Viszeralchirurgie und Schwangerschaft 9783110414134, 9783110413625

Surgical interventions during and after pregnancy are a challenge for the general and abdominal surgeon. Which operation

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German Pages 332 Year 2017

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Autorenverzeichnis
Teil I: Allgemeiner Teil
1. Physiologische Veränderungen
1.1 Endokrine Veränderungen
1.2 Kardiovaskuläre Adaptation
1.3 Respiratorische Adaptation
1.4 Renale Adaptation
1.5 Hämostatische Adaptation
1.6 Uterus und Ovarien
1.7 Mammae
1.8 Haut
1.9 Gastrointestinale Veränderungen
1.10 Rücken- und Symphysenschmerzen
2. Pharmakotherapie in der Schwangerschaft
2.1 Einleitung
2.2 Substanzgruppen und Krankheitsbilder
3. Labordiagnostik
3.1 Einleitung
3.2 Schwangerschaftstest
3.3 Vorsorgeuntersuchungen nach den Mutterschaftsrichtlinien
3.4 Blutgruppe und Antikörper
3.5 Laboruntersuchungen innerhalb der Mutterschaftsrichtlinien
3.6 Routinelabor und mögliche Norm-Veränderungen in der Schwangerschaft
3.7 Laborveränderungen im Zusammenhang mit schwangerschaftsspezifischen Erkrankungen
4. Bildgebende Diagnostik
4.1 Einleitung
4.2 Sonografie
4.3 Röntgendiagnostik
4.4 Computertomografie (CT)
4.5 Magnetresonanztomografie (MRT)
4.6 Kontrastmittel
4.7 Nuklearmedizinische Untersuchungen
4.8 Akute Bauchschmerzen: Die Schwangere in der Notaufnahme
4.9 Urolithiasis
4.10 Diagnostik venöser Thrombembolien in der Schwangerschaft
5. Anästhesie
5.1 Einleitung
5.2 Teratogenität und Neurotoxizität
5.3 Anästhesierelevante Veränderungen in der Schwangerschaft
5.4 Behandlung einer perioperativen Hypotonie
5.5 Weitere Aspekte
5.6 Fazit
6. Perioperative Maßnahmen
6.1 Allgemeines
6.2 Präoperative Maßnahmen
6.3 Perioperative Prophylaxen
6.4 Postoperative Maßnahmen
6.5 Vorgehen bei Herz-Kreislauf-Stillstand
7. Zugangswege, Laparoskopie und spezielle gynäkologische Eingriffe
7.1 Einleitung
7.2 Operationstechnische Aspekte
7.3 Postoperative Komplikationen
7.4 Vergleich der Zugangswege
7.5 Nicht-geburtshilfliche gynäkologische OP-Indikationen
Teil II: Spezielle Operative Verfahren
8. Akutes Abdomen
8.1 Einleitung
8.2 Ätiologie und Dringlichkeit
8.3 Symptomatik
8.4 Diagnostik
8.5 Differenzialdiagnostik und einzelne Krankheitsbilder
8.6 Operative Exploration bei akutem Abdomen
8.7 Wund- und Anastomosenheilung
8.8 Enterostomata
9. Appendizitis in der Schwangerschaft
9.1 Pathophysiologie und Epidemiologie
9.2 Klinisches Bild und Befund
9.3 Diagnostik
9.4 Differenzialdiagnose
9.5 Indikationsstellung zur Appendektomie
9.6 Therapeutisches Vorgehen
9.7 Operativer Zugang
9.8 Postoperative Komplikationen
9.9 Studien zum Vergleich Laparotomie versus offene Laparoskopie
10. Cholelithiasis
10.1 Einleitung
10.2 Epidemiologie und Risikofaktoren
10.3 Pathophysiologie
10.4 Cholezystolithiasis und akute Cholezystitis
10.5 Choledocholithiasis und Cholangitis
10.6 Akute biliäre Pankreatitis
11. Erkrankungen der Bauchwand
11.1 Anatomie und Physiologie
11.2 Intraabdomineller Druck
11.3 Schwangerschafts-assoziierte Schmerzen
11.4 Hernien
11.5 Varikosis des Ligamentum rotundum
11.6 Probleme nach Sectio
11.7 Rektusdiastase
11.8 Schwangerschaft nach abdominellen Voroperationen
12. Proktologie und Beckenboden
12.1 Einleitung
12.2 Pathophysiologische Veränderungen in der Schwangerschaft
12.3 Proktologische Krankheitsbilder
12.4 Beckenboden und Kontinenz
13. Adipositaschirurgie
13.1 Fertilität
13.2 Schwangerschaft, Geburt und neonatale Komplikationen
13.3 Die Epigenetik der Adipositas
13.4 Die Schwangerschaft nach dem adipositaschirurgischen Eingriff
13.5 Sectio caesarea
13.6 Adipositaschirurgische Komplikationen während der Schwangerschaft
14. Operative Therapie von entzündlichen Darmerkrankungen
14.1 Einleitung
14.2 Chirurgische Therapie
14.3 Zusammenfassung
15. Operative Therapie von Lebererkrankungen
15.1 Einleitung
15.2 Hämangiom
15.3 Fokale noduläre Hyperplasie
15.4 Leberzelladenom
15.5 Pyogener Leberabszess
15.6 Echinokokkuszysten
15.7 Spontane Leberruptur beim HELLP-Syndrom
15.8 Hepatozelluläres Karzinom (HCC)
15.9 Zusammenfassung
16. Traumatologie
16.1 Einleitung
16.2 Versorgung von Mono- und Extremitätenverletzungen
16.3 Stumpfes Bauchtrauma
16.4 Polytrauma
16.5 Antenatale Steroidtherapie
16.6 Perimortale Sectio oder Notsectio
16.7 Schwangerschaft nach Beckenosteosynthese und Skoliosetherapie
17. Geburtshilfliche Notfälle mit Bezug zur Viszeralchirugie
17.1 Geburtshilfliche Notfälle
17.2 HELLP
17.3 Plazentations-Pathologien
17.4 Uterusperforation
17.5 Geburtsverletzungen
18. Solide Tumoren
18.1 Einleitung
18.2 Schwangerschafts-assoziiertes Mammakarzinom
18.3 Schwangerschafts-assoziierte Hirntumore
18.4 Klinisches Erscheinungsbild
18.5 Zervixkarzinom
18.6 Adnextumore
18.7 Malignes Melanom
18.8 Lymphome
18.9 Kolorektales Karzinom
Stichwortverzeichnis
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Viszeralchirurgie und Schwangerschaft
 9783110414134, 9783110413625

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Martin Wolff, Walther Kuhn (Hrsg.) Viszeralchirurgie und Schwangerschaft

Viszeralchirurgie und Schwangerschaft | einschließlich Onkologie und Traumatologie Herausgegeben von Martin Wolff und Walther Kuhn

Herausgeber Prof. Dr. med. Martin Wolff St. Nikolaus-Stiftshospital GmbH Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie Ernestus-Platz 1 56626 Andernach E-Mail: [email protected] Prof. Dr. med. Walther Kuhn Universitätsfrauenklinik Bonn Sigmund-Freud-Str. 25 53127 Bonn E-Mail: [email protected]

ISBN 978-3-11-041362-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041413-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041425-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen mit den Autoren große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe der Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlaggestaltung: 8213erika/iStock/Thinkstock Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort In diesem Buch wird der Versuch unternommen, die Behandlung chirurgischer Pro­ bleme vor, während und nach einer Schwangerschaft zusammenfassend darzustel­ len. Es ist somit interdisziplinär und wurde von und für Chirurgen und Gynäkologen geschrieben. In nahezu jeder Schwangerschaft treten abdominelle Beschwerden auf, die sich mit gleichartigen Symptomen chirurgischer Krankheitsbilder überlagern können: Schmerzen im Bauch und Beckenbereich, Übelkeit, Erbrechen und Störungen der Darmmotilität. Die Präsentation chirurgischer Krankheitsbilder kann andererseits in der Schwangerschaft verändert sein, so dass die Diagnostik schwierig und häufig nicht eindeutig ist. Die heutige Medizin ist durch zunehmende Komplexität, Spezialisierung und die hierdurch bedingte Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit geprägt. In den wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Weiterbildungs­ ordnungen wird in Analogie zu den Zünften und Gilden des Mittelalters häufig die Ab­ grenzung gegenüber anderen Fachgebieten betont, in der täglichen Praxis und auch in Leitlinien ist dagegen heute ein fachübergreifender Ansatz gefragt, da sich viele Krankheitsbilder nicht an berufsständig festgelegte Grenzen halten. Die Abgrenzung der Medizinischen Fachgebiete hat sich im Wesentlichen zwi­ schen 1750 und 1880 vollzogen und seitdem kaum geändert. Diese haben einen inhalt­ lichen, oft organbezogenen Kern, der pragmatische und methodische Aspekte enthält, sie sind aber auch soziale Konstrukte, die gemeinschaftsbildend und identitätsstif­ tend wirken. Beides führt zur Abgrenzung gegenüber anderen Fächern, aber zwangs­ läufig auch zur Begrenzung des Wissens und der Handlungsmöglichkeiten. Hierbei war das Verhältnis der Chirurgie zur Gynäkologie und Geburtshilfe in den letzten 150 Jahren wechselhaft und nicht immer frei von Spannungen. Bis in das 18. Jahrhundert hinein war die Geburtshilfe („Hebammenkunst“) eine Frauensache, die Chirurgie („Wundärzte“) dagegen in männlicher Hand, beiden ge­ meinsam war die Außenseiterrolle an den Medizinischen Fakultäten. Komplikationen während der Schwangerschaft und im Wochenbett wurden als schicksalshaft hingenommen. Ärzte, die oft mehr theoretische Kenntnisse als prakti­ sche Erfahrung hatten, wurden nur im Notfall hinzugezogen und prägten das negative Bild der ärztlichen Geburtshilfe bis in unsere Zeit. Wenn Sie zu helfen versuchten, war es oft zu spät und die Ergebnisse ihrer Bemühungen ungünstig. Im Jahr 1751 erhielt J. G. Roederer (1726–1763) als 25-Jähriger die Leitung des Göttin­ ger „Accouchierhauses“ und 1754 auf Vermittlung von Albrecht von Haller einen Lehr­ stuhl für Anatomie und Chirurgie. Er vertrat die Auffassung, dass die „ars obstetricia“ einer wissenschaftlichen Fundierung bedürfe und die Leitung nach damaliger Mei­ nung Sache von Männern sein sollte. In der Folge wurden staatliche Geburtshäuser gegründet und es fand zunehmend eine Ausbildung der Medizinstudenten in Geburts­

VI | Vorwort

hilfe statt. Im 19. Jahrhundert waren Chirurgie sowie Gynäkologie und Geburtshilfe an den meisten deutschprachigen Universitäten noch in gemeinsamen Lehrstühlen ver­ eint. Theodor Billroth (1829–1894), Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Chir­ urgie von 1872, hatte als Chirurg noch ein großes dreibändiges „Handbuch der Frau­ enkrankheiten“ (1877–1882) herausgegeben, empfahl aber bereits 1876, dass die ope­ rative Gynäkologie zur Stärkung der Geburtshilfe als eigenes Fach von der Chirurgie abgespalten werden sollte. 1885 wurde dann als „schwere Geburt“ die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie gegründet, bei deren ersten Kongressen ab 1886 standen fast ausschließlich geburts­ hilfliche Themen auf dem Programm. Wichtige Fortschritte der operativen Medizin gingen von Gynäkologen und Ge­ burtshelfern aus. Am Bedeutsamsten war sicher die Entdeckung der Infektionsüber­ tragung und Effektivität von Hygienemaßnahmen durch Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865) in Wien, beschrieben 1861 in seinem Buch „Aetiologie, Begriff und Pro­ phylaxis des Kindbettfiebers“. Später erfolgte die Entwicklung von Techniken für mi­ nimal-invasive abdominelle Eingriffe maßgeblich durch den Gynäkologen Kurt Semm (1927–2003) in Kiel, der 1980 die erste laparoskopische Appendektomie durchführte. Die Akzeptanz dieser bahnbrechenden Entwicklungen war gleichermaßen mühselig: beiden wurde von einigen zeitgenössischen Chirurgie-Ordinarien geistige Verwirrung unterstellt. Die Frage, ob die Subspezialisierungen Gynäkologie und Geburtshilfe in einer Kli­ nik gemeinsam, getrennt voneinander oder im Rahmen eines Department-Systems aufgestellt sein sollten, wird in der Fachgesellschaft intensiv diskutiert, hierbei trägt das Department-System der Spezialisierung der Disziplinen angemessen Rechnung, ohne die medizinisch begründete Notwendigkeit der Einheit des Faches Gynäkolo­ gie und Geburtshilfe aufzugeben. Die Beratung und Behandlung bei viszeralchirur­ gischen Krankheitsbildern während oder nach einer Schwangerschaft ist häufig von Unsicherheit geprägt: aus der Schwangeren, die eine veränderte Physiologie aufweist, aber per se nicht krank ist, wird eine Patientin. Die Erfahrungen und Kenntnisse eines operativ tätigen Gynäkologen sind bei der Betreuung von Schwangeren mit chirurgi­ schen Krankheitsbildern von großem Vorteil, hierbei findet die chirurgische Mitbe­ treuung im allgemeinen auf konsiliarischem Wege statt. Die Probleme sind sehr indi­ viduell, erfordern klinische Erfahrung und es gibt wenig wissenschaftliche Evidenz. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Viszeralchirurg und Gynäkologen ist gefor­ dert bei 1. Krankheiten, die während der Schwangerschaft auftreten: Appendizitis, Chole­ cystitis, Bauchwandbrüche, proktologische Probleme 2. Krankheiten, die vorbestehen und deren Verlauf sich durch die Schwangerschaft verändert: z. B. M. Crohn, Lebertumoren, Gastroösophageale Refluxerkrankung, morbide Adipositas

Vorwort

3.

|

VII

Folgeerscheinungen der Schwangerschaft, besonders mit Auswirkung auf weite­ re Schwangerschaften: Beckenbodeninsuffizienz, Inkontinenz, Bauchwand-Her­ nien

Die interdisziplinäre Kooperation von Visceralchirurg und Gynäkologe ist Schwer­ punkt des vorliegenden Buches, darüber hinaus werden die in der täglichen Praxis nicht selten auftretenden Probleme der Traumatologie sowie der Onkologie in der Schwangerschaft mit der Notwendigkeit chirurgischer Vorgehensweise dargestellt. Das Buch wendet sich an Gynäkologen und Geburtshelfer einerseits, Allgemeinund Viszeralchirurgen andererseits, aber auch an Hebammen. Aufgrund der verhält­ nismäßig geringen Evidenz aus prospektiven Studien können zu der Mehrzahl der Themen keine standardisierten Behandlungspfade angeboten werden, sondern vor­ handenes Wissen und Erfahrungen werden zusammengetragen. Die Basis für die Entstehung des Buches war die eigene Erfahrung einer guten, ver­ trauensvollen Zusammenarbeit über viele Jahre zwischen Gynäkologie und Geburts­ hilfe sowie Viszeralchirurgie unter dem Grundsatz, dass eine optimale Patientenbe­ treuung durch die Verbindung von Spezialisierung und Kooperation möglich ist. Wir danken den Autoren, die ihre Beiträge aus der Praxis heraus, aber auch neben einer Vielzahl anderer Aufgaben erstellt haben. Besonderer Dank gebührt dem Verlag, der das Buch ermöglicht hat und insbesondere den Lektorinnen Frau Dr. B. Noto und Frau Dr. L. Vieweg für Ihre hervorragende, redaktionelle Arbeit sowie Frau B. Dreier aus der Universitätsfrauenklinik Bonn für ihre intensive Mitarbeit bei der endgültigen Erstellung der Manuskripte. Bonn, im Januar 2017 Prof. Dr. M. Wolff

Prof. Dr. W. Kuhn

Inhalt Vorwort | V Autorenverzeichnis | XIV

Teil I: Allgemeiner Teil Ulrich Gembruch 1 Physiologische Veränderungen | 3 1.1 Endokrine Veränderungen | 4 1.2 Kardiovaskuläre Adaptation | 8 1.3 Respiratorische Adaptation | 17 1.4 Renale Adaptation | 19 1.5 Hämostatische Adaptation | 21 1.6 Uterus und Ovarien | 23 1.7 Mammae | 24 1.8 Haut | 25 1.9 Gastrointestinale Veränderungen | 25 1.10 Rücken- und Symphysenschmerzen | 27 Waltraut M. Merz 2 Pharmakotherapie in der Schwangerschaft | 30 2.1 Einleitung | 30 2.2 Substanzgruppen und Krankheitsbilder | 34 Marek Zygmunt 3 Labordiagnostik | 44 3.1 Einleitung | 44 3.2 Schwangerschaftstest | 44 3.3 Vorsorgeuntersuchungen nach den Mutterschaftsrichtlinien | 45 3.4 Blutgruppe und Antikörper | 45 3.5 Laboruntersuchungen innerhalb der Mutterschaftsrichtlinien | 45 3.6 Routinelabor und mögliche Norm-Veränderungen in der Schwangerschaft | 46 3.7 Laborveränderungen im Zusammenhang mit schwangerschaftsspezifischen Erkrankungen | 51

X | Inhalt

Marek Zygmunt 4 Bildgebende Diagnostik | 53 4.1 Einleitung | 53 4.2 Sonografie | 54 4.3 Röntgendiagnostik | 57 4.4 Computertomografie (CT) | 59 4.5 Magnetresonanztomografie (MRT) | 59 4.6 Kontrastmittel | 61 4.7 Nuklearmedizinische Untersuchungen | 61 4.8 Akute Bauchschmerzen: Die Schwangere in der Notaufnahme | 62 4.9 Urolithiasis | 63 4.10 Diagnostik venöser Thrombembolien in der Schwangerschaft | 63 Nicholas Kiefer 5 Anästhesie | 67 5.1 Einleitung | 67 5.2 Teratogenität und Neurotoxizität | 67 5.3 Anästhesierelevante Veränderungen in der Schwangerschaft | 72 5.4 Behandlung einer perioperativen Hypotonie | 78 5.5 Weitere Aspekte | 79 5.6 Fazit | 81 Agnes Voit, Peter Richter und Dieter Grab 6 Perioperative Maßnahmen | 85 6.1 Allgemeines | 85 6.2 Präoperative Maßnahmen | 86 6.3 Perioperative Prophylaxen | 90 6.4 Postoperative Maßnahmen | 93 6.5 Vorgehen bei Herz-Kreislauf-Stillstand | 101 Ingolf Juhasz-Böss und Erich-Franz Solomayer 7 Zugangswege, Laparoskopie und spezielle gynäkologische Eingriffe | 105 7.1 Einleitung | 105 7.2 Operationstechnische Aspekte | 106 7.3 Postoperative Komplikationen | 110 7.4 Vergleich der Zugangswege | 112 7.5 Nicht-geburtshilfliche gynäkologische OP-Indikationen | 113

Inhalt | XI

Teil II: Spezielle Operative Verfahren Kia Homayounfar und Michael Ghadimi 8 Akutes Abdomen | 123 8.1 Einleitung | 123 8.2 Ätiologie und Dringlichkeit | 125 8.3 Symptomatik | 128 8.4 Diagnostik | 129 8.5 Differenzialdiagnostik und einzelne Krankheitsbilder | 130 8.6 Operative Exploration bei akutem Abdomen | 134 8.7 Wund- und Anastomosenheilung | 136 8.8 Enterostomata | 137 Claudia Benecke und Martin Strik 9 Appendizitis in der Schwangerschaft | 141 9.1 Pathophysiologie und Epidemiologie | 141 9.2 Klinisches Bild und Befund | 141 9.3 Diagnostik | 142 9.4 Differenzialdiagnose | 144 9.5 Indikationsstellung zur Appendektomie | 145 9.6 Therapeutisches Vorgehen | 146 9.7 Operativer Zugang | 147 9.8 Postoperative Komplikationen | 148 9.9 Studien zum Vergleich Laparotomie versus offene Laparoskopie | 149 Nico Schäfer 10 Cholelithiasis | 153 10.1 Einleitung | 153 10.2 Epidemiologie und Risikofaktoren | 153 10.3 Pathophysiologie | 155 10.4 Cholezystolithiasis und akute Cholezystitis | 155 10.5 Choledocholithiasis und Cholangitis | 160 10.6 Akute biliäre Pankreatitis | 161 Martin Wolff 11 Erkrankungen der Bauchwand | 169 11.1 Anatomie und Physiologie | 169 11.2 Intraabdomineller Druck | 171 11.3 Schwangerschafts-assoziierte Schmerzen | 172 11.4 Hernien | 173 11.5 Varikosis des Ligamentum rotundum | 176 11.6 Probleme nach Sectio | 177

XII | Inhalt

11.7 11.8

Rektusdiastase | 179 Schwangerschaft nach abdominellen Voroperationen | 182

Dimitrios Pantelis 12 Proktologie und Beckenboden | 185 12.1 Einleitung | 185 12.2 Pathophysiologische Veränderungen in der Schwangerschaft | 187 12.3 Proktologische Krankheitsbilder | 188 12.4 Beckenboden und Kontinenz | 194 Sonja Chiappetta, Christine Stier, Hans-Christian Kolberg und Rudolf Weiner 13 Adipositaschirurgie | 198 13.1 Fertilität | 200 13.2 Schwangerschaft, Geburt und neonatale Komplikationen | 200 13.3 Die Epigenetik der Adipositas | 201 13.4 Die Schwangerschaft nach dem adipositaschirurgischen Eingriff | 202 13.5 Sectio caesarea | 204 13.6 Adipositaschirurgische Komplikationen während der Schwangerschaft | 205 Peter Kienle und Julia Hardt 14 Operative Therapie von entzündlichen Darmerkrankungen | 213 14.1 Einleitung | 213 14.2 Chirurgische Therapie | 216 14.3 Zusammenfassung | 225 Sebastian Lünse und Claus Dieter Heidecke 15 Operative Therapie von Lebererkrankungen | 229 15.1 Einleitung | 229 15.2 Hämangiom | 231 15.3 Fokale noduläre Hyperplasie | 233 15.4 Leberzelladenom | 234 15.5 Pyogener Leberabszess | 235 15.6 Echinokokkuszysten | 236 15.7 Spontane Leberruptur beim HELLP-Syndrom | 238 15.8 Hepatozelluläres Karzinom (HCC) | 240 15.9 Zusammenfassung | 241

Inhalt |

Stefan Täger, Koroush Kabir und Christof Burger 16 Traumatologie | 244 16.1 Einleitung | 244 16.2 Versorgung von Mono- und Extremitätenverletzungen | 244 16.3 Stumpfes Bauchtrauma | 247 16.4 Polytrauma | 251 16.5 Antenatale Steroidtherapie | 254 16.6 Perimortale Sectio oder Notsectio | 255 16.7 Schwangerschaft nach Beckenosteosynthese und Skoliosetherapie | 256 Mignon-Denise Keyver-Paik und Walther Kuhn 17 Geburtshilfliche Notfälle mit Bezug zur Viszeralchirugie | 261 17.1 Geburtshilfliche Notfälle | 261 17.2 HELLP | 261 17.3 Plazentations-Pathologien | 266 17.4 Uterusperforation | 271 17.5 Geburtsverletzungen | 277 Christina Kaiser 18 Solide Tumoren | 287 18.1 Einleitung | 287 18.2 Schwangerschafts-assoziiertes Mammakarzinom | 288 18.3 Schwangerschafts-assoziierte Hirntumore | 293 18.4 Klinisches Erscheinungsbild | 293 18.5 Zervixkarzinom | 294 18.6 Adnextumore | 298 18.7 Malignes Melanom | 301 18.8 Lymphome | 303 18.9 Kolorektales Karzinom | 304 Stichwortverzeichnis | 309

XIII

Autorenverzeichnis Kapitel 1 Prof. Dr. Ulrich Gembruch Universitätsfrauenklinik Bonn Abteilung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

Prof. Dr. Dieter Grab Städtisches Klinikum München Klinikum Harlaching Sanatoriumspl. 2, 81545 München, Deutschland [email protected]

Kapitel 7 Kapitel 2 PD Dr. Waltraut Merz Universitätsfrauenklinik Bonn Abteilung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

Kapitel 3 und 4 Prof. Dr. Marek Zygmunt Universitätsmedizin Greifswald Klinik Frauenheilkunde/Geburtshilfe Ferdinand-Sauerbruch-Straße 1, 17487 Greifswald [email protected]

Kapitel 5 Dr. Nicholas Kiefer Universitätsklinikum Bonn Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

Kapitel 6 Dr. Agnes Voit Städtisches Klinikum München GmbH Klinik für Anästhesiologie Operative Intensivmedizin und Schmerztherapie des Klinikums Neuperlach Oskar-Maria-Graf-Ring 51, 81737 München [email protected] Dr. Hans Peter Richter Klinik für Anästhesiologie Operative Intensivmedizin und Schmerztherapie des Klinikums Neuperlach Oskar-Maria-Graf-Ring 51, 81737 München [email protected]

Prof. Dr. Erich Solomayer Universitätsklinikum des Saarlandes Klinik für Frauenheilkunde, Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin Kirrbergerstr. 100, 66421 Homburg/Saar [email protected] PD Dr. Ingolf Juhasz-Böss Universitätsklinikum des Saarlandes Klinik für Frauenheilkunde, Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin Kirrbergerstr. 100, 66421 Homburg/Saar [email protected]

Kapitel 8 Prof. Dr. Michael Ghadimi Universitätsmedizin Göttingen Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen [email protected] PD Dr. Kia Homayounfar Universitätsmedizin Göttingen Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen [email protected]

Kapitel 9 Prof. Dr. Martin Strik HELIOS Klinikum Berlin-Buch Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Onkologische Chirurgie, Leiter des Darmkrebszentrums Schwanebecker Chaussee 50, 13125 Berlin [email protected]

Autorenverzeichnis

| XV

Dr. Claudia Benecke HELIOS Klinikum Berlin-Buch Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Onkologische Chirurgie Schwanebecker Chaussee 50, 13125 Berlin [email protected]

Dr. Christine Stier Sana Klinikum Offenbach Klinik für Adipositas Chirurgie und Metabolische Chirurgie Starkenburgring 66, 63069 Offenbach [email protected]

Kapitel 10

Prof. Dr. Rudolf Weiner Sana Klinikum Offenbach Klinik für Adipositas Chirurgie und Metabolische Chirurgie Starkenburgring 66, 63069 Offenbach [email protected]

Prof. Dr. Nico Schäfer Universitätsklinikum Bonn AöR Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

Kapitel 11 Prof. Dr. med. Martin Wolff St. Nikolaus-Stiftshospital GmbH Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie Ernestus-Platz 1, 56626 Andernach [email protected]

Kapitel 12 PD Dr. Dimitrios Pantelis Universitätsklinikum Bonn AöR Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

Kapitel 13 Dr. Sonja Chiappetta Sana Klinikum Offenbach Klinik für Adipositas Chirurgie und Metabolische Chirurgie Starkenburgring 66, 63069 Offenbach [email protected] Dr. Hans-Christian Kolberg Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe Marienhospital Bottrop Josef-Albers-Straße 70, 46236 Bottrop [email protected]

Kapitel 14 Prof. Dr. Peter Kienle Universitätsmedizin Mannheim Chirurgische Klinik Theodor-Kutzer-Ufer 1–3, 68167 Mannheim [email protected] Dr. Julia Hardt Universitätsmedizin Mannheim Chirurgische Klinik Theodor-Kutzer-Ufer 1–3, 68167 Mannheim [email protected]

Kapitel 15 Prof. Dr. Claus Dieter Heidecke Universität Greifswald Klinik und Poliklinik für Chirurgie, Abteilung für Allgemeine Chriurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie Ferdinand-Sauerbruch-Straße 1, 17487 Greifswald [email protected] Dr. Sebastian Lünse Universität Greifswald Klinik und Poliklinik für Chirurgie, Abteilung für Allgemeine Chriurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie Ferdinand-Sauerbruch-Straße 1, 17487 Greifswald [email protected]

XVI | Autorenverzeichnis

Kapitel 16

Kapitel 17

Prof. Dr. Christoph Burger Universitätsklinikum Bonn Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Überregionales Traumazentrum, Unfall-, Hand- und Plastisch-Rekonstruktive Chirurgie Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

Dr. Mignon-Denise Keyver-Paik Universitätsfrauenklinik Bonn Abteilung für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

Dr. Stefan Täger Universitätsklinikum Bonn Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Überregionales Traumazentrum, Unfall-, Hand- und Plastisch-Rekonstruktive Chirurgie Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected] Dr. Koroush Kabir Universitätsklinikum Bonn Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Überregionales Traumazentrum, Unfall-, Hand- und Plastisch-Rekonstruktive Chirurgie Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

Prof. Dr. Walther Kuhn Universitätsfrauenklinik Bonn Abteilung für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

Kapitel 18 Dr. Christina Kaiser Universitätsfrauenklinik Bonn Abteilung für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie Sigmund-Freud-Str.25, 53127 Bonn [email protected]

| Teil I: Allgemeiner Teil

Ulrich Gembruch

1 Physiologische Veränderungen Die maternale Adaptation an die Schwangerschaft geht mit einer Vielzahl von Verän­ derungen einher, die direkt oder indirekt alle Organsysteme betreffen. Für viele Or­ gane stellen diese Veränderungen eine starke Belastung dar und können bereits be­ stehende Erkrankungen verstärken oder demaskieren. Diese Veränderungen gelten als „physiologisch“ bzw. „schwangerschaftstypisch“, auch wenn sie außerhalb der Schwangerschaft als krankhaft anzusehen sind und ihr Auftreten in der Schwanger­ schaft gelegentlich Symptom einer Erkrankung sein kann. Daher ist die Kenntnis die­ ser Veränderungen bei der Beurteilung auch nicht-gynäkologischer Krankheitsbilder in der Schwangerschaft wichtig.

Maternaler Stoffwechsel Während der Schwangerschaft kommt es zu tiefgreifenden metabolischen Verände­ rungen, um das fetale Wachstum zu gewährleisten und möglichst effizient mit den eigenen Ressourcen zu verfahren. In der Frühschwangerschaft ist der maternale Stoff­ wechsel überwiegend anabol, während er in der Spätschwangerschaft zunehmend katabol wird, da die aufgenommenen Nährstoffe vermehrt direkt zum Feten gelan­ gen. Insgesamt werden – individuell sehr unterschiedlich – etwa 80.000 kcal zusätz­ licher Energie für die Schwangerschaft erforderlich, die Hälfte für den Aufbau der mütterlichen Fettspeicher, insbesondere in der frühen Schwangerschaft. In der Spät­ schwangerschaft ist der Grundumsatz etwa 20–25% höher als außerhalb der Schwan­ gerschaft. Der Anteil, der für den Feten benötigt wird, nimmt mit fortschreitender Schwangerschaft stetig zu: an Terminnähe sind es etwa 250 kcal/Tag. Weniger als 10% der für die Schwangerschaft erforderlichen Energie gelangen allerdings an den Fe­ ten [1, 2]. Die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft liegt im Mittel zwischen 11 kg und 13 kg. Bei 12 kg Gewichtszunahme sind dies täglich 17 g im ersten, 60 g im zweiten und 54 g im 3. Trimester. Das Wachstum von Uterus und Mammae, Zunahme von Blutvolumen und extravaskulärer Flüssigkeit einerseits sowie von Fet, Frucht­ wasser und Plazenta andererseits sind hierfür verantwortlich, im geringen Ausmaß auch eine Anreicherung von etwa 3,5 kg Fett und von Proteinen. Unmittelbar post­ partal kommt es zum stärksten Gewichtsverlust von etwa 5 kg, in den folgenden 2 Wochen von etwa 4 kg, in den nächsten 6 Monaten um weitere 2,5 kg. Im Allgemeinen kommt es infolge einer Schwangerschaft zu einer bleibenden Gewichtszunahme von etwa 1,5 kg [2].

DOI 9783110414134-001

4 | 1 Physiologische Veränderungen

Glukose ist das wichtigste Substrat des Feten. Durch eine starke Abnahme der ma­ ternalen Insulinsensitivität um bis zu 70% im 3. Trimester metabolisiert der mütter­ liche Körper besonders in Muskel und Leber weniger Glukose, sodass diese über die Plazenta zum Feten gelangt. Die maternale Glukoneogenese in der Leber ist infolge der Insulinresistenz um 30% erhöht, dennoch sinkt bei leicht höherem basalen Insulin­ spiegel die maternale Nüchternblutzuckerkonzentration durch den fetalen Verbrauch um etwa 10% ab. Postprandial kommt es zu einer längeren Hyperglykämie und einer stärkeren Hyperinsulinämie bei gleichzeitig vermehrter Suppression von Glukagon. Der maternale Insulinspiegel verdoppelt sich in der zweiten Hälfte der Schwanger­ schaft, im Pankreas kommt es zur Hypertrophie und Hyperplasie der Insulin sezer­ nierenden β-Zellen. Die Ursachen der Insulinresistenz sind nicht exakt geklärt: Pro­ gesteron, Östrogen, humanes Plazentalaktogen (hPL) sowie erhöhte Konzentrationen freier Fettsäuren scheinen dies zu bewirken [1–3]. Im Fettgewebe führt die Insulinresistenz zur verstärkten Lipolyse, wodurch Fett­ säuren der Mutter als Energielieferant zur Verfügung stehen und Glycerin vermehrt zur Glukoneogenese genutzt werden kann, die wiederum Aminosäuren einspart. So kommt es in der Schwangerschaft infolge der Insulinresistenz und der Östrogensti­ mulation zu einer Hyperlipidämie, besonders in der Spätschwangerschaft. Dies be­ trifft Lipide, Lipoproteine und Apolipoproteine. Die Konzentrationen der Triglyzeride (zwei- bis vierfacher Anstieg), des Gesamtcholesterins, des LDL- und des HDL-Cho­ lesterins liegen im 3. Trimester bei Werten um 245 mg/dl, 270 mg/dl, 235 mg/dl bzw. 80 mg/dl [1–3]. Da Proteinspeicher der Mutter nicht zur Verfügung stehen, ist in der Spätschwan­ gerschaft die Proteinsynthese um etwa 25% erhöht. Insgesamt werden in der Schwan­ gerschaft 1 kg Proteine benötigt: jeweils etwa 500 g für Fet und Plazenta sowie für Ute­ rus, Mammae sowie Blutbestandteile; zum maternalen Muskelabbau scheint es in der Schwangerschaft aber nicht zu kommen [1–3]. Merke: Die metabolischen Veränderungen in der Schwangerschaft sind geprägt durch: Gesteiger­ ter Grundumsatz, erhöhte Insulinresistenz mit Hyperinsulinämie und erniedrigtem Nüchternblut­ zucker, Hyperlipidämie und gesteigerte Proteinsynthese.

1.1 Endokrine Veränderungen Die endokrinen Veränderungen in der Schwangerschaft sind vielfältig und ausgeprägt (siehe Tabelle 1.1). Als neues großes Organ der Hormonproduktion tritt die Plazenta hinzu, die u. a. humanes Choriongonadotropin (hCG), eine Variante des Wachstums­ hormons (hGH-V), humanes Plazentalaktogen (hPL), Progesteron, Östrogen, Leptin, Neuropeptid Y, Inhibin, Aktivin, Gonadotropin-Releasing-Hormon (pGnRH), Thyreo­

1.1 Endokrine Veränderungen |

5

Tab. 1.1: Darstellung der Veränderungen einiger wichtiger Hormone im Rahmen der Schwanger­ schaftsadaptation. Hormone

Veränderung in der Schwangerschaft

Ursache

Prolaktin

Kontinuierlicher Anstieg

Stimulation durch Östrogen

Gonadotropine (LH und FSH)

Nicht mehr messbar

Suppression durch Östrogen und Progesteron

Wachstumshormon (GH)

Nimmt ab

Plazentare Produktion von Wachstumshormonen (hGH-V und hPL)

ACTH

Hypophysäre Sekretion bleibt konstant bzw. nimmt leicht zu

Gesamt-ACTH nimmt auf 2- bis 4-fachen Wert zu (ACTH und CRH-Produktion in Plazenta)

ADH

Nimmt ab

Vasopressin-Bildung durch Plazenta

Schilddrüsenhormone

50% mehr Hormone erforderlich

Vermehrte Bildung von TGB in der Leber; fetaler Bedarf an T4

40%–100% mehr Gesamt-T4 und Gesamt-T3

Vermehrte Bildung von TBG in der Leber und Dejodierung in Plazenta

fT4 und fT3 relativ unverändert, in der Spätschwangerschaft leicht geringer Zunehmender Jodid-Bedarf

Hämodilution

Deutlich erniedrigtes TSH im ersten Trimester

Thyreotrope Wirkung von hCG

Kortisol

Etwa 2- bis3-facher Anstieg

Vermehrte Bindung an Transcortin, Stimulation durch plazentares CRH und Progesteron

Renin

4-facher Anstieg bis 20. SSW, dann Plateau

Aktivierung des Renin-AngiotensinAldosteron-Systems (RAAS) durch den Abfall des peripheren arteriellen Widerstandes

Angiotensin II

3-facher Anstieg bereits im 1. Trimester

Aktivierung des RAAS

Aldosteron

3-facher Abstieg im 1. Trimester, dann bis 10-facher Anstieg in Spätschwangerschaft

Aktivierung des RAAS

Katecholamine

Unveränderte Konzentration

Vermehrte Hormonproduktion, erhöhte renale Jodid-Clearance, vermehrte fetale Jodid-Aufnahme

tropin-Releasing-Hormon (TRH), Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) und adreno­ kortikotropes Hormon (ACTH) produziert. Hypertrophie und Hyperplasie der Prolaktin produzierenden Zellen des Hypophy­ senvorderlappens bedingen eine Größenzunahme der Hypophyse um 30–45%. Die Prolaktinkonzentration steigt bereits in den ersten Wochen der Schwangerschaft auf

6 | 1 Physiologische Veränderungen

Werte um 30 mg/ml an und erreicht bei der Geburt Werte von 150 mg/ml, während der Stillzeit um 200 mg/ml und fällt bei nicht stillenden Frauen nach etwa 4 Wochen auf Werte unter 25 mg/ml ab. Die Gonadotropinsekretion (FSH und LH) nimmt drastisch ab, ebenso ab dem 2. Trimester die des hypophysären Wachstumshormons (GH) in­ folge der plazentaren Bildung von hPL und hGH-V. Das im Hypophysenhinterlappen gebildete Oxytocin steigt zur Geburt und Stillzeit hin kontinuierlich an, die Konzen­ tration des antidiuretischen Hormons (ADH) bleibt hingegen unverändert [2, 4]. Das Volumen der Schilddrüse nimmt in der Schwangerschaft infolge einer glan­ dulären Hyperplasie von 12 auf 15 ml leicht zu, die Produktion der Schilddrüsenhor­ mone Thyroxin (T4 ) und Trijodthyronin (T3 ) hingegen steigt um 40–100%. T3 entsteht nur zum geringen Teil (etwa 20%) in der Schilddrüse selbst, der Großteil wird durch Dejodierung von T4 in Leber, Nieren und in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft auch in der Plazenta gebildet. Für die Entwicklung des Feten ist das die Plazenta pas­ sierende maternale T4 zunächst essenziell. Erst ab der 10. Schwangerschaftswoche (SSW) reichert die fetale Schilddrüse Jod an und beginnt um die 20. SSW – durch fe­ tales TSH (Thyreoidea stimulierendes Hormon, Thyreotropin) stimuliert – selbst T4 und auch T3 zu sezernieren, doch auch in der Spätschwangerschaft stammen noch 30% des T4 im fetalen Blut von der Mutter. Sehr früh in der Schwangerschaft kommt es zu einem Anstieg des Thyroxin bindenden Globulins (TBG), dessen Konzentration mit der 20. SSW doppelt so hoch wie präkonzeptionell ist und bis zur Geburt unverän­ dert hoch bleibt. Hierdurch sind die Konzentrationen von Gesamt-T4 und -T3 deutlich erhöht, bei relativ unveränderten Konzentrationen des physiologisch relevanten frei­ en T4 und T3 . TRH wird im Hypothalamus unverändert produziert, während die TSHKonzentration im maternalen Blut in der Frühschwangerschaft abnimmt, um mit der 18. SSW wieder ein Plateau leicht unterhalb des Ausgangswertes zu erreichen. Bedingt wird dies durch die thyreotrope Wirkung des hCG, dessen Konzentration sich invers zu der von TSH verhält, einen Peak mit der 9. SSW erreicht, um mit der 16. SSW einen Nadir mit anschließender Plateaubildung zu erreichen. Bei sehr hoher Konzentration von hCG kann trotz Euthyreose die TSH-Konzentration im späten 1. Trimester unter der Nachweisgrenze liegen. Bei Nichtbeachtung der im 1., aber auch noch im 2. Trimester physiologisch niedrigeren TSH-Konzentration bzw. der erniedrigten Obergrenze des Referenzbereiches kann eine Hypothyreose übersehen werden [2, 3]. Der Jodbedarf einer Schwangeren ist erhöht, bedingt durch eine vermehrte Bil­ dung von Thyroxin durch die Mutter und ab dem 2. Trimester auch durch den Fe­ ten, ferner durch eine verstärkte renale Jodid-Clearance. Täglich sollten in Schwan­ gerschaft und Stillzeit zwischen 230 µg und 260 µg Jodid aufgenommen werden ge­ genüber 180 mg bis 200 µg außerhalb der Schwangerschaft [2, 3]. Merke: Aufgrund der Thyreotropin stimulierenden Wirkung des hCG sind die TSH-Spiegel trotz eu­ thyreoter Schilddrüsenfunktion oft stark erniedrigt.

1.1 Endokrine Veränderungen |

7

Der fetale Bedarf an Kalzium wird durch eine zunehmende, durch Vitamin D geför­ derte intestinale Aufnahme von Kalzium gedeckt, welche im 3. Trimester Werte um 400 mg/Tag erreicht. Der Kalziumspiegel im Serum bleibt unverändert. Die Parathor­ mon- (PTH) Konzentration nimmt in der Frühschwangerschaft zunächst ab, steigt dann aber kontinuierlich an. Die Bildung von PTH und Parathormon-related Protein erfolgt größtenteils in der Plazenta [2, 3]. Ausschließlich in der Plazenta wird hPL, auch humanes Somatomammatropin (hCS) genannt, gebildet, das neben der Laktogenese auch das Wachstum stimu­ liert. Seine Polypeptidkette weist starke Übereinstimmung mit der des Prolaktin, des Wachstumshormons (hGH) und dessen plazentarer Variante (hGH-V) auf. HPL ist ab der 5. SSW im maternalen Blut nachweisbar und erreicht seinen Zenit mit der 34.–36. SSW. Es stimuliert die Lipolyse und somit die Freisetzung von Fettsäuren, erhöht die Insulinresistenz und fördert die Proteinsynthese. Wie Prolaktin führt es aber auch über Hypertrophie und Hyperplasie der Insulin sezernierenden β-Zellen zu einer verstärkten Insulinsekretion [2–4]. Ein weiteres Plazentahormon ist hCG, das bereits 7 Tage nach Konzeption vom Blastozysten produziert wird (s. o.). Seine α-Untereinheit ist identisch mit der von LH, FSH und TSH, seine β-Untereinheit ähnelt sehr der des LH, aber auch der des TSH. In der Frühschwangerschaft hält es über LH-hCG-Rezeptoren die Funktion des Corpus luteum und somit dessen zunächst wichtige Rolle als Quelle von Progesteron und Re­ laxin aufrecht. Ferner wirkt es stimulierend auf die maternale Schilddrüse, einerseits über die TSH-Rezeptoren, andererseits auch über LH-hCG-Rezeptoren an den Thy­ reozyten. Schließlich gelangt es aus dem Synzytiotrophoblasten in den fetalen Kreis­ lauf und stimuliert bei männlichen Feten über LH-hCG-Rezeptoren die Testosteron­ bildung in den Leydigschen Zellen, bis die fetale Hypophyse selbst ausreichend LH bildet [2–4]. Weitere bedeutsame Hormone, die zunächst im Corpus luteum, ab der 7. SSW schon überwiegend in der Plazenta produziert und sezerniert werden, sind Progeste­ ron und Östrogen, dessen unterschiedliche Hydroxylierungsformen, neben Östradiol (E2 ) auch E1 , E3 und E4, alle im Blut der Schwangeren zu finden sind und deren Kon­ zentrationen im Laufe der Schwangerschaft stetig und stark ansteigen. Anders als das Ovar verfügt die Plazenta nicht über Enzyme, die die Bildung von Östrogenen aus Cho­ lesterol und Progesteron ermöglichen. Die Steroidvorstufen werden zum größeren Teil vom Feten, im geringeren Teil von der maternalen Nebenniere geliefert in Form von Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS). Die Wirkungen von Progesteron und Östrogen sind so vielfältig, dass sie fast alle Organe betreffen und jene als vermutlich wichtigste Hormone für die maternale Adaptation an die Schwangerschaft gelten können [2–4]. Relaxin, ein Peptidhormon, wird vom Corpus luteum gebildet, steigt bis Ende des 1. Trimesters auf Werte um 1 ng/ml stark an, um hiernach auf Werte um 0,5 ng/ml ab­ zufallen; postpartal ist es bereits nach 3 Tagen nicht mehr nachweisbar. Es führt zur Vasodilatation der pulmonalen und systemischen arteriellen Gefäße und senkt somit in beiden Kreisläufen den Widerstand; zudem erhöht es den renalen Plasmafluss und

8 | 1 Physiologische Veränderungen

die glomeruläre Filtrationsrate, außerdem bewirkt Relaxin über den Umbau von Kol­ lagen ein Weichwerden der Cervix uteri und hemmt uterine Kontraktionen [4]. Die Konzentrationen des Corticotropin-Releasing Hormon (CRH) steigen von prä­ konzeptionellen Werten um 5–10 pmol/l ab dem 2. Trimester auf Werte um 100 pmol/l, um dann in den letzten fünf Wochen vor Geburt abrupt auf Werte um 500 pmol/l an­ zusteigen. Es stimuliert die plazentare Produktion von adrenokortikotropem Hormon (ACTH) und gelangt in großen Mengen in das maternale Blut, wo es aber durch Bin­ dung an CRH bindendes Protein biologisch inaktiv bleibt. Während Glukokortikoide die CRH-Produktion im Hypothalamus inhibieren, stimulieren sie in der Plazenta die CRH-Produktion. Bei Erhalt der zirkadianen Rhythmik kommt es in der Frühschwan­ gerschaft zunächst zu einem Abfall der hypophysären ACTH-Freisetzung, dann zu einem leichten Anstieg. Nach der 10. SSW kommt es zu einem kontinuierlichen 2- bis 4-fachen Anstieg der ACTH-Freisetzung, größtenteils durch die Plazenta, und konseku­ tiv zu einem etwa zweifachen Anstieg des Kortisols mit adrenokortikaler Hypertrophie. Durch vermehrte hepatische Synthese des Transcortins wird mehr Kortisol biologisch inaktiv gebunden. Kortisol und Aldosteron scheinen bei der Homöostase antagonis­ tisch zu Progesteron zu wirken. Die Aldosteronproduktion in der Nebenniere steigt 2- bis 4-fach an und wird ab dem 2. Trimester durch höhere Konzentrationen von Re­ nin und Angiotensin II zunehmend stimuliert, sodass es in der Spätschwangerschaft zu einem bis zu 10-fachen Konzentrationsanstieg kommen kann [2–4].

1.2 Kardiovaskuläre Adaptation Die Schwangerschaft geht mit einer sehr starken kardiovaskulären Belastung einher, die eine Vielzahl von Adaptationsprozessen erfordert und sichtbare Veränderungen hervorruft, einige von ihnen sind außerhalb der Schwangerschaft Zeichen einer Dys­ funktion, wie Ödem, Herzgeräusch, Palpitationen, Tachykardie, Kurzatmigkeit und Dyspnoe.

1.2.1 Blutvolumen, Plasmavolumen und Erythrozytenmasse Pathophysiologisch bedeutsam ist die kontinuierliche Zunahme des Blutvolumens, einsetzend bereits mit der 6.–8. SSW und mit der 32.–34. SSW ihr Maximum er­ reichend. Der stärkere Anstieg des Plasmavolumens um etwa 1,5 l bzw. um etwa 45% auf 5000 ml gegenüber dem Anstieg der zirkulierenden Erythrozytenmasse um 250–450 ml bzw. 20–30% führt zu einer Hämodilution (siehe Abbildung 1.1 und Tabel­ le 1.2). Parallel hierzu kommt es bereits im 1. Trimester zum Absinken der Hämoglo­ bin-Konzentration, die durch Supplementierung von Eisen und Folsäure gemindert werden kann. Diese Veränderungen bleiben bis 6–8 Wochen postpartal bestehen. Somit wird bei unkritischer Betrachtung der Hämoglobin-Konzentration die Erythro­

1.2 Kardiovaskuläre Adaptation | 9

60 Plasmavolumen Herzzeitvolumen

50 40

Zunahme (%)

30

Schlagvolumen

20

Herzfrequenz

10

systolischer Blutdruck diastolischer Blutdruck

0 –10

Hämoblobin

–20

totaler peripherer Widerstand

–30 –40 5

8

12

16

20

24

28

32

36

38

Schwangerschaftswoche Abb. 1.1: Kardiovaskuläre Adaptation an die Schwangerschaft (modifiziert nach Karamermer und Roos-Hesselink [24]).

zytenmasse unterschätzt. Als Anämie gelten in der Schwangerschaft daher erst eine Hämoglobin-Konzentration und ein Hämatokrit von ≤ 10,5 g/dl bzw. ≤ 30%. Eine NO-vermittelte Vasodilatation mit Aktivierung des Renin-Angiotensin-AldosteronSystems (RAAS) und somit verstärkte Natrium- und Wasser-Rückresorption sowie HCG und Progesteron werden für die Hypervolämie und die gesteigerte Erythropoe­ se verantwortlich gemacht. Diese Prozesse sind auch bei hydatiformen Molen zu beobachten, korrelieren mit dem fetalen Gewicht und sind bei Mehrlingsschwanger­ schaften stärker ausgeprägt, ebenso in Folgeschwangerschaften [2–4]. Bei einer vaginalen Geburt und einem Kaiserschnitt beträgt der durchschnittli­ che akute Blutverlust 300 ml bzw. 600 ml; ab einem Blutverlust von 500 ml allgemein (WHO-Definition) oder ab 500 ml nach vaginaler Geburt bzw. 1000 ml nach Kaiser­ schnitt wird von einer postpartalen Hämorrhagie gesprochen. Aufgrund der bestehen­ den Hypervolämie fällt zwar das Blutvolumen bei Geburt abrupt ab, bleibt aber bei Blutverlusten von bis zu 25% anschließend konstant, d. h. es steigt nicht kompensa­ torisch wieder an; das Plasmavolumen nimmt infolge der Diurese ab. Da die Erythro­ zytenmasse bei akutem Blutverlust parallel zum Plasmavolumen abnimmt, kommt es zunächst zu einem graduellen Anstieg des Hämatokrits, auch wenn die Erythrozyten­ masse 3–4 Wochen post partum den Ausgangswert vor Schwangerschaft erreicht. In den ersten drei Tagen nach Abschluss der Nachgeburtsphase beträgt der tägliche Blut­ verlust nur noch etwa 80 ml. 5–7 Tage nach Geburt erreicht der Hämatokrit wieder einen ähnlichen Wert wie vor der Schwangerschaft [2–4].

10 | 1 Physiologische Veränderungen

Die Schwangerschafts-assoziierte Hypervolämie lässt die Schwangere nicht nur einen größeren Blutverlust bei Geburt tolerieren, sondern hält die kardiale Vorlast auch bei stehender und sitzender Position aufrecht, in der es zu einer venösen Kon­ gestion in den unteren Extremitäten kommt. Der Anstieg der Erythrozytenmasse kor­ reliert gut mit dem Anstieg des Sauerstoffbedarfs, beides um etwa 20%. Der stärkere Anstieg des Plasmavolumens um bis zu 40% senkt die Viskosität und die linksven­ trikuläre Nachlast und erlaubt so einen Anstieg des Herzminutenvolumens ohne ent­ sprechende Zunahme der Herzarbeit [2]. Merke: Zunahme des Plasmavolumens und der Erythrozytenmasse führen zur Hypervolämie mit relativer Anämie.

1.2.2 Morphologische und funktionelle Veränderungen des kardiovaskulären Systems Herz In der Schwangerschaft kommt es, vergleichbar mit einem Sportlerherzen, zu einer leichten exzentrischen Hypertrophie, die reversibel ist, im Gegensatz zur pathologi­ schen Hypertrophie zu keiner bleibenden Funktionseinschränkung führt und kein Prädiktor einer späteren Herzerkrankung und Herzinsuffizienz ist. Sie wird daher als physiologisch eingestuft und ist auf die zunehmende Volumenbelastung, aber auch auf die starken hormonellen Veränderungen zurückzuführen. Die kardiale Re­ modellierung (cardiac remodeling) ist ein komplexer Prozess, der zu strukturellen Veränderungen des Myokards und der extrazellulären Matrix bzw. zu einer veränder­ ten Genexpression und anderen Wegen der intrazellulären Signalübertragung führt, wobei Östrogen, aber auch Progesteron und Testosteron dies beeinflussen. All dies unterscheidet die kardiale Adaption in der Schwangerschaft von der kardialen Hyper­ trophie außerhalb der Schwangerschaft [5]. Ventrikuläres Volumen und Wanddicke nehmen proportional zu, gleiches gilt für Myozytenlänge und -breite. So gelingt es dem Ventrikel, die Wandspannung (wall stress) zu reduzieren. Ferner kommt es in der Schwangerschaft auch zu einer koronaren Angiogenese, sodass das Verhältnis zwischen myokardialer Wanddicke und deren Blutversorgung balanciert bleibt. So ist es dem Herzen weiterhin möglich, in den Myozyten über 95% des ATP oxydativ zu generieren, wobei der Anteil der Fettsäuren (außerhalb der Schwangerschaft 70%) hierbei zunimmt und der von Glukose abnimmt. Ketone und Laktat spielen, wie au­ ßerhalb der Schwangerschaft, als myokardialer Energielieferant nur in besonderen Situationen eine Rolle [1–5]. Herzgröße, longitudinaler und transversaler Ventrikeldurchmesser (physiologi­ sche Herzdilatation) und end-diastolisches Volumen, aber auch die Wanddicken neh­ men im 2. und 3. Trimester zu, während das endsystolische Volumen gleich bleibt.

1.2 Kardiovaskuläre Adaptation |

11

Eine Zunahme der ventrikulären Wanddicken und Muskelmasse setzt bereits im 1. Tri­ mester ein. Die linksventrikuläre Masse nimmt um etwa 20% bis 35% zu (bei Athleten ist eine Zunahme von rund 25% nach einjährigem intensivem Training zu beobach­ ten). Die Form des linken Ventrikels wird zwischen dem 1. und 3. Trimester zunehmend kugeliger (abnehmender Sphericity Index). Als Zeichen der erhöhten Vorlast nimmt auch die Größe des linken Vorhofs zu, um ab der 30. SSW ihr Plateau zu erreichen. Das Ausmaß der Zunahme der linksventrikulären Masse korreliert mit der maternalen Größe [6, 7]. Zudem zeigen 25% der Schwangeren im dritten Trimester eine reversible linksventrikuläre Trabekularisierung, die bei 8% der Schwangeren die Kriterien der „Noncompaction“ erfüllt [8]; sie ist außerhalb der Schwangerschaft in Situationen mit chronisch erhöhter linksventrikulärer Vorlast, wie bei Herzinsuffizienz, Sichelzellan­ ämie und Athleten, zu beobachten [8]. Die myokardiale Funktion wird durch Vorlast, Nachlast und Herzfrequenz beein­ flusst. Viele außerhalb der Schwangerschaft benutzte echokardiografische Parameter der diastolischen und systolischen (Ejektionsfraktion) Funktion werden von Verän­ derungen der Vor- und Nachlast beeinflusst und sind daher in der Schwangerschaft besonders zu bewerten; nur die Kenntnis all dieser Parameter, global (Schlagarbeit, stroke work) und regional (myokardiale Kontraktilität), erlaubt es, die kontraktile Funktion des Ventrikels zu beurteilen. Der Anstieg des enddiastolischen Volumens spricht für eine verbesserte diastolische Funktion, insbesondere eine höhere ventri­ kuläre Compliance; allerdings bleibt die E/E’ Ratio, ein relativ ladungsunabhängiger Parameter der diastolischen Funktion, konstant. Bei gleichbleibender Ejektionsfrakti­ on ist ein Anstieg der myokardialen Kontraktilität zu vermuten, wofür Veränderungen der systolischen Zeitintervalle und eine reduzierte Ratio der ladungsabhängigen end­ systolischen Wandspannung (wall stress) zur Geschwindigkeit der zirkumferentiellen Faserverkürzung des linken Ventrikels sprechen. Obwohl die Schlagarbeit (stroke work) des linken Ventrikels vom 1. bis ins 3. Trimester hinein stetig zunimmt, bleibt die longitudinale Deformation (longitudinal strain) ebenso wie die MAPSE (mitral an­ nular plane systolic excursion) zunächst unverändert und nimmt im 3. Trimester ab. Dieser Parameter spiegelt die myokardiale Funktion, beeinflusst durch die jeweiligen regionalen Ladungsbedingungen (loading conditions) wider, d. h. er ist nicht nur von der ventrikulären Vor- und Nachlast, sondern auch von Durchmesser und Wanddicke des Ventrikels abhängig. Dies deutet darauf hin, dass während der ersten beiden Tri­ mester die globale Nachlast abnimmt und gleichzeitig die Ventrikelgröße zunimmt, wodurch Schlagvolumen und Herzminutenvolumen ansteigen, obwohl Ejektionsfrak­ tion, globaler und regionaler systolischer Strain unverändert bleiben. Trotz weiter zu­ nehmender Schlagarbeit kommt es zwischen dem 2. und 3. Trimester zu einer leichten Abnahme des longitudinalen Strains bzw. aller Komponenten des Strains, vermutlich als Folge einer weiteren Zunahme der Ventrikelgröße, geringer auch der Wanddicke, aber auch von Herzfrequenz und Nachlast; die Steigerung des Herzminutenvolumens beruht somit hauptsächlich auf dem Anstieg der Herzfrequenz [6, 9, 10].

12 | 1 Physiologische Veränderungen

Die Rückbildung der morphologischen und funktionellen kardialen Veränderun­ gen ist erst mit 3–6 Monaten postpartal abgeschlossen [6, 7, 10, 11]. Kürzlich erschienen ist eine sehr detaillierte echokardiographische Untersuchung der maternalen Adaptation mittels parallelem Einsatz vieler echokardiographischer Techniken und Indizes. Die Untersuchungen wurden im ersten, zweiten und dritten Trimester, am Termin und 1 Jahr postpartal durchgeführt, um unter Berücksichtigung der kardialen Ladungsbedingungen und der Geometrie, erstmals aber auch des Al­ ters und anthropometrischer Indizes, wie Körperoberfläche, Body-Mass-Index, Länge und Ethnizität, die ebenfalls Einfluss auf die kardiale Struktur und Funktion haben, die kardiovaskulären Veränderungen zu erfassen [11]. Bei gesunden Erstgebärenden gelingt die kardiovaskuläre Adaptation an die chronische Volumenüberlastung im ersten und zweiten Trimester gut. In diesem Zeitraum sinken der mittlere arterielle Blutdruck und der vaskuläre Gesamtwiderstand. Parallel hierzu steigen Schlagvolu­ menindex und Herzindex (Schlagvolumen und Herzauswurf bezogen auf die Körper­ oberfläche) an. Myokardiale und ventrikuläre Funktion nehmen in dieser Phase zu. Im dritten Trimester und besonders am Termin steigen Blutdruck und systemischer Gefäßwiderstand und somit die linksventrikuläre Nachlast und Wandspannung si­ gnifikant an; die systolische ventrikuläre und myokardiale Funktion bleiben erhalten, die diastolische ventrikuläre Funktion und myokardiale Relaxation nehmen hingegen kontinuierlich ab; am Termin zeigen 18% der Schwangeren eine ventrikuläre diastoli­ sche Dysfunktion und 28% eine myokardiale diastolische Dysfunktion und somit ei­ ne Maladaptation [11]. Gleichermaßen fallen Schlagvolumenindex und Herzindex am Termin ab und es kommt teilweise zu einer exzentrischen Dilatation des Ventrikels. Dreißig Prozent der Schwangeren mit diastolischer ventrikulärer Dysfunktion, aber weniger als 2% der Schwangeren mit einer normalen diastolischen Ventrikelfunkti­ on hatten eine Dyspnoe bei Ruhe (NYHA Grad IV) [11]. Diese Befunde weisen darauf hin, dass im dritten Trimester und insbesondere am Termin eine zunehmende Anzahl scheinbar gesunder Schwangerer eine nur unzureichende kardiovaskuläre Adaptati­ on aufweist [11]. Diese Beobachtungen stehen im Einklang zu den Befunden der mater­ nalen kardiovaskulären Maladaptation bei einer Präeklampsie, bei der sie allerdings weit früher einsetzen und stärker ausgeprägt sind [12]. Verminderte Plazentaperfusi­ on, fetale Wachstumsrestriktion, arterielle Hypertension und Präeklampsie im dritten Trimester und am Termin sind Folgen dieser maternalen Maladaptation [11, 12]. Bei Schwangeren mit einer früh einsetzenden hypertensiven Erkrankung ist diese Malad­ aptation wesentlich früher in der Schwangerschaft nachweisbar [12], die strukturellen und funktionellen Veränderungen des kardiovaskulären Systems bleiben teilweise be­ stehen [12]. Frauen, die während der Belastung einer Schwangerschaft eine kardiovas­ kuläre Maladaptation zeigen, scheinen nicht nur eine Prädisposition zu Hypertension und Präeklampsie in der Schwangerschaft, sondern auch zu kardiovaskulären Erkran­ kungen im weiteren Leben zu haben [12].

1.2 Kardiovaskuläre Adaptation | 13

Gefäße Im gesamten Gefäßsystem kommt es zum Weichwerden des Kollagens und zu einer Hypertrophie der glatten Muskulatur. Die Compliance der kapazitiven, eine überwie­ gend elastische Wand aufweisenden Venen und die Konduktion der überwiegend ei­ ne muskuläre Wand aufweisenden Arterien nehmen in der Schwangerschaft daher zu [2–4].

1.2.3 Herzauswurf Herzauswurf (Herzminutenvolumen, HMV) und Herzindex (HMV/Körperoberfläche) steigen bereits im 1. Trimester ab der 5. SSW signifikant um 30–50% an und bleiben auf einem Plateau bis in das Wochenbett hinein (siehe Tabelle 1.2 und Abbildung 1.1). Bezogen auf das Körpergewicht ist der Herzauswurf in der 12.–15. SSW am höchsten und fällt dann bis zum Termin hin leicht ab. Der starke Anstieg des Schlagvolumens bereits in der Frühschwangerschaft bewirkt den Anstieg des Herzauswurfs, der mit der 8. SSW schon 50% des Gesamtanstieges ausmacht. Hiernach erreicht das Schlag­ volumen mit der 20. SSW bei Werten zwischen 75 und 95 ml (60–70 ml vor Schwanger­ schaft) seinen Gipfel, um dann wieder bis zum Termin hin langsam abzusinken. Die Herzfrequenz beginnt mit der 5. SSW kontinuierlich bis zur 32. SSW um 10–15 Schlä­ ge/Minute anzusteigen und bleibt dann konstant. Bezogen auf den Body-Mass-Index bzw. die Körperoberfläche zeigen aber Schlagvolumenindex und Herzindex einen si­ gnifikanten Abfall, beginnend im dritten Trimester bis hin zum Termin [10]. Eine Nor­ malisierung der kardialen Funktionsparameter und der hämodynamischen Verände­ rungen ist erst 3–6 Monate post partum erreicht [2–4, 6, 11, 13]. Durch die 10- bis 15-fache Erhöhung der uterinen Perfusion auf 500 bis 800 ml/min steigt deren Anteil am gesamten Herzauswurf auf 17% gegenüber 2% im nicht-schwan­ geren Zustand. Die renale Durchblutung steigt ebenfalls bis zu 50% an, ebenso werden Mammae und Haut verstärkt durchblutet. Niere und Haut dienen der Sekretion, die Haut dabei auch der Wärmeabgabe [2, 3]. Außerhalb der Schwangerschaft hat der Wechsel von der Rückenlage in die Sei­ tenlage nur minimale Auswirkungen auf die kardialen Parameter. Hingegen führt der Wechsel von der Rückenlage in die Linksseitenlage schon mit der 20. SSW über eine Zunahme des venösen Rückstroms zu einem signifikanten Anstieg des Herzauswurfs um 8–25%, mit der 30. SSW um 14–35% und am Termin um 30%. Entscheidend hierfür ist die in der Schwangerschaft stetig zunehmende Kompression der V. cava inferior, nur in Einzelfällen die der Aorta descendens durch den graviden Uterus. Die Erhö­ hung der Vorlast bei Wechsel von der Rückenlage in die Linksseitenlage bewirkt so­ mit den Anstieg des Herzauswurfs in Linksseitenlage, nicht aber eine Absenkung der Nachlast; verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Zunahme des Plasmavolumens in der Schwangerschaft. Aufgrund der erhöhten Vorlast steigen alle kardialen Parame­ ter beim Wechsel von Rückenlage in Linksseitenlage, wie Größe des linken Vorhofs,

14 | 1 Physiologische Veränderungen

Tab. 1.2: Kardiovaskuläre und respiratorische Adaptation in der Schwangerschaft (modifiziert nach [2–4, 11, 16]). Nicht schwanger

Schwanger (Werte um 32.–36. SSW)

Anstieg bzw. Abfall

Plasmavolumen (l)

3,0–3,5 l

4,7–5,2 l

1,2–1,6; 40–45%

Erythrozytenmasse (l)

2,0–2,3 l (33 ml/kg)

2,4–2,7 l (37 ml/kg)

0,250–0,450 ml; 20–30%

Blutvolumen (l)

5,0 l (70 kg)

6,5–7,0 l (70 kg)

1,5–2,0 l; 35–45%

Herzminutenvolumen (l/min)

4,3 ±0,9

6,2 ±1,0

+40%

Herzmindex (l/min/m2 )

3.7

4,0

+8%

Schlagvolumen (ml)

56–65

63–75

+20%

Schlagvolumenindex (ml/m2 )

42

39

−7%

Herzfrequenz (pro min)

71 ±10

83 ±10

+17%

Cardiac work (mmHG ⋅ l/min)

407

524

+29%

Cardiac work index (mmHG ⋅ l/min/m2 ) Systemischer Gefäßwiderstand (dyn s/cm5 ) Pulmonaler Gefäßwiderstand (dyn s/cm5 ) CVP (mmHg)

311

330

n.s.

1530 ±520

1210 ±266

-21%

119 ±47

78 ±22

-34%

3,7 ±2,6

3,6 ±2,5

n.s.

Art. Mitteldruck (MAP) (mmHg)

86,4 ±7,5

90,3 ±2,3

+5%

Totale Lungenkapazität (ml)

4200

4000

-4%

Vitalkapazität (ml)

3200

3200

n.s.

Inspiratorische Kapazität (ml)

2500

2650

+6%

Atemfrequenz in Ruhe (/min)

15

15

n.s.

Atemzugvolumen (Tidalvolumen) in Ruhe (ml) Atemminutenvolumen in Ruhe (l)

450

600

+33%

10.7

14.1

+32%

Exspiratorisches Reservevolumen (l)

700

550

-20%

Inspiratorisches Reservevolu­ men (ml) Residualkapazität (ml)

2050

2050

n.s.

1000

800

-20%

Funktionelle Residualkapazität (ml)

1700

1350

-20%

1.2 Kardiovaskuläre Adaptation | 15

rechtsatrialer Druck, rechts- und linksventrikulärer enddiastolischer und systolischer Druck, enddiastolisches Volumen, Ejektionsfraktion, Schlagvolumen und Herzaus­ wurf. Eine Linksseitenlage von 15° führt zu einer Verbesserung der kardialen Para­ meter, doch erst eine Seitenlage von ≥ 30° scheint bei der Mehrzahl der Schwangeren am Termin die Kompression der V. cava inferior effektiv zu reduzieren. Die Herzfre­ quenz sinkt beim Wechsel von Rücken- in Linksseitenlage leicht ab und kompensiert so teilweise den Anstieg des Schlagvolumens in Bezug auf den Herzauswurf durch die erhöhte vagale und verringerte sympathische kardiale Aktivität in Linksseitenla­ ge [2–4, 14]. Bei nahezu 95% der Schwangeren sind systolische Herzgeräusche hörbar, die Lautstärken bis 3/6 erreichen können. Meist entstehen sie im Bereich der Pulmo­ nal- und Aortenklappe, seltener auch durch eine Trikuspidalinsuffizienz. Sie treten zwischen 10. und 20. SSW auf und nehmen bereits eine Woche nach Geburt in ih­ rer Häufigkeit ab; 20% der Frauen weisen aber noch vier Wochen post partum ein systolisches Herzgeräusch auf [4].

1.2.4 Gefäßwiderstand Der totale systemische arterielle Gefäßwiderstand fällt bereits mit der 5. SSW stark ab und erreicht zwischen der 16. und 24. SSW seinen Nadir. Parallel hierzu kommt es zum Anstieg der vaskulären Compliance. Vasodilatatorische Effekte von Progeste­ ron und Prostaglandinen, Relaxin, eine NO-vermittelte Gefäßrelaxation und mögli­ cherweise auch der geringe Widerstand im Bereich der uteroplazentaren Zirkulation tragen zu dem Abfall des systemischen Widerstandes bei, der mit der 36.–38. SSW immer noch um 21% geringer als außerhalb der Schwangerschaft ist; der pulmona­ le Gefäßwiderstand ist in diesem Zeitraum sogar 34% geringer. Es besteht zudem ei­ ne herabgesetzte Sensitivität der arteriellen Gefäße gegenüber Vasokonstriktoren, wie Angiotensin II und Noradrenalin. Der kolloid-onkotische Druck ist um 14% reduziert, während mittlerer arterieller Blutdruck, zentralvenöser Druck und pulmonal-kapillä­ rer Verschlussdruck in Terminnähe Werten außerhalb der Schwangerschaft gleichen. Da die Differenz zwischen dem kolloid-onkotischen und dem linksventrikulären end­ diastolischen Druck (gemessen als pulmonal-kapillärer Verschlussdruck, pulmona­ ry capillary wedge pressure, PCWP) stark reduziert ist, können ein Anstieg der kar­ dialen Vorlast und/oder eine Zunahme der pulmonalen Kapillarpermeabilität leicht zum Lungenödem führen [2–4]. Der venöse Gefäßwiderstand ist auch deutlich reduziert, die venöse Compliance erhöht, dies bewirkt eine Blutflussverlangsamung und Stase. Relaxierende Effekte von Progesteron, relaxierende Effekte des Endothels auf die glatte Gefäßmuskulatur und höhere Elastizität der Gefäßwand scheinen diese Veränderungen zu verursachen.

16 | 1 Physiologische Veränderungen

1.2.5 Blutdruck Blutdruck in der Schwangerschaft Der diastolische Blutdruck nimmt bereits in der Frühschwangerschaft ab der 7. SSW kontinuierlich ab, da der Abfall des systemischen Widerstands in dieser Phase nicht vollständig durch den Anstieg des Herzauswurfs kompensiert wird, und erreicht mit einem Abfall um 10 mmHg seinen Nadir um die 24. SSW, um dann wieder ab der 28. SSW anzusteigen und um den Termin das Niveau von nicht-schwangeren Frauen zu erreichen. Dies gilt für die stehende oder sitzende Position, während in liegen­ der linker Seitenlage der diastolische Blutdruck um 10–15 mmHg und der systolische um 5–10 mmHg abnimmt. Da sich die systolischen Blutdruckwerte kaum oder nur gering während der Schwangerschaft ändern, verhalten sich der mittlere arterielle Blutdruck und die Pulsamplitude zeitlich parallel zu den Veränderungen des di­ astolischen Blutdrucks und nehmen zunächst ab bzw. zu. Durchschnittlich ist der Blutdruck in stehender und sitzender Position ca. 10 mmHg höher als in Rücken- oder Linksseitenlage. Blutdruckmessungen müssen daher streng standardisiert erfolgen. Die Blutdruckwerte bei ambulanten Blutdrucklangzeitmessungen sind geringer als Messungen in der Arztpraxis. Während der Schwangerschaft unterliegen sie ebenfalls einem zirkadianen Rhythmus mit den niedrigsten Werten in den frühen Morgenstun­ den und den höchsten am späten Nachmittag und Abend [2–4]. Blutdruck unter der Geburt In der Eröffnungsperiode steigt der Herzauswurf um 12–31% an, hauptsächlich infolge des Anstiegs des Schlagvolumens um 22%. Die höchsten Werte erreicht der Herzaus­ wurf in der Austreibungsperiode, in der er 49% über den antenatalen Werten liegt. Linksseitenlage und Analgesie reduzieren diesen Anstieg, aber bei 15% der Schwan­ geren nicht vollständig. Allerdings ist es nicht allein der Schmerz, der den Anstieg bewirkt, es werden im Rahmen einer Wehe 300–500 ml Blut vom Uterus in die syste­ mische Zirkulation gepresst. Der systolische und diastolische Blutdruck steigen eben­ falls unter Wehen um 35 mmHg bzw. 25 mmHg an [2, 3]. Kreislauf im Wochenbett Nach einer vaginalen Geburt kommt es innerhalb von 10–15 min zu einem Anstieg des Herzauswurfs um 80% bei Lokalanästhesie und um 60% bei spinaler Anästhe­ sie. Bei einem Kaiserschnitt unter Spinalanästhesie kommt es auch bei konstantem Blutdruck innerhalb von zwei Minuten nach Geburt zum Anstieg des Herzminutenvo­ lumens um nahezu 50% bei gleichzeitigem Abfall des systemischen Widerstands um 40%. Nach einem Kaiserschnitt unter Epiduralanästhesie steigt der Herzauswurf nur um 25% an. Beseitigung der venokavalen Kompression, Autotransfusion des utero­ plazentaren Blutes und rasche Mobilisation der extravaskulären Flüssigkeit erhöhen den venösen Rückstrom und die kardiale Vorlast. Nach etwa einer Stunde reduziert

1.3 Respiratorische Adaptation | 17

sich der Herzauswurf auf Werte vor Einsetzen der Wehen. Die Größe des linken Vor­ hofs nimmt an den ersten drei Tagen nach Geburt zu, möglicherweise infolge des stär­ keren Rückflusses zum Herzen hin. Die ADH-Konzentration nimmt umgehend nach Geburt zu und stimuliert Natriurese und Diurese. In der Folgezeit normalisieren sich Vorhofgröße und Herzfrequenz innerhalb von zehn Tagen, die Dimension des linken Ventrikels innerhalb von 4–6 Monaten [2, 3]. Merke: Die Kreislaufveränderungen in der Schwangerschaft sind gekennzeichnet durch chroni­ sche Volumenüberladung, erhöhtes Herzzeitvolumen, Abfall des peripheren Gefäßwiderstandes und des arteriellen Blutdrucks. In Terminnähe steigen Blutdruck und peripherer Gefäßwiderstand an; die diastolische ventrikuläre und myokardiale Funktion nimmt ab. Bei einigen Schwangeren tritt eine diastolische Dysfunktion auf.

Blutdruck im venösen System Im venösen System kommt es insbesondere in der späten Schwangerschaft und in den unteren Extremitäten zu einer venösen Stase. Der zentralvenöse Druck bleibt mit 4–8 cm H2 O im oberen Referenzbereich, während der Venendruck in der Peripherie deutlich ansteigt. Im Unterarm nimmt er um 40–50% zu, in den Unterschenkeln – verstärkt durch den großen Uterus – bis auf 10–25 cm H2 O im 3. Trimester [2–4]. Der venöse Tonus und der onkotische Druck sind in der Schwangerschaft ernied­ rigt, sodass sehr häufig Ödeme an Knöchel und Unterschenkel auftreten, ferner bilden sich häufig Varizen (Stammvarikosis, Vulva, Vagina, rektaler Venenplexus, Uterus), die sich postpartal meist zurückbilden. Aufgrund des geringen venösen Gefäßwider­ stands reagieren Schwangere stark auf eine autonome Blockade, da es durch die Ver­ minderung des venösen Rückstroms und somit der kardialen Vorlast schnell zu einem kritischen Abfall des Herzauswurfs kommen kann. Besonders ausgeprägt ist die venöse Stase im linken Bein, in dem auch 80% der Thrombosen während Schwangerschaft und Wochenbett auftreten [2, 3]. Eine passa­ gere Thrombose in den iliakalen und ovariellen Venen lässt sich unmittelbar postpar­ tal bei einem sehr hohen Anteil der Frauen nachweisen, auch nach vaginaler Geburt und geringem Risiko [15]. Merke: Aufgrund der venösen Stase (Kompression der V. cava inferior) und Venendilatation besteht bei Schwangeren ein erhöhtes Risiko für eine tiefe Beinvenenthrombose (TVT).

1.3 Respiratorische Adaptation Während der Schwangerschaft steigt der Sauerstoffverbrauch in Ruhe um etwa 20% von 300 ml/min auf 350 ml/min an. Ein Drittel dieser Zunahme dient Fet und Plazen­

18 | 1 Physiologische Veränderungen 6

6 not pregnant

pregnant (7–9 months)

5

5 IRV

4 IC

FVC

VT

3

2 ERV

FRC

FRC

1 RV

0

TLC

ERV

2

3

FVC VT

TLC

Volume (L)

Volume (L)

IRV

IC

4

RV

RV

1 RV

0

Abb. 1.2: Respiratorische Adaptation an die Schwangerschaft (modifiziert nach Hegewald und Cra­ po [16]). FRC = funktionelle Residualkapazität, ERV = exspiratorisches Reservevolumen, RV = Resi­ dualvolumen, IC = inspiratorische Kapazität, VT = Tidalvolumen.

ta, der Rest dem Metabolismus der Schwangeren (siehe Tabelle 1.2 und Abbildung 1.2). Im 1. Trimester kommt es bereits bei unveränderter Atemfrequenz zum deutlichen An­ stieg des maternalen Atemzugvolumens (Tidalvolumen) von 500 auf 700 ml, d. h. die Atmung wird tiefer. Anatomisch kommt es durch die Zunahme der Uterusgröße zu ei­ nem Zwerchfellhochstand um bis zu 4 cm, gleichzeitig aber auch zu einer Zunahme des Thoraxumfangs um 6 cm und der Interkostalräume [2–4, 16]. Diese stärkere Kompression der Lungen durch den Zwerchfellhochstand erklärt die Abnahme des exspiratorischen Reservevolumens um 15–20%, des Residualvolu­ mens um 20–25% und somit der funktionellen Residualkapazität um 20–30%. Vitalka­ pazität und inspiratorisches Reservevolumen nehmen um 10% ab. Durch diesen Ab­ fall des Residualvolumens bei gleichzeitiger Zunahme des Atemzugvolumens steigt die effektive alveolare Ventilation. Progesteron stimuliert das Atemzentrum und be­ wirkt eine Zunahme der Atemwegsleitfähigkeit und eine Abnahme des Atemwegswi­ derstands. Die maximale Atemkapazität sowie die forcierte Vitalkapazität bleiben un­ verändert [2–4, 16]. Die Hyperventilation bedingt eine Hypokapnie, obwohl die CO2 -Produktion um etwa 30% gesteigert ist. Der arterielle pCO2 sinkt von 40 auf 30–32 mmHg. Dies wird durch ein Absinken der renalen Bikarbonat-Schwelle bzw. durch eine vermehrte H+ -Ionen-Ausscheidung über die Nieren kompensiert. Das Serum-Bicarbonat sinkt von 26 auf 22 mmol/l. Es kommt zu einer milden respiratorischen Alkalose mit einem pH-Anstieg von 7,40 auf 7,44. Für den maternofetalen Gasaustausch bedeutet dies, dass die Hypokapnie die fetale CO2 -Abgabe erleichtert. Die durch die respiratorische Alkalose (Linksverschiebung der Sauerstoffsättigungskurve) erschwerte SauerstoffAbgabe an den Feten wird durch den gleichzeitigen Anstieg des 2,3-Biphosphoglyce­ rat-Gehalts in den maternalen Erythrozyten um 30% mehr als ausgeglichen. Die ar­ teriovenöse Differenz der Sauerstoffkonzentration nimmt ab, d. h. die Ausschöpfung

1.4 Renale Adaptation | 19

im Gewebe nimmt zu. Die hohe Sauerstoffaffinität des fetalen Hämoglobins sowie die starke uteroplazentare Perfusion sichern die fetale Sauerstoffversorgung [2–4]. Unter der Geburt kann das Atemminutenvolumen bis 90 l/min betragen und das Atemzugvolumen bis 2,25 l, die Sauerstoff-Aufnahme kann sich bis auf 750 ml/min ver­ dreifachen. Diese starke Hyperventilation führt zu einer respiratorischen Alkalose der Mutter unter der Geburt mit dem Risiko von Kontraktionen der zerebralen Arterien und einer Synkope [2, 3]. Während der Schwangerschaft beträgt die Zunahme von Atem- und Herzminuten­ volumen etwa 40% (7,5 l/min auf 10 l/min bzw. 4,5 l/min auf 6 l/min). Bei Belastung kann das Atemminutenvolumen bis auf 80 l/min und somit etwa 10-fach steigen, das Herzminutenvolumen hingegen nur 3-fach auf 12 l/min. Dies bedeutet, dass der An­ stieg des Herzauswurfs wesentlich näher an die Obergrenze heranreicht als der des Atemzugvolumens. Die größere Reserve des respiratorischen Systems erklärt, warum Atemwegs- und Lungenerkrankungen in der Schwangerschaft besser als kardiale Er­ krankungen toleriert werden [2, 3]. Kurzatmigkeit und Dyspnoe sind physiologische Symptome während der Schwan­ gerschaft, die bei bis zu 50% der Frauen bereits schon im 2. Trimester zu beobachten sind und mit der 28.–31. SSW ihr Maximum erreichen. Allerdings sollte immer auch an die Möglichkeit gedacht werden, dass Dyspnoe Symptom einer ernsten Erkrankung des kardiorespiratorischen Systems sein kann. Klinische Untersuchung, Blutgasana­ lyse, Echokardiografie, Röntgen des Thorax und Spirometrie sind mögliche diagnos­ tische Maßnahmen in der Schwangerschaft, um dies zu differenzieren.

1.4 Renale Adaptation Die Zunahme des vaskulären und interstitiellen Volumens bewirkt eine Vergrößerung beider Nieren um bis zu 30%. Deutlich erweitert sind Nierenbecken, Kelchsystem und proximaler Ureter, im letzten Trimester bei bis zu 90% der Schwangeren, rechts weit mehr als links; Dextrorotation der Gebärmutter, Kreuzung der rechten Ovarialvene einerseits und Schutz des Ureters durch das Sigma links andererseits erklären diese Seitendifferenz. Ein relaxierender Einfluss von Progesteron, Relaxin sowie NO auf die Uretermuskulatur scheint ebenfalls wirksam zu sein. Hydronephrose und Hydroureter können drei bis vier Monate nach Geburt noch nachweisbar sein. Es kommt weiterhin zu einer Elongation, Schlängelung und Abwinkelung der Ureteren, allerdings ohne obstruktiven Effekt. Andererseits ist die Ureterperistaltik unverändert, während der Uretertonus im Laufe der Schwangerschaft ansteigt [2–4, 17, 18]. Im Laufe der Schwangerschaft wird die Harnblase durch die Größenzunahme der Gebärmutter verformt, nach kranial und ventral gedrängt und liegt zunehmend abdo­ minal. Bei der Mehrzahl der Schwangeren nehmen Häufigkeit und Drang zu Blasen­ entleerung stark zu, größtenteils infolge der vermehrten Urinproduktion. Die häufig empfohlene Steigerung der Trinkmenge in der Schwangerschaft verstärkt dies. Neue­

20 | 1 Physiologische Veränderungen

re Untersuchungen an kontinenten Schwangeren zeigten einen Anstieg des Blasen­ drucks von durchschnittlich 9 auf 20 cm H2 O sowie eine Abnahme der Blasenkapazi­ tät. Die Länge und der Verschlussdruck der Urethra nehmen zu [19], dennoch kommt es in der fortschreitenden Schwangerschaft häufig zur Urininkontinenz, im 1. Trimes­ ter bei etwa 20%, in Terminnähe bei etwa 40%, meist in Form einer Stressinkontinenz (etwa 80%), selten als isolierte Dranginkontinenz bei Detrusorüberaktivität. Tagsüber in stehender oder sitzender Position wird viel Flüssigkeit in den interstitiellen Raum verlagert (Knöchel- und Beinödeme), die bei liegender Position wieder in den intra­ vaskulären Raum verschoben wird, sodass es bei 20% der Schwangeren im ersten und 70% im letzten Trimester zu einer ausgeprägten Nykturie kommt. Eine in der Schwan­ gerschaft neu aufgetretene Urininkontinenz bildet sich bei nahezu allen Frauen voll­ ständig zurück und ist bei nur 3% der Frauen auch nach einem Jahr noch vorhanden. Tritt eine Stressinkontinenz hingegen erst postpartal auf, so ist sie bei etwa 25% der Frauen auch nach einem Jahr noch nachweisbar [2–4, 19]. Der renale Blutfluss nimmt in der Schwangerschaft zu und ist in Linksseitenlage höher als in Rückenlage; noch mehr steigt der renale Plasmafluss. Er liegt im 2. Trimes­ ter um 70% und im 3. Trimester um 50% über den Werten vor der Schwangerschaft. Entscheidend hierfür sind die renale Vasodilatation und der damit verbundene Abfall des renalen arteriellen Widerstandes. Die Hämodilution mit Abfall des onkotischen Drucks bewirkt ebenfalls eine Hyperfiltration auf glomerulärer Ebene. Die glomeru­ läre Filtrationsrate steigt bereits mit der 6. SSW um 25% über den präkonzeptionel­ len Wert, bis Ende des 1. Trimesters auf 50% und verbleibt in den weiteren Wochen auf diesem Niveau. Die renale Filtrationsfraktion (glomeruläre Filtrationsrate/renaler Plasmafluss) nimmt ab. Der Anstieg des renalen Blutflusses und der glomerulären Filtrationsrate scheint wesentlich durch eine renale Vasodilatation bedingt zu sein, die durch eine relaxinvermittelte lokale Produktion von Endothelin und NO bewirkt wird [2–4]. Die Kreatinin-Clearance (glomeruläre Filtrationsrate) steigt von 110 ml/min auf 150 ml/min mit einer ausgeprägten zirkadianen Schwankung, wobei der Anstieg eben­ falls sehr früh in der Schwangerschaft beginnt und mit der 18.–20. SSW seine höchsten Werte erreicht. Mitte des 3. Trimesters fällt die Kreatinin-Clearance wieder leicht ab. Die gesteigerte glomeruläre Filtrationsrate führt bei unverändertem Anfall von Kreati­ nin und Harnstoff zu einem kontinuierlichen Abfall der Serum-Kreatinin-Konzentra­ tion von 0,80 mg/dl vor der Schwangerschaft bis auf 0,50 mg/dl im 3. Trimester, wobei es am Ende der Gravidität wieder zu einem leichten Anstieg der Kreatinin-Konzentra­ tion kommt. Die Harnstoffkonzentration verändert sich im Schwangerschaftsverlauf parallel zu der Kreatinin-Konzentration. Die Harnsäure-Konzentration nimmt bereits im 1. Trimester um 25% ab, steigt dann aber bis in das 3. Trimester auf präkonzep­ tionelle Werte an. Dies scheint auf einer verminderten tubulären Rückresorption der Harnsäure in der späteren Schwangerschaft zu beruhen. Es gilt daher zu beachten, dass Kreatinin- und Harnstoffkonzentrationen im maternalen Serum, die außerhalb der Schwangerschaft als normal anzusehen sind, in der Schwangerschaft bereits eine

1.5 Hämostatische Adaptation |

21

gestörte Nierenfunktion anzeigen, da die Referenzwerte in der Schwangerschaft deut­ lich niedriger liegen: Eine Kreatinin-Konzentration von 0,9 mg/dl und mehr ist nicht normal [2–4]. Bei erniedrigter Nierenschwelle ist eine geringe Glukosurie bei 15–10% der Schwangeren zu beobachten, eine Proteinurie bis 300 mg/Tag gilt als normal. Dies kann aber auch Zeichen eines Diabetes mellitus, einer renalen Erkrankung oder einer Präeklampsie sein. Trotz der gesteigerten glomerulären Filtrationsrate kommt es in der Schwan­ gerschaft zur Retention von insgesamt 900 mg Natrium, wobei die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Sytems (RAAS) mit einer bis zu fünffachen Erhöhung der Aldosteron-Konzentration den Natriumausscheidung fördernden Effekt anderer Faktoren (Progesteron, atriales natriuretisches Peptid, Prostaglandine) übertrifft. Die Natriumretention setzt allerdings erst in der Spätschwangerschaft ein. Östrogen und 11-Desoxykortikosteron sowie aufrechte und liegende Position begünstigen die Natri­ umretention. Kalium wird ebenfalls verstärkt retiniert, insgesamt etwa 300 mg. Pro­ gesteron scheint die Kaliumausscheidung fördernde Wirkung von Aldosteron mehr als zu kompensieren [2, 3]. Der Anstieg des extrazellulären und intrazellulären Wasservolumens um 6–7 l (25% hiervon Plasmavolumen, 75% interstitielle Flüssigkeit) bzw. um 2 l macht etwa zwei Drittel der Gewichtszunahme in der Schwangerschaft aus. Plazenta, Fet und Fruchtwasser enthalten etwa 3,5 l Flüssigkeit. Ein Abfall der Natrium- (von 140 auf 136 mmol/l) und Harnstoffkonzentration (von 4,9 auf 2,9 mmol/l) sowie der Plasma­ osmolalität (von 289 auf 280,9 mosm/kg) lassen sich bereits sehr früh in der Schwan­ gerschaft beobachten. Die Schwelle der Osmoregulation und des Durstempfindens ist in der Schwangerschaft herabgesetzt [2, 3]. Merke: Ein Serum-Kreatinin > 0,9 mg/dl in der Schwangerschaft ist pathologisch.

1.5 Hämostatische Adaptation In der Schwangerschaft kommt es zu erheblichen Veränderungen der Hämostase, die von der Funktion der Gefäßwand, der Thrombozyten und plasmatischen Gerinnungs­ faktoren sowie dem Gleichgewicht mit der Fibrinolyse abhängig ist. In der Schwangerschaft kommt es bereits früh zu einer Verschiebung des Gleich­ gewichts hin zu einer Hyperkoagulabilität mit einer geringen intravasalen Gerin­ nungsaktivierung. Die Konzentrationen der plasmatischen Gerinnungsfaktoren (Fak­ tor VII, VIII, IX und X) steigen kontinuierlich und erreichen antepartal Werte um 150%. Die Konzentration des Fibrinogens steigt von 200–400 mg/dl auf 300–600 mg/dl an und bedingt die starke Zunahme der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) in der Schwangerschaft. Dies alles führt zu einer verstärkten Thrombinproduktion

22 | 1 Physiologische Veränderungen

(Zunahme von Thrombin-Antithrombin-Komplexen, Fibrinopeptid A, löslichem Fi­ brin und Prothrombinfragmenten) [2, 3]. Zusätzlich kommt es ab dem 3. Monat kontinuierlich zu einem Abfall des freien Protein S auf etwa 70%. Es inaktiviert gemeinsam mit Thrombomodulin als Co-Faktor des aktivierten Protein C die Faktoren Va und VIIIa. Die Konzentration von Protein C sinkt ebenfalls, die des Antithrombin verändert sich kaum. Die aktivierte Protein-C(APC) Resistenz steigt während der Schwangerschaft kontinuierlich, bedingt durch den Abfall der Protein-S- und die Zunahme der Faktor VIII-Konzentration [2, 3]. Darüber hinaus ist nicht nur die gerinnungshemmende, sondern auch die fibrino­ lytische Aktivität in der Schwangerschaft vermindert. Eine verringerte Konzentration des Gewebe-Plasminogen-Aktivators (tPA), ein starker, 3- bis 4-facher Anstieg des im Endothel gebildeten Plasminogen-Aktivator-Inhibitors Typ 1 (PAI-1) und das zusätz­ lich in der Plazenta gebildete PAI-2 wirken als Antiaktivatoren der Fibrinolyse, hem­ men den tPA und den Umbau von inaktivem Plasminogen in das aktive, Fibrin und Fibrinogen spaltende Plasmin. Die Konzentration des α 2 -Antiplasmins ist leicht ver­ mindert, die von Plasminogen leicht erhöht [2, 3]. Das erhöhte Potenzial zur Thrombinbildung, die verringerte antikoagulatorische Aktivität sowie die verminderte Fibrinolyse bewirken einen prothrombotischen Zu­ stand. Die gleichzeitige venöse Stase in den unteren Extremitäten bei venokavaler Kompression und Zunahme der venösen Kapazität erhöhen weiter das Risiko einer Thrombose, insbesondere im Becken- und Beinvenenbereich. Dem entgegen wirken die schwangerschaftsbedingte Hämodilution und die verstärkte Mikrozirkulation. Das Risiko einer venösen Thromboembolie in Schwangerschaft und Wochenbett ist mit 0,5–3 auf 1000 Schwangere 5–10-fach höher als bei gleichaltrigen nicht-schwangeren Frauen. Im Wochenbett droht ein 20- bis 80-faches Risiko, abhängig von zusätzlichen Faktoren, wie Alter, Varikosis, Gewicht und Vorliegen einer Thrombophilie [2, 3]. In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung interessant, dass bei einer Magnetreso­ nanzvenografie (MRV) an den ersten vier Tagen nach einer vaginalen Geburt 30% der Frauen eine transiente Thrombose der Beckenvenen aufwiesen, bei weiteren 37% eine wahrscheinliche Thrombose und bei nur 33% keine Thrombose vorlag. Möglicherwei­ se ist dies ein physiologischer Prozess mit dem Ziel, die venöse Blutung im Bereich des Plazentabetts zu unterbrechen. Dem entspricht auch der vorübergehende Abfall der Konzentrationen von Faktor VIII und Fibrinogen in den ersten 24 Stunden post partum und ihre Normalisierung nach 72 Stunden [15]. Physiologisch kommt es in den Bereichen der maternalen Plazentazirkulation mit zunehmender Schwangerschaftsdauer zu Fibrinablagerungen. Der vermehrte Fibrin­ umsatz in der Schwangerschaft spiegelt sich in der im Schwangerschaftsverlauf kon­ tinuierlich ansteigenden Konzentration der D-Dimere, Abbauprodukte des vernetzten Fibrins, wider. Die D-Dimer-Konzentrationen betragen bereits im ersten Schwanger­ schaftsdrittel um 700 µg/l und am Ende einer Schwangerschaft etwa 2600 µg/l, weit höher als der außerhalb der Schwangerschaft in diagnostischen Algorithmen genutzte Grenzwert von 300 µg/l [2, 3].

1.6 Uterus und Ovarien

|

23

Die Thrombozytenkonzentration nimmt in der Schwangerschaft leicht ab, sodass zwischen 8–10% der Schwangereren eine leichte Thrombozytopenie (Thrombozyten­ konzentration: 100–149/nl) aufweisen. Neben der Hämodilution scheint hierfür auch eine gesteigerte Plättchenaggregation ursächlich zu sein. Die erhöhte Plättchenaggre­ gabilität und die erhöhten Konzentrationen von Plättchenfaktor 4, β 2 -Thromboglobulin und Thromboxan A2 sind ebenfalls prothrombotisch [2, 3]. Diese Veränderungen werden als sinnvolle Vorbereitung auf die Geburt angese­ hen. In der Nachgeburtsphase kommt es bei Ablösung der Plazenta zu einer akuten starken Blutung, die zunächst durch die Kontraktion des Myometriums mit Drosse­ lung des Blutflusses und Verschluss der Spiralarterien reduziert wird, gefolgt von der Ausbildung eines Fibrinnetzes am Ort der Plazentainsertion. Begünstigt wird die loka­ le Hämostase durch die progesteroninduzierte Expression von Tissue Factor (TF) und PAI-1 in den perivaskulären dezidualen endometrialen Stromazellen [2, 3]. In den ersten sechs postpartalen Wochen bildet sich die Hyperkoagulabilität zu­ rück, erst nach 12 Wochen normalisiert sich die Thrombozytenfunktion [2]. Merke: Während der Schwangerschaft und im Wochenbett besteht eine Hyperkoagulabilität. Eine leichte Thrombopenie und erhöhte D-Dimer-Konzentrationen sind physiologisch.

1.6 Uterus und Ovarien 1.6.1 Uterus Gewicht und Größe des Uterus nehmen zunächst unter dem Einfluss von Östrogen und möglicherweise auch Progesteron, später durch die Dehnung, stark zu, von et­ wa 70 g auf 1100 g bis zur 12. SSW mit einer Ausdehnung im kleinen Becken und in den folgenden Monaten bis an den Rippenbogen bzw. die Leber, wobei er in der Re­ gel an der Bauchvorderwand anliegt. Die Kapazität steigt von 10 ml auf etwa 5 l, kann aber auch bis 20 l erreichen. Bedingt wird diese Größenzunahme überwiegend durch eine Hypertrophie und Streckung der uterinen Myozyten, gering auch durch eine Hy­ perplasie. Der Bindegewebsanteil und der Anteil elastischer Fasern nehmen ebenfalls zu [2, 3]. Schon früh in der Schwangerschaft kommt es vermehrt zu uterinen Kontraktio­ nen. Im 2. Trimester werden diese gespürt und sind teilweise tastbar. Sie werden als Braxton-Hicks-Kontraktionen bezeichnet und sind arrhythmisch und sporadisch. Im weiteren Schwangerschaftsverlauf werden sie stärker und regelmäßiger und treten al­ le 10 bis 20 Minuten auf. In den letzten Wochen vor der Geburt nimmt ihre Häufigkeit zu. Der uterine Blutfluss steigt in der Schwangerschaft kontinuierlich an und erreicht Werte um 500 bis 750 ml/min, d. h. der Anteil der uterinen Perfusion steigt von < 1%

24 | 1 Physiologische Veränderungen

auf 15% des Herzminutenvolumens. Während der Kontraktionen sinkt der maternale Blutfluss ab. Möglich wird die starke Zunahme des uterinen Blutflusses durch eine starke Dilatation der uterinen Gefäße, vermittelt durch Östrogen und Relaxin, aber auch durch lokale Freisetzung von endothelialem NO. Die Spiralarterien werden durch die Trophoblastinvasion zu großen intervillösen Bluträumen umgewandelt, die den Gefäßwiderstand reduzieren [2, 3]. Schon sehr früh in der Schwangerschaft beginnt der geburtsvorbereitende Um­ bau der kollagenreichen Cervix uteri, die weich, odematös und bläulich wird und ei­ ne Hyperplasie und Hypertrophie ihrer Drüsen aufweist. Diese Drüsen produzieren einen Schleim, reich an Immunglobulinen und Zytokinen, der vor aufsteigenden In­ fektionen schützt. Die Schleimhaut der Cervix wird zunehmend nach außen verlagert (Schwangerschaftsektropie), dies führt leicht zu Kontaktblutungen [2, 3].

