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German Pages 293 [294] Year 2021
Birgit Arabin, Ulrich Gembruch Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
Birgit Arabin, Ulrich Gembruch
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
Praxismanual für Ärzte und Hebammen sowie werdende Eltern Unter Mitarbeit von Amr Hamza, Ioannis Kyvernitakis
Autoren Prof. Dr. med. Dr. h.c. Birgit Arabin Clara Angela Foundation Koenigsallee 36, 14193 Berlin und Charité Universitätsmedizin Berlin E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Ulrich Gembruch Universitätsklinikum Bonn Klinik für Geburtshilfe und Pränatale Medizin Venusberg-Campus 1, 53127 Bonn E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Ioannis Kyvernitakis Asklepios Klinik Barmbek Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin Rübenkamp 220 22307 Hamburg E-Mail: [email protected] Kapitel 3 und 7
PD Dr. med. Amr Hamza Kantonspital Baden Klinik für Geburtshilfe und Pränataldiagnostik Im Ergel 1 5400 Baden Schweiz Email: [email protected] Universität des Saarlandes Klinik für Frauenheilkunde, Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin Kirrberger Str. 100 66421 Homburg Kapitel 8
ISBN: 978-3-11-066635-9 e-ISBN (PDF): 978-3-11-066974-9 e-ISBN (EPUB): 978-3-11-066655-7 Library of Congress Control Number: 2021934673 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen mit den Autoren große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe der Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Saulo Bambi -Sistema Museale dell’Università degli Studi di Firenze; Institution: Sistema Museale dell’Università degli Studi di Firenze Sez. di Zoologia “La Specola”- Italia Satz/Datenkonvertierung: L42 AG, Berlin Druck und Bindung: CPI Books GmbH, Leck www.degruyter.com
Die Autoren widmen dieses Buch ihren früheren Vorbildern im Bereich Mehrlingsschwangerschaft: Elizabeth Bryan Louis Keith Isaac Blickstein
Angrenzende Bemerkungen Mehrlingsgeburten sind ein Teil der Normalität – wenn man es auf die Geburt von Säugetieren bezieht. Der Mensch ist ein Teil in der Stammreihe der Säugetiere. Evolutionsbiologisch treten aber Mehrlinge beim Menschen deutlich weniger auf als bei anderen „Säugetieren“, die mitunter in einem Wurf 8 bis 10 Tiere zur Welt bringen. Der Homo sapiens ist in seiner jetzigen Struktur und Form identisch etwa seit 30.000 Jahren. Zwar nimmt das Geburtsgewicht seit einiger Zeit zu. Dieses dürfte aber auf den besseren Gesundheits- und Ernährungszustand der Frau zurückzuführen sein (neben einigen Fehlentwicklungen im Sinne der Adipositas). Es ergibt sich aber die Frage, warum die Zwillingsrate bei natürlicher Zeugung nur etwa bei einem Prozent liegt. Offensichtlich wegen der Größe des kindlichen Kopfes und Gehirns, sodass (in Relation zur Größe des Uterus und des weiblichen Beckens) Mehrlingsgeburten oder auch „dickere Köpfe“ entwicklungsbiologisch nicht sinnvoll erscheinen. In der Entwicklungsbiologie hat offensichtlich eine Entwicklung in die richtige Richtung stattgefunden, wenn es wenig Mehrlinge beim Menschen gibt. Darüber hinaus sind psychologische Anpassungsbefunde zu erwähnen. Früher wurde erst zum Zeitpunkt der Geburt sichtbar, ob es ein Einling ist oder Mehrlinge sind. Diagnostische Möglichkeiten wie Handgriffe oder auch die Bauchumfangsmessung konnten keine Gewissheit geben. Oft kam erst zum Zeitpunkt der Geburt „die Überraschung“. Erst seit den 60er oder 70er Jahren gibt es durch den Ultraschall die Möglichkeit, Mehrlinge sonographisch zu diagnostizieren. Anfänglich mit riesigen Geräten, nunmehr mit der abdominalen und vaginalen Sonographie sehr präzise. Psychologisch bedeutet dies, dass bereits ab der Schwangerschaftswoche 6 Mehrlinge sichtbar werden mit allen Vor- und Nachteilen. Der Adaptationsprozess an „Zwillinge“ geschieht nicht erst nach der Geburt, sondern schon sehr früh. Aber zugleich können auch Ängste geschürt werden, da es eine Rate an „Vanishing Twins“ gibt, dass Gefahren entstehen können bei monochorialen Zwillingen (fetofetales Transfusionssyndrom). Eine zunehmende zu beobachtende Gewichtsdifferenz bei Zwillingen kann ebenfalls Angst auslösen. Zugleich wachsen die therapeutischen Möglichkeiten. Was aber bleibt: Der medizinische Fortschrift ist nicht aus sich heraus befreiend und Angst reduzierend. Ein weiteres neues Themenfeld ergibt sich im Bereich der Reproduktionsmedizin. Ohne den Einsatz von Stimulationsmedikamenten oder der IVF-Verfahren ist eine Zwillingsrate von unter einem Prozent pro Geburt anzunehmen. Nach dem jüngsten Bericht des RKI (2021) ist in Deutschland eine Mehrlingsrate von 1,8 Prozent vorhanden. Zum größten Teil bedingt durch Hormonstimulation in der gynäkologischen Praxis, aber auch durch Reproduktionsmedizin. In Deutschland enden etwa 20 Prozent aller Schwangerschaften nach Reproduktionsmedizin als Zwillingsschwangerschaften und Zwillingsgeburten (im Gegensatz zu etwa 1 % bei natürlicher Zeugung). Mit allen auch in diesem Buch beschriebenen https://doi.org/10.1515/9783110669749-201
VIII Angrenzende Bemerkungen
Problemen für Mütter und Kinder im Sinne der Frühgeburtlichkeit mit langfristigen Folgen sowohl bei den Kindern, aber auch bei den Müttern. Dieses wäre aber verhinderbar. Staatliche Regulierungen wie zum Beispiel in Belgien oder den Niederlanden konfrontieren die Paare und Reproduktionsmediziner damit, unter bestimmten Voraussetzungen (adaptiert an das Alter der Frau) nur einen Embryo zu transferieren – ansonsten wird diese Behandlung nicht vom Staat oder der Versichertengemeinschaft getragen. Trotz aller Bemühungen von deutscher Seite aus, die Mehrlingsrate zu reduzieren, zeigt sich noch kein durchgreifender Erfolg. Aktuell hat die Nationale Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ noch einmal auf dieses Problem hingewiesen, weil auch das Embryonenschutzgesetz Restriktionen beinhaltet: So kann in Deutschland nicht aus einer Vielzahl von Embryonen derjenige ausgewählt werden, der das beste Entwicklungspotential hat und dann transferiert werden soll. Dieses ist aufgrund des Embryonenschutzgesetzes nur in sehr begrenztem Umfang möglich. Resultat: Die hohe Gemini-Rate im Bereich der Reproduktionsmedizin ist „hausgemacht“, wäre aber veränderbar. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es aber von Seiten der Bundesregierung keine beabsichtigten Veränderungen zur Reform dieses Embryonenschutzgesetzes. Es bleibt also noch viel zu tun! Prof. Dr. Heribert Kentenich
Zum Geleit Trotz aller Fortschritte in Pränatal- und Geburtsmedizin hat sich die Rate an Frühgeburten im letzten Vierteljahrhundert kaum geändert – warum? Den erfolgreichen Bemühungen, bei Zervixinsuffizienz und vorzeitigen Wehen die Schwangerschaft zu verlängern, steht eine iatrogene Zunahme von Mehrlingsschwangerschaften gegenüber. Und Zwillinge werden oft, höhergradige Mehrlinge immer zu früh geboren. Auch wenn die allermeisten Kinder weiterhin einzeln auf die Welt kommen, sind ein erheblicher Anteil der Frühgeborenen, die auf Neugeborenen-Intensivstationen betreut werden, Mehrlinge. Für Mehrlingsschwangerschaften und insbesondere diejenigen, die mit ärztlicher Hilfe entstanden sind, hat die Medizin eine spezielle Verantwortung. Und den Eltern sind Mehrlinge später eine besondere Freude und Last. Freude, weil diese Kinder in der Regel mit einem Spielkameraden aufwachsen, mit dem sie jede Menge gemeinsam haben, und Last, weil schon ein Einzelkind als Säugling den Eltern Schlaf und Nerven raubt – wieviel größer mag der Verbrauch elterlicher Kraftressourcen bei Mehrlingen sein? Besonders viel wird den Eltern abverlangt, wenn eines der Kinder krank ist, krank geboren wird oder eine schwerwiegende Komplikation in der Neugeborenenperiode erleidet. Und gar nicht so selten kommt es vor, dass ein Kind aus einer Mehrlingsschwangerschaft stirbt – vor, während oder nach der Geburt. Das überlebende Kind wird seine Eltern immer daran erinnern, dass es da noch ein anderes Kind gab, und irgendwann wird es selbst von diesem Umstand erfahren und sich damit auseinandersetzen müssen. Mehrlingsschwangerschaften sind also in vielerlei Hinsicht speziell, und es braucht deshalb spezielle Bücher, in denen die Aufgaben erläutert sind, denen sich Ärzte und Eltern stellen müssen. Bücher mit Beiträgen, in denen Lösungen für mehrlingsspezifische Probleme beschrieben und diskutiert werden und die Besonderheiten gewürdigt werden, die Mehrlinge für ihre Familie und sich selbst bedeuten. Die folgenden Seiten werden die wenigsten Leser am Stück verschlingen wie einen Roman, aber viele werden darin etwas finden, was ihnen in der einen oder anderen Situation weiterhilft. Und sollte etwas vermisst werden oder nicht richtig dargestellt sein, darf ich als ansonsten Unbeteiligter die Aufforderung zum Ausdruck bringen, im Sinne der gemeinsamen Aufgabe die Autoren rücksichtslos zu kontaktieren. Berlin, im Januar 2021 Christoph Bührer Klinik für Neonatologie, Charité Universitätsmedizin Berlin
https://doi.org/10.1515/9783110669749-202
Vorwort Als Selbsthilfegruppe für höhergradige Mehrlinge freuen wir uns sehr über das Erscheinen dieses Buchs. Ein Buch, das sich an Fachleute und Laien richtet, und allen mehr Informationen zukommen lässt, ist für uns Eltern von Mehrlingen sehr willkommen. Wir sind dankbar, dass wir ein Vorwort dazu beitragen dürfen. Alle aktiven Mitglieder unseres Vereins sind Eltern höhergradiger Mehrlinge. Wir kennen aus eigener Erfahrung die Freude über die Schwangerschaft, teils nach langem Kinderwunsch, das überwältigende Gefühl bei der Diagnose („Da ist ja noch eins!“), die teils belustigten, teils mitleidigen, oft nicht hilfreichen Kommentare von Freunden, Familie – und auch von behandelndem medizinischem Personal. Wir haben Ängste in der Schwangerschaft durchgestanden, wir haben schwere Entscheidungen treffen müssen, unzählige Ultraschalluntersuchungen mit der Hoffnung auf gute Nachrichten durchlebt, haben Wochen im Krankenhaus verbracht und um jeden zusätzlichen Tag für unsere Kinder gebangt. Dann kamen unsere Kinder auf die Welt, sie hießen nicht mehr „Fet 1, 2, 3“, sondern waren Individuen mit Namen und Eigenheiten (was alles nicht immer einfacher machte). Wir wurden zu Meisterinnen und Meistern der Logistik, lernten fast ohne Schlaf auszukommen, tüftelten Farbsysteme für die Babyflaschen und Kleidung aus, legten uns einen unendlichen Antwortschatz für Spaziergänge zu („Ja, es sind drei. Nein, da braucht man sich nicht umzubringen.“), brachten Tag und Nacht unsere Waschmaschinen zum Glühen und bestellten größere Mülltonnen wegen der Windeln. Und wir gelangten fast alle an den Rand unserer Leistungsfähigkeit. Für uns ist das Leben ohne Mehrlinge nicht mehr denkbar. Bei unseren Treffen stehen die Parkplätze voll mit Kleinbussen und überall wuseln Kinder. Die Eltern sind – meist entspannt. Vielleicht sind wir mit unseren Aufgaben gewachsen. Vielleicht machen wir es uns in vielem auch einfacher als Eltern mit einem Kind. Diese Erfahrung möchten wir gern mit anderen teilen. Den werdenden Mehrlingsfamilien möchten wir Mut machen, in den sozialen Netzwerken, am Telefon oder durch unsere Infohefte mit Themen von Stillen bis Urlaub. Dabei gehören besonders die Familien mit behinderten Kindern zu uns, und Eltern, die Kinder verloren haben. Als Mehrlingseltern fühlen sie sich lebenslang. Für sie gibt es in unserem Verein Ansprechpartnerinnen, die auch betroffen sind, und besondere Angebote. Ihnen, den Profis aus der Geburtshilfe, würden wir gern vermitteln, dass es viele glückliche Mehrlingsfamilien gibt, auch nach komplikationsreichen Schwangerschaften. Das verdanken wir Ihnen, Ihrem Fachwissen, Ihrer Erfahrung und auch Ihrer einfühlsamen Kommunikation. In diesem Sinne viel Freude bei der Lektüre und im Beruf! Dr. Marie-Louise Paul Med. Beirätin des ABC Clubs e. V.
https://doi.org/10.1515/9783110669749-204
Aktuelle Zusatzinformationen für werdende Eltern, Handouts als Hilfestellung für deren Aufklärung und neue Forschungsergebnisse sowie Flowcharts finden sich unter https://multiples.parents-to-be.info/ und werden kontinuierlich erneuert.
Inhalt Angrenzende Bemerkungen VII Zum Geleit IX Vorwort XI 1 1.1 1.2 1.3
Geschichte und Epidemiologie des Mehrlingsphänomens 1 Beschreibungen und Definitionen von der Antike bis heute 1 Epidemiologie 5 Motivation für dieses Buch 7
2 2.1
Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften 11 Diagnostik der Eihautverhältnisse wie Chorionizität und Amnionizität 11 Bestimmung der Eihautverhältnisse bis zur 10. SSW 11 Bestimmung der Eihautverhältnisse zwischen 10. und 14. SSW 12 Bestimmung der Eihautverhältnisse nach der 14. SSW 14 Standardisierte Risiko-adaptierte Überwachung 15 Besonderheiten der detaillierten Ersttrimesteruntersuchung 20 Aneuploidie-Screening 21 Analyse der zellfreien DNA im maternalen Blut 21 Invasive Diagnostik 23 Nackentransparenzmessung 24 Größendiskordanz 25 Plazentare Nabelschnurinsertion 26 Prädiktion in Kombination mit früher Zweittrimesteruntersuchung 26 Präeklampsie-Screening 26 Beurteilung des fetalen Wachstums 29 Größendiskordanz 30 Selektive fetale Wachstumsrestriktion 31 Überwachung fetaler Wachstumsrestriktion bei dichorialen Gemini 32 Angeborene Fehlbildungen 32 Selektiver Fetozid und intrauteriner Tod eines Zwillings 37 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 40 Feto-fetales Transfusions-Syndrom 40 Anämie-Polyzythämie Sequenz 54 Selektive fetale Wachtsumsrestriktion 62 Twin reversed arterial perfusion, früher Akranius-Akardius 68 Besonderheiten monoamnialer Zwillingsschwangerschaften 72
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.3.8 2.4 2.4.1 2.4.2 2.5 2.6 2.7 2.8 2.8.1 2.8.2 2.8.3 2.8.4 2.9
XIV Inhalt
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.4.1 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.6 3.7 3.8
Prävention der Frühgeburt 89 Inzidenzen 89 Pathophysiologie 90 Anamnestische Risiken 91 Primäre Prävention 92 Gesundheitspolitische Interventionen 92 Sekundäre Prävention der Frühgeburt bei Zwillingen 94 Diagnostik durch sonographische Untersuchung der Zervix 94 Sonographisch gemessene Referenzwerte der Zervix 97 Kombinierte Diagnostik mit biochemischen Tests 98 Interventionen auf der Basis der sonographischen Zervixbeurteilung 99 Daten von höhergradigen Mehrlingen 106 Tertiäre Prävention von Zwillingen 107 Epikrise 111
4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3
Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf 119 Basale Herausforderungen bei maternalem Unter- und Übergewicht 119 Definition von präkonzeptionellem Gewicht und der Gewichtszunahme in der Schwangerschaft 121 Risikofaktoren von abweichendem mütterlichem Gewicht sowie geringer oder hoher Gewichtszunahme 123 Auswirkungen von Unter- und Übergewicht sowie abweichender Gewichtszunahme auf maternales und neonatales Outcome 127 Mögliche Interventionen 133 Maternales Untergewicht/geringe Gewichtszunahme 134 Maternales Übergewicht/hohe Gewichtszunahme 135 Fazit 137
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3
Schwangerschaftserkrankungen der Mutter 141 Gestationsdiabetes 141 Inzidenz und Prävalenz 142 Pathophysiologie 142 Screening/Diagnostik 143 Einfluss von GDM auf das Outcome 145 Prävention eines GDM 147 Überwachung und Therapie 148 Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft 149 Inzidenz 150 Pathogenese 150 Screening und Diagnostik 152
4 4.1 4.2 4.3 4.4
Inhalt XV
5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.4 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7
Auswirkungen hypertensiver Erkrankungen 154 Prophylaxe 157 Behandlung 157 Schwangerschaften nach künstlicher Befruchtung 158 Splitting 158 Überstimulations-Syndrom 159 Mütterliche und kindliche Risiken nach Fertilitätsbehandlung 160 Mirror-Syndrom 161 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen 169 Historische Entwicklung 169 Vorgeburtliche Aufklärung 172 Praktische Erwägungen für die Entbindung je nach Lage der Zwillinge 173 Entbindung je nach Eihautkonstellationen der Zwillinge 181 Entbindungsmodus je nach Gestationsalter bei der Geburt 185 Sekundäre Sectio oder kombinierter Entbindungsmodus 192 Besonderheiten bei höhergradigen Mehrlingen 193
7 Besonderheiten bei der Sectio 203 7.1 Sectioraten und Zentralisierung 203 7.2 Entscheidung zum Entbindungszeitpunkt 203 7.3 Pathophysiologische Besonderheiten/Anästhesie/Lagerung 206 7.3.1 Herz-Kreislauf-System 206 7.3.2 Vena cava Kompressionssyndrom 206 7.3.3 Atmung 207 7.3.4 Magen-Darm-Trakt 207 7.3.5 Anästhesie bei elektiven Sectiones 207 7.4 Primäre (elektive) Sectio 208 7.5 Sekundäre Sectio beider Kinder 209 7.6 Sekundäre Sectio des 2. Zwillings/Notsituation 209 7.7 Zustand nach Sectio und Mehrlingsschwangerschaft 211 7.8 Konkrete Empfehlungen im Rahmen einer Sectio 213 7.9 Nachsorge 214 7.10 Abschließende Empfehlungen 215 7.10.1 Logistische Aspekte und präpartale Empfehlungen 215 7.10.2 Empfehlungen vor und nach der vaginalen Entbindung (s. Kap. 6) 216 7.10.3 Empfehlungen nach Geburt des 1. Zwillings 216 7.10.4 Empfehlungen nach einer primären oder sekundären Sektio (s. Kap. 8) 216
XVI Inhalt
8 8.1 8.2 8.3 8.3.1 8.3.2 8.4 8.5 8.6 8.7 8.7.1 8.7.2
Medizinische Betreuung direkt post partum 221 Postpartale Blutung 221 Postpartales Lungenödem 224 Vermeidung und Behandlung venöser thromboembolischer Erkrankungen 226 Bedeutung der venösen VTE in der Schwangerschaft und im Wochenbett 226 Klinisches Bild 228 Septische pelvine Thrombophlebitis 230 Akuter postnataler Harnverhalt 231 Mehrlingsschwangerschaft als Prädiktor für die Aufnahme auf einer Intensivstation 232 Untersuchung der Plazenta bei Mehrlingsschwangerschaften 233 Vorgehen der Plazentauntersuchung 233 Interpretation der Plazentauntersuchung 236
9.1.4 9.2 9.3 9.4 9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4 9.4.5
Ausgewählte Aspekte post partum, Follow-up, Zwillingsregister 243 Belastungen durch Stress, Überarbeitung/Finanzierungsprobleme 244 Spezielles Risiko Frühgeburt 246 Auswirkungen von Mehrlingsschwangerschaften nach assistierter Reproduktion 246 Verlust eines Mehrlingskindes/„Reduktion“ höhergradiger Mehrlinge 248 Unterstützung von Eltern mit Mehrlingen 248 Stillen 249 Urogynäkologische Probleme bei und nach Mehrlingsgravidität 252 Nachuntersuchungen von Mehrlingen und langfristige Register 255 Langzeituntersuchungen von Mehrlingen 255 Outcome nach vanishing twin/Tod eines Co-Zwillings 256 Outcome nach Transfusions-Syndrom/Trap Sequenz 257 Konkordante und diskordante Fehlbildungen 259 Register und Datenbanken 260
10
Schlusswort der Autoren 267
11
Epilog 271
9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3
Stichwortverzeichnis 273
1 Geschichte und Epidemiologie des Mehrlingsphänomens Birgit Arabin
1.1 Beschreibungen und Definitionen von der Antike bis heute Die Entstehung und Entwicklung von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen hat Philosophen und Ärzte von der Antike bis heute fasziniert und zu bildlichen, musikalischen, literarischen und last but not least zu wissenschaftlichen Betrachtungen herausgefordert. Zwar wurde das Phänomen von Mehrlingen bereits früh beschrieben und auf verschiedene Weise interpretiert, doch sind genauere Kenntnisse ihrer Entstehung und die Unterscheidungen nach Eihautverhältnissen und Zygotie noch relativ jung und es bleiben noch immer Fragen offen. Eine der ältesten Darstellungen von höhergradigen Mehrlingen entstammt einer Zeit, als man über deren Entstehung nur spekulieren konnte: Da sich Zeus in Leda verliebt hatte, die jedoch mit Tyndareos verheiratet war, näherte er sich ihr in der Gestalt eines Schwanes und schwängerte sie innerhalb eines kurzen Zeitraumes, in dem sie auch mit ihrem Mann zusammen war. Leda gebar je zwei Kinder von Zeus, das waren Helena und Polydeukes, und von Tyndareos, das waren Klytaimnestra und Kastor (Abb. 1.1) [1]. Durch die Reproduktionsmedizin wurde inzwischen gezeigt, dass man wirklich verschiedene Eizellen einer Mutter mit Samenzellen verschiedener Väter befruchten und nach einem Embryotransfer durch eine Mutter austragen lassen kann. Dies wur-
Abb. 1.1: Zustand nach der Geburt von Vierlingen von 2 verschiedenen Vätern nach Leonardo da Vinci, freie Kopie „Kniende Leda mit ihren Kindern“ von Giampietrino, 1515-20, Gemäldegalerie Alte Meister, Kassel.
https://doi.org/10.1515/9783110669749-001
2 1 Geschichte und Epidemiologie des Mehrlingsphänomens
de bei homosexuellen Vätern, die sich ein Kind wünschten, sich aber nicht über die Vaterschaft einigen konnten, in den USA absichtlich vorgenommen, so dass dem Paar später Halbgeschwisterzwillinge einer Leihmutter und beider Väter anvertraut werden konnten. Auch durch ungenügende Reinigung des Labormaterials kam es bereits zur Befruchtung von zwei Eizellen einer Mutter mit Samenzellen verschiedener Väter, was phänotypisch auffiel, wenn es sich um Väter verschiedener Hautfarbe handelte. Die Vorahnung von Leonardo war also richtig. Bereits die Kinder von Adam und Eva, Kain und Abel, waren Zwillinge, ebenso Esau und Jacob als Kinder Saras und Abrahams (Genesis 25:21–6). Aus Schilderungen im Alten Testament erfährt man, dass damals bereits Kenntnisse von fetalen Bewegungen, pränatalen Kontaktaufnahme der Zwillinge, pränatalen Erkrankungen, Risiken einer Frühgeburt oder Problemen bei der Geburt von Zwillingen bestanden. Es wird sogar vermutet, dass Esau und Jacob nicht nur bereits vor der Geburt „miteinander kämpften“, sondern beide auch Symptome eines „Zwillingstransfusionssyndroms“, oder eines twin-to-twin transfusion syndrome (TTTS) bei monoamnialer (MA) Zwillingsschwangerschaft zeigten, da sich die Kinder aneinander festhielten und der eine anämisch, der andere plethorisch erschien (Genesis 25:24–6). In der Afrikanischen Mythologie wurde allen Zwillingen eine Seele in zwei Körpern zugeschrieben, beim Tod eines Zwillings wird eine Puppe, die den Körper des verstorbenen Mehrlings repräsentiert, gebastelt, die die Seele des überlebenden Zwillings beschützen soll. Im Hinduismus repräsentieren die Ashwini Kumaras Zwillingsgottheiten, die in Pferdewägen umherreisen, um Verstorbene wieder zum Leben zu erwecken. Ganz pragmatisch beschrieb Hipporates bereits Techniken, wie man Zwillinge am besten entbindet: Zwischen der Entbindung des ersten und zweiten Zwillings empfahl er ein warmes Bad, das einen entspannenden Effekt auf Uterus und Bauchmuskeln ausübt, uns so innere oder äußere Wendungen erleichtert. Im Mittelalter dachte man, dass Mehrlinge durch mehrfache Begattung gezeugt würden, man verdächtigte die Mutter der Unzucht und sah in den Kindern Unglückszeichen. Wenn Mutter und Kinder die Geburt überlebten, wurde daher häufig eines der Zwillinge heimlich getötet. Bei siamesischen Zwillingen sollte selbst Satan der Sexualpartner gewesen sein und wenn die Kinder doch überlebten, wurden sie oft in Flugblättern als Monster dargestellt. Dennoch bemühte sich Dürer bereits um eine neutrale Darstellung (Abb. 1.2). Man mag sich gar nicht das traumatische Erlebnis für die Mütter unter und nach der Geburt vorstellen. Es ist wenig bekannt, dass der Vater von Johann Sebastian, Johann Ambrosius Bach (1645 bis 1695) einen Zwillingsbruder Johann Christoph Bach hatte. Über diese Zwillingsbrüder schrieb ihr älterer Bruder Georg Christoph eine Kantate: „Siehe wie fein und lieblich ist es“. Seit dem 19. Jahrhundert interessierten sich Wissenschaftler für Zwillinge, um herauszufinden, für welche Eigenschaften eines Menschen die Vererbung oder Erziehung und Umwelt verantwortlich sind. Als Begründer der Zwillingsforscher gilt Sir Francis Galton (1822–1911), ein Cousin Charles Darwins. Bei Forschungsreisen in Afri-
1.1 Beschreibungen und Definitionen von der Antike bis heute 3
Abb. 1.2: Darstellung siamesischer Zwillinge durch Dürer 1512, Zwillinge von Ertingen Elspett und Margrett.
ka verglich er intellektuelle Fähigkeiten der Afrikaner mit denen der Kolonialherren. Er folgerte, dass Intelligenz vererbt wird und schlug vor, zur Überprüfung dieser Hypothese Zwillingspaare heranzuziehen [2]. Allerdings wurde erst 1924 ein definitiver Durchbruch für die Zwillingsforschung und klinische Konsequenzen erzielt, als erstmals MZ Zwillinge als Herausforderung für die Forschung durch Curtis Merriman und Hermann Siemens beschrieben wurden [3]. Seit der Aufklärung galt der Grundsatz: „Alle Menschen sind gleich, Unterschiede entstehen durch verschiedene Lebensbedingungen“. Die beiden Standpunkte erlebten Anfang des 20. Jahrhunderts unterschiedliche Interpretationen und Ausprägungen in Staatsformen. Im Kommunismus wurden genetische Lehren geleugnet, in Deutschland stieß die Lehre von Sir Galtons Eugenik auf große Resonanz bei den Nationalsozialisten, durch die grausamen Experimente von Mengele geriet die Zwillingsforschung in Verruf. In den 60er und 70er Jahren wurden dann eineiige Zwillinge untersucht, die durch ihr Schicksal von Adoption oder Scheidung der Eltern getrennt aufgewachsen waren. Hierdurch sollte die Bedeutung der Genetik für die menschliche Entwicklung oder für die Genese von Krankheiten untersucht werden. Darüber berichtete Bouchard 1990 in Science [4], später folgten viele weitere Publikationen, aber auch ein Buch von Nancy Segal: „Born Together – Reared Apart“ (zusammen geboren, getrennt aufgewachsen) [5]. Heute suchen Zwillingsforscher gezielt nach Merkmalen, in denen sich eineiige Zwillinge mehr ähneln als zweieiige Zwillinge oder normale Geschwister. Um Fragestellungen zu genetischen oder umweltbedingten Ursachen von Gesundheit und Krankheit beantworten zu können, wurden in Australien, den USA und in Europa Zwillingsregister etabliert, darunter entstanden und entstehen noch immer eine Vielzahl interessanter und zunehmend komplexer Publikationen, (s. Kap. 9) [6–9]. In den 90er Jahren haben wir erstmalig frühe pränatale Kontakte zwischen Mehrlingen analysiert und stellten fest, dass das pränatale Verhalten bei Zwillingen bereits vor einem Alter von 16 Wochen durch das Geschlecht der Kinder modifiziert wird, wobei weibliche Zwillinge weniger schnelle, aber komplexere Kontaktformen als männliche oder gemischte Paare zeigten [10,11]. Einige der damaligen Videoaufnahmen wurden international in Fernsehprogrammen gezeigt.
4 1 Geschichte und Epidemiologie des Mehrlingsphänomens
Kinder, die sich aus derselben befruchteten Eizelle mit einer Samenzelle entwickelt haben, bezeichnet man als eineiige oder monozygote (MZ) Mehrlinge. Dafür muss sich eine befruchtete Eizelle im Lauf ihrer Entwicklung „durchschnüren“. Der Zeitpunkt dieser Teilung („splitting“) bestimmt darüber, ob – jeder MZ Mehrling eine eigene Plazenta und eigene Eihäute hat, diese werden dann als dichoriale diamniale (DCDA) Mehrlinge bezeichnet (früheste Teilung), – jeder MZ Mehrling sich eine Plazenta und die äußere Eihaut mit dem Co-Mehrling teilt, das sind dann monochoriale diamniale (MCDA) Mehrlinge, – jeder MZ Mehrling nicht nur die Plazenta, sondern auch alle Eihäute teilt, das sind dann monochoriale monoamniale (MCMA) Mehrlinge, – jeder MZ Mehrling im Verlauf einer späten Teilung an unterschiedlichen Körperteilen mit dem Co-Zwilling verbunden bleibt, diese wurde früher als siamesische Zwillinge bezeichnet, da die in Siam (heute Thailand) geborenen Brüder Chang und Eng Bunker (1811–1874), durch ihre lange Lebensdauer viel Aufmerksamkeit erhielten, obwohl das Phänomen bereits in der Neolithischen Periode beschrieben wurde [12]. Der englische Begriff „conjoined twins“ ist wertneutraler. In vielen Lehrbüchern findet man zur Reihenfolge der Teilung einer befruchteten Eizelle oder Blastozyste konkrete Angaben von Tagen nach der Befruchtung, wo ein sogenanntes Splitting stattfindet, dies wurde allerdings nie konkret beim menschlichen Embryo validiert, sondern beruht auf Spekulationen auf der Basis von Tierexperimenten. Ganz allgemein kann man sagen, dass sich MZ Zwillinge die Organe teilen, deren Zellen zum Zeitpunkt der Teilung nicht mehr omnipotent waren. Als zweieiige oder dizygote (DZ) Mehrlinge werden Kinder bezeichnet, die sich aus mehreren von verschiedenen Spermatozoen befruchteten Eizellen entwickeln und normalerweise eine eigene Plazenta haben als dichoriale diamniale (DCDA) Mehrlinge. Entgegen bisherigem Wissen sind ca. 5–10 % der MCDA-Mehrlinge nach künstlicher Befruchtung dizygot, dabei können sie auch ein verschiedenes Geschlecht und einen Chimerismus aufweisen (s. Kap. 2) [2]. Noch spezieller sind sogenannte sesquizygote Zwillinge . Sesquizygote Mehrlinge stellen eine Zwischenposition zwischen mono- und dizygoten Mehrlingen dar und können auch verschiedengeschlechtlich sein. Bei einer Zwillingsschwangerschaft nach spontaner Konzeption zeigte eine Fruchtwasseranalyse, dass Zwillinge dieselbe maternale genetische Information trugen, aber nur 78 % des väterlichen Erbguts teilten [13]. Sesquizygote Mehrlinge sind selten; sie sind identisch im Hinblick auf das Erbgut eines Elternteils, aber besitzen nur in ca. 50 % identisches DNA-Material des anderen Partners. Es ist also eine dritte Art des Zwillingsprozesses als Kontinuum zwischen DZ und MZ Zwillingen nach heterogener Selektion zweier paternaler Genome während der ersten postzygoten Teilung (Abb. 1.3).
1.2 Epidemiologie 5
dispermische Befruchtung Eizelle Spermium 1 Zytoplasma
Mutter
Vater
Spermium 2 Amnion
Zygote
Chorion
Polkörperchen
maternaler Pronucleolus
Zwilling 1 Zwilling 2 paternaler Pronucleolus 1 paternaler Pronucleolus 2
heterogene Cytokinese
Plazenta chimerische Blastozyste
tripolarer Spindelapparat Metaphase Zellen biparentaler Zellinien heterogene Zellteilung
androgenetische Linie durchgesetzt gegenüber biparentaler Linie
Zelle mit uniparentaler (paternaler) Zellinie Abb. 1.3: Dispermische Fertilisation einer Eizelle, gefolgt von heterogener Selektion eines unterschiedlichen paternalen Genoms in getrennte Blastomere, modifiziert nach [13].
1.2 Epidemiologie Global sind etwa 3 bis 4:1000 Geburten MZ Zwillinge. Etwa 1 % aller MZ Zwillinge entstehen als „conjoined twins“, die Rate wird als 1,5:100 000 Geburten angegeben und hängt auch von Möglichkeiten und Konsequenzen pränataler Diagnostik ab [14]. Die Wahrscheinlichkeit, auf natürliche Weise von DZ Zwillingen schwanger zu werden, variiert je nach Region. Im Südosten Asiens und in Lateinamerika sind die Raten 6 bis 9:1000 Geburten, in Europa, den USA und Indien 9 bis 16:1000. Am
6 1 Geschichte und Epidemiologie des Mehrlingsphänomens
höchsten sind die natürlichen Raten mit 18 DZ Zwillingen:1000 Geburten in Zentralafrika mit bis zu 25:1000 in Benin. In industrialisierten Ländern hat seit 1970 die Inzidenz der Mehrlingsgeburten stetig zugenommen. Ab 1998 erreichte die Rate höhergradiger Mehrlinge ein Plateau, während Zwillingsgeburten weiter anstiegen. Erhöhtes mütterliches Alter beim Eintreten einer Schwangerschaft bis zum 37. Lebensjahr trägt in 25–30 % zu einer steigenden Mehrlingsrate bei [15]. Zwischen 2000 und 2015 nahmen in Hessen die Raten von Zwillingen von 1,46 % auf 1,89 % (p < 0,00001) und gleichzeitig auch das mütterliche Alter bei Zwillingsgravidität von 31,36 auf 32,86 Jahre (p < 0,001) zu [16]. Daneben werden Mehrlingsraten auch durch medikamentöse Stimulation der Eizellreifung, deren möglicherweise unzureichender Kontrolle sowie durch nationale Richtlinien zur limitierten Zahl eines Embryotransfer bestimmt [17]. Nach aktuelleren Zahlen des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA sank die Rate von Zwillingsschwangerschaften zwischen 2014 und 2018 um 4 % zu der niedrigsten Zahl in einer Dekade, d. h. auf 32,6:1000 Geburten. Ähnliche Zahlen veröffentlichte das Office for National Statistics (ONS) in Großbritannien, wo bereits seit drei Jahren die Rate von Zwillingsraten von einem bereits niedrigeren Ausgangsniveau auf 15:1000 gesunken ist [18]. Als plausible Erklärung wurde ein Anstieg von „single transfer“ sowie verbesserte Techniken während der Behandlung mit künstlicher Befruchtung diskutiert. Die Rate von Totgeburten und neonataler Mortalität war in Großbritannien 2017 noch immer höher als bei Einlingen mit Raten von 6,99:1000 Geburten und 5,45:1000 Lebendgeburten [18]. Die Konsequenz von Pluralität der Kinder und Outcome von Frühgeburt oder niedrigem Geburtsgewicht zeigt eine Statistik aus dem Jahr 2019 aus den USA (Tab. 1.1) [19]. Die Zahlen verdeutlichen die Notwendigkeit einer intensiven Aufklärung zu Beginn der Gravidität und ggf. auch eine Auseinandersetzung, ob eine höhergradige Mehrlingsschwangerschaft fortgesetzt wird (s. Kap. 2, Kap. 3, Kap. 9). Tab. 1.1: Schwangerschaftsalter und Geburtsgewicht je nach Pluralität der Kinder (NCHS, National Vital Statistics System Natality, USA), nach [19]. Geburten
Anzahl (n)
% Geburten < 34 SSW
% Geburten < 37 SSW
% < 1500 g
% < 2500 g
Total
3.791.712
2,75
10,02
1,38
8,28
Einlinge
3.664.651
2,12
8,24
1,09
6,6
Zwillinge
123.536
19,52
60,32
9,07
55,62
Drillinge
3400
63,09
98,32
33,60
94,77
Vierlinge
115
82,61
97,39
50,44
98,23
≤ Fünflinge
10
100
100
100
100
1.3 Motivation für dieses Buch 7
Bereits 1995 verfasste ein Team des International Council of Multiple Birth Organisation (ICOMBO) eine sogenannte „Declaration of Rights“ für Familien mit Mehrlingen. Dies schuf zunächst eine erhöhte klinische und ethische Sensibilität, auf deren Basis 2007 von Isaac Blickstein ein Komitee zusammengestellt wurde, das ein „International Consensus Statement“ über die perinatale Begleitung von Mehrlingsschwangerschaften verfasste [20]. Dabei wurden 20 Aspekte diskutiert, darunter Rechte auf professionelle präkonzeptionelle und pränatale Beratung bis hin zur Debatte einer eventuellen „Reduktion“ der Anzahl höhergradiger Mehrlinge im Interesse der überlebenden Kinder und unter Berücksichtigung des Glaubens der Eltern. Es wurde darauf hingewiesen, dass man die Ursache jedes Verlustes eines Mehrlings deutlich charakterisieren muss. Die Bedeutung des Ultraschalls bei Schwangerschaftskontrollen unter Einbeziehung einer frühen Eihautdiagnostik wurden ebenso betont wie die postnatale Diagnose der Zygotie auf Wunsch der Eltern. Eine professionelle Ultraschalldiagnostik lässt auch zu, zwillingsspezifische Erkrankungen wie das TTTS oder retrograder arterieller Perfusions-Sequenz (TRAP) so früh zu erkennen, dass pränatale Behandlungen indiziert werden können (s. Kap. 2). Dies erfordert die Etablierung fetalchirurgischer Zentren mit genügend hoher Fallzahl. Das Konsensuspapier stellte auch die ethischen Probleme an der Grenze der Lebensfähigkeit dar. Dabei muss es primär darum gehen, das Überleben und die Lebensqualität beider Kinder anzustreben. Dies ist aber bei extremer Frühgeburtlichkeit oder sehr früher Wachstumsretardierung schwer möglich. Differenzierte Kenntnisse und eine ganzheitliche ethische Diskussion sind erforderlich. Die simultane Überwachung einer Mutter und mehrerer Kinder, deren individuelle Gesundheit sich gegenseitig beeinflussen, eine Entbindung in Zentren, in denen rund um die Uhr Geburtsmediziner mit theoretischen Kenntnissen und praktischer Erfahrung, Anästhesisten, eine Blutbank sowie eine neonatale Intensivstation zur Verfügung stehen, werden gefordert. Das Komitee betonte auch, welche Unterstützung Familien zusteht, sollte eines oder mehrere Kinder gesundheitliche Probleme aufweisen. Schließlich sollen sich alle Interessensgruppen darüber bewusstwerden, dass für eine proaktive Begleitung von Mehrlingsschwangerschaften genügend Expertise und Mittel erforderlich sind, um spätere Nöte und Kosten zu minimieren. Die internationale Arbeitsgruppe Mehrlingsschwangerschaft erweiterte 2010 diese Richtlinien um 41 Punkte für MC-Mehrlingsschwangerschaften [21]. Beide Dokumente wurden durch die „World Association of Perinatal Medicine“ als Leitfäden anerkannt.
1.3 Motivation für dieses Buch Auf internationalem Niveau fehlen Leitlinien zur Begleitung von Schwangeren oft sogar in den Ländern mit hohen Mehrlingsraten, aber beschränkter medizinischer Versorgung. Dabei ist die Morbidität und Mortalität von Müttern mit Mehrlingsgravidität in Entwicklungsländern besonders hoch [22]. In den meisten industrialisierten Län-
8 1 Geschichte und Epidemiologie des Mehrlingsphänomens
dern gibt es inzwischen Leitlinien zur medizinischen Begleitung von Schwangerschaften und Geburten von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen, die aktuellste ist die des Royal College of Obstetrics and Gynaecology (RCOG) [23]. Allerdings beschreibt nur die französische Leitlinie auch praktische Hinweise zum Geburtsmodus [24]. In allen Leitlinien fehlen konkrete Angaben zur Ernährung, zu psychosozialen Aspekten, zur Gewichtszunahme, zur Diagnose und Behandlung von Gestationsdiabetes (GDM), hypertonen Erkrankungen in der Schwangerschaft (HDP) Hyperstimulationssyndrom, dem Follow-up der Kinder und Mütter nach der Geburt bis hin zu urogynäkologischen Aspekten. Die Leitlinie der International Society for Ultrasound in Obstetrics and Gynaecology (ISUOG) „Role of ultrasound in twin pregnancy“ nimmt ausschließlich Stellung zur Durchführung und zu Konsequenzen der Ultraschalldiagnostik [25]. Leider wurde von den Autoren der deutschen AWMF S2e-Leitlinie: „Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften“, die bis zum 30.4.2025 gültig sein soll, die ISUOG-Leitlinie und einige Aspekte der Empfehlungen des RCOG mehr oder weniger kopiert [26], ohne die zahlreichen Facetten, die bereits im ICOMBO Papier [20] angesprochen wurden, zu berücksichtigen. Dies wird weder den jungen Familien noch dem Wunsch der Ärzte und Hebammen gerecht, die die Mütter in allen Bereichen optimal begleiten wollen. In Anbetracht der steigenden Rate übergewichtiger und „gestresster“ Schwangeren sollten auch Ernährung, Lebensstil, Gewicht oder Gewichtszunahme, die mit Verläufen von GDM, HDP und psychosozialen Stressfaktoren interagieren, besprochen werden. Für eine problemlose vaginale Geburt von Mehrlingen sind noch immer Erfahrung und proaktive Schulung in manuellen Fertigkeiten erforderlich, um bei Lageabweichungen des zweiten Zwillings rasch handeln zu können. Verschiedene Manöver sind in diesem Buch durch Zeichnungen veranschaulicht worden. Außerdem wird den Herausforderungen nach der Geburt von Mehrlingen sowie dem Follow-up der Kinder auch noch Beachtung geschenkt. Parallel zu dem Buch erscheinen zu ausgewählten Aspekten praktische Checklisten oder Flow Charts als Vorgehensvorschläge für Ärzte, aber auch Aufklärungsformulare für Schwangere bzw. für Eltern von Mehrlingen für die Zeit vor und nach der Geburt. Beide Serien werden im Sinne des Trends zu „Digital Health“ online gesetzt und können je nach neuer Studienlage, durch Rückfragen und Anregungen von Eltern und konstruktiv-kritischen Kollegen rasch korrigiert und erweitert werden. Dies soll dabei helfen, dass sich Ärzte und Eltern vor und nach den Kontrollen aktuell informieren können und die Begegnung zwischen Arzt und Eltern effektiver für noch verbleibende Fragen und Befundbesprechung genutzt werden kann. Dankbar erinnern wir uns an unsere internationalen Vorbilder, die sich mit viel Herzblut für die Betreuung von Familien mit Mehrlingen eingesetzt und ihr Wissen in Augenhöhe geteilt haben. Wir widmen daher dieses Buch der Kinderärztin Elizabeth Bryan, der Gründerin des Multiple Birth Centre, die zahlreiche schwierige Themen für Eltern in spezifischem Aufklärungsmaterial aufgearbeitet und öffentlich thematisiert hat [27], sowie Louis Keith und Isaac Blickstein, den Editoren zahlreicher
Literatur 9
Publikationen und Bücher zum Thema Mehrlinge. Die zweite Ausgabe eines Buches mit dem Titel „Multiple Pregnancy“ gewann 2006 sogar einen Preis des Royal College for Obstetricians and Gynaecologists [28]. Gleichzeitig widmen wir dieses Projekt aber auch allen Familien mit Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen, die im täglichen Alltag Risiken, Sorgen, aber auch viel Freude erleben dürfen und die durch dieses Buch unterstützt werden sollen. Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7]
[8] [9] [10] [11]
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10 1 Geschichte und Epidemiologie des Mehrlingsphänomens
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2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften Ulrich Gembruch Zwillingsschwangerschaften werden heutzutage fast immer bereits in der Frühschwangerschaft sonografisch erkannt. In dieser Phase der Schwangerschaft lassen sich auch die Eihautverhältnisse am besten erkennen. Spätestens zum Zeitpunkt der Ersttrimesteruntersuchung sollte eruiert und im Mutterpass dokumentiert werden, ob eine dichoriale oder eine monochoriale Zwillingsschwangerschaft vorliegt. Letztere ist aufgrund der plazentaren Anastomosen zwischen ihren Blutkreisläufen durch die Möglichkeit des Auftretens zusätzlicher Krankheitsbilder kompliziert. Die frühe Diagnostik der Chorionizität ermöglicht einerseits eine standardisierte Risiko-adaptierte Überwachung der Zwillingsschwangerschaft, andererseits bei Auftreten von Komplikationen, wie Wachstumsrestriktion, Fehlbildung oder hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie eines oder beider Feten, in Abhängigkeit von vorliegenden Plazentaverhältnissen unterschiedliche Maßnahmen der weiteren Betreuung und antenataler Intervention, weiterer Überwachung und Geburtsplanung. Dies alles gilt auch für höhergradige Mehrlingsschwangerschaften.
2.1 Diagnostik der Eihautverhältnisse wie Chorionizität und Amnionizität Neben der Absicherung des Schwangerschaftsalters und der Vitalität erlaubt die Sonographie in der Frühschwangerschaft die Diagnostik der Eihautverhältnisse (Chorioamnionizität).
2.1.1 Bestimmung der Eihautverhältnisse bis zur 10. SSW Vor der 10. Schwangerschaftswoche (SSW) sind die Chorionizität leicht zu eruieren (Abb. 2.1). Dichoriale (DC) Zwillingsschwangerschaften weisen zwei klar durch dickes Choriongewebe getrennte Chorionhöhlen („Gestationssäcke“) auf, monochoriale (MC) hingegen nur eine Chorionhöhle. Auch die Amnionizität lässt sich zu diesem Zeitpunkt eruieren, da Amnion und Chorion zu diesem Zeitpunkt noch nicht verschmolzen sind. Bei einer monochorial-diamnialen (MC DA) Schwangerschaft sind daher in einer Chorionhöhle zwei voneinander getrennte Amnionhöhlen vorhanden, bei einer monochorial-monoamnialen (MC MA) Zwillingsschwangerschaft nur eine. Da die Amnionmembranen sehr dünn sind, erfordert ihre Darstellung zumeist eine transvaginale Sonographie mit höherfrequentem Schallkopf und entsprechender Anpashttps://doi.org/10.1515/9783110669749-002
12 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
Abb. 2.1: Trichorial-tetraamniale Vierlingsschwangerschaft bei 8+3 SSW: die choriale Trennwand ist dick und leicht zu erkennen; die amniale Trennwand bei dem monochorialen Zwillingspaar ist sehr dünn und schwierig zu erkennen.
sung von Verstärkung und Einschallwinkel – die Amnionmembran ist am besten bei senkrechtem Insonationswinkel darstellbar. Zwei Dottersäcke im extraembryonalen Coelom weisen auf eine diamniale Schwangerschaft hin, ein Dottersack spricht in den meisten Fällen für eine monoamniale Schwangerschaft, kann aber auch bei diamnialen Zwillingen auftreten. Auch lassen sich bei rund einem Drittel der monamnialen Schwangerschaften zwei Dottersäcke nachweisen [1], so dass die Bestimmung der Anzahl der Dottersäcke nicht geeignet ist, zwischen MC DA und MC MA Schwangerschaften zu differenzieren. Di- und monochoriale triamniale Drillingsschwangerschaften, DC TA bzw. MC TA, treten meist nach künstlicher Befruchtung auf, gleiches gilt für die extrem seltenen di- oder gar monochorialen Vierlings- und Fünflingsschwangerschaften [2–5].
2.1.2 Bestimmung der Eihautverhältnisse zwischen 10. und 14. SSW Nach der 10. SSW wird es mit fortschreitendem Schwangerschaftsalter immer schwieriger, die Eihautverhältnisse zu evaluieren (Abb. 2.2). Amnion- und Chorionmembranen verschmelzen zunehmend und das Chorion differenziert sich in Chorion laeve und Chorion frondosum, der späteren Plazenta. Schließlich finden sich bei Zwillingen in der Cavitas uteri ein oder zwei Plazentamassen – allerdings können DC Plazenten zu einer Plazentamasse „verschmolzen“ sein, MC Plazenten können zwei Plazentamassen in Form einer Placenta bipartita oder succenturiata aufweisen mit ein oder zwei Amnionhöhlen. Die interfetale Trennmembran zwischen den Amnionhöhlen, sofern vorhanden, ist bei DC DA Zwillingen vierschichtig (Amnion-Chorion-Chorion-Amnion), bei MC DA Zwillingen zweischichtig (Amnion-Amnion), bei MC MA Zwillingen fehlt sie. Diese Veränderungen führen da-
2.1 Diagnostik der Eihautverhältnisse wie Chorionizität und Amnionizität 13
Abb. 2.2: Trichoriale-tetraamniale Vierlingsschwangerschaft bei 10+3 SSW: Die vierschichtige choriale Trennwand (Amnion-Chorion-Chorion-Amnion) ist nun deutlich dünner, aber noch gut zu erkennen und zeigt ein Lambda-Zeichen; die zweischichtige amniale Trennwand (Amnion-Amnion) bei dem monochorialen Zwillingspaar ist sehr dünn, schwieriger zu erkennen und weist ein T-Zeichen auf.
zu, dass die Sicherheit der Diagnostik der Eihautverhältnisse mit zunehmendem Gestationsalter abnimmt. Daher sollte spätestens im Rahmen der Ersttrimeter-Untersuchung (11+0–13+6 SSW; Scheitelsteißlänge: 45–84 mm) eine gezielte Diagnostik der Eihautverhältnisse erfolgen. Folgende Vorgehensweisen erlauben zu diesem Zeitpunkt die Diagnostik der Chorionizität und Amnionizität. Nachweis oder Fehlen des chorialen Lambda-Zeichens Aufgrund der Vierschichtigkeit der interfetalen Trennmembran bei DC Zwillingen findet sich besonders an der Stelle des Auftreffens der Trennmembran auf die Plazentamasse noch reichlich Choriongewebe in der Membran, das in den anderen Bereichen der Trennmembran schon zunehmend dünner geworden ist; so entsteht das sonografische Bild des Lambda-Zeichens, auch Twin peak sign genannt (Abb. 2.2). Bei MC DA Zwillingen fehlt ein Lambda-Zeichen; die Trennmembran, da ausschließlich aus den beiden Amnionmembranen bestehend, inseriert ohne jegliche Dickenänderung in die Plazenta (T-Zeichen) (Abb. 2.2). Eine Metaanalyse von 9 Studien mit 2292 Zwillingsschwangerschaften zeigte bei Nachweis eines Lambda-Zeichens eine Sensitivität für Dichorionizität von 99 % (95 % CI 98–100) bei einer Spezifität von 95 % (95 % CI 92–97); ließ sich hingegen kein Lambda-Zeichen nachweisen, betrug die Sensitivität bezüglich Monochorionizität 96 % (95 % CI 92–98 %), die Spezifität 99 % (95 % CI 98–99) [6]. In den weiteren Wochen der Schwangerschaft bildet sich das Chorion zwischen den Membranen auch am Übergang in die Plazenta zurück, so dass auch bei bis zu 10 % dichorialer Zwillinge mit fusionierter Plazenta bei der Zweittrimesteruntersuchung mit 18–22 SSW kein Lambda-Zeichen mehr vorhanden ist [7].
14 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
Zahl getrennter Plazenten Der Nachweis von zwei getrennten Plazenten spricht für das Vorliegen einer DC Schwangerschaft. Allerdings können bei bis zu 3 % MC Zwillingsschwangerschaften ebenfalls zwei Plazentamassen darstellbar sein, und zwar bei Vorliegen einer Placenta bipartita oder succenturiata [7,8]. Das sonografische Bild nur einer Plazentamasse ist charakteristisch für MC Zwillinge, kann aber auch bei aneinander liegenden, „verschmolzenen“ Plazenten von DC Schwangerschaften vorliegen. Unterschiedliches Geschlecht Eine Geschlechtsbestimmung kann bereits während der Ersttrimesteruntersuchung mit einer Genauigkeit von ca. 90 % erfolgen, die aber in den folgenden Wochen der Schwangerschaft auf nahezu 100 % steigt. Ein diskordantes Geschlecht spricht für Dizygosität und somit Dichorionizität, konkordantes Geschlecht kann hingegen bei dizygoten (DZ) und monozygoten (MZ) Zwillingen auftreten. Allerdings kann selten ein äußerlich diskordantes Geschlecht auch bei monozygoten (MZ) und somit monochorialen Zwillingen auftreten, und zwar nach postzygotischer Fehlsegregation (postzygotic nondisjunction) oder postzygotic rescue der Geschlechtschromosome (X0/XY Zwillinge durchgehend oder als Mosaik, XX/XY Zwillinge, X0/XYY Zwillinge), bei monogenen Störungen (unterschiedlicher Phänotyp bei gleicher Mutation, z. B. SOX9, postzygotische Mutation autosomal-dominanter Gene, wie SRY-Mutation, oder X-chromosomal rezessiver Gene, wie testikuläre Feminisierung bei kompletter Androgenresistenz) und bei Genitalfehlbildungen [7,9]. Schließlich sind 5–10 % der Zwillinge mit monochorialer Plazenta dizygot und somit teilweise auch geschlechtsdiskordant; sie weisen aber ausschließlich einen Blutchimärismus auf [10]. Ursache ist eine Verschmelzung der äußeren Zellmassen im späten Morulastadium (Tag 4 der Entwicklung); mehr als 80 % der MC DZ Zwillingsschwangerschaften waren Schwangerschaften nach künstlicher Befruchtung [10].
2.1.3 Bestimmung der Eihautverhältnisse nach der 14. SSW Nach der 14. SSW, wenn das Lambda-Zeichen seine Bedeutung als Charakteristikum mit fortschreitenden Schwangerschaftsalter zunehmend verliert, können neben der Bestimmung der Zahl der Plazenten und des Geschlechts auch Schichtenzahl und Dicke der interfetalen Trennmembran zur Diagnose der Chorionizität im zweiten und dritten Trimester beitragen. Beim Nachweis von mehr als zwei Lagen der Trennmembran handelt es sich um DC DA Zwillinge, bei einer Membrandicke im zweiten und dritten Trimester ≥ 1,9 mm zumeist um DC DA Zwillinge; bei senkrechtem Einschallwinkel betrugen die Membrandicken im Mittel 1,6 ± 0,3 mm für MC DA und 2,2 ± 0,8 mm für DC DA Zwillinge [11]. Die in der Literatur angegebenen Grenzwerte
2.2 Standardisierte Risiko-adaptierte Überwachung 15
(Cut-off) schwanken zwischen 1,5 mm bis 2,0 mm, ebenso die Angaben zur Sensitivität, Spezifität und den Vorhersagewerten [7]. Schallkopffrequenz, Schallabschwächung, Verstärkung und andere Parameter der Geräteeinstellung beeinflussen die Messgenauigkeit. Lässt sich bei MC Zwillingen keine interfetale Trennmembran darstellen, so handelt es sich um MA Zwillinge. Allerdings sollte diese Diagnose genau geprüft werden, da die dünne Trennmembran oft nur schwierig sonografisch darstellbar ist, in Abhängigkeit von Gerätequalität, Geräteeinstellung, Schallkopfwahl und Untersuchungsbedingungen. Zu Fehldiagnosen kann es auch bei einer schweren Oligohydramnie kommen, wie bei frühem Blasensprung, im Rahmen eines feto-fetalen Transfusions-Syndroms (twin-to-twin transfusion syndrome, TTTS) bei einem „stuck twin“ oder bei einer fetalen Niereninsuffizienz; in diesen Fällen liegt die Trennmembran einem Feten fest an und ist daher sonografisch äußerst schwierig darstellbar. Mit Ausnahme des sehr frühen Blasensprungs sind dies allerdings Erkrankungen, die erst nach der 14. SSW zu einer Oligohydramnie führen. Sehr selten sind pseudomonoamniale Schwangerschaften, bei denen zu einer Disruption der amnialen Membran bei primär diamnialen Fruchthöhlen gekommen ist; dies wurde im Rahmen von Eingriffen bei TTTS (Amniondrainage und fetoskopische Laserphotokoagulation) beobachtet, aber auch nach spontaner Membranruptur [12,13]. Für alle Mehrlingsschwangerschaften gilt, dass die Eihautdiagnostik im ersten Trimester erfolgen, der Befund im Mutterpass festgehalten und auch bildlich dokumentiert werden sollte [14,15]. Trotz zunehmender Vertrautheit der Untersucher mit den diagnostischen Zeichen wurden in einer großen Multicenter-Studie (Datenerhebung in den Jahren 2004–2006) im ersten und frühen zweiten Trimester (vor 20. SSW) bei 35 von 545 (6,4 %) Zwillingen die Chorionizität fehlerhaft diagnostiziert, und zwar bei 18 von 455 DC (4,0 %) und 17 von 90 MC Zwillingspaaren (19,0 %); Sensitivität und Spezifität für MC Zwillinge betrugen 81,1 % bzw. 96,0 %. Vor der 14. SSW war die Rate der Fehldiagnosen halb so groß wie zwischen 15. und 20. SSW, mit einem Anstieg der Fehlerrate um 10 % für jede zusätzliche Schwangerschaftswoche [16].
2.2 Standardisierte Risiko-adaptierte Überwachung Die weitere antenatale Überwachung erfolgt in Abhängigkeit von den Eihautverhältnissen und den damit assoziierten Risiken unterschiedlich. Für alle Mehrlingsschwangerschaften bestehen gegenüber Einlingsschwangerschaften höhere Risiken für das Auftreten Plazenta-assoziierter Erkrankungen, wie hypertensive Schwangerschaftserkrankungen oder hypertensive disorders of pregnancy (HDP) und fetale Wachstumsrestriktion (IUGR), ferner für Frühgeburt und Gestationsdiabetes mellitus (GDM) (s. Kap. 5.1 und Kap. 5.2).
16 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
Zudem können die bei Zwillingsschwangerschaften ausgeprägten kardiovaskulären, respiratorischen und metabolischen Adaptationsprozesse bei vielen vorbestehenden maternalen Erkrankungen zu einer relevanten Verschlechterung führen. Schließlich ist auch die Geburt selbst mit höheren maternalen und neonatalen Risiken als bei Einlingsschwangerschaften behaftet (s. Kap. 6). Nach künstlicher Befruchtung sind sowohl die maternalen als auch die neonatalen Komplikationen um ein Vielfaches höher als nach spontaner Konzeption, insbesondere gilt dies für Zwillingsschwangerschaften nach in-vitro Fertilisation mit autologen Eizellen und noch viel mehr bei Eizellspende [17,18] (s. Kap. 5.3). Monochoriale Zwillingsschwangerschaften sind aufgrund der plazentaren Gefäßanastomosen mit weiteren Risiken assoziiert, wie dem Auftreten eines chronischen oder akuten TTTS, einer selektiven Wachstumsrestriktion (sIUGR, sFGR), einer TRAP (Twin reversed arterial perfusion)-Sequenz, des nachfolgenden Todes oder neurologischer Schädigung des zunächst überlebenden Feten nach Tod des Co-Zwillings. Bei MC MA und pseudo-MA Zwillingen kann es zudem zu kritischen Verknotungen der beiden Nabelschnüre kommen, wobei Nabelumschlingungen in Nähe des umbilikalen Ansatzes wohl riskanter sind als Umschlingungen in Nähe der Plazenta [19]. Extremst selten sind DC Zwillingsschwangerschaften – monozygot oder auch dizygot –, bei denen vaskuläre Anastomosen, meist tiefe arterio-venöse oder veno-venöse vorliegen; die Mehrzahl dieser Fälle wurde bei Auftretens eines chronischen TTTS oder einer Anämie-Polyzythämie-Sequenz diagnostiziert [19a,19b]. Verlauf und Outcome der Schwangerschaft sind daher stark von den Eihautverhältnissen abhängig. So konnten Sebire und Mitarbeiter [20] bereits 1997 bei 102 MC DA und 365 DC, die bei der Ersttrimesteruntersuchung keine Auffälligkeiten aufwiesen, bei Monochorionizität eine wesentlich höhere fetale Verlustrate < 24 SSW (12,2 % vs. 1,8 %) und auch eine leicht höhere perinatale Mortalität ≥ 24 SSW (2,8 % vs. 1,6 %) nachweisen [20]. Diese hohe „hidden mortality“ von MC DA Zwillingen < 24 SSW war fast ausschließlich auf die plazentaren Anastomosen und dem Auftreten eines frühen chronischen feto-fetalen TTTS zurückzuführen [20]. Durch die zunehmende Verbreitung der fetoskopischen Laserbehandlung beim schweren TTTS und eine mehr den jeweiligen Risiken angepassten verstärkten fetalen Überwachung, ließ sich diese Mortalität mittlerweile deutlich senken. Dies konnten Litwinska und Mitarbeiter [21] in einer retrospektiven Studie an 6225 Zwillingsschwangerschaften mit zwei vitalen Feten bei der Ersttrimesteruntersuchung (11+0–13+6 SSW) belegen: 4896 Zwillinge (78,7 %) waren DC, 1274 (20,5 %) MC DA und 55 (0,9 %) MC MA; von der Analyse ausgeschlossen waren Schwangerschaften mit Nachweis einer TRAP-Sequenz und chromosomal oder nicht-chromosomal bedingten schweren Anomalien, die pränatal oder auch erst postnatal diagnostiziert wurden [21]. Die fetalen Verlustraten < 24 SSW betrugen für DC Zwillinge 2,3 % (230/9792 Feten), für MC DA Zwillinge 7,7 % (195/ 2548 Feten) (RR: 3,3; 95 % CI: 2,7–3,9) und für MC MA Zwillinge 21,8 % (24/110 Feten) (RR: 9,3; 95 % CI: 6,4–13,5) (Abb. 2.3). Die perinatale Mortalität bei den Schwangerschaften ≥ 24 SSW mit zwei lebenden Feten betrug für DC, MC DA und MC MA
2.2 Standardisierte Risiko-adaptierte Überwachung 17
Zwillinge jeweils 1 % (97/9520), 2,5 % (58/2318) bzw. 9,5 % (8/86) [21]. Bei 127 (10,0 %) der MC DA Zwillinge erfolgte eine fetoskopische Laserbehandlung (im Median mit 18 SSW; Range: 16–27 SSW), in 118 Schwangerschaften wegen eines chronischen TTTS, in 6 Schwangerschaften mit selektivem IUGR und TTTS und in 3 Schwangerschaften wegen einer TAPS (Twin anemia-polycythemia sequence). In der Gruppe der DC Zwillinge nach künstlicher Befruchtung war die Verlustrate < 24 SSW höher als bei denen mit spontaner Konzeption (2,8 % vs. 2,0 %), nicht aber ≥ 24 SSW (1,0 % vs. 1,0 %); bei den MC Feten hatte die Art der Konzeption keinen signifikanten Einfluss auf die fetalen Verlustraten. Zu einer Frühgeburt < 32 SSW bei wenigstens einem lebenden Feten kam es bei 7,4 % der DC, 14,2 % der MC DA und 26,8 % der MC MA Schwangerschaften [21]. Der Anteil der Neugeborenen mit einer Wachstumsrestriktion (Geburtsgewicht < 10. Perzentile) in Schwangerschaften mit mindestens einem überlebenden Zwilling betrug 31,2 % in DC, 37,8 % in MC DA (RR: 1,21; 95 % CI: 1,138–1,284) und 33,3 % in MC MA Schwangerschaften [21].
100
Überleben (%)
90
80
70 dichorial monochorial diamnial monochorial monoamnial 60 12
14
16
18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 Schwangerschaftsalter (Wochen)
Abb. 2.3: Kaplan-Meier Analyse des Überlebens von der 12. SSW bis zur 38. SSW von 6225 Zwillingsschwangerschaften mit zwei vitalen Feten bei der Ersttrimesteruntersuchung (11+0–13+6 SSW), unterteilt in DC (9792 [78,7 %] Feten), MC DA (2548 [29,5 %] Feten) und MC MA (110 [0,9 %] Feten) Schwangerschaften. Schwangerschaften mit Nachweis von einer TRAP-Sequenz und chromosomal oder nicht-chromosomal bedingten schweren Anomalien waren von der Analyse ausgeschlossen, nach Litwinska et al. 2020 [21]. Zu beachten ist, dass der natürliche Verlauf durch intrauterine Interventionen und iatrogen induzierte vorzeitige Entbindungen modifiziert wurde.
18 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
11–14
· Datierung, Benennung · Chorionizität · Ersttrimesterscreening
20–22
· detaillierte Anatomie · Biometrie · Fruchtwassermenge · Cervixlänge
11–14 16
· Biometrie, DVP · A. umbilicalis PI 18
24–26 20 28–30 32–34
· Datierung, Benennung · Chorionizität · Ersttrimesterscreening
· Biometrie · Fruchtwassermenge · fetale Doppler
22
· detaillierte Anatomie · Biometrie, DVP · A. umb. PI, MCA-PSV · Cervixlänge · EFW-Diskordanz
24 36–37 26 Entbindung 28 30
· Biometrie, DVP · A. umb. PI, MCA-PSV · EFW-Diskordanz
32 34
(a)
(b)
36
Abb. 2.4: Algorithmus zur Ultraschallüberwachung bei dichorialen (a) und monochorialen Zwillingen (b). Die Zahlen entsprechen vollendeten Schwangerschaftswochen (Abbildung übernommen von „ISUOG Practice Guidelines: role of ultrasound in twin pregnancy“ [25] bzw. der AWMF-Leitlinie „Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften“ [14,15]). A. umb: A. umbilicalis; DVP: deepest vertical pocket (tiefste vertikale Fruchtwassertasche); EFW: estimated fetal weight (fetales Schätzgewicht); PI: pulsatility index; MCA-PSV: peak systolic velocity (systolische Spitzengeschwindigkeit) in der A. cerebri media (MCA).
Ausgehend von den Eihautverhältnissen unterscheiden sich die in Publikationen und Leitlinien vorgegeben Algorithmen zur Überwachung und Management von DC und MC Zwillingsschwangerschaften (Abb. 2.4 und Abb. 2.5) [14,22–26]. In allen Zwillingsschwangerschaften sollte eine detaillierte Ersttrimesteruntersuchung im Zeitraum von 11+0 SSW bis 13+6 SSW bei einer SSL von 45–84 mm erfolgen. Dabei geht es einerseits um den Ausschluss von Fehlbildungen andererseits auch um ein sonographisches Aneuploidie-Screenings. Eine weiterführende detaillierte Organdiagnostik sollte im zweiten Trimester durchgeführt werden, gefolgt von
2.2 Standardisierte Risiko-adaptierte Überwachung 19
diskordante Fruchtwassermengen: ≥ 8 cm (≥ 10 nach 20. SSW) und < 2 cm
ja
TTTS
nein diskordantes Wachstum: geschätztes Fetalgewicht eines Zwillings < 3. Perz. oder Vorliegen von mindestens 2 der folgenden Kriterien: · Diskordanz des fetalen Schätzgewichts ≥ 25 % < 10. Perz. · fetales Schätzgewicht eines Zwillings · Abdomenumfang eines Zwillings < 10. Perz. · A. umbilicalis PI des kleineren Zwillings > 95. Perz.
ja
sFGR
nein diskordante MCA-PSV-Werte: ≥ 1,5 MoM und ≤ 0,8 MoM (bzw. Diskordanz ≥ 1 MoM)
ja
TAPS
nein Fruchtwasserdiskordanz, Wachstumsdiskordanz oder diskordante MCA-PSV-Werte, die nicht den oben genannten Kriterien entsprechen
ja
engmaschige Verlaufskontrollen
Abb. 2.5: Diagnostischer Algorithmus bei MC DA Zwillingsschwangerschaften mit diskordanten Befunden (Abbildung übernommen aus AWMF-Leitlinie „Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften“ [14,15]). MCA-PSV: peak systolic velocity (systolische Spitzengeschwindigkeit) in der A. cerebri media (MCA); Perz.: Perzentile; PI: Pulsatility index; sFGR: selektive fetale Wachstumsrestriktion; TAPS: Twin anaemia polycythaemia sequence; TTTS: Twin-twin transfusion syndrome.
Kontrollen des fetalen Wachstums und Zustands. Diese sollten Ende des zweiten und im dritten Trimester in zwei- bis dreiwöchigen Intervallen erfolgen, bei MC Zwillingen mindestens alle 2 Wochen. Neben den Wachstumskontrollen gilt es, die Fruchtwassermenge und den fetalen Zustand mit Dopplersonographie, biophysikalischem Profil und Kardiotokografie zu beurteilen. Aufgrund des erhöhten Risikos einer spontanen Frühgeburt sollte die Cervix uteri im zweiten Trimester transvaginalsonographisch beurteilt werden (s. Kap. 3.4.1). Bei MC Zwillingsschwangerschaften sollte darüber hinaus ab 16 SSW engmaschig in zweiwöchigen Intervallen nach Hinweisen für das Auftreten eines TTSS, später auch einer TAPS und anderer spezifischer Komplikationen gefahndet werden. Dieses Vorgehen führt in den weitaus meisten Fällen zur Entdeckung des TTTS, auch wenn vielfach erst im Stadium III und IV [27a,27b], wobei in Einzelfällen auch der Tod eines Feten (Stadium V) nach zuvor unauffälligen Befunden beobachtet wurde [27b]. Werden Auffälligkeiten gefunden, wie eine Fruchtwassermengendiskordanz der jeweils tiefsten Tasche ≥ 4 cm, auffälligen Dopplerindizes, starke Größendiskrepanzen, die aber noch nicht den Kriterien zur Diagnose voll entsprechen, sollten die Kontrolluntersuchungen in wöchentlichen Intervallen erfolgen [14,24,25,27].
20 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
Die Beurteilung der Fruchtwassermenge kann sowohl subjektiv als auch durch Messung der tiefsten vertikalen Tasche, des modifizierten Fruchtwasserindex oder der größten zweidimensionale Tasche jeder Amnionhöhle erfolgen. Alle diese Methoden haben eine hohe Spezifität, aber eine geringe Sensitivität sowohl für den Nachweis einer Oligohydramnie als auch für den einer Polyhydramnie. Die sonografisch ermittelten Referenzbereiche zeigen bei Zwillingen ein Plateau zwischen 24 und 26 SSW und hiernach eine langsame Abnahme der Fruchtwassermenge bis zur Geburt [28]. Obwohl sich einzelne cut-off Werte der Fruchtwassermenge im Laufe der Schwangerschaft unterscheiden, hat es sich durchgesetzt, für die Diagnose einer Oligohydramnie eine tiefste Fruchtwassertasche von < 2 cm, für die einer Polyhydramnie von ≥ 8 cm < 20 SSW und ≥ 10 cm ≥ 20 SSW zu benutzen. Dies entspricht in etwa der 2,5. bzw. 95. Perzentile im dritten Trimester [14] und gilt auch als Kriterium bei der Diagnose eines chronischen TTTS oder spezifischer einer Twin-Oligohydramnion-Polyhydramnion Sequenz (TOPS).
2.3 Besonderheiten der detaillierten Ersttrimesteruntersuchung Bei jeder Zwillingsschwangerschaft sollte eine detaillierte sonografische Ersttrimesteruntersuchung durch einen erfahrenen Untersucher erfolgen, nicht nur im Sinne eines einfachen oder erweiterten Aneuploidie-Screening (Nackentransparenzmessung ± weiterer Marker, wie Nasenbein, Trikuspidalklappenregurgitation und Blutflussgeschwindigkeitsprofil des Ductus venosus), sondern auch als früher Fehlbildungsausschluss unter Einbeziehung einer fetalen Echokardiografie. Dies ist sinnvoll, weil einerseits aufgrund der Anzahl der Feten die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von relevanten nicht-chromosomal und chromosomal bedingten Fehlbildungen verdoppelt ist; andererseits ist bei MZ Gemini das Risiko von Herzfehlern, Neuralrohrdefekten, Hirnfehlbildungen, vorderen Bauchwanddefekten oder gastrointestinalen Anomalien, die in 80 %–85 % der Fälle diskordant und bei den übrigen konkordant auftreten, zusätzlich erhöht. Das frühe Erkennen fetaler Anomalien bietet die Möglichkeit, bereits früh weitere diagnostische Maßnahmen, wie Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese zwecks einer konventionellen zytogenetischen, aber auch molekular-zytogenetischen Chromosomenanalyse und molekulargenetischen Untersuchungen, einzuleiten. In Einzelfällen, wie bei einer TRAP-Sequenz oder bei schweren Anomalien von dichorialen Zwillingen kann so ein selektiver Fetozid möglichst früh in der Schwangerschaft durchgeführt werden, da das Abortrisiko nach selektivem Fetozid mit dem Schwangerschaftsalter sukzessive ansteigt. Für die sonografische Bestimmung des Schwangerschaftsalters gelten die gleichen Vorgaben wie bei Einlingen. Eine Korrektur des anamnestisch ermittelten Schwangerschaftsalters sollte erfolgen, wenn bei sonst unauffälligem Befund das anamnestische Gestationsalter mehr als 7 Tage von dem sonografisch ermittelten Alter abweicht; dies gilt nicht für IVF-Schwangerschaften. In der Frühschwangerschaft er-
2.3 Besonderheiten der detaillierten Ersttrimesteruntersuchung 21
laubt die Messung der Scheitel-Steiß-Länge (SSL) die Bestimmung des Schwangerschaftsaltersalters mit einer Genauigkeit von ± 5–7 Tagen; sie wird bevorzugt genutzt, auch wenn die Messung des biparietalen Durchmessers im ersten, aber auch im zweiten Trimester eine ähnliche Genauigkeit aufweist. Bei Diskrepanzen der SSL beider Feten wird empfohlen, die Maße des größeren Feten zur Bestimmung des Schwangerschaftsalters zu benutzen, da in der Frühschwangerschaft weitaus häufiger eine fetale Wachstumsrestriktion als ein übermäßiges Wachstum vorliegt [14]. Im zweiten Trimester führt eine Kombination aus Kopfumfang, Bauchumfang und Femurlänge zu einer ähnlich genauen Einschätzung des Schwangerschaftsalters. Die vorliegenden Daten zeigen, dass auch bei Zwillingsschwangerschaften, unabhängig von Zygotie und Chorionizität, sowohl das Aneuploidie-Screening als auch ein früher Fehlbildungsausschluss gemäß den vorliegenden Leitlinien, Empfehlungen und Protokollen durchgeführt werden können [29–31]. Besonderheiten sind hierbei aber zu beachten.
2.3.1 Aneuploidie-Screening Die Risikokalkulation beim konventionellen Aneuploidie-Screening im ersten Trimester (maternales Alter, Nackentransparenz, ggf. PAPP-A, β-HCG und/oder zusätzliche sonografische Marker) berechnet bei DC Zwillingen das Risiko für jeden Feten getrennt, da ca. 90 % dieser Zwillinge DZ und nur 10 % MZ sind. Bei MC Mehrlingen basiert die Kalkulation auf dem durchschnittlichen Risiko beider Feten, da hierbei von deren Monozygotie ausgegangen wird. Die durchschnittlichen Konzentrationen des freien β-HCG und des PAPP-A liegen bei 1,86 MoM bzw. 2,10 MoM von Einlingsschwangerschaften [32]. Allerdings erschweren oft Faktoren, wie Status nach IVF/ ICSI oder maternale Erkrankungen die Interpretation. Daher führen viele Zentren bei Zwillingsschwangerschaften kein Serumscreening durch, obwohl die Entdeckungsraten nur unwesentlich geringer sind als bei Einlingen [33]. So beträgt beim kombinierten Screening (maternales Alter, Nackentransparenz, PAPP-A, β-HCG) die Entdeckungsrate für eine fetale Trisomie 21 bei Zwillingsschwangerschaften 90 %, wobei die falsch-positiv-Rate mit 6 % um 1 % höher liegt als bei Einlingen [34]. Alternativ zum Serumscreening bietet sich ein um die Darstellung des Nasenbeins, des Trikuspidalkalpenflusses und des Blutflusses im Ductus venosus erweitertes Ersttrimesterscreening an [29]. Dieses ist auch das Vorgehen bei höhergradigen Mehrlingen.
2.3.2 Analyse der zellfreien DNA im maternalen Blut Die Analyse der zellfreien DNA im maternalen Blut (cfDNA-Analyse) liefert sowohl bei Einlings- auch bei Zwillingsschwangerschaften bei sehr geringer falsch-positivRate hohe Entdeckungsraten, wenn auch niedriger als bei Einlingsgravidität [35–37]
22 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
(Tab. 2.1 und Tab. 2.2). Für höhergradige Mehrlinge ist die cfDNA-Analyse nicht geeignet. Aufgrund der derzeit vorliegenden Fallzahlen ist die Datenlage für die Trisomie 21 und Trisomie 18 ausreichend gesichert; dies gilt aber nicht für die Trisomie 13 (Tab. 2.2). Wie auch bei Einlingsschwangerschaften sind die Vorhersagewerte der cfDNA-Analyse im maternalen Blut denen des sonografischen Ersttrimester-Aneuploidie-Screening überlegen. Allerdings wird in einigen Leitlinien und Empfehlungen aufgrund der zum Zeitpunkt ihrer Publikation noch unzureichend erscheinenden Datenlage die cfDNA-Analyse bei Zwillingen nicht oder nur mit Einschränkungen empfohlen [29,38,39]. Die fetale Fraktion der cfDNA im maternalen Blut ist geringer und ein „no call“ Resultat etwa dreimal häufiger als bei Einlingsschwangerschaften. In der größten Studie hierzu wurde bei der ersten Blutentnahme bei 3,4 % (798/ 23.495) der Schwangerschaft mit einem Feten, aber bei 4,9 % (6/122) mit MC Zwillingen und bei 11,3 % (91/806) mit DC Zwillingen kein Resultat erzielt; dies betraf vermehrt Schwangerschaften nach künstlicher Befruchtung und bei Nulliparität [40]. Tab. 2.1: Screening mit zellfreier DNA (cfDNA) auf Aneuploidien bei Einlingsschwangerschaften – Metaanalyse von 35 Studien (2011–2016), nach Gil et al. 2017 [35]. Aneuploidie
Fälle mit/ohne
Detektionsrate (%) (95 % CI)
Falsch-Positiv-Rate (%) (95 % CI)
Trisomie 21
1963/223.932
99,7 (99,1–99,9)
0,04 (0,02–0,07)
Trisomie 18
563/222.013
97,9 (94,9–99,1)
0,04 (0,03–0,07)
Trisomie 13
119/212.883
99,0 (65,8–100)
0,04 (0,02–0,07)
45,X0
17/5.400
95,8 (70,3–99,5)
0,004 (0,0–0,08)
Tab. 2.2: Screening mit zellfreier DNA (cfDNA) auf Aneuploidien bei Zwillingsschwangerschaften – Metaanalyse von 12 Studien (2011–2020), nach Judah et al. 2021 [36]. Aneuploidie
Fälle mit/ohne
Detektionsrate (%) (95 % CI)
Falsch-Positiv-Rate (%) (95 % CI)
Trisomie 21
137/7.507
99,0 (92,0–99,9)
0,02 (0,001–0,43)
Trisomie 18
50/6.840
92,8 (77,6–98,0)
0,01 (0,00–0,44)
Trisomie 13
11/6.290
94,7 (9,14–99,97)
0,10 (0,03–0,39)
Inwieweit die Analyse der cfDNA bei Zwillingsschwangerschaft als primärer Test oder besser als Kontingenttest nach einem sonografischen Ersttrimester-Aneuploidie-Screening [41] der Schwangeren angeboten wird, ist neben den medizinischen und individuellen Faktoren auch stark von den bereits bestehenden Strukturen eines
2.3 Besonderheiten der detaillierten Ersttrimesteruntersuchung 23
Ersttrimester-Aneuploidie-Screening und ökonomischen, gesundheitspolitischen und ethischen Vorgaben beeinflusst. Bei sonographischen Auffälligkeiten sollte bei Mehrlingen aber keine Zeit verloren werden und eine invasive Diagnostik erfolgen.
