Sang. II., n. 450. Ebenso in der Bestätigung von 896 (ebd., n. 750). Vgl. Prinz, Herrschaftsformen, S. 19. 914 Im Gegensatz dazu findet sich das personifizierte censuales einzig in ebengenannter Urk. (Chart. Sang. II., n. 496).

187 Uuiningun denarios IIII. Engilger de Otenuilare solidum I et Altman in simul. Uuinirat de Husinbah servus sancti Galli, solidum I. Sigibret habet servum sancti Galli pro illo censum dat solidum I. Scerun servum nostrum idem Sigibret habet. Uto et fratres eius pro uno agro vomerem I aut IIII denarios ann[is] singulis.915

Die censores werden namentlich mit ihrem jährlich zu leistenden Zins aufgeführt, wobei wir abgesehen davon nicht viel zu ihrem rechtlichen Status sagen können. Darunter finden sich einige prominente Namen wie Othere, die eigentlich mit der schwäbischen Elite in einen Zusammenhang gestellt werden könnten, doch schliesst dies das Tragen solcher Namen unter Hörigen ja nicht aus. Die Bezeichnung servus sancti Galli kann ein Hinweis auf ein serviales Verhältnis sein, doch konnte damit – wie oben ausführlich gezeigt wurde – auch im übertragenen Sinne ein ‹Diener des heiligen Gallus› als Geistlicher sowie als Nichthöriger in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Kloster St.  Gallen gemeint sein. Eine ähnliche Gruppe von Zinsleuten von Berg (SG) wird gleich in zwei Königsdiplomen aus den Jahren 901 und 904 genannt, dort allerdings als censarii.916 Ebenfalls als censarii tauchen Zinsleute zusammen mit mansionarii um 920 auf (monasterii censarii vel mansionarii).917 Abgesehen davon wird der Begriff nur noch adjektivisch (cens[u]alis) oder partizipial (censatus) – beispielsweise als terra censalis918 und homines censata919 – verwendet. Zum Vergleich und zur Unterscheidung mit weiteren tributarii und censuales/ censores wird nur kurz auf wenige Fälle ausserhalb des St. Galler Urkundenbestandes verwiesen. So wurden die tributarii der Abtei Kempten offenbar zum Kriegsdienst aufgeboten.920 Dies bedeutet entweder, dass diese Bezeichnung dort ebenfalls für eine Gruppe abhängiger Höriger stand, die vom Abt zur Erfüllung der Heeresfolge herangezogen wurden, oder dass eine Reihe von nichthörigen Abhängigen, die unter dem Schutz des Klosters standen, ihre ‹Abgaben› in Form von Kriegsdiensten leisteten.921 Wie oben unter den homines cavallicantes und allgemein in der Auswertung berittener Höriger zu sehen war, konnten diese durch besondere Fähigkeiten und Aufgaben innerhalb der klösterlichen oder bischöflichen familia aufsteigen. So waren in den 870er‑Jahren tributarii für den berittenen Botendienst im Auftrag des Konstanzer Bischofs tätig.922 Dies würde womöglich auch die Kemptener tributarii erklären. Vergleichend könnte die Begriffsverwendung in den ausgewählten Chroniken des 9. und 11. Jahrhunderts von Nutzen sein: Die tributarii und censarii bei Ratpert, Ekkehart IV. und Hermann von Reichenau sind zwar nicht gleich als herausgehobene Hörige mit Spezialfunktionen erkennbar, doch könn 915 916 917 918 919 920 921

Ebd. I, n. 351. Ebd. II, nn. 767, 775. Ebd., n. 829. Ebd., n. 812. Ebd., n. 449. Vgl. UB Salzburg I, S. 13 f.; Stengel, Ministerialität, S. 170 f. Vgl. hierzu unter anderem die Ausführungen zu den homines cavallicantes oben sowie Bosl, Freiheit und Unfreiheit, S. 203. 922 Accipe epistolam istam et commenda illam alicui tributariorum nostrorum, qui cavallum habet, et praecipe illi, ut nec die nec nocte requiescat, donec eam ad Têingon illi maiori deferat (Zeumer, Form. Sang. Salomon. [MGH Form.], S. 419, cap. 36).

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ten beispielsweise zwei tributarii des Bistums Konstanz, die Ratpert erwähnt, unter diese Kategorie fallen.923 Ebenso dürfte ein bei Ekkehart genannter censarius als ein berittener Bote oder sonstiger Spezialist verstanden werden.924 Auch hier kann keine abschliessende Aussage zum Stand der betroffenen Personen formuliert werden. Etwas weniger gross ist der Interprationsspielraum dagegen bei der Begriffsverwendung von Hermann von Reichenau, wo es sich bei den tributarii schlicht um tributpflichtige Völker handelt.925 Eingangs wurde bereits mit Hilfe von Borgolte auf die mögliche Verbindung zwischen Censualen und der rechtlichen ‹Freiheit› beziehungsweise der Freilassung eingegangen, welche unter anderem dadurch erreicht werden konnte, wenn man selbst finanziell dazu in der Lage war. Anstelle von Freilassung sollte in diesem Kontext allerdings besser von einer ‹Statusverbesserung› oder ‹Standeserhöhung› gesprochen werden, die man sich durch einen erhöhten Zins erkaufen konnte, sofern der im Abhängigkeitsverhältnis Darüberstehende einem solchen Handel zustimmte.926 Zur Stellung der censores gibt eine Zürcher notitia aus der ersten Hälfte des 10.  Jahrhunderts Auskunft, worin der Versuch einer ‹unrechtmässigen Standeserhöhung› dokumentiert wurde: No[ti]tia de servis et ancillis in Hoinga. Isti voluerunt se iniuste ad censores trahere […].927 Der Versuch einer eigenmächtigen ‹Standeserhöhung› dieser servi und ancillae des Chorherrenstiftes in Höngg zu censores ist ein Indiz für den höheren Stand und die Attraktivität des ‹Censorats›. Esders sieht die Gruppe der Censualen als ehemals Hörige an, die beispielsweise als Teil der bischöflichen familia im Zuge der zunehmenden ‹Verstädterung› nach mehr Eigenständigkeit verlangten, wobei das «Zensualenrecht» im 11./12. Jahrhundert häufig als ius urbanum oder urbana lex bezeichnet worden sei.928 «Das frühere 11. Jahrhundert erscheint bekanntermassen als die eigentliche Umbruchszeit in der Entwicklung des Verhältnisses von Freiheit und Unfreiheit»929 und «erst ihre Selbstwahrnehmung als ‹Freie›, ja als ‹Freigeborene› (ingenui) hatte die Zensualen in den hochmittelalterlichen Bischofsstädten mit anderen städtischen Gruppen an einem Strang ziehen lassen, um über den König als den letztverantwortlichen Garanten ihrer Freiheit den Druck auf ihren bischöflichen Stadtherrn so zu erhöhen, dass dieser auf seine Patronatsrechte verzichtete und ihnen den Weg zur ‹Freiheit des Bürgers› ebnete.»930 Im terminologischen Gewirr können tributarii und censores/censuales wohl meist als rechtlich etwas besser situierte Abhängige gesehen werden, wahrscheinlich auf 923 Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 24–25. 924 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 21. 925 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 737, 856, S. 98, 105. Alternativ verwendet er zur Bezeichnung der tributpflichtigen Liutizen den Begriff vectigales (Hermann, Chronicon, an. 1036, S. 670). 926 Vgl. Esders, Zensualität, S. 84–86. 927 UBZH I, n. 189. 928 Esders, Zensualität, S. 89 f.; Linck, Sozialer Wandel, S. 89 f. Vgl. Kohl, Gemeinschaftsbildung, S. 252. 929 Esders, Zensualität, S. 102. 930 Ebd., S. 110. Vgl. hierzu in gleicher Weise Linck, Sozialer Wandel, S. 86.

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Abb. 15: Liste der Zinsleute des Klosters St. Gallen im zürcherischen Wehntal (StiASG, ­Urk. Bremen 24).

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derselben Schiene wie obige homines cavallicantes und die einst hörigen milites der verschiedenen Abteien. Für das Westfrankenreich vermutet Linck eine ähnliche Entwicklung, wobei sich die Censualen zur Hälfte aus den servi und ancillae der Klöster und zur anderen Hälfte aus bessergestellten Abhängigen derselben Klöster rekrutiert hätten.931 Kuchenbuch zählt die censuales (oder censuales mancipia, cerarii, votivi, luminarii, mundales/-iliones) in seiner Auswertung der Prümer familia und Sozialstruktur zu einer besonderen Gruppe von meist alleinstehenden ‹Schutzhörigen›, die er neben die ‹Vollbauern› und ‹Salhofsklaven› stellt und die als cerocensuales – als Zeichen der Anerkennung ihres Patrons – einen Kopfzins in Wachs zur Kirchenbeleuchtung abliefern (‹Wachszinser›).932 Leti Im Zusammenhang mit den zwischen Freiheit und Unfreiheit stehenden Schutzhörigen wie ebengenannten censuales spricht Kuchenbuch des Weiteren von der «spätrömischen Ansiedelung germanischer Militärkolonisten», den sogenannten laeti.933 Laut Bosl sind darunter zwar freie, aber dennoch an ihren Herrn gebundene Untertanen zu verstehen.934 Dies passt nicht schlecht mit dem Verständnis im pactus sowie in der lex Alamannorum zusammen, wo sie als ‹Halbfreie› auftauchen, und zwar in der männlichen (letus)935 wie weiblichen Form (lisa).936 Allerdings wird dort lediglich einmal vom mittleren Stand (medus Alamannus)937 gesprochen. Laut Olberg-Haverkate handelt es sich bei den Liten in der lex Alamannorum am ehesten um Freie mit geminderten Rechten und allgemein scheint dieses Feld der ‹Mittelfreien› vor allem aus Freigelassenen bestanden zu haben.938 Die Freilassung beschreibt Olberg-Haverkate bis zum Ende des 8.  Jahrhunderts als einen symbolischen Akt vor dem Heer – beispielsweise in der Übergabe einer Pfeilspitze (Heerfreiheit)  – oder als kirchlichen Akt. Dadurch konnte neues Rodungsland erschlossen und das Heer aufgestockt werden. Als womöglich davon Betroffene nennt Olberg-Haverkate gehobene Unfreie wie die servi casati.939 Schmidt-Wiegand sieht – der lex Alamannorum folgend – die Liten als zwischen ‹Freien› und ‹Unfreien› stehend an.940 Sprachlich ist der Begriff vom germanischen Lehnwort letiz zum lateinischen laetus, letus, litus herzuleiten, was Sonderegger am ehesten als Freigelassenen interpretiert.941 Der Weg vom eingangs angesprochenen ‹germanischen Militärkolonisten› Kuchenbuchs in römischen Diensten zum Freigelassenen  – vielleicht ehemaligen Kriegsgefangenen – scheint nicht besonders weit und ausgesprochen 931 932 933 934 935 936 937 938 939 940 941

Ebd., S. 139. Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 260. Vgl. Bosl, Freiheit und Unfreiheit, S. 216. Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 264. Bosl, Ius ministerialium, S. 89. Unter anderem Schott, Lex Alamannorum, S. 60. Zur Verwendung von solchen volkssprachlichen Wörtern und Wortverbindungen vgl. Schmidt-Wiegand, Rechtsvorstellungen, S. 550. Ebd., S. 154. Ebd., S. 136. Olberg-Haverkate, ‹Minderfreie›, HRG III, Sp. 1518–1522. Ders., ‹Freilassung›, HRG I, Sp. 1768–1770. Schmidt-Wiegand, Recht, S. 270. Sonderegger, Rechtssprache, S. 140.

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plausibel. So berichtet beispielsweise Zettler von den Laeten, die  – als ehemalige Kriegsgefangene  – als römische Bürger minderen Rechts an den Grenzen zum Wehrdienst angesiedelt wurden.942

2.2.5

Hörige Dienstleute als Teil der alemannischen Kriegergesellschaft

Besondere Fähigkeiten, Spezialisierungen und Funktionen von Hörigen finden sich vornehmlich im militärischen Kontext wieder, wodurch grosse Teile der hörigen Dienstmannschaft als Teil der alemannischen Kriegergesellschaft zu verstehen sind. Der militärische Einsatz solcher hörigen Elemente im Ostfrankenreich hatte bereits Borchardt dazu veranlasst, von der «Ministerialität als deutscher Sonderweg» zu sprechen.943 Inwieweit sich dies als ostfränkische Besonderheit abgrenzen lässt, könnte nur durch einen ausführlichen Vergleich mit der frühmittelalterlichen Situation im heutigen Frankreich überprüft werden, und dies nicht allein über die Suche nach kämpfenden Hörigen, sondern über eine Reihe weiterer herausgehobener Spezialisten. Denn besonders die in klösterlichen Quellen genannten Boten, Gesandten, Knechte, berittenen Diener und weiteren funktional erhöhten Chargen aus der hörigen familia müssen in vielen Fällen ebenfalls zur Kriegergemeinschaft gezählt werden, die notfalls für ihren Herrn zur Waffe griff. Die politische und militärische Organisation sieht Esders als die wichtigsten Milieus des Aufstiegs frühmittelalterlicher Eliten.944 Als Beispiel führt er eine Vereidigung der Bevölkerung auf Karl den Grossen aus dem Jahr 789 an: Die vollständige Gesamtheit des Volkes, im Knabenalter von 12 Jahren wie im Greisenalter [stehend], die zu Versammlungen [placita] kommen und den Befehl von militärischen Vorgesetzten [seniores] erfüllen und beachten können, seien sie Gaubewohner [pagenses], Männer [homines] von Bischöfen, Äbtissinnen oder Grafen, Männer der Übrigen, Kolonen, die auf Königs- oder Kirchengut ansässig sind, oder Unfreie [servi], die in Ehren [honorati] stehen, weil sie Lehen [beneficia] oder Dienst­ ämter [ministeria] innehaben bzw. infolge von Vasallität bei ihrem Herrn in Ehren stehen und Pferde [caballi], Waffen [arma], Schild [scutum], Lanze [lancea], Lang- und Kurzschwert [spata et senespasium/semispathium]945 führen können: sie alle sollen schwören.946

942 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 31. 943 «Offenbar bestand im Reich während des 10. und 11. Jahrhunderts ein grosser Bedarf an Kämpfern, der sich am bequemsten durch unfreie Angehörige der herrschaftlichen familia decken liess» (Borchardt, Sonderweg, S. 38). 944 Esders, Eliten und Raum, S. 20. 945 Vgl. GMIL VII, S. 408 f., 420. 946 Übersetzung von Esders (Eliten und Raum, S. 22). […] generalitas populi, tam puerilitate annorum XII quamque de senili, qui ad placita venissent et iussonem adimplere seniorum et conservare possunt, sive pagenses, sive episcoporum et abbatissuarum vel comitum homines, et reliquorum homines, fiscilini quoque et coloni et ecclesiasticis adque servi, qui honorati beneficia et ministeria tenent vel in bassallatico honorati sunt cum domini sui et caballos, arma et scuto et lancea spata et senespasio habere possunt: omnes iurent (Boretius, Kapitularien [MGH Capit. I], n. 25/4).

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Der Eid diente laut Esders der Vorbereitung militärischer Operationen. Geleistet wurde er in den jeweiligen Bezirken (pagus, comitatus, centena) unter persönlicher Anwesenheit sowohl der seniores als auch der pagenses, homines, servi, homini und der anderen Waffenträger. Comites und seniores waren nach Esders von vergleichbarer Wichtigkeit in der Organisation des Militäraufgebots, wobei der comes für das räumliche und der senior für das personale Rekrutierungsmuster standen.947 Von solchen Aufgeboten dürften im klösterlichen Kontext die Waffenträger unterschiedlichen Standes betroffen gewesen sein und zur Aufrechterhaltung der klösterlichen Grundversorgung dürfte man nicht ausschliesslich die wertvollsten Ressourcen aus der familia in den Kampf geschickt haben. Dabei wäre eine weitere Untersuchung zu Faktoren wie agrarischen Verbesserungen, Entwicklungen gewisser Siedlungsformen und verschiedener ökonomischer Faktoren von Bedeutung für das Verständnis ebenjener klösterlichen Grundversorgung und ihrer Akteure, was in dieser Arbeit allerdings grösstenteils aussen vor bleiben muss,948 obgleich in diesen Bereich Alemannien/Schwaben meist mit den frühsten Nachweisen (Dreifelderwirtschaft etc.)949 aufwarten kann und diese wohl auch indirekt mit dem Aufstieg von hörigen Dienstleuten in Zusammenhang stehen, da grössere Gruppen an Waffenträgern auch eine grössere Ernährungsgrundlage voraussetzen. Welche Gruppen der sankt-gallischen Hörigen, Dienstleute und Funktionäre darf man denn nun am ehesten zur Gruppe der Waffenträger in äbtischen Diensten zählen (und sei es nur zu Verteidigungszwecken)? Zur Beantwortung dieser Frage werden nach den oben genannten spezialisierten Hörigen nun einige weitere Funktionäre genauer betrachtet, wie die Träger der lateinischen Termini legati, nuntii, missi, viatores, celeres, speculatores, exploratores, asseculae, apparitores, rustici und aratores, worunter teils ‹Freie›, teils Hörige sowie Beauftragte in ziviler Mission wie auch für militärische Zwecke verstanden werden können. Boten und Gesandte Abgesehen von den wenigen berittenen Funktionären, die in den St. Galler Urkunden beiläufig erwähnt werden,950 ist die heterogene Gruppe an legati, nuntii, missi, viatores und celeres eher in erzählenden Quellen anzutreffen. Heterogen bleibt die Gruppe besonders deswegen, weil – trotz einer breiten Auswahl an Termini – Personen mit unterschiedlichstem Stand und persönlichem Abhängigkeitsgrad in ihrer Funktion so genannt werden. Als ‹zeitloser› Begriff für weltliche und geistliche Gesandte, die eben keine reinen Nachrichtenüberbringer waren, sondern durchaus mal als Botschafter fungierten, werden legati beziehungsweise ganze legationes (Gesandtschaften) von Heito, Notker,951 Ekkehart IV., Hermann dem Lahmen und Berthold erwähnt. 947 Vgl. Esders, Eliten und Raum, S.  26  f. Kolonen und Diener sollten sich seit einem päpstlichen Gebot um 817/818 ebenfalls zur militia zählen, wie Morsel (Aristocratie médiévale, S. 118) folgert. 948 Vgl. unter anderem Steuer, Frühe Siedlungen, S. 42 f., 49 f. 949 Chart. Sang. I, n. 39 aus dem Jahr 763. 950 Vgl. obigen Abschnitt zu den homines cavallicantes. 951 Bei Notker kommen neben elf legati eine Gruppe weiterer Gesandte als legatarii regis Afrorum vor, die ebenso als persönliche Beauftragte beziehungsweise ‹Botschafter› eines afrikanischen Königs am Hofe Karls gesehen werden dürften (Notker, Gesta Karoli II, cap. 9).

193

Angesichts der Verwendung dieser Begriffe sowohl im 9. als auch im 11. Jahrhundert ergibt sich für die Quellen des 11. Jahrhunderts – in entsprechender Relation zur jeweiligen Grösse der Quelle – eine deutliche Steigerung der Begriffsverwendung im 11. Jahrhundert, was sich aber durch die Intention der jeweiligen Quellen erklären lassen sollte. ‹Internationale Beziehungen›, also beispielsweise Gesandtschaften an den byzantinischen Hof, dürften in den Grosserzählungen des Hermann und Berthold eine grössere Rolle gespielt haben als in Ratperts Klostergeschichten.952 In ähnlicher Weise wurde bei Notker, Ratpert, Ekkehart IV., Hermann und Berthold der Terminus nuntius/nuncius verwendet. Berthold, der diesen Begriff am zweithäufigsten benutzt, bezeichnet hauptsächlich reine Nachrichtenüberbringer beziehungsweise gewöhnliche Boten als nuntii, während die von ihm siebenmal häufiger genannten legati meist selbst verhandlungsberechtigt gewesen zu sein scheinen. Dabei zeigen sich aber vor allem Vorlieben oder Prägungen durch eigene Lektüre, denn Ekkehart IV. verwendet doppelt so oft nuntius wie legatus, während Notker kaum von nuntii spricht und dafür fast als einziger mehrfach den Begriff missus nutzt.953 Ekkeharts eigene Begriffsverwendung zeigt sich auch in den nur von ihm verwendeten Worten viator und celer für Boten. Unter celeres fallen bei ihm insbesondere Eilboten und schnelle Reiter.954 Einmal muss der Begriff gar zur Umschreibung leichter berittener Kämpfer herhalten: Er [Tuotilo] zog einmal durch einen Wald, ein richtiges Räuberrevier, und liess sich von zwei eigenen Leuten [comitatus] begleiten, einem Reisigen mit und einem Reisigen ohne Lanze [scutatus cum lancea]. Und siehe, da wurde er von zwei verwegenen Kerlen überfallen, wobei jeder der beiden einen der Seinen vom Pferd warf. […] Rasch bemächtigten sich die abgeworfenen Knechte [celeres] der Lanzen; da sahen die Feinde ein, dass sie den Ansturm eines solchen Führers nicht bestehen würden, und von ihm entwaffnet, schlugen sie sich in die Büsche.955

Bei diesen Männern, die Haefele mit ‹Reisige› übersetzt, darf wohl wirklich von einer Gruppe leichtbewaffneter Reiter des Klosters St. Gallen ausgegangen werden, die den Mönch Tuotilo als Eskorte begleiteten. Wären es Krieger gewesen, hätte er – wie in 27 anderen Fällen auch – von milites gesprochen, diese Bezeichnung erhöht jedoch die Erwartung nach einer ganz anderen Gruppe von Männern.

952 Überhaupt stellten Ratperts Schilderungen laut Pössel (Ratpert, S. 4 f., 12, 20) ein Novum dar und er selbst dürfte mit seinen Klostergeschichten wohl unwissentlich das Genre der klösterlichen Geschichtenerzählung begründet haben. Mit Ekkeharts casus lässt sich dieser Umstand vielleicht sogar noch besser nachprüfen, denn trotz ähnlichem Umfang wie bei Hermann und Bertold tauchen legati bei ihm drei- bis fünfmal weniger auf als bei jenen. 953 Das lässt sich bei Notker nur deshalb derart gegenüberstellen, da er die Termini legatus, nuntius und missus scheinbar willkürlich für praktisch dieselben Funktionäre benutzt, was besonders die abwechslungweise Bezeichnung von ein und denselben Personen(gruppen) in mehreren Fällen zeigt (Notker, Gesta Karoli II, cap. 5–9, 18). 954 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 18–20, 47. 955 Übersetzung von Haefele (ebd., S. 93). Ibat aliquando per silvam latronibus aptam duobus suis comitatus, uno scutato cum lancea, altero sine. Et ecce a duobus audacissimis invasus, ambos istos uterque suum equo deiecerat. […] Quas cum deiecti celeres raperent, tanti ducis violentiam minime se perpeti posse videntes, hostes ab eo exarmati divertunt (ebd., cap. 40).

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Dahinter dürfen wohl Männer aus der unfreien familia des Klosters, Meier oder andere ‹unfreie› Personen vermutet werden, die zur Ausübung ihrer Funktion Pferde und Waffen erhalten hatten. Während in der früheren Mediävistik oft zu voreilig von ‹der Ministerialität› gesprochen wurde, trifft das Modell der ‹Ministerialen› als den klassischen Aufsteigern durch Kriegs- und Hofdienste in diesem Fall gar zu, wenn wir uns Ekkeharts Lebenswelt des 11. Jahrhunderts bedienen. Wie die celeres dürfen auch die Boten und Gesandten in gewisser Hinsicht mit militärischem Personal wie leichten Reitern, Kurieren, Spähern und Kundschaftern in Verbindung gebracht werden, da sie nämlich als Männer mit dem besonderen Talent des Reitens und dem überdurchschnittlichen Vertrauen ihrer Herren ausgestattet waren. Vorstellbar als solche Spezialisten sind die exploratores bei Notker, Ekkehart IV. und Berthold sowie ein speculator bei Notker.956 Zwischen Gesandten und einfachen Nachrichtenüberbringern sowie militärischen Spähern mag gewiss ein Standesunterschied vorhanden gewesen sein – besonders bei Aufgaben als ‹Botschafter› –, doch genossen beispielsweise die spätantiken, kaiserlichen speculatores – die Eliteeinheit der Prätorianergarden  – als Kuriere, ‹Feldpolizisten› und Scharfrichter das besondere Vertrauen des Kaisers.957 Als berittene Einheiten verfügten sie über gewisse Privilegien gegenüber dem Gros der Garde, das zu Fuss unterwegs war. Vertraute nun 500 Jahre später der Abt von St. Gallen einem Mann eine wichtige Nachricht an, so griff er sehr wahrscheinlich auf einen seiner Mönche oder aber auf einen Mann aus der unfreien familia zurück. Besonders in Besitzfragen hätte ein freier Gefolgsmann womöglich gar zu seinen persönlichen Gunsten handeln können, während ein Klosterhöriger über weniger Spielraum verfügte und direkter an die Abtei gebunden war. Solche Dienste konnten gar zu einer Besserstellung innerhalb des Gesindes führen. Der Sprung von der römischen Antike zum Kloster St. Gallen im frühen Mittelalter mag gross sein, das Prinzip ist aber dasselbe: Wer durch persönliche Leistungen Aufstiegschancen erhält, gibt sich mehr Mühe und ist seinem Auftraggeber oder Herrn treuer ergeben, als jemand, der in eine gewisse Position hineingeboren wurde und das Erbe seines Vaters auch behalten kann, wenn er nicht immer mit vollstem Einsatz für die Sache seines Herrn einsteht, wie es bei einigen freien Gefolgsleuten mit Klosterbenefizien der Fall gewesen sein dürfte. Tross und ‹Trossknechte› Für Hörige und andere Personen niederen Standes unter einem weltlichen wie geistlichen Herrn konnten Spezialaufgaben und Sonderdienste zu einer Standeserhöhung sowie zu weiteren Privilegien führen, wie gerade eben für Boten und Gesandte dargelegt wurde. Da ein miles von höherem Stand selbst auf der Heerfahrt nur ungern auf die gewohnten Annehmlichkeiten verzichten wollte und zudem zahlreiche 956 Diese Funktionen waren grundsätzlich standesunabhängig denkbar (vgl. Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 220) und konnten bei Notker (Gesta Karoli II, cap. 14) auch einmal für die Gegenseite verwendet werden, als er bei einem normannischen Voraus- und Überfallkommando per Schiff von exploratores spricht. Bei Ekkehart (Cas. s. Gall., cap. 52, 54–56, 62) sind es sowohl Späher des Klosters als auch der feindlichen Ungarn. 957 König, Römischer Staat, S. 228.

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Gerätschaften und Maschinen, Verpflegung und Gepäck auf einem Feldzug mitgeführt werden mussten, dürften Hörige auch dort in grosser Zahl als Teil des Trosses mit dabei gewesen sein. Freilich gehörten zum Tross auch spezialisierte Handwerker, wie sich aus der Erzählung vom ‹eisernen Karl› herauslesen lässt, als er die Handwerker zum Bau eines Gebetshauses während des Feldzuges aus den eigenen Reihen herbeizitiert (artificibus semper eum comitantibus).958 Auch diese können in den meisten Fällen zu den hörigen Teilen der Kriegergesellschaft gezählt werden. Der Tross war der schwerfälligste, wertvollste, aber zugleich auch der schwächste Teil eines mittelalterlichen Heerzuges, weshalb zu dessen Schutz häufig eigens Truppen abgestellt wurden. Zu diesen Truppen gehörten wohl auch die leichten Fernkämpfer – wie oben bei den Bogenschützen bereits angemerkt wurde – sowie weitere Leichtbewaffnete (Plänkler), welche teils ohnehin zum Tross gezählt wurden. Als Teil des Trosses kann man sich des Weiteren die von Kuchenbuch aufgeführten «Mansusbauern» vorstellen, die als Teil ihres zu leistenden servitium Gespanne zu stellen hatten und diese im Tross des Heeres zum Transport von Gerät und Proviant persönlich führen mussten (Spanndienste).959 Wie angreifbar der Tross besonders während des Marsches war, zeigt eine Erfahrung Ottos I. kurz vor Beginn der eigentlichen Lechfeldschlacht, als der unglücklicherweise am Ende des achtteiligen Heerzuges platzierte Tross von ungarischen Reitern überfallen und geplündert wurde.960 In Ottos Heer bildete der Tross zusammen mit tausend böhmischen milites die «achte Legion» beziehungsweise die Nachhut des Heeres.961 Abgesehen von den böhmischen milites bestand der Tross wohl nur aus leichtbewaffneten Dienern und Knechten, bestenfalls mit Werkzeugen oder  – wie Notker zu den Köchen und Pferdewachen Ludwigs des Frommen schreibt – mit Semispathen bewaffnet.962 Letzteres dürfte aufgrund der Tatsache, dass es sich auch bei einem halblangen Schwert um eine nicht ganz einfach zu führende Kriegswaffe handelte, wohl eher als eine Ausnahme und nicht als Normalfall betrachtet werden. Archäologisch lassen sich Teile eines etwas früheren fränkischen Trosses womöglich in einem Gräberfeld bei Aldaieta im Baskenland wiederfinden: In einem Massengrab wurden 116 Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts wohl noch auf dem Schlachtfeld begraben. Obwohl es sich um eine nicht einheitlich ausgerichtete und in grössere Gruppen aufgeteilte Bestattung handelte, wurden den Toten dennoch Waffen mitgegeben. «Die Toten werden als bis zu 80 % männliche Kriegsgefallene eines fränkischen Heeres aus dem mittleren Drittel des 6. Jahrhundert gedeutet, aber auch etwa 12 % Kinder und Jugendliche mit Waffenbeigabe und 13 % Frauen sind dabei. Leichte Waffen herrschen vor, Schwerter und Schilde fehlen, man nimmt einen Tross an, der niedergemacht und dann bestattet worden ist.»963 Zu den Getöte 958 Notker, Gesta Karoli II, cap. 17. 959 Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 141. Vgl. hierfür oben unter ‹Handwerk und Spezialisierung› erwähnte Trossknechte (asseculae) im St. Galler Klosterplan. 960 Vgl. oben die Ausführungen zu legio und exercitus. 961 In octava erant Boemi, electi milites mille, armis potius instructi quam fortuna (Widukind, Res gest. Sax., cap. III,44). 962 Notker, Gesta Karoli II, cap. 21. Vgl. obigen Abschnitt zu Bewaffnung und Standesbewusstsein. 963 Steuer, Fehdewesen, S. 357.

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ten gehörten offenbar Frauen und Kinder von Kriegern ebenso wie zahlreiche leichtbewaffnete Trossknechte, über deren Stand hier nicht mehr ausgesagt werden kann. Zwischen jener Schlacht an der Peripherie des fränkischen Reiches Ende des 6. Jahrhunderts und dem schwäbischen Bodenseeraum im 10./11. Jahrhundert liegt freilich eine lange Zeit und auch militärisch hat sich einiges getan, doch dürfte sich an der grundsätzlichen Zusammensetzung eines Trosses nicht viel verändert haben. Einen weiteren Tross finden wir in einer Schilderung Bertholds von Reichenau zur Schlacht bei Flarchheim 1080:

Nachdem aber die Feinde in die Flucht geschlagen und durch kriegerische Gewalt in verschiedene Gegenden zerstreut worden waren, umstellten einige von Rudolfs Leuten den Platz, wo Knappen [tyrones] und Schildträger [scutarii] des feindlichen Heeres [exercitus] als Wächter [custodes], fern von den Kämpfenden, den Ausgang der Schlacht abwarteten und die Lastpferde, Fuhrwerke und alles Gepäck an Lebensmitteln, Geld, Kleider sowie all ihre Haushaltsgeräte bewachten; sehr lebhaft umzingelten sie dies von allen Seiten, griffen an und fingen sie ein und führten vergnügt, nachdem die Feinde getötet und ausgeplündert worden waren, alles mit sich in ihr Lager.964

Im 11.  Jahrhundert bestand der Tross eines Heeres demnach ebenfalls aus jungen Männern und Leichtbewaffneten, die sich nicht zuletzt aus einfachen Knechten, Handwerkern und Dienern zusammensetzten, welche zur Verteidigung des Trosses beziehungsweise ihres eigenen Lebens zu den Waffen griffen. Als zeitgenössischer Begriff für den Tross ist am ehesten impedimentum zu verstehen, doch taucht diese Bezeichnung nur selten auf. Wir finden die Bezeichung und dadurch weitere Fälle frühmittelalterlicher Trosse unter anderem bei Notker Balbulus, Lampert von Hersfeld und Widukind von Corvey.965 Ebengenannte Stellen werden im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls behandelt, wenn auch in anderen Kapiteln. Ähnliche Formulierungen für das Gepäck (sarcina) und die Kriegsausrüstung finden sich meist innerhalb der Trossbeschreibung, während als einziger beinahe gleichwertiger Begriff für den ganzen Tross noch apparatus genannt wird,966 was ansonsten hauptsächlich für eine Kriegs(aus)rüstung steht. Die wortverwandten apparitores gehörten entweder zu den führenden Bediensteten oder waren hohe Funktionäre, die im königlichen Gefolge mitzogen (Notker) oder zu den ranghöchsten bischöflichen Dienern gehörten (Ekkehart IV.).967 Insofern könnten sie als etwas gehobenere ‹Trossknechte› gesehen werden, die dem Herrscher beispielsweise beim An- und Ausziehen seiner Rüstung halfen und als enge Vertraute zunehmend stärker zum herrschaftlichen Gefolge gezählt wurden. 964 Übersetzung von Robinson (Berthold, Chronicon II, S. 273). Fugatis vero et vi bellicosa passim in diversa hostibus propulsatis, quidam ex parte R. regis stationem, ubi custodes, tyrones et scutarii hostilis exercitus, saumarios vehicula et sarcinas cibariorum sumptuum vestimentorum omniumque supellectuariorum suorum a pugnantibus remoti finemque belli prestolantes observabant, non parum alacres undique circumdantes invaserant, ceperant, et omnia secum sic letaliter spoliatis hostibus in castra sua gratulanter abduxerant (ebd., an. 1080, S. 272). 965 Notker, Gesta Karoli II, cap. 17; Lampert, Annales, S. 308; Widukind, Res gest. Sax., cap. III,44. 966 Berthold, Chronicon II, ann. 1065, 1077, S. 56, 124. 967 Vgl. Notker, Gesta Karoli I, cap. 26; ebd. II, cap. 22; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 2, 27.

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Zur Standesfrage der Kämpfenden in Bertholds Chronik Nachdem bereits während der ersten Jahre des ‹Investiturstreits› auf beiden Seiten genügend Blut geflossen ist, kommt es laut der Chronik Bertholds von Reichenau kurz vor einer weiteren Schlacht zu einem Einigungsversuch der Kombattanten. Auf Heinrichs Seite soll dies gar gegen den Willen des Königs durchgeführt worden sein, und zwar unter der Aufsicht von Heinrichs mächtigsten Gefolgsleuten: Diese riefen unverzüglich die päpstlichen Legaten zu sich und verhandelten mit aller Anstrengung mit ihnen darüber, dass sie die Heere beider Parteien unter Androhung des Bannes unwiderruflich verpflichten sollten, nicht in einer Schlacht zusammenzustossen, vielmehr, in wechselseitigem Frieden verbunden, als Diener und Mitbürger des Königreiches eine Unterredung über die vorliegende Streitsache in Kürze zu vereinbaren und danach zu trachten, die Ursache so grossen Unfriedens mit Hilfe der rechten Urteilskraft der Grossen, welche sie dazu wählen würden, zu bestimmen.968

Besonders die Formulierung ‹Diener und Mitbürger des Königreiches› (regni subministeriales et communicipes)969 ist erstaunlich und zeigt einerseits Berthold als optimistischen ‹Ostfranken› und andererseits die innere Zerrissenheit der einzelnen Waffenträger im ostfränkischen Bruderkrieg. Die eigentliche Macht lag in den Händen der Grossen des Reiches, doch hatten diese gegenüber ihren obersten Herren (Heinrich und Rudolf) ihre Eide zu erfüllen und konnten dadurch nicht frei agieren ohne Gefahr zu laufen, Besitz, Ämter und Ehre zu verlieren. Folgt man obiger Formulierung, so sind eben doch alle nur Untergebene/Diener/Unterbeamte970 und Mitbewohner/-bürger des ostfränkischen Reiches. Wenn auch hier die Waffenträger angesprochen sind, so wird der Terminus ministerialis in diesem Fall doch völlig unmilitärisch gebraucht. Wie bereits im Kapitel zu den Kriegern und Waffenträgern anhand der Begriffsverwendung von militia und exercitus gezeigt wurde, brachten die ostfränkischen Bruderkriege während der 1070er-/80er-Jahre grosse Verluste und Grausamkeiten mit sich. Während die Ressourcen an professionellen Kriegern – milites – nach und nach knapper wurden, sahen sich die Feldherren zunehmend dazu genötigt, auf unprofessionelle Verbände zurückzugreifen: Berthold erwähnt unter anderem rustici. Damit wuchs die Zahl an Waffenträgern in die Höhe und die ständische Streuung der Krieger ging in die Breite. Die üblichen Funktionäre und Dienstleute wie Grafen, Centenare und Meier gehörten zusammen mit den principes, optimates und den jeweiligen ‹Haustruppen› wohl von Beginn an zu den Kerntruppen beider Kriegsparteien und waren auch eher Bestandteil der königsbegleitenden Truppen auf Italien- und Feld 968 Übersetzung von Robinson (Berthold, Chronicon II, S. 261). Nec mora, legatis apostolicis ad se vocatis, toto nisu id cum illis actitabant, ut sub anathematis articulo utriusque partis acies indissolubiliter constringerent, ne in se alterutrum bello consurgerent, sed potius pace ad invicem confederati, pro instanti causa in brevi colloquium utpote regni subministeriales et communicipes condicerent et per optimates, quos ad hoc eligerent, tanti causam dissidii iustae rationis censura componere pertemptarent (ebd., an. 1079, S. 260). 969 Als alternative Interpretation vgl. obige Ausführungen zu ministri und ministeriales (‹[ländliche] Untertanen und [städtische] Mitbürger›). 970 Vgl. MLLM, S. 1302, und Berthold, Chronicon II, S. 261.

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zügen. Die landwirtschaftende Bevölkerung wird aber ausdrücklich nicht zu diesen Verbänden gehört haben, sondern wurde nur zu Verteidigungszwecken (defensio patriae),971 als eine Art mittelalterliche ‹Landwehr› oder lokale ‹Miliz›, in den Grafschaften und Centenarsbezirken aufgeboten. So ist auch Rudolfs sächsischer exercitus im Jahr 1078 als Verteidigungsaufgebot zu verstehen,972 während Heinrich IV., der vom reformtreuen Mönch Berthold auch sonst eher in ein schlechtes Licht gerückt wird, diesen ‹bäuerlichen› Heerbann eigensinnigerweise für den Angriffskrieg einsetzt. Um sich an die üblichen ‹Spielregeln› zu halten, wandte Rudolf dagegen eine List an, indem er Heinrichs Truppen durch Scheinflucht auf sächsischen Boden lockte, wo ihm zusätzlich zur militia auch der sächsische Heerbann zu Verfügung stand.973 Die Moral von Heinrichs ‹Bauerntruppen› (rustici) erwies sich im Angriffskrieg hingegen als dementsprechend schlecht und bei geringen Anzeichen einer Niederlage flohen laut Berthold ganze Heeresverbände. Jene ‹Bauernkrieger›, die sich selbst durch Flucht nicht vor dem Gegner retten konnten, drohte offenbar gar die ‹Entmannung›, während die Eliten nur gefangen genommen wurden. Die Zerstörung der kirchlichen und weltlichen Infrastruktur in den ‹feindlichen› Gebieten wird dabei die moralische und ökonomische Kraft des Gegners ähnlich geschwächt haben974 wie die Grausamkeiten an den ‹Bauernkriegern› selbst, welche der geschulten und gut ausgerüsteten militia nur in den wenigsten Fällen etwas entgegenzusetzen hatten. Durch die mehrfach von Berthold geschilderten ‹Entmannungen›975 jener ‹bäuerlichen› Waffenträger konnte also die wirtschaftliche Entwicklung grosser Gebiete und somit auch die Kampfkraft des Gegners über Jahre hinweg gehemmt werden.976 Für diese Untersuchung sehr viel grundlegender ist aber die Beobachtung, dass sich bis zum Ende des 11. Jahrhunderts überhaupt eine klar abgegrenzte militia etabliert hat. Von Berthold wird eine solche militia beispielsweise für Chur ausdrücklich vom Klerus und dem ‹gewöhnlichen Volk› getrennt genannt (clerus, milicia et populus aecclesiae).977 ‹Bauernkrieger›? – Zu den rustici des 11. Jahrhunderts Nach der Durchsicht einiger zentraler Chroniken aus dem Bodenseeraum fällt mitunter die häufige Verwendung des Begriffes rusticus auf. Dieser Terminus wird ohne nähere rechtliche Umschreibung verwendet, während er in den Urkunden des 8. bis 10. Jahrhunderts gar nicht vorkommt. In den Urkunden steht die rechtliche Stellung der einzelnen Personen im Zentrum, oder um es genauer zu formulieren, es wird ein Bild der unterschiedlich stark ausgeprägten gegenseitigen persönlichen Abhängigkeiten vermittelt, die es für uns zu entschlüsseln gilt. Unter diesem Gesichtspunkt 971 Dannenbauer, Freie, S. 52. 972 Berthold, Chronicon II, an.  1078, S.  224; vgl. die Einleitung zum Kapitel Exercitus und militia oben. 973 Vgl. Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 270. Berthold spricht von compatriotae (ebd.). 974 Vgl. Engel, Friedensvorstellungen, S. 601. 975 Vgl. Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 218, 222. 976 Vgl. Fichtenau (Lebensordnungen, S.  549–552) sowie zur spätmittelalterlichen Praxis Algazi (Herrengewalt, S. 140). 977 Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 264.

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macht es sich Berthold von Reichenau einfach, indem er die zahlenmässig grösste Personengruppe des Mittelalters unter den verallgemeinernden Terminus rusticus stellt. Für die Suche nach Dienstleuten, Funktionären und anderen Männern als Teil der alemannischen Kriegergesellschaft bedarf es aber einer differenzierten Aufgliederung der weltlichen und geistlichen Untertanen. Die Terminologie des urkundenreichen Zeitalters (8.–10. Jahrhundert) muss hierfür mit derjenigen der urkundenarmen Zeit (10./11. Jahrhundert) verknüpft werden. Bei Hermann von Reichenau (Mitte des 11.  Jahrhunderts) tauchen rustici erstmals zur Beschreibung des Bagaudenaufstands unter Amandus in den 280er-Jahren auf.978 Die betreffenden rustici aus dem 3. Jahrhundert dürfen zwar teilweise als gut organisierte lokale Milizen gesehen werden, doch ging es Hermann hier wohl eher um die Betonung des Sieges über einen ‹Haufen Bauern›, womit wir es also mit einer Verallgemeinerung zu tun haben. Das ist exakt dieselbe Art, wie auch sein Schüler Berthold den Begriff verwendete. In den ausgewählten Chroniken stehen besonders rusticus/rusticanus,979 arator/agricolans980 und villanus981 für die landwirtschaftliche Bevölkerung, welche die absolute Mehrheit der damaligen Reichsbewohner ausmachte, und dies nicht nur im Ostfrankenreich. Dazu kommen immer mehr spezialisierte Handwerker, die zunehmend in frühen städtischen Siedlungen und an Bischofssitzen sowie in Klostersiedlungen zu finden sind.982 Weitere ähnliche Begriffe für die einfache und nicht bewaffnete Bevölkerung (urbanus etc.) werden unten bei den lateinischen Termini für Städte und stadtähnliche Siedlungen (castrum, urbs, civitas) aufgeführt.983 Durch die Verwendung von rustici und ‹Unfreien› als Reiterkrieger und allgemein als milites wurden die Unterschiede zwischen Freiheit und Unfreiheit verwischt. Durch gewisse Funktionen wie Hofdienste (weltlich), Meierämter (geistlich) sowie durch Kriegsdienste und Heiraten war es diesen neuen milites möglich, aufzusteigen, und im 11. Jahrhundert soll die Bezeichnung miles in seiner soziologischen Spannweite alles vom König bis zum einfachen Waffenträger bezeichnet haben,984 bevor ungefähr für das 12. Jahrhundert eine Gegenbewegung spürbar wird, die zur Abgrenzung der Elite innerhalb der militia geführt hat. In der Folge wurde der miles-Begriff im 12./13. Jahrhundert wieder zunehmend eine Bezeichnung für aristokratische Waffenträger, für professionelle Krieger.

978 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 287, S. 78. 979 Ebd.; Berthold, Chronicon II, ann. 1078–1079, S. 218, 246. 980 Notker, Gesta Karoli I, cap. 19; Berthold, Chronicon II, an. 1079, S. 246 (nach dem Protokoll der Fastensynode von 1078). 981 Für die villani-Nennungen vgl. untenstehenden Abschnitt zu den Städtern und Dörflern. 982 Vgl. obigen Abschnitt zu Handwerk und Spezialisierung. 983 Vgl. den Abschnitt zu Städten und Burgen sowie Städtern und Dörflern unten. 984 Johrendt, Militia, S. 435; Fleckenstein, Niederer Adel, S. 25 f.

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2.2.6 Abhängigkeit und Funktion: Eine erste Zusammenfassung Dass die meist pauschal als ‹niedere Stände› angesehenen Personen mit Bezeichnungen versehen werden, die teils ebensogut für Personen mit grösserer Macht verwendet werden, wie bereits an anderen Stellen durch die Unterscheidung von Funktions- und Standesbezeichnungen gezeigt wurde, beweist die breite Auswahl an Bezeichnungen in den sieben als Gegengewicht zur diplomatischen Überlieferung ausgesuchten erzählenden Quellen aus dem 9. und 11.  Jahrhundert. Zu diesen Bezeichnungen gehören: famulus, familia, servus/a, servitor, serviens, ancilla, mancipium, pedissequus/a,985 homo domesticus,986 mediocer, infimus, (sub)ministerialis, minister, ministraturus/ministrator,987 maior, minor, subditus, subiectus, inferior, apparitor, camera(rius)/ cubicularius, vectigalis, tributarius, censarius, rusticus/rusticanus, arator, agricolans, artifex, incola, villanus, urbanus, (com)municeps, pauper, vigil, excuba, custos, tutor, castellanus, praesidium, (h)ostiarius, scario, defensor, armiger, eques, pedo, armatus, scutarius, stator, pugnator, missus, viator, celer, explorator, speculator, praepositus und rector. Darunter befinden sich einige Bezeichnungen die ebenso für die Grossen des Reiches – funktionsbezogen oder zur Angabe der jeweiligen Abhängigkeit zu einem noch höher gestellten Herrn  – verwendet werden konnten, wie: famulus, servus/a, servitor, mediocer, ministerialis, minister, maior, subditus, inferior, apparitor, camerarius/cubicularius, vectigalis, tributarius, vigil, custos, tutor, castellanus, praesidium, scario, defensor, armiger, eques, pedo, armatus, scutarius, stator, pugnator, missus, viator, celer, explorator, speculator, praepositus und rector. Während die übereinstimmenden Begriffe bei den niederen Chargen eher standesbezogen verwendet wurden, erfüllten sie als Bezeichnungen der hohen Herren eher eine funktionelle Rolle in der Art von ‹Herr A ist der ergebenste Diener des Herren B›.988 Besonders die militärischen Begriffe konnten durch ihre eher beschreibende Art (Fortbewegung, Bewaffnung, Aufgabe und Spezialisierung) auf den Grossteil der Waffenträger in einem Heer angewandt werden, wie schon in den vorhergehenden Abschnitten ausgeführt wurde. Dennoch darf man wohl zu Recht annehmen, dass ein Aufstieg nicht nur durch Waffendienste beziehungsweise als Waffenträger, sondern ebenso durch ‹zivile› Spezialisierungen und Funktionen möglich war. Handwerker, Hirten, (berittene) Boten und enge Bedienstete sind hierfür die besten Beispiele.989 Zum Versuch eines ‹Gesellschaftsmodells› Dass dabei hauptsächlich die Rede von unterschiedlichen Abhängigkeitsgraden ist, liegt an der nicht zu bewältigenden Aufgabe, sämtliche Personen des schwäbisch-alemannischen Frühmittelalters in feste Kategorien zu fassen oder auch nur zwischen 985 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 18–19. Vgl. altlat. pedisecus. 986 Ebd., cap. 88. 987 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 879, S. 108. Die nicht belegten Begriffe werden bereits anderweitig ausführlicher behandelt. 988 Störmer (Adelsfamilien, S. 16 f.) weist darauf hin, dass in solchen Fällen häufig nur noch der genealogische Weg weiterhelfe. 989 Fichtenau (Lebensordnungen, S.  477) hat hierfür eine wohl nur regional anwendbare, aber nicht minder interessante Rangfolge solcher Dienste und Funktionen aufgestellt.

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‹Freien› und ‹Unfreien› zu unterscheiden. Heiko Steuer schafft es dank einer Mischung aus archäologischen Funden sowie der Beachtung der schriftlichen Überlieferung – allen voran der lex Alamannorum – ein relativ ausgewogenes ‹Gesellschaftsmodell› zu erstellen, das wie die vorliegende Untersuchung nicht einfach zwischen Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zum ‹Adel› etc. unterscheidet, sondern das – orientiert an unterschiedlichen Wergeldsätzen und Qualität wie Quantität von Grabbeigaben – von kleinen gesellschaftlichen Rangabstufungen ausgeht. Dabei betont Steuer die gesellschaftliche Mobilität und die Chance des gesellschaftlichen Aufstiegs selbst für einen Hörigen. Wie bei den früheren Pyramidenmodellen990 steht hier zwar ebenfalls der König am qualitativ und quantitativ lohnenswertesten Ende, doch beachtet Steuers Modell sehr viel stärker besitztechnische und funktionelle Bereiche, die somit sehr viel mehr Wechsel innerhalb des ‹Systems› zulassen.991 Wie oben ausführlich dargestellt, konnten nämlich besondere Funktionen und Begabungen (Waffen- und Botendienste, handwerkliche Fähigkeiten) zum Aufstieg führen, was rein theoretisch keiner Bevölkerungsgruppe im frühmittelalterlichen Schwaben verwehrt blieb. Die Nähe zum jeweiligen Herrn spielte natürlich ebenfalls eine nicht unbedeutende Rolle, doch war diese meist an spezielle Fähigkeiten oder besondere Loyalität gekoppelt. Steuers Modell orientiert sich zwar an den traditionellen Begrifflichkeiten wie Freie, Halbfreie, Freigelassene und Unfreie – mitunter auf die lex Alamannorum verweisend –, doch diese Begriffe dominieren nicht sein Bild einer alemannischen Gesellschaft, sondern dienen  – wie in der vorliegenden Arbeit  – ­lediglich als kaum vermeidbare Hilfsbegriffe.992 Hörige – Individuen oder Verhandlungsgut? Wenn in dieser Arbeit die Rede von Hörigen oder unfreien Dienstleuten ist, die für äbtische Kriegsdienste herangezogen wurden, muss wohl immer von einer nochmals grösseren Zahl an Dienstleuten ausgegangen werden, die mit sehr unterschiedlich ausgeprägten Aufgaben im Kloster oder auf dessen Ländereien zurückblieben993 und das Gros der Arbeit trugen, was je nach Aufgabenbereich und Spezialisierung ebenfalls zum Aufstieg innerhalb der familia führen konnte. Darunter fallen abgesehen von den rechtlich etwas bessergestellten tributarii, censuales/censores, liberti, coloni und casati hauptsächlich die zwei frühmittelalterlichen Hauptbegriffe für Hörige, nämlich mancipium und servus, wobei zu letzterem Begriff auch die weiblichen Formen serva und ancilla gezählt werden. Eingangs wurde besprochen, in welchem Verhältnis die beiden Formen zueinander stehen könnten und ob mancipium rein vom römisch-antiken Akt der mancipatio hergeleitet werden könne. Als Hauptbegriffe für Menschen mit meist äusserst geringem Rechtsstatus tauchen die zwei Termini 990 Vgl. unter anderem Fleckenstein, Niederer Adel, S. 17–22. Zur Forschungsgeschichte vgl. Dendorfer, Lehnswesen, S. 43–46. 991 Steuer, Krieger und Bauern, S.  275  f. sowie insbesondere Abb.  296. Vgl. hierzu ebenfalls von Steuer (Fernbeziehungen, S. 392, Abb. 444) das Schema zur Güterverteilung in Alemannien im 7./8. Jahrhundert und der gesellschaftlichen Gliederung nach Funktion und Fähigkeiten. 992 Vgl. ebd. 993 Vgl. Stengel, Ministerialität, S. 174 f.

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hauptsächlich in der urkundlichen Überlieferung auf, wobei mancipium lange Zeit vor allem als Bestandteil der Pertinenzformel verwendet wurde, weshalb auf knapp 200 Urkunden mit dem Begriff mancipium lediglich etwa 80 Urkunden mit dem Begriff servus kommen.994 Allerdings findet sich auch servus in Pertinenzformeln und die sonst hauptsächlich als Hab und Gut aufgeführten mancipia finden sich nicht selten als namentlich genannte Individuen in den Urkunden wieder. Dennoch überwiegt der Eindruck, unter mancipium den hauptsächlich im rechtlichen Sinne gemeinten ‹Unfreien› zu verstehen, während servus für den individuellen Hörigen steht. Diese Vermutung könnte eine erste Bestätigung durch die seltene Verwendung in erzählenden Quellen finden, worin weitaus häufiger die Rede von servi (weltlich und geistlich) und famuli (hauptsächlich geistlich) ist. Dies und die weitaus höhere Anzahl Nennungen in Urkunden weisen auf den eindeutigen Rechtscharakter der Bezeichnung mancipium hin. Wenn wir die Verwendung beider Termini in den überlieferten St. Galler Urkunden einander gegenüberstellen, so liesse sich alleine anhand der Anzahl vermuten, dass mancipium im Verlauf des späteren 9. und beginnenden 10. Jahrhunderts zunehmend seltener in Gebrauch war, während der individuellere Begriff servus fast stetig weiterverwendet wurde. Für beide Begriffe lässt sich eine solche Aussage und die daraus folgende Tendenz der Bezeichnung als reines Übertragungsgut zum Individuum aber wegen des starken Urkundenrückgangs im 10.  Jahrhundert nicht mit Sicherheit postulieren. Zum Vorkommen in den Pertinenzformeln lässt sich noch entfernt Kuchenbuch anfügen, der zur Überlieferung der Abtei Prüm zusammenfasst, dass spätestens im 9.  Jahrhundert alle Personenbezeichnungen wie accola, homo, ancilla, colonus/-a, manentes, deservientes und familius aus den Pertinenzformeln verschwunden und nur mancipium und servus weiterhin zu finden seien.995 Dass seit dem 9. Jahrhundert insbesondere mancipium die Pertinenzformeln prägte, sieht Kuchenbuch darin begründet, dass «der mancipia-Begriff […] seinen ursprünglichen, rigide rechtständischen unfreien Sinn [verloren habe]» und womöglich sozial und rechtlich aufgewertet wurde und dass die ‹Freien, Liten und Freigelassenen› sozial und rechtlich abgesunken seien oder schlicht nicht mehr verschenkt wurden.996 Diener versus dienen Zum Rückgang der Termini servus und mancipium scheint sich die Zunahme des Begriffes minister zu gesellen, der sich zwar weder urkundlich noch chronikalisch im Sinne des einfachen landwirtschaftlichen Hörigen finden lässt, der aber schliesslich zum Inbegriff des ‹Dieners› überhaupt geworden zu sein scheint. Meist wurden damit bessergestellte Diener am Hof bezeichnet, minister konnte aber auch funktionell für einen Aristokraten als Diener eines anderen Aristokraten verwendet werden. Für noch höhere Diener und Funktionäre existierte des Weiteren die Bezeichnung 994 Ähnliche Untersuchungen zu derartigen Zahlenverhältnissen in den St.  Galler Urkunden, wenn auch regional etwas ungewohnt sortiert, finden sich bei Löffler, Hörigennamen, S. 196–198. 995 Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 356 f. 996 Ebd., S. 359.

203 25

20

15

10

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0 700

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servi/servae/ancillae

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1100

mancipia

Abb. 16: Das Vorkommen der zwei Begriffe servus/ancilla und mancipium im direkten Vergleich.

apparitor. Während minister besonders im 10. und 11. Jahrhundert vermehrt verwendet wurde, fällt auf, dass der verwandte Terminus ministerialis bis ins 11. Jahrhundert praktisch keine Verwendung fand, und wenn man doch auf diese Bezeichnung stösst, dann im übertragenen Sinne. Wie sich zu servus beispielsweise der Zusatz casatus (insbesondere im 10./11. Jahrhundert) gesellen konnte, womit letztlich ein rechtlich nochmals etwas bessergestellter (Herr über das eigene Haus), aber nicht minder abhängiger Höriger verstanden wurde, gab es auch Abwandlungen vom Grundbegriff servus selbst, die berechtigterweise auf einen anderen Status hindeuten. Darunter fallen primär servientes und servitores, welche eher bessergestellte Hörige und Diener bezeichnen, die aber eher in den erzählenden Quellen zu finden sind. Als häufiges Synonym von servitor erscheint famulus, das sowohl in den Urkunden als auch in den erzählenden Quellen ausschliesslich Diener im geistlichen Kontext betrifft. Einerseits sind dies im übertragenen Sinne Mönche als Diener eines Heiligen, andererseits werden so meist die Diener von Mönchen, Äbten und allgemein in kirchlichen Institutionen bezeichnet. Im 10.  Jahrhundert scheint famulus vielerorts durch den Begriff servitor für dieselben Belange verdrängt zu werden, doch verschwindet keiner dieser Begriffe vollständig aus der Überlieferung. Insgesamt als Bessergestellte können tributarii, censores/censuales, homines cavallicantes und clientes betrachtet werden, die zwar wie fast jeder Mensch im frühen

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204

Mittelalter in einer gewissen rechtlichen Abhängigkeit standen, deren Status aber sowohl von einer abgabengebundenen Freilassung oder einem Freikauf als auch von besonderen Aufgaben abhing. Besonders bei den tributarii und censores ist deren ‹Zins­pflichtigkeit› offensichtlich. Zu den besonderen Aufgabenträgern beziehungsweise Funktionären sind auch die viatores, celeres, speculatores, exploratores, missi, legati und nuntii zu zählen, wobei darunter wohl nur im Falle der einfachen Nachrichtenüberbringer (unter anderem celeres) an Hörige zu denken ist, während die anderen Aufgaben  – insbesondere als verhandlungsberechtigter ‹Botschafter›  – von etwas bessergestellten, vertrauenswürdigen Abhängigen oder aber hochrangigen Dienstleuten des Klosters erfüllt wurden. Besonders auffallend ist der Umstand, dass trotz der grossen Vielfalt an Begriffen für Diener, Hörige, ‹Unfreie› und andere Abhängige praktisch jede Bezeichnung zur Umschreibung wie auch im übertragenen Sinne Verwendung fand und deshalb für jede Urkunde oder Chronik separat entschieden werden muss, mit welchem Status wir bei der betreffenden Person rechnen müssen.

2.3

Römische Kastelle, städtische Mauern und ländliche Refugien

Die Kriegergesellschaft im Bodenseeraum war im frühen Mittelalter sehr vielfältig geprägt. In den Schriftquellen gibt es Hinweise auf unterschiedlichste kulturelle Einflüsse, die sich vielfach auf die römisch-antike Vorgeschichte zurückführen lassen. Da sich historisch jedoch nur ein Bruchteil der Entwicklungen von der römischen Antike über die Völkerwanderungszeit bis zum 10. Jahrhundert nachvollziehen lässt, sind wir besonders stark auf die Erkenntnisse der Archäologen angewiesen. Entgegen zahlreicher Theorien, die römischen Einflüsse seien nach dem Abzug der Truppen erloschen, «setzte sich das Grundschema der provinzialrömischen Gesellschaft bei den Alemannen wie bei den Franken in mancher Hinsicht bis ins Mittelalter hinein fort». Davon zeugen bereits die zahlreichen verbliebenen Romanen in den Kastellen, die teilweise inklusive ihrer Kastellbezirke die Jahrhunderte bis ins frühe Mittelalter überdauerten. Wie Sarti vermutet, hatte zwischen den fest stationierten römischen Truppen und der ‹Grenzbevölkerung› bereits früh reger Kontakt geherrscht, was durch die lokale Rekrutierung neuer Soldaten noch verstärkt wurde. Und als die Bedrohungslage an den Grenzen immer akuter wurde, sollen nicht nur die dortigen Truppen und angesiedelten Veteranen zu den Waffen gegriffen haben, sondern auch die zivile Grenzbevölkerung.997 Diese frühe Militarisierungswelle innerhalb der provinzialrömischen Bevölkerung dürfte auch für den Bodenseebereich zutreffen. Als Einstieg bietet sich eine punktuelle Rückschau in den römischen Bodenseeraum an, da besonders in der Spätantike einige befestigte Orte entstanden sind, während in der darauffolgenden Zeit bis ins 10. Jahrhundert kein vergleichbarer Ausbau nachgewiesen werden kann. In bedrohlichen Situationen wie den Ungarn- und Sarazeneneinfällen Ende des 9. bis Mitte des 10. Jahrhunderts und den Bruderkrie 997 Sarti, Grenzgesellschaft, S. 48–50.

205

gen in Schwaben in den 910er-Jahren sowie den Konflikten Ende des 11. Jahrhundert wurden befestigte, natürlich geschützte oder zumindest über Steinbauten verfügende Orte zur ‹heissbegehrten Ware›.998 Naheliegend wäre daher der Rückzug lokaler Gruppen in die ehemaligen römischen Festungen, auf Bodensee- und Zürichseeinseln, in die Wälder und an erhöhte Plätze. Wer sich bereits vor derart prekären Situationen Herr über ein solches Refugium nennen durfte und in Notzeiten über Aufnahme oder Abweisung beziehungsweise Leben oder Tod von Schutzsuchenden entscheiden konnte, verfügte naturgemäss über nicht unbeträchtliche Macht. In Alemannien gehörten zu diesen Männern nicht zwingend die ansonsten prominent genannten Grafen, Königsboten und andere königliche Funktionäre, sondern Angehörige der lokalen Elite, die zum Teil mit altehrwürdigen Titeln und Bezeichnungen erscheinen. In einer späteren Phase, am Übergang vom 10. ins 11. und 12. Jahrhundert treten schliesslich vermehrt städtische Siedlungen ins Zentrum und konkurrieren mit den grossen geistlichen Institutionen und weltlichen Mittelpunktsburgen um die zentralörtliche Vorherrschaft, welche jene einst den alten Kastellorten (allen voran Arbon) abgerungen hatten. «Die vorkommunale mittelalterliche Stadt nach der Schwelle des ersten Jahrtausends ist im Norden wie im Süden der Alpen durch eine Einwohnerschaft gekennzeichnet, die durch geburtsständisch unterschiedene, meist genossenschaftlich vereinigte Gruppen gekennzeichnet ist. Sie werden zunächst nur zusammengehalten durch einen gewissen Immunitätscharakter des Stadtgebietes und die Oberhoheit eines Stadtherren, meistens des Bischofs.»999 Für die städtischen Siedlungen nördlich der Alpen spielen also insbesondere die verschiedenen Gruppen der familia eine zentrale Rolle, ein Phänomen das sich oben bereits an den Hof- und Dienstrechten beobachten liess. Im Folgenden werden aber nicht nochmals obige Gruppen von Hörigen untersucht, sondern die ‹verallgemeinernden Überbegriffe› wie urbani genauer unter die Lupe genommen. Zur Untersuchung der alemannischen Kriegergesellschaft beziehungsweise der Gesellschaft im Bodenseeraum überhaupt ist es deshalb von Nutzen, sich sowohl den schriftlich genannten und archäologisch nachgewiesenen als auch den potenziell verfügbaren Refugien im Bodenseeraum zuzuwenden. An erster Stelle geschieht dies in der Betrachtung spätantiker Kastelle und aus der Not heraus entstandener Refugien. Daraufhin wenden wir uns den eher ‹offiziellen› Bauten wie Bischofssitzen, Pfalzen und herzoglichen Mittelpunktsburgen zu und abschliessend stehen Überlegungen zur Befestigung von Siedlungen, Klöstern und privaten Herrensitzen zur Debatte. Letzteres soll zudem im Zusammenhang mit der zeitgleichen Entstehung von städtischen Gemeinschaften und der zunehmenden Benennung nach Burgen untersucht werden.

998 «Äussere Gefahren – wie insbesondere die Ungarneinfälle in Süddeutschland – waren sicherlich neben der inneren Krise massgeblich verantwortlich dafür, dass in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts viele Zentralorte aller Art befestigt wurden» (Ettel, Adelige Zentralorte, S. 93). 999 Dilcher, Verwandtschaft, S. 47.

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206

Zentralorte An dieser Stelle bietet sich die Erklärung eines Begriffes an, der in dieser Arbeit völlig selbstverständlich zur Bezeichnung von wichtigen Orten verwendet wird. Verschiedentlich werden Orte als Zentralorte bezeichnet, da sie in unterschiedlicher Art und Weise spezifische Aufgaben für die nähere Umgebung wahrnehmen und damit exakt dem Verständnis dieses Begriffs in der Forschung entsprechen. Dieser Begriff wird zwar verstärkt in der modernen Raumplanung genutzt,1000 doch hat man sich ebenso spezifisch für das frühe Mittelalter mit den Faktoren von zentralen Orten und deren Fassbarkeit sowohl in historischen als auch in archäologischen Quellen auseinandergesetzt. Zuletzt geschah dies im grösseren Stil an einer Tagung im Jahr 2011 in Bad Neustadt an der Saale.1001 Dabei gab es unterschiedliche Herangehensweisen, wobei zum einen versucht wurde, verschiedene zentrale Orte wie Pfalzen, Bischofssitze, Burgen, Königshöfe, Klöster und ländliche Siedlungen hierarchisch zu ordnen. Die zahlreichen Termini für weltliche und geistliche Zentren, die wir den frühmittelalterlichen Quellen entnehmen können, meinen «nicht unbedingt klar umgrenzte Orte im modernen Verständnis, sondern häufig grössere Zentralräume».1002 – Zum anderen kam auch das in Deutschland gerne herangezogene Zentralortmodell von Walter Christaller, dem eigentlichen Entwickler der Theorie der Zentralen Orte, zur Anwendung.1003 Dieser unterscheidet gemäss Erwerbstätigkeit der Einwohner und Aussehen des Umlandes grundlegend zwischen Stadt und Dorf, wobei ein Dorf aufgrund seiner auf Landwirtschaft ausgerichteten Existenz rein ernährungstechnisch nicht die Grösse einer Stadt erreichen, wegen seiner Funktion jedoch durchaus ein zentraler Ort sein könne.1004 Es lässt sich zwischen politischen Zentralorten, flächenhaft gebundenen Siedlungen (die Bewohner leben von der umgebenden Landwirtschaft), punkthaft gebundenen Siedlungen (verfügen über Bodenschätze, Brücken, Furten, Pässe, Häfen etc.) sowie speziell definierten Orten wie Klostersiedlungen unterscheiden, wobei Christaller diese in zentrale Orte höherer, niederer und niederster Ordnung sowie in hilfszentrale Orte einordnet; in meinen Untersuchungen werde ich auf diese mehrstufige Ordnung – mit wenigen Ausnahmen – verzichten und lediglich darauf hinweisen, ob der betreffende Ort für die lokale Bevölkerung oder aber für die Verwaltung des Klosters ein Zentralort war. 1000 Vgl. allgemein Blotevogel, Zentrale Orte, insbesondere S. 1310–1313, sowie die der Theorie zugrunde liegende Dissertation von Walter Christaller (Zentrale Orte) aus dem Jahr 1933 und ein Sammelband zum Thema (Schöller, Zentralitätsforschung). 1001 Vgl. Werther, Lukas, Bericht zur Tagung «Zentrale Orte und Zentrale Räume des Frühmittelalters in Süddeutschland» (2011), www.h-net.org/reviews/showpdf.php?id=34829 (1. 8. 2018) sowie den im Folgenden zitierten Tagungsband von 2013 (hg. von Ettel und Werther). Dezidiert für die Zentralorte des 10. Jahrhunderts ist auf den Tagungsband «Das lange 10. Jahrhundert» zu verweisen, worin Peter Ettel (Adelige Zentralorte, einleitend S. 91) speziell der Frage nach Veränderungen aufgrund der krisenhaften Zeit des frühen 10. Jahrhunderts nachgeht. 1002 Daim/Ettel/Werther, Vorwort, S. VII f. 1003 Vgl. Christaller, Zentrale Orte; Blotevogel, Zentrale Orte, S. 1307 f. 1004 Ebd., S. 11.

207

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Zentralorte Schutz Handwerk Herrschaft Kirche Handel

Oberzentrum (4–5 Attribute) z. B. Konstanz mit wehrhafter Bischofsburg sowie Händlerund Handwerkersiedlung.

Mittelzentrum (2–3 Attribute)

Schutz Herrschaft

z. B. St. Gallen mit äbtischer Pfalz, Basilika und eigenen Produktionsbetrieben.

Kirche Herrschaft Handwerk

Handwerk Handel

Herrschaft

Kirche

Unterzentrum (1 Attribut) z. B. Bussnang mit wichtiger Fährverbindung über die Thur sowie Oberuzwil mit wichtiger Gerichtsstätte. Einfache ländliche Siedlung z. B. Landschlacht, Eigeltingen,Marbach, Ädelswil und Schlatt als autarke Siedlungen.

Güterort

Schutz

Güterort

Handwerk

Güterort

Güterort

Güterort

Güterort

Güterort

Handel/ Verkehrswege

Güterort

Abb. 17: Zentralorte am Fall des Klosters St. Gallen. Zum Attribut Herrschaft gehört auch die Ausstellung von Urkunden.

Nach der Beschreibung von Ettel, der ähnlich wie Christaller und nach dem Modell von Gringmuth-Dallmer zwischen Unter-, Mittel- und Oberzentren sowie selbstversorgenden ländlichen Siedlungen unterscheidet,1005 wären beispielsweise die Bischofssitze (inklusive Siedlungen)1006 Konstanz und Chur im 10. Jahrhundert klar als Oberzentren zu sehen, während die Pfalz Bodman1007 oder gar das Kloster St. Gallen lediglich als Mittelzentren1008 sowie klösterliche Fron-, Abgabe- und Ausstellungsorte wie Romanshorn, Oberuzwil oder Gossau als Unterzentren einzuschätzen wären. Eine Ansammlung von Höfen wie in Landschlacht1009 würde dagegen maximal eine 1005 Ettel, Zentralorte, S. 4–6; Gringmuth-Dallmer, Zentralorte, S. 11. 1006 Das lag auch daran, dass Orte, die als Bischofssitze dienen sollten, strengen Kriterien unterworfen wurden und folglich bereits zuvor wichtige Zentralorte waren (vgl. ebd., S. 13), im Falle von Chur ist gar eine ununterbrochene Kontinuität als Oberzentrum von der Spätantike bis ins Mittelalter nachweisbar. 1007 Zwar gewannen Pfalzen im 10.  Jahrhundert aufgrund der zunehmenden Bedrohungslage an Funktionen, indem sie beispielsweise befestigt wurden (ebd., S.  12), im Falle von Bodman führte aber der Bedeutungsverlust der Königspfalz durch den Aufstieg des Herzogtums eher zur Funktionsabnahme als -zunahme. 1008 St. Gallen wurde erst in den folgenden Jahrhunderten – insbesondere zwischen Hochmittelalter und Früher Neuzeit – durch die Entstehung von Stadt(mauer) und Markt zum klaren Oberzentrum der Region. 1009 Landschlacht, Gemeinde Münsterlingen, Bezirk Kreuzlingen (TG). Vgl. Chart. Sang. I, nn. 227, 372; ebd. II, n. 534. Besonders in letzterer Urkunde wird das Verhältnis zum Unterzentrum Romanshorn ersichtlich.

Güterort

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autarke ländliche Siedlung darstellen.1010 «Die landwirtschaftliche Organisation, in der sogenannte Villikationen mit Zentralhöfen eine grosse Bedeutung hatten, die kirchliche Organisation, die ländliche Pfarrkirchen als Zentrum eines Zehntbezirks vorsah, und schliesslich die Gerichts- und Militärorganisation, die auf regelmässigen Versammlungen freier Männer einer Region beruhten, setzten die Existenz von Zentren voraus.»1011 Meine Untersuchungen zu den St. Galler Verwaltungstätigkeiten bestätigen ebengenannte Aussage Kohls. Ohne Zentren konnte das Zusammenleben im frühmittelalterlichen Alemannien nicht funktionieren. Wie bereits in der Unterscheidung von Stadt und Dorf angesprochen, kommt es dabei nicht auf die mathematische Bevölkerungszahl, sondern auf die verhältnismässige Bedeutung eines Ortes an, und die Bedeutung wiederum ergibt sich aus dem Zusammenwirken der wirtschaftenden Personen und den durch diese angebotenen Dienstleistungen,1012 die dem Zentralort somit zu einem Bedeutungsüberschuss verhelfen.1013 «Wir betrachten nicht das Erscheinungsbild einer Stadt, sondern ihre Funktion im menschlichen Gemeinschaftsleben.»1014 Dabei dürfte im Mittelalter häufig eine «temporäre Zentralität» vorherrschend gewesen sein. Insbesondere wenn die Zentralität durch Kommunikationsnetzwerke von Personengruppen abgebildet wurde, war beispielsweise die An- beziehungsweise Abwesenheit der sozialen Eliten ausschlaggebend für die Zentralität von Anlagen wie Königsgütern und Pfalzen.1015 Das galt selbst für Kleinstversammlungen wie einem lokalen mallum. Je nach Ebene, Landschaftsform und Herrschaftsbereich konnten auch weitere Faktoren im Zentrum stehen. Im Falle einer ländlichen Siedlung kam dieser bereits eine zentrale Funktion zu, wenn sie über eine Mühle, Bootsanlegestelle oder über eine Kirche verfügte. Häufig werden jedoch vor allem Burgen als Zentralorte betont, was womöglich an der besseren archäologischen Fassbarkeit liegt, die bei zentralen Gutshöfen/Herrenhöfen und ländlichen Siedlungen alleine schon aufgrund des vergänglichen Baumaterials meist weniger gewährleistet ist. Hierbei wird rasch die Bedeutung der historischen Überlieferung ersichtlich, mit deren Hilfe auch bislang durch die Archäologie als unbedeutend klassifizierte Siedlungen als bedeutende Orte identifiziert werden können. Neben herrschaftlichen Zentren waren im Mittelalter vor allem Handels- und Kirchenzentren von Bedeutung, wobei je nach vorhandenen Einrichtungen und Bauten wie Märkten, Schulen, Befestigungen oder gar der Etablierung eines Bischofs verschiedene Funktionen und Bedeutungen hinzukommen konnten.1016 Wir sehen dies beispielsweise an Konstanz und St. Gallen.

1 010 Zur genaueren Umschreibung der betreffenden Faktoren vgl. Ettel, Zentralorte, S. 7–17, 26–30. 1011 Kohl, Ländliche Zentren, S. 161. 1012 Unter solche Dienstleistungen fallen insbesondere politisch-administrative, juristische, kultisch-kirchliche und wirtschaftliche Funktionen (Jäger, ‹Zentraler Ort, Zentralität›, LexMa 9, Sp. 542). 1013 Ebd., Sp. 541; Christaller, Zentrale Orte, S. 24–26. 1014 Ebd., S. 22. 1015 Macháček, Central places, S. 243 f. 1016 Jäger, ‹Zentraler Ort, Zentralität›, LexMa 9, Sp. 542.

209

Demnach lässt sich ein Zentralort also nach dem Vorhandensein von gewissen Gebäuden wie sakralen1017 und herrschaftlichen Bauten, Lagerhäusern und Befestigungen, nach ihrer Lage an verkehrsgünstigen Positionen sowie nach archäologischen Kleinfunden, die auf das Vorortsein von sozialen Eliten hindeuten, als ein solcher eruieren. In den folgenden Untersuchungen werden einige als klösterliche (Oberuzwil und Stammheim) und anderweitig lokal bedeutende (Kastelle Arbon und Oberwinterthur) Zentralorte identifizierte Siedlungen genauer nach ihrer lokalen Bedeutung hinterfragt, was zum Verständnis lokaler Eliten und ihrer Rollen im schwäbisch-alemannischen Sozialgefüge beitragen dürfte.

2.3.1

Kastelle und ‹Ungarnburgen›

Zum Verständnis der Kriegergesellschaft Alemanniens spielen nicht zuletzt lokale Siedlungskontinuitäten eine wichtige Rolle. Ähnlich wie unterschiedlichste Befestigungen im 10. Jahrhundert zum Schutz vor ungarischen Plündergruppen errichtet wurden, enstanden bereits in römischer Zeit zahlreiche Befestigungen entlang der alten Reichsgrenze, wovon besonders der Bodenseeraum mit seiner Wassergrenze Rhein-Bodensee betroffen war. Die Urheber der Baumassnahmen konnten freilich unterschiedlicher nicht sein. Denn während die Kastelle der Unterbringung offzieller römischer Grenztruppen dienten und deren Nutzen für die lokale Bevölkerung sowie eine mögliche Weiternutzung im Folgenden noch genauer untersucht werden sollen, kann man bei den im 10. Jahrhundert entstandenen Fluchtburgen eher von spontanen Selbstinitiativen ausgehen. Refugien für die wehrlose Bevölkerung waren jedoch nicht nur zur Zeit der Ungarneinfälle von hoher Bedeutung. Solche Fälle tauchen bereits in den Jahrhunderten zuvor auf, wenn auch aufgrund der schlechten Quellenlage kaum etwas davon überliefert wurde. Die Errichtung der zahlreichen Kastelle in der nördlichen Schweiz, die es bezüglich einer möglichen Weiternutzung1018 im Frühmittelalter zu untersuchen gilt, geschah  – wie gesagt  – ebenfalls aus einer solchen Gefahrensituation heraus, und zwar im Zuge der Rückverlegung der Grenzen des Römischen Reiches auf die Linie Rhein-Bodensee-Iller-Donau.1019 Bevor es diese Befestigungen gab, musste sich die Bevölkerung in römischer Zeit wie später in jener des 10.  Jahrhunderts mit eigens errichteten Refugien selbst helfen, und dies in «vorrömischer Art», wie Drack meint.1020 Temporäre Befestigungen unterschieden sich vor allem im frühen Mittelalter aufgrund ihrer Holz-Erde-Bauweise nicht gross von bronze- und eisenzeitlichen Befestigungen. Das liegt weniger daran, dass solche 1017 Zur Sakraltopografie Schwabens unter der Nennung der schwäbischen Zentralorte Konstanz, Augsburg, Zürich, Ulm, Hohentwiel und Reichenau vgl. Scholkmann, Sakraltopographie, S. 146 f. 1018 Mit der Weiternutzung römischer Steingebäude hat sich Nuber (Römische Steinbauten, vgl. S. 122) beschäftigt. 1019 Vgl. Karte bei Drack, Grenzwehr, S. 2, sowie ders./Fellmann, Römer, S. 476–478. 1020 Drack, Grenzwehr, S. 3.

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Befestigungen etwa in Anlehnung an alte Schutzorte entstanden wären, sondern weil sie aus der reinen Not heraus von der lokalen Bevölkerung errichtet wurden, wie sowohl in der Darstellung der spätantik-römischen Festungen (Kastelle) als auch an der Schilderung der frühmittelalterlichen ‹Ungarnburgen› erörtert wird. Dabei geht es ebenso um natürlich geschützte Orte wie um die baulichen Überreste früherer Schutzherren und ‹Besatzungsmächte›. Mit einer derart breiten Weiternutzung römischer Strassen- und Befestigungsstrukturen wie sie Ettel im Rahmen der Erschliessung und Nutzung des Wasserverkehrsweges Rhein-MainDonau (inklusive fossa Carolina) ab karolingischer Zeit sieht,1021 darf man in Alemannien freilich nicht rechnen, doch wurden steinerne Anlagen aus früherer Zeit bestimmt nicht einfach ungenutzt stehen gelassen, sondern zumindest temporär in unterschiedlicher Funktion durch die lokale Bevölkerung genutzt, und sei es als ‹Steinbrüche›. Arbon – castrum und pagus Der Arbongau ist eng mit der Galluszelle und dem späteren Kloster St. Gallen verbunden, wie wir bereits aus den Gallusviten erfahren1022 und wie schliesslich in über 40 Urkunden zwischen 743 und 854 ersichtlich wird.1023 Nach 812 taucht der bis dahin regelmässig  – meist zur Lokalisierung der Gallusabtei in den Urkunden  – genannte ‹Bezirk› nur noch sporadisch auf, bis er nach 854 endgültig aus den Quellen verschwindet. Lag dies womöglich an der Neugründung eines Gaus an der Rheinmündung (Rheingau), wie ein Artikel von Erhart vermuten lässt?1024 Der ‹Arbongau› darf nicht als Grafenbezirk im Sinne des Thurgau gesehen werden und bis auf den comes Talto, den Ratpert nennt,1025 gibt es auch keine weiteren comesNennungen.1026 Zusammen mit der Waltramshuntar – womöglich nach dem eben 1021 Ettel, Befestigungen, S. 139–141. Im breiteren strategischen Denken dürften die doch eher kleinen Anlagen jedoch keine zu grosse Rolle gespielt haben, ansonsten wären sie im Zuge der Ungarnabwehrkämpfe und Bruderkriege genannt worden. 1022 Es werden im Folgenden besonders drei Versionen beziehungsweise Überarbeitungen des frühen Mittelalters beachtet: Der Schwerpunkt liegt aus rein praktischen Gründen auf der umfangreichsten Version, derjenigen von Walahfrid Strabo aus den 830er-Jahren (Walahfrid, Vita s. Galli). Aufgrund meines Interesses an der frühestmöglichen Nennung lokaler Eliten ist zudem die noch ältere Version des Mönches Wetti von Bedeutung, die in den 810er-Jahren entstanden ist (Wetti, Vita s. Galli [Script. rer. Mer. 4] sowie Übersetzung von Schnoor: Wetti, Vita des hl. Gallus) und die Walahfrid womöglich als Vorlage gedient hat. Mit dem Anspruch, eine noch ältere beziehungsweise die älteste Gallusvita zu sein, wurden Fragmente einer Vita aus der Mitte des 9. Jahrhunderts als Vita sancti Galli vetustissima bezeichnet (Vita s. Galli vet.; vgl. hierzu ebd., S. 8–11; vgl. Schär, Gallus, S. 20–25). Diese Version wird deshalb sicherheitshalber ebenfalls hinzugezogen, wenn auch unklar bleibt, ob sie tatsächlich älter ist, denn weder ist der Urheber dieser Version bekannt, noch scheinen die sprachlichen Argumente stichhaltig genug, den Text zeitlich vor die anderen zu setzen. So kommen im Text beispielsweise auch keine der aus den frühen St. Galler Urkunden bekannten Namensformen für Gallus vor (sancti Galluni/Galloni/Giliani etc. [Chart. Sang. I, nn. 1–7, 20]). 1023 Ebd., nn. 11–13, 33, 38, 43–44, 46, 48, 60–61, 64, 75, 78–79, 87, 96–98, 105–106, 114, 118, 127, 134– 135a, 142, 146–147a, 152, 154, 161, 165–167, 173, 183, 201, 205, 210; ebd. II, nn. 423, 427, 449. 1024 Vgl. Erhart, Rheindelta, S. 45 f. 1025 Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 2–3. 1026 Vgl. Schär, Graf Talto; Borgolte, Grafschaften, S. 105–108.

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falls bei Ratpert genannten Enkel des Talto Waltram1027 benannt – dürfte die innere Struktur des Arbongaus nämlich eher ein vorfränkisches Gebilde gewesen sein,1028 vermutlich das ‹natürliche Umfeld› des alten Kastellortes Arbon. Die Verfügungsgewalt über den Kastellbezirk Arbon dürfte institutionell kaum mit dem karolingischen Comitat zusammenhängen und Ratpert nannte den vir inluster/prae­fectus/tribunus Talto wohl nur deshalb comes, weil ihm aus zeitgenössischer Sicht kein treffenderer Ausdruck einfiel. Anders als der Zürichgau, der als Teil des Thurgaus zunehmende ‹Selbstständigkeit› erlangte und an dessen Spitze mehrfach Grafen genannt werden – wenn auch diese Personen häufig gleichzeitig Grafen von Zürich- und Thurgau waren –, gingen die Bezirke Arbongau und Waltramshuntar im Thurgau auf und verschwanden terminologisch aus der schriftlichen Überlieferung.1029 Nachweisen lässt sich diese Vermutung unter anderem dadurch, dass der Arbongau in einer Reihe von Urkunden nur als Teil des Thurgau bezeichnet wird1030 und somit ähnlich wie der Zürichgau nur aufgrund seiner speziellen Bedeutung als Teil des königlichen Fiskus oder aber zur Splittung gräflicher Macht und aufgrund einer früheren Gebietsordnung einzeln genannt wird. Für den Arbongau mit dem spätantiken römischen Kastell Arbor

1027 Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 5. Die familiäre Beziehung wird nur bei Ratpert genannt und sollte deshalb mitbedacht behandelt werden (vgl. May, Besitzgeschichte, S. 45–47, zur weiteren Sippe vgl. ebd., S. 64–81; vgl. Steiner/Haefele, Waldram, S. 6 f.). Der heutige Ort Waltrams (Gemeinde Weitnau, Landkreis Oberallgäu, Bayern), der in zwei Urkunden von 872 und 895 als Paldrammisriod beziehungsweise Paldrammes genannt wird (Chart. Sang. II, nn. 592, 740), dürfte seinen Namen derselben Elitenfamilie verdanken. Die Raumbezeichnungen Arbongau, Waltramshuntar, Rheingau, Allgäu und Argengau im östlichen Bodenseeraum dürfen nicht als klar voneinander abgetrennte Gebiete wahrgenommen werden. Vielmehr dürften die jeweiligen Einflussbereiche und Beziehungsfelder in dieser Region, und vermutlich in anderen Regionen ebenfalls, gauübergreifend gewesen sein. 1028 Für den Bereich der östlichen Baar ist in einer Urkunde von einem pago Munigisingeshuntare (ebd., n. 781; im Raum Münsingen, Landkreis Reutlingen, Baden-Württemberg) die Rede, den Borgolte (Grafschaften, S. 134 f., 140 f.) entweder für ein frühes «Werk der fränkischen Zentralgewalt» ansieht oder aber als früher Niederlassungsbezirk kriegerischer Verbände beziehungsweise eines Fürsten mit seinem Gefolge. Letzteres würde auf eine fortbestehende aristokratische Struktur der lokalen Gesellschaft deuten, wie es im Arbongau und der Waltramshuntar vermutet werden kann. Für Eberl (Münsingen, S. 38) stellten sämtliche huntari-/huntaBezeichnungen Übersetzungen der centena dar. Die Franken hätten die römischen Strukturen teils übernommen und die besonders sicherungswürdigen Bezirke mit Hundertschaften an Kriegern gesichert, was mit der zweiten Variante von Borgolte ganz gut korrelieren würde, aus meiner Sicht aber leicht übertrieben wirkt (vgl. Geuenich, Fränkische Herrschaft, S. 204 f.). Auch May (Besitzgeschichte, S. 47 f.) sieht dahinter keine ‹urgermanische Keimzelle› an Hundertschaften von Kriegern, sondern vielmehr den Herrschaftsbereich eines einzelnen Aristokraten beziehungsweise seiner Familie. 1029 Vergleichbar ist in dieser Weise der unten behandelte Augstgau, für den ebenfalls kaum Herrschaftsträger fassbar sind, da jener – als alter, spätantiker Bezirk – im Frühmittelalter wohl zum Aargau gehörte (vgl. Erhart/Wagner, Augstgau, S. 52–54). 1030 Vgl. Chart. Sang. I, nn. 127, 142 etc.: monasterium sancti Gallonis, qui constructus est in pago Turgaugense et in fine Arboninse.

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Felix1031 dürfte letztere Vermutung zutreffen.1032 Aufgrund der lokalen Titel tribunus1033 beziehungsweise praefectus1034 als Kastellkommandanten oder Ortsvorsteher,1035 der römischen Vergangenheit als Militär- und Grenzstandort,1036 Hinweisen auf eine romanisch-christliche Kontinuität und der Benennung des ganzen Umlandes nach dieser Siedlung darf bei Arbon von einem frühmittelalterlichen Zentralort ausgegangen werden, mit einer langen Vergangenheit und einer noch intakten Befestigungsmauer auf einer damals noch markanteren Halbinsel am südlichen Bodenseeufer.1037 Trotz oder gerade wegen der frühen Verbindungen zu St. Gallen und der Funktion als Zentralort, bevor es St. Gallen überhaupt gab, wurde Arbon nie zu einem sankt-gallischen Actum- oder Güterort.1038 Stattdessen übernahm das benachbarte Romanshorn die Rolle eines äbtischen Unterzentrums. Zudem verfügte Arbon wohl mindestens seit römischer Zeit über Bootsanlegestellen beziehungsweise über einen Hafen,1039 was wie die Lage an der römischen Strassenverbindung Winterthur-Pfyn-Bregenz1040 zum Aufblühen des vicus und 1031 May, Besitzgeschichte, S.  24  f. Vgl. zusätzlich Hasenfratz et  al., ‹Arbon›, HLS, www.hls-dhsdss.ch/textes/d/D1852.php (3.  8. 2018), sowie Gamper, ‹Arbongau›, HLS, www.hls-dhs-dss. ch/textes/d/D8570.php (3.  8. 2018). Der Name taucht um 280 erstmals als römische Ortsbezeichnung im itinerarium Antonini sowie in der ins 4. Jahrhundert datierten tabula Peutingeriana auf, die späteren Nennungen bei Ammianus Marcellinus und in der notitia dignitatum (beide 4.–5.  Jahrhundert) beziehen sich direkt auf das spätrömische Kastell (Vonbank, Arbor Felix, S. 1 f.; vgl. Seeck, Notitia Dignitatum, S. 201). 1032 Borgolte (Grafschaften, S.  141) hält es ebenfalls für möglich, dass die Baare und Huntare zur alten, vorkarolingischen Gebietsordnung gehörten. 1033 Tribuno Arbonensi (Wetti, Vita s. Galli [Script. rer. Mer. 4], cap. 19). 1034 Arbonensi praefecto (Walahfrid, Vita s. Galli I, cap. 19). Bei Ratpert (Cas. s. Gall., cap. 4) wird derselbe als Talto vir inlustris, […] comes eiusdem pagi bezeichnet. Zur Gleichheit dieser Personen vgl. Schär, Graf Talto, insbesondere S. 143–146, der die Historizität Taltos teilweise infrage stellt und vor einer zu raschen Gleichsetzung der Begriffe tribunus und comes warnt (ebd., S. 157). 1035 Vgl. den Abschnitt unten zum Tribun Othere. 1036 Das spätantike Kastell Arbor Felix war Teil des römischen Donau-Iller-Rhein-Limes und damit Teil der römischen Grenzverteidigung (Brem, ‹Arbon. Römische Zeit›, HLS, www.hls-dhs-dss. ch/textes/d/D1852.php [3.  8. 2018]; vgl. Bänteli/Buff, Johanneskirche, S.  3; Drack/Fellmann, Römer, S. 322 f.). 1037 Zur Lage auf der spornartig in den See ragenden Halbinsel, der massiven Bauweise und der noch heute erhaltenen Überreste des spätantiken Kastells vgl. den Grabungsbericht zu den Ausgrabungen in den Jahren 1958–1962 durch Vonbank (Arbor Felix) sowie die Publikation von Brem/Bürgi/Roth-Rubi (Arbon). Das Seeufer verlief während der Anlage des Kastells vermutlich unmittelbar vor der Kastellmauer, sodass nur eine Seite der Befestigung vom Land her angreifbar war (Vonbank, Arbor Felix, S. 9). 1038 Vgl. hierzu Borgolte (Grafschaften, S. 105), der dahinter bereits frühe königliche Einflussnahme vermutet: «Ohne auf die Problematik der Bezeichnungen Vikar und Centurio (Centenar) an dieser Stelle einzugehen, darf man wohl feststellen, dass die so titulierten Personen ebenso wie Tribunen und Schultheisse als königliche Beamte gelten, die vielleicht ursprünglich selbstständige Rechte auf Königsgut ausgeübt haben und mindestens in karolingischer Zeit zu Hilfsorganen der Grafen wurden.» 1039 Huber, Arbon, S. 3. Ders. (ebd., S. 3 f.) leitet das römische Arbor Felix vom keltischen harbor (Bucht) her und vermutet in Arbon, Koblenz oder aber in Bregenz – was ich für die wahrscheinlichste Option halte – einen Flottenstützpunkt. Viereck (Classis Romana, S. 258) sieht ebenfalls Bregenz als Hauptstützpunkt der Bodenseeflottille. Für May (Besitzgeschichte, S. 24) hat der Name Arbon nichts mit einem Hafen zu tun, er ordnet das Wort eher der illyrischen Namensschicht zu. 1040 Arbon war ein wichtiges Verbindungsstück dieser Strasse mit einer Entfernung von je etwa 20 Kilometern nach Pfyn und Bregenz (May, Besitzgeschichte, S. 25).

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unter Kaiser Diokletian Ende des 3. Jahrhunderts schliesslich zum Bau eines Kastells geführt hatte.1041 Darin war – laut notitia dignitatum1042 – die herculische Kohorte der Pannonier unter dem Befehl eines tribunus stationiert (Tribunus cohortis Herculeae Pannoniorum, Arbore),1043 doch verblieben offizielle Truppen dort wohl nur bis etwa ins Jahr 400.1044 Wie für eine Reihe weiterer derartiger römischer Kastelle und Zentralorte dürfte die Vermutung zutreffen, dass «sich die römischen Verbände im Westen – sofern sie sich nicht aufgelöst hatten – in die Städte zurück[zogen] und […] das umliegende Land den Privatarmeen der Grossgrundbesitzer und warlords» überliessen.1045 Das würde auch erklären, warum sich christliche Gemeinschaften und romanische Bevölkerungskerne an diesen Orten halten konnten. So geht Walahfrid im 9. Jahrhundert für den Beginn des 7. Jahrhunderts von einem Priester und einer christlichen Gemeinschaft in Arbon aus: «[Gallus] zog also mit seinen Begleitern von dort fort und kam in ein Kastell, das Arbon heisst; dort fand er einen herzensguten Priester namens Willimar.»1046 Oberholzer schätzt die Lage ähnlich ein: «Die Nachkommen der romanisierten Bevölkerung, die Romanen, bewohnten weiterhin die Kastelle, teilweise auch das offene Land.» – In Arbon habe sich eine Christenschar

1041 Laut May (ebd., S. 24 f.) lässt sich die römische Siedlung nur lückenhaft rekonstruieren, doch sei dank mehrerer Ausgrabungen in den 1950er-/60er-Jahren die Lokalisierung des spätrömischen Kastells gelungen, das Ende des 3. Jahrhunderts entstanden ist, über eine Hektar gross war und unter dem Befehl eines tribunus der cohortis Herculeae Pannoniorum stand (vgl. Seeck, Notitia Dignitatum, S. 201). 1042 Die notitia dignitatum ist ein illustrierter Katalog ziviler und militärischer Aufgaben im spätantiken Römischen Reich, der vermutlich im 4./5.  Jahrhundert entstanden ist, allerdings nur dank einer mittelalterlichen Abschrift überlebt hat. Der tatsächliche Realitätsgehalt der Quelle lässt sich aufgrund der unklaren Entstehungsintention nicht abschliessend bestimmen (Torrenté, ‹Notitia Dignitatum›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D48912.php [3. 8. 2018]), doch gibt uns das Dokument zumindest wertvolle Hinweise auf mögliche Stationierungs- und Organisationspraktiken des spätantiken Reiches. 1043 Seeck, Notitia Dignitatum, S.  201; vgl. Brem/Bürgi/Roth-Rubi, Arbon, S.  11; Vonbank, Arbor Felix, S. 19; Huber, Arbon, S. 4; May, Besitzgeschichte, S. 24. 1044 Vonbank (Arbor Felix, S. 20) kann die militärische Anwesenheit durch Keramik- und Münzfunde auf die Zeit zwischen den Kaisern Diokletian (284–305) und Arcadius (395–408) eingrenzen. Als spätestes Abzugsjahr sieht er 395. Zur Fundverteilung vgl. Brem/Bürgi/Roth-Rubi, Arbon, S. 72 f., und Leuzinger, Tasgetium, S. 17. 1045 Meyer-Zwiffelhoffer, Imperium, S.  49. Verschiedene Gutsbetriebe (villae) waren vermutlich aufrechterhalten worden, ansonsten bezweifle ich die breitere Kontinuität römischer Traditionen in der einst teilromanisierten Provinz Rätien, insbesondere ausserhalb der alten ‹Römersiedlungen› (vgl. ebd., S. 108–117). Zur (Dis-)Kontinuität römischer Strukturen vgl. Nuber, Römische Steinbauten, S. 124–126. 1046 Übersetzung von Schnoor (Walahfrid, Vita s.  Galli I, S.  33). Pergens ergo inde cum suis, pervenit in castrum quod Arbona vocatur et invenit ibi presbyterum bonitate conspicuum nomine Willimarum (ebd., cap. 5 sowie in cap. 12–13, 17). Bei Wetti (Vita s. Galli [Script. rer. Mer. 4], cap. 5, 17, 19), in der Vetustissima (Vita s. Galli vet., cap. 4–5) und bei Ratpert (Cas. s. Gall., cap. 2–3) handelt es sich ebenfalls um ein castrum (Arbona). Zur Kirche des Willimar, die sich nahe der heutigen Galluskapelle befand und vielleicht an der Stelle der heutigen Martinskirche stand, vgl. Vonbank, Arbor Felix, S. 14–19. Zur weiteren potenziellen Innenbebauung des damaligen Kastells vgl. Brem/Bürgi/Roth-Rubi, Arbon, S. 48–59, und für die späteren Baubefunde, die hauptsächlich die Zeit zwischen Hochmittelalter und Neuzeit betreffen, vgl. ebd., S. 60–67. Vgl. zu Arbon und seinen Bewohnern ebenfalls Schär (Gallus, S. 156–158).

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unter burgundischen Klerikern – wohl in zunehmendem Masse aus der fränkischstämmigen Führungsschicht bestehend – erhalten.1047 Ebenso vermutet Sonderegger neben den romanischen Siedlungen in der Raetia Curiensis auch in den ‹geschlossenen Siedlungen› am Bodensee (Konstanz, Bregenz und Arbon) eine romanische Kontinuität.1048 «In einem bewaldeten Gebirge, das an das Gebiet von Arbon angrenzt und sich in öffentlichem Besitz befindet; es liegt zwischen den Rätischen Alpen und dem Ufer des Bodensees»,1049 – beschreibt Walahfrid die Lage von Gallus’ Zelle.1050 Demnach könnte es für die wilde und ungerodete Gegend rund um das heutige St.  Gallen noch gar keine genauere Bezeichnung gegeben haben,1051 und da es sich um Wald in der fränkischen Einflusszone ohne ausdrücklichen Besitzer handelte, war dieser Wald und diese Gegend – mit Ausnahme von Arbon – ein Teil des königlich-fränkischen Fiskus. Die Menschen von Arbon oder zumindest die dortige lokale Elite verfügte über eine gewisse Einflusszone rund um das alte Römerkastell herum  – mit ebengenannter Begrenzung. May scheint die Vermutung eines Rückzugs der romanischen Bevölkerung hinter die sicheren Kastellmauern zu teilen, denn er vermutet ebenfalls, dass «die Alemannen hier auf eine Gegend gestossen sind, die mit Ausnahme von Arbon und dessen nächster Umgebung überhaupt nicht bewohnt gewesen ist».1052 Das römische Kastell soll in spätantiker und frühmittelal 1047 Oberholzer, Eigenkirchenwesen, S.  32  f. Schnoor (Walahfrid, Vita s.  Galli, S.  198, Anm.  62) sieht für das spätrömisch-rätische Grenzkastell Arbor Felix trotz alemannischer Landnahme dieselbe Kontinuität. Die offiziellen römischen Truppen sollen sich um 400 zurückgezogen haben (Huber, Arbon, S. 4; Buenzli, ‹Arbon. Frühmittelalter bis 1798›, HLS, www.hls-dhs-dss. ch/textes/d/D1852.php [3.  8. 2018]). Unsicher ist, wie lange die Anlage noch intakt blieb, da das begehrte Baumaterial auch anderweitig verwendet werden konnte (Vonbank, Arbor Felix, S. 7 f.). Das Überleben der Ortsnamen Arbon, Konstanz und Winterthur sieht Maurer (Spätrömische Kastellorte, S. 202–209) als Indiz für das Überdauern einer romanischen Bevölkerung. Ebenso führt er eine spätmittelalterliche/frühneuzeitliche Diskussion fort, wonach auch die anderen Kastellorte mit frühen Kirchenbauten hätten als Bischofssitze neben oder anstelle von Windisch, später Konstanz, infrage kommen können. 1048 Seine Vermutung beruht auf einer ausführlichen sprachlichen Analyse der lokalen Ortsnamen (Sonderegger, Flurnamen, S. 18–20, 24). Gestützt wird diese Vermutung auch aus archäologischer Sicht von Steinhauser-Zimmermann (Funde, S. 37), die nach dem Abzug der römischen Truppen ein Fortbestehen der römischen Verwaltungsstrukturen annimmt. Fast zeitgleich mit der fränkischen Übernahme des Gebietes Mitte des 6.  Jahrhunderts soll eine Kolonisierung durch alemannische Gruppen begonnen haben, die gemäss Grabfunden um 600 intensiviert wurde. Vgl. Drack, Baudenkmäler, S. 10; Untermann, Architektur, S. 10 f. «Die Kastelle im Bodenseeraum scheinen alle, wenn auch in unterschiedlicher Form, weiter genutzt und besiedelt worden zu sein» (Hembach, Zeit des Umbruchs, S. 56). Vgl. Behr, Herzogtum, S. 149–152. 1049 Übersetzung von Schnoor (Walahfrid, Vita sancti Galli I, S. 73–75). In saltu, qui Arbonensi territorio adiacet, et est publici possessio iuris, situs autem inter Alpes Rhetiarum et Brigantini marginem lacus (ebd., cap. 21). Wetti (Vita s. Galli [Script. rer. Mer. 4], cap. 21) bezeichnet die Lage als in silva con­ iuncta Arbonensi pago und bezeichnet damit wie in den zeitgenössischen Urkunden den pagus. 1050 In diesem durch natürliche Grenzen gegebenen Raum zwischen dem Seerücken im Norden, dem Alpstein im Süden und dem Bodensee im Osten sieht May (Besitzgeschichte, S. 11) den sankt-gallischen Siedlungsraum, der später weiterhin als gemeinsames Gebiet unter der Kapitelzahl III im St. Galler Klosterarchiv geführt wurde. 1051 «In römischer Zeit handelte es sich um einen dünn besiedelten, stark bewaldeten Grenzsaum zwischen den Rätern im unteren Rheintal und den Helvetiern am Südufer des Bodensees, der im Westen bis zur Linie Eschenz-Pfyn zur römischen Provinz Raetia gehörte» (ebd.). 1052 Ebd., S. 11, 15. Die Gegend um Arbon wird nicht vor dem 7. Jahrhundert von den Alemannen besiedelt worden sein, wie sich mit Verweis auf Sonderegger (Flurnamen, S. 20; Ahd. Schweiz,

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terlicher Zeit eine nicht unbedeutende Festung gewesen sein, die mit rund 350 Meter Mauerlänge und über 10 000 Quadratmeter Innenfläche für ein reines Kohortenkastell zu gross gewesen wäre und somit auch zur Aufnahme der Zivilbevölkerung gedient haben dürfte.1053 Die Befestigungsmauer von Arbon war wohl selbst nach der Abwertung des Arbongaues durch andere Siedlungen (beispielsweise durch klösterliche Zentralorte) noch intakt,1054 als die Ungarn um 926 in diesen Bereich einfielen. Es sind keine Nachrichten zu Arbon überliefert, was in diesem Falle wohl gute Nachrichten sind, andererseits aber auch ein Indiz für die Bedeutungslosigkeit dieser Siedlung sein könnte, denn mit dem Aufkommen des ‹Reiseherrschertums› hatten die alten befestigten Plätze stark an Wert verloren, teils zugunsten der neuen Pfalzorte.1055 Aber wie die Konstanzer Bischofsburg, die ebenfalls auf den Grundmauern des ehemaligen Kastells errichtet wurde, dürfte das castrum in Arbon mit seinen bis zu 2,6 Meter dicken Mauern und Halbrundtürmen der Bevölkerung umliegender Gehöfte Schutz geboten haben.1056 Dass in der St. Galler Überlieferung keine Nachrichten zu Arbon zu finden sind, könnte daran liegen, dass Arbon vermutlich zur Zeit des fränkischen Eingreifens in Alemannien zur Konstanzer Kirche kam.1057 Die ausdrückliche Nennung von Arbon in der Gallusvita des 9.  Jahrhunderts könnte, zusammen mit den anderen geografischen Handlungsschwerpunkten Tuggen und Bregenz, der Absteckung der damaligen Einflusszone der Abtei St. Gallen gedient haben. St. Gallen verfügte in jener Gegend nämlich bereits früh über ausgedehnten Güterbesitz.1058 Noch vor dem castrum Arbon wird in der Gallusvita ein castellum Turegum genannt,1059 das heutige Zürich. Wie eine Vielzahl weiterer  – zumeist befestigter  – Siedlungen aus römischer Zeit im alemannischen Bereich dürfte auch Zürich eine S.  33) anhand der Lautverschiebung im Ortsnamen Frasnacht (von lat. fraxinetum) ableiten lässt. Vielmehr ist mit einem schleichenden Besiedlungsvorgang zu rechnen, wovon im 3.–4. Jahrhundert erst das heutige Süddeutschland betroffen war, im 5. Jahrhundert das Elsass sowie im 5.–6. Jahrhundert die Nord- und Ostschweiz (ebd., S. 19). 1053 Vonbank, Arbor Felix, S. 19; Brem/Bürgi/Roth-Rubi, Arbon, S. 16 f. 1054 Ansonsten würde wohl kaum von einem castrum die Rede sein (vgl. die castrum-Nennungen oben). Die Grundmauern des Kastells wurden in die späteren Bauten integriert, wie sich durch Grabungsbefunde unter der Galluskapelle, dem Arboner Schloss und der Kirche St.  Martin nachweisen liess (Amt für Archäologie, St. Martin, S. 215; Vonbank, Arbor Felix, S. 3–5, 12–15, Plan 1). 1055 Keller, Spätantike und Frühmittelalter, S. 17; Ehlers, Residente Herrschaft, S. 108. Dies blieb zumindest für die Dauer der hier zentralen Zeit so und eine diesbezügliche Änderung – beispielsweise eine womöglich zu unrecht postulierte angestrebte Residenznahme Ottos III. in Rom – hätte laut Althoff (Otto III., S. 23 f.) «eine fundamentale Änderung der gängigen Herrschaftspraxis bedeutet». 1056 Zum Mauerwerk und den weiteren Befunden vgl. Vonbank, Arbor Felix, S.  5–15, und Brem/ Bürgi/Roth-Rubi, Arbon, S. 16–47. 1057 Buenzli, ‹Arbon. Frühmittelalter bis 1798›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D1852.php (3. 8. 2018); Huber, Arbon, S. 6. 1058 Erhart, Terra sancti Galli, S. 315. Die Abtei St. Gallen hat – wie andere Klöster vermutlich ebenfalls – ‹ihre› Heiligen gerne zur äusseren Absteckung ihrer Interessenssphäre genutzt, indem beispielsweise an den Aussenrändern dieser Sphäre Galluspatrozinien eingerichtet wurden beziehungsweise ebendiese Orte in den Viten als selbstverständlich sankt-gallische Handlungsorte genannt werden (vgl. Erhart, Tra Luxeuil e Bobbio, S. 285–288). 1059 Wetti, Vita s. Galli (Script. rer. Mer. 4), cap. 4. Walahfrid spricht an dieser Stelle nur vom lacum Turicinum (Walahfrid, Vita s. Galli I, cap. 4).

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Besiedelungskontinuität erlebt haben.1060 Der Raum Zürich war bereits lange vor der römischen Präsenz keltisch besiedelt, wurde nach Christi Geburt zunehmend römisch geprägt und entwickelte sich durch die Rückverlegung der Reichsgrenzen ebenso wie Arbon und andere Siedlungen zu einem Militärstandort. Im frühen 4. Jahrhundert wurde auf dem Lindenhofhügel ein Kastell errichtet, welches der Bevölkerung selbst nach dem Abzug der römischen Truppen Schutz bot und worauf später die karolingischen Pfalzbauten entstanden.1061 Zotz nennt das Zürich des 10. und 11.  Jahrhunderts gar «den bedeutsamsten Zentralort Schwabens».1062 Eine Besiedlungskontinuität lässt sich auch in anderen Teilen des Bodenseeraumes nachweisen, wie im Folgenden anhand einer Reihe weiterer Fälle gezeigt wird.1063 Der Klerus als «einziger von den alten römischen Eliten noch übrig gebliebener Bildungsstand»1064 dürfte dabei insbesondere an einigen geschützten Orten wie Zürich, Arbon und Kaiseraugst auch zur kulturellen Kontinuität beigetragen haben. Römische Kastelle und ethnische Spannungen Trotz Seelage war der befestigte Zentralort Arbon in römischer Zeit durch Strassen mit den anderen Kastellen verbunden. In westlicher Richtung waren dies Pfyn und Oberwinterthur mit weiteren Verbindungen nach Eschenz/Stein am Rhein, Kaiseraugst, Zürich sowie weiter nach Rottweil,1065 in östlicher Richtung führten Strassen nach Chur und Bregenz1066 sowie weiter nach Kempten, Augsburg und Regensburg.1067 Soweit möglich wurde zwar auf Wasserwege gesetzt, doch konnte selbst zwischen den zwei Kastellen Arbon und Bregenz, die wohl beide über Häfen verfügten, in Teilen eine Strasse nachgewiesen werden, welche den Rhein auf der Höhe des ‹Alten Kirchleins› in St. Margrethen und Höchst durch eine bis ins 18. Jahrhundert

1060 Kaiser, Frühmittelalter, S. 152–155. 1061 Schneider, Turicum, S. 66–69, 85, 87–95; Drack/Fellmann, Römer, S. 571–574; Schneider, Vicus Turicum, S. 89–93; Motschi/Wild, Städtische Siedlungen, S. 71 f.; Motschi, ‹Zürich – Spätlatènezeit, römische Epoche, Merowingerzeit – Stadt der Könige und Herzöge (8.–12. Jahrhundert)›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D171.php (3. 8. 2018); Grüninger, Churrätien, S. 226. 1062 Zotz, Herzogtum Schwaben, S. 30. Vgl. Scholkmann, Sakraltopographie, S. 147–150. Zu den weiteren Ausbauphasen während der zähringischen Herrschaft über Zürich vgl. Schmid, Zürich, S. 65–76. Zur karolingischen Pfalz Zürich vgl. Motschi, Pfalz Zürich, S. 97–99. 1063 Roth-Rubi (‹Kastell  – Spätantike›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8603.php [3.  8. 2018]) vermutet in den meisten Fällen eine Siedlungskontinuität und Weiternutzung der Kastelle durch die lokale Bevölkerung, die bereits in römischer Zeit Schutz hinter den Mauern gesucht habe. Zudem sollen fränkische Herrschafts- und Verwaltungsträger frühere Kastelle häufig als Sitz gewählt haben. 1064 Zey, Investiturstreit, S. 13 f. 1065 Zu den Strassenverbindungen über die Baar vgl. Nuber, Baar, S. 15, 18, 22 f., sowie an Hoch- und Oberrhein/Breisgau vgl. Blöck, Verkehrstopographie, S. 249 f., 270, 278, 283–285. 1066 Zu den Verbindungen im St.  Galler Rheintal und Raetien vgl. Steinhauser-Zimmermann, Funde, S. 36; Malin, Liechtenstein, S. 29–35; Walser, Strassen in Raetien; Schneider, Alpenpolitik, S. 40 f. Bregenzspezifisch vgl. Weber, Strassennetz, S. 90–94. Für die weiteren spätantiken römischen Strassenverbindungen in der Ostschweiz vgl. Matter, Kempraten, S. 185 f., und schweizweit vgl. Drack/Fellmann, Römer, S. 95–100. 1067 Zur zeitgenössischen ‹Verteidigungsarchitektur› beziehungsweise zum systematischen Ausbau der Reichsgrenzen vgl. Bakker, Grenzverteidigung, S. 115–117.

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teilweise sichtbare Brücke querte.1068 Für die nachrömische Zeit ist eine weitere Instandhaltung dieser Verbindung nicht nachweisbar. Zumindest zur Siedlungskontinuität ist jedoch eine Ergänzung von Mackensen interessant, wonach einige limitanei-Verbände durchaus noch an einzelnen Garnisonsstandorten präsent gewesen seien, obwohl häufig von einem allgemeinen Rückzug gesprochen wird. «Wann […] aufgrund ausgebliebener Soldzahlungen […] tatsächlich das Ende der Überwachung des Grenzbezirks (limes) und des militärischen Schutzes der Kastelle eintrat, in denen schon längst die romanische Bevölkerung und teilweise auch die Familien der in römischen Diensten stehenden germanischen Söldner wohnten, ist unklar.»1069 Wie Chur, das durch die Alpen über natürlichen Schutz verfügte und wo seit 451 ein Bischofssitz bezeugt ist,1070 könnte auch das durch den Bodensee geschützte Arbon und das am Zürichsee gelegene Zürich diese Zeit mit einer gewissen Prise römischem Erbe überstanden haben.1071 May vermutet einen kontinuierlichen Zusammenhalt der ehemaligen Kastell­standorte der einstigen Provinz Raetia I mit ihrem ehemaligen Hauptort Chur. Dies sei auch der Grund, weshalb sich Waltram auf der Suche nach einem Vorsteher für die Galluszelle an den praeses Victor in Chur wandte, welcher ihm schliesslich Otmar sandte.1072

1068 Noch bis ins 18. Jahrhundert sollen etwa 15 Meter lange Pfähle mit Eisenspitzen bei der alten St. Margrether Kirche aus dem Boden geragt haben, welche um die Mitte des 18. Jahrhunderts zur Sicherung der Schifffahrt von der Bevölkerung von Rheineck und Höchst entfernt wurden. Als im Zuge der Rheinregulierung der Fussacher Durchstich erfolgte, stiessen die Arbeiter auf Reste einer alten Römerstrasse, die sich nur als Teil einer Strassenverbindung zwischen Arbon und Bregenz interpretieren liess (Kaiser, Heidenpfähle, S.  38  f.). Auch Steinhauser-Zimmermann (Funde, S. 36) vermutet die dortige Brücke als Teil der Strasse Arbon-Bregenz. 1069 Mackensen, Raetien, S. 218, sowie ebenso Bachrach, Grand strategy, S. 55 f., und Sarti, Identität des Kämpfenden, S. 310, 317. Vgl. die diesen Äusserungen zugrunde liegende Stelle in der Severinsvita des Eugippius (Vita s. Severini, cap. 20,1) unten. Für Bayern fragt Esders (Spätantike Dukate, S. 447) gar danach, ob es eigentlich die spätantike Trennung in Grenz- und Bewegungsheer selbst im frühmittelalterlichen bayerischen Dukat noch gegeben habe, und spricht damit einen äusserst grundlegenden Punkt auch dieser Untersuchung an (Kontinuitäten). 1070 Ebd.; Drack/Fellmann, Römer, S. 312 f.; Gairhos, Curia, S. 96 f. 1071 Für Bayern verweist Fehn (Frühe Zentren, S. 228 f.) beispielsweise auf das Überdauern kleinerer Gruppen von Romanen in Seitentälern. Die grösseren Kastelle hingegen seien aufgegeben worden und da auch die späteren Bayern kein Interesse an den römischen Bauten gezeigt hätten, seien diese verfallen. Drack und Fellmann (Römer, S. 298–300) halten einen «Barbarensturm» auf dem Gebiet der heutigen Schweiz ebenfalls für unwahrscheinlich und der Grossraum um St. Gallen wäre laut einer Karte zum alemannischen Siedlungsgebiet (ebd., Abb. 287) selbst im 7. Jahrhundert noch nicht alemannisch geprägt gewesen, was ich jedoch bezweifle. Sie halten eine gallorömische Bevölkerungskontinuität in weiten Teilen der heutigen Schweiz für sehr wahrscheinlich. Nuber (Römische Steinbauten, S. 127–129) hält aufgrund von sich vermischenden Modeerscheinungen (römisch-germanisch) eine zumindest zeitweilige Koexistenz für wahrscheinlich. Für Nordwestgallien beschreibt Esders (Nordwestgallien, S. 343–350) das Fortleben der verbliebenen römischen Truppen im 5./6. Jahrhundert sehr exemplarisch und anschaulich. 1072 May, Besitzgeschichte, S. 27 f. Waltramnus quidam, ad cuius paternam possessionem termini vastae solitudinis, in quibus vir Dei cellam costruxerat, pertinere videbantur, videns res collatas a quibusdam praesumptoribus inordinate tractari, religiosum quendam presbyterum Otmarum nomine, cui summam earundem committeret rerum, a Victore tunc Curiensium comite impetravit et ei cellulam cum omnibus ad eam pertinentibus commendavit (Walahfrid, Cas. s. Gall. II, cap. 10).

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Das vermutlich im 6./7. Jahrhundert entstandene Bistum Konstanz war klar alemannisch geprägt und konnte von den alten Kastellorten am Bodensee vorerst wohl nur Bregenz einbeziehen, das in römischer Zeit eher Augsburg und Regensburg – jedenfalls nicht Chur – zugewandt war.1073 Der sankt-gallische Konvent bestand in der Anfangszeit zu einem guten Teil aus Romanen (Räter oder Personen aus den alten Kastellorten).1074 Das klingt im ersten Moment nach einer friedlichen Übergangsphase unter langsamem Einsickern und ‹Kolonisieren› durch Alemannen mit unterschiedlich starken Siedlungsschwerpunkten. Mit dem allmählichen Vordringen der Alemannen wurden die Romanen allerdings zunehmend verdrängt, was sich am Rückgang des rätischen Einflusses ablesen lässt. Der rätische Kultur- und Sprachbereich wurde schliesslich bis zur natürlichen Berggrenze im St.  Galler Rheintal am Hirschensprung (zwischen Oberriet und Rüthi) zurückgedrängt.1075 Lokale Spannungen dürften sich jedoch schon zuvor entladen haben. So ist in den Gallusviten für die Zeit um 680 von einem Konflikt zwischen Romanen und Alemannen die Rede:

Otwin, der über diese Gegend herrschte, [kam] mit einem grossen Heer und verwüstete, von unerträglicher Wut angestachelt, einen nicht gerade kleinen Teil des Gaus [pagus], der nach dem hindurchfliessenden Fluss Thurgau genannt wird; das Gebiet von Konstanz und die Gegend des Arbongaus plünderte er und verwüstete er durch Feuer. Alle Männer, die er finden konnte, liess er mit dem Schwert töten, ihre Frauen und kleinen Kinder nahm er gefangen. Er raubte alles Vermögen und alle Vorräte und liess sämtliche Feldfrüchte vollständig zerstören. Die Bewohner von Arbon [Arbonenses] waren durch diesen entsetzlichen Schrecken gezwungen, mit allem, was sie hatten, in die Einöde zu fliehen, und begaben sich zur Zelle des Mannes Gottes [Gallus]. […] Erchonald aber, der Statthalter des Präfekten [praefecti vicarius], wusste über die Verhältnisse an der Zelle sehr gut Bescheid, weil er in der Nähe der Einsiedelei lebte.1076

Otwin wird in der Fassung des Wetti noch als praeses, Erchonald als tribunus be­titelt.1077 Da der Arbongau betroffen ist, können Otwin und sein vicarius Erchonald schlecht als die Herren von Arbon gesehen werden, wonach  – der Interpretation Schär zustimmend – nur noch Bregenz in Betracht gezogen werden kann.1078 Darf Otwin mit dem

1073 Duft, Brigantium, S. 103. 1074 May, Besitzgeschichte, S. 28. 1075 Zu den einzelnen sprachlichen Stufen und Entwicklungen vgl. Sonderegger/Müller, Ortsnamen, insbesondere S. 68–73. 1076 Übersetzung von Schnoor (Walahfrid, Vita s. Galli II, S. 115–117). […] venit Otwinus partium earundem potestate praeditus cum exercitu magno, et ira intolerabili concitatus, devastavit non minimam partem pagi, qui ab interfluente fluvio Durgewi nominatur; Constantiense quoque territorium et Arbonensis pagi confinia depopulari coepit et igni succendere. Viros quicumque inveniri potuerunt, gladio peremit, uxores et parvulos eorum in captivitatem egit. Peculiis quoque et omni suppellectile sublate, fructu omnnes penitus demoliri fecit. Arbonenses itaque huius terroris immanitate compulsi, cum omnibus quae habebant fugerunt in solitudinem et ad cellam viri dei se contulerunt. […] Erchonaldus autem praefecti vicarius, cum vicina solitudini inhabitaret loca, habuit res eiusdem cellulae notissimas (ebd., cap. 1). 1077 Otwinus praeses cum exercitu magno […] Erchonaldi […] tribuni (Wetti, Vita s. Galli [Script. rer. Mer. 4], cap. 35). Zu Otwin vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 188. 1078 Schär, Graf Talto, S. 155, der Talto als «wichtigstes Bindeglied zwischen der Spätantike und der karolingischen Zeit» ansieht (ebd., S. 157). Ein Alemanne als Herr über Bregenz würde mit der

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Titel praeses, den Schär mit comes gleichsetzt, als lokaler Graf mit Sitz in Bregenz gesehen werden?1079 Demnach wäre Erchonald als sein ausführender Stellvertreter womöglich der Kastellkommandant von Bregenz gewesen und die Arboner Einflusssphäre beziehungsweise das linksrheinische Gebiet von der Bregenzer Sphäre beziehungsweise dem rechtsrheinischen Gebiet zu trennen. Das betraf vermutlich nur die direkt an den Bodensee angrenzenden Gebiete, da weiter südlich die mächtigen Herren von Chur das Sagen hatten. Mit dem Ausspruch der Plünderer des Gallusgrabes, welche im Sarkophag des Heiligen weitere Schätze erwarten, «diese Räter sind von Natur aus sehr gerissen»,1080 wird dem Leser verständlich gemacht, dass es sich bei den Opfern hauptsächlich um Personen aus der rätischen Einflusssphäre handelte beziehungsweise das Kloster vor allem unter rätischem Einfluss stand und die Angreifer unter Otwin und Erchonald wohl Alemannen waren.1081 Wenn wir Walahfrid folgen hinterliessen die Angreifer nur verbrannte Erde, waren also auf eine reine Beute- oder Strafaktion aus. War dies das Resultat ethnischer Spannungen – wie Erhart vermutet1082 – oder verstecken sich dahinter lokale ‹Polis-Streitigkeiten› zweier Zentralorte um die lokale Hegemonie? Trotz unterschiedlicher Ansätze zur Interpretation der Hintergründe dieses Vorfalls scheint es sich für May eher um ein erfundenes Beispiel zur Schilderung einer göttlichen Strafe zu handeln, da die Angreifer am Ende gegenseitig über sich herfallen und Erchonald von einer Krankheit befallen wird.1083 Betrachten wir die äusseren Umstände, wäre ein lokaler Zwist – womöglich ethnisch aufgeladen – durchaus möglich gewesen. Bezüglich eines erneuten Überfalls auf den Arbongau und die Galluszelle zu Beginn des 8.  Jahrhunderts  – dieses Mal durch fränkische Truppen unter dem Hausmeier Pippin – wird man den Eindruck weiterer ethnischer Spannungen als Ursache nicht los. Die Romanen werden dabei nun zunehmend als ‹die Bösen› wahrgenommen, und dies insbesondere von den Schreibern des 9./10.  Jahrhunderts. Alemannien muss also selbst im 10. Jahrhundert noch als ethnisch äusserst vielfältiges Gebilde wahrgenommen werden. Das Herzogtum Schwaben umfasste Grenzbereiche zu Hochburgund, das Elsass,1084 war fränkischen und bayerischen Einflüssen ausgeVermutung von Duft (Brigantium, S. 103) übereinstimmen, der Bregenz eher als alemannisch geprägt ansieht. 1079 Ebd., S.  155–157. In seiner Gallus-Publikation wagt Schär (Gallus, S.  160) gar die schwerlich nachweisbare Schätzung der militärischen Besatzung des Kastells von etwa 100 Mann. 1080 Übersetzung von Schnoor (Walahfrid, Vita s. Galli II, S. 117). […]isti Rhetiani calliditate naturali abundant […] (ebd., cap. 1). 1081 Drack/Fellmann (Römer, Abb. 287) vermuten eine alemannische Siedlungsnahme in Bregenz am Ende des 7. Jahrhunderts, während das linksrheinische Gebiet noch rätisch geprägt gewesen sei. Zum rätisch-alemannischen Gegensatz vgl. Borgolte, Grafschaften, S. 24 f., und ders., Grafen Alemanniens, S. 188. 1082 Erhart, Ethnische Spannungen, S. 31–34. 1083 Zudem gleiche die Stelle der Schilderung (vgl. Wetti, Vita s. Galli [Script. rer. Mer. 4], cap. 37) einer späteren Plünderung durch fränkische Truppen unter Pippin in den Jahren 709–712 (May, Besitzgeschichte, S. 29 f.). 1084 Zum Herrschaftsgebiet Alemannia und seiner Entwicklung seit der Spätantike vgl. Zotz, Ende der Antike, insbesondere S. 60 f., sowie die Raum- und Grenzbeschreibungen bei Maurer, Herzog von Schwaben, S. 184–204.

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setzt und hatte mit Churrätien, das ebenfalls zum Herzogtum gehörte, stets eine besondere Beziehung. Rätien konnte wohl nur deshalb relativ reibungsfrei ‹integriert› werden, weil die Familie des damaligen Markgrafen von Rätien die erste Herzogsfamilie des neuen jüngeren Stammesherzogtums darstellte. Auf die romanisch-/ rätisch-alemannischen Spannungen1085 im frühen Mittelalter kann an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden, da diese zur Untersuchung der lokalen Kriegergesellschaft nichts Wesentliches beitragen. Bregenz – Brigantium Bregenz war verschiedenen Berichten zufolge stärker von Alemannen besiedelt und das alte Kastell womöglich gar im Zuge der Kolonisierung zerstört worden.1086 In einer Urkunde aus dem Jahr 802 ist von einem Bregantia castrum die Rede,1087 wobei es sich um die früheste Nennung von Bregenz handelt, älter als die Gallus­ viten und Anzeichen dafür, dass Bregenz nach wie vor (oder erneut) als Kastell wahrgenommen wurde. Zu Recht fragt deshalb Schär, ob dieses Kastell nicht bereits Ende des 7.  Jahrhunderts existiert haben könnte.1088 Wie bereits ausgeführt wurde, dürften sich die lokalen Bevölkerungsgruppen nach dem Abzug römischer Truppen Ende des 4. Jahrhunderts zunehmend hinter sichere Mauern sowie an erhöhte Plätze zurückgezogen haben. Vergleichbar mit dem Fall von ‹Chur-Auf dem Hof›,1089 könnte sich die Bevölkerung von Bregenz ebenfalls im 4./5. Jahrhundert in die Oberstadt zurückgezogen haben.1090 Wenn die dortige Siedlung nun ebenfalls leicht befestigt wurde, könnte auch jener Ort als Kastell angesehen worden sein.1091 Die Befunde und Funde in Bregenz zeigen nämlich sowohl Spuren des Militärs als auch Eigeninitiativen der zivilen Bevölkerung zum Selbstschutz, und dies bereits vor dem Jahr 300.1092 Ab der Mitte des 4. Jahrhunderts muss es in Bregenz gemäss Grabbefunden zu einem enormen Bevölkerungszuwachs gekommen sein, was der zunehmenden Gefahrensituation in der 1085 Vgl. Erhart, Ethnische Spannungen. Umgekehrt stellt Keller (Spätantike und Frühmittelalter, S. 9) an dieser Stelle die Frage nach einer «Symbiose von Germanen und Romanen». 1086 Ebd., S. 28. 1087 Chart. Sang. I, n. 162. Bregenz ist Ausstellungsort der betreffenden Urkunde (Actum in Pregancia castro publici), wobei interessanterweise vom Aussteller betont wird, dass das ganze offenbar innerhalb des Kastells vollzogen wurde, denn der Zusatz castro wurde nachträglich vom Schreiber über der Zeile nachgetragen. 1088 Schär, Graf Talto, S. 156. 1089 Vgl. Schneider-Schnekenburger, Rätien, S. 61; Drack/Fellmann, Römer, S. 382 f.; Gairhos, Curia, S. 99–108, 123–126. 1090 Mackensen, Raetien, S.  217; Gairhos, Curia, S.  125. Die befestigte Siedlung scheint bis zum 4. Jahrhundert mehrmals zerstört worden zu sein (Grüninger, Churrätien, S. 225), weshalb ein Verlassen des spätantiken Kastells durchaus vorstellbar wäre. Schär (Gallus, S. 169) vermutet hinter dem castrum in der St. Galler Urkunde von 802 eine Anlage «auf dem Hügel der Bregenzer Oberstadt». 1091 Die selbstverständliche Nennung von Bregenz als Kastell könnte aber auch einem grösseren Fundus an baulichen Überresten sowie der mündlichen Tradition von ‹dem Kastell› geschuldet sein, immerhin wurde Bregenz seit tiberischer Zeit genutzt, wie der numismatische Befund zeigt (Overbeck, Münzumlauf, S. 51). Weber (Stadtrecht, S. 84) vermutet gar die Verleihung des Stadtrechts eines municipium oder einer colonia. 1092 Konrad, Brigantium, S. 181 f.

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Grenzregion zugeschrieben wird.1093 Spätestens nach 410 weist archäologisch kaum mehr etwas auf die Anwesenheit von römischem Militär in Bregenz hin, andererseits gibt es auch keine Spuren zu Kämpfen, was einen relativ friedlichen Übergang vermuten lässt,1094 die lokale Bevölkerung aber dennoch zum Rückzug beziehungsweise zur Wiederbemannung von älteren Befestigungstrukturen in Bregenz verleitet haben könnte. Obwohl auch nach dem römischen Abzug lange Zeit vor allem Romanen den Grossteil der Bregenzer Bevölkerung ausmachten, wurde das Christentum im 5./6.  Jahrhundert wohl stark verdrängt, wenn wir an Walahfrids Schilderung zurückdenken. Dies könnte einhergegangen sein mit dem alemannischen Vordringen ins Alpenrheintal, was sich wieder durch Gräber nachzeichnen lässt.1095 Für die Zeit unmittelbar nach dem Abzug der römischen Truppen vermutet Schär, dass das Bregenzer Kastell womöglich «ein kleines germanisches Foederatenkontingent für die Sicherheit der Stadt aufnahm» oder zumindest als Refugium für die Bevölkerung diente,1096 denn zumindest bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts sei in Bregenz eine ungebrochene Siedlungskontinuität nachweisbar.1097 Obwohl die Bregenzer Stadtkirche St. Gallus erst im 11. Jahrhundert erwähnt wird, dürften Teile der Grundmauern deutlich älter sein. Darin und darunter ist nämlich römisches Mauerwerk entdeckt worden und im Zusammenhang mit jenen Mauern beziehungsweise darin eingetieft ist man auf ein alemannisches Kriegergrab (mit Spatha und Sax) womöglich aus dem 7. Jahrhundert gestossen. Dies ist ein klares Indiz für eine kontinuierliche Besiedlung. Über eine Kastellkirche verfügte das spätantike Bregenzer Kastell im Gegensatz zum nahen Arbon allerdings nicht.1098 Kastelle im Bodenseeraum – Tasgetium Wenden wir uns nun weiteren lokalen Kastellen und potenziellen Gemeinschaften zu, die ins frühe Mittelalter hinein weiterexistiert haben und die lokale Gesellschaft und Kriegergesellschaft mitgeprägt haben. Neben Arbor Felix, Brigantium und Constantia kommen die römischen castra und vici Kempraten (Centum Pratum beziehungsweise prata/prada),1099 Irgenhausen (Cambiodunum), Oberwinterthur (Vitudurum), Pfyn (Ad Fines) und Eschenz/Stein am Rhein (Tasgetium) in den rechtlichen und erzählenden Quellen vor und dabei nicht zuletzt in der frühmittelalterlichen Hagiografie, was eine Kontinuität christlich-römischer Strukturen oder zumindest das Vorhandensein von örtlichen Kirchen wahrscheinlich werden lässt.1100 Die Grundmauern dieser Siedlungen gehörten einst zu den Bauten des spätantiken Verteidigungssystems des Römischen Reiches. 1093 Ebd., S. 182 f. 1094 Ebd., S. 186 f. 1095 Ebd., S. 188 f., sowie Kaiser, Churrätien, S. 186 f., Schneider-Schnekenburger, Rätien, S. 88, 109, 192, und Windler, Mittelland, S. 254–257. 1096 Konrad, Brigantium, S. 86. 1097 Schär, Gallus, S. 168 f. 1098 Ebd., S. 174 f. 1099 Sonderegger, Flurnamen, S. 20. 1100 Vgl. Erhart, Tra Luxeuil e Bobbio, S. 286; Morerod/Favrod, Sozialer Raum, S. 82.