1.6.2 Ovarien Die Funktion des Corpus luteum im Ovar als Quelle von Progesteron, aber auch hu­ manem Choriongonadotropin (hCG) und Relaxin, ist in der Frühschwangerschaft bis zur 7. SSW post menstruationem essenziell. Erst hiernach kann das Corpus luteum entfernt werden, ohne dass es zur Fehlgeburt kommt. Die Hormonproduktion wird dann im ausreichenden Maße von der Plazenta übernommen. Die Vv. ovaricae sind mit 2,5 cm gegenüber ihrem Durchmesser von 1 cm außerhalb der Schwangerschaft stark dilatiert [2, 3]. Gelegentlich zeigen die Ovarien, seltener auch die uterine Serosa und andere in­ traabdominale Organe eine extrauterine deziduale Reaktion auf ihrer Oberfläche, die fleckförmig erscheint, leicht bluten und als ehemalige Anheftungsstelle von Adhäsio­ nen fehlgedeutet werden kann. Sie stammen vom subcoelomischen Mesenchym ab und werden durch Progesteron stimuliert [2]. In einigen Schwangerschaften kommt es zur Ausbildung vieler größerer ThecaLutein-Zysten, gehäuft bei einer Plazentomegalie (Diabetes mellitus, Mehrlinge) und bei Trophoblasterkrankungen. Diese zystisch vergrößerten Ovarien machen in der Re­ gel keine Beschwerden, können aber gelegentlich Blutungen und Schmerzen verursa­ chen, die sich meist selbst limitieren [2].

1.7 Mammae Bereits nach acht Wochen wachsen die Mammae sichtbar. Die Mamillen werden grö­ ßer, stärker pigmentiert und mehr erektil. Die Areolen dehnen sich aus und werden ebenfalls stärker pigmentiert. Spannung und Parästhesien können bereits früh in der Schwangerschaft auftreten. Oberflächige Venen und Striae können sichtbar werden. Bereits zu Beginn des 2. Trimesters lässt sich Kolostrum gewinnen [2, 3].

1.9 Gastrointestinale Veränderungen |

25

1.8 Haut Schwangerschaftsstreifen (Striae gravidarum) entstehen durch starke Dehnung des subkutanen Gewebes und damit verbundenen Rissen der Bindegewebsstruktur. Sie treten zumeist erst in der zweiten Schwangerschaftshälfte auf, am Bauch bei 50%, an den Mammae und den Oberschenkeln bei jeweils 25% der Schwangeren. Ferner kommt es in der Schwangerschaft bei fast allen Frauen zu einer Hyperpigmentierung: Die abdominale Linea alba wird zur Linea nigra, fleckförmige Hyperpigmentierungen im Gesicht (Chloasma gravidarum), eine Hyperpigmentierung der Mamillen, Areolae und des äußeren Genitalbereichs sind häufig. Kleine Angiome (Teleangiektasien, Spi­ der-Naevi) treten bevorzugt an Gesicht, Hals, Oberkörper und Armen auf. An den Hän­ den entwickelt sich bei sehr vielen Frauen ein Palmarerythem [2, 3].

1.9 Gastrointestinale Veränderungen Veränderungen der gastrointestinalen Funktion erlebt die Mehrzahl der Schwangeren. Dies betrifft Obstipation (20–35%), Diarrhoe (30%), Meteorismus (65%) und Reizdarm­ symptomatik (20%). Nur in einigen Fällen werden diese Veränderungen als stärker be­ einträchtigend empfunden. Die gastrointestinalen Beschwerden setzen bei der Mehr­ zahl der Schwangeren schon früh im 1. Trimester ein, sind in einigen Fällen rückläufig, können aber auch über die gesamte Schwangerschaft hinweg bestehen bleiben. Als ursächlich für diese Veränderungen werden hormonelle Einflüsse auf die intestinale Motilität, Verlagerung und Kompression des Darms durch den wachsenden Uterus, reduziertes Bewegungsverhalten und Veränderungen der Körperhaltung angesehen. Insbesondere Progesteron bewirkt eine verminderte Darmmotilität und eine verlän­ gerte Darmpassage, ferner eine verzögerte Magenentleerung und einen reduzierten Sphinkterdruck am Übergang von Speiseröhre und Magen. Die gastrointestinale Pas­ sagezeit ist im 2. und 3. Trimester gegenüber dem 1. Trimester und der postpartalen Phase verlängert, zwischen 125 und 137 min gegenüber 75 und 99 min, und normali­ siert sich erst wieder postpartal [2, 3, 20]. Sodbrennen tritt bei 20–80% der Schwangeren auf und ist Folge eines zuneh­ menden gastroösophagealen Refluxes, der eine Ösophagitis verursachen kann. Die Symptomatik wird nicht selten als stark beeinträchtigend empfunden, ernste Kom­ plikationen sind allerdings sehr selten. Als Risikofaktoren gelten das zunehmende Schwangerschaftsalter, eine Mehrlingsschwangerschaft und ein vorbestehendes Sod­ brennen außerhalb der Schwangerschaft. Als ursächlich werden ein erniedrigter Druck des unteren Ösophagussphinkters bedingt durch Progesteron, ein erhöhter intraabdominaler Druck, ferner eine gestörte Magenentleerung sowie eine verzöger­ te Darmpassage angesehen. Eine Hiatushernie tritt bei 10–20% der Frauen in der Spätschwangerschaft auf [2, 3, 21].

26 | 1 Physiologische Veränderungen

Übelkeit (Nausea) und Erbrechen werden von bis zu 80% der Schwangeren be­ richtet. Die Symptomatik setzt meist mit der 6. SSW bis zur 12. SSW ein, verstärkt sich zunächst und bildet sich bis zur 20. SSW zurück. Nur bei etwa 10–20% der Schwan­ geren halten Übelkeit, Würgen und Erbrechen auch nach der 20. SSW an [2, 3, 22]. Hyperemesis gravidarum, die schwerste Ausprägung dieser Symptomatik mit Ketose, Dehydrierung, Gewichtsabnahme und Elektrolytentgleisung, betrifft allerdings nur 0,5–2,0% der Schwangeren, zumeist im 1. Trimester. Diese Schwangeren sind teilweise ernsthaft krank und müssen ambulant oder stationär diätetisch und auch medika­ mentös behandelt, selten auch vorübergehend parenteral ernährt werden. Mehr­ lingsschwangerschaft, Triploidie, gestationsbedingte Trophoblasterkrankungen, Tri­ somie 21 und Hydrops fetalis gehen oft mit einer stärker ausgeprägten Symptomatik einher. Als ursächlich für diese Beschwerden wird einerseits die verminderte gastroin­ testinale Motilität infolge des Progesteroneinflusses angesehen, andererseits scheint auch das humane Choriongonadotropin (hCG) pathogenetisch relevant zu sein, da sich bei Hyperemesis gravidarum oft sehr hohe hCG-Konzentrationen im materna­ len Serum finden. Die Bedeutung erhöhter Östrogenspiegel für die Entstehung von Übelkeit und Erbrechen ist umstritten. Eine chronische Infektion mit Helicobacter pylori ist bei Schwangeren mit Hyperemesis gravidarum häufiger als im Kontrollkol­ lektiv. Anhaltspunkte finden sich ebenfalls für soziale, psychologische und kulturelle Einflüsse auf die Symptomatik [2, 3, 22]. Bei 10–40% der Schwangeren kommt es zumindest zeitweise zur Obstipation, gekennzeichnet durch ein Völlegefühl, geringe Stuhlgangsfrequenz (weniger als 3 Stuhlgänge/Woche), überwiegend harten Stuhl, Gefühl der unvollständigen Entlee­ rung und der anorektalen Blockierung sowie starkes Pressen bei der Darmentleerung. Eine verlängerte Kolonpassage in der Schwangerschaft führt zu einer vermehrten Wasserrückresorption und zu einem härteren Stuhl. Neben der verlängerten gastroin­ testinalen Passage und der zunehmenden Kompression des Darms durch die größer werdende Gebärmutter begünstigen auch verminderte körperliche Aktivität, Ängs­ te, Eisensupplementation und veränderte Nahrungsgewohnheiten das Entstehen einer Obstipation [2, 3, 20]. Hämorrhoiden werden durch langes und starkes Pres­ sen begünstigt (siehe Kapitel 12). Rückenschmerzen, ein ständiges Völlegefühl und ein negatives Körpergefühl können stark beeinträchtigend sein und sich auch auf die Stimmungslage der Schwangeren negativ auswirken [20]. Bewegung, vermehrte Trinkmenge, faserreiche Diät und pharmakologische Beeinflussung der Darmmotilität durch Füll- und Quellstoffe, Schmier- und Gleitmittel, osmotische und stimulierende Laxantien reichen meist aus, Stuhlweichmacher, Prokinetika, abführende Zäpfchen, Mikroklistier, manuelle Darmentleerung und Einlauf sind selten erforderlich [2, 3, 20]. Die Inzidenz von Gallensteinen ist in der Schwangerschaft zweimal höher als au­ ßerhalb. Ein lithogener Östrogeneffekt scheint in der Schwangerschaft, wie auch bei der Einnahme von Antikonzeptiva, vorzuliegen, sodass der Cholesterinanteil in der Gallenflüssigkeit erhöht ist. Eine verringerte Motilität der Gallenblase sowie eine ver­ stärkte Rückresorption der Desoxycholats bei verlängerter Kolonpassage begünstigen

1.10 Rücken- und Symphysenschmerzen |

27

die Entstehung von biliärem Sludge und Gallensteinen, die bei bis zu 30% bzw. 12% der Schwangeren auftreten, besonders im 3. Trimester [2, 3, 23] (siehe Kapitel 10). Die Lebergröße bleibt unverändert, der Blutfluss in der A. hepatica und in der Pfortader nimmt im Rahmen der hyperdynamen Kreislaufsituation deutlich zu. Die Konzentrationen einiger Leberwerte (AST, ALT, GGT, Bilirubin) sind leicht niedriger als außerhalb der Schwangerschaft, während sich die der alkalischen Phosphatase in der Spätschwangerschaft verdoppeln, bedingt durch die Bildung einer hitzestabilen alkalischen Phosphatase in der Plazenta [2]. Die Mundhöhle kann auch von Schwangerschafts-assoziierten Störungen betrof­ fen sein. Eine Hyperplasie des Zahnfleischs während der Schwangerschaft ist meist mit einer Gingivitis verbunden. In Einzelfällen kann sie sehr ausgeprägt sein und mit Zahnfleischkontaktblutungen und Granulomen einhergehen. Das Auftreten von Aph­ ten ist bei bis zu 20% der Schwangeren zu beobachten. Karies und Parodontitis, die ebenfalls häufiger und stärker in der Schwangerschaft auftreten, können zu einer blei­ benden Verschlechterung des Zahnstatus führen [3]. Ein Anschwellen der Schleimhaut im Nasen- und Rachenraum verbunden mit ei­ ner glandulären Hypersekretion kann bei etwa 20% der Schwangeren zu einer Behin­ derung der Nasenatmung führen (Rhinopathia gravidarum), die ihrerseits Schlafstö­ rungen und Schnarchen hervorruft. Nach Entbindung sind diese Symptome innerhalb von wenigen Tagen nicht mehr nachweisbar [2].

1.10 Rücken- und Symphysenschmerzen Bis zu 70% der Schwangeren klagen über zunehmende Rückenschmerzen. In der Schwangerschaft entwickelt sich eine verstärkte Lordose verbunden mit anteriorer Halsflexion und Absinken des Schultergürtels, um bei nach ventral sich ausdehnen­ dem Bauch den Körperschwerpunkt über den unteren Extremitäten halten zu können. Frauen mit bereits vorbestehenden Rückenbeschwerden und Frauen mit Adipositas sind häufiger und stärker betroffen, ebenso wie Schwangere mit einer verstärkten Vo­ lumenzunahme der Gebärmutter, wie bei Mehrlingen und schwerer Polyhydramnie. Die Lockerung der Bandapparate, die bereits im 1. Trimester einsetzt, betrifft auch die Gelenke des Beckens und die Symphyse, deren Spalt sich bereits im 1. Trimes­ ter um 1–3 mm weitet. Ziehen, Schmerzen, Taubheit und Schwäche der Beine sowie Schmerzen im Bereich der Schambeinfuge können auftreten [2, 3].

Immunsystem Während der Schwangerschaft kommt es zu komplexen Veränderungen des Immun­ systems, die einerseits der Erhaltung des Feten, andererseits dem Schutz der Mutter vor Infektionen dienen. Die Plazenta wirkt als immunologische Barriere zwischen der

28 | 1 Physiologische Veränderungen

Mutter und dem Feten. Zusätzlich entwickelt das mütterliche Immunsystem eine spe­ zifische Toleranz gegenüber dem semi-allogenen Feten. Hierfür sind regulatorische T-Zellen essenziell [25]. Diese schwangerschaftsbedingte Immuntoleranz ist offenbar ein wichtiger Faktor für die Ansteckung und den Schweregrad des Verlaufs einiger vi­ raler Infektionserkrankungen wie Influenza, Herpes simplex, Zytomegalie oder auch Malaria [26]. Die Schwangerschaft ist allerdings keineswegs ein Zustand generalisier­ ter Immunsuppression. Einige Autoimmunerkrankungen können sich während der Schwangerschaft verbessern (z. B. rheumatoide Arthritis, Psoriasis oder Multiple Skle­ rose), andere verschlechtern (z. B. Lupus Erythematodes). Eine Autoimmunthyreoidi­ tis vom Typ Hashimoto oder Typ Basedow kann erstmals während einer Schwanger­ schaft klinisch apparent werden, typisch ist jedoch das Auftreten post partum. Eine Reihe von Komplikationen der Schwangerschaft, wie z. B. Blutungen im ers­ ten Trimester, Hypertonie, Präeklampsie oder Frühgeburtlichkeit werden heute auf eine Fehlsteuerung dieser maternofetalen Immunantwort zurückgeführt [25]. Eine Schwangerschaft verändert nicht wesentlich die immunologische Reaktion auf Impfungen.

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Waltraut M. Merz

2 Pharmakotherapie in der Schwangerschaft 2.1 Einleitung Die Verordnung eines Medikaments an eine Frau im gebärfähigen Alter bzw. eine Schwangere bedarf besonderer Sorgfalt, um potenzielle Schäden für das Ungebore­ ne zu vermeiden. Angaben zur Verschreibungshäufigkeit variieren zwischen 23 und 99% [1–3], beinhalten jedoch auch Folsäure- und Eisensupplementierungen. Antibio­ tika und Antiemetika dominieren die Liste der rezeptierten Medikamente. Die Pharmakotherapie in der Schwangerschaft ist durch die folgenden Besonder­ heiten gekennzeichnet. (a) Veränderte Pharmakodynamik und -kinetik: Aufgrund der tiefgreifenden physiologischen Veränderungen in der Schwanger­ schaft sind wesentliche Kenngrößen einer Substanz wie z. B. Resorption, Ver­ teilung, Wirkung und Abbau verändert. Beispielhaft seien die Expansion des Blutvolumens mit relativer Hypoproteinämie, der Anstieg der glomerulären Fil­ trationsrate sowie die verzögerte Magenentleerung und Darmpassage erwähnt (siehe Kapitel 1). Aus diesen Veränderungen resultieren tendenziell niedrigere Plasma-Konzentrationen eines Pharmakons in der Schwangerschaft. Die Aktivi­ tät transmembranöser Arzneimittel-Transporter und metabolisierender Enzyme ist ebenfalls verändert [4]; so findet z. B. eine Induktion von CYP3A aus der Grup­ pe der Cytochrom P450 Enzyme statt, die Spiegelkontrollen und gegebenenfalls Dosisanpassungen der entsprechenden Medikamente im Schwangerschaftsver­ lauf erforderlich macht. (b) Direkte (unerwünschte) Auswirkung eines Medikaments auf den Embryo/Feten: Eine entscheidende Determinante der Auswirkung einer Substanz ist der Expositi­ onszeitpunkt. Während im klinischen Alltag die Berechnung des Gestationsalters (GA) in Tagen/Wochen post menstruationem (pm) angewandt wird, beruhen ana­ tomische Einteilungen auf dem tatsächlichen Schwangerschaftsalter (post con­ ceptionem, pc). Merke: Drei Entwicklungsphasen werden unterschieden: 1. Phase: Prä-/Implantationsphase zwischen 1. und 2. Schwangerschaftswoche (SSW) pc: Noxen, die auf die Blastozyste (Präembryo) wirken, folgen dem „Alles-oder-nichts“-Gesetz. 2. Phase: Organogenese zwischen 3. und 8. SSW pc: Noxen in diesem Zeitraum umfassen die „klas­ sischen“ Teratogene, mit der Folge nicht letaler bzw. letaler Organfehlbildungen (Embryopathien [z. B. Thalidomid]). 3. Phase: Fetalperiode, 9. bis 38. SSW pc: Noxen in diesem Zeitraum führen zu nicht letalen bzw. letalen funktionellen Störungen (Fetopathien [z. B. ACE-Inhibitoren]), Entwicklungsverzögerungen oder entfalten eine mutagene Wirkung (z. B. Diethylstilbestrol).

DOI 9783110414134-002

2.1 Einleitung

PreOrganogenese 1

2

Embryonalstadium 3

4

5

6

| 31

Fetalstadium 7

8

9

10

11

12

20

38

Zentralnervensystem

Befruchtung bis zur bilaminären Blastozyste

Herz Ohr Augen Arme Beine Lippen Zähne Gaumen äußere Genitalien

Tod

Schwerwiegende Defekte

Leichte Defekte

Abb. 2.1: Vulnerabilität eines bestimmten Organsystems im Falle einer Exposition während der Orga­ nogenese [6]. Schwarze Balken = hochsensible Phase.

Eine genauere Zuordnung des Entwicklungsstadiums ist durch die 23 CarnegieStadien der Prä-, Implantations- und Embryonalphase möglich [5]. Abbildung 2.1 illustriert die Organogenese, aus der die jeweilige Vulnerabilität ei­ nes bestimmten Organsystems im Falle einer Exposition ersichtlich wird. Merke: Neben dem Expositionszeitpunkt bestimmen auch Dosis, Expositionsdauer und genetische Polymorphismen Art und Schwere eines unerwünschten Substanzeffekts.

Darüber hinaus werden wesentliche Faktoren wie Konzentration und Halbwerts­ zeit (HWZ) beim Embryo/Feten von dessen metabolischer Kapazität sowie dem plazentaren Transfer bestimmt. So kann die HWZ von Substanzen, die einer hepa­ tischen Metabolisierung unterliegen, aufgrund der Unreife des fetalen Metabolis­ mus verlängert sein (z. B. Benzodiazepine – floppy infant syndrome). Bei renaler Exkretion kann die Wirkdauer durch orale Wiederaufnahme des Fruchtwassers ebenfalls verlängert sein. Manche Substanzen gelangen durch aktiven plazenta­ ren Transport bevorzugt zum Feten (z. B. Immunglobuline). Interessierte Leser sei­ en auf weiterführende Literatur verwiesen [7, 8]. (c) Indirekte Auswirkungen einer Substanz auf den Embryo und Feten: Hierzu gehören Nebenwirkungen eines Medikaments, die die Schwangere und den Embryo oder Feten gleichermaßen betreffen (z. B. diabetogener Effekt von Glukokortikoiden), sowie Nebenwirkungen, die ausschließlich den Embryo oder Feten betreffen. Beispielhaft sei die Umverteilung der Organperfusion mit utero­ plazentarer Minderperfusion und konsekutivem Risiko einer fetalen Wachstums­ restriktion durch β-Adrenorezeptor-Antagonisten erwähnt.

32 | 2 Pharmakotherapie in der Schwangerschaft

Fehlbildungen können in Malformationen, Deformationen und Disruptionen differen­ ziert werden. Je nach Schweregrad einer Fehlbildung werden diese in Major- und Mi­ noranomalien eingeteilt: Während Majoranomalien immer medizinische Konsequen­ zen beinhalten, bleiben Minoranomalien ohne direkte Auswirkung auf die Gesundheit des Betroffenen. Unter einer Assoziation wird das nicht zufällige Vorkommen multipler Fehlbil­ dungen (Fehlbildungskomplex) verstanden. Die Arzneimittelexposition Schwangerer ist zum einen durch eine unkontrollier­ te Einnahme nicht oder verschreibungspflichtiger Medikamente gekennzeichnet, aus Unkenntnis über die bereits bestehende Schwangerschaft trifft dies insbesondere für die initiale Schwangerschaftsphase zu. Zum anderen wird aus Furcht vor uner­ wünschten Nebenwirkungen eine indizierte Medikation ohne ärztliche Rücksprache abgesetzt. Die resultierende Verschlechterung des maternalen Zustands kann sekun­ där zu einer Gefährdung des Feten führen. Die folgenden allgemeinen Leitsätze sollten bei der Pharmakotherapie von Frauen im gebärfähigen Alter berücksichtigt werden: (a) Bei Frauen mit einer Dauermedikation sollte eine präkonzeptionelle Überprüfung der Indikation erfolgen. Falls die Dauertherapie nicht mehr erforderlich scheint, sollte diese abgesetzt werden. (b) Falls eine Dauertherapie erforderlich ist, und die derzeitige Medikation in einer Schwangerschaft nicht angewandt werden sollte, ist je nach HWZ des Präparats und Patientinnen-Compliance die Umstellung entweder präkonzeptionell, spä­ testens jedoch mit positivem Schwangerschaftstest (z. B. Phenprocoumon, ACEInhibitoren) indiziert. (c) Indizierte, mit der Schwangerschaft kompatible Medikamente sollten nicht abge­ setzt werden. Falls erforderlich, ist eine Begleitmedikation hinzuzufügen. (d) Das bewährteste Medikament einer Substanzgruppe sollte verschrieben werden. (e) Fetale Nebenwirkungen sollten erfasst werden. (f) Kombinationspräparate sollten möglichst nicht verordnet werden, da das Risiko toxischer Nebenwirkungen ansteigt.

Merke: Es ist zu erwarten, dass alle verabreichten Substanzen zum Embryo oder Feten gelangen. Daher muss bei jeder Arzneimittelverordnung in der Schwangerschaft eine Abwägung zwischen maternalem Nutzen und embryonalem oder fetalem Risiko erfolgen.

Zur Bewertung einer Substanz sind die in der Roten Liste® hinterlegten Angaben der Hersteller im Allgemeinen nicht hilfreich, da die Furcht vor Schadensersatzansprü­ chen die Herstellerangaben maßgeblich beeinflusst. Eine differenzierte Bewertung fehlt oftmals. Ein Rückgriff auf verfügbare nationale und internationale Datenban­ ken, Register und Einteilungen ist im Allgemeinen erforderlich (siehe Anhang). Bis

2.1 Einleitung

| 33

vor kurzem stand hier die Klassifikation der US-amerikanischen Food and Drug Admi­ nistration (FDA) zur Verfügung (Tabelle 2.1). Tab. 2.1: FDA-Klassifikation [9]. A

Kontrollierte Studien bei Frauen durchgeführt, kein erkennbares Risiko

B

Tierversuche durchgeführt, kein Risiko; jedoch keine kontrollierten Studien bei Schwangeren durchgeführt oder Tierversuche durchgeführt mit nachteiligen Effekten, die bei kontrollierten humanen Studien nicht bestätigt wurden

C

Tierversuche durchgeführt mit nachteiligen Effekten; keine kontrollierten Studien bei Schwangeren durchgeführt oder Keine Tier- und humanen Studien vorhanden Medikament dieser Klasse sollte nur verordnet werden, wenn der potenzielle Vorteil das potenzielle Risiko rechtfertigt

D

Hinweise auf Risiken vorhanden; der Vorteil der Einnahme ist eventuell trotz des Risikos akzeptabel (z. B. vital bedrohliche Krankheit, für die kein sichereres Medikament zur Verfügung steht)

X

In Tier- und/oder humanen Studien embryonale/fetale Auffälligkeiten nachgewiesen, das Risiko ist stärker als ein potenzieller Vorteil; Verordnung kontraindiziert

Aufgrund bekannter Unzulänglichkeiten (siehe Tabelle 2.2) erarbeitete die FDA eine neue Bewertung der Medikamentenexposition in der Schwangerschaft, die seit 30. 6. 2015 in Kraft ist (pregnancy and lactation labeling rule). Das Klassifikationssystem wur­ de verlassen, stattdessen erfolgt für jedes Medikament eine Zusammenfassung der Ri­ siken, eine Diskussion der Daten, die der Zusammenfassung zugrunde liegen, und es werden Informationen gegeben, die dem Verschreibenden eine Entscheidung und ei­ ne Beratung ermöglichen [10]. Tab. 2.2: Gründe für die Abschaffung der FDA-Klassifikation [n. Briggs]. 1

Die Einteilung ist verwirrend und allzu simplifizierend

2

Die Einteilung führt zu unnötigen Abbrüchen gewünschter Schwangerschaften

3

Die Einteilung vermittelt den falschen Eindruck, dass (i) das Risiko kontinuierlich von A nach X ansteigt und (ii) das Risiko in derselben Kategorie ein vergleichbares Risikopotenzial beinhaltet

4

Die Einteilung erlaubt keine Unterscheidung der potenziellen Toxizität auf der Basis (i) der Schwere, Häufigkeit oder Art des Effektes und (ii) des Gestationsalters, der Dosis, Länge, Häufigkeit und Applikationsart

5

Die Einteilung berücksichtigt die versehentliche Exposition nicht ausreichend

34 | 2 Pharmakotherapie in der Schwangerschaft

Im Folgenden werden die verschiedenen Substanzgruppen, die für das Thema „Vis­ zeralchirurgie und Schwangerschaft“ von Interesse sind, vorgestellt. Für eine diffe­ renzierte Pharmakotherapie und Risikobewertung stehen die im Anhang aufgelisteten Datenbanken zur Verfügung.

2.2 Substanzgruppen und Krankheitsbilder 2.2.1 Analgetika (siehe auch Kapitel 5 und 6) Tab. 2.3: Analgetika. Gruppe

Vertretera

Teratogenität Fetotoxizität

Bemerkung

Salicylate

ASS





> 300 mg/d vorzeitiger Verschluss DA, ggf. Blutungsneigung

antipyretische Analgetika

Paracetamol Metamizol

– –

– –

Tx leichter bis mäßiger Schmerzen, Antipyretikum Tx mäßiger bis schwerer Schmerzen, theoretisch vorzeitiger Verschluss DA

NSAR

Ibuprofen Indomethacin Diclofenac

– – –

– – –

für alle: vorzeitiger Verschluss DA; Oligo-, Anurie; keine Einnahme jenseits 28. SSW

Opioide

Pethidin Tramadol Fentanyl Oxycodon

– – – –

– – – –

für alle: bei Lz-Tx und/oder Tx in Terminnähe neonatale Atemdepression, Entzugssymptoma­ tik

a

Mittel der Wahl einer Substanzgruppe fett gedruckt. DA, Ductus arteriosus; Lz, Langzeit; NSAR, nicht-steroidale Antirheumatika; SSW, Schwangerschafts­ woche; Tx, Behandlung.

2.2 Substanzgruppen und Krankheitsbilder | 35

2.2.2 Anaphylaktischer Schock Adrenalin (Epinephrin): Hinweis auf Teratogenität. Hauptproblem jedoch herabge­ setzte uteroplazentare Perfusion mit konsekutiver fetaler Hypoxämie. Simultane fetale Herzfrequenz-Überwachung indiziert. Hydrocortison: Dosisabhängig teratogen und fetotoxisch (siehe Glukokortikoide). In der Notfallsituation überwiegt der Benefit klar das Risiko. Ranitidin: Keine Teratogenität, keine Toxizität. Dimetinden/Clemastin: Keine Teratogenität, keine Toxizität. Salbutamol/Terbutalin: Bei Kurzzeit-Anwendung Teratogenität unwahrscheinlich; keine Toxizität; ggf. fetale Herztonalteration (Tachykardie).

2.2.3 Krankheiten des Gastrointestinaltraktes (siehe auch Kapitel 6) Tab. 2.4: Gastrointestinale Medikamente. Gruppe Reflux, Ulkusprophylaxe, -therapie Antazida

Anticholinergika aluminiumhaltige Saccharose H2-RezeptorAntagonisten ProtonenpumpenInhibitoren Spasmolytika, Stimulantien Anticholinergika Parasympathomimetika Laxantien Füll- und Quellmittel

osmotische Abführmittel Diphenylmethane

Vertretera

Teratogenität Fetotoxizität

magnesiumhaltig – kalziumhaltig – aluminiumhaltig –

– – –

Pirenzepin Sucralfat

– –

– –

Ranitidin Cimetidin Omeprazol Pantozol

– – – –

– – – –

Atropin Butylscopolamin Prostigmin Neostigmin

– – – –

– – – –

z. B. Weizen­ kleie Psyllium Lactulose Macrogol Natriumpicosulfat Bisacodyl

– –

– –





– –

– –

Bemerkung

ggf. Aluminium-Einbau ossär, renal, zerebral obsolet sehr niedrige enterale Resorption

ggf. fetale Tachykardie ggf. fetale Herzfrequenzalteration

(fast) keine enterale Resorption

36 | 2 Pharmakotherapie in der Schwangerschaft

Tab. 2.4 (fortgesetzt): Gastrointestinale Medikamente. Gruppe

Vertretera

Teratogenität Fetotoxizität

Bemerkung

sekretagoge Abführmittel

Rizinusöl Anthrachinone

– –

– –

Gleitmittel

Paraffin





obsolet fetale Darm- und maternale MyometriumStimulation reduzierte maternale Resorption lipophiler Vitamine

Aktivkohle





Apfelpektin





Loperamid

?



Exogene Pankreasenzyme Simeticon









keine enterale Resorption

Ursodesoxycholsäure

?



Cholestyramin





im 1. Trimenon vermeiden ggf. neonataler Vit. K-Mangel

Antidiarrhoika

Opioid

keine enterale Resorption keine enterale Resorption wenige Daten

Digestiva

Karminativa GallensäureTherapeutika

a

Mittel der Wahl einer Substanzgruppe fett gedruckt.

2.2.4 Anthelminthika und Antimykotika Für die topische Anwendung sind Azol-Derivate (Clotrimazol, Miconazol) und Nysta­ tin Mittel der Wahl.

2.2.5 Antibiotika (siehe auch Kapitel 6) Für „neue“ Antibiotika gilt das Prinzip, dass wenige oder sogar keinerlei Daten zur Einnahme in der Schwangerschaft vorliegen. Falls ihr Einsatz erwogen wird, sollte ei­ ne Register- oder Herstellernachfrage erfolgen. „Ältere“ Wirkstoffgruppen sollten be­ vorzugt eingesetzt werden. Für Daptomycin und Colistin liegen nahezu keine Daten vor, für Linezolid bestehen Hinweise auf Fetotoxizität im Tierversuch.

2.2 Substanzgruppen und Krankheitsbilder | 37

Tab. 2.5: Anthelminthika und Antimykotika. Gruppe

Vertretera

Teratogenität Fetotoxizität

Benzimidazole

Mebendazol Albendazol



Chlorsalicylamid

Niclosamid





Isochinolin-Derivat

Praziquantel

?

(+)

Hinweise auf Ko-Karzinogenität

Azol-Derivate

Fluconazol

+



Itraconazol Ketoconazol

(?) –

– ?

dosisabhängig teratogen wenige humane Daten Interferenz mit Testosteronsynthese

Polyen-Derivat

Amphotericin B





bei oraler Gabe keine Resorption

Cytosin-Derivat

Flucytosin

+

+

wird zu 5-FU metabolisiert

Benzofuran

Griseofulvin

(+)



sehr wenige Daten

a

Bemerkung

– wenige humane Daten

Mittel der Wahl einer Substanzgruppe fett gedruckt.

Tab. 2.6: Antibiotika. Gruppe

Vertretera

Teratogenität Fetotoxizität

Penicilline

alle





Mittel der Wahl

β-LactamaseInhibitoren

Clavulansäure – Sulbactam – Tazobactam –

– – –

für alle: wenige Daten, Einsatz jedoch möglich

Cephalosporine

alle





Mittel der Wahl; ältere Substanz­ gruppen bevorzugen

Makrolide

Erythromycin* Spiramycin Azithromycin Clarithromycin

– – ? ?

– – ? ?

– – wenige humane Daten tierexperimentell hohes teratogenes Potenzial



?

potenziell Karzinogenität. Erst-Tri­ mester-Exposition vermeiden, an­ dere Mittel der Substanzgruppe vermeiden

Nitroimidazole Metronidazol

Bemerkung

38 | 2 Pharmakotherapie in der Schwangerschaft

Tab. 2.6 (fortgesetzt): Antibiotika. Gruppe

Vertretera

Teratogenität Fetotoxizität

Bemerkung

Aminoglykoside

Gentamycin



+

Streptomycin



+

Tobramycin

?

?

potenziell Oto- und Nephrotoxizität nur für Tuberkulose einsetzen geringe Datenlage

Nitrofurane

Nitrofurantoin



(+)

hämolytische Anämie postnatal (geringes Risiko)

Lincosamide

Clindamycin Lincomycin

– –

– –

– –

Carbapeneme

Meropenem Imipenem

– –

– –

für beide: wenige humane Daten

Tetracycline

z. B. Doxycyclin



+

Einsatz sollte vermieden werden; Kalzium-Bindung an Knochen und Zähne

?

+

im Tierversuch te­ ratogen, humane Daten widersprüch­ lich; hämolytische Anämie, Hyperbili­ rubinämie, Kernik­ terus widersprüchliche Daten, ggf. Folsäure als Begleitmedikation

Sulfonamide

Folsäureantagonisten

Trimethoprim Pyrimethamin

?



Chinolone

alle

(+)



Einsatz sollte vermieden werden

Glykopeptide

Vancomycin

(–)

(–)

wenige humane Daten

Phosphonsäure

Fosfomycin





eigentlich ReserveAntibiotikum

Tuberkulostatika

Isoniazid Rifampicin Ethambutol

– – –

– – –

a

Vit. K substituieren

Mittel der Wahl einer Substanzgruppe fett gedruckt. * Erythromycinestolat im 2. + 3. Trimester wegen maternaler Hepatotoxizität kontraindiziert.

2.2 Substanzgruppen und Krankheitsbilder |

39

2.2.6 Antiemetika und Antihistaminika (siehe auch Kap.6) Tab. 2.7: Antiemetika und Antihistaminika. Gruppe

Vertretera

Teratogenität

Fetotoxizität

H1-RezeptorAntagonisten

Meclozin Clemastin Dimetinden Loratadin Cetrizin Dimenhydrinat

– – – – – –

– – – – – –

DopaminAntagonisten

Metoclopramid –



Phenothiazine

Promethazin





SerotoninAntagonisten

Ondansetron





a

Bemerkung im 1. Trimester bevorzugen im 1. Trimester bevorzugen ab 2. Trimester ab 2. Trimester Anwendung im 3. Trimenon und bei drohender Frühgeburtlich­ keit vermeiden

Mittel der zweiten Wahl

Mittel der Wahl einer Substanzgruppe fett gedruckt.

Topische Anwendung: Bei kleinflächiger Anwendung von Antihistaminika sind kei­ ne negativen embryonalen/fetalen Auswirkungen zu erwarten.

2.2.7 Antikoagulantien und andere hämostaseologische Substanzen Tab. 2.8: Gerinnungsaktive Medikamente. Gruppe

Vertretera

Heparine

unfraktionierte – niedermolekulare –

– –

Heparinoid

Danaparoid





zweite Wahl

F-Xa-Inhibitoren Fondaparinux Rivaroxaban

– ?

– ?

zweite Wahl keine humanen Daten; im Tier­ versuch fetotoxisch

F-IIa-Inhibitoren Argatroban



?

wenige Daten; enthält Ethanol; Einsatz nur bei Unverträglichkeit anderer Antikoagulantien

Phenprocoumon +

+

im 1. Trimester (Coumadin-Em­ bryopathie) und präpartal (Hirn­ blutung) kontraindiziert; vor 5. SSW kein teratogener Effekt

Cumarine

Teratogenität Fetotoxizität

Bemerkung

40 | 2 Pharmakotherapie in der Schwangerschaft

Tab. 2.8 (fortgesetzt): Gerinnungsaktive Medikamente. Gruppe

Vertretera

Teratogenität Fetotoxizität

Bemerkung

Thrombozytenaggregationshemmer

ASS Clopidogrel

– (–)

– (–)

≤ 300mg/d wenige humane Daten

Protamin

(–)

(–)

keine humanen Daten

K-Vitamine

Phytomenadion





Fibrinolytika

Streptokinase



(+)

Urokinase

(–)

(–)

t-PA

(–)

(–)

Tranexamsäure

(–)

(–)

Antifibrinolytika a

fetales Blutungsrisi­ ko gering, transpla­ zentarer AntikörperTransfer nach Sen­ sibilisierung poten­ ziell ungünstig wenige humane Daten wenige humane Daten wenige Daten

Mittel der Wahl einer Substanzgruppe fett gedruckt.

2.2.8 Immunsuppressiva, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (siehe auch Kapitel 14) Glukokortikoide Topisch: Bei großflächiger und/oder längerfristiger Applikation insbesondere auf ge­ schädigte Haut muss eine systemische Wirkung angenommen werden. Budeso­ nid: Niedrige orale Bioverfügbarkeit (etwa 10%), ausschließlich lokale Anwen­ dung. Systemisch: Mittel der Wahl Prednison, Methylprednisolon: Dosisabhängig tera­ togen. Fetotoxisch: Fetale Wachstumsrestriktion. 90% Metabolisierung in der Plazenta. Beta-, Dexamethason zur fetalen Lungenreifeinduktion bei drohender Frühgeburtlichkeit zwischen 25. und 32. SSW indiziert (höherer transplazentarer Übergang). Immunmodulatoren mit Bezug zur Viszeralchirurgie Azathioprin: Keine Teratogenität. Fetotoxizität: Wachstumsrestriktion, Knochen­ marks-Suppression des Neonaten nach Exposition 3. Trimester. Immunsuppressiva: Tacrolimus und Ciclosporin mit Schwangerschaft kompatibel, Methotrexat und Mycophenolat mit hohem teratogenem Potenzial.

2.2 Substanzgruppen und Krankheitsbilder | 41

Mesalazin und Sulfasalazin: Keine Teratogenität, keine Fetotoxizität. Monosubstanz (Mesalazin) bevorzugen (Risiko eines Kernikterus beim Neugeborenen nach Ein­ nahme in der Spät-Schwangerschaft durch den Sulfonamid-Anteil). Außerdem höhere Resorption und höherer Plazentatransfer von Sulfasalazin. Folsäureant­ agonist, Folsäure-Einnahme in erhöhter Dosis erwägen. Monoklonale Antikörper mit Bezug zur Viszeralchirurgie Adalimumab, Infliximab (Anti-TNFalpha-AK): Vermutlich keine Teratogenität, je­ doch Toxizität aufgrund des aktiven plazentaren Transports in der zweiten Schwan­ gerschaftshälfte; Immunsuppression des Neugeborenen. Vor Einsatz von Immunsuppressiva oder bei Schwangerschaft nach Organtransplan­ tation wird die Rücksprache mit Zentren empfohlen. Das Gleiche gilt für alle antineo­ plastischen Substanzen in der Onkologie, die teratogen und fetotoxisch sind.

2.2.9 Parenterale Ernährung Falls eine parenterale Ernährung längerfristig erforderlich ist, sollte eine Dosis-Anpas­ sung der Kalorien, Elektrolyte, Vitamine und Spurenelemente erfolgen [11].

2.2.10 Datenbanken, Register und Monografien Datenbanken Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie (Embryotox) https://www.embryotox.de/ Institut für Reproduktionstoxikologie am KH St. Elisabeth, Ravensburg (Reprotox) http://www.reprotox.de European Network of Teratology Information Services (ENTIS) https://www.entis-org.eu/ Organization of Teratology Information Specialists (OTIS) http://mothertobaby.org/ Motherisk, The Hospital for Sick Children, Universität Toronto http://www.motherisk.org/ Maligne Erkrankungen in der Schwangerschaft International Network on Cancer, Infertility and Pregnancy (INCIP) https://www.cancerinpregnancy.org/ American Society of Clinical Oncology (ASCO) http://www.cancer.net/navigating-cancer-care/dating-sex-and-reproduction/cancer-duringpregnancy

42 | 2 Pharmakotherapie in der Schwangerschaft

Register Ergebnisse von Registerdaten sind hypothesengenerierend; Erkenntnisse mit höchstem Evidenzni­ veau können sie nicht erbringen. Nationale und internationale Register existieren entweder zu einer bestimmten Erkrankung (z. B. EU­ RAP – European Registry of Antiepileptic Drugs and Pregnancy) oder als Hersteller-Register zu einer bestimmten Substanz (z. B. Schwangerschaftsregister der Firma Merck zu Ribavirin). Webseite mit einer Zusammenstellung der internationalen (US-amerikanischen) Schwangerschafts­ register: http://www.fda.gov/ScienceResearch/SpecialTopics/WomensHealthResearch/ucm134848.htm Fehlbildungsregister: EUROCAT – European Surveillance of Congenital Anomalies http://www.eurocat-network.eu/ ICBDSR – International Clearinghouse for Birth Defects Surveillance and Research http://www.icbdsr.org/page.asp?p=9895&l=1

Monografien Schaefer C, Spielmann, Vetter K, Weber-Schöndorfer C, eds. Arzneimittel in Schwangerschaft und Still­ zeit. München, Germany, Elsevier GmbH, 2012. Briggs GG, Freeman RK, Yaffe SJ. Drugs in pregnancy and lactation, 9th edn. Philadelphia, USA, Lip­ pincott Williams & Wilkins, 2011.

Literatur [1]

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Palmsten K, Hernandez-Diaz S, Chambers CD et al. The most commonly dispensed prescription medications among pregnant women enrolled in the U.S. Medicaid Program. Obstet Gynecol 2015, 126, 465–73. Smolina K, Hanley GE, Mintzes B, Oberlander TF, Morgan S. Trends and determinants of pre­ scription drug use during pregnancy and postpartum in British Columbia, 2002–2011: A popu­ lation based cohort study. PLoS ONE 2015, 10(5), e0128312. Bjorn AM, Norgaard M, Hundborg HH, Nohr EA, Ehrenstein V. Use of prescribed drugs among primiparous women: an 11-year population-based study in Denmark. Clin Epidemiol 2011, 3, 149–56. Tasnif Y, Morado J, Hebert MF. Pregnancy-related pharmacokinetic changes. Clin Pharmacol Ther 2016, 100(1), 53–62. O’Rahilly R, Müller F. Developmental stages in human embryos. Carnegie Institution of Wa­ shington Publication 63, Meriden, Connecticut, USA, 1987. Sadler TW. Langman’s Medical Embryology. 6th edn. Baltimore, USA, Williams & Wilkins, 1990, 130 pp. Plonait SL, Nau H. Physicochemical and structural properties regulating placental drug trans­ fer. In: Polin RA, Fox WW, Abman SH, ed. Fetal and neonatal physiology. 4th edn. Philadelphia, USA, Elsevier Saunders, 2011, 231–45. Garland M. Drug distribution in fetal life. In: Polin RA, Fox WW, Abman SH, ed. Fetal and neona­ tal physiology. 4th edn. Philadelphia, USA, Elsevier Saunders, 2011, 252–62. FDA Federal Register 1980, 44, 37434–67.

Literatur

| 43

[10] Federal Register/Vol. 79, No. 233/Thursday, December 4, 2014/Rules and Regulations. Depart­ ment of Health and Human Services. Food and Drug Administration. 21 CFR Part 201. Content and Format of Labeling for Human Prescription Drug and Biological Products; Requirements for Pregnancy and Lactation Labeling; https://www.gpo.gov/fdsys/pkg/FR-2014-12-04/pdf/201428241.pdf; http://www.fda.gov/Drugs/DevelopmentApprovalProcess/DevelopmentResources/ Labeling/ucm093307.htm. [11] Cimbalik C, Paauw JD. Pregnancy and Lactation. The A.S.P.E.N Nutrition Support Curriculum. Silver Spring, MD, 2012, 331–47.

Marek Zygmunt

3 Labordiagnostik 3.1 Einleitung Neben der Anamnese, körperlichen Untersuchung und Bildgebung sind Laborunter­ suchungen eine wichtige Säule in der Diagnostik von Erkrankungen während einer Schwangerschaft. Hierzu werden Proben von Blut, Urin und Abstriche für mikrobio­ logische Untersuchungen gewonnen. Labortests spielen aber auch eine wichtige Rolle bei der Früherkennung von Schwangerschaftsrisiken und -komplikationen. Die physiologischen und biochemi­ schen Veränderungen während einer Schwangerschaft beeinflussen die Laborunter­ suchungen und deren Ergebnisse. Für die Beurteilung der Laborwerte müssen daher Referenz-Intervalle (2,5 und 97,5 Perzentilen oder 90% Konfidenz-Intervalle) von ge­ sunden Schwangeren für die verschiedenen Stadien einer Schwangerschaft zugrunde gelegt werden [1, 2]. Merke: Laborwerte in der Schwangerschaft müssen immer unter Kenntnis des Gestationsalters beurteilt werden.

3.2 Schwangerschaftstest Der Nachweis der Schwangerschaft beruht auf dem immunologischen Test zur Be­ stimmung des Human-Chorion-Gonadotropin (hCG). HCG ist ein Proteohormon, das vom Synzytiotrophoblasten gebildet wird. Das Molekulargewicht von hCG beträgt etwa 37.000 Dalton, es handelt sich um ein Heterodimer, das aus einer α-Untereinheit aus 92 Aminosäuren und einer β-Untereinheit aus 145 Aminosäuren besteht. Die α-Untereinheit zeigt strukturelle Übereinstimmung mit den Hypophysen-Hormonen FSH, LH, TSH und Prolaktin, die β-Untereinheit ist spezifisch für hCG. HCG ist von gro­ ßer physiologischer Wichtigkeit, weil es das Corpus luteum in der Schwangerschaft unterhält. HCG ist direkt und indirekt für eine Reihe von adaptiven Veränderungen in der Schwangerschaft verantwortlich (z. B. Steroidsynthese, Angiogenese, aber auch morgendliche Übelkeit und Hyperemesis). Der Nachweis erfolgt im Blut oder Urin. In den ersten Wochen der Schwanger­ schaft steigt die hCG-Konzentration im Blut stetig an, etwa alle zwei Tage verdop­ peln sich die Hormonwerte. Das Maximum wird zwischen der zehnten und zwölften Schwangerschaftswoche erreicht, danach fallen die hCG-Werte langsam ab.

DOI 9783110414134-003

3.5 Laboruntersuchungen innerhalb der Mutterschaftsrichtlinien |

45

Die im Schwangerschaftstest verwendeten Antikörper reagieren nur mit der β-Untereinheit, um Kreuzreaktionen mit ähnlichen Proteohormonen auszuschließen. Bereits ab dem 7. Tag nach der Konzeption kann β-HCG im Serum nachgewiesen werden, Werte über 20 IE/l sprechen für das Vorliegen einer Schwangerschaft. Alternativ kann β-HCG auch im Urin zur Feststellung einer Schwangerschaft nach­ gewiesen werden. Ein immunchromatografischer Urin-Test ist preisgünstig und sollte in jeder Notaufnahme verfügbar sein. Der Nachweis im Serum liefert frühestens 7 Tage nach der Befruchtung verwertbare Ergebnisse, der Nachweis im Harn etwa nach 12–14 Tagen, d. h. zum Zeitpunkt der erwarteten Regelblutung. Zur Beurteilung der regulären Entwicklung gibt es Verlaufskurven zur Serum- und Urinkonzentration von β-HCG. Die Werte im Urin entsprechen dem Dreifachen der Se­ rumkonzentration. Bei jeder Frau mit akuten Abdominalbeschwerden im gebärfähigen Alter sollte bei der Notfalldiagnostik β-HCG bestimmt werden, um eine (auch ektope) Schwan­ gerschaft festzustellen und gegebenenfalls radiologische Untersuchungen mit Strah­ lenbelastung zu vermeiden.

3.3 Vorsorgeuntersuchungen nach den Mutterschaftsrichtlinien Die vom gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen Richtlinien [3] dienen der frühzeitigen Erkennung von Schwangerschaftskomplikationen (Screening).

3.4 Blutgruppe und Antikörper Zu Beginn jeder Schwangerschaft erfolgt nach der Mutterschaftsrichtlinie [3] die Be­ stimmung der Blutgruppe inkl. Rhesus-Formel. Im weiteren Verlauf ist ein zweimali­ ger Test auf Antikörper gegen Blutgruppenantigene vorgesehen. Die Befunde können bei Vorliegen eines Mutterpasses übernommen werden (siehe Abbildung 3.1).

3.5 Laboruntersuchungen innerhalb der Mutterschaftsrichtlinien Es gibt eine Reihe von Krankheitserregern, die das Kind im Mutterleib oder nach der Geburt gefährden können. Um eine Ansteckung zu vermeiden und rechtzeitig Maß­ nahmen zum Schutz des Kindes einleiten zu können, ist es wichtig, zu wissen, ob die Mutter eine dieser Erkrankungen auf das Kind übertragen könnte. Deshalb werden im Verlauf der Schwangerschaft der Röteln-Antikörpertest, die Lues-Such-Reaktion, der Nachweis von Chlamydien und ein Nachweis von HBs-Antigen durchgeführt. Die Schwangere muss nach Feststellung der Schwangerschaft bezüglich einer HIV-Testung beraten werden, allerdings wird das Ergebnis einer Testung nicht im

46 | 3 Labordiagnostik

Abb. 3.1: Mutterpassseite mit Blutgruppe und Antikörpertest (©Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung [BZgA], Köln).

Mutterpass vermerkt, lediglich die Durchführung eines HIV-Tests ist zu dokumentie­ ren. Etwa monatlich sollten in der Schwangerschaft Hämoglobin-Gehalt und UrinSediment untersucht werden. Diese Vorsorgeuntersuchungen werden im Mutterschaftspass dokumentiert und können bei akuten Krankheitsbildern zum Vergleich herangezogen werden.

3.6 Routinelabor und mögliche Norm-Veränderungen in der Schwangerschaft Aufgrund der Anpassungsvorgänge in der Schwangerschaft sind für einige klinischchemische Laborparameter eigene Referenzintervalle [1, 2] zu beachten, die sich zu­ dem noch während der drei Trimester ändern können (siehe Tabelle 3.1). Die Elektrolyte Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium weisen keine schwan­ gerschaftstypischen Veränderungen auf, lediglich gegen Ende der Schwangerschaft kann eine leichte Erniedrigung des Serum-Calciums (gemessen als Gesamt-Calcium) aufgrund der relativ geringen Albumin-Konzentration beobachtet werden.

3.6 Routinelabor und mögliche Norm-Veränderungen in der Schwangerschaft

| 47

Tab. 3.1: Physiologische Veränderungen klinisch-chemischer Parameter während der Schwanger­ schaft bis zum Geburtstermin. verringert

unverändert

erhöht

Enzyme: Cholinesterase, y-GT

Enzyme: GOT, GPT, GLDH, LDH

Enzyme: AP, LAP, α-Amylase, Lipase

Gesamteiweiß, Albumin, γ-Globuline

Bilirubin, Gallensäuren

Gerinnungsfaktoren: I, II, VII, VIII, IX, X D-Dimere

Hämoglobin. Hämatokrit

Thrombozyten

α- und β-Globuline, α-1-Antitrypsin

Haptoglobin, Eisen

C-Reaktives Protein

Transferrin, Coeruloplasmin, Kupfer

Elektrolyte K, Na, Mg, Ca

Cholesterin, Triglyceride Leukozyten, Retikulozyten BSG n. Westergren Alpha-Fetoprotein, CA-125

Durch den Verdünnungseffekt nimmt die Konzentration von Albumin, Gamma­ globulin und Gesamteiweiß während der Schwangerschaft kontinuierlich ab. Die al­ kalische Phosphatase steigt durch Bildung eines Isoenzyms in der Plazenta im 2. und 3. Trimenon an. Während die Mehrzahl der Leberenzyme konstant bleibt, fallen Cho­ lesterinesterase und y-GT im Verlauf der Schwangerschaft ab. Im Verlauf des ersten Trimesters der Schwangerschaft steigen der renale Plasma­ fluss (RPF) und die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) als Folge des erhöhten Herzzeit­ volumens an (siehe auch Kapitel 1). Die Serum-Konzentrationen von Kreatinin und Harnstoff fallen entsprechend in den beiden ersten Trimestern ab. Ein Serum-Kreati­ nin von über 0,9 mg/dl ist in der Schwangerschaft bereits als pathologisch anzusehen. Der Cystatin-C-Spiegel als Marker für die GFR ist zum Ende der Schwangerschaft hin aus nicht geklärten Gründen erhöht und für die Abschätzung der GFR in der Schwan­ gerschaft nicht geeignet. Die Zunahme der Cholesterin-, Triglycerid- und Lipoprotein-Konzentrationen während der Schwangerschaft dient der Versorgung des Feten und der plazentaren Synthese von Steroidhormonen. Bei etwa 25% der Schwangeren lässt sich eine nicht pathologische Erhöhung des Tumormarkers CA-125, ein Glykoprotein, das von coelomischem Epithel freigesetzt wird, feststellen. Alpha-Fetoprotein (AFP) wird in der fetalen Leber produziert und kann im mütterlichen Blut Werte von bis zu 400 ng/dl erreichen.

48 | 3 Labordiagnostik

3.6.1 Blutbild Während der Schwangerschaft kommt es durch eine gesteigerte Neubildung der zel­ lulären Blutbestandteile zur sogenannten physiologischen Leukozytose. Leukozyten­ werte von 10–15.000/µl in der Schwangerschaft bzw. bis zu 20.000/µl unter der Geburt oder im frühen Wochenbett gelten als normal. Daher ist die Leukozytenzahl in die­ ser Zeit ein unzuverlässiger Entzündungsindikator. Auf der anderen Seite führen die Veränderungen in der Schwangerschaft zur phy­ siologischen Schwangerschaftsanämie (siehe auch Kapitel 1). Das Plasmavolumen nimmt um etwa 20–30% zu, das Erythrozytenvolumen dagegen nur um 10–20%. Es kommt zu einer Erhöhung des Blutvolumens um 30–40% und zum Abfall der Hä­ moglobinkonzentration [Hb]. Dadurch sind die physiologischen Hämoglobinwerte in der Schwangerschaft niedriger als außerhalb einer Schwangerschaft. Eine Anämie kommt bei etwa 25% aller Schwangeren vor und ist nach aktuellen Leitlinien definiert als: – Hb < 11 g/dl (< 6,7 mmol/l) im I. Trimester – Hb < 10,5 g/dl (< 6,5 mmol/l) im II. und III. Trimester Die Thrombozytenzahl ist in der Schwangerschaft nicht verändert.

3.6.2 Eisenhaushalt Eisen ist ein wichtiger Baustein des Hämoglobins, des Myoglobins und Kofaktor vie­ ler Enzyme, die an der Zellatmung beteiligt sind, wie Katalasen, Peroxydasen und Cytochrome. Eisenmangel ist die häufigste Ursache einer Anämie in der Schwanger­ schaft und mit einer Vielzahl von maternalen und kindlichen Komplikationen in Ver­ bindung gebracht worden (Infektionen, Blutungen, Frühgeburt, niedriges Geburtsge­ wicht). Viele Frauen haben bereits vor der Schwangerschaft einen Eisenmangel, der sich in der Schwangerschaft verstärkt. In der Schwangerschaft besteht ein erhöhter Eisenbedarf von etwa 30 mg/Tag zur Bildung der Erythrozyten bei Mutter und Fet [4]. Die Diagnose eines Eisenmangels beruht in der Praxis auf dem Nachweis einer mi­ krozytären Anämie und eines erniedrigten Serum-Ferritins, auch ohne Anämie kann jedoch in der Schwangerschaft eine Depletion der Eisenspeicher vorliegen. Ein Ferri­ tin-Spiegel von < 15 µg/l definiert einen Eisenmangel, sofern keine Entzündung vor­ liegt. Eine erniedrigte Transferrin-Sättigung (Eisen/Transferrin × 70,9, Norm zwischen 16 und 45%) kann ebenfalls Zeichen eines Eisenmangels sein [5]. Da bei einer Inflammation das Akut-Phasen-Protein Ferritin ansteigt und Trans­ ferrin abfällt, ist es nicht sinnvoll, diese Parameter bei einem Infekt oder unmittelbar nach einem operativen Trauma zu bestimmen. Neuere Marker für einen Eisenmangel sind ein Abfall des Peptidhormons Hepci­ din, das die Eisenresorption am Darm bremst, oder ein Anstieg des löslichen Transfer­

3.6 Routinelabor und mögliche Norm-Veränderungen in der Schwangerschaft | 49

rin-Rezeptors (sTfR), beide Werte sind unabhängig von Entzündungsreaktionen. Ein gutes Maß für die Eisenversorgung ist der Thomas-Plot, der Quotient aus sTfR und dem Logarithmus der Ferritin-Konzentration [6]. Im Wochenbett und in der Stillzeit ist ebenfalls durch den Blutverlust unter der Geburt und vermehrten Verbrauch mit einer Eisenmangelanämie zu rechnen. Wenn Eisen substituiert wird, kann der Erfolg der Therapie durch den Anstieg der Retikulo­ zytenzahl oder den Anstieg des [Hb] überprüft werden.

3.6.3 Entzündungsparameter Die unkomplizierte Schwangerschaft bietet auch Merkmale eines inflammatorischen Zustandes. Im Plasma lassen sich Akut-Phasen-Proteine und erhöhte proinflammato­ rische Zytokine feststellen, welche als Reaktion auf das trophoblastische Gewebe auf­ gefasst werden [7]. Für die Beurteilung abdomineller Beschwerden und deren Verlauf wird häufig das C-reaktive Protein bestimmt, das in der Leber, vermittelt durch proin­ flammatorische Cytokine wie Interleukin-6, gebildet wird. In der Mehrzahl der Studien wird für die normal verlaufende Schwangerschaft ein leichter Abfall der CRP-Werte in­ nerhalb der Normwert-Grenzen beschrieben. Bei Frauen mit Adipositas ist jedoch das CRP während der Schwangerschaft in Korrelation zum Body Mass Index erhöht und fällt dann zum Geburtstermin hin ab. Die Bedeutung dieser mit Adipositas assoziier­ ten Inflammation für Komplikationen bei Mutter und Kind ist noch unklar [7, 8]. Die Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit (BSG n. Westergren) ist aufgrund der Schwangerschafts-assoziierten Dysproteinämie vom dritten Monat der Schwan­ gerschaft bis etwa 3 Wochen post partum auf etwa 10/30 mm erhöht.

3.6.4 Gerinnung Die Schwangerschaft ist gekennzeichnet durch eine Hyperkoagulabilität, die teleolo­ gisch als Vorbereitung für den Blutverlust bei der Geburt angesehen werden kann. Die prokoagulatorischen Gerinnungsfaktoren V, VII, VIII, IX, X, XI und XIII, der Von-Wil­ lebrand-Faktor und Fibrinogen sind erhöht, die endogene antikoagulatorische Akti­ vität (Heparin-Cofaktor II, Alpha-1-Antitrypsin, Protein S, APC-Resistenz) ist dagegen erniedrigt. Der Fibrinogen-Spiegel steigt bis zum Ende der Schwangerschaft von etwa 300 mg/dl auf 450 mg/dl an, die D-Dimere steigen ebenfalls von 300 auf 1000 ng/ml an. Im präoperativen Routine-Labor werden Prothrombin-Zeit (Quick oder INR) und die aktivierte partielle Thromboplastin-Zeit (aPTT) gemessen. Diese Parameter sind zur Monitorierung einer Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (in der Schwanger­ schaft kontraindiziert) oder des Heparin-Effektes geeignet, sie sagen jedoch das Risiko einer intraoperativen Blutung nur ungenügend voraus [9].

50 | 3 Labordiagnostik

Bei der Handhabung akuter Blutungen haben sich Point-of-Care-Verfahren, wel­ che intraoperativ sehr kurzfristig die Gerinnselbildung untersuchen und grafisch dar­ stellen, auch in der Geburtshilfe bei schweren postpartalen Blutungen bewährt [10]. Hierbei wird in einem Thrombelastogramm die Dynamik der Thrombinbildung und Thrombusbildung dargestellt. Koagulopathien sind häufige Begleiterscheinungen unterschiedlicher schwan­ gerschaftsbedingter Erkrankungen. Eine disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) mit Verbrauch der Gerinnungsfaktoren und Anstieg der D-Dimere kann als Folge einer Plazentalösung, einer Fruchtwasser-Embolie, bei ausgedehnter Amnioninfek­ tion oder bei Absterben des Feten (Dead-fetus-Syndrom) beobachtet werden und zu schweren postpartalen Blutungen führen. Ein Anstieg der D-Dimere während der Schwangerschaft ist normal und für die Diagnostik bei Verdacht auf Thrombose nur mit Einschränkung geeignet.

3.6.5 Schilddrüsenfunktion Eine Reihe von physiologischen Veränderungen während der Schwangerschaft beein­ flussen die Schilddrüsenfunktion und die Schilddrüsenhormon-Spiegel (siehe auch Kapitel 1). Humanes Choriongonadotropin (hCG) stimuliert den TSH-Rezeptor, sodass bis zum Ende des ersten Trimesters ein Anstieg des freien Thyroxins (FT4) beobach­ tet wird, gleichzeitig sinkt der TSH-Spiegel in diesem Trimenon. Durch den Anstieg des Thyroxin bindenden Globulins (TBG) um das 2–3-fache bis zur 20. SSW resul­ tiert ein Anstieg der Gesamt-T3 und -T4 um das 1,5-fache. Bei der Beurteilung von Schilddrüsenparametern sollten trimesterspezifische Normwerte berücksichtigt wer­ den. Für TSH werden Normwerte im ersten Trimester von 0,1–2,5 mU/L, im zweiten von 0,2–3,0 mU/L und für das dritte von 0,3–3,5 mU/L in amerikanischen und euro­ päischen Leitlinien angegeben [11]. Eine latente Hypothyreose (erhöhtes TSH bei nor­ malem FT4) und eine manifeste Hypothyreose (erhöhtes TSH, erniedrigtes FT4) treten in etwa 2–4% während einer Schwangerschaft auf und stellen unbehandelt ein Risiko für die Entwicklung des Feten dar [11]. Etwa 15–20% der Schwangeren haben schild­ drüsenspezifische Auto-Antikörper (Anti-Thyreoidale Peroxidase [Anti-TPO] oder An­ ti-Thyreoglobulin [Anti-TG]) mit abfallender Tendenz zum Ende der Schwangerschaft und hierdurch erhöhte TSH-Spiegel [11]. Schwangere mit TPO-Antikörpern entwickeln in 50% eine postpartale Thyreoiditis.

3.6.6 Urindiagnostik Im Rahmen der Schwangerenvorsorge laut Mutterschaftsrichtlinie erfolgt die monatli­ che Mittelstrahlurindiagnostik bezüglich Eiweiß, Zucker, Nitrit und Blut [3]. Tritt eine erhöhte Ausscheidung auf, so erfolgt die weiterführende Diagnostik. Dabei gilt es zu

3.7 Laborveränderungen und schwangerschaftsspezifische Erkrankungen | 51

beachten, dass eine hohe Zahl falsch-positiver Befunde auftreten kann. Dies ist mit ei­ ner veränderten Zusammensetzung des Urins in der Schwangerschaft verbunden (hö­ here Salzkonzentration, Proteinurie, niedrigerer pH). Wichtig ist zu wissen, dass eine Glucosurie in 15% der Schwangerschaften auftritt, eine quantitative Messung sollte dann im 24-Stunden-Sammelurin erfolgen. Hier gilt als obere Grenze eine Ausschei­ dung von 150 mg in 24 Stunden als normal. Zum Ausschluss einer latenten diabetoge­ nen Stoffwechsellage ist allerdings die Durchführung eines oralen Glukose-Toleranz­ tests (OGTT) indiziert. Für die quantitative Eiweißausscheidung liegt die Grenze bei bis zu 150 µg/l in 24 Stunden. Als Diagnostikkriterium für eine schwere Präeklampsie gelten 300 mg/24 h, dabei ist die Höhe der Proteinurie bei einer Entscheidung zur Ent­ bindung nicht von Bedeutung. Alternativ kann der Protein (mg/dl)/Kreatininquotient bestimmt werden, als pathologisch sind Werte > 30 mg/mmol anzusehen [12]. Bei der Verwendung der Teststreifen kann zusätzlich eine Ketonausscheidung ge­ prüft werden, die als Hinweiszeichen für eine Hyeremesis gravidarum gilt. In der Schwangerschaft werden zur Diagnostik eines Harnwegsinfektes ein UrinStick bzw. eine Urin-Kultur mit Bestimmung der Bakteriologie und Resistenzaustes­ tung durchgeführt. Symptomatische oder asymptomatische Bakteriurien sind häufig in der Schwangerschaft und meist durch E.coli hervorgerufen. Das Screening und die Behandlung auch asymptomatischer Harnwegsinfekte, unabhängig von der quantita­ tiven Bakterienzahl, ist obligat und senkt die Rate an Schwangerschaftskomplikatio­ nen für Mutter und Kind [13, 14].

3.7 Laborveränderungen im Zusammenhang mit schwangerschaftsspezifischen Erkrankungen In etwa 3–5% der Schwangerschaften werden pathologische Leberwerte beobach­ tet [15]. Diese können unabhängig von der Schwangerschaft durch Gallensteine oder virale Hepatitis bedingt sein oder durch eine der typischen schwangerschaftsbeding­ ten Lebererkrankungen hervorgerufen werden. Zu den Schwangerschafts-assoziierten Leberveränderungen gehören die Präeklampsie, das HELLP-Syndrom (Haemolysis, elevated liver enzymes, low platelets) und die akute Fettleber. Von der Präeklampsie unabhängig sind Leberdysfunktion bei Hyperemesis gravidarum im ersten Trimester und die intrahepatische Schwangerschafts-Cholestase in den beiden letzten Trimes­ tern mit erhöhten Transaminasen und milder Bilirubinämie. Für die Diagnostik der schweren Präeklampsie werden sowohl die Leberenzyme ALAT, ASAT (Anstieg um das Zweifache der Normwerte), die Thrombozytenzahl (Abfall unter 100.000/l bzw. 50.000/l) und ein Anstieg des Bilirubins und Kreatinins über 1,1 mg/dl sowie ein Abfall des Haptoglobins verwendet [16, 17]. Erhöhte Harnsäure-Spiegel über 6 mg/dl können ein Hinweis auf eine beginnende Gestose sein [18].

52 | 3 Labordiagnostik

Zur Differenzierung der Schwere einer Schädigung des Feten während der Schwan­ gerschaft kann die Bestimmung des freien Hämoglobins im Serum hilfreich sein. Zusätzlich ist dies als Hämolysezeichen ein Marker beim HELLP-Syndrom (siehe Kapitel 15 und 17). Ein Schädigungsparameter für die Integrität der uteroplazentaren Grenzfläche, z. B. nach abdominellem Trauma, ist der Nachweis von fetalem Hämoglo­ bin (HbF) im Blut der Mutter durch den Kleihauer-Betke-Test (siehe auch Kapitel 16).

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Marek Zygmunt

4 Bildgebende Diagnostik 4.1 Einleitung Zur Beurteilung des Verlaufs der intrauterinen Entwicklung des Feten und zur Durch­ führung der Screening-Untersuchungen nach den Mutterschaftsrichtlinien ist der Ul­ traschall mit farbkodierter Duplexsonografie (FKDS) die geeignete Methode. Bei der Diagnostik viszeralchirurgischer und gynäkologischer extrauteriner Krankheitsbilder kommen jedoch zusätzlich zum Ultraschall auch andere radiolo­ gische Verfahren wie Röntgenuntersuchungen, Computertomografie (CT) oder Ma­ gnetresonanztomografie (MRT) zur Anwendung. Die bildgebende Diagnostik muss grundsätzlich immer im Zusammenhang mit Anamnese und Befunden der körperli­ chen Untersuchung und der Laborwerte beurteilt werden. Chirurg und Gynäkologe sollten zumindest Basiskenntnisse in der Aussagekraft und Beurteilung der verschie­ denen Bildgebungsverfahren haben, um eine rechtfertigende Indikation (nach § 23 der Röntgenverordnung und § 80 der Strahlenschutzverordnung) verantwortlich stellen zu können. Im Zweifel kann es insbesondere in der Schwangerschaft sinnvoll sein, je nach Fragestellung und Gestationsalter die Modalität der Bildgebung mit einem erfahrenen Radiologen abzusprechen. Gerade für die schwangere Patientin ist eine Risikoabwägung zwischen den po­ tenziellen Schädigungen (z. B. Strahlenexposition, Kontrastmittel) durch die Bildge­ bung gegenüber den Risiken einer übersehenen oder zu spät erkannten Erkrankung oder einer unnötigen explorativen Laparotomie von großer Bedeutung [1]. Die Angst vor Schäden durch radiologische Untersuchungen mit ionisierender Strahlung in der Schwangerschaft ist bei Patientinnen, aber auch Ärzten oft unverhältnismäßig und ungerechtfertigt. Bei adäquater Durchführung und Schutzmaßnahmen des Feten durch entsprechende Abdeckung, Ausblendungen und Aussparungen des Beckenbe­ reichs ist der Nutzen durch radiologische Untersuchungen in der Regel größer als die Risiken [1, 2]. Merke: Die Angehörigen sollten zusammen mit der Schwangeren möglichst in die Indikationsstel­ lung und Aufklärung einbezogen werden, da besonders in Notfallsituationen Angst und Emotionen vorherrschend sind.

Es liegt in der Verantwortung sowohl des behandelnden Arztes als auch des Radiolo­ gen, eine Schwangerschaft bei Frauen im gebärfähigen Alter durch β-HCG im Serum oder im Urin vor einer Schnittbildgebung auszuschließen oder zu bestätigen (siehe Kapitel 3).

DOI 9783110414134-004

54 | 4 Bildgebende Diagnostik

Bei einer unbeabsichtigten Strahlenexposition eines Embryos oder eines Feten im Rahmen der bildgebenden Diagnostik rechtfertigt das minimale Risiko, dem der Fet oder der Embryo ausgesetzt war, das erheblich höhere Risiko einer invasiven Präna­ taldiagnostik oder sogar eines Schwangerschaftsabbruchs nicht [3].

4.2 Sonografie Die wichtigste Rolle in der Diagnostik während der Schwangerschaft spielt die Sono­ grafie. Diese hat sich von einer Untersuchungsmethode der Radiologen zunehmend zu einer Methode der erweiterten körperlichen Untersuchung im jeweiligen klinischen Fachgebiet entwickelt. Die Sonografie kann sowohl transvaginal als auch transabdo­ minal durchgeführt werden. Die Vorteile der Sonografie sind – fehlende Strahlenbelastung – beliebige Wiederholbarkeit bei Verlaufsbeurteilungen – beliebige Verfügbarkeit Tag und Nacht – Untersuchung am Bett der Patientin durch Mobilität der Geräte – niedrige Kosten Der übliche B-Mode des Ultraschalls kann durch die farbkodierte Duplexsonografie, die 3D-Sonografie und die kontrastverstärkte Sonografie (CEUS) ergänzt werden. Die heutigen Geräte werden bei immer besserer Auflösung immer kleiner und damit mobil in der Ambulanz, auf der Station oder im OP-Saal einsetzbar.

4.2.1 Biologische Wirkung des Ultraschalls (US) US kann durch Kavitation und Wärmebildung biologische Wirkungen verursachen, andere physikalische Primäreffekte spielen im klinischen Einsatz keine Rolle. Für die Beurteilung der Wärmeeffekte eignen sich zwei Parameter: Soft tissue thermal index (TIS) in der Frühgravidität und bone thermal index (TIB) in den späteren Schwanger­ schaftswochen. Sie werden von den US-Geräten angezeigt, ähnlich wie der mechanical index (MI) [4]. Beim A-, B- und M-Mode sowie der 3D-Sonografie sind die verwendeten Leistun­ gen und Intensitäten so niedrig, dass exponiertes Gewebe nicht merklich erwärmt wird. Dies gilt auch für endoskopische und transvaginale Untersuchungen, thermi­ sche Schäden wurden bei diesen Verfahren nicht beobachtet. CW-Doppler und die fe­ tale Kardiotokografie arbeiten mit geringen Intensitäten und sind thermisch harmlos. Bei dem Puls-Doppler-Betrieb der Duplexsonografie erreichen dagegen einige Geräte Intensitäten wie bei therapeutischem Ultraschall oder sogar darüberliegend. Bei der­ artigen Intensitäten ist bei stationärem Betrieb zur Blutströmungsmessung eine Er­ wärmung des exponierten Gewebes nicht auszuschließen [4, 5]. Bei der farbkodierten

4.2 Sonografie

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55

Doppler-Sonografie wird etwa die zehnfache und bei der Puls-Doppler-Strömungs­ messung etwa die hundertfache Intensität des einfachen B-Modes eingesetzt [4]. Es ist zu beachten, dass bei einer fiebernden Schwangeren die thermalen Effekte ausge­ prägter sind. Ein Zusammenhang zwischen der Sonografie in der Schwangerschaft und einer Beeinträchtigung der körperlichen oder neurologischen Entwicklung oder erhöhtem Risiko für maligne Erkrankung des Neugeborenen konnte nicht nachgewissen wer­ den. Es gibt Hinweise, dass die intrauterine Ultraschall-Exposition eine schwache As­ soziation mit Linkshändigkeit bei Jungen aufweist [6]. Nach Empfehlung der European Federation of Societies for Ultrasound in Medicine and Biology [7] stellen die B- und M-Mode-Verfahren keine Probleme dar, für die PulsWave-, Continuous-Wave- und Color-Doppler-Technik sollen entsprechende Sicher­ heitsmaßnahmen ergriffen werden, wie z. B. Minimierung der Expositionszeit. Dopp­ ler-Untersuchungen sind im 1. Trimenon nur nach strenger Indikationsstellung und so kurz wie möglich durchzuführen [8]. Bei der Kontrastmittel-Sonografie (CEUS) werden 3 µm kleine Gasbläschen aus Schwefelhexafluorid in 2,5 ml Phospholipidlösung intravenös appliziert. Die Bläs­ chen haben eine Halbwertszeit von wenigen Minuten und verlassen nicht das Ge­ fäßsystem, das sich hierdurch mit sehr guter Auflösung darstellen lässt. Die KMSonografie hat sich insbesondere für die Differenzierung von Raumforderungen in parenchymatösen Organen (Leber, Niere, Milz) bewährt. In der Schwangerschaft und Stillzeit sollten kontrastmittelverstärkte Ultraschalluntersuchungen allerdings ver­ mieden werden, da im Tierexperiment mikrovaskuläre Schäden beobachtet worden sind – im klinischen Betrieb sind bisher allerdings keine Schädigungen festgestellt worden [8]. Bei benignen Raumforderungen der Leber (fokale noduläre Hyperplasie, Adenom oder Hämangiom) empfiehlt sich die Abklärung mittels CEUS oder MRT vor der Schwangerschaft und die Verlaufskontrolle während der Schwangerschaft mit dem B-Mode-Verfahren [9].

4.2.2 Untersuchungstechnik während der Schwangerschaft Bei Befunden, die über das kleine Becken hinausreichen, wird der transabdominale Ultraschall genutzt, wie dies in der fortgeschrittenen Schwangerschaft durchgeführt wird, zur Anwendung kommt hier der 3–3,5 MHz Schallkopf. In der Frühschwangerschaft kann zur Abgrenzung mit gefüllter Harnblase eine bessere Darstellbarkeit des inneren Genitale erreicht werden. Mit Voranschreiten der Schwangerschaft sollte die Schwangere die Blase vor der Untersuchung entleeren, da der Harndrang störend für die Untersuchung sein kann. Die zweite Möglichkeit stellt eine vaginale Ultraschalluntersuchung mit einem > 5 MHz Sektorschallkopf dar. Diese höheren Ultraschallfrequenzen (5–7,5 MHz) kön­ nen durch die Nähe zu den Organen mit hoher Auflösung verwendet werden. Im Rah­

56 | 4 Bildgebende Diagnostik

men der Schwangerschaft kann es nötig sein, den vaginalen Ultraschall unter steri­ len Bedingungen mit leerer Harnblase auf dem gynäkologischen Untersuchungsstuhl oder auf einer Untersuchungsliege mit aufgestellten Beinen durchzuführen. Der reguläre Einsatz der Sonografie im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge wird durch die Mutterschaftsrichtlinien festgelegt [10]. Drei Untersuchungen sind vorgesehen: Zwischen der 9. und 12. Schwangerschaftswoche (1. Trimenon), zwischen der 19. und 22. Schwangerschaftswoche (2. Trimenon) und in der 29. bis 32. Schwan­ gerschaftswoche (3. Trimenon). Diese Untersuchungen dienen der Bestimmung des genauen Gestationsalters, zum frühzeitigen Erkennen von Mehrlingsschwanger­ schaften, der Kontrolle der somatischen Entwicklung des Feten, der Suche nach Auffälligkeiten und zur Beurteilung des fetalen Wachstums und der Plazenta [10]. Ein intrauteriner Fruchtsacknachweis ist ab 2 mm Größe möglich. Der Dottersack als extraamnial gelegene Ringstruktur ist zwischen der 5. und 10. SSW nachweisbar. Die Struktur misst etwa 4–5 mm, ab der 5./6. Schwangerschaftswoche kann bereits eine Herzaktion nachgewiesen werden. Für die Bestimmung des Schwangerschafts­ alters ist im 1. Trimenon die Scheitel-Steiß-Länge entscheidend. Ein sonografischer Nachweis einer intakten Schwangerschaft (unabhängig von der intra- oder extraute­ rinen Lage) sollte in der Regel gelingen, wenn die β-hCG Konzentration im maternalen Blut die Grenze von 2000 U/L überschreitet. Dieser Wert ist auch hilfreich in der Dia­ gnostik der extrauterinen Schwangerschaft. Bei Kenntnis der Schwangerschaft ist eine Beurteilung der Vitalität, des Gestati­ onsalters und auch des Implantationsortes (Ausschluss einer Extrauteringravidität) möglich. Bei Schwangerschaftseintritt bzw. in der Frühschwangerschaft ist meist das Corpus luteum einseitig im Ovar nachweisbar und von einer Ovarialzyste zu unter­ scheiden. Bei Erkrankungen in der Schwangerschaft oder Komplikationen sind weitere Ul­ traschalluntersuchungen notwendig. Beispielhaft seien hier der Diabetes mellitus, die Gestose und Präeklampsie, fetale Retardierungen, Lageanomalien und drohende Frühgeburten durch Zervixinsuffizienz oder vorzeitige Wehentätigkeit genannt sowie atypische Fruchtwasserbefunde (Hydramnion vs. Oligohydramnion beim vorzeitigen Blasensprung). Im vaginalen Ultraschall wird die uterine Zervix hinsichtlich der Länge und auch Dynamik untersucht. Die Doppler-Sonografie wird nur in ausgewählten Indikationen angewandt und soll nicht als Screening-Methode bei unauffällig verlaufenden Schwangerschaften eingesetzt werden. Die häufigsten Indikationen für eine doppler-sonografische Un­ tersuchung sind z. B. eine intrauterine Wachstumsretardierung, Z. n. Mangelgeburt oder Verdacht auf eine Herzfehlbildung oder fetale Anämie. Sie dient dem Erkennen von fetalen Gefährdungen, hierbei erfolgt die Beurteilung des feto-maternalen Ver­ sorgungssystems. Die wichtigsten Gefäße, die zur Beurteilung herangezogen werden, sind auf der maternalen Seite die Aa. uterinae und beim Fet die Aa. umbilicales, die

4.3 Röntgendiagnostik |

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A. cerebri media und die Vena umbilicalis, anhand der Flussmuster kann die fetale Versorgung beurteilt werden.

4.3 Röntgendiagnostik Bei jeder Schwangeren ist sorgfältig zu überlegen, ob auf eine Röntgenaufnahme nicht verzichtet werden kann und ein anderes diagnostisches Verfahren zu Anwen­ dung kommt, es ist auch von Bedeutung, welche Körperregion untersucht werden soll. Für eine Röntgen-Abdomen-Übersicht bei bekannter Schwangerschaft gibt es kaum eine sinnvolle Indikation, allerdings wird hierbei zuweilen die Schwanger­ schaft überraschend festgestellt (Abbildung 4.1). Aufnahmen der Extremitäten gehen mit einer sehr geringen Strahlenexposition einher, diese können trotz bestehender Schwangerschaft durchgeführt werden. Die Röntgenverordnung (§ 25) sieht in Deutschland vor, wenn bei „Frauen trotz bestehender oder nicht sicher auszuschließender Schwangerschaft die Anwendung von Röntgenstrahlung geboten (ist), sind alle Möglichkeiten zur Herabsetzung der

Abb. 4.1: Röntgen-Abdomenübersichtsaufnah­ me in der Schwangerschaft. Zur Verfügung gestellt von Prof. Dr. Norbert Hosten, Universi­ tätsmedizin Greifswald.

58 | 4 Bildgebende Diagnostik

Strahlenexposition der Schwangeren und insbesondere des ungeborenen Kindes aus­ zuschöpfen.“ [2, 11]

4.3.1 Wirkung der Strahlen Grundsätzlich kann ionisierende Strahlung Schäden an Zellen hervorrufen. Dabei werden zwei Kategorien biologischer Strahlenwirkung unterschieden: Deterministi­ sche (vorherbestimmbare) und stochastische (zufällige). Merke: Deterministische Wirkungen treten akut und oberhalb bestimmter Dosisschwellenwerte auf. Der deterministische Schaden beim Ungeborenen wird nicht nur von der Höhe der Strahlen­ dosis bestimmt, sondern auch vom Entwicklungsstadium des Ungeborenen.

In Abhängigkeit von Schwangerschaftsentwicklung und Strahlendosis können diese vom Tod über Fehlbildungen und schwere geistige Retardierung bis hin zur Entste­ hung von malignen Erkrankungen innerhalb von 10 Jahren und vererbbaren Defekten führen. Schäden, die durch Strahlung entstehen, nehmen mit steigender Dosis zu (deter­ ministische Strahlenwirkung), dafür werden Schwellenwerte festgelegt. Die Schwel­ lendosis zur Auslösung einer fetalen Schädigung liegt bei 50–100 mSv. Bei dia­ gnostischen Röntgenaufnahmen werden folgende Strahlendosen erreicht: Übersicht 2,0–8,0 mSv, Zielaufnahme 3,0–12,0 mSv und Durchleuchtung 6,0–24,0 mSv, bei einer Computertomografie bereits 31,0–86,0 mSv. In der Frühphase einer Schwangerschaft kann die Strahlenwirkung dazu führen, dass sich die befruchtete Eizelle nicht einnistet oder sogar abstirbt. Dafür sind bereits Dosen von 50–100 mSv ausreichend. Die Frühphase umfasst den Zeitraum vom ersten Tag der letzten Regelblutung bis vier Wochen danach. Bis zur 10. Woche nach der letzten Regelblutung kann eine Strahlung zu Fehlbil­ dungen führen, da in dieser Zeit die embryonalen Organe wie Herz und Nervensystem gebildet werden. Es erfolgt eine Differenzierung der Zellen, welche ebenfalls bei Do­ sen von 50–100 mSv gestört werden kann. Ab der 11. Schwangerschaftswoche kann es durch Strahlungen ab 300 mSv zu Störungen der Gehirnentwicklung kommen. Der Schwellenwert für akute Strahlenschäden liegt außerhalb der Schwanger­ schaft bei über 500 mSv. Stochastische Schäden sind Spätschäden wie Krebserkrankungen oder Leukämie. Sie entstehen durch Veränderungen der genetischen Zellinformation, wodurch zel­ luläre Kontrollmechanismen gestört werden können. Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines stochastischen Spätschadens steigt mit zunehmender Strahlendosis an und ist unabhängig von der Entwicklungsphase des Ungeborenen. Das Krebsrisi­ ko, insbesondere das Leukämierisiko, ist für ein Kind nach einer Strahlenbelastung

4.5 Magnetresonanztomografie (MRT) |

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im Mutterleib erhöht, die entsprechenden Risikoabschätzungen sind jedoch mit er­ heblichen Unsicherheiten behaftet.

4.3.2 Konsequenzen einer Strahlenbelastung in der Frühschwangerschaft Bei Strahlenbelastungen unter 50 mSv gibt es keine Empfehlungen zum Abbruch einer Schwangerschaft, da erwartet werden kann, dass keine fetale Schädigung erfolgt ist. Bei Dosen zwischen 50 und 100 mSv ist mit der betroffenen Patientin ein ausführ­ liches Aufklärungsgespräch zu möglichen Schäden zu führen. In Abhängigkeit von der individuellen Bewertung kann ein Abbruch diskutiert werden. Merke: Ab Dosen von 200 mSv und mehr ist ein deutlich erhöhtes Risiko für die Schwangerschaft gegeben. Mit der aufgeklärten Patientin ist in Abhängigkeit von der persönlichen Einstellung ein Abbruch aus medizinischer Sicht zu erwägen [12].

4.4 Computertomografie (CT) Das CT sollte in der Schwangerschaft nur durchgeführt werden, wenn durch Sonogra­ fie und eine MRT keine sichere Diagnose gestellt werden konnte und die weitere Abklä­ rung therapeutische Konsequenzen hat, dies gilt insbesondere für unklare Bauch- und Flankenschmerzen. Aufgrund der besseren Verfügbarkeit kann auch in der Schwan­ gerschaft bei akuten Notfall-Indikationen nach Trauma oder V. a. vaskuläre Notfälle (z. B. Aneurysmaruptur) ein CT indiziert sein. Zur Reduktion der Strahlendosis im Be­ cken und Schonung des Feten kann das CT je nach Indikation auch auf den Bereich oberhalb des Beckenkamms begrenzt werden [13]. Die fetale Dosis bei einem einzel­ nen Abdomen-Becken-CT beträgt etwa 24 (Range 16–31) mGy und liegt damit unter der Konsensus-Dosis eines vernachlässigbaren Risikos von 50–150 mGy [14]. Es muss allerdings bedacht werden, dass viele Untersuchungsprotokolle zwei bis drei CT-Seri­ en (z. B. ohne sowie mit venöser und arterieller Kontrastierung) erfordern und sich so die fetale Dosis verdoppelt oder verdreifacht. Die fetale Dosis korreliert mit dem Lei­ besumfang der Mutter, sodass bei dünnen Frauen eine Reduktion des Röhrenstroms erfolgen kann [14].

4.5 Magnetresonanztomografie (MRT) Die MRT gilt bei fehlender ionisierender Strahlung als unbedenklich während der Schwangerschaft. Obwohl tierexperimentelle Untersuchungen teilweise widersprüch­ liche Ergebnisse in Bezug auf eine mögliche fetale Schädigung erbracht haben, konn­

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Abb. 4.2: MRT zur Diagnostik der fetalen Fehl­ bildung (hier Hydrocephalus). Zur Verfügung gestellt von Prof. Dr. Norbert Hosten, Universi­ tätsmedizin Greifswald.

ten die klinischen Untersuchungen keine negativen Ergebnisse im Hinblick auf das Wachstum, fetale Herzfrequenz oder frühkindliche Entwicklung nachweisen [15–17]. Bei MRT in der Schwangerschaft gelten gleiche Kontraindikationen wie außerhalb der Schwangerschaft (z. B. Herzschrittmacher, Cochlea Implantate, Clips). Es sollte al­ lerdings auch hier vor allem im 1. Trimenon eine gründliche Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Schnelle Sequenzen sind zu bevorzugen, um Artefakte durch Bewegungen des Feten auszuschalten. Eine MRT-Untersuchung eignet sich aus gynäkologischer Sicht besonders zur Ab­ klärung folgender maternaler Erkrankungen: Unterbauchtumore, abnorme Plazen­ taimplantation (Placenta accreta, Placenta praevia), akutes Abdomen, Hydronephro­ se, Thrombosen (inklusive Ovarialvenenthrombose), Appendizitis, Erkrankungen des ZNS. Eine wichtige Rolle kann die MRT auch in der Diagnostik der fetalen Fehlbildun­ gen spielen (siehe Abbildung 4.2). Einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt bei der MRT-Untersuchung stellt die Geräuschentwicklung dar, sie kann eine Lautstärke von bis zu 130 dB erreichen. Da erhöhte Lautstärke einen negativen Effekt auf die Schwangerschaft haben kann (u. a. Beeinträchtigung des kindlichen Hörvermögens, Neigung zur Frühgeburtlichkeit, ge­ ringes Geburtsgewicht), sind entsprechende lärmreduzierende Systeme der MRT-Gerä­ te wesentlich. Merke: Eine MRT-Untersuchung im 1. Trimenon ist nach Möglichkeit zu vermeiden, sie ist dennoch einer Untersuchung mit ionisierender Strahlung vorzuziehen [18].

4.7 Nuklearmedizinische Untersuchungen |

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4.6 Kontrastmittel Bisher wurden keine teratogenen oder mutagenen Effekte von jodhaltigen Kontrast­ mitteln oder Gadolinium nach Applikation in der Schwangerschaft beim Menschen nachgewiesen. Die teratogene Dosis von gadoliniumhaltigen Kontrastmitteln liegt im Tiermodell deutlich über den empfohlenen klinisch eingesetzten Dosen [19]. Freies Iodid in Kontrastmitteln kann die fetale Schilddrüsenfunktion mit der Folge einer Hypothyreose blockieren, sodass die Schilddrüsenfunktion des Neugeborenen nach Kontrastmittel-Untersuchungen der Mutter während der Schwangerschaft innerhalb der ersten Woche nach der Geburt kontrolliert werden sollte [20]. Obwohl nur sehr geringe Mengen jodhaltiger oder gadolinium-basierter Kontrastmittel bei stillenden Müttern in die Muttermilch gelangen und noch weniger im Säuglingsdarm resorbiert werden, wird eine Stillpause von 24 Stunden nach Gabe dieser Kontrastmittel emp­ fohlen [20]. Merke: Keine einzelne radiologische Untersuchung exponiert die Schwangere einer Strahlendosis, die den Embryo oder Feten signifikant schädigt.

4.7 Nuklearmedizinische Untersuchungen Grundsätzlich sollten in der Schwangerschaft und in der Stillperiode keine Szintigra­ fien oder Therapien mit Radioisotopen durchgeführt werden. Die Bestimmung der Schilddrüsenfunktionsparameter, Antikörper und die Sonografie sind im Allgemei­ nen fast immer ausreichend, um Hyper- oder Hypothyreosen in der Schwangerschaft abzuklären. Die fetale Absorption der ionisierenden Strahlung nach Applikation von Radioisotopen zu diagnostischen Zwecken ist von der Art des verwendeten Isotops, der Strahlung des maternalen Gewebes, vom Plazentatransport, vom Schwanger­ schaftsalter und von der renalen Clearance abhängig [19]. Die Strahlenexposition ist in der Frühschwangerschaft am höchsten. Eine Ausnahme stellt die Exposition nach Applikation von I-131 dar, das in der fetalen Schilddrüse besonders im zweiten Trimenon akkumuliert. Für die Anwendung der Isotopenmarkierung gelten folgende Grundsätze: Merke: Die Anwendung der Isotopen I-131, Fe-59, Se-75 ist in der Schwangerschaft kontraindiziert. Nach Abwägung von Risiken und Nutzen können Tc-99m, Kr-81m und Cr-51 und Xe-127/Xe-133 ver­ wendet werden [19].

Eine Sentinel-Node-Biopsie bei Mammakarzinom in der Schwangerschaft unter Ver­ wendung einer 99mTc-Lymphszintigrafie ist möglich, da die vom Uterus und Feten absorbierten Dosen sehr gering sind [21]. Gleiches kann auch hinsichtlich der Lymph­ szintigrafie bei malignem Melanom angenommen werden (siehe Kapitel 18).

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4.8 Akute Bauchschmerzen: Die Schwangere in der Notaufnahme Bei jeder Schwangeren mit Bauchschmerzen oder nach einem Bauchtrauma sollte ei­ ne Sonografie des Abdomens erfolgen. Um Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden, sollte der erfahrenste Untersucher hierfür zur Verfügung stehen. Im Idealfall kann der Ultraschall vom Chirurgen und Gynäkologen gemeinsam durchgeführt werden. Bei der Untersuchung ist fachliche Kompetenz, standardisierte Untersuchungstech­ nik und eine Dokumentation zu fordern (beispielsweise durch Weiterbildung und Qualitätssicherung durch die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, www.degum.de). Verlaufsuntersuchungen sollten möglichst vom gleichen Untersu­ cher vorgenommen werden. Für Gallensteine und deren Komplikationen ist zunächst eine gute Ultraschalluntersuchung ausreichend, bei akuter persistierender oder zu­ nehmender Cholestase ist eine MR-Cholangiografie indiziert (siehe Kapitel 10). Wenn im Ultraschall keine hinreichende diagnostische Sicherheit für die Thera­ pie-Entscheidung erreicht werden kann, sollte in der Schwangerschaft nicht gezögert werden, eine MRT des Abdomens und Beckens durchzuführen. Die gilt insbesondere auch bei Verdacht auf akute Appendizitis, die mit einer hohen diagnostischen Genau­ igkeit bestätigt und lokalisiert oder ausgeschlossen werden kann [22, 23]. In der MRT können eine Vielzahl von Erkrankungen an Organen des Bauchraumes und des Be­ ckens diagnostiziert und in ihrer Ausprägung eingeschätzt werden [22, 24]. Hierdurch können unnötige explorative Laparoskopien oder Laparotomien bei Schwangeren ef­ fektiv vermieden werden. Gadolinium als Kontrastmittel ist hierbei möglichst zu ver­ meiden. Röntgen-Abdomen-Übersichtsaufnahmen haben heute in der Notfalldiagnostik beim akuten Abdomen keinen wesentlichen Stellenwert mehr, dies gilt ganz beson­ ders für die Schwangerschaft [25]. Bei Verdacht auf eine Hohlorgan-Perforation kann eine Röntgen-Thorax-Aufnahme im Stehen in zwei Ebenen (mit Ausblendung und Blei-Schutz des Abdomens und Beckens) sehr sensitiv für freie intraperitoneale Luft sein und eine weitere Schnittbilddiagnostik vermeiden, da die Patientin dann im Allgemeinen operiert werden muss (siehe Kapitel 8). Eine Untersuchung der Schwangeren mit Spiral-CT und i. v. Kontrastmittel ist nur bei einem akuten vaskulären Notfall (z. B. Aneurysma-Ruptur, Aortendissektion) oder bei einem Polytrauma („Traumaspirale“) mit lebensbedrohlichen Verletzungen gerechtfertigt, wenn eine schnelle Diagnostik erforderlich ist [24]. Merke: Eine Schwangerschaft sollte nicht eine adäquate und umgehende Diagnostik bei einem akuten Trauma oder akutem Abdomen verhindern! Die Verzögerung der Diagnostik ist bei akutem Abdomen und Trauma die Hauptursache für die Morbidität von Mutter und Kind, nicht die Diagnos­ tik per se!

4.10 Diagnostik venöser Thrombembolien in der Schwangerschaft

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4.9 Urolithiasis Nierenkoliken gehören zu den häufigsten Ursachen abdomineller Schmerzen in der Schwangerschaft. Die angegebenen Inzidenzen der symptomatischen Nephrolithia­ sis reichen von 1 : 200 bis 1 : 1500 Schwangerschaften [26]. Nierenkoliken können zu schwerwiegenden Komplikationen für die Mutter mit der Folge einer Frühgeburt füh­ ren, daher ist eine genaue Diagnose wichtig. Neben der klinischen Untersuchung mit Flanken- oder Abdominalschmerz und Nachweis einer Mikrohämaturie ist zunächst die Ultraschalluntersuchung zielführend. Hierbei können das Nierenparenchym, Nie­ renbecken und ein erweiterter Ureter, gelegentlich auch ein Harnleiterkonkrement, dargestellt werden. In der Schwangerschaft kommt es häufig zu einer physiologischen Erweiterung des Nierenbeckens und Dilatation des cranialen Ureters durch Kompres­ sion zwischen Uterus und dem M. iliopsoas. Die Sonografie sollte in Seitenlage mit der schmerzhaften Seite oben liegend erfolgen. Eine transvaginale Ultraschalluntersu­ chung kann den distalen Ureter und einen prävesikalen Stein darstellen. Falls sich im Ultraschall keine eindeutige Diagnose stellen lässt und die Beschwerden unter konser­ vativer Therapie persistieren, ist eine MRT indiziert, um die Ursache und Lokalisation zu klären. Insbesondere die zusätzliche MRT Urografie (MRU) ohne Kontrastmittel ist sicher und effektiv, um den Harntrakt abzuklären [26, 27]. Bei der statischen MRU werden stark T2-gewichtete Turbospinecho-Sequenzen in zweidimensionaler oder 3D-Volumentechnik angewandt [28]. In der koronaren Schnittführung lassen sich dann die Harnwege im Seitenvergleich sehr gut beurteilen. Nachteile des MRU sind die limitierte Visualisierung sehr kleiner Steine, die Kosten und der Zeitaufwand. Auf­ grund der Strahlenbelastung ist nur in Ausnahmefällen ein Low-dose-CT zum Nach­ weis von Harnsteinen indiziert, der besser als mit dem MRU gelingt [27]. Das früher oft durchgeführte I. V. Pyelogramm (IVP) ist wegen der Strahlenbelastung und ungenü­ genden Sensitivität ähnlich wie „Röntgen-Abdomen-Leeraufnahmen“ heute obsolet.

4.10 Diagnostik venöser Thrombembolien in der Schwangerschaft Die Zeit der Schwangerschaft und des Wochenbettes birgt ein erhöhtes Risiko für ve­ nöse Thrombembolien (VTE) in der Form von tiefen Bein- und Beckenvenenthrom­ bosen oder Lungenembolien. Die Ursachen hierfür liegen in der Hyperkoagulabilität (siehe Kapitel 1), venösen Stase durch Kompression der V. cava und Immobilität der Schwangeren sowie in Schädigungen der Venenwand nach Sectio oder durch den Ge­ burtsvorgang (Virchowsche Trias). Das Risiko von VTE ist um das 4–5-fache gegenüber Nicht-Schwangeren erhöht [29]. Während der Schwangerschaft besteht das höchste Risiko im ersten Trimenon, im Wochenbett nach der Entbindung ist das Risiko für ei­ ne VTE besonders hoch: 5-fach höher für eine tiefe Bein-Beckenvenenthrombose und 15-fach erhöht für eine Lungenembolie im Vergleich zur Zeit der Schwangerschaft. Bei Schwangeren kommt eine Beinvenenthrombose im Allgemeinen nur linksseitig vor,

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da hier die linke V. iliaca communis von der rechten A. iliaca unterkreuzt wird und von ventral der Uterus drückt. Bei der Festlegung von diagnostischen Leitlinien auf der Basis von Studien zur Vorhersage-Genauigkeit von Labor- und Bildgebung wur­ den Schwangere zumeist ausgeschlossen. Es gibt für die Schwangerschaft lediglich Empfehlungen zur Diagnostik, die auf dem Konsensus von Expertengremien beru­ hen [30, 31]. Beinödeme mit Spannungsgefühl sind eine häufige Begleiterscheinung in der spä­ ten Schwangerschaft, sodass VTE häufig übersehen oder spät erkannt werden. An­ dererseits ist eine venöse Stase durch Kompression der V. cava physiologisch in der Schwangerschaft und kann mit einer Beckenvenenthrombose verwechselt werden. Die D-Dimere steigen bis zur Geburt kontinuierlich an, sodass die Beurteilung schwierig ist und sich an trimenonspezifischen Normwerten orientieren muss. Ledig­ lich der negative Vorhersagewert (Ausschluss einer TVE) ist hoch, wenn die D-Dimere niedrig sind [30, 31]. Bei Verdacht auf eine Venenthrombose sollte immer eine farbkodierte Duplexso­ nografie mit Kompression der Venen in Linksseitenlage erfolgen. Die KompressionsSonografie hat eine Sensitivität und Spezifität von > 95% für den Nachweis einer Ober­ schenkelvenenthrombose, die Aussagekraft bezüglich einer Beckenvenenthrombose ist deutlich geringer. Bei suspektem Befund im Beckenbereich sollte eine MRT erfolgen, die bei NichtSchwangeren eine Sensitivität von 97% und eine Spezifität von 95% hinsichtlich einer tiefen Beckenvenenthrombose aufweist [31]. Bei Verdacht auf Lungenembolie (Dyspnoe, Tachykardie, Brustschmerz) sollte zunächst eine Röntgen-Thorax-Aufnahme zum Ausschluss anderer Krankheitsbil­ der (Pneumonie, Atelektase, Lungenödem) erfolgen. Bei Schwangeren ohne vorbe­ stehende Lungenkrankheit und mit normalem Röntgen-Thorax kann eine Ventilati­ ons-/Perfusionsszintigrafie durchgeführt werden. Aufgrund der höheren Verfügbarkeit im Notfall wird in der Praxis bei der erheblichen therapeutischen Konsequenz häu­ figer ein Spiral-CT mit Kontrastierung der Pulmonalarterien durchgeführt [29–31]. Die ionisierende Strahlung einer Lungenszintigrafie oder des Thorax-CT muss in An­ betracht der hohen Mortalität einer Lungenembolie (etwa 30%) bei therapeutischer Konsequenz akzeptiert werden. Merke: Bei der Wahl des bildgebenden Verfahrens in der Schwangerschaft steht an erster Stelle die Sonografie. Die Magnetresonanztomografie (MRT) wird bei Unklarheit der Diagnose und therapeu­ tischer Konsequenz ebenfalls gefahrlos durchgeführt. Eine Computertomografie kann in lebens­ bedrohlichen Situationen gerechtfertigt sein. Konkrete Schäden durch Gadolinium oder jodhaltige Kontrastmittel sind bisher nicht bekannt, Kontrastmittel sollten dennoch in der Schwangerschaft vermieden werden. Bei Applikation von jodhaltigen Kontrastmitteln muss das Neugeborene in der ersten Woche hinsichtlich der Schilddrüsenfunktion (Hypothyreose) untersucht werden.