2.3.3 Invasive Diagnostik Die Indikationen zu einer invasiven Diagnostik bei Zwillingen gleichen denen bei Einlingen. Die Eingriffe setzen ein hohes Maß an Erfahrung voraus. Die Lage der Feten und der Plazenten sowie andere Merkmale, die zu einer Unterscheidung der Feten beitragen können, wie Geschlecht, Nabelschnurinsertion oder fetale Anomalien, sind im Rahmen einer invasiven Diagnostik exakt zu dokumentieren, wobei eine Zeichnung hilfreich sein kann. Bei MC Zwillingen reicht in der Regel die Punktion der gemeinsamen Plazenta bzw. einer Fruchthöhle aus, da von einer Monozygotie auszugehen ist. Bei auffälligen Befunden, wie Fehlbildungen, Größendiskrepanzen oder verdickter Nackentransparenz, ist es aber sinnvoll, beide Fruchthöhlen zu punktieren, da Heterokaryotypien beschrieben sind, die infolge eines postzygotischen Verlustes eines überzähligen Chromosoms (Trisomic Rescue), eines Monosomic Rescue oder einer postzygotischen Fehlsegregation auftreten können. Rund 50 % dieser Fälle betreffen die Geschlechtschromosomen, fast immer sind es Fälle mit Monosomie X; die autosomalen Trisomien 13, 18 und 21 machen ungefähr ein Drittel der Fälle aus, ⅕ seltene Chromosomenaberrationen oder Mosaike [9]. Diskordante submikroskopische Chromosomenaberrationen und monogene Erkrankungen können bei den in der Mehrzahl dizygoten DC Zwillingen, wesentlich seltener bei MC Zwillingen mit sonografisch nachweisbaren diskordanten Anomalien vorliegen [42,43]. Die Abortraten nach invasiver Diagnostik sind sowohl für die Chorionzottenbiopsie als auch für die Amniozentese höher als bei Einlingsschwangerschaften, zeigen aber keine signifikanten Unterschiede beider Methoden. Für die Chorionzottenbiopsie wurden Abortraten von 2,0 %–3,8 %, für die Amniozentese von 1,5 %–3,1 % berichtet [14]. In der neusten Metaanalyse hierzu waren die fetalen Verlustraten nach Chorionzottenbiopsie und Amniozentese deutlich geringer als in früheren Analysen und unterschieden sich innerhalb von vier Wochen nach einem Eingriff nicht vom Hintergrundrisiko bei Zwillingsschwangerschaften [44]. In einer Multicenterstudie im Rahmen des Ersttrimeteruntersuchun (11 + 0–13 + 6 SSW), darunter 316 DC und 129 MC Zwillingsschwangerschaften, in den eine Chorionzottenbiopsie erfolgte, konnte gezeigt werden, dass die Abortrate nach Chorionzottenbiopsie bei Zwillingen ungefähr doppelt so hoch wie bei Zwillingen ohne invasive Diagnostik ist, dass aber nach Adjustierung kein Unterschied zwischen beiden Gruppen mehr zu finden war; ausschließlich maternale und schwangerschaftsspezifische Faktoren, wie maternales Gewicht, Ethnizität, verdickte Nackentransparenz, niedriges PAPP-A, Monochorionizität und -amnionizität, waren für das höhere Abortrisiko nach CVS verantwortlich [44a]. Eine sehr bedeutsame Limitation all dieser Beobachtungsstudie und somit
24 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
auch der daraus abgeleiteten Metaanalysen ist, dass die erhöhte Abortrate in der Kontrollgruppe infolge unerkannter Aneuploidien einen negativen Effekt durch den Eingriff cachiert. In der Gruppe der im Ersttrimester-Aneuploidie-Screening auffälligen Zwillingsschwangerschaften ist die Verlustrate nach Amniozentese ebenfalls signifikant höher als bei Screen-negativen Schwangerschaften [45]. Keine unterschiedlichen Abortraten finden sich, wenn bei der Amniozentese beide Fruchthöhlen getrennt oder mit einer einzigen Nadelinsertion punktiert werden [46].
2.3.4 Nackentransparenzmessung Eine verdickte Nackentransparenz (NT) kann wie bei Einlingen Hinweis auf das Vorliegen chromosomaler Anomalien oder auch Fehlbildungen sein. Dies gilt auch für Mehrlingsschwangerschaften. Bei MC DA Zwillingen geht einer verdickte Nackentransparenz mit einem erhöhten Risiko des Auftretens eines TTTS, einer selektiven Wachstumsretardierung (sFGR) oder sogar den Tod eines oder beider Feten einhergehen, insbesondere bei einer Diskordanz der NT-Dicken ≥ 20 %. Dies scheint am ehesten Folge einer bereits früh vorliegenden hämodynamischen Imbalance zwischen den MC Zwillingen in diesen Schwangerschaften zu sein [47–50]. Differenziert man Zwillingsschwangerschaften mit Vorliegen einer verdickten Nackentransparenz einer oder beider Feten gemäß ihrer Chorionizität, so finden sich im Vergleich bei MC Schwangerschaften deutlich weniger Chromosomenanomalien als bei DC Schwangerschaften (3,7 % vs. 9,4 %), aber mehr Schwangerschaften mit Fehlbildungen (14,8 % vs. 2,9 %) und zwillingsspezifische Anomalien (TTTS, sIUGR, diskordante Zwillinge) (29,6 % vs. 8,8 %) [51]. In der schon oben erwähnten retrospektiven Studie von 6225 Zwillingsschwangerschaften (4896 [78,7 %] DC, 1274 [20,5 %] MC DA und 55 [0,95 %] MC DA Zwillingen) mit zwei vitalen Feten bei der Ersttrimesteruntersuchung (11+0–13+6 SSW) war die Inzidenz einer verdickten Nackentransparenz – nach Ausschluss der Schwangerschaften mit chromosomalen Anomalien, nicht-chromosomal bedingten schweren Anomalien („major anomalies“) sowie TRAP-Sequenz – bei MC DA Zwillingen signifikant höher als bei DC Zwillingen (10,4 % vs. 8,3 %), die von MC MA hingegen nicht signifikant höher (9,1 %) [21,50]. Bei Betrachtung der MC DA Gruppe zeigte sich, dass eine verdickte Nackentransparenz (NT ≥ 95. Perzentile) eines oder beider Feten bei 29 % der Schwangerschaften vorhanden war, die ein schweres TTTS (Laserbehandlung < 20 SSW. erforderlich) entwickelten (24/84 [28,6 %] MC DA Schwangerschaften), und bei 21 % der Schwangerschaften, bei denen der Tod eines oder beider Feten < 20 SSW eintrat (17/82 [20,7 %] MC DA Schwangerschaften); allerdings lagen die entsprechenden Falschpositiv-Raten bei 9,2 % bzw. 9,7 %. Auch wenn MC DA Schwangerschaften mit einer verdickten NT somit deutlich höhere Risiken bezüglich des Auftretens eines TTTS oder des Todes eines oder beider Feten aufweisen – für Laser oder Tod < 20 SSW kumulativ betrugen die positive Likelihood Ratio (LR) 5,69 (95 % CI: 3,15–10,26) und
2.3 Besonderheiten der detaillierten Ersttrimesteruntersuchung 25
die negative LR 0,89 (95 % CI: 0,84–0,95) –, eignet sich dieses Verfahren nicht, um bereits im ersten Trimester zwischen MC DA Schwangerschaften zu screenen und hiernach zu stratifizieren; die positiven und negativen Vorhersagewerte einer NT ≥ 95. Perzentile betrugen für ein < 20 SSW mittels Laser behandeltes TTTS 18,1 % bzw. 94,7 %, für den Tod eines Feten < 20 SSW 12,8 % bzw. 94,3 % und für eines dieser beiden Ereignisse 24,1 % bzw. 90,9 %; die positiven und negativen Vorhersagewerte einer NT ≥ 99. Perzentile betrugen für ein < 20 SSW mittels Laser behandeltes TTTS 28,6 % bzw. 94,2 %, für den Tod eines Feten < 20 SSW 23,8 % bzw. 94,2 % und für eines dieser beiden Ereignisse 40,5 % bzw. 90,3 % [50].
2.3.5 Größendiskordanz Auch eine ausgeprägte Größendiskordanz [51,52] zwischen beiden Feten während der Ersttrimesteruntersuchung mit 11+0–13+6 SSW ist mit erhöhten Risiken bezüglich Tod, Wachstumsrestriktion, Frühgeburt, perinatale Mortalität und Morbidität assoziiert, gilt aber als schwacher Prädiktor für einen ungünstigen Ausgang der Schwangerschaft [52,53]; im Gegensatz dazu ist einen Größendiskrepanz zwischen Embryonen in 7+0–9+6 SSW ein starker Prädiktor für ein Versterben des früh wachstumsrestringierten Embryo bzw. Feten [54]; bei einem Cut-off von ≥ 19 % Scheitelsteißlängendiskordanz betrugen für ein Versterben des Embryos die Sensitivität 87,4 % (95 % CI 79,7–92,9), die Spezifität 95,2 % (95 % CI 93,8–96,3), die positive LR 18,1 (95 % CI 14,0–23,4), die negative LR 0,1 (95 % CI 0,1–0,2), der positive Vorhersagewert (PPV) 62,0 % (95 % CI 53,7–69,4) und der negative Vorhersagewert (NPV) 98,8 % (95 % CI 98,0–99,4) (54). Bei MC Schwangerschaften besteht auch ein erhöhtes Risiko für ein TTTS und eine sFGR [49,52,53]. Je ausgeprägter die Diskrepanz der SSL zwischen den beiden Feten, desto wahrscheinlicher ist ein eingeschränktes (adverses) Outcome der Schwangerschaft. Im oben bereits beschriebenen Kollektiv von 6225 Zwillingsschwangerschaften wiesen 7,9 % der DC, 9,4 % der MC DA und 5,5 % der MC MA Zwillingen eine Diskrepanz ihrer Scheitel-Steiß-Längen (SSL) von ≥ 10 % auf, eine Diskrepanz von ≥ 15 % 1,5 %, 2,7 % bzw. 1,8 % und eine Diskrepanz von ≥ 20 % 0,6 %, 0,8 % bzw. 0 % [21]. Für DC und MC Schwangerschaften war das Risiko des fetalen Todes bei einer SSL-Diskrepanz von ≥ 10 % erhöht, sowohl < 20 SSW und < 24 SSW als auch perinatal ≥ 24 SSW, ebenso die Risiken einer Frühgeburt < 32 SSW und < 37 SSW, eines SGA-Feten und einer Gewichtsdiskrepanz bei Geburt ≥ 20 % und ≥ 25 %. Bei den MC Feten stieg auch das Risiko eines schweren TTTS und einer sFGR mit steigender Größendiskrepanz der Feten an. So betrug das Risiko eines schweren TTTS, welches MC DA Schwangerschaften allgemein um 10 % liegt, bei den Feten mit einer SSL-Diskrepanz von ≥ 10 %, ≥ 15 % und ≥ 20 % 32 %, 49 % und 70 % [21]. Allerdings sind weder die Nackentransparenzdicke noch die Größendiskrepanz der Zwillinge für ein Screening auf Komplikationen in DC und MC DA Schwangerschaften geeignet, da sie nicht ausreichend si-
26 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
cher das Risiko für die jeweiligen Komplikationen im weiteren Schwangerschaftsverlauf vorherzusagen [21,49,50,52,53,55]. In den relevanten Leitlinien und Empfehlungen wird daher von einem Screening bezüglich TTTS und sFGR in MC DA Schwangerschaften mittels NT- und SSL-Messung abgeraten [14,25,26].
2.3.6 Plazentare Nabelschnurinsertion Auch die Lokalisation der plazentaren Nabelschnurinsertion sollte während der Ersttrimesteruntersuchung gezielt bestimmt werden; so können eine Insertio velamentosa, ein marginaler Ansatz, Vasa praevia, ein Nabelschnuransatz in der Trennmembran sowie dort verlaufende fetale Gefäße früh entdeckt werden. Ein marginaler Ansatz kann im weiteren Verlauf der Schwangerschaft noch zu einer Insertio velamentosa werden. Bei MC DA Schwangerschaft sprechen eine Insertio velamentosa oder ein marginaler Ansatz pathophysiologisch für ungleiche Plazentaanteile und gehen mit einem höheren Risiko für eine selektive Wachstumsrestriktion (sFGR) und ein chronisches TTTS einher, verbunden mit Tod eines oder beider Feten, Frühgeburt und perinatale Mortalität [56,57], eignen sich aber nicht zur Vorhersage derartiger Komplikationen. Eng beieinanderliegende plazentare Nabelschnuransätze, teilweise schon mit gegenseitiger Umwicklung finden sich bei MC MA Schwangerschaften. Eine retrospektive Kohortenstudie von 941 Zwillingsschwangerschaften fand allerdings keine signifikanten Unterschiede für das Vorliegen einer Insertio velamentosa zwischen DC (46/788; 5,8 %) und MC DA (12/153; 7,8 %); bei Vorliegen einer Insertio velamentosa waren Vasa praevia und Placenta accreta gehäuft assoziiert, allerdings weder ein fetofetales Transfusionssyndrom, noch eine selektive Wachstumsrestriktion, noch eine interfetale Gewichtsdiskordanz (< 20 % oder < 25 %) bei MC DA Zwillingsschwangerschaften [58].
2.3.7 Prädiktion in Kombination mit früher Zweittrimesteruntersuchung In Kombination mit der Ersttrimesteruntersuchung kann eine weitere Untersuchung mit der 16. SSW bei MC Zwillingen durch weitere Hinweise, wie Diskrepanz in der Messung der Bauchumfänge sowie der Fruchtwassermenge, zu einer besseren Einschätzung der Risiken für ein TTTS und der Gesamtüberlebensrate führen [48].
2.3.8 Präeklampsie-Screening Gegenüber der Inzidenz der Präeklampsie (PE) in Einlingsschwangerschaften mit rund 2 % ist diese in DC Zwillingsschwangerschaften mit 8 % und in MC Zwillingsschwangerschaften mit 6 % 3,5-fach bzw. 2,6-fach höher; die Inzidenz der frühen PE
2.3 Besonderheiten der detaillierten Ersttrimesteruntersuchung 27
(< 34 SSW) betrug 0,6 %, 5,5 % und 5,8 % für Einlinge, DC bzw. MC Zwillinge, die relativen Risiken 8,7 für DC und 9,1 für MC Zwillinge. Aufgrund der hohen Rate von Frühgeburten < 37 SSW – spontan oder iatrogen –, die für DC Zwillinge rund 50 % und für MC Zwillinge rund 90 % beträgt, kommt in vielen Zwillingsschwangerschaften die Geburt dem Auftreten einer Präeklampsie-Symptomatik zuvor, auch wenn deren pathophysiologische Prozesse bereits wirken (s. Kap. 5.2). Unter Berücksichtigung dieser „hidden morbidity“ konnte in einer Modellberechnung (Competing risks model) gezeigt werden, dass, wenn kein anderer Grund zu Entbindung führen würde, Zwillingsschwangerschaften ein neunfach höheres Präeklampsie-Risiko haben als Einlingsschwangerschaften mit den gleichen Patienten-spezifischen Charakteristika (Alter, Gewicht, Länge Ethnizität, Parität, PE in vorheriger Schwangerschaft und Familienanamnese, chronische Hypertonie, Diabetes mellitus, systemischer Lupus erythematodes oder Antiphospholipid-Syndrom, Art der Konzeption und Abstand zur letzten Schwangerschaft) [59]. Dies würde bedeuten, dass das mittlere Schwangerschaftsalter bei Entbindung mit PE für DC Zwillinge 8 Wochen und für MC Zwillinge 10 Wochen vor dem für Einlingsschwangerschaften läge, letzteres in diesem Modell bei 55 SSW [59]. Unter der Annahme, dass kein anderer Grund zu Entbindung führe, lägen in diesem Modell die geschätzten Risiken für eine Entbindung mit PE < 37 SSW somit bei 0,6 % für Einlinge, bei 9,0 % für DC Zwillinge und bei 14,2 % für MC Zwillinge, für eine Entbindung mit PE < 42 SSW bei 3,6 %, 27,0 % bzw. 36,5 % [59]. Berechnet man allerdings die relativen maternalen oder kindlichen Risiken beim Auftreten einer PE, so erscheinen diese geringer bei Zwillings- im Vergleich zu Einlingsgravidität (s. Kap. 5.2). Dies hängt auch mit der unterschiedlichen Pathogenese einer PE und der erhöhten Rate einer Proteinurie ohne ernsten Hypertonus zusammen. Im Vergleich steht bei Einlingsschwangerschaften und früher PE und/oder einer fetalen Wachstumsrestriktion eine maternale/fetale plazentare Minderperfusion ganz im Vordergrund, die sich bei Mehrlingsschwangerschaften mit diesen Krankheitsbildern seltener nachweisen lässt. Plazentare Untersuchungen lassen vermuten, dass zusätzliche nicht-plazentare Faktoren für die Häufung der hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen (hypertensive disorders in pregnancy, HDP) und der fetalen Wachstumsrestriktion bei DC Zwillingsschwangerschaften verantwortlich sind [60,61], auch wenn die Assoziation von SGA-Feten und HDP für DC Zwillingsschwangerschaften gegeben ist [62], wobei das Vorliegen eines SGA-Feten bei Anwendung zwillingsspezifischer Wachstumskurven eine HDP deutlich besser vorhersagen konnte. So fehlen die klassischen Befunde einer maternalen und fetalen vaskulären Malperfusion, ein verringertes Plazentagewicht oder auch ein hypercoiling der Nabelschnur. In vielen Fällen scheint eine unzureichende maternale kardiovaskuläre Adaptation – die zunehmenden Anforderungen beider Feten können nicht mehr ausreichend erfüllt werden und es kommt zu einer kritischen plazentaren Hypoperfusion – die Ursache von SGA, FGR und HDP in Mehrlingsschwangerschaften zu sein, nicht aber die klassische, mit einer ungenügenden Trophoblastinvasion einhergehende Plazentainsuffizienz. Dies gilt insbesondere auch für MC Schwangerschaf-
28 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
ten, bei denen eine ungleiche Verteilung der Plazentaanteile, eine exzentrische (velamentöse oder marginale) Nabelschnurinsertion gehäuft mit einer Wachstumsrestriktion assoziiert sind; bei MC Zwillingsschwangerschaften ist das Auftreten einer HDP bzw. PE seltener als bei DC Zwillingsschwangerschaften, erklärlich durch ein früheres Gestationsalter bei Entbindung und durch ein geringeres zirkulierendes Blutvolumen bei MC Zwillingsschwangerschaften (single feto-placental unit), was eine bessere maternale Adaptation als bei DC Schwangerschaften (double feto-placental unit) erlaubt [62]. Daher sind die für Einlingsschwangerschaften entwickelten Modelle zur Prädiktion und Prävention hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen und fetaler Wachstumsrestriktion nicht einfach auf Zwillingsschwangerschaften zu übertragen (siehe auch Kap. 5.2). Dies gilt für das Doppler-Screening der Blutflussgeschwindigkeitsmuster in den Aa. uterinae im zweiten Trimester ebenso wie für das PE-Screening im ersten Trimester. Anhand der Anamnese lässt sich aber auch bei Zwillingsschwangerschaften ein Kollektiv selektieren, bei dem ein hohes PE-Risiko besteht. Im zweiten Trimester sind Dopplerindizes in den Aa. uterinae niedriger und die Häufigkeit eines Notching signifikant seltener als bei Einlingsschwangerschaften – ein bilaterales Notching bei 20 SSW ist nur bei ca. 5 % der Zwillings-, hingegen bei rund 15 % der Einlingsschwangerschaften vorhanden. Zwischen DC und MC Zwillingsschwangerschaften bestanden hierin keine Unterschiede [63,64]. Beim Einsatz Zwillings-spezifischer Referenzkurven sind die Vorhersagewerte dieses Screenings im zweiten Trimester deutlich niedriger als für Einlingsschwangerschaften [63,64]. Trotzdem finden sich Dopplerveränderungen in den Aa. uterinae bei Schwangerschaften mit pathologischem Outcome häufiger (positive LR zwischen 3,0 und 4,0) [63,64]. Gleiche Einschränkungen gelten auch für das PE-Screening im ersten Trimester. Die dabei genutzten Parameter (maternaler Charakteristika und maternaler Anamnese) sind auch für Zwillingsschwangerschaften gleichermaßen nutzbar: mittlerer Blutdruck, uteriner Doppler und PlGF zusätzlich zu den maternalen Parametern verbessern die Vorhersagewerte, nicht aber PAPP-A [65,66]. Bei Zwillingsschwangerschaften ohne spätere PE liegen auch in der frühen Schwangerschaft die MoM-Werte für den Pulsatility-Index (PI) in den Aa. uterinae niedriger als bei Einlingsschwangerschaften, für den mittleren Blutdruck und die Serumkonzentration von PlGF aber höher [65]. Bei einem Cut-off von 1:75 lagen die Entdeckungsraten dieses kombinierten Screenings für eine PE < 32, < 37 und < 42 SSW in Einlingsschwangerschaften bei 91 %, 77 % bzw. 57 % bei einer Screen-positiv-Rate von 13 %, in Zwillingsschwangerschaften bei 100 %, 99 % bzw. 97 %, allerdings bei einer Screen-positiv-Rate von 75 % [65]. In einer sekundären Datenanalyse von zwei prospektiven Multicenter-Studien konnten 1798 Zwillingsschwangerschaften, darunter 168 (9,3 %) mit PE ausgewertet werden. Im kombinierten Screening wurden bei einer Falsch-Positiv-Rate von jeweils 10 % von den Zwillingsmüttern mit PE und einem Entbindungszeitpunkt < 32 SSW 86,4 % und < 37 SSW 41,1 % entdeckt, durch die maternalen Faktoren allein nur 30,6 % bzw. 24,9 % [66].
2.4 Beurteilung des fetalen Wachstums 29
Studien bezüglich des Einsatzes von Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin®) zur Prävention von HDP haben in Zwillingsschwangerschaften keinen positiven Effekt gezeigt; eine Metaanalyse dieser Studien ergab paradoxerweise nur dann einen positiven Effekt, wenn die Gabe von ASS erst nach 16 SSW erfolgte, nicht aber, wenn bereits vor 16 SSW mit einer Behandlung begonnen wurde [67]. Eine kürzlich veröffentlichte retrospektive Studie zeigte zwar einen signifikant positiven Effekt einer früh beginnenden Gabe von 150 mg ASS/Tag gegenüber 75 mg ASS/Tag (1,8 % vs. 11,1 %) in einem Kollektiv von Zwillingsschwangeren mit weiteren Risiken bezüglich des Auftretens von PE und Schwangerschaftshypertonie, aber keinen signifikanten Unterschied zwischen der Gabe von 150 mg ASS/Tag und keiner ASS-Gabe [68]. Derzeit werden Mehrlingsschwangerschaften in allen Leitlinien als Schwangerschaften mit einem hohen (ACOG/USPTFS) oder moderatem (NICE) Risiko bezüglich des Auftretens einer PE eingestuft; daraus resultierend wird die abendliche Gabe von Low-dose Aspirin, möglichst vor 16 SSW beginnend, generell [69] oder nur bei einem weiteren moderaten Risikofaktor empfohlen [70]. In der AWMF-Leitlinie wird auf diese Thematik nicht eingegangen [14].
2.4 Beurteilung des fetalen Wachstums Zur Beurteilung des fetalen Wachstums werden die gleichen Parameter wie in Einlingsschwangerschaften genutzt; insbesondere sind dies der Bauchumfang, der Kopfumfang, die Femurlänge und/oder das hieraus ermittelte fetale Schätzgewicht. Wachstumskurven von Zwillingen zeigen gegenüber denen von Einlingen eine zwischen 30 und 32 SSW einsetzende Abflachung [71], die am ehesten einer relativen Plazentainsuffizienz geschuldet ist, so dass letztlich ein immer größerer Anteil der Zwillinge als wachstumsrestringiert zu klassifizieren ist. In einer Longitudinalstudie an DC Zwillingen waren bei Benutzung der Referenzwerte für Einlingsschwangerschaften mit 32 SSW 34 % und mit 35 SSW 35 % der DC Zwillinge als small for gestational age (SGA) einzustufen [71]. Da nicht davon auszugehen ist, dass Zwillinge genetisch vorgegeben ein geringeres Wachstumspotential als Einlinge haben, scheint es zur Überwachung von Zwillingsschwangerschaften sinnvoll, die Wachstumskurven von Einlingen zu verwenden, bei Abflachung des Wachstums bzw. Unterschreiten von Grenzwerten eine Wachstumsrestriktion zu diagnostizieren und entsprechende Konsequenzen, wie eine intensivierte Überwachung, zu ziehen. Der Grund hierfür ist, dass diese so als SGA klassifizierten Zwillingsfeten bereits eine erhöhte perinatale Mortalität und Morbidität aufweisen, wobei dies nur für MC nicht aber DC Zwillingsschwangerschaften zuzutreffen scheint. Andere Autoren befürworten den Einsatz von Zwillingswachstumskurven [72], da so ein signifikant geringer Anteil der Feten als SGA und somit der Schwangerschaften bereits als Risikoschwangerschaft eingestuft – ohne erhöhte Inzidenz eines fetalen Todes [73] – und Komplikationen, wie das Auftreten einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung, besser vorhergesagt [74,75] und so unnötige iatrogene Interventionen vermieden würden.
30 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
2.4.1 Größendiskordanz Neben dem fetalen Schätzgewicht, dem Abdomenumfang und der Abflachung der Wachstumskurve werden auch eine größere Wachstumsdiskrepanz zwischen den beiden Feten sowie Dopplerparameter für die Diagnose einer fetalen Wachstumsrestriktion bzw. uteroplazentaren Dysfunktion herangezogen [14,25,76]. Ein diskordantes Wachstum liegt vor, wenn das sonografisch ermittelte fetale Schätzgewicht der beiden Feten ≥ 15–25 %, ausgehend von dem Schätzgewicht des größeren Feten, differiert; meist wird eine Diskordanz von ≥ 20 % als Cut-off genutzt [14,24–27]. Als Kriterium für die Diagnose eines diskordanten Wachstums gilt auch eine absolute Differenz des Abdomenumfangs ≥ 20 mm (Abb. 2.6). Insgesamt steigen die Risiken mit zunehmender Diskordanz deutlich an; so war in der prospektiv angelegten STORK-Studie mit 302 MC und 1859 DC Zwillingsschwangerschaften die Wahrscheinlichkeit des Auftretens für perinatale Mortalität ≥ 26 SSW in einer Zwillingsschwangerschaft bei einer geschätzten Gewichtdiskordanz ≥ 25 % 7,28-fach (95 % CI: 4,46–11,92) höher als bei Zwillingen mit einer geringeren Diskordanz (65,8/1000 gegenüber 9,6/1000) [77]. In einer Metaanalyse stieg das Risiko einer Totgeburt bei DC Zwillingen bei einer Schätzgewichtsdiskordanz ≥ 15 % und bei MC Zwillingen bei einer Schätzgewichtsdiskordanz ≥ 20 % signifikant an (OR: 9,8; 95 % CI: 3,9–29,4 bzw. OR 2,8; 95 % CI: 1,3–5,8) [78]. Der Schwellenwert für die Vorhersage einer Totgeburt ändert sich mit dem Schwangerschaftsalter und liegt mit 28–30 SSW bei 48 % interfetale Schätzgewichtdiskordanz, mit 31–33+6 SSW bei 20 % und mit 34–36+6 SSW bei 14 % [79]. Das diskordante Wachstum bei DC und MC Zwillingen kann unterschiedliche Ursachen haben: Eine gestörte Trophoblastinversion, bei DZ Zwillingen ein unterschiedliches genetisches Wachstumspotential, bei MC Zwillingen unterschiedlich große Anteile an der gemeinsamen Plazenta und/oder Blutflussimbalance können zu einer Größendiskordanz führen. In diesem Zusammenhang könnte auch die Beob-
Abb. 2.6: Diskordante monochoriale diamniale Zwillinge bei 24+4 SSW: die Abdomenumfänge der beiden Feten sind stark diskrepant, die Schätzgewichte betrugen 730 g ± 10 % (48. Perzentile) bzw. 360 g ± 10 % (< 3. Perzentile).
2.4 Beurteilung des fetalen Wachstums 31
achtung interpretiert werden, dass bei diskordanten DC nicht aber bei diskordanten MC Zwillingen das Auftreten einer frühen und späten HDP signifikant erhöht ist (aOR: 1,84; 95 % CI: 1,26–2,67) [80].
2.4.2 Selektive fetale Wachstumsrestriktion Von einer selektiven fetalen Wachstumsrestriktion (sFGR) wird gesprochen, wenn das sonografisch ermittelte Schätzgewicht eines Feten < 10 Perzentile liegt und gleichzeitig eine interfetale Gewichtsdiskordanz von ≥ 25 % vorliegt [25]. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist die in einem Delphi-Verfahren erarbeitete modifizierte Definition sFGR bei Zwillingsschwangerschaften [76], die auch in der AWMF-Leitlinie zur Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften übernommen wurde [14,15]. Hiernach ist eine Wachstumsrestriktion immer gegeben, wenn das Schätzgewicht eines Feten < 3. Perzentile liegt, unabhängig von der Chorionizität; in dieser Konstellation ist ein pathologisches Outcome, auch bei Fehlen weiterer Parameter für eine uteroplazentare Dysfunktion, häufig. Ferner liegt eine sFGR vor, wenn bei DC Zwillingen 2 von den 3 Parametern – fetales Schätzgewicht < 10. Perzentile, Schätzgewichtdiskordanz ≥ 25 %, PI der A. umbilicalis des kleineren Feten > 95. Perzentile – und bei MC Zwillingen 2 von den 4 folgenden Parameter zutreffen – fetales Schätzgewicht < 10. Perzentile, Schätzgewichtdiskordanz ≥ 25 %, PI der A. umbilicalis des kleineren Feten > 95. Perzentile und Abdomenumfang < 10. Perzentile [76]. Einschränkend ist zu sagen, dass von einer sFGR nicht gesprochen werden sollte, wenn beispielsweise bei MC Zwillingen das fetale Schätzgewicht des kleineren Feten auf der 9. Perzentile, der Abdomenumfang auf der 7. Perzentile und diese beiden Parameter beim größeren Feten beide auf der 12. Perzentile liegen [76]. Ferner wird in dem erwähnten Delphi-Verfahren zwischen früher sFGR und später sFGR unterschieden. Bei DC Zwillingen spricht man von einer frühen sFGR bei Diagnose < 32 SSW, bei MC Zwillingen von einer frühen sFGR bei Diagnose < 24 SSW, da bei MC Zwillinge mit sFGR vor 24 SSW Interventionen, wie Laserablation plazentarer Anastomosen oder bipolare Nabelschnurokklusion, möglich sind, DC Zwillingsschwangerschaften mit sFGR hingegen wie Einlingsschwangerschaften betreut werden. Allerdings muss die Wertigkeit dieser Konsensus-Definition noch in prospektiven Studien geprüft werden; eine retrospektive Studie [81] zeigte, dass gegenüber den ISUOG-Kriterien von 2016 [76] bei Anwendung der neuen Kriterien [76] die Prävalenz von sFGR von 17,4 % auf 26,5 % anstieg, ohne dass die zusätzlich als sFGR klassifizierten Feten bzw. Schwangerschaften eine höhere fetale und neonatale Mortalität und Morbidität aufwiesen als die Gruppe der Nicht-sFGR [81]. In Anbetracht der Mess- bzw. Schätzungenauigkeiten einerseits und der hohen Risiken andererseits, empfiehlt es sich, alle Zwillingsschwangerschaften mit einem Schätzgewicht und/oder einem Abdomenumfang < 10. Perzentile und/oder einer Wachstumsdiskordanz ≥ 20 % einer engmaschigen Kontrolle des Wachstums und ei-
32 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
ner intensivierten fetalen Überwachung zuzuführen [24]. Basierend auf diesen teilweise unterschiedlichen Studienergebnissen und aufgrund der Unsicherheit der sonografischen fetalen Gewichtsschätzung sollte die Schätzgewichtsdiskrepanz nicht allein, sondern nur in Kombination mit Chorionizität, Schwangerschaftsalter, Dopplerbefunden und mütterlichen Risiken Grundlage klinischer Entscheidungen sein.
2.5 Überwachung fetaler Wachstumsrestriktion bei dichorialen Gemini Die Überwachung und das Management einer fetalen Wachtsumsrestriktion bei DC Zwillingsschwangerschaften entspricht dem Vorgehen bei Einlingsschwangerschaften und umfasst Dopplersonographie, Wachstumskontrollen, biophysikalisches Profil und Kardiotokografie; Häufigkeit und Ausmaß sind individuell der jeweiligen Situation anzupassen. Eine sFGR ist bei 10–15 %, eine Wachstumsrestriktion beider Feten bei 1–2 % der DC Zwillingsschwangerschaften zu beobachten. In einer Analyse von 1053 DC Schwangerschaften kam es bei 8,4 % zu einer frühen sFGR vor 32 SSW, bei 3,3 % zu einer späten FGR [82]. Eine Zunahme der Wachstumsrestriktion oder eine Verschlechterung des fetalen Zustands war bei 40 % des frühen sFGR und bei 26 % der späten sFGR zu beobachten, wobei das Progressionsintervall bei früher sFGR deutlich länger war (5 Wochen vs. 1 Woche). Die perinatale Mortalität bei früher sFGR betrug 24/1000 Geburten, bei später sFGR 16/1000 Geburten [82].
2.6 Angeborene Fehlbildungen Neben den auch bei Einlingen anzutreffenden Fehlbildungen gibt es bei Zwillingen spezifische Anomalien. Dies sind: 1. Conjoined twins (siamesische Zwillinge), 2. Disruptionen infolge vaskulärer Ereignisse bei Vorliegen plazentarer Anastomosen, die mit akuten Blutverschiebungen bzw. einer Hypotension und Ischämie einhergehen, insbesondere nach dem Tod eines Feten, wie Mikrozephalie, periventrikuläre Leukomalazie, Porenzephalie, Hydrozephalie, intestinale Atresien, renale Dysplasie und Reduktionsdefekte an den Extremitäten – dieser Pathomechanismus kann auch einer TRAP-Sequenz zugrunde liegen – und 3. Deformationen, wohl infolge Platzmangels, wie Fußfehlstellungen, Hüftdysplasie und Schädelasymmetrie. Das Auftreten von Fehlbildungen scheint bei dizygoten Zwillingen für jeden der Feten 2 %–3 % und somit nicht höher als bei einem Einling zu sein. Anders ist dies bei monozygoten Zwillingen, bei denen für jeden Feten das Risiko des Auftretens von strukturellen Anomalien 2- bis 3-fach höher ist als für einen Einling, auch nach Aus-
2.6 Angeborene Fehlbildungen 33
(a)
(b)
(c)
Abb. 2.7: Monochoriale diamniale Zwillinge bei 19+4 SSW, von denen der eine Zwilling keine, der andere eine Anenzephalie und eine Cantrell’sche Pentalogie aufwies. (a) Darstellung der Anenzephalie und der Cantrell’schen Pentalogie. (b) Das extrathorakal, frei im Fruchtwasser flottierende Herz (Ectopia cordis) mit einer Fallot’schen Tetralogie mit Überreiten der Aorta ist im zweidimensionalen Bild und (c) im Farbdoppler dargestellt.
34 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
(d)
(e)
Abb. 2.7: (Fortsetzung). (d) Darstellung des supraumbilikalen Bauchwandbruches im Querschnitt (rechte Bildhälfte) und (e) der normalen Bauchwand des Co-Zwillings mit 27+3 SSW und oben links im Bild der Ectopia cordis des Co-Zwillings. Mit 30+6 SSW erfolgte bei unhemmbaren Wehen eine Sectio caesarea; das fehlgebildete Neugeborene verstarb in der ersten Lebensminute, das gesunde Neugeborene (Geburtsgewicht: 1480 g) wies ein gutes Outcome auf.
schluss der Zwillings-spezifischen Anomalien (TRAP-Sequenz, siamesische Zwillinge). Nur 15–20 % der strukturellen Fehlbildungen treten bei Monozygotie konkordant auf (Abb. 2.7). Erhöht sind die Risiken für Neuralrohrdefekte, Hirnfehlbildungen, vordere Bauchwanddefekte, gastrointestinale Anomalien und Herzfehler [14,25]; zusätzlich zu den genetisch und nicht-genetisch bedingten Fehlbildungen kann es bei Monochorionizität wohl über sehr frühe hämodynamische Imbalancen zu Disruptionen kommen. Das Risiko einer Fehlbildung liegt bei monozygoten DC Schwangerschaften bei 1:25, bei MC DA Schwangerschaften bei 1:15 und bei MC MA Schwangerschaften bei 1:6 [14]. Heutzutage wird für Einlinge, für Zwillinge aber noch mehr, eine möglichst umfangreiche Fehlbildungsausschlussdiagnostik bereits in der Frühschwangerschaft (Ersttrimester-Anomalie-Scan) gefordert, bis hin zu einer fetalen Echokardiografie [14,30,83–85], zumindest der Darstellung des Vier-Kammer-Blicks und des Drei-Gefäßblicks mittels B-Bild und Farbdoppler, um auch schwere nicht-chromosomal bedingte Anomalien eines oder beider Feten früh zu diagnostizieren. Erfolgt dies im Rahmen des kombinierten Ersttrimester-Screenings (11+0–13+6 SSW), so sind – wie allgemein bei der sonografischen Diagnostik – die Ergebnisse stark von dem Umfang der Untersuchung, der Qualität der eingesetzten Geräte und Schallköpfe, dem Gestationsalter, den Untersuchungsbedingungen, dem Einsatz einer transvaginalen Untersuchung und einer kurzfristigen erneuten Untersuchung bei primär inkompletter Untersuchung und nicht zuletzt von der Erfahrung und der Ausdauer des Untersuchers abhängig. Die Entdeckungsraten gleichen denen von Einlingsschwangerschaften; dies gilt auch bezüglich der Einteilung in sicher, teilweise und nicht im Rahmen der Ersttrimesteruntersuchung nachweisbare Anomalien. So lassen sich Akranie, alobare Holoprosenzepha-
2.6 Angeborene Fehlbildungen 35
lie, Enzephalozele, Cantrell’sche Pentalogie, Omphalozele, Body-stalk Anomalie, TRAP Sequenz und Conjoined twins (siamesische Zwillinge) sicher diagnostizieren, LUTO (Lower urinary tract obstruction), Herzfehler, Gastroschisis, Kloakenfehlbildungen und Skelettanomalien teilweise, andere Fehlbildungen aber nicht. Strukturelle Anomalien finden sich bei MC Zwillingen häufiger als bei DC Zwillingen, in einer großen retrospektiven Studie bei 2,3 % der MC und bei 1,3 % der DC Zwillingsschwangerschaften [86]. Die Entdeckungsrate war bei dem MC Feten höher als bei den DC Feten (52,6 % vs. 27,1 %), hauptsächlich auf die leicht nachweisbaren MC-spezifischen Fehlbildungen der TRAP-Sequenz und der siamesischen Zwillinge zurückzuführen, die 24 % der Defekte der MC Zwillinge ausmachten, sowie auf das häufigere Auftreten gut nachweisbarer Anomalien, wie Akranie, Body-stalk-Anomalie, Omphalozele und LUTO bei den MC Zwillingen [86]. Bei den Schwangerschaften mit strukturellen Fehlbildungen fanden sich sowohl eine größere Diskrepanz der Größen (SSL) zwischen den beiden Feten als auch eine höhere Inzidenz einer verdickten Nackentransparenz, sowohl bei DC als auch bei MC Zwillingsschwangerschaften (Tab. 2.3). Tab. 2.3: Inzidenz struktureller Fehlbildungen und deren Assoziation mit einer verdickten Nackentransparenz (NT) oder einer diskordanten Scheitel-Steiß-Länge (SSL), 6366 DC und MC Zwillingsschwangerschaften zwischen 11+0 und 13+6 SSW, modifiziert nach Syngelaki et al. 2020 [86]. NT ≥ 95. Perzentile
NT ≥ 99. Perzentile
SSL Diskordanz ≥ 10 %
SSL Diskordanz ≥ 15 %
DC
MC
DC
DC
DC
keine Fehlbildung
441/9825 (4,5 %)
160/2696 (5,9 %)
96/9825 53/2696 384/4850 123/1316 (1,0 %) (2,0 %) (7,9 %) (9,3 %)
92/4850 37/1316 (1,9 %) (2,8 %)
Fehlbildung
22/133 (16,5 %)
15/78 (19,2 %)
11/133 (8,3 %)
13/129 (10,1 %)
MC
12/78 (15,4 %)
26/129 (20,2 %)
MC
24/71 (33,8 %)
MC
20/71 (28,2 %)
Allerdings eignen sich weder SSL-Diskrepanzen (Cut-off bei ≥ 10 % oder ≥ 15 %) noch die fetale Nackentransparenz (Cut-off bei ≥ 95. oder ≥ 99. Perzentile) aufgrund unzureichender Vorhersagewerte für ein Screening nach strukturellen Fehlbildungen des Feten [86]. Dies wurde zuvor auch bereits in einem systematischen Review festgestellt [87]. Im zweiten Trimester sollte auch bei allen Zwillingen unabhängig von der Diagnostik im ersten Trimester ein detaillierter Ultraschall zum Ausschluss von Fehlbildungen erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Entdeckungsrate für Fehlbildungen rund 20 %–30 % höher als im ersten Trimester [31,88]. Aufgrund der erhöhten Prävalenz von Herzfehlbildungen bei monozygoten Zwillingen sollte in dieser Gruppe auch eine fetale Echokardiografie erfolgen [83,85,89]. In der Praxis soll diese Untersuchung bei
36 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
allen Zwillingsschwangerschaften unabhängig von den Eihautverhältnissen durchgeführt werden; man sollte wissen, dass rund 10 % der DC Zwillinge monozygot sind. Siamesische Zwillinge kommen nur bei MC MA Zwillingsschwangerschaft vor. Deren Prävalenz beträgt 1:50.000 bis 1:100.000 aller Geburten (Abb. 2.8). 60 % der Conjoined twins versterben spontan in utero; nach früher Diagnose im Rahmen der Ersttrimesteruntersuchung werden fast alle betroffenen Schwangerschaften abgebrochen [86]. Unterschieden werden Thorakopagus (40 %), Omphalopagus (33 %), Pyopagus (19 %), Ischiopagus (6 %) und Craniopagus (2 %), inklusive Diprosopus. Die Angaben über Häufigkeit, Geschlechtsverteilung und Outcome variieren aufgrund der kleinen Fallzahlen, verschiedener intrauteriner Todesraten bei den unterschiedlichen Fehlbildungen, unterschiedlicher Ultraschallscreening-Programme und Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs [90,91]. Mittels B-mode-, 3D/4D- und Dopplersonographie, Echokardiografie und MRT kann das Ausmaß
(a)
(b)
Abb. 2.8: Conjoined twin in Form eines Cephalopagus (Verschmelzung von Kopf bis Umbilicus) mit zwei Herzen, die ihr Blut in eine gemeinsame thorakoabdominale Aorta leiteten, einer Nabelschnur mit vier Gefäßen, und 8 Extremitäten. (a) Darstellung der anatomischen Situation des Cephalopagus mit gemeinsamem Kopf, Hirn und Gesicht (2 Augen, 1 Nase) und 2 Wirbelsäulen bei 13+4 SSW; (b) gleicher Fet mit 16+5 SSW mit zwei getrennten Herzen.
2.7 Selektiver Fetozid und intrauteriner Tod eines Zwillings 37
(c)
(d)
Abb. 2.8: (Fortsetzung). (c) Beide Herzen werfen ihr Blut in eine gemeinsame thorakoabdominale Aorta aus; (d) Darstellung des gemeinsamen Gehirns und Gesichtes (2 Augen, 1 Nase) bei 21+0 SSW. Es handelte sich um eine MC DA Drillingsschwangerschaft – die Conjoined twins in einer Amnionhöhle, der dritte Fet in einer zweiten Amnionhöhle. Mit 21+0 SSW zeigte sich ein TTTS-TOPS Quintero Grad III mit einer Polyhydramnie (AFI: 10,6 cm), Kardiomegalie und holosystolischer Trikuspidalinsuffizienz des nicht fehlgebildeten Akzeptorfeten; bei 21+6 SSW erfolgte eine bipolare Nabelschnurokklusion (cord clamping) beim siamesischen Donorfeten. Der weitere Schwangerschaftsverlauf war unauffällig; bei 38 SSW kam es zur Spontangeburt eines Jungen von 3000 g.
der Fehlbildung bereits antenatal evaluiert werden. In Einzelfällen können Trennungen postnatal erfolgreich durchgeführt werden. Diese Operationen sollten aufgrund des perinatal erforderlichen komplexen multidisziplinären Vorgehens nur wenigen Zentren mit entsprechender Expertise vorbehalten sein [92].
2.7 Selektiver Fetozid und intrauteriner Tod eines Zwillings Bei Vorliegen schwerer Anomalien eines der beiden Feten besteht die Möglichkeit abwartend vorzugehen, postnatal eine Palliativversorgung durchzuführen oder auch die medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch durch einen selektiven Fetozid mit den Eltern zu besprechen. Bei DC Zwillingsschwangerschaften kann
38 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
dieser mittels Injektion von Kaliumchlorid in die V. umbilicalis oder intrakardial erfolgen. Dies ist bei MC Schwangerschaften aufgrund der plazentaren Anastomosen nicht möglich. Neben diskordanten Anomalien sind bei MC Schwangerschaften auch ein TTTS, eine sFGR, eine TAPS sowie eine TRAP-Sequenz mögliche Indikationen zu einem selektiven Fetozid. Dabei kommen eine intrafetale Laserkoagulation in der Frühschwangerschaft, bei fortgeschrittener Gravidität die bipolare Koagulation der Nabelschnur, die intrafetale Radiofrequenzablation, die intrafetale Mikrowellenablation und in der Spätschwangerschaft auch die fetoskopische Ligatur der Nabelschnur infrage [93–102]. Bei MC MA Schwangerschaften sollte zudem die Nabelschnur durchtrennt werden, um eine spätere Strangulation des überlebenden Feten zu vermeiden [95,103–105]. Bei DC Zwillingen steigt das Risiko von Spätabort und Frühgeburt für den überlebenden Feten mit dem Schwangerschaftsalter der Behandlung; daher sollten die Eingriffe möglichst früh in der Schwangerschaft durchgeführt werden [106] – dies unterstreicht auch die Bedeutung einer detaillierten frühen Diagnostik – oder man entscheidet sich – sofern die gesetzlichen Vorgaben es erlauben – für einen Spätabbruch zwischen 32 und 34 SSW, um die negativen Auswirkungen einer nachfolgenden Frühgeburt zu reduzieren [107]; dies ist aber mit noch höheren psychischen Belastungen für die Eltern verbunden (s. Kap. 9.1). Die fetalen Verlustraten werden mit 5,4 %, 8,7 %, 6,8 % und 9,1 % für Eingriffe zwischen 9 und 12 SSW, 13 und 18 SSW, 19 und 24 SSW bzw. ≥ 25 SSW angegeben [108]. In einer aktuellen Studie von nicht-selektivem und selektiven Fetoziden von Zwillings- zu Einlingsschwangerschaften zwischen 10–14 SSW (n = 172) und 15–23 SSW (n = 76) war das Gestationsalter bei Geburt ähnlich (im Mittel 38–39 SSW); der Anteil von Frühgeburten < 37 SSW, < 34 SSW und < 32 SSW war bei früher Reduktion aber signifikant geringer als bei später Reduktion, nämlich 14,0 % vs. 28 %, 1,8 % vs. 12,0 % bzw. 1,8 % vs. 8,0 %. Dementsprechend lag die neonatale Gesamtmorbidität (definiert als Atemnotsyndrom, Sepsis, nekrotisierende Enterokolitis, Hirnblutung, Erfordernis einer Atemunterstützung und neonataler Tod) in der Gruppe mit früher Reduktion bei 2,9 %, in der mit später Reduktion bei 10,7 % [106]. Bei MC Schwangerschaften ist bei allen Verfahren das Risiko einer stärkeren Blutverschiebung des überlebenden Feten in das plazentare Gefäßbett des Co-Zwillings gegeben. Besonders in frühen Schwangerschaften kommt es so häufig zum Tod des zunächst überlebenden Zwillings an den ersten beiden Tagen nach Eingriff oder bei Überleben infolge einer transienten kritischen Hypotonie und Ischämie zu zerebralen oder nephrologischen Organschäden. So verstarben bald nach interstitieller Laserkoagulation zwischen 11+0 und 14+3 SSW 28/61 (46 %) der primär überlebenden MC Co-Zwillinge auch [109]. Später in der Schwangerschaft nimmt die Zahl der Todesfälle beim überlebenden Zwilling ab – im dritten Trimester liegt sie zwischen 10 % und 20 % [110]. In Schwangerschaften mit TRAP-Sequenz liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit nach Fetozid des parasitären Zwillings bei > 90 % und somit signifikant höher als bei diesem Eingriff in MC DA Schwangerschaften mit TTTS, sFGR
2.7 Selektiver Fetozid und intrauteriner Tod eines Zwillings 39
oder diskordanten Anomalien im gleichen Zeitraum der Schwangerschaft [111,112]. Wie bei spontanem Tod eines Feten bei MC Schwangerschaft kann es auch nach selektivem Fetozid zu schweren neurologischen Schäden und Entwicklungsstörungen kommen [95,113], allerdings seltener als nach spontanem Tod eines Zwillings; hierbei traten bei 20 %–25 % der überlebenden Co-Zwillinge neurologische Schädigungen auf [114–118]. Bei Nachweis einer fetalen Anämie nach dem Tod des Co-Zwillings sind neurologische Befunde in der Mehrzahl der Fälle bereits im weiteren Schwangerschaftsverlauf mittels Neurosonographie und MRT nachzuweisen [118]. In Einzelfällen mag eine sehr engmaschige Überwachung der Blutflussgeschwindigkeiten und der kardialen Füllung an den ersten beiden Tagen nach einem selektiven Fetozid eine Anämie sowie eine verminderte kardiale Füllung, ggf. mit einer Tachykardie, frühzeitig erkennen. Dann ist eine notfallmäßige Erythrozytentransfusion indiziert, um das Outcome zu verbessern. Auf alle Fälle sollte eine fetale Neurosonographie, ggf. auch ein MRT, 4–6 Wochen nach selektivem Fetozid erfolgen, um Folgen einer zerebralen Schädigung beim überlebenden Zwilling zu erkennen [95,113]. Bei MC MA Zwillingsschwangerschaften ist nach Fetozid mit intrafetalem Laser oder bipolarer Nabelschnurokklusion auch eine Nabelschnurdissektion zu empfehlen, da es zur Strangulation der Nabelschnur des überlebenden Zwillings auch noch Wochen nach dem Eingriff kommen kann [103,104]. Dies gilt auch, wenn es bei MC DA Zwillingschwangerschaften im Rahmen des selektiven Fetozids zu einer iatrogenen Monoamnionizität gekommen ist [119]. Höhergradige Mehrlingsschwangerschaften treten zumeist als Komplikation bei assistierter Reproduktion auf und führen zu einem signifikanten Anstieg der fetalen und maternalen Morbidität und Mortalität. Unstrittig ist, dass eine – nichtselektive – Reduktion im ersten Trimester, möglichst < 12 SSW, bei Vierlings-, Fünflingsund noch höhergradigeren Mehrlingsschwangerschaften deren Risiken drastisch senkt und daher medizinisch indiziert ist. Hierbei werden sonografisch gesteuert 2– 3 ml Kaliumchlorid intrathorakal, möglichst intrakardial injiziert. In der Regel erfolgt die Reduktion bei denjenigen Feten, die technisch am einfachsten zu punktieren sind. Finden sich bei einem Feten Auffälligkeiten, wie ein Nacken- oder Hautödem oder eine frühe Wachstumsreduktion, so wird dieser Mehrling bevorzugt reduziert; bei Vorliegen einer höhergradigen Mehrlingsschwangerschaft mit einem MC Paar empfiehlt es sich aufgrund der damit verbundenen höheren Komplikationsraten dieses Paar zu reduzieren. Reduziert wird in der Regel auf eine Zwillings- oder Einlingsschwangerschaft, da die Risiken eines Verlustes ≤ 24 SSW und einer frühen Frühgeburt ≤ 28 SSW bei Reduktion auf Drillinge 20 % bzw. 6,5 %, bei Reduktion auf Zwillinge 9 % bzw. 4 % und auf einen Einling 9 % bzw. 1,6 % betragen [120]; das mittlere Gestationsalter bei Geburt nach Reduktion auf Drillinge lag bei 30,0 SSW, auf Zwillinge bei 35,2 SSW und auf einen Einling bei 38,0 SSW [121]. Entscheidenden Einfluss auf die Abortrate nach Reduktion hat zudem die Ausgangszahl der Feten; so lag an einem Zentrum mit über 1000 derartigen Eingriffen die Gesamtabortrate ≤ 24
40 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
SSW bei 4,7 %; sie betrug 11 % bei initial ≥ 5 Feten, 5,5 % bei 4 Feten, 5,1 % bei 3 Feten und 2,1 % bei 2 Feten [121]. Alternativ kann auch eine frühe sonografisch gesteuerte transvaginale Aspiration eines Embryos über eine 18 Gauge Nadel zwischen 6 und 8 SSW bei einer höhergradigen Mehrlingsschwangerschaft erfolgen, mit ebenfalls geringem Abortrisiko [122], auch im Vergleich zu einer Reduktion zwischen 10 und 14 SSW (6,0 % vs. 0,8 %), sofern hierbei die unterschiedlichen Spontanabortraten berücksichtigt werden [123]. Hingegen lässt sich bei trichorialen (TC) Drillingsschwangerschaften eine medizinische Indikation aus den vorliegenden Studienergebnissen nicht klar ableiten, da sich die Baby Take Home-Rate bei Spontanverlauf und nach Reduktion gleichen: Einerseits verdoppelt sich nach Reduktion die Abortrate < 24 SSW (bei spontanem Verlauf im Mittel 4,7 %, bei Reduktion auf Zwillingen 7,4 % und auf einen Einling 11,5 %), andererseits werden die Frühgeburtsrate (die Frühgeburtsrate < 32/33 SSW beträgt bei spontanem Verlauf im Mittel 31 %, nach Reduktion auf Zwillingen 13,3 % und auf einen Einling 8,7 %) und die damit verbundene Morbidität und Mortalität reduziert [124–126]. Dichoriale (DC) und erst recht MC Drillinge haben aufgrund der zusätzlichen Risiken einer MC Schwangerschaft ein höheres Risiko als TC Drillinge [124,126,127]. In einer Literaturübersicht lag bei exspektativem Vorgehen das Gesamtüberleben von Feten bei 141 DC Drillingsschwangerschaft bei 73,5 % [126]. Die Reduktion einer DC TA Drillingsschwangerschaft scheint aufgrund der Datenlage medizinisch indiziert, da in dieser Konstellation das Outcome bei Reduktion zu MC DA Zwillingsschwangerschaft besser und bei Reduktion des monochorialen Paares zu einer Einlingsschwangerschaft noch besser ist [128]. Sofern bei einer DC Drillingsschwangerschaft eine Reduktion erfolgt, werden daher meist das MC Paar reduziert; wird hierbei nur einer der beiden MC Feten reduziert, kommt es in den ersten Tagen nach dem Eingriff in rund 50 % der Fälle auch zum Tod des MC Co-Zwillings und möglicherweise auch bei Überleben zu hypoxisch-ischämischen Läsionen [109]. Die Reduktion von Zwillingen auf einen Einling wird hingegen selten durchgeführt und aus medizinischen und ethischen Erwägungen von vielen Zentren abgelehnt oder nur in besonderen Einzelfällen bei hohen maternalen Risiken, wie vorbestehenden Erkrankungen, uterinen Fehlbildungen und hohem maternalem Alter, durchgeführt [129–132].
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 2.8.1 Feto-fetales Transfusions-Syndrom Bei rund 10 %–15 % der MC DA Schwangerschaften kommt es zum Auftreten eines chronischen TTTS, und zwar in Form einer TOPS (twin oligohydramnios-polyhydramnios sequence). Der Zeitpunkt des Auftretens liegt in der Regel zwischen 18 SSW und
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften
41
24 SSW, zu einem frühen TTTS mit Auftreten vor 18 SSW kommt es in rund 15 % der Fälle, selten sind auch ein sehr frühes (< 16 SSW) oder sehr spätes Auftreten (> 26 SSW) möglich. Ursächlich ist eine Imbalance des interfetalen Blutaustausches über die bei einer MC Plazenta vorhandenen vaskulären Anastomosen zwischen den Kreisläufen beider Feten, die zu einem gerichteten dauerhaften Netto-Flüssigkeitstransfer von dem Donor-Feten zum Akzeptor-Feten führt. Dies kommt dann zustande, wenn zwar unbalancierte tiefe arterio-venöse (AV) Anastomosen – ein Kotyledon bzw. dessen Kapillare werden arteriell von einem Feten gespeist und venös zum anderen Feten hin drainiert – vorhanden sind, aber kompensatorisch wirkende arterio-arterieller (AA) Anastomosen oder kontralateraler AV Anastomosen fehlen [133]; die Bedeutung venovenöser (VV) Anastomosen ist in diesem Kontext noch unklar, auch wenn sie bei MC Schwangerschaften mit TTTS häufiger als bei MC Schwangerschaften ohne TTTS anzutreffen sind (20 % vs. 10 %) und im Falle eines TTTS mit einer höheren perinatalen Mortalität (15 % vs. 10 %) einhergehen [134]. Der chronische Donor-Fet ist hypovolämisch, der Akzeptor-Fet hypervolämisch. Neben den hämodynamischen Besonderheiten kommt es insbesondere als Reaktion auf die Hypovolämie zur Aktivierung der Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) beim Donor-Feten, wobei Angiotensin II auch beim Akzeptor-Feten einzuwirken scheint. Beim Akzeptor-Feten sind zudem Endothelin-I und natriuretrische Peptide erhöht, was zu arterieller Vasokonstriktion bzw. Polyurie führt. Der Donor-Fet entwickelt eine Oligurie mit Oligohydramnion, der Akzeptor-Fet eine Polyurie und Polyhydramnion. Der Donor-Fet zeigt zudem häufig ein geringeres Wachstum als der Akzeptor-Fet bis hin zu einer sFGR (sFGR), ein Befund, der bei rund ⅔ der MC DA Schwangerschaften mit TTTS anzutreffen ist. Der AkzeptorFet wird durch die chronische Hypervolämie und konsekutive arterielle Hypertonie zunehmend kardial belastet, entwickelt eine Kardiomyopathie und schließlich eine kongestive Herzinsuffizienz mit Wasserakkumulationen in verschiedenen Kompartimenten (Hydrops fetalis) einschließlich der Plazenta. Echokardiografisch lassen sich beim Akzeptor-Feten in den Quintero-Stadien I und II [135] zunächst eine Beeinträchtigung der linksventrikulären Funktion und erst in den Stadien III und IV eine rechtsventrikuläre Funktionseinschränkung nachweisen. Dies ist wahrscheinlich die Folge eines bereits früh einsetzenden kritischen Anstiegs der kardialen Nachlast (afterload) durch vasoaktive neuroendokrine Faktoren und einer erst später eintretenden kritischen Volumenbelastung (preload) [136]. Unbehandelt weist das chronische TTTS im zweiten Trimester eine Letalität der Feten von bis zu 95 % auf (Spätabort, intrauteriner Tod, Frühgeburt mit neonatalem Tod), bei den Überlebenden zudem eine hohe Kurz- und Langzeitmorbidität von über 50 %, wobei vorwiegend die neurologische Entwicklung betroffen ist. Hingegen ist nach Laserkoagulation heutzutage ein Überleben beider Feten in 70 % und mindestens eines Feten in über 90 % zu erwarten. Die Diagnose des chronischen TTTS basiert auf dem Nachweis eines TOPS bei MC DA Zwillingen, d. h. einer Oligohydramnie und kleiner Harnblase des einen Feten und gleichzeitigem Nachweis einer Polyhydramnie und einer großen Blase des anderen Feten. Eine Oligohydramnie wird als gegeben angesehen, wenn unabhängig
42 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
(a)
(b)
Abb. 2.9: TTTS-TOPS Quintero Grad III bei MC DA Zwillingen (24+0 SSW), aufgenommen bei Wehentätigkeit unter Tokolyse mit Zervixverkürzung auf 25 mm. Der Akzeptor-Fet (Schätzgewicht: 645 g ± 10 %; 60. Perzentile) wies eine sehr schwere Polyhydramnie auf (tiefste vertikale Tasche: 20,8 cm; AFI: 80,3 cm), ferner eine schwere Kardiomegalie (CTAR: 0,60) und einen pulsatilen D. venosus (PIV: 1,50), der stark wachstumsrestringierte Donor-Fet (Schätzgewicht: 383 g ± 10 %; < 3. Perzentile) zeigte als „stuck twin“ keine Blasenfüllung. Notfallmäßig erfolgte eine Amniondrainage (7 l) und Laserablation der plazentaren Anastomosen; jedoch kam es in den Stunden danach zum Versterben des AkzeptorFeten und intrapartal auch des Donor-Feten.
von Schwangerschaftsalter die maximale (tiefste) vertikale Fruchtwassertasche (MVP) < 2 cm beträgt, eine Polyhydramnie, wenn die maximale vertikale Tasche (MVP) vor der 20. SSW ≥ 8 cm und ab 20+0 SSW ≥ 10 cm; vor 18 SSW kann bereits bei einer MVP ≥ 6 cm eine Polyhydramnie diagnostiziert werden (Abb. 2.9). Bei rund 60 % der Schwangerschaften mit einem TTTS besteht bereits bei Diagnose eine sFGR (fetales Schätzgewicht < 10. Perzentile und/oder Gewichtsdiskordanz < 25 %) des Donor-Feten als Folge einer ungleichen Zuteilung der Plazentaanteile; ein TTTS mit sFGR ist mit einem höheren Quintero-Stadium – häufig QuinteroStadium III aufgrund eines fehlenden enddiastolischen Blutflusses in der A. umbilicalis des Donor-Feten – und einem schlechteren Outcome aufgrund des häufigeren Versterbens des Donor-Feten nach Laserablation der plazentaren Anastomosen assoziiert [137]. Das Ausmaß der Gewichtsdiskordanz korreliert mit dem Outcome; doch selbst bei einer sehr großen Gewichtsdiskordanz von > 45 % liegt die Überlebensrate des Donor-Feten nach Laserablation noch über 60 % [138].
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 43
Weltweit wird zur Beschreibung des Schweregrades eines TTTS die Stadieneinteilung von Quintero genutzt, die auf Ultraschallbefunden (nicht gefüllte Blase, Doppler-Veränderungen, Hydrops, Tod eines Feten) basiert [135] (Tab. 2.4). Tab. 2.4: Stadieneinteilung des chronischen TTTS nach Quintero et al. 1999 [135]. Stadium Poly-/Oligohydramnie- HarnblasenfülSequenz (Fruchtwaslung des Donor serindex vor 20 SSW nicht darstellbar ≥ 8 cm bzw. ≤ 2 cm; ab 20+0 SSW ≥ 10 cm bzw. ≤ 2 cm)
Abnormaler Doppler bei einem oder beiden Feten (UA-AREDF, DVAREDF, pulsatiles UV-Flussmuster)
Hydrops Tod eines fetalis bei der Feten einem der Feten
I
+
–
–
–
–
II
+
+
–
–
–
III
+
(+)
+
–
–
IV
+
(+)
(+)
+
–
V
(+)
(+)
(+)
(+)
+
Erläuterungen: + = vorhanden, (+) = in der Mehrzahl der Fälle vorhanden; – = nicht vorhanden; UA-AREDF = absent or reverse end-diastolic flow in der A. umbilicalis; DV-AREDF = absent or reverse end-diastolic flow im Ductus venosus; UV = V. umbilicalis.
Allerdings spiegelt sie die Schwere eines TTTS nicht exakt wider, da weitere wichtige Parameter, wie kardiale Funktion des Akzeptor-Feten und Ausmaß der sFGR des Donor-Feten nicht erfasst werden, nicht immer alle Stadien durchlaufen werden und außerdem der Erfolg einer Laserablation nicht gut vorhergesagt werden kann. Es kann aber auch bereits ein TTTS Quintero-Stadium III vorliegen, ohne dass die Kriterien des TTTS Quintero-Stadium II vorhanden sind, d. h. auch dann, wenn die Blase des Donor-Feten noch gefüllt ist; in diesen Schwangerschaften sind gehäuft arterioarterielle Anastomosen anzutreffen und das Risiko des intrauterinen Todes ist höher als im klassischen Quintero-Stadium III mit leerer Blase des Donor-Feten [139]. Andere Stadieneinteilungen wurden vorgeschlagen, wie solche, die die kardiovaskuläre Funktion erfassen [140–142], haben sich aber bisher nicht durchsetzen können, da sie teilweise umfangreiche und auch teilweise komplexe Messungen erfordern, andererseits zu keinen verbesserten Aussagen bezüglich des Outcome führen [143]. Mit den neuen sensitiven Techniken der Echokardiografie, Tissue Doppler und Speckle tracking lässt sich häufig schon im Quintero-Stadium I eine diastolische und systolische Dysfunktion nachweisen [143], was in Zukunft möglicherweise dazu führen könnte, Nachteile der Quintero-Klassifikation zu überwinden [136,144,145].
44 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
(a)
(b)
(c)
Abb. 2.10: TTTS-TOPS Quintero-Stadium I bei MC DA Zwillingen (18+3 SSW). (a) Der Akzeptor-Fet (Schätzgewicht: 240 g ± 10 %; 61. Perzentile) zeigte eine Polyhydramnie (tiefste vertikale Tasche: 11,1 cm) und normale DopplerIndizes in (b) A. umbilicalis, A. cerebri media und D. venosus; der wachstumsrestringierte Donor-Fet (Schätzgewicht: 144 g ± 10 %; 33. Perzentile) zeigte (c) bei nachweisbarer Harnblasenfüllung eine Oligohydramnie (tiefste vertikale Tasche: 1,6 cm).
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften
(d)
(e)
45
Abb. 2.10: (Fortsetzung). (d) eine stark erhöhte Pulsatilität in der A. umbilicalis mit noch positivem enddiastolischen Fluss (PEDF), (e) an anderer Stelle der Nabelschnur auch einen enddiastolischen Nullfluss (AEDF). Die Doppler-Indizes in A. cerebri media und Ductus venosus beider Feten waren normal, die MCA-PSV bei beiden Feten erhöht (MCA-PSV beider Feten: 47 cm/s; MoM: 1,96). Es erfolgten zunächst weitere Kontrolluntersuchungen, nach 24+3 SSW eine Laserablation der plazentaren Anastomosen, da mit 24+1 SSW beim Donor (Schätzgewicht: 314 g ± 10 %; < 3. Perzentile) ein reverser enddiastolischer Fluss festgestellt wurde bei Oligohydramnie (größte vertikale Tasche: 1,0 cm), aber noch gefüllter Harnblase; der AkzeptorFet (Schätzgewicht: 722 g ± 10 %; 60. Perzentile) zeigte eine Polyhydramnie. Aufgrund eines HELLP-Syndroms erfolgte mit 27+4 SSW eine Sectio caesarea; die Geburtsgewichte der beiden Kinder betrugen 1050 g und 380 g.
46 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
(a)
(b)
(c)
Abb. 2.11: TTTS-TOPS Quintero-Stadium IV mit zusätzlicher TAPS-Komponente bei MC DA Zwillingen mit 23+4 SSW. (a) Der Akzeptor-Fet (Schätzgewicht: 630 g ± 10 %; 58. Perzentile) wies einen Hydrops fetalis (Aszites, generalisiertes Hautödem) auf, eine dilatative Kardiomegalie (CTAR: 0,59) mit holosystolischer Trikuspidalinsuffizienz, eine erhöhte Pulsatilität im D. venosus (PIV: 1,21) bei normalen Doppler-Indizes in A. umbilicalis und (b) A. cerebri media (die MCA-PSV betrug 41 cm/s (MoM: 1,35) sowie (c) eine Polyhydramnie (tiefste vertikale Tasche: 10,8 cm), ferner eine Insertio velamentosa.
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften
(d)
(e)
(f)
47
Abb. 2.11: (Fortsetzung). (d und e) Bei der Neurosonographie zeigten sich zudem multiple periventrikuläre Echogenitätsanreicherungen beidseits; (f) der Donor-Fet (Schätzgewicht: 643 g ± 10 %; 58. Perzentile) zeigte ebenfalls einen leichten Hydrops fetalis (geringer Aszites, leichte bilaterale Hydrothoraxe), eine dilatative Kardiomegalie (CTAR: 0,57) und (f) eine leichte Oligohydramnie (tiefste vertikale Tasche: 2,5 cm), normale Doppler-Indizes in A. umbilicalis, A. cerebri media und D. venosus; die MCA-PSV war mit 60 cm/s (MoM: 1,98) erhöht. Noch am gleichen Tag erfolgte eine diagnostische (u. a. zum Ausschluss einer Parvovirus B19- und CMV-Infektion) und therapeutische Nabelvenenpunktion beim Donor-Feten, die eine leichte Anämie (Hb: 9,0 g/dl) ergab, mit nachfolgender Transfusion von 15 ml 0 Rh-negativem Erythrozytenkonzentrat (End-Hb: 11,8 g/dl); ein Tag später fand nicht, wie zunächst geplant, eine Laserablation der plazentaren Anastomosen statt, sondern in enger Absprache mit den Eltern eine bipolare Nabelschnurokklusion bei dem Feten mit den Zeichen einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie. Bei 32+5 SSW erfolgte nach frühem vorzeitigem Blasensprung mittels Sectio caesarea die Geburt eines sich nachfolgend gut entwickelnden Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von 2380 g.
48 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
Die Therapie des TTTS-TOPS erfolgt heutzutage mittels Laserablation der plazentaren Anastomosen, mit der die Pathophysiologie des TTTS unterbrochen werden kann. Dieses Operationsverfahren ist mittlerweile gut standardisiert [146,147]. Zum Einsatz kommen überwiegend Dioden- oder Nd:Yag-Laserquellen. Eine Laserkoagulation der plazentaren Anastomosen erlaubt bei 60 %–70 % der betroffenen Schwangerschaften (Quintero-Stadien ≥ II) das Überleben beider Kinder, bei mittlerweile 80 %–90 % das von zumindest einem Kind [14]; auch die Frühgeburtsrate wird hierdurch gesenkt und das neurologische Kurz- und Langzeit-Outcome gebessert; sie ist der seriellen Amnionreduktion signifikant überlegen [148,149]. Initial wurden alle die amniale Trennmembran kreuzenden Gefäße nichtselektiv koaguliert, wobei auch nicht anastomosierende Gefäße zerstört wurden mit kritischer Reduktion der vaskulären Plazentabereiche. Die selektive Koagulation nur der interfetal anastomosierenden Gefäße führt zu einem Erhalt größerer individueller plazentarer Territorien und steigert die Überlebensrate [146,147,150]. Die sequenzielle selektive Koagulation soll das Risiko einer Hypotension beim Donor-Feten reduzieren (Koagulation der AV Anastomose zuerst, dann der AA und VV Anastomosen; nicht geklärt ist, ob es besser wäre, die AA vor den VV Anastomosen zu koagulieren oder in umgekehrter Reihenfolge) [151,152]. Gelegentlich ist es allerdings schwierig, den vaskulären Äquator vollständig einzusehen, wenn er partiell unterhalb des Donor-Feten liegt; in diesen Fällen wird teilweise selektiv, teilweise nichtselektiv koaguliert. Heutzutage erfolgt die Laserkoagulation mittels Solomon Technik – (sequentielle) selektive Koagulation der plazentaren Anastomosen gefolgt von der Koagulation des gesamten vaskulären Äquators –, um auch kleinste vaskuläre Anastomose zu erfassen; hiernach ist das Auftreten einer TAPS gegenüber der rein selektiven Laserablation signifikant seltener (3 % vs. 16 % bei rein selektiver Koagulation), ebenso das Widerauftreten eines TTTS (1 % vs. 7 %) [153]. Bei schwerer Polyhydramnie erfolgt nach Abschluss der Laserablation eine Amniondrainage. Ob die Salomon-Technik zu einem vermehrten Auftreten einer Abruptio placentae [154] oder eines frühen vorzeitigen Blasensprungs führt [155], ist ungeklärt. Nach erfolgreicher Laserablation der plazentaren Anastomosen kommt es innerhalb von Stunden zu sonografisch, Doppler-sonografisch und echokardiografisch nachweisbaren Veränderungen: Beim Donor-Feten zu Harnblasenfüllung, Zunahme der Fruchtwassermenge, Wiederauftreten eines positiven enddiastolischen Flusses, kurzfristiger Zunahme der Pulsatilität im Bereich des Ductus venosus, sehr selten auch Auftreten eines reversiblen Hydrops, beim Akzeptor-Feten zu einer Besserung der kardialen Funktionsparameter, Abnahme der Pulsatilität in der A. umbilicalis, im längeren Zeitraum auch Rückbildung von Hydrops, Polyhydramnie, rechtsventrikulärer Dysfunktion und AV-Klappeninsuffizienzen.
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 49
Tab. 2.5: Metaanalyse von 2699 MC DA Schwangerschaften mit TTTS: Die Schwangerschaften im Stadium I wurden exspektativ (24,5 %; 112/457), mittels Laserkoagulation (62,4 %; 285/457) oder mittels Amnioreduktion (13,1 %; 60/457) behandelt, die in den Stadien II, III und IV fast ausschließlich mittels Laserkoagulation und im Stadium V exspektativ (in Klammern stehen die zugehörigen 95 % Konfidenzintervalle), modifiziert nach Di Mascio et al. 2020 [157]). Stadium I
Stadium II
Stadium III
Stadium IV
Stadium V
Anzahl (n = 2699 Schwangerschaften)
610; 22,6 %
692; 25,6 %
1146; 42,5 %
247; 9,2 %
9; 0,1 %
Überleben eines Feten
17,5 % (14,4–20,9; 95/560 Fällen)
22,4 % (17,6–27,7; 123/590 Fällen)
35,0 % ( 29,3–40,8; 341/1040 Fällen)
27,7 % 54,6 % (21,9–33,9; (24,8–82,6; 55/205 Fällen) 5/9 Fällen)
Überleben beider Feten
70,0 % (65,4–74,4; 396/560 Fällen)
66,4 % (52.6–69,9; 391/590 Fällen)
45,4 % (38,2–52,7; 534/1040 Fällen)
53,7 % (40,2–66,8; 117/205 Fällen)
Überleben mindestens eines Feten
86,9 % (84,0–89,7; 456/522 Fällen)
85 % (79,1–90,1; 514/590 Fällen)
84,1 % (79,2–89,6; 875/1040 Fällen)
82,8 % (73,6–90,4; 172/205 Fällen)
54,6 % (24,8–82,6; 5/9 Fällen)
kein überlebendes Kind
11,8 % (8,4–15,8; 69/564 Fällen)
15 % (9,9–20,9; 76/590 Fällen)
18,6 % (14,2–23,4; 165/1040 Fällen)
17,2 % (9,6–26,4; 33/205 Fällen)
45,4 % (17,4–75,2; 4/9 Fällen)
mittleres Gestationsalter bei Laserablation
20,3 SSW
20,2 SSW
21,4 SSW
mittleres Gestations- 31,1 SSW alter bei Geburt (29,9–32,2)
31,4 SSW (29,5–33.3)
31,4 SSW (30,0–32,7)
29,9 SSW (28,5–31,4)
Frühgeburt < 32 SSW
27,1 % (13,9–42,8)
42,8 % (29,4–56,9)
53,3 % (36,1–70,2)
59,9 % (37,9–80,0)
neurologische Morbidität
1,5 % (0,02–5,1)
5,2 % (0,3–15,4)
6,7 % (2,9–12,1)
5,9 % (1.6–13,0)
26,1 SSW (24,4–28,5) (4 Fälle)
Die nur symptomatisch wirkende Amnionreduktion, die meist repetitiv erfolgen muss, wird nur noch in Ausnahmesituationen durchgeführt. Ein TTTS-TOPS mit einem Quintero-Stadium II–IV gilt als Indikation zur Laserkoagulation. Nicht bewiesen ist der Vorteil einer Laserkoagulation im Stadium I, bei dem es in 27 % der Schwangerschaften zu einer Progression in ein höheres Stadium kommt [156]. Derzeit erfolgt
50 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
im Quintero-Stadium I nicht nur bei Progression in ein höheres Stadium, sondern gelegentlich auch bei Zunahme der Polyhydramnie, relevanten maternalen Beschwerden und fortschreitender Verkürzung der Cervix uteri eine Laserkoagulation oder Amnioreduktion. In einer Metaanalyse von Fällen mit TTTS-TOPS Quintero-Stadium I betrug beim exspektativen Management das Gesamtüberleben 79 % (95 % CI: 62– 92), das Überleben beider Kinder 70 % (95 % CI: 54–84) und das von mindestens einem Kind 87 % (95 % CI: 69–98) und war besser als in den Gruppen mit Laserkoagulation oder Amnioreduktion [157]. In der neusten Metaanalyse hierzu zeigte im Stadium I die Amnioreduktion eine leicht höhere Überlebensrate als die Laserkoagulation und das exspektative Management (Tab. 2.5) [157]. Mittlerweile liegen hierzu die Ergebnisse einer randomisierten Multicenter-Studie vor, die nach 7 Jahren und Einschluss von 117 (geplant waren 200) Schwangerschaften mit Diagnose eines TTTS-TOPS Quintero-Stadium I zwischen 16 und 26 SSW wegen schleppender Rekrutierung abgebrochen wurde [158]. Bei sechsmonatiger Nachbeobachtung zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen einem exspektativen Management und einer sofortigen Laserablation; intaktes Überleben und schwere neurologische Morbidität betrugen 77 % (84/109) bzw. 4,6 % (5/109) bei zunächst abwartendem Vorgehen und 78 % (89/114) bzw. 2,6 % (3/114) bei sofortiger Laserablation nach Diagnose des TTTS; allerdings blieben in der exspektativ behandelten Gruppe nur 41 % (24/58) Schwangerschaften stabil – in dieser Gruppe betrug das intakte Überleben beider Feten 86 % (36/44) –, während bei 60 % der primär exspektativ behandelten Schwangerschaften bei Fortschreiten der Symptomatik sekundär eine Laserablation erforderlich wurde; das intakte Überleben in dieser Untergruppe betrug zwar nur 71 %, war damit aber nicht signifikant geringer als in der Gruppe mit sofortiger Laserablation [158]. Im seltenen Fall des Auftretens eines akuten TTTS-TOPS Stadium II–IV nach 26 SSW scheinen Laserablation und serielle Amniondrainage bezüglich des Überlebens gleichwertig, allerdings mit einer geringeren neonatalen Mortalität und Morbidität nach Laserablation [159–162]. Im Rahmen des TTTS kann es im weiteren Schwangerschaftsverlauf auch nach Laserkoagulation zu diversen Komplikationen kommen. In 10 %–30 % der Fälle kommt es zum Tod eines Feten, meist in den ersten Tagen nach Laserkoagulation – bedingt durch eine ungleiche Plazentaverteilung, eine kardiale Dekompensation aufgrund der akuten Kreislaufveränderungen im Rahmen der Laserablation oder auch aufgrund einer akuten Kreislaufbelastung nach unvollständiger Laserablation der Anastomosen. Häufiger verstirbt der Donor-Fet mit sFGR und/ oder mit pathologischem UA-AREDF. Eine selektive und noch mehr eine sequenziell selektive Laserkoagulation senken gegenüber einer nichtselektiven Laserkoagulation dieses Risiko. In einer Metaanalyse von fünf Studien konnte gezeigt werden, dass innerhalb 24 Stunden nach Laserablation 12 % der Donor-Feten und 8 % der AkzeptorFeten verstarben, innerhalb 1 Woche nach Eingriff waren es 17 % bzw. 15 % und bis zur Geburt 23 % bzw. 17 % [163]. Von den präoperativen Parametern waren für den
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 51
Tod des Donor-Feten ein AREDF in der A. umbilicalis und eine AREDF im Ductus venosus prädiktiv, für den Tod des Akzeptor-Feten ARDEF in der A. umbilicalis, AREDF im Ductus venosus und eine systolischen Spitzengeschwindigkeit in der A. cerebri media > 1,5 MoM [163]. Die Wertigkeit echokardiographisch zu ermittelnder Funktionsparameter, wie für den rechtsventrikülären MPI des Akzeptor-Feten beschrieben [164], lässt sich anhand der unzureichenden Studienlage nicht beurteilen [163]. Eine unvollständige Laserkoagulation der Anastomosen kann auch ein Fortbestehen oder Wiederauftreten eines TTTS-TOPS zu Folge haben. Insbesondere wenn kleine AV-Anastomosen verbleiben, kann dies zu einer TAPS (s. u.) führen, deren Häufigkeit durch die komplette Dichorialisierung mittels Solomon-Technik deutlich (16 % vs. 3 %) reduziert werden kann [153]. Eine chorioamniotische Separation ist sonografisch in bis zu 20 % der Fälle nachzuweisen und mit einem erhöhten Risiko eines frühen vorzeitigen Blasensprungs (PPROM) und einer Frühgeburt mit entsprechender Mortalität, Kurz- und Langzeitmorbidität assoziiert [164a]. Die Wahrscheinlichkeit eines PPROM steigt linear jede Woche nach dem Lasereingriff um rund 2 %, so dass beispielsweise kumulativ 5 Wochen nach Eingriff bei rund 10 % der Schwangerschaften ein PPROM zu verzeichnen ist [155]. Anders ist es bei Lasereingriffen < 17 SSW, bei denen es innerhalb der ersten Woche nach Eingriff bereits bei rund 10 % der Schwangerschaften zu einem PPROM kommt, gefolgt von einem Spätabort in 60 % dieser Fälle; hiernach zeigen die verbliebenen < 17 SSW laserabladierten Schwangerschaften den zweiprozentigen wöchentlichen Anstieg der PPROM-Rate [155]. In einer Subgruppenanalyse von 13 Studien zum frühen TTTSTOPS (< 16 SSW), das ungefähr 14,3 % (95 % CI 11,9–17,0) der TTTS-Fälle ausmachte, zeigte sich eine deutlich höhere Rate von perinataler Mortalität (43,9 % [95 % CI 5,9–87,7] bei exspektativem Management, 47,3 % [95 % CI 21,4–70,0] bei Laserablation und 28,5 % bei denen mit Amnionreduktion) und auch Morbidität als bei Manifestation ab 16 SSW zu beobachten [165]. Die Inzidenz des intrauterinen Todes bei frühem TTTS betrug 19,0 % (95 % CI 2,6–45,5) bei exspektativem Management, 32,4 % (95 % CI 16,5–50,7) nach Laserablation und 12,5 % (95 % CI 4,8–23,0) nach Amnionreduktion; allerdings weisen die Autoren der Metaanalyse darauf hin, dass diese Daten aus sehr kleinen Studien gewonnen wurden und einem hohen Risiko der Stichprobenverzerrung unterliegen [165]. In einer retrospektiven Analyse von 414 TTTS Fällen, darunter 68 (16,4 %) mit einer Laserablation < 18 SSW zeigten sich gegenüber Fällen mit Laserablation ≥ 18 SSW keine erhöhten Raten von Frühgeburt, PPROM und neonatalem Überleben bei längerem Intervall zwischen Laserablation und Geburt (Median: 107 vs. 69 Tage) [165a]. Ein PPROM ist nicht selten von einer Frühgeburt gefolgt; in einer Studie hierzu betrug bei PPROM < 20+0, 20+1–24+0, 24+1–28+0, 28+1–32+0 und < 32+0 SSW das mittlere Intervall zwischen PPROM und Entbindung 7 Wochen, 4 Wochen, 2 Wochen, 1 Woche bzw. 2 Tage [155].