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Östlich des Aargaus sind diesbezüglich vor allem die grösseren Militäranlagen von Zürich, Irgenhausen, Oberwinterthur, Burg (Stein am Rhein)/Eschenz, Pfyn, Konstanz, Arbon, Bregenz, Schaan und Chur von Bedeutung, welche abgesehen von Chur, der Provinzhauptstadt der Raetia prima, direkter Bestandteil des Donau-Iller-Rhein-Limes waren.1101 Bei Oberwinterthur, Pfyn und Bregenz handelte es sich laut Mackensen um befestigte Zivilsiedlungen mit einer Militärgarnison, während es sich bei den Anlagen wie der ‹Burg› in Stein am Rhein (Tasgetium), neben dem vicus Eschenz, eher um grössere Kastelle handelte.1102 Um 370 wurden zur Unterstützung der direkten Grenzkastelle zusätzliche Getreide- und Lebensmittelspeicher im Binnenland errichtet, so zum Beispiel in Schaan.1103 Die Grenzen selbst wurden im Vorfeld der befestigten Siedlung Oberwinterthur mit mehreren zweistöckigen Wachtürmen gesichert,1104 auf der dem Kastell bei Eschenz (‹Burg› in Stein am Rhein) gegenüberliegenden Rheinseite wurde ein Kleinkastell als Brückenkopf eingerichtet, und während das Kastell in Konstanz wohl für den Übergang zwischen Boden- und Untersee verantwortlich war, sicherten die Kastelle Pfyn, Zürich, Irgenhausen, Kloten, Weesen und Schaan das Hinterland. Arbon dürfte der Überwachung des Bodensees sowie als Bindeglied nach Bregenz gedient haben.1105 Wenn auch in Arbon und Konstanz kleinere Boote gelegen haben könnten, so lag die römische Bodenseeflotte wohl eher in oder bei Bregenz,1106 wie auch die notitia dignitatum aus dem 5. Jahrhundert nahelegt: Praefectus numeri bar[bari]cariorum, Confluentibus siue Brecantia.1107 Viereck verortet den Hauptstützpunkt der Bodenseeflottille wohl aufgrund ebengenannter Quelle (numerus Barcariorum) ebenfalls in Bregenz.1108 Grabher vermutet maximal 1101 Fischer, Germania, S. 208 f.; Brem, ‹Arbon. Römische Zeit›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/ D1852.php (3. 8. 2018); Konrad, Brigantium, S. 181; Drack/Fellmann, Römer, S. 277–281; Heiligmann, Bodenseeraum, S. 13 f. 1102 Mackensen, Raetien, S.  214. Neben der Verstärkung der Rheinfront spricht May (Besitzgeschichte, S. 24 f.) vom Ausbau der rückwärtigen Strassenkastelle Oberwinterthur, Irgenhausen, Burg/Stein am Rhein, Zurzach und Arbon, wobei ich Burg und Zurzach eher als unmittelbare Grenzkastelle sehe. 1103 Mackensen, Raetien, S. 216. 1104 Für die einzelnen Wachtürme vgl. Drack, Grenzwehr, S. 4–7. 1105 Vgl. Roth-Rubi, ‹Kastell – Spätantike›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8603.php (3. 8. 2018); Zürcher, ‹Irgenhausen›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7815.php (3. 8. 2018); Brem, ‹Pfyn›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D1982.php (3. 8. 2018); Müller, ‹Kloten›, HLS, www.hls-dhsdss.ch/textes/d/D50.php (3. 8. 2018). 1106 Ertel (Steinbühel, S. 184 f.) hält für den Zweck der Seesicherung in Bregenz gar ein eigenes Hafenkastell aus augusteischer Zeit für möglich. 1107 Seeck, Notitia Dignitatum, S. 201. Vgl. Mackensen, Raetien, S. 215–217; Steinhauser-Zimmermann, Funde, S. 36. 1108 Die Flottille soll etwa seit 15 v. Chr. im Einsatz gestanden haben und verfügte im 4. Jahrhundert wohl vornehmlich über leichte Flusskampfschiffe vom Typ navis Lusoria mit je maximal 10 Mann Besatzung (Viereck, Classis Romana, S. 75 f., 258), Grabher (Hafenkastell Bregenz, S. 70) spricht eher von 18–32 Mann Besatzung, grenzt die Grösse der Flottille aber auf maximal zehn ein. In einem späteren Beitrag relativiert er seine Ansichten etwas (ders., Hafenkastell, S. 129). Ob diese Art von Barken auch in nachrömischer Zeit anderweitig lokal im Einsatz stand, ist fraglich, doch sollen rheinabwärts noch im 11. Jahrhundert ähnliche Boote verwendet worden sein (ebd., S. 76). Vielleicht sind sie mit den in einer Urkunde aus dem 8. Jahrhundert erwähnten Barken (parones) auf dem Zürichsee vergleichbar (Chart. Sang. I, n. 10), sofern die Übersetzung denn stimmt (vgl. die Diskussion zu den ingenui und barones oben unter dem Kapitel zu

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Abb. 18: Kastell Tasgetium/Stein am Rhein, Burg. Die Überreste der alten Kastellmauern dienen bis heute der Umgrenzung des Friedhofs.

zehn Schiffe, die im Bregenzer Hafen lagen.1109 Bregenz dürfte demnach der Überwachung des Bodensees und der Rheinmündung gedient haben. Vom Kastell Tasgetium, das heute auf dem Boden von Stein am Rhein liegt, während der Kastellvicus zum heutigen Eschenz gehört, sind heute noch oberirdisch sichtbare Spuren vorhanden.1110 An die Stelle des Brückenkopfes wurde 1007 das spätere Kloster St. Georg verlegt,1111 das zuvor auf dem Hohentwiel seinen Sitz hatte.1112 Dass die Klostergebäude exakt an jener Stelle errichtet wurden, kann kein Zufall sein, sondern ist der Ausnutzung bereits vorhandener Grundmauern des ehemaligen Brückenkopfes geschuldet. Die Mauern aller anderen Kastelle im Bodenseeraum wurden mit grosser Wahrscheinlichkeit ebenfalls für neue Bauten verwendet. Für Arbon

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den Hörigen in den St. Galler Urkunden). Zur Rekonstruktion solcher Barken auf Schweizer Gebiet vgl. Frei-Stolba/Paunier, Integration, S. 61. Grabher, Hafenkastell Bregenz, S. 70. Vgl. ebd., S. 68 die Rekonstruktion des spätantiken Hafenkastells. Das Kastell ist vermutlich etwa um das Jahr 300 entstanden, was eine Verlagerung des Siedlungsschwerpunktes zur Folge gehabt haben soll (Brem, Eschenz, S. 92) und hatte Ausmasse von etwa 88 ◊ 91  Metern (Benguerel/Brem/Giger, Regesten, S.  223  f.). Vgl. Drack/Fellmann, Römer, S. 515–519. Ebd., S. 224. Die eigentliche Urkunde bezüglich dieses Vorgangs wurde allerdings auf 1005 datiert (WUB I, n. 205). Guisolan, ‹Stein am Rhein (Kloster)›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11601.php (3. 8. 2018).

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wurde dies bereits gezeigt, Konstanz wird weiter unten ausführlicher behandelt und für Bregenz konnten wir zumindest feststellen, dass der Ort immer noch nach dem castrum benannt wurde, obwohl jenes angeblich aufgegeben worden war. Im lokalen Gedächtnis mag der Ort als Flurname weitergelebt haben, vielleicht wurde im Innern des ehemaligen Kastells von Bregenz ja auch eine frühe Kirche oder Kapelle errichtet.1113 In dieser Weise lässt sich nämlich der Flurname ‹Burg› in Stein am Rhein erklären. An der Stelle beziehungsweise innerhalb der Mauern des grossen spätantiken Kastells Tasgetium entstand nämlich wie in Arbon bereits in früher Zeit eine Kirche.1114 Erstmals schriftlich erwähnt wird diese Kirche im Kastell Eschenz1115 (ecclesia in castro Exsientiȩ) in einer St. Galler Urkunde vom 11. März 800. Ein Vurmher schenkt dem Kloster St.  Gallen grosszügige Besitztümer des frühmittelalterlichen Eschenz, darunter einen Teil der Kirche.1116 Die Umfassungsmauern ragen an vielen Stellen oberirdisch deutlich sichtbar empor und wurden wohl hauptsächlich deshalb nicht vollständig als billiges Baumaterial abgetragen, weil sie zugleich als Begrenzung des Kirchhofes inklusive Friedhof dienten und auch heute noch dienen. Diese Kirche steht heute im Wohnquartier ‹Burg› im südlichen Ortsteil ‹Vor der Brugg› in Stein am Rhein, wovon die Stelle des spätantiken und frühmittelalterlichen Dorfes Eschenz sowie die Insel Werd, des Verbannungs- und Sterbeortes des St. Galler Klostergründers Otmar, nicht weit entfernt liegen. Die Kirche in Tasgetium entstand gemäss archäologischem Befund im 6. Jahrhundert mit Fortsetzungsbauten bis ins 15. Jahrhundert.1117 Der römische vicus Tasgetium war eine kleinstädtische Siedlung mit Zentrumsfunktion zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert.1118 Als letzte Spuren des römischen Militärs sind angespitzte Eichenpfähle zur Verstärkung des Kastells um 401/402 zu betrachten.1119 Im Gegensatz zu Arbon wurde das Kastell Tasgetium aber vermutlich in nachrömischer Zeit – zumindest seit dem Bau einer Holzkirche um 600 – nicht mehr als Wohnstätte genutzt, sondern als Sakralbereich mit Grablegen.1120 Womöglich dienten die Überreste des Kastells davor zeitlich begrenzt als Refugium für die Menschen der Gehöfte in oder neben dem ehemaligen römischen vicus.1121 1113 Zur Bedeutung von Kirchen in alten römischen Bauten und zur Frage, ob es sich dabei um Zufälle oder absichtlich gewählte Baugründe handelte, vgl. Eismann, Kirchen, S. 235–237, 246–248. 1114 Benguerel/Fatzer/Leuzinger, Chronologie, S. 59 f. 1115 Das romanische Tasgae(n)tium wurde vermutlich ab etwa 600 alemannisch beeinflusst, was zu Lautverschiebungen und dem heutigen Namen Eschenz geführt hat (Sonderegger, Flurnamen, S. 20). Für weitere Beispiele alemannischer Siedlungen römischen Ursprungs vgl. ders., Ahd. Schweiz, S. 33–39. 1116 […] et partem ecclesie in Castro Exsentiȩ vel quicquid in prȩdicto pago Durgaugense (Chart. Sang. I, n. 158). 1117 Bänteli/Buff, Johanneskirche, S. 4–15. 1118 Zur Verortung, Ausdehnung und Bebauung vgl. Jauch, Eschenz, S. 9–11, sowie Brem, Eschenz, S. 91 f. 1119 Jauch, Eschenz, S. 3. Zur Rekonstruktion des spätantiken Kastells vgl. ebd. Eine Restbesatzung im Kastell nach dem offiziellen Abzug wird nicht angenommen (Benguerel/Fatzer/Leuzinger, Chronologie, S. 57). 1120 Eine lokale Aristokratenfamilie bestattete ihre Angehörigen gar inmitten der Ruinen des ehemaligen Stabsgebäudes (Jauch, Eschenz, S. 4). 1121 Trotz oder gerade wegen des Kirchenbaus in den Kastellen sieht Ita (Antiker Bau, S. 14) die be-

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Oberwinterthur – Vitudurum Wie in Tasgetium lassen sich auch in Oberwinterthur die spätantiken Befestigungsmauern epigrafisch datieren.1122 Laut einer Bauinschrift sind sie um 294 entstanden, also in derselben Zeit wie die zahlreichen anderen Militärbauten des Donau-IllerRhein-Limes im Bodenseeraum.1123 Erste Bauten einer Zivilsiedlung sind für die Zeit um Christi Geburt nachweisbar und in ihrer gesamten Ausdehnung dürfte die Strassensiedlung Vitudurum eine Länge von 500 Metern eingenommen haben.1124 Dass sich darauf nun der heutige Ortskern von Oberwinterthur befindet und unter der Kirche St. Arbogast Spuren eines antiken Heiligtums zum Vorschein kamen,1125 deutet wie in Arbon, Bregenz und Tasgetium auf eine Siedlungskontinuität hin,1126 die sich auch urkundlich bestätigt findet, und zwar als wichtiger Actumort.1127 In Oberwinterthur, das als ehemaliger Kastellort1128 und aufgrund seiner Lage seit Mitte des 9. Jahrhunderts Zentralort des Klosters St. Gallen war, finden sich auch zweimal persönlich anwesende Grafen an Versammlungen.1129 Ob das Kastell, das rund um den Siedlungskern auf dem Kirchhügel herum errichtet worden war, ebenfalls weiter genutzt wurde, ist unklar, in den Urkunden ist jedenfalls nie von einem castrum oder castellum die Rede.1130 Irgenhausen – Cambiodunum Beim ebenfalls genannten Kastell Irgenhausen besass St.  Gallen Güter (sive Irincheshusa),1131 während hier der verwaltungstechnische Zentralort eher im 1,5 Kilometer entfernten Pfäffikon mit seiner Kirche lag. Trotz seiner strategischen Lage zwischen Kempraten und Oberwinterthur auf einem Hügel am Pfäffikersee scheint

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treffenden Anlagen als Rückzugsorte für die lokale Bevölkerung, zumal einige der direkt an die Kastellmauern gebauten Kirchen wohl auch selbst Befestigungsspuren aufwiesen. Drack/Fellmann, Römer, S. 279, 556–561. Vgl. Konrad, Brigantium, S. 181. Hedinger/Leuzinger, Vitudurum, S. 52 f.; Zürcher, Vicus Vitudurum, S. 94–97. Der Ausbau zur Römerstrasse Richtung Arbon und Bregenz sowie nach Pfyn und Tasgetium dürfte bereits im ersten Jahrzehnt n. Chr. erfolgt sein (Zürcher, ‹Vitudurum›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/ D35885.php [3. 8. 2018]). Zudem befand sich in der Nähe ein früheres Kastell, das vermutlich von Verbänden aus Vindonissa besetzt wurde (Meyer, Römische Schweiz, S. 80). Zeitlich dürfte die Siedlungskontinuität noch weiter zurückreichen, da an denselben prominenten Stellen Hinweise auf eine augusteische Militärstation zu finden waren und gar keltische Überreste gefunden wurden (Zürcher, Vitudurum, S. 179–184, 232). Zum Kirchenpatrozinium St. Arbogast vgl. Windler, Spätantike, S. 115 f. Motschi/Wild, Städtische Siedlungen, S. 76–79; vgl. Wild/Windler, Kanton Zürich, S. 354, 363 f. Unter dem Wortlaut Actum in Uuinturdura publice (Chart. Sang. II, nn. 542–543) wird Oberwinterthur im Jahr 865 erstmals urkundlich erwähnt. Weitere Nennungen finden sich in den darauffolgenden Jahrzehnten (ebd., nn. 662, 692, 706). Vitudurum kann als reguläres Kastell oder zumindest als eine in der betreffenden Zeit ummauerte Zivilsiedlung mit daraufhin militärischem Charakter gesehen werden (Frei-Stolba/Paunier, Integration, S. 50). Chart. Sang. II, nn.  463, 662. Vgl. hierzu Erhart, Oberwinterthur, S.  109. Zur späteren beziehungsweise städtischen Entwicklung Winterthurs und seiner fortifikatorischen Massnahmen vgl. Kaiser, Umfriedungen, S. 38, 40 f. Weiterführend spricht Descœudres (Befunde, S.  469) von einer Siedlungsverlagerung von Ober- nach Niederwinterthur und einer Stadtwerdung im Hochmittelalter. Chart. Sang. I, n. 210.

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das 60 ◊ 60 Meter grosse Kastell, das nach Restaurierungsmassnahmen auch heute noch als oberirdisch gut sichtbarer Punkt in der Landschaft liegt, in nachrömischer Zeit nicht mit Innenbauten wie einer Kirche versehen oder in anderer Weise weitergenutzt worden zu sein.1132 Zwar könnte in einer Ecke des Kastells ein Bau mit zwei Apsiden als frühe Kirche interpretiert werden,1133 der Versuch, diese gar mit der um 811 urkundlich erwähnten Benignuskirche in Pfäffikon (Faffinchoua, in atrio sancti Benigni confessoris)1134 gleichzusetzen, führt aber zu weit, denn von der Form her wäre als Innenbau auch ein Bad möglich.1135 Die Unterschiede in der Bezeichnung zwischen dem spätantiken Kastell Cambiodunum und dem frühmittelalterlichen Güterort Irincheshusa machen eine gewisse besiedlungsfreie Zeit wahrscheinlich. Als in der Umgebung schliesslich im 8./9. Jahrhundert wieder gesiedelt wurde, könnten Teile der Mauern des ehemaligen Kastells in geringem Masse als Steinbruch1136 genutzt worden sein oder das Kastell diente als temporäres Refugium. Als lokal beheimatete Familie wäre eine Elitengruppe denkbar, deren Sprösslinge den Leitnamen Iring (Irinc) trugen und im 9.  Jahrhundert mehrmals als Zeugen unter anderem im Zürichgau auftraten.1137 Die Verfügungsgewalt über ein derartiges Refugium könnte insbesondere in Krisenzeiten einen Machtzuwachs bedeutet haben. Da sich eine Weiternutzung jedoch nicht nachweisen lässt, bleibt dies in Irgenhausen Spekulation. Pfyn, Schaan, Kempraten und Weesen Dagegen wurde das Kastell Pfyn (Ad fines) mit grosser Wahrscheinlichkeit weitergenutzt, wie die Bartholomäuskirche darin zeigt. In spätantiker Zeit wurden dort zur Sicherung des rückwärtigen Limesraumes beziehungsweise der Sicherung von Strassenverbindungen zwischen Arbon, Oberwinterthur und womöglich in Richtung Tasgetium unter anderem berittene Einheiten stationiert.1138 In den St.  Galler Quellen taucht der Ort nicht auf, was letztlich der anderweitigen Zugehörigkeit  – 1132 Zürcher, ‹Irgenhausen›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7815.php (3. 8. 2018). 1133 Ita (Antiker Bau, S. 13 f.) ist sich ob der Deutung unsicher, hält es aber für nicht unwahrscheinlich. Als anschauliches Vergleichsobjekt für nachantike Fortnutzungen vgl. Clemens (Antike Baustruktur, S. 26) zu Miltenberg-Altstadt und als Vergleich mit allen anderen Kirchenbauten in den ehemaligen Kastellen der Umgebung sowie ihrer Lage im Kastell vgl. Heiligmann (Römische Orte, S. 75–78). 1134 Chart. Sang. I, n. 205. 1135 Meyer, Irgenhausen, S. 8; Drack/Fellmann, Römer, S. 468–470. 1136 Nicht nur die Steine fanden bei den späteren Bewohnern umliegender Siedlungen grossen Anklang, sondern auch die Ziegel (lateres, tegulae) der Dächer und Hypokaustanlagen wurden gerne zum Decken der eigenen Häuser verwendet (Nuber, Südwesten, S.  39–41). Daneben waren farbige Glassteinchen der Mosaike und Tuffsteine beliebt. Für das 12./13. Jahrhundert seien für städtische Regionen zum Teil gar Pachtverträge erhalten geblieben, welche die wirtschafltiche Nutzung der antiken Mauerreste als Steinbrüche regeln sollten (vgl. Clemens, Römische Ruinen, S. 137–139). Zum allgemeinen ‹Recycling› des Baumaterials Stein vgl. Zeune, Ritterburgen, S. 71–73. 1137 Vgl. Iring unten bei den Grafen des 10. Jahrhunderts, wenn auch eine Verwandschaft mit dem Grafen Iring (889–907) unwahrscheinlich ist. 1138 Drack/Fellmann, Römer, S. 470 f.; Brem, ‹Pfyn›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D1982.php (3. 8. 2018).

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beispielsweise zu Konstanz – geschuldet sein kann, denn auch die nächsten sanktgallischen Zentralorte wie Stammheim liegen weiter entfernt. Kleinere Bauten wie die zwei Stützpunkte in Nürensdorf zur Sicherung der römischen Strasse zwischen Kloten und Oberwinterthur dürften aufgrund der geringeren Innenfläche eher weniger weitergenutzt worden sein, wenn auch eine Siedlungskontinuität beispielsweise in Nürensdorf vermutet wird.1139 Beim mit etwa 25 ◊ 25 Meter Ausmass eher kleineren Strassenkastell Kloten wird eine Weiternutzung zumindest des umliegenden Geländes angenommen, urkundlich wird jedoch auch dieser Ort erst im hohen Mittelalter genannt.1140 Eine Anlage mit denselben Ausmassen wie in Irgenhausen befand sich in Schaan.1141 Innerhalb der Kastellmauern entstand für die romanische Bevölkerung eine Saalkirche, ebenso ist ein Baptisterium im 5. Jahrhundert nachgewiesen, während im nördlich davon gelegenen alemannischen Dorfteil eine Laurentius-Kirche entstand.1142 Dass in Schaan sowohl Romanen als auch Alemannen siedelten, zeigen die getrennten Gräberfelder.1143 Urkundlich nachgewiesen ist Schaan durch eine St. Galler Urkunde aus der Mitte des 9. Jahrhunderts, worin eine Delegation Zeugen als de Esiane stammend bezeichnet wird.1144 Noch früher urkundlich nachweisen lassen sich Siedlungsspuren in Kempraten, wo sich bereits vor seiner ersten Nennung als villa um 741–745/7461145 ein spätantiker römischer Strassenknotenpunkt für die Verbindung von Zürich nach Chur und über die Alpen nach Italien befand.1146 Als vermutlich regionaler Zentralort in der Spätantike1147 dürfte er nach dem römischen Abzug zwar an Bedeutung eingebüsst haben, eine Kontinuität ist aber trotz fehlender Befestigungen wahrscheinlich.1148 Archäologisch lässt sich das zuvor rege Leben in Kempraten seit der Errichtung der umliegenden Kastelle nicht mehr so gut nachweisen, weshalb Ackermann vermutet, dass sich zumindest Teile der Bevölkerung in der erhöhten Bedrohungslage einen 1139 Illi, ‹Nürensdorf›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D52.php (3. 8. 2018). 1140 Matter, Kloten, S. 67; Drack/Fellmann, Römer, S. 416–418; Müller, ‹Kloten›, HLS, www.hls-dhsdss.ch/textes/d/D50.php (3. 8. 2018). 1141 Vgl. Malin, Liechtenstein, S. 35–50. 1142 Nordwestlich von Schaan konnten zahlreiche weitere römische Spuren freigelegt werden, darunter der Gutshof Nendeln (Gemeinde Eschen, Fürstentum Liechtenstein) sowie eine spätrömische Fluchtburg bei Gamprin (Fürstentum Liechtenstein) (Drack/Fellmann, Römer, S. 392– 394, 398, 500 f.; Malin, Liechtenstein, S. 62–65). Wenn nicht in Schaan, so könnten die Bewohner der umliegenden Höfe – vielleicht jene der Höfe in Grabs (Chart. Sang. II, n. 439, 531) – im Krisenfall in der Fluchtburg bei Gamprin Schutz gesucht haben. 1143 Schneider-Schnekenburger, Rätien, S.  88, 202, zur Innenbebauung des Kastels vgl. Abb.  26; Mayr, Schaan, S.  126  f.; Kaiser, Churrätien, S.  75; Brunhart, ‹Schaan›, HLS, www.hls-dhs-dss. ch/textes/d/D7113.php (3. 8. 2018); Drack/Fellmann, Römer, S. 499–501. Besonders in der Ostschweiz zeigten sich kleinräumige Unterschiede in den Beigabensitten (Steiner/Motschi, Identitäten, S. 326). 1144 Chart. Sang. II, n. 531. 1145 Ebd. I, nn. 10–11. Für weitere Nennungen vgl. ebd. II, nn. 517–518. 1146 Stadler, ‹Kempraten›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7660.php (3.  8. 2018); Drack/Fellmann, Römer, S.  473–476. Nach der Auswertung der Holzbaubefunde dürften die Anfänge einer römischen Siedlung allerdings bereits ins 1. Jahrhundert zurückreichen, mit einer Kontinuität bis mindestens ins späte 4. Jahrhundert (Ackermann, Kempraten, S. 166, 169). 1147 Hintermann, Kempraten, S. 128 f. 1148 Reich, Frühmittelalter, S. 142 f.

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neuen Wohnsitz in einer der Festungen, beispielsweise in Weesen, gesucht haben könnten. Eine romanische Kontinuität ins frühe Mittelalter liesse sich schlecht nachweisen, da nach dem fundleeren 5./6. Jahrhundert erst im frühen 7. Jahrhundert wieder Spuren menschlichen Lebens nachweisbar seien.1149 Als letztes soll in diesem Rahmen nun noch auf ebengenanntes Kastell Weesen eingegangen werden, das zugleich hinsichtlich Forschungsstand als jüngstes betrachtet werden muss. Entdeckt wurden die spätantiken Spuren eines Kastells nämlich erst im Winter 2006/2007.1150 Die durchschnittlich 2,4  Meter dicken Mauern wurden im frühen Mittelalter wohl als Steinbruch genutzt. Danach folgten vermutlich weitere Zerstörungen durch Überschwemmungen und Erosion, sodass die Menschen, die darüber im Spätmittelalter Gebäude errichteten, vom ehemaligen Kastell keine Kenntnis mehr gehabt haben dürften. Ansonsten hätten sie mit Sicherheit dessen Fundamente genutzt. Fragmente eines spätantiken cingulum militare könnten in Anlehnung an die anderen Kastelle der Region auf ein weiteres rückwärtiges Kastell des Donau-Iller-Rhein-Limes hindeuten. Homberger möchte sich aufgrund der geringen Grabungsbefunde nicht auf eine Interpretation festlegen, weist aber auf die enorme strategische Lage Weesens zur Kontrolle der Transitroute vom Mittelland ins Rheintal hin, die von den Römern bereits früh durch die Walenseetürme1151 sichergestellt worden war.1152 Unter Betrachtung des römischen Strassennetzes und der regelmässigen Anlage von Strassenkastellen im Limeshinterland hätte auf der Route Zürich–Chur sowie Oberwinterthur–Irgenhausen–Chur eine derart grosse Lücke römischer Sicherungsstrukturen zwischen Zürichsee und Rheintal bereits früher zur Frage eines weiteren Kastells führen müssen. So wird beispielsweise die Strecke Bregenz–Chur durch das Kastell Schaan überbrückt. Durch diese in regelmässigen Abständen angelegten Befestigungen im südlich des Bodensees gelegenen Teils meines Untersuchungsgebietes kann zumindest für einen Teil des Frühmittelalters von potenziell vorhandenen Refugien für die Bevölkerung ausgegangen werden. Im Falle der östlichen Donaukastelle von Mautern, Traismauer und Tulln spricht Sedlmayer hingegen gar von aktiv genutzten Ausgangspunkten karolingischer Expansionsbestrebungen. «Ab dem frühen 9. Jahrhundert erhielten bayerische Klöster partielle Verantwortlichkeit für diese Plätze».1153 Der Eindruck spontaner Selbstinitiativen im Bodenseeraum soll also nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sehr wohl auch zur gezielten und womöglich königlich verordneten Weiternutzung römischer Verteidigungsarchitektur gekommen sein könnte. 1149 Ackermann, Kempraten, S. 220; Matter, Kempraten, S. 184. 1150 Homberger, Weesen, S. 141. 1151 Schänis-Biberlikopf, Filzbach-Voremwald, Amden-Stralegg, Walenstadt-Berschis (vgl. insbesondere Schindler, Walenseetürme, S.  35–39, 49  f., sowie Drack/Fellmann, Römer, S.  320  f., 395 f., 501, 536, Abb. 304; Meyer, Römische Schweiz, S. 78 f.). Die Stelle des vermuteten frührömischen Wachturms auf dem Georgenberg soll in spätrömischer Zeit als Refugium gedient haben (Schindler, St. Georgenberg, S. 14 f.; Drack/Fellmann, Römer, S. 536). 1152 Ebd., S. 145–147. 1153 Sedlmayer, Tansformationen, S. 193. Die befestigten Orte (civitates) an der Donau kristallisierten sich schliesslich fast ausnahmslos zu Zentren heraus (ebd., S. 195). Für die meisten anderen Donaukastelle sieht Fehn (Frühe Zentren, S. 228 f.) jedoch ein Verlassen und Zerfallen der alten römischen Kastelle und Siedlungen als wahrscheinlich an.

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Kaiseraugst – Augusta Trotz der Beschränkung auf den Bodenseeraum muss an dieser Stelle – aufgrund einer Verbindung zu St. Gallen – dennoch kurz auf die grosse Befestigung in Kaiseraugst hingewiesen werden, denn während wir frühe Kirchen in den anderen Kastellen häufig vermissen, entstand innerhalb des dortigen Kastells bereits im 4. Jahrhundert eine Kirche, die zumindest in späterer Zeit als Galluskirche nachgewiesen ist.1154 Trotz alemannischer Siedlungsgründungen in der weiteren Umgebung ist es laut Furger gemäss Grabbefunden und ‑funden sehr wahrscheinlich, dass sich innerhalb des Kastells gar eine romanische Bevölkerungsgruppe bis ins 7. Jahrhundert halten konnte.1155 Dabei hat das Kastell während der nächsten Jahrhunderte nicht nur einfach als Zufluchtsort, sondern als gehobene städtische Kleinsiedlung sowie spätestens nach 600 gar als Bischofssitz gedient.1156 Unter dem urkundlich als Augusta genannten Güter- und Actumort ist wohl eher Kaiseraugst als Augst zu verstehen, denn Letzteres war im 3./4. Jahrhundert verlassen, da es seit dem Jahr 260 in Trümmern lag.1157 Als Actumort könnte vor der Übertragung der Kaiseraugster Kirche womöglich eine der alemannischen Siedlungen rund um das romanische Kaiseraugst gedient haben. Denn als der Bischof noch in Kaiseraugst residierte, wäre die Konkurrenz zwischen Abt und Bischof wohl zu gross gewesen, um die St. Galler Rechtsgeschäfte im Kastell abwickeln zu können. Nach dem Abzug des Bischofs im 8./9. Jahrhundert1158 und der Schenkung durch den königlichen Gefolgsmann Anno musste St. Gallen womöglich seine Stellung vor Ort festigen und richtete in der dortigen Kirche ein Galluspatrozinium ein.1159 St. Gallen steckte sein Gebiet beziehungsweise seine Zentralorte schon früher auf diese Weise ab, wie Erhart beschreibt. Als derartige Eckpfeiler dürften Zuzwil, Bussnang, Stammheim, Romanshorn, Wasserburg, Wittnau im Hexental, Merzhausen, Kirchzarten, Willmandingen und Rangendingen gelten.1160 Es waren entweder Neugründungen oder aber die alten Patrone wurden wie im Fall von Kaiseraugst durch Gallus 1154 Drack/Fellmann, Römer, S.  411  f.; Hartmann/Sauerländer, ‹Kaiseraugst›, HLS, www.hls-dhsdss.ch/textes/d/D1797.php (3. 8. 2018); Kirchgasse, Christkath. Pfarrkirche, in: Denkmalschutzinventar Kaiseraugst (DSI-KAU002), www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=22884 (3. 8. 2018). 1155 Furger, Augst, S. 78. Laut Steuer (Frühe Siedlungen, S. 30) ist es im ganzen Rheingebiet zu alemannischen Ansiedlungen in oder nahe der ehemaligen ‹Hotspots› gekommen und Fingerlin (Frühe Alamannen, S. 128–131, 133) vermutet gar eine alemannische Teilbesatzung des Kastells Kaiseraugst oder zumindest des gegenüberliegenden Brückenkopfs (unter anderem durch ehemalige foederati). 1156 Aufgrund von Keramikfunden von zum Teil gehobener Qualität, lässt sich die Anlage archäologisch vom 1. bis 19. Jahrhundert praktisch lückenlos als bewohnt nachweisen (Faccani, Dorfkirche St. Gallus, S. 177 f.; Drack, Grenzwehr, S. 12; Morerod/Favrod, Sozialer Raum, S. 84). Denkbar wäre eine Bistumseinrichtung bereits im 4. Jahrhundert unter Bischof Justinian, als gesichert darf sie jedoch erst im 7. Jahrhundert gelten (Keller, Spätantike und Frühmittelalter, S. 6; Demarez, Rauriker, S. 31; Müller, Oberrheinische Bistümer, S. 50 f.; Marti, Kaiseraugst, S. 103–105). 1157 Müller, Oberrheinische Bistümer, S. 50. 1158 Kurmann (Kirchen, S. 247) vermutet eine sedes-Verlegung nach Basel im 8. Jahrhundert, womöglich aufgrund der dortigen Neuerrichtung eines Bischofssitzes (vgl. Hassenpflug, Frühe Kirchen, S. 147; Röber, Antike und Mittelalter, S. 112 f.). Als terminus ante quem kann einzig das Jahr 891 gelten, als die Kastellkirche im Besitz des Königs war. 1159 Vgl. unten den Abschnitt zum fidelis Anno und dem Sturz Karls III. 1160 Erhart (Terra sancti Galli, S. 315–318) spricht dabei vom «Export des Galluskultes».

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ersetzt.1161 In der folgenden Zeit diente Kaiseraugst wohl als neuer Zentralort für die sankt-gallischen Güter der Umgebung, wozu einerseits die Güterorte des Augstgaus (Görbelhof, Magden, Füllinsdorf und Munzach)1162 zu zählen sind und andererseits ein Teil der Besitztümer im südlichen Breisgau (darunter Warmbach, Herten, Fischingen, Hagenbach, Wenkenhof und Rötteln).1163 So hatte das einst blühende Augst im spätrömischen Kaiseraugst eine erste Fortsetzung gefunden und die lokale romanische Bevölkerung konnte selbst nach dem Abzug der römischen Truppen vermutlich unter attraktiven Bedingungen in den Alltag zurückkehren.1164 Laut Marti dürfte das Kastell selbst im Frühmittelalter den neuen Bewohnern des Umlands noch Schutz gewährt haben, sodass wir in dieser Gegend von einem friedvollen Übergang ausgehen können. Die Bauweise hat sich laut archäologischen Befunden verändert, jedoch unter Einhaltung der alten römischen Parzellengrenzen.1165 Von einem castrum ist nicht mehr die Rede, aber wie eben im Zusammenhang mit dem Augster/Basler Bischofssitz und St.  Galler Zentralort erwähnt wurde, dürfte diese Siedlung noch über zahlreiche römische Strukturen und über Kastellmauern verfügt haben. Zur Transformation spätantiker Bauten Auf die Kastelle westlich von Zürich (Zurzach, Windisch, Altenburg, Olten, Solothurn und Basel) wird abgesehen vom ebengenannten Kaiseraugst aufgrund der Beschränkung auf den Bodenseebereich nicht näher eingegangen. Zur weiteren Kastellnutzung auf Schweizer Boden lohnt sich im Übrigen ein Blick in die Dissertation von Brundhilde Ita, die versucht hat, alle frühmittelalterlichen Kirchen auf dem Boden der heutigen Schweiz, die innerhalb eines antiken Baus errichtet wurden, zu erfassen; ein Versuch, der interessante Zusammenhänge beleuchtet hat und hier deshalb einer Erwähnung Wert ist. Da der damalige Stand der archäologischen Erfassung in der Ostschweiz noch nicht einmal in den Kinderschuhen stand, sind ihr jedoch einige Anlagen wie Arbon entgangen. Von mit kirchlichen Innenbauten weitergenutzten Kastellen auf dem Gebiet der Schweiz spricht sie hauptsächlich bei den Kastellen in Basel, Burg (Stein am Rhein), Chur, Genf, Kaiseraugst, Lausanne, Oberwinterthur, Pfyn, Solothurn, Windisch und Zurzach.1166 Zwischenzeitlich konnte diese Liste dank der Arbeit der betreffenden Kantonsarchäologien nochmals erweitert werden,1167 und für meinen untersuchten Bereich könnten in den nächsten Jahren durchaus noch 1161 Vgl. Hassenpflug, Frühe Kirchen, S. 148 f. 1162 Chart. Sang. I, nn. 16, 174, 298. 1163 Ebd., nn. 22, 26, 62, 159. Diese Orte könnten auch vom Zentralort Egringen aus kontrolliert worden sein (Zotz, St. Gallen im Breisgau, S. 15 f.; Clavadetscher, Breisgau, S. 104 f.; Hassenpflug, Frühe Kirchen, S. 156 f.). 1164 Marti, Kaiseraugst, S. 107–109. 1165 Ebd., S. 97–100. 1166 Ita, Antiker Bau, S. 13. Als weiterführende beziehungsweise neuere Arbeiten dürfen unter anderem zwei Beiträge von Jäggi, Bujard und Meier (Kirchen; dies., Kult, insbesondere S. 266–277) betrachtet werden, und zum Thema allgemein sind Clemens (Antike Baustruktur, insbesondere S. 26) und Scholkmann (Frühe Kirchen, S. 455–462) unbedingt zu beachten. 1167 Es sei besonders an den Katalog der frühchristlichen und frühmittelalterlichen kirchlichen Bauten von Hans Rudolf Sennhauser (Katalog, insbesondere S.  106–108, 172  f., 221) gedacht

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weitere Spuren der kontinuierlichen Nutzung römischer Bauten ans Licht kommen. Denn abgesehen von den grossen Militärkastellen dürften auch die weitaus zahlreicheren villae rusticae zum Teil eine Fortnutzung erfahren haben1168 oder die Stellen wurden erneut besiedelt.1169 Allerdings muss auch mit einem sehr breiten Verlassen der Siedlungsstrukturen im Flachland während des 4./5.  Jahrhunderts und einem Bevölkerungsrückgang aufgrund alemannischer Einfälle gerechnet werden. Die lange Zeit vorherrschende Forschungsmeinung vom «Wüstwerden» römischer Villenplätze wird von Fingerlin mit Gegenargumenten abgeschwächt. Er geht in sehr viel breiterem Masse vom «Anknüpfen an römische Strukturen» aus.1170 Als ein relativ nahes Beispiel nennt Windler unter anderem Elgg,1171 das bereits römisch besiedelt war, eine ungebrochene Siedlungskontinuität bis ins Mittelalter nachweisen kann, sankt-gallischer Ausstellungs- und Güterort war1172 und dessen ursprüngliche Besiedlungsspuren unter dem heutigen Dorfkern zumindest der Form nach noch gut aus der Vogelperspektive nachvollzogen werden können.1173 Bachrach vermutet in dieser Transformationsphase zwischen dem Abzug römischer Truppen und dem Einsickern neuer germanischer Verbände einen erhöhten Militarisierungsgrad, der selbst zur Bewaffnung der ehemaligen Sklaven geführt habe.1174 Des Weiteren zog man wohl geschützte städtische Siedlungen und Orte in Kastellnähe den ungeschützten Siedlungen vor, wenn auch in den Kastellen die Versorgung nicht mehr ohne Weiteres aufrechterhalten werden konnte, da die Güter aus den zahlreichen verlassenen villae rusticae fehlten.1175 Dennoch dürften einige der alten Anlagen eine Neubesiedlung und -nutzung erfahren haben. So beispielsweise im Oberaargau,1176 wo die Stellen einiger archäologisch nachgewiesener römischer Gutshöfe in den frühen St.  Galler Urkunden als Güter- und Actumorte auftauchen, wie die Fälle von Langenthal, Herzogenbuchsee, Madiswil, Kleindietwil und Rohrbach zeigen.1177 In der Nähe der drei letzten Orte be-

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sowie an ders., Kirchliche Bauten, S. 9–20; ders., Kirchenbau, S. 970–972; Ackermann/Grüninger, Kirche, S. 793–796. Balle, Seitz und Tränkle (Villen, S. 111) weisen auf die Versorgung der Neuankömmlinge hin, deren Vorräte selbst nach der Plünderung römischer Überbleibsel maximal für ein Jahr gereicht hätten, was eine Fortnutzung von Teilen der landwirtschaftlichen Infrastruktur wahrscheinlich mache. Vgl. zudem Untermann, Architektur, S. 11. Vgl. unter anderem den Katalog bei Ita, Antiker Bau, S. 27–124; Jäggi/Bujard/Meier, Kult, S. 272– 274; Schreg, Gutswirtschaft, S. 312–317. Zur Errichtung von Burgen an der Stelle von ehemaligen villae – allerdings zum Oberrheingebiet – vgl. Beck, Vorgängerbesiedlung, S. 52–57. Fingerlin, Siedlungen, S. 128 f. Elgg, Bezirk Winterthur (ZH). Elgg gehört zu den ältesten (um 760) Zentralorten der Abtei St.  Gallen (vgl. unter anderem Chart. Sang. I, nn. 27, 29 etc.). Windler, Alamannen, S.  264  f.; Müller, ‹Elgg›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D144.php (3. 8. 2018). Bachrach, Carolingian Warfare, S. 53. Demarez, Rauriker, S. 30 f.; Keller, Spätantike und Frühmittelalter, S. 4–9. Diese Region gehört heute als Verwaltungskreis Oberaargau zum Kanton Bern. Chart. Sang. I, nn. 137, 234; ebd. II, nn. 595, 686. In Langenthal sind bereits für das 6. Jahrhundert Spuren fränkischer Besiedlung nachweisbar (Marti, Frühmittelalter, S. 144 f., 149) und im Actumort Rohrbach wird eine frühe Martinskirche genannt (Chart. Sang. I, n.  137). Bei Herzogenbuchsee handelt es sich lediglich um einen erwähnten Ort (ebd. II, n. 686; vgl. Drack/

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fanden sich gar frühmittelalterliche Refugien.1178 Eine Siedlungskontinuität zwischen römischer Spätantike und fränkisch-burgundischem/-alemannischem Frühmittelalter scheint hier – ebenso wie die Vorstellung einer friedlichen Transformation – gegeben, und dies selbst aus kirchlicher Sicht, wie die frühen Bischofssitze auf Schweizer Boden belegen.1179 In diesem Sinne ist auch eine Kontinuität in Munzach,1180 Dachsleren,1181 Schongau,1182 Buchs (ZH)1183 und Zell (ZH)1184 denkbar, womöglich auch auf der Zürichseeinsel Ufenau.1185 Beweisen lässt sich dies freilich nicht; gegen eine zu breite Kontinuität spricht allerdings die Vermutung von Frei-Stolba und Paunier, wonach bewohnte römische Anlagen des 5. Jahrhunderts aufgrund grösserer Epidemien selten gewesen seien. Die Bevölkerungsdichte auf dem Gebiet der heutigen Schweiz soll dadurch und aufgrund kriegerischer Einfälle sowie wegen der Verunsicherung nach dem Abzug der römischen Truppen durch Stilicho um 400 stark abgenommen haben.1186 In einigen der oben angeführten Fälle wäre also auch eine Unterbrechung der Besiedlung denkbar und die spätere Wiederbenutzung derselben Plätze wegen der günstigen Lage

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Fellmann, Römer, S. 408; Ita, Antiker Bau, S. 62–64). Des Weiteren ist in Kölliken (Bezirk Zofingen, AG) weiter im Nordosten an der Stelle eines frühmittelalterlichen Güterortes (Chart. Sang.  II, n.  527) eine römerzeitliche Ziegelbrennerei nachgewiesen, die mit grosser Wahrscheinlichkeit unter der Kontrolle einer militärischen Einheit mit lokalem Bezug stand (Hartmann/Weber, Aargau, S. 178). Solche lokalen Strukturen könnten durchaus eine ressourcenbedingte Fortnutzung erfahren haben. Marti, Frühmittelalter, S. 155 f. Steiner, Spätantikes Römerreich, S. 33; vgl. die Ausführungen unten zum Kastell und Bischofssitz Kaiseraugst. Munzach (Stadt und Bezirk Liestal, BL) taucht als Actumort um 800 in einer St. Galler Urkunde auf (Chart. Sang. I, n. 17, sowie als Güterort ebd., n. 299), zudem wurde durch eine Grabung in der Ortskirche ein reich ausgestatteter römischer Gutshof aus dem 2. Jahrhundert zutage gefördert, der zwar um 350 wieder aufgegeben worden sein soll, die Grundmauern wurden aber vermutlich für den Bau der Kirche beziehungsweise als deren Fundament verwendet (Drack/ Fellmann, Römer, S. 430–434). In Dachsleren (Gemeinde Schleinikon, Bezirk Dielsdorf, ZH) wurde ein römischer Gutshof mit Portikussäulen entdeckt (Drack/Fellmann, Römer, S. 502). Zudem wird der Ort früh in einer Liste mit Zinsleuten genannt (Chart. Sang. I, n. 351). Unter der spätgotisch-barocken Kirche beziehungsweise der einstigen romanischen Kirche von Schongau (LU), das 831 als Güterort St. Gallens (villa Scongaua) genannt wird (ebd., n. 353), kamen Überreste eines römischen Gutshofes zutage (Ita, Antiker Bau, S. 101–103; Drack/Fellmann, Römer, S. 506). In Buchs (Bezirk Dielsdorf, ZH) wurden Überreste eines noch in der Spätantike existenten Gutshofes entdeckt (Drack, Baudenkmäler, S. 8). Im seit der Mitte des 8. Jahrhunderts (Chart. Sang. I, n. 10, 11) schriftlich genannten St. Galler Güterort Zell (Bezirk Winterthur, ZH) stiess man während archäologischen Untersuchungen im Baugrund der spätgotischen Kirche auf Mauerreste eines römischen Gutshofes (Drack/Fellmann, Römer, S. 567; Drack, Baudenkmäler, S. 11). Unter der Kapelle Peter und Paul wurden die Fundamente eines 18 ◊ 18  Meter grossen gallorömischen Quadrattempels entdeckt (Meyer, Römische Schweiz, S.  94–96; Kessler, Ufnau, S.  4–6). Und selbst wenn Meyer (Römische Schweiz, S.  94–96) eine Kultkontinuität für unwahrscheinlich hält, ist eine fortgesetzte Nutzung dennoch möglich und die absichtliche Nutzung der vorhandenen Steinstrukturen für den späteren Kapellenbau wahrscheinlich. Für die benachbarte Insel Lützelau ist bereits zur Mitte des 8. Jahrhunderts eine frühe Kirche urkundlich nachweisbar und auch die Ufenau wird genannt (Chart. Sang. I, n. 10; Kessler, Ufnau, S. 6–8; architektonisch vgl. Untermann, Architektur, S. 97). Frei-Stolba/Paunier, Integration, S. 57.

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und der bereits vorhandenen steinernen Fundamente und des Baumaterials aus den römischen Ruinen durchaus möglich.1187 Die Wahrscheinlichkeit einer Instandhaltung römischer Bauten darf selbst nach dem offiziellen Abzug der römischen Verwaltung nicht zu gering geschätzt werden. Fingerlin geht gar davon aus, dass noch in ‹nachrömischer› Zeit die römische Bauweise nachgeahmt wurde.1188 Das Know-how ging bestimmt nicht von einem auf den anderen Tag verloren,1189 insbesondere wenn wir vom Zurückbleiben einiger Soldaten in ehemals römischen Diensten zusammen mit ihren lokal verwurzelten Familien ausgehen. Ein Hinweis, der diesbezüglich wohl eher ins Leere zielt, ist der, dass die Gerüste zum Mauerbau in Arbon anders angebracht worden waren, wie jene in Pfyn oder Eschenz.1190 Da diese Kastelle alle im selben Zeitraum – unter voller militärischer Besetzung – entstanden sind, darf man eigentlich davon ausgehen, dass die römischen Truppen wie üblich nach dem strikt gleichen Muster vorgingen, und dies insbesondere bei der Anlage von Lagerbefestigungen. Waren vielleicht bereits vor dem Abzug der Römer vom Bodensee lokale beziehungsweise ‹zivile› Kräfte als Unterstützung hinzugezogen worden? Lag es an den unterschiedlichen militärischen Formationen, die vor Ort stationiert waren? Oder wurden die lokalen Baumassnahmen aufgrund des Zeitdrucks und der erhöhten Bedrohungslage nicht ganz so generalstabsmässig durchgeführt wie sonst? Von der Form, Mauerdicke und Innenbebauung her lassen sich zwischen den Kastellen kaum Unterschiede feststellen, weshalb obiger Ansatz gut als Überinterpretation abgetan werden kann. Allerdings sind die Überlegungen bezüglich Nutzung lokaler Ressourcen (Zivilbevölkerung) eine Begründung, lokales Know-how anzunehmen. Parallelen zur Severinsvita Die Quellenarmut der Völkerwanderungszeit zwingen den Historiker verstärkt zu Mutmassungen. Die ersten thematisch hilfreichen Quellen des Frühmittelalters sind diesbezüglich oben angesprochene Hagiografien wie die Gallusvita. Daneben vermögen auch andere frühmittelalterliche Hagiografien unabsichtliche und zugleich grundlegende Informationen zur Übergangszeit zwischen Spätantike und Frühmittelalter sowie zur möglichen Kontinuität gewisser gesellschaftlicher wie baulicher Elemente zu überliefern, allen voran die Vita des heiligen Severin des Eugippius aus dem 6. Jahrhundert.1191 Die Severinsvita betrifft das spätantike Noricum zwischen den Provinzen Raetia secunda und Pannonia prima und dürfte deshalb rein geografisch und politisch einige Parallelen zur für uns wichtigen Raetia prima bereithalten.1192 Die Ge 1187 Vgl. Steiner, Archäologie, S. 74. 1188 Fingerlin, Siedlungen, S. 128 f. 1189 Zur Kontinuität römischen Handwerks vgl. Windler/Graenert, Produktion, S. 334–337; Malin, Liechtenstein, S.  80  f. Vgl. dagegen die lokale frühmittelalterliche Bauweise (Goll, Holz im Steinbau, S. 103–106). 1190 Brem/Bürgi/Roth-Rubi, Arbon, S. 18. 1191 Für den Wortlaut wird im Folgenden ‹Eugippius, Vita s. Severini› massgebend sein sowie ‹Eugippius, Leben des hl. Severin› für alternative Übersetzungs- und Interpretationsvorschläge und weiterführende Informationen und Karten. 1192 Ebd., S. 40 f.; Eugippius, Vita s. Severini, S. 155.

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schichte beginnt in einer Zeit des Umbruchs «als die Städte [oppida] Ufer-Noricums an der oberen Donau noch bestanden, aber fast kein einziges Kastell [castellum] von Barbarenüberfällen verschont blieb», wie Eugippius berichtet.1193 Severin galt bereits zu Lebzeiten als Heiliger oder zumindest als ‹Glücksbringer›, da er der lokalen Bevölkerung und den Kastellbesatzungen Sicherheit durch Gottvertrauen nahebrachte. Dadurch bewegte er sich zwischen den einzelnen castella hin und her, was uns einen Blick in die lokalen Geschehnisse ermöglicht. So schildert er die heikle Phase in der Zeit zunehmenden Kontrollverlustes durch Rom in einer Weise, wie wir uns das auch für den Bodenseeraum vorstellen können: Zu jener Zeit, da das römische Reich noch ungebrochen war, wurden die Soldaten vieler Städte [oppida] als Limes-Truppen [milites] aus öffentlichen Mitteln besoldet. Mit dem Aufhören dieser Gepflogenheit verfielen zugleich mit dem Limes auch die regulären militärischen Einheiten [militares turmae]. Nur die batavische Grenztruppe blieb halbwegs intakt.1194

Im Bodenseeraum werden vermutlich gewisse heimisch gewordene Verbände ihre Positionen nicht vollständig aufgegeben haben. Wie für Arbon bereits formuliert, dürfte sich der eine oder andere Soldat mit seiner Familie hinter die Kastellmauern zurückgezogen haben. Mit dem Vordringen neuer Bevölkerungsgruppen beziehungsweise der Alemannen kam es anschliessend sowohl zu kleineren oder grösseren Auseinandersetzungen als auch zu individuellen Arrangements. Unter Berufung auf die Wirkung des heiligen Severin soll dies nämlich auch in Noricum im Angesicht der vorrückenden Rugier so verlaufen sein, wenn auch nach einer grösseren Umsiedelungsaktion: «Die Romanen nun, die der heilige Severin unter seine Obhut genommen hatte, zogen von Lauriacum fort,1195 wurden unter gütlichen Vereinbarungen in den Städten [oppidis] untergebracht und lebten in friedlicher Gemeinschaft mit den Rugiern.»1196 Wie für die ‹rätischen› Fälle Arbon, Konstanz, Bregenz, Tasgetium und womöglich Schaan, Irgenhausen und Oberwinterthur oben gezeigt werden konnte, wurde die lokale christlich-romanische Bevölkerung also nicht einfach ausgelöscht, sondern geduldet und gar integriert, wenn auch die Noriker dies durch ihre Tributpflicht teuer erkaufen mussten.1197 Je nach Region geschah gar das Gegenteil und die neu zuge 1193 Übersetzung von Nüsslein (ebd., S. 55, cap. 11,1). Dum adhuc Norici Ripensis oppida superiora constarent et paene nullum castellum barbarorum vitaret incursus […] (ebd., cap. 11,1). 1194 Übersetzung nach Eugippius, Leben des hl. Severin, cap. 20,1. Per idem tempus, quo Romanum constabat imperium, multorum milites oppidorum pro custodia limitis publicis stipendiis alebantur; qua consuetudine desinente simul militares turmae sunt deletae cum limite, Batavino utcumque numero perdurante (Eugippius, Vita s. Severini, cap. 20,1). 1195 Zahlreiche Flüchtlinge hatten für letzte Widerstandsbestrebungen Schutz in Lauriacum (LorchEnns) gesucht (vgl. ebd., cap. 31,1). 1196 Übersetzung von Nüsslein (ebd., S. 97, cap. 31,6). Igitur Romani, quos in sua sanctus Severinus fide susceperat, de Lauriaco discedentes pacificis dispositionibus in oppidis ordinati benivola cum Rugis societate vixerunt (ebd., cap. 31,6). Vgl. hierzu Störmer, Baiuwaren, S. 46–49. 1197 May, Besitzgeschichte, S. 36 f. Müller (Urkunden, S. 67) vermutet aufgrund gewisser ‹Lücken› im Besiedlungsbild, dass diese alten romanischen Orte aufgrund der dort weiterhin lebenden Romanen von den Neuankömmlingen (Alemannen) gemieden worden seien. Für Bayern sowie den Alpenraum vgl. Störmer, Baiuwaren, S. 49.

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wanderten Gruppen passten sich kulturell und sprachlich den einheimischen Romanen an.1198 Das Bodensee-Grenzgebiet gehörte selbst nach dem offiziellen Abzug der römischen Truppen nominell zum Reich und da der Übergang mindestens in diesem Teil der Raetia prima und der Maxima Sequanorum1199 beziehungsweise der Germania prima ab dem 5. Jahrhundert vermutlich ohne militärischen Widerstand von Statten ging,1200 verblieben zahlreiche lokale Strukturen in gewohnter Weise und die alten steinernen Siedlungen dürften nebst der lokalen Bevölkerung auch den einen oder anderen Grafen sowie fränkischen Funktionär beherbergt haben.1201 Bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts stand die heutige Ostschweiz rein rechtlich unter der Kontrolle der Ostgoten, die Ende des 5. Jahrhunderts in Italien die Macht übernommen hatten. Danach blieb ihnen nichts anderes übrig, als Rätien zusammen mit dem römischen dux in Chur (Familie der Zacconen-Victoriden) den Franken zu überlassen.1202 Wie es um die faktischen Machtverhältnisse vor Ort stand, lässt sich nicht eruieren, doch dürfte die Unsicherheit bezüglich Zugehörigkeit und potenzieller Schutzherrn eigeninitiierte Refugien notwendig gemacht haben. Zentral- und Kastellorte im Bodenseeraum Nach dem eingangs gezeigten Zentralortmodell von Gringmuth-Dallmer erfüllen die meisten der Kastelle im Bodenseeraum mindestens einen Faktor, um als Zentralort unterster Stufe (Unterzentrum) zu gelten, nämlich den Faktor «Schutz». Die Möglichkeit, als Refugium zu dienen, erhebt diese Siedlungen besonders in jener Zeit über die gewöhnlichen «selbstgenügsamen (autarken) ländlichen Siedlungen» hinaus, und durch die häufig ebenso vorhandenen Zusatzfunktionen dürften einige der Kastelle gar als Mittelzentren gesehen werden. Diente das Kastell beispielsweise einem lokalen Fürsten als Sitz, kommt laut Ettel die Funktion «Herrschaft» hinzu, beherbergten die Mauern eine Kirche, erfüllte die Siedlung beziehungsweise das Kastell die Funktion «Kult».1203 Die ebengenannten Kastelle mit Spuren früher Kirchen dürfen demnach zu den Siedlungen mit mehreren zentralen Funktionen gezählt werden und gehörten damit im frühmittelalterlichen Bodenseeraum zu einer Gruppe von Mittelzentren, die der umliegenden Landschaft als Zentralorte dienten. Deren Beherrschung – beispielsweise durch den Besitzerwerb des Klosters St. Gallen – konnte dem jeweiligen Herrn einen gewissen Einfluss über eine Kleinstregion sichern. Solche Orte konnten ihren Status durch politische Veränderungen aber auch 1198 Windler, Spätantike, S. 109–111. 1199 Zum westlichen Teil der heutigen Schweiz vgl. Demarez, Rauriker, S. 30 f. Zur Zugehörigkeit der jeweiligen Kastelle vgl. Karte bei Kaiser, Churrätien, S. 19. 1200 Vgl. Nuber, Südwesten, S. 27–29, 31. 1201 Roth-Rubi, ‹Kastell  – Spätantike›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8603.php (3.  8. 2018); Malin, Liechtenstein, S. 24. Für die Gebiete im Oberaargau, wo St. Gallen ebenfalls über Güter verfügte, vermutet Marti (Frühmittelalter, S. 143) in der Zeit des Rückzuges der offiziellen römischen Truppen keine grossen Veränderungen, da die neuen Herrscher, burgundische Könige, besonders in der Anfangszeit eher noch «als Statthalter der römischen Kaiser» agierten. Auch hier dürfte also eine friedliche Verschiebung der Machtverhältnisse stattgefunden haben. Vgl. Morerod/Favrod, Sozialer Raum, S. 86 f. 1202 Frei-Stolba/Paunier, Integration, S. 51; Morerod/Favrod, Sozialer Raum, S. 88. 1203 Gringmuth-Dallmer, Zentralorte, S. 11.

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wieder verlieren. So darf Arbon zu Beginn des frühen Mittelalters mit seinen Mauern, dem lokalaristokratischen Tribun, der Kirche und dem Hafen durchaus als Oberzentrum gesehen werden. Durch die zunehmende Macht des karolingischen Thurgaugrafen, durch das Wiedererstarken der Zentren Konstanz und Bregenz sowie aufgrund der Entstehung neuer Zentren wie Romanshorn und St. Gallen dürfte Arbon allerdings bereits im 9.  Jahrhundert nur noch als Mittelzentrum wahrgenommen worden sein. Zeigt sich dies womöglich an der Bezeichnung einer solchen Siedlung? Daraus liesse sich unter anderem die Frage ableiten, welche ehemaligen Kastellorte im Frühmittelalter denn letztlich noch als castra bezeichnet wurden und warum. Eine Möglichkeit sind Kastellgemeinschaften, die mit eigenen Vorstehern agieren beziehungsweise die ‹von aussen sichtbar› in oder bei einem Kastell leben. Des Weiteren könnte sich der Kastellbegriff bereits so unauslöschlich in die orale Tradition der Bevölkerung eingepasst haben, dass er gar Teil des Ortsnamens wurde. Mit einem Blick in die St. Galler Urkunden erkennen wir, dass der Begriff castrum nach 801/8021204 plötzlich aus der St.  Galler Urkundenüberlieferung verschwindet.1205 Dies könnte daran liegen, dass die zuvor als solche bezeichneten Kastelle, nämlich Arbon, Bregenz und Eschenz, nicht mehr in der Überlieferung vorkommen oder weil die Kastellbezirke durch die karolingische Neuordnung politisch keine Rolle mehr spielen.1206 Der ersten Möglichkeit entgegen zu halten ist eine Nennung von Bregenz um 802,1207 die bereits ohne castrum-Zusatz erfolgte. Besonders für Arbon dürfte das Wegfallen des castrum-Begriffes, der im 8. Jahrhundert selbst zur Bezeichnung des Arbongaues verwendet worden war, ein Zeichen neuer Oberhoheit sein. Eine wirkliche Untersuchung hierzu lässt sich jedoch nicht anstellen, da Arbon – als letztlich einzige ‹richtige› Kastellsiedlung mit Tribun und langer soziopolitischer Kontinuität seit der Spätantike – bereits im nun fränkisch gefärbten politischen Gefüge des Bodenseeraums des 9. Jahrhunderts keine Rolle mehr spielte. ‹Ungarn- und Heinrichsburgen› Der bisherige Fokus lag auf den ehemals römischen Befestigungen, da man ansonsten nicht mit ‹professionell› geschützten Orten für die Bevölkerung rechnen durfte. Der Bedarf nach eigenen lokalen Refugien war aber besonders in gefährlichen Zeiten gross. Dazu gehören im Bodenseeraum eine ganze Reihe von Befestigungsanlagen, die aufgrund ihrer schnellen und dadurch vergänglichen Holz-Erde-Bauweise zu einer Gruppe von Bauten und Refugien gezählt werden, die als «Ungarnburgen» und «Heinrichsburgen» seit über einem Jahrhundert durch die Forschung geistern.1208 Dabei kann in vielen Fällen aufgrund des Fehlens von Schriftzeugnissen und 1204 Chart. Sang. I, n. 162. 1205 In einer Urkundenkopie des 11. Jahrhunderts im StALU, deren verlorenes Original auf die Zeit um 853 datiert wird, ist allerdings noch einmal die Rede von einem castrum im Falle Zürichs: in castro Turicino iuxta fluvium Lindemaci ȩcclesiam construeret (UBZH I, n. 67). 1206 Keller, Spätantike und Frühmittelalter, S. 17. 1207 Chart. Sang. I, n. 168. 1208 Reinecke (Spätkeltische Oppida, S. 45) nennt sie ‹Ungarnrefugien›, Erdmann (Burgenbauordnung, S. 69–72) ‹Volksburgen›, Büttner (Burgenbauordnung, S. 3) ‹Schutzburgen›, von Uslar

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einer Armut archäologischer Funde nicht einmal das Alter der Bauten bestimmt werden. Als «Ungarnburgen» werden die während der Ungarneinfälle aufgeworfenen Holz-Erde(-Stein)-Refugien mit zeitlich begrenzter Nutzung benannt. Dagegen ist die Bezeichnung «Heinrichsburg» das Resultat einer auf der Sachsengeschichte des Widukind von Corvey und auf den Wundertaten des heiligen Wigbert beruhenden Ansicht, König Heinrich I. hätte um das Jahr 926 eine reichsweite Burgenbauordnung zum Schutz vor den Ungarn herausgegeben. Besonders Letzteres gilt aus Sicht der heutigen Forschung jedoch als überholt. So berichtete Widukind:

Gerichtstage, alle Zusammenkünfte und Gastmähler liess er in den Burgen abhalten, an deren Bau man Tag und Nacht arbeitete, um im Frieden zu lernen, was im Notfall gegen die Feinde zu tun sei. Ausserhalb der Burgen gab es nur minderwertige oder überhaupt keine Mauern.1209

Und aus Wigberts Wundertaten erfahren wir:

Nachdem es kürzlich den Heiden vergönnt war, uns einen schweren und unheilvollen Schlag zu versetzen, wurde in Übereinstimmung von König und Reichsfürsten ein Gesetz erlassen und angeordnet, dass abgegrenzte Plätze für die Versammlungen ehrbarer Männer und Frauen mit Befestigungswerken und starken Mauern zu umgeben seien.1210

Widukinds Angaben sind im Gegensatz zu jenen um 940 in Hersfeld entstandenen miracula grösstenteils von Ungenauigkeiten und Fehlern gezeichnet. Laut Frey steht die Anordnung zum Burgenbau und -ausbau zudem in starkem Missverhältnis zu den tatsächlichen archäologischen Befunden. Zum Teil tauchen dadurch strategisch und wehrtechnisch bedeutsame Befestigungen in den Schriftquellen verhältnismässig wenig oder gar nicht auf, während kleinere, jedoch literarisch überhöhte Befestigungen von Historikern zu zentralen Orten des Geschehens erhoben werden, obwohl uns die archäologischen Befunde etwas anderes aufzeigen.1211 Beide Quellen wurden durch Erdmann und Büttner genauer auf einen königlich organisierten Burgenbau hin untersucht, wobei vor allem die Frage im Zentrum stand, ob es sich in der angeblichen Bauanordnung Heinrichs I. um eine reine Zusammenkunft in Burgen, die Errichtung von neuen Burgen, die Befestigung von (Befestigungen, S. 161–165) ‹Ungarnwälle›/‹Heinrichsburgen›, Gersbach (‹Bürkli› bei Riburg, S. 274, und Urgeschichte, S. 196) ‹Ungarnwälle›/‹Fliehburgen›, Schneider (Haldenburg, S. 55) ‹Ungarnwälle› und Weithmann (Ungarn-Fliehburgen, S. 6) spricht von ‹Landesburgen›. 1209 Übersetzung von Rotter/Schneidmüller (Widukind, Res gest. Sax., S. 83). Concilia et omnes conventus atque convivia in urbibus voluit celebrari; in quibus extruendis die noctuque operam dabant, quatinus in pace discerent, quid contra hostes in necessitate facere debuissent. Vilia aut nulla extra urbes fuere moenia (ebd., cap.  I,35). In der früheren Bearbeitung von Buchner (Res gest. Sax., S.  69) waren conventus noch als ‹Markt› sowie moenia als ‹feste Häuser› interpretiert worden. Erdmann (Burgenbauordnung, S.  59–63) führte zu conventus zusätzlich die Überlegung eines geistlichen Konvents an, schloss einen solchen aber sowohl im Text von Widukind als auch in den miracula sancti Wigberti aus (vgl. Fleck, Mirac. s. Wigberti, S. 164, Anm. 9). 1210 Übersetzung von Fleck (ebd., S. 123). Nuper dire calamitatis flagello super nos paganis concesso, regali consensu regaliumque principum decreto sancitum est et iussum honestorum virorum feminarumque conventiculis loca privata munitionibus firmis murisque circundari (ebd., cap. V). Für Büttner (Burgenbauordnung, S. 2) stellt dieser Mirakelbericht eine zuverlässigere Quelle dar als Widukinds Schilderung. 1211 Frey, Frühmittelalterliche Burgen, S. 179, 181; Kellner, Ungarneinfälle, S. 146 f.

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Versammlungsplätzen als Refugien oder – direkt auf die agrarii milites ansprechend – um die rein personelle Besetzung der bereits bestehenden Befestigungen handle.1212 Nach Erdmann würden Burgen und Versammlungsplätze vielfach zusammenfallen, so im Beispiel der Pfalz Werla, der «hervorragendsten Heinrichsburg».1213 Es kämen danach also sowohl befestigte Pfalzen wie weitergenutzte Römerkastelle infrage. Ob nun, wenn schon nicht der Bau, so doch die Nutzung solcher Anlagen ‹von oben› herab verordnet wurde, gehörte zu Erdmanns Zeiten noch nicht zu den zentralen Fragen. Zur militärischen Besetzung der Anlagen sind vor allem die ebengenannten milites agrarii des Widukind von Corvey zu erwähnen:

Zuerst wählte er unter den bäuerlichen Kriegern [agrari milites] jeden neunten Mann aus und liess ihn in den Burgen [urbes] wohnen, damit er hier für seine acht Genossen [confamiliares] Wohnungen errichte und von allen Früchten den dritten Teil empfange und verwahre. Die acht übrigen sollten säen und ernten und die Früchte sammeln für den Neunten und dieselben an ihrem Platze aufheben.1214

Diese «ländlichen Dienstmannen» – wie sie Erdmann nennt – sollten als ständige militärische Besatzung in den Burgen wohnhaft werden, was aber bereits derselbe stark anzweifelt, da die nahrungsmitteltechnische Grundversorgung der Bevölkerung mit dem dauerhaften Fehlen eines Neuntels der arbeitsfähigen Kräfte wohl kaum funktioniert hätte.1215 Fleckenstein ist diesbezüglich etwas weniger kritisch und spricht von der Gleichstellung von cives und agrarii milites, welche er als «Volksgenossen» und «Bauernkrieger» bezeichnet. Diese hätten der bäuerlichen Verpflichtung der defensio patriae1216 entsprechend in jener Notzeit Folge leisten müssen. Heinrich I. habe es offenbar verstanden, die alten karolingischen Königsrechte durch Heranziehen der umliegenden Bevölkerung zum Bau und Unterhalt von Befestigungen neu zu beleben.1217 Zeitgenössische Parallelen – Burghal Hidage Durchaus zu vergleichen wäre die Abwehr durch die agrarii milites mit der Organisationsform, die in England und auf dem restlichen Kontinent zur Abwehr gegen die ‹Wikinger› angewandt wurde.1218 Dem Burghal Hidage, einem Verzeichnis aus Wessex der Jahre 914–924, sind die Verteidigungsbestrebungen Alfreds des Grossen gegen die Normannen zu entnehmen, die hauptsächlich aus der Anlegung eines Befestigungssystems bestand. Laut Hindley soll Alfred alte römische Wälle mit in die Befestigungsanstrengungen einbezogen haben, wozu ihn ein früherer Besuch in

1212 Bachrach, Warfare, S. 35; Erdmann, Burgenbauordnung, S. 59–76. 1213 Ebd., S. 63. 1214 Übersetzung von Buchner (Res gest. Sax. I, S. 69). Et primum quidem ex agrariis militibus nonum quemque eligens in urbibus habitare fecit, ut ceteris confamiliaribus suis octo habitacula extrueret, frugum omnium tertiam partem exciperet servaretque, caeteri vero octo seminarent et meterent frugesque colligerent nono et suis eas locis reconderent (ebd., cap. 35). 1215 Erdmann, Burgenbauordnung, S. 73. 1216 Vgl. Reuter, Plunder and tribute, S. 89 f. 1217 Fleckenstein, Agrarii milites, S. 27–29. 1218 Last, ‹Burgenbauordnung Heinrichs I.›, LexMa 2, Sp. 1005.

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Rom bewogen haben soll.1219 – Ein gewisser Austausch mit dem Festland könnte also diesbezüglich stattgefunden haben, wenn auch Alfreds Rombesuch in seiner Kindheit stattfand. Zur Bemannung der einzelnen Festungen sollten aus allen ‹boroughs› Männer verpflichtet werden, und zwar pro Hufe (‹hide›) ein Waffenträger.1220 Der mobilen Kampfweise von Ungarn wie Normannen wurde also sowohl in den fränkischen als auch in den angelsächsischen Königreichen in ähnlicher Weise begegnet. Man hatte erkannt, dass auf den ersten Ansturm zwar nie rechtzeitig reagiert werden konnte, dass man aber durchaus eine erfolgreiche Rückkehr der vollbeladenen Plünderer aus dem Hinterland verhindern konnte, indem man diesen den Rückzug in ihre heimatlichen Weidegründe beziehungsweise zu ihren Schiffen verwehrte. Der Einfall wurde durch die Besatzungen der kleinen Festungen registriert und während die Plünderungen im Hinterland stattfanden, konnte aus dem Umland eine eigene kleine Streitmacht aufgestellt werden.1221 Künftige Plünderungen sollten so durch eine ‹attraktivitätssenkende Risikoerhöhung› unterbunden werden. Soweit zumindest die Theorie, denn ein effizientes Funktionieren lässt sich durch die zeitgenössischen Quellen kaum nachweisen. Im Endeffekt dürfte diese Taktik lediglich ein Umlenken der Plündererströme zu weniger beschützten Zielen bewirkt haben. Für den westfränkischen Bereich berichten Poly und Bournazel noch stärker von dauerhaft besetzten Befestigungen. Während wir für die Burgbesatzungen im schwäbischen Raum des 10./11. Jahrhunderts vornehmlich auf Termini wie custodes, castellani, vigiles und tutores stossen, die mehr funktionsgebunden ihren Dienst in einer Befestigung taten  – wie oben unter den Hörigen mit Sonderfunktionen zu sehen war –, tauchen im Westfrankenreich verstärkt befestigungsspezifische Personenbezeichnungen wie castellani, oppidani und equites castri unter dem Kommando eines vicarius castri oder eines princeps castri auf. Deren Aufgabe bestand grösstenteils in der Normannenabwehr. Wie im Ostfrankenreich und den angelsächsischen Königreichen waren so auch im Westfrankenreich zwischen dem Ende des 9. und Mitte des 11. Jahrhunderts zahlreiche neue Burgen, Stadtmauern und sonstige Umwehrungen sowie Refugien entstanden.1222 Nach der eingangs besprochenen Theorie der ‹mutation féodale› dürfte auch diese Vervielfachung an Wehrbauten ihren Beitrag zur reichsweiten Transformation beigetragen haben, denn um das Jahr 1000 sollen weit weniger als die Hälfte dieser Befestigungen im Westfrankenreich der direkten oder indirekten Kontrolle des Königs unterstanden haben.1223 Eine ähnliche Entwicklung darf man sich für das östliche Reich vorstellen.

1219 Hindley, Anglo-Saxons, S. 226–229. 1220 Brooks, ‹Burghal Hidage›, LexMa 2, Sp. 1053. 1221 Vgl. Beeler, Warfare, S. 227 f. Coupland (Carolingian army, S. 50–54) beschreibt zudem den Bau von Flotten und Küstenwachen zur Früherkennung herannahender Schiffe. 1222 Poly/Bournazel, Mutation, S. 24–26; Le Jan, Princes et sires, S. 148. 1223 Ebd., S. 25.

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Zur neueren Erforschung von Ungarnrefugien Seit 2009 hat die Forschung über die ostfränkischen ‹Ungarnburgen› erneut an Fahrt gewonnen, nicht zuletzt durch einen Forschungsschwerpunkt des RömischGermanischen Zentralmuseums in Mainz1224 und ein interdisziplinäres Projekt an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt.1225 In Letzterem sind für mich durch die fächerübergreifenden Untersuchungen besonders die Überschneidungen in der Befestigungsart bronzezeitlicher, eisenzeitlicher und frühmittelalterlicher Refugien und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Strukturveränderungen von hohem Interesse. Die Ausnutzung natürlicher Begebenheiten unter minimalem Materialaufwand zum Schutz möglichst grosser Bevölkerungsgruppen in Notzeiten führte über die Jahrhunderte hinweg zu durchaus vergleichbaren Bauwerken, deren Nutzungsdauer durch ihre häufig vergängliche Bauweise schwerlich eingrenzbar ist. So wurden viele antike ‹Fluchtburgen› oftmals zu voreilig als frühmittelalterliche Festungen interpretiert.1226 Ettel nennt für ‹Ungarnburgen› beziehungsweise Befestigungen und Herrschaftszentren des 10. Jahrhunderts grundsätzlich die drei Grundtypen Ringwallanlage, Abschnittsbefestigung und geometrische Burg und führt als typisch zeitgenössische Bauweisen Trockenmauern, Mörtelmauern und geschüttete Wälle auf.1227 Insbesondere die geschütteten Wälle werden mit den Ungarneinfällen des 10. Jahrhunderts in Verbindung gebracht, worunter als typisches Beispiel stets die St. Galler Waldburg von 926 fällt.1228 In erster Linie mag dies an der guten chronikalen Überlieferung liegen, denn eine erste wissenschaftliche Untersuchung erfolgte erst 1976 durch Schwarz.1229 Neben dem Aussehen war aber auch der direkte Zusammenhang mit den Ereignissen rund um die ungarischen Einfälle ausschlaggebend. Die Waldburg der St. Galler Mönche soll 926 aus direktem Anlass errichtet und spätestens um 954 (wohl deutlich früher) wieder verlassen worden sein und sei somit ein echtes Ungarnrefugium gewesen.1230 Demnach müsste man also gar zwischen ‹echten› und ‹unechten› beziehungsweise nur zeitweise mit ‹Ungarnwällen› 1224 «Reiterkrieger, Burgenbauer. Die frühen Ungarn und das ‹Deutsche Reich› vom 9. bis zum 11.  Jahrhundert», https://web.rgzm.de/forschung/forschungsfelder/a/article/reiterkriegerburgenbauer-die-fruehen-ungarn-und-das-deutsche-reich-vom-9-bis-zum-11-jahrhunder (3. 8. 2018). 1225 «Prähistorische Konfliktforschung: Burgen der Bronzezeit zwischen Taunus und Karpaten», www.uni-frankfurt.de/61909471/Praehistorische_Konfliktforschung (3.  8. 2018), darunter besonders der mediävistische Schwerpunkt «Burgen und Kriegergruppen in der politischen Kultur der Karolingerzeit». 1226 Sage, Ungarnkriege, S. 7–13, 18. 1227 Ettel/Werther, Herrschaftszentren, S. 146; Ettel, Burgenbau, S. 139–141. 1228 Ebd., S. 150–153; ders., Herrschaftszentren, S. 147; ders., Ungarnburgen, S. 47 f., 53; ders., Adelige Zentralorte, S.  94  f.; Schulze, Kriegergrab, S.  487–495. Für das Gebiet des heutigen Kantons Zürich nennt Drack (Baudenkmäler, S. 15) den «Riesenwall auf dem Rinsberg bei Eglisau», ein Erdwerk auf dem Irchel («Schartenflue»), die Wallanlage «Alte Burg» bei Bülach und eine Wallanlage Ebnet bei Weiach als solche Ungarnburgen. 1229 Schwarz, Landesausbau. 1230 Ebd., S. 402–404. Das Jahr 954 wird oft als Enddatum der Waldburg genannt, da um diese Zeit die erste Ummauerung des Klosters St. Gallen und seiner Siedlung entstand und ein solches Refugium daher nicht mehr nötig gewesen sei (vgl. Schulze-Dörrlamm, Schweiz, S. 26). Ettel (Ungarnburgen, S. 64) warnt allerdings davor, Befestigungen mit Wällen im Stil der Ungarn-

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Abb. 19: Wälle der ehemaligen Ungarnbefestigung der St. Galler Mönche von 926 auf der Flur «Waldburg» bei Häggenschwil. Blick auf den Durchstich im Südwall.

bestückten Burgen unterscheiden.1231 Die Lage in einer Flussschleife der Sitter beim Hof Tobel in Häggenschwil bot für die geflüchteten St. Galler Mönche, ihre Helfer und das Klostergesinde sowie für das Archiv und einige liturgische Gerätschaften natürlichen Schutz, der durch das Aufschütten von Erdwällen noch erhöht wurde.1232 Zur Besatzung der Waldburg – bestehend aus bewaffneten Mönchen und ‹bäuerlichen Untertanen› – ist bereits im Abschnitt zu den Waffenträgern und Kriegern eingegangen worden. Wie andernorts ebenfalls, geschah dieser Burgenbau durch den St. Galler Abt zwar ohne Munitionsregal, entsprach in seiner Weise aber völlig dem Zeitgeist.1233 Die königliche Versammlung in Worms, wo jene angebliche Burgenordnung verkündet worden sein soll, fand nur wenige Monate nach dem Ungarneinfall in St. Gallen (Mai 926) statt. Zu behaupten, die St. Galler Ungarnburg hätte dort wälle zu voreilig als solche zu interpretieren, ohne vorherige Untersuchung des Innenlebens der Anlagen. 1231 Streich (Burg und Kirche, S. 72–74, 145 f.) sieht in diesen Anlagen reine Refugien in Notzeiten, die ansonsten unbewohnt gewesen seien. 1 232 Zur Lage und Grösse vgl. den Plan zur Waldburg bei Wagner, Waldburg, Abb. 3. 1 233 Vgl. ebd., S. 14 f.; Aurell, Noblesse en occident, S. 48 f. Zum Munitionsregal vgl. Zeune, Ritterburgen, S. 14–16.

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gar als Vorbild für die Burgenbauordnung gewirkt, ist wohl gewagt,1234 dennoch mag dieser Fall erfolgreicher Ungarnabwehr unter minimalstem Ressourcenaufwand ein weiteres Exempel zur Bestärkung solcher Bestrebungen gewesen sein. Mit weiteren archäologischen Spuren der Ungarneinfälle des 10.  Jahrhunderts  – auch für das Gebiet der heutigen Schweiz  – hat sich in den letzten Jahren besonders Schulze-Dörrlamm intensiv beschäftigt.1235 Sie zeigt anhand verschiedener Beispiele, dass die Ungarnrefugien über keinen einheitlichen Grundriss oder Bau verfügten, sondern lediglich durch die Aufschüttung von sehr hohen und breiten Erdwällen in unterschiedlicher und den natürlichen Begebenheiten angepasster Weise errichtet und durch spezielle Annäherungshindernisse gegen Reiter ergänzt worden waren.1236 Auch würden die Schriftquellen nur einen Bruchteil der tatsächlichen Schäden der Ungarneinfälle widerspiegeln, wohingegen bei den meisten Pfeilspitzenfunden mit Überfällen der Ungarn zu rechnen sei.1237 So darf der Fund einer ungarntypischen Pfeilspitze nahe des St.  Galler Stiftsbezirks durchaus als Zeuge eines solchen Überfalls gewertet werden.1238 Als interessantes Beispiel nennt Schulze-Dörrlamm das St. Galler Refugium bei Häggenschwil, welches dank der schriftlichen Überlieferung zwar zweifelsohne als Ungarnrefugium gesehen werde, das aber nur über niedrige Wälle und somit über keine eigentlichen Ungarnwälle und ebenso wenig über besondere Reiterhindernisse verfügt habe.1239 Wenn auch die Begriffe des Ungarnwalles und des Ungarnrefugiums zu Fachtermini geworden sind, so bleiben sie dennoch für zahlreiche Fälle äusserst ungenau und sind, trotz zahlreicher Definitionsversuche anhand der äusseren Erscheinung, zuletzt doch immer über ihren vermuteten oder durch Quellen belegten Verwendungszweck als solche anzuerkennen. Als typische Merkmale von Ungarnburgen und -wällen seien hauptsächlich hohe Wälle, eine unregelmässige Form der Anlage, Zangen- und Trichtertore sowie Annäherungshindernisse (Erdrippen, Vorwälle, Gräben und künstliche Hangterrassen) zu sehen und all dies mit dem hauptsächlichen Baumaterial Holz, Erde und Stein.1240 Wichtigstes Ziel war die Eliminierung des grössten ungarischen Vorteils, des wendigen Angriffs zu Pferd. Der Feind sollte so weit wie möglich von den Festungsmauern ferngehalten und zum Kampf zu Fuss gezwungen werden.1241 Nach den 1234 Ebd. 1235 Mit den Ungarn in der Schweiz (insbesondere in St. Gallen) hat sich zudem der «Ungarisch Historische Verein Zürich» zusammen mit dem StiASG beschäftigt (Duft/Wissura-Sipos, Ungarn; Vogler, Ungarn). 1236 Schulze-Dörrlamm, Ungarneinfälle, S. 114; dies., Ungarn, S. 46; dies., Schweiz, S. 23 f. 1237 Dies. (Ungarneinfälle, S. 117; dies., Ungarn, S. 51) rechnet nur in den wenigsten Fällen mit als «Andenken» verschleppten Funden. 1238 Bei der Pfeilspitze handelt es sich um eine eiserne Schaftdornpfeilspitze, die im Rahmen des Projekts «Neugestaltung südliche Altstadt» an der Kugelgasse 19, etwa 100 Meter nordöstlich der heutigen Kathedrale St. Gallen, in einer Schicht des 9./10. Jahrhunderts, gefunden wurde (Rigert/Schindler, Stiftsbezirk, S. 40 sowie Abb. 8). 1239 Dies., Ungarneinfälle, S. 114. 1240 Schwarz, Birg Hohenschäftlarn, S. 223, 230–234; ders., Landesausbau, S. 392, 395–398, 401–404; Uenze, Birg Kleinhöhenkirchen, S.  196–198; Kirchberger, Baumaterialien, S.  209–211; Brachmann, Burgenbau, S.  39–41; Ettel, Befestigungsbau, S.  367, 370–378; Schneider, Haldenburg, S. 57; Heine, Wehranlagen, S. 22. 1241 Weidemann, Hof, Burg und Stadt, S. 118.

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Abb. 20: Ungarische Pfeilspitze, die nahe des Stiftsbezirks in St. Gallen gefunden wurde (Foto KASG).

bereits genannten Anlagen werden heute insbesondere die Haldenburg bei Schwabegg,1242 die Birg bei Kleinhöhenkirchen, das ‹Bürkli› bei Riburg (Möhlin), die Birg bei Hohenschäftlarn und der Weiherberg bei Ederheim als typische ‹Ungarnburgen› angesehen.1243 An der Stelle dieser Anlagen existierten teilweise seit der Bronzezeit Befestigungen. Wie auch obige Auswahl an klassischen Ungarnrefugien zeigt, findet sich diese Art der Munifizierung besonders im ‹deutschen Süden›, in den während des 10. Jahrhunderts besonders gefährdeten Herzogtümern Bayern und Schwaben. Doch welche Rolle spielen die Ungarnburgen für diese Untersuchung? Zum einen sind sie der Schlüssel für die Entwicklung lokaler Zentralorte, die aufgrund ihrer Wehrhaftigkeit Bevölkerungs- und Bedeutungszuwachs erhielten, zum anderen bedeutete die Möglichkeit, Schutz zu bieten, zugleich übermässigen Machtzuwachs für lokale Herren, die im Besitz einer solchen Anlage waren. Die lokale Einflussnahme dürfte auf jeden Fall bedeutender gewesen sein als nicht nachweisbare Versuche des weit entfernten Königs. Wie für die ältere Forschung bereits angesprochen und wie es leider auch in einigen neueren Publikationen zu lesen ist, sollen diese Anlagen zwar durch eigene Leistung und Anstrengung lokaler Gewalten entstanden sein, aber dennoch stets unter dem planerischen Auge des Königs.1244 Diese königszentrierte Vorstellung konnte durch das oben erwähnte Projekt des Römisch-Germa 1242 Eine Vielzahl typischer Merkmale konnte insbesondere durch LIDAR und Geomagnetik auf dem Gebiet der ehemaligen Haldenburg entdeckt und sichtbar gemacht werden (vgl. Bäcker/ Werther, Haldenburg, S.  52  f.). Seither gilt diese als klassischer Vertreter der Ungarnburgen (vgl. Ettel, Ungarnburgen, S. 62–64). 1243 Schulze, Kriegergrab, S.  487–495; Weithmann, Ungarn-Fliehburgen, S.  7–19; Schneider, Haldenburg, S. 55 f.; Uenze, Birg Kleinhöhenkirchen; Kirchberger, Baumaterialien, S. 209–211; vgl. ebenso Berger, Hesselberg. Zur weiteren Forschungsgeschichte vgl. insbesondere Pantermehl, Mythos Ungarn, S.  216–218; Ettel, Ungarnburgen, S.  48–64, sowie für weitere Quellen vgl. Schneider, Ungarnwälle, S. 160–173. 1244 Büttner, Burgenbauordnung, S. 16 f.; ders., Ungarn, S. 447. Weithmann (Ungarn-Fliehburgen, S. 5) glaubt vierzig Jahre später noch an eine planmässige und zentral gelenkte Landessicherung und hält somit ein königszentriertes Bild des Frühmittelalters aufrecht, wie es vermutlich nie existiert hat, und Bachrach (Warfare, S. 26, 34 f.) spricht jetzt noch von einem ausgeklügelten Verteidigungssystem, das im Sinne des modernen militärtheoretischen Begriffes der «Defense in Depth» (vgl. Berend, Medieval Hungary, S. 9, 13) generalstabsmässig durch Heinrich I. installiert worden sei. Vgl. für eine ähnliche Vorstellung in karolingischer Zeit Schneider, Haldenburg, S. 58.

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nischen Zentralmuseums nun auch archäologisch widerlegt werden. Zum Teil wurden schlicht ältere, bereits bestehende Anlagen ausgebaut, in vielen Fällen wird gar der Ausbau von keltischen Oppida1245 und römischen Kastellen1246 vermutet.1247 Denken wir an obige Versuche, ehemalige römische Stützpunkte mit klösterlichen Zentralorten und ‹Stammsitzen› der lokalen Elite in Verbindung zu bringen, so machen diese selbstständigen Versuche der Herrschaftsetablierung und -sicherung sowie spontane Eigeninitiativen wie im Falle St. Gallens durchaus mehr Sinn als ein zentralistisch organisierter Burgenbau. Kellner führt dazu an, dass ein zu ausgeklügeltes Befestigungsnetz wohl gegen die Praxis im Mittelalter verstossen hätte, nach welcher eher auf aktuelle Bedrohungen reagiert worden sei.1248 Was freilich mit einer höheren Instanz in Verbindung stehen könnte, wären grössere Refugien, die zugleich als Heeresversammlungsplätze für königliche Aufgebote hätten dienen können.1249 Wo sich solche befunden haben könnten, ist allerdings ungeklärt. Leyser unterstützt die Idee der Versammlungsplätze und vermutet dahinter weniger die Ungarngefahr als das Abhalten von Versammlungen und die Sakralität, die der Herrscher durch grosse Bauprojekte erlangen konnte, was insbesondere nach dem Übergang von der karolingischen zur ottonischen Königsherrschaft dringend zur eigenen Legitimierung nötig war.1250 Baulich sieht Zettler die Fliehburgen des 10. Jahrhunderts als Vorgänger der hochmittelalterlichen «Adelsburgen», wobei er ebenfalls die St. Galler Waldburg nennt, und als frühste Beispiele führt er die Befestigungen auf dem Hohentwiel, in Breisach, in Zürich (Lindenhof) und in Stammheim auf, welche zum Teil unten noch ausführlicher behandelt werden.1251 Als zusätzliches Betrachtungsfeld zu den Ungarnfliehburgen, das womöglich gar nicht direkt mit diesen im Zusammenhang steht, aber dennoch reichsweit zu beobachten ist, sind die ‹Kirchenburgen› und ‹Wehrkirchen› zu nennen. Aufgrund ihrer weiten Verbreitung wurden die ‹Kirchenburgen› und befestigten Friedhöfe – zum Teil im Verbund von ‹Volksburg›, Kultstätte und Kirche – mit ihrer schützenden Funktion gar als die ‹Normaltypen der Heinrichsburgen› betrachtet.1252 Deren weitere Ausführung führt im Kontext dieser Arbeit allerdings zu weit. 1245 Reinecke, Spätkeltische Oppida, S. 45; ders., Ringwall, S. 32; Schwarz, Wallanlagen, S. 38 f. 1246 Brachmann, Befestigungsbau, S.  96. Kellner (Ungarneinfälle, S.  150) hält die Weiternutzung solcher älteren Strukturen für unwahrscheinlich und zieht nur die Einbeziehung naturräumlicher Begebenheiten (Berge, Wälder etc.) in Betracht. 1247 Steuer (Germanische Heerlager, S. 114–121; ders., Herrschaft, S. 149–153) sieht hinter vielen dieser alten Befestigungen und Höhensiedlungen germanische ‹Adelssitze› und Heerlager. 1248 Kellner, Ungarneinfälle, S. 97 f. 1249 Ettel, Befestigungsbau, S. 366 f. 1250 Leyser, Herrschaft und Konflikt, S. 137, 146 f.; Erkens, Sakralkönigtum, S. 4 f.; Boshof, Sakrales Königtum, S. 344. Zum «ottonischen Neuanfang» beziehungsweise der entsprechenden Übergangszeit vgl. Lubich, Ottonische Neuanfänge, S. 243 f.; Althoff/Keller, Neubeginn, insbesondere S. 69 f.; Boshof, Königtum, S. 3–5. 1251 Zettler, Burgen im Breisgau, S. 232–234. 1252 Erdmann, Burgenbauordnung, S. 75 f. Zwar sollte nicht jede Kirche mit hohem Turm, dicken Mauern und kleinen schiessschartenartigen Schlitzen gleich als wehrhaftes Refugium gesehen werden, wie dies lange Zeit insbesondere durch die Kunstgeschichte dargestellt wurde, doch können solche  – meist steinernen  – Bauten naheliegenderweise als natürliche Refugien gedient haben (Losse, Burgen, S. 44 f.; Sennhauser, Klostermauern, S. 212, 217). «Unter einer Kir-

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2.3.2

Bischofsburg und Königspfalz – zur Frage schwäbischer Zentralorte

Bereits über die Betrachtung der Itinerare einzelner ostfränkischer Herrscher wird erkennbar, dass die königliche Gastung in Schwaben nicht nur durch die königlichen Pfalzen, sondern im Besonderen durch Bischofssitze und Klöster gewährleistet wurde.1253 Diese Orte ragten meist schon aufgrund ihrer enormen Aufnahmekapazität als Sammelstellen und Verwaltungsmittelpunkte sowie je nach institutioneller Ausrichtung auch aufgrund weiterer geistlicher, geistiger, handwerklicher, handels- und verkehrstechnischer Funktionen als schwäbische Zentralorte heraus. Daneben dienten besonders die kirchlichen Institutionen zusätzlich als zuverlässiges und vor allem reichsweit vorhandenes, engmaschiges Nachrichtenübermittlungssystem, wobei Bode besonders die Bischöfe als königliche Träger des Nachrichtenaustausches bezeichnet.1254 Hinzu kommen vermehrt ab dem 10. Jahrhundert zahlreiche Befestigungen und Burgen, die dem Schutz sowie der Kontrolle und Überwachung des Zoll-, Waren- und Personenverkehrs dienten. «Dazu gehören im ausgehenden 7. bis 10. Jahrhundert einerseits Befestigungen im ehemals römischen Gebiet, andererseits ausserhalb dessen einstigen Territoriums die Errichtung frühmittelalterlicher Burgen, insbesondere als fortifikatorische, militärische Absicherung von weltlichen und geistlichen Zentralorten: Klöstern und Bistumssitzen, Königshöfen und -pfalzen. Königtum und Herzogtum, wenig später die Kirche, waren in erster Linie die Träger und Hauptakteure des Burgen- und Befestigungsbaus und bildeten bis zum Investiturstreit in salischer Zeit eine Einheit der landmässigen, strukturellen, administrativen, politischen und kirchlichen Erschliessung bzw. Festigung des ostfränkischen Reiches.»1255 Während diese Ausführungen Ettels besonders für den östlichen Teil des Ostfrankenreichs zutreffen, wo Burgen und Befestigungen hauptsächlich im Zusammenhang mit der Expansionspolitik bereits seit Karl dem Grossen eine Rolle spielten,1256 dürfte zwar die Rolle weltlicher und geistlicher Zentralorte in Schwaben eine ähnliche gewesen sein, doch finden sich dort lange Zeit keine derartigen befestigten Strukturen. Zudem sind unterschiedliche Schwerpunkte in der königlichen Inanspruchnahme lokaler Strukturen feststellbar. Während für die Karolinger mit ihren Pfalzen Bodman und Ulm die Reichsklöster Reichenau und St. Gallen zu den Hauptstützen und Zentren des 9. Jahrhunderts gehört hatten, was auch für das Herzogtum des 10. Jahrhunderts der Fall war, stützten sich beispielsweise die ottonischen Herrscher chenburg versteht man eine Kirche, deren Kirchhofummauerung wehrhaft ausgestaltet ist. Ist dagegen lediglich die Kirche befestigt, spricht man von einer Wehrkirche.» (Zeune, ‹Kirchenburgen und Wehrkirchen›, HLB, www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kirchenburgen_und_Wehrkirchen [3. 8. 2018]). Vgl. zudem Binding, ‹Kirchenburg›, LexMa 5, Sp. 1173. Zu den zeitgenössischen rätischen Höhenbefestigungen und Kirchenburgen vgl. Gairhos, Kirchenburgen, S. 229–236; Sennhauser, Klostermauern, S. 217; Clavadetscher, Burgen, S. 74; Streich, Burg und Kirche, S. 74. 1253 Vgl. Boshof, Königtum, S. 83; Ehlers, Residente Herrschaft, S. 112–118; Keller, Königsherrschaft, S. 23. 1254 Bode, Klöster und Bischofssitze, S. 213–215. 1255 Ettel, Befestigungen, S. 136. 1256 Ebd., S. 152.

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vermehrt auf die jeweiligen Bischofssitze.1257 Doch welche Orte sind sonst am ehesten als schwäbische Zentralorte zu betrachten? – Aufgrund des schwächelnden Königtums zu Beginn des 10. Jahrhunderts, befanden sich die königlichen Pfalzen eher auf dem absteigenden Ast, während kurzzeitig herzogliche ‹Herrschaftszentralen› davon profitierten, allerdings mit der entscheidenden Einschränkung auf die jeweiligen Dukatsperioden. Jeder Herzog verfügte familiär begründet über seine eigenen Zentralorte.1258 Einzig die Bischofssitze blieben einigermassen konstant und erlebten während des 10. Jahrhunderts einen zusätzlichen Bedeutungszuwachs aufgrund ihrer verstärkten reichspolitischen Rolle (königliche Stellvertreter, Kanzler, Stellung der grössten Truppenkontingente im königlichen Aufgebot). Im Gesamtkontext schwäbischer Befestigungen wird nun im Folgenden auf die schwäbischen Bischofssitze, allen voran Konstanz, eingegangen, wobei zusätzlich der Frage nach einem königlichen ‹Munitionsregal› nachgegangen wird. Ebenfalls anhand lokaler Fälle werden anschliessend königliche Pfalzen und herzogliche Residenzen und Verwaltungsmittelpunkte thematisiert. Bischofsburg – Constantia foris muros cremata Die Nachricht, Konstanz sei ausserhalb der Mauern abgebrannt, findet sich in den Klostergeschichten von Ekkehart IV. im Zusammenhang mit den Ungarneinfällen des Jahres 926. Konstanz bot als Bischofssitz für die herannahenden Ungarn ein weitaus lohnenderes Ziel als das ebenfalls umwehrte, aber deutlich kleinere Arbon, welches diesbezüglich in den Quellen unerwähnt bleibt. Der Grossteil der bischöflichen Truppen weilte zu jener Zeit vermutlich auf dem zu Beginn dieser Arbeit geschilderten Feldzug des neuen Herzogs Burchard I. von Schwaben in Italien. Dennoch vermochte der Bischof mit offenbar nicht zu unterschätzenden Kräften, Konstanz zu verteidigen: Constantia foris muros cremata, intus armis defensa.1259 Man darf wohl davon ausgehen, dass zumindest die Bewohner der Siedlung vor den Mauern der «Bischofsburg», wahrscheinlich auch zahlreiche Bewohner der umliegenden sowie zu Konstanz gehörenden Höfe, am Sitz des Bischofs Schutz gesucht haben. Diese dürften zugleich die Anzahl der Verteidiger aufgestockt haben. Die umliegende Siedlung musste zwar den Feinden überlassen werden,1260 doch gelang es einer bewaffneten Mannschaft, die Mauern des Kerns von Konstanz beziehungsweise die ‹Bischofsburg›/‹Domburg› zu behaupten.1261 Diese befestigte Stelle auf dem Konstanzer Münsterhügel, der damals noch als kleiner Sporn direkt am Ufer in den Bodensee ragte,1262 scheint seit spätestens dem 8.  Jahrhundert über eine Mauer ver 1257 Zotz, Königsherrschaft, S. 292. 1258 Vgl. Goetz, Espace politique, S. 165. 1259 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 63. 1260 Hierbei handelte es sich wahrscheinlich um einen zwischen Münsterhügel und Stephanskirche gelegenen Kaufmannsbezirk, der bereits im Begriff war, ‹bürgerliche Züge› anzunehmen (Maurer, Konstanz, S. 49 f., 61 f.; Klöckler/Röber, Marktwesen, S. 252), wie unter anderem die Nennung eines rector  – eine Art Vorläufer des bischöflichen Stadtammans  – vermuten lässt (Kramml, Konstanz, S. 289; Maurer, Konstanz, S. 62). 1261 Vgl. für den Mauerverlauf Heiligmann, Römische Orte, Abb. 10. 1262 Vgl. zur Topografie Röber, Roma secunda, Abb. 2–3.

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fügt zu haben.1263 Im Gegensatz zur Umwehrung von Kloster und Siedlung St. Gallen Mitte des 10. Jahrhunderts handelt es sich bei Konstanz um eine zweiteilige Befestigung. Da gab es einmal die Bischofsburg selbst sowie eine Mauer um die Marktsiedlung als äusseren Ring.1264 Es wird angenommen, dass es bereits seit römischer Zeit – wie auch der Name Constantia nach dem römischen Kaiser Constantius II. vermuten lässt1265 – eine Siedlungskontinuität mit einer romanischen,1266 christlichen Gemeinde gab.1267 Diese Gemeinde, die am nördlichen Rheinufer lag, war im 7. und 8.  Jahrhundert jedoch noch sehr klein,1268 obwohl Konstanz spätestens seit dem 7. Jahrhundert Bischofssitz war.1269 Auf dem Münsterhügel gab es seit spätantiker Zeit ein steinernes römisches Kastell,1270 das mit der Einrichtung des Bistums um 600 mehrheitlich als Steinbruch genutzt wurde. An derselben Stelle existierten seit dem 1. Jahrhundert praktisch ununterbrochen römische Militäranlagen (aus Holz) zur Überwachung der strategisch zentralen Lage, und besonders ab der krisenhaften Zeit des 3.  Jahrhunderts waren an dieser Stelle zum Teil grössere militärische Verbände stationiert. Ende des 3. Jahrhunderts entstand schliesslich das steinerne Limeskastell, dessen Mauern  – nach einer Umbauphase im 4. Jahrhundert – zum Teil noch bis in die Zeiten Salomos III. überdauern sollten.1271 Dessen Grösse von 0,8–1 Hektar entsprach exakt der Grössenordnung der oben bereits erläuterten Kastelle in Stein am Rhein (0,8  Hektar) und Arbon (0,85 Hektar).1272 Unter Salomo III. wurden die römischen Überreste teilweise in die Befestigung der Domkirche und der Bischofspfalz integriert.1273 Damit lagen Dom und Bischofssitz geschützt hinter Mauern. Natürlichen Schutz bot die Erhebung des Münsterhügels, der an drei Seiten zusätzlich durch Mauern abgeschirmt war und in östlicher Richtung steil zum Bodensee hin abfiel.1274 Von den Mauern liess sich bisher ledig 1263 Maurer, Konstanz, S. 45. 1264 Röber, Urbs praeclara Constantia, S. 169. Zur frühen Mauer und den Nennungen in den frühsten schriftlichen Quellen vgl. Maurer, Mauern, S. 28. 1265 Ders., Bistum Konstanz, S. 8; Hirschmann, Städtewesen I, S. 418. Röber (Urbs praeclara Constantia, S.  186) weist auf die Deponierung einer spätrömischen Bauinschrift aus Oberwinterthur hin, worin der Name Constantius vorkommt, die Alter und Bedeutung des Bischofssitzes demonstrieren sollte. 1266 Maurer, Bistum Konstanz, S. 14. 1267 Aufgrund seiner topografisch attraktiven Lage war die Stelle schon deutlich früher besiedelt und archäologisch konnten beispielsweise Spuren einer spätkeltischen Siedlung gefunden werden (Heiligmann, Römische Orte, S. 66 f.), doch ist hier aus baulichen Gründen nur die römische Zeit von Interesse. 1268 Maurer, Konstanz, S. 45; Röber, Konstanz, S. 13, 17. 1269 Ders., Urbs praeclara Constantia, S. 165; Maurer, Bistum Konstanz, S. 7 f. 1270 Drack/Fellmann, Römer, S. 418. 1271 «Die antike Tradition der stadtartigen Siedlung lebte aber fort, Zerstörungen oder abrupte Wechsel sind weder historisch noch archäologische nachzuweisen» (Morrissey, Alamannen, S. 47). Zum Verhältnis von antiker Bausubstanz und frühmittelalterlichem Bischofssitz in Konstanz sowie im Vergleich zu den anderen umliegenden Bischofssitzen vgl. grundsätzlich Röber, Antike und Mittelalter, insbesondere S. 104–109. 1272 Heiligmann, Römische Orte, S. 67–74. 1273 Jänichen, Konstanz, S. 284; Kramml, Konstanz, S. 288; Röber, Konstanz, S. 13, 15. 1274 Biller, Stadtbefestigungen I, S. 38; Hirschmann, Städtewesen I, S. 417.

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lich die südliche archäologisch nachweisen, doch darf man von einer intakten Befestigung ausgehen, wenn man bedenkt, dass die Ungarn nicht in der Lage waren, ins Zentrum vorzustossen.1275 Zur Bischofsburg vor dem Amtsantritt Salomos III. gibt Heiligmann eine Einschätzung ab: «Die Umwehrung des spätrömischen Kastells, die noch bis weit ins 8. oder frühe 9. Jahrhundert in vollem Umfang intakt war, bot ab der Zeit um 600 n. Chr. dem neu eingerichteten Bischofssitz Schutz.»1276 Zwei potenzielle Zeugen der spätantiken Zeit in Konstanz, zwei vermauerte Inschriften, haben sich epigrafisch als aus den Kastellen Oberwinterthur und Windisch stammend erwiesen. Insbesondere diejenige aus Windisch, welche vermutlich im 6./7. Jahrhundert nach Konstanz kam, dürfte in direkter Verbindung zur Verlegung des Bischofssitzes von Windisch nach Konstanz um 600 stehen.1277 Seit dem Übergang vom 6. ins 7. Jahrhundert war das befestigte Konstanz also der Sitz eines Bistums, das einmal zum ‹Alemannenbistum› schlechthin werden sollte. Zur wirklichen Entfaltung von Konstanz kam es erst unter den drei Bischöfen Salomo (I.–III.) und besonders im 10. Jahrhundert mit und nach Salomo III.1278 Konstanz sollte zu einem Rom nördlich der Alpen werden, eine Roma secunda, die sich auch durch ihre besondere Sakraltopografie abhob.1279 Vermutlich gleichzeitig mit der Übertragung der Pelagius-Reliquie nach Konstanz durch Salomo I. im 9. Jahrhundert1280 kam es zur Vergrösserung der Konstanzer Kathedrale, wobei Teile der alten römischen Mauer abgebrochen wurden,1281 was den Wehrcharakter der Bischofsburg aber offenbar nicht einschränkte. Unter Salomo III. erfolgten erste Münzprägungen und bereits in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts darf man von einem Markt ausgehen, womit Konstanz zunehmend städtische Züge annahm.1282 Eine Mauer oder ein Markt machte eine Siedlung allerdings nicht automatisch zu einer Stadt, dazu bedurfte es Bürger. Dennoch konnten auf diese Weise zumindest Städte/civitates ‹simuliert› werden, wenn beispielsweise ein Bischofssitz etabliert werden sollte, der sich nun einmal in einer Stadt zu befinden hatte. Biller sieht deshalb in den vielen römisch-deutschen Bischofssitzen nördlich der Alpen Vorläufer der hoch- und spätmittelalterlichen Städte, die durch ihre zentralörtliche Funktion als geistige und religiöse Zentren lange Zeit andere Orte – darunter auch die unten behandelten herzoglichen «Mittelpunktsburgen»  – übertrafen. «Die befestigten Immunitäten der Bischofssitze, die ‹Domburgen›, gehörten zu den wichtigsten Vorgängern bzw. Ausgangspunkten der mittelalterlichen Städte, 1275 Ebd., S. 425. 1276 Heiligmann, Römische Orte, S. 75; ähnlich Schär, Gallus, S. 180 f. 1277 Maurer, Spätrömische Kastellorte, S. 195 f.; Röber, Antike und Mittelalter, S. 106 f. 1278 Lorenz, Klöster und Stifte, S. 85 f. Zur Rolle, die St. Gallen dabei mitunter zukam, und der Planung der eigenen bischöflichen Grablege in St. Mangen direkt neben dem Klosterbezirk vgl. Borgolte, St. Mangen, insbesondere S. 198 f. 1279 Scholkmann, Sakraltopographie, S. 143; Maurer, Mauern, S. 24; Röber, Roma secunda, S. 210–214. 1280 Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 21–23) schreibt diese Handlung fälschlicherweise Salomo III. zu. Vgl. Frank, Bistumsheilige, S. 151; Hirschmann, Städtewesen I, S. 422. 1281 Heiligmann, Römische Orte, S. 78 f. 1282 Röber, Urbs praeclara Constantia, S. 163. Schlesinger (Burg und Stadt, S. 101–103) spricht für die Zeit um 1000 vom städtischen Wesen der Bischofsstadt Konstanz und betont den ansonsten fehlenden städtischen Charakter im Bodenseeraum.

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denn sie boten gute Möglichkeiten für Handwerk und Handel.»1283 Von den vier alten oberrheinischen Bistümern Chur, Konstanz, Basel und Strassburg war Konstanz mit seiner Gründung im späten 6. Jahrhundert das jüngste, die drei anderen waren bereits antiken Ursprungs, wie im Fall des Basler Bistums anhand des Kastells Kaiseraugst sowie für Chur durch die geschützte Siedlungskontinuität oben bereits dargelegt wurde. Die Gründung von Konstanz bezeichnet Müller gar als eine neue Art von Initiative der frühmittelalterlichen Kirche.1284 Dort muss sich schnell eine breite professionelle Bevölkerungsgruppe angesiedelt haben, denn irgendwie musste dieses ‹grösste deutsche Bistum› ja auch verwaltet werden. So schreibt Müller zur Entwicklung in den seit der Antike existierenden oberrheinischen Bistümern: «Es gibt eine Domschule, es gibt Schreibstuben, schliesslich zum Ende eine bischöfliche Kanzlei, es gibt Bauleute und Kunsthandwerker, es gibt Handwerker und Gewerbetreibende, und dies alles im wachsenden Masse. Wir dürfen überzeugt sein, dass die an sich schon im Niedergang befindlichen römischen Städte, durch die Erschütterungen der Völkerwanderung schwer getroffen, doch durchaus nicht erloschen sind. Mindestens eine untere Schicht der Bevölkerung hat sich, wenn auch in Not und Elend, gehalten und dann eben der Bischof und alles, was zu ihm gehört. Eine solche Bischofsstadt war dann doch bald wieder ein recht differenziertes Gemeinwesen, in dem zunächst der Klerus eine beherrschende Rolle spielte.»1285 Bischöfe und das ‹Munitionsregal› Bischofssitze waren demnach mehr als einfach nur die geistlichen Pendants der Pfalzen, wie Ettel meint,1286 denn besonders in Schwaben ragten die Bischofssitze als gut befestigte Bollwerke aus der Landschaft, während die königlichen Pfalzen bestenfalls als leicht ummauerte Gutshöfe bezeichnet werden können.1287 In erster Linie lag dies an der Finanzierung einer solchen Befestigung und im Übrigen lagen die frühmittelalterlichen Bischofssitze häufig bereits an ehemaligen römischen Kastellorten. Das könnte auch erklären, warum nur für die wenigsten Bischofssitze die Erlaubnis zur Befestigung vorliegt. Rechtlich hatte der König über den Bau von Befestigungen zu entscheiden (Munitionsregal),1288 so sind königliche Lizenzen für Eichstätt, Regensburg und Hildesheim nachweisbar.1289 Ob ein solches Munitionsregal wirklich die zeitgenössische Befestigungspraxis beeinflusste, ist allerdings mehr als fraglich.

1283 Biller, Stadtbefestigungen I, S. 36 f. 1284 Vgl. Müller, Oberrheinische Bistümer, S. 50–53. 1285 Ebd., S. 54. 1286 Ettel, Befestigungen, S. 144. 1287 Die neue bischöflich-königliche Pfalz in Konstanz dürfte, neben den pfalzähnlichen Einrichtungen in St.  Gallen und Reichenau, der Pfalz Bodman definitiv den Rang streitig gemacht haben (Maurer, Konstanz, S. 63–65; Losse, Burgen, S. 69). 1288 Das Recht zu befestigen soll – zumindest offiziell – mindestens bis ins 13. Jahrhundert fast uneingeschränkt in den Händen des Königs gelegen haben (Carlen, Stadtmauer im Recht, S. 15 f.; Biller, Stadtbefestigungen I, S. 328; Peyer, Stadtmauer, S. 11; Zeune, Ritterburgen, S. 14–16). 1289 Zotz, Burg und Amt, S. 144.

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In Konstanz könnte der fortlaufende Ausbau der Bischofsburg und der städtischen Siedlung als konstante Erweiterung oder ‹Ausbesserung› der bereits existierenden römischen Mauerwerke gesehen werden. Zudem waren die Konstanzer wichtig und einflussreich beziehungsweise selbstbewusst genug, um eigenmächtig zu handeln. Seit der Errichtung von Bistumssitzen (insbesondere Regensburg, Eichstätt und Würzburg – alle im 8. Jahrhundert) trat auch die Kirche als Erbauer und Besitzer von Burgen in Erscheinung. Vielerorts fanden Befestigungsanstrengungen allerdings erst unter der drohenden Ungarngefahr statt. So wurde beispielsweise Eichstätt erst um 908 aufgrund ebendieser Bedrohung befestigt1290 und wird dabei als urbs bezeichnet: Der Eichstätter Bischof Erchanbald (882–912) hatte von Ludwig dem Kind im Jahr 908 neben dem Markt- und Münzrecht auch das Recht erhalten, Befestigungen gegen die Heiden anzulegen, was dem nachfolgenden Bischof Odalfrid (912–933) 918 durch Konrad I. bestätigt wurde.1291 Rieder sieht dabei einen klaren Zusammenhang zwischen der Niederlage bei Pressburg (Bratislava) im Jahr 907 und der nun dringenden Notwendigkeit zur Errichtung von Befestigungen.1292 So hatten laut Kleinjung auch im Westreich feindliche Einfälle (Normannen) dazu geführt, dass der König aus der dringenden Not heraus weitreichende Kommandobefugnisse an seine Grossen delegieren musste. «Die Grossen organisierten die Abwehr mehr und mehr selbstständig, bauten oft Befestigungen ohne die königliche Autorisation.»1293 Ebenso schien im Ostfrankenreich spätestens nach Pressburg die Delegierung des Munitionsregals mehr denn je zur reichsweiten Notwendigkeit zu werden. Streich sah in der Genehmigung, «eine urbs zu errichten, ein Zeichen, dass das Befestigungsregal auch im Ostreich Anwendung fand»,1294 wobei sicherlich noch unterschieden werden muss, ob damit die reine Umwehrung des Immunitätsbereichs gemeint war oder aber die Anlage einer ausserhalb liegenden Befestigung, wie im Falle St.  Gallens. Archäologisch sind für Eichstätt Palisaden und ein Graben bezeugt,1295 die wohl etwa 8 Hektar des Dom 1290 Ettel, Befestigungen, S. 144 f., 147; ders., Adelige Zentralorte, S. 98–100. Für eine Rekonstruktion der urbs Eichstätt aus dem frühen 10.  Jahrhundert vgl. Rieder (Urbs Eichstätt, Abb.  6) sowie für die Umrisse der Domburg des späten 10.  Jahrhunderts ebd. (Abb.  11–12). Bei den meisten Königs- und Klosterhöfen entstanden meist ebenfalls erst seit dem 10. Jahrhundert Befestigungen, unter anderem mit der Zusatzfunktion als Fluchtburg für die Bevölkerung (ebd., S. 147 f., 151). Vgl. «Immunitätsburg» und «Klosterburg» bei Erdmann (Burgenbauordnung, S. 84 f.). 1291 […] in suo episcopatu aliquas munitiones et firmitates contra paganorum incursus moliri (Schieffer, Urk. Ludwigs des K. [MGH DD LK], n. 58; Sickel, Urkunden Konrads I. [MGH DD K I], n. 36). 1292 Rieder, Urbs Eichstätt, S. 6–8. 1293 Kleinjung, Bedrohung, S. 14. Bei dieser Aussage kann man sich allerdings fragen, ob Befestigungen nicht schon zuvor unter Missachtung einer königlichen Autorität entstanden sind, da eine solche Autorität überhaupt nur dort existierte, wo der König auch selbst war, und dies besonders im Westreich. 1294 Streich, Burg und Kirche, S. 98. 1295 Zwei Grabungen ergaben stellenweise gar ein zweiphasiges Grabenwerk von 12 Meter Breite mit zweifacher Abtreppung und 4 Meter breiter Sohle sowie eine Palisade. Die Befestigung der Domimmunität könnte damit ein frühes Beispiel für die «geschütteten Ungarnwälle» darstellen (Ettel, Ungarnburgen, S. 48; ders., Zentralorte, S. 16). Für einen schematischen Plan der Eich-

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bezirkes umschlossen.1296 Dabei könnte es sich um die erste Ummauerung des seit Karl dem Grossen bestehenden Immunitätsbezirks von Eichstätt handeln.1297 Ob Eichstätt wie St.  Gallen tatsächlich Opfer eines ungarischen Überfalls wurde, ist umstritten. Aufgrund eines Zerstörungshorizontes und des Fundes einer Pfeilspitze ging man lange davon aus. Allerdings gibt es auch Hinweise auf eine Zerstörung im 11. Jahrhundert und die Pfeilspitzenfunde weisen dabei keine typisch ungarische Schaftdorn-, sondern eine Tüllenpfeilspitze auf, die sowohl aus einem einheimischen Konflikt stammen oder als ungarischer Beutepfeil verwendet worden sein könnte.1298 Ettel legt unter Berufung auf Sage dennoch dar, dass trotz fehlender historischer Überlieferung einer Zerstörung Eichstätts dieses wohl im Kloster- und Siedlungsbereich in der ersten Hälfte oder Mitte des 10. Jahrhunderts von Zerstörungen betroffen war.1299 Neben Eichstätt sollen noch andere Bistumssitze aufgrund der Ungarngefahr befestigt und damit als kirchliche Zentralorte um- und neustrukturiert worden sein. Dazu gehören Würzburg (etwa zwischen 903 und 915),1300 Regensburg (um 920),1301 Cambrai (923),1302 Trier (zu Beginn des 10. Jahrhunderts)1303 und Xanten (in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts).1304 Ein Bischofssitz, der in dieser Reihe auf keinen Fall fehlen darf, ist Augsburg, das wohl spätestens um 913 durch die Ungarn verwüstet wurde.1305 Anlässlich seines Amtsantritts und der Ungarngefahr liess Bischof Ulrich Augsburg um 923 neu befestigen und nachdem die Ungarn im Jahr 926 vor den Mauern abgewehrt werden konnten, wurden die Wälle nochmals verstärkt.1306 Der überragenden Bedeutung von Augsburg entsprechend werden auch die Verteidigungsstätter Befestigung von 908 vgl. Schulze-Dörrlamm, Ungarn, Abb. 8. Vgl. zudem obige Ausführungen zu den Ungarnrefugien. 1296 Hirschmann, Städtewesen II, S. 679. Zur weiteren Bautätigkeit um das Jahr 1000 vgl. Wendehorst, Bischofskirchen, S. 228. 1297 Sage, Willibaldsdom, S. 410. Rieder (Urbs Eichstätt, S. 12 f.) vermutet eine ovale beziehungsweise rundliche Führung der Eichstätter urbs aus dem 10. Jahrhundert. Zur Entstehung eines weiteren Refugiums bei Eichstätt vgl. Schneider, Haldenburg, S.  58; Reinecke, Spätkeltische Oppida, S. 49; Uslar, Befestigungen, S. 67. 1298 Sage, Ungarnkriege, S. 14; Hirschmann, Städtewesen III, S. 1334. 1299 Ettel, Ungarnburgen, S. 47 f. 1300 Vielleicht um 903, spätestens aber unter dem Eindruck der Ungarneinfälle nach Franken um 911/12, wurde ein etwa 2,5  Kilometer langes Wall-Graben-System errichtet, das möglicherweise bereits in der ersten Hälfte des 10.  Jahrhunderts durch eine Mörtelmauer ersetzt und ausgebaut wurde. Damit könnte es sich um eine der frühesten Stadtmauern des Mittelalters überhaupt handeln. Spätestens unter Bischof Heinrich I. (955–1018) entstand schliesslich eine 42,5 Hektar umgrenzende Stadtmauer (ders., Zentralorte, S. 16, 36). 1301 Schulze-Dörrlamm, Ungarn, S. 46; Hirschmann, Städtewesen III, S. 1161. Um 920 entstand zum Schutz vor den Ungarn die Arnulf-Mauer mit vorgesetzter Doppelgrabenanlage um ein Stadtgebiet von 30,5 Hektar, inklusive des Klosters St. Emmeran (Ettel, Zentralorte, S. 9). 1302 Der Bischof von Cambrai liess seinen Sitz wohl um 923 mit Mauern verstärken und widerstand so erfolgreich einem Angriff der Ungarn (Hirschmann, Städtewesen III, S. 1162). 1303 Ebd., S. 1161. 1304 Die Befestigung in Xanten entstand wohl bereits im 9. Jahrhundert, und zwar vor allem unter dem Eindruck normannischer Einfälle entlang des Rheins, die 863 auch zur Zerstörung von Teilen der Stiftsimmunität geführt hatten (Friedrich, Befestigungen, S. 353 f.). 1305 Hirschmann, Städtewesen III, S. 1333. 1306 Ebd., S. 1161 f. Die Befestigung umfasste 15 Hektar und besass im Norden, Osten und Süden jeweils ein Tor (ebd. II, S. 536).

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anlagen eine gewisse Qualität aufgewiesen haben.1307 Ob diese in Stein ausgeführt wurden, womöglich unter Hinzunahme der Steine der römischen Vorgängerstadt Augusta Vindelicum, ist nicht gesichert.1308 Als die Ungarn 955 ein weiteres Mal vor Augsburg standen, belagerten sie erneut die Domburg, bis sie schliesslich durch den anrückenden Otto I. vertrieben wurden.1309 Zuvor dürfte als zusätzliches Refugium bereits die Haldenburg im Auftrag des Bischofs von Augsburg entstanden sein.1310 Doch warum ist für Augsburg keine ausdrückliche Erlaubnis zur Errichtung einer Bischofsburg oder gar einer Festung wie der Haldenburg überliefert, während eine solche Regalienbestätigung ausgerechnet für Eichstätt vorliegt? Die kurze Liste der eben genannten befestigten Bischofssitze zeigt die hohe Bedeutung der einzelnen Bischofssitze innerhalb der Herzogtümer und des Reiches auf, wobei Augsburg im Gegensatz zu Eichstätt definitiv zu den grösseren und bedeutenderen zählte. Ein mächtiges Bistum wie Augsburg konnte sich innerhalb der einzelnen Herrschaften des ostfränkischen Reiches wohl besser behaupten und durchsetzen als beispielsweise Eichstätt, dessen Stift wichtiger war als der Bischof, weshalb der Eichstätter Bischof gar als «Klosterbischof»1311 bezeichnet wurde. Augsburg hatte – laut indiculus loricatorum – ein gewaltiges militärisches Potenzial von etwa 100 Panzerreitern und war möglicher Sammelplatz des Heeres für die Italienzüge.1312 Einem solch mächtigen Bischof wurde die Befestigung seines Sitzes wohl kaum verwehrt. Die Erlaubnis für Eichstätt könnte somit eine Art Absicherung des dortigen Bischofs darstellen, obwohl auch Eichstätt – um erneut auf den indiculus von 981 zu sprechen zu kommen – 50 Panzerreiter zu stellen hatte, zehn mehr als das mächtige Konstanz, und somit ebenfalls über grosses Potenzial verfügte.1313 Die offizielle rechtliche Absicherung durch den König scheint also womöglich überhaupt eher die Ausnahme dargestellt zu haben und war für die bedeutenderen Herrschaften wohl unüblich. Dass eine solche für Eichstätt überliefert ist und andernorts nicht, ist mehr Zufall als Ausdruck bischöflicher Politik. Wie auch in anderen Fällen von angeblichem königlichen Handeln, müssen wir uns also von der Vorstellung einer königsorientierten Baupolitik verabschieden.

1307 Augsburg hatte bereits Mitte des 10. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle im Ost- und Nordeuropahandel gespielt, musste laut indiculus loricatorum einer Gestellungspflicht von 100 Panzerreitern nachkommen und dürfte innerhalb Schwabens eine Spitzenposition unter den Bistümern eingenommen haben (Horn, Bischöfe von Augsburg, S. 251 f.). 1308 Zumindest wird in der Vita des heiligen Ulrich davon berichtet, dass die alte morsche Holzbefestigung durch eine Mauer verbessert werden sollte (Berschin, Ulrich von Augsburg, S. 59; Hirschmann, Städtewesen II, S. 528–531, 535). 1309 Ebd., S. 537. 1310 Schneider, Haldenburg, S. 57 f.; Bäcker/Werther, Haldenburg, S. 52. Diese Befestigung wurde oben bereits als typisches ‹Ungarnrefugium› aufgeführt. 1311 Besonders im Frühmittelalter scheint Eichstätt politisch noch sehr unbedeutend gewesen zu sein (Sage, Willibaldsdom, S. 410). 1312 Horn, Bischöfe von Augsburg, S. 251. Weiland, Indiculus loricatorum (MGH Const. I, n. 436), S. 633. 1313 Ebd.

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Bodman – Königspfalz am Bodensee

Tunc venerabilis Salomon episcopus et abba prætitulati monasterii sancti Galli, ut futura posteris destruere[t] iurgia, habito prudenti consilio omnes principes de tribus comitatibus, id est de Durgeuue, de Linzgeuue et de Rhȩtia Curiensi cum reliqua populorum multitudine in unum fecit convenire, præsente Thiotolfo Curiensi episcopo et prædicto comite Uodalrico in loco, ubi Rhenus lacum influit Potamicum, de universis usibus præscriptis in pago prænotato Ringeuue […].1314

Dieser Ausschnitt zu einer grossen Versammlung von rund 100 Personen unter der Führung des St. Galler Abtes und Konstanzer Bischofs Salomo III. im Jahr 890, die zur genauen Grenzziehung des neu begründeten Rheingaus aus allen benachbarten Gauen zusammengekommen sind, beschreibt den Ort des Zusammentreffens, und zwar dort «wo der Rhein in den Bodensee fliesst» – ubi Rhenus lacum influit Potamicum.1315 Spätestens seit dem 9. Jahrhundert trägt der Bodensee also den heutigen Namen lacus Potamicus.1316 Abgeleitet ist der Name von der königlichen Pfalz in Bodman (palatium/fiscus Potamicus), die im 9. Jahrhundert unter Ludwig dem Frommen als neuer Zentralort des Bodenseeraums ins Licht der Geschichte gerückt ist und deren Pfalzbauten und Fiskalgüter 13-mal einem König zur Gastung dienten, bis Bodman während der weiter unten ausführlicher geschilderten Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Pfalzgrafen Erchanger in den 910er-Jahren seine zentralörtliche Stellung verlor.1317 Die Pfalz Bodman wird besonders zwischen 879 und 912 (Potamus, in palatio regio;1318 actum in Potoma;1319 in Potamico fisco;1320 actum Potamico palacio/palatio;1321 actum Potamis curte regia)1322 zum Teil als wichtiger Ausstellungsort genannt, in den annales Alamannici für das Jahr 911 (in palacio potamico)1323 sowie eventuell schon früher (um 780 als sub Potamico fisco) in einem Dokument, das sich allerdings als Reichenauer Fälschung herausgestellt hat und das einzig in einer Abschrift aus dem 18. Jahrhundert überliefert wurde.1324 Die kurze Phase zwischen Mitte des 9. und Anfang des 10. Jahrhunderts hat demnach bereits ausgereicht, einen neuen Seenamen zu etablieren.1325 Zuvor trug dieses Gewässer noch ganz andere Namen: Vom römischen Geografen Pomponius Mela wurde der Bodensee um das Jahr 43 als lacus Venetus bezeichnet, benannt nach dem keltischen Stamm der Vennones, welche zwischen Chur und 1314 Chart. Sang. II, n. 718. 1315 Vgl. hierzu den ausführlichen Artikel von Erhart (Rheindelta, insbesondere S. 40–42). 1316 Er findet sich abgesehen von ebengenannter Nennung noch für die Jahre 902, 905 (prope lacum Potamicum) und 910 (territorium etiam in littore Potamico situm) (Chart. Sang. II, nn. 770, 786, 813). 1317 Zotz, ‹Bodman›, LexMa 2, Sp. 306 f. 1318 Chart. Sang. II, n. 637. 1319 Ebd., nn. 677, 767. 1320 Kehr, Urkunden Karls III. (MGH DD Karl), nn. 172, 191. 1321 Chart. Sang. II, nn. 786, 800. 1322 Ebd., n. 814. 1323 Lendi, Annales Alamannici, an. 911, S. 188. 1324 Mühlbacher, Urk. Karls des Gr. (MGH DD Kar. 1), n. 231. 1325 Bodman könnte noch älter sein, immerhin wurde ein Gräberfeld des 6. bis 8. Jahrhunderts entdeckt, und von einem palatium ist erstmals um 759 die Rede, womit Bodman die älteste fränkische Königspfalz im Südwesten war (Scholkmann, Frühe Pfalzen, S. 21). Zu grösserer Bedeutung im politischen Geschehen gelangt sie aber erst im 9. Jahrhundert.

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Bodensee siedelten und 16 v.  Chr. durch die Römer besiegt wurden.1326 Mit der römischen Präsenz und der städtischen Entwicklung des ehemaligen oppidum Bregenz zum wichtigsten Ort und Flottenstützpunkt der Römer am Bodensee wurde seit dem Ende des 1. Jahrhunderts auch der See dementsprechend genannt. Von Plinius dem Älteren als lacus Raetiae Brigantinus bezeichnet,1327 findet er sich bei Ammianus Marcellinus verkürzt als lacus Brigantiae wieder.1328 Mit der königlichen Pfalz Bodman wechselte spätestens im 9. Jahrhundert der Hauptort erneut und aus dem ‹Bregenzersee› wurde der ‹Bodmanersee›. Wie er zwischenzeitlich genannt wurde, lässt sich nicht ermitteln, so spricht beispielsweise Walahfrid im 9. Jahrhundert in der Schilderung von Gallus’ Leben völlig neutral von einem See (lacus/pelagus).1329 Spätestens im 12. Jahrhundert setzte sich aufgrund der weiteren Bedeutungsverschiebung der seit dem 10. Jahrhundert nicht mehr zentralen Königspfalz Bodman zugunsten des Konstanzer Bischofsitzes teilweise die Bezeichnung lacus Constantinus durch, die in den meisten Sprachen bis heute geläufig ist, sich im Deutschen aber nie gegen ‹Bodensee› durchsetzen konnte.1330 Die Verschiebung der Zentralortsfunktionen am unmittelbaren Bodenseeufer lässt sich demnach problemlos am wechselnden Namen ablesen. Tatsächlich stellte das am Ufer des Bodensees gelegene palatium Bodman zu Beginn des 10. Jahrhunderts noch eine voll funktionierende Königspfalz dar und gehörte zusammen mit Wahlwies und den meisten anderen in der Überlieferung genannten nichtbischöflichen Orten zum Fiskus. Der zur Zeit des beginnenden 10. Jahrhunderts gegen den Abtbischof agierende Pfalzgraf Erchanger dürfte dabei wie schon seine Vorgänger hauptsächlich auf den Fiskus im Bodenseeraum fokussiert gewesen sein und hatte ansonsten kaum weiterführende Aufgaben. Die Pfalz Bodman diente dem Pfalzgrafen als Mittelpunkt zur Verwaltung der königlichen Güter.1331 Der Konflikt zwischen dem Pfalzgrafen und dem König könnte der vermehrten Beanspruchung königlicher Güter – allen voran der Pfalz selbst  – durch Erchanger zu persönlichen Zwecken geschuldet gewesen sein,1332 was schliesslich zum unten geschilderten Bruderkrieg geführt1333 und die Entstehung des ‹jüngeren Stammesherzogtums› begünstigt hatte. Daneben hatten aber auch mächtige Bischöfe zur fortschreitenden Entmachtung des königlichen Fiskalverwalters und seiner Pfalz beigetragen1334 und während die Kontanzer Bischofsburg befestigt war und 1326 Frei-Stolba, ‹Vennones›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D24610.php (3.  8. 2018); Heuberger, Bodenseeraum, S. 10, 15. 1327 Schär, Gallus, S.  167; Burmeister, ‹Bodensee›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8655.php (3. 8. 2018). 1328 Ammianus, Röm. Geschichte, lib. 15, cap. 4,1. 1329 Walahfrid, Vita s. Galli, cap. 7. 1330 Burmeister, ‹Bodensee›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8655.php (3. 8. 2018). 1331 Maurer, Herzog von Schwaben, S. 36–39. 1332 Daneben vermutet Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 84) die Verweigerung der Heeresfolge. Im Jahr 913 kommt es zu einer kurzzeitigen Versöhnung und Verschwägerung, wobei Erchanger die Schwester des Königs, Kunigunde, heiratete (Lendi, Annales Alamannici, an. 913, S. 190; Erhart/Wagner, Hohentwiel 915, S. 38). 1333 Vgl. die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Zentral- und Konfliktort Stammheim, Burchard I. sowie mit dem herzoglichen Gefolgsmann Babo. 1334 «Der allmählichen Auszehrung des Fiskus durch Besitzvergabe an die Bodenseeklöster und das

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somit ‹Ungarnflüchtlingen› hätte Schutz bieten können, konnte Bodman nicht einmal diese zentralörtliche Funktion wahrnehmen. Die Pfalz selbst stand etwas erhöht1335 und war womöglich von einer leichten Mauer umgeben, die aus fortifikatorischer Sicht allerdings eher bescheiden ausfiel.1336 Auf dem Hügel daneben befand sich die «Bodenburg»1337 sowie der «Hals»,1338 die noch eher als Refugien hätten dienen können,1339 doch hört man bereits während der Ungarneinfälle 926 nichts mehr vom ehemaligen Zentralort am Bodensee. Vom einstigen Mittelzentrum scheint Bodman in kürzester Zeit zum Unterzentrum und schliesslich in die völlige Bedeutungslosigkeit versunken zu sein, während beispielsweise der Hohentwiel im 10. Jahrhundert durch weitere Munifizierungsmassnahmen, die Einrichtung eines Klosters und als Sitz des Herzogs kurzzeitig zum Mittelzentrum aufstieg. Am längerfristigsten und konstantesten profitierte allerdings der Bischofssitz Konstanz von den Mutationen der Macht im Bodenseeraum. Königspfalz und Mittelpunktsburg Doch wie sah es mit den anderen inner- und ausserschwäbischen Pfalzen aus? Nachdem Bodman ja ausdrücklich nicht der Ungarnabwehr dienlich gewesen sein dürfte, soll es nämlich besonders unter den Pfalzen in den nördlichen Reichsteilen herausragende Fälle von ‹Ungarnburgen› gegeben haben, so zumindest laut zeitgenössischen Chronisten. So berichtet Widukind davon, dass das zeitweilige Ende ungarischer Angriffe mit der Gefangennahme eines ungarischen Fürsten durch Heinrich I. nahe der Pfalz Werla und den darauffolgenden Verhandlungen im Jahr 926 zustande kam.1340 Werla war zu Beginn des 10. Jahrhunderts über die bisherige Rundburg (8./9. JahrBistum Konstanz entspricht der abrupte Bedeutungsverlust der Pfalz Bodman in ottonischer Zeit» (Zotz, ‹Bodman›, LexMa 2, Sp. 306 f.). 1335 Erdmann (Bodman, S.  98) weist auf die fortifikatorische Bedeutung des leichten Geländeabfalles an der Stelle der Pfalz Bodman hin. Borst (Pfalz Bodman, S. 178) spricht gar von einem «Pfalzhügel». 1336 Die archäologischen Befunde legen für Bodman eine Befestigungsmauer mit nur geringem Verteidigungswert nahe. Zwar verfügte Bodman  – das Gelände geschickt ausnutzend  – über eine den Angreifer entblössende Ausrichtung der Toranlage, doch waren die Mauern für eine richtige Festung schlicht zu schwach (Erdmann, Bodman, S. 119; Borst, Pfalz Bodman, S. 178). 1337 Maurer, Herzogsherrschaft, S. 34–42; Zotz, ‹Bodman›, LexMa 2, Sp. 306 f. Aufdermauer (Bodman, S. 44) hält die Bezeichnung «Bodenburg» jedoch für irreführend, da die in der Urnenfelderzeit angelegte Höhensiedlung wohl über keine Befestigungsanlage verfügte, aber dennoch geländetechnisch schwer zugänglich war. Dass diese leicht zu verteidigende Stelle zu späterer Zeit vielleicht als Refugium genutzt worden sein könnte, liess sich bisher zwar nicht nachweisen, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Die Burg der Herren von Bodman entstand erst Ende des 13. Jahrhunderts auf einem nahen Hügel westlich der «Bodenburg» (Borst, Pfalz Bodman, S. 173). 1338 Der sogenannte «Hals», östlich der «Bodenburg», ist wohl die älteste Befestigung bei Bodman und weist ebenfalls Befestigungsspuren unterschiedlicher Perioden auf. Für das Frühmittelalter ist er ebenso unsicher als Refugium zu belegen wie die «Bodenburg» (Heine, Wehranlagen, S. 24). Von Brachmann (Befestigungsbau, S. 115) wird er zumindest zur Sicherung der Pfalz aufgeführt. 1339 Einzig die «Bodenburg» könnte aufgrund ihrer Lage im Zusammenhang mit der neuen Bedrohungslage stehen, denn während Pfalzen im 8. und 9. Jahrhundert nur kaum oder gar nicht befestigt waren, begann man im 10. Jahrhundert stärkere und auch höher gelegene Anlagen zu errichten (Ettel, Zentralorte, S. 12; vgl. zudem Heine, Wehranlagen, S. 17 f.). 1340 Widukind, Res gest. Sax., cap. I,32.