Zwischen 10. und 17. Schwangerschaftswoche sollte auf eine elektive radiologische Diagnostik verzichtet werden.

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Nicholas Kiefer

5 Anästhesie 5.1 Einleitung Merke: Keiner Patientin in der Schwangerschaft sollte, eine entsprechend dringliche Indikation und sorgfältige Abwägung vorausgesetzt, ein operativer Eingriff verwehrt werden [1].

Diese Aussage schließt das Anästhesieverfahren ein, wobei die Betreuung der schwan­ geren Patientinnen während nicht-geburtshilflicher Eingriffe nicht mit „geburtshilflicher Anästhesie ohne Geburt“ gleichzusetzen ist. Ziel der geburtshilflichen Anäs­ thesie ist die Entbindung, bei nicht-geburtshilflichen Eingriffen gilt es dagegen, die Schwangerschaft möglichst unbeeinträchtigt aufrechtzuerhalten. Eine große Erfah­ rung in der geburtshilflichen Anästhesie ist dennoch von Nutzen, da typische Proble­ me schwangerer Patientinnen, wie etwa das aortokavale Kompressionssyndrom, in beiden Behandlungssituationen auftreten. Nicht-geburtshilfliche Eingriffe bei schwangeren Patientinnen sind zwar bezogen auf die individuelle Schwangerschaft selten, absolut gesehen stellen sie jedoch kei­ ne Rarität dar. In den westlichen Ländern wird die Inzidenz auf 1,2% der Schwanger­ schaften geschätzt, für Nordeuropa liegen Zahlen einer schwedischen Registerstudie vor, in der die Inzidenz von 0,75% angegeben wurde [2]. Für Deutschland existieren keine Zahlen, unter Zugrundelegung der oben genannten Inzidenzen liegt die Anzahl der nicht-geburtshilflichen Eingriffe bei schwangeren Frauen bei 5000–10.000 pro Jahr. Bei etwa 20.000 in Deutschland tätigen Anästhesisten wird somit jeder mehrfach in seinem oder ihrem Berufsleben mit dieser Situation konfrontiert sein. Eine Über­ sicht über die speziellen anästhesiologischen Aspekte bei der Betreuung schwangerer Patientinnen während nicht-geburtshilflicher Eingriffe gibt Tabelle 5.1.

5.2 Teratogenität und Neurotoxizität Alle Anästhetika werden diaplazentär auf den Fet übertragen, und für keines der ge­ bräuchlichen Anästhetika existieren kontrollierte Studien an schwangeren Frauen, auch wenn es keine Hinweise auf Teratogenität gibt. In einer großen Fallkontrollstu­ die an 35.000 Kindern mit kongenitalen Fehlbildungen und Narkose während der Schwangerschaft und einer gesunden Kontrollpopulation konnte kein teratogener Effekt der Vollnarkose gefunden werden [4], ebenso wie in einer Registerstudie aus Schweden [2]. Beide Studien zeigten jedoch eine erhöhte Rate an Frühgeburtlichkeit sowie ein niedrigeres Geburtsgewicht bei den Neugeborenen, diese Befunde wurden DOI 9783110414134-005

68 | 5 Anästhesie

Tab. 5.1: Spezielle anästhesiologische Erwägungen (adaptiert von [3]). Maternale Faktoren Aufrechterhaltung der mütterlichen Homöostase – Hämodynamik (z. B. aortokavales Kompressionssyndrom) – Respiration (z. B. Atemweg) Cave: Limitierte Prognose bei Kardiopulmonaler Reanimation und erhaltener Schwangerschaft Fetale Faktoren Aufrechterhaltung der fetalen Homöostase – Uteroplazentare Perfusion – Vermeidung von wehenfördernden Faktoren Vermeidung unerwünschter pharmakologischer Effekte – Bekannte Risiken meiden (z. B. Organogenese) – Regionalanästhesie wenn möglich

von den Autoren insbesondere auf die Gruppe der Schwangerschaften mit Cervixin­ suffizienz zurückgeführt. Eine Metaanalyse, in die 54 Studien mit insgesamt 12.452 Patientinnen mit Narkose während der Schwangerschaft eingeschlossen wurden, zeigt günstige Verläufe für die Mutter (Mortalität 0,006%), jedoch eine Abort- und Totgeburtenrate von 5,8% [5]. In Deutschland liegt demgegenüber die Abort- und Fehlgeburten-Rate in der Gesamtpopulation bei 0,5%. Ein direkter Vergleich zwi­ schen diesen Zahlen ist schwierig, da die Analyse weltweite Zahlen zusammenfasst. Aufgrund des Fehlens kontrollierter und randomisierter Studien können keine wis­ senschaftlich fundierten, endgültigen Aussagen über Teratogenität durch die Gabe von Anästhetika an die Mutter gemacht werden. Folgende Grundsätze stellen den allgemein akzeptierten Konsens dar: Merke: – Wann immer möglich, sollte auf Lokal- oder Regionalanästhesieverfahren zurückgegriffen werden. – Aufschiebbare Operationen sollten auf die Zeit nach der Geburt und nach Rückbildung der wichtigsten Schwangerschafts-assoziierten Veränderungen, wie etwa der Schwangerschaftsassoziierten Hyperkoagulabilität, verschoben werden, die nach etwa 6 Wochen abgeschlos­ sen ist. – Dringliche Operationen sollten, wenn möglich, im zweiten Trimester durchgeführt werden. Zwischen dem 15. und dem 56. Tag, post conceptionem, der Zeit der Organogenese, gilt der Embryo als am vulnerabelsten für teratogene Effekte, während im letzten Trimester die Gefahr der Induktion vorzeitiger Wehentätigkeit steigt. Aktuell wird allerdings gerade diese „sichere Phase“ zumindest in Bezug auf die Anästhetika-assoziierte Neurotoxizität infrage gestellt [6].

Ziel dieser Prinzipien ist, die Exposition des Feten gegenüber Narkotika auf das abso­ lut notwendige Mindestmaß zu beschränken.

5.2 Teratogenität und Neurotoxizität

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Übersichtsarbeiten und Plattformen wie Embryotox und up to date bezeichnen übereinstimmend Induktionsanästhetika in klinischen Dosierungen und über ei­ nen begrenzten Zeitraum verabreicht als sicher [3, 7–9]. Unklar bleibt die Frage der Zulassung, in den Fachinformationen werden unterschiedliche Formulierungen ver­ wendet. Für Thiopental gibt es eine völlig praxisfremde und nicht gewichtsadaptierte Höchstdosis von 250 mg. S-Ketamin (als weniger gebräuchliches Induktionsanästhe­ tikum) „darf nicht in der Schwangerschaft angewendet werden, es sei denn, dass nach sorgfältiger Abwägung der Nutzen für die Mutter den möglichen Schaden für das Kind überwiegt.“ In diese Abwägung einzubeziehen ist die kontraktionsfördern­ de Wirkung von Ketamin, die den Gebrauch einschränkt [10]. Propofol muss als für den Gebrauch in der Schwangerschaft nicht zugelassen betrachtet werden, denn „Propofol darf nicht während der Schwangerschaft verwendet werden, außer dies ist absolut erforderlich“ (Fachinformation Propofol-Lipuro® , B Braun) – dies wird aufgrund von Alternativpräparaten nur selten der Fall sein. So bleibt der Gebrauch von Induktionsanästhetika ein off label use („zulassungsüberschreitender Einsatz“) mit allen dazu gehörigen Abwägungen. Moderne Inhalationsanästhetika gelten als sicher, Lachgas hingegen darf als Supplement zur Inhalationsanästhesie nicht ver­ wendet werden, da es die DNA-Synthese beeinträchtigt und im Tierversuch eindeutig teratogen wirkt. Zudem weisen arbeitsmedizinische Untersuchungen auf eine erhöhte Abort- und Fehlbildungsrate bei Exposition am Arbeitsplatz hin. Die typischen in der Anästhesie verwendeten Opioide (Fentanyl, Remifentanyl und Sufentanyl) gelten außerhalb der Entbindung und in der kurzfristigen Anwen­ dung als sicher [3, 7–9]. Im Rahmen der Entbindung und bei chronischem Gebrauch in der Schwangerschaft sind jedoch ernste fetale Nebenwirkungen zu erwarten (Atem­ depression bei antepartaler Gabe, fetales Abstinenzsyndrom bei chronischem Ge­ brauch). Für die im operativen Bereich unüblichen Substanzen Morphin, Codein und Meperidin gibt es tierexperimentelle Daten, die eine Teratogenität zeigen. Da es Al­ ternativen gibt, sollten diese Substanzen gemieden werden. Piritramid (Dipidolor® ), das in Deutschland am häufigsten zur postoperativen Analgesie verwendete Opioid, wird außerhalb Deutschlands selten und außerhalb von Europa im Allgemeinen nicht verwendet, dadurch ist der Erfahrungsumfang begrenzt (Fachinformation: „Das po­ tenzielle Risiko ist nicht bekannt“). Das Portal Embryotox empfiehlt auf Tramadol oder Bupreonorphin zurückzugreifen. Benzodiazepine wurden aufgrund mehrerer Fallkontrollstudien mit einer erhöhten Rate an Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und anderen Malformationen im Sine einer Teratogenität in Verbindung gebracht. Neuere Metaanalysen zeigen diesen Zusammenhang bei über einer Million eingeschlossener Fälle nicht [11]. Die Einzelgabe als orale sedierende Prämedikation gilt deshalb als sicher.

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Merke: Die Einzelgabe von Thiopental, die Verwendung von Inhalationsanästhetika und die Opioi­ de Fentanyl, Sufentanyl und Remifentanyl gelten als sicher in Bezug auf ihre Teratogenität. Propo­ fol ist für die Gabe während der Schwangerschaft nicht zugelassen.

Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach der Neurotoxizität: Es ist seit langem bekannt, dass Anästhetika im Tierversuch neurotoxisch wirken. Die überwiegende Zahl der Publikationen betrifft dabei postnatale Exposition, [12, 13] für die intrauteri­ ne Exposition liegen weniger Daten vor. Die Übertragbarkeit auf den Menschen wurde angezweifelt aufgrund der erheblichen Unterschiede in der zerebralen Entwicklung zwischen Tier und Mensch. Entscheidend für eine neurotoxische Wirkung ist die Ga­ be während des Zeitraums des growth spurt, der entscheidenden Phase der Synap­ togenese. Dieser growth spurt beginnt bei Nagetieren (dem klassischen Tiermodell) erst nach der Geburt und ist im Wesentlichen zwei Wochen postnatal abgeschlossen. Beim Menschen beginnt diese Phase bereits antepartal und dauert zumindest bis in das zweite, womöglich auch in das dritte oder vierte Lebensjahr an. Die geringen Ef­ fekte einer intrauterinen Narkose bei Nagern können anhand des zu diesem Zeitpunkt geringen Entwicklungsstatus des ZNS erklärt werden. Demgegenüber entspricht ei­ ne 6-stündige Exposition in der Ratte (ein im Experiment typischer Zeitraum) einer 2-wöchigen Exposition im Menschen. Weiterhin wurden in vielen Experimenten we­ sentlich höhere Konzentrationen und Dosierungen angewandt als beim Menschen und im klinischen Gebrauch üblich. Eine Narkose beim Nagetier kann überdies nicht mit einer modernen klinischen Anästhesie beim Menschen verglichen werden, bei der die physiologischen Funktionen dauerhaft kontrolliert sind. Die Narkose beim Klein­ tier bringt stets wesentlich größere Veränderungen mit sich, beispielsweise ist eine Normokapnie kaum zu erreichen. Weiterhin spielt möglicherweise der fehlende ope­ rative Stimulus als Limitierung des Tiermodells eine Rolle [14]. Auf der anderen Seite sind die an Nagern erhobenen Daten sehr homogen und schon aufgrund ihrer Zahl be­ merkenswert eindeutig, darüber hinaus liegen vergleichbare Daten auch bei höheren, dem Menschen nahestehenden Spezies, wie etwa beim Rhesus-Affen, vor [15]. Hervor­ zuheben ist, dass beim Menschen neuere retrospektive Studien gezeigt haben, dass eine Assoziation zwischen Narkosen und neurobehavioralen Störungen, insbesonde­ re Teilleistungsstörungen im Bereich des Lernens besteht, eine aktuelle Metaanalyse hat dies bestätigt [16]. In den genannten Studien zeigte sich insbesondere, dass eine Dosis-Wirkungs-Beziehung vorliegt, dies kann als klarer Hinweis für eine Kausalität gewertet werden. Merke: „Anästhetikaindizierte Neurotoxizität“ fasst eine Vielzahl von postulierten zellulären Me­ chanismen zusammen, die während und nach einer Vollnarkose zu kognitiven Störungen am sich entwickelnden Gehirn führen können, dies äußert sich beispielsweise in Lernschwierigkeiten. Im Tierexperiment sind die Daten eindeutig, beim Menschen ist der Sachverhalt noch unklar.

5.2 Teratogenität und Neurotoxizität

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Die zugrunde liegenden vermuteten Mechanismen fasst Tabelle 5.2 zusammen. Die Komplexität im Hinblick auf die Auswertung retrospektiver Studien zeigt die Studie von Bartels und Mitarbeitern [17]. In einer Zwillingskohorte konnte bei Zwillingen, die als Säuglinge oder Kleinkinder eine Narkose erhalten hatten, im Vergleich zu Zwillingspaaren ohne Narkose eine signifikante Lernbehinderung gefunden werden, darüber hinaus traten bei den Zwillingspaaren, bei denen lediglich ein Kind eine Narkose erhalten hatte, Lernschwierigkeiten bei beiden Kindern und somit auch bei dem nicht operierten Zwilling auf. Die Autoren werten dies als Zeichen, dass die beobachtete Lernschwierigkeit Ausdruck einer individuellen Disposition und nicht ursächlich durch die Narkose bedingt ist. Pathogenetisch spielt die Hemmung von NMDA und GABA Rezeptoren eine Schlüsselrolle: NMDA ist der wichtigste exzita­ torische Neurotransmitter, GABA ist im reifen ZNS ein inhibitorischer Neurotrans­ mitter. Im fetalen menschlichen Gehirn ist GABA jedoch ebenso ein exzitatorischer Neurotransmitter [18]. Somit wird die Wirkung der Anästhetika nicht mehr durch antagonistische Mechanismen balanciert, sondern die Hauptrezeptoren wirken ago­ nistisch, dies könnte über die Modulation des freien intrazellulären Calciums ein entscheidender Faktor im Hinblick auf die Induktion der Apoptose von Nervenzellen sein. Somit ist, zumindest hinsichtlich der Anästhetika induzierten Neurotoxizität der Grundsatz, dass das zweite Trimenon der günstigste Zeitpunkt für einen Eingriff in der Schwangerschaft sei, infrage zu stellen [8]. Derzeit gibt es keinerlei Daten dafür, ein bestimmtes Anästhetikum zu bevorzugen, und es liegen keine Empfehlungen zu einem neuroprotektiven Vorgehen vor. Tab. 5.2: Mechanismen der Anästhetika induzierten Neurotoxizität. [16, 18–21] Direkte neuronale Toxizität

Indirekte Schädigung

– Induktion von Apoptose – Extrinsischer Pfad (TNF-assoziiert) – Intrinsischer Pfad (mitochondriale, pro-apoptotische Proteine) – Langzeit-Suppression der neuronalen Erregbarkeit – Hemmung der Differenzierung, Plastizität und Synaptogenese – Oxydativer Stress – Mitochondriale Dysfunktion – Induktion von Apoptose der Gliazellen – Gestörte Synaptogenese – Proinflammatorische Effekte – Hemmung neurotropher Botenstoffe (z. B. BDNF) – Hemmung der nNOS Synthese

BDNF = brain derived neutrotrophic factor, nNOS = neuronal oxide synthase, TNF = tumor necrosis factor.

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Merke: Solange keine Klarheit bezüglich der Anästhetika induzierten Neurotoxizität besteht, ist das Vorgehen der Wahl die Vermeidung jeder Vollnarkose zugunsten der Regionalanästhesie oder möglicherweise der alleinigen Opioid Analgosedierung. Opioide besitzen einen unterschiedlichen Wirkmechanismus und wirken nicht proapoptotisch, möglicherweise sogar protektiv [16, 19–21].

5.3 Anästhesierelevante Veränderungen in der Schwangerschaft Die Physiologie und Pathophysiologie der Schwangeren wird in diesem Buch ausführ­ lich in Kapitel 1 dargestellt, sodass hier nur auf spezielle anästhesiologisch relevante Aspekte eingegangen wird. Ebenso wird die veränderte maternale Pharmakodynamik in einem eigenen Kapitel (Kapitel 2) besprochen, auf das hier verwiesen sei.

5.3.1 Veränderte maternale respiratorische Physiologie und Anatomie – Gasaustausch und Atemweg

Merke: Die perioperative Morbidität und Mortalität werden aus anästhesiologischer Sicht von re­ spiratorischen Komplikationen bestimmt.

Mit 1 : 300 ist die Inzidenz des „schwierigen Atemweges“ bei Schwangeren etwa zehn­ fach erhöht gegenüber der Allgemeinbevölkerung [22]. Dieser Sachverhalt ergibt sich dabei aus der Kombination zweier Faktoren: Einem ungünstig veränderten Gasaus­ tausch und einer ungünstigen Veränderung der Anatomie des oberen Atemweges. Das Atemminutenvolumen ist bereits im ersten Trimenon stark erhöht und bis zum Geburtstermin um bis zu 70% gesteigert. Dies resultiert in einer respiratorischen Alkalose bei normalem PaO2 , gleichzeitig ist die funktionelle Residualkapazität er­ niedrigt. Bodyplethismografische Untersuchungen, die eine Verminderung um 20% ausweisen, unterschätzen diese Reduktion. In Rückenlage und nach Einleitung einer Narkose mit neuromuskulärer Relaxation wird die Lungenkapazität sowohl abdomi­ nell als auch durch die in der Schwangerschaft vergrößerte Brust wesentlich stärker vermindert, als dies in den Studien an wachen und aufrechten Schwangeren ge­ messen wird [23]. In Kombination mit dem erhöhten Sauerstoffverbrauch durch die Schwangerschaft bedingt dies die besonders zu berücksichtigende, verkürzte ApnoeToleranz. Während bei nicht-schwangeren, lungengesunden Patienten eine Apnoe von etwa 8 Minuten – entsprechende Präoxygenierung vorausgesetzt – bis zu einer Desaturation des arteriellen Blutes toleriert wird, ist dieses Intervall bei Schwangeren wesentlich kürzer und wird bei nicht optimaler Durchführung der Präoxygenierung, Adipositas oder Komorbidität mit erhöhtem Sauerstoffverbrauch noch einmal erheb­ lich verkürzt [24]. Unter Berücksichtigung der Anschlagzeit des Muskelrelaxans ist

5.3 Anästhesierelevante Veränderungen in der Schwangerschaft

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auch bei einer idealen Rapid Sequence Intubation nicht unter 50 Sekunden die Be­ atmungsmöglichkeit herzustellen, bei einem Teil der Schwangeren am Termin ist zu diesem Zeitpunkt die oxygenierte Apnoezeit bereits verstrichen. Die hohe Inzidenz des „schwierigen Atemweges“ wird durch anatomische Verän­ derungen bedingt: – Gewichtszunahme, insbesondere Zunahme des Brustumfanges. Eine Gewichtszu­ nahme von mehr als 20 kg ist nicht selten in der Schwangerschaft. Übergewicht stellt einen unabhängigen Risikofaktor dar. – Progesteronbedingte Wassereinlagerung mit Schwellung der oberen Atemwe­ ge. Diese Schwellung wiederum behindert die Nasenatmung, mit konsekutiver Mundatmung und trockener, leicht blutender Schleimhaut im Rachenbereich. – Eine vulnerable, hyperäme Schleimhaut, insbesondere des Naso-Pharynxsrau­ mes, die auch bei kleineren Verletzungen stark bluten kann und somit folgende Intubationsversuche erheblich erschwert. Bei etwa 50% der Schwangeren liegt ei­ ne besonders starke Ausprägung dieser Symptome vor, eine sogenannte Schwan­ gerschaftsrhinitis. Aufgrund der mit der nasalen Hyperämie einhergehenden Blu­ tungsneigung gibt es Empfehlungen, von einer nasalen Intubation Abstand zu nehmen, [9] ohne jedoch eine Alternative für den erwarteten „schwierigen Atem­ weg“ zu nennen. Wir wählen stets den nasalen Atemweg für fiberoptische Intu­ bationen. Merke: Die wichtigste und einfachste vorbeugende Maßnahme, um potenziell bedrohliche Atem­ wegskomplikationen zu vermeiden, liegt darin, Eingriffe nicht in Vollnarkose, sondern in Regional­ anästhesie durchzuführen [25]. Dafür ist eine gute interdisziplinäre Absprache und Kooperation zwischen Operateur und Anästhesist die Voraussetzung.

Zu beachten ist dabei, dass aufgrund des erniedrigten Albuminspiegels der Schwan­ geren die Toxizität von Regionalanästhetika erhöht ist. Aus diesem Grund empfeh­ len sich ultraschallgestützte Regionalanästhesieverfahren und neuraxiale Verfahren gegenüber der Infiltrationsanästhesie, dem Bier-Block oder peripheren Blöcken, die ein hohes Lokalanästhetikavolumen benötigen. Für ein rückenmarksnahes Verfahren spricht außerdem, dass aufgrund der physiologischen, Schwangerschafts-assoziier­ ten Hyperkoagulabilität das Auftreten eines epiduralen Hämatoms als die schwerwie­ gendste Komplikation des Verfahrens sehr selten ist [26]. Bei der Dosierung des Lo­ kalanästhetikums für ein rückenmarksnahes Verfahren ist zu beachten, dass in der Schwangerschaft der Epiduralraum und auch der Spinalraum durch eine venöse Dis­ tension komprimiert werden, sodass im Vergleich zu Nicht-Schwangeren geringere Volumina des Lokalanästhetikums benötigt werden. Aufgrund des erhöhten zirkulie­ renden Blutvolumens und des erhöhten Herz-Zeit-Volumens ist die hämodynamische Reaktion von Schwangeren, eine korrekte Prophylaxe des aortokavalen Kompressi­ onssyndroms vorausgesetzt (siehe unten), relativ gering ausgeprägt. In einer eigenen, retrospektiven Analyse von schwangeren Patientinnen, die sich einem fetoskopischen

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Eingriff in Periduralanästhesie unterzogen, betrug der mediane Abfall des arteriellen Mitteldrucks 5 mmHg (p = 0,03). Noch geringer sind die hämodynamischen Konse­ quenzen eines Sattelblocks, der bei vielen Eingriffen zur Anwendung kommen kann und dann das eleganteste Verfahren darstellt.

5.3.2 Vorgehen bei „schwierigem Atemweg“ Für die spezifische Situation des Atemwegnotfalls bei nicht-geburtshilflichen Eingrif­ fen liegt kein publizierter Algorithmus vor. Die vorliegenden Algorithmen für Schwan­ gere beziehen sich auf die geburtshilfliche Anästhesie, für den erwarteten „schwie­ rigen Atemweg“ ist das Vorgehen eindeutig, es ergeben sich keine Alternativen zur fiberoptischen Wachintubation [27]. Die Umsetzung ist keinesfalls einfach, da die Er­ fahrung in der fiberoptischen Wachintubation bei Schwangeren gering ist. In einer britischen Umfrage an spezialisierten, geburtshilflich tätigen Anästhesisten berichte­ ten lediglich 8% über entsprechende Erfahrung [28]. Die fiberoptische Wachintubati­ on ist dennoch die sicherste Methode der Atemwegssicherung, insbesondere wenn sie ohne tiefe Sedierung durchgeführt wird. Hierfür ist die Möglichkeit einer laryngealen Regionalanästhesie [29] zu erwägen, eine sinnvolle Technik, die bedauerlicherweise in der Breite nicht angewendet wird. Die größtmögliche Vorsicht bei der Passage des Nasopharynx ist bei der Wachintubation wesentlich, da die Schleimhaut in der Mehr­ zahl der Fälle angeschwollen und fragil ist. Für den unerwarteten „schwierigen Atemweg“ liegt eine große Anzahl publizier­ ter Algorithmen zum klinischen Vorgehen vor. Hierbei unterliegt das Vorgehen derzeit einem Paradigmenwandel, von der Prio­ risierung der Herstellung des definitiven Atemweges hin zur pragmatischen Siche­ rung der Oxygenierung und Bewältigung einer Notfallsituation [30]. Die Inzidenz der schwierigen Intubation ist seit Jahrzehnten unverändert, es muss das Ziel sein, die daraus resultierende Morbidität und Mortalität zu senken. Das bedeutet, dass es sinn­ voller ist, ohne definitiven Atemweg die Oxygenierung aufrechtzuerhalten und gege­ benenfalls auch in Maskenbeatmung einen Notfall zu behandeln, als zu versuchen, den Atemweg bis zum Eintreten einer am Ende dennoch nicht zu verhindernden Hypo­ xie zu sichern. Hierbei ist zu bedenken, dass sich diese Überlegungen auf die geburts­ hilfliche Anästhesie mit Durchführung einer Kaiserschnittentbindung beziehen, ein in der Regel begrenzter Eingriff im Unterbauch. Handelt es sich bei dem geplanten Ein­ griff um eine ausgedehnte Laparotomie, so ist ein anderes Vorgehen zu wählen. Eine Herniotomie kann möglicherweise in diesem Zusammenhang wie eine Sectio caesarea behandelt werden, ausgedehnte Eingriffe im Oberbauch oder operatives Vorgehen bei Ileus sind anästhesiologisch hiervon abweichend zu handhaben: In unserer Klinik verwenden wir den Algorithmus von Balki und Mitarbeitern, der in einem aufwändigen Delphi-Verfahren entwickelt und anhand eines Simulators va­ lidiert wurde [31]. Eine adaptierte Version wird in Abbildung 5.1 wiedergegeben. Das

5.3 Anästhesierelevante Veränderungen in der Schwangerschaft

Unerwartet fehlgeschlagene Intubation

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Anmerkungen 1Durch Crickoiddruck keinesfalls Maskenbeatmung oder

Intubatinsverhältnisse beeinträchtigen 2vitaler Notfall oder nicht? maternaler oder

Maskenbeatmung ± Crickoiddruck 1; Hilfe + Atemwegswagen holen lassen, Notfallindikation2 klären, Geburtshelfer/Pädiater vor Ort bei lebensfähigem Kind?

Beatmung suffizient?

fetaler Notfall? 3bei 2. Versuch

- Lagerung optimieren - Anwenderwechsel - Technik ändern (z.B: alt. Spatel, Glidescope, Bonfils LS) 4bei guter Oxygenierung, nicht traumatisiertem Atemweg und hoher Erfolgswahrscheinlichkeit kann ein 3. Versuch der Intubation unternommen werden. 5unter Umständen kann das fetale Wohl über den maternalen Aspirationsschutz gestellt werden; dies ist eine gemeinsame Entscheidung des Geburtshelfers und des Anästhesisten und dann vertretbar, wenn ein vitaler fetaler Notfall vorliegt UND dies dem mutmaßlichen maternalen Willen entspricht UND die maternale Oxygenierung zufriedenstellend ist UND das maternale Atemwegsrisiko als moderat eingeschätzt wird (Atemweg nicht traumatisiert, keine massive Adipositas etc.). Grundsätzlich gilt jedoch: „Das Wohl der Mutter geht über das Wohl des Feten“, auch wenn dadurch dieser dadurch kompromittiert wird. 6 falls nicht bereits erfolgt, kann die suffiziente Maskenbeatmung gegen einen supraglott. Atemweg gewechselt werden (1. Wahl: LMA) 7 falls eine rasche postoperative Stabilisierung der Mutter unwahrscheinlich ist, kann nach der Entwicklung der Versuch der Etablierung eines definitiven Atemweges unternommen werden, z.B. FOI über LMA

nein

ja

2. Versuch der Intubation3

Erfolgreich?

nein

Maskenbeatmung4

ja Beatmung suffizient?

nein

supraglott. Atemweg: LMA

Beatmung suffizient?

ja

nein

„cannot intubate, cannot ventilate“: invasiver. Atemweg

ja

„can ventilate“ Weiter ohne definitiven Atemweg

Notfall?

nein

Aufwachen lassen

ja

ggf. auf LMA wechseln6 Entbindung erwägen

Start Eingriff 7

maternal

maternal/fetal?

fetal

Abwägen5

Eingriff in RA/ nach FOWI

Abb. 5.1: Adaptierter Algorithmus von Balki und Mitarbeitern. Fetalchirurgie („fetaler Notfall“) ist nicht Gegenstand dieses Kapitels, deshalb sind diese Bereiche grau gefärbt.

76 | 5 Anästhesie

Charakteristische aller Atemwegsalgorithmen für Schwangere ist die Notwendigkeit, die erheblich reduzierte Apnoetoleranz zu berücksichtigen. Daraus resultiert ein deut­ lich schnelleres Zusteuern auf einen Abbruch, alternative Atemwegshilfsmittel oder auf einen invasiven Atemweg. Merke: Wichtiger als die Wahl eines speziellen Algorithmus ist die systematische Verbreitung des gewählten Vorgehens und insbesondere eine regelmäßige Schulung (Airway Drill).

Simulationsbasiertes Training kann sowohl den Behandlungserfolg als auch die Zu­ friedenheit und Sicherheit des medizinischen Personals verbessern und wird in den nationalen Leitlinien deutlich gefordert („sollen erfolgen“) [32]. Für den oben be­ schriebenen Algorithmus zeigte die Auswertung einer Simulationsstudie [31], dass regelmäßig ähnliche Fehler im Befolgen des Schemas gemacht werden, wie das zu späte Hinzuziehen von Hilfe, wiederholte Intubationsversuche ohne Veränderung der Technik und das zu späte Umschwenken auf ein alternatives Atemwegshilfsmittel. Aus der eigenen Erfahrung des Autors sowohl aus der Klinik als auch aus Simulati­ onsworkshops ergibt sich, dass offenbar die Hemmschwelle, in einer Notfallsituation auf die Maskenbeatmung zurückzugreifen, hoch ist, obwohl die Maskenbeatmung im Rahmen einer Rapid-Sequenz-Einleitung inzwischen Bestandteil deutscher und internationaler Leitlinien ist [32].

5.3.3 Vorgehen nach stattgehabter Aspiration Tritt ein Aspirationsereignis ein, so liegt die oberste Handlungspriorität in der Siche­ rung des Atemweges, deren Fehlen eine notwendige Voraussetzung für eine massive Aspiration ist. Im Vergleich dazu sind alle anderen Maßnahmen von untergeordneter Bedeutung. Nach erfolgter Sicherung des Atemweges ist es wichtig, zunächst umge­ hend mit einem großlumigen Absaugkatheter in den Tubus und die Trachea zu sau­ gen, bevor Material mit dem ersten Atemzug in die Tiefe gedrückt wird. Die im Weite­ ren zur Verfügung stehenden Maßnahmen sind überwiegend supportiv [33–36]. Feste Bestandteile des Aspirates können teilweise mit einem Bronchoskop geborgen wer­ den, jedoch besteht immer die Gefahr, Mageninhalt durch forciertes Bronchoskopie­ ren und Lavagieren in die Tiefe zu transportieren und damit distale Atemwege voll­ ständig zu verlegen. Die Aspiration prädisponiert zu einer Infektion mit Enterobac­ teriaceae (Aspirationspneumonie). Nach Leitlinie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft sollte ein Betalaktam-Antibiotikum mit Betalaktamaseinhibitor eingesetzt werden, alterna­ tiv eine Kombination aus einem Cephalosporin mit Clindamycin, Moxifloxacin oder ein Carbapenem. Davon zu trennen ist die Aspirationspneumonitis, verursacht durch die Magensäure und im Magensaft enthaltene Enzyme, die therapeutisch schwierig zu beeinflussen ist und einen sehr schweren Verlauf bis hin zum Lungenversagen im Sinne eines ARDS nehmen kann, einer in der Schwangerschaft äußerst kritischen Si­

5.3 Anästhesierelevante Veränderungen in der Schwangerschaft | 77

tuation [37]. Durch die schnelle Entwicklung der extracorporalen Membranoxygenie­ rung (ECMO) der letzten Jahre wurden in der Behandlung des schweren ARDS zuletzt erstaunliche therapeutische Erfolge erzielt. So war es nur eine Frage der Zeit, bis ers­ te Fälle von erfolgreichen Schwangerschaften unter ECMO publiziert wurden. Dies ist in diesem Jahr durch mehrere Arbeitsgruppen geschehen, [38–40] und wie in ande­ ren Konstellationen wird sich dieses Verfahren auch hier zunehmend etablieren. Ent­ scheidend ist, frühzeitig die Verlegung einer Patientin an ein ECMO Zentrum zu erwä­ gen, um den Transport unter stabilen Bedingungen durchführen zu können.

5.3.4 Schwangerschaft und Nüchternheit „Die Schwangere ist als nicht nüchtern zu betrachten“ – diese Aussage findet sich auch heute noch als Dogma weitverbreitet in der Anästhesie. In vielen Kliniken wird eine better safe than sorry Strategie verfolgt mit der Notwendigkeit zum Ende des ersten Trimesters einer Rapid-Sequenz-Einleitung trotz Nahrungskarenz und ohne gastrointestinale Pathologie. Dieses Vorgehen scheint historisch bedingt: Die USamerikanischen Gynäkologen und Geburtshelfer Charles Hall und Curtis Mendelson (als Namensgeber des Mendelson’s Syndrom) waren die Ersten, die die Folgen einer Aspiration von Mageninhalt beschrieben – als typische Komplikation der Anästhesie bei Schwangeren. In der Folge entstand, beruhend auf unterschiedlichen Tierexperi­ menten unterschiedlicher Güte, die 25/2,5 Regel: Ein Mageninhalt von 25 ml mit einem pH < 2,5 ist notwendig für die Induktion einer Aspirationspneumonitis. Insbesonde­ re die postulierten 25 ml sind nicht belegt, sie entstammen einer Veröffentlichung über die orale Verabreichung von Aluminium- und Magnesiumhydroxyd vor einem Kaiserschnitt, in der der Autor eine eigene, nicht veröffentlichte Arbeit am Rhesus­ affen zitiert (unpublished data) und auf den Menschen extrapoliert [41]. Seit langem wird die 25/2,5 Regel kritisiert, darüber hinaus liegt ganz offenbar ein entscheiden­ des Missverständnis vor: Mendelson beschrieb in korrekter Weise eine verzögerte Magenentleerung bei Patientinnen unter Wehentätigkeit, in der Folge wurde die­ se Beobachtung ohne zugrunde liegende Daten auf alle schwangeren Patientinnen übertragen [42]. In einer der wenigen zu diesem Thema vorliegenden Untersuchungen war zumindest bis zur 20. Schwangerschaftswoche das Volumen des Mageninhaltes bei Schwangeren nicht erhöht und der pH sogar höher als bei nicht-schwangeren Kon­ trollpersonen, [43] andere Autoren konnten diese Befunde bestätigen. Die Annahme, dass der gastroösophageale Verschlussdruck in der Schwangerschaft niedriger ist, ist ebenfalls nur teilweise belegt. Diese Aussage ist nur zutreffend bei symptomatischer Reflux-Erkrankung, [44] diese liegt tatsächlich bei etwa einem Drittel der Schwange­ ren bereits im ersten Trimenon vor. Liegt eine solche jedoch nicht vor, so ist, wie bei nicht-schwangeren Patientinnen, ein kompetenter gastroösophagealer Verschluss zu erwarten.

78 | 5 Anästhesie

Merke: Soll eine Schwangere ohne Refluxsymptomatik vor der 20. SSW sowie ohne weitere Indi­ kation für eine Rapidfrequenz-Intubation operiert werden, so können nach der vorhandenen Da­ tenlage die gleichen Nüchternheitsgrenzen wie für Nicht-Schwangere gelten.

Da schwangere Patientinnen eine wesentlich niedrigere Toleranz gegenüber prä­ operativer Nüchternheit haben, wird die Verwendung präoperativer KohlenhydratGetränke empfohlen, die speziell für die präoperative Phase entwickelt worden sind und für die eine zweistündige Nüchtern-Karenz gilt.

5.4 Behandlung einer perioperativen Hypotonie In Deutschland ist zur Behandlung der milden perioperativen Hypotonie die Verwen­ dung von Akrinor® weitverbreitet, ein Mischpräparat aus Cafedrin und Theodrena­ lin mit einer gemischten α- und β-adrenergen Wirkung. Diese Substanz ist interna­ tional weitgehend unbekannt, es existieren lediglich wenige Daten zum klinischen Gebrauch. In Deutschland ist dennoch in nahezu allen Kliniken Akrinor® das Medi­ kament der ersten Wahl zur Behebung einer durch Sympathikolyse induzierten Hypo­ tonie und in dieser Indikation effektiv. Das Profil mit gemischter α- und β-adrenerger Wirkung erklärt die Attraktivität für den Anästhesisten: Bradykardien sind beim Ge­ brauch von Akrinor® weitgehend unbekannt, beim Einsatz in der Schwangerschaft muss jedoch insbesondere die uteroplazentare Perfusion berücksichtigt werden, die­ ser Aspekt wurde nur unzureichend untersucht. Theoretisch sollte Akrinor® einen günstigen Einfluss haben, da insbesondere die A. uterina stark α-adrenerg innerviert ist und bei einer rein α-mimetischen Substanz eine Vasokonstriktion mit Kompromit­ tierung des Feten zu befürchten wäre. Trotzdem scheint der reine α-Agonist Phenyle­ phrin im Vergleich zum Ephedrin, einem gemischten Agonisten ähnlich Akrinor® , ein günstigeres Profil zu besitzen, zumindest gemessen anhand von Surrogatparame­ tern des neonatalen Wohlbefindens nach der Behandlung einer spinalanästhesiein­ duzierten Hypotension bei Kaiserschnittoperationen [45, 46]. Tierexperimentelle Da­ ten zeigen eine geringere uteroplazentare Perfusion nach der Gabe von Akrinor® im Vergleich zu anderen Vasopressoren [47]. Insgesamt überwiegen die Daten, die für die Gabe von Phenylephrin im Vergleich zu anderen gemischten α- und β-Agonisten Ephedrin und Akrinor® sprechen, mehrere Autoren sprechen sich deshalb für Phe­ nylephrin bei der Schwangeren aus [45, 48]. Phenylephrin sollte als kontinuierliche Infusion gegeben werden, eine initiale Dosierung von 20–100 µg/min ist empfehlens­ wert. Entsprechend der klinischen Erfahrung ist es sinnvoll, eine Stammlösung von 0,1 mg/ml herzustellen und das Medikament über eine Spritzenpumpe zu dosieren (Start 12–60 ml/h). Demgegenüber wird Noradrenalin deutlich weniger verwendet und ist auch weniger untersucht. Die Wirkung ähnelt der von Phenylephrin, die Steuer­ barkeit ist aber günstiger, und vermutlich jeder Anästhesist hat umfangreiche Erfah­

5.5 Weitere Aspekte | 79

rungen mit der Substanz. Niedrige Konzentrationen (z. B. 1 µg/ml) können gefahrlos peripher gegeben werden. Kürzlich konnte in einer randomisierten und verblindeten Studie gezeigt werden, dass Noradrenalin der Gabe von Phenylephrin in Bezug auf die maternale Hämodynamik überlegen ist. Die fetalen Parameter waren ebenfalls signi­ fikant verbessert, nicht jedoch in klinisch relevantem Umfang [49]. Merke: In der Zusammenschau der Befunde muss man eine Empfehlung gegen Akrinor® und Ephe­ drin aussprechen, da Alternativen vorhanden sind.

Im Rahmen der Spinalanästhesie wird aktuell die Verwendung von Ondansetron zur Prophylaxe einer Hypotonie diskutiert. Als 5-HT3 Rezeptor-Antagonist kann diese Substanz möglicherweise in die Entstehung einer hypotonen Bradykardie eingrei­ fen (Betzold-Jarisch-Reflex). Erste Daten und eigene Erfahrungen sind vielverspre­ chend, [50] ein abschließendes Urteil ist aktuell aber noch nicht zu fällen.

5.5 Weitere Aspekte Merke: Aortokavales Kompressionssyndrom: Bei etwa 20% der Schwangeren tritt im Verlauf ei­ ne unterschiedlich ausgeprägte Hypotension in flacher Rückenlage auf, im Angloamerikanischen treffend als supine hypotensive syndrome bezeichnet.

Diese Hypotension beruht auf einer Kompression der V. cava inferior und der Aor­ ta. Klinisch imponieren typische Zeichen der Hypovolämie (Hypotonie, Tachykardie) und Herzinsuffizienz (Orthopnoe) sowie neurologische Symptome (Übelkeit, Unru­ he, Vigilanzstörungen). Die Symptome treten oft erst nach einer mehrminütigen La­ tenz auf, dies kann die Differenzialdiagnose erschweren. Das Auftreten des aortoka­ valen Kompressionssyndromes ist ab der 13. Schwangerschaftswoche (SSW) beschrie­ ben, relevant ist es sicher ab der 16.–20. SSW oder wenn der Fundus oberhalb des Umbilicus tastbar ist. Empfehlenswert ist eine Prophylaxe zumindest ab der 16. SSW im Sinne einer Linksseitenlage zur Dekompression der Gefäße, da viele Patientin­ nen anamnestisch über Episoden von Schwindel in Ruhelage berichten. Die zugrunde liegende Kompression der großen Gefäße der unteren Körperhälfte bedingt, dass ei­ ne Messung der Vitalparameter der oberen Körperhälfte nicht aussagekräftig ist. Die Kompression der Aorta kann zu einer Minderperfusion des Uterus bei unauffälligen zentralen Kreislaufverhältnissen führen. Insbesondere kann auch die uteroplazen­ tare Einheit gefährdet sein, ohne dass Blutdruckveränderungen oder neurologische Symptome entstehen. Die Indikation zur Blutdruckmessung am Bein wird in der Li­ teratur nicht gestellt. Risikofaktoren sind Makrosomie des Kindes, Mehrlingsschwan­ gerschaften, Polyhydrammnion, aber auch Faktoren, die im Zusammenhang mit dem

80 | 5 Anästhesie

anstehenden Eingriff stehen können, insbesondere die Hypovolämie. Sowohl die Re­ gionalanästhesie als auch die Vollnarkose können auslösend wirken. Merke: Zur Vermeidung des aortokavalen Kompressionssyndroms ist die Linksseitenlage ab der 16. SSW die wichtigste Maßnahme, diese ist auch bei subjektiver Beschwerdefreiheit der Schwan­ geren einzuhalten. Bei schweren Fällen kann der Uterus manuell nach links verlagert werden.

Kardiopulmonale Reanimation Die Empfehlungen zur Reanimation unterscheiden sich in zahlreichen Punkten nicht von denen für Nicht-Schwangere, etwa bei der Wahl und Dosierung von Medikamen­ ten und hinsichtlich der externen Kardioversion. Von der Verwendung einer mecha­ nischen Reanimationshilfe wird abgeraten und die Wichtigkeit der Linksseitenlage und der manuellen Verlagerung des Uterus nach links betont. Ein Aspekt, der sich jedoch entscheidend von der Reanimation bei Nicht-Schwangeren unterscheidet, ist die Empfehlung, eine vorzeitige Entbindung zu erwägen. Merke: Der Notkaiserschnitt unter Reanimation wird (ein wenig unglücklich) als peri-mortem cesarean delivery (PMCD) bezeichnet.

Die PMCD folgt drei Erwägungen: – Im Falle einer erfolglosen Reanimation ohne PMCD sterben in jedem Falle Mutter und Kind. – Die PMCD führt zu einer entscheidenden Verbesserung der maternalen Hämody­ namik durch Entleerung des schwangeren Uterus, unter der Voraussetzung, dass die Schwangerschaft fortgeschritten (Fundus oberhalb Bauchnabel) ist. – Eine Verbesserung der kindlichen Prognose ist erreichbar unter der Vorausset­ zung, dass das Kind lebensfähig ist. Merke: Unabhängig von den Überlegungen im Bereich der operativen Medizin wird von der Ame­ rican Heart Association empfohlen, die PMCD sehr ernsthaft in Betracht zu ziehen („should be strongly considered“), wenn ein maternaler Kreislaufstillstand von mehr als 4 Minuten vorliegt und der Fundus oberhalb des Bauchnabels tastbar ist [51]. Während einer Operation wird die direkte Verfügbarkeit eines Operationsteams die Entscheidung für eine PMCD begünstigen.

Es liegen zahlreiche Fallberichte vor, in denen eine PMCD direkt zu einem Wiederein­ setzen des Spontankreislaufes führte, in einer Fallserie kehrte bei 12 von 20 Frauen der Spontankreislauf sofort nach PMCD zurück [52]. Der weitere Verlauf der Mütter als auch der Kinder ist unerwartet gut: Bei Überlebenden weisen 78% der Mütter ei­ nen guten oder sehr guten kognitiven Zustand auf, bei den Kindern sind es etwa 50%

5.6 Fazit |

81

trotz Frühgeburtlichkeit. Berichte über eine Verschlechterung des Zustandes von Mut­ ter und Kind liegen nicht vor, auch wenn Fallberichte zu intraoperativer PMCD bisher nicht publiziert wurden. Da ein Großteil der Fälle mit Indikation zur intraoperativen Reanimation hypovolämiebedingt ist, ist die Notwendigkeit der Behebung eines et­ waig vorliegenden aortokavalen Kompressionssyndroms besonders zu betonen.

5.6 Fazit Anästhesie für nicht-geburtshilfliche Eingriffe in der Schwangerschaft entspricht nicht geburtshilflicher Anästhesie ohne Geburt. Das Wohlergehen des ungeborenen Kindes in utero muss während des gesamten perioperativen Verlaufs gesichert sein, nicht nur bis wenige Minuten nach Hautschnitt, wie dies bei einem Kaiserschnitt üblich ist. Eine enge Überwachung der mütterlichen Vitalfunktionen ist dafür uner­ lässlich. Die wichtigsten Punkte sind: – Zwar sind für keines der gebräuchlichen Anästhetika (Lachgas ausgenommen) bei einmaliger, bzw. kurzfristiger Gabe tatsächliche teratogene oder neurotoxische Ef­ fekte nachgewiesen, trotzdem ist eine direkte oder indirekte Schädigung des Feten und seiner Entwicklung in Tierversuchen und in Kohortenstudien zu vermuten. – Der Atemweg der Schwangeren kann auch erfahrene Anästhesisten herausfor­ dern, wir empfehlen, einen adaptierten Atemwegsalgorithmus vorzuhalten und auch zu trainieren – wie in den Leitlinien zum Atemwegsmanagement gefordert. – Beides, fetale Nebenwirkungen und Atemwegskomplikationen können durch ei­ ne Regionalanästhesie vermieden werden. Dieser ist deswegen, wann immer mög­ lich, der Vorzug zu geben. Hierfür ist eine gute interdisziplinäre Kooperation zwi­ schen Operateur und Anästhesist die Voraussetzung. – Zur Vermeidung eines aortokavalen Kompressionssyndroms muss die Schwange­ re ab der 16. SSW in Linksseitenlage gelagert werden, auch bei unauffälligem Blut­ druck kann die utero-plazentare Perfusion gefährdet sein. – Vasopressoren der Wahl sind Phenylephrin und Noradrenalin. Das weitverbreite­ te Akrinor® sollte nicht verwendet werden. – Für den Fall eines perioperativen Kreislaufstillstandes muss, wenn nach 4 Minu­ ten kein Spontankreislauf etabliert werden kann, eine Notsectio unter Reanima­ tion dringend erwogen werden.

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Agnes Voit, Peter Richter und Dieter Grab

6 Perioperative Maßnahmen 6.1 Allgemeines Die perioperative Behandlung bei Operationen in der Schwangerschaft hat das Ziel einer möglichst umgehenden und unkomplizierten Genesung der Mutter und gleich­ zeitig der Vermeidung einer Früh- oder Fehlgeburt. Hierbei müssen Krankenpflege, Anästhesie, Chirurgie und Geburtshilfe eng zusammenarbeiten. In den letzten 15 Jah­ ren haben sich in verschiedenen Bereichen der operativen Medizin standardisierte Behandlungskonzepte (Clinical Pathways) etabliert, die auf Kenntnissen der periope­ rativen Pathophysiologie und auf klinischen Studien beruhen. Diese interdisziplinä­ ren und interprofessionellen Konzepte haben sich besonders in der Viszeralchirur­ gie unter dem Titel Fast Track Rehabilitation oder Enhanced Recovery after Surgery (ERAS) durchgesetzt. Für die Sectio, den inzwischen häufigsten abdominellen Eingriff in Deutschland (für das Jahr 2010: Sectio-Rate 31% mit etwa 210.000 Sectiones), gibt es ebenfalls Ansätze für die Fast Track Rehabilitation, mit den primären Zielen der ge­ ringen postoperativen Morbidität, schneller Erholung der normalen körperlichen Ak­ tivität und kurzem Krankenhausaufenthalt und dem sekundären Ziel der finanziellen Gewinn-Optimierung im Fallpauschalensystem [1]. Aus der großen Zahl von Studien zum perioperativen Vorgehen bei der Sectio lassen sich auch Erkenntnisse zum Vor­ gehen bei Operationen während der Schwangerschaft ableiten. Es ist zu vermuten, dass in etwa 2% der Schwangerschaften ein nicht-geburtshilflicher Eingriff erfolgen muss. Dies entspricht bei einer Gesamtzahl der Geburten von etwa 682.000 (2013) in Deutschland etwa 13.000 Operationen bei Schwangeren. Mög­ licherweise ist diese Zahl höher, wenn man berücksichtigt, dass bei 2–4% der Frauen im gebärfähigen Alter, die sich einer Operation unterziehen, eine bis dahin unerkann­ te Schwangerschaft vorliegt [2]. 42% der Operationen werden im ersten, 35% im zwei­ ten und 23% im dritten Trimenon durchgeführt [3]. Bei den Indikationen führen die Appendektomie mit 44% und die Cholecystektomie mit 22%, welche zu etwa 70% la­ paroskopisch durchgeführt werden [4–6], mindestens bei der Hälfte der Operationen handelt es sich um Notfalleingriffe [5]. Die perioperative Betreuung Schwangerer unterliegt ähnlichen Prinzipien wie bei Nicht-Schwangeren, weist aber Unterschiede hinsichtlich der Vorbereitung, der An­ ästhesieverfahren, der Lagerung der Schwangeren und der fetalen Überwachung auf. Die Leitlinien hierzu beruhen in Ermangelung randomisierter Studien vorwiegend auf dem Konsens interdisziplinärer Experten-Gremien [7, 8]. Die Society of Ameri­ can Gastrointestinal Endoscopic Surgeons (SAGES) hat für laparoskopische Eingriffe während der Schwangerschaft Empfehlungen herausgegeben und aktualisiert, die

DOI 9783110414134-006

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in ähnlicher Form von der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Minimal-Invasive Chirurgie (CAMIC) übernommen wurden [9, 10]. Dringliche Eingriffe können unabhängig vom Gestationsalter in allen Trimestern der Schwangerschaft durchgeführt werden, in anderen Fällen sollte immer das Ver­ schieben des Eingriffs auf die postpartale Periode erwogen werden. Ist dies nicht mög­ lich, sollte der Eingriff möglichst im 2. Trimester der Schwangerschaft durchgeführt werden [7]. Im ersten Trimester besteht ein erhöhtes Abortrisiko, gegen das 3. Trimes­ ter sprechen mechanische Gründe aufgrund des Fundusstandes und des höheren Ri­ sikos für das Auftreten vorzeitiger Wehen [8].

6.2 Präoperative Maßnahmen 6.2.1 Anamnese, Untersuchung und Aufklärung Die Anamnese und Untersuchung vor einer Operation während der Schwangerschaft sollte grundsätzlich dem Vorgehen bei Nicht-Schwangeren entsprechen. Ergänzend veranlasste Blutuntersuchungen und apparative Diagnostik (siehe auch Kapitel 3 und 4) sollten sich dabei stets an der Anamnese und dem geplanten Eingriff orien­ tieren und auf das Nötigste beschränkt werden [11, 12]. Die Blutgruppenbestimmung (ABO- und Rhesus-System) und der Antikörpersuchtest (type and screen) sollten prä­ operativ immer erfolgen, die Bereitstellung von Blutkonserven ist nur ausnahmsweise bei Anämie und je nach erwartetem Blutverlust indiziert. Von besonderer Bedeutung ist die Dokumentation der Gestationswoche sowie die Ermittlung von gegebenenfalls vorliegenden Risikofaktoren wie etwa einer schwangerschaftsinduzierten Hypertonie oder Diabetes mellitus. Da bei Schwangeren oft Regionalverfahren zur Anwendung kommen, die eine intakte Blutgerinnung voraussetzen, sollte besonderer Wert auf die Erhebung einer Gerinnungsanamnese gelegt werden. Die klinische Untersuchung beinhaltet eine sorgfältige klinische Untersuchung der Atemwege, da aufgrund von Ödembildung der oropharyngealen Schleimhaut die Inzidenz schwieriger Intubati­ onen ansteigt (siehe Kapitel 5). Darüber hinaus sollten im Vorfeld alle verwendeten Arzneimittel auf ein mögliches Schädigungspotenzial für den Feten oder Beeinflus­ sung der uteroplazentaren Einheit überprüft werden [13]. Theoretischen Überlegungen zufolge sind teratogene Effekte vor allem in der Phase der Organogenese (18. bis 58. Tag post conceptionem) wahrscheinlich, da viele Medikamente dann relativ ungehindert die Plazentaschranke passieren kön­ nen (siehe auch Kapitel 2). Für Informationen bietet sich auch die Online-Platt­ form des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie an (http://www.embryotox.de).

6.2 Präoperative Maßnahmen |

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Da es sich bei Schwangeren überwiegend um gesunde junge Frauen handelt (ASA 1–2), sind bei unkomplizierten Schwangerschaften weitergehende Untersuchungen wie EKG oder Laboruntersuchungen nicht erforderlich [12]. Vor dem operativen Ein­ griff sollte ein enger Austausch zwischen den beteiligten Disziplinen (Geburtshelfer, Gynäkologie, Chirurgie, Neonatologie, Anästhesie) stattfinden, um das Vorgehen im Vorfeld abzustimmen. Hierbei sollte z. B. geklärt werden, ob und in welcher Form im Notfall eine Notsectio durchgeführt werden kann und ob je nach Gestationsalter prä­ operativ für den Fall einer vorzeitigen Entbindung eine Lungenreifebehandlung des Feten durchgeführt werden sollte [12]. Bei der präoperativen Aufklärung sollte zuerst der operative Eingriff und dann das Anästhesie-Verfahren, beides möglichst im Beisein des Partners und durch erfahrene Fachärzte, erklärt werden. Die Dringlichkeit und das Ziel des Eingriffes, der mögliche Verlauf ohne Operation und Behandlungsalternativen (z. B. laparoskopisch versus of­ fene Operation, Allgemeinanästhesie versus Regionalanästhesie) müssen individuell erläutert werden. Die Aufklärung darf keinesfalls zu einer Verängstigung und Verun­ sicherung führen, sodass in angemessener Weise über häufige und typische Kompli­ kationen informiert werden sollte. Bei Untersuchungen zu den Risiken von Schwan­ geren nach nicht-geburtshilflichen Operationen liegt das Mortalitätsrisiko der Mütter gemittelt bei etwa 0,006%, ein Abort kommt in 1,8% bis 2,5% der Fälle und eine Früh­ geburtlichkeit in 8,2% vor [14, 15]. Hinsichtlich der Anästhesie ist zu betonen, dass bei den aktuell verwendeten Anästhetika keine human-teratogenen Effekte beobach­ tet wurden [16] und dass bei fachgerechter Durchführung der Anästhesie keine nega­ tiven Effekte hinsichtlich des späteren Lernverhaltens und der Verhaltensentwicklung des Kindes zu erwarten sind [12, 15]. Bei der Aufklärung muss bedacht werden, dass heute viele Frauen während der Schwangerschaft das Internet als begleitende Informationsquelle nutzen und die hier verbreiteten Informationen nicht immer zuverlässig sind [16]. Auch wenn eine Schwangere aufgrund der erhöhten Aspirationsgefahr ab der 16. Schwangerschaftswoche (SSW) grundsätzlich als nicht nüchtern anzusehen ist, sollten die allgemein gültigen Nüchternheitszeiten von sechs Stunden für feste Nah­ rung und 2 Stunden für klare Flüssigkeiten vor elektiven Eingriffen nach Möglichkeit eingehalten werden [12]. Ab der 20. SSW sollte auf eine Lagerung in Linksneigung zur Vermeidung eines aortokavalen Kompressionssyndroms geachtet werden. Bei akutem Abdomen und wiederholtem Erbrechen ist mit einem oft erheblichen Flüssig­ keitsdefizit zu rechnen, das möglichst präoperativ durch intravenöse Gabe kristalliner Lösungen (Ringer-Lactat) auszugleichen ist (siehe auch Kapitel 8). Merke: Perioperativ muss auf die Vermeidung der 4 „H’s“ geachtet werden: Hypotension, Hypovo­ lämie, Hypoxie und Hypothermie.

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6.2.2 Medikamentöse Prämedikation Eine medikamentöse Prämedikation zur präoperativen Anxiolyse z. B. mit Midazolam (3,75 bis 7,5 mg), wie vor einer Allgemeinanästhesie üblich, ist bei Schwangeren in Aus­ nahmefällen möglich, sollte aber auch im Hinblick auf ein erhöhtes Aspirationsrisiko nicht regelhaft erfolgen. Für Benzodiazepine besteht nach heutigem Wissen kein nen­ nenswertes teratogenes Risiko, obwohl die vorliegenden Studien ein teilweise wider­ sprüchliches Bild ergeben [13]. Laut Fachinformation der Firma Roche® besteht für Midazolam (Dormicum) ein geringes Risiko für Fehlbildungen im Gaumenbereich bei der Applikation in der Frühschwangerschaft sowie in Fallberichten für Fehlbildungen und geistige Retardierung bei pränatal exponierten Kindern im Falle einer Überdo­ sierung. Zu berücksichtigen ist, dass ab der 16. SSW die Aspirationsgefahr unter Nar­ kose erhöht ist, da der Verschlussdruck des unteren Ösophagussphinkters herabge­ setzt ist [17]. Aus diesem Grund sollte ab der 16. SSW ein Aspirationsschutz verordnet werden. Hierfür eignen sich z. B. am Vorabend 300 mg Ranitidin p. o. und am Opera­ tionstag Ranitidin 150 mg p. o. Zusätzlich kann zur Reduzierung der Azidität des Ma­ geninhalts etwa 5–10 min vor Narkoseeinleitung 30 ml Natriumcitrat molar gegeben werden [7, 12].

6.2.3 Perioperative gynäkologische und geburtshilfliche Maßnahmen Grundsätzlich sollte bei jedem nicht-geburtshilflichen Eingriff während der Schwan­ gerschaft ein Gynäkologe hinzugezogen werden [8–10]. Präoperativ soll eine klini­ sche Untersuchung des Gebärmutterhalses durchgeführt werden, dazu ist in der Regel oberhalb der 20. Schwangerschaftswoche eine digitale Kontrolle der Muttermunds­ weite, der Konsistenz und Länge der Zervix sowie des Standes im kleinen Becken aus­ reichend. In der Frühschwangerschaft sollte zusätzlich eine Spekulumuntersuchung durchgeführt werden. Bei vaginalen Blutungen oder Verdacht auf vorzeitigen Blasen­ sprung ist während der gesamten Schwangerschaft eine Spekulumuntersuchung ob­ ligat, bei frühem vorzeitigem Blasensprung (vor der 34. SSW) mit sterilen Spekula. Mit Ausnahme bei frühem vorzeitigem Blasensprung sollte die Länge der Zervix und der Zervikalkanal zusätzlich vaginal-sonografisch untersucht werden. Bei vitaler Indikation sind die Untersuchungen der Genitalorgane und die fetale Überwachung nachrangig und dürfen keinesfalls diagnostische und therapeutische Maßnahmen zur Stabilisierung der Schwangeren verzögern. Im Notfall ist es ausrei­ chend, wenn der Geburtshelfer parallel zu den fachspezifischen chirurgischen und anästhesiologischen Maßnahmen durch klinische Untersuchung des Fundusstandes das Gestationsalter abschätzt und sonografisch die Vitalität des Feten überprüft.

6.2 Präoperative Maßnahmen | 89

6.2.4 Fetale Überwachung Für die Überwachung des Feten stehen der Ultraschall und das Kardiotokogramm (CTG) zur Verfügung. Vor und nach einer jeden Operation in der Schwangerschaft soll­ te durch einen Gynäkologen eine Dokumentation der Vitalität des Feten erfolgen, bis zur 24. SSW kann dies sonografisch erfolgen [12]. Im 1. Trimenon werden die ScheitelSteiß-Länge und die Fruchtwassermenge, ab dem 2. Trimenon zusätzlich die Kindsla­ ge, die Lage der Plazenta und die Fruchtwassermenge bestimmt und eine Fetometrie durchgeführt. Sofern die Patientin zuvor entsprechend den Mutterschaftsrichtlinien betreut war, kann auf eine detaillierte Organdiagnostik verzichtet werden. Spätestens ab der 24. SSW (Grenze der Lebensfähigkeit des Feten) sollte eine Über­ wachung der Herzfunktion durch CTG erfolgen [18, 19]. Bei Auffälligkeiten kann die Verbesserung der plazentaren und fetalen Sauerstoffversorgung durch Sauerstoffga­ be und Optimierung der Perfusion durch Flüssigkeitszufuhr oder Lagerungsmaßnah­ men indiziert sein. Es ist zu bedenken, dass die Herzfrequenzmuster durch extrage­ nitale Infektionen, sedierende Medikamente und durch die Lungenreifebehandlung (siehe unten) beeinflusst werden können und damit die Interpretation der Befunde erschwert sein kann [18, 19]. Eine intraoperative fetale Überwachung hat gegenüber der intraoperativen ma­ ternalen Überwachung von Kreislauf, Pulsoxymetrie und Messung des endtidalen CO2 -Partialdruckes keinen Vorteil. Durch die unweigerliche Narkose des Feten wäh­ rend einer Allgemeinanästhesie ist während der Operation und auch noch kurz da­ nach die Variabilität der Herzfrequenz vermindert (silentes CTG), sodass hieraus keine Bedrohung des Feten durch Hypoxie abgeleitet werden kann.

6.2.5 Tokolyse und geburtshilfliche Überwachung Durch die intraoperative Manipulation am Uterus und auch lagerungsbedingt kön­ nen vorzeitige Wehen bei Bauch-Operationen ausgelöst werden. Anästhetika dagegen haben keinen direkten Einfluss auf die Uteruskontraktionen, und es gibt keinen Zu­ sammenhang zwischen einem bestimmten Anästhesieverfahren und der Rate an Frühoder Fehlgeburten [14, 15]. Inhalationsanästhetika haben eine in diesem Zusammen­ hang erwünschte Uterus relaxierende Wirkung. Der routinemäßige Einsatz einer prophylaktischen Tokolyse bei Operationen in der Schwangerschaft ist nicht gerechtfertigt [9, 12, 20, 21]. Bei klinischen Anzeichen vorzeitiger Wehen sollte eine medikamentöse Wehenhemmung erfolgen, allerdings kann durch postoperative Schmerzen und Analgetika die Erkennung von Wehen schwieriger sein. Eine Akut-Tokolyse kann mit Fenoterol, Atosiban oder (off-label use) mit Nifedipin durchgeführt werden. Eine Tokolyse sollte in der klinischen Routine nicht über mehr als 48 Stunden erfolgen [20, 21].

90 | 6 Perioperative Maßnahmen

Im Aufwachraum sollte die Linksseitenlagerung beibehalten werden. Die fetale Herzfrequenz ist vor der 24. SSW sonografisch, nach der 24. SSW durch ein kontinuier­ liches Kardiotokogramm zu dokumentieren. Nach Verlegung aus dem Aufwachraum ist eine intermittierende CTG- und klinische Überwachung sicherzustellen. Bei persis­ tierenden Wehen muss eine klinische Untersuchung des Muttermundes erfolgen. Merke: Eine routinemäßige perioperative Tokolyse ist nicht indiziert.

6.3 Perioperative Prophylaxen 6.3.1 RDS- und Rhesus-Prophylaxe Wenn im Rahmen einer geplanten dringlichen Operation zwischen der 24. und 34. SSW die Schwangerschaft durch Sectio beendet werden soll oder eine hohe Wahr­ scheinlichkeit einer Frühgeburt besteht, sollte je nach Gestationsalter und Dringlich­ keit des Eingriffs zur Vermeidung eines kindlichen Atemnot-Syndroms (Respiratory Distress Syndrome, RDS) eine RDS-Prophylaxe durchgeführt werden. Durch Gabe des synthetischen Glukokortikoids Betamethason wird hierbei die fetale Lungenreifung durch Surfactant-Bildung induziert. Liegt eine Sepsis vor, ist die Gabe von Glukokor­ tikoiden kontraindiziert [12]. Bei Rhesus- (Rh-) negativen Müttern sollte stets an eine Rhesus-Prophylaxe gedacht werden, da durch intraoperative Mikrotraumen fetale Rh-positive Erythrozy­ ten in den mütterlichen Kreislauf übertreten können und hierdurch eine AntikörperBildung induziert wird, die den Feten später oder bei einer folgenden Schwanger­ schaft durch Hämolyse schädigen kann. Bei Rh-negativen Müttern wird präoperativ daher eine Prophylaxe mit Rhesusfaktor-Antikörpern (Anti-D-Immunglobuline) emp­ fohlen [9, 10].

6.3.2 Prophylaxe venöser Thrombembolien Während der Schwangerschaft und nach der Entbindung besteht mit bis zu 2,2 pro 1000 Geburten ein erhöhtes Risiko venöser thrombembolischer Komplikationen (VTE) im Vergleich zu nicht-schwangeren Frauen dieser Altersgruppe. Das Risiko tiefer Ve­ nenthrombosen und einer potenziell letalen Lungenembolie ist während der Schwan­ gerschaft um das 5–10-fache, nach der Geburt 15–35-fach erhöht [22]. Die Empfehlun­ gen zur Prophylaxe und Therapie von Schwangerschafts-assoziierten VTE basieren im Wesentlichen auf Beobachtungsstudien und Analogien zu Studien-ergebnissen bei Nicht-Schwangeren und nach Sectio caesarea [22]. Für die Situation eines nicht-ge­ burtshilflichen abdominellen Eingriffs oder Immobilisierung nach Trauma oder für

6.3 Perioperative Prophylaxen | 91

das Vorgehen auf einer Intensivstation stehen keine Studiendaten zur Thrombosepro­ phylaxe während einer Schwangerschaft zur Verfügung. Aus randomisierten Studien zur medikamentösen Thromboseprophylaxe wäh­ rend der Schwangerschaft lässt sich ableiten, dass das Risiko für eine tiefe Beinven­ enthrombose oder Lungenembolie sich weder durch Gabe von niedermolekularem Heparin (NMH) noch durch unfraktioniertes Heparin (UFH) senken lässt und dass beim Vergleich NMH zu UFH kein Unterschied besteht [23]. In randomisierten Studi­ en zur Thromboseprophylaxe nach Entbindung oder nach Sectio konnte durch Gabe von UFH oder NMH ebenfalls keine Senkung der Rate an symptomatischen throm­ bembolischen Ereignissen beobachtet werden, allerdings wurde auch keine erhöhte Rate an Blutungskomplikationen beobachtet [23]. Die Entscheidung zur Thrombose­ prophylaxe basiert somit auf einer Risikoabwägung in Abhängigkeit von mütterlichen Risikofaktoren (Tabelle 6.1). Tab. 6.1: Risikofaktoren für thrombembolische Komplikationen während der Schwangerschaft. – – – – – – – –

Frühere Thrombose oder Lungenembolie (Sekundärprophylaxe) Bekannte Thrombophilie Genetisch bedingt (Faktor V-Leiden-Mutation, Prothrombin G20210A Variante) Erworben (Anti-Phospholipid-AK) Adipositas Operationen (insbesondere laparoskopisch, Becken, untere Extremitäten) Immobilisierung Infektionen, Tumoren

UFH, NMH und Danaparoid passieren nicht die Plazentaschranke und sind sicher für den Feten [22]. Für NMH wurde in einigen Studien gegenüber UFH eine geringere Häu­ figkeit von Komplikationen wie Blutungen, heparininduzierter Thrombopenie (HIT) oder Osteoporose beschrieben [23], sodass NMH die medikamentöse VTE-Prophyla­ xe der Wahl darstellt. Bei Niereninsuffizienz (GFR < 30%) sollte UFH gegeben wer­ den, bei HIT-Anamnese Danaparoid oder Fondaparinux [22]. Aufgrund des sehr nied­ rigen Risikos einer HIT unter Gabe von NMH während der Schwangerschaft (< 0.1%) ist eine Überwachung der Thrombozytenzahlen nicht erforderlich. Für Schwangere mit besonderen Risiken wie etwa VTE in einer früheren Schwangerschaft, bekann­ ter Thrombophilie, therapeutischer Antikoagulation wegen Herzklappenersatz oder Rhythmusstörungen können individuelle Entscheidungen auf der Basis von Empfeh­ lungen durch Expertengruppen getroffen werden [22]. Bis zum Vorliegen der Ergeb­ nisse einer aktuellen Studie zur Dosierung von NMH in der Schwangerschaft kann die produktspezifische Prophylaxe-Dosierung (low-dose) gegeben werden [24]. Eine mechanische Prophylaxe durch Anti-Thrombosestrümpfe und frühe Mobili­ sierung ist anzustreben. Die medikamentöse Prophylaxe sollte mit NMH erfolgen und je nach maternalen Risikofaktoren und Größe und Lokalisation des Eingriffes indivi­

92 | 6 Perioperative Maßnahmen

duell in der Dosierung und Zeitdauer (gegebenenfalls auch über den stationären Auf­ enthalt hinaus) festgelegt werden [22]. Schwerwiegende Blutungskomplikationen unter NMH sind selten, aber im Falle epiduraler oder intraspinaler Hämatome mit langfristigen Schäden verbunden [25]. Bei Gabe von NMH in prophylaktischer Dosierung sollten zwischen der letzten Gabe und dem Legen eines Periduralkatheters oder anderer perkutaner regionaler Katheter mindestens 12 Stunden vergehen, nach der letzten Gabe einer therapeutischen Do­ sierung 24 Stunden. Nach einer Operation sollte die prophylaktische Gabe von NMH 4–12 Stunden nach dem Eingriff oder nach Entfernung des Periduralkatheters wieder fortgeführt werden [22, 25]. Merke: Bei Operationen in der Schwangerschaft sollte in der Regel eine Thromboseprophylaxe mit subkutaner Gabe von NMH erfolgen.

6.3.3 Perioperative Antibiotika-Prophylaxe und -Therapie Das humane Mikrobiom ist ein symbiotisches Ökosystem, das aus Mikroorganismen besteht, die auf und im menschlichen Körper leben. Es umfasst etwa 10-fach mehr Zellen und 27-fach mehr Genome als der menschliche Körper selbst [26]. Das Ausmaß und die Vielfalt des Mikrobioms sind erst in den letzten Jahren durch neue Sequenzie­ rungstechniken (Polymerase-Kettenreaktion) klarer geworden. Die bakterielle Besied­ lung des mütterlichen Magendarmtraktes (intestinales Mikrobiom) stellt ein eigenes Ökosystem dar, das sich während einer normalen Schwangerschaft ändert und für die normale Immun- und Stoffwechselfunktion des Kindes im späteren Leben wesentlich ist. Diese Veränderung des Mikrobioms während der Schwangerschaft gehört zu den physiologischen Adaptationsprozessen des Magendarmtraktes, um den vermehrten Bedarf an Nährstoffen und Spurenelementen zu decken [27]. Die Plazenta hat eben­ falls ein eigenes Mikrobiom und der Darmtrakt des Feten ist bereits in utero koloni­ siert [27]. In jüngerer Zeit häufen sich Erkenntnisse, die den Zusammenhang zwischen dem mütterlichen Mikrobiom, kindlicher Immunität und mütterlichen wie auch kindlichen Komplikationen (Frühgeburt, Gestosen, Über- und Untergewicht) belegen [26, 27]. Eine Antibiotika-Prophylaxe oder -Therapie sollte nur bei klarer Indikation und nicht aus falsch verstandenem Sicherheitsbedürfnis gegeben werden, da bereits durch eine Einzeldosis eines Antibiotikums das maternale Mikrobiom verändert wird und sich während der Schwangerschaft nicht wieder normalisiert [28]. Empfehlungen zur perioperativen Antibiotika-Prophylaxe und -Therapie müssen sich an den Leitlinien zu den Eingriffen bei nicht-schwangeren Frauen orientieren, da es spezifische evidenzbasierte Empfehlungen für Eingriffe während der Schwan­ gerschaft nicht gibt [29–31]. In der Schwangerschaft sind Penicilline, Cephalospori­

6.4 Postoperative Maßnahmen |

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ne und Makrolide Antibiotika der ersten Wahl [13]. Die Erfahrungen mit Gyrasehem­ mern und Carbapenemen sind geringer, ohne Hinweise für mutagene, teratogene oder fetotoxische Eigenschaften in den beim Menschen verwendeten Dosierungen (siehe auch www.Embryotox.de), sodass sie als Antibiotika der 2. Wahl bei strenger Indika­ tionsstellung eingesetzt werden können. Aminoglykoside, Tetrazykline und Sulfona­ mide sollten wegen potenzieller Fetotoxizität in der Schwangerschaft vermieden wer­ den [13]. Eine präoperative Antibiotikaprophylaxe bei Sectio senkt das Risiko für eine post­ partale Endometritis und in einigen Studien auch für Wundinfektionen. Bei allen ope­ rativen Eingriffen, die mit einer Sectio verbunden sind, sollte daher eine Prophylaxe mit einem Cephalosporin (z. B. Cefazolin) erfolgen [29, 30]. Zu den gesicherten Indikationen gehört die Prophylaxe bei kolorektalen Resek­ tionen mit einem Breitspektrum-Cephalosporin und Metronidazol [29–31]. Bei lapa­ roskopischen Eingriffen mit bakteriell kontaminiertem Operationsfeld in der Schwan­ gerschaft (Appendektomie, Cholecystektomie) ist vermutlich der intraoperative Beginn einer Antibiotikatherapie und Festlegung der Therapiedauer je nach in­ traoperativem Befund ausreichend, da das Infektionsrisiko der Trokarzugänge als gering anzusehen ist. Für eine Eradikation einer symptomatischen Infektion mit Helicobacter pylori wird auch in der Schwangerschaft die besser verträgliche Tripeltherapie nach dem ita­ lienischen Schema mit Omeprazol, Clarithromycin und Metronidazol empfohlen [32].

6.4 Postoperative Maßnahmen 6.4.1 Schmerztherapie Eine effektive Schmerztherapie sollte je nach Befund bereits präoperativ erfolgen, um Stressreaktionen für Mutter und Feten zu reduzieren [7, 12, 33]. Dies gilt insbesondere auch für das akute Abdomen und Trauma-Folgen (siehe auch Kapitel 8 und 16). Post­ operativ ist die Schmerztherapie die wichtigste Voraussetzung für eine funktionel­ le Erholung und Vermeidung von Komplikationen durch schmerzbedingte Schonat­ mung (Pneumonie) und Immobilität (venöse Thrombose und Embolie). Es ist wichtig, perioperativ den Schmerz z. B. mit einer visuellen Analogskala (VAS) als Vitalparame­ ter zu registrieren und die Schwangere darüber zu informieren, dass es von Vorteil ist, Schmerzen angemessen zu behandeln als zu ertragen, auch um eine frühzeitige Mo­ bilisation zu gewährleisten. Die Indikation zur Einhaltung von Bettruhe ist nur selten bei drohender Frühgeburt gegeben [34]. Zur postoperativen Schmerztherapie gelten grundsätzlich die Empfehlungen des WHO-Stufenschemas wie bei Nicht-Schwangeren [7, 12, 33]. Hierfür wird auf der ersten Stufe als Nicht-Opioid-Analgetika der ersten Wahl Paracetamol empfohlen. Dies ist zwar plazentagängig, besitzt aber keine teratoge­

94 | 6 Perioperative Maßnahmen

nen oder mutagenen Effekte. Durch die niedrige analgetische Potenz ist es jedoch postoperativ häufig nicht ausreichend. Als zweite Wahl wird Ibuprofen empfohlen, als dritte Wahl Indometacin, beides jedoch nur bis zur 28. SSW. Prinzipiell sollten NSAIDs nur im zweiten Trimenon gegeben werden, da es Hinweise auf eine erhöhte Spontanabortrate zu Beginn der Schwangerschaft und – wie auch für ASS und Me­ tamizol – auf einen vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli im dritten Trimenon gibt [13, 33]. Bei NSAID sollten ferner die Kontraindikationen bei Nierenund Leberfunktionsstörungen (Gestosen) beachtet werden. Bei mangelnder Wirksamkeit können zur effektiven postoperativen Schmerzthe­ rapie unter der Voraussetzung einer entsprechenden Überwachung auch niederpo­ tente Opioide wie Piritramid eingesetzt werden [13, 33]. Es ist sinnvoll, nach Möglichkeit ein Regionalverfahren zur Anästhesie zu wählen, insbesondere vor allem im letzten Trimenon. Der Vorteil besteht darin, dass z. B. Arm­ plexus-Katheter oder Periduralkatheter auch komplikationsarm für die postoperative Analgesie verwendet werden können [12, 25]. In Analogie zur Schmerztherapie nach Sectio können zusätzlich eine lokale Wundinfiltration mit Lokalanästhetikum in Kom­ bination mit einem nicht-steroidalen Antiphlogistikum oder abdominelle Nervenblo­ ckaden (Transversus abdominis Plane Block) zu einer Reduktion des postoperativen Opiat-Verbrauches in den ersten 24 Stunden postoperativ beitragen [35].

6.4.2 Übelkeit und Erbrechen 50–70% aller Frauen leiden in der Schwangerschaft unter Übelkeit (Nausea), etwa zur Hälfte auch unter Erbrechen. Dieses beginnt im Allgemeinen innerhalb der ers­ ten 4 SSW, ist nur selten auf den Morgen beschränkt und endet in 87% spätestens mit der 20. SSW [36, 37]. Die Ätiologie ist nicht geklärt, aber es besteht eine Korrelation zu den Serumspiegeln von humanem Choriongonadotropin (hCG). Unter Hyperemesis gravidarum (in etwa 1% aller Schwangerschaften) versteht man Übelkeit und persistierendes Erbrechen (mindestens dreimal täglich) über meh­ rere Tage mit der Folge von Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten, die eine stationäre Krankenhausbehandlung erfordern. Neu auftretende Übelkeit und Erbrechen nach dem ersten Trimenon können ein Symptom ernstzunehmender Ursachen sein (Cholecystolithiasis, Pankreatitis, Appen­ dizitis, Gastroenteritis, Urolithiasis oder Migräne) und sollten Anlass zur Abklärung sein. Die Symptome einer vorbestehenden gastroösophagealen Refluxerkrankung können ebenfalls während einer Schwangerschaft zunehmen, sodass eine Therapie mit Omeprazol und bei Nachweis von Helicobacter pylori eine Eradikation indiziert ist [32]. Zu den nicht-medikamentösen Therapie-Maßnahmen gehören mehrere kleine, fettarme und kohlenhydratreiche Mahlzeiten und eine ausreichende, gegebenenfalls

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95

intravenöse Hydrierung. Orale Ingwer-Extrakte haben sich in einigen randomisierten Studien ebenfalls als wirksam erwiesen [38]. Das H1 -Antihistaminikum Doxylamin hat sich in der Kombination mit Vitamin B6 (Pyridoxin) bei Übelkeit in der Schwangerschaft bewährt. Die Anwendung ist in den USA sehr verbreitet, findet jedoch in Deutschland außerhalb der Zulassung als Schlafmittel statt [37, 39]. Dimenhydrinat ist ebenfalls oral oder intravenös gegeben ein gut wirksamer H1 -Blocker, der aufgrund der Gefahr vorzeitiger Wehen nicht gegen Ende der Schwangerschaft eingenommen werden sollte [39]. Bei Versagen dieser Medikamente kommen in zweiter Linie für die kurzfristige Anwendung Metoclo­ pramid als Prokinetikum am oberen Gastrointestinaltrakt und 5-Hydroxytryptamin3-Antagonisten (Odansetron oder Granisetron) infrage. Die Datenlage zu letztgenann­ ten Substanzen in der Schwangerschaft, insbesondere zum Risiko von kardialen Fehlbildungen, ist jedoch unzureichend, sodass der Einsatz nur in schweren Fäl­ len gerechtfertigt ist [39, 40]. Odansetron hat sich in einer randomisierten Studie gegenüber der Kombination Doxylamin/Pyridoxin als besser wirksam und nebenwir­ kungsarm erwiesen [41]. Glukokortikoide (Dexamethason oder Methylprednisolon) sind zwar effektiv, sollten jedoch wegen des erhöhten Risikos von Lippen-Kiefer-Gau­ menspalten und vorzeitigem Verschluss des Ductus arteriosus Botalli nur kurzzeitig und erst nach der 10. SSW gegeben werden [37, 39]. Nach Eingriffen in Vollnarkose während der Schwangerschaft sind postoperati­ ve Übelkeit und Erbrechen (PONV) ein besonders häufiges Problem, für dessen Be­ handlung es jedoch keine evidenzbasierten Empfehlungen gibt. Wichtiger als die Er­ fassung der für nicht-schwangere Patienten konzipierten Scores zur Vorhersage des PONV-Risikos ist eine Erfassung der individuellen patienten-, anästhesie- und opera­ tions-abhängigen Risikofaktoren, um eine PONV-Prophylaxe gegebenenfalls durch­ zuführen (siehe Tabelle 6.2). Ein PONV ist für die Schwangere nicht nur sehr unange­ nehm, sondern kann auch über eine Aspiration, Einreißen von Laparotomie-Wunden, Flüssigkeits- und Elektrolytverlust mit metabolischer Alkalose bis hin zum Boerhaaveoder Mallory-Weiss-Syndrom zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Demnach haben besonders Schwangere nach einem längeren laparoskopischen Eingriff wegen entzündlicher Probleme im Bauchraum mit PONV zu rechnen und soll­ ten eine Prophylaxe, z. B. mit 4 mg Dexamethason i. v. erhalten [7, 8, 12]. Generell sollten regionale Anästhesieverfahren wie Peridural-, Spinalanästhesie oder Plexus-Block gegenüber einer Vollnarkose bevorzugt werden [7, 12]. Als Alter­ native zu inhalativen Anästhetika kommt auch eine total intravenöse Anästhesie (TIVA) mit Propofol infrage, das inzwischen auch in der Schwangerschaft (allerdings off-label-use) als sicher angesehen werden kann [12]. Länger wirksame Opiate soll­ ten intra- und postoperativ möglichst vermieden werden, am ehesten kommt wegen der kurzen HWZ Remifentanil infrage. Regionale Anästhesieverfahren können aller­ dings auch über Sympathikolyse, Vasodilatation und Blutdruckabfall zu einer PONVSymptomatik führen.

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Tab. 6.2: Risikofaktoren für postoperative Übelkeit und Erbrechen bei Eingriffen in der Schwanger­ schaft. Patientin

Operation

Anästhesie

Gesichert und bedeutsam

Schwangerschaft (weiblich und jung) Nichtraucherin Frühere PONV Kinetose

Lange Operationsdauer Laparoskopische OP Cholecystektomie Peritonitis

Allgemeinanästhesie mit volatilen Anästhetika Intra- und postoperativ Opiate

Kontrovers oder weniger bedeutsam

ASA 1 und 2

Magensonde

Erfahrung des Anästhesisten Neostigmin/ Pyridostigmin Lachgas

Widerlegt

Adipositas/BMI Angst und Persönlichkeit

Merke: Bei Operationen mit Allgemeinanästhesie in der Schwangerschaft, insbesondere unter Ver­ wendung volatiler Anästhetika, sollte eine PONV-Prophylaxe (z. B. 4 mg Dexamethason i. v.) erfol­ gen.

6.4.3 Obstipation und postoperativer Ileus Etwa ein Drittel der Frauen klagt in der Schwangerschaft über Beschwerden durch Obstipation (siehe auch Kapitel 12). Die Beschwerden reichen über Unwohlsein und Völlegefühl bis zu Hämorrhoiden, Analfissuren und Analvenenthrombosen [42, 43]. Die Ursache ist multifaktoriell: Neben einer reduzierten Darmmotilität durch Proges­ teron, Senkung des Beckenbodens, oraler Eisentherapie und gegebenenfalls Hypo­ thyreose spielen auch die geringere körperliche Aktivität und andere Essgewohnhei­ ten eine Rolle [42, 43]. Wenn eine Erhöhung der Trinkmenge und die Einnahme von Quell- und Ballaststoffen (Weizenkleie, Flohsamenschalen) nicht ausreichen, um für einen regelmäßigen Stuhlgang zu sorgen, können stimulierende Laxantien wie Bisa­ codyl (als Dragees oder Suppositorien) oder Natriumpicosulfat (Tropfen) eingesetzt werden. Bei hartnäckiger Verstopfung können kurzfristig auch osmotisch wirksame Laxantien (Sorbit, Lactulose, Macrogol) eingenommen werden, auch Mikroklistiere mit Glycerol sind effektiv und sicher [44, 45]. In Anbetracht der klinischen Bedeutung dieses Problems gibt es verhältnismäßig wenige randomisierte Studien: In einer wurden Quellstoffe mit stimulierenden Lax­ antien verglichen und gezeigt, dass letztere effektiver sind, aber zu mehr Nebenwir­

6.4 Postoperative Maßnahmen | 97

kungen führen (Bauchschmerzen, Diarrhoen). In einer anderen Studie wurde die Ga­ be von Ballaststoffen gegenüber normaler Kost verglichen und eine Verbesserung der Stuhlkonsistenz festgestellt [44]. Sekretorisch wirksame anthrachinonhaltige Präparate (Extrakte aus Sennes- oder Rhabarberblättern oder Faulbaumrinde) sollten in der Schwangerschaft wegen Stimu­ lation der Uterus-Muskulatur nicht eingesetzt werden [45]. In aktuellen Leitlinien zum perioperativen Vorgehen bei geplanten Laparotomien oder Laparoskopien in der Schwangerschaft gibt es keine evidenzbasierten Empfeh­ lungen zur Darmvorbereitung und Nachbehandlung. Nach den Erfahrungen und der Evidenz bei nicht-schwangeren Patienten gibt es derzeit keinen Vorteil einer orthogra­ den Darmspülung vor elektiven abdominellen Eingriffen. Besonders in der Schwanger­ schaft sind die möglichen Nebenwirkungen einer orthograden Darmspülung (intrava­ saler Flüssigkeitsverlust, Dehydrierung, Störung der Darmflora) zu berücksichtigen. Seltene Ausnahmen sind Rektumresektionen mit Anlage eines protektiven Ileostomas oder Kolostomas zur Vermeidung einer Koprostase im ausgeschalteten Kolonabschnitt oder die Darmresektion unmittelbar nach einer Koloskopie. Nach jeder Laparotomie und weniger ausgeprägt nach Laparoskopie kommt es zu einer Verminderung der pro­ pulsiven Darmmotilität („postoperativer Ileus“), diese wird besonders in der Schwan­ gerschaft als sehr unangenehm empfunden. Zur Vorbeugung ist der Einsatz eines Peri­ duralkatheters zur postoperativen Analgesie zu empfehlen, da hierdurch perioperativ die Gabe von obstipationsfördernden Opioiden reduziert werden kann und durch den sympathikolytischen Effekt der Lokalanästhetika die Darmmotilität positiv beeinflusst wird [7, 8, 12]. Zu den Standards bei Kolonresektionen nach dem Fast-Track-Konzept ge­ hören neben der Analgesie durch den PDK auch die Gabe von Macrogol zur Stimulation der Darmtätigkeit spätestens ab dem 2. postoperativen Tag. In Analogie zu den positi­ ven Ergebnissen von randomisierten Studien zum Einsatz von Kaugummis zur Verbes­ serung der Darmmotilität nach Sectio kann auch bei Operationen in der Schwanger­ schaft Kaugummi für mindestens 30 Minuten dreimal täglich empfohlen werden [46]. Unabhängig von der relativ seltenen Situation einer größeren abdominellen Operation während der Schwangerschaft ist ein besonderes Problem bei klinischen Studien zur Darmmotilität die erschwerte Quantifizierbarkeit und Subjektivität der Ergebniskrite­ rien (erster Stuhlgang, erster Flatus nach der Operation, Konsistenz und Frequenz des Stuhlgangs, Peristaltik, Wohlbefinden). Merke: Bei abdominalchirurgischen Eingriffen in der Schwangerschaft sollte der Patientin zur postoperativen Analgesie und Förderung der Peristaltik ein Periduralkatheter empfohlen werden.

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6.4.4 Perioperative Ernährung und Supplementierung mit Mikronährstoffen Während der Schwangerschaft besteht ein erhöhter Bedarf an Kalorien und Mikro­ nährstoffen [27, 47, 48]. Krankheiten und Operationen des Magendarmtraktes, aber auch Übelkeit und Erbrechen können zu einem Mangel an Energieträgern und Mi­ kronährstoffen („Spurenelemente“) führen. Mikronährstoffe sind essenzielle Vitami­ ne und Mineralien, die zwar nur in geringen absoluten Mengen benötigt werden, aber eine wichtige Rolle bei der fetalen Entwicklung spielen und die metabolische Akti­ vität, zelluläre Proliferation, Signalübertragung, Differenzierung und Apoptose steu­ ern [47]. In Ernährungszusätzen für die Schwangerschaft, die auch perioperativ ge­ geben werden können, sind die Vitamine A, D, E, Folsäure, B12, B6, C, die Mineralien Eisen, Zink, Iodid, Kupfer und Selen sowie andere Vitamin B-Komplexe (Niacin, Ribof­ lavin und Thiamin) enthalten. Im Allgemeinen wird während der Schwangerschaft eine ausgeglichene, vielsei­ tige und nährstoffhaltige Diät mit mehreren kleineren Mahlzeiten empfohlen [48]. Die Empfehlungen zur Supplementierung mit Mikronährstoffen sind je nach Land unter­ schiedlich [47]. Beispiele für die effektive Substitution von Mikronährstoffen sind die Vermeidung von Neuralrohrdefekten durch Folsäure, von Kretinismus durch Iodid, Frühgeburtlichkeit durch Zink und niedriges Geburtsgewicht durch Folsäure, Eisen und Vitamin D. In Deutschland wird in der Schwangerschaft die zusätzliche Gabe von Folsäure und Iodid empfohlen [48]. Postoperativ sollte auch nach abdominellen Operationen oder bei Pankreatitis ein frühzeitiger oraler Kostaufbau versucht werden. Die genannten Nahrungsergänzungs­ stoffe können dann entweder als Tabletten oder mittels hochkalorischer Trinknahrung gegeben werden. In den seltenen Fällen einer unzureichenden enteralen Nahrungsaufnahme ist auch in der Schwangerschaft kurzfristig eine parenterale Ernährung mit vorgefertig­ ten hochkalorischen Infusionsgemischen möglich. Bei der relativen Insulinresistenz muss gegebenenfalls Insulin zugegeben werden. Falls eine längerfristige parentera­ le Ernährung notwendig ist (Kurzdarmsyndrom, Intensivstation), haben sich lipidbasierte und eiweißreiche parenterale Mischlösungen zur Vermeidung einer glukoseinduzierten Fettleber als sicher und effektiv erwiesen [49].

6.4.5 Anämie und Transfusion Etwa 20–25% der Schwangeren in westlichen Ländern haben in der Schwangerschaft einen Eisenmangel als häufigste Ursache einer Anämie [50]. Eine Anämie ist in der Schwangerschaft definiert als [Hb] < 11.0 g/dl im ersten Trimenon und < 10.5 g/dl im 2. und 3. Trimenon. Der Eisenmangel wird über die hypochrome mikrozytäre An­ ämie und den niedrigen Ferritin-Wert von < 15 μg/l diagnostiziert [50, 51]. Der erhöhte Eisenbedarf in der Schwangerschaft liegt bei 30 mg/Tag [48] und wird üblicherweise

6.4 Postoperative Maßnahmen | 99

mit oralen Eisenpräparaten substituiert, auch wenn sich die intravenöse Gabe von Eisen in randomisierten Studien als effektiver und ärmer an Nebenwirkungen gezeigt hat [52]. Wenn ein operativer Blutverlust stattgefunden hat, sollte bevorzugt Eisen par­ enteral gegeben werden, da postoperativ die enterale Eisenresorption eingeschränkt ist und die gastrointestinalen Nebenwirkungen bei der postoperativen Darmatonie be­ sonders unangenehm sind. Die heute verwendeten parenteralen Eisenpräparationen ohne Dextrane haben kein nennenswertes Risiko für allergische Reaktionen und er­ lauben es in kurzer Zeit, die Eisenspeicher aufzufüllen [52]. Die Indikation zur Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (EK) bei Schwan­ geren sollte abgesehen von akuten Blutungen grundsätzlich zurückhaltend gestellt werden. Spezifische Empfehlungen zu Transfusionstriggern in der Schwangerschaft gibt es nicht [53], sodass sich die Indikation in der Zusammenschau der in Tabelle 6.3 genannten klinisch-physiologischen Faktoren ergibt, der [Hb] ist hierbei nur ein Sur­ rogat für die Anämie, aber nicht zwangsläufig Indikation zur Transfusion. Eine EKTransfusion bei [Hb] über 7 g/dl ist selten, über 9 g/dl überwiegend nicht indiziert, ein Volumenmangel sollte vor Transfusion ausgeschlossen oder korrigiert werden. Bei der Bereitstellung und Transfusion von EK muss darauf geachtet werden, bei Rh-D-negati­ ven Schwangeren nur Rh-D-negative EK zu geben und auch eine Immunisierung gegen andere Hauptmerkmale im Rh-System durch entsprechende Auswahl kompatibler EK zu vermeiden [53]. Die Indikation zur Transfusion und auch der klinische Effekt nach Transfusion sollten dokumentiert werden. Tab. 6.3: Faktoren für die Indikationsstellung zur Transfusion von Erythrozyten in der Schwanger­ schaft. Klinischer Zustand Ursache der Anämie Dynamik des Hb-Abfalls Zu erwartender weiterer Blutverlust Möglichkeiten der kardiopulmonalen Kompensation Kardiopulmonale Symptome Tachykardie, Hypotonie, ST-Strecken-Senkung, Dyspnoe – Neurologische Symptome Orthostase, Schwindel, Kopfschmerzen, Müdigkeit – Zeichen der globalen O2 -Minderversorgung Abfall der gemischt-venösen O2 -Sättigung < 50% Abfall der zentral-venösen O2 -Sättigung < 60% Serum-Laktat > 2 mmol/l und Azidose – Zeichen der Hypoxie des Feten – – – – – –

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6.4.6 Intensivtherapie In etwa 0,5–4 von 1000 Schwangerschaften ist eine Intensivstationstherapie vor oder nach der Entbindung erforderlich [54]. Die häufigsten Ursachen für eine perioperative Intensivtherapie während der Schwangerschaft sind massive Blutungen, hypertensive Krisen und Sepsis. Nach der initialen Behandlung der Organ-Dysfunktionen muss um­ gehend entschieden werden, ob eine Komplikation durch die Schwangerschaft selbst vorliegt und wie das Risiko für die Mutter und das Kind wäre, wenn die Schwanger­ schaft fortgesetzt wird. Wenn die Beendigung der Schwangerschaft oder Geburt den kritischen Zustand der Mutter verbessert, ist meist eine Sectio unter möglichst guter Kontrolle der Organfunktionen der sicherste Weg, wenn das Leben des Kindes erhal­ ten werden kann. Bei der Intensivtherapie sollte immer bedacht werden, dass das Le­ ben der Mutter vor dem des Kinds Vorrang hat. Die Komplexität der Probleme bei ei­ ner schwangeren Intensivstationspatientin erfordert eine koordinierte interdisziplinä­ re Teamarbeit [54, 55]. Bei Ateminsuffizienz, z. B. nach einer Aspiration mit Mendelson-Syndrom, soll­ te eine Intubation mit Sicherung der Atemwege und Optimierung der Sauerstoffver­ sorgung nicht herausgezögert werden. Eine Hypoxämie und mögliche Hyperkapnie sollten wegen der nicht absehbaren negativen Auswirkungen auf den Feten immer vermieden werden [55]. Die Inzidenz der Sepsis bei Schwangeren hat in den letzten Jahren als Todesursa­ che zugenommen. Bei postoperativem septischem Verlauf ohne klar erkennbare Ursa­ che muss immer an ein Toxic Shock-Syndrome durch Streptokokken-Infekte oder eine nekrotisierende Fasziitis (Fourniersche Gangrän) gedacht werden [55]. Ein massiver Blutverlust mit hämorrhagischem Schock ist weltweit eine der Hauptursachen Schwangerschafts-assoziierter Mortalität [56, 57]. Die Notwendig­ keit von Massivtransfusionen ist zwar gering (6 auf 10.000 Geburten), aber steigend aufgrund zunehmend abnormaler Plazentation und Uterus-Atonie nach Sectio [57]. Eine disseminierte intravasale Gerinnung kann bei verschiedenen schwangerschaftsbedingten Komplikationen wie Präklampsie/Eklampsie, septischem Abort, Frucht­ wasser-Embolie oder akuter Fettleber ebenfalls vorkommen und zu lebensbedroh­ lichen Blutungen führen [58]. Ein Protokoll zur Massivtransfusion sollte in jeder geburtshilflichen Abteilung vorliegen. Hierbei wird frühzeitig ein festes Verhältnis von Erythrozytenkonzentraten, Frischplasma und Thrombozytenkonzentraten (z. B. 6 : 4 : 1) verwandt, um im Gegensatz zu der früheren Praxis eines massiven Volumen­ ersatzes mit kristalloiden Lösungen die Hämostase möglichst gut zu erhalten [57]. Hierzu kann auch die Gabe von Tranexamsäure, Prothrombinkomplex (PPSB) und Fibrinogen beitragen, deren Dosierung durch Point-of-Care-Verfahren (Thrombelas­ tografie und -metrie) im Operationssaal oder auf der Intensivstation gesteuert werden kann (siehe auch Kapitel 3).