52 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
Eine wesentlich bessere Prognose als ein PPROM hat ein transientes Leakage, das als postoperativer uteriner Flüssigkeitsabgang nach fetoskopischer Laserablation bei rund 2 % der Fälle eintritt [166]. Eine Chorioamnionitis ist bei rund 5 % der Schwangerschaften nach Laserablation zu beobachten, bei rund ⅔ der Fälle nach PPROM [14]. In rund 2 % der MC-Schwangerschaften mit TTTS kommt es nach dem Lasereingriff zu einer Amnionband-Sequenz (post-procedural amniotic band disruption sequence, PABDS) mit Abschnürungen an der unteren und seltener auch oberen Extremitäten mit konsekutivem Stauungsödem bis hin zu Amputation von Zehen, bei Einschnürungen der Nabelschnur auch zum Tod des betroffenen Feten; Risikofaktoren sind eine zu einem sehr frühen Schwangerschaftsalter durchgeführte Laserablation sowie eine sonografisch darstellbare chorioamniotische Separation [167]. Eine versehentliche Septotomie geht mit einer höheren Rate an PPROM und Frühgeburten < 32 SSW einher [167a]. Weit seltener ist die Membranruptur, die zum Bild einer pseudo-monoamnialen Zwillingsschwangerschaft führt [12,119], selten gefolgt von einer fatalen Umschlingung der beiden Nabelschnüre [119]. Selten sind erst nach Laserablation eintretende Nekrosen von Haut, Gewebe und Knochen im Bereich der Extremitäten (Zehen, Fuß, Unterschenkel, selten auch noch den Oberschenkel involvierend (< 0,5 %). Diese ischämisch bedingten Nekrosen können aber auch bereits vor Laserablation und bei MC Schwangerschaften ohne jegliches TTTS auftreten [168,169]. Als Ursache werden eine schwere transiente Hypotension, ein Mechanismus, der im Rahmen des TTTS und/oder nach Tod eines MC Zwillings, seltener auch bei ansonsten unkomplizierten MC Zwillingsschwangerschaften wirksam sein kann, aber auch eine Polyzythämie und eine Vasokonstriktion postuliert [168,169]. Bei den im Rahmen eines TTTS auftretenden Fällen ist fast immer nur eine Extremität betroffen, und zwar zumeist eine untere Extremität; zu 80 % tritt diese Schädigung beim Akzeptor-Feten auf [169], möglicherweise begünstigt durch eine Polyzythämie und/oder eine periphere Vasokonstriktion beim Akzeptor-Feten. Auch Darmnekrosen gefolgt von einer Darmatresie wurden bei MC Zwillingsschwangerschaften in Einzelfällen beschrieben [170]. Hingegen sind Verbrennungen bei Laserungen sehr selten, da diese unter Sicht und mit sehr kurzen Impulsen relativ geringer Energien durchgeführt werden; die wenigen heilen wohl zumeist bereits intrauterin. Nach Geburt wurden sie extrem selten beschrieben; sie ähneln einer Aplasia cutis congenita, aber ohne Ulzerationen oder Nekrosen und vernarben ohne Retraktionen oder Kontrakturen [171]. Schwere maternale Komplikationen im Rahmen einer fetoskopischen Laserablation sind mit rund 1 %–3 % selten. Beschrieben wurden Abruptio placentae, Fruchtwasserembolie, revisionsbedürftige Blutungen aus der Uteruswand, postoperativ einsetzende respiratorischen Insuffizienz, Dehiszenz im Bereich der uterinen Einstichstelle [172–174]. Auch ein maternales Mirror-Syndrom kann selten ein TTTS komplizieren (s. Kap. 5.5). Ferner wurden maternal stärkere hämodynamische Schwankungen mit Flüssigkeitsverschiebungen sowie u. a. auch verminderte Konzentrationen
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 53
von Hämoglobin und Fibrinogen sowie ein passagerer Anstieg der der D-Dimere beobachtet [175]. Zudem haben die Diagnose eines TTTS als ein psychologisch traumatisches Ereignis und die nachfolgende Behandlung signifikante Auswirkungen, wie eine gestörte pränatale Bindungsentwicklung, einen hohen Angstlevel und eine, teilweise postpartal weiterbestehende, posttraumatische Belastungsstörung [176]. Blutverschiebungen vor und nach Laserablation oder Auftreten eines TAPS, Wiederauftreten des TTTS, Frühgeburtlichkeit und auch schwere sFGR beeinflussen die neurologische Entwicklung der Kinder nach TTTS negativ. Zerebrale Anomalien in Form ischämischer und hämorrhagischer Läsionen finden sich bei ehemaligen Donor-, aber auch Akzeptor-Feten, in eine Studie 5 % nach Laserablation, 14 % nach repetitiver Amniondrainage und 12 % nach exspektativem Vorgehen [177]. Bereits pränatal ließen sich bei 2,1 % (22/1023) der Feten ischämisch-hämorrhagische Läsionen nachweisen; in 83 % wurden diese neurosonografisch, in 17 % der Fälle nur durch eine MRT bei 30–32 SSW diagnostiziert [178]. Entwicklungsverzögerungen sind bei bis zu 15 % der überlebenden Kinder zu beobachten [179], bei 9 % handelt es sich um schwere Entwicklungsstörungen [180]. Eine Metaanalyse von 9 Studien untersuchte Überlebende nach Laserablation bei TTTS und zeigte nach Beendigung des zweiten Lebensjahres neurologische Entwicklungsstörungen bei 14 %; dabei hatten 8,4 % der Kinder kognitive, 11 % motorische, 16,5 % kommunikative Defizite und 5,7 % eine Zerebralparese. Diese Ergebnisse waren jedoch noch signifikant besser als nach Amnionreduktion und exspektativem Vorgehen [181]. Allerdings sind bei 7 % der MC Zwillingen auch nach unkomplizierten Schwangerschaftsverlauf neurologische Auffälligkeiten im Alter von 2 Jahren nachweisbar [182]. In einer dänischen Studie fanden sich bei 3,1 % der unkomplizierten MC Zwillingsschwangerschaften schwere neurologische Entwicklungsstörungen, bei denen mit TTTS in 10,5 % nach Laserablation und in 5,3 % nach selektivem Fetozid mittels Nabelschnurokklusion [183]. Risikofaktoren für das Auftreten neurologischer Entwicklungsstörungen waren neben den bereits genannten ein hohes Schwangerschaftsalter bei Laserablation (< 24 SSW), ein höheres Quintero-Stadium, ein geringeres Schwangerschaftsalter bei Geburt und ein geringeres Geburtsgewicht [179]. Seit den ersten Beobachtungsstudien hat sich die Technik der plazentaren Laserablation deutlich verbessert, ebenso Überlebensrate und neurologisches Outcome der Kinder. In einer 2-Jahres-Nachbeobachtungsstudie von 232 der 258 überlebenden Kindern, bei denen in Leiden in den Jahren 2011 bis 2014 während der Schwangerschaft eine Laserablation bei TTTS-TOPS erfolgte – 309 (76 %) von 408 behandelten Feten überlebten –, zeigten nur noch 3 % (7/241) der Kinder schwere neurologische Entwicklungsstörungen und nur 2 % (4/58) eine Zerebralparese; rund 50 % der Kinder mit einer schweren neurologischen Entwicklungsstörung wurde ≥ 32 SSW geboren und nur rund 40 % von ihnen zeigten postnatal neurosonografisch zerebrale Läsionen [184]. Auch systolische und diastolische Herzfunktion sowie kardiales Remodelling, insbesondere beim Akzeptor-Feten der Quintero-Stadien III und IV zu beobachten, sind nach erfolgreicher Laserablation bereits in utero partiell oder komplett reversibel
54 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
[136,145], können aber auch postnatal noch relevant sein und eine differenzierte kardiovaskuläre Therapie erfordern. Mit zunehmendem Alter der Kinder normalisiert sich in der Regel die kardiale Funktion, sowohl die des ehemaligen Akzeptor-Feten als auch die des ehemaligen Donor-Feten [185,186]. Beim Akzeptor-Feten können zudem – meist erst im Stadium III und IV – hämodynamisch bedeutsame Obstruktionen des rechtsventrikulären Ausflusstrakts auftreten, die teilweise auch postnatal bestehen bleiben und einer kardialen Intervention bedürfen, und zwar bei rund 3 % der ehemaligen Akzeptor-Feten in der Neonatalzeit [186,187]; die rechtsventrikuläre Hypertrophie führt zu infundibulären Einengungen, aber auch zu valvulärer Pulmonalstenose und Pulmonalatresie; intrauterin kann zudem eine schwere rechtsventrikuläre Dysfunktion mit Trikuspidalinsuffizienz zu einer funktionellen Pulmonalatresie sowie auch einer Pulmonalinsuffizienz mit kontinuierlichem Links-Rechts-Shunt über den Ductus arteriosus (circular shunt physiology) führen, wobei all diese Veränderung sich nach erfolgreicher Laserablation mehr oder weniger vollständig zurückbilden können [186–188].
2.8.2 Anämie-Polyzythämie Sequenz Eine weitere Komplikation MC Mehrlingsschwangerschaften stellt die Twin anemiapolycythemia sequence (TAPS; Zwillings-Anämie-Polyzythämie Sequenz) dar. Hierbei kommt es über kleinste (< 1 mm) unidirektionale arterio-venöse Anastomosen – bei insgesamt geringerer Zahl und Durchmesser von Anastomosen, insbesondere der arterio-arteriellen Anastomosen [133,189] – zu größeren Hämoglobinkonzentrationsdifferenzen zwischen beiden Feten mit einer Anämie des Donor-Feten und einer Polyzythämie des Akzeptor-Feten [190], fast immer ohne die Symptome des klassischen TTTSTOPS. Eine TAPS kann bei 3 %–5 % der monochorialen Zwillinge spontan aufzutreten, zumeist in der zweiten Schwangerschaftshälfte, und bei 12 %–16 % Zwillingen postoperativ nach Laserablation bei TTTS-TOPS; letzterer kann durch die Solomon-Technik (Solomonisation der Plazenta; eine wirkliche Dichorialisation wird im Rahmen einer Laserablation in der Regel nicht erreicht; zwar werden Chorionplatte und die darunter liegenden Zottenareale zerstört werden, aber nur bis < 3 mm Tiefe, so dass die tiefer liegenden Anteile der Kotyledone und möglicherweise auch tiefe Anastomosen nicht devitalisiert werden) deutlich reduziert werden, in einer randomisierten Studie von 16 % auf 3 % [153]. Selten kann eine TAPS auch in ein TTTS-TOPS übergehen [191]. Hinweiszeichen auf eine TAPS können das Auftreten einer Polyhydramnie und/ oder Zeichen einer kardialen Dysfunktion bei einem der MC Feten sein. Die Diagnose der TAPS wird durch die Doppler-sonografische Messung der systolischen Spitzengeschwindigkeit in der A. cerebri media (MCA-PSV) gestellt, und zwar traditionell beim kombinierten Vorliegen sowohl einer MCA-PSV ≥ 1,5 MoM beim Donor-Feten (Sensitivität für eine Anämie des Donor-Feten von 94 % bei einer Spezifität von 74 %) und als auch einer MCA-PSV ≤ 1,0 MoM bei Akzeptor-Feten (Sensitivität für die Polyzythämie des Akzeptor-Feten von 97 % bei einer Spezifität von 96 %) (Tab. 2.6) [190,193]; die in-
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 55
terfetale Differenz der systolischen Spitzengeschwindigkeiten in der A. cerebri media – Δ MCA-PSV > 0,5 MoM oder ein Δ MCA-PSV > 0,373 MoM – ist ebenfalls indikativ, kann auch bei normaler MCA-PSV Hinweis auf eine TAPS sein und korreliert mit der Hämoglobindifferenz [194,195]. In einem Delphi-Konsens wurden kürzlich für die Diagnose eines TAPS die Kombination eines MCA-PSV ≥ 1,5 MoM und eines ≤ 0,8 MoM oder alternativ eine MCA-PSV Differenz von ≥ 1,0 MoM vorgeschlagen [196]. In Abhängigkeit von der Definition beträgt die Inzidenz der TAPS 19,2 %, 15,7 %, 7, 8 %, und 6,3 % bei Δ MCA-PSV > 0,373, Δ MCA-PSV > 0,5, traditioneller Definition (MCA-PSV ≥ 1,5 MoM und MCA-PSV ≤ 1,0 MoM) bzw. Delphi-Konsens (MCA-PSV ≥ 1,5 MoM und MCAPSV < 0,8 MoM oder Δ MCA-PSV ≥ 1,0 MoM); die Inzidenz antenataler Intervention betrug 55,1 %, 62,5 %, 75,0 % bzw. 87,5 %; die Delphi-Konsensus-Kriterien erfassen die schweren Fälle, ein Δ MCA-PSV > 0,373 MoM auch die leichten Fälle ohne signifikanten Einfluss auf das perinatale Outcome (Abb. 2.12) [197]. Zudem finden sich größere interfetale Blutflussgeschwindigkeitsdifferenzen in der A. cerebri media (Δ MCA-PSV) bei einer fetalen Wachstumsrestriktion bzw. einer ausgeprägten Größendiskordanz bei MC Zwillingen im dritten Trimenon [198], teilweise auch ohne das Vorliegen einer TAPS, darauf zurückzuführen, dass bei Feten mit schwerer Wachstumsrestriktion die MCAPSV erhöht sein kann [199]. In einen retrospektiven Studie an 136 MC Zwillingsschwangerschaften ohne TTTS, TAPS oder sFGR vor 28 SSW korrelierte das Ausmaß der interfetalen Δ MCA-PSV mit dem späteren Auftreten und der Schwere einer sFGR; die Geschwindigkeitsmessungen erfolgten sowohl mit 18–24 SSW als auch mit 26–32 SSW; die höhere der beiden gemessenen interfetale Δ MCA-PSV wurde in Beziehung zum Geburtsgewicht gesetzt; der optimale Cut-off der interfetalen Δ MCA-PSV war 0,30 MoM (Sensitivität 70 % und Spezifität 69 % für das Auftreten einer sFGR [Geburtsgewicht < 5. Perzentile]; Sensitivität 83 % and Spezifität 72 % für das Vorliegen einer Gewichtsdiskordanz > 25 % bei Geburt) [198]. Das Ausmaß der Blutflussgeschwindigkeitsveränderungen sowie deren interfetale Differenz, insbesondere aber der Nachweis kardialer Veränderungen, wie einer dilatative Kardiomyopathie des Donor-Feten sowie einer hypertrophen Kardiomyopathie des Akzeptor-Feten, erlauben auch eine Schweregradeinteilung, wie sie in der Leiden-Stadieneinteilung erfolgte [190] (Tab. 2.6). Sonografisch hinweisend auf eine TAPS sind eine stark unterschiedliche Echogenität der MC Plazenta mit einem hyperechogenen Anteil bei Donor-Feten und einem hypoechogenen Anteil des AkzeptorFeten (plazentare Dichotomie) [200], eine „Sternenhimmelleber“ des Akzeptor-Feten („starry-sky liver“ – eine im Vergleich zur Lunge hypoechogen („sky“) erscheinende Leber mit hyperechogen erscheinenden Venolen („stars“) und eine Kardiomegalie des Donor-Feten (Abb. 2.13) [201]; eines dieser drei Zeichen war bei 86 % der Schwangerschaften mit TAPS vorhanden, bei 70 % die Kardiomegalie des Donor-Feten, bei 66 % die „starry-sky liver“ des Akzeptor-Feten; die plazentare Dichotomie konnte bei spontaner TAPS in 63 %, bei post-Laser TAPS nur bei 23 % der Fälle nachgewiesen werden [201].
56 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
(a)
(b)
Abb. 2.12: TTTS-TAPS bei MC DA Zwillingen mit 21+3 SSW. (a) Der Donor-Fet (Schätzgewicht: 340 g ± 10 %; 5. Perzentile) zeigte eine Oligohydramnie (tiefste vertikale Tasche: 2,3 cm (b) eine mit 60 cm/s (MoM: 2,18) erhöhte MCA-PSV, ferner eine erhöhte Pulsatilität in der A. umbilicalis (PI: 1,67) und auch im D. venosus (PIV: 1,23).
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 57
(c)
(d)
(e)
Abb. 2.12: (Fortsetzung). Beim Akzeptor-Feten (Schätzgewicht: 395 g ± 10 %; 26. Perzentile) fanden sich (c) eine mit 16 cm/s (MoM 0,58) erniedrigte MCA-PSV bei normalen Doppler-Indizes in A. umbilicalis und D. venosus sowie eine (d) „Sternenhimmelleber“ (starry sky liver). (e) Der Plazentaanteil des anämen DonorFeten wies eine vermehrte, der des polyglobulen Akzeptor-Feten eine normale Echogenität auf. Es erfolgte eine Laserablation der plazentaren Anastomosen. Der weitere Verlauf der Schwangerschaft verlief normal; mit 36+6 SSW kam es zur spontan einsetzenden Wehen und zur vaginalen Geburt zweier gesunder Kinder (Geburtsgewichte: 2390 g bzw. 2270 g).
58 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
Tab. 2.6: Antenatale und postnatale Stadieneinteilung der Twin anaemia polycythaemia sequence (TAPS), modifiziert nach Slaghekke et al. 2010 [190] und Lopriore et al. 2010 [192]. Stadium
antenatale Stadieneinteilung
postnatale Stadieneinteilung gemäß der Differenz der Hämoglobinkonzentrationen zwischen den Zwillingen am 1. Lebenstag
Stadium 1
Donor-MCA-PSV > 1,5 MoM und Akzeptor-MCA> 8,0 g/dl PSV < 1,0 MoM ohne andere Zeichen einer fetalen Kompromittierung
Stadium 2
Donor-MCA-PSV > 1,7 MoM und Akzeptor-MCAPSV < 0,8 MoM ohne andere Zeichen einer fetalen Kompromittierung
> 11,0 g/dl
Stadium 3
Stadium 1 oder 2 mit Zeichen einer kardialen Kompromittierung beim Donor (AREDF in UA, erhöhte Pulsatilität oder reverser Fluss im DV oder pulsatiler Fluss in UV)
> 14,0 g/dl
Stadium 4
Hydrops des Donors
> 17,0 g/dl
Stadium 5
Tod eines oder beider Feten nach Auftreten einer > 20,0 g/dl TAPS
Abkürzungen: DV = Ductus venosus; MCA-PSV = MCA-PSV = peak systolic velocity (systolische Spitzengeschwindigkeit) in der A. cerebri media (MCA); UA-AREDF = absent or reverse end-diastolic flow in der A. umbilicalis; UV = V. umbilicalis.
Postnatal wird eine TAPS bei MC Schwangerschaften diagnostiziert, wenn bei den Neonaten am 1. Lebenstag eine Differenz der Hämoglobinkonzentrationen von > 8 g/dl und entweder ein Verhältnis der Retikulozytenzahlen beider Neugeborener von über 1,7 oder nur kleine (< 1 mm) vaskuläre Anastomosen der Plazenta vorliegen [192]. Eine postnatale Stadieneinteilung erfolgt anhand des Ausmaßes der Hämoglobindifferenzen [192] (Tab. 2.6). Bei MC Zwillingen mit und ohne pränatal diagnostizierter TAPS betrugen die Hämoglobindifferenzen durchschnittlich 13,7 g/dl bzw. 2,4 g/dl, das Verhältnis der Retikulozytenzahlen von 3,1 bzw. 1,0; auch bestanden stark unterschiedliche Thrombozytenkonzentrationen zwischen den Zwillingen in den Fällen einer TAPS [192]. Bei Anwendung der pränatalen diagnostischen Kriterien besteht bei rund 15 % (Δ MCA-PSV > 0,5 MoM) bzw. 6 %–8 % (MCA-PSV > 1,5 MoM und MCA-PSV < 1,0 MoM) der MC Zwillingsschwangerschaften mit TTTS-TOPS bereits auch vor der Laserablation gleichzeitig eine TAPS, sog. TTTS-AP [201]. Diese Schwangerschaften hatten im Vergleich zu den reinen TTTS-TOPS Schwangerschaften weniger plazentare Anastomosen, eine spätere Manifestation des TTTS und ein besseres Outcome [201].
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften
59
(a)
(b)
(c)
Abb. 2.13: Spontane TTTSTAPS bei MC DA Zwillingen mit 26+1 SSW. (a) Die systolische Spitzengeschwindigkeit in der A. cerebri media (MCA-PSV) betrug beim Donor-Feten 73 cm/s (MoM: 2,16), (b) beim Akzeptor-Feten nur 25 cm/s (MoM: 0,74); der Donor-Fet (Schätzgewicht: 731 g ± 10 %; 17. Perzentile) wies zudem eine (c) Kardiomegalie (Herz-Thorax-Flächen-Verhältnis [CTAR]: 0,43), eine holosystolische Trikuspidalinsuffizienz, eine erhöhte Pulsatilität im D. venosus, eine Oligohydramnie (tiefste vertikale Tasche: 1,6 cm),
60 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
(d)
(e)
(f)
Abb. 2.13: (Fortsetzung). (d) einen verdickten (Durchmesser bis 71 mm), hyperechogenen Plazentaanteil (links im Bild) auf, der Akzeptor-Fet (Schätzgewicht: 1076 g ± 10 %; 94. Perzentile) eine Fruchtwassermenge im oberen Normbereich (tiefste vertikale Tasche: 7,5 cm) und einen nicht verdickten, normoechogenen Plazentaanteil (rechts im Bild). Es erfolgten eine Kortikosteroidgabe zur Beschleunigung der Lungenreifung und mit 26+2 SSW eine Transfusion von 27 ml eines 0 Rh-negativen Erythrozytenkonzentrats in die V. umbilicalis des Donor-Feten (Ausgangs-Hb: 3,4 g/dl, EndHb: 8,9 g/dl). (e) Mit 27+1 SSW zeigte sich wiederum eine schwere Anämie des Donor-Feten, dessen MCA-PSV nun bei 90 cm/s (MoM: 2,55) lag, (f) die des Akzeptor-Feten betrug 26 cm/s (MoM: 0,73); es erfolgte eine zweite Transfusion von 30 ml 0 Rh-negativem Erythrozytenkonzentrat in die V. umbilicalis (Ausgangs-Hb: 2,8 g/dl, End-Hb: 8,7 g/dl). Aufgrund des raschen erneuten Auftretens der wiederum schweren Anämie des Donor-Feten erfolgte noch am gleichen Tage die Entbindung mittels Sectio caesarea, zumal sich bei der Schwangeren ein Mirror-Syndrom entwickelte. Der DonorFet (Geburtsgewicht: 800 g) verstarb am 3. Lebenstag, der Akzeptor-Fet (Geburtsgewicht: 1200 g) überlebte intakt.
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 61
Wöchentliche Messungen der MCA-PSV beider MC Feten zwecks Diagnose einer TAPS sollten bei allen MC Schwangerschaften erfolgen, die durch eine sFGR oder ein TTTS kompliziert sind, auch nach erfolgreicher Laserablation [26]. Nach Diagnose einer TAPS sollte ein wöchentliches Monitoring erfolgen. Exspektatives Vorgehen, Laserablation der plazentaren Anastomosen, ein- oder mehrmalige intrauterine Erythrozytentransfusionen beim Donor bis hin zum selektiven Fetozid sind in Abhängigkeit von Schwere und Schwangerschaftsalter bei Vorliegen einer TAPS zu erwägen [202–204]. Die Laserablation ist bei schlechteren Sichtbedingungen infolge des Fehlens einer Polyhydramnie erschwert, allerdings nicht in den Fällen eines TTTS-AP. Intrauterine Erythrozytentransfusionen bei schwerer Anämie des Donor-Feten beseitigen diese zwar, allerdings kommt es meist zu einem raschen Wiederauftreten der Anämie bei gleichzeitig zunehmender Polyzythämie des AkzeptorFeten; deshalb sollten maximal nur zwei bis drei Erythrozytentransfusionen erfolgen, letztlich mit dem Ziel, ein höheres Schwangerschaftsalter zu erreichen; häufig wird die Laserablation vor 26–28 SSW eingesetzt, hiernach die intrauterine Transfusion. In einer Beobachtungsstudie zwischen 2014 bis 2019 von 370 Fälle einer spontanen und einer post-Laser TAPS – diagnostisches Kriterium war eine MCA-PSV > 1,5 MoM beim Donor-Feten in Kombination mit einer MCA-PSV < 1,0 MoM beim Akzeptor-Feten – aus 17 Zentren mit unterschiedlichen therapeutischen Vorgehensweisen lag die perinatale Mortalität bei exspektativem Vorgehen, bei Laserablation und bei intrauteriner Transfusion gleichermaßen bei 17 %, 18 % bzw. 18 %, bei Entbindung bei 10 % und bei selektiven Fetozid die des überlebenden Feten bei 7 % [204]. In einer weiteren Metaanalyse von 506 Schwangerschaften mit spontaner TAPS und postLaser-TAPS gab es ein generell besseres Outcome in der Gruppe mit spontaner TAPS (fetaler Tod: 5,32 % [95 % CI: 3,6–7,1] vs. 10,2 % [95 % CI: 7,4–13,3], neonataler Tod: 4,0 % [95 % CI: 2,6–5,7] vs. 9,2 % [95 % CI: 6,6–12,3], schwere neonatale Morbidität 29,3 % [95 % CI: 25,6–33,1] vs. 33,3 % [95 % CI: 17,4–51,8] und schwere neurologische Morbidität 4,0 % [95 % CI: 3,5–5,7] vs. 11,1 % [95 % CI: 6,2–17,2]) [205]. Das neurologische Outcome nach einer spontan oder postoperativ nach Laserablation einsetzenden TAPS ist für den anämen Donor-Feten wesentlich ungünstiger als für den polyzythämen Akzeptor-Feten. Bei systematischen Nachuntersuchungen der betroffenen Kinder (im Median im Alter von 4 Jahren) fanden sich neurologische Defizite bei 30 % (22/74) der Überlebenden, weit häufiger bei den ehemaligen Donor-Feten (44 %; 15/34) als den ehemaligen Akzeptor-Feten (18 %; 7/40) (odds ratio [OR]: 4,1; 95 % CI 1,8–9,1; p = 0,001); schwere neurologische Entwicklungsstörungen fanden sich bei 9 % (7/74) aller Überlebenden, ebenfalls deutlich mehr bei den ehemaligen Donor-Feten als den ehemaligen Akzeptor-Feten (18 % [6/34] vs. 3 % [1/ 40]), wobei bei den ehemaligen Donor-Feten überwiegend kognitive Defizite und beidseitige Gehörlosigkeit vorlagen [206]. Nekrosen im Bereich der Extremitäten können beim polyzythämen Akzeptor-Feten im Rahmen einer TAPS auftreten.
62 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
2.8.3 Selektive fetale Wachtsumsrestriktion Eine selektive Wachtsumsrestriktion (sFGR) bei MC Zwillingen liegt vor, wenn das Schätzgewicht eines Feten unter der 10. Perzentile liegt und eine Gewichtsdiskordanz zwischen beiden Mehrlingen über 25 % vorliegt [25]; in einem Delphi-Verfahren wurde unter Experten kürzlich vereinbart, bei MC Zwillingen dann von einer sFGR zu sprechen, wenn 2 von den 4 folgenden Parameter zutreffen – fetales Schätzgewicht < 10. Perzentile, Schätzgewichtdiskordanz ≥ 25 %, PI der A. umbilicalis des kleineren Feten > 95. Perzentile und Abdomenumfang < 10. Perzentile [207]. Bei rund 60 % der Fälle eines TTTS-TOPS besteht auch eine sFGR; dies und auch deren Besonderheit ist bereits weiter oben beschrieben. Eine sFGR kann aber bei rund 15 % der MC Zwillingsschwangerschaften auch ohne TOPS auftreten. In dieser Konstellation wird eine sFGR gemäß den vorliegenden Blutflussmustern in der A. umbilicalis des FGR-Feten nach Gratacós et al. in drei Typen eingeteilt (Abb. 2.14, Abb. 2.15) [208]:
(a)
(b)
Abb. 2.14: sFGR Typ III bei MC DA Zwillingen mit 27+3 SSW. Die Schätzgewichte betrugen 1019 g ± 10 % (41. Perzentile) bzw. 720 g ± 10 % (> 3. Perzentile), die Fruchtwassermengen waren normal (größte vertikale Tasche: 4,5 cm bzw. 3,4 cm). (a) Es zeigte sich ein ständiger Wechsel zwischen positivem und reversem enddiastolischen Fluss in der A. umbilicalis. (b) Zudem lag eine große plazentare arterioarterielle Anastomose mit zyklisch sich ändernden Blutflussgeschwindigkeitsprofilen vor. Es erfolgte mit 33+1 SSW bei Typ III sFGR und zunehmender „Kreislaufzentralisation“ des sFGR-Feten die elektive Sectio caesarea. Beide Neugeborenen (Geburtsgewichte: 1600 g bzw. 1260 g) zeigten einen unkomplizierten postnatalen Verlauf.
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 63
(a)
(b)
(c)
Abb. 2.15: sFGR Typ III bei MC DA Zwillingen mit 27+3 SSW. Die Schätzgewichte betrugen 1153 g ± 10 % (66. Perzentile) bzw. 742 g ± 10 % (< 3. Perzentile), die Fruchtwassermengen beider Feten waren normal. Der zeitgerecht entwickelte Fet zeigte (a) ein konstantes Blutflussgeschwindigkeitsmuster in der A. umbilicalis, der wachstumsrestringierte Fet hingegen zunächst ein Blutflussgeschwindigkeitsmuster mit konstantem reversen enddiastolischen Fluss um (b) 7:59 Uhr und (c) 8:45 Uhr, ...
64 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
(d)
(e)
Abb. 2.15: (Fortsetzung). ... das sich dann (d) noch um 8:45 Uhr in ein für ein sFGR Typ III typisches Blutflussgeschwindigkeitsmuster wandelte; die Pulsatilität in der A. cerebri war erniedrigt, (e) es bestand ein ausgeprägter diastolischer Rückfluss im Aortenbogen. Nach Kortikosteroidgabe zur Beschleunigung der Lungenreifung erfolgte mit 28+0 SSW die elektive Sectio caesarea. Beide Neugeborene (Geburtsgewichte: 1200 g bzw. 925 g) zeigten einen unkomplizierten postnatalen Verlauf.
Der Typ I mit positivem end-diastolischen Fluss in der A. umbilicalis hat die günstigste Prognose. Der Typ II mit konstant „fehlendem“ oder reversem enddiastolischen Fluss (AREDF) in der A. umbilicalis ist mit einem hohen Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko assoziiert. Der Typ III zeigt einen zyklischen Wechsel von einem positiven enddiastolischen Fluss (PEDF) in einen AREDF in der A. umbilicalis (intermittierender AREDF); bei diesem Typ besteht das hohe Risiko eines plötzlichen fetalen Todes und neurologischer Schädigungen, die beide Feten betreffen kann. Eine Progression von Typ I zu Typ II und von Typ II zu Typ III ist möglich und bei 25 %– 30 % der Schwangerschaften beschrieben (Tab. 2.7) [208,209].
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 65
Tab. 2.7: Natürlicher Schwangerschaftsverlauf und Outcome bei selektiver fetaler Wachstumsrestriktion (sFGR) bei monochorialer Geminigravidität, klassifiziert nach Gratacós et al. 2007 [208] gemäß der Dopplerbefunde in der A. umbilicalis [208–210], modifiziert nach Strizek und Berg 2017 (211).
Entbindung (SSW)
sFGR Typ I
sFGR Typ II
sFGR Typ III
Kontinuierlich UAPEDF des sFGR-Feten
Kontinuierlich UA-AREDF des sFGR-Feten
Intermittierend (zyklisch) wechselnder UA-AREDF des sFGR-Feten
35,4 (16–38)
30,7 (27–40)
31,6 (23–39)
– –
– –
14,4 % (5,9–25–9) 9,2 % (3,8–16,6)
– –
15,6 % (9,5–22,6) 4,9 % (1,8–9,4)
IUFT – –
sFGR-Fet AGA-Fet
4,3 % (2,0–7,5) 4,1 % (1,2–8,7)
Neurosonografische Läsionen postnatal –
intraventrikuläre Hirnblutung
–
0,58 % (0,04–2,9) –
8,23 % (0,7–22,8) FGR 14,3 %; AGA 3,3 %
–
5,43 % (2,2–10,1) FGR 6 %; AGA 3,3 %
–
Parenchymschädigung/PVL
–
3,52 % (0,9–20,9) –
15,7 % (3,1–35,9) FGR 14,4 %; AGA 3,3 %
–
11,71 % (6,4–19,2) FGR 2,0 %; AGA 19,7 %
AGA: appropriate for gestational age; (s)FGR: (selektive) fetale Wachstumsrestriktion; AREDF: absent or reverse end-diastolic flow; IUFT: intrauteriner fetaler Tod; PEDF: positive end-diastolic flow; UA: A. umbilicalis; PVL: periventrikuläre Leukomalazie.
Ursächlich wird eine ungleiche Verteilung der plazentaren Versorgungsareale angesehen [212,213], bei Manifestation schon im zweiten Trimester finden sich größere – farbdopplersonografisch gut darstellbare – arterio-arterielle Anastomosen. Die Inzidenz einer sFGR ohne TTTS ist nicht nur von den diagnostischen Kriterien, sondern auch vom Schwangerschaftsalter abhängig. So konnte in einer nach Ende des ersten Trimesters zunächst zweiwöchig, nach 24 SSW zwei- bis dreiwöchig überwachten Kohorte von 287 MC DA Zwillingen – retrospektive Beobachtungsstudie zwischen 2000 und 2017 – eine frühe sFGR (Diagnose < 24 SSW) bei 4,9 % der Schwangerschaften, eine späte sFGR bei 3,8 % beobachtet werden, wenn als Diagnosekriterium der Nachweis eines Schätzgewichtes < 10. Perzentile und gleichzeitig einer interfetalen Diskordanz des Schätzgewichtes ≥ 25 % gemäß den ISUOG-Empfehlungen [25] galt [214]. Bei anderen Diagnosekriterien variiert die ermittelte Inzidenz einer frühen sFGR zwischen 1,7 % und 9,1 % und die der späten sFGR zwischen 1,1 % und 5,9 %. In der Gruppe mit früher sFGR war die Inzidenz eines Typ I sFGR 80,8 %, eines Typ II sFGR 15,4 % und eines Typ III sFGR 3,8 %, wohingegen bei der späten sFGR der Typ I noch deutlicher überwog mit 94,4 % (vs. 5,6 % Typ II und 0 % Typ III). Auch das nachfolgende Auftreten eines TTTS war bei früher sFGR mit
66 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
26,9 % häufiger als bei später sFGR mit 5,6 % [214]. Die perinatale Mortalität betrug 8,0 % in den Schwangerschaften mit früher sFGR und 5,6 % mit später sFGR [214]. Die Gratacós-Klassifikation basiert auf den umbilikalen Dopplerbefunden; allerdings beeinflussen Schwangerschaftsalter, Auftreten eines TTTS, Dopplerbefunde des sFGR-Feten, insbesondere die des Ductus venosus, und der Tod des kleineren Feten ebenfalls das Outcome, so dass bereits eine neue Klassifikation vorgeschlagen wurde [215]. Exspektatives Management mit engmaschiger sonografischer Überwachung (Dopplersonographie, biophysikalisches Profil und auch Kardiotokografie), Laserablation der plazentaren Anastomosen und selektiver Fetozid per bipolarer Nabelschnurokklusion („cord clamping“), Laserkoagulation der Nabelschnur oder Radiofrequenzablation werden als Behandlungsoptionen angesehen, abhängig von dem Schwangerschaftsalter, der Schwere der fetalen Wachstumsrestriktion und des Ausmaßes der Dopplerveränderungen (Typ I, II oder III gemäß der Gratacós-Klassifikation) (Tab. 2.8) [208,209,211,216–219]. Weiterhin beeinflussen individuelle Einflussfaktoren das Vorgehen (z. B. die Distanz der plazentaren Nabelschnuransätze, die Plazentalokalisation, die Notwendigkeit einer Fruchtwasserauffüllung), ebenso der Wunsch bzw. die Entscheidung der Eltern. Grundsätzlich ist bei einer sFGR Typ I fast immer das exspektative Vorgehen zu bevorzugen, da es in der neusten Metaanalyse hierzu in nur rund 3,1 % aller Zwillingsfeten zum intrauterinen Tod kam, bei 2,2 % nur eines Feten und bei 1,9 % beider Feten und 97,9 % der Zwillinge ein „intaktes“ Überleben aufwiesen; hingegen kam es nach Laserablation bei 16,7 % der Feten zum intrauterinen Tod [220]. In den Gruppen mit Typ II sFGR und noch mehr in Typ III sFGR stieg die Rate der Todesfälle in utero und neonatal für alle drei Behandlungsoptionen deutlich an: Exspektatives Vorgehen vs. Laserablation vs. selektiver Fetozid (1.) für Typ II sFGR: Tod 23 % (intrauteriner Tod [IUD]: 16,6 %; neonataler Tod [NND]: 6,4 %) vs. 44,3 % (IUD: 44,3 %) vs. 8,7 % (IUD: 5,0 %; NND: 3,7 %); intaktes Überleben: 89,3 % vs. 100 % vs. 90,6 %; Exspektatives Vorgehen vs. Laserablation vs. selektiver Fetozid (2.) für Typ III sFGR: Tod 20 % (IUD: 13,2 %; NND: 6,8 %) vs. 61,9 % (IUD: 61,9 %) vs. 5,2 % (NND: 5,2 %); intaktes Überleben: 61,9 % vs. 100 % vs. 98,8 % [220]. Frühes Schwangerschaftsalter bei Diagnose der sFGR, Typ II sFGR (AREDF) und eine erhöhte Pulsatilität im Ductus venosus sind mit einem adversen perinatalen Outcome des kleineren Feten assoziiert [221], ebenso wie eine schwere Oligohydramnie des wachstumsrestringierten Feten [216], ein großes Ausmaß der Gewichtsdiskordanz [222] und eine velamentöse Nabelschnurinsertion [56,57].
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 67
Tab. 2.8: Befunde, Verlauf und Behandlungsempfehlungen bei sFGR bei monochorialen GeminiSchwangerschaften, modifiziert nach Strizek und Berg, 2017 [211]. sFGR Typ I
sFGR Typ II
sFGR Typ III
kontinuierlich UA-PEDF des sFGR-Feten
kontinuierlich UA-AREDF des sFGR-Feten
intermittierender AREDF mit zyklischem Wechsel zwischen UAPEDF und UA-AREDF beim sFGRFeten
wenig bis moderates „unequal sharing“; Wachstumsdiskrepanz im Verlauf oft stabil; normal große AA Anastomosen
ausgeprägtes „unequal sharing“; hohe Gewichtsdiskrepanz; fehlende oder kleine AA Anastomosen
mindestens eine große AA Anastomose
Dopplerveränderungen in ca. 75 % der Fälle stabil
Progression der Dopplerveränderungen häufig
Verlauf nicht vorhersehbar; Überwachung schwierig
wöchentliche Ultraschall- und Dopplerkontrollen; ggf. stationäre Observanz, ACS-Gabe; bei Progredienz Intervention diskutieren
bei früher Diagnose (< 20–22 SSW) Intervention selektiven Fetozid anbieten (alternativ Laserablation); nach Lebensfähigkeit ggf. stationäre Observanz, ACS-Gabe; engmaschige bis tägliche Dopplerkontrollen
bei früher Diagnose (< 20–22 SSW) selektiven Fetozid anbieten (alternativ Laserablation); nach Lebensfähigkeit ggf. stationäre Observanz, ACS-Gabe; engmaschige bis tägliche Dopplerkontrollen
Entbindung mit 34+0 SSW planen
Entbindung abhängig von Dopplerpathologie, durchschnittlich mit 28–30 SSW
Entbindung abhängig von Wachstumskinetik und -diskrepanz; Doppler als Entbindungskriterium nicht hilfreich; Entbindung mit 30–32 SSW planen
AA: arterio-arteriell; ACS: antenatale Kortikosteroide; AREDF: absent or reverse end-diastolic flow; (s) FGR: (selektive) fetale Wachstumsrestriktion; PEDF: positive end-diastolic flow; RDS: respiratory distress syndrome (Atemnotsyndrom); UA-AREDF: absent or reverse end-diastolic flow in der A. umbilicalis.
In einer 2019 veröffentlichten Serie von 52 MC DA Schwangerschaften von sFGR mit pathologischen umbilikalen Dopplerbefunden und Oligohydramnie, darunter 10 Schwangerschaft mit Typ III sFGR, bei denen mit 20 SSW (16–24 SSW) eine Laserablation erfolgte – in 49 von 52 Fällen musste zuvor eine Fruchtwasserauffüllung durchgeführt werden –, verstarben insgesamt 32 Feten (intrauteriner Tod bei 29 sFGR-Feten und bei 2 der größeren Feten und neonataler Tod bei 1 größerem Kind); die Überlebensraten ohne pathologische Hirnbefunde bei der postnatalen Neurosonographie waren 44 % (23/52) bei den sFGR Zwillingen und 94 % (49/52) bei den größeren Zwillingen [218].
68 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
Ein intermittierender AREDF findet sich auch selten bei nicht größendiskordanten MC Zwillingen, und zwar, wenn die Nabelschnüre eng beieinander plazentar inserieren und besonders dicke arterio-arterielle Anastomosen vorliegen; ähnlich wie beim Typ III sFGR scheint eine instabile hämodynamische Balance vorzuliegen und daraus resultierend schwerwiegende Komplikationen mit adversem Outcome gehäuft aufzutreten [223].
2.8.4 Twin reversed arterial perfusion, früher Akranius-Akardius Die seltene TRAP (Twin reversed arterial perfusion)-Sequenz wird neben den morphologischen Veränderungen (Akardius, Akranius) Dopplersonografisch an Hand der typischen Flussumkehr in der Nabelarterie und Nabelvene diagnostiziert, wobei das Blut über die Nabelarterie – bei 70 % liegt eine singuläre Nabelarterie vor – in den parasitären Zwilling gepumpt wird und ihn über die Nabelvene wieder verlässt; dementsprechend finden sich je eine große arterio-arterielle und eine veno-venöse Anastomose auf der plazentaren Oberfläche. Möglicherweise kommt es frühzeitig in der Schwangerschaft über eine arterio-arterielle plazentare Anastomose zu einer Flussumkehr und letztendlich zum kardialen Arrest beim transfundierten Zwilling. Alternativ wird eine primäre Fehlentwicklung der embryonalen Herzanlage als Ursache der sich dann etablierenden TRAP-Sequenz diskutiert. Die TRAP-Sequenz ist bei 1 %–2 % der MC Schwangerschaften zu beobachten. Da die untere Körperhälfte das meiste sauerstoffreiche Blut erhalten werden, sind diese Regionen (Becken, Beine) noch am besten entwickelt, während mehr kranial das Ausmaß der Fehlbildungen bzw. der Disruptionen zunimmt (Akranius-Akardius-Sequenz); neben einer Akardie findet sich gelegentlich auch eine Hemikardie. Im Verlauf der Schwangerschaft wird der parasitäre Fet zunehmend ödematös bzw. hydropisch, der pumpende Fet kann aufgrund seiner Herzbelastung herzinsuffizient werden, sichtbar an einer dilatativen Kardiomyopathie, einer Polyhydramnie, einer erhöhten Pulsatilität der Blutflussgeschwindigkeitsmuster in Ductus venosus und den anderen präkardialen Venen und später auch dem Auftreten bilateraler AV-Klappeninsuffizienzen. Die kardiale Belastung des pumpenden Feten korreliert mit der Größe des parasitären Zwillings [224,225]. Die perinatale Mortalität des pumpenden Zwillings aufgrund der Herzinsuffizienz und der Frühgeburtlichkeit wird bei zudem hoher Morbidität mit bis zu 55 % angegeben (Abb. 2.16, Abb. 2.17). Da aufgrund fehlender anatomischer Strukturen eine übliche Gewichtsschätzung des parasitären Zwillings nicht möglich ist, wurden zwei Formeln zur Gewichtsschätzung angewandt: Gewicht (g) = 1,21 × Länge² – 1,66 × Länge [224] und Gewicht (g) = Länge × Breite × Höhe × 0,523 (verlängertes Rotationsellipsoid) des Volumens von Körper und Extremitäten [225], wobei bei einem Cut-off von ≥ 70 % letztere Formel bei einem Größenverhältnis (Gewicht des parasitären / Gewicht des pumpenden Feten) deutlich besser unter den Schwangerschaften diejenigen mit und ohne Zei-
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften
69
(a)
(b)
(c)
Abb. 2.16: TRAP-Sequenz bei MC MA Zwillingsschwangerschaft mit 12+5 SSW. (a) Der pumpende Fet zeigte keine Zeichen einer kardialen Insuffizienz (keine Kardiomegalie [CTAR: 0,30], normale Pulsatilität im D. venosus), der parasitäre Zwilling war bereits größer und sehr ödematös; (b) ein Herz war nicht vorhanden, die Schädelkonfiguration war noch erhalten; (c) im Farbdoppler zeigte sich beim parasitären Zwilling die reverse Perfusion der Aorta descendens über eine singuläre Nabelarterie. Es erfolgte eine interstitielle Laserkoagulation des parasitären Zwillings; am zweiten postoperativen Tag wurde der Tod des pumpenden Feten festgestellt.
70 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
(a)
(b)
(c)
Abb. 2.17: TRAP-Sequenz bei MC DA Zwillingsschwangerschaft mit 23+2 SSW. (a) Der pumpende Fet zeigte leichte Zeichen einer kardialen Insuffizienz (leicht erhöhte Pulsatilität im D. venosus [PIV: 0,95], Kardiomegalie [CTAR: 0,52] und leichte Polyhydramnie [tiefste vertikale Tasche: 9,2 cm]), (b, c) der parasitäre Zwilling (Akranie, Akardie) ist deutlich größer und sehr ödematös. Es erfolgte eine interstitielle Laserkoagulation. In der Folge kam es zu einer Anämie des pumpenden Feten, die durch zwei Transfusionen von 25 ml 0 Rh-negativem Erythrozytenkonzentrat am 2. und von 40 ml am 3. postoperativen Tag in die V. umbilicalis erfolgreich behandelt wurden (Ausgangs-Hb: 6,1 g/dl bzw. 6,2 g/dl; End-Hb: 10,1 g/dl bzw. 11,9 g/dl). Mit 24+4 SSW erfolgte bei unaufhaltsamen Wehen eine Sectio caesarea; die Geburtsgewichte betrugen 840 g beim ehemals pumpenden Zwilling und 850 g beim tot geborenen parasitären Zwilling.
2.8 Besonderheiten monochorialer Zwillingsschwangerschaften 71
chen einer fetalen Kompromittierung (Kardiomegalie, Polyhydramnie, Plazentomegalie und Hydrops des pumpenden Feten) differenzieren konnte [225]. Ein exspektatives Vorgehen ist möglich, basierend auf der Größe des parasitären Zwillings und dem Auftreten von Zeichen einer kardialen Belastung beim pumpenden Feten. So klassifizierten Wong et al. die betroffenen Schwangerschaften in 2 Gruppen mit jeweils 2 Untergruppen: Typ I mit einer Abdomenumfangsratio (AU des parasitären / AU des pumpenden Feten) < 50 % und Typ II mit einer Abdomenumfangsratio ≥ 50 %, Typ Ia und Typ IIa ohne Zeichen einer kardialen Überlastung, Typ Ib und Typ IIb mit Zeichen einer kardialen Überlastung [226]. Bei Typ IIb ist eine Intervention unmittelbar indiziert, ebenso bei Typ IIa, da dieser gehäuft mit einer frühen Frühgeburt assoziiert ist; bei Typ Ib sollte kurzfristig eine Kontrolle erfolgen, um bei Verschlechterung ebenfalls rasch zu intervenieren; gelegentlich kann es bei Typ Ib noch zu einer spontanen Remission kommen; bei Typ Ia ist ein exspektatives Vorgehen gerechtfertigt, da in einer größeren Studie von 21 Feten mit TRAP-Sequenz und einem parasitären Feten ≤ 50 % in zweiten Trimeter in keinem der 11 konservativ betreuten Fälle (regelmäßige sonographische Kontrollen) zu einer Progression > 50 % kam und das Outcome bei rund 90 % dieser Fälle günstig war [227]. Aufgrund der insgesamt hohen Mortalität wird heutzutage allerdings nur noch selten exspektativ vorgegangen, d. h. zunächst engmaschig überwacht und bei Verschlechterung des Zustandes des pumpenden Feten in Form eines intrauterinen Eingriffs oder der frühzeitigen Entbindung interveniert. Bis auf wenige Ausnahmen, wie sehr geringe Größe und minimale oder nicht nachweisbare Perfusion des parasitären Feten, erfolgt heutzutage zumeist zwischen 16 und 20 SSW ein intrauteriner Eingriff zur Unterbrechung der Blutzufuhr zum parasitären Feten und somit der kardialen Überlastung des pumpenden Feten. Sonografisch gesteuert kann eine Radiofrequenzablation, eine intrafetale Laserkoagulation oder eine intrafetale Mikrowellenablation der pelvinen Gefäße des parasitären Zwillings, aber auch eine bipolare Nabelschnurokklusion erfolgen; fetoskopisch wurden Laserkoagulation der plazentaren Anastomosen oder der Nabelschnur des parasitären Zwillings, ebenso wie eine bipolare Nabelschnurokklusion beschrieben [211]. Erfolgt der Eingriff im zweiten Trimester, so liegt die Überlebensrate des pumpenden Feten bei 70 %–85 %; hierbei handelt es sich in diesen Studien um erst im zweiten Trimester behandelte Fälle, also Schwangerschaften, bei denen der pumpende Fet bis dahin überlebt hat [96,105,228–230]. Sonografisch gesteuerte intrafetale Laserkoagulation, Radiofrequenzablation und Mikrowellenablation, sonografisch oder fetoskopisch gesteuerte bipolare Nabelschnurokklusion und fetoskopisch gesteuerte Laserkoagulation der plazentarer Anastomosen (± bipolare Nabelschnurokklusion) zeigen keine Unterschiede im Outcome [93,95,96,99,100]. Bei MC MA Schwangerschaften, die 10 %–15 % der Schwangerschaften mit einer TRAP-Sequenz ausmachen, sollte immer zusätzlich eine Nabelschnurdissektion erfolgen, um einer Strangulation der Nabelschnur des anderen Feten vorzubeugen [104,105], so dass hier ein fetoskopisches Vorgehen zu bevorzugen ist.
72 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
Zunehmend erfolgt bei früher Diagnose die intrafetale Laserung bereits zwischen 12 und 14 SSW, auch wenn das Eingriffsrisiko höher als später zu sein scheint [94,97,228,231,231a]; andererseits kommt es ohne Intervention zwischen 12 und 18 SSW in 30 %–80 % der Fälle bereits zum Tod des pumpenden Feten [228,231a, 232], in einigen Fällen auch nach spontanem Sistieren der Perfusion des parasitären Zwillings. Daher sind die Risiken des Todes bereits vor 16 SSW bis 18 SSW und die höheren Risiken bei einer frühen Intervention gegeneinander abzuwägen, ebenso das möglicherweise unterschiedliche Risiko einer frühen Frühgeburt; derzeit läuft eine randomisierte TRAP Intervention Study (TRAPIST) hierzu.
2.9 Besonderheiten monoamnialer Zwillingsschwangerschaften Eine Monoamnionizität ist bei rund 5 % der MC Schwangerschaften vorhanden. Neben allen o. a. Risiken von Zwillingsschwangerschaften, die DC und MC Schwangerschaften betreffen, und denen, die zusätzlich bei Monochorionizität auftreten, komplizieren zusätzlich Nabelschnurverstrickungen und selten das Vorliegen siamesischer Zwillinge die MC MA Schwangerschaften (die siamesischen Zwillingen wurden bereits im Abschnitt über angeborene Fehlbildungen abgehandelt). Bei oft nah beieinander liegenden plazentaren Ansätzen der Nabelschnüre beider Feten sind Nabelschnurtorsionen bei den meisten MC MA Schwangerschaften sonografisch nachweisbar. Zur perinatalen Mortalität tragen aber Nabelschnurverstrickungen weit weniger bei als Frühgeburt und Fehlbildungen. Vermutlich spielen aber bei ungeklärten Todesfällen im zweiten und dritten Trimester hämodynamische Effekte und der Ort der Torsion infolge dieser Verstrickungen in Nähe des umbilikalen Ansatzes der Nabelschnüre (umbilikale Torsion) eine wichtige Rolle (Tab. 2.9) [19]; sollten MA Zwillinge mit einer Torsion nahe des abdominalen Nabelschnuransatzes die Lebensfähigkeit erreichen, wäre in diesen Fällen eine frühe stationäre Aufnahme und Entbindung wohl sinnvoll. Nach iatrogenen und häufiger nach spontanen Membranrupturen bei einer primär MC DA Schwangerschaft kann es bei diesen nun pseudo-monoamnialen Zwillingsschwangerschaften zu Nabelschurtorsionen kommen [12,119], insbesondere in den Fällen mit eng benachbarten, parazentrischen plazentaren Nabelschnuransätzen [13]; als ursächlich für die Membranruptur werden mechanische Kräfte (maternales Trauma, Kindsbewegungen), Infektionen und eine verminderte Blutperfusion der amnio-amnialen Trennmembran vermutet [13]. Bei diesen Schwangerschaften werden Nabelschnurtorsionen und auch konsekutive fetale Todesfälle beobachtet [12,13]. Grundsätzlich sollte bei allen MC Zwillingsschwangerschaften eine intensivierte Überwachung erfolgen, bei MC MA Schwangerschaften ab 26 SSW bis 28 SSW mittels wöchentlicher Ultraschall-, Doppler- und CTG-Untersuchungen; dies kann ambulant und stationär erfolgen [233]. In der MONOMONO-Studie fand sich zwischen einer stationären Überwachung ab 26 SSW gegenüber einer intensivierten ambulanten Über-
2.9 Besonderheiten monoamnialer Zwillingsschwangerschaften 73
wachung ab 30 SSW eine statistisch nicht signifikant geringe Rate an fetalen Todesfällen (3,3 % vs. 10,8 %; adjusted aOR 0,21 (95 % CI: 0,04–1,17)). Die gesamte perinatale Verlustrate betrug 10,8 % (42/390 Feten) mit einem Gipfel von 4,3 % mit 29 SSW [234]. Als Zeitpunkt der Entbindung wird 32+0 SSW bis 34+6 SSW empfohlen, da danach die Risiken des perinatalen Todes höher anzusetzen sind als die der nicht-respiratorischen Komplikationen bei Entbindung [233]. Allerdings kam es in der MONOMONO-Studie auch bei Entbindungen bis zur 36+6 SSW zu keinem perinatalen Todesfall [234], so dass der Entbindungszeitpunkt für unkomplizierte MC MA Zwillingsschwangerschaften zwischen 32+0 und 36+6 SSW festzulegen ist unter Berücksichtigung zusätzlicher individueller Risiken und in enger Absprache mit den Eltern (s. Kap. 7.2). Tab. 2.9: Monozentrische Serie von 18 MC MA Zwillingsschwangerschaften, stratifiziert nach Ort der Nabelschnurokklusion, nach Arabin und Hack 2009 [19]. Ort der Torsion (Anzahl der MA Feten)
antenatal Tod < 22 SSW
perinatal Tod bis 7. Lebenstag
neonatal Tod bis 28. Lebenstag.
Gesamtmortalität
Umbilikale Torsion 5/6 (n = 6)
–
–
5/6
Plazentare Torsion (n = 30)
0/30
2/30 (1 Paar) Geburt < 23 SSW
2/30 (2 Paare) 1 × fetaler Tumor 1 × Frühgeburt < 26 SSW
4/30
Total (n = 36)
5/36 (14 %)
2/36 (5,5 %)
2/36 (5,5 %)
9/36 (25 %)
Ein Risikofaktor für eine erhöhte perinatale Mortalität in MC MA Zwillingsschwangerschaften ist eine größere Wachstumsdiskordanz. In einer Analyse von 242 MC MA Zwillingsschwangerschaften bzw. 484 MC MA Feten aus drei größeren Studienkollektiven [234–236] stieg das Risiko des intrauterinen fetalen Todes bei den MC MA Schwangerschaften mit einer Geburtsgewichtdiskordanz ≥ 10 % signifikant (OR 2,2; 95 % CI: 1,1–4,4), bei einer Geburtsgewichtdiskordanz ≥ 30 % betrug die OR 4,4 (95 % CI: 1,3–14,4) [236]. Allerdings war die Vorhersage eines fetalen Todes bei einem Grenzwert von ≥ 20 % unzureichend, so dass diese Schätzgewichtdiskordanz allein kein Grund zur sofortigen Entbindung darstellt [236]. Ein TTTS kann auch bei MC MA Schwangerschaften auftreten, auch wenn dessen Inzidenz 2,4- bis 2,7-fach geringer als bei MC DA Schwangerschaften ist. Dies ist durch die hohe Prävalenz arterio-arterieller Anastomosen bei MA Schwangerschaften zurückzuführen, bei denen die Nabelschnüre häufig nahe beieinander inserieren und viele großen Anastomosen aufweisen, die das Auftreten eines chronischen TTTS verhindern. Allerdings könnte dies teilweise auch daran liegen, dass die Diagnose
74 2 Pränatale Diagnostik und Therapie bei Mehrlingsschwangerschaften
eines TTTS bei Monoamnionizität schwierig ist, da beim Donor-Feten Oligohydramnie und „stuck twin“ Phänomen fehlen. Polyhydramnie (tiefste vertikale Tasche ≥ 8 cm < 20 SSW und ≥ 10 cm ≥ 20 SSW), diskordante Harnblasenfüllung (fehlende Füllung beim Donor-Feten, Dilatation beim Akzeptor-Feten) und gelegentlich sFGR können zur Diagnose in einem frühen Stadium führen; die Mehrzahl der Fälle wird aber in den Quintero-Stadium III und IV aufgrund der Doppler-sonografischen und/oder echokardiografischen Befund bzw. des Vorliegens eines Hydrops fetalis des Akzeptor-Feten diagnostiziert. Möglicherweise ist das TTTS bei MC MA Zwillingen zudem rascher progredient als bei MC DA Zwillingen. Eine Metaanalyse von 15 Kohortenstudien mit insgesamt 44 Schwangerschaften mit TTTS bei 888 MC MA Schwangerschaften [237] zeigten sich hohe Raten von Spätaborten, intrauterinen, neonatalen und perinatalen Tod sowie Frühgeburtlichkeit; diese Mortalitätsraten lagen auch bei intrauteriner Therapie mittels Laserablation der plazentaren Anastomosen, Amnionreduktion und Nabelschnurokklusion weitaus höher als bei entsprechenden Maßnahmen bei einem TTTS in MC DA Schwangerschaften. So betrug in den MC MA Schwangerschaften bei Laserablation die Spätabortrate 19,6 %, die Inzidenz eines fetalen Todes 27,4 %, eines neonatalen Todes 7,4 % und eines perinatalen Todes 35,9 %. Insgesamt ist die Überlebensrate nach Lasertherapie rund 20 % geringer als in MC DA Schwangerschaften [237]. Die hohe Rate von Todesfällen bei MC MA Schwangerschaften mit TTTS mag auch darauf zurückzuführen zu sein, dass es aufgrund der besonderen Anastomosenverhältnisse bei Blutdruckveränderungen zu einem akuten spontanen oder perioperativen TTTS kommen kann. Dass sich in der Metaanalyse keine signifikanten Unterschiede zwischen exspektativem Vorgehen und antenatalen Intervention zeigten, ist auch darauf zurückzuführen, dass eine antenatale Intervention zumeist erst bei weit fortgeschrittenem TTTS mit Zeichen der kardiovaskulären Dekompensation erfolgt. Zudem ist eine Laserablation aufgrund der oft eng beieinanderliegenden plazentalen Nabelschnuransätze und bei zusätzlicher Nabelschnurtorsion, sehr schwierig, gelegentlich auch unmöglich. In diesen Fällen sind oberhalb der 26. SSW Amnionreduktion und Nabelschnurokklusion Behandlungsalternativen [237]. Wie auch bei anderen Indikationen für einen selektiven Fetozid sollte bei MC MA Zwillingsschwangerschaften neben der Nabelschnurokklusion auch einen Nabelschnurdissektion erfolgen, um die spätere Strangulation der Nabelschnur des überlebenden Feten zu verhindern [103,104]. Auch eine TAPS kann bei MC MA Feten auftreten; Hinweise sind eine zunehmende Polyhydramnie und Zeichen einer kardialen Dysfunktion eines oder beider Feten; die Diagnose erfolgt, wie bei MC DA Schwangerschaften, durch regelmäßige Messungen der maximalen Blutflussgeschwindigkeit in der A. cerebri media (MCA-PSV) beider Feten; auch hier sind exspektatives Vorgehen, Entbindung, intrauterine Bluttransfusion, Nabelschnurokklusion und aus den o. a. Gründen selten auch eine Laserablation mögliche Vorgehensweisen. Bestehen pränatal Hinweise auf die beschriebenen Krankheitsbilder oder werden die Krankheiten manifest, so soll bei allem Eifer für Studien und neue Behandlungs-
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strategien doch nicht vergessen werden, dass schon die Informationen, aber noch mehr die Behandlungen mit Stress und Angst von Seiten der Eltern verbunden sind. Noch intensiver müssen die Eltern dann begleitet werden, wenn es zum Tod oder zu einer Behinderung eines oder mehrerer Kinder kommt. Hierauf gehen wir in einem gesonderten Kapitel ein (s. Kap. 9.1) Ebenso widmen wir uns noch ausführlicher den langfristigen Nachuntersuchungen der betroffenen Mehrlinge (s. Kap. 9.4). Literatur [1] [2] [3]
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3 Prävention der Frühgeburt Ioannis Kyvernitakis Bei der ersten Diagnose einer Schwangerschaft mit Zwillingen oder höhergradigen Mehrlingen, wie im vorgegangenen Kap. 2.1 beschrieben, kann im Vergleich zu einer Einlingsschwangerschaft von einem erhöhten Frühgeburtsrisiko ausgegangen werden. Eine frühzeitige Information der Eltern sollte aber auch mit der beruhigenden Information verbunden werden, dass eine Risikoreduktion möglich ist, wenn man erste Symptome früh erkennt. Eine primäre, sekundäre und tertiäre Prävention haben das Ziel, das Risiko perinataler Morbidität und Mortalität, aber auch ihrer Langzeitfolgen zu minimieren [1,2] (s. Kap. 9.1.1. und 9.4.1). Dies gilt vor allem für extreme Frühgeborene unter der 28. Schwangerschaftswoche (SSW). Aber selbst späte Frühgeborene nach der 32. SSW weisen immer noch ein 10-fach höheres Risiko für perinatale Mortalität im Vergleich zu Reifgeborenen auf [3]. Die Prävention der Frühgeburt vor der 28. SSW wurde als wichtigstes Qualitätskriterium der perinatologischen Versorgung eingestuft [4]. Das Gesamtrisiko für perinatale Morbidität ist bei Zwillingen höher im Vergleich zu Einlingen gleichen Gestationsalters. Dies liegt vorwiegend an besonderen Komplikationen bei monochorialen (MC) Zwillingen wie das feto-fetale Transfusionssyndrom oder twin-to-twin transfusion syndrome (TTTS) oder Fehlbildungen und den hiermit verbundenen zusätzlichen Komplikationen (s. Kap. 2.2 und 2.3). Außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von schwerwiegenden Langzeitschäden infolge der Organunreife und epigenetischen Veränderungen. Dies ist mit einer exponentiellen Zunahme von Rehabilitationskosten assoziiert. In den USA wurden 2005 die jährlichen Kosten für medizinische Versorgung und Bildung aller Frühgeburten mit ungefähr 26 Milliarden US-Dollar eingeschätzt [5]. Obwohl Zwillinge nur 3 % aller Lebendgeburten ausmachen, tragen sie mit 15–20 % der Frühgeburten bei [6].
3.1 Inzidenzen Das Risiko von Zwillings- gegenüber Einlingsschwangerschaften für eine Frühgeburt vor der 37. SSW liegt in Deutschland bei ca. 50 % versus 8 % respektive. Innerhalb westlicher Länder schwanken die Frühgeburtsraten von Einlingsschwangerschaften zwischen 5,3 % (Lettland) und 12 % (USA) [1]. Das Frühgeburtsrisiko erreicht bei Drillingsschwangerschaften sogar 90 %. Im Vergleich zu Einlings- erhöht sich das Risiko für eine Frühgeburt bei Zwillingsschwangerschaften vor der 32. SSW um das 8-fache, während das Risiko für Drillingsschwangerschaften sogar das 26-fache er-
https://doi.org/10.1515/9783110669749-003
90 3 Prävention der Frühgeburt
reicht [7]. Innerhalb von 20 Jahren beobachtete man in den USA sogar einen Anstieg der Frühgeburtenrate bei Mehrlingen von 40,9 % auf 55 % [8]. In Deutschland verursachen Mehrlingsschwangerschaften 10 % aller Frühgeburten [16]. Daten aus Hessen zeigten einen Anstieg der Frühgeburtenrate von 50 % im Jahr 1990 auf 66 % im Jahr 2012 [9]. Zwischen 2000 und 2015 stiegen bei ZwillingsSchwangerschaften auch die Raten von Frühgeburten vor der 28. SSW und zwischen 28. und 33+6 SSW an (p < 0,01) [10]. Dabei kam es zu keiner signifikanten Reduktion der Totgeburtenrate oder der perinatalen Mortalität, Aufnahme der Kinder auf die neonatale Intensivstation (NICU) oder dem neonatalen Outcome. Die Anzahl von Zwillingen mit niedrigem Nabelarterien-pH stieg trotz hoher Sectiorate sogar an [10]. Insgesamt haben Zwillinge allerdings von Verbesserungen der neonatologischen Versorgung und der pränatalen Überwachung und Therapie monochorialer (MC) Zwillinge profitiert [11,12].
3.2 Pathophysiologie Die Ätiologie der Frühgeburt ist für Einlinge und Zwillinge verschieden, aber für beide multifaktoriell („one syndrome, many causes“) [13]. Schon früh wurde erkannt, dass es bei Zwillingsschwangerschaft viel seltener zu einer mikrobiellen Invasion der Amionhöhle (MIAC) kommt [14] (Tab. 3.1). Tab. 3.1: Risiko auf Nachweis einer mikrobiologischen Invasion bei Zeichen drohender Frühgeburt bei Einlings- und Zwillingsgravidität, nach [14]. Typ Schwangerschaft (SSW)
klinische Symptome
mikrobiologische Invasion der Amnionhöhle
Einlingsgravidität 14–24 SSW
Zervix-Eröffnung > 2 cm
51,1 %
Einlingsgravidität < 34
Vorzeitige Wehen
21,6 %
Zwillingsgravidität < 34
Vorzeitige Wehen
11,9 %
Ätiologisch spielt bei der Mehrlingsgravidität die Überdehnung des unteren Uterinsegments eine größere Rolle, wodurch nicht nur die Kollagenstruktur der Zervix aufgelockert wird, sondern auch sekundär Zytokine ausgeschüttet werden [15]. Die feingewebliche Architektur und die mechanischen Eigenschaften der Zervix werden durch die Kollagenstruktur und die extrazelluläre Matrix bestimmt. Veränderungen der Zervix sind durch einen Anstieg kollagenolytischer Aktivität, einer Abnahme der Kollagenfasern und eine Invasion inflammatorischer Zellen charakterisiert [16]. Die „Zervixreifung“ ist mit einer Aktivierung extrazellulärer Matrixproteine assoziiert, die zu einer Degradation des Kollagens, einer Zunahme von Glykosaminoglykanen, einer Auflockerung der Epithelschicht und einer veränderten Immun-
3.3 Anamnestische Risiken 91
abwehr führt [17]. Eine aszendierende Infektion induziert eine Aktivierung dieser Komponenten, wobei biochemische Prozesse in der zervixnahen Dezidua und den Eihäuten die Voraussetzung für einen Blasensprung und eine prä- und postpartale Ablösung des Amnions vom Chorion sind [13]. Eine Zervixverkürzung und Eröffnung des Os internum begünstigt eine Aszension von Mikroorganismen und führt zu einer sogenannten Membranaktivierung und Chorioamnionitis. Über eine erhöhte Rate akuter entzündlicher Läsionen in Plazenten von Patientinnen mit früher Zervixverkürzung wurde berichtet [18].
3.3 Anamnestische Risiken Zahlreiche Risikofaktoren für eine Frühgeburt bei Einlings- sind auch bei Mehrlingsgravidität mit einer erhöhten Frühgeburtenrate assoziiert. Dazu kommen mehrlingsspezifische Risiken, die in Tab. 3.2 zusammengefasst sind [19]. Tab. 3.2: Risikofaktoren für Frühgeburt bei Zwillingsgravidität, nach [19]. Risikofaktor
Literatur
Chancenverhältnis (adjustierte Odds Ratio und 95 % CI)
Frühgeburt oder Spätabort in vorangegangenen Schwangerschaften
[20]
aOR 2,44; (1,28–4,66)
ungünstige sozioökonomische Lebensbedingungen (kurze Schulbildung und Ausbildung)
[19]
aOR 1,07; (1,05–1,10)
Mutter alleinstehend
[19]
aOR 1,01; (1,00–1,02)
Rauchen (≤ 10 Zigaretten /Tag)
[21]
aOR 1,40; (1,0–2,0)
Alter der Schwangeren < 18 Jahre und ≤ 35
[22]
aOR 1,70; (1,02–3,08)
künstliche Befruchtung (IVF/ICSI)
[23]
aOR 1,83; (1,23–2,71)
Gewichtsdiskordanz (unabhängig von der Chorionizität)
[12,24]
aOR 2,27; (1,84–2,81)
intrauteriner Tod eines Zwillings unabhängig von der Chorionizität
[25]
aOR 4,30; (3,5–5,2)
präexistenter Diabetes mellitus
[19]
aOR 1,14; (1,11–1,18)
präexistente Hypertonie
[19]
aOR 1,18; (1,16–1,21)
aOR = adjustierte odd ratio, CI = Konfidenzintervall
Nach diesen Daten besteht das höchste Risiko bei Patientinnen mit Status nach Spätabort oder Frühgeburt sowie nach intrauterinem Fruchttod eines Zwillings.
92 3 Prävention der Frühgeburt
Bei Einlingsgraviditäten erhöht sich das Risiko für eine Frühgeburt mit der Anzahl vorangegangener Frühgeburten und deren Zeitpunkt [26]. Ähnlich verdoppelt sich das Risiko für eine Frühgeburt auch bei Zwillings-Gravidität. Monochoriale Zwillinge haben häufig höhere Raten von iatrogenen Frühgeburten vor der 28. SSW [27,28] und verursachen bis zu 50 % aller perinatalen Todesfälle [29]. Das Polyhydramnion des Rezeptors bei einem unbehandelten TTTS kann zu einer zusätzlichen Überdehnung des Uterus und zu Zervixverkürzung führen, aber auch eine fetoskopische Laserbehandlung kann dieses Risiko erhöhen [30]. Auch das Alter der Patientinnen spielt eine Rolle mit einer U-förmigen Assoziation. Das niedrigste Risiko für eine Frühgeburt lag in der Gruppe der Patientinnen zwischen 30 und 34 Jahren [31]. Mütter mit höherer Ausbildung werden im Durchschnitt intensiver betreut und ihre Kinder haben eine niedrigere perinatale Mortalität [32]. So konnte in den USA gezeigt werden, dass die Intensität pränataler Überwachung bei Einlingsgravidität die Frühgeburtsraten reduzieren können [8]. Es ist wahrscheinlich, dass man dies auf Mehrlingsgravidität und andere Länder übertragen kann.
3.4 Primäre Prävention Die primäre Prävention hat als Ziel die Senkung des Frühgeburtsrisikos von Populationen, die einen gesundheitspolitischen Einsatz fordert, oder von symptomlosen individuellen Patienten, bei denen durch das Behandlungsteam prophylaktische Maßnahmen eingeleitet werden.
3.4.1 Gesundheitspolitische Interventionen Gesetze zur Reduktion schwerer physischer Belastung wurden erlassen, um für eine große Population Frühgeburten zu reduzieren [33,34]. Erstmals wurden durch eine Gesetzgebung für Schwangere mit besonderen Empfehlungen für Risikopatientinnen im Hinblick auf Lebensstil in einer großen Region um Paris die Raten von Frühgeburten signifikant reduziert, dabei auch bei Zwillingsschwangerschaften mit Zervixverkürzung [35]. Das heißt aber nicht, dass Schwangere mit Mehrlingen so viel wie möglich ruhen sollen, da dies mit Risiken für einen GDM und ein metabolisches Syndrom der Kinder assoziiert ist (s. Kap. 5.1). Die früher übliche Hospitalisation von Schwangeren mit Mehrlingen erhöht nicht nur die Behandlungskosten, sondern wird auch als Stress für die Familien erfahren und reduziert die Frühgeburtsraten nicht [38,39]. Dies führte in den USA zu NegativEmpfehlungen im Hinblick auf Hospitalisation und Bettruhe („choosing wisely“) der Society for Maternal Fetal Medicine (SMFM) [36–38].
3.4 Primäre Prävention 93
Staatliche Gesetze zum Rauchverbot konnten landesweit eine Reduktion von Frühgeburten, aber nicht von Wachstumsretardierung erzielen [39]. Die Relation von Nikotinabusus und Frühgeburt ist dosisabhängig und vermutlich durch einen Anstieg von Plazentationsstörungen bedingt [40,41]. Die Inzidenz der spontanen Frühgeburt steigt auch nach Rauchentwöhnung an [39,42,43]. Auch wenn MehrlingsSchwangerschaften nie gesondert analysiert wurden, ist anzunehmen, dass sie auch ähnlich beeinflusst werden. Schon früh wurde vorgeschlagen, die Reduktion der Mehrlingsraten durch Leitlinien oder Gesetzgebungen zur künstlichen Befruchtung zu erzielen. Die Inzidenz der Frühgeburt ist bei Mehrlingsschwangerschaften a priori sechs bis acht Mal höher im Vergleich zu Einlingen. Die zusätzlich steigende Rate nach Inanspruchnahme artifizieller Reproduktionstechniken (ART) (s. Kap. 6.3) kann durch Vorerkrankungen, Manipulationen an der Zervix sowie erhöhte Entzündungsraten in der Dezidua aber auch inhärenten Faktoren verursacht werden. Die durch unkontrollierte Stimulation und Transfer von mehreren Embryonen verursachten Mehrlingsraten haben zu der Einführung von landesspezifischen Leitlinien geführt, die das Entstehen von Drillings- und Zwillingsgraviditäten vor allem in höheren Altersgruppen reduziert haben [44] (s. Kap. 6.3). Bisher konnte keine Evidenz für medikamentöse Interventionen im Rahmen der primären Prävention bei Mehrlingsschwangerschaften nachgewiesen werden [45]. Eine vorangegangene Analyse zeigte sogar eine Verschlechterung des perinatalen Outcomes in Patientinnen ohne Vorerkrankungen und Supplementation von Vitamin D, Calcium und Mineralien [46]. Auch für die Supplementation von Zink konnte keine Verbesserung des Outcomes bei Frauen ohne Vorerkrankungen oder Zinkmangel erreicht werden [47]. Die Nahrungsergänzung durch Omega-3-Fettsäure kann bei Einlingsgravidität nicht nur das Risiko für Frühgeburten, sondern auch das Risiko für perinatale Morbidität und Mortalität senken [48], allerdings zeigte sich auch eine mögliche Assoziation zur fetalen Makrosomie. Andere Studien konnten keinen Nutzen von Omega-3Fettsäuren auf eine verminderte Frühgeburtsrate bestätigen [49]. Entscheidend für eine Wirkung scheint eine Dosierung von über 1 g [50] und ein vorbestehender niedriger Spiegel der Omega-3-Fettsäuren zu sein [51]. Demnach könnten Patientinnen mit einem Gesamtfettsäurespiegel von ≥ 4 % in der Frühschwangerschaft bei Einnahme von Omega-3 Fettsäuren ihr Frühgeburtsrisiko senken. Auch eine ausgeglichene und gesunde Ernährung aus Obst, Gemüse, Fisch und ausreichender Trinkmenge reduziert das Frühgeburtrisiko [52]. In Entwicklungsländern konnte ein Frühgeburtsrisiko für Patientinnen mit Einlingsschwangerschaften bei präventiver Einnahme von niedrigdosiertem Aspirin erzielt werden [53]; unklar bleibt, ob diese Daten auf Mehrlingsschwangerschaften oder westliche Industrieländer übertragbar sind.
94 3 Prävention der Frühgeburt
3.5 Sekundäre Prävention der Frühgeburt bei Zwillingen Die sekundäre Prävention besteht aus der Diagnostik eines drohenden Risikos einer Frühgeburt zu einem Zeitpunkt, an dem Interventionen, die eine Frühgeburt verhindern sollen, noch eine – nicht garantierte – Aussicht auf Erfolg haben. Die individuellen Risiken jeder einzelnen Patientin, wie z. B. eine vorausgegangene Frühgeburt, künstliche Befruchtung, sehr niedriges oder hohes Alter bei Eintritt der Schwangerschaft, frühere zervikale Eingriffe (Konisationen) und maternale Vorerkrankungen modifizieren das Risiko für eine Frühgeburt und sollten als Hintergrundrisiko berücksichtigt werden.
3.5.1 Diagnostik durch sonographische Untersuchung der Zervix Die Transvaginalsonographie (TVS) als Screening-Instrument wurde eingeführt, um Schwangere mit erhöhtem Risiko für eine Frühgeburt zu erkennen [54,55]. Die Messung erfolgt auf dem gynäkologischen Stuhl oder häufiger in Rückenlage auf der Ultraschall-Liege, wobei die transvaginale Sonde im Sagittalschnitt erkennbar ist. Die Harnblase der Patientin sollte möglichst leer sein. Die endozervikale Mukosa dient als Leitstruktur bei der TVS. a) Zervixlänge Gemessen wird die gesamte geschlossene Länge der Zervix vom inneren zum äußeren Muttermund. Der Bereich, an dem die Mukosa medial endet, ist der innere; der Bereich, an dem sich vordere und hintere Muttermundslippe treffen, der äußere Muttermund. Besteht eine Trichterbildung, wird diese von der Messung ausgespart. Die Zervix sollte nicht mit der Vaginalsonde komprimiert werden, am unteren Pol des Ultraschallbildes sollte die Harnblase noch erscheinen, die Zervix idealerweise 50– 75 % des Bildes ausfüllen. Dargestellt werden Os internum, Os externum und der intrazervikale Kanal. Die Messung wird wiederholt; die kürzeste Zervixlänge wird dokumentiert. Die Stabilität der Zervix kann mit Hilfe des Valsalva Manövers ermittelt werden, wobei die Schwangere aufgefordert wird, kurzzeitig den intraabdominellen Druck zu erhöhen. Alternativ besteht die Möglichkeit, die Patientin in aufrechter Position zu schallen [56]. b) Trichterbildung (funneling) Ein Trichter kann verschiedene Formen annehmen, die mit den Großbuchstaben V, Y und U ähneln [57]. In einer Studie wurden 82 Patientinnen mit Zervixverkürzung < 25 mm ohne Trichterbildung mit 82 weiteren Patientinnen mit gleicher Zervixverkürzung und Trichterbildung verglichen. Patientinnen mit Trichterbildung wie-
3.5 Sekundäre Prävention der Frühgeburt bei Zwillingen 95
sen eine signifikant höhere Rate an Frühgeburten (67,1 % versus 43,2 %), Chorioamnionitis (23,2 % versus 2,4 %) und vorzeitigem Blasensprung (23,4 % versus. 6,1 %) auf [58]. Bei Zwillingsgravidität tritt ein Funneling früher und häufiger auf (Abb. 3.1a–d).