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hundert) hinaus noch stärker befestigt worden, und zwar zu einer mit steinernen Ringmauern und Gräben versehenen Anlage mit Vorburgen und Kernburg.1341 Da verwundert es nicht, dass Werla besonders in der älteren Forschung gar als eine Art Zentrum des durch Heinrichs Burgenbauordnung initiierten Systems von Burgen gesehen wurde.1342 Die militärische Funktion Werlas scheint  – gemäss archäologischem Befund – jedoch klar eine defensive gewesen zu sein und trat offenbar hinter der repräsentativen Funktion zurück.1343 Neben Werla verfügte auch die Pfalz Tilleda über aufwendige Befestigungs- und Ausstattungsmerkmale. Für die verteidigungs- und heeresversammlungsrelevanten Pfalzen der ottonischen Könige erfahren wir von Zeune ganz allgemein: «Eine dichte Bebauung und die Unterteilung in eine grössere Vorburg und eine kleinere Hauptburg kennzeichnen die königlichen Pfalzen.»1344 Neben den zahlreichen Versorgungsbauten für den König und sein Gefolge könnte die grosse Vorburg auch als Fluchtburg für die lokale Bevölkerung gedient haben. Die königlichen Pfalzen des 10. und 11. Jahrhunderts und ihre primär funktionelle Ausrichtung stehen damit in etwa zwischen den kleinen ‹Stammburgen› lokaler Aristokraten und den weitläufigen Flucht- und Höhenburgen für die einfache Bevölkerung und dürften  – sofern sie über eine vergleichbare Befestigung verfügten – den stark befestigten Domburgen der Bischöfe innerhalb meist ebenfalls befestigter Städte relativ nahegekommen sein.1345 Aber wie eingangs bei Bodman betont wurde, galt dies längst nicht für alle Pfalzen. Kaum eine karolingische Pfalz dürfte befestigt gewesen sein.1346 Selbst die Aachener Pfalz war zu Beginn des 9. Jahrhunderts wohl noch unbefestigt. Als früheste archäologisch nachgewiesene befestigte Pfalz ist diejenige in Paderborn zu nennen, deren Befestigung im Zusammenhang mit der Unterwerfung der Sachsen stand.1347 Des Weiteren dienten laut Ettel «karolingische Burgen» wie Rosstal bei Nürnberg als Pfalzen, die zumeist im 10. Jahrhundert ebenfalls aufgrund der Ungarngefahr weiter befestigt wurden.1348 Primär von Bedeutung war ein regelmässiges Netz an möglichen Gastungsorten für den reisenden Herrscher und aus naheliegenden Gründen waren diese – 1341 Heine, Burgen und Wehrbau, S. 313, 315; Blaich, Pfalz Werla, S. 127, 131; Heinemeyer, ‹Werla›, LexMa 9, Sp. 1 f. 1342 Vgl. obige Ausführungen zu den ‹Ungarn- und Heinrichsburgen›. Als das häufig postulierte Zentrum eines Burgennetzes im Sinne der Burgenordnung Heinrichs I. darf die Pfalz wohl nicht gesehen werden, dennoch stand sie wohl im Zusammenhang mit der Ungarnbedrohung (Blaich, Pfalz Werla, S. 125–127). 1343 Ebd., S. 126 f.; vgl. Frey, Frühmittelalterliche Burgen, S. 180 f. Werla erfuhr im oben angesprochenen RGZM-Projekt diesbezüglich eine gesonderte Behandlung (vgl. «Reiterkrieger, Burgenbauer. Die frühen Ungarn und das ‹Deutsche Reich› vom 9. bis zum 11. Jahrhundert», https:// web.rgzm.de/forschung/forschungsfelder/a/article/reiterkrieger-burgenbauer-die-fruehenungarn-und-das-deutsche-reich-vom-9-bis-zum-11-jahrhunder [3. 8. 2018]). 1344 Zeune, Ritterburgen, S. 82. 1345 Später kamen noch städtische Pfalzen hinzu, die allerdings mit den karolingischen Pfalzen und ihren Organisationsformen nur noch wenig gemein hatten (Martin, Pfalzen, S. 280). 1346 Kottmann, Pfalz in Ulm, S. 43. 1347 Streich, Burg und Kirche, S. 32, 37, 39 f.; Brachmann, Befestigungsbau, S. 147 f.; Fehring, Mittelalterarchäologie, S. 90; Friedrich, Befestigungen, S. 352; Hirschmann, Städtewesen III, S. 1159. 1348 Ettel, Befestigungen, S. 144.

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sofern sie als Bischofssitze oder Klöster nicht ohnehin über gewisse Schutzvorkehrungen verfügten  – besonders in Grenzregionen eher befestigt. Obengenannte Pfalzen wie Werla und Tilleda müssten hierbei schon fast als neue Gattung königlicher Burganlagen aufgeführt werden, da sie die üblichen Ansprüche an eine Pfalz bei weitem übertrafen.1349 Pfalzen konnten somit durchaus die Funktionen von ‹Mittelpunktsburgen› und ‹Ungarnrefugien› innehaben. «Sie stellen den vielleicht beeindruckendsten Typ eines Zentralortes im 10.  Jahrhundert dar mit einer auf relativ kleiner Fläche konzentrierten Vereinigung zentralörtlicher Funktionen – Herrschaft, Schutz, Kult, Handel und Verkehr sowie Handwerk und Gewerbe.»1350 Nach der zuvor genannten Königspfalz Bodman  – der ältesten und bedeutendsten Pfalz der fränkischen Könige im Südwesten – und den herzoglichen Vor­ orten Zürich, Hohentwiel, Breisach und Esslingen im 10. Jahrhundert sowie Ulm, Rottweil und Rottenacker im 11. Jahrhundert,1351 die in diesem Sinne auch der Königsgastung dienten, können als traditionelle Pfalzorte auch die Klöster St.  Gallen und Reichenau sowie die Bischofssitze Augsburg, Konstanz und Basel genannt werden.1352 Herzogsresidenz – Hohentwiel und Thiepoldsburg Die Herrschaft des Herzogs beinhaltete einen politisch abgetrennten Bereich mit Land und Leuten, praktisch unbeeinflusst von den Grenzen beispielsweise der Bistümer Konstanz, Chur, Augsburg und Strassburg. Die Verwaltung ging meist von sogenannten Vororten mit Zentralortsfunktionen aus;1353 im 10. Jahrhundert waren dies für Schwaben die Orte Stuttgart, Strassburg, Wahlwies, Hohentwiel, Esslingen, Breisach und Zürich, wobei die letzten drei zugleich herzogliche Münzstätten waren.1354 Hinzu kamen zahlreiche Klöster, welche wiederum entweder als herzogliche Hausklöster oder als Reichsklöster zu klassifizieren sind. Mit Fokus auf den Hohentwiel und die Thiepoldsburg, die beide vor allem dank der Chronistik des 11. Jahrhunderts derart aus der Überlieferung herausragen, soll das Augenmerk nun vor allem auf herzogliche Befestigungen sowie Anlagen herzogsähnlicher Magnaten geworfen werden. Für das Frühmittelalter erwarten wir noch nicht die Fülle an Befestigungen und Burgen, wie wir sie ab dem Hoch- und speziell dem Spätmittelalter vorfinden. Dennoch sind abgesehen von den frühen umwehrten Pfalzen wie Tilleda oder den mächtigen Domburgen laut Biller schon in früher Zeit «Mittelpunktsburgen» der lo 1349 Womöglich ist dies aber auch der bisherigen archäologischen Untersuchung geschuldet, die an Orten wie Tilleda und Werla erfolgt sind, andernorts – insbesondere im deutschen Südwesten – aber nicht (Scholkmann, Frühe Pfalzen, S. 6, 9 f.). 1350 Ettel, Adelige Zentralorte, S. 107. 1351 Diese Orte waren natürlich bereits zuvor zentrale Orte, wenn auch der karolingischen Könige (fiscus publicus Rottweil bereits um 771 [Scholkmann, Frühe Pfalzen, S.  12; Jansen, Stadtwerdung, S. 137]). Vgl. zu Breisach insbesondere Scholkmann, Frühe Pfalzen, S. 17 f.; zu Ulm: Maurer, Ulm als «Vorort», S. 26 f.; Kottmann, Pfalz in Ulm, S. 38, 47; zu Zürich: Motschi, Pfalz Zürich, S. 97–101; allgemein: Maurer, Herzog von Schwaben, S. 33–127. 1352 Scholkmann, Frühe Pfalzen, S. 6 f., 21–23. 1353 Zu «adeligen Zentralorten» vgl. Ettel, Adelige Zentralorte, S. 100–103. 1354 Maurer, Herzog von Schwaben, S. 33–36.

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kalen Amtsträger wie Herzögen und Grafen nachweisbar. Diesen wurde neben strategischen Funktionen auch administrative Aufgaben als Zentralorte zugewiesen. Sie boten der umliegenden Bevölkerung Schutz, sicherten Handelsplätze, sollen oft in Grenzregionen gelegen haben und dürften den jeweiligen Amtsträgern und ihren Familien als Residenzen gedient haben.1355 Die Frage stellt sich, ob wir bei den besonders bei Ekkehart IV. im Zusammenhang mit der Entstehung des jüngeren schwäbischen Herzogtums genannten Burgen (Hohen‑)Twiel (unter dem ersten Herzog Burchard I.) und Thiepoldsburg (unter dem Pfalzgrafen Erchanger und seiner Gattin Perhta) mit solchen Anlagen rechnen dürfen. Und wenn ja, unter wessen Verfügungsgewalt diese Burgen eigentlich standen. War es nicht Sinn und Zweck eines königlichen Amtes, dass der Amtsinhaber – abgesehen von seinem Eigengut – nicht selbst über seine zu verwaltenden Güter verfügte und er deshalb auch jederzeit durch den König hätte ersetzt werden können, ohne jeglichen Erbanspruch durch Söhne ehemaliger Amtsträger? Maurer nennt eine ganze Reihe von herzoglichen Befestigungen und Burgen, die primär zur Friedenssicherung erbaut oder zerstört wurden. Burgen hätten einerseits die militärische Kraft der herzoglichen Untertanen gestärkt, aber auch die Ausübung herzoglicher Herrschaft erleichtert.1356 So können wohl auch der Hohentwiel, die Burg auf dem Stammheimerberg sowie die Thiepoldsburg – trotz eines noch nicht existenten schwäbischen Herzogtums – bereits als Zeichen herzoglicher und herzogsähnlicher Macht gesehen werden. Während die Thiepoldsburg kaum zu verorten ist und wir lediglich erfahren, dass auch die Gattin des schwäbischen Pfalzgrafen darin residierte, als Abtbischof Salomo III. dort inhaftiert wurde (Thietpoldispurch, ubi Perhta, uxor Erchingeri, tunc agebat […]),1357 erfahren wir zur Festung Twiel (Duellium), dass sie eigentlich unter königlicher Gewalt stand, von den Kammerboten Erchanger und Bertold aber zweckentfremdet und weiter befestigt wurde. Schliesslich geriet sie in die Hände des schwäbischen Magnaten Burchard, der durch die Behauptung dieser Festung selbst dem Heer des Königs trotzen konnte und sich so die Herzogswürde sicherte.1358 Zwar entstammt das meiste davon der über hundert Jahre jüngeren Feder des Chronisten Ekkehart IV., doch sind einige Ereignisse auch durch die zuverlässigen Annales Alamannici überliefert: [König] Konrad belagerte die Burg Twiel – Chuonradus castellum tuiel obsedit.1359 Laut Farner verfügten die Kammerboten insgesamt über fünf Burgen, nämlich Bodman, Hohentwiel (Sitz des Bertold), die Diepoldsburg (südlich von Kirchheim unter Teck), Oferdingen (bei Tübingen) und Stammheim, wovon die Diepoldsburg, Bodman und Stammheim auf Anordnung des Königs zerstört worden sein sollen.1360 Dahinter stecken allerdings mehr Mutmassungen als tatsächliche Beweise. Zwar 1355 Biller, Stadtbefestigungen I, S. 34. 1356 Maurer, Herzog von Schwaben, S. 150. 1357 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 18. 1358 Vgl. Erhart/Wagner, Hohentwiel 915, S. 39 f., und Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 18–20. 1359 Lendi, Annales Alamannici, an. 915, S. 190. Vgl. hierzu Berner, Hohentwiel, S. 76. 1360 Farner, Stammheim, S. 32 f., 35.

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Abb. 21: Die herzogliche Residenz befand sich auf dem nur schwer zu erklimmenden Hohentwiel.

wurde mehrfach versucht, beispielsweise Erchangers «Stammburg» Thietpoldispurch zu lokalisieren, doch befindet sich die einzige annehmbare Vermutung rund um die Stelle der späteren Diepoldsburg südlich von Kirchheim unter Teck1361 doch etwas weit im Norden. Damit wäre Erchanger schon fast ein ‹Landfremder› gewesen. Womöglich sollte das Pfalzgrafenamt aber auch keinem lokal ansässigen Aristokraten übertragen werden, um zu verhindern, dass dieser zuviel Eigennutz daraus zog. Dass Erchanger, trotz seiner Versuche des Machtausbaus in Stammheim sowie über den Hohentwiel und Bodman im Hegau, seine Frau in der Thiepoldsburg beliess, könnte strategische Gründe gehabt haben. Indem seine Familie fernab in Sicherheit weilte, war er weniger angreifbar und dass er Salomo III. ebenfalls fernab in seiner Stammburg inhaftierte, könnte aus ähnlichen Überlegungen erfolgt sein. Der Bischof wäre so weit im Norden abseits der bischöflichen Zentralorte und somit auch abseits bischöflicher milites nur mit Mühe zu erreichen gewesen. Einen ersten überlieferten Lokalisierungsversuch hat der Reichenauer Mönch Gallus Oheim († 1522) in einer um 1515 verfassten Chronik1362 unternommen und mit «Diepoldispurg gelegen im allgoew» wohl den Diepoldsberg nördlich von Lindau gemeint. Rein geografisch würde diese Deutung hervorragend passen, doch gibt es dort keinerlei ar 1361 Vgl. Zotz, Breisgau, S. 70; ders., Itinerare, S. 183; Bizer/Götz, Thietpoldispurch, zur älteren Befestigung vgl. die Ausführungen unten, zur neueren ‹Diepoldsburg› vgl. ebd., S. 59–64. 1362 Vgl. StiASG, Bd. 340a, S. 122–142; Bizer/Götz, Thietpoldispurch, S. 20.

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chäologische Nachweise für eine derartige Anlage. Als weitere Vorschläge führt Götz die «Schrotzburg in der Höri» und den ebenfalls von Dieter Geuenich vorgeschlagenen «Turm des ‹Thietpold› bei Zurzach» an – um nur die wahrscheinlichsten zu nennen –, kommt dann aber wieder auf die Diepoldsburg bei Kirchheim zurück, welche sich nicht zuletzt dank der dort gefundenen älteren gelben Drehscheibenkeramik zeitlich ganz gut in Ekkeharts Erzählung einfügen liesse.1363 Dass Ekkehart IV. in seiner Schilderung der Befreiung Salomos aus der Thiepoldsburg eher ein lokales Kleinstereignis umschreibt, worin die Waffenträger der Umgebung in Scharen (turba armatorum)1364 herbeiströmen, um ihren Bischof zu befreien, könnte in der Unkenntnis Ekkeharts über den tatsächlichen Standort jener Burg begründet liegen. Womöglich ist die Thietpoldispurch auch einfach der literarischen Freiheit Ekkeharts geschuldet. Aber warum bediente er sich dann nicht des Hohentwiels? Ekkehart selbst erzählt, dass dieser im Zuge der militärischen Aktionen Erchangers und Bertolds überhaupt erst weiter befestigt und für eine allfällige Belagerung seitens bischöflicher und königlicher Truppen hergerichtet wurde: «Nachdem die Grafen, wie gesagt, den Bischof von sich weggeschickt hatten, bemühten sie sich Tag und Nacht, Proviant zusammenzubringen und den Berg Hohentwiel zu befestigen».1365 Die Festung Twiel war also entweder noch nicht bereit zur Aufnahme einer solch bedeutenden Geisel, oder aber die beiden hatten schlicht keine Verfügungsgewalt mehr über den markanten Festungsberg, da sich der jüngere Burchard desselben bemächtigt hatte.1366 Der Hohentwiel spielte schon in der Entstehung des Herzogtums eine entscheidende Rolle, war dann herzoglicher Herrschaftssitz («Herzogsresidenz»)1367 und verfügte seit der bekannten Sequenz zur Herzogin Hadwig auch über die charakteristische Verbindung von Burg und Kloster.1368 Die Schilderung rund um die Herzogswitwe Hadwig († 994) und den Mönch Ekkehart II. könnte dem Chronisten auch dazu gedient haben, die Nähe St. Gallens zum schwäbischen Herzogtum zu demonstrieren und hat ganz abgesehen von jeglicher historischer Relevanz sowie historiografischen Ansprüchen des Verfassers rein literarisch einiges zu bieten. Zudem dürfte diese Sequenz Ekkeharts Erzählung auf humorvolle Art und Weise aufgelockert haben. Die mit dem dux-Titel versehene Frau hat Ekkehart IV. derart beeindruckt, dass sie gleich in 13 Kapiteln seiner casus eine meist zentrale Rolle spielt.1369 Herzog Purchard [Burchard II., 954–†  973] führte sie mit reicher Mitgift als Gattin heim. Er war aber schon alt und schwach, und so lag sie, wie man sagte, umsonst mit ihm im ehelichen Gemach; und als er bald darauf starb, liess er sie, wie die Kunde geht, unerkannt, wenn auch nicht unberührt, als Mädchen zurück mitsamt

1363 Ebd., S. 20–24, 26 f., 43–47, 55–57. Zu vergleichbaren Keramikfunden in Ulm vgl. Gross, Drehscheibenware, S. 51–54. 1364 Ekkehart IV., Cas. s. Gall. cap. 19. 1365 Übersetzung von Haefele (ebd., S. 49). Postquam episcopum viri illi a se, ut dictum est, dimiserant, Duellium montem, victualia convehentes, nocte die nituntur munire (ebd., cap. 19). 1366 Vgl. die Schilderung zum Gefolgsmann Babo und Burchards Verfügungsgewalt über den Hohentwiel. 1367 Zotz, Itinerare, S. 183; Goetz, Espace politique, S. 163. 1368 Vgl. Zotz, Herzogtum Schwaben, S. 14. 1369 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 90–98, 116, 118, 120, 134.

261 Heiratsgut und Herzogtum [ducatus]. […] Hadwig, Tochter des Herzogs Heinrich, nach dem Tode ihres Mannes Purchard Herzogin von Schwaben [dux Suevorum], wohnte als Witwe auf dem Hohentwiel [Duellium]; eine sehr schöne Frau wohl, war sie gegen ihre Leute ausserordentlich hart und daher weit und breit dem Lande ein Schrecken.1370

Hadwig besass wohl nur noch den Titel ohne tatsächliche Macht, verfügte über den Hohentwiel als Residenz und dürfte unter der schwäbischen Elite noch immer Einfluss ausgeübt haben. Allfällige Nachfolgeregelungen hatten nach Burchards Tod aufgrund der Kinderlosigkeit des Paares nicht beachtet werden müssen,1371 sodass Liudolfs Sohn Otto als neuer Herzog von Schwaben eingesetzt wurde. «De facto allerdings blieb durch die Herzogin Hadwig die Herrschaft der Burcharde noch eine ganze Weile, bis zu deren Tod im Jahre 994, bestehen.»1372 Herzogliche Residenz war der Hohentwiel nach dem Tod Burchards II. allerdings nicht mehr, ebensowenig die Pfalz Zürich.1373 Die rein personengebundene Herzogsherrschaft war ohnehin nicht unmittelbar an einige wenige Zentralorte gebunden, sodass wir für jeden neuen Herzog auf leichte Abweichungen bezüglich ‹Vororte› stossen.1374 In den Schilderungen Ekkeharts IV. zu Hadwig und ihrem Lehrer (magister) Ekkehart (II.), der erst nach langem Hin und Her vom St. Galler Abt und Hadwigs Onkel Purchart (958–971) die Erlaubnis erhielt, auf den Hohentwiel zu reisen, erfahren wir so manches über das angebliche Leben in der einstigen Herzogsresidenz,1375 die über allerlei Annehmlichkeiten verfügt haben soll. Zusammen mit ihrem Gatten soll Hadwig zudem das Kloster St. Georg ebenda eingerichtet haben,1376 das 11 Jahre nach ihrem Tod und des darauffolgenden Bedeutungsverlustes des Hohentwiels als Residenz nach Stein am Rhein verlegt wurde. Solche Residenzen verfügten offenbar auch über alle lebensnotwendigen Gebäude und – wie Ekkehart berichtet – auch über Kirchen. So liess – um nochmals auf die Sequenz mit der Thiepoldsburg zurückzukommen  – die Frau des schwäbischen Pfalzgrafen neben dem Schlafgemach ebenfalls sofort die Kirche der Burg für den gefangenen Bischof Salomo herrichten.1377

1370 Übersetzung von Haefele (ebd., S. 185). Purchart illam dux multipliciter dotatam duxit; et cum iam esset decrepitus, thalamo, ut aiebant, secum nequicquam cubantem, in proximo moriens, quamvis non intactam, incognitam, ut celebre est, cum dotibus et ducatu reliquit puellam. […] Hadawiga, Henrici ducis filia, Suevorum post Purchardum virum dux vidua cum Duellio habitaret, femina admodum quidem pulchra, nimiȩ severitatis cum esset suis, longe lateque terris erat terribilis (ebd., cap. 90). 1371 Zu eventuellen Ansprüchen und der Wahrnehmung des Wechsels in der Herzogsfolge vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 150. 1372 Ebd., S. 151. 1373 Vgl. hierzu unbedingt ebd. sowie Motschi, Pfalz Zürich, S. 99. 1374 Vgl. Zotz, Breisgau, S. 55 f. 1375 Zum Hohentwiel als Residenz und dem Versinken in der angeblichen ‹Bedeutungslosigkeit› vgl. Bumiller, Hohentwiel, S. 27–30, 42–44. 1376 Weder die unter Burchard I. gegründeten Klösterchen Waldkirch, noch Einsiedeln, noch St.  Georg (Hohentwiel und Stein am Rhein) stiegen je zu herzoglichen «Hausklöstern» auf (Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 136). 1377 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 18.

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Residenz oder Refugium? Wie sieht es mit der weiteren Nutzung solcher «Mittelpunktsburgen» aus?1378 Dienten diese frühen Herzogresidenzen auch als Rückzugsorte für die lokale Bevölkerung, wie eingangs als Vermutung geäussert wurde? Bei Befestigungen wie jener auf dem Stammheimerberg (Pfalzgraf Erchanger), dem Hohentwiel und anderen erhöhten Plätzen dürften sich ohnehin schon lange Zeit vorher Fluchtorte (wenn nicht ‹Fluchtburgen›) befunden haben, da sie bereits auf natürliche Weise und mit nur minimalem Zusatzaufwand maximalen Schutz boten.1379 An vielen dieser Orte entstanden aber seit dem 11./12. Jahrhundert zunehmend Burgen, die mehr und mehr zu Residenzen und Stammsitzen lokaler Herren wurden und von daher weniger als Refugien zu sehen sein dürften. Da diese Festungen aber besonders in Krisenzeiten über ausreichend Wachpersonal zu verfügen hatten, ist die Aufnahme weiterer Bevölkerungsteile nicht auszuschliessen und vielleicht sind es solche Menschen, die beispielsweise bei den zeitgenössischen Chronisten als urbani, oppidani etc. bezeichnet werden, wie unten bei den Abschnitten zu den Stadtbefestigungen und ihren Bewohnern noch zu sehen sein wird. Der Hohentwiel wird als Residenz der Herzöge von Schwaben im 10. Jahrhundert immer wieder als typische hochmittelalterliche Burg charakterisiert,1380 und darf deshalb wohl zu Recht als eine Art Vorläufer einer sonst erst im 11./12. Jahrhundert verstärkt einsetzenden Bewegung der ‹Privatburg› gesehen werden. Ähnlich erscheint auch die Stammheimer Burg, deren Zweck wohl ursprünglich die Sicherung von Reichsgebiet gewesen sein könnte, die aber – wie später noch am Beispiel Stammheim demonstriert werden soll – den Kammerboten Erchanger und Bertold zum eigenen lokalen Herrschaftsausbau gedient hat. Daneben können solche Befestigungen auch als Rückzugsorte und repräsentative Bauten gesehen werden. Der Hohentwiel, als ursprünglich wohl königliche Burg, die den schwäbischen «Aufständischen» zu Beginn des 10. Jahrhunderts erfolgreich Schutz gegen den König und seine Truppen geboten hatte, galt in Schwaben wohl während des ganzen 10. Jahrhunderts als das alte Symbol der schwäbischen Herzogsmacht und blieb noch bis zum Ende des 10. Jahrhunderts unter der Kontrolle der Burchardinger. Erst nach dem Tod Hadwigs, der Witwe Burchards II., konnte der König auf dem symbolträchtigen Felsen Fuss fassen, wie die zwei Beurkundungen Ottos III. auf dem Hohentwiel zeigen.1381 Als Basis der Herzogsherrschaft war der Hohentwiel laut Muraro längerfristig zu schwach und das nahe Konstanz mit seinem Bischof war einfach zu stark. Spätestens nach dem Sieg bei Winterthur gegen Rudolf II. von Hochburgund begann der Aufstieg der Pfalz Zürich, die – während der Twiel vor allem symbolische Residenz war  – wohl als eines der grossen Zentren des Herzogtums und teilweise auch des Königtums betrachtet werden kann.1382 Zürich blieb während des 10. und 1378 Hierzu äussert Maurer (Herzog von Schwaben, S. 150) ganz allgemein die Errichtung, Eroberung sowie Zerstörung von Burgen als bedeutsames Mittel herzoglicher Herrschaftsausübung. 1379 Berner, Hohentwiel, S. 75. 1380 Zotz, Burg und Amt, S. 147. 1381 Ders., Breisgau, S. 58, 170. 1382 Muraro, Hartbert von Chur, S. 62 f.

263

beginnenden 11. Jahrhunderts einer der wichtigsten schwäbischen Vororte, was sich erst im Zuge des ‹Investiturstreits› änderte, als die Herzogswürde unter den mächtigsten lokalen Aristokratenfamilien aufgeteilt wurde. Zuvor hatten besonders Königsaufenthalte und die Lage zwischen Schwaben und Burgund Zürich so wichtig werden lassen.1383 Im 11.  Jahrhundert gewann zudem Ulm  – als Ort der Erhebung Bertolds von Rheinfelden († 1090) zum Gegenherzog – an Bedeutung, während ansonsten mehr und mehr die namengebenden Herrschaftssitze der Spitzenfamilien Schwabens (Rheinfelden, Zähringen etc.) zu den faktischen «Orten der Herrschaft» wurden.1384 Der Hohentwiel erlebte im 11. Jahrhundert ein kleines Comeback, wenn auch nicht aufgrund seiner alten Bedeutung, sondern wegen seiner strategischen Lage und leicht zu verteidigenden Position. So diente er während des ‹Investiturstreits› 1077/1079 dem Herzog der königsfeindlichen Partei als sicherer Aufenthaltsort (suam munitionem Tviela)1385 und zur Stärkung der Gegenposition kam es gar zur Eroberung dieser Festung durch den St. Galler Abt Ulrich von Eppenstein. Diese sei dem Abt von seinen Bewohnern (urbani) selbst übergeben worden.1386 Die Eroberung jener strategischen Position beziehungsweise die provokante Agitation in unmittelbarer Nähe zu den kaiserfeindlichen Herren in Konstanz und Reichenau durch den kaiserfreundlichen St. Galler Abt soll der entscheidende Funken gewesen sein, der den ‹Markgrafen› Bertold II. von Zähringen dazu veranlasst habe, St. Gallen erneut zu plündern. Dabei sollen gar die Mönche verfolgt worden und Schutz suchende Menschen vor dem Altar zu Schaden gekommen sein.1387 Vieles davon ist freilich als zeitgenössische Propaganda zu verstehen, der Symbolgehalt der alten schwäbischen «Mittelpunktsburg» Hohentwiel scheint aber die Jahrhunderte überdauert zu haben.1388

2.3.3

Stadtbefestigungen und Herrensitze

Obwohl mehr ein Phänomen des hohen und späten Mittelalters spielen städtische Siedlungen wohl bereits für das frühe Mittelalter eine wichtige Rolle. Besonders ihre Entstehung und die selten fassbare Etablierung seiner Bewohnerschaft als ausserordentlicher Rechtsbereich dürften einen nicht unwichtigen Faktor in den Transformationsprozessen des 10. und 11.  Jahrhunderts darstellen.1389 Steuer nennt für das Wesen der mittelalterlichen Stadt aus der Sicht der Mittelalterarchäologie einige ausschlaggebende Kritieren, wonach eine Ansiedlung überhaupt als Stadt im 1383 Kaiser, Frühmittelalter, S. 134 f. 1384 Zotz, Itinerare, S. 183–187. 1385 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 31. 1386 Vgl. Berner, Hohentwiel, S. 79. 1387 Ebd. 1388 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 178. 1389 Goetz (Gemeindebildung, S.  130) spricht zudem von der Kommune als Friedensinstrument und der Stadt als Friedensbezirk, worunter wohl ebenfalls der besondere Rechtsbereich verstanden werden kann.

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264

Gegensatz zu einem Kloster oder einem Dorf interpretiert werden kann. Dazu zählen Hinweise auf eine verdichtete Besiedlung, die Umschliessung mit einer Mauer, eine zum Umland verhältnismässig ‹grosse› Bevölkerung, herausragende Bauten, spezielle und spezifische Wohn- und Wirtschaftsformen, Hinweise auf städtisches Recht und ‹Lebensgefühl› – beispielsweise in Form von Prestigeobjekten – sowie alltägliche Lebensweisen und -verhältnisse. Zu den verschiedenen Phasen der Stadtentwicklung nennt er hierzu als Ursprung die römische Stadt «in ihrer spätantiken und merowingerzeitlichen Minderform», die frühmittelalterlichen Handelsplätze des 8.–10. Jahrhunderts, grosse Klostersiedlungen aus dem 9. Jahrhundert mit Handwerk (St. Galler Klosterplan als Muster), Mittelpunktsburgen der Reichsgewalt des 8./9. Jahrhunderts (Büraburg), Pfalzen des 8.–10. Jahrhunderts mit sehr grossen Vorburgen (Werla) und Königshofsiedlungen mit grundherrschaftlichen Produktionszentren. Daneben führt er eine zweite, spätere Gruppe an, wozu die Neugründungen des 12./13. Jahrhunderts (Freiburg), Neugründungen von Märkten über alten beziehungsweise aufgelösten Siedlungsstrukturen sowie die zahlreichen Neugründungen nach 1200 zählen.1390 Insbesondere zwischen Mitte des 10. und dem 12.  Jahrhundert ist eine ganze Reihe von Märkten gegründet worden, und stadtartige Siedlungen wie Bischofsstädte entwickelten sich zu Städten, darunter der alte Zentralort oberster Klasse, Zürich, das mit seiner Pfalz, dem Grossmünsterstift, Frauenkloster und seinem seit dem 10.  Jahrhundert bedeutenden Markt weite Ausstrahlung besass und im 11./12. Jahrhundert schliesslich in den Händen der ‹Zähringer› lag – sofern man vor dem 12. Jahrhundert schon eine solche Zuordnung wagen darf. Zusammen mit anderen Städten wie Freiburg (Marktgründung um 1120) hatten solche Herrschaftszentren zum Machterhalt der Zähringer seit den Wirren des ‹Investiturstreits› beigetragen.1391 In ebenjener konfliktreichen Phase geschah dies durch militärische Mittel und durch die Beschlagnahmung der St. Galler Güter unter anderem im Dreisamtal (Schwarzwald).1392 In der Endphase des seit 917 existierenden schwäbischen Herzogtums stellen solche Aktionen den erfolgreichen Versuch dar, seine eigene Herrschaft zu sichern durch das Schaffen einer faktischen Gebietsherrschaft, also der Förderung, Vereinnahmung und Gründung neuer, das Umland beherrschender Städte und Marktsiedlungen. Vollumschliessende Mauern besassen diese frühen Städte oftmals noch keine, in Zürich sollte erst nach dem 12. Jahrhundert und in Freiburg wohl frühestens um 1198 eine Stadtmauer entstehen,1393 für jene städtischen Siedlungen mit römischer Vergangenheit kann aber zumindest von einem teilbefestigten Kern aus-

1390 Steuer, Stadtbegriff, S. 41–45; Jansen, Stadtwerdung, S. 137–141. 1391 Keller, Freiburg, S. 17 f. Freiburg im Breisgau, Bern und Freiburg im Üechtland waren zähringische Neugründungen, Städte wie Offenburg, Villingen, Breisach, Neuenburg (am Rhein), Rheinfelden, Zürich, Solothurn, Burgdorf, Murten und Thun kamen in den Besitz dieser Familie (Schadek/Schmid, Zähringer, S. 222; vgl. ebd., S. 224, 238, 245 für die ‹Neugründungen› sowie ebd., S. 263 f., für die Besitzübernahmen; vgl. zudem Zettler, Zähringerburgen; Schadek, Gründungsstädte, S. 420–454; Biller, Stadtbefestigungen II, S. 27–29). 1392 Zotz, Zähringer, S. 50; Keller, Freiburg, S. 22. 1393 Ebd., S. 23.

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gegangen werden.1394 Biller betont das städtische Bewusstsein im Angesicht alter römischer Baureste in seinem kürzlich erschienen umfassenden Werk zu den mittelalterlichen Stadtbefestigungen so: «Die Vorstellung, dass die römischen Mauern für die Stadtmauern des Mittelalters vorbildhaft geworden seien, liegt […] nahe – noch mehr, wenn man bedenkt, dass im 12./13.  Jahrhundert fraglos noch viel mehr von ihnen als heute erhalten war.»1395 Das Fehlen grösserer Verteidungsanlagen war wohl einerseits dem fehlenden Interesse der zuständigen Magnaten und andererseits ökonomischen Beweggründen geschuldet. Bis zu den regelmässig erfolgten Einfällen ins Reich hatten Befestigungen, geschweige denn Burgen als Wohnsitze oder gar Ummauerungen von Kommunen kaum Anklang in den üblichen Bauprogrammen gefunden. Siedlungen, die noch über die Strukturen, Fundamente oder Mauern aus römischer Zeit verfügten (Kastelle am Bodensee etc.), gehörten neben einigen ‹Bischofsburgen› und Ausnahmefällen wie dem befestigten Hohentwiel zu den wenigen verschonten Orten während feindlicher Einfälle. Bis dahin war eine teure und aufwendige Munifizierung auch gar nicht notwendig, grössere Kriege bestanden aus meist extern geführten Feldzügen. So ist in Notkers Gesta Karoli gar davon zu lesen, der Kaiser hätte zum Bau von Gotteshäusern die steinernen Umwehrungen grösserer Siedlungen und Bischofsstädte abgetragen: Oratoria nova ad Franconovurt et Reganesburg admirabili opere construxit. Cumque propter magnitudinem fabricae alii lapides non sufficerent, muros urbis destrui fecit.1396 Im 9. und noch verstärkter im 10. Jahrhundert waren die Schutzbedürftigkeit sowie die Notwendigkeit zur Selbstinitiative und ‑verteidigung jedoch zu solch starken Bedürfnissen herangewachsen, dass wir gleichzeitig mit der Ummauerung von Kommunen ein Erstarken der Gemeinschaften derselben Schutzbedürftigen beobachten können. «Vint la grande révolution du Xe siècle. Elle transforma les paysans en villageois» – wie Pierre Toubert für Mittelitalien passend geäussert hat.1397 Häufig fehlte den weltlichen Herren das Geld und Interesse am Bau von Mauern, sodass bis ins 10. Jahrhundert fast ausnahmslos die Bischöfe als Bauherren tätig waren. Nach dem oben bereits angesprochenen Privileg zum Bau einer Mauer in Eichstätt ist auch für Worms um 900 eine Mauerbauordnung überliefert,1398 worin Bischof Thiedlach (891–914) die einzelnen Bauabschnitte verschiedenen Gruppen von Einwohnern zuwies. Fichtenau betont dabei, «dass Mauern gegenüber blossen Erdwällen und Palisadenzäunen ein erhöhtes Sicherheitsbewusstsein gaben und den Zuzug förderten» und somit befestigte «Sonderrechtsbezirke» geschaffen wurden, die dem Bischof selbst wieder zu mehr Ansehen verhelfen konnten.1399 Besonders in Italien sei die 1394 Vgl. Kaiser, Umfriedungen, S. 31, 37–39. 1395 Biller, Stadtbefestigungen I, S. 33. 1396 Notker, Gesta Karoli II, cap. 11. 1397 Toubert, Latium médiéval, S. 330. 1398 Diese Anordnung beziehungsweise dieses Privileg scheint verloren, doch findet sich auf einer Abschrift einer Urkunde um 897 der Hinweis auf eine solche Mauer: […] ad ecclesiam sancti Petri [Wormser Dom] principis apostolorum Christi infra muros eiusdem urbis constructam, ubi principalis sedes est sui episcopii (Kehr, Urkunden Arnulfs [MGH DD Arn], n. 153). 1399 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 273. Die ‹Bauwut› hinsichtlich repräsentativer Kathedralbauten sei dagegen erst im 11. Jahrhundert ausgebrochen und soll den geistlichen Herren zu einem

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Burg «zum Instrument einer Änderung der Herrschaftsverwaltung» geworden. «Durch ihre militärische Funktion wurden neue Verwaltungsbezirke begründet, die an die Stelle der karolingischen Organisationen traten.»1400 Zum ‹incastellamento› in Mittelitalien In Mittelitalien kam es im 10. Jahrhundert schliesslich zu einer neuen Art von castra, Burgen, die keine ‹Burgen› im ursprünglichen Sinn waren, sondern Höhendörfer, die mit Mauern umgeben wurden, womit wir auf die grundlegende Untersuchung von Pierre Toubert zu Latium zwischen dem 9. und dem 12.  Jahrhundert zu sprechen kommen.1401 Handelt es sich dabei – grob formuliert – um ländliche Migrationsbewegungen von Einzelhöfen in befestigte Dörfer?1402 Die Burgdörfer in Latium waren meist neugegründete Wohnsitze der ländlichen Bevölkerung (in sicherer Höhe), es wurden aber auch bestehende Dörfer ummauert. Man spricht diesbezüglich vom ‹incastellamento› beziehungsweise einer ‹révolution castrale›. Meist stand dahinter ein Herr, der in diesen Kommunen freier Leute die Gerichtsrechte ausübte (in Latium etwa ab 1010) und zum Teil vor Ort über einen eigenen Wehrturm verfügte.1403 Nach Toubert stand dieses ‹incastellamento›, das sich seit den 920er-Jahren nachweisen lässt,1404 nicht nur im Zusammenhang mit der zeitgleichen Bedrohungslage durch Sarazenen und Ungarn, sondern war vor allem der Bevölkerungszunahme geschuldet,1405 während Fichtenau ebensolche Bedrohungen von aussen und innen1406 als zentrale Ursachen sieht: Welche Ursachen – abgesehen von extremen Zwangsleistungen durch einen Herren – könnten die Menschen in die Sabinerberge getrieben haben, wenn nicht die pure Furcht vor neuerlichen Überfällen?1407 Die Bewohner dieser castra verfügten teilweise über neue beziehungsweise eigene Rechtsbezirke und gewannen an Selbstbewusstsein. Romantisierend könnte man davon sprechen, dass neben den zahlreichen alten Städten aus römischer Zeit nun auch bäuerliche civitates entstanden und so die rustici zu mehr Rechten gekommen wären, was in dieser Form wohl kaum zutrifft. In Italien hatten aus römischer Zeit noch deutlich mehr befestigte Städte überdauert als nördlich der Alpen1408 und besonders in Zeiten königlicher Schwäche zogen Aristokraten, geistliche Gemeinschaften und ‹Städte› Mauern hoch, und dies sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gegenden. Geschuldet war dies laut Beeler nicht ungarischen und sarazenischen Einfällen, sondern im Besonderen der lokalen politischen Konkurrenz und dem Umgang unterschiedlicher ständischer Klassen, womit er Touberts Feststellung Zuwachs an milites verholfen haben, welche am liebsten einem Herrn gehorchten, der ‹herrlich› regierte (ebd., S. 273–275). Vgl. Bönnen, Bischof Burchard, S. 8. 1400 Ebd., S. 460. 1401 Vgl. Toubert, Latium médiéval. 1402 Ders., ‹Incastellamento›, LexMa 5, Sp. 397–399. 1403 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 460 f.; Toubert, Latium médiéval, S. 367. 1404 Zum Beginn dieser Entwicklung vgl. ebd., S. 973 f. 1405 Ebd., S. 311–314. 1406 Vgl. den Kampf um das italienische Königtum, in dessen Zuge der eingangs erwähnte Feldzug Herzog Burchards I. von Schwaben stattfand. 1407 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 460–465. 1408 Vgl. Toubert, Latium médiéval, S. 308–310.

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wiederholt.1409 Im Gegensatz zur Rechtemehrung kann eine solche Mittelpunktsbildung aber auch als Möglichkeit der Obrigkeit gesehen werden, die ihr zustehende Macht zentraler auszuüben und Gericht zu halten. Damit wäre also besonders die Macht lokaler Herren durch ‹incastellamenti› gefestigt worden. Dennoch konnten beispielsweise einfache Wachdienste Aufstiegsmöglichkeiten bieten und aus dem Wachpersonal wurde zunehmend eine Berufskriegergruppe (milites castrenses)1410  – eine Beobachtung die sich genauso auch für Schwaben postulieren liesse. Freilich kann daraus keinesfalls abgeleitet werden, dass nun jede Ummauerung eines Meierhofes (nach Fichtenau curtis) südlich – geschweige denn nördlich – der Alpen, Standeserhöhungen nach sich zog beziehungsweise als oben genannte ‹révolution castrale› überinterpretiert werden darf.1411 Die von Toubert angeregte Diskussion soll nicht dazu führen, nach Hinweisen auf ein schwäbisches ‹incastellamento› zu suchen. In dieser Form dürfte es dieses nämlich nur in Italien sowie womöglich in Katalonien gegeben haben,1412 da sich die Terminologie rund um die ausschlaggebenden Quellen von derjenigen der schwäbischen Chroniken und Urkunden schlicht zu stark unterscheidet. Ein Vergleich würde sich aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen als ungemein schwierig erweisen. Die grundsätzlichen Überlegungen zu gesellschaftlichen Veränderungen infolge von Ummauerungen – womit wir zumindest begrifflich wieder beim ‹incastellamento› stünden  – werden hier aber dennoch mit Bezug auf die Bildung städtischer Strukturen hinzugezogen. Denn gemauerte Befestigungen und herrschaftliche Burgen waren spätestens im 11./12. Jahrhundert nicht mehr nur Teile von Herrschaftsräumen, sondern waren für den geografischen Raum und die politische Landschaft durchaus prägend.1413 Burgen und Wälle – castra und muri Für die unterschiedlichen Befestigungen, Stadtmauern und Burgen des 9. bis 11. Jahrhunderts findet sich in den zeitgenössischen schwäbisch-alemannischen Quellen eine hohe Vielfalt an Begriffen. In der Hoffnung auf Zusammenhänge und Gemeinsamkeiten zwischen der zeitgenössischen Auswahl passender Ausdrücke und den damaligen Verhältnissen sollen die wichtigsten Ausdrücke nun verglichen werden. Lassen sich aufgrund der lateinischen Bezeichnung Rückschlüsse auf Form, Grösse, Befestigungsgrad oder gar auf den Status der Bewohner einer Siedlung ziehen? Oder vereinfacht: Lassen sich für meinen Untersuchungszeitraum bezüglich Wehrhaftigkeit einer Siedlung allein aufgrund der Terminologie Schlüsse ziehen? Zur Durchdringung der schwäbischen Gesellschaft könnten solche Hinweise äusserst hilfreiche Ergänzungen liefern, weshalb zu den rein fortifikatorischen (murus) und sta 1409 Beeler, Warfare, S. 193 f. 1410 Fichtenau, Lebensordnungen, S. 464. Zur persönlichen Freiheit der betreffenden Gruppen in Latium vgl. Toubert, Latium médiéval, S. 474 f., sowie zum Wandel von curtis zu castrum ebd., S. 451–465, und Morsel, Aristocratie médiévale, S. 95. 1411 Toubert (Latium médiéval, S. 464 f.) sieht dahinter mehr die zentralen Orte einer Grundherrschaft, die abgesehen vom Sammeln der Abgaben der Bevölkerung als ‹Fluchtburg› dienen konnten. 1412 Morsel, Aristocratie médiévale, S. 95. 1413 Aus curtes und villae wurden castra und befestigte villae, wie Morsel (ebd., S. 100) anfügt.

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tusbezogenen (civitas) Begriffen für städtische Siedlungen (urbs) und Befestigungen (munitio) des frühmittelalterlichen Bodenseeraumes auch nach den naheliegendsten Personenbezeichnungen (urbanus, civis) für die Bewohner lokaler Siedlungen Ausschau gehalten werden soll. Einleitend dient ein Ausschnitt aus Notkers gesta Karoli, der absichtlich nicht den Bodenseeraum betrifft, sondern der den Chronisten aufgrund des unbekannten Terrains zur spontanen Wortwahl zwingt, während derselbe vor Ort womöglich auf den umgangsprachlichen Begriff zurückgegriffen hätte, wie gleich für Zürich zu sehen sein wird.

Das Land der Hunnen war von neun Reifen [circuli] umgeben. […] Ein einziger Reif war so breit [wie] Raum [war] von der Burg [castrum] Zürich bis Constanz; er war von Eichen-, Buchen- und Fichtenstämmen so errichtet […]. Der ganze Hohlraum aber war mit harten Steinen und oder zähem Lehm ausgefüllt und schliesslich die Oberfläche dieser Wälle [valli] mit Rasen lückenlos bedeckt. […] Zwischen diesen Wällen [aggeres] aber waren die Dörfer und Gehöfte [vici et villae] so gelegen, dass man die Stimme eines Menschen vom einen zum andern vernehmen konnte. Gegenüber diesen baulichen Anlagen [aedificia] aber waren zwischen jenen unüberwindlichen Mauern [muri] nicht gerade geräumige Tore [portae] gelassen […]. Zu diesen Befestigungen [munitiones] schleppten die Hunnen zweihundert und mehr Jahre lang alle Schätze aller westlichen Völker.1414

Notkers Beschreibung eines ihm selbst unbekannten Landstrichs, dem Land der ‹Hunnen› (huni) – eigentlich der Awaren – im Karpatenbecken1415 birgt die Chance auf interessante Beobachtungen bezüglich seiner Wortverwendungen für eine Anlage, die ihm einzig aus Erzählungen bekannt war. Er schildert ein in neun Ringe geteiltes Land und verwechselt dieses vermutlich mit dem hring, dem zentralen Lager des awarischen Khagan, das kreisförmig angelegt war, und das womöglich aus Erzählungen zum grossen Sieg über die Awaren und der Zerstörung ebenjenes Lagers bekannt war.1416 Wir erfahren zuerst etwas über die Bauweise der awarischen Wälle, die stark an die frühmittelalterlichen Befestigungsanlagen Mitteleuropas erinnern (Notker kannte sich demnach aus),1417 und stossen bereits dabei auf drei unterschiedliche Bezeichnungen. Er nennt die Teile dieser Befestigung valli, muri und aggeres und verwendet mit Ersteren zwei der Kernbegriffe einer jeden Stadt- und Burgbefestigung. Der Begriff aggeres überrascht an dieser Stelle und könnte im Sinne von aggerare stehen,

1414 Übersetzung von Rau (Notker, Gesta Karoli II, S. 377–379). Terra […] Hunorum novem circulis cingebatur. […] Tam latus fuit unus circulus, […] quantum spacium est de castro Turico ad Constantiam; ita stipitibus quernis faginis vel abiegnis exstructus, […] cavitas autem universa aut durissimis lapidibus aut creta tenacissima repleretur, porro superficies vallorum eorundem integerrimis cespitibus tegeretur. […] Inter hos igitur aggeres ita vici et villae erant locatae, ut de aliis ad alias vox humana posset audiri. Contra eadem vero aedificia inter inexpugnabiles illos muro portae non satis latae erant constitute […]. Ad has ergo munitiones per ducentos et eo amplius annos quales cumque omnium occidentalium perturbarent (ebd., cap. 1). 1415 Vgl. Anke/Révesz/Vida, Reitervölker, S. 50 f., 66 f. 1416 Vgl. Szàdeczky-Kardoss, ‹Avaren, I. Geschichte›, LexMa 1, Sp. 1283–1285. 1417 Vgl. Brachmann, Burgenbau, S. 38–44.

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was Niermeyer mit ‹eindeichen› übersetzt.1418 Die begrasten und somit auch weniger rutschgefährdeten Wälle könnten Notker an die Dämme und Deiche im Norden des Reiches oder an andere Bauprojekte im Ackerbau sowie an die Schanzarbeiten im Zuge des Baus der fossa Carolina erinnert haben,1419 weshalb er auf diesen Begriff zurückgriff. Doch diese Interpretation wird bereits im nächsten Abschnitt durch die neuerliche Verwendung dieser Vokabel für den Wall einer festen Burg während der Sachsenkriege hinfällig: ‹Zwei Krieger […] machten ein Schilddach [testudo] und arbeiteten mit grösstem Eifer an der Zerstörung der Mauer [murus] und des Walls [agger] einer festen Burg [civitas].›1420 In Erinnerung an obige Untersuchungen zur Kontinuität römischer Bauten und Wortkultur wird es spätestens nach dem Entdecken der römisch-antiken Kampfformation und Defensivwaffe testudo naheliegend, den Begriff agger auch im antiken Zusammenhang zu beachten. Dabei wird ersichtlich, dass darunter sowohl der erdige Schanzwall eines römischen Legionsmarschlagers verstanden werden konnte als auch ein Ufer- und Ackerdamm.1421 Kerngedanke dabei ist der erdige Aushub (Schanzauswurf und -aufwurf). Somit dürfte unter dem murus ein Stein-Holz-Erde-Wall und unter dem agger ein vorgelagerter Wall mit Graben zu verstehen sein, was wiederum gut mit den sächsischen Anlagen jener Zeit korreliert. Im ersten Auszug aus den gesta Karoli spricht Notker betreffend Grössenangabe der Flächen zwischen den neun Ringen von einem Abstand zwischen Konstanz und dem castrum Zürich, womit er wohl auf den ummauerten Siedlungsteil Zürich Lindenhof anspricht,1422 während es sich bei den Wällen der Awaren nicht um Bestandteile einer ‹Burg›, sondern um ein ausgeklügeltes Befestigungssystem handelt, weshalb er dort nicht von einem castrum, sondern allgemein von munitiones (Befestigungen, Verschanzungen) spricht, was ansonsten hauptsächlich im 11. Jahrhundert zur Bezeichnung von Feldverhauen und Verschanzungen Anwendung fand.1423 Da Konstanz als Bischofssitz per Definition eine civitas sein musste und solche im Normfall ummauert waren, könnte dies erklären, warum Notker nur im Falle Zürichs eine Ergänzung zu dessen Wehrcharakter anbringt. Bei Wettis Gallusvita taucht Zürich hingegen als castellum auf,1424 eine Bezeichnung, die nach castrum am häufigsten in den schwäbischen Chroniken genannt wird zur Beschreibung einer befestigten Anlage (meist einer Burg), dicht gefolgt vom Terminus urbs, der meist noch klarer für 1418 MLLM, S. 39. 1419 Vgl. Ettel, Grossbaustelle 793. Zum Beschluss, eine solche Wasserverbindung zu erstellen, findet sich in den annales Alamannici zum Jahr 792 ein Vermerk (Lendi, Annales Alamannici, an. 792, S. 166). 1420 Sinngemäss nach der Übersetzung von Rau (Notker, Gesta Karoli II, S. 379). […] privati homines […], testudine facta muros firmissimae civitatis vel aggeris acerrime destruebant (ebd., cap. 2). 1421 DNG, Sp. 189 f. 1422 Kaiser, Umfriedungen, S. 37; ders., Frühmittelalter, S. 155; Biller, Stadtbefestigungen II, S. 27. 1423 Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 64) verwendet den Ausdruck für kleine lokale Befestigungen im Umkreis von Säckingen während der Ungarneinfälle, und Hermann der Lahme (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], an. 869, S. 106; ders., Chronicon, ann. 1051, 1053, S. 694, 704) verwendet ihn hauptsächlich für feindliche Befestigungen. Hermann kennt für diese Art der Verschanzungen noch eine weitere Bezeichnung: praestructio (ebd., an. 1040, S. 672). 1424 Wetti, Vita s. Galli (Script. rer. Mer. 4), cap. 4.

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eine befestigte Siedlung steht. Seltener sind die Begriffe oppidum und arx anzutreffen. Doch warum nennt Wetti Zürich ein castellum, während er beispielsweise bei Arbon von einem castrum spricht?1425 War das kleine Arbon aufgrund seiner spätantiken Befestigungsstrukturen auf der Halbinsel im Bodensee noch stärker als reines ‹Lager› sichtbar, als das in alle Richtungen wachsende Zürich, wo bloss noch der Kern als Teil älterer Befestigungsstrukturen erscheint?1426 Fassen wir die entsprechenden Begriffe kurz zusammen: Im 9.  Jahrhundert taucht castrum vor allem bei Notker (unter anderem Zürich)1427 und Ratpert (Arbon)1428 als Kastell (mit stabiler Umwehrung) und Heerlager sowie bei Heito gar im Sinne von «Burg des Geistes» auf.1429 Castellum und oppidum tauchen gar nicht auf und als Alternativen sind einzig bei Notker die Begriffe civitas (für städtische, ummauerte Siedlungen),1430 urbs (Städte mit steinernen Mauern),1431 munitio (Holz-Erde-­ Befestigungen),1432 murus (‹gemauerte› oder zumindest feste, begehbare Mauern)1433 und vallus (Holz-Erde-Befestigungen)1434 anzutreffen. Im 11.  Jahrhundert dominiert ebenfalls der Begriff castrum, der besonders stark in Hermanns Chronik vertreten ist (massive Burgen und starke Befestigungen, darunter das Kloster Cassino und die Burgen Breisach, Kyburg, Neuenburg, Murten und Pressburg).1435 Hinzu kommt, dass castrum im 11. Jahrhundert – wie schon bei Notker im 9. Jahrhundert – auch für ein Heerlager im Feld stehen konnte, wofür uns neben Hermann vor allem Berthold Beispiele liefert.1436 Bei Letzterem dient castrum hauptsächlich für Heerlager und taucht sonst nur einmal für die umwehrte städtische Siedlung Zürich auf.1437 An die Stelle von castrum für umwehrte Siedlungen scheint bei Berthold der Terminus castellum gerückt zu sein (darunter die Burg Hohentwiel),1438 der auch bei den zwei anderen Chronisten des 11.  Jahrhunderts und den annales Alamannici häufig für derlei Fälle Verwendung fand: Ekkehart nennt sowohl die Burg auf dem Stammheimerberg zu 1425 Ebd., cap. 4, 5, 17, 19. 1426 Zur Entwicklung der Zürcher Mauern vgl. Kaiser, Umfriedungen, S. 37–39. Mit einer weitläufigeren Befestigung Zürichs dürfte frühstens Ende des 11. Jahrhunderts gerechnet werden und eine porta civitatis ist erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts nachweisbar (Biller, Stadtbefestigungen II, S. 24, 27). Vgl. zudem Peyer (Stadtmauer, S. 12) und Wild/Windler (Kanton Zürich, S. 367, 370). 1427 Notker, Gesta Karoli II, cap. 1, 6. 1428 Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 2. 1429 Heito, Visio Wettini (MGH Poetae II), cap. 21. 1430 Notker, Gesta Karoli I, cap. 10; ebd. II, cap. 2, 17. 1431 Ebd., cap. 6, 11. 1432 Ebd., cap. 1. 1433 Ebd., cap. 1–2, 11, 17. 1434 Ebd., cap. 1. 1435 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 570, 599, 661, 745, 747, 771, 809, 828, 841, 846, 860, 864, 876, S. 89, 91, 95, 98–101, 103–107; Hermann, Chronicon, ann. 907, 939, 973, 1002, 1007, 1027, 1032, 1038, 1052, S. 630, 636, 646, 654–656, 664–666, 672, 698. 1436 Ebd., an. 1050, S. 692; Berthold, Chronicon II, ann. 1075, 1079, S. 84, 260, 272. 1437 Ebd. I, an. 1056, S. 22. 1438 Ebd. II, ann. 1072, 1078–1079, S. 70, 224, 248–250. Dies geschah an einer Stelle zusammen mit dem Begriff oppidum, womit sich castellum klar einer militärischen Schutzanlage zuordnen lässt, während oppidum schlicht darauf hinweist, dass die Siedlung zum eigenen Schutz ummauert war (ebd., an. 1078, S. 224).

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Beginn des 10. Jahrhunderts1439 als auch die Waldburg der St. Galler Mönche während der Ungarneinfälle 926 castellum.1440 Die Waldburg taucht bei ihm zugleich als arx auf,1441 ein Begriff der sonst eher ungebräuchlich schien, was die Vermutung betreffend der Wortverwendung Ekkeharts bestätigt: lediglich castellum steht aus seiner Sicht für eine wehrhafte Burg. Hermann bezeichnet mit castellum Befestigungen und Burgen des 8. bis 11. Jahrhunderts, darunter mehrfach die Engelsburg in Rom sowie das bereits oben als castrum aufgeführte Murten.1442 In den annales Alamannici steht castellum für die Festung Hohentwiel sowie die befestigten Städte Norditaliens, die von den Ungarn geplündert wurden.1443 Wo bei Notker der Begriff castrum stand, verwendeten Ekkehart und Berthold castellum und Hermann griff gleichermassen auf beide Begriffe zurück, wobei er für Burgen im klassischen Sinne wie Notker den Begriff castrum präferierte.1444 Castrum stand zudem im klassisch-römischen Sinne auch für ein Heerlager. Die Begriffe für Befestigungsanlagen sind in der hier ausgewerteten Quellenauswahl deutlich häufiger im 11. als im 9.  Jahrhundert anzutreffen, während Bezeichnungen wie obengenannte muri und valli bei Notker und Wetti häufiger sind als bei den Chronisten des 11. Jahrhunderts.1445 Spricht diese Zunahme der Begriffe für Befestigungen und umwehrte Siedlungen vom 9. ins 11. Jahrhundert doch für ein schwäbisches ‹incastellamento›? Eine solche Annahme führt wohl zu weit, denn auch wenn eine zunehmende Vielfalt an Befestigungstermini auffällt, so dürfte dies vor allem der Auswahl der Quellen geschuldet sein, da Hermann und sein Schüler Berthold in ihrer ‹Weltchronik› einerseits deutlich befestigungsaffinere Themen behandeln und ihr Wortschatz auch in allen anderen Belangen deutlich vielfältiger war als der von anderen Chronisten. Städte und Burgen – civitates und urbes Für die Begriffe oppidum, urbs und civitas soll nun nochmals auf die spätrömischen Kastelle im Bodenseeraum Bezug genommen werden. Im Kapitel zu den Refugien und Ungarnburgen wurden bereits verschiedene Kastelle im alemannischen Bereich mit einer Kontinuität seit römischer Zeit aufgeführt, unter anderem mit den Gallusviten als Ausgangspunkt. Dass Konstanz dort ‹nur› als Constantiae urbis bezeich 1439 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 16–17, 21. 1440 Ebd., cap. 51–52, 55–56, 62. 1441 Ebd., cap. 51. 1442 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 736, 810, S. 96, 102; Hermann, Chronicon, ann. 953, 969, 974, 984, 1003, 1034–1035, 1037, 1044, 1047, 1053, S. 640, 646–650, 654, 668–670, 678, 682, 700, 704. 1443 Lendi, Annales Alamannici, ann. 899, 915, S. 184, 190. 1444 Zum allgemeinen Problem der terminologischen Abgrenzung vgl. Zeune, Ritterburgen, S. 12. 1445 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 51, 71; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 207, S. 77. Hermann verwendete den Begriff nicht einmal für zeitgenössische Fälle, sondern für den Limes in Britannien. Dagegen verwendete Wetti (Vita s. Galli [Script. rer. Mer. 4], cap. 2) im 9. Jahrhundert in seiner Gallusvita für die Bezeichnung der Umwehrung der alten (römischen) Siedlung Luxeuil den Terminus murus. Interessanterweise trifft diese Beobachtung auch für die annales Alamannici zu, worin vallus einmal für das Jahr 744 genannt wird und castella erst ab der Zeit um 900 Verwendung findet (Lendi, Annales Alamannici, ann. 744, 899, 915, S. 150, 184, 190). Aufgrund der geringen Anzahl jener Nennungen ist dies aber nicht repräsentativ.

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net wird,1446 obwohl auch dort eine romanische Bevölkerungskontinuität vermutet wird, könnte daran liegen, dass entweder die alten Kastellmauern nicht mehr von aussen erkennbar beziehungsweise nicht mehr vorhanden waren, oder daran, dass Konstanz als Bischofssitz ohnehin eine Stadt sein musste und der Begriff urbs rangtechnisch höher stand als der eines castellum. Da man bei einer Stadt im klassischen Sinne fast unweigerlich von einer Mauer ausgehen konnte, war diese Zusatzangabe vermutlich überflüssig.1447 Dass es eine Mauer gab, musste auch nicht zwangsläufig bedeuten, dass eine ganze Stadt oder Siedlung von ihr umgeben war, sondern konnte auch bedeuten, dass sie zumindest teilbefestigt (zum Beispiel Domburg) war oder über eine Burg als Rückzugsort verfügte. Biller betont, dass es gar eine Ausnahme darstellte, wenn Städte oder wichtige Siedlungen nicht in Verbindung zu einer Burg standen.1448 Dass Konstanz über eine Umwehrung  – zum Teil auf den Grundmauern des alten römischen Kastells – verfügte, wurde ja bereits im vorhergehenden Abschnitt erläutert und dabei konnten zum Teil Kontinuitäten in Titelgebungen (tribunus, praefectus) und besonderen Rechtsräumen (Kastellbezirke Arbon und Augst) beobachtet werden. Gibt es solche Kontinuitäten auch in der mündlichen Tradierung von Ortsnamen im Sinne von ‹Castrum Arbon› oder ‹Castell Zürich› und hatte ein früherer beziehungsweise römischer Rechtsstatus Auswirkungen auf den Status oder die Wahrnehmung der betreffenden Siedlung im Frühmittelalter? Im klassisch-römischen Sinn hatten Begriffe wie civitas zusammen mit colonia und municipium eine bürgerrechtliche Bedeutung, während beispielsweise oppidum für eine stadtähnliche Siedlung ausserhalb Italiens stand, die über keine römischen Bürgerrechte verfügte.1449 In den römisch strukturierten Siedlungen der römischen Provinzen gab es verschiedene Elemente der Selbstverwaltung mit einem Rat (senatus) und Beamten.1450 In grösseren Stammesgebieten ohne klar erkennbaren Zentralort wurde der einheimischen Bevölkerung mit der civitas ein solches Zentrum geschaffen.1451 Solche frühen Zentren dürften abgesehen von den bereits existenten Zentralorten der keltischen Bevölkerung bis ins frühe Mittelalter zu den wichtigen Hotspots im Bodenseeraum gehört haben, und dies in vergleichbarer Weise wie die oben genannten spätantiken Kastelle mit ihrer Kontinuität bis ins Mittelalter und darüber hinaus. Galt dies auch für alte Verwaltungs- und Kastellbezirke? In seiner Erklärung der Begriffe pagus und Gau schildert Nonn die Ursprünge des Wortes pagus, das etymologisch mit pangere (zusammenfügen) und pax verwandt sei und das zur Um 1446 Wetti, Vita s. Galli (Script. rer. Mer. 4), cap. 14, 16. 1447 Wenn auch Peyer (Stadtmauer, S. 9) die Stadtmauer nicht als unabdingbaren Bestandteil einer Stadt ansieht, so war sie doch meist ein zentraler Bestandteil, sofern die Stadt nicht über natürlichen Schutz verfügte (Carlen, Stadtmauer im Recht, S. 15). 1448 Biller, Stadtbefestigungen I, S. 245. 1449 Vgl. zur ständischen, rechtlichen Ordnung Drack/Fellmann, Römer, S. 138–140. 1450 Wesch-Klein, Provinzen, S. 84 f. 1451 Ebd., S. 88 f. Als civitas-Vorort im Bodenseeraum gilt laut Drack/Fellmann (Römer, Abb. 52) Bregenz, das für Fellmann auch als Provinzhauptort der Raetia prima infrage kommt (ebd., S. 276). Civitates sind also in erster Linie Gebietseinheiten, während Begriffe wie castrum oder castellum eine städtische Siedlung meinten (Morerod/Favrod, Sozialer Raum, S. 82).

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schreibung der kleinsten administrativen Einheit auf dem Land verwendet worden sei. Diese pagi hätten jeweils über mindestens ein oppidum als Fluchtburg verfügt, um der lokalen Bevölkerung Schutz zu bieten.1452 Ob diese frühen italienischen Verhältnisse auch für Alemannien gelten können, ist unklar, doch könnten sie zum Verständnis der römisch geprägten und natürlich gewachsenen Gemeinwesen nördlich der Alpen beigetragen haben. Der Begriff oppidum bezeichnete letztlich eine ganze Reihe von umwehrten Orten. Von den Römern traditionell so genannt (Landstädte ohne besondere Angabe der Rechtsform), könnten sich derartige Bezeichnungen ähnlich wie castrum und castellum in der mündlichen Überlieferung gehalten haben. Doch wird zum Beispiel Zürich bereits im 9. Jahrhundert unterschiedlich bezeichnet, nämlich von Wetti als castellum und von Notker als castrum sowie im 11. Jahrhundert von Berthold ebenfalls als castrum.1453 Arbon wird sowohl in der urkundlichen Überlieferung des 9. Jahrhunderts als auch in den Viten und Chroniken des 8. und 9. Jahrhunderts als castrum bezeichnet.1454 So verhält es sich auch mit dem castrum Tasgetium (ehemaliges Kastell, heute ‹Burg› in Stein am Rhein) um 8001455 sowie einer frühen urkundlichen Nennung von Bregenz.1456 Diese einstigen Lagerund Kastellorte wurden wohl aufgrund ihrer noch sichtbaren Strukturen als ehemalige römische Kastelle im 9. Jahrhundert als castra bezeichnet. Für Bregenz lässt sich allerdings ein Wandel feststellen. In der Fortsetzung der St. Galler Klostergeschichten vom Ende des 11. Jahrhunderts ist für Bregenz nämlich von einem oppidum die Rede,1457 ein Begriff der vom unbekannten Autor wohl direkt aus der römischen Schreibtradition entnommen wurde, denn bis auf je eine Nennung bei Hermann und Berthold1458 kommt dieser Terminus in der historiografischen Überlieferung nicht vor1459 und davon, dass Bregenz in keltischer Zeit als oppidum (Brigantion) bezeichnet worden sei, wie Schär betont,1460 dürfte der anonyme Fortsetzer der casus nichts gewusst haben. Überhaupt sind in der anonymen Fortsetzung der casus sancti Galli sehr genaue und spezifizierende Bezeichnungen für die unterschiedlichen Befestigungs- und Siedlungstypen zu finden, so beispielsweise municio/munitio (Befestigung, Wall,

1452 Nonn, Vom pagus zum Gau, S. 287. 1453 Wetti, Vita s. Galli (Script. rer. Mer. 4), cap. 4; Notker, Gesta Karoli II, cap. 1, 6; Berthold, Chronicon I, an. 1056, S. 22. 1454 Chart. Sang. I, n. 168; Vita s. Galli vet., cap. 4–5; Wetti, Vita s. Galli (MGH Script. rer. Mer. 4), cap. 5, 17, 19; Walahfrid, Vita s. Galli, cap. 4–5, 12–13, 17; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 2–3. Weiterführend der obige Abschnitt zum Kastell und pagus Arbon. 1455 Chart. Sang. I, n. 158. Vgl. zudem die obigen Abschnitte zu den Kastellen im Bodenseeraum. 1456 Ebd., n. 162. 1457 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 24. 1458 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 541, S. 87; Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 224. 1459 Laut Kaiser (Umfriedungen, S. 33) bezeichnet oppidum im 13. Jahrhundert eine befestigte, aber nicht unbedingt ummauerte städtische Siedlung, die meist keine Bischofsstadt, sondern eine ‹Minderstadt› darstellte. 1460 Schär, Gallus, S. 167. Darauf soll Bregenz bis ins 7. Jahrhundert zu einem kleinen bäuerlichen Dorf verkommen sein mit einem kleinen gräflichen castrum in der Oberstadt (ebd., S. 169 f., 172).

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Sperre),1461 municiuncula (kleine Festung, Sperre an einem Engpass),1462 castrum (steinerne, massive Burg unter anderem in Italien),1463 castellum (‹kleinere› beziehungsweise schneller errichtete Festung),1464 civitas (Stadt unter anderem in Italien).1465 Der Begriff urbs wird gar nicht verwendet, wohl aber urbani, und zwar zur Bezeichnung der Bewohner der Festung Twiel bei Singen; diese war dem anrückenden St.  Galler Abt von jenen kampflos übergeben worden.1466 – Wie unten noch zu sehen sein wird, wurde die Bevölkerung und Besatzung einer Burg schon früher, nämlich bei Ekkehart IV., als urbani (der Thiepoldsburg) bezeichnet. Bereits von Knonau wies auf die ausdrückliche terminologische Unterscheidung des Verfassers hin und vermutet deshalb hinter dem Prigantium oppidum die ‹alte Stadt Bregenz› auf dem Hügel und nicht die «Burg (Hohen‑)Bregenz» (Gebhardsberg).1467 Waren es mitunter solche Plätze (castella et oppida), die im Zuge des ‹Investiturstreits› durch die bäuerlichen Milizen Heinrichs IV. zerstört wurden, wie Berthold berichtet?1468 Oder ist gerade dieser Fall ein Beispiel für die Unterscheidung in der Begriffsgebung durch die Chronisten, indem ausdrücklich zwischen militärisch wichtigen ‹Burgen› (castella) und strategisch weniger wichtigen, befestigten Siedlungen (oppida) unterschieden wurde? In dieser Weise unterscheidet nämlich Widukind von Corvey in seiner Schilderung der Schlacht auf dem Lechfeld 955 klar zwischen dem militärischen castrum (dem königlichen Heerlager von Otto I.) und der schutzbedürftigen urbs Augsburg («Im Bereich von Augsburg [Augustanae urbis] schlug er [König Otto I.] sein Lager [castrum] auf»).1469 Auch Ekkehart IV. spricht für Augsburg von einer urbs und betont damit wie bei Konstanz den städtischen Charakter des Bischofsitzes.1470 Er benennt damit allerdings auch eine Burg (Thiepoldsburg), was eher dem Umstand einer Steinmauer als Gemeinsamkeit mit Konstanz geschuldet sein dürfte, als dass diese Burg ebenfalls wie der Bischofssitz Konstanz als Residenz diente (für den Pfalzgrafen von Schwaben).1471 Eine besondere Erwähnung verdient die Benennung der ersten Umwehrung des Klosters St.  Gallen, welche auch die Klostersiedlung mit einbezog, als vallus

1461 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 22, 25. Allerdings wird auch die bedeutende Festung auf dem Hohentwiel bei Singen als munitio Tviela bezeichnet und nicht etwa als castrum (ebd., cap. 31). Dies mag daran gelegen haben, dass es an jener Stelle nicht nötig war, eine rundherum geschlossene ‹Burg› zu errichten, wie bei der Toggenburg (castrum nomine Docginburch, [ebd., cap. 28]), sondern dass zur Sicherung der Festung Twiel kleinere Abschnittsbefestigungen an den wenigen zugänglichen Stellen auf dem felsigen Vulkankegel ausreichten. 1462 Ebd., cap. 27. 1463 Ebd., cap. 18, 21, 25, 28. 1464 Ebd., cap. 24–26. 1465 Ebd., cap. 18. Bei der Klostersiedlung St. Gallen ist zwar nicht die Rede von einer civitas, wohl aber von cives (ebd., cap. 30). 1466 Ebd., cap. 31. 1467 Von Knonau, Cont. cas. s. Gall., S. 60, Anm. 150. 1468 Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 224. 1469 Übersetzung von Rotter (Widukind, Res gest. Sax., S. 195). Castris positis in confiniis Augustanae urbis […] (ebd., cap. III,44). 1470 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 24, 60. 1471 Vgl. ebd., cap. 19.

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­urbis.1472 In diesem Fall ist an die Wortverwendung die Frage gekoppelt, ob die Klostersiedlung denn bereits als Stadt gesehen werden dürfe, was an dieser Stelle nicht beantwortet werden kann.1473 Für Hermann steht urbs fast ausnahmslos für eine Stadt (Rom, Pavia, Mailand, Lucca, Genf, Augsburg, Prag, Speyer, Trier, Utrecht)1474 und in einem Fall nutzt er den Begriff zur ausdrücklichen Abgrenzung der Stadt zum (Um-)Land (provintia).1475 Berthold nutzt urbs gar ausschliesslich zur Bezeichnung der ‹einen Stadt›, nämlich Rom selbst.1476 Dass urbs hauptsächlich für italienische Städte oder aber für Bischofssitze nördlich der Alpen gebraucht wurde – wobei auch die genannten italienischen Städte zu den traditionellen Bischofssitzen gehörten, da sie zu den antiken Hotspots zählten –, liegt in erster Linie daran, dass die wenigen frühmittelalterlichen ‹Städte›, die es nördlich der Alpen überhaupt gab, allesamt Bischofssitze waren. Da die meisten oder praktisch alle diese städtischen Siedlungen und Städte ummauert waren, ist es auch nachvollziehbar, dass gewisse Chronisten dazu übergingen, kleinere nichtstädtische Anlagen als urbes zu bezeichnen, sofern sie über eine Mauer verfügten. Unter diesem Aspekt liesse sich aus der rein terminologischen Auswertung doch etwas bezüglich Aussehen, Form und Innenleben der so bezeichneten Siedlungen schliessen. Noch eindeutiger als Städte identifizieren lassen sich alle Gebilde, die als ­civitates bezeichnet wurden, sofern man den wenigen schriftlichen Zeugnissen dieser Bezeichnung Glauben schenken darf, die ansonsten eher für die ‹Gemeinschaft› an sich verwendet wurde und den zeitgenössischen Klerikern wohl auch durch Augus­tinus› Werk De civitate Dei in anderer Form ein besonderer Begriff gewesen sein dürfte (civitas terrena et civitas caelestis).1477 Die Bezeichnung civitas wird in meiner Auswahl an schwäbischen Chronisten des 11. Jahrhunderts einzig von Hermann verwendet, der damit zweimal die Stadt beziehungsweise die ‹Bürgerschaft› von Rom bezeichnet1478 und so auf den unten behandelten Begriff civis für ‹Bürger› Bezug nimmt sowie für weitere – ausschliesslich italienische – Städte.1479 Der Begriff wird damit noch eindeutiger zur Bezeichnung einer ‹alten›, bedeutenden Stadt verwendet, als es Hermann ansonsten mit dem Begriff urbs tut, worunter auch die neueren städtischen (nichtrömischen) Siedlungen fallen. Damit kann zumindest für civitas festgehalten werden, dass diese Bezeichnung sowohl im 9. als auch im 11. Jahrhundert fast ausschliesslich für Städte im herkömmlichen – römisch-antiken – Sinne

1472 Ebd., cap. 71. 1473 Vgl. die Ausführungen unten zur Stadtwerdung St. Gallens. 1474 Hermann, Chronicon, ann. 953, 956, 964, 1022, 1026, 1034, 1045–1047, S. 640–644, 662, 668– 670, 680–684. Einzig bei der frühsten Nennung (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], an. 891, S. 119) handelt es sich wohl schlicht um eine Befestigung/Burg. 1475 Hermann, Chronicon, an. 956, S. 642. 1476 Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 188–190. 1477 Vgl. Augustinus, De civitate Dei. 1478 Hermann, Chronicon, ann. 964, 1047, S. 644, 684. 1479 Ebd., ann. 1022, 1050, S. 662, 692.

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gebraucht wurde.1480 Kaiser sieht dahinter fast ausschliesslich Bischofsstädte,1481 was zumindest für Schwaben in dieser Weise bestätigt werden kann. Ansonsten lassen sich aus heutiger Sicht kaum eindeutige Interpretationen zur damaligen Begriffsverwendung anstellen, die Vermutung liegt aber nahe, dass auch die zeitgenössischen Schreiber häufig nicht wirklich aktiv zwischen den zur Verfügung stehenden Begriffen unterschieden (insbesondere bei castrum und castellum). Überhaupt ist es interessant zu beobachten, wie ein und derselben Siedlung über die Jahrhunderte hinweg unterschiedliche Bezeichnungen zugeordnet wurden. Umfassende Interpretationen lassen obige Beobachtungen demzufolge nicht zu und auch über die Menschen in den jeweiligen castella, castra und urbes kann nichts abschlies­ send ausgesagt werden. So wie es in einer städtisch wirkenden civitas oder urbs militärisches Wachpersonal gegeben haben dürfte, so gab es auch in den tendenziell eher als Festungen und Burgen zu interpretierenden castra und castella bewirtschaftendes Personal. Über den eigentlichen Rechtsstatus der jeweiligen Einwohner lässt sich nichts aussagen, wenn wir nicht auf weiterführende Informationen aus zeitgenössischen Urkunden oder aber auf eindeutige Funktionärstermini (wie der rector in Konstanz) zurückgreifen können. Mit der rein schriftlichen Nennung verfügen wir daher über eine sehr beschränkte Aussagekraft bezüglich des Lebens innerhalb der damaligen Siedlungen. Zwar bringt uns die nachfolgende Auswertung zur Bezeichnung der Bevölkerung womöglich etwas näher an die zeitgenössischen Umstände, wirklich nahe kommen aber nur die Archäologen. Städter und Dörfler – villani, urbani und cives Es fällt auf, dass in den schwäbisch-alemannischen Chroniken des 9. und des 11. Jahrhunderts, abgesehen von den Begriffen für Hörige, die oben ausführlich behandelt wurden (servus, mancipia), kaum vereinfachende Begriffe für die ‹gewöhnlichen› Bewohner von Siedlungen (vom Gehöft bis zur Stadt) im Bodenseeraum auftauchen. Wie wir bei den militärischen Aufgeboten Heinrichs IV. während des ‹Investiturstreits› gesehen haben, tauchen landwirtschaftliche Bevölkerungselemente (rustici/ rusticani) terminologisch am ehesten zur Abgrenzung gegenüber professionellen Waffenträgern (milites) auf und auch die Bewohner der civitates, urbes und villae suchen wir häufig vergeblich unter – aus heutiger Sicht – so naheliegenden Begriffen wie civis, urbanus und villanus. Sofern sie keine Waffenträger (armati) sind beziehungsweise gerade nicht als Waffenträger auftreten, erscheinen die Menschen im Boden­ seeraum entweder unter den zahlreichen Bezeichnungen für Knechte (ancilla, famulus), Handwerker (artifex, faber) und Funktionäre (celer, minister) oder aber in Abgrenzung zu anderen Bevölkerungsteilen wie Mönchen, Hauskriegern und Magnaten. Für letzteren Fall tauchen die Personen am häufigsten als cives – in Abgrenzung zu den rustici und nobiles – auf, gefolgt vom urbanus, villanus und incola. Diese Begriffe sagen jedoch kaum etwas über den jeweiligen Rechtsstatus der betreffenden Personen aus. 1480 In den annales Alamannici benennt dieser Terminus ebenfalls ausschliesslich Städte (Lendi, Annales Alamannici, ann. [719], 761, 774, 912, S. [148], 154, 188). 1481 Kaiser, Umfriedungen, S. 32 f.

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Bei Ekkehart IV. werden villani unter anderem im Verhältnis zu den klösterlichen maiores genannt, die sich aufgrund ihrer besonderen Verwaltungsaufgaben über die anderen villani erheben und sich wie Aristokraten verhalten («derweil begannen auf den Gütern die Meier […] blanke Schilde und Waffen zu führen, lernten die Hörner mit anderem Klang als die übrigen Bauern [villani] zu blasen»).1482 Mit den ceteri villani nennt uns Ekkehart wohl den gängigsten Begriff für die Menschen auf den Aussenhöfen des Klosters, unter welchen die Meier eine herausragende Rolle einnahmen.1483 Deshalb überrascht es umso mehr, dass dieser Begriff von Ekkehart nur noch ein weiteres Mal verwendet wird, und zwar für die herbeieilenden Dorfbewohner/‹Zivilisten›, welche zum Schutz ihrer Siedlungen unter der Führung eines Hirminger aus dem Frickgau herbeieilen, um die ungarischen Plünderer in einer nächtlichen Aktion anzugreifen.1484 Ekkehart spricht an dieser Stelle von villani, um zu betonen, dass man spontan die Leute der umliegenden Höfe und Siedlungen mobilisierte. Zusammen mit den urbani, die Hirminger daraufhin ebenfalls zu Hilfe holt, gelten diese Verbände nichtprofessioneller Waffenträger aus der Sicht von Ekkehart als legiones armatae, die gegen die legiones der Ungarn antreten.1485 Man darf sich zu Recht fragen, ob Ekkehart überhaupt nach einem einheitlichen Prinzip vorgegangen ist, als er einerseits von legiones und andererseits von villani und urbani sprach.1486 Sind unter den villani die Menschen der umliegenden Einzelgehöfte zu verstehen, während die urbani aus einer weiter entfernten, geschlossenen Siedlung (im Gegensatz zu Einzelhöfen) anrückten? Villani tauchen noch bei Berthold von Reichenau als Teil der Truppen Heinrichs IV. auf, im Sinne der oben behandelten ‹Bauernkrieger› (rustici), wohingegen weitere urbani einzig bei Ekkehart zu finden sind, und zwar für die Bewohner der Thiepoldsburg,1487 auf der Abtbischof Salomo gefangen gehalten wird, und für die Bewohner der städtischen sedes Konstanz.1488 Bei Ekkehart sind unter den urbani also tatsächlich die Bewohner einer geschlossenen – hier gar ummauerten – Siedlung zu verstehen, woraus man schliessen kann, dass Ekkehart villani zur Bezeichnung der Landleute gebrauchte. Daneben spricht Ekkehart noch von oppidani, und zwar bei den Bewohnern der Gehöfte des sankt-gallischen Zentralortes Stammheim. «Ihnen [den Kammerboten] entgegnete der König: ‹Die Burg [castellum (Stammheim)] werdet ihr nicht halten können, ohne den Einwohnern [oppidani] dort Schaden zu tun.›»1489 Werden die Stammheimer als oppidani bezeichnet, weil sie am Fusse einer Burg lebten, in die sie sich jederzeit hätten zurückziehen kön 1482 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall, S. 109). […] maiores locorum […] scuta et arma polita gestare incȩperant, tubas alio quam ceteri villani clanctu inflare didicerant (ebd., cap. 48). 1483 Vgl. zu dieser Ekkehartstelle Keutgen, Ministerialität, S. 15 f. 1484 Ekkehart IV., Cas. s. Gall, cap. 64. 1485 Ebd. 1486 Zur frühmittelalterlichen Verwendung des Wortes legio vgl. obiges Kapitel zu den Kriegern und Waffenträgern mit dem Abschnitt legio und exercitus. 1487 Vgl. oben dieselbe Art der Wortverwendung in der anonymen Fortsetzung von Ekkeharts Werk, worin die Bewohner des Hohentwiels ebenfalls als urbani bezeichnet werden. Vgl. zur Interpretion Bizer/Götz, Thietpoldispurch, S. 19, sowie Berner, Hohentwiel, S. 79. 1488 Ekkehart IV., Cas. s. Gall, cap. 19, 24. 1489 Übersetzung von Haefele (ebd., S. 45). Quibus rex: ‹Castellum›, inquit, ‹sine oppidanorum dampno habere nequibitis› (ebd., cap. 16).

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nen und deren Wachpersonal sie somit aufgestockt hätten, oder wurden die Bewohner des wichtigen Zentralorts Stammheim vom St. Galler Chronisten im 11. Jahrhundert als ‹Städter› oder etwas ähnliches wahrgenommen?1490 – Wir wissen es nicht, können aber zumindest feststellen, dass für ‹Städter› noch andere, eindeutigere Begriffe zur Verfügung standen. So sind beispielsweise unter den cives bei Notker tatsächlich ‹Stadtbürger› zu verstehen, und zwar die Bewohner des befestigten Pavia, das es wagt, dem Heer Karls des Grossen zu trotzen.1491 Auf diese Weise verwendet auch Ekkehart cives, als er die Bewohner der Bischofsstadt Konstanz nennt, die offenbar bereits über ein gewisses Mitspracherecht verfügten.1492 Unter anderem in obengenannter Abgrenzung zu den rustici und nobiles spricht Hermann von den Bürgern des antiken (um 439) sowie des karolingischen Roms (um 886)1493 und sein Schüler Berthold tut es ihm gleich und verwendet den Begriff für die Bewohner der Bischofsstadt Mainz.1494 Der civis-Begriff wurde am sichersten von allen Chronisten verwendet, was vermutlich am Allgemeinwissen um das alte römische Bürgerrecht liegt, das nicht zuletzt durch den biblisch prominenten Träger, den Apostel Paulus (homo civis Romanus est),1495 nicht nur den meisten Klerikern ein Begriff gewesen sein dürfte und deshalb auch von den frühmittelalterlichen Chronisten in vergleichbarer Weise verwendet wurde. Zur schwäbischen Burgenlandschaft im 11. Jahrhundert Lange Zeit wurde im Rahmen der Transformation aller frühmittelalterlichen Lebensumstände um das Jahr 1000 auch eine Zäsur im Burgenbau um 1050 vermutet. Während Burgen bis dahin zu rein militärischen Zwecken verwendet worden seien, sollen sie nun verstärkt als Wohnsitze des ‹Adels› gedient haben. Nun hat insbesondere die Archäologie gezeigt, dass eine ganze Reihe von Höhenburgen mindestens seit dem 10. Jahrhundert als Wohnsitze fungiert haben (‹Privatburg›). Dabei spricht Zotz unter anderem die Befestigung der Kammerboten Anfang des 10. Jahrhunderts in Stammheim an, die hier allerdings noch im Rahmen des Zentral- und Konfliktortes Stammheim gesondert untersucht werden wird.1496 Ansonsten lassen sich viele der tatsächlich vorhandenen Burgen des frühmittelalterlichen Schwaben heute kaum mehr lokalisieren und abgesehen von einem archivalisch fassbaren Bruchteil der einstigen Burgen, dürfte insbesondere die Archäologie noch die eine oder andere Überraschung bereithalten.1497 Als eigentliche Blütezeit des Burgenbaus im Bodenseeraum darf wohl erst das 13. Jahrhundert betrachtet werden.1498 1490 Farner, Stammheim, S. 33. 1491 Notker, Gesta Karoli II, cap. 17. 1492 Ekkehart IV., Cas. s. Gall, cap. 23. 1493 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 439, 886, S. 82, 109. 1494 Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 104. 1495 Vgl. Apg. 22,26. 1496 Zotz, Burg und Amt, S. 141 f. 1497 Zeune, Ritterburgen, S. 80. 1498 Bitterli-Waldvogel, Burgenbau, S. 127. Für das rechtsrheinische Vorarlberg darf gar davon ausgegangen werden, dass wohl kaum eine Anlage vor 1200 entstanden ist (Niederstätter, Burgen, S. 12 f.).

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Die Beobachtung, dass die früheren Anlagen aufgrund ihres vergänglichen Baumaterials nicht in Erscheinung treten und dadurch ein verzerrtes Bild liefern, das hauptsächlich auf Funden von festem Mauerwerk fundiert, ist nur die eine Seite der Medaille. Denn dass der verstärkte Burgenbau mit der zunehmenden Benennung von Aristokraten nach Burgen sowie mit dem Ausbau zahlreicher Herrschaften durch die Errichtung von ‹Stammsitzen› einherging, kann nicht nur Zufall sein. Eine solche Verselbstständigung der lokalen Aristokratie durch die Errichtung eigener Burgen soll sich zum Teil bereits im beginnenden 10. Jahrhundert abgezeichnet haben, wie beispielsweise am Fall der als Herzogsresidenz behandelten Burg Twiel bei Singen zu sehen war. Diese Verselbstständigung soll auch in anderen Gegenden des Reiches im Zusammenhang mit dem Bau eigener Burgen immer grössere Ausmasse angenommen haben.1499 Doch nicht nur Burgen hatten namensgebend gewirkt und so warnt Krieg eindringlich davor, nur von ‹Stammburgen› im Sinne von festen Residenzen auszugehen. Die lokalen Eliten und darunter insbesondere die neu aufgestiegene Kriegerelite – Krieg spricht von ‹Ministerialität› – bezog sich nicht etwa nur auf ‹Stammburgen›, sondern benannte sich in erster Linie nach den jeweiligen Orten in ihrem Besitz oder in ihrem Amtsbereich. Dies konnte sowohl ein Meierhof (curtis) als auch eine Turmhügelburg sein.1500 Dagegen schreibt Bitterli-Waldvogel in umgekehrter Auffassung: «Als Zentren herrschaftlicher Güterkomplexe übernahmen die Burgen vom 10. Jahrhundert an die Funktion der frühmittelaltelrichen Herrenhöfe (Fronhöfe, curtis). Diese waren oft durch Burgen abseits der dörflichen Siedlungen ersetzt oder direkt zu Burgen umgestaltet worden.»1501 Allerdings lassen sich für diese Zeit kaum wirklich Burgen lokaler Aristokraten finden. Zu den frühesten namentlichen Nennungen hochmittelalterlicher ‹Adelsburgen› beispielsweise im Breisgau zählt Krieg die Burg Wiesneck im Dreisamtal (um 1079) sowie Kenzingen (um 1094), Sölden (um 1115) und Zähringen (um 1128).1502 Dabei handelt es sich allerdings um Burgen, die mitunter aufgrund der innerschwäbischen Auseinandersetzungen während des ‹Investiturstreits› entstanden sind. Die weitaus früheren Bauten, die beispielsweise im 10.  Jahrhundert aufgrund der Ungarngefahr entstanden, können aufgrund ihrer Holz-Erde-Bauweise nur noch in den seltensten Fällen nachvollzogen werden.1503 So betont Bitterli-Waldvogel: «Als Herrschafts- und Verwaltungsmittelpunkt tritt die Burg archäologisch kaum in Erschei-

1499 Maurer, Herzogsherrschaft, S. 294; Heine, Wehranlagen, S. 47. «So sehen wir, dass die Burg im 10.  Jahrhundert bereits eine ganz entscheidende Rolle bei politisch-kriegerischen Auseinandersetzungen spielt. Wenn sie sich auch noch erheblich von der hochmittelalterlichen Burg unterschieden haben mag, so hat sie doch entscheidende strategische Bedeutung» (Störmer, Früher Adel, S. 184 f.). 1500 Vgl. Krieg, Adel und frühe Burgen, S. 155. 1501 Bitterli-Waldvogel, Burgenbau, S. 131. Zum Zusammenhang von Meierhöfen und Burgen vgl. Ernst, Niederer Adel, S. 32 f., 58. 1502 Krieg, Adel und frühe Burgen, S. 159–165. Vgl. den Abschnitt zu Berthold II. von Zähringen und der militärischen Besetzung der sankt-gallischen Güterorte im Dreisamtal (und im weiteren Breisgau) während des sogenannten ‹Investiturstreits›. 1503 Dennoch geht Ettel (Adelige Zentralorte, S. 125) von ‹der Burg als zentralem Herrschaftsinstrument› seit dem 7. und besonders im 10. Jahrhundert aus.

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nung, umso deutlicher fassbar ist sie jedoch in den Schriftquellen.»1504 Zu den wenigen Fällen, die zumindest in den Schriftquellen eine Erwähnung gefunden haben, gehören neben der St. Galler Waldburg auch verschiedene Bistumssitze wie Würzburg und Eichstätt.1505 Für das Westfrankenreich vermutet Le Jan eine ähnliche Entwicklung, weshalb sie bereits für die Zeit nach 930 und insbesondere nach 960 von einem verstärkten Burgenbau und der Besetzung solcher Festungen durch milites ausgeht.1506 Als mögliches Argument für zahlreiche derartige frühe Bauten im 10. Jahrhundert sieht Biller den aufkommenden Bau von Stadtmauern, deren Vorgänger neben den römischen Überbleibseln wohl häufig frühmittelalterliche Burganlagen gewesen seien, wenn auch die Bauweise (Holz-Erde-Anlagen und Trockenmauern meist ohne Türme) kaum mit den spätmittelalterlichen Stadtmauern vergleichbar gewesen wären. Doch «a priori spricht Wichtiges dafür, in diesen frühmittelalterlichen Burgen eher die unmittelbaren ‹Väter› der Stadtmauern als Bauwerke als in den römischen Mauern zu suchen», da die wirtschaftlichen, politischen und technischen Voraussetzungen dieselben gewesen seien wie für die Anfänge der bürgerlichen Niederlassungen. Diese Burgen aus dem 8.–11. Jahrhundert seien weniger ‹Adelsburgen› denn ‹staatliche› Fliehburgen gewesen, was – alleine aufgrund der Grösse jener Fliehburgen – die Ähnlichkeit zu den späteren Stadtmauern erklärt. Als repräsentative Beispiele hierfür nennt Biller Paderborn, Weilburg, Kassel, die Pfalz Tilleda und Würzburg.1507 Wie oben bereits angesprochen, führten spätestens die Auseinandersetzungen im ‹Investiturstreit› zum Bau von teilweise heute noch sichtbaren Befestigungen und Burgen. Dies lässt sich besonders gut über die zeitgenössischen Chroniken nachvollziehen. Die Kriegssituation unter dem St. Galler Abt Ulrich von Eppenstein (1077–1121), der sich als Parteigänger Heinrichs IV. praktisch mit allen anderen geistlichen und weltlichen Fürsten des Herzogtums Schwaben im Konflikt befand, führte mitunter lokal zum verstärkten Befestigungsbau.1508 Ulrich liess unter anderem die Burgen Kräzern, Burgau, Glatt, Lütisburg und Heerbrugg errichten und sicherte damit wichtige Flussübergänge und äbtische Ländereien.1509 Denn aufgrund von Besetzungen abgabepflichtiger Güter durch feindliche Truppen befand sich St. Gallen schon zu Beginn des Konflikts in einer versorgungstechnischen Notlage. Der anonyme Verfasser der Fortsetzung der casus sancti Galli gibt uns dabei einen interessanten Hinweis auf eine mögliche weitere Bedeutung der Burgen in jener Zeit. Nachdem er erkannt hatte, dass diese Kastelle [Burgau und Lütisburg] nichts nützten und die Ritter wegen verweigerten Entschädigungen und der immer bedrohlicheren Härte der Kämpfe von ihm abfielen, setzte er seine und der Seinen Hoffnung

1504 Bitterli-Waldvogel, Burgenbau, S. 129. 1505 Ettel, Befestigungen, S. 152. 1506 Le Jan, Continuity and Change, S. 67. 1507 Biller, Stadtbefestigungen I, S. 33 f. Zu frühen Stadtmauern und Schutzorten auf dem Gebiet der heutigen Schweiz vgl. ‹Stadt- und Landmauern (Bd. 2)›, darunter Sennhauser (St. Gallen) sowie für Zürich zudem Kaiser (Umfriedungen) in Bd. 1. Vgl. Köbler, Burgreht, S. 416. 1508 Vgl. obiges Kapitel zu den militärischen Kommandogewalten des Abtes. 1509 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 22–27; Boxler, Burgnamengebung, S. 51–53.

281 auf einen Felsen in den Bergen, Rachenstein genannt,1510 der von der Lage und Beschaffenheit der Landschaft her überaus geschützt und sehr sicher war. Gegen diese Feste stiess der Feind oft vergeblich vor.1511

Neben der gebietssichernden Funktion dürfte der Bau einer solchen Festung also auch Auswirkungen auf die Kampfmoral und den Durchhaltewillen der eigenen Leute gehabt haben. Umgekehrt setzte der vertriebene St. Galler Abt Lutold (1077– 1083) mit Reichenauer Unterstützung ebenfalls auf die Wirkung einer Burg. Als die Reichenauer Truppen zum vierten Mal in den St. Galler Klosterbezirk eindrangen, errichteten sie auf der Hügelkuppe zwischen den heutigen Stadtvierteln Riethüsli und St. Georgen, etwa einen Kilometer südwestlich des Klosters, die Festung (castellum) Bernegg.1512 Damit sollte der Standort längerfristig für Lutold gesichert und Abt Ulrich von Eppenstein zur Aufgabe gezwungen werden.

Aber nach einigen Tagen stürmte der Abt des heiligen Gallus mit wenig zusammengezogenen Streitkräften diese Befestigung, mit Feuer und Schwert machte er sie dem Erdboden gleich, und nachdem der sehr edle Ritter Folknand, der mächtigste der Besatzung, getötet, andere zur Ausplünderung und in Gefangenschaft weggeführt worden waren, gelang Abt Ulrich der […] Sieg.1513

Auch bei der Belagerung der Festung Lütisburg konnte ein Sieg durch die Ausschaltung der verantwortlichen milites erlangt werden.1514 Der Schilderung beider Fälle lässt sich entnehmen, dass die Besatzung entweder aufgegeben hat, nachdem ihre tapfersten milites gefallen waren beziehungsweise gefangen wurden, oder die weiteren Burgmannen unter dem Kommando des betreffenden miles standen. Es wird nicht mehr wie ein oder zwei Jahrhunderte zuvor unterschieden zwischen Kriegern/ Waffenträgern und Nichtkombattanten, sondern zwischen professionellen Kriegern (milites), die sich aufgrund hier nicht näher nennbaren Faktoren abheben, und ‹den Anderen›. Dürfen wir unter solchen milites der Reichsklöster St. Gallen und Reichenau bereits ständisch gehobene ‹Ritter› und ‹Ministerialen› vermuten, die ab dem Hochmittelalter Herren ihrer eigenen ‹Stammsitze› und Burgen wurden und sich auch danach benannten? ‹Stammsitz› oder Refugium? An der eben formulierten Frage wird der Unterschied zwischen repräsentativem Wohnbau, Refugium und militärisch bedeutsamer Festung bereits ersichtlich. Ging es überhaupt noch um ein wehrhaftes Refugium? Womöglich ist es hinsichtlich der 1510 Bei Schwende AI. 1511 Übersetzung von Leuppi (Cas. s. Gall. cont., S. 145). Postquam ea castella nil proficere et milites propter quedam beneficia denegata et magis ac magis imminentem intolerantiam bellorum a se deficere cognovit, inter montana in quadam rupe nomine Rachinstein, natura et situ loci nimis munita et satis tuta, suam suorumque spem posuit. Ad quod castellum hostis sepe incassum impegit (ebd., cap. 25). 1512 Zum Standort vgl. auch Knonau, Waffengänge, S. 19. 1513 Übersetzung von Leuppi (Cas. s. Gall. cont., S. 149). Sed paucis diebus interpositis abbas sancti Galli non multis collectis copiis eandem munitionem expugnavit, flammis et ferro solotenus prostravit, et quodam satis nobilis milite Folcnando castellanorum potentissimo occiso aliis in direptionem et captivitatem abductis […] victoria optata potitus est (ebd., cap. 26). 1514 Vgl. ebd., cap. 27.

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schwäbischen Burgenlandschaft sogar zielführender, danach zu fragen, in welcher Zeit man vermutlich noch nicht von einer solchen ‹Burgenlandschaft› sprechen kann beziehungsweise wann die politische Landschaft das Errichten von Burgen und Refugien in Gang setzte und förderte. Wie am Beispiel der ‹Ungarnburgen› besprochen, lassen sich grössere Refugien und Schutzbauten vor allem in unruhigen Zeiten finden und für Schwaben muss hierbei erneut auf die Ungarneinfälle verwiesen werden. Im 9. Jahrhundert verfügten im leichtbesiedelten Alemannien praktisch keine Siedlungen über Schutzvorkehrungen. Die aus sehr wenigen Gebäuden bestehenden Streusiedlungen und Gehöfte1515 verfügten nachvolllziehbarerweise über keine Wälle, wie man sie in späteren städtischen Siedlungen erwarten kann, und in unruhigen wie kriegerischen Zeiten sowie wie bei Hochwasser und anderen Ausnahmesituationen suchte man zum Schutz wohl einfach höher gelegene Gebiete, Berge und Wälder auf und wartete ab. Vorstellbar wären zwar gemeinschaftliche Zusammenschlüsse mehrerer Gehöfte oder eine bezirksweise Gliederung unter Centenaren, Tribunen oder Meiern zum Bau und Unterhalt versteckter, leicht befestigter (Holz-Erde-Wälle) und möglichst durch natürliche Begebenheiten geschützte Refugien auf Bergen, Hügeln, (Halb-)Inseln und in Flussschlaufen,1516 doch lassen sich solche Organisationsformen schlicht nicht nachweisen. Archäologische Befunde liefern zwar hin und wieder Indizien zu solchen meist kleineren Refugien – beispielsweise im Umkreis ehemals römischer Siedlungen und villae1517 – und das instinktive Verstecken und Verschanzen wären durchaus nachvollziehbar, aber viele dieser Spuren lassen sich zeitlich nicht genau einordnen. Zudem haben natürlich geschützte Stellen in der Landschaft über die Jahrhunderte immer wieder eine Fortnutzung als natürliche Rückzugsorte erfahren. Doch warum sind dann nicht zumindest die Schutzbauten von finanziell bessergestellten und vor allem besser organisierten Aristokraten überliefert? Gab es denn bis zum Ende des 9. Jahrhunderts überhaupt ‹Burgen› oder hatte die Phase fränkischer Herrschaft zwischen dem 7./8. und 9./10. Jahrhundert mit vor allem nach aussen gerichteten Kriegen eine längere Periode des Friedens ermöglicht, welche den Bau und besonders die aufwendige Instandhaltung von Befestigungen und Wällen obsolet machte? So deutet Peyer hinter dem Fehlen karolingischer Schutzbauten das Sicherheitsgefühl lokaler Magnaten während «der Blütezeit des karolingischen Reiches vom 8. bis Mitte 9. Jahrhundert».1518 Unter diesen Voraussetzungen überrascht es wenig, dass sowohl Normannen als auch Ungarn mit Vorliebe das saisonal Krieg führende Frankenreich mit seinen ungeschützten, aber reich ausgestatten Klöstern und Pfalzen jahrzehntelang heimsuchten. Ebensowenig überraschen daher auch die chronikal und annalistisch überlieferten Misserfolgsmeldungen zu ungarischen Angriffen auf Bischofssitze, die zu den wenigen befestigten Stützpunkten gehörten und daher im Abwägen von Aufwand und Ertrag bei nicht sofort erreichbaren Erfolgen links liegen gelassen wurden; 1515 1516 1517 1518

Vgl. Schoch, Zeiten der Wanderungen, S. 193–195. Vgl. St. Galler Waldburg oben bei der neueren Erforschung von Ungarnrefugien. Vgl. obige Ausführungen zur fortgesetzten Nutzung römischer Baustrukturen. Peyer, Stadtmauer, S. 10.

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ähnlich lassen sich die gar nicht erwähnten alten Kastellorte im Bodenseeraum einordnen.1519 Wenn man also im Bodenseeraum des frühen 10. Jahrhunderts nach Refugien und befestigten Plätzen sucht, bieten sich als Erstes die Niederlassungen der Bischöfe, später auch die der anderen Magnaten an.1520 Als nächstes ist an diejenigen Gehöfte und Meierhöfe zu denken, die über eine steinerne Kirche oder leicht ummauerte Abgabehöfe verfügten, wenn auch deren tatsächlicher Verteidigungscharakter fraglich ist und für die Bedrohungen wie die einfallenden Ungarn sowie erst recht während der Bruderkriege in den 910er-Jahren und im Zuge des ‹Investiturstreits› unzureichend gewesen sein dürfte.1521 Direkt auf Orte bezogen könnte man für den unmittelbaren Bodenseebereich neben dem Hohentwiel, dem Stammheimerberg, Arbon und Bregenz noch an den Hohenstoffeln, Hohenkrähen, Hohenhewen, die Schrotzburg, den Heiligenberg und an Hohenfriedingen bei Singen denken.1522 Letzterer war seit keltischer Zeit besiedelt und die älteste Burg darauf (Altheiligenberg) könnte seit dem 8. Jahrhundert Sitz oder zumindest ein Mittelpunkt der Grafen im Linzgau beziehungsweise eine wichtige Festung im nördlichen Bodenseebereich gewesen sein.1523 Für den östlich angrenzenden Argengau könnte die Lenensburg bei Betznau (Kressbronn) eine vergleichbare Rolle gespielt haben.1524 Ähnlich verhält es sich mit dem Gerichtszoller bei Emmingen-Liptingen, Meersburg,1525 dem Schlossberg bei Schiggendorf,1526 dem Darrendobel bei Immendingen und der Schanze bei Kirchen-Hausen, die durchaus als frühmittelalterliche Refugien genutzt worden sein könnten und möglicherweise ebenfalls zentralörtliche Funktionen für die umliegenden Siedlungen ausgeübt haben.1527 Ähnliche Besiedlungsspuren lassen sich für den unmittelbaren östlichen und südlichen Bodenseeraum noch schwieriger nachweisen und die Bedeutung eines Ortes steht – wie auch St. Gallen zeigt – in keinem Verhältnis zur Befestigung desselben. So war Buchhorn (Friedrichshafen) zum Beispiel ein äusserst häufig vorkommender Actumort und gehörte damit wohl zu den administrativ-politischen Zentralorten des Bodenseeraums, scheint aber dennoch nicht 1519 Vgl. die obigen Darstellungen zur Bischofsstadt Konstanz sowie zu den Kastellen Arbon und Bregenz. 1520 Ettel, Zentralorte, S. 7. 1521 Ebd. 1522 Die Burgen auf dem Hohenstoffeln (Hilzingen-Binningen), Hohenkrähen (Mühlhausen-Ehingen), Hohenhewen (Engen-Anselfingen) und die Schrotzburg (Öhningen-Schienen) stammen zwar – abgesehen von der vorgeschichtlichen Besiedlung – wahrscheinlich alle aus dem Hochmittelalter, dennoch könnte besonders die Schrotzburg bereits im Frühmittelalter als Refugium gedient haben (Jänichen, Konstanz, S. 285; Heine, Wehranlagen, S. 23–25; Brachmann, Befestigungsbau, S.  115). Die genaue Datierung der Befestigungsphasen erweist sich hier als äusserst schwierig und von den zahlreichen vulkanischen oder durch Plattentektonik und Gletscher entstandenen Erhebungen im Bodenseeraum könnten theoretisch noch zahlreiche weitere als natürliche Grundlagen für bewehrte Refugien gedient haben. Vgl. zudem Maurer, Herzog von Schwaben, S. 42; Heine, Wehranlagen, S. 30; Streich, Burg und Kirche, S. 142. 1523 Lynar, Heiligenberg, S. 3; Schneider, Burgen, S. 544, 560. 1524 Ebd., S. 575–577; Brachmann, Befestigungsbau, S. 112. 1525 Götz, Meersburg, S. 331; Schneider, Burgen, S. 592–594. 1526 Ebd., S. 598. 1527 Heine, Wehranlagen, S. 28 f., 47; Brachmann, Befestigungsbau, S. 113; Böhme, Burgenbau, S. 55; Fehring, Mittelalterarchäologie, S. 87.

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befestigt gewesen zu sein.1528 Ähnliches mag auch für das auf der gegenüberliegenden Seeseite liegende Unterzentrum Romanshorn gelten. Burgen konnten einerseits als kleine «Stammsitze» von Aristokraten (Kleinburgen) mit einer Konzentration auf Herrschaft, Repräsentation und Schutz,1529 andererseits als grössere zentrale Orte des Handels, Handwerks und Gewerbes existieren.1530 Die etwas schwieriger zu definierende Gruppe der ‹Fluchtburgen› liesse sich hierbei je nach Auslegung beiden Gruppen zuordnen1531 oder aber sie bilden eine dritte Gruppe mit reiner Schutzfunktion, die in Friedenszeiten gar nicht oder nur minimal bewacht oder bewohnt waren und als Hauptcharakteristikum über einfache Holz-Erde-Wälle und eine grosse Innenfläche verfügten beziehungsweise schlichtweg befestigte Versammlungsplätze waren,1532 wie zum Teil im Zusammenhang mit den ‹Ungarnburgen› bereits dargelegt wurde. Für das 8. bis 10. Jahrhundert lassen sich also doch einige grosse Burgen  – wenn auch über das ganze Ostfrankenreich verteilt – nachweisen, die während innerer Konflikte und Einfällen durch Sachsen und Slawen, später durch Ungarn und Normannen, der Bevölkerung Schutz geboten haben. Die meisten davon wurden zu einem Herrenhof, einer bischöflichen, klösterlichen oder königlichen Villikation und dienten dem Schutz der jeweils zugehörigen Bevölkerung und der Vorräte. Reine ‹Fluchtburgen›, die im Frieden leerstanden, wird es jedoch nur wenige gegeben haben, insbesondere da in vielen dieser Anlagen Spuren von Kirchenbauten gefunden wurden, die kaum in einer normalerweise unbesetzten Burg vorhanden gewesen wären.1533 Für die weiteren Befestigungen im Bodenseeraum wird der Nachweis für ein mögliches Bestehen im 10. Jahrhundert umso schwieriger, da zahlreiche frühmittelalterliche ‹Fluchtburgen›, Wälle und sonstigen Befestigungsanlagen vermutlich prähistorischen oder antiken Ursprungs sind, die zum Teil im Verlauf des Mittelalters wieder neu ausgebaut wurden.1534 Um dies in einen Zusammenhang mit der Entstehung von ‹Stammsitzen› sowie namensgebenden Anlagen und hoch- wie spätmittelalterlichen ‹Ritter- und Adelsburgen› zu bringen, soll an dieser Stelle nur kurz auf die Parallele zur postulierten Militarisierung innerhalb der frühmittelalterlichen Bevölkerung Schwabens verwiesen werden. Denn ebenso wie in unsicheren Zeiten plötzlich viel mehr Waffenträger vorhanden waren, was zwangsläufig gesellschaftliche Veränderungen bewirkte, existierten während und nach grösseren Krisenzeiten auch zahlreiche zusätzliche Befestigungen. Aufgrund der fortgesetzten Nutzung solcher Anlagen durch die lokalen Eliten konnten ehemals reine Refugien schnell zu repräsentativen Wohnbauten für 1528 Schneider, Burgen, S. 546. Maurer (Rolle der Burg, S. 196) sieht in Buchhorn gar den Sitz des Grafengeschlechts der ‹Udalrichinger›. 1529 Bisson, Feudal Revolution, S. 142. Hierzu liesse sich auf jeden Fall die Festung auf dem Hohentwiel zählen. 1530 Ettel, Zentralorte, S. 26, 32. Zur Funktion von Burgen vgl. ders., Herrschaftszentren, S. 144. 1531 Vgl. ders., Zentralorte, S. 35 f. 1532 Gersbach, Urgeschichte, S. 196 f. Vgl. Maurer, Rolle der Burg, S. 200 f.; Fehring, Mittelalterarchäologie, S. 118. 1533 Schwarz, Landesausbau, S. 393; Böhme, Burgenbau, S. 55; Losse, Burgen, S. 17–19. 1534 Fehring, Mittelalterarchäologie, S. 79; Hübener, Wehranlagen, S. 49; Streich, Burg und Kirche, S. 118.

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die sich neu etablierende Aristokratie werden. «Damit verlagerte sich die Abwehr, und damit einhergehend der Burgen- und Befestigungsbau, nochmals verstärkt auf regionale Machthaber und frühe territoriale Herrschaften, einerseits notgedrungen, andererseits von diesen sicherlich auch so gewollt und ebenfalls die Schwächeperiode des Königtums ausnutzend.»1535 Klostersiedlung und Stadt St. Gallen Die inneren Konflikte und Ungarneinfälle hatten in Schwaben zu Beginn des 10. Jahrhunderts zu einigen Befestigungsanstregungen geführt, wie oben unter dem Begriff ‹Ungarnburgen› bereits dargelegt wurde. Dabei handelte es sich aber hauptsächlich um temporäre Schutzbauten, die in Friedenszeiten meist unbenutzt blieben. Ins 10.  Jahrhundert fallen aber auch zahlreiche längerfristige Bauten, wie die erste Mauer um das Kloster St. Gallen in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts, die auch die Klostersiedlung mit einbezog. Wie St. Gallen standen die meisten Klöster und Siedlungen dem feindlichen Ansturm alleine gegenüber und hatten selbst für ihre Sicherheit zu sorgen, weshalb Büttner die Ungarn als unweigerliche Ursache für den Bau von Stadtmauern überall im Reich sieht.1536 Zu Italien finden sich aufgrund der früheren Bedrohung durch die Normannen bereits im 9. Jahrhundert Berichte über Befestigungen. So liess beispielsweise Papst Leo IV. (847–855) den Vatikan und sein Quartier ummauern und aufgrund weiterer Einfälle durch Normannen, Sarazenen und Ungarn folgten unzählige Erneuerungen und Verstärkungen bis weit ins 10. Jahrhundert hinein.1537 – Ist also doch eine Parallele zwischen den Gebieten südlich und nördlich der Alpen sichtbar, allerdings mit einer geringen zeitlichen Verschiebung? In St. Gallen könnte eine der möglichen Folgen die Anlage einer ersten ‹Stadtmauer› beziehungsweise einer ersten Umwehrung unter Abt Anno (953/54) darstellen,1538 die nicht nur das Kloster, sondern auch die umliegende Siedlung umgab, jedoch erst unter Abt Notker zwischen 971 und 975 vollendet wurde:1539 Anno aber, ein hochwürdiger Mann, […] liess […] die Wälle [valli] der Stadtsiedelung [urbs] ausgraben, so wie man es für alle Zeiten sehen kann; für die eigentliche Mauer [murus] und dreizehn Türme [turres] legte er den Grund und hinterliess sie bei sei-

1535 Ettel, Ungarnburgen, S. 45. «Burgen bildeten im 10. Jahrhundert zunehmend das Rückgrat der erstarkenden, lokalen Amtsträger und Herrschaftsdynastien» (ders., Zentralorte, S. 28). 1536 Büttner, Ungarn, S. 439. Duft hat hingegen einen Sonderfall zitiert, nach welchem St. Gallen zuerst eine Mauer erhalten habe und dann zur Stadt geworden sei, während alle anderen Siedlungen zuerst in ihrer Gemeinschaft erstarkt seien und sich dann durch eine Mauer geschützt hätten (Duft/Wissura-Sipos, Ungarn, S. 18). Genau differenzieren lassen sich die beiden Möglichkeiten wohl kaum. Vgl. zudem Johanek, Stadtvorstellungen, S. 29–35. 1537 Sennhauser, Klostermauern, S. 205 f. 1538 Kolb (Wehrkirchen, S. 133) nennt für die Errichtung der Klosterumwehrung schlicht die Zeit nach 933, vielleicht unter dem Eindruck des Sieges über die Ungarn bei Riade durch Heinrich I. Die St. Galler Quellen sprechen jedoch eindeutig von Abt Anno als Initiator. Schoch (Zeiten der Wanderungen, S. 254) nennt allgemein die Zeit zwischen 953 und 975 für die Errichtung der Mauer. 1539 Vgl. Duft/Wissura-Sipos, Ungarn, S. 40 f. Auch Vadian hatte im 16. Jahrhundert – bezogen auf die Mauer des 10. Jahrhunderts – bereits vom Anfang der Stadt St. Gallen gesprochen (vgl. Duft, Abtei St. Gallen III, S. 37).

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286 nem Tode mehr als kniehoch über dem Erdboden. […] Die Mauern [muri] nämlich, die sein Oheim Anno über dem Palisadenwerk [valli] begonnen hatte, brachte er [Abt Notker] mit den dazwischengesetzten Turm- und Torbauten [turres et portae] zum Abschluss.1540

Der Grund für die lange Bauzeit beziehungsweise die Bauunterbrechung könnte die im Jahr 955 gewonnene Schlacht auf dem Lechfeld darstellen, nach der die Ungarngefahr erst einmal gebannt schien.1541 Die spürbare Tendenz zur Entstehung von befestigten Siedlungen und Städten könnte einerseits mit der eingangs besprochenen Zentralortfrage zusammenhängen, denn durch die Ungarneinfälle und andere Bedrohungen im 10. Jahrhundert bedingt, ergab sich ein stärkeres Bedürfnis nach Schutz, womit die zentralörtliche Funktion des Schutzes stärker hervortrat als beispielsweise die ökonomische oder herrschaftliche Komponente.1542 Andererseits könnte die Tendenz zur Siedlungsbefestigung mit den ersten ernsthaften Versuchen der Verselbstständigung lokalaristokratischer Eliten zusammenhängen. Zur Eruierung der lokalen schwäbischen Veränderungen und zur mehr vergleichenden Frage nach einem ‹schwäbischen incastellamento› wurden oben die betreffenden lateinischen Termini genauer unter die Lupe genommen und einige Überlegungen zur Burgenlandschaft Schwaben im 11. Jahrhundert angestellt. Doch welche Beobachtungen lassen sich nun vergleichend für den Bodenseeraum nutzbar machen? An dieser Stelle bietet sich eine Untersuchung der städtischen Siedlung rund um das Kloster St.  Gallen an, dessen überlieferte Schriftzeugnisse immerhin den zentralen Teil dieser Arbeit ausmachen. Bereits der erste Abt Otmar hatte im 8. Jahrhundert eine Pilgerherberge und ein Leprosium errichten lassen und neben den Bediensteten und Handwerkern des Klosters liessen sich auch zunehmend Händler nahe der aufblühenden Abtei nieder. Als Zeitpunkt der eigentlichen Stadtwerdung wird weithin die Errichtung einer Mauer im 10. Jahrhundert um Kloster und -siedlung angesehen, während von einer völlig eigenständig agierenden Stadt erst nach ihrer erkauften politischen Unabhängigkeit vom Kloster um 1457 und ihrer konfessionellen Loslösung 1524/1529 die Rede sein kann.1543 Duft folgt damit von Arx, der 1540 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 149, 265). Anno vero, homo dignissimus, […] opera vallos urbis, sicut per secula videre est, miro conatu effoderat; muros ipsos cum turribus tredecim fundans, supra terram ultra genu altos obiens reliquit. […] Muros enim ille super vallos ab Annone patruo ceptos cum interpostis turribus et portis perfecit (ebd., cap. 71, 136). Die Unterscheidung zwischen murus und vallus deutet entweder daraufhin, dass vor der steinernen Anlage ein HolzErde-Wall die Siedlung schützte, oder spricht auf die Schanzarbeiten für das Fundament der Steinmauern an.  Laut Schoch (Zeiten der Wanderungen, S.  254) wurde erst ein Wall aufgeschüttet und darüber eine Mauer mit 13 Tor- und Turmbauten errichtet. Naheliegender scheint aber die Variante, die auch für Augsburg angenommen wird (vgl. Biller, Stadtbefestigungen I, S. 37), nämlich ein niedriger Wall aus dem beginnenden 10. Jahrhundert, der Mitte bis Ende des 10. Jahrhunderts nach und nach durch eine Mauer ersetzt wurde. 1541 Sennhauser, Klostermauern, S. 208; Vogler, Klostermauern, S. 108. 1542 Diese Vermutung findet unter anderem eine Bestätigung in der Nennung von Städten mit den obengenannten lateinischen Begriffen, darunter gar arx, womit die Stadtvorstellung des frühen und hohen Mittelalters wohl vor allem auf deren Schutzfunktion hin reduziert wurde (Johanek, Stadtvorstellungen, S. 28 f.). 1543 Duft, Abtei St. Gallen III, S. 36 f. Vgl. zudem Ziegler, Milizen, S. 17 f.

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ganz im Sinne der oben genannten widukindschen Burgenbauordnung argumentiert hatte und den Ursprung der Stadt St. Gallen im Mauerbau der Äbte Anno und Notker sah:

Solche Städte wurden in Deutschland seit dem von den Hunnen erlittenen Ueberfalle in Menge gebauet, und zwar zufolge eines Reichsgesetzes vom Jahre 926, welches jedem Grossen zur Pflicht machte, einige Höfe (Curtes) durch Mauren und Gräben zu festen Plätzen umzuschaffen, und selbe dergestalt mit Landleuten zu bevölkern, dass von neun Hausvätern einer in die neue Stadt ziehen, die andern achte auf dem Lande bleiben, und den neunten in der Stadt erhalten sollten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Städte Wil, Altstädten, Rheinegg, Uznach und Wangen diesem Gesetze ihr Entstehen zu verdanken haben. Da diese Orte wie Burgen befestiget waren, und von ihren Bewohnern vertheidiget werden konnten, hiess man sie Burgen, und die Inwohner derselben Bürger.1544

Eine erste urkundliche Erwähnung von St.  Galler Bürgern (cives) findet sich in der Zeugenliste einer Urkunde um 1170: […] et his civibus Egelolfo de Ira et fratre suo Rȩperto, […] et aliis quam plurimis.1545 In der anonymen Fortsetzung der Klostergeschichten (um 1100 verfasst) ist jedoch schon für das letzte Viertel des 11. Jahrhunderts die Rede von Häusern St. Galler Bürger (civium sancti Galli domibus).1546 Die Häuser seien von den politischen Gegnern des St. Galler Abtes während des ‹Investiturstreits› niedergebrannt worden und einzig die Klostergebäude hätten das Feuer knapp überstanden. Um das Jahr 1100 darf man sich also bereits eine grössere Siedlung mit hölzernen Häusern um das Kloster herum vorstellen,1547 wohl grosszügig von einer Mauer umgeben. Vor der Entstehung einer mehr oder weniger eigenständigen Bürgerschaft hätte allerdings noch die Frage nach einer zumindest ökonomischen Eigenständigkeit geklärt sein müssen. Vor dem 12./13. Jahrhundert scheint eine stadtähnliche Siedlung zwar möglich, doch war jene noch stark mit dem Kloster verwoben. Die Nennung von cives könnte zwar ein Hinweis auf eine Art ‹frühes Bürgertum› sein, aber wie wir oben gesehen haben, stand civis nicht nur für ‹Bürger› im rechtlichen Sinn, sondern in erster Linie für die Bewohner gehobenerer Siedlungen wie den römisch-deutschen Bischofsstädten. Schoch sieht in der Ummauerung von Kloster und angrenzender Siedlung (villa) zwar den ersten Schritt der Stadtentwicklung, hält aber fest, dass von einer Stadt St. Gallen erst ab dem 12. Jahrhundert gesprochen werden könne.1548 In seiner Untersuchung zur Stadtbevölkerung St. Gallens um 1411 räumt er deshalb ein, dass vie 1544 Von Arx, Gesch. Kanton SG I, S. 222 f. Seinen Vermutungen bezüglich Altstätten, Rheineck, Uznach und Wangen sollte keine weitere Bedeutung zugemessen werden, wenn auch sein grundsätzlicher Ansatz zur Entstehung der hoch- und spätmittelalterlichen Städtchen im ersten Moment äusserst vielversprechend wirkt. 1545 Chart. Sang. III, n. 928. 1546 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 30. Konstanz soll wenige Jahre später dasselbe – ähnlich geschildert – widerfahren sein (ebd., cap. 33). 1547 Der Umstand, dass die steinernen Kirchengebäude, die durch keine weitere Mauer von der umliegenden Siedlung abgetrennt waren, den Brand nur knapp überstanden haben, deutet darauf hin, dass insbesondere die Häuser der ‹Bürgersiedlung› St. Gallen noch einfache Bauten aus Holz, Flechtwerk, Lehm und Schindeln waren. 1548 Schoch, Zeiten der Wanderungen, S. 227.

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les zur einzelnen räumlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in St.  Gallen bis zum 12. und 13. Jahrhundert nur vermutet werden könne. Wahrscheinlich sei jedoch ein Zusammenwachsen kleinerer ‹Haufendörfchen› (vici), wovon es beispielsweise westlich des Klosters sowie im Bereich der Spisergasse welche gegeben haben dürfte, während Häuserzeilen bei der heutigen Neugasse sowie die nördliche Zeile im Brühl wohl später und planmässig angelegt worden seien.1549 Doch wie können wir uns die Klostersiedlung von St. Gallen vor dem Jahr Tausend vorstellen? Es kann vermutlich von einer ähnlichen Situation wie bei Konstanz ausgegangen werden, wo im Zuge der anziehenden Wirkung des Bischofssitzes eine Marktsiedlung entstanden ist. Neben einem einflussreichen Kloster wie St. Gallen müssten sich rein theoretisch ebenfalls einige Händler niedergelassen haben. Nachzuweisen ist ein Marktplatz zwar erst um 1228, doch dürften bereits deutlich früher Märkte abgehalten worden sein. Der von Ekkehart verwendete Begriff urbs für die Klostersiedlung, welche im 10. Jahrhundert ebenfalls ummauert worden sei, deutet gemäss Vogler darauf hin, dass die Handwerker- und Händlersiedlung nicht nur vom Kloster, sondern auch vom Siedlungsbereich der Klosterbediensteten (als «Vorburg») physisch abgetrennt (mit Zaun oder Ähnlichem) gewesen sei.1550 Damit hätte bereits im 10.  Jahrhundert eine gänzlich abgetrennte Marktsiedlung existiert, was in diesem Ausmass wohl verneint werden kann. Interessant ist, dass im selben Zeitraum, in dem laut Ekkehart IV. eine erste Mauer um Kloster und -siedlung St. Gallen entstand, für den äbtischen Zentralort Rorschach eine Markt- und Münzrechtsverleihung überliefert ist, während die Überlieferung zu einem möglicherweise ähnlichen Status in St. Gallen selbst schweigt.1551 Da der Abt ohnehin vieles über seinen Zentralort am Bodensee abwickelte, könnte eine derartige Verleihung für St. Gallen entweder nicht notwendig gewesen sein oder aber die Siedlung rund um das Kloster verfügte bereits über ein ähnliches Recht. Ein weiterer Schritt in die Richtung einer städtischen oder ‹bürgerlichen› Siedlung wäre der Nachweis eines entsprechenden Vertreters. Doch während für Konstanz im Frühmittelalter die Erwähnung eines rector überliefert ist,1552 schweigen die Quellen zu St. Gallen diesbezüglich. In Siedlungen, welche nicht unter dem Einfluss oder in Abhängigkeit einer derart mächtigen Institution wie dem Kloster St. Gallen standen, konnte sich eine Stadtgemeinschaft womöglich schneller herausbilden  – sofern sie ohne zentralörtliche Funktion einer solchen Institution überhaupt vor dem 12. Jahrhundert zu Macht und Einfluss kommen konnte. «Die Entstehung einer Stadt besteht ganz allgemein darin, dass ein bestimmter Bezirk aus dem umliegenden Land rechtlich herausgelöst wird. Der sichtbare Ausdruck dieser Herauslösung aber ist die Ummauerung.»1553 Mit dem Bau der ersten Mauer um Kloster und Siedlung St. Gallen war für ein städtisches St. Gallen damit zwar rein äusserlich der erste 1549 Ders., Stadt St. Gallen, S. 153. 1550 Vogler, Klostermauern, S. 110. 1551 König Otto I. verleiht Abt Craloh von St. Gallen im Jahr 947 das Markt- und Münzrecht in Rorschach (Chart. Sang. II, n. 846). Vgl. Vogler, Klostermauern, S. 108 f. 1552 Kramml, Konstanz, S. 289; Maurer, Konstanz, S. 62. 1553 Duft/Wissura-Sipos, Ungarn, S. 39.

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Schritt getan, doch dauerte es noch einige Zeit, bis sich eine eigenständige städtische Gemeinschaft mit der notwendigen Unabhängigkeit vom Kloster etablieren konnte. Zu einer ‹offiziellen› Stadt wurde St. Gallen erst mit kaiserlicher Hilfe Ende des 13. Jahrhunderts, als sich das Kloster in einer existenziellen Krise befand.1554 Als frühstes ummauertes Gelände könnte bereits das ganze Areal der oberen Altstadt verstanden werden,1555 das mit 13 Türmen umgeben und einer Toranlage zugänglich gemacht wurde,1556 was laut Biller ganz im Sinne römischer Mauern geschehen sei.1557 Dafür soll laut Ehrenzeller gar der altehrwürdige Irabach umgeleitet beziehungsweise in die Verteidigungsanlage mit einbezogen worden sein.1558 Ein schwäbisches ‹incastellamento›? Doch macht der Bau einer Mauer beziehungsweise die Einschliessung eines gewissen Gebietes die darinliegende Siedlung automatisch zu einer Stadt und ihre Bewohner zu Bürgern? Wohl eher nicht, aber aus rein archäologischer Sicht vermitteln eine Ummauerung sowie klare Gliederungen innerhalb von Siedlungen in Wirtschafts-, Wohn- und Kultbezirk den Eindruck einer Stadt.1559 In diesem Sinne gab es städtische Ansiedlungen nämlich nicht erst seit dem 11./12.  Jahrhundert und den historisch fassbaren Marktrechten etc., sondern rein archäologisch betrachtet bereits seit dem 7./8. Jahrhundert, und kleinere Dörfer dürften ebenfalls nicht erst mit der karolingischen Grundherrschaft entstanden sein, sondern existierten laut Steuer praktisch ungebrochen seit dem 2./3. Jahrhundert.1560 Bei den primär als Festungen ausgelegten Anlagen mit der Tendenz, den Ursprung frühmittelalterlicher Befestigungen in die Bronzezeit zu verbannen,1561 spricht Keller davon, dass wohl «zahlreiche Befestigungsanlagen, die bisher als spätrömisch angesehen wurden, dem frühen Mittelalter» zugeordnet werden müssten und mit der lokalen Herrschaftsbildung in Verbindung stehen.1562 Er unterscheidet an dieser Stelle also klar zwischen städtischen und herrschaftlichen Anlagen. Um einem ‹schwäbischen incastellamento› nachzuspüren, müsste also nicht nur der Frage nach äusserlich sichtbaren stadtähn 1554 Sonderegger, ‹Sankt Gallen (Gemeinde). Spätmittelalter bis frühe Neuzeit›, HLS, www.hls-dhsdss.ch/textes/d/D1321.php [3. 8. 2018]). 1555 Sennhauser (Klostermauern, S. 208) vermutet das ganze Klostergebiet bis hin zur Multer- beziehungsweise Spisergasse. Für die aktuellsten Grabungsergebnisse aus der Stadt St. Gallen bezüglich Klosterbezirk und Besiedlung vgl. Schindler, Jahresbericht 2015, S. 163 f., die früheren Jahresberichte sowie insbesondere Rigert/Schindler, Stiftsbezirk, S. 36–40. 1556 Vogler, Klostermauern, S. 108. 1557 Biller, Stadtbefestigungen II, S. 24. 1558 Ehrenzeller, Irabach, S. 3–5. Zur Befestigung der Stadt St. Gallen vgl. zudem Sennhauser, St. Gallen, S. 213–216. 1559 Steuer, Stadtbegriff, S. 48. 1560 Ders., Strukturen im Frühmittelalter, S. 5 f. Jansens (Stadtwerdung, S. 141–144) Ausführungen stützen diese Behauptung durch eine Aussage bezüglich nicht mehr erhaltener archäologischer Befunde für städtische Ansiedelungen, da Häuser in Städten vor dem 12./13. Jahrhundert grösstenteils in der Schwellbalkentechnik entstanden seien und daher nur sehr oberflächliche Verfärbungen zu finden wären, die längst durch minimale neuzeitliche Bodeneingriffe zerstört wären, weshalb wir die grossen Städtegründungen etc. alle in die spätere Zeit interpretieren. Vgl. Morsel, Aristocratie médiévale, S. 89. 1561 Von hauptsächlich antiken Bauten spricht auch Morsel (ebd., S. 90). 1562 Keller, Spätantike und Frühmittelalter, S. 23.