Literatur

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6.5 Vorgehen bei Herz-Kreislauf-Stillstand Ein Herz-Kreislauf-Stillstand bei Schwangeren tritt grundsätzlich selten auf. Mögliche Ursachen für maternale Todesfälle sind Sepsis, Blutungskomplikationen, Präeklamp­ sie und Eklampsie, Thrombose, Thromboembolie und Fruchtwasserembolie (siehe auch Kapitel 5 und 16). Generell gilt es, sofort nach Feststellung des Herz-KreislaufStillstandes mit einer effektiven Herzdruckmassage zu beginnen, bis ein zweiter Hel­ fer ergänzend mit dem Freimachen der Atemwege und der Beatmung beginnen kann. Zeitgleich sollte mit der Ursachensuche begonnen werden, um potenziell reversible Zustände zu beheben: Hypoxie, Hypoglykämie, Hypovolämie, Hypokaliämie sowie Hämorrhagie und kardiovaskuläre Erkrankungen (HELPP, Eklampsie, Lungenembo­ lie) müssen abgeklärt werden. Wichtig ist wie bei Nicht-Schwangeren eine effektive Herz-Druckmassage mit möglichst wenigen Unterbrechungen in 15–30% Linksseitenlage [59]. Bei Kammerflimmern oder ventrikulärer Tachykardie ist eine Defibrillation we­ sentlich für eine erfolgreiche Reanimation. Die Impedanz des Thorax verändert sich durch die Schwangerschaft nicht, deshalb werden die gleichen Energien wie bei NichtSchwangeren angewendet. Eine fetale Schädigung ist hierdurch nicht zu befürchten. Bei Herz-Kreislauf-Stillstand nach 24 abgeschlossenen Schwangerschaftswochen sollten unverzüglich ein Geburtshelfer und ein Neonatologe hinzugezogen und eine Notsectio vorbereitet werden. Die Überlebenschancen für Mutter und Kind steigen si­ gnifikant nach Beginn der Reanimationsmaßnahmen [60].

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104 | 6 Perioperative Maßnahmen

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Ingolf Juhasz-Böss und Erich-Franz Solomayer

7 Zugangswege, Laparoskopie und spezielle gynäkologische Eingriffe 7.1 Einleitung Abdominal-Operationen während der Schwangerschaft stellen sowohl für die Patien­ tin als auch für die Operateure und Anästhesisten eine besondere Situation dar. Da elektive Eingriffe möglichst außerhalb einer Schwangerschaft durchgeführt werden, erfolgt mehr als die Hälfte der Operationen mit dringlicher oder Notfall-Indikation [1]. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass bei 2–4% der Frauen im gebärfähigen Alter, die sich einer Operation unterziehen, eine bis dahin unerkannte Schwanger­ schaft vorliegt [2], daher sollte vor radiologischer Diagnostik und Operationen im­ mer ein Schwangerschafts-Test erfolgen. Schätzungen zufolge wird in etwa 2% der Schwangerschaften ein nicht-geburtshilflicher Eingriff erforderlich [3], dies entspricht in Deutschland etwa 13.000 Operationen/Jahr bei Schwangeren. Für die Indikationsstellung und Planung von Operationen in der Schwangerschaft waren neben Verbesserungen der Anästhesie und der fetalen Überwachung zwei Ent­ wicklungen der letzten Jahre maßgeblich: Die Verbesserung der Bildgebung durch hochauflösenden Ultraschall und Kernspintomografie (MRT) und zum anderen die vi­ deoassistierte Laparoskopie. Durch die Möglichkeiten der Schnittbildgebung hat sich die Indikation für dia­ gnostische explorative Laparotomien oder Laparoskopien reduziert. Die Ausprägung und Lokalisation abdomineller Erkrankungen in der Schwangerschaft kann heute durch Ultraschall und MRT ohne Strahlenbelastung, z. B. hinsichtlich M. Crohn ver­ sus Appendizitis, geklärt (siehe auch Kapitel 4) und der beste Zugangsweg gewählt werden. Eine möglichst gute Bildgebung ist die Basis für die Entscheidung zu einem primär konservativen Vorgehen, z. B. bei V. a. Cholezystitis oder Appendizitis. Bei den Indikationen führen die Appendektomie mit 44% und die Cholezystek­ tomie mit 22%, welche heute zu etwa 70% laparoskopisch durchgeführt und in den Kapiteln 9 und 10 gesondert dargestellt werden [1, 3, 4]. Während in den vergange­ nen Jahren nahezu ausschließlich die Laparotomie durchgeführt wurde, wird immer häufiger von der Laparoskopie als Methode der Wahl berichtet [5]. Randomisierte Ver­ gleiche zwischen verschiedenen Zugangswegen während der Schwangerschaft liegen nicht vor, in den letzten Jahren sind jedoch einige Leitlinien und Empfehlungen zu abdominellen Eingriffen in der Schwangerschaft [5, 6], insbesondere zur Laparosko­ pie [7, 8], erschienen, die auf dem Konsensus von Expertengremien basieren. Für die Entscheidungsfindung zum operativen Vorgehen bei Erkrankungen des Bauchraumes in der Schwangerschaft sind die wichtigsten Kriterien: Die Sicherheit DOI 9783110414134-007

106 | 7 Zugangswege, Laparoskopie und spezielle gynäkologische Eingriffe

der Mutter, die Sicherheit des Feten, die Vermeidung teratogener, mutagener oder em­ bryotoxischer Medikamente, die Vermeidung einer fetalen Azidose und Hypoxie sowie die Prävention einer Frühgeburt. Bezüglich perioperativer Aspekte, wie fetale Überwachung und Prophylaxen (Rh, RDS, Antibiotika, Thrombose) wird auf Kapitel 6 verwiesen, bezüglich Anästhesie und Schmerztherapie auf Kapitel 5.

7.2 Operationstechnische Aspekte Die Entscheidung für eine Operation und das entsprechende Verfahren sollte zu­ nächst zwischen den beteiligten Disziplinen festgelegt werden. Hierfür ist eine gute Kommunikation zwischen Diagnostiker, Operateur, Anästhesist und Geburtshelfer erforderlich, erst dann kann der Patientin und ihren Angehörigen eine eindeutige Empfehlung gegeben werden, sodass Verunsicherung vermieden wird. Die Aufklä­ rung muss stets die Möglichkeit eines Umsteigens von der laparoskopischen zur offenen Operation und gegebenenfalls die Option einer intraoperativen Notsectio umfassen. Es muss betont werden, dass theoretische Überlegungen und die Kennt­ nis von Leitlinien nicht ausreichend sind, vielmehr muss die Aufklärung, Operation und Anästhesie bei Operationen in der Schwangerschaft von einem Team erfahrener Fachärzte durchgeführt werden.

7.2.1 Intraoperative Lagerung Bei der Laparoskopie kann es in Rückenlagerung zu einer Beeinträchtigung des venö­ sen Rückstroms zum Herzen durch Kompression der V. cava und Erhöhung der Beat­ mungsdrücke kommen. Zum anderen wird das leicht diffusible CO2 über das Perito­ neum aufgenommen und kann zur Hyperkapnie und Azidose führen. Zur Prävention des Vena-cava- und des aortokavalen Kompressionssyndroms wird eine konsequente Linksseitenlage (15–30°) bzw. Linksverlagerung des Uterus empfohlen [7–9]. Während eine Kompression der V. cava über eine Verminderung des venösen Rückstroms zu ei­ nem Abfall des Herzzeitvolumens und Blutdrucks der Mutter führt, ist eine partielle Kompression der Aorta bei der Rückenlagerung der Schwangeren für das Kind meist noch gefährlicher als für die Mutter, da der zentrale arterielle Blutdruck der Mutter unverändert sein kann, obwohl eine arterielle Hypotension im Bereich der A. uterina vorhanden, aber nicht erkennbar ist [9]. Bei einer Laparoskopie ist oftmals eine steile Kopftieflagerung oder kurzfristige Kippung des OP-Tisches zur kontralateralen Seite hin indiziert, um Adnexbefunde zu beurteilen. Bei der Lagerung unter Verwendung von Schulter- und Seitenabstüt­ zung oder formbarer Vakuum-Matratzen und nach dem Umlagern sollten die kriti­ schen Auflagepunkte (N. ulnaris und N. peronäus) überprüft werden.

7.2 Operationstechnische Aspekte |

107

Extreme Umlagerungen sollten langsam vorgenommen werden, um eine Adapta­ tion der Kreislaufregulation und ggf. der Beatmungsparameter zu ermöglichen [9, 10] und eine Dislokation des Beatmungstubus zu vermeiden. Eine Steinschnitt-Lagerung mit beweglichen Beinstützen hat sich für die Mehr­ zahl der Indikationen der Laparoskopie und auch bei Laparotomien in der Schwan­ gerschaft bewährt. Der Vorteil liegt in der besseren Entspannung der Bauchdecke bei angewinkelten Oberschenkeln und der Möglichkeit eines geburtshilflichen Eingrei­ fens im Notfall. Bei einer Cholezystektomie sollte der Operationstisch die Möglichkeit einer Cho­ langiografie bieten und eine entsprechende Bleischutzabdeckung des Beckens erfol­ gen. In einer Beobachtungsstudie mit regelhafter Cholangiografie bei Cholezystekto­ mien in der Schwangerschaft lag die Dosis der Strahlenexposition bei 0,2–0,5 rad [11]. Die Empfehlung zur Limitierung der kumulativen Strahlendosis in der Schwanger­ schaft liegt bei 5–10 rad [7].

7.2.2 Intraabdomineller Druck Durch die Insufflation von CO2 (Kapnoperitoneum) wird der intraperitoneale Raum eröffnet und sichtbar, das Zwerchfell wird nach kranial gedrückt, das pulmonale Re­ sidualvolumen und die funktionelle Residualkapazität werden reduziert. Es wird aktuell ein intraabdomineller Druck von 15 mmHg empfohlen, um einer­ seits eine gute intraabdominelle Übersicht und damit auch Sicherheit zu gewährleis­ ten und andererseits die Nebenwirkungen des Kapnoperitoneums gering zu halten [7, 12–14]. In tierexperimentellen Studien sind unter Anlage eines Kapnoperitoneums beim Feten eine Hyperkapnie mit Azidose und Tachykardie gezeigt worden, ohne negative langfristige Nachwirkungen [15, 16]. Es gibt keinen Hinweis für einen schä­ digenden Effekt des Kapnoperitoneums für den menschlichen Feten [7, 17]. Durch den erhöhten intraabdominalen Druck nimmt jedoch gleichzeitig der intrathorakale Druck zu und somit auch der zentrale Venendruck und der pulmonalkapilläre Ver­ schlussdruck. Deshalb zeigen erhöhte Füllungsdrücke des Herzens nicht sicher auch eine erhöhte rechts- oder linksventrikuläre Vorlast des Herzens an [18]. Diese kar­ diovaskulären Veränderungen führen jedoch nicht einheitlich zu Alterationen des Herzindex und des Blutdrucks. Beschrieben wurden sowohl Anstieg als auch Abfall oder unveränderte Werte [10, 19]. Junge, gesunde Patientinnen vertragen die oben genannten Belastungen meist ohne Probleme. Bei dem zunehmenden Kollektiv der älteren und speziell bei kardiovaskulär vorerkrankten Schwangeren ist die Kompen­ sationsfähigkeit jedoch eingeschränkt. So fanden sich bei Patienten mit vorbestehen­ der myokardialer Dysfunktion eine Abnahme der Kontraktilität des linken Ventrikels und eine Zunahme der Wandbewegungsstörungen [20]. Ein intraoperatives CO2 -Monitoring durch kontinuierliche nicht-invasive Messung des endexpiratorischen CO2 -Partialdrucks (endtidales CO2 ) ist heute der Standard zur

108 | 7 Zugangswege, Laparoskopie und spezielle gynäkologische Eingriffe

Überwachung bei laparoskopischen Operationen. Der EtCO2 -Partialdruck korreliert mit dem arteriellen pCO2 und erübrigt daher eine wiederholte invasive Bestimmung der arteriellen Blutgaswerte [21]. Zur Vermeidung der Probleme des Kapnoperitoneums wurden Techniken für gaslose laparoskopische Operationen (GLS) vor allem in Japan entwickelt. Die GLS kann theoretisch auch in Regionalanästhesie durchgeführt werden, erfordert jedoch eine besondere Absaugung von intraabdominellem Rauch, der bei der Anwendung von thermischer Koagulation entsteht. Der Einsatz der GLS für Eingriffe während der Schwangerschaft hat in den mitgeteilten Fallberichten gleiche Ergebnisse wie die konventionelle CO2 -Laparoskopie, erfordert aber eine besondere Expertise und hat sich bisher nicht durchgesetzt [22, 23].

7.2.3 Portplatzierung Die Platzierung des ersten Ports zur Anlage des Kapnoperitoneums muss in der Schwangerschaft besonders vorsichtig erfolgen. Hierbei muss zwischen der offenen Hasson-Technik (Minilaparotomie) und der Veress-Nadel entschieden werden, die prinzipiell ein höheres Risiko für Verletzungen des Uterus und intraabdomineller Organe aufweist. Wenn der Fundusstand getastet oder im Ultraschall nachgewiesen werden kann und die Bauchwand (z. B. mit Backhaus-Klemmen) angehoben wird, werden in aktuellen Leitlinien beide Techniken als effektiv und sicher eingestuft [7, 8]. Von vielen Autoren wird das Einbringen des Optiktrokars während der Schwanger­ schaft aufgrund der veränderten Anatomie im 2. und 3. Trimenon unterhalb des linken Rippenbogens empfohlen [12–14, 24, 25]. Bei der Platzierung der übrigen Ports müssen unter Kamerasicht der intraoperati­ ve Befund und die Lage des Uterus berücksichtigt werden, ferner ist beim Einbringen der lateralen Ports der Verlauf der epigastrischen Gefäße und die Anatomie des N. ilio­ inguinalis und iliohypogastricus zu beachten [26, 27].

7.2.4 Laparotomie in der Schwangerschaft Inzwischen hat sich durch die zunehmende Erfahrung die Laparoskopie als Zugang während der Schwangerschaft durchgesetzt, dennoch gibt es Situationen, in de­ nen primär oder nach Konversion eine Laparotomie erfolgen muss (Tabelle 7.1). Die Schnittführung muss in erster Linie für einen bestmöglichen Zugang zum Operati­ onsbereich sorgen. Aufgrund der segmentalen Bauchwandinnervation haben quere Schnittführungen vermutlich auch in der Schwangerschaft eine geringere Rate an Wundheilungsstörungen und postoperativen Schmerzen zur Folge, da weniger Seg­ mente betroffen sind [27].

7.2 Operationstechnische Aspekte | 109

Tab. 7.1: Indikationen zur primären Laparotomie oder Umsteigen von der Laparoskopie. – – – – – – –

Simultane Sectio geplant Schlechte Übersicht (Uterus) Intraoperative Komplikation (Darmverletzung, Blutung) Peritonitis mit unklarer Ursache Große Bauchwandhernien Voroperationen, Adhäsionen Intraabdominelle Blutung (z. B. rupturiertes Aneurysma A. lienalis)

Bei Eingriffen im Beckenbereich (Adnexe, komplizierter M. Crohn, Appendizitis), insbesondere wenn eine simultane Sectio vorgenommen wird, bietet sich hierfür die quere Unterbauch-Laparotomie entweder in der Technik nach Pfannenstiel oder nach der Methode von Misgav-Ladach an [28, 29]. Die quere Hautinzision (Joel-Cohen-Inzi­ sion) bei der Misgav-Ladach-Technik liegt etwa 3 cm unterhalb der Verbindungslinie beider Spinae iliacae anteriores, die Eröffnung von Faszie und Peritoneum erfolgt stumpf, und beim Bauchwandverschluss wird die Faszie fortlaufend mit 1-0 PDS ge­ näht. Die bogenförmige Pfannenstiel-Inzision liegt weiter kaudal, etwa 3 cm über der Symphyse. Die Dissektion erfolgt scharf und der Bauchwandverschluss in mehreren Schichten. In randomisierten Studien und Metaanalysen hat sich für die Sectio die Technik nach Misgav-Ladach als zeitsparender und vor allem besser in Bezug auf postoperative akute und chronische Schmerzen erwiesen [28–30], sodass dieser Zu­ gang auch für abdominelle Eingriffe während der Schwangerschaft infrage kommt, insbesondere wenn eine simultane Sectio vorgesehen ist. Der fehlende Naht-Ver­ schluss des Peritoneums in der Technik nach Misgav-Ladach ist einer der Gründe für weniger Schmerzen, führt aber in randomisierten Studien zur Frage des Peritoneal­ verschlusses zu etwa doppelt so viel Adhäsionen, dies sollte hinsichtlich zukünftiger Baucheingriffe berücksichtigt werden [31]. In randomisierten Studien zum Hautver­ schluss nach Sectio führt die Intrakutannaht (4-0 PDS monofil) gegenüber Hautklam­ mern zu weniger Wunddehiszenzen bei etwa 7 min. längerer OP-Dauer [32] und kann daher auch für gering kontaminierte abdominalchirurgische Eingriffe während der Schwangerschaft empfohlen werden. Eine komplizierte Cholezystitis oder Duodenalperforation kann in der Schwanger­ schaft am sinnvollsten über einen Rippenbogenrandschnitt rechts operiert werden, bei Peritonitis ohne klare Ursache empfiehlt sich eine mediane Laparotomie. Ringfoli­ en zum Schutz der Bauchwand vor Infektionen haben sich bewährt. Beim Verschluss von Laparotomien während einer Schwangerschaft muss auf eine gute Relaxierung geachtet werden, um ein Einreißen der Faszien zu vermeiden. Den Studien zum Ver­ schluss medianer Laparotomien in der Abdominalchirurgie entsprechend ist die Rate an Wundinfekten, Platzbauch und Narbenhernien am niedrigsten, wenn ein mono­ filer Faden (PDS 1-0) verwendet wird, der Abstand der Stiche zum Faszienrand nicht mehr als 8 mm beträgt und kleine Stichabstände gewählt werden, sodass das Verhält­

110 | 7 Zugangswege, Laparoskopie und spezielle gynäkologische Eingriffe

nis der Nahtlänge zur Wundlänge größer 4 : 1 ist [33]. Für einen sicheren Faszienver­ schluss kann es besonders in der Schwangerschaft erforderlich sein, den Nabel von der Faszie abzulösen.

7.3 Postoperative Komplikationen Bei den Komplikationen nach abdominellen Eingriffen während der Schwangerschaft kann zwischen mütterlichen und fetalen Komplikationen unterschieden werden. Schwerwiegende mütterliche Komplikationen (hämorrhagischer, septischer oder hy­ povolämischer Schock) führen meist zu irreversiblen Schädigungen des Feten mit Abort. Darüber hinaus ist zwischen unerwünschtem Verlauf durch die Grunderkrankung (z. B. postoperativer Abszess nach Appendektomie) und operations- oder anästhesie­ bedingten Komplikationen (z. B. intraoperative Darmverletzung) zu unterscheiden.

7.3.1 Abort- und Frühgeburten-Rate Eine Zunahme der Fehlbildungshäufigkeit nach chirurgischen Eingriffen unter Anäs­ thesie in der Schwangerschaft lässt sich nicht finden, die bisherigen Untersuchun­ gen zeigen jedoch eine gering erhöhte Abort- bzw. Frühgeburtenrate. Hierbei ist nicht zu unterscheiden, ob dies auf die zugrunde liegende Erkrankung, den chirurgischen Eingriff oder das Anästhesieverfahren zurückzuführen ist. Brodsky et al. [34] fanden beim Vergleich von 187 Schwangeren, die sich im 1. Trimenon einem chirurgischen Eingriff unter Narkose unterzogen, mit einer Kontrollgruppe von 8654 Schwangeren, dass die Abortrate mit 8,0% gegenüber den Kontrollen mit 5,1% erhöht war. Im 2. Tri­ menon betrug die Abortrate 6,5% gegenüber 1,4% bei den Kontrollen. Duncan et al. fanden ebenfalls bei gynäkologischen Eingriffen während der Schwangerschaft die Spontanabortrate auf das Doppelte erhöht [35]. Die bisher größte Untersuchung um­ fasst 720.000 Schwangere, von denen sich 5405 einer Operation unter Narkose unter­ ziehen mussten [36]. Hierbei war die Anzahl von Kindern mit einem reduzierten Ge­ burtsgewicht erhöht, sowohl aufgrund intrauteriner Wachstumsretardierung als auch aufgrund einer Zunahme der Frühgeburtsrate. In dieser Untersuchung gab es keine Hinweise für ein ungünstigeres Ergebnis bei bestimmten Operationen oder Anästhe­ sieverfahren. Die klinische Praxis zeigt, dass durch ein sorgfältig abgestimmtes chirurgisches und anästhesiologisches Vorgehen sowohl die Mutter als auch der Fet angemessen mittels Laparoskopie versorgt werden können [7, 17]. Nach einer anonymen Brief­ befragung von laparoskopisch tätigen Chirurgen traten bei 413 laparoskopischen Eingriffen in der Schwangerschaft nur 5 intraoperative und 10 postoperative Kompli­ kationen auf [37]. Reedy et al untersuchten in einer 20-Jahres-Periode in Schweden

7.3 Postoperative Komplikationen |

111

über zwei Millionen Schwangere, die entweder laparotomiert oder laparoskopiert wurden [38]. 2181 Laparoskopien und 1522 Laparotomien mit einem Gestationsalter zwischen 4–20 Wochen und fünf fetale Parameter (Geburtsgewicht, Kindersterb­ lichkeit, fetale Malformationen, Gestationsdauer, Entwicklungsverzögerung) wurden erfasst. Frühgeburtlichkeit, Entwicklungsverzögerungen und ein reduziertes Geburts­ gewicht wurden deutlich häufiger in dem Gesamtkollektiv der operierten Kinder im Vergleich zu der Gruppe der nicht-operierten Kinder beobachtet, und somit wurden die Ergebnisse bisheriger Studien bestätigt. Es wurden aber keine Unterschiede zwi­ schen der laparoskopierten und laparotomierten Gruppe gefunden. Es liegt demgegenüber eine Vielzahl von Studien vor, die über Vorteile der Lapa­ roskopie gegenüber der Laparotomie bei schwangeren Patienten für den Feten berich­ ten, wie beispielsweise eine reduzierte Rate an Spontanaborten und Frühgeburtlich­ keit [25].

7.3.2 Fetale Hypoxie und Azidose Hypoxie, Hyperkapnie und Hypotension mit der Folge einer verminderten Uterusper­ fusion und fetaler Hypoxämie und Azidose können beim Feten Fehlbildungen indu­ zieren oder zum Fruchttod führen [39]. Es ist zu berücksichtigen, dass intraoperativ die Situation des Feten schwierig zu beurteilen ist. Über den Surrogat-Parameter des pathologischen CTG ist ebenfalls keine sichere Aussage möglich, da die Anästhetika diaplazentar den Feten ebenfalls erreichen und zur Verringerung der Herzfrequenzva­ riabilität führen können (siehe Kapitel 6). Diese Schädigungen können als Komplika­ tionen bei Beatmungsproblemen der Mutter im Rahmen einer Allgemeinanästhesie, durch die unphysiologische Lagerung während der Laparoskopie oder das Kapnope­ ritoneum auftreten [12, 14, 17, 21, 40]. In der Praxis treten jedoch häufiger maternale Blutdruckabfälle durch eine tiefe Allgemeinanästhesie, Sympathikolyse, allergische Reaktionen oder bei chirurgischen Blutungen auf. Sowohl die Trendelenburg-Lage als auch das Kapnoperitoneum wäh­ rend der Laparoskopie können zu diesen Veränderungen des Kreislaufs führen. Tier­ experimentell konnte gezeigt werden, dass ein intraoperativ unbehandelter, länge­ rer Abfall des arteriellen Mitteldrucks auf 40 mmHg zu fetaler Asphyxie, Hirnschä­ den des Feten oder Fruchttod führt [41]. Hypotensionen werden durch Infusionsthe­ rapie und Vasopressoren behandelt. Hierbei können manche Vasopressoren die ute­ rine Vasokonstriktion verstärken und stellen deshalb nicht die first-line-Therapie der arteriellen Hypotension dar. Darüber hinaus sollten möglichst nur Vasopressoren mit geringer α1 -Rezeptor-Aktivität verwendet werden (Ephedrin, Cafedrin/Theodrenalin, Phenylephrin) [42]. Das anästhesiologische Vorgehen zielt daher in erster Linie auf die Vermeidung dieser Komplikationen, z. B. durch eine prophylaktische Infusionsoder Sauerstofftherapie. Hohe arterielle Sauerstoffpartialdrücke der Mutter sind für den Feten nicht gefährlich, da sie weder zu einer Verminderung der Uterusperfusion

112 | 7 Zugangswege, Laparoskopie und spezielle gynäkologische Eingriffe

noch zu intrauteriner retrolentaler Fibroplasie oder Verschluss des Ductus arteriosus führen [42].

7.3.3 Komplikationen durch den Zugangsweg Die Uterusperforation zählt zu den Hauptrisiken der Laparoskopie in der Schwanger­ schaft und tritt meist beim Eingehen mit dem ersten Trokar in das Abdomen auf. Bei offenem Zugang (Hasson-Technik) wurde ebenfalls über Perforationen berichtet, die jedoch nach umgehender Konversion zur Laparotomie mit Versorgung der Uteruslä­ sion den weiteren Schwangerschaftsverlauf nicht beeinflusst haben [44]. Eine verse­ hentlich intrauterine Insufflation von Gas mittels Veress-Nadel ist mit einem erhöhten Risiko für Frühgeburtlichkeit verbunden [37]. In einer Metaanalyse zur laparoskopi­ schen Appendektomie während der Schwangerschaft waren die intraabdominellen Verletzungen beim Setzen des ersten Trokars ausschließlich durch die Veress-Nadel bedingt [44].

7.4 Vergleich der Zugangswege In einer Reihe von nicht randomisierten Untersuchungen und deren Metaanalysen wurden Vorteile der Laparoskopie gegenüber der Laparotomie bei schwangeren Pati­ enten beobachtet [24, 44–46]. Dies betrifft die Reduktion der fetalen respiratorischen Depression durch eine verringerte postoperativ benötige analgetische Therapie, die Reduktion von Wundinfektionen und weniger Uterusirritationen durch die verbesser­ te Visualisierung [24, 25]. Weitere Vorteile der Laparoskopie sind auch bei Schwange­ ren ein verkürzter Krankenhausaufenthalt und ein reduziertes Thromboembolierisi­ ko [7]. Die häufigsten Indikationen für Eingriffe im Bauchraum während einer Schwan­ gerschaft sind Appendektomien, Cholezystektomien, Eingriffe an den Adnexen und diagnostische Explorationen. Diese werden bei Nicht-Schwangeren heute fast im­ mer laparoskopisch durchgeführt, sodass eine flächendeckende größere Erfahrung als noch vor 10 Jahren mit diesem Zugang besteht. Dies ist bei der Beurteilung von Fallserien und Metaanalysen unter Einschluss älterer Daten zu berücksichtigen. Für die Cholezystektomie in der Schwangerschaft wurde in einer aktuellen Meta­ analyse von 11 Vergleichsstudien, in die insgesamt 10.632 Patientinnen eingeschlossen waren, eine Reduktion der maternalen, fetalen und chirurgisch bedingten Komplika­ tionen durch die laparoskopische Technik gezeigt [46]. Der laparoskopische Eingriff erfolgte im Mittel in der 18. SSW, der offene Zugang in der 24. SSW, sodass diese Ergeb­ nisse zumindest für die ersten beiden Trimester den laparoskopischen Zugang für die Cholezystektomie nahelegen.

7.5 Nicht-geburtshilfliche gynäkologische OP-Indikationen |

113

Für die Appendektomie ist das Bild ähnlich: Auch hier überwiegen in den Meta­ analysen zum Vergleich offene versus laparoskopische Techniken die Vorteile für die Mutter in Hinsicht auf Wundheilungsstörungen, Schmerzen, Krankenhausaufenthalt und Frühgeburtsrate. In einigen Studien und damit auch in den Metaanalysen sind allerdings etwas erhöhte Raten an Aborten bei den laparoskopischen Operationen zu verzeichnen [44, 45], hierbei handelt es sich jedoch um ältere Studien. Insbesonde­ re die methodisch zweifelhafte Studie von McGory et al. [47] mit Registerdaten von Fällen, die zwischen 1995 und 2002 in Kalifornien operiert wurden, hatte einen über­ durchschnittlichen Einfluss auf die Metaanalysen, sodass diese als Grundlage für eine aktuelle Beratung einer Schwangeren nicht geeignet sind. Heute muss bei der Beurteilung von Studien zur Appendektomie die Art der prä­ operativen Bildgebung und die Rate an negativen Appendektomien beachtet werden, d. h. der Anteil von Appendektomien ohne Appendizitis als Ursache für die Beschwer­ den. Zudem muss auch das Trimenon und der Schweregrad der Entzündung (Perfora­ tion, Peritonitis) angegeben werden, um eine Vergleichbarkeit der Studien zu ermög­ lichen. Wenn die Indikation zur operativen Versorgung gestellt wird, kann während je­ des Trimenons ohne erhöhtes Risiko für die Mutter oder den Fet operiert werden [7, 12–14, 38, 48]. Laparoskopische Notfalleingriffe können auch noch im dritten Trime­ non erfolgreich durchgeführt werden [49]. Laparotomien wegen Peritonitis und Sepsis im dritten Trimenon sind meist mit vorzeitigen Wehen und Gefahr für den Fet verbun­ den, sodass eine simultane Sectio erwogen werden muss [50]. Das Aufschieben einer notwendigen Operation in der Schwangerschaft kann die Komplikationsinzidenz er­ höhen [51, 52]. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass abdominelle Operationen in der Schwangerschaft eine besondere Expertise des Anästhesisten und des Operateurs erfordern. In Metaanalysen werden Vorteile der Laparoskopie aufgezeigt, es muss je­ doch festgehalten werden, dass für keine Indikation randomisierte Studien vorliegen, sodass es eine Einzelfallentscheidung in Abhängigkeit vom Krankheitsbild und der Erfahrung des Operateurs bleibt, welche Technik zum Einsatz kommt.

7.5 Nicht-geburtshilfliche gynäkologische OP-Indikationen Durch die Ultraschalluntersuchungen während einer Schwangerschaft werden häu­ fig Raumforderungen der Adnexe nachgewiesen [53], wie Dermoidzysten, Zystadeno­ me, Endometriome oder funktionelle Zysten, etwa 1–2% werden im ersten Trimenon symptomatisch [54, 55], die Symptome entstehen durch Ruptur, Einblutungen oder Torsion [53, 56].

114 | 7 Zugangswege, Laparoskopie und spezielle gynäkologische Eingriffe

Abb. 7.1: Intraoperative Darstellung einer mehrfach stielgedrehten rechten Adnexe bei einer 6 cm durchmessenden Dermoidzyste in der 14. SSW. Nach Detorquierung der Adnexe konnte das revitali­ sierte Organ erhalten und die Dermoidzyste problemlos ausgeschält werden. Der weitere peri- und postoperative Verlauf war komplikationslos.

7.5.1 Ovarialzysten Die Therapie auffälliger oder symptomatischer Ovarialzysten in der Schwangerschaft wird kontrovers diskutiert. Viele Autoren und Kliniker befürworten ein zunächst kon­ servatives Vorgehen, es stellt sich allerdings bei Beschwerdepersistenz oder -zunahme sowie nach Ausschöpfung aller konservativen Therapieoptionen die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Hierbei scheint ebenfalls die Laparoskopie im Vergleich zur Lapa­ rotomie zumindest gleichwertig. In einer retrospektiven Fallserie über 88 Schwangere gab es keinen Unterschied bezüglich des maternalen und fetalen Verlaufs in Abhän­ gigkeit vom offenen oder laparoskopischen Zugangsweg [24]. Im ersten Trimenon kön­ nen komplizierte Raumforderungen der Adnexe ebenfalls sicher durch Laparoskopie unter Intubationsnarkose behandelt werden [56].

7.5.2 Stielgedrehte Adnexe Bei symptomatischen Adnexbefunden sollte differenzialdiagnostisch stets an eine Stieldrehung der Adnexe gedacht werden. Ein zu langes Abwarten kann einen Organ­ verlust zur Folge haben, der mit einem frühzeitigen Eingreifen vermeidbar ist (Abbil­ dung 7.1). Hierzu gibt es zahlreiche Einzelberichte und Fallserien [57, 58]. Gemäß den amerikanischen Empfehlungen wird bei Verdacht auf stielgedrehte Adnexbefunde sowohl zu diagnostischen als auch zu therapeutischen Zwecken eine Laparoskopie empfohlen, vorausgesetzt wird jedoch, dass weder das akute Krankheitsbild noch der intraoperative Befund einer Laparotomie bedürfen [7].

7.5 Nicht-geburtshilfliche gynäkologische OP-Indikationen |

115

7.5.3 Myomenukleation Myome sind in etwa 4% der Schwangerschaften bekannt und in der Mehrzahl der Fälle asymptomatisch, lediglich 2% der Myome werden während der Schwangerschaft be­ handlungsbedürftig [59]. Myomenukleationen in der Schwangerschaft werden in der Literatur zumeist als offen chirurgische Eingriffe beschrieben, dennoch gibt es verein­ zelt Fallberichte erfolgreich durchgeführter laparoskopischer Myomenukleationen bis in die 25. SSW, insbesondere bei subserösen Myomen [60, 61].

7.5.4 Onkologische Eingriffe Onkologische Abdominal-Operationen in der Schwangerschaft sind selten und meist mit einer höheren Morbidität assoziiert als die weiter oben beschriebenen Indikatio­ nen. Das häufigste Karzinom in der Schwangerschaft ist das Zervixkarzinom mit einer Inzidenz von bis zu 12 Fällen pro 100.000 Schwangerschaften [62]. In Abhängigkeit von der Familienplanung der Patientin entscheiden sich viele Schwangere trotz Vor­ liegen eines Zervixkarzinoms zur Austragung der Schwangerschaft. In diesem Fall ist nicht selten ein zweizeitiges operatives Vorgehen indiziert. Während der Schwanger­ schaft kann eine lokale Therapie an der Zervix erfolgen (z. B. Konisation oder Trach­ elektomie) in Kombination mit einer laparoskopischen pelvinen Lymphonodektomie (LNE, Abbildung 7.2), nach ausgetragener Schwangerschaft ist gegebenenfalls stadi­ enabhängig die radikale Hysterektomie anzuschließen (siehe auch Kapitel 18).

Abb. 7.2: Blick auf das kleine Becken nach laparoskopischer Lymphonodektomie in der 14. Schwan­ gerschaftswoche bei einer Patientin mit Zervixkarzinom. Gleichzeitig erfolgte eine radikale vaginale Trachelektomie. Der weitere Schwangerschaftsverlauf war komplikationslos.

116 | 7 Zugangswege, Laparoskopie und spezielle gynäkologische Eingriffe

Favero et al. beschreiben die laparoskopische LNE von insgesamt 18 Zervixkarzi­ nom-Patientinnen während der Schwangerschaft. Die Operationen wurden zwischen der 6. und 23. SSW durchgeführt und verliefen alle komplikationslos. Im Durchschnitt konnten 17 pelvine Lymphknoten entfernt werden [63]. In der Literatur gibt es weitere Fallberichte komplikationsloser pelviner Lymphonodektomien während der Schwan­ gerschaft [64], auch aus onkologischer Sicht scheint dieses Vorgehen sicher, denn alle berichteten Fälle waren nach einer Nachbeobachtungszeit von bis zu 128 Monaten re­ zidivfrei [63, 64].

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| Teil II: Spezielle Operative Verfahren

Kia Homayounfar und Michael Ghadimi

8 Akutes Abdomen 8.1 Einleitung Das akute Abdomen ist eine vorläufige Bezeichnung für eine zunächst unklare, kurz­ fristig auftretende schmerzhafte Erkrankung des Bauchraumes, die lebensbedrohlich sein kann. Die Hauptsymptome sind: – akute heftige Bauchschmerzen, u. U. mit Abwehrspannung (Peritonismus) – Störung der Darmmotilität: Erbrechen, Darmparalyse, Stuhlverhalt (Ileus) – systemische Reaktion mit Fieber, Tachykardie, Hypotonie bis zum septischen oder hypovolämischen Schock Die Symptome sind nicht immer in gleicher Weise ausgeprägt und die Übergänge zum „unklaren Abdomen“ fließend. Dies zeigt sich auch daran, dass etwa 20–40% der in einer zentralen Notaufnahme unter der Diagnose „akutes Abdomen“ aufgenommenen Patienten eine spontane Rückbildung der Symptome erleben („unspezifische Bauch­ schmerzen“) und eine eindeutige Diagnose trotz Computertomografie nicht gestellt werden kann [1]. Merke: Das akute Abdomen ist ein kurzfristig auftretendes, potenziell lebensbedrohli­ ches Krankheitsbild mit den Kardinalsymptomen abdomineller Schmerz und Abwehrspan­ nung/Peritonismus. Typische Begleiterscheinungen sind Darmmotilitätsstörungen, Kreislaufstö­ rungen und Verschlechterung des Allgemeinzustandes.

Das akute Abdomen in der Schwangerschaft bietet einige Besonderheiten, sodass die Beurteilung und Therapieentscheidung schwierig sein können und besonderer Erfah­ rung bedürfen. – Der wachsende Uterus verdrängt die mobilen intraabdominellen Organe, die durch diese Verlagerung ihren Kontakt zur Bauchdecke verlieren können, sodass sich das klinische Erscheinungsbild einiger Krankheitsbilder (z. B. Appendizitis) ändert. Das Omentum maius, das entzündliche Herde im Bauchraum abdecken kann, ist durch den Uterus oft erheblich nach kranial verlagert. – Bauchschmerzen und Darmmotilitätsstörungen mit Übelkeit und Obstipation sind in der Schwangerschaft nicht ungewöhnlich, können aber auch Zeichen ei­ ner intra- oder retroperitonealen Entzündung sein. Die Diagnose einiger Ursachen für das akute Abdomen kann durch diesen Umstand verzögert sein. – Bei der Beurteilung von Kreislauf- und Laborparametern müssen schwanger­ schafts-spezifische Normwerte (siehe Kapitel 3) berücksichtigt werden.

DOI 9783110414134-008

124 | 8 Akutes Abdomen





Bei intraabdominellen Blutungen und Hypovolämie bewirken die mütterlichen Kompensationsmechanismen (erhöhtes Blutvolumen, hohes Herzzeitvolumen, siehe Kapitel 1) typischerweise eine relativ lange Kreislaufstabilität zuungunsten der mesenterialen und plazentaren Durchblutung. Es sind immer zwei Menschenleben betroffen: Die Mutter und das ungeborene Kind. Der Partner oder andere Angehörige sollten in dieser für alle Beteiligten be­ unruhigenden Situation des akuten Abdomens bei der Abklärung und Aufklärung zu einer Operation grundsätzlich einbezogen werden.

Für das Vorgehen bei akutem Abdomen liegen keine Leitlinien der nationalen Fachge­ sellschaften vor. Besondere Empfehlungen für Patientinnen in der Schwangerschaft finden sich in der Leitlinie zur Cholelithiasis [2] sowie zum Morbus Crohn [3]. Es gibt weder prospektive oder randomisierte Studien noch Konsensusempfeh­ lungen zum akuten Abdomen in der Schwangerschaft. In der Literatur finden sich lediglich retrospektive Mitteilungen von Fallberichten und Fallserien. Die Mehrzahl der Daten liegt zur Therapie der akuten Appendizitis und der akuten Cholezystitis vor (siehe Kapitel 9 und 10). Aufgrund dieser unzureichenden Datenlage ist nicht nur der Evidenzlevel spezifischer Handlungsempfehlungen gering, es können auch keine be­ friedigenden Zahlen zur Epidemiologie des akuten Abdomens in der Schwangerschaft genannt werden. Grundsätzlich gelten in der Schwangerschaft für die Therapie des akuten Ab­ domens die gleichen Prinzipien wie bei nicht-schwangeren Patientinnen, beispiels­ weise die Etappenlavage zur Fokussanierung bei schwerer 4-Quadranten-Peritonitis. Schwarz et al. haben in ihrem Algorithmus für die Diagnostik und Therapie des akuten Abdomens in der Schwangerschaft einige diagnostische Besonderheiten beschrieben, die aufgrund der Schwangerschaft bzw. aus Sorge um das ungeborene Kind bedacht werden sollten [4]. Die Gesundheit der Mutter hat beim akuten Abdomen wie auch bei anderen Kom­ plikationen in der Schwangerschaft oberste Priorität, dennoch erstreckt sich die Ver­ antwortung des Behandlungsteams auch auf das ungeborene Kind. Ältere Daten zei­ gen, dass es im Zusammenhang mit chirurgischen Eingriffen im zweiten Trimester in 26% und im dritten Trimester in 82% der Fälle zu einer frühzeitigen Geburt kommt [5]. Grundsätzlich sollte daher bei schwangeren Patientinnen mit akutem Abdomen ei­ ne enge Kommunikation und gegebenenfalls gemeinsame Visite am Krankenbett mit dem Gynäkologen und Pädiater erfolgen, um vor einer Therapieentscheidung die Kon­ sequenzen für das Fortbestehen der Schwangerschaft für die Mutter und das Kind in­ terdisziplinär abschätzen und notwendige Maßnahmen treffen zu können. Merke: Bei schwangeren Patientinnen mit akutem Abdomen sollte eine enge Kommunikation und gegebenenfalls gemeinsame Visite am Krankenbett mit dem Gynäkologen und Pädiater erfolgen.

8.2 Ätiologie und Dringlichkeit

| 125

Die Entscheidung, wo eine Schwangere mit Bauchschmerzen abgeklärt und gegebe­ nenfalls überwacht wird, ist eine individuelle und in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten zu treffen. Im Allgemeinen sollten Schwangere mit einem akuten Ab­ domen, auch wenn sie operiert wurden, in einer gynäkologischen Abteilung mit ope­ rativer Erfahrung liegen, da hier die notwendigen Untersuchungen zur Überwachung der Schwangerschaft besser erfolgen können [6].

8.2 Ätiologie und Dringlichkeit Als Ursache für ein akutes Abdomen kommt eine Vielzahl von Erkrankungen in Be­ tracht (Tabelle 8.1). Die Häufigkeitsverteilung ist ähnlich wie bei Nicht-Schwangeren im gebärfähigen Alter, hinzu kommen Ursachen durch die Schwangerschaft selbst. Tab. 8.1: Ursachen für ein akutes Abdomen in der Schwangerschaft. Gastrointestinale Ursachen

Gynäkologische Ursachen

Andere

Appendizitis

Adnexitis

Pyelonephritis

Cholezystitis, Cholezystolithiasis

Vorzeitige Plazentalösung

Urolithiasis

Akute Pankreatitis

Torsion des Ovars

Harnwegsinfekt

Dünn- und Dickdarmileus

Einblutung oder Ruptur von Ovarialzysten

Rektusscheidenhämatom

Inkarzerierte Hernien

Intraabdominelle Blutungen

Ulcus ventriculi sive duodeni

Extrauteringravidität

Ketoazidose bei Diabetes mellitus

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Vorzeitige Wehentätigkeit

Basale Pneumonie/Lungenembolie

Divertikulitis

Uterusruptur

Typhus und Paratyphus

Fremdkörperingestion

Abort

Porphyrie

Tumoren

Drohende Eklampsie

Intoxikation

HELLP-Syndrom Meckel-Divertikel

Geburt

Psychose

Komplikationen eines Uterusmyoms Mesenterialischämie

Diese bei weitem nicht vollständige Liste hilft in der Praxis bei der Einschätzung einer schwangeren Patientin mit akutem Abdomen nur wenig weiter. Nicht die Diagnose an sich bestimmt das weitere Vorgehen, sondern Ausprägung und Schweregrad der

126 | 8 Akutes Abdomen

Erkrankung. So kann eine Appendizitis oder Cholezystitis bei Perforation eine Indika­ tion für eine Notfall-Operation darstellen, bei leichter Entzündung ohne systemische Reaktion durchaus aber auch konservativ mit Antibiotika behandelt werden. Grundsätzlich geht es bei der Diagnostik eines akuten Abdomens nicht um die Feststellung einer genauen Diagnose, sondern um eine Kategorisierung in Risikogrup­ pen, die mit unterschiedlicher Dringlichkeit behandelt werden müssen [7, 8]. Diese klinischen Diagnosegruppen (clinical patterns) ergeben sich aus der primären Not­ falldiagnostik, die in der Anamnese, klinischem Befund erfahrener Untersucher, Er­ hebung der Vitalparameter, Laboruntersuchungen und Ultraschall besteht: 1. Hypovolämischer Schock mit freier Flüssigkeit (z. B. rupturierte Tubargra­ vidität, Uterusruptur, rupturiertes Milzarterienanaurysma) 2. Generalisierte Peritonitis (z. B. perforiertes gastroduodenales Ulcus, Sigma­ perforation, mesenteriale Ischämie) 3. Lokale Peritonitis (Appendizitis, Cholezystitis, Pankreatitis) 4. Ileus (z. B. Briden, Sigma-Volvulus) 5. „Internistische“ Ursachen: Pyelonephritis, Ketoazidose, basale Lungenem­ bolie Aus diesen Kategorien ergeben sich verschiedene Behandlungsdringlichkeiten: 1. Sofortige Operation: Diese ist relativ selten und nur bei akuter intraabdominel­ ler Blutung indiziert. Es ist zu beachten, dass bei einer Schwangeren mit akutem Abdomen und Hypovolämie im Allgemeinen eher ein Volumenmangel durch Sep­ sis, Erbrechen und zu geringer Trinkmenge vorliegt als eine abdominelle Blutung. Eine akute arterielle mesenteriale Ischämie (Embolie oder Thrombose der A. me­ senterica superior) in der Schwangerschaft ist eine Seltenheit.

Merke: Bei akuter intraabdomineller Blutung ist der Hämoglobingehalt [Hb] anfangs normal, ent­ scheidende Kriterien sind Blutdruck und Herzfrequenz (Schock-Index). Cave: Je niedriger der [Hb], desto höher die Sauerstoff-Sättigung!

2.

Kreislaufoptimierung, Antibiose, dringliche Operation innerhalb < 4 h: Die­ se Kategorie betrifft Hohlorganperforationen mit generalisierter Peritonitis (Per­ foration einer Appendizitis, eines gastroduodenalen Ulcus, des Colons) und auch den fortgeschrittenen Dickdarm-Ileus (z. B. Coecum- oder Sigmavolvulus). Die Pa­ tientinnen profitieren von einer zeitlich limitierten Vorbereitung durch Volumen­ substitution und Antibiose unter Kreislaufmonitoring auf einer Intensivstation. Cave: Eine Pankreatitis (erhöhte Serum-Lipase) kann sehr ähnliche Sym­ ptome wie eine Peritonitis verursachen, sollte aber primär nicht-operativ behandelt werden.

8.2 Ätiologie und Dringlichkeit | 127

Merke: Bei Patientinnen mit septischem Schock und Hohlorganperforation oder Dickdarm-Ileus sollte die Zeit bis zur Operation durch Hydrierung, Antibiose und Optimierung des Sauerstoffan­ gebotes genutzt werden.

3.

Stationäre Überwachung, klinische Verlaufsbeurteilung, supportive Maß­ nahmen, Antibiose: In diese Behandlungskategorie fallen Krankheitsbilder mit Zeichen einer lokalen Inflammation oder begrenzten Peritonitis ohne schwere systemische Krankheitszeichen (Appendizitis, Cholezystitis, Adnexitis, Pyelone­ phritis, Zystitis, Urolithiasis) und frühe Stadien eines Ileus. Es ist immer zu beden­ ken, dass retroperitoneale Erkrankungen, wie z. B. der Niere und der ableitenden Harnwege, reflektorisch einen paralytischen Subileus verursachen können. Hier sind eine engmaschige stationäre Kontrolle des klinischen Befundes, gegebenen­ falls unter Antibiose und weiterer Diagnostik, konsiliarische Mitbeurteilungen und unter Umständen eine frühelektive Therapie indiziert. In diese Gruppe fallen auch Patientinnen, deren Ursachen für die Bauchschmer­ zen weder chirurgisch, gynäkologisch noch urologisch sind: Hierzu gehören die schwere Ketoazidose bei Schwangerschaftsdiabetes, die basale Pneumonie (oft nach Lungenembolie) oder eine Beckenvenenthrombose, die auch Unterbauch­ schmerzen verursachen kann. Das Entscheidende ist, an solche Diagnosen zu denken und keine unnötigen und schädigenden Explorationen des Abdomens vorzunehmen.

Merke: Eine engmaschige klinische Verlaufsbeurteilung ist in der Schwangerschaft bei vielen For­ men einer lokalen Peritonitis oder eines Dünndarm-Subileus gerechtfertigt. Cave: Durch Antibiose, i. v. Hydrierung und Nüchternheit können operationsbedürftige Befunde (z. B. gedeckt perforierte Appendizitis oder Dünndarm-Ileus) maskiert werden.

4.

Entlassung: Etwa 20–40% der Patienten aller Altersgruppen, die in einer inter­ disziplinären Notaufnahme wegen akuter Bauchschmerzen vorstellig werden, ha­ ben unspezifische Bauchschmerzen (non-specific abdominal pain). Dieser Begriff sagt aus, dass eine Ursache der Beschwerden nicht gefunden wurde und dass die Schmerzen sich im Allgemeinen spontan zurückbilden. Dieser Anteil ist bei Schwangeren wahrscheinlich erheblich höher, da viele Möglichkeiten schwanger­ schaftsbedingter funktioneller Bauchschmerzen bestehen und andererseits eine Reihe von Ursachen bei Frauen im gebärfähigen Alter sehr selten vorkommen. Aufgrund der oben aufgelisteten Besonderheiten und Schwierigkeiten bei der Be­ urteilung von Bauchschmerzen in der Schwangerschaft sollte bei notfallmäßiger Vorstellung vorzugsweise eine stationäre Überwachung als eine Entlassung nach Hause erfolgen. Dies dient auch zur Beruhigung der Patientin und Angehörigen, anderenfalls ist eine Empfehlung zur Wiedervorstellung bei Persistenz oder Ver­ schlechterung der Beschwerden zu geben und zu dokumentieren.

128 | 8 Akutes Abdomen

Anzahl der Fallberichte

12 10 8 6 4 2 0 1. Trimenon (Woche 0–13)

2. Trimenon (Woche 14–27)

3. Trimenon (Woche 28–42)

Abb. 8.1: Zuordnung von Fallberichten aus den Jahren 1996–2015 [9–30] zu den Schwangerschafts­ trimena.

Eine Zuordnung von Fallberichten aus den Jahren 1996–2015 [9–30] zu den Schwan­ gerschaftstrimena zeigt eine Konzentration der Fälle auf das zweite und dritte Trime­ non (Abbildung 8.1). Wenngleich aufgrund der Größenzunahme des Uterus bestimm­ te Krankheitsbilder, wie beispielsweise der Ileus, im dritten Trimenon häufiger sind, findet sich in der Literatur keine Prädominanz einzelner Krankheitsbilder in einem konkreten Trimenon.

8.3 Symptomatik Beim abdominellen Schmerz werden zwei Qualitäten unterschieden. Der dumpfe und schlecht lokalisierbare viszerale Schmerz entsteht durch Affektion sympathischer Nerven des viszeralen Peritoneums. Mögliche Ursachen sind Schwellungen, Entzün­ dungen oder Kontraktionen der glatten Muskulatur, aufgrund der spinalen Anatomie kann es zur Übertragung der Schmerzerregung auf Hautareale kommen (Head-Zonen). Ein Beispiel hierfür ist der Rückenschmerz bei Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse oder die Schmerzausstrahlung in die rechte Schulter bei Krankheiten der Gallenbla­ se. Der somatische Schmerz entsteht durch Irritation des parietalen Peritoneums, er ist oftmals punktuell lokalisierbar. Der somatische Schmerz wird durch Bewegung und Erschütterungen verstärkt, aber auch durch die Palpation bei der klinischen Untersuchung, bei der dann die Abwehrspannung („Peritonismus“) entsteht. Vis­ zero-viszerale Reflexe führen darüber hinaus zu weiteren vegetativen Symptomen wie Darmparalyse, Übelkeit und Erbrechen [31]. In der Schwangerschaft kann der Übergang vom viszeralen zum somatischen Schmerztyp verändert sein oder fehlen, da der wachsende Uterus intraabdominel­ le Organe verdrängt. Bei einer Appendizitis kann so der Kontakt zur Bauchdecke

8.4 Diagnostik | 129

verloren gehen, anderseits ist das Omentum maius, das durch Chemotaxis gesteu­ ert physiologischerweise Entzündungen im Bauchraum abdeckt, auch nach kranial verlagert. Zusätzliche, häufige Symptome beim akuten Abdomen sind durch die systemische Entzündungsreaktion und ein intravasales Volumendefizit bedingt: Tachykardie, Hy­ potonie und Fieber. Für die Diagnostik des akuten Abdomens wegweisend sind besonders die Art und der zeitliche Verlauf von gastrointestinalen Motilitätsstörungen: Übelkeit, Erbrechen, Stuhlverhalt oder Diarrhoe müssen möglichst genau erfragt und dokumentiert wer­ den. Für das akute Abdomen ist am Beispiel des perforierten Ulcus ventriculi der Zu­ sammenhang zwischen Zeitverzug und Letalität nachgewiesen [32]. Gerade in der Spätschwangerschaft neigen Schwangere dazu, abdominelle Beschwerden zunächst zu bagatellisieren. Möglicherweise spielt bei diesen diagnostischen Verzögerungen auch eine verringerte Schmerzwahrnehmung gegen Ende der Schwangerschaft eine Rolle. Zudem maskieren die physiologischen Kompensationsmechanismen lange die systemischen Auswirkungen des akuten Abdomens. In manchen Kulturkreisen stel­ len auch Traditionen ein Hindernis für die Arztkonsultation dar. Im Ergebnis besteht das Paradoxon, dass gerade die besonders schützenswerte schwangere Patientin mit akutem Abdomen bzw. deren ungeborenes Kind einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko ausgesetzt ist.

8.4 Diagnostik Merke: Die primäre Diagnostik in der Notaufnahme hat das Ziel, umgehend zu klären, welche Dringlichkeit der operativen Behandlung besteht und welches Fachgebiet zuständig ist.

Grundsätzlich sollte die Untersuchung einer Schwangeren mit akutem Abdomen in einer ruhigen Atmosphäre erfolgen. Es ist ratsam, Angehörige im Raum zu belassen, eine Auskühlung ist unbedingt zu vermeiden. Die primäre Diagnostik beim akuten Abdomen sollte unmittelbar und standardi­ siert ablaufen. Anamneseerhebung und körperliche Untersuchung sind für die Dia­ gnosestellung entscheidend. Die körperliche Untersuchung sollte stets von dem erfahrensten verfügbaren Gynäkologen und Chirurgen vorgenommen und gegebenenfalls von den gleichen Untersuchern im Verlauf wiederholt werden. Die Palpation ist die entscheidende Untersuchungsmodalität und beginnt vorsichtig im Quadranten mit den geringsten Schmerzen. Die früher geforderte, digital-rektale Untersuchung ist besonders bei einer Schwangeren verzichtbar, eine vaginale Untersuchung durch einen erfahre­ nen Gynäkologen zur Beurteilung hinsichtlich Blutung, Fruchtwasserabgang oder

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Geburtsfortschritt ist dagegen obligatorisch. Grundsätzlich, auch nachts, ist ein gy­ näkologischer Facharzt hinzuzuziehen. Die wiederholte Erfassung der Vitalparameter (Blutdruck, Puls, O2-Sättigung mit­ tels Pulsoxymetrie, Temperatur, Schmerz-Score) sollte parallel zur Diagnostik erfol­ gen und dokumentiert werden. In Abhängigkeit von der Klinik und den Kreislaufpa­ rametern ist die Gabe von i. v. Flüssigkeit (z. B. Ringer-Lactat) nahezu immer indiziert. Die Gabe von Schmerzmitteln reduziert den Stress und hat – zumindest nachgewie­ sen bei Nicht-Schwangeren – keinen negativen Einfluss auf die Diagnosestellung beim akuten Abdomen [33–35]. Die relevanten laborchemischen Basisparameter sind: Blutbild, Elektrolyte, Krea­ tinin, Gerinnung (Quick und PTT), Bilirubin, yGT, GOT, GPT, Lipase, C-reaktives Pro­ tein und Beta-HCG. Eine Beurteilung des Urin-Sediments und bei Fieber die Anlage von aeroben und anaeroben Blutkulturen sind ebenfalls Standard. Blutgruppenbe­ stimmung und Antikörpersuchtest sind obligat. Die Sonografie ist aufgrund der allgemeinen Verfügbarkeit und mobilen Einsatz­ fähigkeit zunächst das bildgebende Verfahren der Wahl [36–39], die im Idealfall vom Chirurgen und Gynäkologen gemeinsam durchgeführt wird, die dann die Form der weiteren Bildgebung festlegen. Merke: Die bildgebende Basisdiagnostik ist die Sonografie, bei Unklarheiten und Zeit für eine dif­ ferenzialdiagnostische Abklärung sollte eine Kernspintomografie erfolgen. Bei schwerverletzten Schwangeren sollte eine Computertomografie („Trauma-Spirale“) nicht verzögert werden aufgrund von Bedenken bezüglich der Strahlenbelastung.

Lediglich bei ausreichender Zeit für eine differenzialdiagnostische Abwägung und zur präziseren Eingrenzung des Krankheitsbildes sollte ein Schnittbildverfahren zur Anwendung kommen. Bei Patientinnen mit nicht-traumatisch bedingten abdomi­ nellen Schmerzen während der Schwangerschaft besteht kein Unterschied in der Aussagekraft zwischen Computertomografie und Kernspintomografie, sodass bei entsprechender Verfügbarkeit die Kernspintomografie aufgrund der fehlenden Strah­ lenbelastung vorgezogen werden sollte [39, 40]. Der Stellenwert der konventionellen Röntgendiagnostik wird kontrovers diskutiert. Als Vorteil kann angeführt werden, dass das Verfahren allgemein schnell verfügbar ist und bei eindeutigem Nachweis freier Luft umgehend die Operationsindikation gestellt werden kann [41].

8.5 Differenzialdiagnostik und einzelne Krankheitsbilder Die häufigsten Ursachen des akuten Abdomens in der Schwangerschaft sind die akute Appendizitis und die akute Cholezystitis (siehe Kapitel 9 und 10) mit ihren verschie­ denen Ausprägungen und Komplikationen.

8.5 Differenzialdiagnostik und einzelne Krankheitsbilder |

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8.5.1 Akute Pankreatitis Die akute Pankreatitis stellt auch in der Schwangerschaft eine wichtige Differenzialdia­ gnose dar (siehe auch Kapitel 10). Die Inzidenz der akuten Pankreatitis in der Schwan­ gerschaft wird mit etwa 1 : 1000–4000 angegeben [42]. Die Genese der akuten Pankrea­ titis in der Schwangerschaft ist mit 57–85% überwiegend biliär. Seltenere Ursachen sind Alkoholkonsum, zystische Fibrose, Pankreas divisum oder eine Hypertriglyceridämie im Zusammenhang mit dem veränderten Östrogenspiegel. In der Regel tritt die akute Pankreatitis im letzten Trimenon der Schwangerschaft auf, die Frühgeburtenund Fruchttod-Raten sind mit 20% hoch [42]. Die Therapie der akuten Pankreatitis ist zunächst immer konservativ in Form einer Optimierung und Monitoring der Organ­ funktionen auf einer Intensivstation. Bei biliärer Sepsis und Cholestase durch Kon­ kremente im D. choledochus ist eine ERCP mit Papillotomie und Stent indiziert. Eine chirurgische Therapie ist nur selten bei Auftreten von Komplikationen wie Blutungen, Perforation oder infizierten Nekrosen mit Multiorganversagen indiziert. Interventielle, CT-gesteuerte perkutane oder endoskopisch angelegte transgastrische Drainagen ha­ ben heute bei der Therapie von pankreatogenen Abszessen oder infizierten Nekrosen Vorrang vor Laparotomien mit Nekrosektomie im Sinne eines step-up approachs [43].

8.5.2 Ileus Während der Schwangerschaft leiden viele Frauen unter einer Darmatonie, Meteo­ rismus und schwangerschaftsbedingtem Erbrechen (Hyperemesis gravidarum). Dies erklärt, warum ein Ileus in der Schwangerschaft oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium mit mehrtägigem Stuhlverhalt und Zeichen der Exsikkose zur Frage der La­ parotomie vorgestellt wird. Die Inzidenz des Ileus in der Schwangerschaft beträgt 1 : 2500–3500. Die häufigs­ ten Ursachen des Ileus in graviditate, der überwiegend bei Erstgebärenden, dann im 3. Trimester auftritt, sind mechanisch: Verwachsungen (60–70% der Fälle) und Volvu­ lus (25% der Fälle). Seltener sind inkarzerierte Hernien und Tumoren [26, 27, 44]. Das Risiko für einen Ileus in der Schwangerschaft hat einen ersten Häufigkeitsgipfel zwi­ schen der 16. und 20. SSW, wenn sich der Uterus in das Abdomen hinein entwickelt so­ wie ab der 36. SSW, wenn der Kopf des Feten festen Bezug zum Becken aufnimmt [45]. Grundsätzlich stellt der manifeste Ileus auch in der Schwangerschaft eine dring­ liche Operationsindikation dar, hierbei ist der Dickdarmileus immer als gefährli­ cher und dringlicher anzusehen als der Dünndarmileus. Während außerhalb einer Schwangerschaft beim Dünndarmileus ein konservativer Therapieversuch mit Ein­ lage einer Magensonde, Nahrungskarenz und intravenöser Flüssigkeitssubstitution gerechtfertigt ist, sollte bei schwangeren Patientinnen mit typischer Symptomatik (Erbrechen, Stuhlverhalt, krampfartige Bauchschmerzen) oder Nachweis eines Kali­ bersprungs die Operationsindikation großzügiger gestellt werden. Dies erklärt sich

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dadurch, dass durch die maternalen Kompensationsmechanismen in der Schwanger­ schaft die Ausbildung der bedrohlichen Ileuskrankheit klinisch verspätet manifest wird und das Risiko der Gefährdung von Mutter und Kind besonders hoch ist. Zu­ dem stellt die mit einer möglichen Darmnekrose einhergehende Ausschüttung von Inflammationsmediatoren und Durchwanderung von Darmbakterien eine Gefahr für das ungeborene Kind dar: Machedo et al. haben 10 Fälle eines Sigmavolvulus in der Schwangerschaft analysiert, in 4 von 5 Fällen, bei denen zum Operationszeitpunkt bereits eine Gangrän des Darmes vorgelegen hat, musste ein intrauteriner Tod des Feten festgestellt werden [30]. Wird ein Dickdarmileus durch einen stenosierenden Tumor verursacht, kann je nach Lokalisation des Prozesses und in Abwägung der Risiken für Mutter und Kind eine temporäre endoskopische Stenteinlage zur Beseiti­ gung der Obstruktion erfolgen, um die Schwangerschaft so weit fortzusetzen, bis eine ausreichende Kindsreifung erreicht ist [29]. Ein paralytischer Ileus in der Schwangerschaft kann Folge einer anderen entzünd­ lichen Erkrankung im Abdomen oder Retroperitoneum sein, z. B. bei Cholezystitis, Pyelonephritis oder Harnleiter-Stein, sodass hier die Behandlung der auslösenden Ur­ sache Vorrang hat. Eine besondere Form des paralytischen Ileus ist der Ileus e gra­ viditate, der vermutlich einer Pseudoobstruktion des Kolons (Ogilvie-Syndrom) ent­ spricht. Das Kolon, insbesondere der Zökalpol, kann hierbei extrem dilatiert sein und eine sekundäre Ischämie erleiden. Die Ursache liegt in einer Kombination aus Exsik­ kose, Hypokaliämie und Minderperfusion, z. B. nach wiederholtem Erbrechen, und die Therapie ist konservativ durch Substitution von Flüssigkeit und Elektrolyten und endoskopische Dekompression des Kolons.

8.5.3 Vaskuläre Notfälle Gefäßnotfälle in der Schwangerschaft sind relativ selten, aber typisch und oft lebens­ bedrohlich. Durch die Hormone Progesteron und Relaxin kommt es zu einer Verände­ rung der arteriellen Gefäßwände mit Degeneration der Media und Fragmentation der Lamina elastica interna. Typische physiologische Veränderungen in der Schwanger­ schaft erhöhen die Scherkräfte auf die Arterienwand: Hierzu gehören erhöhtes Herz­ zeitvolumen und Blutvolumen und die Schwangerschafts-Hypertonie. Aneurysmarupturen Aneurysmen der A. lienalis sind bei Frauen mit mehreren Schwangerschaften et­ wa 4-mal häufiger als bei Frauen ohne Schwangerschaften [10, 46]. Die tatsächliche Prävalenz ist unklar, da die Mehrzahl der Milzarterienaneurysmen asymptomatisch bleibt. Rupturierte Aneurysmen sind meist größer als 2,5 cm und können zweizeitig rupturieren. Zur Diagnostik eignet sich zur orientierenden Untersuchung und Ver­ laufskontrolle die farbkodierte Duplexsonografie, zur genauen Lokalisation und The­

8.5 Differenzialdiagnostik und einzelne Krankheitsbilder |

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rapieplanung ist jedoch ein arteriell kontrastiertes Computertomogramm (Angio-CT) oder eine digitale Subtraktionsangiografie (DSA) erforderlich. Die Ruptur erfolgt meist gegen Ende der Schwangerschaft und ist gekennzeichnet durch einen plötzlichen scharfen Schmerz im linken Oberbauch und Epigastrium, es folgen rasch eintretende Zeichen des hämorrhagischen Schocks [10, 46]. Differenzial­ diagnostisch muss an die Uterusruptur, rupturierte extrauterine Gravidität oder auch andere Aneurysmablutungen gedacht werden. Für die Therapie asymptomatischer Milzarterienaneurysmen gibt es keinen Kon­ sens, allgemein wird die transarterielle Embolisation ab 2 cm Durchmesser empfoh­ len. Diese kann auch bei gedeckter Ruptur erfolgen. In der Situation einer freien Rup­ tur kommt nur die sofortige Laparotomie, Sectio-Entbindung und Umstechung der A. lienalis, meist in Verbindung mit einer Splenektomie, infrage. Aortendissektion Bei polytoper Gefäßsymptomatik (z. B. kaltes Bein und Bauchschmerzen, Rücken­ schmerzen und Verwirrtheitszustand) sollte immer an eine Aortendissektion gedacht werden [47]. Diese ist zwar selten, aber typisch für Schwangere mit Eklampsie, Hy­ pertonus oder Marfan-Syndrom und tritt gegen Ende der Schwangerschaft, bei der Entbindung oder im Wochenbett auf. Die akuten Bauchschmerzen resultieren aus einer Verlegung oder Thrombosierung der A. mesenterica superior. Diagnostisch wegweisend ist die Computertomografie von Thorax und Abdomen mit arterieller Kontrastierung. Die Behandlung richtet sich nach der Ausdehnung und Symptomatik und erfordert die Verlegung in eine Klinik mit Herzchirurgie. Rektusscheiden-Hämatom Wesentlich häufiger sind „spontane“ Hämatome des M. rectus abdominis [48]. Sie entstehen durch Ruptur von Seitenästen der A. epigastrica inferior bei zunehmender Wandspannung und o. g. Gefäßwandveränderungen im Verlauf der Schwangerschaft, können aber auch bei Antikoagulation oder nach Fehlpunktionen (Heparin-Injekti­ on) vorkommen. Die Symptomatik mit lokalem Druckschmerz und Abwehrspannung wird häufig mit einer Peritonitis verwechselt. Diagnostisch wegweisend sind der Ultra­ schall und fehlende Infektzeichen. Solange das Hämatom nicht progredient ist, kei­ ne Verdrängungserscheinungen verursacht und nicht nach intraperitoneal perforiert, kann im Allgemeinen konservativ vorgegangen werden.

8.5.4 Trauma Eine Befragung von 1.488 schwangeren Frauen ergab, dass 5% während der Schwan­ gerschaft eine Verletzung/Trauma erlitten; in bis zu 25% dieser Fälle war das Abdo­ men alleinig oder mitbetroffen [49]. Aufgrund der Erweiterung retroperitonealer Ge­

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fäße in der Schwangerschaft besteht bei abdominellen Traumata ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung retroperitonealer Hämatome. Stumpfe direkte Gewalteinwirkung auf den Uterus oder ein Dezelerationstrauma können zur Abruptio placentae und zur Uterusruptur, aber auch zur Schädigung des Kindes führen (siehe auch Kapitel 16). Pe­ netrierende Traumata hingegen stellen vor allem für das Kind ein hohes Risiko dar, da die sensiblen Organstrukturen der Mutter durch den graviden Uterus geschützt wer­ den. Bei Stich- und Schussverletzungen beträgt die Todesrate des Feten 47–71% [50]. Im Falle penetrierender Traumata muss der Tetanus-Impfstatus überprüft und gegebe­ nenfalls aufgefrischt werden, zumindest eine „Single-shot“-Antibiose ist sinnvoll. Ak­ tuelle Empfehlungen zum Umgang mit Schwangeren nach physischem Trauma sind in gleicher Weise auch für das akute Abdomen anwendbar [51].

8.6 Operative Exploration bei akutem Abdomen Grundsätzlich sollte vor einer operativen Exploration des Abdomens in der Schwan­ gerschaft die Krankheitsursache mittels Schnittbildgebung (z. B. MRT) möglichst ge­ nau lokalisiert werden, ausschließlich diagnostische Explorationen des Abdomens in der Schwangerschaft sollten die Ausnahme sein. Aufgrund der Bildgebung kann dann die Entscheidung über einen primär laparoskopischen Zugang versus Laparoto­ mie getroffen werden und es können unnötig große Laparotomien vermieden werden. Abhängig vom Gestationsalter stellt der wachsende Uterus ein Hindernis für die ab­ dominelle Exploration dar, etwa ab der 24. Schwangerschaftswoche ist der Zugang in das kleine Becken nicht mehr uneingeschränkt möglich. Merke: Der Standardzugang beim akuten Abdomen ist die Laparoskopie oder mediane Laparoto­ mie in Steinschnittlage.

Grundsätzlich ist bei nicht eindeutiger Krankheitsursache im letzten Trimenon die mediane Laparotomie in Steinschnittlage, gegebenenfalls mit etwa 15–30 Grad nach links geneigtem Tisch, der Standardzugang. Der Zugang erlaubt eine Erweiterung in kranio-kaudaler Richtung, ermöglicht eine gute laterale Exploration und auch die Notfallsectio. Merke: Ist die Exploration des Abdomens aufgrund des Uterus nicht ausreichend möglich, muss eine Sectio erwogen werden.

Overbey et al. führten bei einer 23-jährigen Frau in der 22. SSW bei perforierter Coli­ tis ulcerosa eine subtotale Kolektomie mit endständiger Ileostomie und Rektumblind­ verschluss ohne Unterbrechung der Schwangerschaft durch [52]. Costales et al. unter­ nahmen bei einer 38-jährigen Frau in der 31. SSW mit Sigmaperforation und 4 Qua­

8.6 Operative Exploration bei akutem Abdomen |

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dranten-Peritonitis aufgrund der Sepsis sowie der Schwierigkeit, das Kolon nach dis­ tal abzusetzen, eine Sectio caesarea [53]. Merz und Pantelis führten bei einer Pati­ entin mit Verdacht auf Perforation bei bekanntem Morbus Crohn eine Sectio in der 28+1 Schwangerschaftswoche bei Geminigravidität durch (persönliche Mitteilung). In­ traoperativ zeigte sich eine gedeckte Ruptur im Ileozökalbereich mit anschließender Ileozökalresektion und Ileoascendostomie (siehe Abbildungen 8.2 und 8.3). Postope­ rativ erfolgte aufgrund einer Nachblutung eine Revisionsoperation, der weitere Ver­ lauf von Mutter und beiden Kindern war unauffällig. Die Entscheidung zu einer ge­ planten second-look-Laparotomie bedingt nicht zwangsläufig die Notwendigkeit einer Sectio caesarea. Wenn der intraoperative Situs, die vorgesehene Therapie der Mut­ ter und der Zustand des Kindes es möglich erscheinen lassen, kann die Schwanger­ schaft fortgeführt werden. Staszewicz et al. berichteten von einer 30-jährigen Pati­ entin mit multisegmentaler Dünndarmischämie in der 23. SSW, bei welcher während des Ersteingriffs multiple Segmentresektionen des Dünndarms mit Blindverschluss vorgenommen und das Abdomen mit einem Vakuumschwammverband temporär ver­ schlossen wurden. Innerhalb der anschließenden 48 Stunden erfolgten zwei erneu­ te Laparotomien mit Nachresektion und abschließend Kontinuitätswiederherstellung und Bauchdeckenverschluss. Die Schwangerschaft wurde regulär mit einer vaginalen Geburt beendet [25]. Bei Peritonitis ist es nach Herdsanierung, Spülung und Drainage unter Umstän­ den sinnvoll, einen sekundären Bauchdeckenverschluss erst nach Rückbildung des Darmwandödems durchzuführen, um in der Schwangerschaft ein abdominelles Kom­ partment-Syndrom (ACS) zu vermeiden.

Abb. 8.2: Kernspintomografie bei Geminigravidität, 29. Schwangerschaftswoche mit Konglomerat­ befund im Ileozökalbereich.

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Abb. 8.3: Operationspräparat nach Ileozökallresektion (PD Dr. W. Merz, PD Dr. D. Pantelis, Universi­ tätsfrauenklinik Bonn, Chirurgische Universitätsklinik Bonn).

Mit dem Geburtshelfer ist rechtzeitig abzustimmen, wie perioperativ die Überwa­ chung der Schwangerschaft erfolgen sollte. Aufgrund der prä- und postoperativen so­ nografischen Kontrolle des Feten, kontinuierlichen CTG-Überwachung, prophylakti­ schen Tokolyse und Sectiobereitschaft ist die Beteiligung eines erfahrenen Geburts­ helfers bei allen abdominalchirurgischen Notfall-Eingriffen gefordert [6].

8.7 Wund- und Anastomosenheilung Experimentelle oder klinische Daten zur Anastomosenheilung in der Schwanger­ schaft liegen nicht vor. Dennoch gibt es eine Vielzahl von physiologischen Verände­ rungen in der Schwangerschaft, die einen negativen Einfluss auf die Anastomosenhei­ lung haben könnten. Zusammengefasst sind die Zunahme des Herzminutenvolumens (etwa 1,5 l/min), des Blutvolumens (etwa 40% am Ende der Schwangerschaft) so­ wie des Körperwassers (etwa 6–8 l) und die Erniedrigung des mittleren arteriellen Blutdrucks insbesondere in den ersten beiden Trimestern relevant [54]. Tierexperi­ mentelle Untersuchungen, die jedoch nicht in einem Schwangerschaftsmodell durch­

8.8 Enterostomata

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geführt wurden, haben einen negativen Einfluss der Flüssigkeitsüberladung auf die Anastomosenheilung gezeigt [55]. Zusätzlich zu diesen kardiovaskulären Adaptati­ onsmechanismen sind auch die endokrinen Veränderungen für die Wund- und Ana­ stomosenheilung von Bedeutung. Im Kleintierexperiment konnten Plackett et al. zei­ gen, dass – entgegen bisherigen Untersuchungen mit niedrigeren Hormonspiegeln – schwangerschaftsäquivalent hohe Östrogenspiegel mit einer verzögerten Wundhei­ lung einhergehen [56]. Für die Frakturheilung liegen ebenfalls experimentelle Daten vor, die eine verzögerte Heilung in der Schwangerschaft beschreiben [57]. Die ge­ nannten Aspekte sollten in ihrer individuellen Ausprägung bei der intraoperativen Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Merke: Die maternalen Adaptationsmechanismen können die Anastomosenheilung negativ beein­ flussen.

8.8 Enterostomata Die Indikation zur Anlage eines Enterostomas kann als protektive Maßnahme, im Rahmen einer Diskontinuitätsresektion oder aber zur Vermeidung einer Resektion im Akutstadium gegeben sein (siehe auch Kapitel 14). Ältere Befragungen von Chir­ urgen ergaben, dass bei 85% der Schwangerschaften von Stomaträgerinnen keine oder nur geringfügige stomabezogene Probleme auftraten, sodass im Allgemeinen eine funktionierende Darmentleerung bei Stomaanlage an typischer Stelle erwartet werden kann [58]. Operationsbedürftige Passagestörungen und Prolabierungen der Stomata wurden in jeweils 4% der Schwangerschaften beobachtet. Im Gegensatz zu diesen positiven Daten zeigt eine Befragung von 54 Frauen (95 Schwangerschaften) mit bei der Schwangerschaft langjährig vorhandenem Ileostoma (N = 45), Urostoma (N = 6) oder kontinentem Ileostoma (N = 3) eine deutlich höhere Rate an Kompli­ kationen. Lediglich ein Drittel dieser Patientinnen gab an, keine stomabezogenen Probleme gehabt zu haben. Erwartungsgemäß traten die Probleme überwiegend im dritten Trimester auf und umfassten Schwierigkeiten bei der Versorgung (N = 17), Passagestörungen (N = 11), Stomaprolaps (N = 8), Hernien (N = 4), Stomablutung (N = 3) und Harnwegsinfekte (N = 3) [59]. Aufgrund des Risikos der Passagestörung durch den wachsenden Uterus sollte auch in der Frühschwangerschaft bei passagerer Indikation dem Transversostoma gegenüber dem Deszendostoma der Vorzug gege­ ben werden. Dem kosmetischen Nachteil stehen die bessere Versorgbarkeit und das geringere Risiko der Dysfunktion gegenüber.

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140 | 8 Akutes Abdomen

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Claudia Benecke und Martin Strik

9 Appendizitis in der Schwangerschaft 9.1 Pathophysiologie und Epidemiologie Die Appendizitis ist eine bakterielle Entzündung der Appendix vermiformis, eines ru­ dimentären Darmabschnitts, der am Zökalpol hängt und reichlich mit lymphatischem Gewebe ausgestattet ist. Die Auslöser einer Appendizitis sind auch in der Schwan­ gerschaft oft allgemeine oder enterale Infekte. Pathophysiologisch liegt meist eine Obstruktion des Lumens durch Hyperplasie von Lymphfollikeln, Kotsteine, Fremd­ körper, Tumoren, Nematoden oder Narben vor, die bei Infektion mit Ödem, einge­ schränkter Ausdehnungsfähigkeit der Wand sowie endoluminaler Mucus-Produktion zu einer endoluminalen Druckerhöhung und schließlich Perforation führen kann. Der Verdacht auf eine Appendizitis ist die häufigste Indikation für einen opera­ tiven Eingriff während der Schwangerschaft, der nicht durch die Schwangerschaft selbst bedingt ist. In etwa jeder 500.–600. Schwangerschaft wird wegen dieses Ver­ dachtes operiert, wobei die Rate der intraoperativ nicht vorliegenden Appendizitis zwischen 15 und 35% schwankt [1–4]. Die Appendizitis ist in der Schwangerschaft nicht häufiger als bei Frauen gleichen Alters ohne Schwangerschaft, aber die Rate an Perforationen ist deutlich höher [5, 6]. Statistisch scheint das 2. Trimester die höchste Inzidenz für eine Appendizitis aufzuweisen [7, 8]. Merke: Der Verlauf der Appendizitis in der Schwangerschaft ist gekennzeichnet durch eine häufig nicht eindeutige Symptomatik und eine erhöhte Perforationsrate.

9.2 Klinisches Bild und Befund Die Diagnosestellung ist besonders schwierig durch die Häufigkeit abdomineller Be­ schwerden und gastrointestinaler Motilitätsstörungen (Erbrechen und Obstipation) während einer normalen Schwangerschaft. Hinzu kommen anatomische Verschie­ bungen durch das Wachstum des Uterus und eine häufig auftretende physiologische Leukozytose bis 15.000/µl in dieser Phase [2]. Die Appendizitis beginnt oft mit diffusen Beschwerden im Oberbauch und perium­ bilikal, die sich nach einigen Stunden in den rechten Unterbauch konzentrieren (vis­ zeraler Schmerztyp). In etwa 60% der Fälle kommen Übelkeit und Erbrechen hinzu, seltener sind Durchfall oder Stuhlverhalt. Durch eine Perforation kann eine kurzfris­ tige Besserung der Schmerzen eintreten, gefolgt von einer Unterbauchperitonitis mit Abwehrspannung (somatischer Schmerztyp) und zunehmend subfebriler Körpertem­ DOI 9783110414134-009

142 | 9 Appendizitis in der Schwangerschaft

Tab. 9.1: Symptome der akuten Appendizitis während der Schwangerschaft [11]. Symptom

Auftreten (prozentual)

Bauchschmerzen

95%

Übelkeit Erbrechen Druckschmerz Abwehrspannung Rektaler Schiebeschmerz Dysurie

85% 70% 80% 50% 45% 8%

Rechter unterer Quadrant: 75% Rechter oberer Quadrant: 20%

peratur mit klassischer axillär-rektaler Temperaturdifferenz von 0,8°C in etwa 50% der Fälle [2]. Die klassischen Symptome der Appendizitis sind bei Schwangeren oft weniger stark ausgeprägt. Der typische Schmerz im Bereich des McBurney-Punktes kann auch bei schwan­ geren Frauen unabhängig vom Stadium der Schwangerschaft beobachtet werden, da sich die Lokalisation der Appendix durch die sekundär retroperitoneale Lage des Zökums auch im 3. Trimester nur wenig verändert. Der Uterus schiebt sich mit zunehmender Größe zwischen Zökum und Bauchwand, andererseits kann ein mo­ biler Zökakpol nach kranial verlagert werden [9], hierdurch können die typischen Schmerzpunkte (Lanz, McBurney) in den rechten Oberbauch verlagert werden, so­ dass klinische Ähnlichkeiten mit einer Cholezystitis bestehen. Die Lokalisation der Schmerzen in Bezug auf die Bauchdecke kann somit anders als bei Nicht-Schwan­ geren sein. Der Verlauf ähnelt häufig einer retrozökalen Appendizitis mit positivem Psoas-Zeichen. Durch die Verdrängung des Omentum maius nach kranial wird die Appendizitis nicht wie üblich abgedeckt, sodass das Risiko der Peritonitis höher, das eines perityphlitischen Abszesses geringer ist. Die Rate an Perforationen bei Appen­ dektomien in der Schwangerschaft ist mit bis zu 43% erhöht gegenüber etwa 19% bei Nicht-Schwangeren [5, 6]. Die Beurteilung der typischen Symptome bei akuter oder perforierter Appendix wie Übelkeit und Erbrechen, rektaler Schmerz und Portio-Schiebeschmerz, die in ei­ ner normalen Schwangerschaft häufig vorkommen, kann schwierig sein [10, 11], die Symptome sind jedoch nicht anders als außerhalb der Schwangerschaft (Tabelle 9.1). Entscheidend bleibt die klinische Untersuchung, gegebenenfalls wiederholt im Ver­ lauf durch einen erfahrenen Facharzt.

9.3 Diagnostik Die Basisdiagnostik entspricht der des akuten Abdomens in der Schwangerschaft (sie­ he Kapitel 8). Die Verdachtsdiagnose einer Appendizitis beruht auf der Zusammen­

9.3 Diagnostik | 143

schau von Anamnese, Klinik, Laborwerten und Bildgebung sowie deren Verlaufsbe­ urteilung [7, 8]. Da eine milde Leukozytose in der Schwangerschaft physiologisch ist, ist bei den Laborwerten das Akutphasen-Protein CRP (C-reaktives Protein) ein zuverlässigerer Pa­ rameter, der 8–12 Stunden nach Beginn einer bakteriellen Entzündung ansteigt. Ein Anstieg des CRP im Verlauf ist ein hinweisender Prädiktor für eine Perforation [7]. Da Harnwegsinfekte in der Schwangerschaft häufig sind, sollte zusätzlich immer ein Urinstatus erfolgen. Als bildgebende Untersuchungsmöglichkeiten stehen Ultraschall, Kernspintomo­ grafie und Computertomografie zur Verfügung. Die Anwendung sollte in dieser Rei­ henfolge gewählt werden, um ein vertretbares Verhältnis von Sensitivität, Spezifität und Strahlenbelastung zu berücksichtigen [12]. Die wichtigste Bildgebung ist die transabdominelle Sonografie. Bei akuter Appen­ dizitis zeigt sich typischerweise eine blind endende, nicht komprimierbare tubuläre Struktur im rechten unteren Quadranten mit einem Durchmesser von mehr als 6 mm, die im Querschnitt einen kokardenartigen Aufbau aufweist [13]. Als Begleitphäno­ mene finden sich häufig freie Flüssigkeiten im kleinen Becken und das Bild einer Dünndarm-Paralyse, auf der anderen Seite schließt eine normal erscheinende Ap­ pendix eine akute Entzündung nicht aus. Ein sicherer Ausschluss kann nur bei einer sonografischen Alternativdiagnose wie bei nachweisbarem torquiertem Ovar ange­ nommen werden. Ergänzend zur transabdominellen Ultraschalluntersuchung sollte immer auch die vaginale Untersuchung durch den Gynäkologen genutzt werden. Die Sensitivität kann durch die Kombination der beiden Techniken erhöht werden [13, 14]. In zahlreichen Studien wurde die Zuverlässigkeit der Ultraschalluntersuchung bei vermuteter Appendizitis in der Schwangerschaft untersucht. Die Sensitivität schwank­ te zwischen 67 und 100%, die Spezifität zwischen 83 und 96% und lag damit etwas niedriger als in der nicht-schwangeren Vergleichspopulation [13]. Neben der Erfah­ rung des Untersuchers und der Güte des Ultraschallgerätes sind die Aussagen des Ul­ traschalls eingeschränkt bei Adipositas, fortgeschrittener Schwangerschaft und Me­ teorismus [9]. Ist mit der klinischen Untersuchung und dem Ultraschall der Verdacht auf ei­ ne Appendizitis nicht ausreichend zu erhärten oder auszuschließen, ist die nächste Stufe der Bildgebung die Kernspintomografie (MRT). Grundsätzlich bietet diese eine verlässliche Möglichkeit, Weichgewebe darzustellen, insbesondere entzündliche Ver­ änderungen nachzuweisen, und hat für den Nachweis einer Appendizitis eine hohe Aussagekraft [12, 14–16]. Erschwerend ist, dass nur selten MRT-Geräte außerhalb der Regelarbeitszeit zur Verfügung stehen. Unabhängig davon gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Studien und auch Metaanalysen, die die Sensitivität und Spezifität der MRT bei akutem Abdomen in der Schwangerschaft untersucht haben [16–19]. Insgesamt findet sich hinsichtlich der Ap­ pendizitis eine höhere Sensitivität (90–97%) und Spezifität (98–99%) als mit der Ultra­ schalluntersuchung [17–19]. Wenn das MRT systematisch bei Schwangeren mit akuten

144 | 9 Appendizitis in der Schwangerschaft

Unterbauchschmerzen eingesetzt wird, ergibt sich in etwa 10% der Verdacht auf eine Appendizitis, der sich in mindestens 67% der Fälle histologisch bestätigt [17–19]. Bei normaler Darstellung der Appendix im MRT ist andererseits eine Appendizitis weitge­ hend ausgeschlossen [16, 19]. Es muss allerdings hierbei berücksichtigt werden, dass in der Mehrzahl der Studien die Auswertung der MRT-Untersuchungen von qualifi­ zierten Fachärzten erfolgte. Die Qualifikation der Ultraschalluntersucher wurde nicht systematisch ausgewiesen [14]. Als drittes bildgebendes Verfahren steht die Computertomografie zur Verfügung. Die Verfügbarkeit ist zwar räumlich und zeitlich inzwischen fast flächendeckend ge­ sichert, zu berücksichtigen bleibt jedoch das Risiko durch die Strahlenbelastung so­ wohl der Mutter als auch des Kindes. Diese gilt mittlerweile mit angepasstem CT-Pro­ tokoll als sehr niedrig mit weniger als 3 mGy, bei einer anzunehmenden Schädigung für den Fet ab 30 mGy [20]. Der Nachweis einer Appendizitis im CT gelingt in nahezu allen Fällen, Daten aus Studien bei Schwangeren liegen allerdings naturgemäß kaum vor. Diese weisen jedoch eine höhere Sensitivität auf als die vergleichend durchge­ führte Ultraschalluntersuchung [14]. In einer europäischen Leitlinie wird bei akutem Abdomen in der Schwangerschaft nach dem Ultraschall der frühzeitige Einsatz des MRT empfohlen [12]. Merke: Wenn die Ultraschalluntersuchung bei Verdacht auf Appendizitis keinen klaren Befund er­ gibt, ist eine MRT-Untersuchung indiziert, um die diagnostische Sicherheit zu erhöhen und unnö­ tige operative Explorationen des Abdomens zu vermeiden.

9.4 Differenzialdiagnose Grundsätzlich kommen die gleichen differenzialdiagnostischen Überlegungen in Be­ tracht wie auch bei nicht-schwangeren Patientinnen: z. B. Pseudoappendizitis mit Lymphadenitis mesenterialis bei Yersiniose, andere Formen der Gastroenteritis oder Enterokolitis, kompliziertes Meckel-Divertikel, M. Crohn, Harnwegsinfekt oder Uro­ lithiasis (siehe Kapitel 8). Es bleibt jedoch zu bedenken, dass eine Reihe von ty­ pischen Symptomen wie Bauchschmerz, Fieber, Leukozytose und Übelkeit mit der Schwangerschaft selbst einhergehen können (12). Differenzialdiagnosen, die in der Schwangerschaft Berücksichtigung finden müssen und ebenfalls mit Übelkeit, Erbre­ chen und Bauchschmerzen vergesellschaftet sein können, sind das HELLP-Syndrom, die Präeklampsie, stielgedrehte Adnexe oder Uterus-Myome, intraabdominelle Blu­ tungen oder extrauterine Gravidität [13]. Geburtshilfliche Komplikationen, wie Pla­ zentalösung oder eine Uterusruptur, lassen sich in aller Regel durch ihr klinisches Erscheinungsbild unschwer von einer Appendizitis abgrenzen.

9.5 Indikationsstellung zur Appendektomie |

145

9.5 Indikationsstellung zur Appendektomie Bei der Indikationsstellung zur operativen Exploration des Abdomens und Appendek­ tomie muss das aktive Vorgehen eines frühen Eingreifens zur Vermeidung einer Per­ foration (If in doubt, take it out) abgewogen werden gegenüber einer restriktiven In­ dikationsstellung zur Vermeidung unnötiger Eingriffe mit negativer Appendektomie. Die Indikationsstellung sollte in Absprache mit einem Geburtshelfer und den Anäs­ thesisten erfolgen, um die Schwangere und ihre Angehörigen zu beruhigen und das Risiko des Verlustes der Schwangerschaft geringstmöglich zu halten. Die verschleppte Appendizitis birgt nicht nur das Risiko der Peritonitis und Sepsis für die Mutter, sondern erhöht auch das Risiko des Fruchtverlustes um ein Vielfaches. Das Risiko eines Kindsverlustes bei Perforation steigt erheblich von 1,5 auf 36% [6]. Diese Zahlen erhärten die Notwendigkeit einer zeitgerechten Entscheidungsfindung und deren Umsetzung. Der Grund für die relativ hohe Rate an perforierten Appendizitiden in der Schwan­ gerschaft, in manchen Beobachtungsstudien bis 43%, ist unklar, vermutlich spielt ne­ ben einer Reduktion der lokalen und systemischen Immunabwehr auch eine ängstli­ che Zurückhaltung für stringente Abklärung und Therapie eine Rolle [5]. Aufgrund der schwierigeren Diagnosefindung ist auf der anderen Seite auch die Rate der negativen Laparotomien/Laparoskopien im Vergleich zu nicht-schwangeren Patientinnen relativ hoch, in der Mehrzahl der Studien liegt sie bei 20–35%, in eini­ gen älteren bis hin zu 50% [5, 21–24]. Hierunter versteht man einen Eingriff, bei dem sich der Verdacht auf Appendizitis nicht bestätigt und keine oder eine andere Ursache für die Symptomatik gefunden wird, diese Rate beträgt bei Nicht-Schwangeren etwa 16% [22, 23]. Diese relativ hohe Rate gilt als vertretbar aufgrund des hohen Risikos der perforierten Appendizitis. Es bleibt aber zu berücksichtigen, dass auch eine negati­ ve Laparotomie/Laparoskopie in einem geringen Prozentsatz zu einem Fruchtverlust führen kann [22, 23]. Dies spricht dafür, dass der Eingriff selbst einen schädigenden Effekt auf den Fet haben kann und andererseits, dass die Möglichkeiten der präope­ rativen Bildgebung zur Diagnostik ausgeschöpft werden sollten [24]. Nicht geklärt ist in den vorliegenden Studien, ob in den gleichen Kohorten eine hohe negative Laparo­ tomierate und eine niedrige Perforationsrate vergesellschaftet sind [23, 24]. Da es keinen einzelnen, sicheren präoperativen Parameter zum Ausschluss oder zur Bestätigung einer Appendizitis gibt, sind verschiedene klinische Scores und com­ puterbasierte Entscheidungshilfen zur Stratifizierung des Risikos einer Appendizitis entwickelt worden. Der bekannteste ist der Alvarado-Score von 1986 [25], der 8 prä­ diktive Faktoren mit Punktwerten erfasst (siehe Tabelle 9.2). Die Bedeutung solcher Scores relativiert sich heute durch die Möglichkeiten der Bildgebung und dadurch, dass sie nicht für Schwangere validiert wurden. Der Score hat bei Werten 37,3 °C Abwehrspannung Wanderung des Schmerzes in den rechten Unterbauch Übelkeit und Erbrechen Appetitlosigkeit Linksverschiebung der Granulozyten Druckschmerz rechter Unterbauch Leukozytose > 10.000/μl

basierte Entscheidungshilfen: Wenn strukturierte computerbasierte Checklisten zur Erfassung der Daten eingesetzt werden, sind derartige Entscheidungshilfen (decision tools) geeignet, eine Verdachtsdiagnose zu stellen, da sie eine bessere Spezifität und niedrigere Rate an falsch positiven Entscheidungen aufweisen als die alleinige klini­ sche Entscheidung durch den Arzt [27]. Die Schwierigkeit bleibt, dass solche Scores und Entscheidungshilfen nicht verlässlich zum Ausschluss einer Appendizitis geeig­ net sind, sie belegen jedoch, dass die Befunde strukturiert mit einer Checkliste erfasst werden sollten [27]. Merke: Sowohl eine Perforation als auch eine negative (unnötige) operative Exploration erhöhen die Abortrate, sodass eine stringente Diagnostik und Entscheidungsfindung nötig sind.

9.6 Therapeutisches Vorgehen Ist die Verdachtsdiagnose einer akuten Appendizitis mit hinreichender Sicherheit ge­ stellt worden, so ist die Standardtherapie die Appendektomie. In jüngerer Vergangen­ heit hat es zwar Veröffentlichungen gegeben, welche die Effektivität und Sicherheit einer primären antibiotischen Therapie bei der unkomplizierten Appendizitis bele­ gen, die Datenlage ist jedoch bisher für die spezielle Situation der Schwangeren nicht übertragbar [28]. Es ist darüber hinaus zu betonen, dass bei der Mehrzahl der Studi­ en zur primären Antibiotikatherapie die unkomplizierte Appendizitis im CT diagnosti­ ziert wird und dennoch etwa ein Drittel der für die Antibiotikatherapie randomisierten Patienten operiert werden muss [28]. Die Appendektomie gehört zur Gruppe der bakteriell kontaminierten oder infizier­ ten Eingriffe, bei denen Darmbakterien und Anaerobier eine Rolle spielen [29]. Wenn eine akute Appendizitis mit Operations-Indikation und systemischen und lokalen Ent­ zündungszeichen besteht, sollte unter dem Gesichtspunkt der möglichen hohen Per­

9.7 Operativer Zugang

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forationsrate eine intravenöse Antibiose mit einem Cephalosporin und Metronidazol begonnen werden. Dies gilt insbesondere, wenn sich aus organisatorischen Gründen der Beginn der Operation verzögert. Bei mildem klinischem Befund kann die Entschei­ dung zur Antibiose vom intraoperativen Situs abhängig gemacht werden [29, 30]. Mit Indikationsstellung soll die Appendektomie, nicht nur bei Schwangeren, in­ nerhalb von vier Stunden erfolgen. Dieses Zeitfenster wurde in der jüngeren Recht­ sprechung als angemessen bewertet. Wird dieser Zeitrahmen überschritten und tre­ ten septische Komplikationen auf, so kann dies als Organisationsverschulden juristi­ sche Konsequenzen nach sich ziehen. Bei makroskopisch unauffälliger Appendix soll­ te diese ebenfalls entfernt werden, gelegentlich zeigt sich erst in der histologischen Aufarbeitung die akute Entzündung.

9.7 Operativer Zugang Wie in allen anderen Patientengruppen stellt sich auch bei Schwangeren die Alter­ native zwischen dem konventionell offenen und dem laparoskopischen Zugang. Hat sich der laparoskopische Zugang mittlerweile bei nicht-schwangeren Patientinnen in einem sehr hohen Prozentsatz durchgesetzt, besteht weiterhin Unsicherheit bei schwangeren Patientinnen. Der offene Zugang kann entweder als klassischer Wechselschnitt im rechten Un­ terbauch oder über einen vertikalen transrektalen Schnitt erfolgen. Es sind hierbei die durch die vorgewölbten Bauchdecken verschobenen Bezugspunkte zu berücksich­ tigen. Alternativ kommt eine mediane Unterbauchlaparotomie infrage, die bei Unsi­ cherheit über die Lokalisation der Appendix oder bei fraglicher anderer Ursache der Symptomatik einen größeren Überblick gewährt. Ringfolien zum Schutz der Bauch­ decke vor Kontamination haben sich bewährt. Wird die Laparoskopie als Zugang gewählt, so sollte der Kameratrokar in Abhän­ gigkeit von der Fundushöhe des Uterus gewählt und gegebenenfalls unter Ultraschall­ kontrolle festgelegt werden. Für die Einbringung des ersten Trokars empfiehlt sich ein offener Zugang nach Hasson, allerdings ist die Datenlage bezüglich des offenen Zugangs gegenüber der Veress-Nadel uneinheitlich und beide Verfahren sind akzep­ tiert [31, 32]. Bei Verwendung einer Veress-Nadel sollte diese bevorzugt im linken Ober­ bauch platziert werden (siehe auch Kapitel 7), alle weiteren Trokare sollten unter Sicht gesetzt werden. Dies verringert das Verletzungsrisiko, insbesondere können so die Trokare bestmöglich in Bezug zu Appendix und Uterus platziert werden. Nach Ske­ lettierung des Mesenteriolums wird die A. appendicularis über Titan- oder PDS-Clips abgesetzt, zur Absetzung der Appendix an der Basis eignen sich endoskopische Li­ nearstapler (35 mm blaues Magazin), 16 mm Titan-Clips oder die Roeder-Schlinge. Die Appendix sollte stets in einem Bergebeutel durch die Bauchwand gezogen werden, um Kontaminationen und Wundinfekte zu reduzieren.