(a)
(b)
(c)
Abb. 3.1: Verschiedene Stadien der vorzeitigen zervikalen Reifung. (a) leichte isolierte Zervixverkürzung, (b) Zervixverkürzung mit V-förmigem Trichter, (c) Zervixverkürzung mit Uförmigem Trichter.
96 3 Prävention der Frühgeburt
(d)
Abb. 3.1: (Fortsetzung) (d) Durchgehende Eröffnung des Muttermundes im Sinne eines Fruchtblasenprolaps, verschiedene Stadien der Eröffnung des inneren Muttermundes.
c) Utero-zervikaler Winkel Als zusätzlicher Parameter kann auch der utero-zervikale Winkel (UCA) gemessen werden. Ein weiter UCA > 95 und > 105 Grad im zweiten Trimenon ist bei Einlingsgravidität mit erhöhtem Risiko einer spontanen Frühgeburt < 37 SSW und < 34 SSW assoziiert [59]. Ein weiter anteriorer utero-zervikaler Winkel > 95 Grad im zweiten Trimenon erhöht das Frühgeburtsrisiko auch bei Zwillingsschwangerschaften [39]. Als Frühgeburtsmarker für Zwillingsgraviditäten war der utero-zervikale Winkel jedoch weniger aussagekräftig. d) Sludge Als Sludge bezeichnet man ein hyperechogenes Aggregat am inneren Muttermund (Abb. 3.2). Bei einer Amniozentese und Absaugung dieser Befunde wurden verkapselte Mikroben gefunden [60]. Das muss aber nicht immer der Fall sein, da man auch spontane Auflösungen beobachten kann und es schwer von Ansammlungen von Resten von Blutungen oder Leukozyten unterschieden werden kann. Bei Sludge sind die Entbindungsraten vor der 34. SSW erhöht [61]. Ein Screening der Zervixlänge mit TVS wird für Einlingsschwangerschaften zwischen der 18. und 22. SSW empfohlen, bei Zwillingsgravidität besser schon ab 16. SSW [62]. Durch serielle Untersuchungen mit TVS alle 2–3 Wochen konnte eine signifikant verbesserte Erkennung von Schwangerschaften mit Frühgeburtsrisiko (69 %) im Vergleich zu der Einzeluntersuchung während des Zweittrimester-Screenings festgestellt (28 %) [63].
3.5 Sekundäre Prävention der Frühgeburt bei Zwillingen 97
Abb. 3.2: Sludge am inneren Muttermund bei TVS in der 27. SSW mit dem 1. Zwilling in Schädellage.
3.5.2 Sonographisch gemessene Referenzwerte der Zervix Die Zervix verkürzt sich im Verlauf der Gravidität, im Vergleich zu Einlings- verläuft bei Zwillingsschwangerschaft diese Verkürzung schneller und ein Funneling tritt früher auf [55,63–66]. Eine Zervixlänge < 25 mm im zweiten Trimenon war auch bei Zwillingsgravidität mit einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt assoziiert [67] (Tab. 3.2). Im Vergleich zu Müttern mit DC Zwillingen haben Schwangere mit MC Gravidität schon früher eine Zervixlänge < 25 mm vor der 24. SSW (8,8 vs. 15,2 %) [68]. Bei einer Zervixverkürzung unter 20 mm zwischen der 20. und 24. SSW lag die Sensitivität zwischen 29 % und 39 % bei einer Spezifität von > 96 % Bei seriellen Zervixmessungen wurden vier Gruppen einer vorzeitigen Muttermundseröffnung definiert: stabile Zervixlänge, frühzeitige Zervixverkürzung, späte Zervixverkürzung und frühe Zervixverkürzung mit anschließender Plateauphase [63]. Eine frühe Zervixverkürzung (18+0–21+6 SSW) konnte nur bei 4 % der Patientinnen beobachtet werden. Das Frühgeburtsrisiko lag in dieser Gruppe bei 40 %. Anhand von seriellen Messungen der Zervix konnte das Risikokollektiv zwischen 16. und 24. SSW identifiziert werden [63]. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer intensivierten Schwangerenvorsorge im 2. Trimenon bei allen Zwillingsschwangerschaften. Arabin et al. [56,69] untersuchten die Veränderungen der Zervixlänge bei Patientinnen mit Zwillingsschwangerschaften und eigenen Normwerten. Dabei verkürzte sich der Zervixlänge bei Zwillingsgravidität ab der 15. SSW (p < 0,001). Sogar bei Zwillingsschwangerschaften mit termingerechter Entbindung trat eine Trichterbildung von 5 mm am inneren Muttermund ab der 30. SSW auf, wenn die Patientinnen im Stehen untersucht wurden. Prinzipiell hat die Anwendung von Perzentilen – anstelle von cut-off-Werten – große Vorteile bei kontinuierlicher Begleitung, da sich die Referenzwerte in Abhängigkeit von der SSW physiologisch kontinuierlich verändern. Eine Zervixlänge von 38 mm bei Zwillingen in der 16. bis 20. SSW entspricht der 25. Perzentile, während sie ab der 20. SSW eine normale Zervixlänge wiedergibt. Au-
98 3 Prävention der Frühgeburt
ßerdem kann es ohne diese Berücksichtigung im Rahmen von Studien zu einem Selektionsbias kommen [70]. Die 25. Perzentilen der Zervixlänge in der 20. bis 24. SSW bei Zwillingen liegen bei 35 mm und in der 24. bis 28. SSW bei 32 mm [71]. Tab. 3.3: Prädiktion einer Frühgeburt bei Zwillingen vor der vollendeten 34. SSW durch die transvaginale Zervixlängenmessung nach [72]. Gruppen (Zervixlänge)
Frühgeburt < 34+0 SSW + LR (95 % CI)
– LR (95 % CI)
asymptomatisch < 20. SSW 20 mm
59,89 (3,46–103,48)
0,71 (0,52–0,96)
asymptomatisch 20–24 SSW 20 mm
4,54 (1,46–14,14)
0,75 (0,64–0,90)
asymptomatisch > 24 SSW 20 mm
3,44 (2,05–5,78)
0,41 (0,21–0,80)
30 mm
2,11 (1,43–3,12)
0,61 (0,42–0,87)
Symptomatisch 30 mm
2,33 (1,42–3,82)
0,15 (0,01–2,14)
3.5.3 Kombinierte Diagnostik mit biochemischen Tests Mit Hilfe eines Fibronektin-Tests wurde bei über 2000 Zwillingsschwangerschaften ab 24. SSW die Voraussagekraft in Kombination mit einer Zervixverkürzung auf 21– 30 mm für eine Frühgeburt untersucht [73]. Im Falle eines positiven FibronektinTests stieg die Wahrscheinlichkeit für eine Frühgeburt vor der 28. SSW von 4,6 % auf 31,6 % an. Ein negativer Test auch bei symptomatischen Patientinnen, bedeutete, dass nur 2 % der Patientinnen mit vorzeitiger Wehentätigkeit innerhalb der nächsten Woche entbunden wurden [74]. Im Rahmen einer Metaanalyse wurde der prädiktive Wert von drei biochemischen Tests (PAMG-1, fetales Fibronektin und phIGFBP-1) bei Einlingsschwangerschaften in drei Risikokollektiven untersucht: Schwangere mit einer Zervixlänge > 30 mm, zwischen 15 und 30 mm und < 15 mm [75]. Der negativ prädiktive Wert war in allen Gruppen gut (> 97 %), während der positiv prädiktive Wert des PAMG-1 in der „Hochrisikogruppe“ mit einer Zervixlänge < 15 mm im Vergleich zur Gruppe der übrigen Patientinnen überlegen war. Derzeit liegen keine prospektive Vergleichsdaten bei Mehrlingsschwangerschaften vor.
3.5 Sekundäre Prävention der Frühgeburt bei Zwillingen 99
3.5.4 Interventionen auf der Basis der sonographischen Zervixbeurteilung Ziel der sekundären Interventionen ist die frühzeitige Erkennung von Schwangerschaften mit einem erhöhten Frühgeburtsrisiko. Nach Einführung der TVS als sekundärem Screenings- und Untersuchungskonzept für eine Identifizierung von Schwangeren mit einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt, wurden Präventionsansätze wie die Applikation von Progestagenen, die Einlage eines Zervix-Pessars und die Cerclage re-evaluiert [54,55]. In den Studien blieb aber meist unberücksichtigt, dass weitere individuelle Risiken wie eine vorausgegangene Frühgeburt, ART, niedriges oder hohes Alter, frühere zervikale Eingriffe und maternale Vorerkrankungen das individuelle Risiko modifizieren. Im Einzelnen wird nun auf die drei wesentlichen Interventionen eingegangen: Evidenzlage zur Progesterontherapie Das synthetische 17-alpha-Hydrohyprogesteroncapronat (17-OHPC) mit langer Halbwertzeit wird wöchentlich intramuskulär appliziert und muss von dem natürlichen Progesteron mit kurzer Halbwertzeit und schneller Resorption über die vaginale Schleimhaut unterschieden werden [76]. Bei Zwillingsschwangerschaften ist erwiesen, dass 17-OHPC sogar eine Frühgeburt eher induziert als verhindert [77,78]. Derzeit besteht auch keine Evidenz, dass das natürliche Progesteron die Frühgeburt bei Zwillingsschwangerschaften verhindert; das wird noch kontrovers diskutiert. Es besteht sogar ein Verdacht, dass unter vaginalem Progesteron Frühgeburtsraten noch ansteigen [79]. Die doppelblind prospektiv-randomisierte STOPPIT Studie [80] zeigte keinen signifikanten Effekt der Progesteronapplikation zur Frühgeburtsprävention bei Zwillingen unabhängig von der Zervixlänge. Auch andere prospektive Studien konnten keinen positiven Effekt der vaginalen Progesteronapplikation bei Dosierungen von 200 mg oder 400 mg nachweisen [81,82]. Eine Metaanalyse aus 13 Studien [83] untersuchte das perinatale Outcome bei unselektierten Zwillingsschwangerschaften und konnte weder für 17-OHPC noch für das vaginale verabreichte Progesteron bei Zwillingsschwangerschaften signifikante Effekte nachweisen. Allerdings konnte in einer Subgruppe mit Zervixverkürzung < 25 mm eine Reduktion der perinatalen Mortalität um 43 % festgestellt werden. Dodd et al. untersuchten in einem Cochrane Review aus 17 prospektiv-randomisierten Studien den Effekt von synthetischen und natürlichen Progestagenen; die Autoren fanden weder eine signifikante Verlängerung der Schwangerschaftsdauer noch eine Verbesserung des perinatalen/neonatalen Outcomes bei Zwillingsschwangerschaften [84]. Die einzige Arbeit, die eine reduzierende Wirkung des vaginal verabreichten Progesterons bei asymptomatischen Zwillingsschwangerschaften mit verkürzter Zervix unter 25 mm auf die Frühgeburteninzidenz postulierte, war eine Metaanalyse von Romero et al. [85]. Allerdings gab es darin nur eine inkludierte Studie
100 3 Prävention der Frühgeburt
mit positivem Effekt aus einer Privatpraxis in Ägypten [86]. Diese Studie war vorher nicht registriert, nicht plazebokontrolliert und die Seriosität der Daten wurde in Frage gestellt, da die Datenbank trotz wiederholten Anforderungen nicht vorgelegt wurde (persönliche Kommunikation mit Ben W. Mol) [38]. Daher sollte man die Resultate dieser Metaanalyse mit Vorsicht intepretieren. Beachtung verdient eine Studie aus Dänemark, weil nach Progesteronapplikation im 1. Trimenon bei Fertilitätspatientinnen später bei den Kindern ein dosisabhängiger Anstieg von akut lymphoblastischer Leukämien und der Sympathikus-Tumoren beobachtet wurde [87]. Die Autoren diskutierten, dass die beschleunigte Zellproliferation und erhöhte Mutationsrate durch epigenetische Veränderungen unter Progesteron die Ursache sein könnten. Diese Daten sollten allerdings mit Vorsicht interpretiert werden, da die Therapie bei drohender Frühgeburt später in der Schwangerschaft und mit anderer Dosierung erfolgt. Man muss Patientinnen in jedem Fall darauf hinweisen, dass die Indikation unter „off label use“ fällt, d. h. offiziell weder in den USA noch in Deutschland zugelassen ist, da keine Studien von Phase 1–3 durchgeführt wurden. Evidenzlage zur Cerclage Ein Cochrane Review von Rafael et al. [88] untersuchte 5 randomisierte Studien mit Zwillingsschwangerschaften nach prophylaktischer Cerclage. Die Autoren zeigten einen statistisch signifikanten Anstieg von niedrigem und sehr niedrigem Geburtsgewicht: RR 1,39, 95 % CI 1,06–1,83 und RR 5,07, 95 % CI 1,75–14,70 sowie einen Anstieg von Atemnotsyndrom (RDS): RR 5,07, 95 % CI 1,75–14,70 nach Cerclage im Vergleich zu einem expektativen Vorgehen, zusätzlich auch noch einen Anstieg maternaler Morbidität. Ähnliche Ergebnisse wurden auch in der Metaanalyse von Saccone et al. [89] bei Zwillingsschwangerschaften mit Zervixverkürzung bestätigt. Daher wird von einer Cerclage bei Zwillingen von führenden Fachgesellschaften abgeraten, wobei die SMFM sogar Negativempfehlungen ausgesprochen hat. Trotzdem gibt es kleinere Beobachtungsstudien mit Erfolgen bei Zwillingsgravidität und kurzer Zervix. Diese sind möglicherweise durch verschiedene operative Fertigkeiten der Operateure zu erklären. Der Einfluss der operativen Erfahrung wurde bisher leider in Studien nicht beachtet [90]. Unabhängig davon sind spezielle Mehrlingsschwangerschaften mit vorangegangen Konisation oder Trachelektomie, in denen eine abdominale Cerclage durch einen erfahrenen Operateur durchgeführt werden sollte (Abb. 3.3) [91]. Eine abdominale zervikoisthmische Cerclage kann präkonzeptionell, aber besser nach dem Ersttrimester-Screening über einen kleinen Unterbauchquerschnitt eingelegt werden [92]. Intraoperativ wird nach Lateralisierung der Aa. uterinae medial ein MersileneBand am unteren Uterinsegment eingeführt und die Zervix so rekonstruiert. Unter Anwendung dieser Technik wurden bei 101 Schwangerschaften, bei denen eine transvaginale Cerclage als nicht mehr durchführbar erachtet wurde, Frühgeburten
3.5 Sekundäre Prävention der Frühgeburt bei Zwillingen 101
Abb. 3.3: Transabdominale Cerclage in einer Zwillingsschwangerschaft, nach [91].
Abb. 3.4: Seitliche Aufnahme eines zervikalen Pessars (nach Arabin, CE0482/EN ISO 13485:2003 Annexe/III of the Council Directive 93/42 EEC).
vor der 32. SSW von 76 % auf 7 % reduziert und das Gesamtüberleben von 27,5 % auf 93,5 % signifikant verbessert [92]. Evidenzlage zur Pessartherapie Eine zervikale Pessartherapie wurde bereits seit den 70-ger Jahren vorwiegend in osteuropäischen Ländern angewandt, inzwischen wurde das Pessar nach Arabin in Europa und vielen anderen Ländern in Asien, Australien und Südamerika als medizinisches Hilfsmittel für die Frühgeburtsprävention bei Einlings- und Mehrlingsgravidität zugelassen (CE0482/EN ISO 13485:2003 Annexe/III of the Council Directive 93/ 42 EEC; www.dr-arabin.de). Durch MRT-Aufnahmen konnte nachgewiesen werden, dass dieses Pessar zu einer Sakralisierung der Zervix führt und den utero-zervikalen Winkel verändert, so dass im Verlauf ein Rückgang von Trichterbildung und eine Zervixverlängerung erfolgte (Abb. 3.5a–d) [93]. Eine Verlängerung der Zervix wurde auch mit TVS bestätigt und mit einer Prolongation der Schwangerschaft assoziiert [94].
102 3 Prävention der Frühgeburt
(a)
(b)
(c)
(d)
Abb. 3.5: Darstellung der Sakralisierung der Zervix nach Pessareinlage durch MRT Aufnahmen, hier in einer Zwillingsschwangerschaft in der 23. SSW vor Pessareinlage (a) und in der 24. SSW nach Pessareinlage (b), sowie im Verlauf in der 26. (c) und 33. SSW (d).
3.5 Sekundäre Prävention der Frühgeburt bei Zwillingen 103
Kein Pessar
Kein Pessar
ε1
ε3
0,0
–0,4
0,1
Pessar locker eingelegt
0,2
Pessar locker eingelegt
–0,3
0,3 0,4
–0,2
0,5
Pessar falsch herum eingelegt sog. „upside down“
0,6 0,7
Pessar falsch herum eingelegt sog. „upside down“
–0,1
0,8
–0,04
0,9
0,0
Abb. 3.6: Interaktion zwischen Pessar und Zervix: Vier verschiedene simulierte Positionen des Pessars und Auswirkungen auf die Funktion: Weite, mittlere und enge Position sowie falsch platzierte Einführung „upside down“. Die Computersimulation war basiert auf MRT-Aufnahmen bei 26 SSW bei geringer (blau) und starker (rot) Belastung. Man erkennt, dass bei falsch platziertem Pessar keine Druckentlastung auf den inneren Muttermund stattfindet, nach [95].
Auf der Basis dieser MRT-Aufnahmen vorgenommene biomechanische Computersimulationen zeigten, dass eine Druckentlastung des unteren Uterinsegments unabhängig vom Innendurchmesser hervorgerufen wird (Abb. 3.6 Mitte). Allerdings konnte bei „upside-down“ Applikation (Abb. 3.6 rechts) keine Druckentlastung, sondern eher eine druckerhöhende Wirkung suggeriert [95]. Diese Untersuchungen zeigen, dass eine basale Einführung in die Therapie mit Pessaren, wies das Addendum [96] der deutschen Leitlinie und die europäische Leitlinie fordern, sinnvoll ist. Leider wurde sogar auf dem Cover des American Journals of Obstetrics and Gynaecology im Februar 2016 ein Arabin-Pessar bei Zwillingsgravidität abgebildet, das falsch herum eingelegt wurde. Nach der ersten Pilotstudie, die als case-control Studie auf der Basis von TVS stattfand und auch einen Effekt bei Zwillingsgravidität zeigte [97], wurden, wie vorgeschlagen, auch randomisierte Studien bei Zwillingsschwangerschaften durchgeführt. Im ProTWIN Trial wurden 813 Patientinnen mit Zwillingsschwangerschaften bereits zwischen 16 und 20 SSW randomisiert [98]. Obwohl im Gesamtkollektiv keine Unterschiede im primären Outcome (Frühgeburt < 34 SSW) nachgewiesen werden konnten, wurde in einer Subgruppe mit Zervixverkürzung unter der 25. Perzentile (38 mm) eine signifikante 6-fache Reduktion der perinatalen Mortalität und eine sig-
104 3 Prävention der Frühgeburt
nifikante Reduktion der neonatalen Morbidität in der Pessargruppe gefunden. Das Vorgehen unterstreicht die Bedeutung eines frühen Screenings, was eine frühe Intervention ermöglicht. Das Langzeit Outcome 3 Jahre nach Pessartherapie ergab eine höhere Überlebensrate ohne neurologische Defizite (92,4 % vs. 73,8 %, p = 0,006) in der Pessar- im Vergleich zur Kontrollgruppe [99]. In einer folgenden Analyse konnten – bei einer nur 45 %igen Rückmeldungsrate im Alter von 4 Jahren – keine Unterschiede des Verhaltens oder neuromotorischen Status mehr beobachtet [100]. In einer prospektiven Studie von Goya et al. wurden Zwillingsschwangerschaften mit Zervixverkürzung < 25 mm erst zwischen 20 und 24 SSW zur Pessartherapie randomisiert [101]. Danach sank die Frühgeburtenrate in der Pessar- im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant, allerdings waren Effekte auf Mortalität und Morbidität weniger deutlich als in der Subgruppe der ProTWIN Studie. Eine weitere Fallkontrollstudie [102] beschrieb bei Zwillingsschwangerschaften ebenso eine signifikante Reduktion früher Frühgeburten vor der 32. SSW von 28,6 auf 4,8 % und der neonatalen Morbidität von 34,9 auf 9,5 %. Bei MC Geminischwangerschaft, Transfusionssyndrom, Laserbehandlung und kurzer Zervix konnte in einer historischen Fallkontrollstudie eine Verlängerung der Schwangerschaft um mehr als 4 Wochen erzielt werden [30]. Die Ergebnisse einer randomisierten Studie bei TTTS stehen noch aus. Eine weitere Fallkontrollstudie zeigte anhand von 40 Patientinnen mit Zwillingsgravidität bei einer Zervix < 25 mm zwischen 20 und 31 SSW, dass Schwangere mit Pessartherapie ein signifikant höheres Gestationsalter bei Geburt und eine signifikant kürzere Klinikaufnahmezeit vorwiesen [103]. Allerdings ließ eine Studie von Nicolaides et al. [104], wobei die Autoren in einer Antwort auf einen Letter to the Editor zugaben, dass die Anleitung in der Studie schlecht war und ein hoher Anteil von Pessaren vorzeitig aufgrund mangelnder Erfahrung entfernt wurden, keine Vorteile erkennen [105]. Um die klinische Anwendung der Pessartherapie zu optimieren, veröffentlichte die Arbeitsgruppe Frühgeburt der AGG eine Empfehlung [96], da offensichtlich wurde, dass der Effekt der Pessartherapie von Erfahrung und Kontinuität der Betreuung und der richtigen Anwendung abhängt und dass dieser Effekt einer Lernkurve obliegt [106,107]. Dies zeigen auch die Daten der prospektiv-randomisierten Studie, bei der bei Geminigravidität nach ART nur erfahrene Kliniker involviert waren. Dabei wurden 150 Schwangere mit Pessar und 150 mit täglich 400 mg vaginalem Progesteron behandelt [108,109]: Danach zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den zwei Armen einer vordefinierten Gruppe von Patientinnen mit einer Zervix unter der 25. Perzentile (< 28 mm vor 20 SSW). Die Frühgeburtenrate < 34 SSW von 20,4 % im Pessar-Arm, aber 44,4 % im Progesteron-Arm (RR 0,46, 95 % CI 0,24–0,89). Die Pessartherapie war auch mit statistisch signifikant niedrigeren Raten von Frühgeburten < 37. SSW, Geburtsgewicht < 2500 g, Verlegung der Neugeborenen auf eine Intensivstation, bronchopulmonalen Komplikationen und neonataler Sepsis assoziiert (Tab. 3.3). Auch in der Gruppe aller Zwillingsschwangerschaften waren folgende Kriterien signifikant niedriger in der Pessargruppe: Frühgeburten < 37 SSW, unterge-
3.5 Sekundäre Prävention der Frühgeburt bei Zwillingen 105
wichtige Kinder < 2500 g, von Aufnahmen des Kindes auf der Intensivstation und RDS sowie von neonataler Sepsis (Tab. 3.4 unten). Die Therapie wurde von einer geringen Anzahl erfahrener Geburtsmediziner indiziert und durchgeführt, die die Patienten auch bis zur Entbindung oder bis zur 37 SSW begleiteten. Die Neonatologen wurden über den jeweiligen Interventionsarm nicht informiert. Sekundäre Endpunkte des maternalen Outcomes waren nicht verschieden. Tab. 3.4: Primäres (blau hinterlegt) und sekundäres Outcome bei Geminigravidität und früher Randomisierung in eine Gruppe mit Pessartherapie im Vergleich zu 400 mg vaginalem Progesteron (109), n = 300, 150 in jeder Gruppe. Outcome
Arabin Pessar
vaginales Progesteron
RR (95 % CI)
Frauen mit einer Zervixlänge < 28 mm (vordefinierte Subgruppe) Geburt < 34 SSW
10/49 20,4 %
16/34 44,0 %
0,46 (0,24–0,89)
Geburt < 37 SSW
23/49 46,9 %
26/36 72,2 %
0,65 (0,45–0,93)
BW < 2500 g
50/98 51,0 %
51/72 70,8 %
0,72 (0,23–0,82)
Aufnahme Kind Intensivstation
14/90 15,6 %
28/63 44,4 %
0,35 (0,11–0,49)
RDS
12/90 13,3 %
21/63 33,3 %
0,40 (0,14–0,69)
neonatale Sepsis
6/90 6,7 %
33/285 23,8 %
0,28 (0,08–0,63)
Frauen mit einer Zervixlänge < 38 mm (Gesamtkollektiv) Geburt < 34 SSW
24/159 16,0 %
35/150 22,0 %
0,73 (0,45–1,17)
Geburt < 37 SSW
73/150 48,7 %
91/159 60,7 %
0,8 (0,65–0,83)
BW < 2500 g
143/300 47,7 %
181/300 60,3 %
0,79 (0,43–0,83)
Aufnahme Kind Intensivstation
39/280 13,9 %
66/285 23,2 %
0,60 (0,35–0,83)
RDS
32/280 11,4 %
51/285 17,9 %
0,64 (0,37–0,95)
neonatale Sepsis
17/280 6,1 %
33/285 11,6 %
0,52 (0,27–0,9)
Es ist ein generelles Problem, dass bei klinischen Studien die Erfahrung klinischer Therapieformen eine große Rolle spielt, aber selten objektiv charakterisiert oder durch ein Audit evaluiert wird. Zwillingsschwangerschaften mit hohem Risiko sollten daher in speziellen Ambulanzen (‚preterm birth- oder twin-clinics‘) betreut werden analog mit Schwangeren mit hohem pränatal-diagnostischen Risiko. Die randomisierte Studie zur Pessartherapie von Dang et al. [109] mit mehr als 1000 Zwillingsgeburten/Jahr, war als Teil einer ersten prospektiven Metaanalyse geplant, wurde aber durch Autoren einer retrospektiven Metaanalyse [110] nicht nur fehlinterpretiert, sondern mit methodisch und klinisch inakzeptablen Daten und Stu-
106 3 Prävention der Frühgeburt
dien aus zum Teil ‚underpowerten‘ Studien vermischt. Nach Ansicht von Professor Alfirevic werden wir derzeit von einem „Tsunami von Metaanalysen“ überfallen, die nicht selten im Sinne der Autoren instrumentalisiert werden. So inkludierte die Arbeitsgruppe von Romero [111] aus fünf eingeschlossenen prospektiv randomisierten Studien zur Zwillingsschwangerschaft zwar auch die Studie von Dang et al. [109], diese wurde jedoch mit unzulässigen Kommentaren versehen, während eine vorzeitig abgebrochene Studie mit einem nicht für die Schwangerschaft zugelassenen Pessar von Berghella et al. [112] mit einer Fallzahl von 23 Patientinnen in der Pessargruppe [113] mit einem niedrigen Bias-Risiko gekennzeichnet wurden. Derzeit werden im Rahmen von ‚Network Metaanalysen‘ anhand von validierten Kriterien die Reproduzierbarkeit, Rekrutierungsraten, Endpunkte, Textkonsistenz und ethische Kriterien analysiert und damit die Integrität dieser Veröffentlichungen kritisch überprüft. Besondere Aufmerksamkeit wird hierbei dem Terminus ‚p-hacking‘ gewidmet, der Metaanalysen ohne Berücksichtigung der Kriterien für ‚good clinical practice‘ und ausreichender klinischer und biometrischer Supervision beschreibt [114]. Diese Maxime wurde leider von der britischen STOPPIT-2 Studie [115] auch nicht vertreten, da bei Pessarträgerinnen auffällig hohe Raten von Schmerzen bei Einlage und Applikation von Pessaren berichtet wurden und die o. g. ‚underpowerten‘ Studien [112] in der eingefügten Metaanalyse inkludiert wurden. Kritisch zu hinterfragen ist die Extrapolation schwacher Daten in Leitlinien. In der neuen Fassung der deutschen S2e-Leitlinie für die Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften [116] schlussfolgerten die Autoren, dass die „routinemäßige Einlage von Pessaren“ nicht erfolgen sollte, ohne eine wissenschaftlich fundierte Literaturrecherche durchgeführt zu haben, aber die zitierte Literatur zu diesem Abschnitt (Seiten 30 und 70, Langfassung) keine einzige Pessarstudie aufführt. Diese Aussage könnte auch als Kontroverse zu der aktuellen deutschen S2k-Leitlinie über die Prävention der Frühgeburt [2,117] aufgefasst werden, nach der Patientinnen mit Mehrlingsgravidität und kurzer Zervix von einer Pessartherapie profitieren könnten. Auch die europäische Leitlinie für Frühgeburten [118] kritisierte den inhomogenen Einschluss von Patientinnen durch unerfahrene Ärzte im Alltag und in Studien.
3.6 Daten von höhergradigen Mehrlingen Bisher existieren keine prospektiven Studien, die zeigen, wie höhergradige Mehrlinge mit maximalen Frühgeburtsrisiko am besten durch die Schwangerschaft geführt werden, ohne dass es zu extremen Frühgeburten kommt. Ein Vergleich zwischen älteren und aktuelleren Publikationen zeigte ein mittleres Schwangerschaftsalter von 33 SSW bei Drillingsgravidität, wobei die perinatale Mortalität noch immer gesenkt werden konnte [119]. Französischen Daten zufolge wurde eine fast zweifach und fünf-
3.7 Tertiäre Prävention von Zwillingen 107
fach erhöhte Rate sehr früher Frühgeborener vor 28 SSW bei Drillings- im Vergleich zu Zwillings- und Einlingsschwangerschaften respektive beobachtet [120]. Einige Techniken wie die Bettruhe wurden in prospektiven Studien untersucht, aber keine hat einen signifikanten Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe gezeigt. Eine Studie [121] konnte im Rahmen der primären Prävention eine Verlängerung der Schwangerschaftsdauer durch Bettruhe feststellen, aber diese Erkenntnisse wurden in späteren Metaanalysen nicht bestätigt [122]. Eine prophylaktische Cerclage wurde früher bei Drillingsschwangerschaften praktiziert, es konnte jedoch kein positiver Effekt nachgewiesen werden [119,123]. Auch Fallkontrollstudien [124] bei Drillingsschwangerschaften mit Zervixverkürzung konnten bisher keine Schwangerschaftsprolongation oder verbessertes neonatales Outcome nachweisen – allerdings ist die iatrogene Frühgeburtenrate in höhergradiger Mehrlingsgravidität hoch. Eine nicht-publizierte historische Analyse aus Holland in Drillingsschwangerschaften (n = 38) suggerierte einen positiven Effekt eines Zervixpessars: In 87 % der Fälle konnte die Frühgeburt vor der 32. SSW verhindert werden (Tab. 3.5) (van Eyck et al, unveröffentlicht). Tab. 3.5: Historische Daten zur Behandlung von Schwangerschaften mit Drillingen mit einem Zervixpessar (van Eyck, unveröffentlicht). N = 38
< 32+0 SSW
≤ 32+0 SSW
< 1500 g
≤ 1500 g
kein Screening
4 (40 %)
6 (60 %)
4 (40 %)
6 (60 %)
einmaliges Screening und Pessareinlage
2 (18 %)
9 (82 %)
4 (36 %)
7 (64 %)
Verlaufskontrollen und Pessareinlage
3 (13 %)
14 (87 %)
3 (13 %)
14 (87 %)
Bei aussichtsloser Situation und fortgeschrittenem Geburtsbefund, bei dem die Geburt des ersten Mehrlings nicht mehr aufzuhalten ist, sollte bei frühem Gestationsalter vor 28 SSW die Möglichkeit eines Ausstellmanövers (delayed-interval delivery) in Abwesenheit anderer Risiken nach Aufklärung der Patientin erwogen werden. Eine detaillierte Darstellung erfolgt im Kap. 6.8.
3.7 Tertiäre Prävention von Zwillingen Die tertiäre Prävention hat als Ziel lediglich die Begleitumstände zu verbessern und kann die Frühgeburt nicht mehr aufhalten. Dazu gehört die Tokolyse, die Induktion der Lungenreife und ein Transport der Mutter in einem Perinatalzentrum der höchsten Versorgungstufe [2].
108 3 Prävention der Frühgeburt
Bei Mehrlingen liegen keine randomisierten, kontrollierten Studien zur Tokolyse im Rahmen der tertiären Prävention vor. Tokolyse Eine Übersicht über mögliche tokolytische Therapien gibt Tab. 3.6. an. Antenatale Kortikosteroide (Induktion der Lungenreife) Die Datenlage über die Effekte der Applikation von antenatalen Kortikosteroiden zur Induktion der Lungenreife ist bei Zwillings- und Mehrlingsschwangerschaften aufgrund der niedrigen Anzahl der rekrutierten Zwillinge in randomisierten Studien eher schwach. Darüber hinaus ist die Interpretation der verfügbaren Daten limitiert, weil das Intervall zwischen Applikation der Lungenreife und Entbindung in den meisten Fällen über 7 Tage liegt und dies beeinflusst die Effektivität der Lungenreifeinduktion. Die Effekte einer Applikation antenatal verabreichter Kortikosteroide bei 1758 Zwillingen 1–7 Tage vor der Entbindung wurden mit dem Outcome von 758 Zwillingen ohne Applikation verglichen [134]. Dabei wurde festgestellt, dass die rechtzeitige Stimulation der Lungenreife mit einer klinisch signifikanten Reduktion der neonatalen Mortalität (OR 0,42 95 % CI 0,24–0,76), der kurzfristigen respiratorischen Morbidität (OR 0,53 95 % CI 0,40–0,69) und schwerer neurologischer Auffälligkeiten (OR 0,50 95 % CI 0,30–0,83) verbunden war. Diese Erkenntnisse wurden in der französischen EPIPAGE-2 Kohortenstudie [135] mit 750 Zwillingen bestätigt. Die Risiken für die intraventrikuläre Hämorrhagie III°/IV° (aOR 0,2; CI 95 % 0,1–0,5) und die kurzfristige Mortalität (aOR 0,3; CI 95 % 0,1–0,6) waren auch bei einem Applikations-Entbindungsintervall von ≥ 7 Tage reduziert, während die Mortalität bei einem Applikations-Entbindungsintervall von > 7 Tage zu keiner signifikanten Reduktion der Mortalität führte (aOR 0,7; CI 95 % 0,3–1,8). Nach der deutschen S2k-Leitlinie [117] sollte bei Frauen mit unmittelbar drohender Frühgeburt (auch mit Mehrlingen) vor 34+0 SSW die Applikation antenataler Steroide mit 2 × 12 mg Betamethason i. m. im Abstand von 24 Stunden erfolgen. Sowohl der Zeitpunkt als auch die Indikation sollten gut überlegt sein, da die neonatale Mortalität und Morbidität nur in einem Intervall zwischen 24 Stunden und 7 Tagen nach der ersten Applikation gesenkt werden können.
Patientenzahl
904
2567
868
935
Tokolytikum
Placebo
Betaagonisten
Calciumantagonisten
Magnesiumsulfat
89
76
75
53
Hinausschieben der Geburt um 48 Stunden (%)
61
62
65
39
Hinausschieben der Geburt um 7 Tage (%)
Datenlage aus Einlingsstudien [125]
Off-label [129,130]
Off-label (126–128) Optimale Dosierung unklar: Initial 20 mg→10–20 mg 3-4x Tag (RCOG 2011)
keine
keine
Indikation (Literatur)
IVH-Rate erhöht, Infantile Hämangiome, fetale Tachykardien ca. 28 % bei plazentarem Transfer
keine
Fetale und neonatale Effekte/ Nebenwirkungen
uterusrelaxierende Wirkung ist dosisabhängig: Heterogenität der Studien. Zur Tokolyse hohe Dosis notwendig: 6 g iv initial gefolgt von 3–5 g/Stunde iv.
fetale Neuroprotektion: drohende Frühgeburt (24 Stunden) < 32. SSW, Reduktion der neonatalen Mortalität, der Zerebralparesen (–30 %) und der grobmotorischen Dysfunktion
Hypotonie (schwer 1 %). keine Reduktion der perinatalen Morbikeinen langfristigen Effekt, dität, Lungenödem, Herzinfarkt vereinzelte Berichte über IUFT signifikant geringer NW-Rate als MgSO4/Beta-Sympatikomimetika!
hohe Rate maternaler Nebenwirkungen, z. B. kardiovaskulär ca. 80 %, Risiko eines Lungenödems, mütterliche Todesfälle
keine
Maternale Effekte/ Nebenwirkungen
Datenlage zu Indikationen und Effekte sowie zusätzliche Evidenz aus Zwillingsstudien
Tab. 3.6: Tokolytika und Indikationsstellung bei Zwillingsschwangerschaften, nach [125–133].
3.7 Tertiäre Prävention von Zwillingen 109
1249
442
Atosiban
PG-Inhibitoren (Indomethacin)
93
86
Hinausschieben der Geburt um 48 Stunden (%)
76
78
Hinausschieben der Geburt um 7 Tage (%) äquieffektiv zu Betaagonisten oder Nifedipin (EL 1)
Maternale Effekte/ Nebenwirkungen
Off-label antiinflammatorisch wirksam, [132,133], trotzdem ge- niedrige Rate maternaler NW eignet vor der 30. SSW (4 % Übelkeit, Erbrechen, Ulcera)
First-line Therapie bei Gemini [131]
Indikation (Literatur)
vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus nach der 32. SSW
keine negative Langzeitfolgen für die Kinder (2 Jahre)
Fetale und neonatale Effekte/ Nebenwirkungen
Datenlage zu Indikationen und Effekte sowie zusätzliche Evidenz aus Zwillingsstudien
PG: Prostaglandin; NW: Nebenwirkungen; IUFT: Intrauteriner Fruchttod; IVH: Intraventrikuläre Hämorrhagie.
Patientenzahl
Tokolytikum
Datenlage aus Einlingsstudien [125]
Tab. 3.6: (fortgesetzt)
110 3 Prävention der Frühgeburt
Literatur 111
3.8 Epikrise Die Frühgeburt mit den damit verbundenen Kurzzeit- und Langzeitrisiken stellt weltweit ein ernsthaftes Problem im Hinblick auf Morbidität und Mortalität der Neugeborenen dar. Neben der TVS als Erkennungsinstrument für Zwillings- oder Mehrlingsschwangerschaften mit Zervixverkürzung sollte man für eine erfolgreiche Therapie die Evidenzlage der therapeutischen Möglichkeiten kennen. Nach aktueller Studienlage zeigte sich keine Indikation für eine operative Cerclage bei Zwillingsschwangerschaften, häufig waren die Risiken sogar höher als der Nutzen. Die Pessartherapie ist nicht-invasiv, kosteneffektiv und kann bei der Mehrlingsgravidität die Frühgeburtlichkeit und die perinatale Morbidität reduzieren. Pessare sind nach aktueller Datenlage die einzige sinnvolle Therapieoption bei Mehrlingsschwangerschaften, sollten allerdings dann so früh wie nötig, d. h. bereits bei einer Zervixverkürzung < 38 mm vor der 20. SSW angewandt werden. Entscheidend bei der Pessartherapie und bei der Cerclage sind klinische Erfahrung beim Einlegen und bei der Therapieprolongation bzw. bei der Indikation eines Stoppens der Therapie (Prolaps, Amnioninfekt, regelmäßige Kontraktionen, vorzeitiger Blasensprung). Derzeit besteht auch keine Evidenz, dass das natürliche Progesteron die Frühgeburt bei Zwillingsschwangerschaften verhindert, auch wird noch kontrovers diskutiert. Im Rahmen der tertiären Prävention können lediglich die Begleitumstände für Mütter und Kinder optimiert werden, indem die Patientin in einem Perinatalzentrum Level-1 verlegt wird und auf ein möglichst kurzes Applikations-Entbindungsintervall (max. 7 Tagen) der Lungenreifeinduktion beachtet wird. Die Risiken für ein Lungenödem sind bei Kortikoid- und Tokolysegabe hoch, insbesondere bei Mehrlingsschwangerschaften (s. Kap. 5). Literatur [1] [2]
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4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf Birgit Arabin Maternales Untergewicht und geringe Gewichtszunahme sind bei Einlings- und Mehrlingsschwangerschaften mit perinataler Mortalität, Frühgeburt und Wachstumsretardierung der Kinder assoziiert. Die kardiovaskulären, metabolischen und psychischen Langzeitfolgen von assoziiertem geringen Geburtsgewicht der Kinder wurden durch Barker et al. [1–3] und Autoren des niederländischen Hungerwinters beschrieben [4– 6]. Inzwischen sind die global steigenden Raten von Übergewicht und Adipositas, die auch Frauen im gebärfähigen Alter betreffen, ein noch größeres Problem als Untergewicht [7].
4.1 Basale Herausforderungen bei maternalem Unterund Übergewicht Kurzfristige Risiken bei Schwangerschaften von Müttern mit einem body mass index (BMI) ≥ 25, < 30 (Übergewicht) oder sogar ≥ 30 kg/m2 (Adipositas) sind erhöhte Raten von perinataler Mortalität, Fehlbildungen, Gestationsdiabetes mellitus (GDM), hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft (HDP), Übertragung, eine verlängerte Geburtsdauer, Makrosomie, Schulterdystokie, Sectio und neonatale Hypoglykämie (s. Kap. 5) [8,9]. Besorgniserregender sind Langzeitkonsequenzen für die Gesundheit der Mütter und ihrer Nachkommenschaft: Hierzu gehören persistierendes Übergewicht und Adipositas sowie verfrühte Raten von metabolischen und kardiovaskulären Erkrankungen bei Müttern [10]. Eine Kohortenstudie mit 46.688 Teilnehmerinnen zeigte, dass ein BMI ≥ 30 kg/m2 nach der Gravidität vermehrt zu frühzeitigen kardiovaskulären Erkrankungen und Klinikaufnahmen führt [11]. Eine Adipositas, die vor allem durch eine abdominale Fettmasse definiert wird, ist enger als allein ein hoher BMI mit erhöhten Raten maligner Erkrankungen assoziiert [12]. Bei Kindern adipöser Mütter wurden bereits bei 14 Schwangerschaftswochen (SSW) sonographisch messbare Veränderungen am Myokard beschrieben, was kardiovaskuläre Risiken im Erwachsenenalter erklären könnte [13,14]. Kinder von Schwangeren mit Adipositas und/oder exzessiver Gewichtszunahme sind im Vergleich zu Kindern von Müttern mit normalem Gewicht/normaler Gewichtszunahme häufiger adipös, selbst nach Korrektur mit anderen Risikofaktoren [15]. Im Erwachsenenalter ist ihre Lebensqualität eingeschränkt und ihre Lebenszeit verkürzt mit einer Hazard Ratio (HR) von 1,35; 95 % CI 1,17–1,55 [16]. Die meisten der Studien über Langzeitrisiken von Müttern und Kindern differenzieren nicht zwischen Einlings- und Mehrlingsgravidität. Spezifische Risiken bei Mehrlingsschwangerschaften sind das „crowding“, eine suboptimale Lokalisation https://doi.org/10.1515/9783110669749-004
120 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
der Plazentaimplantation, die Eihautverhältnisse und der erhöhte Nährstoffbedarf zweier Kinder [17]. Auch für eine differenzierte Beratung und Überwachung von mütterlichen Gewichtsdaten gibt es wenig spezifische Daten für Mehrlinge [18]. Das amerikanische Institute of Medicine (IOM), das jetzt auch „Nationale Akademie der Medizin“ heißt, definierte Empfehlungen zur Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, die sich am präkonzeptionellen BMI orientieren; allerdings war die Datenlage bei Mehrlingsgravidität unzureichend, um wöchentliche Grenzwerte zu definieren, die in der Praxis als Richtschnur gelten können (Tab. 4.1) [19]. Tab. 4.1: Gewichtsklassifikation nach WHO [20], modifiziert nach kanadischen Richtlinien [21], und empfohlene Gewichtszunahme nach Institute of Medicine (IOM), bezogen auf die Schwangerschaftswoche (SSW) für Einlingsgravidität, nach [19]. Gewichtsklassen: präkonzeptioneller empfohlene Gewichtszunahme BMI (kg/m2)
gesamte Schwangerschaft
nur für 2. und 3. Trimester
Einlingsgravidität
Zwillingsgravidität
Einlingsgravidität
Untergewicht
< 18,5
2,5–18 kg
Keine Information
0,51 (0,44–0,58) kg/SSW
Normales Gewicht
18,5–24,9
11,5–16 kg
17–25 kg
0,42 (0,35–0,50) kg/SSW
Übergewicht
25–29,9
7–11,5 kg
14–23 kg
0,28 (0,23–0,33) kg/SSW
Adipositas Klasse I
30–34,9
5–9 kg
11–19 kg
0,22 (0,17–0,27) kg/SSW
Adipositas Klasse II
35–39,9
5–9 kg
11–19 kg
0,22 (0,17–0,27) kg/SSW
Adipositas Klasse III
> 40
5–9 kg
11–19 kg
0,22 (0,17–0,27) kg/SSW
Ein systematisches Review fand 15 Artikel zu Gewichtszunahme, maternalem BMI und Outcome bei Zwillingsgravidität, stellte aber bei allen Studien methodologische Schwächen und das Fehlen eines Langzeit-Outcomes fest. Die Autoren konstatierten ein vernachlässigtes Wissenschaftsfeld und die Notwendigkeit weiterer Studien für evidenzbasierte Empfehlungen [18]. Im Folgenden wollen wir auf Risikofaktoren und Outcome in Abhängigkeit von maternalem Gewicht/Gewichtszunahme von Schwangeren mit Zwillingen auch auf der Basis deutscher Daten eingehen und – soweit möglich – Empfehlungen zum Lebensstil erläutern.
4.2 Definition von präkonzeptionellem Gewicht und Gewichtszunahme 121
4.2 Definition von präkonzeptionellem Gewicht und der Gewichtszunahme in der Schwangerschaft Die Definitionen von Gewicht im Verhältnis zur Körpergröße zu Beginn der Gravidität beruhen auf Angaben der WHO für die Gesamtbevölkerung. Unterschieden wird zwischen [20]: – Untergewicht: BMI < 18,5 kg/m2 – Normalgewicht: BMI 18,5–24,9 kg/m2 – Übergewicht: BMI 25,0–29,9 kg/m2 – Adipositas: BMI ≥ 30 kg/m2 Mit dieser Einteilung haben wir nach intensiver Plausibilitätskontrolle Daten der Hessischen Perinatalerhebung über 15 Jahre analysiert: Das Gewicht der Schwangeren mit Zwillingen zu Beginn der Gravidität stieg zwischen 2000 und 2015 im Mittel von 68,2 auf 71,2 kg (p < 0,001) und der mittlere BMI von 24,4 auf 25,4 kg/m2 (p < 0,0001) [22]. Prozentual nahm die Rate von adipösen Müttern signifikant zu (Abb. 4.1).
Raten von mütterlichen Gewichtsklassen zu Beginn einer Zwillingsgravidität zwischen den Jahren 2000 und 2015 70 60 Normalgewicht
Prozent
50 40 30 Übergewicht 20 Adipositas 10 Untergewicht 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 n 675 594 631 623 617 612 560 643 631 662 726 667 690 759 708 805 Jahr Abb. 4.1: Prozentuale Verteilung von Gruppen mit unterschiedlichem BMI zu Beginn einer Zwillingsschwangerschaft zwischen 2000 und 2015: BMI > 18,5 < 25 kg/m2(„normal“ = grün, p = 0,11), BMI > 25 < 30 kg/m2 („übergewichtig“ = gelb, p = 0,62), BMI > 30 kg/m2 („adipös“ = rot, p < 0,001), BMI < 18,5 kg/m2 („untergewichtig“ = blau, p = 0,11), Hessische Perinatalerhebung, nach [22].
122 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
Unter Berücksichtigung des Gestationsalters bei Geburt und durch Mittelung von Gewichtsangaben zu Beginn und am Ende einer Mehrlingsgravidität konnte die durchschnittliche Gewichtszunahme/SSW ermittelt werden: Diese stieg zwischen 2000 und 2015 von 567,2 g auf 586,6 g (p = 0,001) (Abb. 4.2). Im Vergleich stieg die Gewichtszunahme im gleichen Zeitraum bei Einlingsschwangerschaft von 445,1 auf 457,2 g/SSW (p < 0,01) [23]. Es konnte bereits gezeigt werden, dass die schnellere Gewichtszunahme von Schwangeren mit Mehrlings- im Vergleich zu Einlingsgravidität erst ab ca. 18 SSW beginnt [24]. Definitionen der IOM der Gewichtszunahme bei Zwillingsgravidität sind nur für die gesamte Schwangerschaft und nicht als Wert/SSW oder für Schwangere mit präkonzeptionellem Untergewicht definiert (Tab. 4.1). Bei der Beratung müssen jedoch Richtwerte bekannt sein, an denen sich Ärzte und Schwangere orientieren und Ernährung oder Lebensstil anpassen können. Bereits 1993 suchten Luke et al. nach Kriterien für eine „ideale“ Zwillingsschwangerschaft mit niedrigsten Raten perinataler Mortalität und fetaler Wachstumsretardierung. Danach sollte die wöchentliche maternale Gewichtszunahme vor 24 SSW nicht < 0,85 lb (< 385,55 g) und nach 24 SSW nicht < 1 lb (< 453,59 g) betragen [25]. Damals wurden keine Obergrenzen ermittelt. Inzwischen haben wir mit Daten von > 10.000 Zwillingsgraviditäten Quartilen wöchentlicher Gewichtszunahme bestimmt: Vergleichbar mit Luke et al. betrug der Schwellenwert für eine „niedrige Gewichtszunahme“ bis zur 25. Perzentile 419,4 g/SSW und für „hohe Gewichtszunahme“ oberhalb der 75. Perzentile 692,3 g/SSW.
0,59
Mittlere müterliche Gewichtszunahme/SSW im Verlauf von Zwilingsschwangerschaften
0,58
kg/SSW
0,57 0,56 0,55 0,54 0,53 0,52
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 n 675 594 631 623 617 612 560 643 631 662 726 667 690 759 708 805
Abb. 4.2: Signifikanter Anstieg von mittlerer Gewichtszunahme/Schwangerschaftswoche (SSW) umgerechnet auf die entsprechende Schwangerschaftsdauer in kg bei Zwillingsschwangerschaften der Hessischen Perinatalerhebung von 2000 bis 2015 (p < 0,001). Die Fallzahl der Schwangerschaften/ Jahr ist angegeben, nach [22].
4.3 Risikofaktoren von abweichendem mütterlichem Gewicht sowie Gewichtszunahme 123
Diese Grenzwerte sind für die Beratung bei Zwillingsgravidität eine Hilfestellung, da sie mit dem Outcome von Müttern und Kindern korrelieren (s. u.). Wir sind uns jedoch bewusst, dass unsere Schwellenwerte mittlere Werte sind, die zu Beginn der Schwangerschaft eher kleiner und gegen Ende eher größer sein werden.
4.3 Risikofaktoren von abweichendem mütterlichem Gewicht sowie geringer oder hoher Gewichtszunahme Risikofaktoren für ein abweichendes mütterliches Gewicht zu Beginn der Schwangerschaft mit Zwillingen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen von Einlingsschwangerschaften (Tab. 4.2). Höheres Alter der Mutter vermindert Risiken von Untergewicht und Adipositas, da inzwischen jüngere Mütter häufiger adipös sind. Mit zunehmender Parität nehmen Raten von Übergewicht und Adipositas zu, mit höherer akademischer Ausbildung nehmen diese Raten ab (Tab. 4.2). Bei Anwendung der Quartilengrenzen zur Gewichtszunahme bei Zwillingsschwangerschaft zeigt sich, dass hohes Alter und hohe Parität das Risiko exzessiver Gewichtszunahme verringern. Schwangere mit Anstellung und abgeschlossener akademischer Ausbildung haben eher eine Gewichtszunahme innerhalb der 25. und 75. Quartile (Tab. 4.3). Vorbestehendes Unter-, Übergewicht und Adipositas sind signifikant häufiger mit geringer Gewichtszunahme während der Zwillingsschwangerschaft assoziiert (Tab. 4.3).
0,95 (0,92; 0,99)
maternales Alter
1,36 (0,95; 1,97)
… andere
0,95 (0,67; 1,37)
1,01 (0,56; 1,84)
1,46 (0,64; 3,33)
1
2
≥3
Referenz
1,13 (0,47; 2,73)
0,49 (0,15; 1,59)
0,79 (0,54; 1,17)
0,87 (0,55; 1,39)
Hausfrau
Student
Arbeiterin
Angestellte
abgeschlossene akademische Ausbildung
Arbeit
Referenz
0
Parität
Referenz
… deutsch
Nationalität
OR (95 % CI)
Risikofaktoren
Untergewicht
0,5649
0,2412
0,2372
0,7810
0,3647
0,9632
0,7997
p-Wert
0,5990
0,7962
0,0970
0,0046
globaler p-Wert
0,57 (0,45; 0,72)
0,74 (0,62; 0,89) 0,0014
1,21 (0,82; 1,78)
0,74 (0,43; 1,25)
Referenz
3,78 (2,71; 5,27)
0,85 (0,71; 1,01)
0,9374
0,1795
< 0,0001
1,79 (1,39; 2,3)
0,0001
Referenz
0,66 (0,54; 0,8)
Referenz
0,96 (0,95; 0,98)
OR (95 % CI)
1,35 (1,14; 1,59)
0,0116
< 0,0001
0,8875
0,2816
globaler p-Wert
0,2488
p-Wert
Adipositas
0,6786
0,97 (0,84; 1,12)
0,99 (0,69; 1,4)
0,73 (0,46; 1,16)
Referenz
2,46 (1,82; 3,33)
1,7 (1,38; 2,08)
1,08 (0,94; 1,25)
Referenz
0,99 (0,85; 1,15)
Referenz
0,99 (0,98; 1,01)
OR (95 % CI)
Übergewicht
< 0,0001
0,0670
0,3456
0,2573
< 0,0001
< 0,0001
0,0004
p-Wert
< 0,0001
< 0,0001
< 0,0001
< 0,0001
globaler pWert
Tab. 4.2: Risikofaktoren für Untergewicht (BMI < 18,5 kg/m2), Übergewicht (BMI ≤ 25,0/< 30 kg/m2) und Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) im Vergleich zu Normalgewicht (BMI ≥ 18,5/< 25,0 kg/m2) zu Beginn einer Zwillingsschwangerschaft, Multivariatanalyse von 10.603 Zwillingsschwangerschaften, grün hinterlegte Werte: signifikant; BMI = body mass index, CI = Konfidenzintervall. OR = Odds Ratio.
124 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
0,99 (098; 1,01)
OR (95 % CI)
maternales Alter
Kriterien
1,07 (0,93; 1,23)
1,1 (0,89; 1,37)
1,64 (1,23; 2,18)
1
2
≥3
Referenz
0,86 (0,55; 1,34)
1,18 (0,83; 1,67)
0,85 (0,73; 0,98)
0,77 (0,64; 0,93)
Hausfrau
Student
Arbeiterin
Angestellte
abgeschlossene akademische Ausbildung
Arbeit
Referenz
0
Parität
OR (95 % CI)
Risikofaktoren
1,06 (0,91; 1,23) 0,94 (0,78; 1,13)
0,0305 0,0057
0,83 (0,54; 1,29)
Referenz
0,6 (0,41; 0,88)
0,73 (0,58; 0,93)
0,81 (0,7; 0,93)
Referenz
OR (95 % CI)
0,98 (0,96; 0,99)
OR (95 % CI)
1,3 (0,91; 1,86)
0,0263
0,0092
p-Wert
0,3660
globaler p-Wert
0,3699
0,5034
0,0007
0,3667
0,3424
p-Wert
0,0091
0,0089
0,0031
p-Wert
0,3198
0,0011
p-Wert
0,0005
globaler p-Wert
Gewichtszunahme < 419,4 g (Q1)/Schwangerschaftswoche Gewichtszunahme > 692,3 g (Q4)/Schwangerschaftswoche
Tab. 4.3: Risikofaktoren für zu niedrige (< 419,4 g) und zu hohe (> 692,3 g) mütterliche Gewichtszunahme während einer Zwillingsschwangerschaft, nach eigens aufgestellten Quartilen (Q) [22] im Vergleich zu normaler Gewichtszunahme zwischen der 25.und 75. Perzentile, Multivariatanalyse bei 10.603 Zwillingsschwangerschaften, grün hinterlegte Werte signifikant; BMI = body mass index, CI = Konfidenzintervall, OR = Odds Ratio.
4.3 Risikofaktoren von abweichendem mütterlichem Gewicht sowie Gewichtszunahme 125
Referenz
1,61 (1,39; 1,86)
3,09 (2,62; 3,65)
1,55 (1,07; 2,24)
Übergewicht (BMI 25–29,9)
Adipositas (BMI ≥ 30)
Untergewicht (BMI < 18,5)
OR (95 % CI)
0,0205
< 0,0001
< 0,0001
p-Wert
< 0,0001
globaler p-Wert
1 (0,68; 1,48)
1,09 (0,9; 1,33)
1,15 (0,99; 1,33)
Referenz
OR (95 % CI)
0,9955
0,3717
0,0635
p-Wert
0,2901
globaler p-Wert
Gewichtszunahme < 419,4 g (Q1)/Schwangerschaftswoche Gewichtszunahme > 692,3 g (Q4)/Schwangerschaftswoche
normal (BMI 18,5–24,9)
BMI zu Beginn der Schwangerschaft (< 14. SSW)
Risikofaktoren
Tab. 4.3: (fortgesetzt)
126 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
4.4 Auswirkungen auf maternales und neonatales Outcome 127
4.4 Auswirkungen von Unter- und Übergewicht sowie abweichender Gewichtszunahme auf maternales und neonatales Outcome Auch bei Mehrlingsschwangerschaft vermindert ein normales Ausgangsgewicht und eine adäquate Gewichtszunahme in der Schwangerschaft die Rate von Frühgeburten und Untergewichtigkeit [26,27]. Kinder von Schwangeren oberhalb des Minimums der empfohlenen Gewichtszunahme nach IOM-Kriterien (Tab. 4.1) hatten ein besseres Outcome [28]. Bei adipösen Zwillingsschwangeren wurden erhöhte Raten von GDM und HDP festgestellt [29]. Die Folgen übermäßiger Gewichtszunahme bei Zwillingsschwangerschaften waren in einigen Studien für die Kinder weniger belastend sind als bei Einlingsschwangerschaft [30,31]. Dies war in einer retrospektiven Studie anhand von 54.836 Zwillingsschwangerschaften weniger deutlich [32]. Um die Beratung von Schwangeren mit Zwillingen zu verbessern, haben wir die Folgen von BMI-Gruppen sowie hoher bzw. niedriger Gewichtszunahme mit Hilfe einer Multivariatanalyse bei > 10.000 Zwillingsschwangerschaften analysiert (Tab. 4.4). Dabei zeigt sich, dass Raten von Kaiserschnitt, Hypertonus und Präeklampsie signifikant durch Übergewicht, noch mehr durch Adipositas, aber auch durch übermäßige Gewichtszunahme (definiert als Zunahme oberhalb der 75. Perzentile) ansteigen (Tab. 4.4). Die Kaiserschnittrate ist auch erhöht bei zu niedriger Gewichtszunahme (Tab. 4.4). Betrachtet man Kombinationen von BMI und Gewichtszunahme, so haben Mütter mit Zwillingsgravidität und normalem Ausgangsgewicht sowohl bei zu niedriger wie bei zu hoher Gewichtszunahme eine signifikant erhöhte Sectiorate, ebenso Mütter mit Übergewicht und zu hoher Gewichtszunahme (Abb. 4.3). Schwangere mit normalem Gewicht und Übergewicht haben bei zu hoher Gewichtszunahme ebenso ein hochsignifikantes Risiko auf hypertensive Erkrankungen im Verlauf ihrer Zwillingsgravidität (Abb. 4.4) (s. Kap. 5.2). In den anderen Gruppen ist die Fallzahl wohl zu gering, um ein signifikantes Ergebnis zu erzielen, aber der Trend ist ähnlich. Wesentlich ist aber auch, wie Veränderungen von Gewicht und Gewichtszunahme bei einer Mehrlingsgravidität das Outcome der Kinder beeinflussen. Hier bestehen Unterschiede zu Einlingsgraviditäten: Perinatale Mortalität, Frühgeburt, niedriger Apgar-Wert sowie die Aufnahme eines Zwillings auf einer neonatalen Intensivstation waren auch nach Korrektur mit anderen Variablen signifikant häufig mit einer (zu) geringen maternalen Gewichtszunahme im untersten Quartil assoziiert; demgegenüber zeigte der Ausgangs-BMI der Mutter für keine dieser Outcome-Variablen einen signifikanten Einfluss (Tab. 4.5).
128 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
Tab. 4.4: Auswirkungen von maternalem BMI und hoher oder niedriger Gewichtszunahme nach definierten Quartilen (Q) auf das maternale Outcome. Als Referenz wurde ein normaler BMI und eine Gewichtszunahme zwischen 25.und 75. Perzentile verwendet, Multivariatanalyse bei 10.603 Zwillingsschwangerschaften, grün hinterlegte Werte signifikant; BMI = body mass index, CI = Konfidenzintervall, OR = Odds Ratio, SSW = Schwangerschaftswoche. maternales Outcome
Co-Variable (Alter, Rauchen, Jahr OR (95 % CI) der Geburt)
Kaiserschnittrate
Gewichtszunahme
p-Wert
0,0143
> 419,3 < 692,3 g/SSW (Q2/3)
Referenz
< 419,4 g/SSW (Q1)
1,25 (1,05; 1,48)
0,0101
> 692,3 g/SSW (Q4)
1,17 (1,01; 1,35)
0,0426 < 0,0001
maternaler BMI
hypertensive Schwangerschaftserkrankung
globaler p-Wert
BMI 18,5–24,9
Referenz
BMI 25–29,9
1,2 (1,01; 1,41)
0,0357
BMI ≥ 30
1,9 (1,45; 2,49)
< 0,0001
BMI < 18,5
0,99 (0,67; 1,45) 0,9449 < 0,0001
Gewichtszunahme > 419,3 < 692,3 g/SSW (Q2/3)
Referenz
< 419,4 g/SSW (Q1)
0,87 (0,59; 1,27) 0,4721
> 692,3 g/SSW (Q4)
2,32 (1,79; 3,02) < 0,0001 < 0,0001
maternaler BMI BMI 18,5–24,9
Referenz
BMI 25–29,9
1,53 (1,11; 2,1)
BMI ≥ 30
2,85 (1,98; 4,09) < 0,0001
BMI < 18,5
0,52 (0,16; 1,66) 0,2677
0,0089
4.4 Auswirkungen auf maternales und neonatales Outcome 129
Kaiserschnittentbindung in Abhängigkeit von präkonzeptionellem BMI und Gewichtszunahme während Zwillingsschwangerschaft 90
*
n. s.
n. s.
n. s.
*
n. s.
*
80 490
Prozent
70 60
117
53
893
2.413
1.225
512 890
n. s.
419 228
521
53
50 40 30 20 10 0 Untergewicht Gewichtszunahme
normales Gewicht Q1: < 419,4 g/w
Übergewicht
Adipositas
Q23: 419,4–692,3 g/w
Q4: > 692,3 g/w
Abb. 4.3: Prozentuale Häufigkeit von Kaiserschnittentbindung bei Zwillingsgravidität und niedriger (Q1), normaler (Q2–3) und hoher (Q4) maternaler Gewichtszunahme innerhalb verschiedener Gewichtsgruppen. n. s. = nicht signifikant, * = p < 0,05.
Hypertensive Erkrankungen in Abhängigkeit von präkonzeptionellem BMI und Gewichtszunahme während Zwillingsschwangerschaft n. s. 18
***
16
47
Prozent
14 ***
12
60
10 8 6 4 2
*
90
n. s.
n. s.
162
n. s.
n. s. 5
5
53
152
53 38
74
4
0 Untergewicht Gewichtszunahme
normales Gewicht Q1: < 419,4 g/w
Übergewicht Q23: 419,4–692,3 g/w
Adipositas Q4: > 692,3 g/w
Abb. 4.4: Prozentuale Häufigkeit hypertensiver Erkrankungen bei Zwillingsgravidität und niedriger (Q1), normaler (Q2–3) und hoher (Q4) maternaler Gewichtszunahme innerhalb verschiedener Gewichtsgruppen. n. s. = nicht signifikant, * = p < 0,05, *** = p ≤ 0,001.
130 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
Tab. 4.5: Auswirkungen von niedrigem oder hohem maternalem BMI sowie hoher oder niedriger Gewichtszunahme nach definierten Quartilen (Q) auf das neonatale Outcome. Als Referenz wurde ein normaler BMI und eine normale Gewichtszunahme zwischen der 25. und 75. Perzentile verwendet, Multivariatanalyse bei 10.603 Zwillingsschwangerschaften, grün hinterlegte Werte signifikant; BMI = body mass index, CI = Konfidenzintervall, NICU = neonatale Intensivstation, OR = Odds Ratio, SSW = Schwangerschaftswoche. kindliches Outcome
Co-Variable (Alter, Rauchen, Jahr der Geburt)
perinatale Mortalität
Gewichtszunahme
OR (95 % CI)
p-Wert
0,0020
> 419,3 < 692,3 g/SSW (Q2/3)
Referenz
< 419,4 g/SSW (Q1)
2,23 (1,38; 3,6)
0,0010
> 692,3 g/SSW (Q4)
1,02 (0,59; 1,76)
0,9398 0,7401
maternaler BMI
Frühgeburt < 34. SSW
BMI 18,5–24,9
Referenz
BMI 25–29,9
1,24 (0,7; 2,2)
0,4673
BMI ≥ 30
0,84 (0,33; 2,15)
0,7165
BMI < 18,5
0,52 (0,07; 3,84)
0,5244 < 0,0001
Gewichtszunahme > 419,3 < 692,3 g/SSW (Q2/3)
Referenz
< 419,4 g/SSW (Q1)
1,88 (1,58; 2,25)
< 0,0001
> 692,3 g/SSW (Q4)
0,94 (0,78; 1,12)
0,4704
maternaler BMI
APGAR 5‘ < 7
globaler p-Wert
0,7520
BMI 18,5–24,9
Referenz
BMI 25–29,9
1,08 (0,89; 1,31)
0,4434
BMI ≥ 30
1,13 (0,86; 1,48)
0,3762
BMI < 18,5
0,97 (0,6; 1,57)
0,9155 0,0062
Gewichtszunahme > 419,3 < 692,3 g/SSW (Q2/3)
Referenz
< 419,4 g/SSW (Q1)
1,61 (1,19; 2,17)
0,0019
> 692,3 g/SSW (Q4)
1,06 (0,78; 1,44)
0,7067
maternaler BMI
0,5937
BMI 18,5–24,9
Referenz
BMI 25–29,9
0,81 (0,55; 1,17)
0,2585
BMI ≥ 30
0,92 (0,55; 1,52)
0,7389
BMI < 18,5
0,64 (0,23; 1,75)
0,3823
4.4 Auswirkungen auf maternales und neonatales Outcome 131
Tab. 4.5: (fortgesetzt) kindliches Outcome
Co-Variable (Alter, Rauchen, Jahr der Geburt)
NICU Aufnahme
Gewichtszunahme
OR (95 % CI)
p-Wert
globaler p-Wert < 0,0001
> 419,3 < 692,3 g/SSW (Q2/3)
Referenz
< 419,4 g/SSW (Q1)
1,6 (1,38; 1,85)
< 0,0001
> 692,3 g/SSW (Q4)
1 (0,87; 1,14)
0,9568
maternaler BMI BMI 18,5–24,9 BMI 25–29,9 BMI ≥ 30
0,6587
kg/m2
Referenz
kg/m2
kg/m2
BMI < 18,5 kg/m2
1,04 (0,9; 1,21)
0,5764
0,91 (0,74; 1,13)
0,3999
1,11 (0,79; 1,57)
0,5452
Betrachtet man den Einfluss abweichender Gewichtszunahme innerhalb verschiedener Gewichtsgruppen, zeigt sich analog, dass auch für Schwangere mit normalem Ausgangs-BMI eine zu geringe Gewichtszunahme die perinatale Mortalität erhöht, in anderen Gruppen ist dies wegen geringer Fallzahl nur ein Trend (Abb. 4.5). Analog erhöht eine geringe maternaler Gewichtszunahme bei Zwillingsschwangerschaften mit Untergewicht oder normalem Gewicht der Mutter die FrühgeburtsPerinatale Mortalität in Abhängigkeit von präkonzeptionellem BMI und Gewichtszunahme während Zwillingsschwangerschaft 7 6
n. s. 5
Prozent
5 4
n. s.
***
3 n. s.
2 1
2
1
33
n. s. 50
28
n. s. 11
20
n. s.
18 n. s.
9
4 5
0 Untergewicht Gewichtszunahme
normales Gewicht Q1: < 419,4 g/w
Übergewicht Q23: 419,4–692,3 g/w
Adipositas Q4: > 692,3 g/w
Abb. 4.5: Prozentuale Häufigkeit von perinataler Mortalität bei Zwillingsgravidität und niedriger (Q1), normaler (Q2–3) und hoher (Q4) maternaler Gewichtszunahme innerhalb verschiedener Gewichtsgruppen. n. s. = nicht signifikant, *** = p ≤ 0,001.
132 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
raten (< 34 SSW), während zu hohe Gewichtszunahme in keiner Gewichtsgruppe im Vergleich zu normaler Gewichtszunahme einen Einfluss auf die Frühgeburtlichkeit hat (Abb. 4.6). Ein analoges Bild ergibt sich bei niedrigen Apgar-Werten 5 Minuten post partum und Aufnahmen von Zwillingen auf die neonatale Intensivstation (Abb. 4.7). Frühgeburten < 34. SSW in Abhängigkeit von präkonzeptionellem BMI und Gewichtszunahme während Zwillingsschwangerschaft 35 **
30
***
25 Prozent
25
n. s.
318
20 29
15
n. s.
n. s.
134
133
14
n. s.
n. s.
n. s.
50
89
200 100
552 268
10 5 0 Untergewicht Gewichtszunahme
normales Gewicht Q1: < 419,4 g/w
Übergewicht Q23: 419,4–692,3 g/w
Adipositas Q4: > 692,3 g/w
Abb. 4.6: Prozentuale Häufigkeit von Zwillingsgeburten < 34 SSW bei niedriger (Q1), normaler (Q2– 3) und hoher (Q4) maternaler Gewichtszunahme innerhalb verschiedener Gewichtsgruppen. n. s. = nicht signifikant, ** = p ≥ 0,02, *** = p ≤ 0,001.
NICU Aufnahmen in Abhängigkeit von präkonzeptionellem BMI und Gewichtszunahme während Zwillingsschwangerschaft *
80 70
Prozent
60
***
57
n. s.
n. s.
79
36
1.565 779
335
*
n. s.
686
50 40
n. s.
573
n. s.
346 282
145 234
30 20 10 0 Untergewicht Gewichtszunahme
normales Gewicht Q1: < 419,4 g/w
Übergewicht Q23: 419,4–692,3 g/w
Adipositas Q4: > 692,3 g/w
Abb. 4.7: Prozentuale Häufigkeit von Aufnahmen neugeborener Zwillinge auf einer neonatalen Intensivstation bei niedriger (Q1), normaler (Q2–3) und hoher (Q4) maternaler Gewichtszunahme innerhalb verschiedener Gewichtsgruppen. n. s. = nicht signifikant, * = p < 0,05, *** = p ≤ 0,001.
4.5 Mögliche Interventionen 133
Datenbanken, die mehrere Gewichtswerte während einer Zwillingsschwangerschaft dokumentiert haben, können zusätzlich zwischen den Auswirkungen pathologischer Gewichtszunahme in Abhängigkeit des Zeitpunktes der Schwangerschaft differenzieren: Übermäßige maternale Gewichtszunahmen in den ersten 24 SSW sind danach eher mit fetalem Wachstum, nach 24 SSW mehr mit der Rate von Frühgeburten assoziiert [33].
4.5 Mögliche Interventionen Im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften sind das „crowding“, eine suboptimale Implantation der Plazenta, die Eihautverhältnisse, aber auch der erhöhte Nährstoffbedarf mehrerer Kinder spezifisch für Mehrlingsgraviditäten. Mit global steigenden Raten von Adipositas und den damit verbundenen Gesundheitsrisiken für Mutter und Kind richteten sich eine große Anzahl von Studien zum Lebensstil („lifestyle“) auf Schwangere mit hohem Ausgangsgewicht und/oder exzessiver Gewichtszunahme und wie man mögliche negativen Folgen für Mütter und Kinder vermindert könne. Zum Langzeit-Outcome von Mehrlingen und deren Müttern gibt es keine Daten, ebenso wenig gibt es prospektive Studien zur Modifikation des Lebensstils bei Mehrlingsgravidität und Über- oder Untergewicht. Geburtsmediziner können beim Eintritt einer Mehrlingsschwangerschaft allenfalls auf die Gewichtszunahme und nicht mehr auf das Ausgangsgewicht Einfluss nehmen. Aber eine zu hohe oder zu niedrige Gewichtszunahme können mit verschiedenen Risiken assoziiert sein (Abb. 4.8). Will man alle Risiken niedrig halten, scheint Angepasstes Risiko 0,20
0,15
0,10
0,05
0,00 9,4
14,0
19,8
27,2
36,5
Abb. 4.8: Angepasstes Risiko für verschiedene Variablen neonatalen Outcomes (Abszisse) bezogen auf einen äquivalenten Wert maternaler Gewichtszunahme bis zur 37. SSW bei normalem Ausgangsgewicht der Mutter: Grün = Geburtsgewicht < 10.Perzentile, gelb = Frühgeburt < 37.SSW, rot = Geburtsgewicht > 90.Perzentile, blau = perinatale/neonatale Mortalität, modifiziert nach [32].
134 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
eine Gewichtszunahme zwischen den vertikalen Linien im Abb. 4.8 nach Bodnar et al (32) („normal“) günstig zu sein. Bei kausalen Risiken können Beratung und gezielte Maßnahmen das Outcome beeinflussen [32]. Die bisherige Studienlage zu Interventionen können wir hier schematisch nur nach indirekter Datenlage aus Einlingsschwangerschaften zusammenfassen:
4.5.1 Maternales Untergewicht/geringe Gewichtszunahme Ein maternales Untergewicht und zu geringe Gewichtszunahme sind bei Zwillingsschwangerschaften mit Frühgeburt, Wachstumsverzögerung und zu niedrigem Geburtsgewicht der Kinder assoziiert und können vermutlich ähnliche Programmierungsprozesse in Gang rufen, wie sie von Barker für Kinder, deren Mütter Hungerperioden ausgesetzt waren, beschrieben wurden [2]. Dies würde dann bedeuten, dass diese Kinder als Erwachsene ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen aufweisen [34]. Bei Einlingsschwangerschaft erlauben Screening-Methoden im ersten Trimester bereits eine Vorhersage von Wachstumsretardierung, HDP oder GDM, bei Zwillingsschwangerschaft erlaubte ein niedriges SerumPAPP-A allerdings keine Voraussage dieser Risiken, dafür war aber ein erhöhtes βhCG mit erhöhten Raten von Wachstumsretardierung und HDP assoziiert [35]. Verschiedene Risikomarker sind mit vorbestehenden und späteren kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen der Mütter assoziiert. Die Zusammenhänge haben wir zusammengefasst [10], nur fehlen spezifische Untersuchungen für Mehrlingsschwangerschaften. Frühere Arbeiten im Hinblick auf mütterliche Gewichtszunahme bei Mehrlingen konzentrierten sich nicht grundlos auf zu geringes Ausgangsgewicht und zu geringe Gewichtszunahmen. Eine Studie, die zwischen prägraviden Kategorien des BMI differenzierte, fand eine positive Assoziation zwischen Gewichtszunahme und Geburtsgewicht nur bei Müttern mit Unter- und Normalgewicht, aber nicht in der Gruppe mit Übergewicht und Adipositas [36]. Die geringste perinatale Mortalität wurde schon von anderen Autoren bei untergewichtigen Müttern gefunden, wenn sie mindestens 44,2 lb (20,049 kg) und bei normalgewichtigen Müttern, wenn sie mindestens 40,9 lb (18,55 kg) im Verlauf der Schwangerschaft zugenommen hatten [37]. Eine weitere Studie berichtete, dass eine Gewichtszunahme über 40–45 lb (18,14–20,41 kg) in der gesamten Schwangerschaft oder mit 1,25 lb/Woche (567 g/ SSW) mit höheren Geburtsgewichten und einem kürzeren NICU-Aufenthalt für alle Gestationsalter-Gruppen verbunden war [4–6]. Dies stimmt mit den von uns definierten Grenzwerten einer normalen Gewichtszunahme zwischen 419,3 und 692,3 g/ SSW überein. Eine mittlere kumulative Gewichtszunahme bis zu 37–40 SSW wurde von verschiedenen Autoren jeweils für normalgewichtige (20,9 kg), übergewichtige (18,9 kg) und adipöse Schwangere (15,7 kg) mit Gemini beschrieben [24]. Dabei kann
4.5 Mögliche Interventionen
135
anhand von 1109 Verläufen zusammengefasst werden, dass die 50. Perzentile der maternalen Gewichtszunahme bei Beginn einer Zwillingsschwangerschaft eine Zunahme von ca. 500 g/SSW und am Ende von ca. 1000 g/SSW beträgt [24]. Eine retrospektive Studie von > 50.000 Zwillingsschwangerschaften zeigte ebenso, dass Z-Scores von maternaler Gewichtszunahme negativ mit fetaler Wachstumsretardierung in allen maternalen Gewichtsklassen assoziiert sind und Frühgeburten bei normalgewichtigen Müttern eine U-förmige Beziehung zu maternaler Gewichtszunahme zeigen [32]. Höchste Risiken von Wachstumsretardierung, Frühgeburt oder perinataler Mortalität wurden bei einer kumulativen Gewichtszunahme < 14 kg bis zu 37 SSW bei unter- und normalgewichtigen Müttern und < 11 kg oder < 6,4 kg bei übergewichtigen und adipösen Müttern beobachtet [32]. Dabei stellt sich die Frage, welche Beratungs- und Behandlungsstrategien bei Schwangeren von Zwillingen angewandt werden sollen, um das Outcome bei zu geringer maternaler Gewichtszunahme zu verbessern. Dazu müssten behandelnde Ärzte jedoch zunächst einmal auf die auch im Mutterpass regelmäßig aufgezeichneten Werte achten und ihre Patientinnen entsprechend beraten!
Bei einer Umfrage in den USA bei 276 Müttern mit Zwillingen gaben nur 63 % der Frauen an, spezielle Hinweise zu physischer Aktivität und/oder Ernährung erhalten zu haben [38]. Ernährungsberatung war fokussiert auf „balancierter“ und „proteinreicher“ Kost; die meisten Frauen teilten jedoch mit, selbst alle Fragen gestellt zu haben. Nur 21 % der Ärzte sprachen Aspekte von Gewichtsverlauf und Ernährung an [38]. Nicht nur in Bezug auf Diagnose und Beratung, sondern noch mehr auf Interventionen werden prospektive Studien benötigt.
4.5.2 Maternales Übergewicht/hohe Gewichtszunahme Übergewicht und Adipositas verursachen auch bei Schwangeren mit Mehrlingen erhöhte Raten von GDM und HDP, ebenso ist eine exzessive Gewichtszunahme im obersten Quartil mit hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft assoziiert (Tab. 4.4). Kombiniert man exzessive Gewichtszunahme mit dem vorbestehenden BMI der Mutter, so war eine übermäßige Gewichtszunahme in Gruppen mit Normalund Übergewicht mit HDP assoziiert (Abb. 4.4). Da Angaben der Hessischen Perinatalerhebung keine genauen Diagnosen von GDM zulassen, konnten wir dieses Risiko nicht exakt ermitteln. Nicht-medikamentöse Interventionen bei maternaler Adipositas und hoher Gewichtszunahme sind generell physische Aktivität, Diät oder psychologische Interventionen. Bis Juni 2020 fanden wir 21 systematische Reviews (SR) und Metaanalysen, die eine Prävention maternaler Erkrankungen wie GDM oder HDP als primäres Out-
136 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
come bei übergewichtigen und adipösen Frauen definiert hatten; einige Studien hatten zwar auch Mehrlingsschwangerschaften inkludiert, jedoch erlauben diese Mischkollektive keine Rückschlüsse, inwieweit die Interventionen auch bei Schwangerschaften mit Zwillingen und/oder höhergradigen Mehrlingen Wirkung zeigen oder überhaupt sinnvoll sind. Nur 4/21 dieser SR wiesen eine nach Kriterien von AMSTAR2 [39] bzw. ROBIS [40] eine hohe Qualität auf, diese bezogen sich auf Diätberatung [41], Aktivitätsprogramme [42] und die Kombination von Aktivitäts- und Diätberatung [43,44]. Alle Autoren gaben an, dass sie keine randomisierte Studie zu LifestyleBeratung und -Begleitung gefunden hätten, die eine ausreichende Anzahl von Mehrlingsschwangerschaften inkludiert hatten, um eine Stratifizierung zu erlauben. Daher sollten spezifische Studien für adipöse Schwangere mit Mehrlingsgravidität als Multi-Center-Studien geplant werden. Bis dahin ist eine evidenzbasierte Beratung zum Lebensstil nur unter Vorbehalt möglich, derzeit kann man sich nur an retrospektiven Zahlen orientieren. Erschwerend für allgemeine Ratschläge über soziale oder Landesgrenzen hinweg ist es, dass Frauen überall unterschiedlich aktiv sind: In Norwegen betreiben 46 % der Frauen Sport, bei 17 SSW sind es noch 28 %, bei 30 Wochen noch 20 % [45]. In anderen Ländern ist der Rückgang körperlicher Aktivität selbst bei unauffälliger Schwangerschaft extremer, besonders in Gruppen mit niedrigem Einkommen. Für Mehrlingsgravidität gibt es keine Zahlen. Nach einem systematischen Review verbringen bereits Schwangere mit Einlingsgravidität über 50 % in sitzender Position, was mit erhöhten Werten von C-reaktivem Protein und LDL-Cholesterol einhergeht [46]. Langes Sitzen während der Schwangerschaft ist mit erhöhten Azidose-Raten bei Neugeborenen assoziiert, umgekehrt fördert eine moderate physische Aktivität die Sauerstoffsättigung im Nabelschnurblut [47]. Moderate physische Aktivität und langes Sitzen sind jedoch vor allem mit dem Zytokin-Profil assoziiert [48]. Physische Aktivität verkürzt eventuelle Krankheitszeiten während und nach der Schwangerschaft [49]. Eine Sekundäranalyse der Daten der DALIStudie ergab, dass vor allem eine Reduktion von Sitzperioden das Leptin im Nabelschnurblut des Kindes erniedrigt (–3,80 μg/l; 95 % CI –7,15, –0,45; p = 0,03) und das Risiko auf kindliche Adipositas reduziert [50]. Bei Schwangeren mit Mehrlingsgravidität wird die körperliche Aktivität oft noch extremer eingeschränkt als bei Einlingsschwangerschaften. Daher sollte man noch mehr dazu raten, lange Sitzperioden zu vermeiden ohne gleich Leistungssport zu verlangen. Dies erfordert ein Umdenken von früheren Konzepten, hauptsächlich „zu ruhen“. Auch nach der Schwangerschaft sollten Mütter möglichst nicht an Gewicht zuzunehmen bzw. eine mögliche Gewichtszunahme während der Schwangerschaft rückläufig zu machen. Frauen mit fortbestehendem Übergewicht oder Adipositas hatten bei weiteren Schwangerschaften ein bis zu 3,6-fach erhöhtes Risiko auf eine Totgeburt, speziell, wenn das Intervall unter 18 Monaten betrug [51]. Es ist anzunehmen, dass dies auch für Mütter nach einer Mehrlingsgeburt gilt, ebenso muss man langfristige Auswirkungen auf das mütterliche kardiovaskuläre und metabolische System erwarten [52].