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lichen Strukturen wie Mauern, sondern auch den Hinweisen zu inneren stadtähnlichen Strukturen wie einem ‹Bürgertum› und eigenständiger Handlungsfähigkeit nachgegangen werden.1563 Stadtähnliche Strukturen deshalb, weil eine derartige Verdichtung freilich auch Dörfer betreffen konnte. Solche Strukturen sind nördlich der Alpen am ehesten in denjenigen Städten und stadtähnlichen Siedlungen zu beobachten, die bereits auf eine lange zentralörtliche Vergangenheit zurückblicken können, also vornehmlich die Bischofsstädte. Laut Hirschmann und Biller könnten die Gefahren des 10. Jahrhunderts selbst ausserhalb der grossen Bischofsstädte dazu geführt haben, dass im 10./11. Jahrhundert auch kleinere Siedlungen ummauert wurden.1564 An dieser Stelle ist sich die Forschungsgemeinschaft allerdings stark uneinig: Contamine sieht im Burgenund Befestigungsbau des 10./11.  Jahrhundert und den späteren Entwicklungen nördlich der Alpen klare Parallelen zu den Veränderungen, die sich für Norditalien unter dem Forschungsbegriff des ‹incastellamento› fassen lassen.1565 Und laut Aurell lasse sich die von Toubert beschriebene Entwicklung (‹Einmauerung hoher Besiedlungskonzentrationen›) im 10./11. Jahrhundert auch in anderen Regionen finden.1566 Ähnlich  – wenn auch ohne auf Toubert zu verweisen  – postuliert Morsel eine «‹castellisation› massive et évolutive de l’Occident entre le Xe et le XIIe».1567 Dagegen argumentiert Fichtenau, dass die Zunahme an Siedlungsbefestigungen im 10. Jahrhundert und insbesondere Widukinds ‹Burgenbauordnung› keinesfalls mit dem von Toubert postulierten ‹incastellamento› in Mittelitalien verglichen werden dürften, weil sämtliche fortifikatorischen Massnahmen (zumindest bei Widukind) vom König ausgegangen seien, während Toubert für Italien mehr von seigneuralen Selbstinitiativen ausging.1568 Aber was nun, wenn in Schwaben ebenfalls mehr selbstinitiierte Burgen- und Befestigungsbauvorhaben entstanden, als königliche? Wie wir oben bereits festgestellt haben, liegen Munitionsregale ja nur äusserst wenige vor, gingen also verloren oder aber wurden gar nie eingefordert. So hat sich doch auch in den anderen Untersuchungen dieser Arbeit herausgestellt, dass der König im Bodenseeraum praktisch keine Rolle gespielt hat. Warum sollte ausgerechnet im Zuge von Schutzmassnahmen für das eigene Dorf jedes Mal der ferne und unbekannte König um Erlaubnis gefragt werden? Dennoch ist Vorsicht geboten beim Versuch, Parallelen zwischen der mittelitalienischen Stadt- sowie Höhendörferlandschaft und den kleineren stadtähnlichen Ansiedlungen nördlich der Alpen zu ziehen, da beispielsweise im Bodenseeraum die eigentlichen Urheber meist noch unbekannt sind und ausreichend 1563 Kohl (Gemeinschaftsbildung, S. 251) spricht hierbei hautpsächlich von einer «stärkeren herrschaftlichen Erfassung und Verdichtung». 1564 Bischofsstädte hatten per Definition civitates zu sein und deren geschützter Rahmen dürfte häufiger, als man lange glaubte, auf römische Baustrukturen zurückzuführen sein, weshalb die Ressourcen womöglich auch auf andere städtische Siedlungen verteilt wurden (vgl. Hirschmann, Stadt im Mittelalter, S. 1 f.; Biller, Stadtbefestigungen I, S. 32 f.). 1565 Contamine, Guerre au Moyen Age, S. 121–123. 1566 Aurell, Noblesse en occident, S. 58–60. 1567 Morsel, Aristocratie médiévale, S. 108. 1568 Vgl. Fichtenau, Lebensordnungen, S. 469; Toubert, Latium médiéval, S. 367.

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Nachweise für Befestigungen ausserhalb der Bischofsstädte häufig fehlen.1569 Ein solches vergleichendes Gedankenexperiment hat durchaus seine Reize, doch finden sich in der Theorie Touberts kaum Parallelen mit dem Bodenseeraum, wenn auch zumindest ein wörtlich genommenes ‹incastellamento/encellulement/enchâtellement› beziehungsweise ‹einmauern/einburge(r)n› auch hier zu beobachten ist1570 und Kohl für das benachbarte Bayern des 10.  Jahrhunderts von einem ‹encellulement› ausgeht.1571 Lassen sich überhaupt gesellschaftlich relevante Folgen, Kontinuitäten und Neuheiten aufgrund oder trotz einer erhöhten Munifizierung im schwäbisch-alemannischen Raum beobachten? Womöglich gelingt dies parallel zur beobachteten Militarisierung zwischen der ersten (Spätantike und Frühmittelalter) und der zweiten (Früh- und Hochmittelalter) Transformation. Denn wie eingangs formuliert, könnte neben der Zunahme an Waffenträgern auch eine Zunahme an Befestigungen in Schwaben als Indiz für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert gesehen werden.1572 An dieser Stelle müsste nun weiter untersucht werden, ob sich – abgesehen vom vermuteten erhöhten Militarisierungsgrad – bereits während der ersten Transformationsphase in der ‹Völkerwanderungszeit› ein erhöhter Munifizierungsgrad beobachten lässt. Bezüglich grösserer Refugien kann dies aufgrund zahlreicher Kontinuitäten an natürlich geschützten Stellen vermutet werden und auch die Zunahme von Befestigungen der Kriegerelite (‹Privatburgen›) trifft den völkerwanderungszeitlichen Trend anscheinend ganz gut. So berichtet Steuer beispielweise vom ‹Runden Berg› bei Urach als Residenz eines alamannischen Königs samt Kriegergefolgschaft und Spezialhandwerkern. Solche Kriegsherren (principes) waren häufig als römische Funktionsträger tätig und können daher als «alamannische Könige» (reges/regales) und römische Offiziere (tribuni) zugleich betrachtet werden.1573 Dies betrifft nun aber keinesfalls die für diese Untersuchung relevante Zeitspanne, denn Grafen konnten zwar durchaus als Verwalter und Herren befestigter Plätze fungieren,1574 doch waren frühmittelalterliche (karolingerzeitliche) Aristokraten wohl noch derart mobil, dass sie kaum über Burgen als feste Residenzen verfügt 1569 Vgl. ders. (‹Incastellamento›, LexMa 5, Sp. 397–399) und Fichtenau (Lebensordnungen, S. 469), der davon ausgeht, dass der Befestigungsbau im Reich durch den König veranlasst wurde, während in Italien selbstinitiierte Schutzvorkehrungen getroffen worden seien. Da es sich zumindest in Italien um Bauten grösserer Magnaten handelte und wir über vergleichbare Bauten im Reich nur unzureichend informiert sind, lässt sich eine solche Behauptung allerdings kaum halten. 1570 Vgl. Morsel, Aristocratie médiévale, S. 95. 1571 Kohl, Gemeinschaftsbildung, S. 255. Dennoch stellt das 10. Jahrhundert für ihn (ebd., S. 257) keine spezielle Phase des Übergangs dar und auch «eine völlige Umstrukturierung gesellschaftlicher Beziehungen im Sinne einer ‹mutation› oder gar ‹revolution féodale›, wie sie für Frankreich angenommen wird», sei im süddeutschen Raum nicht zu erkennen. 1572 Vgl. hierzu ebd., S. 88 f. 1573 Steuer, Herrschaft, S.  149, sowie zu weiteren derartigen repräsentativen Höhenburgen (Zähringer Burgberg, Geisskopf) ebd., S. 152–156; Wolfram, Frühes Königtum, S. 60; vgl. zudem die Ausführungen zu den tribuni und praefecti hinsichtlich Mutationen der Macht. 1574 Störmer, Früher Adel, S. 394.

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haben dürften.1575 Doch wenn wir Steuers Beobachtung völkerwanderungszeitlicher Fürsten mit ihren gefolgschaftlich gesicherten Fürstensitzen einem Vergleich mit den hochmittelalterlichen Fürsten des Bodenseeraumes unterziehen, geraten wir an die gräflichen und herzoglichen Aristokratenfamilien wie die Zähringer, Kyburger, Nellenburger, Pfullendorfer und Toggenburger mit ihren Stammsitzen, deren Herrschaften zwar anders aufgebaut waren, deren Ursprünge aber ebenfalls nicht selten militärischer Macht und geschickten Bündnissen enstprangen. Ein Vergleich von lokalen Aristokraten im 4. und 5. Jahrhundert als principes ihrer Stammesgenossen, die sich ihre Macht unter anderem in römischen Diensten als Offiziere sicherten und dadurch von beiden Seiten profitierten, und den lokalen Aristokraten des 10. und 11. Jahrhunderts, die sich ihre Stellung unter anderem durch Erlangung und Weitergabe königlicher Ämter sicherten, hält zwar keiner ausführlicheren Untersuchung stand, doch sind die kleineren Parallelen äusserst interessant, wenn es darum geht, nach transformationsbegleitenden Erscheinungen zu suchen. Dementsprechend lassen sich durchaus Parallelen von einer ersten Transformation mit Beginn im 4./5. Jahrhundert und der Formung der Alemannia und einer zweiten Transformation beginnend im 10./11. mit der Entstehung eines schwäbischen Dukats ostfränkischer Prägung ziehen. Nach dem Blick auf äusserlich sichtbare Funktionen, Stellungen und Rechte von Waffenträgern soll deshalb im zweiten Teil dieser Arbeit eine genauere Untersuchung der Herrschaftsstrukturen folgen.

1575 Morsel, Aristocratie médiévale, S. 98.

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Mutationen der Macht

Der umsichtige Karl überliess keinem seiner Grafen, ausgenommen denen in der Mark und an der Barbarengrenze, irgendwann mehr als eine Grafschaft; keinem Bischof gab er jemals ausser aus ganz bestimmtem Grunde eine Abtei oder Kirchen aus der Zuständigkeit des Königs. Auf die Frage seiner Räte und Vertrauten, warum er das mache, erwiderte er: Mit diesem Königsgut, diesem Maierhof, mit dieser Abtei und Kirche mach ich einen ebenso guten und noch besseren Diener als dieser Graf oder Bischof ist, zu meinem Getreuen.1

Karl der Grosse soll demnach sehr darum bemüht gewesen sein, seine Beamten und untertänigen Fürsten ‹an der kurzen Leine› zu halten. Mit seinen Reformen und Vereinheitlichungen, der sogenannten karolingischen Grafschaftsverfassung, seinen militärischen Erfolgen und letztlich auch dank seiner Aura konnte ein Grossreich zusammengehalten werden, das seinesgleichen sucht. Dass der König nicht überall gleichermassen präsent war und von einem gewöhnlichen ‹Bauern› an der Peripherie des Reiches wohl nicht als oberster Herr wahrgenommen oder erkannt worden wäre, ist naheliegend und beantwortet zudem eine falsch angedachte Frage. Es geht hier nicht um das Ostfrankenreich im Frühmittelalter. Dies wäre eine Geschichte, die aufgrund der grossen lokalen Unterschiede so nicht funktioneren würde, und selbst der hier zentrale Untersuchungsraum rund um den Bodensee scheint für viele Fragestellungen zu gross und zu verschieden. Dennoch soll dieser Raum und seine lokalen Mechanismen genauer betrachtet werden, und dies möglichst unabhängig vom restlichen Reich. Unsere von schriftlichen Zeitzeugen der lokalen Kleriker geprägte Vorstellung vermittelt selbst für eine ‹Randzone›2 wie Alemannien ein Bild der Königszentriertheit. Immerhin taucht der König oder Kaiser in praktisch jeder Urkunde auf. Das ist zwar nichts Neues, in den folgenden Kapiteln soll der Blick aber vermehrt auf ebensolche standardisierten Formulare der alemannischen Urkunden mit ihren legitimisierenden Grafen- und Königsdatierungen gerichtet werden. Die Formulare insbesondere der St. Galler Urkunden werden deshalb vor allem zu Beginn dieses Teiles eine tragende Rolle spielen. Daneben stehen aber auch Beispiele aus der oben begründeten Auswahl an erzählenden Quellen. Als ein zentrales Anliegen gilt das Desiderat einer Grafenliste Alemanniens für die nachkarolingische Zeit. Damit stünde ein hilfreiches Raster für die schwäbisch-alemannische Ereignisgeschichte zur Verfügung. Daneben dürfte die gründ 1 Übersetzung von Rau (Notker, Gesta Karoli I, S.  339). Providentissimus Karolus nulli comitum, nisi his qui in confino vel termino barbarorum constituti erant, plus quam unum comitatum aliquando concessit; nulli episcoporum abbatiam vel aecclesias ad ius regium pertinentes nisi ex certissimis causis unquam permisit. Cumque a consiliariis sive familliaribus suis interrogaretur, cur ita faceret, respondit: Cum illo fisco vel curte, illa abbatiola vel aecclesia, tam bonum vel meliorem vassallum, quam ille omnes est aut episcopus, fidelem mihi facio (ebd., cap. 13). 2 Im Gegensatz zu den nordwestlichen Regionen dürfte Alemannien aus fränkischer Sicht zumindest noch um 800 als Randzone gesehen worden sein.

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liche Erforschung aller infrage kommenden gräflichen Herrschaftsträger zudem die Kompetenzen und Besonderheiten von lokaler Herrschaft aufzeigen. Auf diese Weise soll abgesehen von den bereits behandelten servi und anderen ‹niederen Chargen› auch den politisch höheren Akteuren Aufmerksamkeit zukommen. Denn wie schon mehrfach betont wurde, gibt es keine wirklich über alle Zweifel erhabenen Faktoren zur Unterscheidung zwischen ‹Freiheit› und ‹Unfreiheit› und auch der Begriff der ‹Macht› ist je nach Betrachtungsweise derart subjektiv, dass es korrekter erscheint, von unterschiedlich stark ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnissen zu sprechen. Letztlich wissen wir nicht viel über die frühen alemannischen Grafen, die zahlreichen Funktionäre in bischöflichen und königlichen Diensten oder die Kleinstverwalter an klösterlichen Zentralorten. Wir bekommen durch die zeitgenössischen Quellen blosse Momentaufnahmen einzelner Akteure zu Gesicht. Eine vielversprechende Möglichkeit, mehr über die damaligen sozialen Verhältnisse zu erfahren, verspricht der Vergleich von verwendeten Termini und die längere Beobachtung der Semantik derselben Termini. Dieser Untersuchung vorauszuschicken ist die Beobachtung, dass selbst scheinbar offensichtliche Begriffe zur Bezeichnung der Grossen des Reiches (primores, optimates, principes) nicht überall gleichermassen verwendet wurden3 und dass deshalb in Grosserzählungen über mehrere Regionen des Ostfrankenreichs hinweg zum Teil ‹Äpfel mit Birnen› verglichen wurden. Durch die Auswahl eines Kleinraumes mit einer Überlieferung, die sich vor allem aus einer einzelnen Institution erhalten hat, soll die Wahrscheinlichkeit solch tückischer Gleichschaltungen minimiert werden. Zu den Mutationen der machtpolitischen Strukturen werden im Folgenden Grafschaft und Graf als zentrales Untersuchungsfeld behandelt sowie Aufgaben- und Einsatzbereiche weltlicher und geistlicher Funktionäre einem Vergleich unterzogen. Dies geschieht hauptsächlich über die nähere Betrachtung spezifischer Fälle beziehungsweise einzelner Akteure und ihrer Familien und Sippen, woraus am besten auf das betreffende Milieu geschlossen werden kann. Die Beschäftigung mit dem Dukat am Ende dieser Arbeit mag aus dieser Sicht womöglich etwas erzwungen wirken und zugleich als ‹notwendiges Übel› erscheinen, doch ist die Entstehung des neuen schwäbischen Herzogtums zu Beginn des 10. Jahrhunderts derart eng mit vielen anderen Transformationsprozessen in Alemannien verknüpft, dass sich ein Blick darauf lohnt. Ebenso wirkt das ‹Ende› dieses klassischen Herzogtums um 1100 mehr als nur symptomatisch, wobei auch im Falle des Herzogtums besser von politischer Mutation als vom Anfang und Ende desselben gesprochen wird. Im Gesamtbild der Arbeit soll der schwäbische Dukat dennoch keine zentrale Rolle spielen und wird deshalb unter Verweis auf die zahlreich vorhandene Sekundärliteratur nur peripher behandelt. Zentraler sind die Ereignisse und Mutationen rund um den Dukat herum. Denn wie schon für den ersten Teil dieser Arbeit festgestellt werden konnte, lassen sich durchaus lokale Parallelen zwischen dem 4./5. und dem 10./11. Jahrhundert feststellen. Dabei könnte man gar von zwei Transformationsphasen ausgehen, die sich unter anderem durch steigende Militarisierungs- und Befestigungstendenzen beschreiben liessen.

3 Vgl. Brunner, Fürstentitel, S. 184, und Wolfram, Herrschertitel, S. 64.

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Nach den Funktionen, Stellungen und Rechten von Waffenträgern, welche insbesondere von aussen als solche erkennbar waren, soll nun stärker auf die lokalen Herrschaftsstrukturen eingegangen werden, die entgegen populärwissenschaftlicher und schulbuchartiger Vermittlung eben nicht durch äusserlich sichtbare Baustrukturen wie ‹Ritterburgen› oder ähnliches zu erkennen sind. Besonders in der frühen Zeit herrschaftlicher Durchdringung der Landschaft spielten Klöster und ihre lokalen Beauftragten sowie Funktionäre4 eine zentrale Rolle. Gewisse Aufgaben konnten von den Mönchen selbst nicht wahrgenommen werden, weshalb Klosterhörige, vom Kloster abhängige ‹Bauern› oder vertrauenswürdige Vertreter der lokalen Elite herangezogen werden mussten. Obwohl diese nicht selten ihre Stellung ausnutzten, waren sie für die Klöster derart unverzichtbar, dass sich bis in die Frühe Neuzeit hinein ganze Ämterhierarchien ausbildeten und die Amtsträger selbst generationenübergreifend davon profitieren konnten.5 Dies erklärt auch, warum im Folgenden einige Untersuchungen zum Teil stärker prosopografisch ausgerichtet sind, während andere mehr auf die Amts- und Funktionsbezeichnungen selbst fokussiert werden. Daneben sollen auch wichtige Zentralorte und herausragende Persönlichkeiten zur Untersuchung lokaler Verhältnisse dienen. Dadurch soll ein möglichst breites Bild vom frühmittelalterlichen Bodenseeraum sowie von den Kontinuitäten und Mutationen der Macht entstehen, dessen Fokus stets auf das 9. bis 11. und im Besonderen auf das 10. Jahrhundert gerichtet sein soll.

3.1

Grafen und königliche Dienstleute Dort erblickte er auch zahllose herrliche Geschenke, von den bösen Geistern pomphaft hergerichtet, um sie zu zeigen, Mäntel und silberne Gefässe, Pferde und feines schimmerndes Linnenzeug. Auf seine Frage, wem das gehöre und was ihre Schaustellung zu bedeuten habe, sagte der Engel: ‹Die sind für Grafen, die verschiedene Provinzen verwaltet haben, bestimmt, damit sie, wenn sie hierherkommen, sie finden und wissen, was sie durch Bestechung, Raub und Habsucht zusammengerafft haben.› […] Was für schreckliche Ansichten er aber über den Wandel der Grafen äusserte, wer könnte das zu Genüge schildern? Sagte er doch, dass einige von ihnen nicht Rächer des Verbrechens, sondern viel eher teuflische Verfolger der Menschen seien, indem sie die Unschuldigen verurteilen und den Schuldigen Recht geben und mit Dieben und Verbrechern gemeinsame Sache machen?6

4 Unter Funktionären sind hier schlicht Personen gemeint, die besondere Funktionen im Auftrag des Klosters ausübten. 5 Vgl. Krieg, Adel und Klöster, S. 211. 6 Übersetzung von Thommen (Visio Wettini, S. 273 f.). Illic etiam dona praemagnifica et innumerabilia pompatice a malignis spiritibus ad proferendum ornata viderat, in palliis et vasis argenteis, equis et linteaminum subtilitate candentibus. Interrogante eo, cuius essent et quid in praefiguratione sua praetenderent? ‹Comitum›, inquit angelus, ‹diversarium provintiarum iura regentium sunt haec, ut huc venientes ea inveniant et sciant, quia muneribus, rapinis et avaricia congesta sunt›. […] Quam terribilem vero sententiam de conversatione comitum intulerit, quis enarrare sufficiat? Cum quosdam eorum non vindices criminum esse dixerit, sed vice diaboli persecutores hominum, iustos damnando et reos iusti-

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Einen ersten, wenn auch ziemlich parteiischen Eindruck zum Aufgabenbereich der alemannischen Grafen vermittelt der Reichenauer Mönch Heito in seiner Schilderung der Vision des Wetti. Besonders viel scheint er für comites nicht übrig gehabt zu haben, doch können er und die Autoren von sechs weiteren erzählenden Werken wichtige weiterführende Informationen zum Grafentum und zur Grafschaft zwischen 800 und 1100 liefern. Sie schliessen dort an, wo die knapp verfassten Urkunden aufhören. Es stehen dabei vor allem Begriffe wie comites und comitatus im Zentrum der Untersuchung. Da die rechtliche und geografische Abgrenzung jener Amts- und Aufgabenbereiche nicht ohne Weiteres definierbar sind und es immer wieder zu Überschneidungen mit den Zuständigkeiten anderer Funktionäre und Dienstleute kommt, werden zugleich einige ‹gräfliche› Spezialfälle und Besonderheiten behandelt. Die Auswahl an historiografischen Quellen soll helfen, die grosse Überlieferungslücke an Urkunden im 11. Jahrhundert auszugleichen. Dennoch stellen die Urkunden – wenn immer möglich – die Hauptquellen der Untersuchung dar. Laut Hechberger waren comites in merowingischer Zeit vornehmlich juristische, finanzielle und militärische Sachwalter des Königs. Daneben dienten sie als königliche Gesandte sowie als Beamte am Hof und waren bis in die nachkarolingische Zeit zu einer Mischung aus reiner Amtsbezeichnung und der Angabe von Rang und Würde geworden.7 Doch trifft dies in einer solch pauschalisierten Form auch für den Bodenseeraum zu? Den juristischen und finanziellen Faktor nennt oben auch Heito, der militärische Faktor wird unten noch zur Genüge verifiziert werden. Hechberger vermag vor allem darauf gewinnbringend hinzuweisen, dass wir nicht pauschal von ‹den Grafen› sprechen dürfen und dass sich die Träger dieser Bezeichnung sowie die Semantik des Begriffes selbst stets im Wandel befanden. Neben ‹den Grafen› spielt auch ‹die Grafschaft› eine wichtige Rolle in der inhaltlichen Erschliessung dieses Themenkomplexes. Dass eine ‹Grafschaft› – wie sie im Original denn auch immer genannt wurde (comitatus, pagus, gouw, Baar, Huntar)8 – in erster Linie eine Verwaltungseinheit zur besseren Erschliessung und Durchdringung einer Region war beziehungsweise dass sie gezielt geschaffen oder verändert und gar abgeschafft werden konnte, zeigen unter anderem das Verschwinden des Arbongaus und die künstliche Schaffung des Rheingaus.

ficando, furibus et sceleratis communicando (Heito, Visio Wettini [MGH Poetae II], cap. 12–13). Zur Einschätzung dieser Quelle vgl. unter anderem Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 67), der die Vision des Wetti «letztendlich zu den Reaktionen der massgeblichen kirchlichen Kreise in Alemannien auf die erste tiefe Krise der Regierung Ludwigs des Frommen» zählt. 7 Hechberger, ‹Graf, Grafschaft›, HRG II, Sp. 509–522. Eine solche Gruppe merowingischer Würdenträger befindet sich womöglich hinter den Grabfunden fränkischer Aristokraten aus dem 6. Jahrhundert, die unter anderem in Zürich-Aussersihl, Bülach, Elgg und der Winterthurer Altstadt gefunden wurden (Windler, Spätantike, S. 114 f.). 8 Zum ‹römischen pagus› und ‹germanischen Gau› vgl. Nonn, Vom pagus zum Gau, insbesondere S. 288–291.

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Comitatus – eine Grafschaft wird gegründet Diesen Spezialfall hat bereits Erhart in seiner Untersuchung einer Versammlung alemannischer und rätischer Grosser an der Rheinmündung am Bodensee ausführlich vorgestellt. Am 30.  August 890 versammelten sich rund hundert Personen an der Mündung des Rheins in den Bodensee, einem sowohl per Boot als auch zu Fuss gut erreichbaren Knotenpunkt, um dem Ruf von Abtbischof Salomo III. zu folgen. An der Gerichtsversammlung waren mindestens 54 bedeutende principes zugegen, und zwar aus den drei angrenzenden Grafschaftsbezirken Thurgau, Linzgau und Churrätien. Die unterschiedlichen Interessen, die an dieser Stelle aufeinanderprallten, machten eine politische Neuordnung des Raumes notwendig, weshalb unter Bestimmung von Grenzen der Rheingau als neue ‹Grafschaft› geschaffen wurde. Geografisch dürfte der Rheingau zugleich den altehrwürdigen Arbongau verdrängt haben, der zwar verwaltungstechnisch schon länger keine Rolle mehr spielte und wohl nie eine Grafschaft im karolingischen Verständnis gewesen ist, der für die Lagebeschreibung aber noch bis ins letzte Viertel des 9. Jahrhunderts relevant war (traditionem in Arboginensi pago).9 Mindestens acht der anwesenden Aristokraten aus dem Thurgau hatten am Tag zuvor bereits einem Schenkungsakt im Kloster St.  Gallen beigewohnt und waren am nächsten Morgen wohl gemeinsam mit dem Abtbischof zur Rheinmündung geritten.10 Erhart vermag einen sehr bildhaften Eindruck jener Versammlung und der Umstände rundherum zu zeichnen und die zwei Urkunden vermitteln einen aufschlussreichen Einblick in das zeitgenössische Sozialgefüge und die wohl übliche Konsensfindung durch Versammlungen der Grossen.11 May sieht in dieser anwesenden Gruppe von Aristokraten an der Rheinmündung ein eindrückliches Beispiel des ‹nordostschweizerischen Lokaladels als Donatorengemeinschaft›.12 Es hatte sich quasi die Prominenz des östlichen Bodenseeraumes an einem Fleck versammelt. Diese Grossen, oder diese Magnaten, wie sie in den folgenden Kapiteln ebenfalls noch genannt werden, diese Angehörigen der alemannischen Elite und Aristokraten sind aufgrund meist fehlender Titel selten sofort eruierbar. Wir finden sie über seltene Ehrbezeichnungen wie für Adalbert den Erlauchten (859–894 Graf) und können sie über Namensverwandtschaften in Zeugenlisten ausfindig machen. Darunter befinden sich Familien, die in der ‹grossen Geschichtsschreibung› einen Platz gefunden haben, wie Notker Balbulus, aber auch Familien, die ‹nur› über jahrzehntelange Nennungen als führende Zeugen in den Urkunden für gewisse Regionen als Teil der Elite erkennbar sind sowie solche, die das Glück hatten, zumindest einmal einen Abkömmling als Vertreter am Königshof gehabt zu haben. Comes – eine Grafensippe wird begründet Wie unten an den zwei herausragenden Persönlichkeiten Anno und Babo für die Bezeichnung fidelis noch aufgezeigt wird, erhebt sich um 857 ein solcher Aufsteiger aus einer sonst unscheinbaren alemannischen Sippe als fidelis des Königs ans ‹Licht der 9 10 11 12

Chart. Sang. II, n. 596. Erhart, Rheindelta, S. 40–42. Chart. Sang. II, nn. 717–718. May, Besitzgeschichte, S. 121.

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Geschichte›. Sein Name lautet Adalhelm und als fideli nostro Adelhelmo diacono wird er um 857 in der Pfalz Bodman durch König Ludwig den Deutschen reich mit Besitz im Thurgau beschenkt.13 Als Kaplan des St. Galler Abts Grimald, der als Erzkaplan in den Diensten Ludwigs des Deutschen stand,14 gehörte Adalhelm ebenfalls der Hofkapelle des Königs an. Die ebengenannte königliche Schenkung im Thurgau wurde ihm nur drei Monate später in Regensburg erneut durch den König unter der Ansprache als nobilis diaconus bestätigt.15 Acht Jahre später überträgt der hohe Geistliche Adalhelm – nun als indignus levita bezeichnet (eine andere Bezeichnung für Diakon)16 – dieselben Besitztümer sowie weiteres Land an das Kloster St. Gallen, um es in einer am selben Tag ausgefertigten Urkunde wieder verliehen zu bekommen.17 Als Abt und Erzkanzler Grimald um 870 seinen altersbedingten Rückzug ins Kloster antrat, könnte sein Schützling Adalhelm in der königlichen Hofkapelle verblieben sein, denn ab 872 ist er gar als Bischof von Worms nachgewiesen († 890);18 ein glänzender Aufstieg vom einfachen Mönch zum Bischof also? Woher kam Adalhelm ursprünglich? Gehörte er einer der grossen alemannischen Grafenfamilien an? Im oben genannten Herrscherdiplom von 857 ist im Zuge der Schenkung die Rede von einem im gleichen Gebiet begüterten comes Adalhelm, wobei es sich mit grosser Sicherheit um dessen Vater oder Bruder handelt, der zwischen 857 und 859 als Graf im Thur- und Zürichgau nachweisbar ist.19 Der mit dem Grafen verwandte Sprössling der Adalhelm-Sippe dürfte als junger Mann ins Kloster St. Gallen eingetreten sein, legte seine Profess vermutlich unter Abt Grimald ab und erreichte in den Folgejahren die Priester- sowie die Diakonenweihe. Dabei erwies er sich als fähiger Mann, sodass er als Zögling seines Abtes Grimald schliesslich Einlass in die königliche Hofkapelle fand. Der Aufstieg der Adalhelm-Sippe im Thurgau und Zürichgau als Teil der lokalen Elite dürfte mit der Karriere des Diakons Adalhelm in Verbindung stehen, denn nachdem ein Adalhelm um 776 einmal als nichtprominenter Zeuge im Linzgau auftritt,20 herrscht um diese Familie lange Zeit Ruhe, bis erneut um 839 ein Zeuge dieses Namens im Thurgau genannt wird.21 Dass vor und nach dem Thurgaugrafen Adalhelm Mitte des 9. Jahrhunderts keine Adalhelme als Grafen fassbar sind und die Zeugen dieses Namens eher am Ende der Zeugenlisten auftauchen, weist auf einen eher geringen Stand dieser Sippe in Alemannien hin. Erst mit dem Aufstieg des Diakons Mitte des 9. Jahrhunderts tauchen Adalhelme vermehrt in den St. Galler Urkunden als Zeugen auf, und zwar regelmässig bis zum Jahr 905 sowie ein letztes Mal noch um 964, wobei vor allem Thur- und Zürichgau als territoriale Schwerpunkte zu betrachten sind, während der Linzgau, Argengau, Allgäu und die westliche

13 14 15 16 17 18 19 20 21

Chart. Sang. II, n. 470. Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 105 f. Chart. Sang. II, n. 472. MLLM 1, S. 786. Chart. Sang. II, nn. 539–540. Müller, Pfarrei, S. 206. Chart. Sang. II, nn. 470, 474–475, 477, 482, 487, 489. Ebd. I, n. 77. Ebd., n. 391.

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Baar mehr aufgrund der geografischen Nähe zum Adalhelm-Kernbereich Thurgau mit jeweils maximal zwei Zeugen dieses Namens aufwarten.22 Dieser Fall einer lokalen Aristokratenfamilie und deren mögliche Aufstiegschancen durch geistliche und weltliche Ämter stehen geradezu beispielhaft für die Problematik der Fassbarkeit der lokalen Elite, welche sich zwar über die Namensverwandtschaften in den Zeugenlisten schwäbisch-alemannischer Urkunden zum Teil vom 8. bis 10. Jahrhundert fassen lässt, deren Identität aber aufgrund der Einnamigkeit nicht eindeutig bestimmt werden kann und daher ein grosses Fehlerpotenzial aufweist. Erst im Laufe des 11. Jahrhunderts beginnen die ‹de-/von-Attribute› mehr Klarheit in dynastische Vorgänge zu bringen  – sofern dynastische Vorstellungen überhaupt ins frühe Mittelalter passen. Teile dieser Elite sind über ihre Grafenämter auffindbar, was in den folgenden Abschnitten ein begleitendes Thema sein wird. Die unzähligen weiteren Grossen werden schliesslich im nächsten Kapitel zu den lokalen Funktionären genauer behandelt werden. Auf dynastische Vorgänge werde ich nur in Ausnahmefällen eingehen, da sie nicht zum Kernthema dieser Arbeit gehören. Für viele Grafen des 11. Jahrhunderts werden im Folgenden die Familienzugehörigkeiten durch Angabe der geografischen Beinamen bekannt gegeben, dies letztlich um an die weiterführende Forschung zum 11./12. Jahrhundert anschliessen zu können, während diese Personen und die damit verbundenen Untersuchungen für vorliegende Arbeit primär dem Brückenschlag über das häufig als unüberwindbare Grenze wirkende Jahr 1000 dienen. So werden im Folgenden Grafschaft und Graf von der karolingischen Zeit bis ins 11. Jahrhundert in Alemannien und dem Herzogtum Schwaben genauer betrachtet. Dazu kommen grafenähnliche Positionen und Bezeichnungen, gräfliche Versammlungen und Hoftage sowie eine das Jahr 1000 überschreitende Grafenliste für das Herzogtum Schwaben.

3.1.1

Grafen, Grafschaft und gräfliche Gerichtsbarkeit bis zum 11. Jahrhundert

Sowohl die ebengenannte Festlegung des Rheingaus als auch der Aufstieg der Adalhelme lässt sich dank der St.  Galler Urkundenüberlieferung in relativ gesicherter Weise nachvollziehen. In der ansonsten eher quellenarmen Zeit des frühen Mittelalters sind es häufig ebensolche Rechtsdokumente, die uns einen Blick in die politische Landschaft jener Zeit gestatten und Personen und Ereignisse wieder zum Leben erwecken. Wie schon dargelegt wurde, sieht es mit der urkundlichen Überlieferung des 10. und 11.  Jahrhunderts nicht sehr vielversprechend aus, weshalb für die verbliebenen Lücken auf weitere Quellen zurückgegriffen werden muss. Dieser Über 22 Ebd., n. 391; ebd. II, nn. 420, 463, 476–477, 495, 505–506, 581–582, 588, 649, 671, 676, 681, 717, 742, 766, 768, 792–793, 860. In den Zeugenlisten fallen weitere Namensähnlichkeiten auf, so wird der Name Adalhelm einige Male zusammen mit einem Cozhelm (ebd., nn. 581–582, 588), einmal mit einem Adalcoz (ebd., n. 860) und mehrmals mit einem Oadal (ebd., nn. 581–582 sowie vielleicht n. 679) genannt.

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lieferungsbruch spiegelt sich auch in der hiesigen Kapiteleinteilung wieder. Im ersten Teil stehen Graf und Grafschaft bis zum 10. Jahrhundert im Zentrum, wozu sich thematische Schwerpunkte wie die gräfliche Gerichtsbarkeit und besondere Ämter paaren, die ihr Vorkommen ohnehin besonders der urkundlichen Überlieferung des 8. und 9. Jahrhunderts verdanken. In dieser Weise wird der anschliessende Teil zur Grafschaft im 11. Jahrhundert thematisch hauptsächlich der chronikalen Überlieferung entsprechen. Zur Grafendatierung in St. Gallen Die Rechtsbereiche von Grafen lassen sich bis zum 9. Jahrhundert aufgrund der ähnlichen Urkundenformulare in relativ einheitlicher Weise vermuten, werden im Verlauf des 10.  Jahrhunderts aber immer weniger greifbar und tauchen im 11. Jahrhundert kaum mehr urkundlich auf. In karolingischer Zeit werden die sankt-gallischen Privaturkunden praktisch standardisiert über den König und den betreffenden Grafen datiert, unter anderem mit den sogenannten sub comiteFormeln,23 wobei Borgolte die Grafenformel der Urkunden im Stiftsarchiv St. Gallen weniger als Besonderheit, denn als Überlieferungszufall ansieht, da die jeweiligen Schreiber ja nicht immer dem St.  Galler Konvent angehört oder in dessen Auftrag gehandelt hätten.24 Demnach wäre diese Grafenformel der alemannische Normalfall und die gleich noch zu zeigenden Fälle anderer Formeln in der Datierung die Ausnahme, was ich doch stark bezweifle. Nach der Grafenformel folgt in einigen St. Galler Urkunden gar eine Erweiterung zum betreffenden centenarius,25 centurio,26 tribunus27 oder advocatus.28 Diese Praxis kommt selbst im 10. Jahrhundert nicht zum Erliegen und ist trotz des starken Rückgangs der schriftlichen Überlieferung verhältnismässig häufig anzutreffen. Auch werden die Grafendatierungen keinesfalls durch eine Datierung über den neuen schwäbischen Herzog ersetzt. Ganz im Gegenteil wird in den meisten Fällen, in denen der Herzog innerhalb der Urkundendatierung genannt wird,29 auch der zuständige Graf genannt.30 Ein besonders schönes Exempel einer solchen Datierungszeile aus dem 10. Jahrhundert enthält eine St.  Galler Urkunde aus dem Jahr 957: Notavi diem feriam VI, annum incarnationis domini DCCCCLVII, annum regis Ottonis XXI, Purghardo duce, Eburhardo comite, Adale tribuno.31

23 Zur Grafenformel bis zum Anfang des 10.  Jahrhunderts vgl. Borgolte, Grafschaften, S.  29–31, ­40–77; vgl. Fichtenau, Datierungen, S. 504. 24 Ebd., S. 70. 25 Chart. Sang. I, n. 194; ebd. II, n. 421. 26 Ebd. I, n. 327; ebd. II, nn. 492, 643, 694, 696. Bezirkstechnisch wäre eher der Verwalter einer centena, ein centenarius, wahrscheinlich, weshalb centurio und centenarius wohl in den meisten Fällen gleichzusetzen sind. 27 Chart. Sang. II, nn. 509, 856. 28 Ebd., n. 854. 29 Ebd., nn. 834–835, 845, 852, 860, 864, 867. 30 Die einzige Ausnahme mit einer reinen Herzogsdatierung findet sich in einer Urkunde von 963 (ebd., n. 859). 31 Ebd., n. 856.

Abb. 22: Datierung in einer Urkunde des 10. Jahrhunderts mit der Nennung des Königs, Herzogs, Grafen und Tribuns (StiASG, Urk. IV 493).

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302

Ein direkter Zusammenhang mit dem Wechsel von der karolingischen zur ottonischen Herrschaft oder mit der Neuerrichtung des schwäbischen Dukats zu Beginn des 10. Jahrhunderts lässt sich in den St. Galler Datierungsformularen nicht feststellen. Während die Grafenformel im 9. Jahrhundert noch 401-mal auftaucht, ist im 10. Jahrhundert ein Rückgang auf 65 Nennungen zu verzeichnen. Dies steht jedoch primär im Zusammenhang mit dem allgemeinen Rückgang der urkundlichen Überlieferung von 531 Privaturkunden im 9. Jahrhundert auf lediglich vier Urkunden im 11. Jahrhundert. Vergleicht man die Grafendatierungen mit der Gesamtzahl der privaturkundlichen Überlieferung, so verfügten im 9. Jahrhundert 75 Prozent aller Privaturkunden über eine Grafenformel. Im 10. Jahrhundert sind es gar 78  Prozent. Unter den vier St.  Galler Privaturkunden des 11.  Jahrhunderts befindet sich keine Grafendatierung und auch für den restlichen süddeutschen Raum berichtet Schmid von einem Verschwinden derartiger Formen. Anstelle der alten Formulierung in pago trete nun zunehmend der Comitat in den Vordergrund, allerdings zur geografischen Verortung und nicht mehr im Zusammenhang mit einem legitimierenden Grafen.32 Blicken wir zurück auf die zwei diesbezüglich repräsentativeren Jahrhunderte, so fungierten in über dreiviertel aller Fälle Grafen als legitimierendes Mittel in der Beurkundung.33 Der Herzog kommt seit der Anerkennung des Dukats durch König Heinrich I. im Jahr 91934 während des weiteren 10.  Jahrhunderts lediglich 13-mal in der Urkundendatierung vor,35 was 38  Prozent der privaturkundlichen Überlieferung dieses Zeitabschnitts entspricht. 32 Schmid, Comes und comitatus, S. 193 f. 33 Zur legitimierenden Bedeutung des comes in den merowingischen und karolingischen St. Galler Urkunden bezieht Borgolte (Grafschaften, S. 30) leider keine Stellung, wenn auch diese von Sprandel (Verfassung) vertretene These bei demselben genannt wird. Eine Grafendatierung bedeutete jedenfalls nicht, dass der entsprechende Graf auch tatsächlich während der Beurkundung anwesend war, und wenn er tatsächlich einmal vor Ort sein musste, da er beispielweise als Tradent agierte, lässt sich keinerlei Unterschied zu anderen Tradenten feststellen. Diese Beobachtung findet sich auch bei Zeller (Grafen, S. 425): «So sehr das Grafenamt im karolingerzeitlichen Alemannien, wie nicht zuletzt den St. Galler Urkunden zu entnehmen ist, eine wichtige Institution gewesen sein muss, so wenig unterschiedet sich der Graf als Aussteller einer Urkunde grundsätzlich von anderen Urkundenausstellern aus der lokalen bzw. regionalen Elite.» 34 Dieses Jahr wurde als Startpunkt gewählt, da ich die königliche Anerkennung des Dukats als Voraussetzung ansehe, damit Burchard überhaupt als (‹offizieller›) Herzog im Namen des Königs in der Urkundendatierung zur Legitimation dienen konnte. Als Jahr der Anerkennung wurde das erste Herrscherjahr Heinrichs I. gewählt, da dieser laut Widukind sofort nach seiner Krönung in den Süden des Ostfrankenreichs gezogen sei, um eine gegenseitige Anerkennung mit den Herzögen von Schwaben und Bayern zu erreichen. Eo ordine rex factus Heinricus perrexit cum omni comitatu suo ad pugnandum contra Burchardum ducem Alamanniae. Hic cum esset bellator intolerabilis, sentiebat tamen, quia valde prudens erat, congressionem regis sustinere non posse, tradidit semet ipsum ei cum universis urbibus et populo suo (Widukind, Res gest. Sax. I,27). Abgesehen von dieser legitimierenden Funktion wird als Startjahr von Burchards Dukat normalerweise 917 gesehen, was so stehen gelassen wird (vgl. Zotz, Herzogtum Schwaben, S.  16; Althoff/Keller, Neubeginn, S. 67). 35 Chart. Sang. II, nn. 834–835, 845, 852, 856, 859–860, 864, 867. Hinzu kommen vier Nennungen des Herzogs als comes 920–921 (ebd., nn. 828–829, 831–832). Zur weiteren comes-Betitelung vgl. Brunner, Fürstentitel, S. 319.

303 100 90 80

Total Privaturkunden pro 10 Jahre

70

Davon mit Grafenformel

60

Davon mit Herzogsdatierung

50 40 30 20 10 0 800 Grafen

850

900

950 78 %

75 % Herzöge

38 %

1000

1050

1100

0% 0%

Abb. 23: Grafen- und Herzogsdatierungen im Verhältnis zur Gesamtzahl an Privaturkunden.

Für das Verschwinden des Amtsgedankens hinter dem Comitat und Dukat lässt sich zwar nicht wirklich ein Zeitraum fassen, aber sowohl Grafen- als auch Herzogstitel wurden spätestens seit dem 12. Jahrhundert verstärkt zur Kennzeichnung von Würde und Rang verwendet.36 Die neuen Titular- und Gebietsherzöge sollen laut Hechberger zwar von geringerer Bedeutung als die alten karolingisch-ottonischen Herzogs- und Grafenfamilien gewesen sein, dank ihrer königlichen Einsetzung hätten sie jedoch über ebenso viele Rechte verfügt.37 Zum Grafentitel im 11. Jahrhundert können die weiter unten folgenden Untersuchungen der zeitgenössischen erzählenden Quellen weitere Möglichkeiten aufzeigen. Andere Scriptorien, andere Formulare Die Veränderungen im Datierungsformular zeigen sich des Weiteren an der unterschiedlichen Datierungsweise verschiedener Institutionen innerhalb des südöstli 36 Hechberger, Adel und Rittertum, S.  20. Ders. (‹Graf, Grafschaft›, HRG II, Sp.  509–522) sieht den Grafentitel von Beginn an zwischen Amtsbezeichnung und Angabe von Rang und Würde, wobei Letzteres zunehmend an Bedeutung gewonnen hätte und spätestens seit dem 12. Jahrhundert zum Indikator für die soziale Stellung einer Familie wurde. 37 Ebd., S. 20 f. Wurde ein Graf nicht direkt vom König oder – wie Hoffmann (Grafschaften, S. 456) an verschiedener Stelle zeigt – vom Bischof eingesetzt, so soll er spätestens Ende des 10. Jahrhunderts königlicher oder bischöflicher Vasall gewesen sein. Für Schwaben müsste dies erst noch bewiesen werden.

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304

chen Schwabens. In St. Gallen wurde – wie oben ausgeführt – lange Zeit über König und Graf datiert, während in der Datierung rätischer Urkunden zwischen 800 und 1100 kein einziges Mal ein Graf genannt wird. Die Datierung erfolgte entweder über eine reine Königsdatierung und/oder die Angabe der Inkarnation Christi. Noch einmal anders präsentiert sich das Datierungsformular im ehemaligen Kloster Rheinau im heutigen Kanton Zürich. Dort wurde in den Privaturkunden bis 912 fast ausschliesslich über König und Papst datiert, während Papstdatierungen in Schwaben ansonsten praktisch nicht vorkommen.38 Wenn man bedenkt, dass die Rheinauer Urkunden vor allem dank des ‹Rheinauer Cartulars› aus dem 11. Jahrhundert überliefert wurden, könnte die Ursache für die aussergewöhnliche Datierungsweise auch in der Anfügung des Papstes durch die Abschreiber der jeweiligen Urkunden zu suchen sein.39 Gegen eine nachträgliche Anfügung des Papstes unter dem Druck des Reformpapsttums sprechen das ansonsten einheitliche Urkundenformular, worin auch der Papst eine Rolle spielt, sowie die Beobachtung, dass der Papst in keiner einzigen Königsurkunde im Chartular vorkommt. Auch dafür liessen sich wieder Argumente finden, doch scheint es nachvollziehbarer, das einzigartige Rheinauer Privaturkundenformular dem Rheinauer Scriptorium und somit Rheinau als Institution zuzuschreiben. Umso überraschender erscheint dadurch eine Herzogsdatierung Mitte des 10.  Jahrhunderts,40 obwohl im Kloster Rheinau zuvor nur zweimal über einen Grafen datiert wurde.41 Nach dem knappen Exkurs nach Rätien und Rheinau stellt sich nun die Frage, ob die unterschiedlichen Datierungen – trotz der geografischen Nähe – Indikatoren für unterschiedliche Verhältnisse der weltlichen Grafschaftsrechte zum jeweiligen Kloster darstellen oder ob diese Unterschiede dem jeweiligen Scriptorium geschuldet sind. In beiden Fällen liesse sich nur schlecht abstreiten, dass die Grafen, und seit ihrer Existenz auch die Herzöge, eine zentrale Rolle in der lokalen alemannischen Politik spielten, und dies sowohl in karolingischer als auch in ottonischer Zeit. Man könnte vermuten, dass die Anzahl der territorial verantwortlichen Grafen zurückging, zugunsten weniger mächtiger Grafen. Inwieweit an dieser Stelle die knappe St. Galler Urkundenüberlieferung ein völlig falsches Bild vermittelt, zeigen die Ausführungen unten zu den Grafen im 11. Jahrhundert. Insbesondere für die spätere Zeit können nämlich die zahlreichen Herrscherdiplome des ostfränkischen Gesamtreiches und der umfangreichen erzählenden Quellen die gewünschten Informationen preisgeben.

38 Insbesondere in Rheinau, das lange als gräflicher Stützpunkt der königlichen Reichspolitik in Schwaben galt, überrascht diese Beobachtung. Erst im 10.  Jahrhundert sollte sich dieser Schwerpunkt nach Zürich und Zurzach verlagern (vgl. Maurer, Schwarzwald, S. 49, 66). 39 Koller (Klosterpolitik, S. 35 f.) vermutet derartige Handlungen bei verschiedenen Klöstern des Ostalpenraums. 40 UBZH I, n. 207. 41 Nämlich 876 und 892 (ebd., nn. 126 und 157).

305

Grafen Alemanniens im 10. Jahrhundert Wenn es auch etwas antiquiert wirkt, heute noch ‹Herrscherlisten› erstellen zu wollen, so hat sich die Herauslösung ebendieser Beamten, Aristokraten und Funktionäre aus dem Namensgewirr der frühmittelalterlichen Quellen als wertvolles Werkzeug zur Durchdringung zentraler gesellschaftlicher Elemente des Herzogtums Schwaben erwiesen. Dies ermöglicht überhaupt erst einen Brückenschlag vom  – aus St. Galler Sicht – ‹urkundenarmen› 10. ins ‹urkundenleere› 11. Jahrhundert. Mit dem Versuch einer geografischen Zuordnung von Amtsträgern ist es zudem möglich, eine Antwort auf die Frage einer Fortexistenz der ‹alten› karolingischen Grafschaften über das karolingische Königtum hinaus zu finden. Von den verschiedenen alemannischen Grafen des 10. Jahrhunderts lassen sich alleine im Thur- und Zürichgau zehn verorten, elf sind acht weiteren Grafschafsbezirken zuzuordnen und für acht comites lässt sich keine territoriale Zugehörigkeit ermitteln. Damit lässt sich für den Thurgau – dank der hohen St. Galler Besitzdichte und geografischen Nähe zum Kloster – eine völlig überschneidungsfreie Grafenreihe von Adalbert (894–911) bis Landolt (976–981) erstellen. Selbst für die anderen Grafschaften rund um den Bodensee lässt sich ein Fortbestehen bis zum Ende des 10. Jahrhunderts nachvollziehen, zum Teil unter Kumulierung verschiedener Bezirke.42 Da die comites bis ins 10. Jahrhundert häufig in den Datierungsformeln von St. Galler Urkunden genannt werden, kann davon ausgegangen werden, dass sie ihrem Auftrag mit einer königlichen Legitimierung nachkamen.43 Die Jahreszahlen in der folgenden Grafenliste für das schwäbische 10. Jahrhundert stellen die nachgewiesenen oder begründbaren Comitats-Jahre der Grafen in den jeweiligen Bezirken dar. In den folgenden ‹alten›/karolingischen Grafschaften dürften die betreffenden Grafen jeweils die Gerichtsbarkeit ausgeübt haben und waren wohl auch für das militärische Aufgebot in ihren Bezirken zuständig. Der Vollständigkeit halber wurde folgende Liste mit den Grafen aus Rätien und aus den anderen Bezirken ergänzt, deren Nennungen in Dokumenten ausserhalb St. Gallens zu finden sind. Diese Grafen werden jeweils eingeklammert. Das Zeichen * hinter den Jahreszahlen steht jeweils für mehrere mögliche Grafen mit dem gleichen Namen im betreffenden Zeitraum.

42 Vgl. Wagner, Transformation, Abs. 3. Bei den hier aufgeführten Grafen handelt es sich lediglich um diejenigen des 10. Jahrhunderts. Für die Grafen des 8./9. Jahrhunderts vgl. die Grafenliste 700–1100. Mit diesen liesse sich eine Grafenreihe vom 8. bis 10. Jahrhundert erstellen. 43 Vgl. Maurer, Schwarzwald, S. 40.

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306

Thurgau Adalbert, 894–† 911 Graf;44 Udalrich, 912–917 Graf (seit 902 Graf des Zürichgau);45 Adalhart, 920–926 Graf;46 Ludwig, um 928 Graf;47 Berengar, 942–954 Graf;48 Eberhard, 957–971 Graf;49 (Burchard, um 958 Graf?);50 Landolt, 976–981 Graf.51 Zürichgau Adalgoz, 893–903 Graf (für den Zürichgau nur bis 899 belegt);52 Udalrich, 902– 917 Graf (905 Graf des Argen-53 und Albgau; seit 912 Graf des Thurgau);54 Liuto, 924–

44 Chart. Sang. II, nn. 733–734, 737, 741, 743, 747, 751, 754, 756–762, 764, 766, 772–774, 777–778, 782–784, 788–793, 796–797, 799–800, 802–804, 806–813 (als advocatus), 827 (Fälschung). Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 29–32; Maurer, Schwarzwald, S. 47 f. Zu den Adalberten dieser Familie vgl. Zettler, Adalbert, insbesondere S. 206 f. 45 Vgl. die Anm. zum selben Udalrich beim Zürichgau. 46 Chart. Sang. II, nn. 830, 835; UBZH I, n. 188. Zu Beginn des 10. Jahrhunderts taucht ein Adalhart als Zeuge im Thurgau und zuvor ein anderer als Subdiakon in St. Gallen auf (Chart. Sang. II, nn. 686, 737–738, 806, 810–812). 47 Ebd., n. 837. 48 Ebd., nn. 845, 847, 849, 852–853. 49 Ebd., nn. 856, 859–861, 864. Womöglich handelt es sich bei einem prominent platzierten Zeugen im St. Galler Rheintal 957 ebenfalls um diesen Grafen (ebd., n. 854), der zudem 965 womöglich als vir illustris in einer Immunitätsbestätigung für das Kloster Einsiedeln genannt wird (Sickel, Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], n. 275). Ein Zeuge dieses Namens taucht bereits 895 in derselben Gegend auf (Chart. Sang. II, n. 742) und im selben Jahr wird ein zum St. Galler Konvent gehöriger Priester Eberhart genannt (ebd., n. 738). Einer beziehungsweise mehrere Grafen Eberhard (886–898*) tauchen Ende des 9. Jahrhunderts bereits im Aargau sowie in der Westbaar auf und einer wird 920 im Verbund mit anderen alemannischen Grafen als fidelis König Heinrichs I. bezeichnet (Sickel, Urkunden Heinrichs I. [MGH DD H I], n. 2). Vgl. ergänzend Rappmann, Totengedenken, S. 469–472. Zudem wird in einer in Strassburg ausgestellten St. Galler Urkunde von 912 König Konrads Bruder Eberhard (885–939) genannt (Chart. Sang. II, n. 816). 50 Dieser für 958 als Graf des Thurgau genannte dux Burchard dürfte mit dem gleichzeitigen Herzog von Schwaben (Burchard II., 954–† 973) gleichgesetzt werden und wird deshalb nicht in die offizielle Grafenliste mit aufgenommen. Zur weiteren Verwandtschaft vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 150 f. 51 Chart. Sang. II, nn. 867, 869. 52 Ebd., nn. 745–746, 744, 761, 763, 772. Ein Adalgoz praefectus wird 898 in einer Schenkung im Pagus Duria  – zwischen Iller und Augsburg  – genannt (Kehr, Urkunden Arnulfs [MGH DD Arn], n. 159). Sollte es sich bei diesem um einen anderen Grafen handeln, so könnte dieser auch in der Königsurkunde von 903 (Chart. Sang. II, n. 772) gemeint gewesen sein, während die belegbare Amtsdauer des hiesigen, für den Zürichgau bis 899 belegten Grafen eingeschränkt werden müsste. Borgolte (Grafen Alemanniens, S. 34 f.) hält einen Zusammenhang zwischen dem Grafen und einer Grundherrenfamilie aus Rohrbach (Oberaargau) für möglich. 53 Dabei handelt es sich 905 auch um die letzte urkundliche Nennung des Argengau, der zuvor bereits zugunsten des Rheingaus an Fläche eingebüsst hatte (Erhart, Rheindelta, S. 45) und unter dem mächtigen Zürich- und Thurgaugrafen Udalrich (902–917) womöglich zu benachbarten Rechtsbezirken wie dem Albgau/Allgäu geschlagen wurde. 54 Chart. Sang. II, nn. 769, 771–772, 785, 794, 798, 800–801, 806, 814, 817, 819–826. Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S.  267–270; Goetz, Linzgaugraf Udalrich, S.  140, 142  f. Bei Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 9, 82–85) ist wohl eher von dessen Vorgänger (Udalrich, 842–895* Graf) die Rede.

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929 Graf (womöglich Graf des Klett- und Alpgau);55 Bernhard, um 933(–976?) Graf;56 (Burchard, um 965 Graf?);57 (Mangold, 975–987 Graf [† vor 992]).58 Rheingau Adalbert, 957–980 Graf (womöglich um 960 rätischer Graf und 980 Graf des Nibelgau).59 Linzgau Konrad, 903–920 Graf.60 Nibelgau Adalbert, um 980 Graf.61 Ostbaar62 Arnulf, 887–912*;63 Hartmann, 980 Graf.64 Westbaar Burchard, 890–† 911 Graf (unter anderem mit dux-Titel, vgl. Rätien).65 55 Chart. Sang. II, nn. 834, 838; UBZH I, nn. 188, 191. Vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 96. 56 Chart. Sang. II, n.  842. Neben einem unwahrscheinlichen scabinus Bernhard in Italien (Sickel, Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], n.  398) kämen nur der spätere rätische Graf und Vasalle Bernhard sowie vor allem ein elsässischer Graf dieses Namens infrage, der 953 in einer in Mainz ausgestellten Königsurkunde erwähnt wird (ebd., n. 166). 57 Dieser für 965 als Graf des Zürichgau genannte Burchard dürfte mit dem gleichzeitigen Herzog von Schwaben (Burchard II., 954–† 973) gleichgesetzt werden und wird deshalb nicht in die offizielle Grafenliste mit aufgenommen. Zur weiteren Verwandtschaft vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 150 f. 58 Wohl Mangold I. von Nellenburg. Sickel, Urkunden Ottos II. (MGH DD O II), nn. 121, 131; ders., Urkunden Ottos III. (MGH DD O III), nn. 39, 86. Womöglich wird Mangold im Zuge eines Inquisitionsprozesses 972 bereits genannt (ders., Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], n. 419b). Zu einem früheren Mangold vgl. Rappmann, Totengedenken, S. 477 f. 59 Chart. Sang. II, nn. 854, 868. Für die weiteren Nennungen vgl. Rätien und Nibelgau. 60 Ebd., nn., 772, 794, 806, 814, 823. Zusammen mit anderen alemannischen Grafen wird ein Konrad 920 als fidelis des Königs genannt (Sickel, Urkunden Heinrichs I. [MGH DD H I], n. 2). In Chart. Sang. II, n. 793 wird Konrad zwar nicht als comes bezeichnet, zusammen mit Hugo wird er allerdings an prominenter Stelle als Zeuge aufgeführt. Von den drei Grafen tritt nur Udalrich als für seinen Bezirk legitimierender comes in Erscheinung. Ähnlich verhält es sich in Sickel, Urkunden Konrads I. (MGH DD K I), nn. 11, 16. Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 171–173. 61 Obwohl Adalbert aus dem Nibelgau in klarer Abgrenzung zu seinem Namensvetter aus dem Rheingau genannt wird (in pago Nibilgouve in vico Svarcenseae in comitatu Adelberti, et in pago Ringouve in comitatu Adelberti [Chart. Sang. II, n. 868]), dürfte es sich um dieselbe Person oder zumindest um einen Sprössling derselben Magnatenfamilie handeln, die seit dem 9. Jahrhundert in ganz Alemannien stets wichtige Positionen innegehabt hatte. Zu diesem Adalbert vgl. Rheingau und Rätien. 62 Zur Ost- und Westbaar vgl. Jänichen, Baar und Huntari, S. 85–115. 63 Chart. Sang. II, nn. 693, 723, 735, 772, 781. Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 57–59; ders., Grafschaften, S. 171–173. 64 Chart. Sang. II, n. 868. Vgl. Rappmann, Totengedenken, S. 474. In der östlichen Baar ([Ober-] Kirchberg) taucht hundert Jahre später erneut ein Graf Hartmann auf (vgl. den Abschnitt Grafen Alemanniens im 11. Jahrhundert). 65 Ebd., nn.  729, 758, 772, 774, 787, 795, 800, 806. Im Jahr 897 wird derselbe als erster Zeuge

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Breisgau66 Wolvene, 886–902 Graf;67 Adalbero, um 909 Graf;68 (Liudolf, um 952 Graf [950– 954 Herzog von Schwaben, Sohn König Ottos I.]);69 (Guntram der Reiche, Mitte 10. Jahrhundert, Graf);70 Pirihtilo, 962–969 Graf;71 (Konrad, um 973 Graf);72 (Pirihtilo, 990–995 Graf);73 (Kuno, um 994 Graf).74

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(Purchart prȩses) genannt (ebd., n. 754). Adalbert der Erlauchte (859–894 Graf) ist sein Vater, Adalbert (894–† 911 Graf) ist sein Bruder und der ebenfalls Adalbert (836–845 Graf) genannte Thurgaugraf aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts scheint sein Grossvater gewesen zu sein (vgl. Zettler, Adalbert, S. 206). Hierzu zählt auch der pagellus Mortinauginsis (Mortenau, heute Ortenau), der zwar einerseits oftmals in Abgrenzung zum Breisgau genannt wird (Sickel, Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], n. 224), aber auch synonym. So wird zur Lagebeschreibung der Abtei Waldkirch einmal vom pago Mordenouua und einmal vom pago Brisiggoue gesprochen (Sickel, Urkunden Ottos III. [MGH DD O III], nn. 157–158). Zur politischen Situation in diesem Teil Schwabens vgl. Zotz, Breisgau, S. 170–173. Chart. Sang. II, nn. 690, 704, 715, 761. Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 299. Chart. Sang. II, n. 805. Beim zusammen mit dem alemannischen Pfalzgrafen Gozbert um 910 im Kampf gegen die Ungarn gefallenen Adalbero handelt es sich nicht um den gleichnamigen Grafen, sondern um den Augsburger Bischof (Lendi, Annales Alamannici, an. 910, S. 186). Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 17. Sickel, Urkunden Ottos I. (MGH DD O I), n. 155. Herzog Liudolf wird wohl 952 als Ersatz für den seiner Ämter enthobenen Guntram als Verantwortlicher des Breisgaus genannt. Vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 138–146. Guntram hatte um 952 zahlreiche seiner Güter sowie sein Grafenamt durch einen gerichtlichen Prozess verloren, was womöglich die Ursache dafür ist, weshalb er zum Teil auch noch nach 952 urkundlich als Graf genannt wird (Sickel, Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], nn. 155, 166, 189, 201, 236, 383 [bis 970]; ders., Urkunden Ottos II. [MGH DD O II], n. 51 [973] sowie in einer Bestätigung in ders., Urkunden Ottos III. [MGH DD O III], n. 273 [998]). Vgl. Zotz, ‹Guntram›, LexMa 4, Sp. 1795; ders., Breisgau, S. 31, 208. Chart. Sang. II, n. 863; Sickel, Urkunden Ottos I. (MGH DD O I), n. 236. Womöglich handelt es sich um denselben Grafen Pirihtilo wie jenen in den 990er-Jahren, der aufgrund dringender politischer Notwendigkeit aber überhaupt nur in diesen Phasen urkundlich genannt wird. Laut Zotz (Breisgau, S.  202, vgl. zudem S.  178  ff.) geht der Breisgau in der Überlieferung des 10. Jahrhunderts nämlich häufig leer aus und nur in bestimmten Zeiten seien zur Herrschaftssicherungen gewisse Vergaben und politisches Kalkül vonnöten gewesen. Hauptstützen seien in diesen Fällen stets die Bischofskirche Basel und das Kloster Einsiedeln gewesen. Die zahlreichen erhaltenen Originale mit Pirihtilo-Nennungen haben wohl nicht umsonst ausgerechnet im Stiftsarchiv Einsiedeln überdauert. Ein Konrad ist 973 als Graf in der Mortenau nachweisbar (Sickel, Urkunden Ottos II. [MGH DD O II], n. 51; Bestätigung derselben Urk. um 998 in ders., Urkunden Ottos III. [MGH DD O III], n.  273). Eine Verbindung oder gar Gleichsetzung zum ebenfalls in der Mortenau nachweisbaren Grafen Kuno sowie zum späteren Herzog von Schwaben (982–† 997) wäre denkbar, ist aber umstritten (vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 156). Womöglich wird Konrad im Zuge eines Inquisitionsprozesses von 972 bereits genannt (Sickel, Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], n. 419a+b). Sickel, Urkunden Ottos III. (MGH DD O III), nn. 63, 129, 157, 161, 187. Vgl. Anm. zum früheren Pirihtilo. Ein Kuno ist um 994 in der Mortenau nachweisbar (Sickel, Urkunden Ottos III. [MGH DD O III], nn. 153, 158) sowie womöglich im Elsass. Denn dieser Graf, Kuno von Öhningen (unter anderem ders., Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], n. 445) und der schwäbische Herzog Konrad I. werden häufig gleichgesetzt, was nicht zuletzt an ihren wechselhaften Titeln liegt (vgl. ders., Urkunden Ottos III. [MGH DD O III], nn. 47, 130), welche rechts- und linksrheinische Gebiete mit einbeziehen (vgl. die Anm. zu Herzog Konrad I. und vgl. Maurer, Herzog von Schwaben, S. 185, 199, sowie Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 156).

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Rätien75 Burchard, 890–† 911 Graf (unter anderem mit dux-Titel, vgl. Westbaar);76 (Udalrich, 924–950* Graf);77 Adalbert, 957–980 Graf (vgl. Rheingau und Nibelgau);78 (Bernhard, um 976 Graf).79 Elsass (Nord- und Sundgau)80 Liutfrid, 884–926* Graf;81 (Guntram der Reiche, Mitte 10. Jahrhundert, Graf);82 (Bernhard, um 953 Graf);83 (Hugo, 968–973 Graf);84 (Liutfrid, 973–999 Graf);85 (Eberhard, um 986 Graf).86

75 Zu Rätien vgl. zudem Schmid (Hunfrid), da diese Region im Gegensatz zu den Grafschaften des Bodenseeraums nicht weiter behandelt wird und deren frühere Herrschaftsträger somit auch in der Liste im Anhang fehlen. Zur Einführung der ‹Grafschaftsverfassung› in Rätien, deren erster fassbare Vertreter Hunfrid gewesen sein dürfte, vgl. Clavadetscher, Grafschaftsverfassung, insbesondere S. 51–54. 76 Für Belege vgl. Anm. bei Westbaar. 77 UBZH I, n. 188. Bruder von Herzog Burchard, der weiterhin Graf von Oberrätien blieb (Kaiser, Churrätien, S. 65–67; Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 96). Daraufhin gab es weitere rätische Grafen dieses Namens in Oberrätien (vgl. BUB, S. 500). Rappmann (Totengedenken, S. 484 f.) zählt einen am 10. 8. 955 verstorbenen Udalrich zu den Bregenzern. 78 Vgl. Anm. bei Rheingau. Zwischen 958 und 976 wird ein rätischer Graf Adalbert genannt, der vermutlich mit dem gleichnamigen Grafen aus dem rheinabwärts gelegenen Rheingau gleichzusetzen ist (Sickel, Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], nn. 191, 208–209, 276, 285, 419a/b; ders., Urkunden Ottos II. [MGH DD O II], nn. 124, 131). 79 Als Graf ist dieser Bernhard – sofern es sich nicht um den Zürichgaugrafen Bernhard von 933 handelt  – nur in einer Abschrift des 18.  Jahrhunderts überliefert (ebd., n.  131) und daher als äusserst unsicher zu betrachten, wären da nicht zwei weitere Nennungen um 960 und 976 in zwei Königsurkunden betreffend Chur, die von einem vassallus des rätischen Grafen Adalbert handeln (beneficium Berenhardi, praefati comitis [va]ssalli, Sickel, Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], n. 209, und ders., Urkunden Ottos II. [MGH DD O II], n. 124). Womöglich war Bernhard ein Unterbeamter oder gar der Nachfolger des Grafen Adalbert. 80 Vgl. Borgolte, Grafengewalt im Elsass. 81 Chart. Sang. II, n. 772; Kehr, Urkunden Karls III. (MGH DD Karl), n. 108; (Sickel, Urkunden Konrads I. [MGH DD K I], n. 10); Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 64. Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 177 f., wobei ders. (Grafengewalt im Elsass, S. 29) davon spricht, dass vor jenem Liutfrid von 973 keiner über gräfliche Macht im südlichen Elsass verfügt hätte, sondern sich die lokale Macht der Liutfride von Italien her im 9.  Jahrhundert allmählich über das Kloster MoutierGrandval in den Sornegau verlagert habe (vgl. Hlawitschka, Oberitalien, S. 221–226 zu Liutfrid I. und II. im 9. Jahrhundert). 82 Vgl. die Anm. zum Breisgau. 83 Dieser unsichere Bernhard wird einzig in einer Königsurkunde um 953 aus Mainz als Graf erwähnt (Sickel, Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], n. 166). Womöglich steht er in Verbindung mit einem bezüglich des Damenstifts im heutigen Bouxières-aux-Dames (nordwestlich des Elsass) genannten Berhardus primicerius (ebd., n. 288). 84 Ebd., n. 368; ders., Urkunden Ottos II. (MGH DD O II), n. 51. Eine Bestätigung von ebengenannter Urk. nennt Hugo 998 erneut, was aber nichts über seinen Comitat aussagt (ders., Urkunden Ottos III. [MGH DD O III], n. 273). Die Verwandtschaft mit einem um 1007 genannten Grafen Hugo aus der nicht sicher identifizierten Glehuntar – vermutlich im nordwestlichen Grenzgebiet zwischen Schwaben und Franken – ist aufgrund der geografischen Nähe wahrscheinlich (WUB I, n. 206; vgl. Abschnitt Grafen Alemanniens im 11. Jahrhundert). 85 Sickel, Urkunden Ottos II. (MGH DD O II), n. 51; ders., Urkunden Ottos III. (MGH DD O III), nn. 27, 47, 273, 323, 325, Nachtrag DO. II. 79a. 86 Ders., Urkunden Ottos III. (MGH DD O III), n. 27.

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Daneben finden sich acht Grafen in Alemannien ohne unmittelbare Bezirkszuordnung: Gozbert, 856–† 910* Graf, Pfalzgraf;87 Hugo, 903–913 Graf;88 Reginbold, 903– 912 Graf;89 Erchanger, 909–†  916/917 Graf (missus dominicus und seit Gozberts Tod 910 Pfalzgraf);90 Bertold, 909–† 916/917 Graf (missus dominicus);91 (Heinrich, 912–920 Graf);92 Ato, um 975 Graf.93 Hinzu kommen einige nicht näher bestimmbare Grafen: Cotedanc, um 903 Graf;94 Erlolf, um 903 Graf;95 Gerold, um 924 Graf?;96 Iring, 889–

87 Urkundlich wird hiesiger Pfalzgraf wohl in keinem Original überliefert, doch findet sich sein Name in einer Abschrift des 15. Jahrhunderts im StadtASG als Corperti palatini comitis (Chart. Sang. II, n. 813; vgl. Clavadetscher, Wolfinus) um 910. Laut den annales Alamannici soll jedoch ein Graf Gozbert 910 im Kampf gegen die Ungarn gefallen sein, was die Existenz dieses Pfalzgrafen bestätigt (Lendi, Annales Alamannici, an. 910, S. 186; vgl. Maurer, Schwarzwald, S. 47 f.). Zuvor wird ein Gozbert zwischen 856 und 888 als Graf genannt (Chart. Sang. II, nn. 464, 490, 499, 507, 574, 590, 616, 692, 703; vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 134–139) und um 890 taucht ein Cozbret an sehr prominenter Stelle auf einer öffentlichen Gerichtsversammlung auf (Chart. Sang. II, n. 713). 88 Ebd., nn. 772, 794, 806, 814; Schieffer, Urk. Ludwigs des K. (MGH DD LK), n. 76 (womöglich ein anderer, lothringischer Graf); Sickel, Urkunden Konrads I. (MGH DD K I), nn. 2, 17. In Chart. Sang. II, n. 794 wird Hugo zwar nicht als comes genannt, zusammen mit Konrad wird er allerdings an prominenter Stelle als Zeuge aufgeführt. Von den drei Grafen tritt nur Udalrich als für seinen Bezirk legitimierender comes in Erscheinung. Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 147 f. 89 Chart. Sang. II, nn. 772, 774, 818. In Letzterer taucht Reginbold als advocatus im Breisgau auf, weshalb seine Stellung als comes nur für 903 gesichert scheint. Womöglich war er für den Thurgaugrafen Adalbert (Adalbert, 894–† 911 Graf) tätig oder ein lokaler Centenar. 90 Ebd., nn. 806, 814; Sickel, Urkunden Konrads I. (MGH DD K I), nn. 2, (9–10), 11, 17; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 12–20. In den annales Alamannici wird 916 als Todesjahr Erchangers genannt: erchanger perahtolt et liutfrid occiduntur dolose (Lendi, Annales Alamannici, an. 916, S. 190), während Hermann der Lahme (Chronicon, an. 917, S. 632) von einer Enthauptung derselben am 21. Januar 917 in Aldingen (Landkreis Tuttlingen, Baden-Württemberg) berichtet. 91 Chart. Sang. II, n.  806; Sickel, Urkunden Konrads I. (MGH DD K I), n.  11; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 12–20. Zum Todesjahr vgl. Erchanger. 92 Dieser Heinrich kommt nirgends im Zusammenhang mit einer spezifisch schwäbischen Region vor, wird aber zwischen 912 und 920 mehrfach zusammen mit anderen alemannischen Grafen genannt (Sickel, Urkunden Konrads I. [MGH DD K I], nn. [9], 11, 17, [35–36]; ders., Urkunden Heinrichs I. [MGH DD H I], n. 2). Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 141 f. 93 Dieser Graf ist schlecht nachweisbar und seine Überlieferung höchst unsicher. Das entsprechende Dokument wurde als Makulatur verwendet und ist wegen des Einsatzes von Reagenzien heute kaum mehr lesbar (StiBiSG, Cod. Sang. 1394). Die entsprechende Stelle ist nur dank einer Abschrift durch von Arx überliefert (vgl. den Abdruck bei Wartmann [UBSG II, Anh. 24]). 94 Chart. Sang. II, n. 772. 95 Ebd. Womöglich wird er ein weiteres Mal um 912 im westlichen Franken (vielleicht mit dem alemannischen Pfalzgrafen Erchanger und dem elsässischen Grafen Liutfrid) genannt (Sickel, Urkunden Konrads I. [MGH DD K I], n. 10). Eine Verbindung zum 932 als advocatus im östlichen Franken fungierenden Erlolf scheint unwahrscheinlich (ders., Urkunden Heinrichs I. [MGH DD H I], n. 33). 96 UBZH I, n. 188. Der Name Kerolt könnte mit einem Grafengeschlecht in Verbindung gebracht werden, das im 8. und 9. Jahrhundert in der Westbaar, im Thurgau, Zürichgau und im Breisgau tätig war (vgl. Grafenliste im Anhang sowie Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 8, und Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 119–130). Zudem taucht ein Gerolt 879 in Lindau als Schenker und 907, 909, 910 dreimal als Zeuge im Raum St. Gallen auf. Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 96) sieht in ihm den Sohn des Grafen Udalrich von Oberrätien.

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907 Graf;97 Ruochere, um 903 Graf.98 In den St. Galler Urkunden des 10. Jahrhunderts werden des Weiteren einige nichtalemannische Grafen genannt. Sualafeldgau: Ernust, 889–959* Graf.99 Wormsgau: Walaho, 888–903 Graf (Graf des Enzgau);100 Burchard, um 903 Graf.101 Mailand: Sigifrid, um 904 Pfalzgraf.102 Burgund: Udalrich, um 949 Graf.103 Es dürfte also eine Kontinuität des karolingischen Grafenamtes noch übers 10. Jahrhundert hinaus feststellbar gewesen sein, allerdings mit zunehmend weniger festen Grafschaftsbezirken, dafür mit Grafentiteln und besonderer königlicher Beauftragung oder hervorgehobener Stellung einer Familie.104 So liessen sich auch obige Grafen ohne weitere territorialen Angaben erklären. Anhand der Untersuchungen zu Graf und Grafschaft im 11. Jahrhundert weiter unten dürfte diese Fortentwicklung bestätigt werden. Grafen und Grafschaften konnten sich selbst im 11. Jahrhundert noch in der traditionellen karolingischen Form präsentieren, allerdings neben einer Vielzahl weiterer, zunehmend militärisch mächtig agierender Akteure. 97 Ein Graf Iring ist zwischen 889 und 907 belegt und scheint unter anderem zum königlichen Gefolge Arnulfs gehört zu haben (Chart. Sang. II, n.  712; Kehr, Urkunden Arnulfs [MGH DD Arn], nn. 64, 79, 148, 156, 162, 173; Schieffer, Urk. Ludwigs des K. [MGH DD LK], nn. 26, 30–31, 44, 53), danach taucht ein titelloser Iring noch 913 als Zeuge im Zürichgau auf (Chart. Sang. II, n. 823) und für die Zeit vor dem Grafen gibt es einen Iring als königlichen missus um 853 (Kehr, Urk. Ludwigs des Dt. [MGH DD LD], n. 66) sowie mehrere desselben Namens als Zeugen zwischen 828 und 876 (Chart. Sang. I, nn. 330, 345, 370; ebd. II, nn. 468, 580, 621). Dieser Graf Iring scheint in Bayern beheimatet gewesen zu sein (er wird bei Kehr, Urkunden Arnulfs, n. 148, mit dem bayerischen Markgrafen Liutpold genannt), während weitere Iringe durchaus zur alemannischen Elite gehört haben könnten. Zu Iring vgl. die Anm. bei Borgolte, Grafschaften, S. 185 f. Ein Zusammenhang zum sankt-gallischen Güterort Irincheshusa (Irgenhausen, Gemeinde und Bezirk Pfäffikon, ZH) wäre insbesondere beim Zeugen aus dem Zürichgau von 913 (Chart. Sang. I, n. 210) und jenen des 9. Jahrhunderts möglich, eine Verbindung zum ansonsten hauptsächlich im bayerischen Raum auftretenden Grafen ist jedoch unwahrscheinlich. 98 Ebd. 99 In St. Gallen ist Ernust nur in einer Königsurkunde von 903 nachweisbar (ebd. II, n. 772). Ausserhalb findet sich dieser beziehungsweise mehrere dieses Namens allerdings mindestens zwischen 889 und 959 mehrfach für den Sualafeldgau (Kehr, Urkunden Arnulfs [MGH DD Arn], n. 72; Schieffer, Urk. Ludwigs des K. [MGH DD LK], n. 82; Sickel, Urkunden Konrads I. [MGH DD K I], n. 21; ders., Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], nn. 128, 204) sowie um 912 im Ibfgau (ders., Urkunden Konrads I. [MGH DD K I], n. 9) und womöglich 962 im Gefolge des Königs in Rom (ders., Urkunden Ottos I. [MGH DD O I], n. 235). 100 Chart. Sang. II, n. 772. 101 Ebd. Selbst um 994 war noch ein Graf dieses Namens im Wormsgau tätig (Sickel, Urkunden Ottos III. [MGH DD O III], n. 156). Diese Familie stellte zudem immer wieder die dortigen Bischöfe. 102 Chart. Sang. II, n. 780. Der häufige Name Siegfried/Sigifrid lässt kaum Vermutungen bezüglich Herkunft des Mailänder Pfalzgrafen zu. Insbesondere bei diesem Amt wäre die Einsetzung eines königlichen Gefolgsmannes von nördlich der Alpen allerdings nicht unwahrscheinlich, wie auch Hlawitschka (Oberitalien, S. 264–268) vermutet, der Sigifrids ‹Laufbahn› seit 892 herleiten kann. Im nördlich angrenzenden Alemannien werden für die Zeit zwischen Mitte des 9. und Anfang des 10. Jahrhunderts gleich mehrere Sigifride als äusserst prominente Zeugen im Breisgau, Argengau und zuletzt auch im Thurgau genannt (Chart. Sang. II, nn. 416, 476, 495, 690, 715, 820), wenn auch keinem Sprössling dieser alemannischen Elitenfamilie wohl je der Sprung zum Grafenamt gelungen ist. 103 Ebd., n. 848. Eine Verbindung zu den prominent vertretenen Udalrichen im alemannischen Raum wäre denkbar. 104 Hechberger, ‹Graf, Grafschaft›, HRG II, Sp. 509–522.

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Ausserhalb der urkundlichen Überlieferung lässt sich über die Grafschaft als Institution beziehungsweise über einzelne Grafen und ihre Aufgaben nicht viel aussagen, da selbst Grafen nur dann beispielsweise in einer Chronik genannt wurden, wenn sie in wichtiger Mission unterwegs waren, einen besonderen Part auf einem Feldzug oder am Königshof spielten, aus einer wichtigen Familie stammten, einen heldenhaften Tod starben oder einem schlimmen Verbrechen zum Opfer fielen. Daher verwundert es nicht, dass Herzöge (beziehungsweise dux-Nennungen) in der eingangs begründeten Auswahl an schwäbisch-alemannischen Chroniken deutlich häufiger vorkommen (155-mal) als Grafen (beziehungsweise comes-Nennungen: ­78-mal).105 In den annales Alamannici, die ohnehin keine grosse Auswahl und Anzahl an Titeln bereithalten, sieht es ähnlich aus. Acht dux-Nennungen106 stehen sechs ­comes-Nennungen gegenüber, die zudem auch für Pfalzgrafen und Herzöge stehen könnten.107 Besonders die Annalen sind für eine solche Auswertung also nicht repräsentativ zu verwenden. Dass im Bodenseeraum des 11.  Jahrhunderts dennoch eine dem 9. und 10.  Jahrhundert gar nicht so unähnliche Grafschaft vermutet werden kann, verdanken wir dem Umstand, dass sich die wenigen chronikal und anderweitig genannten Grafen einzelnen alemannischen Grafschaftsbezirken zuordnen lassen. Aufgrund der fehlenden urkundlichen Überlieferung, parallel zur historiografischen, bleibt vieles davon Spekulation, wenn auch gut begründete. Zur gräflichen Gerichtsbarkeit Grafenbezirke waren in erster Linie Rechtsbereiche. Bei einer Grafschaft handelte es sich demnach um eine Art Beauftragung zur gerichtlichen Verwaltung eines geografischen Bereichs, einer oder mehrerer Institutionen oder von Pfalzen durch eine höhere Instanz.108 In vielen Fällen dürfen wir hierfür mit dem König als zumindest theoretisch einsetzender Gewalt rechnen. Einen grösseren königlichen Einfluss lässt sich lediglich bei der Einsetzung von Pfalzgrafen vermuten. Um 890 ist in der Baar eine gräfliche Versammlung (placitum) unter dem Vorsitz des Grafen Burchard109 (coram Burghardo comite) nachgewiesen,110 der zu dieser Zeit nicht nur in der westlichen Baar, sondern auch in Rätien ein Grafenamt bekleidete. Als Anwesende werden Personen der alemannischen Elite (primores populi beziehungsweise optimates) genannt, die zur Bekräftigung ihrer Meinung gar die Schwerter ziehen und wohl selbst Blut vergiessen würden, um dem rechtmässigen Entscheid der Versammlung 105 Lendi, Annales Alamannici, ann. 874, 907, 910–912, S. 180, 186, 188. 106 Ebd., ann. 787, 795, 870, 904, 907, 910, 915, S. 162, 168, 180, 186, 190. Darunter sind längst nicht alle Titelträger auch Herzöge einzelner (ost)fränkischer regna. 107 Als einziger weiterer Titel lässt sich die Bezeichnung des maior domus Pippin nennen (ebd., an. 714, S. 148). 108 Zur gerichtlichen und verwaltungstechnischen Durchdringung kleinerer oder der Grafschaft untergeordneter Bezirke und deren Versammlungen (mallus, placitum) vgl. folgenden Abschnitt. 109 Burchard, 890–† 911 Graf (vgl. Grafen Alemanniens im 10. Jahrhundert) wird hier noch als filio Adalberti illustris genannt (Adalbert der Erlauchte, 859–894 Graf), weshalb er sein Grafenamt wohl noch nicht lange innehatte. 110 Chart. Sang. II, n. 713.

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Abb. 24: In einer von Notker Balbulus verfassten notitia zu einer Versammlung um das Jahr 890 drohen die Anwesenden gar mit dem Ziehen ihrer Schwerter (StiASG, Urk. Bremen 44).

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Geltung zu verschaffen, wie der Schreiber dieser notitia, Notker Balbulus, mit leicht literarischem Einschlag betont:

Et his ita patratis, cum adhuc quidam de illis, qui se in illa ecclesia heredes ac dispositores ­haberi voluerunt, alii garriendo, alii musitando contradicerent, optimates eiusdem concilii apprehensis spatis suis devotaverunt, se hȩc ita affirmaturos esse coram regibus et cunctis principibus usque ad sanguinis effusionem.111

An erster Stelle wird unter den Zeugen der Vizegraf und kaiserliche missus Ruodbert genannt, der als einst enger Vertrauter Kaiser Karls III. neben dem Grafen Burchard als einer der einflussreichsten Männer Alemanniens angesehen werden darf.112 Darauf folgt eine ganze Reihe von bedeutenden alemannischen Namen. Ein solches gräfliches placitum darf also durchaus als ein entscheidendes Gremium innerhalb Alemanniens angesehen werden. Eine vergleichbare Entfaltung darf man sich womöglich unter dem consilium des ersten schwäbischen Herzogs Burchard I. im Jahr 924 vorstellen, das im Zusammenhang mit Burchards Italienfeldzug bereits erwähnt wurde.113 Dieser Herzog verfügte als Sohn des mächtigen Markgrafen Burchard über eine sehr breite Machtbasis im Bodenseeraum, in der Baar und in Rätien, was wohl letztlich auch die Etablierung des neuen Herzogtums ermöglicht hatte. Darin darf aber keine Abtretung gräflicher Gerichtsbarkeit an den schwäbischen Herzog gesehen werden, insbesondere da nach Burchard I. immer wieder ‹landfremde› Herzöge folgten und wir mit den unten noch spezifischer ausgeführten malli publici über weitere Beispiele lokaler Versammlungen verfügen. Daran wird ersichtlich, dass sich unterschiedliche Rechtsbezirke und Zuständigkeiten in weltlicher und geistlicher Hinsicht durchaus überschneiden konnten. Für Bayern nennt Störmer in erster Linie die Gerichtsfunktion des comes, welche dieser auf Kriegszügen innerhalb der eigenen Gebiete selbst über aristokratische Vertreter des Heerbannes innegehabt habe. Des Weiteren sei er Stellvertreter des Königs und für das lokale militärische Aufgebot verantwortlich gewesen. Als Unterbeamten hätten ihm zudem centuriones und decani zur Seite gestanden,114 Dienstleute also, die mit ähnlichen Kompetenzen ausgestattet gewesen sein müssen und die unten noch genauer betrachtet werden.115 Im 11. Jahrhundert nahmen die Grafen weiterhin eine wichtige Rolle in der Verwaltung und der wirtschaftlichen Ordnung ein. So dürften sie vielerorts die Aufsicht über Markt, Steuer, Münze, Zoll, Handel und Verkehr innegehabt haben.116 Überall wo den Grafen eine königliche Legitimierung nachweisbar ist – beispielsweise über Grafenformeln in Urkundendatierungen –, lässt sich eine königliche Beauftragung und damit ein Auftrag zur Abhaltung von Gerichtsversammlungen vermuten. Seit dem Rückgang oder Verschwinden der Pfalzgrafen sowie der königlichen Gesandten 111 Ebd. Zur Identifizierung der Hand als jener des berühmten St. Galler Mönchs Notker Balbulus vgl. Erhart (ChLA CIX, n. 56). Vgl. ders., Oberwinterthur, S. 108. 112 Vgl. unten den Abschnitt zu Rektorat und Vikariat. 113 Vgl. die Eingangssequenz ins Kapitel Krieger und Waffenträger. 114 Störmer, Früher Adel, S. 392–394. 115 Vgl. den Abschnitt zu den Centenaren und Centurionen. 116 Schmid, Comes und comitatus, S. 207.

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und ‹Kammerboten› im 10. Jahrhundert wuchs der Aufgabenbereich der gewöhnlichen ‹Gaugrafen› zwangsläufig an, wobei gewisse Bereiche auch vom neu gebildeten Dukat wahrgenommen wurden. Dass noch im 11.  Jahrhundert Grafen für den Grossteil der alten karolingischen Gaue zu finden sind – wie unten weiter ausgeführt wird –, ist ein starkes Indiz dafür, dass sich an der lokalen Gerichtsbarkeit bis mindestens ins späte 11. Jahrhundert nicht viel geändert hat. Versammlungen und Hoftage Bezüglich der lateinischen Begriffsverwendung für Versammlungen lohnt sich neben der Betrachtung der Urkunden ein Blick in zeitgenössische Chroniken. So verwendet Ratpert in seinen casus sancti Galli Ende des 9. Jahrhunderts die Termini concilium und placitus abwechselnd für dieselben Ereignisse, wobei das Augenmerk im concilium mehr auf der eigentlichen Versammlung von Menschen zu ruhen scheint,117 während placitus eher Hinweise auf den (Rechts-)Inhalt gewährt.118 Den Terminus conventus behält er ausnahmslos dem klösterlichen Mönchskonvent vor.119 Ekkehart IV. führt in seiner Fortsetzung der casus Mitte des 11.  Jahrhunderts zudem den Begriff colloquium publicum an, den er wie Berthold von Reichenau ausschliesslich für Versammlungen ‹auf höchster Ebene› verwendet, so zur Königserhebung oder für herzogliche und königliche Hoftage.120 Berthold bezeichnet mit concilium hauptsächlich die vom Papst einberufenen Versammlungen (Konzile).121 Bertholds Lehrer Hermann von Reichenau unterscheidet in seiner Weltchronik praktisch durchgehend zwischen (hauptsächlich) kirchlichen (sinodus) und weltlichen (conventus) Versammlungen.122 In einer direkten Gegenüberstellung der für Versammlungen und Hoftage infrage kommenden Termini fällt auf, dass gewisse Begriffe zwar durchaus häufig genannt werden, jedoch nicht von allen Chronisten gleichermassen. So wird der fast ausschliesslich kirchliche Belange betreffende Begriff sinodus/synodus zwar etwa 30-mal in der Auswahl an Chroniken des 9. und 11. Jahrhundert genannt, doch ausschliesslich von den zwei späteren Chronisten des 11.  Jahrhunderts, nämlich von Hermann und Berthold.123 Dies dürfte einerseits ihrer Beschäftigung mit den 117 In den annales Alamannici beispielsweise steht consilium für eine Versammlung der Grossen des Reiches (Lendi, Annales Alamannici, an. 792, S. 166). Laut Leuppi (Cas. s. Gall. cont., S. 100, Anm. 149) deckte consilium den ganzen Bereich zwischen freiwilliger Anhörung und notwendiger Zustimmung ab. Sie übersetzt den Begriff dabei sowohl als Rat(schlag) als auch im Sinne einer Ratsrunde (ebd., cap. 12, 18). 118 Vgl. Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 23–24. 119 Vgl. ebd., cap. 35. 120 Vgl. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 49, 95, und Berthold, Chronicon II, an. 1076, S. 114. Letzterer bezeichnet eine Beratung innerhalb des colloquium als consilium (ebd.) und einen innerhalb einer Versammlung getroffenen Entschluss als placitus (ebd., S. 120). 121 Ebd., an. 1075, S. 80–82. 122 In der Schilderung einer Zusammenlegung von bischöflicher Synode und fürstlicher Versammlung im Jahr 951 in Augsburg wird dies besonders gut ersichtlich: Sinodus 25 episcoporum magnusque totius regni principum conventus apud Augustam Vindelicam coadunatur (Hermann, Chronicon, an. 951, S. 638). 123 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 432, 680, 685, 816, 819, 868, 870, S. 82, 96, 102, 106; Hermann, Chronicon, ann.  916, 948, 951, 972, 1035, 1043, 1046, 1049–1051, 1053, S.  632, 638,

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Auseinandersetzungen und politischen Reibereien während des ‹Investiturstreits› geschuldet sein, könnte aber andererseits auch mit dem Erstarken des Papsttums zusammenhängen. Dagegen wird consilium/concilium nicht halb so oft in den Chroniken genannt, dafür von fast allen Chronisten gleichermassen und darf deshalb durchaus als der ‹zeitloseste› Begriff zur Bezeichnung von Versammlungen betrachtet werden, obgleich er – ähnlich wie synodus – meist kirchliche Versammlungen bezeichnet.124 Als häufigster Begriff für weltliche Versammlungen, Hoftage beziehungsweise einfache ‹Unterredungen›125 zwischen dem König und seinen Grossen führt der Begriff colloquium mit etwa 40 Nennungen die Liste derartiger Bezeichnungen an und wird dabei von fast ebensovielen Chronisten verwendet wie consilium. Für colloquium zeichnet sich allerdings ein klarer Verwendungsschwerpunkt im 11. Jahrhundert ab.126 Ein weiterer Begriff für derartige Hoftage und Versammlungen stellt conventum dar, was allerdings vor allem aufzeigt, wie stark die Verwendung einzelner Termini vom jeweiligen Chronisten abhängt, denn neben einer einzelnen Verwendung Ratperts im 9. Jahrhundert (für den Mönchskonvent) greift einzig Hermann von Reichenau im 11. Jahrhundert darauf zurück.127 Für die etwas kleineren – meist lokalen – Versammlungen findet sich in den Chroniken die Bezeichnung placitus/placitum, welche ansonsten in Rechtstexten häufig anzutreffen ist. So ist sowohl bei Ratpert128 im 9. als auch bei Hermann und Berthold im 11. Jahrhundert von placitus/-um die Rede. Unter einem placitus konnte allerdings auch eine etwas grössere Versammlung wie ein königlicher Hoftag verstanden werden, womit der Rechtscharakter dieses Begriffes überwogen haben dürfte. Im Sinne eines Hoftages findet sich dies in einer frühen Urkunde König Heinrichs I.: actum ad [re]gale placitum in loco Seliheim nominato.129 Wie placitus gilt vor allem mallus/mallum als Bezeichnung für lokale (Gerichts‑)Versammlungen. Doch während mallus/-um insbesondere in der Überlieferung rechtlicher Dokumente überdauert hat, findet sich dieser Begriff in der historiografischen Überlieferung gar nicht. Die

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646, 668, 676, 680–682, 690–692, 702; Berthold, Chronicon II, ann. 1077–1079, S. 126, 226, 234, 238–240, 246, 256–258. Walahfrid, Vita s. Otmari, cap. 4–5 (‹Landtag› des Warin und Ruthard); Notker, Gesta Karoli II, cap. 12, 17; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 24; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 99; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 418, 491, 699, S. 81, 84, 97 (meist kirchliche Konzile); Berthold, Chronicon II, ann. 1075–1076, 1079, S. 80–82, 114, 258. Beispielsweise wird eine kleinere Beratung der Grossen mit dem König während eines grossen colloquium als consilium bezeichnet (ebd., an. 1076, S. 114). Notker, Gesta Karoli I, cap.  16; Ekkehart IV., Cas. s.  Gall., cap.  49, 95 (‹Hoftag› der Herzogin Hadwig); Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 814, 838, 859, 870, 874, 882, 890, 892, S. 102–103, 105–108, 110; Hermann, Chronicon, ann. 1038, 1045, 1048, 1052, 1054, S. 672, 680, 686, 698, 706; Berthold, Chronicon II, ann. 1076–1079, S. 114, 118, 138, 152, 174, 178, 202–204, 212–216, 226, 240, 244–246, 252–264. Ratpert, Cas. s.  Gall., cap.  35 (Mönchsversammlung); Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann.  873, 887, 890, 899, S.  107, 109–111; Hermann, Chronicon, ann.  911, 926, 951, 1024, 1053, S. 630, 636–638, 662, 704 (darunter mehrere ‹Fürsten- und Reichstage›). Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 23; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 885, S. 109; Hermann, Chronicon, an. 1027, S. 664; Berthold, Chronicon II, ann. 1076–1077, S. 120, 124. Sickel, Urkunden Heinrichs I. (MGH DD H I), n. 2.

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kleinste chronikalisch auffindbare ‹Versammlung› stellt wohl das convivium – die Tischgesellschaft beziehungsweise die gemeinsame Tafel und das Gastmahl – dar, wobei einzig Notker und Ekkehart diesen Begriff verwenden,130 während er beispielsweise in den annales Alamannici für ein vereinbartes Treffen zwischen Ostfranken und ungarischen Anführern in Bayern steht.131 Mit einem kurzen Blick auf die noch lange Zeit rezipierte lex Alamannorum aus dem frühen 8. Jahrhundert lassen sich einige dieser Bezeichnungen bereits früh in einem wichtigen Rechtstext finden. Conventus wird hier ebenfalls für Versammlungen genutzt, ein placitus bedeutet meist eine Gerichtsversammlung und der Begriff mallus wird wie in den Urkunden sowohl für das Ereignis der Versammlung als auch für den Ort derselben verwendet:132 Die Versammlung [conventus] finde nach alter Gewohnheit in jeder Hundertschaft [centine] vor dem Grafen oder seinem Boten oder dem Zentenar statt. Dieser Gerichtstermin [placitus] finde am Samstag statt oder an welchem Tag der Graf oder Zentenar will, von sieben zu sieben Nächten, wenn der Friede im Land gering ist.133

Interessanterweise wird der Begriff mallus in den erzählenden Quellen nicht genutzt, obwohl er gemäss urkundlicher Überlieferung mindestens in der ‹Lokalpolitik› wohl weiterhin eine wichtige Rolle spielte. Zur Abhaltung von Gerichtsprozessen, als Sammelstellen für Abgaben und zur Verwaltung kann aus rein praktischer Sicht davon ausgegangen werden, dass sich unter den zahlreichen Besitztümern der Abtei St. Gallen in regelmässigen Abständen kleinere Zentralorte lokaler Herren und des Klosters befanden. In Gegenden mit dichter Besiedlung und zahlreichen abgabepflichtigen Besitztümern dürfte es mehr solche Orte gegeben haben als in besitzschwachen Gegenden.134 Einen Hinweis auf einen offen im Gelände liegenden mallus-Ort erlaubt eine Urkunde vom 2. Mai 775, die in campo, vbi dicitur Paumcartun publici ausgestellt wurde.135 Bereits Wartmann vermutete dahinter einen mallus publicus, der nicht allzu weit vom Güterort Wolterdingen136 entfernt liegen dürfte.137 Mallus darf also nicht nur als Ereignis, sondern vor allem auch als Ortsbezeichnung verstanden werden.138

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Notker, Gesta Karoli II, cap. 6; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 13. Lendi, Annales Alamannici, an. 904, S. 186. Schott, Lex Alamannorum, S. 108–110. Übersetzung von Schott (ebd., S. 109). Ut conventus secundum consuitudinem antiquam fiat in omni centine quoram comite aut suo misso et quoram centenario, ipse placitus fiat die sabato, aut quale die comis aut centenarius voluerit de VII in VII noctes, quando pax parva est in provencia (ebd., S. 108). Davon wird im Abschnitt zu den advocati noch einmal die Sprache sein. Chart. Sang. I, n. 72. Wolterdingen, Stadt Donaueschingen, Schwarzwald-Baar-Kreis, Baden-Württemberg. UBSG I, n. 63. Wenn auch die eigentlichen Handlungen in den Wörterbüchern den Ortsbezeichnungen vorangestellt werden (vgl. MLLM, S. 826; Mlat Glossar, Sp. 231).

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Maloo – Oberuzwil und seine Gerichtsstätte In dieser Weise dienten beispielsweise auch die vogteigerichtlichen Orte Gossau sowie Oberuzwil als wichtige Zentralorte,139 denn sie beherbergten solche Versammlungsplätze (malli), laut Gmür «die Gerichtsstätten der ehemaligen Hundertschaft».140 Könnte ein solcher mallus in Oberuzwil gar als Ursprung der späteren Oberuzwiler Vogtei gesehen werden, wie es Benz andeutet? Dieser führt als Indiz eine Wiese an, die noch später als «im Malloh» in Pfandprotokollen auftauche.141 Und tatsächlich taucht Oberuzwil in einer ganzen Reihe von frühmittelalterlichen St. Galler Urkunden als Actumort auf, wenn auch bei Übertragungen, die Oberuzwil selbst betreffen: quod nos Roadinus, advocatus […], in publico mallo interpellavit, […]. Actum in ipsa villa, quȩ dicitur Uzzinuuilare, publice.142 In einer umfangreicheren Verleihung von Abtbischof Salomo, die ebenfalls Oberuzwil betrifft, wird 892 allerdings ein etwas ‹angemessenerer› Ort zur Ausstellung gewählt, nämlich die Kirche des nahegelegenen Henau in der heutigen Gemeinde Uzwil:143 Actum in Heninouua, in basilica publice.144 Darin wird auch der Unterschied klarer zwischen einem mallus an ‹altehrwürdiger› Stelle, die womöglich einer germanischen Thingstelle145 nachempfunden werden kann,146 und einem Ausstellungsort im religiösen Hauptgebäude einer Siedlung, was eher der Würde eines Bischofs entsprach. Der Oberuzwiler mallus ist mit grosser Sicherheit noch heute über einen Flur­ namen auffindbar. Eine erhöhte Stelle nördlich des heutigen Bettenauer Weihers trägt nämlich die verdächtig klingende Bezeichnung ‹Maloo› mit Betonung auf der letzten Silbe.147 Ein weiterer gleichlautender Flurname östlich von Oberuzwil und Uzwil liegt zu weit von den alten Siedlungszentren entfernt und kommt deshalb eher für Oberbüren infrage, das ebenfalls St. Galler Ausstellungsort war.148 Da Oberbüren allerdings nur einmal nachweislich Ausstellungsort war, dürfte Ober­ uzwil wohl als eigentlicher Zentralort der Region betrachtet werden, begrenzt unter anderem durch die benachbarten Zentralorte Jonschwil und Gossau. Zerlegt 139 Vgl. Benz, Rechtliche Zustände, S. 14. 140 Gmür, Hofrechte, S. 133. Vgl. in diesem Sinne Mayer, Grundlagen, S. 31. 141 Benz, Rechtliche Zustände, S. 14. Es sei zudem mit einem ‹Zentgericht› zu rechnen unter dem Vorsitz eines centenarius (ebd., S. 20). 142 Chart. Sang. I, n. 249. Ebenfalls als Ausstellungsort in ebd., n. 286; ebd. II, nn. 415, 535, 857. 143 Bis 1964 hiess die heutige Gemeinde Uzwil Henau. Im Zuge des Baus eines Bahnhofs zwischen Henau und Oberuzwil im Jahr 1855 entwickelte sich die Siedlung Uzwil. 1962 wurde das als Industriestandort dominierende Uzwil zum neuen Namensgeber der Gemeinde – mit Henau als altem Dorfkern (Bühler, ‹Uzwil›, in: HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D1398.php [4. 8. 2018]). 144 Chart. Sang. II, n. 727. 145 Thing steht in fränkischer Zeit neben dem älteren mahal und ab dem 12. Jahrhundert in Konkurrenz zum Begriff gericht (Weitzel, ‹Ding [Thing]›, LexMa 3, Sp. 1058). Thin(g)/þing ahd. für Gericht(-stag/-sverhandlung) aber auch Versammlung, Beratung und ‹Zusammentreffen›  – dementsprechend dingman für Richter und ähnliche Funktionen sowie t(h)ingon für Gericht halten, verhandeln (Schützeichel, Ahd. Wörterbuch, S.  72  f.). Der Begriff wird im Bodenseeraum zu jener Zeit eigentlich nicht (mehr?) verwendet, im Gegensatz zu Skandinavien. 146 Sonderegger (Rechtssprache, S. 143) weist auf eine ahd. Übersetzung der Lex Salica Karolina hin, worin ad mallum mit zi dinge übersetzt wurde. 147 Zur genauen Ortsangabe vgl. Koordinaten: 725800, 255040 (CH1903) beziehungsweise 47° 26’ 02.9’’ N 9° 06’ 22.6’’ E (WGS 84). 148 Chart. Sang. II, n. 782.

Abb. 25: Nennung einer Gerichtsstätte (mallum), die als Flurname Maloo bis heute in der Gemeinde Oberuzwil überdauert hat (StiASG, Urk. II 30).

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man den mallus-Begriff in die zwei althochdeutschen Worte maþla149 beziehungsweise mahla/mahal150 (Gerichtsstätte/Stelle, an der etwas bezeugt wird; germanisch mahla)151 und lō beziehungsweise loh (Wäldchen/heiliger Hain)152 ergibt dies einen ziemlich mythisch klingenden alten Schwurort unter Bäumen (mahal-lôh)  – eine Stelle ausserhalb des Dorfes im offenen Gelände mit einem Baum oder einer kleinen Baumgruppe, wo etwas verhandelt, entschieden oder Recht gesprochen wurde, und dies vor anwesenden Zeugen (mahalen: ein Übereinkommen treffen, bezeugen, sprechen).153 Aus mahalloh wurde vereinfacht das mahloh, wie es in etwa in der von Benz angeführter Nennung in den frühen Pfandprotokollen auftaucht (malloh), und durch den h-Schwund im 13. Jahrhundert154 wurde aus ma(h)loh schliesslich der heutige Flurname maloó.155 Der Wortteil mahal als Gerichtsort und ‑versammlung wurde von den lateinisch schreibenden Mönchen als germanisches Lehnwort latinisiert zu mallum (ursprünglich neutrum, häufiger maskulin als mallus gebraucht)156 und als solches gehört es heute zum selbstverständlichen mittellateinischen Begriff für eine lokale Versammlung freier Männer.157 Es finden sich in anderer Kombination beispielsweise auch mahlstat/mahalstat (Gerichts‑/Versammlungsstätte/-ort)158 und mallobergo (Gerichts‑/Versammlungsstätte an erhöhter Stelle).159 Bei einem mallum ist also von der Bedeutung her in jedem Fall von einer Stelle im offenen Gelände auszugehen. Die zwei heutigen Flurnamen maloo in Oberuzwil und Oberbüren sind in dieser Kombination wohl schweizweit einzigartig und dürften auch im weiteren deutschsprachigen Raum nur schwerlich zu finden sein. Orte, die als Lokalität für solche Versammlungen gedient haben, was häufig mit der Funktion des Ortes als Abgabestelle einherging, dürfen im Sinne der Zentralortforschung klar als Unterzentren betrachtet werden.160 Interessant wäre an dieser Stelle noch eine weiterführende Untersuchung der rätischen placita, die noch bis ins 11.  Jahrhundert eine selbstverständliche Stellung im Urkundeformular innehatten,161 doch würde dies hier zu weit vom eigentlichen Thema ablenken. 149 Im Niederdeutschen wurde aus maþl während der zweiten Lautverschiebung ein madal, was für unsere Zwecke keine Rolle spielt, sich aber beispielweise für die Suche nach weiteren heutigen Flurnamen mit demselben Ursprung als wichtig erweisen könnte. 150 Lerchner/Schmid, Ahd. Wörterbuch V, Sp. 1248 f. 151 Starck/Wells, Ahd. Glossen, S. 394. Lück, ‹mallus, mallum›, HRG III, Sp. 1216–1218. Vgl. Sonderegger, Rechtssprache, S. 138, 140. 152 Schweizerisches Idiotikon III, Sp.  951. Bei Starck/Wells (Ahd. Glossen, S.  382) als Lichtung, Hain, womit das lateinische Pendant lucus aus dem indogermanischen urverwandt ist. 153 Ebd., S. 394; Lerchner/Schmid, Ahd. Wörterbuch V, Sp. 1249. Mhd. als mahelen/mâlen und Ableitungen wie dem mâlboum als Grenzbaum etc. (Lexer, Mhd. Wörterbuch, S. 132 f.). 154 Lerchner/Schmid, Ahd. Wörterbuch V, Sp. 1248 f. 155 Ich danke Herrn Prof. Dr. em. Stefan Sonderegger herzlich für seine Hilfe bei der sprachlichen Herleitung. 156 MLLM, S. 826 f. 157 Vgl. Sonderegger, Lat. und Ahd., S. 327. 158 Bach, Dt. Namenkunde, S. 406 f.; Fruscione, ‹Mahal, Mahlstatt›, HRG III, Sp. 1149–1151. 159 Ders., ‹Malbergische Glossen›, HRG III, Sp. 1210–1216. 160 Vgl. Kohl, Ländliche Zentren, S. 161 f., 164. Dieser betont dabei allgemein die Zentralität von Bezeichnungen mit dem urkundlich oft verwendeten Attribut publicus/-a/-um (in villa publica etc.). 161 Vgl. zum Beispiel BUB I, n. 181.

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Rektorat und Vikariat – Ruodbert und das gräfliche Beamtentum Die aus der Königsfamilie stammenden ‹Grafen› tauchen unter anderem als rectores in der Überlieferung auf, wie an einer Urkunde aus dem Jahr 871 zu sehen ist: anno XXXIII Hludouuici regis et sub filio eius Karolo rectore162 eiusdem pagi, in quo prefatae res sitae sunt, id est Prisicouue. Borgolte spricht an dieser Stelle ausschliesslich von ‹Karls Rektorat› und davon, dass für diese Zeit von keinem Grafen die Rede sei.163 Als Stellvertreter lassen sich aber Vertraute Karls vermuten, so beispielsweise ein Ruadpertvm missum imperatoris in vicem comitis von 882.164 Zwar war Karl seit 876 ostfränkischer König, doch blieb sein Rektorat mindestens über die westliche Baar offenbar bestehen, während im Breisgau ab 886 ein Wolvene als Graf greifbar wird.165 Der ebengenannte Ruadbert/Ruodbert ist wohl identisch mit einem presbitero necnon ministeriali nostro nomine Ruotberto166 aus dem Jahr 881 und dem oben erwähnten ersten Zeugen einer Gruppe von primores populi167 um 890.168 Diese grafengleiche Stellung führte gar zur Spezialform sup vicario Ruadperto169 im Jahr 887. Ruodbert agierte damit als Stellvertreter (vicarius) in grafengleicher Stellung. Erstmals erwähnt wird Ruodbert als presbiter nomine Ruodpertus atque custus capellae nostrae, und zwar als Empfänger in einer Schenkungsurkunde von 880.170 Karl schenkt darin seinem Priester und Kustos in villa Ippinga mansos III cum omnibus iuste et legitime ad eosdem mansos aspicientibus.171 Nach dem Tod Karls werden seinem engen Vertrauten diese Schenkungen auf Fürsprache der Bischöfe von Passau und Freising (per interventum Engilmari et Uualdonis venerabilium episcoporum) sehr zeitnah vom neuen König Arnulf bestätigt.172 Lieven sieht darin ein wesentliches Element der königlichen Herrschaftssicherung in Alemannien, womit Ruodbert zur Spitze der alemannischen Elite zu zählen wäre.173 Sehr fraglich, theoretisch aber dennoch im Bereich des Möglichen, wäre eine Gleichsetzung mit einem Ruopertus dux militum in einer Urkundenabschrift des 11. Jahrhunderts im Staatsarchiv Luzern.174 Im Zürcher Urkundenbuch wird diese Urkunde zwar gut begründet zu Ludwig dem Deutschen ins Jahr 853 gestellt, doch wäre auch Ludwig III. möglich. Zumindest ist in 162 163 164 165

166 167 168 169 170 171 172 173 174

Der spätere König und Kaiser Karl III. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 164. Vgl. Goetz, Dux und ducatus, S. 16–19, 32–35. Chart. Sang. II, n. 649. Wolvene, 886–902 Graf (ebd., nn.  690, 704, 715, 761; Borgolte, Grafen Alemanniens, S.  299). Dieser Wolvene war womöglich ein Verwandter des Rheinauer Abts Wolvene, der sich in lokalen Übertragungen als vir illustris und Vertrauter des künftigen Königs Karl hervortat (UBZH I, n. 127). Chart. Sang. II, n. 645. Ebd., n. 713. Vgl. Abschnitt zur gräflichen Gerichtsbarkeit. Ebd., n. 713. Sprandel sieht diese drei Personen als identisch an (Sprandel, Verfassung, S. 120). Chart. Sang. II, n. 695. Ebd., n. 642. Zum Priester Ruodbert vgl. Fleckenstein, Hofkapelle, S. 192–194; Wieners, Capellae regiae, S. 174. Chart. Sang. II, n. 642. Ebd., n. 701. Lieven, Aadorf, S. 12; Zettler, Adalbert, S. 199 f. Ein ähnliches Phänomen lässt sich unten bei den alemannischen Funktionären bezogen auf den fidelis Anno wiederfinden. UBZH I, n. 67.

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geografischer Nähe zum obengenannten Ruodbert eine Namensähnlichkeit gegeben – ob nun familiär begründet oder nicht –, die auf enge Vertraute des Königs in Alemannien hindeutet, mit grafenähnlicher Funktion und breitem Kompetenzbereich (Heerführer).175 Ein Ruodbert oder mehrere desselben Namens werden in der zweiten Hälfte des 9. und zu Beginn des 10. Jahrhunderts auch mehrfach als Tradenten sowie in Zeugenlisten als praepositi und als advocati im Thur- und Zürichgau genannt.176 – Der Name scheint also nicht nur in der Baar, sondern auch südlich des Bodensees vorgekommen zu sein. Vielleicht zeigt sich die gute Herkunft des Ruodbert beziehungsweise der Ruodberte auch daran, dass so viele dieses Namens als Mönche, Subdiakone, Pförtner, Pröpste und Dekane im Kloster St. Gallen auftauchen.177 Zur alemannischen Elite dürfte er auf jeden Fall gehört haben, und zwar auf derselben Ebene wie die unten genannten schwäbischen Magnaten Othere, Anno oder Babo. In diesem Sinne kann wohl auch von einer Verwandtschaft mit den beiden Grafen desselben Namens Ende des 8. und Anfang des 9. Jahrhunderts ausgegangen werden.178 Wohl völlig von obigem Ruodbert zu trennen sind hingegen die rheinfränkischen beziehungsweise später westfränkisch-burgundischen Ruodberte/Roberte, deren bekanntester Vertreter ‹Robert der Tapfere› in Hermanns Weltchronik genannt wird.179 Verständlicherweise wurde der Begriff vicarius vielerorts auch ganz allgemein zur Bezeichnung einer Stellvertretung genutzt (+ Ego Vvalthram famulus sancti Galli, vicarius Cozaldi prȩpositi scripsi)180 und war dementsprechend keine ausschliessliche Bezeichnung für einen in der Forschung häufig als ‹Vizegraf› bezeichneten vicarius (in comitatu Adalperto comite, sub vicario Odalricho).181 Dennoch findet sich der Begriff häufig in diesem Kontext. So sollen im Westfrankenreich des 10. Jahrhunderts vicarii gemäss Sprandel meist Unterbeamte von Grafen mit der Verfügungsgewalt über jeweils etwa 15 kleine Dörfer gewesen sein.182 Und auch für das Ostfrankenreich des 9.  Jahrhunderts finden wir dank Notker Balbulus einige Beispiele anderer vicarii beziehungsweise für die neutralere Verwendung dieses Begriffs. In seinen gesta Karoli zählt er unter anderem Stellvertreter für Herzöge, Tribune und Centenare auf,183 und auch in der Stellvertretung von Grafen sind solche zu finden (vicarios et officiales).184 Zumindest lässt sich dadurch 175 Schnyder (Innerschweiz, S. 9 f.) stellt ihn zu Ludwig dem Deutschen, mit dem er verwandt gewesen sein soll. 176 Z. B. Chart. Sang. II, nn. 408, 431, 445–446, 456, 459, 462, 465, 473–474, 484, 486, 491–492, 502, 518, 530, 532, 549, 552, 554, 560–561, 567, 577, 579, 612, 642, 644–645, 649, 662, 691, 695, 701, 674, 717–718, 758, 771, 798, 805, 809, 817, 820–821, 838, 842, 844. 177 Vgl. die acht Mitglieder dieses Namens im St. Galler Konvent bei Dohrmann (Vögte, S. 34, 142). 178 Ruadbert, 800, 806–814 Graf sowie Ruadbert, 773–800 Graf. 179 Ruodpertus fortissimus de regno Karoli comes […] (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], an. 867, S. 106). 180 Chart. Sang. II, n. 754. Wie in vorherigen Fällen ist unter dem famulus kein Höriger, sondern schlicht wörtlich ein Knecht des heiligen Gallus zu verstehen. 181 Chart. Sang. II, n. 579. 182 Sprandel, Gesellschaft, S. 90. 183 […] ducibus, tribunis et centurionibus eorumque vicariis (Notker, Gesta Karoli II, cap. 21). 184 Ebd. I, cap. 30.

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beobachten, dass vicarii im ‹offiziellen› karolingischen Verwaltungsapparat vorkamen. Bei Ekkehart IV. werden sowohl der St. Galler Abt als Vertreter des heiligen Gallus als auch Herzogin Hadwig als Vertreterin des Königs in Schwaben mit diesem Terminus bedacht.185 Rector wird in den ausgewählten erzählenden Quellen allgemein für Vorsteher jeglicher Art verwendet, darunter Karl der Grosse als rector et imperator186 sowie Kloster-, Bistums- und sonstige Kirchenvorsteher.187 Sehr viel häufiger ist dieser Begriff allerdings in den St. Galler Urkunden anzutreffen. Dabei machen ebenfalls die Bezeichnungen für den St.  Galler Abt oder andere Kirchenobere beziehungsweise Vorsteher von Klöstern und Bistümern die Mehrheit aus,188 darunter beispielsweise Bischof Egino von Konstanz (782–811), der zwar nicht Abt von St. Gallen war, aber als dessen rector auftrat (Agino, Constantiensis urbis deo iubente antestis et rector monasterii sancti Gallonis)189 und aufgrund von umstrittenen Zuständigkeiten in Konflikt mit der Abtei geriet. Rector erscheint allerdings auch als Bezeichnung für den Vorsteher einer städtischen Siedlung, dabei sticht vor allem eine Formulierung aus einer Immunitätsbestätigung König Konrads für St. Gallen heraus, die rectores loci illius veluti in Constantia civitate nennt.190 Schaab meint zu diesem ‹Vorsteher› der civitas Konstanz: «Im Auftrag des Bischofs übte im Hochmittelalter der Stadtammann, vielleicht schon 912 als rector erwähnt, Gewerbeaufsicht und Niedergericht in der Marktsiedlung aus.»191 Einem ähnlichen, jedoch nicht städtischen, sondern zentralörtlichen rector namens Heitar, der als Vorsteher in einem öffentlichen placitum zugleich als advocatus des St.  Galler Abtes fungierte, begegnen wir in einer in Uznach um 876 ausgestellten Urkunde (a venerabili abbate Hartmoto et advocato eius Heitar rectoribusque ipsius loci in publico placito).192 Rector ist also primär als ‹Vorsteher› zu verstehen, worunter im klassischen Fall Bischöfe und Äbte, aber eben auch Verweser, gräfliche Herrscher sowie Stadt- und Ortsvorsteher (‹Ammänner›) fallen konnten.

185 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 49, 95. 186 Notker, Gesta Karoli I, cap. 26. 187 Ratpert, Cas. s.  Gall., cap.  22; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an.  236, S.  77; Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 228. 188 Chart. Sang. I, nn. 11, 13, 20, 27, 29–30, 33–35, 37, 39, 45–47, 50, 67–72, 79–80, 87, 90–91, 93, 95, 99, 102, 111, 113, 118–119, 121, 126, 128, 131–132, 134, 141–142, 144, 147, 149–150, 153–154, 161–162, 164–165, 168, 175, 185–188, 192–193, 199, 201–202, 206, 215, 217, 220–221, 223, 226, 234, 237, 251, 276, 287, 294, 296, 309, 325–326, 329, 345, 359, 361, 364, 369, 390, 393; ebd., II, nn. 397, 405, 407, 423, 437, 441, 448, 450, 452, 461, 469, 472, 485, 495–496, 501, 504, 529, 532, 534, 539, 554, 557– 558, 563–564, 566, 568, 578, 581–583, 586, 592, 600, 604, 611, 619, 625, 637, 652, 673–674, 678, 688, 690, 701, 703, 714, 723, 727, 729, 750, 754–755, 767, 775, 777–778, 781, 788, 794, 799–800, 802, 816, 820, 856; ChLA CXX, n. 43. 189 Ebd. I, n. 132, sowie ähnlich ebd., n. 149, und anderes. 190 Ebd. II, n. 816. Vgl. hierzu Kramml, Konstanz, S. 289; Maurer, Konstanz, S. 62. 191 Schaab, Reichsstädte, S. 762. Ein Markt dürfte spätestens unter Abtbischof Salomo III. (890– 919) bei St. Stephan eingerichtet worden sein (Klöckler/Röber, Marktwesen, S. 249 f.). 192 Chart. Sang. II, n. 624.

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Pfalzgrafen und Königsboten Abgesehen von der Unterscheidung zwischen Grafen und grafenähnlichen Funktio­ nen sind im Verhältnis zum Königtum noch zwei weitere Ämter und Funktionen zu nennen, nämlich das Amt der comites palatii sowie die Beauftragung als missi dominici beziehungsweise camerae (nuntii). Letztere tauchen besonders präsent im Zusammenhang mit Ekkeharts IV. Schilderung zum Kampf um die Oberherrschaft in Schwaben in den ersten zwei Jahrzehnten des 10. Jahrhunderts auf und werden in jenem spezifischen Umfeld noch genauer im Abschnitt zum Zentral- und Konfliktort Stammheim aufgezeigt. Beide Ämter standen vermutlich in noch engerem Zusammenhang mit der königlichen Machtausübung vor Ort als beispielsweise die Grafenoder später auch Herzogsämter, welche zunehmend eine stärkere lokale Verbindung aufwiesen als die königlichen Gesandten (missi). Hierunter zählt Lorenz sowohl die Königsboten (vornehmlich «auf dem Land») als auch die Pfalzgrafen (ortsgebunden mit Pfalz als Residenz).193 Ganz traditionell hielten die Pfalzgrafen ein königliches Hofamt inne und sorgten unter anderem für die Unterbringung des Herrschers in einer der zahlreichen Pfalzen im Reich,194 wovon es laut Werner rund 200 gegeben haben soll. Zusammen mit den über 600 fisci und den zahlreichen Reichsklöstern, welche die Hauptlast der königlichen Gastung trugen, machte dies knapp 1000 königliche Stützpunkte aus. Diese Pfalzen dürften daneben für die Aufzucht von Pferden, für die Produktion und Lagerung von Waffen und Spezialausrüstung und für die Verwaltung der umliegenden Fiskalgüter verantwortlich gewesen sein.195 Waffen, Spezialausrüstung und Pferde waren ansonsten am ehesten in den umliegenden Klöstern zu finden. Natürlich musste das Vorkommen von Pfalzen noch nicht bedeuten, dass nun in jeder dieser Anlagen ein Pfalzgraf sass, aber zumindest dürfte es für jede grössere Verwaltungseinheit wie das Gebiet des Herzogtums Schwaben zumindest einen solchen gegeben haben.196 So könnten Pfalzgrafen zwar durchaus eine wichtige Rolle im Geschehen einer Region gespielt haben, das dürfte aber vor allem am Amtsinhaber selbst gelegen haben, denn selbst in karolingischer Zeit werden Pfalzgrafen nur in Ausnahmefällen in der Überlieferung genannt, beispielsweise beim Tod in der Schlacht (Goz­ bert † 910 im Kampf gegen die Ungarn)197 oder bei Amtsübertretungen (Erchanger, 910–† 916/917 Pfalzgraf, Kammerbote).198 Für Schwaben sind des Weiteren nur noch 193 194 195 196 197

Lorenz, Pfalzgrafen, S. 205 f. Rösener, Hofämter, S. 535, 537, 540. Werner, Heeresorganisation, S. 818 f. Vgl. Clavadetscher, Wolfinus, S. 155 f. Ungari in Alamanniam bello insperato multos occiderunt et Gozpertus comes occisus (Lendi, Annales Alamannici, an. 910, S. 186). Dieser Pfalzgraf dürfte mit einem lokal verankerten Grafen aus der westlichen Baar beziehungsweise dem Nibelgau identisch gewesen sein (Gozbert, 856–910* Graf; vgl. Grafenlisten) und war Laienabt von Rheinau (Clavadetscher, Wolfinus, S. 156). 198 Erchangarii comitis palatii (Sickel, Urkunden Konrads I. [MGH DD K I], n.  11). Erchanger war wohl vor allem aufgrund der dringenden Notwendigkeit nach dem Tod des vorherigen Pfalzgrafen und der weiterhin bestehenden Ungarnnot zum Pfalzgrafen erhoben worden (Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 81).

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zwei weitere Personen als Pfalzgrafen nachweisbar, nämlich ein Ruadolt um 854199 und ein Bertold für die Zeit zwischen 880 und 897, wobei eine Verwandtschaft mit dem im Bunde mit Pfalzgraf Erchanger stehenden Bertold (909–†  916/917 Graf, Kammerbote) möglich scheint.200 Clavadetscher hatte diesbezüglich bereits eine Verwandtschaft zwischen Ruadolt (Vater) und dem älteren Bertold (Sohn) vermutet,201 was bedeuten würde, dass das Pfalzgrafenamt in der kurzen Zeit, in der es überhaupt existiert hat, gar erblich gewesen sein könnte; ein Nachweis scheint kaum möglich.202 Zusammen mit Bertold hatte Erchanger als Graf der königlichen Pfalz Bodman versucht, seine Macht über Alemannien zu erweitern. Infolgedessen kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Erchanger und dem mächtigen Abtbischof Salomo III., der ebenfalls als Stellvertreter des Königs in Alemannien galt,203 woraufhin der Bischof durch den Pfalzgrafen und seine Anhänger festgesetzt wurde.204 Damit attackierte dieser jedoch einen Mann, der zugleich Kanzler des Königs war, was zur Enthebung Erchangers von dessen Pfalzgrafenamt und seiner Verbannung durch den König führte.205 An dieser Stelle kollidierten zwei königliche Beauftragte aufgrund ihrer eigenen Ambitionen, was den Pfalzgrafen das Leben kostete, während der Abtbischof kurze Zeit später eines natürlichen Todes starb und somit einem neuen ‹alemannischen Schutzherrn› Platz machte, einem dux. Durch die Neuerrichtung des schwäbischen Herzogtums zwischen 917 und 919 durch Burchard I. sollte es nämlich keine weiteren Pfalzgrafen in Schwaben mehr geben und der neue Herzog betrachtete die königlichen Fiskalgüter als Herzogsgüter. Das Pfalzgrafenamt als königliches Machtinstrument, das allerdings mehr und mehr repräsentativen Charakter annahm, musste dadurch den faktischen Machtträgern vor Ort, den Grafen, Platz machen. Womöglich hatten Pfalzgrafen bis dahin Teile der regionalen Aufgebote dem königlichen Heer zugeführt206 – so könnte man zumindest vermuten, nachdem Pfalzgraf Gozpert an der Spitze eines alemannischen Aufgebots gegen die Ungarn gefallen war. Da wir sonst aber keine Kunde von derartigen Ereignissen haben, dürfen wir wohl davon ausgehen, dass sich die lokalen Aufgebote unter ihren Äbten, Bischöfen und Grafen selbst dem König angeschlossen haben. Dass mit Erchanger zu Beginn des 10.  Jahrhunderts überhaupt ein Pfalzgraf derart mächtig auftrat, könnte mit der Schwäche des karolingischen Königtums und dem Wechsel zur Königsherrschaft

199 In comitatu Ruadolti comitis palatii (Chart. Sang. II, n. 449; vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 225; Lorenz, Pfalzgrafen, S. 206 f.). Für die Zeit vor der Mitte des 9. Jahrhunderts vermutet Lorenz (ebd., S. 233) nämlich keine ‹provinzialpfalzgräfliche› Stellung, sondern eine ‹hofpfalzgräfliche›, weshalb Pfalzgrafen  – sofern es sie überhaupt schon gab  – im grösseren Kontext nicht vorkommen. 200 Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 79 f. 201 Clavadetscher, Wolfinus, S. 155. 202 Lorenz (Pfalzgrafen, S. 208 f.) hält dies für sehr unwahrscheinlich. 203 Zum Übergriff an Salomo und dem damit verbundenen Sakrileg vgl. Fichtenau, Lebensordnungen, S. 224. 204 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 17–18. 205 Borst, Pfalz Bodman, S. 241; Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 84. 206 Vgl. Lorenz, Pfalzgrafen, S. 207 f.

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Konrads I. zusammenhängen.207 In der weiteren zeitgenössischen Überlieferung taucht ein comes palatii lediglich einmal in Notkers Gesta Karoli am Hof Karls des Grossen auf208 sowie dreimal im 11. Jahrhundert in den Chroniken von Hermann209 und Berthold.210 Bei den drei Pfalzgrafennennungen aus dem 11. Jahrhundert handelt es sich allerdings um die letzten Pfalzgrafen von Lothringen, dem späteren Pfalzgrafenamt bei Rhein, einer mit den schwäbischen Pfalzgrafen des 9. Jahrhunderts nicht vergleichbaren Herrschaft. Noch weniger als Beamte fassbar sind die missi dominici beziehungsweise camerȩ nuntii. Hier wird neutraler von einer Beauftragung, einer Funktion, gesprochen. Der oben erwähnte Kammerbote Bertold trat an der Seite des Pfalzgrafen Erchanger laut Ekkehart IV. sehr machtvoll und selbstbewusst gegenüber Abtbischof Salomo III. auf211 und verweigerte gar die direkten Anordnungen des Königs, dessen Vertreter er doch eigentlich sein sollte. Laut den Amtshandlungen eines früheren Königsboten (missus domni/regis), dem Grafen Hildebold (867–893 Graf), hatten Königsboten unter anderem Gerichtssitzungen im Namen ihres Herrn durchzuführen212 und sorgten damit zugleich für die Durchsetzung und Bewahrung des ‹königlichen Friedensschutzes›.213 Dass dieser Hildebold zugleich Graf  – wahrscheinlich ausserhalb Alemanniens – war, dürfte die Annahme bestätigen, dass es sich nur um eine Funktion handelte, während das Grafenamt als eigentliche ökonomische Grundlage diente. Vermutlich können die an späterer Stelle noch ausführlicher behandelten fideles und anderen Gefolgsleute des Königs in gewisser Weise ebenfalls als solche Königsboten gesehen werden, doch taucht diese Formulierung nur sehr selten auf. Der Begriff camerae für Kammerboten taucht in der erzählenden Überlieferung Schwabens überhaupt nur zweimal, und zwar bei Ekkehart IV. zur Bezeichnung oben genannter ‹Verschwörer› Bertold und Erchanger auf.214

207 Jahn, Bayerische Pfalzgrafen, S. 114. Zur Übergangszeit und «dem letzten Karolinger» Konrad vgl. Busch, Karolinger, S. 51 f. 208 Notker, Gesta Karoli II, cap. 6. 209 Pfalzgraf Otto von Lothringen, seit 1045 Herzog von Schwaben (Hermann, Chronicon, an. 1045, S. 678). 210 Pfalzgrafen Heinrich I. und Hermann II. von Lothringen (Berthold, Chronicon II, ann. 1060, 1077, S. 50, 150). 211 Vgl. unten die Ausführungen zum Zentral- und Konfliktort Stammheim. 212 Hildeboldus missus / Hilteboldi comitis / missus domni regis (Chart. Sang. II, nn. 556, 692; UBZH I, n. 159; vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 143). 213 Kaiser, Friedenswahrung, S. 58 f. 214 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 11–12. Für die Bezeichnungen rund um missus vgl. den Abschnitt zu den Boten und Gesandten im Kapitel zur Dienstmannschaft. Damit werden nämlich praktisch ausschliesslich Nachrichtenüberbringer und kaum Beauftragte oder ‹Botschafter› bezeichnet.

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3.1.2

Graf und Grafschaft im 11. Jahrhundert

Da die urkundliche Überlieferung für das 11. Jahrhundert – wie oben gezeigt – mit beispielsweise nur vier Privaturkunden in St. Gallen nicht wirklich für eine weiterführende Interpretation taugt, tappen wir hinsichtlich der Entwicklung von Grafschaft und Grafentitel grösstenteils im Dunkeln.215 Auch für die Grafschaftsbezirke lassen sich nur Vermutungen anführen. Im Gegensatz zur vorhin angeführten Theorie, dass die Kompetenzen der Grafen im 10. Jahrhundert womöglich grösser wurden, scheinen die Grafenrechte im 10./11. Jahrhundert zunehmend an kleinere Gebietseinheiten und für kleinere Aufgabenbereiche vergeben worden zu sein; kurz: die Grafschaften – die in erster Linie Gerichtsbezirke waren – sollen zunehmend kleiner geworden sein. Selbst kleinste Immunitätsbezirke sollen mit gräflichen Rechten ausgestattet worden sein, sodass die Grafschaft des 11. Jahrhunderts laut Hoffmann eine äusserst heterogene und durch historische Zufälle entstandene Gebietsmasse gewesen sei.216 Der Grafentitel wurde im 11./12. Jahrhundert verstärkt zur Standesbezeichnung verwendet217 und die Grafschaften fielen durch Ämterkumulation der lokalen Aristokratie dem Aufbau eigener Herrschaften zum Opfer – soweit die Theorie.218 Im Gegensatz dazu lassen sich noch bis ins späte 11. Jahrhundert praktisch alle ‹alten› karolingischen Grafschaften Alemanniens finden, wie unten zu sehen sein wird. Allerdings dürften sich die Grafenrechte intern zunehmend verändert haben, und neben der königlichen Beauftragung und dem gerichtlichen Vorsitz kamen weitere comitatus-Berechtigungen sowie Burgen, Abteien und Propsteien hinzu.219 Comitate in bischöflicher und herzoglicher Hand Ausserhalb der sankt-gallischen Überlieferung finden sich für Alemannien Hinweise bezüglich Grafschaftsvergaben – wenn nicht gar Grafschaftsverteilungen – aufgrund von politischem Kalkül.220 In den Auseinandersetzungen zwischen König und Reformpapsttum scheinen königstreue alemannische Bischöfe und andere Aristokraten mit Grafschaften ausgestattet worden zu sein. Offensichtlich wird dies in der Verleihung einer Grafschaft im Breisgau an die Strassburger Bischofskirche um 1077, die zuvor dem schwäbischen Herzog Berthold abgesprochen worden war.221 215 Vgl. Wagner, Transformation, Abs. 11 f. 216 Hoffmann, Grafschaften, S. 456–460. 217 Im Westfrankenreich soll sich zur selben Zeit eine vergleichbare Tendenz abgezeichnet haben und Poly/Bournazel (Mutation, S. 7) sprechen davon, dass die lokalen Aristokraten durch den Versuch, das eigene Ansehen zu verbessern, nach immer höheren Ämtern strebten, um an ‹standesgemässe› Titel zu gelangen, welche zunehmend vererbt wurden. Dies wiederum untergrub die eigentlichen Ämter und trug zur verstärkten Dezentralisierung im Gesamtreich bei. 218 Maurer, Schwarzwald, S. 120, 124. Vgl. hierzu die Untersuchungen unten. 219 Hoffmann, Grafschaften, S. 459. 220 Der folgende Abschnitt entspricht im Wesentlichen einem online publizierten Vortrag (Wagner, Transformation, Abs. 4). Der Titel ist absichtlich an den Aufsatztitel Hoffmanns (Grafschaften in Bischofshand) angelehnt. 221 Unde ob interventum principum nostrorum episcoporum, comitum et aliorum fidelium nostrorum, precipue autem ob fidele servitium Werinheri duci iusto iudicio sublatum cum omnibus appenditiis legum sanctae Mariae Argentinensi in proprium tradendo firmavimus firmando tradidimus, ea conditione ut

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Grafschaften waren bereits zuvor aus königlicher Hand gegeben worden, womöglich um die geografisch nähere Vergabe und Kontrolle durch königliche Vertreter wie Bischöfe zu gewährleisten. Für das Jahr 1041 ist ein Transsumpt aus dem 14.  Jahrhundert überliefert, wonach König Heinrich III. der bischöflichen Kirche Basel die Grafschaft Augst im Augstgau verlieh,222 und 1080 soll Heinrich IV. demselben Empfänger für treue Dienste die Grafschaft Härkingen im Buchsgau223 übertragen haben.224 Interessant ist primär, dass die Aufsicht über einen derartigen Gerichtsbezirk also selbst Ende des 11. Jahrhunderts noch vom König vergeben werden konnte und die Grafschaft somit noch im 11.  Jahrhundert als königliches Amt betrachtet werden kann.225 Dem Wortlaut zufolge scheint es sich nämlich nicht um die Vergabe eines beneficium gehandelt zu haben,226 sondern um eine Besitzübertragung (in proprium tradere).227 In welchem Verhältnis die Grafen beziehungsweise die Grafschaftsbezirke zum ostfränkischen Königtum während des 10. Jahrhunderts standen, lässt sich an einem Ausschnitt aus Thietmars Chronik erahnen: Gerhardus, comes Alsacie, accepto a rege quodam comitatu prefati ducis [Herimannus dux], cum domum rediret.228 Der Elsässer Graf Gerhard war vom König also mit einer schwäbischen Grafschaft belehnt worden, welche eigentlich unter der Verfügungsgewalt des Herzogs von Schwaben stand.229 Maurer vermutet dahinter eine direkte Belehnung, die ansonsten durch den Herzog als königlichen Stellvertreter getätigt wurde. In der herzoglichen Praxis sieht er eine relativ weitgehende Verfügungsgewalt des schwäbischen Herzogs über das Fiskalgut. Dazu gehörten königliche Pfalzen, Burgen und Münzstätten (Zürich, Breisach und Esslingen) ebenso wie Grafschaften, «die der König dem Herzog entweder zur eigenen Verwaltung oder aber zur Weiterleihe übertrug».230 Die Übertragung einer

222 223

224

225 226 227 228 229 230

idem Werinherus episcopus suique successores eunden comitatum omni aevo potestative possideant (Gladiss, Urk. Heinrichs IV. [MGH DD H IV], n. 298). […] pro nostra salute quendam nostre proprietatis comitatum Augusta vocatum in pagis Ougestgouue et Sigouue situm pretitulate Basiliensi ecclesie […] in proprium tradidimus (Bresslau, Urkunden Heinrichs III. [MGH DD H III], n. 77). Der Buchsgau in der Region Solothurn/Olten war zuvor Teil des Augstgaus. Der comitatus Härkingen wiederum zeigt, dass im 11. Jahrhundert auch innerhalb solch kleiner Bezirke noch kleinere Gerichtsbezirke mit Grafschaftsrechten existieren konnten (Gamper, ‹Buchsgau›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8463.php [4. 8. 2018]). […] ad ecclesiam Basiliensem, […] comitatum nomine Harichingen in pago Buhsgowe situm cum omnibus appendenciis comitatus in proprium tradendo firmavimus firmando tradidimus (Gladiss, Urk. Heinrichs IV. [MGH DD H IV,2], n. 327). Für ausserschwäbische Fälle dieser Art vgl. Bresslau, Urkunden Heinrichs II. (MGH DD H II), n. 168; ders., Urkunden Konrads II. (MGH DD K II), n. 178; Gladiss, Urk. Heinrichs IV. (MGH DD H IV,1), n. 242; ebd. (MGH DD H IV,2), n. 424. Auch Jussen (Franken, S.  86) hält eine Lehnsbindung für unwahrscheinlich und sieht darin schlicht ein Amt. Maurer (Schwarzwald, S. 106 f.) ist sich der Grafenrolle als Vertreter des Königs im Hochmittelalter nicht ganz so sicher. Hinter die in der Forschung verbreitete Meinung von Herzogtümern und anderer vom König vor dem 12. Jahrhundert als Lehen vergebenen Ämter stellt Dendorfer (Lehnswesen im Hochmittelalter, S. 13, 29, 37) ein grosses Fragezeichen. Bresslau, Urkunden Heinrichs III. (MGH DD H III), n. 77. Thietmar, Chronicon V,21. Zu Grafschaft und Herzogtum im Elsass vgl. Zotz, Breisgau, insbesondere S. 50 f., 115–117, 134 f., 178. Maurer, Herzog von Schwaben, S. 142–144.