148 | 9 Appendizitis in der Schwangerschaft

Ein Vorteil des laparoskopischen Zugangs ist die Übersicht über das gesamte Ab­ domen und die Möglichkeit der Abdominallavage bei einer purulenten Appendizi­ tis bzw. Peritonitis, die ungleich größer als bei einem limitierten offenen Zugang ist. Nicht selten findet sich bei perforierter Appendizitis eitriges Sekret im Douglas-Raum, subhepatisch und subphrenisch, das bei der Laparoskopie kontrollierter und weniger traumatisch ausgespült werden kann als über eine kleine Laparotomie. Bei Perfora­ tion und nach ausgiebiger Spülung hat sich die Einlage von Schwerkraft-Drainagen (Robinson-Drains, kanülierte Laschen) in das kleine Becken bewährt, ohne dass es hierfür beweisende Studien gibt. Zur Gewährleistung der Sicherheit einer Laparoskopie empfiehlt es sich, den intraab­ dominellen Druck zwischen 12–15 mmHg zu halten, zudem sollte die Patientin in einer leichten Linksseitenlage gelagert werden, um den Druck auf die Vena cava durch den Uterus zu reduzieren (siehe auch Kapitel 7). Ein transurethraler Blasenkatheter für den Zeitraum der Operation ist empfehlenswert.

9.8 Postoperative Komplikationen Im Folgenden sind einige aufklärungspflichtige Komplikationen nach Appendektomie in der Schwangerschaft genannt, die individuell ergänzt werden können [6]. Grundsätzlich sollte die Patientin darüber informiert werden, dass eine Konversi­ on vom laparoskopischen zum offenen Vorgehen möglich ist, ohne dass dies als Kom­ plikation anzusehen ist. – Zugangsbedingte Komplikationen: Wundinfekt, Fasziendehiszenz, Platzbauch, Narbenhernie – Intraoperative Komplikationen: gegebenenfalls Erweiterung des Eingriffes, Ileozökalresektion bei ausgedehnter Nekrose der Appendixbasis, Verletzung von Ureter, Gefäßen, Darm, Uterus, Ad­ nexen – Postoperative Komplikationen: Appendixstumpf-Insuffizienz, Spätabszesse, Adhäsionen, Ileus, Wehen, Notwendigkeit einer Sectio, Abort

Merke: Wesentliche Vorteile des laparoskopischen Zugangs für die Appendektomie sind die bes­ sere Beurteilung und Möglichkeiten der Lavage des gesamten Abdomens, geringere Wundinfekti­ onsrate und kürzerer Krankenhausaufenthalt

9.9 Studien zum Vergleich Laparotomie versus offene Laparoskopie | 149

9.9 Studien zum Vergleich Laparotomie versus offene Laparoskopie Randomisierte Studien zum Vergleich der Zugangswege fehlen und die Qualität der Daten ist ungenügend, da in einigen Beobachtungsstudien die Qualität der Bildge­ bung, das Stadium der Peritonitis und das Gestationsalter nicht genau angegeben wer­ den. In einer Literaturanalyse zum Vergleich der beiden Zugangswege wurden Daten aus 28 Publikationen mit insgesamt 637 Fällen, die zwischen 1990 und 2007 laparo­ skopisch appendektomiert wurden, mit Literaturdaten offener Appendektomien ver­ glichen. Die negative Appendektomierate war 27%, die Umsteigerate 1% und die Früh­ geburtsrate niedriger als in offen operierten Kollektiven. Die Häufigkeit eines Abortes betrug 6% und liegt damit höher als nach offener Appendektomie [21]. In einer Metaanalyse von 11 Studien zum retrospektiven Vergleich der beiden Zu­ gangswege wurden 599 laparoskopisch und 2816 offen operierte Schwangere einge­ schlossen [33]. In dieser Analyse zeigte sich kein Unterschied hinsichtlich Frühgeburt­ lichkeit, Wundinfektionsrate, Operationsdauer, Geburtsgewicht oder Apgar-Score. In dieser Analyse und in einer weiteren systematischen Literaturanalyse [34] war aller­ dings die Abortrate erhöht. Es besteht daher Zurückhaltung gegenüber der laparosko­ pischen Appendektomie in der Schwangerschaft, da Abortraten von bis zu 7,3% be­ schrieben wurden, im Vergleich zu 3,3% bei offenem Vorgehen [33, 35]. Es ist jedoch zu bedenken, dass diese Metaanalysen besonders von einer großen Kohortenstudie beeinflusst sind, in der bei 3133 Schwangeren in Kalifornien, die zwischen 1995 und 2002 appendektomiert wurden, eine negative Appendektomie und der laparoskopi­ sche Zugang (in nur 14% wurde dieser angewendet) als Risikofaktoren für einen fetal loss beschrieben wurden [23]. Da in diesem Kollektiv 77% der Nicht-Schwangeren of­ fen appendektomiert wurden, können diese Ergebnisse heute nur eingeschränkt für die Entscheidungsfindung und Beratung der Patientinnen angewendet werden, da in­ zwischen nahezu 90% der Appendektomien laparoskopisch erfolgen und die Erfah­ rung auch mit komplizierten Befunden erheblich größer ist. Eine Cochrane-Analyse zum Vorgehen bei akuten Unterbauchschmerzen bei ge­ bärfähigen Frauen konnte im Gegensatz dazu kein höheres Risiko in der laparoskopi­ schen Gruppe bei den Schwangeren nachweisen [36]. In neueren Beobachtungsstudi­ en aus Asien wurden ebenfalls die üblichen Vorteile des laparoskopischen Vorgehens, jedoch keine erhöhten Raten für Frühgeburt oder Aborte beschrieben [10, 37, 38]. Der Abort im Rahmen einer Appendizitis ist offenbar weniger abhängig vom Ope­ rationsverfahren als vom Gestationsalter und der Ausprägung der Peritonitis. In einer Serie offener Appendektomien betrugt die Rate an Aborten und Frühgeburten im ers­ ten Trimenon 33% und im zweiten Trimenon 14%, im letzten Trimenon wurden keine Schwangerschaftskomplikationen beobachtet [3].

150 | 9 Appendizitis in der Schwangerschaft

In einer neueren Vergleichsstudie mit 24 laparoskopischen und 56 offenen Appen­ dektomien in allen Trimestern, die zwischen 2008 und 2015 eingeschlossen wurden, zeigte sich als wesentlicher Vorteil der Laparoskopie ein kürzerer Krankenhausauf­ enthalt (5,1 vs. 8,1 Tage, p = 0,044), die Frühgeburtsrate war gleich (8,3 vs. 7,1%, p = 1,0), die Abortrate unterschied sich statistisch ebenfalls nicht, allerdings bei einer Tendenz zu mehr Fehlgeburten in der laparoskopischen Gruppe (12,6 vs. 7,1%, p = 0,35). Die wesentlichen Risikofaktoren für geburtshilfliche Komplikationen wa­ ren Fieber > 38 °C und ein höheres Alter der Mutter [38]. Merke: Die laparoskopische Appendektomie ist auch mit einer relevanten Abortrate verbunden, Risikofaktoren sind Perforation/Peritonitis, erstes Trimenon und Alter der Mutter.

Zusammenfassend gilt, dass sowohl die Diagnostik als auch das operative Verfahren bei Verdacht auf Appendizitis in der Schwangerschaft interdisziplinär zwischen Vis­ zeralchirurgen und Gynäkologen unter Einbeziehung der Patientin festgelegt werden sollten. Hierbei sollten die jeweils erfahrensten Fachärzte beteiligt werden, um für Mutter und Kind ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.

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Nico Schäfer

10 Cholelithiasis 10.1 Einleitung Während der Schwangerschaft erfährt der Leberstoffwechsel mit seinen vielfältigen biochemischen Prozessen Veränderungen, die sich für den Feten und die Mutter zu lebensgefährlichen Krankheitsbildern entwickeln können. Für die Leber-assoziierten Erkrankungen sind hier das HELLP-Syndrom, die intrahepatische Schwangerschafts­ cholestase (ICP) und die akute Schwangerschafts-Fettleber (AFLP) zu nennen [1, 2]. Für die Viszeralchirurgie spielen besonders die Cholelithiasis und deren Komplika­ tionen eine Rolle. Durch schwangerschaftsinduzierte Veränderungen im Stoffwechsel der Steroidhormone entsteht ein Ungleichgewicht in der Zusammensetzung der Galle­ säuren, die Gesamtmenge an Gallesäuren ist deutlich erhöht und die vermehrte Syn­ these von Progesteron führt zu einer Hypomotilität der Gallenblase und Gallenwege. Als Konsequenz lassen sich mit zunehmender Inzidenz bis zum 3. Trimenon und in der frühen postpartalen Zeit bei bis zu 30% aller Schwangeren Gallenblasensludge und bei 12% Steine in der Gallenblase durch Ultraschall nachweisen. Die klinische Relevanz der Cholelithiasis in der Schwangerschaft zeigt sich daran, dass das sym­ ptomatische Gallensteinleiden die zweithäufigste nicht gynäkologische oder geburts­ hilfliche Ursache sowohl für eine Krankenhauseinweisung als auch für viszeralchir­ urgische Operationen während der Schwangerschaft darstellt. Grundsätzlich unterscheiden sich Diagnostik und Therapie des symptomatischen Gallensteinleidens nicht bei schwangeren und nicht-schwangeren Patientinnen. Im Hinblick auf operative oder endoskopisch interventionelle Therapiemaßnahmen bei einer schwangeren Patientin ist jedoch eine besondere Sensibilität für den richtigen Behandlungszeitpunkt in Abhängigkeit vom Gestationsalter erforderlich [3].

10.2 Epidemiologie und Risikofaktoren In den westlichen Industrieländern sind bis zu 20% der Erwachsenen von Gallen­ steinen und den damit assoziierten Erkrankungen betroffen. In Deutschland werden jährlich mehr als 190.000 Cholezystektomien durchgeführt (AQUA-Institut), und die Kosten für die Behandlung Gallenstein-assoziierter Erkrankungen werden mit über 0,5 Milliarden Euro veranschlagt [4]. Insbesondere Frauen mittleren Alters, die un­ ter Übergewicht leiden, haben häufig Gallensteine. Epidemiologische Studien in den USA konnten zeigen, dass eine Schwangerschaft ein Risikofaktor ist, Gallenblasen­ gries oder -Steine auszubilden. In diesen Studien konnten bei 5–12% aller Schwan­

DOI 9783110414134-010

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geren Gallensteine festgestellt werden [5–8]. Das Risiko steigt mit zunehmender An­ zahl der Schwangerschaften und jüngerem Alter (< 30 Jahre) an [5, 8, 10]. Gallensteine konnten bei Gravidae-0 in bis zu 7% und bei Frauen mit mehr als zwei Schwanger­ schaften in bis zu 19% beobachtet werden [11, 12]. Während am Ende des 1. Trimenons Sludge oder Steine in bis zu 15% bzw. 6% nachgewiesen werden konnten, betrug die Rate zum Ende des 2. Trimenons 22% bzw. 9% und im 3. Trimenon 30% und 12%. Die Normalisierung des Hormonhaushalts nach der Schwangerschaft reduziert das Risiko, so konnten drei Monate nach Schwanger­ schaft bei 61% bzw. 28% der Frauen kein Sludge oder keine Gallensteine mehr nach­ gewiesen werden [12, 15–17]. Bei bis zu 31% der Frauen entwickelt sich ein symptoma­ tischer Verlauf (unspezifische Oberbauchbeschwerden bis Kolik), der in etwa 0,8% der Fälle mit schwerwiegenderen Komplikationen (Cholezystitis, Choledocholithia­ sis, Cholangitis, akute biliäre Pankreatitis), die einer Operation oder endoskopischen Intervention bedürfen, einhergeht [3, 5, 6, 8, 12–14]. Die Relevanz dieses Sachver­ halts zeigt sich darin, dass bei mehr als 70% der symptomatischen Patientinnen, die überwiegend initial konservativ behandelt werden, im Verlauf der Schwangerschaft eine rezidivierende Symptomatik auftritt und dies durchschnittlich mit bis zu fünf Krankenhausaufenthalten assoziiert ist [18–21]. Eine bis acht von 10.000 Patientin­ nen müssen noch während der Schwangerschaft cholezystektomiert werden und bei 1–3% aller Schwangeren erfolgt aufgrund einer Cholelithiasis innerhalb des 1. Jahres nach Schwangerschaft eine Cholezystektomie [5, 6, 12, 22]. Neben den klassischen Risikofaktoren für die Bildung von Gallensteinen (adipös, weiblich, heller Hauttyp, Alter > 40 Jahre, prämenopausal, familiäre Disposition) und den erhöhten Steroidhormonspiegeln während der Schwangerschaft konnten in epi­ demiologischen Studien noch weitere mit der Schwangerschaft assoziierte Risikofak­ toren nachgewiesen werden. So zeigten sich der Body-Mass-Index und das Ausmaß der körperlichen Aktivität vor Schwangerschaft, zu hohe Nahrungsfette, Eisensubsti­ tutionspflichtigkeit, jüngeres Alter bei Schwangerschaft, Anzahl der Schwangerschaf­ ten, der Serum-Cholesterinspiegel, längere Hungerphasen, das postprandiale Gallen­ blasenvolumen und die Gallenblasenejektionsfraktion, der Serum-Leptinspiegel, eine zunehmende Insulinresistenz, eine Veränderung des mikrobiotischen Darmmilieus sowie eine durch Übergewicht induzierte metabolische Inflammationsreaktion (TNF-a und IL-6 Ausschüttung) als Risikofaktoren für die Entstehung von Sludge und Gallen­ steinen in der Schwangerschaft [5, 9–11, 15, 23]. Merke: Jede Schwangerschaft ist ein Risikofaktor für die Entstehung von Sludge und Gallensteinen, etwa ein Drittel dieser Schwangeren entwickelt Symptome.

10.4 Cholezystolithiasis und akute Cholezystitis

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10.3 Pathophysiologie Die Formation von Sludge und Gallensteinen wird durch vorübergehende Verände­ rungen des Leberstoffwechsels und der Gallensekretion eingeleitet. Diese werden durch die mit jedem Trimenon ansteigende Ausschüttung der Sexualhormone Östro­ gen und Progesteron hervorgerufen. Progesteron führt zu einer Hypomotilität der Gal­ lenblase und Östrogen zu einer veränderten Zusammensetzung der sezernierten Galle mit steigender Konzentration von Cholesterin und Abnahme des Anteils an Chenodes­ oxycholsäure. Sowohl bei der intrahepatisch sezernierten Galle als auch innerhalb der Gallenblase ändert sich der lithogene Index mit einer Ausfällung von Cholesterin­ kristallen. Das Gesamtvolumen der Gallenflüssigkeit steigt um 50%. Die prozentualen Anteile an Cholsäure erhöhen sich, während die Anteile an Chenodesoxycholsäure und an Desoxycholsäure abnehmen. Mit Ende des 1. Trimenons führt die vermehrte Progesteronausschüttung und ihr weiterer Anstieg mit Fortschreiten der Schwan­ gerschaft zu einer Relaxation der glatten Muskulatur in der Gallenblasenwand mit der Folge weniger Kontraktionen, einer inkompletten Gallenblasenentleerung und einem erhöhten Gesamtvolumen der Gallenblase. Durch die gleichzeitig steigende Lithogenität der Galle wird eine Supersaturation an Cholesterinkristallen hervorge­ rufen und es kommt über deren Ausfällung zur Bildung von Sludge und im weiteren Verlauf zur Entstehung von Steinen. Weitere Faktoren, die über eine Veränderung des zellulären hepatischen Fettsäurestoffwechsels sowie des Cholesterintransports im Blutplasma während der Schwangerschaft eine Mikrolithiasis begünstigen, sind eine erhöhte LDL-Cholesterinsynthese, eine Inhibierung von Acyl-Coenzym A sowie der Lecithin-Cholesterol Acyltransferase und ein ungünstiger Apolipoprotein E Geno­ typ [5, 10–12, 15–17, 24–29]. Merke: Die Entstehung der Gallensteine wird durch die progesteronbedingte Hypomotilität der Gal­ lenwege und die verringerte Emulgierung des Cholesterins begünstigt.

10.4 Cholezystolithiasis und akute Cholezystitis Während der überwiegende Teil der schwangeren Patientinnen mit Gallenblasen­ sludge oder Steinen asymptomatisch bleibt, entwickeln im Laufe der Schwanger­ schaft sowie in den ersten drei Monaten nach Geburt mehr als 30% der Betroffenen zumindest einmalig Symptome im Sinne von unspezifischen Oberbauchschmerzen oder einer Kolik und bei einer von 1600 bis 10.000 Patientinnen lässt sich eine akute Cholezystitis diagnostizieren.

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10.4.1 Diagnostik der Cholelithiasis Die Symptome einer Cholezystolithiasis oder Cholezystitis können sich insbesondere bei fortgeschrittener Schwangerschaft mit typischen Schwangerschaftsbeschwerden überlagern. Symptome sind Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Dyspepsie, Intoleranz für fette Speisen und Druckgefühl bis hin zu kolikartigen Schmerzen im rechten Ober­ bauch. Das klinische, laborchemische und radiologische diagnostische Prozedere ent­ spricht der Evaluation von nicht-schwangeren Patientinnen. Differenzialdiagnostisch muss bei ausgeprägten Befunden an ein beginnendes HELLP-Syndrom, die intrahepa­ tische Schwangerschaftscholestase (ICP), die akute Schwangerschafts-Fettleber, eine Präeklampsie, eine akute Hepatitis, eine akute Pankreatitis, ein peptisches Ulkus, ei­ ne akute Pyelonephritis, eine beginnende Pneumonie oder eine akute Appendizitis gedacht werden. Die Labordiagnostik sollte die Cholestaseparameter (Bilirubin, gGT, AP), Transaminasen, Lipase, ein Differenzialblutbild sowie CRP beinhalten. Bei der Interpretation der Werte ist jedoch zu bedenken, dass insbesondere die Leberenzyme, die alkalische Phosphatase und die Leukozyten im Rahmen der Schwangerschaft im Vergleich zu den Normalwerten mit zunehmender Schwangerschaftsdauer physiolo­ gisch erhöht sind. Jede schwangere Patientin mit Oberbauchbeschwerden sollte initial eine Ultra­ schalluntersuchung erhalten. Diese ist grundsätzlich verfügbar und weist Gallenbla­ sensteine mit einer Sensitivität von 95–98% nach. Typische Befunde sind Gallen­ blasensludge oder Steine, eine um bis zu 4 cm vergrößerte Gallenblase, ein sonogra­ fisch auslösbares Murphy-Zeichen (Schmerzausstrahlung in die rechte Schulter), eine ödematöse Verdickung der Gallenblasenwand bis zu 4 mm und ggf. Flüssigkeitseinla­ gerungen um die Gallenblase. Eine laborchemische Cholestase bis hin zum klinischen Ikterus oder ein erweitertes Gallengangsystem weisen auf eine Choledocholithiasis hin. Bei Verdacht auf ein präpapilläres Konkrement oder unklarer Gesamtkonstel­ lation sollte eine MRCP (Magnetresonanz-Cholangiopankreatikografie), ggf. auch Endosonografie durchgeführt werden. Erhöhte Entzündungszeichen, in einigen Fäl­ len verbunden mit Gas im Gallengangsystem können auf eine Cholangitis hinweisen, zusätzlich erhöhte Pankreasenzyme auf eine biliäre Pankreatitis [1–6, 13, 30].

10.4.2 Therapie der Cholelithiasis Breiter Konsens besteht darin, asymptomatische Patientinnen abwartend konserva­ tiv durch die Schwangerschaft zu begleiten. Eine generelle Prophylaxe mittels ora­ ler cholelytischer Ursodesoxycholsäure ist während der Schwangerschaft nicht indi­ ziert. Vor einer geplanten Schwangerschaft sollte bei bekannten Gallenblasensteinen oder Sludge ein aufklärendes Gespräch über die Risiken und die Möglichkeit einer prophylaktischen Cholezystektomie vor der Schwangerschaft geführt werden. Eben­ so besteht Konsens, dass bei einer akuten Cholezystitis während der Schwangerschaft

10.4 Cholezystolithiasis und akute Cholezystitis

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157

mit dem Risiko einer lebensbedrohlichen Komplikation wie z. B. einer Gallenblasen­ gangrän oder einer Perforation mit Peritonitis oder Sepsis die Indikation zur frühelek­ tiven Cholezystektomie noch während des initialen Krankenhausaufenthalts gestellt werden sollte, die möglichst laparoskopisch durchzuführen ist [3, 5, 7, 18]. Schwangere mit unspezifischen Oberbauchbeschwerden bis hin zu Koliken kön­ nen in der Mehrzahl der Fälle konservativ behandelt werden. Der allgemeine thera­ peutische Standard besteht in der stationären Aufnahme, passagerer Karenz für feste Nahrung, Kontrolle des Schwangerschaftsstatus, Flüssigkeitssubstitution, adäquater Analgesie und bei Auftreten von Infektionszeichen in dem Beginn einer Antibiose. Grundsätzlich wird angestrebt, unabhängig vom Gestationsalter, eine operative The­ rapie bis nach der Geburt zu verschieben [5, 6, 8]. Grundlage hierfür ist die Angst vor einer Gefährdung der Mutter und des Feten durch Narkose und chirurgisch-operati­ ve oder interventionelle Maßnahmen. Im 1. Trimenon besteht eine erhöhte Gefahr für einen teratogenen Schaden im Rahmen der Organogenese des Feten und das Risiko eins Abortes. Im 3. Trimenon besteht das Risiko einer vorzeitigen Induktion von Wehen und Frühgeburtlichkeit. Noch bis Ende der 90er-Jahre wurde im Zusammenhang mit offenen Cholezystektomien über Abort-Raten im 1. Trimenon von bis zu 20% und im 3. Trimenon von Frühgeburtsraten von bis zu 40% sowie vereinzelt von Totgeburten berichtet [5, 14, 31, 32]. Die Entwicklung der perinatalen Medizin, des perioperativen und anästhesiologischen Managements sowie die sichere Anwendung der laparosko­ pischen Chirurgie hat jedoch in den letzten Jahren die Behandlung von schwangeren Patientinnen mit Cholelithiasis verändert. In mehreren neuen klinischen Verlaufsstu­ dien konnte gezeigt werden, dass die konservative Therapie von Patientinnen mit sym­ ptomatischem Gallensteinleiden und Bridging bis in die Zeit nach der Entbindung mit einer hohen Rate an rezidivierenden und komplikativen Verläufen assoziiert war. Bei bis zu 70% der Patientinnen entwickelten sich rezidivierend Symptome (38% inner­ halb eines Monats und 82% innerhalb von drei Monaten) mit zunehmender Intensi­ tät, wobei die Rezidivrate vom 1. bis 3. Trimenon gleich verteilt war. Bis zu 15% die­ ser Patientinnen zeigten einen komplikativen Verlauf mit Cholezystitis, Cholelithiasis, Cholangitis oder biliärer Pankreatitis. Als Konsequenz mussten Patientinnen durch­ schnittlich bis zu 5-mal stationär behandelt werden mit einer Krankenhausverweil­ dauer von 5–9 Tagen. Es konnte auch gezeigt werden, dass sich ohne die frühzeitige Cholezystektomie post partum bei bis zu 30% innerhalb des 1. Monats und bis zu 80% nach drei Monaten rezidivierend Symptome einstellten. Innerhalb des 1. Jahres nach Geburt entwickelt sich bei 9% der Mütter eine akute Cholezystitis, bei 8% eine Cholan­ gitis mit Choledocholithiasis und bei 16% eine akute biliäre Pankreatitis [11, 18, 22]. In zwei weiteren Studien, die eine konservative Behandlungsstrategie mit der laparo­ skopischen Cholezystektomie innerhalb der Schwangerschaft retrospektiv verglichen, konnte für die chirurgisch behandelten Patientinnen eine kürzere Krankenhausver­ weildauer und bis auf eine Patientin mit Zysticusstumpfinsuffizienz ein ausschließ­ lich komplikationsloser Verlauf beobachtet werden. Bei den konservativ behandelten Patientinnen zeigte sich neben mehreren und längeren stationären Aufenthalten bei

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bis zu 12% der Patientinnen die Notwendigkeit einer frühzeitigen Geburtseinleitung und 5% hatten eine Frühgeburt im 3. Trimenon [5, 7, 22]. Die wissenschaftliche Evi­ denz aus diesen kleineren retrospektiven Fallserien ist allerdings gering, so lässt sich auch weiterhin ein konservatives Vorgehen begründen. Patientinnen, die durch biliä­ ren Sludge oder eine Mikrolithiasis erst im 2. oder 3. Trimenon und nur einmalig durch eine leichte Symptomatik oder Kolik auffällig werden, haben ein sehr geringes Risiko für ein Rezidiv, und 30–50% der Patientinnen entwickeln keine Symptomatik mehr in Bezug auf ihre Cholelithiasis [5, 6, 12, 13]. Zusammenfassend lässt sich heute als Konsens in der Literatur folgendes thera­ peutisches Vorgehen bei einer Cholelithiasis innerhalb der Schwangerschaft ableiten (Abbildung 10.1): Patientinnen mit asymptomatischen Gallensteinen werden konser­ vativ durch die Schwangerschaft begleitet. Gering symptomatische Patientinnen (un­ spezifische Oberbauchschmerzen bis hin zur leichten Kolik) sollten unter stationären Bedingungen evaluiert, die Schwangerschaft kontrolliert und ein initialer konserva­ tiver Therapieversuch durchgeführt werden. Kommt es im Verlauf zu rezidivierenden oder zunehmenden Beschwerden und einem erneuten stationären Aufenthalt, so soll­ te mit Beginn der 2. Hälfte des 1. Trimenons bis zum Beginn des 3. Trimenons der Pati­ entin die Durchführung einer laparoskopischen Cholezystektomie empfohlen werden. Eine offene Cholezystektomie sollte nur bei schwierigen anatomischen Verhältnissen, z. B. durch Voroperationen in diesem Bereich oder bei fortgeschrittener Schwanger­ schaft mit sehr hohem Uterusstand in der 2. Hälfte des 3. Trimenons erfolgen. Zu die­ sem Zeitpunkt der Schwangerschaft sollte auch nur noch in der Notfallsituation bei ausgeprägter Cholezystitis oder einem komplikativen Verlauf mit Gangrän, Perforati­ on oder Peritonitis eine Operation durchgeführt werden, wobei perioperativ die intak­ te Schwangerschaft durch CTG und Duplex-Ultraschall zu überprüfen ist. Im Falle von unspezifischen Symptomen oder leichten Koliken im 3. Trimenon sollte die Cholezys­ tektomie in die frühe Periode post partum verlegt werden [3, 6–8, 14, 30, 33].

10.4.3 Operationsverfahren und perioperative Behandlung In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die laparoskopische Cholezystekto­ mie bei Schwangeren während jedes Trimenons sicher und komplikationslos durch­ zuführen ist und diese Technik im Vergleich zur Laparotomie vermutlich Vorteile in Bezug auf die Abort- und Frühgeburten-Rate und deutliche Vorteile in Bezug auf die Gesamtmorbidität der Mutter aufweist [5, 7, 14, 30–32, 34]. Daher empfiehlt die Ameri­ can Society of Gastrointestinal and Endoscopic Surgeons in ihrer aktuellen Leitlinie das laparoskopische Verfahren als die bevorzugte Operationsmethode bis in die 1. Hälf­ te des 3. Trimenons hinein [30]. Die nachgewiesenen Vorteile der laparoskopischen Technik sind ein geringerer Verbrauch von Schmerzmitteln, ein reduziertes Risiko ei­ ner postoperativen Hypoventilation der Mutter, eine schnellere Mobilisation mit ge­

10.4 Cholezystolithiasis und akute Cholezystitis

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Gallenblasensludge oder Steine

Asymptomatische Patientin

Symptomatische Patientinnen

Begleitende Beobachtung

Konservativer Therapieversuch - Analgetische Therapie - Stationäre Überwachung - Kontrolle Schwangerschaftsstatus - (Antibiose)

Supportive Therapie

Spontanes Verschwinden oder Auflösen von Sludge oder Steinen nach Geburt

Nein!

- Rezidiv. oder chron. Symptomatik - rez. Krankenhausaufenthalt - Komplikativer Verlauf

Persistierender Sludge oder Steine nach Geburt

Ja!

Laparoskopische oder offene Cholezystektomie Abb. 10.1: Therapiealgorithmus zur Behandlung von Gallenblasensludge und Gallensteinen während der Schwangerschaft.

ringerem Thrombembolierisiko sowie ein kürzerer Krankenhausaufenthalt mit redu­ zierter Gesamtmorbidität. Die Trokare sollten dem Stand der Schwangerschaft angepasst weiter kranial im Oberbauch platziert werden. Auf eine Gas-Insufflation mittels Veress-Nadel sollte ver­ zichtet und ein offener Zugangsweg zur Peritonealhöhle gewählt werden, um eine Uterusverletzung und eine intraamniotische Gasinsufflation zu vermeiden. Ab der 24. Woche sollte eine Inzision oberhalb des Nabels gewählt werden. Grundsätzlich emp­ fiehlt sich eine leichte Trendelenburg-Lagerung sowie eine linkslaterale Positionie­ rung, um eine Kompression der V. cava inferior und eine Einschränkung des venö­ sen Rückstroms zum Herzen zu vermeiden. Der Insufflationsdruck sollte zwischen 10–15 mmHg gewählt werden. Ein zu hoher Druck kann zu einer Beeinträchtigung des uteroplazentaren Blutflusses und zu einer Verschlechterung der bei Schwange­ ren bereits bestehenden pulmonalen Restriktion durch Zwerchfellhochstand führen. Während der Laparoskopie sollten der endtidale und arterielle pCO2 gemessen wer­ den, da eine Hyperkapnie des Feten durch passive transplazentare CO2 -Diffusion zu

160 | 10 Cholelithiasis

einer Azidose führen kann. Wenn die Werte zu stark steigen, sollte das Kapnoperi­ toneum intermittierend immer wieder abgelassen werden. Manipulationen des Ute­ rus durch Instrumente sollten vermieden werden, da auch nur leichte oberflächliche serosale Verletzungen und damit assoziierte Blutungen zu Kontraktionen des Uterus führen können. Bei unübersichtlichen Verhältnissen, hohen CO2 -Werten oder langer Operationszeit sollte mit einer Konversion zur Laparotomie nicht zu lange gezögert werden [6, 30, 33, 35–38]. Merke: Eine laparoskopische Cholezystektomie ist – unabhängig vom Stadium der Schwanger­ schaft – indiziert bei therapierefraktärer Cholezystitis mit septischem Verlauf, Persistenz der Sym­ ptome und Entzündungszeichen trotz Antibiose über > 48 h, Gallenblasenempyem und Perforation mit Peritonitis und anhaltend-rezidivierenden Koliken.

10.5 Choledocholithiasis und Cholangitis Etwa eine von 1000 Schwangeren entwickelt als Komplikation der Cholelithiasis eine Choledocholithiasis mit Cholestase, eine Cholangitis oder biliäre Pankreatitis. Häufig ist die Cholestase im Sinne einer Stein- oder Sludgepassage selbst-limitierend. Die Pa­ tientin sollte zunächst stationär aufgenommen, ggf. mit Analgetika und Spasmolytika (z. B. Novaminsulfon und Butylscopolamin/Buscopan) und bei systemischen Infekti­ onszeichen mit einem gallengängigen schwangerschaftsgerechten Breitspektrum-An­ tibiotikum behandelt werden. Falls die Cholestasewerte steigen, sollte zunächst eine Diagnostik durch wiederholten Ultraschall und durch MR-Cholangiografie erfolgen. Dies erleichtert die Beurteilung der Gallengangobstruktion und die Entscheidung für eine folgende therapeutische endoskopische retrograde Cholangio-Pankreatikografie (ERCP). Eine ausschließlich diagnostische ERCP ist bei einer Schwangeren nicht ge­ rechtfertigt. In mehreren Fallserien konnte für die ERCP eine gut mögliche Durchführbar­ keit mit niedrigen Komplikationsraten für Mutter und Kind innerhalb der gesamten Schwangerschaft gezeigt werden. Bei über 90% der Patientinnen wurde ein norma­ ler Schwangerschaftsverlauf mit zeitgerechter Geburt und nur sehr geringen Raten (< 10%) an Frühgeburten, Kaiserschnitten, niedrigem Geburtsgewicht und der Not­ wendigkeit zu Tokolyse beobachtet. Nachbeobachtungszeiten bis > 2 Jahre zeigten für Patientinnen und deren Kinder keine Sterblichkeit, keine erhöhte Rate an hämatoon­ kologischen Erkrankungen und keine Malformationen. Bei < 5% der Patientinnen zeigte sich eine milde, konservativ zu behandelnde Pankreatitis mit rascher Rückbil­ dung, bei < 2% eine klinisch nicht relevante Blutung im Bereich der Papilla vateri, und bei < 1% führte eine ERCP im 3. Trimenon zur Ausbildung einer Präeklamp­ sie [3, 14, 20, 39–43]. Die maximal applizierte Strahlendosis lag in allen Studien unter der allgemein akzeptierten Schwellendosis für eine Induktion fetaler Missbildungen,

10.6 Akute biliäre Pankreatitis

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161

die bei etwa 5 mSv innerhalb des 1. Trimenons liegt [39–42, 44–47]. Die ultraschall­ gesteuerte Cholangiografie oder eine Videocholedochoskopie sind Alternativen zur Vermeidung von Strahlung, erfordern aber eine spezielle, selten vorgehaltene Exper­ tise [48]. Als Konsequenz aus der aktuellen Studienlage kann daher die ERC bei der Thera­ pie einer symptomatischen Choledocholithiasis während der Schwangerschaft als pri­ märes Behandlungsverfahren angesehen werden. Besteht im Rahmen der klinischen oder radiologischen Diagnostik (Ultraschall, MRCP) eine Choledocholithiasis, sollte eine ERCP mit Papillotomie und Steinextraktion erfolgen. Lässt sich eine vollständige Steinextraktion nicht erreichen oder werden die summierten Durchleuchtungszeiten zu lange, sollte ein Gallengangstent eingebracht werden. Im Rahmen der ERC sollte zum bestmöglichen Schutz der Uterus so weit wie mög­ lich mit einer Bleischürze abgedeckt, die Patientin auf die linke Körperseite gelagert (Uterus weniger im Strahlenfeld, Reduktion der Kompression der V. cava inferior) und darauf geachtet werden, den Uterus bei der Papillotomie nicht zwischen Spinkterotom und Elektrode zu platzieren [4, 14, 39, 42, 43]. Nach einer Steinextraktion durch ERC besteht bei Cholezystolithiasis zur Vermei­ dung eines Rezidivs mit kompliziertem Verlauf die Indikation zur laparoskopischen Cholezystektomie, wenn möglich noch innerhalb des gleichen stationären Aufenthal­ tes, zumindest vom Ende des 1. Trimenons bis zum Beginn des 3. Trimenons. Ledig­ lich im 3. Trimenon sollte aufgrund des Risikos einer vorzeitigen Induktion von Wehen durch eine verstärkte Uterus-Manipulation und der engen anatomischen Verhältnisse die Cholezystektomie auf einen frühen Termin innerhalb der ersten drei Monate post partum verlegt werden.

10.6 Akute biliäre Pankreatitis Eine akute Pankreatitis ist die für Mutter und Feten schwerwiegendste Komplikation während der Schwangerschaft. Als Hauptursache zeigt sich in 60–100% eine Chole­ lithiasis, seltener sind eine familiäre Hypertriglyzeridämie (10–30%), ein Alkohola­ busus (5–10%) oder andere Ursachen (z. B. medikamentös-toxisch). Bei Frauen mit einer familiären Hypertriglyzeridämie kann die Schwangerschaft die Hyperlipopro­ teinämie verstärken und dadurch zu einer akuten Pankreatitis führen [49]. Die Inzi­ denz während einer Schwangerschaft beträgt 1 zu 3000, und Frauen mit mehrfachen Schwangerschaften sind häufiger betroffen. Während die akute Pankreatitis im 1. und 2. Trimenon (10–20%) noch relativ selten auftritt, so steigt das Risiko im 3. Trimenon (40–50%) und den ersten 3 Monaten post partum (30–40%) an [3, 50, 51]. In den 80erund 90er-Jahren war eine akute Pankreatitis in der Schwangerschaft mit einer hohen Mortalität (bis zu 20%) für die Mutter und für das Kind (bis zu 50%) verbunden. Heute liegt in großen klinischen Studien die Mortalitätsrate für die Mutter bei 0–3% und für das Kind bei 3–5%. Diese positive Entwicklung ist Folge einer interdisziplinären Be­

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handlung mit verbessertem klinischen, intensivmedizinischen und perinatalen Ma­ nagement von Mutter und Fet [3, 13, 50, 53]. Das höchste Mortalitätsrisiko für Mutter und den Feten besteht, wenn die Pankreatitis im 1. oder 2. Trimenon auftritt oder eine schwere nekrotisierende Form der Pankreatitis vorliegt.

Diagnostik und Evaluation des Krankheitsbildes Typischerweise präsentiert sich die Patientin mit gürtelförmigen Oberbauchschmer­ zen, die in den Rücken ausstrahlen, Übelkeit, Erbrechen, Fieber und Appetitlosigkeit. Das Gesamtbild aus klinischen Symptomen, Untersuchungsbefund („Gummibauch“), erhöhten Entzündungszeichen und ein mehr als um das 3-fache erhöhter LipaseWert lässt mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine akute Pankreatitis schließen. Der Ultraschall des Abdomens hat für die Beurteilbarkeit des Pankreas keine hohe Aus­ sagekraft, kann aber eine Cholezystolithiasis mit 98% Sensitivität und 95% Spezifität nachweisen und als Hinweis auf eine Choledocholithiasis ein erweitertes Gallen­ gangsystem nachweisen. Als weiterführende Diagnostik kommt in Einzelfällen die Endosonografie zur Feindiagnostik des Gallengangsystems im Bereich des Pankre­ askopfes in Betracht. Hierdurch können auch kleine vor der Papilla vateri gelegene Steine diagnostiziert werden. Der Nachteil dieses Verfahren liegt in der notwendigen Sedierung, die das Risiko der Aspiration birgt. Von Vorteil ist, dass dieses Verfahren unmittelbar mit einer anschließenden ERCP zur Steinentfernung kombiniert werden kann. Alternativ kann auch zur nicht invasiven Darstellung des Gallengangsystems ei­ ne Magnetresonanz-Cholangiopankreatikografie (MRCP) durchgeführt werden. Diese Untersuchungstechnik hat den Vorteil, dass ohne Strahlenbelastung die Gallengänge sowie das Pankreasgangsystem, einschließlich möglicher Nekrosen und Pseudozys­ ten, beurteilt werden können. Auf eine Computertomografie sollte, auch wenn die Belastung bei einer modernen CT-Untersuchung mit 25–80 mSv als relativ gering und mit niedriger teratogener Potenz einzustufen ist, verzichtet werden [6, 41, 44, 49, 54]. Zur Einteilung des sehr heterogenen Krankheitsbildes „akute Pankreatitis“ sind zwei Klassifikationen etabliert. Während die 2012 modifizierte Atlanta-Klassifikation (Bradley) den Pankreasschaden sowie das damit verbundene Versagen anderer Or­ gansysteme in drei Stufen einteilt, erlauben die Ranson-und-Balthazar-Kriterien eine Einteilung in zwei Schweregrade und beschreiben in vier Stufen das Mortalitätsrisi­ ko. Diese Klassifikationen sind jedoch nicht für schwangere Patientinnen evaluiert worden und erlauben keine Einschätzung des perinatalen Risikos für den Feten [49, 55, 56]. Bei Nicht-Schwangeren verlaufen 80–90% aller Pankreatitiden als milde öde­ matöse Pankreatitis. Bei biliärer Ursache kommt es in über 80% zu einer schnellen Rückbildung der Entzündung und der Schmerzen durch einen spontanen Stein- oder Sludge-Abgang innerhalb der ersten Woche. Nur 10–15% der Patientinnen entwickeln

10.6 Akute biliäre Pankreatitis

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eine moderate oder schwere Pankreatitis mit Organnekrosen einschließlich peripa­ renchymatösen Flüssigkeitsansammlungen und Multiorganversagen. Die Mortalität der milden Pankreatitis liegt bei 3% und bei der schweren Formen bei 15%, wobei eine Infektion der Nekrosen die Mortalität auf > 30% ansteigen lässt.

10.6.1 Therapeutisches klinisches Vorgehen Das konservative Vorgehen bei Patientinnen mit einer akuten biliären Pankreatitis un­ terscheidet sich in den zentralen Maßnahmen nicht von der Therapie nicht-schwan­ gerer Patientinnen. Zentrale Säulen stellen eine sofortige Überwachung von Mutter und Kind auf einer Intensivstation mit Durchführung einer adäquaten Schmerzthe­ rapie, einer ausreichenden intensiven Elektrolyt- und Flüssigkeitssubstitution sowie eine möglichst frühzeitige enterale Ernährung und Vitaminsubstitution dar. Der Ge­ sundheitszustand des Kindes sollte durch Duplex-Ultraschall und CTG überprüft wer­ den. Durch eine ausreichende Schmerzmedikation sollte der physische und psychi­ sche Stress von Mutter und Kind möglichst reduziert werden. Bei der meist vorhan­ denen Hypovolämie sollten frühzeitig und großzügig Elektrolyte und Flüssigkeit i. v. gegeben werden. Eine Substitution von 250–700 ml/h Ringer-Lactat reduziert deut­ lich das Auftreten einer Sepsis und führt zu einer Reduktion der Mortalität innerhalb dieses Patientenkollektivs. Durch ein intensives Monitoring des Flüssigkeitshaushalts (z. B. Picco-Katheter) sowie des Kalziumspiegels sollten bei den schwangeren Patien­ tinnen eine Übertransfusion und die Ausbildung eines Lungenödems mit ggf. Intuba­ tionspflichtigkeit vermieden werden. In Studien hat sich gezeigt, dass eine enterale der parenteralen Ernährung vorzuziehen ist, da hierdurch Komplikationen wie Ka­ thetersepsis verringert werden können. Ein Überlebensvorteil und eine geringere Ra­ te an Multiorganversagen wurden beobachtet, wenn die enterale Ernährungstherapie innerhalb der ersten 48 Stunden begonnen wurde. Die enterale Ernährung kann bei schwerer Pankreatitis mit Oberbauchatonie und Beatmung entweder über eine trans­ jejunale Sonde oder Magensonde erfolgen. Bei Patientinnen mit einer milden Form einer akuten Pankreatitis kann nach Rückbildung der klinischen Symptome Übelkeit, Erbrechen und Oberbauchschmerzen langsam mit einer oralen Nahrungsaufnahme begonnen werden. Bei milder Pankreatitis kann auf eine prophylaktische Antibio­ se verzichtet werden, da sich hieraus in Bezug auf die Krankheitsprogredienz und Komplikationsraten kein Vorteil ergibt. Patientinnen mit einer initial bereits schweren Pankreatitis und beginnender Sepsis, einer Choledocholithiasis mit Cholangitis, infi­ zierten Nekrosen oder infizierten Flüssigkeitskollektionen (nach CT-gesteuerter Punk­ tion, Gallenabstrich bei ERC) sollten eine schwangerschaftsadäquate BreitspektrumAntibiose erhalten und die Therapie sollte im Verlauf nach Antibiogramm angepasst werden [6, 49, 50, 52, 55–57].

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10.6.2 Operative und interventionelle Therapie Die Empfehlungen zur Behandlung von Schwangeren mit einer akuten biliären Pan­ kreatitis beruhen auf retrospektiven Fallserien mit relativ geringen Patientenzahlen. Das Stadium der Schwangerschaft sowie die Ausprägung der Pankreatitis und deren Komplikationen müssen berücksichtigt werden. Schwangere Patientinnen mit Gallensteinpankreatitis erleiden häufiger und früh­ zeitiger ein Rezidiv, in etwa 90% noch innerhalb des primären Krankenhausaufent­ haltes. Dagegen liegt in einem normalen Patientenkollektiv mit biliärer Pankreatitis die Rezidivrate nur bei 20–30%. Zur Verhinderung eines Rezidivs sollte daher noch im gleichen Krankenhausaufenthalt die laparoskopische Cholezystektomie erfolgen. Bei der akuten schweren Pankreatitis steht die intensivmedizinische Behandlung des septischen Krankheitsbildes im Vordergrund, wobei das Leben der Mutter vor dem des Kindes Priorität hat. Ergibt die Diagnostik den Verdacht auf eine Choledocholi­ thiasis mit Cholangitis oder besteht ein Ikterus, so sollte innerhalb der ersten 24 Stun­ den bei schwerer Pankreatitis eine ERCP mit Steinextraktion und Einlage eines Stents erfolgen. Bei Organversagen, peripankreatischen Flüssigkeitsansammlungen, Nekro­ sen oder auch Pseudozysten können CT- oder ultraschallgesteuerte Punktionen oder Drainagen Entlastung schaffen und zu einem Keimnachweis bei bakterieller Besied­ lung der Nekrosen führen. Die laparoskopische Cholezystektomie als definitive The­ rapie der ursächlichen Cholelithiasis sollte nach Abklingen der Entzündungsphase nach 6–8 Wochen durchgeführt und im 3. Trimenon bis in die postpartale Phase ver­ schoben werden [4, 6, 50–52, 56, 57]. Eine Laparotomie mit Nekrektomie der peripankreatischen Nekrosen ist nur bei Verschlechterung der Organfunktionen trotz adäquater Intensivtherapie, besonders beim abdominellen Kompartment-Syndrom, indiziert. Dies ist jedoch nahezu in al­ len Fällen mit einer offenen Bauchbehandlung und Beendigung der Schwangerschaft verbunden. In der Literatur besteht weitgehender Konsens über einen stadiengerechten The­ rapiealgorithmus in Abhängigkeit vom Gestationsalter des Feten und dem Komplika­ tionsrisiko des jeweiligen operativen oder interventionellen Verfahrens. Im 1. Trimenon sollte möglichst konservativ therapiert werden und die laparosko­ pische Cholezystektomie auf das späte 1. Trimenon oder in das 2. Trimenon verscho­ ben werden. Im 2. Trimenon sollte frühzeitig noch während des stationären Aufent­ halts nach Abklingen der initialen Entzündungsphase eine laparoskopische Chole­ zystektomie durchgeführt werden. Im 3. Trimenon ist auch, wenn möglich, konserva­ tiv zu therapieren, oder es sollte bei persistierender Cholestase oder V. a. Cholangitis eine Sphinkterotomie mit Steinextraktion und ggf. Stenteinlage durchgeführt werden. Die laparoskopische Cholezystektomie sollte aufgrund des relativ großen Risikos für ein Rezidiv in die frühe Phase post partum verlegt werden [3, 4, 13, 30, 49–51, 57–59] (Abbildung 10.2).

10.6 Akute biliäre Pankreatitis

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Klinische Synmptome - Oberbauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Fieber, Anorexie

Laborchemische Diagnostik - Amylase, Lipase - Cholestaseparameter - Leberenzyme - CRP, Leukozyten

Stationäre Aufnahme und klinische Untersuchung - Persönliche und familiäre Anamnese - Alkoholkonsum - Medikamente

Radiologische Diagnostik - Ultraschall - Endosonographie - MRCP

Akute biliäre Pankreatitis

Intensivmedizinische Therapie - Monitoring Schwangerschaft - Elektrolyt- und aggressive Flüssigkeitssubstitution - Frühzeitige enterale Ernährung - Adäquate Schmerztherapie

1.Trimenon Konservative supportive Therapie und laparoskopische Cholezystektomie Ende 1. oder 2. Trimenon

2. Trimenon Laparoskopische Cholezystektomie

3. Trimenon Konservative supportive Therapie oder ERCP mit Spinkterotomie, Steinextraktion und ggf. Stenteinlage und laparoskopische Cholezystektomie in früher postpartum Periode

Abb. 10.2: Therapiealgorithmus zur Behandlung der biliären Pankreatitis während der Schwanger­ schaft.

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Merke: Bei Komplikationen der Cholelithiasis durch Cholezystitis, Gallengangsteine oder Pankrea­ titis sollte auch nach spontanem Abklingen der Symptome („Steinpassage“) oder Intervention (ERC, Stent) immer eine laparoskopische Cholezystektomie als Sekundärprophylaxe erwogen wer­ den.

Zusammenfassend lässt sich für die symptomatische und komplikative Cholelithiasis während der Schwangerschaft feststellen, dass aufgrund des heute erreichten hohen perioperativen und periinterventionellen Sicherheitsniveaus mit niedrigen Komplika­ tionsraten für Mutter und ungeborenes Kind frühzeitig an ein operatives und/oder interventionelles therapeutisches Vorgehen gedacht werden sollte, um hochkompli­ kative Verläufe bis hin zu zweistelligen Mortalitäts- und Abortraten zu vermeiden.

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Martin Wolff

11 Erkrankungen der Bauchwand Bauchwand, Beckenboden und Zwerchfell bilden ein muskulo-aponeurotisches Sys­ tem, das die Baucheingeweide entgegen der Schwerkraft in Position hält. Schwanger­ schaft und Geburt bedeuten für Bauchwand und Beckenboden der Frau ein erhebliches Trauma, nicht immer erholt sich jede Frau von diesem Schaden. Die Prädilektionsstel­ len für Probleme liegen an den Verbindungen vom Inneren der Bauchhöhle nach au­ ßen: Am Nabel, in der Leistenregion, am Hiatus ösophagei und an den Sphinctersys­ temen des Beckenbodens. Eine große Zahl von Empfehlungen zur Vorbeugung oder Nachbehandlung von Bauchwandproblemen bei Schwangerschaft lässt sich in Foren und Blogs des Internets finden, es gibt jedoch wenig wissenschaftliche Evidenz.

11.1 Anatomie und Physiologie Während der Schwangerschaft kommt es zu einer progressiven Ausdehnung der Bauchdecke und Absenkung des Beckenbodens. Ähnlich wie bei Patienten mit As­ zites oder Peritonealdialyse kommt es offenbar zu einer physiologischen Relaxation der Bauchwand mit Dehnung des myofaszialen Systems und der Aponeurosen, so­ dass der intraabdominelle Druck lange normwertig bleibt und nur gegen Ende der Schwangerschaft auf Werte über 12 mmHg ansteigt [1, 2]. Die physiologische Basis für diese Relaxation ist nicht ausreichend geklärt. Die Bauchdecke und der Beckenboden weichen dem sich vergrößernden Uterus schritt­ weise aus. Ab der 12. Woche wird der Uterus zu einem intraabdominellen Organ und lässt sich oberhalb der Symphyse tasten. In der 22.–24. Woche wird die Höhe des Na­ bels erreicht und ab der 36. Woche das Xiphoid (Abbildung 11.1). Etwa 4 Wochen vor der Geburt kommt es dann durch Absenkung des Beckenbo­ dens und Beckenerweiterung zu einer Absenkung des Uterus. Während des letzten Trimenons liegt der Uterus normalerweise vor der Bauchwand und vor der Leistenre­ gion (Abbildungen 11.1 und 11.2). Von F. Stelzner ist die Umhüllung der Bauchhöhle durch ein scherengitterartiges Faszienskelett beschrieben worden, das durch den variablen Ruhetonus der Bauch­ wandmuskeln unter Spannung gehalten wird [3]. Insbesondere die lateralen Bauch­ muskeln, aber auch das Zwerchfell und die Beckenbodenmuskulatur sind Teil dieses fasziomuskulären Systems, das als funktionelle Einheit verstanden werden muss. Da am Zwerchfell und Beckenboden die Abschlussmechanismen für den oberen und un­ teren Gastrointestinaltrakt verankert sind, verwundert es nicht, dass mit der Vergrö­ ßerung der Bauchhöhle während der Schwangerschaft die Beschwerden durch gastro­ ösophagealen Reflux und Inkontinenz zunehmen. DOI 9783110414134-011

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Abb. 11.1: Entwicklung der Schwangerschaft in Bezug zur Bauchwand. Potenzielle Bruchpfor­ ten der vorderen Bauchwand werden durch den Uterus abgedeckt, daher geringes Risiko für eine Inkarzeration von Darmanteilen.

Abb. 11.2: MRT mit Schwangerschaft in der 35. Woche. Abdeckung der Bruchpforten durch den Uterus mit geringem Risiko einer Inkarzeration.

Es gibt Hinweise, dass es durch die Dehnung der Bauchwand während der Schwangerschaft und beim Geburtsvorgang zu einer Schädigung der Innervation von Bauchwand und Beckenboden kommt [4]. Bei einigen Frauen bilden sich diese Schäden offensichtlich nicht zurück, sodass ein „Wabbelbauch“ (flabby abdomen) und eine lebenslange Inkontinenz zurückbleiben (Abbildung 11.6). Während der Schwangerschaft ändert sich die Zusammensetzung der Muskelfa­ sern: Mit der Erhöhung des intraabdominellen Volumens kommt es in der Rektusmus­ kulatur zu einer erheblichen Zunahme der langsamen Typ-I-Muskelfasern, die einen

11.2 Intraabdomineller Druck | 171

hohen Myoglobingehalt („rote Muskulatur“) und niedrigere ATPase-Aktivität gegen­ über den schnelleren Typ-II-Fasern aufweisen [5, 6]. Unter Einfluss der in der Schwangerschaft erhöhten Steroidhormone Östrogen, Progesteron und Cortisol und dem Schwangerschaftshormon Relaxin wird das Binde­ gewebe lockerer und es lagert sich Flüssigkeit ein. Relaxin ist ein Peptidhormon, das verschiedene Schwangerschafts-assoziierte Veränderungen der Cervix uteri, der Vagi­ na und der Bauchwandmuskulatur vermittelt. Der wesentliche Mechanismus ist dabei die Remodellierung der extrazellulären Matrix durch vermehrten Abbau und verrin­ gerte Neusynthese von Kollagen-Fasern [7]. Äußerlich erkennbar wird diese KollagenSynthesestörung an einer Verbreiterung der Linea alba und den Schwangerschafts­ streifen. Die Linea alba ist die Fusionszone aller Aponeurosen der Bauchwand, es über­ kreuzen sich hier die sehnigen Ansätze der Mm. obliqui externi, interni und trans­ versi. Die Verbreiterung der Linea alba als Rektusdiastase ist ab dem 2. Trimenon der Schwangerschaft physiologisch und bildet sich wie auch die Striae distensae gravidar­ um (Schwangerschaftsstreifen) nach der Geburt weitgehend zurück. Die Ausprägung der Rektusdiastase ist abhängig von der Zahl der Schwangerschaften und Alter der Mutter und assoziiert mit einer Beckenboden-Dysfunktion, dem Auftreten von Harnund Stuhl-Inkontinenz und Organprolaps [8]. Häufig wird während der Schwanger­ schaft die Linea alba durch Hyperpigmentierung zur Linea nigra. Durch die Vorwölbung des Abdomens verlagert sich der Körperschwerpunkt nach ventral und es resultiert eine kompensatorische Hyperlordose im lumbosakralen Be­ reich mit Kippung des Beckens nach ventral zur Entlastung der Bauchwand [9]. Durch das laterale Abweichen der Rektusmuskulatur kann das Becken beim Gehen schlech­ ter stabilisiert werden [10]. Die Folgen sind häufig Rückenschmerzen durch Anspan­ nung der Muskeln, Ligamente im unteren Lendenwirbelbereich und ein typischer „Watschel-Gang“ [9] mit nach außen gerichteten Füßen: The proud walk of pregnancy (W. Shakespeare). In der Schwangerschaft besteht durch diese kurzfristigen Änderun­ gen der Körperstatik ein erhöhtes Sturzrisiko (siehe Kapitel 16 Traumatologie). Über die Rückbildung der strukturellen und funktionellen Defizite der Bauch­ wand nach einer Schwangerschaft existieren nur wenige Daten. Die Mehrzahl stammt aus dem Bereich der Physiotherapie und zeigt, dass die Linea alba in etwa 50% der Fälle 6 Wochen post partum noch nicht den Ausgangszustand erreicht hat und dass nach 8 Wochen noch funktionelle Defizite der Rektus-Muskulatur nachweisbar sind [10].

11.2 Intraabdomineller Druck Aufgrund des exponentiellen Wachstums des Feten und der S-förmigen ComplianceKurve (Druck-Volumen-Beziehung) nimmt die Wandspannung der Bauchdecke, aber auch des Beckenbodens gegen Ende der Schwangerschaft erheblich zu. Es besteht

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vor Entbindung ein erhöhter intraabdomineller Druck, der interindividuell sehr varia­ bel ist und nach Entbindung auf normale Werte absinkt. Die Messungen des Drucks werden durch Lagerung, Art der Anästhesie und Body Mass Index maßgeblich beein­ flusst [11]. Obwohl bereits 1913 durch den englischen Gynäkologen R. H. Paramore (zitiert in [2]) der intraabdominelle Druck transrektal bei Schwangeren gemessen wurde, ist die Bedeutung derartiger Druckmessungen für den Schwangerschaftsverlauf, Indi­ kationen zur Sectio, Probleme des Beckenbodens und der Bauchwand unklar [1, 2]. Der intraabdominelle Druck wird über einen Blasenkatheter gemessen, und der Nor­ malwert liegt zwischen 0 und 7 mmHg. Die Definitionen von Normwerten, erhöhtem intraabdominellem Druck (> 12 mmHg) und abdominellem Kompartmentsyndrom (ACS > 20 mmHg) basieren auf einem Konsensus der World Society of Abdominal Compartment Syndrome [11, 12]. Die Druckmessungen bei Schwangeren werden übli­ cherweise im Liegen unter Spinalanästhesie durchgeführt. Es hat sich gezeigt, dass vor einer Sectio unter diesen Bedingungen der intraabdominelle Druck pathologisch erhöht ist im Vergleich zur Druckmessung nach Sectio [1, 2]. Der intraabdominelle Druck ist bei Schwangeren mit vorbestehender Adipositas höher, vermutlich durch eine schlechtere Compliance der Bauchwand [2]. Es gibt Hinweise für eine Assoziation von erhöhtem intraabdominellem Druck während der Schwangerschaft und Spätges­ tosen wie Eklampsie und Präeklampsie [2]. Die Dehnbarkeit der Bauchwand wird wie auch bei anderen Körperhöhlen (z. B. Thorax, Perikard oder Schädel) als Compliance beschrieben. Diese abdominelle Com­ pliance (AC) kann durch das Verhältnis der Änderung des intraabdominellen Volu­ mens (IAV) durch Änderung des intraabdominellen Druckes (IAP) beschrieben wer­ den: AC = ∆IAV/∆IAP. Der reziproke Wert der Compliance (1/AC) ist der elastische Widerstand der Bauchwand gegenüber Druckerhöhungen. Da die Bauchdecke nur be­ grenzt dehnbar ist, kann es besonders gegen Ende der Schwangerschaft durch geringe Volumenzunahme zu erheblichen Drucksteigerungen kommen.

11.3 Schwangerschafts-assoziierte Schmerzen In kontrollierten Studien klagen 26–91% aller Frauen mit zunehmender Schwanger­ schaft über Schmerzen im Lendenbereich oder Beckengürtel (lumbo-pelvic pain). Die­ se Schmerzen nehmen zum Ende der Schwangerschaft hin zu und sind bei adipösen Müttern ausgeprägter [13, 14]. Die Ursache liegt in einer Lockerung der ligamentären Verbindungen des Becken­ rings, der iIeosakralen Bänder und Symphyse mit Dehnung der Nerven in Verbindung mit den o. g. statischen Veränderungen beim Gehen und Stehen durch Verlagerung des Körperschwerpunktes nach ventral. Eine weitere Komponente ist die zunehmen­ de Spannung des Ligamentum teres uteri (rotundum), das beidseits bogenförmig vom Uterus zum Leistenkanal zieht.

11.4 Hernien

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Bei der Beurteilung von Schmerzen im Bauch- und Beckenbereich während und nach einer Schwangerschaft muss bedacht werden, dass die Schmerzwahrneh­ mung und -verarbeitung abhängig ist von psychosozialen Faktoren und Persönlich­ keitsmerkmalen. Vorbestehender chronischer Beckenschmerz und neuropathische Schmerzen können durch eine Schwangerschaft erheblich zunehmen und werden heute als Dysfunktion des nozirezeptiven Systems beschrieben [15]. Wie auch beim chronischen Beckenschmerz junger Frauen ohne Schwangerschaft scheinen Trau­ matisierungen in der Kindheit durch sexuellen Missbrauch zu einer gesteigerten Schmerzwahrnehmung im Bereich von Becken und Bauchwand während der Schwan­ gerschaft zu führen [16]. Früher wurde bei diesen Beschwerden zu Ruhe, Bauchbinden und Abwarten gera­ ten. Das Resultat waren oft noch bis lange nach der Entbindung anhaltende Beschwer­ den, unabhängig von den psychologischen Auswirkungen von Schmerz und Bettruhe und damit verbundenen Schlafstörungen bis hin zu Depressionen. Heute stehen da­ gegen gezielte physiotherapeutische Übungen zur Stärkung der Haltemuskulatur im Vordergrund, sodass sich die Beschwerden auch post partum schneller rückbilden. Mit manueller Therapie, Akupunktur oder Yoga lassen sich ebenfalls Verbesserun­ gen erzielen [13]. Obwohl eine Rückbildungsgymnastik zur Vermeidung einer Chro­ nifizierung der Schmerzen allgemein empfohlen wird, ist der positive Effekt in rando­ misierten kontrollierten Studien nicht erwiesen [14, 15] und es besteht Unklarheit über den besten Startzeitpunkt hierfür und die notwendigen Übungselemente zur Stabili­ sierung der einzelnen Muskelgruppen.

11.4 Hernien Hernien (Bauchwandbrüche) sind Lücken (Bruchpforte) in der myoaponeurotischen Umhüllung der Baucheingeweide mit Ausstülpung des Peritoneums (Bruchsack). Sie treten in Form von ventralen Hernien in der Mittellinie auf (Nabel- oder epigastrische Hernien) oder im Leistenbereich als inguinale oder femorale Hernie. Am Zwerchfell werden Hiatushernien in der Schwangerschaft oft durch zunehmenden Reflux sym­ ptomatisch, Beschwerden durch vordere und hintere Hernien des Zwerchfells (Boch­ dalek, Morgagni) oder des Beckenbodens sind dagegen relativ selten. Es ist zu ver­ muten, dass Bauchwandhernien nicht durch eine Schwangerschaft per se verursacht werden, sondern vorbestehen, sich vergrößern und symptomatisch werden, dies gilt insbesondere auch für Narbenhernien. Abgesehen von einem Häufigkeitsgipfel im Säuglings- und Kleinkindalter nehmen Bauchwandhernien bei Frauen wie Männern mit dem Alter zu, sind aber insgesamt bei Männern häufiger der Anlass für eine Operation. Die Epidemiologie von Hernien kann aufgrund von Operationsregistern nur abgeschätzt werden, weil die Prävalenz von Hernien grundsätzlich höher ist als die Operations-Häufigkeiten. Im nationalen däni­ schen Hernienregister war bei Hernien der vorderen Bauchwand die Operationsindi­

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kation für Umbilicalhernien und epigastrische Hernien im Verhältnis 4 : 1 verteilt. Das Geschlechterverhältnis bei Nabelhernien beträgt 68% Männer zu 32% Frauen, bei epi­ gastrischen Hernien 55% zu 45%. Vordere Bauchwandhernien werden ganz überwie­ gend nach dem 45. Lebensjahr, bei peri- und postmenopausalen Frauen operiert [17]. Das dänische Hernienregister liefert auch für die Hernien im Leistenbereich epide­ miologische Daten: Operationen erfolgen in 97% aufgrund von Inguinalhernien (ober­ halb des Leistenbandes), davon etwa 90% bei Männern, und in 3% aufgrund von Fe­ moralhernien (unterhalb des Leistenbandes), davon etwa 70% bei Frauen. Die bei Frauen häufiger vorkommenden Femoralhernien werden jedoch nahezu immer jen­ seits des 70. Lebensjahres operiert [18]. Bauchwandhernien bei Frauen im gebärfähigen Alter werden demnach sehr sel­ ten operiert, und es existieren weder randomisierte Studien noch evidenzbasierte Leit­ linien zu diesem Thema [19]. Die überwiegende Zahl der Fallzusammenstellungen und Fallberichte stammt aus Ländern der Dritten Welt, in denen multiple Schwangerschaf­ ten häufig, der Zugang zur ärztlichen Versorgung jedoch limitiert ist.

11.4.1 Vordere Bauchwand: Nabel- und epigastrische Hernie Eine symptomatische Nabelhernie ist die häufigste Bruchform, die in der Schwanger­ schaft in Erscheinung tritt. Von einem Verstreichen des Nabels im Hautniveau bis hin zu mehreren cm großen Vorwölbungen besteht ein fließender Übergang. Für einige Schwangere scheint eine Leibbinde hilfreich zu sein. Eine Inkarzeration von Darm­ abschnitten ist außerordentlich selten. Meist sind die Beschwerden durch den sich ausdehnenden Bruchring bedingt. Eine Operationsindikation während der Schwangerschaft besteht nur bei me­ chanischen Problemen aufgrund der Größe oder drohender Hautmazeration. In ei­ ner Reihe von Einzelfällen (zusammengefasst in [19]) wurde über die notfallmäßige Versorgung von Hernien während der Schwangerschaft mit direkter Naht oder auch Kunststoff-Netzen berichtet. Hierzu zählen Situationen mit Inkarzeration von Uterus­ myomen und Verlagerung des gesamten Uterus in riesige Nabelhernien oder Narben­ hernien. Eine erfolgreiche laparoskopische Hernienreparation während der Schwan­ gerschaft mit Kunststoffnetz wurde in Einzelfällen ebenfalls beschrieben [20]. Allge­ meine Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Erfahrungen nicht ableiten, außer, dass eine Hernienoperation in der Schwangerschaft nur sehr selten erforderlich ist. Von größerer Bedeutung ist die Frage, welche Operationstechnik zum Hernienver­ schluss bei Frauen im gebärfähigen Alter in Hinblick auf eine Schwangerschaft ange­ wendet werden sollte. In einer retrospektiven Kohortenstudie wurde aufgrund von Daten des däni­ schen Hernien-Registers untersucht, wie hoch die kumulativen Rezidivraten nach Verschluss von Epigastrischen und Nabelhernien und nachfolgender Schwanger­ schaft in Abhängigkeit vom Operationsverfahren sind. Nach einer mittleren Nach­

11.4 Hernien

| 175

beobachtungszeit von 3,8 Jahren bei 224 Frauen betrug die Rezidivrate nach NetzReparation 16,3% und nach einfacher Naht 10,9%. Nach Adjustierung für die Risiko­ faktoren Body Mass Index und Größe der Bruchlücke bestand wider Erwarten kein Unterschied in den Rezidivraten in Bezug auf das Operationsverfahren [21]. In der größten Fallzusammenstellung (n = 27) wurden nach einfachem Naht­ verschluss vorderer Bauchwandhernien vor einer Schwangerschaft keine Rezidive beobachtet, allerdings ohne Angabe der Nachbeobachtungszeit und Angaben zum Schwangerschaftsverlauf [22]. Eine laparoskopische Versorgung von ventralen Bauchwandhernien in der IPOMTechnik (intraperitoneal onlay mesh) hat insbesondere bei Frauen mit Adipositas und nicht zu großen Hernien den theoretischen Vorteil kleiner Zugangsinzisionen mit ge­ ringer Morbidität durch Wundheilungsstörungen. Die mit Methylzellulose oder PTFE beschichteten Prolene-Netze werden dabei laparoskopisch intraperitoneal gegen die Bauchwand gelegt und mit einer Kombination von Nähten und Tackern fixiert. In ei­ ner kleinen Beobachtungsstudie wurde über sieben Frauen mit Schwangerschaft nach einer solchen IPOM-Operation berichtet [23]. Sechs dieser Frauen hatten im letzten Tri­ menon der ansonsten unauffälligen Schwangerschaft Schmerzen der Bauchwand, die auf das mesh zurückgeführt wurden und stärker waren als die Beschwerden durch die Hernie vor der Schwangerschaft. In einigen Fallkontrollstudien [24, 25] wurde der Verschluss von Nabelhernien im Rahmen des Bauchwandverschlusses nach Sectio untersucht. Hierbei stellte sich eine relativ hohe Rezidivrate von 28% heraus, es ist unerheblich, ob der Verschluss hier­ bei von innen oder außen erfolgt. Der Vorteil liegt in der Vermeidung eines zweiten Eingriffs und der besseren Kosmetik nach Verschluss von innen. Hernien der vorde­ ren Bauchwand können zudem simultan im Rahmen einer Raffung der Rektusdiastase und Abdominoplastik verschlossen werden (siehe unten).

11.4.2 Leisten- und Schenkelhernien Schmerzen im Leistenbereich während der fortgeschrittenen Schwangerschaft sind häufig und dann gelegentlich Anlass einer Vorstellung bei einem Chirurgen. Die Ver­ dachtsdiagnose Leistenhernie ist in der Schwangerschaft oft falsch, und es muss an die Varikosis des Ligamentum rotundum gedacht werden [26]. In der Literatur sind keine inkarzerierten Hernien des Leistenbereiches während der Schwangerschaft be­ schrieben, dies ist erstaunlich, da sich die Bruchpforten mit der Dehnung der Bauch­ wand erweitern. Vorbestehende Inguinal- oder Schenkelhernien können auf diese Weise symptomatisch werden. In einer Studie wurden 12 Schwangere mit 7 Leistenund 5 Nabelhernien beobachtet. Notfalloperationen waren nicht erforderlich, sodass die Hernien nach 4–52 Wochen post partum operiert wurden [27]. Ein watchful waiting scheint somit gerechtfertigt zu sein. Häufig bilden sich die Symptome auch nach der Entbindung vollständig zurück.

176 | 11 Erkrankungen der Bauchwand

Für die Operation von Inguinal- oder Schenkelhernien bei Frauen im gebärfähigen Alter gibt es keine evidenzbasierten Empfehlungen. Grundsätzlich bestehen die glei­ chen Operationsindikationen und Operationstechniken wie bei älteren Frauen. Es ist zu bedenken, dass Inguinal- und Femoralhernien besonders bei Frauen auch simul­ tan vorkommen können. Bei den großteils angeborenen lateralen Inguinalhernien im Sinne eines offenen Processus vaginalis entlang des Lig. rotundum wird von der Mehr­ zahl der Autoren und im eigenen Vorgehen ein Nahtverfahren nach Shouldice favori­ siert [28]. Bei großem Bruchring und aufgebrauchter Fascia transversalis ist eine Ope­ ration nach Lichtenstein mit Implantation eines Kunststoffnetzes zur Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals empfehlenswert. Eine endoskopische Versorgung von Hernien im Beckenbereich bei jungen Frauen nach der TAPP- (transperitoneal) oder TEP- (präperitoneal) Technik ist möglich, aber auch bei den klassischen Indikationen (Rezidiv und bilaterale Hernie) wegen der prinzipiell möglichen Adhäsionen mit dem Risiko einer sekundären Infertilität kritisch zu sehen. Diese Empfehlung ist zwar nicht evidenzbasiert, kann aber juristische Relevanz haben. Ein endoskopisches Verfahren zum Hernienverschluss in Verbindung mit einer Tubenligatur halten wir dagegen für vertretbar. Merke: Hernien der Bauchwand sollten prinzipiell frühestens 3–6 Monate nach Entbindung, aber spätestens vor der nächsten Schwangerschaft operativ verschlossen werden.

Wenn möglich, sollte eine Hernienreparation nach der Entbindung erfolgen, die schwangerschafts-bedingten Veränderungen der Bauchwand sind dann weitgehend zurückgebildet. Dies gilt auch für Narbenhernien. Eine Operation während der Schwangerschaft hat den Nachteil einer schlechteren Wundheilung und Naht un­ ter zunehmender Spannung. Die Operationstechniken unterscheiden sich nicht im Vergleich zu älteren Frauen. Laparoskopische Techniken mit Verwendung relativ gro­ ßer intraperitonealer Kunststoffnetze sind in Einzelfällen beschrieben, aber führen zu Schmerzen in der Schwangerschaft [23] und potenziell zu Adhäsionen und sollten daher bei Frauen im gebärfähigen Alter vermieden werden.

11.5 Varikosis des Ligamentum rotundum Eine wichtige Differenzialdiagnose zur Leistenhernie in der Schwangerschaft ist die Varikosis des Ligamentum teres uteri („rotundum“). Viele der Patienten, die wäh­ rend der Schwangerschaft mit Leistenschwellung chirurgisch vorgestellt werden, ha­ ben dieses Krankheitsbild [26]. Die Ursache ist eine Kompression der Beckenvenen, besonders links, ab dem 3. Trimenon durch den Uterus. Klinisch besteht eine kom­ primierbare, schmerzhafte Schwellung meist in beiden Leisten (Abbildung 11.3 a b). Ähnlich wie bei einer Leistenhernie kann diese beim Pressen, Husten oder Aufste­

11.6 Probleme nach Sectio | 177

Abb. 11.3: 32-Jährige in der 21. SSW mit symptomatischer Leistenhernie (offener Processus vagina­ lis) und (b) Varikosis des Lig. rotundum. Der Bruchsack wurde am inneren Leistenring ligiert, das Lig. rotundum mit den Varizen reseziert und die Bruchlücke durch Dopplung der Fascia transversalis (Operation nach Shouldice) verschlossen. Schnittführung über dem Leistenkanal im Verlauf einer Tätowierung.

hen an Größe zunehmen. Die Diagnostik durch farbkodierte Duplex-Sonografie zeigt ein typisches komprimierbares Gefäßkonvolut [29]. Eine spezifische Behandlung ist nicht erforderlich. Falls bei Verdacht auf Leistenhernie nur ein solches Venenkonvolut gesehen wird, kann dieses exzidiert werden [30]. Die Varikose bildet sich nach der Entbindung folgenlos zurück, sodass bei korrekter Diagnosestellung keine Operation erforderlich ist. Merke: Die Diagnose Leistenhernie in der Schwangerschaft ist oft falsch, an Varikosis des Liga­ mentum rotundum denken!

11.6 Probleme nach Sectio Die Zahl der Entbindungen durch Sectio caesarea ist in Deutschland in den letzten Jah­ ren mit einem aktuellen Anteil von 32% aller Geburten stark angestiegen. In Deutsch­ land wurden 2012 etwa 210.000 Sectiones durchgeführt, wobei erhebliche regionale Unterschiede bestehen [31]. Damit ist die Sectio der häufigste intraabdominelle ope­ rative Eingriff. Am meisten verbreitet ist die Technik nach Misgav-Ladach, die von Michael Stark in Jerusalem standardisiert wurde. Die Technik ist charakterisiert durch einen Haut­ schnitt etwa 3 cm unterhalb der Spina iliaca anterior (Joel-Cohen-Incision), quere Fas­ zieninzision oberhalb der Linea arcuata und stumpf-digitales Eröffnen des Peritone­ ums. Beim Wundverschluss werden lediglich die Faszie und die Haut genäht.

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Abb. 11.4: (a) und (b) MRT des Abdomens mit Endometriose der Bauchwand in einer Sectio-Narbe.

Obwohl in Deutschland gegenwärtig etwa jedes dritte Kind per Sectio entbunden wird, ist die Zahl der Narbenhernien nicht bekannt. In einer großen Kohortenstudie aus Dänemark lag das kumulative Risiko für eine Hernienreparation nach Sectio bei 0,2%, vermutlich niedriger nach queren Inzisionen als nach Längslaparotomien. Dies ist in Anbetracht der Infektionsraten von > 15% nach Sectio und der weit höheren Inzidenz von Narbenhernien nach anderen Unterbauch-Laparotomien überraschend niedrig [32]. Die wichtigste Differenzialdiagnose zu einer Hernie nach Sectio ist die Endome­ triose der Bauchwand im Bereich der Narbe [33, 34]. Ein Problem, das zunehmend auch durch die Verbreitung von laparoskopisch assistierten suprazervikalen Hyste­ rektomien (LASH) beobachtet wird. Vermutlich wird bei dem Eingriff Endometrium in die Inzisionsstellen der Bauchwand implantiert, das dort zyklusabhängig proliferiert. Merke: Die Diagnose Narbenhernie nach Sectio ist oft falsch: An Endometriose der Bauchwand denken!

Die Symptomatik ist durch eine Verhärtung in der Bauchwand mit Ähnlichkeit zu ei­ ner chronisch inkarzerierten Hernie gekennzeichnet. Die Schmerzen sind nur in etwa 45% typischerweise zyklusabhängig und treten meist mehr als drei Jahre nach der Sectio auf [34]. Zur Diagnostik sollte neben dem Ultraschall eine Kernspintomografie erfolgen, die insbesondere das Ausmaß in Bezug zu den Faszien aufgrund der Einblu­ tungen mit Hämosiderin-Einlagerungen gut darstellt (Abbildung 11.4 a, b). Die Knoten sind schlecht abgrenzbar und ähneln einem diffus sich in die Umgebung ausbreiten­ den Tumor (Abbildung 11.5).

11.7 Rektusdiastase |

179

Abb. 11.5: Aufgeschnittenes Resektat einer Endometriose der Bauchdecke bei Z. n. Sectio.

Bei der Operation sollten die Knoten komplett mit Sicherheitsabständen wie bei einer onkologischen Resektion ohne Eröffnung reseziert werden [33, 34]. Häufig ist hierbei eine Resektion der Bauchdeckenfaszie erforderlich und die Patienten sollten über die Möglichkeit eines Faszienersatzes mit Kunststoffnetz informiert werden.

11.7 Rektusdiastase Die Rektusdiastase ist eine erworbene Separation der Rektusscheiden durch Verbrei­ terung der Linea alba mit Vorwölbung der Bauchwand. Bei Frauen kommt als Ursache eine Schwangerschaft, starke Gewichtsabnahme oder auch exzessive Bauchmuskel­ gymnastik infrage. Für die quantitative Klassifikation nach Beer [35] wird die Breite der Linea alba im Liegen mittels Ultraschall an drei Punkten gemessen: Am Xiphoid, 3 cm oberhalb und 2 cm unterhalb des Nabels. Andere qualitative Einteilungen nach Nahas oder Rath werden seltener verwendet [36]. Es gibt keine klare Definition (z. B. hinsichtlich Übernahme der Operationskosten durch Krankenkassen), ab wann eine Rektusdiastase als pathologisch einzustufen ist. Die Rektusdiastase tritt besonders beim Aufstehen aus der liegenden Position in Erscheinung und liegt meist zwischen Xiphoid und Nabel, häufig in Kombination mit einer Nabel- oder epigastrischen Her­ nie [37]. Rektusdiastasen sind keine eigentlichen Hernien und bergen kein Risiko einer Inkarzeration. Etwa 66% der Frauen zeigen ab dem dritten Trimenon eine Rektusdiastase, und das Risiko nimmt mit der Zahl der Geburten, Mehrlingsschwangerschaften und über­ tragener Schwangerschaften zu. In mehreren Fall-Kontroll-Studien zeigte sich, dass der Trainingszustand vor der Schwangerschaft entscheidender für die Rückbildung der Rektusdiastase ist als die Physiotherapie („Rückbildungsgymnastik“) nach der Entbindung [38]. Es ist unklar, warum sich bei einigen Frauen die Rektusdiastase nach der Schwangerschaft nicht zurückbildet und oft auch ein Hautüberschuss mit Striae verbleibt. Bei Frauen mit Persistenz der Rektusdiastase mehr als ein Jahr nach Ent­

180 | 11 Erkrankungen der Bauchwand

Abb. 11.6: „Wabbelbauch“ (flabby abdo­ men, saggy post baby belly) 24 Monate nach Schwangerschaft mit supraumbilicaler Rek­ tusdiastase und Nabelbruch. Es erfolgte ein Verschluss der Rektusdiastase und des Nabel­ bruchs mit retromuskulärem Kunststoffnetz (sublay), Resektion überschüssiger Haut und Subkutangewebe mit Rekonstruktion des Na­ bels.

bindung kann häufig eine Assoziation mit Urin-Stuhl-Inkontinenz und Organprolaps durch eine Beckenbodensenkung beobachtet werden [8].

Symptome Führend sind psychische Beeinträchtigungen durch die beeinträchtigte Körperkontur, in extremen Fällen Beschwerden durch eine kompensatorische Hyperlordose nach ei­ ner Schwangerschaft. Da eine Rektusdiastase auch bei erheblicher Größe keine Gefahr für Einklemmungen darstellt, besteht die Operationsindikation im Wesentlichen aus kosmetischen Gründen und die Literatur hierzu stammt überwiegend aus plastischrekonstruktiven Abteilungen [36, 39]. Merke: Nach einer Schwangerschaft sollte die kosmetische Korrektur der Bauchwand frühestens nach 6 Monaten erfolgen.

Bei der Operation werden oft Hernien der Mittellinie (am Nabel oder epigastrisch) im Verlauf der Diastase und überschüssige Haut und Subkutangewebe („Abdominoplas­ tik“) gleichzeitig beseitigt (Abbildung 11.6). Hierbei muss der Nabel oft exzidiert und replantiert oder rekonstruiert werden [40]. Die zusätzliche Abdominoplastik erfolgt meist über eine quere spindelförmige Hautexzision oder auch mittels Liposuction. Die Raffung der Linea alba einschließlich der Nabelbruchpforte kann offen über eine supraumbilicale Incision [37] oder auch laparoskopisch [41] erfolgen. Zusätzlich kann ein Kunststoffnetz zur Verstärkung entweder retromuskulär in der Rektusschei­ de (sublay) oder endoskopisch hinter die Bauchwand (IPOM) platziert werden.

11.7 Rektusdiastase | 181

Eine eindeutige Empfehlung zur Operationstechnik kann aufgrund der vorliegen­ den Literatur kaum gegeben werden, da die Fallserien häufig klein und inhomogen sind und die Nachbeobachtungszeit oft zu kurz und ohne klare Definition eines Rezi­ divs. Folgende Operationsmethoden, die in Fallserien publiziert wurden, sind eta­ bliert [36, 39]: 1. Fortlaufende raffende Naht (Plikation) der Linea alba (a) Offen (b) Endoskopisch videoassistiert 2. Zusätzliche Retromuskuläre Netz-Implantation (sublay) 3. Zusätzliche intraperitoneale Netz-Implantation (intraperitoneales onlay mesh, IPOM) 4. Kombinationen z. B. 1b. und 3. Die Fallserien unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl von Nahtreihen (1–3), Positi­ on der Nähte, des Nahtmaterials und zusätzlicher Verwendung eines Kunststoffnetzes (mesh). In der einzigen randomisierten Studie zum Thema Rektusdiastase wurde ein Ver­ gleich zwischen nichtresorbierbarem (Nylon) und verzögert resorbierbarem Nahtma­ terial bei der Plikation durchgeführt [36]. Hierbei ergab sich bei allerdings nur 10 Pati­ enten in jeder Gruppe kein Unterschied in Komplikations- und Rezidivraten. Von der Mehrzahl der Autoren und im eigenen Vorgehen wird ein nichtresorbierbarer fortlau­ fender Faden, z. B. Prolene, der Stärke 0/0 bevorzugt [37]. Bei großen Rektusdiastasen (> 4 cm Breite) wird in der Literatur und auch nach der eigenen Erfahrung ein retro­ muskuläres Kunststoffnetz empfohlen [40]. In Abhängigkeit vom präoperativem Befund, von der angewandten Operations­ technik und Nachbeobachtungszeit schwanken die Rezidivraten zwischen 0–40%. Die Zufriedenheit der Patientinnen mit dem kosmetischen Ergebnis ist in den dazu vorliegenden Studien überwiegend gut, allerdings wurden keine validierten Scores zur Lebensqualität oder Selbstbeurteilung eingesetzt. Die Komplikationsmöglichkei­ ten umfassen Serome, Hämatome, Wundinfekte, Hautnekrosen und Innervationsstö­ rungen. Insgesamt scheint die Häufigkeit dieser Komplikationen bei laparoskopischen Techniken geringer zu sein [41]. Merke: Die Indikation zur Korrektur einer Rektusdiastase ist überwiegend kosmetisch. Das Ope­ rationsverfahren muss aufgrund der Ausdehnung und gegebenenfalls geplanter simultaner Abdo­ minoplastik individuell besprochen werden.

182 | 11 Erkrankungen der Bauchwand

11.8 Schwangerschaft nach abdominellen Voroperationen Nach Laparotomien mit unauffällig verheilter Narbe besteht bei Schwangerschaft und Geburt kein besonderes Risiko. Dies gilt auch für den Zustand nach NarbenhernienOperation mit Netz-Implantaten im Bereich der vorderen Bauchwand [23]. Etwa 25% der Mammakarzinome tritt bei Frauen im gebärfähigen Alter auf. Neben dem allgemeinen Problem des Zeitabstandes zwischen der Schwangerschaft und The­ rapie mit Chemotherapie oder Bestrahlung (siehe Kapitel 18) tritt hierbei die Frage auf, welchen Einfluss eine Brustrekonstruktion mit M. rectus abdominis (TRAM-Flap oder DIEP-Flap) hat. Aufgrund einer Literaturanalyse von 17 Referenzen zu diesem Thema kann angenommen werden, dass Schwangerschaft und Geburt bei diesen Frauen oh­ ne Probleme verlaufen und weder die rekonstruierte Brust noch die Bauchwand dau­ erhaft zusätzlich geschädigt werden [42]. Ein besonderes, aber leider durch die anhaltenden Kriege und die damit verbun­ dene Migration nicht seltener werdendes Problem sind ausgedehnte Narbenbildun­ gen mit Kontrakturen der Bauchwand nach Verbrennungen und Verletzungen. In die­ ser Situation droht ein abdominelles Kompartment-Syndrom [11] unter der Schwan­ gerschaft, sodass u. U. Fasziotomien oder Escharotomien erforderlich sind. Für die Entscheidung zu prophylaktischen Eingriffen ist das Ausmaß der betroffenen Bauch­ wand (> 75%) insbesondere oberhalb des Nabels ausschlaggebend [43].

Literatur [1] [2]

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Dimitrios Pantelis

12 Proktologie und Beckenboden 12.1 Einleitung Beschwerden im Analbereich treten bei einer Schwangerschaft und im Wochenbett sehr häufig auf. Die Leitsymptome sind Schmerzen, Blutungen und Funktionsstörun­ gen der Stuhlentleerung. Die Frage, ob diese einen therapiepflichtigen Krankheits­ wert haben, ist in vielen Fällen nicht einfach einzuschätzen, sodass sich auch erfahre­ ne Proktologen sowie Gynäkologen und Geburtshelfer mit den Besonderheiten dieser Konstellation vertraut machen sollten. Obwohl die diagnostische und therapeutische Vorgehensweise ähnlich wie außerhalb der Schwangerschaft ist, gibt es einige Spezi­ fika, deren Kenntnis hilft, Probleme und Komplikationen zu vermeiden. Merke: Schwangerschaft und das Geburtstrauma sind wesentliche langfristige Risikofaktoren für die weibliche Beckenbodeninsuffizienz.

Pathophysiologisch spielen während der Schwangerschaft systemische Veränderun­ gen auf metabolischer, hormoneller, immunologischer und kardiozirkulatorischer Ebene eine Rolle sowie lokal die venöse Kongestion, die Lockerung des Bindegewe­ bes sowie das direkte Trauma des Beckenbodens im letzten Trimenon und bei der Geburt. Das Hämorrhoidalleiden ist mit 93% das häufigste proktologische Problem, das bei zwei Dritteln der jungen Patientinnen als Erstmanifestation in der Schwan­ gerschaft auftritt [1]. Oft liegen aber auch andere Ursachen für die Beschwerden vor, welche üblicherweise zunächst als „Hämorrhoiden“ eingestuft werden. Beispielhaft zeigt sich bei einer unserer Patientinnen im 3. Trimenon der Schwangerschaft (Abbil­

Abb. 12.1: Proktologischer Befund bei einer Patientin im 3. Trimenon der Schwangerschaft (Bild in Linksseitenlage). Kombinierter Befund einer perianalen Schwellung bei 6° in SSL, Stuhlkontamination durch Stuhlschmieren (Soi­ ling), erschwerte Analhygiene und chronisches Ekzem.

DOI 9783110414134-012

186 | 12 Proktologie und Beckenboden

Abb. 12.2: Inkarzerierte Hämorrhoide bei 11° bis 1° in SSL.

Abb. 12.3: Inkarzerierter Rektumprolaps.

dung 12.1) eine Schwellung mit hieraus resultierender erschwerter Analhygiene und perianalem Ekzem. Die Salbenreste deuten auf eine schon durch die Patientin selbst durchgeführ­ te Behandlung und die vermutlich bereits länger bestehende Symptomatik hin. Der überwiegende Anteil (> 90%) der schwangeren Patientinnen mit proktologischen Pro­ blemen (Hämorrhoiden, Perianalvenenthrombose, Analfissur) wird konservativ be­ handelt. Hierbei gelten auch für diese Patientengruppe die klassischen Notfallindi­ kationen in der Proktologie. Bei Vorliegen einer inkarzerierten Hämorrhoide (Abbil­ dung 12.2) oder einem inkarzerierten Rektumprolaps (Abbildung 12.3) muss auch in der Schwangerschaft eine umgehende operative Therapie erfolgen. Eine enge fachübergreifende Zusammenarbeit ist wichtig, um das Statement von Gaj et al [2], erweitert auf alle proktologischen Erkrankungen bei schwangeren Pa­ tientinnen, zu widerlegen: „[. . . ] das Management von Hämorrhoiden während der Schwangerschaft ist inadäquat aufgrund eines Mangels an Kooperation zwischen Ge­ burtshelfern, Gynäkologen sowie Spezialisten analer- und Beckenbodenerkrankun­ gen [. . . ]“.

12.2 Pathophysiologische Veränderungen in der Schwangerschaft | 187

12.2 Pathophysiologische Veränderungen in der Schwangerschaft Während der Schwangerschaft ist eine unterschiedlich ausgeprägte und ätiologisch multifaktorielle Obstipationsneigung typisch. Neben der Belästigung durch Bauch­ schmerzen und Blähungen trägt die Obstipation maßgeblich zur Entstehung prok­ tologischer Probleme (Hämorrhoiden, Perianalvenenthrombosen, Analfissuren) und Beckenbodenfunktionsstörungen bei. Im 1. und 2. Trimenon wirkt Progesteron hem­ mend auf die glatte Muskulatur des Gastrointestinaltrakts und auf die Skelettmus­ kulatur des Beckenbodens und führt zu einer typischen „Slow-transit“-Obstipation. Demgegenüber drückt im letzten Trimenon der große Uterus auf den Beckenboden und führt zu einer Darmentleerungsstörung (outlet-obstruction). Weitere Gründe für die Schwangerschafts-assoziierte Obstipationsneigung sind die Erhöhung des zirku­ lierenden Blutvolumens um 25–40% und die Medikation mit Eisen und Antiemetika in dieser Zeit. Die Datenlage zur pathophysiologischen Genese der Obstipation und deren Therapie während der Schwangerschaft ist gering. In einem Cochrane Review aus dem Jahr 2001 [3], basierend auf nur zwei angemessenen Studien, wird schwan­ geren Patientinnen mit Obstipation die tägliche Einnahme von Nahrungsergänzungs­ mitteln (Kleie- oder Weizenfasern) und bei Therapieversagen die Einnahme von La­ xantien empfohlen. An erster Stelle therapeutischer Maßnahmen steht jedoch, wie auch bei Nicht-Schwangeren mit Obstipation, die Anpassung der Lebens- und Ernäh­ rungsgewohnheiten (viel Bewegung, mindestens 1,5 Liter Flüssigkeitseinnahme, bal­ laststoffreiche Ernährung). Als medikamentöse Therapie der 1. Wahl bei Schwange­ ren, u. U. auch als Langzeittherapie, ist die Einnahme von Füll- und Quellstoffen wie Leinsamen, Flohsamenschalen und Methylcellulose zu empfehlen. Medikamentöse Therapie der 2. Wahl sind osmotische Laxantien wie z. B. Lactulose (15–30 ml/Tag), welche während der Schwangerschaft als sicher einzustufen sind [3]. Bei Persistenz der Beschwerden unter den genannten Maßnahmen sollten sogenannte prokinetische „Stimulanzien“ wie Bisacodyl (5–10 mg) zeitlich begrenzt zum Einsatz kommen. In der postpartalen Periode ist die Obstipation seltener, häufig dagegen klagen die Frauen über eine anale Inkontinenz mit Auswirkungen auf das Gesundheitsemp­ finden und ausgeprägter Stressreaktion. MacIennan et al. konnten zeigen, dass 46% der Frauen im Rahmen einer Schwangerschaft und danach klinische Zeichen einer Be­ ckenbodendysfunktion aufwiesen [4]. Das Schwangerschaftshormon Progesteron hat mehrere unerwünschte Effekte auf den Gastrointestinaltrakt mit Motilitätsstörungen (Magenentleerungsstörungen, Obstipation) und Sphinkterfunktionsstörungen (unte­ rer Ösophagussphinkter mit Refluxbeschwerden und Analsphinkter mit Kontinenz­ störung). Der Effekt des Progesterons auf die Ligamente des Beckens führt zu einer Dehnung der Symphyse und der ileosakralen Verbindungen, dies hat in Kombina­ tion mit dem erhöhten intraabdominellen Druck gravierende Auswirkungen auf die

188 | 12 Proktologie und Beckenboden

Beckenbodenfunktion, mit der Folge eines Organprolapses, eines Descensus perinei oder eines obstruktiven Defäkationssyndroms (5). Pathophysiologisch abzugrenzen von diesen durch die Schwangerschaft beding­ ten funktionellen Kontinenzstörungen ist die postpartale Inkontinenz als Folge einer Verletzung des Analsphinkters oder des Nervus pudendus im Rahmen der Geburt (sie­ he Abschnitt 12.3.2).

12.3 Proktologische Krankheitsbilder 12.3.1 Hämorrhoiden Hämorrhoiden entwickeln sich aus dem Corpus cavernosum recti, das physiologi­ scherweise oberhalb der Linea dentata im Analkanal liegt. Es sind asymmetrische, von der A. rectalis superior gespeiste arterio-venöse Kurzschlussverbindungen, die für die Kontinenz wichtig sind. Während der Schwangerschaft kann sich dieses Gefäß­ polster vergrößern („Hypertrophie“) und nach kaudal verlagern. Äußerliches Zeichen für innere Hämorrhoiden können Marisken sein, läppchenartige perianale Hautfalten, die normalerweiser keiner Therapie bedürfen. Klinische Leitsymptome des Hämor­ rhoidalleidens sind peranale hellrote Blutabgänge, Druckgefühl und analer Juckreiz. Das Auftreten von starken Schmerzen deutet auf ein fortgeschrittenes Stadium mit Komplikationen wie z. B. Prolaps und Inkarzeration hin. Proktologische Probleme während der Schwangerschaft und postpartal sind hauptsächlich (> 80%) durch Hä­ morrhoiden verursacht. Trotz dieser Häufigkeit sollten, wie auch bei nicht-schwan­ geren Patienten, andere zum Teil schwerwiegende Erkrankungen ausgeschlossen werden. Zu diesen Differenzialdiagnosen gehören, neben den „harmlosen“ Perianal­ venenthrombosen, Analfissuren und Analabszessen, die Erstmanifestationen einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung oder anorektaler Malignome. Es muss be­ tont werden, dass auch in der Schwangerschaft eine Sigmoidoskopie oder Coloskopie mit ausreichender Sicherheit durchgeführt werden kann [6]. Die Pathogenese von Hämorrhoiden ist nicht geklärt, während der Schwanger­ schaft gibt es jedoch Faktoren, die zur Entstehung oder Verschlimmerung dieses Krankheitsbildes beitragen. Hierzu gehört maßgeblich die schon in Abschnitt 12.2 aufgeführte Obstipation, der steigende intraabdominelle Druck und die Erhöhung des venösen Abstrom-Widerstandes im Becken. Als weitere unabhängige Risikofaktoren wurden in einer aktuellen Studie die positive Anamnese für proktologische Erkran­ kungen, ein Geburtsgewicht des Kindes von > 3800 g und verlängerte Presswehen von > 20 Minuten während der Geburt beschrieben [7]. Die Therapie des Hämorrhoidalleidens folgt auch während der Schwangerschaft stadienadaptiert (Tabelle 12.1). Präventiv ist die Behandlung der Schwangerschaftsassoziierten Obstipation sinnvoll, bei Beschwerden sollte im Stadium I und II eine konservative Therapie mit Stuhlregulation und Erhöhung der Trinkmenge erfolgen.

12.3 Proktologische Krankheitsbilder | 189

Der häufige und als sehr unangenehm empfundene Juckreiz kann mit HydrocortisonSalben und Sitzbädern lokal in der Mehrheit der Fälle gut behandelt werden. Grund­ sätzlich sind während der Schwangerschaft auch alle endoskopischen (Gummiband­ ligatur, Injektions-Sklerotherapie, Infrarotkoagulation) und operativen (Hämorrhoi­ dektomie) Verfahren möglich, aufgrund der erhöhten Blutungsneigung und der ho­ hen spontanen Rückbildungsrate nach der Schwangerschaft sollte die Indikation hier­ für jedoch sehr streng gestellt werden. Bei 90% der Patientinnen zeigt sich postpar­ tal eine spontane Rückbildung der Hämorrhoiden und ein Rückgang der Symptoma­ tik [1]. In den fortgeschrittenen Stadien des Hämorrhoidalleidens (Abbildung 12.4) sollte in der Regel ebenfalls primär konservativ behandelt werden. Hierzu gehören lokale und gegebenenfalls medikamentöse antiphlogistische Maßnahmen wie lokale Kühlung, xylocainhaltige Gels, Cremes oder Suppositorien und systemische Schmerz­ therapie mit Paracetamol, Diclofenac oder Ibuprofen bis zum Ende des 2. Trimenons. Topische steroidhaltige Salben sollten wegen des Risikos der Hautatrophie und my­ kotischer Superinfektionen nur kurzfristig angewendet werden. Wird eine operative Hämorrhoidektomie erforderlich, z. B. bei inkarzerierten oder persistierend schmerz­ haften Hämorrhoiden, sollte aufgrund des erhöhten Komplikationsrisikos lediglich eine lokale Exzision des betroffenen Bereichs, wenn möglich in Spinal- oder LokalTab. 12.1: Stadien des Hämorrhoidalleidens. Stadium I

Nicht prolabierende Hämorrhoiden, peranale schmerzlose Blutungen

Stadium II

Hämorrhoiden, die beim Pressen prolabieren und sich dann spontan reponieren, oft leichte Inkontinenz mit Soiling

Stadium III

Hämorrhoiden, die beim Pressen prolabieren und nur manuell reponibel sind

Stadium IV

Spontan prolabierte Hämorrhoiden distal der Linea dentata, auch manuell nicht reponibel

Abb. 12.4: Proktologischer Befund in Linkssei­ tenlage. Hämorrhoide III° bei 3° in SSL.