4.5 Mögliche Interventionen
137
4.5.3 Fazit Zusammenfassend besitzen die einfache Verfolgung des Gewichtsverlaufs und Versuche einer Einflussnahme auf Diät und den Lebensstil vor, während und nach einer Schwangerschaft, ein kosteneffizientes Potenzial, die Gesundheit von Müttern und ihrer Nachkommen nachhaltig zu beeinflussen, das unzureichend genutzt wird. Ein Vergleich von 480.010 Frauen mit Einlings- und 7860 mit Zwillingsschwangerschaften aus Kanada zeigte analog zu unseren Daten, dass bei Zwillingsschwangerschaften zwar die absoluten Raten von HDP, GDM und Kaiserschnitten erhöht sind und mit steigendem BMI der Mütter ansteigen, die Assoziation jedoch bei Mehrlings- weniger stark als bei Einlingsgravidität hervortritt: Ein BMI ≥ 40,0 kg/m2 hatte bei Einlingsmüttern ein angepasstes relatives Risiko von aRR 3,10, 95 %-CI 2,96–3,24 auf ein kombiniertes Outcome von GDM, HDP oder Sectio im Vergleich zu einem Wert von einem aRR 1,74, 95 %-CI 1,37–2,20 bei Zwillingsmüttern. Analog nahm nur bei Einlingsschwangerschaft mit steigendem BMI auch das Risiko auf eine (meist iatrogene) Frühgeburt zu, bei Zwillingsschwangerschaften war (nur) ein Untergewicht der Mütter ein Risikofaktor für eine Frühgeburt < 32 SSW (aRR 1,67, 95 %-CI 1,17–2,37), speziell mit spontanem Geburtsbeginn (aRR 2,10, 95 %-CI 1,44–3,08) [53]. Ärzte und Hebammen, die Schwangere mit Mehrlingsgravidität beraten und überwachen, müssen wissen, dass ein prägravider hoher BMI und/oder eine exzessive Gewichtszunahme für das Outcome von Einlingen eine gravierendere Rolle besitzen als für das Outcome von Mehrlingen. Bei Mehrlingsgravidität sollte vor allem darauf geachtet werden, in allen maternalen Gewichtsgruppen für eine ausreichende Gewichtszunahme zu sorgen und die Beratung daraufhin auszurichten. Ein Untergewicht der Mütter wurde bisher in Reproduktionszentren präkonzeptionell nie beachtet und ggf. sollte man Mütter dort bei Untergewicht raten, durch ihren Lebensstil in eine normale Gewichtsgruppe zu kommen, da die Mehrlings- und Frühgeburtsraten nach ART besonders hoch sind. Prospektive Studien sollten untersuchen, ob eine ausreichende Gewichtszunahme nach Diätberatung einen protektiven Effekt für ein reduziertes Outcome der Kinder und Frühgeburten haben kann. Ebenso sollten auch systematische Nachuntersuchungen kardiovaskulärer und metabolischer Risiken von Mehrlingsmüttern mit hohen BMI erfolgen. Es ist noch viel zu tun. Danksagung Hiermit danke ich den Kolleginnen und Kollegen aus den Hessischen Krankenhäusern, die durch die Dokumentation der Qualitätssicherungsdaten viele der gezeigten Analysen ermöglicht haben, sowie der Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen, vor allem Herrn Dr. Björn Misselwitz, der die gesammelten Daten zur Verfügung gestellt hat. Frau Prof. Nina Timmesfeld und Frau Kathrin Noever haben eine umfangreiche Plausibilitätskontrolle der Daten vorgenommen. Auch Ihnen sei Dank. Gleichzeitig mit diesem Artikel entstanden zwei Publikationen von Frau Julia Schubert. Die
138 4 Auswirkung von mütterlichem Gewicht und Gewichtsverlauf
erste wurde bereits publiziert, die zweite wurde zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels eingereicht. Ihr danken wir besonders, da sie alle Daten, wie Quartilen der Gewichtszunahme während einer Zwillingsgravidität, Risikofaktoren und Auswirkungen von zu hohem oder zu niedrigem BMI erstmalig für den deutschsprachigen Raum so ausführlich analysiert hat. Zwar wird die Gewichtszunahme im Mutterpass seit Jahrzehnten dokumentiert, allerdings wird ihr einfach nicht genügend Beachtung geschenkt. Stattdessen werden oft kostspielige Untersuchungen angeordnet, deren Bedeutung für Mehrlingsschwangerschaften im Hinblick auf Konsequenzen nicht immer erforscht sind. Mit diesem Kapitel erhoffen wir uns eine stärkere Berücksichtigung des mütterlichen Gewichtsverlaufs bei der pränatalen Betreuung von Mehrlingsgraviditäten. Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10]
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5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter Birgit Arabin, Amr Hamza Schwangerschaftserkrankungen belasten Mütter mit Zwillingen oder höhergradigen Mehrlingen häufiger als Schwangere mit Einlingen. Dies heißt aber nicht notgedrungen, dass dadurch auch ähnlich hohe oder ähnlich schwere mütterliche und kindliche Risiken während und nach der Schwangerschaft bestehen. Keinesfalls darf man biophysikalische oder biochemische Untersuchungsmodule und klinische Symptome auf dieselbe Weise wie bei Einlingen interpretieren. Dass die nachfolgend aufgeführten Schwangerschaftserkrankungen nicht in der aktuellen AWMF Leitlinie zur Mehrlingsgravidität angesprochen werden, zeigt, wie sehr die gesonderte Betrachtung vernachlässigt wird [1]. Umgekehrt vernachlässigen Leitlinien dieser Krankheitsbilder die Besonderheiten einer Mehrlingsgravidität. Daher wollen wir hier erörtern, wie sich ausgewählte Schwangerschaftserkrankungen bei Mehrlingsgravidität äußern und was dies für Pathophysiologie, Diagnostik, Behandlung und Prognose von Müttern und Kindern bedeutet. Dies ist für medizinische Betreuer, für die Mütter und ihre Nachkommenschaft bedeutsam.
5.1 Gestationsdiabetes Bei einem Gestationsdiabetes oder gestational diabetes mellitus (GDM) entwickeln Schwangere ohne (bekannte) vorbestehende Glukosetoleranzstörung oder vorbestehenden Diabetes mellitus eine chronische Hyperglykämie auf der Basis einer Dysfunktion von Pankreaszellen oder Insulinresistenz. Risikofaktoren sind Übergewicht und Adipositas, erhöhtes mütterliches Alter und die Familienanamnese. Ein (unbehandelter) GDM führt aber nicht nur zu Kurzzeitrisiken während der Schwangerschaft und Geburt, sondern auch zu späteren metabolischen und kardiovaskulären Gesundheitsrisiken bei den Frauen und ihrer Nachkommenschaft [2]. Inwieweit eine Gravidität mit zwei oder mehr Kindern Auftreten oder Schweregrad eines GDM beeinflussen, ist unzureichend untersucht [3]. Weder in der international publizierten ersten AWMF Leitlinie zum GDM noch in einem 2020 erschienenen Buch zum GDM kommen die Begriffe „Zwilling“ oder „Mehrling“ vor, von einem Versuch, diagnostische und therapeutische Konzepte für Mehrlinge auszuarbeiten, ganz zu schweigen [4,5]. In der neueren deutschen Leitlinie wird lediglich in einem Satz eine Arbeit aus 2015 zitiert, nach denen die Inzidenz von GDM bei Zwillingsgravidität nicht erhöht sein soll, ohne dass Ratschläge zur Diagnostik oder Therapie gegeben werden [6]. Damit wird zu Unrecht suggeriert, dass es keine Unterschiede bei der Interpretation diagnostischer Verfahren oder den mit GDM assoziierten Risiken gibt. Dies ist aber nicht der Fall.
https://doi.org/10.1515/9783110669749-005
142 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
5.1.1 Inzidenz und Prävalenz Weltweit steigt die Inzidenz von Diabetes mellitus durch die Zunahme von Übergewicht und Adipositas, aber auch durch eine hochkalorische ungesunde Ernährung und Abnahme körperlicher Aktivität. Dies betrifft auch Frauen im gebärfähigen Alter [6,7]. Strengere Kriterien von Screening-Programmen erhöhen die Raten von erkanntem GDM zusätzlich [8]. Bei Anwendung der Kriterien der „International Association of the Diabetes and Pregnancy Study Groups“ (IAPSG) in der „Hyperglycaemia and Adverse Pregnancy Outcome“ (HAPO) Studie in 15 Zentren war die mittlere Prävalenz 17,8 % (95 % CI 9,3–25,5 %) [9,10]. Allerdings wurden in der HAPO-Studie Mehrlingsgraviditäten ausgeschlossen. Nach Schätzung der Internationalen Diabetes Föderation (IDF) 2019 betrugen die globalen Raten ca. 14 % aller Schwangerschaften [11]; 2020 waren ca. 21 Millionen Schwangere von GDM betroffen [12]. In mehreren Ländern wird eine Mehrlings-Schwangerschaft als ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten eines GDM definiert [13]. In einer australischen Studie war die Inzidenz eines GDM bei Einlings- und Zwillings-Schwangerschaft 10,4 % bzw.16,7 %, innerhalb einer Population [12].
5.1.2 Pathophysiologie Jede Schwangerschaft ist durch erhöhte metabolische Aktivität charakterisiert, um einen stabilen Glukosespiegel für Mütter und Kinder aufrechtzuerhalten. Die Mechanismen bei der Entstehung eines GDM sind komplex und entwickeln sich erst während der Schwangerschaft und ihren steigenden Anforderungen. Meist können die βZellen im Pankreas der Mutter das steigende Angebot an Glukose nicht mehr kompensieren, es kann zu einer Insulinresistenz und erhöhtem Glukosespiegel kommen. Bei Mehrlingsgravidität wird dies eventueller durch den höheren Energiebedarf zweier oder mehrerer Kinder kompensiert, auch sind alle Kinder dem erhöhten Glukosespiegel ausgesetzt. Bei allen Schwangerschaften tragen ein erhöhter Body Mass Index (BMI), chronische Entzündungen, oxidativer Stress und plazentare Faktoren wie die Produktion der diabetogenen Hormone humanes plazentares Laktogen (HPL), Östrogen, Progesteron und Cortisol zur Entstehung eines GDM bei [7]. Diese Risiken könnten bei Mehrlingsgravidität anders wirken; die Eihautverhältnisse tragen allerdings nicht zu einer Veränderung von Risiken bei [8]. Wie sich die erhöhte Inzidenz von GDM bei Mehrlingsschwangerschaft auch auf absolute und relative Risiken von Spätfolgen wie das Entstehen eines Diabetes Typ 2 bei der Mutter oder Makrosomie oder spätere Adipositas der Kinder auswirkt, wurde bisher nicht evaluiert. Anhand deutscher Daten konnten wir zeigen, dass eine Adipositas oder exzessive Gewichtszunahme das Outcome von Zwillingen nicht signifikant beeinflusst, sondern hauptsächlich eine zu geringe Gewichtszunahme höhere Risiken hat (s. Kap. 4.3).
5.1 Gestationsdiabetes 143
Eine bessere Kenntnis der komplexen pathophysiologischen Zusammenhänge bei Mehrlingen wäre erforderlich, um effektive spezifische Präventions- und Behandlungsstrategien zu entwickeln und Gefahren einer Übertherapie zu vermeiden.
5.1.3 Screening/Diagnostik Maternales Alter, Ethnizität, Body Mass Index (BMI) und systolischer Blutdruck können durch logistische Regression zu einer Voraussage eines GDM herangezogen werden und erreichen bereits im 1. Trimester eine Sensitivität, Spezifität, einen positiven bzw. negativen Vorhersagewert von 85 %, 62 %, 13,8 % und 98,3 % [9]. Ob ähnliche Modelle auch bei Mehrlingsgravidität eingesetzt werden können, ist nicht untersucht. Als Standard für ein Screening nach dem Risiko eines GDM wird international von der International Federation of Gynaecology and Obstetrics (FIGO) empfohlen, einen oralen Glukose-Toleranztest (OGTT) nach Bestimmung des Nüchternwertes mit 75 g Glukose durchzuführen. Diese Institution wünscht dann auch, dass Europäische Institutionen zur Ausbildung von Gynäkologen (EBCOG) sowie die Europäische Assoziation der Perinatalmedizin (EAPM) hier zusammenarbeiten [10]. Trotzdem wurde und wird in verschiedenen Ländern routinemäßig zunächst ein OGGT mit 50 g Glukose durchgeführt und nur bei suspekten Werten ein Test mit 75 g Glukose nachgeschaltet. In einer retrospektiven Studie wurden 3901 Zwillingsschwangerschaften in Ontario zwischen 2012 und 2016 untersucht und mit 266.942 Einlingen mit und ohne GDM verglichen (s. u.). Bis 2013 erfolgte ein 50g-OGTT mit einem cut-off-Wert von > 7,8 mmol/l oder 140 mg/dl. Bei auffälligem 50 g Test wurde ein 75 g OGTT mit cut-off Werten in nüchternem Zustand von 5,3 mmol/l oder 96 mg/dl, nach 1 Stunde von ≥ 10,6 mmol/l (191 mg/dl) und nach 2 Stunden von ≥ 8,9 mmol/l (160 mg/dl) durchgeführt. Die Diagnose GDM wurde bei ≥ 2 auffälligen Werten im 75 g OGTT oder einem Wert ≥ 10,3 mmol/l (185 mg/dl) im 50 g OGTT festgelegt. Ab 2013 wurden zwar Schwellenwerte von 11,1 mmol (200 mg/dl) statt 10,3 mmol/l beim 50 g OGTT und von 9,0 mmol/l (162 mg/dl) statt 8,9 mmol/l nach 2 Stunden für den 75 g OGTT verwandt, aber (noch) keine spezifischen Grenzwerte für Mehrlingsgraviditäten definiert. Absolute Häufigkeiten waren bei Zwillings- gegenüber Einlingsschwangerschaften in beiden Zeiträumen erhöht. In einer retrospektiven australischen Studie mit 233 Mehrlings- und 13.294 Einlingsschwangerschaften wurde primär ein 75 g OGTT zwischen der 26.–28. SSW, bei erhöhtem Risiko schon zwischen 14. und 20. SSW angewandt. Die GDM-Raten betrugen dann 16,7 % (Zwillinge) versus 10,5 % (Einlinge) [11]. Ein israelisches Team fand in einer retrospektiven Analyse bei 14.268 Einlingsund 529 Mehrlingsschwangerschaften, dass ein 50 g OGGT mit erhöhten falsch posi-
144 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
tiven Raten und einem niedrigeren Vorhersagewert bei Zwillingsschwangerschaft verbunden war, die absoluten Glukose-Werte waren im Mittel signifikant höher als bei Einlingsgravidität [12]. Dies war ähnlich in einer koreanischen Studie [13]. Trotzdem war die Inzidenz eines GDM bei Zwillings- nicht signifikant höher als bei Einlingsgraviditäten. In Japan wurde 2015 schrittweise bei 13.8503 Einlings- und 6059 Zwillingsschwangerschaften im 1. Trimenon der zufällige („random“) Zuckerwert bestimmt und bei ≥ 105 mg/dl (5,8 mmol/l) ein 75 g OGTT durchgeführt [14]. Bei allen so positiv getesteten Frauen wurde im 2. Trimenon ein 50 g OGTT mit einem Grenzwert nach 1 Stunde von ≥ 140 mg/dl (7,8 mmol/l), bei Überschreiten ein 75 g OGTT indiziert mit Grenzwerten von ≥ 92 mg/dl (5,1 mmol/l) (nüchtern), von ≥ 180 mg/dl (10,0 mmol/l) nach 1 Stunde und von ≥ 153 mg/dl (8,5 mmol/l) nach 2 Stunden. Dabei waren sogar ein GDM und DM bei Einlings- häufiger als bei Zwillingsschwangerschaft (2,6 versus 1,8 %, p < 0,0001). An der Berliner Charité wurde bei 89 Zwillings- mit 178 gematchten Einlingsschwangeren nach Überschreiten eines Grenzwerte von 140 mg/dl beim 50 g OGTT ein 75g-OGTT mit verschiedenen Grenzwerten von 90/165/145 mg/dl oder von 90/ 180/155 mg/dl untersucht [15]. Bei keinem der Grenzwerte ergab sich ein signifikanter Unterschied der GDM-Raten zwischen Einlings- und Zwillingsgravidität. Eine retrospektive österreichischen Studie untersuchte sogar 60 Drillingsschwangerschaften, um sie dann mit 60 BMI-gematchten Einlingsschwangerschaften und Anwendung der IADPSG-Kriterien zu vergleichen [16]. Raten mit GDM waren bei Drillingsschwangerschaften sogar dreifach erhöht (31,7 versus 11,7 %, p = 0,010). Durch eine systematische Literaturrecherche zeigten die Autoren, dass in 38 Studien von 1991 bis 2017 Angaben zu GDM-Raten bei Mehrlingsschwangerschaften zwischen Raten von 7,4 und 38,5 % schwankten, dies zeigt die Auswirkungen unterschiedlicher diagnostischer Kriterien und vorbestehender Risiken, wie Alter, Ethnizität und BMI, sowie möglicherweise eingesetzter Präventionsmaßnahmen. Last but not least versuchte das Team aus Ontario anhand des 75 g OGTT bei 55 361 primigraviden Einlings- und 1308 Zwillingsschwangerschaften zwischen 2007 und 2017 und deren Outcome zwillingsspezifische Schwellenwerte des OGTT festzulegen. Danach hat ein Nüchtern-Glukosewert von 5,3 mmol/l bei Einlingsgravidität etwas dasselbe Risiko für die spätere Entwicklung eines GDM wie ein Nüchtern-Glukosewert von 5,8 mmol/l bei Zwillingsschwangerschaft. Alle prognostischen Werte des 75-OGTT sind in Tab. 5.1 zusammengefasst. So könnte eine zu häufige Diagnose bei Verwendung der Grenzwerte von Einlingsschwangerschaften unnötige oder sogar schädliche Therapiemaßnahmen verhindert werden [17a,17b].
5.1 Gestationsdiabetes 145
Tab. 5.1: Vorschlag eines für Zwillingsschwangerschaften angepassten 75 g oralen Glukosebelastungstests (OGTT) mit spezifischen Schwellenwerten, nach [17a]. Standard OGTT
zwillingsspezifischer OGTT
nüchtern
5,3 mmol/l (95 mg/dl)
5,8 mmol/l (104 mg/dl)
nach 1 Stunde
10,6 mmol/ (191 mg/dl)
11,8 mmol/l (209 mg/dl)
nach 2 Stunden
9,0 mmol/l (162 mg/dl)
10,4 mmol/l (187 mg/dl)
Unter Anwendung dieser Kriterien haben Mehrlingsschwangerschaften nach künstlicher Befruchtung, mit vorbestehenden metabolischen Grunderkrankungen, asiatischer Herkunft, einem hohen Alter oder BMI noch immer ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines GDM. Derzeit werden Mehrlingsschwangerschaften bei Screening und Diagnostik im Hinblick auf GDM wie Einlingsgraviditäten eingeschätzt und behandelt. Dadurch entsteht die Gefahr einer Überdiagnostik oder nicht erforderlicher Maßnahmen (z. B. Diät), die unter Umständen sogar schädlich sein können. Der sonographischen Kontrolle des fetalen Wachstums kommt bei Mehrlingsgravidität eine wichtige Funktion zu, ebenso sollten angepasste Grenzwerte bei Belastungstesten berücksichtigt werden.
5.1.4 Einfluss von GDM auf das Outcome Bei einer Einlingsgravidität kann ein unkontrollierter GDM eine fetale Makrosomie, neonatale Hypoglykämie, erhöhte Raten von RDS und Schulterdystokie verursachen [18,19]. Bei Zwillingsschwangerschaften untersuchte eine große populationsbasierte Studie in Ontario das relative adjustierte Risiko eines GDM bei 3901 Zwillings- im Vergleich zu 266.942 Einlingsschwangerschaften für das maternale und kindliche Outcome beeinflusst (Tab 5.2) [20]. Dabei erhöhte ein GDM in beiden Kollektiven das Risiko einer Sectio und einer Frühgeburt vor 37 und vor 34 SSW. Hypertensive Erkrankungen als Ganzes waren in beiden Kohorten signifikant häufiger mit GDM assoziiert, aber Schwangerschaftshypertonus und Präeklampsie waren bei Zwillingsschwangeren mit GDM nicht mehr signifikant erhöht (Tab. 5.2). Bei Neugeborenen waren nur die Raten makrosomer Kinder, einer Hyperbilirubinämie und einer Aufnahme auf die NICU in beiden Kohorten signifikant erhöht. (Tab. 5.2).
146 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
Tab. 5.2: Angepasstes relatives Risiko (aRR) eines Gestationsdiabetes (GDM) für maternales und neonatales Outcome, modifiziert nach [20]. Signifikante Variablen sind fett markiert, CI = Konfidenzintervall, HDP = hypertensive Erkrankungen, NICU = neonatale Intensivstation, PE = Präeklampsie, SSW = Schwangerschaftswoche, Vag-Op Geburt = Vaginal-operative Geburt. Einlingsgravidität
Zwillingsgravidität
GDM
Kein GDM
Angepasstes GDM RR
Kein GDM
Angepasstes RR
Outcome N (%)
16 731 (%)
250 211 (%) (95 %CI)
326 (%)
3 275 (%)
(95 %CI)
HDP
1312 (7,8)
10 153 (4,1) 1,56 (1,47–1,66)
38 (11,7)
311 (8,7)
1,41 (1–1,98)
Nur SchwangerschaftsHypertonus
1135 (6,8)
8322 (3,3)
1,66 (1,55–1,77)
27 (8,3)
203 (5,7)
1,47 (0,96–2,24)
Nur PE
177 (1,1)
1831 (0,7)
1,26 (1,06–1,55)
11 (3,4)
108 (3)
1,44 (0,76–2,74)
Einleitung
6536 (39)
58 174 (23,2)
1,68 (1,65–1,72)
68 (20,9)
1070 (29,9)
0,71 (0,55–0,91)
Vag-Op Geburt
1540 (9,2)
24 182 (9,7) 0,98 (0,93–1,04)
22 (6,7)
394 (11)
0,73 (0,47–1,15)
Sectio
6183 (37)
67 211 (26,9)
1,20 (1,17–1,23)
229 (70,2)
2121 (59,3)
1,11 (1,02–1,21)
Frühgeburt < 37 SSW
1395 (8,3)
1,48 (1,39–1,57)
184 (56,4)
1737 (48,6)
1,21 (1,08–1,37)
< 34 SSW
225 (1,3)
1,25 (1,06–1,47)
50 (15,3)
394 (11)
1,45 (1,03–2,04)
< 32 SSW
71 (0,4)
0,99 (0,74–1,31)
16 (4,9)
137 (3,3)
1,24 (0,59–2,59)
Geburtsgewicht (g)
3315 ± 543 3383 ± 537
2452 ± 517
2491 ± 505
21 (3,2)
90 (1,3)
2,52 (1,52–4,23)
1,18 (1,13–1,01
> 90.Perzentile 2188(13,1)
22770 (9,1)
< 10.Perzentile 1514 (9,0)
23069 (9,2) 1,01 (0,95–1,07)
152 (23,4)
1865 (26,3)
0,95 (0,79–1,14)
Apgar 5‘ < 7
296 (1,8)
4094 (1,6)
0,95 (0,84–1,09)
21 (3,2)
282 (4,0)
0,87 (0,5–1,51)
Aufnahme NICU
2799 (16,7) 25983 (10,4)
1,44 (1,38–1,50
349 (53,8)
3287 (46,3)
1,12 (1–1,25)
5.1 Gestationsdiabetes 147
Tab. 5.2: (fortgesetzt) Einlingsgravidität
Zwillingsgravidität
GDM
Kein GDM
Angepasstes GDM RR
Kein GDM
Angepasstes RR
1189 (7,1)
14906 (6)
1,09 (1,02–1,16)
130 (20)
1343 (18,9)
0,93 (0,75–1,16)
Phototherapie 708 (4,2)
6629 (2,6)
1,49 (1,37–1,62)
69 (10,6)
476 (6,7)
1,56 (1,10–2,21)
Hypoglykämie 1510 (9)
5859 (2,3)
3,2 (3,01–3,40)
68 (10,5)
652 (9,2)
1,15 (0,84–1,59)
Pulmonale Morbidität
Diese Daten, die in intelligenter Weise auf die relativen Risiken eingehen, stellen vorangegangene Untersuchungen, die nur absolute Häufigkeiten untersuchen, ohne die vorbestehenden ihnen eigenen Risiken von Zwillingen oder gar höhergradigen Mehrlingen zu berücksichtigen, in den Schatten. Hierzu gehört auch eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 mit 13 Beobachtungsstudien zwischen 2003 und 2016, die jedoch bestätigte, dass Mehrlinge von Müttern mit GDM häufiger intensivpflichtig sind [21]. Die Analyse des relativen Risikos zeigt, dass es bei GDM zwar zu beschleunigtem Wachstum und einer Hyperbilirubinämie von Zwillingen kommt, andere maternalen oder kindlichen Komplikationen aber weniger stark ausgeprägt sind als bei Einlingen.
5.1.5 Prävention eines GDM Zu diesem Thema gibt es zahlreiche Studien, die sich jedoch nur auf Einlingsgraviditäten und dabei auf Normalkollektive oder Schwangere mit hohem BMI beziehen. Für Mehrlingsschwangerschaften existieren keine spezifischen Daten. Als nicht-pharmakologische Interventionen kommen Ernährungsberatung, Beratung zu verstärkter physischer Aktivität oder Reduktion langer Ruheperioden, Kombinationen beider Interventionen oder Kombinationen von Lebensstilberatung mit Verhaltenstherapie in Frage. Die Studien unterscheiden sich jedoch gravierend in ihrer Studienqualität (z. B. Ausschluss eines Bias durch Vorregistrierung), ihrer Heterogenität und der Intensität der klinischen Überwachung und Intensivierung der Maßnahmen (z. B. Häufigkeit und Dokumentation physischer Aktivität). Wie bereits in Kap. 4.5 dargelegt, fanden wir bis Juni 2020 sogar schon 21 Metaanalysen zu diesen Themen mit unterschiedlicher Qualität, aber ohne Subpopulationen von Zwillingen oder höhergradigen Mehrlingen. Generell sollte aber aufgrund der Erkenntnisse der DALI-Studie auch bei Mehrlingsgravidität physische Aktivität empfohlen und lange Perioden mit
148 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
sedativem Verhalten vermieden werden (s. Kap. 4.5). Noch weniger sollten derzeit pharmakologische Interventionen bei Mehrlingsgravidität zur Anwendung kommen, da selbst bei Einlingsgravidität die Applikation von Metformin bei Adipositas, mit Myo-Inositol, eine Supplementation mit Omega-Fettsäuren, mit Vitamin D oder Applikation von Probiotika jeweils zur Vermeidung eines GDM umstritten sind [22–25]. Im Hinblick auf eine Prävention eines GDM bei Mehrlingsgravidität können hier keine evidenzbasierten Empfehlungen ausgesprochen werden. Trotzdem sollten Schwangere mit Zwillingen oder höhergradigen Mehrlingen zu physischer Aktivität ermutigt werden, vor allem, um zu lange Perioden von Sitzen oder Liegen zu vermeiden.
5.1.6 Überwachung und Therapie Bei der Diagnose eines GDM bei Mehrlingsgravidität stehen Geburtsmediziner vor der komplexen Aufgabe, diesen zu behandeln, für Kontrollen des Blutzuckers und fetalen Wachstums zu sorgen, eine Diätberatung zu initiieren und die Notwendigkeit einer Insulintherapie zu erkennen, sollte ein diätetisch eingestellter GDM weiter entgleisen. Die Betreuung durch ein multidisziplinäres Team ist bei schwierigen Verläufen hilfreich und indiziert, vor allem dann, wenn kein hierin erfahrener Geburtsmediziner zur Verfügung steht. In einer retrospektiven australischen Studie wurde bei 99/410 Zwillingsschwangerschaften, ein GDM diagnostiziert und zwischen 2011 und 2015 mit 2639 Einlingsschwangerschaften mit GDM verglichen. Obwohl die Werte eines 75 g OGTT und des glykolisierten Hämoglobins (HbA1C) zum Zeitpunkt der Diagnose in beiden Gruppen vergleichbar waren, benötigte ein höherer Anteil der Schwangeren mit Einlingen im Vergleich zu Zwillingen eine Insulintherapie (43,8 % versus 26 %) [26] (Tab. 5.3). Vergleichbare Daten eines „milderen Verlaufs“ konnte eine andere Arbeitsgruppe feststellen [21]. Tab. 5.3: Vergleich des oralen Glukosetoleranztest (OGTT), Schwangerschaftswoche (SSW) bei Diagnose und Rate notwendiger Insulintherapie zwischen Mehrlings- und Einlingsschwangerschaften mit GDM, modifiziert nach [26], MW = Mittelwert. Diagnostik mit 75 g OGTT/Therapie Einlingsgravidität mit GDM n = 2639
Zwillingsgravidität mit GDM n = 99
Nüchtern Glukose (mmol/l) Glukose nach 2 Stunden (mmol/l)
5,2 ± 0,5 8,4 ± 1,5
5,1 ± 0,8 8,5 ± 1,6
SSW bei Diagnose, MW(Spanne)
26 (17– 9)
27 (17–28)
notwendige Insulintherapie (%)
43,8
26,0
5.2 Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft 149
Der Insulinbedarf bei Mehrlingsschwangerschaften mit GDM ist nicht zu verwechseln mit einem Insulinbedarf beim Typ-1-Diabetes, der zwischen der 28.–32. SSW bei Zwillings- fast doppelt so hoch ist wie bei Einlingsschwangerschaften [27]. Ein systematisches Cochrane-Review von vorangegangenen systematischen Reviews untersuchte 2018 Interventionen bei bestehendem GDM, darunter Maßnahmen zum Lebensstil (z. B. „gesund essen“, physische Aktivität und Selbst-Monitoring des Blutzuckers), die bei Einlingsschwangerschaft das Outcome verbesserten und Raten von Makrosomie verminderten. Die Applikation von Insulin war im Vergleich zu oraler Therapie mit erhöhten Raten von HDP assoziiert. In diesem Review kommen jedoch auch die Begriffe Zwilling oder Mehrling nicht vor, d. h. hierzu existieren keine randomisierten Studien [28]. Zwillingsschwangerschaften mit GDM haben ein erhöhtes Risiko auf neonatales Atemnotsyndrom (respiratory distress syndrome, RDS) (OR 2,2; 95 % CI 1,3–3,7) und eine nicht signifikante, aber doch 3-fach erhöhte Rate von intrauterinem Fruchttod [29]. Daher kann die Frage des Entbindungszeitpunktes durch Einleitung oder primäre Sectio im Vergleich zu einem exspektativen Vorgehen mit intensivierter Überwachung eine Entscheidung zwischen Skylla und Charybdis sein. Im Hinblick auf die Indikation zur Entbindung untersuchte eine Arbeitsgruppe 49 internationale Leitlinien zur Geburtseinleitung zwischen 2008 and 2018. Die Qualität wurde mit einem speziellen Hilfsmittel „Appraisal of Guidelines for Research and Evaluation II Instrument“ beurteilt. Es gab große Variationen im Hinblick auf GDM und auch für Mehrlingsschwangerschaften jeweils per se, wobei diese Variationen nicht durch die Qualität der Studien erklärt werden konnten [30]. Für die Mehrlingsgravidität mit GDM gibt es keine evidenzbasierten Empfehlungen zur Überwachung und Therapie – weder in Leitlinien „Mehrlingsgravidität“ noch in Leitlinien zum GDM. Daher sollten behandelnde Ärzte wesentliche Entscheidungen der Überwachung oder Indikation zur Entbindung mit Begründung gut dokumentieren.
5.2 Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft Die Definition von hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen oder „hypertensive disorders of pregnancy“ (HDP) umfasst die Krankheitsbilder eines Schwangerschaftshypertonus und einer Präeklampsie (PE). Es gibt keine gesonderten Definitionen oder Beschreibungen für Mehrlingsgravidität in den gängigen Leitlinien [31]. Eine Schwangerschaftshypertonie wird definiert als ein Hypertonus, der erst ab der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) auftritt. Die International Society for the Study of Hypertension in Pregnancy (ISSHP) und das American College of Obstetrics and Gynaecology (ACOG) revidierten 2018 die Kriterien einer Präeklampsie, die nun auch so bezeichnet wird, wenn keine Proteinurie besteht, aber andere Organsysteme involviert sind [32]: Eine Präeklampsie wird nun definiert als Schwangerschaftshypertonus mit neu auftretender Proteinurie und/oder Beteiligung des Zentralnervensystem, des Herz-
150 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
Kreislaufsystems, der Leber, der Nieren, hämatologischer Laborparameter oder fetoplazentarer Probleme verbunden mit einer intrauterinen Wachstumsretardierung [33]. Eine PE mit Proteinurie im Vergleich zur PE ohne Proteinurie ist bei Einlings-, aber nicht bei Zwillingsgravidität mit einer 2-fachen Rate von NICU-Aufnahmen verbunden [32].
5.2.1 Inzidenz Die Raten von HDP betragen in westlichen Ländern im Mittel 10 % aller Schwangerschaften, 5 % der Schwangeren erkranken dabei an einer PE [34]. Schwangere mit Zwillingen haben ein ca. 2–3-fach erhöhtes Risiko, an HDP zu erkranken. Das (univariate) relative Risiko (RR) für HDP soll bei Zwillings- im Vergleich zur Einlingsgravidität signifikant erhöht sein mit einem RR von 2,04 und allein für PE mit einem RR von 2,62 [35]. In einem kanadischen Kollektiv von 917.542 Einlings- und 14.678 Zwillingsschwangerschaften konnten die signifikanten Unterschiede der HDP-Raten zwischen 2014 und 2019 bestätigt werden: Sie betrugen 6,4 % bei Einlings- und 144 % bei Zwillingsschwangerschaft, das angepasste relative Risiko (aRR) betrug 1,85 [36]. Inwieweit sich bei Zwillingsgravidität auch die bekannten Risiken, wie vorzeitige Plazentalösung, Frühgeburt oder IUGR, erhöhen, wird kontrovers diskutiert. In absoluten Prozentzahlen wurde bei Zwillings- im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften eine signifikant erhöhte Rate von Frühgeburten von 5,9 auf 51,1 %, von untergewichtigen Neugeborenen von 7,0 auf 14,8 % und von vorzeitiger Plazentalösung von 0,7 auf 4,7 % angegeben [35]. Dabei wurden jedoch die inhärenten Risiken bei Zwillingsschwangerschaft außer Acht gelassen. Demgegenüber wurde durch eine intelligentere Berechnung eines relativen Risikos innerhalb einer kanadischen Kohorte von Einlings- und Zwillingsgraviditäten festgestellt, dass relative Risiken innerhalb der Gruppe mit Zwillingen und HDP nicht erhöht waren [36].
5.2.2 Pathogenese Risikofaktoren und Pathogenese von HDP und PE unterscheiden sich zwischen Einlings- und Zwillingsschwangerschaften. Bei Einlingsgravidität wurde bereits seit geraumer Zeit spekuliert, dass HDP aus einer abnormalen Plazentainvasion resultiert, die eine plazentare Ischämie verursachen. Die vermehrte Sekretion („upregulation“) plazentarer anti-angiogenischer Substanzen, die auch in anderen Organsystemen das mütterliche Endothel angreifen, führt zu Hypertonus, glomerulärer Endotheliose und Proteinurie und unbehandelt zu HELLP (Haemolysis, Elevated Liver enzymes, and Low Platelet) Syndrom oder Hirnödem und verursacht die klinischen Symptome einer Präeklampsie bis zu Gerinnungsstörungen und Eklampsie. Es kommt aber nicht nur zu einer unausgeglichenen Konzentration von pro- und antiangiogenen Faktoren mit Endothelaktivierung, sondern auch zu kardialer Insuffizienz, die in dieses kom-
5.2 Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft 151
plexe Geschehen primär oder sekundär eingebunden ist [37–41]. Eine mögliche Interaktion zwischen dem mütterlichen kardiovaskulären Zustand, den Anforderungen und der Ausprägung einer HDP bzw. einer PE in der Schwangerschaft – bei Mehrlingsgravidität aufgrund des erhöhten Plasmavolumens zu einem früheren Zeitpunkt – ist in Abb. 5.1 schematisch dargestellt. Der plazentare oxidative Stress (Hypoxie) ist mit maternalen kardiovaskulären Reserven, dem Plasmavolumen und der Widerstandsbelastung in der Schwangerschaft und der Produktion anti- und pro-angiogener Faktoren korreliert [40].
mütterliche Gesundheit
überhöhter Bedarf: fetale Makrosomie Mehrlingsschwangerschaft prolongierte Schwangerschaft überhöhte Gewichtszunahme
chronische Nierenerkrankung zerebrovaskuläre Morbidität kardiovaskuläre Morbidität
kardiovaskuläre Funktion
kardiovaskuläre Achse Schwangerschaftserkrankungen Hypertonie IGF Proteinurie sFit/P zerebrale Ödemen Leberfunktionsstörung
geringe kardiale Reserven: maternales Alter Adipositas Ethnizität Diabetes Dyslipidämie Autoimmunerkrankungen chronischer Hypertonus chronische Nierenerkrankung
fetoplazentare Bedürfnisse
fetale Wachstumsrestriktion
hohe Anforderungen PE am Termin normale kardiale Reserven
frühe PE geringe kardiale Reserven
PE am Termin normale Anforderungen
Abb. 5.1: Interaktion zwischen maternalen kardiovaskulären und plazentaren Funktionen, den Anforderungen durch zunehmende Schwangerschaftsdauer und/oder den steigenden Bedürfnissen mehrerer Feten sowie dem maternalen und fetalen Outcome, nach [40].
152 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
Bei Zwillingsschwangerschaften wurde spekuliert, dass die höhere plazentare Gewebemasse zu einer relativen Hypoperfusion und höheren Produktion anti-angiogener Proteine führen könne [42]. Demgegenüber wurden bei Plazenten von Zwillingsschwangerschaften mit HDP auf der maternalen Seite seltener Zeichen einer Perfusionsstörung gefunden als bei Plazenten mit Einlings-Schwangerschaft und HDP [43]. Diese Befunde lassen sich in ein geringeres Risiko für Endothel-Aktivierung und dessen klinische Manifestationen übersetzen, zumal mehrere Autoren bei Zwillingsschwangerschaften mit HDP bereits früh geringere klinische Risiken feststellten [44,45]. Dazu passt auch, dass Plazenten von Zwillings- gegenüber Einlingsschwangerschaften weniger häufig inflammatorische Reaktionen aufweisen (19,2 % versus 58,9 % auf der maternalen und 3,4 % versus 31,5 % auf der fetalen Seite, p < 0,001). Auch retroplazentare Blutungen (8,9 % versus 26 %, p < 0,001) und vaskuläre Läsionen (9,6 % versus 28,8 %, p < 0,001) sind bei Mehrlings- seltener als bei Einlings-Plazenten [46]. Auch wenn HDP mit IUGR zusammen auftrat, waren plazentare hypoxische Läsionen häufiger in Einlings- als bei Mehrlings-Plazenten [47]. Demnach ist es wahrscheinlich, dass Studien, die über erhöhte Risiken berichten, aufgrund der absoluten Häufigkeiten falsch interpretiert haben. Die Erscheinungsform einer PE bei Mehrlingsgravidität ist daher wohl in geringere Weise plazentaren Ursprungs, sondern, wie in Abb. 5.1 dargestellt, auf die früher einsetzenden und höheren Anforderungen bei erhöhtem Plasmavolumen und Herzauswurf an die kardiale Funktion der Schwangeren zurückzuführen. Dies bedeutet für die Praxis, dass wir Schwangere mit Mehrlingsgravidität, selbst wenn sie einen hohen Blutdruck entwickeln, eher beruhigen als beunruhigen können.
5.2.3 Screening und Diagnostik Im 1. Trimester kann bei Einlingsgravidität mit einem Screening, bei dem das maternale Alter, die Anamnese, der BMI, die ethnische Zugehörigkeit, der MoM-Wert des adjustierten Pulsatilitätsindex (PI) bei der Doppleruntersuchung der Aa. uterinae, der mittlere arterielle Blutdruck und biochemischer Risikomarker, wie PAPP-A (pregnancy-associated plasma protein-A) und PIGF (placental growth factor) eine Risikostratifizierung für PE erfolgen [31]. Bei Mehrlingsschwangerschaften ist aufgrund des erhöhten Hintergrundrisikos die Sensitivität des Screenings hoch, dafür die Spezifität niedrig. So konnten zwar 316 (100 %) aller Schwangeren mit Zwillingen und PE erfasst werden, jedoch waren 2211 von 2219 der Schwangeren (99,6 %) mit einer hohen falsch-positiv Rate als „Hochrisiko“ eingestuft worden [48,49]. Bei Einlingsschwangerschaften konnten danach 90 % der Mütter, die später eine PE entwickelten, erkannt werden. Durch Verabreichung von 150 mg/d Aspirin vor der 16. SSW bis zur 36 SSW in 90 % eine frühe PE vor der 32. SSW und in 60 % eine späte PE vor der 37 SSW vermieden werden [50,51]. Dieser Effekt konnte bisher bei Mehrlingsschwan-
5.2 Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft 153
(a)
(b)
Abb. 5.2: Normale (a) und abnormale (b) Dopplersonographie der A. uterina mit hohem PI und postsystolische Inzisur (oder Notch).
gerschaft nicht nachgewiesen werden. Eine prospektiv randomisierte Studie zur Validierung eines modifizierten Algorithmus zur Erkennung und Prophylaxe von PE bei Mehrlingsschwangerschaft ist geplant [52]. Wie bei Einlingsgravidität kann zwischen 22. und 24. SSW eine Risikoeinschätzung von HDP oder PE mit Hilfe der Dopplersonographie der Aa. uterinae erfolgen. Dabei wird der mittlere PI und das Auftreten einer postsystolischen Inzisur (Notch) beurteilt (Abb. 5.2) [31]. Die Dopplermessung der Aa. uterinae hat bei Einlingsgravidität eine Sensitivität für PE von 41 % bei einer falsch Positivrate von 5–14 %, bei Zwillingsschwangerschaften ist bei einer vergleichbaren falsch Positivrate die Sensitivität 33–36 % [53,54]. Aufgrund des niedrigeren negativ-prädiktiven Wertes der Doppleruntersuchung kann trotz normaler Werte eine spätere HDP bzw. eine PE nicht ausgeschlossen werden. Im zweiten und dritten Trimester hat sich inzwischen eingebürgert, anti-angiogene (soluble Fms-like tyrosine kinase 1: sFlt-1) und angiogene (PlGF) Laborbestimmungen bei Verlaufskontrollen Schwangerer mit HDP einzusetzen [55–59]. Dies wird auch von Laboren und der Industrie stimuliert. Der Schweregrad einer HDP korreliert mit den zunehmenden sFlt-1/PlGF Quotientenwerten. Im Vergleich zu Einlings- sind bei Mehrlingsgravidität die sFlt1-Serumspiegel höher, die PlGF-Serumspiegeln niedriger. Daher sind die Quotientenwerte höher, dies lässt sich durch die Plazentamasse und das erhöhte Blutvolumen erklären [64]. Trotzdem korreliert der Quotient auch bei Zwillingsschwangerschaften noch mit dem Schweregrad der Erkrankung. Allerdings unterscheiden sich die cut-off-Werte des Quotienten zwischen Einlings- und Zwillingsschwangerschaften bei der Vorhersage einer PE [60,61]. Diesbezügliche Algorithmen werden derzeit im Rahmen von prospektiven Studien untersucht [62].
154 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
Bei der Vorsorge und einem Screening nach HDP sollte man sich bei Mehrlingsschwangerschaften auf keine solitäre Untersuchungsmethode verlassen und auf traditionelle Messungen von Gewichtszunahme, Blutdruck und Proteinurie nicht verzichten.
5.2.4 Auswirkungen hypertensiver Erkrankungen Bei univariater Analyse haben Schwangere mit Zwillingen ein ca. 2 bis 3-fach erhöhtes Risiko für eine HDP im Vergleich zu Schwangeren mit Einlingen [72]. Die Risiken, eine (frühe) PE zu entwickeln, variieren je nach Population und Analyseverfahren. In den USA wurden zwischen 2000 und 2009 retrospektiv 3244 Zwillings- mit 83.310 Einlingsschwangerschaften verglichen: Mütter von Zwillingen waren älter und häufiger Primigravidae, hatten häufiger erhöhte Leberenzyme und eine Thrombozytopenie < 100.000 oder einer Proteinurie > 5 g. Es bestand kein signifikanter Unterschied bei der Inzidenz erhöhter Blutdruckwerte > 160/110 mmHg, schwerer Kopfschmerzen, visueller Symptome, epigastrischer Schmerzen, HELLP Syndrom oder Plazentalösung [44]. Obwohl eine kleine Studie bei 63 Zwillings- und 339 Einlingsschwangerschaften über einen früheren Eintritt einer PE mit stationärer Aufnahme bei Müttern mit Zwillingen berichtete, konnten bei einer größeren Studie in Kanada keine signifikanten Unterschiede in den Raten früher PE zwischen Schwangerschaften mit Ein- oder Mehrlingen festgestellt werden [36]. In beiden Studien bestanden keine signifikanten Unterschiede im Auftreten von Ödemen, Eklampsie, HELLP Syndrom oder Raten von IUGR und neonataler Mortalität. Allerdings hatten Mehrlingsmütter jenseits von 34 SSW häufiger eine Thrombozytopenie < 150.000/ml [45]. Dies deckt sich mit klinischen Beobachtungen, wobei die niedrige Thrombozytenzahl u. a. durch Thrombozyten-Defekte in uterinen Gefäßen durch den Druck des Uterus und das erhöhte Plasmavolumen erklärt wird, also nicht notgedrungen auf ein HELLP Syndrom deuten. Die Kanadier analysierten auch das fetale Wachstum bei 1520 Zwillings- und 48.943 Einlings-Schwangerschaften [63]: Wurden zwillingsspezifische Wachstumskurven verwandt, waren die Raten von IUGR ähnlich hoch wie bei Einlingen der Mütter mit HDP (aRR: 11,8 % versus 4,7 %, 95 % CI 1,69–3,34). Im Rahmen einer kleinen prospektiven Studie mit 50 Zwillings- und 49 Einlingsschwangerschaften war bei gleichem maternalen Alter, BMI, Blutdruck und Gestationsalter das Ausmaß einer Proteinurie signifikant höher bei Mehrlings- im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften (269,3 ± 124,1 mg versus 204,3 ± 92,5 mg, p = 0,004). Eine Proteinurie > 300 mg/24 h war mit 38 % bei Zwillings- häufiger als bei Einlingsschwangerschaften. Nach Ausschluss aller Fälle mit Hypertonus wurde noch immer häufiger eine Proteinurie > 300 mg/24 h in der Mehrlings- gegenüber der Einlingsschwangerschaft festgestellt (43 versus 7 %, p < 0,001) [64]. Vergleichbare Ergebnisse konnte eine Studiengruppe bei der Messung des Protein-Kreatinin Quotienten im
5.2 Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft 155
Urin anhand eines kleinen Kollektivs von je 51 Zwillings- und Einlingsschwangerschaften ableiten [65]. Die häufigere Proteinurie wird durch eine Progesteron-induzierte Hyperpermeabilität der Niere, eine Steigerung der glomerulären Filtrationsrate bei größerem Blutvolumen erklärt. Tab. 5.4: Angepasstes relatives Risiko (aRR) hypertensiver Erkrankungen in der Gravidität (HDP) für maternales und neonatales Outcome, modifiziert nach [36]. Signifikante Variablen sind fett markiert, CI = Konfidenzintervall, HDP = hypertensive Erkrankungen, NICU = neonatale Intensivstation, PE = Präeklampsie, SSW = Schwangerschaftswoche. Einlingsgravidität HDP
Kein HDP
Zwillingsgravidität Angepasstes HDP RR
Kein HDP
Angepasstes RR
Outcome N (%)
N = 858 367 N = 59 175
(95 %CI)
N = 12.556
N = 2 120
(95 %CI)
Vorzeitige Plazentalösung
9386 (1,1)
993 (1.7)
1,55 (1,43–1,67)
234 (1,9)
30 (1,4)
0,73 (0,46–1,18)
Aufnahme Mutter auf Intensivstation
1359 (0,2)
795 (1.3)
6,76 (6,01–7,61)
60 (0,5)
65 (3,1)
5,44 (3,33–8,91)
Sectio
233.510 (27,2)
23.691 (40)
1,16 (1,15–1,18)
7527(59,9)
1450 (68,4) 1,05 (1,01–1,1)
< 37 SSW
46.169 (5,4)
8999 (15,2)
2,42 (2,36–2,49)
6328 (50,4) 1432 (67,5) 1,30 (1,24–1,35)
< 34 SSW
9602 (1,1)
2530 (4,3)
3,09 (2,91–3,28)
1697 (13,5)
253 (11,9)
0,73 (0,62–0,85)
< 32 SSW
5121 (0,6)
1340 (2,3)
2,79 (2,55–3,05)
799 (6,4)
83 (3,9)
0,46 (0,34–0,63)
< 10.Perzentile 78.077 (9,1)
8653 (14,6)
1,7 (1,66–1,74)
6271 (25)
1054 (24,9) 0,97 (0,90–1,03
Apgar 5‘ < 7
13.059 (1,5)
2085 (3,5)
1,79 (1,69–1,89)
974 (3,9)
216 (5.1)
Aufnahme NICU
96.012 (11,2)
14.858 (25,1)
1,81 (1,78–1,85)
13.190 (52,5)
2821 (66.5) 1,21 (1,18–1,25)
Pulmonale Morbidität
74.516 (8,7)
9.631 (16,3) 1,50 (1,47–1,54
Frühgeburt
Geburtsgewicht
1,22 (1,02–1,45)
8.217 (32,7) 1687 (39.8) 1,13 (1,08–1,19)
156 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
Ähnlich wie bei GDM analysierten kanadische Wissenschaftler die relativen Risiken für maternales und kindliches Outcome bei Einlings- und Zwillingsgravidität [36] (Tab. 5.4). Aus der Tabelle wird deutlich, dass die relativen Risiken für eine vorzeitige Plazentalösung und eine fetaler Wachstumsrestriktion bei HDP bei Zwillingsgravidität nicht signifikant sind. Andere relative Risiken sind bei Einlings- deutlich höher als bei Zwillingsgravidität. Bei mütterlichem Alter > 50 Jahre besteht allerdings bei Mehrlings- im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften eine höhere Inzidenz einer PE (32 % versus 11 %, p < 0,05), einer Frühgeburt < 32 SSW (8,2 % versus. 1,3 %, p < 0,05) und einer intrauterinen Wachstumsrestriktion (18,6 % versus 7,6 %, p < 0,05). Unter Schwangeren mit Zwillingen leiden Frauen über 35 Jahre im Vergleich zu jüngeren häufiger unter schwangerschaftsinduzierter Hypertonie (10,3 % versus. 4,2 %, p = 0,016) und PE (32,0 % versus 6,2 %, p < 0,001) [66]. Eklampsie und HELLP Syndrom gehen in allen Ländern mit schwerer maternaler Morbidität und maternaler Mortalität einher, auch sind die Folgen in Systemen mit unzureichender Versorgung viel fataler. Verbrauchskoagulopathie, Lungenödeme, Nierenversagen, Hirnödem oder Hirnblutungen können bei überlebenden Müttern zu bleibenden Schäden führen [73]. Leider fehlen Analysen innerhalb der existierenden geburtsmedizinischen Mortalitätsregister im Hinblick auf Einlings- und Mehrlingsgravidität. Die meisten Studien, die die Raten von Risiken bei Einlings- und Zwillingsgravidität verglichen, berücksichtigten allerdings nur absolute Werte und überinterpretierten so den Einfluss einer HDP auf diese Risiken. Berechnet man das relative Risiko schwerer Komplikationen, sind mütterliche und kindliche Probleme geringer bei Zwillings- im Vergleich zu Einlingsgraviditäten. Auch nach Adjustierung mit Risikofaktoren, wie Alter, Behandlung mit ART, Hautfarbe oder Parität, waren die Raten nicht erhöht [35]. Dies wird durch die a priori erhöhten Risiken bei Mehrlingsgravidität sowie unterschiedliche Ursachen für HDP bei Ein- oder Mehrlingen erklärt. So sind auch Berichte zu interpretieren, die über niedrigere Blutdruckwerte [44], geringere Dosen medikamentöser Behandlung [32] und niedrigere Raten von Kopfschmerzen [44] im Vergleich zu Einlingsgraviditäten mit HDP berichten. Beruhigend ist, dass in einem Kollektiv von 14.676 Zwillingsschwangerschaften, davon > 2000 Müttern mit HDP, keine Mutter verstarb [36]. Dies alles bedeutet, dass Schwangere mit Zwillingen und HDP zwar intensiv überwacht werden sollten, man sie aber im Hinblick auf die Konsequenzen beruhigen kann.
5.2 Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft 157
5.2.5 Prophylaxe Noch ist nicht nachgewiesen, dass ein frühes Screening und eine damit gekoppelte Prophylaxe auch bei Mehrlingsgravidität eine PE und damit verbundene Risiken verhindern können. Daher sollte man eine prophylaktische Behandlung von HDP mit 150 mg/Tag Aspirin am Abend bei Mehrlingsschwangerschaft nur bei belasteter Anamnese, wie einer vorangegangenen HDP, veranlassen [51]. Bei hohem BMI sollte Müttern post partum eine Gewichtsreduktion empfohlen werden, da dann das Risiko für eine PE bei einer weitere Gravidität a priori erhöht ist [67] (s Kap. 4). Dasselbe gilt auch vor einer geplanten Nutzung artifizieller Reproduktionstechniken (ART). Für das kindliche Outcome sollte jedoch auch darauf geachtet werden, dass vor der Schwangerschaft kein Untergewicht und während der Gravidität keine zu geringe Gewichtszunahme erfolgt (s. Kap. 4). Weitere Maßnahmen einer HDP vorzubeugen, sind für Mehrlingsschwangerschaften unzureichend untersucht, dazu gehören eine Supplementation mit Vitamin C und D [68,69], Omega-3 Fettsäuren [22], NO-Donatoren [70] oder eine Diät [71]. Bei Einlingsgravidität wurde durch Applikation von 4 mg Folsäure über das 1. Trimester hinaus keine Reduktion von HDP erzielt [88]. Für Mütter mit Zwillingen zeigte eine Sekundäranalyse dieser prospektiven Studie in mehreren Kontinenten bei 428 Zwillingsschwangerschaften sogar, dass Raten von PE signifikant höher waren, wenn Zwillingsmütter statt Plazebo 4–5 mg Folsäure über das 1. Trimester hinaus erhalten hatten (17,2 versus 9,9 %; RR 1,75; 95 % CI 1,06–2,88, p = 0,029)! Bei multivariabler Analyse war dieser Trend noch erkennbar, aber nicht mehr signifikant [72]. Auch diese Ergebnisse zeigen die unterschiedliche Pathophysiologie metabolischer und kardiovaskulärer Prozesse bei Einlings- und Mehrlingsschwangerschaft. Daher sollte zur Vorsicht gegenüber unbewiesenen Interpretationen und Therapien gewarnt werden.
5.2.6 Behandlung Bei erhöhten klinischen Risiken sollte bei ernsten Formen einer PE und weiterer Organmanifestation ein interdisziplinäres Team die Verantwortung übernehmen. Bisher wurde leider in keiner Leitlinie ein Vorgehen bei HDP und Mehrlingsschwangerschaft spezifiziert [31,73]. So muss derzeit auf die gängigen Medikamente und deren empirische Dosierungen zurückgegriffen werden. Aufgrund des erhöhten Plasmavolumens muss eine übermäßige Volumenzufuhr vermieden werden, speziell, wenn gleichzeitig Kortikosteroide zur Förderung der fetalen Lungenreife eingesetzt werden, da es schnell zur Ausbildung eines Lungenödems kommen kann [74]. Dies ist besonders riskant, wenn zusätzlich Tokolytika wie Nifedipin oder Betamimetika als Tokolytika eingesetzt werden [75] (s. Kap. 3). Daher wird eine Behandlung mit Steroi-
158 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
den bei HELLP-Syndrom abgelehnt und bei Mehrlingsgravidität eine Beendigung der Schwangerschaft indiziert [31,73]. Bei geplanter früher Entbindung bei Mehrlingsschwangerschaften sollte für eine optimale neonatologische Besetzung gesorgt werden.
5.3 Schwangerschaften nach künstlicher Befruchtung Ehepaare, die sich für artifizielle Reproduktionstechniken (ART) wie in vitro Fertilisation (IVF) oder intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) entscheiden, sollten selbst bei alleiniger ovarieller Stimulation oder bei geplantem Transfer nur einer befruchteten Eizelle (single transfer) über das erhöhte Risiko von Mehrlingsgraviditäten aufgeklärt werden, wie bereits von Isaac Blickstein erklärt und gefordert [76].
5.3.1 Splitting Es war früh bekannt, dass durch ein „Splitting“ nach ART vermehrt monozygote und so auch monochoriale (MC) Mehrlingsgraviditäten mit inhärenten Risiken entstehen [77] (s. Kap. 2). Auch sind die Entstehungsmechanismen unbekannt, sind die Raten nicht nur auf ART per se, sondern auch auf die pharmakologische Stimulation zurückzuführen [78,79] (Abb. 5.3).
relatives Risiko von „Splitting“ 16 Referenz: Spontanrate
16
RR
12
8
8 6 4 1 0 Spontan
ART
hMG
Clomiphen
Abb. 5.3: Relatives Risiko (RR) eines „Splitting“ der befruchteten Eizelle, das zu monozygoten Mehrlingen führt, nach Behandlung von Infertilität, als Referenz dient die Rate bei spontaner Schwangerschaft, nach der East Flanders Prospective Twin Survey (EFPTS) [78,79], hMG = Humanes Menopausengonadotropin.
5.3 Schwangerschaften nach künstlicher Befruchtung 159
5.3.2 Überstimulations-Syndrom Komplikationen nach ART sind gefürchtet beim Überstimulations-Syndrom (ovarian hyperstimulation syndrome, OHHS), dessen Rate von 10 auf 14,3/1000 (2000–2006) auf 5,3/1000 (2006–2015) fiel. Dazu trug u. a. die Behandlung mit GnRH Antagonisten bei, die während eines IVF-Zyklus von 279/1000 (2004) auf 634/1000 Zyklen (2015) anstieg (P < 0,0001) [80]. Tab. 5.5: Mütterliche Anamnese und Mehrlingsrate bei ovariellem Überstimulations-Syndrom (OHHS) bei autologer direkter Behandlung (2010–2015), nach [80]. BMI = body mass index, FHR = fetale Herzfrequenz, n = 1 833 430 Zyklen. Variable
moderates OHHS n (%)
schweres OHHS n (%)
kein OHHS n (%)
Alter der Mutter bei Oozytenpunktion < 30 30–34 35–37 38–40 ≤ 41
1334 (26,2) 2242 (44,04) 929 (18,25) 459 (9,02) 127 (2,49)
346 (24,47) 666 (47,10) 257 (18,18) 109 (7,71) 36 (2,55)
76.798 (10,69) 202.348 (28,16) 150.030 (20,88) 149.691 (20,83) 139.691 (19,44)
vorangegangene Gravidität 0 1 ≤2
280 (56,78) 11 12 (21,85) 1088 (21,38)
803 (56,79) 345 (24,40) 266 (18,81)
331.320 (46,20) 179.009 (25,01) 205.553 (28,71)
BMI Mutter < 18.5 (Untergewicht) 18,5–24,9 (Normal) 25–29,9 (Übergewicht) ≤ 30,0 (Adipositas)
138 2,71 2,568 (50,44) 1,030 (22,88) 766 (15,05)
36 (2,55) 788 (55,73) 264 (18,67) 184 (13,01)
16.947 (2,36) 321.666 (44,77) 136.024 (18,93) 104.549 (14,55)
gewonnene Oozyten 0–10 11–15 16–30 > 30
428 (8,60) 836 (16,79) 2650 (53,22) 1065 (21,30)
97 (7,07) 223 (16,25) 704 (51,31) 348 (25,36)
323.542 (49,78) 149.642 (23,02) 156.740 (24,12) 20.036 (3,08)
positive FHR 0 (nicht schwanger) 1 2 ≤3
489 (25,26) 811 (41,89) 594 (30,68) 42 (2,17)
62 (8,79) 338 (47,94) 287 (40,71) 18 (2,55)
244.842 (57,18) 128.879 (30,10) 50.651 (11,83) 3.840 (0,90)
Zahl Kind (Lebendgeburt) Einling Zwilling Drilling
822 (61,67) 491 (36,83) 20 (1,50)
338 (59,40) 224 (39,37) 7 (1,23)
118.321 (73,21) 41.604 (25,74) 1696 (1,05)
Signifikanz (p-Wert)* (*4 Felder Test)
< ,0001
< ,0001
< ,0001
< ,0001
< ,0001
< ,0001
160 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
Die Rate und der Schweregrad eines OHHS stieg mit dem Alter der Mutter, der Parität und dem Gewicht, mit der Anzahl der gewonnen Eizellen, der zu Beginn angelegten Embryos sowie bei Lebendgeburten mit der Anzahl der Mehrlinge (Tab. 5.5).
Beim Entstehen einer Zwillingsgravidität war OHSS mit einem erhöhten Risiko verbunden, die Kinder bereits im 2. Trimester zu verlieren, später waren Frühgeburt und Wachstumsretardierung geringfügig erhöht [80]. Fallserien beschreiben ernste Komplikationen eines OHSS bei frühen Zwillingsgraviditäten, darunter 19 Fälle mit Thrombosen, die mit Antikoagulantien behandelt wurden, aber in einem Fall bei 7 SSW trotzdem so progressiv waren, dass eine Schwangerschaftsunterbrechung bei 9 SSW erforderlich war [81]. Beschrieben wurde auch eine Torsion des Ovars mit Hämoperitoneum und akutem Abdomen bei 11 SSW, die eine Adnexektomie erforderlich machte.
5.3.3 Mütterliche und kindliche Risiken nach Fertilitätsbehandlung Bei den Müttern besteht im 1. Trimester unabhängig von OHHS nur aufgrund von ART auch ein eigenes erhöhtes Risiko für einen Abort [90] oder eine extrauterine Gravidität [91]. Im 2. und 3. Trimenon ist bei den Müttern nach induzierten Mehrlingsschwangerschaften, vor allem bei Patientinnen mit Grunderkrankungen, das relative Risiko von Frühgeburten und niedrigem Geburtsgewicht noch höher als bei spontan entstandenen Mehrlingen [82]. So hatten in einer Gruppe von 3518 Zwillingsschwangerschaften Mütter nach IVF im Vergleich zu Müttern mit spontaner Zwillingsschwangerschaft signifikant höhere Frühgeburtenraten vor der 34 SSW (23,4 versus 12,4 %, p < 0,05) [83]. Dies bedeutet, dass man bei einem Screening für Frühgeburt durch Transvaginalsonographie eine Zervixverkürzung als höheres Risiko einschätzen und früher intervenieren sollte als bei spontaner Schwangerschaft. Außerdem sollte man auch schon früh mit einer Zervixbeurteilung beginnen (s. Kap. 3). Daneben steigt auch die Inzidenz von Placenta praevia, Plazentalösungen, GDM sowie von Sectiones [84–87]. So waren die Raten von Kaiserschnitten nach IVF im Vergleich zu spontanen Zwillingsschwangerschaften 83,6 versus 62,2 % (p < 0,05). Dabei spielen möglicherweise aber auch subjektive Gründe von Arzt und Eltern eine Rolle. Raten von PE waren nach ART meist nicht signifikant erhöht (40,6 versus 30,8 %) [83,88]. In einer norwegischen Studie wurde bei > 500.000 Frauen nur eine geringfügig höhere Rate von PE bei induzierten im Vergleich zu spontanen Einlingsaber nicht bei Zwillingsschwangerschaften festgestellt [89]. Dies ist anders bei Müttern nach Eizellspende: In einem kleineren Kollektiv wurde das Risiko einer PE bei Zwillingsschwangerschaft nach IVF von eigenen und fremden Eizellen verglichen. Bei Letzteren war die Inzidenz von HDP mit 32,1 % ver-
5.4 Mirror-Syndrom 161
sus 13 % und von PE mit 28,3 % versus 13 % signifikant erhöht [87]. Eine Schwangerschaft nach Eizellspende gilt als ein unabhängiger Risikofaktor für HDP und PE vor allem in Kombination mit einem erhöhtem BMI der Mutter [90,91]. Bei den Kindern sollen Fehlbildungen zunehmen: In einer australischen Studie wurde über einen Anstieg von 4,2 auf 9 % nach ART berichtet. Mütterliches Alter, vorbestehende Grunderkrankungen und die Medikation der Schwangerschaftsinduktion sind modifizierende Faktoren [92]. Einige Fehlbildungen (z. B. Hypospadie) sind bei männlichen Fertilitätsproblemen nach ICSI häufiger [93]. Bei Mehrlingen nach IVF wurden Neuralrohrdefekte und Hydrozephalus häufiger beobachtet [94]. Schließlich waren auch die perinatale Mortalität nach Frühgeburten und Wachstumsrestriktionen erhöht [84,95]. Bei der Betreuung von Schwangeren mit Mehrlingen nach ART ist es wichtig zu wissen, dass aufgrund eines erhöhten Hintergrundrisikos erste klinische Risikosymptome ernst genommen werden müssen. Eltern nach ART haben zudem höhere Stresslevel, eine geringere Stressresilienz und haben andere Erwartungen an Schwangerschaft, Geburt und das Wochenbett als Eltern nach Spontankonzeption (s. Kap. 9.1.2). Die Ausführungen zeigen, dass auch Reproduktionsmediziner als Teil eines multidisziplinären Teams integriert werden sollten, um ein OHHS zu vermeiden, die Rate von Zwillingen und vor allem von höhergradigen Mehrlingen niedrig zu halten und nach erzielter Schwangerschaft vor allem bei Mehrlingsschwangerschaft Patientinnen in ein Zentrum mit pränataldiagnostischer und geburtsmedizinischer Expertise zur kontinuierlichen Begleitung zu verweisen. Diese Familien sollten professionell von der Konzeption bis zu den Nachkontrollen post partum begleitet werden.
5.4 Mirror-Syndrom Das Mirror Syndrom („Spiegel- oder Ballantyne Syndrom“) wurde zunächst durch William Ballantyne 1892 bei einem hydropischen Kind mit Rh-Konstellation beschrieben. „Mirror“ bedeutet, dass die Mutter die Symptome eines hydropischen Kindes, wie bei feto-fetalem Transfusionssyndrom (FFTS) Grad IV nach Quintero, Alloimmunanämie, Anämie bei fetaler Parvovirus B19 Infektion, Steißbeinteratom und/oder einer hydropischen Plazenta widerspiegelt. Im südostasiatischen Raum ist das Mirror-Syndrom infolge einer fetalen alpha-Thalassämie recht häufig und immer noch mit einer hohen maternalen Mortalität und Morbidität assoziiert. Bei einer Literaturzusammenstellung von 56 Fällen von Einlings- und Mehrlingsschwangerschaften wurden in 38 % plazentare oder fetale Fehlbildungen, in 29 % eine Rhesus Immunisierung, in 18 % ein FFTS und in 16 % eine Virusinfektion gefunden. Mütterliche Leitsymptome waren ausgeprägte Ödeme (80–100 %), Hypertonus (57–78 %) und Proteinurie (20–56 %); die Rate schwerster Komplikationen, wie etwa ein beatmungsbedürftiges Lungenödem oder Perikarderguss, betrug 21 %. Die mütterlichen Symptome verschwanden bis spätestens 14 Tage nach der Geburt. Ein intrauteriner Fruchttod wurde in 56 % beschrieben [96].
162 5 Schwangerschaftserkrankungen der Mutter
Die Differentialdiagnose umfasst klinische Symptome, wie Gewichtszunahme und Ödeme, Kopfschmerzen, Sehstörungen und Dyspnoe bis zur schwersten Komplikation, einem Lungenödem [103]. Weiter helfen Laborwerte, wie niedrige Hämoglobin und Hämatokrit-Werte, Proteinurie, erhöhte Harnsäure- und Kreatininwerte und im Gegensatz zum HELLP-Syndrom nur leichte Leberenzymerhöhungen [96]. Thrombozytenzahl, Haptoglobin und Laktatdehydrogene sind meist normal. Die Hämodilution ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zum Ausschluss einer PE oder eines HELLP Syndroms, die beide eher mit erhöhtem Hämatokrit einhergehen [97]. Konzentrationen von human chorionic gonadotropin (β-HCG), antiangiogenen Faktoren wie Tyrosinkinase 1 (sFltk-1), lösliche vaskuläre Wachstumsfaktoren (sVEGFR-1) und lösliches Endoglin steigen. Fallbeschreibungen mit ernster mütterlicher Erkrankung bei Mehrlingsgravidität und dem Versuch einer pränatalen kausalen Behandlung sind in Tab. 5.6 dargestellt. Tab. 5.6: Monochoriale (MC) Mehrlingsgraviditäten mit ernstem maternalen Mirror-Syndrom, fetalchirurgische Maßnahmen wurden in allen Fällen ausgeführt. TTTS = feto-fetales Transfusionssyndrom, IUFT = intrauteriner Fruchttod, modifiziert nach [97]. Autor
Symptome Fetal
Chang et al. [98,99]
Therapie Maternal
TTTS mit 1× Ödeme Hydrops LDH des Rezep- 1042 U/I tors
selektiver Fetozid
Outcome
Alter bei
Fetal
Maternal
Diagnose
Geburt
3× IUFT
Remission der Symptome
19 SSW
21 SSW
Hayashi et TTTS mit al. [100] Hydrops des Rezeptors
Ödeme selektiver schwere Fetozid Atemnot, 5 Tage Intubation
IUFT Rezeptor Donor neonatal verstorben
Remission der Symptome nach Geburt
SSW
25+1 SSW
Olivella et al. [101]
Ödeme Atemnotsyndrom nach Laser
selektiver Fetozid
IUFT Rezeptor Donor überlebt
Remission der Symptome nach Geburt
27+6 SSW
28+2 SSW
Matsubara TTTS mit et al. [102] Hydrops des Rezeptors
Ödeme, Anämie Kardiomegalie
Laser-Ko- 2 × neoagulation natal verNotsectio storben bei Nabelschnurvorfall
Remission der Symptome nach Laser
23+5 SSW
23+6 SSW
Prefumo et TTTS mit al. [103] Hydrops des Rezeptors
Ödeme
Nabelschnurokklusion Rezeptor
Remission nach Spontangeburt
21 SSW
22+6 SSW
TTTS mit Hydrops des Rezeptors
IUFT Rezeptor Donor neonatal verstorben
Literatur 163
Eine strikte Überwachung ist bei fetalem Hydrops erforderlich, um das Entstehen ernster maternaler Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Zur Behandlung werden Diuretika, Antihypertensiva und wenn erforderlich, Beatmung eingesetzt. Nach Behandlung des fetalen Hydrops oder Fetozid und Beendigung der Schwangerschaft verbessern sich die mütterlichen Symptome und die Sflt-1-Spiegel fallen [96,104,105]. Daher sind, wenn möglich, die kausale Behandlung eines fetalen Hydrops, andernfalls eine Schwangerschaftsunterbrechung oder Geburtseinleitung aus mütterlicher Indikation nicht lange hinauszuschieben. Auch wenn ein Mirror-Syndrom selten geworden ist, zeigt es, dass nicht nur Krankheiten der Mutter die Gesundheit der Feten beeinflussen, sondern ähnlich wie bei einer paternal verursachten Präeklampsie auch Feten direkt die Gesundheit der Mutter gefährden können. Geburtsmediziner sollten damit vertraut sein.
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6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen Birgit Arabin Vor der Einführung von Ultraschalluntersuchungen vor und unter der Geburt, der Kardiotokographie, pharmakologischer Substanzen zur Wehenstimulation, Uterotonika und Antibiotika, der Möglichkeit relativ sicherer operativer Eingriffe mit Anästhesie oder der Chancen neonatologischer Intensivstationen, war die Entbindung von Mehrlingen zu Hause und selbst in Kliniken riskant für Mütter und Kinder. Dies ist sie noch stets in Entwicklungsländern [1,2]. Aufgabe dieses und der beiden folgenden Kapitel ist es, nicht nur nationale und internationale Leitlinien oder Publikationen zu reflektieren, sondern auch praktische Hinweise für eine erfolgreiche Vaginalgeburt zu geben.
6.1 Historische Entwicklung Beim Studium einer Erstausgabe eines Hebammenlehrbuchs aus dem Jahr 1690 ist es bewundernswert, wie detailliert die Autorin, Justina Siegemund, die durch den Großen Kurfürsten als Chur-Brandenburgische Hof-Wehemutter ernannt worden war, Techniken wie innere Wendung und ganze Extraktion darstellte, um Kinder aus abweichenden Lagen zu entbinden (Abb. 6.1a–c). Nachdem sie 1689 die Erlaubnis erhalten hatte, ihr Werk zu veröffentlichen, erschien es ein Jahr später mit dem Kommentar: „Das ist ein höchst-nöthiger Unterricht von schweren und unrecht-stehenden Geburten, in einem Gespräch vorgestellet“ [3].
(a)
(b)
(c)
Abb. 6.1: Kupferstiche einer Zwillingsschwangerschaft mit innerer Wendung und ganzer Extraktion des 2. Zwillings nach Justina Siegemund, Berlin, 1690 [3].
https://doi.org/10.1515/9783110669749-006
170 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
Justina soll im Laufe ihres Lebens über 6.000 Kinder entbunden haben, davon 20 aus fürstlichen Familien. Die Rate von Zwillingen als Anteil der Gesamtgeburten ist in den letzten Jahrzehnten aufgrund der Fertilitätsbehandlung stark gestiegen; 2018 betrug die Rate von Zwillingsgeburten in Deutschland 14.365/787.523 (1,84 %) aller Lebendgeburten [4]. Trotz aller beschriebenen Hilfsmittel sind in den meisten Industrieländern auch die Raten vaginaler Entbindungen bei Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen in den vergangenen 50 Jahren stetig zugunsten einer Sectio gesunken, obwohl schon früh vor einem Anstieg maternaler Morbidität und Mortalität vor allem bei Schwangerschaften nach einem Kaiserschnitt gewarnt wurde [5]. In den USA stieg der Sectio-Anteil bei Zwillingen von 53,4 % (1975) auf 75 % (2008), ohne dass dies durch erhöhte Schwangerschaftsrisiken begründet war [6]. Er stieg 2009 weiter auf 75,8 % und „sank“ 2013 auf 74,8 % [7]. Der Abfall war aber nur bei weißen Müttern zu beobachten, während die Rate bei anderen ethnischen Gruppen weiter anstieg. Auch das lässt weniger auf medizinische als logistische Ursachen schließen. In Deutschland konnten wir analog anhand der Hessischen Perinatalerhebung bei 27.565 Zwillingsschwangerschaften von 1995 bis 2008 einen Anstieg von Kaiserschnittgeburten von 57,7 % auf 73,3 % feststellen, wobei in Gruppen von 29–31 und 32–36 Schwangerschaftswochen (SSW) die Sectiorate mit 96,7 % bzw. 79,7 % am höchsten war [8]. Aktuell haben wir von 2000 bis 2015 neue Analysen bei Zwillingsschwangerschaft durchgeführt [9]: Die totale und sekundäre Kaiserschnittrate stieg signifikant von 68,66 % und 20,66 % auf 73,29 % und 39,88 % (p < 0,001, Abb. 6.2a–b); die Raten von Notsectio und postpartaler Blutung zeigten trotz aller Anstrengungen keine Veränderungen (p = 0,93; p = 0,12) (Abb. 6.2c–d) (s. Kap. 8). Auch die Raten von Totgeburt, Kindern mit niedrigen Apgar-Werten oder Aufnahmen auf die neonatale Intensivstation veränderten sich nicht, die Rate von Kindern mit einem Nabelarterien-pH < 7,1 erhöhte sich sogar (p = 0,03) [9]. Risiko-stratifizierte Analysen haben gezeigt, dass auch innerhalb Europas Sectioraten bei Zwillingen stark variieren, zwischen 31,1 % in Island und 98,8 % in Malta [10]. Die Niederlande und Frankreich hatten 2016 signifikant niedrigere Raten mit 43,9 % bzw. 54,8 % im Vergleich zu Deutschland und Italien mit 74,8 % und 85,6 % [10]. Noch fataler als eine vermeidbare primäre oder sekundäre Sectio bei beiden Kindern sind jedoch Geburten mit einer Vaginalgeburt des 1. Kindes und einer (meist vermeidbaren) Sectio des 2. Zwillings, die in ca. 75–80 % durch Unerfahrenheit oder sogar Kunstfehler bedingt sind [11]. Risikofaktoren hierfür sind vor allem Primiparität und abweichende Lage des 2. Zwillings [12], dabei aber vor allem die Unerfahrenheit des geburtshilflichen Teams. In den folgenden Unterkapiteln wollen wir Besonderheiten wie Lagekombination, Eihautkonstellation und Gestationsalter im Hinblick auf Indikationen und pragmatische Techniken zum Entbindungsmodus und zur Geburtseinleitung für Zwillinge und höhergradige Mehrlinge diskutieren. Internationale und nationale Richtlinien geben hierzu nur vage Hilfestellungen. Das American College of Obstetricians and Gynaecologists formuliert: „Der Entbindungsmodus sollte nach Lage,
6.1 Historische Entwicklung 171
(a)
(b)
(c)
(d)
Abb. 6.2: Signifikanter Anstieg der gesamten (a) und sekundären (b) Sectioraten bei Zwillingen in Hessen von 2000 bis 2015 ohne signifikante Veränderung der Raten von Notkaiserschnitten (c) oder klinisch relevanten postpartalen Blutungen (d), nach [9].
der Technik der Registrierung der fetalen Herztöne und der maternalen und fetalen Gesundheit bestimmt werden, da die Datenlage unzureichend ist“ [13]. Hilft das? Die neue Fassung der NICE Richtlinie aus Großbritannien bezieht sich auf den Twin Birth Trial, ohne die Ergebnisse der französischen populationsbasierten Studien zu berücksichtigen [14]. Sie vermittelt im Gegensatz zur französischen Leitlinie allerdings auch keine praktischen Hinweise zur erfolgreichen Durchführung einer vaginalen Mehrlingsgeburt und empfiehlt nur, verfügbare Erfahrungen in Erwägungen mit aufzunehmen. Hierzu könnte man Audits von (unnötigen) Sectiones beim 2. Zwilling oder ein obligates Training in regelmäßigen Abständen hineininterpretieren. Die neue Fassung der NICE-Guideline nimmt auch Stellung zur Überwachung der Kinder während der Geburt mit einem 2-Kanal-System bei der CTG-Überwachung und simultaner Registrierung der mütterlichen Herzfrequenz, um das Risiko falscher oder doppelter Registrierungen zu minimieren. Gleichzeitig sollte die Schwelle für Maßnahmen bei einer Klassifizierung „non-reassuring“ im Vergleich zu pathologischen Herzfrequenzmuster niedriger gesetzt werden [14]. Dies sind wichtige Hinweise.