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eigentlich dem Herzog zugehörigen Grafschaft kann allerdings auch als Zeichen der Missgunst verstanden werden und wirft ein Licht auf das Verhältnis zwischen König, Herzog, Grafen und den weiteren schwäbischen Vasallen.231 Der König konnte demnach einem opponierenden Herzog dessen Machtgrundlage entziehen.232 Wie am Ende der Untersuchungen beim Begriff marchio zu sehen sein wird, musste dies allerdings nicht zwangsläufig bedeuten, dass eine offizielle königliche Aktion auch faktisch Konsequenzen hatte: Als während des ‹Investiturstreits› zugleich zwei Könige, mehrere Gegenäbte und Gegenbischöfe sowie zwei Herzöge von Schwaben offiziell beziehungsweise faktisch an der Macht waren, dürfte dies nämlich ebenso für zahlreiche Grafschafts- und andere Rechtsbezirke gegolten haben. Das zeigte sich nicht zuletzt an speziellen (marchio für den Gegenherzog Bertold II. von Zähringen)233 sowie unterschiedlich geführten Titeln der entsprechenden Machthaber (‹Herzogsgrafen› beziehungsweise Herzöge, die aus traditionellen oder strategischen Gründen auch den Grafentitel trugen).234 Wie im Folgenden am personellen Comitat ohne territorialen Comitat untersucht wird, konnte also umgekehrt auch ein Grafenbezirk ohne Graf sein und durch andere Funktionäre verwaltet werden. Durch die zunehmend vielfältigen Faktoren eines Grafenamtes, das sich aus immer mehr Aufgaben zusammensetzte, konnten demnach Gerichtsherrschaften und andere Rechte und Bezirke auch abgetrennt beziehungsweise anderweitig verliehen werden.235 Grafen ohne Grafschaft? Anders als durch die Abnahme der Grafenformel in den St.  Galler Urkunden suggeriert, erlebte das Grafentum – zumindest dem Begriff nach – in der historiografischen Überlieferung zum 11. Jahrhundert gar eine Blütezeit. Grafen tauchen in allen hier untersuchten Quellentypen auf und werden in den sieben spezifischer betrachteten erzählenden Quellen mit völliger Selbstverständlichkeit genannt.236 Wie zu erwarten war, müssen Grafen im schwäbischen Alltagsleben eine feste und selbstverständliche Rolle gespielt haben. Es handelt sich bei den comes-Nennungen der Autoren Heito, Walahfrid, Ratpert und Ekkehart IV. primär um die lokalen Würdenträger, wobei sie sehr unterschiedlich eingeschätzt werden. So unterstellt ihnen Heito bei 231 Ebd., S. 145. 232 Grafschaften konnten abgesprochen und neu verschenkt werden, um treue Parteigänger zu belohnen oder um neue zu gewinnen (Hoffmann, Grafschaften, S. 477). 233 Vgl. den entsprechenden Abschnitt unten. 234 Vgl. Maurer, Herzog von Schwaben, S. 142–145. 235 Vgl. hierzu die Ausführungen zu den gräflichen ‹Unterbeamten› und vergleichbaren Funktionären (centurio, tribunus) unten. 236 Es handelt sich um die in der Einleitung bereits genannten Quellentexte: Heito erwähnt Grafen viermal (Visio Wettini [MGH Poetae II], cap. 10, 12–13, 27), Walahfrid einmal (Vita s. Otmari, cap. 1), Notker sechsmal (Gesta Karoli I, cap. 11, 13, 27, 30; II, cap. 8), Ratpert viermal (Cas. s. Gall., cap. 4–6, 8), Ekkehart IV. sechsmal (Cas. s. Gall., cap. 9, 43, 49, 82, 96, 136), Hermann 37-mal (Aug. Chronicon [MGH SS V], ann. 674, 753, 802, 811, 819–820, 825, 825, 829, 834, 841, 851, 878, 880, 895–896; Chronicon, ann. 901–902, 919, 953, 955, 969, 971, 973, 1008–1010, 1015, 1017, 1025– 1027, 1030, 1036, 1044, 1047, 1051–1052, S.  628–632, 640–642, 646, 656, 660–666, 670, 678, 684, 694–696) und Berthold spricht 19-mal von ihnen (Chronicon I, ann. 1054/1060, S. 20/26; ebd. II, ann. 1075–1079, S. 94, 106, 144, 162–166, 180, 222, 234, 238–240, 248–250, 272–276).

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spielsweise Habsucht sowie unzureichende Verwaltungsfähigkeiten, während Ratpert wie Ekkehart IV. selbstverständlich von den wichtigsten lokalen Grafen im Zuge ihrer Geschichte des Klosters St.  Gallen erzählen. Obwohl auch Notker, Hermann und Berthold Grafen als lokale Grosse schildern, liegt der Schwerpunkt jener Akteure eher im militärischen Bereich.237 Der militärische Faktor ist zwar einerseits der Intention der jeweiligen Autoren geschuldet  – Grosserzählungen wie die Chroniken Hermanns und Bertholds sowie der Tatenbericht Notkers zum kriegerischen Karl dem Grossen behandeln nun einmal stark militärische Auseinandersetzungen –, andererseits werden für die spezifisch militärischen Chargen auch eine ganze Reihe anderer Termini benutzt.238 Der Eindruck übermässig militärischen Charakters von comites bei Notker mag wohl der Zentralfigur Karl geschuldet sein, der sich mit Grafen als seine Berater, als Teil seines Gefolges und als militärische Anführer umgibt. Schmid sieht in den Grafen des 11. und 12. Jahrhunderts ganz selbstverständlich weiterhin die Hauptträger der Kriegszüge. Wenn nun auch vermehrt die Ministerialen in den Vordergrund drängten,239 behaupteten die Grafen doch ihre bisherigen militärischen Funktionen.240 Letztlich verfügten aber alle diese Grafen über eine gewisse ökonomische Grundlage zur Ausübung ihrer Pflicht dem König gegenüber, was nun einmal durch das Innehaben einer Grafschaft oder den Erhalt von honores241 und beneficii242 am einfachsten zu regeln war. Ob nun im 9. Jahrhundert fest zugeordnete Grafschaftsbezirke die ökonomische Grundlage der Grafen darstellten, während diejenigen des 11.  Jahrhunderts mehrheitlich nur dem Namen nach Grafen waren, kann pauschal nicht beantwortet werden. Es mag zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert sicher beide Formen gegeben haben, doch gab es nach dem Ende der karolingischen Herrschaft im Ostfrankenreich wohl in zunehmender Weise Grafen ohne territoriale Zugehörigkeiten. Im Zuge der Festigung neuer lokalaristokratischer Familien, deren Vertreter einmal eine Grafschaft innegehabt hatten, konnte der Grafentitel durchaus Zeichen von Würde und Rang darstellen. Solche Fälle waren im 11.  Jahrhundert wohl eher möglich als zweihundert Jahre zuvor. Einen absoluten Verwaltungsumbruch zu Beginn des 10. Jahrhunderts wird es aber mit Bestimmtheit nicht gegeben haben, denn wie bereits oben nachgewiesen werden konnte, gab es in vielen alemannischen Regionen auch im 10. Jahrhundert eine kontinuierliche Ordnung an Grafschaften mit einer Abfolge an offiziellen Amtsinhabern. Eine Bestätigung hierfür ist Ekkeharts selbstverständliche historiografi 237 Für Maurer (Schwarzwald, S. 111) gehörten die Grafen zu keiner Zeit zur lokalen Elite, sondern zu externen hochadligen Familien, was in dieser Pauschalität wohl nicht zutrifft. 238 Vgl. die entsprechenden Abschnitte oben bei den Kriegern und Waffenträger insbesondere zur militia. 239 Krieg (Reform und Rebellion, S. 92 f.) betont das persönliche Verhältnis der Herrscher zur Ministerialität als während des ‹Investiturstreits› besonders eng, was mit einer gewissen Entfernung von den ehemaligen Ratgebern und aristokratischen Heerführern einhergehen musste. Vgl. Hartmann, Investiturstreit, S. 20. 240 Schmid, Comes und comitatus, S. 208. 241 Vgl. Notker, Gesta Karoli I, cap. 13; Morsel, Aristocratie médiévale, S. 52. 242 Vgl. Notker, Gesta Karoli I, cap. 30, und ebd. II, cap. 8.

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sche Schilderung der Grafschaftsverhältnisse im 9. und 10. Jahrhundert.243 Dennoch tendiert man dazu, zu glauben, es habe Ende des 10. oder Anfang des 11. Jahrhunderts einen Umbruch im Selbstverständnis des Grafentums gegeben. Einerseits fehlt die Kontinuität oben erwähnter Grafenformeln in den Urkunden aufgrund des fast vollständigen Fehlens von Urkunden im 11.  Jahrhundert, andererseits tauchen in den erzählenden Quellen derselben Zeit zahlreiche Grafen ohne weitere Angaben wie Gaubezeichnungen auf.244 Das Fehlen klärender Quellen führt schliesslich zu spekulativen Überlegungen und voreiligen Schlüssen betreffend Transformation. Denn nach der alleinigen Auswertung der St. Galler Urkunden schien es vorerst, als hätten wir es mit einer zunehmenden Ablösung vom gräflichen Amtsgedanken zu tun, einem ersten Schritt zur personen- und dynastiegebundenen Grafschaft des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Zum comes gehört in den frühmittelalterlichen Urkunden klar der comitatus oder pagus und doch tauchen die beiden Begriffe in den hier untersuchten erzählenden Quellen kaum auf. Besonders in den Quellen des 9. Jahrhunderts hätte man als Bearbeiter von Urkunden solche Nennungen zu finden geglaubt, doch die beiden Begriffe erscheinen nur jeweils einmal bei Notker und pagus einmal bei Ratpert. Laut Notker soll Karl der Grosse keinem seiner Grafen, der nicht unmittelbar militärischen Bedrohungen ausgesetzt war oder für den Grenzschutz zu sorgen hatte (Marken), mehr als eine Grafschaft zugestanden haben: Providentissimus Karolus nulli comitum, nisi his qui in confinio vel termino barbarorum constituti erant, plus quam unum comitatum aliquando concessit.245 Notker verstand Grafschaften Ende des 9. Jahrhunderts also noch traditionell als feste Bezirke der karolingischen Verwaltung, denen jeweils nicht mehr als ein Verwaltungsbezirk unterstehen sollte. Notker, selbst aus der lokalen Aristokratie stammend, war sich der Gefahren einer Ämterkumulation offenbar bewusst. Er sollte damit Recht behalten, denn nur wenige Jahrzehnte nach der Niederschrift seiner Gesta Karoli kam es zu den bereits mehrfach erwähnten innerschwäbischen Bruderkämpfen, nachdem unter anderem die über mehrere Grafschaftsbezirke verfügenden ‹Burchardinger› zur schwäbischen Herzogsmacht gegriffen hatten. Den zweiten Begriff – pagus – verwendet er in der einfachen Nennung eines ausserschwäbischen Grafschaftsbezirkes, des Mosellanum pagum.246 Ratpert stimmt in seiner Begriffsverwendung mit Notker überein, als er Talto, einen Mann aus der höchsten Aristokratie des Reiches, als späteren Grafen eines einzelnen pagus deklariert.247 Dagegen finden beide Begriffe in den ausgewählten Quellen des 11. Jahrhunderts wohl nur aufgrund des grösseren Textumfangs eine minimal höhere Verbreitung. Ekkehart sieht pagus auch im 11. Jahrhundert noch 243 Vgl. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 11 und 82. Zudem wird zur rechtlichen Schlichtung selbstredend ein lokaler Graf herbeizitiert, was ebenfalls als territorialer Aufgabenbereich angesehen werden kann (ebd., cap. 96). 244 Zum Verschwinden der Comitats- und Pagusnennungen vgl. Schmid, Comes und comitatus, S. 191–193. 245 Notker, Gesta Karoli I, cap. 13. 246 Der Moselgau ist ansonsten nicht überliefert, war laut Notker (ebd. II, cap. 13) aber eine Herrschaft des Normannenfürsten Gottfried. 247 Talto vir inlustris, Tagoberti scilicet regis camararius et postea comes eiusdem pagi (Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 4).

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als Gebietsgliederungseinheit an248 und auch Hermann greift gleich mehrmals auf diesen Begriff zurück, als er einerseits merowinger- und karolingerzeitliche Gebietsnamen als auch klar umrissene Gebiete des 11. Jahrhunderts umschreibt.249 Comitatus als geografische Bezeichnung wird im 11.  Jahrhundert hingegen nur bei Hermann und Berthold je einmal erwähnt.250 Comes und comitatus bei Hermann und Berthold Wir haben uns eingangs mit Heito, Walahfrid, Ratpert und Ekkehart IV. beschäftigt und sind abschliessend für das 9. Jahrhundert auf die geografischen Aspekte eingegangen. Doch neben Ekkehart IV., der zur Schilderung einiger früherer Ereignisse im Kloster wohl auf Urkunden des klösterlichen armarium zurückgegriffen hat und dessen Werk als eine Art Schwellentext von Terminologie und Semantik des 10. und 11. Jahrhunderts gesehen werden kann, müssen die zwei anderen untersuchten Autoren des 11.  Jahrhundert, die Reichenauer Mönche Hermann der Lahme und sein Schüler Berthold, nun ebenfalls gesondert betrachtet werden. Ihr Anspruch war es wohl weniger, Ereignisse im Zusammenhang mit einer lokalen Institution zu schildern, als vielmehr die Verfassung einer geografisch und zeitlich weiter gefächerten Chronik darzulegen. Hermann begann mit dem Jahr 0 und Berthold setzte die Arbeit seines verstorbenen Lehrers für die Jahre 1054 bis 1080 fort. Dementsprechend darf auch nicht jeder in die Spätantike gestellte comes als Graf identifiziert werden. Hermanns eigene Differenzierung des römisch-antiken vom zeitgenössischen Vokabular ist jedoch so beeindruckend, dass allein diese Betrachtung eine ausführlichere Arbeit wert wäre. Nun aber zur inhaltlich-mittelalterlichen Begriffsnutzung Hermanns und Bertholds. Hermanns comites werden bis auf eine Ausnahme alle mit Namen genannt, welche zum Teil durch eine Ortsangabe ergänzt werden.251 Zudem stehen die meisten Erwähnungen im Zusammenhang mit militärischen Operationen Karls; einer ist Burgherr252 und fast alle gehören sie den höchsten Kreisen der Reichsaristokratie an. Man wird den Eindruck nicht los, die hohen Vertreter gewisser Verbände, Gruppen und ‹Stämme› des Ostfrankenreichs werden aufgrund ihrer militärischen Funktion als Grafen bezeichnet, da – wenn man die vollständige Chronik Hermanns durchsieht – von der weltlichen Seite nur Herzöge, Markgrafen und Grafen als Truppenführer oder als Angehörige des persönlichen ‹Stabs› des Königs vorkommen. Der Grafentitel – als niedrigster derartiger Titel – kann dabei als eine Art Voraussetzung für jegliche Kommandogewalt betrachtet werden. Eine direkte geografische bezie 248 […] in pago, quem Friccouve dicunt (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 64). 249 Darunter auch in pago Alamanniae (Hermann, Chronicon, an. 902, S. 628). Ansonsten dürfen insbesondere der Begriff provincia/provintia (bei Heito, Notker, Ratpert und Hermann, auch zur Unterscheidung von Stadt und Land) sowie die Bezeichnungen territorium (bei Hermann), regio (bei Heito und Notker) und termini (Plural, bei Notker) als beliebte Landschaftsbegriffe gesehen werden. 250 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 602, und Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 218. 251 Für eine genauere Herrschaftsangabe vgl. Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 820, 829, 834, und Hermann, Chronicon, an. 901, S. 628. 252 Ebd., an. 1044, S. 678.

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hungsweise verwaltungstechnische Zugehörigkeit lässt sich bis auf die wenigen vorhin genannten Ausnahmen nicht finden, was in erster Linie der Autorintention (‹Globalgeschichte›) geschuldet ist. Es wird darin womöglich auch ein früher Fall der neuen dynastischen Benennung nach einem Wohn- oder Herrschaftssitz ersichtlich, da Hermann den Grafen von Marchtal, entweder aus Gewohnheit oder weil man ihn hauptsächlich in diesem Zusammenhang kannte, für das Jahr 953 als Adalperto de Marhtale comite bezeichnet und nicht etwa als Adalperto comite de Marhtale. Allerdings setzt Hermann auch in der darauffolgenden Nennung des Grafen Theobald das comite erst hinter die Zusatzinformation, dass dieser der Bruder des Bischofs sei.253 Man wird aufgrund der fast durchwegs prominenten Persönlichkeiten also einerseits dazu verleitet, im Grafen des 11. Jahrhunderts eine andere Grösse zu sehen als noch im karolingischen Grafen und seinem ‹Auslaufmodell› des 10. Jahrhunderts, man findet aber auch lokale Bezüge. So gibt es für das Jahr 1030 den Hinweis auf einen Grafen, der – wohl zusammen mit seinem gräflichen Aufgebot – einen Teil des Reichenauer Aufgebots stellt,254 und damit entweder als Gegenbeweis (territorialer, ‹karolingischer› Graf) oder als anachronistische Ausnahme (militärischer Anführer) gelten müsste. Doch gilt es an dieser Stelle wohl besonders zu beachten, dass es sich nicht um zeitgenössische annalistische Eintragungen, sondern um das literarische Werk Hermanns des Lahmen handelt und die Stellung von solchen Worten nicht überinterpretiert werden sollte. Für das Jahr 880 berichtet Hermann von Kämpfen mit normannischen Verbänden, wobei zwölf Grafen zusammen mit zwei Bischöfen und 18 königlichen milites den Normannen zum Opfer fallen. Diese Männer dürfen aufgrund ihrer Nennung wohl als wesentlicher Bestandteil der Führungsriege des ostfränkischen Aufgebots angesehen werden. Die Betonung, dass es sich dabei um königliche milites gehandelt habe, lässt den Schluss nahe, diese seien vom König als Verstärkung gegen die normannischen Truppen gesandt worden, während die Bischöfe und Grafen womöglich als die Anführer der nördlichen Aufgebote fungierten. Damit hätten wir aus Hermanns Feder ein Beispiel, das besser zu unseren Vorstellungen von Graf und Grafschaft in spätkarolingischer Zeit passt, was aber voraussetzen würde, dass sich Hermann dessen auch selbst bewusst war. Obwohl Hermann zweifellos über eine hervorragende Bildung verfügte und sich hie und da für seine Beschreibung der antiken und frühmittelalterlichen Verhältnisse – trotz derselben verwendeten Termini – eine bewusste Differenzierung in der Semantik abzeichnet, kann der Beweis dafür wohl nicht erbracht werden, weshalb Hermanns Begrifflichkeiten sicherheitshalber aus der zeitlichen Perspektive der Niederschrift betrachtet werden sollen. Diesbezüglich können wir uns also Überlegungen zu angeblichen Entwicklungen und Anachronismen sparen. Hermann ist damit primär als Quelle zur Terminologie und Semantik des 11. Jahrhunderts von Nutzen. Berthold verwendet den comes-Begriff in ähnlicher Weise wie sein Lehrer Hermann. Auch er berichtet von verschiedenen, namentlich genannten, prominenten 253 Adalperto de Marhtale comite et Theodpaldo episcopi fratre item comite (ebd., an. 953, S. 640). 254 Manegoldo comite ex Augiensi milicia (ebd., an. 1030, S. 666).

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Grafen, doch es gibt eine besondere Stelle, wo er für die Beschreibung der Titel von Herrschaftsträgern beim Grafen nicht auf comes zurückgreift, sondern die Form gravio verwendet.255 Hierbei bezieht er sich laut Robinson auf eine Stelle in Isidors Etymologiae.256 Doch wurde unter einem gravio beziehungsweise grafio um 600 noch kein Graf im mittelalterlichen Sinne verstanden, sondern unter anderem der Vorsitzende bei kleineren Versammlungen. Laut Niermeyer sollen spätestens Ende des 8. Jahrhunderts grafio und comes – wohl aufgrund der zum Teil überschneidenden Aufgabenbereiche  – zu einem Amt verschmolzen sein.257 Damit betonte Berthold, wohl ohne es zu wissen, besonders die richterliche Funktion des Grafen, die auch dem comes innewohnt, ursprünglich aber hinter der militärischen Funktion zurückstand. Neben den Nennungen einzelner Namen spielt nämlich der militärische Faktor der comites und comitati sowohl bei Berthold als auch bei den anderen Autoren eine zentrale Rolle. So erscheint 1066 ein comes aus Trier in erster Linie als Teil (oder gar als Anführer) der militärischen Elite der Stadt: comes de militia Trevirensi nomine Theodoricus258 und 1077 wird in der Schilderung einer der zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen den Königen Heinrich und Rudolf ersichtlich, wie wichtig es war, die lokalen comites auf seiner Seite zu wissen, da diese in der Lage waren, dem betreffenden Herrn ihre jeweiligen militärischen Aufgebote zuzuführen.259 Ein praktisches Beispiel hierfür liefert Berthold für das darauffolgende Jahr nach: […] rusticisque quos per comitatus sibi adiuratos in auxilium undique coegerant.260 Nebst der Kampfkraft des Grafen selbst261 und seines Gefolges konnte dieser auch den lokalen Heerbann einberufen. Exkurs: Comitatus zwischen Antike und Mittelalter Es wurde nun einige Male das Gefolge des Königs angesprochen, das meist als comitatus bezeichnet wird, mit den frühmittelalterlichen comites aber nur indirekt etwas gemein hat.262 Betrachten wir zur Klärung erst die weitere Verwendung der comes-/comitatus-Wortgruppe. Während in einigen der bisherigen Beispiele der militärische Charakter nur als Teil der Begriffe zu verstehen war, kann comes spätestens mit Hermanns Beschreibung der antiken Ereignisse nicht mehr einfach mit Graf übersetzt werden, sondern eher als Heerführer und militärischer Anführer,263 dasselbe gilt für die duces.264 Darunter fallen Persönlichkeiten wie Aetius, Theoderich, Bonifazius, Arbogast und Stilicho, die zum Teil zusätzlich noch 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264

Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 158. Ebd., S. 159. MLLM, S. 617 f. Berthold, Chronicon I, an. 1066, S. 32. Laut Robinson (ebd., S. 33) handelt es sich dabei um den Trierer Burggrafen und Vogt Dietrich († 1073). Ebd. II, an. 1077, S. 166. Ebd., an. 1078, S. 218. Nach Hermann zählt auch Berthold die Herzöge und Grafen einzeln mit auf, wenn er vom militärischen Gefolge des Königs beziehungsweise dessen Heer spricht (vgl. ebd., an. 1077, S. 164). Vgl. ebd., an. 1065, S. 56 (Bischof cum magno apparatu et comitatu) und ebd. an. 1077, S. 124 (König mit comitatu et apparatu). Den 37 comites, die man als Grafen interpretieren kann, stehen neun rein militärische Anführer gegenüber (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], ann. 398, 411, 428, 461, 524, 534, 538, 547). Bei Hermann 97-mal als Herzog und 53-mal als dux militiae oder in vergleichbarer Funktion.

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die Ehrenbetitelung patricius tragen und offiziell als magistri militum (spätantike römische Heermeister) agieren.265 Auch für das frühe Mittelalter treffen nicht alle comes- und comitatus-Betitelungen auf Grafen zu. Sie bezeichnen bei Notker, Ekkehart IV. und Berthold in fast ebenso häufiger Weise die persönlichen Begleiter beziehungsweise das Gefolge wichtiger Würdenträger (meist von Königen oder Bischöfen).266 Dieses Gefolge ist in den Quellen interessanterweise immer bewaffnet und diente wohl als Eskorte und Leibwache. Unter diesem Gesichtspunkt erinnern diese comites stark an die Begleiter spätantiker Kaiser. Der Ursprung liegt in der eigentlichen Wortbedeutung als ‹Begleiter›, wozu Personen wie Schreiber, Ärzte und Präfekten zählten.267 Diese comites begleiteten die römischen Beamten oder eben den Kaiser, damit diese ihre Pflichten und Aufgaben erfüllen konnten. In den zunehmend konfliktreicheren Jahrhunderten des spätantiken Reiches schufen sich die Kaiser schliesslich eine eigene bewaffnete, bewegliche Begleittruppe, die sie im Gegensatz zur traditionell gegliederten Prätorianergarde persönlich befehligten, den comitatus. Unter Kaiser Constantin wurde diese Einrichtung ausgeweitet und das bewegliche Feldheer der comitatenses geschaffen, das mit dem Kaiser zu den jeweiligen Brennpunkten im Imperium zog, während stationäre Einheiten (limitanei) die Grenzen sicherten. Von den comitatenses wurden in späterer Zeit die palatini als kleine Elitetruppe in unmittelbarer Umgebung des Kaisers abgetrennt.268 Diese schola palatina, welche im vierten Jahrhundert die Funktionen der aufgelösten Prätorianergarde übernahm und die nach dem ‹Ende› des Weströmischen Reiches weiterhin im Oströmischen Reich und dem frühmittelalterlichen Byzantinischen Reich agierte,269 findet sich womöglich in der späteren schola Karls des Grossen wieder, während der anfängliche comitatus mit der bewaffneten Eskorte frühmittelalterlicher Würdenträger vergleichbar ist.270 Wie nun des Öfteren aufgefallen ist, könnte als grösseres Hindernis zur Durchdringung der comes-/comitatus-Wortgruppe die Übersetzung mit ‹Graf/Grafschaft› darstellen, welche meist als zu selbstverständlich angenommen wird. Im Bestreben, eine einheitliche Ordnung und Verwaltungsstruktur für die Nachfolgereiche Karls des Grossen zu finden, ist die ‹Grafschaft› eine äusserst verlockende Zwischeninstanz. Ohne den störenden Deutungsansatz von ‹Graf/Grafschaft› kann die Deutung von Hermanns Chronicon vom Jahr 0 bis 1054 eine andere Richtung nehmen; darin erlebt der comes und/oder der comitatus gewissermassen eine Kontinuität aus römischer Zeit bis ins hohe Mittelalter, ohne die konstruierte Schranke zwischen Antike und Mittelalter beachten zu müssen, wie es auch kein mittelalterlicher Chronist getan hätte. Die wesentlichen Merkmale wie die Führung Anderer – dazu gehören Schutz, Führung im Kampf und Rechtsprechung gleichermassen – haben sich jedenfalls kaum geändert.271 265 Ebd., ann. 388, 429, 432, 483, 538. 266 Notker, Gesta Karoli I, cap. 5–6, 26; ebd. II, cap. 6, 12, 17; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 14, (38), 40, 93; Berthold, Chronicon II, ann. 1065, 1077, 1079, S. 56, 124, 276. 267 DNG, Sp. 999 f. 268 König, Römischer Staat, S. 230 f.; Meyer-Zwiffelhoffer, Imperium, S. 48; Bakker, Grenzverteidigung, S. 113 f. 269 Burckhardt, Militärgeschichte, S. 122; König, Römischer Staat, S. 232. 270 Vgl. Beeler, Warfare, S. 9. 271 Zur Kontinuität und Legitimität solcher Amtsträger vgl. Hechberger, Adelsheil, S. 437 f.

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Dieser Exkurs zur Wortverwendung der lokalen Chronisten soll freilich nicht alle bisherigen Ausführungen zunichte machen, und auch eine so grundlegende Hinterfragung der mittelalterlichen Grafschaft kann keinesfalls das Ziel dieser Arbeit sein. Vielmehr dient dieser Exkurs mitunter dazu, auf die Gefahr einer zu einseitigen Verwendung zeitgenössischer Textzeugen hinzuweisen. Der frühmittelalterliche comitatus lässt sich eben nicht nur durch erzählende Quellen erklären, sondern bedarf aufgrund seiner Funktion in den rechtlichen Belangen umso mehr der kritischen Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Urkunden. Grafen Alemanniens im 11. Jahrhundert Die Grafen werden im Folgenden teils mit ihren Beinamen aufgeführt und es gilt zwischen den ausdrücklich als Grafen eines ‹alten› Gaus genannten Amtsträgern und den blossen Titulargrafen ‹in› denselben Gauen zu unterscheiden.272 Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern führt nur jene Grafen auf, die in den betreffenden Quellen auftauchen.273 Zu den grossen Grafen- und Aristokratenfamilien (Habsburger/Kyburger, Nellenburger, Achalm, Welfen, Staufer etc.) kann weiterführend auf die breite Sekundärliteratur verwiesen werden. Während die Udalriche/Ulriche bis ins 10. Jahrhundert als Udalriche bezeichnet wurden, werden hier jene des 11. Jahrhunderts der allgemeinen Vereinbarkeit mit der übrigen Forschung halber als Ulriche bezeichnt, was spätestens mit dem Aufkommen der Beinamen und der zunehmenden Verdeutschung von Urkunden auch die üblichere Form geworden ist. Die Daten bezeichnen weder die effektiven Amts- noch Lebensjahre, sondern stellen – sofern die Amtsjahre nicht der Sekundärliteratur entnommen sind – die datierbaren Nennungen in den jeweils zitierten Quellen dar. Datierungen mit * zeigen an, dass für denselben Zeitraum mehrere Grafen mit dem gleichen Namen infrage kommen. Thurgau Werner von Kyburg, 1027–† 1030 Graf274 Bertold, 1044–† 1078 Graf, Herzog von Kärnten (vgl. Breisgau)275 Hartmann, um 1094 Graf276

272 Die Bezeichnungen/Beinamen müssen dabei nicht mit den eigentlichen Herrschaftsgebieten übereinstimmen (Schmid, Rudolf von Pfullendorf, S. 149). 273 St. Galler und Reichenauer Chronistik des 11. Jahrhunderts sowie die diplomatische Überlieferung des grösseren Bodenseeraumes. Einzige Ausnahme bleibt eine Reihe von Grafen, die von Rappmann (Totengedenken, S. 463–489) gut begründet auf der Grundlage lokaler Nekrologe angeführt wurden. 274 Hermann, Chronicon, ann. 1027, 1030, S. 664–666. Vgl. ergänzend Rappmann, Totengedenken, S. 487 f. 275 Bertold I. von Zähringen. Als Thurgaugraf für 1044–1047 nachgewiesen (UBZH I, n. 233; UBTG II, n. 4). Graf des Breisgau um 1048 (WUB I, n. 228). Laut Lorenz (Klöster und Stifte, S. 100 f.) seit 1025 als Graf in der Ortenau nachweisbar. Vater von Bertold II. von Zähringen (vgl. die Ausführungen unten sowie Krieg, Reform und Rebellion, S. 85–87). 276 UBTG II, n. 9; UBZH I, n. 241. In einer weiteren Urkunde von 1094 (WUB I, n. 245) handelt es sich eher um den gleichnamigen Grafen Hartmann aus dem Rammgau (vgl. Ostbaar).

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Grafen im Thurgau: Diethelm von Toggenburg, 1083–1125 Graf277 Dietrich von Bürglen (von Nellenburg?), 1092–1108 Graf278 Muozo, Ende 11. Jahrhundert, Graf279 Zürichgau Eberhard (von Nellenburg?), um 1036 Graf280 Tiemo, um 1040 Graf281 (Ober-)Aargau Grafen im Aargau: Arnold von Lenzburg, 1003–1050* Graf282 Ulrich I. von Lenzburg, 1036–† vor 1050 Graf283 Ulrich II. von Lenzburg, um 1077 Graf284 Augstgau Rudolf, um 1048 Graf (Sisgau)285 Breisgau Adalbero, 1006–1015 Graf286 Bertold, 1044–† 1078 Graf, Herzog von Kärnten (vgl. Thurgau)287

277 WUB I, n. 254; Chart. Sang. III, n. 886, 891; TUB II, n. 9; Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 28–29 (comes/miles). In der Fortsetzung der Klostergeschichten (ebd., cap. 26) wird Diethelms Bruder, der miles Folknand von Toggenburg, als Anführer der Reichenauer Besatzung in der oberhalb St. Gallens gelegenen Burg Bernegg genannt. 278 Rappmann (Totengedenken, S. 469) sieht ihn als den ‹Stammvater› der Freiherren von Bürglen. 279 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 12. Bei diesem Graf handelt es sich eigentlich um keinen schwäbischen Grafen, jedoch verfügte er über Güter in Aadorf. 280 UBZH I, n. 231. Vgl. Eberhard von Bregenz unter den rätischen Grafen. Handelt es sich hier um den Grafen von Nellenburg, der um 1049 das Kloster Allerheiligen gründete? 281 UBTG II, n. 3. Laut ebd., Anm. 15 ist dieser Graf für den Zürichgau nicht weiter belegt. 282 UBZH I, n. 227; UBSüd I, nn. 129–130. Bei ebengenannten Urkundennennungen ist Vorsicht geboten, da es sich um Fälschungen aus dem 12. Jahrhundert handelt, dennoch könnten die Grafendaten einigermassen korrekt sein. 283 UBSüd I, n. 120; BUB I, n. 185. Laut Perret (UBSüd I, n. 120, Anm. 2) war Ulrich ‹der Reiche› um 1036 Graf im Aargau, Kastvogt von Beromünster, um 1037 Reichsvogt von Zürich und um 1045 Kastvogt von Schänis. 284 Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 162. 285 WUB I, n. 228. Der Sisgau (835 ersterwähnt) lag zwischen dem Aar- und Augstgau und war begrenzt durch «Rhein, Ergolz, Violen- und Möhlinbach, den Wasserscheiden auf den Jurahöhen sowie Lüssel und Birs» (Wittmer-Butsch, ‹Sisgau›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8576.php [4. 8. 2018]). 286 Borgolte, Grafen Alemanniens, S.  17. Womöglich ist unter dem Jagdgefährten des schwäbischen Herzogs Ernst ebenfalls dieser Adalbero gemeint (Hermann, Chronicon, an. 1015, S. 660). 287 Vgl. Anm. bei Thurgau. Graf des Breisgau um 1048 (WUB I, n. 228).

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Grafen im Breisgau: Bertold von Nimburg,288 um 1100 Graf289 Erliwini, um 1100 Graf, Vater Bertolds von Nimburg290 Westliches Baarengebiet Hiltibold, um 1007 Graf291 Grafen in der Westbaar: Hesso, 1007–1057 Graf (Sülichgau)292 Hugo, um 1007 Graf (Glehuntar)293 Werner, um 1007 Graf (Nagoldgau)294 Anselm, um 1048 Graf (Nagoldgau)295 Östliches Baarengebiet Mangold, um 1003 Graf (Pagus Duria)296 Grafen in der Ostbaar: Hartmann, 1092–1100 Graf (Comitat Kirchberg/Rammgau)297 Hartmann von Dillingen, 1076/1092–† 1121 Graf298 Hugo von Grafeneck, um 1092 Graf299

288 Nimburg liegt bei Emmendingen im Breisgau (vgl. UBZH I, S. 135, Anm. 11), weshalb dieser Graf womöglich als Breisgaugraf gesehen werden kann. 289 UBZH I, nn. 242, 244. 290 Ebd., n. 244. Laut ebd., S. 136, kommt der Vater zuletzt 1094 vor, war in dieser Urk. also wohl bereits tot. 291 WUB I, n. 209. 292 Ebd., nn. 208, 230. Zu einem Grafen Hesso aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts vgl. Rappmann (Totengedenken, S. 474 f.). 293 WUB I, n. 206. Dieser Graf aus der Glehuntar (wohl ein Comitat zwischen Nordgau, Mortenau und Westbaar) steht aufgrund der geografischen Nähe wahrscheinlich mit dem elsässischen Grafen Hugo (968–973 Graf) in Beziehung (vgl. den Abschnitt Grafen Alemanniens im 10. Jahrhundert). Eine Verbindung zum sankt-gallischen miles Hugo (um 1022) ist unwahrscheinlich (Chart. Sang. III, n. 874). 294 WUB I, n. 207. 295 Ebd., n. 228. Womöglich handelt es sich um einen eigenen Gau (Haglegau) mit Zentrum Haigerloch, das etwas östlich des ebenfalls in dieser Urkunde genannten Ortes Dornhan liegt. Zu einem möglichen Grafen mit dem gleichen Namen aus der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts vgl. Rappmann (Totengedenken, S. 464 f.). 296 Mangold wird 1003 als Graf des pagus Duria genannt (WUB I, n. 203) und könnte aufgrund der Namensseltenheit mit den Nellenburger Mangolds in Verbindung stehen. 297 WUB I, nn. 241, (245), 250, 256. In der Urkunde von 1094 (ebd., n. 245) ist unter dem ersten Zeugen, dem comes Hartmann, eher dieser zu verstehen als der gleichzeitige aus dem Thurgau. In den Jahren 1092 und 1098 (ebd., nn. 241, 250, 256) wird Hartmann zusammen mit seinem Bruder Otto genannt. Bezüglich Namensgleichheit vgl. Hartmann (um 980 Graf) unter den Grafen des 10. Jahrhunderts. Überhaupt scheint eine Verbindung zwischen den Buchhorner, Bregenzer und Kirchberger Ottos und Hartmanns gut möglich. 298 WUB I, nn. 241, 246, 256; Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 24; Berthold, Chronicon II, an. 1076, S. 106. Dieser Graf taucht unter anderem als Herr von Gerhausen und Kyburg auf. 299 WUB I, n. 241.

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Klettgau Radebot, um 1023 Graf300 Hegau Ludwig, 1067–1101 Graf301 Ulrich von Ramsberg, um 1096 Graf302 Grafen im Hegau: Gerung von Stühlingen, 1096–1099 Graf303 Linzgau Grafen im Linzgau: Wolfrad I. von Altshausen, † 1010 Graf304 Wolfrad II. von Altshausen, 1009–† 1065 Graf305 Otto von Buchhorn, 1020–† 1089* Graf (vgl. Rätien)306 Welf II. von Altdorf, 1025–† 1030 Graf307 Mangold II. von Nellenburg, † 1030 Graf308 Welf III., 1047–† 1055 Graf, Herzog von Kärnten309 Burchard von Nellenburg, 1063–1092 Graf, Vogt von Allerheiligen (SH)310

300 UBZH I, n. 229. Es könnte sich bei diesem Mann um den Grafen von Altenburg und Stammvater der Habsburger handeln (ebd., S. 121, Anm. 4). 301 UBZH, n. 239; ebd., S. 133, Anm. 1; Schmid, Rudolf von Pfullendorf, S. 37. Ludwig gilt als Herr über die Burg Stoffeln und gehörte zur Familie von Ramsberg/Pfullendorf (vgl. Ulrich von Ramsberg). Um 1090 gehörte er womöglich zu den prominenten Zeugen (als comes) in der Stiftung von Comburg (WUB I, n. 239). 302 Ebd., n. 248. Ulrich von Ramsberg heiratete in die Familie der Grafen von Bregenz ein und begründete damit eine der grossen schwäbischen «Dynastien». Sein Sohn Rudolf sollte Graf von Ramsberg, Pfullendorf, Bregenz und Lindau sowie Vogt des Klosters St. Gallen (Chart. Sang. III, n. 924; Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 39) und des Bistums Chur werden und gehörte zum Gefolge von Kaiser Friedrich I. Barbarossa (vgl. Schmid, Rudolf von Pfullendorf, insbesondere S. 5, 9, 16; ders., Familie und Sippe, S. 214, 223). 303 WUB I, nn. 248, 254. 304 Hermann, Chronicon, an. 1010, S. 658. 305 Vater des Mönchs Hermann von Reichenau. Ebd., ann. 1009, 1052, S. 658, 696. Seine Frau beziehungsweise die Mutter des Verfassers Hermann ist am 9.  Januar 1052 gestorben, und zwar im 61.  Lebensjahr und dem 44. Ehejahr, wie Hermann (ebd.) berichtet. Graf Wolfrad überlebte also sowohl seine Gattin als auch seinen Sohn Hermann (Berthold, Chronicon I, an. 1054, S. 20). 306 BUB I, nn. 164, 191, (192); Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 24; Berthold, Chronicon II, ann. 1077, 1079, S. 144, 238–240; vgl. Anm. zu UBTG II, n. 5. 307 Hermann, Chronicon, ann. 1025–1027, S. 662–664. Vgl. Krieg, Reform und Rebellion, S. 89–91. 308 Hermann, Chronicon, an. 1030, S. 666. Vgl. Rappmann, Totengedenken, S. 478 f. 309 Ebd., an. 1047, S. 684; Berthold, Chronicon I, an. 1055, S. 22. Vgl. Anm. oben zu Welf II. 310 UBTG II, nn. 6, 8; UBZH I, n. 241; BUB I, nn. 219–220; Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 28. In einer gefälschten Urkunde des 12. Jahrhunderts für das Jahr 1003 ist die Rede von einem Purchardum comitem de Nellenburch (UBZH I, n. 227).

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Mangold von Nellenburg, 1092–1100 Graf311 Liutold von Achalm, 1075–† 1098 Graf, Stifter von Zwiefalten312 Kuno von Achalm, zweite Hälfte 11. Jahrhundert, Graf, Stifter von Zwiefalten313 Nibelgau Ulrich von Bregenz, 1043–1095* Graf (vgl. Rätien)314 Rätien (Ober- und Unterrätien)315 Otto von Buchhorn, 1020–† 1089* Graf (vgl. Linzgau)316 Marquard von Bregenz, 1032 bis Ende 11. Jahrhundert, Graf317 Rudolf, um 1038 Graf318 Eberhard von Bregenz, 1040–1067 Graf319 Gerung, um 1077 Graf320 Ulrich von Bregenz, um 1043–1095* Graf (vgl. Nibelgau)321 Rudolf von Bregenz, 1092/1110–1139 Graf322 Elsass323 Gerhard, 1008–1017 Graf324 Berengar, um 1048 Graf325 311 Graf von Altshausen. Chart. Sang. III, n. 885; WUB I, nn. 241, (254), 256. 312 BUB I, n. 211 von 1092 ist nur durch Ortliebs Chronik überliefert, doch ist Liutold noch anderweitig nachweisbar: ebd., n. 242. Bruder des Kuno von Achalm. Zur Nennung in der Chronik vgl. Waldschütz, Reformklöster, Abs. 7, 23. 313 BUB I, n. 242. Bruder des Liutold von Achalm. 314 Odalrici comitis de Bragancia (ebd., n. 212) beziehungsweise Odalricus Prigantinus (WUB I, n. 225) war womöglich ebenfalls Graf im Argengau und taucht um 1071 vermutlich als prominenter Zeuge bei der Ausstattung der Kirche Appenzell auf (Chart. Sang. III, n. 882). Vgl. hierzu ebenfalls die Vermutungen Rappmanns (Totengedenken, S. 485). 315 Vgl. Grafenliste in BUB I, S. 501. 316 Vgl. Linzgau. 317 Ebd., n. 176. Perret (UBSüd I, n. 118) spricht bei der gleichen Urkunde von Marquard II. von Bregenz. Bei einem Marcuardo nobilissimo aus Bregenz dürfte es sich ebenfalls um diesen Grafen handeln (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 24). Es besteht wohl keine Verbindung zu Marquard von Schwarzach um 1090 (WUB I, n. 240). 318 Rudolf taucht 1038 als Graf über den Comitat von Chiavenna auf (BUB I, n. 178). Da diese Grafschaft seit dem 10. Jahrhundert zu Chur gehörte, führe ich Rudolf als rätischen Graf auf. Verwaltungstechnisch wurde Chiavenna zwar den Herren nördlich der Alpen zugeschlagen, dennoch gehörte es nach wie vor zum ‹italienischen Teilreich› (Keller, Königsherrschaft, S. 13). 319 BUB I, nn.  183, 185, 190, 199. Eine Gleichsetzung mit dem beziehungsweise eine Verwandtschaft zum gleichzeitigen Eberhard im Zürichgau ist gut denkbar, während eine Beziehung zum gleichnamigen Grafen aus dem Neckargau, ganz im Norden des Herzogtums Schwaben, eher unwahrscheinlich scheint (WUB I, n. 232). Dieser unterrätische Graf war zugleich Herr über Heiligenberg (UBSüd I, nn. 123, 133, Anm. 2). 320 BUB I, n. 200. 321 Vgl. Nibelgau. 322 Rudolf ist erst ab 1110 sicher belegt, da die Erwähnung von 1092 durch eine Übertragung in der Chronik des Zwiefalter Mönchs Ortlieb überliefert ist (ebd., n. 211). 323 Vgl. Borgolte, Grafengewalt im Elsass. 324 Hermann, Chronicon, ann. 1008, 1017, S. 658, 660. 325 WUB I, n. 228.

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Adalbert II. von Mörsberg, um 1100 Graf, Vogt von Allerheiligen326 Weitere Grafen in Alemannien327 Wolfram, um 1048 Graf328 Amizo, um 1030 italienischer Graf, Herr über das castellum Chiavenna329 Bertold II. von Zähringen (1078–† 1111 Markgraf)330 Zur Grafschaft im 11. Jahrhundert Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede von Graf und Grafschaft lassen sich nun vor und nach dem Jahr 1000 feststellen? Auffallend sind auf jeden Fall die zahlreichen ‹Grafen von XY›, die sich nicht mehr klar einem Comitat zuordnen lassen – insbesondere nicht mehr in jedem Fall den ‹alten karolingischen Gauen›. Dennoch war für das 11. Jahrhundert ein deutlich breiteres Verschwinden von alten karolingischen Grafschaftsstrukturen zu vermuten gewesen. Aufgrund einer Formulierung in einer unsicheren Originalurkunde von 1036/1037 aus Zürich konnte jedoch festgestellt werden, dass die lokalen Grafen sogar noch in ihrer alten legitimierenden Funktion beziehungsweise nach dem Typ des karolingisch-sankt-gallischen Urkundenformulars vorkommen können: Anno tercio decimo Chunradi imperante Hermanno duce, Uodelrico advocato, Eberhardo comite.331 War dies ein später Versuch, durch Nachahmung eines früheren Formulars möglichst vertrauenswürdig und authentisch zu wirken oder hatte sich das Formular in den Gebieten des Klosters St. Gallen und ähnlich verfahrender Institutionen seit dem 9./10. Jahrhundert gar nicht so sehr verändert? Besonders für das St. Galler Urkunden- beziehungsweise Datierungsformular ist der Nachweis einer Veränderung im Formular für diese Zeit unmöglich, da schlicht das Quellenmaterial fehlt. Da mit Ausnahme von Rheingau, Argengau und Albgau/ Allgäu sämtliche karolingischen Grafenbezirke selbst im 11.  Jahrhundert noch genannt und als offizielle Gebietseinheiten verwendet wurden, dürften auch eine Vielzahl weiterer Strukturen in der gewohnten Weise verblieben sein. Im 11. Jahrhundert werden nämlich folgende Bezirke explizit (in pago etc.) genannt: Thurgau,332

326 Laut UBZH I (S. 135, Anm. 14) war er eher Graf von Mörsburg (Oberwinterthur), ich bleibe jedoch beim Elsass. Eine Verbindung zum um 1003 genannten Grafen Adalbert des Zabergaus im südwestlichen Franken (WUB I, n. 204) ist unwahrscheinlich. Bei diesem Grafen handelt es sich wohl um den letzten Vogt aus der Gründerfamilie der Nellenburger und somit um den Neffen Burchards von Nellenburg (Waldschütz, Reformklöster, Abs. 6). 327 Ergänzend zu den wichtigen ‹Grafenfamilien› Schwabens vgl. Waldschütz (ebd., Abs. 3) mit einer Auflistung wichtiger gräflicher Stifter. 328 WUB I, n. 228. Womöglich Graf im Umfeld von Augst- und Aargau nahe einer villa Muron, was mit einem der Muren/Müren-Orte zwischen Dornach (SO) und Olten in Verbindung gebracht werden könnte. 329 BUB I, n. 175. 330 Vgl. die Ausführungen unten im Kapitel zum schwäbischen Dukat. 331 UBZH I, n. 231. 332 Unter anderem UBTG II, nn. 1–4, 9.

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342

Zürichgau,333 (Ober-)Aargau,334 Bargengau,335 Buchsgau (Augstgau),336 Breisgau,337 Nagoldgau (Westbaar),338 Sülichgau (Westbaar),339 Eritgau (Ostbaar),340 Pagus Appha (Ostbaar),341 Klettgau,342 Alpgau,343 Glehuntar,344 Hegau,345 Linzgau,346 Nibelgau,347 Rätien,348 Pagus Chur (Rätien),349 Comitat Bergell (Rätien),350 Comitat Chiavenna (Rätien),351 Comitat Misox (Rätien),352 Comitat Vintschgau (Rätien),353 Comitat Bozen (Rätien),354 Comitat Inntal (Rätien),355 Elsass,356 Illergau357 sowie zahlreiche weitere, die oben direkt bei den jeweiligen Grafen genannt wurden. «Der Aufteilung der Grafschaft in Oberrätien auf mehrere Adelsherrschaften entspricht die Ablösung der schwäbischen Gaugrafschaften durch mehrere neue Grafschaften.358 Diese entstanden aus adligen Grundherrschaften, und ihre Herren nannten sich nach ihren Herrschaftssitzen, im alten Linzgau etwa die neuen Grafen von Heiligenberg, Kirchberg, Pfullendorf, Rohrdorf, Veringen.»359

333 Unter anderem ebd., nn. 1–3. 334 Unter anderem ebd., n. 3. 335 Ebd. Der Bargengau war eine Grafschaft in der Gegend des Bielersees (ebd., S. 8), die wohl eher Burgund zuzuordnen wäre. 336 Ebd., n. 3. Der Buchsgau in der Region Solothurn/Olten war zuvor Teil des Augstgaus (Gamper, ‹Buchsgau›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8463.php [4.  8. 2018]) beziehungsweise des Aargaus, wozu wohl auch der Augstgau selbst gehörte. 337 Unter anderem WUB I, n. 213; UBTG II, nn. 1–3. 338 WUB I, n. 207. 339 Ebd., n. 208. Grenzte im Osten an den Nagoldgau. 340 Ebd., n. 213. 341 Ebd. 342 Unter anderem UBTG II, nn. 4, 9. Zum Fortbestehen dieses Gaus bis ins hohe Mittelalter vgl. Maurer (Schwarzwald, S. 39, 112). 343 UBTG II, n. 4. Zum Fortbestehen dieses Gaus bis ins hohe Mittelalter vgl. Maurer (Schwarzwald, S. 39, 112); einzig die hiesige Grafenreihe setzt von Mitte des 10. bis Mitte des 11. Jahrhundert aus. 344 WUB I, n. 206. Die Glehuntar war wohl ein Comitat zwischen Nordgau, Mortenau und Westbaar. 345 Unter anderem UBZH, n. 239. 346 Unter anderem UBTG II, nn. 1–2. 347 Unter anderem WUB I, n. 225. 348 Unter anderem UBTG II, nn. 1–2. 349 BUB I, nn. 156, 164, 177, 181, 196–197. 350 Ebd., nn. 167, 177. 351 Ebd., nn. 178–179. Die Grafschaft Chiavenna war dem Herzog von Schwaben unterstellt worden, ohne dass diese deshalb aus dem Verband des italischen Reiches herausgelöst worden wäre (Keller, Königsherrschaft, S. 13). 352 BUB I, n. 170. 353 Ebd., nn. 172, 200. 354 Ebd., n. 172. 355 Ebd., nn. 180, 196. 356 Unter anderem UBTG II, n. 3. 357 Ebd. 358 Das ist allerdings kein Novum des 11. Jahrhunderts, denn bereits in karolingischer Zeit konnte ein Comitat aus mehreren Gauen bestehen (Maurer, Schwarzwald, S. 40). Im 11. Jahrhundert verstärkte sich diese Tendenz jedoch. Maurer (ebd., S. 112) sieht darin das Aussterben des Grafenamtes, was durch Titelvererbung, wachsendes Allod und wegen der Benennung nach wichtigem Besitz noch vorangetrieben worden sein soll. 359 Gabathuler, Führungsschicht, S. 86.

343

Wie schon in den Jahrhunderten zuvor wird auch in den königlichen Verleihungen und Bestätigungen des 11. Jahrhunderts genau aufgeführt, wem welche Rechte worüber zustehen und wer sich eben nicht in die lokalen Belange einmischen darf. Besonders im Grenzgebiet zu Italien  – namentlich im Bergell und Misox  – führte dies zu interessanten Formulierungen, die uns einen kurzen Einblick in die lokalen Verhältnisse und zu den Akteuren vor Ort ermöglichen: Idcirco iubemus et iubendo firmamus, ut nullus dux marchio archiepiscopus episcopus comes vicecomes, nullus Latinus nullus Teutonicus nec aliqua magna parvaque persona cuiuscumque conditionis vel dignitatis aut nationis.360 Zwar unterscheidet sich diese formularhafte Klausel grundsätzlich nicht von denen anderer Herrscherdiplome, sie soll dennoch dazu dienen, an dieser Stelle erneut auf die Komplexität der damaligen Verwaltung hinzuweisen. Wie konnte ein König, der weit entfernt weilte, überall im Reich dafür sorgen, dass seine Anordnungen auch durchgesetzt wurden? Besonders im südlichen Teil des Herzogtums Schwaben, wo es galt, ein noch deutlich komplexeres Gebilde mit Magnaten von teils stark divergierender Herkunft, unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen sowie einem italienisch und fränkisch beeinflussten Verwaltungssystem unter Kontrolle zu halten, um sich stets den Übergang über die Alpen und somit über Italien und die Kaiserwürde in Rom sichern zu können, musste mit den Grossen beidseits der Alpen verhandelt werden. Zum Herzog von Schwaben, der häufig gar keine so grosse Rolle spielte, den Bischöfen der angrenzenden Diözesen sowie zu den lokalen Grafen und ‹Untergrafen›, deren Position in Absprache mit dem Bischof von Chur – in Anlehnung an die einstigen Markgrafenrechte – genau im Auge behalten werden musste, war aus Sicht der königlichen Kanzlei jeweils eine eigene spezifische Herangehensweise und Diplomatie mit Fingerspitzengefühl notwendig. Dass ab dem 10./11. Jahrhundert plötzlich eine ganze Fülle an Grafschaften und Grafen in den rätischen Urkunden auftaucht, dürfte der verstärkten Italienpolitik der ostfränkischen und römisch-deutschen Könige und Kaiser zu verdanken sein, ist aber auch ein Hinweis auf die im Allgemeinen zunehmende Zersplitterung grösserer Bezirke in eine Vielzahl kleinerer Herrschaftsrechte überall in Schwaben, wie in der kurzen Auflistung oben speziell für Rätien zu sehen war. So tauchen zwar selbst im 11. Jahrhundert noch Grafen auf, die klar einer der ‹alten› Grafschaften zuzuordnen sind, doch mehren sich comites mit ‹de›-/‹von›-Attributen. Diese hatten teilweise innerhalb der ‹alten› Grafschaften eigene kleine Herrschaften inne und/oder verfügten über überregionalen Einfluss durch herausragende Positionen beispielsweise im königlichen Gefolge. Diese Veränderungen in der Namensgebung mussten natürlich nicht bedeuten, dass nun jeder mit einem ‹de›-/‹von›-Attribut auch Herr über den betreffenden Ort war. In erster Linie war die Entstehung dieser Attribute der zweifelsfreien Identifizierung von Personen durch Beinamen und Herkunftsbezeichnungen geschuldet,361 was zuvor über die sogenannten Leitnamen funktionierte.362 So bestanden die 360 BUB I, n. 170. Zum Teil wird dieses Formular noch mit weiteren Chargen fortgesetzt, wie ein Königsdiplom von 1038 zeigt: vicecomes sculdasius gastaldio (BUB I, n. 179). 361 Vgl. Mischke, Familiennamen, S. 166–170, 188 f. 362 Krieg, Reform und Rebellion, S. 80 f.

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344

Zeugenlisten aus der Mitte des 11. Jahrhundert bereits zum grossen Teil aus Namen, die ein ‹de›/‹von› trugen, so zum Beispiel bei den insgesamt 39 Zeugen in einer Urkunde von 1044 – darunter auch die erste Nennung eines Toggenburgers: Uodalrich de ustra, Zinpelin, Landolt, Zibo, Bernger de Unowa, Folkerat, Herhart, Herthart de Wizenanc, Diethelm et filiii eius Berchtoldt et Uodalrich de Toccanburg, Ato […].363 Darin kommen abwechselnd Namen mit und ohne Zusätze vor. Die Attribute dürften zur lokalen Herrschaftsbildung beziehungsweise zur Herausbildung von «Stammsitzen»364 und zur ‹Veradelung› beigetragen haben oder waren zumindest erste Abbilder dieser Entwicklungen. In obiger Zeugenliste sind es in fast allen Fällen kleinere Dörfer.365 Wäre man allen Zeugen in den betreffenden Urkunden näher nachgegangen, so hätte sich vermutlich ein Vielfaches an Vertretern der lokalen Eliten sowie an Grafen gefunden.366 Krieg spricht vom Aufbruch des schwäbischen Adels und vom Aufstieg gräflicher und grafengleicher Familien im Rahmen eines Strukturwandels innerhalb des «Adels». Aus den zuvor eher locker organisierten Sippenverbänden hätten sich im 11.  Jahrhundert zunehmend fester strukturierte «Adelsgeschlechter» etabliert, die zum Teil nach ihren Herrschaftssitzen benannt wurden.367 Ziel dieses Einblickes in die Grafschaft des 11.  Jahrhunderts ist es aber festzustellen, was mit den ‹alten› karolingischen Gauen geschehen ist und inwieweit sich das ‹Grafsein› im 10./11. Jahrhundert verändert hat.368 Dabei darf die unterschiedliche Wahrnehmung derselben Magnatengruppe nicht ausser Acht gelassen werden, denn womöglich gab es bereits im 9./10. Jahrhundert eine ähnliche Zahl an gleichzeitigen Grafen in denselben Grafschaften, die jedoch nicht als solche in Erscheinung traten. Wie für das ‹Reisekönigtum› vermutet Schmid nämlich auch für die Grafenherrschaft keinesfalls eine statische Ortsherrschaft. Erst mit dem Aufkommen der Benennung nach festen Plätzen werden auch kleinere Fürsten in der schriftlichen Überlieferung fassbar.369 Diese Entwicklung geht einher mit der zunehmenden Stiftertätigkeit solcher Grafen und Aristokraten,370 die ihre Stifte und Klöster lieber dem geistlichen Oberhirten südlich der Alpen als ihrem weltlichen Oberherrn im Reich unterstellen.371

363 364 365 366 367 368

369 370 371

UBZH I, n. 233. Schmid, Familie und Sippe, S. 226. Vgl. ebd. Für die lokale Aristokratie im Thur- und Zürichgau um 1100 wäre beispielsweise die Zeugenliste in WUB I, n. 254, sehr aufschlussreich. Krieg, Reform und Rebellion, S. 80 f. Auf die Grafschaft des 11.  Jahrhunderts als Forschungsdesiderat beziehungsweise als «die Grosse Unbekannte» haben bereits Fried (Verfassungsgeschichte, S. 540) und Schmid (Comes und comitatus, S. 189 f.) hingewiesen. Umso ‹einfacher fassbar› Grafen und ihre Bezirke in karolingischer Zeit erscheinen, desto weniger scheint dies im Hochmittelalter der Fall zu sein. Vgl. Maurer, Schwarzwald, S. 132. Vgl. Waldschütz, Reformklöster, Abs. 2; Hartmann, Schwaben, S. 44 f. Kohl (Gräfliche Reform, Abs. 1) spricht gar von einer gräflichen Reform. Man war der selbstverständlichen Auffassung einer erblichen Innehabung der Vogteirechte und des Rechts, den Abt zu bestellen, was die Macht eines lokalen Grafen und Aristokraten beträchtlich stärken konnte, da die Übernahme einer Vogtei teils einer Eingliederung in eine Herrschaft gleichkam (Maurer, Schwarzwald, S. 84, 105).

345

Während die früheren (vornehmlich königlichen und herzoglichen) Herrschaftszentren eher im Uferbereich des Bodensees zu suchen sind (Bodman, Konstanz, Bregenz, Arbon etc.), befanden sich die neuen Zentren nun in einem weiter entfernten ‹Kreis› um den See herum (Kyburg, Stoffeln, Nellenburg, Toggenburg, Pfullendorf, Ramsberg etc.).372 Gabathuler vermutet für die ‹Edelfreien› beziehungsweise die lokalen Herren eine Veränderung im 11. Jahrhundert zu einer «ständisch geschlossenen Adelsgruppe» in Rätien und einem Aufstieg zu Grafen in Schwaben, sofern sie sich nicht «mit unfreien Amtsträgern zum Ministerialadel der Welfen und Staufer vermischten».373 Laut Schmid seien besonders das 11. und 12. Jahrhundert gekennzeichnet von «regelrechten Kleinkriegen um Herrschaftspositionen», die nun zunehmend mit dem neu entstehenden Mittel der Ministerialität geführt worden seien.374 Der Übergang in die eigentliche Landesherrschaft dieser Gruppe soll sich aber erst im 11./12. Jahrhundert vollzogen haben.375 Zur ‹jüngeren Grafschaft› in Schwaben Mit einem Blick zurück in die militärischen Centenars- und Comitatsaufgebote der Karolingerzeit dürfte spätestens im 11. Jahrhundert eine veränderte Situation vorgeherrscht haben. An die Stelle der klassischen Aufgebote von Grafen, Herzögen, Äbten und Bischöfen waren wohl zahlreichere Kleinstaufgebote lokaler Herren getreten. Vermutlich traten diese aufgrund der nach wie vor bestehenden Abhängigkeitsstrukturen gegenüber den jeweiligen Herzögen etc. noch immer relativ geschlossen auf, was aber in Bruderkriegssituationen wie dem ‹Investiturstreit› Ende des 11. Jahrhunderts durchaus zu gegensätzlichen Parteinahmen in Kleinsträumen führen konnte, wie der Reichenauer Chronist Berthold zum Jahr 1077 berichtet: Um diese Zeit fielen einige Grafen der Schwaben, früher erlesenste, beeidigte Vasallen König R(udolfs), um schnöden Gewinns willen von ihm ab; und nachdem sie sich einiger befestigter Burgen bemächtigt hatten, wüteten sie, die Wildesten, soweit sie konnten, mit allen Kräften und Hinterlistigkeiten durch die ganze Provinz, mit Plünderungen, Brandschatzungen und mit jeder Art von Raubüberfällen und Beutezügen gegen ihren Herrn, den Herzog Welf, die Kirchengüter und gegen alle, welche es nicht mit ihnen hielten. Überall wurde also solcher Aufruhr in allen Provinzen von den Anhängern beider Parteien ohne Unterschied verübt.376

372 373 374 375

Schmid, Familie und Sippe, S. 223–225. Gabathuler, Führungsschicht, S. 87. Schmid, Comes und comitatus, S. 195 f. Schmid (Rudolf von Pfullendorf, S. 2) geht zur Klärung dieser Frage der oben bereits angeführten Familie der Pfullendorfer (vgl. Ludwig von Stoffeln und Ulrich von Ramsberg [beide im Hegau]) nach. 376 Übersetzung von Robinson (Berthold, Chronicon II, S. 167). Eadem tempestate quidam comites de Alemannis, iam pridem regis R. electissimi adiurati milites, turpis lucri causa ab eo apostatabant, et occupatis quibusdam castellorum presidiis, predis, incendiis et totis rapinarum et pervasionum direptionibus in dominum suum, in ducem Welfonem, in bona aecclesiarum nec non in omnes a se discordantes, totis viribus et artibus inhumanissimi per totam provinciam, prout poterant, grassati sunt. Undique igitur huiusmodi motus per provincias omnes ab utriusque partis sectatoribus promiscue, ut in bellis solet, per totum annum illum agebantur (ebd., an. 1077, S. 166).

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346

Die gewohnten ‹alten› Strukturen hatten sich aufgelöst. Lag dies am Fehlen eines starken beziehungsweise ‹konkurrenzlosen› Königtums? Immerhin hatte bereits der Übergang vom karolingischen zum konradinischen/ottonischen Königtum Anfang des 10. Jahrhunderts zu ähnlichen – wenn auch kleineren – Wirren geführt und die Entstehung eines neuen Herzogtums Schwaben begünstigt. Waren die (ost)fränkischen Könige womöglich – entgegen meiner These – stärker in die lokalen schwäbischen Verhältnisse miteingebunden? Dies lässt sich weder klar positiv noch negativ beantworten. Denn einerseits lässt sich die Situation im 9./10. Jahrhundert keinesfalls mit jener am Ende des 11.  Jahrhunderts vergleichen und andererseits war Schwaben nicht immer gleich stark von den reichspolitischen Ereignissen betroffen. Während die alemannischen Grossen des 9. und beginnenden 10. Jahrhunderts noch relativ eigenmächtig und vom König unbeeindruckt agierten, änderte sich die königliche Einflussnahme in Alemannien und Rätien während der Mitte des 10. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts spürbar aufgrund der verstärkten Italienpolitik. Und während die Neuerrichtung des jüngeren schwäbischen Herzogtums mehr ein lokales Ereignis darstellte, setzte die Erhebung des schwäbischen Herzogs Rudolf von Rheinfelden (1057–1077) zum Gegenkönig (1077–† 1080) den Untersuchungsraum Bodensee ins zentrale Geschehen der Reichspolitik. In der betreffenden Zeit setzten sich im Bodenseeraum vornehmlich die Pfullendorfer  – laut Schmid als Erben der Udalrichinger des 9./10. Jahrhunderts – durch, die sich durch ihre vielfache Verzweigung womöglich gar selbst bekämpften – sofern es sich im 11. Jahrhundert bereits um Verwandtschaftsverhältnisse handelte. Von den bereits aufgeführten Grafen befanden sich beispielsweise die Buchhorner auf kaiserlicher und die Bregenzer auf päpstlicher Seite.377 Auf die Pfullendorfer soll im Folgenden aber nicht weiter eingegangen werden, da ihnen die Forschung bereits ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt hat; zusammenfassend deshalb nur folgende Ausführung von Schmid: «Die Pfullendorfer Grafen, die zunächst auch unter den Namen ‹von Stoffeln› und ‹von Ramsberg› auftraten, übten Grafschaftsrechte im Hegau aus. Ihre Güter lagen im Linzgau und im Hegau. Daneben verfügten sie auch über alten Erbbesitz in Vorarlberg. Sie traten indessen im 11. und beginnenden 12. Jahrhundert an Einfluss und Bedeutung stark hinter den gleichfalls von den Ulrichen abstammenden Grafen von Bregenz und Buchhorn sowie hinter anderen schwäbischen Grafenfamilien zurück, nicht zuletzt wohl deshalb, weil die Hauptbesitzlandschaft der Pfullendorfer im nördlichen Linzgau bis in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts nicht im unmittelbaren Bereich der Hauptverkehrsadern lag und weil sie im Hegau in den Nellenburger Grafen eine zu mächtige Konkurrenz hatten, als dass sie dort die Vorherrschaft hätten erlangen können.»378 Diese neue Art von Grafen hatte ihre Macht nicht mehr nur einer königlichen oder herzoglichen Beauftragung zu verdanken, sondern verhalf sich selbst durch Stiftungen, Vogteirechte und persönliche Leistungen (beispielsweise am Hof) zum 377 Schmid, Rudolf von Pfullendorf, S. 32 f., 39 f. Vgl. obige Grafen Otto von Buchhorn sowie Ulrich, Marquard, Eberhard und Rudolf von Bregenz. 378 Ebd., S. 204.

347

Aufstieg. In solchen Familien, oder besser gesagt, in solchem Verhalten dürfte der Ursprung des europäischen «Adels» zu suchen sein. Das gesteigerte Selbstbewusstsein dieser Männer, «kommt sehr eindrucksvoll im Attribut nobilissimus zum Ausdruck, das sie sich vereinzelt zulegten».379 Um territorial und personell neutral zu bleiben, bietet sich zur abschliessenden Umschreibung der hochmittelalterlichen Grafschaft und Grafen eine Feststellung Störmers an: «Die Titel comes und cometia sind nur noch Dokumentation einer häufig nicht genau definierbaren politischen Vorrangstellung […]. Man müsste diese jüngere ‹Grafschaft› wohl einfach als eine Art superioritas umschreiben, welcher zweifellos einzelne konkrete Funktionen zugeordnet werden, die aber von ‹Grafschaft› zu ‹Grafschaft› höchst unterschiedlich sein können.»380 Alles in allem kann man zur nicht vorhandenen Schwelle des 11. Jahrhunderts von keinem absoluten Wechsel von der Bezirks- zur Titulargrafschaft sprechen, da es wohl beide Formen vor und nach dem 10. Jahrhundert gegeben hat. Die Tendenz scheint zwar eher in die Richtung eines Wandels zu gehen, weshalb beispielsweise Maurer postuliert, dass der Grafentitel zur reinen Standesbezeichnung wurde,381 doch lassen sich reine Titulargrafen in den Quellen nicht nachweisen. Was diese Überlegungen wahrscheinlich am meisten angeregt hat, ist das, was unbewusst geschehen ist, denn Grafen nehmen in den Urkunden  – welche nun einmal reine Rechtsdokumente waren  – eine völlig andere Rolle ein, als sie es in den erzählenden Quellen tun. In den Urkunden sind sie Teil des rechtlichen Formulars und werden als Legitimation fast zwangsläufig mit ihrer Grafschaft genannt, während sie in den erzählenden Quellen als wichtige Charaktere einer Geschichte fungieren, wofür die reine Namensnennung völlig ausreicht. Trotz fehlendem Urkundenmaterial für das 11. Jahrhundert hat die aussichtslos scheinende ‹mutation documentaire›382 also nicht zum Untersuchungsabbruch geführt. Ursache all dieser Fragen war ohnehin lediglich die Vermutung, dass die Grafen in Alemannien nicht mehr dieselbe Funktion ausgeübt hätten, und dies weil uns die entsprechende Quellengattung zur Auswertung fehlt. Doch die Hinzunahme erzählender Quellen hat letztlich zu einem reichen Fundus an gräflichen Tätigkeiten während des 9. bis 11.  Jahrhunderts geführt, mit dem Endergebnis, dass nicht nur die Grafen der sogenannten karolingischen Grafschaftsverfassung, sondern auch jene des 11. Jahrhunderts eine zentrale Rolle in der lokalen sowie der reichsweiten Politik gespielt haben müssen. Politische Umstrukturierungen während des 10. Jahrhunderts hatten zu einigen Loslösungen, Verschmelzungen und Neugliederungen zwischen gräflicher Herrschaft und der geografischen Ordnung geführt, sodass comites nicht nur geografisch bezogene Herrschaften innehatten, sondern comes auch als hoher Titel – unabhängig von genauer umreissbaren geografischen Bezirken – angesehen werden darf. Dass zahlreiche schwäbische Grafen im 11. Jahrhundert zugunsten ihrer Familienmemo 379 Ders., Comes und comitatus, S. 204. 380 Störmer, Früher Adel, S. 411. 381 Maurer (Schwarzwald, S. 114, 120) vermutet dies primär für den Klettgau, formuliert es aber allgemein. Der Amtstitel sei geblieben, das Amt selbst aber sei verschwunden, sei «verherrschaftlicht worden». 382 Wagner, Transformation, Abs. 12.

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348

ria und aus politischem Kalkül zu Klosterstiftern wurden, zeigt jedenfalls, dass in jener Zeit des Aufkommens dynastischer Bestrebungen und des Herrschaftsausbaus durch die Sicherung von und Benennung nach wehrhaften Wohnsitzen sowie durch die Erlangung breiter Vogteirechte neue Bereiche der Herrschaftsausübung und der politischen Mitsprache im Reich erreicht wurden. «Beim Aufbau eigenständiger Adelsherrschaften spielte neben der Burg als weltlichem Herrschaftszentrum auch das sogenannte Hauskloster als geistlicher Mittelpunkt eine wesentliche Rolle.»383 Beispiele hierfür sind die Nellenburger, Kyburger, Lenzburger, Buchhorner, Bregenzer und Pfullendorfer, welche bereits verschiedentlich genannt wurden. Auf der Spur weg von den Grafenämtern und hin zu anderen Grafschaftsformen bieten sich für Schmid sechs Wege des Aufstiegs beziehungsweise zur Erlangung des Grafentitels an: Erbschaft, königliche Erhebung, Selbsterhebung, herzogliche Protektion, Fremdbezeichnungen und der Aufstieg über die Vogtei. Gräfliche Rechte wären demnach unter anderem aufgrund von genügend allodisiertem Besitz innerhalb einer Grafschaft zusammen mit dem Allod weitervererbt worden und der Titel konnte wohl selbst ohne besonderen Besitzzusammenhang vom König an besonders treue Gefolgsleute verliehen werden. Des Weiteren haben sich lokal ausreichend gefestigte Aristokraten selbst durch einen derartigen Titel geehrt und wurden dabei teilweise gar vom betreffenden Herzog protegiert, wohl nicht ohne Eigennutz. Zudem können ‹Grafen› aus heutiger Sicht auch deshalb als solche wahrgenommen werden, weil ein zeitgenössischer Chronist oder Annalist sie so bezeichnet hat, entweder aus Unwissenheit oder um zu gefallen. Letzteres konnte in Verbindung mit der Vogtgewalt des als Graf Bezeichneten stehen und rückte andererseits die Position eines Vogtes zunehmend in die Nähe der Aufgaben früherer Grafen, wodurch es vermehrt zur Bezeichnung von Vögten als Grafen kam.384

3.1.3

Alemannische Raumgliederung und St. Galler Kapiteleinteilung

Wenn man die vollständige Grafenliste im Anhang dieser Arbeit betrachtet, so sind die Überschneidungen in gewissen Regionen derart auffällig, dass man wohl nicht durchgängig von einheitlichen beziehungsweise fest umrissenen ‹Grafschaften› und Verwaltungsbezirken ausgehen kann. Es sind abgesehen von zahlreichen ‹Ämterkumulationen› eher Herrschaften über grössere, gauübergreifende Regionen denkbar. So verfügten manche comites mit der Verfügungsgewalt über einen der Gaue am nördlichen Bodenseeufer häufig auch über die danebenliegenden Bodenseegaue, Aargauer Grafen konnten über einen von Norden nach Süden verlaufenden Streifen über den Breisgau oder die westliche Baar verfügen und rätische Grafen ver 383 Krieg, Reform und Rebellion, S. 81. 384 Schmid, Comes und comitatus, S. 196–203. Als eine der wichtigsten Kontinuitäten und Brüche zwischen dem spätkarolingisch-ottonischen Grafschaftssystem und den jüngeren Grafschaften des 11./12. Jahrhunderts sieht Dendorfer (Edelfreie, S. 354–357) die direkte oder indirekte Einwirkung des Königs.

349

fügten ausserhalb ihrer Machtbasis nicht selten über Rechte im Zürich- und Thurgau sowie über Gebiete östlich des Bodensees. Darf man hier überhaupt von politischen Einheiten sprechen oder ist diese Beobachtung wirklich einzig der Machtfülle einiger weniger Grafen geschuldet? Denn Männer wie die Udalriche, Adalberte und Burcharde übten bereits vor der Neuerrichtung des Herzogtums Schwaben herzogsähnliche Macht aus beziehungsweise verfügten über ein derart ausgeprägtes Netz an Herrschaftsschwerpunkten und Ämtern, dass es wohl tatsächlich eine Frage der Zeit war, bis jemand aus einer dieser Elitenfamilien die Herrschaft über ganz Alemannien ergriff. Unter karolingischer Herrschaft war dies womöglich auch gar nicht notwendig gewesen. Dies lag keineswegs nur daran, dass die karolingischen Könige für Stabilität gesorgt hätten – die Dezimierung bei Cannstatt 746 oder der Sturz Karls III. zeigen da eher das Gegenteil –, aber man sah offenbar lange Zeit keinen Grund zum Handeln. Erst in der Krisenzeit des beginnenden 10.  Jahrhunderts mit den Ungarneinfällen und dem alemannischen Bruderkrieg, der allerdings tatsächlich mit dem Ende der karolingischen Herrscher und damit dem Ende einer agnatischen Nachfolge zusammenfiel, sah man sich zum Eingreifen verpflichtet, um den Status quo in Alemannien durch die Errichtung eines eigenständigen Herzogtums Schwaben beizubehalten. Diese Zeit hat den wachsenden Einfluss der einzelnen Regionen des Reiches und das Emporstreben einzelner Akteure wie Abtbischof Salomo, Pfalzgraf Erchanger, Burchard von Rätien und König Rudolf II. von Hochburgund385 überhaupt erst in diesem Masse ermöglicht. Auch zeitlich sind durchaus Unterschiede in der Nachweisbarkeit von regionalen Grafenämtern feststellbar. Im Thurgau, Nibelgau und in der Baar sind bereits früh Grafen als Herrschaftsträger nachweisbar, während andernorts solche erst viel später in Erscheinung treten. Abgesehen von der Überlieferungssituation und der unterschiedlichen Einflussnahme des Klosters in den entsprechenden Regionen, die unsere heutige Sicht beeinflussen, könnte die regionale Aufteilung etwas anders ausgesehen haben (gewisse Regionen noch als Unterbezirke grösserer Gaue etc.) und die karolingischen Verwaltungsreformen könnten unterschiedlich rasch Einzug gehalten haben. Hinsichtlich solcher Überlegungen könnte uns gerade die ansonsten so hilfreiche Überlieferungslage in St. Gallen in die Irre führen. Denn wenn uns gewisse Regionen früher in den Quellen begegnen als andere, liegt dies einzig am jeweiligen Einfluss des Klosters in der betreffenden Region. Da nur St. Gallen über eine derart gute Überlieferung verfügt, verdanken wir den grössten Teil der Kenntnisse zum frühmittelalterlichen Bodenseeraum den Urkunden aus dem Stiftsarchiv St. Gallen. Wenn nun die Abtei St. Gallen in gewissen Gegenden rund um den Bodensee lange Zeit über keinerlei Besitz verfügte, gab es für die zeitgenössischen St. Galler Mönche auch keinen Grund, eine Urkunde für jene Gegend zu erstellen, die alle potenziell verwertbaren Informationen wie Personen- und Ortsnamen oder eben Gra 385 Rudolf wird nur deshalb in dieser Reihe mit den alemannischen Magnaten genannt, weil er sich unter anderem dank der Schwäche des ostfränkischen Königtums gewisser schwäbischer Regionen bemächtigen und seinen Einfluss bis nach Oberitalien ausweiten konnte. Damit hatte er entscheidenden Einfluss auf die Bildung des neuen Herzogtums (vgl. einleitenden Feldzug Burchards I.).

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350

fen enthalten hätte. Demnach tauchen solche Namen und Gebietsbezeichnungen aus den frühen klösterlichen Kernregionen früher in unserem Geschichtsbild auf, als jene in den Gebieten fernab des Klosters. Derartige Überlegungen haben bereits früh Forscher dazu verleitet, über mögliche Zusammenhänge zwischen Archivsignaturen und frühen Raumordnungen nachzudenken. Denn auf den Rückseiten der frühmittelalterlichen St. Galler Urkunden befinden sich römische Zahlen mit einem cap., die auf ein frühes Ordnungssystem hinweisen (Kapitelzahlen). Um nach der Art und Weise auch die Frage nach dem ‹warum› einer solchen Kapiteleinteilung zu stellen, lohnt sich ein Blick in die frühmittelalterliche Praxis der archivischen Aufbewahrungspraxis, die Erhart zuletzt in einem Artikel zum Augstgau dargelegt hat.386 Während andere Klöster damit begonnen haben, Traditionsbücher und Chartulare zu führen, um dem stetig anwachsenden Berg von losen Pergamentblättern Herr zu werden, gingen die Archivare der Abtei St. Gallen zu Beginn des 9. Jahrhunderts dazu über, eine neue Beschriftungspraxis für die klein gefalteten Urkundenpäckchen einzuführen.387 Zwar war die Handhabung einer Handschrift praktikabler, doch hatten solche Abschriften nie dasselbe rechtliche Gewicht wie die originalen Urkunden, und die Abschrift führte häufig zum Verlust des Originals. Durch die Aufteilung in 36 Kapitel und die einheitlichen Beschriftungen auf den Rückseiten der Urkundenpäckchen mit dem entsprechenden römischen Zahlzeichen und einer kurzen Inhaltsangabe war ein Auffinden der entsprechenden Urkunde nun deutlich einfacher geworden. Man vermutet eine Aufbewahrung in einem Wandschrank mit 36 Fächern, was allerdings das Wissen um die geografische Verortung des gesuchten Güterortes voraussetzte.388 Nicht auf diese Weise beschriftet wurden einzig die ohnehin in überschaubarer Menge vorhandenen Herrscherund Gerichtsurkunden. Von den – wie Erhart vermutet – etwa 3000 Urkunden aus der Zeit vor dem Jahr 1000 haben dadurch immerhin 755 Privaturkunden und etwa 70 Herrscherdiplome überlebt.389 Eine mögliche Einflussnahme über die Vergabe der Kapitelzahlen durch den St.  Galler Stiftsarchivar kann nicht vollends nachvollzogen werden, da beispielsweise der Oberaargau trotz seiner niedrigen Kapitelzahl nicht zu den frühsten Besitzschwerpunkten zählt. Da die Einführung der Kapitelzählung eine Momentaufnahme der bislang in Klosterbesitz gelangten Güter darstellt und diese Einführung frühstens in den 830er-Jahren erfolgte, könnten diese Zahlen aber dennoch ein Indiz für die Ausdehnung des Klosterbesitzes sein. Zumindest die letzten Zahlen zeigen Regionen, in denen das Kloster erst spät Fuss fassen konnte.

386 387 388 389

Erhart/Wagner, Augstgau. Zur Faltung Staerkle, Rückvermerke, S. 30–32. Erhart/Wagner, Augstgau, S. 48; Staerkle, Rückvermerke, S. 54–71. Dies dürfte letztlich auch dem historischen Interesse des St. Galler Bürgermeisters und Humanisten Joachim von Watt (Vadian, 1484–1551) während der reformatorischen Wirren und dem ‹Bildersturm› in St. Gallen zu verdanken sein (Erhart, Vadian, S. 70 f.; ders./Wagner, Augstgau, S. 48. Vgl. Staerkle, Rückvermerke, S. 26 f.).

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Die St. Galler ‹Raumordnung› und ihre Einteilung in Kapitel Thurgau (Cap. I–XIV) inklusive Zürichgau und Rheingau.390 (Ober-)Aargau (Cap. XV).391 Augstgau (Cap. XVI–XVII). Elsass (Cap. XVII). Breisgau (Cap. XVII–XVIII) inklusive (M-)Ortenau.392 Alpgau (Cap. XXI).393 Baarengebiet (Cap.  XIX–XXVIII) inklusive Albuinsbaar, Rammagau, Heistilingau, Pagus Appha, Folcholtsbaar, Scherragau, Pirihtilosbaar, Adalhartsbaar und Bertoldsbaar. Hegau (Cap. XXIX).394 Linzgau (Cap. XXX–XXXII). Munterishuntar (Cap. XXXII). Argengau (Cap. XXXIII–XXXIV). Albgau/Allgäu (Cap. XXXV–XXXVI). Nibelgau (Cap. XXXVI).395 Diese Aufstellung stellt nur einen Versuch dar, etwas Ordnung in die einzelnen Kapitelzahlen zu bringen. Da all diese Gebiete weder über feste Grenzen verfügten noch all die Urkunden auf ihrer Rückseite die korrekte Kapitelzahl erhielten, die Dorsualien also mehr eine Art Gedankenstütze zur ungefähren geografischen Verortung darstellen und wir über keine zeitgenösse Auflistung der Kapiteleinteilung verfügen, ist obiger Versuch unter Vorbehalt zu betrachten. Eine ganze Reihe auffälliger ‹Fehler› findet sich in einigen Thurgauer Urkunden, die einheitlich mit der ‹falschen› Breisgauer (und zum Teil Augstgauer) Kapitelzahl versehen wurden und zum Teil nachträglich korrigiert worden sind.396 Abgesehen von solchen ‹Unregelmässigkeiten› – die sich aufgrund eines Verlustes an Urkunden kaum mehr erklären lassen397 – lässt sich die Nummernvergabe einigermassen nachvollziehen. 390 Nach Staerkle (Rückvermerke, S. 63) cap. I Region Gossau mit Appenzell, cap. II sowie IV–VI Region Wil mit Toggenburg und südlichem Thurgau, cap. III Region Rorschach mit östlichem Thurgau bis Bodensee, cap. VII mittlerer Thurgau bis Untersee und Rhein, cap. VIII–IX östlicher Kanton Zürich mit mittlerem Tössgebiet, cap. X–XI Limmat- und Wehntal, cap. XII Zürichgebiet zwischen Töss und Glatt, cap. XIII–XIV Oberland und Gegend am oberen Zürichsee. 391 Nach ebd. cap. XV Region Langenthal. 392 Nach ebd. cap. XVI–XVIII Breisgau mit Augstgau und Elsass, wobei er den Augstgau offenbar aufgrund der undurchsichtigen Kapitelnummervergabe am Oberrhein in den Breisgau-Kontext stellt und nicht als fortlaufende Nummer des eigentlichen Oberbezirks des Augstgaus, des (Ober-)Aargaus. 393 Vgl. Hegau sowie die Kapitelzahl für den Klettgau bei ebd.: cap. XXIX. 394 Nach ebd. cap. XIX–XXVIII allgemein «die Gebiete am Oberlauf der Donau und des Neckars mit anstossendem Hegau und Albgau» und cap. XXIX für den Klettgau. 395 Nach ebd. cap. XXX–XXXVI «Linzgau, Argengau, Albgau und Nibelgau mit Ausläufern bis Vorarlberg». 396 Zumeist liegt eine Verwechslung zwischen III und XVI, XVII und XVIII vor, was mit einer Verwechslung der beiden Kastellbezirke Augst und Arbon zusammenhängen könnte; in einer Verwechslung von XIV statt III, was den südlichsten Teil des Thurgau am Zürichsee betrifft, ist eine Interpretation schwierig. Vgl. Erhart/Wagner, Augstgau, S. 50 f. 397 Vgl. Staerkle, Rückvermerke, S. 23 f. Ders. (ebd., S. 63 f.) vermutet allerdings für den ebenge-

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Abb. 26: Die St. Galler Kapiteleinteilung, lokale Landschaftsbezeichnungen, Gaue, Baaren und Huntare (Kartengrundlage von Architectura Virtualis, Kooperationspartner der TU Darmstadt).

Die Zahlen beginnen rund um das Kloster St.  Gallen und im südlichen Bodenseeraum zwischen Rhein und Zürichsee (inklusive Rhein- und Zürichgau). Als Nächstes kommen der Oberaargau und die Gebiete im Oberrheingraben (Augstgau, Elsass und Breisgau), gefolgt vom Alpgau und vom Baarengrossraum, der sich vom Schwarzwald (Westbaar)398 entlang des gesamten Donaulaufs (inklusive aller nördlich der Donau liegenden Gebiete) bis nach Ulm (Ostbaar) erstreckt. Daraufhin folgen die rechtsrheinischen Gebiete zwischen Oberrheingraben, Baar und Thurgau mit dem Klettgau und Hegau bis zum Untersee und den Gebieten am unmittelbaren nördlichen Bodenseeufer (Linz-, Argen-, Alb- und Nibelgau). Geografisch macht diese Einteilung nur Sinn, wenn man bedenkt, dass die Mönche Anhaltspunkte zur Besitzverortung brauchten und sich hierfür seit je die grossen Flüsse und ihre Zusammenflüsse anboten. Die Häufung der Ziffer XIX im Baarengrossraum ist ein Hinweis auf die unsichere Verortung innerhalb «der Baar», es scheint sich dabei aber jeweils nannten Fall der Thurgauer Urk., dass diese in den korrekten Fächern einfach keinen Platz mehr gefunden hätten und deshalb weniger stark frequentierte Fächer als Ersatzbehälter herhalten mussten. 398 Vgl. Erhart, Villingen, S. 48 f.

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um Randgebiete der östlichen Baar gehandelt zu haben. Die Gebiete in unmittelbarer Umgebung zum Kloster besassen die niedrigsten Zahlen, welche wohl in erster Linie nach ihrer Entfernung zum Kloster vergeben wurden.399 Als Abgrenzungen dienten Flüsse und Hügelketten, was zugleich Indiz dafür ist, dass aus Sicht der Mönche verständlicherweise nicht die luftlinienmässige Entfernung eine Rolle spielte, sondern die Erreichbarkeit zu Fuss, Boot oder per Pferd. Die St. Galler Kapiteleinteilung, die sich ihren Nummern folgend quasi durch Alemannien ‹schlängelt›, hat obigen Ausführungen zufolge also wenig bis gar nichts mit der politischen Situation in Schwaben und den einzelnen Gauen, pagi, Huntaren und Baaren zu tun.400 Die Einteilung in capituli hängt mit den naturräumlichen Begebenheiten zusammen. Die praktische, reale Erreichbarkeit der Güter- und Versammlungsorte dürfte den Urkundenausstellern in erster Linie zur geistigen Vorstellung und Nummernvergabe am Herzen gelegen haben. Dafür haben sie sich an landschaftlichen Fixpunkten und räumlichen Begebenheiten wie Flüssen als Begrenzungen oder auch als Wasserwege orientiert. Dass diese Räume nun häufig mit den politischen Bezirken übereinstimmten, ist hingegen kein Wunder, da Hügelketten, Berge, dichte Wälder, Flüsse, Bäche und Sümpfe seit je als natürliche Gebietsbegrenzungen gedient haben. Die Iller bildete die östliche ‹Grenze› sankt-gallischen Einflusses, weshalb die dahinterliegenden schwäbischen Gebiete bis Augsburg für diese Untersuchung kaum eine Rolle spielen.401 Ähnliches gilt für den begrenzenden Neckar im Norden, den Rhein im Westen und den Zürich- und Walensee im Süden. Der Südosten erfährt als rätische Markgrafschaft eine gesonderte Behandlung und wird in dieser Arbeit aufgrund seiner ganz eigenen Komplexität meist weggelassen, während der Südwesten als burgundische Einflusssphäre gar nicht beachtet wird.

3.2

Lokale Funktionäre und klösterliche Verwalter

Der schwäbische Herzog, der ostfränkische König und zuweilen auch die alemannischen Grafen konnten auf das regnum Alemannia und spätere Herzogtum Schwaben durch ihre politischen und kriegerischen Aktionen indirekten Einfluss ausüben. Die direkte, lokale Wirkung dürfte aber aufgrund ihrer fehlenden physischen Anwesenheit eher bescheiden ausgefallen sein, weshalb die Rolle lokal ansässiger Eliten kaum genug hervorgehoben werden kann. Zeller bezeichnet die lokale Elite in diesem Zusammenhang treffend als ‹Scharniere› zwischen königlicher Gewalt und lokalen Familienverbänden sowie geistlichen Institutionen.402 Die lokalen Eliten können in diesem Sinne gewissermassen als Garanten für die lokale Durchsetzung von Beschlüssen und die Erhaltung der Ordnung gesehen werden. Wir finden diese Männer an der Spitze von Zeugenlisten (praepositi, centenarii), als ‹Vorsteher› kleiner 399 Vgl. Vogler, Elsass, S. 116. 400 Bradler (Ministerialität, S. 67–70) ist für Allgäu und Oberschwaben von den Grafschaftsbezirken als Grundlage ausgegangen. 401 Hier stösst die St. Galler Einflusssphäre unter anderem auf jene des Klosters Kempten. 402 Zeller, Lokale Eliten, S. 233.

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Siedlungen (villici, maiores, rectores) oder von Versammlungen (centuriones, tribuni) und als Beistände in Rechtsangelegenheiten (advocati). Obwohl sie in den Quellen kaum oder nur sehr vage familiär und geografisch erfasst werden können, soll im Folgenden versucht werden, Wirkungsgrad und -umfeld solcher Personengruppen anhand auffälliger Einzelfälle, vergleichbarer Titulaturen und der Betrachtung lokaler Netzwerke greifbar zu machen. Dies betrifft den geistlichen wie weltlichen Part, wobei bei den geistlichen fast nur die Pröpste (praepositi) zu nennen sind, welche im Fall von St. Gallen meist selbst Kleriker waren und durch advocati vertreten werden mussten.

3.2.1

Geistliche und weltliche Verwalter des Klosters St. Gallen

Die Grenzen zwischen geistlichen und weltlichen Akteuren sowie deren Tätigkeiten für geistliche und für weltliche Personen(kreise) und Institutionen sind nicht in allen alemannischen Quellen gleichermassen erkennbar und in vielen Fällen ist eine derartige Unterscheidung auch nicht zweckdienlich. Viel angebrachter scheint eine vergleichende Betrachtung der Akteure hinsichtlich des rechtlichen Status und gegenseitiger Abhängigkeitsverhältnisse. Im Folgenden sind dies insbesondere Funktionäre des Klosters St. Gallen oder in dessen Auftrag. Es ist keinesfalls das Ziel dieser Untersuchung, eine vollständige Auflistung aller advocati, praepositi, maiores oder anderer Funktionäre zu präsentieren, wofür stattdessen auf die jeweiligen Werke aus der Forschung zum Kloster St. Gallen verwiesen wird.403 Vielmehr wird eine zur Untersuchung der politischen Strukturen zielführende Auswahl an Einzelfällen getroffen. Praepositi Im 8. und 9. Jahrhundert lassen sich vor allem Mönche als Verwalter und Vorsteher (praepositi) der klösterlichen Besitzungen finden.404 Wir begegnen diesen an zahlreichen Stellen in den St. Galler Urkunden. So tauchen gleich drei in einer Schenkungsurkunde von 816 auf: Ein gewisser Gozbert überträgt seinen Besitz in Ewattingen, Ühlingen, Achdorf und seinen Anteil an der Kirche in Kirchzarten an das Kloster St. Gallen. Als Gegenleistung soll er einen Platz im Kloster mit grosszügiger Ausstattung erhalten. Solange er jedoch ausserhalb des Klosters bliebe, sollen ihm durch die Pröpste (prepositi) von Ewattingen, Aselfingen und Mundelfingen Geld, Kleidung (oder stattdessen lebende Tiere), zwei mancipia sowie im Falle einer Reise ein Reiter und ein gut gerüstetes Pferd zur Verfügung gestellt werden.405 Die drei genann 403 Für die advocati des Klosters St. Gallen bis zum 10. Jahrhundert vgl. Dohrmann, Vögte, insbesondere S. 150–220. 404 Spätestens im 9. Jahrhundert scheinen fixe Aussenpröpste eingesetzt worden zu sein (Sprandel, Verfassung, S. 68). Dieser Abschnitt folgt in wesentlichen Teilen einem online publizierten Vortrag (Wagner, Transformation, Abs. 5). 405 […] quȩ supra commemoravi, prebeant prepositi Ekipetinga et Asoluinga atque Munolfinga procurantes (Chart. Sang. I, n. 223).

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ten Orte in der Bertoldsbaar können wohl als wichtige Verwaltungsmittelpunkte des Klosters angesehen werden, die unter der Obhut eines klösterlichen Verwalters standen, eines «Bezirkpraepositus» – wie Sprandel diesen bezeichnet.406 Nun stellt sich die Frage, ob diese praepositi allesamt Mönche waren, denn für den beschriebenen Kleinraum wäre dies definitiv eine Überbesetzung durch Mönche, deren Aufenthalt ausserhalb des Klosters ohnehin nur eine Ausnahme darstellen sollte.407 Könnten unter praepositi im wörtlichen Sinne nicht auch weltliche ‹Vorsteher› fallen? Vorstellbar wären beispielsweise die entsprechenden maiores der grösseren zentralen Höfe, welche sowohl die klösterlichen Pröpste als auch den Abt auf Reisen beherbergten.408 Man stösst in den Urkunden hin und wieder auf die Nennung solcher Höfe, wenn es darum geht, die Abgaben ad proximam curtem sancti Galli409 beziehungsweise ad proximam curtem eiusdem monasterii410 abzuliefern. Diese klösterlichen Zentralorte tauchen demnach als Zinssammelstellen und Fronhöfe411 auf. Dass die Mönche die Verwaltung ihres Besitzes und der Klosterbetriebe soweit möglich selbst in die Hände nahmen, findet sich in einer Schilderung Ratperts bestätigt, die von der Einflussnahme des Konstanzer Bischofs Wolfleoz in die inneren Angelegenheiten der Abtei St. Gallen im Jahr 816 berichtet: Er [Wolfleoz] suchte dennoch nach Belieben immer wieder dieses Kloster auf und hatte dort alle Gewohnheiten der Ämter [ministeria] seinen Gelüsten gebeugt. Schliesslich stellte er an die Spitze der Kellerei [cellarium] und aller ähnlichen Werkstätten [officinae] des Klosters Personen aus dem Laienstand [laicales], welche ihm ausserhalb [der Klostermauern] zu dienen gewohnt waren, und keiner der Mönche, die zu eben diesen Diensten [ministeria] bestimmt worden waren, hatten die Vollmacht einzutreten oder irgendwie darüber zu befinden oder daran Anteil zu haben.412

Anstelle der Mönche setzte Wolfleoz Laien in einige der zentralen ministeria der Abtei, darunter auch an die Spitze der Kellerei. Aus welchem rechtlichen und sozialen Umfeld diese laicales stammten, lässt sich nicht herauslesen. Dass dies überhaupt als Affront dem Kloster gegenüber betrachtet wurde, zeigt aber, dass diese Ämter im Normalfall von Mönchen wahrgenommen wurden. Der St.  Galler Konvent zeigte sich auch noch in den folgenden Jahrhunderten als äusserst unnachgiebig, wenn es um die Delegierung wichtiger Aufgaben an Weltliche ging, ebenso wie St. Gallen sich praktisch jeder kirchlichen Reformbewegung des 10. und 11.  Jahrhunderts erfolgreich widersetzte. Wenn auch die weitläufige Verbrüderung mit anderen Klöstern 406 407 408 409 410 411 412

Sprandel, Verfassung, S. 71. Faust, Benedicti regula, cap. 67. Sprandel, Verfassung, S. 76 f.; Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 274. Chart. Sang. II, n. 417. Ebd., n. 563. So nennt beispielsweise Oberholzer (Eigenkirchenwesen, S. 110, 113) diese Höfe. Übersetzung von Steiner (Ratpert, Cas. s. Gall., S. 177). […] nihilominus ad libitus suos sepius idem monasterium invisens, omnes ibidem ministeriorum consuetudines ad suas detorserat voluptates. Denique cellario cunctisque similibus monasterii officinis laicales praefecit personas sibi forinsecus ministrare solitas, nullusque eorum, qui ad haec eadem ministeria constituti fuerant, monachorum vel intrare aut de his aliquatenus habuit potestatem tractare vel habere (ebd., cap. 13).

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und die wachsende Bibliothek untrügliche Zeichen eines regen Austausches darstellen, so blieb St.  Gallen institutionell länger als die meisten ostfränkischen Klöster seinen alten Gewohnheiten treu und an den Aussenstandorten der St. Galler Güterherrschaft waren bis mindestens ins Hochmittelater klostereigene Geistliche stationiert oder zumindest auf Visite.413 Obiges Beispiel betrifft allerdings die klosterinneren ministeria und weniger die Stellung eines Aussenpropstes. Mit einem Blick in die Urkunden bestätigt sich die Mutmassung zum rein geistlichen Stand der praepositi, da sie stets im Verbund mit einem für sie agierenden advocatus genannt werden, was entweder auf einen Hörigen, eine Frau oder einen Geistlichen schliessen lässt. Actum in loco Madabach, preposito sancti Galli Ruadkero presente, qui hanc notitiam accepit et cum manu advocati eius Reginboldi firmavit.414 Als Vertreter des Klosters in einer derart prominenten Position innerhalb der Urkunde kann damit nur ein Geistlicher zusammen mit einem weltlichen advocatus gemeint sein.415 Womöglich tauchen auch nur die geistlichen praepositi in den Urkunden auf, während die weiteren nicht überliefert wurden oder keiner urkundlichen Erwähnung wert waren, da als Verhandlungspartner auf der Klosterseite ja ohnehin stets der heilige Gallus beziehungsweise die Abtei fungierte. Der klösterliche Vertreter wurde womöglich nur im Falle von anwesenden Mönchen in den Urkunden vermerkt, da sie durch ihre persönliche, ehrenvolle Anwesenheit dem Ganzen vielleicht noch etwas mehr Legitimität verliehen.416 Damit wäre also die Möglichkeit geistlicher praepositi als reine Visiteure gar nicht so unwahrscheinlich, während die Stellung vor Ort von einem Vertrauten aus dem Klostergesinde, einem anderen zuverlässigen Abhängigen oder aber von einem zugewandten freien Alemannen gehalten wurde. Vielleicht wurden diese maiores, villici oder sonstigen lokalen Klosterfunktionäre ebenfalls wortgetreu als praepositi bezeichnet,417 im Sinne von Hof- oder Ortsvorsteher, was sich in den grösseren Hof­ ansammlungen und städtischen Siedlungen später im Amt des rector wiederfindet. In dieser Weise interpretiert auch Niermeyer praepositus (Fronhofverwalter, Meier), wenn auch weit hinter den zahlreichen kirchlichen Vorsteherschaften.418 Dennoch wird es die St. Galler Mönche auf Aussenposten gegeben haben, zur Wahrung der Interessen des Konvents an den wichtigsten Zentralorten.419 Aufgrund der weiten Streuung sankt-gallischer Güterorte werden aber die weltlichen Gutshofvorsteher die Zahl an geistlichen Vertretern bei weitem übertroffen haben. 413 Zu den praepositi auf Reisen vgl. Sprandel, Verfassung, S. 60–62. 414 Chart. Sang. II, n. 818, sowie ähnlich ebd., nn. 579, 686. Zur cum manu-Formel und den weiteren derartigen Formulierungen vgl. Dohrmann, Vögte, S. 82–84. 415 Zur Verbindung der Aussenpröpste mit den advocati sowie den Aufgaben solcher praepositi vgl. Schaab, Mönch in St. Gallen, S. 217 f. 416 Zur Überlieferung muss angefügt werden, dass auch in den erzählenden Quellen unter einem praepositus ausschliesslich Geistliche zu finden sind. 417 Feller (Hiérarchies, S.  272) spricht selbstverständlich von praepositi als lokale Verwalter und Vorsteher im landwirtschaftlichen Milieu. 418 MLLM, S. 1089 f. Vgl. zudem die Übersetzungsvorschläge ‹Vogt› und ‹Schulze› im Mlat Glossar, Sp. 305. 419 Zu den Kloster- und Aussenpröpsten in St. Gallen vgl. Schaab, Mönch in St. Gallen, S. 214–223.

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Advocati Vielerorts standen den (geistlichen) praepositi zudem weltliche Klosterbeamte als advocati zur Seite. Sie übernahmen all die Aufgaben, die von den geistlichen Pröpsten nicht wahrgenommen werden konnten, so zum Beispiel die gerichtliche Klageerhebung und die Prozessführung.420 Denn da das Kloster durch die königliche Immunität aus der weltlichen Jurisdiktion herausgehoben wurde, waren in Streitfällen nicht mehr die Grafen der jeweiligen Bezirke zuständig,421 sondern ein weltlicher Vertreter des Klosters, und zwar als advocatus. Diese Klosterbeamten traten zusammen mit den Pröpsten häufig als Paar auf, waren ihnen aber untergeordnet:422 cum nostra licencia noster praepositus Salomon cum manu advocati nostri Amalungi,423 sofern der Terminus advocatus nicht überhaupt fallbezogen auf die gerade ausgeübte Funktion – als eine Art rechtlicher Beistand und helfende Hand – zu verstehen war. So verweist die Formulierung Vualdonis et advocati illius Erchangeri comitis424 in der Übertragung der Abtei Pfäfers an St. Gallen im Jahr 909 auf den rechtlichen Beistand eines Grafen Erchanger für Waldo, den späteren Abt von Pfäfers. Auch alle anderen wichtigen Akteure in diesem Rechtsgeschäft werden mehrfach mit ihren advocati genannt. Da es sich bei Erchanger jedoch um den königlichen missus und späteren Pfalzgrafen in Alemannien handelt und auch hinter den anderen advocati namhafte Personen stehen, dürfen wir advocatus in diesem Fall und andernorts keinesfalls automatisch auf das Amt eines einfachen ‹Klostervogtes› beschränken. Stärker noch als andere Termini wurde advocatus nämlich mindestens vom 8. bis zum 10. Jahrhundert sowohl zur Amtsbezeichnung als auch zur Bezeichnung einer Person mit situativer Tätigkeit/Funktion verwendet.425 Im Falle der dem Kloster ‹offiziell› zugeordneten ‹Vögte›, die für die karolingische Zeit bisher am ausführlichsten von Dohrmann untersucht wurden,426 lässt sich vermuten, dass diese mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht aus der familia des Klosters stammten, sondern freie Grundeigentümer und lokale Aristokraten waren.427 Immerhin mussten sie in grösserem Masse rechtsfähig sein, was Angehörige der familia, welche selbst als Gut verhandelt werden konnten, nicht waren. Dafür spräche auch Dohrmanns Votum, wonach ein ‹Vogt›, der für die klösterlichen Güter in einem bestimmten Gebiet verantwortlich war, dort selbst als freier Mann mit ei 420 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 73; Willi, Rorschach, S. 147; Liebhart, Klostervogtei, S. 169. 421 Vgl. Zettler, St. Gallen, S. 33. 422 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S.  71  f. Sprandel (Verfassung, S.  73) sieht hinter den advocati eher unterstützende Helfer der Pröpste als eigenständig handelnde Personen. Sie seien einer Einzelperson zugeordnet gewesen und keiner Institution. 423 Chart. Sang. II, n. 834 aus dem Jahr 925. Noch deutlicher wird dies in einer Urkunde aus dem Jahr 912: preposito sancti Galli Ruadkero presente, qui hanc notitiam accepit et cum manu advocati eius Reginboldi firmavit (ebd., n. 818). In anderen Fällen lässt sich die Überordnung des Propstes zumindest an der Reihenfolge der Nennung erkennen. So beispielsweise 869: accepimus ab eisdem monachis et eorum preposito et advocato (ebd., n. 579). 424 Ebd., n. 806. 425 Vergleichbar in dieser Doppeldeutigkeit sind ansonsten vor allem Termini wie servus und famulus. 426 Dohrmann, Vögte. 427 Ebd., S. 77–80, 148; Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 74, 121–123; Willi, Rorschach, S. 148.

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genem Landbesitz ansässig sein musste.428 Diese im ersten Moment etwas zu pauschal anmutende Aussage macht durchaus Sinn, wenn wir einen Perspektivenwechsel wagen: Jeder ‹freie› Mann konnte für eine andere Person als rechtlicher Beistand und Bürge  – als advocatus – auftreten und einstehen. Bei den lokalen Verhandlungen waren dies meist Leute aus der näheren Umgebung, die folglich auch über Besitz in der näheren Umgebung der Verhandlung verfügten. Dohrmann hat seine Beobachtung, dass alle in den Urkunden genannten advocati lokale Landbesitzer waren, schlicht zur Regel umformuliert, wonach alle advocati freie, lokale Landbesitzer sein mussten. Durch seine generelle Gleichsetzung von advocatus mit Vogt hat er dabei das Bild einer mit Vogteien überzogenen Landschaft generiert, was kaum der Realität entsprochen haben dürfte. Unter dem Gesichtspunkt, dass Institutionen wie das Kloster St.  Gallen wohl bevorzugt immer wieder auf dieselben Personen zurückgriffen, sofern sich diese als zuverlässig erwiesen, wird dieses Bild nachvollziehbar noch verstärkt. Denn dies erklärt auch, warum das Kloster in verschiedenen (selbst kleineren) Gebietseinheiten jeweils über denselben advocatus agierte, oder – um es mit Dohrmanns Worten zu sagen – warum das Kloster in all den Gebietseinheiten ‹über einen eigenen Vogt verfügte›.429 Aufgrund der Notwendigkeit der Ausübung der Blutgerichtsbarkeit kommen wir allerdings nicht umhin dennoch vom Forschungsbegriff der Vogtei Gebrauch zu machen, denn an vielen der zentralen Orte des Klosters St. Gallens werden wohl auch derartige ‹Vogteigerichte› abgehalten worden sein.430 In Überschneidung mit der gräflichen Gerichtsbarkeit dürfte es sich dabei ebenfalls um kleinere Rechtsbezirke gehandelt haben.431 Hinweise darauf gibt etwa eine abgehaltene (Gerichts-)Versammlung in Zuzwil unter dem Vorsitz eines advocatus im Jahr 948: Actum in Zuocewilare, in publico mallo Notkeri advocati.432 957 wird in einem weiteren mallus publicus in Gossau, einem sehr häufig als Ausstellungsort genannten Fronhof,433 zwar der Terminus advocatus weggelassen, doch fallen mit den titellosen Namen Wito und Amalung in der darauffolgenden Zeugenliste zwei der häufigsten Namen für advocati während des 10.  Jahrhunderts.434 In dieser Urkunde folgt zudem eine Datierung über König, Herzog, Graf 428 Besonders offenkundig werde dies bei den romanischen Namen der ‹Vögte› St. Gallens auf rätischem Gebiet und beim (unten genannten) ‹Vogt› Notker aus dem Raum Jonschwil (Dohrmann, Vögte, S. 149 f., 192 f.). 429 Sprandel, Verfassung, S. 74 f.; Dohrmann, Vögte, S. 148. 430 Ganahl (Verfassungsgeschichte, S. 79) spricht bei mallus publicus in diesem Fall von einem ‹Vogteigericht›. Ansonsten finden sich an der Spitze solcher Versammlungen Grafen, wie in einem Fall von 885: Actum in Curtuuila, in publico mallo, coram Adalberto comite (Chart. Sang. II, n. 678). Die Rolle solcher Versammlungen auch als Gerichtsversammlungen wird im Fall einer Anklage durch den St. Galler ‹Vogt› Hildebrand im Jahr 878 deutlich: […] donec advocatus sancti Galli nomine Hildibrant temporibus Hartmoti abbatis in publico mallo easdem res ab eo iustitia dictante coacto recepit et in ius sancti Galli redegit (ebd., n. 635). 431 Vgl. hierfür die obigen Ausführungen zum gräflichen placitum von 888–890 (ebd., n. 713). 432 Ebd., n. 847. 433 Gossau taucht regelmässig als Ausstellungs- und Abgabenort in der urkundlichen Überlieferung St. Gallens auf, so auch in einer zeitlich naheliegenden Urkunde von 971: tributo unius denarii ad ecclesiam in Cozesouo sitam annis singulis persolvendi (ebd., n. 864). 434 Actum in loco Cozzesoua, mallo publico, praesentibus his: Vuito. Ruodpret. Amalung. (ebd., n. 856).

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und Tribun, was zur Vermutung führt, dass diese Versammlung unter dem Vorsitz des Tribuns Adale abgehalten wurde, weshalb die advocati zwar am Anfang der Zeugenliste stehen, aber ebenso wie in den Königsurkunden nicht als solche in Erscheinung treten. In einem Tauschgeschäft von 963 wird Wito als advocatus des Abtes Purchart435 aufgeführt: […] ego Purghardus abbas […] Complacuit mihi cum consensu fratrum et advocati mei Vuitonis concambium facere cum Manegolto, quod et fecimus. […] Actum in Niuvora, in mallo publico, praesentibus his: sig. Eburhardi comitis. Advocati Vuitonis.436 Wito scheint also federführend gewesen zu sein. Dennoch folgt er in der Zeugenliste an zweiter Stelle hinter dem Grafen Eberhard,437 da Letzterer offenbar persönlich am mallus teilnahm oder diesem gar vorstand. Deshalb fehlt Eberhard womöglich auch in der Datierung. Wie bereits ausgeführt, tauchen Grafen in der Datierung von über dreiviertel aller St. Galler Urkunden des 10. Jahrhunderts auf, wobei sie selbst wohl nicht persönlich anwesend waren.438 Durch die persönliche Anwesenheit 963 in Neunforn439 scheint eine weitere legitimierende Aufführung in der Datierung unnötig gewesen zu sein, weshalb auf die Herrscherjahre Ottos I. einzig der schwäbische Herzog Burchard III. folgt. Die Zeugenliste ist im Übrigen aufgeteilt in weltliche Zeugen, angeführt vom Grafen Eberhard, und in geistliche Zeugen, an deren Spitze Abt Purchart genannt wird, gefolgt vom Klosterdekan Kunibert, einem Propst namens Ymmo und dem Pförtner Bernhard.440 Damit scheint ein Statement bezüglich rechtlicher Kompetenzen gesetzt: Der weltliche advocatus agiert für Abt und Konvent des Klosters St. Gallen, während der geistliche Propst nur als Zeuge dient. Bis ins erste Viertel des 10. Jahrhunderts hatten die Pröpste wesentlich hochrangiger agiert, doch nun scheint sich aus dem ‹PropstVogt-Paar› des 9. Jahrhunderts eine Dominanz des weltlichen Elements entwickelt zu haben. In den meisten Beurkundungen des 10. Jahrhunderts wird der Propst gar nicht mehr genannt, wie zwei Übertragung im klösterlichen Zentralort Gossau von 971 und 976 zeigen: Ganz klassisch wird das Rechtsgeschäft per manum advocati nostri Vuitonis441 und in publico mallo442 durchgeführt. Zudem folgt in beiden Fällen nach einer längeren Zeugenliste die Datierung über König, Herzog und Graf.443 Unter diesem Blickwinkel stellt sich die Frage nach der ‹Einsetzungsgewalt› für institutionelle advocati, denn obwohl jeder freie Mann als solcher fungieren konnte, gab es sehr wohl einen Unterschied zwischen dem Bürgen eines Knechts und dem rechtlichen Vertreter eines Reichsklosters. Während im 8. und 9. Jahrhundert die advocati mächtiger Institutionen zum Teil gar unter königlicher Einflussnahme bestimmt wurden, ging dies unter den letzten karolingischen Königen im Ostfrankenreich vermut 435 436 437 438 439 440 441 442 443

Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 115 f. Chart. Sang. II, n. 859. Eberhard war 957–971 Graf im Thurgau. Sprandel, Verfassung, S. 108. Neunforn (TG). Chart. Sang. II, n. 859. Ebd., n. 867. Ebd., n. 864. Ebd., nn. 864, 867.

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lich zurück,444 womit dieselben Personen nun stärker die klostereigene Konkurrenz zu spüren bekamen.445 Die übrige Gutsverwaltung scheint hinsichtlich der Nennung von praepositi gleich wie im 9. und 10. Jahrhundert funktioniert zu haben, doch hatte sich zur Zeit Ekkeharts IV. innerhalb der klösterlichen Dienstmannschaft wohl bereits eine erste sankt-gallische ‹Ministerialität› ausgebildet.446 Dies mag der Waffenführung im Auftrag des Abtes447 sowie dem Kompetenzzuwachs in der Gutsverwaltung durch den Rückgang der weltlichen ‹Klostervogtei› geschuldet sein. Die Zahl an advocati-Nennungen geht im 10. Jahrhundert nämlich stark zurück und 957 tauchen ein letztes Mal zwei advocati gemeinsam in einer Urkunde auf.448 Mit dem Rückgang an unterschiedlichen advocati stieg einerseits die Vollmacht des verbliebenen advocatus als «Klostervogt»,449 wovon es ab der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts nur noch einen gegeben haben soll, und andererseits haben sich dadurch die Kompetenzen der klösterlichen Verwalter – namentlich der maiores und villici aus der unfreien familia – erhöht.450 Ist im Laufe des 10. Jahrhunderts also doch eine Art ‹Klostervogtei› entstanden? Und war es dieser eine ‹Vogt›, der im 11. Jahrhundert schliesslich kriegerisch gegen den St. Galler Abt vorging und diesen mit eigenen Männern in seiner Burg angriff?451 Dann wäre das ‹advocatus-sein› im 11. Jahrhundert endgültig zu einer festen Institution geworden. Daneben könnte die Bezeichnung aber auch auf einen mächtigen Fürsprecher der Abtei deuten, der diese bisher rechtlich und militärisch vertreten und beschirmt,452 sich nun aber gegen den Abt gewandt hat. Die Untersuchungen Ganahls legen nahe, dass die Vogtei ab der Mitte des 10. Jahrhunderts und während des ganzen 11. Jahrhunderts in St. Gallen erblich war und in den Händen von etwa zwei Familien lag.453 Diese Beobachtung wird durch 444 Das Wahlrecht des Vogtes durch das Kloster gehörte zu den Privilegien, die ein König dem Konvent verleihen konnte. Die politischen Wirren im ausgehenden 11.  Jahrhundert führten beispielsweise in Rheinau dazu, dass die Position des rheinauischen Vogtes gestärkt und ausgebaut wurde, der nun zwischen dem Abt und dem König als ‹Herr des Inselklosters› stand (Maurer, Schwarzwald, S. 96). 445 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 74 f. 446 Rösener, Ministerialität, S. 257. 447 Dies entspricht den oben genannten Kriegsdienstleistungen durch die unfreie familia des Klosters. Zudem hatten bereits früh weltliche Beamte den Abt auf seinen Reisen zu den klösterlichen Besitztümern zu begleiten, wobei wiederum stark an die Meier zu denken ist (Sprandel, Verfassung, S. 58 f.). Laut Rösener (Ministerialität, S. 257) bildeten die Meier und übrigen ministri durch ihre Verwaltungsaufgaben, gerichtlichen Funktionen und militärischen Dienste den Kern der ‹St. Galler Ministerialität›. 448 Chart. Sang. II, n. 855. 449 Sprandel, Verfassung, S. 74 f. 450 Die Meier, deren Entwicklung in den folgenden Abschnitten noch dargelegt wird, hatten einen Grossteil ihrer Kompetenzen also nicht zuletzt durch die Umverteilung von Vogteirechten erlangt. 451 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 22. 452 Vgl. die weitere Begriffsverwendung in der Fortsetzung der Klostergeschichten: advocatus et defensor (ebd., cap.  10). Ebenso wird dieser Begriff bei Notker Balbulus (Notker, Gesta Karoli II, cap. 10) und Ratpert (Cas. s. Gall., cap. [6], 10) verwendet. Ansonsten konnte advocatus auch einen territorialen Stellvertreter bezeichnen (Notker, Gesta Karoli II, cap. 9). Dagegenzuhalten ist die Begriffsverwendung durch den Vorgänger der anonymen Klostergeschichte, denn Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 16–17) verwendet advocatus noch im 11. Jahrhundert für einen funktionellen Rechtsvertreter, wie es in karolingischer Zeit üblich war. 453 Ganahl (Verfassungsgeschichte, S. 77–80) führt seinen Beweis anhand der Namen Wito und

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eine passende Feststellung ergänzt, wonach die Kirchenvogteien überall im Ostfrankenreich ab dem 10.  Jahrhundert für den Aufbau eigener Herrschaftsbereiche genutzt wurden. Die ‹karolingische Beamtenvogtei› hätte sich dadurch zur ‹grafengleichen Hochvogtei› entwickelt.454 Doch lässt sich diese Theorie trotz der schwachen Überlieferung für die dafür entscheidende Zeitspanne auch wirklich halten? Einerseits könnten solche ‹Grossvögte› bereits zuvor existiert haben und die weiteren als advocati genannten Personen wären dies nur wegen ihrer gerade ausgeübten Funktion im Sinne eines rechtlichen Beistandes gewesen. Andererseits könnte sowohl die spezielle Überlieferungslage als auch die spezifische Auswahl der genannten advocati rein geografisch bedingt sein, sodass die breit vertretene Vermutung einer Ausbildung des ‹Thurgauer Klostervogtes› zum alleinigen ‹Vogt› für das Kloster St.  Gallen455 reines Abbild einer Überinterpretation wäre. Als ein solcher ‹Vogt› könnte Notgerus vassus noster advocatus monasterii Mitte des 10. Jahrhunderts angesehen werden, der in einem Tauschgeschäft mit dem Kloster St. Gallen für drei Hufen Land und eine Alpweide das Erbe eines lokalen Aristokraten (Otharii tribuni) in Jonschwil auf Lebenszeit erhält.456 Ganahl sieht darin eine verwandtschaftliche Beziehung Notkers zum Tribun Othere457 und eine umfassende rechtliche Verfügungsgewalt Notkers als ‹Vogt›. Aus der lokalaristokratischen Verankerung und der fast alleinigen Nennung einiger weniger Notkere als advocati in dieser Zeit folgert Ganahl einen Aufstieg des ‹Vogtamtes› Mitte des 10. Jahrhunderts und stellt mit Amalung, Notker, Wito und Liutold gar eine Klostervogtfolge für das sankt-gallische 10. Jahrhundert auf.458 Da dieselben Namen im 11. Jahrhundert erneut auftauchen, sieht er gar eine Erblichkeit des St.  Galler Klostervogtamtes innerhalb weniger lokalaristokratischer Familien.459 Diese These scheint hinsichtlich der nur vier St.  Galler Privaturkunden im 11. Jahrhundert zu gewagt. Wohl mögen einige lokal stark verankerte Familien häufiger in den ‹Genuss› eines solche Amtes gekommen sein, aber eine mit dem Grafenamt des 10. Jahrhunderts vergleichbare Entwicklung der ‹Vogtei› wirkt realistischer. Und auch das Auftreten von advocati als situativ agierende und personenbezogene Rechtsbeistände dürfte kein blosses Phänomen des 9.  Jahrhunderts gewesen sein, sondern eine Fortsetzung im 10. und 11. Jahrhundert gefunden haben, und zwar aus der steten Notwendigkeit heraus, in Verhandlungen und Rechtsgeschäften einen rechtlichen Beistand oder Bürgen an der Seite zu haben.

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Liutold, die sowohl im 10. als auch Ende des 11. Jahrhunderts immer wieder auftauchen. Als ersten «Grossvogt» (alleine amtierender Klostervogt) des 10. Jahrhunderts sieht Sprandel (Verfassung, S. 75) den advocatus Amalung. Hechberger, Adel und Rittertum, S. 20. Vgl. Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 76. Chart. Sang. II, n. 851. Zur weiteren Beschäftigung mit dieser Stelle vgl. die Ausführungen zum Tribun Othere unten. Um das Zentrum Jonschwil soll die Othere/Notker-Sippe über beträchtlichen Grundbesitz verfügt haben, wie unten im Abschnitt unter Tribunus Othere zu sehen ist. Vgl. ebenfalls May, Besitzgeschichte, S. 85, und Dohrmann, Vögte, S. 60 f. Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 77–80. Bezüglich Wito vermutet auch Clavadetscher familiär erbliche Vogteirechte (Chart. Sang. III, n. 882, Anm. 6). Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 80. Dohrmann (Vögte, S. 226) relativiert dies etwas.

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Zur alemannischen ‹Zeugenführerschaft› Die Beobachtung, dass ‹Zeugenführerschaft› und ‹Vogtei› häufig zusammenfallen, hat in der Forschung immer wieder zur Schlussfolgerung geführt, es handle sich dabei um offizielle Ämter.460 Wie für andere Funktionäre ebenfalls noch gezeigt wird, ist es allerdings sicherer, von reinen Funktionen auszugehen, welche die lokal bedeutendsten oder die mit dem Kloster am engsten verbundenen Magnaten wahrgenommen haben. Dass dabei so viele Namensregelmässigkeiten auftauchen, muss nichts mit ‹Vogteifamilien› oder anderen konstruierten Amtsstrukturen gemein haben, sondern ist schlicht dem Umstand geschuldet, dass man die so wichtige rechtliche Vertretung einem vertrauenswürdigen Mann übergab, der zudem mächtig genug sein musste, um sich auch gegenüber Konkurrenten durchzusetzen. Wenn man einen solchen Mann für einen gewissen Bezirk oder eine Region gefunden hatte, griff man bei künftigem Bedarf verständlicherweise auf dieselbe Person zurück. Da diese Männer als schwerttragende Alemannen auch bei den lokalen Gerichtsversammlungen (malli, placita) mit dabei sein mussten und dort wohl zu den einflussreichsten Angehörigen der anwesenden Elite gehörten, tauchen sie zudem nicht selten als erste oder zumindest prominent (möglichst weit vorne) platzierte Zeugen in den Beurkundungen auf. Das hatte also nichts mit einem Amt zu tun, sondern muss als logische Konsequenz gesehen werden. Diese Männer dürften im Übrigen auch die führenden Positionen in den sankt-gallischen Zentralorten und Gehöften eingenommen haben, wo sie als maiores und villici agierten. Dies erklärt auch, warum Ganahl folgert, die advocati seien im Verlauf des 10. Jahrhunderts verschwunden, da ihre Aufgaben mit denjenigen der Gutsverwaltung verschmolzen seien und die Funktion der advocati deshalb bei den villici zu suchen sei.461 Freilich galt dies nur für einen Teil der Höfe, denn für die meisten klösterlichen Sammelstellen dürften zuverlässige Angehörige der klösterlichen familia als villici und maiores fungiert haben, wie im folgenden Abschnitt zu sehen sein wird. Maiores und villici Die Aufgaben der ebengenannten advocati sollen also spätestens seit dem 10. Jahrhundert mit denjenigen der Gutsverwalter,462 den villici und maiores, verschmolzen sein. Diese Funktionen könnten bei den Zentralorten wie Gossau, Jonschwil, Romanshorn oder Oberuzwil durch Angehörige der lokalen Elite wahrgenommen worden sein. In den meisten Fällen dürften diese Verwalter aber unter den privilegierten Angehörigen der unfreien klösterlichen familia zu suchen sein, die vielerorts als einer der Ursprünge der hochmittelalterlichen ‹Ministerialität› gesehen werden.463 Nach Rösener sollen die Meier im 10./11. Jahrhundert auch die niedere

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Vgl. mögliche Zusammenhänge bei Sprandel, Verfassung, S. 116–133. Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 76. Staerkle, St. gallischer Hofstaat, S. 37 f.; Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 76. Bradler, Ministerialität, S. 112 f. Für Kuchenbuch (Klosterherrschaft, S. 271) gehören verschiedene Chargen von Funktionären und spezialisierten Handwerkern zu den ministeriales eines Klosters (maiores, decani, cellerarii, mulnarii, forestarii, fabri).

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Gerichtsbarkeit innerhalb der Güterverwaltung wahrgenommen haben.464 Über die verstreuten Klostergüter, die seit dem 8. Jahrhundert hinzukamen, wurde – beruhend auf der Eigenwirtschaft des Klosters auf den Fronhöfen – eine ganze Verwaltung aufgebaut,465 deren Aufsicht zunehmend die Meier, als Leiter der Fronhöfe, innehatten.466 «Der Meier (villicus) ist derjenige hörige Bauer einer grundherrlichen villa beziehungsweise Villikation, der für die Kollektion und Ablieferung der Zinse, die Bebauung der terra indominicata sowie die Instandhaltung der Fronhofsanlage und ihrer Dependenzen insgesamt verantwortlich ist. Er ist es also, der die Domäne wirtschaftlich leitet.»467 Bis zum Jahr 1100 verfügte das Kloster St. Gallen über mehr als hundert solcher Fronhöfe und die Meier hatten sich in diesen Zentren der klösterlichen Grundherrschaftsverwaltung eine Sonderstellung innerhalb der Hörigen erworben, und zwar mit «wesentlichen Bestandteilen einer Ortsherrschaft».468 Die Stellung, welche sich die maiores während des 10. und 11. Jahrhunderts ‹erarbeitet› hatten, spiegelt sich in einer Beschreibung der Verhältnisse um 925 durch Ekkehart IV. aus der Mitte des 11. Jahrhunderts wider: [Abt] Hartmann starb […]. Und da er beharrlich der Zucht der Väter anhing und unermüdlich die Wissenschaft lehrte, liess er unser Kloster in höchstem Ansehen zurück, abgesehen davon, dass er den Leuten, die unsere Ländereien bebauten und unseren weltlichen Besitz verwalteten, nicht ohne Schaden für St. Gallen zu wenig scharf auf die Finger sah. Tatsächlich war er allein um die innere Führung des Klosters besorgt; und die Frömmigkeit, die er lehrte, wahrten in heiliger Einfalt die Pröpste [praepositi] auch draussen mit aller Strenge; derweil begannen auf den Gütern die Meier [maiores] – von denen das Wort gilt: Hält sie nicht Furcht in Bann, schwillt den Knechten [servi] der Kamm – blanke Schilde und Waffen [scuta et arma] zu führen, lernten die Hörner mit anderem Klang als die übrigen Bauern [villani] zu blasen, hegten Hunde, zunächst um Hasen zu jagen, zuletzt aber um nicht allein Wölfe, sondern gar Bären und, wie jemand sagt, etruskische Eber zu hetzen. ‹Kellermeister› [cellararii], sagten sie, ‹mögen Höfe und Äcker bestellen!

464 Rösener, Ministerialität, S. 256; so bereits Müller, Ministerialität St. Gallen, S. 18. Diese Praxis findet sich spätestens im 13. Jahrhundert bestätigt, als die Meier mit Vorsitz in der jeweiligen Hofgerichtsbarkeit agiert und die früheren klösterlichen Verwalter verdrängt haben sollen, wie Erhart (Villingen, S.  51  f.) zum St.  Galler Klosterbesitz auf der Baar äussert. Kuchenbuch (Klosterherrschaft, S. 272, 275) sieht dennoch eine Abgrenzung zwischen maior und beispielweise einem zeitgenössischen iudex, welchem der maior höchstens als iunior unterstellt gewesen sein könnte. 465 Müller, Ministerialität St. Gallen, S. 17 f. 466 Sprandel, Verfassung, S. 57. Die maiores seien im Rahmen der Organisation derart zurückgetreten, dass sie kaum in der Überlieferung genannt werden (ebd., S. 77). 467 So schätzt Kuchenbuch (Klosterherrschaft, S. 272) die Stellung der maiores in der Abtei Prüm des 9. Jahrhunderts ein, die er aus rechtlicher Sicht als reguläre Mitglieder der herrschaftlichen familia sieht. Ihnen zur Seite sollen sogenannte decani gestanden haben, die als ‹Bauern› ebenso wie die villici/maiores über Land verfügt hätten, aber dennoch weniger begütert waren als die Meier (ebd., S. 276 f.). Je nach lokalen Produktionsbegebenheiten soll «ein maior nicht nur agrikole, sondern auch gewerbliche Leitungsaufgaben» wahrgenommen haben (ebd., S. 279). 468 Oberholzer, Eigenkirchenwesen, S. 109–113.