190 | 12 Proktologie und Beckenboden

anästhesie, erfolgen. Eine proktologische Kontrolluntersuchung 3–6 Monate nach der Geburt ist den Patientinnen anzuraten, die weitere Behandlung wird dann den allge­ meinen Therapieprinzipien des Hämorrhoidalleidens folgen. Neben den überwiegend chronisch während der Schwangerschaft auftretenden proktologischen Problemen gibt es auch die unmittelbar nach der Geburt auftreten­ den akuten Krankheitsbilder. In einer prospektiven Studie von Abramowitz et al. [8] konnte gezeigt werden, dass ein Drittel der Frauen nach der Geburt symptomati­ sche Analläsionen aufweist (während der Schwangerschaft nur bei 9,1%), 57% davon thrombosierte Hämorrhoiden und 43% Analfissuren.

12.3.2 Analfissur Analfissuren sind lineare Einrisse des sensiblen Anoderms, typischerweise posterior bei 6 Uhr in Steinschnittlage (∼ 90%) von der Linea anocutanea bis zur Linea den­ tata reichend. Die unmittelbar geburtstraumatisch induzierten Analfissuren finden sich dagegen häufiger anterior bei 12 Uhr in Steinschnittlage [1]. Obwohl valide epide­ miologische Daten nicht vorliegen, handelt es sich vermutlich um die zweithäufigs­ te Schwangerschafts-assoziierte proktologische Komplikation [9]. Analfissuren sind meist Folge von hartem Stuhl und chronischer Obstipation. Leitsymptome sind in der Akutphase der ausgeprägte stechende oder brennende Schmerz und der reflektorisch erhöhte Sphinktertonus. Differenzialdiagnostisch kommen, insbesondere im chroni­ schen Stadium, anale Manifestationen einer chronisch entzündlichen Darmerkran­ kung (Morbus Crohn) und infektiologische Erkrankungen wie HIV, Lues, Herpes sim­ plex und Malignome (Analkarzinom) in Betracht. Besonders suspekt und abklärungs­ bedürftig sind Fissuren an untypischer Stelle oder das Vorliegen von mehreren Läsio­ nen (Abbildung 12.5). Die akute Analfissur hat eine hohe Spontanheilungsrate und wird in der Regel symptomatisch behandelt. Hierbei gilt es, den Circulus vitiosus von Schmerz und er­ höhtem Sphinktertonus mit der Folge einer lokalen Minderperfusion und schlechter Heilungstendenz zu durchbrechen. Persistiert die Symptomatik über 8 Wochen, bildet sich häufig eine Mariske („Vorpostenfalte“) und man spricht von einer chronischen Analfissur, die in der Mehrzahl der Fälle operativ behandelt werden muss. Ziel der

Abb. 12.5: Proktologischer Befund in Linkssei­ tenlage. Chronische Analfissur bei 6° kombi­ niert mit akuter Fissur bei 12° in SSL.

12.3 Proktologische Krankheitsbilder | 191

Akute Fissur

Ballaststoffreiche Kost Sitzbäder Stuhl-Weichmacher Topische Anästhetika ggf. Glyceroltrinitrat

Heilung (> 90 %)

Chronische Fissur

Heilung (50–70 %)

Glyceroltrinitrat 0,4 % (6–8 Wochen) kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit

Heilung (> 90 %)

Fissurektomie nach Gabriel

Lat. Sphinkterotomie (Parks) nicht empfehlenswert bei Schwangeren Abb. 12.6: Behandlungsalgorithmus bei Analfissur.

Operation ist eine Reduktion des Sphinktertonus und die sphinkterschonende Exzi­ sion der chronischen Veränderungen (Vorpostenfalte und Analpapille). Die histolo­ gische Untersuchung der Resektate ist zum Ausschluss eines Malignoms erforderlich (Behandlungsalgorithmus siehe Abbildung 12.6). Während der Schwangerschaft sind die Vermeidung einer Obstipation und die Stuhlregulation die wichtigsten prophylaktischen Maßnahmen, auch therapeutisch ist die konservative Therapie der Standard und in der Mehrzahl der Fälle effektiv: 2% Hydrocortison-Salbe, Diät mit ballaststoffreicher Kost und Sitzbäder ergeben Hei­ lungsraten von > 80%. Die bei der Behandlung der Analfissur etablierte medikamen­ töse Therapie zur Senkung des Sphinktertonus (z. B. topisches Glyceroltrinitrat, Botu­ linum-Toxin und Kalziumantagonist Nifedipin) ist während der Schwangerschaft und Stillzeit kontraindiziert. Die Indikation zur Operation ist nur sehr selten gegeben und muss zurückhaltend gestellt werden. Hierbei sollte in Narkose oder Spinalanästhesie die Fissur mit den sklerosierten Veränderungen exzidiert werden (Fissurektomie n. Gabriel) und eine leichte Sphinkterdehnung erfolgen. Eine laterale Sphinkterotomie, wie in angelsächsischen Ländern noch empfohlen, sollte bei Frauen grundsätzlich nicht und insbesondere nicht während einer Schwangerschaft bei bevorstehender va­ ginaler Entbindung und dem Risiko für eine Sphinkterinsuffizienz durchgeführt wer­ den.

192 | 12 Proktologie und Beckenboden

12.3.3 Perianalvenenthrombose Die Perianalvenenthrombose ist eine wichtige Differenzialdiagnose der prolabierten Hämorrhoide. Die Risikofaktoren für das Auftreten beider Krankheitsbilder im Rah­ men einer Schwangerschaft (Obstipation, prolongierter Geburtsvorgang und hohes Kindsgewicht) unterscheiden sich nicht, wobei im Gegensatz zu Hämorrhoiden der überwiegende Anteil (∼ 90%) der Perianalvenenthrombosen während oder inner­ halb von 24 Stunden nach der Geburt auftritt [1]. Die Gesamthäufigkeit wird in der Literatur zwischen 12 und 34% angegeben [8]. Typisch sind ein plötzlich auftretender Knoten mit Schmerzen am Analrand, v. a. bei der Defäkation. Der zugrunde liegen­ de Pathomechanismus ist ungeklärt, wobei der Zeitpunkt des Auftretens eine Kom­ bination aus vermindertem Blutfluss des Anoderms, lokalem Trauma und kurzfristig gesteigertem Gerinnungspotenzial im Rahmen des vaginalen Geburtsvorgangs nahe­ legt. Hierfür spricht auch die im Gegensatz zur Analfissur deutlich geringere Inzidenz nach Kaiserschnitt. Therapeutisch entspricht das Vorgehen der konservativen Thera­ pie des Hämorrhoidalleidens. Bei persistierenden Beschwerden ist eine Exzision unter Lokalanästhesie während der Schwangerschaft und postpartal möglich. Eine einfache Inzision sollte aufgrund der hohen Rezidivrate nicht durchgeführt werden.

12.3.4 Perianale Abszesse und Fisteln Neu auftretende perianale Abszesse und Fisteln sind in der Schwangerschaft un­ typisch. Bei Frauen im gebärfähigen Alter muss stets an eine Manifestation eines M. Crohn gedacht werden. Bei analen Schmerzen kombiniert mit Rötung, Schwellung und systemischen Entzündungszeichen muss jedoch gerade in der Schwangerschaft ein Abszess klinisch umgehend diagnostiziert und operativ behandelt werden, da er Ausgangspunkt einer Sepsis sein kann. Immunsuppression, Diabetes mellitus und chronisch entzündliche Darmerkrankung begünstigen auch während einer Schwan­ gerschaft die Entstehung von Perianalabszessen und verzögern die Heilung [10]. Die Therapie sollte grundsätzlich in Narkose oder Spinalanästhesie erfolgen und um­ fasst die Rektoskopie, Fistelsuche und extrasphinktäre offene Abszessdrainage durch perianale Hautexzision. Kryptoglanduläre Fisteln sollten in diesem Zusammenhang mit einem nicht resorbierenden Faden (Seton) oder Plastikband (Vessel Loop) mar­ kiert und nicht gespalten werden. Die definitive Fistelsanierung durch Spaltung des kaudal der Fistel gelegenen Gewebes oder plastische Deckung durch endorektalen Verschiebelappen sollte erst nach der Geburt erfolgen. Infektionen mit Beteiligung des analen Sphinkters sind eine relative Indikation für eine Entbindung durch Sectio.

12.3 Proktologische Krankheitsbilder | 193

12.3.5 Condylomata acuminata Genitalwarzen (Feigwarzen, spitze Condylome, Condylomata acuminata) werden durch humane Papillomviren (HPV-Typen 6 und 11) verursacht und üblicherweise se­ xuell übertragen. Die Condylome können als vereinzelte Papeln oder flächenhaft im Analkanal oder perianal vorkommen. Die Prävalenz einer HPV-Infektion mit sichtba­ ren Genitalwarzen wird auf etwa 1% aller sexuell aktiven Erwachsenen geschätzt [11], 15% aller sexuell aktiven Frauen weisen eine subklinische Infektion auf und 80% haben sich im Verlauf ihres Lebens mit einem HPV-Virus infiziert. Vorbestehende Condylome werden typischerweise während der Schwangerschaft größer und kön­ nen perinatal zu einer HPV-Infektion des Neugeborenen führen [12]. Das Risiko für eine perinatale Transmission wird in der Literatur bis zu 80% angegeben, in einer der wenigen prospektiven Studien [13] lag es jedoch lediglich bei 2,8%. Unabhän­ gig davon sollte bei sichtbaren Genitalwarzen während der Schwangerschaft trotz der postpartal hohen spontanen Remissionsrate eine Therapie durchgeführt werden. In der Literatur scheint die Laser-Ablation im dritten Trimenon das Verfahren der Wahl zu sein [14]. Alternativ ist die operative Entfernung in Lokalanästhesie möglich, auf lokale medikamentöse Verfahren (z. B. topische Anwendung des immunmodu­ latorisch wirksamen Imiquimods oder Podophyllotoxins) sollte aufgrund fehlender Daten während der Schwangerschaft verzichtet werden. Da die HPV-Transmission unabhängig vom Geburtsmodus ist, ergibt sich für die Geburtsplanung bei perianalem Condylombefall nicht zwangsläufig die Indikation zur primären Sectio, diese ist lediglich bei ausgedehntem zusätzlichem Genitalbefall zu erwägen.

12.3.6 Analkanal- und Analrandkarzinome Analkarzinome sind unterschiedlich differenzierte Plattenepithelkarzinome und wer­ den in Analrand- und Analkanalkarzinome unterschieden. Sie entstehen im Allge­ meinen – wie auch die Cervixkarzinome – durch eine Infektion mit den HPV-Typen 16 und 18. Aufgrund der Latenz zwischen Infektion und Tumorentstehung sind meist ältere Frauen betroffen, sodass ein im Rahmen der Schwangerschaft diagnostiziertes Plattenepithelkarzinom eine Rarität darstellt und zur Suche nach einer immunsup­ pressiven Ursache (HIV-Infektion, Lymphom) Anlass geben sollte. Die Behandlung bei einer Frau im gebärfähigen Alter ist sehr individuell und kann sich nur bedingt an den bestehenden allgemeinen Leitlinien der Analkarzinom-Therapie ausrichten [9]. Zur Beurteilung der Ausdehnung und gegebenenfalls Metastasierung ist ein prätherapeu­ tisches MRT des Beckens zu empfehlen. Kleine und lokal unter Erhalt des Sphinkters resezierbare Karzinome des Analkanals und Analrandes sollten im Sinne einer Exzisi­ onsbiopsie entfernt werden. Die Durchführung einer sphinktererhaltenden, nicht mit einer Schwangerschaft zu vereinbaren Radiochemotherapie, die heute den Standard

194 | 12 Proktologie und Beckenboden

der Therapie des Analkanalkarzinoms darstellt, ist in der Schwangerschaft oder bei Frauen im gebärfähigen Alter individuell zu indizieren, obwohl hierdurch in 80–90% der Fälle eine Heilung erreicht und die Stomaanlage vermieden werden kann [9]. Das Vorgehen muss unter Berücksichtigung des Tumorstadiums und des Kinderwunsches ausführlich mit Patientin und Partner besprochen werden.

12.4 Beckenboden und Kontinenz 12.4.1 Beckenbodendysfunktion nach Schwangerschaft Der Begriff Beckenboden umfasst alle anatomischen Strukturen, die als Halteap­ parat für die Abdominalhöhle und das kleine Becken fungieren. Der Beckenboden wird durch seine Verbindungen zum knöchernen Becken gehalten und bildet mit der Rumpfmuskulatur eine funktionelle Einheit (siehe Kapitel 11). Bei der Frau wird er üblicherweise unterteilt in ein vorderes und hinteres Kompartiment, welche durch die Genitalorgane voneinander getrennt sind. Schwangerschaft und Geburt können langfristig zu einer Beckenbodendysfunktion mit erheblichen Folgen für die Lebens­ qualität führen, hier ist insbesondere die anale Inkontinenz hervorzuheben. Im Ver­ lauf des Lebens können jedoch auch andere durch die Beckenbodendysfunktion nach Schwangerschaft verursachten Folgen klinisch relevant werden, hierzu gehören: 1. die perineale Senkung mit Vaginalprolaps und Defäkationsstörungen, 2. die chronische Obstipation mit Beckenbodensenkung und Rektumprolaps und 3. die geburtstrauma­ tisch bedingte Beckenbodensenkung mit Defäkationsstörung [15]. Konservative und operative Verfahren unterscheiden sich bei diesen Krankheitsbildern nicht von de­ nen der Gesamtbevölkerung. Die einzigen nachgewiesenen präventiven Maßnahmen während Schwangerschaft und Geburt zur Vermeidung einer späteren analen Inkon­ tinenz sind die Verhinderung eines höhergradigen Dammrisses, gegebenenfalls die umgehende Diagnosestellung mit fachgerechter operativer Versorgung desselben, die Entbindung per Sectio und die Vermeidung einer Übertragung der Schwangerschaft.

12.4.2 Anale Inkontinenz Die vaginale Geburt kann zu einer Schädigung des Beckenbodens mit belastenden Langzeitfolgen (Deszensus oder Prolaps genitalis, Harninkontinenz, Dyspareunie, Stuhlinkontinenz) führen, während nach Sectio ceasarea bisher keine klinisch rele­ vante Beckenbodenschwäche nachgewiesen werden konnte [16]. Hierdurch erklärt sich auch das überwiegende Vorkommen der analen Inkontinenz bei Frauen mit ei­ nem Verhältnis weiblich zu männlich von 8 : 1. Der ursächliche Zusammenhang mit der Geburt wird häufig nicht gewürdigt, da sich symptomatische Frauen erst verzö­ gert, lange nach den Geburten in ärztliche Behandlung begeben. Die unmittelbare

12.4 Beckenboden und Kontinenz | 195

geburtstraumatische Verletzung des Analsphinkters ist die wichtigste Ursache für das Auftreten einer analen Inkontinenz [17]. Sie kann während der Geburt durch ein direktes Trauma bei einem Dammriss III° (partieller oder kompletter Riss des Sphincter ani externus) oder Dammriss IV° (kompletter Einriss des Rektums) zumeist bei Erstgebärenden auftreten. Ein anderer zusätzlicher Schädigungsmechanismus ist die Druckläsion des N. pudendus mit der Folge einer chronischen PudendusNeuropathie, zumeist bei Multipara [18]. In Deutschland lagen die Inzidenzen für einen Dammriss III° bei 0,95% und Dammriss IV° bei 0,09% [19]. Risikofaktoren sind Erstgeburt, instrumentelle Entbindungsmethoden (Forceps, Vakuumextrakti­ on), Kindsgröße (> 4000 g), die persistierende hintere Hinterhauptslage [20], die (mediane) Episiotomie und eine Austreibungsperiode von mehr als 60 Minuten. Als risikoreduzierende Faktoren werden die laterale Episiotomie – heute wegen der im weiteren Verlauf erhöhten lokalen Beschwerden obsolet – und schwer erklärbar, ein vorbestehender Nikotinabusus angegeben [21]. Insgesamt besteht bei 30 bis 60% aller Frauen mit einem geburtsbedingten Sphinkterschaden (Dammriss III-IV°) eine anale Inkontinenz, mehrheitlich für Flatus [16], wobei auch ohne Dammriss die Prävalenz nach vaginaler Geburt mit 3–16% deutlich höher ist als bei der Gesamtbevölkerung. Nach jeder vaginalen Geburt muss ein Dammriss III/IV° zunächst durch sorgfälti­ ge Inspektion und Palpation durch den Geburtshelfer und/oder die Hebamme ausge­ schlossen werden. Wird ein höhergradiger Dammriss vermutet, ist ein Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe oder ein Facharzt mit koloproktologischer Expertise beizuziehen [21]. Die Versorgung sollte dann umgehend in Allgemein- oder Regional­ anästhesie zur Erreichung einer maximalen Sphinkterrelaxation im Operationssaal in Steinschnittlage, unter aseptischen Bedingungen, durchgeführt werden. Die Ope­ ration [21] besteht in der Naht der Anal- und Rektumschleimhaut, bei auffindbarem Sphincter ani internus Adaptation desselben mit Einzelknopfnähten und Naht des M. sphincter ani externus mit atraumatischen langsam resorbierbaren U-Nähten in überlappender oder Stoß-auf-Stoß Technik (Abbildung 12.7). Nach höhergradigem Dammriss ist die Symptomatik richtungsweisend für die Lokalisation des Defektes: Unwillkürlicher Stuhlabgang spricht für eine Läsion des M. sphincter ani internus oder für eine Störung der Sensorik, das Vorliegen einer Urge-Symptomatik für eine Störung im Bereich des M. sphincter ani externus [16]. Die aktuelle Datenlage erlaubt keine eindeutigen Empfehlungen zum Geburtsmodus bei einer Folgegeburt. Eine elektive Sectio caesarea sollte allen Frauen bei Zustand nach Dammriss III/IV° angeboten werden, insbesondere Patientinnen mit persistierenden Symptomen einer Stuhlinkontinenz, reduzierter Sphinkterfunktion oder bei vermu­ teter fetaler Makrosomie [21]. Der Wunsch nach einem präventiven Kaiserschnitt ist verständlich und nach entsprechend dokumentierter sorgfältiger Aufklärung über die Komplikationen und Risiken einer Sectio vertretbar [16]. Aufgrund der Häufigkeit der analen Inkontinenz sollte im Rahmen der gynäko­ logischen Nachuntersuchung nach Schwangerschaft eine spezifische Anamnese hin­ sichtlich der typischen Symptome dieses Krankheitsbildes erfolgen (Flatusinkonti­

196 | 12 Proktologie und Beckenboden

Abb. 12.7: Operative Versorgung eines Damm­ risses IV° unmittelbar nach vaginaler Entbin­ dung. Der Defekt betrifft die vaginale Hinter­ wand, die Vorderwand des Analkanals und das untere Rektum. Die Mucosa des unteren Rek­ tums und das Anoderm wurden fortlaufend genäht, der Sphincter ani internus mit Einzel­ knopfnähten und der Sphincter ani externus fortlaufend. Es ist der Beginn der durchgrei­ fenden Naht der vaginalen Hinterwand mit fortlaufendem verzögert resorbierbarem Faden (z.B. 3/0 PDS) zu sehen.

nenz, Stuhldrang, Inkontinenz für flüssigen oder festen Stuhl). Die Anwendung eines Inkontinenz-Scores (z. B. der CACP-Score oder der Cleveland Clinic Score nach Wex­ ner) ist für Verlaufskontrollen empfehlenswert. Bei Inkontinenz sollte eine Zuweisung zur Physiotherapie zum Zweck der Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur erfolgen, zusätzlich kann die Elektromyografie-Biofeedback-Therapie eingesetzt werden. Bei manifester höhergradiger Inkontinenz ist die Vorstellung der Patientin in einem ko­ loproktologischen Zentrum mit entsprechender Expertise in den konservativen und operativen Therapieoptionen geboten [21].

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Sonja Chiappetta, Christine Stier, Hans-Christian Kolberg und Rudolf Weiner

13 Adipositaschirurgie Die Adipositas gehört zu den größten gesundheitlichen Problemen des 21. Jahrhun­ derts und die Zahl der übergewichtigen und adipösen Menschen hat sich seit 1980 weltweit verdoppelt. Laut WHO waren im Jahr 2014 mehr als 1,9 Milliarden Menschen übergewichtig und von diesen über 600 Millionen adipös. Dies entspricht 11% der er­ wachsenen Männer und 13% der Frauen. In Deutschland beträgt die Prävalenz des Übergewichtes (Body-Mass-Index BMI > 25 kg/m2 ) 62,7% und die der Adipositas (BMI > 30 kg/m2 ) 21,9%. Zunehmendes Übergewicht führt in den Adipozyten zur lokalen Apoptose, Nekro­ se und zu einer proinflammatorischen Immunantwort. Fettgewebe ist nicht nur Ener­ giespeicher, sondern es ist ein eigenes „Organ“ mit endokrinen, metabolischen und immunologischen Funktionen [1, 2]. Die Adipositas muss als komplexes Krankheitsbild mit vielfältigen metabolischen Auswirkungen auf alle Organe, aber auch auf den reproduktiven und sozialen Bereich, aufgefasst werden. Aus der gestörten Interaktion zwischen Fettgewebe, Leber und Im­ munsystem [3] resultiert das metabolische Syndrom, das durch die viszerale Adiposi­ tas, Insulinresistenz mit Diabetes mellitus Typ 2, arterielle Hypertonie und Dyslipo­ proteinämie definiert ist [1]. Typisch sind erhöhte Spiegel für Insulin, Nüchternblut­ zucker, Kortisol und freie Fettsäuren. Die einzige effektive und langfristige Behandlung der morbiden Adipositas stellt bis heute die Adipositaschirurgie dar. In der AWMF-Leitlinie „Adipositas – Prävention und Therapie“ und in der S3-Leitlinie „Chirurgie der Adipositas“ sind die Indikationen zum adipositaschirurgischen Eingriff klar formuliert [4, 5]: Merke: Bei Patienten mit einem BMI ≥ 40 kg/m2 ohne Kontraindikationen ist nach Ausschöpfung der konservativen Therapie nach umfassender Aufklärung eine bariatrische Operation indiziert. Bei Patienten mit einem BMI zwischen 35 und 40 kg/m2 und mit einer oder mehreren Adipositasassoziierten Folge-/Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes mellitus Typ 2, koronare Herzkrankheit) ist ebenfalls eine chirurgische Therapie indiziert, sofern die konservative Therapie nicht wirksam war.

Die adipositaschirurgischen Eingriffe unterscheiden sich in: – restriktive Eingriffe (Magenband, Schlauchmagen, Gastroplikatur, vertikale Gastroplastik) – restriktive Eingriffe mit Malabsorption (proximaler Roux-Y Magenbypass und Omega-Loop Magenbypass)

DOI 9783110414134-013

13 Adipositaschirurgie

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Abb. 13.1: a) Roux-Y Magenbypass. b) Schlauchmagen. c) Magenband. Mit freundlicher Unterstüt­ zung von Dott. S. Squillante.



malabsorptive Eingriffe (biliopankreatische Diversion nach Scopinaro, bilio­ pankreatische Diversion mit Duodenal Switch, biliopankreatische Diversion nach Larrad und Single Anastomosis Duodenal-Ileal Bypass [SADI])

Abhängig von Gewicht, Begleiterkrankungen und Lebensstil des Patienten erfolgt in­ dividuell die Verfahrenswahl. Goldstandard in der Adipositaschirurgie ist der laparoskopisch durchgeführte proximale Roux-Y Magenbypass. Im Jahr 2013 war diese Operation mit einem Anteil von 45% der am häufigsten durchgeführte adipositaschirurgische Eingriff weltweit, gefolgt von der Schlauchmagenoperation mit 37% und der Magenbandimplantation mit 10% (Abbildung 13.1 a–c) [6]. In den 90er-Jahren galt die bariatrische Chirurgie (griechisch βαρoς: Schwere, Ge­ wicht) lediglich als Methode zur Reduktion des Übergewichts, in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Adipositaschirurgie zu einer erheblichen Besserung der Adi­ positas-assoziierten Erkrankungen führt. Es ist nachgewiesen, dass adipositaschirur­ gische Eingriffe eine Besserung des Diabetes mellitus Typ II, der kardiovaskulären und pulmonalen Folgeerkrankungen bewirken [7–10]. Aus diesem Grund spricht man heu­ te von metabolischer Chirurgie. Zahlreiche Studien zeigen den Einfluss der Adipositas auf die Fertilität einer Frau, den Verlauf einer Schwangerschaft und die Entwicklung des Feten, des Neugeborenen bis hin zum Erwachsenen; diese Wechselwirkung und deren Behandlungsmöglichkei­ ten werden im Folgenden dargestellt.

200 | 13 Adipositaschirurgie

13.1 Fertilität Der negative Einfluss der Adipositas auf die verringerte Konzeptionsfähigkeit einer Frau ist nachgewiesen, die Gründe dafür sind multifaktoriell [12]. Die Adipositas geht einher mit einem höheren Risiko an Zyklusunregelmäßigkeiten, Anovulation und dem polyzystischen Ovarsyndrom (PCOS). Bei Frauen, die einen ovulatorischen Zyklus haben, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Konzeption um 5% mit jedem punktuellen Anstieg des BMI und das Risiko einer Sterilität aufgrund von Anovulation ist 2,7-mal höher bei einem BMI > 32 kg/m2 [13, 14]. Das polyzystische Ovarsyndrom ist die häufigste endokrine Erkrankung ge­ schlechtsreifer Frauen und mindestens 30% der Frauen mit einem PCOS sind adi­ pös [15, 16]. Entsprechend den Rotterdam-Kriterien ist das PCOS definiert als komple­ xes Syndrom bestehend aus Oligomenorrhoe oder Anovulation, Hyperandrogenämie und polyzystischen Ovarien. Dieser Zusammenhang zwischen Adipositas und dem PCOS kann durch eine Sti­ mulation der ovariellen Androgenproduktion durch Insulin erklärt werden. Beide Er­ krankungen führen zu einer Insulinresistenz mit daraus folgender Hyperinsulinämie. Die Folgen sind eine verminderte Synthese des sexualhormonbindenden Globulins (SHBG) in der Leber, eine vermehrte Verfügbarkeit freier Androgene (Hyperandrogen­ ämie), Suppression der Hypothalamus-Hypophysen-Achse und eine Atresie der Ova­ rialfollikel (Anovulation) [17]. Eine Umstellung der Essgewohnheiten (Lifestyle Management) wird als die beste Therapie des PCOS betrachtet, denn eine Gewichtsabnahme von 5% führt bereits zu einer Besserung der Symptome [18, 19]. Die Adipositaschirurgie hat aufgrund der schnellen und nachhaltigen Gewichts­ abnahme einen positiven Effekt auf das PCOS. In einer Studiengruppe mit 2130 Pati­ enten, bei denen ein adipositaschirurgischer Eingriff durchgeführt wurde, betrug die präoperative Inzidenz 45,6%. Postoperativ sank nach 12 Monaten die Anzahl der an PCOS erkrankten Patientinnen auf 6,8% [20]. Merke: Die Gewichtabnahme führt zu einer ansteigenden Geburtenrate bei adipösen Frauen mit und ohne PCOS und ist die First-line-Therapie bei Sterilität. Die Gewichtsabnahme kann erreicht werden durch veränderte Lebensführung, eine pharmakolo­ gische Therapie oder die Adipositaschirurgie.

13.2 Schwangerschaft, Geburt und neonatale Komplikationen Adipositas erhöht das Risiko, in der Schwangerschaft Komplikationen zu erleiden. Hierzu zählen die Präeklampsie, die arterielle Hypertonie, der Gestationsdiabetes, eine erhöhte Kaiserschnittrate und ein gesteigertes Risiko von Geburtskomplikatio­

13.3 Die Epigenetik der Adipositas

| 201

nen [21–24]. Adipöse Frauen haben zudem eine erhöhte Abortrate, häufiger Frühge­ burten und auch Totgeburten [25, 26]. Darüber hinaus erhöht die Adipositas das Risiko von Anomalien beim Feten (ins­ besondere des kardiovaskulären Systems und Neuralrohrdefekte), der Makrosomie (Geburtsgewicht > 4500 g) und der Adipositas in der Kindheit [25, 26]. In einer dänischen Kohortenstudie mit 369.347 Frauen konnte eine höhere Kom­ plikationsrate bei übergewichtigen und adipösen Frauen im Vergleich zu Normalge­ wichtigen aufgezeigt werden. In der Studiengruppe waren 20,9% der Frauen über­ gewichtig, 11,7% hatten eine Adipositas. Das Risiko für einen Gestationsdiabetes, Präeklampsie und Makrosomie war bei Übergewicht um das 3,5-, 1,9- und 1,6-fache erhöht, bei Adipositas bis zu 11,0-, 4,4- bzw. 2,7-fach erhöht. Das Risiko für einen niedrigeren Apgar-Score oder eine Totgeburt war bei Übergewicht 1,3- bzw. 1,4-fach erhöht, bei Adipositas jeweils 1,9-fach erhöht [27]. Nach einem adipositaschirurgischen Eingriff treten Schwangerschaftskomplika­ tionen wie Gestationsdiabetes, Präeklampsie, Schwangerschaftshypertonus und Ma­ krosomie seltener auf [28, 29]. Das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) empfiehlt aus die­ sem Grund allen adipösen Frauen, die eine Schwangerschaft planen, eine Gewichts­ abnahme vor einer geplanten Schwangerschaft anzustreben. Die präkonzeptionelle Beratung ist bei diesen Patientinnen von großer Wichtigkeit und adipöse Frauen müs­ sen über die erhöhten Schwangerschaftsrisiken durch Übergewicht und Adipositas aufgeklärt werden [30]. Merke: Bei adipösen Frauen wird das Risiko an mütterlichen und fetalen Komplikationen in der Schwangerschaft durch eine präkonzeptionelle Gewichtsabnahme vermindert. Wenn die Gewichtsabnahme nicht durch konservative oder pharmakologische Behandlungsoptio­ nen erreicht werden kann, ist ein adipositaschirurgischer Eingriff indiziert.

13.3 Die Epigenetik der Adipositas Die mütterliche Adipositas wirkt sich auf die intrauterine Entwicklung des Kindes aus. Die Assoziation zwischen einem erhöhten Schwangerschaftsgewicht und einem höheren Geburtsgewicht [31] als auch zwischen einer niedrigen Gewichtszunahme während der Schwangerschaft und einer Frühgeburt bzw. einem niedrigen Geburtsge­ wicht [32] ist belegt. Bei exzessiver Gewichtszunahme während der Schwangerschaft steigt das Risiko für das Kind und damit den späteren Erwachsenen, adipös zu wer­ den, an [33]. Das Risiko, ein adipöses Kind mit metabolischen Begleiterkrankungen zu gebä­ ren, vermindert sich nach einem adipositaschirurgischen Eingriff.

202 | 13 Adipositaschirurgie

Durch Smith et al. wurden insgesamt 111 Kinder von 49 Müttern untersucht, die einer biliopankreatischen Diversion unterzogen worden waren. Von den 111 Kin­ dern wurden 54 vor dem mütterlichen Eingriff (BMS: before maternal surgery) und 57 nach dem adipositaschirurgischen Eingriff (AMS: after maternal surgery) geboren. Die AMS-Kinder wiesen ein niedrigeres Geburtsgewicht auf, hatten eine reduzierte Prävalenz der Makrosomie, zeigten jedoch keinen Unterschied in Bezug auf Geburts­ untergewicht. In der Verlaufsbeobachtung hatten AMS-Kinder eine 3-fach niedrigere Prävalenz der morbiden Adipositas, eine höhere Insulinsensitivität, ein besseres Li­ pidprofil, niedrigere CRP- und Leptin-Werte und gesteigerte Ghrelinwerte als Kinder vor dem adipositaschirurgischen Eingriff (AMS vs. BMS) [34]. Dieser Sachverhalt konnte durch die Arbeitsgruppe von Guénard et al. in einer Genuntersuchung von 20 Patientinnen und ihren 50 Kindern (25 BMS und 25 AMS) nach biliopankreatischer Diversion bestätigt werden. Hierbei wies die Arbeitsgruppe die unterschiedliche Methylierung von Genen in Bezug auf den Stoffwechsel durch den adipositaschirurgischen Eingriff nach [35]. Patti et al. konnten aufzeigen, dass ein adipositaschirurgischer Eingriff zu einer Veränderung des Phänotyps, Methyloms und Transkriptoms des Kindes führt. Im Ver­ gleich von Geschwistern untereinander, die vor (BMS) und nach einem adipositaschir­ urgischen Eingriff (AMS) geboren wurden, zeigten sich eine Verbesserung der Plasma­ lipide, eine Reduktion der Insulinresistenz und eine Besserung der Hypertonie [36]. Zusammenfassend bestätigen diese Arbeiten, dass die intrauterinen Bedingun­ gen bei morbider Adipositas eine grundlegende Rolle in der epigenetischen Übertra­ gung der Adipositas und Adipositas-assoziierter Erkrankungen spielen. Merke: Eine Gewichtskontrolle vor und während der Schwangerschaft bei morbid adipösen Frauen ist deshalb grundlegend, um langfristig die Häufigkeit der Adipositas zurückzudrängen.

Die Leitlinien des Institute of Medicine (IOM) empfehlen aus diesem Grund folgende Gewichtszunahmen während der Schwangerschaft [37]: – Bei untergewichtigen Schwangeren (BMI < 18,5 kg/m2 ): 12,7–18,2 kg – Bei normalgewichtigen Schwangeren (BMI 18,5–24,9 kg/m2 ): 11,3–15,8 kg – Bei übergewichtigen Schwangeren (BMI 25–29,9 kg/m2 ): 6,8–11,3 kg

13.4 Die Schwangerschaft nach dem adipositaschirurgischen Eingriff Merke: 70–80% der adipositaschirurgischen Eingriffe wird an Frauen im gebärfähigen Alter durch­ geführt. Aus diesem Grund ist die enge Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen und Adipositas­ chirurgen grundlegend.

13.4 Die Schwangerschaft nach dem adipositaschirurgischen Eingriff |

203

Nach einem adipositaschirurgischen Eingriff ist im ersten postoperativen Jahr von einer Schwangerschaft abzuraten, da die Patientinnen in dieser Zeit in einer kata­ bolen Stoffwechsellage sind und die schnelle Gewichtsabnahme zu Risikoschwan­ gerschaften führen kann. Die reduzierte Nahrungsaufnahme kann einen negativen Einfluss auf den Feten haben und eine frühzeitige Schwangerschaft kann das Ergeb­ nis der Operation verschlechtern und zu einer verminderten Gewichtsabnahme füh­ ren [38, 39]. Einige Autoren empfehlen, eine Schwangerschaft erst 18 Monate postope­ rativ zu planen, da die Gewichtsabnahme erst nach etwa 24 Monaten ein stabiles Pla­ teau erreicht [39]. Frauen, die nach dem chirurgischen Eingriff eine Schwangerschaft wünschen, sollten dies frühzeitig mit ihrem Adipositaschirurgen und Gynäkologen besprechen und die Schwangerschaft planen. Die Beobachtungsstudien zum Verlauf einer Schwangerschaft nach einem adipositas­ chirurgischen Eingriff zeigen unterschiedliche Ergebnisse. So konnten einige Autoren nachweisen, dass es keinen Unterschied im Hinblick auf die Komplikationen einer Schwangerschaft zwischen der Gesamtpopulation und Frauen nach adipositaschir­ urgischen Eingriffen gibt [40–42]. Andere Arbeiten haben dagegen aufgezeigt, dass ein Mangel an Vitaminen und Supplementen erhebliche Folgen für das Neugebore­ ne haben kann [43–46]. Ein Mangel an Eisen und Calcium und eine Avitaminose der Vitamine A, D und B12 werden verantwortlich gemacht für fetale Komplikationen wie den vorzeitigen intrauterinen Fruchttod, ein niedriges Geburtsgewicht (small for ge­ stational age), die neonatale Hypokalzämie, eine mentale Retardierung oder Neural­ rohrdefekte [46–49]. Aus diesem Grund sind Laborkontrollen von Calcium, Eisen und der Vitamine A, D und B12 präkonzeptionell und während einer Schwangerschaft mit konsekutiver Sub­ stitution unabdingbar. Eine Schwangerschaft sollte aus diesem Grund immer geplant werden, um bestehende Mangelzustände frühzeitig auszugleichen. Merke: Patientinnen müssen vor jedem adipositaschirurgischen Eingriff darüber aufgeklärt wer­ den, dass nach der Operation die Konzeptionsfähigkeit ansteigt und dass ein Mineral- und Vit­ aminmangel in der Schwangerschaft erhebliche Folgen für das Kind haben kann.

Die Standardsubstitution nach den unterschiedlichen adipositaschirurgischen Ein­ griffen ist in Tabelle 13.1 zusammengefasst. Die übliche Vitaminsubstitution in der Schwangerschaft (v. a. Folsäure) sollte zusätzlich zu der obligaten Standardsubsti­ tution gegeben werden [39]. Zudem ist auf eine ausreichende Proteinzufuhr zu achten (mindesten 60 g/Tag nach Magenband, Schlauchmagen und Magenbypass und min­ destens 200 g/Tag nach biliopankreatischer Diversion). Merke: Engmaschige Kontrollen und eine strikte Supplementation sind während einer Schwanger­ schaft wesentlich.

204 | 13 Adipositaschirurgie

Tab. 13.1: Mineral- und Vitamin-Supplementation-Empfehlung nach einem adipositaschirurgischen Eingriff. BPD = Biliopankreatische Diversion, BPD-DS = Biliopankreatische Diversion mit Duodenal Switch. Nährstoff

Magenband

Multivitamin 1×/Tag

Schlauchmagen 1×/Tag

Magenbypass

BPD/BPD-DS

2×/Tag

2×/Tag

Calcium

1000 mg/Tag 1000 mg/Tag

1000–1500 mg/Tag

1800–2400 mg/Tag

Vitamin D3

1×/Tag 1000 IE

1×/Woche 20.000 IE

1×/Woche 20.000 IE

2×/Woche 20.000 IE

Vitamin B12



1000 μg/Monat i.m.

1000 μg/Monat i.m.

1000 μg/Monat i.m.

Eisen



1–0–1–0

1–1–1–0

1–1–1–0

Aufgrund der veränderten Anatomie und des veränderten Essverhaltens postoperativ sollten folgende Anpassungen beachtet werden: – Nach adipositaschirurgischen Eingriffen sollte der Patient 2–4 proteinreiche Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen. Die Änderung des Essverhaltens ist für den Erfolg des Eingriffes entscheidend und muss von den Patienten postoperativ oft „neu erlernt“ werden. Aus diesem Grund sollten während einer Schwangerschaft nicht 6 oder mehr Mahlzeiten am Tag empfohlen werden. Eine ausreichende Nah­ rungsaufnahme ist bei strikter Supplementation auch mit 2–4 Mahlzeiten am Tag sicher gewährleistet. – Aufgrund der veränderten Anatomie kann es bei Patienten mit Magenbypass durch die Aufnahme von einfachen Kohlenhydraten zu einer Dumping-Sympto­ matik postprandial kommen. Der üblicherweise in der 28. SSW durchgeführte orale Glukosetoleranztest (OGTT) sollte aus diesem Grund gemieden werden. Besser sind die Bestimmung der Nüchternglukose und der Glukose im Blut zwei Stunden postprandial und die Bestimmung des HbA1c [27], um die klinischen Symptome eines Spät-Dumpings zu vermeiden. Aufgrund der veränderten Resorption von Medikamenten ist es wichtig, die Patien­ tinnen darüber aufzuklären, dass nach einem restriktiven oder einem malabsorptiven Eingriff die orale Kontrazeption in ihrer Wirkung beeinträchtigt sein kann [50]. Frauen sollten in dieser Situation andere kontrazeptive Maßnahmen anwenden (z. B. intrau­ terine Spirale) und dies mit ihrem behandelnden Gynäkologen besprechen.

13.5 Sectio caesarea Die Wahrscheinlichkeit, durch eine Sectio zu entbinden, steigt bei Adipositas im Ver­ gleich zur normalgewichtigen Nullipara signifikant an. In einer multizentrischen Stu­ die von Weiss et al. betrug bei 16.102 Nulliparae die Anzahl der Kaiserschnitte 33,8%

13.6 Adipositaschirurgische Komplikationen während der Schwangerschaft |

205

bei übergewichtigen Frauen und 47,4% bei morbid adipösen Frauen im Vergleich zu 20,7% in der Kontrollgruppe [24]. Die Frage, ob eine Sectio ein höheres Risiko für das Kind bedeutet, an Diabetes mellitus Typ 1 (DM Typ 1) zu erkranken, wird in der Literatur diskutiert. Cardwell et al. konnten in einer Metaanalyse mit 2.133.236 Patientinnen aufzei­ gen, dass Kinder, die mit einem Kaiserschnitt geboren werden, ein um 19% erhöhtes Risiko für einen DM Typ 1 haben [51]. Als Ursache wird das durch die vaginale Geburt im Vergleich zum Kaiserschnitt resultierende unterschiedliche Mikrobiom beim Neu­ geborenen mit unterschiedlicher Immunitätslage vermutet (hygiene hypothesis) [52]. Die obige Hypothese wurde von einer schwedischen Arbeitsgruppe widerlegt. Al­ le Kinder aus dem schwedischen Geburtsregister, die zwischen 2000 und 2012 mit DM Typ 1 diagnostiziert wurden (n = 9.376), wurden untersucht. Mütter mit Diabetes ent­ banden häufiger per Kaiserschnitt als Mütter ohne Diabetes (78,8% vs. 12,7%). Kinder, die durch Sectio entbunden wurden und deren Mütter nicht an Diabetes litten, zeigten auch kein erhöhtes Risiko, einen DM Typ I zu entwickeln. Damit war der mütterliche Diabetes stärkster Prädiktor für das Risiko eines Kindheitsdiabetes (OR 3.4), insbeson­ dere dann, wenn die Mutter einen DM Typ 1 hatte (OR 7.54) [53].

13.6 Adipositaschirurgische Komplikationen während der Schwangerschaft Spezielle adipositaschirurgische Komplikationen sind das Slippage nach Magenband­ implantation und die innere Hernie nach Roux-Y Magenbypass.

13.6.1 Das Slippage nach einer Magenbandimplantation Bei einem Slippage handelt es sich um das Durchrutschen von distalen Magenanteilen durch das Magenband nach oral (Abbildung 13.2). Durch den Druck des Magenbandes auf das vermehrte Magenvolumen entwickelt sich in der Regel eine Passagestörung, und die Patienten leiden unter dauerhaftem Erbrechen (Abbildung 13.3). Eine rasche konservative Behandlung mittels Bandöffnung ist dringend indiziert. Wenige Stunden nach Entblockung sollte eine normalisierte Nahrungspassage wieder möglich sein, da der geslippte Magenanteil durch das erweiterte Band nach Entblockung wieder nach unten gleiten kann. Sollte dies nicht der Fall sein, besteht ein Notfall und es bedarf der sofortigen operativen Intervention, um das Entstehen einer Magenwandnekrose zu vermeiden. Außerhalb der Schwangerschaft kann die laparoskopische Reposition des Magens, abhängig vom intraoperativen Befund, in Betracht gezogen werden, bei Schwangeren kommt vorzugsweise die laparoskopische Entfernung des Bandes infra­ ge.

206 | 13 Adipositaschirurgie

Merke: Bei Hyperemesis gravidarum muss bei Patientinnen mit einem Magenband differenzialdia­ gnostisch immer ein Slippage ausgeschlossen werden. Erbrechen ist immer ein Alarmsymptom nach Adipositaschirurgie und darf nicht als „normale“ Schwangerschaftshyperemesis gedeutet werden. Kommt es zu einer Epigastralgie und Hyperemesis bei schwangeren Patientinnen mit Magenband ist primär das Magenband komplett zu entblocken.

In einer französischen, retrospektiven Studie von 18 schwangeren Frauen mit Magen­ band und 22 Neugeborenen musste bei insgesamt 7 Patientinnen das Magenband wäh­ rend der Schwangerschaft aufgrund von Epigastralgie entblockt werden [54]. In einer weiteren Beobachtungsstudie von Skull et al. zeigte sich bei 2 von 49 Schwangerschaften (4%) ein Slippage des Magenbandes und bei beiden Patientinnen wurde das Magenband via Laparotomie entfernt. Beide Schwangerschaften verliefen danach unauffällig. Bei 8 Frauen (18%) erfolgte während der Schwangerschaft eine Magenbandentblockung, bei 36 Patientinnen (82%) verlief die Schwangerschaft mit geblocktem Magenband unauffällig [55]. Die Arbeitsgruppe von Harward et al. beobachtete 5.467 Patientinnen mit Magen­ band während und nach einer Schwangerschaft. Es konnte gezeigt werden, dass eine Schwangerschaft kein erhöhtes Risiko einer Bandrevision bis zu 3 Jahre post partum mit sich bringt. Bei Patientinnen mit primärer Revision des Magenbandes zeigte sich allerdings ein kürzeres Intervall zwischen Magenbandimplantation und Schwanger­ schaft (2,2 vs. 3,1 Jahre nach Implantation) [56]. Während der Schwangerschaft kam es bei 37% der Patientinnen zu keinem Magenband-assoziiertem Ereignis, es musste aber bei 63% der schwangeren Frauen interveniert werden. Bei Schwangerschaftsbe­ ginn wurde bei 15% der Frauen das Magenband komplett entblockt. Bei 4% wurde das Magenband im Verlauf bis zur Geburt vollständig entblockt und bei insgesamt 44% der Patientinnen musste das Band zumindest partiell entblockt werden. Merke: Eine engmaschige Kontrolle von schwangeren Patientinnen mit Magenband ist aufgrund der Gefahr eines Slippage unabdingbar. Da ein Magenbandslippage gravierende Konsequenzen für Mutter und Feten haben kann, empfehlen wir allen unseren Patientinnen ein vollständiges Ent­ blocken des Magenbandes zu Beginn einer Schwangerschaft.

Beri-Beri-Syndrom (Vitamin-B1-Mangel durch rezidivierendes Erbrechen) Wiederholtes Erbrechen kann auch nach Magenband zu einem gravierenden Vit­ amin-B1-Mangel führen. Die Berichte in der Literatur beziehen sich nach Adiposi­ taschirurgie zwar häufiger auf den Schlauchmagen, entsprechende Berichte gibt es aber auch für das Magenband [57–60]. Die Symptomatik mit Gewichtsverlust, Schwä­ che, sensorischer Neuropathie, Schmerzen in den Beinen bis zur Herzinsuffizienz ist zwar typisch, kann aber gerade in der Schwangerschaft fehlgedeutet werden. In solch

13.6 Adipositaschirurgische Komplikationen während der Schwangerschaft

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207

Abb. 13.2: Slippage eines Magenbandes im Röntgen-Gastrografin-Schluck.

Abb. 13.3: Intraoperatives Bild eines Slippage.

einem Fall würde unerkannt eine lebensbedrohliche Komplikation für Mutter und Ungeborenes entstehen. Bei entsprechender Symptomatik dieser für Mutter und Kind lebensbedrohlichen Komplikation ist daher ex juvantibus eine Thiamin-Supplementation mit 300 mg/Tag intravenös grundsätzlich durchzuführen.

13.6.2 Die innere Hernie nach proximalem Roux-Y Magenbypass Die innere Hernie gehört zu den häufigsten Langzeitkomplikationen nach einem la­ paroskopischen Roux-Y Magenbypass, die in 1–3% auftritt [61–64]. Im Durchschnitt erfolgt das Auftreten einer inneren Hernie nach mehr als einem Jahr nach dem Ein­ griff, häufig kombiniert mit einem hohen Gewichtsverlust [61]. Es gibt drei klassische Lokalisationen einer inneren Hernie nach laparoskopi­ schem antekolischen Roux-Y Magenbypass. Diese sind der Petersen Space (zwischen dem Mesenterium der Roux-Y Schlinge und dem Kolon transversum), am Mesodefekt

208 | 13 Adipositaschirurgie

Abb. 13.4: Der Petersen Space (Raum zwischen Colon transversum und Dünndarmmesenterium von der Jejuno-Jenunostomie bis zur GastroJejunotomie reichend) gilt als häufigste Loka­ lisation der inneren Hernie (mit freundlicher Unterstützung von Dott. S. Squillante).

und der Brolin Space (an der Enteroenterostomie). Zudem können Patienten, deren Magenbypass retrokolisch ausgeführt wurde, noch eine Hernie am Mesenterium des Kolon transversum entwickeln (Abbildung 13.4). Bei einer chronischen Herniation klagen die Patienten über rezidivierende ab­ dominelle Schmerzen, bei einer akuten Herniation kommt es neben einer akuten Schmerzsymptomatik zu dem Bild eines Ileus. Die Indikation zur diagnostischen La­ paroskopie ist frühzeitig gegeben (Abbildung 13.5). In unserem Patientenkollektiv konnte eine leichte Erhöhung des Bilirubins und der Leberenzyme bei einer Einklem­ mung des biliopankreatischen Schenkels als indirektes Zeichen einer inneren Hernie nachgewiesen werden. Bemerkenswert ist, dass die Röntgen- und CT-Diagnostik eine geringe Sensitivität haben und häufig falsch negative Befunde liefern. Selten ist eine innere Hernie mit geblähten Dünndarmschlingen und einem nach­ weisbaren Kalibersprung oder einem Swirl der Mesowurzel im CT vom Abdomen nach­ zuweisen. Aufgrund der fatalen Folgen einer nicht rechtzeitig diagnostizierten inne­ ren Hernie ist die radiologische Diagnostik auch in der Schwangerschaft indiziert. Merke: Bei dringendem Verdacht auf eine innere Hernie muss die chirurgische Intervention not­ fallmäßig erfolgen, da eine Dünndarmischämie mit Perforation und Peritonitis droht.

Abb. 13.5: Laparoskopische Reposition einer inneren Hernie aus dem Petersen Space.

Literatur

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Das Risiko einer inneren Hernie nach Roux-Y Magenbypass scheint bei schwangeren Frauen aufgrund des erhöhten intraabdominellen Drucks erhöht. Es gibt Fallbeispie­ le, bei denen aufgrund einer inneren Hernie ein mechanischer Ileus während einer Schwangerschaft aufgetreten ist [65–67]. In einem Fallbericht kam es zwei Jahre nach einem Roux-Y Magenbypass in der 35. Schwangerschaftswoche zu einer inneren Hernie mit Indikation zur vorzeitigen Sectio mit erweiterter Laparotomie und Reposition der inneren Hernie bei Darmischä­ mie [65]. Bei einer weiteren Patientin in der 30. Schwangerschaftswoche erfolgte acht Monate nach Magenbypass eine Laparoskopie mit Reposition einer inneren Hernie. Der postoperative Verlauf war komplikationslos und es resultierte kein Schaden für Mutter und Kind [66]. Bei zwei weiteren Patientinnen kam es zu einer inneren Her­ nie im Petersen Space 17 und 28 Monate nach Magenbypass. Bei beiden Patientinnen war präoperativ ein CT vom Abdomen erfolgt, das einen mechanischen Ileus nach­ weisen konnte. Bei der ersten Patientin erfolgte in der 32. SSW und bei der zweiten in der 30. SSW die laparoskopische Reposition der inneren Hernie. Bei beiden Patientin­ nen kam es postoperativ zu vorzeitigen Wehen, die durch Tokolyse beherrscht werden konnten. Die weitere Schwangerschaft war bei beiden Patientinnen komplikationslos und die vaginale Geburt erfolgte in der 37. SSW bzw. in der 40. SSW [67].

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Peter Kienle und Julia Hardt

14 Operative Therapie von entzündlichen Darmerkrankungen 14.1 Einleitung Chronische entzündliche Darmerkrankungen (CED) manifestieren sich meist zwi­ schen dem 15. und 45. Lebensjahr. In diesen Zeitraum fällt im Allgemeinen die Le­ bensphase der Familienplanung, sodass das therapeutische Vorgehen bei Frauen mit CED und Kinderwunsch oder in der Schwangerschaft eine Herausforderung für alle behandelnden Disziplinen darstellt. Im folgenden Kapitel sollen Indikationen und Optionen der chirurgischen Therapie von CED vor und während der Schwangerschaft aufgrund der verfügbaren Evidenz und der Erfahrungen aus der eigenen klinischen Praxis betrachtet werden.

14.1.1 Einfluss von CED auf die Fertilität Nach aktueller Datenlage ist die Fertilität von Patientinnen mit CED in Remission ähnlich wie bei gesunden Frauen (Evidenzlevel [EL] 3) [1]. Die Infertilitätsrate wird zwischen 5 und 14% angegeben [2–5]. Bei Patientinnen mit Morbus Crohn (MC) und nachgewiesener Entzündungsaktivität kann hingegen die Fertilität beeinträchtigt sein (EL3). Mechanismen, die hier eine Rolle spielen, sind unter anderem die Einbe­ ziehung von Ovarien und Tuben in das entzündliche Geschehen sowie Dyspareunie durch perianalen Crohnbefall [5]. Bei Patientinnen mit Colitis ulcerosa (CU) ist im Allgemeinen die Fertilität nicht eingeschränkt [4].

14.1.2 Einfluss von Operationsverfahren auf die Fertilität bei CED Nach Proktokolektomie mit ileoanaler Pouchanlage ist die Fertilität der Patientinnen reduziert [6–9]. Dies ist überwiegend auf postoperative Verwachsungen im kleinen Becken und die daraus resultierende Störung der Tubenmotilität zurückzuführen. Bei Patientinnen mit Kinderwunsch und absoluter Operationsindikation aufgrund von Dysplasien und/oder Therapierefraktärität kann in ausgewählten Fällen als Alterna­ tive eine Kolektomie mit Ileorektostomie erfolgen. Voraussetzungen sind, dass keine Dysplasien im Rektum nachweisbar sind und dass das Rektum nur wenig entzündet ist, letzteres ist bei höchstens 5–10% der Patienten der Fall. Es sollte auf das erhöh­ te Risiko einer Krebsentwicklung im belassenen Rektum hingewiesen werden, insbe­ DOI 9783110414134-014

214 | 14 Operative Therapie von entzündlichen Darmerkrankungen

sondere wenn die Operationsindikation zur Kolektomie aufgrund von Dysplasien oder Krebs gestellt wurde. 50% der Patientinnen werden im weiteren Verlauf aufgrund von Neoplasie oder einer entzündlich therapierefraktären Situation einer Restkolektomie zugeführt. Die Patientinnen müssen darüber aufgeklärt werden, dass regelmäßige en­ doskopische Kontrollen des Rektumstumpfes notwendig sind [10]. Eine weitere Alter­ native bei noch unerfülltem Kinderwunsch ist ein 3-zeitiges Vorgehen mit subtotaler Kolektomie und endständiger Ileostomaanlage (Abbildung 14.1), nach Abschluss der Familienplanung erfolgt dann die Restproktokolektomie mit ileoanaler Pouchanlage. Mit dieser operativen Strategie lässt sich das Risiko einer tubenbedingten Sterilität re­ duzieren. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass sich ein laparoskopisches Vorgehen bei der ileoanalen Pouchanlage vorteilhaft auf die Reduktion von tubenfaktor-indu­ zierter Sterilität durch postoperative Verwachsungen auswirkt (EL2). Ein laparoskopi­ scher Zugang bei Patientinnen mit Kinderwunsch ist daher empfehlenswert [1, 11, 12]. Merke: Nach Proktokolektomie mit ileoanaler Pouchanlage kann die Fertilität beeinträchtigt sein. Bei Kinderwunsch und dysplasiefreiem Rektum kann bei ausgewählten Patientinnen alternativ ei­ ne Kolektomie mit Ileorektostomie erfolgen. Eine weitere Alternative stellt ein 3-zeitiges Vorgehen dar, bei welchem erst nach abgeschlossener Familienplanung die Restproktokolektomie mit ileo­ analer Pouchanlage durchgeführt wird.

14.1.3 Einfluss der Schwangerschaft auf den Krankheitsverlauf Tritt die Schwangerschaft während eines entzündungsfreien Intervalls auf, so ist die Wahrscheinlichkeit eines akuten Entzündungsschubes während der Schwangerschaft nicht erhöht (EL3) [1, 5, 13]. In einer retrospektiven Kohortenstudie fiel sogar eine redu­ zierte Krankheitsaktivität bei Crohn-Patientinnen während der Schwangerschaft im Vergleich zum Vorjahr auf [14]. Die Aussagekraft der Daten ist allerdings kritisch zu betrachten, da ein reduzierter Nikotinkonsum während der Schwangerschaft eben­ falls einen positiven Einfluss auf die Krankheitsaktivität ausüben kann. Eine kürzlich publizierte Studie, die unter 92.335 in den USA zwischen 1998 und 2009 stationär be­ handelten Crohn-Patientinnen (Nationwide Inpatient Sample) 265 Schwangere iden­ tifizierte, fand dagegen in der multivariaten Analyse nach Ausschluss von Einfluss­ faktoren wie Ernährungszustand, Nikotinabusus, Alter und Kortikosteroideinnahme signifikant höhere Raten an Fisteln, analer Sekretion und chirurgischer Therapiebe­ dürftigkeit [15]. Interessanterweise waren schwangere MC-Patientinnen dieser Kohor­ te signifikant seltener von Obstruktion und Strikturen betroffen. Tritt die Schwangerschaft während eines Entzündungsschubes auf, so kommt es bei etwa zwei Dritteln der Patientinnen zu einer Entzündungspersistenz und wieder­ um bei zwei Dritteln der Betroffenen zu einer klinischen Verschlechterung (EL3) [1, 5]. Daraus resultiert die Empfehlung, eine Schwangerschaft möglichst in der Remission zu planen. Sollte es im ersten Trimester oder auch während des Stillens zu einem Ent­

14.1 Einleitung

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zündungsschub kommen, so ist dies nicht selten auf eine Unterbrechung der medika­ mentösen Therapie zurückzuführen. Die Frage, ob postpartal eine reduzierte Krankheitsaktivität resultiert, wird ak­ tuell kontrovers diskutiert. In einer Kohorte von 580 CED-Patientinnen ergab sich während eines Nachbeobachtungszeitraums von 10 Jahren eine Senkung der Anzahl akuter Entzündungsschübe sowohl für Patientinnen mit MC als auch mit CU [16]. Eine erst kürzlich publizierte prospektive multizentrische Studie, die 209 schwangere CEDPatientinnen einschloss, zeigte eine bei MC-Patientinnen unbeeinflusste Krankheits­ aktivität sowohl während der Schwangerschaft als auch post partum, wohingegen CU-Patientinnen während der Schwangerschaft, insbesondere in den ersten beiden Trimestern und auch nach der Geburt, ein signifikant erhöhtes Risiko für einen aku­ ten Schub aufwiesen im Vergleich zu CU-Patientinnen, die nicht schwanger waren oder gerade entbunden hatten (EL4) [17]. Die zugrunde liegenden immunologischen Mechanismen sind noch nicht abschließend geklärt. Merke: Eine Schwangerschaft sollte möglichst in der Remission geplant werden.

14.1.4 Einfluss der Krankheitsaktivität auf den Verlauf von Schwangerschaft und Geburt Die Evidenz hinsichtlich der Beeinflussung des Schwangerschaftsverlaufs durch die Krankheitsaktivität ist uneinheitlich [18]. Eine multizentrische prospektive Fallkon­ trollstudie, die 332 schwangere CED-Patientinnen einschloss, zeigte keine signifi­ kanten Unterschiede im Vergleich zu den gesunden Kontroll-Patientinnen bezüglich der Rate an Aborten, Frühgeburten, Sectiones, Fehlbildungen oder untergewichti­ gen Neugeborenen [19]. Eine Metaanalyse von zwölf Studien mit insgesamt 3907 CED-Patientinnen ergab ein höheres Risiko für eine Frühgeburt im Vergleich zur Normalbevölkerung sowie ein ausschließlich für MC-Patientinnen erhöhtes Risiko, ein untergewichtiges Neugeborenes zu entbinden [20]. Die aktuelle ECCO-Leitlinie fasst ebenfalls zusammen, dass das Risiko für ein Kind, zu früh oder untergewichtig geboren zu werden, bei einer an CED erkrankten Mutter erhöht ist (EL2–3) [1]. Der Entbindungsmodus sollte sich primär an den geburtshilflichen Indikationen orien­ tieren. Perianale oder rektale Entzündungsaktivität allerdings gelten als Indikationen für eine Sectio caesarea; das Vorhandensein eines ileoanalen Pouchs oder einer ileo­ rektalen Anastomose stellt zumindest eine relative Indikation dar (EL5) [1, 5, 18]. Eine vaginale Entbindung scheint die Pouchfunktion selbst nicht zu schädigen, wobei die Datenbasis dazu nur gering und widersprüchlich ist. Es kann allerdings bei Patientin­ nen mit Pouch, die ganz besonders auf eine suffiziente Sphinkterfunktion angewiesen sind, durch das Geburtstrauma zu einer relevanten Beeinträchtigung der Kontinenz kommen [21].

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Merke: Bei perianaler oder rektaler Entzündungsaktivität ist in der Regel eine Sectio indiziert. Das Vorhandensein eines Pouchs oder einer Ileorektostomie ist eine relative Indikation für eine Sectio.

14.2 Chirurgische Therapie Prinzipiell gelten bei schwangeren CED-Patientinnen die gleichen Kriterien der Ope­ rationsindikationsstellung wie bei nicht-schwangeren. Zu den absoluten und meist dringlichen OP-Indikationen gehören somit der konservativ erfolglos therapierte Ileus, die Perforation, die fulminante Colitis mit der Maximalform des toxischen Me­ gakolons, die persistierende gastrointestinale Blutung und der Abszess (EL4) [1, 5, 10]. Die Rationale hierfür ist, dass die genannten Umstände sowohl die Mutter als auch den Feten potenziell vital bedrohen, in jedem Fall jedoch weitaus mehr gefährden als ein chirurgischer Eingriff. Die Tatsache, dass nicht der chirurgische Eingriff oder die Narkose den Feten gefährden, sondern der Schweregrad der die Operation erfor­ dernden mütterlichen Erkrankung hat sich bereits in Bezug auf die Appendektomie und Cholezystektomie gezeigt. Die Abortrate lag bei diesen Eingriffen schon in den 1970ern bei nur etwa 1,5%, stieg jedoch auf bis zu 40% an, sofern eine Peritonitis vorlag [22]. Die Mehrzahl der Empfehlungen, auch in den entsprechenden Leitlinien der Eu­ ropean Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) [1, 5], basiert allerdings auf pragma­ tischen Überlegungen, da die wissenschaftliche Evidenz zu diesem Thema gering ist (EL4–5) und aus Kasuistiken und kleineren Fallserien besteht. Merke: Der konservativ erfolglos therapierte Ileus, die Perforation, die fulminante Colitis mit der Maximalform des toxischen Megakolons, die persistierende gastrointestinale Blutung und der in­ terventionell nicht drainierbare Abszess stellen absolute OP-Indikationen dar.

14.2.1 Chirurgische Therapie der Colitis ulcerosa und Schwangerschaft In der Literatur sind bis heute 36 Fälle beschrieben, in denen sich schwangere CU-Pati­ enten aufgrund von CU-assoziierten Komplikationen einem abdominalchirurgischen Eingriff unterziehen mussten, zudem sind neun weitere Fälle beschrieben, die auf­ grund der genannten Indikationen im Wochenbett operiert wurden. Dozois et al. pu­ blizierten die Ergebnisse fünf eigener Fälle aus dem Zeitraum 1980–2004 sowie eine Übersichtsarbeit über die zwischen 1951 und 2004 veröffentlichten Fallberichte und -serien [23]. In allen fünf Fällen aus der eigenen Institution der Autoren wurde bei fulminanter, therapierefraktärer Colitis (Abbildung 14.2) eine subtotale Kolektomie mit endständiger Ileostomaanlage durchgeführt, wobei vier Patientinnen einen Hart­

14.2 Chirurgische Therapie |

217

mannstumpf erhielten und bei einer Patientin das Restkolon als Schleimfistel ausge­ leitet wurde. In dieser kleinen Fallserie von Dozois lag sowohl die maternale als auch die fetale Mortalität bei 0%. Die postoperative Morbidität bestand in zwei oberfläch­ lichen Wundinfekten und einem asymptomatischen intraabdominellen Verhalt, der erst bei der Sectio im weiteren Verlauf diagnostiziert wurde. Bei drei der fünf Patien­ tinnen konnte später erfolgreich eine Restproktokolektomie mit ileoanaler Pouchan­ lage durchgeführt werden. Betrachtet man die 28 vor 2004 in der Literatur beschriebenen Fälle, so fällt auf, dass Mortalität und Morbidität von Mutter und Kind nach chirurgischen Eingriffen bei CU-assoziierten Komplikationen drastisch gesenkt werden konnten: Die Zusammen­ fassung der Fälle aus den Jahren 1951 bis 1987 zeigt maternale und fetale Mortalitäts­ raten von 24 und 67%. In den seit 1987 bis heute publizierten Serien hingegen lag die Mortalität von Müttern und Kindern stets bei 0%. Die postoperative Morbidität war in den seit 1987 publizierten Fällen ebenfalls gering und beinhaltete lediglich wenige Wundkomplikationen und noch seltener intraabdominelle Verhalte. In den 28 Fällen vor der Serie von Dozois wurde überwiegend eine subtotale Kolektomie mit endständi­ ger Ileostomaanlage durchgeführt. In Einzelfällen wurde lediglich ein doppelläufiges Ileo- oder Colostoma angelegt. Dies ist allerdings kritisch zu betrachten, da nach al­ leiniger Ileostomaanlage das Kolon als eigentlich krankmachender und die Entzün­ dung unterhaltender Fokus persistiert und somit das Risiko einer Perforation oder Ausbildung einer Sepsis fortbesteht. Eine Proktokolektomie ist als Notfall-Eingriff bei der schwangeren CU-Patientin kontraindiziert, weil dies ein längerer und komplexe­ rer Eingriff ist und eine Präparation im kleinen Becken erfordert, die aufgrund des raumfordernden Uterus sowie der dilatierten pelvinen Venen erschwert und deutlich komplikationsträchtiger ist.

3

2

(a)

(b)

(c)

(d) 1

Abb. 14.1: Ein- (1), zwei- (2) und dreizeitiges Vorgehen (3) bei der Proktokolektomie mit ileoanaler Pouchanlage. (a) Ausgangsbefund, (b) Kolektomie mit Hartmannsituation, (c) Proktokolektomie und ileoanale Pouchanlage unter Ileostoma-Schutz, (d) Ileoanaler Pouch nach Stomarückverlagerung.

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Merke: Bei fulminanter, therapierefraktärer Colitis ist eine subtotale Kolektomie mit endständiger Ileostomaanlage indiziert. Eine alleinige Stomaanlage zur Dekompression und Diversion ist nicht ausreichend, da das Kolon als der krankmachende Fokus entfernt werden sollte. Eine Pouchanlage ist in der Notfallsituation ebenfalls kontraindiziert.

Das 1971 von Turnbull erstbeschriebene Turnbull-blowhole-Kolostoma in Kombinati­ on mit einem vorgeschalteten doppelläufigen Ileostoma war ursprünglich als eine die anschließende Kolektomie vorbereitende Notfallmaßnahme bei schwerstkranken CUPatienten mit fulminanter Colitis empfohlen worden, stellte sich aber aus dem glei­ chen Grund wie die alleinige Stomaanlage als wenig sinnvoll heraus [24]: Das Kolon wird nicht reseziert und somit der eigentliche septische Fokus nicht saniert. Dieses Verfahren erlebte dennoch bei der chirurgischen Therapie schwangerer CU-Patientin­ nen ein gewisses „Revival“, als Ooi et al. 2003 zwei Fälle publizierten, in denen die Turnbull-Operation an der Cleveland Clinic, Ohio, erfolgreich bei fulminanter Colitis durchgeführt werden konnte. Beide Patientinnen erhielten im weiteren Verlauf nach der Geburt eines gesunden Kindes eine Proktokolektomie mit ileoanalem Pouch [25]. Haq et al. nahmen die Turnbull-Operation in ihren Therapiealgorithmus zur Behand­ lung schwangerer CU-Patientinnen im akuten Schub auf und sahen den Stellenwert dieses Eingriffs in der chirurgischen Therapie der fulminanten Colitis vor der 28. SSW, wobei die Autoren einräumten, dass mangels Evidenz unklar bliebe, ob nicht auch in dieser Situation eine subtotale Kolektomie indiziert sei [26]. Nach der Serie von Dozois finden sich in der Literatur noch drei weitere Kasuis­ tiken [26–28]. In allen drei Fällen erfolgte eine Kolektomie mit endständiger Ileosto­ maanlage, wobei bei zwei der Patientinnen synchron eine Sectio durchgeführt wur­ de [26, 27]. Haq beschreibt den genaueren intraoperativen Ablauf: Zunächst fand eine Notfall-Sectio in Spinalanästhesie statt. Bei Beginn der Naht des Uterus wurde die Allgemeinanästhesie eingeleitet, die Patientin laparotomiert und kolektomiert [26]. Aus den 1970ern und 1980ern stammt jeweils ein weiterer Fallbericht einer subtota­ len Kolektomie mit synchroner Sectio bei fulminanter Colitis oder toxischem Megaco­ lon [29, 30]. Die beiden Patientinnen von Haq und Parker unterzogen sich fünf Monate

Abb. 14.2: Fulminante Colitis.

14.2 Chirurgische Therapie |

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postpartal oder nach der Geburt eines zweiten gesunden Kindes einer restaurativen Proktokolektomie mit ileoanaler Pouchanlage. Merke: Sollte von gynäkologischer Seite eine Sectio indiziert sein, so kann diese synchron mit der Kolektomie erfolgen.

In Zusammenfassung der verfügbaren Evidenz muss empfohlen werden, dass bei ful­ minanter Colitis der krankmachende Fokus im Sinne einer Kolektomie zu sanieren ist (Abbildung 14.2). Die alleinige Dekompression und Diversion scheinen in dieser Si­ tuation nicht ausreichend. Im Vordergrund stehen die rasche Stabilisierung der Pati­ entin und die Sicherheit des ungeborenen Kindes, funktionelle Aspekte sind daher in der Notfallsituation sekundär, sodass eine Pouchanlage kontraindiziert ist. Der Hart­ mannstumpf sollte in der Regel blind verschlossen werden, in Ausnahmefällen bei be­ sonders fragiler Darmwand kann er auch als Schleimfistel ausgeleitet werden. Sollte von gynäkologischer Seite die Indikation zur Sectio gestellt sein, kann diese synchron mit der Kolektomie erfolgen.

14.2.2 Chirurgische Therapie des Morbus Crohn und Schwangerschaft Grundsätzlich sollte bei jungen Frauen mit Kinderwunsch und isoliertem Befall des Ileozökalbereiches die Möglichkeit der primären Ileozökalresektion als Alternative zur medikamentösen Therapie besprochen werden (Abbildung 14.4). Diese ist in der Mehr­ zahl der Fälle laparoskopisch möglich und bietet für mindestens die Hälfte der ope­ rierten Patienten langfristig Beschwerdefreiheit (S3-Leitlinie der AWMF „Diagnostik und Therapie des M. Crohn“, Stand 01/2014). Hinsichtlich der chirurgischen Therapie des MC während der Schwangerschaft finden sich aufgrund fehlender wissenschaftlich fundierter Evidenz keine konkreten Empfehlungen in den entsprechenden Leitlinien. Es wird lediglich festgestellt, dass die OP-Indikationen bei der schwangeren MC-Patientin die gleichen sind wie bei der nicht-schwangeren und dass bei Vorliegen einer absoluten Operationsindikation wie Blutung, Abszess, Ileus oder Perforation das Unterlassen der notwendigen chirurgi­ schen Therapie Mutter und Kind mehr gefährdet als Narkose oder Operation [1, 5]. Die vorhandene Evidenz zu diesem Thema stammt aus Kasuistiken und subjektiv gepräg­ ten Übersichtsartikeln. Eine primäre Anastomose ohne vorgeschaltetes, protektives Ileostoma ist nach notfallmäßiger Darmresektion aufgrund des Risikos einer Anast­ omoseninsuffizienz und der daraus resultierenden Gefährdung von Mutter und Kind nicht zu empfehlen [5, 31]. Die sicherste Variante in dieser Situation ist die Anlage eines Resektionsstomas (Abbildung 14.3). Seifarth et al. publizierten 2014 neben ei­ nem Review auch drei eigene Fälle, in denen schwangere Crohn-Patientinnen auf­ grund verschiedener Indikationen ein Resektionsstoma erhielten. Bei einer Patientin war bei intraabdominellem Abszess zunächst erfolglos versucht worden, sonografisch

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(a)

(b)

(c)

(d)

Abb. 14.3: Ausgangsbefund (a), Hartmann-Situation (b), primäre Anastomose mit protektivem Ileost­ oma (c), Resektionsstoma (d).

gesteuert eine Drainage zu platzieren, bevor man sich zur operativen Therapie ent­ schloss. Im Rahmen der Operation wurde eine Ileozökalresektion durchgeführt, der von dieser Region ausgehende Abszess drainiert und abschließend ein Resektionssto­ ma angelegt. Eine weitere Patientin musste sich bei septischer Verschlechterung trotz Antibiose und ultraschallgesteuerter eingelegter Drainage bei Ileozökalbefall mit in­ traabdominellem Abszess- und Fistelsystem dem gleichen Eingriff unterziehen. Eine dritte Patientin in der 21. SSW wurde aufgrund einer Stenose und konsekutiven Ileus sowie bei retroperitonealem Abszess ebenfalls laparotomiert und erhielt ein Resekti­ onsstoma. Alle drei Patientinnen vollendeten komplikationslos ihre Schwangerschaft und brachten gesunde Kinder zur Welt [31]. Merke: Die absoluten Operationsindikationen (Ileus, Blutung und intraabdomineller Abszess, so­ weit konservativ oder interventionell nicht beherrschbar, sowie Perforation) unterscheiden nicht zwischen schwangeren und nicht-schwangeren MC-Patientinnen.

Sur et al. beschrieben 2013 den Fall einer Patientin in der 21. SSW mit perforierter und abszedierter Ileitis terminalis, bei der die Autoren eine laparoskopische Ileozökalre­ sektion mit primärer Anastomose durchführten. Der weitere postoperative Verlauf ge­ staltete sich für Mutter und Kind komplikationslos [32]. Die primäre Anastomose bei Vorliegen von Abszess und Perforation scheint allerdings gewagt, wobei die Autoren nicht weiter erläutern, ob intraoperativ ein sehr lokalisierter und auf die Ileozökalregi­ on beschränkter entzündlicher Befund oder eine 4-Quadranten-Peritonitis vorlagen. Die Autoren der ECCO-Leitlinien und anderer Fallserien tendieren in einer derartigen Situation jedoch zu einem Resektionsstoma oder zur Anlage eines protektiven Ileost­ omas (Abbildung 14.3) [5, 31, 33]. Merke: Nach notfallmäßiger Darmresektion, insbesondere bei Vorliegen einer Peritonitis, sollte ein Resektionsstoma angelegt werden. Alternativen sind eine Diskontinuitätsresektion nach Hart­ mann oder eine primäre Anastomose mit protektivem Ileostoma (Abbildung 14.3). Eine alleinige primäre Anastomose ist aufgrund des in dieser Situation erhöhten Risikos für eine Anastomosen­ insuffizienz und der potenziell fatalen Folgen für Mutter und Kind kontraindiziert.

14.2 Chirurgische Therapie |

221

Czymek et al. publizierten drei Fälle, in denen schwangere MC-Patientinnen im Zeit­ raum zwischen 1998 und 2008 abdominell operiert wurden [34]. Eine Patientin erhielt bei gastrokolischer Fistel, lokaler Peritonitis und retroperitonealem Abszess eine of­ fene atypische Magenteilresektion sowie eine laparoskopisch assistierte Linkshemi­ kolektomie im Sinne einer Diskontinuitätsresektion nach Hartmann mit Anlage eines endständigen Transversostomas; postoperative Komplikationen traten nicht auf. Ei­ ne weitere Patientin wurde in der 26. SSW im manifesten Ileus diagnostisch laparo­ skopiert. Aufgrund des vergrößerten Uterus musste konvertiert werden und nach me­ dianer Unterbauchlaparotomie zeigten sich Adhäsionen im Bereich des terminalen Ileums als Ileusursache, die adhäsiolysiert wurden, im gleichen Eingriff erfolgte eine Sectio. Die dritte Kasuistik beschreibt eine MC-Patientin, bei der vier Jahre vor ihrer Schwangerschaft eine Ileozökalresektion erfolgte und die sich in der 31. SSW mit einer typischen Ileussymptomatik vorstellte. Aufgrund der fortgeschrittenen Schwanger­ schaft und der ausgeprägten Darmdilatation entschied man sich primär für eine La­ parotomie. Intraoperativ zeigte sich eine Anastomosenstenose im neoterminalen Ile­ um als Ursache für den Ileus. Der stenotische Darmabschnitt wurde reseziert und bei sich intraoperativ verschlechternden fetalen Vitalparametern erfolgte noch in der glei­ chen Sitzung eine Sectio. Czymek et al. warnen vor der Gefahr, dass abdominelle Sym­ ptome, die auf eine MC-assoziierte Akutpathologie zurückzuführen sind, bei schwan­ geren MC-Patientinnen oft verkannt und als schwangerschaftsbedingte Beschwerden fehlinterpretiert und zu spät abgeklärt werden. Daher sprechen sich die Autoren dafür aus, im Zweifel eine diagnostische Laparoskopie durchzuführen [34]. Merke: Abdominelle Symptome, die auf eine MC-assoziierte Akutpathologie zurückzuführen sind, werden bei schwangeren MC-Patientinnen oft als schwangerschafts-typische Beschwerden fehl­ interpretiert und die Einleitung der notwendigen therapeutischen Schritte dadurch verzögert.

Bereits vor etwa zwanzig Jahren veröffentlichten Hill et al. die Fallberichte von vier MC-Patientinnen, bei denen es wähend einer Schwangerschaft aufgrund akuter in­ traabdomineller Crohn-Manifestationen zu Sepsis und Peritonitis kam [33]. In einem Fall wurde in der 11. SSW bei Ileitis terminalis (Abbildung 14.4) mit enterovesikaler Fis­ tel und Abszess im kleinen Becken eine offene Abszessdrainage und Ileozökalresek­ tion mit Anlage eines endständigen Ileostomas und einer Schleimfistel durchgeführt. Die Patientin brachte später ein gesundes Kind zur Welt und die Darmkontinuität wurde drei Monate postpartal komplikationslos wiederhergestellt. Eine weitere Pati­ entin, die bereits ileozökalreseziert war, entwickelte während der Schwangerschaft einen akut-entzündlichen Befall des neoterminalen Ileums mit Perforation und Ab­ szedierung, sodass sie laparotomiert und das betroffene Segment reseziert wurde. Die Darmenden wurden als endständiges Ileostoma und Schleimfistel ausgeleitet, in gleicher Sitzung fand eine komplikationslose Sectio statt. Eine das linke Hemikolon betreffende Kolitis Crohn in der 25. SSW konnte bei einer dritten Patientin ebenfalls

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Abb. 14.4: Ileozökaler Befall.

mit endständiger Ileostomaanlage und Kolektomie erfolgreich therapiert werden. Von der Anlage primärer Anastomosen bei Vorliegen einer Peritonitis raten die Autoren aufgrund eigener schlechter Erfahrung mit diesem Vorgehen ab: eine Patientin in der 16. SSW mit Kolitis Crohn und am Sigma adhärentem Abszess erhielt nach Sigmare­ sektion eine primäre Anastomose. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Anastomo­ seninsuffizienz, welche mittels Diskontinuitätsresektion nach Hartmann therapiert werden musste. In diesem Zusammenhang erlitt die Patientin schließlich eine Fehl­ geburt. Hill et al. warnen ebenfalls davor, operative Eingriffe bei absoluter und dringlicher In­ dikation aufgrund der Schwangerschaft aufzuschieben und empfehlen eine engma­ schige interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen und Chirurgen bei der Indikationsstellung und Festlegung des Procedere [33]. Merke: Zur frühzeitigen Erkennung und Behandlung von Crohn-Komplikationen bei der schwange­ ren MC-Patientin ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen, Gastro­ enterologen und Chirurgen unbedingt erforderlich.

14.2.3 Weitere Aspekte der chirurgischen CED-Therapie während der Schwangerschaft sowie Kriterien bei der Wahl des Entbindungsmodus Operativer Zugang Sowohl ein offen chirurgisches als auch ein laparoskopisches Vorgehen ist in der Schwangerschaft möglich. Randomisierte Studien, die diese beiden Zugangsoptionen vergleichen, liegen nicht vor. Die vorhandene Evidenz basiert auf Kohortenstudi­ en und Kasuistiken. Bereits vor etwa zwanzig Jahren veröffentlichten Gurbuz et al. eine Fallserie mit 15 schwangeren Patientinnen in verschiedenen Trimestern, die auf­ grund eines akuten Abdomens laparoskopiert wurden [35]. In keinem der Fälle kam es daraufhin zu fetaler oder maternaler Morbidität oder Mortalität. Die Autoren aller Pu­

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223

blikationen zu diesem Thema weisen darauf hin, dass sich die Trokarpositionen nach dem Fundusstand und Lageänderung der Organe richten müssen. Für den KameraTrokar wird von der Mehrzahl der Autoren ein offener Zugang mit dem Hasson-Tro­ kar empfohlen, um eine Verletzung des Uterus durch die Veress-Nadel zu vermeiden. Darüber hinaus findet sich in der Mehrzahl der Publikationen die Empfehlung, dass bei der Anlage des Kapnoperitoneums der Druck idealerweise 8–12 mmHg nicht über­ steigen, jedoch auf keinen Fall über 15 mmHg liegen sollte [35, 36]. Die überwiegende Anzahl der Fallserien verschiedener laparoskopischer Eingriffe bei schwangeren Pa­ tientinnen zeigt kein erhöhtes Risiko für Mutter und Kind im Vergleich zum offenen Vorgehen [35–38]. Merke: Sowohl ein offener als auch ein laparoskopischer Zugang sind während der Schwanger­ schaft möglich. Die Trokarpositionen müssen an den Fundusstand angepasst, der veränderte Si­ tus in die Planung des Zugangswegs miteinbezogen werden. Beim laparoskopischen Zugang ist ein offenes Eingehen mit dem Hasson-Trokar ratsam.

Weitere Aspekte des operativen Zugangs werden auch in Teil I, Kapitel 7 „Zugangswege und Laparoskopie“ behandelt. Stoma und Schwangerschaft Bezüglich einer Stomaanlage bei schwangeren Patientinnen finden sich in der Lite­ ratur einige Empfehlungen, die auf praktischen Überlegungen basieren. Dozois und Haq empfehlen, das Stoma höher als üblicherweise zu positionieren, da es postpartal im Rahmen der Rückbildung des Uterus zu einem Absinken des Stomaniveaus auf der Bauchdecke kommt [23, 26]. Ein erfahrener Chirurg oder Stomatherapeut sollte mit der Patientin gemeinsam präoperativ die Stomaposition abstimmen und markieren [23]. Takahashi et al. untersuchten unter anderem Stomakomplikationen bei fünf MC-Pati­ enten während insgesamt sieben Schwangerschaften. Bei vier der Patientinnen war ein doppelläufiges Ileostoma, bei einer Patientin aufgrund von rektovaginalen Fis­ teln und Strikturen ein doppelläufiges Sigmoidostoma angelegt worden. Während der Schwangerschaften kam es zu keinen relevanten Stomakomplikationen wie Hernie, Prolaps oder Stenose. Stomadurchmesser und -höhe auf der Bauchdecke nahmen al­ lerdings deutlich zu. Bei einer Patientin kam es hierdurch zu einer Schleimhautla­ zeration [39]. Gopal et al. [40] publizierten bereits 1985 die Ergebnisse aus einer Be­ fragung amerikanischer Kolorektalchirurgen. Insgesamt wurden klinische Daten aus 82 Schwangerschaften bei 66 Stomaträgerinnen zusammengetragen. Bei den Stomata handelte es sich ganz überwiegend um doppelläufige Ileostomata. Zu Stomadysfunk­ tionen kam es bei 13 Patientinnen, zu einer Stomastenose bei einer Patientin, zu einem Ileus bei sechs und zu einem Stomaprolaps bei fünf Stomaträgerinnen [40]. Van Horn et al. befragten 75 amerikanische Stomaträgerinnen zu ihren Erfahrungen hinsicht­ lich Stomakomplikationen während der Schwangerschaft. 54 Patientinnen beantwor­

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teten die Fragebögen und mehr als zwei Drittel gaben an, während des zweiten und dritten Trimesters Probleme mit dem Stoma gehabt zu haben, die jedoch meist ohne medizinische Intervention behoben werden konnten [41]. Nicholl et al. beschreiben aus gynäkologischer Perspektive drei Kasuistiken schwangerer Stomaträgerinnen und bewerten im Kontext der Literatur [42], dass ein Stoma keine Kontraindikation für die vaginale Entbindung darstellt, für den Stomaprolaps könne eine Hyperemesis gravi­ darum als ätiologischer Faktor infrage kommen. Als bedrohlichste Komplikation be­ trachten die Autoren Stomastenose und Ileus, weil Symptome wie Erbrechen, abdomi­ nelle Beschwerden und ein Ausbleiben der Stomaförderung häufig als unspezifische Schwangerschaftsbeschwerden verkannt würden. Merke: Die Stomaposition sollte präoperativ mit der Patientin abgestimmt werden und ist in der Regel höher zu wählen als üblich, da es postpartal im Zuge der Uterusinvolution zu einem Absin­ ken des Stomaniveaus kommt. Stomakomplikationen sind insbesondere im zweiten und dritten Trimenon häufig, meist jedoch konservativ therapierbar.

Intraoperative Lagerung Bezüglich der intraoperativen Lagerung findet sich die Empfehlung, die Patientin nach der 20. SSW nicht mehr in Rückenlage zu positionieren, stattdessen sollte die Patientin in leichte Linksseitenlage gebracht werden, um eine Kompression der Vena cava durch den Uterus zu vermeiden [23].

14.2.4 Eigene Erfahrungen Der eigenen klinischen Erfahrung nach erfolgt die chirurgische Vorstellung oft spät, weil abdominelle Beschwerden primär der Schwangerschaft zugeschrieben werden. Exemplarisch sei hierzu ein Fall aus der eigenen Klinik vorgestellt. Bereits drei Tage vor der geplanten Sectio hatte sich die Patientin mit starken Unterbauchschmer­ zen gynäkologisch vorgestellt, woraufhin ein Geburtsbeginn als Schmerzursache aus­ geschlossen wurde. Chirurgisch oder gastroenterologisch wurde die Patientin zu die­ sem Zeitpunkt nicht vorgestellt. Etwa zwölf Stunden nach der Sectio bot die Patientin das Bild eines akuten Abdomens mit einem manifesten Ileus, sodass eine CT-Unter­ suchung durchgeführt wurde. Bei Verdacht auf interenterische Abszedierungen und Perforation bei deutlich wandverdicktem Dünndarm und ausgeprägt freier Flüssig­ keit wurde die Patientin konsiliarisch in der chirurgischen Notaufnahme vorgestellt. Bei der Anamneseerhebung gab die Patientin, bei der schon in der Vergangenheit ein hochgradiger Verdacht auf MC bestand, an, dass sie mehrfach während der Schwan­ gerschaft unter erheblichen Bauchkrämpfen gelitten habe. Die sonografisch kontrol­ lierte Ascitespunktion ergab trübes Sekret. Bei Verdacht auf Dünndarmperforation erfolgte die sofortige Operation, wobei sich für Crohn typische Veränderungen am

14.3 Zusammenfassung |

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Abb. 14.5: CT vom Abdomen mit wandverdickten Dünndarmschlingen, deutlich distendiertem Magen und ausgeprägt freier Flüssigkeit weni­ ge Stunden nach Sectio.

Dünndarm und multiple interenterische Abszedierungen bei schon länger bestehen­ der Peritonitis zeigten. Eine eindeutige Perforation ergab sich nicht, allerdings bestan­ den Fisteln im Mesenterium im Bereich des Ileumbefalls. Nach ausgiebiger abdomi­ neller Lavage wurden zwei Easy-Flow-Drainagen eingelegt. Nachdem sich die Patien­ tin klinisch gut erholt hatte und sich in der Diagnostik eine persistierende, fistulie­ rende Ileitis terminalis zeigte, erfolgte vier Monate nach der Notfall-Laparotomie die geplante laparoskopisch-assistierte Ileozökalresektion mit primärer Anastomose und anschließend unkompliziertem Verlauf.

14.3 Zusammenfassung Grundsätzlich sollte vor einer geplanten Schwangerschaft bei Patientinnen mit be­ kannter CED im Rahmen einer interdisziplinären Beratung geprüft werden, ob eine elektive operative Sanierung als Alternative zu einer immunsuppressiven Therapie in­ frage kommt. Dies gilt insbesondere für den isolierten Befall des Ileozökalbereichs bei M. Crohn. Prinzipiell unterscheiden sich gemäß der aktuellen ECCO-Leitlinien die OPIndikationen bei nicht-schwangeren und schwangeren CED-Patientinnen nicht. Zu diesen zählen konservativ nicht beherrschbarer Ileus, Perforation, fulminante Coli­ tis, toxisches Megakolon, persistierende gastrointestinale Blutung und Abszess, so­ fern dieser nicht interventionell drainierbar ist. Die Indikationsstellung sollte stets interdisziplinär unter Beteiligung von Gynäkologen, Gastroenterologen und Chirur­ gen erfolgen. Obwohl die wissenschaftliche Evidenz gering ist, ist auf Basis der Daten aus der Literatur sowie unter Einbeziehung der eigenen klinischen Erfahrung bei der fulminanten therapierefraktären Colitis in der Regel eine (sub)totale Kolektomie mit

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Ileostomaanlage indiziert. Sollte von geburtshilflicher Seite zudem die Indikation zur Sectio gegeben sein, so kann diese simultan erfolgen. Die Leitlinien-Empfehlungen zur chirurgischen Therapie von akuten intraabdominellen Crohn-Manifestationen bei schwangeren MC-Patientinnen lauten analog, auch hier sollte eine chirurgische Sa­ nierung bei Vorliegen einer absoluten OP-Indikation nicht verzögert werden. Bei einer Peritonitis sollte nach Darmresektion nicht oder nur bei vorgeschaltetem protektivem Ileostoma primär anastomosiert werden, da das Risiko einer Anastomoseninsuffizi­ enz erhöht ist und diese potenziell schwerwiegende Komplikation die Gesundheit von Mutter und Kind in hohem Maße gefährdet. Sicherheit hat in dieser Situation somit Vorrang vor funktionellen oder kosmetischen Aspekten.

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228 | 14 Operative Therapie von entzündlichen Darmerkrankungen

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Sebastian Lünse und Claus Dieter Heidecke

15 Operative Therapie von Lebererkrankungen 15.1 Einleitung Mit der routinemäßigen pränatalen Anwendung der Sonografie und des zunehmen­ den Einsatzes anderer bildgebender Verfahren wie der Magnetresonanztomografie (MRT) hat in den letzten beiden Jahrzehnten die Feststellung fokaler Leberverände­ rungen vor und während der Schwangerschaft zugenommen. Oftmals werden diese asymptomatischen Veränderungen als Zufallsbefund im Rahmen von Vorsorgeunter­ suchungen nachgewiesen und es stellt sich dann die Frage der weiteren Abklärung und Therapie. Leberläsionen bei Frauen im gebärfähigen Alter und in der Schwangerschaft sind häufiger als bei Männern der gleichen Altersgruppe und in der Mehrzahl der Fälle gut­ artig [1]. Zur Gruppe der benignen Läsionen, die in der Schwangerschaft hormonell bedingt eine Größenzunahme zeigen können, gehören das Hämangiom, die fokale noduläre Hyperplasie (FNH), das Leberzelladenom (LCA) sowie Leberzysten und in­ flammatorische Pseudotumoren. Fokale Fettverteilungsstörungen in Form einer Min­ der- oder Mehrverfettung (z. B. am Ansatz des Lig. teres hepatis) sind die häufigsten Pseudotumore in den bildgebenden Verfahren und haben keinen Krankheitswert. Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist der häufigste maligne, primäre Lebertumor und kann auch bei jüngeren Frauen, insbesondere bei viraler Hepatitis oder Stoff­ wechselerkrankungen der Leber, vorkommen. Gallengangskarzinome sind in dieser Altersgruppe selten, kommen jedoch als Folge genetisch bedingter zystischer Gallen­ gangserkrankungen (Caroli-Syndrom) oder assoziiert mit einer Colitis ulcerosa vor, auf die seltenen Angiomyolipome, Hamartome, Lymphangiomatosis oder Peliosis he­ patis wird hier nicht weiter eingegangen. Bakterielle oder parasitäre Infektionen, wie mit dem Hundebandwurm (Echino­ kokkus) oder Amöben, können ebenfalls eine Differenzialdiagnose für Raumforderun­ gen in der Leber sein und durch eine Ruptur oder Sepsis lebensbedrohlich werden. Eine seltene, aber schwere Komplikation des sogenannten HELLP-Syndroms (Hemolysis, Elevated Liver enzymes and Low Platelets) in der Schwangerschaft ist die spontane Leberruptur. Bei der Mehrzahl der Leberläsionen sind lediglich eine kompetente Beratung und ein konservatives Vorgehen gefragt. Grundsätzlich sollten Raumforderungen der Le­ ber vor einer Schwangerschaft abgeklärt werden, um eine Beratung zu ermöglichen. Abdominalchirurgische Eingriffe, unabhängig von Indikation und Umfang, werden nur bei etwa 0,1 bis 0,4% aller schwangeren Frauen notwendig [2–4]. Die Indikati­ on bei Lebertumoren besteht hierbei im Allgemeinen in einer Größenzunahme, in­

DOI 9783110414134-015

230 | 15 Operative Therapie von Lebererkrankungen

traabdominellen Blutung oder diagnostischer Unklarheit. Die fetale Sterblichkeit in Abhängigkeit der mütterlichen Vorerkrankungen liegt zwischen 0 und 24% [2–4]. Das höchste Risiko für den Feten besteht im ersten Schwangerschaftstrimenon aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Organogenese. Insgesamt ist die Datenlage zu leber­ chirurgischen Eingriffen während der Gravidität in der Literatur gering und umfasst neben Einzelberichten nur kleine Fallserien. Die Indikation für eine chirurgische In­ tervention sollte deshalb individuell und interdisziplinär unter Koordination durch die geburtshilfliche und gynäkologische Fachdisziplin und nur nach sorgsamer Risi­ ko-Nutzen-Abwägung getroffen werden. In Hinblick auf die Möglichkeit einer Frühge­ burtlichkeit sollten chirurgische Eingriffe nur an perinatologischen Zentren mit einer neonatologischen Intensivstation durchgeführt werden.

15.1.1 Symptomatik Merke: Die überwiegende Zahl der Leberläsionen bereitet keine Beschwerden.

Von Patientinnen in der Schwangerschaft mit nachgewiesener Leberläsion werden selten unspezifische Symptome wie Schmerzen im mittleren oder rechten Oberbauch mit Ausstrahlung in die rechte Schulter oder den Rücken, das subjektive Gefühl einer Raumforderung, Meteorismus, rezidivierende Übelkeit sowie Appetitlosigkeit berich­ tet. Fieber oder Schüttelfrost können auf eine infektiöse Ursache hindeuten. Maligne Leberläsionen können eine B-Symptomatik verursachen. Bei großen Leberraumforde­ rungen oder einer Hepatomegalie kann es durch eine Verdrängung des Zwerchfells zu Atembeschwerden kommen. Eine Akutsymptomatik wie Brustschmerz oder Dyspnoe wird in Einzelfällen beschrieben und deutet auf die lebensbedrohliche Ruptur einer Leberläsion hin.

15.1.2 Diagnostik Merke: Neben der körperlichen Untersuchung und der Laborchemie (Blutbild, Elektrolyte, Transa­ minasen, Cholestase- und Nierenretentionsparameter) ist die Sonografie die wichtigste Untersu­ chung zur Erkennung und Abklärung einer unklaren Leberläsion.

Bei zystischen Läsionen sollte neben dem Routinelabor auch eine Stuhluntersuchung sowie eine Echinokokkus- und Amöbenserologie durchgeführt werden. Bei Verdacht auf eine maligne Leberraumforderung können die Tumormarker Alpha-Fetoprotein, CEA und Ca 19-9 wichtige Hinweise geben. Die Sensitivität zum Nachweis einer fokalen Leberläsion mittels Ultraschall liegt bei etwa 90% [5]. Die Anwendung des kontrastverstärkten Ultraschalls (CEUS) wird

15.2 Hämangiom

| 231

Leberläsion

zystisch

‧ Leberzyste ‧ Echinokokkuszyste ‧ biliäres Zystadenom ‧ Caroli-Syndrom ‧ Von-Meyenburg-Komplexe ‧ Abszess

solide

sichere Diagnose

‧ Hämangiom ‧ fokale noduläre Hyperplasie ‧ Leberzelladenom ‧ hepatozelluläres Karzinom ‧ fokale (Minder-)Verfettung ‧ Abszess

unsichere Diagnose

native MRT ab 2. Trimester

unsichere Diagnose

CT

Biopsie

wait & watch

Laparoskopie

Abb. 15.1: Algorithmus zur Diagnostik von Leberläsionen in der Schwangerschaft.

nicht empfohlen. Durch die Lebersonografie kann zunächst zwischen soliden und zystischen sowie zwischen singulären und multiplen Raumforderungen unterschie­ den werden. Bei medizinischer Notwendigkeit ist eine native Magnetresonanztomo­ grafie (MRT) die nächste Schnittbildgebung zur weiteren Abklärung. Die Indikation hierfür sollte jedoch sehr streng und nach Möglichkeit nicht im ersten Trimenon ge­ stellt werden [6]. Können Sonografie und MRT keine diagnostische Sicherheit bringen, kann in Ausnahmefällen eine native Computertomografie (CT) mit Dosis sparendem Messprotokoll durchgeführt werden, auf den Einsatz von Kontrastmittel sollte in der Schwangerschaft wegen der Embryotoxizität verzichtet werden. In Einzelfällen kann eine diagnostische Leberpunktion mit Feinnadelbiopsie notwendig werden. Obwohl die Entwicklung eines evidenzbasierten Algorithmus für die Diagnostik von unklaren Leberläsionen in der Schwangerschaft aufgrund der geringen Datenlage nicht möglich ist, kann dennoch eine allgemeine Empfehlung gegeben werden (Abbil­ dung 15.1).

15.2 Hämangiom Merke: Das kavernöse Hämangiom ist die häufigste gutartige Raumforderung der Leber und be­ steht aus einem Konvolut aus Blutgefäßen mit einfacher Endothelschicht und der Ausbildung se­ kundärer Lumina.

Hämangiome treten bei Frauen etwa fünfmal häufiger auf als bei Männern und die Größenzunahme scheint östrogenabhängig zu sein. Die Mehrzahl der Hämangiome

232 | 15 Operative Therapie von Lebererkrankungen

Abb. 15.2: Hämangiom. Typisch ist eine runde bis ovale Form mit glatter Begrenzung und homoge­ nem, echodichtem Binnenmuster sowie einer engen räumlichen Beziehung zu einer Leber- oder Portalvene.

bereiten keine Beschwerden und sind sonografische Zufallsbefunde (Abbildung 15.2). Durch Druck auf benachbarte Organe, Einblutungen oder Thrombosierungen sowie eine Ruptur können Hämangiome jedoch symptomatisch werden. Eine Komplikation von Riesenhämangiomen ist das seltene Kasabach-Merritt-Syndrom, welches durch eine Thrombozytenaktivierung mit Thrombozytopenie und Verbrauchskoagulopathie gekennzeichnet und mit einer Letalität von etwa 30% verbunden ist. Kavernöse Hä­ mangiome mit einem Durchmesser < 10 cm haben ein geringes Risiko für Komplika­ tionen. Von den symptomatischen Hämangiomen entwickeln nur etwa 5% eine Rup­ tur [7]. Während der Schwangerschaft besteht kein höheres Risiko für eine Ruptur, obwohl die Größe zunehmen kann [8]. Bei nahezu allen Hämangiomen ist ein konser­ vatives Vorgehen mit prä- und postnataler Ultraschallkontrolle ausreichend. Häman­ giome haben eine typische Dynamik der Kontrastmittelaufnahme im MRT („Irisblen­ denphänomen“), können aber Ähnlichkeiten mit anderen gut vaskularisierten Tumo­ ren wie FNH oder HCC haben. Die Indikation für eine interventionelle Therapie ist bei einer Zunahme der Beschwerden, einem schnellen Wachstum, dem Kasabach-Mer­ ritt-Syndrom, einer Ruptur mit intraperitonealer Blutung und auch bei diagnostischer Unsicherheit gegeben. Die bevorzugte chirurgische Therapie ist hierbei die Enuklea­ tion der Hämangiome aus dem Leberbett oder die Resektion, wobei die Enukleation aufgrund geringerer Komplikationen favorisiert wird [9]. In einigen Fällen kann auch eine transarterielle Embolisation in Erwägung gezogen werden [10]. Der Nachweis ei­ nes Hämangioms stellt keine Kontraindikation für eine vaginale Entbindung dar.