172 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
6.2 Vorgeburtliche Aufklärung Ein Gespräch über den Geburtsmodus und Risikosituationen, die unter der Geburt auftreten können, sollten vor der Geburt in einer stressfreien Zeit mit einem erfahrenen Geburtsmediziner besprochen werden. Hierdurch können Mütter nicht nur gut informiert entscheiden, sondern auch in eventuellen Notsituationen besser kooperieren. Wie bei Einlingsschwangerschaften sollte auf Vorteile und Risiken, die nach einer Sectio bzw. einer Vaginalgeburt auftreten können, eingegangen werden (s. Kap. 7 und 8). Bei fehlender Expertise sollte eine Überweisung der Mutter in ein größeres Zentrum erwogen werden. Für alle Lagekombinationen gilt, dass man eine primäre Periduralanästhesie bei angestrebter Vaginalgeburt empfehlen sollte, um bei eventuell schnell erforderlichen intrauterinen manuellen Handgriffen bereits eine adäquate Schmerzbekämpfung garantieren zu können. Bei Schädellage des 1. Kindes sollte relativ unabhängig von der Eihautdiagnostik (mit Ausnahme von einer MCMA Konstellation) und des Gestationsalters immer auch eine Vaginalgeburt besprochen und dabei moderne Studien zitiert werden: Nach einer französischen Kohortenstudie mit 1. Zwilling in SL bei einem Gestationsalter zwischen 32 und 38 SSW hatten Zwillinge nach Kaiserschnitt im Vergleich zu Vaginalgeburten eine höhere Mortalität und Morbidität mit 5,3 % versus 3,0 % bei Vaginalgeburt; die odds ratio (OR) betrug 1,85, das 95 % Konfidenzintervall (CI) war 1,29– 2,67 [16]. Dies war statistisch sogar unabhängig vom Ausbildungsstand (Facharzt versus Assistenten) mit einem angepassten relativen Risiko (aRR) von 0,78, 95 % CI von 0,35–1,74 [17]. Die Epipage-2 Studie fand auch keine Unterschiede des Outcomes nach 2 Jahren nach Geburten mit 1. Zwilling in SL, die durch Vaginalgeburt statt durch eine primäre Sectio zwischen 24 und 34 SSW entbunden werden konnten [18]. Die internationale randomisierte Studie (twin birth trial) sollte ebenso zur Aufklärung herangezogen werden. Darin ergab sich, dass keine Verbesserung des neonatalen Zustandes oder des kindlichen Outcomes nach 2 Jahren durch eine primäre Sectio erzielt werden konnte, vorausgesetzt, dass ein erfahrener Geburtsmediziner involviert war [13,19]. Die Definition eines erfahrenen Geburtsmediziners wurde allerdings nicht spezifiziert, Schwere akute mütterlichen Komplikationen waren bei Frauen mit über 35 Jahren signifikant häufiger nach einer geplanten Sectio im Vergleich zu einer Vaginalgeburt (7,8 % versus 4,6 %, aOR 1,44, 95 % CI 1,02–2,06) [15]. Sollten Fragen aufkommen, wie häufig es bei einem geplanten vaginalen Vorgehen dann doch zu einem Kaiserschnitt kommt, kann zusätzlich eine große Kohortenstudie herangezogen werden [16]: Bei 883 von 2194 Frauen, die sich zu einer vaginalen Zwillingsgeburt entschlossen hatten, kam es in 86,9 % zu einer problemlosen Geburt, in 11,1 % wurde noch ein sekundärer Kaiserschnitt und in 2,0 % ein Kaiserschnitt beim 2. Zwilling durchgeführt. Nulliparität, eine Geburtseinleitung sowie Adipositas mit einem maternalen body mass index (BMI) von > 30 kg/m2 waren unabhängige Risikofaktoren für
6.3 Praktische Erwägungen für die Entbindung je nach Lage der Zwillinge 173
einen sekundären Kaiserschnitt. Positiv gesprochen haben schlanke Mehrgebärende die besten Aussichten auf eine erfolgreiche vaginale Zwillingsgeburt. Für alle Fälle gilt, dass ein kurzes Intervall zwischen Geburt des 1. und 2. Zwillings über das Outcome des 2. Zwillings bestimmt, da die Azidoserate beim 2. Zwilling im Intervall um 1 %/Minute steigt [20]. Auch dies sollte in die Aufklärung miteinbezogen werden, da die Eltern dann besser verstehen, dass nach der Geburt des 1. Zwillings ein aktives Vorgehen gefragt ist.
6.3 Praktische Erwägungen für die Entbindung je nach Lage der Zwillinge Lagekombinationen von Zwillingen können unterteilt werden in [17] (Abb. 6.3): 1% 7% 5%
1. Zwilling SL, 2. Zwilling SL
6%
1. Zwilling SL, 2. Zwilling BEL 43 %
12 %
1. Zwilling SL, 2. Zwilling QL 1. Zwilling BEL, 2. Zwilling BEL 1. Zwilling BEL, 2. Zwilling QL 1. Zwilling BEL, 2. Zwilling SL 1. Zwilling QL, 2. Zwilling SL/BEL/QL
26 %
Abb. 6.3: Verteilung von Lagen des 1. und 2. Zwillings am Termin [17], die Farbdarstellung zeigt in dunkel- und hellrot eine absolute Indikation zur Sectio und schrittweise die Farbskala relativer Indikationen zur Sectio je nach Expertise.
1) Zwillingspaare, wobei der erste Zwilling in Schädellage (SL) liegt (81 %). a) In ca. der Hälfte der Fälle liegt der 2. Zwilling auch in SL (42,5 %). b) In den anderen Fällen kann er in Beckenendlage (BEL, 26 %) liegen. c) In 11,3 % liegt der 2. Zwilling in Querlage (QL). d) Ein noch geringerer Anteil zeigt eine Schräglage des 2. Zwillings (1,2 %). Unter der Geburt können sich alle Konstellation – vor allem bei Mehrgebärenden – verändern [18]. Auch das macht die pränatale Aufklärung komplexer, da das Outcome nicht immer mit einem theoretischen Plan, sondern mit dem tatsächlichen Geburtsmodus ermittelt wurde [19]. Daher sind Ultraschallaufnahmen nach der Geburt des ersten Zwillings nicht nur hilfreich, sondern werden auch in Lehrbüchern und Leitlinien empfohlen.
174 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
2) Zwillingspaare, wobei der 1. Zwilling in BEL liegt (18 %) Bei der Kombination 1. Zwilling BEL, 2. Zwilling SL (7 %), ist wegen des Risikos einer „Verhakung“ unter der Geburt auch eine primäre Sectio indiziert. Bei Kombination, wobei der erste Zwilling in BEL und der 2. in QL oder auch in BEL liegt (insgesamt 11 %), wird inzwischen in den meisten Zentren auch eine primäre Sectio durchgeführt. Allerdings ergab eine Multicenter-Studie aus dem Jahr 2000, dass eine vaginale Geburt von „breech-first twins“ über 1500 g nicht mit erhöhten Risiken eines schlechteren Outcomes verbunden war [20]. Allerdings setzt auch hier ein vaginaler Geburtsmodus Geburtsmediziner mit Erfahrung in vaginalen Beckenendlagengeburten sowie den Techniken zur raschen Entbindung des 2. Zwillings aus BEL oder QL (s. u.) voraus. 3) Zwillingspaare, wobei der 1. Zwilling in Querlage (QL) liegt (1 %). Dabei besteht eine absolute Indikation zu einer primären Sectio. Die Farbwahl in Abb. 6.3 stellt pauschal die Indikation zu einem vaginalen Entbindungsmodus dar. Angesichts steigender Sectioraten reduziert sich die Erfahrung von Klinikern in der Leitung einer vaginalen Zwillingsgeburt und damit auch ihre Fähigkeit, Erfahrung weiterzugeben. So wurde in den USA festgestellt, dass Ärzte, die nach 1970 ausgebildet wurden, keine Erfahrung mit schwierigeren Handgriffen bei einer Zwillingsgeburt mehr haben [11]. Um diesem Trend entgegenzuwirken, fassen wir hier die theoretischen und praktischen Kenntnisse bei der vaginalen Geburt mit 1. Zwilling in Schädellage in Wort und Bild zusammen [21,22]. Bevor eine Vaginalgeburt bei Zwillingen oder höhergradigen Mehrlingen indiziert wird, sollte die Lage der Plazenta festgestellt und vasa praevia oder eine vorliegende Nabelschnur ausgeschlossen werden – am besten mit Hilfe einer transvaginalen Farbdoppler-Untersuchung. Eine Farbdoppler-Untersuchung der fetalen Gefäße ist ebenso nützlich, um den fetalen Zustand mit Hilfe von Doppler-Indices fetaler Gefäße zu diagnostizieren sowie bei MC Plazentation mit Hilfe der maximalen Blutflussgeschwindigkeit (vmax) in der A. cerebri media ein Risiko auf diskrepante Hämoglobinwerte auszuschließen. Bei allen geplanten manuellen Manövern sollten die Eihäute so lange wie möglich intakt gehalten werden, um einen Nabelschnurvorfall und eine Zervixkontraktion zu vermeiden. Lehrmodelle mit einem Zwilling in einer fiktiven Fruchtwasserblase, wie sie von uns vorgeschlagen wurden, sind zu erwerben und wurden bereits bei verschiedenen „hands-on“ Kursen erfolgreich angewandt (Abb. 6.4).
6.3 Praktische Erwägungen für die Entbindung je nach Lage der Zwillinge 175
Abb. 6.4: Lehrmodell mit 2. Zwilling in einer fiktiven wassergefüllten Fruchtblase, um das unten beschriebene Vorgehen mit intakten Eihäuten des 2. Zwillings zu trainieren (Arabin B. in Kooperation mit 3B Scientific, Hamburg).
a) Vorgehen bei Schädellage des 1. und 2. Zwillings Internationale Richtlinien, die auf populationsbasierten [23,24] oder randomisierten Studien [25,26] beruhen, empfehlen bei allen Kombinationen mit erstem Zwilling in Schädellage, eher eine Vaginalgeburt anzustreben und die Schwangeren entsprechend aufzuklären. Allerdings setzt eine solche Information voraus, dass rund um die Uhr erfahrene Hebammen, Geburtsmediziner und Anästhesisten bereitstehen, um eine kontinuierliche Überwachung zu gewährleisten und Probleme zu minimieren. Prinzipiell entspricht ein vaginales Vorgehen auch den Wünschen der Mütter, sofern man ihnen keine unnötige Angst einflößt: In einer Sekundäranalyse des „Twin Birth Trial“ gaben sie an, dass sie gern in den Entscheidungsprozess involviert waren und ihre Zufriedenheit deutlich höher war bzw. gewesen wäre nach einer Vaginalgeburt [27]. Auch dies sollte daher in die Aufklärung einfließen. Eine Vaginalgeburt zweier Schädellagen kann unproblematisch verlaufen. Sobald der 2. Zwilling nach der Geburt des 1. Zwillings fest in Beckenmitte oder auf dem Beckenboden sitzt, ist es erlaubt, Kontraktionen zu stimulieren und ggf. die Mutter zum aktiven Pressen zu ermutigen. Sollte jedoch der 2. Zwilling nicht ins Becken eintreten, kann die Situation schwieriger werden, besonders dann, wenn der fetale Zustand eine rasche Entbindung erforderlich macht. In allen diesen Situationen sind eine Steigerung von Wehenmittel und eine Öffnung der Fruchtblase kontraindiziert, da das Risiko eines Nabelschnurvorfalls besteht. Das französische National College of Obstetricians and Gynaecologists (CNGOF) hat eine Leitlinie verfasst, die Geburtshelfer zu einem aktiven Vorgehen bei mobilem Höhenstand des 2. Zwillings in SL ermutigt [28]. Ein französisches Team analysierte 127 Zwillingsschwangerschaften mit hohem Stand des 2. Zwillings in SL. Die Autoren fanden keinen Unterschied, wenn eine instrumentell-vaginale Geburt oder eine innere Wendung auf den Fuß mit Extraktion ausgeführt wurde. Eine instrumentelle vaginal-operative Entbindung benötigte nie länger als 15 Minuten [29]. Die Raten von Spontangeburt, vaginal-operati-
176 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
(a)
(b)
(c)
Abb. 6.5: Vaginal-operatives Vorgehen bei hochstehendem noch nicht fest eingestelltem Kopf ohne vorangehende Teile des 2. Zwillings aber akuter Indikation zur Entbindung. Konstellation (a), Anlegen der „Glocke“ und seitliche Eröffnung der Fruchtblase (b), Extraktion in einem vorsichtigen langen Zug (c), nach [22].
ver Entbindung oder Manualhilfen waren 63 %, 31 % und 6 %. Das Vorgehen spezieller Konstellationen haben wir illustriert (Abb. 6.5, 6.6). Bei hochstehendem Kopf des 2. Zwillings, den man rasch entbinden muss, ist es sinnvoll, zuvor die Möglichkeiten überdacht und mit dem eigenen Können korreliert zu haben. Für Einlinge hat ein systematisches review Versuche zur vaginal-operativen Entbindung im Operationssaal mit einer sofortigen Sectio verglichen [30], ohne Unterschiede im neonatalen Outcome zu finden. Bei einer Zwillingsgeburt ist die Situation komplexer. Daher sollte sofort nach der Geburt des 1. Zwillings eine transabdominale und/oder eine transperineale Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden, um eine vorliegende Nabelschnur oder vorliegende Extremitäten auszuschließen. Nur nach deren Ausschluss und bei vollständigem Muttermund kann eine vaginal-operative Entbindung erwogen werden. Sollten jedoch Extremitätenteile oder Nabelschnur vorliegen, muss die innere Wendung auf den Fuß angestrebt werden. Für beide Vorgehensweisen empfehlen wir, so lange wie möglich die Fruchtblase des 2. Zwillings intakt zu lassen, um eine Uteruskontraktur oder einen Nabelschnurvorfall zu verhindern. Dafür schlagen wir folgende Schritte vor: Im Gegensatz zu einer Einlingsschwangerschaft wird ein hochstehender Kopf beim 2. Zwilling weniger durch ein Missverhältnis zwischen mütterlichem Becken und Kindsgröße bedingt als durch eine Dystokie. Daher kann ein hohes Vakuum nicht dieselben Restriktionen haben wie bei Einlingen. Eine Forces-Entbindung trägt allerdings hohe Risiken auf Verletzungen des mütterlichen Beckenbodens und sollte daher vermieden werden [31]. Da eine vorzeitige Amniotomie, ohne dass der Kopf einen Bezug zum Beckenboden aufgenommen hat, mit den Risiken eines Nabelschnur-
6.3 Praktische Erwägungen für die Entbindung je nach Lage der Zwillinge 177
(a)
(c)
(b)
(d)
Abb. 6.6: Manuelles Manöver bei hochstehendem noch nicht fest eingestelltem Kopf mit vorangehenden Teilen des 2. Zwillings oder nicht erreichbarem Schädel aber akuter Indikation zur Entbindung. Konstellation (a), Eingehen der Hand/des Arms zwischen Chorion und Uteruswand auf der dem Gesicht gegenüberliegenden Seite (b), Fassen der Füße am besten unter Ultraschallkontrolle und Hochschieben des Kopfes (c), bei festem Griff eines und dann beider Füße manuelle Extraktion des 2. Zwillings (d), nach [22].
vorfalls und weiterer akuter Verschlechterung des fetalen Zustandes verbunden ist, empfehlen wir, eine Saugglocke bereits bei noch stehender Fruchtblase in der Vagina zu platzieren und erst danach seitlich die Eihäute vorsichtig zu öffnen (Abb. 6.5b). In dem Moment, in dem erstmals Fruchtwasser abläuft, sollte gleich die „Glocke“ an den Kopf gelegt und ein Vakuum aufgebaut werden. Eine Assistenz kann behilflich sein, das Kind zu halten und während des ersten Zuges an auch zu führen, bis das Kind geboren ist (Abb.6.5c). Falls es jedoch nicht möglich ist, das Vakuum anzulegen und das Kind zu entbinden, muss sofort auf eine innere Wendung mit Extraktion übergegangen werden, ebenso, wenn fetale Teile ein Anlegen verhindern (wie in Abb. 6.6b). Auch bei einer Entscheidung zu innerer Wendung und Extraktion sollte versucht werden, die Eihäute so lang wie möglich intakt zu lassen, um eine weitere Verschlechterung des fetalen Zustandes zu verhindern und eine Rotation des Kindes zu erleichtern. Ein langer steriler Handschuh sollte an die dem 2. Zwilling gegenüberlie-
178 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
gende Hand angebracht werden, die dann die zwischen Eihäuten und Uteruswand eingeführt wird (Abb. 6.6b). Die Herzfrequenz sollte nach Möglichkeit weiter kontrolliert oder mit Ultraschall beobachtet werden, dann kann man gleichzeitig beobachten, ob man mit der Hand die Füße erreichen kann. Sobald man die Füße durch die Eihäute hindurchfassen kann, ist es sinnvoll, gleichzeitig den Kopf des 2. Zwillings (auch ggf. von außen) nach kranial zu schieben (Abb. 6 b–c). Spätestens während der anschließenden Extraktion kann es zu einem Blasensprung kommen (Abb. 6d). b) Vorgehen bei Beckenendlage des 2. Zwillings und stehender Fruchtblase Bei Beckenendlage des 2. Zwillings klärt man am besten die Patientin darüber auf, dass nach der Geburt des 1. Zwillings fast immer ein aktives Vorgehen, d. h. eine Extraktion des 2. Zwillings indiziert ist. Dazu ist es sinnvoll, dass die Patientin bereits eine Periduralanästhesie hat, damit die Extraktion schmerzfrei durchgeführt werden kann. Wenn man sofort nach der Geburt und der Abnabelung des 1. Zwillings aktiv vorgeht, kann nicht nur das Zeitintervall zwischen der Geburt von 1. und 2. Zwilling, sondern können auch viele Komplikationen, die bei zu langem Abwarten entstehen, minimiert werden. Die Schritte dieses Vorgehens sind Abb. 6.7 dargestellt. Analog zu der letzten Phase bei einer Extraktion aus hoher Schädellage nach Wendung auf den Fuß (s. o.) sollte ein langer steriler Handschuh angezogen werden, das ist günstigenfalls die Hand, die sich entlang der kindlichen Hüften zu den Füßen entlangtastet, bei tiefliegenden Füßen kann es jedoch auch die dem 2. Zwilling gegenüberliegende Hand sein, die zwischen Eihäuten und Uteruswand eingeführt wird (Abb. 6.7b–c). Da bei hochstehendem Steiß oder Fußlage des 2. Zwillings bei einer Amniotomie die Gefahr eines Nabelschnurvorfalles und unnötiger Notsituationen durch Zervix- und Uteruskontraktionen mit einer fetalen Bradykardie drohen, kann man sich mit Ultraschall absichern, dass man einen Fuß bei stehender Fruchtblase fassen und dann sofort die ganze Extraktion durchführen kann (Abb. 6.7d); dabei kommt es rasch zu einem Blasensprung.
6.3 Praktische Erwägungen für die Entbindung je nach Lage der Zwillinge 179
(a)
(c)
(b)
(d)
Abb. 6.7: Manuelles Manöver bei hochstehender Beckenendlage oder Fußlage des 2. Zwillings Konstellation (a), Eingehen der Hand bzw. des Arms zwischen Chorion und Uteruswand (b) Fassen der Füße am besten unter Ultraschallkontrolle (c), bei festem Griff eines und dann beider Füße manuelle Extraktion des 2. Zwillings (d), nach [21].
c) Vorgehen bei Quer- oder Schräglage des 2. Zwillings und stehender Fruchtblase Noch weniger als bei BEL des 2. Zwillings, gibt es einen Grund bei Querlage des 2. Zwillings nach der Geburt des 1. Zwillings abzuwarten. Im Gegenteil, hierdurch steigt die Gefahr für den 2. Zwilling zunehmend, da spätestens bei einem Blasensprung der Eihäute ein Nabelschnurvorfall und eine akute Verschlechterung des fetalen Zustandes wahrscheinlich sind. Bei dieser Konstellation tut man gut daran, gleich zu Beginn zu erklären, dass sofort nach Geburt des 1. Zwillings ein aktives Vorgehen erforderlich und eine Periduralanästhesie indiziert ist. Abb. 6.8 zeigt einzelne Schritte nach Abnabelung des 1. Zwillings und Ultraschallkontrolle, wenn sich die Querlage des 2. Zwillings noch bestätigt. Das Vorgehen entspricht dem bei Beckenendlage des 2. Zwillings: Nach dem Anziehen eines langen Handschuhs an dem Arm, der das intrauterine Manöver ausführt, geht man mit der Hand so rasch und vorsichtig wie möglich unter Ultraschallsicht zwischen Eihäuten und Uteruswand in
180 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
(a)
(b)
(c)
(d)
(e)
(f)
Abb. 6.8: Manuelles Manöver bei Querlage des 2. Zwillings: Konstellation (a), Eingehen der Hand/ des Arms zwischen Chorion und Uteruswand (b), Fassen der Füße unter Ultraschallkontrolle (c–e), bei festem Griff der Füße manuelle Extraktion des 2. Zwillings (f), simultane Darstellung des dazugehörigen Kardiotokogramms (oben), bei 1. Pfeil Geburt des 1. Zwillings, bei 2. Pfeil Geburt des 2. Zwillings, nach [21].
Richtung Kind und versucht, sich Richtung Füße vorzuarbeiten. Sobald man sicher ist, die Füße durch die Eihäute hindurch tasten zu können, sollte man die Füße greifen und eine ganze Extraktion durchführen. In dieser Situation muss rasch bei möglichst entspanntem Uterus gehandelt werden, dann bleiben die fetalen Herztöne, die von einer weiteren Kraft dokumentiert werden sollten, unauffällig (Abb. 6.8). Hier ist eine dorsosuperiorere QL dargestellt. Bei dorsoinferiorer QL kann das Erreichen der Füße schwieriger sein. Sollte es zum Blasensprung kommen, bevor man die Füße festhält, muss das Vorgehen beschleunigt werden. Bei kontraktilem Uterus sollte man eher eine Bolus-Tokolyse und kein Oxytocin applizieren. Vergleicht man das Outcome des 2. Zwillings nach Schädel- versus Nicht-Schädel-Lage, hatten zweite Zwillinge in BEL das beste Outcome, da das Intervall zwischen beiden Geminigeburten nach sofortiger Extraktion am kürzesten war. Entgegen der allgemeinen Ansicht hatte die Kombination zweier Schädellagen kein signifikant besseres Outcome (Tab. 6.1).
6.4 Entbindung je nach Eihautkonstellationen der Zwillinge 181
Tab. 6.1: Vergleich des Outcome des 2. Zwillings bei geplanter Vaginalgeburt bei > 32 SSW und Schädellage des 1. Zwillings, nach einer französischen Kohortenstudie [32]. OR = (angepasste) Odds Ratio, CI = Konfidenzintervall. Parameter
2. Zwilling nicht in Schädellage, n = 1510 n (%)
2. Zwilling in Schädellage n = 2184 n (%)
OR (95 % CI)
aOR (95 % CI)
kombinierte Morbidität
47 (3,1)
59 (2,5)
1,27 (0,86–1,88)
1,31 (0,87–2,00)
perinatale Mortalität
2 (0,1)
2 (< 0,1)
Apgar bei 5 Minuten < 4
1 (< 0,1)
8 (0,3)
Trauma
6 (0,4)
4 (0,2)
Encephalopathie
1 (< 0,1)
5 (0,2)
Krämpfe
0 (0,0)
1 (< 0,1)
Eendotracheale Beatmung
21 (1,4)
20 (0,8)
Sepsis
14 (0,9)
22 (0,9)
bronchopulmonale Dysplasie
7 (0,5)
5 (0,2)
intraventrikuläre Blutung
4 (0,3)
10 (0,4)
intraventrikuläre Blutung 3–4
0 (0,0)
1 (< 0,1)
periventrikuläre Leukomalazie
0 (0,0)
1 < (0,1)
nekrotisierende Enterokolitis
5 (0,3)
2 (< 0,1)
6.4 Entbindung je nach Eihautkonstellationen der Zwillinge Es ist inzwischen Standard, dass zu Beginn jeder Mehrlingsschwangerschaft im ersten Trimenon eine sonographische Eihautdiagnostik erfolgt, das Foto und die Diagnose im Mutterpass dokumentiert und die Ergebnisse für die Schwangerschaftsbegleitung und ggf. auch den Geburtsmodus und Zeitpunkt berücksichtigt werden (s. Kap. 2). Dadurch, dass sich MCDA Gemini eine Plazenta teilen, haben sie im Vergleich zu DC Zwillingen im Verlauf der Schwangerschaft höhere Risiken. Im Hinblick auf den Geburtsmodus gelten jedoch ähnliche Gesetze wie für DCDA Zwillinge. Dies wurde in retrospektiven Beobachtungsstudien [33–35], aber auch einer Sekundäranalyse einer
182 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
prospektiven populationsbasierten Studie in Frankreich [36] sowie eine Sekundäranalyse des Twin Birth Trial im Hinblick auf das Outcome nach der Geburt nachgewiesen, die alle keine signifikanten Unterschiede im neonatalen Outcome fanden [37]. Dies bedeutet, dass eine MCDA Geminigravidität per se keine Indikation zur Durchführung einer Sectio darstellt und nicht mit einem schlechteren Outcome nach Vaginalgeburt assoziiert ist. Dies wurde in einer populationsbasierten französischen Studie anhand des Langzeit-Outcomes analysiert (Tab. 6.2). Tab. 6.2: Neonatales Outcome nach geplanter Vaginalgeburt oberhalb von 32 Wochen bei monochorialen diamnialen versus dichorialen Zwillingen, nach [38]. Parameter
monochorial/ diamnial, n = 1790 n (%)
dichorial n = 7092 n (%)
OR (95 % CI)
aOR (95 % CI)
kombinierte Morbidität
47 (2,6)
153 (2,2)
1,22 (0,88–1,7)
0,92 (0,61–1,37)
neonatale Mortalität
3 (0,2)
6 (0,1)
Apgar bei 5 Minuten < 4
6 (0,4)
19 (0,3)
Trauma
0 (0,0)
11 (0,2)
Encephalopathie
3 (0,2)
11 (0,2)
Krämpfe
0 (0,0)
1 (0,0)
endotracheale Beatmung
17 (0,9)
45 (0,6)
Sepsis
19 (1,1)
57 (0,8)
bronchopulmonale Dysplasie
4 (0,2)
13 (0,0)
intraventrikuläre Blutung
12 (0,7)
22 (0,3)
intraventrikuläre Blutung 3–4
1 (0,0)
3 (0,0)
periventrikuläre Leukomalazie
1 (0,0)
3 (0,0)
nekrotisierende Enterokolitis
3 (0,2)
15 (0,2)
Die Rate von Schwangerschaftsunterbrechungen und Totgeburten war höher bei MC im Vergleich zu DC Gemini (1,67 % versus 0,51 %, p < 0,001 und 10,09 % versus 3,78 %, p < 0,001). Die Autoren untersuchten auch das Langzeit-Outcome der Zwillinge nach 2 Jahren [38]. Dabei wurden keine signifikanten Unterschiede der Mortalität und Morbidität gefunden. Auch eine Analyse der französischen JUMODA Studie ergab, dass man bei der vorgeburtlichen Aufklärung Eltern mit MCDA Gemini und dem ersten Zwilling in Schädellage nach 32 SSW informieren kann, dass sich das Outcome nach Vaginalgeburt nicht signifikant von dem Outcome DCDA Gemini unterscheidet [39].
6.4 Entbindung je nach Eihautkonstellationen der Zwillinge 183
Selbst für Zwillinge, die vor der 32. SSW geboren wurden, bestanden keine signifikanten Unterschiede im Langzeit-Outcome in Abhängigkeit von Geburtsmodus und Eihautverhältnissen [38]. Analog wurden keine Unterschiede von NabelarterienpH, Apgar-Werten, Aufnahme der Kinder auf einer Intensivstation zwischen MCDA und DC Zwillingen nach Vaginalgeburt gefunden, bestimmend war nur ein zu langes Zeitintervall zwischen der Geburt beider Kinder [34]. Diese Zahlen sollten auch zur Beruhigung der Eltern in Aufklärungsgesprächen herangezogen werden. Allerdings waren MCMA Zwillinge von dieser Analyse ausgeschlossen, für die eine primäre Sectio empfohlen wird. Im Hinblick auf das Risiko, mindestens ein Kind vor der 24. SSW zu verlieren, wurden 605 MCDA und 2512 DC Zwillingsschwangerschaften untersucht: Dabei war bei MCDA Gemini das Risiko 60,3/1000, bei DCDA Gemini nur 6,6/1000 (RR = 9,1; 95 % CI, 6,0–13,9). Durch Intensivierung von Kontrollen und Behandlungen wurde die Sterblichkeit von MC Zwillingen vermindert; nach 24 SSW bestand kein signifikanter Unterschied mehr in den Überlebensraten [40]. Eine andere Frage als der Geburtsmodus ist der Geburtszeitpunkt einer Zwillingsgeburt in Abhängigkeit von der Eihautdiagnostik und dem fetalen Zustand. Bei DCDA Geminigravidität untersuchte ein Cochrane Review das zu empfehlende Vorgehen anhand zweier Studien mit insgesamt 271 Frauen [41]. Eine elektive Entbindung bei 37 SSW mit Kaiserschnitt zeigte keine signifikanten Unterschiede zu einem exspektativen Vorgehen im Hinblick auf perinatale Mortalität oder ernste Morbidität (RR 0,34; 95 % CI 0,01–8,35) oder maternale Mortalität bzw. ernste Morbidität (RR 0,29; 95 % CI 0,06–1,38). Ein aktives Vorgehen einer Geburtseinleitung verminderte im Vergleich zu einem exspektativen Vorgehen die Rate von Kindern unter der 3. Gewichtsperzentile (RR 0,30; 95 % CI 0,13–0,68). Die Autoren empfehlen daher, sich an die britischen Empfehlungen (NICE), eine unkomplizierte DC Zwillingsschwangerschaft ab 37 SSW einzuleiten, zu halten. So oder so wurden in einer großen Studie keine signifikanten Unterschiede in den Überlebensraten von DCDA Gemini zwischen 28 und 38 SSW gefunden [40]. Auch andere Gründe sprechen gegen eine routinemäßige Geburtseinleitung: Tavares et al. berichteten über einen signifikanten Anstieg einer sekundären Sectio gegenüber einem abwartenden Verhalten mit 60,6 % versus 33,3 % (p < 0,05). Das Intervall zwischen Geburt des 1. und 2. Zwillings stieg von 9,8 auf 11,7 Minuten (p = 0,024) [42]. Mei-Dan et al. verglichen verschiedene Methoden der Geburtseinleitung bei Geminigravidität wie Prostaglandine oder Amniotomie mit Oxytocininfusion. Die Sectiorate beider Gruppen war nicht signifikant verschieden. Nulliparität, erhöhtes mütterliches Alter und eine abweichende Lage des 2. Zwillings waren zusätzliche Risikofaktoren für eine ungeplante sekundäre Sectio, die unabhängig von der Einleitungsmethode im Vergleich zum exspektativen Vorgehen erhöht war [43]. Als Lösung bliebe dann eher eine sehr intensive Überwachung der Kinder nach 37 SSW. Bei MCDA Geminischwangerschaft wurde kein Unterschied von perinataler Mortalität zwischen 32 und 37 SSW gefunden [40]. In einer niederländischen Kohorten-
184 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
studie mit 1407 Geminigraviditäten betrug die perinatale Mortalität 11,6 % für MC gegenüber 5,0 % für DC Zwillinge. Ein intrauteriner Fruchttod war nach 32 SSW erhöht im Vergleich zu DC Zwillingen. Ein vaginaler Entbindungsversuch war in 77 % erfolgreich [44]. Dies spricht für eine Geburtseinleitung bei MCDA Geminischwangerschaft zwischen 36 und 37 SSW. Bei MCMA Geminischwangerschaft besteht zusätzlich zum Risiko einer gemeinsamen Plazenta auch das Risiko einer Nabelschnurumschlingung beider Kinder. Die Prognose wird von der Lokalisation der Nabelschnurumschlingung mitverursacht, d. h. je näher die Umschlingung am Körper der Kinder war, desto höher war auch das Risiko eines intrauterinen Fruchttodes (Tab. 6.3) [45]. Tab. 6.3: Risiko eines intrauterinen Fruchttodes bei MCMA Geminigravidität in Abhängigkeit der Lokalisation der Umschlingung, nah bzw. fern vom Nabelschnuransatz, nach [45]. Gruppe monoamniale Zwillinge
intrauteriner Fruchttod < 20. SSW
umbilikale Umschlingung (n = 6)
5/6
plazentare Umschlingung (n = 30)
0/30
2/30 (1 Paar) immature Geburt 23. SSW
2/30 (2 Paar) fetaler Tumor Frühgeburt (26. SSW)
4/30
total (n = 36)
5/36 (14 %)
2/36 (5,5 %)
2/36 (5,5 %)
9/36 (25 %)
perinatale Mortalität bis 7 Tage post partum
neonatale Mortalität bis 28 Tage post partum
totale Mortalität
5/6
Diese Beobachtung kann möglicherweise auch dabei helfen, wie lange man eine Schwangerschaft fortsetzen will. In einer niederländischen Multicenter-Studie wurden 98 MCMA Zwillingsschwangerschaften verfolgt. Die perinatale Mortalität betrug nach Ausschluss nicht lebensfähiger Fehlbildungen 17 %; nach 32 SSW waren noch 2/98 Schwangerschaften durch einen intrauterinen Fruchttod belastet [46]. Beruhigend für ein Aufklärungsgespräch ist, dass die Komplikationen zurückgegangen sind, aber auch noch nach 32 SSW vorkommen (Tab. 6.4). Dies führt dazu, dass ein Zeitpunkt für eine primäre Sectio bei etwa 32 SSW vorgeschlagen wird, aber nach Aufklärung der Eltern auch noch bis zu 34. SSW hinausgezogen werden kann [46].
6.5 Entbindungsmodus je nach Gestationsalter bei der Geburt 185
Tab. 6.4: Analyse monoamnialer Zwillingsschwangerschaften nach kumulativer Mortalität der noch fortgesetzten Schwangerschaften mit lebenden Kindern ≥ 24. SSW, nach [46]. Gestationsalter bei Geburt (SSW)
Kontinuität (n)
Rate Fruchttod pro Periode (n/%)
Rate neonataler Tod Rate Mortalität (total) pro Periode (n/%) pro Periode (n/%)
pro Schwan- pro gerschaft Fet
pro Schwan- pro gerschaft Fet
pro Schwan- pro gerschaft Kind
pro Schwan- pro gerschaft Kind
24–25
80
160
0
0
1 (1,3)
2 (1,3)
1 (1,3)
2 (1,3)
26–27
78
156
1 (1,3)
2 (1,3)
1 (1,3)
1 (0,6)
2 (2,6)
3 (1,9)
28–29
75
150
3 (4,0)
3 (4,0) 4 (5,3)
4 (2,7)
5 (6,7)
7 (4,7)
30–31
63
126
0
0
1 (1,6)
1 (1,6)
1 (1,6)
32–33
55
110
1 (1,8)
2 (1,8) 0
0
1 (1,8)
2 (1,8)
34–35
28
56
1 (3,6)
1 (1,8)
1 (3,6)
1 (1,8)
1 (3,6)
2 (3,6)
≥ 36
12
24
0
0
0
0
0
0
1 (1,6)
Für die frühe Aufklärung kann eine Studie mit 6225 Zwillingsschwangerschaften herangezogen werden, wobei Fälle mit DCDA, MCDA und MCMA Eihautverhältnissen zwischen 11 und 13 SSW diagnostiziert und diese weiterverfolgt wurden. Obwohl die Verlustrate von MC Zwillingen noch immer höher sind, haben sich die Ergebnisse durch die Möglichkeiten fetaler Diagnostik und Therapie stetig verbessert [47] (s. Kap. 2).
6.5 Entbindungsmodus je nach Gestationsalter bei der Geburt Die steigenden Raten von Zwillingsschwangerschaften sind mit einem populationsbasierten Trend von Frühgeburten verbunden und haben so Auswirkungen auf die gesamte perinatale und neonatale Morbidität und Mortalität [48]. Eine unerwartete vorzeitige Eröffnung des Muttermundes vor oder an der Grenze der Lebensfähigkeit bei Mehrlingsschwangerschaft ist dank intensivierter Anwendung der Transvaginalsonographie und Behandlung bei Zervixverkürzung weniger seltener geworden (s. Kap. 3). Alle Arten von Frühgeburten sind jedoch bei Geminigravidität erhöht (Abb. 6.9). Bei nicht aufhaltbaren Wehen ist unter Berücksichtigung des mütterlichen und fetalen Zustandes, der Lage der Kinder sowie der Eihautverhältnisse zu
186 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
Abb. 6.9: Prozentuale Verteilung der Frühgeburten bei Geminigravidität nach Gestationsalter-Gruppen in Hessen zwischen 2000 und 2015, nach [49].
entscheiden, ob man die Vaginalgeburt hinauszögern oder dann auch durchführen kann. Wir versuchen die Literatur zusammenzufassen und ein praktisches Vorgehen zu erläutern. Vorgehen bei (drohender) Spontangeburt des 1. Zwillings vor oder an der Grenze der Lebensfähigkeit Wenn eine Prävention einer frühen Frühgeburt nicht möglich war oder versagt hat, kann es indiziert sein, den 1. Zwilling zu entbinden und die Schwangerschaft für das 2. Kind fortzusetzen. Die Bezeichnung „delayed interval delivery“ hat sich für dieses Management durchgesetzt. Wir haben über einen Zeitraum von 15 Jahren Fälle prospektiv nach einem festen Protokoll behandelt und die Ergebnisse als Kohortenstudie publiziert [50]. Nach einer Geburt des 1. Zwillings zwischen 20 und 24 SSW war die Überlebensrate der zweiten Kinder ca. 50 %, bis zur 28. SSW verbessern sich die Überlebensraten zunehmend. Nach der 28. SSW ist nach Balancierung der mütterlichen und kindlichen Risiken eine Entbindung indiziert, es sei denn, die Zervix schließt sich komplett über der ersten Nabelschnur und die Patientin hat keine Infektionszeichen oder Wehen [50]. Die Fälle bei Geminigravidität sind in Abb. 6.10 dargestellt.
6.5 Entbindungsmodus je nach Gestationsalter bei der Geburt 187
Abb. 6.10: Darstellung von 38 Fällen mit herausgezögerter Entbindung des 2. Zwillings, die blauen Balken zeigen das Intervall zwischen der Geburt des 1. und 2. Zwillings im Bezug zur Schwangerschaftswoche (SSW, x-Achse) bei Geburt des 1. Zwillings, nach [50].
In einer follow-up Untersuchung wurde auch das Langzeit-Outcome untersucht. Das Intervall von im Mittel ca. 20 Tagen trug zu einem höheren Geburtsgewicht und zu einer Reduktion durch extreme Frühgeburt bedingter Komplikationen bei, ohne dass es im Vergleich zu einer Kohorte mit gleichem Gestationsalter bei Geburt zu einer Verschlechterung des Langzeit-Outcomes kam [51]. Eine weitere große Kohortenstudie verschiedener Zentren mit 200 Fällen schloss Mütter ein, deren 1. Kind ab der 23. SSW geboren wurde. Das mittlere Intervall zur Geburt des 2. Zwillings war 6 (2– 107) Tage. Von der Gruppe der 2. Zwillinge überlebten 56 %, aber nur 24 % aus der Gruppe der ersten Zwillinge (p < ,001). Allerdings verstarben 11 % der 2. Zwillinge intrauterin während des Ausstellmanövers vor der 24. SSW [52]. In Protokollen verschiedener Zentren gibt es kontroverse Meinungen, ob nach der Geburt des 1. Zwillings eine Cerclage durchgeführt werden soll, die in einer kleinen Fallserie das Intervall verlängerte [53]. Da die Gefahr einer mütterlichen Sepsis nach Cerclage noch steigen kann, haben wir darauf verzichtet. Eine spätere Metaanalyse mit 432 Ausstellmanövern bei Zwillingen, 56 bei Drillingen und 4 Fällen bei höhergradigen Mehrlingen, zeigte analog, dass die perinatale Überlebensrate im Vergleich zum 1. Zwilling eindeutig verbessert werden konnte (OR = 5,22, 95 % CI 2,95–9,25) [54]. Dies war besonders ausgeprägt bei frühem Gestationsalter. Unter den Überlebenden war die Kurz- und Langzeitmorbidität zwischen 1. und 2. Zwilling nicht signifikant unterschiedlich. Die Rate ernster maternaler Mor-
188 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
bidität war allerdings 39 %, darunter waren 2 Fälle mit Hysterektomie [54]. Absolute und relative Kontraindikationen für Ausstellmanöver sind in Tab. 6.5 zusammengefasst. Für Eltern stellt diese Situation aufgrund der Ambivalenz der Gefühle zwischen Trauern und Hoffen eine hohe Belastung dar. Wegen der komplexen klinischen und psychologischen Situation sollten Überwachung und Betreuung durch geschultes Personal erfolgen. Das schrittweise Vorgehen haben wir in Form einer Tabelle dargestellt (Tab. 6.6). Tab. 6.5: Absolute und relative Indikationen für ein Ausstellmanöver bei (drohender) Frühgeburt des 1. Zwillings vor oder an der Grenze der Lebensfähigkeit. Kontraindikationen
absolut
– – – – – – – – –
AIDS, HIV Positiv Amnioninfektion/Fieber der Mutter angeborene letale Fehlbildungen bei 2. Kind HELLP-Syndrom Lues Pyelonephritis Plazenta praevia Vasa praevia vorzeitige Plazentalösung
relativ
– – – – – – – – – – – – – – – – –
Alkoholmissbrauch Blutverlust der Mutter (stark) Depressionen Herzerkrankung der Mutter Lungenembolie in Anamnese Lues Medikamentenmissbrauch Morbus Addison Multiple Sklerose Myombehandlung oder ausgedehntes Myom Parvovirus Infektion psychiatrische Erkrankungen Präeklampsie tiefe venöse Thrombose Toxoplasmose Tuberkulose Varizella (zoster) Infektion
6.5 Entbindungsmodus je nach Gestationsalter bei der Geburt 189
Tab. 6.6: Schrittweises Vorgehen bei Indikation zu einem Ausstellmanöver bei (drohender) Frühgeburt des 1. Zwillings vor oder an der Grenze der Lebensfähigkeit, nach [50]. 1. Schritt
„Diagnose drohende Frühgeburt“ (vorzeitiger Blasensprung, Eröffnung bis 10 cm, unaufhaltsame Wehen, Fieber, vaginale Position 1. Kind) – Aufklärung der Mutter, – Einverständnis in das Vorgehen trotz möglicher Spätfolgen für das Kind nach Erreichen der Überlebensgrenze – während der 1. Entbindung Tokolyse bei Wehen, es sei denn, das Kind liegt bereits vaginal und wird manuell entbunden. – Aufklärung über „off-label use“ bei Indomethazin – Ausschluss einer Antibiotika-Allergie. – Abstriche (Zervix, Uricult) – „breite“ Antibiotikaprophylaxe, – Gespräch mit Neonatologen – je nach Gestationsalter Kortikosteroide für 2. Kind.
2. Schritt
„Entbindung 1. Kind“: – vor Entbindung Antibiotika und ggf. Tokolyse, – keine Episiotomie, – Kulturen des Kindes (Nabelschnurblut und/ oder Haut des Kindes– Abstrich Zervix bei Spekulum Untersuchung – Abnabelung so hoch wie möglich, – Spülung bevorzugt mit Chlorhexidin (tötet gram-positive und gram-negative Keime), – Plazenta in situ lassen, – bei Rh-negativer Mutter anti-D Globulin.
3. Schritt
„Intervall“: – keine vaginale Untersuchung, sondern allenfalls Transperinealsonographie der Zervix/des vorangehenden Teils, Sludge etc., – Monitoring fokussiert auf frühe Erkennung Chorioamnionitis, Zeichen vorzeitiger Lösung, Gerinnungsstörungen (CAVE Sepsis) – Temperaturkontrolle, Puls, RR wenigstens 4 ×/Tag, – Kulturen 2/Woche wiederholen, – tägliche Laborkontrollen der CRP/BB/Gerinnung, – bei Überlebensfähigkeit des 2. Kindes CTG 3 ×/Tag, – Beurteilung der Atembewegung 2 ×/Woche, – Beurteilung des Fruchtwassers 2 ×/Woche, ggf. – Bestimmung der amniotic fluid matrix metalloproteinase-8 (MMP-8) (Yoon's MMP-8 Check™) im Fruchtwasser, – Frage der emotionalen Verarbeitung/konsiliarisch ggf. Psychosomatiker, Seelsorger, Sozialarbeiter, – Schwangere nur entlassen, ohne Infektionszeichen, wenn Zervix geschlossen und abgebundene Nabelschnur nicht mehr erkennbar ist.
4. Schritt
„Entbindung 2. Kind“: – wenn Geburt des 2. Kindes nicht aufhaltbar ist oder man die Entbindung will, Kind wenn möglich in Eihäuten entbinden durch erfahrenen Geburtsmediziner – Plazenta muss untersucht werden, ob alle Plazentateile vorhanden sind (auch die des 1. Kindes),
190 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
Tab. 6.6: (fortgesetzt). – – 5. Schritt
bakteriologische und histologische Untersuchung beider Plazenten, Bei Sectio Cavumabstrich.
„Nachsorge“: – Termin für eine Nachbesprechung bei einem Spezialisten für Perinatalmedizin – bei Problemen bei der Verarbeitung der oft ambivalenten Situation, ggf. Psychologen einschalten, – bei weiterer Schwangerschaft muss früh (12–16 SSW) die Zervix beurteilt und Risiken einer Frühgeburt ausgeschlossen werden.
Vorgehen bei (drohender) Frühgeburt vor 32 Schwangerschaftswochen, wobei ein Ausstellmanöver nicht (mehr) in Frage kommt Die beschriebenen großen Unterschiede der Raten vaginaler Entbindungen in Europa sind auch innerhalb von Gruppen mit unterschiedlichem Gestationsalter anzutreffen [10]. Sie zeigen, dass es keine Evidenz für einen bestimmten Geburtsmodus besonders bei frühem Gestationsalter gibt, sondern dass es auf die Expertise des Geburtsmediziners ankommt. Diese ist leider in deutschsprachigen Ländern ohne zentrale Strukturen gering und wird noch spärlicher, je seltener ein Ereignis auftritt, also z. B. bei immer früherem Gestationsalter oder seltenen Lagekombinationen. Obendrein kann es aus „Angst“ vor einer vaginalen Entbindung bei Wehen oder fortgeschrittener Dilatation des Muttermundes zu einer iatrogenen Frühgeburt kommen, die man hätte herauszögern können. So haben wir sogar in Extremsituationen mit vollständigem Muttermund und tiefer Lage des 1. Zwillings mit Hilfe einer Langzeit-Epiduralanästhesie eine Geburt beider Kinder um 2 bis 14 Tage herauszögern können [55] (Abb. 6.11). Hierzu wurde eine Kombination von Bupivacain und Fentanyl kontinuierlich appliziert. Die Überwachung dieser Schwangerschaften setzt jedoch Expertise von betreuenden Schwestern, Hebammen und Ärzten voraus. Die Schwangeren wurden mit hochgelagertem Becken gelagert, um den Druck auf das untere Uterinsegment zu vermindern. Die Frage nach einer primären Sectio bei drohender früher Frühgeburt (vor 32 SSW) betrifft daher nicht nur die Technik per se, sondern auch den Zeitpunkt des Eingriffs. Nachteile einer prinzipiellen primären Sectio sind nicht nur eine erhöhte maternale Morbidität, sondern auch ein eventuell schlechteres Outcome durch „unnötig zu frühe” Entbindungen der Kinder. Mehrere Studien gingen der Frage nach, wie man Zwillinge vor 32 SSW entbinden solle [56]. In einer Multicenter-Studie wurde ein unterschiedliches Vorgehen in 6 Zentren bei frühem Gestationsalter (26–32 SSW) und 1. Zwilling in SL überprüft: In 213/248 Fällen (86 %) konnte eine vaginale Entbindung wie geplant durchgeführt werden, in dieser Gruppe wurde in 1,6 % eine Vaginalgeburt des 1. Zwillings und eine Sectio beim 2. Zwilling durchgeführt. Nur in 12,4 % wurde ein sekundärer Kaiser-
6.5 Entbindungsmodus je nach Gestationsalter bei der Geburt 191
(a)
(b)
Abb. 6.11: Transvaginale Ultraschallaufnahme bei vollständigem Muttermund und GeminiSchwangerschaft an der Grenze der Lebensfähigkeit, zeitweise lagen Füße (links) oder sogar Nabelschnur (rechts) vor. Nach Gabe von Kortikosteroiden und Nachweise der Lungenreife wurde bei 28 SSW eine primäre Sectio indiziert.
schnitt durchgeführt. Ein geplanter vaginaler Geburtsmodus hatte keine negativen Auswirkungen im Vergleich zu einer primären Sectio auf das kindliche Outcome [56]. Eine weitere Kohortenstudie untersuchte, inwieweit ein geschätztes Geburtsgewicht < 1500 g ein Risikofaktor für eine Vaginalgeburt bei Zwillingen ist [57], dabei wurden bei 142 Schwangerschaften eine Sectio und bei 51 eine Vaginalgeburt angestrebt, davon waren 21 Paare beide in SL, 28 Paare in SL/BEL bzw. SL/QL und 2 Paare in BEL/BEL. Eine Vaginalgeburt wurde in 90,5 % bzw. 96,4 % der ersten Kombinationen ausgeführt. Im Vergleich zu Zwillingen, die mit Sectio entbunden worden waren, war die Rate von intraventrikulären Hirnblutungen erhöht, was jedoch nach Korrektur mit „confoundern“ nicht mehr signifikant war. Die Raten von Apgar-Werten < 7 bei 5 Minuten und niedrigem pH in der Nabelarterie unterschieden sich nicht
192 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
signifikant, aber ein Atemnotsyndrom (RDS) war seltener nach Vaginalgeburt (66,7 % versus 69 %; p = ,042; OR = 0,34; 95 % CI 0,12–0,96). Die 2019 überarbeitete Fassung der NICE Guideline geht auf frühe Zwillingsgeburten vor 32 SSW ein und empfiehlt eine Sectio, falls der 1. Zwilling nicht in SL liegt, lässt aber den Entbindungsmodus bei 1. Zwilling in SL auch vor 32 SSW offen [14]. Eine Untersuchung zeigte 2020 ebenso für Zwillinge mit SL des 1. Zwillings, aber QL oder BEL des 2. Zwillings vor 28 SSW keine Unterschiede im Outcome bei primärer Sectio oder Vaginalgeburt, allerdings kam es auch bei Vaginalgeburt zur Sectio beim 2. Zwilling [58]. Ebenso ließ eine Sekundäranalyse der prospektiven französischen populationsbasierten JUMODA-Studie 2021 beim Vergleich von 232 Fällen mit geplanter Vaginalgeburt und 192 primär geplanten Sectiones keine signifikanten Unterschiede im Outcome sehen. Dies wurde primär definiert als Überleben ohne erkennbare Morbidität der Kinder bei Entlassung (80,8 % versus 80,2 %) [59]. Dies alles macht deutlich, dass die hohe Sectiorate bei Zwillingen auch besonders bei frühem Gestationsalter nicht begründet, stärker noch mit höheren Risiken für Mütter und Kinder verbunden ist.
6.6 Sekundäre Sectio oder kombinierter Entbindungsmodus Kommt es nach einer versuchten Vaginalgeburt doch zu einem Kaiserschnitt, ist die Enttäuschung bei der Mutter, aber auch ihre Risiken erhöht. Ebenso ist das Risiko auf Morbidität beim 2. Zwilling mit 19,8 % höher als nach einer Vaginalgeburt mit 9,5 % oder einer geplanten Sectio mit 9,8 % [23]. Allerdings ist die Indikation zum sekundären Kaiserschnitt hier auch ein möglicher „confounder“ der Ergebnisse (s. Kap. 7). Bei protrahiertem Geburtsverlauf wird die Reaktion des Uterus auf Oxytocin immer schwächer. Dies weist bereits auf eine Atoniegefahr post partum. Man sollte sich dann darauf einstellen und Blutkonserven bereit stellen (s. Kap. 8). Eine Sectio beim 2. Zwilling nach Vaginalgeburt des 1. Zwillings ist der Literatur zufolge in mindestens zwei Drittel der Fälle oder bis zu 80 % durch unzureichende klinische Expertise bedingt [60]. Dies bedeutet, dass diese durch umsichtiges Vorgehen fast immer vermeidbar sind und folgende Aktionen vermieden werden sollten: – zu langes Abwarten nach der Geburt des 1. Kindes – Start von Oxytocin, trotz BEL oder QL oder hochstehendem Kopf – Amniotomie, trotz abweichender Lage mit Nabelschnurvorfall – unzureichende Anästhesie, um innere Handgriffe schnell und zügig durchzuführen – Vergessen, dass alle Handgriffe auch im OP in Allgemeinnarkose durchgeführt werden können und hierdurch doch eine Sectio vermieden werden kann. Umgekehrt ausgedrückt soll hier noch einmal betont werden, dass in einer Notlage immer versucht werden sollte, den zweiten Zwilling in Allgemeinnarkose im OP (und
6.7 Besonderheiten bei höhergradigen Mehrlingen 193
wenn gewünscht in Sectiobereitschaft) von vaginal zu entwickeln. Dies gelingt dann fast immer und erspart Zeit und einen Bauchschnitt. Gemeinsam mit der AG Mehrlinge war eine retrospektive Analyse aller Fälle in Deutschland geplant, um die häufigsten eventuellen Fehler zu erkennen und besprechen zu können. Dies erfordert jedoch eine bundesweite aktive Kooperation.
6.7 Besonderheiten bei höhergradigen Mehrlingen Die Hellinsche-Regel, die auf 85 Geburten eine Zwillingsgeburt, auf 852 (7225) Geburten eine Drillingsgeburt und auf 853 (614.125) Geburten eine Vierlings Geburt berechnet, galt lange als Maßstab für die Wahrscheinlichkeit verschiedener Mehrlingsgraviditäten [61]. Das Argument beruhte auf einem Modell, das die Wahrscheinlichkeit zusätzlicher Ovulationen und Teilungen befruchteter Eizellen beschrieb. Allerdings gab es hiervon bereits globale Abweichungen, die durch verschiedene Störfaktoren während der Schwangerschaft erklärt wurden [62]. Die Reproduktionsmedizin erhöhte jedoch alle Mehrlingsraten in einem nie zuvor bekannten Ausmaß: Wurden 1950 in Deutschland 104 Drillingsgeburten dokumentiert, waren es 1999 bereits 486 [4]. Daher wurde im Embryonenschutzgesetz die Anzahl der maximal zu transferierenden Embryonen pro Zyklus auf drei beschränkt. Die höchste Anzahl höhergradiger Mehrlinge entsteht jedoch bei hormoneller Stimulationstherapie, hier wurden Maßnahmen zur besseren Überwachung konzipiert (s. Kap. 5.3). Daraufhin ging 2011 die Anzahl der Drillingsgeburten auf 230 zurück, 2018 betrug sie dann doch wieder 260/ 787.523 Lebendgeburten. Nur 6 Geburten waren 2018 in Deutschland noch Vier- oder Fünflinge ≤ 4 [4]. Da bei höhergradigen Mehrlingen auch maternale Komplikationen ausgeprägter sind, ist dieser Rückwärtstrend erfreulich. Zwischen Mehrlingsschwangerschaften im 1. Trimester und Mehrlingsgeburten besteht eine Differenz durch frühe Spontanaborte, intrauterine Fruchttode oder iatrogene Mehrlingsreduktionen. Die Beratung zur eventuellen „Reduktion“ von höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften in Abhängigkeit von der Eihautdiagnostik wird in Kap. 2 diskutiert. Die European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) zeigt noch immer einen ansteigenden europäischen Trend von Schwangerschaften nach künstlicher Befruchtung [63]. Bei in-vitro Fertilisation (IVF) und intrazellulärer Spermien Insemination (ICSI) wurden 2015 in 37,7 %, 53,9 %, 7,9 % and in 0,5 % je 1, 2, 3 and ≥ 4 Embryos zurückplatziert, dabei entstanden in 83,1 % Einlings-, in 16,5 % Zwillings- und in 0,4 % Drillingsschwangerschaften. Dies war der niedrigste Stand von Mehrlingsschwangerschaften im Vergleich zu früher [63]. Allerdings können auch „single transfers“ in Mehrlingsschwangerschaften resultieren: Nach einer japanischen Untersuchung wurden dort sogar in 109 Fällen Drillinge nachgewiesen (0,04 %) [64]. Bei 122 Drillings- und einer Vierlingsgravidität lagen in 46 Fällen (37,4 %) MC Eihautverhältnisse, in 18 Fällen DC (14,6 %) and in 59 (48 %) TC Eihautverhältnisse vor. Nach dem japanischen Register entstanden diese
194 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
Mehrlingsschwangerschaften bevorzugt nach Kryopräservation, Blastozyten-Transfer oder „assisted hatching“ (Laserschlüpfhilfe) [64]. Entbindungsmodus bei Drillingen in Abhängigkeit von der Lage der Kinder Als Entbindungsmodus bei Drillingen wird durch die NICE Guideline unabhängig vom Eihautstatus primär einen Kaiserschnitt empfohlen [14]. Die französischen und amerikanischen Leitlinien lassen dies offen. Eine retrospektive Studie aus Philadelphia und Chicago untersuchte die Erfolgsrate einer Vaginalgeburt bei 21/83 Drillingsschwangerschaften mit SL des ersten Drillings. Dabei konnten 57 % aller Drillinge vaginal entbunden werden. Die Mütter waren meist Mehrgebärende und hatten häufiger einen spontanen Geburtsbeginn. Im Outcome bestanden weder Unterschiede zu Schwangerschaften nach primärer Sectio und ebenso nicht zum Outcome von Drillingen in Zentren mit niedrigeren Raten von Drillingsgeburten [65]. Im Gegensatz hierzu wurden in einer Multi-Center Studie in den USA 188 Fälle mit Drillingsschwangerschaften analysiert, bei 24 Fällen wurde eine vaginale Entbindung angestrebt, aber nur in 4/24 Fällen wurden die Kinder auch vaginal entbunden. Bei einer Analyse dieser Subgruppe war die Rate kombinierter neonataler Morbidität erhöht (aOR 12,44; 95 % CI 1,22–127,20 %). Die Autoren stellten daraufhin das Planen einer Vaginalgeburt in Frage [66]. Aber sicher spielt die klinische Erfahrung eine entscheidende Rolle: In einer Kohorte von 93 Drillingsschwangerschaften in Frankreich wurde in 78/93 Fällen ein vaginaler Entbindungsmodus angestrebt und bei 15/93 Müttern eine primäre Sectio geplant [67]: In 66/78 Fällen (84 %) konnte eine Vaginalgeburt der Drillinge ausgeführt werden, in 12 Fällen kam es zur sekundären Sectio. Die Kinder nach Vaginalgeburt zeigten in diesem Team mit viel Erfahrung kein erhöhtes Risiko für neonatale Mortalität oder Morbidität. Aus eigener Erfahrung kann selbst bei BEL des ersten Drillings eine vaginale Geburt durchgeführt werden; auch dabei ist eine Periduralanästhesie sinnvoll, um durch aktive Leitung das Intervall zwischen der Geburt der Kinder so kurz wie möglich zu halten. Die Vor- und Nachteile einer Vaginalgeburt sollten unter der Berücksichtigung relativer oder absoluter Kontraindikationen und der Erfahrung individuell mit den Eltern besprochen werden. Entbindungsmodus bei Drillingen in Abhängigkeit von der Eihautdiagnostik Drillingsschwangerschaften haben theoretisch nach ART häufiger trichoriale (TC) Plazenta-Verhältnisse; nach spontaner Konzeption werden häufiger MC Mehrlinge beobachtet [68], so sahen wir sogar spontane MC fünf-amniale Fünflinge [69]. Die Rate von dichorialen triamnialen (DCTA) Drillingsschwangerschaften hat in den vergangenen Jahren im Verhältnis zu TCTA Drillingsschwangerschaften zugenommen [70]. Frauen mit DCTA Drillingen hatten im Vergleich zu TCTA Drillingen häufiger nur eine Geburt mit nur einem lebenden Kind (41,4 versus 11,2 %, p < 0,001). In 232/248 Fällen (93,5 %) fand die Konzeption nach Infertilitätsbehand-
6.7 Besonderheiten bei höhergradigen Mehrlingen 195
lung statt, DCTA Drillinge entstehen zunehmend auch nach IVF (inzwischen bis zu 88,3 %) [70]. Verschiedene Studien zeigen, dass MC Drillinge ein erhöhtes Risiko für intrauterinen Fruchttod, perinatale Mortalität, Wachstumsrestriktion oder -diskordanz und Frühgeburtlichkeit im Vergleich zu TCTA Drillingsschwangerschaften haben [71–73]. Nach einer Studie in England betrug das relative Risiko (RR) perinataler Mortalität bei MC Drillings-Schwangerschaft (n = 72) 2,7 (1,3–5,5) im Vergleich zu einer TCTA (n = 68) Drillingsschwangerschaft, das RR von intrauterinem Fruchttod betrug sogar 5,4 (1,6–18,2). In 57 % war ein Transfusionssyndrom die Ursache [74]. DCTA Drillinge hatten niedrigere Geburtsgewichte und höhere Raten von Gewichtsdiskrepanz im Vergleich zu TCTA Drillingen. Unabhängig von der Eihautdiagnostik wurden Drillinge in über 95 % mit Hilfe einer Sectio im Mittel bei 33 SSW entbunden [74]. Das alles beinhaltet, dass bei MC oder DC Drillingsschwangerschaft wohl selten ein vaginaler Entbindungsmodus erwogen und durchgeführt wird, auch ist er in erfahrenen Händen nicht kontraindiziert. Entbindungsmodus und Gestationsalter Bei Schwangerschaften mit höhergradigen Mehrlingen kommt es noch häufiger als bei Zwillingsschwangerschaften zu einer vorzeitigen Eröffnung des Muttermundes und zu drohender bzw. tatsächlicher Frühgeburt. Dann kann es analog zur Zwillingsschwangerschaft als letzte Option indiziert sein, das erste Kind zu entbinden und alles zu versuchen, um die Schwangerschaft für die weiteren Kinder fortzusetzen. Wie bei Zwillings- haben wir auch bei Drillingsgravidität Fälle prospektiv nach einem Protokoll behandelt und die Ergebnisse als Kohortenstudie publiziert (Abb. 6.12) [42]. Dabei gelten dieselben praktischen Schritte, wie wir sie bei Zwillingsschwangerschaft beschrieben haben, und dieselben Kontraindikationen (Tab. 6.4 und 6.5). In unserer Kohorte mit 12 Drillingsschwangerschaften wurden 7 erste Drillinge vor 25 SSW geboren; in dieser Gruppe überlebte keiner der ersten Drillinge, aber zwei der Drillinge einer Schwangerschaft, bei denen versucht wurde, die Geburt hinauszuzögern (Abb. 6.12). Das maximale Intervall zwischen der Geburt des ersten und der folgenden Kinder betrug hier sogar 118 Tage. Bei den anderen 5 Drillingsschwangerschaften, bei denen der 1. Drilling zwischen 25 und 26 SSW entbunden wurden, überlebten drei der ersten Drillinge, aber nur vier der folgenden Drillinge – hier betrug das Intervall 2 bis 13 Tage (Abb. 6.12). Obwohl der „Erfolg“ für die Eltern mit einem Intervall von 108 Tagen essenziell war, waren die Überlebensraten zwischen ersten und nachfolgenden Drillingen in der Kohorte nicht signifikant verbessert (75 % versus 75 % perinatale Mortalität). Das bedeutet aber nicht, dass man ein solches Vorgehen nicht versuchen sollte, da 2/12 Eltern dank des Versuchs statt mit keinem mit 2 gesunden Kindern entlassen werden konnten.
196 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
Abb. 6.12: Darstellung von 12 Fällen mit herausgezögerter Entbindung bei Drillingsschwangerschaft, die blauen Balken zeigen das Intervall zwischen der Geburt des 1. und 2. Drillings, die roten die weitere Verlängerung der Geburt des 3. Drillings im Bezug zur Schwangerschaftswoche (SSW, x-Achse) bei Geburt des 1. Drillings, nach [50].
In dem größten systematischen Review zum Ausstellmanöver wurden außer Zwillings- auch 56 Drillings-, 3 Vierlings- und eine Fünflingsschwangerschaft inkludiert [47]. Bei Drillingsschwangerschaften wurde eine signifikante Verbesserung des Überlebens der nachfolgenden Kinder nachgewiesen (OR 2,33, 95 % CI 1,02–5,32). Unter den Überlebenden waren Kurz- und Langzeitmorbidität erstgeborener und nachfolgender Drillinge nicht verschieden [47]. Ähnlich wie bei Zwillingen gibt es auch bei Drillingen keine Evidenz für einen bestimmten Geburtsmodus – auch nicht bei frühem Gestationsalter. Bei sehr frühem Gestationsalter kann es entscheidend sein, die Geburt noch einige Zeit hinauszuzögern, wenn der fetale Zustand es erlaubt und kein vorzeitiger Blasensprung mit Gefahr für eine Chorioamnionitis vorliegt. In Abhängigkeit von den Eihautverhältnissen sind jedoch Expertise bei der fetalen Überwachung erforderlich. Bei der Aufklärung der Eltern im Hinblick auf die Prognose der Kinder können Daten der prospektiven populationsbasierten EPICE-Studie herangezogen werden [75], wobei Kinder aus 19 Regionen nach Frühgeburten zwischen 22 und 31+6 SSW nachuntersucht wurden. Drillinge trugen zu 1,1 % (97/8851) der Kohorte der Schwangerschaften und in 3,3 % (258/7900) zu den frühen Lebendgeburten bei. Die Raten von Eltern mit perinatalem oder neonatalem Todesfall waren mit 28,9 % hoch; 90 % der frühen Drillinge wurden mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Eine Vaginalgeburt der Drillinge war nicht mit erhöhter Mortalität, sondern nur mit niedrigeren ApgarWerten der Kinder assoziiert. Die Rate neonataler Mortalität nach Lebendgeburt bei Drillingen war mit 12,4 % nicht signifikant unterschiedlich von Raten bei Einlingsoder Zwillingsgravidität [75]. Neben einer Frühgeburt, die man zunächst hinauszögern will, solange der Zustand der Kinder es erlaubt, stellt sich nach 32 SSW die Frage, wie lange man riskiert,
6.7 Besonderheiten bei höhergradigen Mehrlingen 197
die Schwangerschaft fortzusetzen. Da bei MCMA Zwillingen bereits eine Entbindung bei 32 SSW empfohlen wird, um Risiken eines Transfusionssyndroms und eines Risikos einer Nabelschnurumschlingung zu umgehen, sollte diese Empfehlung auch für eine Konstellation mit MA Drillingen gelten. In einer retrospektiven nationalen koreanischen Kohortenstudie mit 1352 (1,44 %) Drillingsschwangerschaften zwischen 32 und 42 SSW wurde das Risiko eines intrauterinen Fruchttodes ermittelt [76]. Danach stieg das Risiko auf intrauterinen Fruchttod bei längerer Schwangerschaftsdauer, während das Risiko, postnatal zu versterben für die Kinder sank. Diese Unterschiede waren zwischen 33 und 34 SSW signifikant. Bei einer Fortsetzung der Schwangerschaft sind besonders bei DC Drillingen daher aufwendige fetale Überwachungen indiziert mit Hilfe von UltraschallDoppler- und Herzfrequenzüberwachung (Tab. 6.7) [76]. Tab. 6.7: Kombiniertes Risiko aus dem Risiko von intrauterinem Fruchttod in der laufenden Woche und zu erwartendem Risiko eines neonatalen Todes in der darauffolgenden Woche bei einer Fortsetzung der Drillingsschwangerschaft (n = 1352). Bei allen Drillingen bestand ein zunehmendes Risiko auf intrauterinen Fruchttod ab 35 SSW. Viele der Risiken/Woche konnten wegen zu geringer Fälle nicht berechnet werden, nach [76]. Gestationsalter (SSW)
intrauteriner Fruchttod
neonatale Mortalität
Entbin- intrauteriner kindliche Sterbdungen Fruchttod/10.000 lichkeit/10.000 SchwangerLebendgeburten schaften
kombiniertes Risiko bei Verlängerung der Schwangerschaft um 1 Woche
32
4
1
174
29,59 (9,19–68,6)
57,80 (3,31–252,02)
70,74 (11,55–248,53)
33
2
1
244
17,04 (2,83–52,51)
41,15 (2,35–179,93)
34
1
0
298
10,78 (0,72–47,36)
35
6
0
480
95,39 (38,02–192,36)
36
0
0
102
-
37
3
0
30
731,31 (187,16–1789,03)
38
1
0
4
1250 (75,85–4453,47)
39
0
0
3
-
40
0
1
0
-
5000,00 (380,75–9619,25)
198 6 Vaginalgeburt von Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen
Das Risiko auf Totgeburt war am niedrigsten bei 34 SSW mit 10,78/10.000 Schwangerschaften (95 % CI, 0,62–47,36) und stieg dann kontinuierlich an. Das höchste Risiko auf eine Totgeburt bestand bei 38 SSW mit einem Risiko von 1250/ 10.000 Schwangerschaften (95 % CI, 75,85–4453,57). Da nach der Geburt nur 3/1335 geborenen Drillinge zwischen 32 und 41 SSW starben, konnte kein Risiko der Fortsetzung der Schwangerschaft ermittelt werden (Tab. 6.7). Nach 36 SSW übersteigt für Drillinge das Risiko eines intrauterinen Fruchttodes Risiken neonataler Morbidität oder Mortalität (75). Daher sollten selbst unkomplizierte Drillingsschwangerschaften nicht über 36 SSW fortgesetzt werden. Die amerikanischen und französischen Leitlinien äußern sich nicht zu einem Geburtszeitpunkt von Drillingen, die NICE Guideline empfiehlt, dass Müttern mit Drillingen eine Geburt ab 35 SSW und nicht später als 36 SSW empfohlen werden sollte [14]. Zusammenfassend kann man im Hinblick auf den Entbindungsmodus bei Drillingen eine schwedische Studie zitieren, in der 9 Frauen mit Drillingen vaginal und 7 mit primärer Sectio entbunden wurden: 23 % der Kinder in der Gruppe mit vaginalem Entbindungsmodus und 6 % in der Sectiogruppe zeigten keinerlei Morbidität. Die Autoren folgerten, dass eine vaginale Entbindung bei fehlenden Kontraindikationen gerechtfertigt ist – vorausgesetzt, dass genügend Expertise der Kliniker in Zentren mit hohen Fallzahlen besteht [77]. Optimistisch stimmt eine Studie von 65 Drillingsschwangerschaften über ein Intervall von 21 Jahren, das ein verbessertes mütterliches Outcome, d. h. eine geringere Rate von Präeklampsie (31,8 % vs. 2,3 %, p = 0,002) and Anämie (68,2 % vs. 30,2 %, p = 0,003) und eine signifikante Reduktion neonataler Morbidität der 185 Drillinge (26,2 % vs. 8,1 %, p = 0,03) zeigte. Dabei spielte nicht nur die verbesserte Überwachung, sondern vor allem ein höheres Gestationsalter bei Geburt eine entscheidende Rolle [78] (s. Kap. 3). Hier sollten daher sowohl bei Zwillings- wie höhergradigen Mehrlingsschwangerschaft weitere Anstrengungen erfolgen. Zusammenfassend ist ein vaginaler Geburtsmodus bei Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen von regelmäßigem Training und der Expertise des geburtsmedizinischen Teams abhängig. Wir glauben daher, dass man … 1. Mehrlinge in Zentren entbinden sollten, die eine solche Expertise rund um die Uhr gewährleisten können und Zertifizierungen bestehen sollten („teach the teachers“), 2. analog zu verpflichtenden Trainingseinheiten bei Schulterdystokie auch ein regelmäßiges Training an Kliniken, die Zwillinge entbinden, eingeführt werden sollte.
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7 Besonderheiten bei der Sectio Ioannis Kyvernitakis, Birgit Arabin Mehrlingsschwangerschaften und Mehrlingsgeburten haben ein inhärentes Risiko perinataler und neonataler Morbidität und Mortalität [1]. Der wachsende Anteil von Müttern, die vor der Schwangerschaft eine Behandlung mit artifiziellen Reproduktionstechniken (ART) hinter sich und oft bereits vorbestehende Risiken haben (s. Kap. 5.3) sowie die steigenden Sectioraten bei Einlingen und Mehrlingen auch ohne strikte medizinische Indikation, erhöhen diese Risiken, da sich auch die Inzidenz von Frauen mit einer vorangegangenen Sectio erhöhen. In diesem Kapitel wird daher auf Besonderheiten der Technik und Sicherheitsaspekte von Kaiserschnitten bei Mehrlingen näher eingegangen.
7.1 Sectioraten und Zentralisierung Risiko-stratifizierte Analysen in Europa zeigten große Unterschiede in den Sectioraten bei Zwillingsschwangerschaften zwischen 31,1 % in Island und 98,8 % in Malta. Dabei hatten unsere Nachbarstaaten wie die Niederlande und Frankreich signifikant niedrigere Raten mit 43,9 % und 54,8 % im Vergleich zu Deutschland und Italien mit 74,8 % und 85,6 % [2]. Obwohl eine französische Studie bei Zwillingen mit dem 1. Kind in Schädellage und einer Geburt zwischen 32 und 37 Schwangerschaftswochen (SSW) nach Sectio eine erhöhte kombinierte Mortalität und Morbidität im Vergleich zur Vaginalgeburt feststellte (5,3 % versus 3,0 %, OR 1,85, 95 % CI 1,29– 2,67) nehmen Kaiserschnittgeburten bei Zwillingen in Deutschland weiterhin zu [2]. Maternale Komplikationen wie die Präeklampsie (PE) sowie fetale Komplikationen wie eine intrauterine Wachstumsrestriktion (IUGR) treten bei Mehrlingsgravidität häufiger auf (s. Kap. 5.2). Ebenfalls konnte ermittelt werden, dass der Anteil von Zwillingsschwangeren nach Sterilitätsbehandlung, 35 % aller entbundenen Zwillingsschwangerschaften ausmachte und diese Tendenz steigend ist [3]. Dies alles trägt zu diesem Anstieg der Sectioraten bei und so liegt die Wahl des Entbindungsmodus nicht immer im Ermessen des Geburtshelfers. Die Wahl des Entbindungszentrums liegt allerdings in der Hand der Eltern. Kliniken, die Zwillingsgeburten durchführen, sollten rund um die Uhr erfahrene Anästhesisten, in der Zwillingsgeburt erfahrene Geburtshelfer und rund um die Uhr auch ein neonatologisches Team zur Verfügung haben.
https://doi.org/10.1515/9783110669749-007
204 7 Besonderheiten bei der Sectio
7.2 Entscheidung zum Entbindungszeitpunkt In Abwesenheit einer drohenden Frühgeburt oder von Schwangerschaftskomplikationen sollte der Zeitpunkt der Entbindung festgelegt werden. Dies betrifft vorzeitige Geburtseinleitungen sowie elektive Kaiserschnitte. Anders als bei Einlingsgraviditäten, bei denen bei unkomplizierter Schwangerschaft der optimale Zeitpunkt für die Entbindung nicht vor der 39. SSW liegen sollte [4], um respiratorische Komplikationen zu vermeiden, wird der optimale Entbindungszeitpunkt bei unkomplizierten Zwillingsgraviditäten durch verschiedene Faktoren beeinflusst, maßgeblich durch die Eihautverhältnisse [5,6]. Ob die pulmonale Reife bei Zwillingen früher als bei Einlingen auftritt, ist noch unklar [7,8]. Epidemiologischen Daten zufolge liegt die niedrigste Rate perinataler Mortalität bei Zwillingen bei einer Geburt zwischen 37 und 38 SSW. Der Anstieg der Mortalitätsraten nach der 38. SSW entspricht denen bei Einlingen nach der abgeschlossenen 41. SSW [9]. Epidemiologischen Studien haben gezeigt, dass der perinatale Outcome von Zwillingen vor allen vom Gestationsalter bei Geburt abhängt. Der Anstieg der perinatalen Mortalität am Ende der Gravidität wird ca. 2 Wochen früher beobachtet als bei Einlingen [10,11]. Das Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) hat folgende Empfehlungen in einer NICE Leitlinie ausgesprochen [12]. 1. Die Schwangere sollte aufgeklärt werden, dass 60 % aller Zwillinge- und 75 % aller Drillinge bereits vor der abgeschlossenen 37. respektive vor der 35. SSW zur Welt kommen. Dadurch besteht ein erhöhtes Risiko für diese Neugeborenen, auf einer neonatologischen Intensivstation (NICU) aufgenommen zu werden. 2. Anhand des Risikoprofils und der Eihautverhältnisse, die bereits im 1. Trimester dokumentiert sein sollten (s. Kap. 1), wird der individuelle Entbindungstermin (zur Einleitung oder primärer Sectio) festgelegt. 3. Die Entbindung bei unkomplizierter dichorialer-diamnialer (DCDA) Zwillingsgravidität ist ab 37+0 SSW nicht mit einem erhöhten Risiko für perinatale Morbidität assoziiert und eine Fortsetzung der Schwangerschaft nach der 37+6 SSW erhöht das Risiko eines intrauterinen Fruchttodes (IUFT). 4. Die Entbindung bei unkomplizierter monochorialer-diamnialer (MCDA) Zwillingsgravidität ist ab 36+0 SSW nicht mit einem erhöhten Risiko für perinatale Morbidität und Mortalität verbunden aber eine Fortsetzung der Schwangerschaft nach der 36+6 SSW erhöht das Risiko für einen IUFT. 5. Die Entbindung bei unkomplizierter monochorialer-monoamnialer (MCMA) Zwillingsgravidität ist zwischen der 32+0 und 33+6 SSW nicht mit einem erhöhten Risiko für einen nachteiligen Outcome assoziiert (da intrauterin ein Risiko einer Nabelschnurumschlingung besteht) und eine Fortsetzung der Schwangerschaft nach der 33+6 SSW erhöht das Risiko für einen IUFT. Diese Zwillinge bedürfen allerdings in der Regel einer Versorgung auf neonatologischen Intensivstationen (NICU) und haben ein erhöhtes Risiko für respiratorische Anpassungsstörungen.
7.2 Entscheidung zum Entbindungszeitpunkt 205
6.
7.
Die Entbindung bei unkomplizierter trichorialer-trimnialer (TCTA) oder dichorialer-triamnialer (DCTA) Drillingsgravidität erhöht ab 35+6 SSW das Risiko für einen IUFT. Die Entbindung bei einer monochorialen-triamnialen (MCTA) Drillingsgravidität oder bei einem geteilten Amnion sollte individuell mit der Mutter besprochen werden.
Die deutsche S2e-Leitlinie zur Mehrlingsschwangerschaft entspricht maßgeblich auf der NICE Leitlinie [13]: – unkomplizierte DCDA Zwillingsschwangerschaften: 37+0 – 38+0 SSW – unkomplizierte MCDA Zwillingsschwangerschaften: 36+0 – 37+0 SSW – unkomplizierte MCMA Zwillingsschwangerschaften: 32+0 – 32+6 SSW – unkomplizierte TCTA oder DCTA Drillingsschwangerschaften (RCOG): bei ca. 35+0 SSW Eine individuelle Beratung und Entscheidung sollte unter Berücksichtigung der Anamnese, der Eihautverhältnisse, der individuellen Vorstellungen der Eltern sowie der Expertise der Betreuer für alle Zwillings- oder Drillingsschwangerschaften erfolgen und dokumentiert werden (s. Kap. 6). Dabei zeigt Tab. 7.1, dass internationale Empfehlungen variieren. Tab. 7.1: Empfohlener Geburtszeitpunkt (Schwangerschaftswochen) bei unkomplizierter dichorialer (DC), monochorialer diamnialer (MC DA) und monochorial monoamnialer (MC MA) Zwillingsgravidität nach verschiedenen internationalen Leitlinien. Fachgesellschaft
DC Zwillinge
MC DA Zwillinge
MC MA Zwillinge
National guideline Alliance (UK). Twin and Triplet pregnancy. London: National institute for health and care excellence; 2019 [12]
37+0–37+6
36+0–36+6 (nach ANS)
32+0–33+6
Royal College of Obstetricians and keine Empfehlung Gynaecologists (RCOG) [14]
ab 36+0 (nach ANS)
32+0–34+0
American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) [15]
38+0
34+0–37+6
32+0–34+0
Royal Australian and New Zealand College of Obstetricians and Gynecologists (RANZCOG) [16]
keine Empfehlung
bis 37+0
keine Empfehlung
French College of Obstetricians and Gynecologists (CNGOF) [17]
38+0– < 40+0
36+0– < 38+6
32+0– ≥ 36+0
ANS: Antenatale Kortikosteroide, SSW: vollendete Schwangerschaftswochen
206 7 Besonderheiten bei der Sectio
7.3 Pathophysiologische Besonderheiten/Anästhesie/Lagerung Das peripartale Management von Mehrlingsschwangerschaften stellt das perinatologische Team vor einige Herausforderungen. Auch das Team der Anästhesiologen sollte über ausreichendes Wissen und Erfahrung der spezifischen Kreislaufveränderungen verfügen und danach nicht nur den Bedarf an Medikamenten, sondern auch die Lagerung anpassen.