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364 Wir wollen uns um unsere beneficia469 kümmern und der Jagd frönen, wie es Männern [viri] geziemt!470

Bereits Abt Hartmann (922–925)471 soll also zugunsten der inneren Klosterordnung und Wissenschaft zu wenig auf die Tätigkeit seiner weltlichen Gutsverwalter geachtet haben. Ganz im Gegensatz zu den geistlichen Verwaltern, den Pröpsten, sollen die Meier laut Ekkehart bereits im 10. Jahrhundert ihre Stellung ausgenutzt und sich ‹wie Aristokraten› verhalten haben. Ist dies womöglich ein Hinweis auf die Stellung der Meier Mitte des 11. Jahrhunderts?472 Leider lässt sich dies in der ausschlaggebenden Quellengruppe, den Urkunden, nicht nachweisen, da ein maior zwischen 700 und 1100 überhaupt nur zweimal – Ende 8. Jahrhundert473 und im Jahr 864/871474 – genannt wird, und davon auch nur einmal in aktiver Amtsfunktion: Et incontra recepit precium venditor ab emtores cum vocato suo Onorato et cum maiore suo Abraam.475 Diese paarweise Nennung erinnert an die vergleichbare gemeinsame Nennung von praepositus und advocatus, wobei hier gleich zwei weltliche Vertreter der Abtei agieren. Darin liesse sich höchstens der Beginn einer vogtähnlichen Stellung Ende des 9. Jahrhunderts erahnen, mit genügend Spekulationsfreiraum über weiteren Kompetenzenzuwachs im Verlaufe des 10. Jahrhunderts, bis hin zu Ekkeharts unverschämten maiores im 11. Jahrhundert.476 469 Als ‹Lehen› – wie Haefele es pauschal getan hat – möchte ich beneficia insbesondere an dieser Stelle nicht übersetzen, da der Begriff zu viel Interpretation vorwegnimmt und in der klassischen Mediävistik einen freien Mann voraussetzt. Wie bei den scararii (vgl. Abschnitt zu den homines cavallicantes) und den alemannischen Kriegern und Waffenträgern oben zu sehen war, können Benefizialgüter – wie der Begriff womöglich neutraler übersetzt werden kann – durchaus auch an Hörige vergeben werden (vgl. Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 271–279, 323–343). 470 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall, S. 109–111). Hartmannus […] obiit. Claustrumque nostrum disciplinȩ patrum tenacissimus sectator doctrinȩque assiduus inculcator reliquit celeberrium, preter quod terras colentium et secularis rei curas gerentium non sine damno loci minus exilis exactor erat. Enimvero eo claustri solius gubernacula curante et praepositis religionem, quam docuit, ȩtiam deforis in sancta simplicitate artissime servantibus, maiores locorum – de quibus scriptum est, quia servi, si non timent, tument – scuta et arma polita gestare incȩperant, tubas alio quam ceteri villani clanctu inflare didicerant; canes primo ad lepores, postremo ȩtiam non ad lupos sed ad ursos et ad Tuscos, ut quidam ait, minandos aluerant apros. ‹Cellararii›, aiunt, ‹curtes et agros excolant. Nos beneficia nostra curemus et venatui, ut viros decet, indulgeamus!› (ebd., cap. 48). 471 Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 112. 472 Besonders die beneficia erinnern nicht sogleich an Hörige, sondern an vassalli und milites. Doch stellt Kuchenbuch (Klosterherrschaft, S. 273) bereits für die Prümer maiores des 9. Jahrhunderts fest, dass diese den ‹Benefiziaren› wie caballarii und presbiteri aus besitztechnischer Sicht sehr nahestanden. Zudem konnten Benefizialgüter auch an Hörige vergeben werden. Vgl. ebenso ders., Grundherrschaft, S. 17. Jakobi (Ministerialität, S. 330–332 sowie allgemein S. 345–351) beschreibt ein ähnliches Verhalten der villici von Stablo-Malmedy und anderen Klöstern, allerdings für das 12. Jahrhundert. Dort dürften die villici im 12. Jahrhundert nicht mehr einfache Gutsverwalter gewesen sein, sondern strebten nach Aufgaben wie der Burghut (comes villae) sowie der bewaffneten Eskorte beziehungsweise nach Reiterdiensten als milites (ebd., S. 333–336, 341). 473 Theotilo maiore cum hopa sua (Chart. Sang. I, n. 14). 474 Ebd. II, n. 585. 475 Ebd. Die für vorliegende These entscheidende Stelle wurde zwischen cum vocato und maiore auf Rasur geschrieben. Aus den entzifferbaren Buchstaben darunter lässt sich nichts Zusammenhängendes erschliessen, aber zumindest scheint alles von derselben Hand zu stammen, weshalb die zentrale Stelle ohne weitere Bedenken zur zeitlichen Einordnung genutzt werden darf (StiASG, Urk. Bremen 36; ChLA CVII, n. 50). Danach findet sich erst wieder um 1135 ein villicus (eiusdem curtis vilico Walthero) (Chart. Sang. III, n. 897). 476 Das ansonsten weitgehende Fehlen von Meiern in Chroniken und Urkunden des 11. Jahrhun-

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Mit Ausnahme der zwei Nennungen bei Ekkehart IV. und den zwei Urkunden tauchen maiores in der Bedeutung von ‹Meiern›, villici oder anderen Verwaltern allerdings in keiner der hier untersuchten Quellen auf, zumindest nicht unter den vermuteten Termini. Ist dies als Indiz zu werten, dass diese Personen (beziehungsweise deren Funktionsbezeichnungen) im 9. Jahrhundert als Angehörige der familia beziehungsweise als Hörige noch nicht bedeutend genug waren, um in weiteren Urkunden, geschweige denn in Chroniken, genannt zu werden? Oder ist das Fehlen solcher maiores im 10. und 11. Jahrhundert – wenn nicht aus dem genannten Grund – bereits einem gesellschaftlichen Aufstieg zu verdanken, wie ihn Ekkehart IV. beschreibt und wonach jene Männer nicht mehr als einfache maiores, sondern als milites oder in anderen Chargen auftauchen?477 Der alleinstehende Terminus maior wird ansonsten nur komparativ vom Chronisten Berthold von Reichenau für ‹die Grossen› des Reiches verwendet.478 Zentralörtliche curtes – Unterzentrum Bussnang Womöglich eher irreführende Hinweise auf Meier oder zumindest auf Meierhöfe ergibt die Durchsicht von Raus Übersetzung der Gesta Karoli von Notker Balbulus, der sämtliche curtes als ‹Meierhöfe› versteht,479 sofern sie nicht ausdrücklich als Königsoder Bischofshöfe genannt werden.480 Als Nichtmeierhöfe versteht er einzig die von Notker genannten villae.481 Sind mit den curtes also weniger landwirtschaftliche Höfe als der herrschaftliche Hof im Sinne des Königshofs (wie im Falle der Pfalz Bodman – actum Potamis curte regia)482 zu verstehen? In der lex Alamannorum wird dieser Begriff unter anderem für den Hof des dux Alamanniae des 8. Jahrhunderts gebraucht,483 und Ekkehart IV. hat ihn – im oben aufgeführten Ausschnitt – den aufbegehrenden maiores in den Mund gelegt, die sich über ihre bisherigen Pflichten empören. Einerseits sind curtes also als Herrschaftszentren zu verstehen, andererseits als ‹Bauernhöfe›.484 Denkt man an kleine ländliche Zentralorte, die unter anderem als Sammelstellen für die klösterlichen Abgaben und als Verwaltungsmittelpunkte unter dem Vor-

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derts sieht Müller der terminologischen Verschiebung geschuldet, wonach die Meier ab dem 11./12.  Jahrhundert nur noch als Ministeriale in Erscheinung träten (Müller, Ministerialität St. Gallen, S. 18 f.). Zuvor seien sie als «Urmeier» gar als Ursprung der zahlreichen auf Personennamen basierenden Orte zu sehen, wie Ernst (Niederer Adel, S. 79) glaubt. Wie auch in anderen Fällen scheint er hier ‹romantischen Vorstellungen› verfallen zu sein. Vgl. Benz (Rechtliche Zustände, S. 4) zum Hochmittelalter. Berthold, Chronicon II, ann. 1077, 1079, S. 152, 174, 78, 238, 252–254, 270. Notker, Gesta Karoli I, cap. 13, 15. Ebenso bei Ernst, Niederer Adel, S. 32 f. Bei den curtes bei Ratpert und Ekkehart, die ebenfalls ohne Attribut dastehen, lässt sich aus dem Kontext schliessen, dass es sich um einen Königs- (Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 28) beziehungsweise Herzogshof (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 95) handelt. Notker, Gesta Karoli I, cap. 24, 31. Ebd. II, cap. 2. Chart. Sang. II, n. 814. Schott, Lex Alamannorum, S. 104. Im Zusammenhang mit dem Kloster Prüm im 9. Jahrhundert tauchen sie in der Form curtes im Sinne von Herrenhof sowie in der Form curtiles im landwirtschaftlichen Sinn auf (Kuchenbuch, Klosterherrschaft, S. 247, 257). Für Bücker (Ländliche Siedlungen, S. 314) sind darunter eher landwirtschaftliche Gehöfte zu verstehen – bestehend aus mehreren Gebäuden und umgeben von einem Zaun; Wolfram (Grenzen und Räume, S. 351) vermutet wiederum klar den Herrenhof.

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sitz eines Meiers dienten, findet diese Doppelfunktion durchaus Anklang. Denn besonders im frühen Mittelalter verfügten selbst die Höfe der mächtigsten Herren über eine zusätzliche landwirtschaftliche Komponente, und sei es der minimalen Selbstversorgung wegen. Curtes ohne Angabe eines höheren Herren könnten damit als niedrigste Stufe der frühmittelalterlichen Zentralorte (Unterzentren)485 angesehen werden, denen wohl ein Meier vorstand. Dass durch die wachsende Bevölkerung auch die Abgaben an die Meierhöfe stiegen und die Meier – als möglicher ‹Grundstock› der äbtischen Truppen – aufgrund der wachsenden Notwendigkeit von immer mehr Waffenträgern an Macht gewannen, liegt nahe. Die Meier könnten in der Entwicklung der kriegswichtigen ‹Ministerialität› der Abtei St. Gallen eine der möglichen Vorformen dargestellt haben. Denn vom 11. Jahrhundert aus betrachtet, konnte bereits wiederholt festgestellt werden, dass verschiedene Meierämter seit längerem in den Händen der Familien von ‹Ministerialen› lagen. «Den Kern der sanktgallischen Ministerialität bildeten die Maier und übrigen ministri des Klosters, die neben ihren Verwaltungsfunktionen im Rahmen des Villikationssystems auch militärischen Aufgaben nachzukommen hatten.»486 Meier könnten auch zur Sicherung wichtiger territorialer Knotenpunkte eingesetzt worden sein.487 Betrachten wir beispielsweise das klösterliche Unterzentrum Bussnang, so darf aufgrund der häufigen Nennung dieses Ortes als Ausstellungsund Güterort seit 822488 und der Erwähnung einer Galluskirche seit 885 von einem Meierhof oder zumindest einer Abgabestelle für die umliegende Landschaft ausgegangen werden.489 In der unmittelbaren Umgebung befinden sich zudem zahlreiche weitere Güterorte des Klosters, die  – wie Oberbussnang, Wertbühl und Mettlen  – heute zum Teil der Gemeinde Bussnang angehören. Die strategische Wichtigkeit des Hofes in Bussnang ist dabei nicht alleine der direkten Lage an der Thur geschuldet, vielmehr dürfte sie in einem alten Brückenschlag über die Thur begründet sein. 1979 wurden auf der Höhe der Flur Faarwiis zwischen Bussnang und Puppikon490 während einer Überschwemmung Reste einer Brücke über die Thur freigespült, die den Meierhof Bussnang wohl direkt mit dem St. Galler Güterort Weinfelden und den dahinterliegenden abgabepflichtigen Höfen verbunden hatte. Der direkte Zusammenhang dieser Orte wird in einer Urkunde von 838 klar, worin Bussnang als Ausstellungsort fungierte und Puppikon, Weinfelden sowie weitere Orte als Güterorte genannt werden.491 Die gefundenen Brückenpfähle mit kegelförmigen Eisenschuhen wurden dendrochronologisch jedoch bereits auf 124 n. Chr. und damit in die römische Zeit 485 Vgl. Ettel, Zentralorte, S. 5, sowie Karte 2 und den Abschnitt zu den Zentralorten oben. 486 Bradler, Ministerialität, S. 112 f. 487 Ernst (Niederer Adel, S. 32 f.) geht gar noch weiter und spricht den Meierhöfen wichtige militärische Funktionen zu, da sie allesamt ummauert gewesen seien. Da selbst die meisten Königspfalzen lange Zeit über keinerlei Umwehrung verfügten, darf dies bei Meierhöfen umso mehr bezweifelt werden. 488 Chart. Sang. I, nn. 281–282, 383; ebd. II, nn. 470, 472, 539–540, 687, 828 etc. 489 In einer Urkunde von 1443 aus dem StaAZH (C III 27, Nr. 244) ist die Rede von einem ‹Kelnhof in Nidren Bussnang›, der vom St. Galler Abt Kaspar von Breitenlandenberg an einen Konstanzer Bürger zu Lehen gegeben wird (vgl. Reg. ZH 6, n. 8905). 490 Puppikon, Gemeinde Bussnang, Bezirk Weinfelden (TG). 491 Chart. Sang. I, n. 383.

367

datiert,492 was die nähere Umgebung zwar früh aus dem Dunkel der Geschichte hebt, aber keinesfalls heissen muss, dass diese Brückenverbindung bis ins 9. Jahrhundert überdauerte. Womöglich wurden die Brückenelemente immer wieder ausgebessert, für die spätere Zeit ist aber eher an eine Fährverbindung zu denken, bis 1453 einen knappen Kilometer flussaufwärts eine neue Brücke entstand.493 Als Thurquerungsstelle dürfte der Ort aber Bestand gehabt haben und zur effizienten Gutsverwaltung war es wohl im Interesse der Abtei, solche Punkte in der Landschaft mit maiores/villici zu besetzen, die zur Instandhaltung und strategischen Kontrolle Sorge trugen. So wäre es auch nachvollziehbar, wenn einige dieser Meierhöfe als Zentren äbtischer Macht und Kontrolle zu Zentren des hoch- und spätmittelalterlichen niederen ‹Adels› wurden und funktionell repräsentativeren Bauten wie Burgen wichen, wie Sprandel vermutet.494 Für eine einschlägige Erklärung rund um das Meiertum und die Villikation sind die entsprechenden lateinischen Begrifflichkeiten allerdings funktionell zu breit gestreut und in den erzählenden Quellen spielen maiores einzig bei Ekkeharts lokalhistorischer Sicht eine gewisse Rolle.495

3.2.2

Alemannische Funktionäre und lokale Eliten

Unter der Doppelnennung von Funktionären und Eliten sind Akteure zu verstehen, die nicht ausschliesslich wegen ihres Standes zur Elite gezählt werden können, sondern aufgrund spezieller Funktionen, Ämter und durch Treuebeweise. Die centenarii und centuriones werden wie die tribuni und praefecti häufig als Unterbeamte der fränkischen Grafen betrachtet und sie tauchen nicht selten in besonders frühen historischen Quellen wie den Gallusviten als Aufseher und Vorsteher über ehemals antike Strukturen wie die Bodenseekastelle auf. Abgesehen von einer kurzen Beschäftigung mit den bisherigen Forschungsmeinungen zu diesen Begrifflichkeiten, soll die Vorstellung dieser meist lokalen Akteure allerdings nicht durch zu viele theoretische Ansätze (centenarius als ‹Zehntgraf› etc.) getrübt werden. Vielmehr sollen urkundlich und chronikal belegbare Personen in ihrem jeweiligen Umfeld genauer untersucht werden und damit unabhängige Interpretationen der genannten Termini für den jeweils lokal-schwäbisch-alemannischen Kontext ermöglicht werden. Am Fall dreier herausragender Persönlichkeiten (Othere, Anno und Babo) aus der schwäbischen Elite sollen unter anderem mögliche Netzwerke in der alemannischen Kriegergesellschaft ermittelt werden, wofür einige prosopografische Untersuchungen folgen. Unter dem Vergleich lokal fassbarer Funktionäre mit denselben Bezeichnungen, wie es sie seit römischer Zeit in derselben Gegend bereits gab, können auch Fragen zur lokalen Kontinuität angesprochen werden, welche direkt an obige Untersuchungen zur Kontinuität römischer Baustrukturen anschliessen. Im Folgenden geschieht 492 493 494 495

Drack/Fellmann, Römer, S. 378. Salathé, ‹Bussnang›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D2013.php (4. 8. 2018). Sprandel, Verfassung, S. 143. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 48–49. Vgl. hierzu die kurze Diskussion bei Keutgen, Ministerialität, S. 12 f.

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dies besonders unter der Betrachtung des Arboner Tribuns. Die nachrömische ‹Nobilität› – wie es sie wohl auch im spätrömischen Arbon gegeben haben dürfte – sei nach Duggan hauptsächlich durch hohe Geburt, militärische Fähigkeit und Königsdienst charakterisierbar,496 was sich beispielsweise im Sinne militärischer Führung und königlicher Ehrentitel als Belohnung durchaus in herausragenden Bezeichnungen und Titeln zeigen konnte. Zu den ursprünglichen Bezeichnungen für Personen der Elite gehörten unter anderem die bereits behandelten Termini proceres, primates, commilitones,497 aber eben auch Bezeichnungen wie fideles, centenarii, tribuni und praefecti. Dass solche Persönlichkeiten zum Teil als iudices beziehungsweise in anderer Weise im Zusammenhang mit der lokalen Gerichtsbarkeit genannt werden498 und dass sie grafenähnliche Aufgaben wahrnahmen, dürfte spätestens nach obigen Ausführungen zu den Gerichts- und Versammlungsplätzen sowie zur Kontinuität römischer Kastelle nicht mehr überraschen, wird allerdings im Zusammenhang mit der lex Alamannorum nochmals kurz angesprochen. Die Frage, ob es sich dabei um ‹eingesetzte Beamte› handelte oder schlicht um in die lokale Politik eingebundene Eliten, muss von Fall zu Fall neu entschieden werden. Centenarii und centuriones – Zeugen einer römischen Vergangenheit? In der Diskussion um Gebietseinteilungen, die sogenannte karolingische Grafschaftsverfassung sowie auf der Suche nach alemannischen Beamten in grafenähnlicher Gestalt, stösst man früher oder später auf centenarii, centuriones, tribuni oder andere Bezeichnungen, die in erster Linie Assoziationen mit der römisch-antiken Zivilund Militärverwaltung hervorrufen. Während unter einem tribunus klassisch ein römischer Legions- oder Gardekommandant verstanden werden konnte,499 denkt man bei den centuriones/centenarii aufgrund des Zahlwortes an ‹Hundertschaftsverwalter› und militärische Führer.500 Die 59 centuriones einer römischen Legion standen zusammen mit ihrem primus pilus hierarchisch unter den sechs Legionstribunen, was sich im frühmittelalterlichen Verständnis dieser Begriffe kaum wiederfinden lässt, wo tribunus und centurio teilweise gar synonym gebraucht wurden. Die begrifflich nahestehende und im Frühmittelalter identisch verwendete Bezeichnung centenarius findet sich im klassischen Latein allerdings nicht zur Bezeichnung eines centurio-ähnlichen Offiziers.501 Niermeyer vermutet für den frühmittelalterlichen centenarius  – abgesehen vom örtlichen Gericht  – einen Befehlshaber über eine centena, der aufgrund seiner Kompetenzen als eine Art ‹Untergraf› gesehen wird.502 Vereinzelt findet sich auch die irreführende Übersetzung ‹Zehntgraf›.503 496 497 498 499 500 501 502

Duggan, Introduction, S. 4. Nelson, Nobility, S. 45, 47. Vgl. Borgolte, Grafschaften, S. 91. DNG 2, Sp. 4809 f.; König, Römischer Staat, S. 217, 232. Vgl. zudem Mlat Glossar, Sp. 56. DNG 1, Sp. 832 f., 835 f.; König, Römischer Staat, S. 217. MLLM, S. 222 f. Unter einem centurio versteht Niermeyer (ebd., S. 224) dagegen eher den zivilen Verwalter eines Fronhofs. 503 Lück (‹Centena›, HRG I, Sp. 827–829) sieht zwischen der hochmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Zehnt und der frühmittelalterlichen centena keinen Zusammenhang.

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Unter den englischen Langbogenschützen des 14.  Jahrhunderts finden sich berittene Centenare als Anführer von Bogenschützengruppen zu hundert Mann, was, wie die Ventenare für Trupps à 20 Schützen,504 an die vereinfachte Nutzung von Zahlenbegriffen für untere Kommandeure denken lässt, die wohl in römisch-republikanischer Zeit ihren Anfang nahm, bevor Ansehen und Prestige der Centurionen zur Aufwertung solcher Bezeichnungen führte. In letztgenannter Weise dürften frühmittelalterliche centuriones in der Tradition angesehener Führungspersönlichkeiten gestanden haben und der Titel könnte für die Häupter von lokalen Eliten verwendet worden sein.505 Für die frühmittelalterliche Begriffsverwendung dürfen centurio und centenarius schliesslich gleichgesetzt werden, wie sich in den St.  Galler Urkunden zeigt und von der Forschung bisher angenommen wurde.506 Die Rolle eines Centenars zwischen 700 und 1100 in Alemannien wird womöglich über den gebietsbezeichnenden Begriff centena etwas besser ersichtlich.507 Pato und seine Gattin Cotalinde übertragen an das Kloster St. Gallen Besitz hoc situm est, […], in pago Albunesparo508 in centena Ruadolteshuntre509 in villa, quȩ dicitur Patinhoua,510 et in villa quȩ dicitur Tussa,511 […].512 Wenn in dieser Besitzübertragung im Jahr 838 der Amtsbereich eines Centenars zur genaueren Lokalisierung verwendet wird, darf dieses ministerium513 wohl mit relativ gutem Gewissen als Einheit einer, wenn auch nicht zwingend hierarchisch geordneten, so doch nach der Gebietsgrösse gefächerten Verwaltungsordnung auf drei Ebenen betrachtet werden. Territorial oder verwaltungstechnisch wird diese Huntar ein Teil der Albuinsbaar gewesen sein, wobei wir hier mit Begriffen in Konflikt kommen, die häufig in Verbindung mit vorfränkischen, womöglich aus spätantiken Verhältnissen erwachsenen sowie an der lokalen Elite orientierten Gebietseinteilungen stehen.514 Anstelle einer fixen Gebietsordnung ist auch eine praxisorientierte Umschreibung der ungefähren Lage dieser villae anhand der vertrauten Gebietsnamen vorstellbar, dass also die Ruadolteshuntar nicht zwingend in der Albuinsbaar lag, sondern womöglich nur in deren Nähe und die häufiger genannte Gebietseinheit Albuinsbaar schlicht zur besseren Verortung genannt 504 Bradbury, Archer, S. 83. 505 Lück (‹Centena›, HRG I, Sp. 827–829) sieht den Centurio als «ältere Variante» des Centenars an, mit Verwandtschaft in der Verwaltungstätigkeit des römischen Dienstgrades. Diesen Vergleich macht auch Jänichen, Baar und Huntari, S. 115 f. 506 Vgl. unter anderem HRG I, Sp. 827–829; Sprandel, Verfassung, S. 110. 507 Nicht zu verwechseln mit den spätrömischen Kleinfestungen (centenaria), für die es zwar durchaus eine Kontinuität bis ins frühe Mittelalter gegeben haben könnte, die aber trotz Zentrumsfunktion mit dem geografischen Begriff der centena wohl nichts gemein haben (vgl. Schallmayer, Limes, S. 119). 508 Albuinsbaar, Gebiet südwestlich von Ulm. 509 Ruadolteshuntar, Gebiet im südlichen Alb-Donau-Kreis, Baden-Württemberg. 510 Bettighofen, Gemeinde Unterstadion, Alb-Donau-Kreis, Baden-Württemberg. 511 Risstissen, Stadt Ehingen, Alb-Donau-Kreis, Baden-Württemberg. 512 Direkt anschliessend folgt die übrige Pertinenzformel (Chart. Sang. I, n. 379). 513 Krug (Centenarius II, S. 63, 68 f.) nennt sowohl centenae als auch Huntare ministeria und vermutet eine Unterstellung derselben unter die Grafschaft. 514 Vgl. hierzu die Ausführungen zur spätantik-frühmittelalterlichen Siedlungskontinuität im weiteren Bodenseeraum oben unter den Abschnitten zu den Kastellen im Bodenseeraum. Auch Borgolte (Grafschaften, S. 141) sieht die Baaren und Huntare als ‹alte›/vorfränkische Institutionen und Verwaltungseinheiten. Vgl. Jänichen, Baar und Huntari, S. 115 f.

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wurde.515 Für Churrätien stehen laut Grüninger centenae zur fiskalischen Abgabenerhebung für königliche Bezirke, die damit der Grafschaft in Rätien sowie dem jeweiligen Grafen untergeordnet waren.516 Doch diese lange angenommene Funktion des Centenars (Vorsteher einer centena) als Unterbeamter eines Grafen (unter anderem Vorsteher eines pagus) wird in dieser vereinfachten Form inzwischen als überholt angesehen.517 Borgolte sucht den Mittelweg und bezeichnet die Centenare als gräfliche Unterbeamte, die aber bereits zuvor lokal ansässige Herren und Verwalter gewesen seien, zum Teil als königliche Beamte. Wo es keine Centenare gab, hätten iudices deren Aufgaben übernommen. Das gut funktionierende System soll von den karolingischen Grafen einfach übernommen worden sein; mit der königlich eingerichteten Ämterhierarchie hätten die Centenare somit nichts zu tun gehabt. In der den Grafen nachgeordneten Würde seien ihnen nun militärische,518 polizeiliche, richterliche und fiskalische Aufgaben zugekommen.519 In der lex Alamannorum aus dem 8. Jahrhundert werden Centenare in erster Linie als Vorsteher von centenae genannt, allerdings mit der Eingrenzung, dass Centenare, ebenso wie die missi eines Grafen, nur dann einer centena-Versammlung vorstanden, wenn der Graf selbst nicht anwesend war: Ut conventus secundum consuitudinem antiquam fiat in omni centine quoram comite aut suo misso et quoram centenario.520 Dennoch wirkt es so, als hätte der Centenar sein Amt unabhängig vom Grafen ausgeübt, während der gräfliche missus als der eigentliche Stellvertreter des Grafen gesehen werden müsste.521 So zu vermuten wäre dies beispielsweise bei einer Schilderung in der lex Alamannorum bezüglich der Abgabe eines Pfandes in einem Gerichtsfall: «er gebe sein Pfand jenem Boten des Grafen [missus comiti] und jenem Centenar [centinarius], der den Vorsitz hat.»522 Ein solcher ‹Grafenbote› versteckt sich womöglich hinter dem missus Tiso, der 884 an einer Versammlung – wenn auch an keiner Gerichtsversammlung – betreffend Gütertausch zwischen Kloster St. Gallen und ‹seinem› Gra 515 Die Ruadolteshuntre wird nur in zwei Übertragungen vom selben Tag denselben Ort betreffend genannt (Chart. Sang. I, nn. 379, 380), während die Albuinsbaar bereits im Jahr 809 einmal genannt wird (ebd., n. 199). 516 Grüninger, Churrätien, S. 277 f., 335. So lautet auch die Vermutung von Jahn (Ducatus Baiuvariorum, S. 225) zur Lage im Herzogtum Bayern. 517 Bereits Sprandel (Verfassung, S. 98, 110) sah eine eigenständige und vom Grafen unabhängige Gewalt als wahrscheinlich an, wobei die Centenare vom ‹Volk› selbst gewählt und die Grafen vom König bestimmt worden seien. 518 Für das militärische Aufgebot sei die fränkische Verwaltungsgliederung von den duces hinab zu den comites und centenarii entscheidend gewesen (Esders, Fidelität, S. 240), was auch für Alemannien in dieser Form vorstellbar wäre. 519 Borgolte, Grafschaften, S. 105, 118 f. Lück (‹Centena›, HRG I, Sp. 827–829) bezweifelt die Veränderung vom polizeilichen Amtsbereich zum Gerichtsbezirk. 520 Schott, Lex Alamannorum, S. 108. 521 Im Sinne eines auch ohne Grafen funktionierenden Beamten macht dies durchaus Sinn. Sprandel (Gesellschaft, S. 88, 131) geht jedoch so weit, die Centenare als die ursprünglichen Vorsitzenden der vorfränkischen Volksthings zu bezeichnen, während eine Einordnung derselben in die fränkische – am König und dessen Stellvertretern (Grafen) orientierten – Gerichtsordnung nicht mit gutem Gewissen vertreten werden könne. Vgl. zudem Kohl, Ländliche Zentren, S. 162. 522 Übersetzung von Schott (Lex Alamannorum, S. 109). Vadium suum donet ad illo misso comiti vel ad illo centinario, qui praeest (ebd., S. 108). Sprandel (Gesellschaft, S. 89) setzt in diesem Sinne die Centenare mit iudices gleich.

Abb. 27: In einer Urkunde aus dem Jahr 887 wird ein centurio namens Hothario in der Datierungsformel genannt (StiASG, Urk. I 183).

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fen Berengar in Merishausen anwesend ist: Actum in Morineshusen523 publice, presentibus his: Sig. Peringeri comitis524 et missi ipsius Tisonis, qui hanc cartam patraverunt.525 In den Centenaren sieht Borgolte königliche Hilfsbeamten der Grafen,526 was eher wie eine königliche Beauftragung wirkt als eine Nutzung der lokal verfügbaren Eliten durch die Grafen selbst. Ob Centenare tatsächlich offiziell als Unterbeamte der Grafen agierten, bleibt fraglich, es kann aufgrund der königlichen Beauftragung der Grafen und zahlreicher Beispiele aus den St. Galler Urkunden aber postuliert werden, dass Grafen hierarchisch höher standen als Centenare. So werden centenarii in Aufzählungen teilweise direkt nach den comites genannt (vel a comitibus vel a centenariis vel a missis discurrentibus).527 Dieselbe Aussage lässt sich bezüglich Nennung derselben im Datierungsformular treffen. Während des 9. Jahrhunderts werden centenarii/centuriones sieben Mal im Anschluss an die Grafenformel genannt (anno XXXVIII Karoli imperatoris, sub Oadalrico comite et sub centenario Elilant),528 davon dreimal unter Karl III. (regnante imperatore nostro Garolo VII anno, sub Adalberti comite, centurio Hothario),529 unter dessen Ägide diese dreifache Art der personenbezogenen Datierung ihr Ende nimmt. Für eine pauschale Aussage zur Verwendung solcher Funktionärsbezeichnungen besonders unter Karl III. reichen die drei Nennungen allerdings nicht aus. In Anbetracht der bereits untersuchten vicarius-Bezeichnungen für enge Vertraute dieses Kaisers und die früheren Aufgaben desselben als rector in Alemannien hätte man die spezifische Verwendung von Bezeichnungen für Hilfsbeamte ansonsten sehr gut erklären können.530 Vor und nach dem 9. Jahrhundert tauchen centenarii/centuriones in keiner Datierung von St. Galler Urkunden auf, was verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass diese laut der oben erwähnten Stelle in der lex Alamannorum des Öfteren ein fester Bestandteil grösserer Versammlungen waren. Hatte sich die faktische Position des Centenars im 8.  Jahrhundert  – womöglich nach der Ausschaltung der Herzogsinstanz bei Cannstatt 746  – verändert? Immerhin dürfte der Herzog für das Grafen-Centenars-Grafenboten-Konstrukt der lex Alamannorum ein wesentlicher Bestandteil gewesen sein: «Und wenn es eine solche Person ist, die der Graf oder Centenar oder der Bote des Grafen nicht zu dem Gerichtstermin zwingen kann, dann zwinge ihn [der Herzog] mit Recht; er suche Gott mehr zu gefallen als dem Menschen, damit Gott in der Seele des Herzogs keine Säumnis finde.»531

523 524 525 526 527 528 529 530 531

Merishausen, Bezirk Schaffhausen SH. Berengar, 884–888 Graf. Chart. Sang. II, n. 672. Borgolte, Grafschaften, S. 105. Chart. Sang. I, n. 324. Eine weitere derartige Abstufung mit einem Centenar in der Aufzählung findet sich 901 zwischen einem comes und einem iudex (Chart. Sang. II, n. 767). Ebd. I, n. 194 im Jahr 807. Sechs weitere Nennungen stammen aus den Jahren 828, 849, 860, 880 und 887 (ebd., n. 327; ebd. II, nn. 421, 492, 643, 694, 696). Ebd., n. 696. Vgl. den Abschnitt zu Rektorat und Vikariat oben. Übersetzung von Schott (Lex Alamannorum, S. 111). […] et se est talis persona, quod comis ad placitum vel centurio vel missus comitis distringere non potest, tunc eum legitime distringat; plus quererat deo placere quam homine, ut illum neclectum in animam ducis deus non requeratur (ebd., S. 110).

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Neben der Datierungsformel und ebenfalls an der Spitze von Zeugenlisten treten centenarii/centuriones hauptsächlich im 9. Jahrhundert auf: Signum Heitarii centurionis et aliorum testium.532 Diese Funktionäre und/oder Angehörige der lokalen Eliten werden allerdings nicht immer mit ihrem Titel genannt, sondern erscheinen sehr häufig nur unter ihrem Namen. Eine Identifizierung dieser Personen lässt sich dank teilweise zeitgleicher Nennung derselben Namen unter Anfügung der betreffenden Titel vornehmen. Centenarii tauchen also vermehrt an prominenter erster Stelle in Zeugenlisten auf, was in der Forschung zur Benennung einiger dieser Personen als ‹Zeugenführer› geführt hat.533 Eine solche Aussage führt allerdings schnell zur verallgemeinernden Aufgabenübertragung an die Funktionsbezeichnung centenarius, obwohl sich an der Situierung dieser Funktionäre innerhalb der Urkunden nur ablesen lässt, dass sie zur führenden lokalen Elite gehörten und nicht, welche Rolle sie dabei einnahmen. Auch Maurer äussert sich kritisch zur allgemeinen Postulierung von ‹Zeugenführern› im sprandelschen Sinne.534 Sprandel hat zur Unterstreichung seiner Theorie unter anderem die Beobachtung angeführt, dass die Personennamen, die mit dem Attribut centenarius auftauchen für dieselbe Zeit und Region noch häufiger titellos und dennoch an prominenter Stelle erscheinen.535 Er verknüpft also nicht in erster Linie das Amt des Centenars mit ‹dem Zeugenführer›, sondern sieht herausragende Personen als jeweilige ‹Zeugenführer› für ihre Kleinregionen. Wenn man der relativ naheliegenden Beobachtung folgt, dass bei Beurkundungen im Allgemeinen eher die mächtigeren Personen zuerst genannt wurden  – man hat den einflussreichsten Männern schlicht den Vortritt gelassen  –, reicht diese Erklärung jedoch. Die Prägung eines zusätzlichen Terminus› wie ‹Zeugenführer› scheint überflüssig. Zeller sieht in diesen Personen ebenfalls lokale Grosse, also führende Mitglieder eingesessener Familien, die als centuriones, centenarii und vicarii in die fränkische Herrschaft eingebunden wurden und damit zugleich für die lokale Durchsetzung und Einhaltung von Entscheidungen und Beschlüssen gesorgt hätten, womit ihre «Herrschaft im Kleinen» abgerundet worden sei.536 In den untersuchten erzählenden Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts taucht ein Centenar beziehungsweise centurio nur ein einziges Mal auf, und zwar bei Notker in einer Aufzählung von Funktionären und Beamten Kaiser Ludwigs des Frommen: «Dieser setzte Herzöge, Tribunen, Centenare [centuriones] und deren Stellvertreter ein und erfüllte die ihm übertragene Aufgabe mit Hingabe.»537 Die centena/centenaria 532 Chart. Sang. II, n. 599 im Jahr 873. Des Weiteren tauchen diese Titel in Zeugenlisten aus den Jahren 786, 815, 819, 841, 860, 861 und 895 auf (ebd. I, nn. 104, 216, 244; ebd. II, nn. 396, 494, 498, 740). 533 Allen voran Sprandel, Verfassung, S. 110 f. Eine ähnliche Beobachtung wurde im Kapitel zu den geistlichen und weltlichen Verwaltern bereits für funktionelle advocati gemacht. 534 Maurer, Schwarzwald, S. 54. 535 Sprandel, Verfassung, S. 110 f. 536 Zeller, Lokale Eliten, S. 233. Damit folgt er Dannenbauer (Hundertschaft, S. 227) und Krug (Centenarius I, S. 1 f., 5). Vgl. zudem Mayer, Grundlagen, S. 31. 537 Übersetzung mehrheitlich von Rau (Notker, Gesta Karoli II, S. 425). Qui constitutis ducibus tribunis et centurionibus eorumque vicariis rem sibi delegatam haut segniter implevit (ebd., cap. 21). Die Übersetzung von Rau mit Centgraf scheint veraltet.

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wird von Berthold als militärisches Aufgebot genannt, als Heinrich IV. zur Unterstützung seiner geschwächten professionellen Truppen rustici aus den ihm noch ergebenen Comitaten und Centenarien aufbieten lässt.538 Daraus lässt sich folgern, dass Centenare hauptsächlich für die lokale Rechtsprechung noch bis ins 11. Jahrhundert von Bedeutung waren und somit eher in Urkunden zu suchen wären – wenn solche denn in grösserer Anzahl überliefert wären. In den erzählenden Quellen tauchen sie eher zufällig auf, und zwar als Verantwortliche des lokalen militärischen Aufgebots, wobei sie entweder als Helfer oder Unterstützer der Grafen fungierten.539 Krug ist sich bezüglich der Einordnung von centenarii nicht sicher und hält auch eine ‹natürlich gewachsene› Schicht freier, wehrfähiger Männer mit einem centenarius an der Spitze für möglich.540 Ganahl setzt tribunus mit centenarius gleich,541 womit wir am später ausführlicher behandelten Lokalaristokraten Othere542 zeigen können, dass Titel wie Tribun oder Praefect auch für lokale Funktionen wie die Aufsicht über eine Centena und zur Bezeichnung lokaler Beamte genutzt wurden. Dürfen diese Titel gar als römisches Erbe gesehen werden? Stellten sie als mündliche Tradition unter der lokalen, teils romanisch geprägten Bevölkerung eine Art von Ehrentitel dar, den die lokalen Vorsteher und Würdenträger trotz Abzug der römischen Truppen weiterhin trugen? Solche Fragen lassen sich tatsächlich nur an lokalen Einzelfällen genauer untersuchen und wurden in den obigen Ausführungen zur Kontinuität römischer Strukturen bereits angesprochen. Keller spricht hierzu mitunter von der «Wiederbelebung spätantiker Elemente», die ganz gut zu den merowingischen Entwicklungen passen würden. Diese hatten vieles vom alten römischen Lebensstil wiederaufleben lassen. Dazu gehörten neben der Prägung ähnlicher Münzen, dem Abhalten von Zirkusspielen und dem Residieren in Städten eben auch ganze Beamtenstrukturen von patricii, praefecti, duces und comites.543 Wie unten noch am Fall des Tribuns Othere zu sehen sein wird, umfassten solche speziellen Titulaturen häufig die zum ehemaligen Arbongau gehörigen Orte, womit eine Kontinuität römischer Verwaltungsstrukturen des ehemaligen Kastellbezirkes vermutet werden kann. Zwar sollen laut den Gallusviten zunehmend königliche Amtsträger vor Ort agiert haben, jedoch mit den alten, ‹traditionellen› und lokal seit spätantiker Zeit verankerten Titeln. Wie dabei «Graf» Talto (bei Ratpert)544 mit dem praefectus bei Walahfrid545 und dem tribunus bei Wetti546 gleichzusetzen ist, bleibt fraglich. Und wie oben bei den Kastellen und Ungarnburgen festgestellt 538 […] cum Francorum coniuratis centenariis bello durissimo omnino profligatis (Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 222). 539 Sofern sie nicht ausserhalb der Comitate standen, wie auch Krug (Centenarius II, S. 54 f.) als Teillösung vorschlägt. 540 Ebd. I, S. 29. 541 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 78. 542 Vgl. die Ausführungen zum Tribun Othere unten. 543 Keller, Spätantike und Frühmittelalter, S. 15. 544 Talto vir inlustris, […] comes eiusdem pagi (Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 4). 545 Arbonensi praefecto (Walahfrid, Vita s. Galli I, cap. 19). 546 Tribuno Arbonensi (Wetti, Vita s. Galli [Script. rer. Mer. 4], cap. 19).

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wurde, dürfte das Arboner ‹Tribunat› wenig bis gar nichts mit einem karolingischen Comitat gemein gehabt haben. Dieser Arboner Präfekt nahm Befehle des Herzogs Gunzo entgegen und verfügte mit dessen Erlaubnis über die Einöde von Gallus’ Zelle (der betreffende Wald dürfte Teil des königlichen Fiskus gewesen sein), womit wir es entweder mit einem weiteren fränkischen Amtsträger oder eben mit einem Grossen aus der lokalen Elite zu tun haben.547 Die betreffenden Gebietsverhältnisse werden am Ende dieses Teils im Rahmen des Dukats während des 7. Jahrhunderts näher betrachtet. Tribuni – der Arboner Tribun und die lokale Elite Die oben genannten herausragenden lokalen Eliten sind zum Teil unter dem Titel tribunus oder im Zusammenhang mit Ehrenbezeichnungen zu finden. Es wurde bereits der Fall des Tribuns Adale gezeigt, welcher anstelle eines advocatus in einem publicus mallus den Vorsitz innehatte.548 Eine weitere Beurkundung unter dem Vorsitz eines Tribuns findet sich bereits 764 in einem Rechtsgeschäft in der Siedlung Kirchen: Acti sunt hec in villa, qui dicitur Chiriheiim ante Albuino tribune.549 Ganahl setzt die tribuni mit den centenarii gleich,550 womit es sich bei den Tribunen Adale und Albuin um Verwalter kleinerer Rechtsbezirke551 oder der Grafschaft untergeordneter Bereiche handeln würde.552 Ebenso darf man also auch bei einem Centenar wie Berengar, der 819 den Vorsitz in einer solchen Beurkundung innehatte, von einer höheren Stellung innerhalb der lokalen Elite ausgehen.553 Mit den Titeln rund um tribunus, vicarius und centurio/centenarius, deren konzentriertes Auftreten im 9. Jahrhundert besonders im südöstlichen Bodenseeraum auffällt, verbindet Borgolte  – im Sinne der späteren Schultheisse (eine häufige Übersetzung für centenarius)554  – die königlichen Beamten, «die vielleicht ursprünglich selbstständige Rechte auf Königsgut ausgeübt haben und mindestens 547 Vgl. Schär, Gallus, S. 238–243, 246–252; Borgolte, Grafschaften, S. 105. 548 Vgl. obigen Abschnitt zu den advocati. 549 Chart. Sang. I, n. 42. Kirchen ist heute Teil der Stadt Geisingen, Landkreis Tuttlingen, BadenWürttemberg. 550 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 78. Borgolte (Grafschaften, S. 104) weist darauf hin, dass tribunus in alemannischen Glossen mit Schultheiss übersetzt wurde, womit die Parallele zum centenarius bestätigt wird (vgl. Krug, Centenarius I, S. 24–26.). 551 Nach Sprandel (Verfassung, S. 109 f.) ist der Centenar keinesfalls als Untergebener eines Grafen zu sehen, auch wenn er hierarchisch nach diesem rangiert, sondern als ein zur selbstständigen Amtsführung berechtigter Inhaber eines Rechtsbezirks. 552 Dies würde bestens mit dem Artikel ‹Mallus, mallum› von Schmidt-Wiegand/Lück im HRG (Bd.  III, Sp.  1216–1218) korrelieren, wonach ein mallus von einem Centenar, Grafen oder vom König einberufen werden konnte. Borgolte (Grafschaften, S. 201) nimmt diesen Fall als Beleg für eine nichtgräfliche Sonderverwaltung. Kurze Zeit später finden sich in unmittelbarer Nähe Hinweise auf die Grafengewalt. Für die direkt betroffene Zeit mangele es vor Ort aber noch an Grafenformeln, sodass eine andere Verwaltungsform vorhanden gewesen sein müsse. 553 Chart. Sang. I, n. 244. 554 In einer Urkunde von 790 (ebd., n. 123) wird als erster Zeuge ein Raginberti scultaizi genannt, sodass Schultheiss und Centenar bereits im 8. Jahrhundert als inhaltlich bedeutungsähnlich angesehen werden kann. In ebendieser Weise sieht auch Wolfram (Grenzen und Räume, S. 337) die Centenarsrolle.

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in karolingischer Zeit zu Hilfsorganen der Grafen wurden».555 In diesen Zusammenhang stellt er deshalb auch den 897 als ersten Zeugen aufgeführten Purchart prȩses, der mit dem gleichzeitigen Grafen der Bertoldsbaar (888–†  911) identisch sein dürfte.556 Notker nennt tribuni in einer Aufzählung von Funktionären und Beamten zwischen Herzögen und Centurionen/Centenaren,557 was meine obige Theorie von traditionell überlieferten Ehrentiteln für lokale Vorsteher und Aristokraten stützen würden; denn Notker stellt die tribunui – bezogen auf die von ihm gewählte Reihenfolge  – wohl über die centurioni, als eine Art primus inter pares ein Tribun unter Centenaren.558 In den weiteren ausgewählten erzählenden Quellen tauchen Tribune interessanterweise nur noch bei Hermann zur Bezeichnung der römischen Militärkommandanten auf,559 in ihrer ursprünglichen Verwendung also. Unter den spätrömischen Kaisern wurde die oben bereits aufgeführte Leibgarde (comitatus) in jeweils 500 Mann starke scholae palatini gegliedert.560 Diese Kommandanten in unmittelbarer Nähe zum Kaiser verfügten wohl über grosse Macht und Einfluss, und in ähnlicher Weise dürften auch die lokal stationierten Befehlshaber ihren Titel innerhalb der lokalen romanischen Bevölkerung in Alemannien unabsichtlich hinterlassen haben – als Anrede für die jeweils führenden und einflussreichsten beziehungsweise tonangebenden lokalen Herren und Vorsteher. So berichtet Ammianus Marcellinus in seinen res gestae von zwei Alemannen, die im 4.  Jahrhundert im Raum Basel-­Kaiseraugst als römische Offiziere agierten, einer als tribunus stabuli (Tribun des kaiserlichen Stalles) und der andere als rector scutarii (Gardeoffizier einer schola palatina).561 Derartige Titel könnten einen längerfristigen Einfluss auf lokal verankerte romanisch-­alemannische Bevölkerungsgruppen gehabt haben. Betrachten wir die Gallusviten, die im obigen Kapitel zum Kastell Arbon weiterführend untersucht wurden, stossen wir auf einen tribuno Arbonensi,562 den wir als Ortsvorsteher oder Kastellkommandanten sehen dürfen. Hatte dieser tribunus diesen Titel als eine Art Ehrentitel inne, war dies eine funktionale Bezeichnung des lokalen Vorstehers oder handelt es sich dabei um einen reinen Hilfsbegriff des Mönches Wetti? In der Version des Walahfrid, der Wetti wahrscheinlich als Vorlage verwendet hat, taucht derselbe als Arbonensi praefecto auf,563 und bei Ratpert trägt die 555 556 557 558

559 560 561 562 563

Borgolte, Grafschaften, S. 104 f. Vgl. ders., Grafen Alemanniens, S. 85. Notker, Gesta Karoli II, cap. 21. Dürfen diese lokalen Magnaten gar als ‹spätkarolingische Fürsten› gesehen werden, wie Zettler (Adalbert, S. 177) beispielsweise Adalbert den Erlauchten nennt? Vgl. dazu Gabathuler, Adalbert, S. 174. In der Stelle Notkers ist zudem die Rede davon, dass der König diese duces, tribuni und centuriones ernennt. Notker sah hinter diesen Titeln in den 880er-Jahren also nach wie vor königliche Ämter. Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], ann. 363, 426, S. 79, 82. König, Römischer Staat, S. 232; Bakker, Grenzverteidigung, S. 113 f. Ammianus, Röm. Geschichte, lib. 14, cap. 10,8 – hinzu kommen comites der Leibgarde (comes domestici) (ebd. sowie ebd., cap. 11,14); vgl. Geuenich, Alemannen, S. 156. Wetti, Vita s. Galli (Script. rer. Mer. 4), cap. 19. Walahfrid, Vita s. Galli I, cap. 19.

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selbe Person die Bezeichnung comes.564 Es ist möglich, dass es sich bei dem Mann, der 2009 in einem Sarkophag im St. Galler Stiftsbezirk gefunden wurde und welcher der lokalen Elite zugerechnet wird, um eben diesen Kastellkommandanten/ Siedlungsvorsteher von Arbon handelt.565 Diese Titel können laut Borgolte ebenso wie die Titulaturen zu Beginn dieses Kapitels grösstenteils dem Einzugsbereich der zum ehemaligen Arbongau gehörenden Ortschaften zugeordnet werden,566 was eher für eine lokale Entwicklung spricht, und dies unabhängig davon, ob als Teil des römischen Erbes oder nicht. Da diese lokale Elite bereits früh als Gönner, Unterstützer und Beschützer des Klosters auftrat,567 taucht sie früher und häufiger in den St. Galler Quellen auf als die Eliten anderer Gegenden und dank der guten St. Galler Überlieferung wissen wir von diesen lokalen Akteuren. Die Eliten des Arbon- und Thurgaus dürfen somit nicht als Sonderfall, sondern eher als Exempel dafür gesehen werden, wie es wohl auch in den anderen Regionen des frühmittelalterlichen Alemannien ausgesehen haben könnte. Zumindest für die alten Kastellbezirke wie den Augst- und Arbongau dürfte dies gelten. Gehen wir in der Arboner Geschichte zurück ins 3.–5. Jahrhundert, so finden wir dort einen tribunus als Anführer einer militärischen Einheit.568 Die oben genannte Amtsbezeichnung des tribunus Arbonensis «macht ein Weiterwirken römischer Verwaltungstradition wahrscheinlich, denn bereits im 4./5. Jahrhundert hatte ein im Kastell Arbon stationierter tribunus dem dux der Provinz Raetia unterstanden.»569 Der Titel des Präfekten ist des Weiteren auch für den Kommandanten der Bodenseeflottille in der notitia dignitatum aus dem 5. Jahrhundert verbürgt: Praefectus numeri bar[bari]cariorum, Confluentibus siue Brecantia.570 Die Komman 564 Talto vir inlustris, […] comes eiusdem pagi (Ratpert, Cas. s.  Gall., cap.  4). Die Familie dieses Talto muss laut Schär (Graf Talto, S. 147) zur «führenden Adelsschicht» gezählt werden und Borgolte (Grafschaften, S. 23, 245; ders., Grafen Alemanniens, S. 243) stellt mit Talto beziehungsweise König Dagobert I. gar die Einführung des Grafenamtes in Verbindung. 565 Schär, Gallus, S. 255 f.; Walahfrid, Vita s. Galli, S. 205, Anm. 134; Rigert/Schindler, Sarkophag, S. 47, 50–53. Zur Gesundheit und einer Rekonstruktion des Toten vgl. Petitpierre/SteinhauserZimmermann/Dare, Skelett, S. 55–64, insbesondere 61–63. Vgl. zudem Erhart, Archivio, S. 24 f. 566 Borgolte, Grafschaften, S. 105. 567 So nennt beispielsweise May (Besitzgeschichte, S. 9) den tribunus Arbonensis Waltram als «legendären Schutzherrn und eigentlichen Begründer des Klosters in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts» und betont damit erneut die enge Verbundenheit Arbons beziehungsweise der lokalen Eliten mit dem Kloster St. Gallen. 568 Es soll laut notitia dignitatum eine Kohorte Pannonier in Arbon stationiert gewesen sein (Seeck, Notitia Dignitatum, S.  201; vgl. Brem, ‹Arbon. Römische Zeit›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/ textes/d/D1852.php [4. 8. 2018]). 569 Buenzli, ‹Arbon. Frühmittelalter bis 1798›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D1852.php (4. 8. 2018). Die Truppen waren wohl ursprünglich Teil der legio III, welche zum Schutz von Raetien eingesetzt worden war und unter dem Kommando eines praefectus stand, der dem dux Raetiae unterstellt war (Bechert, Provinzen, S. 154; vgl. Seeck, Notitia Dignitatum, S. 199–202; May, Besitzgeschichte, S. 26). Für Schär (Graf Talto, S. 153–155; ders., Gallus, S. 246–252) ist der Fall diesbezüglich völlig klar: «Er muss der fränkische Nachfolger eines römischen Kastellkommandanten gewesen sein und trug immer noch dessen Amtstitel. […] Der hoch gebildete Reichenauer Mönch hat offenbar an den praefectus castrorum, den römischen Lagerkommandanten, gedacht.» Und da das Tribunat der Präfektur in der Regel vorausging, soll Walahfrid dem Amt mit der Verwendung des praefectus-Titels eine grössere Bedeutung verliehen haben. 570 Seeck, Notitia Dignitatum, S. 201.

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danten in Arbon und Bregenz wiederum unterstanden einem dux. Ab 310 soll ein solcher rein für die militärische Organisation eingesetzter dux militis seinen Sitz in Regensburg bezogen haben.571 Aus den mobilen Legionen waren stationäre Grenztruppen (limitanei) geworden, die vom mobilen Heer des Kaisers (comitatenses) unterstützt werden konnten. Die fixe Stationierung wird das Zusammenwachsen von Militär und Zivilbevölkerung noch zusätzlich gefördert haben oder hinterliess zumindest Spuren. Die Titel, die in römischer Zeit für die Vorsteher und Kommandeure verwendet worden waren, könnten so auch in nachrömischer Zeit für wichtige Persönlichkeiten gebraucht worden sein.572 Borgolte sieht einen klaren Zusammenhang zwischen den tribuni-, vicarii- und centenarii-Nennungen in den St. Galler Urkunden und dem lokalen Einzugsbereich des Arbongaus und der Waltramshuntar (Region um Romanshorn, die offenbar nach den lokalen Herren wie Waltram – den Nachfahren des Arboner Tribuns Talto – benannt wurde und schliesslich im Thurgau aufging).573 Das Fehlen von Grafennennungen in diesen Urkunden unterstreicht die lokale Macht, die noch im frühen Mittelalter von den dortigen Herren ausgeübt wurde. Zwischen dem Bodensee und der St. Galler Einflusssphäre dürfte ein dünner Streifen Land noch bis ins 8./9.  Jahrhundert lokalen Magnaten unterstanden haben.574 Vor der fränkischen Durchdringung Alemanniens und der Einführung der sogenannten karolingischen Grafschaftsverfassung dürfte die Situation im restlichen Bodenseeraum kaum anders ausgesehen haben.575 Die Vorfahren des anfangs genannten Tribuns Othere könnten also ebenfalls über eine nach ihnen benannte Landschaft verfügt haben. Vielleicht taten sie dies de facto auch, doch wurde ihr Herrschaftsbereich der offiziellen Verwaltungsstruktur untergeordnet. Was blieb, waren die herausragenden Titel dieser lokalen Fürsten und hier und da der Vorsitz in einem lokalen mallum. Hinzu kam die ‹Zeugenführerschaft› bei lokalen Rechtsgeschäften und womöglich der Heerdienst mit den eigenen Haustruppen, jedoch unter den Aufgeboten der zuständigen Grafen. Wenn man bedenkt, dass der Begriff tribunus in den meisten Fällen synonym mit centenarius/centurio verwendet wurde, verwundert es nicht, dass diese ihre lokalen Aufgebote persönlich in die Schlacht führten und dass sie in Datierungsfor 571 Mackensen, Raetien, S. 214. 572 Wesch-Klein (Provinzen, S.  93) betont die grundlegende Bedeutung der provinzialen Eliten, «die einerseits Beziehungen zu römischen Amtsträgern unterhielten, andererseits aufgrund persönlicher Bindungen und ihres sozialen Ansehens über entsprechenden Einfluss bei ihren Mitbürgern verfügten». Abgesehen von den militärischen Strukturen war also auch die zivile Verwaltungs- und Sozialstruktur teilweise so weit romanisiert, dass selbst im Falle einer nur geringen romanischen Bevölkerungskontinuität gewisse Elemente in der ehemals provinzialen Gesellschaft weiterexistieren beziehungsweise überleben konnte. 573 Vgl. Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 5, sowie Schär, Graf Talto. Zur Absorption des Arbongau vgl. Erhart/Wagner, Augstgau, S. 52–54. 574 Borgolte, Grafschaften, S. 105 f. Zettler (Adalbert) bezeichnet solche Magnaten für das 9. Jahrhundert als ‹spätkarolingische Fürsten›. 575 Zur Einführung der ‹Grafschaftsverfassung› in Rätien vgl. Clavadetscher, Grafschaftsverfassung. Für Bayern bezweifelt Jahn (Ducatus Baiuvariorum, S. 260) eine erfolgreiche Umsetzung der Bestrebungen Karls des Grossen hinsichtlich einer ‹Grafschaftsverfassung›.

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mularen – wie sonst die Centenare – an der den comites nachgeordneten Position vorkommen. Deren militärische Funktion im Frühmittelalter entsprach in diesem Sinne in etwa jener der römisch-antiken Armee. Einer römischen Legion stand ein legatus legionis vor, welcher von sechs tribuni militum unterstützt wurde. Für das Legionslager war ein dem jeweiligen Statthalter direkt unterstellter praefectus castrorum zuständig.576 Ebenso war die teils aus Alamannen rekrutierte Auxiliarkavallerie praefecti und tribuni unterstellt,577 wonach dieses Vokabular spätestens im 4./5. Jahrhundert in die Sozialstruktur der römischen Provinzen Einzug genommen haben könnte. Für das 4. Jahrhundert nennt Martin zudem einige zu tribuni aufgestiegene Alamannen, unter anderem als Kommandanten von numeri Alamannorum, die also nicht nur als foederati, sondern in offziell eingerichteten römischen Hilfstruppenverbänden dienten.578 War die tribunus-Bezeichnung ebenso wie die des dux Raetiae (und unzähliger weiterer) kontinuierlich bis zum frühen Mittelalter präsent geblieben, wie May treffend zu vergleichen sucht?579 Die antik anmutenden Begriffe scheinen sich jedenfalls im frühmittelalterlichen Schrifttum gehalten zu haben, und zwar in obengenannten Chroniken ebenso wie in den Urkunden,580 darin gar als Teil der Datierungsformeln: Notavi diem feriam VI, annum incarnationis domini DCCCCLVII, annum regis Ottonis XXI, Purghardo duce, Eburhardo comite, Adale tribuno.581 Ebengenannter Fall aus dem Jahr 957 zeigt, dass tribuni selbst im 10. Jahrhundert noch auftauchen und wie lange dieses lokale Bewusstsein und der lokale Einfluss noch von Bedeutung waren. Praefecti Zu den tribuni kommen im Bodenseeraum des frühen Mittelalters die praefecti hinzu, und dies geschieht erneut im Zusammenhang mit dem mehrfach gezeigten Fall des Arboner Kastells. Doch diesmal geht es nicht um den bei Ratpert genannten comes Talto, sondern um einen Kriegsherrn namens Otwin, der in der Vita des heiligen Gallus von Walahfrid als praefectus582 und von Wetti als praeses583 bezeichnet wird und den man wahrscheinlich als Kastellkommandanten des Arbon benachbarten Bregenz sehen darf. Schär vermutet hierbei die Gewalt über ein castrum in der Bregenzer Oberstadt.584 Praefectus wie praeses galten in merowingischer Zeit als Synonyme zu comes, wie Borgolte in seinem Werk zu den ‹Grafen Alemanniens› zum Präfekten Otwin aus Wettis Vita sancti Galli schreibt.585 Als Beispiel hierfür kann der Fall des 576 577 578 579 580 581 582 583 584 585

König, Römischer Staat, S. 217; Schallmayer, Limes, S. 95 f. Ebd., S. 225. Martin, Zwischen den Fronten, S. 123 f. May, Besitzgeschichte, S. 34. Vgl. Chart. Sang. I, nn. 42, 97, 121; ebd. II, n. 576. Ebd., n. 856, sowie ebd., n. 509 (anno XXII Hludouuici regis regno in orientali Francia, sub Adalberto comite et Otone tribuno). Walahfrid, Vita s. Galli II, cap. 1. Wetti, Vita s. Galli (MGH Script. rer. Mer. 4), cap. 35. Schär, Gallus, S. 248–250. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 12, 188; ebenso Schär, Graf Talto, S. 155.

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comes Gozbert betrachtet werden, der um 766 als praeses des Nibelgaus bezeichnet wird (confessi sumus ante Cozperto preside et ante pagensis nostros)586 und in derselben Urkunde als comes genannt wird.587 Der Begriff praefectus lässt sich ebenso wie tribunus von unterschiedlichen Chargen der ehemaligen römischen Militäradministration (Kastell und Flottenkommandanten sowie Kommandanten von Palasttruppen und kleinerer Heereseinheiten) herleiten.588 Zwar wurde dies oben schon abgehandelt, aber zur Kontinuität des römischen Titels eines praefectus ist eine Aussage von Wesch-Klein besonders aufschlussreich: «Den Präfektentitel führten in julisch-claudischer Zeit ebenfalls einheimische Fürsten, die für eine Phase des Übergangs vom Prinzeps eingesetzt wurden. Ihre Aufgabe war es, als zuverlässige Vasallen die indigene Bevölkerung auf die direkte Herrschaft Roms vorzubereiten.»589 Dieser Titel wurde also auch ausserhalb der militärischen Nomenklatur verwendet und fand je nach Region schon früh Einlass in die zivilen Provinzialstrukturen. Ansonsten sind Präfekten in römischer Zeit häufig als praefecti urbi zur Rechtsprechung eingesetzt worden und für die römische Frühzeit sind praefecti als Kommandeure kleinerer militärischer Aufgebote590 und Orte zu finden. Daneben ist der kaiserliche Prätorianerpräfekt zu nennen, der zunehmenden Einfluss auf das Kaisertum ausübte und der auch bei Hermann von Reichenau vorkommt.591 In späterer Zeit wurden sie häufiger zur Überwachung lokaler (einheimischer) Gruppen mit der militärischen und zivilen Verantwortung für kleinere Bezirke eingesetzt. Dabei handelte es sich meist um besonders herausragende oder hochrangige Soldaten (primus pilus etc.) der lokalen Militäreinheiten.592 Eine weitere direkte Anbindung an die römischen praefecti urbi findet sich bei Hermann von Reichenau, der damit unter anderem den weltlichen römischen Stadtherrn um 969 betitelt; diese Bezeichnung hat er zuvor vor allem im römisch-antiken Kontext gebraucht.593 Ein Stadtpräfekt taucht auch in einem Herrscherdiplom Heinrichs IV. für die Bischofsstadt Speyer um 1101 auf (urbis prefectus), und zwar im Sinne eines ‹Stadtvogtes› oder ‹Burggrafen› (wohl im Auftrag des Bischofs von Speyer), der in Abgrenzung zum tribunus episcopi, dem direkten bischöflichen Vertreter für den Bischofssitz, für die Bewohner der Stadt zuständig war.594 Ein solcher Stadtpräfekt findet sich auch für Regensburg und andere Städte.595 Zur Bezeichnung herrschaftlicher Stellvertreter tauchen sie bei Hermann auch ausserhalb der Städte auf. So nennt er einmal den ‹Verwalter›/Stellvertreter Karls des Grossen in Bayern einen praefectus, der zugleich als Karls Bannerträger (signifer) und Berater (consiliarius) diente.596 586 587 588 589 590 591 592 593 594 595 596

Chart. Sang. I, n. 48. Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 131–133. Vgl. Martin, Zwischen den Fronten, S. 121 f. Wesch-Klein, Provincia, S. 72 f. Vgl. Brunner, Fürstentitel, S. 194. Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 453, S. 83. Wesch-Klein, Provincia, S. 70 f. Hermann, Chronicon, an. 969, S. 646. Gladiss, Urk. Heinrichs IV. (MGH DD H IV), n. 466. Weinrich, Verfassungsgeschichte, S. 156 f. Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 799, S. 101.

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Ebenso spricht Notker von zwei Kriegern (privati homines) Karls, die vom König nach einer mutigen militärischen Aktion zu praefecti – territorialen Stellvertretern  – erhoben wurden.597 Sind es ebensolche praefecti, die auch Widukind während der Ereignisse um die Schlacht auf dem Lechfeld 955 als Befehlshaber der einzelnen legiones des bayerischen Herzogs nennt?598 – «Die erste, zweite und dritte Legion [legio] bildeten die Bayern, an ihrer Spitze standen die Befehlshaber [prefecti] des Herzogs Heinrich.»599 Die Termini praefectus und tribunus könnten  – abgesehen von den Amtsträgern, die einen naheliegenden lokalen Kontinuitätsbezug hatten wie diejenigen von Arbon  – also auch schlicht als Hilfsbegriffe der Mönche zur Bezeichnung sehr unterschiedlicher kleinerer militärischer Kommandanten, Stellvertreter und Verwalter gedient haben. Für ihre historiografischen Aufzeichnungen zogen sie womöglich schlicht das Vokabular hinzu, das sie selbst von den römischen Klassikern her kannten, sofern diese Würdenträger nicht ohnehin schon traditionsgemäss von der lokalen Bevölkerung als solche bezeichnet wurden und die Mönche einfach nur die entsprechenden latinisierten Formen verwendeten. Tribunus Othere – zur mächtigen Familie des Notker Balbulus Einen weiteren Hinweis auf die lokalen Machtverhältnisse ermöglicht eine Urkunde von 950: Dieser zufolge erhält Notker, Vogt und Vasall des Klosters St.  Gallen, das Erbe eines Tribuns Othar im Tausch gegen andere Güter an St. Gallen.600 Da die beiden Namen bereits seit hundert Jahren immer wieder zusammen auftauchen, soll dem sozialen Status dieses Tribuns beziehungsweise seiner potenziellen verwandtschaftlichen Beziehungen weiter nachgegangen werden. Ein Othere taucht seit den 830erJahren immer wieder als Zeuge auf, ab den 880er-Jahren häufig an prominenter erster Stelle. Häufungen von Nennungen des familiär womöglich gleichen Personenkreises dieses Namens lassen sich zwischen 831 und 864,601 882 und 898,602 zwischen 906 und 913603 und schliesslich in den 940er-Jahren finden.604 Beim zweiten und dritten könnte es sich theoretisch um dieselbe Person handeln. Dieser Othere taucht 889 als Vasall des Grafen Adalbert des Erlauchten605 (Adalbertus comes vassallo suo Otherre) sowie als Bruder eines Urkundenschreibers Notker auf (Ego itaque Notker indignus monachus sancti 597 Notker, Gesta Karoli II, cap. 2. Die Bezeichnung taucht bei Notker ein weiteres Mal für eine vergleichbare Funktion auf (ebd. I, cap. 11). 598 Herzog Heinrich I. von Bayern dürfte aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen sein, die Truppen selbst in die Schlacht zu führen. Er verstarb noch im selben Jahr an einer Krankheit. 599 Übersetzung von Rotter (Widukind, Res gest. Sax., S. 197). Primam et secundam tertiamque legionem direxerunt Boioarii, quibus prefuerunt prefecti ducis Heinrici (ebd., cap. III,44). 600 Chart. Sang. II, n. 851. Dieselbe Stelle wird oben bereits aufgrund der advocatus-Nennung behandelt. 601 Ebd. I, n. 351; ebd. II, nn. 396, 415, 422, 463, 475, 498, 525. Zuvor taucht bereits 805 ein Otheri als Zeuge in St. Gallen auf, allerdings unbedeutend weit hinten in der Zeugenliste (ebd. I, n. 180). 602 Ebd. II, nn. 648, 654–655, 662, 674, 684, 691–692, 706, 726–727, 732, 738, 753, 757–758, 760; Goetz, Linzgaugraf Udalrich, S. 157. 603 Chart. Sang. II, nn. 796, 802, 806, 823. 604 Ebd., nn. 845, 851. Um 942 findet sich zudem ein Othario monachis (Chart. Sang. II., n. 844). 605 Adalbert, 859–894 Graf.

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Galli et frater ipsius Otherres)606 und wird 897 als venerabilis vir bezeichnet.607 Der frühere Othere aus der Belegzeit 831–864 taucht in weniger prominenter Funktion auf, was letztlich auch den Ausschlag zur Umdatierung von zwei St. Galler Urkunden von 841608 und 844/845609 ins frühe 10. Jahrhundert im Zuge der Arbeit am Chartularium Sangallense gegeben hat.610 Darin wird der ansonsten eher nebensächlich erwähnte Othere nämlich als centurio sowie als venerabilis laicus bezeichnet, was bestens zur Titelgebung des jüngeren Othere und Bruder von Notker Balbulus passt. Die Familie der Othere verfügte demnach mindestens im 9. und 10.  Jahrhundert über grösseren Besitz in Jonschwil und gehörte in dieser Zeit zur lokalen Elite im Grossraum St. Gallen-Winterthur-Zürichsee. Womöglich haben die Othere diese Region gar dominiert. Es ist deshalb nur naheliegend, dass Sprösslinge dieser Familie auch am politischen und monastischen Leben des mächtigen Klosters St. Gallen teilgenommen haben. Und hier kommt der ebengenannte Notker ins Spiel, der sich als Bruder des Othere zu erkennen gibt. Durch die Identifizierung der Schreiberhand jener Urkunde als derjenigen von Notker Balbulus ist es Erhart gelungen, die vermutete Verwandtschaftsbeziehung zwischen Othere und Notker zu bestätigen. Diese Vermutung beruhte bereits auf einer an Liutward von Vercelli gerichteten Zeile, worin klar wird, dass Notkers Schreiben an Liutward auf Bitte des Othere erfolgte: «Als mich aber kürzlich mein Bruder Othari bat, ich möchte doch etwas zu Eurem Preise schreiben […].»611 Es gehörte also nicht nur Othere einer einflussreichen und mächtigen Familie an, sondern auch Notker Balbulus.612 Diese beiden Namen haben sich innerhalb dieser stets mit wichtigen Aufgaben betrauten Familie offenbar bis in die Mitte des 10. Jahrhunderts gehalten und Erhart hält auch eine enge – womöglich verwandtschaftliche – Beziehung zur Familie Adalberts des Erlauchten für möglich. Der Titel tribunus, den Ganahl vereinfacht mit centenarius gleichsetzt,613 kann in diesem Zusammenhang durchaus als Bezeichnung für einen hohen Würdenträger oder als Ehrentitel gesehen werden. Der oben angesprochene, verstorbene Tribun Othar war wohl ein Spross dieser bedeutenden Familie, womöglich ist damit auch jener bekannte Bruder von Notker Balbulus, der zwischen 882 und 913 urkundlich nachweisbar ist, gemeint.614 Meyer von Knonau hält dies für 606 Ebd., n. 706. Damit wären die Brüder in etwa zur selben Zeit verstorben beziehungsweise aus der Überlieferung verschwunden, denn Notker starb 912 und dieser Othere taucht zuletzt um 913 in einer Urkunde auf (ebd., n. 823). 607 Ebd., n. 753. 608 Ebd. II, n. 396. 609 Ebd. I, n. 227. 610 Vgl. Chart. Sang. II, nn.  396, 415. Aufgrund des fortgeschrittenen Publikationsstandes konnten die zwei Urkunden nicht neu positioniert werden, doch finden sich jeweils Hinweise zum Datum. 611 Übersetzung von Erhart (Oberwinterthur, S. 110). Nuper a fratre meo Othario rogatus, ut aliquid in laude vestra conscribere curarem […] (ebd.). Über den Austausch zwischen Notker und Liutward berichtet auch Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 46. 612 Erhart, Oberwinterthur, S.  109–111. Vgl. auch Dohrmann, Vögte, S.  165, und May, Besitz­ geschichte, S. 85, 124 f. 613 Ganahl, Verfassungsgeschichte, S. 78. 614 Wann genau Othere gestorben ist, lässt sich nicht nachweisen, denn seine letzte urkundliche Nennung von 913 stellt zugleich das Ende der reichen urkundlichen Überlieferung in St. Gallen

Abb. 28: In dieser erst 2007 aus einem Codex in der Pfarreibibliothek Zug herausgelösten Urkunde tauchen auf Zeile 10 Notker Balbulus und ein Othere erstmals direkt als Brüder auf: Ego itaque Notker indignus monachus sancti Galli et frater ipsius Otherres (Zug, Pfarrbibl. St. Michael, aus Cod. 20).

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wahrscheinlich und vermutet, dass sich der Streit des Klosters St. Gallen um die von Othere versprochenen Güter in Jonschwil um Jahrzehnte bis zu jener Urkunde Mitte des 10. Jahrhunderts hingezogen hätte.615 Die Existenz weiterer über Güterübertragungen fassbarer lokalaristokratischer Gruppen weist darauf hin, dass es abseits der so zentral behandelten alemannischen Grafen und potenziell bestehenden hierarchischen Ordnungen noch weitere mächtige lokale Funktionäre gab, eine lokal ansässige alemannische Elite. Deren Bezeichnungen mögen hierbei noch älteren, römerzeitlichen Funktionen und Titel entsprungen sein, bevor diese aus öffentlicher Sicht von den merowingischen und karolingischen Beamtenbezeichnungen verdrängt oder überdeckt wurden.616 Fidelis Anno – zur Prosopografie einer Elitenfamilie Die lokale Elite tritt vermutlich auch in Form von fidelis-Bezeichnungen ans Licht,617 wie eine Urkunde aus dem Jahr 891 vermuten lässt. Darin schenkt König Arnulf seinem Getreuen Anno auf Anraten seiner Gefolgsleute Adalbert und Theoting die Kirche in Kaiseraugst samt Zubehör, welche derselbe zuvor als beneficium innehatte: […] qualiter nos rogatu et deprecatione Adalperti et Theotingi fidelium nostrorum cuidam fideli nostro nomine Anno.618 Beim ersten Intervenienten dieser Königsurkunde handelt es sich vermutlich um den von 859 bis 894 belegten Grafen Adalbert, während ein Theoting in keiner vergleichbaren offiziellen Funktion nachgewiesen ist. Wohl aber taucht dieser Name verschiedentlich in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Zeugenlisten auf und kann dadurch womöglich einer lokal ansässigen Familie der alemannischen Elite zugeordnet werden.619 Anno, der ebenfalls als Getreuer des Königs bezeichnet wird und als solcher belohnt wird, kann vermutlich ebenfalls im Zuge der Sicherung Schwabens durch Arnulf, den Nachfolger Karls III. (Alemannien war Karls III. Kernregion),620 als Angehöriger der lokalen Elite gesehen werden.621 Allein der Umstand, dass ihn Graf Adalbert ‹empfahl›, der seinerzeit einer der mächtigsten Männer Alemanniens war, dessen Sohn bereits als comes et princeps ala-

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dar. Allzu viele Jahre dürfte er aber seinen um 912 verstorbenen Bruder Notker nicht überlebt haben. Knonau, Geschichtsquellen, S. 108 f. Vgl. Chart. Sang. II, n. 851. May (Besitzgeschichte, S.  33) sieht zwar den tribunus-Titel ebenfalls als Relikt aus römischer Zeit, hält aber die Wiedereinführung dieses Titels durch die Verlegung fränkischer Truppen zu Beginn des 7. Jahrhunderts nach Arbon ebenfalls für möglich. Zu fidelis anstelle von vassus vgl. Ganshof, Lehnswesen, insbesondere S. 42, und Duby, Chevalerie, S. 327. Im Süden des Westfrankenreichs stand die Bezeichnung häufig für ‹hohe Freie› (boni homines sowie gar nobiliores/maiores), die unter anderem als assistierende Gerichtsbeisitzer fungierten (Poly/Bournazel, Mutation, S. 15). Chart. Sang. II, n. 720. Darunter fällt eine Nennung in einer Zeugenliste (Dheotinc testis) aus der östlichen Baar um 806, worin er interessanterweise ebenfalls mit einem Anno genannt wird (ebd. I, nn. 187– 188). Vgl. den Abschnitt zu Rektorat und Vikariat oben sowie MacLean, Kingship, S. 84–86. Vgl. die Ausführungen am Ende des nächsten Abschnitts zu den fideles.

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mannorum622 bezeichnet wurde und dessen Enkel schliesslich erster Herzog des neu begründeten schwäbischen Herzogtums wurde, dürfte als Hinweis genügen, Anno als Angehörigen der führenden Familien Alemanniens anzusehen. Im Tauschhandel bezüglich der oben genannten Kaiseraugster Kirche drei Jahre später, wird Anno zwar schlicht als vir bezeichnet,623 er und/oder seine namensgleichen Verwandten traten jedoch schon zuvor und danach immer wieder als zum Teil führende Zeugen bei Beurkundungen auf. Von den insgesamt 40 Nennungen eines Anno als Zeuge in Alemannien/Schwaben, die sich auf einen Zeitraum von 745 bis 963 verteilen, lassen sich praktisch alle in eine von drei geografisch umreissbaren Hauptgruppen einteilen: südlicher Breisgau/Augstgau, Westbaar und Thurgau/Zürichgau. Alle drei Gruppen besitzen unterschiedliche geografische Schwerpunkte zu unterschiedlichen Zeiten, die sich jeweils leicht überschneiden, sodass es sich in Alemannien gar nur um eine einzige Anno-Familie handeln könnte. In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts sind Annos hauptsächlich im südlichen Breisgau im Einflussbereich obengenannter Kaiseraugster Kirche, die 891 an den fidelis Anno kam, nachweisbar. In diesem Zusammenhang werden die Orte Warmbach, Herten, Egringen, Fischingen, Hagenbach, Wenkenhof (östlich von Riehen, BS) und Rötteln genannt.624 Weitere vereinzelte Nennungen gibt es hier nur noch um 840 sowie in den beiden hier zentral behandelten Urkunden von 891 und 894.625 Dass sie in dieser Gegend zwischenzeitlich nicht mehr genannt werden, muss jedoch nicht bedeuten, dass sie vor Ort nicht mehr über Besitz und Macht verfügten, sondern könnte einer Schwerpunktverlagerung geschuldet sein. Nach ersten Nennungen von Annos in den 760er-Jahren in der westlichen Baar tauchen diese dort nämlich besonders zwischen dem Ende des 8. und Anfang des 9. Jahrhunderts auf und sind dort bis in die 880er-Jahre präsent.626 Vom letzten Viertel des 9. Jahrhunderts bis 963 sind schliesslich fast nur noch Annos als testes im Thur- und Zürichgau nachweisbar. Hierzu muss allerdings noch ergänzt werden, dass sich im direkten St.  Galler Umfeld beziehungsweise im Thur- und Zürichgau bereits seit 745 immer wieder Zeugen dieses Namens finden lassen, jedoch stehen diese so vereinzelt da, dass dies auch ein Indiz für die Häufigkeit dieses Namens sein kann, der aufgrund der St. Galler Überlieferung insbesondere für die frühen St. Galler Güter- und Actumorte häufiger nachweisbar ist als für andere Regionen.627 So taucht nämlich um 766 ein Anno im Nibelgau sowie um 806 in der östlichen Baar auf.628 Daneben finden sich zudem einige geografische Überschneidungspunkte zwischen Thurgau, Breisgau und Westbaar, so beispielsweise 622 Lendi, Annales Alamannici, an. 911, S. 188. 623 Chart. Sang. II, n. 735. 624 Ebd. I, nn. 22, 26, 62, 159. Anno tritt dabei als sehr prominenter Zeuge auf. In einer Urkundenabschrift von etwa 1500 wird zudem ein Hanno (Abschreibfehler?) in einer Gruppe von freien Zinspflichten aus dem Breisgau aufgeführt (ebd., n. 324a). 625 Ebd., n. 395; ebd. II, nn. 720, 735. 626 Ebd. I, nn. 39, 103, 139, 223, 231, 275, 366; ebd. II, nn. 403–404, 446, 680. Zu dieser Zeit tauchen sie zudem zweimal im Linzgau auf, wobei wohl dieselben gemeint sind (ebd., nn. 546, 600). 627 Ebd. I, nn. 10, 243, 330; ebd. II, nn. 414, 555, 600, 606, 623, 632, 730, 792–793, 815, 842, 844, 859. 628 Ebd. I, nn. 48, 187, 188.

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bei den Actumorten Lausheim629 und Ewattingen630 (beide an der Wutach) sowie bei Bülach631 südlich des Rheins im heutigen Kanton Zürich; ein weiteres Indiz dafür, dass es sich um dieselbe grosse Sippe gehandelt haben könnte. Dass die Annos im 10. Jahrhundert ihren Schwerpunkt ausgerechnet im St. Galler Kerngebiet gefunden hatten, passt im Übrigen ganz gut mit dem Fakt zusammen, dass um 953 ein Anno vom St. Galler Konvent zum (Gegen-)Abt gewählt wurde, der womöglich ein Zögling dieser Familie war. Abt Anno (953–† 954) erhielt in der St. Galler Chronistik jedoch trotz seines kurzen Abbatiats einen unvergesslichen Platz, denn laut Ekkehart IV. war er es, der als Erster das Kloster und die Klostersiedlung mit einer Mauer, Wall und Türmen umgeben liess,632 ein Projekt, das erst Abt Notker (971–975) vollenden sollte.633 Von Abt Anno ist nur eine einzige Urkunde überliefert, die jedoch ein starkes Indiz für die Zugehörigkeit des Abtes zum Anno-Clan darstellen könnte, denn darin wird Besitz aus Hohfirst (Gemeinde Waldkirch, SG) ans Kloster St. Gallen übertragen.634 Güter aus Hohfirst gelangten erstmals um 818 an St.  Gallen und Tradent war damals ein Mann namens Anno (Traditio Annonis de Hounfirst).635 Dass nun ausgerechnet unter einem gleichnamigen Abt weitere Güter aus derselben Streusiedlung zum Klostergut hinzukommen, ist zwar kein eindeutiger Beweis, wohl aber eine Auffälligkeit, die zu Vermutungen bezüglich Namensähnlichkeit und Verwandtschaft Anlass gibt. Wie bereits erwähnt, war Anno auch bei servi kein ungewöhnlicher Name. So finden sich in den St. Galler Urkunden fünf Fälle von Hörigen mit diesem kurzen, einfachen und für servi womöglich nicht unbeliebten Namen.636 Dass diese Beobachtung für die Zugehörigkeit oben genannter Annos zur alemannischen Elite keine Rolle spielt und auch kein Zusammenhang zwischen den Hörigen dieses Namens besteht, beweist die Nennung dieser Hörigen aus allen Winkeln Alemanniens. Um 752 heisst einer von 11 Hörigen vom Rotbach im Linzgau Anno, 768 taucht ein Höriger mit Land, Frau und Kind im oberen Bärental in der westlichen Baar auf und in den Jahren 860 und 885 werden je ein Höriger mit Familie im Thurgau und im Allgäu genannt.637 Die einzige Verbindung zwischen den unfreien und freien Annos öffnet sich durch die Sichtung einer Urkunde aus dem Jahr 948, worin ein Amalpret in Zuzwil seinen drei Söhnen Anno, Amalpret und Reginfred, die er mit einer sankt-gallischen Hörigen gezeugt hat, Güter schenkt.638 Zwischen diesen zufälligen Namensträgern und den aristokratischen Annos besteht aber alleine schon aufgrund der breiten geografischen Streuung kein Zusammenhang. 629 630 631 632 633 634 635 636

Ebd., n. 275. Ebd., n. 223. Ebd., n. 330. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 71. Ebd., cap. 136. Vgl. Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 115 f. Chart. Sang. I, n. 243. Ebd. II, n. 853. Zur allgemeinen Namensgebung und möglichen Standeszugehörigkeit vgl. Löffler (Hörigennamen, S. 193 f., 201–204), der 175 Personennamen in den St. Galler Urkunden als reine Hörigennamen identifiziert hat (ebd., S. 206–208). 637 Chart. Sang. I, nn. 18, 51; ebd. II, nn. 488, 681. 638 Ebd., n. 847.

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Anno und der Sturz Karls III. Um auf die bereits angesprochene Schenkung der Kaiseraugster Kirche durch König Arnulf an seinen fidelis Anno im Jahr 891 zurückzukommen, werfen wir nun einen Blick in die zweite Urkunde bezüglich dieser Kirche um 894. Darin genehmigt und bestätigt König Arnulf einen Tausch zwischen Abtbischof Salomo von St.  GallenKonstanz und dem fidelis Anno aus der Urkunde von 891, womit die Kirche von Kaiseraugst an St. Gallen kommt. Warum dieses zweite Geschäft überhaupt erst so viel später und dann erneut im Rahmen einer Königsurkunde geschah, könnte an der hohen Bedeutung Annos als Arnulfs Gefolgsmann liegen. Da Arnulfs Machtergreifung 887 mit der Absetzung Karls III. durch Waffengewalt639 einherging und Arnulf deshalb auf die Unterstützung der potentes angewiesen war, erklärt dies in vielen Fällen die Übernahme verschiedener Zugeständnisse an lokale Magnaten.640 Ebenso ist es wohl kein Zufall, dass, nachdem Liutward von Vercelli, als der von Karl III. entlassene Erzkanzler, auf die Seite Arnulfs übergelaufen ist, auch vertraute Magnaten – wie die Familie des Othere und Notker Balbulus – diesem Beispiel gefolgt sind und der Machtwechsel deshalb relativ reibungslos erfolgen konnte. Nur wenige schwäbische Magnaten wagten es, sich dem neuen König zu widersetzen. Zu den Widersachern gehörten unter anderem die Gründer des Klosters Aadorf,641 Udalrich und seine Gemahlin (eine fidelissima Karls III.): Sie «machten sich des Hochverrats gegen den König schuldig, der in Alamannien, dem Stammgebiet des abgesetzten Karl III., bekanntlich den heftigsten Widerstand fand.»642 Arnulf bestrafte seine Widersacher mit umfangreichen Konfiskationen und belohnte seine Getreuen mit ebendiesen Besitztümern. Es war eine Mehrheit der Grossen des Reiches notwendig, um den kranken Herrscher durch einen jungen, verwandten Nachfolger zu ersetzen, und dies konnte laut Keller nur so überzeugend geschehen, weil der tatkräftige Thronanwärter Arnulf im Verbund mit dem weisen Erzkanzler Liutward agierte.643 Insbesondere in Schwaben, das als Kernregion Karls III. galt, musste er sich verstärkt durchsetzen.644 Dies gelang unter anderem durch die Einsetzung Salomos als Bischof von Konstanz und Abt von St. Gallen.645 Unter diesem Gesichtspunkt könnte Arnulf seinen fidelis Anno gar als Mittelsmann genutzt haben, um in Kaiseraugst – nahe am Machtzentrum des Basler Bischofs  – einen Verbündeten, nämlich den mächtigen Abtbischof Salomo, zu wissen. Offiziell hätte die direkte Schenkung der wehrhaften Kaiseraugster Kastellkirche an den St.  Galler Abt wohl für Aufregen gesorgt. Indem er diese aber erst an Anno übertrug und dieser diesen wichtigen Stützpunkt drei Jahre später an St.  Gallen tauschte, konnte das Ziel mit weniger 639 Ubl, Karolinger, S. 110–112. 640 Zum Gefolgschaftswechsel vgl. Leyser, Herrschaft und Konflikt, S. 53 f., sowie zum Herrscherwechsel allgemein Busch, Karolinger, S. 46–48. 641 Zum «Hauskloster Aadorf» vgl. Goetz, Linzgaugraf Udalrich, S. 149–151. 642 Ebd., S. 146, 162 f. 643 Keller, Sturz Karls III., S. 374 f. 644 Ebd., S. 347–351; Schmid, Liutward von Vercelli, S. 42–44; Zettler, Adalbert, S. 183 f. Vgl. hierzu die Stelle zu Karls Rektorat in der Baar oben im Abschnitt zu Rektorat und Vikariat. 645 Vgl. Keller, Sturz Karls III., S. 360 f.; Zotz, Königsherrschaft, S. 284.

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Aufsehen erreicht werden. Depreux betont im Rahmen von königlichen Schenkungen an die Kirche, dass insbesondere bei konfiszierten Gütern die Schenkung meist über einen Dritten erfolgte,646 was womöglich auch bei Kaiseraugst mit Hilfe des fidelis Anno der Fall war. Für St. Gallen war Kaiseraugst trotz der grossen Entfernung äusserst attraktiv, denn damit hatte das Kloster einen neuen, sicheren Zentralort für die lokale Güterverwaltung erhalten und richtete vermutlich zur Absteckung seiner Interessenssphäre in der Kaiseraugster Kirche ein Galluspatrozinium ein, das bis heute überdauert hat.647 Wie oben schon dargestellt wurde, tauchten Annos etwa ab dieser Zeit und während des ganzen 10. Jahrhunderts häufig im Umfeld der Abtei St. Gallen auf und dieser Anno könnte demnach bereits im Zusammenhang mit Arnulfs und Salomos Machtspielen der Abtei St. Gallen wertvolle Dienste geleistet haben. Auf eine falsche Fährte lenkt eine Urkunde von 896, worin von einem Anno als Vasall des Erzbischofs Hatto die Rede ist. Allerdings handelt es sich bei dieser Urkunde aus dem Generallandesarchiv Karlsruhe offenbar um eine Fälschung, die mit Hilfe einer Reichenauer Chronik angefertigt wurde und wobei schlicht der Name Cimoni fälschlicherweise als Annoni wiedergegeben wurde.648 Ein letztes Indiz dafür, in den Annos Vertreter der alemannischen Elite zu sehen, wie es die Othere und Notkere waren, sind die häufig ähnlichen Zeugengruppen. In den alemannischen Zeugenlisten tauchen einige prominente Namen wie Chadaloh, Cundhart und Cundhere auffällig oft zusammen mit einem Anno auf. Diese sind allesamt als Vertreter mächtiger alemannischer Familien zu werten und einige Vertreter dieser Sippen hatten gar Grafenämter inne (Chadaloh, 790–† 819 Graf;649 Chadaloh, 890–894 Graf; Cunthard, um 817 Graf).650 Die Nachforschungen zum Namen Anno in der diplomatischen Überlieferung des 8.–11. Jahrhunderts haben zu aufschlussreichen Ergebnissen geführt und zeigen, dass sich wohl noch hinter manchem der zahlreichen testis-Nennungen in den zeitgenössischen Urkunden Vertreter der alemannischen Elite finden lassen. Vassallus, fidelis und comes Babo – zu den ‹Pabonen› in Schwaben Am 30. November 920 erhielt ein Babo, Gefolgsmann des neuen Herzogs von Schwaben Burchard I., auf dessen Betreiben hin in Singen651 sein beneficium von König Heinrich I. geschenkt.652 Zuerst erstaunt der Umstand, dass einem ohne weiteren 646 Depreux, Herrscher und fideles, S. 304 f. Vgl. hierzu die weiteren Schenkungen Arnulfs im Bodenseeraum (Chart. Sang. II, nn. 701–702, 704–705). 647 Vgl. obiges Kapitel zu Kastellen und Ungarnburgen. 648 Kehr, Urkunden Arnulfs (MGH DD Arn), n. 191. 649 Vgl. zu seiner Stellung auch die Ausführungen bei den herzogsähnlichen fränkischen Funktionären. 650 Vgl. Grafenliste oben. 651 Stadt am Fuss des Hohentwiels im Landkreis Konstanz, Baden-Württemberg. 652 […] quia nos rogatu et consultu fidelium nostrorum, Burchardi videlicet, Ebarhardi, Chuonradi, Heinrici atque Vtonis venerabilium comitum, Baboni eiusdem comitis Burchardi vassallo in pago Hegouue in eodem comitatu quicquid in loco Siginga appellato hactenus beneficii tenuit, cum curtilibus aedificiis mancipiis […] ad praefatum locum iust[e et leg]aliter conspicientibus perpetualiter improprium donavimus (Sickel, Urkunden Heinrichs I. [MGH DD H I] n. 2).

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Titel oder nähere Bezeichnung genannten vassallus des neuen Herzogs eine eigene Herrscherurkunde gewidmet wurde und dass ausgerechnet diese auch noch überliefert wurde, obwohl nach 913 im alemannischen Raum ansonsten kaum weitere derartige Zeugnisse erhalten geblieben sind.653 Während eine der beiden Ausfertigungen wohl in der kaiserlichen Kanzlei verblieb, behielt das andere Exemplar Babo selbst, der durch gute Beziehungen vielleicht die Möglichkeit zur sicheren Besitzverwahrung hatte, sodass diese Urkunde selbst nach seinem Tod weiter verwahrt wurde. Schwarzmaier erklärt, dass das Dokument nach der Übernahme des Dorfes Singen durch Chur in dessen Bistumsarchiv gelangt ist. Aufgrund einer späteren Fehldeutung des Siginga wurde die Urkunde schliesslich einem Herrn von Sickingen geschenkt, der sie in seinem Familienarchiv in Freiburg verwahrte, von wo sie schliesslich an den heutigen Aufbewahrungsort ins Generallandesarchiv Karlsruhe gelangte.654 Dieser Verkettung von Zufällen ist es zu verdanken, dass uns ein solches Zeugnis aus der unmittelbaren Nachzeit politischer und kriegerischer Umstürze in Schwaben erhalten geblieben ist. Erst im Jahr zuvor war König Heinrich I. mit Heeresmacht nach Süden gezogen, um sich der Treue der dortigen Magnaten zu versichern. Zur eigenen Herrschaftskonsolidierung waren sowohl der König als auch Herzog Burchard I. von Schwaben zu gegenseitiger Anerkennung gezwungen gewesen,655 sodass wir spätestens seit 919 wieder von einem schwäbischen Herzogtum sprechen dürfen.656 Bereits Burchards Vater, dem Markgrafen von Rätien, war vorgeworfen worden, sich der Herrschaft über Schwaben bemächtigen zu wollen. Im politischen Ringen um die Oberhoheit in Schwaben und in den Wirren um eine Nachfolge im ostfränkischen Königtum war es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Pfalzgrafen von Bodman, dem Abtbischof von St.  Gallen-Konstanz sowie einigen mächtigen Grafen im Bodenseeraum gekommen, wie oben bereits ausgeführt wurde und im anschliessenden Fall Stammheim noch zu sehen sein wird.657 Burchard der Ältere war dabei einem Komplott zum Opfer gefallen und sein Sohn floh wie einige andere ins Exil. Nach seiner Rückkehr an den Bodensee musste der spätere Herzog in erster Linie seine Position sichern, was wohl nur dank einer Anzahl an verbliebenen lokalen Unterstützern gelang.658 Einer davon könnte oben

653 Vgl. den obigen Fall mit Anno, dessen Schenkung dieser hier auffällig ähnlich sieht. 654 Schwarzmaier, Schriftlichkeit, S. 50; Schmid, Babo, S. 30. 655 Vgl. Althoff (Konfliktbewältigung, S. 289) und Keller (ders./Althoff, Neubeginn, S. 67–70), die exakt von solchen Einigungen zur eigenen Herrschaftsfestigung sprechen. Widukind sieht die Anerkennung eher einseitig und zugunsten seines Landsmannes Heinrich als herrschaftliche Unterwerfung (Widukind, Res gest. Sax. I,27). Vgl. die obigen Ausführungen zu miles und militia. Dass Burchard in der Babo-Urkunde noch als comes genannt wird, ändert nichts an Burchards De-facto-Herrschaft über Schwaben, liegt aber womöglich daran, dass der ducatus nicht als offizielles, vom König vergebenes Amt gesehen wurde, während comes eher auf eine Abhängigkeit zum König hinweist. 656 Für Maurer (Herzog von Schwaben, S. 38) beginnt das jüngere schwäbische Herzogtum bereits mit Burchards Vater. 657 Vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 82–95. 658 Vgl. Erhart/Wagner, Hohentwiel 915, S. 40.

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erwähnter Babo gewesen sein, wie Zettler und Schmid vermuten.659 Durch seine Position am Fusse der damals mächtigsten Festung im Bodenseeraum – dem Hohentwiel – konnte Babo seinem zurückkehrenden Herrn Burchard womöglich einen sicheren Stützpunkt verschaffen, der in der Zeit darauf selbst einer Belagerung durch König Konrad standhielt660 und Burchard dadurch so lange am Leben hielt, dass er die Macht übernehmen konnte, nachdem sich alle Konkurrenten gegenseitig ausgeschaltet hatten und König Konrad sowie Abtbischof Salomo eines natürlichen Todes gestorben waren. In dieser Zeit hätte Babo laut Zettler gar Burchards Schwertträger sowie dessen Befehlshaber während König Konrads Belagerung des Hohentwiels sein können.661 Als Dank für seine treuen Dienste liess Burchard im Jahr 920 seinem Gefolgsmann schliesslich dessen Güter in Singen vom König endgültig übertragen.662 Doch wer war dieser Babo und woher kam er? Bei der Suche nach weiteren Personen dieses Namens (Babo, Pabo und Papo)663 stösst man in den St. Galler Urkunden auf 14 Nennungen in Zeugenlisten zwischen den Jahren 803 und 895 sowie auf einen Grafen für die Jahre 847–855 im Nibelgau und im nördlichen Allgäu664 und einen weiteren Grafen im Jahr 903.665 Letzterer könnte zeitlich gut mit dem Singener Babo übereinstimmen, doch wäre der Gefolgsmann Burchards dann wohl ebenfalls als comes betitelt worden, und da er direkt nach Liutpold dem Markgrafen von Bayern666 genannt wird, kann er ebenso gut dem bayerischen Bereich zugeordnet werden. In diesem Falle dürfte es sich um einen Angehörigen der bayerischen Babonen handeln, die vor allem in der Umgebung von Regensburg zu finden sind, und zwar ab der Mitte des 9. Jahrhunderts (844–859 und 900–904).667 Laut Störmer tauchen diese erst im ausgehenden 10. Jahrhundert auf und deren Herkunft scheint er nicht zu kennen.668 Sind die bayerischen Babonen mit den Babos/Pabos aus Alemannien verwandt? Rein geografisch grenzen die vorhin genannten schwäbischen Gaue di-

659 Schmid, Babo, S. 33–35; Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 86 f. 660 Vgl. den Eintrag in die Annales Alamannici zum Jahr 915: chuonradus castellum tuiel obsedit […] (Lendi, Annales Alamannici, an. 915, S. 190). 661 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 86 f. 662 Maurer (Herzog von Schwaben, S. 146 f.) sieht hinter dieser Schenkung eine Doppelvasallität Babos gegenüber König und Herzog und einen automatischen Übergang von Verwaltungsvollmachten bezüglich königlichem Fiskus vom König an den Herzog als den neuen königlichen Stellvertreter in Schwaben. 663 Babo ist laut Menke (Namengut, S. 87) ein ‹Lallname›, abgeleitet vom ahd. Buobo. 664 Chart. Sang. II, nn. 419, 421, 458. Vgl. obige Grafenliste sowie die alte Datierung nach Borgolte (Grafen Alemanniens, S. 189 f.). 665 Chart. Sang. II, n. 772. Bei diesen Grafen spricht Jordan (Nahrung und Kleidung, S. 127 f.) von den ‹Pebonen›. 666 † 907. 667 Als Graf ist Babo/Pabo/Papo in folgenden Urkunden überliefert: Chart. Sang. II, n. 772; Kehr, Urk. Ludwigs des Dt. (MGH DD LD), nn. 38, 46, 66, 99 (844–859); Schieffer, Urk. Ludwigs des K. (MGH DD LK), nn.  11, 25, 30–31, sowie als servitor in n.  32 und als vir religiosus (900–904) in n. 79; für Frankfurt im Jahr 897 als servitor und fidelis (Kehr, Urkunden Arnulfs [MGH DD Arn], nn. 157–158); sowie um 1034 als königlicher Eigenmann (Bresslau, Urkunden Konrads II. [MGH DD K II], n. 214). 668 Störmer, ‹Babonen›, LexMa 1, Sp. 1322 f.

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rekt an den bayerischen Raum und das erste verzeichnete Auftreten von Grafen in Bayern und Alemannien erfolgte beinahe zeitgleich. Der Singener Babo muss jedoch nicht zwingend mit den späteren bayerischen Babonen zusammenhängen, denn für Schwaben treten ganz eigene Babonen und Pabonen über die Urkunden ans Licht. Ob die Schreibweise in diesem Falle von Bedeutung ist, bleibe dahingestellt, es fällt jedoch auf, dass die schwäbisch-alemannischen Namensvettern bis auf eine Ausnahme alle mit ‹P› geschrieben werden. Ein Pabo taucht 838 als Donator in der nördlichen Baar auf,669 zwei fungieren 803 und 868 als eher unwichtige Zeugen im südlichen Breisgau670 und die grösste Ballung an Nennungen findet sich zwischen 811 und 830 eher im südlichen Thurgau671 sowie zwischen 868 und 894 eher im nördlichen Thurgau.672 Die Thurgauer Pabonen werden in den Zeugenlisten fast ausschliesslich im letzten Viertel der Namen genannt und gehörten damit zu den weniger wichtigen Leuten.673 Einmal fungiert ein Babo (der einzige mit ‹B›) in Gossau für einen Tradenten als advocatus,674 was aber  – wie wir oben gesehen haben  – keinen hohen Rang bezeichnete, sondern von jedem Freien als rechtlicher Beistand oder als persönlicher Bürge wahrgenommen werden konnte, also eine reine Funktion war.675 Eine Verbindung der schwäbischen Pabonen mit dem Babo aus Singen lässt sich demnach nicht sicher herstellen. War der herzogliche Gefolgsmann ein Sprössling der bayerischen Babonen, der als Gefolgsmann eines anderen Herren oder gar im Zuge der Abwehrkämpfe gegen die Ungarn zu beneficia in Singen kam und im comes Burchard seine Chance zum Aufstieg sah? Als letzte Hoffnung für eine Identifizierung bietet sich ein durch Zettler und Schmid angeregter Blick ins Rheinauer Chartular, worin in der Abschrift einer wohl verlorenen Urkunde von 912 ein Pabo Güter mit dem Abt von Rheinau tauscht.676 Dieser Pabo verfügte über Besitz in der villa Hasala, in pago Chleggouve,677 das nur etwa 35  Kilometer beziehungsweise einen Tagesmarsch von Singen entfernt liegt.678 In der Urkunde wird Pabo als Gefolgsmann eines Wolfinus beziehungsweise Wolfinus wird als der senior des Pabo genannt, also als dessen ‹Lehnsherr›.679 Zettler und Schmid weisen zu Recht darauf hin, dass es sich beim senior Wolfinus 669 670 671 672 673 674 675 676 677 678 679

Chart. Sang. I, n. 376. Ebd., n. 173; ebd. II, n. 571. Ebd. I, nn. 204, 269, 282, 294, 340, 346–347. Ebd. II, nn. 560, 696, 734, 741. Schnyder (Innerschweiz, S. 255) vermutet eine Zugehörigkeit dieser Namensgruppe zur Beata-Sippe. Einzig im Jahr 811 taucht ein Pabo für Mörschwil als erster von zehn Zeugen auf (Chart. Sang. I, n. 204). Ebd., n. 294. Vgl. obige Ausführungen zum advocatus. Vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 87; Schmid, Babo, S. 32. Aufgrund des für Rheinau typischen Formulars inklusive Papstdatierung darf wohl von der Echtheit des Dokuments ausgegangen werden. Knonau, Rheinau, n. 25. Haslach, Gemeinde Wilchingen, Bezirk Unterklettgau (SH). Diese Abschrift stellt zugleich die Ersterwähnung dar (vgl. Pfaff, ‹Haslach›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7532.php [4.  8. 2018]). Vgl. MLLM, S. 1248.

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um den Sohn des 910 im Kampf gegen die Ungarn gefallenen schwäbischen Pfalzgrafen Gozbert handelt,680 der mit Burchard verwandt war.681 Unter deren Gefolgsleuten wird es wohl die eine oder andere Überschneidung gegeben haben oder aber Wolfinus und seine Gefolgsleute  – darunter Pabo  – standen seinem Verwandten in der Krisenzeit der 910er-Jahre bei. «Wenn dieser Babo mit jenem identisch ist, wofür vieles spricht, dann könnte er sogar schon als Vasall des Gozbert oder des älteren Burchard am Hohentwiel gewaltet haben, und Burchard [I.] der Jüngere hätte bereits von Anfang an über eine im wahrsten Sinne des Wortes hervorragende Position im Bereich des ehemaligen Fiskus Bodmann verfügt.»682 Die überregionale Bedeutung des Pabo/Babo sei laut Schmid bereits durch die Reise nach Seelheim ad regale placitum und die dortige Urkundenausstellung zu seinen Gunsten offensichtlich gewesen.683 Doch passen solche bedeutsamen Pabonen/Babonen mit den kleinen thurgauischen Pabonen des 9.  Jahrhunderts zusammen oder waren jene durch ebendiese Treuedienste im Kampf um das Herzogtum zu solchen Privilegien gekommen? Fideles als Kern der schwäbischen militia Auch wenn eine Verbindung des Singener Babo zu den Thurgauer Pabonen als unsicher zu erachten ist, war die Suche nach weiteren Namensträgern an sich schon von Erfolg gekrönt. Es ist dadurch nämlich zur Identifizierung einer Reihe von freien Männern gekommen, die zwar nie zu den grossen lokalen Aristokraten gehörten, aber dennoch als viri zur alten schwäbischen militia gerechnet werden dürfen. Waren sie an einem der klösterlichen Zentralorte ansässig, vielleicht in Gossau? Diese Männer dürfen, da sie nicht zur Hörigkeit gerechnet werden, als Teil der schwerttragenden alemannischen Elite gesehen werden, die wir ansonsten mit einem Begriff wie vassallus oder miles bezeichnen. Männer wie die Thurgauer Pabonen dürften ständisch wohl auf derselben Stufe gestanden haben wie die Familie eines Notker Balbulus und Othere, doch waren sie diesen bezüglich Ansehen nachgestellt, wie die Reihenfolge in den Zeugenlisten mehr als deutlich zeigt. Den Sprung in eine höhere ‹Liga› könnten sie schliesslich durch die Unterstützung Burchards am Hohentwiel geschafft haben. Ein Vertreter dieser Familie dürfte mit dem herzoglichen Aufgebot von 926 nach Italien gezogen sein und so könnte diese Familie bis ins 11. Jahrhundert zur schwäbischen militia gehört haben. In ähnlicher Weise tauchen im 9.  Jahrhundert weitere Gefolgsleute auf. 879 überträgt König Karl III. Land an seinen fidelis […] nomine Uuolfarius, und zwar in proprietatem.684 Was wie obige Schenkung an Babo klingt, dürfte wohl ebenso zur Belohnung gedacht gewesen sein. Eine der zwei geschenkten Mansen lag im lokalen Zen-

680 Ungari in alamanniam bello insperato multos occiderunt et gozpertus comes occisus (Lendi, Annales Alamannici, an. 910, S. 186). 681 Schmid, Babo, S. 32; Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 87. 682 Zettler (ebd.) spricht Pabo in der Rheinauer Urkunde direkt als ‹Ritter› an. 683 Schmid, Babo, S. 32. 684 Chart. Sang. II, n. 641.

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tralort Oberuzwil685 und könnte der Herrschaftssicherung in Alemannien gedient haben. Oder waren Wolfar und seine Familie bereits zuvor in jener Gegend begütert?  – In einer Urkunde von 754 aus dem Oberuzwil benachbarten Henau taucht nämlich bereits ein Wolfar als servus auf686 und 761 findet sich einer als Zeuge.687 Ob es sich hier um einen weiteren Aufsteiger handelt oder ob Wolfar schlicht ein beliebter Name war, muss dahingestellt bleiben. Im vorherigen Kapitel wurden bereits andere fideles als Schenkungsempfänger von Karls Nachfolger Arnulf angeführt, worunter sich sogar ein Graf befand. Dabei hatte sich angegedeutet, dass die lokale Elite wohl in Form von fidelis-Bezeichnungen ins Licht der Geschichte trat, was hiermit bestätigt werden kann. König Arnulf geizte offenbar nicht bei der Sicherung seiner Herrschaft, ganz zur Freude seiner treusten Anhänger: 890 schenkte er auf Anraten seiner fidelis comitis […] Irinigi et Erici ministerialis seinem fideli vassallo […], nomine Egino 15 Huben Land in der Bertoldsbaar sowie im Alp- und Breisgau.688 Wieder finden sich ein Graf sowie ein vassallus als fideles, wobei Graf Iring womöglich überhaupt erst durch Arnulfs Zutun in sein Grafenamt gekommen ist.689 Die Angabe fidelis ist demnach primär als Zeichen der persönlichen Verbindung zu sehen und findet sich in praktisch jeder Textgattung. Bei Ekkehart sind dies zumeist getreue Diener des Abtes, bei Notker und Berthold deutlich kriegerischer meist die militärischen Gefolgsleute beziehungsweise die Getreuen des Königs. «Er [König Heinrich] selbst aber sammelte von überall wiederum Truppen unter seinen Kriegern und Getreuen, wen immer er hierzu mobilisieren konnte, und begann, die Nachstellungen seiner Gegner von Tag zu Tag geringer zu achten.»690 Diese Bertholdstelle trifft den zentralen Punkt ganz gut, denn obwohl an dieser Stelle die milites und fideles einen Teil der militia darstellen, darf in der Teilmenge der fideles eine erhöhte Vertrauensbasis angenommen werden. Heinrich, der sich durch sein eigenes ‹Volk› verraten sieht, schart Leute um sich, die ihm nicht gleich bei der ersten Gelegenheit einen Dolch in den Rücken stossen. Diese sucht er deshalb unter seinen bisherigen Kriegern sowie unter seinen engsten Gefolgsleuten. Wie bei der fast endlosen Zahl an fideles-Nennungen dürfte man auch bei der weiteren Recherche zu testes – wie die Pabonen es immer wieder waren – in den St. Galler Urkunden auf eine kaum endende Anzahl solcher Dienstleute und Schwertträger stossen. Die Suche nach interessanten Fällen unter der lokalen Elite Alemanniens hat sich als äusserst ergiebig herausgestellt und die Bedeutung lokaler Kräfte hervorgehoben. 685 Uzwil SG. Vgl. Versammlungen und Hoftage im obigen Kapitel zu Grafschaft und Graf. 686 […] et alium servum meum nomine Uuolfarium cum uxore sua Atane, cum oba sua et cum omnia, quo vestitus est (ebd. I, n. 21). 687 Uuolfhario testis (ebd., n. 28). Die namensähnlichen Wolfharte und Wolfheris wurden nicht beachtet. 688 Chart. Sang. II, n. 712. 689 Graf Iring gehörte wohl zum königlichen Gefolge Arnulfs und taucht als solcher auch weitere Male als fidelis sowie als ministerialis (Kehr, Urkunden Arnulfs, n. 79) auf. Vgl. Iring unter den Grafen des 10. Jahrhunderts. 690 Übersetzung von Robinson (Berthold, Chronicon I, S.  75). […] dilata ipse recollectis undique quoscunque potuit militum et fidelium suorum cuneis cepit in dies paervipendere inimicitias adversariorum suorum (ebd., an. 1073, S. 74).

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So wäre ein Mann wie Burchard der Jüngere ohne Babo womöglich nie an die Macht gekommen und das Projekt ‹Herzogtum Schwaben› schon früh zum Scheitern verurteilt gewesen. In Ergänzung dazu wird anschliessend anstelle von Personen und Titeln von einem geografischen Fall, dem Zentralort Stammheim, ausgegangen.

3.2.3

Zentral- und Konfliktort Stammheim

Jene drei Übeltäter wurden nach dem Hohentwiel überführt, um dort bis zur öffentlichen Einvernahme verwahrt zu werden; indessen war die Mehrzahl ihrer Leute schon unter Waffen versammelt für den Fall, dass sich unterwegs Gelegenheit biete, die drei herauszuhauen. Hiergegen trafen aber die Ritter aus den Abteien und dem Bistum im Verein mit den Verwandten des Gesalbten des Herrn ihre Vorkehrungen, indem sie sich ringsum postierten. […] Und dort wurden jene drei nach dem Gesetz ausgestossen und geächtet, ihre Güter zum Fiskus geschlagen; und schuldig des Majestätsverbrechens wurden sie zum Tode verurteilt. […] Der König aber überliess jene verhasste Burg  – Ursache so grossen Übels  – dem heiligen Otmar zur Zerstörung.691

Ekkeharts Schilderung lässt auf einen grösseren Konflikt schliessen, der nur mit grösseren Truppenaufgeboten und dem persönlichen Eingreifen des Königs gelöst werden konnte und schliesslich mit Todesstrafen und dem Schleifen einer Burg endete. Der zündende Funke für das Ausbrechen der Feindseligkeiten entsprang einem Streit um Besitz und Einfluss in der Grossregion Stammheim, und zwar stellvertretend für den Kampf um die Vorherrschaft im gesamten regnum Alemannien. Teile dieser Konflikte eines alemannischen Bruderkrieges in den 910er-Jahren wurden bereits im Zuge anderer Abschnitte dieser Arbeit behandelt. Nach all den obigen Untersuchungen zu den königlichen Vertretern in Alemannien, lokalen Funktionären und klösterlichen Verwaltern wird nun Stammheim als zentraler Ort beziehungsweise ‹Schmelztiegel› klösterlicher und weltlicher Interessen genauer unter die Lupe genommen. Die Gegend um das heutige Oberstammheim im Zürcher Weinland692 – wo bis heute eine Galluskapelle steht693 – gilt für die frühe St.  Galler Geschichte vom 8. bis ins 14.  Jahrhundert als besonderer Zentralort694 sowie vor allem in früher Zeit auch als Konfliktort. Der Einfachheit halber und da

691 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 51–55). Traduntur dampnosi tres illi in Duellium ad cognitionem publicam reservandi, plurimis suorum iam, si forte ad ereptionem illorum in via occasio daretur, in arma collectis. Quod milites abbatiarum et episcopii cum cognatis christi Domini circumvallando providebant. […] Ubi tribus illis lege abiuratis et proscriptis praediisque eorum in fiscum redactis, maiestatis reis capita dampnata sunt. […] Rex vero castellum illud odiosum sancto Otmaro, causa mali tanti, tradidit diruendum (ebd., cap. 20 f.). 692 Stammheim, Bezirk Andelfingen (ZH). 693 Von einer Kapelle in Stammheim ist erstmals um 897 ausdrücklich die Rede (Chart. Sang. II, n. 756). Vgl. hierzu Oberholzer, Eigenkirchenwesen, S. 256–258. 694 Zur Zentralortthematik vgl. einleitend den obigen Abschnitt unter den Kastellen und Mauern.

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Gebiete von Unterstammheim ebenfalls betroffen sind, wird in der Folge allgemein von Stammheim gesprochen.695 Stammheim und die lokalen Eliten Stammheim taucht erstmals im Jahr 761 in der St. Galler Überlieferung auf und bereits damals als Actumort. Isanhard, ein lokaler Grosser, verkauft dem Kloster St. Gallen Besitz im Thurgau, darunter in loco, qui dicitur Stamhaim, und zwar gegen ein Pferd und ein Schwert (unum cavallum et una spada).696 Isanhard gehörte also zweifelsfrei zur alemannischen Kriegerelite, stand womöglich im Dienste des St.  Galler Abtes und könnte gar der Sohn des mächtigen fränkischen Grafen Warin gewesen sein.697 In einer Schenkung drei Jahre darauf erfahren wir gar den Namen eines frühen Bewohners von Stammheim: Während der Schenker Diotfrid in die Dienste des Klosters tritt, kommt der servus Gheruin zusammen mit seiner Hufe Land (Gheruino cum hoba sua) in den Besitz des Kloster St. Gallen,698 das seinen Besitz vor Ort in den folgenden Jahrzehnten weiter ausbaut, und zwar hauptsächlich durch Schenkungen lokaler Magnaten.699 Unter diesen Landbesitzern befindet sich 897 auch eine Frau namens Oterat, die ihren Besitz cum manu advocati […] Horscolfi ans Kloster überträgt.700 Dieser Horscolf gehörte zur führenden Elite der Mark Stammheim und könnte gar als klösterlicher advocatus fungiert haben. Denn um den wachsenden Besitz in und um Stammheim herum verwalten zu können, brauchte der Abt abgesehen von seinen geistlichen Pröpsten auch weltliche Funktionäre als Verwalter. «An keinem anderen Ort in der umfangreichen Besitzlandschaft des Klosters lässt sich eine solche Dichte an Besitz derart gut dokumentieren», betont Erhart und weist damit auf die Zentralortsfunktion Stammheims hin.701 Um 820 war Stammheim zudem Schauplatz einer Gerichtsversammlung (placitum in loco et in villa, quæ dicitur Stamheim) mit zahlreich erschienenen Grossen aus dem Thurgau und Breisgau.702 In seiner prominenten Rolle als Verhandlungs- und Versammlungsort fungierte Stammheim auch weiterhin als Actumort (actum in villa Stamheim publice)703 und dürfte den umliegenden St. Galler Gütern als Abgabestelle gedient haben (censum ad capellam Stamheim).704 Als lokale Eliten im Raum Stammheim lassen sich einige Familien über die Zeugenlisten ausmachen, die darin mehrfach genannt werden, im Konflikt des 10. Jahrhunderts aber nicht weiter zum Tragen kommen, was letztlich Chronisten wie Ekkehart IV. geschuldet sein dürfte. Im 8. und 9. Jahrhundert ist in Stammheim vor allem der Leitname Thingolt stark vertre 695 Die beiden Orte wurden zwischenzeitlich zu Stammheim fusioniert. Vgl. zu Ober- und Unterstammheim ergänzend Wanner, Siedlungen, S. 86 f. 696 Chart. Sang. I, n. 32. 697 Vgl. Oberholzer, Eigenkirchenwesen, S. 256, der sich dabei vermutlich auf die Nennung eines Isanbard, Sohn des Warin, im Jahr 806 stützt (Chart. Sang. I, n. 185). 698 Ebd., n. 43. 699 Ebd., nn. 283, 355–356, 363; ebd. II, nn. 756, 766, 768, 813. 700 Ebd., n. 756. 701 Erhart/Wagner, Hohentwiel 915, S. 37. 702 Chart. Sang. I, n. 285. 703 Ebd., nn. 32, 250, 355–356; ebd. II, nn. 562, 756, 766. 704 Ebd., n. 756; vgl. Kläui, Grundherrschaft, S. 38.

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ten,705 gefolgt von Winidhere,706 Duno,707 Neripreht708 und Reginfrid709 im 9.  Jahrhundert, Horscolf,710 Kiselhere, Vuoffo,711 Immo712 und Lantpold713 im 9. und beginnenden 10. Jahrhundert und einigen prominenten Zeugen wie Folcrat,714 Adalhelm,715 Paldolt,716 Waldram717 und Wolvine/Wolfinus718 um das Jahr 900.719 Zu den bedeutendsten lokalen Eliten kommt für das sankt-gallische Stammheim noch die Funktion des klösterlichen advocatus hinzu. Im 9.  Jahrhundert ist dies Suidger,720 der teilweise als führender Zeuge oder aber unter der Funktionsbezeichnung advocatus genannt wird, und am Übergang zum 10. Jahrhundert dürfte diese Funktion mit dem oben genannten Leitnamen Horscolf in Verbindung stehen.721 Ein erster Herr ‹von Stammheim› (de Stamehein) taucht erstmals um 1216 auf,722 was aber nicht zwingend mit einer Stammheimer Aristokratensippe im Zusammenhang stehen muss. Ansonsten erfahren wir über die Stammheimer Elite, geschweige denn zur Bevölkerung, nach der breiten frühmittelalterlichen Überlieferung in St. Gallen nicht viel mehr, bis die Höfe Ober- und Unterstammheim schliesslich um 1303 verkauft werden.723 Damit endete die St. Galler Herrschaft vor Ort.724 Der Stammheimerberg und ‹Burghalden› oberhalb von Unterstammheim könnte vor der Inbesitznahme durch die Kammerboten Erchanger und Bertold in der abenteuerlichen Geschichte Ekkeharts IV. unter der Verfügungsgewalt einer dieser Aristokratenfamilien gestanden haben, sofern die Umgebung nicht ohnehin als zum königlichen Fiskus gehörig betrachtet wurde. Stammheims Geschichte reicht deutlich weiter zurück, als wir über die Quellen im Stiftsarchiv St. Gallen erahnen können. Die Siedlung gedieh spätestens im Schutz des römischen Kastells in Stein 705 Vgl. Chart. Sang. I, nn. 32, 250, 355; ebd. II, n. 562. 706 Besonders um 820 könnte dieser Winidhere auch ein advocatus oder centenarius gewesen sein (ebd. I, nn. 250, 285), 897 taucht er als gewöhnlicher Zeuge in Stammheim auf (ebd. II, n. 756). 707 Duno/Tuno taucht beide Male unmittelbar vor dem Hauptleitnamen Thingolt auf (ebd. I, nn. 250, 355). 708 Neben Neripreht/Neribert (ebd., nn. 355, 562) sind die unzähligen weiteren -bret/-preht-Variationen für diese Umgebung auffällig (Isanpert/Richpert/Meginpert/Erchanbert [ebd., nn. 32, 250, 285; ebd. II, nn. 756, 766]). 709 Ebd. I, n. 355; ebd. II, n. 562. 710 Ebd. I, nn. 250, 355; ebd. II, nn. 756, 766, 768. 711 Ebd. I, nn. 285, 355; ebd. II, n. 766. 712 Ebd. I, nn. 250, 283; ebd. II, n. 766. 713 Ebd. I, n. 355; ebd. II, nn. 562, 768. 714 Ebd., nn. 756, 768. 715 Ebd., nn. 766, 768. 716 Ebd. 717 Ebd., nn. 756, 766, 768. 718 Ebd., nn. 766, 768, 813. 719 Zu den Bertholden (darunter die Pfalzgrafen Bertold und Erchanger) und ihren lokalen Besitzverhältnissen und Rechten vgl. Clavadetscher, Wolfinus, S. 158 f. 720 Chart. Sang. I, nn. 250, 283, 285, 355. 721 Vgl. oben sowie ebd. II, nn. 756, 766, 768. 722 UBZH I, n. 380; vgl. Farner, Stammheim, S. 46 f. 723 An den Höfen von Ober- und Unterstammheim amtierten noch bis ins Jahr 1303 äbtische Pröpste, die, nach dem Verkauf beider Höfe und aller dortigen Besitztümer an Albrecht von Klingenberg, mit den Einkünften aus dem Hof Gommenschwil entschädigt wurden (Chart. Sang. V, nn. 2600, 2603). 724 Zu Stammheim im Hochmittelalter vgl. Wanner, Siedlungen, S. 91.

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am Rhein (Tasgetium),725 dürfte aufgrund seiner geografisch geschickten Lage aber schon von früheren Siedlern zur Überwachung der nahen Verkehrsachsen gegründet worden sein.726 In der nahen Flur Äpelhusen (Gemeinde Unterstammheim) beispielsweise, die ebenfalls in einer St.  Galler Urkunde ersterwähnt wird,727 wurden archäologische Spuren gefunden, die nicht nur auf eine frühmittelalterliche Besiedlung hinweisen, sondern ein Spektrum von der prähistorischen Zeit bis ins 20. Jahrhundert abdecken.728 In der mittelalterlichen Anlage konnten verschiedene Siedlungsstrukturen sowie ein umfassender Graben nachgewiesen werden.729 Wie für Arbon, Bregenz oder Kaiseraugst und das jeweilige Umland nachgewiesen, darf also auch im weiteren Umfeld von Stein am Rhein/Eschenz und dem südlich davon gelegenen Ober‑/Unterstammheim von einer starken Kontinuität lokaler Gruppen mit einer Kriegerelite,730 beispielsweise den Thingolten, ausgegangen werden, die ihren Besitz im Zuge der zunehmenden Einflussnahme der frühen karolingischen Grafen lieber einem lokalen Kloster wie Reichenau oder St. Gallen vermachte, als es einem königlichen Beamten zu überlassen. Durch Übertragungen und Schenkungen an Klöster – mit der Option einer Rückverleihung – dürften zahlreiche Güter erfolgreich dem fränkischen Zugriff entzogen worden sein, was den lokalen Institutionen einerseits zum weiteren Aufstieg verhalf, die späteren Ostfrankenkönige aber dazu veranlasste, direkt über die Beeinflussung der Konstanzer Bischöfe sowie der mächtigsten Äbte im Bodenseeraum zu agieren. Dies führte letztlich dazu, dass zu Beginn des 10. Jahrhunderts gleich mehrere Vertreter der königlichen Politik um die Vorherrschaft im regnum Alemannien stritten. Wer letztlich davon profitierte, war weder der Konstanzer Bischof noch der Pfalzgraf von Bodman, sondern ein Vertreter der alten Sippen aus der alemannischen Kriegerelite, Burchard I. Stammheim als königlicher Sühneort? Bis ins letzte Viertel des 9. Jahrhunderts war es vor allem die oben genannte lokale Elite, die der Abtei St. Gallen zu Besitz in jener Gegend verhalf und vor Ort wohl auch das Sagen hatte.731 Das ferne Königtum sollte seinen Einfluss erst später durch Schenkungen vergrössern, worauf beispielsweise Notker in seiner Res gesta hinweist:

725 726 727 728 729 730

Vgl. das obige Kapitel zu den Befestigungen und Kastellen sowie Farner, Stammheim, S. 8 f. May, Besitzgeschichte, S. 37. Chart. Sang. II, n. 562. Vgl. Farner, Stammheim, S. 1–7; Windler, Spätantike, S. 124. Leckebusch/Nagy/Matter, Wüstung, S. 150–152, 171. Im heutigen Dorfzentrum von Oberstammheim wurden unter anderem eine Spatha und ein Sax entdeckt, typische Waffen eines alemannischen Kriegers (Farner, Stammheim, S. 19). 731 Vgl. Clavadetscher, Wolfinus, S. 158 f.

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398 Als sein Getreuer, unser Abt Hartmut,732 der jetzt in verschlossener Zelle lebt, ihm [König Ludwig dem Deutschen]733 berichtete, dass der Besitz des heiligen Gallus, der nicht aus königlichen Geschenken, sondern aus Stiftungen von Privatleuten [privati] sich zusammensetzte, weder das Vorrecht anderer Klöster noch das gemeinsame Recht aller Völker habe und darum keinen als seinen Beschützer [defensor] oder Vogt [advocatus] habe finden können, da trat er selbst allen unsern Widersachern entgegen und schämte sich nicht, sich vor allen seinen Grossen [principes] für den Vogt [advocatus] unserer Niedrigkeit zu erklären. Damals richtete er auch einen Brief [epistola]734 an Euch, des Inhalts, dass wir durch Eure Vollmacht gedeckt, ungehindert, sooft wir es nötig hätten, durch einen erzwungenen Eid einen Erwerb tätigen sollten.735

Der König soll nach Notker also persönlich als advocatus der Gallusabtei aufgetreten sein, was die königliche Vergabe von reichen Gütern dank der propagandistischen Leistung des klostereigenen Autors wohl auch künftig steigern sollte. Doch wie kam es überhaupt dazu und welchen Stellenwert nahm Stammheim diesbezüglich ein? Eine erste königliche Schenkung in Stammheim ist für 879 nachgewiesen, als Karl III. einen königlichen Hof (curta) in Stammheim dem Kloster St. Gallen vermachte, mit dessen Erträgen eine kleine Betgemeinschaft von acht Männern im Namen des heiligen Otmar finanziert werden sollte,736 und zwar für das Seelenheil des Königs.737 Dieser soll durch die Beeinflussung der St. Galler Mönche zur Sühne gegenüber dem Heiligen und Klostergründer Otmar bewegt worden sein, dessen Tod seine Vorgänger mitzuverantworten hätten. Diese reiche Schenkung wurde dem Kloster bereits vier Jahre später um 883 erneut bestätigt, wofür sich der damalige Abt Hartmut gar eigens ins ferne Pavia zum König aufmachte.738 Doch war es wirklich Karls schlechtes Gewissen, das ihn dazu verleitete? Vor seinem Herrschaftsantritt hatte Karl noch als rector in Alemannien gewirkt und musste sich wohl durch ebensolche Schenkungen Einfluss und Rückhalt verschaffen. Laut MacLean funktionierte dies am besten durch Wohlwollen gegenüber den zwei mächtigen Landbesitzern und militärischen Rekrutierungszentren in 732 Hartmut, 872–883 Abt von St. Gallen (vgl. Duft/Gössi/Vogler, St. Gallen, S. 107–109). 733 Ludwig II., 843–876 ostfränkischer König. 734 Notker verweist hier auf eine Herrscherurkunde Ludwigs des Deutschen vom 1. Februar 873, worin dem Kloster die Immunität bestätigt wird (Chart. Sang. II, n. 597). Dabei handelte es sich also eher um eine charta als um eine epistola. 735 Übersetzung von Rau (Notker, Gesta Karoli II, S. 397). […] cum fidelis eius abba noster Hartmutus, nunc autem vester inclusus, ei retulerit, quod reiculae Sancti Galli, non ex regalibus donariis sed ex privatorum tradiciunculis collectae, nullum privilegium aliorum monasteriorum vel communes populorum cunctorum leges haberent et ideo neminem sui defensorem vel advocatum repperire potuissent, ipse se cunctis adversariis nostris opponens advocatum se vilitatis nostrae coram cunctis principibus suis profiteri non erubuerit. Quo etiam tempore epistolam ad vestram indolem direxit, ut per vestram auctoritatem iuramento coacticio, quaecumque opus habuerimus, licenter quaerere deberemus (ebd., cap. 10). 736 Farner (Stammheim, S. 28) hält es für wahrscheinlich, dass die heutige Galluskapelle in Oberstammheim am selben Ort steht wie die damalige frühe Gründung, was sich allerdings schlecht nachweisen lässt (vgl. hierzu Schneider, Stammheimerberg, S. 18 f.). 737 Chart. Sang. II, n. 640; Schmid, Brüderschaften, S. 181; ders., Klerus, S. 55. 738 Chart. Sang. II, n. 665; Erhart/Wagner, Hohentwiel 915, S. 37.

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Alemannien, nämlich St. Gallen und Reichenau. Die Schenkung von Stammheim sei dabei nicht nur als starkes Symbol der Sühne gegenüber dem Klostergründer Otmar zu verstehen, sondern sei die perfekte Möglichkeit gewesen, sich selbst mit seinen ehrwürdigen Vorfahren zu verbinden.739 Jene Vorfahren hatten es zugelassen, dass Otmar unter falscher Anklage inhaftiert und schliesslich auf der Insel Werd verstorben war. Karl selbst könnte diese Inszenierung einer Sühneaktion also auch zu propagandistischen Zwecken eingesetzt haben, um sich leichter in die Reihe seiner Vorfahren stellen zu können. Davon profitierte nicht nur der König, sondern vor allem das Kloster St.  Gallen durch die Vermehrung seines Grundbesitzes. Dass diese Wohltat die Treue St.  Gallens gegenüber dem König dennoch nicht wirklich absicherte, zeigt die Absetzung Karls III. nur ein Jahrzehnt nach der Stammheimer Schenkung, nachdem der neue Abt von St. Gallen, Salomo III., sich von Karls Gegenspieler Arnulf ‹kaufen› liess, wie oben am Fall des fidelis Anno und dem Sturz Karls III. gezeigt wurde. Zankapfel Stammheim Die eingangs erwähnte Schleifung einer Burg betrifft die ehemalige Festung auf dem Stammheimerberg, deren Spuren seit den 1970er-Jahren auch archäologisch nachweisbar sind. Laut den annales Alamannici war um 912 der neue König Konrad I. zu Besuch im Kloster St. Gallen.740 Dieses stand fest unter der Verfügungsgewalt des Abtbischofs Salomo III. von St. Gallen und Konstanz, der schon als Kanzler mehrerer Könige agiert hatte. Als Konstanzer Bischof nahm er die königliche Vertretung in Alemannien wahr, und dies spätestens seit dem Zerwürfnis zwischen dem König und seinem eigentlichen Vertreter, Pfalzgraf Erchanger (in Bodman), auch offiziell (discordia cepta est inter regem et Erchangerum).741 Jener war vermutlich aufgrund der Verweigerung der Heeresfolge in Ungnade gefallen, wie Zettler aufgrund einer Eintragung in den annales Alamannici vermutet.742 Zusammen mit seinem Bruder Bertold versuchte er offenbar, die eigene Machtbasis in Alemannien auszubauen. Damit kam er freilich nicht nur Bischof Salomo in die Quere, sondern auch der damals mächtigsten Grafenfamilie, den Burchardingern, die über die meisten Grafschaften rund um den Bodensee verfügten und zudem als Markgrafen von Rätien auftraten. Diese Familie sollte mit Burchard I. schliesslich auch den ersten neuen Herzog stellen. Zwischen diesen Parteien entbrannte ein heftiger Kampf, der sich besonders Mitte der 910er-Jahren zu einem alemannischen Bruderkrieg entwickelte.743 Ekkehart IV. stellt diesen Zwist unter anderem als persönliche Angelegenheit zwischen den Hauptakteuren im Kampf um die Vorherrschaft in Alemannien dar, wenn er beispielsweise von Demütigungen gegenüber den Kammerboten Erchanger und Ber-

739 740 741 742 743

MacLean, Kingship, S. 87 f. StiASG, Zürcher Abt. X, n. 1; Lendi, Annales Alamannici, an. 912, S. 188. Ebd., an. 913, S. 190. Ebd.; Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 84. Vgl. Erhart/Wagner, Hohentwiel 915, S. 38–39; Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 83–85.

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told an Salomos Tafel in Anwesenheit des Königs744 berichtet. Mehr noch als durch die öffentlichen Demütigungen scheinen die Kammerboten und Verwalter der königlichen Fiskalgüter aber von einer Schenkung König Konrads an das Kloster St. Gallen in Stammheim745 gekränkt gewesen zu sein:

Ferner aber standen nahe bei dem Dorf Stammheim [villa Stamhem], das dem heiligen Otmar von Karl geschenkt worden war, noch einige Güter unter königlicher Gewalt. Alles nun, was dort zum königlichen Fiskus [fiscus regius] gehörte, übertrug er insgesamt auf dem Otmars-Altar in die Hand des Vogtes [advocatus] und bekräftigte die Vergabung mit seinem Siegel. […] Und abermals grämten sich jene beiden Brüder über einen Verlust, der den königlichen Fiskus betraf. Denn über Stammheim hatten sie schon lange eine Burg [castellum] errichtet, die sie kraft ihrer Eigenerwerbung vor dem König für sich beanspruchten. Ihnen entgegnete der König: ‹Die Burg werdet ihr nicht halten können, ohne den Einwohnern [oppidani] dort Schaden zu tun; fügt ihr ihnen aber Unrecht zu, dann werdet ihr meine Gnade verwirkt haben.› […] Alemannischem Gesetz gemäss [lex Almannica] betrat der Bischof zusammen mit dem Vogt jene Örtlichkeiten, um während drei Tagen, wie es Rechtsbrauch war, die Leute des Königsgutes [homines fisci] durch Eide dem heiligen Otmar zu übereignen. Nun drohten aber die Wächter der Burg [custodes castelli] diesen Leuten, es werde ihnen übel ergehen, wenn sie nicht ihnen dienten; und die Drohungen setzten sie in die Tat um.746

Als Abtbischof Salomo persönlich eingreift, wird er unter Gewaltanwendung gefangengenommen, auf der rätselhaften Thiepoldsburg747 festgesetzt und kann erst durch beträchtliche militärische Aufgebote des Bistums Konstanz und der Abtei St.  Gallen befreit werden.748 Nicht nur königlichen Besitz hätten sie vereinnahmt, sondern gar den königlichen Kanzler hätten sie laut Ekkehart zur Geisel genommen. Damit «hatte Erchanger sein Blatt endgültig überreizt», wie Zettler betont, und der König sah keine andere Möglichkeit mehr, als diesen zu verbannen. Erchangers Rückkehr aus dem Exil und neuerliche Versuche der Erlangung einer Führungsrolle in Alemannien führten zu Beginn des Jahres 917 zum Todesurteil.749 Die Hinrich-

744 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 13, 15. Zu den öffentlichen Demütigungen, die in diesem Zusammenhang sowie während eines weiteren Festmahls erfolgten, weiterführend Le Jan, Détruire les richesses, S. 375–378. 745 Konrad hatte als erster nichtkarolingischer König noch mehr als seine Vorgänger um die Gunst und Anerkennung der wichtigsten Magnaten des Reiches zu kämpfen, weshalb er durch die Schenkung womöglich seinem königlichen Vorgänger Karl III. nacheifern wollte. 746 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 45–47). Sed et circa Stamhem villam sancto Otmaro a Karolo datam quȩdam loca regii iuris adhuc erant. Ille vero, quicquid inibi regii fisci erat, totum in manum advocati super aram eius tradiderat et sigillo suo roboraverat. […] Carpuntur iterum cordibus fratres illi sepe dicti pro damno regii fisci. Nam castellum quoddam super Stamhem iam dudum struxerant, quod conquisitionis suȩ proprietate coram rege sibi vendicabant. Quibus rex: ‹Castellum›, inquit, ‹sine oppidanorum dampno habere nequibitis; quibus si iniuriosi quidem fueritis, mei gratia carebitis.› […] Invadit loca lege Almannica cum advocato episcopus, tribus diebus, uti ius erat, homines fisci iuramentis sancto Otmaro vendicantes. Quibus custodes castelli, nisi sibi pareant, male habituros minantus minasque factis exequuntur (ebd., cap. 16–17). 747 Vgl. obigen Abschnitt zu Bischofssitzen und Pfalzen. 748 Vgl. ebd., cap. 17–19. 749 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 84, 90.