15.3 Fokale noduläre Hyperplasie

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233

15.3 Fokale noduläre Hyperplasie Merke: Die fokale noduläre Hyperplasie (FNH) ist eine umschriebene Fehlbildung der hepatischen Gewebestruktur durch Proliferation regulärer Hepatozyten und ähnelt einem Regeneratknoten bzw. einer fokalen Zirrhose.

Diese zweithäufigste benigne Leberläsion wird bei jungen Frauen zumeist akzidentiell gefunden (Abbildung 15.3). Obwohl Frauen häufiger betroffen sind (6 : 1), ist die Rol­ le von Sexualhormonen unklar, eine Größenzunahme unter oraler Kontrazeption oder während der Schwangerschaft kann gelegentlich beobachtet werden. Komplikationen wie Einblutungen oder Rupturen sind selten. Die früher vermutete „Entartung“ ent­ spricht vermutlich einem primär bestehenden fibrolamellären hepatozellulären Kar­ zinom, das in der Bildgebung Ähnlichkeiten mit der FNH aufweist (zentrale Narbe mit Radspeichenstruktur). Im Allgemeinen bedarf eine FNH während der Schwanger­ schaft keiner Therapie und sollte mittels Ultraschall im Verlauf beobachtet werden. Mit einer erhöhten Komplikationsrate während der Gravidität ist nicht zu rechnen. Zunehmende Beschwerden, die Größenprogredienz und die unklare Artdiagnose kön­ nen in Ausnahmefällen jedoch eine chirurgische Enukleation oder Resektion notwen­ dig machen [11]. Eine Resektion sollte besonders bei einer pedunkulierten FNH emp­ fohlen werden, da hier das Risiko einer Torsion des Tumors besteht und andererseits

Abb. 15.3: Fokale noduläre Hyperplasie (FNH). Das B-Bild zeigt eine lobulierte Raumforderung mit variabler Echogenität. Typisch sind sternförmige Bindegewebssepten und eine zentrale Narbe. In der farbkodierten Dopplersonografie (FKDS) zeigt sich eine zentral oder exzentrisch aufzweigende Arterie (Radspeichenmuster).

234 | 15 Operative Therapie von Lebererkrankungen

die Resektion einfach ist. Die Indikation zur Resektion sollte bei jungen Frauen mit einer großen FNH vor einer Schwangerschaft besprochen werden [12]. Eine Kontrain­ dikation für eine vaginale Entbindung besteht im Regelfall nicht.

15.4 Leberzelladenom Merke: Das Leberzelladenom (LCA) ist ein gutartiger Lebertumor, welcher vor allem bei Frauen im gebärfähigen Alter, oft auch multifokal, auftritt.

Bereits 1973 konnten Baum et al. eine enge Assoziation zwischen der Einnahme oraler Kontrazeptiva und dem Auftreten von Leberzelladenomen zeigen [13]. Die Einführung von Präparaten mit niedrigem Östrogengehalt senkte die Inzidenz von Leberzellade­ nomen. Derzeit ist ein geringes Risiko für die Entwicklung eines LCA unter oraler, niedrigdosierter Kontrazeption zu erwarten [14]. Andere Risikofaktoren für das Auf­ treten von Leberadenomen sind eine Glykogenspeicherkrankheit (Typ IA) oder Ein­ nahme von androgenen Anabolika. Eine maligne Entartung zum hepatozellulären Karzinom (HCC) wird mit einer Häufigkeit von etwa 4% angenommen [15]. In der bild­ gebenden Diagnostik ist die Abgrenzung des Leberzelladenoms zur atypischen FNH und einem differenzierten HCC gelegentlich schwierig. Bei der Indikation zur Leber­ biopsie muss bedacht werden, dass bei diesen sehr weichen und gut vaskularisierten Tumoren ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht und eine eindeutige Differenzierung des Tumors auch histologisch aus Stanzbiopsien nicht immer gelingt. Bei der Diagnose eines LCA sollte die orale Kontrazeption abgesetzt und auf jede wei­ tere Form der Hormonsubstitution verzichtet werden [16]. Bedingt durch die hohen Östrogenspiegel zeigt sich die Mehrzahl der Leberzel­ ladenome im dritten Trimenon der Schwangerschaft. Während der Gravidität besteht neben der Gefahr für ein Größenwachstum auch ein relevantes Risiko für eine le­ bensbedrohliche Ruptur [17]. Ein Review von Cobey et al. zeigte bei 10 von 26 in der Literatur beschriebenen Fällen eines LCA mit einer Größe zwischen 6,5 und 19 cm eine Ruptur während der Schwangerschaft oder Entbindung [18]. Das höchste Rup­ turrisiko besteht im dritten Schwangerschaftstrimenon, vermutlich durch eine östro­ genbedingte Veränderung der Leberstruktur, intraabdominelle Druckerhöhung sowie eine hyperdynamische Durchblutungssituation [18]. Blutungen werden vor allem bei Adenomen mit einem Durchmesser > 10 cm beobachtet [19]. Die Symptomatik einer Ruptur ist oft akut und kann von Oberbauchbeschwerden über Brustschmerzen und Dyspnoe bis hin zum hämorrhagischen Schock reichen. Merke: Bei einem oder mehreren Adenomen < 5 cm besteht keine Kontraindikation für eine Schwangerschaft beziehungsweise für die Fortführung einer bestehenden Gravidität [20].

15.5 Pyogener Leberabszess

| 235

Die engmaschige sonografische Verlaufskontrolle wird zunächst empfohlen, bei Grö­ ßenwachstum oder Unsicherheiten sollte zusätzlich eine native MRT durchgeführt werden. Bei einer ausbleibenden Regression nach Absetzen der Kontrazeption, einer Zunahme des Durchmessers > 5 cm, einer kapselnahen Lage oder Blutungsanzeichen wird eine chirurgische Resektion aufgrund des Risikos zur Spontanruptur empfoh­ len [20, 21]. Aufgrund der erhöhten Rupturgefahr während der Entbindung ist eine Sectio caesarea indiziert.

15.5 Pyogener Leberabszess Merke: Der pyogene Leberabszess ist mit einer jährlichen Inzidenz von etwa 1,1 Fällen pro 100.000 Einwohner eine seltene Entität und das Auftreten in der Schwangerschaft ist eine Rarität [22].

Betroffene Patienten berichten über Symptome wie Fieber und Schüttelfrost sowie rechtsseitige Oberbauchbeschwerden. Bei der Fokussuche einer unklaren Sepsis in der Schwangerschaft sollte differenzialdiagnostisch immer auch ein Leberabszess in Betracht gezogen werden. Die Ursache eines pyogenen Leberabszesses kann eine Kei­ maszension über die Gallenwege sein, insbesondere bei einer Cholezystitis. Häufig besteht auch ein gastrointestinaler Infektfokus, beispielsweise bei einer Appendizitis, Divertikulitis oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. Hierbei kann es durch eine Translokation von Bakterien in das Pfortadersystem zu einer Absiedlung in die Leber kommen. Eine Bakteriämie mit hämatogener Streuung in die Leber kann auch durch eine Tonsillitis, Furunkulose, Nabelvenensepsis, Endokarditis oder Pneumonie hervorgerufen werden. Aufgrund der Größe ist hauptsächlich der rechte Leberlappen betroffen. Leberabszesse sind in der Regel polymikrobiell und häufig können Escheri­ chia coli, Klebsiellen sowie Anaerobier nachgewiesen werden [22]. Beim Nachweis von Staphylokokken oder Streptokokken spp. sollte ein weiterer Infektfokus (Zahnstatus, HNO-Bereich) ausgeschlossen werden. Mit einer Sensitivität von 85% ist der Ultra­ schall (Abbildung 15.4) das diagnostische Mittel der Wahl [23]. Laborchemisch zeigen sich neben einer Leukozytose oft erhöhte Leberenzyme und Cholestaseparameter. Ei­ ne normozytäre, normochrome Anämie und eine Hypalbuminämie als Zeichen einer länger bestehenden Infektion können ebenfalls vorliegen. Die Therapie des pyogenen Leberabszesses besteht aus einer Drainage, Sanierung der Infektquelle und einer Antibiose, die für die Schwangerschaft geeignet ist. Nach Erhalt des mikrobiologischen Befundes sollte diese resistogrammgerecht angepasst und für mindestens drei Wochen durchgeführt werden. Bei kleinen Abszessen < 5 cm ist eine wiederholte Nadelaspiration unter sterilen Kautelen möglich. Bei größeren Ab­ szessformationen sollte ultraschall- oder CT-gesteuert eine perkutane Drainage gelegt werden. Tägliche Spülungen mit 0,9%iger Kochsalzlösung sollten erfolgen. Eine chir­ urgische Ausräumung bis zur Segmentresektion kann bei ausgeprägter Septierung,

236 | 15 Operative Therapie von Lebererkrankungen

Abb. 15.4: Pyogener Leberabszess. Gemischt echogene Areale mit unscharfen Konturen. Gelegent­ lich gelingt der Nachweis einer Gasbildung durch echoreiche Reflexe mit Reverberationen.

multifokaler Lokalisation oder unzureichender Drainage, auch in Verbindung mit ei­ ner Cholezystektomie oder Kolonresektion zur Herdsanierung, notwendig werden. Bei Verbindung eines chologenen Leberabszesses mit dem Gallengangsystem ist eine ERC mit Papillotomie, Einlage eines Gallengangstents oder einer nasobiliären Sonde und dann die spätere Cholezystektomie zu empfehlen. Im Anschluss an die Therapie sollte in jedem Fall eine engmaschige sonografische Verlaufskontrolle für 6 Monate durch­ geführt werden.

15.6 Echinokokkuszysten Die durch eine Infektion mit dem Parasiten Echinococcus granulosus (Hundeband­ wurm) hervorgerufene zystische Echinokokkose der Leber ist mit einer Inzidenz von 1 pro 20.000 Schwangerschaften selten. Der Mensch ist hierbei anstatt des Schafes ein Zwischenwirt, der Hund der Endwirt. In endemischen Gebieten mit Schafzucht wie Osteuropa und dem Mittelmeerraum stellen Echinokokkus-Zysten ein relevantes Ge­ sundheitsrisiko dar [24], das durch Einwanderer aus diesen Gebieten auch in Westeu­ ropa an Bedeutung gewinnt. Zur Diagnostik gehört neben einer gezielten Anamnese (Reisen, Kontakt mit Hunden oder Schafen) und der Abdomen-Sonografie oder Ma­ gnetresonanztomografie (Abbildung 15.5) auch eine Echinokokkus-Serologie. Die Zys­ ten (sog. Hydatide) bleiben meist asymptomatisch, können aber durch lokale Verdrän­ gungsserscheinungen, Superinfektion oder Anschluss an das Gallengangsystem mit

15.6 Echinokokkuszysten |

237

Abb. 15.5: Echinokokkuszyste der Leber. In der T2-gewichteten MRT-Aufnahme in axia­ ler Schichtführung zeigt sich eine zystische Raumforderung mit dem typischen Bild von abgelösten und flottierenden Membranen.

Cholestase auffallen. Bei einer Zystenruptur und Kontakt der Hydatiden mit dem Pe­ ritoneum kann ein lebensgefährlicher anaphylaktischer Schock ausgelöst werden. Zur Indikationsstellung für eine therapeutische Intervention kommt in der kli­ nischen Praxis die WHO-Klassifikation (Tabelle 15.1) aus dem Jahr 2001 zur Anwen­ dung [25]. In Abhängigkeit vom Stadium kann eine perkutane Behandlung mittels so­ genannter PAIR-Technik erfolgen. P: Punktion unter Ultraschallkontrolle in Seldinger-Technik A: Aspiration des Zysteninhaltes I: Injektion von 30%iger, hypertoner Kochsalzlösung für 20 Minuten R: Re-Aspiration des vollständigen Zysteninhaltes

Tab. 15.1: WHO-Klassifikation der zystischen Echinokokkose der Leber [25]. Zystentyp

Sonografische Kriterien

Klinische Einteilung

CL CE 1 CE 2

Univesikuläre Zysten Hydatidensand (double line sign) Multivesikuläre Zyste (Rosettenzeichen)

Gruppe 1 Aktive Gruppe Wachsende Zysten

CE 3

Univesikuläre Zysten mit abgelöster Endozyste (water-lily-sign) Multivesikuläre Zyste mit Zeichen solider Transformation

Gruppe 2 Involutionsstadium Degenerierende Zysten; Vitale Parasiten sind jedoch wahrscheinlich

CE 4

Heterogene Echogenität mit solidem Zysteninhalt ohne Nachweis von Tochterzysten Solide und kalzifizierte Zyste

Gruppe 3 Inaktive Gruppe Degenerierte, partiell oder vollständig kalzifizierte Zys­ ten; vitale Parasiten sind unwahrscheinlich

CE 5

238 | 15 Operative Therapie von Lebererkrankungen

Günstig zeigen sich die WHO-Stadien CL und CE3, wobei auch Zysten vom Typ CE4 erfolgreich mit PAIR behandelt werden können [26]. Septierungen, multivesikuläre Zysten oder eine Kalzifizierung wirken sich negativ auf das Ergebnis aus. Die PAIRTechnik zeigte sich in einer Studie mit 355 Patienten gegenüber einem primär laparo­ skopischen oder offen-chirurgischen Vorgehen als überlegen [27]. Vor der Interventi­ on muss jedoch mittels MRT oder ERC eine zystobiliäre Verbindung ausgeschlossen werden, da es durch die chemische Reizung der Injektionslösung zu einer sekundä­ ren Cholangitis kommen kann. Eine Therapie mit dem Anthelminthikum Albendazol/ Mebendazol ist während der Schwangerschaft kontraindiziert. Bei Versagen der PAIRTherapie, einer Verbindung der Zyste zum Gallengangsystem, großen Zysten sowie bei Einblutungen oder Rupturgefahr kann eine chirurgische Intervention notwendig werden. Hierbei stehen zahlreiche operativ-konservative (Marsupialisation, partiel­ le Zystektomie, Netzplastik) sowie resezierende (Perizystektomie, Leberteilresektion) Verfahren zur Verfügung. Nach Therapie wird eine sonografische Verlaufskontrolle al­ le zwei Wochen während der Schwangerschaft und alle drei Monate nach Entbindung im ersten Jahr sowie halbjährlich im zweiten Jahr mit Abschlusskontrolle nach einem weiteren Jahr empfohlen.

15.7 Spontane Leberruptur beim HELLP-Syndrom Die spontane Leberruptur ohne traumatische Genese ist eine lebensbedrohliche Kom­ plikation in der Schwangerschaft, welche vorwiegend mit dem HELLP-Syndrom (Hä­ molyse, erhöhte Leberenzyme, Thrombozytopenie) bei der Präeklampsie (Hyperto­ nie, Proteinurie) assoziiert ist (siehe auch Kapitel 17). Mit einer Inzidenz von 1 pro 67.000 Geburten und 0,05% bei Patientinnen mit einer Präeklampsie/Eklampsie/ HELLP-Syndrom ist die spontane Leberruptur ein sehr seltenes Ereignis, die ma­ ternale Mortalität liegt jedoch bei etwa 16% und die perinatale Mortalität bei etwa 31% [28, 29]. In der Mehrheit der Fälle sind Multipara im dritten Schwangerschaftstri­ menon und einem Alter von über 25 Jahren betroffen [28]. Die Symptomatik variiert von epigastrischen oder rechtseitigen Oberbauchschmerzen mit Ausstrahlung in die rechte Schulter, Kopfschmerzen sowie Übelkeit und Erbrechen bei einer Leberkapsel­ spannung hin zur Schocksymptomatik im Falle einer Ruptur. Die spontane Ruptur der Leberkapsel betrifft in 75% der Fälle den Unterrand des rechten Leberlappens [30]. Diagnostische Mittel der Wahl sind der Ultraschall und im Notfall die Computerto­ mografie (CT). Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist bei stabilen Patientinnen mit subkapsulärem Leberhämatom in Hinblick auf den Strahlenschutz das bevorzugte Bildgebungsverfahren [31]. Laborchemisch zeigen sich neben einer schweren Anämie vor allem erhöhte Transaminasen sowie Zeichen einer Verbrauchskoagulopathie. Bei Patientinnen mit HELLP-Syndrom ist das Risiko einer spontanen Leberruptur auch noch 24 bis 48 Stunden nach der Geburt oder einer notfallmäßigen Sectio caesarea gegeben.

15.7 Spontane Leberruptur beim HELLP-Syndrom

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239

Die Behandlung der spontanen Leberruptur in der Schwangerschaft besteht aus einer Kombination aus chirurgischer Intervention und intensivmedizinischer Betreu­ ung (Abbildung 15.6). Ein konservatives Vorgehen mittels Volumensubstitution, Korrektur der Gerin­ nungsstörung und Transfusion von Blutprodukten unter kontinuierlicher intensivme­ dizinischer Überwachung und engmaschiger Verlaufsbildgebung ist bei einem Leber­ hämatom ohne Kapselruptur möglich. Aufgrund der Möglichkeit einer zweizeitigen Leberruptur sollte der Zeitraum der Überwachung hierbei jedoch mindestens sechs Wochen betragen. Bei hämodynamisch instabilen Patientinnen mit Blutung in die Bauchhöhle ist die notfallmäßige Laparotomie mit dem Ziel der Blutstillung indiziert.

HELLP-Syndrom mit leberbezogener Komplikation (Hämatom, spontane Leberruptur)

Intensivstation

Sectio caesarea

Patientin stabil?

Ja

Nein

Sonografie/CT/MRT

Notfall-Laparotomie

Korrektur der Koagulopathie

‧ Leber-Packing ‧ Parenchym-Naht ‧ Gefäßligatur ‧ Koagulation ‧ Hämostyptika ‧ Leberresektion ‧ (Arterielle Embolisation)

Verlaufsbildgebung

Fulminantes Leberversagen

Genesung

Blutung Korrektur der Koagulopathie

Lebertransplantation

Embolisation ggf. Re-Laparotomie (Re-„packing“), ggf. Leberbiopsie

Abb. 15.6: Algorithmus zum Vorgehen bei leberbezogenen Komplikationen des HELLP-Syndroms. Modifiziert nach Wilson et al. [38].

240 | 15 Operative Therapie von Lebererkrankungen

Nach den Prinzipien des Damage-control-Konzepts [32] haben das perihepatische „packing“, die Vermeidung einer Hypothermie und Azidose sowie die Stabilisierung des Volumen- und Gerinnungsstatus Vorrang. Beim Packing mit Bauchtüchern ist auf die Vermeidung einer Kompression der V. cava und eines abdominellen KompartmentSyndroms zu achten. Nach Stabilisierung des Kreislaufs und der Gerinnung sollte dann nach 24–48 h eine Relaparotomie mit Entfernung des Packings und definitiver Versorgung der Leberruptur in Abhängigkeit vom Lokalbefund und der Erfahrung des Chirurgen erfolgen. Hierbei kommt, wie auch bei traumatischen Leberrupturen, eine Vielzahl an Operationstechniken infrage, wie Parenchym-Nähte, Gefäßligaturen, Koagulation mittels Argon-Beamer, Fibrinklebung, Einlage von Hämostyptika bis hin zur Leberresektion [33]. Eine Cholezystektomie mit intraoperativer Kontrastmitteldar­ stellung des Gallengangsystems oder Darstellung von Galleleckagen mittels Farbstoff (z. B. Propofol) ist bei zentralen Leberrupturen empfehlenswert. Intraoperativ sollte eine Leberbiopsie entnommen werden. Bei diffuser Lebernekrose, unstillbarer Blu­ tung oder fulminantem Leberversagen kann eine Lebertransplantation notwendig werden [34]. Bei kritischen Patientinnen mit schwerer Koagulopathie und einer Be­ grenzung der Blutung auf einen Leberlappen kann als präliminäre Maßnahme eine arterielle Embolisation durch den Radiologen in Erwägung gezogen werden [35]. Nach Ligatur oder Embolisation von Leberarterien bleibt die Leberfunktion aufgrund der portalen Perfusion zunächst ungestört, mit zeitlicher Verzögerung von einigen Tagen bis Wochen kann es jedoch zu Ischämien der Gallengänge mit Strikturen, Cholangitis und cholangiogenen Abszessen kommen.

15.8 Hepatozelluläres Karzinom (HCC) Merke: Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist der häufigste primäre maligne Lebertumor, welcher sich im Allgemeinen auf dem Boden einer vorbestehenden Lebererkrankung (z. B. virale Hepatitis, Alkoholabusus, Hämochromatose, M. Wilson) entwickelt.

Das HCC ist eine seltene Entität in der Schwangerschaft, sollte jedoch bei unklaren Leberläsionen differenzialdiagnostisch bedacht werden. Weltweit sind nur wenige Fälle beschrieben, vor allem in Afrika und Asien. Bei der Bestimmung des Tumor­ markers Alpha-1-Fetoprotein (AFP) im maternalen Serum müssen jedoch differenzi­ aldiagnostisch auch Neuralrohrdefekte (z. B Spina bifida) des Feten in Betracht ge­ zogen werden. Bei den wenigen in der Literatur beschriebenen Fällen zeigte sich ein deutlich nachteiliger Effekt der Schwangerschaft auf die Prognose des HCC, welches durch hohe Östrogenspiegel verbunden mit einer Immunsuppression bedingt sein könnte [36]. Durch das schnelle Tumorwachstum und die schlechte Prognose sollte die Schwangerschaft, wenn möglich, früh beendet und eine umgehende chirurgische Tumorresektion durchgeführt werden [37]. Bei einer palliativen Gesamtsituation kom­

15.9 Zusammenfassung |

241

men transarterielle Chemoembilisation (TACE) oder lokale ablative Verfahren (z. B. Radiofrequenzablation) in Betracht.

15.9 Zusammenfassung – – –



Morphologische Leberveränderungen in der Schwangerschaft sind in der Regel gutartige Zufallsbefunde. Betroffene Patientinnen sollten früh und kompetent aufgeklärt werden, um angstbedingte Interventionen ohne medizinische Notwendigkeit zu vermeiden. Diagnostisches Mittel der Wahl ist der Ultraschall, bei Unsicherheiten kann un­ ter strenger Indikationsstellung und nach Rücksprache mit dem Radiologen eine native MRT möglichst nach Abschluss des 1. Trimenons durchgeführt werden (Ab­ bildung 15.1). Die häufigsten Befunde sind einfache Leberzysten sowie Hämangiome und die FNH, hier ist ein konservatives Vorgehen (wait & watch) mittels sonografischer Verlaufskontrolle ausreichend (Abbildung 15.7).

LCA

Hämangiom

Blutung?

Nein

FNH

‧ beruhigendes Aufklärungsgespräch ‧ Gravidität fortsetzen ‧ peri- und postpartale Sonographie-Kontrolle

Ja

HCC

‧ Schwangerschaft abbrechen ‧ chirurgische Resektion ‧ weitere Therapiemaßnahmen

‧ Kreislauf stabilisieren ‧ Intensivstation ‧ ggf. Angioembolisation

> 5 cm

Nein

Ja

Sonografische Kontrolle alle 4 Wochen

Laparoskopische Resektion möglich? ggf. Verlegung in ein Spezialzentrum

Nein

Ja

Offene Resektion

Laparoskopische Resektion

Abb. 15.7: Algorithmus zum Vorgehen bei Leberläsionen in der Schwangerschaft. Modifiziert nach Wilson et al. [39].

242 | 15 Operative Therapie von Lebererkrankungen







Große Leberzelladenome (> 5 cm) haben ein hohes Rupturrisiko in der Schwan­ gerschaft und sollten vor einer Schwangerschaft diagnostisch abgeklärt und rese­ ziert werden. Die spontane Leberruptur ist eine seltene, aber lebensbedrohliche Komplikation des HELLP-Syndroms und bedarf einer umgehenden Operation mit dem Ziel der Blutstillung und nachfolgender komplexer Intensivbehandlung. Das höchste Risiko eines leberchirurgischen Eingriffs besteht im ersten Schwan­ gerschaftstrimenon.

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Stefan Täger, Koroush Kabir und Christof Burger

16 Traumatologie 16.1 Einleitung Die Behandlung von verletzten Schwangeren setzt neben besonderer Erfahrung bei der klinischen Diagnostik und Therapie auch Kenntnisse der Veränderungen in der Schwangerschaft und die Zusammenarbeit mit dem betreuenden Gynäkologen vor­ aus. Die anatomischen und physiologischen Anpassungen an die Schwangerschaft führen zu Abweichungen von den üblichen Schockreaktionen und den Normwerten. Es seien hier die hyperdyname Kreislaufsituation, Erhöhung des Plasmavolumens mit relativer Anämie und die Kompression der Vena cava inferior genannt. Für die Versor­ gung von schwerstverletzten Schwangeren wurden Leitlinien entwickelt, für Bagatell­ traumata stehen jedoch keine festen Standards zur Verfügung. Die Befürchtung, den Feten zu schädigen, erzeugt bei den Patientinnen und be­ handelnden Ärzten Unsicherheiten und führt in manchen Fällen dazu, dass notwen­ dige Untersuchungen oder ein konsequentes operatives Vorgehen unterlassen wer­ den. Ein weiteres klinisch relevantes Thema ist die Schwangerschaft nach Trauma im Beckenbereich, insbesondere nach Beckenfrakturen. Es stellt sich die Frage, ob eine spontane Geburt möglich ist oder eine elektive Sectio durchgeführt werden muss.

16.2 Versorgung von Mono- und Extremitätenverletzungen Die Behandlung von Monoverletzungen macht den Großteil der traumatologischen Versorgungen schwangerer Patienten aus, dies lässt sich mit einem erhöhten Sturzund Verletzungsrisiko erklären. Durch die Gewichtszunahme, die Verlagerung des Körperschwerpunktes, die vermehrte Gelenklaxität und die daraus folgende Gangun­ sicherheit ist die Verletzungsgefahr bei Schwangeren im Verhältnis zur Normalbevöl­ kerung erhöht [1]. Bei den Einzelverletzungen sind meist die Extremitäten betroffen, vor allem Dis­ torsionen der Sprung- und Kniegelenke sowie Verletzungen des distalen Radius und der Clavicula. Eine zusätzliche Verletzung des Abdomens oder des Feten ist selten. In Abhängigkeit vom Traumamechanismus und möglicher Kindsverletzung sollte je­ doch eine gynäkologische Vorstellung zur Ultraschallkontrolle erfolgen, nicht zuletzt zur Beruhigung der Mutter.

DOI 9783110414134-016

16.2 Versorgung von Mono- und Extremitätenverletzungen |

245

16.2.1 Diagnostik Die Anamnese der Patientin und ihrer Angehörigen hat einen hohen Stellenwert. Fra­ gen nach dem Unfallhergang, der Sturzursache, vorangegangenem Unwohlsein, Be­ wusstlosigkeit und Art des Sturzes geben Hinweise auf mögliche Begleitverletzungen oder internistische/neurologische Sturzursachen, welche abgeklärt werden sollten. Der Mutterpass mit den letzten Befunden sollte immer eingesehen werden. Die klinische Untersuchung umfasst auch in der Schwangerschaft die Inspekti­ on auf Traumafolgen und die Palpation und Überprüfung der Stabilität von Bändern, Knochen und Gelenkführung. Besonders bei Bandverletzungen des Sprunggelenkes oder des Kniegelenkes kann durch einen erfahrenen Untersucher bereits eine konkre­ te Verdachtsdiagnose gestellt werden. Die Notwendigkeit einer bildgebenden Diagnostik ergibt sich individuell aus den therapeutischen Konsequenzen. Kann in der klinischen Untersuchung eine schwere Verletzung ausgeschlossen werden, ist es möglich, den Spontanverlauf abzuwar­ ten und bei ausbleibender Besserung später eine Röntgen- oder MRT-Untersuchung durchzuführen. Dieses Vorgehen muss, auch aus rechtlicher Sicht, mit der Patientin besprochen werden, sodass bei Bedarf eine umgehende Wiedervorstellung erfolgt. Sollte der Untersucher jedoch den Verdacht auf eine Fraktur haben, ist eine Rönt­ genuntersuchung indiziert, um nicht therapeutische Konsequenzen zu versäumen und Spätschäden zu vermeiden. Die bei empfohlener Röntgenuntersuchung von den Patientinnen meist gestellte Frage ist die mögliche Schädigung des Kindes. Zusätzlich zur Behandlung der radio­ logischen Diagnostik in Kapitel 4 sind in Tabelle 16.1 die maximalen fetalen Dosen für die häufigsten traumatologischen Untersuchungen orientierend zusammengefasst. Tab. 16.1: Maximale geschätzte fetale Strahlendosis (mSv) von Röntgenuntersuchungen [1–3]. Untersuchung

Strahlengang

Thorax Obere und untere Extremität Hüfte Hüfte Becken Abdomen Brustwirbelsäule Lendenwirbelsäule Lendenwirbelsäule CT Schädel CT Thorax CT Abdomen

AP 2 Ebenen Lauenstein AP AP PA AP Lateral AP CT CT CT

Durchschnitt < 0.01 0.01

3.40 1.30 < 0.01 0.91 7.50

Maximum < 0.01 0.01 0.51 1.40 22.0 3.0 0.03 3.5 40.00 < 0.50 < 1.00 26.00

AP = anterior-posteriorer Strahlengang, PA= posterior-anteriorer Strahlengang, CT = Computertomo­ grafie.

246 | 16 Traumatologie

Wie sich aus der Tabelle entnehmen lässt, sind alle stammfernen Untersuchun­ gen bei Anwendung eines korrekten Schutzes durch Bleischürzen mit einer sehr ge­ ringen Strahlenbelastung des Feten assoziiert. Die Diagnostik des Beckens und der Lendenwirbelsäule geht mit einer im Vergleich zur stammfernen Diagnostik hundertbis tausendfach erhöhten Strahlendosis einher. Die Indikation zur Röntgen-Diagnos­ tik muss hier entsprechend eng gestellt oder es müssen alternative Verfahren ohne ionisierende Strahlung (MRT) verwendet werden. Ein möglicher Schaden ist bei dem Feten jedoch nicht nur von der Strahlendosis abhängig, sondern von dem Zeitpunkt der Schwangerschaft, hierbei zeigt sich insbe­ sondere im ersten Trimenon eine hohe Vulnerabilität [4]. Die Grenzdosen von 50 mSv und 100 mSv werden jedoch von keiner Untersuchung erreicht, sodass ein Schaden des Feten unwahrscheinlich und ein Schwangerschaftsabbruch nach radiologischer Untersuchung nicht indiziert ist (siehe auch Strahlenschutzverordnung, Röntgenver­ ordnung und Hinweise des Bundesamtes für Strahlenschutz für Schwangere).

16.2.2 Therapie Die Therapie der Extremitätenverletzungen erfolgt bei den Schwangeren analog zu Nicht-Schwangeren. Aufgrund der erhöhten Thrombosegefahr sind immobilisierende Behandlungsmethoden an den unteren Extremitäten zu vermeiden und auf eine ad­ äquate Thromboseprophylaxe auch im ambulanten Bereich mit niedermolekularem Heparin (NMH) zu achten. Bezüglich der Schmerztherapie sind einige Besonderheiten zu berücksichtigen (siehe auch Kapitel 2). Ibuprofen ist auch in der Schwangerschaft ein Analgetikum der ersten Wahl bei posttraumatischen oder postoperativen Schmer­ zen, sollte aber ab der 28. SSW nicht mehr verabreicht werden. Mögliche Folgen sind ein vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus, eine fetale Nierenfunktionsschädi­ gung und möglicherweise eine nekrotisierende Enterokolitis (NEC). Paracetamol kann in jeder Phase der Schwangerschaft gegeben werden. Bei starken Schmerzen können nach kritischer Indikationsstellung Opioide verabreicht werden, hier sind Tramadol und Buprenorphin die Mittel der Wahl. Nach langfristiger Einnahme ist ein neonata­ les Entzugssyndrom oder eine postnatale Atemdepression des Kindes möglich, sodass die Geburt in einem Neonatalzentrum erfolgen sollte. Falls eine operative Therapie notwendig wird, sollte bei der intraoperativen Durchleuchtung auf einen ausreichenden Röntgenschutz des Kindes geachtet wer­ den. Hier ist eine zusätzliche Abdeckung des Abdomens mit Bleimatten oder einer Bleischürze möglich. Bei den Narkoseverfahren sind lokale oder regionale Verfahren vorzuziehen (siehe Kapitel 5).

16.3 Stumpfes Bauchtrauma

| 247

16.3 Stumpfes Bauchtrauma Eine initial oft schwierig einzuschätzende Verletzung in der Schwangerschaft stellt das stumpfe Bauchtrauma dar. Die Anamnese des Hergangs (direktes Trauma durch Schlag oder Tritt oder indirekt durch Dezeleration bei Sturz oder Verkehrsunfall) er­ laubt bereits eine Abschätzung des möglichen Verletzungsmusters. Bei der klinischen Untersuchung sollte auf externe Verletzungszeichen, subjektive Beschwerden und die Vitalparameter geachtet werden. Generell sind bei wachen und orientierten, hämo­ dynamisch stabilen Patientinnen ohne abdominelle (Druck-) Schmerzen oder externe Traumazeichen innere Verletzungen unwahrscheinlich. Bei jedem Bauchtrauma muss initial zum Ausschluss einer intraabdominellen Verletzung und zur Beurteilung des Feten eine Ultraschalldiagnostik erfolgen [6, 7]. Im Verlauf ist der Ultraschall ebenfalls am besten geeignet, um zweizeitige intraabdominelle Blutungen oder parenchymatö­ se Verletzungen zu diagnostizieren. Die Evaluation das Kindes, der Gebärmutter und der Plazenta sollte am besten durch einen Gynäkologen erfolgen. Die früher durchge­ führte diagnostische peritoneale Lavage hat heute keine Bedeutung mehr. Sollte sich der Verdacht auf eine parenchymatöse Verletzung oder intraabdomi­ nelle Blutung ergeben, sollte bei Kreislaufstabilität eine Computertomografie (CT) des Abdomens erfolgen, um die Art der Verletzung und die Prognose zu erkennen. Die Angst vor Strahlenschäden des Kindes darf eine notwendige Diagnostik nicht verhin­ dern oder verzögern, da Verletzungen der Mutter immer auch ein Risiko für den Feten darstellen (Abbildung 16.1). Bei instabilem Kreislauf und sonografischem Nachweis freier Flüssigkeit im Abdomen sollte durch ein CT kein Zeitverlust entstehen, die ope­ rative Exploration und Blutstillung haben dann Priorität.

Abb. 16.1: 22-jährige polytraumatisierte Patientin nach Hochrasanztrauma in der 12. Schwanger­ schaftswoche. Ausschluss einer intraabdominellen oder retroperitonealen Verletzung.

248 | 16 Traumatologie

16.3.1 Penetrierende abdominelle Verletzungen In Fallserien konnte gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit in der Schwanger­ schaft, an einer Schuss- oder Stichverletzung zu versterben, geringer ist als bei NichtSchwangeren [8]. Dieser Unterschied erklärt sich durch die veränderten anatomischen Bedingungen, da durch den Uterus die Organe nach kranial verdrängt sind (Abbil­ dung 16.2). Hinzu kommt ein „Schutz“ der großen retroperitonealen Gefäße durch den Uterus und die bessere Toleranz größerer Blutverluste, wie sie auch bei einer Geburt vorkommen können. Bei einem kranialen Bauchtrauma werden häufiger die Organe der Mutter verletzt, während beim kaudalen Trauma der Uterus oder der Fet stärker gefährdet sind [9]. Bei einer penetrierenden Verletzung des Oberbauches ist wie bei Nicht-Schwange­ ren die Exploration des Stich- oder Schusskanals durch Laparotomie oder Laparosko­ pie indiziert. In der Schwangerschaft wird die Entscheidung zur sofortigen Operati­ on oder vorherigen Bildgebung durch CT von mehreren Faktoren abhängig gemacht. Diese sind die Lokalisation und Art der Verletzung, die Größe des Uterus, sowie die mütterlichen und fetalen Vitalparameter [10, 11]. Bei isolierter Verletzung des Unterbauches, kreislaufstabiler Mutter und unauffälligem Feten kann auch eine konservative Therapie erfolgen. Diese beinhaltet eine Monitor-Überwachung und eine eventuelle Laparoskopie und Exploration der Wun­ de. Bei unklarem Verletzungsmuster sollte jedoch eine offene Operation durchgeführt werden [12–14].

Abb. 16.2: Höhe des Fundusstandes in Abhän­ gigkeit von der Schwangerschaftswoche.

16.3 Stumpfes Bauchtrauma |

249

Merke: Das erwartete Verletzungsmuster ist abhängig vom Fundusstand und somit dem Gestati­ onsalter! Der Uterus reicht in der 12. SSW bis zur Symphyse, in der 24. SSW bis zum Bauchnabel, in der 36. SSW bis zum Xiphoid und sinkt dann zum Ende der Schwangerschaft wieder ab.

16.3.2 Traumatische Plazentalösung Die Rate der traumatischen Plazentalösungen nach Verkehrsunfällen liegt in einer großen Fallstudie bei schweren Verletzungen der Patientinnen bei 13%, bei weniger schweren Verletzungen bei 7,4% [15, 16]. Die Häufigkeit kann abhängig vom Unfallher­ gang bei komplexem Bauchtrauma mit 40–66% wesentlich höher liegen [17, 18]. Da eine Plazentalösung lebensbedrohlich für das Kind ist, sollte an diese grund­ sätzlich bei der Beurteilung der Patientinnen nach Trauma gedacht werden. Hinweise für eine mögliche Plazentalösung stellen abdominelle Schmerzen, uterine Schmerzen (Tetanus uteri) oder vaginale Blutungen dar. Die Plazentalösung kann auch bei asym­ ptomatischen Patientinnen auftreten. Die Diagnosestellung einer traumatischen Plazentalösung kann sehr schwierig sein. Diagnostik der Wahl ist die farbcodierte Duplex-Sonografie mit Darstellung des retroplazentaren Hämatoms (Abbildung 16.3), die Labordiagnostik mit Hinweis für Ko­

Abb. 16.3: Vorzeitige Plazentalösung mit sonografischer Darstellung eines 7 × 7 × 3 cm großen, retroplazentaren Hämatoms in der 33 + 3 Schwangerschaftswoche.

250 | 16 Traumatologie

agulopathie (Abfall der Thrombozyten und des Fibrinogens) kann zusätzlich hilfreich sein, ist aber unspezifisch. Die Sensitivität der Untersuchungen ist eingeschränkt, da nicht bei jeder Ablösung ein retroplazentares Hämatom im Ultraschall gesehen wird [19]. Eine CT-Untersuchung wird insbesondere aufgrund der hohen Strahlen­ belastung zur Beurteilung des Uterus nicht verwendet, kann aber bei mütterlicher Indikation auf eine mögliche Ablösung hinweisen oder sie darstellen [20]. Aufgrund der hohen Mortalitätsrate von bis zu 50% beim Feten wird bei Verdacht oder Gefahr einer Plazentalösung ein fetales und uterines Monitoring (CTG und So­ nogramm) auch bei geringem Abdominaltrauma dringend empfohlen. Sollte sich in diesem Rahmen eine abnormale Veränderung der fetalen Herzrate zeigen, müssen entsprechende Maßnahmen bis hin zur Not-Sectio unverzüglich eingeleitet werden. Die empfohlenen Überwachungszeiten variieren stark zwischen 4 bis 48 Stun­ den [21–24]. Eine längere Überwachung ist grundsätzlich denkbar, da eine verzögerte Ablösung bis zu sechs Tage nach einem Unfall beschrieben worden ist [23, 25]. Das Risiko einer Ablösung nach 48 Stunden ist jedoch sehr gering und eine Überwachung über mehr als zwei Tage hat in Studien keinen zusätzlichen Nutzen gezeigt [21]. Es hat sich das in Tabelle 16.2 aufgeführte Schema hinsichtlich der Beendigung der Überwa­ chung bewährt. Tab. 16.2: Indikation für die Überwachung des Feten durch Cardiotokogramm (CTG) nach abdominel­ lem Trauma [24]. Die Überwachung kann nach 4 h beendet werden, wenn alle u. g. Kriterien erfüllt sind – – – –

Kontraktionen < 1 in 10 Minuten keine vaginale Blutung keine abdominellen Schmerzen normales CTG

Eine Überwachung über 24 Stunden sollte bei Patientinnen mit EINEM der folgenden Symptome erfolgen – – – – – – –

sichtbare abdominelle Verletzungen regelmäßige Kontraktionen vaginale Blutung suspektes oder pathologisches CTG abdominelle oder uterine Schmerzen Verdacht auf Koagulopathie (u. a. niedrige Thrombozyten oder Fibrinogen) Injury Severity Score > 9 (ISS > 9)

Bei schweren Verletzungen sollte die kindliche Überwachung jedoch solange fortge­ führt werden, bis entweder eine elektive frühzeitige Sectio erfolgt ist oder eine Plazen­ talösung ausgeschlossen werden kann [26, 27].

16.4 Polytrauma

|

251

16.3.3 Fetomaternales Transfusionssyndrom im Rahmen eines Traumas Durch Einriss an der utero-plazentaren Grenzfläche kann es zu einem Übertritt von fe­ talem Blut in den mütterlichen Kreislauf kommen. Eine solche fetomaternale Blutung kann abhängig vom Uterusfundusstand (Abbildung 16.2) und Traumamechanismus bei bis zu 30% der Patientinnen auftreten [28]. Daraus resultierende Komplikationen sind die fetale Anämie, der intrauterine Kindstod und die maternale Isoimmunisati­ on [29, 30]. Mit einer HbF-Färbung (Kleihauer-Betke-Test) kann bestimmt werden, ob eine fe­ tomaternale Transfusion erfolgt ist. Hierbei wird der prozentuale Anteil der Erythro­ zyten mit fetalem Hämoglobin im Blut der Mutter nachgewiesen. Einige Autoren emp­ fehlen eine Testung aller Patientinnen nach abdominalem Trauma, sinnvoll ist sicher eine Testung aller Patientinnen mit höhergradigem abdominellem Trauma, um grö­ ßere Blutübertragungen auszuschließen [6, 24, 31]. Es wird empfohlen, allen Rhesus-Faktor negativen Frauen nach abdominellem Trauma eine Standarddosis Anti-D-Immunglobulin (250–300 µg) zu verabreichen, um eine Immunisierung und einen in der Folgeschwangerschaft auftretenden Morbus ha­ emolyticus neonatorum zu verhindern. Eine Erhöhung der Dosis sollte bei starken fe­ tomaternalen Hämorrhagien erfolgen. Merke: Alle schwangeren Rh(-)-Traumapatientinnen (außer bei isolierten, stammfernen Verletzun­ gen) sollten Anti-D-Immunglobulin erhalten.

16.4 Polytrauma Die Therapie einer polytraumatisierten Schwangeren hat grundsätzlich multidiszipli­ när zu erfolgen. Frühzeitig sollten die Gynäkologen hinzugezogen werden und in Ab­ hängigkeit vom Gestationsalter eine neonatologische Betreuung zur Verfügung ste­ hen. Die Therapie der Mutter hat Priorität, da das Kurz- und Langzeitüberleben des Feten direkt von ihrem Zustand abhängt. Insbesondere Hypotonie und Hypoxie im Rahmen eines Schocks können den Feten intrauterin schädigen oder zum Fruchttod führen. Grundsätzlich sind auch eine isolierte Verletzung des Feten und resultierende Komplikationen möglich, diese sind jedoch im Rahmen der Traumaversorgung sekun­ där zur behandeln.

252 | 16 Traumatologie

16.4.1 Schockraummanagement Die initiale Evaluation sollte nach dem im behandelnden Krankenhaus etablierten Schockraummanagement erfolgen, hierzu hat sich das Advanced Trauma Life Sup­ port (ATLS® ) durchgesetzt. Das Konzept gibt Handlungsabläufe und therapeutische Schritte vor, welche die präklinische und innerklinische Versorgung Schwerstverletz­ ter optimieren und standardisieren. Hierbei werden nach einem ABCDE-Schema (Ta­ belle 16.3) die lebensbedrohlichen Risiken ihrer Priorität nach adressiert, im Rahmen der Schwangerschaft müssen jedoch einige Besonderheiten beachtet werden. Tab. 16.3: Priorisierung lebensbedrohlicher Risiken nach dem ABCDE-Schema. A

Airway – Atemwegsmanagement und HWS Stabilisierung

B

Breathing – Atmung, Ventilation und Oxygenierung

C

Circulation – Kreislauf und Blutungskontrolle

D

Disability – Neurologischer Status

E

Exposure/Environment – Entkleidung und Temperaturkontrolle

16.4.2 Airway – Atemwegsmanagement und HWS Stabilisierung Die Sicherung der Luftwege und die Stabilisierung der Halswirbelsäule müssen nach den üblichen Richtlinien erfolgen, die Schwangerschaft hat hier grundsätzlich keinen Einfluss auf die Vorgehensweise. Bei einer erhöhten Inzidenz von Atemwegsödemen in der Schwangerschaft kann jedoch eine Sicherung des Atemweges schwierig sein. Durch den herabgesetzten Tonus des unteren Ösophagus und die Tatsache, dass die Schwangere grundsätzlich nicht als nüchtern zu betrachten ist, ergibt sich ein erhöh­ tes Aspirationsrisiko. Merke: Schwangere Patientinnen haben ein erhöhtes Aspirationsrisiko!

16.4.3 Breathing – Atmung, Ventilation und Oxygenierung In der Schwangerschaft ist der Sauerstoffverbrauch erhöht, es muss daher frühzeitig auf eine ausreichende Oxygenierung durch Pulsoxymetrie im Schockraum geachtet werden. Der Patientin sollte auch bei unauffälligem klinischem Bild Sauerstoff ange­ boten werden. Ziel ist eine Sauerstoffsättigung von über 95% oder in der arteriellen Blutgasanalyse (BGA) ein paO2 von mindestens 70 mmHg, um eine ausreichende Ver­ sorgung von Mutter und Fet zu gewährleisten.

16.4 Polytrauma

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In der BGA ist durch die physiologisch erhöhte Atemfrequenz in der Spätschwan­ gerschaft eine Hypokapnie (paCO2 30 mmHg) normal. Ein paCO2 von 35–40 mmHg kann daher eine drohende Ateminsuffizienz anzeigen und muss entsprechend the­ rapiert werden. Falls im Rahmen eines Thoraxtraumas die Anlage einer Thoraxdrainage notwen­ dig ist, muss die Technik den geänderten anatomischen Bedingungen angepasst wer­ den. Aufgrund des kranial stehenden Diaphragmas wird von Autoren die Anlage einer Drainage ein bis zwei Intercostalräume oberhalb der üblichen Eintrittsstelle (5. oder 6. ICR) empfohlen [7, 32]. Merke: Oxygenierung über Nasensonde mit pulsoxymetrischer Sauerstoffsättigung > 95%. Normokapnie von 35–40 mmHg paCO2 kann bei Schwangeren schon ein Zeichen einer respirato­ rischen Insuffizienz sein.

16.4.4 Circulation – Kreislauf und Blutungskontrolle Es sollten wie bei jedem schweren Trauma mindestens zwei großlumige venöse Zu­ gänge gelegt werden, diese sollten in der oberen Körperhälfte liegen, da sonst durch die vom Uterus ausgeübte Kompression der Femoralvenen ein Abströmen der i. v. Me­ dikamente zum Herzen verhindert werden kann [33]. Durch die aortokavale Kompression kann etwa ab der 20. Schwangerschaftswoche (Abbildung 16.2) ein adäquater Rückstrom des Blutes über die V. cava inferior behin­ dert werden, dies kann einen Schockzustand verstärken. Dieser Effekt lässt sich durch die manuelle Verlagerung des Uterus auf die linke Seite mittels Druck von rechts kra­ nial reduzieren, hierdurch kann eine Verlagerung des Uterus um 4–5 cm links der Mit­ tellinie erzielt werden [34]. Alternativ kann die Patientin auch in 15°–30° seitlich gela­ gerter Position nach links geneigt werden. Dabei sollte bei einer möglichen Wirbelsäu­ lenverletzung auf eine axiale Lagerung geachtet werden. Dies ist über eine Kippung der Liegefläche im Schockraum oder bei anliegendem Spineboard über ein Angulieren und Unterstützen der rechten Seite möglich [35, 36]. Die Reaktion auf einen Volumenmangel und das Schockverhalten ändern sich bei Schwangeren. Aufgrund des erhöhten intravasalen Volumens und des Uterus als „Blutspeicher“ werden höhere Blutverluste toleriert, bevor eine messbare klinische Symptomatik auftritt. Der Uterus, die Plazenta und der Fet können bei normalen Vi­ talparametern der Mutter bereits unterversorgt sein [37]. Zur Schocktherapie in der Schwangerschaft sind in erster Linie kristalloide Lösun­ gen und blutgruppenkompatibles Blut indiziert. Katecholamine sind in der Notfall­ situation grundsätzlich sinnvoll, sollten jedoch vorsichtig eingesetzt werden, da sie nach Trauma die plazentare Perfusion herabsetzen können und den Volumenmangel maskieren [38, 39].

254 | 16 Traumatologie

Merke: Jeder Blutdruckabfall bei einer traumatisierten Schwangeren ist unverzüglich mit Volumen und Linksseitenlagerung oder manueller Verlagerung der Gebärmutter nach links zu behandeln!

16.4.5 Disability – Neurologischer Status Eine schwerwiegende Komplikation der Spätschwangerschaft stellt die Eklampsie dar. Symptome sind cerebrale Anfälle, arterielle Hypertonie, Hyperreflexie, Protein­ urie und periphere Ödeme. Bei unklarer neurologischer Symptomatik bei Auffinden einer Schwangeren ist eine Verwechselung mit einem Schädel-Hirn-Trauma möglich und die Evaluation durch Neurologen und Gynäkologen dringend empfohlen. Merke: Bei auffälliger Neurologie an die Eklampsie denken!

16.4.6 Exposure/Environment – Entkleidung und Temperaturkontrolle Bei der Entkleidung und Diagnostik ist auf die Vermeidung einer Auskühlung durch Wärmedecken zu achten. Infusionen sollten angewärmt sein. Falls eine Notsectio er­ folgt, muss für das Kind ein entsprechend gewärmter neonatologischer Arbeitsplatz mit Wärmelampe vorhanden sein. Je unreifer das Kind, umso höher ist das Risiko der Unterkühlung.

16.5 Antenatale Steroidtherapie Bei einer drohenden Frühgeburt muss zwischen der 24. und der 34. Schwangerschafts­ woche die Gabe antenataler Steroide durchgeführt werden. Die Verabreichung von Betamethason fördert die Surfactantproduktion der kindlichen Lunge und reduziert somit pulmonale Schäden, aktuell wird ein einmaliger Betamethason-Zyklus von 2 × 12 mg i. m. im Abstand von 24 h empfohlen. Dies muss auch im Fall einer geplanten vorzeitigen Schnittentbindung erfolgen. Eine entsprechende Entscheidung sollte jedoch erst nach Stabilisierung der Patientin im interdisziplinären Gespräch getroffen werden. Da eine elektive Frühsectio vorwie­ gend in Hinsicht auf das Wohl der Mutter erfolgt, muss neben der maternalen Morbi­ dität das Risiko der Frühgeburtlichkeit mit dem Risiko einer intrauterinen Schädigung des Feten im Rahmen der Therapie abgewogen werden [40].

16.6 Perimortale Sectio oder Notsectio |

255

Merke: Bei drohender Frühgeburtlichkeit vor der abgeschlossenen 34. SSW ist die Induktion der fetalen Lungenreife mit Betamethason durchzuführen!

16.6 Perimortale Sectio oder Notsectio Eine Notsectio wird empfohlen bei drohendem Tod der Mutter, bei ineffektiver car­ diopulmonaler Reanimation innerhalb von vier Minuten oder Verschlechterung der fetalen Vitalzeichen. Im Rahmen einer Notfall-Laparotomie bei abdominellen Verlet­ zungen ist eine Sectio ebenfalls möglich, diese sollte jedoch nur durchgeführt werden, wenn durch den Uterus die operative Versorgung beeinträchtigt wird [41]. Die Frage, ab welcher Schwangerschaftswoche eine Sectio durchgeführt werden soll, wird kontrovers diskutiert. Eine relevante aortokavale Kompression tritt je nach Untersuchung ab der 20.–24. SSW auf. Eine relative Überlebensfähigkeit des Kindes ist an neonatologischen Zentren bereits ab der 22. Woche gegeben [42, 43]. Die Mehr­ zahl der Zentren therapiert Kinder ab der abgeschlossenen 24. SSW, da dann eine ver­ gleichsweise gute Aussicht auf ein Überleben ohne schwerwiegende Defizite besteht. Daraus lässt sich ableiten, dass eine Sectio aus mütterlicher Indikation ab der 20. SSW und aus kindlicher Indikation erst ab der 22.–25. SSW eine vertretbare Op­ tion im Rahmen der Reanimation darstellt. Zur orientierenden Bestimmung der SSW kann der Fundusstand zu Hilfe genom­ men werden, da ab der 20. Woche der Uterus drei Querfinger unterhalb des Nabels zu tasten ist. Eine zuverlässigere Bestimmung des Gestationsalters erfolgt, sofern in der Notfallsituation möglich, über die sonografische Fetometrie. Eine primäre Versorgung des Kindes muss bei Lebenszeichen stets erfolgen, abhängig von der Prognose muss dann der Neonatologe im Einvernehmen mit den Eltern zwischen palliativer Behand­ lung und Maximaltherapie entscheiden. Eine Notsectio muss innerhalb von vier Minuten nach dem Herzstillstand der Mut­ ter erfolgen, sodass das Kind fünf Minuten nach Beginn der Reanimation entbunden wird [44]. Die kurze Zeitspanne ergibt sich daraus, dass bei Nicht-Schwangeren nach vier bis sechs Minuten irreversible Hirnschäden auftreten, aufgrund der geringeren Residualkapazität tritt dies bei Schwangeren jedoch bereits früher auf. Durch die Auf­ hebung der aortokavalen Kompression kann nach Entbindung aus einer ineffektiven Reanimation eine effektive werden und langfristige Schäden reduziert oder verhin­ dert werden. Zudem ist belegt, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit des Kindes sich deutlich reduziert, je länger der Beginn der Reanimation und der Geburtszeitpunkt auseinanderliegen [45–47]. Eine perimortale Sectio aus kindlicher Indikation ist frühestens ab der 22. bis 25. Woche indiziert. Aufgrund der wahrscheinlichen Hypoxie des Kindes bei reduzierter Perfusion der Plazenta im Schockgeschehen ist die Prognose für das Überleben ein­

256 | 16 Traumatologie

geschränkt und die peripartale Morbidität des Kindes deutlich erhöht. Die Prognose verbessert sich mit dem Reifegrad und einer frühzeitigen Entbindung. Merke: Eine perimortale Sectio sollte innerhalb von fünf Minuten nach Beginn der Reanimation erfolgen. Sectio aus mütterlicher Indikation ab 20. SSW. Sectio aus kindlicher Indikation ab 22.–25. SSW.

16.7 Schwangerschaft nach Beckenosteosynthese und Skoliosetherapie Nach der traumatologischen Behandlung junger Frauen mit Verletzungen des Be­ ckens stellt sich die Frage, wann eine Spontangeburt nach Frakturen oder Osteo­ synthesen noch möglich ist. Eine Osteosynthese der Symphyse, Beckendeformatio­ nen durch Kallusbildung und Fehlstellungen können die Ausdehnungsfähigkeit des Geburtskanals einschränken und ein Geburtshindernis darstellen. Nach einer Sko­ liosetherapie mit langstreckiger Versteifung sind ebenfalls Probleme beschrieben, da verschiedene Geburtspositionen durch die Schwangere nicht eingenommen werden können. Fallkontrollstudien haben gezeigt, dass die Inzidenz von elektiven Kaiserschnit­ ten nach Beckenosteosynthesen im Vergleich zu einem Normalkollektiv signifikant erhöht ist [48]. Es gibt jedoch keine klaren Indikationsleitlinien, in welchen Fällen ei­ ne primäre Sectio zu erfolgen hat. Eine absolute Kontraindikation für eine vaginale Geburt nach Beckenfrakturen besteht nur bei einer Beckenfehlstellung mit Verlegung des Geburtskanals, diese kommt jedoch im Rahmen der modernen operativen Thera­ pie nur noch selten vor. Eine relative Indikation zur elektiven Sectio stellt die ventral einliegende Osteo­ synthese mit Überspannung der Symphysenfuge dar (Abbildung 16.4). Hierdurch ist die natürliche Erweiterungsfähigkeit des Geburtskanals deutlich eingeschränkt. Aus Sicherheitsgründen wird von den Gynäkologen in diesen Fällen meist zu einer elekti­ ven Sectio geraten, um eine protrahierte Geburt oder einen Geburtsstillstand zu ver­ meiden. Wird von der Patientin eine Spontangeburt gewünscht, ist dies in Einzelfällen möglich, wenn von traumatologischer Seite keine Kontraindikation besteht und eine ausführliche Aufklärung und Betreuung der Patientinnen gewährleistet ist. Die ein- oder zweiseitige dorsale Versteifung des Iliosakralgelenkes wirkt sich ebenfalls einschränkend auf die Beckenmobilität aus, jedoch geringer als eine ven­ trale Osteosynthese. Eine Spontangeburt bei anatomischer Frakturreposition ist somit meist möglich. Einige Untersuchungen haben gezeigt, dass eine geplante Spontange­ burt nicht zu einer erhöhten Inzidenz von sekundären Kaiserschnitten oder Geburts­ zwischenfällen führte [49].

Literatur

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Abb. 16.4: Beckenosteosynthese bei einer 24-jährigen Patientin mit Überbrückung der Symphysen­ fuge.

Eine idiopathische Skoliose mit Stabilisierungsoperation oder nach konservati­ ver Therapie stellt ebenfalls per se keine Kontraindikation für eine Spontangeburt dar. In einigen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass nach operativer Wirbel­ säulen-Versteifung vermehrt Vakuumextraktionen bei Geburtsstillstand durchgeführt werden mussten. Eine Spontangeburt war jedoch in der Mehrzahl der Fälle möglich, und eine elektive Sectio sollte mit den Patientinnen entsprechend kritisch besprochen werden [50–52]. Merke: Eine absolute Indikation zur elektiven Sectio stellt die Verlegung des Geburtskanales bei Fehlstellungen des Beckens dar. Bei ventraler Osteosynthese der Symphyse besteht ein erhöhtes Risiko eines Geburtsstillstandes. Eine Skoliose ist keine Kontraindikation zur Spontangeburt.

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Mignon-Denise Keyver-Paik und Walther Kuhn

17 Geburtshilfliche Notfälle mit Bezug zur Viszeralchirugie 17.1 Geburtshilfliche Notfälle Geburtshilfliche Notfälle treten trotz präventiver Betreuung der Schwangeren im Rah­ men der Schwangerenvorsorge immer wieder auf und sollten in der klinischen Routine beherrscht werden. Die Ätiologie der Notfälle ist hierbei vielfältig und reicht von der einfachen fetalen Bradykardie mit Notsectio über die Plazentalösung bis zu schweren maternalen Hämorrhagien unter Beteiligung von Organen, die erst sekundär durch die Schwangerschaft oder die Entbindung betroffen werden. Hierbei handelt es sich in erster Linie um die umliegenden Beckenorgane Blase und Rektum, um die Leber mit Leberkapselruptur im Rahmen eines HELLP-Syndroms oder andere, oft retroperi­ toneale Blutungskomplikationen, die durch eine prä- oder intraoperative Hämorrha­ gie sekundär verursacht werden. In diesem Kapitel soll insbesondere auf die viszeralchirugischen Aspekte dieser komplizierten Entbindungen eingegangen werden.

17.2 HELLP Merke: HELLP ist ein Akronym für den englischen Ausdruck hemolysis, elevated liver enzymes, low platelets und stellt damit eine verkürzte Beschreibung der Laborkonstellation dar, die eine Schwangere mit HELLP-Syndrom bietet. Das HELLP-Syndrom ist eine Schwangerschafts-assoziier­ te Erkrankung, der eine abnormale Plazentation zugrunde liegt und in deren Verlauf es zu der Ent­ wicklung einer Mikroangiopathie kommt, die für die Symptome der Erkrankung verantwortlich ist.

Ein HELLP-Syndrom tritt in etwa 0,1–0,8% aller Schwangerschaften und in bis zu 20% aller Schwangerschaften mit Präeklampsie (Proteinurie und Hypertonie) auf [1, 2]. Patientinnen, die bereits in einer vorangehenden Schwangerschaft an einem HELLPSyndrom erkrankten und Patientinnen mit erstgradigen Verwandten, die ein HELLPSyndrom entwickelt haben, erkranken signifikant häufiger [3]. Im Gegensatz zur Prä­ eklampsie ist dabei das Risiko für die Primigravida nicht erhöht, Multipara erkranken ebenso häufig [4]. Die Pathogenese des HELLP-Syndroms ist nicht vollständig geklärt. Zumeist wird es einer ähnlichen Ätiologie wie die der Präeklampsie zugeschrieben [2]. Die Prä­ eklampsie stellt eine Schwangerschafts-assoziierte Erkrankung („Gestose“) mit ei­ ner neu auftretenden Hypertonie der Schwangeren in Kombination mit Proteinurie DOI 9783110414134-017

262 | 17 Geburtshilfliche Notfälle mit Bezug zur Viszeralchirugie

und/oder Dysfunktion der Leber dar. Die Eklampsie bezeichnet den generalisierten Krampfanfall der Schwangeren im Rahmen dieser Erkrankung. Die Präeklampsie wird auf die gestörte Plazentation zurückgeführt. Während der 17.–20. Schwangerschaftswoche führt die Migration von Zytotrophoblastzellen der Pla­ zenta durch die Dezidua in die Tunica muscularis und die Endothelien der Spiralar­ terien des Uterus zu einer Umwandlung dieser arteriellen, wandstarken Gefäße in Ka­ pazitätsgefäße („remodeling“) und es findet eine Umwandlung der Trophoblastzellen zu Zellen mit endothelialem Charakter („Pseudo-Vasculogenese“) statt. Beide Fakto­ ren führen zu einer Erniedrigung der Widerstände in der uteroplazentaren Einheit und sind Voraussetzung für eine ungestörte Perfusion in der Schwangerschaft [5–8]. Bei Schwangeren mit Präeklampsie wurde nachgewiesen, dass diese Vorgänge der Plazentation nicht ungestört ablaufen. Genetische, immunologische und äußere Einflüsse scheinen hierbei eine Rolle zu spielen [9]. Die aus der fehlerhaften Plazen­ tation resultierende Hypoperfusion führt in der weiteren Schwangerschaft einerseits zu Ischämie und Hypoxie im Plazentastromgebiet, die mit einer Wachstumsretardie­ rung des Feten einhergeht, andererseits schüttet die Plazenta eine Reihe von Zytoki­ nen und Faktoren in die maternale Blutbahn aus, die maternal zu einer systemischen endothelialen Dysfunktion führen [10–12]. Präexistente Erkrankungen, die mit einer Dysfunktion des Endothels einhergehen, wie Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus oder Hypertonie, erhöhen das Risiko einer Schwangeren, an einer Präeklampsie zu erkranken [13]. Die endotheliale Dysfunktion führt zu den typischen Symptomen der Präeklamp­ sie mit Hypertonus und Proteinurie, Oberbauchbeschwerden und der Präsentation mit einem wachstumsretardierten Kind. Lebensbedrohliche Komplikationen drohen bei Exazerbation dieser Erkrankung mit Abruptio placentae, Leberhämatomen, Le­ berruptur, akutem Nierenversagen, Lungenödem, Retina-Ablösung, zerebraler Blu­ tung und generalisiertem Krampfanfall. Etwa 15% der mütterlichen Sterblichkeit durch Schwangerschaft oder Geburtskomplikationen weltweit werden durch die Prä­ eklampsie verursacht [14, 15]. Das HELLP-Syndrom als eigene Entität geht ebenfalls aus der Störung der Plazen­ tation hervor, geht aber mit einer deutlich ausgedehnteren hepatischen Inflammation und einer aktivierten Gerinnung der Patientin einher [2, 16]. Das HELLP-Syndrom kann mit einer fetalen LCHAD Mutation, einer Defizienz für die „long-chain 3-Hydroxyl-CoA Dehydrogenase“, assoziiert sein [17]. Da dies jedoch sehr selten ist und eine Information über den Feten zum Zeitpunkt der Entwicklung der maternalen Symptome in der Regel nicht zur Verfügung steht, trägt diese Diffe­ rentialdiagnose nicht zur Therapie-Entscheidung bei und soll daher hier nicht weiter ausgeführt werden [2]. Die Symptome der Patientin bei Vorstellung sind sehr vielfältig und können von einem Zufallsbefund im Labor bis zu einer Präsentation mit akutem Abdomen reichen. Typische klinische Zeichen sind eine Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der Leber oder des mittleren Epigastriums, Übelkeit, Erbrechen und ein allgemeines Krankheits­

17.2 HELLP

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gefühl, manche Schwangere beklagen Sehstörungen oder Kopfschmerzen. Der Blut­ druck kann erhöht sein, bei etwa 20% gehen allerdings die Laborveränderungen der Klinik voraus, sodass keine Proteinurie oder Hypertension vorliegen [18]. Im Labor zeigt sich aufgrund der Endotheladhäsion der Abfall der Thrombozyten, die gelegentlich innerhalb weniger Stunden in Bereiche von < 30 G/l fallen können. Dem kann eine Erhöhung der Leberwerte (AST) und der Lactatdehydrogenase voran­ gehen, diese Veränderungen können jedoch auch zeitlich verzögert auftreten. Throm­ bozyten-Zahlen unter 150 G/l sollten daher in der Schwangerschaft bei asymptomati­ scher Patientin zumindest zu einer kurzfristigen Verlaufskontrolle führen, sofern kei­ ne Vorwerte mit ähnlicher vorbestehender Thrombozytopenie vorliegen und bei der Schwangeren bekannt sind [19]. Die unspezifischen und in wechselnder Konstellation auftretenden Symptome können zu Fehldiagnose führen. Diffferentialdiagnostisch kommen Virushepatitiden, Cholangitiden, Gastritis und andere Magen-Darm-Erkrankungen in Frage. Das HELLP-Syndrom tritt typischerweise zwischen der 28. und 36. Schwanger­ schaftswoche auf, ein früheres Auftreten ist jedoch nicht selten. 30% der HELLP-Syn­ drome treten zudem im Wochenbett auf, in der Regel in den ersten 48 h nach der Ent­ bindung, aber auch ein spätes Auftreten bis zu einer Woche postpartal ist beschrie­ ben [15, 20]. Die kausale Therapie besteht in der Entbindung der Schwangeren und der Entfer­ nung der Plazenta. Die Vorbereitung, der Modus der Entbindung und der Zeitpunkt sind abhängig von der klinischen Präsentation der Schwangeren und der Gestationswoche. Nachdem die Diagnose HELLP-Syndrom gestellt ist, werden die maternalen und fetalen Parameter durch körperliche Untersuchung, Labor, CTG und Ultraschallun­ tersuchung vervollständigt, um zu entscheiden, ob eine eilige Entbindung per Sectio caeseraea indiziert ist. Die Mutter wird stabilisiert, hierzu gehört die Blutdruckein­ stellung mit oralen oder intravenösen Antihypertonika sowie die Überlegung, ob vor eiliger Entbindung eine Substitution von Thrombozyten erfolgen muss. Dies wird in der Regel ab einer Thombozytopenie von 20–30 G/l indiziert sein. Bei einem Schwangerschaftsalter unter 34+0 SSW muss abgewogen werden, ob eine Stabilisierung der Mutter möglich ist, um vor der Entbindung eine Lungenreife­ prophylaxe zur Verbesserung des postpartalen Status des Kindes durchzuführen. Bei noch stabiler Situation sollte aktiv entschieden werden, ob die Versorgungsstufe des Krankenhauses für eventuelle Komplikationen bei Mutter und Kind ausreichend ist und gegebenenfalls eine Verlegung angestrebt werden. Bei günstigem geburtshilflichem Befund, stabiler Mutter und unauffälligem Kind ist eine vaginale Entbindung im allgemeinen möglich. Bei akuter Präsentation in ei­ ner frühen Schwangerschaftswoche sollte jedoch nicht gezögert werden, eine Sectio caesarea durchzuführen.

264 | 17 Geburtshilfliche Notfälle mit Bezug zur Viszeralchirugie

Die Frage, ob ein regionales Anästhesieverfahren für die Entbindung gewählt wer­ den kann, ist abhängig von der vorliegenden Thrombozytenzahl und wird nicht ein­ heitlich gehandhabt. Untersuchungen zeigen, dass durch Gabe von Medikamenten wie Dexamethason oder Eculizumab, einem Inhibitor von Komplement C5, eine Entbindung herausgezö­ gert werden kann [2, 21]. Ein konservatives Vorgehen bei HELLP-Syndrom ist jedoch experimentell. Auf eine Verzögerung der Entbindung über den benötigten Zeitraum von 48 h zur Durchführung der Lungenreife hinaus sollte auch bei stabiler Mutter ver­ zichtet werden, da das HELLP-Syndrom eine fortschreitende Erkrankung ist und das Risiko für Mutter und Kind ein weiteres Zuwarten im allgemeinen nicht rechtfertigt. Eine therapeutische Gabe von Dexamethason zur Behandlung des HELLP-Syn­ droms auch über die Entbindung hinaus wurde ebenfalls untersucht, es zeigten sich hinsichtlich des maternalen und fetalen Zustands keine Vorteile [22]. Bei präpartal diagnostiziertem HELLP-Syndrom können die Laborwerte noch bis zu 48 h postpartal zunehmend pathologisch werden, erreichen aber im Mittel inner­ halb von 72 h nach dem Nadir wieder unkritische Werte. Diese Rekonvaleszenz ist ver­ längert bei Wöchnerinnen, die eine schwere Verlaufsform mit disseminierter intrava­ saler Gerinnung oder Aszites-Bildung hatten [2, 23]. Der fetale/neonatologische Status wird durch das Gestationsalter, die mit dem HELLP-Syndrom verbundene Frühgeburtlichkeit sowie die häufig gleichzeitig vorlie­ gende intrauterine Wachstumsretardierung der Neonaten bestimmt. Eine weitere Ur­ sache eines eingeschränkten Zustands ist die bei HELLP-Syndrom mit etwa 16% si­ gnifikant häufiger vorkommende Abruptio placentae [20]. Die perinatale kindliche Mortalität wird insgesamt auf bis zu 20% geschätzt [24]. In einzelnen Fällen kommt es in Kombination mit der HELLP-Syndrom-bedingten Thrombozytopenie durch eine Abruptio placentae oder durch eine ebenfalls krank­ heitstypische Hyperkoagulabilität zu einer disseminierten intravasalen Gerinnung mit schweren intra- und postpartalen Hämorrhagien, die durch eine Stabilisierung der Gerinnung und eine chirurgische Blutstillung, eventuell mit intra-abdominellem „packing“ therapiert werden müssen. Intra-abdominelle Hämorrhagien können bei postpartaler Exazerbation des HELLP-Syndroms auch post-sectionem auftreten. Zur schnellen Erkennung einer auf­ tretenden Blutung oder zur Vermeidung eines Wundhämatoms kann es daher sinnvoll sein, intra-abdominell oder epifaszial eine Drainage einzulegen. Bei Indikation zur Re-Laparotomie und stabiler Patientin sollte eine CT (Computer Tomographie)-Diagnostik zur Eingrenzung der Blutungsursache, insbesondere zum Ausschluss einer Leberruptur, sowie einer kompartimentierten retroperitonealen Blu­ tung durchgeführt werden. Diese treten gehäuft nach Sectio durch Blutungen aus den Ovarialgefäßbündeln auf und führen zu schweren Blutverlusten. In etwa 1% der Fälle kommt es im Verlauf eines HELLP-Syndroms zu einem Kap­ selhämatom der Leber [2, 20]. Symptomatisch werden diese Patientinnen häufig durch Oberbauchbeschwerden oder epigastrische Beschwerden als Ausdruck der Leberkap­

17.2 HELLP

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selspannung und oft werden diese Beschwerden begleitet durch Übelkeit und Er­ brechen, schwere Thrombozytopenie und eine Projektion der viszeralen Schmerzen zur Schulter. Leberkapselhämatome lassen sich in Ultraschall, CT und MRT (MagnetResonanz-Tomographie) nachweisen, wobei die Hämatome zuverlässiger in CT oder MRT zur Darstellung kommen [25]. Bei stabilem Hämatom kann ein konservatives Vorgehen mit dem Ziel der Selbsttamponade angestrebt werden, die Patientin wird mit Volumen und nach Bedarf mit Erythrozytenkonzentraten und Blutplasma substi­ tuiert. Bei Größenprogredienz des Hämatoms und stabiler Patientin kann eine arterielle Embolisation als radiologische Intervention versucht werden [26]. Bei Zunahme der Beschwerden, weiterer Progredienz des Hämatoms oder zunehmend instabiler Pati­ entin muss eine Laparotomie durchgeführt werden. Bei Riss der Glisson’schen Kapsel und aktiver Leberblutung kommt es schnell zu einem Hämatoperitoneum und zu einem hämorrhagischen Schock der Patientin. Die­ se seltene, aber sehr schwerwiegende Komplikation muss in einem multidisziplinären Ansatz betreut werden. Das operative Team und das Team der Anästhesie müssen mit einem hohen Blutverlust, einer gestörten Gerinnung und einem daraus resultierenden Multior­ ganversagen der Patientin rechnen und nach Möglichkeit konsequent und rasch die nötigen Schritte einleiten, um die Patientin zu stabilisieren. Hierzu gehört die Vorbereitung größerer Volumina von Blutkonserven und Plasma und gegebenenfalls von Thrombozyten-Konzentraten, im Notfall kann aktivierter Faktor VII verabreicht werden [2, 27]. Die Laparotomie sollte unter Mitwirkung eines versierten Viszeral-Chirurgen mit Erfahrung in der Behandlung von Traumata der Leber durchgeführt werden und kann die Teilhepatektomie oder die Ligatur hepatischer Arterien beinhalten. Häufig wird nach massivem Blutverlust und intensiver intraoperativer Infusionstherapie ein primärer Bauchverschluß nicht mehr möglich sein. Es kann sinnvoll sein, zunächst nur eine Drainage und ein „packing“ mit Bauchtüchern im Oberbauch durchzufüh­ ren, wenn der akute Blutverlust chirurgisch begrenzt werden kann und die Gerin­ nungsparameter noch nicht ausreichend korrigiert sind. Die endgültige chirurgische Versorgung erfolgt dann zweizeitig nach ausreichender Stabilisierung der Patien­ tin. Patientinnen mit stabilem Leberhämatom können nach Abklingen des HELLPSyndroms und Normalisierung der Blutwerte entlassen werden, da das Hämatom erst in den folgenden Wochen langsam resorbiert wird. Patientinnen nach Leberruptur und Hämorrhagie werden sich in der Regel ebenfalls vollständig erholen, sofern keine Sekundärschäden wie ARDS („adult respiratory distress syndrome“) oder Intensivthe­ rapeutische Komplikationen eingetreten sind [2].

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Merke: – Ein HELLP-Syndrom kann bei Primigravida und Multipara gleichermaßen auftreten. – Es entwickelt sich rasch unter unspezifischen Symptomen, häufig mit Oberbauchsymptoma­ tik – Die kausale Therapie ist die Entbindung und Entfernung der Plazenta, die der Erkrankung zu Grunde liegt. – Eine Verzögerung der Entbindung kann zu schweren Blutungskomplikationen führen, die mit einer Leberruptur und anderen lebensbedrohlichen Hämorrhagien der Schwangeren einher­ gehen können. – Bei einem fulminanten maternalen HELLP-Syndrom versterben bis zu 20% der Kinder. – Nach Entbindung wird in der Mehrzahl der Fälle nach 48 h eine Normalisierung von Labor und Klinik eintreten. In 30% der Fälle tritt das HELLP-Syndrom postpartal auf.

17.3 Plazentations-Pathologien Merke: Eine Placenta accreta entsteht, wenn durch das Fehlen der Dezidua basalis die Trophob­ lastvilli der Plazenta in das Myometrium des Uterus vorwachsen. Wachsen diese bis in die tiefen myometranen Schichten vor, liegt eine Placenta increta, bei Erreichen der Serosa des Uterus eine Placenta percreta vor. In seltenen Fällen kann die Placenta percreta auch in die Nachbarorgane, wie Blase oder Rektum vorwachsen. 75% der Fälle mit Placenta accreta kommen in Kombination mit einer Placenta praevia vor.

Die Inzidenz der Placenta accreta steigt stetig an: während sie für die Zeit von 1982–2002 mit 1 : 533 Schwangerschaften angegeben wurde, waren es in den 1980ern 1 : 2510 und in den 1970ern noch 1 : 4027 Schwangerschaften [28–31]. Diese Entwicklung ist am ehesten zurückzuführen auf die steigende Rate an ute­ rinen Eingriffen. Hierzu zählen Kaiserschnitte ebenso wie eine vorangehende MyomEnukleation mit Eröffnung der Mukosa, eine Resektoskopie, eine arterielle Emboli­ sation zur Myombehandlung oder ein Ashermann-Syndrom nach forcierter oder wie­ derholter Kürettage [32–34]. Das größte Risiko besteht bei Frauen, bei denen eine Placenta praevia über eine bereits vorhandene Narbe zieht. So konnte in einer Stu­ die gezeigt werden, dass bei Vorliegen einer Placenta praevia das Risiko für eine Placenta accreta von 3% nach der ersten auf 11%, 40%, 61%, und 67% für die zweite, dritte, vierte, fünfte und jede weitere Sectio anstieg. Demgegenüber ist eine Placenta praevia ohne vorangehenden uterinen Eingriff lediglich in 1–5% mit einer Placenta accreta assoziiert [31, 35, 36]. Risikopatientinnen sollten einen transabdominalen und transvaginalen Ultra­ schall erhalten, um eine Placenta accreta, increta oder percreta weitgehend ausschlie­ ßen oder präpartal diagnostizieren zu können. Da bei einer Plazentations-Pathologie mit einem erhöhten Blutverlust intrapartal zu rechnen ist, erleichtert die präpartale Diagnose das Vorgehen bei der Geburt [36].

17.3 Plazentations-Pathologien | 267

Der B-Mode Ultraschall (Abbildung 17.1 a) weist bereits eine hohe Sensitivi­ tät (77–87%) und Spezifität (96–98%) sowie einen positiven prädiktiven Wert von 65–93% bei einem negativen prädiktiven Wert von 98% zur Detektion der Plazentati­ ons-Pathologie auf. Dies lässt sich durch die Hinzunahme der Doppler-Sonographie (Abbildung 17.1 b) nicht signifikant steigern, die Dopplersonographie sollte jedoch bei einem Verdacht in der B-Mode-Sonographie bei der Untersuchung hinzugezo­ gen werden [37–39]. Bei speziellen Fragestellungen kann die Hinzunahme einer MRT ebenfalls hilfreich sein [31, 36, 37]. Die Placenta accreta ist die häufigste Indikation zur Sectio-Hysterektomie [40]. Die sich nicht vollständig von dem Myometrium lösende Plazenta führt intrapartal zu einer massiven Hämorrhagie aus dem Plazentabett, die in kurzer Zeit auch aufgrund der Ausschüttung der plazentaren, gerinnungsaktiven Faktoren zu einer disseminier­ ten intravaskulären Koagulopathie führen kann, die lebensbedrohlich ist. Der durch­ schnittliche Blutverlust bei einer Geburt mit Placenta accreta wird mit 3–5 l angege­ ben, so dass 90% der Patientinnen eine Bluttransfusion und 40% eine Massentrans­ fusion erhalten [41]. Maternale Mortalitätsraten werden in der Literatur mit bis zu 7% angegeben [42]. Die ausgeprägte Hämorrhagie führt zudem zu weiteren Komplikatio­ nen der Patientin wie ARDS und Nierenversagen, andererseits führt die Hysterektomie in einer derartigen Notfall-Situation gehäuft zu Verletzungen von umliegenden Orga­ nen wie Blase, Darm oder zu Ureter-Verletzungen [43, 44]. Aufgrund der zu erwartenden Komplikationen sollte die Schwangere eng in die Geburtsplanung eingebunden und ein Therapie-Plan für die Geburt erstellt werden. Die Schwangere muss über die Risiken aufgeklärt werden, insbesondere die Indikati­ on zur Hysterektomie bei nicht beherrschbarer Hämorrhagie sollte im Vorfeld bespro­ chen werden. Ein elektiver, prämaturer Entbindungszeitpunkt sollte festgelegt wer­ den, da der Blutverlust bei einer geplanten Sectio-Hysterektomie geringer ist, als bei einer Notfall-Prozedur [45]. Dieser Zeitpunkt wir in der Regel nach Erreichen der Lun­ genreife des Kindes (34+0 SSW), aber deutlich vor der 38. SSW liegen, um einen na­ türlichen Geburtsbeginn mit resultierendem Notfallprozedere nach Möglichkeit aus­ zuschließen [43, 46]. Das „American College of Obstetricians and Gynecologists“ (ACOG) empfiehlt, bei der Geburtsplanung die Diziplinen der Anästhesie, Geburtshilfe, der gynäkologischen Onkologie (als spezialisierte Operateure), der Pränatal-Medizin, der interventionellen Radiologie, der Inneren Medizin, der Neonatologie, der Hämatologie und gegebenen­ falls der Urologie zu beteiligen. Die Sectio sollte durch ein erfahrenes geburtshilfliches Team erfolgen, das aus operativ erfahrenen Geburtshelfern besteht, zudem sollte ein gynäkologischer Onkologe oder ein Operateur der Viszeral-Chirurgie zur Verfügung stehen. Geburtshilfliche Abteilungen, die in einem Haus der Grundversorgung eine massive Hämorrhagie strukturell bedingt nicht versorgen können, sollten Patientin­ nen mit Placenta accreta rechtzeitig in einem Haus der Maximalversorgung vorstel­ len [47].

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Da die Operationszeit verlängert ist, sollte die Lagerung der Patientin in Stein­ schnittlage entsprechend vorbereitet werden, eine wärmende Abdeckung verhindert eine Hypothermie. Die Bereitstellung eines „cell savers“ kann hilfreich sein, genügend Erythrozyten-Konzentrate und Plasma-Einheiten sollten präoperativ zur Verfügung stehen. Hämoglobinwert und Gerinnung sollten vor der Operation vorliegen und aus­ geglichen sein, eine abdominale Längsinzision kann für die Hysterektomie von Vorteil sein. Aufgrund der massiven Blutung bei Plazentalösung sollte diese intraoperativ nicht angestrebt werden, hierbei wird durch prä- oder intraoperativen Ultraschall die uterine Inzision so gewählt, dass die Plazenta nicht verletzt wird. Nach Geburt des Kindes kann bei nicht offensichtlicher Plazenta-Pathologie zunächst abgewar­ tet werden, ob es zu einer spontanen Plazentalösung kommt. Ist dies nicht der Fall, wird der Uterus provisorisch verschlossen und die Hysterektomie begonnen. Man­ che Operateure empfinden es als hilfreich, eine präoperative Schienung der Ureteren vorzunehmen, um das Risiko intraoperativer Ureter-Verletzungen zu verringern. Die Hysterektomie sollte vollständig und unter Mitnahme des Gebärmutterhalses erfol­ gen, um eine Blutung aus dem unteren Uterinsegment sicher auszuschließen. Die vesikouterine Umschlagsfalte ist bei klinischem oder ultrasonographischem Ver­ dacht auf eine Placenta percreta unter Beteiligung der Blasenwand erst nach der Durchtrennung der Aa. uterinae zu eröffnen, um eine Hämorrhagie in diesem Gebiet zu verringern (Abbildung 17.2). Bei großflächiger Infiltration der Plazenta in die Blasenwand kann eine Teilzys­ tektomie notwendig werden [48]. Hierbei kann es hilfreich sein, die Blase ventral zu eröffnen, um die Mukosa von innen betrachten zu können und ein Resektionsplanum festzulegen [49]. Bei Mitnahme der Ureter-Ostien und des Trigonum wird eine Rekon­ struktion mit Ureter-Neueinpflanzung notwendig. Diese rekonstruktiven Maßnahmen können unter Umständen erst sekundär, nach Stabilisierung der Patientin durchge­ führt werden [50]. Postoperativ sollte nach Blasenteilresektion ein Spülkatheter in die Blase eingelegt werden. Die Darmwand-Infiltration durch Plazenta percreta im Bereich von Rektum, Coe­ cum oder Dünndarmanteilen ist sehr selten. Einzelne „case reports“ berichten über ein konservatives Vorgehen bei Patientinnen mit in den Darm infiltrierender Plazenta. Die Frage, ob eine Resektion des infiltrierten Darms erfolgen soll oder ein zuwartendes Verhalten bis zur Degradation der Plazentazotten in der Darmwand gerechtfertigt ist, muss aufgrund der nicht vorhandenen Datenlage an der klinischen Ausprägung und dem intraoperativen Befund im Einzelfall entschieden werden [51, 52]. Der radiologisch-interventionelle Einsatz von Okklusionskathetern in die großen Beckenarterien zur Reduktion des Blutverlustes hat unterschiedliche Resultate er­ bracht: in Einzelfällen traten ernsthafte Komplikationen durch den Katheter selbst auf, so dass diese Methode nicht in der Routine des Geburtsmanagements bei geplan­ ter Sectio-Hysterektomie eingesetzt werden sollte [43, 53–55].

17.3 Plazentations-Pathologien

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Bei unkontrolliertem Blutverlust und langer Operationszeit kann es zu sekundä­ ren Komplikationen kommen, die eine chirurgische Intervention notwendig machen. Intraoperative Verletzungen an Rektum oder Dünndarm sind nicht selten. ARDS und disseminierte intravasale Gerinnung machen es gelegentlich erfor­ derlich, ein intra-abdominelles „packing“ mit einem provisorischen Bauchverschluß durchzuführen, um nach ein bis zwei Tagen und stabilisierter kardiopulmonaler und hämostaseologischer Situation den Bauchraum nach Revision und Lavage endgültig zu verschließen. In Fällen, in denen ein Dienstteam nicht auf die Unterstützung eines versierten gynäkologischen Operateurs zurückgreifen kann, sollten die Kollegen der ViszeralChirurgie hinzugezogen werden [31].

17.3.1 Fertilitätserhaltendes Vorgehen Die Sectio-Hysterektomie ist der Goldstandard in der Behandlung der sich nicht spontan lösenden Placenta accreta, dennoch gibt es Einzelfälle, in denen ein Ute­ rus-erhaltendes Vorgehen indiziert wird, insbesondere bei noch weiter bestehendem Kinderwunsch der Schwangeren. Hierbei wird nach dem Abnabeln des Kindes die Na­ belschnur gekürzt und der Uterus mit Plazenta in situ verschlossen. Hiernach kommt es im Median nach 2–3 Monaten (mit einer Spannweite bis zu 60 Wochen) zu einer Involution der Plazenta, die in einigen Fällen zu einer Abstoßung, in mindestens 25% der Fälle jedoch zu einer Extraktion und Kürettage führt [56]. Ergänzend zum konservativen Vorgehen wird das Chemotherapeutikum Met­ hotrexat eingesetzt, um die Lösung des Trophoblasten zu beschleunigen. Methotrexat kann hierbei sowohl direkt in die Plazenta nach Abnabeln des Kindes, als auch zur weiteren Behandlung im Wochenbett verabreicht werden. Es bleibt allerdings frag­ lich, ob der Trophoblast, in dem nach Beendigung der Schwangerschaft die Zelltei­ lungsaktivität abfällt, durch die Methotrexat-Gabe im Sinne einer Geweberegression beeinflusst wird [31, 57, 58]. Die konservative Herangehensweise ist nur für Patientinnen geeignet, die hä­ modynamisch stabil und deren Gerinnungssituation unauffällig ist und die die Ri­ siken dieses Vorgehens aufgrund des bestehenden Kindewunsches bewusst in Kauf nehmen wollen [43]. Die Patientinnen sollten darüber aufgeklärt werden, dass das Ergebnis dieses Therapieversuchs nicht voraussehbar ist und ein Risiko zu signifi­ kanten Komplikationen, wie Hämorrhagie oder Sepsis, besteht, die sekundär eine spätere Hysterektomie nach sich ziehen können. In einer veröffentlichten Fallserie von 26 Patientinnen konnte die Hysterektomie bei 21 Patientinnen (80.7%) vermieden werden, allerdings musste sich die Mehrzahl dieser Patientinnen anderen Folgethe­ rapien unterziehen wie der Ligatur der A. hypogastrica, arteriellen Embolisationen, einer Methotrexat-Therapie, Transfusion von Blutprodukten, Antibiotikatherapie und Kürettagen [59].

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Ein systematischer Review zum konservativen Vorgehen bei Placenta accreta fasst die Ergebnisse aus 10 Kohorten-Studien und 50 Fallserien mit insgesamt 434 Patien­ tinnen zusammen: in 53% traten schwere Blutungen und in 6% eine Sepsis auf. 19% der Patientinnen (zwischen 6 und 31% in den Studien) wurden sekundär hysterekto­ miert, 0,3% der Patientinnen (zwischen 0 und 4%) verstarben. In 67% konnte eine erneute Schwangerschaft erzielt werden [60]. Es gibt nur limitierte Langzeitdaten zur Fertilität der Patientinnen nach konserva­ tivem Vorgehen bei Placenta accreta. Die Fertilität war in einer retrospektiven Analyse von 96 Frauen in der Mehrheit erhalten, obwohl bei 8 Frauen Synechien der Gebärmut­ terschleimhaut mit sekundärer Amenorrhö nachweisbar waren [56]. In bis zu 29% der Fälle kam es bei der erneuten Schwangerschaft wieder zu einer Placenta percreta [56]. Merke: – Schwangere nach Uterus-Operationen haben ein erhöhtes Risiko für eine Placenta praevia und eine Placenta accreta. – Patientinnen mit einer Plazenta praevia haben ein erhöhtes Risiko für eine Placenta accreta. – Risikopatientinnen sollten einen Ultraschall erhalten, der die Fläche der Plazenta-Insertion beurteilt. – Bei Diagnose einer Placenta accreta ist eine vorausschauende, interdisziplinäre Geburtspla­ nung notwendig. – Eine geplante Sectio-Hysterektomie ist der Goldstandard der Therapie. – In Ausnahmefällen kann bei dringendem Wunsch der Schwangeren zum Uteruserhalt nach eingehender Risikoberatung ein Uterus-erhaltendes Vorgehen mit Belassen der Plazenta in situ versucht werden. – Dieses Therapieverfahren ist experimentell, es liegen keine ausreichenden Daten zu den Be­ gleitrisiken vor.

Abb. 17.1: Placenta increta: 35-j Gravida XIII/Para X in der 32+2. SSW. Zustand nach 3 Spontanpartus, 7 Sectiones, 2 Abortkü­ rettagen. Im B-Bild (a) und im Doppler-Ultraschall (b) ist der Verlust des Myometriums in der Be­ grenzung zur Blase und die typische lakunäre Formation der Plazenta in diesem Bereich zu sehen (Ultraschallabbildungen mit freundlicher Überlassung durch Professor U. Gembruch).

17.4 Uterusperforation

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Abb. 17.2: (a) Placenta percreta und Uterus in situ, (b) postpartales Hysterektomie Präparat. Uterus mit Plazenta percreta: Postpartale Blutung bei Placenta percreta: Fall einer 32-jährigen Gravida-IV/Para-II, Zustand nach 2 × Sectio 2004 und 2007, beide Kinder innerhalb des ersten Tages verstorben. Zustand nach 2 Schwangerschaftsabbrüchen bei Hydrops fetalis, zuletzt am Vortag mit Fetozid und Einleitung in 22+0 SSW. Nach zunächst kompliktationslosem Abort Retention der Plazenta, Küretta­ ge und Bakri-Katheter, Dislokation des Bakri-Katheters, erneute Kürettage, erneuter Bakri-Katheter. Bei anhaltender Blutung erneute Kürettage, Einlage einer Tamponade. Bei weiter bestehender Blu­ tung Entschluss zur Hysterektomie und intraoperative Diagnose einer Placenta percreta.

17.4 Uterusperforation Merke: Die Uterusperforation ist die iatrogene Verletzung der Gebärmutterwand bei instrumentel­ ler Entleerung der Gebärmutter. In Abhängigkeit von der Lokalisation der Perforation des Uterus und der durchgeführten Prozedur können Sekundärkomplikationen auftreten. Zu nennen sind ins­ besondere die Verletzung von Darm oder Blase und die Blutung aus uterinen Gefäßen (intraperi­ toneal, parametran) oder in das Retroperitoneum.

In etwa 1% der Fälle kommt es bei der therapeutischen oder diagnostischen Küretta­ ge zu einer Perforation der Uteruswand. Hierbei ist die Wahrscheinlichkeit einer Per­ foration bei einer Abrasio am nicht schwangeren prämenopausalen Uterus mit etwa 0,3% am geringsten und steigt mit der Invasivität des Eingriffs (z. B. elektrochirugi­ sche Entfernung intracavitärer Raumforderungen wie Polypen oder Myome), dem Vor­

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liegen anatomischer Lageanomalien des Uterus (u. a. Retroflexio uteri), einer Zervix­ stenose aufgrund von Östrogenmangel oder bei Progesteron-bedingt weichem Uterus der Schwangeren auf bis zu 5% [61–63]. Viele Perforationen der Uteruswand verlaufen asymptomatisch und die Rate nicht erkannter Perforationen ist daher hoch. Es gibt keine exakte bildliche Darstellung zum Nachweis einer Uterusperforation, daher ist die Angabe der Komplikationsraten bei Kürettage allein von der Meldung durch den Operateur abhängig [64]. Das Risi­ ko der Perforation ist bei unerfahrenen gegenüber erfahrenen Operateuren um ein 5–6-faches erhöht [65, 66]. Die instrumentelle Entleerung des Uterus in der Schwangerschaft wird mit ver­ schiedenen Indikationen durchgeführt: – bei „missed abortion“, Abortus incompletus oder Abruptio im ersten Trimenon – bei Schwangerschaftsabbruch und medikamentöser Abortinduktion regelhaft im 2. Trimenon bis etwa zur 22. SSW zur Entfernung der Plazenta und des Plazenta­ rests – im 2. und 3. Trimenon nach Geburt bei Plazentaretention oder postpartaler Blu­ tung

17.4.1 Entleerung des Uterus im ersten Trimenon Etwa 10% aller Schwangerschaften enden in einem spontanen Abort, der mit einer stärkeren Blutung einhergehen kann oder sich als „missed abortion“ oder gestörte Frühgravidität darstellt. In diesen Fällen ist die Embryonalanlage nicht mehr intakt, es ist jedoch nicht zu einem spontanen Abgang der Schwangerschaft gekommen. Eine ungewollte Schwangerschaft kann nach deutschem Recht nach Beratung durch spezialisierte Schwangeren-Beratungsstellen bis zur 14. Schwangerschaftswo­ che post menstruationem, oder bis zu einem Gestationsalter von 12 Wochen post con­ ceptionem ohne eine medizinische Indikation abgebrochen und ein Abort medika­ mentös oder instrumentell herbeigeführt werden. Hierbei ist die medikamentöse Ab­ ortinduktion zumindest bis zu einem Gestationsalter von 63 Tagen durch Mifepriston oder Misoprostol gut etabliert [66, 67]. Die Patientin sollte über die Möglichkeiten der medikamentösen und instrumen­ tellen Entleerung des Uterus aufgeklärt werden. Eine veröffentlichte Phase III Studie konnte zeigen, dass in der Frühschwangerschaft die Kürettage in Bezug auf ungeplan­ te Krankenhausaufenthalte und operative Folgeprozeduren der medikamentösen Ab­ ortinduktion deutlich überlegen ist während eine andere Metaanalyse zu dem Schluss kommt, dass beide Vorgehen in gleichem Maße effektiv sind [68, 69]. Ein operatives Vorgehen zur Entleerung des Uterus ist immer dann zu empfehlen, wenn ein unmittelbar einzeitiger Ablauf ohne das Risiko von Folgeeingriffen sicher­ gestellt werden soll. Eine möglicherweise erhöhte Rate an Frühgeburtlichkeit in einer

17.4 Uterusperforation

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Folgeschwangerschaft nach Abortkürettage im ersten Trimenon wird diskutiert, hin­ reichend validierte Daten hierzu liegen aber weiterhin nicht vor [70]. Die ausführliche Anamnese der Patientin zur Einschätzung des Risikos muss vor jeder Prozedur erfolgen. In der Regel wird der instrumentelle Eingriff ambulant durch­ zuführen sein, in Einzelfällen kann bei entsprechenden Komorbiditäten eine post­ operative, stationäre Überwachung notwendig sein. Die Schwangerschaftswoche ist bereits durch eine bimanuelle, vaginale Untersuchung und auf der Basis der Zyklus­ anamnese der Patientin eingrenzbar, in entwickelten Ländern wird jedoch immer ei­ ne transvaginal-sonographische Untersuchung mit Bestimmung des Diameters der Fruchthöhle und der Scheitelsteißlänge, gegebenenfalls im Übergang zum zweiten Trimenon mit Messung des biparietalen Durchmessers, durchgeführt werden. Der Zervikalkanal muss vor der Entleerung der Gebärmutter dilatiert werden, um die Instrumente, Saugkürette oder Stahlkürette, in das Cavum uteri einführen zu kön­ nen. Insbesondere der innere Muttermund der Zervix stellt hierbei einen Schließme­ chanismus dar, der durch schrittweise Dilatation mit im Durchmesser größer wer­ denden Hegarstiften unter leichtem Druck zunächst überwunden werden muss. Eine medikamentöse Vorbehandlung („Zervixpriming“) mit Prostaglandin wird, mit Aus­ nahme des Abortus incompletus oder incipiens, bei dem der Muttermund im Zuge des Abortes bereits teilweise eröffnet ist, durchgeführt, um die Passage zu erleichtern. Ein nicht unerheblicher Anteil der Uterusperforationen ergibt sich im Rahmen dieses Di­ latationsschrittes, während dessen der Operateur mit Druck den inneren Muttermund in einem nicht der Achse der Gebärmutter entsprechenden Winkel überwindet und mit dem konisch zulaufenden Hegarstift gleichzeitig die angrenzende Uterus-Wand, in Abhängigkeit von der Gebärmutterachse an Hinter-, Vorder- oder Fundus-Wand, durchstößt [71]. Die Dilatation wird erschwert, wenn weitere anatomische Hindernisse vorliegen wie Malpositionen der Gebärmutter im Sinne von ausgeprägter Ante- oder Retroflexion. Diese sollten präoperativ bekannt sein, ebenso Hindernisse, die zu einem erschwerten Zugang zum Cavum uteri führen. Hierzu zählen Stenosen und Malfor­ mationen der Vagina, Zervikalstenosen nach Eingriffen an der Portio, uterine Malfor­ mationen wie Uterus duplex oder bicornis und intracavitäre oder zervikale Myome. Eine Malposition des Uterus kann in der Mehrheit der Fälle durch eine Streckung des Uterus durch Zug an der Portio während des gesamten Eingriffs ausgeglichen wer­ den. In Fällen, in denen ein erschwerter Zugang zur Gebärmutter zu erwarten ist, kann eine sonographische Kontrolle während der Operation hilfreich sein und den Winkel der eingeführten Instrumente in Bezug zur vorderen und hinteren Uteruswand sowie zum Fundus darstellen [63, 72]. Die Kürettage in der Frühschwangerschaft wird entweder als Saugkürettage oder alternativ, insbesondere bei fester Adhärenz der Schwangerschaft an der UterusWand, mit der Stahlkürette durchgeführt, am Ende des ersten Trimenons kann es hierbei notwendig werden, nach Eröffnung der intakten Fruchthöhle den Embryo instrumentell zu extrahieren.