7.3.1 Herz-Kreislauf-System Die Schwangerschaft ist ein hyperdynamischer Zustand. Das Herzzeitvolumen ist um 45 % bei Einlings- und um 60 % bei Zwillingsschwangerschaften erhöht [18]. Analog steigt das Plasmavolumen bei Zwillingsschwangerschaften um 67 % und das Blutvolumen um 59 % [19]. Aufgrund der Hypervolämie können Schwangere große Mengen an Blut verlieren ohne symptomatisch auffällig zu werden. Während Frauen ohne Schwangerschaft bei bis zu 20–25 % Blutvolumenverlust asymptomatisch bleiben, können schwangere Frauen bis zu 30–35 % des Blutvolumens verlieren, bevor sie die ersten Symptome zeigen [20]. Bei Schwangeren mit Mehrlingen ist anzunehmen, dass erste Symptome noch später erkennbar werden. Das erhöhte Herzzeitvolumen steigert die orale, nasale, pharyngeale und tracheale Kapillarperfusion, so dass eine Intubation erschwert sein könnte. Eine erhöhte Inzidenz einer erschwerten Intubation wurde bei Mehrlingsschwangerschaften beobachtet [21]. In Terminnähe reduziert sich das Herzzeitvolumen um 10–20 % so dass die Effekte einer aortokavalen Kompression insbesondere im Fall einer neuraxialen (spinale, epidurale oder Kombinations-) Anästhesie bei Mehrlingsschwangerschaften verstärkt werden [22].
7.3.2 Vena cava Kompressionssyndrom Bereits ab der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) kann in Rückenlage ein Vena cava Kompressionssyndrom auftreten. Ursache ist eine Reduktion des Blutrückflusses in der V. cava inferior durch das Gewicht des Uterus. Bei ungenügender kardialer Vorlast durch einen verminderten venösen Rückfluss kommt es zu einen low cardiac output state mit kritischem Abfall des Herzminutenvolumens. Die Symptomatik tritt bei Mehrlingsschwangerschaften verstärkt auf. Durch den großen Uterus kann es auch zu einer Kompression der Aorta kommen. Hierdurch wird die Uterusdurchblutung noch mehr vermindert (aortokavales Kompressionssyndrom). Durch eine Lagerung der Patientin in Linksseitenlage wird der venöse Rückfluss wieder ermöglicht und die Kreislaufverhältnisse normalisieren sich rasch. Schon bei
7.3 Pathophysiologische Besonderheiten/Anästhesie/Lagerung 207
Einlingsschwangerschaften führt ein Wechsel von Rücken- in Linksseitenlage zu einem signifikanten Anstieg des Herzauswurfs, und zwar mit 20 SSW um 8–25 %, mit 30 SSW um 14–35 % und am Termin um 30 %. Bei unzureichender Seitenlagerung kann es gerade bei Mehrlingsschwangerschaften rasch im Rahmen einer Vollnarkose, Spinal- oder bei Periduralanästhesie zu fetaler Asphyxie kommen.
7.3.3 Atmung Auch das Risiko einer maternalen Hypoxämie ist höher bei Mehrlings- im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften. Schwangere mit Mehrlingsgravidität leiden früher unter einem Zwerchfellhochstand. Hierdurch entsteht ein thorakaler Atmungstyp mit einer Abnahme der funktionellen Residualkapazität [23]. Durch einen physiologischen Anstieg der alveolären Ventilation sowie eine Abnahme der funktionellen Residualkapazität wird ein schnelleres An- und Abfluten der Inhalationsanästhetika erreicht und damit eine schnellere Ein- und Ausleitung einer Inhalationsnarkose bei der Schwangeren bzw. Wöchnerin. Um eine Aspiration zu vermeiden, werden geburtshilfliche Patientinnen während der Narkoseeinleitung nicht über eine Gesichtsmaske ventiliert. Dies hätte zur Folge, dass Luft in den Magen gelangt und der Mageninhalt zu einer pulmonalen Aspiration führen würde. Der Sauerstoff wird stattdessen über eine enganliegende Maske vor der Narkoseeinleitung verabreicht; so wird ein Sauerstoffpartialdruck (pO2) von fast 500 mmHg erreicht. Ein Sedativum (z. B. Thiopental) wird dann intravenös verabreicht, gefolgt von einem Muskelrelaxans (z. B. Succinylcholin). Anschließend erfolgt die Intubation [24]. Patientinnen mit Mehrlingsschwangerschaften haben ein noch höheres Risiko für eine Fehlintubation als übliche Schwangere mit einer mittleren Rate von 1/280, die damit schon bereits 8-fach höher ist im Vergleich zu den allgemeinchirurgischen Patientenkollektiven [25].
7.3.4 Magen-Darm-Trakt Der sich ausdehnende Uterus verdrängt den Magen und den Darm nach kranial. Die resultierende Kompression des Magens führt zu Verschlussstörungen des Ösophagus-Magen-Übergangs. Parallel reduziert ein gesteigerter Progesteronspiegel bei Mehrlingsschwangerschaften die Magenperistaltik und kann zu Magenentleerungsstörungen führen [26]. Daher könnte sich eine Indikation zur Gabe von Antacida im Falle einer Anästhesie ergeben. Ferner werden präoperativ auch Histamin-H2-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Ranitidin) zur Unterdrückung der Magensäureproduktion und Metocloopramid zur Erhöhung der Motilität des Magen-Darm-Traktes gegeben.
208 7 Besonderheiten bei der Sectio
7.3.5 Anästhesie bei elektiven Sectiones Die Spinalanästhesie ist die häufigste Anästhesieform für elektive oder sekundäre Sectiones bei Patientinnen ohne liegende Periduralanästhesie. Als intrathekales Lokalanästhetikum werden ca. 2,5–3,0 ml Bupivacain 0,5 % isobar oder 2,5 ml Bupivacain hyperbar verabreicht. Hyperbares Bupivacain scheint vorteilhaft, da hiernach bei weniger Fällen eine Allgemeinanästhesie erforderlich ist und das Zeitintervall bis zum Erreichen eines sensorischen Blocks bis T4 kürzer war [27]. Nachteil ist ein eventuell schnell auftretender Blutdruckabfall, der durch Vorgabe von 1000–1500 ml Elektrolytlösung bzw. Gabe von Akrinor® (Cafedrin und Theodrenalin im Verhältnis 20:1) zumeist verhindert werden kann.
7.4 Primäre (elektive) Sectio Bei Mehrlingsschwangerschaften wird häufig bereits vor Eintritt der Wehentätigkeit eine primäre Sectio durchgeführt [28]. Die Gründe für diese Entwicklung liegen in einem abnehmenden Vertrauen mit Vaginalgeburten des geburtsmedizinischen Teams, aber auch in zunehmender Sorge oft älterer Mütter oder Eltern nach ART, die glauben, eine Sectio wäre mit weniger Mühen für die Mütter und weniger Risiken für die Kinder verbunden [28]. Bis heute konnte keine Studie einen Vorteil einer elektiven Sectio bei Zwillingsgravidität und erstem Zwilling in Schädellage nachweisen (s. Kap. 6). Eine Sectio vor Eintritt der Wehentätigkeit ist mit einem erhöhten Risiko für neonatale respiratorische Morbidität assoziiert [29]. Daten aus der Grundlagenforschung deuten darauf hin, dass Wehentätigkeit einen protektiven Effekt gegenüber respiratorischen Anpassungsstörungen aufbaut. Fetale Lämmchen hatten während der Eröffnungsperiode erhöhte Katecholaminspiegel, die zu einer erniedrigten Sekretion und erhöhten Resorption von Amnionflüssigkeit in den Lungen führte [30]. Andere Anpassungsmechanismen beinhalten einen langsameren Abfall des pulmonalen Gefäßwiderstandes und niedrigere Spiegel von Prostaglandinen bei Neugeborenen nach elektiver Sectio [31,32]. Eine Reihe von absoluten Indikationen für eine primäre (elektive) Sectio haben sich auf der Basis klinischer Studien durchgesetzt [33]. Hierzu gehört eine elektive Sectio in Fällen von MA Zwillingen aufgrund des Risikos von Nabelschnurvorfall oder -kompression, obwohl Fallberichte und sogar Fallserien von „unkomplizierten“ Vaginalgeburten bei MA Zwillingen berichteten [34]. Die Twin Birth Studie [33–36] untersuchte in einem prospektiv-randomisierten und multizentrischem Studiendesign die Effekte einer geplanten Sectio gegenüber einer geplanten vaginalen Geburt bei Zwillingen nach 32+0 SSW mit führendem Geminus in Schädellage. Die primäre Analyse zeigte keinen Vorteil für eine elektive Sectio weder für Kinder noch für Mütter. Auch der neuromotorische Outcome der Zwillinge
7.6 Sekundäre Sectio des 2. Zwillings/Notsituation 209
im Alter von 2 Jahren und die Langzeitfolgen bei den Müttern – z. B. urogynäkologische Symptome – unterschieden sich nicht signifikant (s. Kap. 9.4). Eine Sekundäranalyse des Twin Birth Trial konnte jedoch auch zeigen, dass Mütter gern selbst aktiv am Entscheidungsprozess für einen Geburtsmodus beteiligt sein wollen. Die meisten Frauen würden unabhängig von der Randomisierung eine Vaginalgeburt, die mit größerer Zufriedenheit einherging, bevorzugen [37].
7.5 Sekundäre Sectio beider Kinder Die Sectiorate bei Zwillingsschwangerschaften ist in den letzten 30 Jahren global angestiegen [38,39]. Dieser Trend hat schwerwiegende Auswirkungen auf die maternale Morbidität und Mortalität. Dies gilt besonders für eine sekundäre Sectio und dabei vor allem für sekundäre Sectiones in der Austreibungsperiode, wenn das untere Uterinsegment stark durchblutet ist. Deneux-Tharaux et al. [40,41] haben diese Risiken analysiert und berichteten über einen 3,1-fachen Anstieg der schweren mütterlichen Morbidität, einen 5,1-fachen Anstieg des Risikos für Herzstillstand, einen 2,1-fachen Anstieg für puerperale Infektionen, und einen 5,1-fachen Anstieg für Hämatombildungen. Das Risiko für Plazentationsstörungen ist ebenso gut untersucht worden. Clark et al. [42] berichteten über einen Anstieg der Raten für Placenta praevia und Placenta accreta von 0,6 % auf 10 % und von 0,06 % auf 6,7 % respektive bei nachfolgenden Schwangerschaften. Dieses Risiko ist zusätzlich von der Anzahl vorangegangener Sectiones abhängig [43]. Der Anstieg dieser Komplikationen ist in geringem Maße auch Folge des ansteigenden Sectiorate bei Zwillingsgraviditäten: Lee et al. berichteten über einen Anstieg der Sectiorate bei Zwillingsgraviditäten in USA von 53,4 % im Jahr 1995 auf 75 % im Jahr 2008 [44]. Ein vergleichbarer Anstieg wurde auch in deutschen Kliniken bei Zwillingsgravidität während dieser Periode beobachtet [38,39]. Aufgrund dieser Trends wäre es sinnvoll, nationale Leitlinien für Entbindungsstrategien bei Zwillingsschwangerschaften zu implementieren. Die Einführung einer Entbindungs-Leitlinie für Zwillinge in Frankreich konnte eine Senkung der Sectiorate von fast 50 % auf 36,6 % innerhalb von 5 Jahren erreichen! [17].
7.6 Sekundäre Sectio des 2. Zwillings/Notsituation Eine kombinierte Entbindung mit (Not-)Sectio des 2. Zwillings ist die am wenigsten wünschenswerte Option, da die Mutter bereits eine anstrengende Geburt hinter sich hat und dann den hohen Risiken einer Notsectio ausgesetzt wird. In retrospektiven Auditierungen (confidential enquiries) wurden die Indikationen für Fälle mit Sectio beim 2. Zwilling analysiert; die Indikationen waren Notsituationen wie durch eine Plazentalösung, einen Nabelschnurvorfall oder ein zervikaler Spasmus. Diese sind
210 7 Besonderheiten bei der Sectio
zwar vorher nicht prognostizierbar, sind aber vermeidbar, wenn sofort nach der Entbindung des 1. Zwillings die Entbindung des 2. Zwillings aktiv begonnen wird. Häufig verfügte das geburtshilfliche Team über unzureichende Erfahrung, schnell zu handeln oder die Notsituation konstruktiv zu lösen [45,46]. Eine dorsoinferiore Querlage des 2. Zwillings erschwert eine innere Wendung und anschließende ganze Extraktion. Auch eine hohe vaginal-operative Entbindung bei Schädellage erfordert ein proaktives Vorgehen und Erfahrung (s. Kap. 6.3). In allen diesen Situationen entstehen jedoch nur dann Notsituationen, wenn man (überhaupt oder zu früh) eine Amniotomie durchführt und/oder die Geburt des 2. Zwillings zu lange hinauszögert. Erwartungsgemäß erhöhen Notsituationen, die zur sekundären Sectio des 2. Zwillings führen auch neonatale Komplikationen. In einer retrospektiven Analyse betrug die neonatale Morbidität (pH < 7,0, APGAR < 7 nach 5 Minuten und neonatale Geburtsverletzung) 19,8 % (2331/11.716) bei sekundärer Sectio im Vergleich zu 9,5 % (10.873/115.005) in der vaginalen Entbindungsgruppe (p < 0,001) und 9,8 % (11.278/ 114.369) in der Gruppe der geplanten Sectiones (p < 0,001) [47]. Wenn Kliniken keinen Bereitschaftsdienst für Hochrisikoschwangerschaften oder Mehrlingsentbindungen anbieten, besteht eine Korrelation zwischen der Rate kombinierter Entbindungen und der Rate elektiver Kaiserschnittgeburten. Geburtshelfer mit wenig Erfahrung in vaginalen Entbindungen bei Zwillingsschwangerschaften führen häufiger eine Sectio beim zweiten Zwilling durch [46]. Es wurde geschätzt, dass mindestens zwei Drittel der kombinierten Entbindungen (Sectio beim 2. Zwilling) vermeidbar wären. Dies hätte einen direkten Effekt auf das Blutungsrisiko oder Infektionen, aber auch später für Verwachsungen, Uterusrupturen und Plazentationsstörungen.
Abb. 7.1: Operativer Situs mit Darstellung des Uterus nach sekundärer Sectio von Zwillingen. Kraniale Aufnahme eines Uterus nach sekundärer Sectio in der Austreibungsperiode. Zu beachten ist das ausgezogene Uterinsegment, wobei der zervikale Bereich nur schwierig vom unteren Uterinsegment differenziert werden kann. Aufgrund einer Uterusatonie wurden modifizierte Cho-Nähte („Uterussteppnaht“) zur Kontraktion angelegt.
7.7 Zustand nach Sectio und Mehrlingsschwangerschaft 211
7.7 Zustand nach Sectio und Mehrlingsschwangerschaft Mit der pandemischen Verbreitung von Sectiones als Geburtsmodus bei Ein- und noch mehr bei Mehrlingen steigt auch die Rate von Müttern mit Mehrlingen bei einer weiteren Schwangerschaft und einer vorangegangenen Sectio. Hier stellt sich die Frage, inwieweit hier eine absolute oder relative Indikation zu einer Re-Sectio besteht. In der angloamerikanischen Literatur spricht man schon Indikativ von „trial of labor after a Cesarean“ (TOLAC), wobei man suggeriert, dass dies nur ein Versuch sei. Frauen mit Mehrlingen, die schon einen Kaiserschnitt hatten, haben in vielen Kohorten eine noch geringere TOLAC-Rate als Frauen mit Einlingen, da durch die größere Ausdehnung des Uterus eine höhere Rupturrate befürchtet wird [48]. Das ist noch ausgeprägter bei Frauen nach ART [49]. In einer Studie aus 2018 wurde berichtet, dass nur 12 % der Mütter nach vorangegangener Sectio bei Zwillingsschwangerschaften einen TOLAC versuchten, dabei waren 47 % erfolgreich [50]. Bisher haben nur wenige Studien neben den oben aufgeführten den Outcome von Mehrlingsschwangerschaften mit TOLAC und einer primären Re-Sectio verglichen [51–57]. Bei insgesamt bisher acht Studien zwischen 1996 und 2018 war die TOLAC-Rate zwischen 9 % [56] und 45 % [52], die „Erfolgsraten betrugen je nach Strenge der Indikation zwischen 45 % [51] und 77,2 % [49]. Im Vergleich zu den Fällen, die mit primärer Sectio entbunden wurden, hatten Mütter nur in einer von acht Studien ein erhöhtes Risiko auf eine Ruptur [51] und in einer weiteren eine erhöhte perinatale Mortalität [48] oder eine erhöhte Rate mütterlicher Transfusionen und von NICU-Aufnahme [56]. Dagegen hatten Mütter mit primärer Sectio höhere Risiken auf Infektionen [51] oder auf einen verlängerten Klinikaufenthalt [53]. Ganz allgemein zeigen die meisten dieser Studien keinen starken Anstieg der mütterlichen oder neonatalen Morbidität, daher schreibt auch das American College of Obstetrics and Gynaecology (ACOG), dass eine vaginale Geburt als TOLAC auch
Abb. 7.2: Sonographische Darstellung einer Sectionarbe. Darstellung der alten Sectionarbe durch transabdominale Sonographie.
212 7 Besonderheiten bei der Sectio
bei Zwillingsschwangerschaft möglich sei [58]. Dabei soll jedoch aus Gründen der Sicherheit nach dem Royal College of Obstetrics and Gynaecology (RCOG) „vorsichtig“ vorgegangen werden [59]. Zwei der zitierten Studien untersuchten Unterschiede zwischen TOLAC bei Einlings- und Zwillingsschwangerschaft in einer Kohorte [57,60] (Tab. 7.2). Obwohl Geburtsmediziner bei Zwillingen eher aus defensiven Gründen unter der Geburt eine sekundäre Sectio ausführen, bestanden keine signifikanten Unterschiede in den Erfolgsraten oder Komplikationen bei Einlings- oder Zwillingsgravidität. Tab. 7.2: Inzidenz, Erfolgsraten und Risiken innerhalb von Studien, die nach einer vorangegangen Sectio einen vaginalen Entbindungsversuch oder trial of labour after a Caesarean (TOLAC) innerhalb einer Kohorte bei Einlings- und Mehrlingsgravidität untersuchten. Studiengruppe Einlingsgravidität TOLAC
Studiengruppe Zwillingsgravidität TOLAC
TOLAC-Rate Erfolgsrate Einlingsgravidität
TOLAC-Rate Erfolgsrate Zwillingsgravidität
Uterusruptur
andere Probleme
Cahill et al. [60]
n = 13.427
n = 177
55,2 % 75,4 %
33,1 % 75,7 %
keine Unterschiede
kein Unterschied
Myles et al. [57]
n = 57
n = 19
75,4 %
84,2 %
eine Ruptur bei Einlings-, keine bei Zwillingsgravidität
nicht bekannt
Nach einem systematischen Review aus dem Jahr 2019 kann durch Beurteilung des unteren Uterinsegments bei einem Schwellenwert von > 3,65 mm das Risiko einer Uterusruptur als gering eingeschätzt werden [61]. Dies wurde jedoch nur für Einlingsschwangerschaft evaluiert. In jedem Fall sollte, um „vorsichtig“ zu sein, unter standardisierten Bedingungen durch eine transperineale oder transabdominale Sonographie vor TOLAC das untere Uterinsegment und die vorangegangene Narbe (Abb. 7.2) beurteilt werden [62]. Auch gibt es keine zahlreichen und schon gar keine deutschen Vergleichsuntersuchungen von TOLAC bei Einlingen und Zwillingen (Tab. 7.2) und manche Kollegen unterstützen, dass die Bedeutung einer sonographischen Untersuchung des unteren Uterinsegments trotz des großen systematischen Reviews überschätzt wird. Diese Kollegen und die Mütter kann man mit einer Sonographie beruhigen und im Status dokumentieren, dass man sorgfältig vorgegangen ist [63]. Die Beurteilung kann bei klinischem Verdacht auch noch unter der Geburt erfolgen.
7.8 Konkrete Empfehlungen im Rahmen einer Sectio 213
Auch ist eine vaginale Entbindung nach vorangegangener Sectio bei Zwillingen nicht kontraindiziert und kann bei kooperativer Patientin und einem erfahrenen Team indiziert werden, sollte man damit rechnen und die Patientin so aufklären, dass es je nach Risiko und Erfahrung in 25– 50 % zu einer sekundären Sectio kommt.
7.8 Konkrete Empfehlungen im Rahmen einer Sectio Lagerungsregeln Die Lagerung erfolgt in modifizierter Steinschnittlage. Der Operationstisch ist um 15° zur linken Seite gekippt. Um unangenehme Folgen der Lagerung zu vermeiden, ist Folgendes zu beachten [64]: Die Beinhalter dürfen nur so weit abgesenkt werden, dass die Oberschenkel im Hüftgelenk waagerecht liegen. Um Schäden des N. peroneus communis zu vermeiden, liegt die Außenseite des Kniegelenkes frei, ohne Druck am Fibulaköpfchen, in der Beinschale. Der Abduktionswinkel des Oberschenkels darf 45° nicht überschreiten. Eine Linksseitenlage von 15° führt zu einer Verbesserung der kardialen Parameter, doch erst eine Seitenlage > 30° scheint bei der Mehrzahl der Schwangeren am Termin die Kompression der V. cava inferior effektiv zu reduzieren [64]. Um Läsionen des N. ulnaris zu vermeiden, liegen beide Arme mit dem Ellenbogengelenk und mit einem Drittel des Oberarms auf der Armschiene. Um Läsionen des N. brachialis zu verhindern, darf der Abduktionswinkel der Oberarme zu den Armschienen 90° nicht überschreiten. Die Schräglage der Patientin sollte sofort nach der Geburt des Kindes wieder aufgehoben werden. Operationstechnik Aufgrund des Risikos von Hautläsionen durch eine mögliche Verbrennung bei Durchfeuchtung ist die Verwendung von monopolarem Strom beim Kaiserschnitt untersagt. Falls Elektrokoagulation erforderlich ist, z. B. bei HELLP-Syndrom oder Gerinnungsstörung ist ausschließlich bipolarer Strom zu verwenden. Verlauf der Operation Die Durchführung einer Sectio bei Mehrlingen unterscheidet sich nicht wesentlich von einer Sectio bei Einlingen. Hier führen wir den Ablauf nur skizzenhaft aus, auch werden die meisten Geburtsmediziner andere Variationen anwenden. Der Text dient nur als möglicher Leitfaden. Wesentliche Aspekte für Mehrlinge sind kursiv abgebildet.
214 7 Besonderheiten bei der Sectio
Beispiel eines möglichen OP-Berichtes bei Geminigravidität Pfannenstielquerschnitt, ggf. Ausschneiden einer alten Sectionarbe. Stumpfes digitales Abschieben des subkutanen Fettes unter Schonung der epigastrischen Gefäße. Scharfe Inzision der Faszie und stumpfe Erweiterung nach lateral. Stumpfes Abpräparieren der Faszienblätter von der Rektus-Muskulatur unter Schonung der Nervi perforantes. Scharfe Durchtrennung der medianen Faszienverbindung nach kranial. Digitale Eröffnung des Peritoneums. Einsetzen der Haken und stumpfe Lateralisierung der Haken durch den Operateur. Uterotomie durch Querschnitt mittels Skalpells unter Dauersaugung. Amniotomie. Stumpfe Erweiterung der Uterotomie digital. Entwicklung des 1. Kindes durch Hervorluxieren des vorangehendes Kindsteils unter transfundalem Druck. Abklemmen der Nabelschnur nach Einsetzen der Spontanatmung (physiologisches Abnabeln). Entwicklung des 2. Kindes in gleicher Weise. Nicht zuletzt aus forensischen Gründen ist zu beachten, dass die Reihenfolge der Entwicklung der Kinder aus dem OP-Bericht zu entnehmen ist. Dadurch kann eine bessere Zuordnung der Kinder im Falle einer Azidose erfolgen. Intraoperative Bolusgabe vorzugsweise von 100 µg Carbetocin (Pabal) ® oder 3 IE Oxytocin i. v. durch die Anästhesisten. Expression der Plazenta durch cord traction und transfundalen Druck, möglichst keine manuelle Lösung. Setzen von 2 Eihautfasszangen an der kranialen und kaudalen Mitte der Uterotomie. Uterotomienaht. Eine Empfehlung zur einschichtigen oder zweischichtigen Naht kann bei mangelnder Evidenz nicht ausgesprochen werden. Keine Naht des viszeralen Peritoneums. Inspektion der Bauchhöhle. Kontrolle auf Bluttrockenheit. Keine Naht des parietalen Peritoneums. Keine Muskelnaht. Kontrolle auf Bluttrockenheit im Bereich der Rektusmuskulatur sowie des Musculus pyramidalis. Fortlaufende Naht der Faszie. Kontrolle auf Bluttrockenheit im Bereich der Subkutanschicht. Legen von zwei adaptierenden Subkutannähten bei adipösen Verhältnissen (ab 2 cm Dicke des Fettgewebes). Abschließende Intrakutannaht. Oberflächliche Wunddrainagen sollten nicht routinemäßig eingesetzt werden. Perioperative Antibiotikagabe mit Ampicillin oder Cephalosporin – bei nachgewiesener Allergie mit Clindamycin.
7.9 Nachsorge Da nach schwierigen Kaiserschnitten, besonders bei vollständigem Muttermund wie bei der Sectio beim 2. Zwilling bei Mehrlingsgravidität ein erhöhtes Risiko auf Wundheilungsstörung der Uteruswand besteht, kann es indiziert sein, bei einer Nachuntersuchung die Narbe im Intervall zu untersuchen. Dies hat besondere Relevanz, wenn noch weitere Schwangerschaften geplant sind. Die Gruppe von Valentin untersuchte das Risiko von Heilungsstörungen nach Kaiserschnitten mit Hilfe der Transvaginalsonographie der Uteruswand [65] (Tab. 7.3). Dabei wurde bei Zunahme der Zervix-Eröffnung mit einer signifikanten Zunahme von Narbendefekten verbunden mit einer odd ratio (OR) von 4,4 (95 % CI 0,7–28,5) bei 0 cm auf ein Risiko mit einer OR von 32,4 (95 % CI 6,1–171, p < 0,001) bei vollständigem Muttermund. Je tiefer der vorangehende Teil stand, war dieses Risiko ebenso signifikant erhöht mit einer OR von 14,1 (95 % 4,6–43,1, P < 0,001). Auch wenn Zwillingsgeburten nicht gesondert untersucht wurden, kann man daraus schließen, dass nach einer Sectio beim 2. Zwilling das Risiko maximal ist. Daher sollte, falls der 2. Zwilling schwierig zu entbinden ist,
7.10 Abschließende Empfehlungen 215
Abb. 7.3: Darstellung einer Wundheilungsstörung der Uteruswand durch transvaginale Sonographie post partum.
immer erst ein Versuch einer vaginalen Entbindung des 2. Zwillings in Vollnarkose im OP (in Sectiobereitschaft) erfolgen. In Vollnarkose ist die Entwicklung des 2. Zwillings von vaginal beinahe immer möglich. Inwieweit diese Defekte Risiken von Narbendehiszenzen oder einer Placenta accreta/increta bei folgenden Schwangerschaften erhöhen, muss noch durch prospektive Untersuchungen evaluiert werden, aber es erscheint wahrscheinlich. Die Genauigkeit der Diagnose kann durch Injektion physiologischer Kochsalzlösung in das Cavum uteri noch erhöht werden [66]. Eine neuere Untersuchung verglich die Genauigkeit von Ultraschall und Kernspinnuntersuchung, die jedoch keine höhere diagnostische Kapazität zeigte [67]. Für andere Aspekte der Nachuntersuchung wird hier auf Kap. 9 verwiesen.
7.10 Abschließende Empfehlungen 7.10.1 Logistische Aspekte und präpartale Empfehlungen Die Geburt von Zwillingen sollte in einem Perinatalzentrum Level 1 erfolgen, in dem ein erfahrener Geburtsmediziner abrufbar ist und eine neonatologische Versorgung sichergestellt werden kann. – Die nochmalige detaillierte sonographische und Doppler-sonographische Untersuchung erscheint im Rahmen eines Geburtsplanungsgesprächs insbesondere bei MC Zwillingsschwangerschaften sinnvoll, um zwillingsspezifische Komplikationen nochmals auszuschließen (s. Kap. 2). – Bei der Geburtsplanung sollte auch über die Notwendigkeit eines aktiven Managements durch innere Manöver aufgeklärt werden (z. B. im Falle eines 2. Zwillings ohne Bezug des führenden Teils zum mütterlichen Becken).
216 7 Besonderheiten bei der Sectio
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Eine längere Einleitung mit Oxytocin sollte vermieden werden, um das Risiko einer sekundären Wehenschwäche und einer Atonie möglichst gering zu halten. Alternativen sind mechanische Methoden wie eine Balloneinlage über 24 Stunden oder bei reifem Muttermundsbefund die Amniotomie.
7.10.2 Empfehlungen vor und nach der vaginalen Entbindung (s. Kap. 6) –
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Die Patientinnen sollten aufgeklärt werden, dass Schmerzen nicht der einzige Grund für die Indikation einer Periduralanästhesie (PDA) sind. Gerade im Falle eines aktiven Vorgehens beim 2. Zwilling (z. B. einer ganzen Extraktion aus BEL) sollte für eine maximale maternale Compliance gesorgt werden. Die PDA kann jederzeit aufgespritzt werden. Ein „mobiles“ Ultraschallgerät sollte direkt neben dem Entbindungsbett aufgestellt werden und sofort einsatzbereit sein. Ein Oxytocintropf zur Wehenunterstützung und ein Tokolyse-Bolus sollten verfügbar sein. Bei Frühgeburten sollten 2 Reha-Einheiten und 2 neonatologische Teams bereitstehen.
7.10.3 Empfehlungen nach Geburt des 1. Zwillings –
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Nach der Geburt des 1. Zwillings wird sofort eine vaginale und abdominale Ultraschalluntersuchung zur Bestimmung der Lage und Einstellung des 2. Geminus und zum Ausschluss vorliegender Gefäße sowie eine klinische Untersuchung durchgeführt. Wenn der Wehen-Transducer entfernt wird, sollten Wehen im CTG per Hand aufgezeichnet und weitere Maßnahmen am besten auch auf dem laufenden CTG des 2. Zwillings (etwa Hebammen) dokumentiert werden (forensische Gründe). Das Intervall zwischen Geburt von 1. und 2. Zwilling sollte möglichst kurz (< 15 Minuten) gehalten werden. Für die Techniken bei der Geburt des 2. Zwillings wird auf Kap. 6 verwiesen.
7.10.4 Empfehlungen nach einer primären oder sekundären Sektio (s. Kap. 8) –
Zwillinge haben aufgrund der Überdehnung ein erhöhtes Atonierisiko. Die Atonieprophylaxe mit dem Oxytocinrezeptoragonisten Carbetocin (Pabal®) 100 mg kann vermutlich ebenso wie mit Oxytocin verabreicht werden, da 2018 bei einer prospektiven Studie von 29.645 Frauen keine signifikanten Unterschiede in den
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Raten von Blutverlust oder der Notwendigkeit weiterer Uterotonika gefunden wurden („noninferiority“) [68]. Auch 2019 zeigte eine Metaanalyse mit 5 randomisierten Vergleichsstudien und > 30.000 Frauen keine signifikanten Unterschiede zwischen Carbetocin und Oxytocin [69]. Das Bonding wird ausdrücklich unterstützt und in unseren Kliniken routinemäßig praktiziert. Die Unterstützung durch die Partner ist hierbei ein fester Bestandteil dieses Prozesses bei der Erstversorgung der Neugeborenen. Die Thromboseprophylaxe wird Gewichts- und Risikoadaptiert angeordnet.
Für die weitere unmittelbare postnatale Betreuung wird auf Kap. 8 verwiesen. Literatur [1]
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8 Medizinische Betreuung direkt post partum Amr Hamza In Entwicklungsländern, aber auch in westlichen Ländern ist die maternale Morbidität nach der Geburt von Mehrlingen im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften deutlich erhöht mit einem relativen Risiko (RR) akuter Morbidität von 4,3 (95 % CI 3,7–5,0) für Mütter von Zwillingen und 6,2 (95 % CI 2,5–15,3) für Drillinge. Dabei spielen das Alter der Mütter (bei ≥ 40 Jahren RR, 25; 95 % CI, 1,4–4,3), Nulliparität (RR, 1,8, 95 % CI 1,4–2,4), artifizielle reproduktive Techniken (ART) zur Konzeption (RR, 1,9, 95 % CI 1,4–2,5) und Einleitungen (RR, 1,6, 95 % CI 1,2–2,1) eine Rolle [1]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte eine Methode, mit der die maternale Morbidität und Mortalität standardisiert erfasst werden kann [2]. Dadurch wurden messbare Parameter erstellt, mit deren Hilfe man das maternale Outcome und somit die Effektivität der mütterlichen Versorgung ermitteln kann.
8.1 Postpartale Blutung Eine französische Arbeitsgruppe (EPIMOM Studiengruppe) untersuchte in einer prospektiven Studie 182.309 Geburten aus 6 Regionen in Frankreich zwischen 2012– 2013. Darunter wurden 2500 komplizierte Schwangerschaften nach den WHO Kriterien identifiziert. Unter den 3202 Zwillingsgeburten erlitten 197 Mütter eine schwere Morbidität (6,2 %; 95 %, CI 5,3–7,1 %). Im Gegensatz dazu hatten nur 2303 von 179.107 Müttern mit Einlingsgeburten (1,3 %) schwerwiegende Komplikationen. Das Risiko akuter schwerer maternaler Morbidität war bei Zwillings- im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften um das 4-fache erhöht. Im Rahmen einer Regressionsanalyse wurde festgestellt, dass Patientinnen mit einem Geburtsort in der afrikanischen Subsahara, Nullipara, nach ART, Mütter mit präexistierenden Erkrankungen, einem Zustand nach abdomino-pelviner Chirurgie, Kaiserschnitten und Frühgeburten ein höheres Risiko für die Entwicklung von Komplikation vorwiesen. Schwere postpartale Blutungen waren bei Zwillingsschwangerschaft signifikant höher (aOR 4,8; 95 %, CI 3,5–6,7) und mit 65,6 % die führende Ursache schwerer maternaler Morbidität. Eine Sectio in der Indexgravidität war ebenso ein additiver Risikofaktor für höheren postpartalen Blutverlust [3]. Dass der Entbindungsmodus eine Rolle bei der Entwicklung einer postpartalen Blutung spielt, konnte in der Twin Term Study nicht gezeigt werden (s. Kap. 6 und 7.) In dieser prospektiv randomisierten Studie wurde u. a. das postpartale Blutungsrisiko von 1392 elektiven Kaiserschnitten mit dem von 1392 geplanten vaginalen Zwillingsgeburten direkt verglichen. Im Sectioarm hatten 84 (6,0 %) Patientinnen postpartal verstärkt geblutet, im vaginalen Geburtsarm 108 (7,8 %); der Unterschied war statistisch nicht signifikant. Dasselbe galt für das Blutungsrisiko > 1500 ml (1,9 ver-
https://doi.org/10.1515/9783110669749-008
222 8 Medizinische Betreuung direkt post partum
sus 2,3 %) und die Notwendigkeit einer Bluttransfusion (4,7 versus 5,4 %) [4]. In einer Subgruppenanalyse der Twin Term Study war das Blutungsrisiko nach einer Geburtseinleitung jedoch signifikant höher (9,6 versus 6,2 %, p: 0,02) als bei einer primären Sectio; dies führte zu einer erhöhten Morbidität im vaginalen Geburtsarm nach einer Geburtseinleitung (11,3 versus 7,3 %, p: 0,01). Allerdings kann es sich hier um ein Bias handeln, da die ursprüngliche Studie nicht diesen Vergleich beabsichtigte [5]. Verglichen mit einer Geburtseinleitung bei Einlingsschwangerschaften scheint diese bei Zwillingsschwangerschaften nicht mit einem erhöhten maternalen Risiko wie Zervixriss, höhergradige Dammverletzung, Uterusruptur, postpartaler Blutung, Plazentaretention und peripartale Hysterektomie einherzugehen, allerdings mit einer deutlich höheren Kaiserschnittrate (31,2 % versus 17,1 %; p < 0001) [6]. Im Gegensatz zu den obengenannten Arbeiten konnte eine finnische Arbeitsgruppe bei 495 Zwillingsgeburten eine signifikante Reduktion des postpartalen Blutungsrisikos > 1000 ml (24,2 versus 44,9 %, p < 0,001) und > 1500 ml (11,2 versus 20,5 %, p: 0,049) nach vaginalen Geburten zeigen. Die Autoren erklären diese Diskrepanz zur Twin Term Studie mit deren deutlich niedrigeren sekundären Kaiserschnittsrate im vaginalen Geburtsarm (19,2 % in der finnischen Arbeit vs. 43,8 % in der Twin Term Trial) [4,5,7]. Zusammenfassend ist bei Mehrlingsschwangerschaften das postpartale Blutungsrisiko im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften erhöht. Die vaginale Geburt scheint in den Händen eines erfahrenen Teams eine protektive Rolle zu spielen.
Bei einer vaginalen Geburt nach Mehrlingsschwangerschaft kann es allerdings bei unvorsichtigen manuellen Manövern bei der Geburt des 2. Zwillings oder vaginal operativen Geburten wie bei Einlingsgravidität auch zu Verletzungen im Geburtskanal kommen. Daher ist eine gründliche Inspektion der Plazenta, der Vagina und des Analsphinkters genauso unverzichtbar. Die prophylaktische intravenöse Verabreichung von 3–5 IE Oxytocin nach der Geburt beider Kinder ist aufgrund des erhöhten Risikos einer atonischen postpartalen Blutung immer durchzuführen [8,9]. Vor der Geburt sollten gekreuzte Blutkonserven bereitgestellt werden. Ein allen Beteiligten bekannter und eingeübter hausinterner Algorithmus sollte vorhanden sein. Ein Beispiel ist in Abb. 8.1 dargestellt. Regelmäßige „Skills and Drills“ sollten zur Verinnerlichung des Algorithmus im Falle einer Blutung durchgeführt werden weil durch regelmäßige interdisziplinäre Übungen und Zusammenarbeit die Raten maternaler Komplikationen bis hin zur Notwendigkeit von Bluttransfusionen oder gar einer Hysterektomie gesenkt werden kann. Zentren, die sich auf die Entbindung von Mehrlingsgeburten spezialisieren, sollten diese Übungen regelmäßig und verpflichtend durchführen [10].
Step 1
· anhaltend schwere Blutung · Patientin kreislaufstabil
Dauer max. weitere 30 min (= 60 min nach Diagnosestellung)
· Patientin kreislaufstabil
CAVE: Unterschätzung !Messsystem!
· vaginale Blutung > 500 ml nach vaginaler Geburt > 1.000 ml nach Sectio caesarea
Dauer max. 30 min nach Diagnosestellung
Medikamente
· CARBETOCIN (off label use) 100 μg (1 Amp.) in 100 ml NaCl 0,9 % als Kurzinfusion bei starker persistierender Blutung Step 2, bei moderat persistierender Blutung evtl. · MISOPROSTOL (off label use) 800–1000 μg rektal
oder
· OXYTOCIN 3–5 IE (1 Amp.) als Kurzinfusion und 40 IE in 30 min (Infusion/Perfusor)
· OP-Vorbereitung · Ausschluss Uterusruptur · Nachtastung/Ultraschall · bei V. a. Plazentarest (nach US oder Inspektion) · manuelle Nachtastung · ggf. Cürettage (US-Kontrolle)
· SULPROSTON 500 μg (1 Amp.; max. 3 Amp. pro 24 h) nur über Infusomat/Perfusor · 2 g TRANEXAMSÄURE i. v. vor Fibrinogengabe Bei persistierender schwerer Blutung (ca. 1.500 ml Gesamtblutverlust) · FIBRINOGEN 2–4 g · FFP/Ek erwägen
Bestellung FFP/EK/TK (kreuzen und in den Kreissaal/OP bringen lassen)
hinzuziehen Anästhesie | Alarmierung OP Team | Organisation OP-Saal (= 60 min nach Diagnosestellung) Transferkriterien überdenken
· 2 i. v.-Zugänge (mindestens 1 großlumiger) · Kreuzprobe/Notfalllabor/EK’s bereitstellen · Volumengabe (z. B. Kristalloide/Kolloide) · Blase katheterisieren · Blutverlust messen · rasche Abklärung der Blutungsursache (4T’s) · Uterustonus (Tonus-Atonie?) · Plazentainspektion (Tissue-Plazentarest?) · Speculumeinstellung (Trauma-Geburtskanal?) · Gerinnung (Thrombin-Laborwerte?) · Uteruskompression – Ultraschall
hinzuziehen Oberarzt | Facharzt Geburtshilfe | Information Anästhesie
allgemeine/operative Maßnahmen
Abb. 8.1: Handlungsalgorithmus nach vaginaler Geburt oder in der postoperativen Überwachungsphase nach Sectio caesarea, nach PPHKONSENSUS, Gruppe (D-A-Ch), 2012 [11].
Step 2
Parallel
klinische Symptome
8.1 Postpartale Blutung 223
Step 3
· persistierende Blutung
· therapierefraktäre schwere Blutung · und kreislaufstabile Patientin oder · hämorrhagischer Schock Ziel · hämodynamische Stabilisierung (temporärer) Blutungsstop · Optimierung von Gerinnung und · Erythrozytenkonzentration · Organisation von Step 4
Abb. 8.1: (Fortsetzung).
Zielkriterien · Hämoglobin > 8–10 g/dl (5–6,2 mmol/l) · Thrombozyten > 50 Gpt/l · RR systolisch > 80 mmHg · pH > 7,2 · Temperatur > 35° C · Calcium > 0,8 mmol/l
Voraussetzungen pH > 7,2 Fibrinogen > 1,5 g/l Thrombozyten > 50 Gpt/l Hyperfibrinolyse ausgeschlossen/therapiert
Kreislaufstabilität definitive chirurgische Therapie Kompressionsnähte Gefäßligaturen Hysterektomie Embolisation rekombinanter Faktor VIIa (!off label use!) · initial 90 μg/kg KG (Bolus) · ggf. Wiederholungsdosis bei persistierender Blutung nach 20 min
Stabilisierung Kreislauf/Temperatur/Gerinnung eventuell rekomb. Faktor VIIa
Kreislkaufinstabilität Blutstillung Laparotomie/Gefäßklemmen/Kompression
definitive Versorgung | (chirurgische) Therapie
hinzuziehen der bestmöglichen personellen Expertise
Cavumtamponade Ballonapplikation · Balloneinführung unter Ultraschallkontrolle · ausreichendes Auffüllen des Ballons (Sulproston weiter) · leichten Zug applizieren · alternativ Streifentamponade Blutungsstop · Intensivüberwachung · BALLONDEBLOCKADE nach 12–24 Std. (ggf. nach Transfer im Zentrum) persistierende oder erneute Blutung (Blutung bei liegendem Ballon oder nach Deblockade) · ggf. erneute Ballonapplikation („bridging“) · obligat Step 4
Transferkriterien · Fehlen von operativem oder interventionellem Equipment · oder fehlende Anwesenheit von geschultem Personal · temporärer Blutungsstop durch Cavumtamponade · hämodynamische Transportstabilität der Patientin · existierende SOP zw. Zielkrankenhaus und transferierendem Krankenhaus
Step 4
Transferkriterien überdenken | hinzuziehen Oberarzt Anästhesie Information der bestmöglichen personellen Expertise
224 8 Medizinische Betreuung direkt post partum
8.2 Postpartales Lungenödem 225
8.2 Postpartales Lungenödem Das postpartale Lungenödem ist mit einer Inzidenz von 1:500–1:1000 selbst in Tertiärzentren selten und oft iatrogen bedingt [12]. Kardiogen bedingte Lungenödeme treten in der Spätschwangerschaft und bei Schwangeren mit bekannten oder bis dato unbekannte kardiale Erkrankungen und Vitien auf, selten bei einer peripartalen Kardiomyopathie (PPCM) und einer Myokarditis. Wie in Tab. 8.1 dargestellt, treten Lungenödeme nicht zuletzt aufgrund des erhöhten Plasmavolumens häufiger bei Mehrlingsschwangerschaften auf [13]. Tab. 8.1: Ursachen und Risikofaktoren nicht kardiogener peripartaler Lungenödeme, mit endothelialer Aktivation und Kapillaralveolarleckage nach [12]. – – – – – –
Präeklampsie akute Blutung maternale Sepsis Tokolyse Aspirationspneumonitis massive intravenöse Flüssigkeitstherapie
Im Vergleich zu gesunden Einlingsschwangerschaften ist die mütterliche Herzfrequenz (HR) und das Herzzeitvolumen (CO) bei Zwillingsschwangerschaften signifikant höher. Das mütterliche Schlagvolumen (SV) verändert sich dabei nicht signifikant im Vergleich zu Einlingsschwangerschaft, jedoch signifikant im Vergleich zu Nicht-Schwangeren [14,15]. Das höchste Herzzeitvolumen wird zwischen dem 2. und 3. Trimenon erreicht und steigt mit der Anzahl der Feten bei Mehrlingsschwangerschaften [16]. Der Gesamtgefäßwiderstand (TVR) bleibt im gesamten Verlauf der Schwangerschaft aufgrund einer periphereren Vasodilatation signifikant niedriger (1005 ± 137 vs. 1179 ± 199 Dynes Einheiten (DE) × s/cm–5, p = 0,009 zwischen 20–23 SSW; 924 ± 100 vs. 1070 ± 138 DE × s/cm–5, p = 0,003 zwischen 26–29 SSW; 929 ± 96 vs. 1031 ± 122 DE × s/cm–5, p = 0,018 zwischen 30–33 SSW) [15,17]. Zusätzlich sind der pulmonale Gefäßwiderstand und der kolloidosmotische Druck im Rahmen jeder Schwangerschaft erniedrigt, ohne dass sich der pulmonal-kapilläre Druck verändert. Somit verringert sich schwangerschaftsbedingt der Gradient zwischen dem kolloidosmotischen und pulmonal-kapillären Druck [15,18]. Aus all diesen Gründen sind Mehrlingsschwangere besonders für Lungenödeme prädisponiert [17]. Die abweichenden hämodynamischen Veränderungen erklären auch, warum bei einer Fallkohorte die meisten Lungenödeme bei Mehrlingsschwangerschaften pränatal auftraten (29,0 versus 7,4 %) [19]. Allenfalls ist damit eine Disposition zu einer leichteren Entgleisung bei vorbestehenden Linksherzerkrankungen gegeben.
226 8 Medizinische Betreuung direkt post partum
In Abhängigkeit von der Ursache geht ein Lungenödem mit Dyspnoe, Husten, evtl. hämorrhagischem Sputum, Rasselgeräuschen, Tachykardie, Zyanose und Agitation einher. Auskultatorisch sind feuchte Rasselgeräusche festzustellen. Im Röntgenbild kann man charakteristisch Kerley-B-Linien, Milchglaszeichnungen und parahiläre Verschattungen sehen. In ausgeprägten Fällen sind Herzverbreitungen um Sinne einer Linksherzinsuffizienz darstellbar [20]. In der Klinik treten Lungenödeme vermehrt bei Mehrlingsschwangeren, Präeklampsie und in Assoziation mit iatrogenen Risikofaktoren wie z. B. Tokolyse mit β2Sympathomimetika, Kortikosteroidgabe oder massiver Flüssigkeitszufuhr auf [21]. Die Kombination von Kortikosteroiden und β2-Sympathomimetika, die als Tokolyse zugelassen sind, verursachen bei Mehrlingsschwangerschaften häufiger Lungenödeme [13] (s. Kap. 3). Der Einsatz von wehenhemmenden Medikamenten im Rahmen einer drohenden Frühgeburt ist besonders belastend in Bezug auf dem mütterlichen Kreislauf [17]. Der β2-adrenergischer stimulierender Effekt führt zu einer maternalen Tachykardie und einer Natrium- und Wasserretention durch eine vermehrte Renin-, Angiotensin- und Aldosteronproduktion [22]. Durch ein gesteigertes Schlagvolumen und eine erhöhte Herzfrequenz kann es zu einer myokardialen Dysfunktion und dann zu einem Lungenödem kommen. Bei dem bereits vulnerablen Patientenkollektiv steigt daher das Risiko eines Lungenödems im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften deutlich an [23]. Daher ist von einer Tokolyse mit β2-Sympathomimetika bei Mehrlingsschwangeren generell abzuraten [12], bei intravenöser Infusion sollte eine genaue Bilanzierung von Ein- und Ausfuhr erfolgen (s. Kap. 3.7). Aufgrund der lebensbedrohlichen und akuten Natur eines Lungenödems muss eine Behandlung interdisziplinär auf einer Intensivstation erfolgen. Eine weitere Kreislaufüberbelastung sollte durch eine negative Bilanzierung vermieden werden. Therapieanasätze sind die Diurese mit intravenösen Furosemid, aufrechte Positionierung zur subjektiven Verbesserung der Atmung, Sauerstoffverabreichung (evtl. invasive Beatmung) und die Behandlung einer Hypertonie [20].
8.3 Vermeidung und Behandlung venöser thromboembolischer Erkrankungen Die venöse Thromboembolie (VTE) umfasst die tiefen Beinvenenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE). Beides sind mit ernster maternale Morbidität und Mortalität assoziiert [24]. Besonders in entwickelten Ländern stellen thromboembolische Erkrankungen einen führenden Mortalitätsgrund in der Schwangerschaft und im Wochenbett dar [25].
8.3 Vermeidung und Behandlung venöser thromboembolischer Erkrankungen 227
8.3.1 Bedeutung der venösen VTE in der Schwangerschaft und im Wochenbett Eine schwangere Frau befindet sich generell in einen prothrombotischen Zustand. Alle drei Aspekte der Virchow'schen Trias sind prothrombotisch verändert: (1) Es besteht eine verminderte Strömungsgeschwindigkeit des Blutes aufgrund der Progesteron-induzierten Venodilatation und der Obstruktion des venösen Flusses durch den graviden Uterus. Dieser Zustand hält bis 6 Wochen nach der Geburt an [26]. (2) Endotheliale Schäden in Beckenvenen können während der Geburt oder wegen venöser Hypertonie entstehen [27]. (3) Am wichtigsten für die Entwicklung einer VTE im Rahmen einer Schwangerschaft oder im Wochenbett sind die hyperkoagulatorischen Veränderungen. Dabei kommt es zu einer Vermehrung der Fibrinproduktion, einer verminderten fibrinolytischen Aktivität und einer erhöhten Produktion der Faktoren II, VII, VIII und X [28]. Bei Mehrlings- ist gegenüber Einlingsgravidität die Hyperkoagulolabilität verstärkt. Dies ist durch einen prokoagulatorischen Trend des Fibrinogens, einer aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT), Prothrombinzeit (PT) und Thrombinzeit (TT) bedingt; eine Zunahme der APTT ist ab dem zweiten Trimenon erkennbar [29]. Demzufolge steigt das Risiko einer VTE auf das 5-fache während der Schwangerschaft und auf das 60-fache in den ersten 3 Monaten nach der Geburt; das Risiko einer Thrombose ist im letzten Trimenon und in den ersten 6 Wochen im Wochenbett am höchsten. Peripartal steigt zusätzlich das Risiko einer Lungenembolie (LE) auf das 6fache; bei einer Thrombophilie ist das Risiko noch höher [30]. Bei Mehrlingsschwangerschaften ist das Thromboserisiko nach spontaner Konzeption um das 2,6-fache und nach artifizieller Reproduktion (ART) auf das 6,6-fache erhöht im Vergleich Einlingsschwangerschaften nach spontaner Konzeption [31]. Eine Begründung ist das signifikant erhöhte Thromboserisiko im Rahmen eines ovariellen Hyperstimulationssyndroms (OHSS) [32] (s. Kap. 5.4) oder Thrombophilieformen, die bereits bei Infertilitätspatientinnen zugrunde liegen [33]. Von diesen gehen Antithrombin-, Proteine C und S Mangel und homozygote Faktor V Leiden Mutation mit einem erhöhten Risiko einer heterozygote Prothrombin und Faktor V Leiden Mutationen und deren kombiniertes Auftreten eher nicht einher (Tab. 8.2) [34]. Nach Auftreten eines OHSS ist das Risiko zusätzlich um das 100-fache erhöht [32]. Daher ist die Inzidenz einer Thromboembolie nach ART und OHSS mit 2,5–5,2 % insgesamt bereits im ersten Trimenon erhöht [35,36]. Andere mögliche Erklärungen sind die verminderte Immobilisation [37] und die hohe Sectiorate [4], die mit einer Mehrlingsschwangerschaft einhergehen. In einer Metaanalyse wurde dargestellt, dass die Sectio ein unabhängiger Risikofaktor für eine Thrombose im Wochenbett nach einer Mehrlingsgeburt ist (3,7, 95 %, CI, 3,0–4,6) [38].
228 8 Medizinische Betreuung direkt post partum
Tab. 8.2: Thromboembolierisiko bei unterschiedlichen Thrombophilieformen im Rahmen der Schwangerschaft, nach [34], RR = relatives Risiko, aOR = angepasste Odds Ratio. Thrombophilieform
RR (95 % CI)
aOR (95 % CI)
Homozygote Faktor V Leiden Mutation
35,8 (0,4–137,8)
6,2 (0,0–18,0)
Hetereozygote Faktor V Leiden Mutation
6,4 (4,0–9,7)
1,1 (0,3–1,9)
Homozygote Prothrombin Genmutation
21,1 (0,0–727,4)
–
Heterozygote Prothrombin Genmutation
5,1 (2,6–9,8)
0,9 (0,2–2,0)
Protein C Mangel
9,3 (2,1–43,1)
7,8 (0,0–33,8)
Protein S Mangel
7,0 (1,3–21,9)
4,8 (0,0–20,0)
Anti-Thrombin Mangel
9,5 (1,6–31,9)
16,6 (0,0–45,1)
Kombinierte heterozygote Faktor V Leiden und Prothrombin G20210A Genmutation
21,2 (1,6–89,09
2,5 (0,0–9,5)
8.3.2 Klinisches Bild Das klinische Bild einer Thrombose während der Schwangerschaft ist mit den Symptomen außerhalb einer Schwangerschaft vergleichbar. Typische Anzeichen sind diffuse Schmerzen, Ödeme, Erytheme und dilatierte oberflächliche Venen der betroffenen Extremität [39]. 76 % der TVT in der Schwangerschaft treten linksseitig auf [40]. Die Diagnose einer TVT ist in der Schwangerschaft und besonders peripartal schwierig. Die D-Dimere, ein außerhalb der Schwangerschaft hilfreicher diagnostischer Marker, sind aufgrund ihres physiologischen Anstiegs mit falsch positiven Ergebnissen behaftet. Höhere Cut-off-Werte werden in der Schwangerschaft diskutiert, bei fehlender Eindeutigkeit ist die Aussagekraft dieser Marker peripartal eingeschränkt [41]. Mehrere diagnostische Algorithmen wurden vorgeschlagen und evaluiert, um bei Schwangeren eine VTE und TVT auszuschließen bzw. nachzuweisen. Der sonst außerhalb der Schwangerschaft angewandte Wells und Genfer Score scheint in der Schwangerschaft und Wochenbett nicht hilfreich zu sein [42]. Ausgehend von Tatsache, dass die meisten TVTs in der Schwangerschaft die linke untere Extremität befallen, wurde der „LEFt“-Score entwickelt. LEFt steht für: L = symptoms in the leg; E = calf circumference difference ≥ 2 cm, E steht für Ödeme, Englisch: edema; Ft = first trimester presentation. Der Score besteht, wie das Akronym sagt, aus 3 Variablen: (1) Symptome im linken Unterschenken, (2) Unterschied im Wadenumfang ≥ 2 cm und (3) Auftritt im ersten Trimenon. Mit zunehmender Anzahl der vom Score erfassten Variablen steigt die Inzidenz einer TVT in der Schwangerschaft. Bei einem niedrigen Risiko des LEFtScores, d. h. alle 3 Variablen sind negativ, besteht ein negativ prädiktiver Wert von 98,5 % (94,6–99,6 %). Bei 194 Schwangere mit Verdacht auf eine TVT wurde bei feh-
8.3 Vermeidung und Behandlung venöser thromboembolischer Erkrankungen
229
lenden Variablen eine TVT ausgeschlossen, bei einer Variable eine TVT in 16 % und bei 2–3 Variablen in 58 % eine TVT festgestellt [43]. In der Schwangerschaft und peripartal kommen die Kompressionssonographie (KS), die MRI und nur noch selten bei tiefen Venenthrombosen des Unterschenkels die Kontrastvenographie zum Einsatz, wie in Abb. 8.2–8.4 dargestellt wird [44]. Auf-
Abb. 8.2: Algorithmus zur Diagnostik einer TVT in der Schwangerschaft und Wochenbett. KS = Kompressionssonographie, TVT = Tief Venenthrombose, MR = Magnetresonanz, adaptiert nach [24].
Abb. 8.3: Dopplersonographische Längsdarstellung einer Thrombose in der V. poplitea. In der Dopplersonographie zeigt sich der hyperechogene Thrombus partiell umspült. (Kantonspital Baden, Dr. Olaf Magerkurth).
230 8 Medizinische Betreuung direkt post partum
Abb. 8.4: Sonographische Längsdarstellung einer Thrombose in der V. poplitea. Im B Bild stellt sich der Thrombus als hyperechogene Formation in der V. poplitea dar. Der Thrombus füllt das Lumen der Vene partiell aus. (Kantonspital Baden, Dr. Olaf Magerkurth).
grund des progredienten Anstiegs der D-Dimere in der Schwangerschaft, verstärkt noch dazu bei Mehrlingsschwangerschaften [45], eignet sich das D-Dimer-Screening zum Ausschluss einer tiefen Venenthrombose bei Schwangeren nicht. Eine Thromboembolie muss nach einer eingehenden Abklärung direkt behandelt werden. Im Wochenbett können die meisten Antikoagulantien auch bei stillenden Frauen verschrieben werden. Typischerweise erfolgt eine Antikoagulation, die mindestens 3 Monate fortgeführt werden sollte. Eine Umstellung der therapeutischen oder intermediären Dosis erfolgt je nach Verlauf. Die Antikoagulation der Wahl sind Niedermolekularheparine (NMH). Im Wochenbett ist die Anwendung von Warfarin und Acenocumarol, im Gegensatz zur Schwangerschaft, erlaubt [46].
8.4 Septische pelvine Thrombophlebitis In einer monozentrischen Studie konnte ergänzend gezeigt werden, dass eine septische pelvine Thrombophlebitis, die oft auch als Ovarialvenenthrombose bezeichnet wird, bei Mehrlings- im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften häufiger auftritt [47]. Auch hier wird der Kaiserschnitt als Risikofaktor beschrieben [48]. Die septische pelvine Thrombophlebitis tritt als Folge einer uterinen und parametrialen Infektion in einer der Beckenvenen (uterine Venen, iliakale Venen, Ovarialvenen bis hin in die V. cava inferior) auf [49]. Die Patientinnen stellen sich meist 1–3 Wochen nach der Geburt akut mit starken Unterbauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Anorexie, Krankheitsgeführt und hohem intermittierendem Fieber vor. Bis auf Fieberschübe und Schüttelfrost sind sie recht asymptomatisch, gelegentlich geben sie eine Druckdolenz in den jeweiligen unteren Quadranten an, die man selten bei einer abdominalen Abtastung feststellen kann. Derzeit existiert keine verlässliche
8.5 Akuter postnataler Harnverhalt 231
Abb. 8.5: Darstellung einer Ovarialvenenthrombose links mittels MRI. Die axiale kontrastmittelverstärkte T1-gewichtete Aufnahme mit Fettunterdrückung zeigt die linke Ovarialvene in ihrem Verlauf auf dem Musculus psoas mit zentraler Minderperfusion und Kontrastmittelanreicherung der Wand (Quelle: Kantonspital Baden, Prof. Rahel Kubik).
laborchemische Diagnostik. Unspezifische laborchemische Auffälligkeiten sind milde Anämien, Thrombozytopenie, erhöhtes C-reaktives Protein und eine erhöhte LDH. Die endgültige Diagnostik erfolgt im Rahmen einer Ausschlussdiagnostik bei ungeklärten postpartalen Unterbauchschmerzen mit bildgebender Darstellung, z. B. Computer Tomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) [50]. In den meisten Fällen erhalten die Patientinnen bei Verdacht auf eine Endomyometritis bereits eine systemische antibiotische Betreuung. Diese sollte Streptokokken, Enterobakterien und Anaerobier erfassen [51,52]. Bei einer unkomplizierten Endomyometritis ist die antibiotische Behandlung rasch erfolgreich und kann nach 48 Stunden Symptomfreiheit beendet werden; hingegen ist die Persistenz der Fieberschübe ≥ 5 Tage charakteristisch für das Vorliegen einer septischen Thrombophlebitis im Bereich der Beckenvenen und der Ovarialvenen. Bei komplizierteren Fällen kann die antibiotische Behandlung verlängert und nach Blutkulturen angepasst werden. Zur Prophylaxe einer weiteren Thrombose und/oder septische Embolisation kann eine zusätzliche Antikoagulation für 6 Wochen erfolgen [51]. Der Sinn der Antikoagulation wird allerdings kontrovers diskutiert. Eine prospektiv randomisierte Studie gab es bis dato nicht [51,53]. Anders als bei einer nicht-infektiös bedingten Venenthrombose sind nach einer septischen pelvinen Thrombophlebitis weder eine längere Antikoagulation noch eine prophylaktische Antikoagulation indiziert.
8.5 Akuter postnataler Harnverhalt Ein postpartaler Harnverhalt wird in 0,7–1,2 % der Fälle beschrieben [54,55]. Es existieren diesbezüglich unterschiedliche Definitionen in der Literatur, die zum einen die Klinik eines symptomatischen Harnverhalts innerhalb von 6 Stunden nach der Geburt oder ein Restharnvolumen von 40–500 ml beinhalten [56]. Generell wird ein
232 8 Medizinische Betreuung direkt post partum
postpartaler Harnverhalt ab einen postpartalen Restharnvolumen (pRV) ≥ 150 ml definiert und in eine asymptomatische und eine symptomatische Variante unterteilt. In einer niederländischen Studie wurde in 47 % der Fälle ein Restharnvolumen (pRV) ≥ 150 ml, davon 26 % ≥ 250 ml (75. Perzentile) und 7 % ≥ 500 ml (95. Perzentile), beschrieben [57]. Allerdings besteht in der Literatur kein Konsensus über die Definition (s. Kap. 9.3) [56]. Die asymptomatische Variante des postpartalen Harnverhalts ist in der Regel selbstlimitierend. In diesen Fall normalisiert sich das pRV bei allen Patientinnen spontan nach 4 Tagen [55]. Die symptomatische Form muss allerdings behandelt werden. Die Prognose ist überwiegend günstig [56]. In einer Metaanalyse wurde die Epiduralanä sthesie (OR 2,48, 95 % CI 1,09–5,68), die Episiotomie (OR 2,99, 95 % CI 1,31–6,79), die verlängerte Austreibungsperiode (OR 15,24, 95 % CI 11,20–19,28), die vaginal-operative Entbindung (OR 40,01, 95 % CI 1,97–8,18) und die Erstgravidität (2,17, 95 % CI 1,06–4,46) als unabhängige Risikofaktoren beschrieben [58]. Darüber hinaus wird in einem anderen systematischen Review die Applikation von Opioiden zur Schmerzbekämpfung (OR 3,19; 95 % CI 1,46– 6,98) als ein Risikofaktor für ein Restvolumen > 500 ml und das hohe Geburtsgewicht (OR 1,03, 95 % CI 1,01–1,06) als ein Risikofaktor für ein Restvolumen von 150 ml bezeichnet [57]. Auch Kontraktionsmitteln (OR 1,78, 95 % CI 0,90–3,51) werden als Risikofaktoren dargestellt [54]. Ein akuter Harnverhalt erfordert die prompte Harnblasenkatheterisierung. Sogenannte chronische, aber reversible Harnverhalte, wurden bis zu 21 Tagen beschrieben [55]. Dies erfordert im weiteren Verlauf eine saubere Selbstkatheterisierung durch die Patientin [59].
8.6 Mehrlingsschwangerschaft als Prädiktor für die Aufnahme auf einer Intensivstation In der populationsbasierten französischen EPIMOM Studie wurde in 6 französischen Regionen zwischen den Jahren 2012 und 2013 standardisiert alle Fälle mit akuter maternaler Morbidität und Mortalität untersucht. Laut der Arbeitsgruppe lag eine schwere akute maternale Morbidität vor, wenn eines von den folgenden Ereignissen auftrat: – Diagnosen: schwere postpartale Blutung, Eklampsie, schwere Präeklampsie, Lungenembolie, Schlaganfall und psychiatrische Erkrankung – Organschädigung: Kardiovaskulär, respiratorisch, renal, neurologisch, hepatisch und hämatologisch. – Interventionen: Aufnahme auf Intensivstation, postpartale Laparotomie. Das Risiko einer schweren prä- und postpartalen Morbidität ist bei einer Mehrlingsschwangerschaft über das 4-fache erhöht (OR 4,2, 95 % CI 3,1–5,8). Die meisten Kom-
8.7 Untersuchung der Plazenta bei Mehrlingsschwangerschaften 233
plikationen traten postpartal ein (76,6 % versus 23,4 %). In 65,6 % der Fälle bestand eine ante- oder postpartale schwere Blutung (aOR 4,2, 95 % CI 3,1–5,9) und in 19,5 % eine komplizierte hypertensive Schwangerschaftserkrankung (aOR 4,8, 95 % CI 3,5– 6,7). Seltenere Gründe waren psychiatrische Erkrankungen (3,8 %), Dekompensation einer bereits präexistierende Grunderkrankung (3,7 %), Sepsis (2,1 %), Lungen(1,6 %) und Fruchtwasserembolien (0,6 %). Im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften sind akut lebensbedrohliche Situationen, auch „maternal near-miss“ genannt, um das 5-fache (aOR 5,1; 95 % CI 3,5–7,3) erhöht. Eine Sekundäranalyse zeigte, dass Kaiserschnitte, bei denen die vaginale Geburt als mögliche Alternative bestand, zu 20 % zur mütterlichen Morbidität beigetragen haben [3]. Zwischen einem geplanten Kaiserschnitt und einer geplanten vaginalen Geburt bei Zwillingen fand sich kein signifikanter Unterschied bezüglich schwerer maternaler Morbidität, allerdings war diese in der Altersgruppe ≥ 35 Jahre bei einem geplanten Kaiserschnitt signifikant höher als bei geplanter vaginaler Geburt (7,8 % versus 4,6 % aOR 1,44; 95 % CI 1,02–2,06 [60]. Diese Information ist wichtig, da ältere Mehrlingsschwangere mit 24,7–36,1 % einen großen Anteil ausmachen [61–63], denen nach detaillierten Ausschluss anderer Risiken eine vaginale Geburt empfohlen werden sollte. In einer populationsbasierten französischen Studie wurden 384 Fälle mit Aufnahme von geburtshilflichen Patientinnen auf Intensivstationen zwischen 1991 und 1992 untersucht; dabei wurde die Mehrlingsschwangerschaft als unabhängiger Risikofaktor für eine postpartale Aufnahme auf eine Intensivstation beschrieben (OR 2,5; CI 95 % 1,3–4,6). Bei der Hälfte handelte es sich um Frauen nach ART [64]. In einer vergleichbaren amerikanischen Studie wurden festgestellt, dass Mehrlingsschwangerschaften generell (OR 2,54; 95 % CI 2,26–2,82), mit präexistenten Erkrankungen (OR 2,10; 95 % CI 1,88–2,33) und nach Kaiserschnitten (OR 2,08; 95 % CI 1,93–2,23) erhöhte Risiken für eine intensivmedizinische Behandlung haben [65]. In einer Nachbearbeitung von Daten eines chinesischen Tertiärzentrums wurden 426 geburtshilfliche Patientinnen, die zwischen 2009 und 2016 auf einer Intensivstation aufgenommen waren, analysiert; dabei stellte eine Mehrlingsschwangerschaft keinen signifikanten Risikofaktor dar (OR 1,4; 95 % CI 0,9–2,1) [66]. Alles deutet darauf hin, dass die Infrastruktur der geburtshilflichen und medizinischen Versorgung bei der Behandlung von Mehrlingsschwangeren berücksichtigt werden sollte.
8.7 Untersuchung der Plazenta bei Mehrlingsschwangerschaften Die Untersuchung der Plazenta ermöglicht es, wichtige Informationen über die Eihautdiagnostik sowie plazentare Ursachen von mehrlingsspezifischen Komplikationen zu gewinnen [67]. Daher wird die standardisierte Untersuchung der Plazenta von Mehrlingsschwangerschaften empfohlen [68].
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8.7.1 Vorgehen der Plazentauntersuchung Jede Plazenta soll nach der Geburt nach einem standardisierten Vorgehen untersucht werden [69]: Generelle Untersuchung 1. Bei der Geburt sollte jede Nabelschnur mit einer unterschiedlichen Klemme markiert werden, so dass die Zugehörigkeit der Plazenten zu den entsprechenden Feten bekannt bleibt, z. B. eine Klemme für Fetus 1, zwei Klemmen für Fetus 2 oder unterschiedliche Farbe der beiden Klemmen. 2. Die deziduale (mütterliche) Seite) sollte perlmuttartig glänzend und unverletzt sein und fehlende Plazentastücke kritisch untersucht werden. Falls die Eihäute mehr als ⅔ der Plazentaseite abdecken, kann man davon ausgehen, dass diese vollständig ist, der sollte Plazentarand durchgehend in Verbindung der Zotten mit den Eihäuten sein. 3. Bei Nebenplazenten wird geprüft, ob diese vollständig sind. Der Anfang und das Ende der in den Eihäuten verlaufenden Gefäße sollten sichtbar sein. 4. Die Lokalisation des Nabelschnuransatzes wird untersucht (zentral, lateral, marginal) und die Anzahl der Nabelschurgefäße geprüft. Eine Insertio velamentosa ist bei Mehrlingsschwangerschaften häufiger vorhanden [70]. 5. Unregelmäßige Plazentaformen (Placenta annularis, Placenta succenturiata, Placenta bipartita) sind bei Mehrlingsschwangerschaften häufiger, Diese sollten auch bei der Untersuchung erkannt und dokumentiert werden [70]. Daneben muss die Plazenta auf Chorionizität und Amniozität in einer standardisierten Art und Weise untersucht werden [71]: Untersuchung der Eihäute 1. Bei nicht fusionierten Plazenten einer Zwillingsschwangerschaft handelt es sich eindeutig um eine dichoriale diamniale Gravidität. Selten kann eine größere Nebenplazenta bei monochorialer Plazenta Dichorionizität vortäuschen. 2. Bei fusionierter Plazenta: – Falls keine Membran beide Plazenten und Fruchthöhlen trennt, handelt es sich um eine monochoriale monoamniale Schwangerschaft. – Falls eine Trennwand bei einer gemeinsamen oder fusionierten Plazenta besteht, so „schält“ man diese Membranen: – Bei einer monochorialen diamnialen Schwangerschaft ist die Trennmembran dünn und lässt sich von der fusionierten Plazenta einfach abschälen. Bei monochorialen Plazenten anastomosieren die Gefäße beider Plazenten (s. u.). – Bei einer dichorialen diamnialen Schwangerschaft ist die Trennmembran dick und besteht aus 3–4 Schichten, die das Plazentabett teilt.
8.7 Untersuchung der Plazenta bei Mehrlingsschwangerschaften 235
Abb. 8.6: Algorithmus zur Ermittlung der Eihautverhältnisse einer Zwillingsplazenta nach (71).
Die Vorgehensweise wird im Algorithmus in Abb. 8.6 zusammengefasst. Untersuchung der Anastomosen. Bei akademischem Interesse und zur besseren Darstellung können die arteriellen und venösen Anastomosen einer monochorialen Plazenta nach Protokoll dargestellt werden [72]: 1. Die Untersuchung kann zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, da sie zeit- und personalaufwendig ist. Dann muss die Plazenta im Kühlschrank für maximal eine Woche unter Beachtung der Hygienebestimmungen ohne Fixierung gelagert werden. Sinnvoll ist eine Heparinisierung der Gefäße zur Verhinderung von Thrombenbildungen. 2. Die Plazenta wird mit Wasser oder NaCl gespült, anschließend die Trennmembranen und das Amnion auf der Plazenta entfernt, um die Gefäße besser sehen zu können. 3. Beide Nabelschnüre werden ca. 5 cm vom plazentaren Ende durchgeschnitten und die Blutkoagel aus der Nabelschnur massiert. 4. Die V. umbilicalis wird katheterisiert, ohne die Gefäßwände zu verletzen. Mittels eines kleineren Katheters wird eine der beiden Aa. umbilicales ebenso katheterisiert. Dabei können Pinzetten angewendet werden, um das Eingangslumen zu erweitern. Dasselbe wird mit der anderen Nabelschnur wiederholt. 5. Beide Nabelschnüre werden um den eingeführten Katheter zugeschnürt, um einen Rückfluss des eingespritzten Farbstoffes zu vermeiden. 6. Mit einer 20 ml Spritze werden Farbstoffe mit unterschiedlichen Farben in jedes Gefäß langsam eingespritzt. Dabei werden die Gefäße entlang der Einspritzung
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massiert, um sie einfacher zu füllen und die plazentare Gefäßarchitektur darstellen zu können. Zur besseren Kontrastierung sollten dunkle Farben für Arterien und helle Farben für Venen vorgesehen werden. 7. Die kleinen Gefässe in der vaskulären Äquatorialebene sollten besonders beachtet werden. In dieser Ebene befinden sich die vaskulären Anastomosen zwischen den Kreisläufen der Zwillingen. 8. Das Einspritzen wird bei beiden Nabelschnüren wiederholt, dabei ist das Einspritzen in die A. umbilicalis schwieriger wegen des kleineren Gefäßlumens. 9. Bei der Evaluation und Dokumentation nach der Einspritzung werden die Anzahl und der Typ der Anastomosen in der vaskulären Äquatorialebene gezählt und dokumentiert und mit einer hochauflösenden Kamera senkrecht zur Plazenta fotografiert. Die arterio-arteriellen (A/A) Anastomosen und die veno-venösen (V/V) Anastomosen sind in der Regel oberflächlich. Im Gegenteil dazu sind arterio-venöse (A/V) Anastomosen tiefer im Kotelydon gelegen und dort nur mit Computerverfahren darstellbar (Abb. 8.8).
8.7.2 Interpretation der Plazentauntersuchung In der Literatur finden sich Hilfen zur Interpretation [73,74]: Feto-Fetales Transfusionssyndrom oder twin-to-twin transfusion (TTTS): Bei diesen Plazenten werden weniger A/A Anastomosen (25–27 %) kombiniert mit einer ungleichen Verteilung von A/V und V/V Anastomosen gefunden. Falls A/A Anastomosen zwischen beiden fetalen Kreisläufen dominieren, kommt es selten zur Ausbildung eines chronischen TTTS oder einer sogenannten twin-oligohydramnios-polyhydrmanios sequence (TOPS) (s. Kap. 2). Twin anemia-polycythemia sequence (TAPS): Es bestehen kleine A/V Anastomosen. Die maternale Seite der Plazenta zeigt charakteristische unterschiedliche Farbtiefen zwischen beiden Plazenten. TTTS nach fetoskopische Laserablation: Es finden sich fibrotische Punkte oder bei Laserung nach Solomon-Technik eine fibrotische Linie in der vaskulären Äquatorialebene. Gelegentlich können noch kleine Anastomosen dargestellt werden. Twin reversal arterial perfusion (TRAP): Es zeigen sich jeweils nur eine große A/A und V/V Anastomosen. Selective intrauterine growth retardation (sIUGR): Typischerweise besteht eine monochoriale Plazenta mit einem größeren und einem deutlich kleineren plazenta-
8.7 Untersuchung der Plazenta bei Mehrlingsschwangerschaften 237
ren Anteil und eine Insertio velamentosa bei einer oder beiden Plazentaanteilen. Die Anastomosen sind normal verteilt. In Abb. 8.7 wird eine monochoriale diamniale Plazenta nach TTTS Grad II dargestellt. Die tiefen Anastomosen, die nicht mit einer Lasertherapie bei TTTS erfasst werden, können mit einer Computerangiographie dargestellt werden. Ein Beispiel einer postnatalen Computerangiographie aus einer Pionierarbeit wird in Abbildungen 8.8a–c dargestellt [75]. Durch die Beschreibung der plazentaren Korrelate schließt sich der Kreis zu einigen im Kap. 2 beschriebenen Krankheitsbildern, die bereits früh pränatal diagnostiziert werden. Einige der plazentaren Anastomosen können bereits pränatal dopplerosnographisch visusalisiert werden [76,77].
Abb. 8.7: Darstellung der plazentaren Anastomosen einer monochorialen diamnialen Plazenta eines Falles mit Transfusionssyndrom (TTTS) Grad II.
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(a)
(b)
(c)
Abb. 8.8: Postnatale Computertomographie bei einem Fall mit chronischem Transfusionssyndrom. (a) Arterielle Perfusion des Donors; (b) Venöse Perfusion des Akzeptors; (c) Vergrößerung der tiefen arteriovenösen Anastomosen innerhalb eines Kotelydons, nach [75].
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9 Ausgewählte Aspekte post partum, Follow-up, Zwillingsregister Birgit Arabin In den vorangegangenen Kapiteln wurden pränataldiagnostische, schwangerschaftsspezifische und geburtsmedizinische Themen behandelt, die das medizinische Personal vor Herausforderungen stellt, die zügig gelöst werden müssen. Ein großer Teil der beschriebenen Erkrankungen wie drohende Frühgeburt, übermäßige Gewichtszunahme, hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft (HDP) oder Gestationsdiabetes (GDM) können jedoch auf spätere Gesundheitsrisiken von Müttern und ihren Kindern quasi als „Fenster in die Zukunft“ hinweisen [1]. Während des „StressTests“ der Schwangerschaft können Schwangerschaftskomplikationen in Erscheinung treten, die auf langfristige kardiovaskuläre, metabolische und urogynäkologische Risiken hinweisen. Da jedoch zu vielen dieser Aspekte keine Studien für Mehrlinge vorliegen, verweisen wir auf Daten von Einlingen und empfehlen, auch Mütter von Mehrlingen auf diese Assoziationen hinzuweisen [1]. Die Schwangerschaftskomplikationen wie Frühgeburt, fetale Wachstumsretardierung, übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, HDP oder GDM identifizieren besser als traditionelle Risikofaktoren Frauen mit erhöhtem Risiko, später an Koronarerkrankungen, Herzinfarkt und Schlaganfall zu leiden oder sogar früher zu versterben [2,3]. Daher sollten nach Schwangerschaftskomplikationen, bei denen diese Assoziationen inzwischen nachgewiesen wurden, ein adaptiertes Follow-up von Blutdruck, Blutzucker (nach GDM), des Gewichtsverlaufs (bei hohem BMI oder übermäßiger Gewichtszunahme) erfolgen und mit den behandelnden Ärzten weitere präventive Maßnahmen besprochen werden [4]. Schon während der Schwangerschaft, spätestens bei der ersten Nachkontrolle könnte eine Risikostratifizierung vorgenommen und die interdisziplinäre Kommunikation mit Internisten und Hausärzten aktiviert werden. Hier haben in deutschsprachigen Ländern auch Internisten oder Kardiologen noch Wissenslücken, um die Chancen der Schwangerschaft als Stresstest für moderne präventive Interventionen zur Risikomodulation kardiovaskulärer und metabolischer Erkrankungen zu nutzen. Ein systematisches Review zeigte, dass 468/1646 (28,4 %) von Frauen mit HDP noch nach 2 Jahren post partum einen Hypertonus vorwiesen: OR 6,28; 95 % CI 4,18–9,43; noch höher war das Risiko gegenüber einer Kontrollgruppe 6 Monate post partum: OR 18,33; 95 % CI 1,35– 249.,8 [5]. Obwohl in dieser Studie Mehrlingsgraviditäten nicht gesondert evaluiert wurden, sollte man auch bei Mehrlingsgravidität Schwangerschaftskomplikationen zum Anlass nehmen, postnatale Kontrollen und Interventionen zur langfristigen Risikoverminderung in Gang zu setzen. Erste Ansätze zu direkter Patienteninformation bietet eine kanadische Website: https://themothersprogram.ca.
https://doi.org/10.1515/9783110669749-009
244 9 Ausgewählte Aspekte post partum, Follow-up, Zwillingsregister
Schwangere mit Mehrlingen haben im Vergleich zu Schwangeren mit Einlingen ein 6-fach erhöhtes Risiko für eine Klinikaufnahme während der Gravidität [6]. Circa 25 % der geborenen Zwillinge, 75 % der Drillinge und 100 % der Vierlinge werden auf einer neonatologischen Intensivstation (NICU) aufgenommen [7]. Die physischen und psychischen Belastungen bleiben nicht ohne Folgen für die mentale Gesundheit der Eltern. Dazu kommen ökonomische Belastungen, da die Betreuung mehrerer Kinder gleichen Alters einen längeren Rückzug aus der Berufstätigkeit für ein Elternteil bedeuten kann. Mütterliche und kindliche Risiken könnten durch eine lange Stilldauer aufgefangen werden. Leider stillen Mütter von Mehrlingen weniger und kürzer. Über Interventionen, um die Stilldauer nach Mehrlingsgravidität zu verlängern, gibt es keine randomisierten Studien [8]. Bekannt ist aber, dass eine längere Stilldauer die Raten von fortbestehender Adipositas, aber auch späterer kardiovaskulärer und metabolischer Erkrankungen der Mutter signifikant erniedrigt. Auch auf urogynäkologische Probleme nach der Geburt und die Ergebnisse von Nachuntersuchungen der Kinder wollen wir eingehen. Symptome von Senkungen und Inkontinenz während der Schwangerschaft stellen auch ein „Fenster“ für zukünftige Beckenbodenprobleme dar [9]. Die hier diskutierten postnatalen Aspekte sollen dazu anregen, über Interventionen nachzudenken, die gesundheitlichen Risiken vorbeugen können und auf Hilfsmöglichkeiten hinweisen, damit Eltern Freuden und Problemen der erweiterten Familie besser begegnen können.