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tung Erchangers und Bertolds durch Konrad I. sieht Althoff als äusserst drastische und unübliche Art, mit politischen Gegnern umzugehen. Nach einem öffentlichen Reueakt und Unterwerfung seien politische Feinde im Normalfall wieder in die Huld des Herrschers aufgenommen, umstrittene Burgen notfalls geschliffen worden und selbst gerichtliche Zweikämpfe zur Lösung eines Konfliktes seien eher selten gewesen.750 An dieser Stelle dürfte aber Abtbischof Salomo III. ins Spiel gekommen sein, der laut Zettler einen wesentlichen Anteil am Tod seiner Konkurrenten hatte,751 wenn auch Ekkehart IV. auffällig oft das Gegenteil über den Abt seines eigenen Klosters bekräftigt: Während der König darauf drängte, die beiden hinzurichten, habe Salomo alles unternommen, das Urteil hinauszuzögern und abzuschwächen und nach der Urteilsvollstreckung soll er sich gar voller Trauer um deren Bestattung gekümmert haben.752 Ob die Burg in Stammheim als Auslöser für den alemannischen Bruderkrieg gesehen werden kann, darf zu Recht bezweifelt werden, doch könnte sie als strategischer Eckpfeiler im Kampf um die alemannische Vorherrschaft betrachtet werden,753 weshalb sie Oberholzer gar als «Hort alemannischen Widerstandes» bezeichnet.754 Zotz nimmt die Stammheimer Burg zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen Burg und Amt und betont, dass die Rechtsverhältnisse eher der Entstehungszeit der Chronik entsprächen als der karolingischen Erzählzeit. Die Kammerboten hätten diese Festung als Eigenbesitz betrachtet, obwohl sie selbst bloss als Beamte agierten und diese Burg auf Reichsgut stand.755 Die rechtliche beziehungsweise besitztechnische Situation lässt sich kaum klären, doch zumindest gibt es dank mehrerer Ausgrabungskampagnen in den 1970er-Jahren Hinweise auf die damaligen Ausmasse einer möglichen Befestigung auf dem Stammheimerberg. Die ‹Burg› sei womöglich auf den Überresten eines ehemaligen Refugiums aus der Bronzezeit errichtet worden, wofür einerseits Spuren von frühmittelalterlichem Erdwerk aus dem 10. Jahrhundert und andererseits eine hochmittelalterliche Siedlungs- und Befestigungsphase sprechen. Eine steinerne Burg existierte auf dem Stammheimerberg zu keiner Zeit und für das 10. Jahrhundert lassen sich einzig Ansätze zu einer kleinen Wehranlage – als Ausweichplatz oder administrativem Stützpunkt  – nachweisen. Vieles davon kam über die Planungsphase aber offenbar nie hinaus. Spätestens Mitte des 13. Jahrhunderts wurde die ‹Befestigung› auf dem Stammheimerberg aufgegeben.756 Die oben angeführte Bezeichnung der Bewohner Stammheims als oppidani durch Ekkehart IV. wurde von Farner zu Beginn des letzten Jahrhunderts als Anzeichen einer schon länger existierenden Fluchtburg gesehen,757 was nach den Grabungsbefunden definitiv verneint werden kann. Die Bezeichnung könnte von einer ähnlichen Vorstellung Ek 750 751 752 753 754 755 756 757

Althoff, Konfliktbewältigung, S. 272 f., 276, 278, 283. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 90. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 20. Schneider, Stammheimerberg, S. 19, 21. Oberholzer, Eigenkirchenwesen, S. 258. Zotz, Burg und Amt, S. 142 f. Schneider, Stammheimerberg, S. 51 f., 54. Farner, Stammheim, S. 33.

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keharts herrühren oder aber den zeitgenössischen Umständen des 11. Jahrhunderts entsprochen haben. In letzterem Fall könnte Stammheim Mitte des 11. Jahrhunderts bereits wieder über eine kleinere Befestigung verfügt haben, was sich aber eher mit der nachekkehartschen Zeit des ‹Investiturstreits› erklären liesse. Stammheim hatte für das Kloster St. Gallen einen hohen wirtschaftlichen, herrschaftlichen und symbolischen Wert. Ein Angriff auf diesen Ort königlicher Sühne für den Klostergründer Otmar und die Gefangennahme des königlichen Kanzlers stellten einen Angriff auf den König und den Heiligen selbst dar. Dies erklärt auch die Härte der beidseitigen Streitführung und der drastischen Ahndung des Übergriffs. Zum Zankapfel Stammheim und dem ‹reuigen› König ergänzt Ekkehart in seiner Schilderung deshalb: Der König aber überliess jene verhasste Burg – Ursache so grossen Übels – dem heiligen Otmar zur Zerstörung. Und in jedem Jahr, solange er [Konrad I.] lebte, schickte er, wie ein Sohn jener Mörder, für den gleichsam eigenhändigen Frevel gegen Otmar einen persönlichen Kopfzins in Wachs an sein Grab.758

Im Fall von Stammheim standen nun vor allem die grossen politischen Akteure und Ereigisse im Mittelpunkt. Doch darf dabei keineswegs vergessen werden, dass dort ebenso wie in den anderen Gegenden des Bodenseeraums in erster Linie Menschen siedelten und arbeiteten, welche all die Gütertransaktionen und Kriege durch ihre tägliche Arbeit ressourcentechnisch überhaupt erst ermöglichten. Ohne wirklich nachvollziehbare Gründe werden sie von Ekkehart beispielsweise als oppidani bezeichnet, was mit den Verhältnisse vor Ort wohl nicht viel gemein hatte. Dank der St. Galler Urkunden kreuzen zumindest einige wenige dieser Menschen das Auge des Historikers. Darunter fallen beispielsweise die drei eingangs genannten Männer und Frauen: Der Aristokrat Isanhard, die Landbesitzerin Oterat und der Hörige Gheruin könnten unterschiedlicher nicht sein, sie haben aber alle auf ihre Weise das Bild und die Geschichte des kleinen Zentralortes Stammheim unbewusst mitgeprägt. Um näher auf die vor allem landwirtschaftlichen Elemente der Stammheimer Bevölkerung einzugehen, wären interdisziplinäre Herangehensweisen mit archäologischer Unterstützung notwendig, was in diesem Rahmen und mit Blick auf die Frage nach einer schwäbisch-alemannischen Kriegergesellschaft aber nicht geleistet werden kann.

758 Übersetzung von Haefele (Ekkehart IV., Cas. s. Gall., S. 53–55). Rex vero castellum illud odiosum sancto Otmaro, causa mali tanti, tradidit diruendum. Omnique anno ille, dum vixit, censum capitis sui in cera ad sepulchrum eius, uti filius carnificum illlorum, pro reatu in eum quasi proprio misit (ebd., cap. 21).

403

3.3

Der schwäbische Dukat zwischen Fremd- und Selbstbestimmung

«Für die Chronisten selbst war ihr Herzog offenbar nicht der Nabel der Welt», schreibt Hans-Werner Goetz zur zeitgenössischen alemannischen Chronistik der Ottonen- und Salierzeit, womit er vor allem auf die ersten Herzöge nach der Neuerrichtung des Dukats anspielt. Wenn auch die Existenz von Herzögen Mitte des 10. Jahrhunderts als ‹normal› erscheint, so wurden sie von der zeitgenössischen Geschichtsschreibung – mit Ausnahme von Hermann von Reichenau – doch sehr zurückhaltend bedacht. In den Annalen und Urkunden werden die Herzöge sowohl mit einem ethnischen (dux Alamannorum) als auch mit einem territorialen Attribut (dux Alamanniae) benannt.759 Duces treten häufig im Zusammenhang mit speziellen Funktionen als Heerführer in Chroniken oder legitimierend in Urkunden auf, die Nennungen sind allerdings in keinem Fall vergleichbar mit den zeitgleichen comites, welche – bezogen auf das häufigere und zentralere Vorkommen – auf das lokale Geschehen einen grösseren Einfluss ausgeübt haben dürften. Dennoch ist insbesondere die kurze Phase des schwäbischen Herzogtums im 10. und 11. Jahrhundert von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Entwicklung neuer Machtstrukturen (Verherrschaftlichung der Grafschaft, zyklisch abwechselnde Tendenzen zur Zentralisierung und Dezentralisierung), weshalb dem Dukat im Folgenden etwas Platz eingeräumt wird. Dieses Kapitel fällt kürzer aus, da die Strukturen auf dieser Ebene in meinen Gesamtbetrachtungen eine kleinere Rolle spielen sollen als beispielsweise die Überlegungen zu Hörigen, Funktionären, Beamten und zu gesellschaftlichen Aufsteigern im Allgemeinen. Ein weiterer Grund für die Kurzfassung ist der enge Zusammenhang zwischen Ereignissen auf Dukatsebene und den weiteren Ereignissen im Herzogtum Schwaben: Vieles, was mit dem jeweiligen Herzog zusammenhängt, ist bereits an anderer Stelle erläutert worden, beispielsweise unter den Kommandogewalten und den herzoglichen Residenzen. Herzöge gehörten nicht selten zum königlichen Gefolge, was zumindest ihr Amt zur Untersuchung der königsnahen Aristokratie wertvoller macht als zur Betrachtung der lokalen Elite. Da sie häufig als Teil der königlichen Ämterhierarchie genannt werden, haben die meisten schwäbischen Herzöge einen besonderen Status und vermitteln den Eindruck reichsweiter Politik. Inwieweit das ‹Herzogsamt› zumindest aus der Sicht einiger Zeitgenossen wie selbstverständlich zur Reihe der königlichen Ämter dazugehörte, und dies selbst aus der Sicht eines Mönchs, der in einem regnum ohne Herzog lebte und schrieb, zeigt eine Sequenz aus der Gesta Karoli des Notker Balbulus, wonach neben den geistlichen auch die weltlichen Herren wie Grafen und Herzöge – oder zumindest ihre Stellvertreter – ihr servitium regis zu leisten hatten: Zu jenen Zeiten bestand der Brauch: wo nach des Kaisers Gebot eine Arbeit zu verrichten war, z. B. Brücken, Schiffe, Fähren oder schmutzige Wege zu kehren, zu pflastern oder Löcher zu füllen, das führten die Grafen aus durch ihre Stellvertreter und Amtleute, wenigstens bei weniger bedeutenden Sachen; von wichtigeren Sachen

759 Goetz, Geschichtsschreiber, S. 129–131, 142.

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404 aber, vor allem von Neubauten, gab es für keinen Herzog oder Grafen, für keinen Bischof oder Abt irgendwelche Entschuldigung. […] Und wenn Neubauten zu errichten waren, dann mussten alle Bischöfe, Herzöge und Grafen, auch Äbte und wer sonst noch eine königliche Kirche leitete, samt allen, die ein Lehen vom König hatten, dies in emsiger Arbeit vom Grund bis Giebel ausführen.760

Die nur schwer fassbare Position und Funktion alemannischer duces und duces-ähnlicher Stellungen sollen nun primär anhand von Einzelfällen bedeutender Persönlichkeiten zwischen der Zeit des Wirkens von Gallus und der territorialherrschaftlichen Zeit des Zähringers Berthold II. dargelegt werden.

3.3.1

Herzöge und herzogsähnliche Magnaten bis zum 10. Jahrhundert

Stark unterschieden werden muss ferner zwischen dem ‹Herzogtum› und dem ‹Herzogsein›. Während Ersteres sowohl die territoriale wie amtliche Ebene betreffen konnte, kann unter dem ‹Herzogssein› eine faktische und eine offizielle Herrschaft verstanden werden. So gab es zwar seit dem ‹Blutgericht von Cannstatt› aus fränkischer Sicht kein offizielles Herzogtum mehr, doch übten weiterhin Magnaten herzogsgleiche oder -ähnliche Macht über denselben geografischen Bereich aus, der freilich nicht als Herzogtum, sondern beispielsweise als regnum bezeichnet wurde. Über die zwischenzeitliche Verwaltungstätigkeit wissen wir nur wenig, doch begegnen wir immer wieder unterschiedlich mächtigen königlich-fränkischen wie auch lokal etablierten Aristokraten, die sowohl als Beauftragte des Königs in Alemannien/ Schwaben agierten als auch faktische Macht über die anderen lokalen Aristokraten ausübten. So gab es lange Zeit einerseits das alte schwäbische Herzogtum und andererseits unterschiedliche ‹Übergangslösungen›, die Vertreter der königlichen Familie als rectores vorsahen und den lokalen Magnaten immer weiter ermöglichten, ihre Macht zu kumulieren, bis schliesslich einer aus der Reihe der mächtigen comites die Macht als neuer Herzog ergriff. Daneben spielen die Markgrafen eine erstaunlich nebensächliche Rolle, obwohl sie mit herzogsähnlichen Befugnissen ausgestattet gewesen sein dürften. Alemannien als ‹Bodensee-Herzogtum›? Den Anfang macht an dieser Stelle praktischerweise der für diese Arbeit zentrale Bodenseeraum, da wir quellentechnisch hauptsächlich auf die frühen Viten des heiligen Gallus angewiesen sind, um einen Eindruck vom spätvölkerwanderungszeitlichen Alemannien zu erhalten. Seit den grossen Auseinandersetzungen mit den 760 Übersetzung von Rau (Notker, Gesta Karoli I, S. 367). Fuit consuetudo in illis temporibus, ut, ubicumque aliquod opus ex imperiali praecepto faciendum esset, siquidem pontes vel naves aut traiecti sive purgatio seu stramentum vel impletio coenosorum itinerum, ea comites per vicarios et officiales suos exequerentur in minoribus dumtaxat laboribus, a maioribus autem, et maxime noviter extruendis, nullus ducum vel comitum, nullus episcoporum vel abbatum excusaretur aliquo modo. […] Quodsi novae fuissent instituendae, omnes episcopi duces et comites, abbates etiam vel quicumque regalibus aecclesiis praesidentes cum universis, qui publica consecuti sunt beneficia, a fundamentis usque ad culmen instantissimo labore perduxerunt (ebd., cap. 30).

405

Franken um 500 sind für die alemannischen Gruppen als Anführer nicht mehr ‹Könige›, sondern ‹Herzöge› bezeugt, sofern sich solche Begriffe überhaupt für jene unzureichend dokumentierte Zeit eignen und nicht einfach duces im wörtlichen Sinn gemeint sind. In der darauffolgenden Zeit tauchen solche alemannischen Anführer/ Herzöge vom späten 6. bis zum 8. Jahrhundert immer wieder – freilich mit zum Teil grossen zeitlichen Lücken – in den Annalen und Chroniken auf. «Es ist ausserdem die Frage, auf was sich ihr Herzogtum bezog und wie es im Hinblick auf das Volk und die Provinz der Alemannen, die ja in das Frankenreich eingegliedert war, zu charakterisieren und zu beurteilen wäre.»761 Ob diese alemannischen Herzöge lokale Anführer oder fränkische Beamte waren, lässt sich ebenso wenig klären762 wie die Frage, über welchen Teil der Alemannen beziehungsweise über welchen Raum diese geboten. Einzig dank Hinweisen wie dem Auftauchen eines Herzogs Gunzo in der Gallusvita, der offenbar hauptsächlich über den Bodenseebereich mit Konstanz, Arbon und Bregenz gebot, lässt sich deren Wirken einigermassen nachvollziehen.763 Herzog Gunzo soll seine Residenz in Überlingen (Iburninga villa) gehabt haben und konnte über eine grössere Schar an Gefolgsleuten (satellites)764 sowie den Arboner Tribun/Präfekt gebieten, wie die Gallusvita verrät: «Der Herzog […] befahl dem Präfekten von Arbon mit all seinen Dienstleuten zum Ort der Zelle zu gehen und dort nach der Anordnung des Mannes Gottes [Gallus] alle notwendigen Gebäude zu errichten.»765 Zur Verfügungsgewalt dieses frühen Herzogs fügt Schär unter Zitierung Hagen Kellers hinzu, dass dieser wohl insbesondere über den Bodenseeraum und «Inneralemannien» verfügt habe, eine nur dank der alten Kastellorte verwaltbaren Zentralregion, die zwar von aussen beeinflusst, aber noch nicht vollständig fränkisch durchdrungen gewesen sei. Dennoch sieht er Gunzo als fränkisch-merowingischen Amtsträger,766 und der Fund von Gräbern einer fränkisch-merowingischen Führungsschicht unter anderem aus dem 6. Jahrhundert in Zürich-Aussersihl, Bülach, Elgg und der Winterthurer Altstadt weist ebenfalls in diese Richtung.767 «Der Schwerpunkt des Amtsdukats Alamannien lag im 6. und 7.  Jahrhundert südlich des Hochrheins und im Bodenseegebiet», erweitert Kaiser. «Hier waren noch spätrömische Institutionen und romanische Kontinuitätsinseln vorhanden.»768 Ein herrschaftliches Ausmass wie das der Herzöge des 10. und 11. Jahrhunderts war dies

761 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 41. Vgl. hierzu auch Wenskus, Stammesbildung, S. 494–512. 762 Le Jan (Vie politique, S. 105) vermutet fränkische fideles, die als duces in alle Reichsteile gesandt worden seien, wobei ihre Ausführungen im Allgemeinen eher für den westlichen Teil des Reichs gelten dürften. 763 May, Besitzgeschichte, S. 34; Wolfram, Grenzen und Räume, S. 94; Geuenich, Fränkische Herrschaft, S. 205 f.; Mayer, Grundlagen, S. 20 f.; Behr, Herzogtum, S. 156–158. 764 Walahfrid, Vita s. Galli I, cap. 15. 765 Übersetzung von Schnoor (ebd., S. 69). Dux […] iussit Arbonensi praefecto, ut cum omni plebis officio iret ad locum cellae, et quaecumque necessitas poposcisset, aedificia iuxta viri Dei dispositionem construeret (ebd., cap. 17). 766 Schär, Gallus, S. 222–225. 767 Windler, Spätantike, S. 114 f.; dies., Alamannen, S. 264 f. 768 Kaiser, Frühmittelalter, S. 130. Vgl. zudem die Karte ebd., S. 131.

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bei weitem nicht, aber letztlich waren auch viele der östlichen/südöstlichen Teile des späteren Reichs noch nicht fränkisch durchdrungen.769 Spätestens seit dem beginnenden 8.  Jahrhundert führten die Anführer der Schwaben – die von den Franken Alemannen genannt wurden –770 den spätmerowingischen dux-Titel.771 Zum alten alemannischen Dukat im 8. Jahrhundert gibt es dank der lex Alamannorum weitere Hinweise auf die teils sakrosankte Stellung des Herzogs. So sind die Strafen für Übeltäter beispielsweise besonders hoch, wenn Güter und mancipia des Herzogs betroffen sind, und am Hof des Herzogs, der wohl auch für die oberste Rechtsprechung genutzt wurde, sollte stets Frieden gehalten werden und jegliche Anstiftung zum Aufruhr wurde hart bestraft.772 Gleichzeitig mit dem schwächer werdenden merowingischen Königtum schien der alemannische Dukat mehr und mehr als erblich aufgefasst worden zu sein, woraufhin die mächtigen karolingischen Hausmeier in mehreren Feldzügen eingriffen, um einen möglichen fränkischen Machtverlust zu verhindern. Auf diese Zeit kann wegen des eigentlichen Schwerpunkts dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden.773 Mit dem sogenannten Blutgericht von Cannstatt des Jahres 746  – als zahlreiche ‹aufständische› alemannische Magnaten mit dem Schwert hingerichtet wurden – endete jedenfalls die erste Periode eines schwäbisch-alemannischen Herzogtums, zugunsten der fränkischen «Durchdringung des Reiches».774 Ob dies tatsächlich so stattgefunden hat oder nur als schwäbisches Pendant zum ‹Strafgericht bei Verden› (Sachsen) niedergeschrieben wurde, ist fraglich. Allerdings gehörte die Dezimierung eines Gegners oder Untertanen nach dessen Unterwerfung nicht selten zur üblichen Vorgehensweise und 743 soll dasselbe bereits in Bayern geschehen sein, wobei Depreux gar von einer «Ausrottungspolitik» spricht.775 Störmer führt hierzu an, dass die Dezimierung wohl dazu führte, dass nun – neben der absichtlichen Einsetzung fränkischer Aristokraten in wichtige Posten – die Magnaten Bayerns und Schwabens selbst auf fränkische Waffenträger zurückgegriffen haben könnten, um ihre Aufgebote wieder aufzustocken, nachdem die einheimischen Verbände dermassen dezimiert worden waren.776 Damit hätten die Franken gleich mehrere Ziele zur endgültigen Durchdringung der Gebiete im Osten erreicht und konnten nun auf mehreren Ebenen in der Verwaltung des alemannischen Teilbereiches auf fränkische Unterstützung hoffen. Als wichtige Stütze dienten zudem die alemannischen Klöster, die nach den Ereignissen bei Cannstatt zur Einführung der Benediktsregel gezwungen wurden (in

769 Zur möglichen Amtsgewalt und zu weiterführenden Vermutungen rund um diese frühe Episode vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 42–44. 770 Vgl. Schmidt-Wiegand, Stammesbezeichnungen, S. 64–66. 771 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 48; vgl. Goetz, Dux und ducatus, S. 16–19. 772 Schott, Lex Alamannorum, S. 104. 773 Vgl. stattdessen Geuenich, Fränkische Herrschaft, insbesondere S. 207 f. 774 Ders., Politische Kräfte, S.  32–34; ders., Geschichte der Alemannen, S.  116. Vgl. hierzu Dienemann-Dietrich, Fränkischer Adel, S. 152 f. 775 Depreux, Intégration, S. 250. 776 Störmer, Früher Adel, S. 170–172.

407

St.  Gallen seit 747)777 und damit dem Wesen nach den fränkischen Abteien angepasst wurden.778 Dass diese Durchdringung wohl weniger gut funktioniert hat, als bislang vermutet, dürfte sich unter anderem am Fall Burchards I. zeigen und lässt sich an den bisherigen Ergebnissen meiner Untersuchungen ebenso ablesen. Zwar spielte der König in Schwaben durchaus eine Rolle und im 8.  Jahrhundert hielten mehrere fränkische Grafen vor Ort die Stellung, doch das lokale Selbstbewusstsein schien ungebrochen. Man tradierte seinen Besitz lieber einem altbekannten Kloster wie St. Gallen, als vollumfänglich unter die Kontrolle eines fränkischen Grafen oder königlichen missus zu geraten.779 Die während der fränkischen Durchdringung eingeführte ‹Grafschaftsverfassung› lässt sich zwar anhand der Vielzahl an relativ einheitlichen ‹Grafschaften› und den einheitlichen Grafenformeln in den Urkunden nachweisen, und die Alemannen mussten sich «mit nicht wenigen fränkischen Funktionsträgern im Lande abfinden», doch hatte in vielen Teilen Alemanniens nach wie vor die lokale Elite die inoffizielle Führung inne.780 Womöglich kann die Anwesenheit des Franken Waldo – sofern er auf königlichen Wunsch in Alemannien weilte – ebenfalls unter diesen Voraussetzungen gesehen werden. Waldo war ein enger und offenbar äusserst einflussreicher Vertrauter Karls des Grossen und wohl «dessen wichtigster Exponent geistlichen Standes in Alemannien».781 Der St. Galler Mönch und gerühmte Urkunden- und Buchschreiber Waldo (um 740–814) könnte seine Profess gar unter dem Gründerabt Otmar abgelegt haben, wirkte viele Jahre als Schreiber im Kloster sowie an den zahlreichen Aussenstellen der Abtei und übte grossen Einfluss auf die klösterliche Kanzlei und das Scriptorium aus,782 bis er 782 zum St. Galler Abt gewählt wurde. Später wurde er Abt des Klosters Reichenau, diente als Verweser des Bistums Pavia sowie ab 800 als Verweser des Bistums Basel.783 Als Vertrauter Karls des Grossen war er auch als Prinzenerzieher tätig und Zettler vermutet hinter diesem fränkischen Elitengeistlichen nichts Geringeres als den Versuch Karls des Grossen, eines Tages einen engen Vertrauten auf dem Stuhl des zentralsten schwäbischen Bistums – in Konstanz – zu sehen.784 Fränkische Funktionäre mit herzogsähnlicher Kompetenz Vor der Wiedererrichtung des Herzogtums hatten in Schwaben verschiedene Magnaten das Sagen, welche von den Chronisten meist als principes bezeichnet wurden. Deren teilweise sehr eigensinnige und ‹ausbeuterische› Art könnte erklären, warum so viele lokale Herren ihren Besitz ans Kloster tradierten. Ekkehart IV. berichtet, dass 777 In der Gallusvita des Walahfrid klingt das Ganze natürlich etwas friedlicher (vgl. Walahfrid, Vita s. Galli, cap. 10), doch dürfte die herrschaftliche Durchdringung nicht zufällig mit diesem Ereignis zusammengefallen sein. 778 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 50–56. 779 Teilweise können königliche Konfiskationen konstatiert werden (Jordan, Nahrung und Kleidung, S. 127). Vgl. zur zeitgleichen Situation in Bayern Esders/Mierau, Eliten, S. 312. 780 Vgl. die verschiedenen alemannischen Elitenfamilien in obigen Untersuchungen (Pabo, Othere etc.) sowie Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 57–59, 61 f.) mit ergänzenden Überlegungen. 781 Ebd., S. 64. 782 Staerkle, Rückvermerke, S. 37 f. 783 Erhart, ‹Waldo›, HLS, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13044.php (4. 8. 2018). 784 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 64 f.

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Schwaben vorher kein Herzogtum, sondern Teil des königlichen Fiskus war.785 Dies würde auch die enorme Bedeutung und Macht zur politischen Einflussnahme auf höchster Ebene durch die späteren Pfalzgrafen und Kammerboten in Bodman zu Beginn des 10. Jahrhunderts erklären. Doch bereits im Anschluss an die Dezimierung der alemannischen Elite finden sich königliche Funktionäre in Alemannien, die bei den schwäbischen Chronisten nicht besonders gut davonkommen. So müsste angesichts der herzogsgleichen Herrschaft der fränkischen Grafen Ruthard (749–769)786 und Warin (754–† 774)787 obige Aussage, dass die lokale Elite nach wie vor an den meisten Orten das Sagen hatte, etwas revidiert werden.788 Denn die beiden hatten im Übergang zwischen Ausschaltung der lokalen Elite und der Einführung der ‹Grafschaftsverfassung› vor Ort für Ordnung zu sorgen und nahmen de facto die Verwaltung über ganz Alemannien wahr,789 wie unter anderem Walahfrid berichtet: Zwei Grafen [comites] aber, Warin und Ruthard, die damals über ganz Alamannien [totius Alamanniae] herrschten, versuchten, einen nicht geringen Teil des kirchlichen Besitzes, der auf ihrem Herrschaftsgebiet lag, mit Gewalt ihrem Besitzrecht zu unterwerfen, und beanspruchten auch den grössten Teil der Besitzungen des Klosters für sich. Denn sie vergriffen sich an den Abgaben, die Pippin seligen Angedenkens den Mönchen zugestanden hatte, und raubten in ihrer unverschämten Raffgier viele andere Dinge, die gottesfürchtige Menschen dem Kloster als Geschenk übergeben hatten.790

Vergleichbar mit den Schilderungen über den ‹Kirchenräuber› Herzog Burchard I. und über die herzogsähnlichen Kammerboten Erchanger und Bertold berichtet ein Mönch auch in diesem Fall davon, wie sich Männer, die eigentlich in königlichem Auftrag handelten, am Gut des Klosters und damit an den Heiligen und dem schenkenden König selbst vergriffen. Nachdem Otmar sich beim König über das Unrecht beklagt hatte, sollen die Grafen noch weitergegangen sein, indem sie Abt Otmar gefangennahmen, stattdessen einen neuen Abt in St. Gallen einsetzten und das Kloster dem Bischof von Konstanz unterwarfen.791 Indem sie gar die Macht oder zumindest die Freiheit zur Absetzung und Neubesetzung von so hohen Kirchenämtern besassen, dürften sie – sofern wir Walahfrid 785 786 787 788 789

Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 11. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 229–236. Ebd., S. 282–287. Vgl. Dienemann-Dietrich, Fränkischer Adel, S. 157–163. «Die Einführung der Grafschaftsverfassung erfolgte nicht mit einem Schlage, es wurden zuerst einige wenige Männer des Vertrauens der fränkischen Machthaber geschickt, die mehrere Gaue verwalteten» (Mayer, Grundlagen, S. 30 f.). Eine fränkische Einflussnahme wird von Schneider (Alpenpolitik, S. 23–26, 43) bereits sehr früh angenommen, da die Kontrolle der Alpenpässe eine der Voraussetzungen für eine aktive Italienpolitik darstellte. 790 Übersetzung von Schnoor (Walahfrid, Vita s. Galli I, S. 143–145). Comites vero quidam, Warinus et Ruadhardus, qui totius tunc Alamanniae curam administrabant, cum infra ditionis suae terminos ecclesiasticarum non minimam partem rerum suae proprietatis dominio per potentiam subicere niterentur, maximam de eiusdem monasterii possessionibus partem sibimet vindicarunt. Nam tributa, quae bonae memoriae Pippinus eisdem fratribus concesserat, abstulerunt aliaque quam plurima, quae ex donatione quorundam religiosorum eidem coenobio fuerant contradita, quae rapacitatis abstraxere protervia (ebd., cap. 14). 791 Ebd., cap. 14–15.

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glauben dürfen  – über eine unvergleichliche Machtfülle verfügt haben. In Walahfrids Otmarsvita und den casus sancti Galli von Ratpert tauchen sie deshalb als principes auf.792 Warin wird für die Zeit zwischen 754 und 774 in zahlreichen Urkunden als verantwortliche Person genannt, jedoch stets als comes.793 Einige wenige Streifen wie Zürich, womöglich aufgrund des im Entstehen begriffenen Fiskus Zürich, sowie zwischen Bodensee, Thur und Sitter, aufgrund der Verfügungsgewalt des Konstanzer Bischofs,794 blieben von der Herrschaft Warins weitestgehend unberührt  – an dieser Stelle dürfte Walahfrids Geschichte also von der weiteren Überlieferung etwas abweichen.795 Die geschwächte lokale Elite dürfte sich seit dem verheerenden Aufeinandertreffen mit dem fränkischen König nicht besonders aktiv am Schutz alter Institutionen wie St. Gallen beteiligt haben, doch ist eine alte Verbundenheit besonders in den zahlreichen Schenkungen lokaler Grundeigentümer ans Kloster spürbar. Dass sich die fremden, fränkischen Funktionäre so lange halten konnten und deren Nachfahren wohl zum Teil in Alemannien verblieben und in die dortige Elite aufstiegen, lässt sich schon aufgrund der langen Amtsdauer gewisser Amtsträger wie Warin vermuten. Diesbezüglich dürfte die Dezimierung der alemannischen Elite aus fränkischer Sicht einen längerfristigen Erfolg bedeutet haben. Eine nächst höhere Ebene königlicher Einmischung findet sich – abgesehen von der Geschichte um die Loslösung St.  Gallens von Konstanz und erster regelmässiger königlicher Zuwendungen an das Kloster Mitte des 9. Jahrhunderts – mit dem Rektorat Karls III., der als Abkömmling der karolingischen Königsfamilie (vor seiner Zeit als König) rector in Alemannien war und dort zwar eigentlich einem comes gleichgestellt gewesen wäre, aufgrund seiner Herkunft aber über einen herzogsähnlichen Einfluss verfügte.796 Viele der weiteren besonderen Funktionen und Amtsausübungen dürften dem Comitat ebenso nah gekommen sein, wie dies herzogsähnliche Positionen mit sich brachten. Auf das Rektorat und weitere vergleichbare Themen wird hier jedoch nicht abschliessend eingegangen, da vieles davon bereits oben unter den Grafschaftsabschnitten behandelt wurde.797 Zwei solche Fälle werden deshalb nur auszugsweise dargelegt: In einer St. Galler Urkunde von 812 findet sich nach der Datierung über König Karl den Grossen eine nachträgliche Anfügung durch denselben Urkundenschreiber: Erfcher servus dominicus reseda.798 An dieser Stelle würde man die sonst übliche Grafenformel erwarten, doch findet sich ein Erfcher in keiner anderen zeitgenössischen Urkunde als Graf. Dennoch sieht Sprandel in ihm einen direkt Karl 792 Vgl. ders., Vita s. Otmari, cap. 6; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 6. 793 Chart. Sang. I, nn. 20–21, 29–30, 32, 34–37, 43–44, 50, 64, 73. Ruthard wird einzig in einer Urkunde genannt (ebd., n. 53). 794 Zur mächtigen Rolle der Episkopate im deutschen Südwesten zu jener Zeit vgl. Esders/Mierau, Eliten, S. 285–287. 795 Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 282 f. 796 Vgl. zum Beispiel die Nachricht König Ludwigs des Deutschen aus dem Jahr 873, der seinen Sohn Karl, die Grafen und seine anderen Getreuen in Alemannien von der Gleichstellung des Klosters St. Gallen mit Reichenau und den übrigen Klöstern und Benefizien in Kenntnis setzt (Chart. Sang. II, n. 598). Fichtenau (Datierungen, S. 534) vermutet dahinter das ganze «Stammesgebiet» Alemannien als ein übliches Erbe für einen Königssohn. 797 Vgl. hierzu ebenfalls Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 67–72. 798 Chart. Sang. I, n. 210, sowie in der betreffenden Prekarie (ebd., n. 211).

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dem Grossen untergeordneten alemannischen Grafen,799 der – wie Borgolte vermutet – als hoher Beamter der Zürcher Fiskalverwaltung vorstand. Eine direkte Unterordnung unter den König oder einen Grafen liesse sich – wie bei den tribuni und iudices – nicht ohne Weiteres nachweisen,800 doch erinnert die prominente Stelle der Nennung an die Datierungen über tribunus und advocatus.801 Erfcher könnte demnach als königlicher Beauftragter mit pfalzgräflichen Befugnissen agiert haben. Einen weiteren Sonderfall lässt die ungewöhnliche Datierung in einer Urkunde aus der Mitte des 9. Jahrhunderts erahnen: Notavi diem iovis, in VIII id. octob., regnante domno Hludauuico rege Alamannorum atque Peiouuariorum anno nono, sub Honrato duce nobilissimo feliciter. Amen.802 Inmitten der üblichen sankt-gallischen Grafendatierungen wirkt eine Herzogsdatierung äusserst fehl am Platz, nicht zuletzt da es in Alemannien gerade keinen Herzog gab und in diesem Falle auch kein rätischer Markgraf gemeint sein konnte. Der Name Honrat taucht in der ersten Signumzeile bereits mit dem Zusatz comes auf und darf wohl mit diesem gleichgesetzt werden. Borgolte erkennt in ihm den nördlich des Bodensees agierenden Grafen Konrad,803 dessen Wirkzeit für mindestens 839–856 vermutet werden kann. Hinter der Bezeichnung als dux nobilissimus wird eine Art von Ehrentitel für den Grafen vermutet, da es sich bei Konrad um den Schwager des Königs handle.804 Wie bereits beim rector Karl oben festgestellt werden konnte, verfügten königsnahe und -verwandte Funktionäre demnach über besondere Titulaturen, wohl zur Abgrenzung von den ‹gewöhnlichen› Amtsträgern und Funktionären. Ähnlich prominent werden auf diese Weise einzig noch die königlichen Gesandten genannt, wie beispielsweise ein Chadaloh, der einerseits als Graf in der Alaholfsbaar verbürgt ist (Chadaloh, 790–† 819 Graf), andererseits mehrfach Gesandter Karls des Grossen in Istrien war (zwischen 801 und 810) sowie 817/819 als dux, princeps und praefectus (als Markgraf?) in Friaul bezeugt ist.805 Bereits sein Vater war wohl als fränkischer Funktionär nach Alemannien gekommen und Chadaloh führte die Geschicke dieser Aristokratenfamilie in Alemannien fort – unter anderem regelte er bereits früh die Rechte, die sein Sohn Bertold einmal am Familienbesitz haben sollte.806 Königliche Gesandte und herzogsgleiche Grafen sind zwar hauptsächlich eine Sache des 8. und 9. Jahrhunderts,807 doch tauchen sie unter zum Teil hervorhebenden Titeln noch bis ins 11.  Jahrhundert auf, wie beispielsweise an der Auswahl schwäbisch-alemannischer Chroniken gezeigt werden kann. Dort tauchen neben 799 800 801 802 803 804 805 806 807

Sprandel, Verfassung, S. 107. Borgolte, Grafschaften, S. 91. Vgl. hierfür unter anderem Chart. Sang. II, nn. 509, 854, 856. Ebd., n. 420. Konrad, 839–856 Linzgaugraf. Vgl. Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 165–170. Ebd., S. 166. Chart. Sang. I, n. 228. Ebd.; Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 88–90. Das aus den drei alten merowingischen Dukaten Elsass, Alemannien und Rätien bestehende regnum Alemanniae war laut Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 117) «bereits während des 9. Jahrhunderts zeitweilig und wiederholt von einem König oder Unterkönig verwaltet worden, der auch den Titel eines ‹dux› trug».

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den familiares808 – den engsten Gefolgs- und Vertrauensleuten des Königs – und den curiales,809 aulici,810 senatores811 und (homines) palatini812 des Königshofes noch weitere Begriffe wie primores, primates, proceres, optimati, meliores,813 viri illustri814 und viri potentiores auf,815 die hauptsächlich als lokale Herren ‹in der Provinz› zu finden sind, wenn sie nicht gerade als Teil des königlichen Gefolges in den Krieg zogen. Diese Magnaten verfügten im ostfränkischen Machtgefüge entweder über eine königliche Legitimierung beziehungsweise einen höheren Stellenwert oder waren zumindest lokal bedeutend genug, um von den anderen Aristokraten als Fürsten und/oder königliche Funktionäre angesehen zu werden. Für Männer wie Notkers Bruder Othere oder Adalbert den Erlauchten (illustrissimus Adalbertus),816 die oben ausführlicher behandelt wurden, dürfte beides zutreffen. Der herausragendste beziehungsweise ‹zeitloseste› Begriff war freilich der des princeps, worunter am ehesten die Herzöge aus der Königsfamilie sowie natürlich die Könige selbst zu verstehen sind, so beispielsweise in einer Königsurkunde von 877 (Francorum principes).817 Als einziger der vorhergenannten Begriffe taucht princeps in allen sieben Chroniken sowie der anonymen casus-Fortsetzung auf, und zwar für Könige und königsgleiche Fürsten (auch awarische und ungarische Anführer/‹Kleinkönige›[?]),818 herzogsgleiche Grafen (darunter Ruthard und Warin),819 Fürsten des Reiches beziehungsweise der jeweiligen regna (darunter principes regni, principes conprovinciales und principes Alamannorum),820 Heerführer (principes militiae  – insofern 808 Notker, Gesta Karoli I, cap. 4, 13, 20, 26; (Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 14); Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 90; Berthold, Chronicon II, ann. 1075, 1077, S. 92, 130–132. 809 Ebd., an. 1079, S. 246. 810 Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 73, 98, 114, 136. 811 Berthold, Chronicon II, ann. 1075, 1077, S. 94, 140. Bei Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 35) sind herausragende St. Galler Mönche als reipublicae senatores sowie bei Hermann (Heriman. Aug. Chronicon [MGH SS V], an. 550, S. 88) tatsächlich oströmische Senatoren zu verstehen. 812 Notker, Gesta Karoli I, cap. 4–5, 18, 25; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 5. 813 Einzig Berthold (Chronicon II, ann. 1077, 1079, S. 178, 252) verwendet den Ausdruck, und zwar für die schwäbischen Fürsten und Grossen – Alemannorum meliores et maiores – sowie für die Grossen des Reiches – maiores melioresque regni. 814 Als ursprüngliche Bezeichnung der Funktionselite in römischer Zeit soll der Begriff im Mittelalter laut Le Jan (Mutations du pouvoir, S. 441) hauptsächlich für die Geburtsaristokratie verwendet worden sein. 815 Unter einem venerabilis vir hingegen war eher ein hoher Kirchenmann (meist ein Bischof) oder hier auch der St. Galler Klostergründer Otmar zu verstehen (Heito, Visio Wettini [MGH Poetae II], Praefatio, S. 267; Walahfrid, Vita s. Otmari, cap. 1). Die weiteren Begriffe werden weiter unten behandelt. 816 Chart. Sang. II, n. 808. Dieser wird im Nekrolog der Abtei St. Gallen gar als Adalbertus dux Alamannorum bezeichnet (StiBiSG, Cod. 915, S. 299). Vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 76 f. 817 Chart. Sang. II, n. 628. 818 Heito, Visio Wettini (MGH Poetae II), cap. 11; Walahfrid, Vita s. Otmari, cap. 1, 4; Notker, Gesta Karoli II, cap. 6; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 14, 33, 35; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 54; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 638, 796, S. 93, 101; Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 154. 819 Walahfrid, Vita s. Otmari, cap. 6; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 6. 820 Notker, Gesta Karoli I, cap. 5; ebd. II, cap. 10, 17–18; Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 15–16, 18, 23; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 20, 90, 115, 120; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 615, 627, 724, 878–879, 887, S. 92–93, 98, 107–109; Hermann, Chronicon, ann. 940, 951, 1024, 1028, 1032, 1034, 1037, 1042, 1044–1045, 1048–1051, 1053, S. 636–638, 662–670, 674, 678, 686–692, 700–702; Berthold, Chronicon I, ann. 1056, 1058, S. 22–24; ebd. II, ann. 1062, 1064, 1068, 1073,

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herzogsgleich),821 aber auch übertragen für den Ersten unter den Mönchen.822 Die herzogsgleichen Grafen dürften in den meisten Fällen mit den Fürsten des Reiches zusammenfallen, darunter besonders die principes Alamannorum, wovon einige wohl auch zu den schwäbischen Grafen zu zählen sind.823 Ein princeps war demnach in erster Linie ein Fürst, wenn auch kein gewöhnlicher, sondern eine sehr hohe Führungspersönlichkeit, wie eben der König, die Herzöge als Anführer der Truppen ihrer Herzogtümer824 sowie die Grossen des Reiches am Hof beziehungsweise in unmittelbarer Nähe des Königs. Die Grossen des Reiches (zum Teil auch stadtrömische Magnaten und päpstliche Würdenträger sowie ausländische Fürsten) werden zudem als primati (insbesondere 11. Jahrhundert; darunter die herzogsgleichen Pfalzgrafen und Kammerboten Erchanger und Bertold),825 primores (9. und 11. Jahrhundert; zudem als ‹Grosse› am Hof und Aristokraten),826 proceres (insbesondere 9.  Jahrhundert; proceres regni sowie Gefolge),827 optimati (insbesondere 11.  Jahrhundert; optimati regni),828 viri inlustri (sic; insbesondere für Grafen und geistliche Grosse)829 und viri potentiores (Aristokraten sowie zum Teil Grafen)830 bezeichnet. Ein weiteres Exempel für die Wortvielfalt und für das Wissen um die jeweiligen Ämter hält Notker Balbulus bereit, wenn er zur Bezeichnung eines Vertreters (eigentlich Stellvertreter) des persischen Hofes von einem satrapa spricht.831 Über einen kurzen Vergleich obiger Begrifflichkeiten mit einer äusserst zuverlässigen Quelle, den annales Alamannici, können die bisherigen Vermutungen bestätigt werden. Diese Annalen, die sich als Gattung zwischen den ‹trockenen› rechtlich fokussierten Urkunden und den zum Teil sehr literarisch überformten Chroniken

821 822 823 824

825

826 827 828 829 830 831

1076–1079, S. 54, 62, 74, 100, 114–116, 120, 126, 130, 136–138, 142, 148, 174, 178, 182, 208–216, 224, 228, 236, 252–254; Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 18, 23. Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 527, 552, 588–591, 602, S. 86, 88, 90–91. Vgl. zudem den Abschnitt zu den Kommandogewalten unter den Kriegern und Waffenträgern. Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 21. Vgl. unter anderem Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 20; Berthold, Chronicon II, an. 1078, S. 224. Deshalb tauchen Herzöge in den literarischen erzählenden Quellen auch deutlich häufiger auf als die Grafen, und dies meist unter der Bezeichnung dux (vgl. obige terminologischen Auswertungen, worin 78 comes-Nennungen 155 dux-Nennungen gegenüberstehen). Zur unterschiedlichen dux-Verwendung in einer grossen Auswahl an frühmittelalterlichen Quellen jedweder Gattung vgl. die Ausführungen in der Dissertation von Hans-Werner Goetz (Dux und ducatus). Notker, Gesta Karoli II, cap.  15; Ekkehart IV., Cas. s.  Gall., cap.  15; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 861, 892, S. 105, 110; Hermann, Chronicon, an. 1053, S. 706; Berthold, Chronicon II, ann. 1074, 1076–1079, S. 76, 104, 118–120, 136, 164, 172, 200–204, 212, 220, 256, 264, 274; Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 18. Notker, Gesta Karoli I, cap. 3, 18; ebd. II, cap. 3, 6, 8, 12, 19; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 641, 815, 885, 896, S. 94, 102, 109–110; Hermann, Chronicon, ann. 984, 1035, 1038, 1053, S. 650, 668, 672, 706; Berthold, Chronicon II, an. 1056, S. 24. Notker, Gesta Karoli I, cap.  4, 11, 16, 18, 30, 32; ebd. II, cap.  6, 8, 12, 14–15; Hermann, Chronicon, an.  1040, S.  674. Hermann verwendet den Ausdruck zur Unterscheidung zwischen den gewöhnlichen und aristokratischen milites. Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 9; Berthold, Chronicon II, ann. 1075–1079, S. 78, 84, 114, 118–124, 138, 182, 190, 200, 202, 208, 212, 234–236, 250, 258–260. Ratpert, Cas. s. Gall., cap. 4; Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), an. 392, S. 80. Walahfrid, Vita s. Otmari, cap. 6; Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 32, 70, 136, sowie in einer Urkunde von 892 (Chart. Sang. II, n. 727). Notker, Gesta Karoli II, cap. 9.

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hervorragend zur Überbrückung vom 9. ins 11. Jahrhundert angeboten hätten, beinhalten ausser Jahreszahlen, Orts- und Personennamen sowie Kurzangaben zu Kriegen, Königswahlen und Todesfällen nicht viele verwertbare Informationen und vor allem kaum weiterführende Titulaturen. Darin werden hauptsächlich Ereignisse auf Königsebene behandelt und die wenigen dux-Nennungen bezeichnen entweder den dux eines ostfränkischen Herzogtums (darunter Tassilo von Bayern, Gebhard von Lothringen),832 einen Markgrafen (Liutpold † 907)833 oder einen ‹Kleinkönig› und Heerführer (der Pannonier, von Mähren).834 Interessant ist jedoch die mit den Chroniken vergleichbare Verwendung des princeps-Begriffes, womit im 9. und 10. Jahrhundert die Grossen des Reiches bezeichnet werden,835 worunter sich auch der rätische Markgraf Burchard befindet (purghart comes et princeps alamannorum),836 der verdächtigt wurde, nach der schwäbischen Herzogswürde zu streben. Iniusto iudicio fällt er den Intrigen der anderen Grossen des Reiches zum Opfer, seine Familie muss fliehen, seine beneficia werden verteilt. Sein Sohn sollte es schliesslich mit Hilfe anderer schwäbischer Grosser schaffen, den schwäbischen Dukat zu erlangen. Der jüngere Burchard wurde allerdings erst relativ spät als dux bezeichnet, während im Falle seines Vaters wohl dessen realhistorische Macht über einen Grossteil des damaligen Schwabens ausgereicht hatte, um in den Augen der aufzeichnenden Mönche als princeps Alamannorum in die Annalen einzugehen. Markgrafen im Spiegel der schwäbischen Überlieferung Ein starkes Gegengewicht zur fränkischen Übermacht in Schwaben könnten Markgrafschaft und Bistum Chur dargestellt haben, dessen Magnaten (beziehungsweise deren Abkömmlinge) zum Teil bis ins 11. Jahrhundert wichtige Posten in Schwaben besetzt hielten. Die Konkurrenz aus Chur wird bereits früh in den Viten des heiligen Gallus fassbar, womit der Verfasser womöglich aus fränkisch-freundlicher Sicht das einst befreundete Chur in ein schlechtes Licht rückt. Der Gallusvita zufolge soll sich der churrätische Markgraf Victor (Victor Curiensis Rhetiae comes) nämlich aus Neid aufgemacht haben, um den Schatz des Leichnams des heiligen Gallus zu entwenden. Doch wie schon oben für den zeitlich deutlich später zu situiererenden Herzog Burchard I. geschildert, fiel auch Victor durch göttliche Fügung vom Pferd und verbrachte seine restlichen Tage im Bett.837 Die Marken gehörten laut Beeler zu den Kernelementen der karolingischen Militäradministration und Markgrafen verfügten über deutlich mehr Befugnisse als gewöhnliche Grafen. Dank der Kombination von ziviler und militärischer Autorität waren sie in der Lage, in kürzester Zeit die Ressourcen ihrer Herrschaftsgebiete zu mobilisieren, um auf militärische Krisen zu reagieren.838 832 833 834 835

Lendi, Annales Alamannici, ann. 787, 910, 915, S. 162, 186, 190. Ebd., an. 907, S. 186. Ebd., ann. 795, 870, 904, S. 168, 180, 186. Lendi, Annales Alamannici, ann. 864, 911, S. 180, 188. Daneben wird der Begriff auch zur Bezeichnung des ‹Apostelfürsten› Petrus verwendet (ebd., an. 911, S. 188). 836 Ebd. 837 Walahfrid, Vita s. Galli, cap. 11–12. 838 Beeler, Warfare, S. 191.

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Dass der churrätische marchio in der Überlieferung kaum oder gar nicht vorkommt, könnte damit zusammenhängen, dass er diese Funktion womöglich nur wahrnahm, weil er es konnte, nicht weil er dazu beauftragt war und somit eigentlich nicht direkt als königlicher Markgraf fungierte. Vielmehr tauchen beispielsweise Aufgebote des Bistums Chur auf, welches mit der ‹Markgrafschaft›  – sofern es eine solche denn in dieser Weise gab – wohl identisch war. Zettler sieht die Situation etwas klarer mit einer rätischen Markgrafschaft verknüpft: «Ausgangspunkt für Burchards Aufstieg zum Herrscher über Schwaben bot die vom Vater ererbte rätische Markgrafschaft, die, gewissermassen unter Kriegsrecht stehend, jederzeit ein beachtliches Aufgebot von Truppen erlaubte, aber auch den Weg zu den oberitalienischen Gütern der Burcharde offen hielt.»839 – Obwohl man dieser Aussage mit Skepsis begegnen sollte, würde dies zumindest Burchards Eingreifen in Norditalien im Jahr 926840 etwas relativieren und auch erklären, wie er mit solcher Heeresmacht aufmarschieren konnte. In späterer Zeit taucht ein marchio nicht mehr auf, da das Amt aufgrund der Übernahme des Herzogtitels durch den ehemaligen Markgrafen von Rätien, Burchard, praktisch mit dem Herzogsamt verbunden war, worauf nun fokussiert eingegangen wird. In den annales Alamannici wird der ältere Burchard als comes et princeps Alamannorum betitelt,841 eine Bezeichnung, die im vorherigen Abschnitt bereits thematisiert wurde, jedoch die herausragende Stellung Burchards und seiner Familie hervorhebt. In einem Herrscherdiplom aus dem Jahr 905, ausgestellt in Regensburg, findet sich für denselben Magnaten die auffällige Betitelung als Burchardus illustris marchio, der offenbar für Retia Curiensis verantwortlich gezeichnet wird,842 und ebenso taucht er in einer zwei Jahre älteren Privilegienbestätigung Ludwigs des Kindes an St.  Gallen auf (Purchart, marchio Curiensis Raetiae), ausgestellt in Forchheim, zusammen mit zahlreichen weiteren Grossen des Reiches.843 War Burchard aus Sicht des Königs also der rätische Markgraf oder konnte diese Vokabel womöglich zur passenden Rangangabe verwendet werden? – Es stellt sich nämlich die Frage, ob Rätien überhaupt eine Mark(grafschaft) war. Ein marchio war  – so zumindest die Theorie  – seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, wie der dux, ein vom König eingesetzter Beamte beziehungsweise Herr über seine Grafen,844 wobei ursprünglich wohl alle comites einer Mark als marchiones bezeichnet werden konnten beziehungsweise sämtliche comites in einer Mark als solche gesehen werden konnten, was zumindest erklären könnte, warum in Rätien die angeblichen marchiones meist als comites vorkommen. Seit Ludwig dem Frommen soll sich der Inhalt des Begriffes marchio zur Bezeichnung des Markpräfekten gewandelt haben, der mit dem militärischen Oberbefehl nun allen 839 840 841 842 843

Herzogtum Schwaben, S. 117. Vgl. das einführende Kapitel dieser Arbeit zu den Kriegern und Waffenträgern. Lendi, Annales Alamannici, an. 911, S. 188. Chart. Sang. II, n. 787. Unter den Grossen befindet sich unter anderen ein weiterer Burchard († 908) als thüringischer Markgraf (Purchart, marchio Thuringionum), der bayerische Markgraf Liutpold († 907; Liutpold, dux Boemanorum), der lothringische Herzog Gebhard († 910; Kebehart, dux regni) sowie zahlreiche Bischöfe und Grafen (vgl. obige Grafenliste; Chart. Sang. II, n. 772). 844 Werner, Heeresorganisation, S. 798.

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anderen Grafen gegenüber weisungsbefugt war und dessen Funktion zum «Amtstitel eines königlichen Mandatsträgers» wurde. «Der marchio stellte somit einen neuen Typ des Funktionärs dar.»845 Doch lässt sich weder eine königliche Einmischung finden, noch übt ein ‹erster unter den rätischen Grafen› je solche markgräfliche Macht aus. Selbst der in der Gallusvita genannte Victor wird ja ‹nur› als comes bezeichnet.846 Dennoch spricht Zettler im Falle des älteren Burchard († 911) stets vom Markgrafen,847 womit er nach dem urkundlich verwendeten Titel sowie der üblichen Forschungsmeinung entsprechend agiert. Kann diese herausragende Position eines marchio, die zumindest rangmässig der eines dux entsprach, auf die traditionelle Sonderstellung des bischöflich-gräflichen Chur zurückgeführt werden, das auf eine altehrwürdige und vor allem ungebrochene Kontinuität seit römischer Zeit zurückblicken kann? Zur breiteren Beobachtung Kreikers, dass es die «administrativ und militärisch ausserordentlich starke Stellung der marchiones in den Marken und in den regna des karolingischen Reiches ermöglichte», dass diese in der Zeit schwindender Königsmacht zu Stammesherzögen aufsteigen konnten,848 würde die markgräfliche Position der Burcharde jedenfalls bestens passen. Und selbst der Tod des älteren Burchard und die Ausschaltung seiner Familie scheinen nicht zum Erlöschen dieser Tradition geführt zu haben, denn nach der Rückkehr des jüngeren Burchard aus dem Exil führte er diese Rolle eines marchio offenbar fort.849 Kann Burchard mit solcher Sicherheit als Markgraf bezeichnet werden, weil die Burcharde als die Primaten Rätiens galten, dort den Grafentitel trugen, sich Rätien unter ihrer gesamtalemannischen Machtergreifung völlig diskussionslos als Teil des Herzogtums Schwaben wiederfand850 und – die zentralste Frage überhaupt – weil Rätien eine Markgrafschaft war?851 Die Frage nach dem Wesen Rätiens dürfte die Zeitgenossen aber nur unwesentlich interessiert haben. Wichtig war derjenige, der auch die faktische Macht in Händen hielt. Und trotz seines kurzen Exils war zweifelsohne der jüngere Burchard der führende weltliche Mann im alemannischen regnum, bedingt durch seine familiären Besitz- und Herrschaftsschwerpunkte sowohl in Rätien als auch im Bodenseeraum. Während der ältere Burchard in den Königsdiplomen als marchio bezeichnet wurde und damit über eine königliche Legitimation zum Führen dieses Titels verfügte, handelte der jüngere Burchard exakt entgegen der königlichen Politik und wurde auch erst von Konrads Nachfolger Heinrich I. anerkannt, allerdings dann bereits als dux. Den dux-Titel führte er spätestens 845 846 847 848 849

Kreiker, ‹Mark, -grafschaft I›, LexMa 6, Sp. 300. Vgl. hierzu die Diskussion bei Schmid (Hunfrid, insbesondere S. 181 f., 197 f.). Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 78 f. Kreiker, ‹Mark, -grafschaft I›, LexMa 6, Sp. 301. Zettler (Herzogtum Schwaben, S.  86) hätte ihn ansonsten kaum mit solcher Sicherheit als Markgraf bezeichnet. 850 Vgl. Maurer, Herzog von Schwaben, S. 191 f.; Grüninger, Churrätien, S. 31; Muraro, Hartbert von Chur, S. 14. 851 Diese Frage kann und muss nicht beantwortet werden. Viel bewegender für die lokale rätische Geschichte ist der Streit um die Vereinbarkeit von Bischofs- und Grafenamt (vgl. Gabathuler, Führungsschicht, S. 82; Schmid, Hunfrid, S. 193 f. sowie zur Einführung der Grafschaftsverfassung ebd., S. 200–207, und Schneider-Schnekenburger, Rätien, S. 123).

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in den 920er-Jahren regelmässig.852 Dass bereits sein Vater, der ältere Burchard, diesen Titel um das Jahr 909 vom Schreiber Notker ‹angedichtet› erhält, während der ebenfalls anwesende königliche Beauftragte und spätere Pfalzgraf Erchanger ‹nur› als comes bezeichnet wird, kann wohl dem Umstand zugeschrieben werden, dass es sich beim Rechtsgeschäft um Pfäfers und somit um eine Gegend unter Burchards ‹Führung› handelte.853 Dahinter gleich einen Anspruch auf die schwäbische Herzogsherrschaft zu vermuten, wie dies in der Forschung lange getan wurde,854 scheint mir stark übertrieben, insbesondere da diese Urkunde von einem St. Galler Mönch unter dem Abbatiat Salomos III. geschrieben wurde. Den teilweise als Herzog missinterpretierten Titel des dux Raetianorum müsse man laut May als Überbleibsel römischer Verwaltungsstrukturen sehen.855 Der dux Raetiae war in spätantiker Zeit oberster Heermeister und Verteidiger der Provinzen Raetia I und II.856 Nach dem Rückzug der römischen Truppen verblieb neben den kleineren Kastellen nördlich der Alpen vor allem der Bischofssitz in Chur, dessen Herr sich auf diese Funktion als Schutzherr berief beziehungsweise diese Funktion übernahm. So finden sich teilweise auch andere rätische Magnaten als duces Raetianorum.857 Die Nennung des älteren Burchards als dux dürfte demnach seiner herausragenden Stellung in Churrätien geschuldet sein, die schon seinen Vater Adalbert den Erlauchten (859–894 Graf) aus der Gruppe der schwäbischen Magnaten heraushob (illustrissimus Adalbertus; Adalbertus dux Alamannorum; fidelis regni).858 Zwischen 890 und 910 taucht der ältere Burchard ansonsten meist als comes859 (unter anderem in comitatu Retia Curiensi),860 als einer der primates regni861 sowie als prȩses862 und marchio auf.863 Abgesehen von der urkundlichen Überlieferung tauchen marchiones in der hiesigen Auswahl schwäbisch-alemannischer Chroniken einzig bei den Autoren des 11. Jahrhunderts auf und darunter sind sowohl für das 9. als auch das 11. Jahrhundert neben tatsächlichen Grafen und Gräfinnen (marchionissae)864 bedeutender Marken hauptsächlich herzogsgleiche Heerführer zu verstehen, nicht zuletzt für die Ausein 852 Vgl. unter anderem UBZH I, n. 188. 853 Chart. Sang. II, n. 806. 854 Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die Formulierung des Chronisten Hermann (Chronicon, an. 911, S. 630) im 11. Jahrhundert, der den älteren Burchard ebenfalls bereits als dux Alamanniae sah. 855 May, Besitzgeschichte, S. 34. 856 Bechert, Provinzen, S. 154; vgl. Grüninger, Pfarrkirchen, S. 129 f.; Schneider-Schnekenburger, Rätien, S. 8; Kaiser, Churrätien, S. 15 f.; Wagner, Rätien, S. 36 f. Zum dux-Titel und der Kontinuität solcher Anführerbezeichnungen von der Spätantike ins frühe Mittelalter vgl. Fanning, Reguli, insbesondere S. 43 f., sowie zum Dukat als Heeresführung vgl. Goetz, Dux und ducatus, S. 61 f. 857 sub Ruadolfo duce Raetianorum (Chart. Sang. II, n. 721) als der Thurgaugraf Rudolf (870–892; Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 226–228). 858 Chart. Sang. II, nn. 720, 808; StiBiSG, Cod. 915, S. 298. 859 Chart. Sang. II, nn. 713, 774, 795. 860 Ebd., n. 800. 861 Ebd., n. 729. 862 Ebd., n. 754; Borgolte, Grafen Alemanniens, S. 85; ders., Grafschaften, S. 105. Dabei handelt es sich um eine Bezeichnung, die bereits bei den Victoriden gebräuchlich war (Schneider-Schnekenburger, Rätien, S. 9). Vgl. Kaiser, Churrätien, S. 40 f. 863 Wie oben Chart. Sang. II, nn. 772, 787. 864 Berthold, Chronicon II, ann. 1077, 1079, S. 126, 248, 274.

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Abb. 29: Im Nekrolog der Abtei St. Gallen wird Adalbert der Erlauchte als seinerzeit mächtigster Graf im Bodenseeraum gar als dux der Alemannen bezeichnet. Zeile 5: et Adalberti ducis alamannorum (StiBiSG, Cod. 915, S. 299).

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418

andersetzungen während des ‹Investiturstreits›, allen voran der unten genauer untersuchte Bertold II. von Zähringen.865 Die Bezeichnung Bertolds als marchio erinnert an die Nennung Adalberts und Burchards, womit marchio von den zeitgenössischen Historiografen wohl auch zur Angabe von Würde und Rang verwendet wurde. Dass die Bezeichnung marchio ansonsten in der schwäbischen Überlieferung fehlt, dürfte daran liegen, dass der Begriff hier nicht notwendig war. Ganz anders könnte es in der frühen bayerischen und südwestfranzösischen Überlieferung aussehen oder andernorts, wo Marken eine zentrale Funktion in der karolingischen und ottonischen Reichsverteidigung innehatten. Für Schwaben indes spielte dies alles eine untergeordnete Rolle.

3.3.2

Burchard I. von Schwaben und die Begründung des ‹jüngeren Herzogtums›

Trotz oder gerade wegen ebengenannter Versuche fränkischer Bevormundung hat sich in Alemannien eine Art «provinziales Sonderbewusstsein, eine alemannischschwäbische Identität» herausgebildet,866 womit sich ein stärker werdendes Bedürfnis nach einer gefestigten Stellung als Reichsteil unter einem eigenem dux entwickelt haben könnte. Freilich stand dies nicht im Interesse aller kirchlichen und königlichen Vertreter vor Ort, die ihre eigenen Positionen dadurch gefährdet sahen. Für das 10. Jahrhundert ist hierbei vor allem an die bereits mehrfach behandelten Magnaten Salomo III. von Konstanz und St. Gallen sowie die Pfalzgrafen und Kammerboten Erchanger und Bertold zu denken. Der König konnte ebenfalls mehr Macht ausüben, wenn er seine Stellvertreter selbst bestimmen konnte oder diese Aufgabe – wie im Falle Alemanniens um 900 – an seinen Erzkanzler mit dem nichterblichen Bischofsamt in Konstanz delegieren konnte. Das dürfte auch der Grund sein, warum es in Franken selbst im 10. Jahrhundert nicht gelang, einen festen Dukat zu etablieren.867 In den südlichen Fürstentümern Schwaben und Bayern gelang dies durch militärischen Druck und die Schwäche des ostfränkischen Königtums. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Schwaben unter ihrem neuen Herzog selbst verwaltet hätten oder dass das Herzogsamt – denn ein Amt war es die meiste Zeit – erblich war, geschweige denn, dass es nur von Alemannen ausgeübt worden wäre. Zugegebenermassen klingt die Geburt des neuen Dukats oder  – um den gebräuchlichsten Forschungsbegriff zu gebrauchen – des «jüngeren Stammesherzog-

865 Heriman. Aug. Chronicon (MGH SS V), ann. 880, 883, 886, 893, 898, 900, S. 108–111; Hermann, Chronicon, ann. 1003, 1027, 1041–1043, 1046–1048, 1052, 1054, S. 654, 664, 674–676, 680, 684– 686, 692–694, 698, 706; Berthold, Chronicon II, ann. 1056, 1069, 1073, 1076, 1078–1079, S. 44, 62, 72, 122, 218, 248, 252, 274. Selbst in der anonymen Fortsetzung der casus sancti Galli wird der Begriff auf diese Weise verwendet (Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 30–33). Zur Bezeichung märkischer Truppen beziehungsweise der Truppen eines als marchio betitelten Anführers spricht Berthold (Chronicon II, an. 1079, S. 252–254) von turmae marchionales. 866 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 73. 867 Wendehorst, ‹Franken, Landschaft›, LexMa 4, Sp. 729.

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tums»868 exakt nach einem Aufbegehren schwäbischer Rebellen, die das Königtum herausgefordert, gewonnen, sich einen eigenen Herrn vorgesetzt und sich von nun an selbst regiert hätten. Wenn wir einem Chronisten wie Ekkehart IV. glauben schenken wollen, könnte sich der Beginn des ‹jüngeren Herzogtums› wirklich so zugetragen haben. Eine friedenserhaltende Anerkennung durch König Heinrich I. war aber dennoch unumgänglich und spätestens mit dem überraschenden Schlachtentod des ersten Herzogs, stand an der Spitze der Schwaben zweifellos ein königlicher Beamter. Aufgrund der Einzigartigkeit der Wiedergeburt eines Herzogtums in Alemannien soll und muss dieses hier nun kurz dargelegt werden, nicht zuletzt da – begonnen mit dem ersten Kapitel dieser Arbeit (Feldzug Burchards I. nach Italien) bis zur Betrachtung lokaler Funktionäre (Babo als Helfer am Hohentwiel) – die Entstehung des neuen Herzogtums zwischen 915 und 919 und auch sein erster Inhaber stets eine zentrale und vor allem weiterführende Rolle gespielt haben und spielen. Dazu gehört auch Pfalzgraf Gozbert, der 910 gegen die Ungarn gefallen ist, womit der offizielle weltliche Vertreter des Königs in Alemannien wegfiel.869 Da weitere Ungarneinfälle drohten, befand sich das regnum Alamannorum in einer heiklen Lage. In dieser Situation vermutet Zettler eine noch «stärkere Polarisierung des Adels in Parteiungen und vielleicht auch […] in ‹Landsmannschaften› der Schwaben, Räter und Elsässer».870 Die infrage kommenden Mächtigen in Alemannien waren zu jener Zeit Bischof Salomo III. von Konstanz, der zugleich Abt in St. Gallen und Kanzler des Königs war, sowie die Brüder Burchard (Markgraf von Rätien) und Adalbert (mächtigster Graf im Bodenseeraum). Gozberts Sohn Wolvine  – in der Obhut des Klosters St. Gallen weilend – stand unter der Vormundschaft Adalberts, in dessen Gebiet St. Gallen lag. Den beiden Grafen unterstand ein Grossteil des späteren Herzogtums Schwaben, weshalb eine Nachfolge als Pfalzgraf recht aussichtsreich schien, was Salomo unter allen Umständen zu verhindern suchte.871 Markgraf Burchard könnte versucht haben, seine Position durch Antritt des Pfalzgrafen- oder gar Herzogamtes872 zu festigen und auszubauen. Besonders Letzteres scheint jedoch übertrieben, da fraglich ist, ob es einem fähigen Zeitgenossen überhaupt in den Sinn gekommen wäre, ein Herzogtum zu begründen, wenn die faktische Macht doch ohnehin schon in den Händen der infrage kommenden lokalen Grafen und des Abtbischofs lag. Vorstellbar wäre eine Pfalzgrafenwürde mit herzoglichen Kompetenzen, um beispielsweise durch die Zusammenführung eines gesamtschwäbischen Heeresaufgebots der Ungarngefahr geschlossen begegnen zu können. Mit den vorhin genannten lokalen weltlichen Eliten konnte dies jedoch nicht mehr erreicht werden, da diese die krisengeschüttelte Zeit, welche durch den Tod des letzten karolingischen Königs noch zusätzlich verunsichert wurde, nicht überdauerten.

868 869 870 871 872

Vgl. hierzu Körntgen, Ottonen und Salier, S. 7. Vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 74–76. Ebd., S. 76. Ebd., S. 78–81. Für Maurer (Herzog von Schwaben, S. 38) beginnt mit Burchard das jüngere schwäbische Herzogtum.

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Nach dem Tod König Ludwigs wurde in Forchheim ein neuer König gewählt. Burchard konnte aber offensichtlich nicht erscheinen, da er zwischenzeitlich womöglich in Folge eines von Salomo initiierten Komplotts ermordet oder während eines tumultartigen Landtags getötet worden war. Laut Zettler könnte dies mit der Verhinderung der Mitsprache in der Wahl des neuen Königs beziehungsweise mit Burchards Auftreten als Herzog in Forchheim in Verbindung stehen.873 Auch Burchards Bruder Adalbert wurde im Zuge dieses Komplotts ermordet, wie wir aus den zeitgenössischen Annalen erfahren: Purchardus comes ab Anshelmo iniusto iudicio occisus est; frater autem eius Adalbertus comes praecepto Salomonis interemptus est.874 Ebenso wurde deren Schwiegermutter Gisela ermordet, was ganz nach einer gezielten Ausschaltung dieser Aristokratenfamilie aussieht, wohl unter Mitwirkung Salomos III.875 Nur die Söhne Burchards konnten nach Italien entkommen. Warum die lokale Aristokratie Alemanniens dies überhaupt zuliess, erklärt Zettler mit der Krisensituation nach dem Tod des Königs, wonach sich wohl die meisten Mächtigen in Alemannien dem königsnahen Bischof Salomo angeschlossen hätten.876 Dazu gehörte offenbar auch Erchanger, der für das Jahr 912 in einer Urkunde Konrads I. als Erchangarii comitis palatii877 auftaucht, womit das vakante Pfalzgrafenamt in Alemannien also wieder einen Träger hatte.878 Als Graf der königlichen Pfalz Bodman versuchte Erchanger wohl seine Macht über Alemannien mit dem bedeutenden Bistum Konstanz und seinen Reichsklöstern zu erlangen. Infolgedessen kam es zu obengenannten Auseinandersetzungen zwischen Erchanger und Salomo III., die in der Schleifung der Burg auf dem Stammheimerberg und Erchangers Enthebung als Pfalzgraf endeten.879 Der verbannte Erchanger (Erchangerus […] in exilium missus est)880 fand in seinem Exil jedoch Verbündete, darunter den jüngeren Burchard, der gleichzeitig mit Erchanger 914/15 an den Bodensee zurückkehrte.881 Über seinen ermordeten Vater bestanden wahrscheinlich noch Beziehungen zu einigen einflussreichen Leuten in Alemannien, unter anderem zum oben erwähnten Gefolgsmann Babo, dem Burchard wohl die Herrschaft 873 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 82 f. Unterstützen könnte diese These ein Eintrag im Weissenburger Nekrolog zum 5.  November: Burghartus comes occisus est (Boehmer, Kal. Necrolog. Weiss., S. 313). Konrad I. wurde nur fünf Tage später zum König erhoben. Bei Liudprand gehört Burchard gar zu jenen, die Konrad I. gewählt haben: Chunradus Francorum ex genere oriundus, vir strenuus bellorumque exercitio a populis ordinatur. Sub quo potentissimi principes Arnaldus in Bagoaria, Burchardus in Suevia, Everardus comes potentissimus in Francia, Giselbertus dux in Lotharingia erant (Liudprand, Lib. antapod. II,17–18). 874 Lendi, Annales Alamannici, an. 911, S. 188. 875 Maurer, Herzogsherrschaft, S. 291; Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 79. 876 Ebd., S.  83. Zur unsicheren Situation während und nach einem Herrscherwechsel sowie zur Rolle, die der einflussreiche ‹Reichsepiskopat› dabei spielen konnte, vgl. Schieffer, Reichsepiskopat, S. 297–299. 877 Sickel, Urkunden Konrads I. (MGH DD K I), n. 11. 878 Maurer, Herzog von Schwaben, S. 38. 879 Vgl. obiges Kapitel zum Zentral- und Konfliktort Stammheim, die entsprechenden Textstellen bei Ekkehart IV. (Cas. s. Gall., cap. 13–21) sowie Borst (Pfalz Bodman, S. 241) und Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 84). 880 Lendi, Annales Alamannici, an. 914, S. 190. 881 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 85.

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über eine der mächtigsten Festungen im Bodenseeraum verdankte, der Burg auf dem Hohentwiel bei Singen.882 Diese offene Auflehnung gegen die königliche Oberherrschaft, vertreten durch Abtbischof Salomo III., führte zu einer erfolglosen Belagerung des Hohentwiels durch König Konrad I.,883 und in einem Zusammentreffen zwischen Erchanger und Königstreuen (wohl bischöfliche Truppen)884 bei Wahlwies 915 ging Erchanger als Sieger hervor, woraufhin er von seinen Anhängern zum Herzog ausgerufen worden sein soll.885 Sein Glück währte bekanntlich nicht lange886 und bereits im Jahr darauf wurden er und seine engsten Verbündeten im Zuge einer Synode Papst Johannes’ X. zum Leben im Kloster verbannt und wohl unter Zuspruch Bischof Salomos III. spätestens 917 enthauptet.887 Der jüngere Burchard konnte jedoch nicht gefasst werden und wurde bald darauf – womöglich kurz nach dem Tod König Konrads I.888 – «in offener Auflehnung gegen den König»889 von der schwäbischen Aristokratie zum Herzog erhoben. Herzogliche Residenz scheint daraufhin die symbolträchtige Burg auf dem Hohentwiel geworden zu sein890 und laut Ekkehart soll Burchard gar sämtliche konfiszierten Güter der Verurteilten (praedia damnatorum confiscata) in beneficium erhalten haben.891 Damit könnte Ekkehart die von den Kammerboten ursprünglich zu Recht zur vicarialen Verwaltung erhaltenen Königsgüter gemeint haben, wodurch Burchard vom Chronisten als neuer Vertreter des Königs in Schwaben dargestellt wird.892 Zettler nennt folgende nachvollziehbare Schritte Burchards zur Sicherung von ganz Schwaben: Burchards Herrschaftsbasis (beziehungsweise die der Burchardinger) befand sich hauptsächlich in Rätien, im Thurgau sowie in den Gauen am nördlichen Bodenseeufer, doch fehlten zum Teil wichtige Verbindungsstücke dazwischen und auch im Nordwesten Schwabens verfügte Burchard noch über zu schwachen Einfluss. «Mit dem Einzug in Zürich und seinem Zugriff auf die Grafschaft im Zürichgau» schlug Burchard die fehlende Brücke zwischen seinen alten Ausgangspositionen und dem Rest Schwabens. Ebenso gelang es ihm beispielsweise durch die Gründung des Klosters Waldkirch, seinen Einfluss bis in den Breisgau auszudeh-

882 Vgl. obigen Abschnitt zu Babo sowie Zettler (ebd., S. 86, 94). 883 Lendi, Annales Alamannici, an. 915, S. 190. 884 Der König musste noch während der Belagerung des Hohentwiels mit dem Grossteil seiner Truppen nach Norden ziehen, da ihm der Sachsenherzog feindlich gegenübertrat. Die Belagerung musste dabei abgebrochen werden und Erchanger nutzte die Chance, die verbliebenen königstreuen Truppen – wohl Salomos Kontingente – zu besiegen (Büttner, Heinrich I., S. 8). 885 Borst, Pfalz Bodman, S. 214; Maurer, Herzog von Schwaben, S. 36–44. 886 Vgl. obige Ausführungen zum Zentral- und Konfliktort Stammheim. 887 Geuenich, Politische Kräfte, S. 56. Wenn auch Ekkehart IV. das Gegenteil behauptet (vgl. Ekkehart IV., Cas. s. Gall., cap. 20–21). 888 Vielleicht erfolgte die Erhebung noch zu Konrads Lebzeiten, jedoch stellte der König zu dieser Zeit keine übermässige Gefahr mehr dar (Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 93). 889 So zumindest bei Maurer (Herzog von Schwaben, S. 47) und damit vermutlich nach den annales Alamannici (Lendi, Annales Alamannici, an. 916, S. 190): et iterum puruchardus rebellavit. 890 Maurer, Herzogsherrschaft, S. 293 f.; ders., Herzog von Schwaben, S. 46–48. 891 Ekkehart IV., Cas. S. Gall., cap. 20. 892 Vgl. Althoff/Keller, Neubeginn, S. 66–68. Zu dieser Stellung vgl. Goetz, Dux und ducatus, S. 51– 57.

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nen.893 Gegenüber dem neuen König Heinrich I. vermochte Burchard I. seine Position 918/919 tatsächlich nicht einfach nur zu behaupten, sondern scheinbar ohne Zugeständnisse längerfristig zu sichern. Der Heinrich freundlich gesinnte Widukind von Corvey schildert die Situation allerdings stark zugunsten des Königs:

So König geworden, brach Heinrich mit seinem ganzen Gefolge [comitatus] zum Kampf gegen Burchard, den Herzog Alemanniens [dux Alamanniae], auf. Obwohl dieser ein unwiderstehlicher Krieger [bellator] war, merkte er als sehr kluger Mann trotzdem, dass er einen Kampf mit dem König nicht bestehen könne, und vertraute sich ihm mit allen seinen Burgen [urbes] und seinem Volk [populus] an.894

In ähnlicher Weise schildert Widukind den Weiterzug Heinrichs I. nach Bayern, das unter der Herrschaft Herzog Arnufs (Arnulfus dux) stand. Nach einer kurzen Belagerung der urbs Regensburg soll sich auch Arnulf cum omni regno suo unterworfen haben.895 Widukind unterscheidet an dieser Stelle also klar zwischen dem Herzog Alemanniens, der sich mit seinen ‹rebellischen› Anhängern und befestigten Stellungen im Königsland Schwaben dem König fügen musste, während sich in Bayern Herzog Arnulf als Anführer im Namen des regnum Bayern unterwirft. Dass Heinrich selbst in einer deutlich beklemmenderen Lage steckte, hält Widukind an dieser Stelle zurück. Um selbst das Erbe des ostfränkischen Königtums antreten zu können, das seit dem Tod des letzten Karolingers noch immer in einer Legitimationskrise steckte, war Heinrich I. auf die breite Unterstützung der Grossen des Reiches angewiesen, was im Falle Schwabens zu jener Zeit vor allen anderen Burchard war. Zugleich kam es Burchard äusserst gelegen, offiziell in seiner Funktion als dux Alamanniae vom König bestätigt zu werden. Die gegenseitige Anerkennung dürfte sich demnach als eine für beide Seiten vorteilhafte Lösung erwiesen haben.896 Zur Stabilisierung seiner Herrschaft gewährte Heinrich den Herzögen von Bayern und Schwaben weitgehende Verfügungsgewalt über die königlichen Rechte (inklusive über die ‹Reichskirche› in ihrem Machtbereich), um mit der Bestätigung ihrer Herzogsrechte deren Streben nach der (lokalen) Königswürde zu unterbinden.897 Laut Keller «unterjochte er sie nicht, sondern machte sie zu seinen Freunden und Helfern – als anerkannte Häupter ihrer Völker wurden sie die ranghöchsten Männer in Heinrichs Königreich.»898 Dies wäre demnach die erstmalige Anerkennung des Herzogtums Schwaben durch den König. Im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Konfliktbewältigung findet Althoff noch direktere Worte: «Der Prestigeverlust des karolingischen und das fehlende Prestige des ottonischen Geschlechts am Beginn seiner Herrschaft hat neue Formen des Zusammenwirkens von König und Grossen nötig gemacht, um eine Konsolidierung im Inneren und eine Abwehr 893 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 117 f. 894 Übersetzung von Rotter/Schneidmüller (Widukind, Res gest. Sax., S.  69). Eo ordine rex factus Heinricus perrexit cum omni comitatu suo ad pugnandum contra Burchardum ducem Alamanniae. Hic cum esset bellator intolerabilis, sentiebat tamen, quia valde prudens erat, congressionem regis sustinere non posse, tradidit semet ipsum ei cum universis urbibus et populo suo (ebd., cap. I,27). 895 Ebd. 896 Vgl. Keller, Königsherrschaft, S. 65 f. 897 Büttner, Heinrich I., S. 7; Körntgen, Ottonen und Salier, S. 8. 898 Keller, Ottonen, S. 25.

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der äusseren Feinde leisten zu können. Heinrich I. hat diese Konsolidierung nicht zuletzt dadurch erreicht, dass er Einungen und Bündnisse unter den Mitgliedern der Führungsschichten initiierte und sich auch selbst in diese Bündnisse einbinden liess.»899 Zum schwäbischen Dukat im 10. und 11. Jahrhundert Eine königliche Legitimierung Burchards hätte sich – wenn wir den obigen Untersuchungen zur sogenannten sub comite-Formel folgen – in einer Art sub duce-Formel zeigen müssen.900 In der Auswertung aller St. Galler Urkunden konnte allerdings nachgewiesen werden, dass, während im 9. und 10. Jahrhundert in über dreiviertel aller Fälle die Grafen als legitimierendes Mittel bei Beurkundungen (darunter die Grafenformel sub comite) fungierten, der Herzog seit ebenjener königlichen Anerkennung um 919 während des weiteren 10.  Jahrhunderts lediglich 13-mal in der Urkundendatierung vorkommt, was 38 Prozent der privaturkundlichen Überlieferung dieses Zeitabschnitts entspricht.901 Aufgrund der geringen Urkundendichte im 10. Jahrhundert ist diese Feststellung jedoch nicht besonders brauchbar zur Einschätzung der herzoglichen Position. Es lässt sich lediglich feststellen, dass der schwäbische Dukat seinen Platz im herrschaftlichen Gefüge Schwabens gefunden hat, der schwäbische Herzog immer wieder als Vertreter seiner Landschaft auftauchte und er vom König als solcher anerkannt wurde, selbst wenn Letzteres stark von den Einsetzungsumständen des jeweiligen Herzogs beziehungsweise seinem Verhältnis zum betreffenden König abhing. Zur Sicherung des bedeutenden südlichen Reichsteiles Schwaben setzte Heinrich I. nach Burchards Tod in Italien 926 einen landfremden Konradiner als Herzog ein und achtete damit auf keinerlei Ansprüche der – zugegebenermassen noch recht jungen  – Herzogsfamilie Burchards.902 Diese Handlung betont zwar den Amtscharakter des schwäbischen Dukats, die Verheiratung des neuen Herzogs Hermann mit Burchards Witwe Reginlinde zeigt aber auch, wie wichtig die lokale Verankerung war, um ein solches Gebiet tatsächlich verwalten beziehungsweise kontrollieren zu können.903 Dank der Anbindung an die junge Herzogsfamilie wurde zwar einerseits der Amtsgedanke geschwächt, andererseits konnte damit eine einfachere Einbindung in die schwäbische Elite erreicht und mögliche Konflikte unterbunden werden. Die Kontrolle Schwabens funktionierte nicht zuletzt über eine Reihe strategischer Punkte, die oben im Zuge der ‹Herzogsresidenzen› und ‹Mittelpunktsburgen› angesprochen wurden. Welche Randgebiete des Herzogtums (unter anderem Elsass, Oberaargau) ebenfalls unter Burchards Verfügungsgewalt standen, soll hier nicht Teil der Untersuchung sein,904 doch fielen in Burchards Herrschaftszeit grössere 899 900 901 902

Althoff, Konfliktbewältigung, S. 289. Zur sub duce-Formel vgl. Maurer, Herzog von Schwaben, S. 163. Wagner, Transformation, Abs. 2–3. Körntgen, Ottonen und Salier, S.  29. Vgl. zu einem möglichen ‹natürlichen Erbrecht› Hechberger, Adelsheil, S. 428. Zettler (Herzogtum Schwaben, S. 119) spricht hierbei von einem «geglückten Schachzug des Königs». 903 Vgl. Keller, Königsherrschaft, S. 66 f.; Zotz, Breisgau, S. 92 f. 904 Vgl. ders., Herzogtum Schwaben, S. 12 f.

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militärische Konflikte mit Hochburgund und Versuche der Einflussnahme in Norditalien, die den Rang und die Stellung Burchards innerhalb der schwäbischen Elite sowie als Vertreter der Reichsgewalt im Süden gefestigt haben dürften, nicht zuletzt auch durch die eheliche Verbindung mit dem Königreich Hochburgund. Solche Mutationen der Macht sind für Schwaben bis zum Ende des 11. Jahrhunderts zu finden, und obwohl der schwäbische Dukat im 11. Jahrhundert eine relativ feste Etablierung erfuhr, kann dies für die wechselnden Amtsträger nicht behauptet werden, die sowohl aus allen wichtigen lokalen als auch ‹landfremden› Familien stammen konnten; manchmal übernahm der König selbst die Regentschaft.905 Zudem werfen Fälle wie jener der Herzogswitwe Hadwig vom Hohentwiel Ende des 10. Jahrhunderts und die Stellung des schwäbischen Dukats zwischen königlichem Amt und lokal verankertem primus der alemannischen Elite mehr Fragen auf, als dass der Dukat beziehungsweise seine Einordnung ins Machtgefüge verständlicher würde. Die unterschiedliche Gewichtung der zeitgenössischen Chronisten und ihrer zum Teil wertenden Ansichten haben das Bild einiger dieser schwäbischen Amtsträger bis heute geprägt.906 Am Übergang vom 10. zum 11. Jahrhundert veränderten sich das Wesen und der Charakter des alemannischen und bayerischen Herzogtums laut Keller stark. «Während der ‹Stamm› durch gemeinsames Auftreten und Handeln seiner Grossen an Kontur gewinnt, scheint das Herzogtum selbst an Profil und Gewicht zu verlieren.»907 Herzöge von Schwaben908 Burchard I., 917/919–† 926.909 Hermann I., 926–† 949. Liudolf, 948/949–953, † 957. Burchard II., 954–† 973. (Hadwig, 973–† 994.)910 Otto I., 973–† 982. Konrad I., 982–† 997. Hermann II., 996/997–† 1003. 905 Vgl. allgemein Zettler, Herzogtum Schwaben, und Maurer, Herzog von Schwaben, sowie Keller, Königsherrschaft, S. 62 f. Letzterer sieht hinter dem Herzogsamt in den zwei mächtigsten ostfränkischen Herzogtümern, Schwaben und Bayern, eine Art vizekönigähnliches Gefüge als Erbe der alten karolingischen regna (ebd., S. 64 f.). 906 So erfahren wir dank Ekkehart IV. beispielsweise ausserordentlich viel über die Herzogsgattin Hadwig, während die Chronisten zu ihrem Mann, Burchard II., nur wenig zu berichten haben. Immerhin wird er – ganz entgegen der Schilderungen zu seinem Vater Burchard I. – meist positiv genannt, darunter als einer der grossen Heerführer in der Lechfeldschlacht von 955 (Widukind, Res gest. Sax., cap. III,44; vgl. Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 146 f.). 907 Keller, Königsherrschaft, S. 62. 908 Maurer, Herzog von Schwaben, S. 30 f., sowie zu den einzelnen Herzögen vgl. ausführlich Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 129–183. 909 Obwohl er faktisch seit 917 Herzog war, erlangte Burchard erst durch die königliche Anerkennung um 919 volle Legitimation (vgl. Maurer, Herzog von Schwaben, S. 132). 910 «Neben den alemannischen Herzögen Otto und seinem Nachfolger Konrad spielte die Witwe Burchards II. eine wichtige, quasi-herzogliche Rolle» (Zotz, Breisgau, S. 156). Vgl. Dendorfer, Hadwig, S. 16–20.

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Hermann III., 1003–† 1012. Ernst I., 1012–† 1015. Ernst II., 1015–† 1030. Hermann IV., 1030–† 1038. Heinrich, 1038–1045, seit 1039 König (Heinrich III.), seit 1046 Kaiser, † 1056. Otto II., 1045–† 1047. Otto III., 1048–† 1057. Rudolf von Rheinfelden, 1057–1079, seit 1077 ‹Gegenkönig›, † 1080. Friedrich I., 1079–† 1105, von Heinrich IV. eingesetzt, faktisch seit den 1090er-Jahren. Berthold I. (Rheinfelden), 1079–† 1090 ‹Gegenherzog›. Berthold II. (Zähringen), 1092–1098 ‹Gegenherzog›, seit 1078 ‹Markgraf›, † 1111.911 Die dauernde Einflussnahme des Königs und die familiären Wechsel an der Spitze des Herzogtums fanden erst ein Ende, als es einigen mächtigen Familien gelang, die Herzogsherrschaft «mit ihrer eigenen Adelsherrschaft zu verbinden und wiederum mit Machtmitteln des Königtums anzureichern».912 «Von 917 bis 1012 führten den Stamm acht Herzöge aus den drei verschiedenen Häusern der Burchardinger, Konradiner und Liudolfinger. Dabei stellte bis in die achtziger Jahre hinein keines dieser Häuser zwei Herzöge hintereinander.»913 So konnte sich auch keine der schwäbischen Familien längerfristig profilieren und ein enger Zusammenhang mit dem ostfränkischen Königtum wirkt naheliegend. Während das Verhältnis zwischen König und Herzog im späteren 10.  Jahrhundert strikt hierarchisch wirkt, der Herzog gar als ‹Vasalle› des Königs auftritt, beginnt während der Konflikte im ‹Investiturstreit› eine neue Phase, worin die Herzöge mit eigenen Gefolgsleuten und Ministerialen autark und mit eigenem Territorium auftreten und ihr Herzogtum gar weitervererben. Lubich beschreibt dabei drei Qualitäten des Herzogstitels: auf der Grundlage von Allod und Herzogsverwandschaft als Teil des Namens (vgl. Welfen), Territorialherzöge aufgrund von grosser autogener Gebietsherrschaft (vgl. Zähringer) und das Amtsherzogtum mit politischer Wirkung bis an die Grenze der benachbarten Herrschaftsbereiche (vgl. Staufer). Dabei sei die Einbeziehung des ‹Volkes› zunehmend aus dem Selbstverständnis verschwunden und aus dem Personen beherrschenden dux Suevorum sei ein ‹Landesherzog› (dux Sueviae) geworden.914 «Die Sukzession der Herzöge bzw. die Verleihung des Herzogtums richtete sich zwar immer noch stark nach dem übergeordneten politischen Willen des Königs, aber das dynastische Element gewann an Gewicht und trat stärker in Erscheinung.»915

911 912 913 914

Vgl. für Berthold II. von Zähringen untenstehendes Kapitel. Keller, Königsherrschaft, S. 63. Zotz, Breisgau, S. 61. Lubich, Lehnsgeber und -nehmer, S. 431, 433–435; Zotz, Herzogtum Schwaben, S. 11; Maurer, Herzog von Schwaben, S. 184 f. 915 Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 155.

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3.3.3

Bertold II. von Zähringen und die Transformation des ‹jüngeren Herzogtums›

Als Ergänzung und wohl auch als eine der Hoch-, End- und Transformationszeiten des 11.  Jahrhunderts darf die Zeit des ‹Investiturstreits› Ende des 11.  Jahrhunderts betrachtet werden. Nie zuvor klafften oben genannte Gegensätze von königlich eingesetztem und lokal erhobenem Herzog weiter auseinander als während dieses Konfliktes, der sich im Bodenseeraum zu einem Bruderkrieg entfachte. Bertold II. von Zähringen (1078–† 1111 ‹Markgraf›, ab 1092 Herzog von Schwaben)916 sollte eigentlich  – wie es seinem Vater versprochen worden war  – Herzog von Schwaben werden,917 doch weil er sich auf die Seite Rudolfs von Rheinfelden, eigentlich ein Konkurrent in der Herzogsnachfolge, gestellt hatte, waren ihm sämtliche Rechte aberkannt worden. Dies ist womöglich der Grund, warum er vom St. Galler Schreiber der anonymen Fortsetzung der casus sancti Galli als marchio bezeichnet wurde. Darf die Bezeichnung marchio in seinem Fall als eine Zwischenlösung gesehen werden, womit dem mächtigen lokalen Magnaten zwar der Herzogstitel nicht anerkannt wird, er aber dennoch etwa gleichrangig als Markgraf im schwäbischen Machtgefüge genannt wird? Sein Vater Bertold I. († 1078) war noch als dux – wenn auch für Kärnten – bezeichnet worden,918 obwohl auch er sich gegen den König gestellt hatte, was ihn kurz vor dem Tod noch um sein Herzogtum gebracht hatte. Zum ständischen Respekt dürfte von Seiten der klösterlichen Schreiber auch eine Spur Furcht dazugekommen sein. Denn Bertold II. soll mehrfach das Kloster St. Gallen gebrandschatzt und weite Landstriche verwüstet haben.919 Nicht einmal vor dem sakrosankten Schutz einer Kirche soll er haltgemacht haben: Der Markgraf Bertold aber liess von den früheren Angriffen nicht ab, feindselig überfiel er das Kloster des heiligen Gallus und verwüstete es durch Plündern und Sengen, etliche von den Seinen verfolgten einige Brüder und andere Leute sogar bis in die Kirche und verwundeten einen Mann innerhalb des Altarraumes mit dem Schwert.920

Der St. Galler Chronist versah seinen Zeitgenossen mit einem hierarchisch angemessenen Titel, womit dieser zweifelsfrei identifiziert werden konnte, und übte dennoch Kritik an ihm. Offizieller Herzog war dieser Bertold jedoch auch aus Sicht der päpstlichen Partei nicht vor 1092 geworden, denn Heinrichs Gegenspieler hatten den Sohn Rudolfs von Rheinfelden – ebenfalls mit Namen Bertold († 1090) – zum neuen

916 Leuppi, Cas. s. Gall. cont., cap. 23, 27, 29–33; Berthold, Chronicon II, ann. 1078–1079, S. 218, 252; vgl. Anm. zu UBTG II, n. 5. Zu den Rheinfeldern und Zähringern vgl. Krieg, Reform und Rebellion, S. 85–87. 917 Althoff, Zähringer, S. 84; Zotz, Herzogtum Schwaben, S. 20; Schmid, Zürich, S. 53. 918 Berthold, Chronicon II, an. 1077, S. 166. 919 Vgl. Zotz, St. Gallen im Breisgau, S. 21; ders., Zähringer, S. 42–46; Schmid, Zürich, S. 60; Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 181. 920 Übersetzung von Leuppi (Cas. s. Gall. cont., S. 161). Marchio vero Bertoldus a priori infestatione non cessans, monasterium sancti Galli hostiliter invadens praeda et igne vastavit, et quidam de suis aliquos de fratribus et alios in ipsam ecclessiam sancti Galli insequentes quendam infra sancta sanctorum gladio vulneraverunt (ebd., cap. 31).

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Herzog erhoben.921 Daraufhin erhob Heinrich IV. den Pfalzgrafen Friedrich von Staufen zum schwäbischen (Gegen-)Herzog.922 Der Titel eines marchio hatte womöglich auch eine militärische Funktion, da Bertold II. durchaus als Stellvertreter Rudolfs von Rheinfelden in Schwaben gesehen werden kann, der dessen Sache vor Ort militärisch unterstützte, während sein König an anderen Schauplätzen im Reich weilte. Dies tat Bertold – wie wir eben gesehen haben – mit äusserster Härte und Rücksichtslosigkeit. Die offizielle Herzogsernennung Bertolds II. erfolgte erst 1092 durch die antikaiserliche Partei Schwabens, womit er zu deren führenden Person aufstieg.923 Sein Bruder, Bischof Gebhard III. von Konstanz, dürfte daran nicht unwesentlich beteiligt gewesen sein, als dieser das Herzogtum als «päpstliches Lehen» empfing.924 Maurer sieht zwischen der Herzogserhebung Bertolds 1092 und jener Burchards I. 917 direkte Parallelen im Verhältnis zwischen König und «oppositionellen principes Alemanniae». Denn abgesehen vom «Gegenherzogtum» während des ‹Investiturstreits› soll es seit Burchard I. keinen «Stammesherzog» mehr gegeben haben und selbst dieser habe durch die königliche Anerkennung 919 ein königliches Amt innegehabt.925 Wenn auch Maurer hier etwas zu institutionell denkt, ist ihm bezüglich der zahlreichen königlichen Herzogseinsetzungen im 10. und 11.  Jahrhundert zuzustimmen. Andererseits mussten eine königliche Anerkennung und andere Formen gegenseitigen Umgangs nicht zwangsläufig eine bürokratische Ämterhierarchie mit einem königshörigen Herzog bedeuten.926 Vielmehr sollte dies als Form positiver gegenseitiger Abhängigkeit beziehungsweise Interpendenzen verstanden werden, wie dies bereits bei den zahlreichen unterschiedlich ausgeprägten Abhängigkeiten ‹unfreier› und ‹freier› Bevölkerungsgruppen festgestellt werden konnte. Dasselbe galt für die Interaktion zwischen schwäbischem Herzog und schwäbischer Elite, was sich besonders während des ‹Investiturstreits› mit seinen Herzögen und Gegenherzögen hinsichtlich offiziell königlicher und faktischer Herzogsherrschaft zeigte. Unter diesem Augenmerk passt die Vorstellung vom oppositionellen Herzog Bertold II. von Zähringen ganz gut. Aufgrund der speziellen politischen Situation Ende des 11. Jahrhunderts wird Bertold  II. als Grafensohn des oben genannten schwäbischen Grafen, Kärntner Herzogs und Markgrafen Bertold I. in meiner Grafenliste mitaufgeführt. Zwar taucht er nicht offiziell als schwäbischer Graf auf, hinsichtlich seiner Rechte und Verfügungsgewalten dürfte er aber einer gewesen sein. Seine besondere Rolle ohne wirkliches Amt (zumindest bis 1092) darf symbolisch für den aristokratisch-gräflichen Wandel dieser Zeit gesehen werden. Seine längerfristige Herrschaft etablierte 921 Schmid, Zürich, S. 56 f.; Zettler, Herzogtum Schwaben, S. 180–182. 922 Aufgrund der üblichen Sicht des älteren Königtums Heinrichs IV. als legitimes Königtum und desjenigen Rudolfs von Rheinfelden als Gegenkönigtum wird zwar eher Bertold als Gegenherzog bezeichnet, in diesem Fall geschah eine Erhebung durch Heinrich IV. aber überhaupt nur als Reaktion auf die antikaiserliche Einsetzung (vgl. Hartmann, Investiturstreit, S. 30). 923 Krieg, Reform und Rebellion, S. 96 f. 924 Hartmann, Schwaben, S. 42. 925 Maurer, Herzog von Schwaben, S. 134–138. 926 Genau so sieht es nämlich Maurer (ebd., S. 148) nicht nur für die Herzöge, sondern auch für die schwäbischen Grafen.

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und sicherte Bertold grösstenteils durch die Errichtung neuer Machtzentren, darunter die spätestens seit der Mitte des 12.  Jahrhunderts für sein Geschlecht namensgebende Burg Zähringen927 sowie die Städte Freiburg im Breisgau, Bern und Freiburg im Üechtland.928 Bertold II. muss zugleich als letzter Herzog im alten Sinne betrachtet werden, denn als um 1098 ein Ausgleich zwischen den zwei schwäbischen Herzögen Friedrich von Staufen und Bertold von Zähringen erreicht wurde,929 bedeutete das für Schwaben eine faktische Aufteilung, wie Krieg mit angenehm klaren Worten beschreibt: «Das Jahr 1098 darf damit für die Geschichte Schwabens geradezu als Epochenwende, zugleich aber auch als Anfang vom Ende des schwäbischen Herzogtums gelten. […] Seither gab es drei Geschlechter, die in Schwaben nebeneinander ihre herzogliche Herrschaft ausbauten. Neben den Staufern, die sich zwar weiterhin ‹Herzöge von Schwaben› nennen durften, aber tatsächlich nicht mehr über das gesamte Herzogtum Schwaben verfügen konnten, gab es fortan auch noch die herzoglichen Zähringer, deren Herzogstitel zwar keinen Bezug auf Schwaben mehr aufwies, die aber im Südwesten des Herzogtums über einen eigenen Herrschaftsbereich verfügten, der nicht mehr der Oberhoheit des staufischen Herzogs von Schwaben unterstand. Als dritte Macht herzoglichen Ranges traten neben den Staufern und Zähringern noch die Welfen auf, die weiterhin in ihren oberschwäbischen Stammlanden präsent waren.» Damit soll die alte Einheit des Herzogtums Schwaben, die mit Burchard I. begonnen hatte, spätestens um 1098 ein Ende gefunden haben.930 Bertolds Verzicht auf das Herzogtum Schwaben ging einher mit seiner Benennung als Herzog von Zähringen, womit eine friedliche Lösung angestrebt wurde, ohne einer Partei den Herzogstitel entziehen zu müssen und damit den Frieden zu gefährden.931 Denselben Hintergrund könnte die Zugestehung von Zürich als zentraler herzoglicher Vorort an Bertold gehabt haben, der damit auch faktisch weiterhin grossen Einfluss im schwäbischen Herzogtum innehatte.932

927 Lorenz, Klöster und Stifte, S. 102 f.; Krieg, Reform und Rebellion, S. 97 f.; Ott, Burg Zähringen, S. 12–14. 928 Keller, Freiburg, S.  17–20; Schadek, Gründungsstädte, S.  417–420; Zettler, Zähringerburgen, S. 101–111; Schadek/Schmid, Zähringer, S. 222, 224, 238, 245, 263 f. Daneben sind auch zahlreiche Städte im westlichen Bereich zu nennen, die unter die Kontrolle der Zähringer kamen, welche dadurch ihre lokale Herrschaft absicherten: Offenburg, Villingen, Breisach, Neuenburg (am Rhein), Rheinfelden, Zürich, Solothurn, Burgdorf, Murten und Thun (ebd. sowie Zettler, Zähringerburgen). 929 Schmid, Zürich, S. 51 f., 56–58; Kaiser, Frühmittelalter, S. 162. 930 Krieg, Reform und Rebellion, S.  98  f. In dieser Weise ebenfalls Hartmann, Schwaben, S.  39. Im Versuch der Erlangung einer neuen ‹echten› Herzogsherrschaft gab es im 12. Jahrhundert Bestrebungen der Zähringer, das Herzogtum Burgund zu erlangen, was schliesslich ebenfalls misslang (Althoff, Zähringer, S.  88–92). Vgl. grundlegend den aktuellen Forschungsstand zu den Zähringern bei Zotz (Zähringer). 931 Vgl. Görich, Staufer, S. 21–23. 932 Zotz, Zähringer, S.  55–59; Schmid, Zürich, S.  61  f., 71. Zürich hatte schon zuvor unter dessen Kontrolle gestanden.

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Der Dukat als Geburtshelfer und Totengräber Gemäss Hartmann weist dieser Prozess bereits auf die reichsweite Aufteilung der alten Herzogtümer und die Schaffung des ‹jüngeren Reichsfürstenstandes› hin,933 oder wie Althoff unter Verweis auf Theodor Mayer ausführt: «Durch Städtegründungen, durch planmässige Kolonisation des Schwarzwaldes und durch andere Massnahmen des Landesausbau […] haben sich die Zähringer im 12.  Jahrhundert einen Herrschaftsbereich, ja einen ‹Staat› geschaffen, der für seine Zeit ungeheuer modern war und erste Anzeichen der Überwindung mittelalterlicher Herrschaftspraktiken erkennen lässt.» Nur findet sich ein solches politisches Gebilde natürlich auf keiner Karte, womit ein Grad der Entwicklung erreicht worden ist, der – vergleichbar mit dem karolingischen Grafenamt – mit dem alten Herzogsamt nur noch wenig gemein hatte.934 Ebenso wie bei den Grafen gab es in den Herzogtümern rein theoretisch noch offizielle Amtsherzöge neben ‹Titularherzögen› – zumindest für eine gewisse Dauer. Das eigentliche Sagen hatten spätestens seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert die durchsetzungsfähigsten, baupolitisch und militärisch erfolgreichsten Familien, fast völlig unabhängig von den eigentlichen Ämtern. War der schwäbische Dukat für diese Entwicklung womöglich gar der wirksame Geburtshelfer? Zumindest als eigener Totengräber hätte er wohl aus der Sicht des beginnenden 10. Jahrhunderts gewirkt, als die Neuerrichtung des schwäbischen Herzogtums noch als Symbol der königsunabhängigen Lokalpolitik hatte gesehen werden können. Der ‹Investiturstreit› hat die rechtlichen und räumlichen Grundlagen der Herzogsherrschaft indirekt völlig verändert935 und damit eine zweite grundlegende Transformation herbeigeführt, nachdem in einer ersten Transformation im 9./10. Jahrhundert aus dem alten regnum Alemannien bereits das Herzogtum Schwaben erwachsen war. Dazu haben Mutationen wie die Veränderung der gräflichen Herrschaft und der Aufstieg kleiner lokaler Aristokratensippen im 11. Jahrhundert sowie der Machtzuwachs militärisch potenter Männer (Stichwort ‹Ministerialität›) seit dem 10.  Jahrhundert wesentlich beigetragen. Aus der mehrheitlich ‹antiköniglichen› Position der schwäbischen Aristokraten liesse sich deren Aufstieg in höhere Titel und Ehren ganz im Sinne von Schmid ohne Einwirkung des Königs vermuten.936 Die lokalen Mechanismen in Schwaben funktionierten also trotz offizieller Zugehörigkeit zum ostfränkischen Reich noch im 11. und 12.  Jahrhundert überraschend dezentral und weitestgehend unabhängig vom Königtum. Schmid spricht hierfür von einem «Verherrschaftlichungsprozess», ausgelöst durch «Beanspruchung und Behauptung herrschaftlicher Positionen durch Adlige und Adelsgruppen gegenüber dem Königtum» seit dem 10. Jahrhundert.937 Ob die Entstehung des schwäbischen Herzogtums ein Ergebnis dieses ‹Verherrschaftlichungs- und Konzentrationsprozesses› war, wage ich zu bezweifeln. Vielmehr war die Entstehung des schwäbischen Dukats den extremen zeitgenössischen 933 934 935 936 937

Hartmann, Investiturstreit, S. 51. Althoff, Zähringer, S. 81 f. Zur Spätphase des Herzogtums vgl. Mertens, Spätphase, S. 321, 324 f. Maurer, Herzog von Schwaben, S. 218. Schmid, Adel und Reform, S. 336 f., 342. Ders., Familienfolge, S. 405.

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Umständen geschuldet. Die Fortsetzung desselben könnte mit dem königlichen Versuch fortgesetzter Einflussnahme in Schwaben erklärt werden, und erst die territoriale Zerstückelung des Herzogtums sowie die doppelte Titelführung Ende des 11. Jahrhunderts mit Bertold II. von Zähringen dürfte als das lange hinausgezögerte Resultat eines allmählichen ‹Verherrschaftlichungsprozesses› betrachtet werden. Das frühmittelalterliche regnum war faktisch in mehrere ‹Adelsherrschaften› zerfallen, blieb nominell aber ein Herzogtum unter einem einzelnen Herzog mit fallbezogen mehr oder weniger Macht und Einfluss.

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Schluss – Eine alemannische Kriegergesellschaft

Aus der ursprünglichen Frage nach einer sich gegenseitig beschützenden Gemeinschaft ist ein ausgedehnter Streifzug durch den frühmittelalterlichen Bodenseeraum geworden. Es wurden die Bestandteile einer schwäbisch-alemannischen Kriegergesellschaft betrachtet, herausragenden Persönlichkeiten konnte in konkreten Fallbeispielen nachgespürt werden und die Rollen der zentralen Institutionen vor Ort haben sich im Wandel der Zeit als äusserst wechselhaft erwiesen. Im Zentrum der Arbeit stand die Zugehörigkeit zur militia, wobei sich gezeigt hat, dass sowohl gesellschaftliche Eliten als auch klösterliche Funktionäre und Hörige zur zeitgenössischen Kriegerschaft gehörten. Die Bevölkerung im Bodenseeraum – und mit ihr die gesamte politische Landschaft dieser Region – hat unter faktischer Führung und Beeinflussung lokaler Eliten eine regional einzigartige Entwicklung durchlebt, die durchaus als grösserer Transformationsprozess gesehen werden kann. Der königliche wie der herzogliche Einfluss spielten dabei eine eher nebensächliche Rolle. Die Transformationsphase des 10. und 11. Jahrhunderts war geprägt von einer vielfältigen Krieger- und Funktionselite, deren Zuwachs durch Krisen ebenso genährt wurde wie durch Aufstiegsbegehren einer sich wandelnden Leistungsgesellschaft. Neben die alte Aristokratie traten zunehmend soziale Aufsteiger aus der klösterlichen familia und der lokalen Güterverwaltung als Schwertträger und Gotteskrieger. Zudem gelang es im ‹zivilen› Umfeld vielen Hörigen, durch Eigenleistung als spezialisierte Handwerker und Boten aufzusteigen.

4.1

Konflikt und Reform – Schwertträger und Gotteskrieger

Der grosse Bedarf an Waffenträgern im 10. und 11. Jahrhundert liess sich bei weitem nicht alleine durch die Führungselite und die hohen Amtsträger mit ihrem Gefolge decken. Neben den kleinen liberi musste auf unfreie Angehörige der herrschaftlichen familia zurückgegriffen werden. Im gemeinsamen Heerbann formte sich diese heterogene Kriegergemeinschaft zur hochmittelalterlichen militia. So dürfen ausgewählte Waffenträger aus dem Klostergesinde ebenso zur frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft gezählt werden wie die Grafen und milites. Zusammen bildeten sie als Kriegergemeinschaft den waffentragenden Teil der schwäbischen Bevölkerung. Besonders für das frühe Mittelalter können Fähigkeiten und Funktionen also kaum ausreichend hervorgehoben werden, da sie häufig wichtiger waren als Herkunft und Geburt. Selbst die nur schwer finanzierbare ‹Reiterschaft› war keineswegs eine Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur militia, da, entgegen der Meinung vieler Historiker, ein frühmittelalterliches Heer nach wie vor hauptsächlich aus Fusstruppen bestand. Der Bedarf an immer mehr Kriegern in den Krisenzeiten des 10. und 11. Jahrhunderts hatte zur ständischen Verbreiterung des Kriegertums und der Kriegerge-

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sellschaft geführt. Die damit verbundenen Vorrechte wurden in der Folgezeit nicht einfach wieder abgegeben, sondern hatten längerfristige Veränderungen zur Folge. Diese hingen meist mehr vom gegenseitigen Wettstreit sowie der Funktions- und Aufgabenkumulation ab als von der geburtsrechtlichen Ausgangslage. Ob nun von Kriegern, Aristokraten, ‹Warlords›, militärischen Eliten oder noch spezifischeren waffenführenden Gruppen gesprochen wird, handelt es sich doch in erster Linie um Waffenträger. Als solche kommen zuallererst der König, die Herzöge, Markgrafen, Grafen, Bischöfe und Äbte infrage, da diese als die bedeutendsten Träger militärischer Kompetenzen selbst zum Dienst mit der Waffe verpflichtet waren, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Diese Fürsten waren wiederum in der Lage, ihre persönlichen Hauskrieger – als reichsweite Kriegerelite – sowie ihre Gefolgsleute zum Heerdienst aufzubieten. Im Falle des Königs betraf dies die principes der einzelnen regna und ducatus. Ein schwäbischer Herzog im 10./11. Jahrhundert vermochte – zumindest theoretisch – alle weltlichen und geistlichen Machtträger seines Herzogtums aufzubieten oder führte diese im Auftrag des Königs als eigenen Truppenkörper dem königlichen Heer zu. Ein Markgraf verfügte per se über ausserordentliche Kommandogewalten und somit über jederzeit abrufbares militärisches Potenzial, doch spielt dies für Alemannien in keinem der bekannten Fälle eine Rolle. Grafen stellten in erster Linie sich selbst, ihre Hauskrieger mit Gefolge sowie die nicht einer geistlichen Institution zugehörigen Abhängigen eines comitatus. Für die lokalen Centenare, Centurionen und Tribunen galt bezogen auf ihren Rechtsbezirk dasselbe, sofern sich keine Überschneidungen mit gräflichen Kompetenzen ergaben. Ein Bischof oder Abt verfügte aufgrund der Besitztümer innerhalb seines Bistums oder seiner Abtei über die entsprechenden Ressourcen, um ein eigenes Aufgebot auf die Beine zu stellen, das sich einerseits aus aristokratischen Gefolgsleuten und persönlichen Hauskriegern zusammensetzte und wofür andererseits auf bischöfliche und klösterliche Beamte, Verwalter und Vögte zurückgegriffen werden musste. Darunter sind Teile der lokalen Elite – beispielsweise als Meier und Ortsvorsteher – zu finden, in zunehmendem Masse aber auch Hörige, Knechte und andere Abhängige aus den Güter- und Zentralorten sowie aus der bischöflichen und äbtischen familia. Waffenträger und Krieger Im ersten Teil dieser Arbeit wurde weitgehend unabhängig von politischen Strukturen der Frage nach möglichen Elementen einer schwäbisch-alemannischen Kriegergesellschaft nachgegangen. Im Zentrum standen die hierfür infrage kommenden lateinischen Termini für Personenbezeichnungen und -beschreibungen in Urkunden, Chroniken und Gesetzestexten. Wie sich aus den Schriftquellen ergab, wurde die Kriegslast nicht alleine von aristokratischen Kriegern, sondern ebenso durch Hörige wie das Klostergesinde von St. Gallen und selbst durch die dortigen Mönche getragen. Als Unterscheidungsmerkmal zwischen Kriegern und einfachen Waffenträgern diente lediglich die Professionalität. Die Zugehörigkeit zur Waffenträgerschaft und Kriegergesellschaft war dem Umstand des faktischen Waffentragens und herausragenden Fähigkeiten geschuldet. Im 10. Jahrhundert haben sich die politischen Eliten ebenso wie Teile der landwirtschaftlichen Bevölkerung sowie zuverlässige und befä-

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higte Hörige und Knechte als Elemente der schwäbisch-alemannischen Kriegergesellschaft gezeigt, mitunter als Teile von Expeditionstruppen, Friedensmilizen und zur defensio patriae. Dabei wurden die Grenzen zwischen Kriegern, gewöhnlichen Waffenträgern und Unbewaffneten im Zuge der Bewaffnung von einfachen rustici mit professionellen arma militares vollends verwischt. Eine Differenzierung dieser Gruppen aufgrund ihrer Bewaffnung ist somit nicht ohne Weiteres möglich und auch andere Versuche, hinter den gesellschaftlichen Elementen der schwäbisch-alemannischen Kriegergesellschaft ordnende Raster wie ein einheitliches Waffenrecht, Besitzrecht oder eindeutige Funktionsbezeichnungen zu finden, sind gescheitert. Im Gegensatz dazu hat beispielsweise die Beschäftigung mit frühmittelalterlichen Fernkämpfern – anstelle von schwergewappneten Schwertkämpfern – den Blick auf gewisse Ehr- und Moralvorstellungen kriegerischer Eliten ermöglicht. Daher sind nicht nur die Personen-, sondern auch die Sachbezeichnungen von hohem Wert. Beispielsweise taucht die ‹ritterlichste› aller Waffen, das Schwert, in der frühmittelalterlichen Überlieferung des Bodenseeraumes sowohl als gladius als auch als spata auf. Während die erste Bezeichnung besonders als rechtliches Symbol eines freien Mannes und zur allgemeinen Bezeichnung von Schwertern verwendet wurde, stellte die Nennung einer spata eine exaktere Waffenangabe beispielsweise in Zweikämpfen dar. Dabei wurde insbesondere ersichtlich, wie wichtig der gesellschaftliche und bildungstechnische Hintergrund des zeitgenössischen Schreibers für die Überlieferungsbildung und somit für unser heutiges Verständnis der zeitgenössischen Umstände ist. Die Wortwahl gewisser Chroniken sagt meist mehr über den Wortschatz des schreibenden Mönchs aus als über die zeitgenössische technische Versiertheit. Es dürfte dabei immer den einen Mönch gegeben haben, der sich bevorzugt mit antiker Literatur beschäftigte und deshalb von gladius sprach, und denjenigen Mönch, der direkt auf den vernakularen familiären Background seiner ‹Kriegerfamilie› zurückgriff und aus persönlicher Erfahrung wusste, was eine Spatha ist. Hinzu kommt das teilweise agonal anmutende, gelehrte Zitieren von Kirchenvätern und Bibelstellen, das die Ausdrucksweise des jeweiligen Chronisten zusätzlich verwässert hat. An Begriffen wie miles und vasallus wurde ersichtlich, wie stark alleine schon die zwischen 700 und 1100 verwendete Terminologie einem Wandel unterlag. So scheinen die salischen milites nicht mehr viel mit den Elitetruppen Karls des Grossen gemein gehabt zu haben, und während Notker Balbulus zur Umschreibung des karolingischen Heeres noch gerne auf Begriffe wie vasallus zurückgriff, finden sich bei den Chronisten des 11. Jahrhunderts vermehrt spezifischere Termini wie pedites und equites. Dahinter dürften nicht zuletzt gewisse Transformationstendenzen von einer frühkarolingischen Elitetruppe aus der unmittelbaren Umgebung des Herrschers zur weniger stark zentralisierten und peripher-lokal verankerten militia stecken, welche überregional als Kriegergemeinschaft verbunden blieb. Während die militia als militärische Elite Karls des Grossen lediglich den Kern eines ansonsten schlecht gerüsteten Heeres (exercitus) darstellte, hatte der erhöhte Bedarf und regelmässige Einsatz von ‹Nichteliten› zu einer Verbreiterung der militia geführt. Um den personellen Bedürfnissen der militärischen Konflikte beizukom-

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men, wurden selbst überaus stark abhängige Männer mit einbezogen und dadurch die Militarisierungsrate erhöht. Die militia als Gesamtheit der Krieger und Waffenträger entwickelte sich dadurch im 10. und 11. Jahrhundert zu einer äusserst heterogenen Kämpfergemeinschaft. Eine gegenläufige Entwicklung der militia als Gesamtheit der Kriegerschaft zu einer neuerlich ‹nach unten› hin abgegrenzten Elite stellte sich erst im Zuge der Nutzbarmachung einer ‹Ritterschaft› durch die Kirche im 11. und 12. Jahrhundert ein. Ausgelöst durch die Gottesfriedensbewegung bildete sich im hohen Mittelalter zunehmend ein Ethos für Waffenträger unter dem miles-Begriff, der im 12./13. Jahrhundert vermehrt zur Bezeichnung für aristokratische Waffenträger und professionelle Krieger verwendet wurde. Hörige und Dienstleute In dieser Untersuchung gehören im Besonderen die hörigen Aufsteiger und Dienstleute als Teil der alemannischen Kriegergesellschaft zu den wegweisenden Elementen. Deshalb wurden die entsprechenden lateinischen Termini nicht nur in Bezug auf das allgemeine Vorkommen in den Quellen des Bodenseeraumes, sondern im Besonderen auf mögliche Transformationsprozesse (Aufstieg, Absinken) sowie auf Bezüge zum lokalen und zeitgenössischen Kriegswesen hin untersucht. Dabei entstand ein breites Personenfeld unterschiedlichster Herkunft, Rechte, Pflichten, Freiheiten und Aufstiegsmöglichkeiten. Diese Gruppen erwiesen sich allerdings keineswegs als statische Gebilde. Vielmehr unterlagen sie je nach übergeordnetem Herrn, zugehöriger Institution sowie geografischer und politischer Lage einem anders gearteten Wandel. Die zentralen Begriffe wie servus und mancipium haben sich im Wandel der Zeit kaum im Anwendungsbereich oder in ihrer Semantik verändert, während andere Begriffe eher dem 8./9. Jahrhundert oder aber der nachkarolingischen Zeit zugewiesen werden konnten. Dabei wurde ersichtlich, wie stark einige Begriffe und Bezeichnungen in St. Gallen zum Teil von jenen weiterer Klöster und Herrschaftsbereiche abwichen, während andere Termini reichsweit in ähnlicher Weise Verwendung fanden. Populäre mediävistische Begriffe wie ministerialis hingegen tauchen in den Quellen des Bodenseeraums zwischen 700 und 1100 praktisch nie auf und waren deshalb nicht von Bedeutung. Dagegen spielten die wortverwandten ministri ausschliesslich als Diener für jemanden oder im übertragenen Sinn als Träger eines ministerium eine Rolle und standen nirgends für landwirtschaftliche oder knechtische Dienste. Je nach sozialer Mobilität war in den einzelnen Herrschaften eine unterschiedliche semantische Begriffsentwicklung zu beobachten. Dabei konnten gewisse Begriffe sowohl direkt zur Bezeichnung eines Hörigen verwendet werden als auch übertragen zur Bezeichnung eines gehobenen Waffenträgers mit einer besonderen oder symbolischen Funktion. Besonders die militärischen Termini können durch ihre eher beschreibende Art bezüglich Fortbewegung, Bewaffnung, Aufgabenbereich und Spezialisierung auf einen Grossteil der Waffenträger in einem Heer angewandt werden. In ähnlicher Weise werden zum Teil ‹zivile› Spezialisierungen und Funktionen in Hofdienst und Handwerk bezeichnet, worunter Personen mit den unterschiedlichsten Abhängigkeitsgraden verstanden werden konnten. Zu den neuen Mitgliedern der Gemein-

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schaft von Waffenträgern dürfen demnach auch ein Grossteil der klösterlichen und bischöflichen Dienstleute (Träger von ministeria und spezifischer servitia) gezählt werden. Dazu gehören insbesondere die spezialisierten Funktionäre, die für ihre Herren beispielsweise berittene Botendienste (homines cavallicantes) oder ‹Verwaltungsmandate› (maiores, villici) übernahmen, aber auch diejenigen, die sich durch erhöhte Zinszahlungen in ein vorteilhafteres Abhängigkeitsverhältnis eingekauft haben (tributarii, censuales). Für zahlreiche Termini stellte sich dabei weniger die Frage nach einer ständischen Zugehörigkeit als nach dem jeweiligen Anwendungsbereich. So waren unter servi und mancipia häufig dieselben Personengruppen zu verstehen, doch wurde mit servus eine individuellere und persönlichere Ebene angesprochen, während mancipium hauptsächlich als Rechtsbegriff verwendet wurde. Gerade Letzteres lässt sich jedoch stark der individuellen Auffassung des schreibenden Mönchs zuschreiben und rührte stark von römisch-antiken Rechtsvorstellungen her. So gelten obige Ergebnisse vorrangig für das Untersuchungsfeld des Bodenseeraums und eignen sich nur bedingt für Aussagen zur reichsweiten Situation. Dafür waren die regionalen Unterschiede zu gross, und zwar bezogen auf die faktischen Umstände und auf die regional unterschiedliche Art der Niederschrift und Wortwahl. Denn die zeitgenössische Begriffsverwendung und damit das Grundgerüst einer jeden regionalen Untersuchung über Schriftquellen ist in erster Linie von den lokal schreibenden Mönchen abhängig. Zentralorte und Ungarnburgen Die Zentralortthematik erwies sich als ideales Werkzeug zur Differenzierung wichtiger klösterlicher Orte in Unter-, Mittel- und Oberzentren sowie zur Eruierung möglicher lokal vorhandener Funktionäre. So waren Bischofssitze wie Konstanz und Chur klar als Oberzentren zu sehen, während die Pfalz Bodman und das Kloster St. Gallen lediglich als Mittelzentren zu kategorisieren waren. Klösterliche Fron-, Abgabe- und Ausstellungsorte wie Romanshorn, Oberuzwil und Gossau gehörten zu den alemannischen Unterzentren und Ansammlungen von Höfen wie in Landschlacht stellten höchstens autarke ländliche Siedlungen dar. Die ursprünglichen Zentralorte des Bodenseeraumes wie Arbon und Bregenz haben ihre Rolle während des 8. und 9. Jahrhunderts an die neue institutionelle Ordnung gräflicher, klösterlicher und bischöflicher Herrschaft verloren und die Bedeutung der ehemaligen Kastellbezirke musste wie in Kaiseraugst den übergeordneten Comitaten und Centenarien weichen. Die Fortnutzung alter römischer Verteidigungsarchitektur und Infrastruktur hat sich ebenso als Indiz für lokale Eigeninitiativen und -verwaltung herausgestellt wie die Anlage zeitlich begrenzter Schutzanlagen und Refugien. Zahlreiche der als Ungarnburgen bezeichneten Refugien waren in ihrer Bauweise und Lage mit den seit der Bronzezeit entstandenen Rückzugsorten der einheimischen Bevölkerung vergleichbar. Wenn auch eine ganze Reihe äusserst langwieriger und aufwendiger archäologischer Untersuchungen notwendig wäre, um das volle Ausmass der zahlreichen baulichen Eigeninitiativen der letzten Jahrtausende im Bodenseeraum zu rekonstruieren, so lässt sich doch bereits postulieren, dass es für die Einheimischen wohl kaum eine existenzielle Rolle spielte, welcher Herr, römische Kaiser, ‹Warlord›, Herzog, König, Graf, Bischof oder Abt gerade das Sagen hatte. Selbst neu zugewanderte Grup-

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pen wie die Alemannen zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert oder die Franken im 8. und 9. Jahrhundert führten keinen revolutionären gesellschaftlichen Wandel herbei, sondern vermischten sich – mit wenigen Ausnahmen – meist friedlich mit der einheimischen Bevölkerung. In den politischen Krisenzeiten wie dem 5. oder 11. Jahrhundert – ganz abgesehen von den zahlreichen Hungersnöten und Epidemien – hat sich die lokale Bevölkerung meist selbst beschützt und versorgt. Dementsprechend war der ostfränkische König im 10. Jahrhundert für die Menschen im Bodenseeraum nicht sonderlich von Bedeutung, während die lokale Elite – gestützt auf die einheimischen Waffenträger – ihre Stellung zunehmend festigen konnte. Es verwundert daher nicht, dass sich diesbezüglich erst mit dem Bau erster städtischer Mauern und anderer nun vermehrt herrschaftlich organisierter Schutzbauten auch eine lokale Transformation abzeichnete. Überhaupt wurden herrschaftliche Burgen und gemauerte Befestigungen vermehrt seit dem 11./12. Jahrhundert zu Zeichen von Herrschaftsträumen überall im Reich. Als Parallele zur Militarisierung kann dabei von einer erhöhten Befestigungsrate ausgegangen werden. Denn ebenso wie in unsicheren Zeiten mehr Männer unter Waffen gestellt wurden, entstanden auch zusätzliche Befestigungen, welche im 11. bis 13. Jahrhundert aufgrund fortgesetzter Nutzung durch die regionalen Eliten zunehmend zu repräsentativen und namengebenden Wohnbauten für die sich neu etablierende Aristokratie wurden. Die häufig gestellte Frage nach einem Munitionsregal hat sich dabei für den Bodenseeraum erledigt, denn in der lokalen Errichtung von Befestigungsanlagen spielte der König ebensowenig eine Rolle wie in den meisten anderen Bereichen des Alltagslebens. Eine mit dem ‹incastellamento› und ‹encellulement› vergleichbare Tendenz liess sich dabei für Schwaben nicht abschliessend nachweisen, ist aber durchaus vorstellbar.

4.2

Agon und Geburt – Aufsteiger und Aristokraten

Im Zuge der vermehrt agonal funktionierenden Kriegergesellschaft hat sich der Fokus auf unterschiedliche Mutationen der Macht als lohnend erwiesen. Neben den klassischen Elementen von Grafschaft, Vogtei und Herzogtum spielten besonders die bislang nicht auf gleicher Ebene betrachteten lokalen Funktionäre und klösterlichen Verwalter – darunter Meier, Pröpste, Centenare, Tribune und weitere lokale Funktionseliten – eine tragende Rolle. Diese Leute tauchten nämlich nicht immer sogleich als eigentliche Waffenträger auf, sondern hatten sich ihre ausserordentliche Stellung durch Spezialaufgaben und ihre Fähigkeiten erarbeitet. Anstelle einer alemannischen Kriegergesellschaft könnte also auch von einer ‹Leistungsgesellschaft› gesprochen werden. Besonders hinsichtlich der Terminologie hat sich dabei die Fokussierung auf den Bodenseeraum als lohnend erwiesen, da selbst die naheliegendsten Termini beispielsweise zur Bezeichnung der Grossen des Reiches (primores, optimates, principes) nicht überall im Reich gleichermassen Verwendung fanden. Durch die Auswahl eines Kleinraumes mit einer Überlieferung, welche hauptsächlich einer einzelnen Institution entstammte, konnten bereits im Voraus potenzielle Fehlerquellen vermieden werden.