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17.4.2 Entleerung des Uterus im zweiten Trimenon Die Rate für Spontanaborte von Schwangerschaften mit chromosomal gesunden Fe­ ten im zweiten Trimenon ist sehr niedrig [73]. Bei Terminierung der Schwangerschaft im zweiten Trimenon kann dies vorzugsweise durch medikamentöse Abortinduktion mit Prostaglandinen oder durch Dilatation der Zervix mit Extraktion des Feten und anschließender Kürettage erfolgen. Erfolgt eine medikamentöse Abortinduktion, so muss in etwa 10% der Fälle mit einer Retention gerechnet werden, die eine Nachkü­ rettage notwendig macht. Bei medikamentöser Induktion eines Aborts kommt es bereits zu einer ausrei­ chenden Dilatation des Muttermundes, so dass im Rahmen der instrumentellen Nach­ tastung die Perforation der Gebärmutter durch die druckvolle Überwindung des Mut­ termundes unwahrscheinlich ist, bei primärem instrumentellen Vorgehen werden in erfahrenen Kliniken Perforationsraten von < 1% erreicht [74]. Bei Perforation der Ge­ bärmutter im zweiten Trimenon ist allerdings das viszerale Verletzungsrisiko höher, als bei Kürettagen im ersten Trimenon [75, 76]. Die Portio wird ab der 12. Schwanger­ schaftswoche nicht mehr mit scharfen Fasszangen, sondern mit Organfasszangen an­ gehakt, um das Blutungsrisiko aufgrund der zunehmenden Durchblutung und der Er­ weichung der Gebärmutter in der Schwangerschaft zu verringern. Die Kürettage wird mit Saugküretten und einer Stahlkürette durchgeführt, deren Kanten abgerundet sind, sogenannte „weiche“ Küretten, hierdurch wird das Verlet­ zungsrisiko der Uteruswand reduziert. Zur Verringerung des Verletzungsrisikos der Gebärmutterwand durch die instrumentelle Manipulation im Rahmen der Kürettage wird der Operateur die größte Kürette wählen, mit der der Muttermund noch einfach passierbar ist. Die Kürettage muss sorgfältig und vorsichtig erfolgen, da der Uterus weich ist. Das Perforationsrisiko steigt, wenn ein septischer Fokus Grund des Abortes ist, da die Entzündung der Uterus-Wand zu einer weiteren Erweichung führt.

17.4.3 Entleerung des Uterus nach Geburt Postpartal kann es zu einer Plazenta(teil)retention kommen, die manuell und instru­ mentell gelöst werden muss, atone Blutungen ohne nachweisbare Retention von Pla­ zenta stellen ebenfalls eine Indikation zur Kürettage nach Geburt dar. Der Muttermund ist bereits dilatiert, wie bei der Kürettage nach Abort im zweiten Trimenon. Bei Retention der Plazenta erfolgt zunächst die manuelle Bergung, indem der Operateur manuell in den Uterus eingeht und die Plazenta von der Uteruswand über die Handkante ablöst. Bei pathologischer Plazentainsertion wie bei Placenta accreta kann eine manuel­ le Lösung nicht oder nur erschwert erfolgen, hierbei muss eine Extraktion mit Organ­ fasszangen fraktioniert versucht werden, anschließend erfolgt in der Regel die Nach­ tastung mit der Kürette, um Reste der Plazenta zu entfernen.

17.4 Uterusperforation

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Die Kontraktion des Uterus und die Größe der Kürette verhindern bei der postpar­ talen Nachtastung in der Regel die Perforation. Eine Atonie des Uterus erhöht das Ri­ siko der Perforation, insbesondere, wenn starke Blutungen und eine Placenta accreta mit ausgedehnter intracavitärer Manipulation ein längeres Vorgehen erforderlich ma­ chen. Unter Berücksichtigung aller Indikationen wird daher für die geburtshilfliche Kürettage ein Perforationsrisiko von bis zu 5% geschätzt [62]. Die uterine Kontraktion ist daher der wichtigste Faktor zur Vermeidung größerer Blutverluste und einer Perforation, die Behandlung der Atonie steht daher im Vor­ dergrund der zur ergreifenden Maßnahmen. In jeder geburtshilflichen Einheit ist ein Standardverfahren für diesen geburtshilflichen Notfall zu fordern, das von allen ge­ burtshilflich tätigen Ärzten, dem operativen Team und dem Team der Anästhesie be­ herrscht wird. Diese Vorgehen beinhaltet die Gabe von Uterotonika wie Oxytocin, Me­ thergin und Prostaglandinen in einem festen Schema sowie den Einsatz intracavitärer Kompression (u. a. als Bakri-Katheter), nach Laparotomie die extrauterine Kompres­ sion im Sinne einer B-Lynch Naht des Uterus und als letzten Therapieschritt die Hys­ terektomie sowie die gleichzeitige Kreislauf- und Gerinnungsstabilisierung durch das anästhesiologische Team [31, 77].

17.4.4 Vorgehen bei vermuteter oder sicherer Perforation – viszeral-chirurgische Aspekte Das Risiko für Blutungen und Verletzung intra-abdominellen Gewebes oder Organen ist abhängig von der Lokalisation der Perforation und dem Instrument, mit dem die Perforation hervorgerufen wurde. Bei Schwangerschafts-assoziierten Kürettagen kommt in der Regel keine scharf­ kantige Kürette zum Einsatz, das operative Vorgehen beinhaltet die Verwendung von Hegarstiften, Saugküretten, „weichen“ Küretten und stumpfen Fasszangen. Das erste Zeichen einer intraoperativen Perforation ist häufig die Länge, mit der sich das Instrument in den Uterus einführen lässt. Weitere Zeichen sind eine verstärk­ te vaginale Blutung oder fetthaltiges Kürettage-Material, da dies nicht aus dem Uterus, sondern nur aus dem Abdominalraum (u. a. Mesenterium) stammen kann. Selten, und nur bei großen Defekten, werden intra-abdominelle Strukturen wie Omentum majus oder Dünndarm sichtbar. Eine neu aufgetretene Hämaturie kann auf eine Blasenver­ letzung durch ventrale Perforation hinweisen. Nicht jede uterine Perforation geht mit einem dieser Anzeichen einher und es liegt eine hohe Rate an nicht erkannten, asymptomatisch verlaufenden Perforationen vor. Mehr als die Hälfte der erkannten Uterusperforationen lassen sich konservativ und exspektativ therapieren [62, 63]. Bei Perforation im Bereich der Zervix oder der Uterusseitenwände kann es zu ei­ nem Einreißen uteriner arterieller und venöser Gefäße kommen, die zu großen para­ metranen Hämatomen oder intra-abdominellen Blutungen führen, die tiefe fundale

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Perforation kann mit Verletzungen der großen Bauchgefäße im Retroperitoneum ein­ hergehen. Im Falle größerer retroperitonealer oder intra-abdomineller Blutungen wird es zu einem raschen intraoperativen Verfall der Patientin kommen, bei sich tamponie­ renden parametranen Hämatomen zu Nierenstau oder verzögerter Hämorrhagie. Insbesondere bei Perforation mit einer scharfkantigen Kürette, einer Saugkürette oder mit einer Fasszange sind Verletzungen des Darms, meist des Dünndarms, und eine Inkarzeration der Darmschlingen bei Rückzug in das Uterus-Cavum möglich. Die Hinzuziehung eines Viszeralchirurgen ist im Falle einer Darmverletzung obligat. Eine zuverlässige Bildgebung, die eine Uterusperforation sicher nachweisen kann, wenn die Perforation durch den Operateur direkt bemerkt wird und eine pa­ rametrane Verletzung unwahrscheinlich ist, ist ein exspektatives Vorgehen gerecht­ fertigt [62, 63, 71]. Ein stationäres Überwachungsintervall bis zum nächsten Morgen sollte vereinbart werden. Bei intraoperativ vermehrter Blutung oder unklarem Perforationsort des Uterus, sollte eine weitere Abklärung per laparoscopiam erfolgen. Die Patientin sollte zwischen Abbruch der Kürettage und Laparoskopie möglichst nicht umgelagert werden, um im Rahmen der Laparoskopie die Darmschlingen identi­ fizieren zu können, die der Perforationsstelle nahe waren, um hier gezielt eine Darm­ verletzung auszuschließen. Eine Versorgung von Darmverletzungen, intra- oder ex­ trakorporal, wird nur dem versierten Laparoskopeur vorbehalten sein. Bei Verdacht auf größere Darmverletzungen und Hinweise auf eine relevante in­ tra-abdominelle Blutung oder bei instabiler Patientin wird eine Laparotomie über Längsschnitt erforderlich. Die abgebrochene Kürettage kann unter Sicht von abdominell beendet werden, hierbei muss die uterine Perforationsstelle eingesehen werden. Bei kleineren Perfo­ rationsstellen bis zu einem Durchmesser von 1 cm ist eine alleinige Koagulation häu­ fig ausreichend, bei nicht befriedigender Blutstillung oder größerem Defekt sollte ein Verschluss des Myometriums durch Naht erfolgen. Bei neu aufgetretener Hämaturie erfolgt eine Zystoskopie zur Darstellung der Blu­ tung und der Perforationsstelle oder eine Diagnostik mit intravenöser oder intravesi­ kaler Gabe des Indikatorfarbstoffs „Blue dye“ zur Darstellung einer Insuffizienz. Bei kleinem, unter 1 cm Durchmesser liegendem Perforationsdefekt ist unter Harnablei­ tung über etwa 10 Tage die Spontanheilung möglich, alternativ sollte eine zweischich­ tige Blasennaht erfolgen. Eine intraoperative Antibiotikaprophylaxe ist durchzuführen, sofern diese nicht im Rahmen des Primäreingriffes bereits erfolgt ist [63]. Die Patientin ist postoperativ über die Komplikation aufzuklären, ein Auftreten von vermehrten Blutungen, Unterbauchkrämpfen oder Fieber muss jederzeit zu ei­ ner Wiedervorstellung der Patientin führen. Bei jeder Patientin, die sich nach einer als komplikationslos betrachteten Kürettage mit diesen Symptomen vorstellt, sollte an die Möglichkeit einer intraoperativen Perforation mit Verletzung intra-abdominel­ ler Strukturen gedacht werden [78]. Eine Darmverletzung macht sich in vielen Fäl­

17.5 Geburtsverletzungen |

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len durch eine sich postoperativ umgehend entwickelnde Peritonitis bemerkbar oder erst nach einigen Tagen durch Inkarzeration oder sekundäre Insuffizienz der Darm­ wand [64]. Die interdisziplinäre Betreuung der Patientin zusammen mit dem Viszer­ alchirurgen ist uneingeschränkt indiziert. Merke: – Das Risiko einer Uterusperforation ist bei weicher Gebärmutter in der Schwangerschaft, bei entzündlichen Veränderungen im Rahmen eines septischen Aborts und bei unerfahrenem Operateur erhöht. – Eine stationäre Beobachtung der Patientin ist häufig ausreichend. – In seltenen Fällen führt die Perforation zu intra-abdominellen Verletzungen des Darms oder der Blase oder zu Blutungen, die einer sofortigen operativen Therapie per laparoscopiam oder laparotomiam bedürfen.

17.5 Geburtsverletzungen Merke: Geburtsverletzungen sind Läsionen, die durch die Geburt im Bereich der Geburtswege und des äußeren Genitale der Gebärenden verursacht werden, sie können in Verletzungen des Mutter­ mundes, der Vagina und des Perineums unterteilt werden. Oberflächliche Lazerationen stellen im Allgemeinen keine wesentliche chirurgische Herausforderung dar, höhergradige Dammrisse, tiefe paravaginale Risse und postpartal entstandene Fisteln erfordern eine hohe operative Kompetenz.

Geburtenregister weisen eine Rate von 1–1,5% Geburten mit einem auftretenden Dammriss Grad III und von etwa 0,1% mit einem Dammriss Grad IV aus, hierbei erleiden Erstgebärende häufiger einen höhergradigen Dammriss als Mehrgebären­ de [79, 80]. Demgegenüber werden in der Literatur Verletzungsraten der Sphinkter Muskulatur mit bis zu 11% angegeben [81]. Folgen der Verletzung des internen oder externen Schließmuskels (Dammriss Grad III) oder des Rektums (Grad IV) können Inkontinenz für Flatus, flüssigen oder festen Stuhl sowie pathologischer Stuhldrang sein, diese Beschwerden treten wäh­ rend der Wochenbettperiode oder zum Teil verzögert Jahre nach dem Geburtstrauma auf. Die Rate an rektovaginalen Fisteln wird mit 0,1 % der Geburten angegeben, hier­ bei sind 88% der rektovaginalen Fisteln durch Geburtstraumata bedingt [80, 82–84]. Risikofaktoren einer Geburtsverletzung im posterioren Bereich der Vagina sind insbesondere die Größe des Kindes, eine Zangen- aber auch eine Vakuumextraktion, die mediane Episiotomie, Nulliparität, eine Gebärposition in Rückenlage oder in tie­ fer Hocke sowie neben anderen weiteren Faktoren die Länge der Austreibungsperi­ ode [85–87]. Die Frage, ob eine mediolaterale Episiotomie außerhalb des Einsatzes bei Vakuumextraktion einen Dammriss verhindert, ist weiterhin umstritten [88, 89]. Die Episiotomie sollte daher restriktiv und lediglich bei zu erwartenden, ausgedehn­ ten Weichteil-Zerreißungen, die mediane Episiotomie nicht angewendet werden [90].

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Die Ätiologie ventraler höhergradiger Geburtsverletzungen unter Fistelbildung von Harnröhre und Blase mit der Vagina korreliert mit der Länge der Austreibungs­ periode und ist in entwickelten Ländern sehr selten. Weitere Risikofaktoren sind die sehr junge, noch nicht ausgewachsene Gebärende mit einem hieraus resultierenden Missverhältnis zwischen Kind und Becken, sowie Genital-mutilierende Operationen, die in Teilen Afrikas weiterhin durchgeführt werden. In Westafrika wird die Rate an postpartalen ventralen Vaginalfisteln daher mit 3–4/100.000 Geburten angegeben. In der Regel entstehen diese Defekte durch eine Drucknekrose der vorderen Vagi­ nalwand und des Blasenhalses oder der Harnröhre durch den kindlichen Kopf und die Symphyse. Dies führt nach etwa 10 Tagen postpartal zu einer Eröffnung eines Fistelgangs, nach Abstoßung des nekrotischen Materials [91]. Bei schwieriger Exposition sollte bei allen Geburtsverletzungen, bei denen eine höhergradige Weichteil-Beteiligung nicht ausgeschlossen werden kann, großzügig die Indikation zur Inspektion und Versorgung unter Regionalanästhesie oder Kurznarko­ se erfolgen. Laterale Vaginalrisse und Risse der vaginalen Fornices können stark blu­ ten, so dass die Bewertung der Verletzung nicht einfach ist. Bei tiefer gehenden Rissen sollte erwogen werden, bei Wundverschluss eine weiche Drainage einzulegen, um tie­ fere Hämatome zu vermeiden und sekundäre Blutungen zu erkennen. Bei der Versor­ gung apikal lateraler Vaginalrisse und Zervixrisse muss der Verlauf des prävesikalen Ureters beachtet werden und eine postpartale Nierensonographie erfolgen, um eine Ureter-Ligatur oder Striktur durch die chirurgische Versorgung oder durch Hämatombedingte Kompression auszuschließen.

17.5.1 Versorgung der Dammrisse und deren Komplikationen Die Versorgung höhergradiger Dammrisse sollte dem erfahrenen Facharzt vorbehal­ ten bleiben, da eine fehlerhafte Versorgung die Lebensqualität der Frau deutlich ein­ schränken kann. Bei schwierigem Situs oder Wand-durchgreifender Verletzung des Rektums sollte zudem bei fehlender Erfahrung ein gynäkologischer Operateur oder Viszeral-Chirurg hinzugezogen werden. Zunächst sind alle kranial des Damms gelegenen Geburtswege zu inspizieren und vorliegende Verletzungen zu versorgen. Die Perinealverletzung muss inspektorisch und palpatorisch bewertet werden, selten kann eine Verletzung der Rektal- oder Anal­ schleimhaut vorliegen, ohne dass eine Läsion des M. sphinkter ani aufgetreten ist („buttonhole tear“). Diese kann nur palpatorisch von rektal diagnostiziert werden und führt unerkannt häufig zu rektovaginalen Fisteln. Die rektale Untersuchung ist daher obligat im Rahmen der Beurteilung von Geburtsverletzungen. Die Versorgung des Perineums erfolgt schichtweise. Bei einer Rektum-Verletzung wird zunächst das Rektum „auf Stoß“ mit atraumatischer Naht in 3-0 oder 4-0 Fa­ denstärke mit einem verzögert resorbierbaren Faden (z. B. Poliglecapron 25-Copoly­ mer, Monocryl® ), versorgt. Der M. sphinkter ani internus und der M. sphinkter ani ex­

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ternus werden schichtweise auf Stoß oder überlappend durch U-Naht, vorzugsweise mit Fadenstärke 2-0, adaptiert. Die Überlegenheit einer Nahttechnik gegen die andere konnte bisher nicht belegt werden, es wird daher empfohlen, bei inkomplettem Riss „auf Stoß“ zu nähen, andernfalls die bevorzugte Technik des Operateurs zu verwen­ den [92–94]. Ein Vorteil von monofilem oder geflochtenem Faden konnte bisher eben­ falls nicht festgestellt werden. Im Anschluss an die Sphinkter-Naht wird die Vagina versorgt [80]. Eine intraoperative und postoperative Antibiotikaprophylaxe wird empfohlen [95], die Anlage eines protektiven Stomas oder die postpartale Vermeidung der Defäkation über einige Tage verbessert das Ergebnis hinsichtlich Kontinenz oder Fistelbildung nicht [96–98]. Die Gabe von Laxantien kann die Belastung der Naht reduzieren sowie symptomatisch die Stuhlpassage erleichtern [97]. Rektovaginale Fisteln sind einschränkend für die Lebensqualität, sie werden häu­ fig, je nach Größe der Fistel, durch Stuhl oder Luftabgang über die Vagina oder rezi­ divierende Harnwegsinfektionen symptomatisch [99, 100]. Postpartale Fisteln stellen mit etwa 90% die größte Gruppe der rektovaginalen Fisteln dar, gefolgt von Fistelbil­ dung bei chronischer Entzündung, wie kryptoglanduläre Abszesse bei M. Crohn [101]. Im Verdachtsfall umfasst die präoperative Diagnostik zur Bewertung der durch Dammriss typischerweise im distalen Anteil der Vagina entstandenen Fistel neben der manuellen Untersuchung die Fisteldarstellung, etwa mit „Blue dye“, die Endo­ sonographie und eine Proktoskopie [102, 103]. Die Versorgung der Fistel erfolgt durch den erfahrenen Proktologen und wird zumeist von endoanal oder perineal vorgenom­ men. Bei endoanalem Vorgehen wird der Fistelgang exzidiert und das Rektum ent­ sprechend der „Flap“- Technik (Verschiebelappen-Plastik) wie bei höher gelegenen analen Fisteln versorgt, die Vagina wird hierüber verschlossen [104]. Ein perinealer Zugang erscheint insbesondere dann sinnvoll, wenn auch die Sphinkter-Muskulatur revidiert werden soll [105–107]. Hierbei kann im Sinne einer Episio-Sphinkterotomie der gesamte Dammbereich noch einmal eröffnet und schicht­ weise rekonstruiert werden. Heilungsraten werden mit bis zu 100% angegeben. Zur Vermeidung eines Fistelrezidivs kann bei perinealem Zugang zudem ein Aufbau des rektovaginalen Spatiums durch Vereinigung der Levatoren über der Excizionsstelle erfolgen. Ein Einschwenken eines Fettlappens aus dem Fettgewebe des Labium majus (Martius Plastik), eines Gracilis-Lappens oder von Biomaterialien kann ebenfalls er­ folgen, wobei hierzu die Datenlage bisher keine allgemeine Empfehlung zulässt und daher die Verwendung, der deutschen S3 Leitlinie „Rektovaginale Fistel“ folgend, nicht empfohlen werden kann [100, 108].

17.5.2 Versorgung von vesikovaginalen Fisteln Die Diagnostik vor Versorgung der vesikovaginalen Fistel umfasst die Fisteldarstel­ lung, etwa mit „Blue dye“, die Zystoskopie sowie die Spekulum-Einstellung der Vagi­

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na. Bei kleinen Fisteln kann eine konservative Versorgung durch Urinkatheter-Drai­ nage der Blase versucht werden, da sich diese gelegentlich spontan verschließen. Eine chirurgische Versorgung apikaler Fisteln, in der Regel in interdisziplinärer Zu­ sammenarbeit mit dem Urologen, erfolgt in der Regel von abdominal, geburtstypische Verletzungen im Bereich des Blasenhalses und urethral können von vaginal versorgt werden. Vor der operativen Versorgung sollte sichergestellt sein, dass das Gewebe nicht mehr ödematös oder entzündlich verändert ist. Bei vaginalem Vorgehen wird die Vagina U-förmig inzidiert und die Vaginalwand von der Fistel mobilisiert. Die Frage, ob die vesikale Fistelöffnung exzidiert oder nur verschlossen werden soll, ist Gegenstand der Diskussion, hierbei wird bei Exzision eine Vergrößerung des Defek­ tes befürchtet [109, 110]. Die in ein- oder zweischichtiger Methode gelegte Blasennaht sollte dicht und spannungsfrei sein. Nach Resektion der Fistelöffnung im Bereich der Vagina wird die Vaginalhaut so verschlossen, dass die Naht nicht unter der Blasen­ naht, sondern von ihr entfernt zu liegen kommt. Die Interposition eines Fettlappens aus dem Labium ist möglich. Nach der Versorgung muss die Blase über einen Kathe­ ter drainiert werden, um die Blasenwand ohne Belastung abheilen zu lassen. Bei Bla­ senspasmus kann der temporäre Einsatz von Spasmolytika zur Entlastung der Naht heilungsfördernd wirken [111]. Da die Heilungsraten bei der Erstversorgung der Fistel mit etwa 85% höher sind, als bei jedem weiteren Revisionseingriff, sollte dieser gut geplant und durch einen erfahrenen Operateur durchgeführt werden [91]. Merke: – Während anteriore schwere Geburtsverletzungen in der industrialisierten Welt eine Selten­ heit darstellen, sind posteriore Dammverletzungen bei etwa 1% der Geburten zu beobachten. – Bei schwierigen, nicht übersichtlichen lokalen Verhältnissen sollte die Versorgung in Regio­ nalanästhesie oder Kurznarkose erfolgen. – Die Versorgung dieser Geburtsverletzungen ist dem erfahrenen Facharzt vorbehalten, bei voll­ ständigem Durchriss der Sphinkter-Muskulatur oder offener Rektum-Mukosa sollte ein erfah­ rener Operateur hinzugezogen werden. – 88% aller rektovaginalen Fisteln sind geburtstraumatischen Ursprungs. – Rektovaginale Fisteln können nach erfolgter Diagnostik sowohl von endoanal als auch von perineal versorgt werden. – Eine notwendige Revision des Sphinkters sollte vor Versorgung der Fistel geprüft werden. – Kleinere vesikovaginale Fisteln können unter Drainage der Harnblase spontan verheilen, grö­ ßere Fisteln müssen in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit dem Urologen von vaginal oder abdominell korrigiert werden.

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Christina Kaiser

18 Solide Tumoren 18.1 Einleitung In den vergangenen Jahrzehnten ist das Lebensalter der Frauen zum Zeitpunkt der ersten Schwangerschaft, insbesondere in den Industrienationen aufgrund einer Viel­ zahl von soziokulturellen Faktoren und veränderten Lebensgewohnheiten, stetig ge­ stiegen. Aufgrund der altersabhängigen Inzidenzzunahme von Malignomerkrankun­ gen ist somit eine erhöhte Inzidenz maligner Tumore in der Schwangerschaft zu beob­ achten. Dies ist mit erheblichen Herausforderungen an Diagnostiker und Therapeuten verbunden und erfordert ein interdisziplinäres Vorgehen. Das vorliegende Kapitel soll einen Überblick über die wichtigsten und häufigsten malignen soliden Tumore (ein­ schließlich der Hodgkin-Lymphome) während der Schwangerschaft geben und dia­ gnostische und therapeutische Vorgehensweisen aufzeigen. Einen Überblick über die Inzidenz der häufigsten malignen Erkrankungen in der Schwangerschaft bietet Tabel­ le 18.1. Tab. 18.1: Inzidenz maligner Erkrankungen in der Schwangerschaft. Tumorentität

Inzidenz in der Schwangerschaft

Mammakarzinom Solider Adnexbefund (benigne und maligne) Zervixkarzinom Melanom Lymphome

0,3 : 1000 1 : 1000 0,04 : 1000 0,01 : 1000 1 : 1000–1 : 6000

Merke: Schwangerschafts-assoziierte Malignomerkrankungen werden als bösartige Neubildun­ gen bezeichnet, die definitionsgemäß während der Schwangerschaft, der Stillzeit oder bis ein Jahr nach der Entbindung auftreten.

Neben dem Mammakarzinom stellen Zervixkarzinome, das Hodgkin-Lymphom und das maligne Melanom die häufigsten Malignome der Schwangerschaft dar [1]. The­ rapeutische Vorgehensweisen verfolgen in der Schwangerschaft grundsätzlich die gleichen Ziele wie außerhalb einer Schwangerschaft, sodass durch lokale und/oder systemtherapeutische Behandlungen eine Remission der Erkrankung erreicht oder zumindest eine Progression der Erkrankung vermieden werden sollte. Grundsätzlich stehen hierzu die gleichen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen wie außerhalb der Schwangerschaft zur Verfügung. Dem bereits erwähnten interdiszi­ DOI 9783110414134-018

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plinären Behandlungskonzept unter Einbeziehung aller beteiligten Fachdisziplinen kommt hierbei eine große Bedeutung zu. Merke: Nicht selten ergeben sich ethisch-moralische Konflikte, die sich insbesondere in einer In­ teressensabwägung des Schicksals der Mutter und des ungeborenen Kindes darstellen.

Die Bewertung und die angestrebte Lösung dieses Konflikts setzen fundierte Kenntnis­ se des prognostischen Verlaufs der Erkrankung, der Konsequenzen einer möglichen Therapieverzögerung einerseits sowie der Toxizität und der Risiken einer materna­ len Therapie für den Feten andererseits voraus. Bei rasch progredienter Erkrankung, hohem Remissionsdruck oder/und Wunsch der Mutter muss hierbei auch eine umfas­ sende Beratung im Hinblick auf einen möglichen Schwangerschaftsabbruch erfolgen. Entscheidet sich die werdende Mutter nach intensiver Aufklärung durch die Onkolo­ gen, die Gynäkologen und Geburtshelfer sowie die Neonatologen, wünschenswerter­ weise immer unter Einbeziehung eines Psychologen, zum Fortführen der Schwanger­ schaft, sind je nach Tumorentität unterschiedliche Vorgehensweisen möglich.

18.2 Schwangerschafts-assoziiertes Mammakarzinom Bei Frauen beziehen sich über 30% der Krebsneuerkrankungen auf die Brustdrüse, zudem ist das Mammakarzinom bei Frauen unter 35 Jahren die häufigste Krebserkran­ kung. Merke: Bezogen auf eine Schwangerschaft ist das Auftreten eines Mammakarzinoms bei etwa ei­ ner von 3000 Schwangerschaften zu erwarten.

Hinsichtlich der Gesamtinzidenz des Mammakarzinoms werden somit etwa 3% aller Mammakarzinome während einer Schwangerschaft diagnostiziert. Basierend auf den Daten des Robert Koch-Instituts von 2014 bedeutet dies bei etwa 75.000 Mammakarzi­ nomneuerkrankungen in Deutschland pro Jahr, dass etwa 2250 Mammakarzinome in Verbindung mit Schwangerschaft und Stillzeit diagnostiziert werden [2].

18.2.1 Diagnostik Merke: Der überwiegende Anteil der Mammakarzinome in der Schwangerschaft wird durch die Patientin selbst festgestellt.

Die physiologischen Veränderungen des Brustdrüsengewebes während und nach der Schwangerschaft im Sinne von Brustvergrößerung mit Gewebsödem, Hypervaskula­

18.2 Schwangerschafts-assoziiertes Mammakarzinom

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risation und beginnender Laktation führen nicht selten zur einer Verschleierung von typischen klinischen Anzeichen eines Mammakarzinoms wie „peau d’orange“, ein­ deutige Tastbefunde, Hauteinziehungen, Mamillenretraktion oder inflammatorische Komponenten wie Rötung, Überwärmung und Druckschmerzhaftigkeit. Darüber hin­ aus ist es häufig zu beobachten, dass sowohl bei der Patientin als auch bei dem betreuenden Gynäkologen in der Schwangerenvorsorge das Denken an das mögliche Vorliegen eines Mammakarzinoms verdrängt wird, da in einer im Allgemeinen posi­ tiven Lebenssituation, wie sie die Schwangerschaft darstellt, eine potenziell tödliche Erkrankung nicht für möglich gehalten wird. Aufgrund dieses Sachverhalts ist die eindeutige Diagnosestellung des Schwangerschafts-assoziierten Mammakarzinoms häufig zeitverzögert und führt zu einer Diagnosestellung in höheren Tumorstadien, die mit einer ungünstigen onkologischen Prognose einhergehen. Merke: Es ist daher zu fordern, dass palpatorisch unklare und auffällige Befunde auch in der Schwangerschaft bildgebend abgeklärt werden.

Der Sonographie sollte hierbei aufgrund der fehlenden Strahlenbelastung der Vor­ zug gegeben werden. Bei Malignomverdacht und unklarem sonographischen Befund ist auch die Durchführung einer Röntgenmammographie nicht kontraindiziert. Unter Abschirmung des Abdomens kann das Risiko der Strahlenbelastung des ungeborenen Kindes mit 50 mrad als gering und mit der Schwangerschaft vereinbar angesehen wer­ den. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die diagnostische Aussagekraft einer Rönt­ genmammographie in der Schwangerschaft aufgrund der hohen Dichte des hormonell stimulierten Drüsengewebes eingeschränkt sein kann. Die Hinzunahme der Kernspin­ tomografie stellt aufgrund fehlender Daten und nicht bestehender Zulassung des Kon­ trastmittels Gadolinium in der Schwangerschaft keine Alternative dar. Merke: Bei unklaren Mammabefunden ist eine histologische Sicherung auch in der Schwanger­ schaft zwingend erforderlich und kann im Allgemeinen ohne Schwierigkeiten durchgeführt wer­ den. Die sonographisch gesteuerte Hochgeschwindigkeitsstanzbiopise, die unter Lokalanästhe­ sie durchgeführt wird, stellt das Standardvorgehen dar.

Neben der üblichen Risikoaufklärung über das Auftreten von Hämatomen und In­ fektionen sollte in Schwangerschaft und Stillzeit auch über das potenzielle Risiko einer Milchfistel aufgeklärt werden, wobei die klinische Routine zeigt, dass dieses Risiko überschätzt wird. Bei Nachweis eines Mammakarzinoms sollte eine apparati­ ve Diagnostik mittels Oberbauchsonographie und Röntgenthoraxuntersuchung zum Ausschluss hepatischer und pulmonaler Filiae durchgeführt werden. Eine Skelettszin­ tigraphie ist aufgrund der Strahlenbelastung in der Schwangerschaft nicht durchzu­ führen. Besteht der Verdacht auf eine ossäre Metastasierung, so ist die Kernspintomo­ graphie der Wirbelsäule ohne Kontrastmittel als das Verfahren der Wahl anzusehen [3].

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Merke: Die Prognose einer in der Schwangerschaft diagnostizierten Mammakarzinomerkrankung ist grundsätzlich nicht ungünstiger zu werten als die eines außerhalb der Schwangerschaft dia­ gnostizierten Mammakarzinoms, auch wenn zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der Tumordurch­ messer aufgrund der oben dargestellten zeitlichen Verzögerung im Allgemeinen größer ist im Ver­ gleich zu den im Rahmen des Mammographiescreenings diagnostizierten Mammakarzinomen.

Dieser Sachverhalt muss insbesondere im Hinblick auf die Entscheidungsfindung der Patientin, die Schwangerschaft fortzuführen oder abzubrechen, im Beratungsge­ spräch vermittelt werden.

18.2.2 Operative Therapie Die Therapieplanung erfolgt analog der Planung bei der nicht-schwangeren Patien­ tin basierend auf dem Tumorstadium und dem histologischem Subtyp. Ist ein primär operatives Vorgehen indiziert, sollte dies möglichst nach Abschluss der 8. Schwan­ gerschaftswoche, nach Abschluss der Organogenese, erfolgen. Die Operation in All­ gemeinanästhesie kann im Rahmen der Schwangerschaft sicher und ohne Komplika­ tionen für das Kind durchgeführt werden [4]. Eine Brusterhaltende Therapie, Ablatio simplex oder auch eine modifiziert radikale Mastektomie sind in der Regel komplikati­ onslos durchführbar, bezüglich der operativen Klärung des Lymphknotenstatus wird in der Schwangerschaft eine klassische Axilladissektion Level I und Level II empfohlen. Merke: Eine Sentinel-Lymphonodektomie wird derzeit in der Schwangerschaft noch nicht empfoh­ len, da zu diesem Vorgehen keine systematischen Daten insbesondere hinsichtlich der Sensitivität und der Spezifität vorliegen.

Es gibt allerdings Hinweise, dass diese Prozedur auch in der Schwangerschaft durch­ führbar ist [5], von der Kommission „Mamma“ der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkolo­ gische Onkologie ist diese Methode daher mit einem einfachen „+“ („kann durchge­ führt werden“) bewertet. Durch den Einsatz des Radionuklids Technetium-99 kommt es zu einer kumulativen, mit der Schwangerschaft vereinbaren Strahlenbelastung von etwa 4,3 mGy [6]. Eine Blaumarkierung ist aufgrund beschriebener anaphylaktischer Reaktionen in der Schwangerschaft nicht zu empfehlen [7].

18.2.3 Strahlentherapie

Merke: Eine Indikation zur Strahlentherapie besteht in der Schwangerschaft selten und sollte auf­ grund der Strahlenbelastung vermieden werden.

18.2 Schwangerschafts-assoziiertes Mammakarzinom

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Es ist ohne Prognoseverschlechterung nahezu immer möglich, eine indizierte Strah­ lentherapie nach Brusterhaltender Therapie auf den Zeitraum nach der Schwanger­ schaft zu verlegen. Ergänzend muss erwähnt werden, dass nur wenige Daten hinsicht­ lich der Langzeitergebnisse nach In-utero-Strahlenexposition vorliegen [8].

18.2.4 Medikamentöse Systemtherapie

Merke: Zuverlässige Daten hinsichtlich der Applikation von zytostatischen Substanzen zur Thera­ pie des Mammakarzinoms liegen heute auch für den Einsatz in der Schwangerschaft vor.

Während des ersten Trimenons sollte der Einsatz von zytotoxischen Substanzen auf­ grund der stattfindenden Organogenese grundsätzlich vermieden werden. Daten aus dem amerikanischen nationalen Toxikologieprogramm berichten über eine Präva­ lenz von 14% Malformationen, wenn Chemotherapie im ersten Trimenon appliziert wird [9]. Eine zytostatische Therapie nach Abschluss der 12. Schwangerschaftswo­ che reduziert das Auftreten von fetalen Fehlbildungen auf etwa 3%. Kritisch muss angemerkt werden, dass Daten zur Evaluation der Langzeitergebnisse jenseits der Adoleszenz gegenwärtig noch nicht vorliegen. Eine Verschiebung der Chemothera­ pie auf einen Zeitpunkt nach der Entbindung erscheint jedoch vor dem Hintergrund der bekannten Prognoseverschlechterung bei zeitverzögertem Beginn der Therapie nicht gerechtfertigt. Die Systemtherapie in der Schwangerschaft sollte sich an den Therapieprotokollen außerhalb der Schwangerschaft orientieren [10]. Eine Applika­ tion von Cyclophosphamid und Anthrazyklinen ist möglich. Daten zum Einsatz von Taxanen in der Schwangerschaft liegen ebenfalls vor [11], sodass neoadjuvante und adjuvante Standardprotokolle ohne Modifikation angewendet werden können. Eine Chemotherapie mit vier Zyklen Epirubicin/Cyclophosphamid gefolgt von wöchent­ lich appliziertem Paclitaxel in Standarddosierung ist somit auch in der Schwanger­ schaft möglich. Die Hinzunahme von Carboplatin zur neoadjuvanten Chemotherapie beim „triple negativen“ Mammakarzinom wird kontrovers diskutiert. Neoadjuvante Studienprotokolle weisen bei dieser Subgruppe auf eine erhöhte Rate an histopa­ thologischer Komplettremission hin, die als Surrogatmarker für eine lange Überle­ benszeit gewertet werden kann. Eine abschließende Beurteilung kann aufgrund noch ausstehender Überlebensdaten nicht gegeben werden. Eine weitere, getrennt zu be­ trachtende Subgruppe stellen schwangere Patientinnen mit lokal fortgeschrittener Erkrankung oder/und hohem Nodalbefall dar. In dieser Krankheitssituation ist eine primäre Fernmetastasierung möglich, sodass das weitere therapeutische Vorgehen zur lokoregionären Kontrolle und die medikamentöse Behandlung zur Erreichung ei­ ner Tumorremission insbesondere unter Berücksichtigung der Frage nach Erhalt oder Abbruch der Schwangerschaft sehr abwägend mit der Patientin besprochen werden müssen. Nach Ausschluss einer M1-Situation profitieren diese Patientinnen von einer

292 | 18 Solide Tumoren

dosisdichten oder dosisintensivierten Chemotherapie, adjuvant oder neoadjuvant verabreicht [12, 13]. Naturgemäß liegen nur wenige Daten für die entsprechenden Protokolle in der Schwangerschaft vor, wobei die dosisdichte Chemotherapie eine vertretbare Therapievariante auch in der Schwangerschaft zu sein scheint [14]. Merke: Der Einsatz von Anti-Her-2-gerichteten Antikörpern sollte nach derzeitigem Wissensstand vermieden werden.

In einer aktuellen Übersichtsarbeit zum Einsatz von Trastuzumab in der Schwanger­ schaft [15] konnte bei 33% der behandelten Patientinnen ein Oligohydramnion, das möglicherweise durch eine Schädigung der fetalen Niere bedingt ist, dargestellt wer­ den. Der Einsatz von Pertuzumab im neoadjuvanten Therapieeinsatz kann im Rahmen einer Schwangerschaft aufgrund fehlender Daten ebenfalls nicht empfohlen werden. Der Antikörper Bevacizumab hat sich im Tierversuch als potenziell teratogen erwie­ sen. Lapatinib als „small molecule“ scheint aufgrund seiner geringen Größe die Pla­ zentaschranke zu passieren und wirkt teratogen; auf eine antihormonelle Therapie mit Tamoxifen in der Schwangerschaft sollte ebenfalls verzichtet werden.

18.2.5 Geburtshilfliches Vorgehen Die Betreuung von schwangeren Patientinnen mit Mammakarzinom sollte auch im Hinblick auf den Entbindungsmodus und den Entbindungszeitpunkt möglichst in einem Zentrum erfolgen, in dem sowohl die notwendige onkologische Expertise als auch die adäquate peri- und postnatale Betreuung des Neugeboren gewährleistet ist. Regelmäßige sonographische Wachstumskontrollen sollten vor jedem Chemothera­ piezyklus erfolgen, bei Auffälligkeiten im Sinne einer Wachstumsretardierung oder bei Fruchtwasserveränderungen ist die Durchführung einer Dopplersonographie in­ diziert. Im Hinblick auf den Entbindungsmodus gibt es von onkologischer Seite im Allgemeinen keine Einwände gegen einen Spontanpartus, aufgrund der geringeren maternalen Morbidität sollte diesem möglichst der Vorzug gegeben werden. Merke: Eine Geburtseinleitung oder auch die Durchführung einer elektiven Sectio kann jedoch zur Koordinierung der onkologischen Therapie mit der Geburt notwendig werden.

Zwischen Chemotherapie und Entbindung sollte idealerweise ein Abstand von 14–21 Tagen nicht unterschritten werden, um mögliche Chemotherapie-assoziierte myelo­ suppressive Effekte zum Geburtszeitpunkt zu vermeiden. Eine histopathologische Un­ tersuchung der Plazenta ist notwendig, da eine Metastasierung in die Plazenta zwar selten, jedoch durchaus möglich ist [16]. Die weitere Durchführung einer Chemothera­ pie postpartal erfordert ein primäres Abstillen, da einige Zytostatika in erhöhter, das

18.4 Klinisches Erscheinungsbild |

293

Neugeborene belastender Konzentration, in der Muttermilch nachgewiesen werden können [3].

18.3 Schwangerschafts-assoziierte Hirntumore Hirntumore machen etwa 2% aller malignen Erkrankungen aus. Die Inzidenz me­ ningealer und cerebraler Hirntumore ist Schwangerschafts-assoziiert nicht erhöht, die Tumore ähneln in ihrer Charakterisierung denen nicht-schwangerer Patientinnen gleichen Alters. Primäre intrakranielle Tumore stellen die fünfthäufigste tumorbe­ dingte Todesursache bei Frauen im Alter zwischen 20 bis 39 Jahren dar; hierbei ent­ fallen jeweils etwa ein Drittel auf Meningiome, Low-grade- und High-grade-Gliome. Mit Ausnahme von Hirnmetastasen ausgehend von malignen Trophoblasterkrankun­ gen ist keine andere Tumorentität mit einem erhöhten Risiko für Hirnmetastasen in der Schwangerschaft verbunden. Eine Wachstumstendenz und damit einhergehende Symptomatik lässt sich für Meningiome, Akustikusneurinome und Hypophysentu­ more belegen [17]. Merke: Die physiologischen Schwangerschafts-assoziierten Veränderungen wie etwa vermehr­ te Flüssigkeitsretention können zur Vergrößerung eines vorbestehenden Tumorödems und zum Wachstum gefäßreicher Tumore wie Meningiome und Akustikusneurinome führen.

Beide Tumorentitäten können zusätzlich Hormonrezeptoren aufweisen, die mögli­ cherweise eine Rolle bei einem beschleunigten Tumorwachstum in der Schwanger­ schaft spielen [18].

18.4 Klinisches Erscheinungsbild Übelkeit und Erbrechen stellen klassische meist mit der Frühschwangerschaft assozi­ ierte Symptome dar, können jedoch auch mit einer Hirntumorerkrankung verbunden sein. Merke: Bei in der Spätschwangerschaft auftretendem Erbrechen in Kombination mit neu aufge­ tretenen Kopfschmerzen muss nach Ausschluss anderer Ursachen wie etwa einer Präeklampsie immer auch eine meningeale oder cerebrale Neoplasie mit in die differenzialdiagnostischen Über­ legungen einbezogen werden.

Gleiches gilt für eine neu auftretende Epilepsie, die ebenfalls Symptom einer Eklamp­ sie, aber auch eines Hirntumors sein kann. Klassischerweise sind Eklampsie-assozi­ ierte Krampfanfälle generalisiert, während Tumor-assoziierte Krampfanfälle häufig fokaler Natur sind, die sekundär generalisieren können.

294 | 18 Solide Tumoren

18.4.1 Diagnostik und Therapie Die kernspintomographische Untersuchung stellt das Mittel der Wahl bei der Abklä­ rung und Diagnostik einer cerebralen und meningealen Neoplasie in der Schwanger­ schaft dar, wobei das Kontrastmittel Gadolinium nicht verwendet werden sollte. Ein chirurgisches Vorgehen in der Schwangerschaft sollte den Patientinnen mit schweren Symptomen vorbehalten bleiben [19]. Eine symptomatische Therapie mit Kortikoste­ roiden und Antikonvulsiva kann notwendig werden und ist in der Schwangerschaft möglich. Merke: Im Hinblick auf den Entbindungsmodus muss berücksichtigt werden, dass Wehentätigkeit zu einer Erhöhung des intrakraniellen Druckes führen kann, sodass es bei ohnehin tumorbedingt erhöhtem Hirndruck zu einer Verschlechterung der neurologischen Symptomatik kommen kann.

Eine dezidierte interdisziplinäre Beratung bezüglich der Entbindungsart ist unver­ zichtbar. Abhängig von der Tumorlokalisation und der Tumorgröße kann eine elektive Entbindung per Sectio notwendig werden [20].

18.5 Zervixkarzinom Die messbare Inzidenz des Zervixkarzinoms wird durch die Beteiligungsrate der Frau­ en an den gynäkologischen Früherkennungsprogrammen („Vorsorge“) beeinflusst, sodass über die Inzidenz des Zervixkarzinoms in der Schwangerschaft sehr unter­ schiedlich berichtet wird. Weltweit stellen das plattenepithelial-differenzierte und das Adenokarzinom der Zervix die vierthäufigste maligne Erkrankung und die viert­ häufigste Karzinom-assoziierte Todesursache bei Frauen dar. Merke: Das Zervixkarzinom tritt bei 4 pro 100.000 Schwangerschaften auf und zählt damit neben dem Mammakarzinom und dem Melanom zu den drei am häufigsten Schwangerschafts-assoziier­ ten Krebserkrankungen [21].

Die vorliegenden Daten weisen darauf hin, dass die Prognose eines Zervixkarzinoms nicht durch eine vorliegende Schwangerschaft verschlechtert wird [22], wobei auf die begrenzte Datenlage hingewiesen werden muss [23]. Bei der Behandlung eines Zervix­ karzinoms in der Schwangerschaft gilt es wie bei den anderen Malignomen, die opti­ male onkologische Therapie unter Berücksichtigung der Risiken für den Feten durch­ zuführen. In Abhängigkeit von klinischen und histopathologischen Parametern wie Tumorgröße, Nodalstatus und dem Schwangerschaftsalter sind konservative und ope­ rative Vorgehensweisen zu prüfen [24].

18.5 Zervixkarzinom

|

295

18.5.1 Diagnostik Der Verdacht auf ein Zervixkarzinom stellt sich entweder im Rahmen einer Routi­ neuntersuchung bei der Inspektion eines makroskopischen Zervikalbefunds oder durch den Nachweis eines pathologischen Zytologieabstrichs („Pap“), der zu Beginn jeder Schwangerschaft entsprechend den gesetzlichen Richtlinien zur Schwangeren­ vorsorge aktualisiert werden muss. Die Rate relevanter, suspekter Pap-Abstriche in der Schwangerschaft wird mit 5–8% angegeben und entspricht somit der Rate bei den nicht-schwangeren Patientinnen [25]. Suspekte Pap-Abstriche in der Schwanger­ schaft sollten Anlass zur HPV-Typisierung sein und zur Vorstellung der Patientin in einer spezialisierten Dysplasieeinheit führen, um eine differenzierte kolposkopische Begutachtung durchführen zu können. Merke: Bei auffälliger Zytologie oder Kolposkopie muss ein invasives Karzinom mittels Knipsbi­ opsie ausgeschlossen werden. Die Entnahme einer zervikalen Knipsbiopsie kann mit verstärkter Blutung einhergehen, ist jedoch grundsätzlich in der Schwangerschaft möglich.

Vaginale Blutungen, Schmerzen und auch Dyspnoe geben Hinweise auf ein fortge­ schrittenes Tumorstadium und stellen diagnostische Herausforderungen dar, da die­ se Symptome ebenfalls durch physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft hervorgerufen werden können. Schwangere Frauen mit suspekter zervikaler Zytolo­ gie sollten gemäß den aktualisierten Bethesda-Konsensus-Leitlinien von 2012 moni­ toriert werden [26]. Junge Frauen unter 20 Jahren haben eine hohe Prävalenz einer HPV-Infektion und Zeichen einer niedriggradigen intraepithelialen Läsion (LISL), de­ ren spontane Remissionsrate bei 90% liegt [27]. Eine Kolposkopie wird bei suspekten Pap-Abstrichen empfohlen, bei denen eine höhergradige intraepitheliale Läsion nicht ausgeschlossen werden kann. Merke: Bei bioptischem Nachweis einer zervikalen intraepithelialen Läsion (CINI-III) besteht die Empfehlung zur repetitiven zytologischen und kolposkopischen Untersuchung alle sechs bis acht Wochen, um die Therapie im Sinne einer Konisation bis nach der Geburt verschieben zu können.

Im ersten Trimenon wird die Abortrate bei Konisation mit 33% angegeben und sollte nur bei dringendem Verdacht einer Invasion durchgeführt werden. Das Risiko einer Progression einer CIN II/III in ein invasives Zervixkarzinom scheint gering; eine spon­ tane Regression dieser Veränderungen ist möglich und kann bis zu 69% betragen [28]. Merke: Ist eine Konisation notwendig, sollte diese möglichst sechs Wochen postpartal durchge­ führt werden.

296 | 18 Solide Tumoren

Beim Nachweis eines invasiven Karzinoms in der Schwangerschaft ist eine adäquate apparative Umfelddiagnostik wesentlich. Diese umfasst eine klinische Untersuchung von Zervix, Uterus, Vagina, Parametrien und lokoregionären Lymphknotenstationen. Beim Zervixkarzinom gilt es ebenfalls, eine an die Belange des Feten adaptierte, bild­ gebende Diagnostik durchzuführen. Eine Röntgenthoraxuntersuchung sollte bei allen Patientinnen zum Ausschluss pulmonaler Filiae durchgeführt werden. Die Durchfüh­ rung einer Oberbauchsonographie sowie eine Schnittbildgebung mittels MRT ohne Hinzunahme des Kontrastmittels Gadolinium werden ebenfalls empfohlen. Merke: Die histopathologische Klärung des retroperitonealen Lymphknotenstatus kann bei hohem Risiko für eine Lymphknotenmetastasierung auch in der Schwangerschaft, zumindest im ersten Trimenon, laparoskopisch durchgeführt werden [29].

18.5.2 Therapie Beim Zervixkarzinom gilt eine interdisziplinär abgestimmte Therapie mit entspre­ chender Aufklärung der Patientin über die möglichen Optionen als Grundprinzip. Diese orientiert sich maßgeblich am Schwangerschaftsalter, am Lymphknotenstatus, an einer möglichen Progression der Erkrankung in der Schwangerschaft und dem Wunsch der Mutter nach Fortsetzen oder Beendigen der Schwangerschaft. Im frühen Tumorstadium FIGO IA1 (Invasionstiefe des Tumors < 3 mm, maxima­ le horizontale Tumorausdehnung < 7 mm) und bei dem Wunsch der Patientin auf Schwangerschaftserhalt, kann die Schwangerschaft unter regelmäßigen klinischen und kolposkopischen Kontrollen alle 8 bis 12 Wochen konserviert werden, ein Spon­ tanpartus ist ohne Prognoseverschlechterung möglich. Der Patientin kann alternativ ein elektiver Kaiserschnitt nach Beendigung der Frühgeburtlichkeit angeboten wer­ den, um 6 Wochen postpartal eine Konisation zur eindeutigen histopathologischen Festlegung des Tumorstadiums, mit anschließender stadiengerechter onkologischer Therapie, durchzuführen [30]. Sollte der Fet nicht lebensfähig sein und bei Wunsch der Patientin auf Beendigung der Schwangerschaft, wäre nach erfolgtem Schwanger­ schaftsabbruch eine Konisation im Intervall zu empfehlen, die Durchführung einer Konisation in Verbindung mit dem Schwangerschaftsabbruch ist aufgrund zu erwar­ tender, deutlich verstärkter Blutung nicht sinnvoll. Im Tumorstadium FIGO IA2 (Inva­ sionstiefe des Tumors 3–5 mm, horizontale Tumorausdehnung < 7 mm) sowie im Tu­ morstadium FIGO IB1 (klinisches Karzinom beschränkt auf die Zervix mit Tumorgröße < 4 cm), kann in der Frühschwangerschaft und auf Wunsch der Patientin auf Erhalt der Schwangerschaft ein exspektatives Vorgehen mit elektiver Sectio und simultaner, radikaler Hysterektomie mit retroperitonealer Lymphonodektomie erfolgen. Hierbei orientiert sich der Entbindungszeitpunkt an der Zielsetzung, die Patientin nicht auf­ grund der Zeitverzögerung der onkologischen Therapie einem relevanten, onkologi­

18.5 Zervixkarzinom

| 297

schen Risiko auszusetzen, andererseits die pulmonale Adaptationsstörung des Neu­ geborenen bei zu früher Frühgeburtlichkeit zu vermeiden. In der klinischen Routine hat sich die Entbindung ≤ 34.+0 Schwangerschaftswoche nach Lungenreifeindukti­ on als sinnvoll erwiesen. In Abhängigkeit vom histologischen Befund (Tumorgröße, Grading, Lymphangioinvasion, Hämangioinvasion, Nodalstatus) wird sich das wei­ tere onkologische Vorgehen gegebenenfalls mit postoperativer Radiochemotherapie orientieren. Bei ausgedehntem Tumorstadium (≥ Tumorstadium FIGO IB2) und dem Wunsch der Patientin auf Schwangerschaftserhalt, kann eine cisplatinhaltige neoadjuvante Chemotherapie gegebenenfalls nach laparoskopischem Lymphknotenstaging (< 20. Schwangerschaftswoche) während der Schwangerschaft mit dem Ziel der In­ duktion einer Tumorremission erfolgen, um anschließend unter Würdigung des oben dargestellten Aspektes der Vermeidung Frühgeburtlichkeits-assoziierter pulmona­ ler Adaptationsstörung eine elektive Sectio-Entbindung durchzuführen. Die weite­ re postoperative, onkologische Therapie, gegebenenfalls mit Radiochemotherapie, Chemotherapie oder auch exenterativem Vorgehen, ist abhängig von der jeweiligen individuellen Krankheitssituation festzulegen. Sollte die Patientin im fortgeschritte­ nen Tumorstadium die Beendigung der Schwangerschaft wünschen, kann diese, je nach Schwangerschaftsalter, medikamentös oder operativ induziert werden, eine Ra­ diochemotherapie mit dem Feten in situ ist theoretisch aufgrund des sicher abortiven Effekts der Strahlentherapie möglich. Hierbei ist neben der medizinischen Aufklärung eine intensive psychologische Begleitung erforderlich. Das dargestellte Vorgehen bei Patientinnen mit Zervixkarzinom in der Schwan­ gerschaft ist als Diagnose- und Therapiealgorithmus in Abbildung 18.1 dargestellt.

Histologie

Histologisch nachgewiesenes Zervixkarzinom

Staging

Stage

Therapie

IA1

IA2, IB1

IB2 - IVA

Fetus nicht lebensfähig

Fetus lebensfähig

Fetus nicht lebensfähig

Fetus lebensfähig

Fetus nicht lebensfähig

Fetus lebensfähig

Konisation

EB am Termin

RH mit fetus insitu

CS und RH ≥ 34 + 0 SSW

IR

± Neoadjuvante CTX

Konisation 6 Wochen postpartum

unmittelbare/ postponierte CS

Positive Risikofaktoren Radiatio ± CTX

Radio-CTX

IVB

< 20 SSW

> 20 SSW

IR

Neoadjuvante CTX

CTX

CS

Abb. 18.1: Stadien- und schwangerschaftsalter-abhängiges therapeutisches Vorgehen bei Zervixkar­ zinom in der Schwangerschaft. EB: Entbindung, RH: Radikale Hysterektomie, CS: Sectio caesarea, IR: Interruptio, CTX: Chemotherapie.

298 | 18 Solide Tumoren

Bei den präklinischen Tumorstadien (Tumorstadium FIGO IA1, IA2), bei denen aus Sorge vor den oben erwähnten Konisations-assoziierten Komplikationen wie Blu­ tung, Abort, vorzeitiger Blasensprung und Infektion die histologische Abklärung durch Konisation nicht erfolgt, muss einschränkend erwähnt werden, dass die Aus­ dehnung der Tumorerkrankung lediglich abgeschätzt werden kann. Insbesondere beim exspektativen Vorgehen muss die Patientin eingehend über diese eingeschränk­ te Diagnosesicherheit aufgeklärt werden. Merke: Grundsätzlich ist der Krankheitsverlauf einer Patientin mit Zervixkarzinom in der Schwan­ gerschaft nicht unterschiedlich im Vergleich zu den nicht-schwangeren Patientinnen mit Zervix­ karzinom. Da die Malignomerkrankung, anders als bei den anderen in diesem Kapitel aufgeführ­ ten Malignomentitäten, in dem die Schwangerschaft beherbergenden Organ entwickelt ist, ist bei der Betreuung dieser Patientinnen besondere gynäko-onkologische und geburtshilfliche Experti­ se und ein eng abgestimmtes interdisziplinäres Vorgehen erforderlich.

18.6 Adnextumore In der Schwangerschaft können solide Adnextumore auftreten, diese sind in 95% der Fälle benigne. Diese Tumore sind von den zystischen Befunden zu unterscheiden, die überwiegend als funktionelle Zysten erscheinen und in der Mehrzahl im 2. Trimenon spontan vollständig zurückgebildet sind. In etwa 1 von 1000 Schwangerschaften liegt ein Adnexbefund vor, der einer operativen Therapie bedarf; hierbei stellt ein Adnexbe­ fund eine der häufigsten Indikationen zum chirurgischen Vorgehen in einer Schwan­ gerschaft dar [31]. Merke: Das operative Vorgehen sollte möglichst nach der 14. Schwangerschaftswoche erfolgen, da der Schwangerschaftserhalt ab diesem Zeitpunkt unabhängig vom Vorhandensein eines Corpus luteum ist und eine gegebenenfalls notwendige Adnektomie ohne das Risiko eines Spontanaborts durchgeführt werden kann [6]. Adnextumore größer als 5 cm, die bis in das zweite Trimenon per­ sistieren, beidseitig auftreten oder sonomorphologische Auffälligkeiten aufweisen, sollten weiter abgeklärt werden.

In der Mehrzahl handelt es sich um benigne Teratome – Ovarialkarzinome, Border­ linetumore, Keimzell- und Keimstrangstromatumore stellen eine Seltenheit dar, den­ noch sind bis zu 1% der in der Schwangerschaft persistierenden Adnexbefunde mali­ gne [32]. Hierbei handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle um epitheliale Tumore mit niedrigem Malignitätspotenzial.

18.6 Adnextumore |

299

18.6.1 Diagnostik Die zunehmenden hochspezialisierten pränatalen Ultraschalluntersuchungen haben dazu geführt, dass die Diagnose von Schwangerschafts-assoziierten Adnexbefunden häufiger gestellt wird. Im Regelfall ist die Ultraschalldiagnostik zur Bewertung und Einschätzung der Befunde ausreichend; sollte die diagnostische Aussagekraft einge­ schränkt sein, ist die zusätzliche Durchführung einer Kernspintomographie möglich. Die Bestimmung der gängigen Tumormarker CA 125, CEA, AFP und hCG bringen meist keinen diagnostischen Zugewinn, da sie in der Schwangerschaft häufig erhöht und damit kaum bewertbar sind [33].

18.6.2 Therapie Die Therapie suspekter Adnexbefunde in der Schwangerschaft ist in erster Linie ope­ rativ. Um eine suffiziente Exposition des Situs zu erhalten und eine Schonung des schwangeren Uterus vor manueller Manipulation zu gewährleisten, ist eine mediane, zumindest subumbilikale Längslaparotomie indiziert. Merke: Im ersten und beginnenden zweiten Trimenon (< 20. Schwangerschaftswoche) ist auch ein laparoskopisches Vorgehen möglich.

Aktuelle Daten und Fallserien konnten die Sorge vor Schädigungen des Feten durch die Anlage eines Pneumoperitoneums im Sinne einer Verminderung der uteroplazen­ taren Durchblutung durch erhöhten intraabdominellen Druck relativieren. Die ge­ fürchtete fetale Azidose sowie Verletzungen des Feten und des Uterus durch Einbrin­ gen der Arbeitstrokare, damit verbundenem vorzeitigem Blasensprung und hiermit möglicherweise einhergehender Notwendigkeit zur vorzeitigen Entbindung, lassen sich ebenfalls in der Literatur nicht belegen [34]. Bislang fehlen prospektive Studi­ en zur abschließenden Bewertung der Sicherheit des laparoskopischen Vorgehens. Die überzeugendsten Daten liefert ein schwedisches Gesundheitsregister, in dem 2181 vor der 20. Schwangerschaftswoche laparoskopisch operierte Patientinnen mit 1522 per Laparotomie therapierten schwangeren Patientinnen verglichen wurden. Im Hinblick auf den kindlichen Status konnten keine signifikanten Unterschiede bei den Parametern Schwangerschaftsdauer, Geburtsgewicht, Risiko einer intrauterinen Wachstumsretardierung, fetale Fehlbildungen oder intrauterine Fruchttode beobach­ tet werden [35]. Merke: Bei Verdacht auf Malignität besteht die Indikation zur Laparotomie.

300 | 18 Solide Tumoren

Nach Eröffnung der Peritonealhöhle sollte eine Spülzytologie zum Nachweis einer möglichen intraperitonealen Tumorzelldisseminierung erfolgen, eine sorgfältige In­ spektion des kontralateralen Adnex ist notwendig. Von einer Routinebiopsie sollte bei makroskopisch unauffälligem Befund jedoch abgesehen werden, um eine mögliche Kompromittierung des kontralateralen Ovars zu vermeiden. In Abhängigkeit von der Größe kann bei benignen Befunden ein adnexerhaltendes Vorgehen erfolgen. Merke: Bei malignen Befunden ist eine adäquate chirurgische Exploration zu fordern, welche bei der schwangeren Patientin mit Wunsch nach Schwangerschaftserhalt stets ein individualisiertes Vorgehen unter Abwägung der Risiken für Mutter und Kind beinhaltet.

Ein fertilitätserhaltendes Vorgehen unter Erhalt des schwangeren Uterus ist bei unioder auch bilateralem, malignem Adnexbefund möglich; hierbei sollten neben der uni- oder bilateralen Adnektomie die infragastrische Omentektomie und die Entnah­ me multipler Peritonealbiopsien, gegebenenfalls (bei muzinöser Histologie) zusätz­ lich die Appendektomie, erfolgen. Bei vergrößerten retroperitonealen Lymphknoten ist die Entfernung der Lymphknoten indiziert, eine systematische Lymphonodekto­ mie während der Schwangerschaft ist nicht sinnvoll. Bei Vorliegen eines Borderli­ netumors ohne invasive Tumoranteile ist eine Chemotherapie nicht indiziert. Nach abgeschlossener Wundheilung orientiert sich die weitere Betreuung der Patientin an den üblichen Richtlinien der Schwangerenvorsorge, bei im weiteren Verlauf kon­ solidierten Bauchdecken ist ein Spontanpartus möglich. Bei invasiver epithelialer Histologie im frühen Tumorstadium sowie bei nicht-epithelialen Malignomen (Keim­ zell-Keimstrangstromatumore), bei denen aufgrund des Tumorstadiums und der Tu­ morbiologie keine Chemotherapie erforderlich ist, kann in gleicher Weise wie oben beschrieben vorgegangen werden. Im weiteren, postpartalen Verlauf empfiehlt sich eine regelmäßige Tumornachsorge, die komplettierende Operation im Intervall nach abgeschlossener Familienplanung sollte zu gegebener Zeit mit der Patientin bespro­ chen werden, auch wenn sich für dieses Vorgehen keine eindeutige Datenlage in der Literatur finden lässt. Bei fortgeschrittenem, invasivem epithelialen und nicht-epithelialem Tumor, bei dem nach der Laparotomie gegebenenfalls Resttumor in situ verblieben und bei dem im Allgemeinen eine Polychemotherapie indiziert ist, muss mit der Patientin über den Zeitpunkt der medikamentösen Therapie eingehend gesprochen werden. Merke: Eine platin-/taxan-haltige Chemotherapie während der Schwangerschaft ist möglich, sollte es unter dieser Therapie zu einer Remission des Tumors kommen, ist ein Spontanpartus möglich mit anschließender im Intervall erfolgender Komplettierungsoperation.

Eine Komplettierungsoperation im Rahmen einer Sectio ist ebenfalls durchführbar, aufgrund der schwangerschaftsinduzierten Hypervaskularisation, insbesondere des

18.7 Malignes Melanom |

301

inneren Genitals, ist diese jedoch mit erhöhter Blutungsneigung verbunden. Bei Vor­ liegen eines malignen Adnextumors und dem Wunsch der Patientin auf Beendigung der Schwangerschaft kann ein Schwangerschaftsabbruch erfolgen, in Abhängigkeit vom Schwangerschaftsalter kann die komplettierende Operation direkt oder nach Ver­ abreichung von 1–2 Zyklen Chemotherapie erfolgen. Fällt ein suspekter Adnexbefund im Rahmen einer Sectio erstmals als Zufallsbe­ fund auf, so besteht die Empfehlung zur kompletten Resektion des Befunds, um eine Tumorzellverschleppung und damit eine möglicherweise folgende Hochstufung des Tumorstadiums zu vermeiden. Merke: Eine Prognoseverschlechterung durch die Diagnose eines malignen Ovarialbefunds in der Schwangerschaft, verglichen mit nicht-schwangeren Patientinnen mit vergleichbarer Histologie und vergleichbarem Tumorstadium, lässt sich aufgrund der Datenlage nicht belegen [36].

18.7 Malignes Melanom Die Inzidenz des malignen Melanoms ist in den vergangenen Jahren gestiegen, jähr­ lich sind in Deutschland etwa 24.000 Neuerkrankungen zu verzeichnen. Das maligne Melanom stellt einen der häufigsten Tumore bei jungen Frauen im fortpflanzungsfä­ higen Alter dar. Merke: Daten des deutschen Melanomregisters haben gezeigt, dass etwa 1% der Melanompatien­ tinnen bei Diagnosestellung schwanger waren [37].

Die Mehrzahl der Patienten kann durch die Exzision des Primärtumors geheilt wer­ den [38]. Merke: Grundsätzlich ist beim malignen Melanom eine möglichst frühe Diagnosestellung zur Pro­ gnoseverbesserung zu fordern. Hierbei sind während der Schwangerschaft auftretende, auffällige Veränderungen im Bereich der Haut (unter anderem Pigmentveränderungen, Hauterhabenheiten mit Blutungsneigung, Knötchenbildung), dermatologisch abzuklären.

Die Manifestation maligner Melanome im Bereich der Vulva, der Vagina sowie der Zervix muss in jedem Falle gynäkologischerseits bedacht werden und bei unklarem Befund zu einer, gegebenenfalls mit den Dermatologen abgestimmten, Gewebeent­ nahme führen. Die operative Therapie im Sinne einer vollständigen Exzision des Pri­ märtumors kann und muss zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft durchgeführt werden, dies ist im Allgemeinen in Lokalanästhesie möglich. Der Sicherheitsabstand der nicht selten erforderlichen Nachexzision orientiert sich an der Tumordicke und folgt der S3-Leitlinie des Melanoms.

302 | 18 Solide Tumoren

Merke: Ab einer Tumordicke von 1 mm ohne den Hinweis auf eine Metastasierung sollte auch mit Schwangeren eine Sentinel-Lymphknotendiagnostik zur besseren Einschätzung der Prognose dis­ kutiert werden.

Die Detektion des Sentinel-Lymphknotens mittels Lymphoszintigraphie und Gamma­ sonde kann auch in der Schwangerschaft eingesetzt werden, falls eine zeitliche Verzö­ gerung der Nachexzision und Sentinel-Lymphknotendiagnostik bis nach der Schwan­ gerschaft nicht gewünscht ist [39, 40]. Das Melanom kann sowohl lymphogen als auch hämatogen metastasieren. Bei Hochrisikopatientinnen in der Schwangerschaft sollte zur Evaluation von Fernmetastasen möglichst auf eine Computertomographie verzichtet werden und alternativ Staginguntersuchungen mit einer Röntgen-ThoraxUntersuchung, Sonographie des Abdomens oder nach dem 1. Trimester einem MRT ohne Kontrastmittel durchgeführt werden. Bei dem Auftreten von Metastasen in der Schwangerschaft sollte das weitere Vorgehen individuell an einem Hauttumorzen­ trum besprochen werden. In der Literatur wird eine kontroverse Diskussion über den prognostischen Einfluss von Krankheitsverläufen in der Schwangerschaft geführt, die bis heute nicht abschlie­ ßend geklärt ist. Merke: Die schwangerschaftsbedingte Immunsuppression und der Einfluss von erhöhten Estro­ genspiegeln und anderen Wachstumsfaktoren wird als Ursache für einen möglicherweise prognos­ tisch ungünstigen Krankheitsverlauf in der Schwangerschaft diskutiert [41, 42].

Mehrere Studien konnten jedoch keine klare Evidenz für eine ungünstigere Prognose eines Schwangerschafts-assoziierten Melanoms finden [43]. Zur Behandlung des me­ tastasierten Melanoms stehen seit einigen Jahren sowohl zielgerichtete als auch Im­ muntherapien mit Immuncheckpointinhibitoren (unter anderem anti-PD1 und antiCLTA4-Antikörper) zur Verfügung, die zu einer Verlängerung des Gesamtüberlebens führen. Ein Fallbericht beschreibt bisher die Therapie mit einem Braf-Inhibitor bei ei­ ner Schwangeren mit einem metastasierten Melanom ohne Komplikationen für das Neugeborene [44]. Hinsichtlich des Entbindungsmodus gibt es keine spezifischen Empfehlungen. Merke: Eine histopathologische Untersuchung der Plazenta bei Patientinnen mit einem metasta­ sierten Melanom ist in jedem Fall zu fordern, da das Melanom die Tumorentität darstellt, bei der am häufigsten eine Metastasierung in den Feten über die Plazenta erfolgen kann.

In einer Untersuchung im Jahr 2003 sind bei 24 von 27 Patientinnen Plazentameta­ stasen beschrieben, wobei bei 6 Feten ebenfalls Metastasen eines Melanoms nach­ gewiesen werden konnten. Bei 67% der Feten mit Plazentametastasen ergaben sich

18.8 Lymphome | 303

zumindest in der kurzfristigen Nachbeobachtung keine negativen Konsequenzen für den Feten [45].

18.8 Lymphome Maligne Lymphome werden in Hodgkin-Lymphome und Non-Hodgkin-Lymphome eingeteilt. Etwa 10% der Lymphome werden als M. Hodgkin klassifiziert. HodgkinLymphome treten überwiegend im jungen Erkrankungsalter, mit einem Altersgipfel im 30. Lebensjahr, auf, sodass die Koinzidenz der Diagnose eines M. Hodgkin in der Schwangerschaft nicht selten ist. In der Literatur sind Angaben zwischen 1 : 1000 bis 1 : 6000 Schwangerschaften zu finden [46]. Die Mehrzahl der Frauen mit M. Hodgkin ist asymptomatisch und wird durch eine Vergrößerung von inguinalen, axillären und zervikalen Lymphknoten auffällig. Liegt eine klinische Symptomatik wie Müdigkeit, Anämie, Dyspnoe und auch Thrombozytopenie vor, so unterscheidet sich diese bei schwangeren Patientinnen nicht von der nicht-schwangerer Patientinnen; hierbei ist zu berücksichtigen, dass derartige Symptome durchaus mit physiologischen Ver­ änderungen während der Schwangerschaft verwechselt werden und somit zu einer verspäteten Diagnosestellung führen können. Das Auftreten einer B-Symptomatik (Fieber, Gewichtsverlust, nächtliches Schwitzen) ist nicht immer vorliegend.

18.8.1 Diagnostik

Merke: Im Regelfall erlaubt die histopathologische Untersuchung, meist im Sinne einer Lymph­ knotenexstirpation, in Lokal- oder Allgemeinanästhesie durchgeführt, die Diagnosestellung.

Die Einteilung erfolgt in 5 Typen (lymphozytenreich, noduläre Sklerose, Mischtyp, lymphozytenarm und unklassifiziert), wobei es Hinweise für ein gehäuftes Auftreten der nodulär sklerosierenden Form in der Schwangerschaft gibt [47]. Die Bewertung des Tumorstadiums erfolgt gemäß der Ann-Arbor-Klassifikation, basierend auf der Zahl beteiligter Lymphknoten, der Lokalisation oberhalb oder unterhalb des Zwerchfells und der Anwesenheit oder Abwesenheit extralymphatischer Manifestationen. Die in­ itiale bildgebende Diagnostik in der Schwangerschaft sollte eine Röntgenthoraxun­ tersuchung und eine Untersuchung des Abdomens, möglichst mittels Kernspintomo­ graphie, umfassen, da die Spezifität bei der Bewertung von Lymphknoten, Leber und Milz – im Vergleich zur Sonographie – erhöht ist. Merke: Eine Knochenmarksbiopsie kann ebenfalls während der Schwangerschaft durchgeführt werden.

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18.8.2 Therapie Das therapeutische Vorgehen fordert vom interdisziplinären Behandlerteam ein sorg­ fältiges Abwägen zwischen maximalem Therapieeffekt für die Patientin und minimal möglichem Risiko für den Feten. Das therapeutische Vorgehen richtet sich dabei nach Schwangerschaftsalter, Tumorstadium und Lokalisation der Erkrankung. Merke: Der Beginn einer Therapie sollte aufgrund teratogener Therapieeffekte möglichst auf das zweite Trimenon verschoben werden.

Bei symptomatischer Patientin mit rascher Progression der Erkrankung muss aller­ dings mit der Therapie unabhängig vom Schwangerschaftsalter begonnen werden. Ist eine Therapie im 1. Trimenon erforderlich, muss stets ein individuelles Thera­ piekonzept mit der Patientin besprochen werden – dies beinhaltet ebenfalls die Bera­ tung über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs. Merke: Wird der Wunsch nach Schwangerschaftserhalt geäußert und besteht die Notwendigkeit einer raschen Therapieeinleitung, ist eine Kombination gemäß dem ABVD-Schema (Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin) zu empfehlen.

Erfolgt die Diagnosestellung im 2. Trimenon und liegt eine begrenzte Erkrankung vor, kann die Therapie unter engmaschigem Monitoring gegebenenfalls bis nach der Ent­ bindung verschoben werden [48]. Hierbei ist eine engmaschige fetale Überwachung zu fordern. Eine Exposition des Feten gegenüber Chemotherapeutika kann zu niedri­ gen Geburtsgewichten, vorzeitiger Entbindung und Entwicklungsverzögerungen füh­ ren. Liegt eine supradiaphragmale Erkrankung vor, gibt es in der Literatur Hinweise darauf, dass eine Strahlentherapie unter sorgfältiger Abschirmung des Uterus möglich ist [49]. Klinische Verläufe werden bei Frauen mit Hodgkin-Lymphom in der Schwan­ gerschaft insgesamt als günstig eingestuft. Nach 5 Jahren sind 75–90% der Frauen im Stadium I–II krankheitsfrei.

18.9 Kolorektales Karzinom Die Inzidenz kolorektaler Karzinome (KRK) nimmt mit dem Alter zu, eine Vorsorgeko­ loskopie wird daher erst ab einem Alter von 55 Jahren empfohlen, ein KRK während der Schwangerschaft tritt sehr selten auf [50]. Aufgrund des höheren Alters bei Frau­ en mit späten Schwangerschaften und der Beobachtung einer Zunahme von KRK bei jungen Frauen ist allerdings mit einer ansteigenden Fallzahl von KRK in der Schwan­ gerschaft zu rechnen. Die klinischen Zeichen eines obstruierenden Darmtumors, auch die der Eisen­ mangelanämie bei chronischem Blutverlust, sind unspezifisch und ähneln den häufig

Literatur

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auftretenden, typischen Schwangerschaftsbeschwerden. KRK werden in der Schwan­ gerschaft daher oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium durch die Darmobstruk­ tion oder Metastasen diagnostiziert, sie liegen in etwa 80% der Fälle im Sigma oder Rektum [51]. Erst nach vollständiger Diagnostik durch Koloskopie mit Biopsie, Sono­ graphie der Leber und Staging des Rektumkarzinoms durch Endosonographie und MRT des Beckens ist eine interdisziplinäre Beratung der Schwangeren über die Thera­ pie und die Fortführung der Schwangerschaft möglich. Es handelt sich hierbei um sehr individuelle Entscheidungen. Die Effekte von Schwangerschaft und Hormonen auf Tu­ morwachstum und Metastasierungsrate sind bislang unklar [52]. Bei Frühstadien ist eine Resektion von Kolon oder Rektum unter Erhaltung der Schwangerschaft möglich. Nach Resektion von Rektumkarzinomen sollte auf risikoreiche Anastomosen im Be­ cken zugunsten einer temporären Hartmann-Situation mit Blindverschluss des Rek­ tums und Anlage einer Kolostomie verzichtet werden. Ein Ileostoma sollte wegen der hohen Flüssigkeits- und Elektrolytverluste vermieden werden [53]. Bei fortgeschritte­ nen Stadien, insbesondere wenn eine neoadjuvante Radiochemotherapie beim Rekt­ umkarzinom oder bei Metastasen eine palliative Chemotherapie indiziert ist, sollte in der ersten Hälfte der Schwangerschaft ein Abbruch erwogen werden. Im letzten Tri­ menon kann eine indizierte palliative oder neoadjuvante Chemotherapie gegebenen­ falls bis zur vorzeitigen Entbindung hinausgezögert werden [51]. Grundsätzlich sollte zur Abklärung eines KRK bei einer Frau im gebärfähigen Alter die Bestimmung der Mikrosatelliteninstabilität (MSI) zur Diagnostik eines hereditären nichtpolypösen Ko­ lonkarzinoms (HNPCC) erfolgen. Zur Erhaltung der Fertilität kann bei Frauen mit Kinderwunsch vor einer neoad­ juvanten Radiochemotherapie bei Rektumkarzinom eine laparoskopische Transposi­ tion der Ovarien vorgenommen werden. Eine Kryoasservierung von Embryonen oder ovariellem Gewebe ist heute technisch möglich und kann in Einzelfällen vor Radiatio im Beckenbereich oder gonadotoxischer Chemotherapie erwogen werden [52].

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Stichwortverzeichnis 3D-Sonografie 54 3-zeitiges Vorgehen 214 A ABCDE-Schema 252 Abdominelle Compliance 172 abdominelles Kompartmentsyndrom 172 Abdominoplastik 175, 180 Ablatio simplex 290 Abort 110, 149, 158 Abruptio placentae 264 Abszess 216 Abwehrspannung 123, 141 Acyl-Coenzym A 155 Adipositas-assoziierte Erkrankungen 202 Adipositaschirurgie 198–203, 206 Adipozyt 198 Adnexe 112 Adnextumor 298 AFP 240 Airway Drill 76 Akrinor® 78 aktivierter Faktor VII 265 akute Appendizitis 124 akute biliäre Pankreatitis 154 akute Cholezystitis 124, 155 Akute Pankreatitis 131 Akute Schwangerschafts-Fettleber 153 Akutes Abdomen 123 Alkalische Phosphatase 156 Alkoholabusus 161 Alpha-1-Fetoprotein 240 Alvarado-Score 145 anale Inkontinenz 187, 195 Analfissur 186, 187, 190 Analgetika 34 Analkarzinome 193 Anämie 98 Anastomosenheilung 136 Anastomoseninsuffizienz 219 Anastomosenstenose 221 anorektale Malignome 188 Antazida 35 Antenatale Steroidtherapie 254 Anthelminthika 36

Antibiose 147 Antibiotika 36 Antibiotikaprophylaxe 276, 279 antibiotische Therapie 146 Anti-D-Immunglobuline 251 Antiemetika 39 Antihistaminika 35 Antikoagulantien 39 Antikoagulation 246 Aortokavale Kompression 253 Apnoezeit, oxygenierte 73 Appendektomie 112, 146 – Komplikationen 148 Appendizitis 141, 142 arterielle CO2 Partialdruck 159 Aspiration 77 Ateminsuffizienz 253 Atemminutenvolumen 72 Atemweg 72, 74 Atemwegsmanagment 252 Atlanta-Klassifikation 162 ATLS 252 Atmung – Atemfrequenz 18 – Atemzugvolumen 18 – Hyperventilation 18 – Hypokapnie 18 – Residualvolumen 18 – Tidalvolumen 18 – Zwerchfellhochstand 18 atone Blutung 274 Azidose 111 B Bakri-Katheter 275 Bandverletzungen 245 bariatrische Chirurgie 199 Bauchtrauma 248 Bauchwand 169 Beckenboden 169, 194 Beckenboden-Dysfunktion 171, 187, 194 Beckenfrakturen 244, 256 Beckenmobilität 256 Beckenosteosynthese 256 Benzodiazepine 69, 88

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Beri-Beri-Syndrom 206 Betamethason 254 Blase 278 Blasennaht 280 Blasenspasmus 280 Blasensprung – vorzeitig 88 Blasenteilresektion 268 Blutdruck 16 Blutgruppe 45 Blutstillung 276 Blutung – gastrointestinal 216 Blutverlust 9 Blutvolumen 8 B-Lynch Naht 275 B-Mode Ultraschall 267 bone thermal index 54 Borderlinetumor 300 Brolin Space 208 Brustdrüse 24 Bupreonorphin 69 buttonhole tear 278 C Carboplatin 291 Chemotherapie 291 Chenodesoxycholsäure 155 Chlamydien 45 Cholangiografie 107, 161 Cholangitis 154, 157 Cholecystektomie 112, 153, 154, 156 Choledocholithiasis 154, 156 Cholelithiasis 153 Cholestase 156 Cholesterin 155 Cholesterinkristalle 155 Cholezystitis 154 Cholsäure 155 chronisch entzündlichen Darmerkrankung 188 CINI-III 295 CO2 -Monitoring 107 Colitis – fulminant 216 computerbasierte Entscheidungshilfe 145 Computertomografie 143 Condylomata acuminata 193 Corpus luteum 7, 44, 56

D Dammriss 195, 277 Dammriss Grad III 277 Dammriss Grad IV 277 Dammrisse 277 Darmverletzung 276 Darmwand-Infiltration 268 Datenbanken 41 decision tools 146 Defäkationsstörung 194 Defibrillation 101 Descensus perinei 188 Dexamethason 264 Dezidua basalis 266 Diabetes mellitus Typ 1 205 Dickdarmileus 132 DIEP-Flap 182 Dilatation 273 Diskontinuitätsresektion nach Hartmann 221 disseminierte intravasale Gerinnung 269 Distorsionen 244 Doppler-Sonographie 267 Dottersack 56 Drucknekrose 278 Dünndarmileus 131 Dünndarmischämie 208 Duplex-Sonografie 177 Dyspnoe 19 E Echinococcus granulosus 236 Eklampsie 254 Elektromyographie-Biofedback Therapie 196 Embryopathie 30 Embryotox 69 Endometriose der Bauchwand 178 endoskopische Intervention 154 Endosonographie 279 endotheliale Dysfunktion 262 endtidales CO2 107 Energiebedarf 3 Entbindungsmodus 215 enterale Ernährungstherapie 163 Enterokolitis 144 Enterostoma 137 Ephedrin 78 epigastrische Hernie 174 Epigenetik 201 Epilepsie 293

Stichwortverzeichnis

Episio-Sphinkterotomie 279 Episiotomie 277 Erbrechen 26 Erythrozytenmasse 8 Extraktion 274 extrauterine Kompression 275 Extremitätenverletzungen 246 F familiäre Hypertriglyzeridämie 161 FDA – Food and Drug Administration 33 Fehlbildung 32 Fehlbildungen 58 – fetale 60 Femoralhernie 174 Fentanyl 69 Fertilität 199, 200, 203, 213, 270 Fetale Hypoxie 111 Fetale Strahlen-Dosis 245 fetale Wachstumsrestriktion 31 Fetalperiode 30 Fetomaternales Transfusionssyndrom 251 Fetopathie 30 Fettstoffwechel 4 Fibrinolyse 21 Fistel 192 Fistelbildung 279 Fisteln 277 flabby abdomen 170 FNH 233 fokale noduläre Hyperplasie 233 Frühgeburt 110, 149, 158, 215 G Gallenblasenejektionsfraktion 154 Gallenblasengangrän 157 Gallenblasengries 153 Gallenblasensludge 153 Gallenblasenvolumen 154 Gallensteine 26, 153 Gallensteinpankreatitis 164 Gasaustausch, maternofetaler 18 gaslose Laparoskopische Operationen (GLS) 108 Gastroenteritis 144 Gastrointestinale Funktionsstörung 25 Geburtshilfliche Notfälle 261 Geburtspositionen 256

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Geburtstrauma 277 Geburtsverletzungen 277 Gefäßwiderstand – Pulmonal-kapillärer Verschlussdruck 15 – systemischer arterieller Gefäßwiderstand 15 – Venöser Gefäßwiderstand 15 Genitalwarzen 193 Gerinnung 21 Gestationsalter 56, 153 gestörte Frühgravidität 272 Gestose 261 Gewichtszunahme, maternale 3 Ghrelinwerte 202 Gingivitis 27 Glukokortikoide 40 Glukosestoffwechsel 4 Gracilis-Lappen 279 growth spurt 70 gynäkologischen Onkologie 267 H Hämangiom 231 Hämatoperitoneum 265 Hämaturie 276 Hämoglobin – freies 52 Hämoglobin-Konzentration 8 Hämorrhagie 267, 269, 276 Hämorrhagien 264 Hämorrhoiden 185, 187, 188 Harnblase 19 Harnröhre 278 Harnwegsinfekt 144 Hartmannstumpf 219 Hasson-Technik 108, 147 Haut – Angiome 25 – Hyperpigmentierung 25 – Schwangerschaftsstreifen 25 HbF-Färbung 251 HCC 240 HCG – Human-Chorion-Gonadotropin 44 Head-Zonen 128 Hegarstifte 273 HELLP-Syndrom 153, 238, 261 hepatozelluläres Karzinom 240 Hernien 173 Hernienoperation 174

312 | Stichwortverzeichnis

Herz – Dilatation 10 – Ejektionsfraktion 11 – Funktion 11 – Herzaufwurf 13 – Herzfrequenz 11 – Herzminutenvolumen 11 – Hypertrophie 10 – Kontraktilität 11 – Linksventrikuläre Masse 11 – Nachlast 11 – Remodellierung 10 – Schlagvolumen 13 – Vorlast 11 Herzaktion 56 Herz-Kreislauf-Stillstand 101 Hirntumore 293 Hormone – Adrenokortikotropes Hormon 8 – Aldosteron 8, 21 – Corticotropin-Releasing Hormon 8 – humanes Choriongonadotropin, humanes 7 – Kortisol 8 – Parathormon 7 – Plazenta-Laktogen, humanes 7 – Progesteron 15 – Prolaktin 5 – Relaxin 15 – Renin 21 – Schilddrüsenhormone 6 Hormonhaushalt 154 Hundebandwurm 236 Hyperemesis gravidarum 26, 206 Hyperkapnie 107 Hyperkoagulabilität 264 Hypertonie 261 Hypervolämie, maternale 9 Hypothermie 268 Hypotonie, perioperative 78 I Ileorektostomie 213 Ileostoma – protektiv 219 Ileus 131, 216 Iliosakralgelenk 256 Immuntherapien 302 Inguinalhernie 174 Inhalationsanästhetika 69

Inkarzeration 276 Inkontinenz 277 innere Hernie 205, 207–209 instrumentelle Nachtastung 274 Insulinresistenz 198, 200, 202 Intensivtherapie 100 Intraabdomineller Druck 107, 171 intraabdomineller Druck 107 intracavitäre Kompression 275 Intrahepatische Schwangerschaftscholestase 153 Intraoperative Lagerung 106 intraperitoneal onlay mesh 175 Intubation 86 IPOM-Technik 175 Isotopenmarkierung 61 J Joel-Cohen-Inzision 109 K Kapnoperitoneum 107, 223 Kapselhämatom der Leber 264 Kardiotokogramm 89 kardiovaskuläre Veränderung 107 Kernspintomografie 143 Klassifikation nach Beer 179 Kleihauer-Betke-Test 251 Knochenmarkbiopsie 303 Kolektomie 213, 219 Kolik 154 Kompression, venokaval 13 Kompressionssyndrom 79, 87 – aorta-kavales 106 – Vena-cava 106 Konisation 115, 296 Kontinenz 279 Kontrastmittel 61 Kopfschmerzen 263 Krampfanfall 262 Krankheitsaktivität 214 Kreislauf und Blutungskontrolle 253 Kunststoffnetz 176, 180 Kürettage 271 L Laborveränderungen 263 Lachgas 69

Stichwortverzeichnis

Lagerung 224 – Linksseitenlage 13 – Rückenlage 13 Längsinzision 268 Laparoskopie 105 – diagnostisch 221 laparoskopische Cholecystektomie 157, 164 laparoskopischer Zugang 147 Laparotomie 105, 265, 299 Laxantien 187, 279 LCA 234 Leber 27 Leberabszess 235 Leberenzyme 156 Leberkapselspannung 265 Leberruptur 262 Leberstoffwechsel 153, 155 Leberzelladenom 234 Lecithin-Cholesterol Acyltransferase 155 Leitlinien 105 Leukozytose 143 – physiologisch 48 Ligamentum teres uteri 172 Linea alba 171, 179 Linksseitenlage 101 lithogener Index 155 lumbo-pelvic pain 172 Lungenreifeprophylaxe 263 Lymphadenitis mesenterialis 144 Lymphome 303 Lymphonodektomie 115 M M. Crohn 144 M. sphincter ani 195 M. sphinkter ani 278 M. sphinkter ani externus 279 M. sphinkter ani internus 278 Magenband 198, 199, 203–206 Magensonde 163 Makrosomie 201, 202 Malformationen 160 Malignes Melanom 301 Malignomerkrankungen 287 Mammakarzinom 182, 288 manuelle Lösung 274 Martius Plastik 279 Meckel-Divertikel 144 medikamentöse Abortinduktion 272, 274

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medikamentöse Prämedikation 88 Megakolon – toxisch 216 Mehrlingsschwangerschaft 56 Meningiome 293 Menopause 194 metabolische Chirurgie,bib:c13-11 199 Methergin 275 Methotrexat 269 Methylierung 202 Microlithiasis 155, 158 Mifepriston 272 Mikroangiopathie 261 Misgav-Ladach 109 Misoprostol 272 missed abortion 272 Mittelstrahlurindiagnostik 50 Mono- und Extremitätenverletzungen – Extremitätenverletzung 244 Morbidität 217 Morbus haemolyticus neonatorum 251 Mortalität 217 Mortalitätsrisiko 87 MRCP (Magnetresonanzcholangiopankreatogra­ fie) 156 MRT 60, 143, 162 – Kontraindikationen 60 Multiorganversagen 265 Murphy-Zeichen 156 Muttermundsweite 88 Mutterschaftsrichtlinien 56 Myom 115 Myomenukleation 115 N N. pudendus 195 Nabelhernie 173, 174 Nausea 26 Nekrosen 162 Nervus pudendus 188 Neurotoxizität 70 Niere 19 – Aldosteron 21 – Glukosurie 21 – Harnstoff 20 – Kreatinin-Clearance 20 – Kreatinin-Konzentration 20 – Proteinurie 21

314 | Stichwortverzeichnis

– renale Filtrationsfraktion 20 – Renale Vasodilatation 20 – Renaler Blutfluss 20 – Renin 21 Nierensonographie 278 Nierenstau 276 Noradrenalin 79 Notsectio 87, 255 Nüchternheit 77 O Oberbauchbeschwerden 262 Obstipation 26, 187 obstruktives Defäkationssyndrom 188 Okklusionskatheter 268 Ondansetron 79 Onkochirurgie 115 onkotischer Druck 15 Operationsmethode 158 Operationszeit 160 Opioide 69, 246 Organogenese 30 Osmoregulation 21 Osteosynthese 256 Östrogen 7, 155 outlet-obstruction 187 Ovar 24 Ovarialvenenthrombose 60 Ovarialzyste 114 Oxytocin 275 P Packing 264, 269 Paclitaxel 291 PAIR-Technik 237 Pankreasgangsystem 162 Pankreaskopf 162 Papilla vateri 160 parametranes Hämatom 275 Parenchymatöse Verletzung 247 Parenterale Ernährung 41 penetrierendes Trauma 134, 248 Perforation 142, 216 Perforationsraten 274 Perfusion, utero-plazentare 78 Perianale Abszesse 192 perianales Ekzem 186 Perianalvenenthrombose 186, 187, 192 Perimortale Sectio 255

peri-mortem cesarean delivery 80 perioperative Behandlung 85 Perioperative Ernährung 98 Perioperative Prophylaxe 90 Peritonealverschluss 109 Peritonismus 123 Peritonitis 149, 157, 277 Petersen Space 207, 208 Pfannenstiel 109 Phenylephrin 78 Piritramid 69 Placenta accreta 266 Placenta praevia 266 Plasmavolumen 8 Plazenta 56 Plazenta in situ 269 Plazenta(teil)retention 274 Plazentation 262 Plazentations-Pathologie 266 Plikation 181 Pneumoperitoneum 160 Polytrauma 251 polyzystisches Ovarsyndrom 200 PONV-Prophylaxe 96 postoperative Übelkeit 96 Präeklampsie 51, 238, 261 präkonzeptionelle Beratung 201 Prämedikation 88 Progesteron 7, 155, 187 Proktokolektomie mit ileoanaler Pouchanlage 213 Proktologische Beschwerden 185 Proktoskopie 279 Propofol 69 Prostaglandine 275 Proteinstoffwechsel 4 Proteinurie 51, 261 Pseudoappendizitis 144 Pseudozysten 162 Puls-Doppler 54 R Ranson und Balthazar Kriterien 162 Reanimation 101 Reanimation, kardiopulmonale 80 Reflux 77 regionales Anästhesieverfahren 264 rektovaginale Fisteln 277, 278 Rektumprolaps 186, 194

Stichwortverzeichnis

Rektum-Verletzung 278 Rektusdiastase 175, 179 Relaxin 171 Remifentanyl 69 Resektionsstoma 219 Residualkapazität, funktionelle 72 Retention 274 Retroflexio uteri 272 retroperitonealen Blutung 264 Retroperitoneum 276 Rhinopathia gravidarum 27 Risikofaktoren 154 Risikoschwangerschaft 203 Röntgen nach Trauma 245 Röteln-Antikörpertest 45 Roux-Y Magenbypass 198, 199, 205, 207, 209 Rückbildungsgymnastik 179 Rückenschmerzen 27 S Sauerstoffverbrauch 17 Saugkürettage 273 Schaden – deterministischer 58 – stochastischer 58 Schäden – thermische 54 Schädigung – fetale 59 Scheitel-Steiß-Länge 56 Schlafstörung 27 Schlauchmagen 198, 199, 203, 204, 206 Schleimfistel 219 Schließmuskel 277 Schmerzmedikation 246 Schmerztherapie – postoperativ 93 Schmerzwahrnehmung 173 Schockraummanagement 252 Schocktherapie 253 Schockverhalten 253 Schwangerschaftsabbruch 54, 59, 288 Schwangerschaftsanämie – physiologisch 48 Schwangerschafts-assoziierte Schmerzen 172 Schwangerschaftsrhinitis 73 Schwangerschaftsstreifen 171 Schwangerschaftstest 45 Schwellenwert 58

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Sectio caesarea 134, 177, 194 Sectio-Hysterektomie 267 Sehstörungen 263 Sentinel-Lymphonodektomie 290 Sepsis 157, 269 septischer Fokus 274 Serum-Leptinspiegel 154 Sexualhormone 155 Sigmavolvulus 132 S-Ketamin 69 Skoliose 256 – idiopathische Skoliose 257 Slippage 205–207 slow-transit Obstipation 187 Sludge 154 small for gestational age 203 Sodbrennen 25 soft tissue thermal index 54 Sonografie 143 Spasmolytika 280 Sphincter ani internus 195 Sphinkter Muskulatur 277 Spinalanästhesie 95 Spontane Leberruptur 238 Stahlkürette 274 Steinextraktion 164 Steinschnittlage 134 Stieldrehung der Adnexe 114 Stoffwechsel, maternaler 3 Stomaanlage 223 Stomakomplikation 223 Stomatherapeut 223 Strahlenexposition 58, 246, 289 Strahlenschaden – akut 58 Strahlentherapie 290 Strahlung – ionisierende 61 Striae distensae gravidarum 171 Stuhldrang 277 Stumpfes Bauchtrauma 247 Sturz- und Verletzungsrisiko 244 Sturzursache 245 Sufentanyl 69 Supplementation 203, 204, 207 Sympathikolyse 111 Symphyse 27, 256 Synechien der Gebärmutterschleimhaut 270

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T Teilzystektomie 268 Teratogen 30 teratogener Effekt 86 Teratogenität 67 Terminierung der Schwangerschaft 274 Thiopental 69 Thoraxdrainage 253 Thrombembolie 90 Thrombembolierisiko 159 thrombosierte Hämorrhoiden 190 Thrombozytopenie 263, 265 Tokolyse 89, 160 Trachelektomie 115 TRAM-Flap 182 Transfusion 98 transjejunale Sonde 163 Trastuzumab 292 Traumatische Plazentalösung 249 Trendelenburg-Lagerung 159 Trokarposition 223 Tumormarker 299 Turnbull blowhole-Kolostoma 218 U Übelkeit 26 Ultraschall 143 – transabdominal 55 – vaginal 55 Ultraschalluntersuchung 156 Umbilicalhernie 174 ungewollte Schwangerschaft 272 unspezifische Oberbauchbeschwerden 154 Unterbauchkrämpfen 276 Ureter 19 Ureter-Verletzungen 267 Urininkontinenz 20 Urolithiasis 144 Uterotonika 275 Uterus 23 – Cervix uteri 24

– Größenzunahme 23 – Kontraktionen 23 Uterus-erhaltendes Vorgehen 269 Uterusläsion 112 Uterusperforation 271 Uterusstand 158 V Vakuumextraktionen 257 Varikosis des Ligamentum rotundum 175, 176 Vasopressoren 111 vegetative Symptome 128 Venen – venöses System 17 Ventilation und Oxygenierung 252 Verbrennung 182 Veress-Nadel 108, 147, 159 Verkehrsunfälle 249 vesikovaginale Fistel 279 Vorgehen – laparoskopisch 222 W Wabbelbauch 170 Wachintubation, fiberoptische 74 Wachstumsretardierung 56 weiche Kürette 274 Y Yersiniose 144 Z Zahnfleisch 27 Zervixkarzinom 115, 294 Zervixpriming 273 Zervixstenose 272 Zugangsweg 112 Zulassung (Anästhetika) 69 Zysticusstumpfinsuffizienz 157 Zystoskopie 279 Zytologieabstrich 295