9.1 Belastungen durch Stress, Überarbeitung/ Finanzierungsprobleme Eine Mehrlingsschwangerschaft ist selten „geplant“, auch nicht nach reproduktionsmedizinischer Behandlung. Die Eltern sind aber über lange Zeit vielen Belastungen ausgesetzt, mit denen sie sich vorher selten auseinandergesetzt haben. Relativ wenige Studien widmeten sich den psychosozialen Risiken der Eltern von Mehrlingen wie dem Übergang zur Elternschaft, möglichen Partnerschaftsproblemen oder sozialer Isolation. Die Eltern-Kind-Interaktion ist bei Mehrlingen im Vergleich zu Einlingen anders, da Eltern gleichzeitig zu mehreren Kindern Kontakt aufnehmen und diesen festigen müssen. Es gibt große Unterschiede bei zusätzlicher familiärer oder sozialer Fürsorge, je nach Ausbildungsstand, Kultur und Gesundheitssystem in verschiedenen Ländern. Ein systematisches Review untersuchte die mentale Gesundheit von Eltern von Mehrlingen im ersten Jahr nach der Geburt, dabei wurden zwischen 1989 und 2014 27 Artikel gefunden [10]. Die meisten Studien stellten fest, dass Symptome von Depression, Angst und Stress bei Eltern von Mehrlingen im Vergleich zu Eltern von Einlingen erhöht waren. Probleme während der Schwangerschaft, Schlafunterbrechung,
9.1 Belastungen durch Stress, Überarbeitung/Finanzierungsprobleme 245
erhöhte Kosten, soziale Isolation und Arbeitsbelastung waren assoziiert. Zwei vorangegangene systematische Reviews, die sich nur auf Risiken von Eltern nach künstlicher Befruchtung konzentrierten, hatten bereits ähnliche Ergebnisse gefunden [11,12]. In den USA verglich 2020 eine Studie 17.365 Mütter von lebend geborenen Zwillingen mit 1.058.880 Müttern von Einlingen im Hinblick auf psychiatrische Störungen, die eine Krankenhausaufnahme erforderten (Tab. 9.1): Der Anteil betrug in beiden Gruppen 1,6 %, die Risiken für Drogen- oder Alkoholmissbrauch waren in beiden Gruppen 0,6 %. Kamen jedoch Schwangerschaftskomplikationen, ernste mütterliche Morbidität oder eingeschränkte Einkommensverhältnisse (Frauen aus den drei Tab. 9.1: Vergleich der Population von Müttern mit Zwillingen und Einlingen bei Vorstellung in einer psychiatrischen Notfallambulanz in den USA, modifiziert nach [13]. Mütter nach Zwillingsgeburt (n = 17.365)
Mütter nach Einlingsgeburt (n = 1.058.880)
OR (95 %CI)
275 (1,6) 12.689 (73,1) 3255 (18,7) 1146 (6,6)
41.334 (3,9) 858.867 (81,1) 124.894 (11,8) 33.705 (3,2)
0,45 (0,40–0,51) Referenz 1,76 (0,17–1,83) 2,30 (2,16–2,45)
10.379 (59,8) 6355 (36,6) 631 (3,6)
512.835 (48,4) 513.418 (48,5) 32.547 (3,1)
Referenz 0,61 (0,59–0,63) 0,96 (0,88–1,04)
4409 (26,8) 4770 (29,0) 4772 (29,0) 2509 (15,2)
314.939 (31,6) 306.511 (30,7) 262.879 (26,3) 114.097 (11,4)
Referenz 0,64 (0,61–0,67) 0,71(0,67–0,74) 0,83 (0,79–0,87)
spontan vaginal operativ vaginal Sectio
2289 (13,2) 460 (2,6) 14.611 (84,2)
609.813 (57,6) 485.58 (4,6) 400.429 (37,8)
Referenz 2.52 (2,28–2,79) 9,72 (9,30–10,16)
Maternale Co-Morbidität (n/%)**
37.438 (42,8)
318.842 (30,1)
1,73 (1,69–1,79)
Schwere Morbidität bei Geburt# (n/%)
4940 (5,4)
14.563 (1, 4)
4,11 (3,84–4,39)
Alter bei Geburt (n/%) < 18 Jahre 18–34 Jahre 35–39 Jahre ≥ 40 Jahre Versicherung (n/%) privat öffentlich andere Einkommen (Quartile) (n/%) Quartile Quartile Quartile Quartile
1 (Ärmsten) 2 3 4 (Reichsten)
Geburtsmodus (n/%)
*Fehlende Werte 905 Zwillings- und 60.374 Einlingsmütter; **Bateman et al. Obstet Gynecol. 2014;122:957–965; # Centers for Disease Control’s composite for severe maternal morbidity; https://www.cdc.gov/reproductivehealth/maternalinfanthealth/smm/severe-morbidity-ICD.htm.
246 9 Ausgewählte Aspekte post partum, Follow-up, Zwillingsregister
unteren Quartilen des mittleren Einkommens der USA, d. h. 75 % aller Schwangeren) hinzu, stieg das Risiko psychiatrischer Erkrankungen bei Eltern von Mehrlingen in den drei unteren Quartilengruppen: aOR 1,30 (95 % CI 1,25–1,34); aOR 1,65 (95 % CI 1,49–1,81) bzw. aOR 1,31 (95 % CI 1,23–1,40) [13]. Diese Ergebnisse sind von Land zu Land verschieden, wohl nicht aber der Trend der geringeren Toleranz bei zusätzlichen medizinischen und sozialen Risiken.
9.1.1 Spezielles Risiko Frühgeburt Über die hohen Raten von Frühgeburten bei Mehrlingen wurde in Kap. 3 berichtet. Eltern mit mehreren frühgeborenen Kindern sind im Vergleich zu Eltern mit frühgeborenen Einlingen zusätzlich belastet, was unabhängig vom Grad der Mehrlingsschwangerschaft in einer skandinavischen Studie zu drei verschiedenen Zeitpunkten untersucht wurde [14]: Dabei erfuhren Mütter zunehmend Rollenrestriktionen und Väter eine zunehmende soziale Isolation (P < ,001). Obwohl mütterliche Stressgefühle innerhalb des ersten Jahres abnahmen (P = ,018), nahmen Stresserfahrungen bei Vätern bis zu 12 Monaten nach der Geburt zu (P = ,048). Mütter extrem früher Frühgeborener (P = 0,024), Eltern von Zwillingen (P = 0,038) und Eltern mit schon eingeschränkter Gesundheit (P = 0,003) wiesen verständlicherweise die höchsten Stresslevel im ersten Jahr post partum auf [14]. Frühgeburtlichkeit belastet die Eltern-Kind-Beziehung und die psychosoziale Kindesentwicklung [15]. Das Verhalten Frühgeborener ist oft instabil mit eingeschränkten Fähigkeiten der Selbstregulation, was zu Selbstzweifeln der Eltern führen kann [16]. Elterlicher Stress wächst auch, wenn ein Mehrling kränker ist als ein anderer oder die anderen. Mütter bauen dann früher eine Bindung zum gesünderen Kind auf, da sie vom kränkeren Kind länger getrennt sind [17].
9.1.2 Auswirkungen von Mehrlingsschwangerschaften nach assistierter Reproduktion Seit der Geburt von Louise Brown nach in vitro Fertilisation (IVF) 1978 und der ersten intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) 1992 kam es nicht nur durch multiple Embryo-Transfers, sondern auch nach ausschließlicher Ovulations-Induktion zu einem Anstieg von mono- und dichorialen Mehrlingsschwangerschaften (s. Kap. 5.3). Das deutsche Embryonenschutzgesetz erlaubt den Transfer von maximal drei Embryonen. Das Europäische Register, das Behandlungszyklen in 32 Ländern vergleicht, wies nach artifizieller Reproduktionstechnik (ART) noch zu Beginn des Jahrtausends einen mittleren Anteil von ca. 20 % Zwillingsgeburten auf mit Raten von 5,7 % in Schweden bis zu 38,3 % in Serbien; 2018 wurden in Europa nach IVF/ICSI noch Raten von 17 % Zwillings- und 0,5 % Drillingsgeburten festgestellt [18].
9.1 Belastungen durch Stress, Überarbeitung/Finanzierungsprobleme 247
Der wissenschaftliche Focus richtete sich bisher fast nur auf die Mütter, obwohl der Übergang zur Elternschaft auch Zwillingsväter betrifft. Die Paare sind bei ausgeprägtem Kinderwunsch nach der Diagnose einer Mehrlingsschwangerschaft zunächst optimistisch und selten auf medizinische oder emotionale Belastungen vorbereitet. Nach anfänglicher Freude steigt der Angstlevel bei beiden Elternteilen signifikant an [19]. Auch die Erwartungshaltung an die Mutterschaft spielt eine Rolle, die in einer Längsschnittstudie bei 88 Zwillingsmüttern nach ART und 98 nach Spontankonzeption zunächst in der 33.–36. SSW und 6 Monate post partum nochmals verglichen wurde [20]. Die Mütter nach ART zeigten in der Schwangerschaft signifikant höhere Erwartungen an Mutterschaft und Kinder gegenüber denen nach Spontankonzeption, aber erlebten nach der Entbindung gegenüber Müttern nach Spontankonzeption signifikant mehr Stress und waren weniger stressresilient. Bald nach der Geburt und Behandlung mit ART wurden Mütter mit Einlings-, Zwillings- und Drillingsschwangerschaft mit Hilfe des „Edinburgh postpartal depression scale“ (EPDS) und eines semistrukturierten Interviews erfasst [21]. Dabei erreichten 15,9 % der Mehrlings-, aber nur 5,9 % der Einlingsmütter den kritischen Grenzwert mit Verdacht auf eine Depression (OR 3,4; 95 % CI 1,0–11,6). Die Interviews identifizierten 12 Themenbereiche mit negativer Befindlichkeit, darunter auch Müdigkeit (p < 0,01), Stress und Depressionen (p < 0,05). In einer dänischen Studie zeigte eine logistische Regressionsanalyse, dass Mehrlingsmütter unabhängig von der Konzeption mehr Stress in der Partnerschaft (OR 2,9; 95 % CI 2,2–3,8) und Änderungen des Lebenszusammenhangs angaben, als Einlingsmütter nach Spontankonzeption (OR 1,7; 95 % CI 1,2–2,4) [22]. In Finnland wurde prospektiv das psychische Befinden von 91 Müttern mit Zwillingen und 367 mit Einlingen nach ART mit dem von Müttern mit Zwillingen und Einlingen nach Spontankonzeption ein Jahr post partum untersucht. In der Schwangerschaft hatten Mütter nach ART gegenüber Schwangeren nach Spontankonzeption signifikant niedrigere Depressionswerte, allerdings hatten bereits zwei Monate und auch noch nach einem Jahr nach der Geburt Zwillingsmütter unabhängig von der Konzeption signifikant höhere Werte in Depressions- und Angstskalen [23]. Inzwischen existieren auch Untersuchungen aus den USA bis zur Adoleszenz, dabei wurden Eltern von 122 Familien mit Zwillingen und 158 mit Einlingen interviewt, deren Kinder zwischen 1998 und 2004 geboren wurden. Unabhängig von den ursprünglichen Erwartungen konnten dann keine Unterschiede (mehr) im Hinblick auf depressive Symptome der Mütter festgestellt werden [24,25]. In der Beratungssituation kann man daher auf die zeitliche Begrenzung eingehen und depressive Verstimmungen eher durch die erhöhten Belastungen erklären.
248 9 Ausgewählte Aspekte post partum, Follow-up, Zwillingsregister
9.1.3 Verlust eines Mehrlingskindes/„Reduktion“ höhergradiger Mehrlinge Raten von peri- und neonataler Mortalität sowie Langzeit-Morbidität sind mit jedem Kind einer Schwangerschaft erhöht. Der Verlust eines Mehrlingskindes in verschiedenen Perioden – vom sogenannten „vanishing twin“ in der frühen Schwangerschaft bis hin zu einem peri- oder postnatalen Tod eines Mehrlings – ist für die Eltern meist ein einschneidendes Erlebnis. Untersuchungen zeigen, dass Art und Ausprägung ihrer Trauerreaktion denen nach dem Tod eines Einlings vergleichbar sind und die Anwesenheit überlebender Kinder den Trauerprozess weder mildern noch verkürzen können, sondern ihn eher komplexer machen [19]. Die Beziehungsaufnahme zu den verbliebenen Mehrlingen wird häufig erschwert und der tote Mehrling nicht selten mit Fantasien besetzt, die für die psychische Entwicklung der überlebenden Kinder problematisch sein können [26]. Eltern mit höhergradigen Mehrlingen werden darüber aufgeklärt, dass die Chance auf ein oder zwei gesunde überlebende Kinder steigt, wenn man die Zahl der Kinder vermindert. Eine internationale Studie zu Schwangerschaften nach sogenannter „Reduktion“ mit 3513 Betroffenen zeigte, dass die Durchführung und Begleitung dieser Maßnahmen Erfahrung benötigen, um das Outcome der verbleibenden Kinder nicht zu gefährden – nur dann verhielten sich bei Reduktion von Vierlingen auf Zwillinge die Kinder ähnlich wie spontan entstandene Zwillinge [27]. Allerdings sind die Maßnahmen für Ärzte und vor allem für die Eltern immer noch mit kontroversen Gefühlen bis zu Schuldgefühlen verbunden, die bei einigen Eltern zeitlebens bestehen bleiben [26]. Hier ist dann eine verständnisvolle Umgebung gefragt. Man kann aber auch zum Trost den verstorbenen Kindern eine symbolische oder wenn gewünscht auch spirituelle „Schutzengelfunktion“ zusprechen.
9.1.4 Unterstützung von Eltern mit Mehrlingen Familien mit Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen benötigen Aufklärung und Unterstützung. Schon 1988 wurde in Großbritannien die Multiple Births Foundation (MBF) gegründet, um Familien mit Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen Rat und Unterstützung zu geben und gleichzeitig das medizinische Personal und Sozialarbeiter zu schulen [28]. Treibende Kraft war die Pädiaterin Elizabeth Bryan, die diese Organisation gegründet hatte, nur leider viel zu früh verstorben ist. Leitlinien sollen die Begleitung von Schwangeren mit Mehrlingen vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Erwachsenenalter der Kinder zu verbessern. Denn in vielen Ländern war oder ist es noch immer gebräuchlich, drei oder mehr Embryonen während eines Zyklus einzusetzen. Daher wurde in skandinavischen Ländern schon früh ein „single transfer“ gefordert [23]. Aber selbst bei einem Transfer von nur einem Embryo kann es durch häufigeres Splitting der Blastozyste zu einer Mehrlingsgravidität mit monozygoten (MZ) Mehrlingen kommen [29] (Abb. 5.3).
9.2 Stillen
249
Bei der Begleitung von Eltern mit Mehrlingen sollten schon zu Beginn der Schwangerschaft psychosoziale Risiken angesprochen und soziale und psychologische Hilfen angeboten werden. In Deutschland gibt es derzeit keine Dachorganisation für Probleme von Eltern von Zwillingen, dafür aber zahlreiche regionale Gruppen, die mit Beratung. Veranstaltungen und Lektüre für Laien versuchen, Eltern von Zwillingen über spezielle Aspekte zu informieren (www.twins.de). Für Eltern von Drillingen und höhergradigen Mehrlingen wurde vor über 30 Jahren der ABC-Club gegründet. Die Ansprechpartner haben selbst alle Mehrlinge und bilden eine Art Selbsthilfenetzwerk. Ebenso werden verwaiste Drillingseltern und Familien mit Handicaps liebevoll betreut. Im Verein werden Kontakte zu anderen Mehrlingsfamilien gefördert, Erfahrungen ausgetauscht, verschiedene Beratungen angeboten und Treffen sowie Bildungs- und Erholungsmaßnahmen organisiert. Ebenso engagiert sich der Verein für die besondere Situation von Mehrlingsfamilien bei Landes- und Bundespolitik: http://www.abc-club.de, www.facebook.com/abcclubev.
9.2 Stillen Die humane Muttermilch ist in allen Ländern unabhängig vom Lebensstandard des Landes oder des Individuums die beste und sicherste Ernährung für Kinder im ersten Lebensjahr. Für die Mütter haben zahlreiche Studien gezeigt, dass Stillen mit einer reduzierten Aktivierung der Stressachse, niedrigerem Blutdruck und einer verbesserten Fettmobilisation verbunden ist [30–32]. In einer prospektiven dänischen Kohortenstudie korrelierten Stilldauer und maternale Gewichtsretention noch 18 Monate bis zu 7 Jahren post partum nach der Geburt von Einlingen und Zwillingen signifikant [33]. Bei Müttern, die schon einen GDM hatten, schützt eine lange Stilldauer vor Typ 2 Diabetes und reduziert das Risiko für manifesten DM für die kommenden Jahre [34]. Ätiologisch wird diskutiert, dass Prolaktin Entzündungen in den β-Zellen des Pankreas verhindert und deren Funktion verbessert. Selbst bei Mäusen hatten stillende Tiere nach 9 Monaten signifikant weniger Gewicht, einen niedrigeren Blutdruck und eine bessere Herzfunktion [35]. Ähnlich positive Effekte, wie eine erniedrigte Rate von malignen, psychischen und metabolischen Erkrankungen wurden auch in systematischen Reviews mit 400 Studien gefunden, sogar die Dicke der intima media in der A. carotis interna nach 20 Jahren war auch nach Korrektur mit Risikofaktoren dünner nach längerem Stillen (p-trend: 0,01) [34]. Für die Kinder besteht ein besserer Infektionsschutz [36]. Auch ihr Zellstoffwechsel wird durch Stillen stimuliert, so dass Atemwegserkrankungen in den ersten 4 postnatalen Monaten seltener sind (RR 0,70; 95 % CI 0,55–0,88) [37]. Im Verlauf der Kindheit sind Raten nekrotisierender Enterokolitis, Asthma, Typ 1 und Typ 2-Diabetes, plötzlichem Kindestod und Leukämie vermindert [36]. Die American Academy
250 9 Ausgewählte Aspekte post partum, Follow-up, Zwillingsregister
of Pediatrics empfiehlt seit langem volles Stillen für 6 Monate und danach eine Fortsetzung bis zu einem Jahr oder länger zusätzlich zu anderer Nahrungszufuhr bis zu einem Jahr [38]. Analog fordert das American College of Obstetrics and Gynecology multidisziplinäre Anstrengungen zur Stillförderung von Mehrlingen, um metabolische und kardiovaskuläre Risiken zu vermindern [39]. Für Frühgeburten unter den Mehrlingen ist die Ernährung mit Muttermilch mit niedriger neonataler Morbidität assoziiert. Daher wurden die Fütterungspraktiken von Frühgeborenen einer Einlings- und einer Mehrlingsgravidität von 26.957 überlebenden Kindern, darunter 9785 Zwillinge, von 62 NICUs über 12 Jahre verglichen [40]. Bei Entlassung wurden noch 31 % der Einlinge, aber nur 24 % der Zwillinge ausschließlich gestillt, 43 % der Einlinge und Zwillinge wurden mit der Flasche gefüttert und 26 % der Einlinge, aber 33 % der Zwillinge erhielten eine kombinierte Ernährung (p < 0,001). Zwillingsschwangerschaften hatten einen signifikant höheren Anteil von Müttern, die vorzeitig das Stillen abgebrochen hatten (OR 1,10; 95 % CI: 1,02, 1,19). In einer europäischen Studie wurden die Praktiken der Zufuhr von Muttermilch und die Stillraten bei Entlassung untersucht [41]. Insgesamt erhielten 58 % (3826/ 6592) der Kinder noch Muttermilch bei Entlassung mit einer Spannbreite von 36– 80 %: Begünstigend waren Primiparität, eine erste Fütterung < 24 Stunden nach der Geburt, dabei bevorzugt mit eigener Muttermilch. Für eine ausschließliche Fütterung mit Muttermilch waren Einlinge im Vergleich zu Mehrlingen begünstigt, ebenso Kinder nach Vaginalgeburt im Vergleich zu einer Sectio und Kinder, die innerhalb der ersten 24 Stunden bereits Muttermilch erhalten hatten (Tab. 9.2). Zentren, die als babyfreundliche Klinik akkreditiert waren, hatten auch höhere Stillraten bei Entlassung. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem bei der Risikogruppe der Mehrlinge noch viel Luft ist, durch mehr Unterstützung die Stillraten zu verbessern. Obwohl sogenannte Milchbanken landesweit eingerichtet wurden, um Kindern bei fehlender Bereitschaft oder ungenügender Milchproduktion der Mütter das Stillen zu ersetzen, ist die Datenlage im Hinblick auf Mikrobiom und Outcome noch offen für weitere Studien, da die Zusammensetzung und der Proteingehalt der Muttermilch je nach Individuum großen Schwankungen unterliegen. Eine erste Beobachtungsstudie untersuchte den oxidativen Stresslevel bei Frühgeborenen nach pasteurisierter Donor-Milch oder mit abgepumpter Muttermilch; dabei wurde festgestellt, dass Donor-Milch ähnlich wie die eigene Muttermilch, Frühgeborene vor mit oxidativem Stress assoziierten Krankheiten bewahren kann [42]. Allerdings zeigte eine weitere Analyse, dass die eigene Muttermilch andere Geninduktionen beim Kind bewirkt und die Stressresilienz der Mütter unterstützt [42]. Daher sollte – auch wenn das Stillen nicht sofort möglich ist – das Abpumpen und Füttern der eigenen Muttermilch gefördert werden.
9.2 Stillen 251
Tab. 9.2: Regressionsanalyse des Stillverhaltens bei Entlassung (voll gestillt versus partiell gestillt). Risiko Ratio (RR) und 95 % Konfidenzintervall (CI), modifiziert nach (41). Anzahl (%/Spalte) Gruppe (total) n = 6592 (%)
voll stillend versus partiell stillend
voll gestillt (n = 1812) %
partiell gestillt n = 2014 (%)
angepasst für SSW RR (95 %CI)
Entbindungsmodus Vaginal
2049 (31,3)
643 (35,5)
541 (26,9)
1,00 (Referenz)
1,00 (Referenz)
Sectio
4492 (68,7)
1156 (63,8)
1467 (72,8)
0,83 (0,76–0,89)
0,88 (0,8–0,96)
Art der Schwangerschaft Einlingsgravidität
4498 (68,2)
1320 (72,8)
1236 (61,4)
1,00 (Referenz)
1,00 (Referenz)
Zwillingsgravidität
2094 (31,8)
492 (27,2)
778 (38,6)
0,74 (0,67–0,82)
0,71 (0,64–0,8)
Können Kinder aufgrund ihrer NICU-Aufnahme, Beatmungssituation oder ungenügender Milchmenge nicht an die Brust angelegt werden, werden strikte Praktiken zur Aufbewahrung und Fütterung abgepumpter Muttermilch oder Donor-Milch beschrieben, um die gebrechlichen Zöglinge nicht zu gefährden, sondern optimal zu versorgen [43]. Realität von Müttern mit Mehrlingen Obwohl sich die guten Vorsätze von Mehrlingsmüttern kaum von Einlingsmüttern unterscheiden, brechen viele Wöchnerinnen mit Mehrlingen das Stillen schnell ab. Ein Cochrane review ergab, dass es bisher keine evidenzbasierten, randomisierten Studien gibt, wie man Mütter mit Mehrlingen am besten motiviert und unterstützt, für längere Zeit oder sogar bis zu einem Jahr und darüber hinaus zu stillen [8]. Auch bei Fehlen dieser prospektiven Studien darf es nicht an unserer Empathie mangeln, die Mütter hier optimal zu begleiten und zu motivieren. Retrospektiv wurden 1173 Mütter von Mehrlingen befragt, die trotz aller Probleme länger als 1 Jahr gestillt haben. Die Gruppe gab als wichtigste Motivation die Unterstützung des Partners und der Familie, das Wissen um die gesundheitlichen Vorteile, die Gesundheit der Kinder sowie die Freude am Stillen an [44]. Besonders jüngere Frauen aus sozioökonomisch weniger gut gestellter Umgebung wurden durch die Kosten einer langen Arbeitsunterbrechung vom Stillen abgeschreckt (p < 0,02). Frauen mit mehreren Kindern waren weniger bereit, ihre Entscheidungen zu diskutieren. Daher wurde gefolgert, dass soziale und finanzielle Unterstützung sowie eine Mobilisierung der Familie dabei helfen könnten, die Stilldauer von Mehrlingsmüt-
252 9 Ausgewählte Aspekte post partum, Follow-up, Zwillingsregister
tern zu verlängern [44]. Zusätzlich helfen einige der Bücher, die über die Gruppe www.twin.de erhältlich sind und detailliert auf das Stillen von Mehrlingen und emotionale sowie praktische Hilfsmittel (z. B. spezielle Stillkissen) eingehen [45,46].
9.3 Urogynäkologische Probleme bei und nach Mehrlingsgravidität Vor- und Nachsorge von Beckenbodenschäden als Ursache für spätere Senkungsoder Inkontinenzbeschwerden werden von Geburtsmedizinern unterschätzt und sind auch den Schwangeren meist unbekannt. Dies zeigte sich bei einer Befragung von Medizinerinnen, die sich für eine primäre Sectio entschieden, die besser über Beckenbodenprobleme informiert waren als Laien [47]. In einer Berliner Studie wurden bei Einlingsschwangerschaft subjektive Symptome von Beckenbodenproblemen erfasst, die zeigten, dass auffällige Symptome bereits vor der Geburt bestehen. Dabei gaben 35 % der Frauen Deszensussymptome in der Schwangerschaft an. Sechs Wochen postpartal wurden sie noch von 30 % beschrieben und nach einem Jahr weiterhin von 29 % [9]. Risikofaktoren waren eine familiäre Disposition, ein Alter von > 35 Jahren, ein BMI > 25 kg/m2, Nikotinabusus, die Unfähigkeit, den Beckenboden anzuspannen, eine Episiotomie, vaginal-operative Eingriffe oder hohes Geburtsgewicht. Bei Zwillingsgravidität waren in einer Fallkontrollstudie biometrische Daten des Beckenbodens mit 3D-transperinealem Ultraschall ab 28 SSW signifikant verschieden von Einlingsschwangerschaften, darunter war der vaginale koronale Durchmesser in Ruhe und bei Kontraktion länger, auch die mittleren Flächen des Hiatus waren bereits vor der Geburt bei Zwillingsgravidität signifikant größer [48]. Die Dehnbarkeit des Beckenbodens korrelierte mit dem maternalen Abdomenumfang (p = 0,01) [49]. Bei Mehrlingsschwangerschaft kann man die Vagina bzw. die Beckenbodenmuskulatur leichter erweitern [50]. Eine retrospektive Analyse in Frankreich zeigte 20 Monate post partum eine Prävalenz von Stressinkontinenz von 40 % nach Zwillings-, aber nur von 20 % nach Einlingsgravidität: OR 2,6; 95 %CI 1,1–5,9. Weitere Risikofaktoren für Stressinkontinenz waren vorangegangene Inkontinenz: OR 4,2; 95 % CI 1,7–10,4, BMI > 30: OR 6,3; 95 % CI 1,2–34,1, protrahierte Geburt: OR 4,8; 95 % CI 1,6–14,5, Kristellern: OR 4,5; 95 %; CI 1,1–18,3 und akute Inkontinenz post partum: OR 12,9; 95 % CI 5,0–33,5. Die Resultate wurden dem Uterus-Gewicht und der Dehnung des paraurethralen Bindegewebes zugeordnet [43]. In einer retrospektiven Studie wurden 717 Zwillingsmütter nach Vaginalgeburt untersucht, davon hatten 20/717 (2,8 %) einen Dammriss – dies waren bevorzugt Erstgebärende, Mütter höheren Alters, Mütter mit höherem Kindsgewicht, einem längeren Intervall zwischen der Geburt des ersten und zweiten Zwillings und vaginaloperativer Entbindung. Nach einer Multivariatanalyse blieb nur die vaginal-operative Entbindung noch als Risikofaktor bestehen: Forzeps 1. Zwilling: OR 8,8; 95 % CI
9.3 Urogynäkologische Probleme bei und nach Mehrlingsgravidität 253
2,6–30,1; Vakuum-Extraktion 1. Zwilling: OR 9,2; 95 % CI 2,6–34,6, Forzeps 2. Zwilling: OR 15,4; 95 % CI 4,9–48,6 [51]. Ähnliche Raten von Stuhl- und Harninkontinenz wurden nach vaginal-operativen Geburten von Zwillingen durch eine weitere Studie gefunden [52]. Die Sekundäranalysen einer nationalen Kohortenstudie in Frankreich zum Geburtsverlauf bei Zwillingen zeigten signifikant höhere Raten von Stressinkontinenz nach Vaginalgeburt im Vergleich zu einer Sectio, die in 1155 Fragebögen noch nach drei (35 % versus 17 %, p < 0,0001) und auch noch in 800 Fragebögen nach zwölf Monaten (38 versus 24 %, p < 0,0001) nachweisbar waren [53]. Auch eine Multivarianzanalyse zeigte als Risikofaktoren nach 3 Monaten immer noch eine Vaginalgeburt: OR: 3,07; 95 % CI 2,3–4,105, ein BMI > 25 kg/m2: OR 1,62; 95 % CI 1,19–2,21. Dieselbe französische Gruppe untersuchte Senkungsbeschwerden [54]. Dabei wurden 1055 Antworten von ausgewertet. Senkungssymptome waren nach Vaginalgeburt bei 2812 Müttern von Zwillingen nach 3 Monaten und nach 12 Monaten ausgeprägter als nach Kaiserschnitt. Allerdings war nach 12 Monaten die allgemeine Lebensqualität besser nach Vaginalgeburt als nach Sectio [54]. Eine Sekundäranalyse des Twin Birth Trial untersuchte 2018 urologische Folgen in den Gruppen mit geplanter primärer Sectio und Vaginalgeburt zwei Jahre post partum. Frauen mit elektiver Sectio hatten niedrigere Raten von Stressinkontinenz: 93/1147 (8,11 %) versus 140/1143 (12,25 %); OR 0,63; 95 % CI 0,47–0,83; p < 0,001. Allerdings war die Lebensqualität nicht signifikant unterschiedlich. Anal- und Flatusinkontinenz waren nicht signifikant verschieden [55]. Interessant ist ein völlig anderer Ansatz, bei dem postmenopausale monozygote Zwillinge untersucht wurden, wobei innerhalb von 4 Paaren ein Zwilling jeweils 2 Kinder und der andere keine Kinder geboren hatte. Bei zwei Paaren wurde unabhängig von der Parität keine Inkontinenz beobachtet. In einem Paar wurde bei beiden Schwestern eine Stressinkontinenz beobachtet, in einem Paar berichtete sogar nur die Schwester ohne Kinder über Inkontinenz, obwohl beide objektiv Zeichen einer Stressinkontinenz vorwiesen (Tab. 9.3). Die kleine Stichprobe zeigt ein interessantes Modell, wobei eine genetische Prädisposition für späte (In-)Kontinenz wahrscheinlich ist [56]. Im Hinblick auf eine Prävention wären wie bei Einlings- auch bei Mehrlingsgravidität die Anwendung einer Risikostratifizierung wie dem „UR-CHOICE“-Algorithmus (U für UI vor der Schwangerschaft, R für Rasse oder Ethnizität, C für child bearing und Alter bei 1. Kind, H für height/Größe der Mutter, O für overweight/BMI über der Norm, I für inheritance/Familienanamnese, C für children desired/Zahl noch geplanter Kinder, E für estimated fetal weight/geschätztes Geburtsgewicht) sinnvoll [57]. Eine routinemäßige Stratifizierung würde bei niedrigem Score Frauen in ihrem Wunsch nach Vaginalgeburt bestätigen, bei mittlerem Score mehr Aufmerksamkeit bei zusätzlichen Risiken hervorrufen und prä- oder postnatale Präventionsmaßnahmen initiieren, bei hohem Risiko noch einmal gemeinsam über den Geburtsmodus nachdenken [57].
254 9 Ausgewählte Aspekte post partum, Follow-up, Zwillingsregister
Tab. 9.3: Vergleich monozygoter Zwillingspaare mit verschiedener Parität im Hinblick auf späte Inkontinenzsymptome, modifiziert nach [56]. Symptome
Paar 1 zwei Kinder
Paar 2 kein Kind
zwei Kinder
Paar 3 kein Kind
Paar 4
zwei Kinder
kein Kind
zwei Kinder
ja
ja
Stressinkontinenz
nein
nein
nein
überaktive Blase
nein
nein
nein
nein
Husten-Stresstest
negativ
negativ
positiv
positiv
Urethra-Mobilität
ja
nein
ja
ja
kein Kind
ja
Akuten oder latentem Harnverhalt liegt oft eine Detrusor-Schwäche zu Grunde. Post partum wird ein Harnverhalt häufiger beobachtet: Nach einer Studie in Japan betrug die Prävalenz nach Vaginalgeburt 1,2 %, Risikofaktoren sind eine Epiduralanästhesie (wie sie bei Zwillingsgeburten indiziert sind, s. Kap. 6): OR 4,72, 95 % CI 2,38–9,39, nach zehn Tagen entwickelten 50 % der Frauen eine latente Harnverhaltung, die andere Hälfte war nach 72 Stunden symptomlos. Patienten mit einem Restharnvolumen von > 150 ml können Blasenfunktionsstörungen entwickeln [58]. In einer niederländischen Studie wiesen von 745 untersuchten Frauen post partum immerhin 347 (47 %) ein Restharnvolumen von ≥ 150 ml auf. Bei einer multivariaten Analyse waren auch eine Epiduralanästhesie: OR: 2,08; 95 % CI 1,36–3,19, und ein hohes Geburtsgewicht unabhängige Risikofaktoren für latenten Harnverhalt. Ob ein Harnverhalt häufiger nach Zwillingsschwangerschaften auftritt, wurde nicht untersucht [59]. Zur Prävention von Beckenbodenproblemen nach Vaginalgeburt existiert kein spezielles Beckenboden-Training, obwohl anzunehmen ist, dass die Ausweitung des Bindegewebes auch durch das Gewicht der Schwangerschaft im Vordergrund der Pathogenese steht. Eine qualifizierte Physiotherapeutin kann durch vaginale Palpation die Therapie anpassen. Während der Schwangerschaft kommt es bei Mehrlings- viel mehr als bei Einlingsgravidität zu einem symptomatischen Descensus mit Druckgefühl und/oder Ziehen in der Leiste. Besteht zusätzlich eine Zervixverkürzung, kann die Applikation eines Cerclage-Pessars neben dem Effekt der Frühgeburtsvermeidung auch Senkungsbeschwerden lindern [60]. Andernfalls wird ein Sieb-Schalenpessar, das eine Passage des Fluors zulässt, oder bei schwerem Deszensus und Senkungen 3. Grades ein perforiertes Keulenpessar indiziert. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geburtsmedizinern, Hebammen, Physiotherapeuten und Urogynäkologen, die später mit den chronischen Symptomen konfrontiert werden, sollte im Interesse der Frauen intensiviert werden.
9.4 Nachuntersuchungen von Mehrlingen und langfristige Register 255
9.4 Nachuntersuchungen von Mehrlingen und langfristige Register Bei Nachuntersuchungen von Mehrlingen kann man verschiedene Fragestellungen unterscheiden. Bei klinisch ausgerichteten Nachuntersuchungen geht es zunächst darum, wie sich Mehrlinge im Vergleich zu Einlingen gleichen Gestationsalters nach Frühgeburt oder nach ART entwickeln. Nur bei Mehrlingen sind Risiken, wie das Outcome nach Tod eines Co-Mehrlings, aber vor allem nach Transfusions-Syndrom, twin-reversed-arterial transfusion (TRAP)-Sequenz oder bei diskrepanten Fehlbildungen relevant, auch um pränatale invasive Behandlungen nicht nur in ihrer Technik per se, sondern in ihrer individuellen und sozialen Bedeutung einschätzen zu können. Last, but not least helfen uns Langzeituntersuchungen über die Lebensspanne von Mehrlingen bei Erkenntnissen zur Ätiologie von Krankheiten; dabei werden MZ und DZ Kohorten verglichen. Auch diesem Thema wollen wir uns kurz widmen, um die Neugier für menschliche Lebenszyklen zu erhalten.
9.4.1 Langzeituntersuchungen von Mehrlingen Eine prospektive populationsbasierte Studie kleiner Frühgeburten mit einem Gestationsalter zwischen 22 und 31+6 Schwangerschaftswochen (SSW) aus 11 europäischen Ländern, die EPICE Studie, verglich auch die Gruppe von Mehrlingen und Einlingen gleichen Gestationsalters. Drillinge stellten 1,1 % dieser Schwangerschaften und 3,3 % (258/7900) der lebend geborenen Frühgeburten der Kohorte dar. Die Mortalität von Mehrlingen vor der Entlassung betrug 12,4 % ohne Unterschiede zwischen Einlingen, Zwillingen oder Drillingen. Obwohl 28,9 % der Eltern mit Drillingen wenigstens ein Kind verloren, war die Sterblichkeit bis zur Entlassung bei Drillingen im Vergleich zu Einlingen oder Zwillingen nicht signifikant verschieden [61]. Dänische Langzeitstudien zeigten, dass zwar sowohl bei Zwillingen als auch bei Einlingen Assoziationen des Geburtsgewichtes zum IQ von Heranwachsenden, aber keine Unterschiede in der Rate von akademischer Ausbildung bestanden [62]. Eine Sekundäranalyse der EPIPAGE-2 Studie untersuchte das 2-Jahres-Outcome von 331 Einlingen und 96 Zwillingen nach vorzeitigem Blasensprung ihrer Mütter zwischen 22 und 25 SSW. Ungefähr 50 % der Kinder wurden innerhalb der ersten Woche nach Diagnose entbunden, insgesamt 51,7 % der Kinder überlebte bis zur Entlassung mit steigenden Raten mit jeder höheren SSW der Entbindung; 38,8 % der Kinder überlebte ohne ernste gesundheitliche Folgen. Auch hier wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen Einlingen oder Zwillingen gefunden [63].
256 9 Ausgewählte Aspekte post partum, Follow-up, Zwillingsregister
9.4.2 Outcome nach vanishing twin/Tod eines Co-Zwillings Entstehen bei der Konzeption 2 Kinder, aber kommt es zu einem früheren Absterben eines Zwillings, spricht man von „vanishing twin“-Syndrom, auf Englisch heißt die Definition: „death of an unrecognized co-twin – a vanishing twin – in early gestation” (s. Kap. 2). Dies wurde erst bekannt, nachdem die Ultraschalldiagnostik bereits im 1. Trimester eingesetzt wurde. Vanishing twin bezieht sich eng gefasst auf einen Zwilling, der nicht mehr sichtbar ist – sonographisch oder postpartal – bei späterem Tod spricht man eher von einem Fetus papyraceus oder einem verstorbenen Zwilling. In einer skandinavischen Studie wurden 642 überlebende Zwillinge mit einem vanishing twin bzw. verstorbenen Co-Zwilling, eingeteilt nach Gestationsalter bei Nachweis des Sistierens der Herztöne des Co-Zwillings in < 8 SSW, 8–22 SSW und > 22 SSW, den Daten von 5237 primären Einlingen und 3678 primären Zwillingen gegenübergestellt. Die Rate von Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht (SGA) war im Vergleich zu ursprünglichen Einlingen erhöht: OR: 1,50; 95 % CI: 1,03–2,20, wobei dies umso ausgeprägter war, je später der Co-Zwillings verstarb (p < 0,02). Das war auch so, wenn der überlebende Zwilling am Termin zur Welt kam: OR: 1,71; 95 % CI: 1,06– 2,74; (p < 0,01) [64]. In einer multiplen Regression blieben die gefundenen vanishing-twin-Raten und das Gestationsalter des Absterbens die einzigen signifikanten Prädiktoren von SGA [64]. In einem systematischen Review, das das Outcome nach verschiedener Konzeption untersuchte, fanden die Autoren, dass auch das Frühgeburtsrisiko des überlebenden Einlings im Vergleich zu einer Schwangerschaft nach spontaner Einlings-Konzeption erhöht war: aOR 1,73; 95 % CI 1,54–1,94 [65]. Bei einer Nachuntersuchung von 23 DC und MC Zwillingspaaren mit intrauterinem Fruchttod im 2. oder 3. Trimester wurde die Schwangerschaft bis mindestens zur vollendeten 28. SSW fortgesetzt; bei MC Zwillingen wurden regelmäßige Ultraschalluntersuchungen und zusätzlich Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT)-Aufnahmen des Gehirns des überlebenden Kindes durchgeführt. Zwei der MC Zwillinge verstarben in utero. Bei den anderen waren pränatal keine zerebralen Auffälligkeiten erkennbar. Lebendgeborene Kinder erhielten ein neurologisches Follow-up. Das mittlere Gestationsalter von MC und DC Zwillingen lag ohne signifikante Unterschiede bei 34,6 bzw. 36 SSW. Das neurologische Outcome war bei allen bis auf einen DC Zwilling mit Verdacht auf perinatale Infektion normal [66]. Es wurde auch vermutet, dass ein „echter“ vanishing twin in der Frühschwangerschaft mit Zerebralparesen des überlebenden Zwillings verbunden sein könnte; in einer ersten Kohortenstudie wurde hierfür ein relatives Risiko von 6,1; 95 % CI 1,5– 8,3 im Vergleich zu spontan entstandenen Einlingen festgestellt. In einer Fallkontrollstudie wurde dies später bei 86 ursprünglichen Zwillingsgraviditäten im Vergleich zu 381 Kontrollfällen untersucht. Dabei wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden. Bei 14/86 Müttern mit vanishing twin wurde eine frühe Blutung erfasst ohne signifikante Unterschiede zu anderen Schwangeren. Die Autoren glau-
9.4 Nachuntersuchungen von Mehrlingen und langfristige Register 257
ben, dass die Evidenz zu gering ist, um Zerebralparesen im Rahmen des Syndroms zu befürchten [67].
9.4.3 Outcome nach Transfusions-Syndrom/Trap Sequenz Das Zwillings-Transfusionssyndrom oder twin-to-twin-transfusion syndrome (TTTS) bei MC Zwillingen ist eine plazentare Erkrankung, deren Folgen je nach Ausprägung der Transfusion und je nach pränataler Behandlung variabel sind (s. Kap. 2). Neben der Überlebensrate stellen die Untersuchungen der Kinder neuerdings auch eine Qualitätskontrolle der pränataler Behandlungsformen dar. Eine Studie aus 2003 untersuchte das Langzeit-Outcome von Zwillingen in Leiden aus den Jahren zwischen 1990 und 1998 vor Einführung der pränatalen LaserTherapie bei TTTS [68]. Von 33 Schwangerschaften mit TTTS entschieden sich 4 Eltern zu einem Abbruch, 18/33 wurden durch Fruchtwasserdrainage und 11/33 gar nicht behandelt, das mittlere Gestationsalter bei Geburt war 28,6 SSW, die perinatale Mortalität betrug 50 % (29/58 Zwillingen); 12/29 der überlebenden Kinder hatten auffällige zerebrale Ultraschallbefunde, die Kinder wurden bis zum mittleren Alter von 6,2 Jahren nachuntersucht. Zerebralparesen traten bei 6/29 (21 %) auf, 4 Kinder verloren ihren Co-Zwilling schon vor der Geburt, davon hatten 2 überlebende Zwillinge eine Zerebralparese. Hinter allen Zahlen stehen Menschenschicksale: 1995 wurde ich mit einer Patientin mit MC Zwillingen und TTTS Stadium IV (Hydrops des Rezeptors/„stuck twin“ des Donors) bei 16 SSW konfrontiert (Abb. 9.1a). Der Rezeptor wies bereits eine extreme Kardiomegalie und reverse flow im Ductus venosus auf. Eine fetoskopische Laserbehandlung der plazentaren Anastomosen war damals nur in London möglich und daher flogen wir mit dem Mut der Verzweiflung gemeinsam innerhalb eines Tages dorthin und wieder zurück. Nach dem Eingriff wurde mit einer transplazentaren Digitalisierung begonnen [69]. Nach Resolution des Hydrops erholten sich Dick (Rezeptor) und Tim (Donor), die Schwangerschaft wurde bis zur 37. SSW fortgesetzt und die
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(b)
(c)
Abb. 9.1: MC Zwillinge Dick und Tim mit TTTS Stadium IV bei 16 SSW 1995 (a) und 10 (b) bzw. 25 Jahre nach fetoskopischer kompletter Laserkoagulation der Plazenta am sogenannten Äquator der Anastomosen, siehe Fallbericht aus 1998 [69].
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Kinder vaginal entbunden. Wir hielten Kontakt bis 2020 (Abb. 9.1b und c). Beide Söhne haben inzwischen eine akademische Ausbildung, nur Dick (ehemaliger Rezeptor) hat noch Nierenfunktionsstörungen. Sollte jemals eine Nierentransplantation zur Debatte stehen, hat er in Rick einen idealen Spender. In Leiden wurden nach Einführung der fetoskopischen Lasertherapie Zwillinge von 82 Schwangerschaften mit TTTS mit 2 Jahren nachuntersucht und dies 2007 publiziert; die Überlebensrate betrug dann 70 % (115/164). Die Inzidenz neuromotorischer Entwicklungsstörungen war auf 17 % (19/115) gesunken, darunter waren 8 Kinder mit Zerebralparese, 9 mit Entwicklungsverzögerung, 9 mit psychomotorischer Retardierung und ein Kind mit Taubheit [70]. Aus demselben Zentrum wurden schließlich 2019 zwei Kohorten nach Laserbehandlung zwischen 2008–2010 und einer Behandlung zwischen 2011 bis 2014 2 Jahre nach der Geburt mit dem Bayley-III Score verglichen [71]. Neurokognitive Störungen wurden nur noch bei 10/169 (6 %) aus der früheren und 7/241 (3 %) der späteren Kohorte überlebender Zwillinge gefunden. Ein niedriges Geburtsgewicht und SGA waren unabhängige Prädiktoren eines eingeschränkten neuromotorischen Outcomes (p < 0,01). Die Kinder hatten bei Geburt in 53 % ein Gestationsalter ≤ 32 SSW und in 59 % keine auffälligen cerebralen Ultraschallbefunde. Dies wurde so interpretiert, dass die neueren Ergebnisse ein Plateau erreicht haben. Die stetig verbesserten Langzeitergebnisse zeigen aber auch die Bedeutung einer Lernkurve eines gesamten Teams – nicht nur eines Fetalchirurgen – und sollten dazu führen, pionierhafte Versuche außerhalb spezialisierter Zentren a priori zu untersagen, zumal es sich um geplante Eingriffe handelt, die postoperativ konsequent nachkontrolliert werden sollten. Eine Mindestzahl von Behandlungen und spezielle Pathophysiologie- und Ultraschallkenntnisse muss vor der Erlaubnis zu solchen Eingriffen gewährleistet sein und wäre andernfalls als „nicht ethisch“ einzustufen. Die wegweisende europäische Studie aus 2004, die bei TTTS Stadium 1–4 eine Laser-Behandlung mit einer Amniodrainage verglich, wurde bei einer Studiengruppe von 142 einer geplanten Interim-Analyse unterzogen. Danach überlebte mindestens ein Zwilling pro Schwangerschaft 4 Wochen post partum in 76 % versus 56 %; RR 0,63; 95 % CI 0,25–0,93; p = 0,009. Überlebende Zwillinge nach Laserbehandlung hatten niedrigere Raten von periventrikulärer Leukomalazie (6 % versus 14 %, p = 0,02) und eine höhere Chance, nach 6 Monaten keine neurologischen Komplikationen zu zeigen: 52 % versus 31 %; p = 0,003. 2020 verglich das Team ein exspektatives Vorgehen mit einer Laser-Behandlung bei Stadium I eines TTTS. Die Studie wurde 7 Jahre nach Einschluss von 117 Schwangerschaften gestoppt. Die Überlebensraten ohne Behinderung betrugen 84/109 (77 %) versus 89/114 (78 %), eine schwere neurologische Behinderung wurde bei 5/ 109 (4,6 %) und 3/114 (2,6 %) (p = 0,49) in der exspektativen versus einer sofortigen Behandlungsgruppe gefunden. Nur 24/58 (41 %) blieben in der exspektativen Gruppe stabil mit einer Rate von 36/44 (86 %) mit intaktem Überleben bei 6 Monaten [72] (s. Kap. 2). Auch dies bedeutet, dass es klüger ist, MC Mehrlinge strikt zu über-
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wachen, keine Notfalleingriffe vorzunehmen und Mütter bei Progression in ein Stadium 2 an ein kompetentes Zentrum zu überweisen. Follow-up Untersuchungen des Donor-Zwillings bei twin reversed atrial perfusion oder TRAP-Sequenz über einen längeren Zeitpunkt sind spärlich und bisher in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Diagnose oder einer pränatalen Behandlung noch nicht publiziert. Bei 6/412 MC Zwillingsgraviditäten wurde eine TRAP-Sequenz diagnostiziert. Die Co-(acardiac)Zwillinge zeigten in 3/6 Fällen einen acardius acephalus, in 2/6 Fällen einen acardius amorphus, und in 1/6 Fällen einen acardius anceps. Bis zum Alter von 6 Monaten überlebten alle früheren Donor-Zwillinge ohne ernsthafte Probleme [73]. Derzeit werden verschiedene pränatale Behandlungen der Kreislaufunterbrechung zu verschiedenen Zeitpunkten der Gravidität untersucht, von diesen Kohorten gibt es noch eine Langzeituntersuchungen.
9.4.4 Konkordante und diskordante Fehlbildungen Die sonographische Diagnose konkordanter und diskordanter Fehlbildungen bei monozygoten (MZ) und dizygoten (DZ) Mehrlingen wurde bereits im Kap. 2 beschrieben. Eine kurze Zusammenfassung der Phänomene hatten wir schon 2020 publiziert [74]. Der traditionelle Disput zwischen den Einflüssen von „nature and nurture“ wurde bereits 1876 von Sir Francis Galton thematisiert. Bei MZ Mehrlingen stellt sich die Frage, warum und wie identische Genome im selben Uterus mit einem unterschiedlichen Phänotypus assoziiert sind. Eine Erklärungsmöglichkeit ist, dass bei MC Plazenta vaskuläre Insulte durch plazentare Anastomosen entstehen können. Daher kommt für die Fehlbildungsraten dem Zeitpunkt des Splittings bei MZ Zwillingen eine große Bedeutung zu. Wenig wissen wir, warum es bei gleicher nachgewiesener genetischer Disposition selbst innerhalb eines Zwillingspaares nur bei einem Kind im frühen oder späten Verlauf zu einer Expression verschiedener Syndrome kommt – wie für das Beckwith-Wiedemann-Syndrom [75,76] oder für die infantile Fibromyomatosis beschrieben [77]. In einer koreanischen Studie wurden 3386 Zwillingspaare prospektiv auf konkordante und diskordante Fehlbildungen untersucht, dabei wurde bei DC gleichgeschlechtlichen Zwillingen postnatal eine DNA-Fingerprint-Untersuchung zur Diagnose der Zygotie durchgeführt. Die Konkordanzrate war bei MZ im Vergleich zu DZ Paaren erhöht mit 37,04 versus 16,77 %, p < 0,001 [78]. Signifikant höhere Raten konkordanter Fehlbildungen wurden bei MZ im Vergleich zu DZ Zwillingspaaren im Bereich des Zentralnervensystems: (40 versus 0 %; p < 0,001), des Gefäßsystems (32,97 versus 19,74 %; P = 0,021), Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (44,4 versus 0,00; p = 0,017) und des Urogenitalsystems (22,2 versus 0,00; p = 0,004) beobachtet, woraus sich Spekulationen über die genetische Ätiologie herleiten lassen. Für die Eltern können sowohl konkordante wie auch diskordante Fehlbildungen im Laufe des weiteren Familienlebens eine hohe Belastung darstellen, das follow-up
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jedes Mehrlings variiert nicht wesentlich von der Entwicklung eines Einlings mit den jeweiligen Fehlbildungen, hängt aber natürlich von der Ausprägung sowie den präbzw. postnatalen Behandlungsmöglichkeiten ab.
9.4.5 Register und Datenbanken Trotz aller Fortschritte der Molekulargenetik sind genetisch sensitive Designs die einzige Möglichkeit, um für eine Palette von Merkmalen Gen- und Umwelteinflüssen zu identifizieren. Mehrlingsregister sind eine wunderbare Quelle für medizinische, psychologische und molekulargenetische Studien und werden zunehmend in verschiedenen Ländern aufgebaut, wobei Forscher verschiedener Datenbanken auch kooperieren können. Neuerdings kann die Zygotie auch mit Hilfe von SNP-Arrays bestimmt werden. Guidelines, wie man solche Datenbanken aufbaut, sind publiziert mit dem Fokus, den Einfluss von Exposition und Erfahrung innerhalb von Familien („shared environment“) und gemeinsamen familiären genetischen Faktoren zu differenzieren [79]. Die ersten größeren Mehrlingsregister wurden in skandinavischen Ländern angelegt, später auch in den Niederlanden, Australien und den USA. Die GenomEUtwin Studie wurde mit 13,7 Millionen Euro unterstützt und untersuchte Europäische Zwillinge aus 8 populationsbasierten Kohorten verschiedener Länder, um genetische Ursachen gemeinsamer Erkrankungen zu erkennen. In Zusammenarbeit mit Kohorten aus anderen Ländern konnten Genom-assoziierte Metaanalysen von verschiedenen mentalen Erkrankungen und Abhängigkeiten (z. B. Cannabis) untersucht werden [80]. Das niederländische Zwillingsregister schloss bis 2019 bereits 120.000 Zwillinge und eine ebenso große Zahl der Verwandten ein. Die Kohorten wurden für DNA-Analysen und klinische Kontrollen verschiedener Erkrankungen genutzt [81]. Das „Collaborative Project of Development of Anthropometrical measures in Twins (CODATwins)“ stellt derzeit die größte internationale Zusammenarbeit dar, um auf individuellem Niveau Daten des Phänotyps (darunter Größe, Gewicht, Nikotinabusus, Erziehung und Geburtsgewicht und deren Konsequenzen) von Zwillingen aus verschiedenen Kohorten und Publikationen zu analysieren. Bis 2019 kooperierten dabei 54 Projektgruppen aus 24 Ländern mit 228 635 Zwillingspaaren [82]. Innerhalb der Beneluxländer stellt auch das Zwillingsregister aus Flandern eine wichtige Datenquelle dar (s. Kap. 5.3) [83,84]. Bei der Untersuchung anthropometrischer Daten wurde bei wachstumsdiskordanten Zwillingen gefunden, dass sich die Diskordanz bis ins Erwachsenenalter fortsetzt, weniger ausgeprägt waren dann die BMI-Differenzen [85]. Weiterhin wurde festgestellt, dass innerhalb eines Zwillingspaares der Zwilling mit dem im Vergleich geringeren Geburtsgewicht, kürzere Ausbildungszeiten in Kauf nahm [85]. Die elterliche Erziehung modifizierte die genetische und epigenetische Komponente des BMI
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von der Kindheit bis ins Alter, wobei die Varianz des BMI bei Eltern mit niedrigem sozialem Status höher war [86]. Dies war am ausgeprägtesten in den USA, nicht existent in Ostasien und unterstreicht, dass das Zusammenspiel zwischen genetischer Prädisposition, kindlicher Umgebung und der Gesellschaft, sozio-ökonomische Unterschiede im BMI bestimmt. Vergleichsweise ist die Southern Illinois Twins/Triplets and Siblings Study (SITSS) in den USA klein. Sie untersuchte in den USA bisher 375 Familien mit Zwillingen, 12 mit Drillingen und eine Familie mit Vierlingen, die mit Geschwistern und Einlingen in jährlichen Intervallen ab dem 1. Lebensjahr verglichen wurden. Dabei wurde beschrieben, welche Interaktionen aggressives oder soziales Verhalten bestimmen, wie Dopamin Rezeptor D4 Gene (DRD4) und die prä- und postnatale Umgebung mitwirken [87]. Kollaborationen verschiedener Teams mit Zwillingskohorten und Assoziationen von Genom und Phänotyp im Vergleich zu getrennter oder geteilter Umgebung haben nicht nur unser Verständnis für die kindliche Entwicklung, sondern auch unsere Kenntnisse und Behandlungsmöglichkeiten einer Fülle von Erkrankungen oder sozioökonomischer oder umweltbedingter Einflussfaktoren erweitern können.
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10 Schlusswort der Autoren In diesem Buch wollten die Autoren auf die komplexen Herausforderungen von Schwangerschaften mit Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen eingehen und dabei nicht nur traditionelle und aktuelle Erkenntnisse aus langjähriger Erfahrung (gemeinsam über 100 Jahre) und der aktuellen Literatur zusammenfassen, sondern auch logistische und medizinische Vorschläge machen, die in der Zukunft die Betreuung von Mehrlingsschwangerschaften verbessern können. Häufig sind Eltern nicht auf eine Schwangerschaft mit Mehrlingen vorbereitet. Aber auch die behandelnden Ärzte stehen vor schwierigen Entscheidungen, die ein multidisziplinäres Vorgehen mit Reproduktionsmedizinern und Neonatologen, aber auch mit Institutionen zur psychosozialen Unterstützung der Eltern erfordern. Daher sind wir dankbar, dass Prof. Bührer, Prof. Kentenich und Repräsentanten des ABC Clubs, die die Eltern vertreten, unser Buch mit einem Vorwort begleiten. Zusätzlich haben wir zu wesentlichen Themen Informationen für die Eltern in Aufklärungsbögen für Laien zusammengefasst, die online für Eltern und Kollegen abrufbar sind: https://multiples.parents-to-be.info. Wir erhoffen uns hierdurch, dass Eltern und ihre behandelnden Ärzte und Hebammen einen ähnlichen Informationsstand erreichen, dass die werdenden Eltern sich vor oder nach ihrem Arztbesuch informieren können und Kollegen hierdurch nicht nur eine Unterstützung erfahren, sondern auch dokumentieren können, dass entsprechende Informationen vermittelt wurden. Demographische Entwicklungen sowie die Behandlung von Eltern mit unerfülltem Kinderwunsch haben die Epidemiologie (Kap. 1) von Schwangerschaften mit Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen verändert. Im ersten Trimester hat die Pränataldiagnostik (Kap. 2) einen wesentlichen Stellenwert, um eine Risikostratifizierung für die weitere Überwachung oder Therapie durchführen zu können. Die Kombination von sonographischen, nicht-invasiven und invasiven Methoden sollte bei dem begleitenden Team in Theorie und Praxis beherrscht werden, um die Eltern mit Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen individuell je nach Situation beraten und begleiten zu können. Nur eine frühe Aufklärung erlaubt es, die Eltern zu beruhigen und zu unterstützen oder aber gemeinsam die Chancen und Risiken weiterer Maßnahmen durchzustehen. Dabei können ethisch komplexe Entscheidungen, wie das Weiterleben eines Kindes auf Kosten seiner Geschwister oder die Unterbrechung der Schwangerschaft für ein ernsthaft erkranktes Kind mit Risiken für das vermeintlich gesunde Kind, erforderlich sein. Nach traditionellen ethischen Grundsätzen haben Eltern dabei das Recht auf autonome Entscheidungen, die jedoch besser getroffen werden können, wenn das Behandlungsteam die Eltern gut zu informiert und empathisch zu begleitet. Mehrlingsschwangerschaften sind durch ein erhöhtes Frühgeburtsrisiko (Kap. 3) charakterisiert. Primäre, sekundäre und tertiäre Maßnahmen werden nach evidenzbasierten Kriterien beschrieben. Eltern sollten zu Beginn der Gravidität über dieses Risiko aufgeklärt werden nicht ohne eine Erklärung, dass eine transvaginale https://doi.org/10.1515/9783110669749-010
268 10 Schlusswort der Autoren
sonographische Diagnostik der Zervix-Struktur früher als bei Einlingsgravidität, d. h. vor der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) empfohlen wird und im Verlauf wiederholt werden sollte. Zur Einleitung von sekundären und tertiären Präventionsmaßnahmen sollten diagnostische Kriterien, die die Maßnahmen indizieren, zuvor definiert werden. Für eine erfolgreiche Behandlung spielt nicht nur die Diagnostik, sondern auch die Aufklärung, Qualität der Betreuung und Erfahrung des medizinischen Personals eine Rolle. International werden sogenannte „preterm birth clinics“ empfohlen. Dies setzt jedoch die Bereitschaft der Kollegen zur Überweisung und eine genügend hohe Patientenzahl aus dem Einzugsgebiet voraus. Auch wenn die anfängliche Situation einer Zervixverkürzung oft symptomlos verläuft und wenig dramatisch erscheint, können die Folgen einer oder gleichzeitiger mehrerer Frühgeburten für die Familie ein lebenslanges Problem darstellen. Daher sollten Schwangere mit Mehrlingen auch in Bezug auf ihr Frühgeburtsrisiko in Kompetenzzentren betreut werden, und das umso früher, je mehr vorbestehende Risiken (z. B. Fertilitätsbehandlung, belastende Anamnese) bekannt sind. Wir haben in diesem Buch in zwei Kapiteln auch zu mütterlichen Problemen während der Schwangerschaft Stellung genommen, da hierzu weder in den Leitlinien für Mehrlingsgravidität noch in den jeweils spezifischen Leitlinien, z. B. zur Adipositas, zu Gestationsdiabetes oder hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft mehrlingsspezifisch eingegangen wird. Bei Zwillingsgravidität sind Untergewicht zu Beginn der Schwangerschaft und eine geringe Gewichtszunahme ein größeres Risiko für eine Frühgeburt und für das Risiko von perinataler Mortalität und Morbidität als Übergewicht und exzessive Gewichtszunahme (Kap. 4); Gestationsdiabetes und hypertone Erkrankungen in der Schwangerschaft (Kap. 5) sind zwar häufiger bei Mehrlings- als bei Einlingsschwangerschaft, haben aber geringere relative Risiken für das mütterliche und kindliche Outcome. Am höchsten sind die Risiken nach künstlicher Befruchtung. Das Hyperstimulationssyndrom ist inzwischen eine selten gewordene Komplikation der Fertilitätsbehandlung, die bei Fortbestehen einer Mehrlingsgravidität besondere Risiken in sich birgt (Kap. 5). Sehr selten ist heutzutage ein Mirror-Syndrom bei Zwillingsgravidität mit fetalem Hydrops (Kap. 5). Durch die defensive Medizin und einen zunehmenden Mangel an Erfahrung oder an strukturiertem verpflichtendem Training, sind detaillierte Kenntnisse einer proaktiven Geburtsleitung während der Vaginalgeburt von Zwillingen oder Drillingen (Kap. 6) verloren gegangen. Dies ist jedoch wichtig, da sich Frauen immer noch am liebsten eine Vaginalgeburt wünschen und eine für Ärzte und Eltern traumatische Erfahrung, wie einer Sectio beim 2. Zwilling und die assoziierten Risiken für Mütter und Kinder, unter allen Umständen vermieden werden sollte. Speziell wenn Manöver wie eine Wendung auf den Fuß und eine ganze Extraktion, aber auch eine Entbindung des 2. Zwillings bei hochstehendem Kopf, nicht zuvor am Modell und in der Realität unter Aufsicht trainiert werden, kommt es zu unnötigen oft sogar iatrogen verursachten Kaiserschnitten beim 2. Zwilling und erhöhten Raten von schwerer Morbidität bei Müttern und dem 2. Zwilling. Daher zeigen wir nicht nur den gegen-
10 Schlusswort der Autoren 269
wärtigen Stand der Empfehlungen für eine Vaginalgeburt durch erfahrene Geburtsmediziner, sondern versuchen durch Skizzen und Text Hilfestellung zu geben, um unnötige Komplikationen während des Geburtsprozesses zu vermeiden. Bei vaginal angestrebtem Geburtsmodus sollte gewährleistet sein, dass erfahrene Geburtsmediziner, Anästhesisten und Neonatologen rund um die Uhr erreichbar sind. Da jedoch trotzdem in einem hohen Prozentsatz eine Sectio als primärer Entbindungsmodus gewählt wird, haben wir auch diesem Thema ein Kapitel (7) gewidmet. Nach einer Vaginalgeburt oder Sectio sollte die Plazenta im Hinblick auf die Eihautverhältnisse und bei spezieller Fragestellung auf Anastomosen untersucht werden. Mehrlingsschwangerschaften haben erhöhte Risiken von Atonie und Thrombosen, darauf wird in Kap. 8 eingegangen. Nach der Geburt entstehen zuvor oft nicht überschaubare erhöhte Belastungen für die Eltern, durch Überarbeitung, Schlafentzug oder Isolation, das Stillen ist erwünscht, aber erschwert und urogynäkologische Folgen von Schwangerschaft und Geburt werden meist tabuisiert oder verschwiegen. Nachuntersuchungen der Kinder sind bis zum Erwachsenenalter erstrebenswert, da sich Folgen zwillingsspezifischer Fehlbildungen, Wachstumsstörungen und Frühgeburtlichkeit im Lauf der Entwicklung in konkordanter oder diskordanter Weise verbessern oder verschlechtern können. Dies wird auch in Mehrlingsregistern dokumentiert. Diese Register sind im Zusammenhang mit modernen genetischen Untersuchungen eine reichhaltige Forschungsquelle, um dem Ursprung vieler Erkrankungen näher zu kommen. All diese Aspekte wurden in Kap. 9 besprochen. Von unseren eigenen Mentoren, Elizabeth Bryan, Louis Keith und Isaac Blickstein mussten wir uns leider zu früh verabschieden, wir werden sie nicht vergessen und sie leben dadurch in unseren Schülern weiter. Ihnen haben wir unser Buch gewidmet, da sie uns Chancen und Freuden, aber auch Sorgen und Herausforderungen von Familien mit Mehrlingen vor, während und nach der Geburt in charismatischer Weise verdeutlicht haben. Hierdurch haben wir erfahren, dass selbst die besten formellen Leitlinien nie eine persönliche Betreuung und Anleitung durch erfahrene, empathische und ermutigende Lehrer ersetzen können. Wir danken Dorit Blickstein, dass sie stellvertretend für ihren Mann ein Nachwort für dieses Buch geschrieben hat. Wir haben uns bemüht, viele evidenzbasierte Studien zu zitieren und deren Ergebnisse zu interpretieren. Allerdings verkennt der blinde Glaube an eine rein evidenzbasierte Medizin, dass in vielen Studien nicht nur heterogene Populationen von Patientinnen untersucht wurden, sondern dass die Erfahrung der Ärzte sowie das Arzt-Patienten-Verhältnis, das die Vertrauensbasis aufbaut, um Therapien erfolgreich durchführen zu können, nicht in diese Studien einfließen. Hierdurch entstehen außerhalb von rein pharmakologischen Studien Diskrepanzen bei der Bewertung von diagnostischen und therapeutischen Interventionen. Um Assistenten und noch lernbereiten Kollegen einen Überblick über Behandlungsstrategien zu geben, werden wir zusätzlich zu den einzelnen Kapiteln auch evidenz- und erfahrungsbasierte Vor-
270 10 Schlusswort der Autoren
schläge ins Internet setzen. Diese können bei neuen Erkenntnissen einfacher als ein Buch angepasst und als Grundlage oder Diskussionsbasis von lokalen SOPs herangezogen werden. Die Begleitung von Schwangeren mit Mehrlingen ist immer eine Herausforderung an die Betreuer, zusätzlich handelt es sich noch häufig um sogenannte Kinderwunsch-Eltern. Für eine Begleitung, die die Eltern in dankbarer Erinnerung behalten, bedarf es nicht nur technischer und theoretischer Kenntnisse, sondern auch Verständnis unabhängig von den eignen Bedürfnissen und eine Einstellung, die die langfristige Gesundheit der Familie vor Augen hat. Die Verantwortung, dabei simultan mindestens drei Patienten zu betreuen, deren Interessen und Aussichten widersprüchlich sein können, fordert uns in vieler Hinsicht heraus. Dies sollte uns aber nie überfordern, wenn wir wachsam und neugierig die wissenschaftliche Literatur verfolgen, unsere Grenzen lieber zu früh als zu spät erkennen und traditionelle Werte wie Mitleid, Selbstvergessenheit und Integrität nicht vergessen. Alle Kollegen, die interdisziplinär arbeiten oder über größere Erfahrung verfügen, sowie soziale familienorientierte Unterstützungsmöglichkeiten sind im Interesse der Familien auf diesem Weg mit einzubeziehen, damit nach einer kontinuierlichen guten Betreuung auch nach der Geburt Eltern nicht überfordert werden, sich gern an die Zeit der Schwangerschaft erinnern und die Kinder ihr genetisches Potenzial im Lauf der Entwicklung entfalten können.
11 Epilog My late husband, Prof Isaac Blickstein, had a great passion in his life – twins. His research, clinical work, academic achievements were always focused on multiple pregnancy, especially twins. He was interested in any aspect of twins-both physical and emotional, including the wellbeing of multiples and their mothers during pregnancy, how and why they were induced, what to do with multiples in utero, in the delivery room, and their special connection in later life. He performed cutting edge research that transformed the manner in which obstetricians approach twins pregnancies. Still, he wanted to write further books on twins in the Bible, in Art- but unfortunately was taken by God to heaven too early. I am sure he is having a good time in heaven being surrounded by twin angels, enjoying their very unique relationship. When Prof Arabin told me about the book she is writing with others on twins, for both obstetricians and information for mothers, I knew it was a dream come true for my late husband wish. His passion for twin research and pregnancy management will be enlightened by the book and let people remember his great influence on the medical world in the issue of twins. Missing him, His wife, Dorit
Abb. 11.1: Twin angels by Giovanni Martini.
https://doi.org/10.1515/9783110669749-011
Stichwortverzeichnis A A/A Anastomosen 236 abdominale Cerclage 100 Acenocumarol 230 Acetylsalycilsäure (ASS, Aspirin®) 29 Adipositas 119 Agitation 226 aktivierte partielle Thromboplastinzeit 227 17-alpha-Hydrohyprogesteroncapronat 99 Amnionband-Sequenz 52 Amniondrainage 48 Amnioreduktion 50 Amniozentese 23 Amniozität 234 Anaerobier 231 Aneuploidie-Screening 18, 20-22, 24 Anomalie 24, 32, 35 – chromosomale 24 – strukturelle 24, 32, 35 Antenatale Kortikosteroide 108 Antike 1 Antikoagulantien 230 artifizielle Reproduktion 227 artifizielle reproduktive Techniken 221 Aufklärung der Eltern 196 Aufklärungsgespräch 184 A/V Anastomosen 236 Azidoserate 173 B Bayley-III Score 258 Beckenbodenproblemen 252 Beckenboden-Training 254 Beckenendlage des 2.Zwillings 178 Beratungs- und Behandlungsstrategien 135 Bipolare Nabelschnurokklusion 38 Blasensprung, frühe und vorzeitige (PPROM) 51 C Cerclage 100 Chimerismus 4 Chorioamnionizität 11-15 – Eihautverhältnisse 11, 13 – Eihautverhältnisse 11-13, 15 – Membrandicke 14
– T-Zeichen 13 Chorionizität 234 Chorionzottenbiopsie 23 CODATwins 260 Conjoined twins 36 D DCTA Drillinge 195 D-Dimere 228 „Declaration of Rights“ für Familien mit Mehrlingen 7 Definition eines erfahrenen Geburtsmediziners 172 Definitionen 121 Delayed interval delivery 186 Dichoriale diamniale Mehrlinge 4 Dizygote Mehrlinge 4 DNA- fingerprint Untersuchung 259 Donor Milch 250 Dorsoinferiore Querlage 210 Dottersack 12 Dyspnoe 226 E Einfluss abweichender Gewichtszunahme 131 Eizellspende\ 160 Embryonenschutzgesetz 246 Empfehlungen zur Gewichtszunahme 120 Endomyometritis 231 Endotheliale Schäden 227 Entbindungsmodus bei Drillingen 194 Enterobakterien 231 Entstehung eines GDM 142 Entwicklung, neurologische 53 Entwicklungsverzögerung 258 EPICE Studie 255 EPICE-Studie 196 EPIPAGE-2 Studie 255 Ersttrimesteruntersuchung 18, 34 Evidenzbasierte Beratung zum Lebensstil 136 Extraktion des 2. Zwillings 178 F Fehlbildung 18, 20, 23-24, 32, 35, 68, 72 Fehlbildungsausschlussdiagnostik 20, 34 Fenster in die Zukunft 243
274 Stichwortverzeichnis
Fetale Makrosomie 145 Folgen übermäßiger Gewichtszunahme 127 Fruchtblase des 2. Zwillings 176 Fruchtwassermenge 20 Frühgeburt 89-90, 92, 94, 107 – Ätiologie 90 – Primäre Prävention 92 – Sekundäre Prävention 94 – Tertiäre Prävention 107 fusionierten Plazenten 234 G GDM bei Drillingsschwangerschaften 144 Geburtseinleitung 183 Geburtszeitpunkt 183 Gen- und Umwelt-Einflüsse 260 geringe Gewichtszunahme 119 Gesamtgefässwiderstand 225 Gestationsdiabetes 141 Gewichtszunahme in Abhängigkeit des Zeitpunktes der Schwangerschaft 133 Größendiskordanz 25 H hämorrhagisches Sputum 226 Harnverhaltung 254 Hellinsche-Regel 193 Herzzeitvolumen 225 Hessische Perinatalerhebung 121, 170 Höchste Risiken von Wachstumsretardierung, Frühgeburt oder perinataler Mortalität 135 Hochstehender Kopf des 2. Zwillings 176 Hochstehender Steiß oder Fußlage des 2.Zwillings 178 Hohe Sectiorate bei Zwillingen 192 höhergradige Mehrlinge 106 Husten 226 Hyperbilirubinämie 145 hyperkoagulatorische Veränderungen 227 Hypertensive disorders of pregnancy\ 149 Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen 149 I Innere Wendung und Extraktion 177 Insertio velamentosa 234 Institute of Medicine (IOM), 120
Instrumentelle vaginal-operative Entbindung 175 intensivmedizinische Behandlung 233 Intensivstation 233 Internationale und nationale Richtlinien 170 Intervall zwischen Geburt des 1. und 2. Zwillings 173 Intubation 206 Inzidenz der Mehrlingsgeburten 6 J Justina Siegemund 169 K Kompressionssonographie 229 Konkordanter und diskordanter Fehlbildungen 259 Kontinuierlichen Begleitung 161 Kontrastvenographie 229 Kurzfristige Risiken 119 L Langes Sitzen während der Schwangerschaft 136 Langzeit-Konsequenzen 119 Laserablation, fetoskopisch 31 Laserablation, fetoskopische 48, 50, 52-53 – Komplikation 50 – maternale Komplikation 52 Laserkoagulation 38, 48, 71 – intrafetal 38, 71 – intrafetale 38 Laser-Therapie 257 Lebenszeit 119 LEFt 228 Lehrmodelle 174 Leitlinien 18, 21-22, 29 – Zwillingsschwangerschaft 18, 21-22, 29 Lernkurve 258 Linksherzinsuffizienz 226 Lungenembolie 226 Lungenreife 108 M Management 18, 32 – Zwillingsschwangerschaft 18, 32 maternal near-miss 233 Maternale Mortalität 156 maternalen Hypoxämie 207
Stichwortverzeichnis 275
MC Drillinge 195 Mehrlingsregister 260 Mehrlingsschwangerschaft 39 – höhergradige 39 – Reduktion 39 Membran 234 Mentale Gesundheit 244 Mikrowellenablation 38, 71 – intrafetale 38 Mirror Syndrom 161 Monochoriale diamniale Mehrlinge 4 Monochoriale monoamniale Mehrlinge 4 Monozygote Mehrlinge 4 Morbidität 226 Mortalität 16, 25, 32, 41, 72-73 – Zwillingsschwangerschaft 16 – Zwillingsschwangerschaft 16, 25, 32, 41, 7273 Mortalitäten 226 mütterliche Herzfrequenz 225 Muttermilch 249 N Nabelschnurinsertion 26 Nabelschnurligatur 38 – fetoskopische 38 Nabelschnurokklusion 71 – bipolare 71 Nabelschnurumschlingung 204 Nabelschnurvorfall 174 Nachuntersuchungen von Mehrlingen 255 Nackentransparenz 24 Narbendehiszenz 215 natürliches Progesteron 99 Neonatale Hypoglykämie 145 Neurologisches Outcome 256 Neuromotorische Entwicklungsstörungen 258 Niedermolekularheparine 230 O ökonomische Belastungen 244 Oraler Glukose-Toleranztest (OGTT) 143 Organdiagnostik 18 Ovarialvenenthrombose 230 ovarielles Hyperstimulationssyndrom 227 P parametrialen Infektion 230 Pathogenese von HDP und PE 150
Periduralanästhesie 172, 178 Perinatale Morbidität 89 Perinatale Mortalität 89, 184 peripartale Hysterektomie 222 Periventrikuläre Leukomalazie 258 Pessar 101 Physische Aktivität 136 Placenta annularis 234 Placenta bipartita 234 Placenta succenturiata 234 Plazenta 233 Plazentainsuffizienz 29 Plazentaretetion 222 Plazentationsstörungen 209 postpartale Lungenödem 225 Präeklampsie 149 Pränatale Kontakte zwischen Mehrlingen 3 Primäre Sectio 208 Progesteron 99 Programmierungsprozesse 134 Prophylaktische Behandlung von HDP 157 Protein-Kreatinin Quotient 154 Prothrombinzeit 227 Psychiatrische Störungen 245 Psychische Belastungen 244 Psychomotorische Retardierung 258 Q Quartilen wöchentlicher Gewichtszunahme 122 Querlage des 2. Zwillings 179 R Radiofrequenzablation 38, 66, 71 – intrafetal 66, 71 – intrafetale 38 Rasselgeräusche 226 Rate von Zwillingsgeburten in Deutschland 170 Raten vaginaler Entbindungen in Europa 190 Reduktion 39 – Mehlingsschwangerschaft 39 Restharnvolumen 254 Risikofaktoren für ein abweichendes mütterliches Gewicht 123 Risikofaktoren für eine Frühgeburt 91 Risiko-stratifizierte Analysen 203
276 Stichwortverzeichnis
S S2e-Leitlinie zur Mehrlingsschwangerschaft 205 Schädellage des 1. Kindes 172 Schwangerschaftsaltersbestimmung 20 Schwangerschaftshypertonie 149 Schwere akute mütterlichen Komplikationen 172 Schwere maternale Morbidität 156 Screening nach dem Risiko eines GDM 143 Sectio des 2. Zwillings 170 Sekundäre Sectio 209 Selective intrauterine growth retardation 236 Senkungsbeschwerden 253 septische pelvine Thromobophlebitis 230 Sesquizygote Zwillinge 4 Siamesische Zwillinge 4 Single transfer 248 Single transfers 193 Sonographische Eihautdiagnostik 181 Soziale Isolation 246 Stilldauer 244 Stillen 249 Streptokokken 231 Stressinkontinenz 252 Studien zum Lebensstil 133 Symptomatischer Descensus 254 T Tachykardie 226 TCTA Drillings-Schwangerschaften 195 Thrombinzeit 227 Thromboembolie 226 Thrombophilie 227 tiefen Beinvenenthrombose 226 Tokolyse 108, 226 TOPS (twin oligohydramnios-polyhydramnios sequence 40 Transfusions-Syndrom, feto-fetales 41, 43, 53, 61 – Akzeptor-Fet 41 – Donor-Fet 41 – Herzfunktion 53 – Stadieneinteilung von Quintero 43 – Twin anemia-polycythemia sequence, TAPS 61 Transperineale Ultraschalluntersuchung 176 Transvaginalsonographie der Uteruswand 214 TRAP- Sequenz 259
Twin anemia-polycythemia sequence 236 Twin anemia-polycythemia sequence (TAPS) 54 Twin Birth Trial 172 Twin reversal arterial perfusion 236 U Übergewicht 119 Überwachung 11, 15-16, 18, 29, 31-32, 72 – Zwillingsschwangerschaft 11, 15-16, 18, 29, 31-32, 72 Ultraschall, 3D-transperinealer 252 Unangenehme Folgen der Lagerung 213 Untergewicht 119 UR-CHOICE 253 V Vaginale Entbindung des 2. Zwillings in Vollnarkose 215 Vaginale Geburt mit 1. Zwilling in Schädellage 174 Vaginalgeburt zweier Schädellagen 175 Vakuum 177 vanishing twin 248, 256 Vanishing twin 248 Vena cava Kompressionssyndrom 206 Verfolgung des Gewichtsverlaufs 137 Virchow‘s Trias 227 Vorzeitige Amniotomie 176 V/V Anastomosen 236 W Wachstum, fetal 29 Wachstumsdiskordanz 30 Wachstumsdiskrepanz 30 Wachstumskontrolle 19 Wachstumskurve 29 Wachstumsrestriktion 11, 15, 21, 25-27, 29-32, 41, 62 – selektive (sFGR) 26, 31-32, 41, 62 Wachstumsrestriktion (FGR) 31 Warfarin 230 Wundheilungsstörung der Uteruswand 214 Z Zeitintervall zwischen der Geburt von 1. und 2. Zwilling 178 Zellfreie DNA 21 Zerebralparese 257-258
Stichwortverzeichnis 277
Zwillinge 36 – siamesische 36 Zwillingsschwangerschaft 11 – dichorial (DC) 11 – monochorial-diamniale (MC DA) 11 – monochorial-monoamniale (MC MA) 11 Zwillingsspezifische Schwellenwerte des OGTT 144
Zwillings-spezifische Wachstumskurven 154 Zwillings-Transfusionssyndrom 257 Zyanose 226 Zygosität 14, 32, 34-35 – dizygot 14 – monozygot 14, 32, 34-35