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Grafen und Grafschaften Den klassischen Beginn machten im zweiten Teil die alemannischen Grafen und Grafschaften, da sich diese Thematik als hervorragender Indikator für gesellschaftliche Umbrüche erwiesen hat. Mit den comites einher gehen nämlich ebenfalls deren Rechte und Aufgabenbereiche, welche zunehmend an weitere Funktionäre wie Centenare und Meier delegiert wurden. Gleichzeitig hat sich der Comitat als Konstante erwiesen, der sowohl dynastische Wechsel in der Königsherrschaft als auch tiefgreifende Bruderkriege überdauert hat. Freilich sind im Wesen der Grafschaft zwischen 700 und 1100 kleinere Mutationen spürbar, doch führten frühestens die Verherrschaftlichungsprozesse am Ende des 11. Jahrhunderts dazu, dass diese merowingisch-karolingische Institution sowohl in eine Territorial- als auch eine Titulargrafschaft überging. Die grundlegende institutionelle Idee blieb jedoch dieselbe, sodass für einige alte territoriale Comitate gar Grafenreihen von der fränkischen Durchdringung Alemanniens im 8. bis ins 11.  Jahrhundert nachvollzogen werden konnten. Davon zeugt die Grafenliste im Anhang. Wenn man aufgrund der frühen Grafenformeln davon ausgeht, dass diese Grafen mit offizieller Legitimierung des Königs handelten und in ihren jeweiligen Bezirken Recht sprachen sowie für das militärische Aufgebot in ihrem Bereich zuständig waren, so dürfen wir von einer Kontinuität dieser Praxis bis ins 11. Jahrhundert ausgehen. Der Wechsel von der karolingischen zur ottonischen Herrschaft oder die Neuerrichtung des schwäbischen Dukats zu Beginn des 10. Jahrhunderts hatten demnach keine derart drastischen Auswirkungen auf die alemannischen Grafschaften. Zwar ging die urkundliche Überlieferung nach 913 stark zurück und damit verschwanden auch die Grafenformeln, dank der historiografischen Überlieferung und einiger Herrscherdiplome ausserhalb St. Gallens konnten jedoch vielen der alten karolingischen Grafschaften weitere comites zugeordnet werden. Man darf also davon ausgehen, dass weder sämtliche alten Grafschaftsbezirke nach dem ‹Aussterben› der Karolinger im Ostfrankenreich plötzlich verschwanden, noch die gräflichen Kompetenzen im Nichts aufgingen. Zwar ist es zu Verschiebungen, Kumulationen und Aufsplitterungen alter Comitate gekommen und die Grafen dürften in ihrer Bedeutung immer wieder hinter dem schwäbischen Dukat zurückgestanden haben, aber eine Transformation im Rahmen der Grafschaftsverwaltung lässt sich frühestens am Übergang zum 12. Jahrhundert vermuten, als sich auch die herzogliche Macht zunehmend in Territorial- und Titularherzogtümer aufteilte. Insofern trifft die lange gehegte Vermutung, der Grafentitel sei zunehmend zum reinen Ausdruck von Rang und Würde einzelner aufsteigender Aristokraten mit ihren neugebildeten und sich selbst konstituierenden Stammsitzen geworden, frühestens für die Zeit ab dem Ende des 11. Jahrhunderts zu. Die Grafen des 11. Jahrhunderts waren jedenfalls noch nicht völlig losgelöst von der Gebietsherrschaft und der notwendigen königlichen Legitimierung zum Führen ihres Titels. Als legitimierende Faktoren für den Grafentitel galten in jener Zeit vermehrt besondere königliche Beauftragungen sowie die herausragende und grafengleiche aristokratische Stellung einiger schwäbischer Familien. Solche führenden Stellungen konnten nicht zuletzt durch reiche Stiftungen, Vogteirechte und persönliche Leistungen im königlichen Gefolge, am Hof sowie im

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Krieg erreicht werden. Als herausragende Beispiele seien hier die Zähringer, Nellenburger, Habsburger, Staufer, Welfen und Lenzburger genannt. Als Teilergebnis sind die Grafenlisten des 10. und 11. Jahrhunderts zu sehen, deren Erarbeitung überhaupt erst den Nachweis einer Fortexistenz der ‹alten› karolingischen Grafschaften ins postkarolingische Ostfrankenreich ermöglicht haben. Die Herauslösung gräflicher Beamten, Aristokraten und Funktionäre aus dem Namensgewirr der frühmittelalterlichen Quellen hat sich als wertvolles Werkzeug zur Durchdringung zentraler gesellschaftlicher Elemente im Herzogtum Schwaben erwiesen. Die Grafschaft als institutionelle Konstante hat wesentlich dazu beigetragen, die ‹mutation documentaire›, die Kluft vom ‹urkundenreichen› 9., zum ‹urkundenarmen› 10. und schliesslich ins ‹urkundenleere› 11. Jahrhundert zu überwinden. Als Verbindung zur lokalen Verwaltung und Gerichtsbarkeit wurden einige Versammlungs- und Gerichtsorte wie das Oberuzwiler Maloo, Gossau, Romanshorn und weitere gräfliche wie klösterliche Zentralorte und malli aufgeführt. Anhand weiterer Versammlungsorte und -arten sowie der Gerichts- und Verwaltungshoheit der schwäbischen Pfalzgrafen, rectores, vicarii und Königsboten konnte die durchaus wechselhafte Rolle des Königs und der weltlichen wie geistlichen Magnaten in Schwaben nachgezeichnet werden. Nicht das Amt war ausschlaggebend, um im Bodenseeraum als faktischer princeps angesehen zu werden, sondern der Rückhalt in der schwäbischen Elite. Ein Graf, Herzog oder Pfalzgraf konnte ebenso schwäbischer princeps sein wie ein mächtiger Bischof oder Königsbote. Aufsteiger und Eliten Als besonders gut erzählbare ‹Geschichten› haben sich die Ausführungen zu den lokalen Aristokraten und Elitenfamilien erwiesen. Diese fungierten als ‹Scharniere› zwischen königlicher wie herzoglicher Gewalt, den lokalen Familienverbänden und geistlichen Institutionen. Dank einigen herausragenden Persönlichkeiten wie Anno, Babo, Ruodpert, Othere, Adale und Adalhelm sowie deren Aufstieg ins ‹Licht der Geschichte› konnte ein direkter Einblick in die alemannische Kriegergesellschaft gewonnen werden. Diese alteingesessenen schwäbisch-alemannischen potentes und fideles bildeten den eigentlichen politischen, sozialen und militärischen Kern des regnum Alemannien und ducatus Schwaben. Sie waren die faktischen Garanten für die lokale Durchsetzung von Beschlüssen und für die Erhaltung von Frieden und Ordnung. Diese Männer sind an der Spitze von Zeugenlisten (praepositi, centenarii), als Vorsteher kleiner Siedlungen (villici, maiores, rectores) oder von Versammlungen (centuriones, tribuni), als Beistände in Rechtsangelegenheiten (advocati) sowie als fideles des Königs und seiner Stellvertreter zu finden. Anhand der zahlreichen Termini, welche für die Angehörigen dieser Elite zu finden sind, kann besonders der Unterschied zwischen ständischer Bezeichnung und funktionell bedingter Umschreibung verdeutlicht werden. Ein lokaler Ortsvorsteher (villicus/rector) konnte zugleich centenarius eines Rechtsbezirks sein und beispielsweise einem Propst des Klosters St.  Gallen als advocatus für rechtliche Belange zur Seite stehen. In einer bis heute überlieferten Urkunde würde er aber nur in einer oder maximal zwei der ebengenannten Funktionen genannt werden, was unser heu-

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tiges Bild schmälert. Einzig durch den Vergleich mit den Funktionsbezeichnungen, Titeln, Orten und Abhängigkeiten in weiteren Urkunden, die denselben Namen enthalten, kann die Vorstellung eines solchen Lokalaristokraten erweitert werden. Für St. Gallen ist dies in zahlreichen Fällen möglich. Die gute Überlieferungslage im dortigen Stiftsarchiv erlaubt zwar einen einzigartigen Einblick in die alemannische Elite, doch selbst diese urkundlich genannten Männer dürften nur einen Bruchteil der tatsächlich vorhandenen Kriegergesellschaft im Bodenseeraum darstellen. Die stark literarisch ausgeschmückte Ekkehartstelle, wonach die Meier an den Aussenstellen des Klosters vermehrt nach einer Sonderstellung als aristokratische Ortsvorsteher und Krieger strebten, kann dabei als Indiz dafür gewertet werden, dass die lokale Elite Mitte des 11.  Jahrhunderts verstärkt Zuwachs aus ehemals hörigen Elementen der Bevölkerung bekam. Wenn alleine das Kloster St.  Gallen bis zum Jahr 1100 über mehr als 100 Meierhöfe verfügte und alleine die Hälfte der jeweiligen Hof- und Ortsvorsteher eine erbliche Ortsherrschaft erstrebte, hätte dies eine enorme Steigerung des militärischen Potenzials bedeutet. Obwohl für die Abtei die Gefahr bestand, selbst an Einfluss zu verlieren, war sie aufgrund der wachsenden Notwendigkeit nach immer mehr Waffenträgern zugleich auf jene Meier angewiesen. Dieses aufstrebende Meiertum, das als ‹Rekrutierungspool› für die äbtischen Aufgebote diente, dürfte wohl auch gemeint gewesen sein, wenn in früheren Forschungsprojekten von der ‹Ministerialität› des Klosters St. Gallen die Rede war. Denn obwohl der entsprechende lateinische Terminus ministerialis in den sankt-gallischen Quellen praktisch nicht vorkommt, passen diese gesellschaftlichen Aufsteiger im reichsweiten Vergleich nicht schlecht zu den weiteren unter den ‹Ministerialitätsbegriff› fallenden Aufsteigergruppen. Zu den alteingesessenen Aristokraten gesellten sich demnach besonders im 10. und 11. Jahrhundert neue Gruppen von Aufsteigern. Dabei dürften die alten ehrwürdigen Aufgaben wie die Rechtsprechung sowie polizeiliche, fiskalische und militärische Funktionen noch lange von den ursprünglichen Eliten als Centenare und Tribune wahrgenommen worden sein. Als Folge all dieser Aufsteiger und Aristokraten können die grossen schwäbischen Aristokratenfamilien betrachtet werden. Sie sind der Ursprung des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen ‹Adels›, der sich in Schwaben aber frühestens mit dem Auftauchen von ‹de›-/‹von›-Attributen im 11. und 12.  Jahrhunderten nachweisen lässt. Durch die Benennung und Bezeichnung nach Herrschaftssitzen wurde im schwäbischen Verherrschaftlichungsprozess der Grundstein für die späteren ‹Adelsfamilien› gelegt. Herzog und Herzogtum Wie bei der Transformation des Römischen Reiches spricht man im Falle des jüngeren schwäbischen Stammesherzogtums im 10. und 11.  Jahrhundert besser von unterschiedlichen politischen Mutationen und nicht von einem Anfang und einem Ende. Einen alemannischen ‹Ackerbauern› wird es wenig interessiert haben, wer gerade Herzog oder König war. Den weitaus grösseren Einfluss übten seit jeher die lokal verankerten weltlichen und geistlichen Eliten aus, ohne deren Zutun sich kein princeps über längere Zeit hätte an der Macht halten können. So übten bereits vor der

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Neuerrichtung des Herzogtums Schwaben lokal verankerte Männer wie die Udalriche, Adalberte und Burcharde herzogsähnliche Macht aus. Diese potentes verfügten über ein derart ausgeprägtes Netz an Herrschaftsschwerpunkten und Ämtern, dass es wohl eine Frage der Zeit war, bis jemand aus einer dieser Elitenfamilien die Herrschaft über ganz Alemannien ergriff. Aufgrund ihrer faktischen Macht sahen diese Magnaten aber offenbar keinen Grund zum Handeln. Erst in der Krisenzeit des beginnenden 10. Jahrhunderts mit den Ungarneinfällen, dem Wechsel der karolingischen zur ottonischen Königsherrschaft und dem alemannischen Bruderkrieg wurde ein Eingreifen unausweichlich, um den Status quo in Alemannien durch die Errichtung eines eigenständigen Herzogtums beizubehalten. Während das Herzogtum zu Beginn des 10.  Jahrhunderts noch als Symbol königsunabhängiger Regionalpolitik hätte gesehen werden können, führte die erzwungene königliche Einflussnahme im Laufe desselben Jahrhunderts zu einer wechselhaften Herzogsfolge, die es keinem schwäbischen dux erlaubte, eine dynastische Abfolge zu etablieren, sodass der schwäbische Dukat zu einem noch grösseren Spielball politischer Interessen wurde als das Königtum. Aufgrund seiner geringen Bedeutung für das lokale Geschehen wurde das schwäbische Herzogtum in dieser Arbeit nur peripher behandelt. Das eigentliche Sagen hatten spätestens seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert die durchsetzungsfähigsten, baupolitisch und militärisch erfolgreichsten Familien, und dies zumeist unabhängig von den eigentlichen Ämtern. Auswärtige Potentaten rangen mit der in zahlreiche Parteien zersplitterten lokalen Aristokratie um Königsrechte, Zentralorte, Vogteien und Ämter. War der schwäbische Dukat für diese Entwicklung vielleicht gar der wirksame Geburtshelfer? Im Zuge des ‹Investiturstreits› Ende des 11.  Jahrhunderts standen sich die zahlreichen Aristokraten und ihre Sippen- und Abhängigkeitsverbände schliesslich in mehreren äusserst blutigen Auseinandersetzungen gegenüber, was die rechtlichen und räumlichen Grundlagen der Herzogsherrschaft indirekt völlig veränderte und damit eine zweite grundlegende Transformation herbeiführte, nachdem in einer ersten Transformationsphase im 9./10. Jahrhundert aus dem alten regnum Alemannien das Herzogtum Schwaben erwachsen war. Das frühmittelalterliche regnum war faktisch in mehrere ‹Adelsherrschaften› zerfallen, blieb nominell aber ein Herzogtum unter einem einzelnen Herzog mit personenbezogen mehr oder weniger Macht und Einfluss. Damit bleibt die Frage nach der Notwendigkeit eines schwäbischen Herzogs bestehen. Die königliche Legitimation des Herzogtitels spielte in einer häufig dezentral ausgerichteten Region wie Schwaben keine Rolle. Die faktische Macht war entscheidend, und über diese verfügten meist eher die lokalen potentes als der Herzog selbst.

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4.3 Conclusio Anhand von Einzelfällen des frühmittelalterlichen Bodenseeraums wurde ein vielfältiges Spektrum an Themen in lokaler Breite betrachtet. Dabei liess sich auf verschiedenen Ebenen der alemannischen Kriegergesellschaft eine Transformation feststellen. Besonders erstaunlich ist dabei die Beobachtung, dass sich in zahlreichen Punkten Überschneidungen mit einer vergleichbaren Transformation in den zwei Jahrhunderten nach dem Ende des Weströmischen Reiches ergeben haben. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung darf man von einer ersten (5.–7.  Jahrhundert) und einer zweiten Transformation (10.–11. Jahrhundert) sprechen mit Ereignissen und Auffälligkeiten, die trotz einer zeitlichen Differenz von einem halben Jahrtausend vergleichbar sind. Zu den gemeinsamen Faktoren einer solchen Transformation gehören ein gewisses Mass an Dezentralisierung, ein erhöhter Grad an Militarisierung unter eigentlich unbewaffneten Bevölkerungsteilen, Veränderungen und Lücken in der schriftlichen Überlieferung, ein Wechsel der Zentralorte und eine ständische wie politische Neustrukturierung. Transformation und Kontinuität Unter einer Dezentralisierung muss nicht unbedingt die Entfernung von Kaiser oder König zu verstehen sein, sondern es geht – um es von der anderen Seite zu betrachten – um das Erstarken lokaler Kräfte und um Selbstinitiativen vor Ort. Dies kann ebenso Konflikten mit dem eigentlichen ‹Zentralorgan› geschuldet sein wie plötzlichen Krisen und Bedrohungen und dem Rückzug der schützenden Zentralmacht und ihrer Organe. Die darauffolgenden Selbstinitiativen, die möglichen Nachfolgekämpfe und die Umverteilungen von Ressourcen und Aufgabenbereichen können wiederum zur erhöhten Militarisierung beitragen und lokale Verwaltungstätigkeiten zeitweise lahmlegen. Umgekehrt können Überlieferungslücken  – welchen Ereignissen sie auch immer geschuldet sind  – heutigen Historikern ebendiesen Eindruck vermitteln und ein erhöhter Militarisierungsgrad kann durch ganz unterschiedliche Faktoren ausgelöst worden sein, wirkt sich aber fast immer einschneidend auf die jeweilige ‹Gesellschaftsordnung› und ihre Überlieferung aus. Die Mischung aus antikem Bücherwissen der Mönche und unbewusster Traditionsbildung trägt definitiv die Spuren der Transformation des Römischen Reiches in sich und hat mich im Endeffekt noch stärker dazu bewegt, Hinweisen bezüglich unterschiedlicher Mutationen im ‹dunklen 10. Jahrhundert› nachzugehen. Es spielen demnach mehrere Faktoren gleichzeitig eine Rolle, die mit unterschiedlich ausgeprägten Wechselwirkungen einen solchen Transformationszeitraum ausmachen. Neben die beiden Transformationen traten in dieser Arbeit auch einige Kontinuitäten, die zeigten, dass sich lokal verankerte Sitten und Gebräuche sowie familiäre und politische Strukturen nicht in derselben Weise veränderten, sondern stets auf Anknüpfungspunkte in der Vergangenheit angewiesen waren. Es gibt für den Bodenseeraum einige Hinweise darauf, dass die Titel von ehemals am Bodensee stationierten römischen Kommandanten (tribunus, praefectus, centurio) im loka-

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len Sprachgebrauch verblieben sind und als Anrede für die jeweils führenden und einflussreichsten lokalen Herren und Vorsteher verwendet wurden. Die lokalen Bezeichnungen wurden zwar besonders im 7.–9. Jahrhundert von den merowingischen und karolingischen Beamtenbezeichnungen überdeckt, doch behielt die alte Elite ihren Status noch lange bei und diente den neuen Grafen nicht zuletzt als lokale ‹Unterbeamte›, militärische Führer und Richter. Hinzu kommen einige Parallelen zwischen dem Übergang von der Provinzialverwaltung des ehemaligen Weströmischen Reiches zu den frühmittelalterlichen regna und dem gesellschaftlichen Wandel vom karolingischen Frankenreich zum vermehrt aristokratisch geprägten 12. Jahrhundert. Beide Transformationsphasen waren geprägt von Militarisierung, Dezentralisierung und lokaler Verherrschaftlichung. Ein Vergleich von lokalen Aristokraten im 4. und 5. Jahrhundert als principes ihrer Stammesgenossen, die sich ihre Macht zugleich unter Einbeziehung in die Strukturen des Römischen Reiches als Offiziere sicherten, und den lokalen Aristokraten des 10. und 11. Jahrhunderts, deren Stellung unter anderem auf der Erlangung und Weitergabe königlicher Ämter beruhte, hält zwar keiner ausführlicheren Untersuchung stand, doch regen die zahlreichen Parallelen zu weiterführenden Überlegungen an. Als Ergebnis der ersten Transformation stand die Formung der Alemannia und am Ende der zweiten stand ein schwäbischer Dukat ostfränkischer Prägung. Die politische Landschaft im Bodenseeraum veränderte sich nicht von einem Tag auf den anderen – weder nach dem Abzug der römischen Truppen im 5. Jahrhundert, noch in Folge der Bruderkriege des 11. Jahrhunderts und dem Ende des ‹jüngeren schwäbischen Stammesherzogtums›. Der folgenreiche Bruderkrieg in Schwaben Ende des 11. Jahrhunderts, welcher den zeitlichen Schlusspunkt der Untersuchungen markiert, hatte längerfristig dazu geführt, dass zum Teil uralte Lehns- und Abhängigkeitsverhältnisse durch militärische Besetzung, Konfiskation und Tod jäh getrennt wurden und die teils bereits im 10.  Jahrhundert verselbstständigten Klosterbeamten in der entfernten Landschaft nun gar als eigener Stand auftraten, und dies trotz breiter Restituierungen alter Besitzverhältnisse der Abteien am Bodensee. Das frühmittelalterliche regnum war faktisch in mehrere ‹Adelsherrschaften› zerfallen, blieb nominell aber ein Herzogtum unter einem einzelnen Herzog mit fallbezogen mehr oder weniger Macht und Einfluss. Ähnlich hatten sich die ‹Verherrschaftlichungsprozesse› des 10. und 11.  Jahrhunderts auch auf die St.  Galler Güterlandschaft ausgewirkt. Wohl behielten Abt und Konvent noch lange Zeit in vielen Gebieten die Gerichtsbarkeit inne und bezogen ihre Abgaben, doch hatte die faktische Einflussnahme vor Ort drastisch abgenommen, und zwar zugunsten schwäbischer ‹Adelsherrschaften›. Die Anzahl und Streuung sankt-gallischer Güterorte dürfte während der folgenden Jahrhunderte stark zurückgegangen sein und erreichte nie wieder das Ausmass der karolingischen Reichsabtei. Während die Streuung des Besitzes zurückging, wuchs allerdings deren lokale Konzentration, womit die Verherrschaftlichung auch die Reichsabtei St.  Gallen erfasste. Als markant fortgeschrittenes Ergebnis darf die frühneuzeitliche Fürstabtei St.  Gallen betrachtet werden mit ihren geschlossenen Herrschaften

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(Fürstenland, Toggenburg etc.), wo nicht nur Abgaben erhoben, sondern auch die äbtischen Truppen rekrutiert wurden, während die ehemalige Klostersiedlung als Stadt St. Gallen ganz andere Wege beschritt. Hörige und Heilige Ein unerwartetes Nebenprodukt der Untersuchung war die Beobachtung, dass sich alle Menschen im Bodenseeraum grundsätzlich in ein Schema von unterschiedlichen Abhängigkeitsgraden fügen liessen und die normalerweise verwendeten Unterscheidungsmerkmale wie ‹frei›/‹unfrei› und ‹hohe›/‹niedere› Geburt nur eine nebensächliche Rolle spielten. Freilich war die soziale Mobilität nicht unbegrenzt, doch ergab sich besonders im 10. und 11. Jahrhundert für weitaus mehr Personen eine Möglichkeit zur rechtlichen Verbesserung und Veränderung des Abhängigkeitsverhältnisses, als angenommen; sei es durch handwerkliche Fähigkeiten, Verwaltungsaufgaben oder Waffen- und Botendienste. Denn selbst wenn aus ökonomischen Gründen noch immer ein Grossteil der Bevölkerung im kleinen Rahmen landwirtschaftlich für einen weltlichen oder geistlichen Herrn tätig war und das Gros der Arbeit zu leisten hatte, war die Möglichkeit, durch besondere Aufgabenbereiche und Spezialisierungen innerhalb der familia aufzusteigen, grösser denn je. Denn selbst ein Abt war den neuen militärökonomischen Bedingungen unterworfen. Die wachsenden militärischen Bedürfnisse setzten eine immer grössere Verwaltung und Infrastruktur voraus, was selbst in St. Gallen irgendwann nicht mehr allein durch Mönche in leitenden Positionen geleistet werden konnte. Die Verbindung zwischen der familia und den eingesetzten Waffenträgern lässt sich aufgrund der neutralen Funktionsbezeichnungen für die Funktionsträger allerdings nur noch selten herstellen, sodass die unterschiedlich ausgeprägten Abhängigkeitsgrade erst im Falle militärischer Aufgebote, dem Grad an Ortsgebundenheit und beispielsweise in Ehe- und Erbangelegenheiten sichtbar wurden. Ebenfalls mehr beiläufig wurde ersichtlich, wie wichtig Heilige für die frühmittelalterlichen Zeitgenossen sein konnten, und dies durchaus in personifizierter Form. Dies zeigten bereits die zahlreichen Urkundenformulare, worin nicht zuletzt der Klosterheilige praktisch als ‹Vertragspartner› für ein Kloster fungierte. Zum Schutz von Besitz und Leben reichte es häufig aus, durch die Platzierung einer Reliquie einen unsichtbaren ‹geistigen Schild› zu schaffen, um zumindest christliche Feinde vom weiteren Vordringen abzuhalten. Durch das Erbauen von Kirchen und Kapellen konnten strategisch wichtige Positionen gesichert und Menschen in ihrem Innern vor Übel bewahrt werden. Die geheiligte Erde stand unter dem Schutz des betreffenden Heiligen und durfte nicht anderweitig genutzt oder bebaut werden. Dadurch konnte beispielsweise ein Kloster benachbarte Aristokraten vom Bau beherrschender Burgen abhalten oder die eigene Einflusssphäre wurde mit Hilfe klostertypischer Heiliger abgesteckt. Es verwundert deshalb nicht, dass an der Peripherie der sankt-gallischen Güterlandschaft besonders häufig Gallus-Patrozinien zu finden sind. Ganz pragmatisch gedacht, konnten Landbesitzer ihre Güter vor feindlichen Übergriffen und dem Zugriff durch königliche Beamte schützen, indem sie ihr Hab und Gut an ein Kloster übertrugen, das ihnen den jeweiligen Besitz zur Nutzung

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rückverlieh. Die dadurch entstandenen jährlichen Abgaben und weitere Bedingungen wurden eher in Kauf genommen als die Gefahr einer Konfiszierung oder Plünderung. Aufgrund dieser Praxis wachten die Heiligen Gallus und Otmar im frühen Mittelalter über nicht wenige weltliche Besitztümer. Freilich hielten der heilige Gallus und seine Schwertträger weder die Grafen Warin und Ruthard von der Gefangennahme Abt Otmars noch Herzog Burchard I. vom Kirchenraub ab, doch sind uns dank klostereigenen Scriptorien ausreichend literarische Gegenbeispiele überliefert, welche derartige ‹Frevel› gesühnt sahen. Wenn der Heilige im Falle feindseliger Übertretungen gegen ein Kloster nicht selbst einschritt, hatten vertraute Waffenträger diesen ‹Frevel› zu sühnen. Stellvertretend für ihren Heiligen taten sie dies als Gotteskrieger. Das erklärt auch teilweise die reichsweiten ‹Friedensmilizen› im Zuge der Gottesfriedensbewegungen, denn verschiedene Bischöfe und Äbte wussten ebendieses Gedankenkonstrukt geschickt zu nutzen. Die Perversion einer Instrumentalisierung von Waffenträgern als Gotteskrieger zeigt sich besonders während des ‹Investiturstreits› in seinen blutigsten Facetten. Die Verstrickung von Treueverhältnissen, Abhängigkeiten und gegensätzlichen kirchlichen Lehrmeinungen führte im Endeffekt zum Kampf Schwertträger gegen Schwertträger, Gotteskrieger gegen Gotteskrieger. Dies schreit förmlich nach der pikanten Gretchenfrage, ob der ‹Investiturstreit› ohne vorausgegangene Militarisierung überhaupt stattgefunden hätte. Aussichten Als weiterführende Aussicht ist festzuhalten, dass die Auswertung der Quellen aus dem frühmittelalterlichen Bodenseeraum fast täglich Interessantes enthüllt und Fragen aufgeworfen hat, für deren Beantwortung zahlreiche weitere Arbeiten möglich wären. Alleine die zum Teil sehr einseitige, aber eben auch sehr vielfältige Wortwahl gewisser Autoren führt zu Überlegungen über Bildungshintergrund, gegenseitige Beeinflussung und Mäzenatentum. Es liessen sich spannende Untersuchungen darüber anstellen, welcher Autor in seiner bisherigen Karriere welcher Literatur gefrönt hat und welche Bücher zu welcher Zeit in welchem Kloster überhaupt zur Verfügung standen. Davon abgeleitet könnten beispielsweise Versuche zur Rekonstruktion ehemaliger Klosterbibliotheksbestände gestartet werden. Immerhin finden sich neben der Bibel sowie den grossen Kirchenvätern und -historikern auch Hinweise auf eine ganze Reihe von ‹heidnisch›-römischen Autoren. Auffallend ist auch der jeweilige Anspruch und Kontext der Chronisten und ihrer Werke. Denn während Hermann und Berthold mit ihrer Weltchronik vor allem auf das Grossgeschehen aus waren, spielte bei Ratpert und Ekkehart speziell das lokale Geschehen in und um das Kloster St. Gallen die Hauptrolle. Dementsprechend ist bei den zwei St. Galler Klosterchronisten auch Platz zur Nennung des hörigen Gesindes, während Hermann und Berthold vor allem zur Analyse militärischer und ‹hochtrabender› Personenbezeichnungen gewinnbringend herangezogen werden konnten. Die gesta Karoli des Notker Balbulus hat sich diesbezüglich als ausserordentlich ergiebiges Zwischenstück erwiesen, worin einerseits die grossen militärischen Aktionen Karls mit dem entsprechenden Vokabular eine Rolle spielen, und

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andererseits Karls Hofleben mit all den dazugehörigen Ämtern und Bediensteten geschildert wird. Weitere aussichtsreiche Themen würden sich durch eine rechtshistorische Herangehensweise oder durch die Untersuchung von agrarischen Verbesserungen, Entwicklungen spezifischer Siedlungsformen und ökonomischer Faktoren ergeben. Besonders Alemannien mit den frühsten urkundlichen Nachweisen von Dreifelderund Alpwirtschaft, der Produktion von Bier und unzähligen weiteren ökonomischen und soziologischen Themenfeldern verfügt über ideale Voraussetzungen zur weiteren Erforschung von grundlegenden Faktoren für die hier untersuchte Entwicklung. Da grössere Gruppen von Waffenträgern auch eine entsprechende Ernährungsgrundlage voraussetzten, dürften mitunter solche Faktoren die erhöhte Militarisierungsrate überhaupt erst ermöglicht haben. An die ökonomischen Überlegungen anknüpfend wäre zudem eine Untersuchung rein ‹ziviler› Aufsteiger im handwerklichen Bereich äusserst lohnend. Dies würde sich im Besonderen in Zusammenarbeit mit der Archäologie anbieten, welche für das ganze frühe Mittelalter nach wie vor die ergiebigsten und zuverlässigsten Zeitzeugen bereithält.

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5 Anhang

5.1 Karten Karte 1: Auswahl erwähnter römischer Kastelle, Pfalzen und Befestigungen

Schutz- und Herrschaftsbauten im frühmittelalterlichen Bodenseeraum (Kartengrundlage von Architectura Virtualis, Kooperationspartner der TU Darmstadt).

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Karte 2: Auswahl äbtischer Zentralorte

Auswahl äbtischer Zentralorte. Die hohe Dichte an Zentralorten im Thurgau lässt sich auf die enorme Anzahl von lokalen Güterorten des Klosters zurückführen (Kartengrundlage von Architectura Virtualis, Kooperationspartner der TU Darmstadt).

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5.2

Auswertungen und Register

5.2.1

Schwäbisch-alemannische Grafschaften und ihre Grafen

Für die Grafen bis 900 sind die Angaben im Chartularium Sangallense (Chart. Sang. I–II) zu beachten und zur jeweiligen Prosopografie diejenigen bei Borgolte (Grafen Alemanniens, S. 17– 299, sowie Grafschaften, S. 230–244). Die Grundlagen für die Zeit von 900 bis 1100 sind im Grafenkapitel dieser Arbeit sowie zum Teil bei Rappmann (Totengedenken, S. 451–489) ersichtlich und für die rätischen Grafen gelten die Angaben im Bündner Urkundenbuch (BUB I, S. 500 f.). Primär von Bedeutung ist die diplomatische Überlieferung St. Gallens und benachbarter Institutionen. Memoriale sowie historio- und hagiografische Quellen spielen eine rein ergänzende Rolle. Die Reihenfolge der Grafschaften erfolgt entsprechend den Kapitelzahlen der St. Galler Urkundendorsualien (Cap.  I–XXXVI). Die genannten Jahreszahlen stellen nur die nachweisbare Überlieferungszeit der jeweiligen Akteure dar und nicht deren tatsächliche Wirk- oder Lebenszeit. Für eine exaktere Grafenabfolge beispielsweise im Thurgau sind die kommentierten Listen zum 10. und 11. Jahrhundert im Grafenkapitel zu beachten. Bekannte Todesjahre werden mit † gekennzeichnet und * steht für mehrere infrage kommende Grafen mit dem gleichen Namen im betreffenden Zeitraum. Die Angabe bezüglich mehrerer Träger eines Namens über einen gewissen Zeitraum hinweg bedeutet keinesfalls eine Namenskontinuität in derselben Region, sondern bezeichnet allein das Vorkommen eines nicht sicher in Einzelpersonen aufteilbaren Namens innerhalb Alemanniens. Aufgrund von Ämterkumulationen gibt es zahlreiche Überschneidungen zwischen Grafschaften, den Amtsinhabern und deren Amtszeiten. Zudem dürften die meisten ‹Grafschaften› noch in kleinere Bezirke unterteilt gewesen sein, weshalb für dieselbe Zeit im gleichen Raum zum Teil mehrere Amtsträger auftauchen. Das Elsass (Nord- und Sundgau) wird an dieser Stelle weggelassen, denn obwohl diese Gebiete offiziell lange zum Herzogtum Schwaben gehört haben, sind deren Machthaber häufig eher im westfränkischen Bereich zu suchen und jener Raum spielt für die Untersuchung des erweiterten Bodenseebereiches in dieser Arbeit keine Rolle. Stattdessen ist Borgolte (Grafengewalt im Elsass) zu beachten. Der spätere König Karl III., der im Breisgau und in der Baar während der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts grafengleich als rector agierte, wird in folgender Liste ebenso wenig aufgeführt wie der für kurze Zeit als Graf tätige Königssohn und Herzog Liudolf. Bei den Grafen des 11. Jahrhunderts wird zum Teil unterschieden, ob sie nun Verwalter der betreffenden ‹alten› Comitate oder nur (Titular‑)Grafen innerhalb derselben Bezirke waren. Für eine exaktere Unterscheidung ist der entsprechende Abschnitt zu den Grafen des 11. Jahrhunderts zu beachten. Thurgau Talto, erste Hälfte 7. Jahrhundert Graf. Pebo, 736–746 Graf (vgl. Zürichgau). Chancor, 743–755 Graf (vgl. Zürichgau und Breisgau). Warin, 754–† 774 Graf (vgl. Westbaar und Linzgau). Isanbard, 774–† 806 Graf. Erchanmar, um 779 Graf. Udalrich, 778–817* Graf (vgl. Zürichgau, Breisgau, Alpgau, Hegau, Linzgau und Argengau). Adalrich, 788–802 Graf (vgl. Argengau). Scopo, um 804 Graf. Ruadbert, 800, 806–814 Graf (vgl. Ostbaar, Hegau, Linzgau und Argengau). Rihwin, 808–822 Graf (vgl. Zürichgau). Erchanbald, 824–832 Graf (vgl. Zürichgau). Gerold, 821–869* Graf (vgl. Zürichgau, Breisgau und Westbaar). Adalbert, 836–845 Graf. Udalrich, 842–895* Graf (vgl. Rheingau, Ostbaar, Klettgau, Linzgau, Argengau, Albgau/Allgäu und Nibelgau).

449 Adalhelm, 857–859 Graf (vgl. Zürichgau). Adalbert, 859–894 Graf (vgl. Zürichgau, Westbaar, Alpgau, Hegau und Rätien). Rudolf, 870–892* Graf (vgl. Zürichgau, Augstgau und Rätien). Adalbert, 894–† 911 Graf (vgl. Klettgau, Linzgau und Argengau). Udalrich, 902–917 Graf (vgl. Zürichgau, Argengau und Albgau/Allgäu). Adalhart, 920–926 Graf. Ludwig, um 928 Graf. Berengar, 942–954 Graf. Eberhard, 957–971 Graf. Landolt, 976–981 Graf. Werner von Kyburg, 1027–† 1030 Graf. Bertold, 1044–† 1078 Graf, Herzog von Kärnten (vgl. Breisgau). Hartmann, um 1094 Graf. Grafen im Thurgau: Diethelm von Toggenburg, 1083–1125 Graf. Dietrich von Bürglen, 1092–1108 Graf. Muozo, Ende 11. Jahrhundert Graf. Zürichgau Pebo, 736–746 Graf (vgl. Thurgau). Chancor, 743–755 Graf (vgl. Thurgau und Breisgau). Udalrich, 778–817* Graf (vgl. Thurgau, Breisgau, Alpgau, Hegau, Linzgau und Argengau). Hunfrid, 799–823 Graf (vgl. Rätien). Rihwin, 808–822 Graf (vgl. Thurgau). Ruachar, 786–838* Graf (vgl. Westbaar, Ostbaar, Hegau, Linzgau, Argengau und Nibelgau). Erchanbald, 824–832 Graf (vgl. Thurgau). Gerold, 821–869* Graf (vgl. Thurgau, Breisgau und Westbaar). Ato, 831–854 Graf (vgl. Westbaar, Ostbaar und Hegau). Adalhelm, 857–859 Graf (vgl. Thurgau). Adalbert, 859–894 Graf (vgl. Thurgau, Westbaar, Alpgau, Hegau und Rätien). Rudolf, 870–892* Graf (vgl. Thurgau, Augstgau und Rätien). Hunfrid, 872–876 Graf. Adalgoz, 893–903 Graf. Udalrich, 902–917 Graf (vgl. Thurgau, Argengau und Albgau/Allgäu). Liuto, 924–929 Graf (vgl. Klettgau und Alpgau). Bernhard, um 933(–976*) Graf (vgl. Rätien). Mangold I. von Nellenburg, 975–987 Graf. Eberhard (von Nellenburg?), um 1036 Graf. Tiemo, um 1040 Graf. Rheingau Konrad, 839–856 Graf (vgl. Ostbaar, Linzgau, Argengau und Albgau/Allgäu). Udalrich, 842–895* Graf (vgl. Thurgau, Ostbaar, Klettgau, Linzgau, Argengau, Albgau/Allgäu und Nibelgau). Adalbert, 957–980 Graf (vgl. Nibelgau und Rätien). (Ober-)Aargau Albrich, 838–865 Graf (vgl. Breisgau). Eberhard, 886–898* Graf (vgl. Westbaar). Chadaloh, 890–894 Graf (vgl. Alpgau). Grafen im Aargau: Arnold von Lenzburg, 1003–1050* Graf. Ulrich I. von Lenzburg, 1036–† vor 1050 Graf. Ulrich II. von Lenzburg, um 1077 Graf.

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450 Augstgau Rudolf, 870–892* Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau und Rätien). Arbo, um 897 Graf. Rudolf, um 1048 Graf. Breisgau Bobo, Mitte 7. Jahrhundert Graf. Chancor, 743–755 Graf (vgl. Thurgau und Zürichgau). Adalhart, 762–777 Graf (vgl. Westbaar). Udalrich, 778–817* Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau, Alpgau, Hegau, Linzgau und Argengau). Erchangar, 816–828 Graf (vgl. Alpgau). Liuthar, 824–828 Graf. Gerold, 821–869* Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau und Westbaar). Albrich, 838–865 Graf (vgl. [Ober-]Aargau und Alpgau). Wolvene, 886–902 Graf. Adalbero, um 909 Graf. Guntram, Mitte 10. Jahrhundert Graf. Pirihtilo, 962–969 Graf. Konrad, um 973 Graf. Pirihtilo, 990–995 Graf. Kuno, um 994 Graf. Adalbero, 1006–1015 Graf. Bertold, 1044–† 1078 Graf, Herzog von Kärnten (vgl. Thurgau). Grafen im Breisgau: Bertold von Nimburg, um 1100 Graf. Erliwini, um 1100 Graf. Westliches Baarengebiet Warin, 754–† 774 Graf (vgl. Thurgau und Linzgau). Adalhart, 762–777 Graf (vgl. Breisgau). Gerold, 784–790, † 799 Graf. Pirihtilo, 770–789 Graf. Bertold, 786–802 Graf (vgl. Ostbaar). Erchanbert, 777–806 Graf. Ratolf, 787–797 Graf. Thiotrich, um 817 Graf. Ruachar, 786–838* Graf (vgl. Zürichgau, Ostbaar, Hegau, Linzgau, Argengau und Nibelgau). Karamann, 797–834* Graf. Witbert, um 811 Graf. Frumold, um 817 Graf. Cunthard, um 817 Graf. Tiso, 818–825 Graf. Ato, 831–854 Graf (vgl. Zürichgau, Ostbaar und Hegau). Gerold, 821–869* Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau und Breisgau). Alboin, um 842 Graf. Liutold, 843–861 Graf. Uto, 851–857 Graf. Gozbert, 856–910* Graf (vgl. Nibelgau). Adalbert, 859–894 Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau, Alpgau, Hegau und Rätien). Berengar, 884–888 Graf. Eberhard, 886–898* Graf (vgl. [Ober-]Aargau). Burchard, 890–† 911 Graf (vgl. Rätien). Hiltibold, um 1007 Graf. Grafen in der Westbaar:

451 Hesso, 1007–1057 Graf. Hugo, um 1007 Graf. Werner, um 1007 Graf. Anselm, um 1048 Graf. Östliches Baarengebiet Steinhard, 778–797 Graf (vgl. Nibelgau). Agylolf, um 779 Graf. Bertold, 786–802 Graf (vgl. Westbaar). Wolfolt, um 803 Graf. Ruadbert, 800, 806–814 Graf (vgl. Thurgau, Hegau, Linzgau und Argengau). Ruachar, 786–838* Graf (vgl. Zürichgau, Westbaar, Hegau, Linzgau, Argengau und Nibelgau). Chadaloh, 790–† 819 Graf. Hitto, 805–817 Graf. Hamming, um 817 Graf. Horing, um 817 Graf. Bertold, 817–826 Graf. Konrad, 839–856 Graf (vgl. Rheingau, Linzgau, Argengau und Albgau/Allgäu). Witbert, um 872 Graf. Udalrich, 842–895* Graf (vgl. Thurgau, Rheingau, Klettgau, Linzgau, Argengau, Albgau/Allgäu und Nibelgau). Ato, 831–854 Graf (vgl. Zürichgau, Westbaar und Hegau). Ruadolt, um 854 (Pfalz-)Graf. Chazo, um 854 Graf. Arnulf, 887–912* Graf. Hartmann, um 980 Graf. Mangold, um 1003 Graf. Grafen in der Ostbaar: Hartmann, 1092–1100 Graf. Hartmann von Dillingen, 1076/1092–† 1121 Graf. Hugo von Grafeneck, um 1092 Graf. Klettgau Lantfrid, um 828 Graf. Udalrich, 842–895* Graf (vgl. Thurgau, Rheingau, Ostbaar, Linzgau, Argengau, Albgau/Allgäu und Nibelgau). Adalbert, 894–† 911 Graf (vgl. Thurgau, Linzgau und Argengau). Liuto, 924–929 Graf (vgl. Zürichgau und Alpgau). Radebot, um 1023 Graf. Alpgau Udalrich, 778–817* Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau, Breisgau, Hegau, Linzgau und Argengau). Erchangar, 816–828 Graf (vgl. Breisgau). Albrich, 838–865 Graf (vgl. [Ober-]Aargau und Breisgau). Adalbert, 859–894 Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau, Westbaar, Hegau und Rätien). Chadaloh, 890–894 Graf (vgl. [Ober-]Aargau). Liuto, 924–929 Graf (vgl. Zürichgau und Klettgau). Hegau Ruadbert, 773–800 Graf (vgl. Linzgau und Argengau). Udalrich, 778–817* Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau, Breisgau, Alpgau, Linzgau und Argengau). Ruadbert, 800, 806–814 Graf (vgl. Thurgau, Ostbaar, Linzgau und Argengau). Ruachar, 786–838* Graf (vgl. Zürichgau, Westbaar, Ostbaar, Linzgau, Argengau und Nibelgau). Albgar, um 830 Graf.

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452 Ato, 831–854 Graf (vgl. Zürichgau, West- und Ostbaar). Adalbert, 859–894 Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau, Westbaar, Alpgau und Rätien). Ludwig, 1067–1101 Graf. Ulrich von Ramsberg, um 1096 Graf. Grafen im Hegau: Gerung von Stühlingen, 1096–1099 Graf. Linzgau Warin, 754–† 774 Graf (vgl. Thurgau und Westbaar). Ruadbert, 773–800 Graf (vgl. Hegau und Argengau). Udalrich, 778–817* Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau, Breisgau, Alpgau, Hegau und Argengau). Ruadbert, 800, 806–814 Graf (vgl. Thurgau, Ostbaar, Hegau und Argengau). Ruachar, 786–838* Graf (vgl. Zürichgau, Westbaar, Ostbaar, Hegau, Argengau und Nibelgau). Konrad, 839–856 Graf (vgl. Rheingau, Ostbaar, Argengau und Albgau/Allgäu). Welf, 842–858 Graf (vgl. Argengau und Albgau/Allgäu). Udalrich, 842–895* Graf (vgl. Thurgau, Rheingau, Ostbaar, Klettgau, Argengau, Albgau/Allgäu und Nibelgau). Adalbert, 894–† 911 Graf (vgl. Thurgau, Klettgau und Argengau). Konrad, 903–920 Graf. Grafen im Linzgau: Wolfrad I. von Altshausen, † 1010 Graf. Wolfrad II. von Altshausen, 1009–† 1065 Graf. Otto von Buchhorn, 1020–† 1089* Graf (vgl. Rätien). Welf II. von Altdorf, 1025–† 1030 Graf. Mangold II. von Nellenburg, † 1030 Graf. Welf III., 1047–† 1055 Graf, Herzog von Kärnten. Burchard von Nellenburg, 1063–1092 Graf. Mangold von Nellenburg, 1092–1100 Graf. Liutold von Achalm, 1075–† 1098 Graf. Kuno von Achalm, zweite Hälfte 11. Jahrhundert Graf. Argengau Ruthard, 749–769 Graf. Ruadbert, 773–800 Graf (vgl. Hegau und Linzgau). Adalrich, 788–802 Graf (vgl. Thurgau). Udalrich, 778–817* Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau, Breisgau, Alpgau, Hegau und Linzgau). Ruadbert, 800, 806–814 Graf (vgl. Thurgau, Ostbaar, Hegau und Linzgau). Ruachar, 786–838* Graf (vgl. Zürichgau, Westbaar, Ostbaar, Hegau, Linzgau und Nibelgau). Konrad, 839–856 Graf (vgl. Rheingau, Ostbaar, Linzgau und Albgau/Allgäu). Welf, 842–858 Graf (vgl. Linzgau und Albgau/Allgäu). Udalrich, 842–895* Graf (vgl. Thurgau, Rheingau, Ostbaar, Klettgau, Linzgau, Albgau/Allgäu und Nibelgau). Adalbert, 894–† 911 Graf (vgl. Thurgau, Klettgau und Linzgau). Udalrich, 902–917 Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau und Albgau/Allgäu). Albgau/Allgäu Konrad, 839–856 Graf (vgl. Rheingau, Ostbaar, Linzgau und Argengau). Welf, 842–858 Graf (vgl. Linzgau und Argengau). Udalrich, 842–895* Graf (vgl. Thurgau, Rheingau, Ostbaar, Klettgau, Linzgau, Argengau und Nibelgau). Pabo, 847–855 Graf (vgl. Nibelgau). Udalrich, 902–917 Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau und Argengau).

453 Nibelgau Gozbert, um 766 Graf. Steinhard, 778–797 Graf (vgl. Ostbaar). Ruachar, 786–838* Graf (vgl. Zürichgau, Westbaar, Ostbaar, Hegau, Linzgau und Argengau). Waning, 804–838* Graf. Rifoin, um 805 Graf. Adalger, um 834 Graf. Udalrich, 842–895* Graf (vgl. Thurgau, Rheingau, Ostbaar, Klettgau, Linzgau, Argengau und Albgau/Allgäu). Pabo, 847–855 Graf (vgl. Albgau/Allgäu). Gozbert, 856–910* Graf (vgl. Westbaar). Waning, um 868 Graf. Adalbert, 957–980 Graf (vgl. Rheingau und Rätien). Ulrich von Bregenz, 1043–1095* Graf (vgl. Rätien). Rätien (inklusive Ober- und Unterrätien) Hunfrid, 799–823 Graf (vgl. Zürichgau). Adalbert, 859–894 Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau, Westbaar, Alpgau und Hegau). Rudolf, 870–892* Graf (vgl. Thurgau, Zürichgau und Augstgau). Burchard, 890–† 911 Graf (vgl. Westbaar). Udalrich, 924–950* Graf. Adalbert, 957–980 Graf (vgl. Rheingau und Nibelgau). Bernhard, um (933*–)976 Graf (vgl. Zürichgau). Otto von Buchhorn, 1020–† 1089* Graf (vgl. Linzgau). Marquard von Bregenz, 1032 bis Ende 11. Jahrhundert Graf. Rudolf, um 1038 Graf. Eberhard von Bregenz, 1040–1067 Graf. Gerung, um 1077 Graf. Ulrich von Bregenz, um 1043–1095* Graf (vgl. Nibelgau). Rudolf von Bregenz, 1092/1110–1139 Graf. Weitere Grafen in Alemannien (ohne Elsass) Adelo, um 858 Graf. Amizo, um 1030 italienischer Graf, Herr von Chiavenna. Ansbert, um 806 Graf. Ato, um 975 Graf. Audracus, um 806 Graf. Berno, um 751 Graf. Bertrich, 736–745 Graf. Deodolt, um 811 Graf. Erich, um 745 Graf. Erlafrid, um 832 Graf. Folrit, um 824 Graf. Gerold, um 924 Graf? Heinrich, 912–920 Graf. Hildebold, 867–893 Graf, missus dominicus. Hugo, 903–913 Graf. Iring, 889–907 Graf. Kunibert, um 779 Graf. Nebi, um † 773 Graf. Nuno, um 824 Graf. Otwin, zweite Hälfte 7. Jahrhundert Graf. Petto, um 736 Graf. Raban, um 839 Graf.

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454 Reginbold, 903–912 Graf. Scrot, erste Hälfte 9. Jahrhundert Graf. Unruoch, Anfang 9. Jahrhundert Graf. Waldpret, Mitte 9. Jahrhundert Graf. Werner, um 861 Graf. Wilhelm, um 854 Graf. Wolfram, um 1048 Graf. Pfalzgrafen und Kammerboten Ruadolt, um 854 (Pfalz-)Graf (vgl. Ostbaar). Bertold, 880–893/897 Pfalzgraf. Gozbert, † 910 Pfalzgraf (vgl. Westbaar). Bertold, 909–† 916/917 Graf, Kammerbote. Erchanger, 909–† 916/917 Kammerbote, seit 910 Pfalzgraf.

455

5.2.2

Glossar und lateinisches Sachregister

Im Folgenden werden alle lateinischen Termini, welche für die Untersuchungen ausgewertet wurden oder für das Verständnis förderlich sind, mit Übersetzungsvorschlägen aufgeführt. Die jeweiligen Interpretationen und Übersetzungen sind als Teilergebnis dieser Dissertation zu betrachten und stimmen deshalb nicht in allen Fällen mit den gängigen mittellateinischen und klassisch lateinischen Wörterbüchern überein. Vielmehr wurden die einzelnen Termini im Zusammenhang mit der Situation im Bodenseeraum zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert betrachtet, wobei nicht alle Interpretationen zu den einzelnen Begriffen hier aufgeführt sind, sondern nur die gängigste Auswahl. Insofern ist dieses Glossar primär für die Auswertung lateinischer Quellen des frühmittelalterlichen Bodenseeraums von Nutzen und müsste für andere europäische Räume angepasst werden. Da folgende Liste die wesentlichen Sachtermini aufführt, dient sie zudem als thematisches Register. abbas, Abt: passim acies, Truppen, Schlachtreihe, -linie, mittelgrosser Verband 102, 106, 109, 197 advocatus, rechtlicher Beistand, Vertreter, Vormund; Vogt, Vogtei 15, 41, 51, 125, 132, 136, 171, 177, 300, 310, 318, 322–323, 341, 354, 356–362, 364, 373, 375, 381, 391, 395–396, 398, 400, 410, 438 agaso, Stallmeister 127 agger, Schanzaufwurf, -auswurf, Erd-, Schanzwall, Damm 268–269, agmen, Trupp, militärische Abteilung, Schar von Kriegern, Teil des Heeres 102–103, 105–106, 109 – latrocinans, kleiner Spähtrupp, militärische Plünderer 99, 102–105, 193 agricola(ns), agricultor, ‹Ackerbauer›, siehe auch arator 96, 199–200 ala, grosser römischer Reiterverband 105 amicitia, politisch-freundschaftliche Verbindung 22 ancilla, Hörige, Magd; Dienerin, Nonne 15, 131–132, 134–135, 141–142, 161–168, 171, 173, 175, 177, 181, 188, 190, 200–202, 276 ango, fränkische Wurflanze mit Widerhaken 73 antiepiscopus, Gegenbischof 78 apparatus, Ausrüstung, (Kriegs-)Rüstung, Ausrüstung im Tross 47, 74, 79, 108, 196, 334 apparitor, leitender, vertrauter Diener eines hohen Herrn 84, 192, 196, 200, 203 arator, ‹Ackerbauer›, siehe auch agricola 13, 166–167, 192, 199–200 arcobalistarius, Bogenschütze 66–67 arma, armatura, Waffen, Bewaffnung 58–59, 62, 69, 74–75, 89, 91, 96, 103, 191, 195, 246, 277, 363–364, 394 – militares, professionelle Waffen, ‹Ritterwaffen› 13, 76, 78, 433 armarium, Archiv, Bibliothek 332 armatus, Bewaffneter, Waffenträger 13, 60, 83, 85, 89, 103, 200, 276–277 armentarius, Rinderhirt 148 armiductor, Heerführer 111 armiger, Bewaffneter, Waffenträger; Leibwächter, Knappe 13, 83, 85, 121, 200 artifex, spezialisierter Handwerker 149, 200, 276 arx, Burg 270–271, 286 ascia, Axt, Beil 62

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456 assecula, Trossknecht, Begleiter, Diener 148, 192, 195 asta, siehe hasta aulicus, Höfling 85, 411 aurifex, Goldschmied 145, 147–148 auxilia, -rii, -ti, -res, Hilfstruppen, militärische Unterstützungsverbände 78, 87, 102, 105–106, 109, 334 balteus, Wehrgehänge 74 barca; barcarius, Barke, Mehrzweckboot für Binnengewässer; Barkenführer 222, 378 baro, Mann, ‹freier Abhängiger› 42, 179, 184–185 bellator, Kämpfer, Waffenträger 95–96, 115, 302, 422 bellum, Krieg 90, 97, 103, 196–197, 281, 324, 345, 374, 392, 420 – iustum, gerechter Krieg 97 – privatum, Fehde 77 beneficium, sächliche Wohltat, Ausstattung (Land, Amt), ‹Lehen› 46–47, 58, 75, 91, 127–128, 130, 134, 138, 141, 143, 157, 159–160, 165, 191, 281, 309, 328, 330, 364, 384, 388–389, 391, 404, 413, 421 bubul(c)arius, Ochsen-, Rinderknecht 148 caballarius, cavallarius, Reiterkrieger 41, 56, 91, 158–159, 364 caballus, cavallus, Pferd (grosses, starkes Ross) 56, 63, 72, 145, 159–160, 186–187, 191, 395 camerarius, Kämmerer 121, 123, 127, 134, 147–148, 200, 331 casatus, casata, für Person siehe servus; Hörigenfamilia, Hofstelle 178–180, 201 castellanus, Burgmann, -wächter 146, 200, 239, 281 castellum, Burg, Festung, Befestigung, Kastell (römisch), Stadtfestung 215, 225, 234, 268–274, 276–277, 281, 341, 345, 390, 394, 400, 402 castrum, Burg, Festung, Kastell (römisch), befestigte Siedlung, Stadt, Heerlager 102–103, 106, 146, 196, 199, 210, 213, 215, 220–221, 224–225, 230, 236, 266–271, 273–274, 276, 379 celer, leichter Reiter, Bote, Beauftragter 192–194, 200, 204, 276 cellerarius, Kellermeister 75, 123, 128, 135, 157, 174, 355, 362–364 censarius, censor, censualis, abhängiger, zinspflichtiger Dienstmann (häufig mit Sonderfunktionen wie Botendiensten etc.) 42, 138, 160, 181, 185–188, 190, 200–201, 203–204, 435 censum, -us, Abgabe, regelmässiger Zins 129, 134, 173, 185–187, 395 centena, centenaria, Rechts- und Aufgebotsbezirk, Hundertschaft, militärisches Aufgebot, mittelgrosser militärischer Verband 102, 106, 109–110, 211, 300, 317, 368–370, 373 centenarius, Vorsteher und militärischer Anführer einer centena, Stellvertreter eines Grafen, Vorsteher bei lokalen Versammlungen, ‹Schultheiss› 51, 79, 110, 212, 300, 317–318, 353, 367–370, 372–375, 378, 382, 396, 438 centurio, siehe auch centenarius und tribunus 41, 76, 110, 113, 212, 300, 314, 322, 329, 354, 367–369, 371–373, 375–376, 378, 382, 438, 441 – legionis, (römischer) Centurio 110, 368–369 cerocensualis, cerarius, ‹Wachszinser›, siehe auch censarius 190 charta, carta, Urkunde, rechtliches Dokument 398 cingulum (militare), Schwertgurt; römisches Wehrgehänge 228 civis, Stadtbewohner, ‹(Stadt-)Bürger›, Einwohner 238, 268, 274–276, 278, 287

457 civitas, Stadt, Bischofsstadt, befestigter Ort, Burg 48, 55, 59, 99, 199, 228, 248, 266, 268–272, 274–276, 290, 323 clericus, clerus, Kleriker, Geistlicher 69, 88, 135, 198 cliens, Diener, Knappe 42, 141–142, 160, 203 cohors, Truppe, Teil des Heeres 78, 88, 97, 102, 105–106, 108–109, 213 colloquium, (meist weltliche) Versammlung, herrschaftlicher Hoftag, Unterredung 99, 315–316 colonia, römische Pflanzstadt (besonderen Rechts); Land eines colonus 220, 272 colonus, colonica, Zinspflichtiger (‹freier Abhängiger›), ‹Königs-, Kirchenfreier› 42, 183–185, 191, 201–202 comes, Graf, militärischer Anführer; Begleiter 15, 26, 41–42, 51, 53, 69, 76, 78–79, 85, 90, 98, 109– 114, 153, 155, 185, 191–192, 210–212, 217, 219, 253, 293, 295–298, 300, 302, 305, 307, 309–310, 312, 314, 317, 321–322, 324, 326–335, 337–341, 343, 345, 347–348, 357, 359, 364, 370, 372, 374, 376–377, 379–380, 382, 385, 388–393, 403–404, 408–410, 412–416, 420, 423, 437 – palati(n)i, Pfalzgraf, königlicher Beauftragter 121, 310, 324–326, 420 – scanciarum, -orum, Mundschenk 121 – stabuli, Marschall 121, 123 – thesaurorum, Schatzmeister 121 comitatenses, Feldheer spätantiker Kaiser 104, 108, 335, 378 comitatus, Grafschaft(sbezirk), Gerichtsbezirk; Gefolge, Begleittruppe 47, 50–51, 77–78, 80, 83, 113, 155, 158, 192–193, 195, 253, 293, 296–297, 302, 307, 322, 325, 328, 331–332, 334–336, 376, 389, 416, 422, 433 commilito, Mitstreiter, Waffenbruder, Hauskrieger 68, 84, 368 concilium, siehe consilium conditio, condicio servilis, Status der Knechtschaft und eingeschränkter Rechtsfreiheit 132–133 con-, compatriota, Landsmann, siehe conprovincialis con-, comprovincialis, Landsmann (Plural: Gesamtheit der Waffenträger einer Gegend) 23, 78, 198 consiliarius, Berater (des Königs, eines Fürsten) 293, 381 consilium, concilium, grosse (meist kirchliche) Versammlung, Landtag, Konzil, Unterredung 48, 50, 73, 83, 96, 116, 123, 166, 237, 253, 314–316 contus, Spiess, Speer 74 conventus, Mönchskonvent, Versammlung 237, 315–317, 370 convivium, Tischgesellschaft, vertraute, geheime Versammlungsrunde 237, 317 copia, Truppe; Plural: Truppen, Heer 44, 46–47, 60, 87–89, 102–105, 108, 116–117, 281 coquus, Koch 121, 145 coriarius, Gerber 147–148 cubicularius, Kämmerer 121, 123, 128, 200 curialis, Höfling 166–167, 411 curtis, curta, (herrschaftlicher) Hof, Gehöft, Meierhof, ‹Bauernhof› 123, 156, 174, 181, 267, 279, 287, 293, 355, 364–366, 389, 398 custos, Wächter (meist funktionell für Hörige, auch militärisch), Küster 84, 145–148, 177, 196, 200, 239, 321, 400 – pullorum, Hühnerwächter 148 – aucae, Gänsewächter 148 dapifer, Truchsess 121, 128, 134

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458 decanus, Klosterdekan, weltlicher Verwalter, Stellvertreter 61, 98, 113, 123, 314, 362–363 defensio patriae, ‹Verteidigung der Heimat› durch den lokalen Heerbann beziehungsweise durch alle lokalen Waffenträger 54, 82, 90, 95, 198, 238, 433 defensor, Beschützer, Verteidiger 97, 146, 200, 360, 398 deserviens, siehe serviens dispensator, Schatzmeister, Hausverwalter 121 dona annualia, jährliche Abgabe (an den König) 62–63, 186 ducatus, Herzogtum, herzogliche Herrschaft 18, 46, 99, 113, 261, 389, 433, 438 ducissa, Herzogin 15 dux, Herzog, (Heer-, An-)Führer, herzogsähnlicher Aristokrat 13, 41–42, 44, 46–47, 50–51, 53, 66, 76–78, 85, 99–100, 102–104, 109–113, 135, 185, 234, 260–261, 300, 302, 306, 309, 312, 322, 325, 327–328, 334, 341, 343, 345, 365, 372–374, 376–379, 381, 403–406, 410–418, 420, 422–423, 425–426, 440 – militiae, Heerführer 111, 321, 334, 378 emundator, Schwertfeger, Schwertschleifer 62, 147–148 ensifer, siehe miles episcopus, Bischof 48, 51, 55, 76, 96, 109–110, 115, 127–128, 138, 185, 191, 250, 253, 260, 265, 293, 315, 321, 327–328, 333, 343, 394, 400, 404 epistola, Brief, schriftliche Nachricht 51, 159, 187, 398 eques, Kämpfer zu Pferd, berittener Bote 56, 66–67, 83, 85, 89–90, 200, 433 – castri, Burgbesatzung 146, 239 – loricatus, siehe miles equitatus, Reiterei, Reiterheer 102–103, 105 excuba, -us, excubitor, Wächter, Burgwache 145, 200 exercitus, Heer (alle Waffenträger, teils in Abgrenzung zur militia) 48, 69, 77–81, 89, 102–105, 108, 112–113, 196, 197, 218, 420, 433 – popularius, karolingisches Heeresaufgebot, ‹Volksheer› 88, 107–108 expediti, leichte, schnelle Spezialtruppen (‹ohne Gepäck›) 90, 102, 108 expeditio, Feldzug, Heerfahrt 51, 66, 107–108, 115, 127 explorator, Späher, Kundschafter; Plural: schnelles Vorauskommando 78, 192, 194, 200, 204 faber, Schmied 145, 148–149, 276, 362 – ferramentorum, Eisen-, Grobschmied 147–148 – spatarius, Schwertschmied 63, 145, 149 falconarius, Falkner 121 falx, Sense 61 familia, Gruppe der Hörigen, Gesinde, Klientelgemeinschaft 14, 55, 57–58, 60–62, 76, 91–92, 94, 118, 120, 122, 124–131, 134–136, 140–149, 159–160, 163–164, 174, 176–178, 181, 187–188, 190–192, 194, 200–201, 205, 357, 360, 362–363, 365, 431–432, 443 familiares; confamiliares, Vertrauens- und Gefolgsleute (des Königs); Begleiter, Genossen 90, 238, 293, 411 famulatus, Dienstbarkeit (auch geistliche), Knechtschaft 177 famulus, famula, Diener/-in, Knecht, Magd (meist in geistlichen Diensten) 42, 91, 132, 139, 141, 144, 146, 171, 176–178, 183, 200, 202–203, 276, 322 – dei, Diener Gottes, Mönch, ‹Ritter› 101

459 ferrum, Eisen, Schwert 55, 74, 281 fidelis, fidelissima, Getreue/-r, Gefolgsmann/-frau 47, 51–52, 130, 153, 157, 164, 229, 297–298, 306–307, 321, 327, 368, 384, 387–390, 392–393, 398–399, 405, 416, 438 fiscalinus, Bewirtschafter eines Hofguts (‹besserer Knecht›) 126–127, 129–130, 167, 191 fiscus, Königsgut, -land, -besitz 129, 253, 257, 324, 400 foederati, Verbündete, hier: meist nichtrömische germanische Verbände 26, 105, 197, 229, 379 forestarius, Förster 128, 362 francisca, fränkische Wurf- und Streitaxt 73 frumentarius, Kellermeister 128 fullo, Walker 147–148 fundibularius, Schleuderer 67 fundibulum, Schleuder 61 fustis, Knüttel, (Dresch-)Stock 61 gastaldius, Verwalter 343 gladius, Schwert (neutral, nicht im Sinne des römischen Kurzschwertes) 62, 69, 73–75, 85, 122, 218, 426, 433 grafio, gravio, ‹Vorsitzender kleinerer Versammlungen›, Graf 334 (h)asta, Stosslanze (massiv und schwer) 74 hoba, hopa, huba, Hufe, Hube (landwirtschaftliche Nutzfläche), Hofstelle 163, 165, 168–170, 364, 393, 395 homo, Mann (meist ‹Freier›); Plural: Menschen, Bewohner 135, 139, 165, 173–174, 184, 187, 191– 192, 202, 384, 400 – cavallicans, Reiter, berittener Diener, Bote 122, 144, 158–159, 187, 190, 192, 203, 435 – domesticus, Hausdiener, Verwalter 55, 200 – palatinus, Höfling 84, 411 – privatus, Krieger in nichtköniglichen Diensten 55, 84–85, 381, 398 honor, ‹Ehrenamt›, siehe beneficium hortulanus, Gärtner 146 hostiarius, siehe ostiarius hunta, huntari, alte Bezirksbezeichnung (siehe centena) 211–212 iaculum, Wurfgeschoss 74 illustris, illuster, inluster, siehe vir impedimentum, Tross 102–103, 107, 196 incola, Einwohner, Bewohner 200, 276 inferior, Dienstmann von ‹niederem Stand› 156, 200 infertor, Truchsess 127 infimus, infer, ‹Geringerer›, Untergebener 200 ingenuus, ingenua, ‹Freie/-r›, Freigelassene/-r 126, 134, 141, 151, 175, 179, 182–184, 188 iudex, Richter 41, 62, 363, 368, 370, 372, 410 laborator, Arbeiter (landwirtschaftlicher) 96 l(a)etus, litus/lisa, ‹Freier›/‹Freie› mit gemindertem Recht, Freigelassener/Freigelassene 109, 130, 150, 184, 190

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460 laicus, Laie, Weltlicher 91, 98, 185, 355, 382 lancea, Lanze, Stosslanze 53, 61–63, 70, 72–75, 85, 122, 186, 191, 193 legatio, Gesandtschaft 192 legatus, Gesandter, Bote, militärischer Befehlshaber (römisch) 111, 192, 197, 204, 379 – imperatoris, königlicher (Ab-)Gesandter legio, Heeresabteilung, Truppen 79, 88, 102–107, 109, 113, 277, 377, 379, 381 lex, Gesetz, geschriebenes Recht 29, 36, 63, 67, 72, 113, 121, 125, 127, 131–132, 134, 136, 142, 144, 149, 156, 164, 167, 182–184, 188, 190, 201, 317–318, 365, 368, 370, 372, 398–399, 406 liber/libera, ‹Freier›/‹Freie› 126–127, 132, 141, 151, 166, 182–184, 431 libertus, Freigelassener 182, 201 limes, römische Grenzschneise, -cordon (zum Teil mit Wällen, Türmen und rückwärtigen Kastellen), Grenze 26, 212, 217, 222, 225, 228, 234, 247 limitanei, Grenztruppen des spätantiken Römischen Reiches 90, 104, 217, 335, 378 lorica, (Schuppen-)Panzer, Kettenhemd 58, 63, 65–66, 110, 127 – pilea(ta), piltris, Panzer aus Filz 61 loricatus, siehe miles ma(g)icampus, Maifeld (ursprünglich Märzfeld: Heerschau, -versammlung) 80 magister, Meister, Vorsteher, Lehrer 91, 261 – mensae, Truchsess 123 – militum, Heermeister (römisch) 111, 335 – pastorum, oberster Hirte, Jäger 149 maior; maiores, Meier, (Guts-)Verwalter, Vorsteher einer Siedlung; Plural: die Grossen des Reiches 41, 58, 66, 92, 125, 160, 167, 187, 200, 277, 354, 356, 360, 362–365, 367, 384, 404, 411, 435, 438 – domus, Hausmeier, Heerführer 111, 312 mallum, -us (publicus), Gerichtsstätte, -versammlung, Versammlungsplatz 208, 312, 314, 316– 320, 358–359, 362, 378, 438 mancipatio, ‹Handgreifung›, römischer Verkaufsvorgang bei Sklaven 142, 168, 174, 201 mancipium, Höriger/Hörige (häufig als Verhandlungsgut); Plural: Gruppe von Hörigen 42, 51, 125–126, 129–132, 141–144, 149, 151–152, 154, 158, 161–174, 177, 179–184, 190, 200–203, 276, 354, 389, 406, 434–435 manens; manentes, siehe servus; im Plural teils als Gruppenbegriff für Hörige 168, 181, 202 marchio, marchionissa, Markgraf, Markgräfin, herzogsähnlicher Grosser 66, 76–77, 111–112, 117, 185, 329, 343, 414–416, 418, 426–427 mariscalcus, Pferdeknecht, Marschall 121, 128, 145 medicus, Arzt 178 mediocer, ‹Freier› in nur geringer Abhängigkeit 200 meliores, die Grossen des Reiches, Fürsten 411 miles, Krieger, professioneller Waffenträger, ‹Ritter›, ‹Gefolgsmann›, Hauskrieger 15, 18–19, 41–42, 44, 46, 48, 50, 53, 55–61, 63–66, 68–70, 72, 76–78, 80–81, 83–93, 95–98, 103–104, 106, 108–109, 116, 122, 128, 130, 143, 158–160, 165, 167, 178, 185, 190, 193–195, 197, 199, 234, 259, 266, 276, 280–281, 333, 337–338, 345, 364–365, 389, 392–394, 412, 431, 433–434 – agrarius, ‹bäuerlicher› Krieger 90, 238 – armatus, siehe armatus – aulicus, siehe aulicus – casatus, Hauskrieger 84

461 – castrensis, Wachpersonal, Burgmann, -wächter 267 – electus, ausgewählter, fähiger Krieger 79, 85, 102, 107, 195, 345 – ensifer, Schwertträger 13, 35, 69, 83, 85, 87 – gregarius, Hauskrieger 84 – loricatus, Panzerreiter, Geharnischter 41, 48–50, 58, 63–64, 66–67, 81, 83, 85, 108, 110, 115, 161, 252 – minor, siehe minor – nobilis, aristokratischer, hochrangiger Krieger 80–81, 86 – novus, unerfahrener, junger Krieger 103 – palatinus, Gefolgsmann, Krieger im königlichen Gefolge 85, 102 – privatus, siehe homo privatus – veteranus, erfahrener, altgedienter Krieger 103, 105 militaris, militärisch professionell 47, 69, 83, 87, 111 militia, milicia, Kriegerschaft (teils in Abgrenzung zum exercitus), spätestens seit dem 12. Jahrhundert ‹christliche Kriegerschaft›, ‹Rittertum› 13, 28, 41, 59, 65, 69, 76–81, 83–91, 93–96, 101–102, 111, 115, 119, 167, 192, 197–199, 330, 333–334, 389, 392–393, 431, 433–434 – caelestis, himmlische/-r Kriegsdienst/Kriegerschaft 13, 86 – christiana, christliche Kriegerschaft, ‹Ritterschaft› 16, 86, 94–95, 97, 99, 125 minister, Diener, Dienstmann; Verwalter; Mönch 42, 127, 136, 141–144, 153–158, 171, 175, 197, 200, 202–203, 276, 360, 366, 434 ministerialis, Dienstmann 42, 55, 59, 94, 119, 123, 125–128, 130–131, 141–143, 153, 155–158, 185, 197, 200, 203, 321, 362, 393, 434, 439 ministerium, Dienst, Aufgabe, Amt 30, 128, 142, 150, 153–156, 158, 191, 355–356, 369, 434–435 ministraturus, ministrator, Diener, Mundschenk 156, 200 minor, stärker abhängiger ‹Freier› 69, 85, 200 – miles, vir, niederer Krieger (italienischer Ritter) 78, 81 missus, Bote, Gesandter, Beauftragter, Stellvertreter (königlich, gräflich) 41, 110, 142, 192–193, 200, 204, 311, 314, 317, 324, 357, 370, 372, 407 – dominicus, domni, regis, Königsbote 310, 321, 324, 326, 453 molinarius, mulnarius, Müller 362 monachus, Mönch 15, 98, 164, 171, 176, 185, 355, 357, 381–383 municeps, communiceps, Landsmann, Bewohner 153, 197, 200 municipium, römische Stadt (mit besonderen Rechten) 220, 272 municio, munitio, Befestigung, Verschanzung, Feldverhau, Holz-Erde-Wall 237, 250, 263, 268– 270, 273–274, 281 municiuncula, kleine Festung, Sperre, Wall 274 murus, Mauer (festes Mauerwerk, meist begehbar) 55, 59, 237, 246, 265, 267–271, 285–286 navis, Schiff 60, 222, 404 nobiliores, Aristokraten, Grosse des Reiches 156, 384 nobilis, edel, von hohem Stand (in Abgrenzung von rusticus) 15, 75, 78, 116, 132, 134, 157, 276, 278, 298 – miles, siehe miles – vir, siehe vir numerus, Trupp, militärische Abteilung 222, 378–379 nuntius, nuncius, Bote, Nachrichtenübermittler, Gesandter 192–193, 204

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462 – camerae, Kammerbote, königlicher Beauftragter 324, 326 officialis, Diener, Beauftragter 141, 322, 404 officina, Werkstätte, Wirtschaftsgebäude 146, 148, 181, 355 opilio, Schäfer, Ziegenhirt 148 oppidanus, Burgmann, -wächter, Bewohner einer befestigten Siedlung 146, 239, 262, 277, 400– 402 oppidum, ummauerte, städtische Siedlung, Stadt 234, 244, 254, 270–274, optimates, die Grossen des Reiches, hohe Würdenträger 73, 197, 294, 312, 411–412, 436 orator, Beter, Bittgänger 96, 115 (h)ostiarius, Türhüter, Leibwächter 121, 146, 200 pagensis, Gau-, Landbewohner 110, 191–192, 380 pagus, Grafschaft(sbezirk), Gau 60, 154, 165, 192, 210–212, 214, 218, 224, 253, 272–273, 296–297, 302, 307–308, 321, 328, 331–332, 338, 341, 353, 369–370, 374, 377, 389, 391 palatinus, siehe homo, miles und schola palatium, Pfalz, herrschaftlicher Sitz 156, 159, 253–254 paro, Barke, kleines Schiff 179, 184, 222 pastor, Hirte 148 patricius, (Schirm-)Herr (römischer Ehrentitel), städtischer Beamte 335, 374 pauper, Wehrloser, Mittelloser, einfacher Landbewohner 56, 95, 200 pax, Frieden 39, 94, 99–100, 103, 197, 234, 237, 272, 317 pedissequus/-a, pedisecus, Diener/-in, Kammerfrau 200 pedo, Kämpfer zu Fuss 56, 83, 85, 89–90, 200, 433 pilum, Speer 73–74 pincerna, (Mund-)Schenk 91, 121–123, 127–128, 134 placitum, (Gerichts-)Versammlung, herrschaftlicher Hoftag; Gerichtstermin 113, 127, 185, 191, 312, 314–317, 320, 323, 358, 362, 372, 392, 395 politor gladiorum, Schwertfeger 62, 147–148 populus, Volk, Volksmasse, -heer 22, 55, 69, 87–88, 102, 138, 191, 198, 253, 302, 398, 420, 422 porcarius, Schweinehirt 148 possessio, Besitz 46, 129, 214, 217 potentes, potentiores, Mächtige, die Grossen des Reiches, Aristokraten 89, 95, 98, 281, 387, 411– 412, 420, 438, 440 praecinctus, Ausrüstung, Kriegsrüstung 74 praeda, Beute 47, 77–78, 96, 107, 345, 421, 426 pr(a)edo, Räuber, Plünderer 96 praefectus, militärischer Befehlshaber, militärischer Stellvertreter eines Herzogs, gräflicher Magnat, (territorialer) Statthalter 41, 102, 104, 111–113, 211–212, 218, 222, 272, 306, 367–368, 374, 376–381, 405, 410, 441 – castrorum, römischer Lagerkommandant 377, 379 – urbi, ‹Stadtvogt›, ‹Burggraf›; städtischer Kommandant (römisch) 380 praepositus, Vorsteher, Verwalter, Propst (häufig Mönch) 173, 176, 185, 200, 322, 353–357, 363– 364, 438 praeses, hoher Herr, Fürst (Herzog, Graf), siehe auch praefectus 217–219, 376, 379–380 praesidium, Besatzung (Burg) 146, 200, 345, 380

463 presbiter, Priester 58, 153, 155, 174, 213, 217, 321, 364 primates, die Grossen des Reiches, Fürsten, hohe Würdenträger 112, 116, 368, 411–412, 416 primicerius, hoher geistlicher Würdenträger, Heerführer 111, 309 primipilaris, militärischer Anführer, ‹Hauptmann› 110 primores (populi/regni), die Grossen des Reiches, Fürsten, hohe Würdenträger 81, 112, 294, 312, 321, 411–412, 436 primus pilus, oberster Centurio einer römischen Legion; siehe auch primipilaris 110, 368, 380 princeps, Fürst, König, Herzog, Anführer, ‹Kleinkönig› 44, 73, 81, 85, 90, 96, 102, 116, 197, 237, 253, 265, 291–292, 294, 314, 327, 385, 398, 407, 409–414, 420, 427, 433, 436, 438–439, 442 – castri, Kommandant einer Burgbesatzung 146, 239 – conprovincialis, regionaler Fürst, Herzog 411 – militiae, militärischer Anführer 86, 111, 411 – regni, Fürst, Grosser des Reiches, Herzog 90, 315, 411 proceres, hohe Würdenträger, Günstlinge im königlichen Gefolge, Grosse 84–85, 112, 368, 411– 412 procinctus, Kampfbereitschaft, Feldzug 107 procurator, militärischer Aufseher, Verwalter, Anführer 102 propositor, Stellvertreter, Truchsess, siehe auch praepositus 91, 122–123 provincia, provintia, Region, Amtsbezirk, Land im Gegensatz zur Stadt 47, 100, 275, 295, 317, 332, 345 pugnator, Kämpfer, Streiter, Waffenträger 79, 83, 85, 95–96, 196, 200 rector, Vorsteher (Stadt, Ort, Kirche), Anführer, Mitglied der königlichen Familie mit gräflicher Funktion 59, 96, 102, 181, 200, 246, 276, 288, 321, 323, 354, 372, 398, 404, 409–410, 438, 448 – scutarii, Gardeoffizier einer schola palatina (römisch) 376 regio, Gegend, Land(schaft), Bezirk 96, 332 regnum, Königreich, Herrschaftsbereich eines königsähnlichen Fürsten, ‹Herzogtum› 17–18, 46, 51, 82, 104–105, 110, 113, 116, 197, 312, 353, 379, 394, 397, 403–404, 410–412, 414–416, 419, 422, 424, 429–430, 432, 438, 440, 442 rex, König 46, 66, 73, 77, 79, 97, 99, 103, 145, 156, 185, 192, 196, 277, 291, 300, 302, 321, 328, 345, 379, 399–400, 410, 422 ripenses, Ufergrenztruppen des spätantiken Römischen Reiches 104 rusticus, rusticanus, ‹Bauer›, Landbewohner, ‹Nichtkrieger› 41–42, 62, 69, 76–80, 87, 91, 110, 166, 192, 197–200, 276–278, 334, 374, 433 sacellarius, Schatzmeister 121 sagitta, Pfeil 66, 103 sagittarius, Bogenschütze 67 saltus, Landstrich (häufig unzugänglich) 214 sarcina, Gepäck, Bagage (Tross) 90, 103, 107, 196 satelles, Gefolgsmann, hoher Günstling 84, 405 satrapa, persischer Vizekönig oder Gouverneur 412 scara, scararius, Krieger 41, 58, 90, 141, 158, 160, 364 scario, Scherge 146, 200 schola, scola, scolares, königlicher Hauskrieger (Elitetruppe), Panzerreiter im königlichen Gefolge 83–84, 102, 104, 107–108, 335

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464 – palatina, römisch-kaiserliche Garde (4./5. Jahrhundert) 83, 104, 108, 335, 376 scultaizus, sculdasius, Schultheiss 343 scutarius, Schildträger; Schildmacher, Schildner 62, 83–85, 146–147, 196, 200 scutatus, Schildträger; Gewappneter, Gerüsteter, Reisiger 83, 85, 193 scutum, Schild 58, 61, 63, 70, 72, 74–75, 186, 191, 277, 363–364 securis, Axt, Beil 61–62 sellarius, Sattler 147–148 semispat(h)a, senespasium, doppelschneidiges Kurzschwert (siehe spatha) 71, 73–74, 191 senator, Ältester einer Gemeinschaft, Rat; römischer Senator 30, 411 senatus, Rat der Ältesten, Gruppe der Ehrwürdigsten, Edelsten 272 senescalcus, Seneschall, Truchsess 121 senior, Herr, militärischer Anführer, ‹Lehnsherr› 114, 192, 392 serviens, deserviens, Dienstmann, Diener; Mönch 42, 55, 123, 136, 141–143, 146, 156, 165–167, 174–176, 178–179, 200, 202–203 servitium, Dienst, Abgabe, Knechtschaft 127, 129, 132, 134, 136, 142–143, 163–164, 173, 177, 179, 195, 327, 435 – regis, ‹Königsdienst› (Gastung, Heeresfolge, Spanndienste, Brückenbau, Gebete, Geldzahlungen etc.) 50, 122, 403 servitor, Dienstmann, Diener (standesunabhängig); Mönch 42, 126–127, 129–130, 142, 165–166, 174–176, 178, 200, 203, 390 servus, Knecht, Höriger; Diener 42, 121, 123, 125, 129–132, 135–136, 139–145, 149–151, 154, 157, 161–168, 170–175, 177, 179–183, 185, 187–188, 190–192, 200–203, 276, 294, 363–364, 386, 395, 409, 434–435 – casatus, ‹behauster› Höriger, hufengebundener Knecht 42, 148, 151, 175, 178–179, 181, 190, 203 – manens, ‹behauster› Höriger, Knecht 42, 143, 175, 178, 181 signifer, Bannerträger, Anführer einer Gruppe (schreitet voran) 63, 83, 85, 381 sinodus, synodus, kirchliche Versammlung, Synode 100, 315–316, socius, Mitstreiter, Waffenträger im persönlichen Gefolge 44, 84 sparus, sparum, sparro, einfacher (Jagd-)Speer, Sparren 61, 74 spatha, spata, Schwert (doppelschneidiges Langschwert) 63, 73–75, 191, 314, 395, 433 spat(i)arius, Schwertträger, Leibwächter, Knappe 121 speculator, Späher, Kundschafter; Kurier, Scharfrichter 192, 194, 200, 204 spiculum, (Wurf-)Speer, Spiess 61, 74 stator, Page, junger Diener von hohem Stand 84, 200 subditus, Untergebener 200 subiectus, Untergebener, stark Abhängiger (Unterworfener) 200 subministerialis, ‹Unterbeamte›, Diener 153, 200 sutor, Schuster 147–148 terminus, Grenze; Plural: Gebiet 217, 293, 331–332 territorium, Gebiet, Land(schaft), herrschaftlicher Bezirk 214, 253, 332 testis, Zeuge (eines Rechtsaktes, einer Beurkundung) 373, 384, 388, 393 testudo, Schilddach (für Belagerungen) 74, 269 t(h)elonearius, Zoll- und Zinseintreiber tiro, tyro, Knappe, Klosterschüler 84, 146, 196 tornator, Drechsler 147–148

465 tribunus, Verwalter eines Rechtsbezirks (grafenähnlich), Ortsvorsteher, siehe auch centenarius; militärischer Befehlshaber, ‹Schultheiss› 41, 112–113, 211–213, 218, 272, 291, 300, 322, 329, 354, 360, 367–368, 373–382, 384, 410, 438, 441 – episcopi, bischöflicher Vertreter, Ammann in der Bischofsstadt 380 – stabuli, Verwalter, Tribun des kaiserlichen Stalles (römisch) 376 tributarius, abhängiger, tributpflichtiger Dienstmann (häufig mit Sonderfunktionen wie Botendiensten etc.); Plural unter anderem für tributpflichtige Völker (siehe vectigalis) 42, 138, 159–160, 185–188, 200–201, 203–204, 435 tributum, Abgabe, Zins (meist ausserordentlich) 173, 185–186, 358, 408 tunnarius, Küfer 147 turba (plebeiorum/armatorum), Schar, Volk von Bewaffneten 87, 102, 177, 260 turma, Schar (militärisch), kleine berittene Kriegergruppe, kleiner römischer Reitertrupp (etwa 30 Mann) 88, 102, 105–106, 108–109, 234, 418 tutor, Beschützer, Wächter (auch militärisch) 146, 200, 239 urbanus, Landbewohner, Bewohner einer befestigten Siedlung, Burgbewohner 188, 199–200, 205, 262–263, 268, 274, 276–277 urbs, befestigte, städtische Siedlung, Burg, (Bischofs-)Stadt 59, 90, 102–103, 129, 199, 237–238, 250, 265, 268–272, 274–276, 285–286, 302, 323, 422 vallus, vallum, Wall (meist aus Holz und Erde, übertragen auch für Mauer) 268, 270–271, 274– 286 vassus, vas(s)allus, Vasall, Krieger 59, 83–85, 121, 153, 158, 178, 185, 191, 293, 309, 364, 382, 384, 388–389, 392–393, 433 vectigalis, Tributpflichtiger; im Plural auch Abgaben 188, 200 venator, Jäger(meister) 121, 128 vernaculus, Hausgesinde, ortsgebundener Höriger 42, 181–182 vexillatio, kleine militärische Einheit, abkommandierter römischer Trupp 105 viator, Bote, Reisender, Pilger 166, 192–193, 200, 204 vicarius, Stellvertreter, gräflicher Stellvertreter, Unterbeamter, Statthalter 41, 146, 176, 212, 218, 239, 321, 321–323, 372–373, 375, 378, 404, 438 vicus, Dorf, römische Kastell-, Lagersiedlung 212, 221–224, 268, 288, 307 vigil, Wächter, Aufpasser 143–146, 200, 239 villa, einfache Hofstelle(n), (Streu-)Siedlung, Dorf 156, 178–179, 213, 227, 231–232, 267–268, 276, 282, 318, 320–321, 341, 363–365, 369, 375, 391, 395, 400, 405 – rustica, Landgut (römisch) 231 villanus, Landbewohner, Dörfler, ‹Bauer› 174, 199–200, 276–277, 363–364 villicus, (Guts-)Verwalter, Vorsteher einer Siedlung 23, 41, 92, 125, 128, 159, 354, 356, 360–365, 367, 435 vir, (Herr, Mann (‹freier Alemanne›) 30, 55, 60, 184, 217–218, 237, 260, 345, 364, 385, 390, 392, 405, 420 – illustris, -ter, inlustris, -ter, illustrissimus, angesehener, hoher, vornehmer Herr (geistlicher und weltlicher Ehrentitel), Aristokrat, Graf 46, 211–212, 306, 312, 321, 331, 374, 377, 411–412, 414, 416 – militaris, militärischer Anführer 83, 111–112 – nobilis, nobilissimus, hoher, edler Herr (Ehrentitel), Aristokrat 177, 340, 347, 410

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466 – potens, potentior, siehe potentes – venerabilis, ehrwürdiger, hoher Herr (Ehrentitel), Aristokrat 132, 321, 323, 382, 389, 411 vocatus, siehe advocatus

467

5.2.3

Personen- und Ortsnamenregister

Das folgende Register enthält ausschliesslich die für diese Arbeit zentralen Personen und Örtlichkeiten sowie solche, die mindestens zwei- bis dreimal erwähnt werden. Einmal genannte Orte und Personen sind meist Teil der Darstellung eines Einzelfalls und für die vorliegenden Untersuchungen daher nicht von übergreifender Bedeutung. Aachen 256 Aadorf, Kloster und Siedlung 337, 387, 447 Aargau 211, 222, 231, 235, 306, 337, 341–342, 348, 350–352, 422, 449–451 Achalm – Geschlecht 336 – siehe Kuno und Liutold Adalbero, Adalperen – Bischof von Augsburg 130, 308 – Graf (um 909): 52, 308, 450; (1006–1015): 337, 450 – Zeuge, advocatus 51–53 Adalbert – Graf (836–845): 308, 448; (der Erlauchte, 859–894): 297, 308, 322, 358, 372, 376, 379, 382, 384– 385, 411, 416–419, 449–453; (894–† 911): 305–306, 308, 310, 420, 449, 451–452; (957–980): 307, 309, 449, 453; (II., von Mörsberg, um 1100): 341 – von Trier, Chronist 43, 46 Adalbold von Utrecht, Chronist 99–100 Adale, Tribun 300, 359, 375, 379, 438 Adalger, Graf (um 834) 453 Adalgoz, Graf (893–903) 306, 449 Adalhart – Graf (762–777): 52, 450; (920–926): 51–54, 306, 449 – Zeuge 306 Adalhartsbaar 351–352 Adalhelm – Diakon, Bischof von Worms 298–299 – Graf (857–859) 449 – Zeuge 298–299, 396, 438 Adalhram, Donator (um 808), Krieger 72 Adalperen, siehe Adalbero Adalrich, Graf (788–802) 448, 452 Adelo, Graf (um 858) 453 Ad Fines, siehe Pfyn Agylolf, Graf (um 779) 451 Alaholfsbaar 352, 410 Alamannen (Antike) 18, 29, 34, 114, 234, 405 Albgar, Graf (um 830) 451 Albgau, siehe Allgäu Alboin, Graf (um 842) 450 Albrich, Graf (838–865) 449–451

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468 Albuinsbaar 351–352, 369–370 Alemannien (frühmittelalterliche Alemannia): passim Alfred der Grosse, König von Wessex 238–239 Allerheiligen, Kloster 337, 339, 341 Allgäu, Albgau 51, 211, 298, 306, 341, 351–353, 386, 390, 448–449, 451–453 Alpen und Alpenpässe 44, 48, 70, 81, 99, 113, 138, 205, 214, 217, 221, 227, 234, 248, 266–267, 273, 275, 285, 290, 311, 340, 343–344, 408, 416 Alpgau 51, 60, 307, 342, 351–352, 393, 448–453 Amalung, advocatus 357–358, 361 Amizo, Graf (um 1030) 341, 453 Ammianus Marcellinus, römischer Geschichtsschreiber 212, 254, 376 Anno – Abt von St. Gallen 285–287, 386 – Erzbischof von Köln 55 – Gefolgsmann; Zeugenname, Hörigenname 134, 163, 179, 229, 297, 321–322, 367, 384–389, 399, 438 Ansbert, Graf (um 806) 453 Anselm, Graf (um 1048) 338, 451 Aquitanien 95 Arbo, Graf (um 897) 450 Arbon (TG), Siedlung und Kastell 14, 113, 205, 209, 210–217, 219, 221–225, 230, 233–234, 236, 246–247, 270, 272–273, 283, 345, 351, 368, 375–379, 381, 384, 397, 405, 435, 446 Arbongau 210–211, 215, 218–219, 296–297, 352, 377–378 Arbor Felix, siehe Arbon Argengau 51–52, 165, 171, 211, 283, 298, 306, 311, 340–341, 351–352, 448–453 Arnold von Lenzburg, Graf (1003–1050) 337, 449 Arnulf – Graf (887–912) 307, 451 – Herzog von Bayern (I.): 33, 422; (II.): – von Kärnten, ostfränkischer König 43, 129, 311, 321, 384, 387–388, 393, 399 Ato, Graf (831–854): 449–452; (um 975): 310, 453 Audracus, Graf (um 806) 453 Augsburg, Stadt und Bistum 15, 48, 52, 57, 102–104, 130, 209, 216, 218, 251–252, 257, 274–275, 306, 308, 353 Augst, Bezirk Liestal (BL) 229, 230, 272, 328, 351 Augstgau 60, 211, 230, 328, 337, 342–342, 351–352, 377, 385, 449–450, 453 Augustinus, Kirchenvater 97, 101, 109, 275 Awaren, Reitervolk 268–269 Babo, Babonen, Pabonen, Gefolgsmann, Zeugen 254, 260, 297, 322, 367, 388–394, 419–420, 438 Bamberg, Stadt und Bistum 48, 125–128, 131, 136, 141, 143, 154 Basel 77–78, 229–230, 249, 257, 308, 328, 376, 388, 407 Baskenland, baskisch 70, 195 Bayern, regnum, Herzogtum 32, 48, 57, 61, 72, 102–104, 107, 109, 113, 132, 134, 151, 217, 219, 228, 234, 243, 291, 302, 311, 314, 317, 370, 378, 380–381, 390–391, 406, 410, 418, 422, 424 Beata, Aristokratin, Donatorin 152, 184–185

469 Berengar, Perinker – I., König von Italien 42–44, 138 – Graf (884–888): 372, 450; (942–954): 51, 306, 449; (um 1048): 340 – Zeuge, Centenar 51–52, 375 Bergell 342–343 Bern 264, 428 Bernegg, ehemalige Befestigung bei St. Gallen 281, 337, 446 Bernhard – Graf (um 933–976) 307, 309, 449, 453 – von Clairvaux, Mönch, Prediger 95 Berno, Graf (um 751) 453 Bernold von Konstanz, Mönch, Chronist 89 Berthold, siehe Bertold Bertold, Berthold – Graf (786–802): 450–451; (817–826): 410, 451; (880–893/897, Pfalzgraf): 454; (909–† 916/917, Kammerbote): 258, 260, 262, 310, 325–326, 396, 399, 401, 408, 412, 418, 454; (von Zähringen, 1044–† 1078, Herzog von Kärnten): 77, 336–337, 426–428, 449–450; (von Nimburg, um 1100): 338, 450 – von Reichenau, Mönch, Chronist 35, 37, 47, 69, 78–80, 85–89, 94, 96–97, 105–107, 111, 117, 131, 146, 152–153, 155–156, 166, 174–175, 192–194, 196–199, 270–271, 273–275, 277–278, 315–316, 326, 330, 332–335, 345, 365, 374, 393, 409, 411, 418, 444 – von Rheinfelden (I., Gegenherzog) 263, 425–426 – von Zähringen (II., Gegenherzog): 77–78, 117, 263, 279, 327, 329, 336, 341, 404, 425–428, 430; (IV.): 66 Bertoldsbaar 154, 351–352, 355, 376, 393 Bertrich, Graf (736–745) 453 Bischofshöri 352 Bobo, Graf (Mitte 7. Jahrhundert) 450 Bodensee – Raum: passim – See 209, 214, 222, 235, 246–247, 253-255, 265, 270, 283, 288, 297, 345, 348, 351–352, 377–378, 409, 441–442 Bodman, B.-Ludwigshafen, Landkreis Konstanz (BW) 207, 245, 249, 253–259, 298, 325, 345, 365, 389, 392, 397, 399, 408, 420, 435, 446–447 Böhmen 90, 100, 102–104, 107, 195, 414 Bratislava, siehe Pressburg Bregenz – Geschlecht 309, 338–339, 346, 348 – Siedlung und Kastell 51, 117, 212, 214–225, 228, 234, 236, 254, 273–274, 283, 345, 378–379, 397, 405, 435, 446 – siehe Eberhard, Erchonald, Marquard, Rudolf und Ulrich Breisach (am Rhein), Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald (BW) 244, 257, 264, 270, 328, 428 Breisgau 51–52, 60, 100, 170, 230, 279, 308, 310–311, 321, 327, 336–338, 342, 348, 351–352, 385– 386, 393, 395, 421, 448–452 Brigantium, siehe Bregenz Britannien, England 238, 271, 369

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470 Brixen, Bistum 48 Buchhorn – Friedrichshafen (heute) 283–284, 447 – Geschlecht 338, 346, 348 – siehe Otto Buchsgau 328, 342 Bülach, Gemeinde und Bezirk (ZH) 240, 296, 386, 405, 447 Burchard – Bischof von Worms 125–126, 128–129, 132 – Graf (890–† 911): 42, 307, 309, 312, 314, 389, 392, 413–416, 418–420, 450, 453; (um 903): 311; (von Nellenburg, 1063–1092): 339, 341, 452 – Herzog von Schwaben: (I.): 13, 33, 42–48, 50–51, 53–54, 57, 59, 63, 86, 89, 108, 114–115, 246, 254, 258, 260, 266, 302, 309, 314, 325, 349, 388–390, 392, 394, 397, 399, 407–408, 413–415, 418–424, 427–428, 444; (II.): 44, 102–103, 113, 260–262, 300, 306–307, 379, 424; (III.): 359 – Markgraf († 908) 414 Burgau, Gemeinde Flawil (SG), Befestigung 117, 280 Burgund, Hochburgund, Niederburgund 15, 42–44, 55, 66, 214, 219, 263, 311, 322, 342, 353, 424, 428 Bussnang, Bezirk Weinfelden (TG) 207, 229, 365–366, 447 Cambiodunum, siehe Irgenhausen Cannstatt (heute Bad C.), Stadt Stuttgart (BW) 109, 349, 372, 404, 406 Centum Prata, siehe Kempraten Chadaloh, Graf (790–† 819): 388, 451; (890–894): 388, 410, 449, 451 Chancor, Graf (743–755) 448–450 Chazo, Graf (um 854) 451 Chiavenna, Provinz Sondrio (IT) 340–342, 453 Chur, Stadt, Kastell und Bistum 48, 51–52, 59, 88, 114–115, 151, 184, 198, 207, 216–220, 222, 227– 228, 230, 235, 249, 253, 257, 309, 339–340, 342–343, 389, 413–414, 416, 435 Cotedanc, Graf (um 903) 310 Cunthard, Graf (um 817) 155, 388, 450 Dachsleren, Gemeinde Schleinikon, Bezirk Dielsdorf (ZH) 232 Deodolt, Graf (um 811) 453 Diethelm von Toggenburg, Graf (1083–1125) 337, 449 Dietrich von Bürglen, Graf (1092–1108) 337, 449 Donau, Fluss 209–210, 212, 222, 225, 228, 234, 351–352 Dracholf, Bischof von Freising 47 Dreisamtal, östlich von Freiburg im Breisgau 264, 279 Eberhard, Graf (886–898): 306, 449–450; (957–971): 300, 306, 359, 379, 449; (um 986): 309; (um 1036): 337, 340, 449; (von Bregenz, 1040–1067): 337, 340, 453 Egino, Bischof von Konstanz 323 Egringen, Gemeinde Efringen-Kirchen, Landkreis Lörrach (BW) 230, 385 Eichstätt, Stadt und Bistum 249–252, 265, 280 Einsiedeln, Kloster 43, 46, 100, 135–137, 154, 175, 261, 306, 308

471 Eitrahuntar 352 Ekkehart – Abt von Reichenau (von Nellenburg) 80, 116 – Mönch (I., Gelehrter): 43, 47; (II., Lehrer der Hadwig): 260–261; (IV., Chronist): 30, 36–37, 46, 50, 55, 57–63, 74–75, 85–86, 88, 91–93, 98, 101, 105–106, 110–111, 115, 122–123, 143–147, 149, 152, 155–157, 160, 166–167, 174, 177, 187–188, 192–194, 196, 246, 258, 260–261, 269, 271, 274, 277–278, 288, 306, 315, 317, 323–324, 326, 329–332, 335, 360, 363–365, 367, 386, 393–396, 399–402, 407, 411, 419, 421, 424, 439, 444 Elgg, Bezirk Winterthur (ZH) 231, 296, 405, 447 Elsass (Alsatia) 15, 50, 60, 77, 99, 152, 215, 219, 307–309, 328, 338, 340–342, 351–352, 410, 419, 422, 448, 453 Engilbert, Abt von St. Gallen 57–59, 101, 110, 167 Erchanbald – Bischof von Eichstätt 250 – Graf (824–832) 448–449 Erchanbert, Graf (777–806) 450 Erchangar, Graf (816–828) 450–451 Erchanger, Graf, Kammerbote (909–† 916/917) 253–254, 258–260, 262, 310, 324–326, 349, 357, 396, 399–401, 408, 412, 416, 418, 420–421, 454 Erchanmar, Graf (um 779) 448 Erchonald, Tribun von Bregenz 218–219 Erich, Graf (um 745) 453 Eritgau 342, 352 Erlafrid, Graf (um 832) 453 Erliwini, Graf (um 1100) 338, 450 Erlolf, Graf (um 903) 310 Ernst, Ernust – Graf (889–959) 311 – Herzog von Schwaben (I.): 425; (II.): 337, 425 Eschenz – Bezirk Frauenfeld (TG) 223–224 – Kastell, siehe Stein am Rhein, Burg Esslingen, Stadt und Landkreis (BW) 257, 328 Eugippius, hl., Autor 233–234 Ewattingen, Gemeinde Wutach, Landkreis Waldshut (BW) 354, 386, 447 Fischingen, Landkreis Lörrach (BW) 230, 385 Flarchheim, Unstrut-Hainich-Kreis (Thüringen), Schlacht 69, 196 Flodoard von Reims, Gelehrter, Chronist 43–44, 46 Folcholtsbaar 351–352 Folknand, miles, von Toggenburg 281, 337 Folrit, Graf (um 824) 453 Forchheim, Stadt und Landkreis (BY) 414, 420 Franken

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472 – F.reich, fränkisch 22–23, 26, 28, 31, 33, 51, 61, 67, 73, 76, 82–83, 88, 93, 102–105, 107, 109, 111, 113–114, 131, 195–196, 204, 211, 214–216, 219, 235, 239, 251, 257, 282, 293, 296, 309, 318, 322, 370, 373–375, 384, 388, 405–407, 410, 413, 418, 436 – ostfränkisches regnum 32, 50, 77–79 Freiburg – im Breisgau 264, 389, 428 – im Üechtland 264, 428 Freising, Bistum 132, 321 Frickgau 60, 277, 332, 352 Friedrich – I. Barbarossa, 1152–1190 römisch-deutscher König, Kaiser 62, 66, 339 – von Staufen, Herzog von Schwaben 185, 425, 427–428 Frumold, Graf (um 817) 155, 450 Gallus, hl.; Galluskirche 213, 254, 322–323, 356, 366, 375, 388, 394, 398, 404, 413, 443–444 Gebhard – Bischof von Konstanz (III.) 160, 427 – Markgraf, Herzog von Lothringen († 910) 413–414 Genf, Genfersee 26, 230, 275 Gerhard, Graf (1008–1017) 340 Gerold, Kerolt – Graf (784–790, † 799): 450; (821–869): 448–450; (um 924): 310, 453 – Zeuge 51–52, 310 Gerung, Graf (um 1077): 340, 453; (von Stühlingen, 1096–1099): 339, 452 Glatt, heute Oberglatt bei Flawil (SG), Befestigung 117, 280 Glehuntar 309, 342, 352 Gossau (SG) 207, 318, 351, 358–359, 362, 391–392, 435, 438, 447 Gottfried der Bärtige, Herzog von Lothringen 84–85 Gozbert – Abt von St. Gallen 62 – Donator (um 816), Aristokrat 158, 354 – Graf (um 766): 380, 453; (856–910): 450, 453; († 910, Pfalzgraf): 309–310, 324–325, 392, 419, 454 Grabs (SG) 227, 447 Gregor VII., Papst 25, 165–166 Grimald, Abt von St. Gallen 171, 182, 298 Guntpirich, Aristokratin 132, 134–135 Guntram, Graf (Mitte 10. Jahrhundert) 308–309, 450 Gunzo, alemannischer Herzog 375, 405 Habsburger, Geschlecht 336, 339, 438 Hadwig, Herzogin 260–262, 323, 424 Hagenbach, Stadt Rheinfelden, Landkreis Lörrach (BW) 230, 385 Haldenburg (Schwabegg), Ungarnburg 243, 252 Hamming, Graf (um 817) 451 Hartmann

473 – Abt von St. Gallen 58, 132, 363–364 – Graf (um 980): 307, 451; (1092–1100): 336, 338, 451; (um 1094): 336, 449; (von Dillingen, 1076/1092–† 1121): 338, 451 Hartmut, Abt von St. Gallen 138, 358, 398 Hattenhuntar 352 Hatto, Erzbischof von Mainz, Abt von Reichenau 130, 388 Haycho, Donator 132–133, 135 Heerbrugg (SG), Befestigung 117, 280, 446 Hegau 51–52, 259, 339, 342, 345–346, 351–352, 389, 448–453 Heiligenberg, Geschlecht und Herrschaft 283, 340, 342 Heinrich – Abt von St. Gallen (H. von Klingen) 50 – Graf (912–920) 310, 453 – Herzog von Bayern 102–103, 261, 381 – ostfränkischer König (I.): 42, 47–48, 54, 237–238, 243, 255–256, 285, 302, 306, 316, 389, 393, 415, 419, 422–423; (II.): 99–100, 116 – römisch-deutscher König (III., Herzog von Schwaben): 100, 123, 328, 425; (IV.): 25, 74, 76–79, 84–86, 90, 96–97, 106, 136–137, 166, 175, 197–198, 274, 276–277, 280, 328, 334, 374, 380, 426–427; (V.): 123 Heistilingau 351–352 Heito, Mönch, Autor 37, 87, 145, 152, 174, 192, 270, 296, 329, 332 Henau, Gemeinde Uzwil (SG) 318, 393 Herimann, Mönch, Autor 43, 47 Hermann – der Lahme, von Reichenau, Mönch, Chronist 42, 46, 48, 50, 66, 80–81, 85–86, 89, 100, 106– 108, 111–112, 146, 152, 155–156, 160, 166, 174, 187–188, 192–193, 199, 269–271, 273, 275, 278, 310, 315–316, 322, 326, 330, 332–335, 339, 376, 380, 403, 411–412, 416, 444 – Graf (II. von Gleiberg, um 1075) 90 – Herzog von Schwaben (I.): 135, 423–424; (II.): 99, 424; (III.): 99, 328, 425; (IV.): 425 Herten, Stadt Rheinfelden, Landkreis Lörrach (BW) 230, 385 Hesso, Graf (1007–1057) 338, 451 Hildebold, Graf (867–893), missus dominicus 326, 453 Hiltibold, Graf (um 1007) 338, 450 Hirminger, Ungarnbekämpfer 60, 106, 277 Hirsau, Kloster 96, 125 Hitto, Graf (805–817) 451 Hochburgund, siehe Burgund Hohentwiel (Singen), Berg, Burg 209, 244, 255, 257–263, 265, 270–271, 274, 277, 279, 283–284, 388, 390, 392, 394, 419, 421, 424, 446 Homburg an der Unstrut, Unstrut-Hainich-Kreis (Thüringen), Schlacht 78, 90 Höngg, Stadt Zürich (ZH) 52, 154, 188, 447 Horing, Graf (um 817) 451 Horscolf, advocatus, Zeuge 395–396 Hrabanus Maurus, Mönch, Gelehrter 102 Hugo – Gefolgsmann des Abtes von St. Gallen (um 1022) 92–93, 338

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474 – Graf (903–913): 307, 310, 453; (968–973): 309, 338; (um 1007): 338, 451; (von Grafeneck, um 1092): 338, 451 Humbert, Kanzler 154 Hunfrid, Graf (799–823): 309, 449, 453; (872–876): 449 Iller, Fluss 209, 212, 222, 225, 228, 306, 353 Irgenhausen, Kastell 221–222, 225–228, 234, 311, 446 Iring – Graf (889–907) 226, 310–311, 393, 453 – Zeuge, Aristokrat 226, 311, 393 Isanbard, Graf (774–† 806) 448 Isidor von Sevilla, Gelehrter, Autor 30, 129, 334 Italien (Italia, Italienses) 13, 42–48, 50–51, 53–55, 57, 59, 63, 66–67, 81, 85–86, 92, 99, 115–116, 122, 138–139, 142, 151, 153, 159, 164, 227, 246, 252, 265–267, 271–272, 274–275, 285, 290–291, 307, 309, 314, 341–343, 346, 349, 392, 408, 414, 419–420, 422, 424 Jonschwil (SG) 318, 358, 361–362, 382, 384, 447 Kaiseraugst, Bezirk Rheinfelden (AG), Kastell, Galluskirche 113, 216, 229–230, 232, 249, 376, 385, 387–388, 397, 447 Karamann, Graf (797–834) 450 Karl – I., der Grosse, fränkischer König und Kaiser 30, 51, 54–55, 82–84, 86, 107–108, 111–112, 114, 123, 149, 165, 191–192, 195, 245, 278, 293, 323, 326, 330–332, 335, 378, 380–381, 407, 409–410, 433, 444–445 – III., der Dicke, ostfränkischer König und Kaiser 138, 176, 314, 321–322, 349, 372, 384, 387, 392–393, 398–400, 409–410, 448 Kärnten 336–337, 339, 426, 449–450, 452 Karolinger, karolingisch 17, 31, 34, 42, 47, 50, 53–54, 56, 61, 65, 67, 71, 76, 80, 84–85, 90, 93, 99, 110, 112–113, 118–119, 121, 142, 153, 158, 210–212, 216, 218, 228, 236, 238, 243–245, 256–257, 278, 282, 291, 293, 296–297, 299–300, 302–305, 311, 315, 323–324, 326–327, 331–333, 341–342, 344–349, 359, 361, 368, 375–376, 378, 384, 397, 400–401, 406, 409, 413, 415, 418–419, 422, 424, 429, 434, 437–438, 440, 442 Kaspar von Breitenlandenberg, Abt von St. Gallen 366 Kempraten, Gemeinde Rapperswil-Jona (SG) 179, 221, 225–227, 447 Kempten, Kloster 187, 216, 353 Kerhart, Zeuge, advocatus 51–52, 163 Kerolt, siehe Gerold Kirchberg, Geschlecht und Herrschaft 307, 338, 342 Kirchzarten, Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, Baden-Württemberg 229, 354, 447 Klettgau 51, 307, 339, 342, 351–352, 391, 448–449, 451–453 Kloten, Kastell 222, 227, 446 Konrad – Bischof von Konstanz 115 – der Rote, Herzog († 955) 102–103, 105, 107 – Graf (839–856): 410, 449, 451–452; (903–920): 307, 310; (um 973): 308, 450, 452

475 – I., Kuno von Öhningen, Herzog von Schwaben 308, 424 – ostfränkischer König (I.): 250, 258, 323, 326, 390, 399–402, 415, 420–421; (II.): 123 Konstanz, Stadt, Kastell, Bistum 19, 48, 50–52, 59–60, 67–68, 100, 105, 115–116, 132, 159–160, 173, 187–188, 207–209, 214–215, 218, 221–222, 224, 227, 234, 236, 246–250, 254–255, 257, 262–263, 268–269, 271–272, 274, 278, 283, 288, 345, 397, 399–400, 405, 407–409, 420, 435, 446 Kräzern, ehemalige Befestigung bei St. Gallen 117, 157, 280, 446 Kunibert, Graf (um 779) 453 Kuno, Graf (um 994): 308; (von Achalm, zweite Hälfte 11. Jahrhundert): 340, 452 Kyburg – Burg und Herrschaft 117, 270, 338, 345 – Geschlecht 292, 336, 348 – siehe Werner Lampert von Hersfeld, Mönch, Chronist 89, 196 Landerich, Zeuge 51–52 Landolt, Graf (976–981) 305–306, 449 Landschlacht, Gemeinde Münsterlingen, Bezirk Kreuzlingen (TG) 207, 435 Langenthal, Verwaltungskreis Oberaargau (BE) 231, 351 Langobarden(reich), langobardisch 44–45, 67, 85 Lantfrid, Graf (um 828) 451 Lechfeld, bei Augsburg (BY), Schlacht 103–105, 107–108, 112–113, 195, 274, 286, 381, 424 Limburg, Kloster 125, 128, 130–131, 136, 149–150, 154 Lindau, Insel im Bodensee, Kloster 310, 339 Linzgau 253, 283, 297–298, 339–340, 342, 346, 351–352, 385–386, 448–453 Liudolf, Herzog von Schwaben 261, 308, 424, 448 Liudprand von Cremona, Gelehrter, Autor 43, 46, 420 Liutfrid, Graf (884–926): 60, 309–310; (973–999): 309 Liuthar, Graf (824–828) 450 Liuto, Graf (924–929) 51–52, 306, 449, 451 Liutold – advocatus 361 – Graf (843–861): 450; (von Achalm, 1075–† 1098): 340, 452 Liutpold, Markgraf († 907) 311, 390, 413–414 Liutward von Vercelli, Erzkanzler, Bischof 138, 382, 387 Lothar – II., fränkischer König 102 – III., römisch-deutscher König 123 Ludwig – der Blinde (III.) von Niederburgund 43 – der Fromme (I.), fränkischer König 43, 71, 195, 253, 296, 373, 414 – Graf (um 928): 53, 306, 449; (von Stoffeln, 1067–1101): 339, 345, 452 – ostfränkischer König (II., der Deutsche): 138, 164, 186, 298, 321–322, 379, 398, 409–410; (III., der Jüngere): 321; (IV., das Kind): 250, 414, 420 Lütisburg (SG), Befestigung 117, 280–281 Lutold, Abt von St. Gallen 116, 281

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476 Lützelau, Insel im Zürichsee 185, 232 Magyaren, siehe Ungarn Mailand 138, 275, 311 Mainz, Stadt und Erzbistum 143, 278, 307 Mangold – Abt von St. Gallen (M. von Mammern) 75, 80, 157 – Graf (I. von Nellenburg, 975–987): 307, 449; (um 1003): 338, 451; (II. von Nellenburg, † 1030): 333, 339, 452; (von Nellenburg, 1092–1100): 340, 452 Marquard von Bregenz, Graf (1032 bis Ende 11. Jahrhundert) 340, 453 Martin, hl., Martinskirche Massino, kleine Abtei, heute Massino Visconti, Provinz Novara (IT) 138–139, 186 Meginfrid, Burggraf von Magdeburg († 1079) 69 Mellrichstadt, Landkreis Rhön-Grabfeld (BY), Schlacht 78–79 Merowinger, merowingisch 26, 47, 50, 53, 61, 67, 71, 93, 99, 112–114, 125, 131, 264, 296, 302, 332, 374, 379, 384, 405–406, 410, 442 Misox 342–343 Mortenau 308, 336, 338, 342, 351–352 Munigisinhuntar 211, 352 Munterishuntar 351–352 Munzach, Stadt und Bezirk Liestal (BL) 230, 232 Muozo, Graf (Ende 11. Jahrhundert) 337, 449 Murten, Bezirk See (FR) 264, 271–272, 428 Neckar, Fluss 79, 351, 353 Nebi, Graf (um † 773) 453 Nellenburger – Geschlecht 80, 292, 336, 338, 345, 348, 438 – siehe Burchard, Ekkehart und Mangold Neuenburg (am Rhein), Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald (BW) 264, 270, 428 Nibelgau 307, 309, 324, 340, 342, 349, 351–352, 380, 385, 390, 448–453 Niederburgund, siehe Burgund Nordgau 50, 309, 338, 342, 352, 448 Noricum 233–234 Normannen, ‹Wikinger› 16, 24, 32, 95, 102, 149, 194, 238–239, 250–251, 282, 284–285, 333 Noting, Bischof von Konstanz 51, 115 Notker – Abt von St. Gallen 91, 122, 285–287, 386 – advocatus 358, 361 – Balbulus, Mönch, Autor 30, 37, 73–74, 83–84, 86, 88, 105, 107–108, 112, 123, 145–146, 149, 152, 156, 165, 174, 176–177, 192–196, 265, 268–271, 273, 278, 297, 313–314, 317, 322, 326, 330–331, 335, 360, 365, 373, 376, 381–383, 387–388, 392–393, 397–398, 403, 411–412, 416, 433, 444 Nuno, Graf (um 824) 453 Oberaargau, siehe Aargau Oberbüren (SG) 318, 320

477 Oberuzwil (SG) 207, 209, 318–320, 362, 393, 435, 438, 447 Oberwinterthur, Stadt und Bezirk Winterthur (ZH) 209, 212, 214, 216, 221–222, 225, 227–228, 230, 234, 247–248, 262, 296, 341, 382, 405, 446 Olten, Stadt und Bezirk (SO) 230, 328, 342 Ostbaar 211, 307, 336, 338, 342, 352–353, 384, 386, 448–454 Ostfrankenreich 15, 23, 28, 31, 39, 49, 55, 67, 77, 79, 85, 91, 95–96, 99, 111, 118–121, 124, 130, 138– 139, 191, 197, 199, 239–240, 245, 250, 284, 293–294, 302, 304, 310, 317, 321, 328, 333, 346, 353, 356, 359, 361, 379, 397, 411, 413, 418, 422, 424–425, 429, 437–438, 442 Othere – Centenar und Bruder von Notker Balbulus 322, 361, 367, 374, 378, 381–382, 383–384, 387–388, 392, 411, 438 – Zeugenname 186–187, 381–382 Otmar, hl.; Otmarskirche 217, 224, 286, 394, 398–400, 402, 407–408, 411, 444 Otto – Graf (von Buchhorn, 1020–† 1089) 117, 339–340, 452–453 – Herzog von Schwaben (I.): 261, 424; (II.): 326, 425; (III.): 425 – ostfränkischer König (I., der Grosse): 17, 102, 104–105, 107–108, 138, 195, 252, 274, 288, 300, 308, 359, 379; (II.): 48; (III.): 165, 215, 262 Ottonen, ottonisch 17, 95, 105, 244–245, 255–256, 302–304, 346, 348, 403, 418, 422, 437, 440 Otwin, Graf (zweite Hälfte 7. Jahrhundert) 218–219, 379–380, 453 Pabo, Graf (847–855) 390, 452–453 Pabonen, siehe Babo Paderborn 80, 256, 280 Pagus Appha 342, 351–352 Pagus Duria 306, 338, 352 Pannonien, Pannonier 213, 233, 377, 413 Papst(tum) 43, 79–80, 89, 116, 165, 304, 315–316, 346, 412, 421 Pavia 99, 154, 275, 278, 398, 407 Pebo, Graf (736–746) 448–449 Perecker, Zeuge 51–52 Perinker, siehe Berengar Petershausen, Kloster 139, 160, 447 Petto, Graf (um 736) 453 Pfäfers, Kloster 47, 357, 416, 447 Pfäffikon, Gemeinde und Bezirk (ZH) 225–226 – Kastell, siehe Irgenhausen Pfullendorf, Geschlecht und Herrschaft 292, 339, 342, 345–346, 348 Pfyn, Kastell 212, 214, 216, 221–222, 225–226, 230, 233, 446 Pippin, fränkischer Hausmeier (II.): 111, 219; (III., König): 139, 408 Pirihtilo, Graf (770–789): 450; (962–969): 308, 450; (990–995): 308, 450 Pirihtilosbaar 351–352 Pleichfeld, Schlacht 89 Pressburg, heute Bratislava 250, 270 Provence 91, 158 Prüm, Kloster 58, 142, 154, 156, 160–161, 174–175, 177, 181, 184, 190, 202, 363–365

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478 Purchart, Abt von St. Gallen 116, 123, 153, 164, 261, 359 Raban, Graf (um 839) 453 Radebot, Graf (um 1023) 339, 451 Rammgau 338, 351–352 Ramsberg – Geschlecht und Herrschaft 339, 345–346 – siehe Ulrich Rankweil, Bezirk Feldkirch, Vorarlberg 30, 447 Rätien, Raetia 15, 18, 30, 37, 48, 51–52, 71, 117, 151–152, 184, 213–214, 216, 218–220, 233, 235, 245, 253–254, 272, 297, 304–305, 307, 309, 312, 314, 337, 339–340, 342–343, 345–346, 348, 353, 358, 370, 377–379, 389, 399, 410, 414–416, 419, 421, 448–453 Ratolf, Graf (787–797) 450 Ratpert, Mönch, Chronist 30, 36–37, 84, 107, 138, 152, 155–156, 160, 174, 177, 187–188, 193, 210– 211, 270, 315–316, 329, 331–332, 355, 360, 365, 379, 409, 444 Regensburg, Kastell, Stadt und Bistum 216, 218, 249–250, 251, 265, 298, 376, 378, 380, 390 Reginbold – Donator, advocatus 170 – Graf (903–912) 310, 454 Reichenau, Kloster, Insel 37, 43, 50, 55, 60, 80, 86, 101, 106, 116–117, 209, 245, 249, 253, 257, 263, 281, 332–333, 336–337, 388, 397, 399, 407, 447 Rhein, Fluss 26, 60, 77–78, 209–210, 212, 216–217, 222–223, 225, 228, 251, 253, 297, 337, 351–353, 386 Rheinau, Kloster, Insel 37, 304, 324, 360, 391, 447 Rheineck (SG) 217, 287 Rheinfelden – Geschlecht 263 – siehe Bertold und Rudolf Rheingau 210–211, 253, 296–297, 299, 306–307, 309, 341, 351–352, 448–449, 451–453 Rheintal, St. Galler 71, 214, 216, 218, 228, 306 Richer, Hofkämmerer 123 Rifoin, Graf (um 805) 453 Rihwin, Graf (808–822) 448–449 Rohrbach, Verwaltungskreis Oberaargau (BE) 231, 306, 447 Rom – antikes Rom, Westrom, Römer, römische Truppen 16, 25–26, 30, 37, 39–40, 73, 77, 83–85, 88, 90, 102, 104–106, 108–114, 142–143, 182–183, 190–191, 194, 201, 204–205, 209–218, 220–222, 227–228, 230–235, 238, 244, 247–250, 252, 254, 264–266, 269, 271–273, 278, 280, 335, 366– 369, 377–380, 384, 411, 416, 439, 441–442 – mittelalterliches Rom 48, 50–51, 67, 96, 107, 115, 215, 239, 248, 271, 275, 278, 311, 343, 376, 412 – Oströmisches Reich, byzantinisch 83, 108, 112, 193, 335, 411 Romanshorn, Bezirk Arbon (TG) 207, 212, 229, 236, 284, 362, 378, 435, 438, 447 Rorschach (SG) 288, 351, 447 Rötteln, Stadt und Landkreis Lörrach (BW) 230, 385 Rottweil, Stadt und Landkreis (BW) 216, 257 Ruachar, Graf (786–838) 449–453

479 Ruadbert – Graf (773–800): 451–452; (800, 806–814): 448, 451–452 – Zeuge, ministerialis 135–136, 153, 155, 314, 321–322, 438 Ruadolt, (Pfalz–)Graf (um 854) 325, 451, 454 Ruadolteshuntar 352, 369–370 Rudolf – II., König von Burgund 42–44, 46, 50–51, 262, 349 – Graf (870–892): 416, 449–450, 453; (928): ; (um 1038): 340, 453; (um 1048): 450; (von Bregenz, 1092/1110–1139): 339–340, 453 – von Rheinfelden, Gegenkönig, Herzog von Schwaben 69, 76–79, 85–86, 88, 97, 116, 196–198, 334, 345–346, 425–427 Ruochere, Graf (um 903) 311 Ruodbert, siehe Ruadbert Ruthard, Graf (749–769) 86, 316, 408–409, 411, 444, 452 Sachsen, regnum, Herzogtum 51, 78–79, 90, 104, 198, 256, 284, 406, 421 Säckingen, Kloster 60, 269, 447 Salomo, Bischof von Konstanz (II.): 159, 248; (III., Abt von St. Gallen): 13, 33, 55, 83, 87, 114–115, 122, 149, 155, 247–248, 253, 258–261, 277, 297, 323, 325–326, 349, 387–388, 390, 399–402, 416, 418–421 Sandrat, Mönch und Visitator 143–144 Sankt Emmeram, Kloster 143, 172, 251 Sankt Gallen: passim Sankt Georg, Kloster 223, 261 Sarazenen, nordafrikanische ‹Seeräuber› (hier) 32, 48, 61, 71, 92, 95, 111, 117, 204, 266, 285 Schaan, Kastell, Siedlung 222, 226–228, 234, 446 Scherragau 351–352 Schwaben (Suabia, Suevia): passim Schwarzwald 264, 352, 429 Schwende (AI) 281, 446 Scopo, Graf (um 804) 448 Scrot, Graf (erste Hälfte 9. Jahrhundert) 454 Severin, hl., Severinsvita 217, 233–234 Sigifrid, Pfalzgraf (um 904) 311 Singen, Landkreis Konstanz (BW) 274, 279, 283, 388 391, 421 Sisgau 337, 352 Sitter, Fluss 241, 409 Solothurn 230, 264, 328, 342, 428 Speyer, Stadt und Bistum 143, 275, 380 Stablo-Malmedy, Kloster 159, 364 Stammheim, Bezirk Andelfingen (ZH) 172, 209, 227, 229, 244, 254, 258–259, 262, 270, 277–278, 283, 324, 389, 394–402, 420, 446–447 Staufer – Geschlecht 336, 425, 428, 438 – siehe Friedrich Stein am Rhein

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480 – Burg, spätrömisches Kastell 214, 216, 221–225, 230, 233–234, 236, 247, 273, 397, 446 – Kloster, siehe Sankt Georg Steinhard, Graf (778–797) 451, 453 Stilicho, spätrömischer Heermeister 232, 334 Stoffeln, Geschlecht und Herrschaft 339, 345–346 Strassburg 77–78, 99–100, 249, 257, 306, 327 Sülichgau 338, 342, 352 Sundgau 50, 60, 309, 352, 448 Talto, Graf (erste Hälfte 7. Jahrhundert) 210–212, 331, 374, 377–379, 448 Tasgetium, siehe Stein am Rhein, Burg Tassilo, Herzog von Bayern 413 Theoting, Zeuge, fidelis 384 Thiedolt, Zeuge 51–52 Thiepoldsburg, umstrittene Festung des Erchanger 257–259, 261, 274, 277, 400 Thietmar von Merseburg, Bischof, Chronist 48, 99, 104, 328 Thingolte, Aristokraten 396 Thiotrich, Graf (um 817) 450 Thur, Fluss 217, 366–367, 409 Thurgau 51–53, 136, 210–211, 218, 236, 253, 297–299, 305–306, 308, 310–311, 322, 336–338, 341, 344, 349, 351–352, 361, 377–378, 385–386, 391–392, 395, 416, 421, 447–453 Thüringen, regnum, Herzogtum 104 Tiemo, Graf (um 1040) 337, 449 Tilleda, königliche Pfalz 256–257, 280 Tiso, Graf (818–825) 450 Toggenburg – Geschlecht, Burg 274, 292, 344–345 – Region 351, 443 – siehe Diethelm Trier, Stadt und Bistum 143, 251, 275, 334 Trossingen, Sängergrab 64 Tuotilo, Mönch, Gelehrter 30, 193 Udalrich – Graf (778–817): 372, 448–452; (842–895): 174, 253, 306, 322, 387, 448–449, 451–453; (902– 917): 51–52, 306–307, 310, 449, 452; (924–950): 309, 453; (um 949): 311 – siehe Ulrich Ufenau, Insel im Zürichsee 232 Ulfberht (Vlfberht), Schmied(e) 149 Ulm 245, 257, 263, 352, 447 Ulrich – Abt von St. Gallen, von Eppenstein 116–117, 263, 280–281 – hl., Bischof von Augsburg 251–252 – Graf (I. von Lenzburg, 1036–† vor 1050): 337, 449; (II. von Lenzburg, um 1077): 337, 449; (von Bregenz, 1043–1095): 340, 453; (von Ramsberg, um 1096): 339, 345, 452 – siehe Udalrich

481 Ungarn, Magyaren, Reitervolk 13, 15–17, 24, 31–33, 39, 42–44, 48, 53–54, 57, 59–60, 62, 66, 71, 95, 100–107, 110–111, 115, 145–146, 167, 194–195, 204–205, 209–210, 215, 236–237, 239–243, 246, 248, 250–252, 255–257, 266, 268–269, 271, 277, 282–287, 308, 310, 317, 324–325, 349, 374, 391–392, 411, 419, 435, 440 Unruoch – Graf (Anfang 9. Jahrhundert) 454 – Zeuge 51–52 Uto, Graf (851–857) 450 Uznach (SG) 287, 323, 447 Vegetius, spätantiker Autor 101–102, 109 Verena, hl. 46 Victor, Victoriden, Grafen- und Bischofsgeschlecht in Chur 217, 235, 413, 415–416 Vindonissa, siehe Windisch Vitudurum, siehe Oberwinterthur Vlfberht, siehe Ulfberht Wahlwies, Stadt Stockach, Landkreis Konstanz (BW) 254, 257, 421 Walahfrid Strabo, Mönch, Autor 37, 74, 86, 145, 152, 156, 174, 210, 213–215, 219, 221, 254, 329, 332, 374, 376–377, 379, 407–409 Walaho, Graf (888–903) 311 Waldburg, frühmittelalterliches Refugium bei Häggenschwil 146, 240–242, 244, 271, 280, 282, 446 Waldkirch, Kloster 261, 308, 421 Waldo – Abt von Pfäfers 357 – Mönch, Bistumsverweser von Basel 407 Waldpret, Graf (Mitte 9. Jahrhundert) 454 Walensee, -wachtürme 228, 353 Walto – Bischof von Chur 51 – Dekan von St. Gallen 61–62, 92 Waltram, Tribun von Arbon 211, 217, 377–378 Waltramshuntar 210–211, 352, 378 Waning, Graf (804–838): 453; (um 868): 453 Warin, Graf (754–† 774) 86, 316, 395, 408–409, 411, 444, 448, 450, 452 Warmbach, Stadt Rheinfelden, Landkreis Lörrach (BW) 230, 385 Wasserburg, Insel, Kirche 229, 447 Weesen, Kastell 222, 226, 228, 446 Wehntal, Tal im Bezirk Dielsdorf (ZH) 186, 189, 351 Welf – II. von Altdorf (1025–† 1030) 339, 452 – IV. Herzog von Bayern (1070/1096–1101) 77, 345 – Graf (842–858): 452; (III., 1047–† 1055, Herzog von Kärnten): 339, 452 Welfen – Geschlecht 336, 425, 428, 438

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482 – siehe Welf Wenkenhof, Gemeinde Riehen (BS) 230, 385 Werdo, Abt von St. Gallen 164 Werenpreht, Zeuge 51–52 Werla, königliche Pfalz 238, 255–257, 264 Werner – Graf (um 861): 454; (um 1007): 451; (von Kyburg, 1027–† 1030): 336, 449 Westbaar 51–52, 298–299, 306–307, 309–310, 312, 321, 324, 338, 342, 348, 352, 385–386, 448–454 Westfrankenreich 22–23, 27, 40, 52, 55, 69, 80, 90, 95, 99, 118–120, 146, 180–181, 190–191, 239, 250, 280, 291, 310, 322, 327, 377–378, 384, 418, 448 Wetti, Mönch, Gelehrter 177, 210, 218, 269–271, 273, 296, 374, 376, 379–380 Wiclioz, Zeuge 51–52 Wiborada, hl. 46–47, 51 Widukind von Corvey, Chronist 90, 101–105, 107, 109, 112, 196, 237–238, 255, 274, 287, 290, 302, 381, 389, 422 Wigbert, hl. 237 Wil (SG) 287, 351, 447 Wilhelm, Graf (um 854) 454 Willimar, Priester 213 Windisch, Kastell 214, 225, 230, 248 Winterthur, siehe Oberwinterthur Wipreht, Zeuge 51–52 Witbert, Graf (um 811): 450; (um 872): 451 Wito, advocatus 358–361 Wolfinus, Gefolgsmann 391–392, 396, 419 Wolfleoz, Bischof von Konstanz 355 Wolfolt, Graf (um 803) 451 Wolfrad von Altshausen, Graf (I., † 1010): 339, 452; (II., 1009–† 1065): 339, 452 Wolfram, Graf (um 1048) 341, 454 Wolvene – Abt von Rheinau 321 – Graf (886–902) 308, 321, 450 Worms, Stadt und Bistum 80, 124–126, 129–131, 136, 154, 265, 298, 311 Würzburg, Stadt und Bistum 166, 176, 250–251, 280 Zähringer – Geschlecht 66, 216, 263–264, 279, 292, 425, 428–429, 438 – siehe Bertold Zürich, Kastell, Kloster, Siedlung 15, 51–52, 99–100, 135, 154, 164, 188, 209, 215–217, 222, 227– 228, 230, 236, 240, 244, 257, 261–264, 268–270, 272–273, 296, 328, 337, 341, 351, 405, 409– 410, 421, 428, 446 Zürichgau 51–52, 136, 211, 298, 305–307, 310–311, 322, 337, 342, 344, 349, 351–352, 385, 421, 448– 453 Zürichsee 185, 205, 215, 217, 222, 228, 232, 351–353, 382 Zurzach, Siedlung, Kastell 222, 230, 260, 304 Zuzwil (SG) 229, 358, 386, 447

483

5.3

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis

AG Aargau (Kanton) ahd. althochdeutsch AI Appenzell Innerrhoden (Kanton) an., ann. anno, annis Apg. Apostelgeschichte (Bibel) BL Basel-Landschaft (Kanton) BS Basel-Stadt (Kanton) BUB I Bündner Urkundenbuch, Bd. 1 BW Baden-Württemberg BY Bayern cap. capitulum Chart. Sang. Chartularium Sangallense ChLA Chartae Latinae Antiquiores DNG Der neue Georges ed. ediert FL Fürstentum Liechtenstein FR Freiburg (Kanton) GMIL Glossarium mediae et infimae latinitatis GR Graubünden (Kanton) hl. heilig HLB Historisches Lexikon Bayerns HLS Historisches Lexikon der Schweiz HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte IT Italien KAE Klosterarchiv Einsiedeln lat. lateinisch LexMa Lexikon des Mittelalters lib. liber LU Luzern (Kanton) MGH Monumenta Germaniae Historica Capit. I Capitularia regum Francorum, Teil 1 Conc. II,1 Concilia aevi Karolini, Bd. 2, Teil 1 (742–817) Const. I Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. 1 (911–1197) DD Arn Arnolfi Diplomata DD F I,1 Friderici I. Diplomata, Teil 1 (1152–1158) DD H I Heinrici I. Diplomata DD H II Heinrici II. Diplomata DD H III Heinrici III. Diplomata DD H IV Heinrici IV. Diplomata DD K II Conradi II. Diplomata DD Kar. 1 Pippini, Carlomanni, Caroli magni Diplomata, Bd. 1 DD Karl Karoli III. Diplomata DD LD Ludowici Germanici Diplomata

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484

DD LK Ludowici infantis Diplomata DD O II Ottonis II. Diplomata DD O III Ottonis III. Diplomata Epp. sel. 2,1–2,2 Epistolae selectae, Bd. 2, Teil 1–2 (Gregor VII.) Form. Formulae Merowingici et Karolini aevi Necr. Suppl. I Necrologia Germaniae, Supplement, Teil 1 Poetae II Poetarum latinorum medii aevi, Bd. 2 Script. rer. Mer. 4 Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 4 SS I Annales et chronica aevi Carolini SS III Annales, chronica et historiae aevi Saxonici SS IV Annales, chronica et historiae aevi Carolini et Saxonici SS V Annales et chronica aevi Salici SS X Annales et chronica aevi Salici. Vitae aevi Carolini et Saxonici SS rer. Ger. 79 Scriptores rerum Germanicarum, Bd. 79 mhd. mittelhochdeutsch Mlat Glossar Mittellateinisches Glossar MLLM Mediae latinitatis lexicon minus MVG Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte n., nn. Nummer, Nummern NE Neuenburg (Kanton) NjblSG Neujahrsblatt des Historischen Vereins des Kantons St. Gallen Reg. ZH Urkundenregesten des Staatsarchivs des Kantons Zürich SG St. Gallen (Kanton) SH Schaffhausen (Kanton) SO Solothurn (Kanton) SPM Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter StaBi Bamberg Staatsbibliothek Bamberg StadtASG Stadtarchiv St. Gallen StALU Staatsarchiv Luzern StiASG Stiftsarchiv St. Gallen StiBiSG Stiftsbibliothek St. Gallen TG Thurgau (Kanton) UB Salzburg I Urkundenbuch Salzburg, Bd. 1 UB Utrecht Universiteitsbibliotheek Utrecht UBSG I–III Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen, Bde. 1–3 UBSüd Urkundenbuch der südlichen Teile des Kantons St. Gallen UBTG II Urkundenbuch Thurgau, Bd. 2 UBZH I Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich, Bd. 1 Urk. Urkunde WLB Stuttgart Württembergische Landesbibliothek Stuttgart WUB I Wirtembergisches Urkundenbuch, Bd. 1 ZH Zürich (Kanton)

485

5.4

Quellen- und Literaturverzeichnis

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St. Galler Kultur und Geschichte (SGKG)

hg. vom Historischen Verein des Kantons St. Gallen und vom Staatsarchiv St. Gallen

Max Baumann Versorgt im Thurhof Alltagsleben und Führungsstil in einer «Rettungsanstalt für verwahrloste Knaben», 1920–1940 Band 41. 2017. 176 Seiten, 32 Abb. s/w. Hl. CHF 38 / EUR 38. ISBN 978-3-0340-1393-2

Rosa Maria Fäh Gottlieb Feurer (1875–1912) Toggenburger Bauernmaler der schönen Kühe Band 40. 2016. 192 S., 159 Farbabb. Hl. CHF 48 / EUR 43. ISBN 978-3-0340-1325-3

Dorothee Guggenheimer Kredite, Krisen und Konkurse Wirtschaftliches Scheitern in der Stadt St. Gallen im 17. und 18. Jahrhundert Band 39. 2014. 277 S., 25 Abb. Geb. CHF 48 / EUR 43. ISBN 978-3-0340-1258-4

Pascal Sidler Schwarzröcke, Jakobiner, Patrioten Revolution, Kontinuität und Widerstand im konfessionell gemischten Toggenburg, 1795–1803 Band 38. 2013. 375 S., 25 Farbabb. Geb. CHF 58 / EUR 52. ISBN 978-3-0340-1160-0

Bernhard Stettler (Hg.) Joachim von Watt (Vadian): Die Kleinere Chronik der Äbte Abtei und Stadt St. Gallen von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit (719–1532) aus reformatorischer Sicht Bearbeitet von Bernhard Stettler Band 37. 2013. 535 S. Geb. CHF 68 / EUR 62. ISBN 978-3-0340-1124-2

Bernhard Stettler (Hg.) Joachim von Watt (Vadian): Die Grössere Chronik der Äbte Abtei und Stadt St. Gallen im Hoch- und Spätmittelalter (1199–1491) aus reformatorischer Sicht Bearbeitet von Bernhard Stettler Band 36. 2010. 914 S. 2 Bde. Geb. CHF 98 / EUR 65.50. ISBN 978-3-0340-0980-5

Chronos Verlag Eisengasse 9 CH-8008 Zürich www.chronos-verlag.ch [email protected]